Deutsches Fremdwörterbuch: Band 2 Antinomie - Azur [2nd rev. ed. 1996] 9783110893090, 9783110148169


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German Pages 657 [660] Year 1996

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Deutsches Fremdwörterbuch: Band 2 Antinomie - Azur [2nd rev. ed. 1996]
 9783110893090, 9783110148169

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Deutsches Fremdwörterbuch Band 2

Deutsches Fremdwörterbuch Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler 2. Auflage, völlig neubearbeitet im Institut für deutsche Sprache

Band 2: Antinomie — Azur bearbeitet von Gerhard Strauß (Leitung), Elke Donalies, Heidrun Kämper-Jensen, Isolde Nortmeyer, Joachim Schildt, Rosemarie Schnerrer, Oda Vietze

w DE

G

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1996

Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — ClP-Einheitsaufnahme Deutsches Fremdwörterbuch / begonnen von Hans Schulz. Fortgef. von Otto Basler. — Berlin ; New York : de Gruyter. NE: Schulz, Hans [Begr.]; Basler, Otto [Bearb.] Bd. 2. Antinomie — Azur. — 2. Aufl., völlig neubearb. im Institut für Deutsche Sprache. Bearb. von Gerhard Strauss (Leitung) ... - 1996 ISBN 3-11-014816-1 NE: Strauss, Gerhard [Bearb.]

© Copyright 1996 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin Datenkonvertierung und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Th. Fuhrmann KG, Berlin

Vorwort Der beträchtliche Umfang der -Strecke hat uns genötigt, die lexikographische Darstellung auf zwei Bände zu verteilen. Da die Trennlinie dieser beiden ersten Bände im Komplex anti liegt, soll die Gelegenheit genutzt werden, um — in Ergänzung zum Vorwort des ersten Bandes — auf das Verhältnis der Neubearbeitung des DFWB zur Forschung auf dem Gebiet der sog. Lehnwortbildung einzugehen. Der Neuansatz von Untersuchungen zur Lehnwortbildung des Instituts für deutsche Sprache ist seinerzeit im Zusammenhang mit den Arbeiten am Abschluß der ersten Auflage des DFWB begründet und in der Folge weiter ausgebaut worden. Heute sind wir in der Lage, bei der Beschreibung entlehnter Einheiten unterhalb der Wortgrenze (wie anti, audio, auto, bio usw.) die Ergebnisse dieser aus der Fremdwortlexikographie hervorgegangenen Untersuchungsrichtung in die Neubearbeitung des DFWB einzubringen. Dies betrifft eine Reihe dort entwickelter Begriffe und Klassifizierungen, aber in einzelnen Fällen auch unveröffentlichte oder schon publizierte Materialien und Studien zu entlehnten Wortbildungseinheiten, so hier die Ausarbeitungen zum Präfix anti (vgl. das Verzeichnis der zitierten Zweitquellen). Es betrifft aber schließlich auch die im Zusammenhang mit dem Lehnwortbildungsprojekt geleistete, durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte Feinsortierung der auch für die Neubearbeitung noch immer grundlegenden Belegsammlung von Schulz/Basler. Auch für die kommenden Bände hoffen wir, von den Ergebnissen der Lehnwortbildung profitieren zu können. Der hier vorgelegte zweite Band des DFWB enthält — wie alle Folgebände — eine erweiterte Fassung des Verzeichnisses der herangezogenen Zweitquellen, u. a. auch einige bibliographische Angaben zu einschlägigen Studien aus dem Bereich der Lehnwortbildung. Mannheim, Juni 1996

Gerhard Strauß

Verzeichnis der zitierten Zweitquellen Die in den Wörterbuchartikeln verwendeten Kurztitel erscheinen eingeklammert in Versalien jeweils am Ende der bibliographischen Angaben. Althochdeutsches Wörterbuch auf Grund der von Elias Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. u. hrsg. v. Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings, ab Bd. 2 hrsg. v. Rudolf Große. Bd. Iff. Berlin 1968ff. (AHD.WB) Anderson, Robert R., Ulrich Goebel, Oskar Reichmann: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Bd. I f f . Berlin/New York 1989ff. (FRNHD.WB) Anglizismenwörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, begr. v. Broder Carstensen, fortgeführt von Ulrich Busse. Bd. 1. Berlin/New York 1993 (AWB) Bartels, Karl: Veni Vidi Vici. Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen. Zürich/München 1989 (BARTELS) Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Hrsg. v. Hermann Paul u. Wilhelm Braune. Bd. I f f . Halle/S. 1874ff., Bd. 77ff. Tübingen 1955ff. (PBB) Benecke, Georg Friedrich, Wilhelm Müller, Friedrich Zarncke: Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Reprograf. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1854. Bd. 1-3. Hildesheim 1963 (BENECKE/ MÜLLER/ZARNCKE) Berning, Cornelia: Vom „Abstammungsnachweis" zum „Zuchtwart". Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1964 (BERNING) Bielfeldt, Hans Holm: Die slawischen Wörter im Deutschen. Leipzig 1982 (BIELFELDT) Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch. Hrsg. von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Begründet und angelegt von Anneliese Bretschneider unter Einschluß der Sammlungen von Hermann Teuchert, bearb. unter der Leitung von Gerhard Ising (ab Bd. 2, Lieferung 5 unter der Leitung von Joachim Wiese). Bd. l ff. Berlin 1976 ff. (BBWB) Brunner, Otto, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe — Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Stuttgart 1972 ff. (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK) Brunt, Richard James: The Influence of the French Language on the German Vocabulary (1649-1735). (= Studia Linguistica Germanica 18). Berlin/New York 1983 (BRUNT) Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Berlin 1972 (BÜCHMANN) Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Braunschweig 21813 (CAMPE) Carmesin, Dagmar: Das Fremdwort bei Johann Beer. Ein Beitrag zur deutschen Wort- und Sprachgeschichte. München 1992 (CARMESIN) Carstensen, Broder: „Babys" oder „Babies"? Zum Plural englischer Wörter im Deutschen. In: Muttersprache 92 (1982) 200-215 (CARSTENSEN, Babys)

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Verzeichnis der zitierten Zweitquellen

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XII

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Antinomie

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Antinomie F. (-; -n), im früheren 16. Jh. über (m)lat. antinomia 'Widerstreit der Gesetze' entlehnt aus griech. 'Widerspruch des Gesetzes gegen sich selbst, so daß beide Parteien es zu ihren Gunsten auslegen können' (aus - "gegen etwas gerichtet' (—»· Anti-, anti-) und 'Gesetz'), anfangs in der lat. (flekt.) Form. Zunächst im juristischen Bereich in der Bed. 'Widerspruch eines Gesetzes in sich, Widerspruch innerhalb eines oder zwischen zwei als verbindlich geltenden Gesetzen, Widerstreit der Gesetze' (s. Belege 1570, 1781, 1832, 1926); seit spätem 18. Jh. vor allem als Terminus der Philosophie häufiger belegt in der Bed. 'Widerspruch eines Satzes in sich', auch 'Unvereinbarkeit zweier gültiger Sätze, logischer Widerspruch zwischen zwei gültigen Aussagen' (s. Belege 1870, 1905), z. B. Antinomien der Vernunft; seit dem 19. Jh. auch allgemeiner und eher bildungsspr. verwendet für 'Gegensätzlichkeit, Widersprüchlichkeit, Zwiespalt, unaufhebbare Spannung' (s. Belege 1855, 1874, 1954, 1970, 1986), z. B. die Antinomien des Lebens (-» Ambivalenz 2, —» Aporie). Dazu im 20. Jh. selten bezeugtes gleichbed. Antinomik F. (-; ohne PL). Seit früherem 16. Jh. die (vermutlich aus mlat. antinomi 'Gesetzesfeinde' übernommene) Personenbezeichnung Antinomer M. (Antinomen; Antinomen), auch in der mlat. PL-Form, in der Bed. 'Gegner des Gesetzes, Gesetzesstürmer, -feind', gelegentlich dafür auch (bis ins frühere 20. Jh. gebuchtes) Antinomist M. (-en; -en), mit der Gelegenheitsableitung Antinomisterei F. (-; ohne PL) und (ebenfalls bis ins frühere 20. Jh. gebuchtes) Antinomianer M. (-s; -). Seit späterem 16. Jh. das Adj. antinomisch (vgl. griech. 'den Widerspruch eines Gesetzes mit sich selbst betreffend'), zunächst für 'gegen das Sittengesetz gerichtet' (s. Beleg 1562—64), dann auch allgemeiner 'einander logisch widersprechend, auf einer Antinomie beruhend, widersprüchlich, gegensätzlich'. Seit spätem 18. Jh. das Adj. antinomistisch, weitgehend gleichbed. mit antinomisch (s. o.), bes. in der Wendung antinomistischer Streit als historische Bezeichnung für die in den dreißiger Jahren des 16. Jhs. zwischen Luther und dem AntinomismusAnhänger Agricola geführte Auseinandersetzung um die Gültigkeit des weltlichen Gesetzes für Christen gegenüber dem Evangelium bzw. dem christlichen Sittengesetz. Seit Mitte 19. Jh. das (eventuell bereits während der Reformationszeit gebräuchliche) Subst. Antinomismus M. (-; ohne PL) 'Verwerfung des Gesetzes gegenüber dem Evangelium', auch allgemeiner 'Gegnerschaft gegen Gesetz und Gesetzlichkeit'. Antinomie: Zu/ingli vor 1531 W. II 1,215 darum ist by den Athenern der bruch der antinomien gewesen (MALHERBE); Nas 1570 Das ander Hundert 7r [Luther] het auch die Antinomiam angericht/ das man das Gesätz ausz der Kirchen auffs Rathausz thun soll; Leibniz 1671 Dtsch. Sehr, l 260 Zu geschweigen .. wie oft Disputen, ja Antinomien sein über Dinge, so scheinen ad quaestionem juris zu gehören; Zedler 1732 Universallex. II 572 Antinomia, die Widerwärtigkeit derer Gesetze, wenn nemlich zwey Gesetze einander zuwider seyn oder gar widersprechen; Hamann 1781 Sehr. Ill 279 ihre Paralogismen in Ansehung des psychologischen Ich's und ihre Antinomie in Ansehung aller kosmologischen Ideen; Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr, l 3,340) Den Zustand der Vernunft bey diesen dialectischen Schlüssen, werde ich

die Antinomie der reinen Vernunft nennen; ebd. 3,407 Ehe wir die Auftritte des Zwiespalts und der Zerrüttung sehen lassen, welche dieser Widerstreit der Gesetze (Antinomie) der reinen Vernunft veranlaßt; Goethe um 1790 Naturwiss. Sehr. (WA // 11,160) Alle Individuen und . . ihre Schulen sehen das Problematische in den Wissenschaften als etwas an, wofür oder wogegen man streiten soll .. anstatt daß das Wissenschaftliche eine Auflösung, Ausgleichung oder eine Aufstellung unausgleichbarer Antinomien fordert; Kosegarten 1790 Rhapsodieen l IV Ihre Enthüllung der Amphibolic unsrer Reflexionsbegriffe, und aller davon abhängenden Paralogismen, Antinomieen, u. s.w. verbreiten eine Helle über das Erkenntnißvermögen, die man nach den Verdunkelungen von Jahrtausenden nicht mehr zu hoffen wagte; Porster 1791 Ansichten (W.

Antinomie IX 125) die Politik hat ihre Antinomien wie eine jede menschliche Wissenschaft; Fichte 1794 Grundlage 222 Hier liegt der Grund der von Kant aufgestellten Antinomien; Hölderlin 1795 S. W. VI l, 156 es ist freilich dieselbe [Zweckmäßigkeit], womit er alle Antinomien schlichtet; Novalis vor 1801 W. HI 219 Jetzt scheint die vollkommene Demokratie und die Monarchie in einer unauflösbaren Antinomie begriffen zu sein; Hegel 1807 System 7 581 Die Antinomie der moralischen Weltanschauung, daß es ein moralisches Bewußtseyn gibt, und daß es keines gibt; Goethe 1812 Br. (WA IV 22,255) Nach seiner Natur . . muß sein Gott sich immer mehr von der Welt absondern, da der meinige sich immer mehr in sie verschlingt. Beydes ist auch ganz recht: denn gerade dadurch wird es eine Menschheit, daß, wie so manches andere sich entgegensteht, es auch Antinomieen der Überzeugung gibt; Regis 1832 Gargantua I 517 kundig der Antinomien und Widerspruch in den Gesetzen; Vischer 1848 Aesthetik H 2,524 Alles Schöne hat Tendenz und muß Tendenz haben, und alles Schöne wird durch Tendenz aufgehoben. Diese Antinomie löst sich einfach, wenn wir im ersten Satze unter Tendenz verstehen die im Stoffe selbst immanent wirkliche Idee; Strauss 1850 Ausgew. Br. 252 Mit einer Schwierigkeit, die sich bei biographischen Arbeiten leicht einstellt, werde ich ganz besonders zu kämpfen haben, nämlich mit der Antinomie zwischen allgemeiner Charakterschilderung und fortlaufender Erzählung; Raabe 1855 S. W. l 1,10 mir aber ist sie [die Gasse] . . eine unschätzbare Bühne des Weltlebens, wo Krieg und Friede, Elend und Glück, Hunger und Überfluss, alle Antinomien des Daseins sich widerspiegeln; ebd. 6,49 Durch die trostlosen Verhältnisse, unter welchen ich aufwuchs, war ich von frühester Zeit an . . zur Selbstbeobachtung und noch mehr zum Aufmerken auf meine Umgebung und die Kollisionen und Antinomien derselben gedrängt; Rümelin 1870 Kanzlerreden 40 Auch Kant hatte in den Antinomien widersprechende Sätze als gleich wahr nachzuweisen gesucht; Nietzsche 1874 W. // 324 Dies ist die Antinomie der Philologie: man hat das Alterthum thatsächlich immer nur aus der Gegenwart verstanden und soll nun die Gegenwart aus dem Alterthum verstehen?; Fechner 1876 Vorschule I 20 Freilich geräth man mit der Weise, . . die Allmacht und Güte Gottes . . mit dem Dasein des Uebel in der Welt zu vereinbaren, in unlösliche Antinomieen; Bluntschli 1878 Beuterecht 110 Die Fortdauer des alten Beuterechts im Seekrieg erscheint daher als eine dem natürlichen Recht und der Logik gleich widerstreitende Antinomie; Dilthey 1883 Einl. I 353 Der Maler wird nicht von den Antinomien der Raumvorstellung gestört, denn sie verwirren ihm nicht seine Raumbilder. Genau so hindern die reli-

giösen Antinomien nicht die freie Bewegung des religiösen Lebens selber; Engels 1884 Elend Phil. Vorw. (MEW XXI 179) Wir haben hier also einen Widerspruch, eine Antinomie zweier ökonomischer Gesetze; Hartmann 1891 Pessimismus 122 f. Da die Antinomie zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit in der Erscheinungswelt nothwendig unlöslich ist; Windelband 1902 Präludien II 290 Deshalb muß das Objekt des frommen Gefühls als Person vorgestellt werden. Freilich steckt darin wieder die dialektische Antinomie; Ziegler 1905 Rationalismus 121 die Ergebnisse des kantischen Philosophierens [sind] durchaus keine widerspruchslosen Sätze gewesen . ., sondern Antinomien; Weber 1910 Kampf 370 f. Man zieht daraus die Schlußfolgerung, „daß jede zum Heil des Ganzen unternommene Klassenbewegung des Stempel einer unheilbaren Antinomie trage"; Moszoivski 1922 Inseln 56 Hierin lag der Absicht nach eine Ovation für Kant und seine berühmten Antinomien, da die reale Bestimmung des Sockels [des Denkmals] einen antinomischen Gegensatz zu der idealen Transzendenz des Oberbaues ausdrücken sollte; Koeniger 1926 Kathol. Kirchenrecht 88 Im Falle der Antinomie, d. h. beim Widerstreit der Gesetze unter sich; Spranger 1927 Lebensformen 108 Wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, so ergibt sich eine seltsame Antinomie, die keine theoretische Metaphysik ganz aufzulösen vermag; Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. X 326) der Mensch hat nie angefangen und nie aufgehört, aus den Antinomien seines geistig-fleischlichen Doppelwesens das Absolute, die Idee, zu visieren; ders. 1934 Reden u. Aufs. (W. IX 460) fast hat man den Eindruck, als ob der Dichter das als eine natürliche und unvermeidliche Antinomie des höheren moralischen Lebens hinstellen wollte; ders. 1947 Faustus (W. VI 166) man wird ja wohl noch auf die tragischen Antinomien hinweisen dürfen, von denen das Leben voll ist; Curtius 1950 Lebenserinn. 169 Aber da tat sich sofort eine neue Antinomie meines widerspruchsvollen Wesens auf; Leisegang 1951 Weltanschauung 67 Und so lassen sich noch viele solcher einander entgegengesetzten Gesetzlichkeiten, solche Antinomien aufstellen; 1954 Begegnungen 86 Es gehört zu den Antinomien des Lebens im 'Dritten Reich', dass vielfach das scheinbar Unmögliche doch . . möglich war; 2956 Ostdtsch. Wiss. II 275 [ist] mit Huizinga der Meining . ., dass Antinomie und Ambivalenz als ein notwendiges Charakteristikum modernen kulturwissenschaftlichen Denkens gelten müssen; Hochkeppel 1970 Denken o. S. Dann haben wir eine gesalzene Antinomie, nämlich einen Satz, der nur dann wahr ist, wenn er falsch ist; Angermeyer 1971 Zuschauer o. S. gemeinsam der bei Schiller vertretenen psychologischen Auffassung ist dem dramentheoreti-

Antinomie sehen Ansatz von Zuschauer aber die prinzipielle Antinomie von Kollektiv und Individuum; Zeit 8.3.1985 der Kult des „Gewaltpragma" mußte zwangsläufig in diesen Gewaltstaat obsiegen; der Gegensatz wurde schließlich zu jener verhängnisvollen Antinomie von „Realpolitik" und „romantischer Politik" verabsolviert; ebd. 18.4.1986 die klassische Wahrheitsfrage der Philosophie, die darauf beharrt, zwischen Schein und Nicht-Schein zu unterscheiden, wird von den Künsten dadurch unterlaufen, daß sie eben diese Antinomie aufhebt; ebd. 7.11.1986 in der spannungsreichen Antinomie von Denken und Handeln, Vernunft und Sinnlichkeit, Geist und Körper; Süddtsch. Ztg. 17.2.1993 Die Antinomie ist der Normalfall: der Student — ein Egozentriker und Konformist. Antinomer: Luther 1530-35 W. I 334 sie heißen Widertäufer, Sacramentirer, Antinomer; ders. 1538 Tischreden IV 68 den Antinomern, den Gesetzstürmern; Mathesius 1562-64 Ausgew. W. III 266 Als nun der Antinomer [Widersacher Luthers] sein muß versaltzen, vnnd drüber re & corpore arrestirt vnd verkümmert; Kirsch 1718 Cornvcopiae I 82 Antinomia . . Antinomi . . Gesetz-Stürmer; Weber 1734 Enc. 96 Antinomia . . Antinomi . . GesetzStürmer; Zedler 1732 Oniversallex. U 572 Antinomi, also wurden diejenigen genennet, welche sich dem göttlichen Sitten-Gesetze widersetzet; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,130) Nun ist die Frage nicht, ob der Gemeinstifter ein Antinomer sey, sondern ob er als ein Antinomer recht daran sey oder nicht; 1843 Brockhaus I 387 diese . . Meinung widerlegte Luther in seinen Disputationen gegen die Gesetzstürmer oder Antinomer. Antinomianer: Görres 1819 Ges. Sehr. XIII 100 die Antinomianer, die sogar selbst die ethischen Pflichten als Tirannei verwerfen; 1843 Brockhaus I 388 Auch unter den Independenten in England zur Zeit Cromwell's traten Antinomer auf . . Ihre Grundsätze theilten die Antinomian- oder Particular-Baptisten. Aminomik: Buber 1923 Ich u. du 111 Die "religiöse" Situation des Menschen, sein Da-sein in der Präsenz, ist durch ihre wesenhafte und unauflösbare Antinomik gekennzeichnet; Hartmann 1926 Ethik 261 Der Ethik erwächst die Aufgabe, solche Widersprüche zu überbrücken . . soweit in ihnen nicht eine ursprüngliche Antinomik der Werte selbst liegt. antinomisch: Mathesius 1562—64 Ausgew. W. /// 267 Einer auß diser Antinomischen rott hencket

fast eim jeden Doctor vnd Lerer zu Wittenberg ein klemperlein vnd schlug jm ein blechlein an; Hamann 1753—56 Sehr. V 141 Dieses antinomische Wesen ist ein ungeheurer Misbrauch der evangelischen Freyheit; Novalis 1798 W. l 328 Die wahre Religion scheint aber bei einer nähern Betrachtung abermals antinomisch geteilt in Pantheismus und Monotheismus; Goethe 1808 Naturwiss. Sehr. (WA II 9,407) um das, was einander in der Meinung wirklich entgegensteht, bedeutend und, obgleich antinomisch, doch von beiden Seiten verständig ist, von dem zu sondern, was nur scheinbare Widersprüche oder gar nur absurde Einreden sind; Vischer 1879 Auch Einer U 397 Die Sache liegt schlechthin amphibolisch, antinomisch; Troeltsch 1911-12 Glaubenslehre 168 [Die Unendlichkeit in Zeit und Raum] hängt an der Gegebenheit der Erfahrung einer räumlichen und zeitlichen Welt und trägt antinomische Natur in sich; Moszowski 1922 Inseln 56 Die Philosophie fand in diesem Doppeldenkmal noch ein weiteres Symbolbereich, nämlich dadurch, daß der geräumige Sokkel zu einer Bedürfnisanstalt ausgebaut war. Hierin lag der Absicht nach eine Ovation für Kant und seine berühmten Antinomien, da die reale Bestimmung des Sockels einen antinomischen Gegensatz zu der idealen Transzendenz des Oberbaues ausdrücken sollte; Bauch 1923 Wahrheit 56 Wir können die antinomische Gedankenentwicklung auch noch weiterführen und zu der zweiten Antinomie zuspitzen; Schröder 1932 Racine 38 auf einem ihm fremden Gebiet, innerhalb einer ihm antinomen Gesetzlichkeit; 1950 Festschr. a. Spann 122 antinomisches Verhältnis zueinander; Hochkeppel 1970 Denken o. S. wir kennen dieses Paradoxon übrigens durch den Apostel Paulus, der, ohne den antinomischen Beispielcharakter des Satzes zu sehen, in einem Brief an Titus schrieb: „einer von ihnen selbst, ein Prophet sogar, sagt, die Kreter seinen stets Lügner"; Sieburg 1971 Napoleon o. S. antinomische Wertmaßstäbe wie die von „böse" und „gut". Antinomismus: 1843 Brockhaus l 387 Antinomismus nannten die Reformatoren die Geringschätzung des Sittengesetzes, besonders des mosaischen; Wernle 1901 Religion 192 Aber unter der Decke dieses Antinomismus und dieser supranaturalen Geisttheorie bahnt sich unmerklich die Idee des guten Willens und der Pflicht an; ebd. 336 Folge davon war ein praktischer Antinomismus. Es kommt nur an auf Glaube und Liebe und Geist. Alles andere ist Nebensache; Hammann 1952 Nomismus und Antinomismus innerhalb der Wittenberger Theologie (Titel); 1966 Brockhaus l 581 Antinomismus . . In der Reformationszeit führte das Verhältnis von Gesetz und Evangelium zum A.-Streit

Antipathie zwischen Agricola und Melanchthon seit 1527, Agricola und Luther seit 1537; Luther verfocht unter Ablehnung jeder Gesetzesgläubigkeit die Untrennbarkeit von Gesetz und Evangelium. Antinomist: 1568 Urkundenb. Allenstein l 246 E. F. Dhl. wissen, das wir vns niemals derer bekommert haben, so vnser Jurisdiction nicht unterworfen; es sey einer gewesen ein Luterist, ein Interimist, . . ein Antinomist; vor 1871 Magazin d. Ausld. XXXV 459b Die mächtigen Gegner [Agricolas] brandmarkten ihn sammt seinen Schülern als Antinomisten, Widersacher des Gesetzes (SANDERS 1871); Nietzsche 1885-86 W. VIII 230 als Menschen Tantalusse des Willens, heraufgekommene Plebejer, . . zügellose Arbeiter, .. Antinomisten und Aufrührer in den Sitten.

Antinomisterei: Mathesius 1562—64 Ausgetv. W. Ill 266 Aber falsche lehr die schleicht im finstern vnd scheucht das liecht .., drumb kamen die leut nit auffn platz, vnd da man bey jn anhielt, das sie sich erklerten, bekante der anfenger, solche Antinomisterey were nicht recht. antinomistisch: Hamann 1780 Sehr. V 354 durch seine Antinomistische Lehre; 1843 Brockhaus I 388 [Agricola] ließ . . einen Luther völlig befriedigenden Widerruf erscheinen, wodurch der sogenannte antinomistische Streit beendigt wurde; Walther 1973 Schmetterlinge 84 Das Paradoxische und Widersprüchliche und Gegensätzliche und Antinomistische — das ist eigentlich in allen Gedichten anwesend.

Antipathie F. (-; -n), im späten 16. Jh. über (m)lat. antipat(h)ia 'natürliche Abneigung zweier Dinge gegeneinander' entlehnt aus griech. 'entgegengesetzte Neigung oder Eigenschaft, (Gefühl der) Abneigung' (zu 'von entgegengesetzter Beschaffenheit oder Neigung, entgegengesetzt (wirkend)', aus - 'gegen etwas gerichtet, entgegen' (—>· Anti-, anti-) und 3 $ 'Gemütsbewegung, Empfinden; Zustand'; —> Pathos), bis ins 18. Jh. häufig in der lat. (flekt.) Form. Zunächst im naturwissenschaftlichen Bereich für 'natürliche wechselseitige Unverträglichkeit von Lebewesen oder Dingen untereinander; schädigender Einfluß, den Dinge oder Lebewesen aufeinander ausüben; Gegensatz, Feindschaft' (s. Belege 1581, 1636, 1690, 1699), seit späterem 17. Jh. (s. Belege 1669, 1672) auch allgemeiner in der dominanten Bed. 'Widerwille, Abneigung, Abscheu gegen jmdn./etwas' (weitgehend gleichbed. mit —» Aversion, Ggs. —* Sympathie) sowie vereinzelt auch als Bezeichnung für den Gegenstand der Abneigung selbst (s. Beleg 1852); häufig in Syntagmen wie eine heftige, persönliche, besondere Antipathie gegen jmdn./etwas haben, empfinden, diese Antipathie beruht auf Gegenseitigkeit. Dazu Anfang 18. Jh. vereinzelt, erst seit frühem 19. Jh. häufiger die adj. Ableitung antipathisch, zunächst im Bereich der Naturwissenschaften in der Bed. 'gegensätzlich, unverträglich, widerstrebend' (s. Beleg 1712), seit Mitte 19. Jh. auf menschliche Gefühle und Beziehungen bezogen 'abgeneigt, zuwider, widerwärtig' (s. Belege 1856, 1876); in neuerer Zeit zunehmend verdrängt durch unsympathisch (—» sympathisch). Im 18. Jh. vereinzelt antipathisieren V. trans, in der Bed. 'Abneigung, Widerwillen, Abscheu gegen jmdn./etwas empfinden, jmdm. nicht gewogen sein'; im 18./19. Jh. das seltene, eventuell in Analogie zu älterem, antonymem —» sympathetisch gebildete, auf griech. 3 $ zurückgehende Adj. antipathetisch, zunächst 'auf geheimnisvolle Art, magisch, zauberkräftig gegen etwas wirkend' (s. Beleg 1737), dann weitgehend gleichbed. mit antipathisch (s. o.); Anfang 19. Jh. die Gelegenheitsbildung Antipathetiker M. (-s; -); in neuerer Zeit die in Analogie zu antonymem —> Sympathisant gebildete Gelegenheitsableitung Antipathisant M. (-en; -en). Antipathie: Thurneysser 1578 Hist. u. Beschr. influentischer Wirkungen 88 Denen [etlichen Kunstsachverstendigen] wirdt also geantwortt/

Daß durch die Sympathiam und Antipathiam/ fast alle ding/ eintweders beschehen/ oder aber verhindert werden (KLUGE 1967); Fischart 1581 Dämo-

Antipathie nomania 61 Hingegen zwischen den Wölffen vnd Schafen/ zwischen denen Gott eyne Antipathiam, oder natürliche gegenartung vnd Widerwillen/ vnd eyne vnversünliche/ auff leib vnd leben schädliche Feindschafft eingenaturt hat; Rebenstock 1586 De Lamiis 82b dasz es [das Vieh] von der Antipathie, das ist, aus Natur herfliessender Feindtschafft, nicht anders, denn als wer es vervntrewet, vbel erschrickt; Schwenter 1636 Delitiae phys.-math. 233 also auch sagen etliche erfahrene Musici, sey eine sonderliche antipathia zwischen den Wolffs- und Schafssaiten; Becher 1668 Methodus didactica c 4b Vnd ist gewiß, daß in der Sprach ein grosse Sympathy vnd Antipathy stecket; Grimmeishausen 1669 Simpl. 42 derjenigen Antipathia, die sich zwischen Soldaten und Bauren enthält; Addison 1672 Westbarbarey II 119 Es ist aber unter diesen beeden Völkern eine Antipathia, oder widerige Neigung leichtlich abzumerken; Lebenwaldt 1681 Teufels List VI 166 Entgegen findet man so wohl in den Vegetabilien als Mineralien vnd Thieren, ja sogar vnter den Menschen seltzame Feindseligkeiten vnd Antipathien, deren Grundursachen vns verborgen seynd; Abr. a S. Clara 1689 Judas II 182 f. (Wunderkur 212) Jenes Abscheuen/ oder natürlichen Grausen/ welchen sehr vil Leuth an einer/ oder anderen Sach haben/ pflegen die Philosophi oder Weltweisen Antipathia zu nennen/ welches eine gesambte angebohrne Entsetzung von einer Sach ist/ vnd innerliche angesambte Feindschafft gegen derselben; Thomasius 1690 Dtsch. Sehr. I 36 weil doch eine gleiche Antipathie zwischen dem Gifft und der Artzney zu sein pfleget; Ettner 1697 Doctor. Anh. 50 Wenn wir betrachten/ fuhr er fort/ was vor eine Antipathie zwischen einem Menschen und der Schlangen ist; Lehmann 1699 Schauplatz 827 Die Antipathie einiger Medicamenten und Gewürme oder Kranckheiten ist aus vielen Dingen bekannt; 1702 Europ. Fama 164 die Antipathie dieser beyden Nationen; Arnkiel 1703 Eröffnung I 236b Daß aber dis Aushauchen der tieffen Holen etliche afficire/ etliche aber nicht/ schreibt er des Menschen Sympathie und Antipathie zu; Elis. Charl. 1704 Er. I 349 Man muß nie vor kein landt kein antipathic nehmen; den wir wißen nicht, wo unß gott der almachtige hin vorsehen hatt; Marperger 1712 Naturlex. 1576 daß so wohl die vernünfftigen als unvernünfftigen Zwerge öffters mit denen schädlichen Kranichen, wie ein Thier mit dem ändern, zu streiten pflegten, auch wohl eine natürliche Antipathie zwischen beyden sey; Ettner 1719 Maulaffe 298 wer hat jemahls den Abgrund der Natur in der Syn- und Antipathie ergründet?; Justi 1741 Dtsch. Memoires I 349 Wie denn auch unter denen Privatpersonen keine Freundschaft, . . anzutreffen ist, wenn zwischen denen Gemüthern eine Art von Antipathie regieret;

Philippi 1743 Reimschmiedekunst 123 Es ist eine solche natürliche Antipathie und Feindschaft zwischen erhabenen und kriechenden Poeten; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,30) und achte mich insonderheit verpflichtet, meine Sympathie mit der heiligen Schrift, und meine Antipathie gegen das taube Es ist mir so, auf das kräftigste zu bezeugen; Meister 1775 Schwermerei l 6 Jene sonst unerklärbaren Sympathien und Antipathien; um 1780 Journal v. Tiefurt 130 Welch ein Reichthum von Wahrheit liegt in den Sympathien und Antipathien des Herzens, von denen der blinde Verstand kein Wort weiß; Müller 1781 Lindenberg I 236 Ob es Sympathey und Antipathey giebt, oder nicht, das — mögen unsere Weisen unter sich ausmachen; Smollet 1785 P. (Übers.) l 77 Antipathie gegen die alten Jungfern; Musäus 1787-88 Volksmärchen H 30 entweder hatten die wässerichten Dünste aus der Felsengrotte die Glut verschlungen, oder Frau Pathe hatte vermöge der Antipathie der Najaden gegen das Element des Feuers ihren natürlichen Feind besiegt; Forster 1789 Br. u. Italien I 22 Über diese Sympathien und Antipathien, dieses Anziehen und Zurückstossen empfindender Wesen; Cogniaczo 1794 Geständn. 11! 137 Launen und Antipathien dieses Feldherrn; Hoffbauer 1803 Unters. II 339 Auch die Antipathien, wenn man darunter einen unnatürlichen Abscheu vor unschädlichen Dingen . . versteht, sind unter gewissen Umständen Krankheiten; Goethe 1814 Dichtung u. Wahrh. (WA l 28,170) Denn wie es angeborene Antipathien gibt, so wie gewisse Menschen die Katzen nicht leiden können, ändern dieses oder jenes in der Seele zuwider ist; Reil 1817 Kl. Sehr. 60 Antipathie ist ein so grosser Abscheu gewisser Dinge, dass der Geruch, Geschmack, das Gefühl . . die heftigsten Zufälle erregen; Goethe 1823 Möser (WA I 41.2,54) Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens, beide erfinden eingebildete Wesen, und zwischen dem Wirklichen, Handgreiflichen ahnen sie die seltsamsten Beziehungen; Sympathie und Antipathie walten hin und her; Wehrhan 1834 Familienreise 233 Besonders zwischen den Geistlichen beider Confessionen findet nicht bloß kein Umgang, sondern sogar Antipathie statt; Heine 1835 Romant. Schule 94 Vielleicht aber erzeige ich Herrn A. W. Schlegel eine unverdiente Ehre, indem ich ihm bestimmte Sympathien und Antipathien beimesse; Kohl 1844 Brit. Inseln l 44 gegen den Tabak haben wir .. eine . . Antipathie; ebd. I 399 Antipathieen und Sympathieen der Engländer gegen fremde Völker; ders. 1844 England u. Wales l 153 der gewaltigen in England existierenden Tabaksantipathie; Götz 1852 Reise I 156 Auf der canadischen Seite der Fälle lernte ich einen wunderlichen Kauz von Engländer kennen, der . . aus Antipathie keinen Fuß auf Yankeeboden setzen

Antipathie wollte; Gutzkow 1852 Ritter IV 61 Als . . ihre Antipathie, Fräulein Melanie, eintrat (SANDERS 1871); Röscher 1854 System l 398 Auf ähnliche Weise können starke nationale Antipathien wirken, große Geschmacksverschiedenheiten, die mit Zähigkeit festgehalten werden, z. B. zwischen Chinesen und Europäern; Villamaria 1873 Manon 99 Manon, ein gut erzogenes Mädchen giebt seinen Antipathien nicht in so schroffer Weise Ausdruck, selbst nicht, wenn sie gegründet wären; Heyse 1882 Ges. W. / 4,40 sie gestanden sich gegenseitig ihre Liebhabereien und Antipathien auf dem Gebiete der Poesie; Burckhardt 1885 Br. a. Alioth 241 Delacroix war immer meine Antipathie durch den tief pöbelhaften Zug; Gottschall 1885 Totenkl. 286 Das Bild, das er von dem spätem Dictator entwirft, . . ist der Ausdruck entschiedenster Antipathie; v. Sybel 1893 Vortr. u. Abh. 219 seine Allerhöchste Erwägung und Entscheidung, die sich dann oft wochenlang hinzog und endlich nach persönlicher Laune oder Antipathie gefällt wurde; Eckstein 1895 Hartwig 319 Dieser Jammer der Selbstverachtung schaffte sich Luft in einer verzweifelten Antipathie gegen Pirkheim, den sie als den verantwortlichen Urheber ihrer Schmach ansah; Grabein 1911 Hans 29 „Wenn Sie glauben, damit Ihre Antipathie gegen Herrn Weerth auf mich zu übertragen, so sind Sie gründlich auf dem Holzwege"; Rosi 1914 Parität 21 Antipathie gegen den Katholizismus; Frank 1926 Liebesleben 21 Da, wo der normale Mensch Sympathie und Liebe empfindet, werden diese Unglücklichen gezwungen, Antipathie und Unlust, die schließlich zu Mißtrauen und Verfolgungswahn führen, zu empfinden; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 66) ein Rohrspatz hätte sich nicht kräftiger äußern können als Maitre Painleve mit seiner wohllautenden Kammerstimme, und seine Antipathie ließ keinen Widerspruch gelten; ders. 1930 Erz. (W. VIII 690) wir hörten die Feststellung da und dort in unserer Nähe, und sie bedeutete den Sieg sachlicher Gerechtigkeit über Antipathie und stille Empörung; 1930 Süddtsch. Monatsh. XXVI 670 Der Junge wächst auf in Zuneigung zu dem, der sein Vater scheint, instinktiver Eifersucht und Antipathie gegen den, der es wirklich ist; Th. Mann 1932 Nachtr. (W. XIII 72) er hat gelegentlich in seinem Werke geäußert, daß er gegen prunkvolle Zimmer, reich ausgestattete Räume immer eine Antipathie gehabt habe, weil ein solches Wohnen zu sehr den Geist beunruhige und den Produktionstrieb einlulle; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 56 auch fühlte ich .. in mir eine gewisse Reaktion auf unausgesprochene Antipathie meines Rittmeisters aufkeimen; ebd. 237 f. Antipathie gegen eventuelle jüdische Eigenheiten oder Auswüchse und Ausnützung des Judenhasses als brauchbarste politische Plattform

bedingen bei klugen Menschen doch wirklich keinen Antisemitismus, der die ganze Rasse verwirft; Th. Mann 1939 Lotte (W. // 733) höchst merkwürdig nun und schwer zu ergründen sei angesichts des so erheblichen Beitrags, den sie der allgemeinen Gesittung geleistet, die uralte Antipathie, die in den Völkern gegen das jüdische Menschenbild schwele und jeden Augenblick bereit sei, in tätlichen Haß aufzuflammen; Münch. N.N. 7.3.1944 Und — ist es nicht mit der Antipathie ebenso? Haben wir nicht oft beim ersten Eindruck des Gefühl des Nichtleidenkönnens, das uns innerlich zurückstößt; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 321) Ihr hättet besser getan, Euerer Antipathie gegen die Werke nicht zu gedenken, wenn Ihr nicht wolltet, daß ich in Eueren Deduktionen eitel Teufelsfürze zu Schimpf und Schaden des Werks erkenne; Stemplinger 1948 Volksglaube 22 Wie die Dämonen zwischen den Göttern im Olymp, in Meeren und Flüssen wie in der Unterwelt und den Menschen eine Verbindung herstellen, so dachte sich die Antike den ganzen Kosmos mit seinen Sternen, Elementen, Mineralien, Pflanzen, Tieren und Menschen in wechselseitiger Sympathie oder Antipathie; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. IX 772) er hat sich einen „dizidierten Nicht-Christen" genannt, hat dem Kreuz seine Antipathie erwiesen, Demut und Dulden nicht als seine Sache empfunden; Süddtsch. Ztg. 18.6.1949 Das Mittel der Antipathieerzeugung gegen die Opfer war vielleicht die raffinierteste nationalsozialistische Propagandaart; Jaspers 1958 Atombombe 430 sie sind wie eine fremde Welt, der man sich unterwerfen muß, willig oder widerwillig, mit Sympathien oder Antipathien; Grass 1962 Blechtrommel 232 Maria [trug] der einige Jahre älteren Susi so ausdauernd einen Groll nach, wie eben nur Frauen ihre Antipathien aus der Jugendzeit bis in die Großmutterzeit zu bewahren wissen; Berger 1966 Nettesheim 267 es war abzusehen, daß er aus seiner Antipathie keinen Hehl machen würde; Bernhard 1967 Verstörung 119 der seit meiner Rückkehr aus England nur noch konzentrierteren Antipathie gegen mich selbst wie gegen alles; Welt 15.2.1969 er ist sich dessen bewußt, daß er bei seinen beiden Beratern eine Standard-Portion an Sympathie und Antipathie Mitspielern gegenüber einkalkulieren muß; ebd. 8.5.1974 das Wissen um diese Sympathien und Antipathien belebt die aktuelle Bonner Spekulation über das künftige Bundeskabinett; Zeit 22.3.1985 kurz und gut: zwar mochte er mich nicht, aber aus Anständigkeit kümmerte er sich nicht um seine Antipathie; MM 5. 9.1985 das Mißbehagen zu Beginn einer Therapie, die Antipathie gegenüber dem Therapeuten kann ja auch Ausdruck von Widerstand, Übertragung usw. sein; Zeit 22.8.1986 meine ursprüngliche Antipathie

Antipathie war in letzter Zeit in Neugier umgeschlagen; Spiegel 14.6. 993 Daß es ihr so nachhaltig gelingt, Antipathien auf sich zu ziehen, versteht sie nicht; Süddtsch. Ztg. 6. 9.1993 Gewiß: Aus-Zeichnungen sind von Menschen und deren Meinungen, Vorlieben und Antipathien abhängig; ebd. 9.1 10.10.1993 Für keine der beiden Personen ergriff er Partei, oder anders formuliert: Er schuf ein empfindliches Gleichgewicht aus Antipathie und Sympathie. antipathisch: Marperger 1712 Naturlex. 84 Ja unter den Krautern, Pflantzen und Thieren selbst herrschen dergleichen Antipatische [sie!] und Sympathische Neigungen und Affecten; Hahnemann 1824 Organon 112 Die dritte . . Anwendungsweise der Arzneien gegen Krankheiten ist die antipathische .. oder die palliative, womit der Arzt bisher noch am hülfreichsten scheinen konnte; Gutzkow 1851 Ritter IX 271 Sie bewunderte immer an Melanie diese große Kunst, mit der sie sich in ein ihr fremdes und innerlichst antipathisches Leben eindachte; Strauss 1854 Ausgew. Br. 326 Bekam dabei in Herder's Natur, die mir etwas Antipathisches hat, doch einige tiefere Einblicke, die mir ihn menschlich näher brachten; Devrient 1856 Tagebuch // 175 Seltsame Freundlichkeit des mir antipathischen Mannes; Feuerbach 1858 Br. a. s. Mutter i 515 Was Herrn Stiebel betrifft, so gestehe ich, daß er mir . . nicht antipathisch ist; Rümelin 1862 Reden 111 310 da ihm alle Geldsachen, alles Rechnen und Zahlenwesen so antipathisch waren; Bluntschli 1872-81 Denkwürdiges l 291 Aber der Hauptredacteur Kolb hatte sich mit Friedrich Rohmer entzweit. Die beiden Naturen waren antipathisch gestimmt; v. Mohl 1874 Lebenserinn. 425 eine stocktaube, pedantische und mir wenigstens sehr antiphatische [!] Person; Lew aid 1876 Benvenuto H 88 würde ich es nicht versprechen können, ein Mädchen zu heirathen, dessen Wesen mir trotz der Schönheit antipathisch sein könnte; Fechner 1876 Vorschule I 150 Es kann vorkommen . ., dass . . uns . . Personen . . sympathisch oder antipathisch sind, ohne dass wir uns Rechenschaft geben können, warum; Kraszewski 1884 Hetmannssünden (Übers.) 48 Die Generalin, der die Gestalt des jungen Mannes gleichfalls nicht antipathisch war; Burckhardt 1888 Br. a. Alioth 267 Köln wäre mir zum Wohnen antipathisch . ., trotz der grossen Denkmale; Dessoir 1906 Ästhetik 156 Ohne Besinnen sagen wir Ja oder Nein — wie den Menschen gegenüber, die uns sofort sympathisch oder antipathisch sind; Dehmel 1907 Br. 131 Mir sind Zeitschriften eigentlich antipathisch; ich betrachte sie nur als Honorarquellen und anständige Reklame-Apparate, die in unserer Zeit unumgänglich

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sind; Th. Mann 1907 Nachtr. (W. XIII 461) im Gegenteil: der Typus des Juden, „wie er im Buche steht", des fremden, physisch antipathischen Tschandala ist eigentlich schon recht selten geworden; Braun 1909 Sozialistin I 152 Laufen und Hasten war mir immer antipathisch; Kemmerich 1910 Dinge 104 In kleinen Bünden, wo die jungen Leute alle aufeinander angewiesen sind, ist es besonders schlimm, denn stets werden einige einander antipathisch sein; 1916 Deutschland I 466 der den Slawen und Romanen antipathische deutsche Charakter; Wätzoldt 1924 Kunsthistoriker 268 Ihm mußte das Wesen der modernen Malerei zunächst in ihren antipathischen Motiven sich offenbaren; Polgar 1926 Rand 105 Ich weiß nicht, ob die antipathische Person getan hat, wessen man sie bezichtigt; Bunsen 1929 Welt 63 Sie waren einander ausgesprochen antipathisch; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. IX 485) wir verstehen danach, wie antipathisch die analytische Tiefenpsychologie einem Ich sein muß, das, berauscht von einer Religiosität des Unbewußten, selbst in den Zustand unterweltlicher Dynamik geraten ist; ders. 1947 Faustus (W. VI 15) freilich haben auch Exemplare jenes Geblütes meinen Weg gekreuzt . ., auf deren verwirrend antipathisches Gepräge ich an gehörigem Ort einiges Licht zu werfen mir vornehme; Stemplinger 1948 Volksglaube 24 Man muß ausfindig machen, welches Tier, welche Pflanze, welches Mineral das Göttlich-Dämonische am vollkommensten enthält. Es gibt auch Stoffe, die gewissen Göttern und Dämonen geradezu antipathisch sind. antipathisieren: Herder 1769 S. W. Ill 471 das Paar scheint sich nicht sonderlich zu lieben, und wenn beide gar offenbar gegen einander antipathisiren; ebd. IV 173 Mein Nervengebäude antipathisirt jedem Worte: warum mußte denn Hr. R. eben damals Leßings Laokoon lesen, um so was abstechendes und schneidendes anzubringen?; 1791 Chronik 134 Man erinnere sich, daß die Perser gegen die Türken eben so antipathisiren, wie weiland Rom gegen Karthago. antipathetisch: 1737 Die bekannten 138 .. Geheimnüsse, oder Allerhand Magische . . Sympathetische, Antipathetische und Oeconomische Kunststücke (Titel); ebd. 28 Antipathetischer Weise zu verhindern, daß durch die hefftigen Donner-Wetter der Wein und das Bier in denen Vässern nicht umstosse; Herder 1769 (Hamann 1769 Briefw. 11 438) mein lieber Riedel, der so sehr und genau auf mir sein Sympathisches u. Antipathetisches Auge hat; La Röche 1771 Sternheim 61 der tugendliche Blick seiner Augen, welche die einzigen sind, die mich nicht beleidigten, und keine widrige antipatheti-

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sehe Bewegung in meiner Seele verursachten; Hamann 1779 Briefw. IV 85 Bestellt ist es von mir mit aller mögl. Sorgfalt — Mir schwebt so ein antipathetisches Bild von einem Gadebusch im Gedächtnis; Hippel 1793 W. VIII 269 Hab' ich nicht die Ehre, die hohen antipathetischen Gesinnungen Sr. Hochwürden gegen Alles, was Türk ist und heisst, zu kennen?; Brentano 1814 W. X 402 Anm. weil Stiason in jener Nacht rothe Hahnenfedern auf der Mütze trug, indem ein rother Hahn den Gespenster, Zaubergeistern, und allen Satanisken antipathetisch seyn soll; Mörike 1860 Br. U 268 anbei, zu weiterer antipathetischer Vergnügung an

unserm Liebling [Napoleon III.] und seinem Freund Cavour, ein Kabinettsstück. Antipathetiker: Jean Paul 1803 S. W. / 10,230 womit der sanfte Walt gerade in der Liebes-Pause für ihn gegen seine Antipathetiker an Neupeters Tafel aufgetreten war. Antipathisant: FAZ 25.3.1970 Einen Tag nach der Wahl war der langjährige Chef der CDU-Opposition nur noch einfaches Mitglied seiner Fraktion — und Rollmann eines freilich loyalen Antipathisanten ledig.

Antipode M. (-n; -n), früher selten auch F. (s. Beleg 1766), Mitte 16. Jh. über (m)lat. antipodes PL entlehnt aus griech. PL 'Gegenfüßler', einer Subst. von Adj. 'mit entgegengekehrten Füßen' (aus - 'gegen etwas gerichtet, entgegen' (—»Anti-, anti-) und TTOUS 'Fuß'), bis Anfang 18. Jh. meist in der lat. (flekt.) Form gebraucht. a Zunächst, meist plur., im geographischen Bereich in der Bed. 'auf dem entgegengesetzten Punkt der Erde lebender Mensch, Gegenfüßler', basierend auf der Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde, derzufolge die Bewohner des gegenüberliegenden Punktes der Erde „mit den Füßen entgegen" stehen. b Seit frühem 18. Jh., oft im Sing., übertragen gebraucht in der Bed. 'auf entgegengesetztem Standpunkt stehender Mensch', seltener 'Mensch von gegensätzlicher Natur und Eigenart, Gegner, Gegenspieler, Widersacher, Feind' (vgl. Antagonist, —» Antagonismus; s. Beleg 1870), auch auf Abstrakta bezogen (s. Belege 1761, 1779, 1859), vereinzelt scherzhaft (s. Beleg 1930); im 20. Jh. die movierte Form Antipodin F. (-; -nen). Seit spätem 18. Jh. die adj. Ableitung antipodisch, im 19. Jh. vereinzelt in den Formen antipod und nur gebuchtem antipodalisch, in der Bed. 'entgegengesetzt, entgegenstehend, widersächlich; entgegengesetzter Meinung' (s. Belege 1784, 1887), auch 'in der Art eines Antipoden, ihn betreffend' (s. Belege 1922, 1985) (zu b); im 19. Jh. nur vereinzelt bezeugt in der Bed. 'anders, fremd(-ländisch)' (zu a). Antipode a: Hesse 1556 (Stade 1859 Warhafftig Historia. Vorr. 95) Dann das vestiglich war muß sein, das diejenigen so ex diametro per centrum terrre wohnen, Antipodes sein müssen; 1586 Faust 210 (Anh.) Wann es bey vns Sommer ist, so ist es bey den Antipodibus Winter; Mayr 1604 Epitome 106c Ja so unbekant ist America . . gewest/ dass der H. Augustinus/ Gregorius Nazianzenus/ . . von den Antipotibus oder Menschen/ welche mit den Füssen gegen uns stehen/ nichts glauben oder halten wollen; Albertinus 1615 Gusman f. Alfarche 27 daß ich die antipodes erreicht/ und sampt dem Columbo ein newe Welt erfunden hatte; Praetorius 1666 Anthropodemus I 52 Aber hier seynd die Antipodes oder Gegenfüszler vielmehr zuverstehen; ebd. l 76 Vielleicht sind sie durch den Schoß

der Erden geschritten zu den Antipoden; ders. 1668 Blockes-berg 211 Also schreibet auch Meyfahrt/ daß etliche fürgeben/ es weren die Antipodes (welche auff den untern Theil der Erden wohnen/ und ihre Füße gegen unsere kehren) von den Engeln in Americam getragen worden; Grimmelsbausen 1669 Simpl. 414 Der Fürst . . sagte mir vor gewiß/ daß sie auß dem Centro Terrae biß an die Lufft durch die halbe Erd/ just 900. Teutscher Meilen hätten/ sie wolten gleich in Teutschland/ oder zu deren Antipodibus, und solche Reisen müsten sie alle durch dergleichen See nemmen; Beer 1683 Sommer-Tage 682 also haben auch die Menschen, sie mögen nun in Klöstern, in der Welt . . oder auch in den abgelegensten Wüsteneien bei den Antipedibus daraußen wohnen, ihre sonderlichen

Antipode Fehler (CARMESIN); Stieler 1695 Zeitungs-Lust 232 Ihre correspondenz ist mit dieser Oberwelt noch lange nicht zufrieden/ sondern erstrekket sich auch zu den Antipoden/ oder Gegenfüßlern; Abr. a S. Clara vor 1709 Kramer-Laden I 34 die Antipodae, so mit den Fussen gegen uns gehen; Schmidt 1709 Rockenphilosophia l 324 wenn die Sonne bey uns auffgehet/ so gehet sie unsern Antipodibus unter; Stranitzky 1711 Ollapatrida 338 Gewiß was man neues hat von die Antipodes? Ich will die geschriebne Zeitungen lesen: Aus der AntipodenLand. Die Innwohner dieser Lande wünschen über alle Massen/ Gewißheit zu haben/ ob wir in unserm Lande/ oder sie dorten/ den Kopff unten/ und die Füsse im Gehen in der Höhe haben; Polack 1734 Mathesis 222 Da nun alle Cörper . . nach einer perpendicular-Linie auf den Horizont fallen . . so ist gantz klar, daß die Cörper auch unter uns auf der ändern Seiten der Erden, oder antipodes, eben so feste, als wir stehen; Lessing 1760 S. Sehr. VIII 206 Denn Herr Dusch wird wohl einmal gehört haben, daß die Antipoden auf den Köpfen gehen; Sturz 1767 Sehr. U 72 bis wir endlich nach dieser sauren Reise, bey den Antipoden anlangen, die unhöflig genug sind, ihre Lust mit uns zu haben, und uns auf die Köpfe zu treten; Novalis 1797 W. IV 289 Ist nicht unser Abendstern der Morgenstern der Antipoden?; Wackenroder 1797 W. u. Br. 53 Blöden Menschen ist es nicht begreiflich, daß es auf unserer Erdkugel, Antipoden gebe, und daß sie selber Antipoden sind; Goethe 1812 Br. (WA IV 22,322) daß wir Menschen einseitig verfahren . . daß aber unser einseitiges Verfahren bloß dahin gerichtet seyn soll, von unserer Seite her in die andere Seite einzudringen, ja . . sie zu durchdringen, und selbst bey unseren Antipoden wieder aufrecht auf unsere Füße gestellt zu Tage zu kommen; Goethe nach 1821 Maximen u. Reflex. (WA l 42.2,121) Wie lange hat man über die Antipoden hin- und hergestritten; Regis 1832 Gargantua l 192 da sah man handgreiflich dicke Wassertropfen der Erd entquellen . . andre Leut, die Studirten, meinten es war halt Antipoden-Regen, wie Seneca . . schreibt, wo er vom Quell und Ursprung des Nils spricht; Schlözer 1851 Jugendbr. 165 Da wird dann von unseren Antipoden so gesprochen, als säßen sie unten am Tisch, und ferne Weltteile werden gestreift, als lägen sie nicht weit von uns, bei Berlin, etwa in der Hasenheide; Roggenbach 1865-1896 Br. 439 Bis in the far West der Vereinigten Staaten und bei den Antipoden hat das Programm die Stellung der Deutschen erschwert, die in den Verdacht gerieten, unzuverlässige Bürger der Staaten zu sein, die ihnen Asyl und freie Erwerbsfähigkeit gestatten; 1889 Buch d. Erfindungen Vll 507 Wie ein Blick auf . . die Karte lehrt, durchkreuzen nach allen Richtungen der Windrose die Fahrbahnen den

Stillen wie den Atlantischen Ozean, von den großen Verkehrsmittelpunkten auslaufend wie die Strahlen eines Fächers, um dann wieder bei den Antipoden zusammenzutreffen; Ebner-Eschenbach 1892 Ges. Sehr. IV 79 Freilich begegnet man auch nicht alle Tage einem Manne, der direkt von den Antipoden kommt, mit Menschenfressern zu Mittag gespeist, am Salzsee gewohnt, den schwarzen Turban der Kopten getragen, den Schrei auf Ceylon gehört und bei indischen Schlangenbändigern in die Lehre gegangen ist; Nowack 1893 Geogr. 481 Die Menschen, die gerade auf der ändern Seite der Erdkugel uns gegenüber wohnen, also die Füße gegen uns kehren heißen Gegenfüßler oder Antipoden; Manes 1911 Land 108 Nichts läßt den Eindruck aufkommen, daß man sich fern, weit vom englischen Mutterlande, in einer Antipodenkolonie befindet; Wassermann 1929 Columbus 121 Es konnte passieren, daß die Entdecker bei der Fortsetzung ihrer Fahrten nach Westen und Osten in den Meeren der Antipoden zusammenstießen und über Gebiete, die dem einen oder ändern Vertragspartner gehörten, in erbitterten Hader gerieten; Berl. Illustr. Nachtausg. 1.9.1933 Sieger soll derjenige sein, der den Erdball in kürzester Zeit umkreist, und zwar unter der Bedingung, daß eine Kontrollstation auf dem gegenüberliegenden Antipodenpunkt der Erde eingerichtet wird; Munch. N.N. 14.12.1944 Als der Bischof Virgilius von Salzburg im S.Jahrhundert die von Platon vertretene Ansicht aufgriff, daß auf der entgegengesetzten Halbkugel der Erde sogenannte Antipoden („Gegenfüßler") wohnen müßten, geriet er darüber mit Bonifatius in einen Zwist; V. ß. 8.6.1944 Heere, die von fernen Erdteilen, ja, von den Antipoden herübergekommen sind, stürmen an gegen das Abendland; Rehfisch 1959 Lysistrata 13 „dann will ich dich weiter auf unserer Reise mitnehmen, und führe sie uns auch zu den Antipoden."; Partner 1964 Erben 247 Virgil war . . ein philosophischspekulativer Geist, der sich Gedanken über die Form und Struktur der Erde machte und energisch die Existenz von Antipoden verfocht; Simek 1992 Erde 71 Lactantius lehnte wie Kosmas die Kugelgestalt der Erde ab und betrachtete die Annahme von Antipoden als unsinnig; ebensowenig glaubte er an die Lehre von der Schwerkraft, die ja die Voraussetzung für die Ansicht von Antipoden bildet; Siiddtsch. Ztg. 30./31.10./1.11.1993 [die Karawanen] kommen tief aus dem Inneren. Lappländer, Nubier, Eskimos, . . Hottentotten, Antipoden. Menschen, die das lebende Bild Europa nicht kennen. antipodisch: Scherr 1876 Größenwahn 316 Auch dürfte es zu entschuldigen sein, daß ein Mensch, der erst vor Jahresfrist von den Antipoden gekom-

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Antipode

men war, sich gewissermaßen antipodisch ausdrückte. Antipode b: i 722 Discourse // 93 Die Philosophen seiner [Sokrates1] Zeit, waren überhaubt grosse Pedanten. Der Zweck ihres Docierens wäre allein, daß sie ihre Beutel spicken könnten . . Im übrigen waren sie sehr stolz und aufgeblasen, und so verwegen, daß sie von allem decisive redeten: Man kan sagen, daß Socrates ihr wahrer Antipode gewesen, er lehrete niemand um das Geld; 1744 Belustigung d. Verstandes H 309 Er ist ein wahrhafter Antipode von dem lebhaften Herrn Vielwitz; Wieland 1754 Ges. Sehr, l 4,90 Hat er nicht davor gesorgt, daß es dem Gegenparnaß an keinem Antipoden der erhabensten Dichter in jeder Art fehle?; Rabener 1755 Satiren IV 442 Die Abbitte und Ehrenerklärungen, die ich hier den straken Geistern thue, bringt mich ganz natürlich auf ihre Antipoden, die abergläubischen Seelen; Wieland 1757 Ges. Sehr, l 4,249 Man kann leicht denken, was solche Ungelehrte und Antipoden der Philosophie für eine verworrene und dunkle Kenntniß der Religion haben mußten; ebd. 4,271 Fast alle guten Köpfe dieser Zeit wurden von Abelard gebildet, und seine persönlichen Vollkommenheiten, die ihn zu einem antipode der Pedanterie machten, trugen nicht wenig bey, die Litteratur in ein besseres Ansehen zu bringen; Hamann 1760 Briefw. U 40 Die Haushaltung dorten ist ein Antipod von Grünhof; Halle 1761 Werkstäte d. Künste I 326 [Die Miniaturmalerei] ist ein Antipode des Wassermalens; Wieland 1766 Ges. Sehr. I 6,40 allein die Weisheit, von der sie [Sophisten] Profession machten, war von der Socratischen . . unendlich unterschieden; oder besser zu sagen, sie war die vollkommne Antipode derselbigen; ebd. 6,144 [Agathon] nennt seinen Eigensinn Tugend, weil er sich einbildet, die Tugend müsse die Antipode der Natur seyn; Herder 1767 Dtsch. Literatur (S. W. I 221) ein zweiter Moser, der auch bisweilen sein Antipode seyn könnte; Weisse 1769 Beytrag (IV 248) gräbt Kanäle durch den Mittelpunkt der Erde zu den Antipoden; Schubart 1774 Chronik 107 Herr von Kurz, dieser berühmte Antipode des guten Geschmacks; Hippel 1779 Lebensläufe H 65 Höflichkeit und Festlichkeit scheinen und sind zuweilen wirklich Antipoden; Goethe 1787 Er. (WA IV 8,284) Unser gnädigster Herr, als dessen friedlichen Antipoden ich mich nunmehr ansehen kann; ders. um 1790 Metamorphose d. Pflanzen (WA H 6,137) Parteien . . die sich selbst so wenig kennen als ihre Antipoden; Forster 1791 W. XI 244 unsere Gattung in zwey Stämme zu theilen, die in Absicht auf körperliche Bildung, intellectuelle Anlagen und moralisches Gefühl beynah vollkommne Antipoden sind; Herder 1792-93 Br. Anhang (S. W. XV1I1 335) Voltaire's und seines Antipoden Rousseau Schriften;

Laukhard 1794 Feldzug III 229 politischen Antipoden; Goethe 1817 Autobiograph. Einzelheiten (HA X 540) niemand konnte leugnen, daß zwischen zwei Geistesantipoden mehr als ein Erddiameter die Scheidung mache, da sie denn beiderseits als Pole gelten mögen, aber eben deswegen in eins nicht zusammenfallen könnten; Borne 1831 W. VI 281 Was mich betrifft, so erkläre und entschuldige ich einen solchen schändlichen Friedensbruch leicht damit, daß dort die Regierung wie überall der Antipode des Volks ist; Steinmann 1842 Mefistofeles I 150 ein eingefleischter Antipode der rechtlichen Freiheit; Gutzkow 1851 Ritter V 497 Ich muss leider . . berichten, dass ich mir selbst manchmal, wenn ich hier bei Ihnen sitze, wie ein Mensch vorkomme, der sich als seinen eigenen Antipoden fühlt; Ehrlieh 1858 Abenteuer I 305 diese liebenswürdigsten Antipoden der Vestalinnen sind die Königinnen der Pariser lustigen Gesellschaften; Treitsehke 1859 Br. II 64 wenn man das Gerede mit anhörte, so konnte man zu dem trostlosen Irrthume gelangen, Kunst und Gelehrsamkeit seien Antipoden; Vischer 1860 Krit. Gänge N. F. l 25 Der Realismus ist nicht Naturalismus, nicht Materialismus, aber die Versuchung liegt ihm nahe, darein zu versinken, daher bedarf er seines Antipoden, der ihm stets die Mahnung entgegenhält, daß es der Kunst nicht um die gemeine Wahrheit zu thun ist; Ritschi 1870 Rechtfertigung I 627 Verglichen mit diesem Gesichtskreis erscheinen nun die Deutungen, welche die pietistischen wie die speculativen Antipoden der Aufklärung für die Versöhnungslehre aufstellen, ebenso unpraktisch, wie theoretisch ungenügend; Haym 1870 Romant. Schule 61 so hatte er sich dafür in einen viel härteren Dienst verdungen, in den Dienst eines Mannes, der, ein zweiter Gottsched, . . der entschiedenste Antipode der neuen Goethe'schen Dichtung . . war; Meysenburg 1876 Memoiren I 465 Antipodentum des russischen Wesens; Kapp 1876 Aus Amerika I 34 Jefferson, welcher ihm vielfach als politischer Antipode gegenüber stand; 1876 Gegenwart X 36b Wie der liebe Gott seine Antipoden im Teufel, so hat der Kathederpfaff seinen Gegenfüßler im Materialisten; Holz 1884 Br. 59 Ich bewundere Schiller . . und sehe trotzdem nicht ein, weshalb ich nicht seinem Antipoden in meinem Herzen einen Ehrenplatz einräumen soll; Luxemburg 1897 W. I 1,97 Der Adel und die Bourgeoisie waren in jeder Hinsicht Antipoden; Fontäne 1897 Ges. W. I 5,444 Sie waren eben Antipoden: Stiftsdame und Weltdame; Nürnberger 1898 Eis 25 „Ein Bettler, ein Glücksjäger, ein Abenteurer — der Antipode von einem Peer war's."; Hagen 1920 Deutsches Sehen 8 Gibt es ein ausgesprocheneres Antipodentum in der altdeutschen Kunst als bei Dürer und Grünewald?; Scheidemann 1928 Memoiren II 372 unsere politischen Antipoden in

Antipode Deutschland; 1929 Jahrb. Dichtung 145 Indem er die reine Antike und ihr Formgesetz gegen die gemachte Nachahmung der Formen ausspielte und gleichzeitig diesem französischen Klassizismus den Antipoden Shakespeare gegenüberstellte; Kisch 1930 Ges. W. I 337 Über die Stiefel kann sie zwar nicht fallen, da ich Hosenspangen trage, doch fühle ich, wie der Antipode des Bauches unter dem Mantel fast hüllenlos ist; T/7. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 356) immer war es ja das Persönliche und Intime, was Goethe produktiv machte, im Gegensatz zu der großartig spekulativen, von außen ins Stoffliche greifenden Art seines Antipoden Schiller; NZ. (Basel) 20.2.1950 Zwei prominente Antipoden im britischen Wahlkampf (Überschr.); Süddtsch. Ztg. 6.5.1952 die alte Theorie von den Antipoden Kapital und Arbeit sei heute schief und wirklichkeitsfremd; Walter 1963 Mann 83 Wir wurden Freunde . . Von unserer gemeinsamen politischen Überzeugung abgesehen, waren wir eigentlich in allem Antipoden (DUDEN); Zeit 4.1.1985 im Regierungslager kann man Alfred Dregger und Hans-Dietrich Genscher . . als die Antipoden der aufkommenden Kontroverse um die Ostpolitik beschreiben; MM 6. 9.1985 Antipoden oder gar Opponenten hat er heute weniger denn je; ebd. 7. 9.1987 Herkunft und Lebensalter ließen eher erwarten, der Dirigent und der Solist dieses Abends seien künstlerisch Antipoden; ebd. 26.11.1987 lange galten sie als die großen Antipoden des modernen Theaters: Brecht und Beckett; Zeit 1.5.1987 Vischers Essay über seinen Freund und Antipoden David Friedrich Strauß; MM 3 .5. 1988 im Kleinen Haus des Nationaltheaters las der immerjunge Will Quadflieg aus Werken der beiden klassischen deutschen „Geistesantipoden" Schiller und Goethe; ebd. 4.6.1988 das Signalhorn etwa, auf dem der halbwüchsige Louis Armstrong trompetete, oder das Kornett seines weißen Antipoden Bix Beiderbecke; Spiegel 19.10.1990 Er ist Flebbes Antipode, in allem; Süddtsch. Ztg. 1.2.1993 Was hat es eigentlich mit diesem Jahrhundert über alles Bekannte hinaus auf sich, daß wir von den Tagebüchern und Briefwechsel der großen alten Männer des konservativen Lagers mehr erwarten als von den privaten Aufzeichnungen ihrer linken Antipoden? Antipodin: 1908 (Morgenstern 1952 Ein Leben in Briefen 313) Will meiner Dreikirchner Tischnachbarin ungeduldige Antipodin sie haben? antipod: Prutz nach 1843 Taschenbuch U 91 Wahrheit und Liebe sind völlig antipod (SANDERS 1871). antipodisch: Herder 1784 S. W. X1I1 65 Endlich wird es .. bei den Thieren vielleicht noch sonder-

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barere Erscheinungen geben; nehmlich ihre oft widersinnige Art und ihr langsames Gewöhnen an ein fremdes zumal antipodisches Clima; Goethe 1787 Br. (WA IV 8,261) Ich bin an der friedlichen Seite der Welt, Sie am kriegrischen Ende und alles berechnet man könnte keine antipodischere Existenz haben. Hier wird das Pulver gar löblich nur zu Feuerwercken und Freudenschüßen . . verbraucht; ders. 1797 Br. (WA IV 12,122) Es traf sich mit diesen Blättchen gar zu sonderbar, daß sie gerade Vorstellungen enthalten, die mir äußerst verhaßt sind, und die ganz antipodisch zu meiner Denk- und Dichtart stehen; Schmeller 1802 Tagebücher I 90 Wie könten die seichten Eindrüke . . theoretischer Vorschriften auf die junge Natur, sich gegen die ungleich tiefern, zahlreichern gerade antipodischen eines verdorbenen Familienlebens behaupten?; Nietzsche 1885-86 W. VIH 75 Diese Sätze sind meinen Ohren und Gewohnheiten so sehr antipodisch, daß, als ich sie fand, mein erster Ingrimm daneben schrieb..; ders. 1887 W. VIII 291 Den ersten Anstoß . . gab mir ein klares . . Büchlein, . . das mich anzog — mit jener Anziehungskraft, die . . alles Antipodische hat; ebd. VIII 335 Rom empfand im Juden etwas wie die Widernatur selbst, gleichsam sein antipodisches Monstrum; Friedländer 1914 Hunde 14 wenn ich sage, die optische Welt ist das runde, also in sich antipodische Spiegelbild der optischen Seele, des Sehens, dann wissen Sie hoffentlich Bescheid!; Landauer 1915 Lebensgang II 65 Ein überaus kluger und energischer Kopf ist er schon, aber er ist in wesentlichsten Dingen mir antipodisch; Dehio 1919 Kunst I 258 Zu der . . herrschenden Richtung stand sie [zisterziensische Architektur] fast in allen Punkten antipodisch; Halbe 1922 Ges. W. IV 356 Karl August von Steen, der von einem Zeitalter des ewigen Friedens träumt .. ihm gegenüber auf der ändern Seite der Welt sein antipodischer Freund Gustav Lichtenhagen; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 880) das Eis ist gebrochen und eine antipodische Freundschaft eingeleitet, das berühmteste aller geistigen Bündnisse, das durch die Wechselwirkung zweier großer Naturen aufeinander so reiche Früchte tragen sollte; Hausenstein 1964 Reisetagebuch 86 Eins ist in Venedig wie in dem sonst antipodischen Holland; Zeit 11.10.1985 Matthus hatte diese beiden „Lager" oder „Parteien" noch antipodisch auftreten lassen wollen, gewissermaßen stereophon; Süddtsch. Ztg. 30.4.II. 12.S. 1993 Die antipodische Formel zu „Gibs auf" steht in der siebten Elegie: „Hiersein ist herrlich."; ebd. 17.1 I S . 7.1993 Die Fronten sind klar: kastrierter Teufel versus Vernunftengel. Auf der Basis dieser antipodischen Konstruktion kann noch im 20.Jahrhundert die rechtsextreme „Action francaise" Marat zum Juden und Charlotte Corday zum patriotischen Sinnbild der Nation stilisieren.

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Antiquar

Antiquar M. (-s; -e, Pl. früher selten auch -en), auch Antiquarin F. (-; -nen), Ende 16. Jh. entlehnt aus lat. anüquarius 'Anhänger, Kenner der altrömischen Sprache und Literatur, Altertümler' (zu anüquus 'vormalig, alt', —» antik), bis ins 18. Jh. in der lat. (fielet.) Form. a Zunächst in der Bed. 'Verwalter von Altertümern' (s. Belege 1597, 1610), 'Anhänger, Liebhaber des Altertums' (s. Beleg 1690), bereits seit Anfang 17. Jh. (im Unterschied zur Bed. des lat. Etymons) bes. für 'Erforscher der (Kunst-)Denkmäler des griechisch-römischen oder germanischen Altertums, Altertumsforscher, -Wissenschaftler' (vgl. Archäologe, —»Archäologie; s. Belege 1609, 1791, 1890). Dazu im 18. Jh. die gleichbed. Gelegenheitsbildung Antiquarier. b Seit frühem 18. Jh. in der Bed. 'jmd., der mit alten und neuen, gebrauchten oder im Preis herabgesetzten neuen Büchern, mit Zeitschriften, Handschriften, Kunstblättern, Noten handelt, Altbuchhändler' (—* Antiquariat), abwertend auch 'Buchtrödler'; seit Anfang 19. Jh. auch für 'jmd., der mit älteren Gegenständen des Kunsthandwerks wie Möbel, Münzen, Textilien, Gemälden, Plastiken, Skulpturen usw. handelt, Kunst-, Antiquitätenhändler' (s. Belege 1814, 1907, 1967; —»Antiquität). Dazu seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung antiquarisch (zurückgehend auf lat. anüquarius 'zum Altertum gehörig'), zunächst in der Bed. 'die Antike betreffend, altertumskundlich' (vgl. archäologisch,-^ Archäologie; s. Belege 1792, 1805), selten auch 'das germanische Altertum betreffend', auch 'auf das Altertum bezogen, aus ihm überliefert, altertümlich', häufig in Syntagmen wie antiquarisches Interesse, antiquarische ('dem Altertümlichen zugewandte') Neigung (zu a); seit Anfang 19. Jh. auch in der Bed. 'gebraucht, alt (gekauft)' (s. Belege 1805, 1813, 1845), 'zum Antiquar(-iat) gehörend' (s. Belege 1813, 1900), z.B. etwas antiquarisch kaufen (zu b). Antiquar a: 1597 Kammerordn. (Hofordn. II 227) mit den Bibliothecarijs, Antiquarijs, Verwalter der Khunstkhammer und Schatzgewelb; Quad 1609 Herligkeitt 422 [er] was ein guter Grecus vnd Latinus/ ein stattlicher Philosophus furtrefflicher Medicus/ excellenter Poet/ vnd kluger Antiquarius oder Vndersucher der alten monumenten; Hainhofer 1610 Corr. 15 der Fröschlin ist Ihrer Majestät antiquarius, hat einen schweren dienst; Happel 1690 Academ. Roman 59 In der Insul Maltha ist die Kunst- und Raritäten-Kammer dess Herrn Francisci Habelae, . ./ eines sehr fleissigen Antiquarii; 2706 (1905 Archiv f. Kulturgesch. Ill 207) Diser Antiquarius ist gar ein Belesener . . Man; v. Falckenstein 1738 Thür. Chronik l 29 Christian Schlegel . . war anfänglich Fürstlich Arnstädtischer Antiquarius und Bibliothecarius; Gerstenberg 1769 Rezensionen 170 Uns deucht aber, daß man ohne eine gewisse Künstlereinsicht unmöglich ein gründlicher Antiquar seyn könne; Schubart 1774 Dtsch. Chronik 65 Sonst verdiente dieses Land [Italien] nur die Aufmerksamkeit des Antiquars, des Mahlers und des Tonkünstlers; Volkmann 1777 Italien II 23 Viele bemittelte Reisende, zumal Engländer, nehmen bey Ankunft in Rom einen so genannten Cicerone oder Antiquario an, um sich durch ihn

alles Merkwürdige zeigen zu lassen; ebd. II 24 Auf diese Weise können wir aus eigner Erfahrung versichern, daß man Rom ohne Führer genau kennen lernen, und die Sachen viel besser ins Gedächtniß fassen wird, als durch einen Antiquar; 1781 Literar. Pamphlete 107 Itzo ist mir niemand willkommener als eine für mich so wachsame uxor domiseda, wie ein Antiquarius sprechen würde; Gerkken 1783 Reisen l Vorbem. XXVIH Ein Antiquarius erkundiget sich nach Alterthümern und Denkmählern, forschet nach Römischen Steinen mit Innschriften, Münzen und ändern häufigen Überbleibseln; Dielhelm 1785 Antiquarius des DonauStroms, oder Ausführliche Beschreibung dieses berühmten Stromes (Titel); 1791 Neues dtsch. Museum IV 436 Diese Menschen, Ciceroni, Antiquare, Abbate, oder wie sie sich sonsten nennen mögen [Stadtführer im Italien des 18./19. Jh.]; Thümmel 1791 Reise I 115 Der ausgemachteste Antiquar hätte mir schwerlich mehr Genüge thun können; Moritz 1792 Italien I 38 Ueber den Rubikon selbst aber streiten sich bis jetzt die Antiquaren, welcher von den kleinen Flüssen in dieser Gegend es gewesen sey; Goethe 1799 Prop. (WA l 47,38) findet sich unter Gelehrten die entschiedene Neigung bei Kunstwerken zu mythisieren . . der Antiquar hat

Antiquar um so weniger Ursache seiner Methode zu entsagen, als er auf seinem Wege so viel Nützliches und Schätzbares fördert und . . Litteratur und Geschichte von so vielen Seiten aufklärt; Kortum 1799 Jobsiade 20 Bis vielleicht andre geschickte Antiquaren/ Des Autors genaue Biographie/ Untersuchen und beschreiben spät oder früh; Goethe 1809 Br. (WA IV 21,91) Von Köstritz sind mir einige problematische Antiquitäten zugeschickt worden, eherne . . Körper . . Unsre Antiquaren haben nie dergleichen gesehen; ders. 1816—17 Italien. Reise (WA I 31,169) als ich auf schwarze, feste Steine Aufmerksam ward, die einer Lava glichen, sagte mir der Antiquar, sie seinen vom Ätna, auch am Hafen oder vielmehr Landungsplatz stünden solche; Heine 1830 Italien 111 245 wie irgend ein Antiquar seine ausgegrabenen Marmortorsos betrachtet; Alexis 1848 Hosen // 3,64 Der Mönch hatte sich mit dem Eifer eines Antiquars über einen seltenen alten Stein . . geworfen; ]usti 1872 Winkkelmann 2.1,304 Er ist der größte Antiquarius, er bringt ans Licht was in der Finsterniß vergraben war; Mommsen 1890 Reden u. Aufs. 350 Wir, die sogenannten Antiquare, wir wissen am besten, wie durchaus unsere Arbeiten auf die mannigfaltige und stetige Lokalforschung angewiesen sind; Below 1925 Periodisierungen 10 Unser Urteil wird . . lauten, dass er damit eher zum Antiquar als zum Historiker wird; Korn 1946 Jahre 56 Im Jahre 1923, als wir aus bestimmten, noch näher zu schildernden Gründen öfter nach unserm Dorf fuhren bzw. wanderten, war ich bereits so etwas wie ein rheingauischer Antiquarius; Welt 31.10.1974 Just auf dieser nur 1200 Quadratmeter umfassenden Hügelkuppe — so hatte es bereits der Antiquar Heinrichs 8., John Leland, 1542 vermutet — sollte sich nämlich Camelot, die legendäre Residenz des nicht minder legendären König Artus . . befinden. Antiquarier: 1771 Bibliothek d. Stutzer 149 Ich weis, daß geschikte Antiquarier diesen Alterthümern eine andre Auslegung gegeben hahen; Beckmann 1783 — 86 Erfindungen I 391 Noch später sind die Carrucae aufgekommen, deren Namen man bei Plinius lieset; aber man kennet sie so wenig, daß die Antiquarier ungewiß sind, ob sie, wie unsere Schiebkarren, nur ein Rad, oder . . vier Räder gehabt haben; ders. 1784—88 Erfindungen II 470 Jeder, der Neigung für wahre Alterthümer hat, ist es gewiß allen denen, die gleichen Geschmack haben, schuldig, alles mögliche beyzutragen, um den Betrügereyen vorzubeugen, denen die Antiquarier durch anderer Leute niedrigen Scherz oder Geiz ausgesetzt sind; Saussure 1781 Reisen durch d. Alpen (Übers.) I Vorr. VII sie [die] meisten sogenannten naturforschenden Reisenden . . scheinen mir einem Antiquarier zu gleichen, welcher zu

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Rom mitten im Coliseum oder Pantheon Erdreich aufwühlen würde, um Bruchstücke von gefärbtem Glase zu sammeln; Meusel 1788 Mag. I 7 dem Leser, wenn er kein purus putus Bücherwurm oder Antiquarier von der schlimmsten Sorte ist; Becktnann 1790-1792 Erfindungen III 22 Doch dies ist ein blosser Einfall, dergleichen man sich nur bey dem Volk erlauben darf, das einmal den Grillen der Antiquarier, Philologen und Philosophen Preis gegeben ist. antiquarisch: Hagedorn 1762 Betrachtungen I 129 Aber mit einem antiquarischen Ernst suchet er nicht das Reizende, sondern das Finstere, bey dessen Anblick er allein sich ein wenig erheitert; Lichtenberg 1768 Aphorismen I 53 Leßings Briefe antiquarischen Inhalts; Hirschfeld 1779 Gartenkunst I 20 Ich will von den hieher gehörigen Werken diejenigen, die ich vor mir liegen habe, anzeigen und sie in eine gewisse Ordnung bringen, nachdem sie bald mehr zur antiquarischen Gelehrsamkeit, bald mehr zur Kunst gehören; Schubart 1780 Originalien 73 Er hat einen antiquarischen Geist; Beckmann 1783—86 Erfindungen I 75 Es ist eine Spötterey auf antiquarische Untersuchungen und auf einige Personen in Paris; ebd. I 305 Secretair der antiquarischen Gesellschaft; Laukhard 1792 Leben II 40 Herr Brunk ist als ein grosser Kenner antiquarischer Überbleibsel und als ein mächtiger Kritikus, besonders im Griechischen bekannt; 1795 Journal d. Moden X 8 den wahren Sinn dieser überaus schönen Figur durch antiquarische Deuteleyen errathen zu wollen; Goethe 1795 Br. (WA IV 10,272) Voß . . bietet eine antiquarische Abhandlung über die Hähne der Götter und . . ein Stück alte Geographie an; Jean Paul 1797 S. W. I 5,495 Ich warf in jede Ecke dieser Stube . . aufmerksame antiquarische Blicke; Bouterwek 1802 Gesch. II 357 Seine Sonette möchte man antiquarisch nennen. Sie haben fast sämtlich antike Kunstwerke und Ruinen zum Gegenstande; Goethe 1805 Winckelmann (WA I 46,52) Was er . . vernahm . . bewahrte er nicht . . lange bei sich . . so lernte er im Entwerfen und Schreiben . . diesem Anfang glich seine ganze antiquarische Laufbahn . . immer . . mit dem Augenblick beschäftigt; 1810 Almanack a. Rom I 280 ohnstreitig hat niemand noch mit so viel Einsicht die antiquarischen Nachgrabungen in Roms Boden geleitet; Kephalides 1818 Italien I 122 zum Vortheil unserer antiquarischen Bestrebungen; 1820 Urania 503 unsere antiquarische Aufmerksamkeit bei einem kleinen harmlosen Vasengemälde; Goethe 1821 Br. (WA IV 34,20) Des guten Stieglitz antiquarisch-architectonische Bemühungen; ders. 1830 Br. (WA IV 47,49) Ich schreibe diese Tage an die dortige antiquarische Gesellschaft, die mich zu ihrem Ehren-

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Antiquar

-Mitgliede aufgenommen; Goltz 1847 Buch d. Kindheit XII „Die alte Zeit ist zu Rande . ." meinen die Leute; so kann es denn für diese Modernen und für die Pädagogen vom neuen Styl wenigstens ein antiquarisches Interesse haben, einen Blick in die Kindheit der alten Zeit zu thun; Keller 1850 Heinrich (S. W. I 98) der Trödelkram der Frau Margret lieferte mir einigen Abfall an polierten Marmorscherben und halb durchsichtigen Alabasterschnörkeln, welche überdies noch eine antiquarische Glorie durchdrang; Hartmann 1853 Languedoc I 185 Die eine neue Zeit bauen, dürfen keine antiquarischen Grillen haben; Burckhardt 1868 Weltgesch. Betrachtungen 272 nach der Mitte des 18. Jahrhunderts bei der begeisterten Erneuerung des philologischen und antiquarischen Studiums; Wallner 1874 Land 240 den antiquarischen Schnitzer . ., uns die Ruinen eines mächtigen Schlosses als 'Chateau Petrarca' zu zeigen; Hillebrand 1881 Jahrh. d. Revol. 68 f. wie auch die nie aussterbende Liebe zur Vergangenheit stets aus einem antiquarischen und moralischen, nie aus einem künstlerischen Interesse entsprang; Freytag 1887 Erinn. 349 geographische, historische und antiquarische Erklärungen; Spielhagen 1890 Finder I 69 Es wird mir jetzt schwer, ihn [W. Scott] zu lesen: die altvaterische Umständlichkeit seines Vertrages, die antiquarische Gelehrsamkeit, mit der er so gern prunkt; Der Berliner 20.10.1929 Auch die Wandfresken, die von Türkenschlachten und Madjarenruhm erzählen, unterstreichen nur diesen antiquarischen Charakter; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 303) er ist bei Goethe zu Mittag geladen, wo er den Hausherrn und seinen engeren Freundeskreis mit Reiseabenteuern und antiquarischen Forschungsergebnissen unterhält; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 479) der politische Philanthrop mag über ausreichende Duldsamkeit verfügen, um mittelalterliche Kirchen einer antiquarischästhetischen Reise-Aufmerksamkeit zu würdigen; ders. 1947 Faustus (W. VI 367) Exzellenz von Riedesel, dessen Gönnertum für das alte Instrument und die alte Musik nun freilich nicht . . gelehrtantiquarischer Neigung entstammte, sondern rein konservativer Tendenz war; Frisch 1957 Homo faber 164 alle Wände voller Bücher, ein Schreibtisch voller Scherben mit Etiketten versehen, im übrigen fand ich auf den ersten Blick nichts Antiquarisches, im Gegenteil, die Möbel waren durchaus modern; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 12 Im außerwissenschaftlichen Bereich hatten zudem Wappen-, Münz- und Siegelkunde seit jeher, wie noch heute, einen Platz als anziehende und geeignete Objekte einer mehr „antiquarisch" ausgerichteten Liebhaberei; Offenburger Tagebl. 15.10. 1963 Renommierte Berliner Schauspieler mühten sich vergeblich, dieser antiquarischen Geschichte

von der erfundenen Erbschaft Witz abzugewinnen; Zeit 28.12.1984 Friedrich Nietzsche unterschied einst zwischen der monumentalischen, der antiquarischen und der kritischen Historic; ebd. 24.4.1987 geschrieben ist auch „die Taube" in einem eigentümlichen Alt-Deutsch, einer gleichsam antiquarischen Prosa, in welcher das Gelenkige und das Gravitätisch-Gezierte auf das feinste miteinander abgewogen sind; Süddtsch. Ztg. 2.2.1993 Symbole, deren Sinn gar nicht mehr begriffen wird, sind nur noch antiquarisches Gerumpel; ebd. 6.9.1993 In diesem Sinne können und wollen die Akademien, die sich den Künsten widmen, weder als Walhalla-Verein der Lebenden, noch als Friedhofswärter der antiquarischen Gräber auftreten. Antiquar b: Sperander 1727 A la mod Sprach 39 In besonderem Verstande werden diejenigen auch Antiquarii genennet, welche mit alten gebundenen Büchern umgehen; Lichtenberg 1768 Aphorismen I 86 Alle Leute, welche Sachen von uns kaufen, die wir nicht mehr brauchen, und eben aus dieser eintzigen Ursache weggeben, stehen nicht in dem besten Credit bey der Welt, die Antiquarii, die geringen Juden, alle Trödler; Semler 1781 Lebensbeschr. I 8 Antiquarius, der alte Bücher hinstellete [zum Verkauf]; Moritz 1786 Reiser II 174 (LD XXIII) Er ging zum Antiquarius und holte sich einen Roman, eine Komödie nach der ändern; ebd. II 175 (LD XXIII) Diese Begierde wusst der Antiquarius wohl zu nutzen, der ihm nach und nach alle seine Bücher ablockte, und sie oft in seiner Gegenwart . . mal so theuer wieder verkaufte, als er sie ihm abgekauft hatte; ebd. wurde alles Geld, was die Wäscherinnen und der Schreiber hätten bekommen sollen, dem Bücher-Antiquarius hingebracht — denn das Bedürfnis zu lesen ging bei ihm Essen und Trinken und Kleidung vor; Schiller 1788 W. XXV 119 Schicken Sie mir doch neu oder vom Antiquar, wie Sie es am schnellsten haben können; Bahrdt 1790 Rindvigius l 54 Der Vater ging nach der Stadt und holte von einem Antiquar etliche sehr schön gebundene Postillen; Laukhard 1793 Feldzug II 20 Anm. Bücher Antiquar aus Halle, . . mit Gesangbüchern und ändern erbaulichen Zeitvertreiben nachgezogen seyn; Kotzebue 1799 Silb. Hochzeit VIII 150 er hat viele gute Bücher gehabt; die sind vor kurzem an einen durchreisenden Antiquarius für ein Spottgeld vermöbelt worden; Laukhard 1802 Leben V 67 in der Kneipe, wo sonst die Antiquariusbutike des seligen Spechts war; Goethe 1814 Br. (WA IV 24,100) Erkundige dich . . nach Antiquaren aller Art, besuche ihre Läden und Zimmer und bringe mir etwas Gedeihliches wohlfeil mit; Schmalz 1818 Prwatrecht 204 Der Buchhandel in Teutschland ist keiner Zunft unterworfen . . Die, welche alte, schon benutzte Bücher kaufen

Antiquariat und verkaufen, werden unter dem Namen der Antiquare, dem eigentlichen Buchhändler entgegengesetzt, welche mit neuen Büchern handeln; Jahn 1819 Br. 183 Schon vor Jahr und Tag hab ich beim Bücherhändler (zu Deutsch Antiquarius) Simonssohn . . nach einem Buche, den 30 jährigen Krieg betreffend gefragt; Goethe 1828 Br. (WA IV 44,98) Von Alterthümern . . Scherben . . aus rothgebranntem Thon . . vielleicht treibt Ihnen ein Antiquar Ihrer Gegend dergleichen zusammen; Bauschke 1834 Bilder 47 den Weg aller meiner Bücher, den Weg zum Antiquar; Alexis 1852 Ruhe II 7 die Edition ist nicht selten, man kann sie bei den Antiquaren bekommen; Rodenberg 1856 Bilderbuch 79 an den Büchertischen der Strassenantiquare; Freytag 1886 W. I 185 Bald gab auch ich mich dem Bücherkauf hin und wurde ein geschätzter Kunde der Antiquare; Hauptmann 1907 Jungfern 10 [er] kam schon zum dritten Male, und zwar einer alten Geige wegen, die der jüdische Antiquar besaß; Benjamin 1920 Br. l 233 Mir begegnete das Corpus seiner Radierungen . . bei einem Wiener Antiquar; Stammler 1932 Rechtsleben II 374 Ein Buchhändler in Amsterdam hatte bei einem Antiquar in Deutschland ein Werk zum Preise von 100 Mark bestellt; Münch. N.N. 23.6.1940 Auf dem Boulevard Michel haben die Antiquare alte Rechte auf offene Verkaufsstände; Welt 23.5.1964 Bücher, Stiche, Autographen, alte Städteansichten und Landkarten kauft Antiquar A. Hase; Seyppel 1967 Columbus 141 es fiel Toffel der Preis ein, den er dem Antiquar für die Schlafzimmereinrichtung bezahlt hatte; Zeit 4. W. 1985 Andre Fabius, einer der führenden Pariser Antiquare, hatte 1974 die weltbekannte Madeleine von George de la Tour nach Amerika veräußert und den Erlös seinen Kindern geschenkt; MM 30.3.1988 der gute Kontakt zu wichtigen Antiquaren und sein Motto, daß es besser sei, wenige sehr gute Exemplare zu erwerben als viele mittelmäßige oder schlechte; Süddtsch. Ztg. 12./13.12.1992 Brief an alle Antiquare und Kunsthändler . ., in dem um Informationen

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über Standorte deutscher Bibliotheks, Archiv- und Museumsbestände gebeten und gleichzeitig vor dem Handel mit öffentlichen Kulturgütern gewarnt wurde; ebd. 25.126. 9.1993 Ein befreundeter Antiquar, dem zwei Läden gehörten in Berlin-Mitte, fürchtete, daß er aus einem reprivatisierten Haus raus müsse, da er die zu erwartende hohe Gewerbemiete nicht bezahlen könne. antiquarisch: Goethe 1805 Br. (WA IV 30,85) die übrigen bezeichneten Alterthümer haben Sie die Güte für mich zu erstehen . . Nächstens . . erkläre mich näher auf Ihr . . Anerbieten, mir gelegentlich irgend etwas antiquarisches einzuhandeln; Rehfues 1813 Spanien 1101 Der meiste Buchhandel ist antiquarisch; das Neue wird nur durch . . vieles Nachfragen entdeckt; 1842 Eidgenöss. Lieder-Chronik. Einl. IX Eine Bibliothek von Lesarten wollte man nicht anlegen. Darüber mögen jene zürnen, die dadurch eines reichen Stoffes für ihre antiquarischen Rumpelkammern beraubt sind; Hermann 1845 Ansichten a. Kärnten. Vom/. V schon lange bis auf wenige Exemplare vergriffen und eine antiquarische Seltenheit geworden; Noack 1900 Italien. Skizzenbuch l 80 die antiquarischen Buchhändler; Münch. N.N. 23.3.1941 Es gibt Leute, die haben noch nie ein antiquarisches Buch gekauft; Bad. Ztg. 20.4.1961 Die Mutter erinnert sich, wie sie damals ein Buch für ihren Ältesten in einer Buchhandlung „verlagsantiquarisch", also ungebraucht und wohlerhalten zu verbilligtem Preis, gekauft hatte; Zeit 6.2.1987 wenn schon der Bundestag vorübergehend in einem alten Wasserwerk untergebracht ist, ließe sich da nicht vielleicht auch noch ein alter Sackbahnhof auftreiben, in dem man die deutsche Geschichte antiquarisch unterbringen könnte?; Lukoschik 1991 In u. Out 222 Der gesettelte Trend-Titan sitzt am liebsten in einem antiquarischen Möbelstück, das er als Kenner der gegenwärtigen Kunstgeschichte gezielt ausgewählt hat.

Antiquariat N. (-(e)s; -e), im späteren 19. Jh. aufgekommene neulat. Bildung zu —> Antiquar. In der Bed. 'Buchhandlung, in der alte, gebrauchte (wertvolle) Bücher an- und verkauft werden, Geschäft eines Antiquars', oft in Syntagmen wie modernes, bibliophiles, wissenschaftliches Antiquariat und in Zss. wie Antiquariatsbuchhandlung, -katalog; auch allgemeiner (ohne Pl.) 'Handel mit gebrauchten (wertvollen) Büchern oder mit neuen Büchern, für die der Ladenpreis aufgehoben ist', selten im Sinne von 'Laden für Handel mit Antiquitäten, Antiquitätengeschäft'. Daneben seit Anfang 17. Jh. das latinisierende Subst. Antiquarium N. (-s; Antiquaria, Antiquarien) in der Bed. 'Antikenkammer, in der alte Seltenheiten aufbewahrt werden; Sammlung von Altertümern, Antikensaal' (—> Antike 1), bis heute selten

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Antiquariat

auch für 'alte Dinge' (s. Belege 1769, 1938, 1994; —»· Antiquität 2a), vereinzelt auch gleichbed. mit Antiquariat (s. Beleg 1818). Antiquariat: Storm 1874-75 S. W. IV 182 Buchbindermeister, . . der nebenbei ein kleines Antiquariat betrieb; Moszkowski 1922 Inseln 15 ich befand mich vor einer Woche in einer großen Antiquariatsversteigerung, wo kostbare und seltene Altdrucke und Handschriften angemessene, das heißt, schwindelhafte Preise erzielten; Münch. N.N. 23.3.1941 In einem gutgeführten Antiquariat riecht es nicht. Aber doch hat es seine eigene Luft, seine Atmosphäre; ebd. Zum Erwischen [begehrter Bücher] allerdings gehört eine besondere Nase, aber die hat der Antiquariatabklapperer; Süddtsch. Ztg. 17./18.5.1950 Ein freundlicher Haltepunkt für die Freunde des alten, des „anderen" Heidelberg: die Buchantiquariate rund um die Heilig Geistkirche, altersgraue Klausen verstaubter Gelehrsamkeit; Strittmatter 1957 Wundertäter III 91 Büdner ging in eine Antiquariatsbuchhandlung, sog dort den dumpf-modrigen Geruch bedruckten Altpapiers ein; Welt 23.5.1964 Büchersammler verlangen meine lfd. erscheinenden Antiquariatskataloge; Andersch 1971 Kirschen 48 lernte Bücherschränke kennen und stöberte in Antiquariaten nach impressionistischen Autoren; Offenburger Tagebl. 1.2.1972 Antiquariatsmesse beginnt (Überschr.) . . zeigt. . wertvolle alte Bücher, Handschriften und Autographen, Handzeichnungen und Graphik sowie alte Landkarten und Stadtansichten; Lenz 1980 Heimatmuseum 638 regelmäßige Fahrten nach Schleswig, wo sie in Bibliotheken und Antiquariaten nach Literatur über Masuren fahndete; Zeit 4.1.1985 in einem Antiquariat hatte er das Buch entdeckt; ebd. 11.10.1985 eine ziemlich versteckte Buchhandlung samt Antiquariat und Kleinverlag; ebd. 2.5.1986 er erhält ein kulturgeschichtlich interessantes Presse-Dokument, dessen Originalhefte im Antiquariatshandel kaum noch auftauchen; ebd. 20.6.1986 ich habe mein Exemplar im „modernen Antiquariat" — wie man den Ramsch vornehm bezeichnet — erstanden; MM 20.5.1988 er hat sich in ein Buchantiquariat zurückgezogen und versteckt seine innere Verletzlichkeit hinter flotten coolen Sprüchen. Antiquarium: Hainhofer 1611 Relation 71 inn der nidern ist auch dass Antiquarium, eine schöne weite lange und hohe volta, vnder welcher man hinein gehet; ebd. 72 Inn der facciata gegen dem Camin ist ain gross Portal mit ainem erhöhten stuel, vnd ist diss antiquarium wol ain Königlich Zimmer; ders. 1612 Corr. 216 Dess Baltasarj von der Marwitz Antiquiteten werden gewiss stattlich vnd schon sein, vnd wolle wünschen das vil dess

sünnes wurden, vnd E. F. Gn. antiquarium vnd kunstkamer vermehren hülffen; ders. 1613 Relation 234 Hernach haben die fürsten personen das antiquarium, das bei vedere, die gärtten, den forellbrunnen vnd anders mehr besehen; Abr. a S. Clara 1689 Judas II 51 f. (Wunderkur 80) Wie Kayser Constantinus Copronimus seine Ehegegebene Kayserin/ ohne Fug noch Ursach/ von sich gestossen/ da solt jemand gesehen haben/ wie einer umb den ändern sein Antiquarium [alte Frau] verworffen/ die alte Wahr umb frische vertauscht; Wening 1701 Bayern l 7 das Majestätische so benambste Antiquarium, darinn mit Verwunderung die raristen, maisten theils auss dem alten Rom vnd anderwerts hergebracht Original Statuen . . zubetrachten seynd; Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) I 54 Im Antiquario sind etliche hundert Statuen und Brustbilder der alten römischen Kaiser, nebst vier bis fünf hundert ändern Alterthümern; Herder 1769 S. W. III 475 mit dem Antiquariensammler ohne Geschmack; Miller 1777 Siegwart III 658 Sie besahen die Residenz . . das Antiquarium . . und die Kunstkammer; Nicolai 1779 Berlin 740 Bücher zum Lesen sowohl in deutscher als auch französischer und ändern Sprachen kann man bey dero Bücher-Antiquarien gegen Bezahlung, zu lesen bekommen; Moritz 1783 Reisen I 25 Allenthalben auf den Straßen trift man Antiquarien, die einzelne Stücke von Schakespear, und andre Kleinigkeiten für einen Penny . . verkaufen; ebd. l 315 In Nürnberg sind sechs Buchdrukkereyen und elf Buchhandlungen, ohne die oben angezeigten Kunsthandlungen, und ein Paar Antiquarien; Hauntinger 1784 Reisetagebuch 39 Antiquarium, weil daselbst .. griechische und römische Alterthümer; Gercken 1786 Reisen 111 161 das Antiquarium von römischen Steinen; Goethe 1786 Tagebücher (WA III 1,153) Im Antiquario, oder Antiken-Cabinet, hab ich recht gesehen daß meine Augen auf diese Gegenstände nicht geübt sind; Laukhard 1792 Leben II 284 In Göttingen waren . . einige Antiquarien, die Romane und dergleichen zum Verleihen hatten; Pallhausen 1816 Rom. Heerstraße 28 das reiche Antiquarium oder Museum Veronese; Obernberg 1816 Reisen, Isarkreis IV 381 das königliche Antiquarium; Borne 1818 Ges. Sehr. I 827 Ist endlich diese für Bücher bewilligte Zensurfreiheit etwas mehr als ein Blendwerk, da alle Buchhandlungen, Antiquarien, Lesebibliothekinhaber . . bei einer großen Geldstrafe verpflichtet sind, ihre Katalogen der Polizeiobrigkeit . . zu übergeben ..?; Schmeller 1824 Tagebücher / 514 die Bildergallerie, die Bibliothek, und das Antiquarium besehen; Görres 1831 Ges. Sehr. XV 359 Die gesammte übrige Lite-

antiquiert ratur in allen ihren Zweigen, bis zu den Antiquarien und Kartenhändlern hinab, ist der Polizey untergeben; 1897 SB. München l 174 [er] habe mit einem Male ein Museum von Alterthümern um 1500 coronati gekauft, Johannes Grimanus, der Patriarch von Aquileja habe das Antiquarium seines Bruders, des Cardinais, um 3000 coronati gekauft; Rilke 1907 Br. U 270 In den dem Kupferstichkabinett überwiesenen Räumen des ehemaligen Antiquariums . . sind seltene und schöne Goya-Drucke; Goldschmidt 1910 Berlin 333 Museen, welche teils der Kunst gewidmet sind . ., teils der Kenntnis des Altertums wie das Antiquarium; 1938 ZG Oberrhein XC 400 Schon 1863 hatte ihm Stalin geschrieben, es freue ihn, wenn die Gelehr-

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ten nicht immer bloss Antiquaria betrieben, da die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit uns doch am nächsten angingen; Süddtsch. Ztg. 30.4.1957 Das Antiquarium und die Reichen Zimmer von Cuvillies . . werden 1958 eröffnet; Welt 15.6.1959 der langgestreckte niedrige Raum mit dem Tonnengewölbe eines italienischen Architekten war in der Mitte des 16. Jahrhunderts der Stolz der bayrischen Kurfürsten und heißt Antiquarium; MM 9.10.1971 Seit Kurfürst Karl Theodor im Antiquarium des Schlosses den Bodenfunden . . Asyl gab (DUDEN 1993); Spiegel 10.1.1994 Kohls Arbeitszimmer ist mit Bücherwänden, der Bundesflagge und einem Antiquarium bestückt; Süddtsch. Ztg. 3.2.1994 Auch beim Kauf von Antiquaria hat man sich um 300 000 Mark eingeschränkt.

antiquiert Adj. (Steigerung selten), Anfang 17. Jh. vereinzelt, seit Ende 18. Jh. häufiger belegte Part. Perf.-Form des veralteten Verbs antiquieren (s. u.) (vgl. lat. antiquare 'etwas beim alten lassen', zu antiquus, —> antik). In der Bed. 'veraltet, überlebt, überholt, altmodisch; den gegenwärtigen Vorstellungen, dem Zeitgeschmack nicht mehr entsprechend, unzeitgemäß' (vgl. anachronistisch, —»· Anachronismus), gelegentlich abwertend gebraucht in Syntagmen wie antiquierte Ausdrucksweise, antiquierter Standpunkt, antiquiert aussehen, wirken, denken. Dazu seit Anfang 20. Jh. die subst. Ableitung Antiquiertheit F. (-; Pl. ungebr.), 'Festhalten am Veralteten; altmodisches Gebaren, Benehmen; altmodischer Brauch'. Vgl. das schon seit früherem 16. Jh. selten bezeugte, bis ins frühere 20. Jh. gebuchte Verb antiquieren 'veralten (lassen), historisch überholen; für veraltet erklären, abschaffen', mit dem seit Mitte 19. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Antiquierung F. (-; Pl. ungebr.). antiquiert: Sommer 1608 Ethographia l C3h Auff solche ein geführte exempla antwortet vnser Ethicus, daß sie sehr alt sein, vnnd nunmehr antiquirt; Schleiermacher 1800 (Athenaeum 111 244) gestehen Sie, antiquirter kan man unmöglich sein; Goethe 1804 Tag- u. )ahresh. (WA I 35,173) Jenes Werk über Deutschland .. ist als ein mächtiges Rüstzeug anzusehen, das in die chinesische Mauer antiquirter Vorurtheile, die uns von Frankreich trennte, sogleich eine breite Lücke durchbrach; 1831 Jahrb. d. Gesch. I 59 antiquirt . ., was nicht mehr in unzweifelhaft anerkannter Geltung besteht; Gaudy vor 1840 W. IX 90 Anders war es vor vierzig Jahren, wo München nicht viel mehr als, den Anblick einer unregelmäßigen, düstern, weniger alterthümlichen als antiquirten Stadt . . darbot; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 355 so kann ich nicht umhin, mich auf Diskretion zu diesem antiquirten Vorurtheil zu bekennen; 1852 Prutz' Museum I 469 Während die grösste Masse des aus dem Alterthum überlieferten philosophischen Materials . . anti-

quirt und lediglich für die Geschichte von Bedeutung ist; Banck 1863 Alpenbilder l 38 Konstanz macht einen antiquirten Eindruck der Verfallenheit; Westphal 1869 Grammatik Vorw. IV trotz einiger jetzt antiquirter Einzelheiten; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 150 auf einem etwas antiquierten Standpunkt; 1871 Vier Monate vor Paris 12 Zur Unterhaltung [hatten wir] nur einige, völlig antiquierte Zeitungsblätter aus der Heimat; 1873 Beschr. O A. Brackenheim 360 dass namentlich die Lehre von der unbedingten Gnadenwahl antiquirt und vergessen [sei]; Fontäne 1888 Br. 11 2,156 dass der alte sogenannte Sittlichkeitsstandpunkt ganz dämlich, ganz antiquiert und vor allem lügnerisch ist, das will ich . . beschwören; Hopfen 1893 Elend II 127 Antiquirte Kunstkenner und missgünstige Kollegen; Paulsen 1896 Unterricht l 179 Am härtesten hat Erasmus den Umschwung gefühlt; auch er wurde durch die Reformation überholt und antiquiert; die humanistische Jugend fiel von ihm ab; Korrodi 1905 Ungar. Rhapsodie 25 das antiquierte

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antiquiert

Vornehmtum; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 36 die ein wenig antiquiert anmutende Würde eines „General-Kapitäns der Schloss- und Leib-Garde"; Richter 1909 Kunsterz. Ged. 141 Die alte sittlichreligiöse Charakterbildung erscheint als antiquiert und dem Wesen des modernen Menschen durchaus unangemessen; Lamprecht 1913 Gesch. 77 der dogmatische Bestand und damit das Kirchentum des Katholizismus und des Protestantismus sind gleich antiquiert, — wir harren des Neuen, das da kommen soll; Harnack 1916 Aus d. Friedensarbeit 261 Hat die Entwicklung der Dinge den vorstehenden Aufsatz antiquiert, so dürfte ich ihn doch nicht unterdrücken; Weberitsch 1924 Leben 339 wie ungesund und antiquiert noch unsere Verhältnisse sein müssen, wenn es in unserer Kultur einigen wenigen hochgestellten und bornierten Menschen erlaubt ist, in launenhafter Weise unaufhaltsamen Fortschritt zu hemmen; 1928 Querschnitt 838 Ein Jahr zuvor noch waren die slawischen Trachten eine Seltenheit, die man nur auf dem Dorfe, und da nicht gar zu häufig, oder im Museum sah. Im Glaskasten sahen sie antiquiert aus, und man konnte sich gar nicht vorstellen, daß sie auf der Straße natürlich wirken würden; v. Below 1930 Erinn. 57 Das Kollegium der damals noch unvollständigen Hochschule war . . etwas antiquiert, aber einige fortgeschrittene und umgängliche Leute waren doch darunter; Zechlin 1935 Diplomatie 36 Die königlichen Ehren, die honneurs royaux, bestanden in heute antiquierten Äußerlichkeiten; Meissinger 1946 Roman 8 Der Text ist durch die Umwälzung des vergangenen Jahres auf keine Weise antiquiert; Süddtsch. Ztg. 22.9.1951 Keine Leichenöffnung förderte je so etwas wie eine unsterbliche Seele zutage. Wenn ich an Gott dachte, dann mit jenem überlegenen Lächeln, das ein Biologe für einen antiquierten Mythos übrig haben mag; ebd. 10.9.1954 Regierungsentwurf für ein Landesstraf- und und Verordnungsgesetz . ., das weitgehend an Stelle des antiquierten Polizeistrafgesetzbuchs von 1871 treten soll; Stuttgarter Ztg. 22.12.1959 es gibt Stücke, die Gründgens in dem räumlich antiquierten, Intimität nicht zulassenden Bau an der Kirchenallee nicht spielen kann; Süddtsch. Ztg. 2.10.1963 Die Ausstellung wirkt zusammengewürfelt und unausgeglichen; im Katalog vermißt man die Angaben über Entstehungszeit und Herkunft. Hier wäre mehr Sorgfalt am Platze gewesen, zumal die vorhandene Literatur antiquiert und spärlich ist; Fischer 1966 Kunst 36 Ist der Humanismus durch die Entwicklung der Welt überholt, seine Verschmelzung mit der Idee der freien Persönlichkeit antiquiert?; Stuttgarter Ztg. 22.3. 1967 Möbel und Gebrauchsgegenstände, denen etwas Antiquiertes anhaftet, kommen immer mehr in Mode; Welt 12. 11.1969 selbst heute noch

begegnen viele Zuhörer der Musik unserer Zeit mit den antiquierten Urteilen — um nicht zu sagen: Vorurteilen — einer vergangenen Epoche; Kerndl 1972 Stücke 251 Alle Möbel sind verhältnismäßig modern, ein Stuhl ist — die zeitgemäße Neigung vieler Intellektueller nach Antiquiertem verratend - sehr alt; Zeit 10.5.1985 er [Schauspieler] ist das antiquierte Mittel des Theaters, antiquiert wie der Mensch selbst, Fossil in einer selbstgeschaffenen Welt, deren Ansprüchen er nicht mehr genügt, für die er zu primitiv ist; ebd. 27.9.1985 die antiquierte Trutzburg der andächtigen Hörgewohnheiten, der gute alte Konzertsaal; ebd. 11.7.1986 in jedem Falle jedoch würden unsere Pädagogen diesen Frontalunterricht mit Abfragen und Händchenheben als ziemlich antiquiert empfinden; Stern 16.6.1987 im Kampf um die lukrativen Telekommunikationsmärkte der Zukunft möchten die USA, Japan, die EG und die deutsche Industrie das antiquierte Postmonopol knacken; Spiegel 30.11. 1992 der Polo hält mit elf Jahren Laufzeit einen traurigen Rekord: Er ist der antiquierteste deutsche Kleinwagen; ebd. 14.6.1993 Und schon in wenigen Jahren könnten die Neulinge genauso frustriert vor den Schülern stehen wie ihre älteren Kollegen. Denn noch immer wird der Lehrernachwuchs durch eine antiquierte Ausbildung getrieben. antiquieren: Witzel 1536 Annotationes l 83b Noch wir wollen nichts klagen/ wenn nur diese andere/ die ersten also antiquirt hett/ das sie nicht allein war hafftiger denn die erste [Übersetzung der Heiligen Schrift]/ sondern were auch besser/ denn sie selbst ist; Rot 1571 Diet. 290 Antiquirn, Alt machen/ abstellen/ abthun; Lessing 1780 Erziehung (S. Sehr. V 630) gewiß hatten sie keine schlimme Absichten, wenn sie lehrten, daß der Neue Bund ebensowohl antiquiert werden müsse, als es der Alte geworden; Schlegel 1797 W. / 2,93 Möchten doch Forsters Schriften recht bald so weit übertroffen werden, daß sie überflüssig, und nicht mehr gut genug für uns wären; daß wir sie von Rechts wegen antiquieren könnten; Marx 1867 Kapital (MEW XXII1 404) in den letzten Dezennien . . hat ein andrer Amerikaner . . Whitneys Maschine durch eine ebenso einfache als wirksame Verbeßrung antiquiert; ders. 1882 Br. (Briefw. IV 654) Daß er sich offenbar schmeichelte, in seinem „Grundeigentum" das „Kapital" zu antiquieren, amüsierte mich. Antiquiertheit: Möller-Bruck 1901 Stilismus 17 Man hat da die Forderung des bedingungslosen Meisters. Eine Nuance Antiquiertheit — und es wird schon gleich nicht mehr mit ihm zu rechnen sein, er werd ausgesprochener Epigone genannt

Antiquität werden müssen; Rathenau 1902 Impressionen 246 die andere [Art des Kunstgenusses] kommt zu Stande als ein Ergebniß des Studiums, der historischen Betrachtung oder der Antiquirtheit und ist Domäne des Connaisseurs und Literaten; Mühsam 1927-29 Namen 26 So finde ich . . Zukunft und Erneuerung nicht bei denen, die durch ihre Hornbrillen auf ihre Antiquiertheit herabschauen; Berl. Tagebl. April/Mai 1929 [im Film] zeigt man uns ein brav-bürgerliches Töchterlein. Lange scheint es das Demonstrationsobjekt der gestrigen Antiquiertheit zu sein; 2935 Festschr. a. Binz 295 die Antiquiertheit der Marxschen Anschauungen; Anders 1956 Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution (Titel); Bad. Ztg. 28.10.1958 Es bleibt also, ungeachtet der Antiquiertheit des Librettos, ein Verdienst der Stuttgarter Staatsoper, daß sie sich . . zur szenischen Uraufführung der Oper „Schicksal" entschlossen hat; ebd. 8.1.1971 [er] erinnerte im Zusammenhang mit dem Unfall daran, daß er bereits bei seiner Einführungsrede

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im vergangenen Jahre auf die Antiquiertheit des Gebäudes hingewiesen hat; Offenburger Tagebl. 13. 10.1971 Zwar ist die Antiquiertheit der alten Übersetzung von Trebitsch beseitigt; Süddtsch. Ztg. 26.1.1993 Die Antiquiertheit des Menschen wird ihn . . genauso wie seine Profit- und Freßgier erst einmal zum krankhaften Konsum verleiten, ehe er sich notgedrungen und widerwillig zur diesmal geistigen Diät entschließt. Antiquierung: Eylert 1846 Charakter-Züge Fr. W. ///. // 573 Wohl sah Friedrich Wilhelm III. ein, daß Er bei gänzlicher Antiquirung des alten Systems und bei neuer Ordnung der Dinge in der Armee und im Staate . . Kräfte losriß, welche . . Anomalien mancherlei Art erzeugen würden; 1918 Deutschland u. Katholizismus l 44 Der übereilte und kritiklose Anschluß an neu auftauchende Ideen und Aktionen überantwortet dem Wellenspiel, das manchmal nur eine Tagesmode darstellt und zur raschen Antiquierung verurteilt ist; Brandt 1936 Inn 80 Antiquierung unseres besten Wissens.

Antiquität F. (-; -en), im frühen 16. Jh. entlehnt aus lat. antiquitas 'Altertum', PL antiquitates 'Altertümer, Überlieferungen der Vorzeit', im 16.717. Jh. vereinzelt in der lat. (flekt.) Form. l Häufig im Pl. in der Bed. '(Kunst-)Gegenstand einer vergangenen Epoche, aus früherer Zeit, bes. dem römischen Altertum überkommenes Zeugnis, Denkmal der Geschichte, Kunst und Religion; altertümlicher Gegenstand aus dem Kunsthandwerk', oft als Bestimmungswort in Zss. wie Antiquitätenkabinett, -Sammlung, -handler, -schrank, -laden und in Syntagmen wie Antiquitäten sammeln, Liebhaber von Antiquitäten sein, etwas gilt bereits als Antiquität, hat nur noch Antiquitätswert. 2a Seit früherem 16. Jh. in der heute veralteten Bed. 'alte Sitte, Brauchtum' (s. Belege 1546, 1603, 1627) und plur. 'Staats-, Rechtsaltertümer' (s. Belege 1811, 1825, 1866); gleichzeitig ebenfalls meist im Pl. für '(aufgezeichnete) Ereignisse, Begebenheiten aus alter Zeit' (s. Belege 1544—45, 1603, 1703) und selten auch 'klassischantiker Charakter, Altehrwürdigkeit von etwas' (s. Beleg 1559); seit Mitte 16. Jh. selten in der Bed. '(hohes) Alter von etwas'. Dazu vom 16. bis ins 19. Jh. die adj. Ableitung antiquitätisch 'alt, altertümlich'; vereinzelt 'antik' (s. Beleg 1553), selten auch 'altmodisch' (vgl. antikisch —» antik a und —> antiquiert). b Seit Mitte 17. Jh. in der ebenfalls veralteten Bed. 'Antike, Altertum', selten auch 'Altertumswissenschaft' (—» Archäologie, s. Beleg 1728). Antiquität 1: Aventin 1519 Bayr. Chronik I 102 in alten stainen und dergleichen monumenten und antiquiteten des fürstentombs Bairen; Luther — Emser 1521 Str. I 129 Ich habe aber . . bischoffliche stifft vnd kirchen durchwandert, vleyssig acht geben auff die fundation antiquitet, vnd ander mo-

nimenta; Hass 1534 Rathsannalen III 2 habe ich mich . . eingelassen, annalien . . zuschreiben, so mich deucht, das mancher . . solche antiquitet zulesen . . lust haben werde; Federmann 1557 Indian. Historia 3 das E. V. ein sonder liebhaber und erforscher der Antiquiteten; 1564 Zimmer. Chronik I

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Antiquität

71 Es sein vor jaren vil schöner antiquiteten, brief und anders zu sant Jörgen .. verbrennen; ebd. l 326 do hat man auch vil monumenta und allerhand antiquiteten verloren; Zorn 1570 Wormser Chronik 15 antiquiteten, so hin und wieder in der Stadt gefunden [werden]; Mathesius 1563 Ehest. Ll2b Apellis subtile linien so man für ein gross kunststück gehalten, muss man lassen ein alte antiquitet sein. Ich lobe die meyster, die was nützlichs, bestendiges vnd saubers machen; Fischart 1575 Geschichtklitterung 41 wie man dann derselbigen Flaschenfuter (die etlich Altdickwitetendeiter [!] für Camin vnd Cisternen (ja Weincisternen) geschetzt haben)) noch sechs oder siben auff dem weg gegen Lichtstall sehen mag; Entzelt 1579 Altmärkische Chronik 77 eine müntz/ welche gefunden/ ein herrliche alte antiquitet vnd Simbolon; Ernstinger 1579-1610 Kaisbuch 85 Das halb der alten statt Rom ist unbewohnt und öd, voler gärten, felder und weiter pläz, darauf hinundwider vil alte zerfallene römische antiquitates von amphitheatris, thermis, kirchen, triumphbögen und dergleichen alten gmeur und gebayen zu sehen; ebd. 97 In welchen zimmern vil statlicher tisch von mancherley wolgepolierten marml vilerlay färben, . . item vil khunstreicher antiquiteten und bilder von märml; ebd. 150 In diser statt haben wir neben den vorigen vermelten denkhwürdigen Sachen auch gesehen dise nachvolgende fürnembe gebey und antiquitates: Erstlich die haubtkirchen S. Jean . .; Speckle 1589 Architektur 86b [man findet] gülden, silbern vnnd kupffern, Pfenningen mit ändern vnd sehr viel Antiquiteten mehr; Letzner 1590 Chronica Vorr. u la daher es dan die hohe vnvermeidtliche noth erfürdert, das man vmb vnser itzigen jugent, vnnd vmb derselben nachkomen willen, numehr, vnsere vnd der benachbarten Antiquiteten, vnd verlauffene Geschieht, hendel vnnd ansehentliche thaten der löblichen Voralten, herfür suche; 1597 Kronn aller Wegweiser Vorr. 2a Wer sie gegrundfestet, vnd zu welcher Zeit: Ob dieselbige gross, schön, vest vnd Volckreich seind, oder nicht: Was in denselbigen für Antiquiteten, künstliche Gebäw vnnd andere ding zusehen; N;colai 1599 Freudenspiegel 373 Auch sind die Gassen mit vielen Triumphbogen .. mit sehr viel vnnd mancherley schönen/ lustigen Bildwercken/ gleich den Römischen Antiquiteten außgehawen vnd bereitet; Kiechel um 1600 Reisen 177 antiquiteten und kunstuckh; Gelzkofler um 1600 Lebensbeschr. 54 hat sich auch anerboten, ihnen ein gefärten abzugeben, und allerley antiquitates zu weisen, denn er sei in der nachbarschaft und sonderlich bey etlichen französischen Edelleuten wolbekannt; Kirchhof 1602 Milit. Disciplina 51 darbey mehr denn zuviel herrliche Libereyen, Bücher vnd Antiquiten zu Grundt gehen; Hainhofer 1610 Corr. 7 aine

Gunst Camer mit antiquiteten, statuen, gemehlen, vnd allerhand rariteten; Platter 1612 (Boos 1878 Sittengeschichte 183) gingen wir fir die statt hinus, besachen ein alten spitzigen türm, den die Römer vor Zeiten gebuwen hatten; ist ein piramis, gefiert und gar oben auss zugespitzt, inwendig hol; ein firneme antiquitet; ebd. 187 Den 30 octobris besach ich frieu die antiquiteten zu Nisrnes, das gros amphitheatrum, doran ußen die gehauwene bilder Romuli und Remi; ebd. 243 [er] fürt uns in der statt herumb, zeigt uns vil antiquitates, darunder seulen; Kepler 1616 Opera omnia V 497 dem Kunst- vnd Antiquitetliebenden Lesern; Hofmann 1625 Allerley Antiqviteten vnd seltzame Sachen, auss ost- vnd West-Indien . . zusammen gebracht (Titel); Perez 1627 Landstörtzerin II 113 die Brück die von dem Schloß ihren Namen hat/ vnd von männiglichen für ein schöne Antiquitet gehalten wirdt; Suter 1665 Lustgärtlein 48 Als einer sonderlich nach alten Sachen trachtete, und zu einem Savoyer kam, so hat ihm derselbe, nachdem er ihn lang genug aufgehalten, endlich sein Weib, von 80 Jahren alt, für ein schöne Antiquität gewiesen; Morhof 1682 Unterricht 199 Dieses ist warlich eine schöne antiquität; denn es ist etwa Anno Chr. 847 geschrieben; 1683 Polit. Grillenfänger 109 fragte er ferner ob sie auch Liebhaber der Antiqvitäten wären; Abr. a S. Clara 1686 Judas l 283 f. (Wunderkur 69) indeme er also fortgeht/ begegnet ihme ein altes Mütterl mit geschimpelter Baroka/ ein rahre Antiquitet/ mit einem hültzernen Hand-Pferdt/ wormit es denen schwachen Füssen ein Beyhülff laistete; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 599 Ich habe ohnlängst in meinen Antiquitäten ein Formular einer obligation gefunden/ nach welcher vor hundert Jahren die Magistri sich zu dem Aristotele mit Leib und Seel verschreiben müssen; Happel 1690 Academ. Roman 60 das Cabinet eines dem Augustiner-Orden zugethanen Antiquitäten Liebhabers; 1691 Pfalz 8a neben allem Geld und silbernen Antiquitaeten; ebd. 31b vil Römisch und Teutsche Antiquitäten zu sehen; so von Zeiten Vestungen, Schlösser und Schantzen; 1692 Novellen 60 Metallen, Müntzen, Antiquitäten, Specereyen; Reuter 1696 Schelmuffsky 75 sie wolten mir etwas von einigen Antiquitäten der Stadt Londen zeigen; Elis. Charl. 1700 Br. l 187 Daß man nach Rom geht, antiquitetten zu sehen, . . daß kan ich woll begreiffen; 1701 Monatl. Auszug Juni 65 Damit aber gleichwohl die neuern Antiqvarii bekandt werden mögen/ hat er eine Antiqvitäten-Bibliothec überhaupt dem gantzen Wercke/ vor jeder Materie aber insonderheit dem Capitel/ darinnen sie tractiret wird/ vorgesetzet; Scheuchzer 1708 NaturGesch. I 3,148 Antiquiteten oder Überbleibselen des Alterthums; Marperger 1712 Naturlex. 855 Museum, heist eine Studier-Stube, ingleichen ein

Antiquität Müntz-Cabinet, Rarität und Antiquitaeten-Kammer, welche von curieusen Liebhabern angeleget worden; Musig 1726 Licht d. Weisheit I 16 die Erkänntniss derer Medaillen und Antiquitäten, so weit sie die Historic erläutern; Küchelbecker 1730 Hof 679 Denn man verwahret allhier, nebst vielen Antiquitäten und Curiositäten, auch einen ziemlich starcken Vorrath von alten und raren Müntzen; Cröker 1736 Mahler 7 Die Kentnis der Antiquitäten ist einem Mahler gleichfals höchst nöthig; Dusch 1767 Br. Ill 314 Die zerrissene, von Staub, und Motten zerfressene Fahne, und der alte rostige Degen, Dinge, die kein Mensch gebrauchen kann, sind noch immer, als eine Antiquität, ein gutes Stück für den Ahnensaal eines ehrenvesten Junkers, der solcher Beweise fast nicht entbehren kann, den alten Adel seines Blutes darzuthun; 1784 Journal v. u. f. Deutschland II 220 ein ganzer Saal voll ausgegrabener Römischer Antiquitäten; 1786 Journal d. Moden I 359 ein Antiquitätenkabinet von Kopfzeugen, Hüten, Perücken, Hauben, Roben; Goethe 1787 Br. (WA IV 8,286) Es ist gewiß daß für jede Art des . . Studirens Rom . . der Ort ist . . Antiquitäten, Geschichte, die Litteratur der verschiednen Künste, Numismatick pp werden von einzelnen Personen mit Fleiß betrieben; ders. 1803 Cellini (WA I 43,74) hatte ich auch die Bekanntschaft mit Antiquitätensuchern gemacht, die den . . Bauern aufpaßten, welche . . im Umwenden des Erdreichs immer alte Medaillen, Achate . . Cameen fanden . . Jene Aufsucher kauften gewöhnlich solche Dinge von den Bauern für geringes Geld; Schlegel 1805-06 Prop. XIII 187 Es ist unmöglich, die alten Denkmale und Meisterwerke der Kunst richtig aufzufassen und zu erklären, ohne Sprachgelehrsamkeit und Antiquitätenkenntnis überhaupt; Goethe 1807 Br. (WA IV 19,282) Die versprochenen Antiquitäten und Novitäten an Münzen und Porzelain; Kephalides 1818 Italien I 113 Es ist diese Cloaca die allerälteste Antiquität Roms; Goethe 1829 Italien. Reise (2. röm. A.) (HA XI 384) Moritz studiert jetzt die Antiquitäten und wird sie zum Gebrauch der Jugend und zum Gebrauch eines jeden Denkenden vermenschlichen und von allem Büchermoder und Schulstaub reinigen; Glassbrenner 1836 Bilder 210 [Dresden] enthält grosse Kunstschätze und Antiquitäten aller Art; Kohl 1842 Böhmen 167 Ueberhaupt darf kein Theil des ganzen Kirchhofs, der jetzt nach Joseph nun nichts mehr ist als eine interessante Antiquität, bebaut oder sonst benutzt werden; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 185 sein Studierzimmer war von Statuen, Gemälden, Vasen gepfropft voll; Immermann 1836 W. V 121 Glasschränke mit Antiquitäten und allerhand Seltenheiten nahmen den übrigen Raum ein; Tieck 1836 Sehr. XXIV 268 sein weiss gepudertes Haar, seine Seitenlocken . . gaben

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ihm das Ansehen einer . . vergoldeten und sorgsam aufbewahrten Antiquität; Carus 1866 Lebenserinn. HI 25 manch interessante Antiquitäten und sonstige Curiosa; Meissner 1866 Schwarzgelb 142 „Ich bin von den Antiquitäten, die ich in dem alten Schlosse gesehen, so entzückt, daß ich um die Erlaubniß nachsuche, morgen ein paar gute Freunde hinaufführen zu dürfen!"; König um 1875 Hum. l 207 „Ich suche alte Gemälde, Waffen, Krüge, Möbel, kurz Antiquitäten aus früheren Jahrhunderten", erwiderte er; Strodtmann 1879 Dichterprofile I 151 die Manie der Antiquitätensammler; Rolef 1887 Reisebr. 45 Ein deutscher Künstler .. war es, welcher das Gemälde bei einem Antiquitätenhändler entdeckte; Meyrink 1915 Golem 93 Seit jener Zeit lebt er hier, bessert Antiquitäten aus und schneidet Gemmen und hat sich damit einen kleinen Wohlstand gegründet; Voss. Ztg. 11.1.1931 Auch die „Vossische Zeitung" hat sich ja stets für die Erhaltung von Antiquitäten eingesetzt, die unser Stadtbild charakterisieren: für die Erhaltung der Spittelkolonnaden — leider vergeblich —, des Ephraimschen Palais und dergleichen mehr; LokalAnz. 14.9.1934 Am helllichten Vormittag sieht man vor einem Antiquitätenladen in der Schillstraße auf dem Gehsteig einen Schaukelstuhl aus der Großvaterzeit, einen von der breiten, schwungvoll gerundeten Sorte mit dem Sitz und der Rükkenlehne aus Korbgeflecht; v. Wahlendorf1936 Erinn. 175 Meine Tante Julie in Baden war mit dem Theaterdirektor gut bekannt, der sich aus ihrer schönen Antiquitätensammlung gelegentlich passende Möbel auslieh; Welt 17.6.1954 eines der kostbarsten Stücke, die auf der gerade eröffneten diesjährigen Londoner Antiquitätenmesse zum Verkauf stehen, ist eine goldene Herrenuhr mit Schlüssel und Kette; Süddtsch. Ztg. 15.10.1960 Heute öffnet die Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse im Haus der Kunst zum fünften Male ihre Pforten; Welt 23.5.1964 darüber hinaus bietet der Anzeigenteil für Kunstgegenstände und Antiquitäten wertvolle Anregungen über Angebote auf dem Kunstmarkt; Partner 1964 Erben 13 besonders die Spargelbauern von Gellep und Stratum haben von ihren Äckern zahlreiche Münzen, Tongefäße und Bronzen heimgebracht, die, wenn es gut ging, in Privatsammlungen endeten, meist aber im Antiquitätenhandel auf Nimmerwiedersehen verschwanden; Bad. Ztg. 7.11.1969 es amüsiert den leidenschaftslosen Beobachter der Antiquitätenmode, daß Stücke aus dieser neueren, aber nun auch bald wieder hundert Jahre vergangenen Zeit ebenfalls längst Objekte des Antiquitätenmarktes sind; FAZ 25.9.1971 Wir freuen uns, hiermit die Eröffnung unserer Antiquitäten- und Kunsthandlung bekanntzugeben; Glade 1972 Seen 29 Die Petroleumlampen sind, jedenfalls für den einstigen

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Zweck, erloschen und werden nur noch von Antiquitätensammlern beachtet, wenn sie nicht vorher auf den Müllhaufen geworfen wurden; Zeit 20.9.1985 dort gibt es Straßen mit kostbaren, einbruchgesicherten Antiquitätengeschäften, hier sind die Sachen auf dem Bürgersteig zu besichtigen oder ganz nebenher im Souterrain; MM 6. 6.1986 in einem Nebenraum sieben Zeichnungsskizzen von Cezanne, ein chinesischer Lacktisch mit Vasen und Schalen, an den Wänden schlanke Sessel und zierliche Stühle, alles fernöstliche Antiquitäten von selbstverständlicher Schönheit und Qualität; ebd. 19. 7.1986 bei Antiquitäten tritt in der Regel kein Wertverlust, sondern in günstigem Falle eine Wertsteigerung ein; Cibulka 1988 Wegscheide 49 da sie nicht in der Lage sind, ihre Wohnung mit ihrer eigenen Persönlichkeit auszufüllen, greifen sie zu Antiquitäten; ebd. 117 Ich war heute vormittag in Erfurt, auf der Krämerbrücke, ich habe mir im Antiquitätenladen eine alte Porzellanpfeife und eine Tabaksdose gekauft; MM 22.723.5.1993 Sie entdeckte bei einem Antiquitätenhändler einen hübsch bemalten Nachttopf. Antiquität 2a: Kymeus 1533 Ehestand L2a Wen solt diese Antiquitet nicht bewegen? Darumb ob der München leben wol nach dem gepot new ist/ hat es doch gar ein alt Exempel; Franck 1534 Weltbuch Tübingen XXV die stett in Rhecia/ so etwan nach der Römischen antiquitet genant worden seind; Lorichius 1537 Fürsten 160 wie man noch heude des tages auß den alten brieffen/ vnnd Antiquiteten erlernen mag; 1544—45 Augsb. Chronik IX 39 welche alle bledigkait der vernufft .., auch varlesigkait der lerung vnnd verzaichnung der altenn antiquiteten durch vil jar der altenn layder mit sich hergepracht hat (FRNHD. WB); ebd. LXX 17 so alter antiquiteten und geschienten, in diser uralten des hailigen reichs statt Augspurg beschehen, warhafftig bericht sein (FRNHD. WB); Sachs 1546 W. Hl 267 Der tisch erhaben stan/ Nach der antiquitet (FRNHD. WB); Stumpf 1548 Chronick I Vorr. Bl. lib ein guter teil allerhand Heluetischer vnnd Eidgnossischer Antiquiteten vnd alter geschienten zesamen bracht; Sachs 1559 W. IX 486 Zu beschawen die groß Stadt Rom/ Und ir groß, gewaltig gepew,/ Ir antiquitet ich mich frew (FRNHD. WB); Mathesius 1562 Sarepta 232b Diß rede ich auß alten antiquiteten vnd auß der alten Poeten zeugnuß; ders. 1562 — 64 Ausgew. W. Ill 55 Ein Priester von der Naumburg, der sich auff viel antiquiteten sein lebenlang beflissen; Kirchhof 1563 Wendunmuth l 26 Sintemal allhier etliche der Römer geschienten und antiquiteten angezeiget, hab ich sonderlich die historien deß römischen und edlen ackermanns Quinti Cincinnati nicht wollen überschreiten; Fischart 1582 Geschichtklitterung

275 Vnder deß sie nun warteten, prachten sie beredeter, . . Discurirlicher, . . weiß die zeit zu, mit erkündigung vnnd erwegung allerley zeitung, discutirung etlicher Antiquitteten; Albertinus 1603 Sendtschreiben III 14a wann ich nit so erfahren vnd abgericht wäre in dergleichen Antiquiteten; ebd. Ill 84a Eine denckwirdige Antiquitet wil ich euch erzehlen; Letzner 1604 Chronika Vorr. 2a Demnach ich mich eine geraume Zeit der Jahren her beflissen, . . damit dieses unsers Sächsischen vaterlandte Antiquiteten, vnd Gedenckwirdige Sachen, ans liecht gebracht wurden; Perez 1627 Landstörtzerin II 261 ohn ist es nicht/ daß die Antiquitäten oder alte Gebräuche einen Menschen zur Andacht anreizen; u. Brandts um 1623 Gesch. 48 Erst allegierts Tesstamennt ist seiner Antiquitet halber wol zu lesen, vnnd laut also; 1662 Beschr. d. Zigeuner A 3a Albertus Krantz, ein wegen Erforschung und Aufzeichnung der Antiquiteten, insonderheit berühmter Geschieht Schreiber; Francisci 1680 Wunderreiche Überzug 425 Andreas Rivetus . . zörnet/ wider solchen unbedachtsamen Gebrauch/ . . und beweise es lauffe sowol wider alle Antiquität/ als Leutseligkeit [Tote in der Kirche beizusetzen]; Morhof 1682 Unterricht 65 Es kan auch trefflich zustatten kommen/ daß man die alte Gothische Sprache und antiquitäten mit solchem grossen Fleiß jetzo in Schweden hervorsuchet; Weise 1693 Näscher 118 als er so viel Griechisch lernen, und im Lateinischen lauter Antiqvitäten aufsuchen muste, so ward er einmahl ungedultig; Sturm 1699 Civil-Baukunst 4a Es hat mir auch an Schrifften/ von Antiquitäten/ Geschichten/ Fabeln/ Sinnbildern und Devisen, alten und neuen Auffschrifften nie gefehlet; Wening 1701 Bayern l 7 ein denckwürdige Antiquitet von einem Bayrischen Fürsten, nemblich Hertzog Christoph, dessen ungemaine Stärcke vnnd Springkunst betreffend; Arnkiel 1703 Eröffnung I 121a Von ihrem Götzen-Dienst finde ich in den einheimischen Antiquitäten nichts sonderliches auffgezeichnet; Fleming 1719 Jäger l 316 Von der Falcken-Beitz und derer Antiquität; Wilk.au 1722 Hadeleriologia )( 3r weil die dem Lande Hadeln angehende remarquableste Antiquitäten in kostbaren und dazu in Lateinischer Sprache geschriebenen Büchern hin und wieder verstreut sind; Musig 1726 Licht d. Weisheit l 17 Wenn aber die Sprachen mit mehrerer Untersuchung der Wörter, des rechten Verstandes und Bemerkung der Antiquitäten tractiret werden, so entsteht daher die Critic und Philologie; Sulzer 1745 Kurzer Begriff aller Wiss. 37 Die Antiquitäten, welche lehren, wie man die alten Sprachen könne verstehen, vermittelst der Kenntnis der alten Gebräuche etc.; Rönnberg 1794 Reichsmatrikel 192 man gedenkt iezt „der Römermonate lediglich als eine Antiquität, die doch bisweilen, so wie die Reichsinsignien zum

Antiquität Vorschein kommen muss"; Pestalozzi 1805 Br. V 42 Daß Beks in Thun gegen mich sind, wußte ich schon; aber daß noch Leute sind, die an ofner Taffei gar nichts hinter der Methode feinden, das gehört zu den Antiquiteten, die wir beseitiget haben; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,38) er besaß die schönen holländischen Ausgaben der lateinischen Schriftsteller . .; sodann vieles was sich auf die römischen Antiquitäten und die elegantere Jurisprudenz bezieht; ders. 1825 Br. (WA IV 40,156) Die römischen Antiquitäten, durchaus nicht begreiflich ohne Vergegenwärtigung des strengen Formelwesens dieser Nation; Herbart 1831 Enc. 34 Aber vom römischen Recht ist das Personenrecht größtentheils Antiquität geworden; während vom Sachenrecht und vom Rechte der Forderungen das Meiste stehen blieb; Hebbel 1840 5. W. / 9,75 Die Geschichte des dreizigjährigen Kriegs ist demnach keineswegs eine blosse Antiquität; Burckhardt 1856 Br. Ill 260 Wir leben im Zeitalter der Occupationen und das Völkerecht ist nur noch eine interessante Antiquität; Mommsen 1866 Rom. Gesch. III 178 seit die Bürgerschaftsgerichte selbst zur Antiquität geworden waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt; Burckhardt 1872 Br. a. Preen 50 Mit der „Sicherung von Elsaß-Lothringen" hat man auch ohne Krieg wenigstens jeden Moment Kriegslärm, Mobilmachung und dergleichen disponibel, das heißt einen leisen Belagerungszustand in Deutschland selbst, wobei Konstitutionalismus und andere Antiquitäten plötzlich verstummen müssen; 1915 Lit. Echo XVII 413 Traub spricht ohne salbungsvolles Getue, phrasenlos, gegenständlich und fern jener verdorrten Symbolik, die schon seit mehrern hundert Jahren Antiquität oder leeres Emblem ist; Gebauer 1932 Kulturgesch. 472 Antiquitäten der evangelischen Lehre. antiquitätisch: Fugger 1553 Formular 159 Es werden dise Buchstaben etwan den Fünff Antiquitetischen sewlen nach außgethailt . . (als der Corintischen Sewlen art nach); 1559 Beschreibung A 4a auff Antiquitetisch vnd altvätterisch . . beklaidet; Fischart 1575 Geschichtklitterung 180 Der [Hut] war wol bestulpet, berondelet, bewollzottet vnd vberhängig wie die Altdickitetische tächer zu Ach; Ernstinger 1579—1610 Kaisbuch 75 Sein ach in ainem saal, so vast lang, bei 100 antiquitetische köpf auch brüst- und ganze bilder; Sebitz 1583 De partu caesareo (Übers.) 87b [Scribenten, die] ohne das kein ander ding so hoch/ vnnd für groß achten/ dann allein was alt vnd antiquitetisch ist; Dilich 1598 Histor. Beschr. 20 Vor ihnen ritten zum ersten 6. Trommeter und ein Heerpaucker/ semptlich vberein bekleidet/ nemlich in rote antiquitetische Leiber mit grünen Ermein; Privatus 1598 Remigius

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Dämonolatria 77 Deß Apuleii Spruch vnd sententz, . . von solcher Thorheit ist bekandt/ welchen ich von wegen seiner antiquitetischen zier zu reden/ vnnd verplümbten beschlagenen Wörter/ allhier anziehen will; 1598 Orientalisch Indien H 116 auff die Antiquitetische Weiss; Quad 1609 Teutscher Nation Herligkeitt 145 wie derselbe Trach mit sampt der Jungfrawen vnd jren brudern sampt Seyfriden zu Wurmbs vff dem Marck an einem vberalten gebew (die Muntz genant) gantz antiquitetisch abgemalt stehen; Mechtel 1610—12 Limb. Chronik 41 silbern doppletten . . als ein besonder antiquitetisch werk; Grimmeishausen 1669 Continuatio 71 ein ansehenliche gravitetische Persohn/ mit einem langen weissen Bart auff die antiquitetische Manier mit einem langen Talar von weissem Atlas und güldenen Blumen . . gefüttert/ beklaidet; ders. 1670 Springinsfeld 10 er hatte einen schwartzen Kittel an von Wüllenem Tuch/ der gieng ihm bis an die Kniekehlen auff ein gantz fremde: und bey nahe auff die alte Antiquitetische Manier: mit grünen wüllen Tuch an den Näthen underlegt/ gefüttert und ausgemacht; Eichendorff 1834 W. IV 64 lange, grobe Haare hingen ihm von beiden Seiten bis über die Schultern herab und gaben dem langen, eckigen Gesichte ein gewisses antiquitätisches Ansehen; Gervinus 1843 Br. a. Dahlmann (Briefw. ]. u. W. Grimm — Dahlmann u. Gervinus II 252) Er geht da gegen die historische Schule an, und haftet am Ende auf einer Betrachtungsart, die ich . . antiquitätisch nennen möchte. Antiquität 2b: Müllner 1653 (Frisius 1705 Drechßler 266) Man schaue nur zurück in die Antiqvität:/ Wie manches Kunst-Gemach und Raritäten-Zimmer,/ Weißt eurer Künstler Sach, die Hände leben nimmer; Grossgebauer 1661 Preservatif o. S. Wir wollen die gantze Heydnische Antiquität zu Zeugen ruffen; Grimmeishausen 1672 Vogelnest (III 389) ein alter Moosbart, der mich dem Bart und seiner Kleidung nach an die Antiquität selbsten erinnerte; Francisci 1676 Lust-Haus 857 Diese nennet man antiquas oder die uhralte Stunden: weil die gantze Antiquität sich derselben gebraucht; Happel 1690 Academ. Roman 206 darum wird dieses Grab-Gebäu Capo di Boi genannt/ und wollen die Antiquität-Forscher/ es sey eine doppelte Hecatombe; 1692 Novellen 644 Das einzige Reich Siam hat jetzo mehr Wunder-Wercke in sich/ als die gantze Antiquität nicht wird vorstellen können; Goldmann 1696 Anw. Civil Bau-Kunst. Vorr. la indeme er die Antiquität sampt dem Vitruvio, dann auch die Erfindungen der heutigen Baumeister ohn alle Parteilichkeit . . erweget; Sturm 1699 Civil-Baukunst 242 Der Auffsatz mit dem darauff gestelleten Schnitzwerck schliesset gantz g u t . . Die Köpfe/ die sonst nicht allzu geschickt dastehen/

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sind noch aus der Antiquität; Wening 1701 Beschr. Bayerns I 7 allerley bey der Antiquitet zum Götterdienst . . bräuchig gewesster Geschüren; Buddeus 1709 (Musig 1726 Licht d. Weisheit l c4b) Die Römischen und teutschen Gesetz bekommen ihr meistes Licht aus der Antiquität. Wer diese nicht zur Hülffe nimmt, der tappet gleichsam wie im finstern; Stranitzky 1711 Ollapatrida 105 Die grösten Lehrmeister der gantzen Antiquität haben mich zu ihrem Schuler gehabt/ und mit so grosser Sorgfalt unterrichtet/ als Aristoteles den Alexandrum, Strabo den Ptolomaeum; Sturm 1714 Anw. (Architektur) Ba [Säulen] nach der Antiquität-Weise; Marperger 1716 Küchendict. 1333 weil dann bey uns etwan fünfferley Art von Würsten heut zu Tage nur bräuchlich sind/ als wollen wir allhier dieselben nicht allein erzehlen/ sondern ihnen auch aus der Antiquität ihrer Nahmen ohngefehr appliciren; 1716 Von denen Juden 12 bringt er Sachen von der Antiquität, und was zur Zeit des Leydens und der Auferstehung Christi, hier und dar passiret, vor; 1717 Fama L1X 849 Anfangs wird des Worts Benennung, Zweydeutigkeit und Synonymic gründ-

lich und aus der Antiquität sehr tieff untersuchet; Pertsch 1721 Beichtstühle 222 Ja in der ganzen Antiquität ist nichts auffzutreiben/ das man die geringste Verordnung gemacht/ die Leute selten/ ehe sie communicirten/ beichten; Bertram 1728 Einl. 24 Die Historic hingegen samt der Antiquitaet und Mythologie hat es . . nicht mit blossen Wörtern, sondern geschehenen Dingen zu thun; Rohr 1729 Zeremonielleiss. 324 An der Grufft werden zuweilen rechte Portails aufgebauet . . und hin und wieder Cypressen-Bäumen, Urnen und andere Todte und Trauer-Geräthe aus der Antiquität mit angebracht; Berisch 1775 Wittekind 191 die Wirkung allein kann uns belehren, ob sie [die Methode des Verfassers] sich zum Vortheil der pragmatischen Geschichtskunde an einen Charackter gezeigt hat, der für die ganze Antiquität ein Räthsel gewesen; Münch. Stadtanz. 26.9.1952 Was Bildhauer wie Thorwaldsen, Hildebrand und Erber erträumten, — die erstklassigen Formen der griechischen Antiquität auch einem breiteren Publikum in dezenter Weise zugänglich zu machen —, das wird hier durchgeführt.

Antisemitismus M. (-; ohne PL), um 1879 im Umkreis des deutschen Publizisten W. Marr gebildet aus —>· Anti-, anti- und Semitismus, zu Semiten Pl. 'Angehörige einer sprachlich und anthropologisch verwandten Gruppe von Völkern besonders Vorderasiens und Nordafrikas'; im späten 18. Jh. wird die Bezeichnung Semit, abgeleitet von Sem, dem biblischen Namen des Sohnes von Noah und des Stammvaters einer Völkergruppe, aus der theologisch-historischen Literatur in die Sprachwissenschaft und Völkerkunde eingeführt und mit einer — zunächst noch wertfreien — Charakterisierung des Geistes und der Kultur dieser Völker verbunden. Unter dem Einfluß der aufkommenden pseudowissenschaftlichen Rassenlehre werden Semit und Semitismus (um 1860) zunehmend negativ akzentuiert und als abwertende Bezeichnungen für die Juden gebraucht, was schließlich im Zusammenhang mit der in den 1870er Jahren (bes. angesichts der angeblich von den Juden verschuldeten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mißstände) sich verstärkenden judenfeindlichen Bewegung und im Zuge der antijüdischen Publizistik (z. B. Treitschke) zur Bildung von je nach Standpunkt und historischem Kontext unterschiedlich bewerteten Gegenbegriffen (nämlich Antisemit, Antisemitismus) führte, die insofern irreführend sind, als sich der Antisemitismus nicht gegen alle Semiten (z. B. Araber) richtet, sondern ausschließlich gegen die Juden; bereits gegen Ende des Jhs. rasch in anderen Sprachen verbreitet, z. B. frz. antisemitisme, engl. antisemitism, span./ital. antisemitismo. Von Anfang an als politisches Schlagwort verwendet, zunächst als Selbstbezeichnung judenfeindlicher Parteirichtungen (z. B. „Antisemiten-Liga" 1879), dann zunehmend als Kampf- und Feindeswort der rassistischen Ideologie und Bewegung in der Bed. 'Abneigung gegen Juden, Judenfeindschaft und -Verfolgung aus rassischen und politischen, aber auch aus religiösen und sozialen Gründen'. In der Zeit der antisemitischen Rassenpolitik und der Massenvernichtung der Juden im Nationalsozialismus (—»· Holocaust) war der Gebrauch des Wortes stark einge-

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schränkt (s. Beleg 1935); aufgrund immer noch existierender religions- und rassenideologischer Grundlagen wird der Ausdruck unter weltweiter Ächtung des Antisemitismus für alle antijüdischen Äußerungen und Bewegungen in Geschichte und Gegenwart bis heute verwendet. Dazu im späten 19. Jh. die Gelegenheitsbildung Antisemiterei; gleichzeitig die adj. Ableitung antisemitisch 'judenfeindlich' (Ggs. prosemitisch), in den 30er Jahren des 20. Jhs. gelegentlich durch antijüdiscb ersetzt, z. B. in Wendungen wie antisemitische Äußerungen, Parolen, Ausschreitungen; ebenfalls seit spätem 19. Jh. die Personenbezeichnung Antisemit M. (-en; -en), in neuerer Zeit selten auch Antisemitist M. (-en; -en) 'Gegner des Judentums'. Vgl. daneben die um 1880 von den Antisemiten geprägten negativ bewerteten Schlagwörter Philosemitismus, philosemitisch, Philosemit, zunächst zur Bekämpfung prosemitischer Einstellungen, heute teils eher kritisch und distanziert gebraucht für eine tolerante Haltung und positive Einstellung gegenüber dem Judentum und seiner Religion, teils aber auch wieder abwertend für eine unkritische, vorbehaltlose Haltung gegenüber Juden bzw. gegenüber der Politik des Staates Israel. Antisemitismus: Nordau 1883 Lügen 2 In der Verkleidung des Antisemitismus, dieses bequemen Vorwandes zur Bekundung von Leidenschaften, die sich unter ihrem eigentlichen Namen nicht sehen lassen dürften, tritt bei den Armen und Unwissenden der Haß gegen die Besitzenden, bei den Nutznießern mittelalterlicher Vorrechte, also bei den sogenannten privilegierten Klassen, die Furcht vor begabteren Mitbewerbern um Einfluß und Macht, bei der verworren idealistischen Jugend eine übertriebene und unberechtigte Form des Patriotismus, nämlich die unerfüllbare Forderung nicht blos politischer Einheit des deutschen Vaterlandes, sondern auch ethnischer Einheit des deutschen Volkes zu Tage; 1884 Grenzboten l 39 Der ursprüngliche Antisemitismus hatte denn auch seinen Hauptsitz in dem vom Gründertum zunächst geschädigten Mittelstande; Rosegger 1887 Briefw. 62 Ob ich mich von der tiefeinschneidenden Frage der Korruption und des Antisemitismus im allgemeinen emanzipieren werde, das weiß ich nicht; Hornberger 1888 Nachlass 180 Treitschke [sei] einer der Haupturheber des Antisemitismus; Mehring 1890-91 Die Neue Zeit IX 2,587 Über den Brutalitäten, welche der Antisemitismus, mehr in Worten als in Taten, gegen die Juden begeht, darf man die Brutalitäten nicht übersehen, welche der Philosemitismus, mehr in Taten als in Worten, gegen jeden begeht, der, sei er nun Jude oder Türke, Christ oder Heide, dem Kapitalismus widerstrebt (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); Harden 1892 Apostata N. F. 158 Aber ich glaube, gerade durch dieses Totschweigen und Vertuschen ist der Antisemitismus erst recht eigentlich gestärkt worden, weil man darin die Anzeichen einer Solidarität zu erblicken glaubte, die in solchem Umfange thatsächlich gar nicht besteht; Lombroso

1894 Antisemitismus (Übers.) 16 beachtenswert, dass der Antisemitismus nur da Wurzel gefasst hat, wo das Christentum noch in einem lebendigen religiösen Gefühl der Massen wurzelt; 1894 Deutsche Dichtung XV 180 die häßlichste Erscheinung unserer Zeit, den Antisemitismus; Gregorovius 1894 Nasen 45 dieser krankhafte, widerliche Antisemitismus; Horix 1895 Erl. 149 Es soll in den nachfolgenden Zeilen ganz und gar nicht in Antisemitismus gemacht werden; Büchner 1898 Sterbelager 13 Und grinst uns nicht das ganze Elend des Mittelalters wieder von neuem entgegen in der häßlichen Form des tollen Judenhasses und Antisemitismus?; Fontäne 1898 Zwanzig 227 existierte damals von dem, was man jetzt Antisemitismus nennt, kaum eine Spur; Bamberger 1899 Erinn. 258 man konnte jahrelang unter Familien verkehren, ohne dass nach der Konfession gefragt wurde. Das Wort Antisemitismus war zu jener Zeit noch nicht in Deutschland erfunden; Dove 1908 Er. 272 Da habe ich nun einigen Anstoß genommen an dem sozusagen verhaltenen Antisemitismus, der aus Ihrem Artikel E. Simson spricht; Bahr 1922 Tagebuch II 81 Die Wesensverwandtschaft des nationalistischen Antisemitismus mit dem eifernden, unduldsamen, hoffärtigen Judentum der Pharisäer ist in der Tat unverkennbar; Lokesch 1927 Fortf. v. Scherr, Kulturgesch. 716 Antisemitismus ist nichts anderes als eine perfide und verlogene Form eines wirtschaftlichen Kampfes, in dem der nummerisch schwächere, aber erfolgreichere Gegner unter allen Umständen, mit allen Mitteln Knock out geschlagen werden soll; 1935 (Gesch. Grundbegr. i 151) Das Propagandaministerium bittet, in der Judenfrage das Wort antisemitisch oder Antisemitismus zu vermeiden, weil die deutsche Politik sich nur gegen die Juden, nicht aber gegen die Semiten schlechthin

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richtet. Es soll stattdessen das Wort antijüdisch gebraucht werden; Hauser 1935 Judentum 283 Der Zionismus ist die natürliche Antwort auf den Antisemitismus; Hesse 1936 Br. 158 Was ferner die Juden betrifft so bin ich nie Antisemit gewesen, obwohl auch ich gegen manches „Jüdische" gelegentlich Ariergefühle habe; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. XU 783) der deutsche Antisemitismus aber, als Produkt und Zubehör eines rassischen Pöbelmythus, ist mir in der Seele zuwider und verächtlich; ders. 1937 Nachtr. (W. XIII 480) Antisemitismus ist ein Zubehör und Losungswort aller trüben, wirren und mit viel Bestialität vermischten Massenmenschlichkeit und Masssenmystik von heute; Dtsch. AZ. 9.5.1944 Die Juden verlangten, die polnische Exilregierung solle die Beschuldigung, sie dulde den Antisemitismus in den Reihen ihrer Truppen, ernst nehmen und sofort strenge Maßregeln ergreifen; Th. Mann 1945 Nachtr. (W. XIII 514) man sollte glauben, daß nach dem schmählichen Zusammenbruch des europäischen Faschismus das Hauptmittel seiner demagogischen Propaganda, nämlich der Antisemitismus, bei aller Welt in Verruf geraten und als Denkungsweise unmöglich gewesen sein müßte; Boden 1948 Sinn 151 Der Antisemitismus ist das letzte tragische Produkt der typologischen Weltanschauung; Bergsträsser 1952 Gesch. 212 der Antisemitismus . ., der rassemässig aufgefasst würde; Süddtsch. Ztg. 3.6.1957 „Wir dürfen niemals zulassen, daß das deutsche Volk noch einmal in das Primitive des Antisemitismusses absinkt."; Stuttgarter Ztg. 2.11.1959 Kompromißloser Kampf gegen den Antisemitismus (Überschr.); Glaser 1964 Spießer 170 Im Dunkel wirrer Mythen und rassischer Hintertreppenromantik wurde das Fundament eines bestialischen Antisemitismus gelegt, auf den der Nationalsozialismus dann seinen festesten weltanschaulichen Pfeiler stützen konnte; ebd. 172 Der Mitläufer-Antisemitismus war in der Ausführung häufig brutaler, in der Konzeption jedoch naiver als der Rassenhaß der „Weichensteller"; Welt 18.1.1974 angesichts der schwierigen Bemühungen um einen gerechten Frieden im Nahen Osten sollten wir alles tun, um allen Ansätzen eines neuen Antisemitismus, aber auch einer antiarabischen Einstellung in unserem Lande entgegenzutreten; Zeit 25.1.1985 die Neigung vieler Juden, das vom Haß verzeichnete Judenbild der Nichtjuden als richtiges Bild zu übernehmen, ist ein Phänomen, das die Antisemitismusforschung schon seit längerem beschäftigt; ebd. 8.2.1985 wir müssen festhalten, daß es der Rassenhaß, dieser Antisemitismus war, der Auschwitz schließlich möglich gemacht hat und in gar keinem Fall, in gar keinem Fall der Pazifismus!; ebd. 8.11.1985 die Angst der Juden vor Ächtung und Pogromen, in Jahrhunderten gewachsen, ist

insofern ähnlich wie der Antisemitismus, als beide auf Emotionen beruhen, die im Reich des Irrationalen verwurzelt sind; MM 15.2.1986 der Massenmord an Juden, Zigeunern und anderen, die von den Nazis zu „Untermenschen" erklärt wurden, hat nach dem Krieg zwar eine nachhaltige Betroffenheit bei den allermeisten Deutschen ausgelöst, aber den Antisemitismus und rassistisches Denken nicht zum Verschwinden gebracht; Zeit 28. 2.1986 er halte, so Fried, die Folgen von Springers berühmten Philosemitismus gar nicht immer für segensreich, „aber zu behaupten, sein Philosemitismus, seine Spenden für Israel usw. seien eine Spielart von Antisemitismus, das wäre einfach gewissenlose Verleumdung eines Menschen, mit dem man nicht übereinstimmt"; ebd. 3.10.1986, Lit. beil. der moderne linke Antizionismus und Antisemitismus ist für ihn die jüngste Erscheinung einer langen antisemitischen Tradition im europäischen Sozialismus; ebd. 3.4.1987 andererseits kann wohl auch dem Antisemitismus nicht mit einem Philosemitismus begegnet werden, der einseitiges Wohlverhalten propagiert und an die Stelle der intellektuellen Auseinandersetzung die christlich wohlmeinende, verbrüdernde Beschwichtigung setzt; MM 14. 7.1987 vor dem Hintergrund des aufflammenden Antisemitismus in Osterreich hat die Jüdische Gemeinde Österreichs in einer Fünf-Punkte-Entschließung Gegenmaßnahmen gefordert; Spiegel 7.12.1992 Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Autoritätsglaube — die jungen Rechten brüllen heraus, was viele Politiker, Eltern, Lehrer sich nur zu flüstern trauen; Süddtsch. Ztg. 12.1 13.12.1992 Und doch ist dies auch die Geschichte eines Neuanfangs, eines bisher recht erfolgreichen Versuchs, wie sich die Juden von Berlin gerade an diesem Ort und gerade in einer Zeit, in der Rechtsradikalismus und Antisemitismus aufflammen, wieder ein Stück jüdischer Kultur, jüdischen Lebens aufbauen wollen; Spiegel 30.8.1993 es ist ja nicht so, daß der Antisemitismus mit der Gründung des Judenstaates verschwunden wäre. Der jüdische Staat wird von der arabischen und moslemischen Umwelt so stark abgelehnt wie einst die Juden in der Diaspora. Antisemit: Mommsen 1880 Reden u. Aufs. 411 Neben dem . . sogenannten Kulturkampf, und dem neuerdings entfachten Bürgerkrieg des Geldbeutels tritt nun als drittes ins Leben die Mißgeburt des nationalen Gefühls, der Feldzug der Antisemiten; Nietzsche 1884-88 W. IX 260 Selbst bei den Antisemiten ist es immer das gleiche Kunststück: den Gegner mit moralischen Verwerfungsurtheilen heimzusuchen und sich die Rolle der strafenden Gerechtigkeit vorzubehalten; ders. 1885-86 W. VIII 220 Daß die Juden, wenn sie wollten — oder

Antisemitismus wenn man sie dazu zwänge, wie es die Antisemiten zu wollen scheinen —, jetzt schon das Übergewicht, ja ganz wörtlich die Herrschaft über Europa haben könnten, steht fest; Jowiris 1888 Studententeuffel 90 Zu allem Unglücke ist nu Luther selbs eyn grimmer, wüthiger, ja schier feuerspeiender Antisemit gewest; Harden 1892 Apostata N. F. 158 Jeder Angriff auf die Wolff und Leipziger und Sommerfeld . . treibt neues Wasser auf die Mühlen der Antisemiten und eine Judenhetze wollen wir doch nicht heraufbeschwören; Rosegger 1889 Briefw. 72 Ich hatte in letzter Zeit mehrmals Gelegenheit, in Wien den antisemitischen Pöbelhaufen zu beobachten. Leute, die heute von den Antisemitenführern als Musterchristen und Musterdeutsche gepriesen werden; ders. 1894 Briefw. 175 Die Antisemiten haben sich ins Fäustchen gelacht, daß mich die Juden angefallen sind; Auernheimer 1923 Kapital 41 Auf der anderen Seite aber waren dem jungen Herrn, der als Judenstämmling Antisemit war, bei der Kriegsverkehrsanstalt zuviel Juden; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 950) Der Mann war Judengegner, Antisemit, war es grundsätzlich und sportmäßig, mit freudiger Versessenheit, — die aufgelesene Verneinung war Stolz und Inhalt seines Lebens; Süskind 1930 Jugend 110 Fleming, der Frank in einem Antisemitenknäuel fuchtelnd untergraben sah, warf sich mit einem Rest von Strategie dorthin; feuchtwanger 1930 Erfolg II 103 Balthasar Hierl brütete tiefsinnig, ob einer schon ein Antisemit sei, wenn ihm ein sauberes Christenmadel wie die Resi lieber sei als ein alter Galizier; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. 1X261) tiefer darin steckt das nordstämmige Heidentum, das ihn natürlich auch ein bißchen zum Antisemiten macht — nicht bewußt und grundsätzlich .. —, aber regungsweise und instinktiv; v. 'Wahlendorf 1936 Erinn. 34 Dieser lächerlichen, von den Antisemiten und Alldeutschen natürlich propagandistisch verstärkten Abneigung gegen den Kaufmannsstand . . war der geistige Widerstand meines Bruders nicht gewachsen; Th. Mann 1937 Nachtr. (W. XIII 484) der goethisch erzogene, der kulturell gerichtete Deutsche, für den nach dem Wort seines Meisters „nur Kultur oder Barbarei Fragen von Bedeutung sind", kann nicht Antisemit sein, er muß es sich versagen, an dieser niedrigen Volksbelustigung im Geringsten teilzunehmen; Curtius 1950 Welt 125 Antisemitentum war mir damals gänzlich fremd; Süddtsch. Ztg. 31.1.1959 Es muß einmal klar und offen gesagt werden, daß die Antisemiten, die sich 1945 in ihrer angeborenen Feigheit von der Bildfläche zurückzogen, allmählich wieder auftauchen; Böll 1963 Clown 227 natürlich erzählte Herbert jedem, den er kennenlernte, daß er Nazi und Antisemit gewesen sei, daß die „Geschichte ihm aber die Augen geöffnet habe"; Zeit 8. 2.1985 und doch

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war das geistige Milieu hier judenfreundlicher als in London oder Paris, wo der Antisemit Voltaire die Juden mit seinen Haßtiraden überzog; ebd. 8.11.1985 und Antisemit, das vergessen viele, ist nicht nur der Nazi, der die Juden vergasen will; ebd. Antisemiten sind im bösesten Fall eine Bedrohung für Leib und Leben von Juden; Antisemitismus, auch im besten Fall, verunstaltet das Gesicht der Demokratie; ebd. 3.4.1987 für die Antisemiten standen alle Juden noch unter den am meisten Verachteten; Spiegel 30.11.1992 Wehe, wenn wir Schriftsteller hier schönen würden; . . Antisemiten bleiben unbeeindruckt von jüdischem Verhalten, und Philosemiten könnten wir ohnehin nicht zufriedenstellen; ebd. 13.9.1993 Diktator und Militarist ist er den einen, letzter Ritter und Patriot den anderen, bekennender Antisemit und Juden-Wohltäter zugleich. Antisemiterei: Nietzsche 1886 W. VII 218 Ich bin noch keinem Deutschen begegnet, der den Juden gewogen wäre; . . so unbedingt auch die Ablehnung der eigentlichen Antisemiterei von Seiten aller Vorsichtigen und Politischen sein mag (LADENDORF).

antisemitisch: Rotteck/Welcker 1865 Staatslex. XIII 328 das Königtum unter den Juden [ist eine] antisemitische Geburt (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); 1881 Monatsschr. (Nathusius) V 55 Gedanken einer antisemitischen Bewegung; Nietzsche 1883 Br. a. Gast 129 er behandelte unverhohlen seine antisemitische Agitation als eine weit wichtigere Angelegenheit als die Verbreitung meiner Gedanken; ders. 1884-88 W. IX 70 Man erinnert mich daran, daß es heute auch einen unbescheidnen Protestantismus giebt, den der Hofprediger und antisemitischen Spekulanten; Lehnhardt 1884 Die Antisemitische Bewegung in Deutschland, besonders in Berlin, nach Voraussetzungen, Wesen, Berechtigung und Folgen dargelegt (Titel) (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); 1884 Grenzboten I 39 Grund und Keim der antisemitischen Bewegung war die Zeit der Gründer und Schwindler mit dem Krach von 1873; Nietzsche 1885-86 W. VIII 220 es [wäre] vielleicht nützlich und billig . ., die antisemitischen Schreihälse des Landes zu verweisen; Rosegger 1885 Briefw. 47 Man hatte geglaubt, das Blatt würde nicht bloß antisemitisch schreiben, sondern auch antisemitisch sein; ders. 1889 Briefw. 71 Ich nahm mir oft vor, kein antisemitisches Blatt mehr zu lesen, aber ich sehe in diesen die neue Weltrichtung, die Zukunft; Kufahl/Schmied-K. 1896 Duellbuch 125 Im Jahre 1882 schoß sich der, durch seine antisemitischen Reden im ungarischen Abgeordnetenhause

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bekannt gewordene Istoczy mit seinem Antipoden Mor. Wahrmann; Kraus 1899 (Fackel XI 6) Insoferne es aber Juden gibt, welche gewisse accidentelle Eigenschaften ihres Lebenskreises, die sie selbst als culturhindernde Elemente abgestreift haben, klar erkennen und tadeln, kann man bisweilen von jüdischen Antisemiten und antisemitischen Juden hören; Platz 1922 Kämpfe 90 Die Dreyfushändel fachten den antisemitischen Rassenhaß zu heller Glut an; Frankf. Ztg. 13.4.1926 Eine von ihnen [Zeitung] erscheint in Peking und hat den Charakter eines Gemeindeblättchens mit antisemitisch-skandalchronistischer Beilage; ebd. 25.10. 1927 An sämtlichen hiesigen Hochschulen . . kam es zu unerhörten Skandalen, wie sie selbst in den bewegtesten Tagen antisemitischer Hetze nicht vorgekommen sind; Th. Mann 1937 Nachtr. (W. XIII 481) ich bekenne damit die tiefe Abneigung, die ich von jeher gegen den antisemitischen Dünkel empfunden habe; Münch. N. N. 13.11. 1938 Das deutsche Volk ist ein antisemitisches Volk; ebd. 14.7.1940 Vorbereitung antisemitischer Gesetze (Überschr.); Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 227) er ließ sich viel einladen, aß da und dort zu Mittag in Leipziger Häusern, auch in reichen jüdischen, obgleich man antisemitische Äußerungen von ihm hören konnte; ND 11.9. 1949 schon erhebt die antisemitische Bestie in Westdeutschland wieder ihr Haupt; Süddtsch. Ztg. 24.7.1956 Der Verlag versendet . . in großen Mengen antisemitische Flugblätter; Welt 28.12. 1959 eine Zeitlang konnte man, wenn antisemitische Ausschreitungen gemeldet wurden, beschwichtigend sagen, daß gewisse Anschauungen nur allmählich aussterben und daß es im übrigen nur eine verschwindend kleine Minderheit sei, die solche Ausschreitungen begehe oder billige; ebd. sie hatten die Synagoge mit Hakenkreuzen und einer antisemitischen Parole verunstaltet und das Widerstandsdenkmal mit Lack beschmiert; FAZ 14.1.1966 daß die Streichung des Paragraphen über verfassungsfeindliche Propaganda zugleich zum Wiederaufleben neonazisti-

schen und antisemitischen Schrifttums führen . . könne; Norden 1973 Herrscher 217 Nach der „Kristallnacht" im November 1938 profitierte er von den antisemitischen Pogromen und „arisierte" ein bedeutendes Münchner Bankhaus; MM 21.1.1985 Ulrich Schwab wurde schließlich entlassen, weil er sich für das als antisemitisch kritisierte Stück einsetzte; Zeit 29.3. 1985, Lit.beil. völkisch-antisemitische Anwandlungen; ebd. 5.4.1985 auf dem großen Trauerkommers der deutschen Studentenschaften zur Feier von Richard Wagners Todestag 1883 löst sein Kneip-Bruder Hermann Bahr mit seinem vehementen großdeutsch-antisemitischen Glaubensbekenntnis antisemitische Demonstrationen aus; ebd. 8.11.1985 die Folgen sind doch klar: die Antisemiten werden antisemitischer, und die wenigen Juden, die in dieses Land zurückgekehrt oder aus dem Osten hierher geflüchtet sind, fragen sich besorgt, ob es wohl „bald wieder soweit ist"; MM 15.2.1986 1951 gab Bundeskanzler Adenauer im Bundestag die Absicht der Bundesregierung bekannt, „die Kreise, die noch immer antisemitische Hetze betreiben, durch unnachsichtige Strafverfolgung zu bekämpfen"; Zeit 3.4.1987 gegen das antisemitische Gift waren selbst organisierte und klassenbewußte Arbeiter nicht immun; ebd. 5.6.1987 Schmierereien in U-Bahnen und S-Bahnen in Form antisemitischer, antiausländischer Hetzparolen sind unzählbar; Spiegel 30.11.1992 Zum zweiten Mal in nur einer Woche schändeten in Stockholm vorigen Mittwoch antisemitische Täter einen Friedhof der Jüdischen Gemeinde; Süddtsch. Ztg. 17.6.1993 In Deutschland hätten antisemitische Zwischenfälle im Vergleich zu 1991 um rund 20 Prozent zugenommen. Antisemitist: Zeit 8.5.1987 ganze sieben Prozent der Österreicher sind echte Antisemitisten . . hingegen stehen zwischen zwanzig und dreißig Prozent der Österreicher ihren jüdischen Mitbürgern mit deutlicher Sympathie gegenüber.

Antithese F. (-; -n), im frühen 16. Jh. über (m)lat. antithesis entlehnt aus griech. 'Gegenüberstehen; Gegenüberstellen von Behauptungen; Gegenbehauptung; Umstellung eines Buchstabens' (aus - 'entgegen' (—»· Anti-, anti-) und § , —> These), bis ins 19. Jh. häufig, im 20. Jh. selten in der lat./griech. (flekt.) Form, seit Mitte 18. Jh. auch in der heutigen Form. a Zunächst fachspr. in Philosophie und Wissenschaft (z. B. Theologie, Logik) in der Bed. 'einer These gegenübergestellte, entgegengesetzte Behauptung, Gegensatz, Gegenthese' (s. Belege 1539, 1794), bes. seit Kant, Fichte und vor allem Hegel in der dialektischen Argumentation oft im Zusammenhang mit —» These und ·—> Synthese (s. Belege 1794, 1821, 1938, 1947); seit späterem 18. Jh. (s. Beleg 1768) allge-

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meiner gebraucht in der Bed. 'Gegensatz, Kontrast, Diskrepanz' (s. Belege 1811, 1914). Dazu die im 17. Jh. (HECHTENBERG) vereinzelt gebuchte, im spätem 18. Jh. belegte, erst seit frühem 20. Jh. häufiger nachgewiesene subst. Ableitung Antithetik F. (-; ohne PL) in der Bed. 'Entgegenstellung(s weise), Gegenüberstellung von Sätzen und Gegensätzen' (—»· Antinomie), bes. auch als Terminus der Philosophie zur Bezeichnung der Lehre von den Widersprüchen und ihren Ursachen, z. B. Hegels Untersuchungen über den anscheinenden Widerspruch der Vernunft mit sich; dazu im 18. Jh. die Gelegenheitsbildung antithesieren 'gegenüber stellen'. b Seit früherem 18. Jh. als Terminus der Rhetorik und Stilkunde in der Bed. 'Gegenüberstellung gegensätzlicher Gedanken' (s. Belege 1787, 1898), auch 'Zusammenstellung entgegengesetzter Begriffe und Urteile, Nebeneinanderstellung zweier an sich verschiedener, aber doch ähnlicher Gegenstände' (z. B. Tag und Nacht, Feuer und Wasser); dafür seit früherem 18. Jh. auch der nur gebuchte Terminus Antitheton N. (-s; Antitheta) (< gleichbed. lat. antitheton < griech. 3 , Part. Perf. von 'entgegensetzen'). Dazu seit spätem 18. Jh. die adj. Ableitung antithetisch (Steigerung ungebr.) (< gleichbed. spätlat. antitheticus, griech. 3 $ 'gegensätzlich') in der Bed. 'entgegengesetzt, gegensätzlich, Gegensätze enthaltend', z. B. antithetische Struktur einer Aussage, die Begriffe verhalten sich antithetisch (zu a und b). Dazu im 20. Jh. die seltene Personenbezeichnung Antithetiker M. (-s; -) in der Bed. 'jmd., der Gegenthesen aufstellt, Vertreter der Lehre von den Widersprüchen und ihren Ursachen' (zu a), auch 'jmd., der die Redefigur des Antithetons verwendet' (zu b). Antithese a: Zwingti 1527 S. W. V 949 Nun warend sy zwar lyplich drinn; so musz er nit lyplich noch nach menschlicher natur drinn sin; dann es ist ein antithesis; Witzel 1534 Koch B 2b Nu ynn disem vers/ den Koch hoch wider die Kyrche anzeucht/ ist ein antithesis/ welche die vnbeschnittene Heiden trifft; Franck 1539 Arch. 87b Luce xvj. werden die kinder des Hechts per antithesim zu den kindern diser weit vergleicht; ebd. 137b Zu aller ersten erwig das v. cap. zun Römern/ da Paulus die zwen Adam gegen einander per Antithesim stelt/ das/ was vns durch den ersten sey abgangen/ durch den ändern mit gewinn sey zugangen; ders. 1550 Krieg-Buchlin 176 Also das vom alten in das new Testament kein consequentz/ sonder vil mehr daz widerspil ein Antithesis volgt; Nas 1570 Das ander Hundert 15 v. das aber solliches ausz vorgehenden Antithesibus leichtlich erlogen scheinet; Nigrinus 1587 Schlüssel Büchlein 20b Wie ich in der Antithesi jhre wort und art angezogen; Tttz 1642 Hochdtsch. Verse Sa antithese; Vischer 1709 Informator 19 Sondern da überhäuffet man erstlich den Verstand mit Conceptibus sacris; [man] lernt dem Worte nach Thesin, Antithesin und disputiren, und verspart die Widergeburt fein weit hinaus; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 4) Die blendende Antithese des griechischen Voltaire, daß

die Mahlerey eine stumme Poesie, und die Poesie eine redende Mahlerey sey, stand wohl in keinem Lehrbuche; Goethe 1768 Br. (WA IV 1,161) eine Stadt die zusehr Antithese von Leipzig ist um viel Annehmlichkeit für ihn zu haben; Hamann 1772 S. W. //] 43 der sein Thema in zwey Teile zerlegte, davon jeder eine Antithese in sich hielt; Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. I 3,465) Man bemerkt unter den Behauptungen der Antithesis, eine vollkommene Gleichförmigkeit der Denkungsart und völlige Einheit der Maxime; Adelung 1787 Styl l 488 Ich würde sie im Deutschen den Gegensatz nennen, wenn nicht dieser Nähme für die Antithese schicklicher wäre; Fichte 1794 Grundlage 35 Keine Antithesis ist möglich ohne eine Synthesis; . . in der bloßen Antithesis wird davon abstrahirt, daß sie erst durch eine solche Handlung gleichgesetzt worden; Jean Paul 1799 S. W. l 8,184 Froulay und Bouverot, . . die einander ganz tolerant Theses und Antitheses vortrugen; Görres 1804 Ges. Sehr. Ill 24 Im Endlichen wird die Antithesis wiederkehren, die im Überschwenglichen zuerst begann; Schiller vor 1805 Br. l 98 Weil alle Natur nur Synthesis und alle Philosophie Antithesis ist (KEHREIN); Goethe 1811 Farbenlehre Nachtr. (WA II 5.1,383) homo dexter et sinister . . Sollten in ändern Sinnen nicht ähnliche Er-

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scheinungen vorkommen? Für alle andere Sinne . . wird es . . schwerer, die Antithese rein aufzufinden; Steffens 1821 Caricaturen II357 das reine Setzen, die Thesis . . das Entgegensetzen, die Antithesis . . das Gleichsetzen, die Synthesis; Krause 1828 System d. Philosophie 269 Es ist also offenbar, daß die Wahrheit dieses Gesetzes auf der Grundwesenheit der Gegenheit und Anderheit, auf der Antithesis, beruht; Mahler I860 Milit. Bilderbuch 153 Ich faßte das Rößlein näher in's Auge, und worin bestand es? . . es war der condensirte Gedanke eines hectischen Philosophen, mit Hypothesen gezäumt und mit Antithesen und anderen Thesen gesattelt; Westhoff 1865 Stoff 331 Die Gegensätze sind aber auch zwei, mit der Grund-Thesis drei; nicht etwa stehen sich im Gedanken bios Thesis und Antithesis als Dualität gegenüber; Ludwig 1891 Ges. Sehr. V 378 mit eiskalten prosaischen Antithesen hat Corneille seine Figuren das schildern lassen, was der Zuschauer als in ihnen vorgehend sich denken sollte; Holz 1904 Br. 155 Die Schillersche Antithese von dem Sentimentalischen und Naiven; Th. Mann 1914 Nachtr. (W. XU1 530) die literarisch gern kultivierte Antithese von Künstler und Bürger ist als romantisches Erbe gekennzeichnet worden, — nicht ganz verständnisvoll, wie mir scheint; ders. 1915 Reden u. Aufs. (W. X 134) das ist eine große Antithese, die viele lebendige Gegensätze umschließt: den Gegensatz zum Beispiel von Recht und Macht, von Gedanke und Tat, Freiheit und Schicksal, Vernunft und Dämon, bürgerlicher Sittigung und heroischer Pflicht; 1916 Schwed. Stimmen 190 Thesis und Antithesis gehen in der höheren Einheit des Synthesis auf; Walther 1919 Wege dtsch. Geistes 9 Wir waren und sind leider noch im vollsten Stadium der Antithese und hätten noch ein Menschenalter oder zwei gebraucht, bis daraus von selbst die Synthese . . geworden wäre; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 135) und dem Format, dem Wesen nach, als Verkörperung großen Deutschtums, gehört wahrhaftig Goethe mehr mit Luther zusammen als mit dem Humanisten, — auch mit Bismarck gehört er ja, in dieser Eigenschaft, weit näher zusammen, als eine namentlich im Auslande beliebte Antithese es wahrhaben will; Bauch 1923 Wahrheit 56 Nun ergibt sich aber gerade aus der Unabhängigkeit der Wahrheit von den Gedanken der Ansatz der Antithesis; Harnack 1923 Erforschtes 332 In Thesis und Antithesis stehen sich die Urapostel und Paulus, der das freie griechische Christentum begründet, gegenüber; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Hl 348) wie sehr ich es verabscheue, irgendein verdächtiges Mondscheingespinst und -gespenst, das man die Seele nennt, gegen den Leib ausgespielt zu sehen, — innerhalb der Antithese von Körper und Geist bedeutet der Körper das böse, das teuflische Prinzip,

denn der Körper ist Natur, und die Natur — innerhalb ihres Gegensatzes zum Geiste, zur Vernunft, ich wiederhole das!; 1924 Kunstwissenschaft 55 Antithese des christlich-mittelalterlich Asketischen; Breysig 1926 Werden II 131 die von Hegel so oft und an so entscheidenden Stellen seiner Gedankenzusammenhänge angewandte Denkformen der Setzung, Gegensetzung, Zusammensetzung — Thesis, Antithesis, Synthesis — . .; Wildgans 1927 Br. 535 Dichter und Literat — diese Antithese in ihrer Abgründigkeit einmal klipp und klar ausgesprochen zu haben, das würde .. allein schon den Dichter beweisen; Barthel 1928 Welt 71 Der moderne Mensch stellt in seinem bewußt prononzierten Intellektualismus die Antithesis gegenüber der „Sentimentalität" des romantischen, klassischen und vorklasssischen Zeitalters dar; 1930 Handb. d. Frankreichkunde H 325 Corneilles antithesen- und akzentstarke Plaidoyerform; Koch 1938 Geist 227 Hegel versucht . . auf dialektischem Wege, indem er über Thesis und Antithesis zur Synthesis fortschreitet [die Lebenswirklichkeit in eins zusammenzuzwingen]; Müneh. N.N. 20.12.1943 Noch vor wenigen Jahren wurde mit den Fingern auf die These und Antithese hingewiesen, die in dem unhaltbar gewordenen Neben- und Auseinanderleben Danzigs und Gdingens . . lagen; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1133) auch erkenne ich den Gegensatz von Volkskraft und Gesittung, die Antithese von Luther und dem feinen Pedanten Erasmus gar nicht als notwendig an; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 288) denn zu Häupten Deutschlands, zu Häupten des deutschen Zivilisationsliteraten wenigstens, steht die Antithese, die wir, wenn ich nicht irre, schon früher als die oberste und General-Antithese dieses zugespitzten und leidenschaftlich geistreichen Geistes kennzeichneten: die Antithese von Geist und Macht; Selbmann 1947 Wahrheit 89 In all diesen kosmologischen Fragen sind also zwei gänzlich verschiedene Meinungen möglich, die sich in These und Antithese gegenüberstehen; ebd. 131 Nach ihm [Hegel] schlägt jeder Begriff, in dem zugleich ein Seiendes gegeben ist, als Thesis notwendig in seinen Gegensatz, die Antithesis, um, und aus der Aufhebung dieses Gegensatzes geht ein neuer Begriff, die Synthesis, hervor; Rosenstock-Huessy 1955 Mensch (Übers.) 106 These und Antithese haben außerhalb der schließlichen Synthese keine Bedeutung; Jaspers 1958 Atombombe 193 es ist heute in aller Welt viel die Rede von einer Neutralität, die sich nicht hineinziehen lassen solle in die Antithese von Freiheit und Totalitarismus als die Antithese von Amerika und Rußland; Bollnow 1962 Mass 72 in betonter Antithese wird also dem einen Begriff des Menschlichen im unmittelbar darauf folgenden Vers ein neuer, vertiefter Begriff gegenübergestellt;

Antithese Heuss 1963 Erinn. 70 das, was zwölf Jahre später Max Weber in der Antithese von „Gesinnungsethik" und „Verantwortungsethik" . . formuliert hat; ebd. 350 bestimmte künstlerische und literarische Erscheinungen etwa, die um der Antithese willen zum „Impressionismus" und zum programmatischen „Naturalismus" sich das Deckwort „Expressionismus" zulegten, reichen in den Anfängen in die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg; Kraft 1965 Menschen 326 Ein junger Mann setzte mit sanfter Miene Norberts scharfen Worten die Antithese entgegen; Staiger 1966 Grundbegriffe 28 bei Schiller dagegen ist der Abstand besonders groß, was der schroffen Antithese einer in allem Wandel identischen Person und eines wandelbaren Zustande in seiner Ästhetik entspricht; Hocke 1976 Tagebücher 99 Außerdem aber kann man dieses Wissen und Erleben des Scheiterns durch eine nicht zur Synthese gelangende Ich-These und Welt-Antithese auch als eine spezifische Form späteuropäischer Mystik ansehen; Zeit 25.1.1985 der Strafprozeß . . solle ein dialektischer Prozeß sein: These (Anklage), Antithese (Verteidigung), Synthese (Urteil); ebd. 29. 3.1985 die Antithese, Kritik an der Kirche, ist am Abend des Karfreitags hart und oft schonungslos . .; die These, Plädoyer für ein christliches Engagement, immer differenziert, die Schwierigkeiten eines Christenlebens bedenkend; ebd. 5.7.1985 die beiden Götterstatuetten sind ins 5. Jahrhundert v. Chr. zu datieren, das Jahrhundert der griechischen Klassik, und sie bilden gleichsam die etruskische Antithese zur griechischen Idee des Klassischen; ebd. 4.10.1985 es ist eine merkwürdige List der kapitalistischen Wirtschaftsweise, daß schließlich sie selbst es ist, die der Antithese zur Ausbeutung — also der Reform — zum Durchbruch verhilft; Burger 1987 Eremiten 21 das Triangel von These, Antithese und Synthese; MM 8.3.1988 menschenfreundlich, das heißt bei ihm: mit seiner imponierenden Gelehrsamkeit nicht einschüchtern, sondern unter Verwendung aller Formen der Redekunst, elegant von These zu Antithese springend, Zuhörer und Leser zu eigenem Nachdenken und sprachmächtiger Artikulierung anregen; Spiegel 28.6.1993 Schon rein äußerlich ist der in Berlin geborene Michael Spindler, 50, die Sculley-Antithese; breitschultrig, pausbäckig und mit dickem schwarzem Haar. antithesieren: 1798 Athenäum l 217 Hat man nicht bey Untersuchung der ältesten griechischen Mythologie viel zu wenig Rücksicht auf den Instinkt des menschlichen Geistes zu parallelisiren und zu antithesiren genommen? Antithetik: Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. I 3,421) Die Antithetik beschäftigt sich also gar nicht mit einseitigen Behauptungen, son-

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dern betrachtet allgemeine Erkenntnisse der Vernunft nur nach dem Widerstreite derselben unter einander; ebd. 740 Es ist etwas Bekümmerndes und Niederschlagendes: daß es überhaupt eine Antithetik der reinen Vernunft geben soll; Herder 1799 Vernunft (S. W. XXI 223) Thetik und Antithetik der reinen Vernunft; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 61) die Antithetik, sagen Sie, in Ehren, aber auch gegeneinander darf man nicht stellen, was verschiedenen Größenordnungen angehört; Buber 1923 Ich u. du 106 Beide Erklärungen gehören als Wahrheit zusammen: wer das Seiende als Gegenstand einer Aussage behandelt, zieht es in die Schiedlichkeit, die Antithetik der Eswelt — in der es kein Heilsleben gibt; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. X 187) Nietzsche's Sendung, sagt er, sei es vornehmlich gewesen, „den mehr seelischen Deutschen von gestern in einen immer mehr geistigen zu wandeln, was weiterhin bewirkte, daß Kunst und Geist in eins flössen, daß die deutsche Dichtung, auf haarscharfe Antithetik, dialektische Spannung und Unerbittlichkeit bedacht, immer geistigeren Rhythmus gewann; Hartmann 1926 Ethik 274 Die Paradoxie dieser zugespitzten Antithetik gehört mit zu den Grundzügen des ethischen Phänomens; Spranger 1927 Lebensformen 447 Die Geschichte schreitet nicht im dialektischen Dreitakt fort, sondern sie bewegt sich in einer Wertantithetik; 1930 Handb. d. Frankreichkunde U 198 Den Rest ließen sie draußen und stellten ihn dieser Welt als eine zweite Welt gegenüber, in einem Dualismus, der oft keinerlei Brücken zuläßt. Dieser Antithetik des französischen Geistes wenden wir uns nunmehr zu; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 866) aber nur, weil es schön und seelenvoll ist, ist es vielleicht nicht jederzeit erlaubt, und vielleicht ist es nicht gut, das deutsche Gemüt in solcher Antithetik vom philosophischen Katheder her zu bestärken; 1930 Berichte d. Dtsch. Hochschule f. Politik VIII l eine überaus fein durchdachte Antithetik deutschen und französischen öffentlichen Lebens; Friedeil 1931 Kulturgesch. III 130 Ferdinand Christian Baur, der Schöpfer der wissenschaftlichen Dogmengeschichte, der in seinen Werken über das Christentum das Werden der katholischen Kirche als die Synthesis aus den beiden Antithesen, judaistisches Urchristentum und paulinisches Heidenchristentum, Messianismus und Universalismus darstellte; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 180) aber können wir dafür, daß sich unter unseren Offizieren keine Verräter befinden und daß die französische Staatsantithetik von Säbel und Kirche auf der einen und der Gerechtigkeit auf der anderen Seite, von Geist und Macht, Tugend-Republik und dem Salut Public der Federbüsche uns gar nichts angeht?; Heuss 1946 Bosch 81 Weitling hat ja seine Auseinandersetzungen mit

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Kirche und Christentum wesentlich auf der Ebene der Antithetik geführt; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XU 747) Erasmus und Luther, eine irreführende Antithetik; Scherke 1948 Betriebspsychologie 23 Die Voraussetzung für eine Besserung dieses höchst ungesunden seelischen Zustandes des Arbeiters, für die Wiederherstellung einer gesunden sozialen Beziehung zwischen Mensch, Arbeit und Leben ist die Auflösung jener bekannten Antithetik von der „schicksalhaften Feindschaft" von Mensch und Maschine; Hinrichs 1951 Preussen 216 Spannung, seelische Antithetik im Innern; Seidler 1953 Stilistik 229 Umspannender rhythmischer Gleichbau mit innerem Wachstum der Glieder: also Starrheit und Wachsen, Einheit und Antithetik zeigt sich an einer Stelle von Moscheroschs „Geschichten"; Treinen 1955 Studium 142 f. Zunächst fällt die Antithetik von „Vernunft (ratio)" und „Leidenschaft (affectus, vitia, cupiditates)" auf; Heuss 1963 Erinn. 251 die „Sozialisierungs-Kommission", die das in der kommenden Zeit klären sollte — es waren in ihr Mitglieder von geistigem Rang — blieb in theoretisierender Antithetik stecken, Männer, die als Parteifreunde sich seit Jahrzehnten für „Sozialisten" hielten, trennten sich in ihren Voten. Antithetiker: 1930 Handb. d. Frankreichkunde 199 Die Franzosen, von Descartes bis Bergson, sind, wie gleich genauer zu zeigen sein wird, Antithetiker oder Dualisten, das heißt, ihnen scheint sich das Weltproblem am besten zu lösen, wenn sie eine Zweiheit von ganz heterogenen Prinzipien nebeneinander denken. antithetisch: Hamann 1784 S. W. Hl 288 nach der ewigen Leyer des antithetischen Parallelismus; Novalis vor 1797 W. Ill 335 Das reale Denken muß ein Entgegensetzen in zwei materialen, entgegengesetzten Sphären sein. Thetisches — Antithetisches Entgegensetzen; 1798 Athenäum l 140 [Kallimachos] konnte wie der überströmende Philetas leidenschaftlicher, antithetischer, ja sogar gefeilter seyn, wenn er gleich an natürlicher Anmuth den Hermesianax nie erreicht haben kann; Kotzebue 1799 Esel 7 viele Lobredner beweisen die Grosse ihres Abgottes antithetisch durch die Darlegung ihrer eigenen Kleinheit; Fichte 1802 Grundlage 33 Die Handlung, da man im Verglichenen das Merkmal aufsucht, worin sie entgegengesezt sind, heißt das antithetische Verfahren; gewöhnlich das analytische, welcher Ausdruck aber weniger bequem ist . . Das synthetische Verfahren nämlich besteht darin, dass man in Entgegengesetzten dasjenige Merkmal aufsuche, worin sie gleich sind; Görres 1830 Ges. Sehr. XV 235 Das ist die antithetische kleinere Hälfte des Buches, die größere ist thetisch; ders. 1836-42 Mystik 11 216 Ist in ihr [der Krankheit] das Antithetische vorherrschend (KEHREIN); Burmeister 1851 Gesch. 512 Diese Kammern . . lie-

gen antithetisch von links u. rechts gegen einander gelegt (SANDERS 1871); Treitschke 1860 Br. U 82 Manche antithetische Wendung, die Ihnen vielleicht überflüssig scheint, ist nur eine Replik gegen Hebbel oder Einen seiner Anbeter; Frantz 1862 Kritik 256 während alle Parteiprincipien antithetisch sind; Ritschi 1870 Rechtfertigung l 264 Er hat gerade in diesem Gedanken Ursinus zum Vorgänger, der nur denselben noch nicht so antithetisch ausgedrückt hat; Weiss 1882 Leben Jesu II 25 Der innere Zusammenhang und der einheitliche Mittelpunkt dieser Gedanken, wie ihre gemeinsame antithetische Beziehung auf die Volkserwartung vom Gottesreich verbürgt uns, daß dies wirklich die ursprüngliche Gleichnißreihe war, in welcher Jesus seine Gedanken über Wesen und Entwicklung des Gottesreich darlegte; Th. Mann 1920 Reden u. Aufs. (W. XU 596) nicht, daß ihm die Lösung seines unendlichen Problems gelungen wäre oder daß es sich ihrer im entferntesten vermessen hätte — nur das Leben vermag diese Lösung und Aufhebung herbeizuführen; Sache des Gedankens konnte es nur sein, das Problem antithetisch zu begreifen und in allen seinen Beziehungen mit Kraft zu durchdringen; Brunner 1932 Gebot 553 Das Beweisverfahren der Skeptiker ist bei den alten wie bei den neuen Skeptikern teils das antithetische, indem sie zu jeder vorgebrachten Behauptung das Gegenteil als ebenso wahrscheinlich begründen, teils das psychologische; Künneth 1935 Antwort 181 Machen wir nochmals zusammenfassend antithetisch deutlich, worum es geht; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 115) sie sind imstande, antithetische Denk- und Daseinsprinzipien in großen Persönlichkeiten kühn herauszustellen; 1960 Studium Berolinense 71 Das „ohne mich" ist einfach eine verständliche psychologische Resonanz auf antithetische Gesetzesmacherei; 1966 Sonntag XLV 6a Der Hegeische Zug zur Versöhnung . . gewinnt an Bedeutung, wobei unter Versöhnung kein fauler Kompromiß zu verstehen ist, sondern die Synthese zweier antithetischer Meinungen; Flechtheirn 1970 Futurologie o. S. auch antithetische Prognosen und Projektionen haben ihren Wert — sie können zur Klarlegung von Problemen und Krisen beitragen und sogar teilweise richtig sein; Walther 1973 Schmetterlinge 76 Im Feuilleton als Genre der Kurzprosa offenbart eine bislang unbedeutend scheinende Lebensäußerung durch die poetische Sicht, die antithetische Gedankenführung und den pointierten Kommentar des betont subjektiv beurteilenden Autors kontrastreich ihre wesentliche Bedeutung für den Menschen; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 72 Blickpunkt der rechten Schmalwand ist eine gemalte Stele, in deren Giebelfeld wieder antithetisch der Grabherr opfernd mit verehrend erhobenen Händen vor Osiris steht.

antizipieren Antithese b: Philippi 1743 Reimschmiedekunst 146 es würde übel stehen, und einen auf falsche NebenGedanken verleiten, wenn man z. E. einen Bürgermeister in Versen loben, und den Anfang ab antithesi machen wolle, was ein böser, fauler, tückischer, mit Gelde bestochener Bürgermeister sey; Reiske 1761 Thukydides Reden (Übers.) Vorw. o. S. Lust, in Pointen und Antitheten [!] zu schreiben; ebd. würde ich ihn . . einen unerträglichen Antithetenkrämer [!] nennen; Batteux 1770 Künste 46 Er verschnirkelt seine Schreibart mit zierlichen Wendungen, Antithesen, Sentenzen; Sturz 1777 Sehr. H 141 man mißbraucht hohe Metafern zu gemeinen Gedanken, und scheuet sich nicht, die Geschäfte ganzer Völker in Epigrammen und Antithesen zu verhandeln; Goeze 1778 Streitschr. 52 daß er auch hier seinem Witze durchgängig den Zügel schießen lasset, daß er eine große Fertigkeit hat, Antithesen, Equivocen, Bilder und Wortspiele da anzuwenden, wo ihm die Gründe fehlen; Adelung 1787 Styl I 494 Eine Antithese entstehet, wenn verschieden lautende Nahmen entgegen stehender Begriffe in einem gemeinschaftlichen Gesichtspuncte vereiniget werden; Sulzer 1792 Theorie l Vorr. 22 Antithese . . Gegensatz; Jean Paul 1792 S. W. / 2,122 Daher beklatschten die Athener keine Redner mehr als die Antithesen-Drechsler und die Römer die Wortspieler; Fülleborn 1802 Rhetorik 65 Die Antithese oder der Gegensatz; Görres 1831 Ges. Sehr. XV 375 in jener kleinen Flugschrift, in der er sich selbstgefällig zwischen brillanten Antithesen und geistreich aufzischenden Schwärmern auf dem Seile schwingt; Gutzkow 1851 Ritter VI 116 Gewisse Schlagworte, gewisse Antithesen brachte er so wohlangelegt vor, dass sie ihm stürmische Unterbrechungen seiner Rede zu Wege brachten; Goltz 1869 Weltklugheit H 23 In mehr heutigen Formen, Schablonen, Wendungen, Redensarten, Witzworten, Antithesen; Keller 1878— 80 Ges. W. IV 191 Er suchte einen rechten Höllenzwang auszuüben mit idealen und humoristischen Redensarten und baute seine Scheiterhaufen aus Antithesen, hinkenden Gleichnissen und gewaltsa-

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men Witzen; Stieler 1886 Krieg 162 auch die Weltgeschichte, die in Thaten spricht, liebt die Redeform der Antithese, und eine der schroffsten Antithesen lautet: Die Deutschen in Versailles; Bruns 1896 Porträt 127 jener eigentümlichen Antithesen, die Isokrates als besonders geeignet. . gewählt hat; Fontäne 1898 Zwanzig 415 Er hatte keinen abgerundeten und kunstvoll aufgeführten Satzbau, keine Bildersprache, keine geistreichen Vergleiche, keine Antithese, keinen Fluß der Rede, kein donnerndes Organ, nicht einmal gefällige Handbewegungen; 1969 Grundwissen Dtsch. Lit. Verzeichnis 14 Antithese: Stilmittel zur Betonung der Gegensätzlichkeit zweier Tatbestände, die in Wortwahl oder Satzbau besonders aufeinander bezogen werden. Antithetiker: Haecker 1927 Christentum 11 Von Tertullian, dem sprachgewaltigsten Antithetiker der Welt. antithetisch: Bürger 1793 S. W. III 94 Will man also das antithetische Wechselspiel in Gedankenund Wortstellung dem Originale so nahe gebracht sehen, daß in dieser Rücksicht fast nichts zu wünschen übrig bleibt, so wird man . . z. B. auf Tonwechsel, auf höhere Sonorität der Reime u.s.w. Verzicht tun; 1905 (Schaubühne l 67) Erstens sehe man, wie am dramatischen Urstil, an Shakespeares messerscharfer Antithesen-Sprache, sich die Wortkunst der Sturm- und Drang-Zeit entzündet — . . und man sehe, wie einer ähnlichen Ehe zwischen Shakespeares antithetischem Stil und dem großen ändern, aus Hellas entsproßnen Sprachgeschmack Schiller und Kleist entstammen; Brzoska 1931 Auffassung 38 Die Freude an antithetischer Formulierung, die uns bereits bei den Römern begegnet und seit den Tagen der Renaissance mehrere Jahrhunderte hindurch alle westeuropäischen Literaturen durchzieht; Zeit 10.5.1985 in antithetisch zugespitzten Versen läßt er seine Argumente aufmarschieren.

antizipieren V. trans., Anfang 15. Jh. entlehnt aus lat. anticipare Vorher nehmen, vor der Zeit nehmen, früher nehmen' (aus ante 'vor' und capere 'fassen, nehmen'), bis ins 19. Jh. auch in der Schreibung anticipieren und selten in der Form antecipieren. a Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'etwas (gedanklich) vorwegnehmen, voraustun, vorgreifend etwas tun, vorgreifen, vorverlegen' (s. Belege 1400, 1689, 1772), auch 'etwas im voraus empfinden, erfahren, sich aneignen' (s. Belege 1808, 1868). b Seit Mitte 16. Jh. als Terminus der Kaufmannssprache in der Bed. 'früher, vor der Zeit zahlen' (s. Belege 1616, 1692) und bes. 'vor dem Fälligkeitstermin zahlen, vorauszahlen'.

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Dazu seit frühem 16. Jh. das seltene Verbalsubst. Antizipierung (zu a und b); seit spätem 16. Jh. die (auf fielet. Form) von lat. anticipatio 'vorgefaßte Meinung, Vorbegriff von einer Sache; erste Bewegung des Körpers vor dem Gehen; Redefigur' zurückgehende subst. Ableitung Antizipation F. (-; -en), bis ins 19. Jh. auch Anticipation; zunächst in der Bed. 'Vorwegnahme eines zukünftigen Geschehens, Vorgriff, Vorausnahme', speziell auch (eventuell unter ital. Einfluß) als Terminus der Musik als Bezeichnung für die Vorwegnahme von Tönen eines folgenden Akkords (s. Beleg 1708) und der Redekunst für die Vorwegnahme eines noch unbewiesenen Satzes oder eines erst später auszuführenden Gedankens (vgl. Pro(kata)lepsis 'Vorwegnahme und Widerlegung eines erwarteten Einwandes') (zu a); seit Anfang 17. Jh. in der Wirtschaft in der Bed. 'Zahlung vor dem Fälligkeitstag; Vorauserhebung von Geld, Vorausbezug, Vorschuß', daneben auch 'Vorauszahlung gegen Verpfändung künftiger Einnahmen', z. B. in Form einer Verfügung über erst später fällig werdende Steuereinnahmen durch Ausgabe einer Art Papiergeld, der sog. Antizipations- oder Anlehensscheine, wegen Mangels an Bargeld 1811 in Österreich eingeführt (s. Belege 1811, 1815) (zu b). Dazu seit spätem 17. Jh. das latinisierende, veraltende Adv. antizipando, meist anticipando, 'im Voraus, vorgriffsweise, vorweg' (zu a), auch 'vorschußweise' (zu b), sowie das bereits seit späterem 19. Jh. (1863 bei Kaltschmidt) gebuchte, seit früherem 20. Jh. belegte Adj. antizipatorisch in der Bed. 'vorgreifend, vorwegnehmend' (zu a) und im frühen 20. Jh. die adj. Gelegenheitsableitung antizipierbar. antizipieren a: Königshofen 1400 Chronik 579 men het ouch der ersten ufgesetzeten zil keis erwartet, sunder iegliches zit ist anticipiert das ist fürgenomen, also ouch vor ist geseit; 1541 Polit. Korrespondenz l 190 so anticipire und kurze E. L. die heimfart nur scheinweis; 555 Reichskamtnergerichtsordn. 255 daß ein jeder procurator . . dieselbige [sache] . . zu anticipirn macht haben soll (FRNHD. WB); Rasch 1590 Neu Kalender B3a [die Lostage] die eemals im alten calender anticipirten, nach dem aequinoctio fahrend, denen wierd numehr im Neucalender vnuerricklich zil vnd stell gesetzt; 1609 Relation 2a wegen der Anticipirten Türckischen Verehrung/ 25. oder 30000 Thaler zu continuiren; Kepler 1613 W. IV 218 Denn der Cyclus, von welchem Epiphanius schreibt, hat nebens auch können bisweilen vmb 2 oder 3 Tag ein Volmond verfählen vnd anticipirn: welches dan geschehen im 76. Julianischen; 1614 (Aretin 1839 Bayerns auswaert. Verb. I Urkd. Bd. 20) wann aber Brandenburg sein Quardua sterkht, vnnd auf erinnern solches nicht abstellen würdt, das alßdann Ir L. ebenfahls Ir Quardia sterkhen solle, hierzu verhoffentlich die pension erkleckhlich, vnnd weil der halbe thail allererst Joannis khonnfftig verfeit, so zweiflet vnns nit, der Zuniga, da er dessen von Ir L. erinnert, werde gehrn anticipiern; 1633 Geschichtsfreund H 221 Hoffe Ich gentzlich die Herren in Erwegung das die resolution so schieinig gefasst werden müessen, vnndt die sach wegen vor

augenschwebender gfar gantz kheinen Verzug lydet, mir eß nit allein gutwillig verzychen werdent, Sondern Ich thun mich vil mehr zuo vorhabend anticipirn; Schiel 1674 Schund- u. Lasterchronik 213 vermög des allbereit beschlossenen, aber umb 8. Tag anticipirten Tractats; Tentzel 1689 Unterredungen 1243 so hat er sich doch schon die vorige Herbst-Messe eingestellet und also seine Ankunfft ein paar Monate anticipiret; Seckendorff 1691 Reden 361 [daß ich] aus des sei. Herrn Geheimen Raths bald abzulesenden Personalien ietzo nichts anticipire; Ludovici 1711 Civil-Proceß 268 Nach Sachsen-Recht darff der Appellant den zur justification der Appellation angesetzten Termin nicht anticipiren/ und wenn er es dennoch thut/ wird die Appellation vor desert erkandt; Geliert 1757 Br. (S. Sehr. VHl 138) Unser Verstand erlangt seine Reife durch Nachdenken, durch das Lesen guter Schriften, durch Versuche, durch den Umgang ..; aber er braucht auch zu seiner Reife gewisse Jahre, die wir oft durch die beste Erziehung nicht anticipiren können; Riedel 1767 Theorie 277 Die Hofnung ist eine anticipirte Zufriedenheit; Hamann 1772 Briefiv. Ill 16 Alles was mir ihr Brief sagte . . hatte meine Seele antecipirt [!]; ders. 1775 Briefw. Ill 162 und ich hätte alle Gewalt mir anzuthun nicht das morgende Dessert zu anticipiren; Garve 1775 Br. a. Weiße I 140 Wenn dieser große Reformator nur sich selbst hätte ein wenig reformiren, und die Vortheile, die er Ändern durch seine Erziehung geben

antizipieren will, anticipiren können!; Wieland 1781 Ges. Sehr. I 10,152 Sie machte diese Bemerkung mit einem Ausdruck von anticipiertem Vergnügen über den Triumf, den sie sich davon versprach, wenn ein so erklärter Feind ihres Geschlechts die Macht ihrer Reitzungen würde bekennen müssen; Müller 1781 Lindenberg 149 Kann ein anticipirter Tod die Vollkommenheit des Menschen befördern, höheres Glück und größeres Maaß der Weisheit und Erkenntniß ihm geben, so wäre jeder ein verächtliches Geschöpf, der sein Leben zu erhalten suchte; 1782 Schlettweins Archiv IV 243 die anticipirte Vertheilung, welche in der Ausbezahlung der verschiedenen Löhne besteht, ehe man noch die Früchte der Arbeiten hat; Schiller 1789 W. XXV 199 Von da mache ich den Uebergang zu der Kunst, die seine Wiege war und der Hauptgedanke des Gedichts wird flüchtig anticipirt und hingeworfen; 1790 Journal v. u. f. Deutschland / 404 wegen des anticipirten Beyschlafs der Eheleute; Hermes 1791 Literar. Märtyrer l 220 indes jede Art des Anticipirens einst Nachreu bewirken wird; Forster 1791 W. Xi 278 Anhangsweise anticipirt er aus seiner zweyten Excursion . . die Beschreibung und Abbildung der Giraffe; Cogniaczo 1794 Gestaendn. II 415 wodurch der Sieg von Leuthen . . um 14 Tage anticipirt worden wäre; Jean Paul 1799 S. W. Ill 3,147 Letzterer ist eine antizipierende Biographie meiner eignen Zukunft; Goethe 1808 Er. (WA IV 20,74) die Jugend, die das Glück hat, das Vergangene auf diese Weise [durch historisches Studium] zu ergreifen, anticipirt das Alter und bereitet sich auf ein heiteres Leben; Hufeland 1822 Kl. med. Sehr, l 237 Man hat bemerkt, dass die Impfansteckung die natürliche antizipiert; Grillparzer 1826 S. W. XX 23 Ich habe in vier Stunden 413 Nummern besehen und mich absichtlich genau nach der Ordnung der Gemälde gehalten, obschon es mich drängte, einen Blick auf den Raphael zu anticipieren; Strauss 1846 Br. 177 Nothwendigkeit, um nur das Abgehandelte verständlich zu machen, Späteres zu anticipiren; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 151 Von Anbeginn war so mein ganzer Nebsch zwischen meinem der Lebensgewohnheit treu anhangenden Herzen und meiner Einbildungskraft getheilt, die rastlos thätig war, in der Gegenwart die Zukunft zu antizipiren; Bismarck 1847-52 Polit. Reden l 70 Die ungezügelte Preßfreiheit und das Versammlungsrecht ohne Kontrolle sind anticipierte Bruchstücke eines zukünftigen Rechtszustandes; Springer 1868 Berlin 111 [Gymnasiasten vermischen ihre Rede] mit anticipirten Kraftwörtern aus der Studenten-Terminologie; Hartmann 1869 Philosophie 139 Wir haben schon in den vorigen beiden Abschnitten bisweilen nicht umhin gekonnt, den Inhalt dieses Capitels zu anticipiren; Stolz 1870 Honig VI 92

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Reue ist gleichsam . . ein anticipiertes Fegfeuer; Justi 1872 Winckelmann 2.1,89 Beide Männer waren glücklich, sich alsbald in ein Gespräch über griechische Dinge verwickelt zu sehen, dessen Wonne nur Kenner empfinden können, die gewöhnlich Niemand haben der sie versteht, und die untereinander durch Winke und halbe Worte ganze Gedankenreihen anticipiren; Kapp 1876 Aus Amerika l 296 und wenn ich vor Jahren . . auswanderte, so vollzog ich in der Tat nur, was ich im Geist schon längst antezipirt [!] hatte; Hofmannsthal 1894 Prosa I 197 . . (übrigens, im Vorbeigehen erwähnt, hat das Genie Dantes dann und wann fast die ganze Entwicklung der Renaissance antizipiert und an gewissen Stellen des „Inferno" auch noch die Inspiration Michelangelos deutlich vorgefühlt); Holz 1913 Ignorabimus 327 wenn dies schwerwiegende Resultat durch eine entsprechend ausreichend starke Selbstsuggestion im voraus gewissermaßen schon antizipiert war; Th. Mann 1925 Nachtr. (W. XHI 312) als ich vor dem Kriege, im Tod in Venedig, solche nationale Größe eines Prosaisten antizipierend beschrieb, bedeutete man mir, das sei unglaubwürdig; Jaspers 1932 Philosophie I 173 Die Erkenntnis der jeweils früheren Wirklichkeit kann daher die spätere antizipieren; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 299) obgleich die Wurzeln seiner Kultur im achtzehnten [Jahrhundert] liegen, hat er geistig und seelisch vom neunzehnten vieles miterfaßt, . . wie in seinem epischen Alterswerk, dem sozialen Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre, worin er die ganze ökonomisch-soziale Entwicklung des neuen Jahrhunderts als vorsorgender Erzieher antizipiert; B. N. 6.10. 1943 soll also die Moskauer Ministerbegegnung etwas wie eine antizipierte Friedenskonferenz für den Siegesfall der Alliierten werden; Adorno 1958 Noten I 21 der unabschliessbaren, nicht antizipierbaren Erfahrung; FAZ 23.4.1971 Für ihre Londoner Schwestergesellschaft hat der Konzern dagegen letztes Jahr Rückstellungen für antizipierte Verluste gebildet; Staiger 1966 Grundbegriffe 171 ihr Sinn erschöpft sich in der Erkenntnis, daß Künftiges antizipiert werden muß; Zeit 6.12.1985 die beste Darstellung ist ihm jedoch in dem Roman „Die Schlafwandler" gelungen, diesem frühen, antizipierenden, erzählenden wie analysierenden Werk, das vor der Katastrophe entstanden ist; ebd. 30.5. 1986 gebührt seiner in die Museen, Medien und Hochschulen hineinwirkenden initiatorischen Praxis das Prädikat antizipierender Vorreiterschaft; Zeit 3.4.1987 das Bild des Ostjuden in der antisemitischen Publizistik antizipiert, was Jahre später in Auschwitz grausige Realität wurde; MM 9.12.1987 bei gezielter mißbräuchlicher Einnahme kann der angstlösende Effekt dazu benutzt werden, sich über Bedenken hinsichtlich vermuteter oder

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antizipierter Folgen rechtswidrig oder moralisch bedenklicher Handlungen hinwegzusetzen; Keller 1990 Sprachwandel 137 Variation im Bereich der Kultur . . entsteht im wesentlichen durch menschliche, die Selektion antizipierende Kreativität; Süddtsch. Ztg. 27. 9.1993 Spannend ist es, die gegensätzliche Signal-Wirkung des Gedankenstrichs bei Schiller und Grillparzer (wo es von Gedankenstrichen wimmelt, weil Grillparzer ein großer, Freud antizipierender Psychologe war) zu beobachten. antizipando: Thomasius 1688 Monats-Gespräche 313 ich kan die Kunst nicht/ solche Bücher in Buchläden anticipando zu finden/ die erst im künfftigen Jahre sollen gedruckt werden; 1710 Neue Bibliothek VI 458 Doch kan ich nicht vorbey gehen . . anzumercken/ daß auf alle in der Vorrede/ den Casa betreffend/ beygebrachte Gründe/ schon anticipando . . seye; Hippel 1769 S. W. 96 doch ich glaube, das Alles habe ich Ihnen schon anticipando geschrieben; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland 111 207 Dass man diese Verse anticipando gemacht hatte; Ebner-Eschenbach 1890 Ges. Sehr. VI 265 „Leb' jetzt wohl", sprach sie, „ich muß anticipando ausruhen, habe Gesellschaft heute Abend . ."; Bismarck vor 1898 (bei Klemm I 479) Krieg anticipando führen. „Ich bin der bejahenden Theorie (einen Krieg, der uns früher oder später wahrscheinlich bevorstand, anticipando (vorwegnehmend) herbeizuführen,) .."; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 129) was über das deutsche Bürgertum an geistiger Not und Aufgabe jetzt hereinbrach, hatte ich anticipando durchgemacht und ausgesprochen; ders. 1937 Reden u. Aufs. (W. X 484) sie schlugen Festlärm — richtig auf den Tag, aber ein Jährchen zu früh, .. — und dank ihrer Nervosität gab es einen Gratulationstrubel anticipando. Antizipation: Fischart 1581 Dämonomania 126 Natürliche Vorwissung/ Mutmasung . . ist eyn Anticipation oder Vorsehung zukönfftiger/ oder Vergangener/ oder gegenwärtiger vnd gleichwol heymlicher verborgener Sachen/ durch Erkantnuß vnd erfahrung; Francisci 1687 Trauersaal II 99 aber die Strittigkeit der Königinnen Elisabeth mit der Königinnen Maria/ welche daraus entstund/ dass Maria der Elisabeth Wappen/ es sey gleich aus Hoffart/ oder Anticipation/ in Beschleunigung des Erbtheils/ zu führen sich unterstanden; Walther 1708 Praecepta 119 Etliche aber, wenn sie für die vermeinten zwey Quinten bißweilen zwey vermeinte Sexten gebrauchen, so wollen sie dieselben (neml. Quinten) nicht verbeßern; sondern nur eine Figur anwenden, nemlich die Anticipatione della Nota; 1712 Fama XV 206 Anticipation, Zuvorkommung/ Übereilung; Herder 1768 S. W. II 309

Was mildert mehr die Thräne? die Entfernung in die Zukunft: daher die Elegische Bekümmerniße über die Beraubung des Freundes, des Vaters, der Gattin, die ich durch eine Anticipation der Zukunft schon . . zu mißen scheine; Hamann 1774 Briefw. Ill 132 mehr aus Furcht Gottlob und anticipation als bisher aus wirklicher Erfahrung; Goethe vor 1780 Tag- u. Jahresh. (WA I 35,6) da der Dichter durch Anticipation die Welt vorweg nimmt, so ist ihm die auf ihn losdringende, wirkliche Welt unbequem und störend; Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr, l 3,166) Man kan alle Erkenntniß, wodurch ich dasjenige, was ich zur empirischen Erkenntniß gehört, a priori erkennen und bestimmen kan, eine Anticipation nennen; Goethe 1787-88 Tag- u. Jahresh. (WA / 35,10) Als ich .. Egmont bearbeitete, fiel mir auf in den Zeitungen lesen zu müssen, daß in Brüssel die Scenen, die ich geschildert, sich fast wörtlich erneuerten, so daß auch hier die poetische Anticipation wieder in Betracht kam; ders. um 1790 Naturwiss. Sehr. (WA H 6,85) daß ein Baum . . in ein engeres Gefäß eingeschlossen, schnell Blüthen und Früchte trage .. daß jene successive Entwickelung hier auf einmal zusammengedrängt hervorgebracht werde. Daher nannte er diese Wirkung der Natur Prolepsis, eine Anticipation, weil die Pflanze .. sechs Jahre voraus zu nehmen schien; Laukhard 1796 Leben 111 453 Leute, welche sich einander liebten, und sich zu verbinden dächten,.. [müßten] bedenken, dass die Folgen der Anticipation ihrer Verbindung Hindernisse in den Weg legten; Novalis vor 1797 W. III 345 Voraussetzen bedeutet, vom Gegenstande gebraucht, eine Handlung vor der Existenz, eine Antizipation; 1798 (Aus Schleiermachers Leben I 192) Lassen Sie uns in der Zeit die Qualität suchen; dies ist immer zugleich die schönste Anticipation der Quantität; Soden 1806 Nationalökonomie H 179 das Kreditsystem . . beruht auf der Antizipation des Genusses; Schopenhauer 1819 Welt (1859 397) Anticipation des Zukünftigen; Link 1836 Naturkunde I 165 Was wir hier geben wollen, ist gleichsam nur eine vorläufige Schätzung, eine Anticipation der Mannichfaltigkeit und Verschiedenheit in der Natur; Feuerbach 1851 W. VI 60 Dieser Satz ist zwar nur eine Vorausnahme, eine Antizipation des Resultats und weiteren Verlaufs dieser Vorlesungen; Hebbel 1858 S. W. Ill 6,188 Bei der unerhörten Kälte, die hier herrscht,. . wird diese Anticipation des Herbstes Sie weniger befremden; Schopenhauer 1859 S. W. Ill 397 Aber noch in einer ändern Rücksicht erläutern die Instinkte und die thierische Organisation sich wechselseitig: nämlich durch die in Beiden hervortretende Anticipation des Zukünftigen; Hartmann 1869 Philosophie 159 Welch' eine köstliche Anticipation des künftigen Berufs, die oft in den reizend-

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sten Details zu beobachten ist; ders. 1879 Phänomenologie 700 in allen bisher besprochenen Moralprincipien bot sich keine ungesuchte Gelegenheit dar, die wirtschaftlichen Tugenden . . zu erwähnen; erst das Moralprincip des Zweckes hätte durch Anticipation des Culturfortschrittes als seines Inhaltes zu einer solchen Erwähnung Veranlassung geben können; Achelis 1890 Theologie l 364 Anticipation der leiblichen Seite der Ehe; Matzat 1903 Anpassung 6 Die Sinnesempfindungen kann man als Antizipationen von Gefühlen bezeichnen; Eucken 1903 Ges. Aufs. 75 Trüge der Künstler nicht die Welt durch Antizipation bereits in sich, so würde er mit sehenden Augen blind treiben; Dettmann 1912 Brasilien 409 So begann man im Herbst 1906 — gewissermaßen in „Antizipation" der späteren sicheren Durchführbarkeit beider Projekte — mit umfangreichen Kaffeeaufkäufen für Rechnung des Staates Sao Paulo; Eisenhans 1912 Psych. 262 die Gefühle [können wir] in einer absteigenden Reihe ordnen . .: die Gegenwartsgefühle, die Erinnerungsgefühle, denen als „Antizipationsgefühle" oder „Vorgefühle" auch diejenigen noch beizuordnen . . sind, die . . an Bilder einer für das Ich vielleicht realisierbaren Zukunft sich knüpfen; Friedeil 1927 Kulturgesch. l 367 [Giordano] Brunos Antizipationen auf dem Gebiet der Astronomie; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 384) im Parsifal laufen Meistersingerakzente unter; in der Musik des Holländer sind Antizipationen aus dem Lohengrin erlauschbar; ders. 1947 Faustus (W. VI 380) solche Antizipationen ist ja der Leser bei mir schon gewohnt, und er möge sie nicht als schriftstellerische Zügellosigkeit und Wirrköpfigkeit deuten; Sganzini 1951 Ursprung 116 Die Verwechslung von Antizipation und Verwirklichung, von Maßstab und zu Bemessendem ist sozusagen das Strukturprinzip, nach welchem die abendländische Geistigkeit . . sich aufbaut; Bense 1958 Ästhetik 15 [Nietzsche] besaß die Antizipation, die Vorwegnahme des Kommenden, aber das Kommende selbst war konkreter; Staiger 1966 Grundbegriffe 127 sein Handeln bleibt an die Zukunft gebunden, deren Antizipation im Orakel die Spannung des Dramas erzeugt; Zeit 4.4.1986 Moreaus späte Farbstudien als „Abstrakt" zu kennzeichnen und mit ihnen eine kühne Antizipation von Kunstproblemen des kommenden Jahrhunderts beweisen zu wollen . . hieße, die Aktualisierung eines in allen Ehren Entschlafenen allzu krampfhaft zu betreiben; ebd. 20.2.1987 die Leidenschaft, das Leben selbst braucht Rückgriffe (mehr noch als Antizipationen) und sammelt Kräfte aus Reichen, die vergangen sind, aus geschichtlichem Gedächtnis.

gar nicht mehr anticipatorischen Namen verdient, doch etwas tantalischen Lust an Büchern zu frönen hat mir also dies Eiland immerhin verstattet; Sganzini 1951 Ursprung 116 der gewissermaßen arteigene Wesensirrtum des geistigen Menschen: das, was reine Antizipation ist (Grund, Ursprung, Maßstab, reine Möglichkeit) und im Verhalten nur antizipatorische Funktion übernehmen soll, als solches schon, ohne eigentliche Veranstaltung zur Verwirklichung, für verwirklichte, gegebene, seiende Wirklichkeit zu halten; Zeit 25.1.1985 in den hellsichtigen Poemen des Robinson Jeffers werden auf bestürzende Weise Einsichten in die ökologische Katastrophe formuliert, die in ihrer antizipatorischen Genauigkeit erst heute richtig verstanden werden können; ebd. 5. 4.1985 als erste Zwischenstation zwischen Roman und Praxis beginnt er antizipatorisch „der Judensache erstes Buch": tagebuchartige Aufzeichnungen, . . die seinen Weg als Staatsmann dokumentieren sollen; Altner 1987 Überlebenskrise 121 inwiefern religiöse Erfahrung sich antizipatorisch-vorwegahnend über das objektivierbare Wissen und seine begrenzten Möglichkeiten der Zukunftsansage . . hinausschwingen kann; ebd. 145 in dem Sinne, daß er den von ihm als Selbsttranszendent und antizipatorisch gekennzeichneten Evolutionskosmos im letzten auf Gott verwiesen sein läßt.

antizipatorisch: Wolfskehl 1940 Jafra 66 Der bei meiner Blindheit, die natürlich immer mehr diesen

antizipieren b: 1544 (K. O. Müller 1955 Handelsakten Mittelalter, Neuzeit IX 101) [sie] mugen nit

antizipierbar: Hartmann 1926 Ethik 324 Ihm [dem Zukünftigen] geht wohl das Netz der Bedingungen voran, aus denen es sich aufbaut, und daran eben wird es antizipierbar. Antizipierung: Mommsen 1870 Reden u. Aufs. 293 [dadurch war] die Vollständigkeit der Akten ebenso gewahrt wie die in dieser ihrer Anticipierung wahrhaft divinatorische Loyalität des Kollegiums; Imelmann 1877 70er Jahre 17 Diese frommen, dabei derbkräftigen Theaterstücke der Gandersheimischen Klosterfrau stehen da als eine Anticipirung . . viel späterer Entwicklungen; 1929 Handwb. Staatswiss. Erg.bd. 1116 eine Übertreibung in der Antizipierung einer künftigen Wertsteigerung ist „immer nur ein zeitlicher Irrtum; für den, der zuwarten kann, kommt einmal doch der Zeitpunkt, in dem die steigende Flut der Bevölkerung auch den Wert seines Bodens auf die erwartete Höhe treibt . ."; 1935 Binstvanger (Ziegler, Br. 184). . der Goethesche Vers: „Schöpft des Dichters reine Hand, Wasser wird sich ballen". Ist dieses Wort das Symbol des innern Schaffens und die Antizipierung des Ans-Licht-Tretens des Geschaffenen.

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erwarten, bis silber und kupfer wäre gemacht, . . sondern sie vorhinein darauf anticipieren und gelt aufbringen; 1549 ebd. IX 198 Sie [100 000 Fl.] sollen anticipiert werden durch die landschaft und dann auf das steuergelt in Tirol ohne bezalung getan werden; 1550 Weisthümer VI 569 und demnaich ferner dern erbarn meier Hansen von Zemmern durch den scholtissen fragen und uszmanen laissen, nemlich aib die würdige frauwe abrisse zu Orhen als gruntherin oder ire diener nit magt haben das jairgedingh vierzehen tagh zu lengen oder zu enticipirn [!] zu irer gelegenheit?; 1609 Aviso Nr. 3 Bl. A3b Deß Königs abgeordenter Orator/ nach Constant, ligt an seinem zurück reisen noch zu Offen/ vnd wirdt von dem Bassa daselbst/ nicht herauff gelassen/ alleweil nicht zuvor die versprochene 50000 Thaler/ in specie gelieffert werden/ Man fordert auch die Handelsgut zusammen vnd wil denselben diese Summa anticipirn/ es wirdt aber schwerlich zugehen; Neudörffer 1616 Arithmetic 235 Item einer ist über 11 Monat zu erlegen schuldig 3000 Taler. Wieviel soll sein Creditor anticipirn, damit er den Rest übers Jahr (wie es begert) erlege? (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1621 Acta publica IV 144 dasz die Steueranlage, so auf den bevorstehenden Termin Pfingsten . . einzubringen ist, wol billich hätte sollen und müszen anticipiret. . werden; Grimmeishausen 1670 Springinsfeld 31 etliche (die zwar nit beym bestem empfangen wurden) anticipirten bey der Courage (ich schätze aus ihrem allgemeinen Seckel) Geld; Dibbern 1692 Kaufmann. Buchhalten A3b [wenn man] außstehende Schulden vor der Zeit anticipiret (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Marperger 1712 Naturlex. 560 Geld anticipiren, voraus nehmen, geschiehet, wenn man Geld nimmt, ehe man Waare oder Vergnügung davor gegeben; 1733 Banquier l 475 anticipiren, vorschiessen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Polack 1734 Mathesis 65 daß wenn ein Gläubiger, der allererst nach 10. Jahren 100. zu fodern, selbige anticipire, und deswegen . . Zinß zahlen müste; Möser 1787 S. W. X 197 sehen Sie indessen zu, ob Sie nicht ein paar Tage auf künftige Rechnung anticipiren können; Müller 1787 Emmerich H 433 Er hat wenig, und will sich dennoch nicht nach seiner Decke strecken, so daß er von Quartal zu Quartal auf seinen Wechsel anticipiret hat; Forster 1791 Ansichten (W. IX 5) anticipirt den Kaufpreis; Schiebe 1833 Kaufmann. Handwb. 7 anticipiren, vorgreifen, einen Vorschuss auf Waaren, eine Zahlung vor der Zeit leisten (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Eitzen 1894 Handelssprache 9 anticipiren . . früher zahlen (SCHIRMER, Kaufmannssprache). antizipando: Hübner 1709 Konversationslex. 81 anticipando Geld bekommen; 1733 Banquier I 475

jemand anticipando bedienen, ist eines Committenten Commission, ehe seine Gelder eingangen, effectuiren, und das darzu erforderliche vorschiessen; Schleier 1844 Contorlex. 28 anticipando, im Voraus; Eitzen 1894 Handelssprache 9 anticipando . . Anticipando- oder Antizipationszahlung (alle SCHIRMER, Kaufmannssprache). Antizipation: 1609 Relation 2b Der Herr Guntterrad Oberster soll zu den Chur vnd Fürsten deß Reichs einer Commißion halben gesandt werden .. vmb eine anticipation zu ersuchen; 1617 Nürnb. Ratsverlässe U 504 Der rom. kays. May. schreiben und begern, Hansen Petzolt, goldschmid, 1500 thaler zu 70 kr. auff Steffan Schmids, reichspfenningmaisters, quittung auszuzalen, und dieselbe neben ändern anticipationen an künfftiger reichscontribution innen zu behalten, soll man für die herren hochgelehrten bringen; 1618 Acta Publica Schles. (Palm) 27 Künftige schulden zu verhütten sind nachfolgende mittel für zuträglich angesehen vnd in acht zu halten für notwendig befunden worden . . Dann das die anticipationes gänczlichen eingestellet verbleiben; Moscherosch 1642 Visiones 14 Dann ja ein Scherge sonst kein ander Einkommens oder Renten hat/ als was ihm per anticipationem, auff Ruth/ Schwerd/ vnd Strang mag gedeyen vnnd gebühren; Polack 1734 Mathesis 67 darauf gründet sich die von ihm beygesetzte Tabelle, allwo er gezeiget, wie viel man wegen eines voraus gezahlten Capitals a 100000.Thl. wenn die Anticipation bis auf 40.Jahr gehen solte, abziehen ken; 1736 (Buchner, Das Neueste H 308) Professor Vogelius . . thut intimieren: daß er zu richtiger Eingehung des gewöhnlichen Honorarii gemüssigt werde, eine halbe Anticipation zu verlangen, um hierdurch denen von Jahr zu Jahr gebleibenden und sich noch immer vermehrenden Restantien zu entgehen; l #08 Staatswirtschaft 341 Zu den heimlichen Arten der Schulden gehören die Antizipationen der Einnahmen; Goethe 1811 Tag- u. Jahresh. (WA I 36,69) Ein ergangenes Patent hatte alle Welt verwirrt gemacht, die vorhandenen Zettel hatten allen Werth verloren, man erwartete die neuen sogenannten Anticipationsscheine; ders. 1815 Er. (WA IV 25,262) Da ich zu einer Reise in die böhmischen Bäder . . eine Summe des dortigen Papiergeldes mitzunehmen wünsche, so ersuche Dieselben mir für 200 rh. sächsisch Einlösungs- oder Anticipations-Scheine, wie solche jetzt dort im Handel und Wandel gültig sind . . zu übersenden; ders. 1827 Faust II (WA I 15.1,13) Wir wollen alle Tage sparen/ Und brauchen alle Tage mehr . ./ Nun soll ich zahlen, alle lohnen;/ Der Jude wird mich nicht verschonen,/ Der schafft Anticipationen,/ Die speisen Jahr um Jahr voraus; Dahlmann 1845 Gesch. d. franz. Revolution 106 Jetzt freilich da der

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Schatz leer war, mit Anticipationen es nicht mehr vorwärts ging, niemand mehr leihen . . wollte, kehrte der Mann mit einer Frechheit ohne Gleichen plötzlich die Sache um; Mommsen 1865 Reden 384 Anticipationen der künftigen Marinebudgets; 1918 Vjschr. Sozialgesch. XIV 600 Unter „Antizipation" verstand man überhaupt jedes auf eine bestimmte Einnahme (als deren Vorwegnahme) sichergestellte Darlehen; Pirchegger 1937 Deutschösterr. III 45 45 Millionen Gulden neues Papiergeld sollten als „Antizipationsscheine" ausgegeben, den „Einlösungsscheinen" an Wert gleichgestellt . . und binnen 12 Jahren durch die Grundsteuer getilgt wer-

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den; Zorn 1961 Handelsgesch. 23 eine weitere Anticipation, d. h., Vorauszahlung gegen Verpfändung von Staatsgefällen. Antizipierung: 1526 (K. O. Müller 1955 Handelsakten Mittelalter, Neuzeit IX 163) [Sie haben nämlich auf 40000 Mark auf eine] anticipierung und füreinbezalung derselben Silber gehandelt und so viel erlangt, daß er auf solche silberanticipierung 20 000 fl. bar darzuleihen bewilligt habe; Crophius 1710 Augspurg 44 wegen Anticipirung und Vorhineinbezahlung der Steuer.

Äon M. (-s; -en), im 18. Jh. vereinzelt auch Äone F. (-; -n), Ende 17. Jh. über (m)lat. aeon M. 'Ewigkeit, Jahrhundert, Zeit(raum); Weltalter' entlehnt aus griech. M./F. 'unermeßlich lange Zeit; Leben, (Lebens-)Zeit; Ewigkeit' (zu 'immer'), anfangs in lat. (flekt.) Form. a Bildungsspr. und meist plur. verwendet in der Bed. 'unendlicher Zeitraum, Ewigkeit', auch 'Abschnitt der Weltgeschichte, Zeit-, Weltalter', bes. in der Zs. äonenlang. Dazu seit spätem 18. Jh. gelegentlich die adj. Ableitung äonisch (ohne Steigerung) in der Bed. 'unendlich lang, mehrere Äonen lang'. b Seit dem 18. Jh. selten in der Bed. 'Weltgeist, Schöpfer', vor allem im Zusammenhang mit der gnostischen Lehre von einem göttlichen Urwesen oder göttlichen Kräften und deren Ausströmungen, einem Mittelwesen zwischen Gott und der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Äon a: Spener 1699 Leich-Predigten IX 383 wie es heist Hebr. II/3. dass die aeones oder Zeiten/ oder ewigkeiten/ wie wirs geben wollen/ fertig worden; ebd. Er [Apostel Johannes] nennet aber Gott den ewigen König/ oder den König der ewigkeiten/ oder aeonum; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,201) Und ihr Regiment währet durch Äonen durch. Nicht nur das, sondern sie werden regieren in die Ewigkeiten der Ewigkeiten, ohne Ende; Bodmer 1752 Noah 328 Aber weiß nicht, daß er Aeonen geschlafen; Wieland 1753 Ges. Sehr. I 2,6 Fyr wenige naechtliche stunden/ Oefnen sich dir Aeonen voll licht in unendlichen reihen; Zachariä 1756 Tageszeiten II 160 Von der entsetzlichen Nacht, die einst nach tausend Aeonen, Alle Himmel und Welten verschlingt; Wieland 1758 Ges. Sehr. I 4,639 und siehe das Paradies, wo du mit allen, die du jenseits des Himmels vor ändern liebtest . . die erste Aeone deiner Unsterblichkeit leben wirst; Herder 1765 S. W. l 74 ein Genie, dergleichen es nur jede Aeone eins gibt; ders. 1767 Dtsch. Literatur. (S.W. l 323) bald gegenwärtig, bald aus weiten Aeonen; ders. 1768 S. W. II 61 alle diese Überbleibsel vom Ursprünge der Dinge würden, wenn man sie als Reste eines alten Aeons sammlete, Baugeräth zu einem Tempel seyn, der von Ruinen erbauet, groß ins Auge fiele;

Klopstock 1773 Messias XIX 179 [der mich] Auserkor, daß Aeonen es sahn und ihr Antlitz verhüllten; Wieland 1775 Clelia (S.W. X 145) Schon drei äonenlange Jahre; Hamann 1779 Briefw. IV 42 Hast Dein Monument glücklich geendigt in unserm an Menschenkenntnis und Liebe öden Aeon; Jung-Stilling 1779 Br. 4 aber das geheime Wichtige erzähle ich Dir dermaleins, etwa auf einem der Planeten oder Fixsterne, wenn wir dieser Zubereitungszeit entrissen, Äonen voller Wonne zusammen durchleben werden; Herder 1785 S. W. XIII 342 Ihr Menschen aller Welttheile, die ihr seit Äonen dahingingt; Musäus 1787—88 Volksmärchen U 149 denn du sollst wissen, daß, wenn die Seele von dem Körper scheidet, sie nach dem Ort der Ruhe verlangt, und diese heiße Sehnsucht macht ihr die Jahre zu Aeonen, solange sie in einem fremden Elemente schmachtet; Pfeffel vor 1789 Poet. Versuche II 166 Der Esel Bileams starb alt und lebenssatt./ Sein grauer Schatten kam auf das Gestirn zu wohnen,/ Wo sein Geschlecht schon seit Äonen/ In bunten Tälern seinen Limbus hat; Kosegarten 1790 Rhapsodieen l 140 Viel sind der langen Ewigkeit Aeonen; Jean Paul 1795 Fixlem (W. Vll 250) O nach Äonen müßte . . diese bange Minute noch wie eine düstre Wolke allein am ausgeheilten Eden

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hängen und nie zerfließen; 1811 Almanach a. Rom H 73 Kein Zug des Schmerzes entstellt diese Schönheit, denn sie weiß und fühlt es, daß der, den sie geboren, ein Gott ist, der durch alle Äonen lebt; Goethe 1819 Diwan (WA l 6,261) Weißt du denn wieviel Äonen/ Wir vertraut schon zusammen wohnen?; Görres 1821 Europa 80 nach Aeonen endlich wieder zu ihm kehre; Goethe 1831 Faust II (WA I 15.1,316) Zum Augenblicke dürft' ich sagen:/ Verweile doch, du bist so schön!/ Es kann die Spur von meinen Erdetagen/ Nicht in Äonen untergehn; Droste-Hülshoff 1839 S. W. 595 Nein, wo mir Unrecht je geschehn,/ Da ward mir wohl, da fühlt ich wehn/ Dein leises Atmen durch der Zeit Äonen; Alexis 1852 Ruhe HI 18 das Vergängliche gehört der Zeit, was aber in die Aeonen hinausragt, das ist das heilige Bewußtsein einer schönen Seele; Eichendorff 1853 S. W. l 2,521 Es ist des Menschen ewiger Geist, der durch die Äonen kreist; Quenstedt 1856 Sonst 8 Aeonen von Jahren; Haeckel 1877 Entwicklungslehre 18 Äonenreihe der geologischen Perioden; Kleinpaul 1892 Sprache 403 Ehe die Menschen . . Lieder sangen und klugredeten, mögen Äonen vergangen sein; Harden 1892 Apostata N. F. 14 diese respektlosen Banausen sollen mit uns tagen, mit uns, den alten Meistern von Schemel und Pfriem, mit uns, deren lederner Ruhm nicht in Aeonen untergehen kann?; Liliencron 1896 Poggfred (XI 179) Als kennt ichs seit undenklichen Äonen; Essig 1909 Weiber 121 Sagen Sie ruhig Schwiegermutter, das Wort behält durch alle Äonen seinen Klang; Werfet 1922 Schweiger 127 in ihre zweite Kindheit tritt sie [die Kirche], in ihren neuen Aon; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 488) Zetert [der Kindskopf] mir über seine fünf Viertel) ährchen vor, als ob es Äonen wären; Haecker 1927 Christentum 240 es scheint ihm keine Schwierigkeiten zu bereiten, daß dieser Gott bereits Äonen und aber Äonen von Ewigkeiten zur Verfügung hatte; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 632) wirst mir seine süße Seele doch hübsch zufrieden lassen müssen, und das ist deine Ohnmacht und dein Ridikül, mit dem ich dich ausspotten will Äonen lang; ders. 1952 Reden u. Aufs. (W. X 384) Die Bewohnbarkeit eines Himmelskörpers ist eine Episode in seinem kosmischen Sein. Und würde das Leben noch einmal fünfhundertfünfzig Millionen Jahre alt — am Maßstabe der Äonen gemessen ist es ein flüchtiges Zwischenspiel; Künneth 1962 Glauben 177 So wird die Auferstehung Jesu . . zur Wende der Zeiten, zum Anbruch des neuen Äons; Hocke 1976 Tagebücher 496 Je weiter die Historisierung der Zeit, . . fort-

schreitet, desto mehr wird der alte Aion-Gott großer Weltzyklen als ein individuelles, dann privates und schließlich subjektives Aon erfahren. Aus dem kosmischen Aion, das Weltperioden umfaßt, wird in jedem Falle ein persönliches Aon, das auf die Lebensperioden eines einzelnen Individuums eingeschränkt bleibt; Strauß 1984 Mann 128 und schon war die Erfüllung seines Äonenlebtags vorüber; Zeit 10.5.1985 Thomas Mann schrieb einmal: „Der Deutsche denkt nicht politisch, sondern tragisch, mythisch, heroisch". Von dieser früher zutreffenden Beschreibung sind wir Äonen weit entfernt; ebd. 1.5.1987 eine neue Tier- und Pflanzenwelt entstand, in Äonen wuchs eine ungeheure Artenvielfalt heran; Süddtsch. Ztg. 21.6.1993 Endlich präsentiert sich das Idealbild Mann in doppelter Schönheit, lässig, klugschwätzend, ungemein sexy und dabei Äonen von sich selbst und der Welt entfernt. äonisch: Müller 1782 Lindenberg III 45 Daher begnüge ich mich zu sagen, daß, wenn das Paradies im Pommerlande gelegen hätte, dieses ohne allen Widerspruch die rechte Stelle gewesen seyn müßte; und wäre dieser kleine äonische Winkel mein, so mögte den ganzen Rest der Welt meinetwegen hinnehmen wer Lust hätte sich mit dem Plunder zu beladen; 1942 (Ziegler 1901-58 Br. 134) Oder sag' ich „Der Salamander Lindhorst, p. t. königl. geh. Archivarius" in Dresden, der aus seiner äonischen Sphäre gefallen ist . .?; Batnm 1956 Ex ovo 231 die Theorie des explodierenden Universums . . ist genau so spekulativ wie das hierarchisch gestufte äonische Weltbild des Aristoteles; Künneth 1962 Glauben 189 So sehr mit Recht die Geschichtsoffenheit der Auferstehung nachdrücklich betont wird, so darf jedoch darüber die Aussage über das Wesen der neuen äonischen Wirklichkeit nicht zu kurz kommen; Hocke 1976 Tagebücher 500 Der „Ablauf" der Bewußtseinsvorgänge . . müßte also mit den Bewußtseinsverhältnissen übereinstimmen, die in alten Kulturen zum absoluten, äonischen Zeitbegriff geführt haben. Aon b: Hamann 1762 Kreuzzüge d. Philologen o. S. Der nächste Aon wird wie ein Riese vom Rausch erwachen (KEHREIN); Kant 1795 Z. ew. Frieden VIII 350 Was in Ansehung des erhabensten Weltwesens außer Gott, welches ich mir etwa denken möchte (einen großen Aon); Zeit 10.4. 1987, Lit.beil. Der Aon, hat Heraklit gesagt, ist ein Kind, das Brettspiele spielt.

Apanage F., anfangs auch N. (-; -n), im späteren 15. Jh. vereinzelt, seit spätem 17. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus frz. apanage M. 'Leibgedinge,

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Erbteil' (zu altfrz. apanager 'ausstatten' < mlat. ap(p)anare 'ausstatten, Unterhalt geben, mit Brot versehen', aus lat. ad- 'zu, an, bei' und panis 'Brot'; vgl. mlat. ap(p)anagium N. 'Lebensunterhalt des Nachgeborenen und so nicht Erbberechtigten'), früher auch in den Formen Appan(n)age/Appenage. Zunächst Bezeichnung für die in Frankreich und England schon seit dem 12./13. Jh., in Deutschland seit dem 17. Jh. praktizierte Abfindung für die durch die Einführung der Primogeniturfolge (Recht des Erstgeborenen auf Nachfolge) bewirkte Ausschließung von der Regierung; dann meist finanzielle Zuwendung (seltener auch in Form von Naturalien, Eigentum oder Nießbrauch von Grundbesitz) an die von der Regierungsnachfolge ausgeschlossenen, (meist) männlichen Mitglieder eines Fürstenhauses zur Sicherung des standesgemäßen Unterhalts; oft in Wendungen wie eine Apanage beziehen, erhalten, zur Apanage geben und die frz. Wendung en apenage 'als Apanage' sowie in den Zss. Apanageherzogtum 'aus einer Apanage entstandenes, in den Herrschaftsbefugnissen meist eingeschränktes Herzogtum', Apanagesystem als historische Bezeichnung für ein vor allem in Frankreich bis ins 18. Jh. praktiziertes System der Verleihung von Apanagen; seit früherem 19. Jh. auch übertragen verwendet (s. Belege 1835, 1844); seit Anfang 20. Jh. auch allgemeiner für '(regelmäßige) finanzielle Zuwendung größeren Umfangs' (s. Belege 1900, 1966, 1968). Dazu seit spätem 17. Jh. die veraltete verbale Ableitung apanagieren V. trans., selten auch appanagieren/appenagieren, meist adj. verwendet in der Part. Perf.-Form apanagiert, in der Bed. 'einem nichtregierenden Fürsten sein standesgemäßes Einkommen anweisen, eine Abfindung zahlen, ihn mit einem Jahrgeld oder einem Leibgedinge abfinden'; seit früherem 19. Jh. das seltene, ebenfalls veraltete Verbalsubst. Apanagierung F. (-; -en). Dazu im 18.719. Jh. die nur in Zss. als Bestimmungswort vorkommende adj. Ableitung apanagial- in der Bed. 'auf die Apanage bezogen'. Apanage: 1469 Bair. Landtags-Hdlgn. V 380 Herzog Albrechts Versicherung der Appanage für den auf 5 Jahre von der Regierung sich verzichteten Herzog Christoph; Karl Ludwig 1676 Br. 167 auf welches apannage man renonciren müssen (BRUNT); Lucae 1689 Chronica 1660 da der älteste von denen Brüdern den Regierungs-Thron besitzet/ die übrigen aber sich mit einer beliebigen Appanage vergnügen müssen (BRUNT); 169I Pfalz 19a der Herr Vater hatte ihme zwar die Helffte der Grafschafft Sponheim anders nicht als zum Apanage oder als ein gewiss Legatum angewiesen; ebd. 20b fand sich . . dys Apanage halber .. gebührend ab; Elis. Charl. 1699 Br. 1130 verthut Monsieur sein gutt undt mein gutt undt kompt vor mir zu sterben, so habe ich nirgendts nichts zu nehmen; den daß apanage lean mir nicht kommen, indem, wen mein söhn ohne söhn sterben solle, kompt es dem könig wider zu, wie manslehen; Bohse 1703 Frühlings-Früchte 645 da er dem Sohne eine Appanage von funftzigtausend Pfund jährlichen Einkünfften nebst dem Titel eines Marquis de Susa zugeeignet; Dewerdeck 1711 Silesia Numis-

matica 250 daß sich also die übrigen Brüder mit einer Appennage, so sich etwan auf 5. bis 6000. Thaler jährlich betrifft/ behelffen musten; 1715 Fama XL/V 586 Darinnen wird gewiesen/ daß 1) die in Fürstl. und dergleichen Familien denen ausser den Erb-Printzen/ übrigen Printzen constituirte und ausgemachte Apanage, fürnemlich, wenn das Recht der Erst-Geburt in einem regierenden Hause eingeführet worden/ in Ermangelung derer Printzen exspirire und auffhöre; Fassmann 1720 Gespräche XV11 25 Verschiedene schöne Ländereyen .. bekam er en Appenage (BRUNT); Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) l 85 Damals hatte ein Prinz von Würtemberg neunzig Gulden apanage und zehn Gulden zu einem Ehrenkleide; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 216 müssen bißweilen mit einer gar schlechten apanage zufrieden sein (BRUNT); Buchholtz 1753 Meklenburg 16 Anm. Dargun und Doberan, vormals Klöster, nun Fürstliche Aemter und Schlößer, die zu Fürstlichen Appanagen gebraucht werden; Kreittmayr 1769 Grundriss (Reg.) Appanage der nachgebohrnen bayr. Prinzen; Pfeiffer 1781 Finanzwiss. 380 Die-

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sem folgen in der Notwendigkeit die Bezahlung der Apanage- und Witthumsgelder; Schiller 1787 W. XVI 45 Er lebte hier unter dem strengsten Inkognito, weil . . seine geringe Apanage ihm auch nicht verstattet hätte, die Hoheit seines Rangs zu behaupten; ders. 1791 S. Sehr. VI11 25 die übrigen Brüder wurden mit schwachen Apanagen abgefunden; Heynatz 1796 Anttbarbarus I 403 Familiengelder haben einige für Apanagegelder vorgeschlagen. Allein alsdenn würde ein Apanagegut auch ein Familiengut heißen müßen; 1802 Homers Od. trat/. 15 Das Inselstift hat Atlas ihr/ zur Apanage gegeben,/ So wie desselben ganz Revier,/ Um gut davon zu leben; Jean Paul 1802 S. W. I 9,444 Aber Albano bedachte zwei nahe Ursachen nicht . . und den gewöhnlichen Fürstengeiz, der sich vor Apanagen-Geldern scheue; E.T.A. Hoffmann 1819 S. W. X 37 Man überhob ihn der Mühe des Regierens, indem man ihm aus den Revenüen des Landes, das er besessen, eine ziemlich reichliche Apanage aussetzte; Görres 1835 Ges. Sehr. XV 462 Denn erstlich sind sie nach dem oben herrschenden Hausrecht, wenn auch nicht erbfähig, doch mit reichlicher geistiger Appanage bedacht, und werden überdem noch im Laufe des Jahres an günstigen Tagen mit gar kostbaren Gaben besucht; 1844 Hofdamen-Br. 78 die glückliche Braut eines Grafen Nostitz, dessen ganzes Vermögen in 3000 fl. Apanage besteht; Heine 1844 S. W. VI 445 Ich muss immer darauf zurückkommen, dass es nur drei Pianisten gibt, die eine ernste Beachtung verdienen, nämlich: Chopin, . .; dann Thalberg, . . der sein Talent auch wirklich nur als eine Apanage zu betrachten scheint; Gutzkow 1850 Ritter I 368 Die Familienbilder und eine aus der Verwaltung des Schuldenwesens für ihn sich herauswerfende Apanage von jährlichen sechstausend Thalern bilden in diesem Augenblick seinen ganzen Besitz; Raabe 1864 Hungerpastor 127 Nach der Staubwolke, welche Roß und Reiter einhüllt, zu urteilen, muß entweder Serenissimus eine Nase vom Kaiser Nikolaus erhalten oder Serenissima das „angestammte Fürstenhaus" durch einen neuen, apanagefähigen Sprößling allergnädigst vor dem Ausgehen gesichert haben; Burckhardt 1869 Ges. W. III 84 Es leuchtet ein, daß der Kirchenstaat, auf solche Weise eingerahmt, eine mediceische Apanage geworden wäre; Bluntschli 1872—81 Denkwürdiges 101 Die Fürstin wurde anfänglich von seinen Verwandten nicht anerkannt, und selbst die Apanage, die dem Fürsten infolge seines Verzichts auf die Herrschaft zugesichert worden, wurde so schlecht ausbezahlt, dass die jungen Ehegatten kein Geld hatten; Heyse 1900 Ges. W. II 2,551 obwohl er diesmal nicht einmal darauf ausging, durch besondere Liebenswürdigkeit dem strengen Papa einen neuen Zuschuss zu seiner Apanage ab-

zuschmeicheln; Th. Mann 1909 Hoheit (W. U 128) Hofmarschall von Schulenburgs Sache war es, für seinen jungen Herrn mit der Apanage hauszuhalten, die der Landtag nach Albrechts Thronbesteigung dem Bruder des Großherzogs in einer bedenkenvollen Sitzung bewilligt hatte; Sternheim 1914 Snob 12 eine monatliche Apanage; Tucholsky 1924 Panter 362 wo er auf einem Tisch die Monatsapanage der französischen Regierung vorfand; Kellermann 1929 Weg 242 Der dahingegangene Fürst war allerdings nur noch dem Namen nach ein Herrscher. Schon lange weht die Trikolore über seinem Land. Seine Apanage war von den Franzosen festgesetzt; Nelissen-Haken 1958 Häuser 229 Auch erklärte er sich, nicht ohne Pathos, dazu bereit, im Falle des Falles die Gräfin sowohl wie die Komtessen durch eine Art von Apanage zu alimentieren; 1966 Spiegel Nr. 37 Flick . ., der . . beiden Söhnen . . eine steuerfreie Apanage von 250 000 Mark jährlich zugestand (DUDEN); Stuttgarter Ztg. 2.6.1967 Die dänische Thronfolgerin Prinzessin Margrethe . . erhält vom Tage ihrer Eheschließung an eine jährliche Apanage von 1020000 Dänenkronen; ebd. 30.4.1968 der .. Glasfabrikant Kurt Wokan . . [ruft] zur privaten Bildung eines Erhard-Fonds auf, um dem früheren Bundeskanzler Erhard doch noch in den Genuß einer vom Haushaltsausschuß des Bundestags gestrichenen „Apanage" — eines sogenannten Ehrensolds für ausgediente Bundeskanzler — . . zu setzen; Welt 5.6.1969 der Herzog hatte in jungen Jahren finanzielle Schwierigkeiten beim Sammeln, da er als jüngster Sohn August 3. von Polen mit einer verhältnismäßig kleinen Apanage sein Auslangen finden mußte; Jungblut 1971 Die Reichen o. S. in dieser unglücklichen Situation sah sich der Krupp-Erbe Arndt von Bohlen und Halbach, der gegen eine fürstliche Apanage auf sein Erbrecht (das ihm ohnehin nur eine Erblast war) verzichtete; MM 7.6.1986 den Prinzen wurde ihr mehr oder weniger freiwilliger Thronverzicht dadurch honoriert, daß sie zunächst nur — wie bisher die britische Souveränität — die Oberlehnshoheit der unabhängigen Regierungen Indiens und Pakistans anerkennen mußten, daß sie ferner ihr Privatvermögen behalten konnten und Apanagen zugestanden bekamen, die je nach Größe der früher von ihnen regierten Territorien zwischen ein paar tausend und einigen Millionen Mark im Jahr variierten; Zeit 8.8.1986 der Vetter der Queen muß Geld verdienen, er bekommt nämlich keine Apanage; ebd. 7.11.1986, Lit.beil. es sind nicht die Extravaganzen einer kapriziösen Aristokratin mit hoher Apanage, sondern es ist die leidenschaftliche Weigerung, sich mit hohlen Gesellschaftsregeln, Spießern, Pharisäern und dem Terror des Hitler-Regimes zu arrangieren; Spiegel 28.3.1994 Das Sozial-

apart ministerium . . prüft derzeit, wieweit bei der Vergabe der Apanage ein ehemaliger Abteilungsdirektor . . beteiligt war. apanagial-: 1726 (Faber, Staatskanzlei Ll 528) Die Jagd-Regalien gedachten Ambts Grabow wären weit über 100. Jahr/ nicht in/ Possess der regierenden Hertzoge/ sondern allezeit bey dem Apanagial-Ambt gewesen; 1737 (Moser, Ho/r. U 66) [die nachgeborenen Prinzen] sollen . . im Fall sie nicht ihre anderwärtige und reichliche Auskunfft haben, folglich mit gutem Willen . . von ihrer AppanagialGebührniß abstehen; 1784 (Bachmann, PfalzZwbrStaatsR. 70) In diesem Zustande war diese Apanagial-Anstalt, als H. Christian III. anfangs des Jahres 1734. zum Besitz des Herzogthums Zweibrüken kam; 1808 (Pölitz, Verf. l 1,97) Die nachgebohrnen Prinzen erhalten keine liegenden Güter, sondern eine jährliche Appanagialrente von höchstens 100 000 Gulden aus der königlichen Schatzkammer in monatlichen Raten ausbezahlt (alle DRW-Archiv). apanagieren: 1680 Wochentl. Friedens- u. KriegsCurrier XVII 4 Unter denen Printzen behält der älteste Hertzog Johann Adolph die Regierung und gesamten Erb Landen/ die ändern aber werden appenagiret (BRUNT); I713 Fama XXV111 275 die apanagirte, oder besser Lehns-Besitzer; Lünig 1719 Theatrum cerem. l 20a einen appanagirten Fürsten (BRUNT); Rohr 1729 Herren 70 jedoch will bißweilen an einigen grossen Höfen ein Unterschied gemacht werden, unter den regierenden LandesFürsten und unter den apanagirten; Walther 1735 Sing. Magdeb. V 103 Die ehemals apanagirte Culmbachsche Familie; Edelmann 1752 Selbstbiographie 7 ein damals noch apanagirter Prinz von Weissenfels; 1756 Leipziger Avanturieur II 120 Mein Herr! ich bin eines apanagirten schwäbischen Grafens einzige Comtesse; Goethe 1780 Br. (WA IV 4,160) Interessante Personae dramatis wären

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Ein Erbprinz . . Ein apanagirter Prinz; Schiller 1791 S. Sehr. VIII 44 nur ein apanagirter Prinz des Pfälzischen Hauses . . hielt ihm Wort; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland I 217 Fürst Günther [von Sondershausen] ist nicht als Stammhalter der . . Linie gebohren, sondern nur apanagirt, und das Haupt der Ebenlebischen Linie; Berg 1799 Handb. Policeyrecht I 122 Hier bleibt daher nichts anders übrig, als die jedem besondern Falle eigenthümlichen Entscheidungsquellen, und den Umfang der Regierungsrechte, welche einem apanagirten Herren überlassen sind, im allgemeinen zur Richtschnur zu nehmen; Jean Paul 1818 S. W. l 6,374 Und endlich . . sollte es sein Firmian leichter haben, der empfindlichen . . Natalie den Vorschlag, seine lachende Erbin, seine apanagierte Wittwe zu werden, hinter dreifachen Leichenschleiern mit verzognen Buchstaben zu zeugen; Laube 1841 Jagdbrevier 73 Im alten Reich der Thiere war/ Das Reh von guter Familie,/ Es war ein prinzliches Geschlecht,/ Ein wohl apanagirtes; Werther 1861 Kl. Deutschland II 35 Dann heirathen sie ein apanagirtes, ahnenreiches Fräulein von sechszehn Enden; 1X99 Grenzboten II 459 Anm. Bekanntlich bezahlt das englische Volk auch dem regierenden Herzoge von Coburg noch eine Apanage von 200000 Mark, wodurch das Kuriosum entsteht, daß ein regierender deutscher Fürst zugleich in zwei Ländern apanagiert wird. Apanagicrung: Borne 1832 Ges. Sehr. VII 20 Nichts empört mich mehr, als diese unverschämte Apanagierung der Erbprinzen überall; Burckhardt 1869 Ges. W. III 242 Sodann ließ sich die Kirche in Italien niemals zur Apanagierung der Jüngern Söhne des Adels brauchen wie im Norden; 1882 Brockhaus II 748 Früher bestand nicht selten die Apanagierung in einer Abfindung durch Auswerfung einer bestimmten Landes- und Hoheitsquote; Lamprecht 1912 DG/V / 443 verbesserte Formen von Geschlechterstiftungen zur Apanagierung jüngerer Söhne.

apart Adj., zunächst nur und bis heute selten auch als Adv., im frühen 16. Jh. entlehnt aus frz. ä part 'auf der Seite, beiseite, besonders, eigenartig' (< gleichbed. lat. ad partem, aus ad- 'zu' und flekt. Form von pars 'Teil, Seite', vgl. auch mlat. ad partem 'besonders, gesondert' und ital. a parte 'beiseite'), anfangs noch in Getrenntschreibung, auch in den flekt. Kasus (z. B. a parten), selten in der lat. Form und bis ins 19. Jh. auch in den Formen ä part, ä parte, a parte. a Zunächst getrennt geschrieben und nur als Adv. gebraucht in der Bed. 'besonders, abgesondert, beiseite' (s. Belege um 1596, 1701), häufig in den Wendungen Spaß, Scherz apart! (s. Belege 1718, 1756, 1907), selten auch 'ausdrücklich' (s. Beleg 1769); seit etwa Anfang 20. Jh. als Terminus des Buchhandels für 'einzeln, gesondert, extra' (s. Beleg 1904), in Wendungen wie fehlende Einzelbände werden apart nachge-

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liefert und in der Zs. Apartbestellung 'Einzelbestellung eines Bandes oder Heftes aus einer Reihe'. Daneben seit früherem 18. Jh. der von der Bed. 'abseits, beiseite' abgeleitete Terminus der Theatersprache Apart(e) M./ N. (-(e)s; -e) als Bezeichnung für das, was ein Schauspieler auf offener Bühne für sich oder zur Seite hin spricht; vgl. auch die Bühnenanweisung ä part 'beiseite zu sprechen'. b Seit spätem 17. Jh. zunehmend auch adj. gebraucht, anfangs in Getrenntschreibung, seit etwa Ende 18./Anfang 19. Jh. zusammengerückt, zunächst in der Bed. 'gesondert, besonders' (s. Belege 1681, 1697, 1871), dann auch 'für sich stehend, ungewöhnlich, eine Ausnahme bildend, sonderbar, eigenartig' (s. Belege 1718, 1884, 1964, 1988), und 'besonders vorzüglich' (s. Belege 1705, 1739), von daher weiterentwickelt zu der heute dominanten Bed. 'von eigentümlichem Reiz, reizvoll durch seine besondere Art, geschmackvoll, hübsch' (s. Belege 1854, 1897, 1928, 1993), selten auch 'eigen(willig)' (s. Belege vor 1832, 1901, 1927); oft auf das Aussehen und Wesen von Personen bezogen, in Wendungen wie ein apartes Aussehen, Kleid, Gesicht, jmd. kleidet sich apart, sieht apart aus, häufig in Heiratsannoncen zur Beschreibung der Gestalt und des Wesens von Frauen verwendet, z. B. aparte Erscheinung, Dame; dazu seit spätem 18. Jh. die veraltete adj. Ableitung apartig 'besonders, eigen(artig), anders'. Dazu seit Ende 19. Jh. die subst. Ableitung Apartheit F. (-; -en ungebr.) als Bezeichnung für das geschmackvolle Äußere oder das ungewöhnliche, reizvolle Wesen eines Menschen (meist einer Frau). apart a: 1527 Urkundenb. NdRhein IV 2,647 waill byden die . . also beschehe, dan man tolle, auch aussdrucken in dem brieffe, apart gegeben soll werden; 1542 Polit. Korrespondenz I 509 Wu die Kgl. Mt. sich hierauf einen vertrauten rat zu ordnen einliesse, so sollte derselbe ad partem handeln; 1535 Urkunden u. Akten Straßburg H 2,281 als wir nun nach vil reden sein f. g. — als die sich ganz apert und offenbarlich gegen uns erzaigt; um 1596 (Frauenholz 1935 Heerwesen III 2,52) da man zuvor etliche . . und die vornehmbste [Untertanen] . . a part wohl informiret . . hat; Schweinichen 1597 Denkwürdigkeiten 474 da habe ich ad partem gesagt, Keule . . wolle meiner Schwester ihre Kisten und Kasten aufschlagen; 1598 (Frauenholz 1935 Heerwesen 111 1,139) so haben Sy [königliche Majestät] . . ad partem und gleich in der still. . bewilliget wie volgt; Furttenbach 1635 Architect, univ. Vorr. l damit er . . das rechte Fundament vnd eygentliche Wissenschafft darbey apert vnd grundlich fassen/ . . möge; Böckler 1665 Schola militaris 72 mit denselben hat der Bestellende sich a part zu vergleichen; Grimmeishausen 1670 Ratio Status 81 wann sie keinen Ehe-Gemahl hätte, der etwas a parte vor sich allein behielte; um 1670 Gepflückte Fincken 225 ein a parte Zimmer; Leibniz 1674 W. l 155 jeder [solle] mit den Seinen apart agiren; Hörl 1677 Bacchusia 19 müsse die Sach wol erwogen, vnd ein vnd anderer Theil ä parte vernommen

werden; Becher 1682 Glücks-Hafen 97 nach dem Essen machte ich und mein Camerad ä part die Prob wiederumb; Spener 1685 Klagen 222 f. wann es auff eines jeden urtheil ä part ankommen solte; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 528 Nach Verfliessung anderer Zeit käme er und praesentirte der Königin apart etliche indifferente gratulationes; Weise 1697 Vertraute Gespräche 32 Es wäre mir am liebsten, wenn ich mit dem Herrn Vater a part, auch mit dem Herrn Informator a part reden solte; Elis. Charl. 1701 Br. I 213 heütte ist es mir unmöglich, daß ich ahn jede von Euch beyden a part schreibe; dies. 1706 Br. l 478 Ich schicke Euch aber meine andtwort . . auff ein bladt apart, wie Ihr es begehrt; 1718 Abentheuerl. Welt III 32 Doch immer Schertz apart; Lünig 1719 Theatrum cerem. l 817b a parte vorhero etwas zu reden; Stoppe 1728 Gedichte I 109 So satzt" ich mich ä part; 1741 Begebenheiten 192 satzte sich, iedoch a parte, in die Stube; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,217) 217 eine Gemein-Seligkeit die uns a part gehört; 1756 Leipziger Avanturieur l 234 Aber Scherz a parte, sagte der Mann, was sollen diese verdächtige Sachen hier, und wen hast du bey dir?; Goethe 1769 Br. (WA IV 1,212) Das Schreiben wird mir sauer, besonders an Sie. Wenn Sie es nicht aparte befehlen so kriegen Sie keinen Brief wieder vor den October; Schiller 1783 Br. l 100 daß man jedes ä part kaufen könnte; 1793

apart Wiener Musenalmanach 9 Doch Scherz apart!; Kortunt 1799 Jobsiade III 76 Sie waren alle nur von Bürgerart/ Saßen folglich, wie billig war, a part; Nestroy 1833 S. W. U 66 „Du, Zwirn, mit dir hab' ich aparte eine Menge zu reden."; Ludwig 1849 Ges. Sehr. HI 89 „Es soll einerlei Recht unter Euch sein" Nicht eines für Staatsdiener apart; Mörike 1852 W. /// 143 Aparte aber lag ein Kochlöffel aus Rosenholz mit langen Stiel; Kürnberger 1855 Amerikamüde 354 das ist einer jener unzähligen Kunstgriffe der Land-Jobberei, eine kleine Parcelle urbaren Bodens nie appart zu verkaufen, sondern stets mit einem großen Zuschlag von Waldboden; Springer 1868 Berlin 167 und ihr habt schon der Viergroschenstück als Trinkgeld apart in die Westentasche gesteckt; Marlitt 1868 Geheimnis 121 sie war von klein auf ein verstocktes Ding und hat immer so apart getan wie ein Königskind; 1904 Jugend 14b Hirth's Formenschatz . . Jeder Jahrgang ist abgeschlossen und apart käuflich; Rosegger 1907 Ges. W. l 10,339 Spass apart, es wird ein echtes Volksfest werden; Klabund 1915 Sold'lied 103 Denn träfe jede Kugel apart ihren Mann; T/7. Mann 1947 Faustus (W. VI 309) ich weiß, du hättest das Deine gern ganz apart für dich und ärgerst dich über jeden Vergleich. Apart: Gottsched 1737 Beitr. V 145 die Aparte oder Reden, die man gleichsam mit sich selbst, doch in Gegenwart eines ändern hält, der sie nicht hören soll; Lessing 1750 S. Sehr. IV 189 Ich will mich zu einigen ändern kleinern Vorwürfen meines Gegners wenden. Die sogenannten Aparte sind ihm sehr anstößig, und sie müssen es allen Leuten von Geschmack seyn; Devrient 1849 Tagebücher l 498 Horchen sich die Apartes förmlich ab, die auch so breit als möglich gesprochen werden, stehen dann wieder meilenweit voneinander, wo sie Auge in Auge sprechen sollten. apart b: Krämer 1681 Leben d. Seehelden 969 in ä parte oder besondere Schiffe; Beer 1683 SommerTage 602 inzwischen kleidete ich alle Diener in die Trauer, dabei sich der Schneider ohne allen Zweifel einen a parte-Trauermantel zugeschnitten (CARMESIN); 1694 Gesch. Kees II 258 So wollen wir diszfalls zu deren Unterhaltung die nöthigen Spesen, soviel diese aparte Posten sich nicht selbst rentiren, gnädigst beytragen; Ettner 1697 Doktor 90 in ein ä partes Zimmer; Menantes 1702 Verliebte Welt 40 ihre a parte Music; ders. 1705 Lobgedicht D3b Und dieser Herr, den du zu Weissenfels gefunden, kan sagen, daß er so was recht a partes hat; 1708 Leopold d. Große l 225 in ihrer apparten Küche; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 513 nehmet gerner einen a parten Topff; Rohr 1718 Staatsklugheit 343 Man siehet es ihnen so zu sagen an

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den Augen, Minen und Gange an, daß sie entweder fromm sind, oder doch fromm seyn wollen, sie haben in manchen Actionen, die äusserlich und indifferent sind, etwas a partes, und ihre eigenen Capricen an sich; Kehrberg 1724 Königsberg 3 ein ä partes Castell; Uffenbach 1728 Tagebuch 17 worinnen auf Consoles, Pied'estalen und in aparten Schränken lauter kostbahre Kunst- und Uhrwerke . . stunden; Küchelbecker 1730 Hof 654 Also hat auch eine jede [Fakultät] ein apartes Auditorium, in welchen so wohl dociret als disputiret wird; Stoppe 1735 Parnaß 481 Meine Physiognomie hat ganz was ä partes in sich, mich bey dem Frauenzimmer beliebt zu machen; Liscow 1739 Sehr. 434 Soll ich einst lieben oder freyn, Muß es was recht ä partes seyn; Edelmann 1752 Selbstbiographie 56 hatten unser eigen sauber meublirtes Zimmer, ein jeder sein apartes wohlgemachtes Bette; Bahrdt 1791 Lebensbeschr. Ill 342 aparte Schuhe; Iffland 1795 Scheinverdienst (IV 79) Es ist ein apparter Mensch; Laukhard 1802 Leben V 50 ich setzte mich in eine aparte Stube; Goethe vor 1832 Faust 11377 f. Hau' ich mir nicht die Flamme vorbehalten, ich hätte nichts Aparts für mich (DUDEN); Glassbrenner 1836 Bilder II 70 Mich soll's wundern, was der Wirth zum goldenen Schwan heute Apartes hat, denkt der Wiener schon, wenn er noch bei dem Monumente der Spinnerin am Kreuze ist und einen Blick auf sein liebes Wien zurückwirft; Laube 1837 Reisenovellen VI 334 weil er etwas Appartes wolle; Devrient 1841 Treue Liebe (III 65) So vornehm und apart in seinen Manieren; Höfken 1846 England l 99 Die englische Aristokratie ruht nicht mehr auf einer Klasse von Menschen, die etwas Appartes vor den übrigen Gliedern des Volkes haben wollen; Frantz 1850 Politik 67 Unsern Staatsmännern scheint aber gerade die Bundesverfassung als eine gefährliche Grundlage zu gelten. Sie wollen durchaus etwas Apartes; Hebbel 1851 Agnes Bernauer III 6 Auch der Teil, der nicht uns gehört, der solle apart für sie erobert werden (DUDEN); Holtet 1854 Schneider II 13 Aber dabei ist er doch ein junger Mann, und hübsch ist er auch; ganz apart; das muss man ihm lassen; Fontäne 1871 Kriegsgef. 125 bat ich . . um ein apartes Zimmer; ebd. 156 grünlich und von einem aparten Wohlgeschmack [Austern]; Franzos 1884 Liebe. Novellen (1875) 17 hatte sie sich so viel erspart, dass sie sich das Häuschen hier kaufen und nach ihrem Geschmack herausputzen konnte. Da lebt sie nun — gleichfalls nach ihrem aparten Geschmack; Fontäne 1893 Ges. W. / 3,429 Es ist doch kein Zweifel, dass Helene eine schöne Frau ist und von einer, wenn ich mich so ausdrücken darf, ganz aparten Appetitlichkeit; Franke-Schievelbem 1894 Rotdorn 5 in vornehm schlicht englischer Strassentoilette, apart und geschmackvoll; Eckstein 1897 Roland 17 „Ein

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apart

auffallend hübsches Mädchen," sagte der junge Mann lebhaft. „Und so apart!"; Fontäne 1898 Zwanzig ISO dies, bei allen seinen Mängeln, mit viel Hübschem und Apartem ausgestattete Haus; Potenz. 1898 Grabenhäger I 68 Klara war von ihm darauf vorbereitet worden, daß sie eine der apartesten Damen kennen lernen werde; Voss 1902 Fra Checco 82 Gewiß ein engelhaftes schönes, aber ein unheimlich apartes Geschöpf; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. 7 89) Gerda war ein wenig apart und hatte etwas Fremdes und Ausländisches an sich; Hesse 1904 Camenzind 107 Es gab Künstler, die sich durch wohlerwogene und abgestimmte Tapeten, Musik, Speisen, Weine, Parfüme oder Cigarren zu aparten Stimmungen anregten; Polgar 1919 Zeit 58 Die Natur hat nichts Aparteres als den Schnee; Lettenbaur 1927 Morgen 287 Bernard Shaw, einer der unabhängigsten und schärfsten, jedenfalls der aparteste Denker unserer Zeit; 1928 (Hesse 1980 Magie 96) von all den Tausenden, die sich vier- bis fünfmal im Jahre einen Anzug schneidern lassen, sind kaum ein halbes Dutzend wirklich so reich und so auf das Schöne und Aparte versessen, daß sie auf die Idee kommen, .. sich . . bei einem Dichter eigenhändige Gedichthandschriften mit eigenhändigen, farbigen Bildchen zu bestellen; Berl. lllustr. Nacbtausg. 19.8.1933 Durchaus neu und apart waren mehrere Hausanzüge und Morgenröcke, unter denen ein schwarzer Hosenanzug . . besonders auffiel; Lokal-Anz. 8.6.1934 Daneben kann man viele schöne und aparte Frauen in prachtvollen Toiletten bewundern; Dtsch. AZ. 12. 9.1935 In kurzer Auslese und geschmackvoller, aparter Anordnung wird hier nur ein kleiner Teil der eingesandten Arbeiten gezeigt; Frankf. Ztg. 2.3.1941 Die Deutsch-Italienische Gesellschaft überreichte ihren Mitgliedern eine aparte Broschüre über den Hamburger Maler Friedrich Wasmann mit guten Reproduktionen; Gurt 1942 Rosen 18 Und liebten alles an ihm: die tadellose Bügelfalte seiner gut geschnittenen Anzüge, . . die breite Nickeluhr, die er — wie apart! — an der Innenseite des Handgelenks trug; Welt 25.11.1954 das Modell von Givenchy bildet zum schwarzen Samtkleid einen aparten Kontrast; FAZ 13.10.1962 Sportl.-eleg. 42jährige . . aufgeschlossen, aparte gepflegte schlanke Erscheinung . . sucht auf diesem Wege . . Lebensgefährten (Anzeige); Welt 28.9.1964 von dem erst 40jährigen Franzosen Claude Ballif hörte man temperamentvoll verspielte, klanglich aparte Tagebuch-Skizzen; FAZ 30.7.1966 Holländer . . sucht gerne die ehrliche Bekanntschaft mit hübscher, moderner, apartcharmanter Dame (Anzeige); Welt 4.1.1969 der Ecktisch bietet sich vielen aparten Verbindungen mit den Polsterelementen an; FAZ 10.4.1971 Aparte knabenhaft zierliche Dame (40) lebendig

und anspruchsvoll, sucht einen toleranten Individualisten (Anzeige); Zeit 28.12.1984 Bildformel, flammende Silhouette und der aparte BlaurotKlang können nicht verleugnen, daß das Bild an die lange und große Tradition der spanischen Porträtmalerei anschließen will; MM 10.5.1985 dies überaus aparte Werk erstand in einer sehr konzentrierten, auf feine Valeure ausgerichteten Interpretation; Zeit 18.4.1986 Schroeters „Leonce und Lena" ist weniger eine Inszenierung als eine aparte Collage — statt für eine Text Situationen und Spannungen zu suchen, Figuren zu erfinden, werden Text und Bild und Musik ziemlich wahllos zusammengeklebt; MM 16.9.1987 eine aparte Programmfolge bot das dritte Mittwochskonzert in der Mannheimer Christuskirche; ebd. 9. 4.1988 die musikalische Substanz jedoch verkommt mehr und mehr zum Ornament . .: aphoristisch strukturierte Bassetthorn-Monologe der Eva im zweiten Akt, apart, aber langweilig; ebd. 6.5.1988 solche Musik hat freilich ihre Längen, so apart die auch immer durchsetzt sein mögen mit ungewöhnlichen instrumentalen Effekten und Kombinationen; ebd. 18. 6.1988 daneben steht Maria Slavkova . ., die . . eine zierliche, apart-herbe Titelgestalt gibt; Spiegel 9. 7.1990 Und als Motor der „Aktion für mehr Demokratie" hat er noch 37 Künstler zu einer aparten Plakat-Edition angestiftet; Süddtsch. Ztg. 19.4. 1993 Sie ist eine der wenigen in München, die noch echte Couture anbietet: nach Maß gearbeitete Modelle mit aparten Schnitten; Spiegel 13.9.1993 In Wahrheit sitzen die meisten [Intellektuellen] regelmäßig vor der „Sportschau" und haben ihre Lieblingsmannschaft, aber sie werden sich hüten, dies in der Öffentlichkeit zuzugeben. Es sei denn, man tut das, um eine aparte Schockwirkung zu erzielen — etwa, wenn Walter Jens von seinem Eimsbüttler TV spricht. Apartheit: Fontäne 1897 Ges. W. I 5,240 Besonders der neben seinen ändern Apartheiten auch durch langes weißes Haar . . ausgezeichnete Professor hatte alles hinzureißen gewußt; Eckstein 1897 Roland 19 In seiner leicht erregbaren Seele glühte der unwiderstehliche Wunsch, dies Mädchen kennen zu lernen und das reizvolle Rätsel ihrer bestrickenden Apartheit zu lösen; Stuttgarter Ztg. 31.1.1968 [er] ließ es an klanglicher Apartheit dabei nicht fehlen; MM 21.10.1986 es leuchtet, es bezaubert mit Apartheiten und Heiterkeit, es wirkt wie ein Organismus, der lebt — nicht nur funktioniert. apartig: Müller 1786 Emmerich l 2,76 Aberst ich glaube, wenn unser Herr Paster hier seyn thäte, oder Vater Emmerich selbst, der noch viel apartiger ist, so würden sie eben das sagen; Heynatz 1796 Antibarbarus I 142 apart, ein . . fremdes

Apartheid Wort, woraus der gemeine Mann . . wohl gar ein neues Neben- und Beiwort apartig macht; Gotthelf 1846 Uli d. Knecht 72 „Oh, apartig nicht", sagte Uli, „aber er hätte es sonst merken können"; ders. 1854 Schuldenbauer 153 Es ist vom Uebel im Ehestand, wenn . . der Sinn sich einnistet, der Sondergut machen will, oder sonst nach Apartigem trach-

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tet; Holtet 1860 Eselsfresser III 282 Aber was ganz Apartiges muß es sein; sonst fange ich gar nicht erst an; Heyse 1872 Ges. W. l 1,45 Weiß wohl, Fräulein haben immer so etwas Apartiges gehabt, auch die Frau Mama gar nicht vergessen können; Maierheuser 1938 Dreizack 44 so ein apartiges Getue; ebd. 84 Apartig sind die und eingebildet.

Apartheid F. (-; ohne PL), Mitte 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. afrikaans apartheid, eigentlich '(Ab-)Gesondertheit', einer Bildung aus frz. a part (—» apart) und niederländ. -heid (entspricht dt. -heit). Häufig abwertend in der Bed. "Rassendiskriminierung durch strenge Trennung der farbigen (nicht nur der schwarzen) und der weißen Bevölkerung in der Republik Südafrika in allen Sphären des öffentlichen Lebens' (u. a. in Form von Paßgesetzen, Aufenthaltsbeschränkungen, Gewerkschaftsverboten, politischer Rechtlosigkeit); insbes. schlagwortartige Bezeichnung für ein politisch-gesellschaftliches Programm der seit 1948 regierenden Nationalpartei unter Ministerpräsident Malan mit dem Ziel der totalen Trennung der Südafrika bewohnenden Rassen, das als eine moderne Form der Sklaverei von vielen Staaten abgelehnt wird. Später Ausdehnung des Begriffs auch auf andere Formen der diskriminierenden Trennung verschiedener Menschengruppen (s. Belege 1959, 1986, 1993); häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Apartheidgesetze, -politik, -regime, -system, -Staat. Bad. Taghl. 5.11.1949 „Apartheid", das Schlagwort der Rassentrennung in Südafrika; FAZ 2.6.1951 Man kann durchaus in der Politik der „apartheid", wie Malan sie unter den besonderen Bedingungen des Landes wohl mit der großen Mehrheit der weißen Bevölkerung Südafrikas für notwendig hält, eine Gefahr für eine nicht allzu ferne Zukunft sehen; Süddtsch. Ztg. 20.9.1951 Gandhi war erst kürzlich in den Hungerstreik getreten, um zum Widerstand gegen die „Apartheid"Gesetzgebung der Südafrikanischen Union aufzurufen; Neue Ztg. 14.8.1952 Sein Nachfolger Malan und dessen Nationalistenpartei proklamierten dann die absolute Rassentrennung, die „Apartheid", und sorgten damit für ein Anwachsen der Differenzen, die zu verschärften Spannungen führten; Süddtsch. Zig 29. 8.1953 Die Apartheid ist also ein Versuch, die alte soziale Ordnung der Stammesverbände zu erhalten und zu fördern und die in den Städten entwurzelten Eingeborenen in eine neue soziale Ordnung einzugliedern, in der sie sich weiterentwickeln können, um so den Eingeborenen die Möglichkeit zu geben, später einen angemessenen Platz im Leben der Südafrikanischen Union einzunehmen. Auch die Vorlage sog. Apartheidgesetze steht mit diesen Maßnahmen im Einklang; ebd. 8.11.1953 Es gab daher einen leisen Schock, als in der UNO plötzlich auch die Japaner ihre Mißbilligung der Apartheid aussprachen; ebd. 13.9.1958 Auf dem anderen Pol steht die Politik

der Apartheid in der Südafrikanischen Union. Mit den Grundlagen, auf denen das Commonwealth in seiner heutigen Form ruht, ist sie nicht zu vereinbaren; ebd. 7.2.1959 Unter Smuts nannte man in Südafrika diese Politik Segregation, und seit Malan heißt sie Apartheid. Da das Wort Apartheid im Ausland in Mißkredit geraten ist, ziehen es viele Nationalisten vor, von getrennter oder paralleler Entwicklung zu sprechen; ebd. 12.2.1959 Dänische Apartheid (Überschr.) . . ein Jugendseminar über „rassische und andere Diskriminierung". Die ausländischen Teilnehmer werden in einem Gästehaus in Aarhus wohnen, in dem Deutsche nicht zugelassen sind. Das Gästehaus wurde . . von der dänischen Freiheitsbewegung als Erinnerungsstätte für die im Krieg gegen die deutsche Besatzung in Dänemark gefallenen Dänen gebaut; Offenburger Tagebl. 9.4.1960 Sie [burische Nationalisten] wollen ihre Apartheid bis zur letzten Konsequenz durchsetzen, selbst wenn sie damit ihr eigenes Grab schaufeln; Süddtsch. Ztg. 14.4.1960 Erzbischof de Blank hatte an den Weltkirchenrat appelliert, gegen die reformierten Kirchen in Südafrika Maßnahmen zu treffen, da sie die Apartheid-Politik der Regierung billigten; Stuttgarter Ztg. 5.4.1961 Die „Apartheid"-Politik ist für die „Afrikaaners", wie die Buren sich hier nennen, nicht irgendeine Politik zur Aufrechterhaltung der weißen Vorherrschaft, sie ergibt sich aus der calvinistischen Lehre von der Prädestination. Nach der

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Apartment

Überzeugung der Holländischen Reformierten Kirchen ist die burische Gemeinschaft nun einmal ein „Auserwähltes Volk" und ihre Selbstbehauptung mit allen Mitteln, eben die „Apartheid", ist ein Gott wohlgefälliges Werk; Süddtscb. Ztg. 16.11. 1963 Entgegen dem Wall der Apartheidgesetze nimmt die Integration der Schwarzen in den weißen Siedlungsgebieten immer stärker zu, und die unteren Lohnkategorien der Weißen nähern sich immer mehr den höheren Löhnen, die Schwarzen angeboten werden; ND 9.11.1964 in Anbetracht der Apartheid-Politik des Verwoerd-Regimes auch im Sport hat der jüngste unabhängige afrikanische Staat, Sambia, jegliche sportliche Beziehungen zu Südafrika abgebrochen; FAZ 24.8.1970 Teilung, nämlich durch Trennung in Ost und West, weiß und farbig, durch Apartheid und Gettos sei kein Mittel der Versöhnung, sondern nur ein Aufschieben der gegenseitigen Vernichtung; ebd. 6.11.1970 Die bisher gegen die Apartheid ergriffenen Maßnahmen wie Boykotte oder Abbruch der diplomatischen Beziehungen seien tragisch und lächerlich zugleich; ND 16.5.1974 seine Organisation kämpft seit Jahrzehnten gegen jene besonders unmenschliche Form nationaler und sozialer Unterdrückung, die unter dem Begriff „Apartheid" als Schaden des 20.Jahrhunderts in unsere Zeitgeschichte eingegangen ist; ebd. seit Anbeginn hat die UNO das Apartheid-Regime in zahlreichen Resolutionen und Boykott-Beschlüssen verurteilt; Zeit 25.1.1985 Viele der Gesetze, die die Schwarzen benachteiligen, stammen schon aus den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts, aber die kategorische und totale Diskriminierung, also die grundsätzliche Apartheid — die hat erst Ministerpräsident Verwoerd erfunden; ebd. 5. 4.1985 aber auch dort haben die Unruhen der letzten Tage und Wo-

chen bewiesen, daß das Apartheidsregime zwar immer noch Demonstrationen niederschlagen, aber seine Herrschaft nicht mehr vor der Welt legitimieren kann; ebd. 19. 7.1985 übrigens hat Staatspräsident Botha kürzlich zugegeben, daß die Apartheid aus vorindustrieller Zeit stammt und daher überholt ist; MM 30. 7.1985 sie fordern den Kampf aller Rassen gegen das Apartheidregime; Zeit 23.8.1985 „weiße Machterhaltung um jeden Preis": das heißt Festhalten an starrer ApartheidPolitik; ebd. 31.1.1986 „Behinderung", sagt Ernst Klee, „heißt für die Betroffenen schlicht Apartheid im eigenen Land"; MM 4.10.1986 die eigene Völkervielfalt, die lange Tragödie des Rassismus im eigenen Land, die Solidarität der Millionen schwarzen Amerikaner mit ihren unterdrückten Rassengenossen — all das hat bewirkt, daß in den vergangenen zwei Jahren die südafrikanische Apartheid zu einem der heißesten Themen in Amerika wurde; ebd. 10.4.1987 außer der Deutschen Bank werden noch sieben weitere deutsche Geldinstitute namentlich genannt, die zu „den 20 international führenden Kreditgebern für den Apartheidstaat" gehörten; Lukoschik 1991 In u. Out 188 f. Nachdem die vormals Buromanen Herrschaften ihren weißen Horizont endlich sooo weit dem weltpolitischen Standard anpassen, daß sie die Apartheid allmählich aber nachhaltig abbauen, spielt der Trend-Tramp ebenso allmählich mit dem Gedanken, im Winter seine Pfade am Kap zu suchen; Süddtsch. Ztg. 4J5. 9.1993 Aborigines fordern Selbstverwaltung. Ureinwohnern werden deshalb Apartheidsbestrebungen vorgeworfen (Überschrift); ebd. 5.11.1993 Er ist der Enkel von Hendrik Frensch Verwoerd, dem südafrikanischen Premierminister der fünfziger und sechziger Jahre, dem die Historiker den zweifelhaften Titel des Apartheid-Architekten zuschreiben.

Apartment s. Appartement Apathie F. (-; ohne PL), seit früherem 18. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus lat. apathia 'Leidenschaftslosigkeit, stoische Gelassenheit, Unempfindlichkeit' (< gleichbed. griech. , zu 'keinen Eindruck erleidend, leidenschaftslos, empfindungslos', gebildet aus dem Negationspräfix - (—»· a-Präfix) und 'Gemütsbewegung, Leidenschaft, Schmerz, Leid'; —» Pathos), bis ins 20. Jh. gelegentlich in der griech./lat. (flekt.) Form. a Zunächst und bis heute selten im philosophischen Bereich für die von den Stoikern angestrebten Ideale der Leidenschaftslosigkeit und des Gleichmuts (gegenüber Schmerz ebenso wie gegenüber Lustgefühlen), die als Bedingung für den Zustand der Glückseligkeit (Eudämonie) angesehen wurden, bes. im Syntagma stoische Apathie, b Von daher schon seit späterem 18. Jh. auch allgemeiner verwendet, vor allem auf Verhaltensweisen von Personen(-gruppen), Institutionen u. ä. bezogen in der Bed.

Apathie

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'(Zustand der) Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen und der Umwelt; Mangel an Reaktion, Aktivität oder Energie; Teilnahmslosigkeit, Passivität' (—» Depression, —» Phlegma, —* Resignation), bes. in Wendungen wie in völlige, dumpfe Apathie versinken, verfallen, jmdn. aus seiner Apathie herausreißen, aus seiner Apathie erwachen, seine Apathie überwinden, die politische Apathie der Jugend; daneben seit Anfang 19. Jh. speziell in Medizin und Psychologie als Bezeichnung für eine durch Krankheit (z. B. hochgradige geistige Schwäche) oder durch Unfall, Schock, Erschütterung u. ä. bedingte {dauernde oder vorübergehende) Empfindungslosigkeit, gefühlsmäßige Unansprechbarkeit oder geistige Stumpfheit und Erstarrung (im Unterschied zu Lethargie 'Bewußtseinsstörung, Schläfrigkeit'), z. B. an/unter Apathie leiden (s. Belege 1803, 1809, 1914, 1970, 1977, 1987). Dazu seit Anfang 19. Jh. die adj. Ableitung apathisch in der Bed. 'teilnahmslos, gleichgültig, interesse-, willen-, energielos, phlegmatisch; abgestumpft', z. B. in den Wendungen ein apathischer Mensch, völlig apathisch sein, dasitzen, wirken, apathisch dahinleben, -vegetieren, sich in einem apathischen Zustand befinden, gelegentlich auch im medizinischen Bereich gebraucht (s. Belege 1822, 1987); Ende 18. Jh. die vereinzelt belegte, bis ins frühere 20. Jh. gebuchte subst. Ableitung Apathist M. (-en; -en) 'gefühl(s)loser, gleichgültiger Mensch' (zu b). Apathie a: Zedler 1732 Universallex. U 775 Apathia, . . Es hieß bei denen Stoicis diejenige Eigenschafft ihres Weisen, nach welcher er von denen . . Productis nicht soll gerühret werden; 1738 Hamb. Berichte 163 Der Hr. B. aber nennet den Buskampf einen grossen Ernst, den niemand leugnet. Das heist ja wol scharf widersprochen! etwa wie die Aristotelici und Stoici über die Affecten disputirten, als . . diese behaupteten, und beide ganz unterschiedene Beschreibungen der Affecten gaben; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. X 117) bey einem Stoiker, der immer ein Auge auf die Apathie hatte; Herder 1767-68 S. W. // 152 eine schöne Mittelart [der Poesie], die zwischen der unmoralischen Leidenschaft und der moralischen Apathie sich erhält in himmlischen Gegenden; Wieland 1768 Musarion (S.W. Ill 28) Die Majestät der Liebeskönigin . ./ Bestürmt auf ein Mal, für die Ehre/ Der Apathie zu stark, den überraschten Sinn . . [in einer Anm. dazu:] So nannten die Stoiker die vollkommene Gleichgültigkeit ihres Weisen gegen alle sinnliche Eindrücke von Schmerz und Vergnügen; Meiners 1776 Sehr. II 130 Ueber die Apathie der Stoiker (Überschr.); ebd. U 135 Man ließ sich in dieser eifrigen Erfindung von Einwürfen . . durch die . . Erklärungen der Stoiker von Leidenschaften und Apathie nicht irre machen. Apathie wurde, und ist noch bis auf den heutigen Tag . . ein gleichgeltender Ausdruck mit Gefühllosigkeit; Hermes 1778 Sophiens Reise U 432 Die Welt weis das: aber sie behandelt die Geistlichen, als hätten sie sich für die Apathie der Stoiker erklärt; Herder 1785 S. W. Xlll 293 Stoische Apathie also auch in körperlichen Schmerzen ward ihnen zur Naturge-

wohnheit; Feder 1793 Untersuchungen IV 75 die viel gepriesene und viel belachte Apathie oder Freyheit von Leidenschaften, soweit sie möglich ist; Jean Paul 1795 Fixlein (W. VII 199) Dieser Gesichtspunkt . . erhebt zu einer Standhaftigkeit, die erhabener, seltener und süßer ist als die stoische Apathie; Kant 1798 Anthropologie 167 Das Princip der Apathie: dass nämlich der Weise niemals im Affect, selbst nicht in dem des Mitleids mit den Uebeln seines besten Freundes sein müsse, ist ein ganz . . erhabener moralischer Grundsatz der stoischen Schule; Burmeister 1855 Geolog. Bilder II 166 Ich mußte meinen ganzen . . Stoicismus aufbieten, um mir . . die zu bewahren (SANDERS 1871); Rehm 1951 Götterstille 34 wollte er [Racine] statt der „Apatheia" die „Sympatheia" hervorrufen, . . also die eigentlich individuellmenschlichen, mitfühlenden, mitleidenden Leidenschaften. Apathie b: Goethe 1774 Br. (WA IV 2,174) Der Dechant war einige Zeit kranck, jetzt sind wir in dem Garten fleisig, säen, binden, gäten und essen, er will in der Apathie was vor sich bringen, ich aber der ich sehe es geht nicht, übe mich täglich in der Anakatastasis; Ramdohr 1787 Malerei III 12 die ruhige Geistesstärke der handelnden Person . . läßt sich nie auf dem Bilde versinnlichen: sie wird zur Apathie, zur Inaktion; 2792 Das Neueste IV 308 Der König, sagt die Gazette de France, zeigt in seinem Gefängnisse noch immer eine Art von Apathie (Fühllosigkeit); Weikard 1798 Arzt II 22 Solche starre Anstregung kann freylich nicht lange dauern; sie muß wieder nachlassen oder in indi-

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Apathie

rekte Schwäche, in Sinnlosigkeit, Stupidität, größte Gleichgültigkeit (Apathie) übergehen; Keil 1803 Rhapsodien 409 die Apathie der Blödsinnigen und die Trägheit ihres Begehrungsvermögens; Brun 1806 Episoden l 228 während ich in dieser Apathie vegetierte; 1809 Journal d. pract. Arzneykunde XI 1,16 Fühllosigkeit, krankhafte Apathie; Görres 1810 Poiit. Sehr, l 130 mit welcher trägen Apathie ohne alle selbständige Gegenwirkung diese in Lob und Tadel die frechsten Urtheile sich aufdringen läßt; Soden 1816 National-Ökonomie VI 145 jene Erschlaffung, jene Apatie [!] . ., welche die Seelenkräfte abspannt; 1820 Die Wage II 7 Aus der die Sinne und den Geist fesselnden katholischen Religion erklärt sich die Apathie dieser Gesichtszüge; Wit v. Dörring 1827 Fragmente II 50 Dahin war mein früherer Gleichmuth, entschwunden die erstarrende Apathie; Pückler-Muskau 1831 Br. I 47 die Hälfte der Unglücksfälle sei der Apathie der Arbeiter selbst zuzuschreiben; Pönitz 1843 Militär. Br. II 133 Indes war es nicht leicht, die Türken aus ihrer Apathie zu reißen; Kohl 1844 Brit. Inseln l 455 Wir Deutschen leben nach der Meinung der Engländer in einem Zustande politischer Apathie; Stahr 1847 Italien I 165 die vollständige Apathie der [in Rom] lebenden deutschen Künstler gegen die politischen Lebensbewegungen im Vaterlande; 1855 Prutz'Museum II 84 sprach ich . . von der Apathie, die auf unsern literarischen Verhältnissen lastet; dieselbe Apathie ist auch der Krebsschaden, der unsere politischen und socialen Zustände zerrüttet; ebd. // 739 Die politische Apathie, die bei uns wie anderwärts für gewöhnlich herrscht. ., hat durch die letzten Kammerwahlen einen gründlichen Stoß erlitten; Moltke 1856 Wanderbuch (Paris) 172 Dass seine Ruhe nicht Apathie, sondern das Ergebniss eines überlegenden Geistes . . ist; Holtet 1863 Letzte Komödiant l 291 dann fallen sie [Frauen, die einen Mann erobert haben] in die Apathie orientalischer Sultaninnen zurück, gönnen sich und ihrer Zunge möglichste Schonung; Meissner 1866 Schwarzgelb 145 herrschte [in Kraßnitz] . . eine bis an Gedrücktheit streifende Ruhe . . Aus dieser Ruhe, dieser Apathie, diesem Todesschlaf der Lebensgeister erwachte Keiner; Hillebrand 1874 Frankreich 47 daß in allen Lebenssphären . . die fieberhafte Leidenschaftlichkeit weniger Parteimänner die Masse der Guten erst zum schweigenden Unterwerfen, dann zur Apathie bringt; 1880 (Mamroth 1907 Leben 26) die Bevölkerung verzweifle an ihrem Schicksal in trüber Apathie; Burckhardt 1880 Br. a. Preen 152 Bei aller „Apathie" [in polit. Fragen]; Gottschall 1885 Totenkl. 274 Gegen ihre Apathie scheint es kein Mittel zu geben; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 73) nahm seine nachdenkliche Apathie in erschreckender Weise zu; Hegeler 1908 Ärgernis 302 so lag

Ernst. . noch mehrere Tage in einer fast vollständigen Apathie, zum großen Staunen der Ärzte; Freud 1911—24 Metapsychol. Sehr. 97 das Auftreten von Zeichen einer Überbesetzung des eigenen Ichs, der Ausgang in völlige Apathie, all diese klinischen Charaktere scheinen zu der Annahme eines Aufgebens der Objektbesetzungen trefflich zu stimmen; Münsterberg 1914 Psychotechnik 322 Für die klinische Diagnostik steht die Beobachtung der Affekte . . im Mittelpunkt. .. Dabei sind die schweren Zustände der Exaltation, der Depression und der Apathie kaum zu verkennen; Brachvogel 1919 Glück 281 Eine Apathie war jetzt in ihr, die mehr quälte als Unruhe; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 84) weil [er] nicht nur in Trübsinn, sondern in eine gewisse verzweifelte Apathie verfallen ist; Colerus 1929 Kaufherr 60 Inez schien die Apathie und Weltverlorenheit des Großindustriellen ., sehr zu amüsieren; Voss. Ztg. 6. 9.1931 Diese Bedenken erklären auch die „Apathie" der Reichsregierung diesem Problem gegenüber; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. XII 780) aus . . moralischer Apathie, aus Stumpfheit und müdem Geschehenlassen; Münch. N.N. 10.2.1945 Die anderen werden der Verzweiflung ausgeliefert sein oder der Apathie verfallen; Th. Mann 1945 Nachtr. (W. XIII 784) den Menschengeist mit Abstumpfung, Apathie, fatalistischer Resignation bedrohen; ders. 1952 Reden u. Aufs. (W. X 932) Apathie und Angst machen uns zu moralischen Krüppeln; Frisch 1957 Homo faber 45 es ging nur, indem man in der Hängematte hing mit bloßen Füßen und sich nicht rührte, rauchend, Apathie als einzig möglicher Zustand; Welt 7.11.1964 die Apathie nicht nur der zuständigen Ministerien, sondern . . auch der gesamten bundesdeutschen Öffentlichkeit; Stuttgarter Ztg. 11.3.1968 er habe keine Geduld . . mit der „politischen Apathie" von Christen, die mit dieser argen Welt nichts zu tun haben wollten; Weidenbach 1970 Infektionen o. S. kommt es . . in den ersten 8 — 9 Lebenstagen zu einem plötzlichen Erkrankungsbeginn mit Appetitlosigkeit, Erbrechen, Durchfall und Apathie; Andersch 1971 Kirschen 69 von der Hitze in die Apathie der Erschöpfung getrieben; Hocke 1976 Tagebücher 149 Nach Tagen völliger Apathie wird die nihilistisch-melancholische Todessehnsucht zur religiösen Nachfolgeschaft; Pschyrembel 1977 Klinisches Wb. 72 Apathie . .: Dauernde od. vorübergehende Herabsetzg. bzw. Aufhebung d. gemütlichen Ansprechbarkeit, Teilnahmslosigkeit gegen äußere Eindrücke; kommt vor als Reaktion auf erschütternde Ereignisse, b. Schwachsinnigen . ., Psychopathen; Strauß 1980 Rumor 58 ihn konnte eine einzige Demütigung fällen und in ausweglose Apathie versenken; ders. 1984 Mann 117 hatten sich unsere Syks trotz weitgehender Entlastung vom Arbeits- und

Apathie Erwerbsleben keineswegs der Faulheit und Apathie ergeben; Zeit 30,8.1985 Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressionen oder Apathie seien die Folge stressiger Schultage; ebd. 9.5.1986 die an Führungsschwäche und Wählerapathie leidende Arbeiterpartei; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 111 Unentschlossenheit, Apathie, Gefühle der Lähmung, tote Momente überfielen den Anwalt; Zeit 27.3.1987 das Ergebnis sei politische Apathie, Parteienverdruß, Überanpassung und Konformität in der Bevölkerung; ebd. 10.4.1987 zu entscheiden, ob die herrschende Apathie auf Gleichgültigkeit oder auf Unvermögen zurückgeführt werden muß; MM 4.8.1987 zu häufiges Alleinsein, enge Wohnungen oder Verkehrsstreß können zu Apathie führen, Durchfall oder Haarausfall hervorrufen; Stern 31.5.1990 Die Angst verschließt den Chinesen den Mund. Apathie hat das Land befallen; Süddtsch. Ztg. 20./21.11.1993 Verzweiflung, Apathie hatte sich [nach dem Krieg] der vielen in Deutschland . . bemächtigt, die nur von Niederlage sprachen. apathisch: E. T. A. Hoffmann 1815 S. W. 11 207 Ihr befandet Euch in einem vollkommen apathischen Zustand; Neumann 1822 Krankheiten 340 Nimmt an der Krankheit des intuitiven Vermögens weder die Perceptivität, noch der Wille Theil, ist der Kranke weder apathisch, noch ungewöhnlich leidenschaftlich, . . so ist er wahnsinnig, aber nicht tobsüchtig; Wit v. Dörring 1828 Fragmente 111 82 Gedankenlos und apathisch wie er war, gewöhnte er sich mit der Zeit auch an diese Lage; . . verfiel er in den . . Zustand fast kindischer Abspannung, aus welchem gar nichts mehr ihn zu reißen vermochte; Rüge 1833 Briefw. u.Tagebuchbl. l 33 Ich kenne seinen störrigen Charakter und da er sich nun einmal drauf gesetzt hat, gegen alles kalt und apathisch zu sein, . . so ist jeder Versuch zu einer Restauration der alten Freundschaft jetzt völlig unmöglich gewesen; Gaudy vor 1834 S. W. X 61 Goethe nennt irgendwo diesen apathischen Zustand der Seele: behagliche Nullität des Daseyns; 1839 Er. Vormärz 19 Bach ist ein sonderbarer Geist. . . Ich bin ihm gut, aber einem so kalten apatischen [!] Menschen könnt' ich nie mit warmer Seele Freund seyn; Devrtent 1845 Tagebücher l 269 Schuhmann ist mehr als schweigsam, er ist apatisch [!]; 1855 Prutz'Museum II 890 nach langer apathischer Ruhe; 1858 Kunst, u. Handwerk II106 in abgelegenen, vom Schauplatz der Wirren entfernten Orten, wo man sich einer apathischen Ruhe zu erfreuen gehofft hatte; Rodenberg 1863 Strassensängerin HI 119 Gleichgültig, fast apathisch hatte Anne Laurie den Brief . . erbrochen; Hohenlohe-Ingelfingen 1864-70 Leben III 395 wie ich es nach dem apathischen Zustande . . erwartet hatte, in dem ich sie [Truppen] früher vorgefunden

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hatte; 1865 Briefw. Roon-Perthes 41 Es ist . . eine thörichte contradictio in adjecto anzunehmen, dass die „apathische Masse" uns zur Heilung des chronischen Schadens [Revolution] verhelfen werde; Reichenbach 1880 Roman e. Bauern/ungen 136 Franz, der ziemlich apathisch hinter der Dame hergetrottet war, sah bei dem Namen Werkmann auf, wie einer, der plötzlich aus einem Traum wachgerüttelt wird; Fontäne 1882 L'Adultera 172 von der Kranken apathisch angenommen; Perfall 1887 Verhältnis 13 verhielt sich ziemlich apathisch [einem Gerücht gegenüber]. Sie begnügte sich mit Ausrufungen des Abscheues; Sommerfeld 1894 Wetter 47 Du blickst mich an so wehmutbleich/ So krankhaft müde, so apathisch weich; Polko 1895 Hell u. Dunkel 157 Blass und apathisch sass sie . . in ihrem Zimmer; 1895 Dtsch. Dichtung XVIII 196 mit dem gewohnten apathischen Gesichtsausdruck; Janitschek 1898 Ins Leben verirrt 166 reichte ihr apathisch die Hand; Perfall 1904 Künstlerblut 29 Stephan stand apathisch daneben, von einem Gendarmen bewacht, er leugnete nichts; Böhme 1905 Tagebuch 119 Die ersten Tage lag ich ganz apathisch da, später verlor ich oft für Stunden das Bewußtsein; Wassermann 1910 Masken 338 Virginia ließ sich apathisch die Jacke anziehen; apathisch befestigte sie den Hut in den Haaren. . . Sie erfaßte nur dumpf, was geschah und was sie tat; Hesse 1910 Rosshalde 247 Er lag . . wach und blickte apathisch geradeaus; 1921—22 Schweizer. Monatsh. l 184 in den apathischen Zustand [kommen], in dem man auch die . . französische Herrschaft dem langsamen oder todsicheren Hinsterben vorzieht. Das ist der tiefere Sinn der französischen Sanktionspolitik im besetzten Gebiet; Dominik 1928 Uraniden 149 Dann fiel sie langsam in ihren apathischen Zustand zurück; Hintz 1931 Gisela 239 Melos, der apathisch vor sich hin gestiert hat; Th. Mann 1933 Nachtr. (W. XIII 84) Geschlechter . ., deren seelische Affinität mit der Welt Wagners so gering ist, daß man wünschte, ihr Verhältnis zu seinem Werk feindselig nennen zu dürfen, statt es apathisch nennen zu müssen; ders. 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 721) der Vorsitzende befragt den apathischen Lubbe sehr ernst nach der Wahrheit; Kesten 1952 Casanova 141 Apathisch legte er sich zu Bett. Nur noch zweimal in seinem Leben sei er so niedergeschlagen gewesen; Welt 16.12.1959 halbverdeckt vom Kot zappelte apathisch ein . . in den Graben gefallenes Küken; ND 21.2.1964 wo Schüler hungrig und apathisch die Schulen hinter sich bringen; Bernhard 1967 Verstörung 37 hingegeben an eine apathische Lebensweise; ebd. 153 Aber es beunruhigte sie nicht mehr, weil sie . . schon völlig apathisch geworden waren; MM 16.1.1985 weil es [Medikament] stärker schmerzlindernd sei, nicht so apathisch mache; Zeit 3.5.1985 seine

52 frommen Propagandasprüche hatten Millionen . . bis dahin politisch apathischer Wähler aufgerüttelt; Stern 1986 Erinn. 75 vorbei an den Menschen, die hungrig, stumpf, apathisch an Häuserwänden lehnen; Zeit 23.1.1987 die Teestube der Inneren Mission . . ist überfüllt: Wohnungslose, . . abgewrackte Erscheinungen, die apathisch dahindösen; ebd. 6.3.1987 ein Nachlassen der motorischen Aktivität h a t . . häufig ein Abfallen in apathische Zustände zur Folge; MM 2.6.1987 die Medizin schlägt schlecht an, Holger ist apathisch, fühlt sich dauernd müde, kann sich nicht aufraffen; ebd. 3.3.1988 tagelang, wochenlang apathisches Weinen; Spiegel 30.11.1992 Dann, im Sommer, ließ

Jenny den Rüssel hängen, atmete schwer und blickte apathisch ins Gehege; Süddtsch. Ztg. 23.3.1993 eine darbende Bevölkerung, alle Macht in den Händen einiger . . Reicher, .. unzufriedene Streitkräfte, eine apathische Bürokratie und irgendwann dann mal ein paar . . militante Typen; Spiegel 28.6.1993 Geschäftsleute und Touristen schieben sich in das türkische Generalkonsulat, geduldig bis apathisch. Apathist: Jean Paul 1801 S. W. l 8,416 Ihr ganzes Thuh ist die geistreichste Nachahmung von jenem Spiel der florentinischen Apathisten.

. (-s; -s), Ende 18. Jh. übernommen aus frz. aperqu 'kurzer Überblick', eigentlich 'das Wahrgenommene' (subst. Part. Perf. von apercevoir 'wahrnehmen, bemerken, erblicken', zu percevoir 'wahrnehmen' < lat. perdpere 'einnehmen, bemächtigen', zu capere 'nehmen, fassen, ergreifen'; —» Apperzeption), anfangs auch in den Formen Appercu, Apercu. Meist bildungsspr. verwendet zunächst für 'flüchtige, übersichtliche Darstellung, rascher Überblick' (s. Belege 1798, 1810), auch 'erste gedankliche Konzeption eines Kunstwerkes, Entwurf (s. Beleg 1798), seit früherem 19. Jh. in der Bed. 'Eingebung, Einsicht, Gedanke, geistreicher Einfall' (s. Belege 1831, 1852, 1869), heute meist für 'treffende, geistreiche, prägnant formulierte Bemerkung' (—* Pointe), häufig in Wendungen wie ein geistreiches, glänzendes Aper9u. Schiller 1797 Br. V 189 daß das Ganze nur aus einzelnen Apper^us besteht und daß keine theoretische vorgefaßte Begriffe dabey im Spiele sind; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,20) Ich will nächstens Ihnen ein über das Ganze schreiben, um von meiner Methode, vom Sinn und Zweck der Arbeit Rechenschaft zu geben; ebd. 13,148 Indeß war mein erstes einer Achilleis richtig und wenn ich etwas von der Art machen will und soll so muß ich dabey bleiben; ders. 1808 Br. (WA IV 20,222) Ich lese die Nibelungen vor . . Mir sind dabey recht artige Aperfus vorgekommen und wenn man ihnen hier und da leugnen möchte, daß sie ganz genau zum Gegenstand passen, so sind sie doch schon lustig für sich selbst; ders. 1810 Farbenlehre (WA U 3,247) Alles kommt in der Wissenschaft auf das an, was man ein Aper$u nennt, auf ein Gewahrwerden dessen, was eigentlich den Erscheinungen zum Grunde liegt; Pückler-Muskau 1831 Br. III 399 mit einem etwas allgemeinen apperfu schließen; Schopenhauer 1840 Moral 94 sie [die zweite Formel Kants] hat . . das Verdienst, ein feines psychologisch-moralisches appercu zu enthalten; Preller 1845 Aufs. 398 Was Wolf, ohne besonders im archäologischen Material versirt zu sein, durch geniales Apercu gesehen, das haben die . . Archäologen . . bestätigt; Waitz 1852 Pädagogik

55 geistreiche Apper9us; 1852 Prutz' Museum II 254 geniale Aperfus; Haym 1859 Ges. Aufs. 50 eine Fülle der frappantesten Bemerkungen und Aperfüs; Hartmann 1869 Philosophie 9 die imposante Geschlossenheit ihrer [der Philosophen] Systeme, . . ihre genialen, das Verborgenste aufhellenden Lichtblicke, . . ihre geistreichen Aperfus; Mommsen 1875 Reden u. Aufs. 54 Männern wie Gauss und wie Böckh [sind] die grossen Ape^us, durch die sie die Erkenntnis der Welt gefördert haben, sämtlich in ihren Jugendjahren aufgegangen; Nürnberger 1877 Herzenssachen 162 Wahrlich ein sinniges Apercu, diese Laura-Episode; Rutenberg 1877 Zinne 210 geistreiche aper£us über modern zugespitzte Rechtsfragen; Stinde 1886 Wandertruppe 69 die reizendsten Apercu's füllen der ersten Akt; T/7. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 444) was aber Madame Permaneder anging, so war sie glücklich, so äußerte ihre lichte Gemütsstimmung sich in Aperfus wie diesem, daß das irdische Leben doch hin und wieder auch seine guten Seiten habe; Benjamin 1910 Br. I 27 aus welcher Beobachtung einige Apercus resultieren; Bahr 1925 Liebe I 234 von einem glänzenden Apercu den glücklichsten Gebrauch zu machen; Th. Mann 1930 Erz. (W. VIII 669) ein Dichter hat gesagt, es sei Trägheit, was uns in peinlichen Zuständen festhalte — man

Aphorismus könnte das Apercu zur Erklärung unserer Beharrlichkeit heranziehen; Voss. Ztg. 8.6.1930 Gütig und jugendlich lebhaft, sprach sie von ihren Bestrebungen, ihren Ideen und großen Zielen, mit kleinen, humorvollen Apergus dazwischen; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 341) Goethe's erzieherischer und moralisierender Hang bekundet sich im besonderen in seiner Neigung zum Sentenziösen, zum moralischen und psychologischen ; Münch. N. N. 13.8.1940 [es traf] sie schmerzlich, daß gerade die Männer, auf deren Urteil sie Wert legte, bei ihren Aper5us verhohlen durch die Nase gähnten, indes sie den Plattheiten knapp zwanzigjähriger Gänschen animiert lauschten; Welt 29.12.1949 es geht hier nicht darum, .. ob über die politische Meinung des deutschen Volkes ohne dessen Befragung apodiktische Aper$us gemacht werden dürfen oder nicht; Miller 1950 Köpfe 223 Der Aphorismus geht vom Zufall, vom Einfall, vom Apercu aus; Heuss 1963 Erinn. 52 ich erzähle diese Anekdote . ., weil sie mir die Peinlichkeit auferlegte, noch nach Jahren . . die Autorschaft an diesem reizenden Apercu zurückzuweisen; MM 14.11.1985 denn seine assoziationsreichen Apercus wurden von der Vitalität, die der Sänger am Klavier vorlegte, mehr als einmal regel-

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recht überflutet; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 196 Maggioni, immer gut für geistreiche Apercus über die Mode, das Wetter, den Terrorismus . .; Zimmer 1986 Redens Arten 118 Gewiß ist „Grammatik" hier nichts als ein interessant tuendes Wort für ein paar lockere Apercus, aber streng und seriös wirkt es schon; Zeit 30.1.1987 die Apo wäre für den Deutschunterricht nur ein erfrischendes Apercu geblieben, wenn nicht die Kultusminister Mitte der siebziger Jahre die Oberstufe reformiert und die Pädagogen von ihren verstaubten Leselisten befreit hätten; ebd. 20.3.1987 diese Betrachtungen, Selbstgespräche, hingeworfene Bemerkungen, geschliffenen Apercus haben sämtlich eine Mitte; Süddtsch. Ztg. 26.1.1993 Daß der Philister wohl vielleicht in der Sache recht habe, nicht jedoch in den Gründen, ist ein Apercu, das vortrefflich intellektuelles Überlegenheitsgefühl bestätigt; Spiegel 15.2.1993 Jedenfalls beherrscht er das Crescendo seiner in sprudelndem Deutsch vorgetragenen Verlautbarungen bravourös, vom diskret geplauderten Apercu bis zum großen Zampano, den er gern herauskehrt; Süddtsch. Ztg. 12.8.1993 Viel schlimmer aber ist, daß einem noch nicht das passende Apercu, die gelungene Pointe eingefallen ist, und gleich ist Pause.

Aphorismus M. (-; Aphorismen), im frühen 16. Jh. über mlat. a(m)phorismus, spätlat. aphorismus 'kurzer Lehrsatz' entlehnt aus griech. 'Abgrenzung, Bestimmung; kurzer Satz, der den Hauptbegriffeiner Sache gedrängt zusammenfaßt' (zu 'abgrenzen, festsetzen, definieren', aus - 'von-weg, ab' und '(die Grenzen) genau bestimmen, festsetzen, definieren', zu 'Grenze'), bis ins 18. Jh. auch in lat. (flekt.) Form (vgl. bes. a). a Zunächst Bezeichnung für die Gesamtheit der medizinischen Lehrsätze einer unter Hippokrates' Namen überlieferten Sammlung (s. Belege 1530, 1700, 1766), dann auch für andere medizinisch-naturwissenschaftliche Thesen und kurze, belehrende Sätze aus einer Wissenschaft (s. Belege 1586, 1791-1805). b Seit spätem 18. Jh. nach Bekanntwerden der in Frankreich entwickelten entsprechenden literarischen Gattung unter Einfluß von gleichbed. frz. aphorisme als häufig im PL verwendete Bezeichnung für eine eigenständige, bes. von Lichtenberg fortgeführte Prosaform, zunächst in der Bed. 'kurzer, prägnanter Satz, fragmentarische Notiz, Skizze, inhaltsreicher Gedankensplitter' (im Unterschied zu —* Maxime, —» Sentenz; s. Belege 1888, 1899), dann auch allgemeiner 'in sich geschlossener, geistreicher, prägnant formulierter, oft subjektiv gefärbter Sinnspruch mit dem Ziel, durch effektvolle Verwendung rhetorischer Stilmittel überraschend eine Erkenntnis, Erfahrung, Lebensweisheit zu vermitteln und zum Nachdenken anzuregen'; in Wendungen wie ein geschliffener, geistreicher Aphorismus und in der Zs. Aphorismensammlung. Dazu seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung aphoristisch (< griech. 'zum Begrenzen, Bezeichnen gehörend, trennend, in kurzen und bestimmten Sätzen', vgl. gleichbed. frz. aphoristique ), zunächst 'unverbunden, kurz, abgebrochen, skiz-

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Aphorismus

zenhaft, fragmentarisch, in der Art eines Lehrsatzes' (s. Belege 1796, 1821), dann 'in kurzen, treffenden Kernsätzen formuliert, in sentenzartiger Form, im Stil des Aphorismus, spruchweise; prägnant, geistreich', häufiger in Wendungen wie aphoristische Schreibart, aphoristischer Stil 'Ausdrucksweise, die weniger in zusammenhängenden Sätzen als in zugespitzten Formulierungen argumentiert', über etwas aphoristisch ('kurz, andeutungsweise') berichten (zu b). Dazu im frühen 20. Jh. die adj. Ableitungen aphorismenartig und aphorismatisch in der Bed. 'zugespitzt, in der Art und Weise eines Aphorismus', die seltene subst. Ableitung Aphoristik F. (-; PL ungebr.) in der Bed. 'Kunst, Fähigkeit, Aphorismen zu schreiben, zu formulieren', und schon seit Ende 19. Jh. die Personenbezeichnungen Aphorist (im 19. Jh. nur gebucht) und Aphoristiker M. (-s; -) 'Aphorismenschreiber, Verfasser von Aphorismen' (alle zu b). Aphorismus a: Paracelsus 1530 S.W. / 8,217 so sie doctor werden, so sagen ir, er ist mein discipel gewesen zu Leipzig, hat von mir Avicennam, Galenum etc gehört und aphorismos Hippocratis etc und vil guter ding; ders. 1537 S. W. l 10,435 also kan ich mir auch wol gedenken, das Hippocrati also auch gewesen, ist ime ergangen wie ändern, das in dan zu disem spruch gezwungen hat, von stunt an in sein ersten aphorismum zusezen, nemlich zu einer erinnerung; Rifius 1549 Bereyttung in speyss 23 a vnnd wie der alt namhafftig Griechisch Medicus Hyppocrates anzeigt/ erwecket die Milch Hauptwee/ darumb setzet er ein sonderliche Regel oder Aphorismum/ dz man denselbigen so mit hauptwee behafft/ . . kein Milch geben soll; Federmann 1578 Petrarca 362 Wann man verstünde mit groß acht/ Gar wol die Aphorismi sein/ Inn kurtzer Summ gefasset sein; Mathesius 1586 Syrach 36 a Derhalben schreibet Syrach in diesem vnd in den folgenden Capiteln gar gute vnd nützliche Aphorismos vnd Artzney Regeln; Fioravanti 1632 Regiment d. Pestilentz 246 Aphorismi sind anders nichts, als ein Liecht, welches die Gedächtniss zusampt dem Verstandt der Medicorum, vnnd Wundärtzte erleuchtet: Durch deren Hülffe, sie mit Verstand von den künfftigen Sachen . . können reden; Ettner 1700 Apotecker 511 Bey ihr [der Patientin] sind die Aphorismi Hippocratis ziemlich wahr zu seyn befunden worden; 170-4 Auserlesene Anm. l 401 in derselben [praxi Medica] erkennet man erst wie treulich Hippocr. warnet/ wenn er seine aphorismos also anfanget; Stranitzky 1711 Ollapatrida 82 Ich will euch aber jetzo einen/ Aphorismum sagen/ der Heisset: Principiis obsta. Vor diesem meinen Aphorismo müssen sich alle Aphorismi Hippocratis verkriechen; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 25 Ich will solches ad forum Medicorum schicken/ die es am füglichsten nach allen aphorismis des heiligen Hippocratis inquiriren können; Winckelmann 1766 Er. Ill 177 Der Werth der Aphorismen des Hippocrates bestehet in der Kürze und Einfalt;

Kortum 1791 Lebensgesch. 34 Im 4. halben Jahr [hörte ich] nebst der Physiologie, Pathologie . ., sowie auch die Praxin medicam nach Boorhavens Aphorismen; 1791-1805 (Thümmel 1853 Reise I 64) Haufenweis drängten sich die Wunder, die geschahen, in meine einsame Studierstube, löschten alle Aphorismen meiner Lehrer aus, als verlorene Worte; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,208) die Aphorismen dieses trefflichen Mannes [in medizin. Abhandlung]; 1819 Die Wage I 307 Das nehmliche Blatt hatte folgende Aphorisme des Abbe Galenici aufgenommen; Bamm 1959 Ex ovo 148 so wurde es eine vornehme Gewohnheit, mit einem Aphorismus des Paracelsus wissenschaftliche Äußerungen einzuleiten, welche dieser alte Heros der Therapie wahrscheinlich für baren Unsinn gehalten hätte. Aphorismus b: Bretzner 1788 Leben III 102 Eine Figur der Zeit, die mit einer ausgelaufnen Sanduhr auf einer hölzernen Wanduhr paradierte, . . ward das Opfer ihrer eignen Moral, und fand ihr Grab auf . . einem Haufen abgerißner Dormeusen, ausgepreßter Zitronen, philosophischer Aphorismen; Bahrdt 1791 Lebensbeschr. IV 284 Beschluß in Aphorismen (Überschr.); Goethe 1822 Br. (WA IV 36,15) Die Betrachtung Ihrer Aphorismen hat mich . . erfreut; ders. 1825 Br. (WA IV 40,140) Deine Aphorismen [kurze Charakteristiken der musikalischen Stile] . . habe ich . . auf- und angenommen; 1846 Handwb. d. Physiologie III 1,242 Aphorismen über psychologische Theorien; Roland 1888 Lieutenants 39 Ein tiefer Seufzer ist die Antwort auf diese Aphorismen; Lingg 1899 Lebensreise 97 Aphorismen, rasch hingeworfene Gedankensplitter; Bieberstein 1903 Recamier 133 die Memoiren waren kaum begonnen, als der Tod ihn abrief. Aus diesem Material, . . sind noch folgende Aphorismen entnommen; Lissauer 1920 Aufs. (I 128) „Aphorismen" sind bewusst geformte, zugeschliffene Formeln, Glasstücke, weithin spiegelnd, körperlich kleinen Randes, aber vermögend, weite

Aphorismus Horizonte zu ergreifen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 818) für seine Aphorismensammlung mochte er sich notieren, daß man ein Mysterium mit allereinfachsten Worten ausspricht — oder es unausgesprochen läßt; Benjamin 1924 Er. \ 367 In mehreren Kapiteln . . will ich meine Aphorismen, Scherze, Träume versammeln; 1926 Festschr. Nationalbibl. Wien 137 Die Kunstgattung des Aphorismus, in der sich Erkenntnis und künstlerische Form aufs Bündigste zu verknüpfen scheinen, steckt. . voll literarischer Anlehnungen, unbewusster Plagiate, plagiathafter Annäherungen; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 19) Sie kennen den wundervollen und melancholischen Aphorismus unseres gemeinsamen Meisters Nietzsche: die Worte und Klänge sind Regenbogen und Traumbrücken zwischen dem, was ewig getrennt ist; Werfet 1928 Abituriententag 102 In seinem Zimmer wurde nicht mehr über Gott gestritten, sondern man schmiedete elegante Aphorismen; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 175) unser Gastgeber teilte einiges aus seinen Studien und Aphorismen über Beethoven mit; Miller 1950 Köpfe 223 Der Aphorismus geht vom Zufall, vom Einfall, vom Aper£u aus; Bollnow 1962 Mass 55 vor allem ist hier ein Aphorismus aus den „vermischten Meinungen und Sprüchen" heranzuziehen: „von zwei ganz hohen Dingen: Maß und Mitte, redet man am besten nie; Welt 30.12.1974 der Aphorismus deckt sich nie mit der Wahrheit; er ist entweder eine halbe Wahrheit oder anderthalb; Sloterdijk 1983 Kritik 113 Etwas hiervon muß Freud in seinem vielzitierten Aphorismus von den „drei Kränkungen" vorgeschwebt haben; Bernhard 1983 Untergeher 94 ich schreibe Aphorismen, hat er immer wieder gesagt, dachte ich, das ist eine minderwertige Kunst der geistigen Kurzatmigkeit; Zeit 29.3. 1985, Lit.beil. 1964 brachte der Autor auch einen Band subtil sondierender Aphorismen mit dem Titel „Zwischenbemerkungen" heraus; MM 2.4. 1985 die bissigsten Notizen aber kamen als Aphorismen von Ulrich Sonnemann; Zeit 26. 7. 1985 ich habe . . mich immer wieder an den Formulierungen erfreut, glanzvoll blendenden Aphorismen; ebd. 13.12.1985 sie erzählt Episödchen, formuliert Aphorismen, versucht Bonmots, leistet sich Kalauer; ebd. 27. 3.1987 er droht abzustürzen ins Gewirr packender bis prätentiöser Sprachbilder, eindrücklicher wie bedeutungsschwangerer Aphorismen; MM 27. 4.1987 philosophische oder literarische Fragen konzentriert Canetti hier auf einzelne Sätze, legt ihre Quintessenz in einen Aphorismus; Spiegel 22.11.1993 Es sind Statements, kurze Maximen, pointierte Sentenzen und Handlungsanweisungen, die sich wie eine kynische AphorismenSammlung lesen; Süddtsch. Ztg. 15.12. 1993 Ein Roman, auch ein französischer, sollte kein Container für Apercus und Aphorismen sein.

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aphorismatisch: Wildgans 1905 Br. 65 Vielleicht fehlt mir aber überhaupt die Fähigkeit, meine Gedanken anders als ganz aphorismatisch zu äußern. aphorismenartig: 1917 Lit. Echo XIX 1545 Ludwig hat . . aus aphorismenartig zusammengetragenen Einzelzügen eine pikante Tunke angerichtet. Aphoristik: Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. X 759) um was es sich handelt, ist die produktive Augenblicksverfallenheit des Lyrikers, seine dichterische Lebensaphonstik, die in unserem Buche so liebenswerte, so dunkle und so lichte Blüten treibt; Bense 1938 Leidenschaft 44 sie [die Frage] erzeugt sich selbst immer wieder und bedeutet so jene Art deduktiver Aphoristik, die wie ein Element der Subjektivität in den Schein unabänderlicher Ordnung einbricht; Süddtsch. Ztg. 15.12.1993 Rozo hat einen ungeachtet seiner Schwächen gut lesbaren Unterhaltungsroman geschrieben, der jenseits aller Aphoristik, allen Slapsticks und aller Situationskomik ein sehr feines Gespür für das Tragische . . verrät. Aphoristiker: 1898 (Lit. Echo I 64) der . . Göttinger Professor, der fast nur Liscow den Satiriker anerkannte, dem die Ader für das erregte Gemüt . . fast ganz fehlte, der dafür . . ein genialer Aphoristiker war; Spranger 1914 Lebensformen 29 Auch der Aphoristiker — man muß ihn schon nach seinem Darstellungsstil benennen — hat einen theoretischen Trieb; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 82) ich erinnere mich wohl des Lächelns oder auch Lachens, das ich zu unterdrücken hatte, als eines Tages Pariser Literaten, die ich über Nietzsche aushorchte, mir zu verstehen gaben, er sei im Grunde nichts anderes als ein guter Leser der französischen Moralisten und Aphoristiker gewesen; ders. 1936 Reden u. Aufs. (W. X 758) der Lyriker ist der Aphoristiker unter den Dichtern, er ist unter ihnen folglich auch der Impressionist; Bernhard 1983 Untergeher 99 Schließlich flüchtete ich mich in den Begriff Aphoristiker; Zeit 3.5.1985 diese aus Zeichnung und Collage zusammengesetzte optische Lehrstunde oder Polemik wird schließlich noch ergänzt durch Aufsätze und Manifeste, die, ganz im Stil des Satirikers und Aphoristikers, mit dem ganzen Arsenal der Rhetorik arbeiten; ebd. 20.12.1985 es ist ein wunderschönes Buch; aber leider verlieren wir unsern luziden Aphoristiker vor lauter Alltagskram und Gelehrtenkorrespondenz immer stärker aus den Augen; MM 12.6.1986 der Aphoristiker vom Range Lichtenbergs und Nietzsches setzte im Gegenzug auf den Zweifel, diese „große moralische Gabe, die der Mensch der Sprache verdanken könnte und bis heute verschmäht hat"; Zeit 24.4.1987 der Apho-

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ristiker ist einer, dem blitzartig zustößt, was ihm längst vertraut ist, das heißt, er ist einer, der, was er weiß, in jedem Moment weiß — mag auch der eine Moment den anderen vergessen machen; MM 22.2.1988 Schopenhauer — glänzender Aphoristiker, hinreißender Stilist, tiefsinniger Metaphysiker des Todes, Aufklärer und einziger deutscher Moralist von Rang?; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 23 der scharfsinnige Göttinger Mathematiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg; Süddtsch. Ztg. 23.8.1993 Das Arbeitstreffen in Bonn . . erinnert an die Begegnung des Blinden mit dem Lahmen, wie sie der Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg beschrieben hat. aphoristisch: 1765 Aug. dtsch. Bibl. l 1,177 Zu viel rednerischer Schwung macht den meisten Zuhörern den Vortrag auch unverständlich; und es sollte nach ihren Fähigkeiten eine weise Wahl darinn getroffen, und die kurze und aphoristische Lehrart unsers Erlösers mehr zu Rathe gezogen werden; Musäus 1781 Physiognotn. Reisen l 175 Zog deßhalb meine aphoristische Bienenkapp' übers Gesicht: sie reden was sie wollen, möghen sie doch reden was kümmerts mich!; Matthisson 1786 Rheinfahrt (U 95) Tiefer . . soll er sich in den Syntax des kopfbrechenden Ehrenspiels eingegrübelt und ihn mit mancher neuen Regel bereichert haben. Was er darüber aphoristisch aufs Papier warf; ders. 1794 Seereise (III 207) was zwey der dankbarsten Linnäischen Schüler, in biographischer, gelehrter und moralischer Hinsicht über den außerordentlichen Mann mir mittheilten, wenn gleich nur aphoristisch und wie im Steinschriftenstyl; Schiller 1794 W. XXVII 96 Diese ist die aphoristische [Form], wo kurze Sätze aneinander gereiht werden; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,174) kann ich auch jetzt. . nur sehr aphoristisch zu Werke gehen; Jean Paul 1797 S. W. Ill 3,3 Noch um 8 Uhr kam zu mir ein Mensch ohne Hut mit staubigem Haar, aphoristischer Stimme und Rede; 1798 Athenäum I Vorerinn. o. S. In der Einkleidung werden Abhandlungen mit Briefen, Gesprächen rhapsodischen Betrachtungen und aphoristischen Bruchstücken wechseln; Lindner 1814 Australien 225 So unvollkommen und aphoristisch ist bis jetzt die Kunde; Goethe 1821 Br. (WA IV 35,73) lassen Sie mich zu schnellerer Communication auf ihre Aphorismen aphoristisch antworten; ders. 1832 Br.

(WA IV 49,268) fahre fort . . die alten ewigen Naturmaximen . . aphoristisch auszusprechen; Hebbel 1837 S. W. U 1,1745 das Aphoristische meiner Äusserungen entsprang aus jenem Missbehagen, welches Jeder empfindet, der sich über etwas nach allen Seiten Durch-Dachtes und Durch-Empfundenes auslassen will; Moltke 1845—46 Wanderbuch (Rom) 23 Die Darstellung kann natürlich nur eine aphoristische sein; eine Schnur bunter Steine, aufgereihet an dem Faden eines Spazierganges durch eine in allen ihren Theilen anziehende Örtlichkeit; Wagner-Liszt 1849 Briefw. I 41 Im Einzelnen, Aphoristischen, gelangen wir nicht zur Ruhe, erst im großen Ganzen ist eine große Kraft ganz bei sich, mächtig und daher bei aller Erregtheit auch ruhig; Hartmann 1869 Philosophie 11 Daher sind die Kapitel in der grösseren Mehrzahl, mit Ausnahme der grundlegenden, fast aphoristisch gehalten; Justi 1872 Winckelmann 2.1,288 Die Beobachtungen . . weisen bei allem Aphoristischen in der Form auf sehr bestimmte Critierien der Kunst hin; Nordau 1881 Paris 3 Der Mann, dessen Carriere ich in aphoristischer Kürze gezeichnet, ist Gambetta; Presber um 1900 Untermensch 40 Die Bücher enthielten wunderliche philosophische Systeme, allerlei aphoristische Gedanken, die er mit den Blattläufen im Sommer von seinen jungen Rosentrieben abgelesen; Guggenheim 1959 Sandkorn 13 gefiel auch ich mir in aphoristischen Formulierungen; Hildesheimer 1977 Mozart 177 Als selbständiges d-Moll-Stück bleibt denn nur noch die Fantasie für Klavier . ., ein aphoristisches Fragment; Zeit 9.5.1986 Werner Hofmann macht sich in ein paar aphoristisch gehaltenen Geleitsätzen Gedanken über die Wechselbäder von Aktualität und Historizität; MM 18.2.1987 „Niemand anderes", das ist neben eingestreuten aphoristischen Reflexionen, philosophischen Spekulationen vor allem ein Buch der kurzen Erzählungen, die alle um die Ich-Du-Beziehung kreisen; ebd. 27.4.1987 die aphoristische Kürze ist keine Attitüde bei Canetti, sie ist eine Reduktion aufs Wesentliche, und sie ist Suche nach dem Wesen des Einfachen; Seel 1989 Moderne 51 Wie oft bei Adorno ist auch hier das philosophische Programm schwächer als die aphoristische und essayistische Durchführung; Süddtsch. Ztg. 19.120.12.1992 Die folgenden aphoristischen Anmerkungen zu einigen Figuren der Renaissance wollen Vergangenheit als Reflexionsangebot begreifen.

Aphrodisiakum N. (-s; Aphrodisiaka), Ende 18. Jh. aufgekommene latinisierende Bildung zu griech. 'zum Liebesgenuß gehörend' (zu 'Fest der griechischen Liebes- und Schönheitsgöttin Aphrodite; sinnlicher Liebesgenuß'), anfangs auch in der verkürzten Form Aphrodisiak.

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In der Medizin in der Bed. 'Mittel zur Anregung und Steigerung des Geschlechtstriebes, der Geschlechtsempfindung und der Potenz' (—» Stimulans); seit Anfang 20. Jh. auch allgemeiner und bertragen verwendet f r 'Anreiz, Anregungsmittel' (s. Belege 1947, 1986, 1993). Dazu in neuerer Zeit die seltene adj. Ableitung aphrodisiakisch (< griech. αφροδισιακός, s. o.) sowie schon seit Anfang 19. Jh. die gleichbed. Adj. aphrodisisch, aphrodi(s)tisch (< gleichbed. griech. αφροδίσιος), meist bildungsspr. verwendet in der Bed. 'die Liebesg ttin Aphrodite betreffend', z. B. aphrodisisches Fest 'Fest der Aphrodite' und bes. 'die Liebe betreffend, zum Liebesgenu geh rig, den Geschlechtstrieb steigernd, anreizend', gelegentlich in Wendungen wie aphrodisische Mittel, ein Mittel f r aphrodisisch halten, und vereinzelt die subst. Ableitung Aphroditismus. Dazu in neuester Zeit selten die verbale Ableitung aphrodisieren in der Bed. 'anregen, anreizen'. Daneben seit sp tem 16. Jh. der meist nur gebuchte (aus griech. αφροδισία, subst. N. PL von αφροδίσιος, s. o., entlehnte) medizinische Terminus Aphrodisie F. (-; -n ungebr.) in der Bed. 'krankhaft gesteigerte geschlechtliche Erregbarkeit, starke Betonung erotisch-sexueller Bed rfnisse, Liebeswut'. Aphrodisiakum: Jean Paul 1797 S. W. 111 2,303 Sei doch so gut und lasse meinen Bruder um 12 Uhr den l oder 2ten Band von Lichtenberg und den 3ten oder 4ten von Th mmel abholen als ein Konfortativ und Aphrodisiakum f r mein satirisches Zeugen; Kortum 1799 Jobsiade U 37 Auch f r M nner, die ihre eheliche Pflichten, Wegen ihrer Jugends nden, nicht konnten verrichten, Hatt er [Bader Schneller] ein geheimes Aphrodisiak; Brandt 1901 Ost-Asten l 67 Die Eingeborenen schreiben ihr [Frucht] allerhand Wirkungen als Aphrodisiakum zu und wiegen sie au er der Saison mit Silber auf; Eberle 1912 Grossmacht 132 k nstlerische, photographische und chemische Aphrodisiaka; 1927 Sittengesch. d. Hafens 136 Dass auf Ozeandampfern neben dem dolce far niente auch ppige Tafelfreuden . . als kr ftiges Aphrodisiacum in Betracht zu ziehen sind, soll nicht verschwiegen werden; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 331) so richteten wirs dir mit Flei , da du uns in die Arme liefst, will sagen: meiner Kleinen, der Esmeralda, und da du dirs holtest, die Illumination, das Aphrodisiacum des Hirns, nach dem es dich mit Leib und Seel und Geist so gar verzweifelt verlangte; Offenburger Tagebl. 28.1.1970 alle bisher bekannten Stimulansmittel f r Sex [seien] keine wahren Aphrodisiaka gewesen, da sie meist lediglich die Blutzufuhr zu den Fortpflanzungsorganen erh hten, nicht jedoch das sexuelle Verlangen im Gehirn steigerten; Schivelbusch 1980 Paradies 99 Einer alten Anschauung zufolge .. ist die Schokolade ein Aphrodisiakum; Schipperges 1985 Garten 110 Eine herausragende Rolle aber spielte bei diesen Heiltr nken die Mandragora, angewandt seit alters als Aphrodisiakum; Zeit

3.10.1986 Wachstum, das Aphrodisiakum des alternden Kapitalismus, ist mangels Masse knapper dosiert; MM 5.2.1987 das ist ein Mittel, das aus zersto enen K fern hergestellt wird und als Aphrodisiakum m den M nnern aufhelfen soll; Berger 1988 Nikodemus 68 es g be da ein Buch, das, obzwar von einem stinkb rgerlichen Kerl geschrieben, so etwas wie ein papierenes Aphrodisiakum sein sollte; 1990 Cosmopolitan XII 30 das Bistro ist ihr Aphrodisiakum; FAZ 1.11.1991 Magazin 120 der tote Fisch, den die orientalischen Juden ihren Brautleuten ins Bett legten, Fruchtbarkeitshilfe und Aphrodisiakum zugleich; 1992 Wiener V 101 Und immer wieder Tee und Ingwer — Aphrodisiaka: das Geheimnis orientalischer Verf hrungskunst; Spiegel 15.3.1993 Schon Kleopatra und die heilige Hildegard von Bingen haben Rezepte f r Aphrodisiaka ersonnen; ebd. 2.8.1993 diese Jahresabstinenz haben sich die beiden als Liebesprobe und Eheaphrodisiakum ausgedacht: Es soll, danach, wieder prickeln und zischen. Aphrodisie: 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksb cher 31) Doctor Faustus lebt also im Epicurischen Leben Tag und Nacht/ . . vnnd stach ihn seine Aphrodisia Tag vnd Nacht/ da er ihm f rname sich Ehelich zuverheyraten vnd zu weiben. aphrodisiakisch: Seyppel 1967 Columbus 85 Aus dem Boden grub er die Steinflasche . . trank vorsichtig einen Schluck des s lich-schleimigen Getr nks („aphrodisiakisch" h tte es der Kapit n sicherlich genannt); Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 69 Lattich, dem man aphrodisiakische Wir-

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kung zuschrieb, stand in enger Beziehung zum Fruchtbarkeitsgott Min. aphrodisieren: 1991 Elle U 194 hier passiert es manchmal, daß Geoffrey, angeregt durch aphrodisierende Drinks, ein Privatkonzert veranstaltet; Süddtsch. Ztg. 19.3.1993 Magazin 46 Harold . . hat eigentlich anderes zu tun, als seiner aphrodisierten Frau hinterherzureisen. aphrodisisch: Seume 1803 Spaziergang 273 Die Lampensammlung ist sehr beträchtlich, vorzüglich die Matrimoniallampen, unter denen viele sehr niedliche, leichtfertige, aphrodisische Mysterien sind, die dem Charakter nach aus den Zeiten der römischen Kaiser zu seyn scheinen; Voss 1808 Theokritos 290 Rind' umher, dreibeinig, und ohrlos; aber gewaltig, Voll afrodisischer Kraft; Goethe vor 1832 Rom. Eleg. (WA l 414) Beym aphrodisischen Fest erblickte die Hero Leander; Steub 1862 Wanderungen 81 [in Oberbayern gibt es] keine [Mädchen] von jenem aphrodisischen Liebreiz, wie ihn so viele Tirolermädchen . . [haben]; Nietzsche 1876-78 W. HI 194 Dadurch, daß die Menschen in dem aphrodisischen Triebe eine Gottheit sahen und ihn mit anbetender Dankbarkeit in sich wirken fühlten; Th. Mann 1902 Erz. (W. VW 203) sie wirkt in der Farbe noch weit aphrodisischer; Hauptmann 1918 Ketzer (V 568) Er erkannte, was diesem von Gott mit aphrodisischer Schönheit begabten Geschöpf in seinem ferneren Leben und in der Welt ohne Beschützer bevorstehen musste; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 708) es gab da Logenfeste, Feste der eleusischen Mysterien und der aphrodisischen Geheimnisse; Rehfisch 1957 Hexen 424 Sie sagte, sie . . habe . . von ihm kosmetische und aphrodisische Mittel bezogen; Niebelschütz

1961 Spiel 26 das Zuwenig an Aphrodisischem; MM 8.10.1987 die aphrodisische Wirkung gewisser Speisen; Lukoschik 1990 In u. Out 141 Die Trend-und-Triebkundige Jetzt-Zeitlerin weiß sehr wohl um die aphrodisische Wirkung körperbetonender Edel-Textilien; Süddtsch. Ztg. 16.12.1993 die wildwachsende bittere Ginseng-Wurzel, der aphrodisische und lebensverlängernde Kräfte zugesprochen werden. aphrodistisch: Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 540) wozu sein Philosophieren sie denn also begeisterte, das waren recht nüchterne SchönheitsFestivitäten, Romane voll aphrodistischer Pennälerphantasie. aphroditisch: Hauff 1825 S. W. V 25 Jetzt, wo sie . . mit ihrer unnachahmlichen Grazie . . hereintrat . ., die aphroditische Schwanenbrust mit dem fürstlichen Schmuck . . umschlossen; Bachofen 1870 Tanaquil 549 diejenige Sakralübung, welche jener aphroditischen Auffassung des weiblichen Prinzips ihren ausgelassensten, dem gemäßigten okzidentalen Geiste am meisten widerstrebenden Ausdruck leiht; Keller 1878-80 Ges. W. III 166 konnte ihr Wesen kurz und gut als ein aphroditisches im besten Sinne bezeichnet werden; Salis 1919 Kunst d. Griechen 202 Es ist schon bezeichnend, daß der einzelne Eros oft nicht mehr genügen will: nach allen Seiten muß die Liebe flattern, die gesamte Umgebung hat an der aphroditischen Seligkeit teil. Aphroditismus: Bachofen 1870 Tanaquil 587 Je entschiedener der hetärische Aphroditismus aus dem Bilde der Königsfrau verschwindet, um so nachdrücklicher wird der Gedanke der edleren Liebe hervorgehoben.

Aplomb M. (-s; ohne PL), früher selten auch N., im späten 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. aplomb, eigentlich 'senkrechte Stellung, Gleichgewicht' (subst. Zusammenrückung von ä plomb 'senkrecht, im Lot', aus ä 'zu, nach' (< lat. ad- 'zu, an, bei') und plomb '(Senk-)Blei' < gleichbed. lat. plumbum), anfangs auch in frz. Form. Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'Sicherheit im Auftreten, Haltung', z. B. mit (einem gewissen) Aplomb auftreten, erscheinen (s. Belege 1811, 1831), gelegentlich auch für 'besonderer Nachdruck', z. B. etwas mit Aplomb durchsetzen (s. Belege 1835, 1903, 1987), in neuerer Zeit auch 'Dreistigkeit, besondere Forschheit' (s. Beleg 1952); daneben im 19. Jh. selten als Terminus des Balletts in der Bed. 'Abfangen einer Bewegung in den unbewegten Stand, Standfestigkeit' (s. Beleg 1816). Sturz vor 1779 Sehr. II 412 Auf einer kleinen Bühne kan man füglich ein ä plomb im neuesten Geschmack entbehren; Berenhorst 1798 Kriegskunst H 369 es wird Tritt gehalten, und die Leute

tragen das Gewehr angezogen, welches die Preussen mit einer Gleichheit, einem Senkrecht — ä plomb — einer Festigkeit .. verrichten, die in Wahrheit unglaublich ist; Heinzmann 1800

apodiktisch Fruehst. 239 Damals wurde aber doch die Republik gegründet. Die ganze Nationalkraft erschütterte den Boden, und wirkte das ä plomb der grossen Revolution!; Kotzebue 1811 Komödiantin XXVI 43 nur fehlt ihr noch ein gewisser Takt, ein gewisses höfisches ä plomb, wenn ich mich so ausdrücken darf; Müller 1816 München l 393 Demoiselle Abel [erfreut] durch ihr schönes a plomb; Pückler-Muskau 1831 Br. IV 283 mit einer Laune, scheinbaren Bühnenerfahrung, Aplomb, Volubilität der Sprache; ders. 1835 Semilasso l 156 das . . Pferd [erhielt] zwei bis drei taktmäßige Hiebe, worauf die Peitsche wieder mit ä plomb in die Scheide fuhr; ebd. II 216 der sichere Aplomb, mit dem jeder ohne Zögern wußte, was er zu sagen hatte; 1835 Europa l 401 Diese Ohrfeige wurde mit einem Aplomb und einer Genauigkeit gegeben; Laube 1837 Reisenovellen V 475 mitunter ruhen sie auf dem scharmantesten, humoristischen Aplomb; Räumer 1842 England HI 559 Wer das Bedürfnis, nicht aber den dazu nöthigen Verstand, das ä plomb hat, stürzt sich . . durch übereilte politische Versuche ins Verderben; Lewald 1843 Mappe 113 In der Mitte des Saals hielt sich der Haushofmeister mit dem Anstände und Aplomb eines Feldherrn; ebd. 195 Dieser bleibt wie versteinert vor ihr stehen, mit dem vollständigen Aplomb eines karikirten Stutzers; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 467 Ich muß zuweilen lächeln, wenn ich moderne Größen so selbstgefällig und so weise seh', versteht sich weise in tugend-wohlfeilen Manieren und immanent-dialektischen Argumentationen, die airs und das a plomb nicht zu vergessen, falls die Leute Personen von Extraktion sind; Spielhagen 1857 Engl. Charakterzüge (Übers.) 64 Er hat jenen Aplomb, der das Resultat eines guten Verhältnisses zwischen der moralischen und physischen Natur ist; Hillebrand 1874 Frankreich 54 Anmuth, Gewandtheit, Lebhaftigkeit geben zunächst dem aplomb, dem esprit und dem bon sens der französischen Gesellschaft ihren besonderen Charakter; Eckstein 1876 Satir. Zeitbilder 60 eine solche Gegenrede, mit dem gehörigen Aplomb vorgebracht; Nordau 1881 Paris 72 da er das, was er sagt, grammatikalisch correct und mit dem Aplomb eines Demosthenes vorträgt; Hillebrand 1885 Culturgesch. 318 Die Besorgniß des Engländers, seinen „aplomb" zu verlieren, sobald er den heimathlichen Boden nicht mehr unter den Füßen fühlt, bewirkt, daß er sich in eine Steifheit einschnürt,

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die uns nicht gerade gewinnend scheint; Fontäne 1897 Stechlin 220 Katzler nannte ihn ja während der Sitzung mit einer Art Aplomb; 3902 Grenzboten l 680 Schlag zehn Uhr hielten die beiden Wagen mit dem erforderlichen Aplomb vor der Tür; Marholm 1903 Psychologie d. Frau U 22 ganz thörichte und unbesonnene Anordnungen mit einem Aplomb trafen, der keinen Widerspruch aufkommen Hess; BZ am Mittag 28.11.1929 Da wird von mittelalterlich vermummten Bußpredigern mit düsterem Aplomb eine Messe für die einst zum Tod Verurteilten . . abgehalten; St. Zweig 1941 Schachnovelle 28 der Weltmeister ließ gute zehn Minuten auf sich warten, wodurch allerdings sein Erscheinen dann erhöhten Aplomb erhielt (DUDEN); Süddtsch. Ztg. 15.12.1950 Im Verlauf der bayerischen Koalitionsverhandlungen ist in München viel gesprochen worden, was von den Betreffenden wahrscheinlich rasch und mit einem gewissen Aplomb vergessen werden möchte; Simpson 1951 Enkel 24 Mit Aplomb machte sie auf dem Absatz kehrt; K. Mann 1952 Wendepunkt 258 Es war das erste . . Mal, daß ich eine „Lady" mit dem Aplomb . . eines zornigen Müllkutschers spucken sah (DUDEN); Heuss 1963 Erinn. 29 sein Undank gegen Naumann war so schmählich wie die mangelnde innere Ernsthaftigkeit gegenüber der Partei, der er sich mit so viel Aplomb angeschlossen hatte; Welt 12.12.1974 die überragende Figur, die der aus internationalen Ingredienzen zusammengesetzte deutsche Film auf der Leinwand nicht machte, sein Hauptdarsteller machte sie zweifellos und mit Aplomb auf dem gesellschaftlichen Parkett; Zeit 3.5.1985 im Konzert hatte Gidon Kremer . . vorgeführt, wie er die Themen, die Linien, die Motive verstanden wissen wollte, rasant die einen und innig die anderen, wie beiläufig hier und mit Aplomb dort; ebd. 11.10.1985 Gorbatschow präsentierte die einschneidenden . . Abrüstungsangebote mit großem Aplomb; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 96 Der Anwalt streichelt die Schulter Ginevras, dieser Kreatur (gleich welcher Spezies) von ganz anderem Zuschnitt, von ganz anderem Aplomb; Zeit 8.5.1987 gegenüber diesem Aplomb hatten die anderen es schwer, Aufmerksamkeiten an sich zu binden; Spiegel 11.10.1993 Mit großem Aplomb war die Strafaktion des Ministers über die filzige Hierarchie der deutschen Gesundheitsbeamten hereingebrochen; ebd. 29.11.1993 Mit Aplomb ließ vorletzte Woche auch das Kiewer Parlament eine Aufführung platzen.

apodiktisch Adj. (ohne Steigerung), im frühen 17. Jh. entlehnt aus lat. apodicticus Adj., apodictice Adv. 'schlüssig beweisend' (< griech. 'zum Beweis gehörend, beweiskräftig', zu 'vorzeigen, nachweisen', aus - 'weg-, ab-' und '(vor-)zeigen, begreiflich machen, beweisen').

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apodiktisch

Bis ins frühe 18. Jh. als Adv. in lat. Form (s. o.), dann nur noch adj. verwendet, zunächst als Terminus der Philosophie in der Bed. 'nicht widerlegbar, unumstößlich, unleugbar, unbedingt sicher, unmittelbar evident, überzeugend' (s. Belege 1790, 1859), auch 'unbedingt, logisch notwendig' (vgl. auch den Terminus apodiktischer Imperativ 'unbedingtes Vernunftgebot', gleichbed. mit kategorischer Imperativ), z. B. apodiktischer Beweis, apodiktisches Urteil 'zwingendes, mit Notwendigkeit gebildetes Urteil'; seit Anfang 19. Jh. auch bildungsspr. verwendet in der Bed. 'keinen Widerspruch zulassend, duldend; kategorisch' (s. Belege 1806, 1828, 1836, 1904), häufig in Wendungen wie etwas in apodiktischer Weise behaupten, apodiktisch formulieren. Dazu seit Anfang 19. Jh. (CAMPE) die seltene subst. Ableitung Apodiktik F. (-; ohne Pl.) 'Streben nach sicherem, zweifelsfreiem Wissen' mit der vereinzelten Personenbezeichnung Apodiktiker M. (-s; -), etwa gleichzeitig Apodiktizität F. (-; ohne Pl.) 'das Apodiktischsein, apodiktisches Verhalten von jmdm./etwas'. Vgl. daneben das im 18. Jh. vereinzelt belegte, erst im 20. Jh. selten nachgewiesene, aus gleichbed. griech. übernommene fachspr. Subst. Apod(e)ixis F. 'Darstellung, Behauptung' und in neuester Zeit die Gelegenheitsbildung Apodiktum N. (-s; Apodikta) als Bezeichnung für einen unwiderlegbaren, kategorischen Ausspruch. apodictice: 3677 Rosencreutz Brüder 46 Aber weil vnser rechter seeligmachender Glaub vmb viel Grad höher ist/ gilt die Topic auch nichts/ oder Apodictice, auch nit/ denn es ist kein solcher nothwendiger Beweiß in allen ihren Büchern von natürlichen Sachen gegeben worden; Dannhauer 1667 Scheid-Brieff 56 da wohnet der gute Geist/ dessen ist ein jeder bey sich selbs apodictice vnd vnfehlbar gewiß; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 174 ich spüre/ daß der Herr meinen mentem nicht gründlich erkennet/ und denckt gewiß/ ich wolle eine Ethicam schreiben/ oder wohl gar das Jus naturale apodictice demonstriren; Arnkiel 1703 Eröffnung l 267 b Was der Hl. Augustinus hie zweiffelhafftig gesetzet/ das hat man apodictice verstehen/ unn daraus einen Glaubens-Artickel machen wollen; Sperander i 727 A la mod Sprach 40 Apodictice, apodictisch/ augenscheinlich/ beweißlich/ klar/ unstreitig/ unwidersprechlich. apodiktisch: Sperander 1727 A la mod Sprach 40 Apodictice, apodictisch/ augenscheinlich/ beweißlich/ klar/ unstreitig/ unwidersprechlich. Eine Rede/ die einen unwiderleglichen Beweiß mit sich führet/ wird apodictisch genennet; Musäus 1781 Physiognom. Reisen IV 151 Wer kann so apodiktisch sagen: das ist einer meiner Freunde, wie man spricht, das ist einer meiner Stiere; Abel 1786 Seelenlehre 158 Auch derjenigen Demonstrationen, die nicht nur apodictisch, sondern zugleich intuitiv sind, ist sie allein fähig; Kant 1790 Ges. Sehr. I 5,237 Da ein ästhetisches Urtheil kein objectives und Erkenntnißurtheil ist, so kann diese Nothwendigkeit [einer Zustimmung aller] nicht aus be-

stimmten Begriffen abgeleitet werden und ist also nicht apodiktisch; Fichte 1798 System 73 Es fließt aus beiden Begriffen ein apodiktisch gültiger theoretischer Satz; Beck 1799 Propädeutik 321 Endlich giebt es eine vierte Eintheilung der Urtheile, welche die der Modalität nach genannt wird, in problematische, assertorische und apodictische Urtheile; ebd. 323 Wenn aber die objective Einheit eines Urtheils schon aus ändern Urtheilen entspringt, dann heißt dasselbe ein apodictisches Urtheil; Seume 1806 Sommer IV 86 [nach dem] was man darüber hier und da von rechtlichen Leuten fast ganz apodiktisch hört; Jung-Stilling 1808 Geisterkunde 172 seyen sie auch noch so wahr und apodiktisch bewiesen; Goethe 1815 Br. (WA IV 25,303) Die roth unterstrichenen Ausdrücke vermeide ich in wissenschaftlichen Aufsätzen. Es klingt gleich so apodiktisch, daß man den Leser . . unwillig macht; ders. 1828 Br. (WA IV 44,29) Einige haben den Eigennutz als Triebfeder aller sittlichen Handlungen angenommen . . andere setzten das apodiktische Pflichtgebot oben an; Bechstein 1836 Reisetage I 69 der seinen Zuhörern mit vier apodyktischen Worten bewies, daß die heutigen Hessen von den alten Katten herstammten; König 1857 Clubisten II 147 Ein rechter Selbstherrscher darf nicht nach der Vernunft fragen; denn diese ist zu apodictisch, zu unwiderleglich; Schopenhauer 1859 Welt (II 200) apodiktische Gewissheit; Suckow 1862 Sold'leben 55 [das hannoverische Volk] war . . besonnen genug, um sich jeder Demonstration gegen uns in einem Augenblicke zu enthalten, wo deren Erfolglosigkeit . . mit apodiktischer Gewißheit vorauszusagen war; Mendelsohn 1893 Ärztl. Kunst 27

apodiktisch das apodiktische Gutachten [der Gerichtsärzte]; Kussmaul 1899 Jugenderinn. 379 Er versicherte uns bestimmt, daß eine erste Lungenentzündung niemals töte, wenn man sie ruhig ihrem natürlichen Verlauf überlasse, eine Behauptung, die ich leider in dieser apodiktischen Fassung später nicht bestätigt fand; Prester um 1900 Untermensch 22 zu den Hofbällen eingeladen zu werden oder sich am politischen Leben anders als in Stammtischgesprächen, die sich in Limburg a. d. Lahn schließlich ebensogut, ja noch bedeutender und apodiktischer führen lassen . . war wenig Aussicht vorhanden; Polenz 1904 Land 217 von den für Amerika so charakteristischen apodiktischen, jede . . Übertretung mit schweren Strafen bedrohenden Gesetzen gegen streikende Eisenbahner; Oncken 1914 Aufs. I 15 mit der apodiktischen Selbstgewissheit des Philosophen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 520) Naphta hatte scharf und apodiktisch gesprochen, wiewohl er es gewesen war, der die weitere Freiheit verfochten hatte; 1926 Görres-Festschr. 8 Görres und Arndt. . — zwei Repräsentanten jener Kulturnation, die die Bildung der Staatsnation apodiktisch fordern; Welt 29.12.1949 es geht hier nicht darum, . . ob über die politische Meinung des deutschen Volkes ohne dessen Befragung apodiktische Aper$us gemacht werden dürfen oder nicht; Borst 1957 Turmbau 50 die apodiktische Sicherheit älterer Sprachtheorien; Hunke 1960 Erbe 348 Trotzdem haben die Historiker diese Frage . . mit einer apodiktischen Sicherheit beantwortet, die weder Zweifel kennt noch Beweise; Partner 1964 Erben 58 seine Meinungen legte er in Sätzen nieder, deren polemischer und apodiktischer Kraft sich selbst seine Gegner schwer entziehen konnten; MM 6.4.1985 die allzu forsche Modernisierung lutherischer Wortgewalt stieß auf erbitterten Widerstand, der in Walter Jens' apodiktischer Feststellung vom „Mord an Luther" gipfelte; Zeit 6.12.1985 diese apodiktische Behauptung macht den Leser skeptisch; MM 24.12.1986 seine Verfasser mögen das am Ende nicht so apodiktisch gemeint haben, wie es nötig wäre; Zeit 7.11.1986 trotz des apodiktischen und selbstgefälligen Tons läßt sich wenig gegen diese Einschätzung vorbringen; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 18 1st es einem solchen Sprachkritiker sui generis erst einmal gelungen, sich einen Namen zu machen, kann es gewissermaßen selbsttätig zur Ausprägung eines weit- und sprachverbesserischen Sendungsbewußtseins kommen, das ihn zur alles besserwissenden, apodiktisch urteilenden und verurteilenden Sprachautorität erhebt; Süddtsch. Ztg. 2J3.10. 1993 Lourcelles ist apodiktisch in seinem neuen Filmlexikon, aber gerade in solcher Unbeirrbarkeit manifestiert sich eine besonders zärtliche Liebe zum Kino; ebd. 3.11.1993 Mit apodiktischem Ge-

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stus zwängt sie ihre Figuren ins Korsett ödipaler Abhängigkeiten. Apodiktik: Tieck 1822 Sehr. XVU 200 da er ein Apostem der großen alchemistischen Tinktur mit den rauschenden Katarakten der Amathontischen Apodiktik mehr als ihm billig zugegeben werden konnte, verwechselt hat; Markov 1947 Kognak 15 Wenn ihn das wachgerüttelte Mißtrauen seiner Hörer gegen jedwede Apodiktik — eine Erscheinung, deren Positivität übrigens infolge ihrer notwendig skeptischen Gewandung vielfach der Verkennung zum Opfer fällt — heilsam daran hindert, abgelaufene kühne Behauptungen durch ebenso kühne Unverbindlichkeiten zu übertrumpfen; Hocke 1976 Tagebücher o. S. Im biblischen Stil und in satanischer Umkehrung biblischer Apodiktik heißt es ..; Berger 1988 Nikodemus 124 das Ungeschick und die Apodiktik der Geschichts- und Gesellschaftskundelehrer. Apodiktiker: Fühmann 1981 Saiäns-fiktschen 56 Im Dröhnen der Marschmusik Trampeln und Scharren; die Philosophen traten an, traktweise, in Blocks: Affirmatoren, Kausalitäter .. Apodiktiker; Spiegel 6.12.1993 Aus dem großkotzigen und superschnellen Apodiktiker Diederichsen ist ein selbstreflexiver Intellektueller geworden, der vorsichtiger formuliert als zuvor. Apodiktizität: Schopenhauer 1813 S. W. VU 36 Der Beweis aber davon, daß wir uns des Kausalitätsgesetzes a priori bewußt sind, scheint mir schon in der unerschütterlichen Gewißheit zu liegen, mit der Jeder in allen Fällen von der Erfahrung erwartet, daß sie diesem Gesetze gemäß ausfalle, d. h. durch die Apodikticität die wir selbigen beilegen; Hallier 1889 Kulturgesch. 406 Anm. Der Begriff des Aprioristischen wird von Häckel . . völlig missverstanden. Er verwechselt die Zeitfolge mit der Allgemeinheit und Notwendigkeit (Apodiktizität); Th. Mann 1924 Reden u. Aufs. (W. X 174) Er [der Satz Spenglers] trägt vielmehr den [Charakter] einer boshaften Apodiktizität und einer Zukunftsfeindlichkeit, die sich in wissenschaftliche Unerbittlichkeit vermummt; ders. er hat sie freilich mit höchstem Gültigkeitsanspruch, äußerster Apodiktizität und Rechthaberei geäußert; 1936 (Sanders 1992 Sprachkritikastereien 67) „Keine noch so profunde Analyse könnte das Fazit einer so vitalen Empirie weder negieren . . noch gar falsifizieren, nachdem sich seine absolute Apodiktizität nicht nur temporär, sondern säkular demonstriert hat." Apodiktum: Zeit 5.12.1986 dieses Notat steht als selbständiger Block in dem Buch „ Phantasien der

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Apokalypse

Wiederholung" von Peter Handke, unverankert, ohne Beweisf hrung, ein hingeworfenes Apodiktum, in dem allerdings Sinn und Wortlaut einander nicht v llig decken. Apod(e)ixis: Herder vor 1803 S. W. XV 273 Ohne diese Bedingungen ist der Ausspruch des Richters eine unapodiktische Apodixis d. i. ungeb hrliche Behauptung (KEHREIN); Cassirer 1923 Philoso-

phie I 127 Vom einfachen Aufweisen, durch welches ein schlechthin Einzelnes . . bezeichnet wird, f hrt der Weg zu immer weitergehender allgemeiner Bestimmung: die anf nglich blo deiktische Funktion wird zur Funktion der „Apodeixis"; Jerusalem 1925 Soziologie l 121 In der Stoa hatte sie einen der Grammatik analogen Charakter angenommen, erhielt aber durch Platon und Aristoteles als sog. Apodeixis eine ganz neue Aufgabe.

Apokalypse F. (-; selten -n), im fr heren 14. Jh. entlehnt aus gleichbed. kirchenlat. apocalypsis (< gleichbed. griech. άποκάλυψι$, eigentlich 'Enth llung, Offenbarung', zu άττοκαλύπτειν, aus από- 'von-weg, ab' und καλύπτειν 'um-, verh llen, bedekken'), bis Ende 17. Jh. meist in der lat./griech. (flekt.) Form. a Zun chst als religi ser Terminus zur Bezeichnung einer Schrift des Neuen Testaments (der sogenannten „Offenbarung Johannis"), die in prophetisch-symbolischer Form (Visionen, Tr ume, Abschiedsreden und Weissagungen) den Lauf der Welt (tausendj hriges Reich, Auferstehung der Toten, Gericht) und das kommende Weltende schildert (s. Belege 1334—39, 1410, 1530), dann auch als Bezeichnung f r nachfolgende dunkle, geheimnisvolle, prophetische Schriften ber das Weltende (s. Belege 1791, 1931). b Seit Ende 18. Jh. auch bertragen gebraucht in der Bed. 'schreckliches Unheil, grauenvolles Ende, schrecklicher Untergang', gelegentlich in Wendungen wie Apokalypse des Krieges, atomare, kologische Apokalypse. Dazu seit fr herem 16. Jh. die adj. Ableitung apokalyptisch (ohne Steigerung) (< griech. αποκαλυπτικός 'aufdeckend, enth llend'), zun chst in der Bed. 'in der Apokalypse gegr ndet, nach Weise dieser Schrift, sich auf die Apokalypse beziehend' (s. Belege 1537—38, 1623, 1873), auch 'fig rlich, dunkel, geheimnisvoll, r tselhaft; schw rmerisch, tr umerisch; offenbarend, weissagend' (s. Belege 1703, 1787), bes. im Eigennamen Apokalyptische Reiter als Bezeichnung f r die im Kapitel 6,1 der Offenbarung Johannes erscheinenden vier Reiter als Sinnbilder f r Pest, Krieg, Hunger und Tod und in der festen Wendung apokalyptische Zahl als Bezeichnung f r die in Kapitel 13,18 als Zahl des antichristlichen Tieres genannte geheimnisvolle, noch nicht bestimmt gedeutete Zahl 666 (zu a); seit Ende 18. Jh. meist in der Bed. 'auf das Weltende hinweisend, grauenvoll, schrecklich, unheimlich, unheilbringend' (s. Belege 1845, 1927, 1944), h ufig in Wendungen wie apokalyptisches Grauen, Unheil, apokalyptische Visionen (zu b). Dazu seit Anfang 19. Jh. die zun chst nur gebuchte (CAMPE) Personenbezeichnung Apokalyptiker M. (-s; -) in der Bed. 'Offenbarungsforscher, Verehrer oder Deuter der Offenbarung Johannes', auch 'Offenbarungsgl ubiger, einer, der selbst Offenbarungen zu haben glaubt; Seher, Schw rmer, Tr umer' (zu a), und seit fr hem 20. Jh. in der Bed. 'einer, der Unheil voraussagt, den Weltuntergang ank ndigt', selten auch in der Bed. '(oft pseudonymer) Verfasser von „Enth llungen" kosmischer Geheimnisse, der Zukunft und des Weltendes' (zu b). Dazu seit fr herem 19. Jh. selten die subst. Ableitung Apokalyptik F. (-; ohne PL) als Bezeichnung f r die Gesamtheit der apokalyptischen Schriften, die in symbolischen Bildern und wunderbaren Visionen die Zukunft des Gottesreiches und das Erschei-

Apokalypse

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nen des Messias beschreiben (zu a) und seit frühem 20. Jh. in der Bed. 'Deutung von Ereignissen im Hinblick auf ein nahendes Weltende' (zu b). Apokalypse a: 1334—39 Oberrhein. Chronik 15 alse sant Johannes sprichet in dem apocalipsi; 1394 Marienb. Amterb. 124 Dy duczschen buchen item apocalypsze und dy cronike von Lyeflande in eym buche (FRNHD. WB); um 1410 Schwabenspiegel 150a an apokalipsi, daz ist in deme buche, daz Sente Johannes ewangelista schrip (FRNHD. WB); 1437 Gr. Amterb. 667 dryczen dewtsche bucher: das eyne heisset vitas patrum, das andir appokalipse dewtsch (FRNHD. WB); Folz um 1460 Meisterlieder 92 Allso das feür die zeyt thun muß,/ Do von Johannes clerlich hat geseyt:/ 'Ich sach hymel und erd vernewt',/ Stet in Apocalipsi, wer es weist; 1466 Dtsch. Bibel VI 254 von den ist geschriben apokalipsis quarto (FRNHD. WB); 1521 Dürer I 171 Herr, gib vns darnach das new gezirt Jerusalem, das vom himmel herab steigt, davon Apocalypsis schreibt (FRNHD. WB); Paracelsus 1530 S. W. / 8,138 Johannes in apocalypsi hat seltsamer und ungeschaffner tier nie gesehen, dan ihr seid; ebd. 8,247 apocalypsis was ist es als allein ein astronomei? dan sie tractirt allein von disen zeichen, so Christus gemelt hat und uns warnet, so die zeit kompt; ders. um 1530-34 S. W. // 7,291 Was ist apocalypsis anders, dann daß uns gott dadurch praefigurirt unsern geistlichen stand dieser weit und die Sünder der ewigen verdambung?; Hedio 1545 Chronica 63c Apocalypsin, das ist die Offenbarung; Böhme 1623 Theosophia 860 In diesem Bilde stehet klar die Figur, welche in Apocalypsi vorgemahlet wird, von dem grossen sieben-köpfigen Drachen; Abr. a S. Clara 1685 Gack WO in . . Apocalypsi; Sperander 1727 A la mod Sprach 39 Apocalypsis, Offenbahrung der Geheimnisse; Nicolai 1773 Nothanker l 6 Diese tröstliche Hofnung hatte er aus einem fleißigen Studium der prophetischen Bücher der Schrift, besonders der Apokalypse geschöpft; Herder 1791 S. W. XIV 295 entstanden Jüdisch-christliche Apokalypsen, voll von mancherlei Weißagungen; ders. 1794 S. W. XIX 96 Freudig also wurden dem großen Weltvereiniger, dem Stifter einer neuen Theokratie auf Erden Dank- und Lobgesänge gebracht, die sich in allen Schriften der Apostel, am reichsten aber in der Apokalypse finden; Gervinus 1853 Gesch. d. dtsch. Dichtung II 23 Auf diesem Grunde ruhen jene geheimnisvollen und wunderbaren Räthsel und Aufgaben dieser Art, die oft ihre Sprache und Form aus der Apocalypse entnehmen und leider die Apocalypse noch an Tiefsinn und Dunkel überbieten; Stolz 1870 Honig VI 8 Es kommt mir vor, daß die Apokyalyps ein Thema ist, das nicht mit einem Male abgespielt ist, sondern das in zahllos vielen Variationen in der Weltgeschichte wiederholt und

abgespielt wird; Nietzsche 1887 W. VIII 335 aber es genügt, sich einmal wieder die Johanneische Apokalypse zu Gemüthe zu führen, jenem wüstesten aller geschriebenen Ausbrüche; Friedeil 1931 Kulturgesch. III 400 Dieses Neue aber, das sein [Dostojewskis] Prophetenauge erblickt, ist der Antichrist, und der Antichrist ist die Revolution. Seine Bücher sind Apokalypsen und fünfte Evangelien; Th. Mann 1944 Nachtr. (W. XIII 201) noch weniger .. hat der Verfasser der Apokalypse mit jenem Jünger, oder wiederum mit dem Evangelisten Johannes zu tun; MM 9. 9.1985 Dürers Holzschnittfolge der Apokalypse etwa kann studiert . . werden; ebd. 1.2.1986 seit mehr als 550 Jahren beruht die bannende Wirkung dieses mehrteiligen Altarbildes auf der mystischen Kraft mittelalterlicher Religiosität und ihrer bildhaften Vorstellung von Himmel und Hölle in der Apokalypse des Johannes; ebd. 2.10.1987 Schmidt hat diesen gewaltigen Versuch, die Apokalypse aus der biblischen Offenbarung des Johannes erstmals im ganzen zu vertonen, . . unternommen. Apokalyptik: 1843 Brockhaus I 760 Apokalyptik ist die Bezeichnung für einen eigentümlichen Zweig der spätem jüd. Litteratur, welcher die Zukunft des Gotttesreichs und die Erscheinung des Messias . . in der Form von symbolischen Bildern und wunderbaren Visionen zu schildern versucht; Vögtle 1970 Kosmos o. S. Käsemann erblickt in der Apokalyptik „die Mutter der christlichen Theologie". Apokalyptiker: Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 59 die Epochen derselben [der Universalhistorie] waren ihm durch den Apokalyptiker wie durch einen Brennspiegel auf einen Punkt gezogen worden; Brachvogel 1858 Fr. Bach II 189 Letztere hatten allerdings nicht übel Lust, dem Apokalyptiker ihres verdorbenen Jahrhunderts einige Liebesbeweise zu verabreichen; Weiss 1882 Leben Jesu I 101 Ja, das [vierte] Evangelium ist die vergeistigte Apokalypse, aber nicht weil ein Geistesheros des zweiten Jahrhunderts dem Apokalyptiker gefolgt ist; Wernle 1901 Anfänge 2 wie bietet die Phantasie des Apokalyptikers in den Visionen der 7 Siegel und der 7 Posaunen und der 7 Schalen alles Mögliche und Unmögliche auf!; Harnack 1923 Erforschtes 61 Der Apokalyptiker hat also einfach das Tierkreiszeichen „die Wage" und einen zu ihr gehörigen Kalenderspruch benutzt, um den Hunger, den er in einem seiner Reiter darstellen wollte, zu charakterisieren; Lietzmann 1932 Kirche I 54 sie wuß-

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Apokalypse

ten sich auch als die „Heiligen", als der treue und gottgeliebte, für die Endzeit ausgesonderte Rest des Volkes, von dem die Propheten und Apokalyptiker kündeten. apokalyptisch: Paracelsus 1537-38 S. W. l 12,83 es werden zeichen in sonn, mon und stern .., also seind auch die magi ausleget aller propheten und der apocalypsischen Offenbarung; ebd. 12,495 als man weiß, das ein gestirn ist, das über al gestirn ist, das ist das apocalypsische gestirn; Böhme 1623 Theosophia 324 Aus diesen vierzehen Zahlen der vierzehen Namen Japhets kommen die Prophetische und Apocalyptische Zahlen; Abr. a S. Clara 1685 Gack 255 Johannes, apokalyptischer Engel; Serpilius 1703 Gedancken 17 durch seine Apocalyptische Grillen ein wunderlicher Heiliger worden; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,434) Die apocalyptische Theologie mache ich nicht zum gänzlichen Subject meiner Schriften; Hase 1779 Aldermann I 115 ein Bild aus dem apokalyptischen Catechismus; Musäus 1781 Physiognom. Reisen III 11 in der apokalyptischen Epoque meines Vaterlandes; Nicolai 1787 Beschr. VIII 116 ein abermaliger Beweis, bis wohin unbestimmte Begriffe, dunkele Gefühle, schwärmerische apokalyptische Träumereyen leiten können; Jean Paul 1794 S, W. l 3,228 ein solcher irdischer Engel, wie der apokalyptische vom Jünger Johannes; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 61 Der Gefangene vertraute ihm . . das Schicksal seiner apokalyptischen Studien; Raabe 1858 S. W. 2,199 Der Austausch der Ideen war riesenhaft — kolossal, gigantisch, apokalyptisch!; C. F. Meyer 1873 S. W. Ill 13 ein Blick in das vor ihm aufgeschlagene Buch belehrte mich, dal? er nicht von meinem Falben, sondern von einem der vier apokalyptischen Reiter sprach; Th. Mann 1922 Reden u. Aufs. (W. XII 604) jenes apokalyptische Bewußtsein von einer Weltwende; Baumgarten 1929 Lebensgesch. 349 Sprung ins Eschatologische, Apokalyptische, Chiliastische; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 248) er war nicht sehr eingenommen von dem Gedanken, . . das Oratorium auf Dürers apokalyptische Blätter zu gründen; Anders 1952 Reporter 157 die drei Apokalyptischen Reiter: Pest, Hunger und Krieg; FAZ 1.12.1965 die Vernichtungswelle des letzten Krieges ist . . seit 1914 mehrere Male über die polnischen Lande hinweggebraust, und zwar hin und zurück, wie apokalyptische Reiter, und hat jedesmal Schutt und Trümmer, Armut, Krankheit, Seuchen und Tränen und Tod und wachsende Vergeltungs- und Haßkomplexe hinterlassen; Dülmen 1977 Reformation 20 Die Idee der Reformation war zunächst weit gespannt: Wiederherstellung alter Rechte und Sitten, moralisch-religiöse Reform der Klöster und

der Geistlichkeit, . . schließlich nach apokalyptisch-schwärmerischen Vorstellungen eine grundlegende Erneuerung der Gesellschaft nach dem Kommen des Antichristen; Schipperges 1985 Garten 52 Im Herbst des Mittelalters erst tritt der Tod mit seinem vollen Pathos auf: der Ritter Tod, der Schnitter Tod, . . der apokalyptische Reiter, das Skelett mit Sense und Sanduhr; MM 9. 9.1985 im Gefolge der apokalyptischen Reiter, die laut Neuem Testament die sündige Menschheit peinigen; Altner 1991 Naturvergessenheit 83 f. diese Perspektive [kommt] nicht erst am Ende der Bibel in der apokalyptischen Vision von der Überwindung des Todes . . zum Ausdruck. Apokalypse b: Laukhard 1796 Leben III 233 sein Aufsatz . . beweißt, daß der Hauptmann . . ein unpartheiischer Richter ist, ganz von einem ändern Karakter, als . . alle ändern Skribler und Sudler von der politischen Apokalypse; Görres 1821 Ges. Sehr. XIII 185 der Mund [ist] geöffnet zu jenem gewaltigen Chorale, in dem sie in schweren, dunkeln . . Tönen . . die Apocalypse des Alls und der Geschichte singt; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 719) ein Europa, das sein Ewigkeitsgut zu wahren wisse, werde über proletarische Apokalypsen, die man da und dort zu erträumen beliebe, in Gemütsruhe zur Tagesordnung klassischer Vernunft übergehen; ders. 1939 Lotte (W. II 535) das ganze Volk dichtete, es schwelgte und schwamm in Apokalypsen, Prophetengesichten, in blutigen Schwärmereien des Hasses und der Rache; Macdonell 1940 Gentleman 164 die Überlebenden der Apokalypse [Weltkrieg]; V. ß. 15.116. 7.1944 er versucht uns in seinem Vernichtungshaß durch den Bombenkrieg eine wahre Apokalypse zu bereiten; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. IX 661) gewiß ist, daß, so sehr die Krankheit Dostojewski's Geisteskräfte bedrohte, sein Genie aufs engste mit ihr verbunden und von ihr gefärbt ist, daß seine psychologische Initiiertheit, sein Wissen um das Verbrechen und um das, was die Apokalypse „satanische Tiefen" nennt, . . untrennbar mit ihr zusammenhängen; Süddtsch. Ztg. 7. 9.1950 in einer . . Folge von Tuschzeichnungen „Apokalypse der Zeit" gelingen ihm dann auch wahrhaft erschreckende Aussagen über die im Massenwahn oder mit mechanischer Exaktheit sich zerfleischende Menschheit; K. Mann 1952 Wendepunkt 326 in dieser . . der Apokalypse verfallenen Welt (DUDEN); Lynen 1963 Kentaurenfährte 282 zerbrochene Dinge und Scherben, die an eine Apokalypse gemahnten (DUDEN); Offenburger Tagebl. 20.4.1964 genau ein Viertel der nördlich der Mainlinie lebenden Menschen bangt vor dem Weltuntergang, während die Bayern z. B. der Apokalypse mit unverkennbarem Gleichmut begegnen; Zeit 1.2.1985 in einer Zeit,

Apokalypse die mit der Apokalypse kokettiert, ist der Selbstund der Ritualmord im Stück nur noch pornographische Grimasse; MM 23.4.1985 die Leistungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes erhellte Grimm an einer Reihe von Beispielen, auftretenden Problemen gelte es nicht als Prediger der Apokalypse, sondern mit mutiger Rationalität zu begegnen; Zeit 2.8. 1985 die Vorstellung einer atomaren Apokalypse verängstigt nicht nur Menschen, die zur Hysterie neigen; ebd. 21.2.1986 unter allen hoch entwickelten Industriegesellschaften hat die Verbindung von Nationalismus, Rassismus und bürgerlicher Respektabilität nur in Deutschland in die Apokalypse des Holocaust geführt; MM 3.11.1986 mit dem Ostwind aus der Ukraine wurde Cäsium, Jod und Strontium auch in die Bundesrepublik geweht, und plötzlich schien diese dunkle Apokalypse, an die vorher keiner so recht glauben wollte, nur zu gegenwartsnah; ebd. 3.2.1987 in Salzburg wird dieser Dichter der Nacht am 3. Februar 1887 als viertes Kind von Maria und Tobias Trakl mitten in die „fröhliche Apokalypse" hineingeboren, wie Hermann Broch diesen Zeitabschnitt der österreichischen, k.-u.-k.Monarchie hellsichtig nannte; ebd. 14.4.1988 die ökologische Apokalypse; Süddtsch. Ztg. 27./ 28.3.1993 Bilder vom Golfkrieg und aus Kuwait . . die reale Apokalypse der brennenden Ölfelder; Spiegel 13.9.1993 Diese naive, uramerikanische Mischung aus Goldfund und Apokalypse-Furcht, aus Western-Mythologie und alttestamentlicher Offenbarung fand in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts schnell Zulauf; Süddtsch. Ztg. 23.124.10.1993 [schwingender Weihrauchofen] es war gemeinsames Zeichen der zum Himmel sich schwingenden Heiligkeit und der aus der Höhe niederstoßenden Apokalypse, steigender und stürzender Engel. Apokalyptik: Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 93) wirklich ist das, was wir Expressionismus nennen, nur eine späte und stark mit russischer Apokalyptik durchsetzte Form des sentimantalen Idealismus; Böhmer 1928 Erbe d. Enterbten 220 Aufsatz über den Zusammenbruch der modernen Apokalyptik; Benjamin 1929 Br. I 511 damit . . wir uns nicht gegenseitig mit einer Privat-Apokalyptik um die Divergenzen unserer Lebensläufe betrügen; Lietzmann 1932 Kirche I 20 Darum wollen sie von individueller Unsterblichkeit der Seele . ., von all den Engeln, Teufeln und Zwischenwesen der jüngeren Apokalyptik nichts wissen; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. ("w7. XI 249) die Vorbereitungen zu dem so entscheidenden Abschnitt hatten, unter Dante-Lektüre, dem Studium der Apokryphen und allerlei sich gutwillig einfindender Schriften über antikchristliche Jenseitsvorstellungen und Apoka-

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lyptik, lange gedauert; Eppelsheimer 1955 Schild 43 [der Roman] schaut „visionär", d. h. er stürzt sich in eine abgründige, gestaltlose Apokalyptik; Hocke 1976 Tagebücher 99 Immer, so könnte man meinen, steht das Buch der Bücher, offen aufgeschlagen, irgendwo in der Nähe des Diaristen, wenn er, in todesgewisser Ich-Apokalyptik, schreibt: . .; Dülmen 1977 Reformation 11 Die steigende Anfälligkeit der Gesellschaft, der die feudale Kirche als Orientierungshilfe nicht mehr genügte, für Apokalyptik und Prophetie sowie das wachsende Bedürfnis nach Gnade, Rechtfertigung und Erlösung . . dokumentieren das. Apokalyptiker: Th. Mann 1925 Nachtr. (W. XIII 414) ein bedeutendes neues Buch über den russischen Apokalyptiker liegt vor: die Weltanschauung Dostojewskis von Dr. Hans Prager; Zeit 21.6. 1985 was kann es Gemeinsames geben zwischen Bahro-inspirierten Fundamentalapokalyptikern und Börner-strapazierten hessischen Reformapologeten?; ebd. 12.6.1987 so könnten sich am Ende die Apokalyptiker beider Lager mit ihrem Hang zu totalitären Visionen durchaus die Hände reichen; Süddtsch. Ztg. 3.11.1993 Ein solcher Skandal aber bedeutet eine hohe Zeit für Apokalyptiker, die von den Worten Blut und Aids auch schnell auf den Plan gerufen wurden; ebd. 12.1.1994 ein Beleg für die self fulfilling prophecy der Musik-Apokalyptiker — wer dauernd den Verfall beschwört, der feiert eben die im Schneewittchensarg erstarrten Untoten des Geschäfts. apokalyptisch: Matthisson 1794 Besuche (HI 195) ich . . [muß] an Dich die Frage richten . ., ob Du nicht prophetisches Fingerdeuten oder apokalyptische Salbung darin findest; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre 111 61 mit dieser Katastrophe hatte er die apokalyptische Entwickelungskrankheit seiner Zeit durchgemacht; Fallmerayer 1845 Fragmente I 344 Viele und edle Gemüther verzagen gänzlich, sehen schon die Anfänge des Antichrists und erwarten in naher Erfüllung der Zeiten das apokalyptische Ende des irdischen Wohnplatzes; Harden 1927 Versailles 193 dass die Angst mit apokalyptischen Farben malt; Busse 1934 Leute 157 die apokalyptischen Gespenster des Krieges; Picht 1940 Soldat. Mensch 63 apokalyptische Stimmung germanischen Kriegertums; Münch. N. N. 26. 7.1944 Die Schornsteine eines verfallenen und zerschossenen Werkes stehen als Wächter am Rande der apokalyptischen Landschaft; Süddtsch. Ztg. 13.11. 1945 Als berufener Sprecher der Zeit ließ er noch einmal in erschütternder Anschaulichkeit die apokalyptischen Jahre seit 1933 und darüber hinaus vor uns abrollen; Bamm 1956 Ex ovo 10 in einer apokalyptischen Vision sah der Kardinal die

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fromme Welt des Mittelalters zerfallen; Welt 18.1.1964 das apokalyptische Erlebnis des Atombombenabwurfs; Zwerenz 1971 Kopf 171 Chaotische Zeiten und allerniedlichste apokalyptische Zustände (DUDEN); Zeit 28.12.1984 berufen sich diejenigen, die apokalyptische Visionen aufgrund der allgegenwärtigen Technik beschwören, zu Recht auf George Orwell?; ebd. 30. 8.1985 mit der apokalyptischen Vorstellung eines dritten Weltkrieges gelingt es heute offenbar, neue gigantische Forschungsanstrengungen und Dutzende von SDIKommissionen in Gang zu setzen; MM 3. 6.1986 Günter Grass hatte . . sein . . neues Buch „Die Rättin" mit der apokalyptischen Vision eines Sieges der Ratten über die Menschen vorgelegt; Zeit 5.12.1986 da zieht es [das Ozonloch] durch die

Biosphäre, breitet sich aus und vertieft sich und strahlt Schäden aus: eine apokalyptische Vision; MM 15.7.1987 Angst und dumpfes Unbehagen kommt dagegen in den apokalyptischen Visionen zum Ausdruck, die Wolfgang Pivius mit Leuchtfarbe . . malt; Süddtsch. Ztg. 17.12.1992 Apokalyptische Visionen, daß der Weltuntergang eher aus dem All kommt als hausgemacht ist, haben sich Jahrtausende lang hartnäckig gehalten; ebd. 20.3.1993 [das Buch] entwertet seine Vorgänger und seine neueren Thesen durch die geradezu apokalyptischen Visionen, ja Prognosen eines bevorstehenden Untergangs der ganzen moralischen und tatsächlichen Ordnung; Spiegel 14.6.1993 Die Seuche [Aids] . . ist für das Jahrtausendende auf apokalyptische Ausmaße programmiert.

apokryph Adj. (Steigerung ungebr.), im späten 15. Jh. über mlat. apocryphus 'nicht kanonisch; nicht beglaubigt, unglaubwürdig; nicht rechtmäßig' entlehnt aus spätlat. apocryphus 'von unbekannter Verfasserschaft, untergeschoben' (< griech. 'versteckt, heimlich; unecht', zu 'verbergen', aus 'von-weg' und 'verbergen'), bis ins 18. Jh. meist in lat. (flekt.) Form, bis ins 20. Jh. auch in der Nebenform apokryphisch. a Zunächst als religiöser Terminus zur Kennzeichnung der von der Kirche nicht in das Verzeichnis der maßgebenden Schriften aufgenommenen biblischen Bücher in der Bed. 'unecht, falsch, unwahr; zu den Apokryphen (s. u.) gehörend' (Ggs. —* kanonisch), oft in Wendungen wie aus kirchenlat. libri apocryphi lehnübersetztem apokryphe Bücher, Schriften, Evangelien, Apostelgeschichten; daneben anfangs selten auch in der Medizin in der Bed. 'verborgen, geheim(nisvoll), im Innern' (bes. von Krankheiten) (s. Beleg 1527-28). b Seit Mitte 18. Jh. (vgl. mlat. apocryphus) bildungsspr. und allgemeiner verwendet in der Bed. 'nicht zum Gültigen, Anerkannten gehörend, zweifelhaft, unecht, erst später hinzugefügt'. Dazu seit frühem 16. Jh. das über mlat. apocryphum 'nicht kanonisches Werk; nicht beglaubigte, unglaubwürdige Schrift, Unechtes' aus spätlat. apocrypha Pi. entlehnte, meist plur. verwendete Subst. Apokryph N. (-s; -en), bis ins 18. Jh. auch in der lat. (flekt.) PL-Form Apokrypha und vereinzelt in der gräzisierenden Form Apokryphon (vgl. kirchenlat. libri apocryphi c die Apokryphen'), zunächst als Bezeichnung für Schriften, die zwar aufgrund nicht anerkannter Glaubwürdigkeit nicht in den —» Kanon des Alten oder Neuen Testaments aufgenommen werden, den anerkannten biblischen Büchern aber formal und inhaltlich sehr ähnlich sind (zu a); im 19./20. Jh. selten 'unechte, später hinzugefügte Schrift', auch 'Schrift von zweifelhafter Autorschaft' (zu b). apokryph a: Melber 1481 Voc. o. S. Apocriph Über, ein heimlich buch; Reuchlin 1511 Augenspiegel V B2a das ain wirt genant Nizahon das ander Tolduth Jeschu/ ha nozri/ das auch von den iuden selbs für apocrypho gehalten wirt/; Luther 1521 W. VII 433 Auch die Decretal sag ich nit, das sie

apocryphe seynn; Zwingli 1523 II. Disp. (W. 735) Was wellend ir mine herren damit zyhen unnd bekümeren mit der epistel Clementis, so es doch apocriphum ist und üwere eygne recht haltens ouch darfür?; Paracelsus um 1530-31 S. W. II 2,393 nit vergebens ist diser apostel strowig gehei-

apokryph ßen worden und apocryphus und verworfen; 1704 Auserlesene Anm. I 121 was die Epistel Judä anlanget/ muß man entweder mit Luthero u. ändern sagen/ daß sie auch ein Scriptum apocryphon sey/ oder daß die Prophecey Enochs/ die darinnen angeführet wird/ kein Buch sey/ sondern eine alte Tradition; Wächtler 1709 Manual 38 Apocryphus verborgen/ z. E. in der Bibel liber apocryphus, das nicht von GOtt eingegeben ist/ und den Büchern der H. Schrifft nicht gleich geachtet wird; 1711 Gelehrte Fama 496 die Bücher altes Testaments, so Apocrypha heissen, zur Erklärung des Neuen Testaments . . gebrauchen; Sperander 1727 A la mod Sprach 40 Apocryphi libri, Ungewisse und zweiffelhaffte Bücher und Schrifften/ von denen man nicht weiß/ wer sie gemachet hat. Es werden deren etliche in der Heil. Schrifft also genennet; Gervinus 1853 Gesch. d. titsch. Dichtung l 494 im zweiten Theile benutzt er die apocryphen acta apostolorum neben der Bibel, den Kirchenvätern, . .; 1890 Dtsch. Rundsch. LX11I 414 Nach dem apokryphen Evangelium des Nicodemus war das Kreuz aus zwei Holzarten . . zusammengesetzt; Simek 1992 Erde 66 Das apokryphe 4. Buch Esdras (oder Esra, eine apokalyptische Vision, . .). apokryphisch: Paracelsus 1527-28 S. W. l 5,439 Am ersten dises buchs . . wil ich tractiren von den wunden, so den kranken apokryphisch sind; ebd. 5,447 so wissent auch, das in solchen wunden des apocryphischen krampfs vil krankheiten bewegt werden; Zedler 1732 Universallex. 852 Apocryphische Bücher, . . also benennet, weil ihr Ansehen in der alten Kirchen entweder unbekannt, oder zweiffelhaft gewesen; Wieland 1754 Ges. Sehr, l 4,100 die wahrscheinlichsten, anständigsten, charactermäßigsten Dichtungen kommen ihm nicht anders vor als wie die Papistischen Legenden, die apocryphischen Evangelien oder die Fabel vom grossen St. Christoph; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 382 Diese ganze Erdichtung hat er von den Juden entlehnet, die eben dergleichen vorgeben, auch manche ihrer apocryphischen, cabbalistischen und magischen Schriften unter solcher Benennung anzupreisen suchen; Herder 1767 Dtsch. Literatur (S. W. l 134) ein Beruf, der heut zu Tage im Reiche der Litteratur so Canonisch geworden ist, als er uns in der Bibel Apokryphisch dünkt; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,124) indem ein Theil gedachter Symbole für apokryphisch und nur wenige für kanonisch erklärt werden; ders. vor 1832 Maximen u. Reflex. (WA I 42.2,213) Apokrypha: wichtig wäre es . . zu zeigen, daß gerade jene apokryphischen Schriften . . die eigentliche Ursache sind, warum das Christenthum in keinem Momente . . in seiner ganzen Schönheit und Reinheit hervortreten konnte; Kohl

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1844 Brit. Inseln II 453 ähnlich jenen apokryphischen Werken der Juden, die fast den kanonischen Schriften gleich geschätzt wurden; Rümelin 1884 Kanzlerreden 365 Erst in den spätesten apokryphischen Schriften und in den neutestamentlichen Briefen findet sich der volle Gebrauch des vorhin erwähnten, der griechischen Sprache entnommenen Ausdrucks; 1914 Lit. Echo XVI1 56 gewisse Legenden, die teils von Theologen der scholastischen Zeit, teils in der apokryphischen Literatur festgehalten wurden; 1958 Saeculum IX 129 das apokryphische Schrifttum . . [das] dem Christen . . gleichsam „epilogi prophetarum et prologi evangelii" bedeutet. Apokryph: Paracelsus 1527-28 S. W. I 5,470 So ir doch gar wollen behangen in den alten, die solche apocrypha nit verstanden noch gesezt haben, so betrachten, das ir müssen falsch und ungerecht sein und alein euern köpfen nachfarent; ebd. als dis mein buch apocryphorum ausweiset; Zwingli vor 1531 W. l 402 damit ich die apocryphen usschluss (MALHERBE); Cochlaeus 1538 Heiml. Gespräch 6 Weil aber diselbige histori keinen Autorem anzeiget, so mögens die Papisten für Apocrypha vnd vertechtig halten; Franck vor 1542 Chronica Zeitbuch 26b Er [Papst] zeygt an welche bücher für glaubwürdig solten gehalten werden/ nemlich die Biblischen/ derhalb alle bücher Thome . . zugeschriben/ die sein Apocriphi/ das ist nit kirchen wärung; Henisch 1616 Teutsche Sprach 91 Apocripha/ Bücher/ auß welchen die articul vnsers glaubens nicht können bewisen werden/ es sey dann das durch andere Canonische Bücher mög bestettiget werden; 1704 Auserlesene Anm. I 121 daß gedachte Schrifft/ wiewol sich viel Kirchenlehrer in den ersten Seculis damit betriegen laßen/ ein Apocryphon sey/ voll Jüdischer Narrenpoßen/ und wie es scheinet/ von einen Ketzer oder Gnostico erdichtet; 1711 Gelehrte Fama 496 die Bücher altes Testaments, so Apocrypha heissen, zur Erklärung des Neuen Testaments . . gebrauchen; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 381 die beiden [Engel] mit den jüdischen Benennungen Raphael und Uriel, die auch in den apocryphis der heil. Schrift vorkommen; Schliemann 1874 Alterthümer 53 Auch war die Theorie von Christus, dem Sohne Gottes, in den Apokryphen von Alexandrien und Palästina . . vorherrschend; Harnack 1915 (N. F. 111 40) die sog. alttestamentlichen „Apokryphen"; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 476) die ausdrucksvollsten Schreckbilder und Denunziationen der Apokryphen; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 249) die Vorbereitungen zu dem so entscheidenden Abschnitt hatten, unter Dante-Lektüre, dem Studium der Apokryphen und allerlei sich gutwillig einfindender Schriften über antik-christliche Jen-

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seitsvorstellungen und Apokalyptik, lange gedauert; 1955 Altertum l 51 wir haben für bestimmte Teilgebiete der Grammatik sogar Untersuchungen, welche den Sprachgebrauch gleichartiger Schriftgruppen oder ganzer Literaturgattungen behandeln, z. B. das Neue Testament, die Apokryphen, die Heiligenleben; MM 6.4.1985 kriegsbedingt kamen diese Arbeiten aber erst 1956 für das Neue Testament . . und 1964 für das Alte Testament .. zum Abschluß, ja für die zwischentestamentlichen Bücher, die Apokryphen, sogar erst 1970; Haubrichs 1988 Gesch. 349 er hat für seine Darstellung neben der Bibel noch andere Quellen, auch Apokryphen benutzt. apokryph b: 1848 Grenzboten l 2,188 Der k. k. Bundespräsidialgesandte ist nicht allein genöthigt, mit Weinhändlern, Advokaten und ähnlichen apokryphen Grossen zu verkehren; Max. v. Mex. 1852 Leben U 33 Apokryph dürfte in diesem wissenschaftlichen Quodlibet die thönerne Giftschale des Sokrates sein; ]ahn 1867 Mozart l 641 In der A. M. Z. .. wird die apokryphe Anekdote erzählt, Kaiser Joseph habe incognito eine Arie für sich geschrieben und in eine der kleinen italiänischen Opern eingelegt, die er auf seinem Privattheater .. gab; Marholm 1903 Psychologie d. Frau 116 [Durch unrichtiges Auslegen der hinterlassenen Werke Nietzsches] ist Manches . . dadurch ganz apokryph geworden; Bunsen 1929 Welt 138 Als ich das las, hielt ich es sofort für apokryph, ich weiß doch, was Berliner bei solchen Gelegenheiten ausrufen und was sie niemals ausrufen würden; Jh. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. XI 274) Hasser des Regimes hatten aus dem großen Monolog des Siebenten Kapitels, worin das Authentische und Belegbare sich ununterscheidbar mit dem Apokryphen, wenn auch sprachlich und geistig durchaus Angepaßtem mischt, einzelne dem deutschen Charakter recht nahetretende und Unheil prophezeiende Dikta ausgezogen; Benjamin 1938 Er. H 787 Kategorien, . . die Ihnen nach Ihrer Vorstellung vom Materialismus apokryph dünken mögen; Borst 1957 Turmbau 277 die . . auch sonst auf apokrypher und legendärer Erbauungsliteratur beruhenden Erzählungen des Agapios; Staiger 1966 Grundbegriffe 50 deshalb nimmt sich die Ästhetik mit Vorliebe des Dramas an, während die Lyrik oft ein apokryphes Dasein führt oder mit Verlegenheit behandelt wird; Grüning 1981 Gomorrha 104 Ich will eine weitere, allerdings apokryphe Information nicht verschweigen; Zeit 22.11.1985 Möbel, Reste des letzten elterlichen Wohnzimmers: eine barocke Kanzel, Beichtstühle aus Gott weiß welcher apokryphen Epoche, ein siebenarmiger Leuchter; MM 22.12.1985 apokryphe Texte sprechen dafür, daß es lange vor der muselmanischen Invasion auf der Iberischen Halbinsel eine kleine

Christengemeinde gegeben hat; Zeit 3.1.1986 ein Teil dieser Haftpraxis geht auf das Konto der unter Jugendrichtern verbreiteten Neigung, Handtaschenräuber und Autoknacker „etwas außerhalb der Legalität" in den Knast zu schicken aufgrund „apokrypher", ungeschriebener Haftgründe; FAZ 3. 7.1990 Es [das Buch] dokumentiert eine apokryphe Widerstandshandlung; Süddtsch. Ztg. 4.3. 1993 Das apokryphe Bild führt zur „einfach zu verstehenden Gesamtaussage", daß der „reale Sozialismus hier als trist und düster, als gefängnishaftes Leben verunglimpft und ein direkter Fluchtgedanke ausgesprochen wird". Apokryph: Herder vor 1803 S. W. XL/V 33 Manche Apokryphe mag wahre Umstände enthalten (KEHREIN); Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,361) Schäkespears Apocrypha; Hildesheimer 1977 Mozart 59 Ziehen wir bei Mozart die Apokrypha, die Fälschungen und die Kopien .. ab, so bleibt keinerlei Idealisierung; Borst 1988 Barbaren 219 auch bogomilische Apokryphen fanden damals den Weg nach Westen. apokryphisch: Ramler 1749 Br. a. Gleim (I 175) wenn die Nachricht nicht apocryphisch ist; Gerstenberg 1768 Rezensionen 100 Die Burleske und abenteuerliche Dichtungsart nennt unser Kunstrichter apokryphisch; Nicolai 1790 Anekdoten I 186 Aber es ist hier wohl zu merken, daß diese Anekdote im Buche von Schlesien, ausdrücklich als apokryphisch angeführt wird; Lichtenberg 1791 Aphorismen IV 90 Er hatte von seiner Frau ein Kind, welches einige für apocryphisch halten wollen; Thümmel 1791 Reise (I 90) daß ich deine heutigen Weissagungen noch apokryphischer finde; Laukhard 1794 Anekdoten l 74 In demselben [Brief] standen Dinge, die es vermuthen ließen, daß jene Nachrichten, auf welche diese Freude sich gründete, nur apokryphisch wären; Goethe 1799 Br. (WA IV 14,232) zwey apokryphische Stücke von Shakespear; 1799 Journal d. Moden XIV 645 Da uns obige Nachricht . . etwas apokryphisch vorkam, erkundigten wir uns . . genauer darnach, und erhielten hierauf folgende unbezweifelt ächte Nachricht; Matthisson 1804 Alpen (VI 137) Möchte doch das eben Erzählte . . gemildert in die Annalen der Menschheit übergehen, oder als apokryphisch ganz davon ausgeschlossen werden können; Goethe 1809 Farbenlehre (WA II 3,167) jene Schätze, die von Griechen, Römern und Arabern übrig geblieben waren; . . es fehlte völlig an Kritik; apokryphische Schriften galten den echten gleich; Strauss 1838 Br. 55 ob er's wohl weiter, als zu apokryphischen Wundern bringt?; 1841 (Gombert 1908 Beiträge 31) Friedrich II. . . thut . . einen ändern [Ausspruch], den man aber leicht als apokryphisch behandeln konnte; Kürnberger 1855 Ameri-

apolitisch kamüde 219 Ich spreche von dem Ursprünge des Yankee-Doodle. Sie wissen, . . wie lange uns dieser Ursprung apokryphisch war; Zeit 13.12.1985 apo-

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kryphisch wirkt „die Professorengeschichte als Heldensymphonie" (Douglas Hofstadter läßt grüßen).

apolitisch Adj., seit Anfang 17. Jh. selten, erst seit frühem 20. Jh. häufiger nachgewiesene, aus dem Negationspräfix —* a-2 und —> politisch gebildete Kombination (vgl. jedoch schon griech. 'zu Staatsgeschäften ungeschickt'), im 18. Jh. vereinzelt in der latinisierten Form apoliticus. Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'keine Kenntnisse, Erfahrungen im politischen Bereich aufweisend, besitzend', dann insbes. Ohne Interesse an Politik, politischem Geschehen; politischen Angelegenheiten, Ereignissen gleichgültig, passiv, teilnahmslos, apathisch gegenüberstehend; ohne jede politische Motivation (handelnd)', z. B. völlig apolitisch sein, ein apolitischer Mensch, eine apolitische Tat 'Tat ohne politisches Motiv', auch für 'nicht politisch, unpolitisch', z. B. ein apolitisches Theaterstück; im 19.720. Jh. vereinzelt die subst. Ableitungen Apolitie und Apolitismus 'apolitische Haltung'. apolitisch: Guarinonius 1610 Greuel 1329 Ja schaemen sich vil tausent jetzige Maul-Christen jhrer verdampfen . . Apolitischen Weisz; Zedler 1732 Universallex. II 858 Apoliticus homo, der nicht weiß, wie man dem Regimente vorstehen kan; Mendelssohn-Bartoldy 1869 Br. 14 hat sich das Bild Mendelssohns aus seinen späteren Lebensjahren als das eines apolitischen Künstlers befestigt; Vischer 1879 Auch Einer H 397 Das Christentum ist an sich eine apolitische Religion; Dotnbrowski 1919 System l 292 Herr von Kühlmann, dem man galante Damenabenteuer zum Vorwurf machen wollte, hatte nicht bloß mit einem moralischen Unterrock oder zweien als Widerständen zu rechnen, sondern auch mit ändern apolitischen Faktoren, realen „Imponderabilien", deren Bismarck noch immer Herr zu werden verstanden hatte; Masing 1924-26 Dtschbalt. Gemeinschaftsschelten 402 der apolitische . . Sinn des Deutschbalten; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. X 304) sie wollen uns auf die Seele, das Dichterische, die reine Anschauung, das Gemüt, die apolitische Einfalt festlegen; ders. 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 565) aber seine apolitische-antipolitische, id est konservative Gesinnung wurzelt selbstverständlich tiefer, sie ergibt sich aus seiner Philosophie; Dtsch. AZ. 28.6.1944 Das Rom von heute hat .. fast keine politische Haltung, weder in Pro noch in Contra. Es ist apolitisch; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 257) Partei genommen hat, wenigstens einmal, auch der apolitische Goethe: als er nämlich zu Eckermann sagte, jeder vernünftige Mensch sei ein gemäßigter Liberaler; Schtnid 1957 Aufs. 46 [er war] zu einem Exponenten des apolitischen Gelehrten-Typus bestimmt; Manstein 1958 Soldatenleben 81 Anm. der a-politische Soldat;

Jaspers 1958 Atombombe 67 Gandhis Politik steht im Gegensatz .. zur uralten apolitischen Lebensweise des indischen Asketen; ebd. 266 der Forscher ist als solcher apolitisch; Brügge 1971 Wir wollen o. S. unabhängig voneinander träumen apolitische Radikale der deutschen Scene diese Utopie einer Gegengesellschaft; Saarbr. Ztg. 7.12.1979 weil es keinen apolitischen Umgang mit Geschichte geben kann; Zeit 4.1.1985 Reagans große Leistung besteht darin, daß er die Vereinigten Staaten noch apolitischer gemacht hat, als sie ohnehin schon waren; ebd. 5.4.1985 Neutralisten sind unrealistisch, illusionär, leichtsinnig, irrational, verträumt, apolitisch; ebd. 27.9.1985 seine Erfolge mit „Hör zu", . . und „Bild" beruhten geradezu auf seiner fast apolitischen Verlegerstrategie; ebd. 4.10.1985 die Gewalt der Chaoten in der Bundesrepublik ist apolitisch, sie kreist in sich; ebd. 29.8.1986 Samuel Fischer war als Jude ein typischer Deutscher: ein apolitischer; ebd. 5.12.1986 die Unbeholfenheit des erklärtermaßen politikfernen Künstlers („ich bin apolitisch: ich fühle mich nur als Mensch auf der Erde"). Apolitie: 1841 (Scheidler, Jen. Bl. II 151) Apolitie; Schmid 1957 Aufs. 52 Nationen wie Deutschland, Frankreich oder Italien vermögen die Apolitie der Eliten einigermaßen auszuhalten. Apolitismus: Th. Mann 1948 Reden u. Aufs. (W. IX 738) und dennoch ist an ihm [Goethe] gelitten worden, . . wie Borne es ausdrückte, an seinem Apolitismus, der Wucht, mit der seine Natur dem Enthusiasmus der Zeit, der national-demokratischen Idee, entgegenstand.

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Apologie

Apologie F. (-; -n), im fr hen 16. Jh. entlehnt aus sp tlat. apologia 'in Worten vorgetragene Verteidigung' (< gleichbed. griech. απολογία, zu άπολογεϊσθαι 'sich herausreden, verteidigen', eigentlich 'sich losreden', aus από- 'von-weg, ab' und λέγειν 'reden', zu λόγος 'Wort, Rede'), anfangs auch in den Formen Apologi, Apologey und bis ins 18. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form. In der Bed. 'Verteidigung einer Lehre, Rechtfertigung einer Position', auch metonymisch f r 'Verteidigungsrede, -Schrift', anfangs bes. in religi sen Auseinandersetzungen mit dem Ziel der Verteidigung des g ttlichen Charakters des Christentums verwendet, h ufig in Wendungen wie eine Apologie halten, schreiben sowie in dem Titel Apologie der Augsburger Konfession, eine 1530 von Melanchthon aufgesetzte Verteidigungsschrift des Augsburger Glaubensbekenntnisses. Dazu seit Mitte 18. Jh. die Personenbezeichnung Apologet M. (-en; -en), gebildet zu subst. sp tlat. apologeticus, apologeticum 'Verteidigungsschrift' (vgl. mlat. apologeticus Adj. u. Subst. 'verteidigend, rechtfertigend, entschuldigend' < griech. απολογητικός 'zur Verteidigung, Rechtfertigung geeignet'), meist bildungsspr. verwendet in der Bed. 'jmd., der mit Nachdruck eine bestimmte Lehre, Anschauung, Auffassung vertritt, mit ganzer berzeugung hinter ihr steht, sie bef rwortet, rechtfertigt, verteidigt', bes. auch als Bezeichnung einer Reihe griechischer Schriftsteller des 2. Jhs., die in dieser Zeit des Kampfes zwischen Heiden- und Christentum in literarischen Verteidigungsreden gegen die auf die christliche Religion gerichteten Angriffe schrieben und das Wesen des Christentums in Aufkl rungsschriften deuteten; daneben gleichbed., vor allem im 18. Jh. h ufiger gebrauchtes Apologist M. (-en; -en) (vgl. gleichbed. frz. apologiste). Dazu seit sp terem 18. Jh. das aus gleichbed. mlat. apologeticus bernommene Adj. apologetisch (ohne Steigerung), meist bildungsspr. verwendet in der Bed. 'eine Ansicht, Lehre verteidigend, rechtfertigend; der Apologetik gem '. Dazu die im 18. Jh. vereinzelt belegte, bis heute gebuchte verbale Ableitung apologisieren in der Bed. 'eine Schutz- oder Verteidigungsrede halten, etwas/jmdn. rechtfertigen, verteidigen'. Seit Anfang 19. Jh. die zu mlat. apologeticum, subst. N. von apologeticus (s.o.), gebildete subst. Ableitung Apologetik F. (-; selten -en) als Bezeichnung f r eine wissenschaftliche Teildisziplin der Theologie, die sich mit der rationalen Rechtfertigung und wissenschaftlichen Absicherung des christlichen Glaubens befa t; vor allem auch Bezeichnung f r die Gesamtheit aller apologetischen u erungen, h ufig in Wendungen wie eine Apologetik schreiben, verfassen. Vgl. daneben das im fr heren 16. Jh. aus lat. apologus 'allegorische Erz hlung (insbes. die Fabel sops)' (< gleichbed. griech. άπόλογος) entlehnte Subst. Apolog M. (-s; -e), in der Literaturwissenschaft f r 'beispielhafte (humoristische) moralische Erz hlung, lehrreiche (Tier-)Fabel, die eine sittliche Wahrheit enth lt', sowie seit sp terem 16. Jh. die meist nur gebuchte adj. Ableitung apologisch 'kurz und treffend erz hlend, in Form eines Apologs', gelegentlich in der Wendung apologisches Sprichwort. Apologie: Kettenbach 1523 Apologia 158 Ein neu Apologia und Verantwortung Martini Luthers wider der Papisten Mordgeschrei ( berschr.); Kessler 1524-39 Sabbata VIII 37 Philippus Melanchthon in siner Apologia oder bekreftigung der confession

oder bekantnus des globens; Luther 1527 W. XXIll 30 wie zulobten mir die zween den Erasmum, wie gar eitel Engelisch ding must ich h ren und gleuben, wie wol mir die Apologia widder Stapulensem viel anders sagt (FRNHD. WB); der s. 1528-29 W.

Apologie XX ! 10 wie er denn gemeyniglich nach einem wunder odder gutem werck ein sonderliche predigt odder Apologia hat gehalten, sein werck zuverteydigen (FRNHD. WB); Witze! 1533 Verklerung Bla Wo das wörtlin kirche herkome/ habe ich ynn einer Apology gerurt/ vnd ist ym latein so viel/ als dominicum; Schweinichen 1560 Denkwürdigkeiten l was in der Augsburgischen Confession . . und derselben Apologie begriffen ist; Fischart 1572 W. // 464 Hiebey, so will ichs lassen bleiben, Apology nicht weiter treiben; Golius 1579 Onomasticon 148 Apologia, Verantwortung; Fabricius 1588 Surius' Chronik 58b Darnach hat Maluenda die Augspurgische Confession so keiserlicher Maiest. . . furgetragen/ mit der Apology/ welche beid Philippus Melanchthon außgezimmert/ zu handen genommen; 1618 Acta Publica Schles. (Palm) 82 wie aus beyliegender verfaßeter Apologia . . zu vernehmen sein wird; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 627 In dieser Oration, nun sind viel schöne Sachen enthalten/ und kommet sie fast mit der Apologie, die Plato dem Socrati zu Ehren geschrieben/ überein; 1700 Monat!. Auszug. Jan. 37 In den Apologien sey eine gravitätische/ im Dialogo eine leichte und niedrige Manier zu schreiben; 3705 Herrschaft d. Männer 54 also ist die Apologie der Weiber vor dieses mahl absolviret: ich glaube auch das nichts hauptsächliches wird ausgelassen seyn/ was zu defension des Weibs-Volcks angeführt werden könte; Ritter 1723 Fl. Hlyricus 27 Bald darauf verfaste Flacius eine lange Lateinische Apologiam oder Schutz-Schrifft an die Hohe Schule zu Wittenberg; Herrliberger 1746 Ceremonien (B) 4 Apologie oder Vertheidigung der Augspurgischen Confession; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,171) Je reiner diese Gemeine seyn will, und je genauer die Gemeinschaft bey derselben ist, je mehr muß die Gemeine aller ihrer Glieder Apologien auf sich nehmen, wie sie denn auch die meisten ausdrüklich gut geheissen hat; Geliert u. a. 1763 Br. (S. Sehr. IX) 353 Daß meine Apologie, wie Sie meinen letzten Brief nennen, aus Gutherzigkeit herkam, mag wohl gewiß seyn; Klinger 1780 Plimplamplasko 167 [er] hielt sich da eine Apologiam, was er ein gross Mann was; Heynatz 1797 Antibarbarus II 401 Schutzrede für Apologie ist längst, z. B. in der Kirchen und Gelehrtengeschichte gebräuchlich; Matthisson 1801 Lausanne (V 331) Hätte man von Horazens Werken, außer diesen Versen und seinem stolzen Exegi auch weiter keine Zeile gerettet, so bedürfte letzteres dennoch keiner Apologie; Beck 1812 Mittelalter 10 Wenn daher auch nicht eine neue Apologie des Mittelalters und seiner Geschichte wider falschen Tadel sowohl als falsches Lob erforderlich scheinen sollte; Müller 1817 Sehr. II 214 Apologie der französischen dramatischen Literatur (Überschr.);

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Heine 1835 Romant. Schule 15 Ihr [de Stäels] Buch . . gleicht . . der „Germania" des Tacitus, der vielleicht ebenfalls, durch seine Apologie der Deutschen, eine indirekte Satire gegen seine Landsleute schreiben wollte; Füster 1850 Memoiren I 5 dass diese Memoiren alles eher enthalten als meine Apologie von der österreichischen Regierung und ihren Anhängern; Radowitz 1851 Neue Gespr. II 233 ich erwarte eben keine Apologie des heutigen Systemes aus Deinem Munde; Szarvady 1852 Paris I 133 das zweite Wort des geistreichen Domino's war eine Apologie des Büffets und ein nichts weniger als maskirtes Verlangen nach einigen Pomeranzen; Raabe 1864 Hungerpastor 269 Er rühmte sein gutes Herz, seinen scharfen Verstand, seine Gelehrsamkeit. Er wurde sehr warm in seiner Apologie; 1867 Grenzboten III 116 jede liberale Apologie; Htllebrand 1873 Wälsches 276 Selbstapologien, welche fortwährend in Selbstpanegyriken ausarten; 1878 Dtsch. Literaturbl. l 23 Der Verfasser beginnt statt mit einem Vorwort mit einem Fürwort, mit einer Apologie solcher Sammelschriften; Th. Mann 1914 Nachtr. (W. XIII 538) zur moralischen Apologie des Krieges haben deutsche Geister das meiste und wichtigste beigetragen; Lettenbaur 1927 Morgen 258 Gegen die Lehren einer solchen Pragmatik helfen keine Apologien; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 540) es ist wie bei den christlichen Philosophen des Mittelalters, die der Teufel geholt hätte, wenn sie von dem Grundsatz gewichen wären, daß die Vernunft einzig und allein dazu da sei, die Apologie des Glaubens zu liefern; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 336) eine Apologie der politischen Führer Deutschlands zu liefern lockt mich so wenig, als dergleichen meines Amtes ist; Kesten 1952 Casanova 7 In einer der Einleitungen zu den Memoiren, diesen Apologien zu einer zwölfbändigen Apologie, erklärte er, seine Memoiren nicht zu seinem Ruhme, sondern als eine Satire auf sich selbst geschrieben zu haben; Adorno 1955 Prismen 7 Die von Hegel, zur Apologie von Bestehendem, immer wieder gescholtene Insuffizienz des Subjekts (DUDEN); Deschner 1964 Talente 166 Im Grunde betreibt er dabei ja immer nur eine Apologie der eigenen literarischen Position (DUDEN); Hocke 1976 Tagebücher 294 Pascals „Pensees" sind . . tatsächlich als eine Sammlung von Tagebucheintragungen zu Entwürfen für eine christliche Apologie anzusehen; Hildesheimer 1977 Mozart 57 Nun da sie [Briefe] veröffentlicht sind, fordern sie vor allem die Apologie heraus; Zeit 6.12.1985 kein ernst zu nehmender deutscher Geschichtsforscher könnte so unbefangen, bis an den Rand der Apologie, über den Nationalsozialismus schreiben wie der Italiener Renzo de Felice über Mussolini und den Faschismus; ebd. 27. 3.1987 jeder derartige Vergleich . . verkommt zur Apologie,

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Apologie

wenn er nicht dazu dient, die Einzigartigkeit eines historischen Vorgangs kenntlich zu machen; Spiegel 4.1.1994 Ich möchte überhaupt weg von dieser Art von linker Apologie, die lautet: Es ist doch einfach toll, wenn wir mehr Ausländer haben. Apolog: franck vor 1542 Chronica Zeitbuch 115a [Esopus] hat . . in höflicher weisz vnn gutter schwenck die laster gstrafft/ die fugend gelert/ mit höflichen gedichten vnnd apologen/ in den er die thier miteinander handien/ reden fechten einfürt; Albertinus 1602 Haußpolicey V 77b Apologos gemacht wider die wollust; Meier 1747 Beurtheilung 247 die poetischen Fabeln, welche man Apologos nennt; Goethe 1770 Ephemerides (WA I 37,84) Die Äsopische Fabel . . unterscheidet sich von dem Mährgen durch den Knoten . . vom Apologen durch erdichtete Handlungen lebendiger Wesen . . von der Parabel durch erdichtete Handlungen unvernünftiger Wesen; Hamann 1775 S. W. IV 414 in den Antithesen und Apologen der Modeklerisey; Thümmel 1791-1805 Reise l 176 Ging es mir wohl besser mit meinem verunglückten Apolog?; Kortum 1799 Jobsiade I 135 Und rühmte drauf diesen Stand [Komödiant] hoch/ In dem folgenden Apolog; Jean Paul 1802 S. W. Ill 4,137 Der Herzog — bei dem ich schon Ihr Apo- und Prolog gewesen — wird Ihren Geigen- und ändern Hals mit Freuden hören; Goethe vor 1832 Skizzen zu Casti's Fabelged. (WA 149.1, 348) Das Fabelgedicht von Casti bietet zu mahlerischer Darstellung weniger günstigen Stoff als Reineke Fuchs und andere einzelne Apologen; Hegel 1835 Ästhetik (W. X 504) Ausgeführt nämlich lassen sich Sprichwörter bald zu Fabeln, bald zu Apologen umwandeln. Sie geben einen einzelnen Fall größtentheils aus der Alltäglichkeit der Menschlichen, der dann aber in allgemeiner Bedeutung zu nehmen ist; Du Bois-Reymond 1883 Reden II 261 welcher Anregung wir den sinnreichen und schön geformten Apolog vom 'Rhodischen Genius', eine dichterische Verherrlichung der Lehre von der Lebenskraft, verdanken. Apologet: Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien 10,170) Auch hier solte die Declaration anzeigen, welches die Apologeten seyen, derer so genannten Eifer die ganze Brüder-Unität auf ihre Rechnung geschrieben wissen wolle, oder nicht; ebd. 10,229 Wie will ein Apologet das alles zusammen reimen? Wann der apostolische Ruhm unterblieben wäre, so könnte man die Fehler noch leichter entschuldigen; Kant 1797 Ges. Sehr. VI 296 Die Befugniß, die Rolle des Apologeten für den Verstorbenen zu spielen; Laukhard 1802 Leben V 284 Ich mache hier weder ihren Accusator, noch ihren Apologeten; Beck 1812 Mittelalter 10 Wohl hat das Mittelalter und dessen Geschichte Apolo-

geten, ihr Studium einige Freunde und Lobredner gefunden; Immermann 1836 W. VI 91 Sie werden . . nicht glauben, dass ein Diener Gottes sich zum Apologeten der Sünde aufwerfe; Szarvady 1852 Paris I 383 Die spanischen Ereignisse erwecken die alte Kriegslust des Apologeten Napoleon's; Strauss 1860 Ausgew. Br. 417 Während man damals nur hin und wieder einen Stein rechts, einen links aus dem Weg zu werfen hatte, ist jetzt die ganze Straße von schlechten Ausflüchten der Apologeten wie von Schlingpflanzen so überwuchert, daß der Kritiker sich auf jedem Schritt gehemmt sieht; Wernle 1901 Religion 176 Aber diese ganze Theorie der Erlösung stellte Paulus zugleich als Apologet im Dienst der Kirche auf; Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. XII 654) das triumphale Vordringen verfinsternder, . . geist- und kulturfeindlicher Mächte, einer hemmungslosen Reaktion, die . . von ihren Trägern und pseudo-literarischen Apologeten auf den Namen der Revolution . . getauft worden ist; Borst 1957 Turmbau 228 Der bedeutendste Apologet des 2. Jahrhunderts, der Märtyrer Justin; Deschner 1964 Talente 361 Ich stehe . . nicht im Verdacht, ein Apologet der Kirche oder der Keuschheit zu sein (DUDEN); Schwendter 1973 Subkultur 130 wie nahe hier Kreuzer manchem undialektischen DDR-Apologeten steht; ND 8.5.1974 die chromblinkende Fassade, mit der die Apologeten der Bourgeoisie die unlösbaren und sich gesetzmäßig weiter verschärfenden Widersprüche dieses Systems zu verdecken suchen, ist nun abgeblättert; Hocke 1976 Tagebücher 141 Musil wird zu einem Apologeten der Treue!; Hildesheimer 1977 Mozart 13 So hat denn das gestörte Verhältnis Wiens zu Mozart eine Legion von Apologeten gefunden; MM 30.5.1985 der Kunst- und Architekturhistoriker Heinrich Klotz, streitbarer Apologet der Postmoderne; Zeit 21.6.1985 was kann es Gemeinsames geben zwischen Bahro-inspirierten Fundamentalapokalyptikern und Börner-strapazierten hessischen Reformapologeten?; ebd. 6.3.1987 JeanMarie Sträub bleibt ein glänzender Apologet seiner Filme, aber allmählich werden die Weisheiten, mit denen er sein Werk verteidigt, interessanter als das Gesehene und Gehörte selber; Spiegel 18.10.1993 Einer der Apologeten und Gurus des Chaoskultes. Apologetik: Tzschirner 1805 Geschichte der Apologetik (Titel); Riehl 1861 Land 454 Es ist noch nicht lange her, daß in den Lehrbüchern und Kathedervorträgen vieler protestantischen Theologen die herkömmlichen Rubriken der „Polemik" und „Apologetik" als ein alter Zopf mit wegwerfendem Spott zur Seite geschoben wurden; Ihering 1884 Zweck i. Recht // 130 So wird die Ethik zur Apologetik des Sittlichen, der die dankbare Aufgabe zu-

Apologie fällt, uns mit dem Sittengesetz erst wahrhaft eins zu machen; Harnack 1900 Wesen 4 Die Apologetik hat in der Religionswissenschaft ihren notwendigen Platz, und es ist eine würdige und große Aufgabe, den Nachweis des Rechtes und der christlichen Religion zu führen und ihre Bedeutung für das sittliche und intellektuelle Leben ans Licht zu stellen; 1901 Stimmen d. Zeit LX 35 eine treffliche „Antwort auf Häckels Welträtsel" [liegt vor], die uns als schönes Dokument katholischer Apologetik erscheint; Eucken 1907 Grundlinien 209 Daß ein Volk sich eines geistigen Lebens gewiß fühlt und dadurch zu innerer Freudigkeit gehoben wird, das liegt an erster Stelle daran, ob es in sich eine gemeinsame Aufgabe geistiger Art erkennt und anerkennt; ist dies nicht der Fall, so kann die scharfsinnigste Apologetik das Vordringen von Zweifel und Kleinglauben nicht abhalten; 1915 Stimmen d. Zeit 89 Die „Apologetik des Krieges" müßte vertieft und zugleich geleitet . . werden; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 816) er bat, davon stille zu sein, — erstens, weil sein humanes Gefühl sich dagegen empöre, und zweitens, weil er die Winkelzüge satt habe und in den Kunstgriffen der gegnerischen Apologetik den durchaus infamen und teuflischen Kultus des Nichts wiedererkenne, der Geist genannt sein wolle; Tillich 1926 Religiöse Lage 140 der mühselige und erfolglose Kampf der kirchlichen Verteidigung (Apologetik); Benjamin 1931 Br. 524 der heutige bürgerliche Tiefsinn, der immer nur den einen [Sinn] der Apologetik besitzt; Haekker 1934 Schöpfer 49 Wenn die Apologetik vor allem eine Verteidigung unseres Glaubens ist, die Theodizee ist etwas anderes: die Rechtfertigung Gottes; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 128) im Studienplan eines Theologie-Studenten liegt in den ersten Jahren das Schwergewicht auf den exegetischen und historischen Fächern, also auf Bibelwissenschaft, Kirchen- und Dogmengeschichte; die mittleren gehören der Systematik, will sagen: der Religionsphilosophie, der Dogmatik, Ethik und Apologetik; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 54 Hätte die Moderne nichts anderes als die Anpreisungen der neokonservativen Apologetik zu bieten, es wäre zu verstehen, warum die intellektuelle Jugend dann nicht doch lieber über Derrida und Heidegger zu Nietzsche zurückkehrt; Zeit 20.12.1985 hier fromme Homilien, dort freche Pasquilien, und dazwischen das breite Mittelfeld, wo Kritik und Apologetik miteinander ringen und die symbolische Auslegung gedeiht; ebd. 28.3. 1986 von einer Mies van der Rohe-Forschung kann man erst reden, seitdem sich die Autoren in den letzten Jahren von blindergebener Apologetik freigemacht haben. apologetisch: Wieland vor 1773 Ges. Sehr. I 14,15 [ein Pfarrherr] der sich nicht begnügte, in eigner

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Person Opern zu machen; sondern sogar den Muth hatte, diese musikalischen Schauspiele in einer besondern apologetischen Schrift . . ritterlich zu vertheidigen; Jahn 1855 Mozart l XXVI Aber um nichts in der Welt möchte ich, dass man meine Darstellung Mozarts für eine apologetische ansähe; Wernle 1901 Religion 59 Die Evangelisten gaben ihr [der „Erlösung") einen so breiten Raum wegen ihres apologetischen Wertes; Troeltsch 1911-12 Glaubenslehre 34 Die Wunder, die jetzt noch behauptet werden sollen, müssen daher mühsam angequält und apologetisch verteidigt werden; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. Xll 640) so hat die passionierte Kritik des Deutschtums, die des Buches Inhalt ausmacht, jenen bejahenden, kriegerisch-apologetischen Sinn gewonnen; ders. 1947 Faustus (W. VI 136) seine theologische Bestimmung der Freiheit hatte eine apologetisch-polemische Spitze gegen „modernere", das heißt: plattere und bloß gang und gäbe Ideen, die seine Zuhörer etwa damit verbinden mochten; Zeit 22.8.1986 für die DDR ist das Jahr 1945 der Dreh- und Angelpunkt; alles erscheint als bloße Vorgeschichte und wird apologetisch in Dienst genommen; MM 1.10.1987 sie kritisieren die „apologetischen" (rechtfertigenden) Tendenzen einiger Historiker und wehren sich dagegen, die Singularität der NS-Verbrechen zu verharmlosen; Süddtsch. Ztg. 12.10.1993 Bücher über den Zusammenbruch oder die Revolution in der DDR . . Vieles ist von kurzatmiger Aktualität, oberflächlicher Natur und stark politisch ausgerichtet — sei es apologetischen, sei es abrechnenden Charakters; Spiegel 28.3.1994 Stark geprägt sind die Texte auch von apologetischen Tendenzen. apologisch: Fischart 1572 Eulensp. II 19 Unnd was sol ich viel Apologischen abredens bey meinen Eulengeschöpfen brauchen (RÜTTER); 1754 Gleim — Ramler II 170 Stückweise kan ich . . vollkommene Proben des Apologischen Styls anführen; Raabe 1891-93 S. W. Ill 3,413 später konnte er [Spitzname] . . zu einem apologischen Sprichwort werden. apologisieren: Goethe 1771 Br. (WA IV 2,13) Den Schluß [dieses Briefes] mache der Schluß des Platonischen apologisirenden Sokrates. Apologist: Abr. a S. Clara 1710 Wein-Keller 268 Die Apologisten melden von einem alten Mütterle/ welche Armuth halber in Wald hinaus gangen/ Holtz zu klauben; Wieland 1766 Ges. Sehr, l 6,238 Agathon hörte diese betriegliche Apologistin [die Stimme der sich verteidigenden Leidenschaft] so gerne, daß es ihr . . gelang, sein Gemüthe wieder zu besänftigen; ders. 1767 Ges. Sehr. I 6,25 Oder

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Aporie

vielmehr, was für einen mächtigen Apologisten hattest du, schöne Danae, in dem Herzen deines Agathon?; Sonnenfels 1768 Schaubühne 165 Ich will nicht etwan der Apologist der lächerlichen Titelsucht werden: nein!; Hamann 1772 S. W. Ill 41 ob es auch dem platonischen Apologisten des menschlichen Sprachursprungs je ein Ernst gewesen sein Thema zu beweisen oder auch nur zu berühren?; Wieland 1782 Ges. Sehr, l 14,258 die Sache zwischen dem so genannten merkwürdigen Reisenden . . und mir, ihrem gutherzigen Apologisten am ändern Theile, auf eine Art, die keine Ausflüchte noch Einwendungen übrig ließ, zu Ende brachten; Reichenbach 1784 Beytr. l 67 Die Apolo-

gisten der Leibeigenschaft; 1793 Journal d. Moden Vlll 633 Der Apologist der teutschen Lettern .. hat zwar mehr und scheinbare Gründe gegen die lateinischen Typen aufgestellt; Heynatz 1796 Antibarbarus l 142 Der Apologist wird bei Adelung erklärt der Schutzredner, Verfechter. Aber das heißt Apologet. Die Göttingischen Anzeigen . . sagen, Apologist sei der, welcher etwas vertheidigen wolle, aber nicht könne. Doch wird eingestanden, daß Französische Schriftsteller diesen Fehler allgemein begehen; Heine 1835 Romant. Schule 67 Wenn ich etwas herbe von den Gegnern Goethes gesprochen habe, so dürfte ich noch viel Herberes von seinen Apologisten sagen.

Aporie F. (-; häufig -n), im früheren 19. Jh. über gleichbed. spätlat. aporia entlehnt aus griech. 'Ratlosigkeit, Verlegenheit' (zu 'ratlos, unmöglich, unwegsam', aus a- 'un-' und 'Pfad, Weg', zu 'durchdringen'). In der Philosophie in der Bed. 'unlösbarer Widerspruch, Unlösbarkeit, Widersprüchlichkeit', bes. wenn sich in einer Darlegung gleichwertige widersprüchliche Argumente gegenüberstehen (—» Antinomie); heute gelegentlich auch bildungsspr. für 'Ausweglosigkeit, Ungereimtheit'; dazu seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung aporetisch (ohne Steigerung) 'ausweglos, widersprüchlich'. Aporie: Feuerbach 1838 Ges. W. IV 229 sosehr B. die eigenen Leiden und Aporien . . zu Leiden der menschlichen Natur und Vernunft überhaupt macht, so ist der doch ein zu . . antidogmatischer Geist, als daß man diesen Konfessionen des Skeptizismus . . nicht die Bedeutung von pathetischen Ausrufungen und Seufzern . . geben dürfte; Hartmann 1926 Ethik 168 An diesem Punkt freilich hängt eine lange Kette metaphysischer Aporien; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 206 Das „Realitätsproblem" im Sinne der Frage, ob eine Außenwelt vorhanden und ob sie beweisbar sei, erweist sich als ein unmögliches, nicht weil es in der Konsequenz zu unaustragbaren Aporien führt, sondern weil das Seiende selbst . . eine solche Fragestellung .. ablehnt; Grisebach 1928 Gegenwart 190 Auch wenn wir . . aus der Erkenntnis der Antinomie eine eigenartige Deutungskategorie als „Aporie" gewännen, würde sich an dem Ergebnis nichts ändern; Benjamin 1935 Br. 663 Es folgte die einschneidende Begegnung mit Brecht und damit der Höhepunkt aller Aporien für diese Arbeit; Block 1938-47 Prinzip Hoffnung 219 Ein nicht so Logisches . . zeigt sich bei dem ersten Denker der Verwirklichung . ., das den Störungen, wohl gar Aporien der Verwirklichung von ferne gerecht zu werden versucht; Adorno 1945 Minima moralia 192 Die Aporie der verantwortlichen Arbeit kommt der unverantwortlichen zugute; Horkheimer/ Adorno 1947 Dialektik 3 Die Aporie, der wir uns

bei unserer Arbeit gegenüber fanden, erwies sich somit als der erste Gegenstand, den wir zu untersuchen hatten: die Selbstzerstörung der Aufklärung; Sganzini 1951 Ursprung 116 Wo solche Verwischung als Velleität auftritt, gerät das Verhalten . . aus seinen Fugen. Dies ist . . die Wurzel der grundsätzlichen und bei solchem Vorgehen unvermeidlichen Aporien . . die Wurzel der sogenannten pädagogischen Antinomien; Civis 30. 6.1957 Die Aporie der SPD, ein eigenes, sich von der CDU klar abhebendes praktisches Programm zu formulieren und dann damit noch zugleich den Wähler anzusprechen und für sich zu gewinnen; 1965 Aspekte 24 Frage nach Modernität als Aporie und Ereignis; Hochkeppel 1970 Denken o. S. läßt sich aber zu einer Aporie eine Frage stellen?; Klemm 1983 Technik 26 Eine Aporie, eine Ungereimtheit, ist es vor allem, wenn eine kleine Kraft eine große Last bewegen soll; Wickert 1985 Tempel 147 Die Aporien, die Stellen also, wo unsere Logik uns nicht weiterführt, . . sind wie die Fenster zum Einen, dem Grund des Seins; Zeit 14.3.1986 Alle bis auf den heutigen Tag metakritisch durchgespielten Programme einer Kritik der Vernunft durch Vernunft, einer über sich selbst aufklärenden Aufklärung scheinen so im Bodenlosen, in Aporien sich verlieren zu müssen; ebd. 1.5.1987 folglich hat er für eine existentialistische Philosophie der Skepsis und der Aporie nur Mitleid übrig und nennt sie „tragikomische Vergeudung menschlichen Lebens"; FAZ

a posteriori 24.10.1990 Wie aber läßt sich die fast zur Sprichwörtlichkeit geronnene Vertrautheit des AdornoZitats erklären, wenn es in solche Aporien führt?; Altner 1991 Naturvergessenheit 228 Der Schweizer Sozialethiker Hans Ruh sieht im Fleischverzehr von Christen einen Ausdruck christlicher Freiheit angesichts der schwer lösbaren Aporie zwischen „zivilisatorischen Ansprüchen des Menschen" und „Rechten der Tiere"; Süddtsch. Ztg. 28. l 29.8.1993 Unmöglich, zu ihm zurückzukehren, aber ebenso unmöglich, über ihn hinauszukommen. Das ist die Aporie, die uns Goethe hinterlassen hat. aporetisch: Hartmann 1926 Ethik 647 Überall fehlt es am Einblick in die Problemlage, an aporetischer

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Erörterung; Bense 1938 D. abendländische Leidenschaft 31 Indem also die abendländische Abstraktion Geist und Vitalität immer tiefer trennt, offenbart sich mit ihr das eigentliche aporetische Wesen des Denkers; 1972 Musik in Schule u. Ges. 99 Die Problematik integraler politisch-ästhetischer Erziehung erfährt ihre aporetische Zuspitzung; Seel 1989 Moderne 45 Aporetisch ist diese Kritik, weil auch sie selbst noch in der Sprache der ersten Moderne durchgeführt ist; Altner 1991 Naturitergessenheit 93 da die philosophischen Überlegungen zur Begründung der Tierrechte im Vergleich zu den Menschenrechten . . widersprüchlich, mehr noch aporetisch sind; Süddtsch. Ztg. 30./31.1.1993 Deshalb hinüber zu den wahren Philosophen. Dorthin, wo sich nicht nur aporetisch.es Gerede hörbar macht, sondern auch betörende Ekstasen.

a posteriori, Mitte 18. Jh. aufgekommenes Syntagma, zurückgehend auf lat. (Scholastik) a posteriori 'vom Späteren her' (aus a(b) 'von, nach' und posterus 'nachfolgend, nachkommend'). Zunächst und bis heute bildungsspr. in der Bed. 'im nachhinein, nachträglich, später' (s. Belege 1751, 1776, 1882-83, 1951, 1964, 1987); seit späterem 18. Jh. als philosophischer Terminus nachhaltig von Kant geprägt im Sinn von 'aus Erfahrung, empirisch, von der Wirkung auf die Ursache (schließend), aus der Erfahrung (gewonnen)', um den Ursprung der Erkenntnis aus der Erfahrung zu bezeichnen, daher meist in Gegenüberstellung zu dem Gegenbegriff —> a priori (s. Belege 1781, 1820, 1869, 1910-11, 1913, 1985). Dazu seit Ende 18. Jh. das selten belegte Subst. Aposteriori N. (-s; -s) 'empirische Erkenntnis, Erfahrung(ssatz)' (Ggs. Apriori). Seit Anfang 19. Jh. die adj. Ableitung aposteriorisch (ohne Steigerung) 'auf Erfahrung beruhend, gründend, erfahrungsgemäß, empirisch' und seit späterem 19. Jh. die subst. Ableitung Aposteriorität F. (-; -en) 'Erfahrungssatz, Summe der auf Erfahrung beruhenden Erkenntnisse'. a posteriori: Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,319) Diß ist es, was zu einem wahren Christenthum erfordert wird, und wo dieses vorhanden sey oder nicht, das kan erkannt werden, theils a priori . . theils a posteriori, aus denen Werken; Hamann 1762 S. W. 189 drängen sich Beweise a priori und ä posteriori Bergan; Lambert 1764 Neues Organon I 413 wenn wir die Vordersätze nicht haben, oder uns derselben nicht zugleich bewußt sind, um den Schlußsatz ziehen zu können, so haben wir kein ander Mittel, als die Erfahrung, . . und wir müssen es, um den Satz zu wissen, auf die Erfahrung ankommen lassen. Da nun dieses nicht a priori ist, so hat man es a posteriori genennt, und dadurch aus diesem letztern Begriffe einen Terminum infinitum . . gemacht; 1765 Allg. dtsch. Bibl. I 158 f. In der natürlichen Gottesgelahrtheit hält er den Beweiß vom Daseyn Gottes a posteriori . . für höchst evident: er bauet

denselben aber auf solche Sätze, die zwar wahrscheinlich sind, denen man aber mit Grund eine der geometrischen gleiche Evidenz streitig machen wird; Eberhard 1776 Theorie 78 das ich vorausschicken will, um es mit der folgenden Klassifikation zu vergleichen, und um ihm dadurch bey demselben durch die Induktion einen Beweiß a posteriori zu verschaffen; Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. 14,210) Wenn . . eben dieselbe Erkenntniß zugleich als Bedingung anderer Erkenntnisse angesehen wird, die unter einander eine Reihe von Folgerungen in absteigender Linie ausmachen, so kann die Vernunft ganz gleichgültig sein, wie weit dieser Fortgang sich a parte posteriori erstrecke; Schelling um 1820 Philosophie d. Offenb. (S. W. // 3,249) die positive Philosophie sey in Ansehung der Welt Wissenschaft a priori, ganz von vorn anfangende, alles gleichsam in urkundlicher Folge, vom prius herleitend, in Anse-

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a posteriori

hung des vollkommenen Geistes aber Wissenschaft a posteriori; Hartmann 1869 Philosophie 17 Die Ausführung dieses Satzes auf den verschiedenen Gebieten der empirischen Psychologie hätte a posteriori die Grundlage des Begriffes des Unbewussten gegeben; Raabe 1882-83 S. W. Ill U 272 wie der Mensch eben mit der alten Schlange, dem Weltgeheimnis als Ideal und Realität a priori und a posteriori zu ringen pflegt; Mauthner 1910—11 Wh. d. Philosophie 39 f. Unabhängig voneinander haben Spencer und Steinthal gelehrt, daß der Gegensatz von a priori und a posteriori ausgeglichen werden könne; jede Erkenntnis sei zugleich apriorisch und aposteriorisch, synthetisch und analytisch . ., die Erkenntnisformen seien apriorisch für das Individuum, aber aposteriorisch für die ganze Reihe von Individuen, in der jenes nur das letzte Glied bildet; Haeckel 1913 LW. 11 Kant behauptete bekanntlich, daß bloß ein Theil unserer Erkenntnisse empirisch sei und a posteriori, d. h. durch Erfahrung, gewonnen werde; Scheler 1913 Formalismus 48 Es ist aus dem gesagten völlig klar, daß .. der Gegensatz „Apriori" — „Aposteriori" mit dem Gegensatze „formal" — „material" auch nicht das mindeste zu tun hat; Bauch 1923 Wahrheit, Wert u. Wirklichkeit 355 und gerade methodologisch in seiner Gegenüberstellung von Transzendental und Empirisch, von Apriori und Aposteriori manches nicht zu voller Klärung gelangt ist; Th. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. XI 800) unsere gute Mutter habe dem Jungen das Manuskript auf meinem Schreibtisch gezeigt mit dem stolzen Bedeuten: „Das werden die Buddenbrooks!" — eine Erinnerung a posteriori sozusagen; denn „Mama" sowenig wie ich hatte ja die blasseste Vorahnung von den künftigen Schicksalen dieser Schreiberei; Schmidt 1964 Orpheus 57 ähnlich wie Joyce aus der schmutzigen Wäsche einer Familie deren ganze Geschichte, a posteriori, rekonstruierte; Tränkle 1985 Statist. Methoden 113 Eine andere Deutung würde man dem Begriff Wahrscheinlichkeit geben, wenn man ihn als empirischen, statistischen, a posteriori angebbaren Sachverhalt konzipierte; ebd. 166 weil sich selbst extrem unterschiedlich angenommene A-prioriWahrscheinlichkeiten für Hypothesen bei mehrfacher Ermittlung von Werten . . kaum noch unterschiedlich in den sogenannten A-posteriori-Hypothesenwahrscheinlichkeiten .. niederschlagen; Zeit 19.6.1987 Und dann wird uns jedesmal bewußt, daß alle Geschichtsschreibung a posteriori geschieht, aus zeitlichem Abstand, und daß wahrscheinlich alle Augenzeugen die dargestellten Epochen und Ereignisse etwas anders sehen als die Historiker, welche auch aus Quellen schöpfen, die der Zeitgenosse gar nicht gekannt hat.

Aposteriori: Fichte 1797 Einl. i. d. Wissenschaftslehre (W. l 447) das a priori und das a posteriori ist für einen vollständigen Idealismus gar nicht zweierlei, sondern ganz einerlei; es wird nur von zwei Seiten betrachtet und ist lediglich durch die Art unterschieden, wie man dazu kommt (RITTER); Bense 1938 D. abendländische Leidenschaft 27 Das Dasein ist das Aposteriori, aber die Existenz ist das Apriori, denn das Dasein ist die äußere Wirklichkeit, aber die Existenz ist die innere Wirklichkeit. aposteriorisch: Borne 1808 Ges. Sehr. I 63 Damit man uns [Juden] aber nicht vorwerfe, daß wir in den Fehler jener transzendentalen Seelen gefallen wären, die stets a priori demonstrierten, was sie in der Wirklichkeit nicht darzutun vermögen: so wollen wir die aposteriorischen Belege zu unserem aufgestellten Theorem den Lesern nicht vorenthalten; Schelling um 1820 Philosophie d. Offenb. (S. W. // 3,48) Inwiefern nun Kant den allgemeinen Verstandesbegriffen eine von der wirklichen Erkenntniß unabhängige, dieser vorausgehende Wurzel schon im Erkenntnißvermögen anweist, hat er damit allerdings den bloß aposteriorischen Ursprung dieser Begriffe . . beseitigt; Westhoff 1865 Stoff, Kraft u. Gedanke 333 so kann die Idee in der wirklichen Welt aposteriorisch nur zuerst mit dem unfreien, gebundenen Moment, also der Herstellung auftreten, um von da aus . . sich zur Bildung und Ausführung hinaufzuheben; Hartmann 1869 Philosophie 213 Hieraus folgt, dass das ästhetische Urtheil nichts Apriorisches ist, sondern etwas Aposteriorisches oder Empirisches, denn sowohl das äussere Object, als die ästhetische Lust sind durch Erfahrung gegeben; Gomperz 1905 Weltanschauungslehre I 255 Jene problematische Seite tritt am augenfälligsten hervor, wenn man den subjektiv-reaktiven Charakter der Formen dadurch auszudrücken sucht, daß man sie den Vorstellungsinhalten gegenüber dem Erworbenen, das Reine gegenüber dem Empirischen, das Apriorische gegenüber dem Aposteriorischen (die beiden letzten Ausdrücke hier gebraucht, sofern sie ein zeitliches Verhältnis ausdrücken sollen); Mauthner 1910-11 Wb. d. Philosophie 41 die Schule lehrt (heute wie vor tausend Jahren), das wahre Wissen sei apriorisch, die Erfahrung sei aposteriorisch; ich sage, daß (wenn man beide Worte nicht überhaupt beurlauben will) immer zunächst apriorisch sei, was wie erfahren, im Augenblicke des Erfahrene oder der Erfahrung, daß all unser Wissen , das, was in unser Gedächtnis oder unsere Sprache eingegangen ist, immer aposteriorisch sei. Aposteriorität: Hartmann 1869 Philosophie 239 f. Wer nun auf die Unmöglichkeit, diese Begriffe von

Apostroph aussen zu erhalten, und die Nothwendigkeit, sie selbst zu bilden, sieht, der behauptet ihre Apriorit t; wer dagegen sich darauf st tzt, dass solche Bildungsvorg nge im Bewusstsein gar nicht Platz greifen k nnen, sondern diesem vielmehr die Resultate als etwas Fertiges gegeben werden, der muss ihre Aposteriorit t behaupten; Schlaf 1910 Individuum 16 die Mathematik hat genau und durchaus so ihre Aposteriorit t wie jede andere Anschauung und Wissenschaft; und jede andere Wissenschaft und Anschauung hat genau und

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durchaus so ihre Apriorit t wie die Mathematik; Scheler 1913 Formalismus 95 Wie immer die „Objektivit t" und die „Tatsachennatur" allen „Werten" zukommt . . so besteht doch zwischen ihnen noch ein Unterschied, der auch mit „Apriorit t" und „Aposteriorit t" nichts zu tun hat; Bense 1938 D. abendl ndische Leidenschaft 121 und hier ist der einzelne keine existenzielle Apriorit t, sondern eine blo e Aposteriorit t, eine Erfahrung, ein Dasein, das gegeben wird, aber das sich nicht selbst gibt.

Apostroph M. (-s; -e), im fr heren 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. sp tlat. apostrophus/gnech. απόστροφος (subst. Bildung zu απόστροφος Adj. 'abgewandt, weg-, entfallend', zu griech. άποστρέφειν 'sich abkehren, abwenden', zu στρέφειν 'drehen, wenden'; —* Strophe, —*· apostrophieren), zun chst in der lat. (fielet.) Form, im 17. Jh. wohl unter frz. Einflu auch Apostrophe, seit etwa Mitte 18. Jh. in der heutigen Form. Als Fachausdruck der Sprachwissenschaft in der Bed. 'graphisches Zeichen in der Form eines hochgestellten Kommas oder H kchens, das f r einen ausgelassenen Vokal, eine ausgelassene Gruppe von Lauten steht; Auslassungszeichen', z. B. in der Wendung einen Apostroph setzen; im 17./18. Jh. gelegentlich verdeutscht mit Oberh cklein (Gueintz 1641), Hinterstrich (Schottel 1641) und Oberstrich (Adelung 1788). Dazu die seit Anfang 18. Jh. selten nachgewiesene, bis heute gebuchte Ableitung apostrophieren V. trans, 'einen Apostroph setzen, einen Laut, eine Silbe mit einem Apostroph versehen'. Apostroph: Schottel 1641 Sprachkunst 526 Der Hinterstrich wird also gezeichnet ('} heisset apostrophe; Titz 1642 Hochdtsch. Verse S 3b Da man auch das Zeichen des Apostrophi aussenlassen/ vnd das s an das vorherstehende Wort anhencken mag/ also/ „Hats die Natur gemacht?"; Bellin 1657 Rechtschr. 100 Idoch aber kan man dises zeichen auch in ungebundener rede s zzen/ und gebrauchen/ eben wie die Grichen iren apostrophum; Schottel 1663 (Garbe 1984 Interpunktion 47) der Hinterstrich/ Apostrophe, hat den Nahmen/ weil es nirgends/ als zuhinten des Wortes/ seine Stelle findet. Davon in gemein zuwissen/ das Hinterstrichlein m sse allezeit zuhinten/ und zwar zuoben des Wortes gezeichnet . . werden; Ernesti 1721 (Garbe 1984 Interpunktion 51) Der Apostrophus; oder Hinter=Strich ['] wird in ungebundener Rede nicht gebraucht; aber in den Versen. Wo also dieses Zeichen stehet, wird bemercket, da ein e ausgelassen worden; Zedler 1732 Universallex. II 926 Apostrophus ist ein Signum, durch welches man einen Vocalem andeutet, welcher wegen des Metri in denen Versen oder des Uebelklanges ausgelassen worden; Adelung 1788 (Garbe 1984 Inter-

punktion 97) Der Apostroph, bey einigen der Oberstrich, (') wird vornehmlich in folgenden zwei F llen gebraucht; Heynatz 1797 Antibarbarus II 619 Wegwerfungszeichen f r Apostroph ist nicht bel, und besser als Auslassungszeichen; Schopenhauer 1844 Sprache (1856-60 Nachlass U 156) da er das e am Ende eines Wortes stets wegl t und durch einen Apostroph ersetzt, wenn das folgende Wort mit einem Vokal anf ngt; Nietzsche 1885 (Garbe 1984 Interpunktion 201) Wenn Laute, die gew hnlich zu sprechen und zu schreiben sind, unterdr ckt werden, so deutet man ihre Stelle durch ein Auslassungszeichen (den Apostroph) an, z. B. heil'ge Nacht; MM 23.7.1987 da das Buch „Elsie's Lebenslust" aus dem Amerikanischen bersetzt wurde, wollten wir auch mit unserem Titel der amerikanischen Ausgabe so nahe wie m glich bleiben und haben deshalb den Namen „Elsie" nicht verdeutscht — so erkl rt sich auch der Apostroph. apostrophieren: H bner 1712 Poet. Handb. 21 Unrein sind die Verse, wenn die Reime auf eine allzu

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apostrophieren

harte Manier apostrophiret werden; Lindenborn 1741 Diogenes 55 bald muß ein Olims-Aria sich über den krippelichten Leist neuer Apostrophirter,

castrirter . . Verse ziehen lassen; Lessing 1760 S. Sehr. XIX 155 Gleim: H. Ebert [hat geraten], die Elisionen alle zu apostrophiren.

apostrophieren V. trans., im späteren 18. Jh. aufgekommene Ableitung zu heute veraltendem Apostrophe F. (-; -n), Fachwort der Rhetorik für 'überraschende Hinwendung des Redners zum Publikum oder zu abwesenden Personen', insbes. 'an jmdn. gerichtete feierliche Ansprache, Anrede' (< gleichbed. spätlat. apostrophe/ griech. , eigentlich 'Abwendung, Abkehr'; —* Apostroph). Bildungsspr. verwendet zunächst in der Bed. 'jmdn. hart, lebhaft anreden, anfahren, ihm Vorwürfe machen' (s. Beleg 1766), selten auch für 'jmdn. gezielt ansprechen, sich (feierlich) an jmdn. wenden', z. B. den Ehrengast mit feierlichen Worten apostrophieren (s. Belege 1798, 1927, 1952); seit dem 19. Jh. dann insbes. für 'jmdn./ etwas anführen, erwähnen; sich auf jmdn./etwas beziehen' (s. Belege vor 1813, 1960) und 'jmdn. als etwas bezeichnen, in einer bestimmten Eigenschaft herausstellen, charakterisieren, einschätzen', z. B. jmdn. als intelligent, als Ignoranten apostrophieren (s. Belege 1830, 1966, 1976, 1987, 1993). Dazu etwa gleichzeitig das Verbalsubst. Apostrophierung F. (-; -en) 'Anrede' (s. Beleg 1907), bes. auch 'Charakterisierung' (s. Belege 1929, 1977). apostrophieren: 1766 (Br. ü. Merkwürdigkeiten d. Lit. 89) Es ist unmöglich, sich etwas drolligers vorzustellen, als den Kunstrichter, der mit einem finstern Gesichte vor die armselige Schneidersfrau hintritt . . und nachdem er sie genug apostrophiert hat, sie in Gnaden entläßt; Böttiger 1798 Literar. Zustände l 229 Demoiselle Koch als Tugend apostrophirte am Ende den sechzehnjährigen Herzog selbst, der dadurch ungemein gerührt wurde; Laukhard 1802 Leben V 128 Wie sie mich apostrophirt habe, mögen sich meine Leser selbst denken; Goethe 1808 Tagebücher (WA Hl 3,335) 2 italiänische Sonette, eins gegen die Gorilla, welche einen Juden apostrophiert hatte, um ihn zu bekehren; Wieland vor 1813 S. W. XXXII 259 Sogar unter den litterarischen Arbeiten . . wurden Sie so oft apostrofirt, als ich die Feder auf einen Augenblick niederlegte (KEHREIN); Wit v. Dörring 1830 Fragmente I 67 mich per junger Mensch! per junger Mensch apostrophierte; Niendorf 1854 Paris 298 alles was gefällt . ., wird apostrophiert; Hillebrand 1881 Jahrh. d. Kevol. 286 apostrophiert; Lettenbaur 1927 Morgen 356 Der Generalkonsul begrüßte seine Gäste und apostrophierte den Ehrengast, indem er ihm . . zu seinem Unternehmen alles Glück und Gedeihen wünschte; Münch. N.N. 24.6.1941 Churchill hat es . . nicht über die Lippen gebracht, die Sowjetunion formell als Alliierten zu apostrophieren; Süddtsch. Ztg. 19.12.1952 Nicht ohne Schärfe hat der Bundestagspräsident unter den vielen Briefschreibern einen einzelnen persönlich apostrophiert — einen Lehrer; Fusseneg-

ger 1960 Zeit 349 Ich habe mir alle meine Freunde vergrämt, indem ich sie in meinen Büchern apostrophierte (DUDEN); MM 26.4.1966 Gerichtsvorsitzender und Verteidiger apostrophierten ihn immer wieder als intellektuell; FAZ 4.11.1970 Der ursprünglich als „Kronzeuge der Anklage" apostrophierte Zeuge war schon bei seiner ersten Vernehmung .. von jenen Angaben abgerückt, die er 1963 bei der Kriminalpolizei gemacht hatte; Welt 21.2.1974 in Rom wird Helmut Schön dann jene Mannschaft aufbieten können, die zur Zeit als die „stärkste" apostrophiert wird; MM 10.9.1976 Berlin-Tegel . . wird als modernster Flughafen Europas apostrophiert; Brandt 1976 Begegnungen 113 Chrustschow . . hatte mich in mehr als einer Rede wenig schmeichelhaft apostrophiert; Zeit 20. 6.1986 auch der als Kommunist apostrophierte Nelson Mandela . . ist damals nicht zum erstenmal aufgetaucht; ebd. 13.2.1987 schon dort apostrophierte der Schriftsteller Erich Mühsam . . das Brüderpaar Hart als „fröhlichste Kreuzung von Weinwirten und Religionsstiftern"; Sitnek 1992 Erde 121 Völker, die sich durch soziales Verhalten auszeichneten und deswegen als Wundervölker apostrophiert wurden; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 7 selbst wenn der Sprachkritiker Karl Korn sich und seine Zunft als Kraussche „Epigönchen" apostrophiert hat; Süddtsch. Ztg. 28.9.1993 Ulla Hahn, als „Deutschlands erfolgreichste Lyrikerin" apostrophiert. Apostrophierung: Wieland 1775 Ges. Sehr, l 14,43 Der kleine Anfall von Laune, der den guten Mann

Apotheke zu dieser Apostrophierung der Dichter hinriß, hatte etwas . . drolliges; Meyer 1903 Studien 16 als der am Richtplatz in corpore versammelte Rat ihm ein höflich teilnehmend Wort sagte über seine enorme Anstrengung, da hohnlachte er wild und äußerte spöttisch, er habe noch Kraft genug, um augenblicks auch noch den ganzen weisen Rat abzutun — welche Apostrophierung dieser sehr übel genommen haben soll; Stilgebauer 1907 Börsenkönig 40 Ein lautes Gelächter von seifen der mitbeteiligten Zuschauer bildete die Antwort auf diese drollige Apostrophierung des Betreßten; Voss. Ztg. 9.7.1929 diese Apostrophierung des Landesjugendamtes ist gewiß etwas außergewöhnlich; Münch. N.N. 15.12.1939 das reichsdeutsche Zeitungsblatt in meiner Hand hat mich bereits legitimiert. Darum die freundliche Apostrophierung mit dem „verdammten Krieg"; Anders 1956 Antiquiertheit 4 Diese Apostrophierung machte ihn einen Augenblick stutzig, denn als Reaktionär verdächtigt zu werden, ist ihm keine gerade vertraute Situation; Offenburger Tagebl. 29.9.1971 [der Stadtrat] bezeichnete diese Apostrophierung anders Denkender als anmaßend und unverschämt; Dülmen 1977 Reformation 60 Einen eigenwilligen Beitrag leistete die DDR-Forschung mit der Apostrophierung Müntzers als frühbürgerlichen Revolutionär.

Apostrophe: Seckendorff 1691 Reden. Vorr. 91 Apostrophe; Uhse 1709 Redner 44 Apostrophe: Wenn man die Rede an jemanden richtet/ der doch nicht unter unsern Zuhörern ist; 1723 Discourse IV 49 In dem Artickel von der Traurigkeit wird denjenigen Poeten eine Apostrophe gemacht, die ihre betrübten Personen schwatzhafft vorstellen;

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Zedler 1732 Universallex. 926 Apostrophe ist eine Rhetorische Figur, in welcher wir ein ander Objectum, als die Zuhörer, anreden; Meier 1748 Anfangsgründe l 497 Hieher gehören folgende Figuren: . . die Anrede, (apostrophe) wenn man Dinge, die abwesend sind, und die man als gegenwärtig vorstelt, anredet; Wieland 1753 Ges. Sehr. I 3,420 Bey dieser Gelegenheit machet der Dichter eine kleine lehrreiche Apostrophe, die zugleich für die Leser ein starker Zug seines eigenen Charakters ist; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. Vlll 35) Er bewundert, nach einer kurzen Apostrophe des feindlichen Feldherrn, in der aufgehobenen Belagerung von Ollmütz . . eine besondere göttliche Vorsehung; Wekhrlin 1777 Denkwürdigkeiten 175 Diese Apostrophe, die er mit einem Nachdruck enoncirte, welcher eine von Vaterlandsliebe entflammte Brust verrieth, war so schön; Musäus 1791 Physiognom. Reisen 105 die herzige Apostrophe des Lavaters an Menschenfreunde; Laukhard 1792 Leben H 143 jeder von uns machte sich ein Vergnügen daraus, ihn zu bewirthen. Da kamen denn derbe Apostrophen zum Vorschein; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 7,215) die Gesellschaft nahm diese Apostrophe gut auf, indem jeder überzeugt war, daß nicht von ihm die Rede sein könne; Fülleborn 1802 Rhetorik 34 Hier zur Probe ein Verzeichniß fremder Wörter aus einigen wenigen Blättern unsrer bessern Schriftsteller . . Apostrophe, Anrede; 1863 Hausblätter l 75 Die Auffindung bisher ungedruckter Briefe Goethe's bedarf keiner Apostrophe; Eckstein 1895 Hartwig 95 August Pietsch . . schlang bei dieser unwirschen Apostrophe eilends herunter, was er noch übrig hatte; Heilborn 1929 Revolutionen I 161 die bewegliche Apostrophe [Schleiermachers] an Spinoza, den Einsamen.

Apotheke F. (-; -n), schon im Mhd. (LEXER) entlehnt aus gleichbed. mlat. apotheca (< lat. apotheca/griech. 3 'Magazin, Aufbewahrungsort', zu griech. , aus - 'weg, ab' und 'setzen, stellen, legen'; —» Theke, —» Boutique, vgl. auch Bodega 'Weinkeller, Weinlokal'), früher in der lat. (flekt.) Form und häufig in Schreibungen wie Appoteke, Aptecke, Ap(p)oteck(en), Appentech, Appenteke, Apperteke. Zunächst für 'Magazin, Warenlager', vor allem in mittelalterlichen Klöstern der Raum, in dem Heilkräuter gelagert und an Kranke verteilt wurden, dann auch 'Verkaufslokal von Gewürzen und anderen ausländischen Artikeln (zur Zeit der Kreuzzüge)', seit dem 15. Jh. (s. Belege 1473, 1616, 1784-88) zunehmend in der heute üblichen Bed. 'Geschäft für den Verkauf und z. T. auch die Herstellung von Arzneimitteln nach ärztlicher Vorschrift; Arzneiladen', in Zss. wie Apothekenbetriebsordnung, -helferin, -schränkchen; seit dem 16. Jh. speziell auch im Sinne von 'Behältnis, Schränkchen, Tasche für Arzneimittel', bes. als Grundwort in Zss. wie Reise-,

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Apotheke

Schiffsapotheke und vor allem Hausapotheke, schon im 16.717. Jh. in Buchtiteln gebraucht, z. B. „Nützlich Hauß-Apotheck" (s. Belege 1544, 1642), eigentlich 'Arzneivorrat, den man zu Hause aufbewahrt'. Daneben früher auch allegorisch für 'Heilige Schrift, Christus oder Maria als Helfer in der Not', z. B. Apotheke des Herrn, der Gnaden (s. Belege um 1400, 1400-40, 1522, 1560) und bildlich (s. Belege vor 1655, 1721-22, 1782) gebraucht, auch in bezug auf Personen in der Wendung wandernde Apotheke 'jmd., der viel Medikamente einnimmt'. Dazu gleichzeitig die auf gleichbed. mlat. apothecarius (< lat. apothecarius 'Lagerverwalter') zurückgehende Berufsbezeichnung Apotheker M. (-s; -), auch Apothekerin F. (-; -nen), zunächst für 'jmd., der das Magazin, Warenlager (in einem Kloster) verwaltet, darin Arzneimittel u. ä. zubereitet', dann in der heutigen Bed. 'jmd., der aufgrund seiner fachlichen Ausbildung und Approbation berechtigt ist, eine Apotheke zu leiten, zu betreiben; Pharmazeut(in), Apothekenbesitzer(in)'; häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Apothekerbüchse, -gewicht '(früher) vorgeschriebene Gewichtseinheit für Arzneimittel (z. B. Gran, Unze)', -Ordnung, -wäre, -kunst 'Kunst der Arzneimittelbereitung, Pharmazie', auch übertragen in den Zss. Apothekerrechnungen, -preise 'hohe, überhöhte Rechnungen, Preise' (s. Belege 1755, 1963), sowie im 15.717. Jh. das seltene Adj. apothek(er)isch 'der Kunst des Apothekers entsprechend, fachmännisch nach Art des Apothekers; in der Apotheke verwendbar, für die Apotheke bestimmt' und im 17.719. Jh. die seltene verbale Ableitung apothekern 'Arzneien anwenden; nach Arzneien schmecken'. Apotheke: 12. — 14.}h. Minnes. 154 als ein apoteke; 13. Jh. Mynsinger 22 in der Appodeck (beide MÖLLER); K. v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 6 Ist aber das houbet siech von kelten so wesche es lange vnd wol mit warmen wasser vnd salbe es mit dialthea das vindest du in der appotecken; 14. ]h. Seuse 266 wie mag denne der himelsch kunig von diner lutren reinikeit, von diner senftmutigen demutikeit, von der wolriechenden apotek aller fugenden und gnaden so wol gevangen werden! (FRNHD. WB); um 1400 Brun v. Schoneb. 4112 waz sal dese apoteca [Bezug auf Maria] denne tun,/ in der do ruete gotis sun (FRNHD. WB); Wittenwiler Anfang 15. Jh. Ring 155 Dar umb tuon ich dir nicht enchunt, wie du scholt beleiben gsunt; die chunst die wurd mir gar enwicht und auch mein appentech zuo nicht; 1400—40 Erlauer Sp. Ill 437 meins herren appoteken weit/ wedorf vil manigen werchgezeug (FRNHD. WB); 1439 Liegnitzer Urkunden 656 unsere eynige appeteka (MÖLLER); Kurrelmeyer 1466 Bibel VI 111 Vnd vber die olgerten vnd vber die feigengerten die do waren auff den velden was balaam der gederith; aber vber die appothegken des ols was ioas; Steinhöwel 1473 Büchlin 49 solch recept . . in die apoteck senden; Melber 1481 Voc. o. S. Apotheca ein stat der beheltnusz der wolriechenden kruter vnd wurtz etiam spisz kamer; Murner 1512 Narrenbeschw. 280 Das ander vß der apoteck trinkent die

narren für ein schleck; 1515 Eulenspiegel (Bobertag 1887 Volksbücher 139) im [Eulenspiegel] ward angst vnd not, vnd er kam in die appoteck, und scheiß in ein büchß vnd sprach hie kam die artznei vß da muß sie wider yn; Guttel 1522 New iar H3b In der Apoteck, das ist in dem heiligen Euangelio, befindestu solch preseruativa vnd Confortatiua, darauss du steths dein begyr vnd hercze . . hast czu ergetzen; Paracelsus 1527 S. W. I 3,94 uns misfelt das groß schelmenwerk, so in den apoteken und iren arzten gebraucht wird; ders. 1528 S. W. l 6,47 dem tut wol, das er vorhin magister artium ist, dem das er in apotheken gewesen ist, dem das er pro parte ein mathematicus ist; Begardi 1539 Index Sanitatis XX sie sprechen/ sie müssen besondere arznei machen/ sie brauchen die Apotekken nit vil/ es sei nicht do mit/ sie müssen machen besondere vnd köstliche aquas vnd olea; Tappius 1542 Waidwerck F Ib Apotecken oder würtzkrämen; Ryff 1544 Confect Büchlin vnd Hauss Apoteck (Titel); Waldis 1548 Esopus 245 ein alter Priester one Buch, ein alter Bader one Bruch, .. ein alte Spinnerin one Flachs, ein alt Apotecken one Würtz; Boltz 1549 Illuminier Buch E 7b Lac das man auch in den Apotecken findt; Pictorius 1560 Badenfartbüchlein A 2a die Göttliche fürsichtigkeit [hat] aus der himmelischen appoteck artzney herfürgebracht, nicht Athanasiam, als wir sie in vnseren appotecken haben, nit Diacameron . ., sonder artz-

Apotheke ney, welch Kranckheiten heilen mag; Mathesius 1563 Ehest. Z4a das .. Jacob in seinen Speichen oder Hausapotecken sein Balsam, Honig . . hatte; Fischart 1572 Eulenspiegel (U 117) Von gesandter speiß war der verstandt die man auß Apotecken sandt dann wiewol sie kranckheit sol scheichen ist sie der kranckheit doch ein zeichen; Hainhofer 1611 Corr. 88 gar hupsche Hauss Apoteckhen . ., die Fürsten und Herren auf der raiss mit führen; Henisch 1616 Teutsche Sprach 92 Apoteck/ ein hauß oder ort/ an welchem auff vorschreiben der Medicorum artzneyen richtig vnd künstlich zubereitet/ vnd von dannen genommen werden können; Beckher 1642 Nützlich Hauß-Apotheck (Titel); vor 1655 Logau (Lessing V 290) Die kräuterreichen Wälder sind Apotheks genug (SANDERS 1871); Beilin 1657 Rechtschr. Vorw. o. S. Endlich aber habe sich ein kluger köpf in der Apoteken gefunden/ welcher gemärket/ das der bauer den üblichen geruch nicht vertragen könte; Lassenius 1661 Tischreden 353 aber halte ich viel von einer guten Haus-Apotecken, und Haus-Artzney, von Krautern gemacht; Leibniz 1668 — 76 Briefw. l 223 f. Wohlged. H. Eberhard wohnet im Paradeiß gegenüber der Apotheck des güldenen Kopfs; Weise 1673 Erznarren 91 Darnach nimm ich Wachs, Wachs sag ich ist in einer Apotecke von nöthen, denn in einer Apotecke sind vier Seule, ohne welche vier Seule keine Apotecke über Jahr gantz bleiben kan, und wenn sie des Römischen Käsers Apotekke war; Hörl 1677 Bacchusia 77 aber die Nasen gab mirs bald zuerkennen, dass ich in kein wohlriechende Apotecken gefallen; Böckler 1683 Haus- u. Feldschule 1072 von der Hauß-Apothek . . daß wir der Haus-Mutter einen kurzen Unterricht geben, nemlich wie dieselbige unterschiedliche bewährte Artzneyen praepariren und zurichten, damit eine nützliche Haus-Apotheck ausrüsten solle; Elis. Charl. 1715 Br. l 406 daß [MeledyKendtpulver] erhitzt nicht, wie andere Sachen auß den apotecken, und nimbt alles böße vom hertzen; Ettner 1715 Hebamme 647 Eckarth schickte Andreas mit dem Reise-Apothecklein mit; ders. 1719 Maulaffe 253 Königl. Maj. Dännemarck hohe Vorsorge wegen der Apothecken wird gerühmet; 1721—22 Discourse d. Mahlern l 41 Die unterschiedene Sorten von Gerüchen und Säfften, welche Wandala sich angeschaffet hat, die Haut rein, frisch und weiß zubehalten, formieren eine kleine Apotecke; Bodmer 1746 Mahler 1124 die verschiedenen Arten von Gerüche, so vielerley Säfte, Wasser und Medicamente . . formieren eine mittelmässige Apotheck; Goethe 1782 Br. (WA IV 6,66) Mein Pflaster schlägt bey dir nicht an, deins nicht bey mir, in unsers Vaters Apotheke sind viel Recepte; Beckmann 1784-88 Erfindungen 11 508 Daß Hr. von Stetten in Augsburg schon im 13ten und

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14ten Jahrhunderte Apotheken vermuthet, ist bereits . . gemeldet worden. Im dortigen Archive körnt 1445 eine Apothekerinn vor, die eine offene Apotheke gehalten . . Im J. 1507 ward die Verordnung gemacht, daß die Apotheken von Zeit zu Zeit besichtigt werden sollen; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 20,265) sie . . machte den Arzt und drang einem jeden aus ihrer Reiseapotheke . . energische Mittel auf; Raabe 1879 Zum wilden Mann 5 In der pharmazeutischen Werkstätte herrschte außer dem bekannten Duft die gleichfalls wohlbekannte Ordnung und Reinlichkeit der deutschen Apotheken; Kleinpaul 1892 Sprache 198 man trinkt ihn [Likör] in der anstoßenden Apotheke; Tb. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 599) seht ihr, die ist schon wieder in der Apotheke; Hermann 1908 Henriette 243 als . . Jettchen des Morgens die Straße entlangging, um für sich Isländisches Moos aus der Apotheke zu holen; Th. Mann 1930 Erz. (W. Vlll 671) Hauptstraße des Ortes . ., an der auch die Apotheke, der Coiffeur . . zu finden waren; ders. 1947 Faustus (W. VI 93) von seines Onkels Hause . . gab er mir zur Apotheke das Geleit; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 135 der fürsorgliche Förster holte Wurmtabletten aus der Apotheke; Bildztg. 12.4.1967 das täuschend ähnliche Beruhigungsmittel hatte sie sich in einer Frankfurter Apotheke besorgt; FAZ 2.8.1971 Diese staatlich geregelte Handelsspanne der Apotheken . . bezeichnet Schlecht als notwendig; Hilsenrath 1978 Nacht 413 Seine private Apotheke war im Laufe der Zeit auf einen kläglichen Rest zusammengeschmolzen; Zeitmagazin 3.12.1982 Ein halbes Jahrtausend hat die Raths-Apotheke zu Lüneburg erlebt. Der . . Pächter fand auf dem Dachboden reichlich Spuren der Geschichte: eine mittelalterliche Rezeptur . ., auch eine Kräuterkammer mit massiven hölzernen Bottichen . . Von Hand Geriebenes [Pulver] gibt es nur noch selten, selbst hergestellte Arznei macht ganze 0,2% des Umsatzes in den 16 250 westdeutschen Apotheken aus. Sie können 40 000 verschiedene Medikamente abgepackt bei 130 Großhändlern ordern; Zeit 16.8.1985 Urlauber haben allerdings eine Möglichkeit, ihre Reiseapotheke heil an den Ferienort zu bringen; MM 1.6.1988 in der Bundesrepublik will man sich neue Vertriebsformen erschließen, wobei diese Pläne in erster Linie auf Apotheken und Reformhäuser zielen; ebd. 10.3.1993 So verabreichte er [Paracelsus] neben den gängigen Pflanzenmischungen auch schon metallische oder mineralische Arzneien und brachte damit die Chemie in die Apotheke. Apotheker: 3282 (Wilhelm 1932 Corpus altdtsch. Originalurk. l 468) Maister wernher der appatheker; Konrad v. Ammenbusen 1337 (Peters, Arzt 28)

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Ein apotheker haben sol truwe und kunst, das zimt im wol, wan des arzates kunst vil an im stat; 1387 Konstanzer Ratsbuch (Peters, Arzt 31) So sond die appateger in dem aid nemen, daz sie ungevarlich gebent den siechen die arzenye; Velser 1393 — 99 Mandeville 35 Und also wurt menig Herr betrogen, wann die haiden die felschen in sere mit den worten das sie die cristen betriegent, dar nach koufflut, dar nach appotecker, wann yeglicher wil sin me machen; Kurrelmeyer 1466 Bibel V 35 Vnd er machet im ewer tochter salbmacherin vnd appeteckerin vnd gewandmacherin; ebd. V 173 sy legten in auff sein betten vol der aromathen vnd köstlicher salben die do waren gemacht mit der kunst der appothegker; Steinhöwel 1474—82 Aesop 347 Johannes Hucz der apotheker ze Ulm; Murner 1512 Narrenbeschw. 102 Dann die kunst der artzeny, mit der man trybt groß valscherey, Apotecker, medicus, thündt dir warlich nüt vmb süßt; J525 Eulenspiegel (Bobertag 1887 Volksbücher 139) als er [Eulenspiegel] von Mariental gen Mollen kam, da zoch er zu dem appotecker in zu herberg, vmb artznei willen; da waz der apotecker auch etwaz geil vnd gemelich, vnd gab vlenspiegeln ein scharpff purgatz; Paracelsus 1528 S. W. / 6,48 Solcher secten under uns arzeten sind vil und noch vil mer, als verdorben apotheker; Brunfels 1532 Kreuterbuch o. S. ehe ich solichs anfange/ vnd handele/ die Doctores vnd Apotheckeren/ gebetten haben; Begardi 1539 Index Sanitatis 20b die Apothecarij oder Aromatarij; ders. 39b dann eyn Apotecker ist eyn Koch des artztes; Schmeltzl 1551 Samuel 348 Ewre Töchter wird er Machen zu Apoteckerin zu Peckin vnd zu hauss Köchin; Mathesius 1559 Leychpr. I 32 Sarck mit gutem reuchwerck vnd allerley Specerey nach Apotecker kunst; Fischart 1572 Eulenspiegel (II 434) So ließ er sich gen Mollen führen auff daß er sich da ließ Clistieren kehrt bey eim Apotecker eyn der jm abhelffen solt der pein; Frischlin 1586 Nomenclator 121a Pharmacopola, Medicamentarius, Apotecker; Kiechel um 1600 Reisen 253 Entlich behalfen sue such bey einem theütschenn apotecker, der gab inen seine camerr ein; Hainhofer 1611 Corr. 88 Hanns Jörg Sigert, welcher für den berüembtesten Apoteckher in teutschland gehalten würd; Carolus 1614 Relation 3a zu Ambsterdam soll ein vornehmer Apotecker vmb 100000 fl. fallirt haben; Perez 1627 Landstörtzerin II 104 begab es sich wider alles Verhoffen/ daß dieselbige Lattwerch entweder durch die alte . . Frawe oder aber durch die Unvorsichtigkeit deß Apoteckers verwechselt; Moscherosch 1642 Visiones 30 der Medicus stihlet daß Leben mit dem Todt: der Apothecker stihlet die Krankheit mit der gesundheit; Grimmeishausen 1670 Courasche 100 Nun war der Apotecker noch übrig, der meines Vermuthens das recept verfertigt hatte; Weise 1673

Erznarren 3 Doch es geht hier wie mit der Apothecker Büchsen, die haben außwendig Satyros oder sonst Affengesichte angemahlt, inwendig aber haben sie Balsam oder andre köstliche Artzneyen verborgen; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 483 er brauchte die dienstliche Gegengifft/ und sähe etliche Thaler nicht an, die er für den herrlichsten und probirtesten Mithridat den Apothekker geben muste; Elis. Charl. 1695 Er. I 31 weil sie aber noch nicht kommen sein, will ich ahn dem apotecker zu Bassei schreiben lassen, umb zu erfahren, wo sie hinkommen sein; Nicolai 1755 Br. (Ndr. HI 2,197) Apothekerrechnungen . ., die man auf die Hälfte herunter sezzen muss, und doch noch zu theuer bezahlt; Estor 1763 Samml. l 238 apotheker und apothekerwagenleute; Beckmann 1783-86 Erfindungen I 278 Unter den vielen Personen, welche bey dieser Inquisition verdächtig wurden, war auch ein Teutscher, ein Apotheker, Namens Glaser; ders. 1784-88 Erfindungen II 508 Im dortigen Archive [Augsburg] körnt 1445 eine Apothekerinn vor . . Damals hatten die Apotheker von der Stadt einen Sold; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,230) daß Ew. Wohlgeb. . . junge Männer zur Chemie und Apothekerkunst ruhmwürdig gebildet haben; 1821 Polytechn. Journal V 393 Der Apotheker kann in einem Tage den verlangten Extrakt bereiten; Goethe 1827 Br. (WA IV 42,133) Doctor Rudolph Brandes, Apotheker zu Salzuflen und Vorsteher des westphälischen Apotheker-Vereins; Raabe 1879 Zum wilden Mann 13 Doktor- und Apothekerrechnungen zahlt wohl niemand gern; ebd. 14 Alles, was ich da in meinen Büchsen und Schachteln habe, grünte und blühte auch einmal wie jedes Wort auf diesem Papier. Apothekerwaren, Drogen?; Dtsch. AZ. 12.2.1935 Dittersdorfs komische Oper „Doktor und Apotheker" breitete sich seinerzeit mit reißender Geschwindigkeit über ganz Deutschland [aus]; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 14) mein Vater, Wolgemut Zeitblom, war Apotheker, übrigens der bedeutendste am Platz; Welt 6. 7.1954 von der Hexe spricht man in Portugal wie anderswo vom Apotheker; ebd. W. 1.1959 Apothekerrechnungen unter 3000 ffr. im halben Jahr werden . . nicht mehr . . zurückvergütet; FAZ 30.3.1963 Gegen den Ausdruck „Apothekerpreise" als Kennzeichen für hohe Preise hat sich der Leiter des Deutschen Arzneimittelinstituts . . vor Journalisten gewandt; ebd. 13.1.1968 Die Apotheker, die um ihre Umsätze fürchten, hatten den gleichen Protest auch schon in . . Zeitungsanzeigen veröffentlicht; ebd. 7.10.1971 Insgesamt gibt es gegenwärtig rund 20000 Apotheker in der Bundesrepublik; MM 28.11.1985 pro Jahr werden an den deutschen Hochschulen rund 126 Mediziner, 34 Zahnmediziner, 10 Apotheker . . für die Bundeswehr ausgebildet; ebd. 23.1.1987 die

Apotheose Mitangeklagte, am Rezeptbetrug aktiv beteiligte 51jährige Apothekerin; ebd. 16.4.1988 mit ihrem neuen Dienstleistungsangebot wollen Baden-Württembergs Apotheker einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge . . leisten. apothek(er)isch: 1477 Buch d. Beispiele 7 Vermischung der appoteckischen dingen (MÖLLER); 1482 Folz. Reimp. 45 dise pillele hab ich darumb apteckisch gesaczt, das niemant im selber darüber getraw zu machen von fil irrung wegen (FRNHD. WB); Paracelsus 1528 S. W. / 6,438 du soll es aber nicht in den weg verstehen, als ob ich consentir digeriren und laxiren, wie die apotekerischen recept Inhalten; ders. 1536 S. W. / 10,93 merer underricht ist hie nicht von nöten, und verlaß den alten apotekerischen brauch, das sudelwerke, durcheinander, raps und rips, es reim sich oder

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nicht; Ryff 1544 Confect-Buchlin und HaussApotheck 124b Vonn etlichen gemeynen Apoteckischen getränken; Renner 1557 Handtbüchlein q 2a zwölff vntz Apoteckisch gewichts; Pictorius 1557 Garten Büchlin B 8b Mancher hat scheuen ab apotegkischer wahr, vnd gedenkt nit an den spruch Damasceni, Experimentum sine ratione fallax est; 1626 Keyscher Ges. XU 947 wo . . erfahren wirdt, daß ein marktschreyer . . einige apotheckische materialia . . fail haben, verkaufen. apothekern: Grimmeishausen 1670 Springinsfeld (III 199) dann hätte ich eine Alte [als Frau], so müste ich vielleicht mehr an ihr als sie an mir Apothekern; Rumohr 1822 Kochk. 101 den einfachen Wohlgeschmack seines Brotes durch eine gemeinschmeckende apothekernde Würze verderben (SANDERS DWB).

Apotheose F. (-; -n), Ende 16. Jh. entlehnt aus lat. apotheosis 'Vergötterung' (< gleichbed. griech. 3 , zu 3 'vergöttern', aus - 'von-weg, nach, in Richtung auf etwas' und Seoeiv 'jmdn. zu einem Gott machen', zu · $ 'Gott'), meist bildungsspr. verwendet, anfangs in der griech./lat. (fielet.) Form, la Zunächst in der Bed. 'Vergöttlichung, Verherrlichung, Vergötterung einer (lebenden oder toten) bedeutenden Persönlichkeit', z. B. die Apotheose eines Herrschers, Philosophen, Dichters, Politikers; seit frühem 19. Jh. als Grundwort in Zss. wie Herrscher-, Kaiser-, Selbstapotheose. b Seit frühem 18. Jh. im Bereich der Kunst für 'Kunstwerk, das eine bedeutende Persönlichkeit, bes. einen Herrscher, Dichter verherrlicht, Darstellung einer Apotheose' (vgl. la), z. B. die Apotheose des Homer, antike, römische Apotheosen, c Seit spätem 18. Jh. übertragen gebraucht in der Bed. 'Verherrlichung von Gegenständen, die in Beziehung zu einer zu verehrenden Person stehen', später auch für 'Verklärung einer geistigen Strömung, Richtung oder bestimmter (bedeutender ideeller) Phänomene innerhalb einer Epoche' (s. Belege 1850, 1871, 1877), z. B. die Apotheose der modernen Naturwissenschaften, der Technik, Kunst, Musik, des Fortschritts; seit frühem 19. Jh. als Grundwort in Zss. wie Musik-, Kunst-, Naturapotheose. 2 Im frühen 19. Jh. vereinzelt, erst seit früherem 20. Jh. häufiger in der Bed. 'wirkungsvolles, prächtiges (verherrlichendes) Schlußbild eines Bühnenstücks', gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Ballettapotheose und verdeutlichendem Schlußapotheose; von daher in jüngster Zeit gelegentlich auch für 'höchste Steigerung, krönender Abschluß (eines Musikstückes)' (s. Belege 1985, 1986, 1988). Dazu seit späterem 18. Jh. die heute seltene verbale Ableitung apotheosieren V. trans, 'jmdn., etwas als göttlich verehren, verherrlichen', z. B. einen Herrscher, Dichter, Philosophen, Schauspieler apotheosieren; auch in der adj. verwendeten Part. Perf.-Form apotheosiert 'als göttlich verherrlicht, verehrt', in Wendungen wie ein apotheosierter Staatsmann, Politiker, mit dem seit späterem 19. Jh. nachgewiesenen seltenen Verbalsubst. Apotheosierung F. (-; -en) (zu la und Ic); seit Mitte 20. Jh.

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die adj. Ableitung apotheotisch 'in der Art einer Apotheose verherrlichend, verklärend', z. B. eine apotheotische Verehrung, Begeisterung (zu Ic). Apotheose la: Hamelman 1599 Oldenburgisch chronicen Von. B l a welche [Poeten] die wolverdiente Heroes vnd dapffere Helden, durch jhre liebliche metamorphoses, vnd erdichtete apotheosin zu Göttern gemacht, vnd in den Himmel versetzet haben (ZFDW XV 176); Wernicke 1704 Versuch 233 Auf der Römer Apotheosis; Abr. a S. Clara vor 1709 Krämer-Laden III 277 also wird seyn mein eyfferigstes Unternehmen dieses zu erweisen/ in einer Apotheosi, sittlicher Canonisirung . . des Heiligen Römischen Reichs Kayser; ebd. Ill 462 Ist mit Augusto Apotheosis, oder die Beysetzung zu den Himmels-Helden vorgenommen worden; so ist diß eben anheut vonnöthen; Gottsched 1760 Handlex. 118 Apotheosis, ein dogmatisches Gedicht des Prudentius, in welchem er die Secte derer, die da lehrten, Gott der Vater hätte im Sohne gelitten, widerleget; Winckelmann 1764 Er. Ill 12 Der grosse Plafond in dem Audienz-Saale wird die Apotheose des Hercules mit sechzig Figuren in Lebens-Grösse vorstellen; Hamann 1772 S. W. Ill 18 Diese Apotheose . . oder auch Apophtheirosis schmeckt vielleicht mehr nach Galimathias; Wagner 1778 Voltaire am Abend seiner Apotheose (Titel); 1786 Journal a. Moden I 123 In einem so ausserordentlichen Schauspiele, das einer Apotheose des unsterblichen Dichters [Shakespeares] ähnlich ist; 1787 Br. e. Dame 63 [ein] Gemälde, die Apotheose von Voltaire darstellend; Goethe 1788 Br. (WA IV 9,24) Künstlers Apotheose ein Pendent zu Künstlers Erdenwallen im Puppenspiel ist in Gotha fertig worden; ebd. 9,33 Künstlers Apotheose soll dir eine gute Stunde machen; Cogniaczo 1794 Geständn. l 3 den Gesang der Apotheose bey Friedrichs Urne anzustimmen; Vulpius 1805 Br. (1925 Jahrb. Samml. Kippenberg V 152) Schillers Apotheose; Goethe 1809 Br. (WA IV 21,131) ein Contour nach einer Aquarellzeichnung von Bury, die Apotheose von Johanne Sebus vorstellend; 1810 Almanack a. Rom I Vorerinn. l Märtirer und Asceten, fanden in dem Kalender der Christen ihre Apotheose; ebd. Vorerinn. H Ein . . unschuldiger Almanach . ., der in jedem Jahre mit einem neuen Namensverzeichnisse verdienter Künstler aus der großen Kunstrepublik erscheinen wird, kommt mit keinem kanonisirten Heiligen in Kollision und tritt dessen Apotheose nie zu nahe; Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 24,186) Möge uns nur dieß nicht auf den Abschied der Herrlichen [Makarie] hindeuten, welcher früher oder später eine solche Apotheose beschieden ist; ders. 1829 Italien. Reise (WA l 32,289) Des Künstlers Erdewallen soll neu ausgeführt und dessen Apotheose hinzugethan werden; Carus 1831 Landschaftsmalerei 121 [Got-

tes Gericht über die Wolken] spiegele den Kern der ganzen künstlerischen Apotheose zurück; Krug 1832 Handb. d. philos. Wiss. l 196 Apotheose . . ist ueberhaupt die Verwandlung des Menschlichen in Göttliches; 1834 Kunstblatt 195 hat man auch in Frankreich fremde Literatur einheimisch zu machen gesucht, im Meere der Nationaleitelkeit sich berauscht, mit dem Heiligenschein „der glorreichen Julitage" sich die Stirn geschmückt und eine Selbstapotheose mit sich vorgenommen; Lewald 1835 Theaterrevue 240 die Apotheose der Mad. Luuber-Versing nimmt sich in des begeisterten Grabbe's Schriften allerdings recht gut aus; Pückler-Muskau 1835 Semilasso II 34 des Königs Krönung, gleichsam die Apotheose der Familie; Rötscher 1838 Philosophie d. Kunst 14 Alle Kunst ist recht verstanden Apotheose d. h. Verwandlung der konkreten Wirklichkeit in eine konkrete Idealität, der lebendigen, der Idee nicht entsprechenden Erscheinung in die ihrem Begriffe adäquate, also immer Verwandlung des wirklichen, auch seelenhaften Leibes in den verklärten der Gattung homogenen Leib; Engels 1842 Jung (MEW l 436) Eine schwülstige, phrasenstrotzende Apotheose ergießt ihre trübe Flut auf das Grab des großen Mannes [Hegel]; Virchow 1849 Abhandlungen 7 Der Humanismus, wahrhaft aufgefasst, ist keine Menschheitsapotheose, denn das ist eben Anthropomorphismus, sondern die wissenschaftliche Selbsterkenntniss, hervorgegangen aus der Mannichfaltigkeit der Beziehungen der einzelnen denkenden Menschen zu der immer wechselnden Aussenwelt; Marx 1859 Br. (MEW XXIX 513) Da kam dann heraus, daß Herr Freiligrath . . von Beta eine lobhudelnde Biographie seiner selbst und Apotheose seiner Familie „geduldet" hat; Holtet 1863 Letzte Komödiant l 124 Schillers Maria Stuart ist ja nichts als eine rechtfertigende Apotheose der wegen ihrer allzu leichten Hingebung verunglimpften Königin; Marx 1865 Br. (MEW XXXI 48) Da ich schon zweimal dem „Social-Demokrat" erklärt habe, sie müßten soviel wie möglich und so rasch wie möglich von der kindischen „Apotheose" ihr Blatt säubern; Curtius 1921 Barres 88 Die sakrale Weihe der Kaiserapotheosen [Napoleons I.] macht die Herzen höher schlagen; 1932 Deutschlands Erneuerung XVI 111 Schnitzler-Apotheose; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. IV/V 434) O Tag von Gottes Apotheose, Tag der Verheißung, Erwartung und Erfüllung! er würde . . auch Abrahams Apotheose in sich schließen; ders. 1941 Reden u. Aufs. (W. XH 915) [ein Leben,] das in völliger Verlassenheit am gekreuzten Schandpfahl endet, . . und das dennoch den Triumph, die Besiegung der Welt, die

Apotheose Apotheose bedeutet; Bonjour 1950 Schweiz l 298 [die Feier des 40jährigen Amtsjubiläums Prof. Kochers] wurde zu einer Apotheose; Muhs 1950 Gesch. XI 327 Apotheose der irdischen Götter; Rehm 1951 Götterstille 72 wird er erhoben durch das Purgatorio des Leidens ins Paradiso der gnadenvollen Verklärung, der Apotheose; 1959 Neue Dtsch. Lit. IV 134 die literarisch berechtigte Apotheose der Sieger; Guggenheim 1959 Sandkorn 216 den Tag der Apotheose [J.-H. Fabres]; Heuss 1963 Erinn. 272 ich kann, wenn ich von ihm [Stresemann] spreche, nicht ein paar neue Klänge der Apotheose beifügen, die in der historischen Würdigung ihm durchschnittlich gewidmet werden; Hocke 1976 Tagebücher 124 Die weltzerstörerische Selbstapotheose folgt sogleich: „Ich sehe mich in meinen wachen Phantasien immer als einen Danton"; Sloterdijk 1983 Kritik 406 Diese Apotheose des Siegers, der Kult des Erfolgs . . gehört zum sozialpsychologischen Menschheitserbe des Altertums; MM 18. 6.1988 wenn Janacek zum Schluß seine Apotheose wie einen leuchtenden Heiligenschein um Jenufa und Laca legt; Süddtsch. Ztg. 19./20.12.1992 Michelangelos Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle erweist sich . . als Apotheose des „Neuen Menschen". apotheosieren: Laukhard 1794 Feldzug 1139 Es hat mich gefreut, daß man ihn [Beaurepaire], wie ich höre, auf dem Nationaltheater zu Paris apotheosirt hat; ders. 1796 Leben Hl 132 Beaurepaire . . ist . . zu Paris auf dem . . Theater apotheosirt worden; 2811 Almanach a. Rom 4 f. Scheint deshalb nicht die Deutung auf Titus, den Kaiser, als Apollo apotheosirt, zu gewagt; Stahr 1848 Italien H 288 von den apotheosirten [römischen] Kaisern; Marx/ Engels 1850 Revue (MEW VII 442) Peel selbst ist seit seinem Tode fast von allen Parteien in der überschwenglichsten Weise als der größte Staatsmann Englands apotheosirt worden; Stolz 1870 Honig (Ges. W. VI 8) [Marats Bestattung im] Pantheon, wo er apotheosiert werden sollte; Nordau 1881 Paris U 200 den Liebhaber mit Messer, Revolver oder Vitriol zum legitimen Gatten zu pressen: dieses Verdict schuf eine neue Categoric im Kriminalrecht. Du sagst: „Die Börse oder das Leben!" und riskirst den Strick. Du sagst: „Deinen Namen für meine Tochter oder das Leben!" und Du riskirst nichts oder schlimmstenfalls nur von Herrn Dumas apotheosirt zu werden; Zeit 1.8.1986 hier wurde — zwar verschlüsselt, aber jedem hellhörigen Leser sofort verständlich — die Hitler-Diktatur entlarvt und eine ins Ausland geflohene, Stefan George ähnliche Gestalt apotheosiert. Apotheosierung: Marx 1864 1. Internationale 22 sich von der Lassalle-Apotheosierung lossagen;

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Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 210) die jüngste Apotheosierung Emile Zola's .., des französischen Romancier-Aktivisten. Apotheose Ib: Permoser 1718—21 Apotheose des Prinzen Eugen; Donner 1734 Apotheose Karls IV. (beide REALLEX. KUNSTGESCH.); Gottsched 1760 Handlex. 118 Apotheosis Homers: ist ein alter halb erhaben geschnittener Stein, darinn viele symbolische Figuren vorstellen, wie Homer vergöttert wird; Goethe 1789 Sehr. z. Kunst (WA l 49.2,25) Homers Apotheose. Ein antikes Basrelief; Matthisson 1795 Italien (IV 151) Zu den Meisterwerken des Meißels gehört eine Büste des Vitellius, für den übrigens eine solche Verewigung mehr auf Pasquill, denn auf Apotheose deutet; Sickler 1803 Wegnahme d. Kunstwerke l 63 Anm. Die Apotheose Hyacinthus und der Polaböa: wie [ist sie] so voll schönen und tiefen Sinnes; Schadow 1811 Die Apotheose der Königin Luise (REALLEX. KUNSTGESCH.); 1811 Almanach a. Rom II l Die Apotheose des Titus als Apollo. Ein grosses Dekkengemälde . . aus dem Pallast des Titus . . in Rom; Goethe 1827 Tagebücher (WA IH 11,117) Die Schriften bezüglich auf die Apotheose Homers ferner studirt und manches zu einem kurzen Aufsatze darüber bemerkt; Böttiger 1838 Literar. Zustände H 134 von dem Entwurfe und dem Modelle zum Begrabnißmonument auf den jüngst verstorbenen zweiten Prinzen, den allgemein bedauerten Luis, .. dem dies Monument auf Befehl des Königs in der Domkirche errichtet werden soll. Die Idee des Künstlers [Schadow] steht zwischen einer Apotheose und einer Himmelfahrt mitten inne; ebd. Nirgend erscheint in alten Apotheosen der Held gewaffnet; 1843 Brockhaus I 420 Eins der berühmtesten Kunstwerke ist die Apotheose des Homer, in erhabener Arbeit auf einem silbernen Becher; Gutzkow 1875 Säkularbilder (Ges. W. VIII 18) des Glorienscheines [der aufgehenden Sonne] (wie man von Napoleon dergleichen Apotheosen hat); Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 252) Entsinnen Sie sich des Bildes, mein Herr? . . Es war eine rührende und friedevolle Apotheose, getaucht in die abendliche Verklärung des Verfalls, der Auflösung und des Verlöschens. Ein altes Geschlecht, zu müde bereits und zu edel zur Tat und zum Leben; Lützeler 1934 Grundstile 75 in den zahlreichen „Apotheosen" des Barocks; ebd. 247 im Absolutismus des Barock . . Vergöttlichung des Individuums, wie die zahlreichen „Apotheosen" von Fürsten und Helden beweisen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 260) Indessen gefiel dem jungen Mieter die Apotheose [ein Bild von Giacomo Meyerbeer am Klavier, umschwebt von den Gestalten seiner Opern] nicht einmal so übel, und überdies wandte er ihr, wenn er im Korbstuhl . . saß, den Rücken zu; Näfl954 Bil-

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der 9 In seiner Apotheose Homers gruppiert er [Ingres] programmatisch in raffaelisierender Komposition eine musterhafte Bekennerschar um den klassisch thronenden Dichterfürsten. Apotheose Ic: Wekherlin 1777 Denkwürdigkeiten 27 f. Bey den Kapuzinern besah ich das prächtigste Pantheon, welches Marie Theresie dem lotharingischen Kaiserstamm erbauen ließ. Artemisia that nichts grösseres für die Apotheose ihrer Liebe; l 787 Journal d. Moden II 129 Apotheose der Garderobe [Friedrichs des Großen]; Grecourt 1787 Auserles. W. (Obers.) H 112 Die Apotheose der Jungfernschaft; 1818 Die Wage l 237 Am 25. November — Der Fündling, oder: Die moderne Kunstapotheose. Ein Lustspiel in zwey Abtheilungen; Rötscher 1838 Philosophie d. Kunst U 14 Worauf kann also eine Apotheose der Ehe beruhen? Auf der idealen Darstellung und Enthüllung aller ihrem Wesen und Begriffe entspringenden Verhältnisse und Kollisionen, durch deren Reichtum sich erst sowohl ihre absolute Bedeutung, als ihre absolute, jede Opposition bewältigende Macht, als höchstes und erschöpfendes Resultat ergiebt; Schopenhauer 1840 Moral 65 diese, der christlichen Sittenlehre . . gerade entgegengesetzte Apotheose der Lieblosigkeit; Engels 1847 Die wahren Sozialisten (MEW IV 283) Überhaupt ist das „Album" eine wahre Apotheose des Verbrechens; Marx/Engels 1850 Rezensionen (MEW VII 255) Aber in allen diesen Schriften [Thomas Carlyles] hängt die Kritik der Gegenwart eng zusammen mit einer seltsamen unhistorischen Apotheose des Mittelalters; Füster 1850 Mem. II 65 Die Revolution ist die Apotheose des Individualismus; 1852 Dtsch. Museum I 779 Dann feierte er eine Apotheose der mittelalterlichen Magie; Schlesinger 1852 London I 393 eine so weitgreifende Apotheose deutschen Lebens; Holtet 1854 Schneider l 23 der Schneider machte ein spöttisch Gesicht zu solcher Apotheose des Kürschnergewerkes; 1863 Bilder a. Paris I 139 die große, glänzende Apotheose der Trauer um das verpönte Fleischgericht und um die harten Fastentage; Marx 1867 Kapital I (MEW XXIII 137) eröffnet A. Smith sein Werk, ex officio mit einer Apotheose der Teilung der Arbeit; Kügelgen 1870 Jugenderinn. 369 wie sie [Kügelgens Mutter] denn . . in der griechischen K u n s t . . doch wenig anderes zu erkennen vermochte als eine Apotheose des Natürlichen; Schmidt 1871 Bilder 323 Apotheose des Metternich'schen Absolutismus; Lallemant 1877 Paris 287 Und doch sind im katholischen Paris seine [Meyerbeers] Hugenotten die musikalische Apotheose des Protestantismus geworden; Dingelstedt 1879 Bilderbogen 117 [Lessings „Nathan der Weise"] stand . . bei Hof und der Curie in üblem Geruch, als ein antikatholisches Stück,

eine Apotheose des Judenthums; Willmann 1897 Gesch. 1 572 dass Hegel die Apotheose des Staates vornimmt; Schmid 1909 Mönch 176 So ist Hegels Philosophie die grossartigste Apotheose des Philisters und seines Lebensideals, die der deutsche Geist hervorgebracht hat; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 451) Aber sein Lieblingswort war „Durchhalten", — er sah in seinem Friedrich-Roman nichts anderes als die Apotheose dieses Befehlswortes; Unger 1914 Studien l 38 [Hermann Grimms] Anschauungen mit ihrem Heroenkultus und ihrer Mythisierung des Geschichtlichen, mit ihrem aristokratischen Radikalismus und ihrer Apotheose der Kunst; Sternheim 1918 Chronik l 6 eine Apotheose seiner Träume; Th. Mann 1922 Reden u. Aufs. (W. XI 836) Vernichtung des Jetzigen, Apotheose der Zukunft, dieser eigentlichen bessern Welt: dies ist der Kern der Geschichte des Christentums; ders. 1924 Zauberberg (W. III 898) die wunschbildhafte Apothese all und jeder Verneinung des abendländischen Aktivitätskommandos; 1928 Querschnitt 759 [das Drama „Morgen früh" von Karinthy] eine Apotheose auf die Feigheit; Lokal-Anz. 30.8.1934 Die Funkausstellung Berlin 1934 hat ihre Pforten geschlossen . ., aber sie ist nicht ohne eine gewaltige Apotheose dahingegangen; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XII 854) Schopenhauer . . war der schärfste Gegner Hegels, dessen Apotheose der Politik und BienenstockLehre vom Staat als Gipfelpunkt allen Strebens er für die größte aller Philistereien erklärte; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 410) sollte es möglich sein, diesen Akt [den Schlußakt von Pfitzners „Palestrina"], der ein wahres Festspiel zu Ehren schmerzhaften Künstlertums und eine Apotheose der Musik ist, nachdem er zu solchen Gesichten emporgeführt, ohne Ermatten zu schließen; ebd. XU 423 die Meistersinger sind die Apotheose des Neuen, ein Preis der Zukunft und des Lebens; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. X 782) Das geistige Werk ist das Leben noch einmal, verstärkt, geläutert, erhöht, durchheitert, — die Apotheose des Lebens ist es im Grunde; Siemens 1947 Leben 309 Apotheose der Technik; Rehm 1951 Götterstille 15 Apotheose des Zeitalters [Louis XIV.]; Näf 1954 Bilder 134 der Fauvismus selber, welcher in einem von Matisse gemalten Gartenstuhl seine Apotheose erleben kann; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 873) dieser Geist war und ist die Apotheose der Kunst; 1960 Natur u. Heimat XI 550 Die großfigurigen, zum Teil meterhohen Porzellanplastiken des genialen sächsischen Barockkünstlers Kaendler geben eine Apotheose des Tieres; Kolb 1960 Memento 28 [die Weltausstellung von 1937 in Paris] eine Apotheose der gesitteten Welt; N.Z.Z. 3.1.1972 Die neue Entente cordiale wird in den kommenden Monaten eine Apotheose in den

Apotheose Staatsbesuchen Pompidous in London und vor allem Königin Elisabeths in Paris erreichen; Hildesheimer 1977 Mozart 320 Sie [die Zauberflöte] gilt denn auch als ein weltlicher Schwanengesang, eine zusammenfassende Apotheose, Rückkehr zur göttlichen Einfachheit; MM 5.6.1985 die Apotheose vollendeter Schönheit; Zeit 23. 5.1986 der Film „die Farbe Lila" wirkt wie die Apotheose der weiblichen Sensibilität; ebd. 12.12.1986 als nach 1800 — der frühromantischen Naturapotheose die spätromantische Verdüsterung des Naturbildes folgte; Spiegel 13. 9.1993 Zu dem großen Festakt unter der Schirmherrschaft des . . US-Präsidenten Bill Clinton wollte Arafat am liebsten selbst anreisen — zur Apotheose einer schillernden Karriere. apotheosieren: Hamann 1762 S. W. 214 und wenn ein Gräuel zu Genf oder Rom, . . apotheosirt und koloquintisirt wird; Marx/Engels 1845 — 46 Dtsch. Ideologie (MEW III 38) Diese Summe von Produktionskräften, Kapitalien und sozialen Verkehrsformen . . ist der reale Grund dessen, was sich die Philosophen als „Substanz" und „Wesen des Menschen" vorgestellt haben, was sie apotheosiert und bekämpft haben; dies. 1850 Rezensionen (MEW VII 256) Wo er [Carlyle] die Revolution anerkannt oder gar apotheosirt, konzentrirt sie sich ihm in ein einzelnes Individuum; Marx 1852 18te Brumaire (MEW VIII 194) die schnapsbegeisterte Armee . . apotheosierte den Säbel; Brentano 1924 Grundbedingungen 22 zumal da die Hegeische Philosophie den Staat als „die vorteilhafteste Idee" apotheosierte; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 112) eine Art von Barock-Gemälde, ein riesiges Altarblatt . ., worauf alle Künste und Wissenschaften in unterwürfig darbringender Haltung der apotheosierten Gottesgelehrsamkeit ihre Huldigung darbrachten. Apotheosierung: Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 117) Apotheosierung des Gesellschaftlichen. apotheotisch: Th. Mann 1948 Reden u. Aufs. (W. X 789) Und das Ganze schließt apotheotisch mit dem internationalen Fahnenzug der geeinten Weltjugend; der s. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 235) Und liegt denn nicht wirklich im Künstlertode, in der Verewigung, dem Eintritt in die Unsterblichkeit etwas Apotheotisches; Hildesheimer 1977 Mozart 369 Biographisch und aus der Distanz zweier Jahrhunderte gesehen, war Mozarts Sterben . . keine apotheotische Endphase, kein „letztes Aufleuchten", sondern Unterbrechung eines vieljährigen gewaltigen Schaffensaktes durch jähen Tod; Süddtsch. Ztg. 24.3.1993 Viercondelet verfügt, in der

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Übersetzung von Michael von Killisch-Horn, über beachtliche eigene sprachliche Möglichkeiten, die er allerdings manchmal auch bis an die Grenze apotheotischer Verehrungsemphase treibt. Apotheose 2: Goethe 1816 Br. (WA IV 26,415) Sollte man zum Schluß noch eine Apotheose [zu „Hans Sachs"], wie bey der Aufführung durch wirkliche Personen geleistet wurde, darstellen, so gäbe das gewiß Gelegenheit zu einem angenehmen und bedeutenden Bilde; Berl. lllustr. Nachtausg. 6.5.1932 Als die Schlußapotheose . . Ariadne und Bacchus selig in den sternenübersäten Himmel entschweben ließ,. . wird wohl mehr als einer von der Schönheit des Geschauten . . innerlichst ergriffen gewesen sein; Lokal-Anz. 28.1.1933 gab es eine Schluß-Apotheose aller Teilnehmer in der Arena; Münch. N.N. 14.11.1944 Unter einer Fächerpalme sitzt eine Dame, wie aus der Apotheose einer Ausstattungsrevue hierher verschleppt; Heuss 1963 Erinn. 133 ganz bieder besuchte ich in der großen Oper „Les maitres-chanteurs de Nuremberg" — aber ich . . merkte bald, daß Richard Wagners Schlußapotheose der „deutschen Meister" gestrichen oder doch umgeformt war; Hildesheimer 1977 Mozart 150 Eigentlich hat erst der Zwölfjährige [Mozart] [in der Oper „La finta semplice"] Erwachsene aus ihnen [aus den Figuren] gemacht, wenn auch sehr einseitig angelegte Erwachsene: hartnäckig und ausschließlich Verliebte eben. Die hintergründigen Panoramen werden erst später aufgerissen, die Apotheosen der großen Ensembles sind noch nicht angedeutet; Zeit 18.10.1985 in einem allerletzten und zugleich zentralen Kuppelraum . . fängt sich die Ausstellung . . in einer gewaltigen Apotheose, die Joseph Beuys im Alleingang inszeniert hat; ebd. 6.12.1985 zu Don Juans Apotheose und Höllensturz schickt Korn ein nur dürftiges Theatergespenst auf die Bühne, weshalb er wohl auch die Schlußszene ganz im Hintergrund des riesigen Raumes eher versteckt als inszeniert; ebd. 29.8.1986 die Schlußveranstaltung ist eine rhetorische Apotheose; ebd. 2.1.1987 die Schlußapotheose eines „. . sein Name ist Liebe"; ebd. 1.5.1987 es ist ihr Auftritt beinahe so etwas wie die Apotheose und Parodie der ganzen Inszenierung; MM 9.3.1988 „Orpheus und Eurydike" von Christoph Willibald Gluck,. . jedoch ohne die Ballettapotheose, eine „musikalisch-theatralische Aktion" unter der Regie Harry Kupfers; ebd. 1.6.1988 alles steuert [in Bruckners Fünfter Sinfonie] auf den Choral hin, auf eine im vollen Blech über rauschenden Streichern und wuchtigen Oktaven des Kopfthemas erglühende Apotheose, die sich wie ein Dom über das Vorausgegangene wölbt.

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Apparat M. (-(e)s; -e), im früheren 14. Jh. über mlat. apparatus 'Gerätschaft, Ausstattung, Zubehör, Vorrat; (militärische) Ausrüstung; liturgischer Gegenstand; Aufwand, Prunk, Schmuck; Kommentar, Erklärung' entlehnt aus lat. apparatus 'Zubereitung, Zurüstung, Beschaffung; Ausstattung; Pracht, Prunk' (Part. Perf. von apparare 'das Erforderliche herbeischaffen, zubereiten', aus ad- 'zu einem Ziel hin, heran, herbei' und par are 'bereiten, zubereiten, gehörig einrichten, sich zu etwas rüsten'; —* parat), bis ins frühere 18. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form. 1 Zunächst, (bes. im Mittelniederdtsch.), meist im Sing, verwendet, mit Bezug auf Rechtsglossen für 'Zusammenstellung von Texterklärungen, Textlesarten', dann auch auf andere Textsorten bezogen (s. Beleg 1693), auch für 'Sammlung von Sätzen, Musikstücken' (s. Belege 1717—18, 1732), von daher seit späterem 19. Jh. in der bis heute im Bereich der Wissenschaft üblichen Bed. 'Anmerkungsteil der wissenschaftlichen Ausgabe eines Werkes oder Textes, der Verbesserungen, Erklärungen und verschiedene Lesarten der Handschriften enthält; Kommentar, Lesartenverzeichnis', bes. in der festen Wendung kritischer Apparat, z. B. der historisch-kritische Apparat der Leibniz-Ausgabe; im Apparat sind genauere Erläuterungen zu den historischen Zusammenhängen gegeben, als Grundwort in Zss. wie Anmerkungs-, Lesarten-, Literaturapparat. 2 Seit dem 15. Jh., meist im Sing, verwendet, in der allgemeinen Bed. 'gesamter Vorrat der zu einer bestimmten Arbeit, Tätigkeit o. ä. nötigen Hilfsmittel; Ausrüstung, Ausstattung; Zubehör, Gerätschaft (zu bestimmten Zwecken)': a Vom späteren 15. bis ins späte 19. Jh. in der Bed. 'Haushaltsgegenstand, Hausrat, häusliches Zubehör'. b Vom späten 15. bis ins späte 19. Jh. in der Bed. 'prächtige Ausstattung, Prunk, Schmuck, Pomp (z. B. bei feierlichen Gelegenheiten)', auch 'äußerer Aufwand, Luxus (z. B. bei Theateraufführungen)' (s. Belege 1803, 1805), z. B. ein Fest, eine Theateraufführung mit großem, stattlichem Apparat (vgl. 5b). c Seit frühem 16. Jh. in der Bed. 'Gesamtheit der als Ausrüstung für etwas, z. B. eine wissenschaftliche Tätigkeit, zur Verfügung stehenden Hilfsmittel; Instrumentarium, insbes. Gerätschaft, Gerätesammlung, vor allem für sakrale, militärische Zwecke, für naturwissenschaftliche Experimente, medizinische Behandlung u. ä.'. d Seit Mitte 17. Jh. auch übertragen verwendet, vor allem im geisteswissenschaftlichen Bereich, in der Bed. 'Gesamtheit der für eine bestimmte (wissenschaftliche) Aufgabe, für die Erreichung eines bestimmten Ziels zur Verfügung stehenden geistigen Mittel', bes. in der Zs. Begriffsapparat; seit dem 18./l9. Jh. insbes. auch für 'Zusammenstellung von Büchern, Spezialliteratur als Hilfsmittel für eine wissenschaftliche Arbeit, zu einem bestimmten Thema' (vgl. bes. 2c), z. B. diese Bände stehen im Apparat, die Literatur zu diesem Thema finden Sie im Apparat, als Grundwort bes. in der Zs. Handapparat. 3 Seit Ende 18. Jh., oft auch im PL, zunächst für 'einfache technische Vorrichtung, unkompliziertes Gerät einer bestimmten Ausrüstung' (s. Belege 1805 — 06, 1809, 1822—23, 1827, 1947), dann zunehmend in der dominanten Bed. 'kompliziertes, aus mehreren Bauelementen bestehendes Gerät, das als Hilfsmittel in (technischen) Anlagen oder Verfahren zur Erfüllung bestimmter (technischer) Zwecke oder Funktionen dient', in Wendungen wie ein kleiner, komplizierter Apparat; der Apparat läuft, funktioniert; den Apparat bedienen, einschalten, reparieren; Apparate konstruieren.

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Seit Ende 18. Jh. gelegentlich auch auf Personen bezogen (s. Belege um 1790, 1981), seit späterem 19. Jh. zuweilen in Vergleichen (s. Belege 1872, 1927) oder bildlich verwendet (s. Belege 1940, 1953, 1960). Seit früherem 20. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Apparatefabrik, -geschäft, -Industrie, -park, -system, -technik, bes. Apparatebau für 'Zweig der Industrie und Technik, der sich mit der Konstruktion, der Neu- und Weiterentwicklung sowie der Herstellung von Apparaten befaßt', Apparatemedizin 'Form der medizinischen Versorgung, die durch den Einsatz technischer Apparate zur Diagnose und Therapie gekennzeichnet ist und bei der die persönliche Betreuung durch den Arzt selbst zurücktritt'; schon seit Ende 18. Jh. überaus häufig als Grundwort, weitgehend gleichbed. mit Gerät, gelegentlich auch mit —»· Automat und —» Maschine, in Zss. wie Beatmungs-, Brut-, Destillations-, Diagnose-, Elektro-, Filmvorführungs-, Flug-, Heiz-, Hör-, Koch-, Lösch-, Meß-, Morse-, Musik-, Projektions-, Rasier-, Rechen-, Registrier-, Riesen-, Röntgen-, Rundfunk-, Schalt-, Seh-, Spiel-, Sprech-, Stütz-, Taschen-, Tast-, Vervielfältigungs-, Videoapparat und bes. in den Zss. Foto-, Radio-, Fernseh-, Telefonapparat, die ugs. häufig zu Apparat verkürzt, in der jeweiligen Bed. verwendet werden, bes. Telefonapparat·, (ich bin selbst) am Apparat!; wer ist am Apparat?; Sie werden am Apparat verlangt; bleiben Sie bitte am Apparat!; bitte, verbinden Sie mich mit Apparat 223!; der Apparat ist besetzt, vgl. hierzu auch Zss. wie Dienst-, Haus-, Neben-, Standard-, Tastwahlapparat. Dazu seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung apparativ, meist attributiv verwendet, zunächst häufig in der Fachsprache der Technik in der Bed. 'Apparate betreffend, im Hinblick auf Apparate' (s. Belege 1927, 1955, 1959), z. B. ein großer apparativer Aufwand; apparative Mittel, Möglichkeiten, Schwierigkeiten; der apparative Aufbau, die apparative Ausstattung; apparative Produkte, selten auch für 'den Apparatebau betreffend', z. B. neuere apparative Entwicklungen; gleichzeitig vereinzelt in der Fachsprache der Medizin und Technik für 'mit Hilfe von Apparaten, mit Apparaten arbeitend', z. B. eine apparative Analyse; die apparative Diagnostik; apparative Verfahren, Methoden; apparative Lehr- und Lernhilfen im Unterricht (s. Belege 1985, 1993). Im früheren 20. Jh. vereinzelt das Subst. Apparatisierung F. (-; ohne PL), eher pejorativ für 'übertriebene Technisierung, Automatisierung'. 4 Seit Ende 18. Jh., vorwiegend im Sing, verwendet, im Bereich der Anatomie in der Bed. 'zusammenhängendes System von Organen, die einer gemeinsamen Funktion dienen' (vgl. 2), z. B. der psychische, seelische, genetische Apparat des Menschen; der Apparat des motorischen Nervensystems; gleichzeitig, als Grundwort weitgehend gleichbed. mit —»· System, in Zss. wie Bewegungs-, Denk-, Empfindungs-, Ernährungs-, Gen-, Gleichgewichts-, Muskel-, Nerven-, Verdauungs-, Wahrnehmungsapparat. 5 Seit Mitte 19. Jh., meist im Sing., in der (vermutlich von 2 und 3 her) übertragenen Bed. 'umfassende Gesamtheit von Personen, Einrichtungen und Hilfsmitteln, die zur Erfüllung und Ausführung einer bestimmten Aufgabe, Tätigkeit (bes. in einer Institution) benötigt werden'. a Zunächst im Bereich von Politik, Wirtschaft und Verwaltung, oft auch pejorativ verwendet, z. B. ein großer, diplomatischer, militärischer Apparat; der komplizierte Apparat der Verwaltung; den ganzen Apparat umgestalten, neubesetzen, in Bewegung setzen; der schwerfällige bürokratische Apparat; häufig auch kurz für 'Partei-,

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Staats-, Verwaltungsapparat' (s. Belege 1933, 1947, 1990); seit späterem 19. Jh. als Grundwort in Zss. wie Beamten-, Behörden-, Justiz-, Kontroll-, Kriegs-, Macht-, Medien-, Nachrichten-, Partei-, Polizei-, Presse-, Propaganda-, Regierungs-, Riesen-, Sicherheits-, Spionage-, Staats-, Verteidigungs-, Verwaltungs-, Wirtschaftsapparat. Dazu seit Mitte 20. Jh. die seltenen, meist pejorativ gebrauchten verbalen Ableitungen (ver-)apparatisieren in der Bed. 'bürokratisieren, zum Beamtenapparat machen' und die seltenen, meist pejorativ verwendeten subst. Bildungen Verapparatisierung, Verapparatung F. (-; -en). Dazu gleichzeitig die subst. Gelegenheitsableitung Apparatismus M. (-; ohne Pl.) in der Bed. 'Struktur, System'. Seit Mitte 20. Jh. die heute unübliche, aus russ. apparatcik 'Arbeiter, der einen oder mehrere Apparate bedient, Verwaltungsangestellter, Funktionär' (zu russ. apparat 'Verwaltungsbehörden', zu lat. apparare s. o.) entlehnte, oft ugs. verwendete Personenbezeichnung Apparatschik M. (-s; -s) in der pejorativen Bed. 'Funktionär im Staats- und Parteiapparat totalitärer Staaten des Ostens, der Weisungen und Maßnahmen bürokratisch durchzusetzen sucht', anfangs vereinzelt auch in der russ. (flekt.) PL-Form, auch als Grundwort in der Zs. Kulturapparatschik. b Seit Ende 19. Jh. auch im kulturellen Bereich, bes. Musik, Theater, gelegentlich konnotiert mit „aufwendig" (vgl. 2b), z. B. der Apparat der Bildung, Kultur; der riesige Apparat eines Orchesters; der szenische Apparat einer Opernaufführung, seit späterem 19. Jh. als Grundwort in Zss. wie Bildungs-, Bühnen-, Klang-, Opern-, Orchesterapparat. 6 Seit Mitte 20. Jh. ugs. verwendet für 'Gegenstand oder Person von ungewöhnlicher Größe, Staunen hervorrufender bzw. aufsehenerregender Ausgefallenheit', z. B. ein Apparat von einem Kürbis, diese Brille ist ja ein Apparat!, die Frau, ein Apparat von zwei Zentnern, ein toller Apparat!. Dazu seit Anfang 20. Jh. die formal an (m)lat. apparatura 'Aufwand, Zurüstung, Schmuck' angelehnte subst. Ableitung Apparatur F. (-; -en) in der Bed. 'Gesamtanlage von zusammengehörigen Apparaten und Instrumenten, die einem gemeinsamen Zweck dienen', z. B. eine einfache, komplizierte, riesige, automatische Apparatur; eine Apparatur zur Blutdialyse; eine chemisch-physikalische Apparatur, gelegentlich gleichbed. mit Apparat 3 (zu 3); seit frühem 20. Jh., meist im Sing., oft auch pejorativ verwendet, in der übertragenen Bed. '(überaus große) Gesamtheit von Personen, Einrichtungen und Hilfsmitteln, die für eine bestimmte Aufgabe, Tätigkeit, Institution benötigt werden', z. B. eine bürokratische Apparatur, die politische, soziale Apparatur, die Apparatur einer anonymen Staatsgewalt, seit Mitte 20. Jh. auch als Grundwort in Zss. wie Beamten-, Staats-, Verwaltungs-, Wirtschaftsapparatur, gelegentlich gleichbed. mit Apparat 5a (zu 5a). Apparat 1: um 1335 (1857 Richtsteig Landrechts 84) und spreken, se hedden in deme apparate der glosen, de wi darover gesät hebben, des keiseres und des geistliken rechtes bewisinge genuch; 1486 Eunuchus d. Terenz (Übers.) 15 Es ist auch fürnemlich zemercken wellich text in diser Comeda ain gloß und apparat hat. das dann die selben wort des textes in der gloß zenechst by dem Paragrapho anfenglich gesetzt werden. Und dann darnach die gloß über den selben text biß ain anderer Paragra-

phus kumbt. So vindestu andere wort deß textes. und dann aber die gloß darüber (FRNHD. WB); 1536 (1877 Urkunden Tübingen 188) Zum Vierdten In Jure zwen Ordinaries zuhaben, der ainer lese in Canonico die Buecher, darus die gerichtlichen Processen gelernet, der ander In lure Ciuili mit gewonlichen Apparatu, vnd zu denen einen der Institutiones mit gnugsamer grundlicher Vßlegung der text, vnuersompt auch des gewonlichen apparatus vnd Scribenten einfierung, Vnd dann aber

Apparat ainen, der auch in Jure Ciuili mit dem Apparatu lesen solle; 1693 Wohlgemeyntes Bedenken 18 so mag sie nur immerhin ad legendum Scriptorem accommodatum angewiesen werden: und ist das viele Geschmier von so grossem apparatu der zu lernen vorgelegten Formularum, nichts anders als eine schädliche Hinderung und tormentum ingeniorum; 1717-18 (Kirchner 1931 Grundlagen 222) Apparatus litterarius sententiarum singularium; Walther 1732 Musical. Lex. 427 Daß er [Muffat] vorhero am Münster zu Straßburg Organist . . [gewesen] biß an. 1690, da er seinen aus XII. Toccaten bestehenden Apparatum Musico Organisticum herausgegeben; Engels 1887 Juristen-Sozialismus (MEW XXI 500) wer zuerst eine dieser Formeln aufstellt, der ist der große Mann. Daß es dabei ohne lächerliche Böcke nicht abgeht, trotz des gelehrt tuenden Apparats, ist begreiflich; Tb. Mann 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 816) [die Ausgabe der Briefe Fontanes] ist . . eine mustergültige Edition mit großem Erläuterungsapparat, genauem Personen-Register; 1954 Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen CXC/V 215 Den kritischen Apparat, d. h. die Vorschläge und die Nachweise der Herausgeber bringt ein beigelegtes Sonderheftchen, das auch sehr ausführliche Literaturnachweise gibt; 1956 Mutterspr. 451 Register und ein recht brauchbarer Anmerkungsapparat erhöhen den Wert des gut ausgestatteten Buches; Heimpel 1956 Kapitulation 91 kanonisches Recht [lehrte man] aller Orten nach den wenigen anerkannten Apparaten zu feststehenden Texten, zu Dekret und Dekretalen; 1958 Dtsch. Lit. zig. /// 237 Überaus wertvoll ist der ausführliche Apparat von Dalin. Die fast l 200 Verweise sind ein wahres Kompendium zu Ereignissen und Akteuren der Revolution; 1958 Forsch. u.Fortschr. IV 115 seine Idee, dem schwerfälligen Apparat der amtlichen Kunstdenkmäler-Inventare eine kurze Liste der deutschen Kunstdenkmäler vorauszuschicken; Hiller 1967 Wb. d. Buches 175 Kritischer Apparat. Die Gesamtheit der kritischen und philologischen Beigaben und . . Anmerkungen in einem Buch . . Der kritische Apparat setzt sich entweder aus Anmerkungen zusammen, die als Fußnoten jeweils auf der Seite der Textstelle stehen, auf die sie sich beziehen, oder er ist in einem bes. Anhang enthalten; Zeit 25.4.1986 auch die Ausdehnung der Analyse auf die Psychotherapie vermeidet den naheliegenden internationalen Literaturapparat, bringt dafür die praktischen Beispiele; ebd. 3.10.1986 die riesige Zahl der Varianten (vom Dichter oder Herausgeber verworfene Vor- und Zwischenstufen des Textes) werden in einem „Apparat" aufgeschlüsselt; MM 25. 3.1988 Mannlich, dem er den letzten Teil dieses auch mit einem lückenlosen Hilfsapparat versehenen Werkes widmet.

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Apparat 2a: Niclas v. Wyle 1461-78 Transl. 290 die diener, das husgesind und aller brühe und apparat des hushablichen dinges; ebd. 293 der apparate und stände mines huslichen wesens (beide MÖLLER); Luther 1522 Predigten (W. X 3,355) seynd sie warlich omoeysge iunckfrauwen, die allein dy lampen oder das gevesz haben, dass ist den auswendigen apparat; Eberlin v. Günzburg 1526 Gertnaniaübers. d.Tacitus 11 Ire speise sind ainfaltig, nahmlich wilde äpfel, frisch gefangen wild, dicke milch etc., on apparat vertreiben sie den hunger; Laukhard 1802 Leben V 33 ging ich nach der [königlichen] Küche [in Berlin], und fand da weniger Apparat, als in mancher adelichen Küche; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 113 Säcke, Eimer, Körbe und was des Apparats mehr war; Nordau 1881 Paris I 30 Unbeholfen und unpraktisch ohne Gleichen ist die Pariserin der Mittelclasse in der Küche. Sie arbeitet mit einem erstaunlichen Aufwande von Feuerstellen, Apparaten und Geräthen aller Art und bringt doch nichts Annehmbares zu Stande. Apparat 2b: Melber 1481 Voc. o. S. Apparatus, angehenckt ding, Zierlichkeit; Geiler v. Keisersberg 1510 Granatapfel aa4va als ain schirmer der mit ainem glitzigen schwert ain apparat macht vnd ain spiegelfechten treibt; Murner 1520 Ermahnung 24 kein usserlichen aparat und bereitung (ECKEL); Kessler 1524-39 Sabbata 336 hat herr Kilian, abbt von Sant Gallen, . . in siner abbtischen majestat und apparat sin erste mess gehalten; Murner 1526 brieff a4a begegnet er ein solchen apparat geysel und maiestadt und Sicherheit/ die einem Keyser zu geben . . kume müglich were (ECKEL); Kirchhof 1563 Wendunmuth I 442 Was da vor der Welt herrlich sein und von vilen köstlich und nötig gehalten werden soll, muoß auch demselbigen gemeß einen prechtigen apparat, spiegelfechten und anfang haben; Drexel 1625 Weckuhr 291 Dann weil dieser Gerichtstag mit vnuergleichlichem Apparat, Glori und Herligkeit wird angestellt; Dannhauer 1642 Katechismusmilch l 44 Wie es mit dieser Gesetzgebung hergegangen? mit was Apparat und solennität dieser actus vollzogen worden?; Lassenius 1661 Tischreden 175 und zohe also mit frantzösischem apparat und Ritterschaft anheim; Abr. a S. Clara 1680 Glori Deo Gratias 10 Der gantze Graben und grosse Platz ist mit solchem Pomp und wunderschönen apparat versehen gewest/ daß er einem grossen Salomonischen Tempel gleichte (FRNHD. WB); Krämer 1681 Leben d. Seehelden 312 mit stattlichem apparat und Gepränge; Callenbach 1715 Quasi l diese Üppigkeit erfordert großen Apparat, als wenn ich in der Kirchen vor Gott sollte erscheinen; Goethe 1803 Br. (WA IV 16,335) Wir führen hier den Julius Cäsar, wie alle Stücke, die

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einen größern Apparat erfordern, nur mit symbolischer Andeutung der Nebensachen auf; ders. 1805 (WA I 45,168) Indessen die große französische Oper mit einem Ungeheuern Apparat ihre Gäste kaum zu befriedigen im Stande war; Engels 1851 Br. (MEW XXV11 379) der lächerliche napoleonische Apparat, der Jahrestag der Krönung und von Austerlitz; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 173 nein, . . ich passe nicht in eine Reihe von Salons mit Dienerschaft und Toiletten und dem ganzen Apparat, der nur dazu da ist, um den Neid andrer zu erwecken; Nordau 1881 Paris l 298 Daher die Soireen von großem Apparat, die an den Platz der alten unumständlichen Zusammenkünfte getreten sind. Man sucht die Eingeladenen durch Lichtmassen, durch ein Dienerheer, durch seltene Pflanzen und kostbare Teppiche, durch Pracht der Einrichtung, durch Diamanten, durch Bilder, durch Bibelots, durch ein lukullisches Büffet und durch theuere Kunstgenüsse zu verblüffen. Apparat 2c: Paracelsus 15Z8 Das ander buch von blatern (S. W. I 6,351) es were ie und ie mein rat gewesen, man hete den namen und färben underlassen von wegen weniger betrugs, dan die namen und färben, apparat und bossierung verfüren den kranken und sind gleich arzet, wie die Phariseer theologi und wie die gaukler poeten; Murner 1528 Messe 23 vnd ist also gnuog von vssenwendigem apparat gesagt; Pinicianus 1533 Georgen ritterl. thaten (Übers.) 148b Yegliche Zent hett ir sonder Apparat, da ein jegklicher mit stillen gedancken der erst die Maurkron zu haben begert; Kirchhof 1563 Wendvnmuth I 47 Der Türck hett gern des frembden apparats und manier aller wissenschafft gehabt; Junius 1567 Nomenclator 310 Apparatus bellicus . . Rüstung zum krieg; Paracelsus 1577 De generatione (S. W. 11,298) aber die edleste philosophia ist das ewig zu betrachten, dan was nuzt uns der kazen gesicht und der hunt wadeln? oder was sol vom apparat oder zutütlen verstanden werden?; Fuglinus 1586 De Praestigiis Daemonum 118 Jedoch so ist in Ceremonien vnnd apparat etwas vnderscheids (ZFDW XV 176); Neumayr 1620 Neutralität Nla des Doria Galeen, die an apparat vnd Geschwindigkeit jhme weit vberlegen; Böckler 1665 Schola militaris 868 wo etwan nicht dergleichen species absonderlich unter eines Feld-Scheerers Apparat beyhanden; 1677 Machiavell. Hocus-pocus 617 Dantz-, Fecht- und Reithäuser oder derer machinen und apparat; Ettner 1690 Chirurgus 80 da würden sie einen Apparatum von denen raresten Instrumenten sehen; Weise 1697 Vertr. Gespräche 93 wer nun die kunst nicht versteht, der muß sich trefflich verwundern, wie man so einen apparat von schönen Sachen hat; Marperger 1722 Altanen 3a ein gantzer apparatus an Tubis und de-

nen dazu gehörigen Stativen und Rüstungen, welche zuo einem vollkommenen Observatorio nöthig seyn; Messerschmidt 1723 Sibirien 11 132 Die Seiten der Fallen werden mit kurzen Stöcken oder Knütteln gleichsam umbzäunet, welches der ganze apparatus ist; Zedler 1732 Universaüex. l 940 Apparatus, frantzösisch Appareil, heist insgemein jede Zurüstung und Vorrath allerhand nöthiger Sachen. Apparatus Anatomicus ist bey denen Anatomicis ein Vorrath mancherley anatomischer Instrumenten und dazu gehörigen Sachen. Apparatus Chirurgicus heisset bey denen Chirurgis ein Vorrath ihrer Instrumenten und Medicamenten; Köhler 1738 Anweisung 746 Von Amphibien hat man in Naturalienkabinetten auch viele, theils ganz in Spiritu vini aufbewahrt, als Vipern, Eydexen, Molche., doch ist der Apparatus sehr kostbar; Wieland 1784 Aeronauten (S. W. XXX 104) Wiewohl diesmahl sein ganzer Apparat in bestem Stande. . war; Blumauer 1784—94 Virgtls Aeneis (Ges. W. l 191) So einen Kriegesapparat/ Hat man bis jetzt in keinem Staat/ Auf Erden noch gesehen; 17S6 Journal d. Moden l 445 Wir beschliessen unsern ganzen Vulkanischen Apparat [Öfen, Kamine]; 1790 Beobachter 347 meinen Reiseapparat; Goethe 1793 Bürgergeneral (WA l 17,305) [Schnaps in Uniform:] Sie können unmöglich wissen, daß ich diese Kleider mit dem ganzen militärischen Apparat von einem armen Teufel geerbt habe; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 126 Apparat: Sammlung mehrerer Sachen von einerlei Art (zum wissenschaftlichen Gebrauch), als, ein Apparat von Pflanzen, ausgestopften Thieren — Durch Sammlung ließe sich der fremde Ausdruck, im Zusammenhange der Rede, wohl ersetzen; Lichtenberg 1795 Hogarth 49 Was noch weiter da herumsteht, ist vermuthlich kosmetischer Apparat; Goethe 1808 Farbenlehre (WA 11 1,123) Jeder Liebhaber kann sich den Apparat, ohne große Umstände und Kosten, anschaffen; ja wer mit Papparbeiten einigermaßen umzugehen weiß, einen großen Theil selbst verfertigen; ders. 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 20,339) Er hatte seinen Apparat von goldnen Ringen, Markasiten und ändern metallischen Substanzen, den er in einem schönen Kästchen immer bei sich führte, schon ausgebreitet und ließ nun Metalle, an Fäden schwebend, über liegende Metalle zum Versuche nieder; ders. 1810 Br. (WA IV 21,412) Dieselben hierher einzuladen, um in den nächsten Tagen den hiesigen Vorrath eines chemischen Apparats anzusehen; Borne 1828 Ges. Sehr, l 392 Ein Taschenapparat für Freunde des Selbstmordes, der Werkzeuge zu allen möglichen Todesarten enthält — Messer zum Halsabschneiden — Pistolen zum Erschießen — wässerige Schriften zum Ersäufen — deutsche Protokolle zum Sterben durch Langeweile — ein Pulver, dessen Genuß

Apparat augenblicklich zum Diebe macht, für Liebhaber des Galgens; Kohl 1842 Böhmen 109 Der übrige Krönungsapparat, außer der in der Wenzelskapelle versteckten Krone und dem Szepter; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. ill 378) schon hatte er alle verfügbaren Schutzmittel gegen die Kälte aufgeboten, den ganzen Apparat; Schomburgk 1957 Afrika 302 Der wissenschaftliche Apparat dieses Institutes und die Bibliothek sind in Zentralafrika einzigartig; MM 30.12.1987 im schwarz ausgeschlagenen Guckkasten, vorwiegend von ungemütlich-fahlem Kunstlicht erhellt, hält Treusch nicht nur den technischen Apparat effektvoll in Bewegung. Apparat 2d: Horneius 1657 Bedenken 12 dar man die Sprachen und den übrigen gantzen Apparat, welcher zu rechtschaffener geistlichen und weltlichen Geschicklichkeit von nöthen, zu erhalten vermeinet; Becher 1668 Methodus didactica 163 daß einige gantze Sprachen durch dergleichen Mittel in kurtzer Zeit ohn allen apparat von Wörtern, Flexionen vnd constructionen gelernt haben; Wächtler 1709 Manual 39 Apparat, Vorrath, z. E. er hat einen guten apparat an Büchern; Forster 1789 Kl. Sehr. 99 Ohne Prior's dichterischen Apparat zu benuzen, . . halte ich mich zuförderst an die Erfahrung allein; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,200) Frau Griesbach .. schien zu streng, zu trocken, zu gelehrt; sie wußte, dachte, umfaßte mehr als die ändern, die sich mit der Entwickelung ihres Gefühls begnügten, und war ihnen daher lästig, weil nicht jede einen so großen Apparat auf dem Wege zur Seligkeit mit sich führen konnte noch wollte; Raabe 1864 Hungerpastor 412 neue Schriften gelangten nicht leicht nach Grunzenow, und so beschränkte sich sein gelehrter Apparat auf die Bücher, die seine Vorgänger seit hundertundfunfzig Jahren auf der Pfarre zurückgelassen hatten; Keller 1875-80 Heinrich (S. W. XVII 27) es ist überhaupt die Frage, ob nicht zu dem bescheidensten Gelingen eine dichte Unterlage von bewußten Vorsätzen und allem Apparate genialer Grübelei gehöre, und der Unterschied möchte oft nur darin bestehen, daß das wirkliche Genie diesen Apparat nicht sehen läßt; ebd. XIX 40 die Kinder [die] für ein einziges religiöses Dogma bis zu ihrer Mündigwerdung mit allem katechetischen Apparate unterwiesen werden; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 140) beschloß ich, meine Vormittage mit der leichten Ausführung einer Anekdote zu füllen . . mit einer Arbeit also, zu der es keines Apparates bedurfte und die im bequemsten Sinn des Wortes, aus der Luft gegriffen werden konnte; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 90 [in dieser Ausstellung] erscheint der vollständigste klassische Formenapparat der mittelalterlichen Urkunde; 1958 Neue Dtsch. Lit. Ill 146 Um die Verse

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Goethes . . zu deuten, setzt die Autorin einen umfangreichen gelehrten Apparat in Bewegung; Hiller 1967 Wb. d. Buches 130 Handapparat. Eine von einem Gelehrten angelegte Sammlung von Spezialliteratur (meist Dissertationen, Separata und Quellenwerke) zu einem eng begrenzten Fachgebiet; Flach 1977 Chance 44 sind ganze Bereiche von Wissenschaften außerstande, das gegebene System kritisch in Frage zu stellen, weil ihr gesamter Begriffsapparat bewußt oder unbewußt auf die Erhaltung vorhandener Besitz- und Machtstrukturen ausgerichtet ist?; Lohmann 1978 Evolution 420 die Evolutionstheorie [hatte] für die bürgerliche Gesellschaft die Funktion übernommen, die offene Zeitstruktur mit Inhalt zu füllen, nämlich den sachlich-analytischen Apparat zu bieten, der Vergangenheit und Zukunft noch integrieren konnte, nachdem Zeit- und Geschichtsbegriffe dies nicht mehr vermochten; MM 1.3.1986 und hierbei wurde wieder einmal klar, daß dort, wo der Physiker oder der Biologe mit seinem Begriffsapparat an Grenzen stößt, sich Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften in gemeinsamen Fragen berühren. Apparat 3: Goethe um 1790 Naturwiss. Sehr. (WA // 11,118) Der Mensch an sich selbst, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genauste physikalische Apparat den es geben kann; 1803 Organisationsedikt (1886 Urkundenb. I 441) eintausend Gulden für Instrumente und apparate; Goethe 1805-06 Naturwiss. Sehr. (WA II 11,193) Der erste Apparat sei: ein seidenes Band, ein Stück geschliffen Glas, und ein Stück Bernstein; ders. 1809 Farbenlehre (WA II 5,1, 285) Unser einfachster Apparat besteht aus einer entoptischen Glastafel horizontal auf einen dunklen Grund gelegt und gegen die klare Atmosphäre in verschiedenen Richtungen gehalten; 1821 Polytechn. Journal V 392 Das Zweckmäßigste was man man in einigen großen Pharmacien . . angewendet hatte, war ein Verdunstungs-Apparat, der zu den verschiedenen Zwecken, beständige Wärmegrade lieferte; Borne 1822—23 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. II 134) Der Apparat zur Erhitzung des Wassers ist an der Wanne angebracht; Hauff 1827 Memoiren d. Satans (Prosaische u. Poet. W. VII 103) er schien sich an dem ungemeinen Rumglas und dem Rauchapparat, den jener vor sich hatte, ein wenig zu entsetzen; Borne 1828 Ges. Sehr. I 392 Akustischer Apparat, wodurch man hören kann, was in allen Häusern gesprochen wird. Der Erfinder ist Herr Mouchard in Lyon; Wittstein 1847—49 Etymolog.-chem. Handwb. I 89 Apparat — heisst jede mechanische Vorrichtung zur Hervorbringung einer Wirkung (z. B. elektrischer, magnetischer Apparat) oder zur Darstellung eines Körpers (z. B.

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Gasapparat, Eisapparat); Marx 1867 Kapital I (MEW XXUl 369) Manufakturen, die maschinenartige Apparate anwenden; den. 1867 Br. (MEW XXXI 298) [das Werk] ist im ganzen sehr gut organisiert und mit Benutzung vieler ganz moderner Apparate; Hartmann 1869 Philosophie 29 Apparate, welche die Lichtschwingungen verschiedener Geschwindigkeit in diejenigen Nervenschwingungen umsetzen, welche als Farbempfindungen percipirt werden; Busch 1872 Fromme Helene (1979 Busch-Buch 96) Fort! Du Apparat der Lüste, hochgewölbtes Herzgerüste! [Büstenhalter]; Engels 1873-83 Dialektik d. Natur (MEW XX 402) die [galvanische] Kette selbst [ist] nichts andres als eine Vorrichtung, ein Apparat, der freiwerdende chemische Energie in Elektrizität verwandelt wie eine Dampfmaschine ihr zugeführte Wärme in mechanische Bewegung, ohne daß . . der verwandelnde Apparat aus sich selbst noch weitere Energie zuführt; Walloth 1887 Praxis 4 vor einem riesigen, mit Hörrohren und anderen Apparaten bedeckten Tisch; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 300) man unterschied physikalische Apparate, Hohlgläser, Schaltbretter, aufrecht ragende Meßinstrumente; ders. 1924 Reden u. Aufs. (W. X 152) ich begreife, daß eine Wissenschaft, die . . reinlichabstrakte Arbeit mit Apparaten und Präparaten gewöhnt ist, sich von dieser allzu menschlichen Art des Experimentierens abgestoßen fühlen muß; 1927 (Hesse 1980 Magie 74) alle jene vielen, deren Not ihre Wellen bis auf meinen überhäuften Schreibtisch spült, wenden sich ja an einen Menschen, nicht an einen Apparat; Friedeil 1928 Kulturgesch. II 256 Was die Elektrizität anlangt, so war sie geradezu die Modewissenschaft des Zeitalters. Man betrachtete die neuen elektrischen Apparate als ein originelles und amüsantes Spielzeug, alle Welt machte mit ihnen Experimente; Eitzen 1929 Irrgarten 208 überhaupt jede mechanische Vorrichtung ist [im Englischen] machine, so daß dies Wort häufig da steht, wo wir Apparat sagen; im allgemeinen nennt der Engl. apparatus nur Apparate nichtmechanischer, besonders chemischer usw. Natur. Ein automat ist dem Engl. machine, ebenso der Telephonapparat, ferner das Flugzeug . . Fahrrad; Döblin 1929 Alexanderplatz 41 Die AEG. ist ein ungeheures Unternehmen, welches [viele Betriebe] umfaßt: . . Metallwerke Oberspree, Apparatefabriken Treptow . . Fabriken Hennigsdorf; Picht 1940 Soldat. Mensch 45 Das 19. Jahrhundert mündete in der wachsenden und auswegslos erscheinenden Gefährdung des Menschen durch den Apparat; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 28) zu den wenigen physikalischen Apparaten, über die Adrians Vater verfügte, gehörte eine runde und frei schwebende, nur in der Mitte auf einem Zapfen ruhende Glasplatte, auf der dieses Wunder

sich abspielte; Fallada 1947 Jeder stirbt 181 „Hier Polizeirevier Frankfurter Allee. Kommissar Escherich" . . „Am Apparat."; Welt 17.8.1949 nach vierjährigen Versuchen wird jetzt in Amerika der Xero-X-Kopierer auf den Markt kommen, ein Apparat, mit dem es möglich ist, Geschäftsbriefe und sonstige Vorlagen binnen 45 Sekunden zu vervielfältigen; Silberschmidt 1953 Entwicklung 8 dem Zeitalter der Maschine ein neues Zeitalter der Apparate gegenüberzustellen; Welt 14. 7.1954 jüngerer Diplom-Ingenieur mit Kenntnissen im chemischen Apparatebau und Verfahrenstechnik zur Bearbeitung von Projekten und Detailkonstruktionen gesucht (Anzeige); Heisenberg 1955 Naturbild 14 der Blick in das Innere eines komplizierten elektrischen Apparates ist uns manchmal in ähnlicher Weise unangenehm wie das Zusehen bei einem chirurgischen Eingriff; ebd. vielleicht werden später die vielen technischen Apparate ebenso unvermeidlich zum Menschen gehören wie das Schnekkenhaus zur Schnecke oder das Netz zur Spinne; Stuttgarter Ztg. 5.5.1960 Mensch und Apparat im modernen Staat; Welt 2. 3.1964 um jedes Wort der berühmten Frau aufzufangen, hatten meine drei Tanten ihre unförmigen Hörapparate mit frischen Batterien geladen; ebd. 15.2.1969 Herstellung von chemisch-technischen Apparaten; Strauß 1981 Paare 198 Das Innerste des Menschen steuert der Apparat, der Bio-Computer; Zeit 28.12.1984 ebenso wie Diagnoseapparate und Selbstuntersuchungsgeräte eine Ära kostengünstiger Medikalisierung heraufführen sollen; ebd. 18.1.1985 während . . die Messe ihren Lauf nimmt, stehen . . die Touristen an den audiovisuellen Apparaten, mit Bildern vor Augen und Hörer am Ohr; ebd. 22.2.1985 unwillkürlich wünscht man sich, daß der ewig ratternde Vervielfältigungsapparat gleich mit dem Reißwolf gekoppelt würde; ebd. 29.3. 1985 daß der Mensch nicht nur ein physikalischphysiologischer Apparat, sondern vor allem auch ein Homo culturae ist; ebd. 11.10. 1985 wie Menschen überhaupt auf die Idee gekommen sind, Kristalle als Elemente der Logik zu benutzen, das wissen nicht einmal diejenigen, die mit solchen Chips die Apparate der New Tech, der Neuen Technik konstruieren; MM 7.3.1986 beide Sonden hatten. . beim Vorbeiflug am Planeten Venus Landeapparate abgesetzt; Zeit 13.6.1986 Fernmessungen durch die Überwachungsbehörden sind aber erst dann möglich, wenn auf dem Reaktorgelände noch zusätzliche Meßapparate aufgestellt sind; ebd. 11.7.1986 gemeinsam ist Ost und West . . auch das Überhandnehmen der Apparate-Medizin, die vor allem auf Diagnose sich richtet; ebd. 11.10.1986 technische Abnahme der Flugapparate; MM 8. 9.1987 der neue Beruf des Anlagenmechanikers umfaßt dabei die Fachrichtungen Ap-

Apparat parate- und Versorgungstechnik; ebd. 29.12.1987 aus Angst vor Kliniken, die mit ihrem Apparatepark eher „Geburtsmanagement" als Geburtshilfe betreiben; ebd. 19.1.1988 mehrere Firmen präsentieren moderne Telefone und Textübertragungssowie Datenübertragungsapparate. Apparatisierung: Sombart 1938 Menschen 337 Ersetzung des Lebens durch Versachlichung, besser noch Verdinglichung dieser Systeme mit Apparatisierung, Mechanisierung, Automatisierung, Taxametrisierung, Motorisierung, Maschinisierung. apparativ: 1927 Natur 324 doch sind noch große apparative Schwierigkeiten zu überwinden; 1955 Wiss. u. Fortschr. VI 157 Eine volle Ausnutzung der apparativen Möglichkeiten; ebd. XI 341 Der apparative Aufwand, den die Chromatographie erfordert, ist äußerst gering; Süddtsch. Ztg. 6.3. 1959 die apparative Erstausstattung eines Instituts; 1960 Urania IV 229 Wenn heute eine industrielle Strahlenbehandlung [zur Keimverhütung bei Kartoffeln] kaum durchgeführt wird . ., so liegt dies nicht unbedingt an dem damit verbundenen apparativen Aufwand; 1967 Bild d. Wiss. 131 das Zusammentreffen eines aussichtsreichen und hochinteressanten Forschungsgebiets mit apparativen Anforderungen; FAZ 30.8.1971 eine von 268 Herstellern pharmazeutischer und apparativer Produkte beschickte Heilmittelausstellung; 1973 Urania 16 Der apparative Aufbau ist dabei etwa der gleiche wie bei der Erzeugung der Hologramme an Flüssigkeitsoberflächen; MM 4.2.1985 auf apparativen Aufwand wird weitgehend verzichtet; Zeit 24.5.1985 weiterhin sind Erfahrungen in der Molmassenbestimmung . . und anderen Verfahren der apparativen Analyse erwünscht; MM 11.9. 1985 Prof. Riemann erläutert die gewaltigen apparativen Fortschritte seines Ressorts; Zeit 25.10. 1985 die Abteilung ist personell und apparativ umfassend ausgestattet; Spiegel 15.3.1993 Die Verfahren . . sind mit einem erheblichen apparativen Aufwand verbunden; Zeit 10.9. 1993 wir haben Chancen in der Medizin-Elektronik und in der apparativen Medizin insgesamt. Apparatur: Molisch 1913 Mikrochemie 11 Die nötige Apparatur läßt gleichfalls an Einfachheit nichts zu wünschen übrig; Voss. Ztg. 23.7.1929 Nun behauptet die Deutsche Klangfilm-Gesellschaft, daß die Apparatur der Western Electric gewisse deutsche Patentrechte verletze; Bert. Illustr. Nachtausg. 1.2.1933 Jimmy hat seinen Blick fest auf die Apparaturen gerichtet. Er ist ein herrlicher Flieger; Lokal-Anz. 15.11.1934 Ausgestattet mit der erforderlichen technischen Apparatur, sind die . . Beamten [der Verkehrspolizei] in der Lage, den

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Befund. . zu sichern und auszuwerten; Dtsch. AZ. 27. 7.1935 Das Gerät . . eine kostspielige Apparatur; ebd. Industrien, die fast immer die Einfuhr ausländischer Maschinen und Apparaturen benötigen; Münch. N.N. 2.11.1941 In diesem Film hat irgendein fanatischer Millionär tief unter dem Meer eine gigantische Apparatur aufbauen lassen, mit der er Gold produzieren wollte; Welt 17. 8.1949 der Scheck wird vom Kassenbeamten in der Zweigstelle vermittels einer besonders konstruierten Fernsehapparatur in die zentrale Buchhaltung übertragen; 1954 Dtsch. Nationalbibliogr. 45 Entwicklung einer chemisch-physikalischen Apparatur zur Bestimmung kleinster KohlenoxydKonzentrationen; Kirst 1954—55 Null-Acht Fünfzehn 607 Der Pilot saß mürrisch vor seinen Apparaturen und gähnte; Heimpel 1956 Kapitulation 102 daß unser Jahrhundert eine Forschung entwikkelt hat, deren ungeheuer verteuerte Apparaturen neben dem Staat auch die Wirtschaft selbst zu Hilfe rufen muß; Doderer 1956 Strudlhofstiege 683 Wir aber sitzen tief zwischen ihnen . . und da wollen wir was entscheiden, . . wo nichts als Materielles, nämlich Apparatur ist, und . . Apparatur und wieder Apparatur, die sich gegenseitig ablöst. Wir sind da zwischen die Apparate geraten, wir sind denkende Materie geworden; Jaspers 1958 Atombombe 400 ein Geschehen, das zur Knechtschaft und Entmenschlichung in Apparaturen führt; Heuss 1963 Erinn. 356 Gewiß gehören einige das Weltbild verwandelnde Erfindungen noch den Jahren, den Jahrzehnten vor dem Weltkrieg [an]: die Kinoapparatur, das Automobil, das Flugzeug; 1965 Kosmos I 2 Das bietet den Vorteil, daß die durch die Apparatur laufende Flüssigkeit während des ganzen Arbeitsganges nur mit diesem einen Werkstoff in Berührung kommt; i 966 Urania XI 20 Intensivpflegestationen . ., auf denen diagnostische und therapeutische Apparaturen . . zum Einsatz kommen; 1967 Bild d. Wiss. II 131 eine moderne Forschungsapparatur; Schädlich 1977 Nähe 15 die Maschinerie unter, über und hinter der Bühne, jene verästelte Apparatur, die in der Hand geschickter Leute jedes gewünschte Bild herzustellen vermag; Sloterdijk 1983 Kritik 258 Die Atombombe . . eine perfekte, losgelöste souveräne Apparatur; Zeit 18.1.1985 im Moment ist es so, daß ich besser Kopfrechnen kann als meine Kinder, aber dafür meine Kinder mit Hilfe der elektronischen Apparaturen . . ihre wissenschaftlichen . . Aufgaben in einem Sinn lösen, der mir verschlossen ist; MM 13.4.1985 daß technische Apparaturen in den menschlichen Körper eingepflanzt werden, ist jahrzehntealte Routine; Zeit 13.9.1985 dafür können Laserapparaturen entweder auf Raumstationen oder auf Berggipfeln installiert werden; MM 24.10.1985 die Versuchsapparaturen werden je

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Apparat

nach Bedarf mit elektrischer Energie, perfektem Vakuum oder kühlender Luft bzw. Wasser versorgt; Spiegel 7.12.1992 gewaltige Apparaturen und hohe Drücke sind für die Diamantenzucht gar nicht erforderlich; Süddtsch. Ztg. 22.9.1993 Er [Uwe Timm] untersucht die schreibtechnischen Apparaturen wie Tisch, Stuhl und Lampe, Stehpult, Kniehocker und Sessel, Schreibmaschine, Feder und Papier, . . er lobt den Computer. Apparat 4: Goethe 1790 Morphologie (WA II 8,239) so daß der Augapfel als ein abgesondertes Glied an einem etwaigen Nervenapparat erscheinen müßte; ders. 1821 Er. (WA IV 35,27) Vor dem vorderen Keilbeine, behaupte ich, liegen noch drey Wirbel . . Unsere tüchtige Urmutter konnte ihr herrlichstes Werk nicht mit dem Gehäuse, Gewölbe, dem Wohnsitz der Intelligenz stumpf abschließen; so bald dieß nach innen geschehen war, mußte sie Verhältnisse, Bezüge, Verbindung nach außen erschaffen und da brauchte sie keinen geringen Apparat; diesen legte sie dem Einsehen, dem Wollen, als dienende Glieder vor und bedurfte hiezu abermals einige Lebenskeimpuncte; Hartmann 1869 Philosophie 127 dass der ganze Apparat des motorischen Nervensystems .. in den Organismus eingeschaltet sein müsse; Nordau 1881 Paris I 33 Krankheiten des Verdauungsapparates und Nervensystems; Kleinpaul 1892 Sprache 18 Die Schallwellen müssen auf die Endapparate unserer Gehörnerven gleichsam verpflanzt werden; Ganghof er 1895 Hubertus 382 In der Bruckner-Mali schien der empfindliche Apparat zu versteinern, mit dem die Menschenkinder zu denken pflegen; Freud 1911—24 Metapsychol. Sehr. 13 Das Denken wurde mit Eigenschaften ausgestattet, welche dem seelischen Apparat das Ertragen der erhöhten Reizspannung während des Aufschubs der [motorischen] Abfuhr [des Handelns] ermöglichten; ebd. 46 Wenn wir dann finden, daß die Tätigkeit auch der höchstentwickelten Seelenapparate dem Lustprinzip unterliegt; Münsterberg 1914 Psychotechnik 285 Disziplinierung des seelischen Hemmungsapparates; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 141) auch der nervöse Apparat der Tiere vermag ja dergleichen Ereignisse vorund mitzufühlen; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 367) Ihr Außenhirn, . . ontogenetisch ganz desselben Ursprungs wie der Apparat für die sogenannten höheren Sinnesorgane da oben in Ihrem Schädel; das zentrale Nervensystem; Döblin 1929 Alexanderplatz 27 Die sexuelle Potenz kommt zustande durch das Zusammenwirken 1. des innersekretorischen Systems, 2. des Nervensystems und 3. des Geschlechtsapparates . . Durch den von ihr [von der Keimdrüse] bereiteten Stoff wird der gesamte Sexualapparat von der Hirnrinde bis zum Genitale

geladen; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 126) ein Apparat der Selbstvexierung, der wahrscheinlich nicht ohne die Einwilligung geheimer Bewußtseinsinstanzen am Werke ist; FAZ 13.12.1965 Störungen des Gleichgewichtsapparates im Innenohr; 1972 Urania VI 42 die . . Entstehung des genetischen Apparates; Zimmer 1986 RedensArten 98 Die Theorie nahm ja an, daß „Wünsche" irgendwo im Körper entstehen, von dort ihren Weg in den psychischen Apparat finden; Zeit 22.5.1987 noch anstrengender ist es für sie [die Gehörlosen], den ungeübten Muskelapparat ihrer Sprechwerkzeuge zu präzisieren auf spezifische Laute, die sie nie akustisch kontrollieren können; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 707 Gleichzeitig beschäftigten sich im 18. Jh. Mediziner und Biologen, besonders Physiologen, mit den biologischen und physiologischen Eigenschaften des menschlichen Wahrnehmungs- und Empfindungsapparates. Apparat Sa: Marx 1847 Die moralisierende Kritik (MEW IV 345) Das politische Göttertum mit seinem Apparat und seinen Abstufungen hat so die profane Welt gemacht; ders. 1852 18te Brumaire (MEW VIII 202) Die Steuer ist die Lebensquelle der Bürokratie, der Armee, der Pfaffen und des Hofes, kurz, des ganzen Apparats der Exekutivgewalt; Engels 1860 Savoyen (MEW XIII 573) Herr Orges von der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" setzte seinen sämtlichen strategischen Apparat in Bewegung, um darzutun, daß Deutschland ohne den Po und den Mincio verloren . . sei; Gildemeister 1873 Aus d. Tagen Bismarcks 136 Verwaltungsapparat; Bebel 1883 Frau 546 der ganze politische Apparat; Unruh 1893 Kleinbahnen 8 [der] Verwaltungsapparat des Staates; Ziegler 1903 Kultur 4 Er wird ferner geneigt sein, die Tatsache eines überpersönlichen Staatsapparats, welcher den Einzelnen immer mehr von allen mehrseitigen Betätigungsweisen befreit, als ein grosses Glück zu schätzen; 1908 Zukunft LXIV 425 Der „Beamtenapparat" (da Ihr das scheusälige Wort nun einmal liebt) wird nicht weniger Geld fressen, sondern mehr. Viel mehr; Scherr 1909 Kulturgesch. 696 welch menschenunwürdige Behandlung solche [sittenpolizeiliche] Kontrolle durch einen entseelten Beamtenapparat mit sich bringe; Birt 1910 Provence 118 daß im Jahre 1016 der Erzbischof Pontius von Arles den kirchlichen Apparat um eine neue Quelle des Geldgewinns bereichert hatte; Rathenau 1917 V. kommenden Dingen 304 so ergeben sich Folgerungen, die den parlamentarischen Apparat aus einem notwendigen Übel in einen entwicklungsfähigen und fruchtbaren Organismus verwandeln; Th. Mann 1927 Reden u. Aufs. (W. X 676) es genügte nicht, daß ein Stab von Lektoren

Apparat und Korrektoren, ein Heer von Übersetzern durch den Apparat in Brot gesetzt würde; Tucholsky 1929 Deutschland 154 Er war Offizier gewesen, er hatte einmal gewagt, an der Gottähnlichkeit des militärischen Apparats zu zweifeln; Voss. Ztg. 29.8.1931 Des weiteren werde . . geprüft werden müssen, inwieweit der Behördenapparat mit Rücksicht auf die zukünftige Finanzlage noch aufrecht erhalten werden könne; Lokal-Anz. 21. 2.1933 Die Regierungen vor Dollfuß .. waren stur und monoman nach dem Ziel gerichtet, im „Apparat" zu bleiben. Was mit diesem Regierungs- und Staatsapparat zu geschehen hätte, welche tatsächlich großen Ziele verwirklicht werden sollten; Th. Mann 1934 Reden u. Aufs. (W. XI 446) Korrekturen an dem demokratischen Apparat, der sich unter den heutigen Zeitumständen zuweilen als zu schwerfällig erweisen mag; Feuchtwanger 1935 Söhne 287 [die Staatsreligion] ist nicht nur eine Ideologie, sie ist ein Bestandteil des politischen Apparates; Tagesbote 13.4.1937 weil der amtliche Apparat unüberlegt und mit Verspätungen funktioniert; Fallada 1947 Jeder stirbt 410 Escherich . . hoffte . ., daß die andere Umgebung, der Aufmarsch der SSMänner, dieser ganze drohende Apparat den einfachen Mann einschüchtern . . wurde; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 487) das Groteske war der gewaltige Apparat wissenschaftlicher Zeugenschaft, den man aufgeboten hatte, um den Humbug als Humbug, als skandalösen Affront gegen die Wahrheit zu erweisen; Süddtsch. Ztg. 18.1. 1951 Als man in Bonn begann, sich unter dem Notdach der Bundesrepublik einzurichten, durfte man annehmen, daß alles daran gesetzt würde, um einen möglichst arbeitsfähigen, aber kleinen „Apparat" aufzubauen; 1955 Urania II 54 [die Vereinigte Niederländisch-Ostindische Kompanie] entfaltete einen weitverzweigten militärischen und diplomatischen Apparat; Strittmatter 1957 Öle Bienkopp 122 „eine Bauerngemeinschaft neuer Art" . . „Ist so ein Apparat erlaubt?"; Jaspers 1958 Atombombe 386 der einzige totalitäre Apparat . . erstickt die menschliche Freiheit; Offenburger Tagebl. 21.11.1959 Wir wollen keine sterile, engstirnige Bürokratie, keinen „Apparat", sondern eine lebendige, aufgeschlossene Beamtenschaft, die ihre Aufgaben mit Mut und Initiative anpackt und löst; Schaüück 1959 Reineke 242 Sollen wir gegen die Staatsmacht und den heißgelaufenen Apparat der Partei angehen?; Hobsbawm 1962 Sozialrebellen 129 Die neue ländliche Bourgeoisie benützte .. den legalen und illegalen Apparat der feudalen Grundbesitzer zumindest ebensosehr wie den modernen Apparat des merkantil orientierten kapitalistischen Großbauern oder Gutsherrn; Bernhard 1967 Verstörung 98 Im Grunde . . ist das Forstische heute auch nur noch eine Wirtschaftswissenschaft,

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wenn nicht gar reine Naturwissenschaft. Alles ist eine Wissenschaft heute . . Alles ist ein riesiger wissenschaftlicher Apparat; St. Heym 1969 Lassalle 314 ökonomisch, administrativ, politisch muß dieser Staat, den Sie da errichten wollen, notwendigerweise zu einem ungeheuren bürokratischen Apparat werden, grau, langweilig, tödlich; Dülmen 1977 Reformation 16 Die Förderung einer Bürokratie mit funktionierender Verwaltung und einem Beamtenapparat; Sloterdijk 1983 Kritik 96 Staaten sind immer auch Zwangsapparate; Zeit 22.3.1985 wie in einer Gesellschaft oder einem Staat Vernunft nur um die Bedingung der Offenheit zu haben ist, so muß auch der Informations-, Analyse- und Denkapparat einer Unternehmung offen und genutzt sein, damit falsche Entscheidungen vermieden werden können; ebd. 21.6.1985 eine Erzählung, die den Bürokratismus im Parteiapparat [Chinas] bloßstellte; ebd. 9.1.1987 wenn man sich bei den beiden großen Parteien die Führungspersonen, die politischen Apparate, den ganzen politischen Betrieb . . wegdenkt, bliebe immer noch genug übrig: die Masse ihrer Mitglieder; Strauß/ Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 367 f. die Hilflosigkeit des Regierungs- und Polizeiapparates gegenüber dem Terrorismus bloßzustellen; Stern 31.5.1990 Mittag hatte in seinem Bereich einen ganzen Apparat aufgebaut, der die Medien beschnüffelte und bedrängte; Spiegel 11.6.1990 Die Bürger der DDR haben sich . . von der Bespitzelung durch den Sicherheitsapparat befreit; Süddtsch. Ztg. 10.9.1993 Der zentralistische Tourismusapparat kassierte die ehemals privaten Hotels, Kurinstitute und Casinos. (ver)apparatisieren: Jaspers 1958 Atombombe 302 die heute sich steigernden und vervielfachenden Organisationen der Apparate gipfeln in den Spitzen, an denen zwar Menschen am Steuer stehen, aber solche, die selber dem Apparat unterworfen, „apparatisiert" sind; ebd. 385 unser Zeitalter zeigt ein Planen, Organisieren, Verapparatisieren, das . . das gesamte menschliche Dasein in sein Drahtnetz einzufangen, zu durchdringen sucht und auf dem Wege ist, es als menschliches Dasein zu töten. Apparatismus: FAZ 1956 Nr. 51 Heuss regte an .. In der neuen Schule sollten Menschen, die guten Willens seien, mit dem Apparatismus des gesellschaftlichen und des staatlichen Seins vertraut gemacht werden. Apparatschik: Süddtsch. Ztg. 9.3.1953 Es mag sein, daß Malenkow ein Apparatschik bleibt, ein Manager unter Funktionären; Tritsch 1954 Erben 200 wo ein „Apparatschik" über [die] Ausführung von Fünfjahresplänen wacht; Münch. Abendztg.

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19.10. 1955 Hüten wir uns vor den Apparatschikü; ebd. Der richtige Apparatschik denkt nur, wenn er sich verantworten muß; Kantorotvicz 1959 Tagebuch I 13 daß . . Faschismus und Barbarei hinter uns wieder auferstanden waren . . in den Amtsstuben der Apparatschiks; Offenburger Tagebl. 12.11.1959 Die Apparatschiks der Parteien und Wählergruppen sitzen über den absoluten, Vergleichs- und Prozentzahlen; Süddtsch. Ztg. 5.5. 1961 Die alten Apparatschiks haben abgewirtschaftet; ebd. Die Generation, die den Stalinismus nur noch als Kinderschreck kennt, . . beginnt, die dienstbeflissenen Apparatschiks von früher zu verdrängen; Habermas 1962 Strukturwandel 243 gelangt eine größere Zahl von eigentlichen Parteifunktionären (Apparatschiks, Propaganda-Experten usw.) . . ins Parlament; Süddtsch. Ztg. 31.12.1965 Gerhard Schürer .. ist ein „junger Mann", kein Apparatschik wie Alfred Neumann; ebd. 16.12.1992 Sinn und Form, . . [die] Kulturzeitschrift, die Peter Huchel . . herausgab und die durch die Qualität der dort versammelten Autoren europäisches Format hatte — den Kulturapparatschiks ein Pfahl im Fleisch; Spiegel 1.11.1993 Die Geldgeber in der gewendeten Kulturszene sind ehemalige Apparatschiks aus Partei und Geheimdienst, die wie früher ihr Fähnchen in den Wind hängen. Apparatur: Mehring 1927 Paris 129 Dann verschwand ja damit die ganze Herrlichkeit und Apparatur der Kirche; 1933 Volk u. Reich 199 [der] bürokratischen Apparatur reiner Staatswirtschaft; Bergengruen 1933 Feuerprobe 69 noch war die Persönlichkeit nicht von der Apparatur [des Staates] bedroht; Dtsch. AZ. 12.1.1935 weil gewisse Apparaturen keine günstigen Lebensbedingungen dafür [für Menschlichkeit] liefern; Benjamin 1937 Er. 760 Ich spreche . . vom modernen Staatsbürger, der sich einer unübersehbaren Beamtenapparatur ausgeliefert weiß; Guardini u. a. 1954 Verantwortung 66 dass er [der Student] sein Interesse zu rasch und zu direkt den politischen Apparaturen zuwendet, der Staatsführung, den Parteiapparaten und anderen Machtpositionen, zu denen er . . einen Zugang zu finden hofft; Eppelsheimer 1955 Schild 60 die Zivilisation . . nicht mehr wäre als Technik,. . nicht mehr als die seelenlos funktionierende Apparatur; jaspers 1958 Atombombe 90 der Ausbau dieser ganzen gigantischen Apparatur der Gewalt; Welt 20.8.1959 dieser Zustand mag für die Verwaltungsapparatur erfreulich und bequem sein, unserem Volke ist er jedoch keineswegs dienlich; Adorno 1960 Reden 51 Schwerlich erklärt die immanente Expansions- und Verselbständigungstendenz von Verwaltung als bloßer Herrschaftsform allein den Übergang von Verwaltungsapparaturen

älteren Wortsinns in solche der verwalteten Welt; Heuss 1963 Erinn. 365 dann wurde . . die Apparatur der plebiszitären Gesetzgebung in Bewegung gebracht; ebd. 383 das damalige Wahlrecht, das aus dem Proporz eine mechanistische Ziffernapparatur mit Herabsetzung der persönlichen Wirkkraft gemacht hatte; Offenburger Tagebl. 2.2. 1965 dem Soldaten, der sich der Apparatur einer anonymen Staatsgewalt gegenübersehe, das Bild zu geben, daß sich diese Staatsgewalt um ihn bemühe; Welt 7.5.1966 Es ist die Gesellschaft vom Reißbrett, organisiert und diszipliniert durch eine bürokratische Apparatur, aber bar des humanitären Gehalts sozialer Bewegungen; Zeit 5.12. 1986 die Legalität ist nun einmal der Funktionsmodus, nach dem die moderne Staatsapparatur verfährt; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 380 Totalitarismus als . . Formen politischer Herrschaft . ., die besonders in der Tendenz nach dirigistischer Lenkung und zentralistischer Gleichschaltung sowie in der bürokratisch abgesicherten, monopolistischen Kontrollapparatur des totalitären Staates . . zum Ausdruck kommen. Verapparatung: Hofer 1956 Gesch. 170 durch Funktionarismus und Verapparatung neu heraufkommenden Menschentypus; Stuttgarter Ztg. 5.5.1960 [Gebser] meint, es sei eine falsche Annahme, daß der Begriff des Staats unterminiert worden sei von der angeblichen Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft, in deren Folge dann auch die „Verapparatung" des Menschen durch den „Apparat" sich ergeben habe. Apparat 5b: Mommsen 1896 Reden u. Aufs. 455 alle Hirten und Ziegen, und der ganze Apparat der Schäferpoesie werden aufgeboten, um mit dem böslich Verlassenen zu weinen; Kretzer 1913 Stehe auf 49 Was er [der Großstädter] bisher aus eigener Anschauung nicht kannte, das hat er bereits aus der Lektüre und aus Bildern geschöpft. Dieser Bildungsapparat, der sich heute über die ganze Welt erstreckt, ist so eindringlich; 19J3 Z.Dtsch.Spr.Ver. XI 352 Souffleuse, Friseuse und Requisiteuse, Obergarderobiere und Billetteuse, Inspizient, Korrepetitor und Pianist, Maschinerieinspektor und Hausstatist, Der ganze Apparat schafft von früh bis spät, Auf daß die Premiere in Szene geht; Münzel 1925 Patina 10 Es ist mit dieser Ungleichheit [der Kulturen] nicht die des äußeren Apparates, die bunte Mannigfaltigkeit verschiedener Völker und Zonen gemeint, sondern eine innere, wesenhafte Ungleichartigkeit; Feuchtwanger 1930 Erfolg 596 Die Oper Wagners erforderte einen umständlichen szenischen Apparat; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. XI 432) ob nicht eine [solche internationale geistige] Instanz wünschenswert . . ist, . . um

Appartement eine Kontrolle auszuüben über den technischen Unterhaltungs- und Bildungsapparat unserer Zeit, seine Verwilderung zu verhüten; Zeit 21.3.1986 bei Malewitsch oder Schlemmer aber wurden die Schauspieler vollends zu Marionetten, zu beweglichen Skulpturen, zum Teil des mechanischen Bühnenapparates; MM 7.5.1987 für Samuel Bächli . ., den Dirigenten des Philharmonischen Orchesters der Stadt Gelsenkirchen, der den komplizierten Apparat prächtig zusammengehalten hatte und obendrein noch für ein rhythmisch und farbig stimmiges Monteverdi-Spiel sorgte; ebd. 31.7. 1987 der musikalische Apparat: Mozarteum-Orchester, Wiener Singverein . . hatte es schon akustisch schwer genug; ebd. 7.10.1987 Segerstam riß den Apparat immer wieder zu bombastischen Aus

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brüchen hoch; ebd. 16.5.1988 zudem hat er als Chef der Kölner Oper . . einen großen Apparat bereit und ist auch sonst fest „drin" im internationalen Musikgeschäft. Apparat 6: Borchert 1947 Draußen v. d. Tür 166 Wozu laufen Sie eigentlich mit diesem nahezu grotesken Brillengestell herum? . . Das ist ja ein ganz toller Apparat, den Sie da auf der Nase haben; Strittmatter 1957 Wundertäter 418 ein Apparat von Frau; Stave 1964 Leute 194 Küpper hat versucht, die unübersehbare Fülle umgangssprachlicher Ausdrücke .. zu sammeln . . Ausdrücke .. für Mädchen: Biene, Bombe (Sex-Bombe), Krücke, Lusche, Apparat, Traumpuppe.

Appartement N. (-s; -s, Pl. früher auch -en, Schweiz, auch -e), Anfang 17. Jh. vereinzelt, seit spätem 17. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus frz. appartement 'aus mehreren Zimmern bestehende Wohnung, Zimmerflucht' (< gleichbed. ital. appartamento, zu appartare 'absondern, trennen', zu a parte 'für sich, gesondert, getrennt', zu parte < lat. pars; —> apart), anfangs auch in den Schreibungen Apertement, Appartment und in der ital. Form. a Zunächst in der Bed. 'aus mehreren Zimmern bestehende Wohnung, Zimmerreihe' (s. Belege 1687, 1699, 1819, 1861), auch 'privater Wohnbereich innerhalb eines größeren Gebäudes' (s. Beleg 1606), dann, meist im Sing., auch für 'eingerichtetes Einzelzimmer' (s. Belege 1723, 1731); seit Ende 19. Jh. zunehmend in der Bed. 'kleinere, aber viel Komfort bietende Wohnung' (gleichbed. mit Apartment s. u.), seit früherem 20. Jh. auch im Sinne von 'mehrere miteinander verbundene Zimmer in einem Hotel mit mindestens einem Wohnraum, Schlafraum, Vorraum und Bad; Zimmerflucht' (weitgehend gleichbed. mit—+ Suite 2c; s. Belege 1930, 1949, 1961), häufig als Grundwort in Zss. wie Einzimmer-, Ferien-, Luxus-, Miet- und Hotelappartement, b Im 17./l8. Jh. gelegentlich in der Bed. 'Versammlung eines engeren Gesellschaftskreises in den Zimmern einer fürstlichen Person (oft zum Zwecke des Spiels), Festlichkeit'. c Im 18./19. Jh. selten verhüllend verwendet für 'Toilettenraum'. Daneben seit frühem 20. Jh. das aus amerikan.-engl. apartment 'Wohnung, Etage' (< frz. appartement, s. o.) übernommene Subst. Apartment N. (-s; -s), auch in den frz. beeinflußten Schreibungen Ap(p)art(e)ment, in der Bed. 'luxuriöse Klein(st)wohnung in einem (modernen) Mietshaus, meist bestehend aus einem Zimmer, Bad, Küche oder Kochnische', bes. in der Zs. Apartmenthaus (auch in der Nebenform Appart(e)menthaus) 'Mietshaus mit mehreren Kleinwohnungen', lehnübersetzt aus gleichbed. engl. apartment-house; in neuerer Zeit selten euphemistisch für —> Bordell gebucht (zu a). Appartement a: Dietrichstein 1606 Bericht (Hammer-Purgstall II 36) haben wir Jn einem Appartemendt des Schloß etliche Frauen herauß schauen gesehen (JONES); 1687 Nordischer Mercurius XVII 8 und ein grosses Pavilion mit unterschiedli-

chen Apartementen (BRUNT); Elis. Charl. 1695 Br. l 50 Es ist spät, ich muß nüber ins apartement; dies. 1696 Br. I 63 sie soll nun in mad. de Guisse apartement logiren, weillen es so gar nahe bey mir ist; 1699 Remarques XII 90 Die Gemächer und

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Appartement

Apartemens sind von solcher Grosse und Pracht (BRUNT); Winterfeld 1700 Politica U 282 In einem Vor-Saal des Appartements von der Königin (BRUNT); Kurfürstin Sophie 1709 Er. a. König Friedrich I. 181 Es ist ein gut apartement express vor I. K.H. undt dero gemahlin in dem schloss gebaut; Fleming 1719 Jäger 31 Sa Es gehöhret aber zu solchem Hauß . . ein Apartement vor die frembden Leute; Lünig 1720 Theatrum cerem, U 1449 b er wird sodann in das Appartement der Sultanin geführt; 1721 Recueil XXIV 103 f. Jn dem ändern Stockwercke sol sich finden . . 8 apartements (BRUNT); Zschackwitz 1723 Karl VI. 523 Gegen neun Uhr fanden sich die Herren Churfürsten auff dem Römer ein, woselbst ein jeder sein Apartement zu dessen Ankleidung fand; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 81 alle Tapeten, Stühle und ander Meublen, die in den Apartemens des vorigen Papstes auf dem Quirinal standen; Schnabel 1731 Felsenburg I 32 Ich muste, nachdem ich mich in mein apartement begeben, über die heute gespielte Comoedie hertzlich lachen; Florin 1749 Hausvater U 384 b In einem vollständigen Haupt-Zimmer oder Appartement muß zum wenigsten ein Vorgemach, ein Cabinet oder Wohngemach, ein Schlaf-Gemach und eine Garderobe seyn; Weinlig 1784 Br. II 7 Sie werden in verschiedene Apartamenti eingetheilt, von welchen ich zuerst in die Apartamenti Pontificii . . geführt wurde; 1787 Dtsch. Museum I 39 eine kleine Reihe von Zimmern; wegen des Bades, das Appartement der Grotte genannt; Laukhard 1792 Leben I 139 so ließ ich mich denn auch vom Satan blenden, und gieng mit ihr [dem artigen Geschöpfchen] in ein apartement; Foote 1798 Nabob. (Übers.) IV 260 das sind noble Apartementer!; Brandes 1807 Lebensgesch. II 28 an den Tafeln und in den Apartements wirklicher Standespersonen; Goethe 1808 Br. (WA IV 20,25) In meines Vaters Hause, sage ich mir, sind viele Appartementer; 1813 — 15 Prinzenbr. 66 Deine Apartements stehn leer und öde; Grillparzer 1819 S. W. XIX 243 Mein Zimmer, das ich statt eines mir angetragenen ganzen apartamento wählte, ist freundlich und hell; Lewald 1836 Aquarelle II 124 und oft wochenlang sein Appartement nicht verläßt; Hebbel 1844 S. W. Ill 3,145 der Custode führte uns . . durch die . . Appertements[!] des Königs und der Königin; Grillparzer um 1850 S. W. XIX 92 Ich erhielt demzufolge ein artiges Appartement von mehreren Gemächern; Hebbel 1861 S. W. Ill 7,17 Von der Vorlesung des dritten Teils der Nibelungen, die ich gestern Abend . . in den Apartements der Großherzogin gehalten habe; Holtet 1863 Letzte Komödiant I 23 bei schlechtem Wetter suchten sie solche [Zerstreuungen] im Anblick der stündlich wahrzunehmenden Fortschritte, welche die Ausstattung

ihrer Apartements machte; Derblich 1889 Militärarzt l 106 in einem eigenen Appartement eines grossen Hotels; 1895 Aus grosser Zeit 475 „Schlaf-Appartemangs" [!] der Herren Offiziere; Wölfflin 1897 briefl. a. Burckhardt (Burckhardt - Wölfflin Briefw. 121) Ich habe in Rom . . ein kleines Appartamento genommen; 1903 Grenzboten III 119 Das Appartamento Borgia ist seit ungefähr vier Jahren dem Publikum wieder zugänglich; Brachvogel 1915 Gauklerin 167 ein kleines, behagliches Appartement mieten; Chledowski 1915 Italien (Übers.) 73 es geschah nicht selten, dass sie [die Nonnen von Santa Zaccaria] ihr eigenes kleines Appartamento in stillen Seitengäßchen hatten, um ihre Verehrer ungestört empfangen zu können; Voss. Ztg. 18.4.1930 Rainer Maria Rilke saß im Hotelappartement einer befreundeten deutschen Familie; Münch. N. N. 14.5.1939 Zimmer mit zehn bis fünfzehn Mann gelten als vornehme Appartements gegenüber den großen Schlafsälen, wo vierzig und fünfzig Mann Unterkunft finden müssen; ebd. 10.8.1940 Muß man noch betonen, daß die Wohnräume der Gefolgschaft mit der gleichen Sorgfalt und Liebe ausgestattet sind wie die Gastzimmer oder die „Apartements" bedeutender Besucher?; Stuttgarter Nachr. 10.1.1949 Professor Bonatz propagierte vor 20 Jahren das sogenannte „Appartementhouse", das Wohnhotel; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 496) in einem solchen Hause also war ich seit kurzem Aftermieter bei einer freundlichen, mir wohlgeneigten älteren Witib, die die Hälfte der zweiten Etage, ein Appartement von vier Zimmern, bewohnte; Stuttgarter Ztg. 20.3. 1961 Nach monatelangen Erwägungen hat der Radolfzeller Gemeinderat die Errichtung eines Appartement-Hotels auf der Halbinsel Mettnau überraschenderweise abgelehnt; Welt 4. 7.1964 im Asthmabad Lippspringe bauen wir Eigentums- und Mietappartements; ebd. 22.10.1964 mit kleinen Küchen samt Koch- und Eßgeschirr ausgestattet hat ein Hotel in Engelberg . . seine Appartements; Bildztg. 26.5.1967 ihre offenherzigste Pressekonferenz gab Jayne Mansfield (35) gestern in ihrem Luxusappartement im Stockholmer Hotel; Welt 2.8.1969 l Zimmer Appartement Eigentumswohng.; ebd. Privatmann verkauft direkt sein Appartement m. 2 Zi., Aufenthaltsraum, Badezi., Küche, WC, Zentralheizg., Fahrstuhl, Telefon (Anzeige); MM 2.5.1985 auf die konkrete Frage, welche Freizeitaktivitäten am meisten schadeten, setzten 58 Prozent der Befragten die Landschaftszersiedelung durch Wochenendhäuser, Hotels und Ferienappartements an die erste Stelle; Zeit 26.4. 1985 als Rückzugsmöglichkeit und Ausweichquartier aber hat sie sich ein Appartement in der Stadt eingerichtet; MM 13. 7.1985 die meisten jungen

Appeal Paare müssen . . drei und mehr Jahre auf ihr eigenes Appartement warten und dann sind die Verhältnisse auch noch sehr beengt; ebd. 4. 4.1986 ein schick gestyltes Appartementhaus mit Fahrstuhl und Wendeltreppe; Zeit 15.5.1987 dann reist sie in die Alpen, wo ein Freund ein leerstehendes Appartement besitzt; MM 13.6.1987 das Haus .. umfaßt 20 Appartements mit Wohn- und Schlafbereich inklusive angrenzendem Bad; ebd. 19.3. 1988 ferner sollte es ein Servicehaus mit einer Appartementgliederung geben. Apartment: Voss. Ztg. 15.8.1928 Als erstes seiner Gattung in Paris ist soeben das Hotel Royal Malesherbes, ein Apartementhotel in amerikanischem Stil, . . eröffnet worden; 1928 Die Dame l.Okt. h. 42 Ein größeres Apartment oder ein eigenes Häuschen erfordert ein sehr großes Einkommen; Voss. Ztg. 8.4.1929 Das neue Haus wird kein Hotel im üblichen Sinne sein, sondern ein AppartementHaus werden. 250 kleine, in sich abgeschlossene Wohnungen mit etwa 400 Betten sind vorgesehen für Gäste, die zum längeren Aufenthalt nach Berlin kommen. Jede dieser Wohnungen wird neben dem Wohn- und Schlafzimmer einen Nebenraum, ein Bad mit Toilette und einen Vorraum erhalten; Langewiesche 1933 Abenteuer 62 Apartment 1135, d. h. apartment 35 auf dem XI. Stock; Clemen 1941 Lob 13 in den neuen Apartmenthäusern; Köpke 1948 Gesellschaftskrisis 23 Die Bewohner eines grossen Appartementhauses sind sich völlig fremd; NZ. (Basel) 26.3.1950 In London wurden . . Apartmenthäuser oder Heime geschaffen; N. Z. Z. 30.4.1954 Unbegreiflich ist es, daß gegen den allzu rentablen Umbau von Althäusern in Apartmenthäuser keine einschränkenden Bestimmungen mehr bestehen; Süddtsch. Ztg. 14. 8.1957 Auf dem alten Grundstück . . ist . . Schwabings größtes Appartementhaus entstanden; Mtinch. Stadtanz. 5.9.1958 Es trug daher wesentlich zur Auflockerung der Wohnungsnot bei, daß die Stadt . . große Wohnblöcke mit 240 bzw. 200 abgeschlossenen Appartements errichteten; ebd. 26.5. 1961 Sehr luxuriöse l- und l 1/2-Zimmer-Appartements entstanden 1960 in großer Zahl; Welt 11.6.1974 es enthält 20 komplett eingerichtete Apartments; ebd. 28.12.1974 Preisbeispiel: Apartment mit 41 qm ab DM 210800,-; Zeit 13. 9.1985 in Oslo . . sprießen heute die Edel-Boutiquen und Restaurants aus dem Boden; Apartment-Häuser klettern die umliegenden Berge empor; MM

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14.2.1986 diese Einrichtung . . erhielt 1982 neue Gebäude, modern gestaltet, behindertengerecht ausgestattet, mit insgesamt 90 Plätzen in 21 Apartements; Süddtsch. Ztg. 21.12.1992 Witzigmann hat das Pech, eine gestreßte deutsche Berühmtheit zu sein, was dazu geführt hat, daß auf Grund einer Denunziation kürzlich im Morgengrauen sein Appartement gestürmt wurde, wo auch prompt 6 Gramm Kokain gefunden wurden; Spiegel 1.11. 1993 Im Herzen des Bonner Regierungsviertels . . wohnen 134 Bundestagsabgeordnete in Ein-Zimmer-Apartments mit Balkons. Appartement b: Elis. Charl. 1696 Br. l 55 den gantzen nachmittag werden wir mitt dem könig auff die falckenjagt reiften undt abendts wirdt apartement sein; dies. 1699 Br. I 174 Hertzliebe Louisse, dießer ort hir ist der, wo ich ahm wenigsten zum schreiben gelangen kan wegen der viellen jagten, commedien und apartements; Earth 1734 Tagebuch 153 Sodann ist bei Hof auf S. kurfstl. D. Ordre ein Appartement und Ball gewesen, wobei sich sowohl Französische als Kaiserliche Offiziere einfanden; 1736 Karlsbad 104 in diesen 1723. Jahr [ist] . . die . . Krönung beeder Regierender . . mit grossen Appatementen und allgemeinen Applauso .. vollzogen worden; 1741 Stats-u.Gel.ztg. (Hambg.) l 116,3a Abends war Apartement bey Ihre Majestät der Königin; Musäus 1787—88 Volksmärchen I 26 Man nahm das Mittagsmahl ein, nachher war Apartement und Spiel; 1787 Journal d. Moden H 89 die ehemaligen sogenannten Hofkleider und Apartementskleider der Damen. Appartement c: Edelmann 1752 Selbstbiographie 169 mein künftiges Stübchen, in welchem noch ein verschlossenes Cabinetchen war, das zu meinem Apartement dienen solle; Borne 1832 Br. a. Paris (Ges. Sehr. V 12) Die Kellnerin kam herauf und sagte mir: sie hätte meinem Bedienten ein ganz gutes Zimmer angewiesen, er verlange aber ein Appartement. Ich ließ ihn rufen, und fragte, was das sein sollte? Da fand sich denn, daß er die bescheidenste Forderung gemacht und die unschuldige Neugierde zu befriedigen gesucht, der kein Mensch . . lange widerstehen kann. Als feiner Nordländer war er gewohnt, das unartige Ding Appartement zu nennen; Spitzer 1880 Wagn. 89 Michelina [war] ein altes Weib, welchem in dem Gasthofe in Bastia . . die Reinigung gewisser zwar heimlicher, aber dennoch stark benutzter Appartements oblag.

Appeal M. (-s; ohne PL), im früheren 20. Jh. entlehnt aus engl. appeal 'Appell, Anruf bei Gericht; Hilferuf; Mahnung; Anziehungskraft, Attraktivität' (< frz. appel; —» Appell), vereinzelt in der Nebenform Appell (—* Appell 4).

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Appeasement

Überwiegend auf Personen, aber auch auf Sachen und Sachverhalte bezogen in der Bed. 'Anziehungskraft, Attraktivität, Reiz, Charme, Ausstrahlung, Flair, das gewisse Etwas' (—»· Attraktion), zunächst nur als Grundwort in der Zs. —> Sex-Appeal, seit früherem 20. Jh. auch als Simplex und in neuerer Zeit als Grundwort in Zss. wie Großmutter-, Studienrat-, Helden-, Rennwagenappeal, vgl. auch Snob-Appeal (—>· Snob) und Massenappeal 'Anziehungskraft für viele, ein breites Publikum', häufig in der Werbesprache verwendet; meist mit Bindestrich, gelegentlich (nach engl. Vorbild) getrennt geschrieben (s. Beleg 1963); nur vereinzelt als Bestimmungswort vorkommend (s. Beleg 1954). 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Sicher ist es, daß Lloyd George es fertiggebracht hat, daß die Frage der öffentlichen Arbeiten . . zu einer Streitfrage des Alltags geworden ist, die sich mit dem Namen seiner Persönlichkeit verbindet. Das vervielfacht ihren „appeal" für den Mann auf der Straße; Süddtsch. Ztg. 4. 6.1954 die Appeal-Helden finden sich wohl doch eher in den Romanen von Waugh; Spiegel 27.12.1961 Dem SPD-Pastor [Albertz] fehlt es nicht nur an dem vom BerlinVolk so geschätzten JungSiegfried-Appeal des demagogisch begabten Frontstadt-Führers (CARSTENSEN); ebd. 10.10.1962 Die großen Illustrierten, die bislang vom Appeal ansprechender Filmdamen zehrten, haben den Sex im eigenen Haus entdeckt (CARSTENSEN); Welt 22.6.1963 mit Hilfe des Body Appeals (CARSTENSEN); Spiegel 22.4.1964 Autos mit sportlichem Appeal (CARSTENSEN); Welt 6.1.1969 Ihm fehlt der Appeal beim Volk und besonders in der Partei; ebd. 19.6.1974 der IRA . ., der seit Jahren versucht, die religiöse Kluft zwischen protestantischen und katholischen Arbeitern durch ein neues Klassenbe-

wußtsein und durch einen betont marxistischen Appeal zu überwinden; Zeit 25.1.1985 Den Anti-Designern ging es vor allem ums Coole, ums Witzige und den spielerischen Appeal; ebd. 22. 2.1985 Seine Partei profitierte damals auch . . von . . dem Appeal Richard von Weizsäckers; ebd. 14. 2.1986 Kemp dagegen hat jenen schwer zu beschreibenden Appeal, der den Menschen vor der Kamera sympathisch erscheinen läßt; Lukoschik 1991 In u. Out 19 Wer hingegen seine Anti-UV-Gläser mit Hilfe eines neonoder sonstwie-farbenen Bändels am Hinterkopf fixiert, beweist Geschmacks-Absenz und rückwärtsgetragenen Peinlichkeits-Appeal; 1990 Petra XH 152 Der Demütiger hat mehr Appeal als der Gutmütige; 1991 Madame H 164 Leggings . . betonen den Appeal langer Beine bis zum geht nicht mehr; Ortheil 1992 Agenten 240 Eine Spur mehr Frauenappeal . . Nicht dieses Emanzengedruckse; 1992 Tempo X 124 den richtigen Studienrat-Appeal kriegt Frank Schirrmacher aber, wenn er sich doch einmal als Fürsprecher in die böse, sinnliche Welt der realistischen Literatur vorwagt.

Appeasement, auch appeasement N. (-(s); ohne PL), im früheren 20. Jh. entlehnt aus dem von Churchill 1938 geprägten gleichbed. engl. appeasement (< frz. apaisement 'Beschwichtigung, Beruhigung', zu apaiser 'beruhigen', zu altfrz. pais 'Friede' < gleichbed. lat. pax, Gen. pads}. Meist abwertend in der Bed. 'politische Nachgiebigkeit gegenüber der aggressiven Politik totalitärer Staaten zum Zweck der Friedenserhaltung, Beschwichtigungs-, Stillhaltepolitik', zunächst auf die (bes. im Münchner Abkommen von 1938 zum Ausdruck kommende) Außenpolitik der britischen Regierung hinsichtlich des nationalsozialistischen Machtstrebens bezogen (s. Belege 1942, 1945, 1974), dann auch auf vergleichbare politische Situationen übertragen (s. Belege 1950, 1953, 1967) und allgemeiner verwendet (s. Belege 1950, 1958); häufig in der Verbindung Politik des Appeasement bzw. in der Zs. Appeasementpolitik. Dazu etwa gleichzeitig die Personenbezeichnung Appeaser M. (-s; -) 'Person, die Beschwichtigungs-, Stillhaltepolitik betreibt', auch auf politische Parteien bezogen. Appeasement/appeasement: Th. Mann 1942 Nachtr. (W. X1H 178) jenes abscheuliche Spiel mit den Hoffnungen und Ängsten der Völker, das in dem

„appeasement" von München, mit „peace for our time" endete; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 989) Er [Roosevelt] ist der Repräsentant der kämp-

Appell fenden Demokratie . . und der Staatsmann, der zwischen Frieden und Appeasement wohl von jeher am klarsten unterschied; NZ.(Basel) 7.18.5. 1949 Die zwischen gedämpftem Optimismus und abwägendem Skeptizismus schwankende Grundstimmung . . läßt nirgends eine appeasements-Bereitschaft erkennen; Süddtsch. Ztg. 25. 9.1949 Die Politik des „appeasement" . . eben noch bejubelt, verfiel dem Fluch der Lächerlichkeit. Die Entwicklung von 1939 gab Winston Churchill recht; ebd. 17.10.1950 In Moskau herrscht gegenwärtig Sehnucht nach einer weltpolitischen Regelung, wie man sie im Westen mit einer schmerzlichen Erinnerung an Neville Chamberlains Illusionen über Hitler als „appeasement" . . bezeichnet; Weizsäcker 1950 Erinn. 221 Politik des appeasement, wie Winston Churchill das genannt hat; Röpke 1950 Mass 44 „Appeasement", d. h. Beschwichtigung eines gefürchteten und verhassten Monsters; 1950 Festschr. a. Thoma 126 die „appeasement"-Politik der 30er Jahre; 1950 Wort u. Wahrheit V 724 dass es im Kampf um die Wahrheit keine Kompromisse gibt und kein Appeasement, um damit gestaltlose, wenn auch taktisch nützliche Sympathien einzuhandeln; Süddtsch. Ztg. 24.1.1951 Gegenüber dieser Erwägung wird die Frage, ob ein Eingehen auf das neue chinesische Angebot ein „Appeasement" bedeuten würde, zunächst zurückgestellt; Hellpach 1952 Psychologie 28 ist . . das objektivierende „appeasement" in der innerchristlichen Auseinandersetzung erfreulich fortgeschritten; Neue Ztg. 30.1.1953 Als es .. zur Reichstagsabstimmung über das . . Ermächtigungsgesetz kam, sahen selbst bewährteste demokratische Parteien . . in einem innerpolitischen „Appeasement" den einzigen Ausweg; Süddtsch. Ztg. 12.8.1955 Das Faktum eines sowjetischen Sicherheitsbedürfnisses, das zu erwähnen vor zwei Jahren noch als unklug oder appeasement-verdächtig galt; Jaspers 1958 Atom-

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bombe 78 die Bequemlichkeit, sich der Mitverantwortumng zu entziehen durch illusionäre Erwartungen, durch sich selbst verschleiernden Daseinsgenuß (Beispiel: die Appeasement-Politik gegen das Totalitäre); Süddtsch. Ztg. 26.3.1959 Appeasement sagten die sorgenvollen Beschwichtiger . . Ein Wort stellt immer zur rechten Zeit sich ein, wenn es sich darum handelte, dem Ausharren in einer Zwangslage möglichst gefällige Namen beizulegen; ebd. 24.12.1967 In einem Communique hieß es . . Amerika betreibe gegenüber den Arabern eine „Appeasementpolitik", die geeignet sei, die arabische Feindseligkeit zu schüren; Welt 30.12.1974 Nicht geringer ist die Versuchung, sich mit Appeasement aus der Schlinge zu ziehen, nach dem Beispiel etwa jener Politik der damaligen Westmächte, die 1938 den tschechoslowakischen Kleinstaat geopfert hat, ohne daß sie damit ihr Problem gelöst hätte; Zeit 14.11.1986 Ihr seid auf Entspannung und appeasement aus, entwickelt Euch immer mehr zu Neutralisten und Pazifisten und tragt nicht genug zur gemeinsamen Verteidigung bei; Süddtsch. Ztg. 5.11.1993 Die Teenager . . brauchten aber kein Appeasement, sondern Führung; Zeit 25.2.1994 Von der Appeasement-Politik seines Lords und dessen Kollaboration mit den Nazis will er genausowenig wissen wie von der jungen Haushälterin. Appeaser: Münch. N.N. 21.10.1944 Nicht nur, daß Hoare der Gruppe der „Appeaser", der „Münchner Erfüllungspolitiker" zugerechnet wurde; Zeit 23.8.1963 Die SPD fürchtet, daß ein unbedachter Schritt in Richtung auf die Entspannung genügen könnte, die Sozialdemokraten in die Rolle der Appeaser, der Beschwichtigungspolitiker, zu drängen (AWB); Spiegel 26.9.1988 Appeaser Chamberlain blieb dabei — für die Tschechoslowakei sollte . . „niemand sterben" (AWB).

Appell M. (-s; -e), im späteren 17. Jh. entlehnt aus frz. appel 'Ruf, Ausruf; Aussprache, Artikulation; nachdrückliche Bitte, ermahnende Erklärung; Mannschaftssammelruf, bes. für Soldaten; Berufung vor Gericht' (zu appeler < lat. appellare, —> appellieren; vgl. auch mlat. appellum 'Berufung vor Gericht' und engl. appeal, —* Appeal), vor allem anfangs in den Nebenformen Appel und Apell. l Zunächst selten bis ins 18. Jh. nachgewiesen, bis heute gebucht als Fachwort der Fechtkunst für 'Stoß, Tritt' (—> appellieren 2). 2a Seit Ende 17. Jh. im militärischen Bereich für 'Mannschaftssammelruf, Ruf zu den Waffen' (—» Alarm), bes. in Syntagmen wie Appell blasen (—* appellieren Ic); daher auch als Bezeichnung für das Antreten, die Versammlung der Mannschaft selbst, bes. in Syntagmen wie zum Appell blasen, rufen, antreten; gelegentlich als Grundwort in Zss. wie Fahnen-, Schluß-, Zählappell und als Bestimmungswort in Zss. wie Appellplatz; im 20. Jh. auch allgemeiner verwendet in bezug auf alle militä-

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Appell

risch organisierten Gruppen (z. B. Feuerwehr, Jugendgruppe, Gefangene in einem Lager). b Seit Ende 18. Jh. in der heute dominanten Bed. 'aufrüttelnder Aufruf, nachdrückliche Bitte, Aufforderung, Mahnruf, Mahnung' (—» appellieren Ib), bes. mit der Präp. an in Verbindung mit Ausdrücken für positive menschliche Werte (als Adressaten des Aufrufes), z. B. einen Appell an die Vernunft, an jmds. gutes Herz, Einsicht, Ehre richten, oder mit negativ konnotierten Ausdrücken für Eigenschaften, z. B. Appell an die niederen Instinkte, die Gemeinheit; in bezug auf die inhaltliche Aussage des Appells bes. mit den Präp. zu, für, gegen, wider, z. B. Appell zum Kampf, zum Sparen, für eine bessere Welt, gegen den Ausländerhaß; als Grundwort in Zss. wie Friedens-, Durchhalte-, Sparappell; im 20. Jh. zunehmend im Sinne von 'nachdrücklich an die Öffentlichkeit appellierendes Schriftstück, öffentlicher Aufruf, Resolution' (—» Resolution a) (s. Belege 1951, 1986, 1988), gelegentlich auch in Verbindung mit direktem Aufforderungssatz (s. Belege 1985, 1986). c Im früheren 19./Anfang 20. Jh. selten auch für Appellation (—» appellieren la) in Zss. wie Appellgericht, -hof 'Appellations-, Berufungsgericht'. 3 Seit Mitte 18. Jh. in der bis heute gebuchten fachspr. Bed. 'gutes Gehör des Jagdhundes, Bereitschaft zum Gehorsam beim Jagdhund', bes. in Syntagmen wie einen Appell haben '(vom Jagdhund) auf Anruf, Befehl unverzüglich gehorsam reagieren'. 4 Vereinzelt im 20. Jh. auch für —» Appeal. Appell 1: L'Ange 1664 Fecht-Kunst } 2v kan ihm dem Feind ein halber stoß oder appelle unten an seine Kling nach dem Kopff zu gemacht werden; Eggers 1757 Kriegslex. / 91 Appel, wird in der Fechtkunst der Tritt genennet, den man bey einer Finte macht (beide BRUNT). Appell 2a: Scheibner 1695 Diet. o. S. Apell oder Appell schlagen (BRUNT); Sperander 1727 A la mod Sprach 42 Appel blasen oder schlagen lassen/ heisset . . It. die Soldaten zum Gewehr zu ruffen; 1743 Reglement Preuss. Cav. 34 wenn der Officier apell blasen ließe; Dominicus 1763 Tagebuch 7 Ruhe sanft. . bis zum letzten großen Appell; Hackländer 1841 Soldatenleben 15 beim Appel wurde der Kranke dem Kapitän gemeldet; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 38 Den dritten Rock bekamen wir sonst nur Sonntags von der Kammer und mußten ihn dann oft schon nach dem Appell wieder abgeben; ebd. 69 Appellplatz; Hohenlohe-Ingelfingen 1864—76 Leben III 329 Im Kriege, wenn man beim Einrücken noch nicht wisse, wann abmarschiert werde, gäbe man abends, sobald der Befehl einträfe, das Signal „Appell", oder wenn plötzlich abmarschiert werde, lasse man Alarm blasen; Kutscher 1917 Soldatenlied 121 Beim Appell [nach der Schlacht] wird mancher schweigen [weil er gefallen ist]; Künzig 1927 Lieder 31 Appell [nach der Schlacht]; Lokal-Anz. 21.1.1933 In einem nahegelegenen Lokal hielt die Kanthener Feuerwehr ihren Jahresappell ab; ebd. 12. 2. 1933 Der Abmarsch er-

folgt dann über Schinkelplatz . . und Hafenheide zur Neuen Welt, wo nach Ausgabe von Feldküchenverpflegung ein kürzerer Schlußappell stattfindet; ND 7.5.1954 Die Soldaten .. drängten sich durch die Tür und den Korridor, liefen auf den Appellplatz hinunter und stellten sich dort auf; ebd. 26.9.1964 Während eines feierlichen Appells wurde ihnen vom Minister .. der akademische Grad eines Diplommilitärwissenschaftlers verliehen; ebd. 11.9.1974 Die Pioniere und FDJler aller Schulen unserer Republik bekräftigen auf Fahnenappellen ihre Solidarität; Zeit 1.2.1985 Dabei kommt es auch vor, daß die Gefangenen im Winter bei etwa 30 Grad Kälte in offenen Holzpantinen arbeiten und zum Appell antreten müssen; ebd. 31.3.1986 zum Appell angetreten; MM 9.11.1987 Sie stehen bereit zum Stubenappell, lernen gehorchen ohne Widerrede; ebd. 7.1.1988 Mit dem Appell um 6.45 Uhr am zweiten Tag begann für die 122 — von den älteren Soldaten so genannten — "Jungfüchse" die fünfzehnmonatige Schule der Nation. Appell 2b: Goethe 1796 Br. (WA IV 11,158) weil der Appell ans Gefühl sie [Poesie] gut kleidet; ders. 1805 Anm. z. Rameaus Neffe (WA I 45,192) Der Appell an die Gemeinheit ist unerträglich und verächtlich; Spielhagen 1879 Platt Land III 208 ich hoffe noch, daß dieser Appel an Ihre eigene Ehre nicht vergeblich sein wird; Bäumer 1928 Studien ü. Frauen 111 Gefühlsappell; Berl. Illustr. Nachtausg.

appellie 21.3.1933 In der Ueberzeugung, daß aber auch das Volk selbst seine Zustimmung zur neuen Ordnung des deutschen Lebens erteilen muß, richteten wir Männer dieser nationalen Bewegung einen letzten Appell an die deutsche Nation; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. X 331) Lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren, mit einem Wort, das nicht unausgesprochen bleiben darf, einer Bitte, einer Mahnung, einem Appell — wie soll ich es nennen; ders. 1938 Reden u. Aufs. (W. XI 923) Appell an die dumpfen Instinkte; ND 13.4.1954 Appell gegen den Einsatz von Atomwaffen; Welt 6.7.1954 Es bedürfte vielleicht nur eines flammenden Aufrufes, eines großen politischen Appells, um den 7. Juli dem 17. Juni anzunähern; ebd. 19.3.1959 Brauer richtete noch einmal einen Appell an Ost und West zur atomaren Abrüstung; Stuttgarter Ztg. 10.5.1963 „Spar-Appell" der Bundesbank; Welt 2.3.1964 Einen eindringlichen Maßhalteappell hat Ministerpräsident Aldo Moro an das italienische Volk gerichtet; FAZ 27.12.1965 Am ersten Weihnachtstag hatte der Vatikan bekanntgegeben, Papst Paul habe sich in gleichlautenden Friedensappellen an die politischen Führer in Nord- und Südvietnam gewandt und sie aufgefordert, sich um einen gerechten und brüderlichen Frieden zu bemühen; ND 31.12.1969 Appell an alle Völker zum Kampf gegen die Gefahr eines neuen Weltkrieges; Welt 27.6.1974 Appell zum verstärkten Schutz und zur behutsamen Nutzung der Fischbestände; ebd. 18.11.1974 Appell für die Entspannung; Dülmen 1977 Reformation 13 Die publizistischen Appelle taten keine Wirkung; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 52 Appell an die bindenden Kräfte der Religion; ebd. 90 Wenn jedes persönliche Risiko entfällt, wird die moralische Grundlage des regelverletzenden Protestes fragwürdig; auch dessen Appellwirkung wird entwertet; MM 31.8.1985 Das ist kein Plädoyer für die halbseidene Darstellung von Pseudowissen, sondern ein Appell: Mehr Mut zur Abwechslung im Stundenplan an der Uni; Zeit 11.10.1985 Appelle an das Mitgefühl der Schüler; ebd. 1.11.1985 Programme, Manifeste, Appelle; ebd. 16.5.1986 Wenn man heute die Manifeste und Appelle, die Texte und Korrespondenzen liest, die von den eu-

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ropäischen Künstlern in den ersten zwanzig Jahren dieses Jahrhunderts geschrieben wurden, dann wird einem leicht schwindelig; MM 24.6.1986 Appell für mehr politische Solidarität; ebd. 23.7.1986 Darauf stand der Appell: „Vermeidet Aluminiumabfälle und sammelt jede Menge Aluminium"; ebd. 5.2.1987 Mit konkreten Forderungen an die Regierungen und das Nahrungsgewerbe, Appellen an die Ärzte und Aufrufen in den Massenmedien an die Adresse der Allgemeinheit soll in Europa ein neuer Anlauf zur Eindämmung von Herz-Kreislauf-Krankheiten . . unternommen werden; ebd. 28.3.1987 Appell zur freiwilligen Kontrolle; ebd. 25.5.1988 Vernunftappelle nutzen bei einem Vorschulkind gar nichts; Altner 1991 Naturvergessenheit 62 Schweitzer weiß, wovon er spricht. Seine Appelle lassen erkennen, daß er sich bis in die Einzelheiten hinein [über die atomare Gefahr] sachkundig gemacht hat; Spiegel 15.2. 1993 In der Russischen Zeitung rief ein Arbeiter zur Selbstverteidigung mit Feuerwaffen auf, Taxiund Krankenwagenfahrer schlössen sich dem Appell an. Appell 2c: 1844 Volks-Conversationslex. l 182 Eine Art Appellhof ist zwar der Court of chancery, allein dieser darf ein Urtheil nicht umstoßen; Wassermann 1908 Hauser 28 als Präsident des Appellgerichts. Appell 3: Dobel 1746 Jägerpractica l 109 Wenn aber ein Hund reine dreßiret und gearbeitet ist, und daß er ein Appel (Gehöre zum Ruffe) angenommen; Krünitz 1773 Oeconom. Enc. II 321 Appel . . wird in der Jägerei von dem Hühner-Hunde gesagt, wenn derselbe ein gutes Gehör zum Rufen und den Gehorsam angenommen hat, daß er auf Pfiff und Ruf zugleich zurückkommt. Appell 4: 1963 Jahrb. f. Amerikastudien VIII 85 Hier ist die Lage nicht nur in der Schule, sondern auch im Theaterleben gekennzeichnet durch den außerordentlich starken Appell, den einige amerikanische Autoren auf junge Menschen . . ausüben (CARSTENSEN).

appellieren V. intrans., schon im Mhd. (LEXER) entlehnt aus lat. appellare 'etwas aussprechen, jmdn./etwas benennen, titulieren, namentlich erwähnen; ansprechen, anrufen, auffordern, ermahnen, um Hilfe bitten', älter adpellere, aus ad- 'zu, an, hin(zu)' und pellere 'stoßen, treiben' (vgl. got. spillon, ahd. spellon), meist mit den Präp. an und zu, —> Appell. la Zunächst im juristischen Sprachgebrauch speziell für 'ein Gericht, eine höhere richterliche Instanz anrufen, in Berufung gehen, Berufung gegen ein Gerichtsurteil

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einlegen', häufig auch in der Wendung an/zu Gott appellieren 'Gott als höchste Instanz anrufen, um letztendlich gültige Gerechtigkeit zu erfahren' (s. Beleg 1661); —» Appell 2c. Dazu das im Mhd. (LEXER) aus lat. appellatio 'Ansprache, Benennung, Titulierung' entlehnte Subst. Appellation (-; -en, älter auch -es), vor allem im 15.716. Jh. auch in der Nebenform Appella(t)z, 'Anrufung eines Gerichtes, Berufung vor einer höheren juristischen Instanz', bes. als Bestimmungswort in Zss. wie Appellationsbrief, veraltet auch -libell 'Schrift, mit der der Appellant seine Berufung begründet', Appellationsgericht, -(gerichts-)hof 'höhere richterliche Instanz, an die Berufung gerichtet werden kann' und die Berufsbezeichnungen Appellationsrichter, -rat, -advokat; dafür im 16.717. Jh. auch das Verbalsubst. Appellierung und selten seit 19. Jh. —> Appell 2c; seit Anfang 16. Jh. die zum Part. Präs, appellans von appellare gebildete Personenbezeichnung Appellant M. (-en; -en) 'jmd., der an ein Gericht appelliert, Berufung einlegt', gleichzeitig dafür auch Appellator (vgl. gleichbed. lat. appellator) und die vereinzelt belegte subst. Ableitung Appellierer, im Ggs. zu gleichzeitigem Subst. Appellat M. (-en; -en) 'Gegner, gegnerische Partei bei einem Berufungsverfahren'; seit spätem 18. Jh. das aus frz. appelable entlehnte seltene Adj. appellabel 'berufungsfähig, -berechtigt, einklagbar', im Ggs. zu un-, inappelabel; dazu die selten im 18.719. Jh. belegte subst. Ableitung Appellabilität F. (-; Pl. ungebr.) 'Berufungsfähigkeit (einer Verfahrenssache)', dafür im 20. Jh. auch Appellanz (gebucht 1911 bei Petri). b Seit spätem 18. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. appeller, allgemein in der heute dominanten Bed. 'sich nachdrücklich an jrndn./etwas wenden, richten, jmdn. nachdrücklich um etwas bitten, jmdn. kämpferisch aufrufen, ermahnen, anklagen, etwas Bestimmtes in jmdm. wachzurufen versuchen', bes. in Verbindung mit Ausdrücken für höhere menschliche Werte in Wendungen wie an jmds. Gewissen, Courage, Verstand, Pflicht- und Verantwortungsgefühl, Freundschaft, gutes Herz appellieren, seltener auch in Verbindung mit negativ konnotierten Ausdrücken für menschliche Eigenschaften, z. B. an die niederen Instinkte, den Haß, die Grausamkeit appellieren; im 20. Jh. häufig auch mit einem Aufforderungssatz verbunden (s. Belege 1936, 1990). Dazu im 18.719. Jh. selten das aus lat. appellatio (vgl. la) entlehnte Subst. Appellation F. (-; -en), dafür sonst —* Appell 2b. c Vereinzelt im 19. Jh. militärspr. ohne persönliches Subjekt verwendet für 'zum Appell blasen' (—* Appell 2a). 2 Im 17. Jh. vereinzelt in der Fechtkunst belegt für 'jmdn. zu einem Stoß bewegen' H Appell 1). 3 Im 18. Jh. (wohl unter Einfluß von la bes. in der Studentensprache) in der wortspielerischen Wendung nach Speyer appellieren euphemistisch verwendet für 'speien, sich übergeben, sich erbrechen', auch nach Worms und Speyer appellieren. appellieren la: Kepkowe nach 1295 Weltchronik 329 und appelliert (MÖLLER); 1347-1493 Liederbuch a. Hätzlerin 38 dinget nun vnd appelliert; Closener 1362 Chronik 50 do was der Bischof von Kolle, der appelierte mit allen den die im zugeheilen woltent von dem legaten und sinen gesetzen an den stule zu Rome; 1406—76 Speier. Chronik

(Mone, QuSamml. l 474) deß halp beruffens und appelirens nit not gewest were; Artzt 1469—71 Krieg 299 stedt an etlichen enden . . appellirten also widder zu dem keyser; Volkslied 1546 (Liliencron IV 307) sie hetten protestirt, auf ein concili appellirt; Schwartzenhach 1580 Synonyma 9a beruffen und appellirn; Henisch 1616 Teutsche

appellieren Sprach 92 Appellieren/ von dem vnteren an den obern Richter beruffen; Lassenius 1661 Tischreden 143 warum solte ein frommer Mensch, nicht zu Gott dem Herrn appelliren, wann ihm unrecht geschiehet, als dem allerhöchsten Richter; Ertinger 1697 Reisebeschr. 71 Will aber Eines [gegen eine Strafe] appellieren, so mag es thuen; Weber 1734 Enc. l 106 Appellator . . der appelliret und einen ändern Richter anruffet; 1844 Volks-Conversationslex. l 182 In England ist die Appellation beschränkt, indem man von zwei oder drei höhern Gerichtshöfen wohl an den dritten, aber von diesem nicht weiter appelliren kann; Reichenau 1897 Kultur 56 [die] an ein Schiedsgericht . . appellirten. appellabcl: Lerchenfeld-Köferin 1935 Erinn. 38 eines Tages sagte mir mein Vorgesetzter: „Sie, das Erkenntnis, das ist nix! Das ist falsch begründet." Ich erwiderte diensteifrig: „Herr Landrichter, geben Sie es mir wieder. Ich werde es anders machen." Doch die Antwort lautete: „Nein, dös braucht's net; de Sach' ist net appellabel, lassen's es nur so!"; Ernst 1946 Essais l 226 dass die Historic keine letzten Worte spricht und selbst ihre gewissenhaftesten Sprüche [Urteile] appellabel sind. inappellabel: Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 62) daß er kriegerischer Entscheidung inappellable geistige Gültigkeit zuerkennt; Jaspers 1958 Atombombe 426 Der Wille des Volkes gilt wie der Wille jener souveränen Fürsten im Zeitalter des Absolutismus als inappellabel. unappclabel: Beckmann 1784—88 Erfindungen U 77 Im J. 1585 sollen die Entscheidungen dieser Richter für unappellabel erklärt seyn. Appellabilität: Siebenkees 1792 Von letzten Willen 33 so wurde von dem Rath der berühmte Altdorfische Jurist Hugo Donellus in einem Schreiben um ein rechtliches Gutachten wegen des Appellabilitäts-Puncts ersucht. Dieser erklärte das Urthe[i]l erster Instanz für übel gesprochen, die Appellation hingegen für zulässig; vor 1871 Grenzboten XXVI 1,213 Die Appellabilität aller Beweisurtheile (SANDERS 1871). Appellant: 15/0 Urkunden Tübingen 120 wie ain yeder bestölter in enpfahung sines soldes, auch der appellant; Perneder 1544 Process 83b Wurde aber solchs durch den appellanten versaumbt/ soll die appellation damit für desert geacht [werden]; Termineus 1565 Processus 240 der appellant; 1669 SteirGBl l (1880) 166 das rechte clag libell, worauss der clager vnd beclagte oder sonsten der appellant oder appelat abgenomben . . werden

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khönne (DRW); Sperander 1727 A la mod Sprach 42 Appellant, derjenige/ so sich auf einen Oberrichter beruffet; Goethe 1773 Rechtsanwaltsschr. (DjG /// 403; daß Kläger und Appellant den Grund der Klage . . zu beweisen pflichtig (GWB). Appellat: Fuchsberger 1534 Dialectica 103 der Appelat; 1669 SteirGBl l (1880) 166 das rechte clag libell, worauss der clager vnd beclagte oder sonsten der appellant oder appelat abgenomben . . werden khönne (DRW); Boltz 1752 Amts-Actuarms 136 Appellaten. Appellation: 1406 — 76 Speier. Chronik (Mone, QuSamml. l 475) unser appellacien und beruffunge; Hermann v. Sachsenheim 1453 Mörinz. 5425 Das es mir ouch kain schaden bring/ Hernauch an miner appellacz; Zink 1468 Augsburger Chronik 81 appellation; Volkslied 1486-92 (Liliencron II 198) wer von einer urtail vorm statgericht wil dingen/ der solt sein appelacion für die rät bringen; Gessler 1511 Formulare Reg. 8b appellatz libell; Stumpf 1541 beschreybung 4a Dise Appelatz übergib ich . . meinem Herren Jesu Christo, dem aller gerechtisten Richter; Rot 1571 Diet. 290 Appellation oder Appellatz/ . . zug für ein ändern Richter; Henisch 1616 Teutsche Sprach 92 Apellaz/ das appellieren; 1616 Bayer. Landrecht 176 Appellation, Ceding vnd Beruefung; Lassenius 1661 Tischreden 143 Appellation vor dem Richterstul Gottes; 1700 Monatl. Auszug 56 Die Appellationes vom Pabste seyen recht und billig; Goethe 1773 Rechtsanwaltsschr. (DjG III 394) gegen ein . . Urteil, Appellation interponiert (GWB); Mueller 1798 Briefw. 189 Die Appellation geht an den Kleinen Rath; 1819 Die Wage I 327 Das polizeigerichtliche Urtheil wurde von dem Appellationsgerichte bestätigt; Goethe 1820 Tagebücher (WA III 7,179) Besuch von . . Appellationsgerichts Advokat Schemberger; Schopenhauer 1840 Moral 78 die höchsten Appellationshöfe; 1844 Volks-Conversationslex. I 182 doch erlangten die meisten Reichsstände Appellationsfreiheit, d. h. das recht, ihre eigenen Appellationshöfe zu halten; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 208 Appellation ist in der militärischen Rechtspflege bekanntlich nicht üblich; Bamberger 1899 Erinn. 20 Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie in Zuchtpolizeisachen; Wassermann 1908 Hauser 51 Der Vorfall wurde auch an das Appellationsgericht gemeldet; Süddtsch. Ztg. 6.6.1950 Der Entwurf des Bundesfinanzministers über die Errichtung einer Bundesbank sieht eine „Appellationsinstanz" vor; ND 4.12.1974 Im Zusammenhang mit diesem Prozeß hat das Appellationsgericht von Santiago . . den Haftbefehl gegen Camilo Salvo . . bestätigt; MM 17.5.1986 1977 sprach der

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Appellationsgerichtshof in Tunis der Mutter die Söhne zu und verfügte ihre Ausreise. Appellator: Weber 1734 Enc. l 106 Appellator . . der appelliret und einen ändern Richter anruffet. Appellierer: Perneder 1544 Process 84 wo der Richter sollich apostel nit gebe auff ansuchen des appellierers. Appellierung: Pinidan 1516 Promptuarium M la Appellatio, . . appellierung; Frischlin 1586 Nomenclator 264a Appellatio . . Appellierung; 1650 Nördlingen Stat, 240 von appelirung von kundschaffts gerichts-urtheilen (DRW). appellieren Ib: Hermes 1789 für Eltern V 413 Anm. Ich wage es an dies Herz zu appelliren; Laukhard 1792 Leben II 204 ich sollte also an eben diejenigen appelliren, von denen es zuvor hiess, dass sie mich und mein Buch verdammt hätten; Goethe 1807 Br. (WA IV 19,392) Laß mich nur mit diesen eiligen Zeilen an deine Erinnerung und gute Neigung appellieren; ders. 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 9,101) „Ihr habt eine große Gabe vom Himmel empfangen und an die appelliere ich"; Eichendorff1854 Drama 205 indem er an den Patriotismus seiner Landsleute und an den Humor des lustigen Altenglands appellirte; Wiehert 1889 Grafenkind 63 dass an ihre Vernunft appellirt wurde; Arber 1894 Pereat 21 „Muß ich an Ihre Künstlerehre appellieren — . . die Pflicht ruft — Sie dürfen uns nicht im Stich lassen"; Wassermann 1908 Hauser 127 Danach . . legte man ihm die Sache . . ans Herz, appellierte an seine Großmut; Breuer/Freud 1909 Hysterie 77 Ich erkläre diese Erscheinung für eine Halluzination, appelliere an ihre Aufklärung; Th. Mann 1917 Nachtr. (W. XIII 559) Indem ich Ihrer Aufforderung folge, will ich nicht an die Herzen, die Leidenschaften, die Liebe, den Stolz oder gar den Haß appellieren; Dombrowski 1920 System 39 In einfachster, mütterlich zuredender Form appelliert sie hier an das soziale und politische Gewissen der Arbeiterin; LokalAnz. 2.2.1933 Wir appellieren deshalb nunmehr an das deutsche Volk; Berl. Tagebl. 30.10.1936 Nochmals appelliere ich an alle: Befolgt meine Anordnungen und Massnahmen; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 201) an das innere Pflichtgefühl appellierend; ND 10.6.1949 In einer Resolution wenden sich die 140.000 gewerkschaftlich organisierten Arbeiter der Chemie-Industrie unserer Zone an die Chemie-Arbeiter der ganzen Welt und appellieren an sie, mitzuhelfen an der Verwirklichung eines einheitlichen Deutschlands; Glaser

1964 Spießer 125 Kants Gedanken vom ewigen Frieden appellierten an das Gewissen der Welt; Welt 2.1.1964 Bundesernährungsminister Schwarz appellierte in einer Rundfunkansprache an den „Unternehmergeist im deutschen Bauern"; ebd. 4.11.1969 Die achtzehnjährige Schwester des Entführers . . appellierte in einem Interview . . an die Italiener, ihrem Bruder zu helfen; ND 31.7.1974 Der Botschafter entlarvte diese Greueltaten als schwerste Verletzung der Menschenrechte und appellierte an das Gewissen der Völker; Dülmen 1977 Reformation 309 Er . . appellierte an seinen Glauben; FAZ 10.12.1983 Diese Fotografien erinnern. Die Zeit hat sie ihrer Aufgabe zu appellieren entledigt. Sie klagen nicht an; MM 7.5.1985 Stoltenberg appellierte an die Unternehmer, unverzüglich sinnvolle Investitionen einzuleiten und dadurch einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten; Zeit 20. 9.1985 Indem er den „Gegnern Frankreichs" die Stirn bot, appellierte der Präsident an den Nationalismus seiner Landsleute; ebd. 21.2.1986 Weil der Faschismus an archaische Sehnsüchte appelliert; MM 22.2.1986 Versuchen Sie deshalb an die Vernunft Ihres Enkels zu appellieren; ebd. 3.4.1986 Zum Abschluß der Tagung appellierte Schneider an die Vereine, sich künftig verstärkt für den Umwelt- und Naturschutz einzusetzen; ebd. 7. 7.1987 jedoch appellierte er bereits mehrfach an die Raucher, daran zu denken, daß sie die Passivraucher mitgefährdeten; Spiegel 30. 7. 1990 Auf einer Pressekonferenz appellierte er an die Terroristen: „Laßt ab von eurem kriminellen und verderblichen Vorhaben". Appellation: Bretzner 1788 Leben III 146 Gewissensappellation; Schopenhauer 1840 Moral 72 eine Appellation an das moralische Gefühl; Keller 1852 Br. a. Vieweg 67 Ihre Appellation an mein Ehrund Pflichtgefühl; Hartmann 1869 Philosophie 228 Appellation an den menschlichen Instinct. appellieren Ic: Horix 1895 Erl. 19 Endlich appellirte es. Rasch waren die Bataillone zusammengerückt. appellieren 2: L'Ange 1664 Fecht-Kunst C Iv Appelliren, einem zum Stoß oder parade bewegen (BRUNT). appellieren 3: Stranitzky 1724 Hl. Nepomuk 172 nach Speyer zu appelliren; Sperander 1727 A la mod Sprach 42 Er hat nach Speyer appelliret/ d. i. er hat sich übergeben/ gebrochen; Menantes 1739 Gedichte 220 Doch seh ich Butter-Milch nur essen,/ So wird der Magen umgewandt,/ Will ich

Appendix nun nicht von neuem rühren,/ Was ich vorlängst hinein gethan,/ Und nicht nach Speyer appeliren,/ So denk ich weiter nicht daran; Kindleben 1781

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Studentenlex. 197 nach Speier und Worms appelliren; Augustin 1795 Idiotikon d. Burschenspr. 13 nach Speier und Worms appelliren.

Appendix M. (-/-es; -e, auch Appendizes), in der medizinischen Fachsprache meist F. (-; Appendizes/Appendices), im früheren 16. Jh. entlehnt aus lat. appendix, Gen. appendicis, 'Anhang, Anhängsel, Beilage, Zugabe' (zu appendere 'etwas an etwas aufhängen, etwas zuwägen'), bis ins 18. Jh. auch lat. flektiert. l Zunächst in der bis heute im Buch- und Verlagswesen üblichen Bed. 'Anhang eines (wissenschaftlichen) Buches oder Extraband mehrbändiger Textausgaben, der ergänzendes Faktenmaterial, wie unechte Schriften, weitere Überlieferungen, Textzeugen, Kommentare, Register, Tafeln, Tabellen usw. enthält', (im Unterschied zu —» Supplement), z. B. der Appendix einer Ausgabe, im Appendix nachsehen, früher selten auch auf andere Schriftstücke, z. B. Briefe, bezogen (s. Beleg 1767). 2a Seit spätem 17. Jh. auch allgemeiner und eher bildungsspr. verwendet für 'zu einer Sache hinzugefügter Gegenstand, etwas Hinzugefügtes, Zusatz, Anhängsel, das Drum und Dran' (vgl. Annex —> annektieren 1), seit spätem 19. Jh. übertragen und eher abwertend für 'nebensächlicher Zusatz, Beiwerk, Nebensache' (s. Belege 1878, 1985). b Etwa gleichzeitig auch auf Personen bezogen für 'jmd., der zu jmdm. gehört, sich jmdm. zugehörig fühlt, Begleiter, Anhang, Gefolgschaft' (vgl. Adhärent, —* Adhäsion), gelegentlich auch abwertend für 'unbedeutende Nebenfigur'. Dazu im 19. Jh. die seltene verbale Ableitung appendizieren 'etwas zu etwas hinzufügen, anhängen, beifügen' (zu l und 2a). 3 Seit frühem 18. Jh. gebucht in der Anatomie für 'Anhangsgebilde an Organen, Verlängerung, Fortsatz eines Organs'; etwa gleichzeitig in der Medizin als Verkürzung aus Appendix vermiformis für 'Wurmfortsatz des Blinddarms', z. B. in der Zs. Appendixtumor. Dazu Anfang 20. Jh. das latinisierte, mit dem Suffix -itis 'entzündliche Erkrankung' gebildete Subst. Appendizitis F. (-; Appendizitiden) 'Blinddarmentzündung', z. B. akute Appendizitis, die adj. Ableitung appcndizitisch 'die Appendizitis betreffend', z. B. eine appendizitische Erkrankung und die latinisierte, aus lat. appendix und griech. 'Schnitt, Hieb' gebildete fachspr. Kombination Appendektomie F. (-; -n) Operative Entfernung des Wurmfortsatzes'. Dazu im 19. Jh. selten die gebuchte fachspr. (Medizin, Biologie) adj. Ableitung appendikulär 'als Anhängsel vorhanden, anhangend, z. B. appendikuläre Organe, vereinzelt auch in der frz. Form (zu 3). Appendix 1: Gnaphäus 1537 Comedia (Übers.) Aea In appendice [Verzeichnis der spielenden Personen]; Fischart 1575 Geschichtklitterung (Übers.) 42 Schulerisch Appendix; Steger 1590 Geschieht Sehr. D3a aus einen Complements oder Appendice [Nachtrag zu einem Buch]; ebd. D4a Was ferner sich begeben, wird man aus dem nechsten complemento oder Appendice vernemen; Becher 1682 Glücks-Hafen 169 Im selbigen Buch am End in Appendice oder Colloquio inter Albertum &C Mercurium; sagt Albertus: Wie viel man vonnoethen von der Materi unsers Wercks zu verfertigen?; Goethe

1767 Er. (WA IV 1,117) Meine zwey Bogen [des Briefes] wären nun voll, ich habe dir aber noch manches zu sagen. Vielleicht wenn ich Zeit habe mache ich einen kleinen Appendicem; Marx 1852 Br. (MEW XXVIH 503) Ich fürchte, daß einige Verwirrung eingetreten ist, . . da Du mir schriebst, diesen Appendix an die „Alte Adresse" zu machen; Engels 1866 Br. (MEW XXXI 200) es wäre an der Zeit, daß dem wöchentlichen Abdruck eines Leaders aus dem Nonconformist ein Ende gemacht würde. Es ist doch zu unverschämt von Miall, das Ding so offen als einen reinen Appendix des Non-

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Appendix

conformist] darzustellen; Hillebrand 1874 Frankreich 357 Dieser Appendix über das liebe Vaterland ist schon zu lang, als daß wir noch viel mehr hinzuzufügen wagen wollten; Marx 1862—63 Theorien d. Mehrwerts (MEW XXVI 1,358) [John Gray] kannte Anderson, denn in seinem Appendix druckt er ab aus Andersons Agricultural Report for the Country of Aberdeen; 1959 Forsch, u. Fortschr. XII 370 Schmidts Shakespeare-Lexicon, in dem in einem besonderen Appendix „words and sentences taken from foreign languages" . . verzeichnet sind; 1966 Germanistik U 164 Als Appendix sind zwei . . Begriffsanalysen Wittgensteins]. . beigegeben; Zeit 13.12.1985 apokryphisch wirkt „die Professorengeschichte als Heldensymphonie" .. und der Appendix, ein „Professorenlexikon", ist nur noch überflüssig; ebd. 24.10.1986 Ihnen [den Briefen] folgen fünf „Appendices"; Wuketits 1987 Darwin 124 Der von Nora Barlow besorgte Appendix zu seiner Autobiographie enhält eine Reihe von interessanten Stellungnahmen aus der Feder von Ärzten; 1990 Wochenpost XXXV 4 f. die Art und Weise unserer Werkausgaben, ihre meist hohe Textqualität und die oft mustergültig recherchierten Begleitkommentare und Appendixe waren von marktorientierendem Charakter; Simek 1992 Erde 53 Die mittelalterlichen Weltkarten (über die im folgenden Kapitel 4a und im Appendix noch näher zu sprechen sein wird); ebd. 59 Eine systematische Erklärung einer mittelalterlichen Mappa mundi findet sich im Appendix [dieses Buches]; ebd. 111 Erst Gelehrte des 14. Jahrhunderts brachten den Wandervölkern ausreichende Skepsis entgegen, um sie aus ihren Sammlungen zu verdrängen oder wenigstens als Appendix außerhalb des eigentlichen Werks anzuhängen. appendizieren: 1874 Meyer Konversationslex. l 762 appendiciren, als Anhang nachträglich beifügen; Pierer 1888 Konversationslex. l 1075 appendizieren, nachträglich als Anhang anfügen. Appendix 2a: Abr. a S. Clara 1686-95 Judas 252 Appendice . . Appendix, Zuwachs, Zugabe, Anhang (HECHTENBERG); 3718 Abentheuerl. Welt 111 4 Dass [der neue Anzug] sein Appendix ist, wann ich Ihn baar zahl aus; Zedler 1732 Universallex. II 948 Appendix, ein Anhang, ein Zusatz, als: Appendix institutionum sind die tabulae substitutionis, darinn jemand substituiret wird; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,252) Das längst schuldige Heft folgt hierbey als Appendix des besten Willens; Pükkler-Muskau 1834 Tutti-Frutti 274 weshalb er auch sein Wohnhaus mit roth angestrichenen Schindeln decken ließ, den Wirthschaftshof mit seinem ganzen Appendix en evidence setzte; Kohl 1841 Petersburg I 111 Der Gostinnoj Dvor mit sei-

nen Buden-Appendixen; ders. 1842 Böhmen 307 Bis zum Jahre 1622 blieb Krummau mit seinen weitläufigen Appendixen im Privatbesitze der Kaiser; Faucher 1877 Culturbilder 290 Um den ganzen weiten Platz herum, . . zu dem der eigentliche marche des innocents, jetzt ein grünes Square, nur noch ein Appendix bildet, wimmelt es von Cafe's, Restaurants, Weinhändlern; Raabe 1878 Wunnigel III (S. W. U 5,17) Wenn das Haus heute nur der Appendix des Dorfes ist; ders. 1884 Schönow (S. W. III 2,16) Dich [Roswitha] sehe ich in der schlimmen Gegenwartswelt so ziemlich vollständig, was deine Appendixe anbetrifft, auf der Leine zum Trocknen hängen; Enzensberger 1962 Einzelheiten l 143 Es [das Taschenbuch] macht die literarische Produktion endgültig zu einem Appendix seiner [des Verlagswesens] finanziellen und technischen Apparatur; Zeit 8.2.1985 im Zusammenhang der Sammlung aber muß der Raum wie ein freihängender Appendix wirken; ebd. 26.4.1985 Spacelab dagegen ist lediglich ein Appendix, der für den Gesamterfolg des Programms nicht entscheidend ist; ebd. 19. 7.1985 vollends versagt das gigantische Projekt [die Ausstellung] vor der aktuellen Kunst .. das Schlußkapitel der Ausstellung ist nur noch verlegener Appendix; Lukoschik 1991 In u. Out 224 diese merkwürdig kreuz und quer durch den Raum gespannten Parallel-Drähte, an denen irgendwelche semi-industriell anmutenden Techno-Appendices [Niedervolt-Lampen] hängen. appendizieren: Goethe 1818 Br. (WA IV 29,295) Über diese [Auslagen] legt er [Schröter] beym Jahresschlüsse Rechnung ab, welche der unserigen appendicirt wird. Appendix 2b: Leibniz 1670 Denkschr. Reich (Dtsch. Sehr. 11 25) Sollte nun dergestalt der Kaiser oder das Haus Österreich mit im Bündnisse sein, so ist für sich und außer Zweifel der Vernunft gemäß, daß die bundesverwandten Fürsten nicht nur als appendices (Anhängsel) sich nachschleppen lassen oder als stumme Peronen in der Komödie spielen; Kirsch 1718 Cornvcopiae I 91 Appendices, Soldaten/ so zur Ergäntzung dienen; 1783 Berlin. Monatsschr. I 129 jede Hofdame und jeder Appendix vom Hofe; Laukhard 1792 Leben U 384 So fuhr [1788 im Maskenzug zu Halle] ein Schwarzrock mit einer Ente im Arme herum, welche er liebkosste und küsste: und das sollte auf einen gewissen Herrn nebst Appendix zielen; Jäger 1835 F. Schnabel 21 Die Mitglieder [der Burschenschaft] bestanden in einer engern und weitern Verbindung, zu welchen sich als Appendix die Schaaren der Renoncen, oder Commentburschen, Mitkneipanten, gesellten, die mehrentheils nur des von ihnen zu zahlenden Beitrags geduldet wurden; Kohl 1845

Apperzeption Paris I 93 Selbst alte und häßliche Damen ziehen sich oft mit einem sehr hübschen und jungen Appendix [Liebhaber] herum (KEHREIN); 1849 Hofdamen-Br. 258 eine Gouvernante .. ein unerträglicher Appendix; Raabe 1864 Hungerpastor 216 Kleophea und Appendix [ihr Bruder Aime] wird Ihnen [dem Hauslehrer] schon manche harte Nuß

Ill

zwischen die Zähne schieben; ders. 1880 Alte Nester (S. W. II 6,19) Ich kam als Appendix [Kind] meiner Mutter dahin [nach Schloß Werden]; Zeit 7. 6.1985 die Grünen verhelfen der SPD punktuell zu einer Politik, die zwar ohnedies in deren Parteiprogramm avisiert, doch nicht ohne weiteres mehrheitsfähig ist. Sie sind der Appendix der SPD.

Apperzeption F. (-; -en), Anfang 18. Jh. in der frz. Form aperception von Leibniz in seiner frz. Schrift „Principes de la nature" (1714) in Analogie zu perception (< lat. perceptio 'Wahrnehmung') geprägte, seit Mitte 18. Jh. in dtsch. Texten belegte gelehrte Bildung (zu frz. apercevoir 'wahrnehmen, erkennen', aus ä 'an, zu' und percevoir 'wahrnehmen' < lat. percipere 'sich aneignen, lernen, begreifen'; —> Apercu, —»· Perzeption). Fachspr. verwendet in der Philosophie, bes. in der Erkenntnistheorie, zunächst nach Leibniz im Unterschied zur unbewußten —» Perzeption in der Bed. 'klare, bewußte Aufnahme eines Wahrnehmungs-, Denkinhalts; durch Verstandestätigkeit, Reflexion des Verstandes bewirktes Erfassen und Einordnen in einen Bewußtseinszusammenhang', bei Kant dann nach erkenntnistheoretischen Kriterien weiter differenziert, bes. mit den Syntagmen empirische Apperzeption 'bloß subjektives, anschauliches Erfassen durch Assoziation der Vorstellungen' und transzendentale oder reine Apperzeption 'geistige Fähigkeit, die Vielheit der Einzeleindrücke zu einem Ganzen zu formen' als Bedingung des Möglichseins von Erfahrung überhaupt (s. Beleg 1781), als Verstandesbegriff von Fichte („Wissenschaftslehre" 1797) fortgeführt im Sinn von 'intellektuelle Anschauung, produktive Einbildungskraft' (s. Beleg 1797) sowie Ende 19./Anfang 20. Jh., bes. von Wundt (s. Belege 1880, 1885) und Mauthner (s. Beleg 1910—11) als wesentlicher Begriff der psychologisch ausgerichteten Wissenschaften im Sinn von 'bewußte Wahrnehmung, aufmerksames Erfassen, Aneignung, Verarbeitung, Innewerdung von Erlebnis-, Wahrnehmungs- und Denkinhalten, aktive Aufnahme von sinnlich Gegebenem ins Bewußtsein'. Bis heute weiterhin meist wissenschaftsspr. gebraucht in philosophisch-psychologischem Kontext, z. B. auch in Lehrbüchern der Philosophie und Psychologie (s. Belege 1912, 1923, 1929, 1971), jedoch schon seit dem 18. Jh. gelegentlich auch allgemeiner und bildungsspr. verwendet (s. Belege 1753, 1779, 1924, 1938). Dazu seit spätem 18. Jh. das V. trans, apperzipieren, zunächst vereinzelt in der an das Frz. angelehnten Form apercevieren, in der Bed. 'bewußt wahrnehmen, ins Bewußtsein aufnehmen, eingliedern'; Ende 19. Jh. die adj. Ableitung apperzeptiv (ohne Steigerung) 'durch Apperzeption bewirkt, die bewußte Wahrnehmung betreffend', z. B. etwas apperzeptiv erfassen. Apperzeption: Wieland 1753 Ges. Sehr. IV 18 wir wundern uns nur, daß sie die zarten Empfindungen beschreiben kann, die wir für nahmenlos gehalten, weil wir sie nicht so lebhaft und mit so vieler Apperception fühlten, als sie; Hamann 1772 S. W, III 43 um den Leser endlich auf das akademische Däumchen der Apperception aufmerksam zu machen; Meiners 1776 Sehr. H 10 Wenn . . mit Apperception das Bewußtseyn unsers Daseyns verbunden

seyn soll; so müssen wir die klaren, anerkannten Veränderungen unserer Sinne von den Sinnen selbst, die klaren Vorstellungen von den Kräften, die sich mit ihnen beschäftigen, unterscheiden; Hamann 1779 S. W. V 347 Marrai über die Apperception seiner eigenen Existenz; Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. I 4,86) Der Sinn stellt die Erscheinungen empirisch in der Wahrnehmung vor, die Einbildungskraft in der Association (und

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Apperzeption

Reproduction), die Apperception in dem empirischen Bewßtsein der Identität dieser reproductiven Vorstellungen mit den Erscheinungen, dadurch sie gegeben waren, mithin in der Recognition; ders. 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. I 3,108) Ich nenne sie [die Anschauung] die reine Apperception, um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche Apperception, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, in dem es die Vorstellung: Ich denke, hervorbringt, die alle andere muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden kann; Jean Paul 1789 S. W. Ill 1,270 Und dafür hätt' er seinen Kopf zum Pfand gesezt, daß er ihm abgefallen: bis man ihn mit soviel Blei befrachtete, daß er das Dasein seines Kopfs wie die Apperzepzion seiner selbst von der Empfindung lernte; Novalis vor 1797 W., Br., Dokumente III 67 Kant versteht unter Gemüt: das die gegebenen Vorstellungen zusammensetzende und die Einheit der empirischen Apperzeption bewirkende Vermögen (nicht die Substanz der Seele — anima — sondern animus); Fichte 1797 Wissenschaftslehre (S. W. X 42) Das ist die Erörterung des Tiefsten, worauf es in der Wissenschaftslehre ankommt; das genaue Bild der reinen und aboluten Apperzeption, des absoluten Verstandes in seinem tiefsten Zusammenhange mit dem Absoluten (RITTER); Goethe 1799 Diderot, Maleret Anm. (WA / 45,312) Aber das . . muß man annehmen . . daß alle gesunden Augen alle Farben und ihr Verhältniß ungefähr überein sehen. Denn auf diesem Glauben der Übereinstimmung solcher Apperceptionen beruht ja alle Mittheilung der Erfahrung; Herder 1799 Verstand (S. W. XXI 43) Sofern der Gegenstand den Sinn afficirt, nennen alle Sprachen es Empfindung; . . Wird diese dunkle Empfindung Apperception: so nennen wirs nicht Anschauung, sondern Innewerden; Schmidt 1803 Physik 42 Das Lebensfluidum leidet sowol bei der Apperception als bei der Reaction eine bestimmte Veränderung seiner Theile; 1810 Hufelands Journal XXX 1,57 Von der Seite des Psychischen kennen wir . . die Apperzeption oder die Kraft, die Einwirkungen der Aussenwelt unter Vorstellungen zu bringen; Herbart 1831 Enc. d. Philosophie 121 Mit welchen Augen sieht der Historiker eine alte Münze! seine historische Aneignung (und nichts anderes heißt Apperception) giebt ihr den Werth; Lotze 1839 Kl. Sehr, l 235 In einer ganz bestimmten Bedeutung des Wortes können wir gewollt nur das nennen, dem ein zu völliger Klarheit der Apperception gelangter Entschluss vorhergegangen ist; Schopenhauer 1851 Parerga I 161 Die synthetische Einheit der Apperception ist . . derjenige Zusammenhang der Welt als eines Ganzen, welcher auf den Gesetzen unsers Intellekts beruht und daher unverbrüchlich ist; 1876

Die Gegenwart IX 6a Wir, nennen Apperception den Vorgang, durch welchen wir den frischen Sinneseindruck in das Gewebe unseres Vorstellungslebens einfügen, einem Kreis desselben ihn eingliedern, einen Begriff in ihm anschauen; Wundt 1880 Grundzüge d. physiolog. Psychologie H 305 Jene Einheit unsres Wesens ist selbst nichts anderes als die Tätigkeit der Apperzeption (RITTER); ders. 1885 Essays 173 jene klar bewußte, unter der Bethätigung der Aufmerksamkeit stattfindende Auffassung, welche Leibniz die Apperception der Empfindungen oder der Vorstellungen genannt hat; ebd. 277 Die Thätigkeit des Denkens ist die höchste Form der Apperceptionsthätigkeit; Volkman v. Volkman 1895 Lehrbuch d. Psychologie // 189 Mit der inneren Wahrnehmung steht ein anderer Prozess in nahem Zusammenhange, den wir mit dem Namen der Apperception bezeichnen wollen; Hermann 1896 Physiologie 467 der Zeit bis zur Erkennung der besonderen Qualitäten der Empfindung (Farbe, Helligkeit, Tonhöhe, Gestalt etc.), der sog. Apperceptionszeit; Boruttau 1898 Physiologie 318 die Wahrnehmungs- oder Perceptionszeit für einfache Reizqualitäten, die Apperceptions-, Erkennungs- oder Unterscheidungszeit, wenn auf verschiedene Reize verschieden zu reagiren ist; Dessoir 1902 Psychologie l 420 f. die Apperzeption [tritt] einerseits in Beziehung zum innern Sinn, anderseits erscheint sie als Zergliederungsprozess der Perzeptionen; Lipps 1903 Ästhetik l 33 Sofern die Seele Einheit ist, muss sie abzielen auf vollkommene Einheitsapperzeption, oder auf vollkommene apperzeptive Vereinheitlichung; Windelband 1908 Präludien // 233 Wie in den Apperzeptionsvorgängen des Individuums, so schlägt sich auch in den Kulturbewegungen der Gattung ihr dauernder Besitz an geistigen Gütern nieder; Mauthner 1910-11 Wb. d. Philosophie 33 Apperzeption ist eine Tätigkeit, der auf deutsch der Name Zueignung gegeben wird; Eisenhans 1912 Lehrbuch d. Psychologie 102 Für diese örtliche Bestimmung eines „Apperzeptionszentrums" spreche, daß Verletzungen dieser Gegend .. bleibende Störungen der geistigen Fähigkeiten und Eigenschaften zur Folge hätten; Cassirer 1916 Freiheit 75 Jener Akt der „Apperzeption", in dem wir unser Ich zuerst finden; Uexküll 1920 Theoret. Biologie 20 Die Apperzeption ist die aller Wahrnehmung zugrunde liegende Tätigkeit unseres Gemüts; Cassirer 1923 Philosophie l 95 Diese Form des [sprachlichen] „Wiedererkennens" ist es, die bei Leibniz als „Apperception", bei Herder als „Reflexion", bei Kant als „Synthesis der Rekognition" gefasst wird; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 869) Mit Ihnen stimmt etwas nicht, Castorp, das wird Ihrer werten Apperzeption nicht entgangen sein; 1925 ZfMenschenkunde I 29 Leibnizens

Apperzeption Dreigliederung in schlafende Monaden mit lediglich unbewußten Vorstellungen, Seelenmonaden . . mit . . „verworrenen" Vorstellungen . . und selbstbewußte Geistmonaden mit . . definierbaren Vorstellungen ( = Apperzeptionen); Jerusalem 1925 Soziologie l 121 Die Erscheinungen der Umwelt, welche den gesetzmäßigen Apperzeptionsformen nicht entsprechen, werden ignoriert. Die Funktion des Erkennens ist deshalb . . ein Schematisieren und Wahrheit lediglich der „Wille" der gesetzmäßigen Apperzeptionsformen, Herr zu werden über das Vielerlei der Sensationen; Kunkel 1929 Einführung i. d. Charakterkunde 22 Die tendenziöse Apperzeption ist oft so stark, daß der ichhafte Mensch überall, wo geredet wird, seinen Namen zu hören meint; 1930 Elsass-Lothringen. Heimatstimmen Vlll 701 Dagegen habe ich die deutliche Empfindung, daß zwischen Badener und Elsässer psychologisch große Unterschiede bestehen, die sich sogar im Apperzeptionsniveau der beiden anscheinend so ähnlichen Sprachen ausdrücken; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 572 unsere absterbenden Apperzeptionsformen; Benjamin 1938 Br. 707 gewisse Merkmale der gegenwärtigen akustischen Apperzeption des Jazz; Picht 1958 Erfahrung 36 Mit der Erkenntnis, daß das Ich der transzendentalen Apperzeption das eidos des Ego cogito ist, wird die Struktur der kantischen Bestimmung des Menschen durchsichtig; Ritter 1971 Hist. Wb. d. Philosophie l 449 Apperzeption im Sinne von Selbstbewußtsein .. heißt . . die Weise, worin der Mensch als Vernunftwesen wahrhaft seiend und Eines ist, nämlich in der Einheit des unterschiedenen Gegensatzes von Objekt und Subjekt (Ich); Bartsch 1986 Übungen 65 Auf, daß seine transzendentale/ Apperzeption nicht die überall lauernde/ Krankheit ereile, in Filzschuhn. apperzeptiv: Vierkant 1896 Naturvölker 221 Associationen, die . . im Gegensatz zu den apperzeptiven Vorstellungsverknüpfungen dem Typus des unwillkürlichen geistigen Lebens entsprechen; Dessoir 1902 Psychologie l 420 Von späteren Psychologen wird . . die Thatsache festgestellt, dass wir Sinneswahrnehmungen und Erinnerungsbilder nicht unthätig aufnehmen, sondern sie mittels der apperzeptiven Thätigkeit ordnungs- und erkenntnismässig verarbeiten; Lipps 1903 Ästhetik l 12 Sie [die Unlust] entsteht, wenn und in dem Masse als der in der Natur des Vorganges liegende Anspruch, aufgefasst oder beachtet, in die „apperzeptive Region" des psychischen Lebenszusammenhanges, den „inneren Blickpunkt", aufgenommen zu werden, zu der Natur der Seele und den in ihr liegenden Bedingungen der Apperzeption in Widerstreit tritt; Wähle 1906 Mechanismus 121 jedes der — einer analytischen Sonderung, einer Sonderung

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durch die Aufmerksamkeit, also einer apperzeptiven Sonderung zugänglichen — Elemente; Wundt 1912 Elemente d. Völkerpsychologie (2. Aufl. 1913) 73 Noch ist die vollkommenere Form der Verknüpfung der Begriffe, die apperzeptive, die den Gedanken in ein Ganzes zusammenfasst, nur spurweise . . vorhanden; Kainz 1941 Psychologie l 116 Man braucht kein Produktionstheoretiker zu sein, um zuzugeben, daß beim Verstehen des Sinnes von Sprachgestalten . . eine gewisse apperzeptive Spontaneität vonnöten ist; Plath 1971 Ton- u. Sprachgehör o. S. Sprachverständnis als Indikator für die apperzeptive Leistungsfähigkeit. apperzipieren: Meiners 1776 Sehr. U 9 daß wir . . Veränderungen unserer Organe, und . . Wirkungen unserer Kräfte appercipiren, anerkennen, uns ihrer bewußt sind; Krause 1828 System d. Philosophie 309 weil . . jede neue Perception immer schon ein Ganzes von Erkenntnissen, das ist, von ändern Perceptionen, im Bewußtseyn vorfindet, so nennt man diese Verrichtung auch Hinzufassen, Appercipiren, und in Ansehung ihres Inhaltes Apperception; Goethe vor 1832 Gespr. Die Phänomene, wenn man sie auch gut aperceviert hat, werden immer wieder dadurch entstellt und zu Grunde gerichtet, daß man sie aus der jedesmaligen Philosophie zu erklären und dieser zu subsumieren sucht (GWB); Beneke 1840 System d. Metaphysik 255 Vielmehr enthalten ja die appercipirenden Begriffe ein durchaus unzeitliches Denken: denn bei ihrer Bildung ist jede zeitliche Beziehung abgestreift worden; Herbart 1841 Vorlesungen 48 Das apperzipierende oder aneignende Merken . . zeigt . . sich schon bei kleinen Kindern, wenn sie in einem ihnen sonst unverständlichen Gespräch der Erwachsenen einzelne bekannte Worte vernehmen und laut wiederholen; 1876 Die Gegenwart IX 6a Vor den Augen des Kindes bewegen sich Dinge in der Luft; es faßt sie unter der Vorstellung des Vogels zusammen, und appercipirt nun unter dieser auch den Blitz und die Sonne; Windelband 1877 Präludien H 53 wie das Wesen des Selbstbewußtseins sich darin entfaltet, daß es auf seine herrschenden Vorstellungsmassen alles neu in das Bewußtsein Eintretende bezieht oder es damit „apperzipiert"; Hausegger 1884 Br. 33 Die Erinnerung an die Kindheit erwacht in Ihnen, noch ehe Sie die Melodie apperzipiert haben; Ziegler 1903 Kultur 36 er nimmt nur dasjenige wirklich wahr, d. h. er apperzipiert nur das, was als Mittel zu diesem Zwekke taugt; Mauthner 1910-11 Wb. d. Philosophie 37 Will ich ihn [den Ton einer Krähe] im Gedächtnisse verarbeiten, ihn aufnehmen und geistig verdauen, ihn apperzipieren, so gibt es dafür nur ein einziges Mittel: ich muß still oder hörbar denken oder sprechen, ich muß „Krähe" denken oder spre-

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eben. Apperzipieren heißt: einen Sinneseindruck zu Worte kommen lassen; Wundt 1912 Elemente d. Völkerpsychologie (2. Aufl. 1913) 258 und wie offenbar frühe schon diese halb zufällig entstandenen geometrischen Formen als schematische Tieroder Pflanzenformen apperzipiert und . . weiter gebildet werden; Barthel 1928 Welt 43 Die zu schaffende Philosophie ist etwas toto genere Neues und muß als solches apperzipiert werden; Silbermann 1928 Abendgymnasium 61 Dabei ist ein Reproduktionsakt erforderlich; er [der Schüler] muß den Satz vom gleichschenkligen Dreieck aus seinem Speicher holen, muß ihn über die Schwelle seines

Bewußtseins erheben, muß ihn apperzipieren; Kainz 1941 Psychologie I 116 Das angemessene Apperzipieren der im Satz intendierten Verständniseinheit ist gegenüber dem Auffassen sämtlicher Einzelworte eine neue Leistung und deren gebildemäßige Voraussetzung ist ein gestaltliches Plus des Satzes; Ch. Meier 1978 Prozesse 14 Apperzipiert man ihn [den Einigungsvorgang des deutschen Reiches] mit Hilfe der Prozeß-Kategorie, so löst man das Wirken des großen Staatsmannes [Bismarck] in die Summe der Impulse auf, die im Laufe der Zeit von ihm in das Ganze des Wirkungskontextes eingingen und diesen immer neu in die gewollte Richtung lenkten.

Appetit M. (-(e)s; -e ungebr.), Anfang 15. Jh. eventuell unter Einfluß von frz. appetit (altfrz. apetit) 'heftiges Verlangen, Gelüste, Eßlust' aufgekommen, über mlat. appetitus (cibi) 'Verlangen (nach Speise)' zurückgehend auf lat. appetitus 'Verlangen, Begierde, Trieb' (subst. Part. Perf. von appetere 'nach etwas langen, etwas begehren', aus ad- 'hin, zu' und petere 'zu erreichen suchen, begehren, verlangen'), anfangs in der lat. (flekt.) Form. Zunächst und bis heute vor allem auf Nahrung bezogen in der Bed. 'Eßlust', im Ggs. zu Hunger ohne das Merkmal des Lebensnotwendigen, anfangs häufig in verdeutlichenden Wendungen wie Appetit zum Essen, zu der Speise u. ä. (s. Belege 1508, 1549) oder in synonymischen Formeln wie Lust oder Appetit (s. Belege 1519, 1616), bes. im 20. Jh. als Bestimmungswort in subst. und adj. Zss. wie Appetitsild, -zügler, -verlust, -häppchen; appetitanregend, -hemmend; in festen Wendungen wie (den) Appetit erregen, hemmen, stillen, anregen, vertreiben, bringen, (er)wecken, haben, bekommen, entwickeln; gewaltiger, großer, guter, unmässiger, gesunder, herzhafter, gesegneter Appetit; bis zur ersten Hälfte des 20. Jhs. in den präp. Verbindungen Appetit zu/nach etwas, seit Mitte 19. Jh. und heute vor allem Appetit auf etwas; auch ohne Attribut gebraucht, z. B. mit Appetit essen, Appetit haben, in positivem Sinn 'mit gutem Appetit essen, großen Appetit haben'; seit späterem 16. Jh. die aus gleichbed. frz. l'appetit vient en mangeant lehnübersetzte Redensart der Appetit kommt beim Essen (s. Beleg 1575), seit Mitte 18. Jh. die Wunschformel vor oder während der Mahlzeit Guten Appetit! (vgl. frz. hon appetit, s. Beleg 1759). Etwa gleichzeitig auch in der allgemeineren (direkt auf das Lat. zurückgehenden) Bed. 'Lust, Begierde' (s. Belege 1481, 1597, 1615, 1692, 1718, 1895, 1911, 1973), die dann möglicherweise unter Einfluß der zunehmend dominierenden Bed. 'Eßlust' (s. o.) metaphorischen Charakter erhält, zumeist mit ironischem, den Grad der Begierde verringerndem Beiklang; je nach Bezug spezifiziert, dabei häufig im Sinn von 'Liebeslust, Geschlechtstrieb' (s. Belege 1528, 1588, 1626, 1705, 1709, 1727, 1808, 1845, 1932), 'Besitz-, Machtstreben' (s. Belege 1598, 1712, 1741, 1966, 1992), 'Wissensdurst' (s. Belege 1700, 1702, 1704, 1709, 1731, 1920), z. B. ein Buch, eine Ausstellung macht (einem) Appetit; vgl. bes. Wendungen wie jmdm. vergeht der Appetit 'jmd. hat infolge eines bestimmten Ereignisses/Erlebnisses keine Lust (mehr), etwas zu tun', jmdm. Appetit (auf mehr) machen 'jmdm. Lust auf etwas machen, jmds. Lust auf etwas vergrößern', jmdm. den Appetit verderben 'jmdm. die Lust zu etwas nehmen, die Freude verderben'.

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Dazu seit spätem 16. Jh. die adj. Ableitung appetitlich, zunächst vereinzelt für 'Lust zu essen habend' (s. Beleg 1575), seit dem 17.718. Jh. in der bis heute üblichen Bed. 'Lust zu essen machend, den Appetit anregend, lecker' (s. Belege 1652, 1716, 1784, 1847, 1901), auf Speisen bzw. die Art ihrer Darbietung bezogen; seit dem 18. Jh. auch allgemein für 'anregend, verlockend' (s. Belege 1700, 1702, 1709, 1786, 1827, 1864, 1932, 1954, 1977, 1986), vgl. die Wendung etwas ist jmdm. appetitlich; etwa gleichzeitig auch übertragen verwendet, zunächst mit Bezug auf Personen, vor allem auf (junge) Frauen, für 'nett, adrett' (s. Belege 1710, 1813, 1861, 1892, 1928, 1963, 1988), dann zunehmend auch von Sachen in der Bed. 'frisch, sauber, hygienisch einwandfrei' (s. Belege 1788, 1904, 1933-43, 1956, 1958, 1985, 1993); in der negierten Wendung nicht appetitlich im Sinn von 'abstoßend, ekelerregend' (s. Beleg 1774). Dazu seit frühem 18. Jh. das Adj. unappetitlich 'abstoßend, ekelerregend', seit früherem 19. Jh. die subst. Ableitung Unappetitlichkeit F. (-; -en), vor allem auf Konkreta bezogen, häufig im Pl. 'Widerwillen-, Ekelerregendes'; seit spätem 19. Jh. die seltene subst. Ableitung Appetitlichkeit F. (-; -en). Seit frühem 18. Jh. die adj. Ableitung appetitlos Ohne Eßlust', seit früherem 19. Jh. mit dem häufiger gebrauchten Subst. Appetitlosigkeit F. (-; ohne PL), oft im Zusammenhang mit (der Beschreibung von) Krankheitssymptomen. Seit Mitte 20. Jh. das aus gleichbed. engl. appetizer übernommene Subst. Appetizer M. (-s; -), fachspr. für 'appetitanregendes Mittel', auch allgemeiner 'die Eßlust anregende, auf das Hauptgericht einstimmende kleine Speise'. Appetit: Cersne 1404 Minne Regel 2720 Erst zaltu drinken pure wyn. Da nach zaltu dynen trang Alleyne laßin waßir zyn. Vurwandelt vnde genomen wang Sich wyse had dyns appetit, So daz du wol hast vnderscheyt Wy sy in geschmache sijt; Veghe 15. Jh. (Triloff 1904 Veghe 198) appetyt; Melber 1481 Voc. o. S. Appetitus, begird vnd will; Kaiser Maximilian 1508 Geheimes Jagdbuch (Karajan 20) den Appetit zw essen; Fries 1519 Spiegel d. Arznei 130d Der lust oder appetit der speiß vnnd des trancks seint nit anders, dan ein begirlicheit des magens, so er befindet, das er lär ist; Paracelsus 1528 S. W. / 6,372 f. Wie sich nun weiter die materi erhebt in matrice, da ligt der groß apetit, den die frauen zu den mannen haben, dergleichen in oseo der gros apetit den die mann zu den frauen haben; ebd. 6,377 wan der proceß ist also, das sich in actu . . die morbi, so dem leib anhängig sind, durch den appetitum sich resolvirent; Münster 1544 Kosmographie 362 [Das Leuterbad] sterckt die teüwige Krafft [Verdauung] vnd erweckt den appetit; Rivius 1549 Badenfart b 4a der lust vnd appetit zu der speis; Wicel 1555 Vorr. z. Episteln o. S. Ja leben nicht nach der Menschlichen vernunfft . . sondern nach dem viehischen Appetit; Forer 1557 Geßners Fischbuch 3a Es wird auch die sülz oder brügen gässen vnd gebraucht den appetit damit zu reitzen; Maaler 1561 Teütsch Spraach 28 Appetit Lust oder begird zeessen;

Fischart 1575 Garg. 152 Der gelust unnd Appetit kompt . . alleweil man ißt; Thurneisser 1588 Onomasticon 7 kein appetit, zur Veneri spiel vorhanden; Heinr. Jul. v. Braunschweig 1593 Susanna 36 es benimpt einem die Liebe den Schlaff, den Appetit zum Essen vnd Trincken; ders. 1594 Ehebrecherin 404 Wann dir so wehre als mir,/ Der Appetit solte dir auch wol vergehen; Rollenhagen 1595 Froschmeuseler l 221 Wenn man sein wol mit essen wart/Und für den appetit nichts spart; Chyträus 1597 Casa's Galateus 6 dem menschlichen appetit und lüsten zu wieder; Albertinus 1598 Sendtschreiben I 152b also/ dal? daraus einstlich abzunemen/ daß euwer Appetit und Begierd grosser ist nach dem Gut als der Unlust unnd Unverdauligkeit euwers Magens; Hock 1601 Blumenfeld 106 Die Vnderthanen so ohn scheuch, Sein allzewit gleich, Dem Appetit an straffen Der Oberkeit; Stör 1602 Schimpffu. Ernst 107 Ihr fleischlich Appetit zu laben; Ryffl608 Kochbuch 15 So der Lust vnnd Appetit der Speiß den Krancken . . entgehet/ soll man . . vnderstehen/ denselbigen zu erwecken; 1614 Leben Lazaril 23 hatte mir den appetit erreget; ebd. 65 einen appetit vnd lust zun essen; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 272 der appetit vnnd die begirligkeit deß Reichen ist der Höllen gleich; Henisch 1616 Teutsche Sprach 92 Appetit/ lust zum essen . . So der appetit zum essen einem gantz vergangen . . Dise speiß/ dise spacierung bringt;

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Appetit

Krafft 1616 Reisen 28 Habens [das Fleisch] vnsere schüffleuth mit großem Apeditt gessen; Perez 1626 Landstörtzerin l 132 Vnnd glaubt mir gewiß/ daß die Gäste sich vor allen dingen erfrewen/ wenn sie sehen/ daß die Wirthin sich im essen nach jhrem Appetit weiß zu richten; ebd. I 448 Ich hatte je vnd allwegen einen appetit oder Begierdte . . zu einem gesunden oder krancken Hoff/ alda es viel schöne Hoffbursch geb; Harsdörffer 1642 Trincir Büchlein C2b einen jeglichen Teller mit drey oder vier Stükken belegen, damit ein jeder nach seinem Appetit davon nemen kan; um 1650 Politische Heiratsgedanken 31 [die] so vorhero schon viel courtesieret . . mögen sich nachgehends so heilig stellen als sie immer wollen, so bleibet ihnen doch der Appetit. . nach mehrmals süss-geschmeckter Märtins-Speise; Grimmeishausen 1669 Simpl. 367 Er sähe mir . . mit begierigem Appetit . . zu, wie ich drauff hieb; ders. 1673 Michel 68 Ich botte ihm einen Trunck Krauter-Wein an . . er aber antwortet, er hätte noch keinen Appetick darzu; Weise 1673 Erznarren 31 Nun war es noch zu zeitlich zur Abendmahlzeit, darum meynten Gelanor und Florindo es würde am besten seyn, daß sie durch einen kleinen Spatziergang sich einen Appetit zum Essen erweckten; Abr. a S. Clara 1686 Judas I 275 f. (Wunderkur 177) Der Evangelische Mahler Lucas am 15. cap. registrirt von dem verdorbnen Sohn/ wie daß selbiger ein wunderseltzamen/ Appetit habe gehabt zu einer gewissen Speiß. Aber rath/ zu was für einem Schleckerbißl?; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 536 f. daß er an seiner Studier-Kappe aus menage eiserne Knöpffe trüge/ nach welchen der Magnetstein so grossen Appetit hatte/und also den guten Aristoteles . . mit so andächtiger force an sich zöge; Fischbach 1689 Tractätlein v. d. schönen Wissenschaften 12 Das Haupt gegen den Himmel erhoben, damit er sein Herkommen und seinem [!] Schöpffer erkennen möge, welchem [!] alleine sein Apetit und verlangen saugen kan; 1692 Novellen 145 [bei vergeblicher Belagerung] vergieng ihnen aller appetit, ferner eine solche Belagerung vorzunehmen; Weise 1693 Näscher 129 eine kleine Gesundheit in einem Appetit-Glase herum gehen liessen; Paullini 1697 Lust III 1071 kriegte er solchen Appetit zum Venus-Werck; Eisenhuet 1700 Ehre IV 229 Ach die unordentliche Lieb gegen Weib, Kindern, Freund und Bekandten, so dann einem solchen allen Lust, Appetit zu dess Himmels Freudigund Süssigkeiten benemmen thut; 1700 Monatl. Auszug Okt. 695 weil das itzige Jahrhundert/ nachdem es alle Sorten der Bücher gekostet/ zuletzt seinen Appetit gantz auf die Fabeln geworffen; Elis. Charl. 1702 Er. i 298 Seyder ich auß der Pfaltz weg, ist mir der apetit gantz vergangen; ich habe nicht vier mahl deß jahrs hunger; Weise 1702 Gedancken II 26 mit einigem appetit des gelehrten

Lesers; 1704 Auserlesene Anm. l Vorr. 2a Es h a t . . in der gelehrten Welt an gute Erinnerungen und geschickten Handgriffen niemahls gefehlet/ Lehrbegierigen Gemüthern einen Appetit nach denen Künsten und Wissenschafften zu machen; 1705 Herrschaft d. Männer 11 und es auch eine mit von den grösten Künsten der Coquetten ist ihre Gliedmassen wenig sehen zu lassen/ damit man darnach destomehr Appetit kriegen möge; Menantes 1709 Satir. Roman I 36 Der vielleicht ohne diss in ihr vorhergewesene Appetit, durch die Abwechslung das in der Liebe gekostete Vergnügen zu vermehren, . . ward nun . . gerechtfertigt; ebd. 5 als ihn der Appetit nach einer Pfeiffe Toback wieder in die Stadt . . zog; 1709 Neue Bibliothek I Vorr. A2b wann öffters zwey oder drey Chartequen den Appetit eines hungerigen Lesers stillen müssen; Stranitzky 1711 Ollapatrida 61 das Kindertragen ist ja die echte delicatesse, vom gantzen Ehestand. Was meynet ihr: sollet ihr nicht nur deßwegen Appetit zum Ehestand bekommen? 1712 Diogenes B3b um den [!] unersättlichen Feind seinen unmässigen Appetit [nach fremden Territorien] zu hemmen; Anderson 1714 briefl. (1859 Serapeum XX 324) Dero [Schreiben] hat mir . . appetit gemacht, nach der Oppenheimerischen Bibliothek zu inquiriren; 1718 Abentheuerl. Welt IV 23 Bey Wasser, Kraut, und Milch ist ehmals, wie wir lesen, Der Menschen Appetit und Alter gross gewesen; Musig 1718 Licht d. Weisheit II 57 Man verstehet durch den sinnlichen appetit diejenige Krafft des Willens, nach welcher er vermittelst der Lebens-Geister von denen Sachen, die wir mit den Sinnen fassen, so wohl eine Empfindung bekommt; ebd. II 257 [Der Dieb] wird seinen [!] appetit nach zum Diebstal . . gezogen; Henrici 1727 Gedichte 261 Man fange zeitig an zu lieben, Und lasse sich den Appetit Von Zeit zu Zeiten nicht verschieben; Stoppe 1728 Gedichte l 129 zum Priester schicken, Der mir Appetit zum Sterben macht?; Struve 1731 Reichs-Historie Vorr. o. S. Denn, da ich dahero wahrgenommen, das bey weitläufftigen Compendiis manchen der appetit zur Historie vergehen wollen; Marsellus 1741 Kriegs-Staat 56 [einen Feind muß man so bekämpfen,] dass ihm der Appetit und Gesichte vergehe, und er seines Concepts darüber vergesse; Edelmann 1752 Selbstbiographie 55 eine Vorstellung, die ändern ehrlichen Leuten einen schlechten Appetit machen muss, sich nach dieser christlichen Pflanzstätte zu sehnen; Winckelmann 1759 Br. II 51 Ich werde Ihnen künftige Post noch zweymahl so viel schreiben . . und hiermit endige ich und wünsche Ihnen guten Appetit; Klemm 1767 Grüne Hut 35 es überfällt mich auch manchmal so ein wunderlicher Appetit [zum Heiraten]; Lichtenberg 1768 Aphorismen 49 Man zeigt . . den Ort dieser Stelle [in der Märtyrergeschichte] nicht an, damit

Appetit nicht eine schwangere Person leicht den seltsamen Appetit bekommen könte nachzuschlagen; Geliert 1770 S. Sehr. VI 275 es wird allezeit sicherer seyn, weniger, als mehr, zu genießen. Wer bey der Tafel bloß seinem Appetite und dem Rathe des Geschmacks folget, der würde, wenn er auch nicht krank davon werden sollte, sich doch vergebens schmeicheln, mäßig gegessen zu haben; Goethe 1773 Er. (WA IV 2,58) den Deutschen Merkur monatlich herauszugeben. Dergleichen Schrifften machen keinen Appetit Bändeweis; ders. 1774 Werther (WA l 19,26) Sie hielt ein schwarzes Brot und schnitt ihren Kleinen rings herum jedem sein Stück nach Proportion ihres Alters und Appetits ab; Lenz 1776 Soldaten 132 (Desportes schlingt die Suppe gierig in sich.) Aller Appetit zu ihr verging mir. Von der Zeit an hab' ich ihr nie wieder recht gut werden können; 1781 Der Hausball 5 Der Profos . . wünschte unserm Domine guten Appetit zu Mittag, und gieng; 1782 Anthologie Vorr. 4b Du machst dir Rechnung, höre ich, eine Generalcollazion zu erleben, wo dir Groß und Klein, Weltkugeln und Lexika, Philosophieen und Puzwerk in Rachen fliegen sollen — Guten Appetit, wenns so weit kommt!; Moritz 1785 Reiser 59 des Morgens von sechs Uhr an rechnete er bei seiner Arbeit aufs Frühstück, das er immer schon in der Vorstellung schmeckte, und wenn er es erhielt, mit dem gesundesten Appetit verzehrte . . ob es gleich in weiter nichts, als dem Bodensatz vom Kaffee, mit etwas Milch, und einem Zweipfennigbrote bestand; Goethe 1787 Italien. Reise (WA I 31,266) Nirgends putzen sie mehr als bei den Fleischwaaren, nach welchen das Auge des Volks besonders lüstern gerichtet ist, weil der Appetit durch periodisches Entbehren nur mehr gereizt wird; Schiller 1788 Er. II 88 Leben Sie immer auf der Erde. Das ist doch eine gute Frucht, die sie einmal trägt . . Adieu, und guten appetit; Beckmann 1790—92 Erfindungen III 419 H. Krünitz irret, da er sagt, Heliogabalus sey wegen seines Appetits zu Fricassee von Karpenzungen verschrieben worden; es waren Zungen von Pfauen und Nachtigallen; Kant 1791 Br. (Ges. Sehr. H 11,288) Seit etwa zwei Jahren hat sich mit meiner Gesundheit . . eine plötzliche Revolution zugetragen, welche meine Appetite in Ansehung des gewohnten täglichen Genusses schnell umstimmte; 1795 Journal d. Moden X Intelligent. CLXXXIII Madam Eva machte sich schon damals ein Appetitoder Reizrökchen von Feigenblättern; Kortum 1799 Jobsiade 18 Darauf . . Erkundigte [man] sich auch nach dem jungen Kinde: Ob's mit Appetit den Futterbrei Genösse und fein stille sei?; Goethe 1808 Faust I (WA l 14,130) Meph.: . . Die Freud' ist lange nicht so groß, Als wenn ihr . . Das Püppchen geknetet und zugericht't . . Faust: Hab' Appetit auch ohne das; ders. 1810 (Gespr. H 557) Die Eitel-

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keit ist ohngefähr das, was beim Essen der gute Appetit ist, das Wohlschmecken, das Innewerden des Genusses. Ohne diesen frißt man sich nur voll wie das Tier (GWB); ders. 1822 Campagne (WA I 33,109) Der Tisch war gedeckt, ein großer irdener Napf aufgestellt, schönes weißes Brot in Scheibchen hineingeschnitten, die heiße Brühe drüber gegossen und guter Appetit empfohlen; Hebbel 1844 M. M. (U 37) Wer keinen Appetit hat, der hat kein gut Gewissen; Prutz 1845 Wochenstube 65 Ja selbst die große Götter- und Menschenkönigin, Die Liebe selbst ist unsers Magens Tochter nur! Darum auf Griechisch Appetite heisst sie auch; Burckhardt 1846 Br. III 22 Euern Brief bekam ich . . in Mailand und wir verspeisten ihn zwischen den Marmorzacken des Domdaches, mit welchem appetitverkündenden Zungenschnalzen!; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 118 male Dir selber . . die schrecklichen Gedanken aus, welche selbst den harmlosesten Menschen beschleichen können, wenn er in seinem Essen einen todtgekochten oder gerührten Kinderstrumpf findet . . und Du wirst Dir einen Begriff von dem Zustande meiner zerrissenen Seele, meines in's Nichts zurückgeschmetterten Appetites machen können; Raabe 1864 Hungerpastor 230 diese beiden behaglichen Herren mit dem prachtvollen Appetit; Hartmann 1869 Philosophie 69 bei Schwangeren, deren capriciöse Appetite sich vermuthlich dann einstellen, wenn ein besonderer Zustand der Frucht eine eigenthümliche Blutmischung wünschenswerth macht; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 79 „Ich habe keinen Appetit," sagte er, „nur durstig bin ich." Sie stellte seinen Lieblingswein auf den Tisch; Baumbach 1895 Jugendzeit 319 Verderben wir uns den Appetit . . die Festfreude nicht!; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 32) sie aß, ob es auch nicht anschlug und ob man sie verspottete, mit dem instinktmäßig ausbeutenden Appetit der armen Verwandten am reichen Freitische, lächelte unempfindlich und bedeckte ihren Teller mit guten Dingen, geduldig, zäh, hungrig und mager; Grabein 1911 Hans 29 Sie machen mir geradezu Appetit darauf, dieses schwarze Schaf einmal persönlich kennen zu lernen; Th. Mann 1920 Reden u. Aufs. (W. X 850) ich erwartete jede Nummer mit dem Appetit meiner neunzehn Jahre, — zumal ich sofort einen Beitrag geschickt hatte; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 379) er aß viel, nutzte die gewaltigen Berghofmalzeiten, bei denen auf garniertes Rostbeaf gebratene Gänse folgten, mit jenem übergewöhnlichen Appetit, der hier durchaus, und im Winter, wie sich zeigte, noch mehr als im Sommer, an der Tagesordnung war; Werfel 1928 Abituriententag 63 Wojwode zeigte einen ungeduldigen, für sein Alter seltenen Appetit wie ein gieriger Mann, der schnell abessen muß, um einem ändern den

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Platz zu überlassen . . Vielleicht war es mehr als Appetit, was er zeigte, vielleicht war es Hunger; Brod 1928 Zauberreich 308 Bestellt ein Appetitbrot, mit etwas recht Scharfem darauf; Baum 1929 Menschen 53 Sie sind bei Appetit wie? Seelisch, meine ich; Schoepflin 1931 Gesund 6 Man hat nicht mehr Appetit, sondern rechtschaffenen Hunger, denn das Herumspringen von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends setzt bei; Fallada 1932 Mann 10 Pinneberg findet wieder, sie sieht herrlich aus . . er sieht sie höchstens alle vierzehn Tage, und so ist sein Entzücken immer frisch und sein Appetit über alles Begreifen; Lokal-Anz. 2.9.1934 einen appetitanregenden und durstlöschenden kleinen Spaziergang durch die sechs Hallen am Kaiserdamm; ebd. 21.11.1934 Feinmarinaden (Appetitsilds, Gabelbissen und Marinaden in besonderen Tunken); Lauter 1937 Hunger, Appetit und Ernährung (Titel); Kesten 1952 Casanova 141 Er fand nicht einmal den Widerstand, der den Appetit schärft, und gab ihr zwanzig Zechinen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 278) lange Speisefolgen . . in die erfrischende und den Appetit erneuernde Gänge . . eingelegt waren; Frisch 1957 Homo faber 138 Sabeth .. leidet an dieser Trennung keineswegs, im Gegenteil, sie hatte einen herrlichen Appetit. . und trank von dem weißen Orvieto; Süddtsch. Ztg. 14.2.1959 Ein viertes Mittel, sich der der Schönheit abträglichen Pfunde zu entledigen, stellen die sogenannten „Appetitzügler" dar; Offenburger Tagebl. 28.9.1961 eine Gemeinschaftswerbung unter dem Motto „Appetitbrot"; Grass 1962 Blechtrommel 129 [sie] kam mit einem Stück geräuchertem Aal aus dem Laden zurück, daß uns der Appetit verging, weil sie mit dem Messer der Aalhaut innen und außen das letzte Fett abschabte und überhaupt nur noch Fisch mit dem Messer aß; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 231 wenn sie Appetit auf Schwarzmarktwaren haben, spielen sie Volkskontrolle; Welt 25.1.1966 man könnte daraus nur folgern, daß die Kommunisten „Appetit" bekommen hätten und hofften, ihre Ziele durch die Fortsetzung des Krieges zu erreichen; FAZ 21.7.1971 Appetitzügler rezeptpflichtig? (Überschr.); Schwendter 1973 Subkultur 115 der unersättliche Appetit auf Konsum als Aspekt des Immerweitergehens; Welt 22.4.1974 das ZDF brachte im vorigen Jahr vom gleichen Regisseur „die Kuh", eine erstaunlich gekonnte Tragikomödie, die Appetit auf mehr machte; Strauß 1980 Rumor 105 als sie am späteren Nachmittag im Tomaselli einen unnatürlichen Appetit entwickelte; Zeit 22.3.1985 aber abgesehen von den Haifischen, die mit guten Ratschlägen nicht geizen und doch nur den eigenen Appetit stillen wollen, ist es damit eben nicht getan; MM 7. 9.1985 Stammgäste werden mit Namen begrüßt und der „Gute Appetit"-

Wunsch zaubert auf manches ausgemergelte Gesicht ein Lächeln; Zeit 13.9.1985 grippeähnliche Anfälle, Appetitverlust, Mattigkeit; MM 28.8. 1986 Appetitzügler in fester Form unter Rezeptpflicht; ebd. 30. 8.1986 eine Einzeldosis der appetithemmenden Wirkstoffe; ebd. 30.10.1986 speziell gezüchtete Bakterien für die Bodenreinigung und Grundwasserreinigung . . deren Appetit auf . . Dieselöl, Benzin, Kerosin oder Formaldehyd gelenkt wurde; ebd. 16.11.1987 was man aus dem faszinierenden Gesamtwerk Jan van Munsters zu sehen gekommt, sind einige Appetithäppchen im Grafischen Kabinett; ebd. 16.6.1988 Programme für alle können nur appetitanregend und nie appetitstillend wirken; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 120 Sprachglossen, die sich . . en detail (appetithäppchenweise in Zeitungen) am besten verkaufen; Süddtsch. Ztg. 16.12.1992 Jelzin . . hat unter Druck Vorleistungen erbracht, die den Appetit der Deputierten auf mehr Macht und auf eine Wende nur größer machten; MM 6.9.1993 Den Appetit anregend . . Die Staatsphilharmonie RheinlandPfalz in Ludwigshafen . . Die Brillanz der Wiedergabe machte Appetit auf ein Wiederhören; ebd. 8.9.1993 Rezession verdirbt den Appetit. Ernährungswirtschaft klagt über Umsatzrückgang und schlechte Aussichten. appetitlich: Fischart 1575 Garg. 249 appetitlicher Hunger; Schildknecht 1652 Harmonia III 169 appetitlichen Speck; Praetorius 1662 Rübezahl Bl. Aba appetitliche Dinge; Francisci 1668 Vorgespräch 45b Das Fleisch ist . . den reichen Leuten nicht appetitlich; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 369 Der Herr beschreibet sein Gastgebot so appetitlich/ . ./ daß ich dafür halte/ Hr. Nican werde sich dienstlich davor bedancken; Reuter 1700 Ehrenfried 85 Je Gretgen, wie will ich dich an mein Hertze drücken/ Ein Schelm, der es auch nicht fein appetitlich macht; 1702 Monatl. Auszug Dez. 26 sie namen die Freyheit ihm zu sagen/ daß man auch noch . . appetitlichere [Ergezung] hätte . . es wären ja viele junge und schöne Dames bey Hofe; Menantes 1709 Satir. Roman I 55 appetitliche Ruhe; um 1710 Holofernes 156 niedliche, appetitliche Jüdische Weiber; Marperger 1716 Küchendict. 493 so wenig . . der bestialischen Tartarn ihre Ermürbung des rohen Pferde-Fleisches/ wann sie solches unter dem Sattel legen/ und etliche Stunden damit geritten haben/ ändern civilisirtern/ und ordentlichen Haushaltung stehenden Nationen appetitlich . . seyn kan; 1719 Abentbeuerl. Welt V 20 Eyrilam . . der manch appetitlich Kind verschlüge; Schnabel 1731 Felsenburg I 119 Lemelie richtete dieselbe [Schildkröte] seiner Erfahrung nach appetitlich zu, und wir fanden hieran eine ausserordentlich angenehme Speise; Weisse 1759

Appetit Schuster ( 157) den Preis ihres appetitlichen Füsschens; Adelung 1774 Wb. d. hochdtsch. Mundart 77 416 Er sähe eben nicht appetitlich aus; 1784 Leben d. Eulenspiegel l 143 was Appetitliches zum Abendessen; Goethe 1786 Tagebücher (WA III 1,152) Ein sonderbar Gestein wird hier verarbeitet, zu Werckstucken . . Ein Stück war gar zu appetitlich; ders. 1787 Italien. Reise (WA I 32,129) Ich hatte . . von einer weiten Berg- und Waldtour, die appetitlichsten Pilze mitgebracht und sie dem Koch übergeben; 1788 Journal d. Moden 111 294 Sie [eine bestimmte Art von Bechern] sind schön und appetitlich zum Gebrauche; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,55) Die lange gegen Mittag gerichtete Mauer war zu wohl gezogenen SpalierPfirsichbäumen genützt, von denen uns die verbotenen Früchte den Sommer über gar appetitlich entgegenreiften; Stephani 1813 Erziehung 94 Jene Menschen, die dem Geschlechtstriebe einen Einfluß auf ihr Urtheil über schöne Personen gestatten, sollten in solchem Falle nur das Wort appetitlich gebrauchen; Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 25.1,42) appetitliche Kuchen, frische Milch, und sonst mancher ländliche Leckerbissen; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. Ill 122) Das Modell einer Normalküche war appetitlich anzusehen. Nicht weniger als fünfzig Speisen können darin gleichzeitig gekocht werden; Radziwill 1825 Br. 109 Seitdem erhielt ich noch die lieben Zeilen in dem wunderhübschen Kasten . . er ist gar zu appetitlich und ladet zum Nachmachen ein; Clauren 1827 Emmy II 176 Von der Vermählung . . weiss euch das alte gute Claurchen recht appetitlich zu erzählen; Dingelstedt 1847 Jusqu'a la mer 51 Fisch und Vogel sehr fein geschnitten und appetitlich gruppirt; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 170 Da aber Rebekkchen um so appetitlicher war und ruhig suppte, so warteten wir beide als umsichtige Krieger, bis das Fräulein einen Löffel Milch genossen hatte, und stürzten dann immer a tempo über die Schüssel her; Casteili 1861 Mem. H 5 Eine recht appetitliche, etwas corpulente Kellnerin; Raabe 1864 Hungerpastor 223 mit nicht geringem Appetit folgte Hans der Einladung seines Führers und „hieb ein"; der eben erwähnte fröhliche Herr aber hielt es sofort für seine Pflicht, den Kandidaten durch eine recht appetitliche Geschichte zu erfreuen und zum Angriff zu ermuntern; Kretschman 1866 Kriegsbr. 22 Zum ersten Male, seit ich Abschied von Dir nahm, befinde ich mich in einem leidlich anständigen Quartier, zum ersten Male ein reines, weißes Bett, zum ersten Male ein appetitliches Mittagbrot; Reichensperger 1872 Phrasen 81 es gilt . . nicht den arglosen Biedermännern, die immer noch unter „liberal" den bloßen Gegensatz von „servil" sich denken und nun einmal nicht merken, daß der so appetitliche Köder an einem

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vergifteten Haken hängt: Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind!; Lindenberg 1883 Berlin 63 die appetitlichen Brödchen . . verspeist; Jowiris 1888 Studententeuffel 35 sieht im Gesichte aus als eyne Matzbemme, nur nit so appetitlich; Harden 1892 Apostata N. F. 42 Für ihren Schöpfer werden die süßen Dirnchen deshalb nicht schlechter; er hat für appetitliche Racker eine gar nicht mephistophelische, eher schon eine allzumenschliche Vorliebe; Presber um 1900 Untermensch 95 Ein bekannter Maler, der sehr nobel und beneidenswert appetitlich als Chinese bei einer bildhübschen Holländerin stand; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 87) „Noch ein bißchen Beschaf?" fragte sie mit herzlichem Kopfschütteln. Und das klang so appetitlich, daß niemand widerstand; Hesse 1904 Camenzind 76 Den Rest der Wände bedeckten sehr saubere, appetitlich aussehende Bleistiftskizzen und ein halbleerer Bücherschrank; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 143) aber hörenswert ist es ja, wie er zu sprechen versteht, jedes Wort springt ihm so rund und appetitlich vom Munde, — ich muß immer an frische Semmeln denken, wenn ich ihm zuhöre; Rosenberg 1925 Heptameron 88 eine Stubenmagd von recht appetitlicher Form und draller Fülle; Bronnen 1928 Film 27 allerorten gingen appetitliche, süß bemalte Tippistinnen herum, die gefeit waren gegen die Tücken der Menschen und der Dinge; Wohl 1932 Reporter 345 wenn Sie lauter werden, als ich das zulassen kann, muß ich Ihnen den anderen Ärmel in den Mund stopfen. Keine sehr appetitliche Sache, ist ziemlich viel Blut dran; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. IV/V 1808) sie hatten ihre Freude daran, wie es nun in des Mannes Leibe so viel reinlicher und appetitlicher aussah als zur Zeit seiner Beseeltheit; Dtsch. AZ. 14.2.1935 den sie mit ihrer appetitlichen Fürsorglichkeit . . verwöhnte; Volkmann 1938 Streifen 79 der netten appetitlichen Art, in der sie den Tisch deckte; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 495) kein Zweifel . . daß er . . verliebt in sie war, behext von dem Anblick ihres appetitlichen Decolletes; Dürrenmatt 1956 Alte Dame 98 Drückten die immer besseren Kleider den anwachsenden Wohlstand aus, . . wurde der Bühnenraum immer appetitlicher; Münch. Stadtanz. 7.3.1958 Eine richtige, eine „appetitliche" Aufmachung vermittelt das Gefühl der Qualität. Die moderne Verpackung wird immer mehr zum Werbeträger ausgebaut; FAZ 23.3.1963 Junggeselle . . sucht eine gesunde, nette, appetitliche .. Lebenskameradin; Hildesheimer 1977 Mozart 120 Gewiß sind diese Briefe nicht immer appetitlich; Zeit 4.1.1985 man gießt . . Silikon in den Hohlraum und erhält nun eine appetitlich weiße elastische Matrize; MM 10.8.1985 Chaumet sieht unterdessen eine hygienisch-appetitliche, verbrau-

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cherfreundliche Zukunft anbrechen; Z,eit 11.10. 1985 dem Publikum gefiel es, und es klopfte im Takt auf den appetitlichen karierten Tischtüchern mit; Fuchs 1986 Schinderhannes 103 Der Trampel, wie dieser steinherzige Grobian Bärbel zu nennen pflegte, war aber auch zu und zu appetitlich; MM 6.2.1988 noch vor kurzem war das jetzt appetit1lich anzuschauende RenaissanceKind kaum zu sehen, nämlich rußverschwärzt und voller Risse; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 83 Man ist versucht . . von einem „Stilsalat" zu sprechen, der nichtsdestoweniger appetitlich bis delikat angerichtet wird; MM 28.729.8.1993 Die Zutaten zu einer richtig appetitlichen Küche sind vielfältig. Appetitlichkeit: Nordau 1885 Paradoxe 79 Und ein Schelm oder ein Narr, der . . mit dem Aasgeier die Appetitlichkeit des Luders rühmt; Fontäne 1893 Jenny Treibel (Ges. W. I 3,429) Es ist doch kein Zweifel, dass Helene eine schöne Frau ist und von einer . . ganz aparten Appetitlichkeit; Th. Mann 1907 Nachtr. (W. X1H 461) gibt es . . junge Leute, die . . einen Grad von Wohlgeratenheit, Eleganz und Appetitlichkeit und Körperkultur darstellen; Dtsch. AZ. 13.2.1935 Die Tochter war von strahlender Appetitlichkeit und roch wie ein Gravensteiner Apfel. appetitlos: 1717 Geheimnüsse 43 appetit-lose Unpässlichkeit; 1737 Geheimnüsse 38 eine ecklichte Appetit-lose Unpässlichkeit; Rötscher 1845 Seydelmann's Leben 289 appetitlos (SANDERS 1871); Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 231) ihr Befinden war schlechter geworden . . sie fühlte sich schwach, müde, appetitlos, fieberte. Appetitlosigkeit: Borne 1831 ff. Ges. Sehr. IV 125 Appetitlosigkeit (SANDERS 1871); Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. / 752) die Anfangssymptome der Krankheit, Verstimmung, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, unruhiger Schlaf, Kopfschmerzen; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 539) sie bekamen diesem jungen Patienten nicht, verursachten ihm Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme und Müdigkeit; Ullrich 1960 Wehr dich, Bürger 105 Nach der Impfung treten in der Regel Fieber und Appetitlosigkeit auf; Schipperges 1985 Garten 67 Appetitlosigkeit von Kindern und Jugendlichen wird beschrieben als „Krankheit des Ekels"; Zeit 9. 5.1986 sie scheiden einen Duft aus, der bei den jüngsten Tieren völlige Appetitlosigkeit hervorruft; MM 6.4.1988 bei kurzzeitiger Überdosierung von Vitamin A treten Vergiftungserscheinungen wie Appetitlosigkeit, Übererregbarkeit, Übelkeit und Haarausfall auf.

Appetizer: Neue Ztg. 30.3.1953 Auf dem Teller werden auf einem Salatblatt ein paar Apfelsinenscheiben und etwas mit Nüssen bestreuter Quark oder ein anderer Appetizer appetitlich angerichtet; 1966 Kochbuch Fälscher 33 Cocktails (Appetizers) — Cocktails sind kleine Appetitanreger (AWB); Femina 25.8.1967 Servieren der Appetizers (AWB); Spiegel 22.1.1968 weiße Trüffeln als würzende Wohltat . . in Appetizern (AWB); ebd. 27.11.1978 Auch Älteren jedoch sind literarische Appetizer zugedacht, etwa Buchempfehlungslisten für Brautleute (AWB); 1991 Marie Ciaire V 24 das weiße Gekräusel, in essigsaurer Sauce als teurer Appetizer serviert, hatte mir ein wenig zu schaffen gemacht; Lukoschik 1991 In u. Out 81 Die kunstvolle Verhüllung reizender Körperlichkeit durch enganliegende Schmeichelstoffe (mit eindeutigen Einblick- und Assoziations-Möglichkeiten) ist der schönende und klassische Appetizer für die freizeitige Ein-heit zweier Lust-Williger. unappetitlich: Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 91 damit sie [die Schüsseln] nicht durch den herabfallenden Poudre und ändern Wust von denen, die sie auf die Tafeln setzen, verunreiniget, und unappetitlich werden; 1730 (1907 Archiv f. Kulturgesch. V 32) Bei diesem guthen Nachtmahl vergassen wir auf das unappetitliche Neue Würthshaus, wo wir . . leyder waren; Wezel 1776 Tob. Knaut IV 5 [Die Mahlzeit] war so dürftig und unappetitlich; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 311) die Analyse kann eine sehr unappetitliche Sache sein, unappetitlich wie der Tod, . . — verwandt dem Grabe und seiner anrüchigen Anatomie; 1931 Die Dame VIII 10 Es ist ja auch fatal, einem Künstler ein Bild abzukaufen, nur weil der mit äußerst geringem, kaum für ein Kunsthandwerk zureichenden Können in Straßenkämpfen und Selbstbildnissen mit Modellen reichlich unappetitlich wird; Bernhard 1967 Verstörung 151 Das Alter ist eine große Unappetitlichkeit. Die Jugend ist ein Ekel, aber das Alter ist unappetitlich; Burger 1983 Untergeher 55 Auch im kleinsten Gasthaus in der Schweiz ist es sauber und appetitlich, selbst in unseren österreichischen Hotels ist es schmutzig und unappetitlich; MM 25.6.1985 äußerst unappetitliche, geradezu ekelerregende Zustände trafen Beamte des Wirtschaftskontrolldienstes bei einer Gaststättenüberprüfung an; Zeit 28.3.1986 viel Musik, die einem wie mit rasselnden Ketten auf die Ohren knallt, Ruinenlandschaften und Unappetitliches aus der Punkzeit; ebd. 13.2.1987 was dann folgte, nach 1933, war zum Teil ebenfalls extrem, extrem unappetitlich, die Bilderbücher des Stürmer-Verlags nämlich. Unappetitlichkeit: Glassbrenner 1836 Bilder II 141 [sie] ist jetzt 62 Jahre alt, aber ohne alle Unappetitlichkeiten des weiblichen Alters; Kohl 1841 Peters-

applaudieren burg I 128 Sowie du bei ihm vorübergehst, tunkt der Verkäufer einen jener Kuchen in den Topf, streut rasch etwas Salz darauf und präsentirt dir ihn auf der Hand . . Was mich betrifft, so amüsirte ich mich . . weit mehr über den Witz und die Höflichkeit dieser Oellecker, als daß ich an ihrer Unap-

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petitlichkeit Aergerniß genommen hätte; Zeit 2.1.1987 gar keinen Vergleich gibt es zu den bodenlosen Unappetitlichkeiten dieses Buches; MM 12.2.1987 wenn etwas mehr provoziert und aufwühlt als dargestellte Grausamkeit, dann sind das Unappetitlichkeiten.

applaudieren V. intrans., selten auch V. trans., im späteren 16. Jh. eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. applaudir entlehnt aus lat. applaudere 'etwas an etwas anschlagen, klatschen, jmdm. Beifall klatschen' (aus intensivierendem Präfix adund gleichbed. plaudere). In der Bed. '(jmdm./etwas) (mit den Händen) Beifall klatschen', auch im Sinne von '(jmdm./etwas) begeistert zustimmen, (verbal, mimisch) Beifall zollen' (—» akklamieren a), z. B. ein applaudierendes Lächeln (s. Beleg 1779), seit spätem 18. Jh. häufig bezogen auf den Beifall für kulturelle Darbietungen, z. B. die Zuhörer applaudierten dem virtuosen Gesangsvortrag, das Premierenpublikum applaudierte der Hauptdarstellerin; selten auch als V. trans, (meist passivisch) für 'jmdn./etwas beklatschen, mit Beifall bedenken' (s. Belege 1800, 1928, 1965). Seit frühem 17. Jh. das aus lat. applausus 'das Anschlagen; das Beifallklatschen' (zu applaudere, s. o.) entlehnte Subst. Applaus M. (-es; selten -e), anfangs überwiegend in der lat. (flekt.) Nebenform Applausus, etwa seit Ende 18. Jh. überwiegend in der heutigen Form gebräuchlich, in der Bed. 'Beifall (durch Klatschen der Hände)', auch 'begeisterte (verbal, mimisch geäußerete) Zustimmung' (s. Belege 1723, 1958, 1985); bes. in Wendungen wie frenetischen Applaus spenden, mit anhaltendem Applaus (einer künstlerischen Darbietung) danken, eine Rede mit Applaus quittieren, Applaus und Bravorufe und in Syntagmen mit metaphorisch verwendetem Adj. wie aufbrandender, tosender, verebbender, stürmischer Applaus; als Grundwort in Zss. wie Premieren-, Begrüßungs-, Sonderapplaus und bes. Szenenapplaus 'während eines Theaterstücks für einzelne Szenen gespendeter Beifall', im Ggs. zu Schlußapplaus 'am Ende eines Theaterstücks gegebener Beifall'. Regionalspr. (bair.) auch in der möglicherweise unter Einfluß von lat. plausus entstandenen, verkürzten, meist ironisch verwendeten Nebenform Plaus (vgl. SCHMELLER, DWB). Im 18./19. Jh. selten das aus gleichbed. frz. applaudissement entlehnte Subst. Applaudissement N. (-s; -s), weitgehend gleichbed. mit Applaus (s. o.). applaudieren: Rot 1571 Diet. 290 Applaudirn, frolocken, die händ vor frewden in einander schlahen; Schupp 1659 Kalender E2b Als ich erstlich nach Hamburg kam und mir alles Volck applaudirte; Philippi 1743 Reimschmiedekunst 38 ob wir wol nicht abgeneigt sind, allen denen mit Händeklatschen zu applaudiren, die unsere Gegner . . wacker abtrumpfen; Kindleben 1779 Schluterius 117 ein gefälliges, applaudierendes Lächeln; 1789 Journal d. Moden IV 73 über Applaudiren und wahren ehrenden Beyfall; Laukhard 1792 Leben II 198 Über einige . . Anmerkungen . . applaudierten ihm die Studenten laut; Goethe 1800 Br. (WA IV 15,63) Man applaudirt öfters den Verfasser; ders. 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 6,356) Er soll sich

in der grausamsten Lage körperlicher und geistiger Bedrängnis noch edel verhalten, um ihren Beifall zu erhalten, und, damit sie ihm beim Verscheiden noch applaudieren, wie ein Gladiator mit Anstand vor ihren Augen umkommen; Wolff 1823 Preciosa (W. l 70) Bei Preciosa's Erscheinen wird applaudirt; Heine 1835 Romant. Schule 98 Es ging ihm [Schlegel] wie einer alten Komödiantin, die nicht begreift, warum die Leute lachen statt zu applaudieren; 1863 Bilder a. Paris l 207 der sehnlich Erwartete . . von fast zwanzigtausend applaudirenden Händen begrüßt; Nordau 1881 Paris H 47 in der Volkswirtschaft applaudierte sie [die junge Generation] dem tollsten Kommunismus eines St. Simon; Th. Mann 1903 Erz. (W. VU1 347) Die Leute

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applaudieren

stehen zwischen den durcheinandergerückten Stühlen und applaudieren und drängen vorwärts, um Bibi zu sehen; der s. 1926 Reden u. Aufs. (W. XI55) Rhetorische Leistungen, Abgänge, die bei offener Szene applaudiert werden; Edschmid 1928 Gagaly 156 Dies Fahrkunststück war einzig genug, um applaudiert zu werden; Berl. Illustr. Nachtausg. 18. 6. 1933 nach dieser blendend absolvierten, stürmisch applaudierten Nummer; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 396) Ich sehe uns . . nach der besonders glänzenden Aufführung einer Tschaikowski-Symphonie im Zapfenstößer-Saal in einer der vordersten Reihen unter der Menge stehen und applaudieren; Welt 2. 9.1954 Im Parlament wird viel geredet, viel applaudiert und nie opponiert; FAZ 3.12.1965 Dem Minister, der zum erstenmal nach der Übernahme seines Amtes auf einer offiziellen Veranstaltung der Unternehmer sprach, wurde von seinen Zuhörern mehrfach lebhaft applaudiert; MM 14.5.1985 Daß sein Orchester ihm am Schluß applaudierte, war ein würdiges Zeichen der Anerkennung und des Einvernehmens; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 199 Bravo, applaudiert ihnen der Anwalt lautlos, [indem er denkt:] sie haben vollkommen recht; Zeit 23.1.1987 „Zukunft", applaudiert die Marktforscherin Carmen Lakaschus, „ist für viele Menschen so kurz vor der Jahrtausendwende von besonderem Interesse"; MM 18.4.1987 Das Premierenpublikum zeigte sich angetan und applaudierte kräftig; ebd. 1.10.1987 Wenige Tage nach Kreitens Hinrichtung . . war im Berliner „12-Uhr-Blatt" am 20. September 1943 ein Artikel von einem Werner Höfer erschienen, der darin „der strengen Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers" applaudierte; Süddtsch. Ztg. 18.12. 1992 aus der sentimentalen Umklammerung ihrer applaudierfreudigen Verehrer. Applaus: 1619 (Balte 1895 Danziger Theater 54) applausum Spectatorum vermercket; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 740 bey der gelehrten Welt einen grossen applausum gefunden; Ritter 1723 Fl. lllyricus 12 allwo Lutherus lebte, und die Lehre des Evangelii fürnemlich mit grösserm applausu und Zulauff getrieben wurde; 1736 Karlsbad 104 mit . . allgemeinen Applauso; Michaelis 1770 Raissonnement III18 du . . so glänzender Applausus; Ratschky 1799 Striegel 15 unter allgemeinem Applause; Sechstem 1836 Reisetage II 141 ein wahrhaft wütender Applaus lohnte den künstlerischen Anstrengungen; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 236 Der Vorschlag . . fand begeisterten Applaus; 1863 Bilder a. Paris 263 Ein ungeheuerer Applaus der hunderttausend Zuschauer begleitete diese Scene; 1887 Salon U 103 [der] Applaus-Apparat, unentbehrlich für jeden Sänger und Schauspieler; Ebertin um 1910 Alles verstehen 30 die

Sängerin . . erntete wie immer stürmischen Applaus; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 75) Ich . . wurde in kurzer Ansprache vorgestellt und hatte für einen Begrüßungsapplaus zu danken; ders. 1930 Erz. (W. VIII 704) sie beteiligten sich mit ungeschickten Händchen freudig an jedem Applaus; Musil 1930 Mann I 205 weder den leisesten Applaus noch das geringste Zeichen von Ablehnung; Lokal-Anz. 26.9.1934 Am Schluß [des Theaterstücks] bricht ein Applaussturm los, wie ihn das ehrwürdige Haus nur an den größten seiner großen Abende erlebt haben wird; Berl. Morgenpost 13.6.1935 Schon mit ihrem Auftrittslied ersang sie sich einen Sonderapplaus; Niebelschütz 1949 Bürgerin 55 es rauschten die Applause; ebd. 160 Frenetische Applause; ND 28.9.1949 Nach dem Credo gibt es rechtens Sonderapplaus; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 457) desto rauschender, mit Bravogegröle vermischt, war selbstverständlich der Beifall der Masse, als er beim dritten Mal nach seinem Salto mortale wirklich nicht nur ohne Wank dort oben stand, sondern auch durch ein me voila . . den Applaus zum Sturm anfachen konnte; Jaspers 1958 Atombombe 274 Die Forscher begehrten und erwarteten gewiß nicht den Applaus von Ostdeutschland und Rußland her; Grass 1962 Blechtrommel 306 Bravorufe und Applaus; Hilpert 1963 Liebe 82 Applaus, sofern er ehrlich ist, gibt doch dem Schauspieler einen schönen Beweis für die Notwendigkeit seiner Arbeit; Welt 24.1.1966 Es gab Beifall auf offener Szene, orkanartigen Applaus zum Schluß und Bravo-Rufe für das Ensemble; ND 23. 9.1969 mit wiederholtem Szenenapplaus und reichem Schlußbeifall; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 8 Applaus brandete auf; Zeit 18.1. 1985 Applaus deshalb auch von den Lehrerverbänden, die an der wachsenden Arbeitslosigkeit ihrer eigenen Klientel unschwer ermessen können, was es heißt, wenn 'Bildung' kein Thema mehr ist; MM 6.3.1985 Mit herzlichem Applaus feierte das Publikum die Künstlerin; Zeit 28.2.1986 Später dann, wenn er beim Steppen strauchelt und hinfällt, aber trotzdem weitertanzt, gibt es im Kino Szenenapplaus wie im Theater; ebd. 6. 6.1986 er kannte den hohen Preis für Bravos und Applaus; MM 23.2.1987 da belohnt stürmischer Applaus ihre außergewöhnliche Leistung; ebd. 13.4.1987 erst nach einer Bach-Zugabe . . verebbte der Applaus; ebd. 9.5.1987 Das Publikum folgte dem „trivialen Drama" mit Szenenapplaus und zeigte sich im Schlußbeifall begeistert; ebd. 15.9.1987 ein ebenso leidenschaftliches wie bombastisches Finale, nach dem die glänzend hervortretenden Blechbläser-Solisten . . im Rahmen des kräftigen Schlußbeifalls Sonderapplaus erhielten; ebd. 19.10. 1987 Aus dem Publikum erhielt Hilde Domin einigen Applaus, jedoch auch viele Buhrufe

Applikation auf diese Entgegnung; ebd. 30.5.1988 das Publikum verharrte in ergriffenem Schweigen, klatschte (endlich einmal!) nicht in die Schlußakkorde hinein, um dann mit Applaus und Bravorufen Sturmstärken zu erreichen. Applaudissement: Iffland 1798 Theatral. Laufbahn 73 Einige Jahre vorher hatten wir uns unter einander festgesetzt, daß niemand von uns etwas, am wenigsten bey den so genannten Abgängen, dem Applaudissement zu gefallen thun sollten; Scho-

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penhauer 1803 Reisetagebuch 269 sein Auftritt [war] immer mit fünf Minuten Applaudissement begleitet; Heine 1835 Romant. Schule 212 [der] jene Virtuosität in der deutschen Philosophie erlangte, die ihm späterhin in Paris, so viele Applaudissements erwarb, als er die schwierigsten Passagen derselben öffentlich vortug; Grimm 1897 Beitr. 446 und würden sich ohne ihre applaudissements unglücklich gefühlt haben; ebensogut wie Heine, indem er Goethe scheinbar verspottet, doch nach dem Beifalle derer hungert, die Goethe verehrten.

Applikation F. (-; -en), Anfang 16. Jh. entlehnt aus (fielet. Form von) lat. applicatio 'das Sich-Anschließen, Herandrängen, Hinneigen', speziell rechtsspr. 'das Sich-Anschließen eines Klienten an einen Patron' (zu applicare, —»· applizieren). la Zunächst im Bereich der Musik für 'Gebrauch, Verwendung' in Bezug auf das Einsetzen der Finger beim Instrumentenspiel (s. u. Applikatur), dann auch allgemeiner in der Bed. 'konkrete Anwendung, Verwendung, zweckmäßiger Gebrauch, Nutzbarmachung, Realisierung der Theorie durch praktisches Handeln'; bis heute speziell in der Medizin (s. Belege 1525 — 26, 1986) für 'Anwendung, Verabreichung von therapeutischen Maßnahmen, Medikamentierung' (—» applizieren la). b Im 17. Jh. auch für 'Anwendung, interpretierende Übertragung, Interpretation' (—» Akkommodation la, —» applizieren Ib). c Im 19. Jh. für 'das Sichbeziehen auf, der Bezug zu etwas', z. B. eine falsche Applikation herstellen 'etwas auf etwas beziehen, was damit gar nichts zu tun hat, was nicht impliziert war' (—» applizieren Ic). 2 Vom späteren 18. bis ins 20. Jh. für 'Fleiß, Mühe, Emsigkeit, Anstrengung, Konzentration, das Sich-Kaprizieren auf etwas' (—>· applizieren 3). 3 Im 19. Jh. selten für 'Bitte, Gesuch', speziell 'Bittschreiben, Eingabe an eine Behörde' und im Bereich der katholischen Kirche für 'Darbringung der Eucharistiefeier als Fürbitte für bestimmte Personen oder in bezug auf bestimmte Anliegen'. 4 Seit Mitte 19. Jh. speziell für 'gestalterische Verbindung von Materialien (wie Stoff, Metallplättchen, Holzpartikel u. ä.), befestigte Auflage, Aufgenähtes, aufgenähte Verzierung' (—» applizieren 4). Dazu das vom 17. bis ins 19. Jh. belegte, bis heute gebuchte, aus gleichbed. frz. applicable entlehnte Adj. applikabel 'anwendbar, nutzbar, brauchbar, tauglich', vereinzelt (s. Beleg 1672) auch von Personen (zu la); seit späterem 19. Jh. die (1863 bei Kaltschmidt) gebuchte subst. Ableitung Applikabilität F. (-; ohne Pl.) 'Anwendbarkeit' (zu la). Im 19. Jh. selten die zur flekt. Form von lat. applicans (Part. Präs, zu applicare, —» applizieren) gebildete Personenbezeichnung Applikant M. (-en; -en) 'Bittsteller; Bewerber, Anwärter' (zu 3). Daneben auch fachspr. produktiv, speziell in der Musik seit früherem 18. Jh. das zu lat. applicatus (Part. Perf. zu applicare, —>· applizieren) gebildete Fachwort Applikatur F. (-; -en) 'Gebrauch, Lage, Stellung der Finger bei einem Instrument, Fingersatz' (zu la); in der Kunstwissenschaft das Subst. Applike F. (-; -n) 'separat gearbeitetes, aufgelegtes Zierstück (z. B. auf einer Vase angebrachtes Tonrelief, Möbelbeschläge)' (zu 4).

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Applikation

Applikation la: Virdung 1511 Musica o. S. ein application der finger [beim Spielen einer Flöte]; Paracelsus 1525-26 S. W. / 2,96 was von im [dem Kraut] gebrent wird, . . das sie das selbig alls tunt in gemeiner application; Heideman 1664 Architectura mil. H 3 gebrauch vnd application solcher Werckzeuge; Lebenwaldt 1681 Teufels List VI 36 application der salben; Vischer 1709 Informator 127 die Application oder Anwendung [grammat. Regeln]; Fleming 1726 Soldat 31 Man muß sich bemühen, bey jedweder Aufgabe gleich die Applikation zu suchen, wie man dieselbe in den Mathematischen Wissenschaften . . wieder anbringen möge; 1736 Karlsbad 23 Medici, welche . . allen Herren Patienten . . die proportionierte Application an Hand zu geben wissen; Zincke 1751 Cameral. Bibl. II 362 Application der Polizeygesetze; Hase 1779 Aldermann I 57 die Applikation der .. Gesetze; Abel 1786 Seelenlehre 167 diese Methode, Begriffe zu schaffen, und Geseze zu bilden, ist . . von jeder ändern so verschieden, daß ihre Application gar nirgends sonst denkbar ist; 1971 Elektronik XII 419 Für Forschung und Entwicklung, aber auch für Applikationen in der Kältetechnik ist das elektronische Thermometer . . bestimmt (DUDEN); Klaunick 1971 Beurteilung o. S. Die endogene Fluorzufuhr übt durch die orale Applikation eine zusätzliche Wirkung aus; Viehweger 1982 Vereinbarkeitsbez. 36 die Applikation theoretischer Erkenntnisse der Semantikforschung auf die praktische Lexikographie; 1985 Packungsbeilage f. Medikamente o. S. Die Dosierung bei der intraartikulären Applikation hängt von der Schwere der Erkrankung und von der Größe des Gelenkes ab; ebd. Die handliche Applikationsform und das Konzentrat neutroper Vitamine machen Aktivanad Dragees besonders geeignet für Berufstätige und Autofahrer; Zeit 31.10.1986 Medikamente in unterschiedlichen Applikationsformen (Tropfen, Tabletten, Dragees, Zäpfchen usw.). applikabel: 1672 Kunst über alle Künste 63 Ist sie [Jungfer] der Arbeit werth und applicabel, will ich mich bemühen, . . mich in ihre gute Gunst einzuschreiben; Fleming 1719 Jäger 14a Was . . vom Recht und Pflicht der Landes-Fürsten in Ansehung der Jagden gesagt worden, ist auch . ., so weit es applicabel, von denjenigen Vasallen zu verstehen, die mit den Jagd-Regalien belehnet sind; Hamann 1760 Briefw. 44 allgemeine und applicable Ideen; 3772 Frankf. gel. Anz. 38 Das Epigram auf die hohe Frisur ist sehr gut, und überall sehr applicabel; Goethe 1773 Rechtsanwaltsschr. (DjG III 371) Bey denen angeführten Beyspielen . . zu betrachten . . ob die Exempel hierher applicabel sind (GWB); Heynatz 1774 Er. V 95 Zum Schluß noch ein Auszug von Wörtern, die in dieser Schrift mit Recht

getadelt sind, und an deren Stelle billig einheimische kommen müssen! . . applikable, anwendbar; Görres 1832 Ges. Sehr. XV 436 und unsere Staatsmänner haben das neue, ergötzliche Instrument erst in ihren Behausungen einstudiert, und sonach überall applicirt, wo es applicabel sich erwiesen. Applikatur: Zedler 1732 Universallex. II 964 Applicatura, heist bey denen Musicis, wenn in Tractirung eines Instruments bald dieser, bald ein anderer Finger den Umständen nach nöthig ist, und füglich gebraucht werden kann; Sulzer 1771 Theorie I Von. VII Applicatur; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,184) Applikatur und Takt scheinen ganz leicht und anschaulich zu werden; 3811 Almanack a. Rom II 166 Fast allgemein ist der Mangel an Applicatur, man nimmt die Töne durch Rutschen der ganzen Hand; Becker 1840 Hausmusik 58 Applicatur; Grillparzer 1848 Spielmann (W. XIII 51) Applikatur; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 61) Er wies uns die Applikatur der Klarinette, des siebengelöcherten Fagotts, . . belehrte uns über den Tonumfang der Instrumente, ihre Handhabung und dergleichen mehr. Applikation Ib: Perez 1626 Landstörtzerin l 66 Applikation der Fabel; Spener 1685 Klagen 213 applicationen oder accommodationen. Applikation Ic: 1856 Weimar. Jahrb. V 19 ungerechte, boshafte, oder missverstandene Applicationen; Mommsen 1895 Reden u. Aufs. 430 Durch ein langes literarisches Leben hindurch habe ich mir stets zum Gesetz gemacht, in wissenschaftlichen Fragen nur mit den Personen mich auseinanderzusetzen und die Applikation der Fehler, die ja jede Nation hat, auf den einzelnen zu vermeiden. Applikation 2: Kreittmayr 1769 Grundriss l Vorr. 7 Fleiss, Geschicklichkeit und Application hiezu [zur Baumeistertätigkeit] vonnöten; Schiller 1769 Ökonom. Beytr. I 403 meine Landsleute zu mehrerm Fleiss, Application und Nachdenken in solchen Dingen, welche zur Beförderung ihres eigenen . . Wohlstandes gereichen, aufzumuntern; Maimon 1791 Philos. Wb. 141 wahrlich liegt die Schuld . . in einem Mangel an gehöriger Applikation; Goethe 1829 Zw. röm. Aufenthalt (WA I 32,81) Ich sehe nun wohl, wie weit sich's mit Applikation bringen ließe; Benjamin 1926 Er. I 426 An dem „Unruh" habe ich freilich im vorigen Jahre auf Capri mit Applikation gearbeitet. Applikation 3: Gutzkow 1858 Zauberer III 312 Nach dem Hochamt hielt der Pfarrer . . noch eine Application; vor 1871 Globus IV 95b Für die Bear-

applizieren beitung der Kohlenlager . . fängt man kürzlich an, Applicationen bei der Regierung einzureichen (beide SANDERS 1871). Applikant: Schlesinger 1852 London 1139 Der Applicant gibt den Namen von des Beklagten Vater und Oheim, nebst deren Adressen an; Voit 1881 M-G. 117 Als Applikanten für die Registratur können versorgungsberechtigte Unteroffiziere zugelassen werden; Plevier 1932 Kaiser 148 Applikanten und Offiziersanwärter in Matrosenuniform. Applikation 4: 1857 Hofdamen-Br. 372 Applikationsmantille; 1902 Dtsch. Mädchenschule X 281 Die Aufnäh-Arbeit (Applikation) (Überschr.); Lokal-Anz. 21.4.1934 „Man lernt eine ganze Menge auf einer Modenschau, Georg", sagte ich, „aber die

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letzte Vervollkommnung für die Eleganz einer Frau ist nach meiner Ansicht — der Mann — und nicht die Biese oder die Applikation!"; Welt 22.2.1949 Auf chinesischer Seide sind verschwenderische Applikationen mit Perlen, Korallen, Halbedelsteinen und Pailletten als Ornamente verwendet; Miinch. Abendztg. 4.5.1949 Die durchweg sehr geschmackvollen Kleider zeigen eine sehr sorgfältige Ausarbeitung der Details und reiche Stickereien und Applikationen, Samtbandgarnituren und Handmalereien; Zeit 7.11.1986 mit .. kubistischen Applikationen auf der Bluse; Lukoschik 1991 In u. Out 35 Schnörkel, Kapitälchen und Säulenapplikationen. Applike: Sedlmayr 1955 Revolution 20 das Ornament . . wird . . zur „Applike".

applizieren V. trans., selten auch reflex., Anfang 16. Jh. entlehnt aus lat. applicare 'sich an etwas anschließen, sich annähern, zugesellen, etwas mit etwas verbinden, zusammenbringen, etwas gebrauchen, anwenden, jmdn. zu etwas verwenden, räumlich auf etwas hinrichten, landen (von Schiffen), sich interessiert, lernend einer Sache zuwenden' (aus ad- 'hin, zu' und plicare 'falten, zusammenlegen, -wickeln'; —»· duplizieren, —* replizieren; —» Applikation). la Zunächst im Bereich der Musik in bezug auf das Einsetzen der Finger beim Instrumentenspiel, dann (s. Beleg 1530) auch allgemein verwendet in der Bed. 'etwas anwenden, verwenden, gebrauchen' (—> Applikation la); bis ins 18. Jh. auch für '(etwas auf die Praxis) anwenden, übertragen, (etwas in die Praxis) umsetzen', z. B. einen Lehrsatz auf die Praxis applizieren (s. Belege 1566, 1720); bis heute häufig speziell in der Medizin (s. Belege 1530, 1970, 1985) für '(Medikamente, Arznei u. ä.) anwenden, verabreichen' (—* administrieren). Dazu selten vom 16. bis ins 18. Jh. das Verbalsubst. Applizierung 'Anwendung, Einwirkung, Verabreichung (von Medikamenten)', dafür überwiegend —> Applikation la. b Gleichzeitig bis ins 17. Jh. bes. im religiösen Bereich für 'ausdeuten, interpretieren' (—> akkommodieren 2b, —» Applikation Ib). c Vom früheren 16. bis ins 18. Jh. für '(etwas auf eine Person) anwenden, beziehen', z. B. sie applizierte die gehässige Bemerkung auf sich selbst (—» Applikation Ic). 2 Etwa gleichzeitig bis ins 19. Jh. für 'etwas austeilen, geben, zueignen', selten auch 'jmdm. etwas auferlegen, aufbürden, zumuten, zufügen' (s. Beleg 1860). 3 Vom 17. bis ins 19. Jh (auch reflex.) für 'sich befleißigen, bemühen, anstrengen, sich auf etwas verlegen, konzentrieren, kaprizieren' (—» Applikation 2). 4 Seit Anfang 19. Jh. in der Bed. 'etwas auf-, anlegen, an-, zusammenbringen, miteinander verbinden', heute nur noch speziell für 'Materialien (z. B. Webstoffe, Metallplättchen, Holzpartikel u. ä.) gestalterisch miteinander verbinden, aneinander befestigen, etwas aufnähen' und '(Farbe) auftragen' (—» Applikation 4). applizieren la: Virdung 1511 Musica o. S. man kan dir auch nit fürgeschreiben wie du dyne finger zu der löchern der pfeiffen . . soll oder müssest appli-

cirn; Agricola 1528 Musica 14 Welche den brauch der pfeiffen zeiget schlecht/ Vnd die finger zu applizieren recht; Rudolff 1530 Exempel Büchlin 2b

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applizieren

die vorgesetztte körner .. reychlichen zu applicyeren vnd brauchen wissen; Paracelsus 1530 S. W. / 8,387 möchten sie doch betrachten, das ir arznei nur ein arznei des accidens were, dieweil sie in den ersten zwölf stunden dieselbe appliciren müssen; ders. 1537-38 S. W. I 12,97 es ist ein arznei, zu dero nichts gehört, . . als alein , . [sie] dem kranken zu applicirn; Knaust 1566 Müntzbücblin I7b damit ich den fall auff die Sächsische müntz applicir vnd ziehe; Obrecht 1665 Rede 4 mag diese Vergleichung .. auch auf das Teutsche Römische Reich appliciret vnd eingerichtet werden; Hainhofer 1611 Corr. 196 [auf einer Reise zusammengetragene Kunstgegenstände] nutzbarlich zu applizirn vnd zu gebrauchen; 1652 Braunschweig. Schulordn. 5 wo nicht der Medicus dy rechte qualität des morbi zuvor wol erkundiget, und darauf dy rechte media gebürlich appliciret; Böckler 1683 Haus- u. Feldschule 1703 die praeparirte ArtzneySachen [sollen] in allerhand zufälligen Kranckheiten mit Nutzen gebrauchet und beschriebener massen applicirt werden; Ettner 1716 Hebamme 798 übel-applicirte Artzneyen; Wolff 1720 Gedanken 182 wenn man es gewohnt ist, die jenigen LehrSätze . . der Geometrie auf die vorgezeichnete Figur zu appliciren; 1721—22 Discourse d. Mahlern 79 sie wirfft Frantzösische Wörter in ihre Rede, welche sie radebricht und unrecht appliciert; Fleming 1726 Soldat 31 Man muß ihre Lehr-Sätze erstlich auf dem Pappier lernen, hernach aber sie auch auf dem Felde appliciren können; Wieland vor 1813 S. W. XIX 119 Daß man ihnen das Arkanum, wenn sie am Tage schliefen, eben so gut appliciren könne als bei Nacht (KEHREIN); Schiller vor 1805 Br. V 209 Seitdem diese [kalten Umschläge] applicirt werden (KEHREIN); Uhlenbruck 1970 Immunbiologie o. S. einem gesunden Meerschweinchen wird ein Antigen appliziert; 1985 Packungsbeilage f. Medikamente o. S. nur tropfenweise appliziert; Spiegel 11.10.1993 die Blutpräparate waren den Patienten bereits appliziert worden. Applizierung: Paracelsus 1530 S. W. I 8,372 die balbierer und bader, welche also in einer hoffart erwachsen, in deren sie sich selber achten . . gute arzt zu sein, welche [aber] in all iren reten, administrirung, applicirungen weder grünt, verstand noch wissen haben; Becher 1682 Glücks-Hafen 123 durch diese erhöhete Elementa Sympathetica, und grössere Applicirung des Philosophischen Magischen Feuers/ als sonsten die Natur in Bergwergen zu thun pflegt; Kortum 1791 Lebensgesch. 15 ein starkes Muttermal . ., welches mein Vater mit Applicirung des zerflossenen Weinsteinöhls in kurzer Zeit vertrieben.

applizieren Ib: Geiler v. Keisersberg 1510 Evangelia 196v Von sant Florentzen . . vii eigentschaften eins palmbaum vnd allwegen die legend darzu appliciert; Mathesius 1562 Sarepta a 6a applicirte vnd deutete; Spener 1685 Klagen 215 Auff gleichen schlag wird von einigen auch das lambshörnichte thier . . auff das verfallene Christenthum unserer Evangelischen kirchen appliciret. applizieren Ic: Brunfels 1532 Kreüterbuch o. S. Diese Vergleichung hab ich nicht vnbillich auff meine Wenigkeit zu applicirn; Furttenbach 1635 Architect, uriw. Vorr. o. S. Diese Vergleichung hab ich nicht vnbillich auff meine Wenigkeit zu applicirn; Thomasius 1701 KL Sehr. 582 daß er öffters . . etwas finden wird/ daß er auff sich appliciren . . könne; 1705 Herrschaft d. Männer 23 Der Leser wird vergönnen/ daß ich . . selbige [Personen] auf unsere alte Philosophos mutatis mutandis zu appliciren bitte; Menantes 1709 Satir. Roman Vorr. 3b diejenigen, die meine Redens-Arten auf gewisse Personen appliciret. applizieren 2: Mathesius 1563 Ehest. 4b allein durch den glauben erkant, ergriffen, vnd vns applicirt vnd zugeeignet; 1683 Leiermann 11 etliche Exempel nach Vermögen beytragen und appliciren; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 172 Ein kleiner, meinem Freunde applicirter Stoß machte ihn darauf aufmerksam, daß irgend ein der Aufmerksamkeit werthes Ereignis eingetreten sei; ebd. 209 Ahnte er vielleicht, daß es die letzten Quälereien waren, die er mir appliciren konnte; Goltz 1869 Weltklugheit I 14 zur rechten Zeit applicirte Ohrfeigen gehören auch zur sittlichen Lebensordnung; Lindau 1877 Br. 295 sie scheine im Begriff zu stehen, Jemandem eine Ohrfeige appliciren zu wollen; Walloth 1886 Seelenrätsel 20 die Schläge, die mir mein Vater applicirte. applizieren 3: Becher 1682 Glücks-Hafen 121 daß es ein gewünschtes Ende erlangen soll/ wird er gewißlich Ursachen haben/ seinen Verstand zu appliciren; Elis. Charl. 1695 Br. l 43 Ich gestehe, daß mein söhn den krieg sehr liebt, undt die, so ihn dort sehen, sagen, daß er sich sehr aplicirt undt sein handtwerck woll lernt; Fleming 1726 Soldat 25 ist demnach weit besser, wenn sie sich als denn auf das Reiten appliciren, wenn sie die vornehmen Fundamenta desjenigen, was ihnen zu wissen nöthig ist, albereits begriffen; 1743 Reglement Preuss. Cav. 71 Wenn Unter-Officiers . . sich nicht gehöriger maßen appliciren, so sollen solche niemals zu Officiers vorgeschlagen werden; Goethe 1787 Br. (WA IV 8,286) Geschichte . . Litteratur . . werden von einzelnen Personen mit Fleiß betrieben, in deren Umgang man . . lernt und so wird

approbiert Rom für einen der sich appliciren will eine wahre hohe Schule; Gotter 1802 Nachlaß 131 ich applicirte mich auf nichts, als Spielereyen. applizieren 4: Seutne 1803 Spaziergang I I 1 6 5 Diese Thiere hören auf nichts als diesen Stachel, der ihnen, statt aller übrigen Treibmittel, am Halse appliziert wird; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 740) auf dem Glase, dort, wo es den Mund bedeckt, findet sich der unverkennbare Abdruck, das wohlgeformte Facsimile eines von angenehmen Lippen dem schönen Schein applicierten — Kusses; MM 25.11.1985 filigrane Metallgestänge, denen am

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kopfhohen Ende splittrige, bemalte Holzfragmente appliziert sind; Lukoschik 1991 In u. Out 16 Wer den Farbklecks-gewordenen Lässigkeits-Beweis per leicht entfernbarer Abziehfolie auf dem geliebten Kotflügel appliziert, demonstriert nur eins — das krasse Gegenteil von Souveränität; i 992 Vogue deutsch IV 90 Der neue Gold-Eye-Liner von Guerlain kann auf zwei verschiedene Arten appliziert werden; Süddtsch. Ztg. 12./13.12.1992 Der Seniorchef persönlich eilt in die vatikanischen Gemächer, um die Gewänder zu überbringen, die unmittelbar nach der Wahl angepaßt werden. Nur das Wappen .. wird erst später appliziert.

approbiert Adj. (ohne Steigerung), seit früherem 16. Jh. nachgewiesene Part. Perf.-Bildung zu dem älteren, heute seltenen Verb approbieren (< gleichbed. lat. approbare, aus ad- 'hin, zu' und probatus, Part. Perf. von probare 'billigen', zu probus 'gut, tüchtig'; —» Probe, —>· probat). Zunächst in der Bed. 'als Arzt, Apotheker zur Berufsausübung staatlich anerkannt, zugelassen' (s. Belege 1549, 1686, 1854, 1993), bes. in der festen Verbindung staatlich approbiert (s. Beleg 1910); seit Mitte 17. Jh. auch übertragen im Sinn von 'erprobt, bewährt, anerkannt', häufig scherzhaft-ironisch mit Bezug auf Sachen (s. Belege 1647, 1725, 1728, 1939) und Personen (s. Belege 1701, 1863, 1936). Dazu seit spätem 15. Jh. das zugrundeliegende Verb approbieren (s. o.), zunächst vor allem in der Kanzleisprache in der Bed. 'billigen, genehmigen', anfangs oft formelhaft mit bedeutungsverwandten Verben, z. B. approbieren und konfirmieren, bestätigen (s. Belege 1521, 1524—39), bes. im administrativen und seltener im kirchlichen Bereich (s. Belege 1481, 1521, 1615, 1726, 1820, 1965), dann auch allgemeiner für 'anerkennen, gutheißen, bestätigen' (s. Belege 1583, 1699, 1780, 1817, 1970); seit früherem 16. Jh. in der bis heute üblichen Bed. 'zur Berufsausübung (als Arzt, Apotheker) zulassen' (s. Belege 1530, 1960, 1987). Vereinzelt Anfang 15. Jh., häufiger seit Anfang 17. Jh. das aus (flekt. Form von) lat. approbatio 'Zustimmung, Anerkennung' entlehnte Subst. Approbation F. (-; -en), anfangs in den Formen Approbatie, Approbacie, zunächst und bis ins frühe 19. Jh. in der allgemeinen Bed. 'Beifall, Einverständnis' (s. Belege 1411, 1609, 1635, 1776, 1802), auf Personen und Sachen bezogen; auch im administrativen Bereich für 'Bewilligung, Erlaubnis' (s. Belege 1658,1731,1751,1790), häufig auf die Genehmigung von Druckschriften durch eine bestimmte Autorität bezogen (s. Belege 1684, 1688, 1701, 1779,1780); seit Anfang 19. Jh. nur noch in der heute üblichen, auf Ärzte und Apotheker bezogenen Bed. 'staatliche Zulassung zur Berufsausübung' (s. Belege 1804, 1903, 1954, 1988), in den festen Verbindungen die Approbation beantragen, bekommen, entziehen, erlangen, erhalten; der Approbation bedürfen; Entziehung, Entzug, Aberkennung der Approbation; als Bestimmungswort in den Zss. Approbationsentzug, -gesetz, -Ordnung, -prüfung, -Verweigerung, -zeit, -Zeugnis. approbiert: Paracelsus 1530 S. W. l 8,64 der unwissend man meinet, welcher ein solchen eid getan hab, so müge derselbig nit feien, und vermeinen, wo der eid sei und die bestallung, da sei auch die

kunst, und wollen also auf eid approbirt sein, was sonst niemants warhaftig sei, dan solche eidsschwerer; 1549 Würzburger Apotheker-Ordn. (Scharold 1825 Medizinalwesen I 113) [in den

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approbiert

Apotheken geprüfte und] approbirte Diener; 1558 Heidelb. Statuten 90 das er sich bekanter und approbirter recepten und artznei gebrauch; Perez 1626 Landstörtzerin l 87 Ich aber wil beweisen/ daß ich von einem guten anfang her ein Picara gewesen vnd noch ein approbierte Picara; Bürster 1647 Schwed. Krieg 125 haben sie erst, daß zuovor nie erhört worden, dägengelter gefordert, weil sie übel mundiert und kaine nit hatten, 70 dägen, guote, steife und approbierte, sampt so viler gehänk darzue; 1668 Ratio Status 14 Ich bin der weitbekante . . Herr Ratio Status, der Politischen Medicin hocherfahrner Doctor, auch approbirter Politischer Chirurgus; 1686 Würzburg/QN Privat 2, 143 die von den vagirenden ärzten, marktschreiern und anderen . . nicht approbirten leuten verschriebenen unförmlichen und gefährlichen recepte hätten unsere apotheker gar nicht zu verfertigen (DRW); Ettner 1697 Chymicus 475 das ist ein perfecter und approbirter Chirurgus gewesen; Wening 1701 Bayern l cb dass alles, so hierinnen enthalten, zum theil auss denen vornembsten approbirten Bayrischen HistoriSchreibern [gezogen ist]; Callenbach 1714 Wurmland 112 Academisch approbirte Wurmschneider; Leuschner 1725 Festungs-Bau 89 approbirtesten Festungen; Stoppe 1728 Ged. l 128 dis approbirte Lebens-Pflaster [eine Pfeife Tabak]; l736 Karlsbad 23 mit vielen vornehmen, auch revidirt- und approbirten Medicamenten; Goethe 1786 Er. a. d. Schweiz (WA l 19,298) wir haben eine approbirte Übersetzung der Vulgata; ders. 1807 Tagebücher (WA 111 3,211) Es fehlt [für die Malerei] an einer aufgestellten und approbirten Theorie, wie sie die Musik hat, in der keiner gegen den Generalbaß schlegeln darf, ohne daß die Meister es rügen; Holtet 1854 Schneider 115 eine von der medizinischen Fakultät approbirte Krankenwärterin; Banck 1863 Alpenbilder U 24 mit dem bekannten Kunstsalm „approbirter" Ästhetiker; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 15) angesichts der Tatsache aber, daß man in Deutschland und speziell in Preußen nur dann etwas gilt, wenn man staatlich approbiert ist, hat solch Orden wirklich einen praktischen Wert: man wird respektvoller angeguckt und besser behandelt; ders. 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 74) eine gewisse Art approbierter Wagner-Literatur habe ich nie auch nur lesen können; Brandt 1936 Inn 58 „Mit approbiertem Führer gibt es kein Unglück": als Axiom wurde dies [1870] verkündigt; Th. Mann 1939 Nachtr. (W. Xlll 434) man mag den approbierten Schund nicht lesen; ders. 1946 Reden u. Aufs. (W. IX 666) die Ausschaltung . . des Kurpfuschertums, seine Regulierung und Entgenialisierung durch einen staatlich approbierten Lehrgang; Welt 22.2.1949 für die Vollapotheke der Städtischen Krankenanstalt Wilhelmshaven wird ab so-

fort approb. Apotheker ges.; Fest 1973 Hitler 57 wiederum enthüllte er sich vielmehr als der paradoxe Parteigänger des Approbierten, der eine Ordnung verteidigte, die er zugleich verwarf; Zeit 19.7.1985 mit all den Pausen vor dem Studium und während der Ausbildung werden künftige Jung-Mediziner im strammen Alter von über 32 Jahren approbiert sein; MM 27.12.1985 da auch schon vor der Pauschalverdächtigung des ehrenwerten Approbiertenstandes einige Ärzte aufgefallen waren; ebd. 6.3.1986 Hippokrates, der altgriechische Säulenheilige der Approbierten; Spiegel 11.10.1993 ein Indiz für die Atmosphäre, die der approbierte Arzt Lippert mit seiner Aids-Politik im Stadtstaat Hamburg erzeugte. approbieren: 1481 Urkundenb. NdRhein418 recht und gewonheit von newen approbieren, privilegiern (MÖLLER); Nazarei 1521 Gott 19 wie woll er vnd etlich nachkomen das Decret nit bruchen dorfften offenlich, wann alweg der keyser eynen stathalter, Patritium genant, zuo Rom hat, der approbiert und confirmiert alweg einen Pabst; Eberlin v. Günzburg 1521 Bundsgenossen 28 Die heyligen Christen haben auch wol ermessen, das pfaffheyt an Eelichen stand schedlich wirt seyn, . . darann sich solten nachmal volgende Concilia gehalten habenn, so sie doch obgemelte Concilia approbieren; ders. 1523 (II 28) solchen . . Unverstand approbiert got nit; Kessler 1524—39 Sabbata 33 undernam sich .. in den stenden weltliche oberkait künig und kaiser enderen, absetzen und nach seinem gefallen approbieren und bestetigen; ebd. Pipinum, ainen von dem hofgesind, an sine [des abgesetzten Hilderich] stat [als fränkischer König] approbieret und verordnet; Murner 1528 Messe 33 die figuren des alten testaments . . die so das nuw testament annimpt vnd approbieret; Paracelsus 1530 S. W. l 8,65 es ist ein harte kuntschaft an einem rat, die solch zeugnus gibt einem arzet, welcher die gemein glauben gibt, ir sagt, er sei gerecht und er wird ungerecht erfunden und ir approbirent durch den eid, das nicht zu approbiren ist; 1530 Augsb. Konfession 122 Es kan . . nymant wissen, wenn oder durch welche diese gewonheit, eine gestalt zu nemen, eingefurt ist, wiewol der cardinal Cusanus gedenkt, wenn diese weiß approbirt sei; Schaidenreisser 1537 Od. 7 so hab ich . . auff seiner herrligkait [meines Herrns und Patrons] approbieren vnd anhalten . . das gantze werck Odysseam . . vertolmetscht; 3546 Notariat u. Rhetorik 22a confirmieren und approbieren; Rivius 1548 Vitruv. 6b Das der erfarne Bawmeister . . auch die werck andrer künsten vrtheilen/ iudicirn/ scherzen/ vnd approbirn . . mag; Alberus 1550 Fabeln 174 (Ndr.) Dormi securis . . ist sehr gelert,/ Vnd von der Küchen approbiert; 1564 Münch. Schulmeisterordn.

approbiert (Westenrieder 1794 Beytr. V 232) Welche [Schullehrer] dann Approbiert vnnd zugelassen werden, die sollen sich aines Erbarn zichtigen wandels befleissen; Franck 1576 Catal. Haeret. 168 approbiert und angenommen; Thurneisser 1583 Onomasticon H 115 Ein schöne Matthematische Regel, die man doch glauben muss, ursach das Niemandt hinauff steigen, der es eigentlich ermessen oder approbieren kan; Fabridus 1588 Surius Chronik 60a Er verdampf auch zu dieser zeit öffentlich in seiner predig seine brüder . . daß sie die Meß abgestalt hatten/ so er solchs doch zuuorn approbiert hat; Univ. Jena 1591 (1900 Mitt. G. Erz'gesch. X 64) vom Decano unndt seinenn Collegis Approbieret, unndt demselben sowol als von dem Rectore subscribiret wordenn; Rathgeb 1592 von Kriegssachen 4 ein . . hochgelehrter Man . . dessens . . meynung/ ich auch folgen vnnd dieselb approbieren will; Mangold 1597 Markschiffs Nachen B 2a [Er] war ein Wundarztet, Oculist, vnd ein Bruchschneider approbiert, Für den Stand man viel Pferd ihm führt; Privatus 1598 Remigius Daemonolatria 12 es sind die Halßgericht also in Lotharingen bestalt/ daß der gemeine Pöbel in voller Rüstung dieselbige zugegen approbiren muß; Schildbürger 1598 (Bobertag 1887 Volksk. Qu. 366) als sie jhn gnugsamlichen probiert vnd approbiert oder gut geheissen hefte begeret der Herr Schultheiß an sie, sie solte jm Küchlin bachen; Wedel um 1600 Hausbuch 67 Wie dann . . die reine unverfälschte evangelische warheit durch einhelligen beschluß introduciret, approbiret und angenommen .. worden; Herlicius 1606 Musicom. D4b Damit er sich kan defendirn,/ Vnd die reine Lehr approbirn,/ Da ghören denn die Sprache her; Theobald 1609 Hussitenkrieg 3 f. Vernehmlichen fachte er an den Artickel (aber nachmals hatte er ihn auch approbirt) von der Begräbnis/ Sprechend; Lopez 1609 Congo 40 annehmen und approbieren; 1610 Urkunden d. Königs Matthias (Kink, Wien II 422) von der Facultet examiniert vnd Approbiert; 1612 Ordn. zu Augsburg (1905 Sozialgesch. HI 624) Der Flammenspacher und anderer fuerleuth . . Ordnung ist approbiert; Walhausen 1615 Kriegskunst z. FUSS l ob wol diese drey Stände von Gott angeordnet/ gestifftet/ approbirt vnd ihm wolgefällig sind; Albertinus 1618 Hirnschleifer 611 approbiret vnd gut haisset; Opitz 1624 Poeterei 202 wie man keinen ringer oder fechter in öffentlichen schawplatze auffführete, er mußte vorher seinen namen geben, vnd eine probe thun: welches sie . . einschreiben vnnd approbiren hiessen; 1640 Urkunden Brandenburg l 40 dass die Seezulage durch öffentliche Constitutionen schon approbiert worden; Winckelmann 1649 Bedencken 84 durch den Inspectorem approbiret und zugelassen; Leibniz 1668—76 Briefw. l 230 es ist mir ein anderer modus der reduction ein-

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gefallen, welchen ich, wenn ich hienauß komme, probiren vnd M. h.H. communiciren will, ich weiß Er wird es approbiren, vnd sich verwundern, daß man bey den Meisten so doch große Leuth sein wollen, so wenig findet; Lebenwaldt 1680 Teufels List III 82 Gebett . . so von der christlichen Kirchen nicht approbirt seyn; 1684 Zusahmen-Sprach v. d. Bücherschr. 3 (Ndr.) gnug ist es/ so glücklich zu schreiben/ damit die jenigen welche in dergleichen Matery/ wovon das Buch handelt/ gelehrt sind/ es approbieren; Pickelhäring 1685 Kleideraffe 51 wie leicht hätte es geschehen können/ daß ein Ungelehrter . . das vortreffliche Papiergen . . zu garstigen Sachen gebrauchet hätte? Mein kleiner Patron approbirte solches; 1688 Reformation 9 Da in den Apothecken Composita . . zu dispensiren, soll der Ordinariorum einer, der von dem Apothekker darzu erbetten wird . . die Ingredientia dessen Compositi examiniren, das Tüchtige approbiren, hingegen was kein nütz, verwerffen; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 154 die Consilia . . könne bald in einem Monarchischen Stand practicabel gemacht werden/ wenn sie nur der Fürst approbiret; 1693 Wohlgemeyntes Bedenken 18 Der fleissige Rector Ulmensis Gymnasii, Herr Mayer/ gibt wohl zu verstehen/ daß nicht seine intention gewesen/ im kleineren Vocabulario das Teutsche voran zu setzen: viel weniger wird er solches in flexionibus vocum approbirt haben; Elis. Charl. 1699 Er. l 139 Daß Carl Moritz exact ist, sein parolle zu halten, approbire ich sehr; 1705 Herrschaft d. Männer 35 Becmann . . approbiret . . das Weiber Reglement; Frisius 1707-34 Ceremoniel (Weißgerber 433) dass wir hier die alte Handwerks-Gewohnheit nur referiren, wiewohl nicht gäntzlich approbiren; Prambhofer 1710 Kirchtag-Süppel 28 approbiert und gutgeheissen; Ettner 1719 Maulaffe 278 Jener sagte ja, damit wurde die Wette approbirt; 1721 (1912 Els. Mschr. Ill 520) diese vermeintliche ehrlichmachung oder legitimierung bey einem hochpreißlichen hohen rath der provintz approbiren und confirmieren zu lassen; 1721—22 Chronik d. Ges. d. Mahler 19 Hrn. Zollikofers jüngst eingesandten Disc, haben wir in die Censur gewaget, nachdem wir vorhero einige Expressionen um derselben willen addoucirt, und im übrigen als special und trefflich ausgearbeitet einhellig approbirt haben; Fleming 1726 Soldat 93 Wen nun diese von dem Unter-Hause verlesen und approbirt ist, so wird sie alsdenn ins Ober-Hauß gebracht, daselbst gleichsam verlesen und bestätiget zu werden; Fassmann 1729 Narr 2 sie [die Gelehrten] praetendiren, man solle nichts vor gut und recht erkennen, welches sie nicht approbiren; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10 o. S.) Wenn man dem Publico eine Commun entdecken will, so muß man . . die Principia und Reglemens darlegen

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approbiert

. . So lange aber die Exception in promtu ist: Lehret man denn das? Wird denn das approbirt? Ist denn das der Spiritus unserer Anstalt und Verfassung der Kirche?; Muratori 1772 Von d, guten Geschmacke (Übers.) 537gutheissen oder approbiren; l 780 (Wolf, Hofleben Maria Theresias 338) des Dietrig Tochter soll ein gewisser brentano heurathen wollen, der ein genueser in villen processen verwickelt ist. sie solle von dem Militärgericht abhangen, kunte niemahls approbiren, das die disen frembden nehmete; 1780 Steir. Binl. 6 der . . von der regierung examinirt- und approbirte stadtoder marktschreiber (DRW); 1785 BrschwWolfenb Promt. IV 222 ein jeder einwohner . . soll sich keiner ändern maassen, eilen und gewichte bedienen, als die von dem policey-gerichte nach den originalmaaßen, eilen und gewichten approbiret, richtig befunden, und zum Zeugnis dessen mit dem stadtzeichen eines loewen geeichet worden (DRW); Laukhard 1792 Leben I 285 viel andre Herrchen, die man doch auf dem Konsistorium zu Heidelberg approbirt und mit herrlichen Zeugnissen versehen hätte; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,11) von der In-' tendanz approbiert oder abgeändert; Cancrin 1820 Militairökonomie II 143 Man setzt sie [die Kommandanten] .. nicht mit Unterbehörden . . zusammen; sondern lässt sie ihr vidit, coram, oder approbirt auf die Papiere schreiben; Benn 1921 Epilog u. lyrisches Ich (Ges. W. IV 7) Ich approbierte, promovierte, doktorierte, schrieb über Zuckerkrankheit im Heer; H unke 1960 Erbe 122 Er befahl, daß hinfort alle Ärzte . . geprüft und durch einen Praktizierschein approbiert werden sollten; FAZ 9.12.1965 alle Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen und Voten sind vom Konzil approbiert und von uns promulgiert; Schneider 1970 Belegschaft XI 8 eine Weltkarte erläuterte den Besuchern, daß unsere Geräte in vielen Ländern approbiert sind und wir einen weltweiten „Kundendienst bieten" können; MM 1.4.1987 nach der Medizinalassistenzzeit approbierte er in Heidelberg 1973 und war dann als Assistenzarzt in verschiedenen regionalen Krankenhäusern tätig. Approbation: 1411 Urkundenb. NdRhein IV 66 willen wir unse confirmatien, approbatien ind bestedunge (MÖLLER); 1609 Straßb. Relation 31 Die approbation wegen deß anstände ist auß Spannia kommen; 1618 Acta Publica Schles. (Palm) 16 Alß ist . . auf hoch- vnd wolgedachter Herren Fürsten vnd Stände anordnung in dieses . . memoriale verfaßet vnd mit derselbigen . . einhelligen approbation . . publiciret worden; Furttenbach 1635 Architect, univ. Vorr. 2a vermittelst . . allergetrewesten fürweysung hochverständiger Künstler/ approbation vnd applaus Liebreicher rechtschaffnen Cameraden; Schupp 1658 Bücherdieb 38 mit welt-

licher Fürsten approbation oder Gutheissen; Leibniz 1668—76 Briefw. I 51 wündschen . . daß iemand sey der ihre [der kurfürstl. Gnaden] concepte secundire, durch habende autorität und mit ändern in- und ausländischen Fürsten und ständen unterhaltende guthe verständnüß in nahmen Kayserl. Mayt und mit deren gänzlicher approbation einführen könten; Francisci 1672 Histor. Rauchfaß l 1051 [er] giebt denen/ die mit heller wol vernemlicher Stimme geredt/ einen Approbation-Zettel; 1684 Zusahmen-Sprach v. d. Bücherschr. 2 Es mag ein Buch noch so wohl gemacht seyn/ so wird es doch keine allgemeine Approbation erlangen; Werdmüller 1685 Ingenieur 3 Wer sich einbildet, eine allgemeine Approbation seiner Meinungen bey der Welt zu finden, der gibt . . zu erkennen, dass er die Welt nicht kennet; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 280 [Herr Coquelin] welcher seine approbation zu des Varillas Schriften . . mag eingerichtet haben; Seckendorff 1691 Reden Vorr. 63 Wie fern nun dieses und anders . . der Approbation oder Imitation werth sey/ lasse ich billich . . anheim gestellet; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 61 weil ich ihn/ ohne Ihn zu kennen/ aus dieser blossen Critique würdig achte/ von allen curiösen Schrifften gründlich zu urtheilen/ und solcher gestalt seine approbation oder censur höher aestimire, als aller unserer Gelehrten zu Leipzig; Menantes 1709 Satir. Roman I 111 Kein grosser Plaisir ist, und nichts findet mehr Approbation; 1712 Fama XIII 45 Kurtze Nachricht von der Religion der heutigen Griechen. Auff Begehren entworffen/ und mit approbation der Theologischen Facultät .. herausgegeben von Johann Fechten; 1721—22 Chronik d. Ges. d. Mahler 21 Es mangelt ihnen noch Eüere approbation, so wollen wir sie invitiren, denn wir werden in Sachen von dieser Wichtigkeit nichts mehr ohne Eüere Beystimmung und Erkenntniß vornehmen; 1721 — 22 Discourse d. Mahlern 8 Alle Gelehrte wissen was ungemeine Approbation diesem Autor . . widerfahren; Wagner 1724 Soldatenbibl. 301 Mr. de Vauban ist . . mit Approbation des gantzen Franckreichs u. der Frantzösischen Armee Marschall von Franckreich worden; Struve 1731 Reichs-Hisforie 23 erbliche Succession . . jedoch . . nur mit Approbation des Parlaments; 1741 Anweisung 331 Approbationes sind briefe, darinnen wir dasjenige, was der agent für uns gethan, entweder loben, oder doch zum wenigsten genehm halten; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,298) das mühsame künstliche Gesuch menschlicher, obrigkeitlicher, theologischer Untersuchungen, Approbationen, Majestät- und LobeBriefe; Lenz 1776 Soldaten (NL 80,115) Es [das gestrige Feuerwerk] war doch recht schön. . . Es muß wohl schön gewesen sein, weil es Ihre Approbation hat; J779 (1889 V/s. f. Lit'gesch. II 145) Ich

Approximation habe das Vergnügen Euer etc. den ersten Band unserer Abhandlungen der schönen Wissenschaften zu übersenden. Wenn er Dero approbation erhält, sind wir versichert, einen nicht geringen Schritt in diesem Fache gethan zu haben; Beckmann 1783-86 Erfindungen l 99 Das Buch Nosce te hat vier Approbationen, die Weislinger . . nach der Heidelberger, und Pasqual . . nach der Venetianischen Ausgabe . . haben abdrucken lassen; Goethe 1788 Er. (WA IV 8,330) Ich nehme ein neues Blat, um Ihnen meinen Plan vorzulegen und Ihre Approbation einzuholen; Nicolai 1790 Anekdoten H. V 43 Approbation ihrer Vorschläge zum Schulausbau; Kortum 1791 Lebensgesch. 50 Daß man mit dieser Ausarbeitung hohen Orts zufrieden gewesen sei, solches beweist die gleich darauf erfolgte Approbation; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 22,323) Der Cavalier fand große Approbation; Laukhard 1802 Leben V 121 Folgte dann auf vorgelegte Frage eine befriedigende Antwort, so brummte er statt aller Approbation ein dumpfes Hm, Hm her; Balte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 359 Kein Apotheker muß einen Arzt vor dem ändern empfehlen, auch keine Arkana ohne Approbation verkaufen; 1813—15 Prinzenbr. 140 Da ich Deine Liebhaberei für Messer kenne . . lasse ich hierbei eins erfolgen, welches hoffentlich höchst Dero Approbation haben wird; Thümmel 1856 S. W. // 101 die . . Approbation seines geistlichen Censors; Kussmaul 1903 Jugenderinn. 265 Die oberste Sanitätsbehörde . . hielt in Karlsruhe die Staatsprüfung ab, von deren Ausfall die „Lizenz", oder, wie heute die amtliche Bezeichnung lautet, die „Approbation" zur Ausübung der Heilkunst . . abhing; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1676) [er] mußte Groß-Verwandte des Amtes der

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Ernährung bei sich sehen im Büchergemach, nebst seinem Vorleser und seinem Wirklichen Schreiber, die gekommen waren, ihn mit Geschäften, Approbationen und Rechnereien um die reine Erwartung zu bringen; Krüger 1935 Staatsbürgerkunde 83 Ärzte und Apotheker einer „Approbation"; 1938 Reichsgesetzblatt l 969 Bestallung (Approbation) [des Arztes]; Welt 2.1.1954 Bewerber . . werden gebeten, ihre Bewerbung mit Lebenslauf, Approbations- und Promotionsurkunde . . einzusenden (Anzeige); Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 57 Praktikum, Approbation, Physikum, Promotion, und wie die gelehrten Gründe alle heißen konnten; FAZ 28.1.1972 Die Zahl der Approbationen geht bis 1976 zurück. Diese Situation ist fatal, wenn auf Grund der Altersstruktur zunehmend Ärzte ausscheiden, wenn also Neuapprobationen den Abgang von Ärzten nicht zumindest ausgleichen; MM 30.3.1985 Frenzel erläuterte, die Bezirksregierung Oberbayern prüfe seit Monaten, ob Hackethal die Approbation zu entziehen sei; Zeit 28.6.1985 die Schrauben in der Approbationsordnung zu lokkern; ebd. 13. 12.1985 ein neuer Azubi wurde erfunden, der Arzt im Praktikum, der einerseits noch viel lernen muß, aber andererseits für diese Zeit den Meisterbrief, die Approbation, bekommt; ebd. 26. 9.1986 wie viele andere beantrage sie nach dem Staatsexamen bei der Regierung von Oberbayern die Approbation als Arzt; MM 13.2.1988 Ärztekammer und Gesundheitsbehörden im Saarland sehen vorerst keine Handhabe für einen Entzug der ärztlichen Zulassung (Approbation); ebd. 15.2. 1988 in der Talkshow . . sagte Hackethal: „fast möchte ich mir wünschen, daß ich nicht freigesprochen werde, denn dann wird geklärt werden, ob das Approbationsgesetz noch in die heutige Zeit paßt".

Approximation F. (-; -en), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. mlat. approximatio (zu (m)lat. approximare 'herankommen, sich nähern', aus lat. ad- 'hin, zu' und proximare 'sich nähern, nahe herankommen'), anfangs auch in der Schreibung Approximazion. Zunächst als Fachwort der Mathematik in der Bed. 'angenäherte Bestimmung oder Darstellung einer Größe oder Funktion', zur Bezeichnung eines Verfahrens, komplizierte Funktionen durch einfachere zu ersetzen, ohne eine bestimmte Fehlerquote zu übersteigen, bes. in der Zs. Approximationstheorie. Seit Ende 18. Jh. auch wissenschafts- bzw. bildungsspr. verwendet im Sinn von 'Näherung, Annäherung (an ein Ziel, Ideal)', häufig in abschwächenden Formulierungen wie sich mit der Approximation begnügen, bloße Approximation, nur eine Approximation. Dazu seit Anfang 19. Jh. das auf gleichbed. lat. approximare (s. o.) zurückgehende, selten belegte V. intrans. approximieren in der Bed. '(sich) (an)nähern', zunächst auch bildungsspr. gebraucht (s. Belege 1800, 1991); heute vor allem in der Mathema-

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Approximation

tik 'eine Größe oder Funktion annähernd bestimmen oder darstellen' (s. Belege 1956, 1970). Seit frühem 19. Jh. die adj. Ableitung approximativ (ohne Steigerung), vor allem wissenschaftsspr. gebraucht in der Bed. '(an ein Ziel, Ideal) angenähert, annähernd, näherungsweise' (s. Belege 1829, 1918, 1970), in Verbindungen wie approximative Angaben, Werte; abgeschwächt auch im Sinn von 'ungefähr', z. B. in Wendungen wie bloß/nur approximativ, approximativ feststellen, approximative Anschauung. Approximation: Wolff 1716 Math. Lex. 135 Approximatio, die Näherung, wird in der Algebra genennet, wenn man aus einer Gleichung, die keine Rational-Wurtzel hat, die Wurtzel in so kleinen Brüchen suchet, als man verlanget (SCHIRMER, Mathematik); 1746 Briefw. Euler-Goldbach 261 Beide Fälle haben dieses gemein, daß die Verwirrungen sehr klein sind, und eben dieses ist das einige Mittel, die Schwierigkeiten der Rechnung zu überwinden, indem die ganze Sach auf Approximationen ankommt; Hamann 1775 S. W. IV 399 durch den Weg der Approximation; ders. 1782 Briefw. IV 374 Beynahe sollte man glauben, daß die Theorie des Verlangens auf den paralogismum einer Einheit und des Überdrußes auf einen ändern paralogismum ihrer Unmöglichkeit beruhe; so wie die Auflösung des zweifachen Widerspruchs auf eine unendliche Approximation; Kosegarten 1790 Rhapsodieen I 35 Cicero schreibt die Erschaffung dieses Werks keineswegs der Nachbildung, nicht einmal der Assimilation, oder Approximation eines Individui zu; Jean Paul 1795 S. W. I 5,101 da er mit Weib und Kind als ein ehrlicher Mann bei dieser ewigen Approximazion bestehen könnte; F. Schlegel 1796 (Krit. Ausg. l 6,16) Es bleibt hier nichts übrig, als . . da die reine Auflösung des politischen Problems unmöglich ist, sich mit der Approximation dieses praktischen zu begnügen; Jean Paul 1797 S. W. I 7,28 Er versetzte . . die kritische Philosophie wisse, was sie aus Leibnitzens Versuchen . . die zurückgelegte Approximazion der bedingten Reihe bis zum Unbedingten darzustellen, zu machen habe; 1798 Athenaeum l 101 Der Gang der Approximazion ist aus zunehmenden Progressen und Regressen zusammengesetzt; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,77) alles was wir theoretisch gegen sie [die Natur] vornehmen sind Approximationen bey denen die Bescheidenheit nicht genug zu empfehlen ist; Niebubr 1808 Br. l 438 Wenn einmal .. jeder die Alten liest (wenigstens in einer Approximation) alsdann können unbezwingliche Herzen gebildet werden; 1808 Reils Beytr. l 40 Durch diese Approximation des Körpers an seinen Begriff; Neumann 1829 Krankheiten d. Menschen 18 Die Natur nähert sich ihrem Typus immer nur durch Approximation; Ancillon 1831 Extreme U 18 Die Geschichte aller Völker zu allen Zeiten ist immer nur eine Approximation, eine mehr oder

minder glückliche Annäherung zu dieser höchsten Energie der individuellen Thätigkeit; Eckermann 1835 Gespr. 9 Es ist nicht abzuthun durch Spruch, auch nicht durch Spruch und Spruch, auch nicht durch Spruch und Widerspruch, sondern man gelangt durch alles dieses zusammen erst zu Aproximationen, geschweige zum Ziele selber; Tieck 1839 Sehr. XXVI 56 er ist gewiß zu empirisch und rationalistisch, um einzusehen, daß der wahre Mensch und die tiefere Jntuition der gewöhnlichen Uebergänge jener armseligen, prosaischen Approximation einer so gemeinen Stufenleiter der Begriffe nicht bedarf; Schopenhauer 1859 S. W. III 680 Hiebei ist jedoch zu bemerken, daß Leidenschaften den Grad, wo sie der Definition vollkommen entsprechen, selten erreichen, vielmehr als bloße Approximationen zu demselben ihren Namen führen; Dub 1863 Anwendung 550 Der Unterschied dieser beiden Fehler . . machte Approximationen von 1/500 bis 1/1000 Sekunde ganz unsicher; Windelband 1882 Präludien U 61 eine Anzahl von Grundgesetzen . . sind vielleicht . . nur grobe Approximationen an den wahren Sachverhalt; Weidenbach 1923 Weltanschauung 141 Im Falle z. B. der Approximationstheorie setzt die Frage (nach der Welt überhaupt) bereits voraus, daß die Welt. . einen vernünftigen Sinn habe; Bauhofer 1944 Mensch 85 Die Kunst ist eine dem Widerstand der Materie und dem Zwiespältigen des eigenen Wesens abgerungene Approximation des Schönen; Achieser 1953 Vorlesungen über Approximationstheorie (Titel); 1956 Wiss. Annalen V 60 als es im hier erörterten Fall turbulenter Grenzschichten mit Druckabfall überraschend weit eine gute Approximation der Geschwindigkeitsverteilung über der gesamten Grenzschichtbreite ergibt; Meinardus 1964 Approximation von Funktionen und ihre numerische Behandlung (Titel); Schmitgen 1970 Tschebytscheff-Approximation o. S. Bei der Approximation reellwertiger Funktionen durch Polynome besagt der Approximationssatz von Weierstraß; Königsdorf 1978 Träume 22 Er erteilte Johanna den . . Rat, sich wenigstens teilweise auf dem Teppich der Realität niederzulassen und gewisse Eigenschaften des von ihm entwickelten Approximationsverfahrens nachzuprüfen; Lukoschik 1991 in u. Out 192 Aber eben nur der erste Kuß. Die Rede ist in diesem Kapitel aber nicht von zag-

a priori hafter Approximation, sondern vom triebhaften Energie-Austausch zweier lustwilliger Zeitgenossen. approximativ: Weiss 1820 Trigonometrische Höhenberechnung 18 approximative Formeln; Neumann 1829 Krankheiten d. Menschen 10 Da jedes Individuum die Idee seiner Gattung nur approximativ darstellt, so ist jedes Individuum mehr oder weniger gesund gebildet; 1#29 Briefw. Ludwig 1. u. Schenk 94 eine . . approximative Berechnung nach diesen verschiedenen Verfahrungsweisen herstellen; Schumann 1831—33 Ges. Sehr, l 19 Allerdings ist alles Kunststreben approximativ, kein Kunstwerk durchaus unverbesserlich; Görres 1836 — 42 Mystik Hl 331 In einer approximativen Ausgleichung (KEHREIN); Heffter 1844 Europ. Völkerrecht 101 Auch die Mitglieder der Familie eines Souveräns haben wenigstens in Erbmonarchieen einen approximativen Antheil an den Prärogativen des regierenden Familienhauptes; Mommsen 1856 Rom. Gesch. l 334 Es wird nicht überflüssig sein daran zu erinnern, dass was über Archidamos und Alexander bekant ist, aus griechischen Jahrbüchern herrührt und der Synchronismus dieser und der römischen für die gegenwärtige Epoche noch bloss approximativ festgestellt ist; Schopenhauer 1859 S. W. 111 93 Denn alle irgendwie aus der Erfahrung geschöpften Wahrheiten sind nie unbedingt gewiß, haben daher nur eine approximative Allgemeingültigkeit; Werther 1861 Kl. Deutschland l 118 auf klassischem Freiheitsboden . . hoffte er das Ideal der Steuerfreiheit, wenn auch nicht völlig — denn dazu hielt er diese irdische Welt für zu unvollkommen — approximativ zu erreichen; Latz 1869 Alchemic 134 bis die untere Schale, wenigstens denn der Raum, den sie sonst umschloß, approximativ gefüllt ist; Worringer 1918 Formprobleme d. Gotik 4 der intuitiven Geschichtsforschung dagegen sind sie [vergangene Fakten] das eigentliche Objekt der Forschung und ihre approximative Erkenntnis das einzige Ziel, das die Arbeit des Forschens lohnt; Haecker 1922 Satire u.

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Polemik 128 So schätze ich z. B., natürlich nur approximativ, was man meinem Anfängertum zugute halten mag, daß sich Schnitzler etwa kreuzberghoch über das Niveau der Jerusalemer Straße erhebt; Hartmann 1926 Ethik 464 Dabei braucht die Erfüllung [des Persönlichkeitswertes] — auch die approximative — keineswegs durch ein Wertbewusstsein bedingt zu sein; Bahr 1927 Zauberstab 73 Erscheinung ist immer bloß approximativ, sie braucht Nachhilfe, doch der bloße Beobachter kann ihr nicht nachhelfen; Baum 1928 Willfüer 277 Ich schätze — sehr approximativ — die Pakkung mit 2 Mark 80 Pfennig in den Großhandel bringen zu können; Bense 1939 Geist d. Mathematik 55 vermochte man einen Differentialquotienten auch noch zeichnerisch zu demonstrieren, so blieb der Begriff der Steigung doch zuletzt nur angenähert anschaulich, und solche approximative Anschauung erschütterte ins geheim durchaus den Primat; Hiller 1950 Köpfe 20 [Es gibt nach Eberts Tod] keinen [Nachfolger], keinen, der es wenigstens der Anlage nach und approximativ wäre; 1967 Intelligenzdiagnostik 43 die approximative Validierung solcher [Intelligenz-jEigenschaften durch die Entwicklung eines nomologischen Netzes von gesetzmäßigen Beziehungen [ist] bisher noch recht selten; 1970 Forschungsber. d. IDS V 53 Approximative Substitute sind wie:man:weiß:, wie:du:weißt: o. ä. approximieren: Jean Paul 1800 W. IX 471 da er aber dazu nie gelangen, nicht einmal approximieren kann; 1956 W/55. Annalen V 947 Es ist eine physikalisch definierte Fläche, die sich sehr gut durch ein an den Polen abgeplattetes Rotationsellipsoid approximieren läßt; Schmitgen 1970 Tschebytscheff-Approximation o. S. man [kann] jede stetige Funktion f beliebig genau durch Polynome approximieren . ., wenn man nur den Grad der Polynome hinreichend groß wählt; Lukoschik 1991 In u. Out 79 Nicht daß er ein oberflächlicher Halodri wäre, der keinen Lustverzicht ertragen könnte und eine Frustrationstoleranz hat, die sich dem Grenzwert Null approximiert.

a priori, im späteren 16. Jh. aufgekommenes Syntagma, zurückgehend auf lat. (Scholastik) a priori 'vom Früheren her, von vorn(herein)' (aus a(b) Von, nach' und priori, Ablativ von prior 'der erste, vordere von zweien'). Zunächst und bis heute bildungsspr. verwendet für 'von vornherein, grundsätzlich, aus sich selbst heraus' (s. Belege 1562, 1760, 1842, 1921, 1992); seit Mitte 18. Jh. auch als philosophischer Terminus in der Bed. 'durch vernunftgemäßes, von der Erfahrung unabhängiges logisches Schließen gewonnen, aus Vernunftgrunden und nicht aus Erfahrung oder Anschauung' (Ggs. —> a posteriori), bes. in der Wendung a priori beweisen (s. Belege 1744, 1765); im späteren 18. Jh. als erkenntnistheoreti-

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a priori

scher Begriff nachhaltig von Kant geprägt im Sinne von 'nichtempirisch' (s. Belege 1781, 1787), bes. in der Wendung Erkenntnis a priori (s. Belege 1787, 1817-24, 1840), häufig auch abgrenzend in Verbindung mit den Gegenbegriffen —* a posteriori bzw. —· empirisch (s. Belege 1766, 1784, 1787, 1840); seit Ende 19. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Aprioriwahrheit, -forschung, -einsieht, -bewertung, -Wahrscheinlichkeit, -wissen. Dazu seit frühem 19. Jh. die selten belegte subst. Ableitung Apriorismus M. (-; Apriorismen), zunächst bei Schelling in der Wendung empirischer Apriorismus („Philosophie der Offenbarung") zur Charakterisierung der positiven Philosophie, die nichts ausschließt, was in der Natur und Menschheitsgeschichte vorliegt, einschließlich den philosophischen Empirismus selbst, und die in jedem Empirischen allgemeine, notwendige, also apriorische Formen erkennt (s. Beleg um 1820); seit Ende 19. Jh. vor allem als wissenschaftshistorische Bezeichnung der Erkenntnistheorie Kants (s. Belege 1897, 1913), dann auch allgemeiner für 'Gewinn von Erkenntnis durch logisches Schließen, das Erfahrungsunabhängige der Erkenntnis'; gleichzeitig die ebenfalls selten gebrauchte subst. Ableitung Apriorität F. (-; -en) 'die Eigenschaft des An-sich-Seienden, das Gegebensein an sich' (s. Beleg nach 1800) sowie die adj. Ableitung apriorisch (ohne Steigerung) 'aus Vernunft gewonnen, denkend erschlossen', auch 'unabhängig von Erfahrung' (im Ggs. zu —*· empirisch, s. Beleg 1824), im späteren 19. Jh. die gleichbed. adj. Ableitung aprioristisch; etwa gleichzeitig die subst. Ableitung Apriori N. (-s; -s) 'Vernunftsatz, von der Erfahrung unabhängige Erkenntnis, aus den Prinzipien oder bekannten Ursachen auf Folgen schließende Erkenntnis; das an sich, von vornherein Seiende' (Ggs. Aposteriori, —> a posteriori). a priori: Mathesius 1562 Sarepta 11 Vorm falle erkant er [Adam] auß eingeschaffner weißheyt/ aller Thier/ Kreuter vnd Creatur natur vnnd eygenschafft/ vnnd vrsachen a priori, auß Göttlicher weißheyt; Schütz 1661 Reflexiones 2 Es wissen hiervon . . gekrönte Häupter Selbsten/ welche deß Unglücks ehender gewahr worden/ als sie dessen Wesenheit zu definiren/ oder ä priori zu beschreiben vielleicht gewust haben; Thomasius 1688 Monats-Gespräche l 786 von einer Sache, die mir a priori nicht bekannt war; Zedler 1732 Universallex. II 1967 Endlich entdeckte Isaacus Newtonus in seinen Principiis Philosophiae naturalis die wahren Gesetze der Bewegung derer Planeten aus mechanischen Principiis und erwies dasjenige a priori, was Keplerus aus denen obseruationibus des Tychonis, meistentheils durch Errathen, heraus gebracht; 1744 Philos. Untersuchungen 66 a priori beweisen; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien U 10, Vorr. o. S.) hingegen [habe ich] noch auf etwas, das die Sache nach ihren Quellen (a priori) zu beurtheilen dienlich ist, absonderlich gesehen; Lessing 1760 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 215) Er wird solchergestalt gleich a priori wissen, daß die Trauerspiele unsers scherzhaften Liederdichters nichts taugen; 1765 Allg. dtsch. Bibl. l 1,147 Die allgemeinen Grundsätze der Sittenlehre können mit geometrischer Strenge bewiesen werden . . a

priori aus der bloßen Erklärung eines freywilligen Wesens; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 86 Bey diesen Gegnern ist die Verbindung beider Methoden, sowol des eigentlichen Beweises a priore, als auch einer Untersuchung a posteriore, von allgemeinerer Möglichkeit und No th wendigkeit; Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. I 4,75) Wenn es . . reine Begriffe a priori giebt, so können diese zwar freilich nichts Empirisches enthalten: sie müssen aber gleichwohl lauter Bedingungen a priori zu einer möglichen Erfahrung sein, als worauf allein ihre objective Realität beruhen kann; Schlettwein 1784 Archiv VII 63 a priori bin ich gröstentheils mit ihnen einverstanden . . Kann dann aber das, was a priori wahr ist, a posteriori falsch seyn? das ist schlechterdings unmöglich!; Abel 1786 Seelenlehre 157f. Diese mathematische Methode . . ist selbstgeschaffen, also allgemein nothwendig, a priori, und doch zugleich intuitiv in einer reinen, nicht empirischen Anschauung; Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr, l 3,28) Es ist also . . eine . . Frage: ob es ein dergleichen von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängiges Erkenntniß gebe. Man nennt solche Erkenntnisse a priori, und unterscheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung, haben; ders. 1795 Z. ew. frieden (Ges. Sehr, l 8,374) über Prin-

a priori cipien einer Staatsverfassung überhaupt nach Rechtsbegriffen (mithin a priori, nicht empirisch) urtheilen; Herder 1799 Vernunft 336 die von der Universität uns zukommende Jünglinge sind verderbte Gewächse. Man lehrte sie ihre Sinne, ihren Verstand und Vernunft a priori schaffen, nicht aber die erschaffenen gebrauchen; vielmehr lehrte man sie als Werk und Wesen des Satans, den leidigen Empirismus verachten, fliehen und meiden; Schopenhauer 1813 S. W. VII 36 Der Beweis aber davon, daß wir uns des Kausalitätsgesetzes a priori bewußt sind, scheint mir schon in der unerschütterlichen Gewißheit zu liegen, mit der Jeder in allen Fällen von der Erfahrung erwartet, daß sie diesem Gesetze gemäß ausfalle; Goethe 1817—24 Zur Naturwissenschaft (WA U 11,49) Die Erkenntnisse a priori ließ ich mir auch gefallen, so wie die synthetischen Urteile a priori: denn hatte ich doch in meinem ganzen Leben, dichtend und beobachtend, synthetisch, und dann wieder analytisch verfahren; Schopenhauer 1840 Moral 81 Dies eben beweist, daß das Kausalitätsgesetz uns a priori bewußt ist und nicht aus der Erfahrung stammt; ebd. 109 Aber, wie die ändern, so lernen wir auch uns selbst nur empirisch kennen und haben von unserm Charakter keine Erkenntnis a priori; Cotta 1842 Geognosie 361 Wollen wir aber die an ihm beobachteten Erscheinungen in der Geologie auf andere Körper anwenden, so dürfen wir nie vergessen, dass die gegenwärtig uns umgebenden Temperatur-Verhältnisse keineswegs a priori als für alle früheren Zeiten der Erdbildung gültig vorausgesetzt werden können; Schopenhauer 1859 Welt 200 Apodiktische Gewißheit kann einer Erkenntnis freilich nur ihr Ursprung a priori geben: eben dieser aber beschränkt sie auf das bloß Formelle der Erfahrung überhaupt, indem er anzeigt, daß sie durch die subjektive Beschaffenheit des Intellekts bedingt sei; Hartmann 1869 Philosophie 198 Dass die Macht dieser Gefühle uns beim Menschen um so grosser erscheint, je geringer die Selbständigkeit des Hirnbewusstseins ist, lässt darauf schliessen, dass bei den Thieren die Bedeutung derselben ebenfalls um so grosser ist, je tiefer wir in der Thierreihe hinabsteigen, was sich auch a priori erwarten lässt; Liebmann 1876 Analysis . Wirklichkeit 97 f. A priori ist nichts anderes als für uns und für jede homogene Intelligenz streng Allgemeine und Notwendige, das Nicht-anders-zu-denkende (RITTER); Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 100) Es ist zum Beispiel a priori gewiß, daß Goethe an der berühmten Abhandlung „Über Anmut und Würde" den schwersten und ärgerlichsten Anstoß genommen hat; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 50 Weil er [der „Apriorismus"] nichts mit Konstruktion zu tun hat, verlangt die Aprioriforschung die rechte Bereitung des phänomenalen Bodens; Scheler 1929

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Weltansch. 101 Einsichten zu vollziehen, die gelten und wahr bleiben für alle zufälligen Dinge und Fälle desselben Wesens („Apriorieinsicht"); Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 368) ein . . Geschlecht . . das . . sein Genügen findet darin, in den festen, durch die diktatorischen und nicht zu erörternden Grundsätze des totalen Staates gegebenen Grenzen und Bindungen sich zu bewegen, die zu durchbrechen a priori undenkbar ist; 1966 Studium Generale XII 720 Zeit, von der hier die Rede sein soll, wird im Nacheinander des Geschehens erfahren, und zwar als eine notwendige und unumgängliche Erfahrung, die zunächst nicht als abstrahierter Begriff, sondern — wie Kant sagt — als reine Anschauung a priori gewonnen wird; Essler 1970 Induktive Logik o. S. Jede induktive Methode . . ist durch gewisse Aprioribewertungen der Zustandsbeschreibungen charakterisiert; Leibfried 1970 Identität u. Variation o. S. Diese Explikation gelingt mir dann, wenn ich frage, was eidetisch (essentiell, wesentlich, a priori) zu diesem Prädikat gehört; 1970 Forschungsber. d. IDS V 12 Die zweite Phase ist dadurch gekennzeichnet, daß die Wortstellung als relativ eigenständiges Phänomen aufgefaßt wurde, das zwar immer in Zusammenhang mit den übrigen Teilen der Grammatik, aber nicht a priori als von diesen abhängig gesehen wurde; Sloterdijk 1983 Kritik 12 Die Vergesellschaftung durch Schulung, wie sie hierzulande geschieht, ist die Verdummung a priori; Tränkte 1985 Statist. Methoden 113 kann man die Wahrscheinlichkeit als eine theoretische, mathematische, a priori angebbare Größe betrachten; Zeit 5. 7.1985 Die Deutschen sind nicht die a priori besseren, sondern die routinierteren Schützer; ebd. 7.11. 1986 Nach Popper ist an der Evolution ein ähnliches a-priori-Wissen der Organismen beteiligt . . Dieses a-priori-Wissen im Kantschen Sinne führe auf lange Sicht zur Anpassung; Kultermann 1987 Kunsttheorie 226 konkrete Vergegenwärtigungen der a priori vorhandenen Naturgesetze; Altner 1991 Naturvergessenheit 133 Für das erkennende Individuum mögen die wissenschaftlichen Anschauungsformen zwar a priori gegeben sein, stammesgeschichtlich aber sind sie nichts anderes als Lernprodukte, die im nachhinein (a posteriori) als relativ stimmige Anpassungsleistungen erworben wurden; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 204 Diese liegen in einer Erhebung am südlichen Stadtrand. Sie waren a priori Eigentum der Bewohner von Deir el Medina. Apriori: Windelband 1883 Präludien 134 Ein wertvolles Ergebnis . ., das die Philosophie solcher historischen Orientierung verdankt, besteht in der Grenzbestimmung der absoluten Werte. Gerade die historische Besinnung zeigt die Punkte, an denen

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a priori

die Bestimmung des „Apriori", des in der ideologischen Struktur absolut und unerläßlich Geltenden aufhört; Nietzsche 1887 Genealogie d. Moral (W. U 764) Bei einer mir eignen Bedenklichkeit . . welche in meinem Leben so früh, so unaufgefordert, so unaufhaltsam, so in Widerspruch gegen Umgebung, Alter, Beispiel, Herkunft auftrat, daß ich beinahe das Recht hätte, sie mein „A priori" zu nennen; Willmann 1897 Gesch. Ill 412 Auf dieser gebrechlichen Grundlage läßt nun Kant den Begriff des a priori seine Schwenkung vom Objektiven ins Subjektive vollführen; Ziegler 1905 Rationalismus 121 Seine Untersuchungen über das metaphysische Apriori, an welchen das Schicksal seiner berühmten kritischen Frage zu hangen schien, hatten ihn zu einer spontanen innerlichen Geistestätigkeit geführt, zu einem transzendentalen Ich; Mauthner 1910-11 Wb. d. Philosophie 41 So findet im eigenen Erleben ein unaufhörlicher Wandel des psychologischen Prädikats ins psychologische Subjekt, des Apriori ins Aposteriori statt; 1926 Volkelt-Festschr. 116 eines künstlerischen Apriori; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 58 Die Struktur selbst kann . . als Apriori des thematischen Gegenstandes der Biologie philosophisch nur expliziert werden, wenn sie zuvor als Daseinsstruktur begriffen ist; Benjamin 1938 Br. II 784 die Momente, in denen der Text hinter sein eigenes Apriori zurückfällt; Jordan 1956 Aufstand 133 Diese Zurückdrängung des Apriori durch das Empirische; Staiger 1966 Grundbegriffe 194 Was Kant „Erwartung" nennt, entspricht dem a priori der „Welt", des Entwurfs, dem, worin sich der Mensch bei allem Erkennen, bei allem Erleben voraus ist; Sauer 1970 Metaphysik o. S. es gebe ein subjektiv-emotionales Erkenntnisapriori; Utz 1970 Ethik o. S. Mit diesem Apriori verhält sich die naturhafte Willensanlage konform, da das „Gute" des apriorischen Imperativs nichts anderes ist als das letzte, adäquate Gute des Willens; Ritter 1971 Hist. Wb. d. Philosophie i 469 Das Apriori geht nicht zeitlich der Erfahrung voraus, ist auch nicht angeboren, sondern beruht auf „ursprünglicher Erwerbung"; es ist nur Bedingung für den Zusammenhang und für „Behauptungen wahrer Allgemeinheit und strenger Notwendigkeit" empirischer Erkenntnis; Sloterdijk 1983 Kritik 21 Adorno gehörte zu den Pionieren einer erneuerten Erkenntniskritik, die mit einem emotionalen Apriori rechnet; ebd. 25 Es ist das SchmerzApriori — daß einem selbst die einfachsten Dinge des Lebens so schwergemacht werden; Süddtsch. Ztg. 28.129. 8.1993 Womit Goethe denn wirklich nicht transzendental oder mit Kant argumentierte, dessen geschichtliches Apriori auf die machthabende praktische Vernunft verweist. apriorisch: Schelling um 1820 Philosophie d. Offenb. (S. W. // 3,36) sie selbst [Begriffe und Prinzi-

pien] . . seyen schon mit dem menschlichen Verstande selbst der Erfahrung vorausgegeben, in welcher Beziehung sie dann auch wohl apriorische Begriffe und Gesetze genannt wurden; Hahnemann 1824 Organon Vorr. VIII Man definirte recht überklug die Krankheiten apriorisch; Schopenhauer 1840 Moral 71 Förmlich eingeführt wird er zuerst in der hier von uns in besondere Betrachtung genommenen „Grundlage zur Metaphysik der Sitten", und zwar ganz auf apriorischem Wege, durch eine Deduktion aus Begriffen; Hartmann 1869 Philosophie 211 Die Idealisten werden . . Recht behalten, dass dieser Process etwas jenseits des Bewusstseins vor dem bewussten ästhetischen Unheil Liegendes, mithin für dieses etwas Apriorisches sei; Dow 1888 Vorr. zu Ranke W. G. IX 2,VII Aus apriorischen Gedanken; Hartmann 1891 Pessimismus 85 dass der Pessimismus . . jedenfalls eine unbedingte apriorische Gültigkeit . . beansprucht; Willmann 1897 Gesch. III 825 Er läßt im Grunde kein Erkennen aus dem Wesen, also kein apriorisches, gelten; Mauthner 1910—11 Wb. d. Philosophie 39 f. nun ist aber fast jeder Begriff nur der Treffpunkt des apriorischen und des aposteriorischen Weges; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 165 f. Die Aufgabe einer Befreiung der Grammatik von der Logik bedarf vorgängig eines positiven Verständnisses der apriorischen Grundstruktur von Rede überhaupt als Existenzial und kann nicht nachträglich durch Verbesserungen und Ergänzungen des Überlieferten durchgeführt werden; Scheler 1929 Weltansch. 107 Das 18. Jahrhundert einschließlich Kant hat auch darin geirrt, daß es das geschichtlich gemeinschaftliche echte Wachstum des Geistes selbst, seiner in der Schulsprache der Philosophie „apriorisch" genannten Formen im Denken, Anschauen, Werten und Wertvorziehen, Lieben usw., nicht bemerkte; Hausenstein 1930 Bad. Reise 40 Alles, was ich heute wahrnehme . . liegt innerhalb dieses gleichsam apriorischen Gefühls für die Stadt; 1949 Dies Univ. I 111 diesen nur verstandenen apriorischen Realismus. Es ist kein leichtfertiger Realismus; Staiger 1966 Grundbegriffe 192 Eine apriorische Erwartung wird getäuscht, ein Entwurf braucht plötzlich nicht durchgeführt zu werden; Essler 1970 Induktive Logik o. S. Bestimmung der faktischen relativen Weiten . . nicht der . . apriorischen relativen Weiten; Ritter 1971 Hist. Wb. d. Philosophie l 469 Apriorisch ist . . 1. alles durch analytische Urteile aus Begriffen Geschöpfte (eigentlich nur Tautologien) und 2. das in der Gesetzlichkeit der Vernunft selbst Wurzelnde, rein Formale der Erkenntnis, das als synthetisches (erweiterndes) Vermögen oberste Voraussetzung reiner objektiver Wissenschaft ist; Sloterdijk 1983 Kritik 652 nur ein apriorisches Interesse des Typs Arbeit; ebd. 653 eine apriorische Alternative.

apropos Apriorismus: Rebelling urn 1820 Philosophie d. Offenb. (S. W. H 3,130) die negative Philosophie ist apriorischer Empirismus, sie ist der Apriorismus des Empirischen, aber eben darum nicht selbst Empirismus; dagegen umgekehrt ist die positive Philosophie empirischer Apriorismus, oder sie ist der Empirismus des Apriorischen, inwiefern sie das Prius per posterius als Gott seyend erweist; Willmann 1897 Gesch. Ill 699 Es wirkt in ihnen der kantische Apriorismus verderblich nach: die Illusion, von vornherein im Besitze des Geheimnisses der Sache zu sein; Haeckel 1913 LK. 11 Die rein speculative Metaphysik, die sich weiterhin auf dem von Kant gegründeten Apriorismus entwickelte und die in Hegel ihren extremsten Vertreter fand, kam endlich zu der Verwerfung der Empirie überhaupt; 2913 Stimmen d. Zeit LXXXV 487 Ein . . Grund, der die Ethnologie bis heute an der Erreichung gründlicher und sicherer Ergebnisse gehindert hat, ist der Apriorismus . . Die große Mehrheit der Ethnologen steht heute auf dem Standpunkt der extremen Deszendenzlehre, nach der sich der Mensch aus völlig tierischen Anfängen durch allmähliche Umbildung herausgearbeitet hat; Lettenbaur 1927 Morgen 173 typisch amerikanisch war es, daß der Erfinder [einer Flugmaschine] sich mit allem Apriorismus seines Volkes von der alten Vorstellung der Vogelgestalt . . frei machte; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 50 Der „Apriorismus" ist die Methode jeder wissenschaftlichen Philosophie, die sich selbst versteht. Weil er nichts mit Konstruktion zu tun hat, verlangt die Aprioriforschung die rechte Bereitung des phänomenalen Bodens; FAZ 19.9.1970 Kanonistischer Apriorismus In seiner Leserzuschrift . . versucht . . Krimmel gegenüber dem bekannten Vorwurf einer problematischen Anwerbung indischer Schwesternanwärterinnen mehr zu beweisen, als seine Prämissen hergeben. aprioristisch: Brentano 1871 Arbeitergilden l Vorr. VI eine neue gildenartige Organisation der Industrie . . rein aus dem praktischen Bedürfniss, frei von, ja im Gegensatz zu aphoristischen Theorien der verschiedensten Richtung; Nordau 1885 Paradoxe 292 nicht aber irgend etwas Absolutes, Aphoristisches, das außerhalb des Sonnensystems,

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außerhalb eines Wechsels der Tages- und Jahreszeiten, außerhalb einer eine Aufeinanderfolge von Veränderungen aufweisenden Natur besteht; ebd. 294 So müssen die Vorstellungen von Zeit und Dauer und Ursächlichkeit angeborene, „aprioristische Intuitionen", . . sein; Hallier 1889 Kulturgesch. 405 Anm. Der Begriff des Aprioristischen wird von Häckel völlig missverstanden. Er verwechselt die Zeitfolge mit der Allgemeinheit und Notwendigkeit . . Er bedenkt nicht, dass ohne aprioristisches Erkennen, nämlich ohne Anlage, überhaupt keine Erfahrung möglich ist; 1927 Sittengesch. d. Lasters 188 die These, daß der Instinkt aus dem Untergrunde aprioristischer Kenntnis heraus den Menschen gleich dem Tiere ohne Anlernung und Beispiel zum Koitus führe, ist unhaltbar. Apriorität: Hölderlin nach 1800 (S. W. u. Br. II 339) die appriorität des Individuellen über das Ganze; Schopenhauer 1819 Welt U 41 Die Apriorität des Kausalitätsgesetzes ist von den Engländern und Franzosen theils noch gar nicht eingesehen, theils nicht recht begriffen: daher Einige von ihnen die früheren Versuche, für dasselbe einen empirischen Ursprung zu finden, fortsetzen; ders. 1840 Moral 62 Begriff von der unumgänglich nötigen Apriorität und Reinheit von allem Empirischen für die Grundlage der Moral; ders. 1859 Welt 201 Die Aufgabe der Metaphysik ist zwar nicht die Beobachtung einzelner Erfahrungen, aber doch die richtige Erklärung der Erfahrung im Ganzen. Ihr Fundament muß daher allerdings empirischer Art seyn. Ja sogar die Apriorität eines Theils der menschlichen Erkenntniß wird von ihr als eine gegebene Thatsache aufgefaßt, aus der sie auf den subjektiven Ursprung desselben schließt; Lange 1866 Materialismus II 16 Apriorität der Mathematik; Hartmann 1869 Philosophie 239 Wer nun auf die Unmöglichkeit, diese Begriffe von aussen zu erhalten, und die Nothwendigkeit, sie selbst zu bilden, sieht, der behauptet ihre Apriorität; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 111 weil das Dasein . . räumlich ist, zeigt sich der Raum als Apriori . . Apriorität besagt hier: Vorgängigkeit des Begegnens von Raum (als Gegend) im jeweiligen umweltlichen Begegnen des Zuhandenen; 1949 Dies Univ. I 110 die Apriorität des Erkennens.

apropos Adv., im frühen 17. Jh. entlehnt aus frz. ä propos 'zur Sache; der Zeit, dem Ort, dem Gegenstand angemessen, gelegen, passend' (Fügung aus a 'zu' (< lat. ad) und propos 'Vorsatz, Anlaß, Zweck, Gesprächsthema, Rede', Deverbativum von proposer 'vorschlagen, vorbringen, sich vornehmen', Präfixbildung zu poser, das im Galloroman. die Bed. von lat. ponere 'setzen, stellen, legen' übernimmt und dem lat. Vorbild proponere (Part. Perf. propositum) 'aufstellen, vortragen, vorschlagen' entspricht; —» Position), anfangs auch noch in frz. Schreibweise.

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apropos

Zunächst und selten bis ins 19. Jh. im wörtlichen Sinn für 'zu der Sache (um die es sich handelt)' (s. Belege 1616, 1618, 1714), auch als Ausruf 'zur Sache!' (s. Beleg 1687); daneben seit dem 18. Jh. auch als Subst. Apropos N. (-; -) zur Bezeichnung von Beiläufigkeit im Sinne von 'Nebenherbemerkung' (s. Beleg 1779), auch 'passende Anmerkung, Zwischenbemerkung' (s. Beleg 1845 f.). Seit spätem 17. Jh. selten in der ebenfalls veralteten Bed. 'zur rechten Zeit, gelegen', meist in der festen Wendung apropos kommen (s. Belege 1684, 1714, 1869), vereinzelt noch im 20. Jh. (s. Beleg 1931). Etwa gleichzeitig in der heutigen Bed. 'übrigens, nebenbei bemerkt, da fällt mir ein, was ich noch sagen wollte', als Gliederungspartikel verwendet zur Einführung eines neuen Redegegenstands, dessen Wichtigkeit der Sprecher nicht zeigen möchte (s. Beleg 1799) oder um den Gesprächston zu lockern (s. Beleg 1895); vor allem aber, um einen bereits erwähnten Redegegenstand z. B. in klärender oder modifizierender Absicht zumeist in Form einer kurzen Bemerkung oder Frage wiederaufzunehmen, z. B. in Wendungen wie apropos, wie geht es ihm?, apropos, ich soll dich grüßen, apropos, wie meinen Sie das?, bis ins späte 18. Jh. in der Verbindung apropos von (s. Belege 1681, 1774, 1781), heute häufig in geschriebenen Texten, wobei nach einem Doppelpunkt der Redegegenstand ausführlich entfaltet (s. Beleg 1985) bzw. paraphrasiert wird (s. Beleg 1985). apropos: Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Apropos. Da es sich schicket; Messerschmid 1618 Garzonis Narrenspital l verhindert den Menschen, daß er nichts a propos redet; Friederich 1633 C/ytie I 46 seine/ so ä propon glücklich erlangende gelegenheit; Klaj-Birken 1645 Fortsetzung 89 verschraubete mich ä propos zu Feld (beide JONES); Elis. Charl. 1680 Br. i 10 Dar ist unßer prinssien von Saxen bey mir, das rast mitt Madmoissel. A propo ich hab ein hauffen complimenten ahn Euch von ihr vndt hundert amities; dies. 1681 Br. l 13 Das macht mich gantz ahn die uhralten zeitten gedencken. Aber apropo von den zeitten ich muß Euch etwaß sagen; Nehring 1684 Manuale o, S. das körnt recht a propos, das ist Recht zur Sache, eben recht; Dalhover 1687 Gartenbeetlein l 278 A Propo dann! Thomasius 1688 Monats-Gespräche 1 111 ein gerollt Pappier . . welches . . befunden wurde/ daß es der December von denen Actis Eruditorum wäre. A propos, fing Herr Augustin an/ was hat es doch für eine ausführliche Beschaffenheit mit diesen Actis?; Elis. Charl. 1696 Br. l 58 Ich will den könig sondiren, wen es apropo kan kommen, ob er Euch Ewerer gutter würde in der Pfalz genießen laßen; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 14 Affecten und Gemüthsneigungen . . der zum Exempel ein galantes und liebreitzendes Frauenzimmer für eine alberne und närrische coquette sich zur liebsten wehlet. Aber ad propos was ist galant und ein galanter Mensch?; Stranitzky 1711 Ollapatrida 101 Margareth: . . ich habe mich bishero der Liebe noch nicht unterwürffig gemacht . . habe auch noch zur Zeit nicht Willens/ solche abzulegen.

Fuchsmundi: Apropos, dieses allein will ich melden, daß ich das Glück gehabt habe/ ein Mägdlein zu zeugen; Callenbach 1714 Wurmland 40 Aber ä propos zu kommen, ich wäre gern ein Doctor; ders. 1714 Eclipses 69 Der Herr kommt mir a propos, ich habe ohnedem Ordre, des Herrn Rath und That zu pflegen; Podagra 1721 Apothekertod 24 Aber a propos, haben Sie die neue Cur gehört; Picander 1726 Schauspiele 83 A propos, was hatten sie denn gestern vor einen Fecher; Zedler 1732 Universallex. l 971 A propos .. sagt man, wenn etwas nach Wunsch gehet, als z. E. Das kömmt recht a propos, das dient recht zur Sache; 1745 GleimRamler l 16 er obseruirt ietzt alle zertheilte Schönheiten an dem Frauenzimmer, um sie zusammen in einem Bilde zu vereinigen. A propos deswegen wird er auch heyrathen wollen; Lessing 1762 Br. 212 Darauf können Sie sicheren Staat machen, als wenn ich Ihnen einen Beitrag zu Ihren Briefen . . verspräche. — Und a propos, ich verspreche Ihnen einen, wenn Sie mir wollen Ihre Edition schicken; Klemm 1767 Grüne Hut 26 Mademoiselle, sie wissen ohnedem, wie sehr ich ihr Diener bin. A propos, nu, wie gefällt ihnen das französische Buch, das ich ihnen gegeben habe?; Smollet 1772 Klinkers Reisen (Obers.) l 40 f. muß es [das hiesige Wasser] . . nicht . . bey der Wassersucht . . schädlich seyn? — A propos von der Wassersucht! Bürger 1774 (Br. l 211) nur bitt' ich mir dafür alle Schlözeriana aus. A propos, von den A—. Ich las neulich die lettres de Me. de Pompadour; Müller 1775—81 Genoveva 11 f. es ist manchmal auch eine Last, eine gute Faust zu schreiben . . Was wollt' ich doch

apropos sagen? Apropos! Es sind gestern Abend sehr spät wichtige Nachrichten [eingetroffen]; Lenz 1776 Soldaten (NL LXXX 89) Wesener: . . Werden pardonnieren, Herr Baron! so gern als Ihnen den Gefallen thun wollte, in allen ändern Stücken haben zu befehlen. Desportes: A propos, lieber Wesener! wollten Sie mir doch nicht einige von Ihren Zitternadeln weisen?; Goethe 1781 Er. (WA IV 5,38) Schumann hat seine ganze Rafaelische und Oeserische Ader darauf ausgegossen. Apropos von Künstlern, die Cristiane . . ist von Ettersburg her schwanger . . und giebt den alten Oeser zum Vater an; Bretzner 1788 Leben III 162 ob sie gleich schon recht mitgemacht hat, so sieht sie doch mein Seele noch scharmant aus! A propos! was macht denn Lise?; Schiller 1795 Br. IV 328 Eine Beurtheilung Ihres Meisters werde ich . . liefern können, und dann soll es . . recht a propos seyn, der letzte Theil mag nun . . [17]96 . . oder [17]97 herauskommen; Tieck 1797 Der gestiefelte Kater (I 148) Hanswurst: . . Adieu, bis auf Wiedersehn. — (Geht ab und kömmt schnell wieder.) Apropos! — noch eins — auch was jetzt unter uns vorgefallen ist, gehört nicht zum Stück; Kortum 1799 Jobsiade 48 Oft will mir von allen gelehrten Dingen/ Fast der Kopf, sammt dem Hirn, zerspringen,/ Und manchmal wird mir gar wunderlich./ {A propos! die Ducaten erwarte ich.); Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 817) der Philosoph hat sich diesen Abend gehäutet; und das bedeutet, wenns Spinnen tun, klares Wetter. Apropos! häute dich, aber besser und physisch!; Körner 1811 Braut 36 Vielleicht hat sie's gehört, dann lohnt ein einz'ger Blick/ Von ihr den ganzen Streit mit süßem Liebesglück!/ Mein Sohn — ja, apropos, was wird der Fritz nur sagen,/ Muß er, kaum angelangt, für den Papa sich schlagen?; Laube 1837 Reisenovellen 5 und welche die bestürzte Köchin ä propos auf den Schreibtisch des Philosophen legt; Burckhardt 1846 Br. HI 23 Durch!! sagte Urmau, als er seine Kunstgeschichte anfing. (A propos, wann kommt der 2te Band? . .); Holtei 1860 Eselsfresser II 43 Deshalb fand ich es außerordentlich, daß er später einmal wie aus der Pistole geschossen anfing: Apropos mein Freund, bist Du Deiner Liebesgeschichte nicht bald überdrüssig? Räder 1867 Robert u. Bertram 29 Rösel: . . Der Raum in der Mitte bleibt zum Tanzen. Wirt: Tanzen, tanzen — was tanzen! Essen und trinken sollen sie tüchtig, vom Tanzen habe ich nichts. Rösel: Oho, tanzen macht durstig. Wirt: Durstig? Dann ist Tanzen die Hauptsache! Apropos, wie steht es in der Küche?; Marlitt 1868 Geheimnis 97 ohne das Auge von seiner Arbeit wegzuwenden, streckte er die Linke nach den Briefen aus. Er erbrach einen derselben, während Felicitas wieder nach der Tür zu schritt. „Apropos", rief er, schon halb und halb in den Brief vertieft, „wer stäubt

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denn hier im Zimmer ab?"; Fontäne 1869 Br. I 166 dieser Gichtanfall kam mir sehr ä propos; Hartmann 1880 Volksschauspiele 201 Der Kerl passirt; er hat Respekt und Manier. He, ä propos! will Er Dienst nehmen bei mir?; Eckstein 1889 Camilla 71 ob sie denn wirklich so öde, so über alle Maßen beschränkt oder so herzlos banal sei, daß jeder Abenteurer es wagen durfte, ihr zwischen zwei Gängen eines Soupers zuzurufen: „Apropos, mein Fräulein, ich möchte Sie heiraten!"; Proelss 1891 Modelle 12 „. . Ohne Freude am Gegenstand aber, wie soll man da etwas zustande bringen? Dabei sind wir . . abhängiger von unseren Modellen als je! Apropos — Modelle; wissen Sie schon .." Er verstummte plötzlich; Baumbach 1895 Jugendzeit 342 Mit weltmännischer Gewandtheit ging der Graf aus dem Ton schwiegersöhnlicher Rührung in den leichten der Konversation über. „Apropos, gnädige Frau, Sie kennen das Rittergut Königsbrunn?"; Duimchen 1902 Mittel 55 Wir sprechen morgen Abend weiter . . Apropos, ich wünsche nicht, daß Du Mama einweihst; Benjamin 1917 Br. I 152 Dagegen aber ä propos diese Bemerkung: . .; ders. 1923 Br. l 317 Überaus wahr und ä propos scheint mir, was Du vom „Stil des Bekennens" äußerst; Kronberg 1929 Jugend 68 „. . Schade, Margit, daß du diesen Menschen heiraten willst, du konntest so gut meine Sekretärin werden! . ." „Apropos", rief Dick, „Sekretärin — ich habe deine zukünftige Frau kennengelernt . ."; Hauptmann 1931 Spitzhacke o. S. apropos kommen; Wohl 1932 Reporter 367 „. . Auf Wiedersehen, lieber Herr Doktor." Klaus hängt ab. „Apropos, die Papiere", sagt er. „Hier, Lill . . das sind sie . ."; 1946 Weltbühne I 319 Apropos: Haut. Wir kommen damit dem Thema, über das ich mich hier auslassen wollte, schon etwas näher; Grass 1962 Blechtrommel 419 ich erbat also keine Auskunft über die Krankenschwester, sondern besorgte mich vorerst um ihn: „apropos Gesundheit", warf ich ein, „es geht Ihnen nicht gut?"; 1965 Wochenpost III 2 Auf 32 Seiten bringt uns die „Wochenpost" . . Unterhaltung und Wissen ins Haus. Apropos ins Haus, ich habe natürlich die „Wochenpost" sofort abonniert; Weber 1967 Souvenir 222 eine Woche habe ich Zeit, in einer Woche reist sie ab. Apropos Zeit: Durch meine Schuld haben wir einige Tage verloren; Eich 1968 Maulwürfe (Ges. W. I 338) Liebe und Eiter sind eins in Gott, und alles freiwillig. Zugleich fällt kein Sperling vom Dache undsofort. Apropos Sperling und Dach. Ein Vogelpaar belebt den First; Kunert 1973 Schreiben 128 Apropos: Bei Ihnen im Lande war ich schon lange nicht mehr, wie geht es Anna Seghers, und was schreiben Sie jetzt?; Süßkind 1981 Kontrabaß 44 Prometheus war das — apropos: Letzten Sommer waren wir mit der gesamten Staatsoper in Orange,

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Apsis

Südfrankreich, Festspiele; MM 27.4.1985 apropos: wie sich sowohl im Labor als auch in der Praxis zeigte, haben Allesschneider mit verstellbarer Drehzahl . . keinen erkennbaren Vorteil gegenüber nicht einstellbaren Typen; Zeit 1.11.1985 apropos Ökonomie, insbesondere politische Ökonomie, die ja außer den wirtschaftlichen auch politische, soziale, kulturelle Faktoren in ihrer Wechselwirkung untersucht, apropos Ökonomie — Zauberformel der Emanzipationsbewegung: in einer Rede . . sagt Peter Bichsel, . .; Fntttero 1986 Palio (Übers.) 89 „. .Sie glauben immer, essen und trinken macht sie stark und sie würden's dann besser „überstehen" . .." „Apropos", sagt eine dritte, ironische Stimme, „hat jemand zufällig ein Digestivum dabei?"; MM 25.9.2986 apropos nichts: die Wissenschaftler wissen auch noch nichts Genaues; Zeit 20.3.1987 apropos „Liebe": könnte nicht vielleicht eine eheähnliche Partnerschaft, anders als aus dieser, nur aus Nacktfroschperspektivensicht entstandenen Betrachtung, an etwas anderem erkrankt sein?; MM 25. 6.1988 apropos Grün in Ettlingen — war da nicht noch irgendetwas außer grünen Hosen und immergrünen Liedern?; 1989 Bundestagsprotokolle CXLIX 11324 apropos Stahlhelm, Herr Momper, worüber Sie sich ausgelassen haben: . .;

Sanders 1992 Sprachkritikastereien o. S. die Lüge wird eher in gekonnter Sprache gelingen als in einer unbeholfenen Sprachstümperei, die deutlich ihre kurzen Beine durchscheinen läßt. Apropos, kurze Beine — Hans Jürgen Heringer hat die Verleihung des Konrad-Duden-Preises .. zu einer . . „Politikkritikasterei" genutzt, die den vielsagenden Titel trägt: „Über die Mannigfaltigkeit der Lügenbeine". Apropos: Hase 1779 Aldermann l 48 „nun hast du noch irgend einmal solche Apropos zusammen gehört?" . . „Nein, dies wäre in der That Stof einen Theaterdichter zu bereichern"; Lessing vor 1781 S. W. XII 324 Apropos der Komödie! (SANDERS DWB); Wieland vor 1813 S. W. l 109 Aber wieder auf unser Apropos zu kommen (SANDERS 1871); Gutzkow 1845 f. Ges. W. Ill 294 Mit einer Fülle so epigrammatisch zugespitzter Apropos vorgetragen (SANDERS 1871); Szarvady 1852 Paris l 285 Ein anderer Vorzug Girardin's ist sein Takt, sein Gefühl für das ä propos; Kant 1972 Impressum 98 Sie werden schon wieder anzüglich, . . aber als Apropos ist das gar nicht schlecht: „Apropos, Herr Reichsmarschall, wie eben jesagt, handelt es sich hier um eine mittelalterliche Wunderwaffe ..".

Apsis F., auch Apside F. (-; Apsiden), im frühen 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. mlat. apsis, absis (< kirchenlat. apsis 'Rundteil, Kirchenchor', < lat. (h)apsis, mathematischer Terminus für 'Kreissegment, Bogen' < griech. $ 'Verknüpfung, Bogen, Wölbung, Kuppel', zu 'heften, (an)knüpfen'), zunächst auch in den Schreibformen Absis, Abside. Als Fachwort der Baukunst in der Bed. 'einen Raum halbkreisförmig abschließendes Gewölbe' (s. Beleg 1824), zumeist auf Kirchen bezogen für 'halbrunder, meist mit einer Halbkuppel überwölbter Raum, der den Abschluß des Altarraums bildet; Altarnische' (s. Belege 1856, 1899, 1951, 1993), dazu mit Bezug auf Haupt- oder Nebenschiff des Kirchenraums in neuerer Zeit als Grundwort in den Zss. Haupt-, Mittel-, Nebenapsis (s. Belege 1964, 1970) bzw. auf die Himmelsrichtung Ost-, Westapsis (s. Beleg 1964). Seit Mitte des 20. Jhs. auch auf Profanbauten bezogen (s. Belege 1958, 1986) und speziell für 'Zeltnische (zur Gepäckaufbewahrung)' (s. Beleg 1954). Dazu Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung apsidial (ohne Steigerung) 'zur Apsis gehörig, in der Form einer Apsis'. Vgl. daneben das seit Mitte 18. Jh. nachgewiesene, auf lat. absides, apsides, Pi. von absis, apsis in seiner Bed. 'Planetenbahn' zurückgehende, plur. verwendete Subst. Apsiden, als Terminus der Astronomie in der Bed. 'die beiden am entferntesten und am nächsten zum umkreisten Gestirn liegenden Endpunkte der elliptischen Bahn eines Himmelskörpers', bes. in der Zs. Apsidenlinie 'gerade Verbindungslinie der beiden Apsiden' (s. Beleg 1768). Apsis: 1824 Allg. dtsch. Sachwb. I 49a Absis für: Gewölbe, besonders ein Kirchengewölbe; Kugler

1856 Gesch. d. Baukunst U 287 Dann bildete sich die Anlage zu einer charakteristischen, obschon

Aquädukt überall zu einer sehr einfachen Kapellenform aus, als ein Haus mit senkrechten Wänden, insgemein mit engerem Chorraume auf der Ostseite, dem jedoch die anderweit übliche halbrunde Absis nicht hinzugefügt ward; Almers 1857 Marschenbuch HI 143 Apsiden und Krypten finden sich nie [in diesen Kirchen]; Justi 1872 Winckelmann 2.1,149 Der Pabst [richtete] . . die Abside des Tricliniums Leo III beim Lateran an dem jetzigen Platz auf; Hettner 1879 Italien. Studien 193 daß die halbkreisförmige perspectivische Vertiefung und deren folgerichtiger halbkugelförmiger Abschluß . . der ehrfurchtgebietenden Strenge der Apsisbilder der alten christlichen Basiliken; 1899 Die Insel l 266 die ungeheure Macht in den Mosaiken über dem Hochaltar, die Evangelistensymbole in den Dreiecken, die die Kuppel der Apsis von der des Hochaltars trennen; Hauptmann 1918 Ketzer (Ausgew. W. V 506) [eine Kapelle] der Jungfrau Maria geweiht, deren verstaubtes Kultbild auf dem Altar von einem byzantinischen Mosaik der Apsis überwölbt wurde; 1938 Kosmos XXXV 190b In christlicher Zeit wurde aus der alten Markt- und Gerichtshalle ein Gotteshaus; das Taufbecken blieb bis heute in der östlichen Apsis erhalten; Diesel 1949 Jahrhundertwende 15 Hier thronte in der Apsis das erste Automobil der Welt; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 237) dort, wo sie [die Basilika] sich unter der hohen Decke des Mittelschiffs weit und lang ausdehnt und aus der Ferne der Apsis her die Augen mit musivischem Glanz blendet; 1954 Werbeprospekt o. S. Während die Zelte „Rhein" . . ohne Apsis sind, haben die Zelte „Neckar" . . eine Apsis (Gepäckraum); 1954 ebd. o. S. Süd-West-Apsishauszelte „Weser" . . Während das kleinere Zelt „Weser I" mit einer fünfeckigen Apsis ausgerüstet ist, liefern wir das größere Zelt „Weser II" . . mit Dreieckapsis; Behm-Blancke 1958 Höhlen 65 Dieses Haus . . besaß eine zentrale Herdstelle und an einer Giebelseite eine Apsis; Grass 1962 Blechtrommel 116 über den Turner am Kreuz hinweg, der nicht zuckte, der schwieg, sang ich die drei hohen Fenster der Apsis an, die rot, gelb und grün auf blauem Grund zwölf Apostel darstellten; Partner 1964 Erben 245 Bereits 751 .. war die Kirche so weit fertiggestellt, daß Bonifatius den ersten Altar in der Apsis weihen konnte; ebd. 253 Ratgar baute zunächst . . rund um die weiterbestehende erste Klosterkirche einen „östlichen Tempel", das heißt: eine dreischiffige Basilika mit Ostapsis . . Ihr folgte das 88 Meter messende Querhaus mit

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Westapsis, das die Chronisten den Westtempel nennen; ebd. 402 führte ein gedeckter Gang zur Pfalzkapelle . . einer dreischiffigen Basilika mit Querhaus und Mittelapsis; Dellwing 1970 Baukunst o. S. Die sich anschließende Hauptapsis hat wie die Nebenapsiden einen Siebenzwölftel-Schluß; Zeit 22.11.1985 Roh geformte Holzstühle, großmustrige Mosaike auf dem Fußboden, in der hohen, runden Apsis hängt ein winziger Christus an einem dünnen, zerbrechlichen Kreuz; ebd. 4.7.1986 die Ausmalung der apsisförmigen Halbkuppel im Hauptraum; ebd. 19.12. 1986 weiße verkrumpelte Tücher grenzen aus der Arbeitshalle der alten Fabrik eine Art halbkreisförmigen Chor aus, eine Apsis; Süskind 1987 Taube 89 um dann rasch wieder zueinander zu streben und sich an der Stirnseite in Form einer dreikantigen Apsis zu vereinigen; Zeit 19.6.1987 von noch präziserer Brutalität ist das stählerne Halbrund, das Serra im ersten Stock des Fridericianum in die restliche Apsisform des früheren Treppenhauses gesetzt hat; Süddtsch. Ztg. 23.l 24.10.1993 Aus dem Schatten der Apsis treten jetzt einige Mönche. apsidial: Dehio 1904 Kunsthist. Aufs. Ill 9 der Hauptchor enthält Nebenchöre, jeder mit einer apsidialen Nische geschlossen; Finder 1937 Kunst 223 Die namentlich nach rechts hin nahezu apsidiale Grundrißbildung für das heilige Gefolge schwingt sich auf die Innenflügel hinüber; 1956 Das Altertum H 114 bis .. die drei nördlich liegenden und apsidial endenden Räume der Villa wahrscheinlich kultischen Zwecken dienten; Dellwing 1970 Baukunst o. S. Wie dort haben die vier Nebenchöre, in die sich das Querhaus in den beiden Armen nach Osten öffnet, eine apsidialen Schluß. Apsiden: Chomel 1750 Lex. I 614 Apsides, Absides, sind in dem Creysse eines Planeten diejenigen Punckte, wo der Planet der Erde oder der Sonne am nächsten oder am weitesten von derselben stehet; Lichtenberg 1768 Aphorismen I 93 So wie die Hasen, wenn sie recht sollen gehoben werden, immer nach der Apsiden Linie müssen angepackt werden; Bobrik 1848 Handb. d. Seefahrtskunde I 140 Es giebt . . in jeder Planetenbahn zwei einander entgegengesetzte Punkte, die End- oder Scheitelpunkte der großen Achse, oder die beiden Apsiden; A. v. Humboldt 1850 Kosmos III 457 Position der Apsiden . . Form der elliptischen Planetenbahnen.

Aquädukt N., selten auch M. (-(e)s; -e), im späten 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. lat. aquae ductus (aus fielet. Form von aqua 'Wasser' und ductus 'Führung, Lauf, zu ducere 'führen, leiten', also eigentlich 'Leitung des Wasssers'), bis Mitte 19. Jh.

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Aquädukt

in an das Lat. angelehnten (fielet.) Formen wie Aquae duct(us), Aquaeduct(us), unter Einfluß von frz. aqueduc bis ins 18. Jh. selten auch in den Formen Aqueduct, Aquedukt. In der Bed. 'Wasserleitung' als Bezeichnung für die meist mehrstöckigen, Täler überbrückenden Steinbogenkonstruktionen, die in offenen oder verdeckten Kanälen Wasser aus Gebirgen in Städte leiteten, zumeist auf die antiken Anlagen aus der Römerzeit (z. B. in Italien und Südfrankreich) bezogen, anfangs in synonymen Verbindungen wie Aquädukt oder Wasserleitung, Wasserrohr; heute auch fachspr. für 'Gewässerüberführung über Straßen oder Eisenbahntrassen' und 'Betriebswasserzuleitung für Kraftwerke' (s. Beleg 1987). Daneben seit spätem 18. Jh. in der Medizin in der Bed. 'Kanal zwischen mit Flüssigkeit gefüllten Hohlräumen des Körpers' (s. Belege 1786, 1896, 1974). Melber 1481 Voc. o. S. Aqueductus . . ein wasser rore durch dz die wasser flieszen; 1522 (Weiler, Zeitungen 41) vnd auff ainer [solchen Brücke] fyeren Sy . . ain syess flyssent wasser inn die star biss auff den platz, als vor zeiten zu Rom, die aque duckus gewesenn; Rivius 1548 Vitruv. 250a Aquaeductum, das ist das gebew/ dorauff solchs Wasser geleitet worden; Ernstinger 1579—1610 Raisbuch 154 aequaeductum oder Wasserleitung; Thurneisser 1583 Onomast. II 6 in den aquae ductibus, oder Wasserleitungen, wie man deren noch zu Rom, Legion vnd Äugst ob Basel, die sehr alt seindt, find; 1597 Kronn aller Wegweiser 174 Bey dem wege gen der statt . . seind zerissen Gebäw eines Aqueducten oder wasserrhors, auch rhören von Wasser vnd brunnen, die in die statt geführt seind; Kiechel um 1600 Reisen 224 aqua ducta oder wasserwerck; Grasser 1610 Schatzkammer l 400 Von den Aqueducten vnd Wasserleitungen; Neumayr v. Ramssla 1620 Reise i. Frankr. 54 ein alten aquaeductum [bei Nimes]; Furttenbach 1663 Kunst-Spiegel 266 Aquadote; Marperger 1716 Küchendict. 41 Aquae ductus/ Wasser-Leitungen/ waren . . sehr berühmt bey denen alten Römern/ als welche deren mit grossen Unkosten unterschiedliche auffrichten Hessen; Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) l 43 Man fährt. . in einem gemächlichen Kahne . . durch diesen Aquaeductum in Zeit von einer Viertheistunde; Hederich 1743 Antiqu.-Lex. 295 Aqvaedvctvs, Wasserleitungen, waren diejenigen Canäle, worinne . . Wasser nach Rom geführet wurden; Goethe 1786 Tagebücher (WA III 1,327) Spoleto hab ich bestiegen und war auf dem Aquädukt der zugleich Brücke von einem Berg zum ändern ist. Die zehen Bogen die das Thal füllen, stehn, von Backsteinen ihre Jahrhunderte . . da und das Wasser quillt noch immer in Spoleto; ders. 1786 Über das Gaumenbein. Paralipomena VI (WA II 8,335) aquaeductus vestibuli; Schopenhauer 1803—04 Reisetagebücher 136 Der Aquedukt besteht aus zwey Reihen doppelter Arkaden übereinander zwi-

schen denen, in verborgenen Röhren, das Wasser fließt: er ist ganz von Stein mit ungeheuren Kosten aufgerichtet, u. versorgt, vermittelst unterirdischer Wasserleitungen, die ganze Stadt; Max. v. Mex. 1852 Leben III 42 der Aufgang [zum Monte Pellegrino], der zum Theile wie ein Aquäduct über Arcaden geht, . . erinnerte mich an Acrocorinth; Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 140 Aquädukt .., der von Gorze nach Metz führt, um diese Stadt mit Trink wasser zu versehen; Hehn 1887 Italien 20 wie die Cisternen mehr semitisch, so sind die Aquaeducte italisch und römisch; Hermann 1896 Physiologie (Reg.) Aquaeductus cochleae, vestibili, sylvii; Friedländer 1910 Sittengesch. Roms III 150 In einer Anzahl von Städten Italiens bezeugen teils Bogenreihen, teils Inschriften (die als Erbauer öffentlicher Aquädukte Kaiser, Patrone . . nennen), teils Röhren mit städtischen Stempeln das Vorhandensein von Leitungen; Rilke 1922 S. W. I 760 f. O Brunnen-Mund . . / . . / . . vor des Wassers fließendem Gesicht, / . . Und im Hintergrund/ der Aquädukte Herkunft. Weither an/ Gräbern vorbei, vom Hang des Apennins/ tragen sie dir dein Sagen zu; 1936 Vera, techn. frw. o. S. Aquädukt; Kunmoth 1956 Architektur 60 Aquädukt von Karthago; Zetkin-Schaldach 1974 Wb. d. Medizin 95 AquäduktSyndrom: Kombination von vertikaler Blicklähmung, Pupillenstörung, Augenmuskelparesen und Konvergenzspasmen bei Herden im Bereich des Aquaeductus Sylvii und der Vierhügelgegend; Klemm 1983 Technik 36 Von dem bedeutenden römischen Gewölbebau zeugen auch die Basilikabauten, die Torbögen, die Steinbrücken und die Aquädukte; 1987 Brockhaus II 6 In neuerer Zeit ist die Verwendung von Aquädukt im wesentlichen beschränkt auf die Überführung von Schiffahrtskanälen oder Wildbächen über Straßen und Eisenbahnlinien, in Gebirgsgegenden zur Heranleitung des Betriebswassers für Kraftwerke; Süddtsch. Ztg. 20.4.1993 Städte leben vom Wasser, davon zeugen seit eh und je Brunnen und Bäder, Aquädukte und Wassertürme.

Aquarell

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Aquarell N. (-s; -e), im späten 18. Jh. entlehnt aus ital. acquerello 'Wasserfarbe; Wasserfarbengemälde' (zu acqua 'Wasser' < gleichbed. lat. aqua). Als Fachausdruck der bildenden Kunst zunächst in der Bed. 'Malerei, Maltechnik mit Wasserfarben' (s. Belege 1787, 1803), dann vor allem für 'mit Wasserfarbe gemaltes Bild', zumeist auf saugfähigem Papier, daher im Unterschied zum Ölgemälde mit transparenter Wirkung, in Wendungen wie farbige, leuchtende, zarte Aquarelle, ein Aquarell kaufen, häufig zusammen mit anderen einfacheren Maltechniken erwähnt, z. B. Aquarelle, Pastelle, Zeichnungen, Skizzen; selten auch im Sinn von 'Wasserfarbe', bes. in den Verbindungen Aquarell malen 'mit Wasserfarben malen', in/mit Aquarell 'in/mit Wassserfarben (gemalt)', z. B. eine Landschaftsstudie in Aquarell (s. Belege 1786, 1813); als Grundwort in Zss. bestimmt durch das Motiv, z. B. Anemonen-, Blumen-, Landschaftsaquarell, als Bestimmungswort auf die Handlung bezogen, wie Aquarellmalen, -maierei, auf das Material, z. B. Aquarellpalette, -pinsei und -papier, oder auf die Technik, z. B. Aquarellblatt, -gemälde, -Zeichnung. Dazu seit Anfang 19. Jh. die verbale Ableitung aquarellieren V. (in)trans. 'mit Wasserfarbe malen', auch im Sinn von 'ein Bild, eine Zeichnung nachträglich mit Wasserfarbe versehen, kolorieren' (s. Beleg 1806); gleichzeitig die aus gleichbed. ital. acquerellista übernommene subst. Ableitung Aquarellist M. (-en; -en) 'Künstler, der Bilder mit Wasserfarben malt, Aquarellmaler', vereinzelt auch übertragen (s. Beleg 1991); seit spätem 19. Jh. die adj. Ableitung aquarellistisch 'in der Art der Wasserfarbenmalerei', vereinzelt auch übertragen (s. Beleg 1944). Aquarell: Goethe 1786 Italien. Reise (HA XI 152) Kopien nach den besten Meistern . ., einige in schwarzer Kreide, andere in Sepia und Aquarell; ders. 1787 Italien. Reise (WA I 31,91) Wasserfarben-Mahlerei (Aquarell), die man in Italien jetzt sehr hoch getrieben hat; ders. 1803 Anhang z. Cellini (WA I 44,385) Man zeichnet auch .., indem man nach vollendetem Umriß mit der Feder Pinsel nimmt und mit mehr oder weniger in Wasser aufgelös'ter und verdünnter Tusche nach Bedürfniß helleren oder dunklern Schatten anbringt. Diese Art nennt man Acquarell; H. Meyer 1810 Sehr. 161 unsere Haar- oder Aquarellpinsel; Goethe 1813 Br. (WA IV 30,169) die sehr sauber . . gezeichneten und mit Aquarell ausgemalten Ansichten; l#34 Kunstblatt 207 Die Aquarellmalerei hat viel zu Tage gefördert; Strauss 1846 Br. 185 Aquarellcopieen von Ramboux; 1859 Hausblätter II 34 seit jenem Tage wurde sie läßiger im Malen der Blumen und fing zu seiner Ueberraschung an sich in Aquarell-Landschaften zu versuchen; Landsteiner 1860 Leben 85 Alles [die Straße mit ihrem Leben] vereinigt sich zu einem netten Aquarellgemälde in sehr verjüngtem Maßstabe; Eckstein 1889 Camilla 88 f. Sobald die Landschaft bei Cumä fertig ist . . nimmt Erich bei Herrn Blochmann Unterricht im Aquarellmalen; Kleinpaul 1892 Sprache 176 Man verlangt doch von einer Sängerin kein Aquarell

und von einer Köchin keinen Rock; Boy-Ed 1892 M. 95 Auf meinen Knieen hielt ich meine grosse Schiefertafel, darauf mein Blatt Aquarellpapier feucht klebte; Hesse 1919 (1980 Magie 16) Ich lebe davon, daß ich produziere, daß ich Werte in die Welt setze, seien es noch so kleine. Ich mache zum Beispiel Aquarelle, ich wüßte niemand, der hübschere macht; Th. Mann 1922 Reden u. Aufs. (W. X 624) sechzehn 'chinesische Novellen' von Bela Balazs, mit zwanzig Aquarellen von Mariette Lydis; Hesse 1926 (1980 Magie 20) der Mensch selbst ändert sich wenig, und irgendeine Freude, irgendein Spiel will er haben, und so habe ich heute statt des Angeins das Aquarellmalen; ders. 1928 (1980 Magie 51 f.) ein unaussprechlich rührendes, klagendes Graurosa, wie man es an ganz verbleichten Seidensachen der Urgroßmutter oder an alten erblindenden Aquarellen sieht; Kircher 1928 Vedute 62 Das Aquarell hielt im 18. Jh. durch das Kolorieren der Kupferstiche . . seinen Einzug in die Landschaftsmalerei; Eitzen 1929 Irrgarten 165 Die Aquarelle sind Niederschriften eines spontanen Glückempfindens vor der Landschaft; Voss. Ztg. 5.9.1931 In der Hauptsache Aquarelle, Pastelle, Zeichungen, Graphik . . in den leichteren Techniken bewegen sich bei uns die meisten Künstler nicht nur freier, sondern auch lebendiger als beim zähen Oel. Viele . . sind in ihren Aquarellblättern

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Aquarium

von beweglicher, anlockender Frische; Berl. Illustr. Nachtausg. 30.5.1933 falsche Hundertschillingscheine . . erwiesen sich als Aquarellzeichnungen; ND 13. 4.1949 Rüdiger Berlitt erscheint uns in seinen Zeichnungen fast wesentlicher als in seinen Aquarellen; Hesse 1949 (1980 Magie 69) Ich öffne den Schrank und gehe ans Auswählen des Papieres, manchmal locken mich die glatten, manchmal die rauhen, manchmal die edlen Aquarellpapiere, ein andermal die einfacheren Druckpapiere; Welt 28.3.1959 Original Englische Aquarelle des 19. Jahrhunderts; Böll 1963 Clown 176 zwei Aquarelle von Monika Silvs, die über der Kommode hängen . . dunkelgraue Töne mit kaum sichtbaren weißen Spuren; Welt 8.8.1974 die vielschichtig ineinander verfließenden Aquarelle, in denen er das elementare Naturerlebnis von Meer, Wind, Wolken und Abendsonne in seiner ganz eigenen malerischen Handschrift .. veranschaulicht; Zeit 24.5.1985 Ausstellungen mit Aquarellen von Hermann Hesse und Graphiken von Grass; ebd. 26. 7.1985 sie arbeiten mit Aquarell, das ja jederzeit wieder zu entfernen oder, wie sie sagen, „reversibel" ist; ebd. 3.1.1986 das Zusammenspiel der Farben ist von einer Duftigkeit, die dem Aquarell verwandt ist; MM 17. 7.1987 wie 1933 die Bücher, brannten im März 1939 1000 Gemälde und 3800 Aquarelle, Grafiken und Zeichnungen auf dem Scheiterhaufen; ebd. 29.4.1988 Themenausstellungen zum Aquarell sind selten, die Exponate empfindlich; ebd. 13.5.1988 allmählich, sehr langsam, beginnen Blau und Rosa sich auch am ändern Ende der Lichtwand auszubreiten, bis sie schließlich die ganze Wand zu einer Art blaurosa schimmerndem Aquarell machen — natürlich nicht mit Wasserfarben, sondern mittels 38 versteckter Hochspannungs-Leuchtstoffröhren, die elektronisch gesteuert werden; Frankf. Rundsch. 10. 9.1988 der „Garten der Wünsche" ist ein poetisches Aquarell in zartesten Farben und prätentiösesten Stimmungen; Süddtsch. Ztg. 18./19. 9.1993 Während zur Zeit. . Tausende von Kindern ihre Heimat verlieren . . bietet der europäische Bilderbuchmarkt. . Not und Elend in hellen, freundlichen Aquarellbildern an. aquarellieren: Goethe 1806 Tag- u. Jährest?. (WA I 35,250) aquarellirte Federzeichnungen; ders. 1822 Tagebücher (WA HI 8,187) die neapolitanischen aquarellirten Kupfer; Bode 1922 Museumsarbeit 4 die Kronprinzessin fuhr täglich mit einigen Künstlern hinaus, um zu aquarellieren; Hesse 1928 (1980 Magie 61) Für Mario bin ich ein „Herr", ein

Fremdling, der . . irgendwelche unverständliche Dinge treibt, denn daß ich vom Zeichnen und Aquarellieren nicht leben kann, weiß er recht wohl; N.Z.Z. 23.6.1943 Das Aquarellieren ist eine eigene Technik. Die Aquarelle sind . . keine Gedankenkunst, aber dennoch die persönliche Interpretation des Augenerlebnisses; Süddtsch. Ztg. 30.5.1951 von Andersen gezeichnete und aquarellierte Märchenillustrationen; ebd. Ostern 1957 Während der Mann die Landschaft in abstrakten Farbkompositionen aquarellierte, sagte die Braut ihre Lieblingsverse der Droste auf; Eich 1968 Maulwürfe (Ges. W. I 322) Gleich morgens lesen wir am Zeitungsstand das Älteste. Der Zeitungsstand ist gelb, aquarelliert oder aus Versehen, aber gelb; Zeit 15.5.1987 müssen wir diese Idylle, die Hesse auch aquarelliert, als ironische Provokation lesen . . ?; Süddtsch. Ztg. 15.12.1992 Vormittags und am späten Nachmittag wird aquarelliert — vor der Natur im Schnee oder vor dem Aktmodell im Warmen; ebd. 6.10.1993 Der neue . . Band .. versammelt eine Reihe leicht hingehauchter, zartaquarellierter Bilder von romantischem Reiz. Aquarellist: Goethe 1807 Tagebücher (WA 111 80,238) Graf Corneillon zeigte eigene und fremde Zeichnungen. NB Aquarellist Hammer in Dresden; 1810 Almanack a. Köm l 287 f. Vor einigen Tagen ist ein neuer Stich des gegenwärtigen Forum Romanum . . erschienen. Die Zeichnung, nach der gearbeitet worden ist, hat Filippe Giuntotardi, der hiesige berühmte Aquarellist, verfertigt; G. Keller 1841 Leben II 53 Die hiesigen Aquarellisten; Burckhardt 1881 Br. a. Alioth 184 in der architektonischen Perspektive, welche der cöte faible der . . Aquarellisten ist; Heyse 1881 Ges. W. l 4,353 Jch habe die Arbeiten von Hildebrandt und Werner und dem ganzen römischen Aquarellistenklub gesehen; Schuster 1936 Nachbar im Westen 174 Gute Aquarellisten verludern sich in einer Massenproduktion an Pariser Skizzen, die sie auf dem Boulevard des Italiens . . anbieten; FAZ 27.9.1991 Und nun ist in Charles ein Aquarellist von Geblüt und Geschmack ins Licht getreten. Wie werden die Grobiane wieder über ihn herziehen! aquarellistisch: G. Keller 1877 Leben 111 200 Wäre es nötig, so würde ich an dieser Probe sehen, daß gewiß auch Ihre aquarellistischen Arbeiten Hand und Fuß haben; Münch. N.N. 12.7.1944 Das empfindsame aquarellistische Schauspiel Gerhart Hauptmanns „Die goldene Harfe".

Aquarium N. (-s; Aquarien), Anfang 18. Jh. vereinzelt, erst seit Mitte 19. Jh. häufiger nachgewiesene Gelehrtenbildung zu lat. aquarius 'zum Wasser gehörig' (vgl.

Aquarium

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subst. N. Sing, aquarium 'Tränke, Wasserbehälter, Zisterne; Wasserkrug', zu aqua 'Wasser'; vgl. analoge gelehrte Bildungen wie Herbarium, Terrarium). a Zunächst in der bis Anfang 20. Jh. gebuchten Bed. 'Aufbewahrungsort der Wasser in Apotheken'. b Seit Mitte des 19. Jhs., vermutlich unter Einfluß von gleichbed. engl. aquarium, in der Bed. 'großer Glasbehälter, Bassin zur Haltung und Beobachtung von Wassertieren und -pflanzen', zunächst zu wissenschaftlichen Zwecken, dann auch, von England aus verbreitet, in kleinerer Ausführung zur Unterhaltung und Dekoration, gelegentlich mit dem Merkmal des Luxus (s. Beleg 1919) bzw. beschaulicher Bürgerlichkeit (s. Beleg 1985); selten auch 'Gebäude (meist in einem zoologischen Garten), in dem Wassertiere gehalten werden' (s. Belege 1873, 1882), dafür auch Aquarienhaus; als Grundwort in Zss. in bezug auf die Wasserart (Süß-, Meerwasseraquarium), auf die Wassertemperatur (Kalt-, Warmwasseraquarium); als Bestimmungswort im Pl. in den Zss. Aquarienfisch, -freund, -künde, -pflanze, -tier. Dazu seit Mitte 20. Jh. die Personenbezeichnungen Aquarianer M. (-s; -) und Aquarist M. (-en; -en) (vgl. älteres gleichbed. engl. aquarian, aquarist) 'Halter und Züchter von Wassertieren und -pflanzen in Aquarien, Aquarienliebhaber'; gleichzeitig die subst. Ableitung Aquaristik F. (-; ohne PL), 'Lehre vom Halten und Züchten von Wassertieren und -pflanzen', mit dem Adj. aquaristisch (ohne Steigerung), z. B. aquaristischer Fachhandel. Aquarium a: Wening 1701 Bayern I 7 Was . . das Aquarium belanget, bestehet solches in einem hüpsch gewölbtem Keller, warinnen [!] man ein grosse Menge distillierten Wassers aufzubehalten pflegt. Aquarium b: Du Bois-Reymond 1858 Reden I 113 Da der kleinste der drei Fische, trotz der Versetzung in das Aquarium, zu kränkeln fortfuhr, opferte ich ihn, um einem ähnlichen Mißgeschick vorzubeugen; Bruges 1873 Reiseskizzen 14 Auf die Besichtigung des Aquariums verwendete ich einige Zeit. Die Anlage des Ganzen in einer dunklen Grotte war recht ansprechend; die Thierchen, die man in den Bassins vorfand, waren aber nur solche, die man am liebsten todt, und recht schmackhaft zubereitet auf seinem Teller sieht; Lindau 1877 Br. 210 Wagners „Rheingold" beginnt . . unter dem Wasser; man hat diese Scene deswegen die „Aquariumsscene" genannt; Fontäne 1882 L'Adultera 113 in dieser erbärmlichen Glaskasten-Sammlung, die den stolzen Namen Aquarium führt; 1882 Brockbaus II 794 in England pflegte man auch wohl in den Warmhäusern die zur Unterhaltung von Wasserpflanzen bestimmten Bassins so zu nennen; Gottschall 1885 Totenkl. 257 eine . . Marotte des Publikums, das sich ja auch gern einmal . . die herumkrabbelnden und schwimmenden Wunder eines Aquariums mit Antheil betrachtet; Hesse 1919 (1980 Magie 11) Ich sah gut aus und wurde tatsächlich vom Portier ohne Schwierigkeiten eingelassen. Durch gläserne lautlose Flügeltüren floß man sanft in eine riesige Halle wie in ein luxuriö-

ses Aquarium, da standen tiefe, ernste Sessel aus Leder und aus Samt, und der ganze riesige Raum war geheizt; Boruttau 1922 du Bois-Reymond 102 und, ein Seitenstück in kleinem Maßstabe zu den in Neapel, in London, durch Hermes in Berlin eingerichteten Seewasseraquarien, in denen das städtische Publikum über die Fauna und Flora des Meeres Belehrung finden sollte, hatte du Bois auch in seinem Institut ein kleines Aquarium eingerichtet, in welchem hauptsächlich gelegentliche Zitterfischsendungen lebend erhalten und der Experimentalforschung dienstbar gemacht werden sollten; Remarque 1929 Im Westen 33 Du kannst dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische züchten; Berl. lllustr. Nachtausg. 28.1.1933 In den Häuschen „Zum grünen Krug" und „Zum goldenen Stern" wohnen ausschließlich die Berliner Aquarien- und Terrarienfreunde; Lokal-Anz. 19.8.1933 Mit diesem Keller hinter sich kann man nun allerdings den vielen Möglichkeiten und Ueberraschungen viel ruhiger entgegegensehen, die die Pflege der Aquarien- und Terrarientiere mit sich bringt; ebd. 25.8.1933 Daran hatte man auch nicht gedacht, daß die größte der Riesenschlangen . . über Nacht eingehen würde, und zwar gerade, als man den zwanzigsten Geburtstag des Aquariums gefeiert hatte; Benn 1947 Ptolemäer (Ges. W. II 246) die Großstädte wetteifern ja direkt miteinander in bezug auf Tierparks, Aquarien, Insektarien, jeder kann unbeeinflußt beobachten, was dem Organischen die Tage bringen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 31) er setzte für uns das Aqua-

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Äquator

rium dem Sonnenlicht aus . . und siehe, nach derjenigen Scheibe des Glasgefäßes, durch die das Licht einfiel, neigte sich binnen kurzem die ganze fragwürdige Sippschaft, Pilze, phallische Polypenstengel, Bäumchen und Algengräser nebst halbgeformten Gliedmaßen; Welt 24.10.1949 die Abgeordneten des Bundestages werden sich in Kürze für ihre Mahlzeiten aus einem stattlichen Aquarium des Bundeshaus-Restaurants lebende Fische aussuchen können; Süddtsch. Ztg. 22.11.1950 das sog. Aquarium in der Villa Communale zu Neapel; Grass 1962 Blechtrommel 138 suchend blickte ich mich um, fixierte schon die große Glasfläche vor den Zierfischen und Unterwasserpflanzen des Aquariums; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 244 die Stichlinge schwimmen in diesem Aquarium, so gut es geht; Welt 15.5.1969 Erholung, Bewegung und Unterhaltung — herrliche Baumbestände, blühende Gärten, weite Wiesen — Tropenhäuser, Aquarium und Terrarium — Tennis und Golf; Andersch 1971 Kirschen 11 in der Eingangshalle des Wittelsbacher Gymnasiums konnten mich nur die Aquarien fesseln, die an den südlichen Fenstern standen, so daß die Sonne durch das grüne Wasser und das Gold der Fischleiber hindurchschien; Zeit 12.4.1985 Peter Pabst erweitert seinen grell weiß schimmernden Saal durch drei riesige Glasfenster: hinter der linken Wand tummelt sich Seegetier in einem Aquarium; die hintere Wand öffnet sich auf einen tropisch wuchernden Wintergarten; rechts schauen wir durch eine Glasscheibe in eine Wüstenei mit wenigen, mannshohen Kakteen; ebd. 26.4.1985 im Wohnzimmer mit der unvermeidlichen Schrankwand, mit Fernseher, Aquarium und Sitzecke unterhalten wir uns beim Kaffee; ebd. 3.10.1986 ein Aquarium soll die Kunden beruhigen, ein Musikteppich sie unterhalten; ebd.

22.10.1993 Wer ein Aquarium besitzt, der gilt schnell als spießig. Dabei gibt es für zwei Millionen Deutsche nichts Schöneres, als hinter Zierfischen herzuschauen; ebd. Frieden muß sein im Gesellschaftsaquarium, sonst würde es nicht so heißen. Aquarianer: Münch. Stadtanz. 14.6.1957 Der Bezirk 12 (Südbayern) des Verbandes Deutscher Aquarianer (VDA) hielt im Gasthaus „Zur Schwaige" . . «inen Bezirkstag ab; Offenburger Tagebl. 25.4.1961 Vorsitzender Fessenmaier nannte das enge freundschaftliche Verhältnis zwischen den Aquarianern von Offenburg und Straßburg eine Völkerverständigung im kleinen; ND 7.8.1964 die Aquarianer beteiligten sich an der Gestaltung des Bades durch den Bau einer Freianlage; MM 25. 9.1985 selbst Aquarianer können an ihrem feuchten Hobby den Spaß verlieren; Zeit 22.10.1993 Manche sind wahre Nervenbündel und halten sich ein Aquarium, weil sie das beruhigt. Andere sind sture Phlegmatiker und ebendeshalb Aquarianer. Aquaristik: 955 Zs. f. Aquarienkunde l o. S. Aquaristik; Offenburger Tagebl. 10.3.1959 „Ueber den Stand der Aquaristik in Frankreich" sprach dann Jean Schmugg; Stuttgarter Ztg. 14.9.62 Am 15. September feiert der Aquarienverein Vallisneria .. sein 25jähriges Bestehen . . Alle vierzehn Tage treffen sich die Mitglieder, um ihre Erfahrungen auf dem Gebiet der Aquaristik auszutauschen und Neuerungen zu diskutieren; Zeit 22.10.1993 Frischen Wind wollte er in die Aquarienszene bringen. „Das Problem der Altvereine . . ist die Verkrustung. Da geht es oft nur noch um die reine Verwaltung, die Aquaristik steht im Hintergrund . .".

Äquator M. (-s; -en ungebr.), im früheren 16. Jh. entlehnt aus mlat. aequator, Terminus der Astronomie für den Himmelsäquator, zurückgehend auf spätlat. aequator 'Münzeicher', eigentlich 'Gleichmacher', insbes. 'Gleichmacher des Tages und der Nacht' (vgl. mlat. aequator diei et noctis) (zu lat. aequare 'gleichmachen', zu aequus 'gleich'), anfangs auch in lat. (fielet.) Form. Zunächst als Fachwort der Astronomie auf die Himmelskugel bezogen in der Bed. 'Position der Sonne, die sie zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche hat', daher auch für 'Gleichmacher von Tag und Nacht' (s. Beleg 1571), bes. in der Zs. Himmelsäquator; seit frühem 17. Jh. als geographischer Terminus übertragen auf die Region der Erde, auf der Tag- und Nachtgleiche herrscht, in der dominanten Bed. 'größter Breitenkreis des Kugelumfangs der Erde, Äquinoktiallinie'; daher bis ins 18. Jh. konkurrierend mit Gleicher und bis ins 19. Jh. mit —» Linie, nach der räumlichen Vorstellung im Sinn von 'angenommene Linie um die horizontale Erdmitte', welche die Erdkugel in eine nördliche und eine südliche Hemisphäre teilt; dazu Äquatortaufe (s. Beleg

Äquator

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1928) für älteres Linientaufe zur Bezeichnung eines seit dem früheren 18. Jh. beschriebenen Seemannsbrauchs, bei dem jeder, der zum erstenmal den Äquator passiert, unter Wasser getaucht wird; in Wendungen wie den Äquator passieren, überqueren (s. Beleg 1606), unter dem Äquator (s. Beleg 1825); als Grundwort in Zss. bestimmt von den Namen der jeweiligen Himmelskörper, z. B. Erd-, Sonnenäquator; gelegentlich übertragen verwendet im Sinn von 'größter Kreis eines kugelförmigen Körpers' (s. Belege 1786, 1817, 1991) bzw. 'Grenzlinie' (s. Belege 1817, 1848, 1985), im 20. Jh. in der Zs. Weißwurstäquator, wohl in bezug auf den Main als natürliche Grenze zwischen Nord- und Süddeutschland, oft scherzhaft von Norddeutschen zur Kennzeichnung süddeutscher Lebensart verwendet (s. Belege 1951, 1971). Dazu seit frühem 19. Jh. die zunächst nur als Bestimmungswort in Zss. wie Äquatorialbetrachtung (s. Beleg 1817), -sektor, -projektion, -ström (s. Beleg 1861) verwendete adj. Ableitung äquatorial (ohne Steigerung) 'zum Äquator gehörend; unter dem Äquator oder in der Nähe des Äquators befindlich', z. B. äquatoriale Länder, Meere, als Bestimmungswort in den Zss. Äquatorialgebiet, -gegend, -luft, -regen, -ström, -volk; gleichbed. mit älterem, vereinzelt belegtem äquatorisch. Äquator: Rivius 1543 Vitruv. 20a warhafftige/ ab vn zu nemung der tagleng diser vn jener seid des Aequators/ vnter welchem der tag vnd die nacht allezeit in gleicher lenge/ nemlichen jedes zwelff stund/ darum ist von nöten gewesen das man zu beyder seid solchs Aequators zirckels sonderliche ander Circkel in gleicher weit vom selben hat ziehen müssen; Rot 1571 Diet. 288 Aequator, Der Circkel oder kraiß am Himel/ zu welchem so die Sonn kompt/ wirdt tag vnnd nacht gleich lang/ mag genent werden der mittelkraiß; Hulsius 1606 Schiffart 65 seynd wir den Äquatorem passirt; Micraelius 1639 Pommerland II 2b von den Mittagsländern/ so jenseit der Linie oder dem Aequatoris liegen; Olearius 1647 Reisebeschr. (NL XXVUI 241) Nöteburg liegt vom Aequatore 53 Grad 30 Minuten, im Ostio der Ladogaischen See; Caron u. Schauten 1663 Beschreibungen 272 gegen Mitternacht von dem Aequinoctial, oder Aequatore; Andersen 1669 Oriental. Reisebeschr. 7 sie lieget unter dem 6.Grad Süden vom Äquator; Francisci 1669 Trauersaal U 1000 36 Grad von dem Gleicher (oder Aequatore); ders. 1676 Lust-Haus 336 selbige 12 [Tierkreis-jZeichen nennet man Häuser der Sonnen; weil sie jährlich durch jedwedes derselben/ ihren Lauff nimmt. Die erste 6. von diesen zwölffen weichen/ von dem Aequatore, ab/ gegen Norden; die andre 6. gegen Süden; ebd. 1180 den . . Kometen . . als er nahe beym Aequator sich befunden; Butschky 1679 Wohl-Bebauter RosenThal 990 Das Clima oder die Gegend/ nennen wir dieses Orts/ . . die Länder/ welche gelegen seyn zwischen zweyen/dem Aequatori gleichen Parallelen; Francisci 1680 Wunder-reiche Überzug 1032 Und/ nachdem man den Aequator, oder die Lini/ übersegelt hat; Gubert 1688 Stratagema Oeconomicon 55 von dem Aeqvatore gegen Nor-

den zu rechnen; 1692 Novellen 12 dem Äquatori näher; 3700 Monatl. Auszug Aug. 503 Die alten Weltbeschreiber können nicht begreiffen/ wie der Nil sich ins Mittel-Ländische Meer ergiessen könne/ da er jenseit des Aequatoris entspringe/ und die Erde kugel-rund sey; Vogel 1716 Ostind. Reisebeschr. 533 Des Abends sahen wir den Norder-PolStern wiederum das erste mahl, denn man selbigen jenseit dem Aequatore nicht sehen kan; Sturm 1717 Mathesis 66b Aequator . . welcher mitten zwischen denen beyden Wirbel-Puncten (Polis) um die Welt-Achse also gehet, daß alle desselben Halbmesser in dem Mittel-Punct mit ihr rechte Winckel machen, und durch welchen die Kugel in die Nordliche und Südliche Halb-Kugel getheilet wird; Zedler 1732 Universallex. l 669 Aequator . . ist einer von denen grösten Cirkuln auf der beweglichen Fläche der Welt-Kugel, welcher von denen Welt-Polis überall 90 Grade entfernt ist; Büsching 1760 Erdbeschr. I 46 Der Äquator (die Mittellinie, oder Linie); Gatterer 1771 Einl. i. d. Universaltheorie 65 Um den Aequator (und vielleicht auch bey und unter den Polen) sind die Menschen am schwärzesten; Röhl 1778 Steuermannkunst 143 Erdaequator oder die Linie; 1781 Göttinger Taschenkalender 95 Daß uns der Aequator gegen Mittag liegt, womit man jenen Ausdruck [Mittags-Linie] entschuldigen will, ist nicht . . wahr; 1786 Journal d. Moden I 33 Beobachtung, daß eine Montgolfiere, von der Hitze, welche durch die Röhre des unter ihr stehenden Ofens in sie ströhmt, nur von oben herab bis zu ihrem Aequator gewaltsam ausgedehnt werde; Herder 1789 Vrspr. d. Sprache (S. W. V 127) Für die [Menschen] ist die Erde am Pol geplättet und am Äquator erhöhet: für die wälzt sie sich so und nicht anders um die Sonnen; Heynatz 1797 Antibarbarus 64 der

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Äquator

Gleicher für Aequator ist unverwerflich, da man mit Linie nur in einigen Fällen ausreicht; 1798 Gallerie d. Welt 18 die Mittellinie, oder Gleichheitslinie (Äquator) der Erde; Herder 1802 Adrastea III (S. W. XXIII 514) wenn durch dies Gesetz [Newtons] die schönen Ellipsen enstehen, in welchen die Planeten um die Sonne, die Monde um ihre Planeten wandeln; wenn nach ihm die Gestalt der Gestirne, der Sonnenäquator wird; Lindner 1814 Australien 27 [Inseln] die sich zwischen den südlichen Mulgrave's Inseln und den Molukken in der Nähe des Aequators finden müssen; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,156) mit Polen und Äquatoren versehene Lichtkügelchen; Müller 1817 Sehr. I 378 durch Schiefe der Ecliptik, durch bestimmten wankenden Accent erhalten sie [die Wissenschaften] in sich jenes Wechselleben, wodurch im Laufe der Zeit alle ihre Theile gleichmäßig der Sonne zugekehrt und abgekehrt werden, jeder Punkt zum Lebenspol, jeder größte Kreis zum Lebensäquator wird; Goethe 1825 Witterungslehre (WA 11 12, 101) Klarheit und Regen erscheinen tagtäglich abwechselnd, wie die Beobachtungen unter dem Äquator deutlich beweisen; Grillparzer 1848 Spielmann (S. W. XIII 48) Die Mitte des Zimmers von Wand zu Wand war am Boden mit einem dicken Kreidestriche bezeichnet, und man kann sich kaum einen grelleren Abstich von Schmutz und Reinlichkeit denken, als diesseits und jenseits der gezogenen Linie, dieses Aequators einer Welt im Kleinen, herrschte; Meyer 1861 Konversationslex. l 205 so fällt auch die Ebene des Himmelsäquators mit der Ebene des Erdäquators zusammen; 1909 Stimmen d. Zeit 77 einem senkrechten Uhrzeiger, und einem Polzeiger . ., d. h. einem der Weltachse parallelen. . . Ein solcher Zeiger einer sog. Äquatoruhr erlaubt sogar eine viel einfachere Eintragung der verschiedenen Stundenlinien; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 513) Es geht nun über den Löwen und die Jungfrau auf den Herbstpunkt zu, den einen Äquinoktialpunkt, gegen Ende September, wenn wieder der Sonnenort auf den Himmelsäquator fällt, wie neulich im März, als die Sonne in den Widderpunkt trat; Heyck 1928 Aussenseiter 129 f. Dann die Äquatortaufe . . Mit großem Geplansch im Taufbecken .. Nachts großer Äquatorball; LokalAnz. 5.6.1934 Wie ein . . Funkspruch besagt, wurde auf der Rückfahrt des Luftschiffs „Graf Zeppelin" beim Ueberqueren des Aequators eine Aequatortaufe vollzogen; 1943 Lex. Vermessungskunde 13 Mit Hilfe der Äquatorkoordinaten . . kann man einen Punkt in einem Koordinatensystem der Himmelskugel bestimmen; Süddtsch. Ztg. 25.7.1951 Wenn . . im kommenden Jahr . . weitere ERP-Mittel in die bayerische Landwirtschaft fließen sollten, so ist das keineswegs so sehr das Verdienst . . des unverkennbar am Weißwurst-

äquator geborenen Dr. Alois Schlögl; Grzimek 1964 Serengeti 258 unter dem Äquator ist ein Land viel schneller zerstört; 1967 Bild d. Wiss. Ill 230 die Bahnebenen sollen sich ständig in Richtung des Erdäquators drehen; Eich 1968 Maulwürfe (Ges. W. / 346) und nun bin ich unterwegs. Gerade bei den Hebriden hatte es mir und uns so gut gefallen. Ach diese elenden Meere, diese warmen Strömungen, diese Äquatortaufen. Ich fraß mich durchs Sargassomeer; FAZ 10.12.1971 Mit diesem Konzept versucht der größte bayerische Sauerkonservenhersteller mit einem Sauerkrautumsatz von 10 Millionen DM jetzt verstärkt über den „Weißwurst-Äquator" Richtung Norden vorzustoßen; ND 4. 6.1974 Entfernung von der Mondoberfläche 220 Kilometer, Bahnneigung zum Mondäquator 19 Grad 35 Minuten; Zeit 11.1.1985 erhebliche Mengen an Staub und Rauch könnten schon einige Wochen nach dem nuklearen Schlagabtausch zum und über den Äquator treiben; ebd. 8.3.1985 als ich siebzehn war, erschienen „die Zeichen der Welt": für mich die aufgetane Tür zur modernen Lyrik, ein poetischer Initiationsritus, ein Bewußtseinsäquator; MM 8. 7.1986 in eine Umlaufbahn in 400 Kilometer Höhe soll „Hermes" 4500 Kilogramm tragen können, wenn die Bahn um 28 Grad zum Äquator geneigt ist; Lukoschik 1991 In u. Out 17 Sonst würde ihm auffallen, daß dieser Knopf meist unterhalb des Bauch-Äquators geschlossen wird. äquatorial: Müller 1817 Sehr. I 388 Ein vollständiges Urtheil . . würde aus . . der Äquatorialbetrachtung der Eigenthümlichkeit und aus der Polarbetrachtung der Güte des Objects, nach dem Gesetze der Kugel gebildet seyn; Menzel 1835 Geist 17 weil die Sonne mit ihrer ost-westlichen AequatorialWirkung nur ein Uebergewicht der AequatorialThätigkeit über die Polar-Thätigkeit, und eine Contrastierung des Ostens und Westens, nicht aber ein Uebergewicht des Nordpols über den Südpol hervorbringen kann; Riehl 1848 Lebensrätsel 239 ein Tabaksrauch, den man schneiden konnte, erfüllte das Coupe, die Hitze war äquatorial; Ziegler 1860 Reisen II 63 Dieses . . „Sargassomeer" liegt innerhalb des großen Bewegungsbogens, den der Golfstrom mit dem Aequatorialstrom bildet; 1861 Mem. Humboldts H 60 Äquatorial- oder Rotationsstrom; Hartmann 1869 Philosophie 152 wie man in Fischeiern . . die senkrecht zu einander stehenden meridianischen und die äquatoriale Einschnürung des ganzen Dotters enstehen sehen kann; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 352 Durch den Aufruhr der Mahdisten, den Fall Chartums und den Tod Gordons von Aegypten abgeschnitten und im Stiche gelassen, hielt sich Emin als Statthalter der „Aequatorial-Provinz" aufrecht; Lettenbaur 1927 Morgen 330 f. Diese Aussicht hat

Aquavit Aquilin stets begleitet, als er die Ausreise nach dem Äquatorialreich noch einmal antrat; Voss. Ztg. 30.12.1930 Kam heim und fand Ekuador so schmutzig und unhygienisch, wie das äquatoriale Staaten gemeinhin sind; 1933 ZGfErdkunde 293 Äquatorialgebiet; N.Z.Z. 20.3.1949 Nach dieser neuen Konzeption einer äquatorialen Strategie; 1966 Urania XI 69 Die ersten amerikanischen Satelliten . . registrierten . . in äquatorialen Breiten . . ein starkes Anwachsen der Intensität hochenergetischer Protonen; 1967 Bild d. Wiss. II 136 Die niederen Lagen dieser äquatorialen Inseln sind . . wüstenhaft trocken; Jensch 1970 Erde o. S. die äqua-

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torialen Parallelkreisbögen sind genau so groß wie die Meridianbögen; Zeit 20.9.1985 wie in der Lufthülle spielen auch in den Ozeanen die Temperaturdifferenzen zwischen polaren und äquatorialen Zonen die entscheidende Rolle; ebd. 31.10. 1986 im gesamten äquatorialen Gürtel; Lukoschik 1991 In u. Out 142 den äquatorial-artigen Abmessungen des royalistischen Häuptlings. äquatorisch: Francisci 1681 Trauersaal IV 1048 Es scheint, daß die äquatorische Lini gleichsam die Grentz-Scheidung ihrer Tugend und Laster sey.

Aquavit M. (-s; -e), seit frühem 16. Jh. nachgewiesene gelehrte Entlehnung aus mlat. aqua vitae 'Lebenswasser' (zu lat. aqua 'Wasser' und vita 'Leben'), bis ins frühe 20. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form, seit spätem 16. Jh. zunehmend in der heutigen Schreibweise. Zunächst als Fachwort der Medizin für zu Heilzwecken verwendeten Äthylalkohol in der Bed. 'Lebenswasser', bes. in bezug auf alkoholhaltige Heilgetränke verschiedener Rezeptur; seit dem 17. Jh. in der heutigen Bed. 'mit Gewürzen und Kräuterextrakten zubereiteter Branntwein'. Paracelsus 1528 S. W. I 6,436 darzwischen aber so gib im ein aqua vitae zu drinken, laudanum oder von berlin, durch welche sich die glider ersterken und zunemen; Begardi 1539 Index Sanitatis 22b Electuarium vite, das ist eyn aqua vite; Albertus Magnus 1540 Buch d. haymligkayten l 2a Ein ander kostlich und gut Aqua vite, des tugent man nicht kan gnügsam loben vnd schreiben zuo allen bresten vnd kranckhaiten des leibs; Ryff 1544 Confect-Büchlin v. Hauss-Apotheck 2a fürtrefliche vnd kostbarliche Aquauite/ krafftwasser vn dergleichen kostbarliche wolriechende wasser/ . ./ mit kurtzer anzeygung vnd beschreibung der krafft/ tugent/ wirckung vn vermögen aller gebreuchlichen gedistillierten wasser; Renner 1557 Handtbüchlein N 2b aqua vitae, ist in seiner arth vnd eygenschafft hais vnd drucken im vierden grad vnd ye öffter er disteliert wirdt/ ye stercker der in seiner operation ist; Thurneisser 1575 Archidoxa 36a Von zimet wasser Aqua vitae; Rollenhagen 1595 Froschmeuseler l 120 Von aquaviten, mithridaten,/ Die sonst kein doctor könnt erraten; Fioravanti 1604 Krön d. Artzney 458 Von dem einfachen Aqua vitae, vnd seinen Geheymnussen; Colerus 1645 Oeconom. rur. l 30 Ein gut Aqua vitae wider den Schlag; Grimmeishausen 1673 Michel 38 Ich botte ihm einen Trunck Krauter-Wein an/ . ./ er aber antwortet/ er hätte noch keinen Appetick darzu; wann aber ein guter Accafick vorhanden wäre/ wollt er ihn gern atcettiren; Böckler 1683 Haus- u. Feldschule 166 Ein gutes Aquavit ist auch gar gut zu

trincken; Ettner 1719 Maulaffe 3 eingemachte Confituren/ Pfefferkuchen/ Aqua vit und Refraichir-Wasser; Stoppe 1728 Gedichte l 33 ein Glässgen Aquavit; Krezschmer 1744 Vorschläge 82 [Pasteten machen] mit einem guten Trunck Wein oder Aquavit; Geliert 1746 Loos (S. Sehr. Ill 316) Wollen Sie mir auch bey dem Abschiede noch ein Gläschen Aquavit geben: so hoffe ich, dass die Verdauung desto besser vor sich gehen, und mein Schlaf desto ruhiger seyn soll; 1749 Vergnügte Abendstunden II 146 Aquavits und Branteweins; Kindleben 1779 Schluterius 80 in der Hitze des Streits vom herumgehenden Aquavit; Bretzner 1788 Leben III 95 Kir[s]ch a quavit; ebd. Ill 423 Aquavitfabrikanten; ebd. III 424 Aquavitflasche; Beckmann 1796 Technologie 193 Aqua vitis oder vitae; Germershausen 1811 Hausmutter IV 99 Brandtwein oder Aquavit; Poppe 1837 Erfindungen 74 Noch jetzt gibt man einigen besonderen angenehm schmeckenden Sorten von Branntwein den Namen Aquavit; Stahr 1848 Italien II 466 Wein und Aquavite; Gregorofius 1853 Wanderjahre I 217 Aquavita; Jowiris 1888 Studententeuffel aquam vitae; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 668) Konsul Döhlmann sprach einer Flasche Aquavit zu, und Christian war wieder beim Schwedischen Punsch angelangt; Schelenz 1911 Destilliergeräte 35 Weindestillat, das er [Villanova], mit Würzstoffen und Zucker „konfiziert", als belebendes und anregendes Arzneimittel zuerst Lebenswasser, Aqua vitae nannte; Barnes 1933 Lebensmittellex. 8 Aquavit, Kartoffel- oder Kornbranntwein; Münch. N. N.

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Äquivalent

3.12.1939 daß der Kapitän mit zwei strammen Aquavitbuddeln im Arm an seinem Bett erscheint; Süddtsch. Ztg. 4. 5.1950 Auf dem Tisch haben die großen Brauereien, Likör- und Aquavitfabriken mit kleinen Gaben Spuren dezenter Werbung hinterlegt; ebd. 26.9.1955 Trinken Sie französischen

Kognak, schottischen Whisky, schwedischen Aquavit, aber nicht unbedingt russischen Wodka; MM 4.7.1986 aggressiver Daseinsimpuls auf der Grundlage einer tief verwurzelten Vorliebe für Rum und Aquavit und eine leidenschaftliche Hinwendung zum Meer.

Äquivalent N. (-(e)s; -e), im früheren 17. Jh. in Anlehnung an lat. Schreibweise entlehnt aus gleichbed. frz. equivalent (zu flekt. Form von mlat. aequivalens Adj. 'gleichwertig', auch Subst. 'Ersatz', aus lat. aequus 'gleich' und valens, Part. Präs, von valere 'wert, geeignet sein'), zunächst auch in der latinisierenden und in der frz. Form. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges bes. in der Diplomatensprache im Zusammenhang mit Länder- und Gebietsabtretungen, vereinzelt bis ins 19. Jh. in der Bed. 'Ersatz für abgetretene Territorien' (s. Belege 1647, 1667, 1689, 1692, 1781, 1877). Im früheren 17. Jh. vereinzelt (s. Beleg 1641), seit Anfang 18. Jh. zunehmend bildungsspr. und allgemeiner gebraucht in der Bed. 'gleichwertiger Ersatz, vollwertige Entsprechung, Gegenleistung, Entschädigung, Ausgleich', zur Bezeichnung des Wertes eines Tauschobjekts, vgl. die Zss. Tausch-, Nahrungsäquivalent, zumal des Geldwertes (s. Belege 1641, 1770, 1798), bes. in der seit späterem 18. Jh. belegten Zs. Geldäquivalent; gelegentlich auch das Merkmal „vollwertig" abschwächend (s. Belege 1641, 1678, 1810). In Wendungen meist mit Präp. wie zu (s. Belege 1667, 1731), als (s. Belege 1678, 1696, 1835), gegen (s. Belege 1774, 1781) und seit dem 18. Jh. vor allem mit für gebraucht (s. Belege 1773, 1852, 1857, 1910, 1944), zunehmend auch mit Genitivobjekt (s. Belege 1795, 1911-24). Seit Mitte 19. Jh. auch fachspr. Terminus, zunächst in der Chemie in der Bed. 'gleichwertige Menge von Substanzen, die sich bei einer chemischen Reaktion ohne Rest umsetzen' (s. Belege 1843, 1912), danach auch 'Verhältniszahl eines Elements' (s. Belege 1851, 1874), dazu die Zss. Äquivalentenzahl, Äquivalentbestimmung, MÜliäquivalent; in der Physik im Sinn von 'Entsprechung einer bestimmten Wärmemenge und eines bestimmten Arbeitsquantums' (s. Beleg 1854), bes. in der Zs. Wärmeäquivalent. Dazu die im 18. Jh. selten, seit späterem 19. Jh. häufiger nachgewiesene adj. Ableitung äquivalent (ohne Steigerung) in der allgemeinen Bed. 'gleichwertig, entsprechend'; seit Mitte 19. Jh. als Fachwort der Chemie auf Substanzen bezogen, die unter bestimmten Bedingungen gleich oder ähnlich reagieren (s. Beleg 1874), dazu in neuester Zeit die Kombination bioäquivalent; in der Physik auf das Verhältnis von Arbeit und Energie bezogen (s. Beleg 1882); heute auch in der Mathematik (Mengenlehre) in der Bed. 'gleichmächtig, eineindeutig zuzuordnen' (s. Beleg 1970). Im späten 18. Jh. vereinzelt, seit Mitte 19. Jh. häufiger die auf gleichbed. mlat. aequivalentia zurückgehende subst. Ableitung Äquivalenz F. (-; -en), in der allgemeinen Bed. 'Gleichwertigkeit, Wertgleichheit'; daneben fachspr., zunächst in der Chemie 'Gleichwertigkeit chemischer Substanzen' (s. Beleg 1874), in der Zs. Äquivalenzbestimmung und in der Kombination Bioäquivalenz, in der Pharmazie heute in der Bed. 'Austauschbarkeit zweier Präparate' (s. Beleg 1987); gleichzeitig in der Physik für 'Gleichwertigkeit von Arbeit und Energie' (s. Beleg 1882), als Bestim-

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mungswort in der Zs. Äquivalenzprinzip auf die Kernaussage von Einsteins Relativitätstheorie bezogen im Sinn von 'Ununterscheidbarkeit von Wirkungen der Gravitation von denen eines beschleunigten Bezugssystems, wechselseitige Überführbarkeit von Masse und Energie' (nach der Formel E = m c2); seit frühem 20. Jh. im staatspolitischen Bereich im Sinn von 'Entsprechung der Steuerlast und den empfangenen öffentlichen Leistungen, ausgleichende Gerechtigkeit' (s. Beleg 1917), z. B. in der Zs. Äquivalenzprinzip, heute auch im Steuerrecht (s. Belege 1964, 1975); in der Logik im Sinn von 'Verknüpfung zweier zugleich wahrer bzw. falscher Aussagen' (s. Beleg 1971), z. B. materiale Äquivalenz; danach in der Mathematik (Mengenlehre) 'Gleichmächtigkeit zweier Mengen', wenn sich die Elemente zweier Mengen einander eineindeutig zuordnen lassen. Äquivalent: 1641 (Frauenholz 1935—41 Heerwesen 111 1,174) haben wir . . den Soldaten dahin zu halten, dass er mit dem billichen aequivalenti, anstatt haaren Gelds sich begnügen lasse; 1647 Memorial (Acta Pads Westphal. VI 398) daß die Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg auch bey ihren dabey stattlich radicirten Successions-Rechten gelassen, oder dagegen zum Aequivalent die drey Stiffter Hildesheim, Minden und Oßnabrück eingeräumt werden mögen; Fr. W. 1667 Polit. Test. 45 In den Landen welche für Pommeren zum equivalents gegeben worden; Francisci 1670 Trauer-Saal l 1009 bot ihm hingegen zu einem Aequivalent/ öd' zur Gleichmachung/ eine andre Lands-Gegend an; Kessler 1678 Ratio Status 4a als einem sattsamen Aequivalent Ihrer Wohlthaten vorlieb nehm; 1684 Getrost. Europa A4a daß die Cron Spanien ihr die Niederländer gegen Catalonien oder einem equivalent abtauscht; 1689 Gesch. Kees II 136 das von Churbrandenburgischer Seite Anno 1660 in einem eigenhändig unterzeichneten Schreiben versprochene aequivalent; 1692 Novellen 242 er wolle die Niederlande gegen ein Aequivalent an Frankreich cediren; 1696 Gesch. Kees H 267 eine jährliche Besoldung undt zur Ergöczlichkeit vor seinen Abtritt als ein Äquivalent Drey Tausend Thaler; Florin 1702 Hausvater l 423a daß er, wo nicht einen billigen Überschuß, doch zum wenigsten ein Aequivalent oder gleichen Werth dafür zu gemessen hoffet; Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 366 erwartende, was ihnen die Europäer vor ein Aequivalent ihrer Waaren dagegen legen wollen; Belemnon 1728 Bauernlex. 12 Aequivalent. Ein gleich gültiges Ding/ ein Ding von gleichem Werth; Struve 1731 Reichs-Historie 269 Freyburg und Breysach zum Aequivalent vor Straßburg offeriret; Zedler 1732 Universallex. l 673 ein Aequivalent, oder gleichgültig Ding, ein Ding, so gleich soviel werth ist, als das andere; Herder 1765 S. W. l 110 Ihm war es leicht, seinem Abgesandten gegen das Wagspiel auf dieses eigenen Kopf zum Aequivalent einige tausend Französische Köpfe zu versprechen; Michaelis 1770 Raisonnement 374 Immunitäten,

die manche Professionen ungern mit einem Geldäquivalent vertauschen würden; Schlettwein 1773 Ordnung II 7 An verschiedenen Orten bekommen die dienstpflichtigen Bauern und Meyer für ihre Herrn-Dienste etwas zu essen, und zu trinken, oder auch etwas weniges an Gelde . . da ist dieses doch gemeiniglich kein Äquivalent vor ihre Arbeiten; Goethe 1774 Br. (WA IV 2,139) Herr Dietrich hat sie [150 Exemplare des Götz] verkauft . . und so scheints billich daß ich ein Aequivalent dagegen erhalte; Wezel 1778 Erz. II 8 eine Gattin . ., die .. ihm einen Schatz von persönlichen Vortreflichkeiten mitbrachte, wofür sie kein Äquivalent von ihm erhielt; Nugent 1781 Reisen (Übers.) I 136 dass der Herzog von Meklenburg Schwerin diese Stadt von der Krone Schweden gegen ein Äquivalent zurück verlangt hat; Schlettwein 1784 Archiv VII 13 Mein Vorschlag, allen . . Schwierigkeiten . . auszuweichen, gehet dahin, von dem . . Ertrag . . so viel in Natura zu nehmen, als zu einem billigen Aequivalent für alle Lasten . . nöthig erachtet werden kann; Schiözer 1785 Stats-Anzeiger VII 356 [eine] LandPlage . ., gegen die alle angegebene Erleichterung von Steuern — die ohnehin denen überall vermischten fremdherrischen Untertanen nicht zu gute kommen — kein Aequivalent ist; 1792 Neues Cutting, histor. Magazin I 81 Äquivalent-Taxe; Jean Paul 1795 Fixlein (W. VII 93) Das Geld ist nun bei den europäischen Nationen das Äquivalent und der Repräsentant des Wertes aller Dinge; Laukhard 1797 Leben IV 2,52 so war gar kein Verhältnis mehr zwischen den Waaren und dem imaginären Äquivalent derselben, oder dem Papiergelde; 179S Annalen d. dtsch. Universitäten 19 erhalten freien Mittags- und Abendtisch, und für die übrigen Vortheile ein Aequivalent im Gelde; Goethe 1810 Br. (WA IV 21,411) Aus unsern mittelländischen Gegenden können wir kaum etwas Andres als papierne Äquivalente [für Leckerbissen] anbieten; Müller 1817 Sehr. I 241 Was ist das Grundstück werth? heisst: was ist das momentane Äquivalent für eine ewige Valuta?; Schelling um 1820 Philosophie d. Offenbarung (S. W. II 3,43 f.) froh

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Äquivalent

war man . ., als die Erfahrung . . vier Planeten [statt eines angenommenen] . . zeigte . ., die nun als Aequivalent eines einzigen betrachtet werden mußten; Goethe 1822 Br. (WA IV 36,199) Nicht als Äquivalent der so schönen, reichlich verehrten Mineralien, sondern als dankbare Anerkennung Ihrer . . Theilnahme möge die kleine Sendung gelten; Jäger 1835 F. Schnabel 38 das Bett mußte . . fort, der Verkäufer erhielt Koller, Kanonen und Pfundsporen und noch einige preußische Monarchen als Aequivalent; Cotta 1842 Geognosie 144 Parallelformationen oder Äquivalente; Kurz 1843 Heimatjahre 1151 Der Herzog hat einen Fehler begangen, indem er Sie vom sichern und . . vom besseren Wege abwendig machte und Ihnen jetzt kein Äquivalent dafür geben kann; 1843 Real-Enc. l 432 Eine besondere Bedeutung hat das Wort Äquivalent in der Chemie, wo es das Quantum eines gewissen Stoffs oder Elements bedeutet, welches in den chemischen Verbindungen dem Quantum eines ändern Stoffs gleich gilt. — Äquivalente heißen die sich aus den analytischen Erfahrungen ergebenden Verhältnißzahlen für alle Elemente, in denen allein, oder deren multiplis, nach ganzen Zahlen, letztere zu chemischen Verbindungen zusammentreten können; Liebig 1851 Chetn. Br. 161 Äquivalentenzahl; 3852 Prutz' Museum 11 212 Kann man für ihn [den Gewinn eines Unternehmens] . . ein Äquivalent substituiren, so bedarf es . . nicht der Nothwendigkeit des Socialismus; dies Äquivalent ist ja der stets gewährte Lohn für die Arbeit; Ranke 1853 Briefwerk 368 das Äquivalent von dem, was mir in München angeboten wird; Helmholtz 1854 Vortr. u. Reden I 64 Die Wärmemenge, welche nöthig ist, um die Temperatur von einem Pfunde Wasser um einen Grad des hunderttheiligen Thermometers zu erhöhen, entspricht einer Arbeitskraft, die ein Pfund um 425 Meter hebt; man nennt diese Größe das mechanische Aequivalent der Wärme; Knies 1857 Telegraph 110 Oder man beurtheilt die Post nach Analogie von Anstalten, für deren Dienstleistungen die . . Gebühren ein Äquivalent bilden sollen; 1861 Neues Konversationslex. l 207 Wenn sich ein zusammengesetzter Körper mit einem ändern Körper vereinigt, so verbinden sie sich in den Gewichtsverhältnissen, welche durch ihre Aequivalentenzahlen ausgedrückt sind; 2#64 Staatswb. VIII 205 Den äußern Ausdruck findet . . der Werth eines Gutes in dem Tauschäquivalent, d. h. in der Quantität eines anderen Gutes, welche dafür im Tauschverkehr zu erlangen ist; Martens 1864 Militärverpflegung II 27 Diese Werthe hat man benützt, um Nahrungs-Aequivalente für diese fünf vegetabilischen Nahrungsmittel abzuleiten, und dabei angenommen, dass Fette und Proteinstoffe gleichwerthige Substanzen für die Ernährung seien; Lange 1866 Materialismus II 399 lässt sich

. . Bain verleiten, einen vollständigen Parallelismus zwischen Geistesthätigkeit und Nerventhätigkeit anzunehmen. Nach seiner Ansicht hat jeder Nervenreiz ein „sensationelles Aequivalent"; Stein 1872 Heerwesen 72 in natura oder als Geldäquivalent; 1874 Konversationslex. l 178 Diejenige Menge eines Elements bezeichnet man als l Äquivalent, welche äquivalent ist mit l Atom Wasserstoff; Rümelin 1875 Reden I 290 Der statistische Ausdruck oder das statistische Aequivalent für die Dauer einer Generation ist somit das durchschnittliche Heirathsalter der Männer plus der halben Dauer der durchschnittlichen Fruchtbarkeit der Ehen; Fontäne 1876 Br. l 241 ein Äquivalent für mein ungebundenes Schriftstellertum; Ranke 1877 Erhebung Preussens 109 Aus diesem Grunde soll Kaiser Alexander versprechen, die Waffen nicht niederzulegen ohne die Einwilligung des Königs von Preußen, noch ohne demselben die Länder und Staaten verschafft zu haben, die er vor dem Kriege von 1806 besessen, oder doch ein Äquivalent dafür; Redtenbacher 1879 Mechanik 91 Es ist. . eine feststehende Thatsache, dass sich diese einfachen Substanzen nur in ganz bestimmten Gewichtsverhältnissen verbinden, die bereits ausgemittelt sind, und bald chemische Aequivalente, bald Atomgewichte genannt werden; Ihering 1884 Zweck i. Recht I 150 Es war .. die Idee .. des Gleichgewichts zwischen Einsatz und Gewinn, m. a.W. die Idee des Aequivalents; Hermann 1896 Physiologie 11 mechanisches Wärmeäquivalent; Zobeltitz 1902 papierene Macht 1161 meinen [adligen] Namen als Äquivalent für ein . . glänzendes Gehalt herzugeben; Rilke 1910 Malte 785 Da gingst du an die beispiellose Gewalttat deines Werkes, das immer ungeduldiger, immer verzweifelter unter dem Sichtbaren nach den Äquivalenten suchte für das innen Gesehene; Freud 1911—24 metapsychol. Sehr. 98 Die Äußerungen der Kranken zu ihrer unverständlichen Rede haben den Wert einer Analyse, da sie deren Äquivalent in allgemein verständlicher Ausdrucksweise enthalten; 1912 Handwb. d. Naturwiss. 66 Wir verstehen unter Aequivalent resp. Aequivalentgewicht eines Grundstoffs das Atomgewicht dividiert durch seine Valenz; Sternheim 1914 Snob 29 kein Mensch wird uns zumuten, die Unbequemlichkeiten der Übersiedlung, Schwierigkeiten neuer Wohnsitzgründung ohne ein Äquivalent auf uns zu nehmen; Simmel 1930 Geld 456 Geldäquivalent der Arbeit; Benjamin 1935 Br. II 664 Das Expose, das in keinem Punkt meine Konzeptionen verleugnet, ist natürlich noch nicht in allen ihr vollständiges Äquivalent; Horkheimer/ Adorno 1944 Dialektik 56 Zugleich .. kündigt sich im Gastgeschenk das Prinzip des Äquivalents an: der Wirt erhält real oder symbolisch den Gegenwert seiner Leistung, der Gast eine Wegzehrung,

Äquivalent die ihn grundsätzlich dazu befähigen soll, nach Hause zu gelangen; Münch. N. N. 8./9.7.1944 Hat die Führung dieses Betriebes . . eine beachtliche Kostensenkung erzielt, so sind die Mehrgewinne ein Aequivalent für die vollbrachte Leistung; Adorno 1952 Reden 110 Gesund und wohlangepaßt ist . . der, der nie mehr Gefühl hergibt, als er einstreicht. Liebe soll auch psychologisch werden, was sie gesellschaftlich ohnehin wird, ein Äquivalententausch; Stuttgarter Ztg. 26.3.1963 für den Verzicht auf das Außenministerium . . [konnte] kein Aequivalent auf anderem Gebiet eingehandelt werden; 1967 Bild d. Wiss. l 18 Nun ergibt . . l Kilowattstunde als elektrisches Wärmeäquivalent . . nur 860 Kilokalorien; Vierhaus 1971 Adel o. S. Die . . Fixierung der sozialen Ränge nach Jahreseinkommen . , diente . . dazu, . . die Masters . . mit den Squires auf Grund eines Jahresäquivalents von 10 Pfund .. gleichzusetzen; Zeit 1.3. 1985 der Chlorgehalt des Wassers steige . . um 0,01 Promille, die Alkalität verringere sich um 0,004 Milliäquivalente; Zimmer 1986 Redens Arten 23 weil den deutschen Äquivalenten . . die Markierung „jung, modern, schwungvoll" [fehlt], die Importen aus Amerika automatisch anhaftet; Kultermann 1987 Kunsttheorie 45 Sein Äquivalent im Sanskrit, „Santi", heißt allerdings Stille, Frieden, Heiterkeit; Süddtsch. Ztg. 12./13.2.1994 Vielleicht hat ja Huizing seinen Roman auch deswegen „Der Buchtrinker" genannt, weil es für das Adjektiv „satt" kein Äquivalent gibt, wenn es um die „unmittelbare aufnähme von flüssigkeit durch den mund" geht. äquivalent: 1731 Oberrhein. Stadtrechte U 2,674 als haben S. Hf. zu F. . . zu desto kräftigerer WiderSicherstellung dero forstl. Ober- und Gerechtigkeiten auf eine anderweithe aequivalente Caution angetragen; Schlettwein 1773 Ordnung II 10 Es ist ja höchst leicht zu begreifen, daß erstlich ein Mensch den Tag, da er nicht frohnet, seinen Unterhalt, und alle übrige nöthige Unkosten um sein selbst willen hat, und daß er durch Hülfe dieser Unkosten seine eigene Haushaltungsgeschäfte . . in mancherley Rücksichten besorgen, oder auch einen aequivalenten Taglohn verdienen kann; Goethe 1774 Br. (WA IV 2,171) Am 25. Mai erhielt ich Ihren Brief . . ich schnitt mir gleich diese reine Feder um Ihnen einen Aequivalenten Bogen vollzupfropfen; 1874 Konfersationslex. l 178 127 Theile Jod [werden] ersetzt . . durch 80 Th. Brom oder 35,5 Th. Chlor. Diese Mengen sind einander äquivalent; 1882 Brockhaus l 440 Mayer sprach zuerst . . den Satz aus, daß Wärme und Arbeit äquivalent sind; Hermann 1896 Physiologie 4 Die . . Folge der Einwirkung eines Reizes wird als Erregung bezeichnet; sie besteht in . . einer Arbeitsleistung des vom Reiz

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getroffenen Theiles. Diese Arbeit ist keineswegs äquivalent der Arbeit des Reizes; Keyserling 1920 Reisetagebuch I 36 Diese Bewußtseinslage ist der buddhistischen äquivalent; ders. 1928 Spektrum 15 Grundsätzlich ist es [dieses Buch] Ausdruck eines äquivalenten Zustands, welchem das Reisetagebuch seine Entstehung verdankt; Flohn 1942 Witterung 27 äquivalent-potentiellen Temperatur; 1943 Lex. Vermessungskunde 13 Sind die Verzerrungen bei der Abbildung der Kugel in die Ebene derart, daß keine Flächenverzerrung auftritt, so hat man eine flächentreue oder äquivalente Abbildung; Krbek 1952 Unendlich 191 Eine endliche Menge kann . . niemals ihrem echten Teil äquivalent sein; ND 2.6.1964 Der für die schwachen Länder ungünstige, ihre wirtschaftliche Entwicklung hemmende nichtäquivalente Handelsaustausch .. wird . . weiter verschlimmert; FAZ 28. 2.1969 Das muß doch bedeuten, daß jeder junge Mann den Wehrdienst ableistet oder . . ein möglichst äquivalentes Opfer bringt; Fuchs 1970 Mathematik o. S. „Äquivalente" Mengen sind nichts anderes als gleichmächtige Mengen mit der gleichen Zahleneigenschaft, z. B. Fünfermengen oder Siebenermengen; 1970 GMD-Berichte XXVI o. S. Da alle Normen äquivalent sind, und damit auch die Intervallfunktionennormen, ist es gleich, welche für die folgenden Betrachtungen zugrunde gelegt wird; Habermas/Luhmann 1971 Theorie d. Gesellschaft o. S. Die Bildung von Systemstrukturen und der innersystemische Ablauf von Prozessen können im Hinblick auf die abstrakte Aufgabe der Reduktion von Komplexität als funktional äquivalent angesehen werden; Krüger-Barvels 1971 Marketing o. S. Verzichtet man aus Solidarität auf leistungsäquivalente Prämien, so machen sich .. gegensätzliche Interessen bemerkbar; Zeit 22.2.1985 So mag ein Tiefflieger einem beide Trommelfelle zerreißen — wenn es der einzige am Vormittag bleibt, entspricht der „äquivalente Dauerschallpegel" einem Blätterrauschen; MM 30.5.1987 die Austauschbarkeit . . ist nur dann . . zu verantworten, wenn das Nachahmerprodukt „bioäquivalent" ist, also hinsichtlich Dosierung und Wirkung kein Unterschied zum Originalprodukt besteht; Keller 1990 Sprachwandel 123 Es müssen nicht alle . . nach der gleichen Maxime handeln. Sie können nach äquivalenten Maximen handeln. Äquivalenz: Müller 1789 Emmerich V 115 Aequivalenz; Lotze 1859 Recension v. Karl Snell (Kl. Sehr. /// 1,350) Das natürliche Vorurtheil, nur solche Wirkungen für recht glaubhaft zu halten, die ihren Ursachen formell ähnlich sind und sich aus ihnen analytisch durch Umformung eines schon vorhandenen Geschehens erklären lassen, gab den in neuerer Zeit genauer untersuchten Fällen einer

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Ära

Aequivalenz verschieden aussehender Naturprocesse zuerst ein eigenthümliches Interesse des Wunderbaren; 1874 Konversationslexikon I 178 Von Aeqivalenz oder Gleichwerthigkeit kann . . nur bei Körpern die Rede sein, die von irgend einem chemischen Gesichtspunkte aus in Bezug auf Wirkungswerth mit einander verglichen werden können; ebd. Alle Aequivalenzbestimmungen hat man zur größeren Vereinfachung der chemischen Ausdrucksweise auf eine und dieselbe Einheit bezogen, und zwar auf den Wasserstoff; Büchner 1882 Licht 193 Es muß .. wiederholt werden, daß alle Umwandlungen der Kräfte ohne Ausnahme nach dem Gesetz der Äquivalenz oder Gleichwerthigkeit vor sich gehen, so daß . . nichts gewonnen und nichts verloren wird; 1882 Brockhaus / 440 Die Lehre von der Äquivalenz der Wärme und der Arbeit . . ist für die Praxis . . von der größten Wichtigkeit; Wundt 1917 VPs. VIII 280 Innerhalb der durch die Eigentumsordnung gegebenen Bedingungen hat diese auf den Besitz gegründete Ständeordnung . . den Grundsatz der Äquivalenz politischer Rechte und Pflichten [ausgebildet]. Dem höheren Recht entspricht die schwerere Pflicht; Coellen 1924 Methode 33 Darum ist die Stiltheorie wesentlich umschrieben durch das Äquivalenzproblem.· sie hat den Äquivalenzbezug von Weltbegriff und Kunstform zu konstruieren als das konstitutive System eines sinnlich räumlichen Formgebietes; Dessauer 1927 Philosophie d. Technik 44 Es gibt keine absolute Aequivalenz, wenn der Zweck hinreichend konkretisiert ist; Simmel 1930 Geld 105 Da die Wareneinheit des Naturaltausches ebenso die Wertidee des ganzen Objektskreises versinnlicht oder vertritt, wie die Geldeinheit die des Münzkomplexes, so ist diese Formulierung: Eins gegen Eins — nur die naiv ausgedrückte Äquivalenz der

fraglichen Gesamteinheit; 1934 Deutschlands Erneuerung XVIII 343 „Äquivalenz" (das Entsprechen) von Leistung und Gegenleistung. Dieser Gedanke geht . . wie ein roter Faden durch alle sozialen Lehren und Bewegungen; Münch. N.N. 17.9. 1942 Die Aequivalenzziffernrechnung . . ist anwendbar bei Betrieben mit mehreren Leistungsarten mit verwandter Kostengestaltung . . Die Kosten . . ergeben sich dadurch, daß man die Kosten für den Einheitscbm mit den Aequivalenzziffern multipliziert; Bavink 1950 Weltsch. 90 Soll dieses „Äquivalenzprinzip" . . konsequent durchgeführt werden, so wird man . . gezwungen, nicht nur die ganze Kinematik, sondern auch die Geometrie . . völlig abzuändern; Gail 1958 Weltraumfahrt 109 der Weltraum beginnt jeweils dort, wo die „Weltraumäquivalenz" erreicht ist; Stuttgarter Ztg. 6.8. 1964 das Aequivalenzprinzip, das . . die Angemessenheit der Gebühren fordert; Ritter 1971 Hist. Wb. d. Philosophie I 479 In der Logik versteht man unter Äquivalenz . . eine Verbindung zweier Aussagen, die genau dann wahr ist, wenn beide Aussagen den gleichen Wahrheitswert haben, und genau dann falsch, wenn sie verschiedene Wahrheitswerte haben; Kecktenwald 1975 Wb. d. Wirtschaft 12 Äquivalenzprinzip .. Besteuerungsgrundsatz, der von dem Nutzen der angebotenen öffentlichen Güter und Dienste ausgeht und in der Steuer ein marktpreisähnliches Entgelt für die vom Bürger in Anspruch genommenen Staatsleistungen sieht; MM 30.5. l 987 die Kenntnis über die Zusammensetzung des Original-"Rezeptes" garantiert noch nicht die „Bioäquivalenz" und damit die unbedenkliche Austauschbarkeit; ebd. 7.1.1988 Würde das Bundesgesundheitsamt für wirkstoffgleiche Billig-Produkte einen Bioäquivalenznachweis einfordern, würde vielleicht mancher Mediziner bei der Rezeptur eher umsteigen.

Ära F. (-; selten Ären), seit dem 17. Jh. vereinzelt, seit spätem 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. mlat. aera (< spätlat. aera 'Zeitrechnung von einem bestimmten Ausgangspunkt an' < lat. aera 'die einzelnen Posten einer Summe', N. Pl. von aes, Gen. aeris, 'Erz, Kupfer, Geld'), anfangs in lat. (flekt.) Form. Zunächst und bis heute selten für 'Zeitrechnung von einem bestimmten geschichtlichen Ereignis an', z. B. die christliche Ära 'die Zeit(-rechnung) seit Christi Geburt' (s. Belege 1777, 1795, 1966); seit Ende 18. Jh. zunehmend bildungsspr. und als Modewort in Politik und Geschichte verwendet in der Bed. 'Zeitabschnitt, Epoche, Zeitalter', daher häufig in der Verbindung politische Ära (vgl. bereits gelehrtenlat. aera politica, s. Beleg 1653) und in den festen Wendungen eine Ära geht zu Ende und bes. (eine) neue Ära (bricht an) (s. Beleg 1798), seit der zweiten Hälfte des 19. Jhs. als Schlagwort speziell auf die neuen politischen Verhältnisse in Preußen nach 1858 bezogen, z. B. die Wilhelminische Ära; etwa gleichzeitig in Verbindung

Ära

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mit nachgestelltem Namen vor allem politisch einflußreicher Personen, die ein bestimmtes Zeitalter in besonderer Weise geprägt haben im Sinne von 'Amts-, Regierungszeit' (s. Beleg 1956), seit Mitte des 20. Jhs. bes. Ära Adenauer, auch mit Bezeichnungen für Sachen, die für eine bestimmte Epoche kennzeichnend sind, z. B. Reformära, die Ära des Kapitalismus, Feudalismus, die faschistische, technische Ära (s. Belege 1966, 1974); seit Mitte 19. Jh. als Grundwort in der Bed. 'Zeitalter' in Zss. bestimmt von Konkreta wie Welt-, Computerära, eine neue Straßenbahn-Ära (s. Beleg 1993), von Namen, z. B. Stalinära oder von Zeitabschnitten, wie Nachkriegsära. Zeiller 1653 Dialogt 216 f. Was ist Aera? Dieses Wort wird . . für den Werth einer Müntz/ vnd dann für den Anfang einer Jahr-Rechnung genommen . . Wird sonsten auch Epocha genant/ vnd ist zweyerley/ Astrologica, die man zu Betrachtung del? Himmels gebraucht; vnd Chronologica, oder Historica; . . Vnd dann wird die epocha, oder aera politica, in Weltlich: vnd Bürgerlichen Sachen gebraucht/ als von Anfang der erbauten Stadt Rom/ dem Anfang dieses/ oder jenes Käysers Regierung/ vnd so fortan; Bohse 1703 Frühlings-Früchte 376 Sie [die Ceylonesinnen] zehlen ihre Jahre von der Zeit an/ da er [Buddha] bey ihnen gewesen/ und befindet man aus der Rechnung/ die man davon machet/ dass es etwan das vierzigste Jahr in der Aera Christiana . . gewesen; Gatterer 1777 Abriss d. Chronologie 17 Eine bestimmte Art und Weise, die Jahre in einer fortlaufenden, nicht wiederkehrenden Reihe zu zählen, heist Aere oder Jahrrechnung (Aera), auch, wiewol unrichtig, Zeitrechnung; Matthisson 1786 Rheinfahrt (II 96) Im Durchschnitte gingen wohl in jeder Aera der Literatur und Kunst erfreulichere Resultate daraus hervor, ihre Matadore in Büchern und Bildwerken anzustaunen, als in Häusern und auf Spaziergängen; ders. 1795 Italien (IV 89) Die Aufschrift am Fries belehrt uns, daß der Tempel oder die Basilika . . im Jahr 165 der christlichen Aera vollendet wurde; Schiller 1798 Prolog zu Gallensteins Lager V. 50 Die neue Ära, die der Kunst Thaliens Auf dieser Bühne heut beginnt; Jean Paul 1799 S. W. l 8,217 die erste selbst-mörderische Redoute machte ihm jede zur begeisternden Aera eines neuen zweiten Lebens; Haschka 1806 briefl. (Keil 1883 Wiener Freunde 90) Unsre Enkel vielleicht fangen in der Cultur eine neue Aera an, aber wir und unsre Kinder gehen zugrunde!; Goethe 1816 Er. (WA IV 26, 326) sie scheint in den frühesten Zeiten unserer Ära sich von der Ostsee nach Thüringen gezogen . . zu haben; ders. 1818 Maskenzüge (WA l 16, 272) Die Welt umher, sie lag zerrissen, . . Doch Adrastea zeigte sich, Des Glückes Ära war gegeben, Vergangenheit und Zukunft freuten sich; Puckler-Musk.au 1831 Br. Ill 5 seitdem in Preußen der vortreffliche Nagler eine neue Post-Aera ge-

schaffen hat; Brand 1834 Breslau 23 das jetzige Jahrhundert ist die goldene Aera der höchsten Industrie; 1858 Staatswb. Ill 121 eine neue Ära des völkerrechtlichen und diplomatischen Lebens; 1860 Kladderadatsch 21 neuer Äraschwindel; Frantz 1862 Kritik aller Parteien 317 die neue Ära in Preussen; 1862 Kladderadatsch XV 54 Die allerneueste Ära; Andlaw 1862 Tagebuch II 252 der neuen politischen Ära; Rasch 1863 Berlin 98 Die sogenannte „neue Ära", von der die Constitutionellen erzählen, dass sie seit mehreren Jahren für Preussen aufgegangen sei; Engels 1865 Militärfrage (Ndr. marxist. Seltenheiten IV 33) Und dieses Resultat . . verdanken wir hauptsächlich der Manteuffel'schen Zeit und der „neuesten" Aera; 1867 Grenzboten III 14 Ära der rettenden Thaten; Burckhardt 1870 Br. a. Preen 30 Das Bedenklichste ist aber nicht der jetzige Krieg, sondern die Ära von Kriegen, in welche wir eingetreten sind; 1871 Preuss. Jahrb. XXVII 383 die ruhmredige Ära der Republik; ebd. XXVII 654 napoleonische Ära; Hillebrand 1874 Frankreich 162 alles das datirt . . von der französischen Revolution, dieser neuen Ära der Menschheit; Nürnberger 1874 Siegelringe 113 während die Herren die neue Ära im Schweiße ihres Angesichtes produciren, geht er [der Tod] von Bett zu Bett und treibt den Todesschweiß auf die Angesichter der alten Ära; Springer 1877 Banquier 156 in der neuesten Ära des Blödsinns; Fontäne 1882 L'Adultera 127 von diesem Tag an datirt sich eine neue Aera des Hauses Van der Straaten; Stieler 1885 Kulturbilder 187 Ära kulturgeschichtlicher Blüte; 1886 Salon I 73 Erst der letzte deutsch-französische Krieg bezeichnet den Beginn einer neuen Ära auf dem Gebiete der Luftschifferei; Richter 1893 Jugend-Erinn. 70 Im März 1862 erreichte die „neue Ära" in Preussen ihr Ende; Rilke 1894 S. W. III 34 Nun mag die Welt in ihren Festen beben,/ entfesselt wüten mag das Element; — / denn eine neue Ära tritt ins Leben,/ die keinen Haß und keinen Streit mehr kennt!; Bamberger 1899 Erinn. 233 Die grosse Ära der Eisenbahnen und der Industrie war erst im Entstehen; Brandt 1910 Ost-Asien I 299 Die Annahme des Antrags . . hatte . . den Sturz des sogenannten Ministeriums der neuen Ära . .

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Arabeske

zur Folge gehabt; Schaukai 1913 Zettelkasten 242 Erzeugnisse einer fatalen Ära des schnödesten Krämergeistes; Dombrowski 1919 System l 43 In dieser Block-Ära stritt das Berliner Tageblatt so ziemlich allein; Denn 1921 Epilog u. Lyrisches Ich (Ges. W. IV 12) Bei der Lektüre eines, nein zahlloser Bücher durcheinander, Verwirrungen von Ären, Pelemele von Stoffen und Aspekten .. entrückter, strömender Beginn; Wätzold 1924 Kunsthistoriker 265 Hass gegen die Ära der Maschine; Thiess 1927 Gesicht 69 Unser Programm und unsere Beschlüsse hätten jedem von uns in der Ära Ludendorff den Kopf gekostet; Mehring 1927 Paris 11 Handwerkerkojen der Vorfabriksära; Voss. Ztg. 5.10.1929 die „Aera Stresemann" begann damit .. den Kampf an der Ruhr abzublasen; Friedeil 1931 Kulturgesch. III 406 wilhelminische Ära; 1932-33 Schweizer. Rundsch. XXXII 2, 904 eine Ära geistig schaffenden Aufbaus; Lokal-Anz. 25. 9.1934 einen der Stadt in der vorigen Aera zugefügten Schaden; Münch, N. N. 9.6.1940 die letzten Resterscheinungen der Münchner Aera; ebd. 28.7.1941 Nun ist die Aera der Worte abgeschlossen; N.Z.Z. 30. 5.1943 Nirgends herrschte ein Zweifel darüber, daß die „Aera Dönitz" im Zeichen einer gesteigerten Intensität der deutschen Seekriegführung . . stehen würde; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 446) die Zeit, von der ich schreibe, war für uns Deutsche eine Ära des staatlichen Zusammenbruchs; Eoveri 1954 Heuss 31 Ende der Ära Bismarck; Münch. Merkur 6.3.1956 die Ollenhauersche These, daß die „Ära Adenauer" vorbei sei; Borst 1957 Turmbau 334 das tangierte die Religion Mohammeds, der . . eine ganz neue Ära begründet hatte; ND 16.3.1959 den Weg hierzu ebnen die sowjetischen Vorschläge, deren Realisierung eine neue Ära friedlicher Zusammenarbeit der europäischen Völker eröffnen würde; Welt 4.11.1959 viele Jahre der Stalinära; Offenburger Tagebl. 14.10.

1960 weil eine Aera zu Ende geht; ebd. 4.6.1962 Adenauer eröffnet den CDU-Parteitag in Dortmund „Meine Aera ist noch nicht zu Ende" (Überschr.); Stave 1964 Leute 117 Ära des wundervollen Unsinns; Stuttgarter Ztg. 1.2.1965 Aera Erhard; 1966 Studium Generale XII 727 den ephemeren Neubildungen der französischen Revolutionsära oder der faschistischen Ära; ebd. nicht überall und auch nicht endgültig hat sich also die mit der Dionysischen Weltära logisch verbundene Folgerung durchgesetzt, daß das Jahr l mit dem Geburtstag Christi zu beginnen und dann bis zum folgenden 25. Dezember zu laufen habe; ebd. die Juden mit ihrer Weltschöpfungsära; Köllner 1967 Mary o. S. Ende der Ära Adenauer-Erhard; FAZ 6.1.1970 „Ära Novotny"; ebd. 29. 9.1970 Die Gespräche . . kreisten um die als „Verhandlungsära" gekennzeichnete neue Phase der amerikanischen Außenpolitik; Welt 20.12.1974 in der zurückliegenden Reformära Brandt; Zeit 19.7.1985 so hat er den gigantischen Tanz des Enrichissez-vous der Nachkriegsära inszeniert; MM 10.4.1986 Tonbandaufnahmen geben allerdings nur kurze musikalische Signale, Erkennungszeichen einer auf Jazz, Rock und Beat versessenen Jugendära; ebd. 18.7.1986 die Computer-Ära hat auch an den Landkreisschulen längst begonnen; Zeit 6.2.1987 das bedrükkende Lebensgefühl und das trostlose Klima der NS-Vorkriegsära von 1933 bis 1938; MM 10.2. 1987 während der Zwischenkriegsära des 20. Jahrhunderts; Bundestagsprotokolle 9.11.1989 Zeichen, mit denen eine Ära der Konfrontation zu einer Ära der Kooperation wird; FAZ 17.3.1990 bei dem letzten großen ehrgeizigen Ereignis der Honecker-Ära; Spiegel 15.2.1993 Am vergangenen Wochenende hat die Ära del Monaco mit einer opulenten Inszenierung von Verdis „Otello" begonnen — der kapriziöse Italiener führte selbst Regie; MM 4.15.9.1993 Aufbruch in eine neue Straßenbahn-Ära (Überschr.).

Arabeske F. (-; häufig -n), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. arabesque, eigentlich 'arabische Verzierung' (< ital. arabesco 'in arabischem Stil; Arabeske', zu arabo 'arabisch; Araber' < arab. arab PL 'Araber', eigentlich 'die Wüstenbewohner'), bis ins frühere 19. Jh. auch in der frz. Form Arabesque, im 18. Jh. in Schreibformen wie Rabbesco, Rabesques bzw. Orabesco, Moresken, Mohresken. a Zunächst in der bildenden Kunst zur Bezeichnung von Verzierungen aus üppig gestaltetem Ranken- und Laubwerk für 'stilisiertes Pflanzenornament', vor allem als Dekorationselement ursprünglich der islamischen Kunst, seit der Renaissance auch in Europa verbreitet (vgl. Groteske, —* grotesk), bes. in der Zs. Arabeskenmaler; auch im Sinn von 'Verzierung' auf andere Kunstarten bzw. Ausdrucksformen, z. B. auf Literatur, bezogen (s. Belege 1786, 1796), bes. in Zss. wie Arabeskendichter, -spräche, -werk, Wenn-und-Aber-Arabesken; seit Ende 18. Jh. auch übertragen und eher abwertend im Sinn von 'Schnörkel, Beiwerk' mit dem Merkmal des Nebensäch-

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liehen bzw. Überflüssigen (s. Belege 1787, 1794, 1966), in Zss. wie Dekorations-, Zuckerbäckerarabeske. Dazu im 19.720. Jh. die seltenen adj. Ableitungen arabeskenartig, arabeskenhaft; im späten 18. Jh. vereinzelt das eventuell in Analogie zu grotesk gebildete Adj. arabesk 'im Stil der Arabeske', auch übertragen für 'bunt; wirr', bis heute gebucht. b Seit Mitte 19. Jh. Fachausdruck für eine Ballettfigur, heute meist in der Form Arabesque, bes. in den Zss. Ausdrucks-, Tanzarabeske. c Seit früherem 20. Jh. in der Musik in der Bed. 'fröhliches, leichtes (Klavier-)Stück', auch allgemeiner für 'Verzierung einer Melodie', dazu die Zss. Arabeskenmusik, Tonarabeske. Arabeske a: Chr. Wolff 1716 Math. Lex. 141 Arabesques oder Rabesques; Penther 1744 Lex. architect. 6a Arabesques Blumen-Züge sind allerhand erdichtetes Laub- und Blumen-Werck, dergleichen die Araber zur Zierde zu machen pflegen, da sie sonst keine Bilder der Thiere und Menschen mahlen dörffen; Nicolai 1759 Literaturbr. Ill 51 wozu ist es denn nötig, eine Sache mit lauter Hirngespinsten zu verzieren? Und dabey jeder Verständiger, der da fraget, was es denn eigentlich vorstellen soll, sich mit der Antwort begnügen muß, es sey Rocaille, Grotesque, Arabesque . . kurzum es sey so Mode; Lessing vor 1781 (Collectanea P. XIX 203,4) Rabbesco ist soviel als Arabesco oder Orabesco; Jacobi 1782 Nessir III 5 Das Arabeske oder Mohreske in der Mahlerey ist . . daher entstanden, dass die Araber und Mohren, nach den Gesetzen ihrer Religion, nichts Lebendiges abbilden dürfen; Caroline 1786 Br. l 38 Ach hast Du die Arabesquen gelesen im Intelligenzblatt; 1786 Journal d. Moden l 396 Arabesken sind eigentlich Schnörkel von Laubwerk von zwar unnatürlicher aber phantasiereicher Composition . . Man hat . . die Bedeutung des Worts erweitert, und versteht jetzt alle groteske Verzierungen und Compositionen von Laubwerk, Menschen, Thieren, Vögeln und Ungeheuern . . darunter; Ramdohr 1787 Mahlerei I 131 Säulen in einem Zimmer, dessen Wände mit Laubwerk bedeckt sind, oder ein Plafond, das eine historische Handlung durch Personen in Lebensgröße vorstellet, über Wänden, an denen sich Arabesken hinauf schlängeln, bringen allemahl einen beleidigenden Uebelstand hervor; ders. Ill 179 Er verfährt mit der Bildung der Falten so willkührlich, als der Arabesken- oder Cartouchenmahler mit seinem Laubund Muschelwerk; Goethe 1789 Von Arabesken (WA l 47,235) Wir bezeichnen mit diesem Namen [Arabesken] eine willkürliche und geschmackvolle mahlerische Zusammenstellung der mannichfaltigsten Gegenstände, um die innern Wände eines Gebäudes zu verzieren. Wenn wir diese Art Mahlerei mit der Kunst im höhern Sinne vergleichen, so mag sie . . uns geringschätzig vorkommen . . auf einer Wand . . findet man in der Mitte ein Bildchen ange-

bracht . . die Einfassung derselben besteht aus so genannten Arabesken. Stäbchen, Schnörkel, Bänder, aus denen hie und da eine Blume oder sonst ein lebendiges Wesen hervorblickt; Dalberg 1792 Baukunst 54 jene bunte Spiele der Phantasie [auf Wandflächen, kleineren Gegenständen], die wir Arabesken nennen; Schiller 1794 Br. IV 58 Was alsdann noch auf dem Rücken leer bleibt, das kann mit Strichen oder Arabesken ausgefüllt werden; Jean Paul 1794 S. W. l 3,375 Unsere Gespräche sind heute einmal voll Arabesken; Tieck 1794 Sehr. V] 214 war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe, etwa anders, als das rohe Streben nach ihrem Besitze? ein Gefühl, das wir uns von Jugend auf verkünsteln, und das simple Gemälde unsers Lebens mit unsinnigen Arabesken verderben; Herder 1796-97 Br. (S. W. XV111 43) Es giebt mehrere Gattungen angenehmer Conversationspoesie, die ohne Reimen nichts sind. Der gesuchte, so wie der ungesuchte, der versteckte so wie der klingende Reim sind in ihnen Kunstmäßig geordnet. Man sollte sie Arabesken nennen: denn eben auch den Arabern galt der Reim für ein Siegel des vollendetsten Ausdrucks; 3796 Journal d. Moden XI 406 Als eine Probe der schon vollendeten ersten Lieferung, wurde zu Anfang dieses Jahres die 5te Nummer . ., Darstellung und Geschichte des Geschmacks in Arabesken, von Hr. Göschen besonders ausgegeben; Jean Paul 1797 S. W. Ill 2,317 Lavaters Brief, der durch linguistische Arabesken sein Unvermögen in der linguistischen Zeichnung ersezen sol: am Briefe ist nicht gut als was an L. Schriftstellerei gut ist, das physiognomische Einschiebsel; 1798 Merkur (W.) U 157 in den sonderbarsten Arabesken und Schnörkelwerken; Novalis 1800 Sehr. IV 333 der Zufall, der Geist des Lebens, Einzelne Züge blos, als Arabesken — so betrachte nun mein Märchen; 1800 Athenaeum 116 ich halte die Arabeske für eine ganz bestimmte und wesentliche Form oder Äußerungsart der Poesie; Schlegel 1801-02 Vorlesungen l 209 Es sind die Arabesken der Gartenkunst: und warum sollten sie da nicht eben so wohl geduldet werden, wie in der Baukunst unter den Verzierungen; Jean Paul 1805 Fle-

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geljahre (W. IV 693) die Zuckerbäkker-Arabesken und Phantasie-Blumen und Prunk-Pfähle; Bouterwek 1807 Ästhetik 180 Die schöne Kunst ahmt die Natur entweder im bloßen Naturstyl, oder im Idealstyl nach, oder sie erlaubt sich unter gewissen Bedingungen ein geistreiches Spiel mit dem Natürlichen und dem Idealen in der Arabeske; 1811 Almanach a. Rom II 27 schöner ausgeführt und schöner entworfen sind die . . reichlich angebrachten Arabesken, . . alle Lichter daran stark von Gold; Görres 1821 Europa 127 Da kamen neue, ungesehene und unerhörte Naturbildungen herangezogen . . Thiere, als hätten sie von den Arabesken der Phantasiewelt sich losgerissen; Heine 1835 Romant. Schule 20 f. Aus den süß närrischen Arabesken und phantastischen Blumengebilden dieser Gedichte grüßen uns der köstliche Iwain, der vortreffliche Lanzelot vom See, und der tapfere . . Wigalois; Hegel 1835 Ästhetik (II 49) Wenn . . die Baukunst frei in ihrer Bestimmung geworden ist, setzt sie die Arabeskenformen zu Schmuck und Zierat herunter; Moltke 1846 Wanderbuch (Spanien) 135 die wagerechte Eindeckung der Wohnräume gab ihnen [den Arabern] Gelegenheit, ihren Reichthum an Desseins, den sogenannten Arabesken, zu entfalten; 1852 Prutz' Museum I 54 [Die Forts von Paris] bilden einen Kranz militärischer Arabesken um den Rahmen der Weltstadt; ebd. l 699 Hypothese mit Wenn-und-Aber-Arabesken; Bechstein 1854 Hexen 243 die längliche Schnupftabaksdose von graviertem Kupferblech, auf welcher sich in zierlichen Arabeskenradierungen . . hübsche Gruppen von . . Phantasiegebilden befanden; Hartmann 1869 Philosophie 216 selbst im Gebiete des Raumes . . finden wir in Arabesken nur die bekannten Elemente der geraden Linie, des Kreises, der Elipse und anderer bekannten Krümmungen wieder; Nietzsche 1877-79 W. IV 115 das Epigramm des Simonides, das ja so schlicht sich giebt, ohne vergoldete Spitzen, ohne Arabesken des Witzes; Nordau um 1880 K. II 303 Die Arabesken an den Wänden sind in Blau, Roth und Gold gehalten und zwischen diesen glühenden Farben schlingen sich wie ein zartes Gewebe weiße Linien, die sich zu immer wechselnden Figuren ineinanderwirren; Gottschall 1885 Totenkl. 225 seine [Zolas] Beschreibungen sind oft so überladen, so durch ein Gewirr von Arabesken verdunkelt, daß die tragenden Pfeiler der Situation sich nicht klar vor unsern Augen gliedern; Riegel 1893 Stilfragen 16 in dem dichten Arabeskengeschlinge; ebd. 259 Die Arabeske ist das Pflanzenrankenornament der saracenischen Kunst, d. i. der Kunst des Orients im Mittelalter und in der neueren Zeit; Joachimi 1905 Weltanschauung 229 F. Schlegel sieht Arabesken überall da, wo der Geist der Liebe durch die Kunst festgehalten wird; Hesse 1910 Rosshalde 147

Hunde und Katzen und andere begabte Tiere haben einen Schwanz . . und für jede feine Wallung ihres Lebensgefühls hat ihr Schwanz mit 1000 Schnörkeln eine wunderbar vollkommene Arabeskensprache; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 36) „1650" stand dort in verschnörkelten Ziffern, und allerlei krause Gravierungen umrahmten die Zahl, ausgeführt in der modernen Manier von damals, schwülstig-willkürlich, Wappen und Arabesken, die halb Stern und halb Blume waren; Mehring 1927 Paris 16 Die lyrisch besaiteten Naturen drückten sich über das Massenmorden allgemein menschlich aus . . faselten noch von der Symbolik zerfetzter Kiefer, . . malten noch die Arabeske verstümmelter Gliedmaßen; 1928 Querschnitt 891 Georg Kaiser feierte seinen 50. Geburtstag. Er hatte seine Jugend mit so viel Grazie und Esprit verlebt, daß wir uns auf die Arabesken seiner vieillesse verte freuen; Münch. N.N. 15.6.1944 Wie aufgebläht, das Unwichtige zu zweifelhafter Wichtigkeit aufbauschend, müssen die nach der Wortzahl gemessenen Berichte sein; aber die Bagatelle, die private Arabeske, ist ja seit langer Zeit Trumpf; Benn 1947 Ptolemäer (Ges. W. 11 248) Was sind die Lehren, was ist die Geschichte — Bonmots, Arabesken, kleine Strudel im Panta rheü; Kayser 1957 Groteske 52 Die Arabeske ist also eine Form, eine Struktur; Welt 25.1.1966 Menninger stutzte die Komödie . . um einige Arabesken . . und bereitete sie modern zu (DUDEN); Hocke 1976 Tagebücher 177 Vorlagen für post-protestierende DekorationsArabesken; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 135 Efeuranken . ., die nachtschwarze Arabesken auf die Fassade zeichneten; Altner 1991 Naturvergessenheit 146 Es ist . . schon eine fast erheiternde Arabeske, daß nun auch manche Alttestamentler mit Hilfe datenverarbeitender Systeme ihre atomisierende Philologie auf möglichst exakten Stand zu bringen versuchen; Süddtsch. Ztg. 12.8.1993 In diesem trüben Umfeld ist es nur noch eine Arabeske, daß der Spanier, kaum 14 Tage in Wolfsburg, auch gleich seine Tochter gut honoriert bei VW unterbrachte; ebd. 6.9.1993 Eine nette und unverbindliche Höflichkeit . . Eine Wortarabeske ohne Inhalt. arabesk: Lessing vor 1781 S. W. XI 35 groteskes, arabeskes Laubwerk (SANDERS 1871); Beckmann 1784-1788 Erfindungen II 591 Audran .. welcher im Anfange dieses Jahrhunderts ein geschickter Maler in Arabesk- und Grotesk-Stücken . . gewesen ist; Tieck 1835 Sehr. XXVII 105 da fallen Maschen und Farben und Fäden aller Art von den Lippen, so ein buntes arabeskes Gespinnst; B. v. Arnim 1848 S. W. V 187 Das ist allerdings auch ein ganz arabesker Zettel zum Gewebe Deiner Lebens-

arbiträr bahn, und hier liegen die barocken Figuren schon in der Kette angeordnet. arabeskenartig: Goethe 1828 Tausend u. Eine Nacht (WA l 49.1,355) Sie [von von Schwind gezeichnete Titelblätter] sind als Vignetten zu betrachten, welche mit einem geschichtlichen Bildchen den Titel zieren, dann aber arabeskenartig an beiden Seiten herauf- und herabgehen, um ihn anmutig einzufassen. arabeskenhaft: Stahr 1851 Paris l 257 arabeskenhaft (SANDERS 1871); Süddtsch. Ztg. 6.6.1955 Daß mit Hans Joachim von Merkatz ein kräftiger Verfechter der Monarchie in die Bundesregierung einzieht, ist — vom politischen Effekt her betrachtet — genau so wenig bedeutsam, wie etwa der arabeskenhafte Umstand, daß mit Merkatz und Brentano zum erstenmal zwei Träger von Adelsnamen Bundesminister werden; Stuttgarter Ztg. 17.12. 1963 Kalligraphien . . die ganz aus der Empfindung einer für das Arabeskenhafte begabten Hand leben. Arabeske b: Fontäne 1851 Gedichte 294 Noch immer aus des Contre-Tanzes Touren/ Erblühen Arabesken und Figuren; Gregorovius 1853 Wanderjahre l 260 oft sind diese verschlungenen Tanzarabesken, dieses Verketten und Auflösen, diese anmutigen Neigungen, dieses Winken, Enteilen, Sichsuchen, dieses Hinschweben mit wechselnder Stellung gleich einem reizenden Figurenrelief anzusehen; 1965 Aspekte 122 dass der Tänzer mit sei-

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nen Sprüngen und Schwüngen eine Ausdrucksarabeske in den gestaltlosen Bühnenraum einzeichnet; MM 28.10.1987 der schlanke und hoch aufgeschossene Dudley Williams gibt seinen Drehungen und Arabesken dank der Länge seiner Arme und Beine einen riesigen Radius. Arabeske c: Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 383) warum wird, indem ich von Wagners Musik rede, gerade eine solche Einzelheit, eine bloße Arabeske, mir im Ohre wach wie die technisch leicht beschreibbare und im Grunde doch unbeschreibliche Hornfigur, die in der Totenklage für Siegfried das Liebesmotiv seiner Eltern harmonisch vorbereitet? Süddtsch. Ztg. 25.9.1951 Der Monochie und Exotik huldigten Wilhelm Keller, in einem von Susanne Herz hübsch, rein und ängstlich gesungenen Arioso, und Schmidt-Carre, welcher Trompete, Klarinette und Pianoforte geschmackvollst kombinbierte. Arabesken-Musik? Freilich — aber keine einschläfernde!; Zeit 3.4.1987 aber ein bißchen weniger Arabesken aus der ziselierenden linken, dafür etwas mehr Prägnanz mit der rechten Hand — vielleicht hätte mancher Bläsereinsatz dann nicht wie ein Arpeggio geklungen; MM 25.5. 1987 das erste Solo ist geprägt durch stereotype Drehungen und Arabesken, die für Kathleen Rylands zeitweise zur Zitterpartie werden; ebd. 19.3.1988 in die Arabesken des Allegro maestoso verbiß er sich mit derselben Lust am technisch Glänzenden wie ins Rondo-Finale, das als ein einziger, großer Klangwirbel vorüberfegte, sozusagen ohne Punkt und Komma.

arbiträr Adj. (ohne Steigerung), im frühen 17. Jh. über gleichbed. frz. arbitraire entlehnt aus gleichbed. lat. arbitrarius (zu arbiter 'nicht vom Magistrat eingesetzter, nach Gutdünken, nicht nach den Gesetzen entscheidender Schiedsrichter; Zeuge, Beobachter', aus ad- (bzw. ar-} 'hin, zu, herbei' und bitere 'gehen', also eigentlich 'jmd., der herbeikommt, um etwas zu sehen und zu hören'), bis ins späte 18. Jh. auch in der Nebenform arbitrarisch, als Bestimmungswort in Zss. zunächst auch arbitrar-/Arbitrar-, bis ins 19. Jh. selten in der frz. Form, seit frühem 18. Jh. zunehmend in der heutigen Form. Zunächst rechtsspr. bis ins frühe 19. Jh. (im katholischen Kirchenrecht bis ins 20. Jh.) in der Bed. 'von richterlichem Ermessen und Gutdünken abhängig', bes. in der Zs. Arbitrarstrafe (s. Beleg 1624) und in den festen Verbindungen arbiträre Strafe (s. Belege 1690, 1715, 1926), arbiträre Gewalt (s. Beleg 1839); dann auch allgemeiner und eher abwertend für 'beliebig, nach Ermessen, willkürlich, eigenmächtig', z. B. eine arbiträre Entscheidung; seit Mitte 20. Jh. speziell in der Sprachwissenschaft für 'unmotiviert, nicht naturgegeben' (s. Belege 1964, 1969) nach F. de Saussures Theorie des sprachlichen Zeichens, bezogen auf die nicht naturgegebene, sondern durch Konvention festgelegte Zuordnung zwischen Lautgestalt und Wortin-

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halt; dazu in neuerer Zeit die subst. Ableitung Arbitrarität F. (-; ohne PL), zunächst speziell auf das Verhältnis zwischen Inhalt und Form des sprachlichen Zeichens bezogen für 'Beliebigkeit, Willkür', daneben auch allgemeiner gebraucht (s. Beleg 1993). Dazu das im späten 17. Jh. aus frz. arbitrage 'Schieds-, Urteilsspruch' übernommene Subst. Arbitrage F. (-; ohne PL), zunächst selten im politischen Bereich für 'Entscheidung, Schiedsspruch' (s. Belege 1689, 1709); seit früherem 18. Jh. fachspr. im Wirtschaftswesen in der Bed. 'der unterschiedliche Geld- und Wechselwert an verschiedenen Orten und seine Ausnutzung', als Bestimmungswort in den Zss. Arbitragerechnung, -geschäft; seit Ende 19. Jh. die französierende Personenbezeichnung Arbitrageur M.(-s; -e), im Finanzwesen für 'Börsenhändler, der die unterschiedlichen Geldund Wechselwerte berechnet und ausnutzt'. Vgl. daneben seit spätem 15. Jh. die selten belegten, bis ins 19./20. Jh. gebuchten, zum gleichen Etymon gehörigen fachspr. Ausdrücke Arbitrium N. (-s; Arbitria) 'Schiedsspruch, -gutachten' (vgl. lat. arbitrium), Arbitrator M. (-s; -en) 'jmd., der ein Schiedsgutachten abgibt' (vgl. lat. arbitrator) und arbitrieren 'nach Gutdünken entscheiden; den Wechselkurs berechnen, eine Arbitrage vollziehen', Schweiz, auch 'als Schiedsrichter einen Wettkampf leiten'. arbiträr/arbiträr-: 1624 (Kern, Deutsche Hofordn. d. 16. u. 17. Jhs. l 165) bey unserer hohen ungnad und arbitrarstraffe; 1656 Brandenburg KriegsRecht A4a Da sich aber jemand unterstehen würde/ denselben . . anzutasten/ der soll . . mit Gefängniß und anderer arbiträr-Straff . . beleget und gestraffet werden; 1690 (Buchner, Das Neueste l 243). auch darauff mit einer arbitrairen GeldStraff/ welches zum Underhalt der Armen angewendt werden soll, angesehen seyn; 1692 Hzgtümer Bremen u. Verden Policey-Ordn. 590 so lieb einem jeden seyn kan, die darinn angedäutete, auch nach Beschaffenheit der Umbstände andere schwere arbitrar-Strafe zu vermeiden; 1715 (Frauenholz 1935 ff. Heerwesen IV 218) bey Straffe des Stockhauses, Pfahls, Spißruthen oder anderer arbitrairen Straffe; Fleming 1719 Jäger 55a daß dahero die Verbrecher . . zwar mit Arbitrar-Leibes-Straffe doch nicht am Leben zu bestraffen sind; Amtkor 1730 Collegium 167 Was die Form der Zusammen-Legung betrifft, ist dieselbe arbitrair (BRUNT); 1730 (Berg 1799 Handb. Policeyrecht VI 2,686) dagegen dieselbe und ihre Leute sich aller Plackereien an Trinkgeld, Neujahr, Schön-Ey, oder wie es Namen haben mag, gänzlich und bei arbiträrer Strafe enthalten sollen; Craig 1816 Grundzüge (Übers.) I 317 während in Schottland die Strafe, so oft sie geringer als Todesstrafe ist, zu derjenigen Gattung gehört, die in der Gesetzessprache des Rechts arbiträr heisst; Gutzkow 1835 Charaktere IX 104 ein so arbitraires, launenhaftes Regiment, wie das von Paraguay; 1839 DVjS IV 269 dass arbiträre Gewalt mit dem Rechte ewig unverträglich sey; Stahl 1848 Revolution 76 ein eingeschränkter . . und nicht ein

blosser Namen-König . . indem er nicht . . in einer Sphäre gebunden ist und in der ändern Sphäre völlig arbiträr schaltet, sondern in allen Sphären Macht, Einfluss und Überwachung der Volksvertretung ihm gegenüberstehen; Rümelin 1880 Reden H 196 einem ganz arbiträren und schwankenden Ermessen anheimgegeben; Nietzsche 1884— 1888 W. IX 291 Sie [die Kirche] bleibt überall bei der Oberfläche stehn, bei Zeichen, Gebärden, Worten, denen sie eine arbiträre Auslegung giebt; Schröder 1889 Lehrb. d. dtsch. Rechtsgesch. 117 Die Strafe war ursprünglich wohl arbiträr; Harnack 1900 Christentum 160 auch neue Dogmen werden aufgestellt; die Lehre ist in vieler Hinsicht arbiträr geworden, und eine ungefüge Formel in der Glaubenslehre kann durch eine konträre Anweisung in der Ethik und im Beichtstuhl aufgehoben werden; Eichmann 1920 Strafrecht 56 In diesem Falle bleibt es dem klugen Ermessen des Richters überlassen, welche Strafe er im vorliegenden Falle für angemessen halte (sog. arbiträre Strafen); Koeniger 1926 Kathol. Kirchenrecht 173 Wähler, die wissentlich wesentliche Wahlformen außer acht lassen, unterliegen arbiträrer Strafe; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. X/l 125J „Des Linnäus künstliches und arbiträr gewähltes Pflanzensystem", sagt er, „kann durch kein natürliches ersetzt werden .."; 1964 Muttersprache 217 formale Identifikation von arbiträren Zeichen oder Symbolen; Ungeheuer 1969 Zum arbiträren Charakter des sprachlichen Zeichens (Titel); ebd. 77 scheint mir der Schluß unabweisbar, daß die Relation von „signifiant" und „signifie" im Zeichenbegriff . . arbiträr . . genannt werden muß, daß aber die

Archaismus menschlichen Individuen unter dem Gesetz einer „langue" diese Relation . . als einen festen und notwendigen Zusammenhang erfahren. Arbitrage: 1686 Rath-Stube 57 daß solche hohe Dinge . . einer viel höhern Arbitrage unterworffen wären; 1689 Das Verunruhigte Teutschland I 50 die Arbitrage des Pabsts in dieser Sache zu verwerf fen (beide BRUNT); Wächtler 1709 Manual 40 Arbitrage . . der Ausspruch durch Schiedsmänner/ z. E. von den streitenden Parteyen ist ihm die arbitrage auffgetragen worden; 1733 Banquier l 475 Arbitrage ist in dem Wechsel-Negotio eine Art von Speculations-Handlung; 1781 Jacobsson l 65 Arbitragerechnung, eine Art von Rechnung, die Wechselkurse über verschiedene Plätze zu berechnen, um zu untersuchen, wo am meisten Vortheil oder Schaden herauskomt (alle SCHIRMER, Kaufmannssprache); MM 13.9.1986 die Arbitrage-Geschäfte, die sich früher auf die Ausnutzung von Kursunterschieden derselben Aktien an verschiedenen Börsen beschränkten, haben in jüngerer Zeit ein stärkeres Gewicht erhalten. Arbitrageur: Eitzen 1894 Fremdwörter 10 Arbitrageur (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Welt 20.2.1954 Freie Schweizer Franken waren in der Bundesrepublik erholt, nachdem die Arbitrageure die sich bei der Abschwächung des Kurses für Kabelauszahlung New York in Zürich bietenden Gewinnmöglichkeiten ausgenutzt hatten; MM 13. 9. 1986 Neuerdings als „Programmhandel" bekannt, nutzen die Arbitrageure jetzt Kursunterschiede zwischen Terminkontrakten auf Aktienindizes und den ihnen zugrundeliegenden Aktien; Zeit 20. 2.1987 als der „König" der Arbitrageure . . zugeben mußte, daß er Hunderte von Millionen Dol-

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lar an Profiten den Informationen von Insidern verdankt. arbitrarisch: 1712 Evang. Schulordn. 111 197 bej Vermeidung einer arbitrarischen vom Rect- und Cantore einzurichtenden Abziehung von ihrem Chor-Gelde; 1722 (Emminghaus 1870 Murgschifferschaft 55) bey arbitrarischer Strafe; Döhler 1724 Processualische Mäuse-Fallen 17 Das Fatale ist nach denen Civil- oder Kayserlichen Rechten arbitrarisch und gemeiniglich auf einen oder auch wohl auf zwey Monathe . . gesetzt; Philander 1748 Vorrath 318 Compromise, auf arbitrarische Schieds-Leute; Maria Theresia 1750 Polit. Testament 62 Die sogenannte ständische Praerogativen haben größten Teils zu ihrem Hauptendzweck einen arbitrarischen Umbgang einiger Mitstände; Schlettwein 1773 Ordnung II 6l Wenn in einem Lande die Freyheit der Nahrung und der Gewerbe nicht durch arbitrarische Regulative gehemmet, sondern Handel und Wandel in ihrem natürlichen Gange gelassen werden; 1778 Ephemeriden d. Menschheit l 5 weil man . . nur nach arbitrarischen Ideen alles reguliren will, und dadurch täglich in Rücksicht auf Gott und Natur blinder wird. Arbitrarität: Ungeheuer 1969 Zum arbiträren Charakter des sprachlichen Zeichens 77 Das . . Merkmal einer festgefügten Relation zwischen Lautung und Bedeutung ist . . für die Synchronie ebenso fundamental wie Saussures Prinzip der Arbitrarität für die Diachronie; Keller 1990 Sprachwandel 17 Die Veränderbarkeit der Sprache folgt in der Tat aus deren Arbitrarität; Zeit 15.10.1993 Freilich wird die Literaturwissenschaft gerade da [in den Fußnoten] die Balance zwischen totaler Transparenz und — wir freuen uns ihrer schönen Begriffe! — „opaker Arbitrarität" halten müssen.

Archaismus M. (-; Archaismen), im früheren 18. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. archaisme, engl. archaism, entlehnt aus spätlat. arc(h)aismos, griech. 'Altväterlichkeit, Nachahmung der Alten, veralteter Sprachgebrauch' (zu 'altertümlich sein, altertümeln', zu 'ursprünglich, altertümlich, alt', zu 'Ursprung, Herrschaft'; —» Archäologie, —» Anarchie), anfangs auch in der lat. (flekt.) Form. Zunächst als Fachwort der Sprachwissenschaft gebraucht in der Bed. 'veraltetes Wort, veralteter Sprachgebrauch, altertümelnde Redewendung' (Ggs. —» Neologismus; s. Belege 1732, 1771, 1804, 1964), auch, ohne PL, für 'altertümelnde sprachliche Gestaltungsweise'; dann auch in der Kunstgeschichte verwendet in der Bed. 'altertümliche Form' und, ohne PL, 'Nachahmung, Wiederbelebung altertümlicher Formen' (s. Belege 1876, 1894). Dazu seit späterem 18. Jh. das V. intrans. archaisieren 'altertümliche Sprachformen verwenden, nachahmen', meist adj. verwendet in der Part. Präs.-Form archaisierend

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in der Bed. 'altertümelnd, altertümliche Formen nachahmend', auf Personen bezogen häufig in Verbindungen wie archaisierender Schriftsteller, Dichter, auf den sprachlichen Ausdruck bezogen für 'bewußt altertümlich (formulierend)', in Wendungen wie archaisierender Stil, Ton (vgl. weitgehend gleichbed. antikisierend, —·* Antike); seit Mitte 20. Jh. vereinzelt auch in der Kunstgeschichte 'auf frühzeitliche Formen zurückgreifend'; dazu seit Anfang 20. Jh. das Verbalsubst. Archaisierung F. (-; -en). Seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitung archaistisch, bildungsspr. für 'altertümelnd, künstlerisch an einer frühzeitlichen Epoche orientiert, als ursprünglich vorgestellte Formen künstlich nachahmend', zumeist abwertend auf den sprachlichen Ausdruck bezogen, häufig in der Wendung archaistischer Stil, auch in der Kunstgeschichte, z. B. ein archaistisches Relief. Seit Mitte 19. Jh. die aus spätlat. archaicus 'alt', griech. 'altertümlich, altväterlich' (zu griech. , s. o.) entlehnte adj. Ableitung archaisch, in der Bed. 'an Urformen erinnernd, ungekünstelt, ursprünglich, altertümlich', zumeist als Stilbegriff (s. Beleg 1861) und auf Sprache bezogen (s. Beleg 1891), in Wendungen wie archaischer Stil, archaisches Wort, sich archaisch ausdrücken; heute bes. bei der Beschreibung darstellender Gegenwartskunst bzw. musikalischer Werke (s. Belege 1914, 1947, 1986, 1988) mit dem Merkmal des Natürlichen, Einfachen, in Verbindungen wie eine archaisch wirkende Konstruktion, Form; auch allgemeiner als kunsthistorischer Begriff in der Bed. 'die Frühstufe der Kunstentwicklung, bes. die vorklassische Periode der griechischen Kunst des 8. bis 6. Jhs. v. Chr. betreffend, ihr angehörend, aus ihr stammend' (s. Belege 1914, 1967, 1971), bes. zur Kennzeichnung ihrer einfachen urtümlichen Lebensformen, in Wendungen wie archaische Periode, archaische Ritualisierungen, Zeiten, Völker, Kulturen, Traditionen, Gesellschaftsstrukturen, und bes. archaisches Lächeln 'Gesichtsausdruck der Plastiken der frühgriechischen Kunst' als erster Versuch in der Kunstgeschichte, die Physiognomie einer seelischen Verfassung künstlerisch darzustellen. Seit Anfang 20. Jh. als Fachwort der Psychologie, zunächst bei Freud in der Bed. 'auf angeborene, seit Urzeiten vererbte unbewußte und unverwandelte seelische Zustände und Empfindungen bezogen' (s. Belege 1900, 1911-24, 1915, 1916), so von C. G. Jung dann als Merkmal des kollektiven Unbewußten mit dem Moment des Mythischen gedeutet (s. Beleg 1930); daran anschließend auch allgemeiner gebraucht zur Beschreibung von Empfindungen und Seelenzuständen, die bes. elementare ursprüngliche Daseinsformen kennzeichnen, etwa in Verbindungen wie archaische Mütterlichkeit, archaische Triebe, Strukturen 'urtümliche seelische Strukturen, die entwicklungsgeschichtlich älteren Schichten der Persönlichkeit angehören', dabei auch konnotiert mit „geheimnisvoll", „unergründlich" in Verbindungen wie archaische Sehnsüchte, Angst, Sinnlichkeit; seit Mitte des 20. Jhs. auch subst. (s. Belege 1947, 1987), heute auch superlativisch gebraucht (s. Beleg 1986). Daneben, nur in der bis heute gebuchten gräzisierenden Form archäisch, als Fachwort der Geologie in der Bed. 'auf die Urzeit der Erde bezogen, ihr angehörend, früh-, urzeitlich', z. B. archäische Gesteinsformation, der archäische Mensch (s. Belege 1876, 1898, 1907, 1928). Seit früherem 20. Jh. die zu griech. 'altertümlich 1 gebildete subst. Ableitung Archaik F. (-; ohne PL) in der Bed. 'Altertümlichkeit, Ursprünglichkeit, Vorklassik', auch leicht abwertend für 'das Altmodische, Überlebte' (s. Belege 1962,

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1976); etwa gleichzeitig die latinisierende Ableitung Archaikum, auch Archaikum N. (-s; ohne PL), in der geologischen Fachsprache für 'Urzeit der Erde, ältestes Erdzeitalter' als Bezeichnung für einen Zeitabschnitt des Archäozoikums. Archaismus: Zedler 1732 Universallex. U 1194 Achaismus heißt, wenn man in einer Sprache Wörter und Redens-Arten, die vor Alters in ihrem Werth gewesen, deren Gebrauch aber nunmehro verloschen ist, gebrauchet; Gottsched 1760 Handlex. 122 Archaismus. Ist eine veraltete und ungebräuchliche Redensart; Kinderling 1771 Grundsätze II 37 Die alte und veraltete Wörter, (archaismi) wohin nicht allein ganz ausgestorbene Wörter und Redensarten gehören; sondern auch Wörter in einer solchen Bedeutung, die gar nicht mehr üblich ist, veraltete Verbindungswörter etc.; 1780 Allg. dtsch. Bibl. XLII 102 gesuchte Archaismen, die eines etymologischen Aufschlusses bedürfen; Bährens 1786 Klassiker 92 Der Archaismus — ist eine veraltete und bei den reinem Griechen und Römern anstössig gewordene Konstruktion, oder auch Form der einzelnen Wörter; Fülleborn 1802 Rhetorik 76 In allen diesen Terminologien [der Bergmanns-, Jäger-, Rechtssprache] haben sich die meisten Archaismen erhalten; 1804 Er. v. d. Univ. 161 Die Ausdrücke und Versetzungen, die darin auffallen, streiten nicht gegen den Geist, es sind nichts weiter, als was die pedantischen Prosodiker Archaismen nennen, und gewiß eignet sich das alte Deutsch sehr wohl zur zarten poetischen Darstellung; Ersch/Gruber 1818 ff. Allg. Enc. l 5 Archaismus ist die griechische Benennung veralteter Ausdrucksweisen, welche man im Teutschen mit dem Namen Altfränkisch belegt. Dergleichen Archaismen finden nicht nur in einzelnen Wortbiegungen und Wörtern, sondern auch in ganzen Redensarten und Wortstellungen Statt; Wackernagel 1836 Poetik 433 Archaismus nennt man den Gebrauch alter oder veralteter Wörter und Redensarten und Bildungs- und Biegungsweisen; ebd. 448 So viel vom Archaismus, Provinzialismus . . als den vielerlei Verstößen gegen die erste Regel des prosaischen Stils, welche . . Reinheit und Richtigkeit der Sprache verlangt; /. Grimm 1849 Kl. Sehr. V 387 und dem frone entspricht als archaismus ein romanischer gen. pl. sanctor = sanctorum; Heine 1851 S. W. VI 475 In dem noch vorhandenen plattdeutschen Gedichte vom Theophilus sind altsächsische oder anglosächsische Archaismen . . enthalten; Lotze 1856 Mikrokosmus HI 379 die dem Schönsten und Besten der neueren weltlichen Bildung sich abwendende Vorliebe für das unergründliche Nutzlose und für die Archaismen, die den Geschmack beleidigen; Mommsen 1866 Rom. Gesch. Ill 600 Die Sprache ist vollkommen rein von Archaismen wie von Vulgarismen; Pecht 1876 Gla-

spalast 28 Diese Iphigenie . . zeigt . . eine so gelungene Uebersetzung hellenischer Formensprache ins malrische, wie sie so lebendig und edel kaum je geglückt ist. Von dem unangenehmen Archaismus . . nicht die Spur; 1885 All II 413 am deutlichsten können wir den Weg vom Klassizismus zum Archaismus bei Tacitus verfolgen; Achelis 1890 Theologie I 394 gewisse Fehler des Ausdrucks . ., deren hauptsächlichste . . Archaismus — veraltete Wortbildungen und Konstruktionen . ., Provinzialismus . . Vulgarismus; Woermann 1894 Kunstgesch. 92 Der Archaismus, das absichtliche Spiel mit den Formen und Empfindungen längst vergangener Zeiten, taucht zuerst im Augusteischen Zeitalter in Rom auf, das keine eigene Kunst erzeugte, aber doch nicht auf die Kulturaufgaben der Kunst verzichten wollte; 1908 All XV 401 ff. Klassizismus und Archaismus; Kuhberg 1933 Sprachgut 2 Die einmalige oder anfängliche Anwendung dieser verschollenen Ausdrücke bezeichnet die Wissenschaft als Archaismus; 1955 Saeculum VI 14 Flucht in die Vergangenheit (Archaismus) oder . . eine Antizipation dessen, was kommen soll (Futurismus); Adorno 1961 Noten // 10 Die sprachgeschichtliche Begründung, daß es [bei Goethes „abegewendet"] um die mittelhochdeutsche Form der Präposition sich handle, mildert nicht den Schock, den der Archaismus, Spur einer metrischen Not, bereiten könnte; de Man 1961 Vermassung 129 Andere Fluchtrichtungen zielten als Historizismus oder Archaismus auf eine idealistische Vergangenheit und der Futurismus auf eine als total entseelte Technokratie aufgefaßte Zukunft hin; 1964 Muttersprache LXVIl 360 Die ausgestorbenen Wörter sind meist durch andere ersetzt worden, . . die altertümlichen kommen nur als Archaismen vor; Zeit 12.4.1985 Michel Rocard war einer der ersten, der sich gegen den „Archaismus der führenden Politiker" — nicht zuletzt denen in den eigenen Reihen — wandte. Archaik: Benjamin 1935 Br. II 674 So scheint mir denn die Kategorie unter welcher die Archaik in der Moderne aufgeht weit weniger das goldene Zeitalter als die Katastrophe; Finder 1935 Kunst 105 Der feine Hauch von Spätantike, der über den ersten Äußerungen des Karolingischen lag, wird nun noch dünner: eine eigene „Archaik" beginnt sich zu zeigen; Lieb 1952 München 238 Die Archaik des Gregorianischen Chorais; Hobsbawm 1962 Sozialrebellen 145 Spuren der Archaik . . finden sich . . einige, denn die erste Generation der

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modernen industriellen Bevölkerung war von einer Anpassung an diese neue und revolutionäre Lebensform weit entfernt; Hocke 1976 Tagebücher 363 Der antike und der moderne Alexandrinismus haben eines gemeinsam: die Hypostase der Bildung, die verwickelte mythologische Apparatur, die kunstvoll-verwegene Amalgamierung von Archaik und Avantgardismus; Kunert 1976 Hüte 45 von grotesker Archaik die plump geschwungenen Flügelbögen über den nackten Vorderfelgen [eines reifenlosen Autos]; MM 7.10.1985 Indem Schütz diese auf die menschlichen Empfindungen zielende Tonsprache mit der Archaik der Bibelsprache verband . . interpretierte [er] eine uralte Vorlage mit einer neuen Kunst; Zeit 23.1.1987 in dem zwischen Abstraktion, Archaik und Figuration fluktuierenden Werk von Henry Moore; MM 20.10. 1987 Immer haftet dieser Musik eine Kargheit, ja Archaik des Klanglichen an wie auch jenes schmerzvolle Ringen, das sich im dritten Stück bis zum hitzigen Brüllen aufbläht; Franz 1988 Vergnügen 163 Der antike Maßbegriff der Mitte hat sich im Übergang von der Archaik zur Klassik ausgeprägt. Archaikum: Seydlitz 1933 Grundzüge d. Geologie 12 steht durchaus nicht fest, daß dieses Grundgebirge der alten Kernschollen und Gebirgszüge überall nur dem Archaikum oder Präkambrium angehört; Bubnoff 1941 Erdgesch. / 56 das ältere Archaikum oder Archäozoikum besteht aus meist hochmetamorphen Gesteinen; 1944 Goethe IX 60 Man kann Goethes Elementenlehre ein Stück Archaicum nennen, einen Rest seelisch-geistiger Urzeit; Bubnoff 1952 Fennosarmatia 7 Sederholm stellte diese beiden Gruppen basischer Gesteine zur „Bottnischen Formation", der jüngeren Abteilung des Archaikums; Noll 1953 Perlon 91 Vor etwa tausend Millionen Jahren bin ich entstanden, noch vor dem Paläozoikum, dem Altertum der Erde, in der Erd-Urzeit, im Archaikum; Mühlmann 1962 Homo 171 das historische Archaikum mit dem psychologischen verwechseln. archaisch: Spielhagen 1861 S. Romane l 348 Kleine Hütten aus Lehm und Reisig in archaischem Style aufgeführt; 1876 Geograph. Jahrb. 201 Ziemlich allgemein unterscheidet man . . vier grosse Zeiträume: die känozoische, mesozoische, paläozoische und archäische Epoche, und gliedert diese Zeitalter nach dem nordwest-europäischen Schema; Wiedemann 1883 Ägypten u. Griechenland 14 das archaische Lächeln der ältesten griechischen Statuen; 1891 Engl. Studien XV 365 die veraltete (archaische) redeweise der litteratur; Höfler 1891 har-Winkel 95 Die Ache, Ah, Ahe (ein

etymologisch sogenanntes archaisches Wort für Bach); Hochstetter-Bisching 1898 MG. 178 Die archäische Periode oder die Urzeit der Erde; Freud 1900 Traumdeutung (Studienausg. // 524) Wir ahnen, wie treffend die Worte Fr. Nietzsches sind, daß sich im Traume „ein uraltes Stück Menschentum fortübt, zu dem man auf direktem Wege kaum mehr gelangen kann", und werden zur Erwartung veranlaßt, durch die Analyse der Träume zur Kenntnis der archaischen Erbschaft des Menschen zu kommen, das seelisch Angeborene in ihm zu erkennen; Ratzel 1907 Raum 102 Nach mannigfachen Versuchen der Schichtengliederung scheint . . der mächtige Komplex archäischer Gesteinsmassen . . sich in einen oberen Teil zu spalten . . und in einen unteren; Freud 1911—24 metapsychol. Sehr. 190 Das Ichideal hat infolge seiner Bildungsgeschichte die ausgiebigste Verknüpfung mit dem phylogenetischen Erwerb, der archaischen Erbschaft, des Einzelnen. Was im einzelnen Seelenleben dem Tiefsten angehört hat, wird durch die Idealbildung zum Höchsten der Menschenseele im Sinne unserer Wertungen; 1914 Festg. a. Blümner 250 Auf das Altertum im Altertum folgt nun das griechische Mittelalter vom achten bis zum sechsten Jahrhundert, nun die altertümliche oder archaische Kunst; Freud 1915 Psychologie d. Unbewußten (Studienausg. HI 94) Eine ausgiebige Triebambivalenz bei einem heute Lebenden kann als archaisches Erbteil aufgefaßt werden, da wir Grund zur Annahme haben, der Anteil der unverwandelten aktiven Regungen am Triebleben sei in Urzeiten größer gewesen als durchschnittlich heute; ders. 1916 Vorlesungen (Studienausg. I 204) Archaische Züge und Infantilismus des Traums; Zobeltitz um 1920 Gross-Q. 199 wir wollen uns eine kleine Erfrischung leisten. Es gehört zu den archaischen Vorzügen dieses Hauses, daß die Kellertiefen noch immer einige recht gute Tropfen bergen; Hoffmann 1925 Sprache u. archaische Logik Vllf. Wir nennen diejenige Kunst archaisch, in der das Standbild Teile hat, aber noch keine Glieder: die ästhetische Form durchdringt das Material stückweise, aber die Gestalt erscheint nicht vom Stoffe befreit, sondern bleibt in ihm gebunden. So ist die „archaische Logik" noch gebunden an das Material, durch welches das phiolosophische Eidos zum Ausdruck kommen will: die Sprache . . das archaische Denken ist charakterisiert durch den Kampf um die Loslösung aus jener Gebundenheit, welche für das „primitive" Denken noch etwas Endgültiges, für das „klassische" schon etwas Abgetanes hat (RITTER); 1928 Brockbaus U 304 Archäische Formationsgruppe nennt man eine über 30000 m mächtige Schichtenreihe; Jung 1930 Psychol. Typen 594 Die Qualität eines Bildes ist dann archaisch, wenn es unverkennbare mythologische Parallelen hat (RITTER); Benjamin 1933 Br. U 548 Wie Ackerbau und Viehzucht .. so sind auch die Interieurs archaisch: drei Stühle an der Zimmer-

Archaismus wand; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. X 482) Musik, die es mir antat . . und der ich . . mit den Augen folgte — als einer Erscheinung ganz eigener Art: archaisch und elegant zugleich, dem Tanz, dem Mimus verwandt, verzückt und exakt, Beschwörung und kulturbehütend-gepflegtester Ausdrucksdienst; ders. 1939 Reden u. Aufs. (W. X 355) Das eine ist moderne, das andere archaische Welt; 1943 Worringer-Festschr. 191 das eigentümliche Lächeln auf den Gesichtern der frühgriechischen Kunst . . dieses „archaische" Lächeln, das uns oft so steif und maskenhaft anmutet, als ob es unserer Gefühle spottete; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 316) das ist schon nicht mehr das Klassische, mein Lieber, . . das ist das Archaische, das Urfrühe, das längst nicht mehr Erprobte; Süddtsch. Ztg. 29.3.1950 Unter den zeitgenössischen Bildhauern Deutschlands, die starke Anregungen aus der archaischen Skulptur Griechenlands verarbeiten, ist Kirchner einer der eigenwilligsten Gestalter; Akkermann 1954 Mode 208 die Geschichte des Strumpfes in ihren grossen Umrissen bis in archaische Zeiten zurückzuverfolgen; Klemperer 1957 LT1 24 Was er da vorführte, war kein bloßes Exerzieren, es war ein archaischer Tanz so gut wie ein Parademarsch, der Mann war Fakir und Grenadier in einem; Zuckmayer 1959 Fastnachtsbeichte 43 die Masken [auf dem Mainzer Karneval] . . nach einer gewissen archaischen Ordnung typisiert; Adorno 1961 Noten II 10 Das Archaische der Silbe abe [in Goethes abegewendet] jedoch teilt sich mit, nicht als romantisierende Beschwörung einer unwiederbringlichen Sprachschicht, sondern als Verfremdung der gegenwärtigen, die sie dem Zugriff entzieht; Grass 1962 Blechtrommel 57 Heute, in seiner Heil- und Pflegeanstalt, da seine Stimme nicht mal sein Zahnputzglas zu rühren vermag . . denkt Oskar gerne an die archaische Frühzeit seiner Stimme zurück; Partner 1964 Erben 260 Beschwörungsformeln im archaischen Gewand der Alliteration, die noch ganz dem Dämonenglauben der Germanen verhaftet sind; Staiger 1966 Grundbegriffe 113 In neuzeitlicher Dichtung läßt sich dergleichen höchstens als bewußt archaische Manier rechtfertigen; 1967 Bild d. Wiss. I 49 Wir hören dann nichts mehr von diesem Ort bis in die archaische Zeit: im 6. Jahrhundert vor Christus scheint Myli . . wieder Bedeutung gehabt zu haben; Offenburger Tagebl. 3.3.1970 Diese Kirche habe sich nicht weiterentwickelt; sie stellt das Archaische dar, wie das Christentum einmal vor vielen hundert Jahren war; Rehork 1971 Funde o. 5. Inschriften aus der archaischen Periode, der vorklassischen Zeit; Fleischer 1978 Geschichtsprozeß 174 Der Weg von den archaischen klassenlosen Gesellschaften über die Formationen der Klassengesellschaft zu einer künftigen Organisation ohne sozia-

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len Antagonismus hat wenig Ähnlichkeit mit der Rückkehr zu einer ursprünglichen Verfassung; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 42 f. In seiner bedeutenden Anthropologie hatte er . . die unwahrscheinliche Plastizität und Versehrbarkeit des menschlichen Wesens betont, das nicht durch Instinkte festgelegt und daher auf die regulierende Kraft archaischnaturwüchsiger Institutionen angewiesen ist; Zeit 12.4.1985 Herzog steht im Bann seiner eigenen Arbeiten: archaisch-mythische Bilder; die Welt des Extremen, Außergewöhnlichen, Unmöglichen; ebd. 18.10.1985 daß Schwangerschaft und Geburt offenbar weniger archaisch gestaltete Erfahrungen sind als bislang angenommen; ebd. 10.1.1986 Auch wir „aufgeklärten" Menschen des 20. Jahrhunderts speichern im Unbewußten Reste dieser archaisch magischen Bilder; ebd. 17.1.1986 Peter Lake wird von den Sumpf männern aufgezogen, einem mythisch-archaischen Naturvolk-Stamm; MM 9.10.1986 Archaische BluesEinflüsse prägen vor allem das expressive Cellospiel von Tom Cora; Zeit 5.12.1986 Ihr geht die visuelle, als der erste, wichtige Kontakt zwischen Mutter und Kind, voraus, so daß die archaischsten Prägungen . . auf dieser Ebene stattfinden; MM 22.5.1987 archaische . . Erfahrungen mit dem Unterdrücker- und Ausbeuterstaat und ganz moderne Ängste des Computerzeitalters zugleich; Zeit 29.5.1987 Immer .. reichten die Ansichten und Ängste bis ins Archaische, bis in religiöse oder in ideologische Tiefenschichten; Haubrichs 1988 Geschichte 96 Die kleine, reizvolle Strophe spiegelt archaisch-bäuerlichen Hochzeitsbrauch; Spiegel 30. 7.1990 Auffällig . . ist eine Vorliebe für archaische Waffen. Meist sind die Mörder mit Messern, Hämmern, Äxten ausgerüstet; FAZ 26.9.1990 Eine archaische Geschichte wie diese ist wohl nur in der Bibel vorstellbar; Süddtsch. Ztg. 15.12.1992 Die Ernte ist ein gesellschaftliches Ereignis, das Pressen der Frucht archaisch. Ununterbrochen drehen sich die mannshohen Steinräder der Mühlen; Zeit 19.11.1993 Die im Kaiserreich aufkommende „moderne" antisemitische Bewegung hat sich freilich nur noch begrenzt solcher archaischer Formen des Sozialprotests bedient. archaisieren: Herder 1769 S. W. Ill 306 ein archaisierender Schriftsteller; Nietzsche 1877-79 W. IV 57 und alles Tragische und Komische im alten gewohnten Sinne würde in der Nähe dieser neuen Kunst als lästige archaisirende Vergröberung des Menschen-Bildes empfunden werden; du Bois-Reymond 1879 Reden II 36 Amyot's Übersetzung, nach welcher später Paul-Louis Courier seinen archaisierenden Stil bildete; 1885 All 317 Dass für ille in älterer Zeit olle . . gesagt und geschrieben wurde und dass archaisierende Dichter auch später

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noch diese Formen verwendeten, ist allgemein bekannt; 1896 Cosmopolis I 289 die neuen Berühmtheiten im Roman, die archaisierenden und deutschtümelnden Professoren Ebers und Dahn, konnten zwar hohe Auflagen, aber keine litterarische Wertschätzung erringen; 1902 Fesig, a. Schipper 88 der archaisierende Stil, d. h. absichtlich .. ein altertümliches Gepräge geben, um die geschichtliche Zeit und Welt plastischer dem Leser vor Augen zu führen; 1929 Handb. d. Englandkunde II 274 Rossetti . . ist Maler und Dichter zugleich und führt die archaisierende Stimmung typisch in Erotik über; Seidler 1953 Stilistik 274 Im Zusammenhang mit der sozialen Geschlossenheit des Stils seien noch die Stilwerte archaisierender Sprachgestaltung beleuchtet; Wölfflin 1953 Klass. Kunst 262 Nicht daß man archaisiert hätte, aber man erkannte die Wirkung des Einfachen (WOG); 1956 Das Altertum 117 Es handelt sich hier keinesfalls um ein echtes archaisches Stück, ja nicht einmal um ein archaisierendes aus der Zeit des Augustus, sondern . . um eine Statuette . . aus dem 5. Jahrhundert v. u.Z.; Berger 1966 Nettesheim 159 wenn er mit Geistlichen sprach, verfiel er unwillkürlich in den archaisierenden Ton, den diese selber übten; 1970 Kindlers Lit. Lex. o. S. die Neigung zu archaisierender „Sprachthümlichkeit" — Begriffe wie „Volksthum" und „Turnkunst" sind seine Prägungen — läßt Jahn in seinem Turnlehrbuch ein teils puristisches, teils germanische Wortstämme neologistisch weiterbildendes Idiom verwenden; Fest 1973 Hitler 196 Schon 1919 hatte Ekkart in einem kunstvoll archaisierenden Gedicht die Heraufkunft eines nationalen Retters prophezeit; MM 3.2.1987 ein harmonisch festgefügter „Chor", der eine fast archaisierende Wirkung hervorruft; Süddtsch. Ztg. 12./13.12.1992 Das sprichwörtliche „Herz aus Gold" ist nicht mehr unbedingt das Größte. Eins aus Balsaholz, archaisierend geschnitzt und blattvergoldet, tut's auch. Archaisierung: Diederichs 1908 Br. 158 Das Altertümliche in Wortform und Diktion ist nur äußerlich . . Es handelt sich nun um die Frage: wollen Sie ganz auf Archaisierung verzichten, oder wollen Sie sie künstlerisch durchführen; Stammler 1962 Wort 24 Vielleicht ist dem . . Prior mündliche oder schriftliche Kunde von der ursprünglichen einfacheren Version . . zugetragen worden. Eine gewollte „Archaisierung" erscheint mir im 14. Jahrhundert unmöglich; Spiegel 15.2.1993 In der Archaisierung des alltäglichen Lebens zeigt sich

erst, was der Mensch ist, wenn er ohne den Rückhalt der intakten Routinen, die ihn gewöhnlich schützen, und ohne die Hemmnisse, die ihm gewöhnlich auferlegt sind, auskommen muß. archaistisch: Müller 1830 Handb. d. Archäologie 69 Man nennt diesen den hieratischen oder archaistischen Styl; A. v. Humboldt 1845 Kosmos U 17 Die archaistische Diction [im Gedicht des Lucretius] erhöht den Ernst der Darstellung (KEHREIN); Brunn 1853 Gesch. d. griech. Künstler l 255 ein archaistisches Relief des capitolinischen Museums, einen Satyr mit drei Nymphen darstellend; Lassalle 1861 System II 182 Statt diese Frage zu lösen, hat man vorgezogen, sie, wie so viele andere, niemals aufzuwerfen, und jenes jus sepulcrale, etwa wie einen archaistischen Schnörkel, gänzlich unbeachtet zu lassen; Ranke 1863 Lebenserinn. (Dtsch. Rundsch. l 53) Die archaistische Farbe der Luther'schen Übersetzung erhebt noch besonders über das Gespräch des Tages und die Schriften gewöhnlicher Art in eine andere Sphäre; Nordau um 1880 K. II 253 eine Hebelwage von archaistischer Konstruktion; ders. 1881 Paris I 183 eine altgriechische Vase . . auf der in der bekannt kindlich-naiven Manier des archaistischen Styls zwei Jünglinge und ein Greis dargestellt waren; Not? um 1885 Alpenbuch II l in einer seltsam archaistisch klingenden . . Mundart; 1885 All II 412 die bei Statius beobachteten Archaismen [stehen] nicht vereinzelt da .. Archaistische Tendenzen sind uns . . aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. auch sonst bekannt; Hellwald 1890 Slawen 189 Wie die Dorfgemeinde, so leitet die slawische Familie in längst vergangene Zeiten zurück. Auch hier haben wir es mit einer durchaus archaistischen Form zu tun; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 496) während er am Instrumente eine Reihe von archaistischen Kunststücken ertönen ließ; Walzel 1915 Wortkunstwerk 163 Bei Zola werden sie [die wiederholenden Erzählungsfiguren] von einem starken Pathos getragen. Sie haben das Erhebende archaistischer, hieratischer Kunst; Jung 1930 Psychol. Typen 594 Es handelt sich dabei nicht um archaistische, d. h. nachgeahmte Altertümlichkeit . ., sondern um Eigenschaften, die den Charakter des Reliktes haben (RITTER); Münch. N.N. 10.2. 1944 Die Komposition wahrt ohne direkt archaistisch zu wirken sehr glücklich den altitalienischen Stil; Kainz 1956 Psychologie IV 429 vor allem gewisse archaistische Überbleibsel wie in „Thron" und „Rhein" das vom Griechischen her genommene h, das keinerlei Lautwert hat.

Archäologie F. (-; -n ungebr.), Ende 17. Jh. vereinzelt in der gelehrtenlat. Form Archaeologia, seit späterem 18. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. ar-

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cheologie, kontinuierlich nachgewiesene gelehrte Entlehnung aus griech. 'Erzählung alter Geschichten, Altertumskunde' (aus 'ursprünglich, altertümlich, alt', zu 'Anfang, Ursache, Ursprung, Herrschaft, Regierung', und 'Rede, Vernunft, philosophischer Lehrsatz, Lehre'; —»· Archaismus), früher selten in der griech. bzw. latinisierten griech. Form (s. Belege 1770, 1777, 1846). Zunächst in der bis heute dominanten Bed. 'Altertumskunde, Wissenschaft und Geschichte antiker Kulturen, soweit sie aus (Kunst-)Denkmälern, Funden und Ausgrabungen erschlossen werden können', bes. in Verbindungen, die Spezialbereiche der Archäologie bezeichnen, wie mosaische, christliche, biblische, orientalische Archäologie, Archäologie des Nordens, in neueren Zss. wie Siedlungs-, Unterwasserarchäologie. Anfangs und z. T. bis weit ins 19. Jh. in speziellen Verwendungen, bes. mit der Unterscheidung zwischen der Wissenschaft der Geschichte und der Altertumskunde für 'Lehre von den Kunstdenkmälern des Altertums', wozu auch die Literatur und die Erforschung der von der klassischen Philologie nicht untersuchten Sitten und Mythen zählte, gelegentlich konkurrierend mit —* Antiquität 2 (s. Belege 1770, 1802, 1818 ff., 1828, 1836); seit der Rezeption von Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Altertums" (1764) und O. Müllers „Handbuch der Archäologie der Kunst" (2.Aufl. 1836) auch in der eingeengten Bed. 'Studium der bildenden Kunst der Antike' (s. Beleg 1811), vgl. die Verbindung Archäologie der Kunst bzw. die Zs. Kunstarchäologie, speziell auf die für die deutsche Klassik wesentliche Zeit der griechischen und römischen Antike bezogen, bes. römische, griechische Archäologie, auch zusammengefaßt zu klassische Archäologie. Daneben bis heute selten auch in der Bed. 'wissenschaftliches Druckwerk zur/Lehrbuch der Altertumskunde' (s. Belege 1769, 1773, 1777) bzw. 'Lehrfach der Altertumskunde' (s. Belege 1788, 1820, 1957, 1985). Seit Ende 18. Jh. auch allgemeiner, vgl. Kants Archäologie der Natur (s. Belege 1855, 1914, 1985, 1987), dazu die Zss. Wörter-, Spracharchäologie. Ebenfalls seit späterem 18. Jh. die auf griech. 'altertumskundig' zurückgehende adj. Ableitung archäologisch (ohne Steigerung), zunächst in der spezielleren Bed. 'zur Wissenschaft und Geschichte antiker Kunstwerke gehörig' (s. Beleg 1765), gelegentlich konkurrierend mit antiquarisch (—* Antiquar a); seit spätem 18. Jh. in der heute vorherrschenden Bed. 'auf die Archäologie bezogen, die Wissenschaft antiker Kulturen und Kunstwerke betreffend', häufig in den Verbindungen archäologische Grabungen, Funde, Kenntnisse, Forschung, seit 1829 archäologisches Institut; auf Druckwerke und Lehrbücher (s. Beleg 1789) bzw. vereinzelt auf Personen bezogen für 'Kenntnisse auf dem Gebiet der Altertumslehre habend' (s. Beleg 1800); häufig übertragen im abwertenden Sinn von 'altertümlich' (s. Belege 1775, 1885, 1921, 1986). Seit spätem 18. Jh. die auf griech. zurückgehende Personenbezeichnung Archäologe M. (-n; -n), auch Archäologin F. (-; -nen), zunächst auch in der gräzisierenden Form Archaiologe, in der Bed. 'Forscher(in), der (die) sich mit antiken Kulturen und Kunstdenkmälern befaßt, Altertumsforscher (in)', gelegentlich konkurrierend mit —> Antiquar a; als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Amateur-, Landes-, Hobbyarchäologe, Archäologengruppe, -team; vgl. die Zs. Spracharchäologe 'Sprachhistoriker'. Archäologie: Burnet 1692 (Hettner 1913 LG. l 35) Archaeologia philosophies; Lessing 1769 S. Sehr.

XIX 293 Heyne schreibt mir: er habe vor zwey Jahren die Archäologie und darin auch de Gemmis

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gelesen; Goethe 1770 Er. (WA IV 1,230) Tableau des moeurs de l'ancienne Grece! . . wird der Tittel seyn. Ich glaube der Mensch hielte das Buch für eine Archaiologie; Faber 1773 Br. angesehener Gelehrten I 265 Den ersten Band meiner Archäologie habe ich aber selbst noch nicht aus Halle erhalten; Hatnann 1774 Briefw. III 82 Diese mosaische Archäologie ist der einzige und beste Schlüßel aller bisherigen Räthsel; Schubart 1777 Vorlesungen 7 Archäologie oder Alterthumskenntniss; Hamann 1777 Briefw. Ill 393 Burned Theoriam habe nebst seiner Archaeologia seit kurzem gelesen; Pütter 1788 Versuch II 349 hält . . Heyne noch ein Collegium, das gefälliger Weise den Namen der Archäologie führt, in der That aber eine Anleitung für das Studium der Antike ist; Eschenburg 1792 Lehrbuch 36 In der Archäologie wird die vorläufige historische und antiquarische Kenntniß dieser Denkmäler [des Altertums] und ihrer Urheber zum Grunde gelegt; ihre vornehmste Absicht aber ist auf die kritische Prüfung und Würdigung derselben gerichtet; 1798 Merkur (W.) II 393 Der gelehrte Altertumsforscher und Aufseher über die Antiken in der Pariser Nazionalbibliothek, A. L.Millin, war der erste, welcher in Paris seit 4 Jahren öffentliche Vorlesungen über die Archäologie und das Kunststudium der Antike hielt; Siebenkees 1799 Archäologie I l Es war das Erstemal, dass auf dieser Universität eine Archäologie der Kunst vorgetragen wurde, und sie erhielt allgemeinen Beyfall; 1802 Almanack d. Fortschritte 437 Um die Entdekkungen und Bereicherungen der archäologischen und antiquarischen Wissenschaften, die dieselben in der neuesten Zeit, und besonders in dem letzten Jahre 1800, erhalten haben, besser übersehen zu können, folgen wir hier einer beliebten und natürlichen Eintheilung dieses Fachs, nämlich A) in die Archäologie der Kunst . . B) in die Archäologie der Litteratur . . C) in die Alterthümer; Böttiger 1811 Ideen l Vorr. V [nach Bemerkungen zu seinen Vorlesungen über die Archäologie und Geschichte der griech. Skulptur] Andeutungen für die übrigen Theile der bildlichen Alterthumskunde, oder Archäologie wie Visconti sie . . lieber genannt haben möchte; ebd. XII Vorlesungen über die Archäologie der Malerei; Ersch/Gruber 1818 ff. Allg. Enc. l 5,124 Die Neueren haben nicht nur die Gebiete der Geschichte und der Alterthumskunde (Antiquitäten) genauer von einander geschieden, — jene stellt Begebenheiten, diese Zustände dar —, sondern auch zwischen Alterthumskunde, in so fern sie mit Antiquitäten gleichbedeutend ist, und Archäologie einen Unterschied festgesetzt; 1820 Amalthea l Vorher. Ill Studium der Archäologie oder bildlichen Alterthumskunde; 1822 ebd. Vorher. XXVI Kunstarchäologie; Heyne 1822 Archäologie l Die gemeine und unbestimmte Benennung Archäologie

bezeichnet eigentlich jede Erzählung des Alten, z. B. in der Geschichte u. s.w. Allein auch mit der Beschreibung und Zerlegung der alten Kunstwerke beschäftiget sie sich. Sie betrachtet aber nur das Schöne und die auserlesensten Theile der Kunst; Goethe 1828 Br. (WA IV 44,164) Vorlesungen über Antiquitäten (Archaiologie) von Raoul-Rochette; Legis 1829 Fundgruben l Vorr. XXXIX Archäologie des Nordens; 1831 Kunstblatt 109 Archäologie der christlichen Kunst; Rumohr 1832 Reisen 49 ästhetischen Archäologie; 1834 Kunstblatt 340 Archäologisch-ästhetisch will . . kaum taugen zum Bande eines bestimmten Begriffes, denn ausserdem, dass die Archäologie im Sprachgebrauche noch keinen völlig festen Ruhepunkt gefunden hat, so ist insbesondere ihre Verknüpfung mit der Aesthetik . . ein reiner Pleonasmus; 1836 Belehrung Univ. München 9 Archäologie im engeren Sinne des Wortes, auf Sitten, Gebräuche, Lebensweise der Alten sich beziehend; E. M. Arndt 1840 S. W. I 302 Was ein Staat ist und nicht ist, was er war und sein kann, das haben meine Jünglinge durch die Kunde der alten Sprachen, Geschichte und Erdkunde, kurz durch die vollständigste Archäologie, schon gewissermassen abgesehen; Burckhardt 1846 Br. Ill 24 Überhaupt treibe ich mich . . in ganz uralten Zeiten herum, wo man der Archäologia Rippstöße geben kann nach Belieben; Gregorovius 1854—55 \Vanderjabre III 27 weil . . die Füße doch auf dem Boden stehen müßten, so meinte der Pedant, könnten diese Figuren [tanzende Bacchantinnen auf einem Fresko] . . nur als Arabesken gelten. Es ist ein schreckliches Ding die Gelehrsamkeit und die Archäologie!; Simon 1855 Exil l 18 Bei mir kommt . . die Religion nur als „Archäologie der Vernunft" in Betracht, nur der Protestantismus ist mir bloss ein Abhang vom Katholicismus zur Philosophie; Fallmerayer 1855 Aufs. U 213 so weit ist es bereits gekommen, daß Schriften über das Regierungswesen bei den meisten Lesern als nutzlose Spielereien angesehen und zum Gebiet der politischen Archäologie gerechnet werden; Reumont 1862 Zeitgenossen I 193 in jenen Wissenschaften, welche den Gesamtnamen der Archäologie tragen; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 154 Das Mittelalter hindurch und bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts hinein hatte der Künstler alle historischen Gegenstände im Costüm seiner eigenen Zeit dargestellt . . Dieser Anachronismus kommt nun zum Bewußtsein, da man angefangen hatte die Archäologie des Alterthums auf gelehrtem Wege kennen zu lernen; Lenormant 1875 Anf. d. Kultur l 3 vorgeschichtliche Archäologie; Haym 1880 Herder I 276 Archäologie der Hebräer; 1882 Brockhaus l 847 Von Neuern wird das Wort [Archäologie] . . auf die Wissenschaft von den alten Denkmalen, die nicht als antiquitas

Archäologie litterata, d. h. als Schriftwerke, sondern als antiquitas figurata, d. h. in festem Material von Stein, Erz u. s.w., auf uns gekommen sind. In diesem Sinne ist die Archäologie wesentlich monumentale Philologie, und Numismatik, . . Epigraphik, . . und Topographie . . bilden Teile derselben; ebd. Nach Vorgang und Vorbild der klassischen Archäologie hat sich in neuerer Zeit auch die Archäologie der christlichen Kunst, die sog. Christliche oder Kirchliche Archäologie zu einer eigenen Wissenschaft ausgebildet; Michaelis 1884 Über die Entwicklung der Archäologie in unserem Jahrhundert (Titel einer Rektorats-Rede); Kraus 1896 Essays 256 f. Die . . christliche Archäologie, ist eine . . junge Schöpfung . . Es kann auffallend erscheinen, daß gerade die Ikonographie derjenige Zweig der Archäologie ist, welcher die weiblichen Freunde dieser Wissenschaft . . angezogen hat; Hoernes 1909 N. u.U. l 397 prähistorische Archäologie; Birt 1910 Provence 80 Endlich aber kam die Archäologie und füllte die Lokalmuseen . . So sind denn nur die schlichtesten Steinladen . . im offnen Felde stehen geblieben; 1914 fesig, a. Blümner 296 ein Abschnittchen aus der „Wörter-Archäologie", die zugleich — weil Wörter eben Träger von Vorstellungen sind — Vorstellungs-Archäologie ist; Berl. Tagebl. 25.4.1929 Gerhard Bersu vom Archäologischen Institut in Frankfurt sprach über den Goldberg bei Nördlingen und die moderne Siedlungsarchäologie; Menghin 1931 Weltgesch. 2 Sie [die Urgeschichte] . . setzt sich aus einer Reihe von Einzeldisziplinen zusammen; dies sind: die Paläarchäologie (prähistorische Archäologie), die Ethnographie, die linguistische Archäologie; Frisch 1957 Homo faber 138 Ich erfuhr: sie hat eigentlich nicht Archäologie studiert, sondern Philologie; sie arbeitet aber in einem archäologischen Institut, sie muß ja Geld verdienen; Welt 2.5.1959 Der Jesuiten-Pater Prof. Engelberth Kirschbaum, Lehrer für christliche Archäologie an der päpstlichen Universität Gregoriana; Bosshard 1960 Winckelmann Vorr. 5 Winckelmanns Werk ist, was den antiquarischen Gehalt anbelangt, längst durch die Fachwissenschaft der Archäologie überholt worden; 1963 Probleme d. Kunstwiss. I 12 Man nennt dann die Archäologie „monumentale Philologie"; Partner 1964 Erben 58 Zentralproblem der „merowingischen" Archäologie; ebd. 77 Geschichte der Kirchenarchäologie; 1967 Bild d. Wiss. I 47 Wiegand, der mit modernen Mitteln arbeitete, ließ 1914 eine der ersten Luftbildaufnahmen der Archäologie überhaupt anfertigen; ebd. III 211 Sporttauchern und Tiefseeforschern verdanken wir die „Unterwasserarchäologie", die uns wertvolle Aufschlüsse über den Schiffbau der Antike gebracht hat; 1967 Arcadia II 227 Die Zeit des Pheidias ist demnach die eigentliche Entdeckerin der klassischen Archäolo-

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gie, die freilich bis ins XVIII. Jahrhundert als „literarische" und nicht als manuelle Wissenschaft verstanden wurde; Foucault 1969 Archäologie des Wissens (Übers.) (Titel); Zeit 12.4.1985 Eine Archäologie der menschlichen Spielräume, nicht enthemmt, sondern „besinnlich", das ist der Beitrag von Georges Bataille zur Wegsuche unserer Tage; ebd. 31.5.1985 Vorausgesetzt wird ein abgeschlossenes Hochschulstudium in den Fachrichtungen Klassische Archäologie, Geschichte oder Kunstgeschichte mit Schwerpunkt auf numismatischem Gebiet; ebd. 31.1.1986 Kubelka betreibt dazu eine regelrechte Archäologie des Geschmacks; MM 26.2.1986 Auf dem treppenförmig ansteigenden Fußboden sitzt das Publikum; das signalisiert: Archaisches steht an, moderne Theaterarchäologie; ebd. 14.6.1986 Die Stadtarchäologie .. fotografiert alte Gewölbe, katalogisiert von der Tonscherbe bis zum Holzbalken alles, was sich in den dunklen Grüften der Stadt befindet; Zeit 9.1.1987 Dieses „Raum-Environment" sei der „Archäologie der Erinnerung" zugehörig und nähere sich „den Äußerungsformen heutiger Kunst"; MM 21.7. 1987 War bis zu der Zeit, in der John Dew Oberspielleiter wurde, die musiktheatralische Archäologie noch nicht so sehr Befragung der Kunstwerke, Suche nach ihren aktuellen Aspekten, so änderte sich das in jüngerer Zeit; Meier 1988 Im Anfang 22 Die Verfolgung und Aufdeckung der arche eines Wortes ist Gegenstand und Aufgabe der Spracharchäologie; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 86 Philipp Vandenberg . ., erfolgreicher Archäologie-Autor. Archäologe: Goethe vor 1775 (Jugendwerke 125) Warum ist Rembrandt ganz Wahrheit, als Dichter und Maler, und als Archaiologe — vielleicht unter den Comödianten? — und doch versetzt er uns wohin er will (GWB); Kant 1790 Ges. Sehr. V 419 Archäologe der Natur; Matthisson 1791 Frankreich (II 302 f.) Wahrscheinlich hat letzterer Umstand [eine Verzierung mit Satyrsköpfen] mehrere Archäologen auf die Idee gebracht, in diesem rätselhaften Fragmente das Ueberbleibsel eines Theaters zu erkennen; Goethe 1811 Gespr. Eure Kritik, ihr Herren Archäologen und Philologen, ist immer destruktiv, analytisch (GWB); Gutzkow 1838 Blasedow I 414 Am Schluß seiner Predigt kam er dann wieder auf die Baukunst als eine vorzugsweise heilige zurück und verlor sich, ob nun als Freimaurer oder Christ oder bloßer Archäologe, in den Tempel Salomonis; Windelband 1894 Präludien II 146 Archäologen der Natur; 1908 Zukunft LXIV 104 wie der Archäologe aus den versteinerten Resten eine ganze Kultur zu erkennen hat; Voss. Ztg. 16.2.1930 er war als Dichter zugleich Archäologe, und nicht anders als im Bilde

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und unter dem Zeichen des Spatens hat . . Josef Nadler ihn zu sehen vermocht; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 649) das mythologische Ingenium Goethe's . . kraft dessen er den Mythologen, Philologen, Archäologen seiner Zeit instinktmäßig so weit voraus war; Partner 1964 Erben 42 Fragt man nach der Methode der Zeitbestimmung, so zitiert der „frühmittelalterliche" Archäologe zunächst die zahlreichen münzdatierten Gräber; ebd. Viele wertvolle Einzelbeobachtungen verdankt die aachener Forschung dem Architekten Carl Rhoen, einem Amateurarchäologen; Welt 28.5.1969 Am 28.April dieses Jahres wurde er zusammen mit seiner Frau Evi, einer bekannten Archäologin . . verhaftet; FAZ 14.10.1971 Für den Erlaß von Denkmalschutzgesetzen . . hat sich . . der Verband der Landesarchäologen . . ausgesprochen; Welt 31.10. 1974 Wheelers hübsches Bonmot, daß der Archäologe zwar die Tonne finden, aber Diogenes verfehlen kann; MM 30.1.1985 im vergangenen Jahr haben die Archäologen so erfolgreich wie lange nicht in der zyprischen Erde gegraben . . Noch mehr Glück war dem amerikanischen Professor . . Todd . . und seiner Frau Alison, ebenfalls Archäologin, beschieden; Zeit 26. 7.1985 Im türkischen Cayönü gräbt eine internationale Archäologengruppe die ältesten bekannten architektonischen Zeugnisse der Menschheit aus; MM 5.10.1985 Professor Klaus Tuchelt, Ausgrabungsleiter des deutschen Archäologen-Teams am antiken Ort und gegenwärtig Erster Direktor des Archäologischen Instituts in Berlin; ebd. 30.6.1986 Christiane Mäther . . läßt die Dinge in einem dämmrigen Licht verhalten aufleuchten, als hätte sie gerade ein Archäologe vom Sand und Schmutz der Jahrtausende flüchtig befreit; Meyer 1988 Im Anfang 22 f. Es interessiert den Spracharchäologen weniger, wie sich ein bestimmtes Wort entwickelt hat; MM 25.3.1988 Wilhelm Vesper betätigte sich also als Archäologe, obwohl dies nicht die Fachdisziplin des Kunsthistorikers ist; Zeit 15.10.1993 Goldfieber in Moskau. Archäologen, Journalisten und Geldschneider jagen dem lange verschollenen Schmuck aus Troja nach; ebd. Es ist die Geschichte eines Schatzes . . mit dem ein deutscher Hobby-Archäologe einst seine vergötterte, griechische Gemahlin behing. archäologisch: Herder 1765 S. W. I 77 Freunde der Archäologischen Muse; Hamann 1772 S. W. Ill 19 unsre Areopagiten des archäo- und neologischen Geschmacks; Goethe vor 1775 (Jugendtverke III 118) Sittenbeschreibungen . . der Homerischen Gedichte . . Archäologischer Trödelkram! (GWB); Hermes 1789 für Eltern V 245 ein archäologisches Buch mit Kupfern; Matthisson 1800 Frühjahrsw. (V 272) die antiken Denkmäler . ., welche der Erläuterung unseres unsterblichen Winkelmanns,

trotz der gewiß nicht unbedeutenden Zahl seiner archäologischen Vorgänger, sich . . darboten; Schubert 1814 Symbolik 23 Erweiterung unserer archäologischen und mythologischen Kenntnisse; Obernberg 1817-1820 Reisen harkreis V 24 archäologische Ausbeute; Csaplovics 1829 Ungern I 179 archäologische Sammlung [in Pesth]; Goethe 1830 Br. (WA IV 46,220) daß alles, was mir von seifen des archäologischen Instituts zu Rom bis jetzt vorgekommen ist, meine Hochachtung für dasselbe begründen mußte; 1834 Kunstblatt 340 Archäologisch-ästhetisch will . . kaum taugen zum Bande eines bestimmten Begriffes; Moser 1843 Württemberg II 329 archäologischer Verein; Detlef sen 1860 (Allmers u. Detlef sen Briefw. 56) ich habe verschiedene archäologische Exkursionen gemacht; Holtet 1863 Letzte Komödiant III 270 archäologisch-antiquarisches Studium; Bruges 1873 Reiseskizzen 185 [Die Zerstörung der mexikanischen Kultur ist Verlust] im archäologischen Interesse; 1878 Picks Monatsschr. IV 634 archäologische Karten; 1882 Brockhaus l 847 Archäologisches Institut (offiziell Institut für archäologische Korrespondenz), eine 1829 . , gegründete Anstalt, welche den Zweck hat, die auf dem Gebiete der Archäologie erfolgenden Entdeckungen wissenschaftlich zu verwerten und insbesondere die neu aufgefundenen Denkmale griech., röm., etrusk. und altitalischer Zeit . . in rascher Weise zu veröffentlichen; Dilthey 1883 EM. l 98 daß er, offenbar im Zusammenhang mit seinen archäologischen Studien, die ungeschriebenen Gesetze . . als Naturrecht von dem positiven Recht schied und dem letzteren die Verbindlichkeit absprach; Gottschall 1885 Totenkl. 257 Der archäologische oder der Costümroman ist jetzt beliebt: doch ist dies nur eine Mode . . des Publikums, das sich ja auch gern einmal ein ethnographisches Museum . . ansieht; Bölsche 1898 Liebesleben I 367 Was sind dagegen . . die paar Jahrtausende, die . . Athen und Rom in archäologische Museen verwandelt haben; 1921 Die neueren Sprachen XXVHl 388 Die archäologisch-antiquarische, rückwärts gerichtete Behandlungsart der neueren Sprachen und Literaturen hat mehrere Ursachen und Beweggründe; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 358 Die archäologische Ausgrabung, die der Interpretation des „Fundes" vorausgeht, erheischt die gröbsten Hantierungen; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. XI 626) Das Archäologische, so weit entfernt es ist, Zweck und Gegenstand der Kunst zu sein, ist in einem gewissen Grade unentbehrlich, und zwar um der lustigen Exaktheit willen, als Mittel der Realisierung; Menghin 1931 Weltgesch. 2 Auf der anderen Seite besitzt aber nicht nur ihr [der Paläethnologie] Forschungsobjekt, sondern auch ihr Quellenmaterial zum Teile archäologisch-historischen Charakter;

Archetyp Gebauer 1932 Kulturgesch. 490 archäologischen Historismus; Th. Mann 1944 Nachtr. (W. XUI 204) nun begann — man schrieb 1926 — die studienmäßige, archäologisch-orientalische . . Vertiefung in den Stoff; Frisch 1957 Homo faber 175 Hanna arbeitet in einem Archäologischen Institut, Götter gehören zu ihrem job; Partner 1964 Erben 55 die . . nach dem . . archäologischen Großalarm . . beginnende Bergung der Beigaben gestaltete sich außerordentlich schwierig; 1967 Bild d. Wiss. HI 208 die Untersuchung archäologischer Holzproben; Welt 22. 4.1974 ein archäologisch-kalligraphisches Element alter Schriften, die als Sgraffiti-Rudimente in Tapies' hermetischen, abweisenden Bildern auftauchen; MM 30. 1. 1985 Erfolge dieser archäologischen Kampagne; Zeit 19.12.1986 als wäre sie nur noch die Beweispuppe in einer ar-

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chäologischen Neurosenstudie; Spiegel 7.12.1992 Tauchende Touristen können im einzigen archäologischen Unterwasserpark der Welt einen Blick in die maritime Vergangenheit werfen — mit Preßluft in die Römerzeit; Zeit 15.10.1993 moderne archäologische Meßmethoden geben Homer recht: Troja war größer, als bisher angenommen. Die wahren Ausmaße der „gutummauerten Stadt", von der die Ilias spricht, enthüllt eine 1988 begonnene archäologische Kampagne; Spiegel 8.11.1993 Geübte Sporttaucher . . werden aufgefordert, ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger zu werden. Jetzt schirmen die „archäologischen Hilfssheriffs" .. ihre Küstenwracks eifrig vor Fremdlingen ab; Süddtsch. Ztg. 13./14.11.1993 Überall vorhanden, werden die Spuren der jüngsten Geschichte . . quasi archäologisch aufbereitet zur Topographie des Terrors.

Archetyp M. (-s; -en), auch Archetypus M. (-; Archetypen), im späten 15. und frühen 16. Jh. vereinzelt, seit Ende 18. Jh. häufiger belegte Entlehnung aus lat. archetypum, griech. $ 'das zuerst Geprägte, Urform, Urbild, Original' (aus griech. 'Anfang, Ursprung' und $ 'Schlag, Gepräge, Form, Gestalt, Abbild, Vorbild, Muster'; —» Typ), früher auch in der lat. (fielet.) und vereinzelt in der griech. Form. Zunächst in der allgemeinen Bed. 'Urbild, Original, Urform, Vorbild von Nachahmungen' (s. Belege 1481, 1526, 1542, 1973), heute bildungsspr. verwendet für 'Prototyp, Muster, Vorbild, Vorlage, Modell(-figur)' (s. Belege 1848, 1926, 1962, 1973, 1977, 1985, 1987); dann fachspr. gebraucht, im Münzwesen im Sinn von 'Urstempel' (s. Beleg 1806, gebucht bis ins frühere 20. Jh.); in der Philologie und Textkritik in der Bed. 'ältestes Schriftdokument, Urschrift, Original' (s. Belege 1957, 1973). Seit Ende 18. Jh. als erkenntnistheoretischer Begriff von Kant in Anlehnung an Descartes „Meditationes" im Sinn von Originale ästhetische Idee' gefaßt und der bloßen Nachahmung entgegengesetzt (s. Beleg 1790). Seit früherem 20. Jh. von C. G. Jung in die Psychologie eingeführt in der Bed. 'Inhalt des kollektiven Unbewußten, in die tiefsten Schichten der Seele geprägte Urbilder, universelle Grundmuster der menschlichen Vorstellungsfähigkeit' (s. Belege 1934, 1954), die in Mythen, Märchen oder Träumen symbolhaft z. B. als Schatten, Tier, Kind, Mutter bewußt werden; sehr häufig in der Genitiv-Konstruktion in Verbindungen wie Archetyp der Menschheit, des Geistes, des Unbewußtseins. Daneben in neuerer Zeit in der Biologie gebucht für 'aus einer zu einer systematischen Einheit zusammengefaßten Organismengruppe rekonstruierte Stammform'. Dazu die im frühen 17. Jh. vereinzelt, erst seit spätem 18. Jh. häufiger nachgewiesene, auf lat. archetypus, griech. 'zuerst geprägt, Original- (von Gemälden, Schriften)' zurückgehende adj. Ableitung archetypisch (ohne Steigerung) 'vorbildhaft, ursprünglich, elementar, ein Urbild betreffend' (s. Belege 1625, 1786, 1824, 1939), heute bildungsspr. gebraucht für 'protoptypisch, mustergültig, vorbildstiftend' (s. Belege 1950, 1966, 1977, 1988); in der Erkenntnistheorie als Ggs. zu ectypisch (s. Beleg 1780), so z. B. von Kant in der lat. Verbindung intellectus archetypus speziell gebraucht für 'das schauende Denken Gottes', Ggs. intellectus ectypus 'das

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Archetyp

auf Nachbilder angewiesene Denken im Menschen' (s. Belege 1790, 1808); seit früherem 20. Jh. von C. G.Jung in die Psychoanalyse eingeführt in der Bed. 'auf das kollektive Unbewußte bezogen, die genetisch eingeschriebenen, sich wiederholenden Erfahrungen der Menschheit betreffend' (s. Beleg 1934). Archetyp(us): Melker 1481 Voc. o. S. Archityp ein ertz oberst gestalt. Ein gestalt vber all gestalt; Zwingli 1526 S. W. V 315 dann wer wil wiissen, wo etwan ouch die träffenlichsten pundtwort usgelassen oder an dero stat andre geton sygind, so nieman ghein archetypum oder erste gschritt dargegen heben kan?; Luther 1542 Tischreden (W. V 158) Wir werden auch nicht ehr sehen, wer wir sein gewesen ante lapsum, denn wen wir das gegenbild, archetypum, sehen werden; Kant 1790 Kritik d. Urteilskraft (Ges. Sehr. I 5,322) Die ästhetische Idee (Archetypen, Urbild) liegt zu beiden [Malerei und Plastik] in der Einbildungskraft zum Grunde; Heuberger 1806 Handwb. 62 Archetypus, das Original, die Urschrift oder Urform, nach welcher etwas gemacht wird, der Stempel bey den Schriftgießern und Münzern; Hinrichs 1848 Rechts- u. Staatsprincipien I 5 Archetyp der Moralphilosophie; Keyserling 1926 Welt 73 Dies ist der Seinsgrund des Archetypus des Chauffeurs, als des intellektualisierten und technisierten Primitiven; Döblin 1931 Wissen 40 Erinnern Sie sich auch, was neuerdings der Schweizer Jung von den Archetypen, dem uralten, kollektiven Unterbewußtsein in uns, lehrt; Friedeil 1931 Kulturgesch. Hl 576 zum Archetype der Menschheit; Jung 1934 Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten 180 (Eranos-Jahrb. U 180) Die Inhalte des persönlichen Unbewußten sind in der Hauptsache die sogenannten gefühlsbetonten Komplexe . . Die Inhalte des kollektiven Unbewußten dagegen sind die sogenannten Archetypen; ebd. II 181 Primitive Stammeslehren . . handeln von Archetypen in spezieller Abwandlung. Allerdings sind hier die Archetypen nicht mehr Inhalte des Unbewußten, sondern sie haben sich bereits in bewußte Formeln verwandelt . . Ein anderer, wohlbekannter Ausdruck der Archetypen ist der Mythus und die Fabel; 1936 Zeitwende 220 Es ist nun die auf reiche ärztliche und völkerkundliche Erfahrung gestützte Überzeugung Jungs, daß sich die an sich unfaßbare „Energie" der „kollektiven" Seelentiefe in Urbildern (Archetypen) enthüllt; Block 1938-47 Prinzip Hoffnung 182 Sieht Faust, mit dem Zaubertrank der Jugend, Helena in jedem Weibe, so bewegt sich hier der Schönheits-Archetyp Helena gänzlich aus dem Archaischen hervor; ebd. 187 So sind zu guter Letzt nicht alle Archetypen nur Bildverdichtungen archaischer Erfahrung; immer wieder ist von ihnen ein Reis entsprungen, das den vorhandenen Inhalt der Archetypen mehrt. . . Wäre Archetypisches völ-

lig regressiv, gäbe es keine Archetypen, die selber nach der Utopie greifen, während die Utopie auf sie zurückgreift, dann gäbe es keine vorschreitende, dem Licht verpflichtende Dichtung mit alten Symbolen; Dtsch. AZ. 30.4.1940 Sie [die Geisteswissenschaften] tragen Bausteine nicht bloß zu Einzelerkenntnissen ihres Sondergebiets, sondern zu jener Elementar-Grammatik des Geistes bei, welche das Welt-Alphabet, das apriorische Riesenreich des „objektiven Geistes" oder — wie C. G. Jung es nennt — die Archetypen enthält. Diese Archetypen . . sind die inventarisierte Weisheit des Menschheitsgedächtnisses; 7945 Freundesg. f. Korrodi 277 wenn er [C. G. Jung] gar von den Archetypen, den „Urbildern", zu reden beginnt; 1950 Saeculum 231 Das Bild des Vaters, der Mutter, des Sohns, der Tochter, des Bruders, der Schwester usw. — nicht etwa individuelle Bilder von persönlichen Vätern, Müttern usw., sondern Archetypen, die tatsächlich „mit dem Leben auf den Plan treten" — erscheinen . . als Erscheinungsformen des Göttlichen, und mit ihnen als ordnendes Prinzip die „Familie"; C. G. Jung 1954 Wurzeln d. Bewußtseins 576 Die archetypische Vorstellung, die uns das Unbewußte vermittelt, darf man nicht mit dem Archetypus an sich verwechseln. Sie sind vielfach variierte Gebilde, welche auf eine unanschauliche Grundform zurückweisen; Borst 1957 Turmbau 284 f. In dieses Zeitalter der „Syrischen Renaissance" scheinen wohl jene Bilderbibeln zu gehören . . Doch könnte ihr Archetyp auch aus Antiochia stammen; Schmid 1957 Aspekte 14 Auch die analytische Psychologie kennt den Archetyp des Geistes und die Mächtigkeit der ideellen, bewussten Intentionen; ebd. 18 die geistesgeschichtlichen Zeitalter nicht mehr als je einmalige Sprossen einer unendlichen Leiter des Bewußtseins zu verstehen, sondern als jeweilige Momente, die durch eine jeweilige Konstellation des fortschreitenden Bewußtseins zu einer jeweiligen Konstellation von überzeitlichen Archetypen (Formen und Inhalten) gekennzeichnet sind; Ziegler 1958 Br. 441 Wir alle schulden dem schweizer Forscher [C. G.Jung] Dank, weil er uns in einem Zeitalter religiöser Verödung den Umgang mit den von ihm so geheißenen Archetypen des Unbewußtseins einmal noch verschafft hat; Schadewaldt 1960 Hellas 430 Vorbild und Urbild kommen in der deutschen Sprache vielmehr von Prototyp und Archetyp; Spiegel 28.2.1962 Als Kriegsheld und Familienvater verkörpert er den Archetypus amerikanischen Pioniergeistes; Hobs-

Archetyp bawm 1962 Sozialrebellen 41 England, das der Welt einen Robin Hood, den Archetyp des Sozialbanditen, schenkte; 1963 Definitionen 50 Die Wendung zum antiken Drama ist . . nur insofern noch „humanistisch" zu nennen, als die dort dargestellten Mythen als ewig gültige Verhaltensmuster, als eine Art psychologischer „Archetypen" verstanden werden; Glaser 1964 Spießer 105 solche Feststellungen . . übersahen, daß es sich . . nicht um einen ausgesprochen deutschen Archetypus handelte . ., sondern daß die deutsche Disposition für die Barbarei durch die geschichtliche Entwicklung hervorgerufen worden war; Hochgesang 1965 Mythos 124 Diese vollkommenen Figuren oder „Archetypen" (Kreis, Dreieck, Viereck, Mandala usw.) sind demnach Grundformen des menschlichen Seh- und Vorstellungsapparates, nicht aber Engramme, mnemische Niederschläge; Przybyszewski 1965 Erinn. 55 Erinnerung . . an die in unaufhörlichen Verkörperungen durchlebten Existenzen vor dieser Existenz, Erinnerung an schon irgendwann erfahrene menschliche Erlebnisse, die, in den Tiefen des Unterbewußten verharrend, in diesem märe tenebrarum ihre vorgedankliche Natur wiedergefunden haben, das heißt die Schönheit der Archetypen; Kunert 1973 Bibl. 471 sie konnten ja nicht wissen, daß ich ihr Archetyp war, die Urform, nach der sie sich gebildet; Fühmann 1974 Erfahrungen 175 dort als immerwiederkehrende, allen Völkern aus ihrer gemeinsamen Wegstrecke vertraute Urgestalten erscheinen, als Archetypen wie etwa denen des Alten Weisen, der Großen Mutter, des Schattens, der Schlange, des Göttlichen Kindes; Hildesheimer 1977 Mozart 231 Aber der Archetyp ist er [Don Juan] erst durch Mozart geworden, die sprichwörtliche Modellgestalt und somit der typisierende Gemeinplatz für den Frauenhelden schlechthin; Zeit 8.11.1985 „der reiche Jude" ist nicht der Archetyp des „Stürmer"-Juden; in einem von lauter unappetitlichen Figuren bevölkerten Werk vermag er sogar am ehesten noch, Mitgefühl zu wecken; ebd. 20.3.1987 Ihre großen Skulpturen zielen auf urbane Archetypen wie Piazza und Korridor; Lukoschik 1991 In u. Out 51 Natürlich tut er das nicht aus psychoanalytisch-nostalgischer Ruck-Sicht, sondern weil er weiß, daß diese Geschichten-gewordenen Archetypen das abendländische Denken besser ausdrücken als alle anderen Systeme. archetypisch: Hildebrand 1625 Magia I 26 Gott der Allmächtige hat in der Schöpfung sechs Welten geschaffen/ welche doch nur eine Welt seyn . . Die erste/ Mundus archetypus, ist der Brunn aller Krafft vnd Gewalt Gottes/ der außfleust gantz kräfftig in alle Welten vberall/ dieselben regiert nach seinem Willen vnd Wolgefallen; Hantann

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1780 S. W. Ill 259 Ideen sind in der ganzen Natur Copien wirklicher Gegenstände, ectypisch nicht archetypisch; ders. 1786 S. W. Ill 364 die buchstäblichen Bruchstücke des archetypischen Jerusalems; Kant 1790 Kritik d. Urteilskraft (Ges. Sehr, l 5,408) weil wir . . in [der Naturkunde] die Naturerzeugung bloß unserm Vermögen sie zu beurtheilen, d. i. der reflectirenden Urtheilskraft und nicht den Dingen selbst zum Behuf der bestimmenden Urtheilskraft angemessen zu beurtheilen verlangen. Es ist hiebei auch gar nicht nöthig zu beweisen, daß ein solcher intellectus archetypus möglich sei, sondern nur daß wir in der Dagegenhaltung unseres discursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes (intellectus ectypus) und der Zufälligkeit einer solchen Beschaffenheit auf jene Idee (eines intellectus archetypus} geführt werden, diese auch keinen Widerspruch enthalte; Görres 1808 Ges. Sehr. Ill 387 es schloß das Reich jener ewigen Vernunft sich auf, jene archetypische Welt, in der die originellen Ideen alles dessen enthalten waren, was die sinnliche Welt in Bildern nur und Aehnlichkeiten ausgesprochen; ebd. Ill 410 Es öffnet sich allmählig jene archetypische Welt, in der die alten Seher den Logos schon von fern erblickt; Goethe 1824 Naturfeuer- u. Gluthspuren (WA II 9,122) Wenden wir uns nun zum Kammerberg . . das archetypische Gestein suchen wir in jenen festen Basaltfelsen . . die Gluth hat . . auf den oberen Theil . . starken Einfluß gehabt, dahingegen die untersten in ihrer archetypischen Starrheit sich befinden; Jung 1934 Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten (Eranos-)ahrb. U 189) Archetypische Bilder sind . . a priori so bedeutungsvoll, daß man schon gar nie danach fragt, was sie überhaupt bedeuten. Darum sterben von Zeit zu Zeit die Götter, weil man plötzlich entdeckt, daß sie nichts bedeuten, daß sie von Menschenhand gemachte, aus Holz und Stein geformte Nichtsnutzigkeiten sind; 1939 EranosJahrb. Vorw. o. S. Religiöse Ideen und Vorstellungen sind archetypischer Natur und darum immer zeitgemäss, — sinngebend und darum von zentraler Wirklichkeit; 1950 Saeculum 231 Die menschlichen Bezüge der griechischen Mythologie sind nun auch insofern „archetypisch", als sie einzig und allein das Prinzip zu einer Art System in diesem — wie jede echte Mythologie — wesentlich unsystematischen Reichtum von Göttergestalten abgeben; de Man 1951 Vermassung 135 dass unsere Kultur ihren „archetypischen" Sinn erfüllt hat und somit eine Phase der Sinnlosigkeit eingetreten ist; die Alternative wäre dann, biologisch gesehen, entweder Tod oder Mutation; Jung 1954 Wurzeln d. Bewußtseins 573 Er [der Archetypus] ist eben nicht nur Bild an sich, sondern zugleich auch Dynamis, welche letztere in der Numinosität, der faszinierenden Kraft des archetypischen Bildes sich kundgibt;

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Archipel

7955 Dies Univ. Ill 43 die beste, gleichsam archetypische Formulierung; Schmid 1957 Aspekte 17 der archetypischen Präformierung; ebd. 20 Der Begriff der archetypischen Konstellation eröffnet . . neue Möglichkeiten des psychologischen Verständnisses von Epochen, Nationen, Religionen usf.; 1966 Studium Generale XII 741 nach tiefenpsychologischer Auffassung, wie wir sie C. G.Jung verdanken, gibt es archetypische Verbindungslinien des Unbewußten, die auch dort Kommunikationen ermöglichen, wo Diffusion, also Kulturübertragung im konkret physischen Sinne, nicht angenommen werden kann; Eich 1970 Maulwürfe (Ges. W. J 373) Auch baskische Sonette drängen zur Form, — irgendetwas mit Geografie ist immer dabei, es könnte ein archetypisches vierzehnzeiliges Atlantis mitspielen; FAZ 15.1.1970 Im übrigen sei er auf der Suche nach archetypischen Elementen, die vom Hörer ohne weiteres als Klangzeichen für elementare Verhaltensweisen erkannt werden sollen: Angst, Zorn, Verzweiflung, Glück; Hocke 1976 Tagebücher 521 Wir meinen, daß in besonders mutigen Selbstenthüllungen christlicher Tagebuchschreiber geradezu archetypische Bilder einer . . vorchristlichen Spannung sichtbar werden, der Dialektik von „Gefallenheit" und „Erlösung"; Welt 12.10.1977 Die Landschaft ist aber nicht realistisch, sondern im

Stil der Hochklassik „künstlich", archetypisch, streng; Zeit 8.11.1985 Gibt es noch das gesicherte Abbild der archetypischen und symbolischen Grundformen?; ebd. 3.10.1986 Er befaßt sich vielmehr mit jenem „archetypischen Schema", das allen Gedanken- und Redefiguren der Menschen innewohnt; ebd. W. 4.1987 Es existiert ein einziges größeres Romanprojekt seiner Feder; erhalten blieb davon das Eingangskapitel, Held ist die archetypische Figur des Homer; MM 9.12.1987 Pars pro toto steht das Pferd für die mystischarchetypische Einheit von Pferd und Reiter; ebd. 18.2.1988 sein Thema ist der menschliche Körper, dem er in vielen Variationen Ausdruck verleiht: . . auch als archetypischen Menschentyp des Suchenden; Altner 1991 Naturvergessenkeit 74 Es ist ja vielmehr so, daß die schöpfungstheologischen Aussagen der Bibel traumatische Erinnerungs- und Antwortversuche aus besonders tiefgreifenden Krisenzeiten darstellen und somit — geradezu archetypisch — Erinnerungen festhalten, die in vergleichbaren Krisensituationen zu neuen Erinnerungen und weiterführenden Denkanstößen führen können; Spiegel 9.8.3993 Jane Campion habe sehr erstaunt reagiert, berichtet der Schauspieler Sam Neill, als er ihr sagte, er sehe seine Figur, den Farmer Stewart, als den archetypischen, nach Landbesitz gierenden weißen Neuseeländer.

Archipel M. (-s; -e), Anfang 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. arc(h)ipelago, zurückgehend auf griech.-byzantin. "' 'Hauptmeer, Meer der Meere' (aus ( )- 'Haupt-, Ober-' und 'Meer, See', eventuell auch entstellende Wiedergabe von griech. , dem Namen des nach der Insel Aigai benannten Meeres), zunächst in der ital. Form, im 18. Jh. auch mit latinisierter Endung Archipelagus und lat. flektiert, seit dem 18. Jh. vereinzelt, seit dem 19. Jh. eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. archipel in der heutigen, verkürzten Form. Zunächst als geographische Bezeichnung für die zwischen Griechenland und Kleinasien liegende Inselwelt des Ägäischen Meeres; seit früherem 18. Jh. auch allgemeiner für 'Inselgruppe (und das sie umgebende Meer)' (s. Belege 1732, 1781, 1784), im 19. Jh. häufiger auf die malayischen Inseln bezogen (s. Belege 1868, 1872, 1899); heute auch selten bildlich verwendet (s. Beleg 1983); vgl. daneben die feste Verbindung Archipel Gulag, nach Solschenizyns gleichnamigem, 1973 erschienenem Roman über sibirische Zwangsarbeitslager (s. Belege 1974, 1981, 1985). Ruchamer 1508 Newe Landte g 5i> nanthen dises orthe Arcipelago, umb der menge willen der selbigen so vil inseln, das ist ein Ertzmere (WIS); Otto Heinrich, Pfalzgraf bei Rhein 1521 (Deutsche Pilgerreisen 394) mit diessem guten windt für fuhren wir vonn dem Arzapelico unndt denn spitzen Caput angeli, auch die Insel der Venediger Citerigo unndt Diterigo biss uff denn Golff gen Santj zu; Lichtenstein 1589 Reisen 45 fuhren wir auf dieser

Seite im Archipelago d. i. ein Meer innerhalb der 2 Castelle, so die Einfahrt und Paß nach Constantinopel verhüten . . auf etlichen kleinen Inseln spazieren; Kiechel um 1600 Reisen 399 weül solche [Festungen] allen orthen düses mors sehr bequemlich und wol gelegen, als gögen Constantinopoli, Natolia, . ., Alexandria, . ., gögen dem Arcipelago unnd ändern mehr orten; Henisch 1616 Teutsche Sprach 102 Archipelago, Ertzmeer/ Aegeischmeer;

Archipel Scheither 1672 Festungs-Baw-Schuel 32 Und/ nach dem sie [die Türken] von der Venetianischen Kriegs Macht zur See so offt geschlagen . . haben sie .. ihren secours mit Galleern/ . ./ aus dem Archipelago übergebracht/ und zu Canea . . außgesetzet; Stranitzky 1717 Reisebeschr. 37 Ich sähe einem See-Rauber auff dem Archipelago so gleich/ als ein Ey dem Ändern; Zedler 1732 Universallex. 1233 Archipelagus, heisset ein Meer, worinnen viele Inseln liegen; Winckelmann 1764 Kunst 40 Denn der Himmel ist in diesem Lande [lonien] und in den Inseln des Archipelagi wegen dessen Lage viel heiterer und die Witterung . . beständiger und gleicher als selbst in Griechenland; Schubart 1774 Dfsch. Chronik 11 Unsere Zeitungsverfasser schreiben den Franzosen immer Archipel nach; ohne zu bedenken, daß es im Deutschen nicht so leicht angehe, ein Wort wie Archipelagus in Archipel zu verwandeln; Forster 1781 W. XI 31 Dreyerley Racen von Menschen auf den Philippinischen Inseln: Schwarze, meist mit krausem Haar, die ursprünglichen Bewohner dieses ganzen Archipelagus, die sich jezt in die gebirgichten Gegenden gezogen haben; Herder 1784 S. W. XIII 99 die tiefe Einbucht [bildet] noch einen Archipelagus von Inseln; Forster 1787 Reise u. d. Welt 5 die ganze Archipelagus der niedrigen Freundschaftlichen Inseln; Röding 1793 Allg. Wb. d. Marine l 149 Archipel, Eine ansehnliche Strecke des Meeres, welche mit Inseln gleichsam besäet ist; Hölderlin 1797—99 Hyperion U 129 Rußland hat der Pforte den Krieg erklärt; man kommt mit einer Flotte in den Archipelagus; die Griechen sollen frei sein; Kant 1802 Ges. Sehr. I 9,186 Ein Wasser, das viele Inseln umschließt, nennt man Archipelagus, so wie dagegen ein Wasser, das vom Lande umgeben wird, ein inländisches, Mittel- oder mittelländisches Meer heißt; Lindner 1814 Australien 26 Es scheint, daß diese Inseln entweder zu Mulgrave's Archipel gehören oder in der Gegend zu suchen sind, wo auf Lord Ansons Charte die Barbados liegen; Buchholz 1821 Taschenbuch 385 Die gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen waren, daß er sich bei dem letzten Aufstande der Janitscharen feig bewiesen und auf den Inseln des Archipelagus Plünderung getrieben; Goethe 1828 Kunst u. Alterthum (WA I 41.2,321) die Ausdehnung eines . . Schulunterrichts . . eine Wirksamkeit, die über den Archipel bis zum Berg Athos . . hinreichte; Steffens 1841 Was ich erlebte III 31 in dem verworrenen und merkwürdigen Felsen-Archipelag, durch welchen die Westküste von Norwegen einen in Europa einzig grossartigen Charakter erhält; A. v. Humboldt 1847 Kosmos U 171 aber die weit vorgestreckte kleinasiatische Halbinsel wie der formreiche Archipelagus des ägäischen Meeres . . haben den Menschenstämmen . . leichten Übergang gewährt; Kohl 1850 Ver-

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kehr 264 Der dänische Insel-Archipel bietet . . viele frappante Beispiele; Spielhagen 1868 S. Romane IV 48 Eine meiner Hauptgeschichten, die irgend wo auf dem Malayischen Archipel spielte; Carus 1872 Abstammung H 254 Der Bantengbulle . . des malayischen Archipels ist beinahe schwarz mit weissen Beinen; 1899 Dtsch. Rundsch. XCII 61 Ist es Zufall, daß um dieselbe Zeit . . im malayischen Archipel die Holländer Zeichen von Unbotmäßigkeit bei ihren islamitischen Unterthanen feststellten?; Hettner 1907 Grundzüge l 694 Die einzige größere Stadt ist Hermupolis oder Syra auf Syros; durch seinen vortrefflichen Hafen und seine zentrale Lage ist es der Handelsmittelpunkt des ganzen Archipels geworden; Hesse-Wartegg 1915 Zwischen Anden u. Amazonas 39 Jenseits der düsteren, mit dunklem Urwald bedeckten Inseln Eugenho und Tavares liegt der mittelste Archipel der Bucht; Pointen 1923 Gletscher i 5 Es war nun volle Nacht. Über ihnen aus dem umgekehrten hangenden Ozean des Himmels tauchten erst die größeren, dann die kleineren Lichtinseln, zuletzt ein unübersehbarer Archipel von goldenen Felsen und Klippen heraus, die gehäuften Riffs und durchschimmerten Untiefen der Milchstraße — das All; Hauptmann 1924 Die Insel der Grossen Mutter . . Eine Geschichte aus dem utopischen Archipelagus (Titel); Diesel 1930 Völkerschicksal 18 den sonderbaren Insel- und Halbinselarchipel Dänemarks; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 270 selbst in China, Abessinien, Ostindien und auf den Inseln des westindischen Archipels gibt es eingesessene Juden; Kellermann 1948 Totentanz 243 Das kleine Holland besäße einen ganzen Archipel als Kolonialland; A. Zweig 1957 D. Zeit ist reif 409 Im Geiste sieht er nämlich eine Erdkarte vor sich, den Malaiischen Archipel unter der schwarzweißroten Flagge; Heuss 1963 Erinn. 372 Knapp hat dort gelegentlich den Besuch des Friedrich Gundolf aus Heidelberg empfangen, um sich mit ihm über Hölderlins „Archipelagus" zu unterhalten; Rehork 1971 Faszinierende Funde o. S. Vulkanologen waren es, die die Geschichte der archäologischen Grabungen auf diesem kleinen Archipel einleiteten; N D 10.1.1974 es handelt sich um ein Buch mit dem Titel „Archipel Gulag", das zur Sensation hochgeblasen wird; Welt 5.2.1974 auch Arbeitslager, wie sie Solschenizyn in seinem Buch Archipel GULag beschreibt, werden nicht ausgeschlossen; Jendryschik 1980 Ebene 57 teefarben schön, den Mast/ an den ihr mich dann bindet, fahrn wir/ durchs Archipel, die dauert, diese Enge/ und kaum Licht; Süßkind 1981 Kontrabaß 63 Und immer wird es Musik geben, und überall in Ost und West, in Südafrika genauso wie in Skandinavien, in Brasilien genauso wie im Archipel Gulag; Sloterdijk 1983 Kritik 595 in den unendlichen Weiten heutiger russischer Agrar-Ar-

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Architekt

chipele; Zeit 4.10.1985 Zurückgekommen sind dagegen fast alle Männer jenes aberwitzigen Unternehmens, das zur Entdeckung eines bislang unbekannten Archipels im Polarmeer führte; ebd. 1.11.1985 In der einst sakrosankten Sowjetunion hatte es . . schon immer Zwangsarbeitslager vom

Typ Archipel Gulag gegeben; ebd. 3.4.1987 ich war vier Jahre lang politischer Häftling in einem russischen Arbeitslager gewesen, im Archipel Gulag Workuta; Spiegel 15.2.1993 vom Hafen Baltra auf den Galapagos-Inseln geht es mit der MS „Santa Cruz" quer durch den Archipel.

Architekt M. (-en; -en), auch Architektin F. (-; -nen), gegen Mitte 16. Jh. entlehnt aus lat. architectus 'Baumeister; Begründer, Urheber, Schöpfer', (< griech. 'Baumeister', eigentlich 'Oberzimmermann', aus ( )- Ober-, Haupt-, zu 'der erste sein, vorangehen, anfangen'(—»· Archiv), und 'Zimmermann, Handwerker'; —» Tektonik, —> Technik), bis ins 18. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form. Zunächst in der Bed. 'Fachmann auf dem Gebiet der Baukunst, der Bauwerke entwirft und gestaltet, Baupläne ausarbeitet und deren Ausführung einleitet und überwacht; Baumeister', als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Bühnen-, Garten-, Innenarchitekt; Architektenbüro, -kammer, -kongreß, -team, -Vereinigung, -Wettbewerb; seit früherem 20. Jh., wie schon im Lat., auch allgemeiner für 'jmd., der ein bestimmtes (z. B. politisches) Projekt entwirft und dessen Verwirklichung durchzusetzen sucht; geistiger Vater (einer Idee, Bewegung o. ä.), Begründer, Urheber, Schöpfer, Erfinder', z. B. in Wendungen wie Architekt der Begriffswelt, die Architekten eines neuen Weltbildes (s. Belege 1921, 1963, 1982, 1986). Dazu seit Anfang. 16. Jh. aus gleichbed. lat. architectural entlehntes Architektur F. (-; -en), zunächst ohne Pl. in der Bed. 'Baukunst (als Wissenschaftsdisziplin)', z. B. Architektur studieren; seit früherem 17. Jh. auch für 'kunstgerechter Aufbau, künstlerische Gestaltung von Bauwerken', bereits früh häufig in Buchtiteln wie Ryff „Zehen Bücher von der Architectur" (Nürnberg 1548); als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Bühnen-, Garten-, Innenarchitektur; Architekturgestaltung, -museum, -Studium, -werk, von daher seit Anfang 20. Jh. auch übertragen gebraucht für 'Kunst des strengen geistigen Aufbaus, der geistigen Struktur', z. B. geistige Architektur, die Architektur eines Musikstücks (s. Belege 1905, 1933); seit früherem 19. Jh. insbes. in der Bed. '(spezifische) Bauart, Bauweise, Baustil', z. B. die gotische, romanische Architektur der Kirche (s. Belege 1832, 1924, 1987); selten auch allgemein für 'Bauwerk, architektonische Hervorbringung, Gesamtheit von Erzeugnissen der Baukunst (z. B. eines Volkes, einer Zeit)', z. B. die Architektur der Griechen (s. Belege 1854, 1935). Dazu seit früherem 16. Jh. das aus gleichbed. lat. architectonicus (< griech. ) entlehnte Adj. architektonisch (ohne Steigerung) 'den Gesetzen der Architektur entsprechend, baukünstlerisch, baulich', häufig in Verbindungen wie architektonischer Schmuck, architektonische Gestaltung, architektonisches Denkmal, vereinzelt auch übertragen für 'den Aufbau, die Gliederung betreffend' (s. Belege 1793, 1951); seit früherem 17. Jh. die subst. Ableitung Architektonik F. (-; selten -en), ohne Pl. in der Bed. 'Wissenschaft von der Baukunst', dann insbes. für 'kunstgerechter Aufbau eines Bauwerkes', seit späterem 19. Jh. auch übertragen verwendet für 'strenger, gesetzmäßiger (künstlerischer oder geistiger) Aufbau', z. B. die Architektonik einer Sinfonie, eines Romans (s. Belege 1870, 1885, 1928).

Architekt Architekt: Rivius 1548 Vitruv. 139b Architectis oder Werckmeistern; Speckle 1589 Architectura la Dann ob wol ein Architectus oder Bawmeister kein vollkommener Astronomus sein . . kan, so soll er doch . . gründtliches vnd genügsames wissen vnd erkantnuß haben; Stevini 1608 Festung 2a das Lob der Architectorum, oder deren, so sich der Bawkunst befleissen; Furttenbach 1641 Architect, priv. 52 Ein . . Modell zu einer Regulär Vöstung vnd Andeutung zweyer Pasteyen auf die Manier, wie es auch der wol bekandte Architectus Militaris Signor Pietro Sardi Romano . . im Gebrauch zubawen gehabt; Goldmann 1696 Anw. Cifil-Bau-Kunst l Dahero in Griechischer Sprache, der Nähme eines Baumeisters Architectus, das ist Beherrscher der Hand-Arbeiter; Ertinger 1697 Reisebeschr. 17 die archidecten unnd bilthauer arbeit welches von marmor hat der kunstberiemte barbarin Ein Italliener verfehrtigt; Rembold 1710 Perspectiva Von. A 2b Ein Architectus oder Baumeister; Marperger um 1720 Reisen 30 sintemahl wir in Teutschland selbst unter denen Kunst-Mahlern, Architectis, Goldschmieden, Glasern, Zimmer- und Mauer-Leuten . . [gute] Leute haben; Behr 1744 Münster-Büchlein 27 des hohen Chors ordentlichem Architecto oder Baumeister; Beckmann 1784—88 Erfindungen H 584 Damit läßt sich ein Saal von einem Architekt in Felder und Seulen vertheilen; Goethe 1786 Br. (WA IV 8,41) hier [in Vincenz] werde ich in Gesellschaft eines guten Architekten, die Reste der alten, die Gebäude der neuen Zeit besehen; 1810 Almanach a. Rom i 26 diesen bewundernswürdigen Emissär, der noch jetzt ihm die Ehre eines grossen Architekten sichert, ganz allein nach seinen Plänen ausgeführt zu haben; Goethe 1816 Br. (WA IV 27,71) wir können nicht fehlen, wenn wir dem Architect Steiner auftragen, nunmehr die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, die Accorde abzuschließen; ders. 1821 Prolog (WA l 13.1,124) So schmücket sittlich geweihten Saal und fühlt euch groß im herrlichsten Local. Denn euretwegen hat der Architekt, mit hohem Geist, so edlen Raum bezweckt; Eckstein 1889 Camilla 123 Also ein sehr reputirlicher junger Mann, der drüben in den „Drei Linden" wohnt, ich glaube, er ist Architekt; Proelss 1891 Modelle 227 Der Erbauer der Villa, ein junger Architekt aus Stuttgart; Th. Mann 1909 Hoheit (W. U 160) ein gelernter Architekt aus der Hauptstadt war mit dem Bau beauftragt worden; Gutkind 1919 Neues Bauen 89 Im Augenblick, wo das Wort Architekt fällt, haben wir uns schon mißverstanden. Denn was geht alles unter diesem Namen, wird unter diesem Namen gescheut oder verabscheut; Wätzoldt 1921 Kunsthistoriker I 309 zu dem grossen Architekten der Begriffswelt, zu Hegel; Baum 1929 Menschen 101 Hier hatte die Phantasie des Architekten auf glatter Fläche bestanden;

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1931 Die Dame Vlll 28 Der Architekt oder Innenarchitekt . . täfelt gern die Wände mit Holz; Lokal-Anz. 23.2.1933 Der künftige . . Gartenarchitekt . . macht zunächst in der Regel eine zwei- bis dreijährige praktische Ausbildungszeit durch; ND 25.8.1949 berühmte sowjetische Architekten schufen den Entwurf eines 26-stöckigen Gebäudes der Moskauer Staatlichen Universität; Süddtsch. Ztg. 15.10.1953 Der Bund Deutscher Architekten in Bayern (BDA) feiert heute und morgen sein 50jähriges Bestehen; ebd. 15.2.1953 Der bayerische Ministerrat hat den Entwurf eines Architektengesetzes angenommen; Welt 3.12.1954 der Architekt, der in Toronto das neue Stadion . . baute, sollte sehr sparsam sein; Grzimek 1959 Serengeti o. S. der preußische König Friedrich der Große . . bediente sich des Französischen, er holte Techniker und Architekten aus Frankreich; Stuttgarter Ztg. 11.10.1959 der „freie Architekt" ist Pflichtmitglied der Architektenkammer; FAZ 14.12.1963 er [Heuss] war der Hauptarchitekt der demokratischen Formen dieses Staates; Welt 11.4.1964 für ein gut eingeführtes Architekturbüro wird ein künstlerisch befähigter Architekt als Teilhaber gesucht (Anzeige); FAZ 3.4.1969 Alle drei Fraktionen des Bundestages haben einen gemeinsamen Entwurf für ein Architektengesetz eingebracht; Welt 5.6.1969 die Architektenkammern der Länder wollen aber nicht nur als verlängerter Arm des Gesetzes fungieren; ebd. wir fordern, daß nur der Pläne einreichen darf, der sich nach dem Gesetz „Architekt" nennen darf; ND 24.5.1974 wo Architekten, Bauarbeiter und Künstler schon in der Planungsphase eng zusammenwirken, wird bewiesen, daß schöne Wohnensembles nicht teurer sind als steingewordene Langeweile; ebd. die Anregungen der Gartenarchitekten für ein . . bunteres Bild der Wohnhöfe; MM 15. 7.1982 Jean Rey . . Architekt der europäischen Union; Klemm 1983 Technik 33 das ganze Gebiet der Technik oblag eigentlich dem Architekten; Zeit 17.5.1985 der Architekt sah in diesem Park ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Sachsenhausen hüben und Frankfurt drüben; ebd. 24.5.1985 nach Taten dürstend, schrieb sie einen Architektenwettbewerb für ein neues Kunstmuseum aus; ebd. 18.10.1985 ein Architektenteam bastelte Jahre an der ausgefallenen Architektur; ebd. 24.1.1986 der machtpolitische Architekt Gorbatschow ging davon aus, daß der Umbau . . der Sowjetwirtschaft nicht isoliert von der Umwelt zu bewerkstelligen sein würde; MM 25.4. 1986 das Schloß kam in die Obhut der ungarischen Architektenvereinigung; ebd. 5.5. 1987 Architekten und Ingenieure der ägyptischen Antiquitätenbehörde wollen Luxor vor Auswüchsen des Operntourismus schützen; Zeit 19.6.1987 400 Frauen kamen, von der Architektin über die Maschinen-

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bauerin bis zur Verfahrenstechnikerin; Spiegel 30.11.1992 Architekten und Ingenieure werden nach den Herstellungskosten eines Projektes bezahlt; ebd. Der Architektenwettbewerb für die Umgestaltung des Reichstages in Berlin läuft. Architektonik: Furttenbach 1635 Architect, univ. 159 Einmal ist die Architectur so hoch gepriesen vnnd hat vber so viel andere neben Professionen jhr Maisterschafft so weit zu extendirn fug, daß dahero der weiseste Heyd Aristoteles . . kein tauglichem namen zu geben gewust, als welchen er von dem Namen der Architectoniken entlehnet vnd abgebogen; Stigler 1757 Mathemat. Wiss. 239 Die Architectonick, oder Civil-Baukunst; Herder 1799 Verstand l (S. W. XXI 6) Architektonik alles künftigen möglichen Erkennens; Steffens 1817 Gegenwärtige Zeit l 178 Man könnte in der räthselhaft verschlungenen und in sich gegründeten fertigen und scharfen Architektonik die Spuren der sondernden Scholastik finden; Goethe 1830 Morphologie (WA H 7,204) da jedoch die Thätigkeit einer jeden solchen Bestimmung, auch ohne Bedürfniß, immer fortwährt, so müssen deshalb die Nagethiere, wenn sie gesättigt sind, zu zerstören anfangen, bis endlich diese Tendenz durch den Biber ein Analogon vernünftiger Architektonik hervorbringt; ders. 1831 Tagebücher (WA Hl 13,11) Mittag Hofrath Vogel. Nachher Architektonik der Blüthen und Blumen von Martius in der Isis; Herbart 1841 Vorlesungen 157 Das Messen an Linien, Winkeln und Kreissektoren (wozu manche Kinderspiele, welche auf Architektonik hindeuten, den ersten Anlaß geben mögen),führt zu Anschauungsübungen; Schröer 1870 Br. 131 mit Recht spricht man von der musikalischen Architektonik einer Sonate oder Symphonie und versteht darunter die Art und Weise, in welcher ihre einzelnen Sätze durch Verwandtschaft der Tonarten . . verknüpft sind; Rümelin 1870 Reden I 39 einen logischen Aufbau des Kosmos von grandioser Architektonik und Symmetrie bewundern; Gottschall 1885 Totenkl. 234 die streng gegliederte Architektonik des Dramas mit den feststehenden Einschnitten der Actschlüsse muß aufrecht erhalten werden; ebd. 239 Dem Roman fehlt jede künstlerische Architektonik; Chamberlain 1910 Br. l 137 der ich — meinen schwachen Kräften und der Architektonik meines Buches zulieb — mich streng zu beschränken hatte; Cassirer 1916 Freiheit 82 Architektonik des Geistes; Guthmann 1920 Sievogt 54 Von der grandiosen Architektonik Bachs; Jäger 1927 Reden 150 Erziehung ruht in der gesamten Architektonik des Lebens und des Seins; Voss. Ztg. 19.8.1928 wer hat heute noch Sinn für die edle Architektonik dieser [griechischen] Sprache?; Burger 1951 Schwaben 241 überraschende Übereinstimmung Hegels

mit der Gedankenführung des Joh. Eriugena und der ganzen Architektonik seines Systems; Welt 15.5.1954 die weiße Stadt voll Sonnenschein, Harmonie und imposanter Architektonik; 1992 Meyer Enz. U 100 Architektonik, Wissenschaft von der Baukunst, kunstgerechter, strenger, gesetzmäßiger Aufbau (eines Bauwerkes, Körpers, einer Plastik, einer Dichtung, Sinfonie usw). architektonisch: Brunfels 1532 Kreuterbuch o. S. mir ist auch das Glück von der Zeit selbsten also widerfahren, daß ich zum Theil noch mehr meiner continuirlich observirten Architectonischen Grundstucken herfür gesucht; Rivius 1548 Vitruv. 30a eigentliche auffreissung Geometrischer Architectonischer weiß eines gebews; Hainhofer 1615 Corr. 268 wann Ich den abriss von dem schönen Turlach: von heckhen auf architectonisch art schön aingeflochtenen lusthauss überkhommen möchte; Furttenbach 1630 Architect, mart. 44 es ist vielmehr an dem gelegen, daß jhr denselbigen recht Architectonisch für euch nembt, damit jhr auß dem Grundriß, Durchschnitt vnd Auffzug also informiert vnd berichtet werd; Schwenter 1636 Delitiae phys.-math. 530 lustige Architectonische und mechanische Fragen; Furttenbach 1649 Kirchen Gebaw C l b Nach rechter hergebrachter Architectonischer Art; Goldmann 1699 Ausübung CivilBau-Kunst 10 Architectonische Verzierung; Stranitzky 1717 Reisebeschr. 7 wann man nemblich an dem Orth, von welchen man ausreisen wolte, einen grossen Palester von unmenschlicher Proportion Architectonisch einrichtete; Richter 1728 Altane 3b [daß dies] nicht Architectonisch ist; Beckmann 1783—86 Erfindungen I 551 Eine vollständige architectonische Beschreibung und Abbildung der Kamele ist mir noch nicht vorgekommen; Schiller 1793 Anmut (H. IX 203) architektonische Schönheit des Menschen; Goethe 1797 Tagebücher (WA Hl 2,116) So werden z. B. die Eier in dem bekannten architektonischen Zierrath besonders gegossen und in die Vertiefungen eingesetzt; Bouterwek 1807 Ästhetik 248 der architektonische Charakter der Gebäude; Triest 1809 Land-Baukunst l 285 Zu allen künstlichen Arbeiten, die mit architektonischen Gliedern verziert sind, fertigt der Steinmetz, nach der Angabe des Baumeisters, eine Chabelone an; Goethe 1818 Br. (WA IV 29,63) Schließlich darf ich nicht unterlassen, die höchst reinliche Genauigkeit Ihrer Blätter zu rühmen; sie erfreut bey allen architectonischen Zeichnungen; ders. 1832 Br. (WA IV 49,243) Da wir die architektonischen Werke in ihrer imposanten Größe nicht beschauen können, so halten wir uns an bildliche Darstellungen; Reismann 1861 Lied 279 Weil ihr [der Instrumentalmusik] die Prägnanz des Ausdrucks der Vocalmusik fehlt, bedarf sie eines größern Aufwandes

Architekt von Mitteln, um sich verständlich zu machen, und diese erfordern dann nicht mehr architectonische Verschlingung, sondern nach geordneten Maßverhältnissen erfolgende Anordnung der einzelnen Glieder zu größern Partien; Grimm 1886 Essays IV 265 Schon droht die Villa Albani, das schönste architektonische Monument des vorigen Jahrhunderts, das Rom besitzt, rings von sich vorschiebenden Häuserreihen umfangen zu werden; Baumbach 1895 Jugendzeit 356 f. Während die Wände der Nachbarhäuser meistens aus Fachwerk bestehen, ist dieses durchaus massiv, auch entbehrt es der architektonischen Verzierungen; Bierbaum 1910 Reife Früchte 66 ein altes Herrenhaus mit französischem Doppeldach, ohne viel Schmuck, . . aber von guten architektonischen Verhältnissen; Thiess 1927 Gesicht 237 Das macht dem Laien jede Beurteilung eines architektonischen Werkes so schwer, daß er vom ästhetischen Eindruck und dem Vergleich mit großen Architekturen nicht loskommt; Berl. Illustr. Nachtausg. 8.8.1933 Sevilla mit seinen architektonischen Delikatessen; Th. Mann 1947 Faustus (W. IV 571) unsere Fahrt gegen Ettal . ., das wegen seiner Benediktiner-Abtei und zugehörigen Barockkirche eines guten architektonischen Rufs genießt; ND 25.8.1949 jedem Baukomplex wurde .. eine besondere Rolle in dem neu zu gestaltenden architektonischen Stadtbild zugedacht; Süddtsch. Ztg. 16.8.1951 daß sich auch bei Wagner architektonische Form und dramatischer Effekt nicht ausschließen; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 13 Der Architekt kennt sie [die Hilfswissenschaften] im architektonischen Vorexamen; 1960 Bild. Kunst 111 45 die Hilton-Hotels, die meist architektonisch bemerkenswerte Leistungen darstellen; ND 29.12. 1964 er hatte in Bratsk einen Vertrag über die architektonische Gestaltung der Verwaltungs- und Kulturgebäude des neuen Holzverarbeitungskombinats unterschrieben; ebd. 11.3. 1974 Ende der 70er Jahre soll der architektonisch und funktionell hochmoderne Gebäudekomplex . . fertiggestellt sein; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 25 Als eine überschaubare Lebenswelt konnte die Stadt architektonisch gestaltet, sinnlich repräsentiert werden; ebd. 27 Die Sprache dieser kulissenhaften Architektur verschreibt sich einer Rhetorik, die den architektonisch nicht mehr gestaltbaren Systemzusammenhängen immerhin in Chriffren Ausdruck zu verleihen sucht; Zeit 24.5. 1985 das Preisgericht . . rang sich gottlob durch, den städtebaulich ersprießlichsten, architektonisch eigenwilligsten Entwurf zu krönen; MM 22.3. 1986 architektonische Möglichkeiten, etwa Glasfronten vor Häusern als Wärmefallen, wurden vorgestellt; ebd. 12.2.1988 in drei pastellfarbenen Pavillons sind frühe architektonische Entwürfe . . in Fotografie und Modell zu sehen; Spiegel 7.12.

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1992 Über Kioske und neue Privatläden, die in den großen Städten wuchern wie architektonisches Unkraut, gelangt der Ramsch unters Volk. Architektur: Virdung 1511 Musica E 2a Das clauicordium vnnd andere instrument wie man dye machen soll das wil ich nit beschreiben dann das trifft mer dye architectur; Rivius 1548 Vitruv. 4b Dieweil aber nun die Architectur oder kunst des Bawwercks mit solchen vnd auch so vilen furnemen vnd trefflichen künsten gezcirt ist; Xylander 1562 Euclid (Übers.) 119 Es wissen alle verstendigen, das die rechenkhunst vnd Geometri, ain grund, vrsprung, vnd onvermeidenlicher behilff seind der ändern künsten, so auch Mathematisch genant werden . . Alss Astronomey vnd dem anheng, item Musica, Perspectiua, Architectur; Thurneisser 1575 Archidoxa 6b Verste die Architectur vnd Pauwen, das mir daruor nicht fast solt gruwen; Speckle 1589 Architectura von Vestungen (Titel); Wedel um 1600 Hausbuch 522 wie er denn auch von natur zu der architectur und mechanischen künsten groß anmuthen getragen; Stevini 1608 Festung 2b in der Kunst der Architectur oder des Bawens; Hainhofer 1612 Corr. 234 Dazu Ihre F. Gn. in Pomern . . sonderlichen lust zur malerey, miniatur, sculptur, architectur, antiquiteten . . gehabt haben; Neumayr v. Rammsla 1620 Reise i. Frankreich 15 Die Fürstliche Residentz [von Nancy] ist ein schön Schloss, in eine vierung gebawet, ligt in der Stadt an der gassen, hat eine schöne alte Architectur, vnd einen grossen vmbfang; Furttenbach 1635 Architect, univ. Von. l bey der Architectura Militari, . . auch bey der Architectura Civili, auch gleichfalls bey der Architectura Navali . . Thue demnach dieses mein sechste Opus, vnnd nemlichen die Architecturam Vniversalem oder Promiscua, als ein Composition einmischung oder Zusammensetzung aller drey Architecturen; ebd. 159 Aber die Baw-Kunst oder Architectur diß Orts vollkommenlich zu rühmen habe ich weder Zeit noch . . Athems gnug; Schwenter 1636 Delitiae phys.-math. 529 Die Geometria thut so viel bey der Architectur, daß es nicht außzusprechen; Furttenbach 1641 Architect, priv. 42 Von der Architectura Militari im Quartier; Heidemann 1673 Neuherfürgegebene Kriegs-Architectur (Titel); Seckendorff 1691 Reden 172 Die Gelehrten haben so wohl vor Alters als bey unsern Zeiten eine nicht ungeschickte Vergleichung gefunden zwischen der Architectur oder der Bau-Kunst und der RegierKunst; Sperander 1727 A la mod Sprach 46 Architectur, die Bau-Kunst, die Kunst zu bauen; Fassmann 1729 Narr 76 er solte ihm einige von der Architectur handelnde Bücher kauffen; Riedel 1767 Theorie 32 Die Architektur ist die Kunst, nach einem Grundrisse von sinnlich deutlichen

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Ideen die Produkte für die Bedürfnisse des Lebens, ihrer Vollkommenheit unbeschadet, schön zu machen; Geliert 1770 S. Sehr. Vll 395f. Die den Thieren eingepflanzte Vorsicht, welche sie bei der Wahl ihres Futters, in der besondern Architektur ihrer Wohnungen und Nester blicken lassen; Goethe 1777 Br. (WA IV 3,129) Wir mögten auf diesem Prospeckt gern eine herrliche Gegend vorstellen mit Haynen Teichen, wenigen Architeckturstükken pp. denn es soll einen Parck bedeuten; Ratndohr 1787 Malerei U 74 Mehrentheils brachte er Architektur in den Vorgründen an, und wählte Gegenden und Tageszeiten, welche die Seele zu sanfter Feier erheben; Matthisson 1795 Italien (IV 157) Der kühngewagten Architektur wurde Großes und Imponirendes . . zugestanden; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,232) der Decorateur muß noch einen Schritt weiter thun als der Landschaftsmahler, der auch die Architektur nach seinem Bedürfniß zu modificiren weiß; ders. 1799 Br. (WA IV 14,214) Wie sich die organische Natur zur bildenden Kunst verhält, so verhält sich der Begriff der Construction zur Architektur; 1810 Almanack a. Rom l Bern. U Die Architektur, als wahre Kunst betrachtet, ist hervorgegangen aus dem Tempelbau; 1811 ebd. II Vorerinn. IX aus der Tempelarchitektur der Vorwelt; Goethe 1828 Tagebücher (WA III 11,273) am Ende meine alte immer genährte Ansicht ausgesprochen, daß von einer bedeutenden Architektur auch ein architektonischer Übergang zu einer Gartenanlage bestehen Müsse; ders. 1829 Br. (WA IV 45,209) Von den außerordentlichen Werken des ersten kann ich nach den vorliegenden Zeichnungen mir nur den allgemeinsten Begriff bilden; denn die Architektur ist vielleicht diejenige Kunst, von der sich am wenigsten durch Nachbildung überliefern läßt; Schleiermacher 1832 Ästhetik 207 Stilarten der Architektur; Keller 1854 Heinrich (S. W. IV 488) [daß] von der Stadt. . nichts zu sehen war als ein paar edle Architekturen (WOG); Schröer 1870 Br. 131 Schlegel hat mit einem vortrefflichen Bilde die Architektur „gefrorne Musik" genannt; Eckstein 1889 Camilla 42 alles stimmt so wunderbar zu einander: die herrlichen Baumriesen, majestätisch trotz ihres blätterlosen Geästes, die reizende Architektur, der Stand der Sonne; Fontäne 1898 Zwanzig 158 Durchdringung von schöner Architektur, schöner Landschaft und reicher Geschichte; Berolzheimer 1905 System II104 ihr [der Römer]. . architektonisches Talent haben sie bei der Architektur des Rechts auf das glänzendste bewiesen; Werner 1913 Erlebn. 86 Die Architektur wandte sich jetzt von den einfachen Formen und Gliederungen schlichter Renaissance . . einem üppigerem . . Stil zu; Benjamin 1917 Br. I 156 . . daß auch ich einen tiefen Zusammenhang etwa zwischen Kubismus und sakraler Architektur mir denken könnte;

Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 898) es war im zweiten Akt in der spanischen Schenke, einer geräumigen Spelunke, dielenartig, mit Tüchern geschmückt und von defekter maurischer Architektur; Roth 1930 Panoptikum 17 Nicht ohne Grund ärgere ich mich über die Innenarchitektur Schwanneckes; Westdtsch. Beobachter 15.8.1933 Die Nation tragen wir als lebendige Idee in unsrer Seele. Was uns umgibt, sind Formen, ist Architektur einer toten Welt; Bamm 1935 Weltlaterne 134 Die vier Fassaden, welche den Platz rings umschließen, sind strahlend erleuchtet, eine Architektur in Licht (DUDEN); Münch. N. N. 6.3.1941 Die Architektur ist mit einem Wort der Antike die Mutter der Künste genannt worden; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 478) ich brauche nur aufzublicken von meinem Tisch, um mein Auge an der Vision eines feuchten Haines zu laben, durch dessen Halbdunkel die lichte Architektur eines Tempels schimmert; Sedlmayer 1948 Verlust 33 wird das München Ludwigs I. zu einer Art Architekturmuseum; ND 25. 8.1949 groß . . war die Aufgabe, die Projekte der neuen Bauvorhaben mit der historisch entstandenen Architektur der Stadt in Einklang zu bringen; Welt 20.2.1954 Druck und Ausstattung entsprechen allen Wünschen, die ein Liebhaber moderner Architektur haben mag; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 58 die Bauformen einer Kirche belehren uns unabsichtlich, daher objektiv, daß hier nordfranzösische Architektureinflüsse wirksam waren; Niebelschütz 1961 Spiel 335 in der Rangfolge der Künste stand immer und wird immer stehen die Architektur. Sie ist die SchlüsselKunst für alle anderen; ND 25.2.1969 der erste Lehrgang für leitende Kader im Städtebau und in der Architektur wird bereits im Frühjahrssemester stattfinden; MM 21.2.1985 die hessische SPD legte es darauf an, . . die sogenannte „Architektur einer neuen Politik". . im Bewußtsein der Wähler zu verankern; Zeit 29. 3. 1985 Lange Filme müssen heute . . in erster Linie unter dem Aspekt der Architektur und Komposition betrachtet werden; MM 2.4.1986 ein multifunktionales Zentrum mit unterschiedlichen Freizeiteinrichtungen, . . dessen gläserne Architektur mehrgeschossig in den Schloßpark vorstößt; Zeit 1.8.1986 sie möchte gern Innenarchitektur oder Raumgestaltung studieren; ebd. 19.9.1986 zunächst geht es um die Architektur der politischen Rahmenbedingungen in der Mitte Europas; ebd. 26.12.1986 die Gotik wird als spezifisch deutsche Architektur verstanden, obgleich das der historischen Wahrheit widerspricht; ebd. 9.1.1987 im dritten Jahr seiner Existenz widmet das Frankfurter Architekturmuseum seine zwanzigste Ausstellung . . Ernst May; ebd. 20.2.1987 so wie die postmoderne Architektur, die sich aus allen Architekturepochen Einfalle zu-

Archiv sammenleiht, geschichtslos ist; MM 17. 8.1987 respektlos . . plünderten die Postmodernen die Architekturgeschichte und rissen Formen aus ihrem zeitlichen Zusammenhang; ebd. 19.2.1988 der kopfschüttelnde Jammer über die jeweils moderne Architektur ist so uralt wie die Architektur selber; ebd. 1.6.1988 der Einfluß Wagners . . beginnt, die vormals zyklopische Architektur dieser Sinfonik aufzuweichen; Spiegel 30. 7.1990 in der Nähe des Bahnhofs . . bieten jetzt zwischen trister Plattenarchitektur fliegende Händler Billigwaren feil; ebd.

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30.11.1992 Sempers auf die Sammlung zugeschnittener Museumsbau, auch er im Krieg schwer getroffen, wurde von 1955 bis 1960 eilends wiederhergestellt — eine bedeutende, wiewohl nicht problemlose Architektur; ebd. Schließlich durfte er [Semper] das bis dahin an einer Seite offene Geviert des „Zwingers", einer grazilen Barockarchitektur . ., mit einem reichlich wuchtigen Längstrakt in Renaissanceform schließen; MM 10.7. 1993 Es gibt auch gute Architektur und kultivierte Häuser in Kämpen.

Archiv N. (-s; -e), im späteren 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. spätlat. archivum, Nebenform von lat. archium (< griech. 'Regierungsgebäude, Behörde, Amt', zu 'Anfang, Ursache, Ursprung, Herrschaft, Regierung', Verbalnomen zu 'der erste sein, vorangehen, anfangen, herrschen'; —» Archaismus, —> Architekt), anfangs noch häufig in der lat. (fielet.) Form. Zunächst in der Bed. 'Aufbewahrungsort für (öffentliche) Urkunden, Akten, Dokumente u. ä. Schriftstücke, insbes. soweit sie historisch, rechtlich, politisch o. ä. von Bedeutung sind', seit späterem 17. Jh. (s. Beleg 1673) auch metonymisch für 'Sammlung von solchen Schriftstücken', z. B. in Wendungen wie ein umfangreiches Archiv anlegen, häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Bild-, Bundes-, Familien-, Foto-, Film-, Geheim-, Kriegs-, Landes-, Literatur-, Reichs-, Sprach-, Staats-, Stadt-, Wirtschafts-, Zentralarchiv; Archivakten, -arbeit, -forschungen, -gut, -schrank, -Urkunden, -Wissenschaft; daneben gelegentlich auch als Titel wissenschaftlicher Zeitschriften (s. Beleg 1846). Seit spätem 18. Jh. auch übertragen gebraucht, z. B. in den Wendungen das Archiv der Zeit, der Erinnerungen; die Archive der Menschheit (s. Belege 1780, 1784, 1940, 1962) und selten in bezug auf Personen, insbes. deren Erfahrungsschatz oder Wissensvorrat (s. Belege 1778, 1785, 1790—92, 1795, 1893, 1929). Dazu seit früherem 17. Jh. die subst. Ableitung Archivar M. (-s; -e), bis ins 19. Jh. auch in der latinisierten Nebenform Archivarius, in der Bed. '(wissenschaftlich ausgebildeter) Betreuer, Verwalter eines Archivs', daneben seit früherem 19. Jh. (1838 bei Heyse) gebuchtes gleichbed., heute veraltetes Archivist. Seit Mitte 18. Jh. die seltenen adj. Ableitungen archivisch und archivarisch 'ein Archiv betreffend, aus einem Archiv stammend'; seit spätem 18. Jh. das Adj. archivalisch (ohne Steigerung) 'ein Archiv, die Archivalien betreffend; urkundlich; zu einem Archiv gehörend, darin enthalten, aus ihm stammend'; seit Anfang 19. Jh. die latinisierende subst. Ableitung Archivalien Pl. 'in einem Archiv aufbewahrte Schriftstücke, Urkunden, Dokumente'. Seit Mitte 19. Jh. das V. trans, archivieren 'Schriftstücke, Urkunden in ein Archiv aufnehmen', auch adj. verwendet in der Part. Perf.-Form archiviert; in neuerer Zeit das Verbalsubst. Archivierung F. (-; -en), z. B. die Archivierung von Bildmaterial. Archiv: 1465 Rappoltstein IV 818 wie in dem archivo zu befinden (MÖLLER); Hedio 1531 Josephus Vorr. Vila Archiua seind Cantzleyen rodell oder gedenck register; Golius 1579 Onomasticon

113 Archiuum .. der Statt kammer, darinn die priuilegien vnd andere schrifften verwaret werden; Eyzinger 1591 Relationen II 56 den Registratorn zu Bonn, der des Ertzstifft archiuum, Jura, Sigel

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vnd Brief in verwarung hab; Wedel um 1600 Hausbuch 55 Johann Buggenhagen . . in befehl geben, sich aus den archivis, Städten . . , was zu historischer nachrichtung dienlich, guter nothdurft nach mit fleiß zu erkundigen; 1618 Acta Publica (schles.) 18 das doch inkünftig . . die Ober- Ambtssachen . , in solchen archiven eingestellet werden vnd beim Lande verbleiben sollen; Zinkgref 1628 Apophthegm. I 113 bittend/ daß man jhrn derhalben das Oesterreichische Archivum vnd alle Brieff wolte durchzusehen vergönnen; Leibniz 1668—76 Briefw. l 52 dahehr an ChurMaynz die höchste direction der Reichs- und Comitial Sachen, auch Reichs-Archivi, als obersten Churfürsten und Collegi Decanum . . iederzeit gewiesen worden; Weise 1673 Erznarren 116 Endlich kam Florindo über das Fürstliche Archivum, welches in einem Beykästgen gantz heilig auffgehoben war; Lebenwaldt 1680 Teufels List 488 in Archiven vnd Kantzleyen; Morhof 1682 Unterricht 257 Er führet auch etwas daraus an/ inngleichen auch aus etzlichen Uhralten Diplomatibus, die er in den Archivis gefunden; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 110 so würde gar leichte geschehen können, daß . . er aus dem Archive des Fürsten keine genaue Nachricht von der Sachen Beschaffenheit hätte; Wening 1701 Bayern l cb auss denen Archiven, Registraturen, Fundationen vnd ändern vnvmbstosslichen Original-Berichten vnd Documenten gezogen; Sperander 1727 A la mod Sprach 46 Archiv, ein Brief-Gewölb, oder der Ort, allwo bey grossen Herren und Republiquen die Briefe und Urkunden, so das gemeine Wesen angehen, verwahret werden; Hederich 1743 Antiqu. Lex. 333 Archivum . . war ein verwahrtes Behältniß für die öffentlichen Schriften, dergleichen so wohl die Kayser und Könige als auch die Kirchen hatten; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien U 10 o. S.) so setzet er sich hin, nimmt die Documenta aus einem unserer Archive zusammen, schreibt eine Historic; Hermes 1778 Sophiens Reise II 25 dass die Bewohner des Niederschlesischen Gebirgs . . das Archiv der Schlesischen Guthmütigkeit sind; K. G. Lessing 1780 Mätresse 63 der [Baron] war so ernst und vertieft, als trüg' er alle europäische Staatsarchive in seiner Tasche; Schubart 1780 Originalien 20 Leg das Dokument ins Archiv der Zeit; 1781 Merkur l 195 [Die Briefe der Heloise] kostbare Urkunden aus dem Archiv der Menschheit; Schlettwein 1784 Archiv VII 46 Ich verweise Herrn Hunger und meine übrigen Leser auf meinen Aufsatz über Neckers Finanz-Verwaltung im dritten Bande dieses Archivs; Bürger 1784 Popularität d. Poesie HI 15 Wollte man sagen, dichten heiße nicht immer so viel als fabeln, sondern auch . . etwas hervorzubringen, so würde diese Bedeutung nicht aus dem gemeinen Spracharchive, sondern aus ei-

nem der entlegensten Winkel hervorgesucht sein; 1785 Journal v. u. f. Deutschland l 313 Man pflegt den Ausdruck „lebendiges Archiv" gemeiniglich von Geschäftsmännern zu gebrauchen, welche durch die lange Zeit ihrer Amtsführung und ein gutes Gedächtsnis aus dem Stehgreif Rath zu geben wissen, wo andere sich aus ganzen Stössen von Acten zu belehren nöthig haben; Gercken 1786 Reisen III 61 Ich sähe..eine Sammlung von Kopialbüchern, vom XIV. Jahrhunderte an, die aber nicht das Reichsarchiv angehen, sondern Chur Maynz selbst; Bretzner 1788 Leben 111 421 Die Archive, Biographien, Journale . . sind . . in so großer Menge da, daß sie die Leser anekeln; Beckmann 1790-92 Erfindungen III 476 Ihre volständige Beschreibung solte . . in den Archiven menschlicher Kenntnissen, in den Bibliotheken, der Nachwelt aufbewahrt werden; Stieglitz 1792 Baukunst I 39 Archiv, ist ein Gebäude, . . wo Urkunden und andere schriftliche Nachrichten aufbewahret werden; Goethe 1795 Unterhaltungen (WA I 18,110) die Gesellschaft verliert dabei die Unterhaltung ihres Gatten, der . . doch ein trefflicher rechtschaffener Mann ist und ein unerschöpfliches Archiv von Menschen- und Welt-Kenntniß; Jean Paul 1795 Fixlein (W. VII 198) er kommt nie darhinter, wie bürgerlich-eng einem armen Archivsekretär mit sechs Kindern . . zumute ist; Heynatz 1796 Antibarbarus l 395 Erzschrein für Archiv ist eine Erfindung der ehemaligen fruchtbringenden Gesellschaft; Garve 1797 Ges. Sehr, l 174 Vertrauen auf die Sicherheit des Archives, in welches wir eine erlangte Kenntniss niedergelegt haben; Niemeyer 1801 Pädagogik 62 Sie haben pädagogische Archive, Magazine, Bibliotheken; Laukhard 1802 Leben 293 Meine Nachrichten sind . . notorisch wahr, und keineswegs aus dem Archiv gezogen, welches ich nicht erbrechen kann; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 28,128) Nun flüchtete man in Kriegsnoth einen Theil des Archives von Speyer nach Aschaffenburg . . der dritte fiel in die Hände der Franzosen, welche ein Staatsarchiv erobert zu haben glaubten; Müller 1817 München II 387 wurde, neben dem k. Hausarchive, und dem Staatsarchive,. . ein einziges Allgemeines Reichsarchiv in München . . errichtet; 1818 Die Wage I 130 Will der Spott nun Registrator sein im Archive der Lächerlichkeiten, um sie aufzubewahren; Kohl 1842 Böhmen 319 Ein eigener Archivdirektor mit seinen Unterbeamten hat hier beständig Arbeit genug; Burckhardt 1846 Br. a. Schauenburg 65 Bei mäßigem, ja sogar kümmerlichem, aber sicherm Auskommen eine Stelle an einer Bibliothek oder einem Archiv; 1846 Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen u. Literaturen (Titel); Prutz 1854 Neue Sehr. I 13 Das Journal des Scavans glich somit weit mehr dem, was wir heutzutage mit dem

Archiv Namen Repertorium oder Archiv bezeichnen; Fulda 1887 Dürer 62 Nach längerem Suchen fand er in einer als Archiv dienenden Schieblade den schon ganz vergilbten Brief; Bahr 1893 Liebe 182 der Gatte, dieses prächtige Exemplar von bureaukratischer Dummheit, ein wahres Archiv von unbezahlbaren Schwanken; Mayer 1902 Das Archiv und die Registratur der niederösterreichischen Stände von 1518~1848 (Titel); Gombert 1908 Progr. 36 f. Nach Abschluß des Druckes ist mir durch die Güte des . . Herrn geheimen Archivrats . . mitgeteilt worden, daß umfassende Vergleichungen in den Akten die . . Annahme . . bekräftigen; Wackernagel 1911 Das Schweizerische Wirtschaftsarchiv in Basel (Titel); Colerus 1929 Kaufherr 380 Sie bezog . . ihre Voraussetzungen eher aus dem Instinkt, aus Gesprächen . . mit . . Ärzten . . und schließlich aus jenem ungreifbaren . . Archiv der Laientradition, die mehr oder weniger jeden wackeren Menschen in medizinische Bereiche führt; Lokal-Anz. 29.1.1933 Im Reichsarchiv wird dieses Material wissenschaftlich bearbeitet; Dtsch. AZ. 1.1.1935 was nur durch Archivforschungen in Portugal möglich ist; ebd. 14.8.1935 Liebevolle Archivarbeit und harmonische Dichtung lassen eine Zeitgeschichte entstehen; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. IX 581) in den Notizen und und Entwürfen zu seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit" vermerkt Goethe die Erinnerung an ein „geheimes Archiv wunderlicher Produktionen" . . Die Nachricht von diesem Geheimarchiv . . überrascht uns nicht; Münch. N.N. 20.12.1940 Man wird lange im Archiv der Erinnerungen nachschlagen müssen, um unser Staatsschauspiel auf ähnlicher Höhe lustspielmäßiger Darstellung zu überraschen; Welt 22.2.1949 Das Stadtarchiv bittet um völlige oder leihweise Überlassung von Bildern aus Privatbesitz; ebd. 3.12.1949 eine bisher unbekannte Zeitung aus dem Jahre 1526 wurde in einem Archiv in Helsinki entdeckt; Heimpel 1956 Kapitulation 66 jedes in seiner Ordnung wiederhergestellte Archiv, jede zutreffende Archivrekonstruktion in der Geschichtsschreibung ist ein Trost; Welt 30. 7.1962 Der General und der Kanzler werden diese Erinnerung ins Archiv der Geschichte verweisen; Partner 1964 Erben 183 im Jahre 903 ging der Bau in Flammen auf; auch das bischöfliche Archiv und die Bibliothek verbrannten; Welt 14. 7.1964 die besterhaltene Handschrift fand sich im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel; ND 11.3.1974 das finnische Filmarchiv plant, diese Serie auch in Tampere . . zu zeigen; Dülmen 1977 Reformation 272 Rechnungsbücher und Gerichtsakten wurden zerrissen und das Archiv des Rathauses . . zerstreut und vernichtet; Zeit 6. 9. 1985 seine Aufgabe war, das berühmte Archiv des Nachrichtenmagazins zu reorganisieren; ebd.

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25.10.1985 [der] Band, sorgfältig zusammengestellt auf Grund umfangreicher Forschungen und unter Benutzung des Familienarchivs; ebd. 1.11. 1985 eine klare Regelung des Verhältnisses von Nutzungsrecht des Archivgutes und Persönlichkeitsrecht will die Regierung schaffen; ebd. alle Bundesbehörden sollen deswegen gehalten sein, ihre für die laufenden Geschäfte nicht mehr benötigten Akten dem Bundesarchiv anzubieten; MM 8.1.1986 das von Professor Erwin K. Scheuch geleitete Zentralarchiv für empirische Sozialforschung; Zeit 2.5.1986 eine Ausstellung im Marbacher Literaturarchiv dokumentiert Leben und Werk der Schriftstellerin; MM 4. 9.1986 auf seiner unermüdlichen Suche nach dem legendären Bernsteinzimmer aus dem Zarenschloß Zarskoje Selow stieß Stein jetzt im Nationalarchiv in Washington in den 1945 erbeuteten Akten des Geheimen Reichsarchivs auf eine Schreibmaschinenabschrift des Kriegstagebuchs; ebd. 31.7.1987 mehr als 120 Archive, Museen und Privatleute . . haben für die Büchner-Dokumentation Stücke ausgeliehen; ebd. 25.3.1988 in Bibliotheken und Archiven lagern unersetzliche Werte aus einem empfindlichen Stoff, aus Papier; Spiegel 15. 2.1993 Mit dieser Mischung aus Avantgarde und Archiv, aus Keckheit und Kostümkunde begeistert er [Modeschöpfer] jede Saison aufs neue die Schar seiner Kundinnen; MM 12. 7.1993 Im Mannheimer Stadtarchiv werden bereits ganze Aktenstöße vom schleichenden Zerfall bedroht. Archivalien: 1807 Reformministerium Stein l 62 Die Archivalien, . . die sie mit Treue, Eifer und Anhänglichkeit an E. K.M. befolgen; vor 1871 Natur XXI 506 Die Extradition der auf das Haus Hohenzollern-Brandenburg bezüglichen Archivalien (SANDERS 1871); 1893 Brockhaus l 837 der namentlich in den preußischen Archiven zur Anwendung gelangte Grundsatz der Provenienz führte dazu, in den Archiven jeder Provinz die Archivalien zu konzentrieren, die auf dem Boden derselben erwachsen sind; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 118 Die von manchen Autoren vertretene Auffassung, daß der Brief neben Urkunden und Akten ein besonderes „drittes Geschlecht" der Archivalien bilde, erscheint insofern unbegründet; Kaschnitz 1970 Typare u. Wachssiegel o. S. am 17. Aug. 1272 brannten Kirche und Kloster vollständig ab, auch sämtliche Archivalien wurden damals vernichtet; FAZ 24.9.1990 so werden zweihundertacht laufende Meter Archivalien der alten Hansestadt Reval (heute Tallin) zurückgegeben; Süddtsch. Ztg. 12./13.12.1992 es geht in abenteuerlichen Größenordnungen um Archivalien, Bücher, botanische und zoologische Sammlungen;

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Spiegel 23.8.1993 sie waren auf bis dahin unbekannte Archivalien gestoßen. archivalisch: v. Gebier 1783 Wien 112 Und an archivalischen Nachrichten fehlt es gewiß hier weniger als an irgend einem Ort; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,92) Des Sturm von Bocksberg erinnere ich mich kaum, ich weiß nur daß mir der archivalische Aufwand drinne lästig war; ders. 1799 Br. (WA IV 14,23) Für die archivalische Nachricht danke zum schönsten; 1876 Archivalische Zeitschrift (Titel); Kompert 1882 Monte Pincio (VII 101) Ich möchte fast sagen, es kocht und siedet nichts in diesen Stellen, es geht alles zu archivalisch treu darin vor; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 25) dann fragt er nach Schriften, nach Büchern und erklärt seinen Mut selbst zu Archivalischem; Benjamin 1931 Br. 541 die archivalische Exaktheit, mit der ich alles von mir Gedruckte verwahre; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 118 „Literatur-Archive", . . welche die .. Nachlässe bedeutender Persönlichkeiten nach archivalischen Grundsätzen aufzunehmen hätten; Zeit 3.4.1987 auch wenn durch die Zeiläufte des Holocaust wertvolles archivalisches Material verlorengegangen ist, gelang es .., ein nahezu lückenloses Bild von ostjüdischem Leben in Deutschland zu zeichnen. Archivar: Micraelius 1639 Pommerland II 51 Wegen gemelter Victory dem Könige zu gratulieren ist von Hertzog Philippe Jacobus erst Secretarius und Archivarius in Polen abgesand; Sperander 1727 A la mod Sprach 46 Archivarius, der dem Archiv, darinnen allerhand geheime Schreiben und Nachrichten verwahrlich behalten werden, vorgesetzt ist; 1731—38 Der genealogische Archivarius (Titel); Buchholtz 1753 Versuch 229 Anm. Beym Latomus aber wird sie unserm Johann beygelegt, der Archivar . . Schulz hat es auch aus Urkunden beweisen wollen; Goethe 1773 Br. (WA IV 2,92) Die Frau Archivarius (ich hoffe, das ist der rechte Titel) wird hoffentlich ihr blau gestreiftes Nachtjäckgen nicht etwa aus leidigem Hochmut zurückgelassen . . haben; Zimmermann 1785 Einsamkeit III 404 Was macht dich [Kritiker] hier zum Archivarius der Dummheit und zu unserm Geschmacksführer? Wo sind deine Schriften?; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 308 Herr Archivarius Bernhard in Hanau besitzt die ganze volständige Sammlung; Kortum 1799 Jobsiade 176 Max Grunz, Lumpensammler und Archivar; Goethe 1819 Br. (WA IV 32,50) Hiebey sende ein paar kleine Geschäfte, die unverzüglich ausgerichtet wünschte . . Eine Rolle an Grotefend. Eine andere an Archivar Schaum; ders. 1821 Br. (WA IV 34,153) Sollte sich, bey der Freundlichkeit der Archivare, noch irgend etwas hervorthun, so wird da-

von alsobald gleichmäßige Nachricht ertheilt; Schlözer 1828 Privatleben l 139 zum hohenlohischen wirklichen Hofrath und Archivarius ernannt; Kurz 1843 Heimatjahre l 128 als gelte die verächtliche . . Sprache, die er gegen ihn führte, fast noch mehr dem schlechten Schauspieler als dem Archivarius des Königs; Freytag 1844 Gelehrte I 145 Minister: Herr Archivar? Walter: Der bin ich, Excellenz; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. XI 743) Ihnen angegliedert ist ein verwaltendes Kapitel von fünf Mitgliedern, denen ein Archivar und ein Syndikus beigegeben sind; ders. 1948 Reden u. Aufs. (W. XI 680) wird es ihr nur ein rasch verstaubendes Kuriosum für Archivare sein, ein leichter Raub der Vergänglichkeit?; Partner 1964 Erben 353 ihre karolingische Herkunft wurde erst um die Jahrhundertwende nachgewiesen: literarisch durch den Dortmunder Archivar Rubel, archäologisch durch Carl Schuchhardt; 1967 Bild d. Wiss. I 10 Astronomen und Archivare verwenden schon lange diese vernünftige Reihenfolge; MM 5.7. 1986 Michael Schwarz . . zitiert Kardinal Alfons Stickler, den Bibliothekar und Archivar der Römischen Kirche; Zeit 1.5.1987 die inzwischen zur Archivarin in einem historischen Institut aufgestiegene Mascha; Spiegel 30.11.1992 264 Standorte von früheren Manufakturen fanden die Archivare in alten Handbüchern; Süddtsch. Ztg. 9./ 10.10.1993 Auf fünf Meter hohen Regalen stehen Tausende Bücher . . Ein Archivar krabbelt wie ein Käfer im Gras dazwischen herum. archivarisch: Musäus 1781 Physiognom. Reisen IV 113 Aufsätze und Skripturen . . abzuliefern, damit sie als archivarische Urkunden in den akademischen Bücherschrein reponiret werden; Laukhard 1802 Leben V 197 aus guten Quellen und archivarischen Nachrichten beschrieben; Goethe 1823 Archiv (WA l 41.2,27) Den näheren ausführlichem Inhalt jenes bibliothekarisch-archivarischen Verzeichnisses lege ich nach und nach in diesen Heften vor; Schlözer 1828 Privatleben I 139 in seinen archivarischen und historischen Arbeiten; Goethe 1832 Br. (WA IV 49,274) Ihre Enthüllung der archivarischen Schätze auf unserer Großherzoglichen Bibliothek; 1937 Volkswirt 793 [es fehlt] die notwendige Zeit .., um eine solche vorwiegend archivarische Tätigkeit mit der erforderlichen Gründlichkeit durchführen zu können. archivieren: Marx 1851 Br. (MEW XXXVII 339) Er [der Brief] enthielt nur Klatsch, obgleich es gut ist, daß auch dieser archiviert wird; Welt 25.11.1964 da liegen sie sicher und griffbereit archiviert; Offenburger Tagebl.17.5.1966 Tonbandaufnahmen der Stimmen lassen sich ebenso archivieren wie die Karten mit Fingerabdrücken; ND

Areal 1.6.1974 seit Gründung des Märkischen Museums werden Theaterzettel, Grafiken und erste Fotos von Berliner Bühnen archiviert; MM 23.7.1985 anhand archivierter Urkunden lassen sich die Teilnehmer an der grandiosen Fürstenschau . . namentlich ermitteln; Zeit 28.3.1986 da sich auch alte histologische Präparate umfärben lassen, konnte Böcking die Aussagekraft seiner Methode an vielen hundert archivierten Krankengeschichten überprüfen; MM 14.8.1987 das Deutsche Literaturarchiv in Marbach, in dem der Hesse-Nachlaß archiviert ist; Spiegel 7.12.1992 Er legt Wert auf die Feststellung, daß er heute noch täglich die Nachrichten von Radio Israel hört und die Tageszeitung Haaretz abonniert hat, sie sogar archiviert; Berl. Ztg. 3. 5.1993 was an historisch bedeutenden Akten in Berlin archiviert wird, lagert an vielen Orten der Stadt; Süddtsch. Ztg. 6.9.1993 Künstlernachlässe, die in der Akademie gesammelt wurden und dort archiviert und genutzt werden. Archivierung: Zeit 3.6.1985 das Arbeitsgebiet erstreckt sich von der formalen Erfassung . . von Tonträgern über die Archivierung von Publikationen bis hin zur Pflege . . des Bestandes; ebd. 28.3.1986 so daß das Reden über die nukleare Apokalypse ein weiteres literarisches Ereignis, eine

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weitere Archivierung einer Sendung ist, die konstatiert, daß die atomare Katastrophe irreversibel das gesamte Archiv und alle symbolische Kapazität zerstören würde; Süddtsch. Ztg. 10.8.1993 Mit Akribie reinigte sie rund 800 Platten, stellte Kontaktabzüge her und begann eine Arbeit, mit der Archivierung nach Themen, die noch viele Monate dauern wird. archivisch: Bucbholtz 1753 Meklenburg 7 Ein Geschichtschreiber, der blos aus archivischen Nachrichten mit der gebührenden Aufmerksamkeit schöpfen wollte, würde demnach zwar unverwerflichere Bürgen für sich stellen; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 146 Anmerkungen über dieses Buch in Archivischen Nebenarbeiten; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 111 beim archivischen Geschäftsgut wird er es dagegen mit sehr verschiedenen Erschließungsgrundsätzen zu tun haben. Archivist: Hillebrand 1874 Wälsches 423 so viel Lehrreiches über die Zustände des ersten Viertels unseres Jahrhunderts . . fielen, ohne Schuld der Archivistin, in die Hände einer Generation, die sich . . für Staatsgeschäfte interessirte; Meysenbug 1901 Individualitäten 172 Herr Mouval Archivist am Theatre francais.

Areal N. (-s; -e), im späten 18. Jh. gebildet aus der subst. Form von mlat. arealis 'den Flächeninhalt betreffend, Grundflächen-' (zu lat. area 'Fläche'). Im 18./19. Jh. nicht sehr gebräuchliches Fachwort vor allem zur geographischen Bestimmung in der Bed. 'Fläche, Flächenraum, Flächengröße', auch auf Gebäude bezogen für 'Grundfläche', im 19. Jh. häufig in der Zs. Arealgröße gebucht; seit etwa Mitte 19. Jh. allgemeiner verwendet für 'abgegrenztes Gebiet, Territorium, Gelände, Stück Land, Grundstück' (—* Terrain), häufig mit dem Merkmal der Größe (s. Belege 1866, 1985), der freien, unbebauten Fläche (s. Beleg 1895), der Abgrenzung (s. Belege 1947, 1988); meist als Grundwort in Zss. bestimmt von einer spezifizierenden Lokal- und bes. Nutzungsangabe, z. B. Depot-, Fabrik-, Industrie-, Hallen-, Kasernen-, Krankenhaus-, Stadtareal; gleichzeitig auch für 'Verbreitungsgebiet (z. B. von Tieren, Pflanzen, sprachlichen Erscheinungen), Bezirk, Bereich' (—» Region l a), bes. in den Zss. Arealkunde 'Teil der Naturkunde, der die räumliche Verbreitung von Pflanzen und Tieren erforscht', Areallinguistik '(neuere) Sprachgeographie' und Arealmethode 'in der Meinungsforschung angewendetes Stichprobenverfahren'; daneben in neuester Zeit auch auf kleinere Flächen z. B. des menschlichen Körpers bezogen für 'Zone' (—> Region Ib; s. Belege 1985, 1987), in Zss. wie Haut-, Hirnareal. Dazu in neuerer Zeit die adj. Ableitung areal (ohne Steigerung) 'ein bestimmtes Verbreitungsgebiet betreffend', z. B. in Wendungen wie areale Linguistik, areale Aspekte der Sprache. Areal: Bürger 1777 Br. II 146 Methode zur Bestimmung des Areals der Länder; Jean Paul 1798 S. W.

l 7,344 Der Schulrath verließ uns, weil er den Garten .. Stück für Stück durchschreiten wollte, um

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ihn zu aichen wie Herschel den Himmel, und um darauf der gelehrten Welt über dieses poetische Areal ein Wort zu sagen; 1804 Schinkels Nachlass l 69 Die heutige Stadt [Neapel] zählt auf einem Räume, der kaum dem Areal gleich kommt, auf dem Berlin gebaut ist, mehr als vierhunderttausend Seelen; Soden 1806 National-Ökonomie 182 Diesem befruchtenden Systeme hat Großbritannien vorzüglich den, seinen Arealfond im Verhältniß anderer Staaten weit überwiegenden und allen Gebrechen der Verfassung trozenden, Nazionalreichthum zu verdanken; Thaer 1809 Grundsätze l 35 Der Werth eines Landgutes ergiebt sich . . aus der Größe des ganzen Areals; Kohl 1841 Petersburg I 7 alle Säfte und Kräfte, die irgendwo auf dem großen Areal des Riesenreichs spärlich tröpfelten und keimten, fließen unter diesen Dächern in Strömen; A. v. Humboldt 1845-50 Kosmos III 306 Die Größe dieser Areale (KEHREIN); 1X48 Beschr. OA Nürtingen 68 Waldareal; 1859 Staatswb. IV 535 Die Besteuerung solcher Häuser [welche den Zweck der Benützung als Wohn- oder Werkstätte nicht haben] findet bisweilen nach Maßgabe der überbauten Grundfläche statt und führt dann den Namen „Arealhaussteuer"; Meissner 1866 Schwarzgelb 78 der künftige Besitzer zahlreicher Herrschaften, deren Areale sich mit einem größeren deutschen Fürstenthume messen durfte; Berlepsch 1875 Schweizerkunde 277 jene . . Uebergangs-Zone . ., auf welcher mehr als ein Viertheil des . . Areals mit Gletscher . . immer überdeckt bleibt; Rümelin 1875 Reden I 326 Wenn man rückwärts geht um 1000 Jahre . . so dürften .. auf dem jetzigen Areal des deutschen Reichs damals nur etwa 130 Menschen auf der Quadratmeile gewohnt haben; Eckstein 1895 Hartwig 251 mit zauberhafter Geschwindigkeit wuchs da auf dem freigewordenen Areal ein Kaufhaus empor; Ratzel 1898 Deutschland 238 Natürlich bildet auch jede Großstadt mit ihren Umgebungen eine derartige Insel [dichter Bevölkerung]. Diese Areale .. übertreffen an Ausdehnung die Frankreichs, Österreichs oder der südeuropäischen Länder; Polenz 1898 Grabenhager l 350 Malte war .. ein eifriger Landwirt, . . Früh um fünf bereits fand man ihn zu Pferde, sein ausgedehntes Areal bereitend; Blume 1899 Wehrkraft 68 wenn und so lange sich durch gesteigerte Kultur des Bodens und vervollkommnete Wirthschaftsmethode sich ein Ausgleich für Arealverminderung gewinnen läßt; Weber 1909 Industrien 31 Wenn die moderne Spinnerei . . für 1200 Tonnen Jahresproduktion ein Areal von 100 Ar braucht; Flake 1924 Zweite Jugend 15 als sie am ersten Tag beim Rundgang durch das Areal der Gießerei an den Rand kamen, wo sie mit der Baumschule zusammenstieß; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 286) Auch wir begleiten sie öfters in den würzig duftenden Schatten des gärtnerisch we-

nig geordneten, von bröckelnder Mauer eingefaßten Areals hinauf; Welt 26.3.1954 Im nächsten soll auf dem nun nackten Areal eine Kolonie von Siedlerhäuschen erstehen; ebd. 13.4.1964 Wie der Hafendirektor . . erklärte, wird man sparsam mit dem neuen Areal umgehen; Althaus/Henne/Wiegand 1973 Lex. d. germ. Linguistik 319 Areallinguistik heißt diejenige Teildisziplin, in der Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen sich räumlich gegeneinander abhebenden Sprachsystemen oder zwischen geographisch differenzierten sprachlichen Subsystemen sowie die Verbreitung der Übereinstimmungen mit Hilfe kartographischer Darstellungen interpretiert werden, ebd. 324 Dialektareale haben oft auffällige Formen, die an geometrische Figuren erinnern; Zeit 15. 2.1985 Doch auf den einst saftig grünen Marschwiesen entstand mit Steuergeldern in Milliardenhöhe ein Industrieareal; ebd. 5.4.1985 Das auffällige Areal in Einsteins Gehirn wird nach einer Klassifizierung des Anatomen Broca „Rindenfeld 39" genannt; MM 28.8.1985 Wer mit infektiösem Material in Berührung gekommen sei, solle die entsprechenden Hautareale mit einem gebräuchlichen Antiseptikum desinfizieren; ebd. 21.11.1985 Langfristig müsse auch über das Kasernen- und Depotareal nachgedacht werden; Zeit 4.4.1986 Fabrikareale, auf denen mit schädlichen Stoffen hantiert worden ist; ebd. 20.2.1987 Auf den ersten Blick gleicht das Areal einem jener Industriegebiete, die mittlerweile allenthalben die zersiedelten Stadtränder verunzieren; MM 4.6.1987 Beim nur wenige Meter entfernten Kiosk soll der letzte Zigarettenautomat auf dem Krankenhausareal die längste Zeit gehangen haben; ebd. 7.7. 1987 die .. verstärkte Durchblutung einzelner Hirnareale; MM 9. l. 1988 Joggingläufe im Grüngebiet des Bruchs, das Stalla zum Stadtareal rechnet; ebd. 11.3.1988 jeder Künstler hat sein eigenes Areal, auf dem die Besonderheiten seiner Arbeiten sich entfalten; Spiegel 9.7.1990 Die Vereinsbank hat sich bereits ein beachtliches Areal in bester Lage . . gesichert; Lukoschik 1991 In u. Out 217 Die Wohnung .. ist das KuschelAreal, IN dem der IN-sider den geschlechtlich favorisierten Contrahenten empfängt, genießt und verwöhnt; Spiegel 30.11.1992 Tag und Nacht durchwühlen Laster und Bagger ein riesiges Areal; MM 7.9.1993 Ackerflächen gehen verloren und die für die Erzeugung von Getreide und anderen Kulturpflanzen verfügbaren Areale werden weiter dezimiert. areal: i 973 ZGL / 3 Deutsche gesamtsprache soll hier verstanden werden als gesamtheit aller gruppensprachen, textsortenstile und Situationsregister, die . . historisch, areal und sozial determiniert sind; Althaus/Henne/Wiegand 1973 Lex. d. germ. Linguistik 319 Areale Aspekte der Sprache (Überschr.).

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Arena F. (-; Arenen), seit Ende 16. Jh. selten, seit früherem 18. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus lat. (h)arena 'Sand(-fläche), Küste; (mit Sand bestreuter) Kampfplatz im Amphitheater', anfangs vereinzelt lat. flektiert. Zunächst häufig und bis heute seltener als historische Bezeichnung für 'Kampfplatz', auf die Stätten der Gladiatorenkämpfe in den Amphitheatern Italiens und Südfrankreichs (Arles) bezogen (s. Belege 1579 — 1610, 1732) bzw. mit Bezug auf den Märtyrertod der ersten Christen (s. Belege 1917, 1934, 1956, 1961), oft gleichbed. mit —» Amphitheater (s. Belege 1778, 1786); seit dem 18. Jh. zunehmend auch allgemeiner in der Bed. 'Platz für Wettkämpfe und Vorführungen mit ringsum ansteigenden Zuschauerrängen, Stadion', vor allem 'Darbietungsort von Stierkämpfen' (s. Belege 1787, 1851, 1930, 1954; Stierkampfarena), vereinzelt auch übertragen (s. Beleg 1986); mit der Verbreitung des Sports im 19. Jh. auch 'Sport(kampf)stätte', z. B. im Sinn von 'Reitbahn' (s. Belege 1845, 1933, 1959, 1991) oder für 'Boxring' (s. Beleg 1949), als Grundwort in Zss. wie Eis-, Fußball-, Sportarena; ohne Bezug zum Sport seit späterem 19. Jh. häufig auf den Zirkus bezogen im Sinn von 'Manege' (s. Belege 1865, 1969, 1985; vgl. Zirkusarena), auch übertragen gebraucht, z. B. in der Wendung Arena frei! (s. Beleg 1985). Seit Ende 18. Jh. nach lat. Vorbild (s. Beleg 1732) auch übertragen gebraucht in der Bed. 'öffentlicher Schauplatz zur Austragung von Streit, Konkurrenz, Wettkampf' (s. Belege 1795, 1804, 1834, 1846, 1920, 1959, 1983), in Verbindungen wie die Arena betreten 'in der Öffentlichkeit erscheinen', in die Arena (herab-)steigen 'sich stellen' (s. Belege 1864, 1913, 1937); seit späterem 19. Jh. bes. auf (partei-)politische Auseinandersetzungen bezogen (s. Belege 1886, 1897, 1902, 1949, 1986), in Wendungen wie politische Arena, als Grundwort in der Zs. Wahlkampfarena; ohne das Merkmal des Kämpferischen im Sinn von 'Bühne, Forum' (s. Belege 1795, 1918, 1962, 1985, 1993), die historische, parlamentarische, internationale Arena, in die Arena der Geschichte treten, vgl. die Zs. Weltarena. Ernstinger 1579-1610 Kaisbuch 169 In diser statt [Arles] haben wir gesehen: les arenes oder theatrum, ain grosses altes gebey in die rondung erbaut von den alten Römern; 1597 Kronn aller Wegweiser 211 Arena; Grasser 1610 Schatzkammer 95 Arena, oder Platz, da die armen Menschen mit einander, oder mit den wilden Thieren gestritten; Zedlerl732 üniversallex. U 1300 Arena, der Sand, der Grieß, wird auch vor dem Kampff-Platz genommen, weil solcher mit frischem Sand bestreuet wurde, um das Blut derer Getödteten und Verwundeten desto leichter an sich zu ziehen. Daher protrahere aliquem in arenam, gesagt wird, wenn jemand zu streiten, zu fechten, zu disputiren, und Process zu führen veranlasset oder genöthiget wird. It. der Ort, wo die Gladiatores ihre SchauSpiele zeigten; Volkmann 1778 Italien III 32 das Amphitheater [von Capua] . . ist von Backsteinen gebauet . . Der Kampfplatz (arena) ist ganz verschüttet; Weinlig 1784 Rom H 74 Außer jenen vier Haupteingängen führten noch acht kleinere Thüren von diesem Gange auf die Arena; Goethe 1786 Tagebücher (WA HI 1,196) Als ich von der Arena

(so nennen sie das Amphitheater) wegging, kam ich einige Tausend Schritte davon, auch zu einem öffentlichen Schauspiele; Archenholz 1787 Italien l 74 Es war zwar nur ein Stiergefecht, allein es wurde im alten römischen Amphitheater gehalten . . Man nennt es hier Arena; Moritz 1792 Italien l 5 Ich blickte von der Arena, oder dem mit Sand bedeckten Kampfplatz in die Höhe, bis dahin, wo die obersten Stufen rund umher den Horizont beschränken und die Ruinen, welche sich in der Luft abschneiden, einen mahlerischen Anblick machen; Herder 1795 S. W. XXVII 110 führe du offnen Krieg, Mein Feldherr, und dein Lager werde Keine Arena der falschen Ehre; ders. 1795 Br. (S. W. XVII 291) sondern ihre [der Menschen] Gemüther selbst sind seine [des Sängers, Geschichtschreibers] Arena, der Schauplatz, das Ziel, das Maas seiner Wirkung; Goethe 1804 Br. (WA IV 17,204) Es ist recht lustig, daß wir diese Herren durch ihre Verehrer dergestalt ängstigen, daß sie lieber in die Hände ihrer Feinde fallen möchten. Das giebt uns vielleicht im nächsten Jahr die Gelegenheit unsere Maxime zu ändern und den Herrn Philosophen,

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Arena

statt einer darstellenden, eine polemische Arena zu eröffnen; Brun 1809 Episoden 300 Nun ist die Schneeregion erreicht! Eine tiefe Arena, von schroffen Bergspitzen umgeben, empfängt uns; Goethe 1829 Novelle (WA l 18,346) Erst führ' ich euch durch einen beschwerlichen Stieg auf das Gemäuer hinauf, gerade dem Eingang gegenüber, den ich erwähnt habe; das Kind mag hinabsteigen, gleichsam in die Arena des Schauspiels, und das besänftigte Thier dort hereinlocken; Heine 1834 Salon IV 14 die Idee ergreift uns und knechtet uns und peitscht uns in die Arena hinein, daß wir, wie gezwungene Gladiatoren, für sie kämpfen; Gurowsky 1845 Tour d. Belgien 293 jetzt sieht man aber bei derselben Gelegenheit abgemagerte Grooms einige Touren in vollem Gallopp durch die Arena machen; 1846 Urania 3 f. das jetzige Paris! diese den Advokaten und den Geldkrämern überlassene staubige Arena, in welcher befleckte Purpurmäntel und zerrissene Vestalinnenschleier im Gedränge roher Pöbelhaufen flattern!; Leuthold 1848-1875 Gedichte 176 ich kenne deine Begier/ Nach Ruhm . . so öffnet sich denn vor dir/ Die deutsche Dichterarena; Max. v. Mex. 1851 Leben 11 34 es ist die Arena, in welcher die weltberühmten Stiergefechte gehalten werden; Schopenhauer 1859 Welt H 185 Ueberdies versetzt der Versuch, eine Religion aus der Vernunft zu begründen, sie . . auf den [Boden] der philosophischen Systeme, . . in den Kampf, den diese, auf ihrer eigenen Arena, gegen einander führen; Raahe 1864 Hungerpastor 137 Wir können . . für irgendeine schöne, hohe Sache, zum Beispiel Schicksal, Ehre und Glück der deutschen Nation in die Arena hinabsteigen und Elend und Tod dafür auf uns nehmen; Wachenhusen 1865 Ballet l 13 Er war ein so trauriger Hanswurst, wie je einer die Arena betreten; nürnberger 1877 Herzenssachen 5 Fast wird das Papier zu wenig — denn manchmal sagt man statt Kampfplatz oder Arena noch immer Papier; Kutscher 1886 Nebelland 210 Eine Partei, die die offene gemeinsame Arena scheut und sich eine eigene kleine Arena baut, auf der bloss ihre eigenen Ritter im Vollgefühl der Sicherheit einherstolzieren sollen; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 10 der ursprünglich dem deutschen Volk gewidmete Prachtbau [des Reichstags] . . ist heute mehr als je lediglich eine Arena des Parteienkampfes; Haym 1902 Leben 295 alles Peinliche der politischen Arena; Heym 1910 Gedichte (Dichtungen u. Sehr, l 151) Auf morschen Rahen sitzen die Matrosen . . Zuschauern gleich in der Arena Tosen,/ So schaun sie in den bodenlosen Trog; Werner 1913 Erlebn. 326 und zu dem beliebten Streit um echt oder unecht [eines Bildes] in die Arena hinabzusteigen?; Voss 1917 Welt 143 Als Fackeln Kaiser Neros hatten sie [die ersten Christen] dem Siege des Chri-

stentums vorausgeleuchtet; in den Arenen wilden Bestien zum Fraß vorgeworfen; 1918 Deutschland 513 China steht im Begriff, in die Weltarena einzutreten; Dombrowski 1920 System II 266 Er zog sich von der Universität zurück, widmete sich seiner Farbenlehre und trat, für den Monismus kämpfend, in die Arena der öffentlichen Polemik; Bäumer 1928 Studien 115 Eine andere Arena öffnet sich heute, unsichtbar und unblutig: die des Geistes, in der Ideen allein kämpfen; Vergangenheit und Zukunft ringen dort in schwerer Erbitterung; Musil 1930 Mann I 75 wie ein in die Arena gehetzter Stier; Edschmid 1933 Südreich 41 Capua . . besaß eine Arena . . von solcher Größe, daß sie erst später durch das Kolosseum in Rom übertroffen worden war; Lokal-Anz. 21.3.1933 Der FußballLänderkampf Deutschland-Frankreich . . wurde mit diesem Massenbesuch zu einem ganz großen Ereignis . . Die Nationalhymne vor entblößten Häuptern im Riesenrund beim Einmarsch der Kämpen in die Arena; Bert, lllustr. Nachtausg. 22.5.1933 Ich stand mit vielen anderen Menschen in dem großen Zelt und sah belustigt den Pferden und der Hilflosigkeit ihrer ihnen ausgelieferten Reiter zu . . Gerade hatte ich mich als ein Held entschlossen, ebenfalls in die Arena zu treten; Ortenau 22. 8.1934 Seit Monaten wurde in Nürnberg an der Erstellung der Aufmarscharena im Luitpoldhain für die Reichsparteitage, nach den Ideen des Führers, gearbeitet; Bertololy 1934 Dora 14 wie die christlichen Märtyrer vor freudiger Ungeduld kaum erwarten konnten, die todbringende Arena zu betreten; Lokal-Anz. 28.12.1934 Eine Eisarena von 20 000 Quadratmeter Fläche, mit 500-Meter-Bahn für Eisschnelläufer und einem . . Eishockeyplatz entsteht hier; Th. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. XII 793) es gibt keinen subalterneren Hohn als den auf den Dichter, der „in die politische Arena hinabsteigt"; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 192) daß auch ein Künstlerleben ein Menschenleben ist, — die Humanität der Arena kümmert es nicht; Süddtsch. Ztg. 12.10.1948 Die UN-Vollversammlung sei im Grunde zu einer Arena herabgewürdigt worden, in der sich Vertreter der Großmächte mit Vorwürfen und Schmähungen überhäuften, um ihre Völker aufzupeitschen; Welt 18.6.1949 „das ist der Traum, den ich seit sechs Jahren geträumt habe", rief der Amerikaner Jake Lamotta in die Arena nach seinem Sieg und Titelgewinn in der neunten Runde über den bisherigen Weltmeister im Mittelgewicht; ebd. 2. 9.1949 all dies, vom Ruhrstatut bis zur territorialen Hoheit über Ostpreußen . . wird ja sicher kommen, wenn seine Zeit da ist, aber warum es jetzt schon an den Haaren in die parteipolitische Arena schleppen?; Kesten 1952 Casanova 31 Die Zanetta . . war in der antiken Arena von Verona

Argument aufgetreten; Th. Mann 1954 Kmü (W. VH 646) aus diesem Anlaß sei . . eine Corrida de toiros, ein Stierkampf .. in der großen Arena am Campo Pequeno angesetzt; Heimpel 1956 Kapitulation 62 Wahrung der Freiheit, nämlich die Bereitschaft, das Grauen des Zwangsläufigen zu überwinden, wie die Christen das Imperium in der Arena überwanden; Jaspers 1958 Atombombe 345 für ihn ist die Welt eine große Arena ohne Gott, wo das Gewissen keinen Platz hat und wo ein jeder sich so gut durchschlagen soll, wie er kann; Welt 12.5.1959 unter den interessantesten Konkurrenten, die während des diesjährigen Turniers in der Arena zu sehen waren, müssen wir an erster Stelle die deutschen Reiter Winkler und Thiedemann nennen; ND 14.6.1959 in all dem sehen wir mit Recht die wachsende Autorität der DDR in der internationalen Arena; Süddtsch. Ztg. 25.8.1960 Weit ist der Weg von Arena zu Arena . . Noch nie waren [bei einer Olympiade] die Kampfstätten so weit vom Ortszentrum und voneinander entfernt wie in der Zweimillionenstadt am Tiber; Stuttgarter Ztg. 21.3.1961 Die Christen sind so edel und gut, wie es ihnen zukommt, und die Löwen im Zwinger der Arena so wild und hungrig, wie man es von ihnen erwartet; Grass 1962 Blechtrommel 92 unsereins muß auf die Bühne, in die Arena; Welt 12.5.1969 nun wechselt die kleine Theatergruppe über in die

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Manege, den Schauplatz der außergewöhnlichen Premiere ..: Theater in der Zirkusarena; Job 1970 Theater o. S. Scharoun verwirklicht mit seinem Bau eigenwillig, aber zweifelsfrei den Gedanken der Arena; Sloterdi/k 1983 Kritik 195 Wo Stirner sein revoltisch-auftrumpfendes Ich in die öffentliche Arena führte; Zeit 21.6.1985 wenn im Moskauer Zirkus die Kosaken hoch zu Pferde eine riesige rote Fahne mit Hammer und Sichel durch die Arena schwenken; ebd. 16.8.1985 das Wort „tagesschau" setzt sich mit einem Salto vor die Welt, die Buchstaben füllen sich golden auf: Tusch, und Arena frei für Herrn K. und seine frohe und andere Botschaft; ebd. 11.10.1985 der Weltraum eine Arena der friedlichen Zusammenarbeit und nicht der militärischen Konfrontation; MM 8.2.1986 dann ziehen die Aktienmatadore . . zu Fuß . . in die eigentliche Arena ein; Zeit 14.3.1986 ließ sich . . zum Präsidentschaftskandidaten aufstellen und stieg wohlgemut . . in die Wahlkampfarena; 1990 Elle X 184 Der vierzigjährige Designer fühlt sich in der quirligen Modearena eigentlich fehl am Platze; Lukoschik 1991 In u. Out 74 auf dem Weg in die Renn-Arena [von Ascot]; Süddtsch. Ztg. 28./ 29.8.1993 Freizeit bietet .., außer der Laufbahn in Bildung und Beruf, eine hervorragende Arena, in der kulturelle und psycho-soziale Kompetenz erworben wird.

Argument N. (-(e)s; -e), bereits im Mhd. (LEXER) entlehnt aus gleichbed. lat. argumentum, eigentlich 'was der Erhellung und Veranschaulichung dient' (zu arguere 'deutlich zu erkennen geben, klarmachen, erhellen, beweisen', eigentlich 'im hellen Lichte zeigen'), bis ins 20. Jh., bes. in fachspr. Syntagmen (z. B. gebucht 1933 bei Genius), auch in der lat. (flekt.) Form. l Häufig im rhetorisch-philosophischen Bereich auf wissenschaftliche Erörterungen, Dispute u. ä. bezogen, aber auch allgemeiner verwendet in der Bed. 'etwas, was zur Rechtfertigung, Begründung oder zum Beweis für etwas vorgebracht wird; Grund für eine Behauptung, Rechtfertigungs-, Beweisgrund, Punkt einer Beweisführung', auch metonymisch für 'Inhalt eines Beweispunktes', meist plur. in den attributiven Verbindungen gewichtige, logische, scharfsinnige, schlagende, schwerwiegende, stichhaltige, einleuchtende, unhaltbare Argumente und in Syntagmen wie Argumente für/gegen etwas vorbringen, geltend machen, sich Argumenten gegenüber offen zeigen, verschließen, Argumente entkräften, sich jmds. Argumente zu eigen machen, dies ist kein Argument 'keine stichhaltige Entgegnung'; als Grundwort bes. in den Zss. Gegen-, Haupt-, Scheinargument. Dazu seit frühem 16. Jh. das aus gleichbed. lat. argumentari entlehnte V. (in)trans. argumentieren 'seine Argumente für oder gegen etwas darlegen, seine Gründe auseinandersetzen, (als) Beweis (an-)führen', in Syntagmen wie sachlich für, gegen jmdn./etwas argumentieren, mit dem vereinzelten Verbalsubst. Argumentierung; vgl. daneben das aus lat. arguere (s. o.) übernommene, vom Mhd. (LEXER) bis ins 16. Jh. selten bezeugte Verb arguieren, bes. in theologischem Zusammenhang für

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Argument

'von etwas reden, etwas mit Gründen darlegen, erörtern, beweisen, Beweise beibringen'. Etwa gleichzeitig aus (flekt. Form von) gleichbed. lat. argumentatio entlehntes Argumentation F. (-; -en) 'Darlegung der Gründe für etwas, Begründung für eine Behauptung, Beweisführung', häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Argumentationshilfe, -kette, -kraft, -muster, -not, -weise, -Zusammenhang. Dazu das seit Anfang 20. Jh. nachgewiesene, auf lat. argumentativus 'Gründe darlegend' zurückgehende Adj. argumentativ (ohne Steigerung) 'Argumente betreffend, auf Argumenten beruhend; mit Hilfe von Argumenten (durchgeführt, arbeitend)', z. B. ein argumentativ, nicht polemisch geführter Wahlkampf. 2 Vom 15. bis ins 19. Jh. selten auch in der Bed. 'schriftliche Darstellung, Darlegung', auch 'Stoff, Gegenstand, (kurzer) Inhalt der Darstellung; Inhaltsübersicht, Vorrede (zu einem literarischen/wissenschaftlichen Werk)' (s. Belege 1486, 1536, 1567). Dazu vom 14. bis ins 16. Jh. vereinzelt die aus dem Lat. entlehnten bzw. nach lat. Muster gebildeten Personenbezeichnungen Argumentant 'Beweisführer, Gegner (beim Disputieren)', gleichbed. mit vereinzeltem Argumentist, Argumentator (zu 1), und Argumentarius 'Person im mittelalterlichen Theater, deren Aufgabe es ist, vor Beginn der Aufführung Inhalt und Absicht des Stückes anzugeben und zu rechtfertigen' (zu 2). Argument 1: Trimberg um 1300 Der Renner 187 di ein argumentlin gelernet (MÖLLER); Beheitn 1343 Evangelienbuch 8 wan uns was in diseme vlize des argumentis niht zu swigene den suchenden und den gloubin zcu gebine des gesehenen dinges; Folz um 1460 Meisterlieder 215 Und waß sein argumente/ Wie in der gotheit sein/ Der persan 3 genente,/ Auß den der sun allein/ An nem menschliches cleite; Niclas v. Wyle 1478 Transl. 21 Aber man mag villicht etwas nutzes hier von züchen vnd nemen. Dann wyle die frow die in disz argument gezogen wirf .. mit wainen ir trurig bekumbert sele sterbend vfgab; Melber 1481 Voc. o. S. Argumentum ein zeigung . . bewerung anziehung . . bewerung durch die man etwas bewiszt oder gleublich macht; Luther-Emser 1521 Str. II 173 Auff dis argument sag ich, das das antecedens oder erste teyl, nämlich das der heilig geist eynfaltig sey, war ist; Nazarei 1521 Gott 9 also erdacht der schalckhafftig tusentkünstiger die prima principia, das ist die grundtfesten Christlichs glaubens, macht im selbs ein solch argument, do dan yemer eyns das ander anzeigt; ebd. 11 brachten ir argument uß der Philosophi, uß dem Aristotele, Socrate; Zwingli 1522 Freiheit d. Speisen 10 f. Doch muß ich denen ein Heidisch argument für werfen, die geleerter sind im Aristotele dann Euangelio oder Paulo; Eberlin v. Günzburg 1525 Ausgew. Sehr. II 19 Yetz merckest du, mit was waffen die Sophisten fachten wider gottes wort, vnnd wie ain ströin argument der Franciscaner gefürt hat wider das fewrig Euangelium; Paracelsus 1527 S. W. I 3,185 ist es dan

möglich den toten körper zu behalten noch vil mer den lebendigen, und nit betrachten der widerparteien einred und argumenten, sonder uns unser argumenten darin solviren; Murner 1528 Messe 24 Von den argumenten die nit sint vff gelöset noch verantwurt worden vff der disputation zu Bern; Paracelsus 1530 S. W. II 4,100 sollen wir genesen durch das angesicht gottes, so müssen wir bleiben in seinen Worten, das ist sein angesicht. denn er einfeltig geredt hat, ohn all tropos und argumenta; Fuchsberger 1534 Dialektik 38a Es soll aber kainer gedencken, das in disen formen gelernt werde, durch was argument oder welchen anzug ain yeder fürschlag sol oder mög probiert werden; Paracelsus 1537-38 S. W. I 12,108 so hundert beieinander sind und weren alle vol, so ist keiner des sins als der ander ist, ein ieglicher beugt das argument nach seiner nasen; Alberus 1550 Fabeln 195 Auß diesem Spruch kundt er behent Fassen ein schönes Argument, Und sein gantz disputation Am end hatt solch Conclusion; Fischart 1572 Eulensp. (II 414) Nun solchen mißbrauch anzudeuten zog Eulenspiegel auch vor Zeiten auff ein berhumpte hohe schul, da stelt er sich gleich für den stul, darauf der Doctor Cathedriert, vnd seltzam Argumenten führt; ders. 1581 Dämonomania 21 letzlich ist auch Thomas von Aquin der vnmöglichkeyt diser meynung durch andere Argument gewar worden; Nigrinus 1587 Schlüssel Büchlein 76a Vnsere schöne argumenta wider das altgläubige Christenthumb; Fioravanti 1604 Krön d. Artzney 3 Vnd so dich etwan bedüncke, es haben solche meine

Argument Schrifften keine besondere vnnd gewisse Argumenta vnnd Fragen, so sind sie doch mit Exempeln, Experimenten . . versehen; Hollonius 1605 Somnium 72 da doch Goropius Becanus mit seinen Originibus mit vielen Argumenten zu beweisen vermeinet, unsere Alt-Sächsische vnnd die Niederlendische spräche, sey vnter allen sprachen der gantzen Welt die eheste; Stevini 1608 Festung 60 nach flüssiger Erwegung vnnd Betrachtung der Argumenten vnd Gründe; Theobald 1609 Hussitenkrieg l Cicero rühmet in seiner Oration pro Archia hoch die freyen Künste . . Aber dasselbige gantze Argument ist allein von den Historien zuverstehen; Drexel 1625 Weckuhr 211 Ein vberauss edles Argument vnd Zeugnus der Warheit; Lauremberg 1652 Scherzged. 65 Wat kan man bringen her vor Argument und Gründe, Damit jemand van juw richtig bewisen künde, de Mening, dat van der Hochdudschen Sprake mehr Als van unser Nedderdutschen tho holden wehr; Grimmeishausen 1669 Simpl. 214f. [der Held wird] sie auch durch hochvernünfftige Gründe und unwidertreibliche Argumenta dahin bringen, daß sie von sich selbst eine allgemeine Vereinigung wünschen; Weise 1673 Erznarren 81 weil der Discipulus nicht disputiren könne, so solte er der Informator selbst das Argument auf sich nehmen; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 35 Ist demnach nit mehr vonnöthen viel andere Argumenta bey zu fügen, noch weiter Ursachen zu suchen, warumb so schädliche Kriegs-Empörungen sich erheben; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 12 Hieraus macht nun unser Autor folgendes Argument; ders. 1701 Kl. Sehr. 107 [die] Autores, da sie sonsten das meiste zu beantworten sich angelegen seyn lassen, dennoch das argument gantz übergangen, daß . .; 1712 Fama XV11 337 daß dieses Argumentum als ein Problema tractiret worden; 1719 Neue Bibl. LXX1 302 Eines der allerstaercksten Argumenten, so der Hr Denyse anfuehret; Sperander 1727 A la mod Sprach 46 Argument, eine Schluß-Rede, ein Beweißthum; Meier 1748 Anfangsgründe l 269 Jetzo müssen die erläuternden Argumente in Betrachtung gezogen werden; ebd. Alle Vorstellungen, in so ferne sie eine Kraft haben, heissen im weitern Verstande Argumente (argumenta latius dicta) . . Einige machen andere Vorstellungen gewis, und die heissen beweisende Argumente (argumenta probantia); ders. 1754 Anfangsgründe l 294 kan man dieses einleuchtende Argument viel kürtzer anbringen; Lavater 1781 Verm. Sehr. II 158 wo gerade das Hauptargument steht; 1788 Journal d. Moden III 17 die damaligen schulgerechten Formen seiner Argumente; Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge 87 A silentio, war ihr Hauptargument; weder eine witzige Schwächlichkeit, noch ein unvernünftiger Uebermuth kam ihr so leicht zu Schulden; Goethe 1796

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Br. (WA IV 11,267) Ich hoffe, daß die Kopenhagener und alle gebildete Anwohner der Ostsee aus unsern Xenien ein neues Argument für die wirkliche und unwiderlegliche Existenz des Teufels nehmen werden; ders. 1804 Br. (WA IV 17,152) Zu dem Guten, von dem wir überzeugt sind, die Menschen zu bewegen, dürfen wir uns nicht unserer Argumente bedienen, sondern wir müssen bedenken, was ohngefähr die ihrigen wären; ders. 1819 Br. (WA IV 31,105) Es bedarf keiner Argumente für dieses glücklich abgeschlossene Geschäft; der Verlust ist unbedeutend, Fürsten und Städte haben uns schlimmer behandelt als dieser gute Bürger; Schopenhauer 1840 Moral 59 eine schwierige Frage, die wenigstens nicht durch die gebräuchlichen, seichten Argumente entschieden werden kann; Raabe 1864 Hungerpastor 78 Je mehr sich die Frauen ärgerten, je hitziger sie in ihren Argumenten . . wurden, desto melodiöser wurde der Oheim Grünebaum; Hartmann 1869 Philosophie 64 Und doch ist jedes dieser Argumente unentbehrlich, wenn das Resultat richtig herauskommen soll; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 54 Das war ein ausschlaggebendes Argument, dem die endgültige Erlaubnis bald folgte; Eckstein 1897 Roland 122 Gegen die Derbheit solcher handgreiflichen Argumente läßt sich nicht aufkommen; Hermann 1908 Henriette 228 Aber mitten in den Argumenten dafür und dawider senkte der alte Eli von neuem den weißgepuderten Kopf; Duncker 1918 Liebe 55 Es bedeutete in der Tat ein schlagendes Argument, daß . .; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 413) niemand empfindet Schillers faule Äpfel im Pult, von deren Geruch Goethe beinahe ohnmächtig geworden wäre, als Argument gegen die echte Erhabenheit seines Werkes; ders. 1939 Reden u. Aufs. (W. X 349) etwas besser steht es zweifellos um das zweite Argument gegen den Prosaroman: er sei eine Verfallsform des eigentlichen, das heißt des Versepos; ND 9.8.1949 die angeführten Argumente seien ausreichend, um die Angeklagten mit Zuchthausstrafen bis zu 10 Jahren zu belegen; Welt 21.12.1954 bisher hat sich das amtliche London diesem Argument gegenüber taub gezeigt; ND 25.12.1959 auch dieses Argument dürfte einer Überprüfung kaum standhalten; FAZ 6.1.1966 man weiß, daß dies ein Argument des Bundespräsidenten für eine große Koalition ist; Welt 22.1.1969 Hauptargument der Sozialisten ist ihr Plädoyer für eine Vertretung im Europaparlament, die in angemessenen Proportionen dem Wählerwillen entspricht; FAZ 4.10.1971 Die Berufskleidung wird zu einem „Verkaufsargument" am Arbeitsmarkt; Welt 30.12.1974 genau dasselbe Argument konnte man an Ort und Stelle schon im Januar 1973 hören; MM 6.8.1985 dabei ist eines der Hauptargumente für das Ladenschlußgesetz,

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Argument

nämlich der Arbeitsschutz, inzwischen hinfällig; Zeit 27.9.1985 Die Liberalen . . trösten sich mit dem Scheinargument, man müsse Schlimmeres schlucken, um Schlimmes zu verhindern; ebd. 18.10.1985 doch gerade dieses im buchstäblichen Sinne erschlagende Argument macht . . eine abgrundtiefe Kluft zwischen Politik und Moral klar; ebd. 4.4.1986 dem von Gewerkschaftsseite dazu vorgetragenen Argument . . muß entschieden widersprochen werden; ebd. 5.9.1986 die schon früher zitierten Gegenargumente und Abwehrargumente . . sind längst ausgesprochen und nicht mehr neu; ebd. 6.3.1987 das Argument, die Mehrwertsteuer belaste vor allem die niedrigen Einkommen, ist wegen des für Lebensmittel gültigen halbierten Satzes .. so nicht haltbar; Spiegel 30.11.1992 Erkenntnisse des LKA Stuttgart entkräften auch das Argument, Motiv für die Gewalt der jungen Wilden sei zumeist Frust über Arbeitslosigkeit; ebd. 15.2.1993 Wir waren angetreten gegen unsere Eltern mit der Überzeugung, die besseren Argumente zu haben. Argumentant: 3536 Urkunden Tübingen 189 solle die Vniuersitet . . darob sein, das einem yeden in den ordenlichen Disputationen der dryen obern Faculteten Presidenten von der Vniuersitet zu Verehrung zwen florin, einem Argumentanten aber vß den Doctoribus vnder zwayen batzen nit gereicht vnd gegeben. Argumentation: Fuchsberger 1534 Dialectica 38a dadurch wird [der Leser] betrogen, am maisten derhalben, das er die bloß vnnd recht form der argumentation von der anhengigen zier nit kan endschaiden; Rot 1571 Diet. 291 Argumentation, vrsach vnd gute anzeigung etwas zu beweisen vnd bewären; 1721 Discourse d. Maklern l H 2 sie [ist] capabel euch die Unrichtigkeit euerer Argumentation heiter und klar zu demonstrieren; Bodmer 1746 Mahler l 128 sie hat das Sophisma in folgender Argumentation stehenden Fußes eingesehen und entdecket; Meier 1748 Anfangsgründe l 380 daß unser Gegner sich selbst auf eine handgreifliche Art widerspreche (argumentatio ad hominem . .); Goethe 1809 Farbenlehre (WA U 4,169) Von dem mannichfaltigen Verdruß den er ausgestanden, so wie von allerlei Argumentationen die er gegen die Schule [Newtons] geführt, gibt uns der leidenschaftliche Mann selbst Nachricht; Schopenhauer 1840 Moral 19 ein Lehrbuch, welches Argumentationen dieser Art enthält; Engels 1860 Br. (MEW XXX 83) Aus der loddrigen Argumentation geht ganz deutlich hervor, daß das Pack vom Ministerium bearbeitet worden ist; Nordau 1881 Paris l 284 sie kennen die Gefahr und begeben sich in dieselbe nur . . unter dem Zwange einer unwider-

stehlichen Argumentation; Polenz 1898 Grabenhäger II 235 Diese Argumentation . . kennt man zur Genüge; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 551) die Argumentation des heiligen Officiums gegen Galilei lautete dahin, daß seine Sätze philosophisch absurd seien; Lokal-Anz. 27.11.1934 Die vorstehend wiedergegebene Argumentation der amerikanischen Note geht an dem Problem vorbei; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 116) offen bekenne ich, daß ich bei der Argumentation zwischen Grigor und Gregorius durchaus auf meines Freundes, des Abtes, Seite war; Jaspers 1958 Atombombe 161 in jeder Tonart, jeder Argumentationsweise . . wird, immer mit gleicher Selbstverständlichkeit, gesprochen und stets auch vergessen, was früher gesagt wurde; ebd. 231 keine Argumentation vermag die Entscheidung nach der einen oder anderen Seite zu erzwingen; Offenburger Tagebl. 26.6. 1959 So sei es kein Wunder . . daß Gegner der Todesstrafe ihre Waffen der Argumentation aus der Bibel entnehmen; N D 18.1.1964 diese Argumentation gegen eine Planbarkeit wissenschaftlicher Arbeit klingt schlüssig; Welt 15.2.1969 sie haben auf kostengünstige Energie gesetzt und machten sich so die Argumentation der Energieverbraucher des Bundesgebietes zu eigen; Zeit 22.2.1985 nach dieser Argumentation müssen Fluggesellschaften zukünftig . . mit erheblich höheren Schadensersatzforderungen rechnen; ebd. 19.4.1985 hier wurde erstmals eine Textanlage als Argumentationshilfe gegeben; ebd. 3.1.1986 das Interview deutet darauf hin, daß der Minister eine neue Argumentationskette aufbaut; MM 30.1. 1986 trotz unterschiedlicher juristischer und wissenschaftlicher Argumentation herrscht bei den Prozessen um das Waldsterben die gleiche Atmosphäre; Zeit 11.4. 1986 diese Denkpause bietet allen Beteiligten Gelegenheit . ., die bisherigen Argumentationsmuster zu überprüfen; ebd. 31.10.1986 weil die neue Technik bisher nur auf dem Papier existiert, macht das den Befürwortern die Gegenargumentation leicht; ebd. 5.12.1986 nicht Einsicht beweist also die unerwartete Begründung der Arbeitgeber für höhere Einkommen, sondern Argumentationsnot; ebd. 27.3.1987 in der Sache jedoch bewegt sich die Argumentation Noltes und die seiner Verteidiger auf der Ebene des politischen Pamphlets; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 25 Um dabei die Voraussetzungen, Argumentationsweisen und Schlußfolgerungen der Sprach- und Stilkritiker . . augenfällig werden zu lassen, sollen diese jeweils ausgiebig im Wortlaut zur Sprache kommen. argumentativ: 1911 D. Aktion 75 man wird, in Diskussionen, stets erregt versuchen, dem Gegner die Größe des verehrten Mannes argumentativ zu beweisen; Jaspers 1932 Philosophie l 251 denn sie

Argument bringen keinerlei Positionen und bewegen sich nur im Argumentativen. Der Glaube hat anderen Ursprung als in Argumentationen liegt; Zeit 20. 9. 1985 ein Ziel unserer Herbstaktion wird es sein, argumentativ Druck zu erzeugen; ebd. 14.2. 1986 der argumentative Sieg der Verwaltung über die Wirtschaft . . war gegen Abend dieses denkwürdigen Tages eindeutig; ebd. 6.4.1987 sie . . begeben sich damit auf argumentativ schwieriges Terrain; Süddtsch. Ztg. 12. 3.1993 sonst verhandelt man lediglich Weltanschauungen, höchstens vielleicht mit einer argumentativ höhergeschraubten Begründung; ebd. 3.11.1993 Der Autor hat ein Anliegen, und . . weil er es mit moralischer Schubkraft überbringen will, verfällt er . . bisweilen in argumentative Hast und Ungenauigkeit. Argumentator: Melber 1481 Voc. o. S. Argumentator, zeigen argumentieren: Aufzeichnungen e. Basler Karthäusers 1522 — 32 (Basler Chroniken l 452) nit mer dovon disputiren oder argumentiren; Fuchsberger 1534 Dialectica 38a Das ander Capitel von formen zu argumentieren; Rebenstock 1586 De Lamiis 46b Franciscus Ponziuilius [!] argumentiert von dem Bekandtnusz der Unholden also; Wasserleiter 1590 Logica 19b Also kan auch ein Brunnen nicht saltzig vnd süß Wasser geben. Also argumentirt Christus; Schönberg 1603 Grillenvertreiber Vorr. 2b er argumentiert nach der Kunst der Dialectick; Mundus 1619 Rosenkreuzbruder 10 Es ist aber vier Hosen eines Tuchs/ du legests auß . . wie du wilst/ vnd were eben als wann ich also argumentirte: Luther lobt . . die Gail: Vnkeuschheit vnd Ehebruch; Moscherosch 1642 Visiones 289 Item ab extremitate zu argumentiren: das fünffte Gebot, Du solt nicht tödten, welches insonderheit den Medicis gesagt, seye ja ehe gegeben als das siebende, Du solt nicht stehlen, welches auff die Juristen zuverstehen; Seckendorff 1691 Reden 400 die Gelehrten daraus zu argumentiren wissen; Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 30 es würde Gentulejo diese Ebräische Bedeutung umb so viel probabler seyn vorgekommen, weil er ohne dem immer a re ad nomen argumentirte; Sperander 1727 A la mod Sprach 46 Argumentiren, muthmassen, schliessen, disputiren, Schluß-Reden machen; 1799 Journal d. Moden XIV 212 Alle Künstler von neuem Schlage argumentiren folgendermaßen; Goethe 1809 Farbenlehre (WA H 4,51) Sie [die Methode] besteht nämlich darin, sich ganz nahe an die Phänomene zu halten, und um dieselben herum soviel zu argumentieren, daß man zuletzt glaubt das Argumentierte mit Augen zu sehen; ders. 1823 Vorarbeiten (WA l 42.2,471) wenn man nur auf die künstliche Rede des gebildeten Ulysses hinweist, der doch den

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Fehler begeht, nicht zu denken, daß er mit dem rohsten aller Wesen spreche; der Kyklope dagegen argumentiert mit voller Wahrheit aus seinem Zustande heraus; Schopenhauer 1840 Moral 28 Es wird nunmehro der Adler des Jupiters auftreten, welcher redet und argumentiert, wie es sich für einen solchen schickt; Nordau 1881 Paris l 203 unnöthig dagegen ist es, erst lange zu argumentiren, um den Zusammenhang . . klarzulegen; Bülow 1916 Dtsch. Politik 277 Die Gegner der preußischen Ostmarkenpolitik . . argumentieren oft und gern mit dem Hinweis auf die Beunruhigung, die erweckt worden ist durch die von Bismarck selbst und später in seinem Geist geführte nationale Ostmarkenpolitik; Brod 1928 Zauberreich 403 Seltsame Bauern, die mit Bergson und Husserl und Buber und sämtlichen Bänden Lenins argumentieren; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 358) noch auf dem Wiener Kongreß argumentierte der englische Gesandte dagegen; Welt 8.2.1966 mit ihrer Härte in den Verhandlungen setzten sich die Unternehmen auch für die Aktionäre ein, argumentierte man in den Börsensälen; ebd. 29.3. 1969 Sie müssen seriös verhandeln und überzeugend argumentieren können; ebd. 18.11.1974 wer so argumentierte, argumentierte falsch und zynisch; Zeit 18.1. 1985 ich habe es immer schon bedauert, daß wir im demokratischen Wettbewerb allzu kurzatmig . . argumentieren; ebd. 14.2.1986 Juristen und Theologen argumentieren deduktiv; MM 20.10.1987 die Fischer argumentieren, die Verbrennung von . . Gift in der Nordsee ruiniere die Fischgründe; Haubrichs 1988 Gesch. 268 eine auf die Dialektik gebaute Schule des Denkens und Argumentierens; Spiegel 30.11,1992 Deshalb dürfe die Regierung nicht mehr mit den politisch schädlichen BruttoTransferbeträgen argumentieren, sondern mit Nettozahlen; ebd. 7.12.1992 Wir können doch nicht immer mit den Fehlern der Vergangenheit argumentieren. Argumentierung: Bülow 1916 Dtsch. Politik 277 f. eine solche Argumentierung trifft nur die allgemeinpolitische Schale, nicht den nationalen Kern der Polenfrage. Argumentist: Trimberg um 1300 Der Renner 103 den bi suren argumentisten und bi geitigen judisten (MÖLLER). arguieren: um 1400 Magdeburg (Chroniken d. dtsch. Städte Vll 209) dar wart alsus jegen argueret (MÖLLER); 15. Jh. Passionsspiel (Mone, Schauspiele d. Mittelalters II 239) Ir heren, das [Christus] ist ein listiger man, der vil arguierens kan; Adam v. Fulda 1512 Büchlein C 7b hüb an [Christus] zu werden wunderbar mit den priestern zu

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Argusauge

arguiren vnd das gesetz zu informiren; Murner 1520 An den Adel 10 wil ich anfahen in dem nammen des Herren dir zu antwurten vnd nit zu arguieren; Luther-Emser 1521 Str. 172 Weyter arguirt Lutter, der heylig geist sey eynfeltig, darumb so muß seyn schrifft als sein werck ouch einfeltig seyn; Kettenbach 1523 Kitchenprediger 40 In dem ändern arguiern sy vnd sprechen: Christus spricht: Wa zwen oder drey in meinem namen versammlet sind, will ich mitten vnderin sein; Kessler 1524—39 Sabbata 31,44 . . habend sy also arguiert und geschlossen; Cochläus 1538 heimlich Gespräch 19 Wen jr so scharpff außforschen vnd grueblen wellt, so möchtet jhr wol in eignen ewern gschrifften vil puncta finden, durch welche in gleicher wyß zu arguwiern; Fischart 1572 Eulensp. (U 413) Es kan ein Narr mehr fragen stellen, dan 9 klugen drauff antwort feilen. Das wüst der Eulenspiegel wol, derhalben dacht er, wie er soll die Schulzänck mit dem Arguieren vnd pro und contra disputieren. Argument 2: um 1405 Pilgerf. träum. Mönch 744 Wo ir große gediente dun wollent,/ Zwifaltige rede odir argument,/ Aen mich hant ir kein besloß,/ Is komme dan zu irrongen groß; 1486 Eunuchus d. Terenz 4 wirt in diser Comedi das argument für ainen prologum zuo noch aigentlicher erklerung beschriben (beide FRNHD. WB); Reuchlin 1495 Übers. 1. olynth. Rede d. Demosthenes 6 Argu-

mentum, das ist der grund des nachfolgenden buchleins; Jud 1523 Teutsche Paraphrases la Argument der Epistel zu den Römern, das argument das ist ein kurtzer begriff vnd summ, so in diser Epistel vergriffen ist; Hedio 1531 Josephus Vorr. II b Argumenten vnd inhalt, bücher, Commentarien, vnd ausslegungen; Paracelsus 1536 S. W. l 10,218 Argumentum des ganzen buchs doctors Paracelsi; ders. 1565 S. W. I 13,300 wil ich erzelen das argument und des buchs austeilung; ders. 1567 S. W. I 13,245 wollen wir ein vorred erklären als ein argument also; Spangenberg 1606 Saul-Arg. 245 Teudtsche Argumenta oder Inhalt der Tragödien, genannt Saul (Überschr.); Simmler 1610 Regiment A 7b Argument oder Inhalt des ersten Buchs, von der Eydtgenossen Regiment; Sperander 1727 A la mod Sprach 46 Argument . . Inhalt einer Sache; Goethe 1786 Italien. Reise (WA I 30,167) der Geist führte mir das Argument der Iphigenia von Delphi vor die Seele, und ich mußte es ausbilden; ders. 1800 Paralipomena (WA I 47, 294) Begebenheiten des Menschen als Gegenstände der bildenden Kunst, als zusammengesetzte Vorstellungen, gewöhnlich Gegenstand, Sujet, Argument, Aufgabe, Fabel, Geschichte. Argumentarius: Funkelin 1551 Venus u. Pallas (Schauspiele 16. Jh. / 195) Actus III. Argumentarius. Nun hebt sich die drift handlung an, damit das spil ein end wirt han.

Argusauge N. (-s; -n), im späteren 17. Jh. gebildet nach der griechischen Sagengestalt Argos (lat. Argus), einem hundertäugigen Riesen, der im Auftrag Heras die von ihr in eine Kuh verwandelte Jo, Geliebte des Zeus, bewachte. Bildungsspr. und meist im Pl. verwendet in der Bed. 'mißtrauisch und aufmerksam beobachtende, wachsame Augen', seit frühem 19. Jh. in den Verbindungen mit Argusaugen (jmdn./etwas beobachten, bewachen, über etwas wachen), seinen/ihren Argusaugen entgeht nichts (s. Belege 1822, 1900, 1970, 1992); seit Mitte 20. Jh. auch im Sing, übertragen in Wendungen wie das Argusauge der Polizei, alliiertes Argusauge, Argusauge des Gesetzes; dazu seit Anfang 20. Jh. die seltenere adj. Ableitung argusäugig 'mißtrauisch und aufmerksam beobachtend'. Vgl. dazu schon seit späterem 17. Jh. belegtes Argus M. (-; Argusse), nach dem Namen der Figur der griechischen Mythologie (s. o.) als Gattungsbezeichnung verwendet für 'aufmerksamer Wächter, Beobachter', vgl. die Zs. Argusblick. Argusauge(n): um 1670 Gepflückte Fincken 208 wer das thun wil/ muß Argus Augen haben; Gichtel 1696 Br. X 38 Wir leben in einer wunderlichen Zeit, die Argusaugen wol nötig hat; Woytt 1749 Parnassus III 6 Ein Luchs steht gantz scharffsichtig in einem . . Walde. Sein Argus-Augen-Paar schützt ihn vor viel Gefahr; Zachariä 1754 Verwandlungen (l 160) Besonders giebt auf ihn Ein feiler Gratulant

mit Argusaugen Acht; Schiller 1769 Ökonom. Beytr. l 489 f. Jnzwischen, wenn auch ein FeldHerr Argus-Augen und Gygis Hände hätte, so würde jedoch die Bewerkstelligung und der Effect seiner Befehle, niemals mit seinen Erwartungen überein kommen; Schummel 1771 Reisen I 79 Ich wanderte mit trauriger Geberde nach einem Buchladen und bat den Besitzer desselben demüthig um

Ariadnefaden Correktur — Ich versicherte ihn, daß ich auf die Drukfehler Argusaugen hätte; Musäus 1781 Physiognom. Reisen Hi 70 [Insekten] mit ihren unbeweglichen Argusaugen; Wölfling 1795 Reise l 245 Das Mädchen . . stellte sich endlich nach vielem Toben und Sträuben so ruhig und folgsam, daß es die Argusaugen des ganzen Convents blendete; 1798 Berlin. Archiv d. Zeit H 23 eine sehr stattliche skandalöse Bibliothek, und ich hörte mehrere der schlauen Kniffe, deren man sich damals bediente, die Bücheraufseher, und hätten sie Argusaugen gehabt, dennoch zu hintergehen; Sartori 1812 Reise l 97 Keine Argusaugen belauschen die Schritte der Fremden, keine Hüter bewachen die Schätze der Kirche; Niemeyer 1822 Beob. l 261 mit Argusaugen bewacht; Guseck 1851 Salvator II 269 Mit Argusaugen hatte er ihn beobachtet; Scherr 1865 Blücher II 290 Argusaugen der napoleonischen Späherei; Senden 1900 Tänzerin 53 Du glaubtest, ich habe sie Dir weggeschnappt. Mir fiel nämlich schon auf, dass Du sie mit Argusaugen bewachtest; Lokal-Anz. 26.3.1933 Weiter geht das Spiel. Mit Argusaugen überprüft Hannemann die Technik jedes einzelnen der jungen Spieler; Münch. N. N. 2.2.1941 Sie nähert sich manchmal der Grenze, wo das Argusauge der Polizei oder des Zollamtes wacht; Süddtsch. Ztg. 29.8.1950 Alliiertes Argusauge über deutschen Wasserwegen (Überschr.); ebd. 22.9.1953 Mit Argusaugen .. werde er die Tätigkeit des geplanten Bundesbeirats . . verfolgen; FAZ 8.12. 1970 Kommt es dennoch so weit, so hat die Öffentlichkeit das weitere Geschehen mit Argusaugen zu verfolgen; Welt 3.9.1974 Dabei wird vor allem der Preis der Jährlings-Auktion von Züchtern und Besitzern mit Argusaugen beobachtet werden; MM 18.12.1986 Einmal, so monierte das Argusauge des . . verfassungswidrigen Gesetzes, mußten einige Fußgänger am Bordstein ein paar Sekunden warten; Ortheil 1987 Schwerenöter 549 Angeblich war sie eine verwöhnte Spätgeburt, die von der Familie, besonders aber von ihren drei älteren Brüdern, mit Argusaugen gehütet wurde; MM 12.J. 1988 Was da jetzt in Frankfurt die Tore

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öffnen darf, wurde jahrelang mit Argusaugen beobachtet; Sanders 1992 Sprachkritikastereien l als „Sprachkritiker" wacht er mit Argusaugen über die Reinheit und Reinhaltung der deutschen Sprache. Argus: Rachel 1664-67 Satyr. Gedichte 103 Und wenn ein geiles Weib den Glauben einmahl bricht,/ So hütet Argus sie mit hundert Augen nicht; Selhamer 1699 Tuba I 462 bekommen an der Statt hundert Augen für zwey wie ein anderer Argus; Lenz 1774 Hofmeister (NL LXXX 19) das junge Herrchen, anstatt seine Faulenzerei vor den Augen des Papas und der Tanten, die alle keine Argusse sind, künstlich und manierlich zu verstecken, würde seinen Kopf anstrengen müssen; Schiller 1784 Kabale u. Liebe (S. W. Ill 6) Er, der die hundert Augen des Argus hat, Flecken an seinem Bruder zu spüren; Laukhard 1794 Feldzug I 145 Sie sind in diesem Stück gar nicht eifersüchtig, und werden daher auch weniger . . überlistet, als die Argusse, welche aller Orten den Hüter und Wächter ihrer Weiber und Töchter spielen wollen; Schiller 1800 Maria Stuart S. W. U 8 Vom Argus-Blick der Eifersucht gehütet; Kleist 1807 Amphitryon 2103 und wär't Ihr tausendäugig auch, ein Argus, jeder; Jäger 1835 F. Schnabel 224 Darob unwillig ließen Bürger und Burschen an den im Thor stationirten Argus bisweilen ihr Müthchen aus; Zeit 5.7.1985 Gert Ueding zum Beispiel war oft in Gefahr, mit mikroskopischem Argusblick in die Eingeweide zu dringen und das Ganze aus den Augen zu verlieren. argusäugig: Potenz 1904 Land 126 Die Presse schwebt argusäugig über den Rathäusern und Stadtkapitolen; Tb. Mann 1924 Reden u. Aufs. (W. X 146) Er machte diese Toilette beileibe nicht allein; er macht sie unter der argusäugigen Kontrolle dreier Personen; 1930 Archivum Romanicum XIV 323 die argusäugigen Wächter des deutschen Sprachvereins; Süddtsch. Ztg. 3.11.1993 Argusäugig halte die Wissenschaft Wacht an der Scheidewand zwischen Mensch und Tier.

Ariadnefaden M. (-s; selten Ariadnefaden), seit späterem 17. Jh. nachgewiesene, phraseologisch verwendete Zs. nach der griechischen Sagengestalt Ariadne, Tochter des Minos auf Kreta, die Theseus ein Wollknäuel gab, mit dessen Hilfe er den Ausgang aus dem Labyrinth finden konnte; anfangs selten in der gelehrtenlat. Form filum ariadnaeum. Bildungsspr. verwendet in der übertragenen Bed. 'Rettung aus einer schwierigen Situation, Ausweg aus einer verworrenen, unübersichtlichen Lage', im 18.719. Jh. gleichbed. mit Leitfaden, häufig in der Wendung den Ariadnefaden finden, verlieren und konkurrierend mit den Syntagmen (der) Faden der Ariadne, der ariadneische Faden.

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Arie

Lindtner 1664 Ariadnae Faden, oder Erwägung der also genandten gründlichen Wiederlegung des Labyrinths Lutherischer Reformation (Titel); Durangel 1722 Wegweiser 4 das rechte filum Ariadneum gefunden; Edelmann 1741 Christus u. Belial 21 Das vermeinte Filum Ariadnes per Labyrinthum (oder der Leit-Faden aus dem Irr-Garten) (KLUGE); Bretzner 1788 Leben l 261 er befürchtete, aus diesem Schwall von Worten ohne den Faden der Ariadne sich eben so wenig herauszufinden, als ehemals Theseus aus dem berühmten Labyrinth; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 893) Er war am Ariadnens-Faden des Knauls durch das Labyrinth des Rede-Introitus schon durch; W/i v. Dörring 1827 Fragmente II 15 Ich war es jetzt, der den Regierungen den Faden der Ariadne gab, indem ich ihnen zeigte, wie meine und des Follenius Umtriebe in Paris die Urquelle dieses Bundes wären; Gutzkow 1838 Blasedow I 321 dies kunstvolle Entwickeln des poetischen Ariadnefadens in dem Labyrinth unsrer lärmenden und gefahrvollen Zeit; Raumer 1849 Er. Frankf.-Paris II 298 Die Stellung der Parteien ist jetzt hier oft so, daß Wenige eine Entscheidung herbeiführen können; deshalb halte ich aus und bin . . thätig in Klubs und Vorversammlungen. Aber mir fehlt der Faden einer Ariadne!; Schiicking 1856 Sphinx 6 ein vortrefflicher und ganz ausreichender Ariadnefaden in dem verworrenen Dädalusirrsal des Lebens; Carus 1865 Lebenserinn. 1250 den Ariadnefaden der Idee nicht zu verlieren; Fulda 1883 Aufrichtigen 11 Es wäre lächerlich, die Wahrheit reden? ../ Du hast dich in ein Labyrinth verstrickt/ Und spähst vergebens nach Ariadnefaden; Kleinpaul 1892 Sprache 272 Wenn wir indessen nur den Faden der Ariadne . . ergreifen wollen, werden wir den Ausweg aus dem Labyrinthe finden; Luise v. Kobell 1894 Erinn. U 235 eine Mannigfaltigkeit [im Benehmen König Ludwigs L], die den Psychologen den Ariadnefaden verlieren liess; Freud 1905 Psycholog. Sehr. (Studienausg. IV 198) Verschmelzungen sind z. B. . . „Wo ist der Ariadnefaden, der aus der Skylla dieses Augiasstalles herausleitet?"; Lenz 1911 Frei-

heit 16 während Lepsius in linguistischen Studien sogleich den Ariadnefaden fand, der ihn durch das Labyrinth der ägyptischen Götter- und Pharaonennamen leitete; Spranger 1921 Vorr. (1927 Lebensformen XII) dem Bewußtsein der suchenden Gegenwart einige Ariadnefaden durch die Labyrinthik des Daseins zu geben; 1929 Festschr. a. Indeich 225 [Gottfried Hermanns Buch] wurde für alle, denen es darum zu tun war, der Faden der Ariadne durch den Irrgarten der Metrik; Bühler 1934 Sprachtheorie 52 Mich dünkt, es sei so etwas wie ein Ariadnefaden, der aus allerhand nur halb begriffenen Verwicklungen herausführt, gefunden, wenn man das Sprechen entschlossen als Handlung . . bestimmt; Heuss-Knapp 1934 Münsterturm 109 Es [ein bestimmtes Wort] war der Ariadnefaden, den ich festhalten wollte, um den Auftrag nicht zu vergessen; Sombart 1938 Menschen 346 der Ariadnefaden, der uns durch das Labyrinth der .. Mannigfaltigkeit der Einzelindividuen geleiten soll; Molo 1950 Tag 9 Philosophie ist kaltgieriges Wandeln am Ariadnefaden im Labyrinth der irdischen Beschränkung, ohne jemals den Eingang und Ausgang zu finden, der unendlich weit und unendlich nah ist; Benn 1951 Probleme d. Lyrik (Ges. W. / 506J Der Autor . . besitzt einen Ariadnefaden, der ihn aus dieser bipolaren Spannung [zwischen Autor und Wort] herausführt, mit absoluter Sicherheit herausführt, denn . . das Gedicht ist schon fertig ehe es begonnen hat; Cottrell 1954 Der Faden der Ariadne (Übers.) (Titel); Münch. Stadtanz. 29.8.1959 An Hand des Ariadnefadens des Kataloges; Koeppen 1961 Frankreich 23 Die Straßen waren ein Wirrwarr, und die rotweißen Einbahnpfeile waren für die Autofahrer der Ariadne-Faden, der durch das Labyrinth, aber zu keinem Ziel führte; Zeit 9.1.1987 Aus dem Sinn-Labyrinth führt bisher auch kein konservativer Ariadne-Faden heraus; Spiegel 8.11.1993 Das ist meine Art und Weise, einem Film auf die Schliche zu kommen, ihn mit Hilfe dieser Schnörkel zu dechiffrieren. Eine Art Ariadnefaden, um den Weg aus dem Labyrinth zu finden.

Arie F. (-; -n), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. aria, auch 'Lied, Melodie' (ursprünglich 'Art und Weise, Erscheinungsform'; —* Air 1 , —* Air 2 ), bis ins 18. Jh. meist in der ital. Form. Zunächst allgemein für 'Lied, Weise' (s. Belege 1619, 1657, 1680); seit dem 18. Jh. mit der zunehmenden Verbreitung der Oper in der heutigen engeren Bed. 'kunstvoll vorgetragenes Sologesangsstück (einer Oper, auch eines Oratoriums)' (s. Belege 1745, 1773), in festen Wendungen wie eine Arie singen, die Arie des Papageno, Arie und Rezitativ, Arie und Duett; als Grundwort in Zss. bestimmt vom Aufführungsort/-genre (Opern-, Konzertarie), von der Ausführungsart (Koloratur-, Sopran-, Tenorarie) bzw. dem Thema (Champagner-, Rache-, Liebesarie) oder vom hohen

Arie

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Schwierigkeitsgrad (Bravourarie). Heute auch übertragen verwendet im Sinn von 'immer wiederkehrendes und damit langweiliges Thema', z. B. bei Streitigkeiten (s. Belege 1985, 1987). Dazu im früheren 18. Jh. das aus gleichbed. ital. arietta entlehnte Diminutiv Ariette N. (-; -n) 'kleine, kurze Arie'; zugleich das aus gleichbed. ital. arioso entlehnte Adj. arios 'liedhaft, melodiös' und das Adv. arioso 'liedhaft (vorzutragen)', auch subst. Arioso N. (-s; -s, auch Ariosi) 'liedhaftes Musikstück'. Arie: Praetorius 1619 Syntagma mus. 30 Aria vel Air. Ist eine hübsche Weise oder Melodey, welche einer aus seinem eigenen Kopffe also singet: Sind bey vns auch Deutsche weltliche Lieder mit schönen zierlichen Texte. Vnd solche vnd dergleichen schöne Arien nennen die Itali Jetzunder Schertzi; Albert 1638—50 Arien oder Melodeyen (Titel); Birken 1657 Ostländischer Lorbeerhain 85 ein WaldLiedlein/ welches mich eine Begebniß alda zu singen veranlasset. Weil mir dessen Arie oder Singweiße vor ändern beliebte/ konde ich nit unterlassen dasselbe zuwiederholen; Riemer 1679 Polit. Maul-Affe 59 Darum nam er solche Arie fleißig in acht/ daß sie nicht in frembde Hände gerathen solte; Abr. a S. Clara 1680 Predigten 86 wer ist der Jenige, deme heit alle Engl im himl kein andre arien forsingen als alleluia, alleluia?; Lauremberg 1689 Scherzged. (LVLV1U 150, 29) man hört en alle ogenblick chansons und arjen singen; Reuter 1696 Schelmuffsky 49 Die Arie sung ich nun, und die Sängerin spielte mit ihrer Leyer, den General Baß drein; Weise 1702 Gedancken II 18 Man lernet seine und andere affecten vergnügen/ daß sie einer gewissen meditation desto lieber nachhängen/ man mag es nun mit geistlichen Liedern/ mit TugendLiedern/ auch wol mit verliebten arien versuchen; Hübner 1712 Poet. Handb. 127 kurtze Texte, die nur aus einer oder doch aus wenigen Strophen bestehen . . werden Arien genennet; Gottsched 1742 Versuch 473 Gemeiniglich . . hat eine Cantate drey Arien, und zwey Recitative, und die längsten sollen nicht mehr als vier oder fünf Arien haben; Scheibe 1745 Musikus 135 Die Melodie der Arie wird oft recitativmäßig; 1754 Gleim-Ramler II 112 Ich schreibe mit Fleiß keine Arie her, weil die Arien nur für den Musikus, die Recitatife aber für den Poeten sind; Batteux 1759 Einschr. (Übers.) Reg. Sie [die Rezitative] sind der Schatten, welcher das Licht, welches den Arien gegeben worden, mehr zu heben dient; Justi 1765 Sehr. I 144 Itzt murmelt er zwey Zeilen aus einer Opernarie; Lichtenberg 1768 Aphorismen I 73 Hiervon [daß ich gut pfeiffen kann] habe ich schon mehr Nutzen gezogen, als viele andere von ihren Arien auf der Flöte und auf dem Clavecin; Sulzer 1771 Theorie l 78 Die Arie ist von der Ode und der Elegie nur darin unterschieden, daß sie die Empfindung kürzer und gleichsam nur auf einen Punkt zusammen gedrängt

schildert; La Röche 1771 Sternheim 73 Ich . . nahm eine Gärtnerarie aus einer Opera, welche mit vielem Beyfall aufgenommen wurde; L. Mozart 1772 (Nohl 1880 Mozart 132) Gestern nachts ist erst der Tenor angekommen, und heute hat Wolfgang zwei Arien für ihn gemacht und hat ihm noch zwei zu machen .. Diess schreibe ich nachts um 11 Uhr, da Wolfgang eben die zweite Tenorarie fertig hat; Goethe 1773 Br. (WA IV 2,124) In einigen Arien könnte das da Capo kürzer seyn wie z. E. in der Ariette: wie mancher plumper Bauerniunge p. 78; Schubart 1774 Dtsch. Chronik 101 Die erste Arie der Deidamia . . ist eine Bravourarie aus dem F. und hat ungemein viel Ausdruck und natürlichen Gesang; ders. 1775 Dtsch. Chronik 266 Die Meisterarie aus'm c hat dir Guadagni so herrlich 'raus gebracht, daß es 'ne Lust war . . die Tenorarie aus 'm es . . hatte treffliche Modulation . . Die Diskantarie: Obliar l'amato sposo . . versetzt uns wirklich ins heitere Klima des Elysiums; Dressler 1777 Theaterschule 71 In der Aria suche er die Hauptleidenschaft wohl und stark auszudrücken, ohne allzugroßes und unnützes Geräusch .. Es ist zu wünschen, daß die Tonsetzer sich nicht mehr so knechtisch an eine Form der Arien bänden, sondern mehr Mannigfaltigkeit einführten; Goethe 1779 Br. (WA IV 4,156 f.) Arien, wo die Person die Empfindung des Augenblicks ausdrückt und, ganz in ihr verlohren, aus dem Grunde des Herzens singt. Diese müssen einfach, wahr, rein vorgetragen werden, von der sanftesten biss zur heftigsten Empfindung; 1781 Literar. Pamphlete 43 Aria; Reichardt 1782 Musikal. Kunstmagazin 84 Eigentlich schikken sich weder Arien noch Recitative in die Kirche; Nicolai 1783 Reise I 129 Bravourarie; Goethe 1787 Italien. Reise (WA I 32,145 f.) Ich erinnere mich, an einem Cäcilientage zum erstenmal eine Bravour-Arie mit eingreifendem Chor gehört zu haben, sie that auf mich eine außerordentliche Wirkung, wie sie solche auch noch immer, wenn dergleichen in den Opern vorkommt, auf das Publicum ausübt; Jean Paul 1795 Hesperus (W. VHI 228) Bravourarie; 1811 Almanack a. Rom II 152 Zingarelli . . versicherte, die Sängerin habe durch die geschmackvolle Ausschmückung seiner Aria und den edlen, tiefen Ausdruck, den sie in dieselbe zu legen gewusst, alle seine Erwartungen übertroffen; Goethe 1815 Actenst. zu Epimentdes (WA l 16,512)

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Arie

Von vorn herein sey alles mäßig, nur das Recitativ „So hab" ich euch dahin gebracht" und die Arie „Aufgeregte Höllenbilder" müssen die größte Gewalt haben; Gerstenberg 1816 Verm. III 352 Über Recitativ und Arie in der italienischen Sing-Compositton (Titel); Tieck 1830 Sehr. XXI 248 Jhr seid noch gar nicht zahm gemacht, nach drei Stunden werdet Jhr schon sanftere Arien singen; WagnerLiszt 1852 Briefw. l 173 Da nahm ich . . den ersten Act des Tannhäuser . . und endigte die Vorstellung mit der Ouvertüre zu dem römischen Carneval und dem zweiten Act des Benvenuto Cellini (mit Hinweglassung der Bariton-Arie); Heyse 1872 Ges. W. / 1,243 Und ohne das Akkompagnement abzuwarten, begann sie die seelenvolle Arie, die ihr Christiane erst kürzlich einstudiert hatte; Paulsen 1889 System d. Ethik 439 Am meisten ist noch . . Gesang und Musik für Alle, wobei man denn freilich auch nicht in erster Linie an Arien und Symphonien denken muß; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 887) eine Sopranistin schmetterte, stakkierte und trillerte eine Arie aus La Traviata mit der lieblichsten Kühle und Genauigkeit; 1928 Handb. d. Frankreich künde l 231 Berufsarien .. — Soldat, Königin, Page . ., der Postilion . ., der Seemann . . schildern in solchen programmatischen Monologen ihren Stand; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 135 Leoncavallo .. der mir seine Photographie mit den Anfangstakten meiner Lieblingsarie aus dem Bajazzo verehrt hatte; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 548) der Gesang . . war wundervoll in seiner Wärme, Zärtlichkeit, dunklen Glückesklage, wie die Melodie, die ja in beiden gleichgebauten Strophen der Arie erst in der Mitte zu ihrem vollen Schönheitsgange ansetzt und ihn betörend vollendet; ders. 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 837) wenn er den in Elisabeths schöne Gefangene verliebten Mortimer eine wahre Arie in Jamben zum Preise der Pracht katholischen Kirchenbrauches anstimmen läßt; Grass 1962 Blechtrommel 88 Jan richtete sich nach Mama, schwärmte für Arien, obgleich er trotz seines musikalischen Aussehens vollkommen harthörig für schöne Klänge war; Welt 17.10.1969 Marino liebt die Musik als Zwillingsschwester der Lyrik . . : er trägt seine kunstvollen Bravourarien klangvoll vor und schwört auf sonorita; Zeit 1.2.1985 das barocke dualistische System von Motiv und Figur im Kleinen, von Rezitativ, Arie und Chor, Meditation und Bekenntnis im Großen; ebd. 7. 6.1985 keine Arie, die nicht deutlich den Unterschied zwischen -Teil und B-Teil kenntlich machte, um dann im Da capo resümierend die Erkenntnisse zu liefern; MM 1.10.1985 Handwerkspräsident Paul Schnitker hatte schon im letzten Jahr gewarnt, man könne nicht „jedes Jahr die Arie von der unversorgten Jugend anstimmen"; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 193 Horden grölender

Landsknechte strömen aus allen Gassen, Fahnen und Tücher flattern von neuem, während geschmetterte Arien, Jubelchöre, Schreie, Pfiffe, Freudenrufe und Flüche den Lärmpegel der Tonspur ins Unerträgliche steigern; MM 7.4.1986 eher als eine Science-fiction-Person erscheint die Königin der Nacht (in der ersten Koloraturarie blendend, in der zweiten unsicher . .); ebd. 3.10.1987 er wollte nicht einsehen, daß der Kleine Henker, beispielsweise (der Exekutor für die kleinen Leute, fürs Grobe) nicht noch eine Arie auf den Befehlsnotstand singen darf, nur damit Cerha etwas zum Thema Waldheim sagen kann; ebd. 8.10.1987 die Champagnerarie tönt höhnisch von der Kirchenkanzel herab; ebd. 29.2.1988 weniger in seiner Arie, als vielmehr im Duett mit dem Großinquisitor . . entfaltet Kang die Qualitäten seiner Stimme vollends; ebd. 30.5.1988 jeder Ton dieses Bariton-Organs war pures Gold, und der Opernfreund mußte beklagen, daß die Rolle keine Arie zu bieten hat; Süddtsch. Ztg. 19.120.12.1992 Vergangenes Jahr hatte Georg tapfer ein Zeichen gesetzt wider die Verschwendungsarien der Wohlstandsgesellschaft. Ariette: 1722 Discourse H 4 eine unendliche Menge von Vögeln . . die tausenderley Arietten in die Luft erthönen ließen; Zedler 1732 Universallex. II 1412 Arietta . . ist das Diminutiuum von Aria . . ein Liedgen; Lindenborn 1741 Diogenes II 426 daß er heftig brummete, und dadurch ein Arietgen, so sie sänge, gleichsam als mit einem Basso Continue vergeselschaftete; Bodmer 1746 Mahler I 71 f. Auf allen diesen Bäumen . . hüpften und flogen eine unendliche Menge von Vögeln . . die tausenderley Arietten in die Lufft erthönen ließen; Sulzer 1771 Theorie l 80 Ariette. Eine kleine Arie, die nur aus einem Theil besteht; Goethe 1773 Br. (WA IV 2,124) Der Verfasser hat gesucht richtige Deklamation, mit leichter fliessender Melodie zu verbinden, und es wird nicht mehr Kunst erfordert seine Arietten zu singen als zu den beliebten Kompositionen Hrn. Hillers und Wolfs nötig ist; Reichardt 1782 Musikal. Kunstmagazin 85 Diese Idee, von der ächten edlen Kirchenmusik, . . ist . . — die Einleitungsariette ausgenommen — . . vorzüglicher erfüllt; E. T. A. Hoffmann 1810 S. W. XV 48 der Schluß der Chorale 106, 110 [ist] für den Choral viel zu gemein und ariettenmäßig; Ersch/Gruber 1818 ff. Allg. Enc. 240 Die Ariette . . ist eine Arie, welche eine gemäßigtere und minder anhaltende Empfindung schildert, und sich daher durch geringern Umfang und mindere Ausführung dem Liede nähert; Nestroy 1832-33 S. W. l 582 Rote Wolkendekoration fällt vor, die Verwandlungsmusik geht in das Ritornell der folgenden Ariette über; Wagner 1840-41 Ges. Sehr. u. Dichtungen l 162

Arier Der Komponist beschränkte sich dabei . . meistens nur auf Lieder und Arietten; Ebner-Eschenbach 1890 Ges. Sehr. VI 9 Nun blieb Maria in seiner Gegenwart bei dem Vortrage von Arietten und Walzern; Bekker 1912 Beethoven 162 Ein Variationensatz, der im Prinzip seiner Anlage: Entwicklung des Themas durch Emporsteigen in höhere Oktavenregister, hinüberweist zu der Arietta op. Ill; Pfordten 1919 Weber 124 Die kleine Fatime ist ganz reizend getroffen mit ihrer echt orientalischen Schwermut in den beiden Arietten, treuherzig in ihren Duetten. arios, arioso: Quantz 1752 Flöte 265 Besteht aber die Bewegung nur aus Viertheilen, und der Gesang ist mehr arios als traurig; so kömmt auf ein jedes Viertheil ein Pulsschlag; Marpurg 1754 Abhandlungen von der Fuge 131 und bey allem dem läuft man Gefahr, auf metrisch abgepaßte ariöse Gänge, die das Wesen der Fuge nicht vertraget, und folglich auf Abwege zu gerathen; Schumann 1839 Ges. Sehr. II 218 Es giebt eine . . Sonate von Beethoven, . . wo dem kühn leidenschaftlichen ersten Satz . . ein einfacher arioser . . nachfolgt und damit schließt; Jahn 1867 Mozart I 197 so wird das Gebet . . weder durch ariosen Gesang noch veränderte Begleitung hervorgehoben; Engel 1884 Tonkunst 238 die dem lyrischen Gebiet angehörenden Monologe . . in recitativischer oder in arioser Form; Lehmann 1921 Weingott Trier 104 Die Musik ging gerade zu einer ariosen Melodie über voll schwebender Bewegung; Tb. Mann 1947 Faustus (W. VI 476) er hat den Spielraum der musikalischen Möglichkeiten, der chronischen, rezitativischen, ariosen, erweitert; MM 18.4.1988 indem der Komponist tonale Vergangenheit persifliert (besonders in den lyrischen, ariosen Passagen der Sänger). Arioso: Zedler 1732 Universallex. II 1425 Ariose, oder Arioso, heist bey denen Musicis . . ein solcher

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Satz, der nach dem Tact, als wäre es eine Aria, exprimirt werden soll; Gottsched 1751 Dichtkunst 719 Wenn . . eine mittlere Art vorfiel, die man weder so bunt und zierlich als die Arien singen; noch so kaltsinnig, als die Recitative wollte herlesen lassen, so ward dieselbe ein Arioso genennet; Sulzer 1771 Theorie I 80 Arioso. Ein sehr einfacher Gesang, der noch als ein sich auszeichnender Theil des Recitatives kann angesehen werden . . Zu einer stillen feyerlichen Empfindung scheint das Arioso weit tüchtiger zu seyn, als alle andere Gesangarten; L. Mozart 1777 Br. I 207 Die Zwischen Musiken vom Haydn sind wirkl: schön, unter einem Ackt war ein arioso, mit Variationen; Jean Paul 1803 S. W. I 10,76 und blies . . nur solche einfache Arioso's . . ab; Ersch/Gruber 1818 ff. Allg. Enc. 240 Arioso . . die oft zwischen dem Recitativ eintretende arienmäßige Behandlung einzelner Stellen des Textes, welche zuweilen auch durch die Überschrift Cantabile bezeichnet wird. Der Text muß so beschaffen seyn, daß er . . dem Texte der Ariette, in Hinsicht auf hervortretende Bedeutsamkeit der Empfindung sich annähert; Cornelius 1857 Lit. W. III 70 Des Landgrafen Romanze im ersten Akt, das Auftreten des Sängers, sein Lied von Elisabeth, Rezitativ und Arioso der Elisabeth sind der mannigfaltige, eigentümliche Ausdruck einer anmutigen Innerlichkeit; ]ahn 1867 Mozart I 159 Arioso bezeichnet in das Rezitativ eingeschaltete melodiöse Stellen für getragenen Gesang; Werfel 1924 Verdi 380 Einzig und allein das Arioso, das italienische Melisma, der schöne Gesang, kam aus keiner religiösen, keiner galanten, keiner tanzrhythmischen Erregung; MM 18.7.1987 Chorlieder, Chansons und Ariosi wechseln mit den verschiedenen Arten des Sprechgesangs; Härtung 1988 Waiblinger 10 wobei aus dem aufgerissenen Mund eine ihm von früher bekannte Stimme ertönte, schwer und dunkel, in einem wütenden Arioso.

Arier M. (-s; -), auch Arierin F. (-; -nen), Anfang 18. Jh. entlehnt aus Sanskrit. arya 'Edler' (ursprünglich Selbstbezeichnung der hellhäutigen indogermanischen Einwohner Indiens und Persiens im Ggs. zu den farbigen Ureinwohnern). a Zunächst in der ethnographischen Fachsprache in der Bed. 'Inder, Angehöriger der indischen und iranischen Völker' (s. Belege 1710, 1891, 1903, 1907), von der Sprachwissenschaft seit Mitte des 19. Jhs. erweitert zu 'Indogermane, Indoeuropäer' (s. Belege 1870, 1874, 1877, 1882, 1924). b Seit Mitte 19. Jh. mit der Ausbreitung nationalistischen und antisemitischen Denkens rassistisch gedeutet im Sinn von 'Nichtjude, Nordeuropäer, Germane' (s. Belege 1863, 1871, 1898, 1927, 1936), häufig positiv bewertet im Sinn von 'Angehöriger der zur Macht berechtigten Herrenrasse'; im Nationalsozialismus zur Durchsetzung völkisch-rassistischer Ideologie und zur Ausgrenzung des jüdischen Teils der

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Arier

Bevölkerung als Ggs. zu diskriminierend gebrauchtem 'Jude' verwendet, vgl. die Zss. Nichtarier 'Jude', Ariernachweis, -richtlinien und bes. Arierparagraph, 1933 bis 1945 als Bezeichnung für das sog. „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (7. 4.1933) zur Vertreibung jüdischer Beamten aus dem Staatsdienst (s. Beleg 1936), auch allgemeiner für jede Art gesetzlicher Bestimmung, die der Judendiskriminierung und -Vertreibung aus Organisationen, Institutionen usw. diente (s. Belege 1935, 1936, 1939); seit Mitte 20. Jh. nur noch historisierend mit Bezug auf den Nationalsozialismus gebraucht (s. Beleg 1985). Seit 1935 wird Arier ersetzt durch Person deutschen oder artverwandten Blutes, Angehöriger des deutschen oder eines artverwandten Volkes; seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch historisierend bzw. ironisierend verwendet mit Bezug auf den nationalsozialistischen Sprachgebrauch (s. Belege 1946, 1947, 1965, 1985). Dazu seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitung arisch (ohne Steigerung), zunächst in Ethnologie und Sprachwissenschaft in der Bed. 'den indischen und iranischen Völkern, der indogermanischen, indoeuropäischen Sprachfamilie zugehörig' (s. Belege 1857, 1861, 1882, 1933-43), vgl. arische Völker, Sprache; seit Mitte 20. Jh. ungebräuchlich und ersetzt durch indogermanisch, indoeuropäisch (zu a). Seit späterem 19. Jh. rassistisch gedeutet im Sinn von 'nichtjüdisch, nordisch, germanisch' (s. Belege 1875, 1887, 1903, 1925, 1927, 1932), in Verbindungen wie arische Rasse, (Nachweis) arischer Herkunft, Abstammung, arisch-germanisch, deutsch-arisch, häufig positiv bewertet, im Nationalsozialismus im Sinn völkischrassistischer Ideologie in der Bed. 'gut, deutsch' (s. Beleg 1935) zur Ausgrenzung des jüdischen Teils der Bevölkerung und als Gruppenbezeichnung gesetzlich festgeschrieben zur Vertreibung der Juden aus Wirtschaft, Politik und Kultur (s. Belege 1933, 1934, 1935) sowie zur Einflußnahme auf das Privatleben (s. Beleg 1934), in Wendungen wie Überführung in arischen Besitz 'gewaltsame, entschädigungslose Enteignung jüdischen Besitzes', vgl. die Zss. bzw. Ableitungen nichtarisch 'jüdisch', un-, halbarisch; seit 1935 ersetzt durch deutschen oder artverwandten Blutes, deutschblütig. Seit Mitte 20. Jh. nur noch historisierend bzw. ironisierend verwendet mit Bezug auf den nationalsozialistischen Sprachgebrauch (s. Belege 1946, 1949, 1950, 1986, 1992) (zu b). Seit Ende 19. Jh. die Ableitung arisieren V. trans., zunächst vereinzelt in der Sprachwissenschaft (zu a); im Nationalsozialismus in der Bed. 'jüdisches Eigentum durch gewaltsame, entschädigungslose Enteignung in nichtjüdischen, deutschen Besitz überführen', auch adj. verwendet in der Part. Perf.-Form arisiert im Sinn von 'nichtjüdisch, deutsch' (zu b); seit früherem 20. Jh. das Verbalsubst. Arisierung F. (-; Pl. ungebr.), vor allem in der Bed. 'gewaltsame, entschädigungslose Enteignung jüdischen Besitzes', auf das Wirtschaftsleben bezogen, dazu die Zss. Zwangsarisierung, Arisierungsverordnung, auch allgemeiner, z. B. auf Verbände, Organisationen o. ä. bezogen für 'Vertreibung jüdischer Mitglieder'; seit Mitte 20. Jh. nur noch historisierend mit Bezug auf den Nationalsozialismus gebraucht, auch in abwertenden Zss. wie Arisierungsgewinnler, -experte (zu b); seit Mitte 20. Jh. die selten belegten Personenbezeichnungen Ariseur M. (-s; -e) und Arisierer M. (-s; -) in der Bed. 'Person, die nach der nationalsozialistischen Gesetzgebung durch gewaltsame, entschädigungslose Enteignung jüdischen in nichtjüdischen, deutschen Besitz umwandelt' (zu b).

Arier

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Seit frühem 20. Jh. die subst. Ableitung Ariertum N. (-s; ohne PL), selten belegt in der Bed. 'Zugehörigkeit zu nordeuropäischen, germanischen Völkern, zur nichtjüdischen Bevölkerung' (zu b). Arier a: Köhler 1710 Schles. Kern-Chronicke l 8 Unter die Lygier gehöreten auch die Arier, Helvecones, und die Naharvali; Jean Paul 1798 S. W. l 7,461 die ächten Kriegslisten weßwegen sie .. wie die Arier nur in der Nacht Treffen liefern; 1861 Konversationslex. l 1057 Arier . . Namen der drei obersten Kasten der Inder, den sich diese selbst beilegen; Ahrens 1870 Naturrecht l 24 Aryer (Indo-Europäer); Peschel 1874 Völkerkunde 540 Der indoeuropäische Stamm theilte sich früh in die asiatischen und die europäischen Arier; Carriere 1877 Kunst I 407 Die asiatischen Arier. Die Arier in der gemeinsamen Urzeit; 1880 ZfEthnologie XII 76 Heimat der Arier; 1882 Brockhaus I 888 In der neuern Sprachwissenschaft ist es . . Gebrauch geworden, unter dem Namen Arier sämtliche Völker indo-german. Stammes zusammenzufassen, doch ist die Bezeichnung Indogermanen . . oder Indoeuropäer vorzuziehen; Hofmannsthal 1891 Prosa l 27 Was die Arier empfanden, als sie . . hinüberwanderten in das Gangesland . . hat Amiel in der Gedankenwelt durchgemacht; Ziegler 1903 Kultur 130 Die Kultur, die wir nun im Sinne haben .. wäre eine synthetische Vereinigung sowohl des antiken Humanitätsgedankens als auch unserer eigenen deutschen, oder, wenn man will: germanischen Begriffes einer menschlichen Kultur — mit dem Geiste des indischen Ariers; 1907 Meyers Konversationslex. I 757 Die Urarier, d. h. die Vorfahren der Inder und Iranier, mögen . . an den Abhängen des Hindukusch . . gewohnt . . haben; Jentsch 1909 Partei 12 [Die] Zendreligion war . . insofern Volksreligion, als Zarathustra die geordnete Lebensweise der Arier, ihre Einehe und ihren Ackerbau, als rechten Dienst Ahuramazdahs heiligt; Huret 1909 Berlin 335 Bekanntlich sind Arier und Germanen Vettern; 1924 Meyers Lex. I 841 Arier, ein sprachwissenschaftlicher (nicht anthropologischer oder Rassen-) Begriff, unter dem die Teile der indogermanischen oder indoeuropäischen Sprachgemeinschaft zusammengefaßt werden, die in Iran und Indien eingewandert sind; Glasenapp 1948 indische Welt 42 Nicht zuletzt gereicht es den Draviden zum ewigen Ruhm, daß sie . . die von den Ariern übernommene Sanskritliteratur schöpferisch weitergebildet haben; 1951 Saeculum 43 Und mit den sog. „Ariern" ist es gar ein Unfug! Arisch ist ein Sprachbegriff und bezeichnet das Altindische und Altiranische, hat daher mit Rasse nicht das Leiseste zu tun; Lukoschik 1991 In u. Out 186 Das macht die Begegnung mit den indogermanischen Arier-Verwandten nicht unexplo-

arisieren: l#98 Mitt. Anthropolog. Ges. Wien XXVIII 45 Die sogenannten „arischen" Sprachen Südeuropas, also die griechischen und italienischen Dialekte, sind nicht arischen Ursprungs, sondern arisirt unter dem Einflüsse der echtarischen Protokelten und Protoslaven. arisch: F. Schlegel 1819 S. W. X 267 f. arische Sprache; Pott 1833 Etymologische Forschungen l Vorr. XXX die Indische, Medo-Persische oder Arische, die Griechisch-Lateinische, die Germanische und Littauisch-Slawische [Familie des Indogermanischen]; Windischtnann 1846 Die Grundlage des Armenischen im arischen Sprachstamm (Titel); 1857 Staats-Wb. I 319 Unter den verschiedenen Völkern, welche sich in den Besitz der Erde getheilt haben, nimmt die arische Völkerfamilie den ersten Rang ein. Man hat dieselbe wohl früher unter dem Namen der indogermanischen, noch früher der Japhetiden, auch etwa der iranischen Völker zusammengefaßt; ebd. 1330 f. der arische Geist [ist] berufen, . . die Herrschaft der Welt . . zu übernehmen . . Die Geschichte hat der arischen Völkerfamilie diese Aufgabe gesetzt, und mit der Pflicht zu ihrer Erfüllung auch das Recht dazu verliehen; 1861 Konversationslex. l 1057 bezeichnet man jetzt in ethnographischem Sinne als arische Völker und arische Sprachen einestheils die Völker und Sprachen indogermanischen Stammes in Indien und Persien, andererseits im weiteren Sinne alle Völker und Sprachen des obengenannten Stammes ohne Unterschied; 1882 Brockhaus l 888 bezeichnet dieser Ausdruck [Arier] einen Mann, der einer der drei obersten Kasten angehört, weil nur diese arischen, indogermanischen Ursprungs waren, die Angehörigen der vierten Kaste dagegen . . aus den unterworfenen nichtarischen Stämmen hervorgegangen waren; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. XI 723) einen Lichtalben oder das Urbild arischer Männlichkeit in ihm zu sehen; Johnston 1917 Mensch enverst. 79 Die Perser stammen bekanntlich ab von den alten arischen (nordischen) Eroberern; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. IV/V 28) eine .. ältere Muttersprache . ., welche die Wurzeln der arischen sowohl wie auch der semitischen und chamitischen Mundarten in sich beschloß. Arier b: Raabe 1863 S. W. l 1,312 Seit man uns [die Semiten] nicht mehr als Brunnenvergifter und Christenkindermörder totschlägt und verbrennt, sind wir viel besser gestellt, als ihr alle . . ihr Arter: Deutsche, Franzosen, Engländer; Nietzsche 1871

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Arier

Geburt d. Tragödie (W. I 59) So wird von den Ariern der Frevel als Mann, von den Semiten die Sünde als Weib verstanden; ders. 1887 Genealogie d. Moral (W. 776) wer steht uns dafür . . daß die Eroberer- und Herren-Rasse, die der Arier, auch physiologisch im Unterliegen ist?; Lombroso 1894 Antisemitismus (Übers.) 15 dass die Rassenunterschiede zwischen dem Juden und dem europäischen Arier der Antipathie . . unter dem Vorwande des Patriotismus eine neue Stütze gaben; Kufahl/Schmied-K. 1896 Duellbuch 319 In vollster Würdigung der Thatsachen, daß zwischen Ariern und Juden ein tiefer moralischer und physischer Unterschied besteht; Schemann 1898 Gobineau, Ungleichheit d. Menschenracen IV 53 Der Arier war also bei den Skandinaviern das Familienhaupt, der Krieger par excellence; Haeckel 1899 Welträthsel 362 Die plastische orientalische Phantasie der Semiten und die kritische occidentalische Vernunft der Arier ergänzen sich oft in vortheilhafter Weise; Th. Mann 1922 Reden u, Aufs. (W. XU 616) von dort ihr Hang zu den Ursprüngen, ihre Erfindung des Ariers, ihr Haß gegen den Semiten, ihr Geschmack für die Inder und die indischen Gedanken; Klabund 1927 Kunterbuntergang d. Abendlandes 244 Man frißt an Hummer sich und Kaviar satt, Und ist kein Klassenhaß von Jud und Arier; Gerstenhauer 1927 Führer 40 Arierdämmerung; Thiess 1929 Erziehung 254 Das Rasseempfinden . . wird auch heute noch vorzugsweise in den geistigen und kultivierten Schichten der Bevölkerung zu finden sein, das gilt für Arier wie für Juden; LokalAnz. 6.8.1933 Direktor . . sucht elegante Dame zwecks späterer Heirat. Vorbedingung: Arierin; ebd. 11.8.1933 Richtlinien für den Ariernachweis; ebd. 16.8.1933 Im Amtsblatt des Reichspostministeriums werden jetzt die bekannten Arier-Richtlinien zum Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums veröffentlicht; Glaubensbewegung dtsch. Christen 13.11.1933 Wir erwarten von unserer Landeskirche, daß sie den Arierparagraphen . . schleunigst und ohne Abschwächung durchführt (BERNING); 1933 Turnztg. o. S. Schon 1887 pflanzte Verfasser in der Nähe der Eiche eine Linde zur Erinnerung an die Einführung des „Arierparagraphen" im Ersten Wiener Tv.; 1934 Deutschlands Erneuerung XVIII 620 Arierparagraph; Dtsch. AZ. 21.9.1935 Es gibt bekanntlich viele ausländische Firmen, die in Deutschland Geschäfte betreiben, auf die aber, selbst nach den strengsten Vorschriften, die Ariereigenschaft zutrifft; ebd. 26.9.1935 Der seit langem im Oesterreichischen Skiverband umkämpfte Arierparagraph ist . . durch einstimmigen Beschluß eingeführt worden; Frankf. Ztg. 28.11.1935 Das Reichsgericht hat . . sich . . grundsätzlich über die fristlose Lösung von Dienstverhältnissen mit

Nichtariern in der Wirtschaft geäußert; 1936 Meyers Lex. l 556 Arier, rassenpolitisch (arisch, germanisch, teutonisch, nordisch) im Gegensatz bes. zum jüdischen Volk gebraucht; ebd. Arierparagraph . . Grundsatz . . zum Zweck der Säuberung der deutschen Beamtenschaft, [wonach] Beamter nur sein kann, wer arischer Abstammung ist.. Bestimmung in Gesetzen, Satzungen oder Verfassungen von Verbänden, Organisationen usw., nach der als Mitglied der betr. Organisation oder als Träger besonderer Rechte im Staatsleben nur in Frage kommt, wer rassisch reinen deutschen oder artverwandten Blutes ist; Hesse 1936 Er. 158 Was . . die Juden betrifft, so bin ich nie Antisemit gewesen, obwohl auch ich gegen manches „Jüdische" gelegentlich Ariergefühle habe; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 188 ein Freund von mir, . . „Vollblutarier" (ich hebe das ausdrücklich hervor, weil man diese guten Leutchen immer für so kindlich und unschuldig im Verhältnis zu den Juden erklärt); Th. Mann 1938 Nachtr. (W. Xlll 665) So läßt er die Welt auch zu seinen gehässigen und unsinnigen Rassentheorien hinabsteigen, zwingt ihr den albernen Begriff der „Arier" auf, im Gegensatz zum Judentum; Münch. N. N. 11.1.1939 Der Prager Deutsche Turnverein hat den Arier-Paragraphen eingeführt; ebd. 18.10. 1940 Preziosi macht . . den Vorschlag auf Einführung eines verpflichtenden Ariernachweises; ebd. 5.8.1942 Es war Gräfin Cahen . ., der .. die Sache bedenklich vorkam und vor Grimm erklärte: „Mein lieber Salomon, dieses Ehrenarierdiplom ist doch ein Schwindel"; Klemperer 1946 LT1 21 in der Fabrik während der Luftwache, wo die Arier ihr Zimmer für sich hatten und die Juden ihr Zimmer für sich, und im arischen Raum befand sich das Radio (und die Heizung und das Essen); ebd. 190 Erotische Beziehungen zwischen Juden und Ariern heißen Rassenschande; ebd. 200 Wir saßen im Judenkeller unseres Judenhauses, das auch einen besonderen Arierkeller enthielt; Graf 1947 Unruhe 447 Seine Frau wurde später als nicht ganz „rassereine Arierin" enteignet und deportiert; Süddtsch. Ztg. 1.9.1955 Der Roman schildert die menschliche Wandlung eines „Ariers", der irrtümlich in ein Ghetto gerät; Kraft 1965 Menschen im Gegenwind 19 wie .. Lucie Leonhard mehrere SA-Männer so weit in Schach hielt, daß sie ihr persönliches Eigentum nicht anrührten. Als „Arierin" . . rettete sie den größten Teil der Einrichtung; Berger 1966 Nettesheim 256 den absonderlichen Theorien nachzuhängen . ., nach denen Jesus kein Jude, sondern Arier . . gewesen sei; Winzer 1968 Soldat 141 Bis zum Eintreffen des Ariernachweises war ich nicht mehr befördert worden; Kunert 1973 Bibl. 189 Veröffentlichungen, wonach Ariern, die Juden versteckt gehalten . . das Vermögen beschlagnahmt und die Täter in ein KZ übergeführt

Arier wurden; Strittmatter 1978 Lage 174 H. B. ist der loyalste von den alten Genossen, die die Arier im Zuchthaus und im Konzentrationslager hielten; MM 14.3.1985 ansonsten entstünde die „gespenstische Situation", daß man nach dem „ArierNachweis" im Dritten Reich nunmehr den „NichtArier-Nachweis" führen müsse; Zeit 12.4.1985 darin wird . . zwischen echten Zigeunern, die zum Leidwesen der nationalsozialistischen Rassentheorie nun mal „echte Arier" sind, und „Zigeunermischlingen" unterschieden; ebd. 27.12.1985 die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät, . . die 1933 infolge des „Arierparagraphen" fast ausgeblutet war; Püschel 1986 Bernsteinliebe 83 Ihr Vater, Ingenieur in einem Chemielabor, war sogenannter Arier und allein dadurch Beschützer von Frau und Tochter; Zeit 15. 5.1987 oder ist es, nach Auschwitz, der vielleicht einzigmögliche (weil menschlichste) „Arier-Witz"? Ariertum: Benedikt 1903 Biomechan. Denken 54 eine der geistreichsten Albernheiten der Geschichte, die Lehre vom Ariertum; Kyber 1925 Tierschutz 106 Ariertum; Gerstenhauer 1927 Führer 140 Ariertum; Berl. Illustr. Nachtausg. 24.5. 1933 Dabei ist bestimmt, daß alle Beamten .. sich über ihr Ariertum . . auszuweisen haben; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. anders sind wir als die anderen . . in unserer ganzen Art, in unserem ganzen Sein und Wesen . . wenn man als Maßstab nicht das verkommene, sondern das unversehrte Ariertum annimmt. arisch: Nietzsche 1871 Geburt d. Tragödie (W. I 58) Die Prometheussage ist ein ursprüngliches Eigentum der gesamten arischen Völkergemeinde und ein Dokument für deren Begabung zum Tiefsinnig-Tragischen, ja es möchte nicht ohne Wahrscheinlichkeit sein, daß diesem Mythus für das arische Wesen eben dieselbe charakteristische Bedeutung innewohnt, die der Sündenfallmythus für das semitische hat; Lenormant 1875 Kultur I 4 Einwanderungen der arischen Rasse; Nietzsche 1887 Genealogie d. Moral (W. 776) Im lateinischen malus . . könnte der gemeine Mann als der Dunkelfarbige, vor allem als der Schwarzhaarige . . gekennzeichnet sein, als der vorarische Insasse des italischen Bodens, der sich von der herrschend gewordnen blonden, nämlich arischen ErobererRasse durch die Farbe am deutlichsten abhob; ebd. H 896 ich mag auch sie nicht, diese neuesten Spekulanten in Idealismus, die Antisemiten, welche heute ihre Augen christlich-arischbiedermännisch verdrehen; 1887 Satzung des Ersten Wiener Turnvereins o. S. Angehörige des Vereins können nur Deutsche (arischer Abkunft) sein (1936 MEYERS LEX.); Nietzsche 1888 Götzen-Dämmerung (W.

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982) Das Christentum, aus jüdischer Wurzel und nur verständlich als Gewächs dieses Bodens, stellt die Gegenbewegung gegen jede Moral der Züchtung, der Rasse, des Privilegiums dar — es ist die antiarische Religion par excellence: das Christentum die Umwertung aller arischen Werte; Henneam Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 366 Weder der Nationalität noch dem Christentum schreibt er irgend einen Wert zu und schätzt die Sittengesetze gering. Schließlich befürwortet er einen „arischen Bund" der „eugenischen Elemente". Das Richtige in diesen Ansichten ist die Ungleichheit der Menschen und die Bevorzugung der Arier; 1903 Naturwiss. Wochenschr. XVIII 167 „arische Rasse"; Kyber 1925 Tierschutz 12 erheben gewaltige Rufe nach einer gereinigten arisch-germanischen Kultur; Gerstenhauer 1927 Führer 149 arischen Reserven; ebd. 153 arisch-germanische Rasse; Döblin 1929 Alexanderplatz 56 Kaufen Sie sich solchen Schlips bei Tietz oder Wertheim oder, wenn Sie bei Juden nicht kaufen wollen, woanders. Ich bin ein arischer Mann; Gebauer 1932 Kulturgesch. 466 „arischen" (nordischen) Rasse; Lokal-Anz. 30.7.1933 Ein ausschlaggebender Einfluß der Hertie in der Geschäftsleitung ist gesichert worden, ebenso die Mitarbeit bewährter arischer Fachleute des Hauses; Richtlinien Reichsbeamtengesetz 8.8.1933 [Nicht-arisch ist] wer von nicht-arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder Großelternteil nicht-arisch ist (BERNING); Wöhrmann 1934 Reichserbhofrecht 58 f. außerdem ist die Einführung des philologischen Begriffs „arisch" und „nichtarisch" nicht sehr glücklich. Der Ausdruck „deutschen oder stammesgleichen Blutes" stammt aus dem . . preußischen Bäuerlichen Erbhofrecht; Lokal-Anz. 19.6.1934 die Ausstellung der Adefa (Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie); ebd. 13. 7. 1934 Der 4. Zivilsenat des Reichsgerichts hat die Anfechtbarkeit arisch-jüdischer Mischehen . . verneint; ebd. 19.3.1935 Die Mehrheit [der Schuhfabrik Herz A.-G.] liegt nunmehr in arischen Händen; Dtsch. AZ. 21.9.1935 Dann wäre zu untersuchen, ob . . man ein deutsches Geschäft als deutsches bezeichnet oder ein nichtarisches Geschäft als solches . . Weiter muß untersucht werden, ob in der Bezeichnung das deutsche oder arische Moment herausgestellt werden soll; ebd. Personen . ., die nach der deutschen Ariergesetzgebung als unarisch anzusehen sind .. Deshalb wurde auch den Gesellschaften das Prädikat arisch abgesprochen, deren Kapitalmajorität und deren gesamter Vorstand arisch waren, ein wichtiger Lieferant aber nicht; v. 'Wahlendorf 1936 Ertnn. 96 man vermutete, daß der Zug ihrer Liebe durch falsche Weichenstellung einmal auf ein verkehrtes, heute

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würde man sagen, nichtarisches, Geleise gefahren sein; 1936 Meyers Lex. l 557 Das Reichsbürgergesetz vom 15. 9.1935 und das Blutschutzgesetz vom 15. 9.1935 . . gebrauchen nicht mehr den Begriff „arisch", sondern den treffenderen „dt. oder artverwandten Blutes" . . Diese Bez. hat sich jetzt allgemein gegenüber „arisch" eingebürgert; ebd. l 558 Über den Nachweis der arischen („deutschblütigen") Abstammung s. Abstammungsnachweis; Essener Allg. Ztg. 3.11.1937 Der alte Name arisch hat Im 19. Jahrhundert eine Auferstehung erlebt. Die Anthropologie hat den Begriff arisch auf die Rasse angewandt und mit nordisch im engeren Sinne gleichgesetzt. Von dort aus hat dann arisch rassenpolitisch den Sinn von nichtjüdisch erhalten. Diese Entwicklung liegt . . außerhalb der Grenzen philologischer Betrachtung; Klemperer 1946 LT1 36 Inzwischen bereitet sich der Boykott jüdischer Geschäfte und Ärzte vor. Die Unterscheidung zwischen „arisch" und „nichtarisch" beherrscht alles. Man könnte ein Lexikon der neuen Sprache anlegen; ebd. 215 der schwarzhaarige Judenjunge lauert mit satanischem Grinsen der arischen Blondine auf, um in ihr die germanische Rasse zu schänden; Heuss-Knapp 1946 Wege 41 halbarischen Kinder; ND 1.11.1949 fünf, sechs Sätze nur spricht Erich Gühne als „arischer Siedler" Schultz im „Generalgouvernement" — und die Schamröte springt in jedes ehrlichen Deutschen Gesicht; J950 Mainfr. Jahrb. H 408 Unsere Wissenschaft [der Familienkunde] ist nicht mehr grosse Mode! Die grosse Mehrzahl der Mitläufer, die uns das Dritte Reich zugeführt hatte, hat sich wieder verlaufen, nachdem man die „arische Großmutter" nicht mehr zu suchen braucht; Böll 1963 Clown 225 dann ohrfeigte ich Herbert ganz plötzlich, weil mir einfiel, daß er einen unserer Schulkameraden, Götz Buchel, gezwungen hatte, den Nachweis einer arischen Abstammung zu erbringen; Glaser 1964 Spießer 37 Rosenbergs Deutung des Griechentums — soweit dieses nordisch-arisch und noch nicht demokratisch-semitisch verseucht gewesen sei; Andersch 1971 Kirschen 38 und wir sahen nicht voraus, daß auch der Feind unterlag, als er die Freiheit einschränkte . . seine eigene Freiheit, die er auf den „arischen Menschen" einengte und an biologische Gesetze band; Zeit 15.11.1985 C. G. Jung nutzte 1933 die Gunst der Stunde, um alte Rivalitäten mit Freud weiter auszufechten, indem er endlich eine „arische" von einer „jüdischen" Tiefenpsychologie unterschied; nach Ausbruch des Krieges sprach er dann vom Nationalsozialismus als von der „deutschen Psychose"; ebd. 25.4.1986 Heidelberg, schon vor 1933 eine „mittlere Nazihochburg", wurde zu einem Zentrum faschistischer Ideologie, das Physikalische Institut zur „Kampfstätte des Nationalsozialismus", das die „arische Physik"

vertrat; ebd. 19. 6.1987 Werner Steinberg, als Sohn eines jüdischen Vaters und einer „arischen" Mutter in der Terminologie der Nazis ein „Mischling ersten Grades", hat das Dritte Reich in Hamburg und Lübeck überlebt; Klüger 1992 weiter leben 14 Warum uns im engen jüdischen Kreis noch weiter erniedrigen, wenn die arische Umwelt es tagtäglich mit Erfolg tat? (Übrigens schreibe ich dieses Wort „arisch" absichtlich nicht in Anführungsstrichen. Es wurde damals nur selten ironisch ausgesprochen.). Ariseur: Süddtsch. Ztg. 14.10.1948 „Ariseure", so nennt man Mitläufer aus ökonomischen Motiven. arisieren: Münch. N. N. 8.8.1941 Bis zum Mai 1941 war etwa ein Fünftel der jüdischen Unternehmen liquidiert, bzw. arisiert; Fallada 1947 jeder 8 Rosenthals haben früher ein Wäschegeschäft an der Prenzlauer Allee gehabt. Das ist dann arisiert worden (DUDEN); MM 25.11.1986 einziger Schönheitsfleck auf dem Reichtum: der Onkel soll das Grundstück 1939 „arisiert" haben. Arisierer: Süddtsch. Ztg. 10.8.1951 Freispruch für Würzburger Arisierer . . Den Angeklagten war vorgeworfen worden, im Jahre 1938 in mindestens 15 Fällen jüdische Vermögen ohne rechtliche Grundlage „arisiert" zu haben; ND 23.5.1964 der Bonner CDU-Minister ist ein Arisierer; Zeit 1.2.1985 Es war, zwischen 1933 und dem Kriegsbeginn, eine gute Zeit für Arisierer. arisiert: Münch. N. N. 25.6.1938 Arisierte Börse . . Im Zuge der sich als erforderlich erwiesenen Maßnahmen wurde . . dafür Sorge getragen, daß der nichtarische Teil der Börsenbesucher mehr und mehr aus dem Verkehr ausgeschaltet wurde; Klemperer 1946 LTI 179 während die Schilder „rein arisches Geschäft" und die feindseligen Schaufensterbemalungen „Judengeschäft!" genauso wie das Verbum „arisieren" und die beschwörenden Worte an der Ladentür: „Völlig arisiertes Unternehmen!" sehr bald verschwanden, weil es keine Judengeschäfte mehr gab und gar nichts mehr zu arisieren; Heuss-Knapp 1946 Wege 38 die Kinder . . zu arisieren; Zuckmayer 1961 Uhr 45 Da hat mich also Päpchen — quasi — arisiert?; ND 23.5.1964 er will sich noch einmal so gesundstoßen, wie nach 1938 bei der Arisierung jüdischer tschechischer Betriebe und will die von ihm arisierten Betriebe wieder haben; MM 5.12.1985 man wagte .. die These vom einst „arisierten" Kapital, das die Deutsche Bank . . heuer jüdischen Spekulanten zu billigem Zins verleihe.

Aristokratie Arisierung: 1933 Bundesturnztg. (Wien) 457 das internationale Judentum, das den Sport auf dem Erdkreise zumeist beherrscht, will die vollzogene Arisierung der deutschen Turn- und Sportverbände auf diesem Wege hintertreiben; 1937 Volkswirt 805 der durch diese „Arisierung" entstehenden inneren Verbindung zwischen Bayern- und Südboden; Münch. N. N. 11.3.1938 Die Adefa habe sich . . entschlossen, . . die von ihren Mitgliedern gekauften Waren zu kennzeichnen. Bei der Arisierung jüdischer Geschäfte sei zu berücksichtigen, daß es wichtiger sei, die Wirtschaftskraft deutscher Volksgenossen zu stärken, als . . ein überflüssiges jüdisches Geschäft zu übernehmen; ebd. 28.3.1938 Maßnahmen zur sachgemäßen Umleitung der jüdischen Wirtschaft . ., d. h. zur Arisierung des Geschäfts- und Wirtschaftslebens; Frankf. Ztg. 6.12.1938 Die wichtigste Bestimmung der neuen Verordnung ist die Einführung der Zwangsarisierung; Münch. N. N. 13.12.1938 Sofern an einem bisher jüdischen Geschäft der sichtbare Vermerk angebracht ist „In Arisierung begriffen", kommen Käufe, die in diesem Geschäfte getätigt werden, nicht mehr dem jüdischen Vorbesitzer, sondern dem arischen Treuhänder zugute; 1939 Juristische Wochenschr. IV 219 Die Entjudung der deutschen Wirtschaft. Arisierungsverordnungen vom 26. April und 12. November 1938 . . Das . . Buch bringt . . eine ausführliche Erläuterung der Arisierungsverordnung (BERNING); Münch.N.N. 12.3. 1941 Der gesamte jüdische Hausbesitz in der Slowakei wurde durch eine Verfügung des für die Arisierungsangelegenheiten zuständigen zentralen Wirtschaftsamtes unter Zwangsverwaltung ge-

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stellt; Münch. Stadtanz. 27. 2.1946 EntarisierungsGesetz; Süddtsch. Ztg. 24. 9.1946 Dr. Müller habe sich bei der Arisierung der Firma Michaelis zum Schaden des Inhabers Mannheimer bereichert; ebd. 28.12.1946 Ein „Arisierungs"-Gewinnler; Horkheimer/Adorno 1947 Dialektik 179 Die Arisierung des jüdischen Eigentums, die ohnehin meist den Oberen zugute kam, hat den Massen im Dritten Reich kaum größeren Segen gebracht als den Kosaken die armselige Beute, die sie aus den gebrandschatzten Judenvierteln mitschleppten; Süddtsch. Ztg. 23.12.1948 Das Verfahren brachte die Beweise für die Arisierungsmethoden und die Vergewaltigungen deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens; ebd. 12.7.1950 Gefängnis für Arisierungsfachleute . . Die drei letzten Angestellten der ehemaligen Münchner Arisierungsstelle wurden .. für schuldig befunden, reiche Juden . . zur Herausgabe von Millionenbeträgen gezwungen und sich selbst bereichert zu haben; ebd. 4.12.1953 Zeugenaussagen im Arisierungsprozeß; ebd. 17.3. 1961 „Arisierungs"-Experte muß Sühnegeld zahlen; Zeit 3. 5.1985 da . . weiß man, daß Flick einen großen Teil seines Vermögens dank der Arisierung und der Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern gewonnen hat; ebd. die Großindustriellen und Finanziers der braunen Machtergreifung, die Arisierungsgewinnler und Ausbeuter von Sklaven; ebd. 14.2.1986 so suchte sich Coring .. durch harte Maßnahmen bei der Arisierung der deutschen Wirtschaft zu rehabilitieren; Süddtsch. Ztg. 9./10.10.1993 Fatale Zwangsarisierung .. Die meisten [der jüdischen Unternehmen] wurden zwangsarisiert, enteignet.

Aristokratie F. (-; -n), im früheren 15. Jh. über gleichbed. spätlat. aristocratia entlehnt aus griech. 'Herrschaft der Besten, Edelsten' (in Analogie zu älterem (—» Demokratie) gebildet aus , Superlativ zu 9 'gut, edel', und 'herrschen'), bis ins frühere 18. Jh. in der lat. (flekt.) Form, im 17. Jh. vereinzelt Aristocratey, Aristokracey, Aristokraty, seit Mitte 18. Jh. in der heutigen Form. Zunächst in der Bed. 'Herrschaft der Besten, Tüchtigsten', als (historische) Bezeichnung für eine Regierungsform, in der die Herrschaft im Besitz einer ständisch-privilegierten sozialen Gruppe ist, entweder in bezug auf eine reale (s. Belege 1653, 1751), oder, in der theoretischen politischen Reflexion, auf eine nichtkonkrete bzw. historische politische Erscheinung z. B. der antiken Stadtstaaten (s. Belege 1688, 1696); sehr häufig in Verbindung mit Bezeichnungen für andere Herrschaftsarten, so als Ggs. zu -» Demokratie (s. Belege 1653, 1795, 1835, 1958) bzw. -»Monarchie (s. Belege 1662, 1677, 1701, 1718, 1732, 1751, 1758), daneben auch zur Beschreibung einer Entwicklung, entweder im negativen Sinn hin zur —»· Tyrannei (s. Beleg 1616) bzw. zur —» Oligarchie (s. Belege 1751, 1786) oder als Ursprungsform der Demokratie (s. Belege 1677, 1977, 1987) bzw. der Monarchie (s. Beleg 1859); dazu die Zss. Lehn-, Feudalaristokratie.

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Seit dem 17. Jh. nach der Aufgabe des Lehnswesens und mit dem Anschluß des Adels an die entstehenden Fürstentümer als Kollektivbezeichnung und, wie zuvor bereits dtsch. Adel, gesellschaftstheoretisch im Sinn eines Klassenbegriffs gebraucht in der Bed. 'der nobilitierte, das Erbrecht beanspruchende, meist über Grundbesitz und Vermögen sowie bestimmte Privilegien verfügende Teil der Gesellschaft; adlige Oberschicht, Adel(sstand)', als Grundwort bes. in Zss. wie Erb-, Geburts-, Geschlechts-, Standes-, Grund-, Namens-, Hocharistokratie; entsprechende Privilegien wurden im Zuge der Demokratisierungsprozesse des 18. Jhs. und bes. seit der frz. Revolution bis hin zur Reichsverfassung 1919 zunehmend hinterfragt, von daher häufig negativ bewertet (s. Belege 1718, 1797, 1832), bes. im dialektischen Materialismus als Gegenbegriff zu —» Bourgeoisie und —»Proletariat und gelegentlich im Sinn einer überholten historischen Entwicklungsstufe (s. Belege 1844—46, 1845 — 46). Im 18. Jh. verallgemeinert zu der Bed. 'Elite, Führungsschicht', in Abgrenzung vom alten Standesbegriff daher häufig in differenzierenden Wortverbindungen wie geistliche Aristokratie, vor allem aber in Zss. wie Bauern-, Dorf-, Landes-, Stadtaristokratie; seit der Wende zum 19. Jh. und schlagwortartig bes. dann im späteren 19. Jh. entsprechend der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft mit Betonung von Bildung und geistigem Besitz, übertragen gebraucht in Wendungen wie Aristokratie der Bildung, des Geistes (s. Belege 1800, 1823), geistige Aristokratie (s. Belege 1818, 1844), Aristokratie der Intelligenz (s. Belege 1832, 1849), dazu die Zss. Geistes-, Gelehrten-, Bildungsaristokratie; gelegentlich auch eher abwertend gebraucht, bes. in bezug auf andere elitäre Gruppen, z. B. dogmatisch erstarrte wissenschaftliche Schulen (s. Beleg 1831). Etwa gleichzeitig im Zuge der Industrialisierung und der Entwicklung des Wirtschaftswesens im Verlauf des 19. Jhs. dann auch bes. in Abgrenzung von der führenden Bildungsschicht im Sinn von 'vermögende, über materiellen Besitz verfügende industrielle Führungsschicht' (s. Belege 1819, 1840), in Wendungen wie Aristokratie des Geldes, der Fabrikanten und in Zss. wie Handels-, Geld-, Vermögens-, Verdienst-, Reichtums-, Finanz-, Industriearistokratie bzw. mit der Entwicklung des Verwaltungswesens auch für Oberste Staatsbedienstete, Führungsschicht des Beamtenwesens', vor allem in der Zs. Beamtenaristokratie (s. Belege 1833, 1844, 1845); von daher im marxistisch-sozialistischen Sprachgebrauch auf die Führungsschicht des Proletariats übertragen in Verbindungen wie Aristokratie der Arbeiter (s. Belege 1849 — 51, 1885) und in der Zs. Arbeiteraristokratie. Dazu im späten 16. Jh. die auf griech. 'vornehm, edel' zurückgehende adj. Ableitung aristokratisch, zunächst bis etwa Mitte 19. Jh. in der Bed. 'die Herrschaft der Besten, Tüchtigsten betreffend' (s. Belege 1585, 1702), meist auf historische Gegebenheiten bezogen in Verbindungen wie aristokratische Regierung, Regierungsform, Republik, aristokratisches Prinzip, in Zss. wie feudalaristokratisch, bäuerlich-aristokratisch; seit Mitte 19. Jh. an das Merkmal 'gut, edel' anschließend mit positiver Wertung auf Gesinnung und Wesen bezogen für 'vornehm', z. B. in der Zs. geistesaristokratisch, bes. auf den Körperbau und vor allem die Physiognomie bezogen in Wendungen wie aristokratisches Gesicht, aristokratische Nase, Hand, auch übertragen verwendet, z. B. auf Gegenstände bezogen (s. Belege 1877, 1884, 1895, 1927, 1962, 1986).

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Seit frühem 17. Jh. als gesellschaftstheoretischer Begriff in der Bed. 'dem Adel, der adligen Schicht zugehörig' (s. Belege 1612, 1783), als Grundwort in Zss. wie hoch-, altaristokratisch; auch übertragen verwendet (s. Belege 1833, 1860, 1909); im Zuge der Menschenrechtsbewegung des 18. Jhs. und seither im politischen Sprachgebrauch in Verbindungen wie aristokratische Partei, aristokratischer Gegendruck, vor allem aber abwertend gebraucht für 'den Menschenrechten entgegenstehend' (s. Belege 1783, 1792, 1845), dazu als Einstellungskundgabe die Präfixbildung antiaristokratisch, z. B. in der Wendung antiaristokratische Haltung; daran anschließend auch erweitert im Sinn von 'konservativ, dünkelhaft' (s. Belege 1797, 1827), in der festen Verbindung aristokratischer Hochmut und in Zss. wie stockaristokratisch, aristokratisch-elitär. Seit späterem 18. Jh. die subst. Ableitung Aristokratismus M. (-; selten Aristokratismen), zunächst auch in der verkürzten Form Aristokratism, in der Bed. 'Prinzip der Herrschaft der Besten, Tüchtigsten; Herrschaftsform der Aristokratie', auch abwertend für die entsprechende staatsbürgerliche Haltung und Gesinnung, zunächst während der Auseinandersetzung um die Menschenrechte gleichgesetzt mit —» Despotismus (s. Beleg 1772—77), vor allem dann dem politischen Oppositionsbegriff Demokratismus (— Demokratie) gegenübergestellt (s. Belege 1794, 1866, 1932, 1948); seit spätem 18. Jh. allgemeiner gebraucht, zunächst noch im politischen Sinn, jedoch ohne Bezug zur adligen Gesellschaftsschicht (s. Belege 1796, 1816, 1821), z. B. in Verbindungen wie bürgerlicher Aristokratismus, Aristokratismus der Reichen; dann auch übertragen in der Bed. 'geistige Vorherrschaft' bzw. auch eher abwertend für 'Dogmatismus im Geistigen', in Wendungen wie Aristokratismus des Geistes, geistiger, wissenschaftlicher Aristokratismus, bes. in den Zss. Geistes-, Kulturaristokratismus; gelegentlich auch für 'vom Prinzip der geistigen Vorherrschaft geprägte Weltanschauung einer Person' (s. Belege 1830, 1861, 1896, 1932, 1950). Seit späterem 18. Jh. wohl als Rückbildung zu Aristokratie die Personenbezeichnung Aristokrat M. (-en; -en), sehr häufig im Pl. gebraucht zur Kennzeichnung einer Gruppe, in der Bed. 'Adliger, Angehöriger der nobilitierten Gesellschaftsschicht', zunächst abwertend im Sinn von 'Gegner der Menschenrechtsbewegung', so auch als Schimpfwort (s. Belege 1791, 1792, 1794), in Zss. wie Aristokraten-Tyrannei bzw. in Verbindung mit dem politischen Gegenbegriff Aristokraten und Demokraten (s. Belege 1793, 1799, 1832), vgl. auch die vereinzelt belegte Diminutivform Aristokrätchen; ohne Wertung nur in Zss. wie Geburts-, Hocharistokrat. Seit Mitte 19. Jh. die movierte Form Aristokratin F. (-; -nen), als Grundwort in den Zss. Stock-, Vollblutaristokratin. Im Anschluß an die selten belegte Bed. 'der Tüchtigste, Beste' im früheren 19. Jh. erweitert bes. mit Bezug auf Gelehrte (s. Belege 1835, 1877, 1878), bes. in den Wendungen Aristokraten des Geistes, der Bildung und Zss. Geistes-, Kunst-, Bildungsaristokrat, eher abwertend auch auf andere elitäre Gruppen, z. B. dogmatische Vertreter einer Lehrmeinung übertragen; etwa gleichzeitig auch auf führende Persönlichkeiten in der Wirtschaft und im Geldwesen bezogen in Zss. wie Geld-, Finanzaristokrat bzw. allgemein im Sinn von 'Führer', bes. in den Zss. Bürger-, Arbeiteraristokrat; heute vereinzelt auch auf Gegenstände übertragen (s. Belege 1950, 1986). Seit spätem 18. Jh. das (aus griech. , s. o., übernommene) Anfangselement aristo-, in der Bed. 'adlig-', in Verbindungen wie Aristodemokrat, aristodemokratisch zur Bezeichnung eines die gegensätzlichen Elemente von Aristokratie und De-

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mokratie vereinbarenden politischen Konzepts; daneben auch allgemeiner (s. Beleg 1986). Seit späterem 19. Jh. die (1860 bei Sanders) gebuchte, seit Anfang 20. Jh. selten belegte, eventuell nach dem Vorbild von demokratisieren gebildete verbale Ableitung aristokratisieren V. trans., in der Bed. 'nach aristokratischen Prinzipien gestalten, auf den Grundsätzen der Aristokratie aufbauen'; seit Anfang 20. Jh. das Verbalsubst. Aristokratisierung F. (-; -en), 'Gestaltung nach den Grundsätzen der Aristokratie', auch übertragen im Sinn von 'Veredelung, Aufwertung' (s. Belege 1912, 1917). Aristokratie: Ingold 1432 goldene Spiel 6 da die gemain regnierend und etlich von der gemaind die da guot sind und suochend den gemainen nutz, das hayßt aristocratia; Lauterbeck 1559 Regentenbuch la aristocratia; Boccalinus 1616 Probierstein (Übers.) 106 f. Darumb wolt er sie erinnert haben/ daß es bey einer Aristocracei [!] ein sehr gefährlich ding seye/wann diejenige die sich rühmen sollen/ daß sie vsser allen denen sorgen seyen/ darinn die so eines Fürsten schwindelhirn vnderworffen sein/ täglich stehen müssen/ sich beklagen/ sie werden von vielen Tyrannen geplagt . . Aber die Herrlichkeit zu regieren vnnd der hochmuth seyen gemeinlich so gern beysamen/ daß es dz ansehen habe/ sie seyen Zwilling . . vnd seye des Adels vbermut/ den er in allen Aristocratien gegen die gemeine Burger verübe/ von allen verständigen . . für einen mangel gehalten worden; Micraelius 1639 Pommerland 158 Aristocratey; Zeiller 1653 Chronik Sueviae 109 [In schwäbischen Städten] wurde . . der Rath geendert, die Democratia, vnd die Zunfftmeister abgethan, vnd die Aristocratia eingeführt; Hirsch 1662 Kirchers Musurgia 333 dann dise alle haben nicht die höchste Gewalt/ sondern all nur einerlei Macht/ wie in der Aristocraty und Democraty geschieht: in der Monarchia aber ist nur ein Macht und Gewalt; Valckenier 1677 Verwirrtes Europa 9b Die Aristocratia, oder/ das Regiment der edelsten und fürnehmsten/ ist auch nicht volkommen/ weil es leicht zu einer Oligarchia, das ist/ zu einem Regiment/ worin wenige die OberHerrschafft führen/ verfallen kan . . Oder Sie verendert sich in eine Monarchie . . nebenst der nohtwendigen Verwirrung des Gemeinen Pöbels/ . . kan dieses Regiment [der Demokratie] alzu leicht in eine Aristocratia, welche ihren Ursprung fürnehmlich aus der Democratia hat. . verfalle; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 308 dennoch hat er die Meinung herrlich ausgeführet/ daß das Römische Reich eine gemischte Form von der Monarchie Aristocratie und Democratic sey; Winckler 1696 Edelmann 178 von der zu selben Zeit verfallenen Rom. Aristocratia, die doch vormals so eingerichtet gewesen, dass man geglaubet, es solte selbige nicht von der ganzen Welt, zugeschweigen einem und

ändern Bürger übern Hauffen zu werffen seyn; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 109 diejenigen/ so das Römische Reich vor eine Monarchie achten/ beziehen sich auff die Leges publicas, in welchen dann und wann des H. Römischen Reichs Monarchie gedacht wird/ die aber pro Aristocratia streiten/ suchen ihre Zuflucht bey dem Voto des Chur-Fürsten zu Mäyntz; Musig 1718 Licht d. Weisheit II 749 f. Damit eine Aristocratic nicht in eine Monarchie verwandelt werde, giebt . . die Klugheit folgende Reguln: chargen, welche mit einer grossen Macht und auctorität verknüpft sind, lasse man WechselsWeise verwalten . . damit eine Aristocratic nicht in eine Democratic verwandelt werde, spricht die Klugheit: man vermeide . ., daß der gemeine Mann nicht mit einem Zugang zu denen vornemsten Bedienungen bekomme; Rohr 1718 Staatsklugheit 250 Dafern sich einige von den Vornemsten [des Regiments] anmaßen, wird es die Aristocratic genennt; Zedler 1732 Universallex. U 145 7 Aristocratia ist diejenige Regierungs-Form, in welcher eine gewisse Anzahl von Bürgern die Majestät hat; ebd. H 1458 Wer unter einem Monarchen stehet, hält die Monarchie, und wer in einem freyen gemeinen Wesen lebet, die Democratic oder Aristocratic vor die beste Regierungs-Art; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10, Vorr. o. S.) Des folgenden Jahres bekam ich gute Gelegenheiten, . . ihnen [den Gemeindevorstehern] zu Gemüthe zu führen, wie sie ihre Monarchie in eine Aristocratic verwandeln; Assmuth 1751 Pflichten d. Regenten I 9 [Wenn Staatsformen nicht dem Wohl der Menschen dienen] so heissen solche böse, und bekommen auch andere Namen. Die Monarchie wird alsdann eine Tyranney, die Aristocratie eine Oligarchie, und die Politic eine Democratic oder ein Pöbel-Regiment; ders. 1753 Pflichten d. Regenten Hl 145 [Die Kirche] eine geistliche Aristocratie; Basedow 1758 Prakt. Philosophie 749 die Aristocratie, wo ein Rath oder Adel statt des Monarchen ist; Gottsched 1760 Hanalex. 133 Aristokratie ist die Regierung der Edlen. Sie wird hauptsächlich in Malereyen durch eine goldene Krone und die Stecken-Bündel angedeutet, die sie in Händen hält. Sie ist reich gekleidet; ihr Ansehen ist groß und

Aristokratie stolz; sie hält in ihrer Hand Kronen von Lorbern, um sie auszutheilen; 1766 Allg. dtsch. Bibl. U 1,63 Handlungen . ., daraus hohe und große Verdienste entspringen, sind in Monarchien gemeiniglich nur dem Monarchen und seinem ersten Adel vorbehalten, . . so wie in Aristocratien den Optimalen; Reinhard 1769 Sehr. VIII 1151 Eine Monarchie, so mit der Aristokratie vermischet ist, enthaltet das Böse, beides der Monarchie und der Aristokratie; Goethe 1782 Br. (WA IV 6,36) Nimm nun, lieber Bruder! daß es mir in meinem Glauben so heftig Ernst ist wie dir in dem deinen, daß ich, wenn ich öffentlich zu reden hätte, für die nach meiner Überzeugung von Gott eingesetzte Aristokratie mit eben dem Eifer sprechen und schreiben würde, als du für das Einreich Christi schreibst; Schlözer 1783 Stats-Anzeiger IV 149 Ist nicht die Erb-Aristokratie die unseligste, gehässigste, tyrannischste aller Regirungs-Formen? . . Und artet nicht auch die WalAristokratie unter jedem Volcke, wo sich Lüxe und Reichtum einschleicht, in wäre Erb-Aristokratie, oder Familien-Complot, aus?; ders. 1784 Stats-Anzeiger VI 220 Wie's in deutschen geistlichen HalbAristokratien hergeht; Meiners 1786 Grundriss 148 Tyranney gebahr Aristokratie, die aber bald in Oligarchie übergieng, und Demokratie hervorbrachte; Vogt 1787 Europ. Rep. l 94 Ich habe Venedig schon als Muster einer Stadtaristokratie angeführt; hier gilt es nun auch als das Muster einer Staatsaristokratie; Kant 1795 Z. ew. Frieden (Ges. Sehr. I 8,352) es sind nur drei derselben [Herrschaftsformen] möglich, wo nämlich entweder nur Einer, oder Einige unter sich verbunden, oder Alle zusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschergewalt besitzen (Autokratie, Aristokratie und Demokratie, Fürstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt); Forster 1797 Kl. Sehr. VI 310 Anm. Der Mißbrauch der Sache hat oft den Sprachgebrauch geändert, und ein Wort, das ursprünglich nur eine gute Bedeutung hatte, mit einer ausschließend schlimmen gestempelt. Aristokratie, Herrschaft der Besten, wäre die wünschenswerteste Regierungsform, wenn sie irgendwo existierte. Allein das verhaßt gewordene Wort bedeutet jetzt den stets betrogenen Völkern gerade das Gegenteil: Herrschaft der Ärgsten (Kakistokratie) (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); Görres 1800 Ges. Sehr, l 67 ff. Aristokratie der Bildung (LADENDORF); Rousseau 1800 Staats-Vertrag (Übers.) 139 Wahl- und Erbaristokratie; Hornberger 1818 Essays 106 Wenn dennoch der Wenigen, für die er seine Bücher bestimmt, in Amerika viele sind, . ., so legt diese Thatsache Zeugniß dafür ab, daß es innerhalb der Demokratie Nordamerikas an einer geistigen Aristokratie nicht fehlt, an Leuten, welche Empfänglichkeit und Verständniß besitzen für die höchsten Leistungen der zeitgenös-

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sischen Literatur; Görres 1819 Ges. Sehr. IV 218 Aristokratie des Besitzes und des Talents (LADENDORF); Schopenhauer 1819 Welt U 162 jener intellektuellen Aristokratie der Natur; Haller 1820 Restauration I 98 Aristokratie der Kirche; Borne 1823 Ges. Sehr. I 203 f. Mancher eifert gegen den Adel, nur weil er nicht weiß, daß . . in den reinen Demokratien des Alterthums eine Aristokratie des Geistes herrschte, die viel demüthigender war, als die der Geburt, weil sie sich auf Wenige erstreckte (LADENDORF); Goethe 1826 Mathematik u. Mathematiker (WA II 11,101) So übt schon seit zwanzig Jahren die physiko-mathematische Gilde gegen meine Farbenlehre ihr Verbotsrecht aus; . . Der Besitz, in dem sie sich stark fühlen, wird durch meine Farbenlehre bedroht, welche in diesem Sinne revolutionär genannt werden kann, wogegen jene Aristokratie sich zu wehren alle Ursache hat; ders. 1831 Tagebücher (WA III 13,176) Mich wundert's denn doch, daß die Aristokratie der Philologen seine [Euripides'] Vorzüge nicht begreift, indem sie ihn mit herkömmlicher Vornehmigkeit seinen Vorgängern subordiniert, berechtigt durch den Hanswurst Aristophanes; 1831 Die deutsche privilegirte Lehn- und Erbaristokratie vernunftmäßig und geschichtlich gewürdigt (Titel); Lady Morgan 1831 Frankreich (Übers.) I 153 Handels-Aristocratie; Heine 1832 Französische Zustände (S. W. V 11) Wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen; 1832 Jahrb. d. Gesch. U 202 Aristokratie der Intelligenz; 1832 Histor.-polit. Zschr. l 78 Stadt-Aristokratien in Italien, die sich von Jahrhundert zu Jahrhundert vererbt haben; Friedrich 1832 (Ebrard 165) Sobald die Macht einer erblichen Geburtsaristokratie anfängt willkürlich und gewalttätig zu werden, ist jede patriotische Tugend im Staate dahin; 1833 Real-Enc. I 393 Aristokratie des Reichthums . . Beamtenaristokratie; Mundt 1834 Moderne Lebenswirren o. S. Er gehört als Oberhaupt jener Aristokratie der Geistreichen an, die er selbst einmal so treffend bezeichnet hat (LADENDORF); 1834 Jahrb. d. Gesch. II 92 f. Die Schrift. . zerfällt. . in vier Capitel: 1) von der Geschlechtsaristokratie . . 2) Von der Geistesaristokratie . . 3) Von der Geldaristokratie; Büchner 1835 Dantons Tod (S. W. u. Br. l 56) Das Volk hat einen Instinct sich treten zu lassen und wäre es nur mit Blicken, dergleichen insolente Physiognomien gefallen ihm. Solche Stirnen sind ärger als ein adliges Wappen, die feine Aristocratic der Menschenverachtung sitzt auf ihnen; Dahlmann 1835 Politik l 13 Wer regiert im Staate? Alle? oder Einer? oder eine Anzahl? und nach diesem Theilungsgrunde unterschied man drei Regierungsformen, Demokratie, Monarchie und Aristo-

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kratie; 1836 Jahrb. d. Gesch. U 294 erbliche Feudalaristokratie; Schmitthenner 1838 Neue Jahrb. d. Gesch., d. Staats- u. Cameralwiss. U 227 f. Der Liberalismus steht der Aristokratie so wenig entgegen, daß man dieses letztere System [das liberal-aristokratische] unbedenklich als dasjenige aller tieferen Staatsgelehrten bezeichnen kann (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); 1839 Gegenwart 76 Vermögens-, Geistes-Aristokratie; Heine 1840 Borne (S. W. VIII 37) Er [Rothschild] stiftete . . eine neue Aristokratie, aber diese, beruhend auf dem unzuverlässigsten Elemente, auf dem Gelde, kann nimmermehr so nachhaltig mißwirken, wie die ehemalige Aristokratie, die im Boden, in der Erde selber, wurzelte; Marx 1842 Debatte ü. d. Preßfreiheit (MEW l 64) es ist der Neid, welcher die ewige Aristokratie der menschlichen Natur, die Freiheit abschaffen will, eine Aristokratie, die selbst der Pöbel nicht bezweifeln kann; Engels 1842 Stellung d. polit. Partei (MEW I 461) Es gibt nur drei Parteien in England, die von Bedeutung sind, die Aristokratie des Grundbesitzes, die Aristokratie des Geldes und die radikale Demokratie; Kohl 1844 Brit. Inseln U 4 Geburtsaristokratie, Beamtenaristokratie, Geldaristokratie, geistige Aristokratie kann man . . die verschiedenen Rangsysteme, nach denen man in der Regel die Bürger eines Staates classificiert, nennen. . . In Rußland .. ist durch die Gesetze des Staates die Verdienstaristokratie als die einzige anerkannt; Engels 1844-46 Lage d. arb. Klasse (MEW U 486) Aristokratie . . ist nur Aristokratie, nur privilegiert gegenüber der Bourgeoisie, aber nicht gegenüber dem Proletariat; Rotteck/Welcker 1845 Staatslex. / 634 die Verwirklichung solcher Idee [der dem Muth und der Intelligenz in der bürgerlichen Gesellschaft gebührenden Bevorrechtung] durch die Standesaristokratie ist höchst mangelhaft . . Auch die Beamtenaristokratie wird leicht zu einer der Familien; 1845 Beschr. O A. Welzheim 37 Dorfaristokratie [der Großbauern]; Marx/Engels 1845-46 Dtsch. Ideologie (MEW III 202) Nach der materiellen Geschichte war es die Aristokratie, welche zuerst das Evangelium des Weltgenusses an die Stelle des Genusses des Evangeliums setzte; dies. 1848 Manifest (MEW IV 484) Die feudale Aristokratie ist nicht die einzige Klasse, welche durch die Bourgeoisie gestürzt wurde, deren Lebensbedingungen in der modernen bürgerlichen Gesellschaft verkümmerten und abstarben; Bismarck 1849 Polit. Reden I 88 ein sicheres Bollwerk gegen die Aristokratie der Intelligenz (LADENDORF); Marx 1849-51 Revue. Mai bis Oktober 1850 (MEW VII 445) Die Kleinbürger, die sich noch in der Partei befinden, verbunden mit der Aristokratie der Arbeiter, bilden eine reindemokratische Fraktion; Schopenhauer 1851 Parerga I 168 Aristokratie der Natur;

Szarvady 1852 Paris I 78 Der Barrikadenkönig .. wußte was er that, wenn er die legitime Aristokratie zum Besten der Aristokratie des Geldsackes enterbte; Keller 1856 Seldwyla (S. W. VII 2) sie [die jungen Leute von zwanzig bis sechsunddreißig] lassen . . fremde Leute für sich arbeiten und benutzen ihre Profession zur Betreibung eines trefflichen Schuldenverkehres, der eben die Grundlage der Macht, Herrlichkeit und Gemütlichkeit der Herren von Seldwyl bildet und mit einer ausgezeichneten Gegenseitigkeit und Verständnisinnigkeit gewahrt wird; aber wohlgemerkt, nur unter dieser Aristokratie der Jugend; 1858 Preuss. Jahrb. II 115 denn auch innerhalb der Gelehrtenaristokratie begreifen viele Nullen nun den Werth der an ihrer Spitze stehenden Zahlen; Wagener 1859 Staats- u. Gesellschaftslex. II 535 Alle Aristokratieen, in wiefern man darunter republikanische Staatsformen versteht, haben in ihrem Rücken, als den Punkt, von dem sie ausgingen, dissolut gewordene monarchische Verhältnisse; Treitschke 1859 Gesellschaftswiss. 11 der Süden der Vereinigten] St[aaten] ist eine Massenaristokratie der brutalsten Art; Rieht 1861 Ges. 209 So ist die jetzt so allgemeine Glätte des geselligen Verkehrs unstreitig großentheils den Einflüssen der Aristokratie gut zu schreiben; Hundt v. Rafften 1863 Rechte I 16 den Wahlspruch des Friedens der geistigen Aristokratie zu verkünden; Donai 1864 Union 239 „StockfischAristokratie" . . so nennt man . . die schnell reich gewordenen ungebildeten Spekulanten, welche den Luxus der Gebildeten nachäffen; Springer 1870 Berl. Prospecte 49 in den höchsten Zirkeln der Bäder-Aristokratie; Treitschke 1874 Jahre 544 die Gesinnung dieser Aristokratie der studierten Leute; Berlepsch 1875 Schweizerkunde 464 Diese Massnahme, wodurch das Ansehen und der Einfluss der Familie und eine Bauernaristokratie erhalten wird, wurzelt mit unglaublicher Zähigkeit im Bauernvolke; Schweiger-Lerchenfeld 1880 Frauenleben 399 Ecuadorianer ganz reiner, weisser Abkunft gibt es sehr wenige. Eine „Aristokratie der Farbe" . . existiert . . nicht; Nordau 1881 Kreml II 53 die zahllosen skandalösen Scheidungsprozesse .., welche fortwährend die intime Verderbtheit der Artistokratie offenlegen; Lindenberg 1883 Berlin 61 Siechen, Pschorr . . bilden unter diesen [Berliner Bier-]Localen gewissermassen die Aristokratie; Engels 1885 (MEW XXII 325) Sie [die Bauarbeiter] bilden eine Aristokratie in der Arbeiterklasse; Gildemeister 1892 Aus d. Tagebüchern Bismarcks 267 Weinaristokratie; Lanin 1893 RUSS. Zust. II 43 Salons, in denen die gesamte Aristokratie des Talentes sich zusammenfindet und denen sich einige wenige hochbegabte Vertreter der BlutAristokratie zugesellen; Engels 1894 Anti-Dühring (MEW XX 150) Selbst die Bildung einer natur-

Aristokratie wüchsigen Aristokratie, wie sie bei Kelten, Germanen und im indischen Fünfstromland auf Grund des gemeinsamen Bodeneigentums erfolgt, beruht zunächst keineswegs auf Gewalt, sondern auf Freiwilligkeit und Gewohnheit; Treitschke 1897 Politik l 121 eine Massenaristokratie der weißen Rasse; Röscher 1899 Handel (System HI 86) die Städtearistokratie . ., die . . zwischen der mittelalterlichen Ritter- oder Landaristokratie und der Geldoligarchie hoher Kulturstufen in der Mitte steht; Friedländer 1910 Sittengesch. Roms Hl 148 Eine „Kutschenaristokratie" kann es erst seit dem 3. Jahrhundert gegeben haben; Lamprecht 1913 DG;V // 151 die Ausbildung einer Arbeiteraristokratie, eines vierten Standes; 1916 Deutschland l 227 die Amtsaristokratie unseres pflichttreuen Beamtentums und unseres unvergleichlichen Offizierstandes; Curtius 1921 Barres 65 Spanien, die „Aristokratie der Welt"; Jäger 1925 Antike 23 Der Humanismus wird Bildungsaristokratie; 1929 Nord u. Süd 274 Freunde aus der Hocharistokratie; Hiltebrandt 1930 Erinn. a. Eülow 44 die sogenannte schwarze, das heisst die päpstliche Aristokratie; de Man 1932 Massen 43 Aristokratie bedeutet nicht die Regierung der Nachkommen, sondern die Regierung der Besten; Bahr 1933 Volk 31 Der Adel, die „Literaten", zu deutsch: die Aristokratie der studierten Leute; Volkmann 1938 Streifen 24 Es ist ein Kardinalfehler, dass wir [Protestanten] . . keine Kirchenaristokratie . . besitzen; Brentano 1943 Tagebuch 64 ist die Kraft einer herrschenden Kaufmannsklasse oder einer Finanz- und Industriearistokratie ihrer inneren Natur nach im kapitalistischen Zeitalter unbegrenzt; Klemperer 1947 LTI 244 der Pferdesport war von jeher Sache der Aristokratie und des feudalen Offizierskorps, unter den Herrenreitern befanden sich Leutnants und Rittmeister mit den tönendsten Adelsnamen; Mosca 1950 Klasse 394 jene kleine moralisch-geistige Aristokratie, die die Menschheit verhindert, im Sumpf des Egoismus und der materiellen Begierden zu verrotten; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 492) Es war der . . Zufall des Reichtums; denn eine Aristokratie des Geldes ist eine vertauschbare Zufallsaristokratie; 1956 Nataltcium auf Jax II 36 Alle Kunst ist Aristokratie; Jaspers 1958 Atombombe 426 Demokratie kann gemeint sein im Sinne einer unter mehreren Staatsformen (Demokratie, Aristokratie, Monarchie) gemäß den antiken Lehren; Wagner 1965 Historiker 141 Aristokratie des weissen Mannes; Schwendter 1973 Subkultur 35 die verselbständigten Arbeiteraristokratien (einschließlich der verselbständigten Aristokratien der technischen Intelligenz); Dülmen 1977 Reformation 39 Als Züricher Reformator ist er zugleich Anhänger der Aristokratie, einer Repräsentativdemokratie also; Schwelbusch 1980 Paradies

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11 Warum trinkt die Aristokratie im 18. Jahrhundert vorzugsweise Schokolade?; MM 5.7.1985 Diese scharfkantigen Felsenporträts stimmen in verblüffender Weise mit dem von antiken Chronisten gezeichneten Bild der herrschenden Etruskeraristokratie überein; Zeit 28.3.1986 Da das Projekt mit Toten zu tun hat, beschäftigt es sich demnächst mit der Aristokratie; Wuketits 1987 Darwin 65 die wissenschaftliche Aristokratie Londons; Zeit 13.2.1987 Auf dem sogenannten „Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Kommunismus vollzogen Berliner Literaten die Abkehr von der Sozialdemokratie und verkündeten Sozialaristokratie; ebd. 5.6.1987 Die Spaltung der Aristokratie in Athen war der Beginn des Weges zur Demokratie, insofern eine der adligen Fraktionen das Volk zu ihrer Unterstützung auf die politische Bühne rief; MM 23.2.1993 Angelo Soliman, der im 18. Jahrhundert als Günstling des Kaisers in dem Palais der Wiener Hocharistokratie eine ungewöhnliche Karriere machte; Zeit 22.10. 1993 Man vernichtete nicht allein Menschen, man vernichtete auch Begriffe — Barmherzigkeit, Kosmopolitismus, Aristokratie. Aristo-: Herder 1792-97 Er. Anbang (S. W. XVIII 331) Aristokrat und Demokrat mögen . . wechselseitig Schimpfnahmen bleiben; der billige und noch mehr der grosse Mann ist ein Aristodemokrat, und gestattet gar keine Trennung dieser an sich heiligen und edlen Namen; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,132) diese Mestizen eines aristo-demokratischen Ehebandes; 1799 Merkur (W.) II 243 Frankfurter Aristodemokratische Verfassung; Basler Nachr. 21.12.1934 [Die] „Aristo-Sozialistische Gesellschaft" . . will den „besten Sozialismus"!; Lukoschik 1986 Shaky 95 eine uniformierte Gruppe von Aristo-möchtegern-Yuppies, die . . vom Geld oder . . vom Namen ihrer Großeltern leben. Aristokrat: Schubart 1774 Dtsch. Chronik 585 Wie muthlos sind nicht auf einmal diese stolzen Aristocraten geworden; Schlözer 1783 Stats-Anzeigen IV 123 ff. unsere hochmütigen Aristokraten (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); Blumauer 1784-94 Virgils Aenets (I 251) Ein Patriot kann ich nicht seynUnd halts auch gerne nicht allein/ Mit den Aristokraten; Vogi 1787 Europ. Rep. I 94 Die wechselseitige Eifersucht der Aristokratenkollegien, nebst der Erfahrung und bekannten Klugheit der Aristokraten mäsigt ausserordentlich die Strenge einer solchen Regierungsform; Schubart 1790 Chronik 332 Der grosse Necker . . steht noch in der Nazionalversammlung wie ein Thurm da, an dem . . die Katapulte der Aristokraten ohnmächtig abprallen; 1791 Lucians Neueste Reisen 17 die

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Freunde der alten Verfassung, die Stifter alles Bösen, die Schande der Menschheit .. — man heißt sie Aristokraten (LADENDORF); Elise v. Türckheim 1791 Br. 42 Gott hat ihn gewürdigt . . alle milde Stiftungen . . zu besorgen . . u muß doch unter dem nahmen eines aristocraten miskant, u getadelt werden, weil er den feilen, leidenschaftlichen, ungesitteten Menschen nicht beystimmt, weil er freyheit auf Sitten u Ordnung u nicht auf ungebundenheit gründen will; Herder 1791 Ideen (S. W. XIV 336) Haupt-Aristokrat; Wieland 1792 Neuer Teutscher Merkur H 299 Das Wort Despot und Despotismus ist nun einmahl ein eben so allgemein verhaßtes Schimpf-Wort als Ketzer, Pfaff, Deist, und als es die nur erst seit dem 14ten Juli 1789 in Schwang gekommenen garstigen Wörter Demokrat und Aristokrat sind oder in kurzem seyn werden; Hofmann 1792 Aristokraten-Katechismus (Titel); Herder 1792-97 Br. Anhang (S. W. XVIII 318) da die größesten Reiche unter der elendesten Verfaßung, dem Despotismus, oder was noch ärger ist, dem Aristokrat-Despotismus lange, obwohl unglücklich existirt haben; 1793 Neues Götting. histor. Magazin II 544 f. Über Aristokraten und Demokraten in Deutschland; Herder 1794 Br. (S. W. XVII 230) was in und außer seinen Grenzen die Sylben Aristokrat, Demokrat für Zank und Verdacht . . angerichtet haben; Schummel 1794 Revolution 54 Im Augenblicke drängte sich alles zur Thüre, fest überzeugt . . daß aus dem Munde eines Aristocraten unmöglich etwas wahres und gutes kommen könne; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,249) die philosophischen Herrn Aristokraten; Jean Paul 1799 S. W. l 8,253 War' es sonst denklich, daß so viele Männer und Gottesgelehrten über das Vergnügen weggesehen haben, das man schöpft. . aus dem gedruckten Wort Franzosen, wenn man ein Demokrat, oder Alliierte, wenn man ein Aristokrat ist; Brentano 1800 Gustav Wasa 83 Die Haare [eines Guillotinierten] hab ich nicht erwischt,/ Herr Gering hat sie weggefischt;/ Er sammelt für Aristokraten,/ Reliquien der Potentaten; Heinzmann 1800 Frühst. Beil. 222 Auch gute Amtleute (Landvögte) Hessen sich von solchen Schlangen einnehmen, und um den Dorf-Aristokraten zu gefallen, Hessen sie fünfe gerade seyn; Jenisch 1800 Geist u. Charakter I 14 Aristokraten-Druck; ebd. I 249 Aristokraten-Tyranney; 1810 Almanack a. Rom I 23 f. Dunkel war der Sinn dieser Rede für den gemeinen, abergläubischen Römer, nicht so aber für den klügern Heerführer, oder für die auf den Köhlerglauben des Römerpöbels ihre Herrschaft gründenden Aristocraten; Ascher 1819 Ü. d. deutschen Geistesaristokratismus 229 der lächerliche Eigendünkel der Geistesaristokraten (LADENDORF); 1823 Forstw. l 2 die Revolution in der teutschen Forstwelt, welche anfängt sich in Ultra's (Femler),

Aristokraten (Staatsforstmänner), gemässigte Republikaner (Waldbauisten) und Jakobiner (Pfeilister) abzutheilen; Niebuhr 1829 Gesch. d. Zeitalters d. Revolution l 197 Der Name „Aristokrat" machte, wie früher „Ketzer", zum Gegenstande des Hasses und der Verfolgung, ohne daß man nach den persönlichen Gesinnungen des einzelnen fragte (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); 1832 Jahrb. d. Gesch. i 51 Beim Beginne und im Laufe der grossen frz. Revolution . . waren es vorzüglich die Namen Aristokraten und Demokraten, Royalisten und Jakobiner, womit man die schneidenden Gegensätze der politischen Parteien in Frankreich, Teutschland und anderen Ländern zu bezeichnen liebte; Büchner 1835 Dantons Tod (S. W. u. Br. l 14) Er hat ein Schnupftuch! ein Aristocrat! an die Laterne! an die Laterne!; ebd. 115 Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brod, wir wollen sie mit Aristocratenfleisch füttern. Heh! todtgeschlagen wer kein Loch im Rock hat; Heine 1835 Romant. Schule 54 die geistigen Aristokraten in Deutschland hatten, während der beiden letzten Dezennien, sehr gerechte Gründe auf Goethe ungehalten zu sein; ders. 1838 Anm. (S. W. VIII 560) Diese Geldaristokraten, obgleich sie, wie die ehemaligen Geburtsaristokraten, eine Hierarchie bilden, wo immer Einer sich besser dünkt als der Andere, haben dennoch schon einen gewissen Esprit-de-corps; Gutzkow 1838 Basedow I 111 Aristokratennest; 1842 Naturgesch. d. dtsch. Studenten 142 Schiller ist der Dichter der Freiheit und der reinen Liebe; Goethe nur ein Aristokrat und ein sinnlicher Kerl; Varnhagen v. Ense 1843 Tagebücher 185 Es ist nicht genug, ein Aristokrätchen zu sein, man muss wenigstens demokratischen Verstand haben!; Rotteck/Welcker 1845 Staatslex. I 640 f. die der Aufklärung des Zeitalters Hohn sprechenden historischen Vorrechte und factischen Anmaßungen der Aristokraten; Stahr 1848 Italien II 147 ein geborner Fürst und Regent, ein Blutaristokrat; Marx/Engels 1848 Manifest (MEW IV 484) Der christliche Sozialismus ist nur das Weihwasser, womit der Pfaffe den Ärger des Aristokraten einsegnet; Unruh 1851 Erfahrungen 55 in dem jungfräulichen Boden des freien Volkes, den die Kunstaristokraten verachten; 1852 Prutz' Museum I 456 Die Baronin, eine Stockaristokratin; Keller 1854—55 Heinrich (S. W. XVI 254 f.) Wir Knaben waren allzumal gute Aristokraten, mit Ausnahme derer, die vom Lande kamen. Auch ich, obgleich meines Ursprunges halber auch ein Landmann, aber in der alten Stadt geboren . . dünkte mich in kindischem Unverstände glücklich, auch ein städtischer Aristokrat zu heißen; Holtet 1860 Eselsfresser III 132 Ich kann ihnen nicht schildern, wie mich der Verfall unserer männlichen Aristokratie betrübt und beugt; denn ich bin durch und durch Aristokratin;

Aristokratie Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 103 die kaufmännischen Aristokratinnen der Städte, die damals mit den Ritterfrauen glücklich wetteiferten; Fontäne 1871 Kriegsgef. 70 Einige Aristokraten der Gesellschaft . . hatten es [im Gefängnis] bis zu einem Handtuch gebracht; Rutenberg 1877 Zinne 8 Aristokraten des Geistes; ebd. 55 Verbrecheraristokrat; Hillebrand 1878 Profile 116 f. wie ja auch der Aristokrat der Bildung dem Volksinstinct wohlwollender und verständnisvoller gegenübersteht, als der rationalistisch gebildete geistige Mittelstand; Einsiedet 1884 Gouvernantenwesen 17 Aristokratinnen der Gouvernantenwelt; Nietzsche 1885 Jenseits v. Gut u. Böse (W. U 618) Müßiggang mit gutem Gewissen . . dem das Aristokraten-Gefühl nicht ganz fremd ist, daß Arbeit schändet; Liliencron 1886 Mäcen (V 114) Arischtokrateblut; Rolofl887 Reisebr. 83 Das ist die sogenannte Aristokratenmesse, da kommen an Sonntagen die Herren und Damen der ersten Familien, um dieser Nachmittagsmesse beizuwohnen; Liliencron 1896 Poggfred (XI! 78) Der Winter ist Aristokrat sans phrase; Croissant-Rust 1896 Feierabend 109 Die alte Aristokratin! Wie sie schnüffelt mit ihrer spitzen Nase! Und Taschentuch und Parfüm und Schleier und Seidenkleid; Senden 1900 Ehen 25 Sie hatte eine hohe, vornehme Gestalt und ein kühles blasses Gesicht, ganz Aristokratin; Heer 1908 Laubgewind 94 An uns Künstlern ist es, zu bedenken, dass wir die Aristokraten vom Geiste sind, die Könige, die geheime Kronen tragen; Th. Mann 1909 Hoheit (W. /] 146) Ich bin kein Aristokrat, ich bin das Gegenteil, aus Vernunft und aus Geschmack; Bierbaum 1910 Reife Früchte 54 Sie . . sprach es bei jeder Gelegenheit recht hochmütig aus, daß sie sich als Aristokratin fühle, eben weil sie Jüdin sei, und noch dazu spanische Jüdin; Wassermann 1910 Masken 173 Der Übermut des Besitzes erweist der Religion der Armut seine Ehrfurcht. . . Der Bürgeraristokrat macht einen platonischen Purzelbaum zum Nabel des Buddha; zur Megede 1911 Quitt 93 Und jetzt wurde sie ganz von ihren Repräsentantinnenpflichten in Anspruch genommen, welche die kleine Vollblutaristokratin sehr ernst nahm; Th. Mann 1919 Erz. (W. VIII 534) Anastasia . . wußte wohl, daß wir unsern Percy, einen schottischen Schäferhund und harmlos geisteskranken Aristokraten . . hatten erschießen lassen müssen; Mensi-Klarbach 1923 Theatererinn. 147 dieser im hellenischen Ursinne des Wortes echten Aristokratin ihrer [Gesangs-]Kunst; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 613) Gleich vielen geistreichen Juden war Naphta von Instinkt zugleich Revolutionär und Aristokrat; Naumann 1927 Dichtung 289 „Aristokratenstil" heisst mit Recht die neue Formkunst der George,. ., Hofmannsthal; Kronberg 1929 Jugend 201 Aristokrat vom Schei-

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tel bis zur Sohle; Baumgarten 1929 Lebensgesch. 14 der echte Typus eines Geistesaristokraten protestantischer Prägung; Musil 1930 Mann I 176 Ulrich fühlte eigentlich ein wenig Neigung für diesen naiven alten Aristokraten; Gebauer 1932 Kulturgesch. 370 blasierter Hocharistokrat; Gothe 1934 Arbeiter 61 Arbeiter-Aristokraten; Gröber 1935 Weltkrieg 34 Es wurde ein scharfer Unterschied zwischen Proletariern, das heisst sogenannten Tierführern, und den Aristokraten, den Kanonieren gemacht; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 118 Finanzaristokraten, wie die Rothschilds und Ephrussis; Münch. N. N. 25.11.1937 Da tritt . . dem feiner organisierten Groß-Häuptling Moaci, alten Aristokratenschlags, der derbe Emporkömmling Lea, der Groß-Schweinehändler und gerissenene Obervogt . . gegenüber; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 370) ich vergaß . . meinen Widerwillen gegen seine glatte und leere, ja vor unverwüstlicher Unverschämtheit gewissermaßen klare Aristokratenphysiognomie; Ritter 1948 Machtstaat 7 des schweizerischen Bildungsaristokraten [Jacob Burckhardt]; Süddtsch. Ztg. 28.9.1950 wenn es . . nach der Pracht der Karten [ginge], auf denen sich die Aristokraten der Gerichte versammeln — Astrachan-Kaviar, Schwedenfrüchte und Ostender Steinbutt; Bonn 1953 Gesch. 21 Kaufmannsaristokraten sind . . viel ablehnender als echte Aristokraten; Süddtsch. Ztg. 10.5.1954 Karl Schmitt-Walter, sängerischer Spezialist für elegante Aristokraten-Bonhomie; ebd. 16.8.1958 Die sublimen Gedanken eines Aristokraten über den Aristokratenkomplex . . präsentieren sich als eine kühl-exakte Analyse brüchig gewordener menschlicher Wertbegriffe; Welt 5. 2.1964 Nicht weniger als vier junge Männer aus Aristokratenfamilien . . werden als Ehekandidaten für die Prinzessin genannt; ebd. 31.10.1974 Ihren Reichtum verstecken sie gerissener als verarmte Aristokraten ihren bereits verpfändeten Familienschmuck; Zeit 26.4.1985 Hier, im Humidor Room, ist der Raucher nicht nur König, er teilt die Leidenschaft an Ort und Stelle mit den Aristo- und Plutokraten; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 114 Im Fundus seiner Erinnerungen an Klatschgeschichten oder Trivialromane fand sich schließlich auch dieses Klischee: ältliche Aristokratin mit lüsternem Jockey; Zeit 3.10.1986 Sie sind die Aristokraten unter den molekularen Grundbausteinen der Zelle; ebd. 14.11.1986 Als der Aristokratensprößling erkennen mußte, daß seine schwächliche Konstitution zu einer standesgemäß exzentrischen Feudalexistenz nicht hinreichen würde; ebd. 1.5.1987 Der Kommandant, ein schmieriger Aristokrat, windet sich, fleht um Gnade; ebd. 5.6.1987 der [Interessengegensatz] zwischen grundbesitzenden Aristokraten und verschuldeten Bauern spielt . . eine Hauptrolle; MM

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22. 1. 1988 Schliff junger Aristokraten durch Auslandserfahrung. aristokratisch: 1585 Cureus // 14 Die Räthe in Städten halten die Bürger durch gute Gesetz vnd mit einer Aristokratischen Verwaltung etlicher vorgesetzter Personen in guter Zucht; 1612 Speiersche Chronik (Wackernagel Leseb. III 1,564) der Aristokratische Stand; 1702 Schauplatz 32 bey dieser Aristocratischen regierungs-form; Marperger um 1720 Reisen 22 man muß eines Orts seine Regiments-Form betrachten, ob sie Monarchisch, Aristocratisch, oder Democratisch, oder aus diesen dreyen vermischt sey; 1747 Genuesische Merckwürdigkeiten 4a diejenige Aristocratische Regierung . ., welche noch bis auf diesen Tag dauret; Weickhmann 1756 Versuch 4 In einer kleinen aristokratischen Republik; Reichardt 1782 Musikal. Kunstmagazin 157 die Polonaise . ., die vielleicht erst . . bey der aristocratischen Regierungsform entstanden, erst vielleicht nur Tanz der Edlen gewesen und so hernach unters Volk gekommen; Schlözer 1783 Stats-Anzeiger IV 123 ff. die aristokratischen Auswürflinge; ebd. aristokratische Partei (beide BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); Zimmermann 1785 Einsamkeit III 511 aristocratischen Republiken; Matthisson 1791 Frankreich (II 278) Die Volksparthey hat seit einem Jahre zu Lyon so auffallend an Masse gewonnen, daß die anfänglich alles zermalmende Gewalt des aristokratischen Gegendruckes beynahe gar nicht mehr in Anschlag gebracht werden kann; Goethe 1792 Br. (WA IV 10,6) da mir weder am Todte der Aristocratischen noch Democratischen Sünder im mindesten etwas gelegen ist; Wölfling 1795 Reise l 104 in allen aristokratischen Reichsstädten; Goethe 1797 Reise i. d. Schweiz (WA I 34.1,225) der Patriot beklagt sich, daß nach der Revolution noch keine Revolution sei und daß gerade alles noch seinen alten aristokratischen Gang gehen wolle; ders. 1812 Br. (WA IV 23,189) Seine Natur war vollkommen gräflich, d. h. stockaristokratisch; Schopenhauer.1819 Welt (H 161) Sonach ist, in Hinsicht auf den Intellekt, die Natur höchst aristokratisch, aristokratischer, als irgend ein Feudal- und Kastenwesen; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 533 so daß die Consuln zween jährige aristocratische Könige seyn mußten, die auch Cicero in seinen Gesetzen . . nennt, gleich wie die in Sparta, einer unbezweifelt aristocratischen Republik, es auf Lebzeit waren; Goethe 1827 Br. (WA IV 43,77) Von den Wirkungen meiner Farbenlehre erfahr ich manches Merkwürdige, aber nicht durchaus Erfreuliche. Die alte aristokratische Stockung der Zunftgenossen dauert wie billig fort; sie wiederholen ihr Credo wie es zu erwarten ist; Heine 1828 Kleinere Sehr. (S. W. V 341) trotz unserer antiaristokratischen Gesinnung

huldigen wir der Königin Juliane Marie; Laube 1832 Blätter 1337 [die sog. demagogischen Umtriebe seit 1815 sind] nichts . . als das künstlich verdeckte Werk der aristokratisch-hierarchischen Reaction; 1833 Elegante 378 Als man den Tag der prüfenden Vernunft über die Staaten geworfen hatte, da entdeckte man auch diesen aristokratischen Staat der Philologen (WÜLFING); 1833 Real-Enc. I 389 f. Durch dieses Dritte [die Mitwirkung einflußreicher Teile der bürgerlichen Gesellschaft an der Regierung] wird ein aristokratisches Princip auch in solche Staatsverfassungen gebracht, welche dem Gesetze nach eine vollkommene Gleichheit aller Bürger aussprechen, und an und für sich ist diese aristokratische Verwaltung einer antiaristokratischen Verfassung ebenso tief im Wesen des Staats gegründet. . als die natürliche Aristokratie; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti III 181 gewisse höchst unaristokratische Ausdrücke; Heine 1835 Romant. Schule 13 Die meisten glauben . ., mit ihm [Goethe] sei auch das alte Deutschland zu Grabe gegangen, die aristokratische Zeit der Literatur sei zu Ende, die demokratische beginne; Glassbrenner 1836 Bilder II 70 Fast wandeln hier zu viele Fremde unter den schattigen Bäumen: man kennt den ungenirten Wiener wohl heraus, aber es herrscht hier im Ganzen schon ein aristokratischer, kalter, norddeutscher Ton; Varnhagen v. Ense 1842 Tagebücher 111 Die Ernennung des aufgeblasenen stupiden Fürsten . . zum Marschall der ständischen Ausschüsse muß als eine hocharistokratische auch der sonstigen Aristokratie mißfallen; Engels 1844-46 Lage d. arb. Klasse (MEW // 445J Das sogenannte monarchische und aristokratische Element der [englischen] Verfassung kann sich nur deshalb halten, weil die Bourgeoisie ein Interesse an seiner scheinbaren Erhaltung hat; Rotteck/Welcker 1845 Staatslex. I 643 Das beste, ja einzige Heilmittel gegen die aristokratischen Anmaßungen besteht . . in der geistigen und moralischen Bildung des Volkes; Moltke 1845-46 Wanderbuch (Rom) 105 Die Abgeordneten benahmen sich unter diesen schwierigen Verhältnissen mit ausnehmender aristokratischer Weisheit, indem sie gegenwärtige und persönliche Opfer nicht scheuten; Szarvady 1852 Paris 1144 Erst wenn diese Geschöpfe als Göttinnen von den Malern und Bildhauern verewigt worden, .. nehmen sie ihren Flug in die geldaristokratischen Viertel von Breda, Notredame de Lorettes oder der Chaussee d'Antin; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVI 172) Schon das Töten an sich selbst ermüdete mich und regte mich zu sehr auf, indem ich die zierlichen Geschöpfe nicht leiden sehen konnte. . . es war . . ein aristokratisches Mitgefühl für diese edleren Kreaturen; ebd. XX 231 Auch trug sie ein Kleid von schwerem schwarzen Atlas, das sehr aristokratisch

Aristokratie geschnitten war; Komert 1856 Gräfin VII 142 ein Leben . ., das man eine aristokratische Dorfnovelle nennen könnte. Die junge Fanny kannte die Welt nicht . . In unbewußter Willenlosigkeit war sie einer Bestimmung entgegengereift, welche die Mädchen . . unten im Dorfe . . schon besser kannten; Wagener 1859 Staats- u. Gesellschaftslex. II 534 Man spricht . . von aristokratischem Sinne unter tüchtigen Bauern; Holtet 1860 Eselsfresser H 52 Aristokratische Gegend! Ihm schräg über das Hotel Seiner königlichen Hoheit des Herzogs von Cumberland, links . . Palast bei Palast; Riehl 1861 Ges. 193 Es gibt wenig freisinnige politische Grundsätze, die nicht altaristokratischen Ursprungs wären; 1861 Hausblätter HI 321 das feine aristokratische Gesicht [einer jungen Dame]; Holtet 1863 Letzte Komödiant l 292 ihren angeerbten aristokratischen Hochmut; Grabowski 1863 Off. 101 abgesehen von seinem hohen und edlen Körperwuchse . . hatte sein Gesicht einen feinen aristokratischen Schnitt; Hundt v. Rafften 1864 Rechte II 185 daher ist das Volk nirgend aristokratischer und die Aristokratie demokratischer [als in England]; Springer 1868 Berlin 183 Gedränge der aristokratischen Karossen; ders. 1870 Berl. Prospecte 32 Es bleibt aber doch noch zu erwähnen, daß Herr von Zottelwitz, wenn er übel gelaunt ist, eine sehr eklige aristokrätzige Nase macht; Lindau 1877 Br. 56 ein salonmässiger Wohlgeruch von Springflower und sonstigen aristokratischen Düften; Waldmüller 1884 Leiter 40 Spargel ist ein aristokratisches Gewächs; Nordau 1885 Paradoxe 13 Man seufzt und ächzt, um glauben zu machen, man sei ein Mitglied der kleinen hocharistokratischen Gemeinde, welche in die eleusynischen Mysterien des Schmerzes eingeweiht ist; Nietzsche 1885 Jenseits v. Gut u. Böse (W. II 727) Jede Erhöhung des Typus „Mensch" war bisher das Werk einer aristokratischen Gesellschaft . . welche an eine lange Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch glaubt und Sklaverei . . nötig hat; Walloth 1886 Seelenrätsel 3 ihr aristokratisches Naschen; ebd. 94 Es ragte so aristokratisch aus der parkartigen Terrasse hervor, das alte Schloss, so ernst; 1887 Grenzboten l 414 folgt die aristokratische Universitätsbildung — in England weit exklusiver als bei uns — dem Zuge der Zeit; Eckstein 1889 Camilla 16 Sieh mal, eine sehr elegante Hand/ Wirklich hocharistokratisch. Der obere Bogen hier am E deutet auf Kunstsinn; ders. 1895 Hartwig 87 als . . Fräulein Eugenie Kaulitz mit ihrem alten, großen, aristokratischen Silbertablett in dem Wohnzimmer erschien; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 716) Kai Graf Mölln . . las . ., den Kopf in die aristokratische und nicht ganz saubere Hand gestützt; Mohl 1902 Lebens-Ennn. 332 Mit seinem Vorgesetzten . . kam

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er schlecht aus; dessen Unzuverlässigkeit und Hinund Herwinden waren seiner stockaristokratischen und ultrakonservativen Meinung zuwider; Knoop 1909 Br. 37 Freiheit ist ein durchaus aristokratischer Begriff; Wassermann 1910 Masken 102 Der väterliche Reichtum beschämte ihn; er achtete nur den aristokratischen Reichtum, der von Geschlecht zu Geschlecht vererbt und mit der unnachahmlichen Noblesse gehandhabt wird, die den Emporkömmlingen versagt ist; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 110) die Folge jener aristokratisch-demokratischen, aristokratisch-bürgerlichen Optik ist der Erfolg, als welcher eben immer ein doppelter Erfolg ist: bei den Artisten und bei den Bürgern; Th. Mann 1921 Nachtr. (W. XIII 472) die Auffassung des Judentums als einer aristokratisch-romantischen Tatsache . . war nun einmal früh schon nach meinem Sinn; Weber 1922 Aufs. z. Wiss. 529 Wissenschaftliche Schulung . . ist eine geistesaristokratische Angelegenheit; Kircher 1926 Engländer 91 Wie Canning, wie Disraeli, wie Chamberlain war Lloyd George von unaristokratischer Herkunft; Th. Mann 1927 Reden u. Aufs. (W. X 674) Der deutsche Roman großen Stils ist aristokratisch und innerlich; 1931 Hefte f. Büchereiwesen XV 192 Als wissenschaftlich-akademische Bildung hat diese Richtung der humanistischen Weltanschauung im 19. Jahrhundert eine beherrschende Stellung eingenommen und starke Wirkungen gehabt . . sie war . . geistesaristokratisch; Benn 1934 Rede a. Stefan George (Ges. W. I 467) Auch das Aristokratische, Strenge, das George von vornherein eignete, war eine aufkommende Stimmung der Zeit; Brandl 1936 Inn 94 Wie der Wiener im Leben, so war Baumann als Falstaff auf der Bühne: witzig-zügellos und aristokratisch-ausgelassen; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 226 der Sozialismus . ., dem wir Juden . . in unserem . . sozialaristokratischen Gefühl unbewußt und gerne zustreben; Münch. N. N. 7.1.1940 Er hat eine griechische Grammatik neben sich liegen, weil er diese Sprache für „aristokratisch" hält; ebd. 20.11.1942 So milde seine Herrschaft ist, so ist der Truthahn doch streng aristokratisch. Er liebt nicht die Vermischung der Ränge; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. IX 759) die Stimme poetisch-aristokratischen Leidens am Leben gegen den, der sich auf die Seite des Lebens stellte; Jaspers 1958 Atombombe 430 Masse ist im Prinzip das gleiche, ob es sich um eine herrschende Gruppe von einigen Dutzend aristokratischer Familien, ob es sich um die Gesamtheit der Lehrer einer Universität, ob es sich um die Bevölkerung eines Staates handelt; Bollnow 1962 Mass 48 die mittelalterliche Rittertugend der „maze" als die bestimmende Mitte eines aristokratischen Lebensgefühls; Vierhaus 1971 D. Adel o. S. Strukturen der älteren bäuerlich-ari-

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stokratischen Welt; König 1971 Macht u. Reiz d. Mode o. S. nachdem die langen Hosen der demokratischen Industriekultur die aristokratischen Bundhosen verdrängt hatten; Schwelbusch 1980 Paradies 72 f. Der Salon . . ist . . eine aristokratisch-elitäre Einrichtung; MM 26. 1. 1985 Nahe bei der Oboe setzt er an, und doch fehlt nie der aristokratische Glanz; ebd. 6. 3.1985 Mitreißend, hinreißend das Scherzo, entscheidend aus dem suggestiven, düster-aristokratischen Hauptgedanken entwickelt; Zeit 3.1.1986 ultrakonservative, feudalaristokratische und bäuerliche Gruppen auf der einen und liberale, demokratische Parteien . . auf der anderen Seite; ebd. 10.1.1986 Uns persönlich interessiert indes mehr der im Vergleich mit dem salopp abgekürzten Nomen doch eher aristokratische Sprachgebrauch des Wortes „professionell"; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 33 Dann sah er den Bauernhof, der im Zwielicht des strömenden Regens eine von Efeu umrankte Villa geworden war, ein Schloß mit gotischen Doppelfenstern, aristokratischer Loggia; MM 4.3.1987 Gräfin Palmatica Nowalska, finanziell ruiniert und auf ganz unaristokratische Kartoffel-Mahlzeiten angewiesen; Borst 1988 Barbaren 46 Die aristokratische Bildung vermittelte bisher den Privilegierten an Hand der lateinischen Klassiker eine schwülstige, abstrakte . . Hochsprache, die vom unverbildeten Volk nicht verstanden wurde. aristokratisieren: Berolzheimer 1914 Moral 349 hier [bei der Heirat] wollen die jüdischen Snobs meist sich christianisieren, die christlichen — vor allem jene amerikanischer Provenienz — sich aristokratisieren; Gründet 1929 Menschheit 54 Ein Volk . . mußte sich . . zunehmend „aristokratisieren", d. h. da seine Tüchtigsten sich am stärksten vermehrten, wuchs im gleichen Maße sein Gesamtreichtum an guten Erbwerten nicht nur absolut, sondern auch prozentual; Hinrichs 1951 Preussen 211 [Kampf Huttens gegen] das aristokratisierte Bürgertum; Englert-Faye 1952 Goethe 226 den bequemen Indifferentismus eines desinteressierten Grossbourgeois in der gesicherten Position eines aristokratisierenden Höflings. Aristokratisierung: Weinle 1912 Renaissance 39 im Sinn einer immer stärkeren Aristokratisierung [der italienischen Kunst im Zeitalter der Renaissance]; Th. Mann 1917 Reden u. Aufs. (W. XI 341) würde er es als eine Aristokratisierung der Kritik betrachten, wenn diese Tätigkeit aufhörte, ein allzu freier Beruf zu sein, wenn . . Erlaubnis, . . Nachweis und Ausweis dazu nötig wäre, sie auszuüben; 1927 Festschr. a. Aloys Schulte 178 Aristokratisierung und Feudalisierung, d. h. Laizierung der Klöster und Stifte; Gründel 1929 Menschheit 54 Bis in

diese Zeit erfreute sich die abendländische Bevölkerung einer dauernden „Aristokratisierung", d. h. einer Übervermehrung der besten Schichten; Glum 1930 Deutschland 55 Aristokratisierung der Schweiz; 1937 Geistige Grundlagen römischer Kirchenpolitik 51 dass schon die Philosophie des Panaitios eine Aristokratisierung der stoischen Philosophie bedeutet; N.Z.Z. 28.5.1943 Im allgemeinen gelten das 17. und 18. Jahrhundert als die Zeiten der Aristokratisierung. Aristokratismus: Lenz 1772 — 77 Vortr. (Ges. Sehr. IV 249) eine anonyme Schrift. . darin der Verfasser die Rechte seiner Freiheit gegen einen eingebildeten Despotismus oder Aristokratismus, der . . seine Klauen zu weisen anfangen soll, . . durchzusetzen gesucht hat; Hennings 1792 Gedanken über Adelsgeist und Aristokratismus (Titel); Matthisson 1792 Frankreich (U 339) weil eine Kutsche zu den Attributen des Aristokratismus gehörte; Schubart 1793 Leben 23 Anm. Leviathan Aristokratismus, vor dem die kleinern Fische des Meers zittern; Laukhard 1794 Feldzug Hl 146 daß der gemäßigte Demokratismus das natürlichste Mittel sey den gemäßigten Aristokratismus zu retten; 7796 Revolutions-Almanach 78 Bürgerlicher Aristokratismus; Laukhard 1797 Leben IV 2,351 [wir] . . haben unsere guten Gründe, auch den Bürger-Aristokratismus fahren zu lassen; Heynatz 1797 Antibarbarus 11 116 Herschelei . . für Aristokratismus hat Campe empfohlen. Ich würde Adelherschelei noch vorziehen, wenn es nur nicht so viel bürgerliche Aristokraten gäbe. Gemeiniglich läßt sich Aristokratismus durch Unterdrückungssucht befriedigend ausdrücken; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,96) der Patriotismus . . hat sich so gut als das Pfaffthum und Aristokratismus überlebt; Lavater 1798-1800 (Nachgelass. Sehr. I 132) schon vor mehr, als 36 Jahren, bekämpfte ich mit Sieg eine ungerechte Sache des Aristokratismus; Görres 1800 Resultate (Polit. Sehr. I 64) [Die französische Revolution ist] jenem Principe des durchgängigen Gleichgewichtes entgegen, also Aristokratism, und darf als solche nicht geduldet werden. Nur der Aristocratism des Patriotism ist erlaubt, und soll . . allgemein werden; Wieland 1815 Vorzüge d. gesetzlichen Monarchie 14 es ist . . politisch gut zur Beschränkung des Aristokratismus . . wenn ein . . Beschluß . . als einstweilige Verordnung . . vom Regenten genehmigt worden ist; Soden 1816 Nationalökonomie VI 83 Auch bei den Bauern ist der Aristokratismus einheimisch; 1818 Br. e. Baiers 35 des staatsdienerschaftlichen Aristokratismus; Ascher 1819 Über den deutschen Geistesaristokratismus (Titel); Soden 1821 Nationalökonomie VIII 84 Aristokratismus der Reichen, nämlich der Grundeigentümer und des Handelsstandes; Borne

Arithmetik 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. II 95) Aristokratismus des Geistes; Lotz 1822 Staatswirtschaftslehre // 24 damit sich der Geist unseres bürgerlichen Wesens den Hoffnungen und dem Zustande der Kultur unserer Völker möglichst anschmiege, und endlich frei werde von den Fesseln des Aristokratismus, der unter allen Staatsformen zuverlässig die verderblichste ist; Goethe 1830 Gespr. o. S. eine Geschichte des Jahres 1775 . . wie der Aristokratism der Berliner Herren Nicolai und der anderen . . von uns jungen Leuten . . zurückgedrängt werden mußte (GWB); Büchner 1835 Dantons Tod (S. W. u. Br. I 19) Das Laster ist das Cainszeichen des Aristocratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches sondern auch ein politisches Verbrechen; Varnhagen v. Ense 1840 Tagebücher l 253 Alle deutschen Zeitungen sprechen gegen Frömmelei und Aristokratismus; Rotteck-Welcker 1845 Staatslex. l 630 Aristokratismus verhält sich zu Aristokratie gerade wie Despotismus zu Despotie, und bezeichnet demnach — obschon mitunter gleichbedeutend mit Aristokratie gebraucht — mehr die thatsächliche Verwirklichung des aristokratischen Princips oder die Richtung, oder das Bestreben darnach und den Geist desselben; Scheidler 1859 Jen. Bl. l 15 der verwerflichste Aristokratismus und Servilismus; Rieht 1861 Land 447 Dieser falsche wissenschaftliche Aristokratismus des einsamen Denkers, den die kleinen politischen Thatsachen . . kalt lassen, . . der sich von der Berührung mit dem unmittelbaren Volksleben scheu zurückzieht; Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 64 der unvermeidliche Übergang vom Aristokratismus zum Demokratismus; 1867 Gartenlaube 224 Diese Gleichheit in Genüssen und Begierden .. ist . . eine absolute Nothwendigkeit für die demokratische Zukunft einer Nation. Durch all das werden Standesunterschiede .. verhindert, die unfehlbar zum Aristokratismus . . führen würden; Hofmannsthal 1891-01 (Prosa l 27) wandte sich sein Sinn einem weichen, passiven Aristokratismus zu; Hornberger 1896 Selbstgespr. 237 Man hat öfters Shakespeares Aristokratismus betont. In Wahrheit ist er weder Aristokrat noch Demokrat. Er sieht die Menschen in jeder Stellung und Stande als das, was sie sind; Richter 1909 Kunsterz. Ged. 63 [Langbehns Buch „Rembrandt als Erzieher"] das . . in dem Rufe nach Idealismus und Aristokratismus ausklang; 1911 Grenzboten I 2 dieser Weltanschauung [der demokratischen Bewegung] steht

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auch heute noch lebendig und lebenskräftig die des Aristokratismus gegenüber, die ihre Berechtigung schon darin zeigt, daß ihre Anhänger selbst in den radikalsten Parteien der Linken . . zu finden sind; Wätzold 1924 Kunsthistoriker II 233 Grimm vertrat einen wissenschaftlichen Aristokratismus; Curtius 1925 Geist 282 In allen Dingen des Geistes hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und anderswo ein Aristokratismus durchgesetzt, der eine seiner Wurzeln . . in Nietzsche hat; ebd. 283 [Lamix] verbindet . . das Bekenntnis zu einer demokratischen Völkerbundethik mit einem geistigen Aristokratismus; Pupin 1929 Hirten 119 Es war ein Aristokratismus von der gleichen Art, wie er in meinem heimatlichen Bauerndorfe bestand; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. X 736) In der französischen Geistigkeit ist mehr Ironie gegen das Lebenstüchtige, mehr Neigung zum edel Hinfälligen lebendig als unter uns Deutschen, denen das Goethe-Erbe eines stämmigen Lebensaristokratismus tief im Blute sitzt; Friedell 1931 Kulturgesch. III 74 [Stendhal teilt] mit seinem deutschen Entdekker Nietzsche den rasanten Skeptizismus, den Kulturaristokratismus; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 301) Das ist der Geistesaristokratismus des Humanisten, die Sympathie mit dem Feinen, Unvolkstümlichen, die Goethes Natur mit umschloß, wie sie alle Gegensätze in sich zu schließen geschaffen war; ebd. IX 313 Das ist ein höchst radikaler Ausdruck seiner unpolitischen und antipolitischen Gesinnung und, was dasselbe ist, seines Antidemokratismus, der nichts mit Aristokratismus zu tun hat; Süddtsch. Ztg. 2.9.1948 daß das englische politische System von allen am besten gearbeitet hat, weil es die Demokratie durch Aristokratismus polarisierte; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. IX 765) Seine Lebensverbundenheit, demokratisch im Gegensatz zum poetischen Aristokratismus des Todes, hat viele Facetten und Brechungen, die jeden Zweifel rechtfertigen daran, ob die europäische Demokratie ihn zu den ihren zählen darf; Curtius 1950 Welt 369 in dem ausgesprochenen Aristokratismus seines [F. Gundolfs] Georgetums; Heimpel 1956 Kapitulation 65 Dem Zug zur Gleichheit ist nicht zu widerstehen, das Gleichheitsprinzip kann nicht rückgängig gemacht oder ignoriert werden im Sinn eines historisierenden Aristokratismus und Ästhetizismus; Glaser 1964 Spießer 86 Dem war der antidemokratische Aristokratismus und Ästhetizismus eines Stefan George verwandt.

Arithmetik F. (-; Pl. ungebr.), Mitte 14. Jh. über gleichbed. lat. arithmetica entlehnt aus griech. ( ) 'Rechenkunst' (zu 3 $ 'zur Arithmetik gehörend', zu $ 'zählen, rechnen' und ·9 $ 'Zahl'), zunächst auch in den Formen Arismetik (aus spätlat. arismetica) und in der eventuell an lat. ars metrica

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'Meßkunst' angelehnten Form Arismetrik sowie in der lat. (fielet.) Form Arithmetica und vereinzelt in der eindeutschenden Form Arithtneterey. Als Bezeichnung für ein Teilgebiet der Mathematik, das im Unterschied zur —» Algebra die verschiedenen Zahlenarten und ihre Rechengesetze behandelt, in der Bed. 'Theorie der natürlichen Zahlen', auch für 'Zahlenlehre, Rechenkunst', im Mittelalter eine der sieben freien Künste (s. Beleg um 1375), die neben Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Geometrie, Astronomie und Musik auf der Artistenfakultät (—»· Artist a) gelehrt wurde und als Propädeutikum für die höhere Fakultät (mit Theologie, Recht, Medizin) diente, daher häufig in der Aufzählung zusammen mit diesen Fächern (s. Belege 1414—1418, 1473), in neuester Zeit auch in der elektronischen Datenverarbeitung, bes. in den Zss. Dezimal-, Intervallarithmetik (s. Beleg 1971); seit Mitte 16. Jh. gelegentlich (auch mit PL) 'Lehrbuch der Rechenkunst' (s. Belege 1545, 1808). Seit frühem 16. Jh. vereinzelt, zunehmend in neuerer Zeit ausgedehnt auf andere, mit Zahlenschätzwerten und Kalkülen arbeitende Bereiche in eher abwertendem Sinn von '(System ausgeklügelter, spitzfindiger) Berechnung' (s. Belege 1512, 1859, 1952, 1987), bes. in der Verbindung politische Arithmetik (s. Belege 1830, 1852, 1931), vgl. auch Zss. wie Geld-, Stimmen-, Wahl-, Machtarithmetik. Dazu seit Ende 14. Jh. die auf lat. arithmeticus, griech. zurückgehende subst. Ableitung Arithmetiker M. (-s; -), zunächst auch in den lat. (flekt.) Formen Arismetricus, Arithmeticus; selten belegt als Berufsbezeichnung für 'Wissenschaftler auf dem Gebiet der Arithmetik, Rechenmeister', heute vor allem übertragen verwendet in eher abwertenden Zss. wie Wahl-, Abstimmungsarithmetiker (s. Beleg 1986); seit früherem 16. Jh. die auf lat. arithmeticus, griech. zurückgehende adj. Ableitung arithmetisch (ohne Steigerung) 'die Zahlenlehre betreffend, auf der Zahlenlehre beruhend, rechnerisch', so von geometrisch 'räumliche Verhältnisse betreffend' (—> Geometrie) abgegrenzt (s. Belege 1664, 1841, 1987), in der festen Verbindung arithmetisches Mittel 'rechnerischer Mittelwert, Summe von Zahlen geteilt durch ihre Anzahl, Durchschnittswert'; seit Mitte 20. Jh. übertragen vor allem auf den Bereich des politischen Lebens in eher abwertenden Zss. wie koalitions-, wahlarithmetisch (s. Belege 1969, 1985). Arithmetik: 1355 Schachbuch 310 zcu kunnen arismeticam; Mügeln um 1375 Der Meide Kranz 319 die fünfte [der sieben freien Künste] Arismethrica (beide MÖLLER); um 1400 Ackermann 32 Arismetrica, der zale behende ausrichterin . . mit irer rechnung, mit irer reitung, mit iren behenden Ziffern; Volkslied 1414-1418 (Liliencron l 237) Guot tichter in retorica,/ guot singer in der musica;/ da was gramatica grundlich,/ geometric ganz kundlich;/ arismetrica die guldin zal/ lert raiten hoch dief weit und smal; Beheim 1469—72 Reimchronik Strophe 70 der dick benennet Friderich/ tet nichten lieb alleine/ zu der ritterschafft eine,/ Sunder alle höfflichkeit sunst,/ auch subtil meisterlich kunst,/ als die kunst arismetrika,/ rechnung vnd geometrika; Steinhöwel 1473 Boccacio (Übers.) 98 Arismetricam und geometriam; 15. Jahrh. Fasnachtsp, II 741 Pitagarus leret practiciren/ Und kan auch wol auß zifferiren/ Wie sich ieder numerus ge-

mert;/ Die arismetrica das lert; um 1500 (Reicke, Gelehrte 31) Arismetrica du kanst rechen vnd tzelen. Vn vil zal zusamen Stelen. Auß wenig machst du vil; Murner 1512 Narrenbeschw. 132 Aritmetica sy zelen lert,/ Das mancher vatter wurdt beschwert,/ Dem sein sun nur zu fill zalt,/ Fyl me dan alsz sein gut inhalt; Köbel 1514 Rechenbüchlein XXIHIa auß der Arismetrick vnd Geometrei; Zwingli 1526 S. W. V 444 Künstlich sind die spil, so mit der zal (von der die arithmetik leert) geschähend; Apianus 1527 Newe vnderweysung A2a Plato schreib vber die thür seiner schuoel, Khainer soll da rein gehn der vnwissent ist der Mathematica, vnd ausserhalb der Arithmetica, daz ist die Rechnung; ebd. D4a die jungen vnnd fleissigen schuoler der kunst arithmetice; Turmair um 1533 S. W. IV 928 arithmetika ist bei uns die zälerin; ebd. IV 994 zehen püecher . . von der arithmetica; Paracelsus um 1536 S. W. I 10,659 Arithmetica.

Arithmetik disc species lernt des himels und der erden zal zu finden in Sternen und dergleichen; Luther 1538 Reichstag (W. L 362) die geistlichen sollen den zehenden geben jhrer guter . . die geringen den funffzigsten . . Aber Gott gab gnade, das es ward abgeschlagen, Denn es waren Leute, die jhm nach dachten und nach der Arithmetica überlegten; Franck vor 1542 Chronica Zeitbuch 248b [Albrecht Dürer] der Geometri vnd Aritmetick/ ein meister; Stifel 1545 Arithmetica (Titel); Xylander 1562 Euclid (Übers.) Vorr. bla die Arithmetic, das ist Rechenkunst; Helmreich 1591 Von Feldmessen A3a Darumb die Geometria vnd Arithmetica mit einander verschwistert vnd also vereiniget/ das die Geometria ihre stummende vnd deutende Demonstrationes durch die Rechenkunst mus offenbaren/ außreden vnd an tag bringen; Hulsius 1604 Tractat l 26 Dann Arithmetica ist ein Kunst/ so da lehret recht rechnen; Furttenbach 1663 Kunstspiegel Vorr. o. S. Arithmetica thut der Schuljugend zum besten/ allerhand nothwendige/ bey denen KauffmannsWahren vnd Wechsel vorfallenden Geschafften/ durch die ringfertige welsche Practic zu berechnen vorstellen; Ercker 1672 Aula subterranea 3 [der Probierer muß] in der Arithmetic oder Rechenkunst, wol geübt vnd erfahren [seyn]; Schilling 1677 Predigten 7 Arithmetica und Raithkunst; Abr. a S. Clara 1686 Judas l 445 f. (Wunderkur 285) O Ewigkeit! . . du bist ein/ Aritmethica mit lauter Nulla; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 260 ich habe Selbsten einen grossen Schnitzer wider die principia Arithmeticae angemerckt/ daß die guten Herrn nicht fünffe recht zehlen können/ sintemahl sie . . aus drittehalb und anderthalb Thalern fünff Thaler gerechnet; Tentzel 1689 Unterredungen 269 Ein anderer kunte weder schreiben/ noch lesen/ und doch die Schweresten Regeln der Arithmetic resolviren; Happel 1690 Academ. Roman 15 dazumahl Hessen sich zu Jerusalem hören versuchte Leute in der Wolredenheit/ Poeterey/ Astronomey/ Arithmeterey/ Metaphysica/ Physiologie und dergleichen; Sturm 1717 Mathesis 2a Geometrie und theoretische Arithmetick . . so fern sie mit gewissen und wircklich cörperlichen Dingen nicht zu thun hat; Brucker 1731 Fragen H 117 Die Arithmetica ist die allerhöchste und nützlichste Wissenschafft/ und wer sie recht Philosophisch versteht/ ../ der besitzt das wahrhafftige höchste Gut; Philippi 1743 Witz u. Geschmack 251 Die Arithmetic ist eine Hülfs-Wissenschaft der Cameral-Wissenschaft und Haushaltungs-Kunst; Goethe 1781 Er. (WA IV 5,183) Auf der Schule in Zürich . . schreiben die Knaben gar säubern Cursus der Aritmetik, Geometrie und Trigonometrie; Abel 1786 Seelenlehre 157 Hieraus entsteht die eigenthümliche mathematische Lehrart. Die Geometrie hat nämlich den Raum, und die Arithmetik die Za-

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len zum Objekt; zälen aber geschieht nicht anders als vermittelst der Zeit; Adelung 1808 Gramm.-Krit. Wb. 428 Die Arithmetik . . l Die Rechenkunst . . 2 Ein Lehrbuch der Rechenkunst; 1830 Jahrb. d. Gesch. l 81 Welche Fortschritte die sogenannte „politische Arithmetik" seit der Zeit gemacht hat; Koch-Sternfeld 1833 Beytr. Ill 3 ohne gemeinwilliges Leben kann nirgends ein allgemeines und bleibendes Wohlleben erreicht werden; — die Geldarithmetik muß unbedingt der Lebensarithmetik unterthan seyn; Schopenhauer 1840 Moral 82 alsdann über die Gegenstände der Metaphysik ebenso vollkommene Übereinstimmung unter den Menschen herrschen müßte, wie über die Wahrheiten der Arithmetik und Geometrie; Stein 1852 System I 105 Die Berechnung dieser Absterbeordnung ist die Grundlage und zugleich das Resultat aller Arten von Lebensversicherungsanstalten. Und diese Berechnung ist es, welche man im engeren Sinn des Wortes die politische Arithmetik genannt hat; Treitschke 1859 Gesellschaftswiss. 35 eine Volkswirtschaftslehre, die nur eine „Arithmetik des Egoismus", eine ökonomische Logik gibt und glaubt, in dem Egoismus „das natürliche und feste im Menschen" gefunden zu haben; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 186 da diesem Herrn die gewichtige Pflicht oblag, seine Schüler mit den Geheimnissen der Arithmetik und Geometrie vertraut zu machen; 1914 Z.D.Sp.V XXIX 410 Die . . Hoffnung, daß auch die neue Schulordnung Reinheit und Gefälligkeit der sprachlichen Form zeigen werde, hat sich erfüllt. . . An die Stelle der Arithmetik ist der Rechenunterricht und das Rechnen getreten; Tönnies 1931 Soziologie 323 die politische Arithmetik . ., die ihren Namen . . dem . . Freunde des Hobbes William Petty verdankt; Kesten 1952 Casanova 88 Casanova verdoppelte sein Glück durch das ihre. Zufolge seiner Arithmetik des Genusses fand er vier Fünftel seines Genusses im Genuß, den er der Geliebten bereitete; ND 7.8.1954 der Block der Adenauer-Parteien, der sich durch Korruption, . . Wahlarithmetik und die Ausschaltung der Minderheit . . parlamentarische Mehrheit verschaffte; Offenburger Tagebl. 14.3. 1961 Was auf der Wahlarithmetik niemand zu prophezeien gewagt hätte, ist eingetroffen; 3966 Leibniz 20 mit Hilfe politischer Arithmetik errechnet; Bad. Ztg. 14.11.1970 Stimmenarithmetik (Überschr.) Im Zusammenhang mit der Landtagswahl in Hessen . . wird immer wieder die Behauptung aufgestellt, die CDU profitiere vom Zerfall der NPD; Eich 1970 Maulwürfe (Ges. W. I 365) Sein Hang zur Arithmetik irritiert mich zu Zeiten . . Welche Zahl muß man von 7 abziehen, damit 10 herauskommt? Ich weiß schon, er will mich reizen; 1971 Datenverarbeitung 7 Daten, die von der Dezimalarithmetik des Rechners verarbeitet werden sollen,

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müssen zuvor in gepacktes Format gebracht werden; Ratschek 1971 Funktionen o. S. tiefer in die algebraische Struktur der Intervallarithmetik einzudringen und sie als brauchbares Hilfsmittel für die Beschreibung und Durchführung numerischer Probleme und Prozesse heranzuziehen; Sloterdijk 1983 Kritik 45 Es wäre aber falsch, dies nur als Frage der Machtarithmetik zu betrachten; 1986 Umsteiger d. Jahres 46 verstrickt in die Machtarithmetik jener Ära; Zeit 25. 7.1986 Ihn interessiert nicht nur Wahlarithmetik, sondern noch mehr das, was in den Köpfen und im Land vorgeht; ebd. 12.9.1986 Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977, das die Voraussetzungen für die Notenarithmetik des Numerus clausus kritisch unter die Lupe nahm; ebd. 3.10.1986 die Delegierten, erfahrungsgemäß immer „linker" . . als die Basis . . stimmten . . einer Wahlaussage zu, die der SPD in Bonn eine Zusammenarbeit anbietet — wenn's denn die Sitzarithmetik erlaubt; MM 27.10.1987 ein hohes Spiel der Kunst, das von der Arithmetik des begrenzten Raumes und der Kunst der Diplomatie mitgetragen wird; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 87 Und wie ist sie [Reiners Stilfibel] gestaltet? Nach einer ausgeklügelten Gliederungsarithmetik mit der 20 als heiliger Zahl des Stils. Arithmetiker: um 1390 Osten. Chronik l Etleich suchten got mit zalen alz arismetrici, etleich in massen alz geometri; Luther 1522 W. X l ,428 Zum ändern leren die Arithmetic! die tzalen teylen; Eysenhut 1538 Rechenbuch Y5b einen geschicktenn Arithmeticum; Franck vor 1542 Chronica Zeitbuch 152b Er [Plinius] ist in disem buoch ein Astronomus/ Geographus/ Historiographus/ . . Philosophus natürlicher meister/ Cosmographus/ Phisius/ Arithmeticus/ vnd alles das man disen menschen für ein wunder der menschen achten moecht; Kaltenbrunner 1565 Rechenbüchlein M8b Teutscher Schulhalter vnnd Arithmeticus zu Laybach; Schey 1600 Arithmetica 76 Arithmetici oder Rechner; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 213 Dann was ist das für ein arithmeticus; Heimreich 1683 Dithm. Chronik 286 daneben ein guter Logicus und Arithmeticus ist gewesen/und sonderlich in Mathesi sich also herfür gethan; Abr. a S. Clara 1685 Gack gack gack 114 wider aller Arithmeticorum Witz; 1688 (Nyström, Schulterm. 151) zu unserm Arithmetico, Schreib- und Rechen-Meister angenommen; 1718 Fama LX1/LXII 110 Die Arithmetici nennen die 7de Zahl Minervam, weil sie keine von l biß 10 zeuget/ auch von keiner gezeuget wird durch Multiplication; Müller 1787 Emmerich IIUIV 132 wenn er auch nur die großen Arithmetiker die Deutschland seinem Unterrichte verdankt, zu Hülfe nähme; Engel 1800 Sehr. I 88 ein

alter Arithmetikus: ein dürres, grämliches Männchen; Holtei 1863 Letzte Komödiant HI 93 ich bin ein schwacher Arithmetiker; Zeit 3.10.1986 Rund 40 Prozent für die Diaspora in Bayern und BadenWürttemberg seien nötig, so haben die Wahlarithmetiker über den Daumen gepeilt, damit Johannes Rau im Januar 1987 wenigstens den Hauch einer Siegeschance besitzt; ebd. 19.12.1986 Wie er uns aus der Seele spricht: an den akademischen Quatschbuden kein gutes Haar läßt, Gremienhanseln und Abstimmungsarithmetiker verhöhnt. arithmetisch: Fuchsberger 1534 Diatectica B2a die Arithmetisch wie Mathematisch Kunst; Stifel 1545 Deutsche Arithmetica 51b ein Arithmetische vrsach; 1553 Coß Chr. Rudolffs 8b die Arithmetische progreßiones; Scheybl 1555 Euklidübers. 226 zalen arithmetischer progression; Stefini 1608 Festung 33 die Länge nach dem Gestell durch Arithmetische Kunst finden; Warmund 1664 Geldmangel 714 nach der Arithmetischen/und nicht Geometrischen Art . . reguliret; Riederer 1719 Paragramm. B3a in den arithmetischen Zahlen; Geliert 1746 Fabeln l 314 Fünfte Strophe. „Sie läßt sich zwo Minuten stören." Aber warum nicht mehr, nicht weniger Minuten? Ist zu arithmetisch bestimmt; Beckmann 1783 — 86 Erfindungen l 4 In dem Jahre 1494 sind würklich arithmetische Werke in italienischer Sprache von ihm zu Venedig gedruckt worden; ders. 1784—88 Erfindungen II 178 Dieses Stück solte, nach der vorgedruckten Anzeige des Inhalts, sechs Abschnitte haben, hat aber nur zwey, nämlich: arithmetische Anmerkungen und die Lehre von Buchhalten; Goethe 1810 Materialien z. Farbenlehre (WA II 3,109) In wiefern bei der ersten Entwickelung nachsinnender Menschen mystisch-arithmetische Vorstellungsarten wirklich statt gefunden, ist schwer zu beurtheilen; 1819 Die Wage I 260 Die Unabhängigkeit der Völker hängt nicht von ihrer arithmetischen Stärke ab, sondern von dem Geiste, der sie beseelt; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. H 116) rechnet man hierzu, was in Paris selbst verbraucht worden und was in den Provinzen gedruckt wird — so hat man einen Maßstab, die französische Litteratur nach ihrem arithmetischen Umfange mit der deutschen zu vergleichen; Goethe vor 1832 Paralipomena XCIV (WA II 5.2,319) alle Mechaniker lehren, daß das arithmetische Mittel der Geschwindigkeiten bey federharten gleichen Massen nicht statt findet; Herbart 1841 Vorlesungen 160 In Lehranstalten, wo man vorzugsweise praktische Zwecke im Auge hat, wird man die Logarithmen durch Vergleichung arithmetischer mit geometrischen Reihen erklären und dann zum Gebrauch eilen; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 52 „Dreimal sechs ist neunzehn," . . „Der Schlag möchte mich rühren!

Arkade Wirst du's gleich sagen? . . Ich will dreimal sechs aus dem Hund herausprügeln." — Er konnte aber die Auflösung der arithmetischen Dissonanz nicht erwarten; Schlözer 1864 Rom. Br. 70 um seine arithmetischen Verlegenheiten [Geldnöte] zu beseitigen; Dingelstedt 1879 Bilderbogen 127 [Wenn man die] Münchner Namen abzählt, die das erste Verzeichniß . . enthält, so stehen Alt-München und Neu-München fast arithmetisch gleich, und zwar ebensowol unter den Dichtern, wie unter den Gelehrten; Eckstein 1889 Camilla 73 Sie drücken meine . . Neigung, die mein ganzes Herz mit leuchtender Poesie durchtränkt, auf das trübe Niveau der Logik und Arithmetik herab; Th. Mann 1909 Hoheit (W. // 92) „. . — du hast ja eine Eins in der arithmetischen Klassenarbeit?" „Ja, Prinz Klaus Heinrich, ich habe Glück gehabt"; 1930 Els.-Lothr. VIII 701 Das Elsässische, obwohl genau so allemannisch [wie das Badische] . . hat mit der arithmetischen Sprachnatur des Französischen fast eine gewisse Verwandtschaft; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 125) an der Wand war mit Reißnägeln ein arithmetischer Stich befestigt, den er in irgendeinem Altkramladen aufgetrieben: ein sogenanntes magisches Quadrat, wie es neben dem Stundenglase, dem Zirkel, der Waage, dem Polyeder und anderen Symbolen auch auf Dürers Melancolia erscheint; ND 26.3.1949 Ich werde noch leben und wirken, den arithmetischen Berechnungen aller gelehrten Äskulape zum Trotz; Heuss 1963 Erinn. 71 diese Gruppe, die seit 1879 . . nicht nur arithmetisch, die Substanz der Reichsgesetzgebung be-

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stimmt hatte; Dönhoff 1963 Ära 49 Aber wehe, wenn diese arithmetische Reihe steigender Wachstumsraten, Löhne und Gewinne einmal abreißt (DUDEN); Partner 1964 Erben 272 Die Kirche, die auf diese Weise entstand, steckt voll der geheimen arithmetischen Beziehungen, die schon die antike Architektur so sehr liebte; Welt 4.1.1969 Benda ist sich freilich im klaren darüber, daß über die Zahl der Ministerien nicht nur sachliche Gesichtspunkte, sondern auch parteipolitische und koalitionsarithmetische Rücksichtnahmen entscheiden; Schiro 1971 Computer o. S. in der nicht-numerischen Datenverarbeitung spielen arithmetische Rechenoperationen so gut wie keine Rolle, statt dessen jedoch logische Vergleichsoperationen; 1971 Datenverarbeitung 7 und sie wissen, daß man, wenn man eine dezimalarithmetische Rechenoperation durchführen will, den Wert entsprechend umformen muß; Zeit 26.4. 1985 die wähl- und parlamentsarithmetische Schwäche der SPD/FDPRegierung; MM 16.11. 1985 Von Bedeutung für beide Parteien ist zum einen das „arithmetische Mittel" und zum anderen die „Bandbreite"; Zeit 6.12.1985 Wenn es 1987 eine arithmetische Mehrheit für SPD und Grüne geben wird, besteht damit noch längst keine soziale Mehrheit in der Bundesrepublik; Tränkle 1985 Statist. Methode 148 Diese Standardabweichung der Mittelwertverteilung wird mitunter „Standardfehler" des arithmetischen Mittels genannt; Zeit 29.5.1987 die Mahnungen des Thomas Robert Malthus (die Bevölkerung wachse geometrisch, die Lebensmittelversorgung aber nur arithmetisch . .)·

Arkade F. (-; -n), Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. arcade (< gleichbed. ital. arcata, zu arco '(Schwib-)Bogen; Bogengewölbe', zurückgehend auf mlat. arcata, subst. fern. Form von arc(u)atus, lat. arcuatus 'bogenförmig, gekrümmt, gewölbt', zu arcus 'Bogen, Wölbung, Krümmung'), anfangs vereinzelt in der frz. Form und bis ins 20. Jh. häufig in der Schreibung Arcade. Vorwiegend als Fachwort verwendet, zunächst der Gartenbaukunst für 'Laubengang' (s. Belege 1672, 1843, 1954), dann vor allem der Architektur in der Bed. 'auf zwei Säulen oder Pfeilern ruhender Mauerbogen, Bogenwölbung', meist im PL gebraucht für 'fortlaufende Bogenreihe zwischen zwei Räumen', auch 'einseitig offener Bogengang, bogenförmig geöffnete Fassade (an Gebäuden), Bogenhalle'; z. B. in den Wendungen durch die Arkaden gehen, wandeln, unter den Arkaden sitzen; gedeckte, luftige, lange, gotische, spitze Arkaden, als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Doppel-, Spitz-, Markt-, Blendarkaden 'als Wandgliederung dienende Arkaden'; Arkadengang, -häuser, -halle, -nischen, -hof 'Innenhof mit meist mehrgeschossigen Arkaden'. Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 169 60 arcades oder schwibögen; Elßholtz 1672 Garten-Bau1 44 Bogen-Gänge oder Arquaden sind lange von Lat-

tenwerck auff den Seiten und oben mit höltzern Circkeln beschlossene Gänge; Goldmann 1696 C;cil Bau-Kunst Vorr. 2a In denen Sparren weiten der

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drey zarten Ordnungen/ haben obengedachte Baumeister auch gar unbequeme Zahlen gefunden . . Vignola Corinthische Ordnung gehet auff 4. 8.12. und 16. Modul, 12. und 16. geben die Arcaden. .. Die Arcaden müsten zu ihren Seulen ohngefehr die Helffte des Moduls der grossen Seulen nehmen; Uffenbach 1728 Tagebuch 10 die unten her mit Arcaden, ober aber mit einem Stockwerck mit Gemächern . . zugebauet ist (BRUNT); Rohr 1729 Zeremoniellwiss, II 324 An der Grufft werden zuweilen rechte Portails aufgebauet, mit den schönsten Arcaden, Pilastern, Statuen; Florin 1749 Hausvater II 386b die ändern beyden werden durch über einander stehende und an drey Seiten herumgehende Arcaden oder Bogen-Stellungen formirt; Sulzer 1771 Theorie l 180b Diesen Namen [Bogenstellung] haben die deutschen Baumeister den Werken gegeben, die man gemeiniglich mit dem französischen Namen Arkaden nennt; Goethe 1776 — 77 Triumph (WA l 17,36 f.) Ich nenne mich Askalaphus,/ Und bin Hofgärtner in der Hölle . ./ in einem Park/ Muß alles Ideal sein, . ./ Wir haben . ./ Obelisken, Labyrinthe, Triumphbogen, Arkaden,/ Fischerhütten, Pavillons zum Baden; Weinlig 1782 Rom l 79 Die vordere Öffnung dieser Kapellen ist den ihnen entgegenstehenden großen Arcaden des Schiffs der Kirche ganz gleich; Meiners 1785 Br. Schweiz I 123 Unter allen Häusern . . gehen Arcaden, oder bedeckte Gänge weg; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst I 31 Arkaden .. Bogen und Bogengewoelbe; Platen 1825 Sonette (Ndr. 1910) 20 Da sitzen [am Marktplatz] unter herrlichen Arkaden,/ In langen Reihn, Venedigs schönste Frauen; Bronner 1834 Weinhau 11 77 [von der in Oppenheim üblichen Rebenbauart:] eine Lauben-Erziehung, die ich ArkadenLaube nenne; Gaudy 1837 Katzenraphael (VI 12) Unter dunklen Arkaden durch enge winklichte Straßen wandelnd; Lewald 1839 Schweizerland 7 was den artigen Kaufleuten unter den Arcaden in Bern allerdings Freude macht; Zschokke 1843 Ausgew. Novellen VIII 52 Laubengänge oder Arkaden (SANDERS 1871); Cuendias 1847 Spanien 19 Arcaden (Lauben); Ratzel 1876 Städtebilder a. Nordamerika I 48 sind Pläne zu einer pneumatischen Bahn, einer unterirdischen Dampfeisenbahn, einer „Arcadeneisenbahn" und einer „Viaducteisenbahn" ersonnen . . worden; Wibmer 1880 Aus m. Leben 45 Die Fresken in den Arcaden des Hofgartens; Nordau 1881 Kreml II 330 die Thür führt auf den Patio, den . . Hof . ., umgeben von . . weinbewachsenen Arkaden; Eckstein 1889 Camilla 61 Goldiges Sonnenlicht umfloß die altersgrauen Ar-

kaden der großen Arena [in Verona]; Neresheimer 1899 Komödie 66 Man ging nach der Place de la Riponne, wo sich unter den Arkaden der Getreidehalle die Metzger versammelten; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 65) die . . hölzernen Goldschmiedbuden, die in die Marktarkaden hineingebaut waren; ebd. I 363 er . . verweilte an der Börse unter den gotischen Arkaden am Marktplatz; Friedländer 1910 Sittengesch. Roms 325 Von außen zogen sich um den ganzen Zirkus fortlaufende Arkaden mit Eingängen und Treppen; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 15) wir . . überschritten die schiffbare Seine . . und fanden uns. . unter den Arkaden und vor den Auslagen der Rue de Rivoli; Mehring 1927 Paris 140 Neuerdings zementierte man diese Arkadenbogen zu; ND 25.8.1954 das wiederaufgebaute Goethe-Museum in Frankfurt .. soll . . im Arkadenhof neben dem Elternhaus des Dichters eröffnet werden; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 554) die Praca do Commercio, ein sehr . . ruhiger Platz, ist an einer Seite gegen den Hafen geöffnet, . . an den drei anderen aber von Arkaden, gedeckten Laubengängen umgeben; Koeppen 1961 Frankreich 24 In schönen alten Arkadenhöfen, noch immer uneingenommene Festungen des Patriziats; Partner 1964 Erben 405 die spitzgiebeligen Blendarkaden des Obergeschosses [finden sich] . . im französischen Raum auf provenzalischen . . Sarkophagen vorgebildet; Dellwing 1970 Baukunst o. S. fünf .. Rundpfeilerpaare unterteilen das Langhaus [der Kirche] in fünf weite Arkaden und schaffen die untere Raumzone; FAZ 7.9.1971 Die historische Fassade .. des Gebäudes . . bleibt erhalten. Eine Reihe von Arkadengeschäften mit Modesalons, mit Buchhandlungen .. verbindet sich mit einem . . Möbelhaus zu einem exklusiven Geschäftszentrum; Zeit 30.8.1985 unsere Häuser, Setzkastenphantasien, die .. heute mit Dreiecksgiebeln und Arkaden, morgen mit islamischen Türmchen geschmückt sein können; MM 29.7.1986 wird die gesamte Wegführung vom Platz her oder durch die Arkaden über Rampen, Treppen, Terrassen zu einer Inszenierung, die die Zeit .. als einen räumlichen Prozeß bewußt werden läßt; ebd. 23.2.1987 unter den Arkaden am Friedrichsplatz in nobler Umgebung von Wasserturm und Kunsthalle; ebd. 13.8.1987 das . . Heidelberger Kunsthaus . . in seiner kürzlich eröffneten Filiale in Mannheim (Kurfürstenarkade N 6); Süddtsch. Ztg. 4./S. 9.1993 Ihr Leben soll interessant sein bis zum Schluß, bis zum Ende unter Palmen, Arkaden, in meerumspülten Höhlen.

arkadisch Adj. (Steigerung ungebr.), seit frühem 17. Jh. nachgewiesene Ableitung von Arkadien (< lat. Arcadia/griech. ) (s. u.).

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Zunächst abwertend von Personen für 'urwüchsig, primitiv, einfältig, dumm' (s. Belege 1616, 1689, 1710); seit Mitte 18. Jh. nach der Vorstellung des goldenen Zeitalters, die fest mit dem urtümlichen Landleben des antiken Griechenlands, insbes. der idyllischen, abgeschiedenen Landschaft Arkadien, verbunden war, in der Bed. 'idyllisch, sorgenfrei, einfach, anspruchslos, friedlich' gebraucht, vor allem in Wendungen wie arkadisches Schäferleben, Idyll, arkadische Landschaft; in der Literaturgeschichte bes. in der Verbindung arkadische Poesie, Dichtung 'idyllische Hirtenund Schäferdichtung' (—»· bukolisch), als Sammelbezeichnung für poetische Werke (bes. der Barockzeit), die das Ideal des friedlichen Schäferlebens darstellen. Dazu Arkadien, auch in der lat. Form Arcadia, Name für eine Landschaft des Peloponnes, die wegen ihrer einfachen, urwüchsigen Abgeschiedenheit schon von hellenistischen und römischen Dichtern der Schäferpoesie als Land sorgenfreien Lebens und stillen Friedens zum literarischen Gegenstand gemacht wurde, von daher seit Mitte des 18. Jhs., eventuell unter engl. Einfluß (vgl. Sydneys Schäferroman „Arcadia", 1590, in dtsch., von M. Opitz überarbeiteter Übers. 1638), appellativisch gebraucht als N. (-(s); -) in der Bed. 'Schauplatz idyllischen Lebens, glückseliges Land, paradiesischer Zustand, sorgenfreie Idylle, unbeschwertes Leben', selten auch übertragen in Wendungen wie das Arkadien der Wissenschaft (s. Belege 1961, 1967), gleichzeitig bes. in der nach lat. et in Arcadia ego gebildeten und durch ein Gemälde des ital. Malers Schidone und ein Landschaftsbild des frz. Malers Poussin verbreiteten Verbindung auch ich (war) in Arkadien, seither geflügeltes Wort bes. in der Literatur des 18. Jhs., z. B. Motto der Erstausgabe von Goethes „Italienische Reise" (1816); seit frühem 17. Jh. das selten belegte Subst. Arkadia, auch Arcadia F. als Titel für idyllische Schäferdichtungen; auch als verkürzter Name für die Akademie der Arkadier (s. Beleg 1787), einer 1690 in Rom gegründeten Gesellschaft zur Pflege humanistischer, der griechischen Antike zugewandter Literatur (bes. Petrarcas); seit frühem 17. Jh. die Personenbezeichnung Arkadier M. (-s; -), in der Bed. 'Bewohner der griechischen Landschaft Arkadien', meist übertragen verwendet für 'Figur in einer arkadischen Dichtung', auch allgemeiner 'sorgenfrei und ursprünglich lebender Mensch' (s. Beleg 1863), speziell 'Mitglied der Akademie der Arkadier'. arkadisch: Henisch 1616 Teutsche Sprach 102 Ein Arcadisch gewächs/ oder grosser fauler mensch; Abr. a S. Clara 1689 Judas H 85 f. (Wunderkur 67) neben seiner sasse in Philosophischem Aufzug der Plato vnd Aristoteles/ als hochweise Promotores dises Arcadischen Herrn [Esels] wurde also/ .. durch die vornehmbste Gassen der Statt/ mit allerseits vngestimmten Gelächter herumbgeführt; 2707 Leyr Tyri l Man singet ein Arcadisches lami über das andere, und es soll Weissheit über Weissheit sagen; Abr. a S. Clara 1710 Weinkeller 12 So geht es, wann man Hirten und Strohköpff zu hohen Aembtern bringt; so geschieht es, wenn man ungeschickte Lümmel und Arcadische Trampel in die Höhe promovirt, und andere wohl mentirte Leuth über die Achsel anschaut; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 50 sticht eine ihrem Mann den Geggen/ und zeigt ihm hoenischer Weiß ein Arcadisches Ohren-Behang/ wie es die saubere Michol

dem David gewisen/ so wird man solches auch bey dem Schatten sehen; Meier 1754 Anfangsgründe l 107 arcadische Schäferleben; Ramler 1755 briefl. a. Gessner (1892 Zfvgl. Lit'gesch. N. F. V 101) Ich habe Gelegenheit gehabt mich aufs neue wieder in den Theocrit zu verlieben. Wie viel kan aus diesem Autor nachgeahmt werden! Welche unerschöpfliche Quelle arcadischer Erfindungen! Sie müssen sich in der That diese Dichtungsart zu eigen machen. Sie wohnen in einem Lande, welches zum Theil wahre arcadische Einwohner hat, und haben selbst den wahren arcadischen Geist. Schicken Sie doch uns drey arcadischen Liebhabern Kleisten, Gleimen und mir ihre Aufsätze; Abbt 1765 (Er. Gelehrter a. Klotz l 99) arkadische Freuden; Lichtenberg 1768 Aphorismen I 55 In der Erinnerung an unser vergangenes Vergnügen lassen wir unsern sinnlichen Körper im gegenwärtigen und stellen uns ganz in abstracto als ein gutes arkadisches

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Ding ohne Schulden, ohne Sorgen, ohne notleidende Verwandten, zurück in die damalige Zeit; Wieland 1769 Grazien (S. W. X 56) Arkadische Einfalt; Goethe 1770 Satyros (WA I 16,99) Und Ihro bost'ge Mejestät sah zur Belohnung/ Mich Hausfrau für einen arkadischen Schwan,/ Mein Ehbett für einen Rasen an,/ Sich drauf zu tummeln; Klinger 1776 Sturm u. Drang V 3 (Philipp 1909 Klinger 82) in einen poetischen, arkadischen Traum verwandeln; Nicolai 1776 Notbanker 111 158 Plan zu einem arkadischen Schäferleben; Volkmann 1777 Italien II 831 Die Hauptregel dieser arkadischen Schäfer war, allezeit bey der Natur zu bleiben, und den simplen Stil, worinn die Alten so meisterhafte Muster sind, beyzubehalten; Hase 1779 Aldermann l 50 diese arkadische Gegend, wir wollen ein Idyllenleben führen!; Meister 1783 Blätter 15 arkadische Schäfer; Meiners 1785 Br. Schweiz II 98 sind die Unterwaldner um nichts besser und arkadischer, als alle Landleute in solchen Gegenden . ., die wenig von Fremden besucht . . werden; Matthisson 1787 Schweiz (II 132) wahrhaftarkadischen; Hermes 1789 für Eltern V 25 Ich wolte ihr das [die Liebe zu einem Mann] ganz arcadisch gestehn; Bouterwek 1802 Gesch. 11 528 Das alte Akademien-Spiel wurde so schnell wieder erneuert, daß man bald nicht weniger als acht und fünfzig arkadische Gesellschaften zählen konnte, die sich Colonien des römischen Arkadiens nannten; ders. 1809 Gesch. V 297 Die romantische Hirtenwelt .. verschieden von der arkadischen; Gutzkow 1851 Ritter V 368 Hier haben wir noch die arkadischen Sitten patriarchalischer Zeiten; Raabe 1867 S. W. II 1,296 wenn dieser mein arkadischer Erzeuger wüsste, wie sehr jeder Tag, jede Stunde mir hier Moral predigte; ders. 1876 S. W. // 5,33 den ich aus den einfachen arkadischen Hütten . . zusammengeschleppt habe; Keller 1904 Herder 42 „arkadische Gesellschaft"; Wätzold 1927 Land 176 Aus dem arkadischen Thema, das unsterblich ist wie die Sehnsucht; Hauptmann 1930 Buch d. Leidenschaft l 30 Ich glaube an arkadische Zustände, wo mein Glück wie eine leichte, bezauberte Luft alles zu ein und derselben göttlichen Trunkenheit in Liebe vereinigen kann; 1940 Goethe V 40 Goethe steht unter dem Einfluss der sogenannten arkadischen Hirten- und Schäferpoesie; Böschenstein 1967 Idylle 24 Die ersten Ansätze zu deutscher Idyllendichtung sind . . späte Wirkungen jenes Impulses, der die Dichter der italienischen Renaissance die Idee der arkadischen Poesie aufs neue erwecken hieß; 1977 Reallex. d. dtsch. Literaturgesch. Ill 73 Geßner träumt in seinen sinnlich-empfindsamen Idyllen den arkadisch-bukolischen . . Rokoko-Traum; Stephan 1984 Gast 53 Frauen und Männer in weißen Kitteln . . schritten wie auf einem Spaziergang in arkadischer Natur gemächlich,

immer wieder mit zueinander geneigten Köpfen verweilend, durch die Räume; Süddtsch. Ztg. 22. 9.1993 Der alte arkadische Traum vom Buch, das sich langsam seine Leser erobert, sich einnistet in Herz und Hirn, ist ausgeträumt. Arkadia: Opitz 1624 Poemata 5 Sannazarius . . hat mit seiner trefflichen Arcadia allen seinen Landtsleuten die Augen auffgethan; Sulzer 1771 Theorie l 76 Arcadia; Goethe 1787 Br. (WA IV 8,121) Ich habe Fritzen scherzend von meiner Aufnahme in der Arkadia geschrieben, es ist auch nur darüber zu scherzen, denn das Institut ist zu einer Armseligkeit zusammengeschwunden; Rumohr 1832 Denkwürdigkeiten I 104 eine rheinische Arcadia errichtet; Chledowski 1915 Italien (Übers.) 51 Auf dem Lande hat man freier als in Venedig gelebt . . Dieses lustige Leben hat Giovanni Sagrado . . in seinen Geschichten „Arcadia in Brenta" geschildert; 1977 Reallex. d. dtsch. Literaturgesch. IV 622 In Holland schuf P. C. Hooft das Schäferspiel Granida . ., dem zahlreiche lokale Arkadien bis ins 19. Jh. hinein folgten. Arkadien: Henisch 1616 Teutsche Sprach 102 Arcadien/ ein Landschafft in Griechenland/ . . Du beruffest mich in Arcadien/ oder/ du begerest gar zu vil von mir; Opitz 1624 Poemata 34 Die Liebe gegen dir/ Ist an viel Bäumen eingeschnitten,/ . ./ So lang Arcadia wirdt stehen,/ Soll auch mein Name nicht vergehen; Schönaich 1754 Ästhetik 314 Endlich fing er mit unsäglicher Mühe einen Gesang an, worinn man bemerkte, daß er die Alpen für ein Arkadien ausgab; Wieland 1757 Ges. Sehr. I 4,412 und je nachdem die Ideen des Dichters der ursprünglichen Schönheit und Einfalt der Natur gemäß sind oder sich von ihr entfernen, je nachdem bildet er sich ein Arcadien; Kinderling 1765 Br. 268 poetisches Arkadien; ebd. 280 So glückseelig auch ein Arkadien mag gewesen seyn, so hat doch der Tod darin geherrscht; Wieland 1769 Grazien (S. W. X 55) Bewohner Arkadiens; Jacobi 1773 S. W. // 35 Auch ich war in Arkadien; Volkmann 1777 Italien 829 Der Name der Gesellschaft [der Arkadier] und ihr Ursprung ist aus der Schäferwelt entlehnt. Die griechische Landschaft Arkadien war ehemals wegen der schönen Gegenden des sanften Himmelsstriches, und der zahlreichen Heerden berühmt; Hase 1779 Aldermann l 54 auch wir waren in Arkadien dran!; Klinger 1780 Spieler (S. W. l 163) Romane lesen, und sich mit einem dumpfen Gesellen in Arkadien zaubern, bis ein kluger Kerl ihre Imagination am rechten Zipfel faßt; Schiller 1781 Räuber (H. l 426) Schäfer Arkadiens; ders. 1785-87 Gedichte (H. Ill 4) Auch ich war in Arkadien geboren; Wezel 1790 H. u.U. IV 421 aber

arkadisch wenn ein Hausgeschäfte ruft, fliegt sie ohne Verzug aus ihrem geträumten Arkadien in die Küche; Matthisson 1795 Italien (IV 137) Auch ich war in Arkadien!; Herder 1801 Adrastea U (S. W. XXIII 306) Arkadien! Auch hier ist Arkadien, auch hier!; Bouterwek 1802 Gesch. II 527 Akademie der Arkadia; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,106) Da ich nun eine schöne heitere Gartenwohnung hezogen, so soll der zweyte Theil meiner Italiänischen Reise auch an die Reihe, freilich mit dem alten Motto auch Ich in Arkadien; Kurtz 1837 Gentzianen 8 und doch — auch er war in Arkadien geboren!; Schopenhauer 1851 Parerga 434 In Arkadien sind wir Alle geboren, d. h. wir treten in die Welt, voll Ansprüche auf Genuß; Lichtwark 1881 Studien H 143 Man war . . gewohnt, Italien mit dem Auge des Stilisten als ein Arkadien mit ewigem Frühling zu sehen; Röscher 1888 Ackerbau (System II 658) Arkadien in sehr vieler Hinsicht die Schweiz der Hellenen; Heyse 1892 Dorfromantik (Ges. W. Ill 2,529) Ich glaube . . nicht . . dass in Ihren schönen Wiesenund Waldgegenden ein idyllisches Arkadien zu finden sey; 1892 Brockhaus I 903 daß neuere Dichter .. Arkadien als ein Land paradiesischer Unschuld, patriarchalischer Sitteneinfalt und friedlichen Glücks dargestellt und zum Schauplatze ihrer Dichtungen gewählt haben; Benn 1922 Prolog 1920 (Ges. W. III 398 f.) Wo ist das große Nichts der TiereP/Giraffe, halkyonisch, Känguruh,/du, du bist in Arkadien geboren,/mein Beutelhase, grunz mir zu!; Heilborn 1929 Revolutionen l 192 Arkadien der Erinnerung; Wendel 1933 Arkadien im Umkreis bukolischer Dichtung (Titel); Wais 1939 Grenzen 23 im lyrisch-untragischen Arkadien; Krauss 1949 Aufs. 85 Die über alle Kontinente schweifende Phantasie des Dichters fand erst in Arkadien eine Heimat. Das Arkadien, das Bernardin de Saint-Pierre mit Hilfe von Autorenzitaten (vor allem aus der Äneis) aufbaut, ist eine rüstige Bauernrepublik; 1956 Goethe XVHl 135 Arkadiens seligen Gefilden; Stuttgarter Ztg. 4.5.1961 Storz .. sprach über seine Erfahrungen als Gastprofessor am Middlebury-College . . In dem „akademischen Arkadien" sei sieben Wochen lang kräftig gearbeitet worden; FAZ 4.3.1966 Unter dem Namen „Auch ich war in Arkadien" soll sie [eine Ausstellung] die Beziehungen der deutschen Geisteselite zu Italien und ihre Aufenthalte im kulturträchtigen Land der Römer darstellen; Böschenstein 1967 Idylle 25 Dort [in Florenz] kultivierte man die sehnsüchtige Neigung zu Natur und Landschaft; die Villa in Fiesole wurde zum Arkadien erklärt; MM 10.3.1967 Die Studenten .. verlassen den Hörsaal . . in dem Gefühl, einen winzigen Einblick in das Arkadien der Wissenschaft geworfen zu haben; Zeit 19.4.1985 Neu-England erscheint immer noch wie ein Arkadien, das von den Flügelschlägen

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der Moderne bloß gestreift wird; ebd. 12. 12.1986 Dort geht ein Zwischenvorhang hoch und zeigt uns ein .. Bauhaus-Arkadien: links zwei glatte Fassaden, . ., dahinter das ewige Blau eines Landes, das wir mit der Seele suchen; ebd. 3.4.1987 Der Tod hat im Arkadien der Form nichts Gewalthaftes; Fest 1988 Gegenlicht 24 Es war immer Arkadien, was die romantisch bewegten Reisenden seit Goethe in Italien suchten (DUDEN 1993); MM 10.3.1988 Am Horizont wetterleuchtete schon die Französische Revolution. Das glückselige Arkadien aber, in dem Eichendorff aufwuchs, schien sie nicht erreichen zu können. Arkadier: Henisch 1616 Teutsche Sprach 102 Arcadier; Zesen 1688 Heidn. Gottheiten 42 wiewohl . . was den Lauf des Mahnes betrift/ Xenagoras dem Tifon/ Und die Arkadier/ dem Arkas/ des Orchomenus/ oder/ wie andere wollen/ Jupiters aus der Kalisto Sohne/ zuschreiben; Jacobi 1770 Sommerreise 77 Arkadier; Volkmann 1777 Italien II 833 Die Arkadier haben gegen sechzig Kolonien oder kleine Akademien in den Städten Italiens angelegt; Edelsheim 1772 briefl. (1951 ZG Oberrhein 1C 267) Gesellschaft der Arkadier; Ramler 1775 briefl. a. Gessner (1892 Zfvgl. Lit'geschichte N. F. V 163) anfangen ein ächter Arkadier zu werden; 1780 Dtsch. Museum I 164 so bedauert man, dass der verstand und di empfindsamkeit dises mannes nicht dazu angewendet worden, das original des Arkadiers, ein wirklich vergnügtes und zufridenes landvolk auf seiner herschaft hervorzubringen; 1796 Journal d. Moden XI 307 Die neuen Arkadier; Bouterwek 1802 Gesch. // 528 Man verfaßte besondre Lebensbeschreibungen berühmter Arkadier; und wenn ein Schriftsteller, der zu dieser Gesellschaft gehörte, von den Litteratoren genannt wird, vergessen die meisten nicht, anzumerken, wie dieser Mann mit seinem Schäfernamen bei den Arkadiern hieß; 1823 Eos 28 Gründung einer deutschen Arkadiergesellschaft; Goethe 1829 Italien. Reise (WA I 32,215) Aufnahme in die Gesellschaft der Arcadier; Immermann 1838-39 W. I 88 Ich bin der Freiherr von Münchhausen . ., in die Akademie der Arkadier zu Rom mit der Bezeichnung „Der nie Verwelkende" aufgenommen; Raabe 1863 S. W. l 1,192 Für jetzt müssen wir uns zu dem jungen Arkadier Hans Unwirsch zurückwenden und sehen, auf welche Weise er sich im Leben zurecht findet; vor 1867 (Kügelgen 1870 Jugenderinn. 302) Wenn Jean Paul die Menschen ganz einfach in zwei Classen theilt, nämlich in Arkadier und Schafmeister, so war Roller unbedingt ein Arkadier vom reinsten Blute.

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Arkanum

Arkanum N. (-(s); Arkana, früher selten auch Arkane, s. Belege 1792, vor 1803, 1812), Anfang 15. Jh. über mlat. arcanum 'göttliches, religiöses Geheimnis, Mysterium; geheime Wissenschaft' entlehnt aus lat. arcanum 'das Geheimnisvolle, Geheimnis' (zu arcanus 'verschlossen; verschwiegen, geheim, heimlich'), bis ins 19. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form. Eher bildungsspr. verwendet zunächst in der Bed. 'das Geheimnisvolle, (tiefgründiges) Geheimnis', vor allem im kultischen und religiösen Bereich, bes. in der (nach lat. disciplina arcani gebildeten) Zs. Arkandisziplin 'den Uneingeweihten verschlossene Geheimlehre einer Religionsgemeinschaft (bes. im frühen Christentum)', seit dem 17. Jh. (s. Belege 1631, 1635, 1668, 1718, 1719, 1741) auch auf andere Bereiche (z. B. Politik, Kunst) übertragen für 'geheime Wissenschaft, Kunst, geheimes, spezielles Wissen (auf einem bestimmten Fachgebiet)', seit dem 17./18. Jh. auch in entsprechenden (zunächst lat.) Syntagmen wie arcanum politicum, arcana imperil 'das Geheimnis, die Geheimnisse der Politik, der Herrschaft' und arcana dominationis 'die geheimen Prinzipien der monarchischen Herrschaft', vgl. auch Wendungen wie das Arkanum der Macht, Politik, Freiheit, Liebe, Poesie (s. Belege 1719, 1817, 1868) und die (vereinzelt auch übertragen gebrauchte) Zs. Arkanpolitik 'Geheimpolitik' (s. Beleg 1973). Seit frühem 16. Jh., anfangs bezogen auf die angeblich Wunder wirkenden verborgenen Naturkräfte (—» Okkultismus), die die Alchimisten zu entdecken suchten (s. Beleg 1530), von daher dann (s. Beleg 1532—34) im Zusammenhang mit der Entstehung der mittelalterlichen Arzneikunde in der spezielleren Bed. 'nach einem geheimgehaltenen (chemischen) Rezept hergestelltes Wundermittel (bes. Arzneien und Kosmetika), Geheimmittel, Elixier (dessen Bestandteile und Herstellung der Arzt geheimhält)', gelegentlich eher ironisch (s. Belege 1778, 1782, 1803) und seit dem 18./ 19. Jh. auch übertragen gebraucht, z. B. die Zeit als Arkanum (s. Beleg 1788), im 20. Jh. gelegentlich auch im Sinne von 'Allheilmittel' verwendet (s. Beleg 1933). Dazu im 16. Jh. vereinzelt das Subst. Arkanität 'geheimnisvoller Zustand', die adj. Ableitung arkanisch 'geheimnisvoll, geheim', im 20. Jh. vereinzelt auch arkan; im 18. Jh. das Verb arkanisieren 'geheimnisvoll tun' und seit Ende 18. Jh. die seltene subst. Ableitung Arkanist M. (-en; -en) 'Geheimniskundiger', insbes. 'Chemiker, der allein mit den Geheimnissen der Herstellung von Chemikalien, Arzneimitteln, Kosmetika o. ä. in einer Fabrik vertraut ist'. Arkanum: Volkslied 1414-18 (Liliencron I 239) die kunst gat über die lanna/ uf in der gothait arcana; Melker 1481 Voc. o. S. Archanum, heimliche ding; Paracelsus 1530 S. W. l 8,42 das sie sehen sollen und empfinden die großen mysteria der natur, die großen arcana, so uns got mitteilt; ders. 1532 — 34 S. W. // 2,439 so einer in einer krankheit leg, daran ihm kein arzet helfen möcht, wann er schon nur allein durch ein solches gelübd ohn alle andere mittel und arzneiische arcana gesund wird; ders. 1536 S. W. I 10,230 warumb solche tinctur und archana von mir werden angezeigt; Thurnetsser 1583 Onomasticon II 41 wie das Oleum sous das aller fürtrefflichste arcanum ist; ebd. 51 die Wirckung deren Medicamenten, Arcana, oder ändern dergleichen zur Verbesserung der Gesund-

heit gebrauchten Dingen; Porta 1612 Magia 190 [Schlafmittel gehören unter die] Arcana oder verborgene Kunststück; ebd. Bob die Arcana so in der Naturen tieff verborgen liegen; Täntzer 1631 JägerKünste . . siebenzig hochnützliche Arcana bezüglich der Jägerei (Titel); Cardanus 1635 Arcana politica, sive de prudentia civili.. (Titel); Becher 1668 Discurs 217 Ich übergehe allhier ein grosses/ und einem gemeinen Wesen hochnützliches arcanum politicum; Grimmeishausen 1669 Simpl. 480 Solte ich dan allein der Narr seyn, mich mit der Warheit schleppen? und unser aller Großvater nicht nachfolgen dörffen? dessen grösseste Arcana die Lügen sind; Weise 1673 Erznarren 102 was rühmen die Gelehrten nicht von ihren sonderlichen Meinungen, die Medici von ihren arcanis, die Juristen von

Arkanum ihren Exceptionibus, . . und was des Pralens mehr ist?; Kunckel 1677 Chym. Anm. 2 da ich . . solches vor ein besonderes Arcanum halte/ und nur eine Massam davon dem Hochgelahrten und in der Chymie Hocherfahrnen Herrn Doct. Michaeli Sennerto . . gezeiget; Greflinger 1680 ComplementirBüchlein 43 es ist auch nütz- und rühmlich, vornehme Raritäten und Arcana-Naturae bey Fürsten und Herren zu exhibiren wissen; 1699 Schles. Bergb., Cod. Sil. XXI 255 verbindet sich P. Angelus und Johann von Schärffenberg . ., uns alle ihre arcana fideliter et sancte schriftlich zu eröffnen und zu überreichen (FRNHD. WB); Wmckler 1703 (Hashagen 1910 Kandidatenzeit 216) Arcanum regium; 1704 Auserlesene Anm. l 369 Also nahm er sich vor/ dieses arcanum zum Grunde seiner Medicin-Pfuscherey zu legen; 1706 Hazards LebensGesch. 12 Hauss- und Bett-Arcana; 1717 Geheimnüsse Vorr. o. S. dass solche gerühmte Arcana schon längst . . gedruckt; Musig 1718 Licht d. Weisheit H 733 arcana dominationis; ebd. U 734 arcana domus; ebd. 739 [der Regent muß die] Maximen oder arcana imperil [kennen]; Heini 1719 Lust-Stunden Av. 3a ein jeder, der die Arcana der Poesie versteht; Sperander 1727 A la mod Sprach 45 Arcana, Heimlichkeiten/ verborgene Sachen; Marsellus 1741 Kriegs-Staat 10 arcanum Reipublicae; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien 10,216) Aber das Lämmlein hat die sieben Sigel, und allermeist das Arcanum der Zeiten (da die Realien . . schon in ändern Weissagungen lagen) eröffnet; 1757 Leipz. Samml. XII 236 ihr Arcanum . . darinne haben, dass sie ihr Silber mit Wissmuth abtrieben; Smollet 1771 Klinkers Reisen (Übers.) I 31 daß mein Malum und Ihr Arcanum für einander gemacht sind. Allein die Patientinn . . ist vielleicht noch nicht so bis auf den Grund geheilt; Volkmann 1778 Italien III 53 Anm. hat in Neapel jede Klosterapotheke ihr besonderes Arcanum, wodurch den Leuten das Geld aus dem Beutel gelockt . . wird; Moritz 1782 Reisen 51 Er hat den Leuten demonstrirt, daß die Influenza von einer Art kleiner Insekten herrühre, welche die Luft vergiften, und ein Arkanum, das er dagegen zu haben vorgibt, wird ihm reißend abgekauft; ebd. 52 Besonders von Quacksalbereien und Arkanis, womit sich .. schon mancher . . bereichert hat; Smollet 1785 P. (Übers.) I 146 Quacksalber, der . . den Damen allerhand Zahnpulver, . . fruchtbarmachende Elixiere . . verkauft hatte. Diese Arkana . . hatten ihn bei Leuten von Thon . . beliebt gemacht; 1787 Journal d. Moden II 283 f. Ihr Arcanum [Geschäftsgeheimnis einer Fabrik zur Herstellung von Eisenblech] besteht eigentlich in einem unmercklichen, aber sehr dauerhaften Firniß, der in das Eisen eingreift, und womit Bleche, Nägel,

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Stangen, kurz alles Eisenwerck, das dem Wetter und folglich dem Roste sehr ausgesetzt ist, überzogen werden kann; Schmidt 1788 briefl. (I 79) Gottlob, dass die Zeit ein Arkanum ist, für Alles!; Knigge 1789 Umgang 92 lasse Dich auch nicht verleiten, nebenher kleine Haus-Arcana . . zu gebrauchen; Laukhard 1792 Leben 101 ihr [der Syphilis] Kur nach Büchern oder ausposaunten Zeitungs-Arkanen selbst zu übernehmen; Lavater 1793 Nachgelass. Sehr. II 197 Das eigentliche, offne, und nicht gekannte oder nicht benutzte Arkanum des seligsten Genusses-Glaubens; ebd. Anm. Arkanum (secret) Geheimstück, vortheilhaftes Geheimniss; ein unbekanntes Mittel, wodurch etwas Wichtiges gewirkt wird; Hippel 1793 Kreuzu. Querzüge l 299 Arcana und heimliche Mittel; Hufeland 1797 Kunst 126 Ein schlimmer Trost für diejenigen, die im Nichtsthun das Arcanum zum langen Leben gefunden zu haben glauben; 1798 Merkur (W.) / 368 ein Arkanum, . . dieses ungeheure Kriegsheer . . ein paar Monate lang von blosser Luft leben zu lassen; Herder vor 1803 S. W. XXXV11 265 Arkane [geheime Wissenschaften] des Priesterstandes (KEHREIN); Klinger 1803 Betr. (XII 20) eine Kunst oder ein Arkanum zu erfinden, wodurch er die Menschen tugendhaft machen könne; Raumer 1803 Briefw. (Leben l 213) er will uns weismachen, sein Landgelt, was er bei allen unheilbaren Krankheiten seines Handelsstaats wie ein Arcanum eines Quacksalbers gebraucht, habe die Eigenschaft der Unwandelbarkeit; Sartori 1812 Reise I 91 sich nicht erst mit verschiedenen Arcanen heilen wollen, oder sich dem Pfuscher . . anzuvertrauen; Arndt 1813 Br. a. Motherby 118 das arcanum [150 Jahre alt zu werden], glaub' ich, wüsst' ich; Müller 1817 Sehr. I 169 Thue viel für die Menschen, und du hast das Arkanum der Liebe gefunden; Goethe 1816-17 Italien. Reise (WA I 31,62) Wunderdoctor, der seine Arcana gegen alle Übel den bedrängten Gläubigen darbot; Fries 1832 Philosophie 39 Die Idee des religiösen Geheimnisses müssen wir einerseits vom Arcanum, andrerseits vom Mysterium unterscheiden. Arcana sind wissenschaftliche Geheimnisse, wie sie unter den Gewerbsleuten häufig vorkommen (der Eine versteht es, den Balsam, die Farbe zu bereiten, der Andere nicht); Bauer 1836 Überschw. I 134 jede Erfindung dieser Art [im Finanzwesen] gilt von Anfang an als Arcanum; Kurtz 1837 Gentzianen 54 die erforderlichen Arcana [zum Glockenguß]; Szarvady 1852 Paris I 49 Die Frauen sind geborne Diplomaten und sie bewahren ihr Arcanum eifersüchtiger, als die ägyptischen Priester das Monopol ihrer Wissenschaft; Köhler 1862 Erinn. I 146 [Scapulier] ein solches Arcanum wider die höllischen Brandwunden; Stahl 1868 Parteien 115 die Trennung . . zwischen der legislativen und exekutiven Gewalt, das betrachtet er als die Eigenthümlichkeit der englischen Verfassung, als das Arkanum der politischen Freiheit; Rümelin 1870 Reden I 37 das grosse

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Armatur

Arcanum und Zaubermittel des [Hegeischen] Systems, die dialektische Methode; Poppenberg 1913 Rokoko 47 Seine frühere Tätigkeit in der kaiserlichen Manufaktur hatte ihn mit den Rezepten des „Arkanums", des mit so geheimnisvollen alchimistischen Schleiern umgebenen Materials der Porzellankunst, vertraut gemacht; 1923 Archiv f. Politik u. Gesch. 407 könnte man dem Generalstabe vorwerfen, dass er nie nach Rezepten gehandelt . . habe, aus den Erfahrungen der Vergangenheit ein unfehlbares Arkanum des Sieges zu konstruieren; Meinecke 1924 Idee 167 Arkanum der Monarchie gegenüber dem Volke; ebd. 189 Tendenz, generelle Rezeptenbücher der arcana imperil, eine Art von praktisch-politischer Psychologie, zu liefern; 2926 Gesch'ufiss. 216 als das letzte Arkanum der Bismarckschen Staatsweisheit; Priedell 1927 Kulturgesch. l 239 Der geheimnisvolle Stoff, das „Arcanum", das man suchte; Voss. Ztg. 17.4.1928 Die Anwendung des Arcanums staatlicher Beeinflussung des . . Wirtschaftskörpers sollte auf die . . kleinsten Dosen beschränkt werden; 1933 Die Leuchte VUlVlll 97 Arkandisziplin (Überschr.) Der Begriff „arcani disciplina" ist im 17. Jahrhundert aufgekommen und bezeichnet die Gewohnheit der alten christlichen Kirche, . . Ungetaufte nicht zur Feier der Taufe und des Abendmahles zuzulassen und Gebete, . . Gesänge geheim zu halten. Diese Arkandisziplin . . hängt damit zusammen, daß das Christentum ursprünglich als eine reine Mysterienreligion aufgefaßt wurde; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 365) daß Wagner in der Kunst ein heiliges Arkanum, ein Allheilmittel gegen die Schäden der Gesellschaft sah; Ritter 1948 Machtstaat 105 Man hat . . eine . . raison d'etat entwickelt, die dann . . von der Schulweisheit der Publizisten des 17. Jahrhunderts als Lehre von den arcana rerum publicarum traktiert wurde; Behex 1954 Spiegelungen 60 f. schwelgt man in Sprachkarikaturen: teils verdreht man Funde aus dem mundartlichem Wortschatz . . oder mischt die . . vokalischen Zwielaute zu einem satirischen Arkanum; Fraenkel 1957 Staat 220 das Prinzip der Öffentlichkeit — jene Publizität, die einst gegen die Arkanpolitik der Monarchen durchgesetzt werden mußte; Bamm 1963 Ex ovo 148 mögen die Vorstellungen, mit denen er seine Theorie des Arkanum, des Lebensstoffes, aufbaute, noch so überholt sein; 1965 Aspekte 41 das dritte Dunkelfeld uralt klassi-

scher Bedeutung, ich meine die arcana der Macht; Staiger 1966 Grundbegriffe 224 auch dies ist kein Arkanum, das jedem, der es besitzt, von vornherein irgendwelche Ergebnisse sichert; Nuissl 1973 Hochschulreform 200 die Entscheidungsprozesse in den Gremien . . waren zu Bereichen hierarchischer Arkanpolitik geworden; MM 29.12.1987 wenn der berühmte Medikus seiner kränkelnden Kundschaft „Theriak" . . oder sein gegen Infektionen . . und Herzangst angeblich gleichermaßen wirksames Wundermittel „Arcana" verabreichte; ebd. 20.1.1988 die 56 Karten werden als .. kleine Arkana bezeichnet — von arcanum: Geheimnis —. arkan: Ehrler 1945 Charlotte 8 [Der Arzt] war noch vornehmlich Rezepturenschreiber und destillierte selber noch arkane Heilkräuter. arkanisch: Paracelsus 1530 S. W. / 8,257 das ich etlich sonderliche, nach arcanischem teutsch, arcana weiß. arkanisieren: Halle 1762 Werkstäte d. Künste Vorr. 3 so scheint er sich noch . . gegen die beräucherten Werkstuben der Professionisten sehr gleichgültig zu verhalten. Sie arkanisiren noch immer, und es verlangte ein Seidenfärber . . 600 Thaler . . und sechs Jahre bei ihm in der Lehre zu stehen, bevor er mir erlauben wollte, bei seinem Farbekessel ein Zuschauer zu werden. Arkanist: Moritz 1793 Grammat. Wb. l 128 man hat daher von Arkanum die Benennung Arkanist, welche z. B. bei einer Fabrik denjenigen bezeichnet, dem das Geheimniß der Zubereitung des Stoffes, oder des Gebrauchs der Materialien anvertrauet ist; 2823 Eos 144 Arkanisten haben die Geheimnisse des Stereotyp-Platten-Gusses weiter verkauft; Poppenberg 1913 Rokoko 47 er tat sich als „Arkanist" [in der Pozellanmanufaktur], erfahren in den seltsamen und höheren Kunstgeheimnissen, viel auf seine Wissenschaft zugute. Arkanität: Paracelsus 1525-26 S. W. / 2,324 was von der natur sol und muß ergründet werden, sol in dem weg gelernet sein, das ein ietliches simplex in seiner arcanitet verstanden werde.

Armatur F. (-; -en), Anfang 16. Jh. eventuell über ital. armatura 'Rüstung, Bewaffnung; Beschlag, Einfassung, Gestell' entlehnt aus (m)lat. armatura 'militärische Ausrüstung, Bewaffnung' (zu lat. armare 'ausrüsten'; —> Armee). a Bis ins 19. Jh. als militärspr. Fachwort in der Bed. 'Ausrüstung (der Soldaten, des Militärs) bes. mit Waffen; Bewaffnung; Kriegsgerät', vor allem in den Zss. Armatur-

Armatur

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stück 'Waffe' und Armaturkammer 'Waffenkammer'; im 19.720. Jh. nur vereinzelt noch übertragen gebraucht (s. Belege 1813, 1937); daneben gelegentlich in der Wappen- und Baukunst für 'Waffen, die zu Verzierungen verwendet werden, Kriegszierrat, Waffenschmuck' (s. Belege 1727, 1750, 1755, 1797). b Seit dem 19. Jh. in der Technik in der Bed. 'Ausrüstung von technischen Anlagen mit bestimmten Zubehörteilen', zunächst speziell für 'der Kraftverstärkung dienende eiserne Einfassung von Magneten' (s. Beleg 1811), auch (z. B. gebucht 1838 bei Heyse, 1871 bei Sanders) für 'Eisenbeschlag an Balken' und 'Metallgerüst' (vgl. gleichbed. Armierung, —>· Armee), dann meist plur. gebraucht in der heute üblichen Bed. 'Bedienungs- und Überwachungsvorrichtungen (z. B. Schalt-, Anzeige-, Meßgeräte) an technischen Anlagen, Maschinen oder in Fahrzeugen', z. B. die Armaturen kontrollieren, überholen und bes. in der Zs. Armaturenbrett 'Tafel, Brett, Leiste mit Schalt-, Bedienungs-, Anzeige- und Meßgeräten; Bedienungs- und Kontrolltafel, Schaltbrett (bes. in Kraftfahrzeugen und im Cockpit von Flugzeugen)'; speziell auch für 'Vorrichtung zum Drosseln oder Absperren von etwas (z. B. von Wasserhähnen, Ventilen in Badezimmern, an Duschen u. a.)'. Armatur a: Vegetius 1511 De re militare A6b Dysse kunst vnd vbunge der armatur/ ist von vnsern grossen/ vnd elttern gehalten so hertlich vnd tapffer das sie den zuchtmeistern vnnd lerem der woffen/ zwyifach solt gegebe habe; Mitte 16. Jh. Zimmer. Chronik H 29 schöne, alte armature von tartschen, werinen, turnierzeugen ist auch mit hingangen (FRNHD. WB); Nas 1570 Das ander Hundert 254 vnd steht ein yeder [Bürger Antwerpens] vor seiner thuer/ ausz befelch der Auffwigler/ inn seiner Armatur stock still; Rot 1571 Diet. 291 Armatur, Rüstung/ waffen/ wehr/ hämisch gewaffter zeug; Wallhausen 1616 Kriegskunst z. Pferdt 14 Beneben dem/ daß ein jeder mit geringer Vbung/ wann er nur die Schwere dieser armatur erdulten/ darzu sich gebrauchen kan lassen; ebd. 35 Sein armatur ist diese/ ein forder vnd hinderstück Rüstung; £«5 1640 Postreiter 44 Sintemalen es nicht leicht zu praesumiren, daß solche auffgerichtete armatur, so in formierten Troppen mit Standarten und Faehnlein . . bestehet; Chemnitz 1653 Schwed. Krieg l 11 die Keyserliche Kriegsarmatur zu Wasser; Freiberger 1656 Polit. Diskurse 6 Kriegs-Armatur; Dalhover 1689 Gartenbeetlein 769 Zu was Ende wird dise armatur, Auszrüstung vnd Bereitschafft so genau vnd vmständlich erzehlet; 1689 Polit. Fliegenwedel I 55 wann seine Majestät eine rechte erschreckliche Armatur stellen werden; Dilicb 1689 Krieges-Schule l 78 Von Armatur und Waffen der Reuterey; Chilemont 1702 Kriegs- u. Staatsrat l 67 Armaturen, Rüstungen; 1703 Gefährtin zu der Isar-Gesellschaft III 59 die bissherige Bayrische grosse Armatur [Kriegsrüstung]; Wächtler 1709 Manual 41 Armatur, Kriegsrüstung . . z. E. niemand kan das Absehen itziger Französischen grossen Armatur eigentlich ergründen; Gichtel 1710 Send-Schr. l 309 armatur Christi; 2711 Fama

VI 431 [Bücher], in welchen vieles von ihrer Armatur, Krieges Disciplin . . zu finden ist; Wagner 1724 Soldatenbibl. 310 f. Die Pikenier müssen nicht wohl zu Pferde gelassen haben/ daher sie auch der Wallhausen eine unbequeme und närrische Armatur nennet/ daher der P. Daniel sich nicht bereden kan/ daß man unter der . . Trouppen zu Pferde Piken geführet habe; Sperander 1727 A la mod Sprach 47 Armatur, Kriegs-Rüstung . . Armaturen/ heist bey denen Mahlern/ Bildhauern und Baumeistern die Vorstellung allerhand Gewehres/ in Form der Trophäen/ oder Siegs-Zeichen; Marsellus 1741 Kriegs-Staat 22 Armatur; 1750 (1S93 Mi«. VG Nürnbergs X 277) die künstlich ausgezierten Gefriese, antiken Gefässe, Urnen, Armaturen, Engelsköpfe, Larven und Fratzengesichter; Winckelmann 1755 Gedanken 36 Die Wahl der Verzierungen der Baukunst ist zuweilen nicht gründlicher: Armaturen und Trophäen werden allemal auf einem Jagdhause ebenso unbequem stehen wie Ganymedes und der Adler; 1768 Abhandig, d. Gespenster 101 wenn man in der Rüstkammer unter dem Harnisch und Armaturen ein Getös und Getümmel hörte; Blumauer 1784-94 Virgils Aenets (I 212) Hier liegt in Kammern wohl verwahrt/ Ein Haufen von Censuren/ Und Interdicten aller Art, /Nebst ändern Armaturen,/ Auch groß und kleine Donnerkeil; Zimmermann 1785 Einsamkeit IV 22 Dann nahm er Abschied von seinen Soldaten, . . ließ ihnen alle Schulden nach, und schenkte ihnen ihre schöne Mondirung und Armaturen; Faber 1790 Beytr. I 141 Kriegsarmaturen; Lattkhard 1796 Reichsarmee 37 Eine weit wichtigere Verschiedenheit ist die der Armatur, welche die Gleichförmigkeit des Exerzirens unmöglich macht; ebd. 39 die Einführung gleicher Gewehre und Armatur; Heynatz 1797 Antibarbarus H 204 Kriegszierrathen,

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Armatur

für Armaturen vorgeschlagen, ist auf den ersten Anblick verständlich; Balte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 32 Die Armatur wird für die Rechnung des Königs in den Fabriken verfertigt, in die Zeughäuser oder Arsenale niedergelegt. . . Ein Soldat kann nie der Eigenthümer eines Armaturstücks werden; er trägt es stets im Dienste des Staats; Schiller LOT 1805 S. W. XVII 24 Pferde und Armaturstücke (KEHREIN); Packeis 1813 Gesellschaft II 49 in der ganzen Armatur der Vielwisserey auftreten; 1815 Fahnenbergs Magazin VI 338 Armatours-Sorten für das würtembergische Militair; Nettelbeck 1821 Leben 356 Vormals schwur Jeder seinen Bürgereid mit Ober- und Untergewehr, und schwur zugleich, daß diese Armatur ihm eigen angehöre; Kohl 1841 Petersburg l 221 Neben diesen Fahnen liegen noch mehrere Armaturen der Strelitzen und die bei ihnen üblichen Patronen; Holtet 1854 Schneider I 27 sich vor dem Ausmarsch in voller Armatur zu präsentieren; Freytag 1855 Soll u. Haben V 258 die Männer mußten Waffen und Armatur reinigen (WDG); Kossak 1855 Stereoskopen 76 imponierten die Kürassiere der kaiserlichen Garde durch ihre riesigen Pferde und die Wucht der Männer und ihrer Armatur; 1859 Allg. Mil.Enc. 166 Armatur . . die Bewaffnung und Ausrüstung der Soldaten; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 9 Unteroffizier, dem die Obhut über die Montirungs- und Armaturstücke der Kompagnie anvertraut war; 3870 (Lassberg 1906 Kriegstagebuch 111) würde in der Kompagnie eingehende Monturund Armaturvisitation gehalten; Mommsen 1875 Reden 22 Nur wer das volle Gemeindebürgerrecht besitzt und ferner imstande ist, sich die volle, verhältnismäßig viel teurer als heutzutage zu stehen kommende Armatur aus eigenen Mitteln anzuschaffen, dient . . voll im Bürgerheer; Benjamin 1937 Br. II 733 Ich hatte eine Kritik der Jung'schen Psychologie vor, deren faschistische Armatur ich mir aufzuzeigen versprochen hatte. Armatur b: Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,188) Ein bewaffneter Magnetstein . . in Scharlachtuch eingenäht . . diese geheime Anziehungskraft, die er nicht allein gegen das ihm angepaßte Eisenstäbchen ausübte . . wenn ich die äußere Hülle wegtrennte. . . Die nackte Armatur . . nahm ich herab und behielt nun den bloßen Stein in Händen; Steub 1850 Aus bayr. Hochlande 19 [in einem Brauhaus] die Pfannen, die Bottiche, die Kühlen, die Tonnen und alle die Armaturstücke, die zu des Gerstenkorns verherrlichender Wandlung dienen; Colerus 1929 Kaufherr 255 Ihre Aufgabe [in der Fabrik] ist es jetzt also, entweder etwas Einfaches zu erfinden, was wir mit den hiesigen Maschinen leicht herstellen können. Es dürfen auch Bestandteile sein, Apparate oder Armaturen; Der Montag

21.3.1932 Er sieht auf die Uhr am Armaturenbrett; Berl. Illustr. Nachtausg. 15.4.1932 Der .. Pariser Polizeipräsident. . will jetzt die Autofahrer verpflichten, in Zukunft auf ihrem Armaturenbrett eine Unfallstatistik anzubringen; 1933 Vera, techn, Frw. o. S. Armatur, Ausrüstung, Zubehörteile, Leuchte, Geleucht, Gerät, Bewehrung; 1934 ebd. o. S. Armaturen- oder Instrumentenbrett, Gerätebrett, Schaltbrett, Schalttafel; 1935 „Duden" Sammlung o. S. [wurden für] Armaturenarten Höchstgewichte festgelegt. Die Hersteller haben nun die Möglichkeit, durch geschickte Werkstoffausnutzung im Rahmen dieser Höchstgewichte hochwertige Erzeugnisse herauszubringen . . [z. B.] für sanitäre Beschlagteile; Münch. N.N. 26.8. 1936 Befriedigendes Inlandsgeschäft meldeten . . der Bergbau und die Armaturenindustrie; ebd. 25.8.1940 Forschend streift sein Blick den brennenden Motor, . . die Geräte, das Armaturenbrett; ebd. 5.8.1942 Beschränkung der Fertigung von Groß- und Dampfarmaturen auf kriegswichtige Bauarten und Größen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 50) er nährt sich von verschiedenen Industrien, wie Maschinen, Leder, Spinnereien, Armaturen, Chemikalien und Mühlen; Welt 30.10.1954 Schlossermeister .. mit Refa-Kenntnissen und Brancheerfahrungen für das Fachgebiet Armaturen und Pumpen; Reiseingenieur möglichst aus der Armaturenbranche, gegen Fixum und Provision sucht Bochumer Maschinenfabrik (Anzeige); ND 27.2. 1959 Meßgeräte und Armaturen nach neuen Verfahren schneller und billiger; FAZ 23.11.1970 Die Marke „Magura" . . findet sich auf Lenkern, Lenkerhebeln und Gasdrehgriffen, Starterhebeln und Schaltdrehgriffen, also allen den Teilen am Motorzweirad, die unter dem Begriff „Lenkarmaturen" zusammengefaßt werden können; 1973 ADAC-Ztg. VI 55 Schaltung und Lenkung gehen leicht, aber das Armaturenbrett ist nicht sehr überlegt gestaltet; MM 20.4.1985 und so geht es weiter bis hin zu Armaturen und Bedienelementen; ebd. das System ist über eine Taste im Armaturenbrett einund ausschaltbar; Zeit 2.5.1986 eines der führenden Unternehmen im Armaturenbau; MM 7.8. 1986 als Arbeiter im Rahmen der Routineinspektion . . eine Armatur öffneten, fehlten . . fünf von .. zwölf . . Schrauben; Zeit 6.3.1987 verfahrenstechnische Anlagen, Hochdruckarmaturen und -pumpen; MM 13.5.1988 eine konventionelle Lesebrille reiche für ein genaues Ablesen der Armaturen nicht aus; Süddtsch. Ztg. 29.10.1993 Man erholt sich von der täglichen Routine im Ambiente von Spiegeln und glitzernden Armaturen und läßt sich ein wenig verzaubern von den Händen des Barbiers.

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Armee F. (-; -n), im späteren 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. armee (< altfrz. armee 'bewaffnete Schar', zu armer 'bewaffnen' < gleichbed. lat. armare, zu arma PL 'Gerätschaften; Kriegsgerät, Waffen'; —* Armatur, —» Alarm), anfangs auch in der frz. Form und vereinzelt in der latinisierten Form Armea(e) (s. Beleg 1630). Im militärischen Bereich zunächst meist für '(Kriegs-)Heer, Heeres-, Landstreitmacht' (s. Belege 1616, 1777, 1832, 1916, 1949, 1969, 1986), z. B. eine Armee aufstellen, die siegreiche Armee, dann insbes. erweitert zu der Bed. 'Gesamtheit der Streitkräfte eines Staates, das gesamte Militär, die Wehrmacht', z. B. in der Armee dienen, in die Armee eintreten, aus der Armee austreten, die Mobilmachung der Armee und in den festen Verbindungen die Große Armee (Napoleons Armee beim Spanienfeldzug 1808/09), die Rote Armee (früher die Wehrmacht der Sowjetunion); als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Armeebefehl, -fahrzeug, -general, -gewehr, -hubschrauber, -kommando, -leitung, -offizier, -soldat, -stab, -zeitung und Armeekorps 'aus mehreren Divisionen und Spezialtruppen bestehender Truppenverband' (s. Belege 1872, 1954); Befreiungs-, Berufs-, Besatzungs-, Reichs-, Reserve-, Söldner-, Volksarmee; in neuerer Zeit speziell auch für 'auf einem bestimmten Kriegsschauplatz eingesetzte große Heeresabteilung, aus mehreren Armeekorps bestehender Truppen verband' (im Unterschied etwa zu —* Bataillon, —> Division, —» Kompanie, —·· Regiment, —* Truppe), z. B. die erste und zweite Armee (s. Belege 1962, 1964, 1985, 1986); häufiger auch verhüllend gebraucht in den festen Wendungen zur großen Armee (ab-)gehen, abmarschieren, abberufen werden, versammelt werden im Sinne von 'sterben' (s. Belege 1898, 1904, 1911, 1930, 1967). Seit dem 19. Jh. gelegentlich auch übertragen verwendet für 'große Anzahl, Menge', bes. von Menschenmassen, z. B. die (Millionen-, Reserve-)Armee der Arbeitslosen, eine Armee von Reportern (s. Belege 1854, 1911, 1944, 1953, 1957, 1964, 1974, 1985, 1986, 1987), selten auch von Tierherden (s. Belege 1959, 1984). Vgl. daneben das schon im 15. Jh. (SCHEID, KLUGE) aus gleichbed. span, armada (< mlat. armata 'Heeresabteilung, Armee, Flotte' < lat. armata 'bewaffnete (Streitmacht)', zu armare, s. o.) übernommene Subst. Armada F. (-; Armaden, auch -s), im 16.717. Jh. weitgehend gleichbed. mit Armee (s. Beleg 1643), dann bald eingeengt auf die Bed. 'mächtige Kriegsflotte', gelegentlich auch als historische Bezeichnung für die 1588 von Philipp II. gegen England ausgesandte große spanische Flotte, die im Kanal von den Engländern besiegt wurde; heute auch bildungsspr. und übertragen gebraucht im Sinne von 'Pulk, Schwärm, Heer', z. B. ganze Armaden von Tankwagen. Dazu Anfang 16. Jh. das über gleichbed. frz. armer auf lat. armare (s. o.) zurückgehende, trans, verwendete Verb armieren 'ausrüsten', zunächst im militärischen Bereich bezogen auf Truppen und Befestigungen, in der Bed. 'mit Waffen ausrüsten oder bestücken', z. B. ein Heer armieren, eine Festung mit Kanonen armieren (s. Belege um 1600, vor 1863, 1889, 1927), selten auch übertragen gebraucht (s. Belege 1795, 1832). Seit der 2. Hälfte des 18. Jhs. auch im technischen Bereich für 'etwas durch eine bestimmte Ausrüstung stärken, schützen, bewehren', z. B. Häuser armieren 'Häuser mit Blitzableitern versehen' (s. Beleg 1788), dann insbes. 'etwas mit schützendem Material ausrüsten, z. B. durch Ein- oder Auflage von festem Material, durch eine Umkleidung verstärken, etwas bewehren', z. B. (veraltetes) einen Magneten armieren 'einen Magneten durch eine eiserne Einfassung verstärken' (s. Beleg 1799), vgl. auch neuere Wendungen wie armierter ('mit Stahleinlagen versehener')

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Beton, ein armiertes ('mit einer Schutzschicht versehenes') Kabel (s. Belege 1933, 1954). Dazu das seit Anfang 18. Jh. belegte Verbalsubst. Armierung F. (-; -en), zunächst für 'Bewaffnung, militärische Ausrüstung', in bezug auf Personen, aber auch auf Festungen, Kriegsschiffe u. ä. (s. Belege 1708, 1808, 1816, 1910, 1944), vgl. auch bes. die Zss. Armierungssoldaten, -truppen als historische Bezeichnungen für die früher beim Militär (bis zum 1. Weltkrieg) eingesetzten unbewaffneten Arbeitssoldaten bzw. Bautruppen (s. Belege 1953, 1957, 1967), dafür im 20. Jh. selten auch die Personenbezeichnung Armierer M. (-s; -). Etwa gleichzeitig im Sinne von 'Ausrüstung' auch auf verschiedene technische Bereiche ausgedehnt (s. Belege 1723, 1792, 1865), dann vor allem im Bauwesen (s. Belege 1933, 1944, 1957, 1958) für 'Bewehrung, Verstärkung mit festem Material', gelegentlich auch für das Material selbst im Sinne von 'Stahleinlage (für Beton)', bes. in der Zs. Armierungsstahl 'zur Armierung verwendeter Stahl'. Armee: Junius 1569 Nomend. antr. 19 Een armeye/ een hoop crychsvolck; 1602 Gründtliche Relation . ., welcher massen die wider die Armee Heinrichen IV gemachten Conspiration . . an tag kommen (Titel); 'Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Vn Arme. Ein Kriegs Heer zu Landt; ders. 1617 Corpus militare 46 Ein guter Rath ist besser als eine Armee; ebd. 63 Die vnordnung macht offt/ daß ein gantze armee geschlagen . . wirdt; ebd. 161 Die mißgunst zwischen den Capiteinen/ vervrsacht offt den vndergang der armeen vnd Kriegsheer; ebd. 168 Gott förchtet nicht der König armees, noch der Leut anschlage; 1622 Fuggerzeitungen (Neuhofer 128) mit grosser armee (JONES); Perez 1627 Landstörtzerin II 34 Er hatte aber in seiner Armee zween dapffere Cavaluer; 1630 Tragi Comödia (Engl. Komödianten NL XXHI 238) Sihe abermal bistu ein Soldat, hastu auch gehöret vnter vnserer gantzen Armeae, das es einer wird ein Strassenraub genennet haben; Weiler 1631 Lieder 194 Er käme zwar mit seinr Armee/ In Meissen gar geschwind und geh,/ Durch Plündern kriegt er vil gschmeid; Thurn 1631 a. Gustav Adolf (Gaedeke 109) das die Schlesische Arme zue nichts gemacht werde (JONES); 1632 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 167) die Frantzösische Armee wird bald an ein ander Ort marchirn; 1635 ebd. 103 die Kays. Häuptarmee; 1637 (Beier 1678 Jehnische Chronik 72) die schwetischen Arromeen [!]; um 1638 Teutscher Michel 206 Was ist die Guarnison, was ein squadron?/ Was ist die gantz Armee?/ nur lauter ach und wehe?; Zeiller 1643 Episteln III 301 Armada, Armee, Kriegsheer; Moscherosch 1644 Gesichte 545 daß durch Unordnung die größte, schönste Armeen zu schänden gehen; Schill 1644 Ehrenkranz 4 die hauffen müssen uns trouppen heissen, ein Heer armee; Voigtländer 1647 Gedicht (Cysarz // 38) Mein Armae die ich denn hette wolt ich fein Auff andre Weise außstaffieren (JONES); Duez 1652 Nomend. 215 Vne armee navale, eine armee zu

wasser; Schupp 1657 Freund i. d. Not 3 LandGraff Johann . . resolvirte sich, den Venetianern eine Armee zu zu führen; 1656 Brandenb. Kriegs-Recht B4b Inmassen denn auch zu dem Ende in Unser Armee keiner des Feindes Farbe im Feldzeichen zu tragen ihm belieben lassen soll; Böckler 1665 Schola militaris 49 denselbigen [Feind] anzugreiffen/ oder mit einer gantzen Armee zu Felde zu gehen; ebd. 72 [eine] conjungirte Armee Soldatesque zu Roß und Fuß; Grimmeishausen 1670 Springinsfeld (III 247) Endlich brachten sie unsere Armee zum Stand, erhielten von ihnen einen blutigen Sieg bey Allerheim; ebd. (III 248) den vereinigten Feinds-Armeen; Weise 1673 Erznarren 25 Es solte auch ein bißgen besser umb die Spanische Armee stehen; Abr. a S. Clara 1681 Soldat 56 eine grosse Armee der heiligen Soldaten; ders. 1683 Auf, auf ihr Christen 57 wie . . der Mohr mit 10. mahl hundert tausend gewaffneten Männern, mit einer Million Soldaten, dergleichen Armee wird man wenig antreffen, wider den König Asa gezogen; Stieler 1695 Auditeur 46 Nun da wir an statt der Kriegsheere/ Armeen/ an statt der Feldzüge /Campagnen/ und an statt der Feldschlachten Batalien/ gehabt; Elis. Charl. 1695 Br. l 34 Mein söhn wirdt zukünfftigen donnerstag . . zu der armee [gehen]; Marperger um 1720 Reisen 33 Officiers, welche sich etwan als Volontairs bey ändern Armeen sich befinden; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 39 In verwichenen Seculis bedurfften sie [Soldaten] dessen [Tabak, um den Hunger zu stillen] nicht/ da entweder die Gage grosser/ und die Armeen kleiner waren; Fleming 1726 Soldat 7 Da ihm nun von dem gesammten Griechenland das Haupt- und General-Commando über die gantze Armee wider die Persianer aufgetragen; Schnabel 1731 Felsenburg l 379 welcher ihn nicht allein zum General bey der Armee, sondern auch zu seinem Geheimbden Etaats-Ministre mit ernennet; Pope 1739 Lockenraub (Übers.) 12 Fürsten . . mit mächtigen Armeen

Armee die Völcker regieren; Humbert 1745 Vaubans Angriff 41 Eine Armee ist eine Menge Krieges- Völkker von unterschiedener Art, welche unter dem Befehl eines Mannes, den man General nennet, zusammen gebracht sind; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien U 10 o. S.) wenn sie auf die Breite der Erden treten, und mit unzehlbaren Armeen kommen, und die Stadt des Heilands einnehmen wollen; Schönaich 1754 Ästhetik 31 f. Armee und Militz [als Fremdwörter] nimmt der Herr Naumann wieder zu Gnaden an, nachdem sie bis auf die Zeitungen aus dem Deutschen waren verbannet worden; 1777 Kriegsuhr 518 Die Armee ist ein Haufen Kriegs-Volck, das unter der Anführung eines Befehlshabers stehet; Bretzner 1778 Leben III 421 die ganze . . Anzahl der stehenden Armeen mit Patronenpapieren versorgen; Girtanner 1793 Ludwig XVI. 71 er erhielt . . den Namen, weil er auch sonst militärisch alles beschnitt, des Armee-Schneiders; Laukhard 1794 Feldzug III 16 Neufränkische Rhein-Armee; ders. 1796 Reichsarmee l daß die Armee, welche den Namen der deutschen Armee, oder der Reichsarmee führt, gerade unter allen Heeren in Europa das untauglichste Heer ist . .; daß man ihnen nach der Schlacht bei Roßbach den schimpflichen Namen der Reißausarmee gab; Berenhorst 1798 Kriegskunst l 201 Nicht die großen Armeen, sondern die guten, gewinnen die Schlachten; Rousseau 1800 Staats-Vertrag (Übers.) 138 da er [Herzog von Orleans] die Königliche Französische Armee in dem Spanischen Succeßionskriege in Italien commandirte; Heinzmann 1808 Fruehst. 145 Eine . . neue französische Haupt-Erfindung, die den grossen Armeen in den Niederlanden in weiten Ebenen und an Seen zu statten kam, war die Vervollkommnung der BaiIons, wo sie . . zu Recognoscierung der Gegenden . . gebraucht wurden; . . der erste Erfinder wußte ihnen keine gewisse bestimmte Richtung zu geben, und überließ sie dem Laufe des Windes; — jetzt aber verstehen die Armee-Luftfahrer ihren Maschinen die Leitung und Erhöhungen zu geben, die sie zu solchen Unternehmungen, selbst zu geschwinden Reisen, schicklich und brauchbar machen; Brandes 1808 Zeitgeist 9 Was eine Reichsarmee sey, hatte der siebenjährige Krieg in der zu bejammernden Blöße derselben dargethan; Goethe 1809 Br. (WA IV 20,361) einem solchen Wundergebäude . . das ein ganzes Volk und eine ganze Armee fassen sollte; Mayr 1809 Gen.-lndex Baiern 25 Armee, nach der Konstitution wird zur Vertheidigung des Staates . . eine stehende Armee [eingerichtet]; Blücher 1813 Br. 191 die Hauptarmee wollte mit ihrer Avantgarde den Feind folgen; Brentano 1813 Valeria 76 ich gehe zur Armee!; Gentz 1813 Br. a. Pilat l 83 Mein einziges Leiden ist, daß ich die Circulation Ihrer unseligen Armee-Zeitung nicht

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hindern kann; wenn ich machen könnte, daß von dieser mir ein Exemplar nach Prag käme, so wäre ich ganz im Reinen; Rehfues 1813 Spanien l 236 Unter dem Trosse der Armeetransportwagen; 1813—15 Prinzenbr. 27 Ich sehe ganz martialisch in der Armeeuniform aus; Blücher 1814 Br. 52 dass es nemlich beinahe allgemeiner Generals Ton, um nicht Armee Ton zu sagen, ist, Freiwillige, Landwehr, . . mit den gehässigsten Beywörtern zu beehren; Cancrin 1820 Militairökonomie II 37 Die nähere Ausbildung des Armeekommandos und .. der Armeejustiz; ebd. 188 Es soll . . erster Grundsatz der Armeeleitung seyn, nie ohne Not Truppen zu koncentriren; Roos 1832 Leben 71 Dieser Zug unserer Division hinter der Armee schien uns . . die Sicherung dieser im Rücken und die Verbindung mit ändern Corps der Armee, zur Absicht zu haben; Schopenhauer 1840 Moral 25 wer gute Löhnung gibt, findet jeder Zeit eine Armee; 1851 Gesch. v. Spanien 374 Guerilla's, welche unter dem Namen der „Glaubensarmee" die Wiederherstellung der . . königlichen Gewalt forderten; Niendorf 1854 Paris 77 Gleich Ausgehungerten wirft sich die Sonntagsarmee [von Ausflüglern] auf diese Unzahl von Museen — und man kann sich sättigen im Louvre!; 1855 Prutz'Museum l 182 Sogar die Armeeverpflegung . . ist zum Gespötte der Welt geworden; 1859 Allg. Mil.-Enc. H 168 das Commando über die Armee der Herzogthümer; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 254 traf vom Generalkommando des Armeecorps mein Abschied ein; Martens 1864 Militärverpflegung l 74 Die Gliederung der Armeebehören und ihre gegenseitigen Beziehungen; Hohenlohe-lngelfingen 1864 — 70 Leben III 315 Beratungen über Politik und Armeeleitung; Hartmann 1866 Erlebnisse 167 mühevoll waren die Aufgaben der . . für die Armee-Reorganisation niedergesetzten Kommissionen gewesen; Kretschman 1871 Kriegsbr. 271 Frankreich konnte nie seine neuen Truppen bewaffnen. England hat aus seinen eigenen Armee-Beständen geliefert; Stein 1872 Heerwesen 40 Versuche, den keineswegs gleichgültigen Begriff der Armee festzustellen, finden sich wenige; Feiss/Good 1872 Verpflegungswesen 6 Werden verschiedene Armeen formirt, . . so befindet sich bei jeder aus mehreren Armeekorps zusammengesetzten Armee ein Armee-Intendant, der unter dem General-Intendant steht; l#75 (Fendrich 1953 Jahre 16) zur grossen Armee!; 1880 Monatsschr. (Nathusius) IV 454 mit der sog. Heilsarmee, von der jetzt so viel berichtet wird; Teuber 1881 Jugendleben I 7 die [in Österreich] . . noch vorhandene „gemeinsame" Armeesprache, das Deutsch; Braun 1881 Bilder 39 Um den Bundestag gruppirt sich die „Bundesarmee"; Nordau 1884 Lügen 175 der Feind, wenn er mangels einer Vertheidigungs-Armee ins Land einfallen könnte;

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Freytag 1887 Erinn. 143 blieb ich noch einige Wochen als Revierkranker, bis ich als Armeereservist entlassen wurde; 1888 Wien I 10 fiel dabei [Wiederaufrichtung des Reichs] der Armee . . die entscheidende Stimme zu. Aus ihren Reihen ging der „Armeediplomat" Fürst Felix Schwarzenberg als Präsident des neuen Ministeriums hervor; Meurer 1892 Bergsteiger 11 für Geschütze und den Armeetrain passierbare Strassen zu bauen; Horix 1895 Erl. 81 Meine Mutter, welche sich . . zwar sehr für „Armeebefehle", aber nicht für solche aus der „Bürgerwehr" interessirte; Potenz 1898 Grabenhäger H 323 Nun ist er zur grossen Armee einberufen. Mich dünkt, er ist gerade zum rechten Augenblicke gestorben; Liliencron 1903 Bunte Beute (X 149) Ein von der Heilsarmee Geretteter?; Zander 1904 Neue Welt 233 Der Vater lebte vereinsamt und streckte, bevor auch er zur grossen Armee versammelt ward, die Arme nach dem verlorenen Sohn aus; 1911 Grenzboten I 52 daß die Panzer, die wir zum Schutz unseres großen Überseehandels brauchen, soundso viel Hüttenwerke und diese wieder soundso viel Kohlenzechen beschäftigen, die allesamt einer großen Arbeiterarmee ein auskömmliches Leben ermöglichen; Fendrich 1911 Schauinsland 124 zur grossen Armee abgereist; 1915 Volksernährung i. Kriege Vorbem. VI die Heimarmee [die nicht am Krieg teilnehmen, sondern daheim arbeiten] . ., deren Erfolge auch wesentlich zum Siege unserer nationalen Sache beitragen werden; Naumann 1915 Mitteleur. 44 in der „grossen Armee" Napoleons; Bülow 1916 Dtsch. Politik 226 Die kleinen Armee- und Flottenvorhaben . . sind von ihnen [Partei der Freisinnigen] ebenso angenommen worden wie die große Armeevermehrung des Sommers 1913 und die kolonialpolitischen Forderungen; Dombrowski 1920 System III 123 einigten sich die Gewerkschaften auf eine Reihe von . . Forderungen, darunter die sofortige Sozialisierung des gesamten Bergbaues, .. die Errichtung einer Arbeiterarmee; 1921 Süddtsch. Monatsh. XVH1 2,311 in altösterreichischem „Armeedeutsch"; Bogeng 1926 Gesch. d. Sports 695 Armeepferdprüfungen (Military champion of equestre); 1928 Schweizer. Monatsschr. f. Offiziere XL 17 Manche Führer . . waren durch eine derartige energische Befehlssprache geradezu armeebekannt; Voss. Zig. 27.12.1930 Die .. angelsächsischen Seemächte, die ebenso wie Deutschland über kleine Berufsarmeen verfügen; Wilke 1930 Erinn. 227 „zur grossen Armee" abberufen; Berl. Illustr. Nachtausg. 22.12.1931 Wertvolle Bestände des Armeemuseums [sind verbrannt]; Lokal-Anz. 7.2.1933 Die Fabrik Renault ist nach Citroen . . einer der größten Armeelieferanten; Berl. illustr. Nachtausg. 22.3.1933 Soldaten, die im Rhythmus der alten Armeemärsche marschierten; Lokal-Anz.

3.4.1934 daß die SA eine wahre „Volksarmee" sei, die ständig auf mobilem Stande gehalten . . werde; Münch. N.N. 20.8.1940 Das Communique des Schweizer Armeestabes; ebd. 23.6.1944 Auf den Strassen nordostwärtes von Rennes gerät man . . hinein in diese „Armee des Leidens", wie . . der Zug der flüchtenden . . französischen Zivilbevölkerung genannt wird; N D 6.10.1949 Unterordnung der Armeen, der Kriegsmarine und Luftstreitkräfte des Atlantikpakts unter amerikanisches Kommando; NZ. (Basel) 20.4.1950 Er war einer der Initianten der Armee-Fechtmeisterschaften; Rhein. Merkur 23.2. 1951 Inzwischen . . sind die Waffen verbraucht, die Vorräte geschwunden, und die Widerstandsarmeen sind zu Sabotagetrupps zusammengesunken; ND 3.10.1953 Die Armee der Parteimitglieder, die täglich um die Erfüllung der Aufgaben . . kämpft; Welt 2.1.1954 war zuletzt Chef des Generalstabs des 6. Armeekorps; ND 26.3. 1954 die aggressive „Europaarmee" wäre eine Armee unter dem Kommando deutscher Militaristen; Süddtsch. Ztg. 16. 7.1954 Radio Moskau beschuldigte die deutsche Bundesregierung, eine Schattenarmee aufgestellt zu haben, die jederzeit in eine reguläre Truppe umgewandelt werden könne; Heimpel 1956 Kapitulation 40 die Armee war als Volksheer ein demokratisches, als königliches Heer ein konservatives Gebilde; ebd. 43 die Frage diskutieren, ob große Armeen und „traditionelle" Waffen noch etwas anderes seien als Stellenwerte in der politisch-strategischen Rechnung unter der Glocke der Angst vor den atomaren und nuklearen Waffen; Werfet 1957 Bernadette 598 Die Millionen Pilger und Kranken . . bedurften einer Armee von Klerikern zur ihrer Betreuung (WDG); Offenburger Tagebl. 11.2.1959 Wir sprachen .. von der „Geisterarmee", die im Schatten von Dulles maßgeblichen Einfluß auf die amerikanische Politik auszuüben versucht; Grzimek 1959 Serengeti 136 niemand kann hinter den Armeen der Gnus, den Heerscharen der Gazellen herfahren, niemand weiß, wohin die hunderttausend Hufe stampfen; Welt 4.5.1959 Parade der Volksarmee im Stechschritt; Grass 1962 Blechtrommel 33 im Jahre zwanzig, da Marszalek Pilsudski die Rote Armee bei Warschau schlug; ebd. 265 die deutsche Besatzungsarmee im schönen Frankreich; ebd. 320 die zweite Armee, von Weiß, bezog Stellung auf den Höhen um Danzig; Heuss 1963 Erinn. 219 sie hatten . . begonnen, eine Armee mit neuen Waffen auszubilden, die Schiffe fuhren . . im Geleitzug; Partner 1964 Erben 422 alle Klöster lebten vom Grundbesitz und bewirtschafteten riesige Güter mit Hilfe ganzer Armeen zinspflichtiger Bauern und Leibeigener; ND 2.9.1964 folgten die deutschen Konzerne den Hitlerarmeen nach dem Überfall auf Polen auf dem Fuße; Bildztg. 7.6.1967 die

Armee Terroristen der sogenannten palästinensischen Freiheitsarmee; Görlitz 1967 Gesch. Generalstab 145 abberufen zur Grossen Armee; ebd. 334 die Armee sei das Instrument der Politik; 1967 Urania l 45 damit ist die Bundeswehr die zahlenmäßig stärkste Armee in Westeuropa — ausgerüstet mit 2600 Kampfpanzern, . . 1500 Rohren Artillerie, 504 Kampfflugzeugen, 150 Kriegsschiffen und 400 Abschußrampen für .. Raketen; Welt 8.12.1969 war die preußische Armee mit ihren gebildeten Offizieren . . schon vor 1870 allen Armeen weit voraus; FAZ 24.2.1970 könnte in den Vereinigten Staaten . . die Wehrpflicht abgeschafft und eine Freiwilligenarmee aufgestellt werden; 1971 Zeitmagazin o. S. Mit dem bunten Rock gegen zivile Ordnung, mit dem Armee-Look zur Sabotage des Kleiderzwangs; Andersch 1971 Kirschen 107 der Zwangsarmee alten Stils gegenüber aber kann sich der Mensch . . auf seine Grundrechte berufen; St. Heym 1974 Lasalle 45 Und wenn erst mein Programm verbreitet wird und wir Armeen von Menschen ins Feld führen können, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten; Welt 26.8.1974 daß dieser Gefreite . . die Bundeswehr als „Bürgerkriegsarmee" bezeichnete; Hamb. Abendbl. 20.3.1984 Armeen von Borkenkäfern liegen auf der Lauer (DUDEN 1993); Zeit 22.2.1985 Frauen, die - zurück in der Familie — Kinder zur Welt bringen und als flexible Reservearmee für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen; ebd. 12.4.1985 15 Monate gehörte er zur Millionenarmee der Arbeitslosen; ebd. 3.5.1985 Ruhm und Ehre den Kämpfern der 5. Stoßarmee und der 2. Gardepanzerarmee; ebd. so geriet die Elitetruppe zur Massenarmee, die bei Kriegsende zu mehr als der Hälfte aus Gezogenen bestand; ebd. 28.6.1985 die Reservearmee der Neonazis; MM 12.9.1985 Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer Milizarmee; ebd. 3.6.1986 trainieren US-Ausbilder die Wüstensoldaten, die einmal den anrückenden iranischen Armeen entgegentreten sollen; ebd. 1.7.1986 jede Familie von Einfluß hielt sich eine Privatarmee; Zeit 8.8.1986 in Istanbul gibt es . . eine ganze Armee von Paßfälschern und Schleppern; MM 16.8.1986 Landarmee, Seestreitkräfte und Luftwaffe zusammengenommen umfassen etwa 230000 Mann; ebd. 20.9.1986 in der Skala folgt der „waffenlose Dienst in den Baueinheiten" der nationalen Volksarmee; Zeit 3.10.1986 hat sich in den letzten Jahren die „industrielle Reservearmee" der Arbeitslosen . . vergrößert; MM 1.4.1987 ein internationaler Vergleich zeigt, daß nicht alle NATO-Partner auf Wehrpflichtarmeen bauen; Stern 10.6.1987 untereinander überwiesen sie [Ärzte] sich ganze Geisterarmeen von Patienten, die davon nichts wußten; Spiegel 15. 2.1993 Die Armee nimmt Homosexuelle auf. Doch die Liberalität der Deut-

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schen hat Grenzen. Schwule Soldaten dürfen keine Führungsverantwortung übernehmen. armieren: 1505 (Weller, Zeitungen 5) Ein Schiff auss Presilig land hye an ist kommen vmb geprech der Victualia, So dan Nono und Christoffel de haro vnd andre gearmirt oder gerüst haben; Volkslied 1510 (Liliencron III 39) hat er den anschlag bald fürkommen/ und hat die großen naff armiert,/ des gleichen sust, wie sich gebürt,/ die bartschen und die drei gallee,/ dar zuo auch ander rüstung mee; 1515 Newe Zeytung a. Presilig Landt A2a Ein Schiff .. gearmirt oder gerüst; Scheurl 1533 Briefbuch II 139 armirt der fürst von daria . . 30 galeen; federmann 1557 Reisen 21 dann wir unseren dross von den Indios darmit armirten und bewehreten; Rot 1571 Diet. 291 Armirn, sich rüsten/ schicken/ mit waffen und wehr sich versehen/ bewapnen; Kiechel um 1600 Reisen 21 armirte schif; ebd. 339 Erstlichen gehn vor inen in 20, 30 Türcken, .. allzumal armiert und wol gebuzt; Dilich 1608 Kriegsbuch 58 wahren mit Köcher und Bogen armiret; Carolus 1614 Relation 9b [ein Buch,] worinnen er anzeigt was gestalt ein Meer Armada solle armirt vnd angeführt werden; Wallhausen 1615 Kriegskunst z. FUSS 11 Wie er starck sey zu Rosse vnd auch zu Fuß/ was für Kriegsmunition er bey sich führe/ wie er armirt vnd gerüstet sey/ beydes mit Reutern vnd Fußvolck; ders. 1616 Kriegskunst z. Pferdt 11 Hastu aber einen nicht Schoß frey armirten oder Blossen für dir/ setzestu jhm die Pistol auff die Brust; Krafft 1616 Reisen 45 das Ist der Statt oder Straffvogtt, mit Zöhn der Seinigen wol gearmiertt; Neumayr v. Ramssla 1620 Reise i. Frankr. 70 über 40000. wol armirter Mann; Perez 1627 Landstörtzerin U 15 Gegen welchen newen Pracucken ich mich dann auch je länger je mehr armiert vnd versah; 1640 Salzb. Judith 107 sich zur gegenwöhr armirte; Grimmeishausen 1670 Springinsfeld (III 272) [Truppe] neu gekleidet und armirt; Hörl 1677 Bacchusia 57 [sie] armierten sie theils mit Degen, theils mit Spiess und Stangen; 1678 Medicus 50 Sich auch dargegen die fuernembste Christliche Potentaten zusamen verbunden/ vnd auch wol armierte Armaden von erfahrnen Kriegsleuthen . . ausgeruestet (FRNHD. WB); Lebenwaldt 1681 Teufels List VI 63 armirten oder gewaffneten; 1684 Getrost. Europa D2b Unterdessen armirte die ChurBrandenburg ungemein, und wurden . . alle dero Völcker gemustert; Sperander 1727 A la mod Sprach 47 Armiren/ zu den Waffen schreiten/ waffnen, ausrüsten; 1777 Briefw. Haller-Gemmingen 121 die helvetischen wie man sie nent [!] armirten Völker; Lichtenberg 1788 Br. II 324 wie soll man ein Hauß gegen den Blitz armiren, so daß kein Wetterstrahl das Hauß, sondern immer die Arma-

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tur treffe?; Köhler 1788 Anweisung U 903 armirter . . Magnet; Bräker 1789 Lebensgesch. 94 hast ja noch allerley zu verkaufen! Per Exempel deine ganze Dienermontur. Dann bist du gar itzt doppelt armirt [als Soldat und Diener]; Jean Paul 1795 Fixlein (W. Vll 252) ich zog daher eilends .., armieret mit geometrischem Heergeräte, aus Thiersheim hinaus, des Vorhabens, Felder zu messen; Goethe 1799 Er. (WA IV 14,266) ein armirter Magnet; Regis 1832 Rabelais' Garg. u. Pantagruel l 374 Jetz erwäget, . . wie die Natur ihn [Menschen] inspirirt sich zu wappnen, welch Glied des Leibs er zuerst armirt; Hebbel vor 1863 S. W. l 8,145 die ganze waffenfähige Mannschaft des Fleckens, mit Mistgabeln, Äxten und Beilen . . armiert (WOG); 1889 Buch d. Erfindungen 87 Forts und Batterien, die . . mit Geschützen größten Kalibers armiert sind; Csokor 1924 Schuss 55 Und nun läßt er sich Munition geben, als gälte es, ein neues Fort Chabrol zu armieren; Brandt 1927 Dtsch. Reformation l 341 am Mittelrhein bis in die Pfalz hatte man berechtigte Sorgen. Hier fehlte es noch durchaus an den „armierten Kreisen"; 2933 Verd. techn. Frw. o. S. armieren . . (b. Kabeln u. Beton) bewehren; Bauhofer 1944 Mensch 216 Gotteshäuser aus armirtem Beton; Sedlmayr 1948 Verlust 56 Beton und armierter Beton; Süddtsch. Ztg. 1954 Nr. 247 Er [Tresor] ist außer der normalen Armierung mit sog. Polypstahl armiert; Sedlmayr 1955 Revolution 67 Eisenbeton (armierter Beton); 1967 Urania l 34 hitzebeständige Plaste, die zu 50 Prozent mit Kohlenstoffasern armiert wurden, sind viermal widerstandsfähiger als glasfaserverstärkte Kunststoffe; Welt 2.1.1974 möchten sie .. schwerbewaffnete ägyptische Divisionen . . behalten, armiert mit Hunderten von Panzern; Zeit 12.4.1985 das gilt auch für die Auswahl in der gegenwärtigen Darmstädter Ausstellung, gilt für . . Frank Dornseifs Raum-Zeichnungen aus Armiereisen; MM 3.8. 1986 daß stahlarmierte Betonhäuser den Menschen vor lebenswichtigen kosmisch-terrestrischen Einstrahlungen abschirmen. Armierer: A. Zweig 1935 Erziehung 11 hat sich bei den Franzosen längst herumgesprochen, daß Armierer unbewaffnete Arbeitssoldaten sind; Neutsch 1964 Spur 93 Büchner kam mit dem Brigadier der Armierer zurück. Armierung: Rink 1708 Ludewigs XIV. Leben H 200 Franckreich sähe die Armirung von Holland mit einer solchen Unempfindlichkeit an/ als wann ihm Engelland nichts angienge; Chr. Wolff 1723 Versuche HI 117 Armirung der Magneten; Goethe um 1790 Natunviss. Sehr. (II 13,435) Magnetsteine . . Art sie zu stärcken durch künstliche Magnete/ durch armirung und tragen; Lichtenberg 1792 Br.

Ill 62 ich bestehe mit . . Strenge auf schicklicher Armirung der Häußer ohne provocation des Blitzes; v. Hardenberg 1808 Denkwürdigkeiten 11 93 Rußland . . dringe sehr auf Armirung, beziehe sich auf den Casum foederis; Koch-Sternfeld 1810 Salzburg l 212 hat jeder Guts- und Gewerbsinhaber einmahl des Jahrs, und zwar auf dem Martini-Termine, das Rüstgeld zu bezahlen, um dem Lande die Armierungskosten zu erleichtern; Decker 1816 Artillerie III 11 Ausrüstung und Bewaffnung (Armirung) der Festungen; Normann um 1850 Erinn. 55 Es dürfte . . ein schwerer Kampf beginnen. .. Bei allen Arbeiten der Armirung [der Batterien]; Mahler 1864 Ueber d. Eider 174 die die schweren Geschütze hinauf zogen zur Armirung der Batterien; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 504 Vorbereitungen zur Vertheidigung (Armirung); ebd. 601 Von der Anwendung des Schmiedeeisens oder gewalzten Eisens zur Armirung oder Plattirung (Panzerung) von Schiffen muß . . hier abgesehen werden. .. In Bezug auf die Sicherung der letztern [Befestigungsanlagen] richtete sich . . die Aufmerksamkeit auf die Frage, in wiefern die Widerstandsfähigkeit von Mauern, durch Bekleidung (Armirung, Plattirung, Panzerung) mit Eisenschienen oder Eisenplatten erhöht werden könne?; Brommy 1878 Marine 326 Die Armirung besteht aus acht 21cm-Gussstahl-Geschützen; v. Sybel 1889 Begründung d. Dtsch. Reiches I 382 Das preußische Ministerium befahl. . die Armirung der schlesischen Festungen und vermehrte Bespannung der Artillerie; Stavenhagen 1910 Verkehrsmittel 118 wird das Schiff. . Antitorpedogeschütze .. als stattliche Armierung erhalten; Bülow 1916 Dtsch. Politik 21 hatte der Reichstag . . die Anträge der Budgetkommission angenommen, die an den Forderungen der Regierung für Ersatzbauten, Armierung [der Flotte] und Neubauten beträchtliche Abstriche vornahmen; Graf 1925 Gesicht 277 Einem Armierungssoldaten, der . . wegen schauderhaften Durchfalls eingeliefert war, hat er . . Rizinusöl eingeflößt; Lettenbaur 1927 Morgen 214 [Waffen] nicht als Armierung, sondern als „Warenproben" für die niederländische Kolonialarmee; 1933 Verd. techn. Frw. o. S. Armierung (b. Kabeln u. Beton) Bewehrung; Münch. N.N. 24.4.1944 mit der neuen Armierung [der Kriegsboote] allein ist der alte Vorsprung noch nicht wieder eingeholt; Dtsch. AZ. 24.11.1944 Die . . Arbeit am Bau- und Armierungsstoff Zement hat viele Fortschritte erzielt; v. Bülow 1951 Jägerleben 21 Die Rechte hielt einen Regenschirm, und er schlug uns die gleiche Armierung vor, da es leicht nasses Wetter geben könnte; A. Zweig 1953 Erziehung 11 Ein Armierungssoldat, den . . schwarzglänzender Bartwuchs weithin kenntlich macht (WOG); 1957 Bildende Kunst XI 738 Vor vierzig Jahren schufen zwei Armierungs-

Aroma Soldaten in Wilna, . . zwölf Zeichnungen und Gedichte; 1957 Neue dtsch. Lit. VI 109 wegen der schleppenden Versorgung mit den Armierungsstählen; 1958 Weltbühne X 302 Schon sind . . die Kesselfundamente betoniert, die Fundamente des Kohleturmes sind in der Armierung; 2967 Gesch. d. dtsch. Arbeiterbewegung V 43 Die Militärbehörden zogen Karl Liebknecht. . ein und zwangen ihn als Armierungssoldaten zum Kriegsdienst; Welt

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29.3. 1969 Vertriebsrechte .. für revolutionäres Holzarmierungs- und Verbindungsmittel (Metallverarbeitung) zu vergeben; ND 22.4.1974 rund 200 Tonnen Baustahl werden monatlich zu Bewehrungsmatten und anderen Armierungen verarbeitet; Spiegel 28. 3.1994 der Sozialismus ist nicht besiegt worden, er ist wie eine Neubauplattensiedlung, in der die Armierung durchgerostet ist, in sich zusammengebrochen.

Aroma N. (-s; Aromen, selten auch -s und älter Aromata), gelegentlich auch dichterisch verkürzt zu Arom (s. Belege 1821, 1961, 1979), im 17. Jh. (HECHTENBERG) vereinzelt, seit frühem 19. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus lat. droma/griech. 'wohlriechendes Kraut, Gewürz'; vgl. das aus den lat. bzw. griech. Pl.-Formen drowiZta/ hervorgegangene mlat. aromatum (DU GANGE), das als Aromat, Aromata 'duftendes Kraut' bereits ins Mhd. (LEXER) entlehnt wird und bis ins 17. Jh. gebräuchlich ist, mit Pl.-Formen wie Arumaten, Aromaten, Armat(h)en 'stark duftende Krauter, Spezereien'. Vermutlich unter Einfluß von älterem, schon früh auf würzigen Geruch bezogenem aromatisch (s. u.) in der (gegenüber dem Lat./Griech. weiterentwickelten) heute üblichen Bed. 'ausgeprägter angenehmer Geschmack, würziger Duft; kräftiger, intensiver Wohlgeruch oder Wohlgeschmack, ausgeprägter Eigengeruch oder Eigengeschmack (bes. von Genußmitteln)', z. B. in Wendungen wie ein starkes, angenehmes, gutes, schwaches, schlechtes, herbes Aroma haben, kein Aroma haben; das natürliche Aroma der Zitrone; einer Speise, einem Getränk ein pikantes Aroma geben; dieser Wein hat ein liebliches, volles Aroma, das Aroma der Erdbeeren, des Kaffees, in neuerer Zeit häufig in Werbetexten verwendet (s. Belege 1949, 1954, 1974); häufig auch übertragen gebraucht im Sinne von 'Aura, Atmosphäre, Flair, Note, besondere Eigenart', z. B. das Aroma des Festes, der Stadt, des Frühlings atmen (s. Belege 1901, 1933-43, 1949, 1970, 1971, 1974, 1977, 1985, 1986, 1987). Seit früherem 20. Jh. speziell auch in der Bed. 'künstlich (synthetisch) hergestellter Geschmacksstoff für Lebensmittel, Speisen, Getränke; Würzmittel, Essenz', z. B. dem Kuchenteig ein Aroma zusetzen, ein künstliches Aroma verwenden, als Grundwort in Zss. wie Vanille-, Rum-, Orangenaroma und bes. Back-, Ersatzaroma (s. Belege 1933, 1944, 1948, 1985, 1994). Dazu schon seit früherem 16. Jh. das über gleichbed. mlat. aromaticus auf lat. aromaticus/griech. 'aus Gewürz bestehend, würzig, Gewürz-' zurückgehende Adj. aromatisch 'voller Aroma, würzig, wohlschmeckend oder wohlriechend', früher selten auch 'Gewürze enthaltend' (s. Belege 1580, 1721, 1803, 1809), bes. in Verbindungen wie ein aromatischer Duft, aromatische Krauter, Essenzen; der Mokka duftet aromatisch und in den festen Syntagmen aromatische Mittel (gleichbed. mit Aromatikum, s. u.) 'Arzneien, die aromatisch-ätherische Öle enthalten, die Magensaftabsonderung steigern und die Magen-Darm-Bewegung anregen' (z. B. Gewürze, Bittermittel), aromatische Tinktur 'alkoholischer Auszug von Zimt, Ingwer, Galgant, Nelken und Kardamom', aromatische Wässer 'Auszüge von Blüten und Krautern mit Duftstoffen'. Vgl. das auf lat. aromatica Pl. 'Gewürzwaren, Spezereien' zurückgehende, vom späten 15. bis ins 18. Jh. (auch in lat. flekt. Form) selten belegte, dann nur noch gebuchte Subst. Aromatikum N. (-s; Aromatika) 'aromati-

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Aroma

sches Mittel zum Würzen', früher auch 'Heilmittel' (s. Beleg 1604). Gleichzeitig die (nach (m)lat. aromatizare 'gewürzhaft riechen; durch Duftwirkung günstig beeinflussen' gebildete) verbale Ableitung aromatisieren V. trans., zunächst für 'etwas würzen' (s. Belege 1548, 1580), dann insbes. für 'etwas mit Aroma versehen, wohlriechend oder wohlschmeckend machen', z. B. Tabak aromatisieren, meist adj. verwendet in der Part. Perf.-Form aromatisiert, z. B. aromatisierte Zigaretten, aromatisierter Tee; selten auch übertragen und eher scherzhaft gebraucht (s. Belege 1921, 1926); im 20. Jh. vereinzelt das Verbalsubst. Aromatisierung F. (-; -en), gleichbed. mit dem vom früheren 19. bis ins frühere 20. Jh. gebuchten Subst. Aromatisation. Aroma: 1821 Polytechn. Journal V 398 Der Geruch, der sich vom siedenden Malze erhebt, deutet auf die Verflüchtigung eines Aroms, welches alsdann im Extrakt zurückbleiben würde; Appert 1832 Kunst 113 das Würzhafte (das Aroma) aller Früchte; Sternberg 1832 Nov. I 52 Ein mächtiges Blumenaroma überströmte das Gemach; Haller 1834 Restauration V 229 Die Religion ist . . auch die Würze und das Salz aller übrigen Wissenschaften (aroma scientiarum); von ihr allein erborgen sie ihr Ansehen, ihren Glanz; Lewald 1836 Aquarelle I 153 von den Aromen mehrerer dampfenden Schüsseln angelockt; Glassbrenner 1836 Bilder II 188 Ein liebliches Küchenaroma; 1841 Europa I 112 der Kaffee in kleinen bunten Tassen, mit seinem lieblichen Aroma; 1846 Urania 26 das Aroma der süssheimlichen Waldeswelt füllte mit dem geistigsten Nektar ihren verschwiegenen Kelch; Freytag 1855 Soll u. Haben l 195 etwas Stallluft und viel von dem Aroma der Weinstube; Bibra 1855 Genußmittel 70 scheint . . die Güte des Thees zu bedingen, d. h. einen großen Theil seines Aroma; Hillebrand 1876 England 257 wie ein edler Wein die Natur seines Aromas auch der sorgfältigsten chemischen Analyse zu verrathen weigert; Wasservogel 1888 Klingbart 264 zündete sich Roderich eine Zigarre an und schlürfte behaglich das feine Aroma; Polenz 1899 Wald 133 das . . feine Aroma des Tabaks; Tb. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 544) wo man ging, atmete man mit dem Duft der zum Kauf gebotenen Tannenbäume das Aroma des Festes ein; ders. 1903 Erz. (W. Vlll 310) kaum daß er den Druck des Windes, .. der ein zartes und herbes Aroma aus fernen Träumen mit sich führte, wieder im Angesicht spürte, als es sich ihm wie Schleier und Nebelgespinst um die Sinne legte; Hegeler 1908 Ärgernis 41 frische, kräftige Aromen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 392) die Drüsen, die es absonderten, erzeugten Aromata, die unter Säugetieren zweifellos eine wichtige Rolle spielten; Heyck 1928 Aussenseiter 100 das Aroma ihres Tees zu wittern; Baum 1928 Willfiier 32 genießt nun aus vollem Herzen ihren Tee, das Aroma, die Wärme; Wagner 1933 Aromastoffe (Titel); Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1022)

Träume in Worte zu fassen und zu erzählen, ist darum fast untunlich, weil auf die sagbare Substanz eines Traumes sehr wenig, nahezu alles dagegen auf sein Aroma und Fluidum ankommt; Bertololy 1941 Heimkehr 29 mit dem sUssen Aroma der Blumen und blühenden Bäume; N.Z.Z. 13.7.1943 Eine Eigenschaft, um deretwillen sie [Pilze] in der Küche durch ihren Geschmack (Aroma) so sehr geschätzt sind, haben sie indes mit der Blüte gemein, und das ist ihr Duft; V. ß. 22.2.1944 Einen . . Teil der Arbeiten der Versuchsstelle für Hauswirtschaft .. bildete., die Prüfung von Haushaltsaromen, wie sie während des Krieges . . im Handel erschienen sind; Münch. N.N. 24.12.1944 Die Verwendung künstlicher Backaromen ist durchaus keine Kriegserscheinung. Eine hochstehende deutsche Essenzindustrie hat . . die Backaromen so weit entwikkelt, daß sie von den zu vertretenden Rohstoffen nur wenig zu unterscheiden waren. Im Kriege ist der Bedarf an Backaromen . . stark gestiegen, weil . . die natürlichen Aromaträger, die überwiegend aus dem Auslande eingeführt worden sind, immer mehr zurücktraten; Süddtsch. Ztg. 31.8.1948 In den Lebensmittelläden sind Ersatzgewürze, „Aromen" aller Art, sog. Haustees sowie Brotaufstriche aus „Käsewurst" . . schwer absetzbare Waren geworden; ebd. 28.2.1949 Nicht der ehrfurchtsgekrümmte Untertan, nicht der mit Stimmungsaroma beträufelte Großkundgebungsbesucher sollte der bevorzugte Gegenstand unserer Regierungs- und Parteikünste sein, sondern eine starke öffentliche Meinung; Welt 17.8.1949 Kaffee . ., der durch die erst erfolgte Röstung das volle Aroma enthält; Hiller 1950 Köpfe 191 Gerade Gides neues, wieder herrlich-kühn „ichbezogenes" Buch schenkt uns das kostbarste aller Aromata: die letzte Schlichtheit des sich herausstellenden Komplizierten; Welt 30.10.1954 das Korkmundstück schützt den edlen Tabak beim Rauchen vor allen fremden Einwirkungen und bringt das reine Aroma der Astor erst zu voller Geltung; Fr. Wolf 1961 Menetekel 255 Ihr Atem hatte da ein seltsames Arom von Pomeranzen, Weinduft und Milch; Hildesheimer 1965 Tynset 9 es zieht allerlei durch meine Räume. .. Zwischen langen Brisen ländli-

Aroma eher Aromata, von Stall, von Wald (DUDEN); Troller 1970 Einheit o. S. wer in solchen Städten aufwuchs, der bekam . . das unersetzliche Gefühl . . der Dazugehörigkeit zu dem ganz spezifisch gemischten Aroma seiner Stadt; Andersch 1971 Kirschen 20 ich fand, auf einer Bank im Park von Schleißheim sitzend, was ich an den Sonntagvormittagen, wenn der Eintritt frei war, auf den Bildern der Pinakothek suchte, im grünen Schmelz der Madonna Grecos, im Grau und Rosa einer Verkündigung Filippino Lippis, im klaren Traum-Venedig Canalettos — das Aroma der Kunst; ebd. 23 witternd sog ich das wilde Aroma von Leben ein; Welt 9.3.1974 auf die ausgesuchten, leichten Tabake der Reemtsma R6 übertragen wir das natürliche Aroma würziger Tabake; ebd. 12.12.1974 die leicht versnobte Neigung zum Morbiden, das Kokettieren mit dem Charme der zarten Fäulnis, das giftige Aroma des genußvollen Untergangs — es ist alles da [im literar. Werk Hesses]; Flach 1977 Chance 7 für die anderen ist Liberalismus eine Konserve, deren Inhalt zwar steril geworden ist, aber immer noch ausreicht, wohlerworbene Rechte . . bestimmter Schichten mit dem Aroma übergeordneter Ideale zu würzen; Chr. Wolf 1979 Ort 36 Das feine Arom von Enttäuschung (PAUL); Zeit 26.4.1985 Humidor-Direktor David Lee . . spricht über den Reifeprozeß, das Bouquet, Aroma und Fluidum einer Montecristo mit ähnlicher Referenz wie der Küfermeister im Keller des „Tour d'Agent" über einen „Romance Conti" Jahrgang 29; ebd. 9.8.1985 man sparte an Erdbeeren, tat mehr Aroma hinein; ebd. man verwies mich an eines der beiden Unternehmen, die die Stadt Holzminden zur europäischen Aromametropole gemacht haben; ebd. in einer Erdbeere tummeln sich 400 bis 600 verschiedene Aromastoffe; MM 12.10.1985 marmoriertes Fleisch, . . ist besonders schön saftig und entfaltet Geschmack und Aroma am besten, weil Fett Träger der Aromastoffe ist; Zeit 4.4.1986 ein Hautgout von höherer Töchterlichkeit umweht dieses Werk, und alles, noch die heftigsten action-Szenen wie Sturmflut, Mord und Hochzeit, sind von diesem Aroma durchzogen; ebd. 5.12.1986 Aromastoffe und optische Aufheller vervollständigen die Mixtur; ebd. 6.2.1987 das besondere Aroma . . der Blacherschen Musik, die seltsame Fragilität und Eleganz der Partitur blieben noch ungestaltet; MM 18.8.1987 danach wird es [Gebäck] unter Beifügung von Mandeln und Nelken, Kampfer und Moschus in den Backofen gepackt, in dem das endgültige Aroma heranreift; Ortheil 1987 Schwerenöter 84 Doch wurde das Aroma von einem untergründig scharfen, manchmal sogar beizenden Gestank begleitet; ders. 1992 Agenten 32 exotische, subtropische Pflanzen, die im Morgengrauen süßliche Aromen verströmten; Spiegel 7.2.1994 Tatsächlich tauchten unter den

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Arbeitern, die mit den Aromaten zu tun hatten, immer wieder Häufungen des sonst äußerst seltenen Blutkrebses auf. Aromatikum: Melber 1481 Voc. o. S. Aromatica ungenta, salben vsz wolrichenden kostlichen wurczen; Thurneisser 1583 Onomasticon H 80 Aromatica, Aromatische Sachen; Fioravanti 1604 Krön d. Arztney 128 Aromaticum, welches gleichfalls die schwache vnnd blöde Mägen sehr fein stärcket; ebd. 205 Von vnserm Aromathico, welches alle Krankheiten . . heylen kan; Blumauer 1784 — 94 Virgils Aeneis (l 294) Der Feldpfaff betet' sein Brevier,/ der Spektatoren Aersche,/ Die räsonnirten hie und da,/ Daß man zu aromatica/ Die Zuflucht nehmen mußte. aromatisch: Paracelsus 1537 S. W. I 11,331 Der aromatischen dingen leben als da ist der bisem, muscus, ambra, zibeta . ., und was da einen starken guten geruch hat. sein leben ist auch nichts anders als sein guter geruch; Ficinus 1537 Buoch d. Lebens 24a alle einfaltigen . . ding, die feucht vnd wolriechend Aromatisch seind; Thurneisser 1583 Onomasticon 56 domit man etwas distillirt, es sey dann mineralisch, oder aromatisch; ebd. U 95 Aromatischen Spezereien; ebd. 170 Ein liquor oder safft, von aromatischen Sachen, wie Wein, so mit Gewürtz vermischt; Sebiz 1580 Feldbau 434 auß wolriechender vnd Aromatischer süsser Materi; Corvinus 1623 Föns lat. l 76 Aromaticus . . wolriechend/ das nach Gewürtz reucht; Grimmeishausen 1669 Simpl. 309 weil ich seine Aromatische Würste nicht mehr verdauen hätte können; Ettner 1697 Doktor 471 sie haben einen rechten aromatischen Geruch; Podagra 1721 Apothekertod 179 denen aromatisch-balsamischen Saamen; Fleischer 1730 Herr . Lydia l 170 von vortrefflich und aromatischem Geschmack; Sperander 1727 A la mod Sprach 47 Aromatisch/ von Gewürtz gemacht/ nach Gewürtz riechend/ wohlriechend; Zachariä 1756 Tageszeiten (II 22) Warum athmet ihr nicht die Luft voll aromatscher Gerüche; Schwank-Moll 1785 Br. II 100 aromatisches Futter [von den Almen im Gebirge]; Bretzner 1790 Leben l 94 Ein frischer Ostwind wehte ihnen aromatische Düfte von den Hainen und Wiesen entgegen; 1794 Teutsche Obstgärten l 34 [Obst] von aromatischen [!] Geschmacke; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland I 22 stand ich an den aromatischen Quellen, die meinen Herweg mit Duft überströmt hatten; 1802 Eunomia II 95 Warum nennt doch der Professor die Weiber aromatische Blumen? — Vielleicht weil sie ihm im Schlafkabine! Schwindel erregen; Seume 1803 Spaziergang (III 40) aromatische Krauter; Brun 1809 Episoden III 41 wo aromatischer Thymian duftet; Germershausen 1809 Hausmutter HI 1,239 Aroma-

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arrangieren

tisch-balsamische Vegetabilien. 1) Muskate . . 2)Negelein, Nelken, Gewürznelken; 1809 Journal d. pract. Heilkunde XXVIII 1,111 aromatische Seifenbäder; Spaur 1813 Spaziergänge I 123 die aromatischen Gerüche der blühenden Alpenkräuter; 1821 Polytechn. Journal V 399 Der Kaffee-Extrakt auf diesem Wege bereitet, ist concentrirter, und aromatischer, da alles flüchtige Wesen der Bohne darin aufgenommen wird; Hauff 1827 Mann i. Mond 24 der aromatische Rheinwein; König-Rumohr 1832 Geist d. Kochkunst 20 Die gewürzhaften (aromatischen) Eigenschaften; 1841 Urania 27 dieses liebliche, wärmende, aromatische Getränk [Tee]; Vaerst 1851 Gastrosophie 108 In Italien bereitet man vortreffliche Pasteten aus Sardellen, Oliven, Kapern und starken aromatischen Krautern; Wickede 1854 Soldaten-Leben II 147 heilte mir die Wunde . . durch Auflegen zerquetschter, sehr aromatisch riechender Waldkräuter; 1866 Grenzboten II 487 dass die Pfeife der Krieger eine aromatische Belästigung seines Quartiers werden kann; Meyr 1866 Gespr. 380 Als wir mit dem aromatischen Rheingauer anstießen; Springer 1868 Berlin 54 aromatischen Essenzen; Berlepsch 1875 Schweizerkunde 438 Reichtum an kräftigen und aromatischen Alpenpflanzen; Rose 1884 Revanche 287 aromatische Schwüle; Schneider 1898 Paris 11 75 aromatisch betäubenden Düfte; Th. Mann 1906 Erz. (W. VIII 408) der feine und herbe Duft des Tabaks vermischte sich mit dem der Kosmetiken, der Seife, der aromatischen Wasser; Grabein 1911 Hans 54 Zimmer . ., das dicht mit dem aromatisch duftenden Rauch des . . Tabaks gefüllt war; 1925 Weidmannsjahr 47 aromatischer Zigarettenduft; Berl. lllustr. Nachtausg. 29. 7.1927 Da legte er sich ins Gras, .. blickte in die Luft, die blau war und aromatisch; Heyck 1928 Aussenseiter 99 aromatische englische Zigaretten; Lokal-Anz. 1.1.1933 Spargel finde ich auch sehr aromatisch; ebd. 17.6.1934 Die [Tisch-]Platte mußte nach jedem Gang mit aromatischen Krautern gereinigt werden; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Das gewohnte Wannenbad wird zu einem besonderen Genuß durch aromatische Zusätze. . . Ein aromatisches Kräuterbad erfrischt. . die Nerven; Wege 1936 Baldachin 6 Unter den Linden in Berlin roch es aromatisch; M. A. Abendztg. 3.3. 1945 Wer . . besonders „aromatisch" rauchen möchte, kann [dem Tabak] Waldmeister, Steinklee, Lavendel, Estragon, Anis, Fenchel oder Veilchenblüten beimengen; Münch. N.N. 28.3.1945 Die aromatischen Früchte dieser Krauter sind reich an ätherischen

Ölen; Welt 25.11.1949 aus der Tradition unserer Colonel-Cigarette ist es uns gelungen, die neue . . Cigarette unter . . Verwendung hervorragender Tabake . . zu einer vollaromatischen Mischung amerikanischer Geschmacksrichtung zu entwickeln; Bergengruen 1950 Tempelchen 29 als Jerome . . ein wenig Kirschlorbeerwasser verschüttet hatte und nun der bittere, aromatische Geruch in der Luft hängen blieb; Bildztg. 23.5.1967 in der Antike verbrannte man Weihrauch zur aromatischen Durchräucherung der Wohnräume; Klimmer 1971 Pflanzenschutzmittel o. S. ölige Flüssigkeit mit aromatischem Geruch; Kempowski 1975 Tadelloser 47 Das Schmalz war erstklassig, . . die Grieben kroß und aromatisch; Zeit 12.6.1987 darum rieten die Ärzte und verfügten die Pestordnungen, man solle überall aromatische Hölzer und Essenzen verbrennen, um die Luft zu reinigen; Ohler 1990 Sterben 122 Weihrauch und andere aromatische Stoffe; Spiegel 7.2.1994 Die aromatisch riechende Chemikalie, eine überaus giftige Verbindung. aromatisieren: Melber 1481 Voc. o. S. Aromatisare, wolrichen; Ryff 1548 Confectbuch 134v wann solcher Sirop berydt/ soltu jn zu letzst Aromatizieren/ odder würtzen mit reyngepüluertem Confect; Sebiz 1580 Feldbau 382 so magst du sie wol auch eyn wenig mit Amber vnd Museen aromatisieren vnd würtzen; Fioravanti 1604 Krön d. Artzney 459 Das aqua vitae kan mit viel . . Simplicibus aromaticiert werden; 1821 Polytechn. Journal V 413 behaupten, daß die Luftpresse aromatisirtere Extrakte liefert; Lacroix 1844 Geheimnisse v. Russland (Übers.) 266 [das] aromatisirte Badwasser; Curtius 1921 Barres 78 Das reich aromatisierte Ästhetenbuch vom Blut, von der Wollust und vom Tode erschien 1894; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 15) die milde, halbdurchsonnte, silbrig neblige Pariser Luft — aromatisiert freilich jetzt durch die Dünste der Autos; Süddtsch. Ztg. 12.10.1993 Im Wettstreit zwischen Geschmack und Gesundheit wird erkennbar, daß der Verbraucher im Bereich Konsummilch der fettreduzierten Version den Vorzug gibt . . Auch die Chancen bei aromatisierter Milch und Milchgetränken werden positiv gesehen. Aromatisierung: Offenburger Tagebl. 13.12.1958 daß es sich . . um eine künstliche Aromatisierung, also eine Fälschung handelt, wenn von Hotels Kunsthonig als echter Honig deklariert wird.

arrangieren V. trans, und reflex., im frühen 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. arranger (< altfrz. arengier 'reihen, ordnen', Präfixbildung von frz. ranger, altfrz. rengier 'aufstellen, einordnen, einreihen, verschieben'; —> rangieren).

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a Zunächst in der Bed. 'etwas (nach bestimmten Gesichtspunkten) gestalten, zusammenstellen, anordnen, aufstellen, einreihen, in Ordnung bringen' (s. Belege 1724, 1830, 1835, 1879), insbes. für 'etwas in die Wege leiten, für die Durchführung und den Ablauf einer Sache sorgen, (ein Fest, Treffen, eine Ausstellung) organisieren, vorbereiten, zustande bringen, bewerkstelligen, (etwas) erledigen, regeln' (s. Belege 1785, 1796, 1827, 1895), häufig in Wendungen wie eine Heirat, ein Fest, Zusammentreffen arrangieren, etwas läßt sich arrangieren; seit spätem 18. Jh. als Terminus der Musik in der Bed. 'die Originalfassung eines Musikstücks bearbeiten, neu anordnen, instrumentieren' (s. Belege 1778, 1985), z. B. einen Walzer für Streichorchester arrangieren; daneben als Terminus der Kunst (und Literatur) in der Bed. '(Objekte) zusammenstellen, (künstlerisch, ästhetisch) anordnen, gruppieren, etwas in eine gewünschte Folge oder Form bringen' (s. Belege 1798, 1831, 1984), als Terminus des Theaters 'zur Aufführung vorbereiten, inszenieren' (s. Belege 1800, 1852), bes. in der Zs. Arrangierprobe 'Vorprobe, Stellprobe, erste Proben eines Stückes'. b Seit Anfang 19. Jh. reflex, verwendet (vgl. gleichbed. frz. s'arranger) in der Bed. 'sich einrichten, seine Verhältnisse ordnen, übereinkommen' (s. Belege 1837, 1871), dann bes. 'sich (mit jmdm.) verständigen und eine Lösung für etwas finden, trotz gegensätzlicher Standpunkte eine Übereinkunft treffen, einen Kompromiß schließen, eine Abmachung treffen, sich einigen, sich aufeinander einstellen, übereinkommen' (s. Belege 1803, 1872, 1902, 1947), selten als Terminus der Kaufmannssprache in der Bed. '(bei Zahlungsunfähigkeit) einen Vergleich schließen' (s. Beleg 1874), und 'Bankgeschäfte tätigen, abwickeln' (s. Beleg 1986). Dazu seit frühem 18. Jh. das aus frz. arrangement 'Einrichtung, Anordnung' übernommene Subst. Arrangement N. (-s; -s), zunächst in der Bed. 'Anordnung, Aufstellung von Gegenständen, Gruppierung, Einrichtung', z. B. für ein Fest, eine Reise, Organisation, Vorbereitung einer Veranstaltung, eines Vorhabens' (s. Belege 1816, 1847, 1861, 1889), im 20. Jh. im Tourismus als Bezeichnung für einen Komplex verschiedener, zuvor festgelegter Leistungen (s. Belege 1931, 1957, 1971, 1974), häufig in Wendungen wie ein Arrangement übernehmen, entwerfen, zusammenstellen; auch für das Produkt oder etwas Gestaltetes selbst im Sinne von 'etwas geschmackvoll Angeordnetes', z. B. in Wendungen wie ein hübsches, buntes, reizendes Arrangement, ein Arrangement aus Blumen überreichen, bes. in der Zs. Blumenarrangement (s. Belege 1794, 1893, 1897, 1986); seit Mitte 18. Jh. als Terminus der Musik in der Bed. 'Einrichtung eines Musikstücks, Festlegung seiner rhythmischharmonischen Struktur, Bearbeitung eines Musikstückes für andere Instrumente' (s. Belege 1757, 1860), z. B. ein Arrangement für Klavier, für Solostimme schreiben, speziell auch Orchesterfassung eines Themas im Jazz' (s. Beleg 1966), daneben als Terminus der Kunst in der Bed. 'Zusammenstellung, Gruppierung' (—» Collage, —> Montage) (s. Beleg 1963) und des Theaters in der Bed. 'Einrichtung für die Bühne, Inszenierung' (s. Belege 1800, 1803, 1852, 1985, 1986), gelegentlich auch für 'Festlegung, Verfügung' (s. Beleg 1825) (zu a); seit Ende 18. Jh. bildungsspr. verwendet, häufig als Schlagwort der Politik, bes. der Diplomatensprache, in der Bed. 'Übereinkunft, Vergleich, Abmachung, Übereinkommen, Vereinbarung' (—> Agreement, -* Akkord; s. Belege 1809, 1857, 1891, 1909), daneben gelegentlich als Terminus des Bankwesens in der Bed. 'Übereinkommen finanzieller Art, gütlicher Vergleich bei Zahlungsunfähigkeit oder Konkurs', auch 'Abwicklung von

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Bankgeschäften' (s. Belege 1795, 1841, 1846, 1889, 1902), häufig in Wendungen wie ein Arrangement treffen, vorschlagen (zu b). Dazu seit frühem 19. Jh. die eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. arrangeur aufgekommene subst. Ableitung Arrangeur M. (-s; -e) in der Bed. 'jmd., der etwas zusammenstellt, ordnet, (z. B. Veranstaltungen) vorbereitet, organisiert' (s. Belege 1830, 1872, 1910), auch 'jmd., der ein Musikstück einrichtet, instrumentiert' (s. Belege 1985, 1992) (zu a). arrangieren a: Wagner 1724 Soldatenbibl. 370 wie die Schiffs-Armeen arrangiret werden im Schlagen/ Marschen; Wieland 1758 Ges. Sehr. I 4,642 wozu noch die besondre Schwierigkeit kommt, diese Worte in Verse zu arrangieren; 1778 (]ahn 1867 Mozart I 415) ich versicherte ihm . ., dass ich die Aria so arrangiren werde, dass er sie gewiss gern singen wird; Iffland 1785 Jäger 104 Frau Oberförsterin haben sehr guten Geschmack, eine Tafel zu arrangiren; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,193) bitte . . die Acten arrangiren und die neuesten Fascikel mir zuschicken zu lassen; Tieck 1796 Sehr. XV 213 Es war eine schöne Landparthie arrangirt; Goethe 1798 Tagebücher (WA HI 2,206) Zauberflöte zweyter Theil arrangirt und zusammengeschrieben; ders. 1800 Br. (WA IV 15,158) ist. . Iphigenia von Gluck in Arbeit, und wenn die Repräsentation nicht mit Leben und Geschick arrangirt wird, so möchte wenig davon zu hoffen seyn; 1804 Almanach f. Kartenspieler 2 [das] Arrangieren einer L'Hombre-Partie ä trois; Borne 1807 Br. a. H. Herz 183 Ich bin erst hergekommen und noch nicht ganz arrangirt; Goethe 1815 Tagebücher (WA 111 5,196) Paquete nach Frankfurt und Heidelberg arrangirt; Hauff 1827 Mann im Mond 78 Die, welche regelmäßig einmal in der Woche des Abends Thüren und Thore öffneten, um frohe Gäste bei sich zu sehen, hohe Spiele arrangirten, köstliche Bälle zu geben wußten; Goethe 1830 Tagebücher (WA III 12,315) Der Zwiebelmarkt war sorgfältig arrangirt; ders. 1831 Br. (WA IV 48,171) Wir kommen . . um ein paar Bogen weiter, wo sich denn alles zuletzt noch wohl arrangiren wird; ders. 1831 Br. (WA IV 49,11) zweyten Theil des Faust in sich selbst arrangirt, bedeutende Zwischenlücken ausgefüllt und . . vom Anfang zum Ende das Vorhandene zusammengeschlossen; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti IV 284 ein solenner Gartenschmaus, arrangirt von einem schon vielfach anderweitig bekannten Kraftgenie; Nestroy 1835 Geist 30 mein Saal . . hab' ich aufs prächtigste neu arrangieren lassen, es kann alle Stund der Ball anfangen; Immermann 1843 Mem. Ill 8 So wurde bei mir in der Arrangirprobe gespielt; Freiligrath 1844 Glaubensbek. (III 85) Gesandt vom Grafen Carabas,/ Den Herrn zu amusiren,/ Erschein' ich, diesen Hexenspaß/ Submiß zu arrangiren!; 1852 Prutz' Museum II 247 Auf der ersten, der sogenannten Arrangir-

probe erscheinen die meisten Künstler noch mit der Rolle in der Hand und lassen sich von dem Regisseur mechanisch placiren und gruppiren; ebd. 534 was man in der Theatersprache einen gut arrangirten Auftritt nennt; Scheffel 1857 Glück (Br.) 47 ich halte die Büste meist verhüllt. Später arrangir ich ihr einen besonderen Ehrenplatz; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 365 Gleich nach dem Eintreffen mußten wir zu einem Rennen, das vom Oberkommando arrangiert war; Raabe 1879 Zum wilden Mann 100 es wird sich jetzt alles aufs beste und angenehmste arrangieren; Baumbach 1895 Jugendzeit 297 Anfangs war er damit umgegangen, . . eine Art Weinlese mit Böllerschüssen und Feuerwerk zu arrangiren; Woldeck um 1900 N. 83 Margot war eine selbständige Natur und hatte einen besonderen Abscheu vor allen „arrangierten" Heiraten; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. XI 570) ich verstehe, daß die Detailmenge, die zu arrangieren ich mich nicht verdrießen ließ, daß die Akribie eines Schriftstellers . . über die innere Natur des Buches täuschen konnte; Schnitzler 1910 Land (IV 370) eine arrangierte Begegnung; Alberty 1912 Regie 26 Zwischen Leseprobe und Arrangierproben . . eine . . Dekorations- und Beleuchtungsprobe zu legen; ebd. 28 Auf die Arrangierproben folgen die Stückproben; Böhmer 1915 Sklavinnen 263 Wie stimmungsvoll ihr das alles arrangiert habt; Werfel 1920 Mörder 133 ein Mann in etwas arrangierter Vernachlässigung; Kesten 1932 Scharlatan 143 Er wird mit dir reden, ich arrangiere alles; Mummert 1936 Hoffen 154 Es kam zur ersten Arrangierprobe; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 481) arrangierte dort diskursive Herrenabende; Stuttgarter Ztg. 24. 9.1962 die geschickt arrangierten Darbietungen; Welt 13.4.1974 wir arrangieren Besichtigungsfahrten zu Ihnen interessant erscheinenden Objekten (Anzeige); FAZ 26.2.1978 Die Leute . . sind gewiß bemüht, sich mit der Bundesrepublik zu arrangieren; Zeit 28.12.1984 er arrangiert plastische Elemente im leeren Raum, und in seinen Kostümen ist die Grenze zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen schwer zu ziehen; ebd. 10.5.1985 an der Wand ein Schrank mit Glastür und Regalen, in denen Porzellan, Vasen und Gläser zum Ansehen arrangiert sind; ebd. 30. 8.1985 eine schöne Arbeit von Miriam Shapiro . .: ein großer Halbkreis aus patchworkartig und

arrangieren fächerförmig arrangierten Stoffvierecken; MM 6. 9.1985 die EG-Kommission bezahlt Reisen, Unterkunft, arrangiert die Tagungen; ebd. 7.12.1985 komplexe Klangschichtungen und Trommelpassagen, die ebensogut Frank Zappa arrangiert haben könnte; Zeit 8. 8.1986 trotz aller weltläufigen Professionalität im Umgang mit neuzeitlichen Instrumenten und Methoden, Pop-Songs zu arrangieren; ebd. 5.9.1986 wegen des ungeahnten Andrangs [wurden] spontan Zusatzkonzerte arrangiert; ebd. 7.11.1986, Lit.beil. im Falle von Miles Davis bedeutet dies im wesentlichen, daß er sich mit Musikern umgibt, die zeitgenössisch instrumentieren und arrangieren können; MM 21.4.1987 authentische Aufführungspraxis ist ihre Sache nicht, unbekümmert wird alles, was gefällt, für Bläserensemble arrangiert; ebd. 27. 7.1987 für den zweiten Akt arrangierte Gierke seinem Regisseur einen plätschernden Scheide-Strand vor dem Milchstraßenhimmel; ebd. 24.5.1988 blendend arrangiert, bissig oder lustvoll schwelgend im Streichersound; 1991 Cosmopolitan V 14 Wir müssen unser Songmaterial für die Vier-Mann-Band auf der Bühne völlig umarrangieren; Spiegel 15.2.1993 eine von der Uno arrangierte Versöhnungskonferenz; ebd. Noch bis spät in die Nacht hinein . . habe er auf dem Dachboden aus alten Modemagazinen Hochzeitskleider abgezeichnet, diese ausgeschnitten und zu Szenen arrangiert; ebd. 11.4.1994 Früher wurden Heiraten von der Familie arrangiert. Arrangement: Wagner 1724 Soldatenbibl. 342 das Arrangement der Armee; Wieland 1757 Ges. Sehr. l 4,312 Unter dem numerus oratorius versteht man eine gewisse wohlklingende Harmonie, wodurch dem Ohr geschmeichelt wird, und die aus dem geschickten Arrangement der Sätze und Perioden entspringt; ebd. 4,398 eine Reyhe von poetischen Gemählden aus der würklichen Natur und aus dem menschlichen Leben . ., die der Poet nach einem gewissen besondern Endzweck in ein künstliches Arrangement gebracht hat; Schummel 1779 Spitzbart 316 Das Arrangement war so gemacht, daß . . Fiekchen . . den Buben an Ort und Stelle bringen sollte; Wolf 1793 Dulder l 81 [das] Arrangement seines Museums; Cogniaczo 1794 Geständn. Ill 11 das gute Arrangement seiner leichten Truppen um die Pässe der Gebirge zu besetzen; Schiller 1795 W. XVU 455 das geschmackvolle Arrangement einer Mahlzeit; 1796 Journal d. Moden XI 301 Erlauben Sie mir, daß ich ein anderes Arrangement treffe, nur eine andere Ordnung; Goethe 1800 Tagebücher (WA IU 2,283) Abends zu Schiller . . Das Arrangement von Macbeth durchgesprochen; ders. 1803 Br. (WA IV 10,10) einen Mann der den Tanz versteht. . der . . Geschmack zu theatralischen Arrangements und Divertissements hätte; ders. 1816

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Tagebücher (WA IU 5,228) Briefe und Expeditionen, besonders Arrangement des nach Frankfurt bestimmten Paquets; Hauff 1825 S. W. V 126 sie möchte sich doch gar nicht genieren und ihre Arrangements treffen, die ein so plötzlicher Überfall wie der ihrige immer notwendig mache; Immermann 1843 Mem. Ill 8 Sonst kein scenisches Arrangement, keine Tableaus, nicht einmal gutes Kostüm; Laube 1847 Karlsschüler 16 [sie] haben vielerlei Arrangements von Empfangsfeierlichkeiten auf der Landstraße im Werke; 1852 Prutz' Museum l 80 die äussere Ausstattung in Decorationen, Garderobe, scenischen Arrangements; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 239 ich stand seitwärts im Orchester, um durch leise Winke mit der Hand die Ausführung meiner Arrangements zu leiten; Werther 1861 Kl. Deutschland I 28 er gehörte zu der Klasse von Personen, welche eine besondere Glückseligkeit im Arrangement gesellschaftlicher Vergnügungen finden; Wallner 1864 Rückblicke 55 Der reiche Virtuose, der in stolzer Karosse durch die Straßen der Residenzen rollt, um die Arrangements zu den Concerten zu treffen; Hartmann 1869 Philosophie 262 bei einem geschickt hergerichteten Arrangement des Versuches; Rindfleisch 1870 Feldbr. 150 Für die äußeren Arrangements des Geburtstags hast Du im voraus meine Zustimmung zu allem; Gottschall 1885 Totenkl. 218 Dieser ganze Aufsatz ist dasjenige, was man auf dem Gebiete der musikalischen Production ein „Arrangement" nennt; es wird irgend ein Thema für ein anderes Instrument gesetzt; Diringer 1889 Tanzkunst 139 Arrangement von Hausbällen; Sudermann 1893 Heimat 8 ein prächtiges Blumenarrangement; Baumbach 1895 Jugendzeit 391 Fräulein Emma entwickelte . . im Anheften der Vorhänge und im Arrangement der Einrichtungsgegenstände einen lobenswerthen Eifer; Th. Mann 1897 Erz. (W. VIII 129) ein runder, dunkelfarbiger Strohhut, geschmückt ausschließlich mit einem kleinen Arrangement von Bandwerk; Senden 1900 Tänzerin 18 Blumenkörbe, Bouketts . ., die duftigsten Arrangements aller Art; Heinroth 1906 Enttäuschungen II 265 beim Arrangement großer Festivitäten; Th. Mann 1909 Hoheit (W. H 16) sie wanderten durch den Großen und den Kleinen Ballsaal, wo zwischen den Lindemann'schen Gemälden Arrangements von Fahnen und Waffen hingen; Rundt 1929 Revue-Girl 131 Ich habe nach der neuen Musik ganz andere Arrangements gemacht; Voss. Ztg. 19.7.1931 bereits getroffene Reise-Arrangements; Münch. N. N. 8.3.1944 die Schneeglöckchen, die bescheiden hinter dem rosa und lila Blumenarrangement hervorleuchteten; Süddtsch. Ztg. 26.7.1957 Nordseefahrt nach Cuxhaven .. Anmeldung, Fahrkarten und Arrangement bei Fahrkartenausgabe München Hbf. (Anzeige);

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Stuttgarter Ztg. 17.2.1963 Man begegnet im Rahmen eines lockeren Arrangements malerischen und graphischen Werkproben vorwiegend jüngerer Künstler; Bad. Ztg. 25.11.1966 Die ausgefeilten Arrangements ihres Bandleaders Peter Schilperoort machten es den Musikern leicht, technisch zu brillieren; FAZ 2.10.1971 Jetzt gibt es die Verwöhnungs-Arrangements mit dem großen ErlebnisProgramm (Anzeige); Hildesheimer Allg. Ztg. 10. 9. 1973 er beschränkte sich nicht auf schlichtes Kopieren einiger Lieder, sondern sang auch nach eigenen Arrangements; Welt 1.6.1974 günstige Flug-, Bahn- und Busarrangements; Zeit 11. l. 1985 Sequenzen in diesem Film . ., in denen Ausschnitt, Perspektive, Licht, Farbe ein fast schon zu makelloses Arrangement garantieren; MM 30. 5.1985 ein gelungenes Werk . ., voller überraschender Einfalle im Arrangement, . . einfach die Schönheit der alten Melodien respektvoll auskostend; Zeit 26.7.1985 [es war] ihnen gelungen, mit differenzierten Arrangements und originellen Details die an sich kargen Stilmittel des Rhythm'n'Blues so anzureichern, daß ihre Musik plötzlich etwas Eigenes bekam; ebd. 7.3.1986 das ganze städtische Arrangement verschiedener Gebäude; MM 2.5.1986 Marellis Geschick, auf der Bühne skizzenhaft Inneres zu formulieren, führt zu wunderschönen, dann wieder zu skurrilen Arrangements; ebd. 7.4.1987 Kostüme, Requisiten und Arrangements schockierten beinahe mehr durch Schäbigkeit als durch theatralische Effekte; ebd. 21.4.1987 ein Arrangement aus Kurt Weills Oper „Mahagonny"; ebd. 10. 7.1987 alte Stücke im Arrangement der zwanziger und dreißiger Jahre; Süddtsch. Ztg. 15.12.1992 Neue Möglichkeiten gibt es zum Beispiel in Florida mit Mietwagenarrangements und Kreuzfahrtkombinationen. Arrangeur: Schmeller 1825 Tagebücher I 523 TheeCirkel bey Kerstorfs. Graf Seinsheim war Arrangeur des Ohrenschmauses; Raimund 1830 S. W. IV 485 Vor allem erfahren Sie, daß es dem Arrangeur gefallen hat, dem Stück die Pointe zu nehmen; Schumann 1838 Ges. Sehr. II 90 der Arrangeur müßte denn die Melodie . . im Ciavierauszug nicht haben anbringen können; Wagner-Liszt 1853 Briefw. l 221 Schreibe mir bald, welchen Titel ich dem Tannhäuser-Marsch und der Lohengrin-Prozession . ., die ich für H. zum Salon-Gebrauch claviermäßig arrangirt habe, geben soll; Wallner 1872 Ufer 3 Fürsorge des tüchtigen Reise-Arrangeurs Herrn Haugen, der mit seiner Gesellschaft den Tag vorher eingetroffen war, hatte uns . . die trefflichste Unterkunft vorbereitet; Grimm 1874 Essays II 13 Er ist ein Arrangeur im größten Maßstabe. Er weiß ungeheure Kontraste von Licht und Schatten hervorzubringen; Burckhardt 1879 Br. a. Alioth

114 die Musik so erbärmlich als ein geschickter, aber erfindungslos und rein räuberisch gewordener Arrangeur etwas machen kann; Diringer 1889 Tanzkunst 141 es kann sogar ein minder guter Tänzer die Stelle des Arrangeurs mit Erfolg begleiten; 1901 Euphorion VIII 13 durch die ArrangeurKünste der Historiker getäuscht; Bloem 1910 Sommerlt. 179 Leutnant Blowitz, der als Ballarrangeur und Vortänzer fungierte; Th. Mann 1911 Erz. (W. VIII 435) er . . versah im Sommer den Posten eines Festarrangeurs; Lettenbaur 1927 Morgen 200 mit Geld verschafft man sich in Amerika nicht nur die besten Opernsänger der Welt, sondern auch die besten Arrangeure und die glanzvollste Beleuchtung; Dewall 1929 Kampf 13 die Arrangeure der Friedenskonferenz; Voss. Ztg. 4.12.1929 Arrangeur der Wohltätigkeitsvorstellung; Münch.N.N. 12.11. 1942 Es ist damals leider den verantwortlichen Arrangeuren dieses Krieges gelungen, auch die französische Regierung zu bewegen, sich ihrerseits der englischen Kriegserklärung anzuschließen; 1963 Definitionen 75 Ein Biograph ist kein Arrangeur und Stimmungsmaler; FAZ 10.4.1971 Pluto, ein Boxerhund, ist der heimliche Arrangeur des sich überlagernden . . Geschehens; MM 10.4.1985 der assistierende Haus-Choreograph . . gilt eher als geschickter Arrangeur lokkerer Operneinlagen; Zeit 19. 7.1985 der sich als Regisseur fast auf den Arrangeur und Sprachkontrolleur beschränkende Klaus Michael Grüber; ebd. 31.1.1986 Chaplin fühlte sich von den Musikarrangeuren unverstanden, die „Musik lustig" haben wollten; Süddtsch. Ztg. 19./20.12.1992 Als geschickter Arrangeur und Begleiter verdiente sich der junge Musiker seinen Lebensunterhalt. arrangieren b: Goethe 1803 Br. (WA IV 16,207) Ist alles unter uns arrangirt; so können Sie . . in Jene . . [als Direktor des botanischen Instituts] antreten; Heilbronner 1837 Cartons 5 fröhlich und gefällig suchte sich jedes nach Kräften zu arrangiren; Holtet 1863 Letzte Komödiant l 42 Arrangiert Euch, macht nicht übertriebene Ansprüche; Fontäne 1871 Kriegsgef. 4 Das Geschäftliche arrangirte sich leicht; Burckhardt 1872 Br. a. Preen 56 die Großstaaten beäugen einen [Papst], der sich mit ihnen arrangiert; Spielhagen 1874 Ultimo 453 ich würde mich . . mit meinen Gläubigern zu arrangiren gewußt haben (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Faucher 1877 Culturbilder 374 Die Leute sind von „außerhalb", sagen sie; sie haben sich noch nicht endgültig arrangirt; Haym 1902 Leben 177 in der Hoffnung, dass ich mit dem Verleger mich schon irgendwie werde arrangiren können; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 433) es gibt welche, denen macht es nichts und arrangieren sich damit; NZ. (Basel) 30.3.1950 Sie hatte sich arrangiert. Lebte

arrestieren mit ihrer Mutter zusammen; Offenburger Tagebl. 28. 8.1959 wegen des Unvermögens der Stuttgarter Justizverwaltung, sich mit Offenburger Bauträgern über die Schaffung von Wohnraum für ihre Bediensteten zu arrangieren; Stuttgarter Ztg. 15.2.1968 Man muß mit dem Schein leben, man muß sich arrangieren; Becker 1969 Jakob 80 er versucht, sich zu arrangieren; FAZ 26.2.1978 Die Leute . . sind gewiß bemüht, sich mit der Bundesrepublik zu arrangieren; Zeit 19.7.1985 allen Klagen zum Trotz haben die Kassen sich längst arrangiert mit einem Gesundheitssystem, in dem es sich auch für sie gut aus dem Vollen leben läßt; ebd. 4. 7.1986 die vier Millionen Weißen und die zwei Millionen Farbigen werden sich irgendwie mit der Mehrheit der Schwarzen arrangieren müssen; MM 29.10. 1986 hier werden internationale Kredite arrangiert und Eurobonds placiert und gehandelt; Zeit 16.1.1987 die Mehrheit der neuen Partei arrangiert sich mit den Sachzwängen; Spiegel 14. 6.1993 Sie hatten sich . . mit dem Unvermeidlichen arrangiert; Süddtsch. Ztg. 7.2.1994 Die Welt hatte sich scheinbar mit dem bosnischen Dauerkrieg arrangiert, als die Granaten auf den Marktplatz von Sarajevo sie mit 66 Toten eines Schlimmeren belehrten. Arrangement: Goethe 1795 Br. (WA IV 10,322) Durch des Herzogs Anerbieten war Ihre Zukunft zum Theil gedeckt, das Vergangne (das wir .. einander nicht vorrechnen wollen) ließ sich durch irgend ein Arrangement ins Gleiche bringen; ders. 1809 Br. (WA IV 30,121) das Arrangement zu treffen . . daß die Conzert-Proben unsern Opern-Proben nicht in Wege stünden; 1813—15 Prinzenbr. 203 [ich habe] mich auch in den Diplomatischen Sachen mischen müssen, und viele Arragemens mit dem Herzog von Wellington machen müssen; 1841 Edler 18 Arrangement .. der Vergleich mit den Gläubigern im Wege der Güte . . oft gleichbed. mit Accord (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Steffens 1841 Was ich erlebte III 167 arrangement mit seinen Gläubigern getroffen; Dronke 1846 Berlin II 145 Der Bankrottirer läßt die Sache meist arrangiren und das Arrangement selbst ist der Justiz wegen nur im Interesse der Creditoren; Frantz 1850 Politik 10 Es mußte die Existenz der Partikularstaaten als Grundlage aller weitern Arrangements angenommen werden, um seitens dieser

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Partikularstaaten auf ein williges Eingehen rechnen zu können; Prokesch v. Osten 1851 Br. 384 Wenn man aber in Berlin die von den Seemächten gegebenen Arrangementspunkte wirklich für gemäßigt findet; 1857 Träumereien 362 die Besorgniß . ., daß eben diese Resultatlosigkeit leicht zu einem „Arrangement" zwischen den kriegführenden Mächten führen könne; 1867 Grenzboten III 25 die Forderungen eines Arrangements wegen der ehemaligen Bundesfestungen; Hesslein 1867 NegerBar. 37 Er schafft einen Agenten, um mit den Häuptern der Stämme in Bezug auf den Verkauf ihrer Ländereien Arrangements zu treffen; Wiehert 1889 Grafenkind 225 das erforderliche Arrangement mit den Gläubigern unter eigener Garantie zu treffen; Göhre 1891 Fabrikarb. 20f. Ob aber in einem solchen Haushalt Ordnung, Reinlichkeit, verständnisvolles Arrangement und bei aller Enge und größter Einfachheit ein freundlich einladender Geist herrschte; Zobeltitz 1902 Papierene Macht l 6 Nach dem Arrangement mit seinen Gläubigern; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 157) drittens aber wünsche ich unserem Arrangement den nötigen Nachdruck zu geben, deine Stellung an meiner Seite gebührend zu kennzeichnen; Waldeyer 1926 Sportmädel 110 Ein Arrangement ist bereits getroffen, ich habe mich verpflichtet, monatliche Abzahlung zu leisten; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 945) es gibt die Kunst eigentlich gar nicht, es gibt nur den Künstler und sein persönliches Arrangement mit ihr; Stuttgarter Ztg. 17.3.1959 Arrangements über die Zukunft Berlins; Offenburger Tagebl. 4.5.1961 Ob Kuba ein Boden ist, wo Arrangements wie in Polen möglich sind, erscheint fraglich; Stuttgarter Ztg. 30.10.1968 Das schließt ein politisches Arrangement aus; Stuttgarter Tagebl. 14.12.1970 Die Sowjetunion und die anderen osteuropäischen Staaten haben ihr Interesse an einem Arrangement mit dem Westen . . unterstrichen; Welt 2.1.1974 sie wollen eine sofortige Wiedervereinigung beider Teile Irlands und betrachten jedes protestantisch-katholische Arrangement in Belfast als ein Hindernis auf dem Weg zu ihren Zielen; Sloterdi/k 1983 Kritik 41 Das neuzynische Arrangement mit dem Gegebenen hat etwas Klägliches; MM 5.3.1986 beschränkte Verfügungszeiten der Teleskope machten dabei weltweite Arrangements zwischen mindestens einem Dutzend Observatorien erforderlich.

arrestieren V. trans., Mitte 14. Jh. vermutlich entlehnt aus mittelniederl. arresteren, unter Einfluß von mittelfrz. arrester, altfrz. arester 'anhalten, mit Beschlag belegen' zurückgehend auf mlat. arrestare 'zurück-, festhalten, beschlagnahmen' (aus lat. ad- 'zu, an, heran, herbei' und restare 'zurückstehen, zurückbleiben; stillstehen'), im 17./18. Jh. auch in der Präfixbildung verarrestieren (vgl. bes. b und c).

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arrestieren

a Zunächst in der Bed. 'Geld- und Sachwerte auf gerichtlichen Beschluß (vorläufig) mit Beschlag belegen, pfänden, in Beschlag nehmen'. b Seit Mitte 15. Jh. auch auf Personen ausgedehnt in der Bed. 'festhalten, festnehmen, festsetzen, verhaften', seit dem 18. Jh. zunehmend verdrängt von —> arretieren 2a. c Seit spätem 16. Jh. von b her auch übertragen verwendet in der Bed. 'festhalten, festmachen, aufhalten' (—» arretieren 2b). Dazu seit spätem 14. Jh. (ROSENQUIST) das Verbalsubst. Arrestierung F. (-; -en) und veraltetes, seit früherem 16. Jh. gelegentlich bezeugtes Attestation F. (-; -en) (zu a und b). Dazu seit früherem 15. Jh. der auf mlat. arrestum 'das Beschlagnahmte, Beschlagnahmung' zurückgehende rechts- und wirtschaftsgeschichtliche Terminus Arrest M. (-(e)s; -e) in der Bed. 'Sicherstellung; (Ver-)Pfändung von etwas, (vorübergehende) Beschlagnahme von Gütern auf gerichtlichen Befehl (meist vor einer Zwangsvollstreckung)', häufig in Wendungen wie dinglicher Arrest, etwas mit Arrest belegen/ beschlagen, Arrest anlegen, Arrest (auf etwas) aufheben, Arrest auf Hab und Gut schlagen (zu a); etwa gleichzeitig bes. auch als Terminus der Rechts-, Militär- und Schulsprache in der Bed. 'Festsetzung von Personen, Verhaftung, polizeiliche Haft, Gewahrsam, Freiheitsstrafe' (s. Belege 2. H. 15. Jh., 1629, 1635, 1697), auch als Bezeichnung für den Haftort festgenommener Personen (s. Belege um 1670, 1860, 1915), häufig in Wendungen wie im Arrest sitzen, unter Arrest stehen, jmdn. in Arrest legen, Arrest ergehen lassen, Arrest bekommen; häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Stuben-, Haus-, Stadtarrest 'Verbot, das Haus/die Stadt zu verlassen', Arrestlokal '(behelfsmäßiger) Raum für Arrestanten', Arrestzelle, -befehl, -dekret, -strafe (zu b). Seit spätem 17. Jh. gelegentlich auch übertragen gebraucht (zu c). Dazu die seltenen adj. Ableitungen arrestierlich (seit spätem 17. Jh.), arrestlich (früheres 18. Jh.), arrestantisch (Anfang 19. Jh.), arrestatorisch (Anfang 20. Jh.) in der Bed. 'auf den Arrest bezogen, im Hinblick auf Arrest' (zu a und b). Dazu seit früherem 16. Jh. die aus (flekt. Form von) mlat. arrestans, Part. Präs, von arrestare (s. o.) entlehnte Personenbezeichnung Arrestant M. (-en; -en), im 18./ 19. Jh. gelegentlich auch Arrestantin F. (-; -nen), zunächst für 'jmd., der eine Beschlagnahme vornimmt' (zu a), häufiger für 'jmd., der eine Festnahme, Verhaftung vornimmt' (s. Belege 1537, 1558, 1684) (zu b); seit frühem 18. Jh. in der heutigen, eigentlich mlat. arrestatus 'Häftling', also dem Part. Perf. von arrestare entsprechenden Bed. 'jmd., der unter Arrest steht, sich im Arrest befindet, Häftling, Gefangener, Festgenommener' (s. Belege 1722, 1766, 1809); dafür im 18./19. Jh. gelegentlich gleichbed. Arrestat (zu b). arrestieren a: 1358 Vrkundenb. NdRhein III 582 de . . arrestieren, verkoifen ind aintasten mughen (MÖLLER); 1404 (Handelsrechnungen d. dtscb. Ordens 264) Item alze die Schyff gearrestiret woren in Flanderen; 1401 Urkundenb. NdRhein IV 1,6 dat . . der hertzouge eynen willen lip den abt van Syberg ind die syne behalden hait, sy zu drenegen mit yren gueden . ., die zu arresteren ind zu besetzen na synre gadingen; 1432 (Palacky, Hussitenkrieg II 327) die noch zu Rome blebin sint, die

hat der bobist arrestiret; 1478 (Schulte 1923 Handelsakten Mittelalter, Neuzeit III 94) wen daz gut . . arestyert wer gewesen; Gessler 1511 Formulare 56b bevolhen . . habe vnn gut zu arrestieren; Gobier 1537 Prozeß 8a Arrestirn, Ist eines leib oder gut in glübd oder verbot verstricken, nit zu vereussern, sonder dem Arrestanten zuuor des Rechten zu sein; Volkslied 1548 (Liliencron IV 473) Es ward alls arrestiert mit zwang; Schwartzenbach 1580 Synonyma o. S, arrestieren, etwas verbieten;

arrestieren 1596 Reyscher, Ges. XVU 1,100 welcher . . sein schuldige steur vnd landsanlagen nicht bezalen . . würde, daß alsdann . . vogt, Bürgermeister vnd gericht zu S. erlaubten fuog .. haben sollen, . . ire besoldungen . . zu arrestieren (DRW-Archiv); Kiechel um 1600 Reisen 18 do sue änderst nicht müt schif und gut wollen arrestirt werden; 1614 Leben Lazaril 78 [Gläubiger wollen] meines Herren Sachen arrestiren und gerichtlich vorsperren lassen, biss so lang dass Sie gezahlet würden; Carolus 1614 Relation 4d möchte also diese Bottschafft noch arrestirt werden; Micraelius 1639 Pommerland l 590 Darüber sind die Arrestiereten bey einem halben Jahre da gelegen/ biß sie letztlich . . nach geleisteter Caution/ doch mit hinterlassung jhrer arrestiereten Güter/ abgefordert sein; Schupp 1657 Freund i. d. Not 44 des Entleibten Verwandten haben ihm seine Gelder, welche er zu Cölln stehen hab, arrestiren lassen; Marperger 1705 Kauffmann 839 daß ehe die Meß ausgeläutet/ weder seine Person oder Güter können arrestiret werden; Spiegel 25.4.1994 die Deutsche Bank [kann] die Spuren ihres Geldes zwar verfolgen. Arrestieren konnte sie es bisher nicht. verarrestieren: Krafft 1616 Reisen 145 dj haben vnserer herren hab vnd gutt Alles verarestieren . . lassen; Rennemann 1630 Privilegia 15 so kan man jhnen [den Soldaten] jhren Monatlichen Sold . . beym Obersten oder Capitäin nicht verarrestiren, weil es jhnen vom Feldherrn derowegen gegeben, darvon jhr Leben nohttürfftiglich zu unterhalten; Bürster 1647 Schwed. Krieg 24 Item fünften November haben die Würdtembergische unsern hoff zue Pfulendorff eingenohmen, alleß verarrestiert und secretiert; Schnabel 1731 Felsenburg l 264 daß meinen Eltern alle ihre verarrestirten Sachen wieder gegeben . . wurden. Arrest: 1484 Nürnb. Ref. Bl. 7 zuerlauben . . seins schuldigers verlaßen habe . . mit verpotten, arrest, kumer, ladung vnd ander gerichts vbung anzetasten (DRW-Archiv); Gessler 1506 Formulare 56b vnd sollich arrest oder verbot! von vns . . entschlagen werden; 1521 Pfründmarkt d. Kurtisanen (Schade, Satiren 111 69) wil er das nit annemen, so soll man alle zehend in verbot und arrest legen und im kein Körnlin davon sin leben lang laßen werden; Luther 1539 W. IV 330 das Getreide wäre . . aufgehalten durch einen Arrest und Kummer; Hähnle 1552 Fürstenkrieg 34 wir . . bekennen . ., dz solicher vertrag von uns zu baiden thailen gutwillig . . angenomen worden, den wir auch . . zuhalten [versprechen], . . uns auch an volziehung desselben nicht verhündern noch iren lassen, weder kriegaacht, bann, desgleichen ainiche arrest, so daruff beschehen möcht; Schweinichen 1576 Denk-

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würdigkeiten 105 /FG. mit dergleichen Arrest verschonen — keinen Arrest ergehen lassen; Schwartzenbach 1580 Synonyma 10 In arrest oder verbott legen; Rätel 1587 Schles. Chronica 360 Wann ein Arrest oder sperrunge geschehe; Hainhof er 1610 Er. 12 als nun solches der Marggraf von Brandenburg innen werden, hab ers angehalten und alles in arrest genommen, bis auf weitern beschaid wer sich discs gelts annemmen werde; 1614 Leben Lazaril 80 dann die armen leute gaben für, Sie wehren nichts schuldig zu zahlen, weil nichts da vorhanden wehre, vnd weil kein arrest geschehe; 1629 Kalm 89 so wolte ich allhier wol einen arrest thun auf das gelt (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Micraelius 1639 Pommerland l 616 als derselbe . . mit seinem Weibe vnd Kindern abgescheiden war/ vnd sein Geräthlein im Schiffe nachzubringen verordnet hefte/ ist jhme dasselb in Arrest genommen; Bürster 1647 Schwed. Krieg 24 in aresto; Schupp 1657 Freund i. d. Not 46 Er wolle . . sehen, daß er seine Gelder wiederum aus dem arrest bringe; Stieler 1674 Sekr. 218 meine Güter und Vermögen mit Arrest beschlagen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Marperger 1712 Naturlex. 112 Arrest, ein gerichtlich angelegtes Aufhalten, da entweder Personen oder Güter von der Obrigkeit wegen Schulden oder ändern Ursachen mit Arrest beschlagen werden; 1748 Jablonski 71 Güter werden mit Arrest belegt und in beschlag genommen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Rabener 1751 Mißbrauch d. Satire 37 man will das böse Buch heraus haben, es kömmt endlich, und man behälts im Arrest; Schummel 1779 Spitzbart 404 wie es komme, daß Er, der Gold die Fülle haben könne, einer elenden Kleinigkeit willen Arrest habe; 1781 Hausball IV 21 Nun erfuhr er für sich glücklicherweise den Einnahm, und die bey Händen habende Kasse des Schuldners; er lief in prima furia zum Profosen, überreichte ihm das Arrestdekret; Beckmann 1795 — 99 Erfindungen IV 225 unter seinen Erben entstand ein Prozeß, wobey der ganze Vorrath der Exemplarien [Bücher] mit Arrest belegt ward; 1800 Berghaus 349 Arrest auf Wechsel legen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Bender 1832 Lotterie 94 Da Gewinnste einen Theil des Vermögens bilden, so möchte es nach allgemeinen Grundsätzen keinem Zweifel unterliegen, daß dieser Vermögenstheil, wie jeder andre, von Gläubigern des Gewinners mit gerichtlichem Arrest belegt werden könne; indessen findet man in allen Lotterieplänen Gewinnste und auch Einsätze für arrestfrei erklärt, um den Credit des Instituts möglichst zu heben (DRW-Archiv); Görres 1829 Ges. Sehr. XV 146 wenn es uns nicht gelingt, das Dampfschiff mit sämmtlichen Passagieren mit einem Arreste zu bestricken; Heffter 1844 Völkerrecht 193 ein vorläufiger Arrest auf die in den Häfen . . eines Staates

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eben befindlichen Schiffe; Heine 1851 Br. IU 263 er wollte nemlich alsdann in meinem Namen Arrest auf eine Hypothek legen; Wewer 1912 Geschäftsmann 746 Dann kann der Gläubiger zu seiner Sicherung den dinglichen Arrest . . bewirken; Stammler 1928 Rechtsleben l 259 Von seinen Gläubigern wird Arrest auf seinen Bergwerksbesitz beantragt; Th. Mann 1933 Br. 342 während auf der anderen Seite wieder der Arrest der Honorare aufgehoben wurde; Süddtsch. Ztg. 27.4.1957 Einen Arrest gegen das Guthaben der Deutschen Reichsbank bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel hat [er] . . erwirkt; Hirsch 1974 Tragikomödien 279 Ais Sicherheit wurden Werners Laubengrundstück und Wartburg mit Arrest belegt. arrestantisch: 1807 (Brandenb. Schöppenstuhlsakten 781) vielmehr [wird] den arrestantischen gläubigem ausdrücklich das Vorzugsrecht reservirt werden müssen. Arrestation: Perneder 1544 Institut B2a Arrestation in was güttern die nit statthaben/ un verbotten sey; 1604 (Brixner Stadtrechte 93) die bezalung der verfallnen Steur Innerhalb dreyen tagen verschaffen, oder aber, wo da nit besehene, den einbringern . ., gegen dem steurparn guet oder dessen nuzung, Pfandtung, Arrestation und einschäzung ges taten. Arrestierung: 7406 Hans. U-B V 386 die arrestirunge des schiffes (SCHIRMER, Kaufmannssprache). Verarrestierung: 1741 Begebenheiten der Verarrestirung seines Coffre.

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arrestieren b: 1447 (Ständetage Preußen III 30) daz der herre hofmeister die Engelischen coufflwthe hir im lande wesende sulde arrastiren (FRNHD. WB); 1455 Urkundenb. NdRhein IV 1,379 das du alsdann dieselben . . ire leib und gutere zu unseren . . hannden verhelftest . . und arrestierest; Kammermeister 1467 Chronik 37 dazu lies der rector . . den pfaffen arrestiren; Gobier 1537 Prozeß 8a Arrestirn, Ist eines leib oder gut in glübd oder verbot verstricken, nit zu vereussern, sonder dem Arrestanten zuuor des Rechten zu sein; 155] (1890—93 Hans. Gesch. blatter VII 180) So hebben uns die van Damgarden . . ock . . arrestiren lathen; 1558 Heidelb. Statuten 14 das einer seiner schuld oder begangener mißthaten halben bei dem rectore beclagt, citirt oder arrestirt zu werden angeben; Kirchhof 1563 Wendunmuth I 94 wie der gut edelmann wider zu dem thor hinauß wolt, begegneten

im zwen Stattknecht, welche sprachen, daß der bürgermeister in und sein pferdt in der stat arrestieren und bekümmern lasse; Fischart 1575 Garg. 238 unnd einen jeden mit eim müsigen glaß arrestiert; Dilich 1598 Histor. Beschr. 61 welcher . . den König Prippum auß Moluca mit einem sehr schönen Miedtschifflein arrestiert und angehalten hatte; Kiechel um 1600 Reisen 219 wür aber güengen in düe kürchen, domitt mann desto wehniger ein suspect uf unns habe oder unns zu arrestiren; Sattler 1607 Orthographia 100 Arrestieren, verhafften, verbieten; Brulig 1683 Wien 448 so noch zu Brück an der Leütha arrestirt gehalten wirdt; Abr. a S. Clara 1686 Judas l 398 f. (Wunderkur 252) die Hand so lang in dem Sack arrestirt; Elis. Chart. 1705 Br. l 391 Man kont von dem dragoner mitt recht sagen, daß man einen armen teüffel arestirt hatte; 3724 Siegel, C] Camb. I 125 ist wegen des arrests jedesmal der unterschied zu machen, daß possessores immobilium durch den land-reuter . . in ihren häusern zu arrestiren (DRW-Archiv); Fleming 1726 Soldat 100 Wird ihnen die Bewahrung eines Arrestirten anvertrauet, müssen sie sich wohl vorsehen, daß er durch ihre Fahrlässigkeit nicht entkomme; Belemnon 1728 Bauernlex. 24 Arrestiren. Anhalten/ aufhalten/ in Verhafft nehmen/ legen; Schnabel 1731 Felsenburg I 40 dieses [braucht] eine fernere Untersuchung, weßwegen ich euch so wenig als noch andere deßwegen arrestirte drey Personen in Freyheit setzen kan; Justi 1741 Dtsch. Memoires I 432 wenn ein Knecht . . seinem Herrn untreu wird, etwas entwendet, und zum Feinde übergehet, wird er auf die erste Requisition arrestiret; Bode 1774 Schandi VII 24 Wie können Sie so hartherzig seyn, Madame, einen armen Reisenden zu arrestiren; Elise v. Türckheim 1794 Br. 60 Ein Neuer Commissaire soll in Strasb. viele arrestierte loßgelassen und mildere masregeln angekündigt haben. verarrestieren: Krafft 1616 Reisen 148 Als nun wir drey verArestierte dienner Noch ettlich wenig tag In vnserer behausung mußten verspörtt vnd von Türckischen kriegsdiener verwachtt bleiben; 2622 Landgericht Wartburg (1909 Archiv f. österr. Gesch. XCVH 355) 8. Actl, der bey hiesigem L. G. in pcto Homicidii, Sodomiae et falsae Monetae verarrestirt gewesten Jacob Huebmer von Traunstein betr. ist zur höchsten Gnad mit dem Schwerd hingericht; Opitz 1624 Poemata 135 Deß Todes ich vergaß, der dan ohn all Gedult/ Mich bait verarrestirt allein umb seine Schult; Furttenbach 1635 Architect, univ. 73 also ist dieser obere Boden allein für die verarrestirte Persohnen gericht; Musäus 1781 Physiognom. Reisen I 182 hab sie wieder, die Hammel, hab sie auskundschaftet auf der Diebs-

arrestieren herberg, der Kneipschenk' im Wald': sind verarrestirt. Arrest: 1432-1469 (Stadtb. Neuhaldensteben 606) Darjeghen hefft de vorgudete Hennigh Knape overgeantwort imme gericht eyn arrest van dem vogede; 2. H. 15. Jh. (Oberrhein. Stadtrechte l 1043) Dieses alt herkommen, daß einer uff betrettung seinen debitorn in der statt in arrest zu halten macht haben soll; 1558 Heidelb. Statuten 14 wo auch einer aus dem arrest oder verpott hinwegzuge und ausflüchtig wurde; Machholt 1560 Formular 75 r N. hundert gülden . . durch keiner/ Geistlichen oder Weltlichen .. Personen arest vnd aufhaltunge auff vnser ebentewer vnd vnkosten .. bezalen; Hainhofer 1610 Er. 2 als sich hauptmann Grossman, der die rüstungen erheben sollen, ob dem arrest beschwert; 1629 Acta Publica Schles. (Palm) 17 von den restierenden Ständen zwei Personen in Arrest genommen; Furttenbacb 1635 Architect, unw. 73 D. bemerckt/ darinnen etwan Burger oder andere Personen vmb nicht gar hochwichtiger Mißhandlung willen in Arrest genommen/ dahero ihnen auch passierliche Zimmmer gegeben werden; Bürster 1647 Schwed. Krieg 24 haben sie den großkeller, dazuemahlen . . Thomam Haußer, . . in aresto mit sich genohmen; Duez 1652 Nomencl. 239 nicht auß der statt dörffen/ in der statt in arrest seyn; Leibniz 1668—76 Briefw. I 236 Man könte Churf. Gnaden vivement repräsentiren, weil es ja denn nun zu keinem persönlichen arest, und rigoreuser bestraffung des frevels zu bringen; um 1670 Gepflückte Fincken 224 Der König Hesse ihn . . in ein besonder Gemach, als ein Arrest, mit Soldaten verwahren; Weise 1673 Erznarren 23 sie mit allen Helffers-Helffern in Arrest zu nehmen; Friedrich /. 1701 Br. 19 indem ich meinen Hofmarschal in arrest nacher Küstrin habe bringen lassen; Ettner 1697 Doctor 192 hierauf wurde der Marquetender in Arrest genommen; Marperger 1705 Kauffmann 102 der nicht bezahlen will oder kann . ., er muß bey einem Richters Knecht im Hauß sitzen, gleich wie bey uns im Arrest oder Gehorsam; Menantes 1709 Satir. Roman II 35 und einen Arrest-Zettel auf den Major auswürckte; Schnabel 1731 Felsenburg l 39 Wer solte nicht vermeinen, daß ich um der . . gehabten Händel halber in Arrest kommen wäre; Trenck 1745 Leben 73 Endlich drohete er mir Arrest vnd Process machen zu lassen; Rabener 1759 Satiren HI 418 Geld oder Arrest; 1760 Hellfeld Hl 2038 kummer-klage ist die Ordnung des gerichtlichen Verfahrens, sobey einem angelegten arrest zu beobachten ist (DRW-Archiv); Lichtenberg 1768 Aphorismen I 126 Auf den Haus Arrest des verschuldeten HErrn; Wezel 1773 Tob. Knaut 1149 seine Gläubiger, ein jeder einen Arrestbefehl in seinen Händen; Schubart 1774 Dtsch.

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Chronik 231 Einer vom Gefolge des türkischen Gesandten sitzt schon im Arrest, weil er sich unterwegs an der Wache vergreifen wollte; Bretzner 1788 Leben III 210 Arrestnehmung; Bahrdt 1791 Lebensbeschr. IV 283 eine Erklärung . ., die mich offenbar von aller Schuld an seinem Arreste frei sprach; Forster 1791 Ansichten 215 [sie] haben nur wenige Stunden lang Arrest gehabt; Wolf 1793 Dulder I 120 man . . feierte den engen Stuben-Arrest unter Pauken und Trompetenschall durch ein jubelvolles Biergelag; Brentano 1800 Gustav Wasa 96 Die Humanität will, daß man den Patienten zugleich ins Lazareth, auf die Wache und in Stubenarrest bringen soll; Goethe 1804 Br. (WA IV 17,128) Wegen der Dauer dieser Quasi Strafe wünsche Ihre . . Meynung. Wie schlägt man einen Tag Arrest zu Gelde an?; ders. 1807 Br. (WA IV 19,431) Hofschauspieler . . Unzelmann hat wegen seines contractswidrigen Benehmens . . sich auf die . . Hauptwache in Arrest zu begeben; Mayr 1809 Gen.-lndex Baiern 284 Das Spielen in KordonsHäusern und sonst ist verbothen, und wenn dieses geschehen sollte, so sind die Uebertretter mit Arreste und Krummschliessen zu bestrafen; Gaudy 1837 Humoresken VI197 die verschiedenen Subdivisionen von gelindem, mittlerm und strengem Arrest; Hackländer 1841 Soldatenleben 27 Dergleichen Auftritte, Arrestverleihungen . . waren die gewöhnlichen Zugaben zum Appell; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 845 In der Tat, wir können noch Arrestkameraden werden, ich bin mit der Festung bedroht; Bechstein 1854 Hexen 233 Gleich lasse Er den Alten in Arrest nehmen, Amtsgerichtsschreiber!; 1859 Allg. Mil.-Enc. U 187 Arrest ..: Verhaftung oder Entziehung der persönlichen Freiheit; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 10 Herr, Sie halten das Maul oder beginnen Ihre Dienstzeit im Arrest; 1863 Beschr. O A. Sulz 79 heizbare Arrestlocale mit den erforderlichen Requisiten; König um 1875 Hum. II 37 Hätten Sie das Frauenzimmer . . verhaftet und in das Arrestzimmer der Hauptwache bringen lassen; Kürnberger 1877 Herzenssachen 172 er ergibt sich der schlechten Gesellschaft, indem er jetzt die Connexionen verwerthet, welche er im Polizeiarrest gemacht; Winterfeld um 1880 Gr. 27 Ich . . hatte mich an den Ofen des kleinen Arrestlokals gestellt; Voigt 1881 M-G. 36 Arretierte . . erhalten . . in Haft und Untersuchungshaft mit Deserteurverpflegung und Gefängnisarrest 30 Pf. pro Tag . ., im strengen und mittleren Arrest 15 Pf. [Löhnung] pro Tag; Horix 1895 Erl. 61 während meiner Arrestdauer; Röscher 1899 Handel (System III 356) Im Leipziger Wechselarreste wurden von 1841 bis 7.März 1843 101 Personen detinirt, darunter 45 Kaufleute; Hesse 1915 Knulp 112 Du hast eine Zeitlang fast jeden Tag Arrest gehabt; Klabund 1915 Sold, lied 174 Im Ar-

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rest gefangen; Der Montag 15.6.1931 Die Arrestzelle des Berliner Arbeitsgerichts ist in dieser Woche „eingeweiht" worden; Berl. Illttstr. Nachtausg. 9.8.1933 17 Stunden in Haft. . . in einer kleinen, nur vier Schritt langen und zwei Schritte breiten Zelle, die nur ein indirektes Licht erhält und in der es so dunkel ist, daß es unmöglich ist, . . zu lesen; v. Wahlen darf 1936 Erinn. 57 Mackensen wetterte, gab mir Arrest; Münch. N.N. 12.11.1940 Das Wiesbadener Jugendgericht hat in seiner letzten Sitzung erstmals von der Neueinführung des Jugendarrests Gebrauch gemacht und in zwei Fällen Wochenend-Karzer verhängt; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 891) schon aus dem Stuttgarter Arrest hat er brieflich verlauten lassen, Don Carlos, Infant von Spanien werde der nächstzubehandelnde dramatische Gegenstand sein; Grass 1962 Blechtrommel 105 ich selbst litt dann und wann unter Hausarrest; Welt 14.7.1964 wieviel Weiße und Schwarze befinden sich zur Zeit unter Hausarrest oder in Gefängnissen?; ebd. 8.12.1969 im Artikel 46 derselben Ordre wird schließlich noch angeordnet und die Verletzung mit Arrest oder Festung bedroht; Hocke 1976 Tagebücher 191 Am 26. Mai wurde Knut Hamsun und seiner Frau Hausarrest aufgelegt; Zeit 3.1.1986 gab es für diese Gruppen wirklich keine Alternative zum Gefängnis, keine erzieherischen Maßnahmen, keinen Jugendarrest?; MM 16.5.1987 drei weitere Angeklagte erhielten eine Geldstrafe, einen Dauerarrest von drei Wochen beziehungsweise eine Verwarnung; ebd. 13.4.1994 Als Reaktion auf zwei NATO-Luftangriffe . . haben die Serben rund 40 Militärbeobachter der UNO unter Hausarrest gestellt. Arrestant/in: Gobier 1537 Prozeß 8 Arrestirn, Ist eines leib oder gut in glübd oder verbot verstrikken, nit zu vereussern, sonder dem Arrestanten zuuor des Rechten zu sein; 1558 Heidelb. Statuten 14 dem cleger und arrestanten damit zu verhelfen; Rätel 1587 Schles. Chronica 360 Das hinfuro die Prioritet oder Erstigkeit der Sperrung vnter den Arrestanten/ durchs gantze Land Schlesien . . auffgehaben . . werde; 1620 Landrecht Preussen I 246 Vnd wo diese Form von einem Arrestanten vberschritten/ so soll der gesuchte Kommer nichtig seyn; Nehring 1684 Manuale o. S. Arrestans, der arrestant, oder welcher arrest suchet; Guggenberger 1722 Prozesse 145 dabey dann so vil befunden habe, daß bemeldte Arrestanten Diebstähl begangen; Falckenstein 1738 Thür. Chronicka 11 607 Inzwischen habe sich Graf Ludwig . . freywillig vor seine Söhne zum Arrestanten erboten, welchen der Kayser lange auch gefänglich angehalten; Lindenborn 1742 Diogenes I 790 und mir kein redlicher Kerl wird nachreden können/ daß sich jemal einer unter diesen Arrestanten bey mir loßgebrochen

habe; 1743 Reglement Preuss. Cav. 84 Wenn ein Regiment Arrestanten hat, sol ein Unter-Officier mit 6. Mann zur Arrest Wacht hinter dem Regiment marchiren, und die Arrestanten sollen zu Fuß gehen; Richter 1748 Kriminalprozeß (Addit. 71) und müsser ausser diesem der Arrestanten Kleider aufs genaueste ohne Anstand visitiret werden; 1766 Schutzreden i. peinl. Fällen II 396 der Arrestant [hat] überhaupt durch seine Diebereyen gnugsam sich berüchtiget gemacht; Müller 1775—81 Genoveva 75 Mit Verlaub, nein, Ihr seid jetzt Arrestantin; drum wollen wir Euch verhören; ders. 1782 Lindenberg Hl 155 wie man ihm sagte, es sey die Arrestantin, ließ er den Kerkermeister herausrufen; Schiller 1783 Fiesko (H. U 90) Zur Wache. Zween Arrestanten. Ihr haftet für sie!; Müller 1788 Emmerich V/VI 448 Darauf habe der Polizeybediente dem fremden Herrn die beyden Arrestanten überliefern wollen; Laukhard 1796 Leben III 472 Ihre Gesundheit war durch die elende Arrestantenkost, . . die Plagen des Ungeziefers . . langsam zernagt; Jean Paul 1795 Fixlein (W. VII 227) auf beiden Seiten faßte das mitschreitende Fußvolk das Fahrzeug ein, wie eine Wache den an den Leiterwagen befestigten Arrestanten; Berenhorst 1798 Kriegskunst II140 weil die Arrestanten auf die Wacht ziehen; Kortum 1799 Jobsiade 257 Joseph, erst Sklave und Arrestant,/ Ward Finanzminister in Egyptenland; Pfeffel vor 1809 Pros. Versuche VII 59 Jetzt entfernte er sich, und ließ einen seiner Trabanten als Wache zurück, mit dem ernstlichen Befehl, die Arrestantin nicht aus den Augen zu lassen; Mayr 1809 Gen.-Index Baiern 284 Arrestanten, welche Verbrechen verübten, oder welche der Flucht verdächtig sind, solllen bey Transporten in den Frohnfesten über Nacht verwahret werden; ebd. Eben so ist unter scharfer Straf verbothen, mit einem zu transportirenden Arrestanten unterwegs in Schenken zu sizen, und dort zu zechen; Goethe 1814 Dichtung u. Wahrh. (WA I 26,133) den ganzen Tag . . nicht Ruhe bei ihm . . da ein Klagender dem ändern folgte, Arrestanten gebracht und fortgeführt . . wurden; Tieck 1836 Sehr. XXIV 383 Er Hess die Arrestanten, die man auf seinen Befehl milder behandelt hatte, in sein Haus führen; ders. 1839 Sehr. XXV 308 [der Secretair] machte es der Dienerschaft bekannt, daß Marie, die Gesellschafterin der Prinzeß, in ihrem Zimmer als Arrestantin verschlossen sei; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 35 er streckte dem Arrestanten die Hand hin; ebd. II17 Auf Wiedersehen, meine liebenswürdige Arrestantin — und,. . Unritterliches haben Sie nichts von mir zu fürchten; Mörike 1855 W. HI 237 um ein Haar, so säss' ich jetzt, statt hier vergnügt zu tafeln, in einem abgelegenen Arrestantenwinkel des gräflichen Schlosses; Krone um 1860 Kapitän I 168 Nachdem ich eine Woche

arrestieren Arrestantin gewesen war und mehrere Verhöre erduldet hatte, verkündete mir die Oberhofmeisterin die Freiheit; Räder 1867 Robert u. Bertram 10 Was giebt's? — Einen frischen Arrestanten; Teuber 1881 Jugendleben I 5 das Arrestantendasein, das ihnen das Kriegsministerium in grausamer Härte beschieden; Grabein 1913 Wildwasser 61 Als der Wachtmeister mit seinem Arrestanten an den drei Kroaten vorbeikam; Lokal-Anz. 4.7.1933 Er wurde heute früh von der Strafanstalt Stein mit einem Arrestantenwagen zur ungarischen Grenzstation gebracht; Tb. Mann 1947 Faustus (W. VI 561) ein mit närrischer Ingeniosität erdachter, aber mißglückter Betrugsversuch, dessen er überwiesen war, [hatte] ihn aus der Welt verscheucht und ihn zum quasifreiwilligen Arrestanten auf niederbayrischem Gute gemacht; Süddtsch. Ztg. 14.8.1954 [Sie] hat am vergangenen Wochenende die jugendlichen Arrestanten im Cornelius-Gefängnis besucht. Arrestat: 1781 Corp. jur. Frideric. l 2,55 muß der Richter . . Verfügungen treffen, daß . . die Person des Arrestaten, in sichern Gewahrsam gebracht, . . werde; Berg 1799 Handb. Policeyrecht V 416 und der Arrestat findet Mittel, des bey dem Schuldner angelegten Arrests ohnerachtet, über die Forderung, mittels Cession, oder Verpfändung, zu disponiren; 1859 Allg. Mil.-Enc. 11 187 Arrestat, der Verhaftete; Zarncke 189 7 Kl. Sehr. H 131 Der Arrestat . . wurde aus dem Gefängnisse vorgeführt; Voigt 1881 M-G. 36 Arretierte verlieren ihre Chargenlöhnung und erhalten dafür die Arrestatenlöhnung. Arrestation: 1669 (Schiern. Sehr. LXXXVU 66) [daß] die betürftige handwerksinstrumenta .. in die eine eingebnen arrestationszimer zuegelassen werden sollen (DRW-Archiv); Hippel 1794 S. W. IX 115 Gründe genug zu meiner Bitte, den Beklagten sogleich in Arrestationsstand zu setzen; Tieck 1795 Sehr. XIV 381 da erfuhren wir heut früh durch das Gerücht deine Arrestation und Gefahr; Goethe 1824 Tagebücher (WA 111 9,260) Geschichte der Erfurtischen Arrestationen; Heine 1832 S. W. V 174 so ängstigt man sich jetzt, wenn man von den ungeheuer vielen Arrestationen . . hört; Droste-Hülshoff 1838 Er. \ 272 Die Gemüter waren schon durch die Arrestation des Erzbischofs aufs äußerste erbittert; Mommsen 1848 Reden u. Aufs. 371 [er] ließ . . sich einen Revers ausstellen, daß er die Verordnung proklamiere, um der Arrestation zu entgehen; Gutzkow 1860 Zauberer V11I 105 Die Anzeige, die Arrestation erfolgte; 1871 Vier Monate vor Paris 133 Gegen die Arrestation sträubte er sich.

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arrestatorisch: Kroger 1904-14 Novellen V 60 Es regnete arrestatorische und andere Verfügungen, die meisten mit einer Spitze gegen Peter. arrestierlich: Francisci 1677 Trauersaal III 1144 Imfall nun dem also ..: müste ihn etwan der arrestirliche Aufhalt am Kayserlichen Hofe . . desgoustirt/ und zu Einwilligung solcher bösen Anschläge verleitet haben; Nestroy 1843 S. W. XI 371 Weiß Er, daß man solche lockre Subjekte festsetzen laßt? — Sie sprechen arrestierlich, ich glaub aber nicht, daß Sie so streng gegen einen Menschen verfahren werden. Arrestierung: 1475 (Aktenstücke u. Er. I I 1 7 1 ) auch bey verhefftung und arrestirung; 1543 Urkundenb. Allenstein I 189 noch das jhenig so ime von Rechts wegen gebürt schwerlich one merckliche gefar seines leibs vnd arrestierung seiner person erfordern könnte; Fischart 1577 W. Ill 6 labung und linderung jrer arrestirung, fusfässelung und handverstrikung; Beter 1689 Schelten 133 ihr wollet/ . . dieselbe/ über die bereits erlittene Arestirung/ annoch mit zwey Tage Gefängniß bestraffen; Bohse 1703 Frühlings-Früchte 488 Er Hess so fort/ .. eine Amnestie wegen des im vorigen Jahre geschehenen Aufstandes und Arrestirung des Capitain Generals . . publiciren; Justi 1744 Dt. Memoires 2.1,306 Ein Räuber selbst aber, der seinen Cameraden verrathen und zu seiner Arrestierung Gelegenheit geben würde; Moser 1750 Grundsätze 309 wann das Verbrechen in denen Staaten des Souverains, der die Arrestierung fürnimmt, begangen . . worden ist; 1893 Abh. f. v. Maurer 485 Arrestirung der zu Markt ziehenden Personen; Süddtsch. Ztg. 19.4. 1993 Mit der Arrestierung des „Kanin"-Eigners in einem Bremer Gefängnis ist der ITF nun weltweit ein spektakulärer Erfolg gelungen. arrestlich: Falckenstein 1738 Thür. Chronik // 607 Als dieses nun also geschähe, . . so wurde Graff Ludwig gefangen genommen, dem Kayser überlieffert, und Arrestlich beybehalten. arrestieren c: Fischart 1577 W. Ill 86 Es manet mich die besuchung vnserer arrestirten [ans Bett gefesselten PodagraKranken], wie aine Spinn- oder Rockenstub; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 493 seytemal man mich baldt außlassen/ erhöhen vnnd in Lufft arrestieren lassen wurde; Lehmann 1662 Florilegium l 8 Die Affecten kan niemand tödten/ sondern bißweilen nur arrestiren/ und stillen; ebd. l/U 263 Wer den Vögeln den Flug vnterm Himmel kan wehren/ der kan auch die Gedancken arrestiren/ daß sie nicht in Kopff steigen; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 89 Plinius

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arretieren

schreibt, es seye ein kleines Fischl im Meer,.., welches gantze Galeer kan auffhalten und arrestiren; ebd. 117 H. Honoratus der H. Abbt hat mit dem Gebett einen bereits fallenden Felsen arrestirt, daß er noch auffm heutigen Tag im Lufft hanget; Carlowitz 1713 Baum-Zucht 221 indem der Safft/ so dem gantzen Stamm zu Nutzen kommen solle/ sich alsobald bey denen Schösserlingen arrestiret und solche fortschiebet; Stoppe 1728 Gedichte 46 Das Geld soll ja nicht uns besitzen:/ Und diese faule Creatur/ Wird dem Besitzer wenig nützen,/ Der ihre Freyheit arrestirt; Boltz 1752 Amts-Actuarius 91 Als wird solches auch der Wahrheit zu Steuer von mir Endes Unterschriebenen arrestiret/ und zu mehrerer Bekräfftigung mein gewöhnliches Pettschaft vorgedruckt. verarrestieren: Quir. Pegeus 1656 Denkw. Lehrspr. 306 Ein andrer der suspendirlicher Weise in die Lufft verarristiret werden solte, begehrte Tabac zu trincken; Grimmeishausen 1672 Vogelnest (HI 414) [auf der Kirchweih durch Trinken] mir . . den Verstand verarrestirte; Riemer 1678 Bastard 83 den Griffel . . in ihren Schreibe Kästgen verarrestiren; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 102 so seynd wir aber nicht ungleich dem Fluß Jordan, der auff ein kurtze weil seinen Lauff verarrestiert, und so lang still gestanden, biß die Archen deß

Bunds vorbey; 1716 Geomantia I a6a mit der in Orient verarrestirten Geomantia. Arrest: Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 52 last vns der tröstlichen Zuversicht seyn, daß gleich wie der Welt-Kundige Kriegs-Fürst Josue der schnellen Sonnen den Arrest anerbotten, vnd ihr ernstlich geschafft Sta Sol: sie solle vnverwend still stehen; Francisci 1687 Trauersaal 724 Der Palatin/ welcher persönlich nicht fort kunnte/ weil ihn die Gicht bey den Füssen in Arrest genommen; Ettner 1719 Maulaffe 1027 oder man verschreibet das Perl-Wasser, der ausreissenden Seele darmit einen Arrest anzutragen; Lindenborn 1742 Diogenes l 685 Denn jenen/ welche von Kranck- und Schwachheiten mit einem leiblichen Arrest beleget sind/ vergehet der Muth sich um die Gerichts-Balgereyen zu bekümmern; 1747 (Kluge, Studentensprache 96) Hut- und Mützenarrest; Ratschky 1785 Gedichte 29 Ist's wirklich Ernst, dass dich ein böses Fieber/ Drey Tage schon nicht aus dem Bette lässt?/ Ey, Freund, das ist ein arger Hausarrest; Novalis 1796 W. IV 243 Indes geben Sie ihr von mir einen recht herzlichen Gr — nein, Kuß — ohne Präjudiz des anderweitigen Kompetenten, der etwa Arrest auf die hübschen Lippen gelegt haben könnte; Schiller vor 1805 Br. I 85 Auf Ihren und unser aller Namen habe ich bei Cotta Arrest gelegt [dürfen nicht genannt werden] (KEHREIN).

arretieren V. trans., Ende 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. arreter < altfrz. arester, —* arrestieren. la Zunächst in der Bed. 'festnehmen, verhaften; mit Beschlag belegen', älteres—» arrestieren b verdrängend, selten auch übertragen für 'festhalten, festmachen', gleichbed. mit -» arrestieren c (s. Belege 1695, 1830, vor 1836, 1846, 1859). b Seit Mitte des 19. Jhs. in der Fachsprache der Technik in der Bed. 'hemmen, feststellen; sperren, blockieren (von beweglichen Geräteteilen)', z. B. einen Hebel, die Waage arretieren. Dazu seit frühem 18. Jh. die subst. Ableitung Arretierung F. (-; -en) in der Bed. 'Festsetzung, Verhaftung, Festnahme', gleichbed. mit der im 19. Jh. seltenen Ableitung Arretur F. (zu l a); seit späterem 19. Jh. als Fachwort der Technik in der Bed. 'das Feststellen, Blockieren' und im 20. Jh. bes. für 'Sperr-, Hemmvorrichtung (an Geräten)' (zu Ib). 2 Daneben im 18.719. Jh. selten für '(sich) verweilen, (jmdn./ sich) aufhalten'. arretieren la: 1695 Spener (Kramer 1861 Beitr. 324) ich wurde aber . . mit einem fluß in der rechten hüffte also incommodiret, das . . von der zeit an in der stube als arretirt lebe; Callenbach 1714 Almanack 148 Man arretirt gleichwohl die arme Leut ohne ihr Schuld; Rohr 1718 Staatsklugheit 941 Weder die Schiff-Herren, ihre Steuermänner . . und andere Schiffs-Bedienten . . werden unter kei-

nem Vorwand . . arretiret; Fleischer 1730 Herr v. Lydio I 270 selbiger ließ etliche von den Putschen des Nachts arretiren; 1737 Jüd. Baldober 104 aus Beysorge, man möchte den Schnurr-Juden also bald arretiren, wodurch die Sache gleich lautbar würde; Ludewig 1744 Gel. Anzeigen II 398 [er hat] denselben arretiren, in ein Privat-Haus bringen lassen; 1752 Briefw. Gleim - Ramler I 262 Herr Lan-

arretieren gemack ist auch schon gewarnt worden von einem seiner Collegen, der schon manchen solcher Ursache wegen hat arretiren laßen; 1757 Frankf. Meßrelation l 77 Die . . in ihrer Vermessenheit und Ausgelassenheit noch mehr gestärkte Soldaten raseten die ganze Nacht hindurch . ., bis daß sie . . sich auf einmal zusammen rotteten, ihre Officiers arretirten; Bahrdt 1790 Leben l 156 Die Gothaer deutsche Zeitung meldet, daß ich deswegen sey arretirt worden, weil ich falsche Münze auf meinem Weinberge geprägt hätte; Goethe 1790 Br. (WA IV 9,195) Die Studenten wollen selbst patroulliren und Unfug verhüten . . Leider haben sie schon Gestern zwey [desertierte] Jäger . . arretirt und abgeliefert; Laukhard 1792 Leben l 276 Der Wirth selbst. . rieth mir, mich aus dem Staube zu machen . . ich würde [sonst] gewiß arretirt werden; 1793 Journal d. Moden Vlll 528 ein ganzes Theater, Dichter, Directeur, Acteurs und Actrizen bis auf den Theaterschneider und Lichterputzer herab, wäre arretirt und als Staatsverbrecher eingesperrt worden; Lichtenberg 1793 Aphorismen IV 190 Sie körnen als Handelsleute, Contrebandiers arretirt werden; Thümmel 1803 Reise IX 157 Der älteste Bruder sagte aus, Sie wären in Avignon eines Kirchenraubs wegen arretirt worden; Pf ister 1814 Criminalfälle 11 Einer von denjenigen, welche bey der That zugegen gewesen seyen, . . sey bereits arretirt; 1815 Verordn. Anh. Dessau H 276 so ist die polizei-behörde berechtigt . ., denselben sofort arretiren zu lassen (DRW-Archiv); Immermann 1830 W. VIII 124 das saubere Paar wurde an der Grenze von Bayern arretirt; Heine 1830 S. W. Ill 501 Es war eine niedergedrückte, arretierte Zeit in Deutschland; Raimund vor 1836 S. W. 409 Ja, Arete, du hast mein Herz arretiert; Nestroy 1838 S. W. II 566 Herr Wächter, das Bettelweib wird auf der Stelle arretiert; Heine 1846 S. W. VI 440 Alle schwärmerischen Gefühle werden uns da gleichsam in der Brust arretiert; Gutzkow 1850 Ritter l 29 ich aber, weil ich ihnen ein herrenloser Bedienter zu sein scheine, würde sofort arretirt; 1859 Aug. Mil.-Enc. II 187 Arretiren . . 2) Das Pferd im stärksten Laufe plötzlich anhalten; l #63 Bilder a. Paris l 111 Man schlägt die Zahl der in ganz Paris in diesen Tagen Arretirten auf dreizehnhundert täglich an; Nürnberger 1874 Siegelringe 84 Er schnaubte das Schneiderlein mit „arretiren" und „schwerem Kerker" an; Voigt 1881 M-G. 36 Wird der Arrest durch Krankheit unterbrochen und findet der Arretierte Aufnahme in ein Lazaret, so wird derselbe für die Dauer des Aufenthaltes daselbst krank geführt; Bierbaum 1907 Musenkrieg 96 Die Ordnung triumphiert,/ Der Aufruhr unterliegt,/ Die Frechsten der Frechen/ sind arretiert; Hauptmann 1935 Ausgew. Prosa HI 33 Ich erkläre es mir als naiv-sadistischen Zug, dass mein Bruder

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mich manchmal hinten beim Kragen packte . . und mich .. wie einen Arretierten vor sich her nach Hause beförderte; Schädlich 1977 Nähe 197 so bange war die Stimmung der Arretierten; ebd. 202 weil aber die Geduld des Poeten nicht so groß war, ihm, Arretierten, auch keiner zusprach oder Hoffnung machte, trachtete er auf Mittel, wie er loskäme; Zeit 12.4.1985 ein bayrisches TV-Team wurde kurzerhand arretiert; Spiegel 25. 4.1994 Daleki empfand . . eine „gewisse Erleichterung", daß er den unmöglichen Erpresser endlich arretieren konnte. Arretierung: Rohr 1729 Herren 411 Es geschieht wohl gar, daß man zu der Arretirung eines Gesandten schreitet, der wider den Staat etwas geführliches machinirt; /. A. Schlegel u. a. 1760 (Geliert 1774 S. Sehr. VIII 166) ich . . zitterte heimlich vor der Arretirung; 1762 Wiesand 183 die ergreifung und arretirung des missethäters, welche aus erheblichen Ursachen unternommen werden soll (DRWArchiv); Beckmann 1784-88 Erfindungen II 571 [er] meldete . ., daß sie den Tag vor ihrer Arretirung zwo Kisten mit ihrem Manna nach Rom geschickt habe; 1789 Akadem. Gesetze Ingolstadt II 29 Im Falle einer militärischen Arretirung soll ein jeder . . unweigerlich mitgehen; Goethe 1790 Br. (WA IV 10,100) am Abend . . schickte die Bürgerschafft eine Liste derer die sich vorbereiteten Morgens mit den Franzosen der zweyten Abtheilung auszuziehen und verlangte ihre Arretirung; Bahrdt 1791 Lebensbeschr. IV 283 Pott wurde durch seine Arretirung wüthend; Borne 1820 Ges. Sehr. V 652 Vielleicht hatten Sie aus öffentlichen Blättern meine Arretierung erfahren; Schmeller 1830 Tagebücher II 120 hatten zweyen der Rätscher die Policeykarte abgefordert, was gegen Studenten statt körperlicher Arretierung gilt; Nestroy 1845 S. W. VII 95 Als sie unten zufällig den Befehl zu einer Arretierung hörte, dachte sie gleich, es gehe Euch an; Schweichel 1878 Erz. 146 Haussuchungen, ein paar kleine Arretirungen; Angelt 1905 Wien (nach 1848) 35 ich war persönlich Zeuge einer solchen „Arretierung", der ein gar nicht übel gekleideter Herr . . zum Opfer fiel; 1928 Querschnitt 342 weil die Gefangenen durch den stets unerwarteten Eindruck der plötzlichen Arretierung die Hintergedanken vergaßen und die Wahrheit sagten; Hauptmann 1935 Ausgew. Prosa III 128 Das Trio packte den weißhaarigen Mann . . Manser, der neue Brunneninspektor, hatte . . diese sinnlose Arretierung verfügt. Arretur: 1849 Der Demokrat I 200a um die rohen Soldaten . . gleich niederschießen zu lassen, wenn sie Miene machten, sich der Arretur zu widersetzen; 1870 (Kisch 1926 Hetzjagd 86) Die Sperrha-

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ken sind bei des Angeklagten Arretur noch in dessen Besitz vorgefunden worden. arretieren Ib: Scholl 1853 Führer d. Maschinisten 307 das Abstellen (Stopfen), Arretiren der Maschine; 1886 Buch d. Erfindungen IV 240 Diese letzteren Bottiche haben Rührapparate aus amalgamierten Kupferplatten, welche diejenigen Metallteilchen . . im letzten Moment noch arretieren; 1890 Im Felde 358 eine Uhr mit arretirbarem Sekundenzeiger; Molisch 1920 Biolog. Vortr. 263 Die aktiv lebende Pflanze gleicht einer aufgezogenen, aber arretierten Uhr; Friedeil 1928 Kulturgesch. II 434 die Lösung des Sperrhakens für eine arretierte Maschine; Simtnel 1970 Regenbogen o. S. in je einer Öffnung steckt ein Arretierschlüssel — zwanzig Zentimeter lang etwa; Polster 1987 Fahrradb. 159 Die Kettenspannung läßt nach, wenn das Hinterrad rutscht und nicht fest arretiert ist; MM 18.5.1988 die Bühne wird angehoben, der Rollstuhl arretiert, die Fahrt über unebene Wege . . kann losgehen. Arretierung: Dub 1863 Anwendung 430 man würde alsdann immer die Feder zurückzuspannen haben, wenn man bei Arretirung des Laufwerks und des Schreibstiftes den Anruf einer Station hören wollte; Kerschensteiner 1910 Staatsbiirg. Erzieh.

55 Der eine der vier Schüler bedient die Gewichtschale der physikalischen Wage, der andere die sorgfältige Arretierung und Ablesung; NZ. (Basel) 29.3.1950 An einer Baustelle . . kam es . . zu einem schweren Unfall, als ein Kran auf seinem Geleise zu weit vorwärts fuhr und die Arretierung überrannte; Piccard 1954 Wolken 170 Wenn man nämlich die Arretierung durch den Bolzen mit der Befestigung des Hebelendes vertauscht, so biegt sich der Hebel. arretieren 2: Ettner 1719 Maulaffe 602 [sie] giengen wieder in das kühle Bad, woselbst sie sich noch eine viertel Stunde arretirten; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 77 da solches zu weitläufftig werden dürfte/ so will ich mich bey Meldung dessen eben nicht lange arretiren; Küchelbecker 1726 S. Denis 44 Wer es an der Zeit hat, sich daselbst einige Stunden zu arretiren, der wird die Zeit vergnügt zubringen; Winckelmann 1755 Br. l 178 bis Bologna, wo ich mich an 14 Tage zu arretiren gedencke; Seume 1803 Spaziergang (W. I 304) Den ändern Morgen, als ich abgehen wollte, arretierte mich wieder ein Vetturino an der Ecke des Marktes: Volete andara in carozza, Signor?; Hebbel 1846 S. W. /// 3,339 es ist doch wohl wunderbar, wenn man schon auf die Post geht, um ein Billet zur Abreise zu lösen und auf dem Wege dahin durch einen Dampfschiffs-Gefährten . . arretirt wird.

arrivieren V. intrans., im späten 16. Jh. entlehnt aus frz. arriver 'ankommen; sich ereignen; weiter-, vorwärtskommen' (< altfrz. ariver 'landen, (am Ufer) ankommen' < vulgärlat. *arripare (älter *adripare) 'ans Ufer kommen', zu lat. ripa 'Ufer'; —> Revier). la Zunächst bis ins 19. Jh. für 'ankommen, anlangen, eintreffen', von Personen und Sachen (z. B. Schiffen); dazu im 17./18. Jh. vereinzelt das Verbalsubst. Arrivierung, seit früherem 17. Jh. das aus frz. arrivee entlehnte, bis ins 20. Jh. selten bezeugte Subst. Arrivee 'Ankunft' und das gleichbed., im 19./frühen 20. Jh. gebuchte, aus frz. arrivage übernommene Subst. Arrivage. Vgl. das in neuerer Zeit aus gleichbed. engl. arrival entlehnte Subst. Arrival N. (-s; ohne PL) 'Ankunft' (als Hinweis auf Flughäfen und Bahnhöfen). b Von daher, wohl zunächst im Sinne von 'am Ziel ankommen', seit spätem 19. Jh. übertragen verwendet in der heute üblichen Bed. 'zu etwas kommen, zu Erfolg und Ansehen kommen, Erfolg haben und (öffentlich) anerkannt werden, beruflich oder gesellschaftlich aufsteigen, in der Karriere vorwärtskommen' (weitgehend gleichbed. mit —* avancieren), z. B. rasch arrivieren, zum Star arrivieren, arriviert sein 'es geschafft haben'. Meist adj. verwendet in der Part. Perf.-Form arriviert für 'erfolgreich und öffentlich anerkannt, emporgekommen, angesehen' (vgl. etabliert), z. B. eine arrivierte Künstlerin, der schnell, schon früh arrivierte Politiker, ein arrivierter Mann sein 'ein gemachter Mann sein', selten auch auf Sachen, Institutionen u. ä. bezogen, z. B. ein arriviertes Unternehmen, arrivierte Kunst (s. Beleg 1990); gele-

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gentlich auch leicht abwertend für '(auf nicht ganz einwandfreie Weise) aufgestiegen, hochgekommen', z. B. ein typischer Vertreter der arrivierten Bourgeoisie (s. Beleg 1966). Etwa gleichzeitig das Subst. Arrivierte(r) M. und F. (Arrivierten; Arrivierten), 'Person, die (bes. im kulturellen, künstlerischen oder politischen Bereich) beruflich erfolgreich, gesellschaftlich anerkannt ist', oft auch abwertend für 'Person, die mit allen Mitteln arrivieren will; Emporkömmling, Streber, Erfolgsritter' (s. Belege 1934, 1937; —» Parvenü), gleichbed. mit dem im frühen 20. Jh. aus frz. arriviste übernommenen, selten bezeugten Arrivist M. (-en; -en); gleichzeitig das ebenfalls nur selten nachgewiesene, aus frz. arrivisme entlehnte Subst. Arrivismus M. (-; ohne PL) 'Strebertum'. 2 Vom frühen 18. bis Anfang 20. Jh. (PFEIFER) selten auch für 'sich ereignen, zutragen, geschehen, passieren, vorkommen, begegnen, zustoßen', meist von unangenehmen Ereignissen, Vorfällen, Sachverhalten. arrivieren la: Kiechel um 1589 Reisen 252 f. arrivieren 4 Theütsche, so von Jherusalem alher gelangt; ebd. 287 Alsbald wür in gemelten camp arrivierten, sandte der bascha zu unns; Kirchhof 1602 Wendunmuth // 386 An der stund arriviert auch und zog daher ein munch in schwartzer kleidung; Carolus 1609 Relation 50 von Cartagena hat man/ das in 70 000 Mohren auß Valenza in Barbaria Arrivirt; Friederich 1633 Clytie l 19 so arrivirt Clytia in der Geselschafft [!] (JONES); um 1638 Teutscher Michel 205 Was approchieren, archibusieren?/ Was arrivieren, accordieren?; Klaj-Birken 1645 Fortsetzung 89 f. in diesem . . Pallast. . arriviret (JONES); Overheide 1657 Schreibkunst 233 Arrivieren, ankommen; 1675 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 257) Die vom Fürsten auss Sibenbürgen [!] hier arrivierte Gesandten; Brulig 1683 Wien 405 Die auss Italien vnlängst arrivierte neubürgische pryntzen liegen zur Neustadt an einem gefährlichen Herzigen fieber darnieder; Wächtler 1709 Manual 41 Arriviren/ ankommen, anlangen; Sperander 1727 A la mod Sprach 48 Arriviren/ an einem Ort ankommen, anlangen; 1730 (1907 Archiv f. Kulturgesch. V 38) [in] Franckreich . . hier arrivirt zu seyn; Schnabel 1731 Felsenburg I 38 So bald ich in meinem Quartiere . . arriviret war; Lenz 1776 Soldaten (NL LXXX 85) Wir sein Gottlob glücklich in Lilie arriviert; Kortum 1799 Jobsiade 43 Als nun Hieronimus [an der Universität] arriviret,/ Ist er, stante Pede, immatriculiret; Meisl 1820 Quodlibet (U 148) den ungarischen Studiosus . ., der gestern hier arrivirt ist. Arrivee: Nicolai 1632 a. Salvius (Irmer l 262) was . . seid meiner arrivee an diesem orte passirt (JONES); 1643 Sprachverderber 7 seine glueckliche arrivee; Schorer 1644 Sittenverderber ]2v Arrive, ankunfft (JONES); Sperander 1727 A la mod Sprach 48 Arrivee, die Ankunfft; um 1875 (Wilke 1930 Erinn. 14) Die „Arrivee" und der „Depart" der Gäste [in Schweizer Hotel] waren in der Einförmig-

keit der Tage bedeutsame Geschehnisse; NZ. (Basel) 20.4.1950 sodass man am fünften Mustermesstag im Bundesbahnhof bereits wieder 19.402 Arrivees notiert hat. Arrivierung: Friederich 1633 Clytie l 124 Nach gluecklicher seiner doselbsten ... arrivirung (JONES); 1713 Europ. Fama 21 Nach Arrivirung dieser West-Indianischen Schätze. arrivieren Ib: 1883 Musikerhr. a. Kuczynski 198 so rathen sie ihm unbedingt, nach Paris zu gehen. Er wird hier jedenfalls viel rascher arriviren als Ihr; Th. Mann 1913 Reden u. Aufs. (W. X 563 J er ist durch, er wird arrivieren; ders. 1924 Nachtr. (W. 1 291) ihr Arrivieren, beginnend mit dem sich Einnisten in die Familie eines heimlich schwerreichen Wiener Kunsthändlers, . . ist reich an bunter Erfindung oder kluger Kolportage; Klein 1925 Generaldirketor o. S. Reinhold Gehrke, vor drei Monaten zweiter Kassierer . ., war arriviert; Rothakker 1927 Einl. z. Treitschke, Gesellschaftswiss. V// heute, wo die Soziologie, einst als Oppositionswissenschaft entstanden, jetzt arriviert, ihre Stellung zum Staate zu revidieren beginnt; Bonn 1927 Geld u. Geist 72 da er glaubt, daß der wirtschaftliche Erfolg alles kaufen kann. Erst wenn er „arriviert" ist, werden seine Frau und . . seine Töchter einige Demütigungen erfahren. Aber alles das hat keine Wirkung auf seine Willensrichtung beim Aufstiege; Benjamin 1935 Er. \\ 682 Snob ist ursprünglich gerade kein ästhetischer, sondern ein sozialer Begriff; er ist durch Thackeray arriviert; K. Mann 1963 Wendepunkt 425 arrivierte er nun über Nacht zum nationalen Märtyrer (DUDEN). arriviert: Handl 1905 (Schaubühne l 187) unsere jungen Dichter seien nur deshalb zur Psychologie gekommen, weil sie, einmal arriviert und aus der Boheme in die gute Gesellschaft gebracht, die Ge-

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arrivieren

legenheit zur Beobachtung andrer Milieus verloren . . haben; Dehmel 1918 Ausgew. Br. 425 in dieser Hinsicht bin ich durchaus nicht verwöhnt, und die Arroganz des arrivierten Parvenüs liegt mir fern; Th. Mann 1924 Nachtr. (W. XIII 304) es handelt sich um die Arbeit des jungen Bert Brecht, . . eines glückhaft früh arrivierten Bühnendichters; Moreck. 1928 Liebe 100 die arrivierten Stars der Halbwelt [Dirnen]; Lokal-Anz. 16.4.1929 Der Alkohol ist arrivierten Roten öfters einmal gefährlich; Roth 1930 Panoptikum 15 eine Art arrivierter Boheme, deren Kreditfähigkeit bereits ausser Zweifel ist; Köln. Ztg. 17.1.1930 [der] Vorsitzende . ., der den . . gesalbten Kopf eines arrivierten Pianisten hat; 1934 Handb. d. Philosophie IV 75 arrivierte Klassen; 1935 Sirene XJI 333 eines eigenartigen deutschen Dichters, aber er war nichts weniger als „arriviert" — wie man damals sagte — sondern hatte es ebenso wie Arno Holz nicht leicht; v. Wahlendorf 1936 Er'mn. 275 Der . . arrivierte jüdische Kaufmann . . ging sofort auf große Reisen; 1938 Geopolitik 774 die Großvermögen gehören nicht mehr den Männern des Pioniergeistes, die sie schufen, sondern ihren „arrivierten" Enkeln; Beurmann 1942 Von Leuten 121 Arniet, frisch, draufgängerisch, nun allerdings ein berühmter Mann. . . Aber er vermeidet es, diese Vorzüge des „Arriviertseins" irgendwie zu betonen; Münch. N.N. 7.18.8.1943 Die kosmopolitische Eleganz macht sich auf der Halbinsel Formentor breit, die ein reicher Südamerikaner nach seinem „arrivierten" Geschmack eingerichtet hat; Petzet 1944 Falckenburg 106 die arrivierten Dichter und Künstler wie Sievogt, Corinth; Süddtsch. Ztg. 15.10.1952 Chaplin, der . . ein großer und arrivierter Filmproduzent ist; Niebelschütz 1961 Spiel 171 Warum ein Goethe-Preis nur für arrivierte Schriftsteller?; Süddtsch. Ztg. 24.5.1963 Wer gar im Kunstverein ausstellen konnte, war arriviert; ebd. 21.12.1964 Eine .. Dilettantin, m i t . . bedeutendem, aber noch nicht recht arrivierten Arzt verheiratet; Jaeger 1966 Freudenhaus 187 Baumann sah sie an, hatte die Arroganz der arrivierten Hure nicht überhören können (DUDEN); FAZ 2.1.1971 Erklärung .., die an alle Künstlerverbände, nichtorganisierten und „arrivierten" Künstler . . gerichtet ist; Welt 30.4.1974 die vielen jungen Intendanten und arrivierten Regisseure, die aus seinem „Stall" . . hervorgegangen sind; Zeit 19.4.1985 Updike, . . einer von Amerikas arriviertesten, . . erfolgreichsten Schriftstellern; ebd. 6. 9.1985 denn arriviert zu sein, heißt für sie noch lange nicht, sich von der Gesellschaft vereinnahmen zu lassen; ebd. 18.4.1986 der Hagener Fernsehstudent ist — statistisch gesehen — männlich, . . verheiratet, beruflich arriviert; ebd. 4.7.1986 der Aktionismus in . . Betrieben ist für manchen arrivierten . . Betriebsrat schlicht der Beginn der An-

archie; MM 4.9.1986 aber auch arrivierte Musiker hören Schallplatten der „Konkurrenz"; ebd. 14.4. 1988 in den Hallen . ., in denen der Laienmaler neben dem arrivierten Kunstprofessor . . auftreten darf; Spiegel 2.4.1990 wo sie [Stripeasetänzerinnen] nicht für 200 Mark .. eine ganze Nacht neben arriviertem Männerschmer [Politiker] zubringen müssen; Frankf. Rundsch. 31.7.1990 Justus Frantz, der . . das inzwischen längst arrivierte Schleswig-Holstein-Musikfestival betreut; Wochenpost 31. 8.1990 die eingesessenen Verlage, die arrivierten Unternehmen . . machen . . die Funktionstüchtigkeit des ganzen DDRVerlagsgeschäftes aus; 3990 Elle X 164 Vergeblich sucht man in ihren Besetzungslisten die Namen arrivierter Stars; Spiegel 15.2.1993 Das .. Durcheinander der iberoamerikanischen Alltagsästhetik ingoriert diese Schau arrivierter Hochkunst; Süddtsch. Ztg. 4.3.1993 Zu bereits arrivierten deutschsprachigen Autoren . . gesellten sich erfolgversprechende Newcomer. Arrivierte(r): 1908 Zukunft LXIV 59 Man glaubt, ihn schon zu kennen, von der Straße her oder vom Salon oder von der Zeitung, diesen rücksichtslosen Arrivirten; diesen Prototyp eines brutalen . . Strebers; Schmilz 1914 Frankreich 136 Die „Arrivierten" machen heute diese Pariser Boulevardkultur . .: Parlament, Reise, Theater, Literatur werden von ihnen beherrscht; 2939 Grenzboten IV 154 diejenigen, . . die .. noch nicht zu den „Arrivierten" gehörten; Wassermann 1921 Wahnschaffe II 206 Frech und dumm, wie sie ja alle sind, diese . . Arrivierten (WOG); Locke 1925 Tagebücher 128 Gesellschaft der Arrivierten und Erfolgreichen; Voss. Ztg. 13.10.1926 Anspielung auf den großen Typus unserer Zeit: auf den Arrivierten, der oben umlernt; Baum 1926 Feme 35 Er . . klopfte minder Arrivierten begönnernd auf die Schulter; Höhne 1928 Reportage 75 Ich besitze nichts. So geht es uns Prominenten. Wie mag's um weniger Arrivierte stehn?; Der Berliner 27.10.1929 Größtenteils Anfängerinnen, Suchende, in diesem Beruf noch nicht Arrivierte; Voss. Ztg. 2.12.1930 So viel bringt der Ruhm eines sicher viel beneideten „Arrivierten" heut ein; Lokal-Anz. 11.9.1934 nicht alle Gäste gleichen diesen „Arrivierten" unter den farbigen Parisern; Kühn 1937 Kerle 63 in einem streng abgeschlossenen . . Kreis . . parteimässig „Arrivierter", die sich mit . . beflissenen Leistungsmeldungen . . in die Höhe schöben; 1938 Geopolitik 883 Verbindung der [politisch] Arrivierten von Wallstreet und der Arrivierten von Moskau; Petzet 1944 Falckenberg 68 die noch nicht Arrivierten [eines Künstlerkreises]; Weizsäcker 1950 Er'mn. 113 Wie bei jeder Revolution kamen die Nichtarrivierten, die Schreihälse und Spitzelnaturen an die

Arroganz Oberfläche; Süddtsch. Ztg. 27.6.1952 Man solle nicht immer nach Arrivierten und Prominenz verlangen, sondern auch der Jugend eine Chance geben; Manch. Stadtanz. 12.8.1955 viele Flüchtlinge, insbesondere „Arrivierte", die schon sehr festen Boden unter den Füßen haben; Süddtsch. Ztg. 14.5.1962 daß es sich [bei den Fernsehsendern ARD und ZDF] hier nur um die erste Phase eines Kalten Krieges zwischen den bereits Arrivierten und dem Neuling handelt; Welt 8.4.1969 der Nachwuchs [im Handball] drängt nach vorn, doch Vick setzt weiterhin auf die Arrivierten; FAZ 23. 2.1970 Am Thron der Arrivierten [Leichtathleten] kräftig gerüttelt (Überschr.); Offenburger Tagebl. 6.2.1971 Arrivierten und Etablierten [Künstlern] will er allenfalls eine Plakette überreichen, „damit sie sich etwas auf ihr Vertiko zu stellen haben"; Zeit 8.3.1985 nur selten wollen die Künstler selbst, vor allem die Arrivierten, mit der materiellen Vergänglichkeit ihrer Werke konfrontiert werden; ebd. 11.7.1986 noch mehr als die Linken, die fahrlässig mit der Regierungsfähigkeit spielten, waren ihm die Arrivierten zuwider; MM 24.3.1987 sie stecken . . Demütigungen ein, sie ahnen und verdrängen, welchen menschlichen Preis sie für ihre Erfolge zu entrichten haben; sie sind, auch als gesellschaftlich Arrivierte, letztlich immer Verlierer; Rhein. Merkur 9.3.1990 jetzt in der Krise brauche man die Arrivierten und Meinungsführer von ehemals. Arrivismus: Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 186 unser zeitgenössischer Arrivismus — diese allgemeine Sucht in die Höhe zu kommen; Schmilz 1914 Frankreich 120 macht deutsches Strebertum zu einem harmlosen Bruder des französischen „arrivisme". Arrivist: 1916 Franzosen 251 Bald . . wird der Streber selbst aus einem „arriviste" ein „arrive"; er nimmt seinen Platz an der reich dotierten Tafel der ständigen Redakteure ein; 1928 Elsass-Lothringen. Heimatstimmen VI 643 Darum gibt es jetzt im Elsass von Wassenburg bis Hüningen so viel „Arrivisten", die ihr ganzes Verhalten auf das Wohlgefallen der Regierungsgewaltigen, Präfekten und Unterpräfekten einstellen; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 306) das Schauspiel aber, das er in dieser . . Gemütsverfassung betrachtet, ist eben der nun erreichte amüsante Staat, die Kameradenund Arrivisten-Republik.

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arrivieren 2: Döhler 1724 Mäuse-Fallen 30 Man kan ja nicht praetendiren, daß auf diesen dreyen Sächsischen Academiis gar nichts menschliches arriviren sollte; Sperander 1727 A la mod Sprach 48 Arriviren/ . . it. begeben/ begegnen/ wiederfahren; z. E. das arrivirte mir; 1730 (1907 Archiv f. Kultur· gesch. V 33) arriviret; Küchelbecker 1730 Nachricht 605 Dieses Frauen-Bild soll auch, so offt jemand aus dem Kayserlichen Hause sterben, oder sonst ein Unglück demselben arriviren soll, die Farbe des Gesichts verändern; Stoppe 1735 Parnaß 532 Wie geschwindt hätte mirs auch so arriviren können!; Verdion 1748 Begebenheit l 141 die Begebenheit [Liebesabenteuer mit Verlust seines Geldes], welche dem Ajax damals arriviret ist; Goethe 1767 Br. (WA IV 1,133) Sieh wie ich ernsthaft geworden binn, Das arrivirt mir oft; 1781 Hausbau 13 mir ist ein verdammter Streich geschehen, wollt' wer weis was drum schuldig seyn, hätt er sich nicht arrivirt; Blumauer 1784—94 Virgils Aeneis (I 16) Was deinem Sohne heut geschah,/ Soll nicht mehr arriviren; 1792 Wiener Musenalmanach 37 Ein armer Sünder ward zum Galgen kondemnirt,/ Doch, weil das Glück ihm günstig wollte,/ Dass, eh' er oben war, der Strick zerreissen sollte,/ So wurd' er gnädigst pardonnirt./ Ey, rief der Henker, dem [!] der Vorfall kränkte: Das ist mir noch nicht arrivirt! —/ Mir auch nicht! — sagte der Gehenkte; Foote 1796 Kriegskommissär (Übers.) (Ill 168) So was [vom Pferd stürzen] arriviert alle Tage auf der Manege; Kortum 1799 Jobsiade 214 Auf der Reise ist ihnen nichts Sonderliches passiret,/ Außer was jedem Reisenden durch Deutschland arriviret; ebd. 217 über einige ihm arrivirte Sachen/ Wollte sie [Dame] auch fast sich zu Tode lachen; Meisl 1820 Quodlibet (II 205) Das [eine Ohrfeige zu erhalten] wird dir am mogulischen Hofe öfters arriviren — wer dort in Gnaden stehet, bekommt Ohrfeigen; Wolff 1822 Hund d. Aubri (Jahrb. Dtsch. Nachspiele I 59) Was ist denn eigentlich arrivirt ?; Schall 1825 Wahl (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V 21) Hat das Fräulein . . nichts von dem erzählt, was . . auf der gestrigen Spatzirfahrt gearrivirt ist?; Immermann 1838—39 Münchhausen (IV 119) es arrivieren freilich mitunter Sachen, darin man sich nicht selbst helfen kann (WOG); Müller 1859 Stadtschultheiss 13 von dem . . unglaublichen Mirakel erfahren dürfen, das deinem alten Vater soeben arrivirt ist; Spielhagen 1868 S. Romane IV 252 Ich habe Sie von dem ersten Mal, daß ich Ihnen begegnete, im Gedächtniß behalten, was mir . . selten arrivirt.

Arroganz F. (-; -en ungebr.), seit dem 14. Jh. belegte Entlehnung aus gleichbed. lat. arrogantia (zu arrogans 'anmaßend, anspruchsvoll', Part. Präs, von arrogare

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Arroganz

'etwas einem nicht Gehörendes, Fremdes für sich in Anspruch nehmen, sich aneignen, zuschreiben; sich anmaßen', aus ad- 'zu, an, hin(zu), heran' und rogare 'holen, fragen, ersuchen'), anfangs in der lat. (flekt.) Form. Vor allem auf das Verhalten von Personen bezogen in der abwertend verwendeten Bed. 'anmaßendes, herausforderndes Benehmen, Anmaßung, Dünkel(-haftigkeit), Überheblichkeit, Hochmut, Eingebildetheit, Hochnäsigkeit; Borniertheit', z. B. ein Mensch von bodenloser, unglaublicher, unausstehlicher Arroganz, jmdn. der Arroganz bezichtigen; in neuerer Zeit bes. in dem Syntagma Arroganz der Macht 'durch militärische oder wirtschaftliche Überlegenheit bedingte Überheblichkeit einer politischen Macht oder Institution' (lehnübersetzt aus gleichbed. engl.-amerikan. arrogance of power, nach dem gleichnamigen Titel des 1966 erschienen Buches des amerikan. Politikers J. W. Fulbright, in dem er die amerikan. Politik gegenüber Vietnam und der Dominikanischen Republik kritisierte), gelegentlich auch allgemeiner verwendet (s. Belege 1970, 1981); dazu in jüngster Zeit vereinzelt die subst. Ableitung Arroganzien Pl. 'arrogante, abwertende Ausdrücke, Äußerungen'. Dazu seit etwa 1700 das eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. arrogant aufgekommene, auf (flekt. Form von) gleichbed. lat. arrogans (s. o.) zurückgehende Adj. arrogant, meist von Personen und deren Handlungsweisen abwertend für 'anmaßend, dünkelhaft, überheblich, eingebildet, hochmütig, hochnäsig' ( —> borniert, —» elitär), in Wendungen wie eine arrogante Person, ein arrogantes Wesen haben, sich arrogant benehmen, arrogant lächeln, etwas in ziemlich arrogantem Ton sagen; eine arrogante Äußerung, Kritik, Bemerkung. Arroganz: 14. Jh. Weingartner Handschr. (1839 Mones Anzeiger VIII 102) arrogantia, dez sich selber rümet; Melker 1481 Voc. o. S. Arrogantia, . . zu vil zulegung usz hoffart,. . Vermessung; Paracelsus 1530 S. W. l 8,282 nit urteilent das ich [als Arzt] ein arroganz treib; Lauterbach 1538 Tagebuch 190 die scheutzliche arrogantia; 1564 Zimmer. Chronik V 309 er kam in ain solche aroganz [!] und vermessenheit, das er zu Zeiten wol sagen dörft: Ich bin herr von Zollern; Spangenberg 1594 Adels-Spiegel H 163a D. Luther war solcher arrogantz von Hertzen; Gryphius 1663 Horr. 77 Horrib.: . . qvesta superba arroganza, will ich die gantze Belaegerung von Troja mit dir spielen; Schottet 1669 Sittenkunst 529 Die edle Tugend/ die Wahrheit/ schlecht .. zu beyden Seiten leicht aus/ daher zwo Untugenden entstehen/ wan es zu dem/ was zuviel ist/ geräth/ heisset es die Großsprecherey/ arrogantia; Francisci 1687 Trauer-Saal 1119 mit was für Arrogantz er in Holland von seiner eigenen Authorität geredet habe; Chilemont 1702 Kriegs- u. Staatsrat I 114 eine bloße Arroganz, verstockten Geitz/ heimlichen Neid und Groll gegen das Durchleucht. Haus von Oesterreich; Sperander 1727 A la mod Sprach 48 f. Arrogantz/ Vermessenheit/ Hochmuth, Stoltz; Boltz 1731 Redensarten 85 Zur Tortur genugsam qualificirt seyn./ Aus angestamter arroganz./ Judex und Pars zugleich seyn; Zedler 1732 Universallex. II1643 Arrogantia, eige-

ner Ruhm, Ruhmräthigkeit, der Hochmuth, Vermessenheit; Heinke 1768 (Font. rer. Austr. II 73,148) einer unbegründeten Anmassung und Arroganz; 1790 Journal d. Moden V 639 sich [durch besondere Kleidung] über andere in Gesellschaften zu erheben, oder wenigstens den Verdacht einer Arroganz zu erregen; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland l 184 Arroganz des patricischen Raths; Raumer 1800 Briefw. (Leben l 183) Dein Vornehmen, Dich zu einer gewissen auf sich selbst beschränkten Arroganz zu erheben; Pockels 1813 Gesellschaft 120 die Arroganz, der unheilbare Selbstdünkel; Goethe 1821 Gespr. Kanzler Müller o. S. Schon längst war mir die Arroganz des Grafen unerträglich (GWB); Bauer 1836 Überschw. II 125 dieses dumpfe Ignorieren, gleichviel ob Folge von Ignoranz und Arroganz; Steinmann 1842 Mefistofeles I 149 [mit] maassloser Arroganz; Kohl 1844 Brit. Inseln I 317 diese [Nachbarvölker] glauben, manche Eigenschaften an den Franzosen zu finden, die es als Arroganz bei ihnen erscheinen lassen, wenn sie diesen Titel [la grande nation] für sich in Anspruch nehmen; Schopenhauer 1851 Parerga (V 572) Arroganz statt der Kenntnisse; Landsteiner 1860 Leben 235 Ich war über diese Arroganz empört im Inneren, besaß aber nicht die Kraft, meinen Unwillen zu äußern. Dieser Mensch hatte so viel Macht über mich; Hildebrand 1865 Er. 151 ist der Scherer, von seiner Arroganz abge-

Arroganz sehen, ein wahrhaft bedeutender Kopf; nürnberger 1874 Siegelringe 169 was sich die Arroganz angemasst hat, das hat ihr die Denkfaulheit eingeräumt; Rutenberg 1877 Zinne 38 hofmännische Eleganz und Arroganz; Nordau 1881 Paris l 73 erfüllt sie das Bewußtsein, Pariserin zu sein, mit einer souveränen Arroganz; Proells 1891 Modelle 11 wie groß ist die Nachfrage, die Konkurrenz, wie groß auch die Arroganz einer solchen Person; 1898 Kladderadatsch 124 Ihre brieflichen Ergüsse, in welchen mit karikirender Uebertreibung die Arroganz des Junkerthums . . gegeißelt wird; Th. Mann 1910 Reden und Aufs. (W. IX 18) man muß den Künstlern gegenüber . . Verzeihung üben . ., aber ihre Mischung aus Blödsinn, Sittenfrechheit und Arroganz auch noch zu feiern, ist mir widerwärtig; Franken 1913 Schneide 23 Bei ihnen lag es in der leidenschaftlichen Opposition gegen kleine Schliche und große Arroganzen; Hertling 1920 Erinn. II 78 bodenlose Arroganz; Kircher 1926 Engländer 45 Und wie so oft: Schüchternheit wappnet sich mit der Miene der Arroganz; Colerus 1929 Kaufherr 330 daß durch diesen Zwischenruf meine . . grobe Unvorsichtigkeit verwischt würde, die ich aus Arroganz begangen hatte; Börsen-Ztg. 7.2. 1937 belastet mit allzuviel Intellekt, . . von einer erschreckenden Arroganz; Herzfeld 1961 Aufs. 29 Arroganz und Aggressivität [des dtsch. Idealismus]; Welt 21. 2.1964 man kann ein gut Teil dieser Kühle auf die den Herrschern im Reiche der Mitte angeborene Arroganz zurückführen; ebd. 17.10. 1969 Leute, die sich . . um die Gunst des Publikums nicht kümmern wollen . ., werden alsbald der Arroganz bezichtigt; Zeit 30. 3.1970 Außenpolitik ohne Arroganz der Macht (Überschr.); FAZ 16.6.1970 auch Wehners Arroganz habe ihre Quittung erhalten; Welt 7.10.1974 sie hielt den Historikern politische Abstinenz . . und . . besondere Arroganz vor; Hocke 1976 Tagebücher 247 die Arroganz der Jugend; Zeit 21.9.1981 Ein Gespenst geht um in Europa,. . das einst ein amerikanischer Senator im Weißen Haus entdeckte: die Arroganz der Macht, die viele Europäer in Präsident Reagans Politik wiederzuentdecken glauben. In seinem Bestseller „The Arrogance of Power" schrieb William Fulbright vor fünfzehn Jahren . .; Spiegel 30.11.1981 Dennoch scheint auch jetzt wieder, daß sein schlimmster Fehler, die Arroganz der Ohnmacht, ihn auf einen fatalen Weg bugsiert hat; Sloterdi/k 1983 Kritik 278 Diogenes durchschaut den aufgeblasenen Idealismus und die Kulturarroganz der Athener; Zeit 28.12.1984 empörend ist aber die Mischung aus Ignoranz und Arroganz der Äthiopier; ebd. 1.2.1985 die Amerikaner, verführt von der Arroganz der Macht, ahnten nicht, daß sie hier keinen „normalen" Krieg führen würden; ebd. 29.3.1985 Gibt es bei deutschen

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Grünen bereits eine Arroganz der Macht?; MM 4.5.1985 in der Bevölkerung werde hohe Intelligenz mit „elitärem Dünkel" oder „Arroganz" in Verbindung gebracht; ebd. 19.6.1985 ihm obliegt es, die Arroganz, Borniertheit und Korrumpierbarkeit hoher Beamter . . preiszugeben; Zeit 2.8.1985 die Arroganz schafft den Mächtigen Feinde; ebd. 23.8.1985 der Zorn der Neuseeländer über die . . koloniale Arroganz der Franzosen ist grenzenlos; ebd. 10.1.1986 die „Gnade der späten Geburt", die neuerdings gern . . reklamiert wird, ist kein Persilschein für abstoßende Arroganz; ebd. 25. 4. 1986 der englische Philosoph charakterisierte die Teenager als „neue Aristokratie mit den Eigenschaften der alten": kaufkräftig, narzißtisch, unpolitisch, . . voll antisozialer Arroganz und elitärer Verachtung; ND 17./18.5.1986 Auf einer Veranstaltung in Bonn plädierte er zugleich dafür, sich von der „Arroganz der Macht" der gegenwärtigen USA-Administration zu distanzieren; Stern 21.5. 1987 genervt von der Amtsarroganz der Polizeibeamten; Spiegel 7.12.1990 die Idee, Haß und Beleidigungen in Arroganz zu verkehren, sich mit Wörtern zu wehren, Begriffe zu besetzen. Arroganzien: Süddtsch. Ztg. 12.113.2.1994 Die Bürokratie liefert alljährlich reichlich sprachliches Unkraut, darunter eher unfreiwillig komische Fehlleistungen wie „Mähgutanfall" (Heuernte in öffentlichen Anlagen) . ., aber auch miese Arroganzien wie „Anschlußländer" für die Bundesländer östlich der Elbe. arrogant: Arnold 1700 Kirchen- u. Ketzer-Historie III 87a Die Platonicos habe ich ein klein wenig besser befunden/ weil sie nicht so arrogant gewesen; 1726 Gundlingiana XXXVI 20 Sie nennen mich arrogantem, das ist vermessen, oder stoltz; Dusch 1770 Br. IV 16 Wir Schriftsteller . . sind . . arrogant; 1790 Journal d. Moden V 158 Sie fanden den ehrlichen Unger arrogant, impertinent; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,156) Eigentlich hat eine arrogante Äußerung des Herrn [Jean Paul] Richters, in einem Briefe an Knebel, mich in diese Disposition gesetzt; Görres 1798 Frieden (I 62) dieser arroganten Sprache; Schiller 1798 Br. V 339 In einen arroganten Philosophenton finde ich eine recht gemeine Saalbaderey eingekleidet; Fichte 1807 Plan (VIII 200) [einen] arroganten Anspruch; Laube 1836 Reisenovellen Hl 30 unser arroganter Verstand glaubt im Grunde nicht daran, daß ihm etwas ganz Neues Fremdartiges vorkommen könne; 1842 Naturgesch. d. dtsch. Studenten 32 arroganter Mann; Alfieri 1845 Tyrannei (Übers.) Vorr. XX das vornehme, arrogante, verächtliche Herabsehen auf Alles, was ausserhalb der soldatischen Gemeinschaft liegt; Holtei 1854 Schneider II 298 ein arro-

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ganter Versifex; Ehlich 1858 Abenteuer l 48 ein arroganter, duckmäusiger Büreaukrat; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 173 St. und ich waren stets so arrogant, das Prädikat „gebildet" zu beanspruchen; Schlägel 1865 Soldat 16 [mit] arroganter näselnder Stimme; Schmidt 1871 Bilder N. F. 353 dass die Berliner das arroganteste Volk von der Welt seien; Villamaria 1873 Manon 93 den Muth fassen, dieser arroganten Person einmal so gründlich die Wahrheit zu sagen; Fontäne 1882 Br. II 22 das Geistreiche (was ein bißchen arrogant klingt) geht mir am leichtesten aus der Feder; Rabenstein 1891 Dtsch. Soldatengesch. 30 ein arroganter Mensch, der ist so blasiert, dass er kaum „ja" oder „nein" sagen kann; Tovote 1900 Laterne 147 diesen arroganten Menschen; Werner 1908 Heir'ann. 241 Sie brauchen mich nicht arrogant zu schelten; zur Megede 1911 Quitt 135 arrogante Bemerkung; Klein 1925 Generaldirektor o. S. er wußte, daß er dieses arrogante Weib vielleicht eines Tages als Bundesgenossin brauchen würde; Kircher 1926 Engländer 45 arrogante Naturen; Heyck 1928 Außenseiter 47 du arroganter Wahrheitspächter; Th. Mann 1930 Erz. (W. VIII 703) verschlang den Rauch einer Zigarette und ließ ihn durch seine häßlichen Zähne arrogant wieder ausströmen; Schoepflin 1931 Gesund 119 Marinesoldaten mit arroganten Gesichtern; 1934 „Duden"-Sammlung o. S. konnte sie sich mal von der Seele herunterreden, was sich an Empörung gegen diesen ekelhaft arroganten Botschaftsrat aufgespeichert hatte; Münch. N.N. 21.6.1940 Dem General machte es . . Freude, . . noch einen Anhang zur Kommentierung der arroganten und dummen Bemerkung des

britischen Generals Ironside zu geben; ND 27.1.1949 Deutschland sei noch immer arrogant im Nationalismus; Offenburger Tagebl. 17.4.1968 Eine arrogante Bürokratie hemmt die Entwicklung; Welt 6.1.1969 zahlreichen Parteifunktionären steht er zu weit rechts, ist er eine Spur zu arrogant und intellektuell; PAZ 17.12.1971 Dieser arrogante Tonfall der Täter liegt auf der gleichen Linie eines Briefes, den sie . . mit dem Signum „Der Entführungsrat" unterzeichnet [hatten]; Welt 30.12. 1974 die linke Volkspartei ist kein Medium, mit dem arrogante Jungakademiker sich . . Gehör verschaffen; Zeit 4.1.1985 daß die Journalisten Historiker für „elitär, weltfremd und publikumsfern" und die Historiker die Journalisten für „arrogant, wissenschaftsfremd und schludrig" halten; ebd. 23.8.1985 sein arroganter, vor Selbstgefälligkeit stotzender Auftritt lahmte . . jeden Applaus; MM 12.9.1985 arrogante und dumme Sprüche; Zeit 26. 9.1986 hat mich der gehässige, arrogante Ton Ihres Artikels befremdet; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 68 Sie redete wenig, aber immer in arrogantem Ton; Zeit 30.1.1987 daß diese Zurückhaltung nichts Kokettes und Arrogantes hat; MM 12.2.1987 Morlok .. kritisierte eine „arrogante Selbstüberschätzung" beim TÜV Baden; ebd. 2.7.1987 faul, hemmungslos dem Wohlleben hingegeben, arrogant und überheblich, . . ist ihm . . die Verbindung zu . . erfülltem Sein verloren gegangen; Lukoschik 1990 In u. Out 73 arrogante Zimt-Ziegen in Glamour-Verpackung sind OUT; Spiegel 13.9.1993 als Erich Honecker .. seinem Besucher Gorbatschow arrogant vorhielt, im russischen Magnitogorsk gäbe es nicht einmal Salz und Streichhölzer zu kaufen.

Arsenal N. (-(e)s; -e, früher selten auch Arsenale), im späten 15. Jh. entlehnt aus ital. arsenale 'Zeughaus; Werft', älter venezian. arzena, arzana, vgl. gleichbed. mlat. arsena(l) (< arab. dar-as-sina'a 'Gewerbehaus, (Waffen-)Fabrik, Werft', aus dar 'Haus' und sina'a 'Kunst, Beruf, Gewerbe', also eigentlich 'Haus des Handwerks, Gewerbes; Haus, in dem etwas hergestellt wird'), anfangs auch in der ital. Form und in Schreibformen wie Arsinal(e), Arzenal, Ars(ch)anal, Arcynaal. Bis ins 18. Jh. häufig noch auf italienische (bes. venezianische) Verhältnisse bezogen, dann bald auch allgemeiner verwendet, zunächst vorwiegend im militärischen Bereich in der Bed. 'Fabrikations- und Lagerstätte für Waffen und Geräte; Rüstkammer, Waffen-, Geräte-, Warenlager' (—» Magazin), oft konkurrierend mit Zeughaus, z. B. in den Wendungen ein Arsenal anlegen, die Arsenale im Hinterland zerstören und in verdeutlichenden Zss. wie Munitions-, Rüstungs-, Waffenarsenal; auch, speziell in bezug auf Hafenstädte, für 'Gebäude, Anlage zur Ausrüstung von (Kriegs-) Schiffen; Schiffswerft', z. B. in Zss. wie Schiffs-, See-, Marinearsenal (s. Belege 1523, 1586, 1616, 1713, 1762, 1810, 1878). In neuerer Zeit auch metonymisch für 'Gesamtbestand an modernsten Waffen und Kriegsmaterial (eines Staates)', z. B in

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Zss. und Wendungen wie Bomben-, Kernwaffen-, Raketenarsenal; das Arsenal an strategischen, chemischen Waffen (s. Belege 1985, 1986, 1987). Seit dem 17. Jh. selten (s. Belege 1627, 1643), seit dem 18./19. Jh. häufig bildlich und übertragen gebraucht für 'Vorrat, fester Grundbestand, gesamter Bestand an konkreten Materialien und bes. abstrakten Mitteln, Möglichkeiten; geistiger Grundstock, auf den man je nach Bedarf zurückgreifen kann, aus dem man sich das Rüstzeug, die „Waffen" für bestimmte Aufgaben holen kann; zur Verfügung stehendes Potential' (—» Fundus, —»· Repertoire, —* Reservoir), z. B. Arsenale mit den Waffen der Kritik, die Waffen aus dem Arsenal der Politik, die vorhandenen geistigen, wissenschaftlichen Arsenale nutzen, ein Arsenal technischer Erfindungen, mit dem ganzen Arsenal der Satire, der Rhetorik arbeiten, das Arsenal der modernen Kunst, der Argumente, das Arsenal des Wahlkämpfers (s. Belege 1790, 1835, 1844, 1903, 1932, 1952, 1969, 1983, 1990, 1992), gelegentlich auch für '(geistiges) Rüstzeug, Instrumentarium', z. B. begriffliches Arsenal, das ganze Arsenal seiner Kenntnisse aufbieten müssen, um etwas zu erreichen oder zu verhindern (s. Belege 1987, 1991). Seit frühem 20. Jh. selten auch abgeflacht für 'große, zur Verfügung stehende Menge, Fülle; (An-)Sammlung, Anhäufung, Kollektion', z. B. ein ganzes Arsenal von Musikinstrumenten war versammelt, ein Arsenal von Kosmetika, Flaschen, Chemikalien (s. Belege 1929, 1972, 1986). Fabri 1483 — 84 Beschr. I4v in das Arzenal . . dass ist ein umbgemaurt orth in der Stadt Venedig wenig kleiner denn Ulm; ebd. 215r an dem Arschanal (WIS); Herberstein 1509 Selbstbiogr. 73 Derselben zeyt, . . verprann das Zeughaus, das sy Arsenal nennen, zu Venedig; Hagen 1523 Hodoporika 238 in daz arschinal, do man di schiff und grosse galeen macht; ebd. 239 In dissem arschinal oder werckhusz (WIS); Bruder Felix 1556 Fahrt i. d. M. Land 215a schlugen wir hinten an der Statt [Venedig] hinumb an dem Arschanal; Giannotti 1557 Respublica Venetum (Übers.) Glv übers Arsenal, Nemlich Zeugkhaus (WIS); Reissner 1568 Frundsberg 8a Vor dem Venedischen Krieg geschahen Wunderzeichen/ denn zu Venedig im Werckhauß/ Arsinal genannt/ . . kam ein Feuwer in das Puluer; ebd. 134 Diß ist eyn Gattung eynes grossen Schiffs/ . . wirt fleissig im Arsenal behalten; Ernstinger 1579—1610 Raisbuch 41 Arsenale oder zeughauss; Frischlin 1586 Nomenclator 269a Nauale, Schiffstell, Arsanal; Apherdianus 1591 Tyrocinium 155 Arcynaal, dar man die schiff machet oder haltet (KLUGE, Seemannssprache); 1594 (Schlager 1846 Wiener Skizzen V 276) des Kays. Arsinals; 1597 Kronn aller Wegweiser 3 Arsenal, ein grosser Vorrath von allerley Waffen, sonderlich von Geschütz deren etliche schöne heüser vol seind; . . zeughauss; Kiechel um 1600 Reisen 143 Noch besser abwärts an gemeltem zeüghaus, dem wasser zu, wurde unns das arsinal gewisen; in dem selbigen stöhn öttliche gallea; ebd. 421 In dem arsinal schaffen täglich vül hundert personen, deren mehrer theil sclaven oder gefangne Christen; Caro-

lus 1614 Relation 5b wie er dann 8000 Persohnen im Arsenal vnderhalte; Henisch 1616 Teutsche Sprach 122 Arsenal/ arcynal/ ist eigentlich ein zeughauß der Schiffen/ da man die Schiff machet vnd haltet/ . . deßgleichen zu Venedig ist/ so das fürnembst in der gantzen Welt/ vnd in seinem begriff ein halbe Teutsche meilen jnnen hat; Messerschmid 1618 Garzonis' Narrenspital 57 der da geglaubt hat es were das Arsenale zu Venedig nur ein Ort, darinn man Trinckgeschirr feill hett und finde; Neumayr v. Ramssla 1620 Reise i. Frankr. 112 am Arsenal oder königlichen Zeughauss; Perez 1627 Landstörtzerin 81 in dem er auch meinen Namen gewaltig herauß strich/ von demselbigen an mein Halsgeheng gerieth/ wie nemblich dasselbige so köstlich und schoen/ nennet mich ein Arsenal/ Rüstkammer oder Zeughauß aller Schönheit/ seine Beherrscherin vnd allerliebste Gebieterin; Furttenbach 1627 Itinerarium Italiae 202 vor der Statt der Arsenal wo die Galleren gebawen werden; ders. 1630 Architect, mart. 41 mit ihren darbey bezaichneten Kupfferstucken gantz eigentlich vor Augen gesteh in dem bedeckten Arsenal, vnnd also zu Land erbawen wird; Harsdörffer 1643 Gesprechspiele 111 382 Ich were schlimmer als der blinde Krieg/ der jederman einäugich machen wil/ daß ich einen solchen rivalen über die Achsel ansehen solte/ ob er jhm gleich imaginiret er sey allein das Arsenal aller Wissenschaften; Duez 1652 Nomencl. 235 Arsenal . . arcenal, zeughauß/ arsenal, armamentarium; Scheither 1672 Festungs-Baw-Schuel 79 Zeughauss, oder Arsenal-Hauss . . in Venedig; Brulig 1683 Wien 402 dass auss dem arse-

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nal zue Griechisch Weisenburg 200 stück geschütz genehmen; Wening 1702 Bayern l 2 Arsenalen oder Zeughäussern; 1702 Schauplatz 537 das grosse arsenal oder zeughauss; 1713 Europ. Fama 6 Auf seinen Befehl ist ein neues Krieges-Schiff . . in alldasigem Arsenal erbauet, und aufs beste ausmontiret worden; Marperger 1726 Anleitung 45 Man nennt abtackeln die Schiffe, wann sie von der Reise kommen, und Segel und Tauwerck davon genommen, in das Arsenal gebracht . . werden; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) H 1117 Patroni del Arsenale, Arsenal; Sturm 1737 Wahre Vauban 86 Arsenal, ein Zeughauß, ist ein weitläufftiges Gebäude, welches geschickt ist, die Canonen und andere Waffen . . zu verwahren; Marsellus 1741 Kriegs-Staat 27 Arsenal; Winckelmann 1762 Baukunst 107 daß Appianus von jonischen Säulen am Arsenal im Hafen zu Karthago Meldung tut; Kant 1764 Gefühl d, Schönen 9 Ein Arsenal muss edel und einfältig, ein Residenzschloss prächtig . . seyn; Potter 1776 Archäologie 98 Anm. um allerley Waffen aus den in den Provinzen angelegten Arsenalen, armamentariis, nachzuführen, die unter die Soldaten . . vertheilt wurden; Hase 1779 Aldermann l 51 Das grösste Arsenal in Europa kann nicht so gut verziert seyn, wie dieses Landhaus; Bruce 1784 Nachrichten 61 das grosse Zeughaus, Arsenal; Blumauer 1784-94 Virgils Aeneis (l 212) Hier schmiede, in ein rußig Heer/ Cyclopen umgeschaffen,/ Merz, Zaccaria, Weißlinger/ Et Socii die Waffen/ Für's große Römerarsenal; 1786 Holland. Staats-Anzeigen VI 113 da die Herren Abgeordneten . . den Verfall der Magazine und Arsenale einer Nachlässigkeit . . des Raths nicht zuschreiben; 1787 Dtsch. Museum 26 Arsenal zu Venedig; Goethe 1790 Scherz (WA l 12,126) zwei Gestelle/ mit Gläsern eins . . / Mit Büchsen eines und mit Schachteln [in Apotheke]: / Dieß ist das Arsenal, woraus der Tod/ Priviligirte Pfeile sendet; Stieglitz 1792 Baukunst I 41 Arsenal; Berenhorst 1798 Kriegskunst II 430 die Macht dieser, in Dichtersprache, den Göttern aus ihrem Arsenale entführten Rüstzeuge, die dem Kriegsbeflißnen seine Stärke zugleich mit seiner Schwäche zeigt; Meyer 1798 Sehr. 26 der große Löwe vor dem Arsenal zu Venedig; 1810 Almanach a. Rom l Vorerinn. Febr. Vergrösserung des Arsenals und des Piräus in Athen; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst I 31 Arsenal (Siehe Zeughaus); Haller 1820 Restauration II 111 im kleinen .. Waffenkammer, Rüstkammer, im grossen aber . . Arsenal oder Zeughaus; Rumohr 1832 Denkwürdigkeiten II 49 [Schulden der Soldaten] sammt den Kleidern, Uhren, Degen, welche aus dem Wirtshause nachgerade ein wahres Arsenal gemacht haben; Heine 1835 Romant. Schule 31 Die nüchterne Aufklärungssucht, die . . im seligen Nicolai ihr Hauptorgan und in der „allgemeinen deutschen Bibliothek"

ihr Arsenal besaß; Hehn 1839-40 Reisebilder a. Italien u. Prankreich 20 Das Arsenal. Ich habe schon viele Waffensammlungen gesehen. . . Hier knüpft sich fast überall Venedigs Geschichte, das Morgenland und die Türkei an die aufbewahrten Gegenstände; Freiligrath 1844 Glaubensbek. (III 94) [er] verschießt ein Arsenal von Spott; Leuthold 1848—76 Gedichte 60 Und rings weht von den Forts der Festungslinien/ Und hier am Hafen überm Arsenale/ Die zukunftsfrohe Flagge von Sardinien; Bobrik 1850 Allg. naut. Wb. 59a Einrichtung der Arsenale; Szarvady 1852 Paris I 340 f. machte die provisorische Regierung Paris zum Arsenale der . . desorganisirenden Clubgesellschaften; Vischer 1860 Krit. Gänge N. F. I 111 wir wandern mit ihm zum neuen Arsenal, dieser großen, umfangreichen Waffenburg; Latz 1869 Alchemie 282 Die Schiffsarsenale waren voll von Dreirudern und dem, was zu deren Ausrüstung gehört; Stein 1872 Heerwesen 103 Man bezeichnet sie [Lager], wenn sie für die Verpflegung bestimmt sind, als Magazine, wenn sie für die Ausrüstung bestimmt sind, als Arsenale; Kürnberger 1877 Herzenssachen 342 Dank unserer Schulbildung und dem Arsenal unserer Publicität; Brommy 1878 Marine 376 Die Werft . . steht unter dem Arsenal-Kommandanten oder Ober-Werft-Direktor; Bahr 1893 Liebe 201 Es [verschiedene Kostüme] war ein ganzes Arsenal aus allen Stilen; 1903 Preuss. Jahrb. CXI 308 [Varnhagen v. Enses Tagebücher sind] im Ganzen unschätzbar, ein wahres Arsenal zur Geschichte der 40er und 50er Jahre, wenn auch immer mit Vorsicht und Kritik zu benutzen; Dominik 1928 Uraniden 213 jeder der Brüder mit einem Arsenal von Waffen umhängt; Kronberg 1929 Jugend 247 Margit war schon im Abenddreß, und Jane hatte ihr Puderarsenal ausgebreitet. Sie bearbeitete Margits Gesicht; 1930 Das freie Deutschland I 149 Das Riesenarsenal der Dokumente muß bis zum äußersten ausgenutzt werden. Die Verteidigung der Gegner wird äußerst hartnäckig .. sein. . . Der Kampf geht aber nicht bloß um Deutschlands Ehre und Recht; Th. Mann 1930 Nachtr. (W. XIII 617) das ganze Arsenal ihrer menschenfeindlichen Beweisgründe; Schröder 1932 Racine 52 welche Möglichkeiten [der Sprache] in den Arsenalen unsres schier unerschöpflichen . . Sprachgeistes ruhen; Lokal-Anz. 6.11.1934 Bei einer . . Durchsuchung .. wurde ein Arsenal von Waffen und Munition vorgefunden; Dtsch. AZ. 8.8.1935 Es sind nicht nur die Arsenal-Arbeiter, die sich an den Zusammenrottungen beteiligen; Münch. N.N. 17./18.10. 1942 Das Arsenal der Vergeßlichkeit (Überschr.) Was alles im Fundbüro abgegeben worden ist; ebd. 6.1.1944 Industriell soll diese Tscheche! ein „Arsenal für die sowjetische Waffenindustrie" werden; ebd. 21.6.1944 daß ganz Südengland und London

Artefakt mit Truppen und Kriegsmaterial . . vollgestopft ein einziges Kriegsarsenal bilden; Dtsch. AZ. 1.10.1944 in den großen Rustungsarsenalen des Reiches; Süddtsch. Ztg. 16.6.1951 Der Griff ins Arsenal der Argumente, den die saarländische Propaganda . . getan hat, ist, von Saarbrücken aus gesehen, glücklich. Mit dieser Waffe kann man der Bundesrepublik gegenüber einige schmerzhafte Stöße führen; ebd. 30. 9.1952 Die Waffen freilich, die man in den Wahlkampf mitnimmt, stammen noch aus dem Arsenal dieses leidenschaftlichen Kämpfers; Feuchtwanger 1954 Füchse 500 ein riesiges Arsenal [Enzyklopädie], aus dem sich die Vernunft immer neue Waffen holen konnte; ND 3.2.1959 Deutschland zu einem militärischen Arsenal gegen die Sowjetunion zu machen; Welt 16.12.1959 im Arsenal der galanten Diplomatie gibt es Artillerie, St.-Georgs-Ritter und eine „Fünfte Kolonne"; ebd. 18. 9.1964 die Kriegstechnik, von außen Aufstände im Innern zu schüren, bleibt eine Lieblingswaffe im kommunistischen Arsenal; Süddtsch. Ztg. 1.3.1969 Das Sartre-Stück . . ist nach Ansicht des Figaro eine Demonstration, die so platt wie voraussehbar ist, „mit dem traditionellen Arsenal der Reinheit, der sauberen Hände, der schmutzigen Hände, allen Klischees der Sartreschen Mythologie, aber ohne . . Einfalle"; Offenburger Tagebl. 19.4.1969 Das Ausstrahlen von Siegeszuversicht gehört bei allen Parteien zum Wahlkampf-Arsenal; ND 5.6.1969 das Pentagon hat in einem Arsenal in unmittelbarer Nähe des Flughafens . . Giftgas gelagert; Welt 21.6.1969 die Bundesregierung hat das „Einfrieren" der Beziehungen zu Kambodscha beschlossen — eine Waffe aus dem Arsenal des Kalten Krieges; Offenburger Tagebl. 12.10.1971 Kosmetik, die den Frauen heute ein ganzes „Arsenal" an Verschönerungsmitteln bietet; Bausinger 1972 Dialekte 106 ein Arsenal mehr oder weniger lustiger sprachlicher Erfindungen; Welt 11.3.1974 politischer Terror aus dem Arsenal von Baader/Meinhof; Sloterdi/k 1983 Kritik 160 Gewiß hat die Aufklärung einen gewaltigen Erfolg. In ihren Arsenalen stehen nun die Waffen der Kritik bereit; Zeit 4.1.1985 das Arsenal der Karikaturisten; MM 18.4.1985 Diagnostik und Therapie . ., die . . das gesamte Arsenal moderner naturwissenschaftlich-technischer Möglichkeiten nutzen; Zeit 3.5.1985 Manifeste, die, ganz im Stil des Satirikers und Aphoristikers, mit dem ganzen Arsenal der Rhetorik arbeiten; MM 2. 8.1985 ist das ein Phänomen der postmodernen Kunst schlechthin, sie bedient sich im Arse-

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nal der Moderne nach dem jeweiligen Bedarf; Zeit 13.9.1985 die sowjetischen Drohungen, Moskau werde sein Arsenal an Offensivwaffen aufstocken; ebd. Begrenzung der strategischen Waffenarsenale; ebd. 29.11.1985 eine Reihe vorzüglich entwickelter technischer Erfindungen, die dem Experimentator ein Arsenal an Geräten zur Verfügung stellten; MM 7.12.1985 George .. bedient ein reichhaltiges Arsenal von Tasteninstrumenten; ebd. 30.12.1985 ein relativ festes Pfund [Währung] ist . . die wichtigste Antiinflationswaffe im Arsenal der Regierung; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 197 Alle sind .. in diesem wirren Netz gefangen, in diesem doppelten Boden voller altem Gerumpel, in diesem Arsenal von Klischees und Stereotypen; Zeit 7.2.1986 ein Arsenal von Ringen und Reifen und Rädern aus Holz, Zement, Metall, Hartgummi, Styropor; MM 3.4.1986 Attraktionen, die dem Animationsarsenal eines Vergnügungsparks entstammen könnten; Zeit 5. 9.1986 in den Tonnen vor der Tür sammelt sich das ganze Arsenal chemischer Gifte: Lacke, Farben, Verdünner, . . Säuren und Laugen; ebd. 21.11.1986 die alptraumhaften gegenwärtigen Atomwaffenarsenale der Supermächte; MM 20.1.1987 für diese [Kritiker] hat Kohl ein ganzes Arsenal von Bezeichnungen vorrätig, das er ihnen entgegenschleudert; Zeit 13.3.1987 sie sind in der Lage, dem chemischen Waffenarsenal angreifender Killerzellen zu widerstehen; MM 12.5.1987 wie er . . das ganze Arsenal abendländischer Theaterstile mixt und trotzdem daraus ein Ganzes wird; ebd. 16.5.1987 mit dem ganzen Arsenal aus Rock und Pop . . schafft die Plattenindustrie Umsätze, die sie in teure . . Opernproduktionen . . steckt; Altner 1987 Überlebenskrise 168 das Methodenarsenal der klassischen Naturwissenschaft; FAZ 28.2. 1990 Kein handliches Diktionär also zum raschen Nachschlagen, sondern ein gewaltiges Arsenal, das seine 1500 Pfund wert ist, ein gigantisches Gesamtbild der englischen Sprache; 1991 Wiener VI 127 die synthetische Karte aus dem Arsenal der Pharmaindustrie; Altner 1991 Naturvergessenheit 2 müßte es die primäre Aufgabe einer Bioethik sein, . . die Türen in unseren wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Begriffsarsenalen zur Natur hin aufzustoßen; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 112 Daß die populäre Stillehre . . sich unter Aufbietung aller rhetorischen Mittel und des gesamten Arsenals sprachlicher Attraktivmacher bemüht, die Belehrung in . . Grenzen zu halten; Süddtsch. Ztg. 26.727. 2.1994 Die Moderne hat .. ein unübersehbares Arsenal von Formen zur Verfügung gestellt.

Artefakt N. (-(e)s; -e), seit Anfang 18. Jh. selten, seit Anfang 19. Jh. häufiger nachgewiesene gelehrte Bildung aus lat. arte 'mit Geschick, mit Kunst' (Ablativ von

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Artefakt

ars 'Können, Geschick, Kunst'; —* Artist) und factum 'das Gemachte' (Part. Perf. N. von facere 'machen, bewirken'; —> Faktum), also eigentlich 'das (vom Menschen) mit Geschick, mit Kunst Gemachte'; anfangs auch in der lat. (flekt.) Form Artefactum mit PL Artefacta. a Meist bildungsspr. verwendet in der Bed. 'das künstlich, durch menschliches Können, von Menschenhand Geschaffene, Hervorgebrachte; Kunsterzeugnis, -produkt', z. B. wir leben in einer Welt der Artefakte, gelegentlich auch übertragen verwendet im Sinne von 'Konstrukt(ion)' und negativ konnotiert mit „unnatürlich, gekünstelt, synthetisch, (nur) konstruiert, erfunden" (s. Belege 1840, 1885-92, 1986, 1987), auch mit „leblos, tot" (s. Belege 1977, 1990). Dazu seit Anfang 18. Jh. das über gleichbed. frz. artificiel auf lat. artificialis 'kunstmäßig, kunstgerecht, Kunst-' (zu artifex 'Künstler') zurückgehende Adj. artifiziell, anfangs selten in der frz. Schreibung, vereinzelt auch in der lat. sowie in der eingedeutschten Form artifizialisch, zunächst für 'durch Kunst hervorgebracht, kunstfertig, -reich, meisterlich', dann auch 'künstlich (entstanden)', z. B. die artifizielle Umwelt, auch eher abwertend für 'gekünstelt, konstruiert' (s. Belege 1964, 1988); etwa gleichzeitig das bis ins frühere 20. Jh. gebuchte, über gleichbed. frz. artificieux auf lat. artificiosus 'kunstfertig; kunstvoll; kunstgemäß' zurückgehende Adj. artifiziös, zunächst 'kunstvoll', dann, nach frz. Vorbild, meist für 'schlau, verschlagen, verschmitzt'. b Seit frühem 20. Jh. fachspr. in der Archäologie für 'Gegenstand aus vorgeschichtlicher Zeit (z. B. Werkzeug aus Stein, Knochen), der seine Form durch menschliche Einwirkung erhielt, der menschliche Bearbeitung erkennen läßt'. c Selten auch in der Medizin für ' (zum Zweck der Täuschung) künstlich hervorgerufene Körperverletzung; am eigenen Körper herbeigeführte Veränderung, Schädigung; Selbstverstümmelung'. Artefakt a: 1704 Auserlesene Anm. I 277 Handwercke zu lernen ist so schwer nicht/ . . (1) Weil die meisten Künste schon erfunden sind . . (2) Die artefacta vorhanden/ aus deren Betrachtung zu lernen/ wie jedes gemacht ist; Lichtenberg 1775 Br. I 236 sie haben eine grosse Menge . . anderer Naturalien und Artefackten der Völcker, die sie besucht haben [mitgebracht]; Görres 1811 Ges. Sehr. IV 70 Es folgen dann die Koketten mit ihrem Pürschgeräthe, . . ein Artefact aus vielfarbigen Stiften und brillantirten Schmelzgläsern componirt; Goethe 1819 Br. (WA IV 31,87) daß dieser Erzkenner den Ringstein [in einen eisernen Ring gefaßter Stein] für ein Artefact erklärt; Schopenhauer 1840 Moral 117 daß es gar keine natürliche, von menschlicher Satzung unabhängige Moral gebe, sondern diese durch und durch ein Artefakt sei, ein Mittel, erfunden zur bessern Bändigung des eigensüchtigen . . Menschengeschlechts; Baltisch 1846 Eigenthutn 31 In Schlesien . . lebten Tausende von Familien, die sich nährten vom Spinnen und Weben des Flachses. Ein bedeutender Theil des Artefacts ging nach den Häfen und von dort nach Amerika; Vischer 1879 Auch Einer I 330 Ein Theil der Musiker war inzwi-

schen beschäftigt gewesen, . . kleinere und größere Körper, Artefakte ganz unbekannter Art, sorgsam . . hinzulegen; 1882 Brockhaus H 17 Artefakt . . Kunsterzeugnis, Kunstprodukt, im Gegensatz zum Naturprodukt; 1885-92 (Jodl 1920 Jodl 138) Wie die ganze Kultur, so sind auch die religiösen und ethischen Ideen, die Götter, das Gute, Artefakte des menschlichen Geschlechts; Ziegler 1903 Kultur 37 eine Menge selbst verfertigter Artefakte werden verbraucht; Jodl 1904 Vom Lebenswege // 631 Artefakte der Kultur; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 549) Sie wissen auch, welche entmenschte Greuel, welche mordgierige Unduldsamkeit die Epoche, der das Artefakt da hinter mir sein Dasein verdankt, gezeitigt hat; 1934 Handb. d. Philosophie IV 72 Ganz und gar nicht soll damit einer Verwechslung des organischen Lebendigen . . mit dem technisch von Menschen . . zweckmäßig hergestellten Artefakt das Wort geredet werden; Adorno 1961 Noten I 178 Er philosophiert nicht über Kunst, sondern durchbricht, im gleichsam fensterlosen Vollzug des Gestaltens selber, die Blindheit des Artefakts; Hildesheimer 1977 Mozart 317 f. Mozart sah ihn natürlich überhaupt nicht,

Artefakt denn er ist unsichtbar, ein totgeborenes Artefakt [Figur einer Oper]; Zeit 1.2.1985 weil die Computerrevolution . . darin besteht, daß die Sorge für die Erarbeitung des künftigen Wissens der Welt aus Menschenköpfen auf Maschinenartefakte übertragen wird; ebd. 12.4.1985 das Artefakt, das die Filme Viscontis errichten, ist auch ein Katafalk, ist ein Gefängnis ohne Aussicht auf neue Horizonte; ebd. 3.10.1986 der Artefakt-Charakter aller Geschichtsschreibung ist . . nicht weiter problematisch, bedenklich ist nur die Unredlichkeit des Historikers, sich selbst und andere über das imaginative Gepräge der von ihm verwalteten Bildungssparte zu täuschen; ebd. 10.10.1986 nehmen sich die Grünen in dieser Phase ihrer Entwicklung wie ein Artefakt der Fünf-Prozent-Klausel aus, weil sie ihren Zusammenhang einem äußerlich auferlegten Zwang zur Kooperation verdanken; ebd. 2.2.1987 Kunst und Nicht-Kunst, Artefakt und Alltagsgegenstand, schöpferische Leistung und zufälliges Ergebnis; ebd. 27. 3.1987 ich kann mir kein Artefakt denken, vom Mosaik bis zum Rock-n-Roll-Souvenir, für das sich nicht finanzkräftige Interessenten finden ließen; Stern 14.5.1987 schockt er [Künstler] seit der Biennale von 1980 in Venedig mit hölzernen Rohlingen und brutalen Artefakten Publikum wie Kritiker; ebd. 16.6.1987 die hölzernen Artefakte bestückt Kumrow mit Verstrebungen, Zinken und Haken; MM 6.11.1987 eine Wandinstallation, der man noch viel weniger ansieht, daß sie in der vorgefundenen Wirklichkeit von Architektur ein zusätzliches, bewußtes „Artefakt" darstellt: sie besteht nämlich bloß aus Spanplatten, die eine Wand verkleiden; Geyer-Ryan 1989 Dialektik 122 daß auch für die Odyssee eine Analyse geschrieben worden war, die ihr die ganze Dialektik eines literarischen Artefakts zugesteht; Keller 1990 Sprachwandel 27 Einen solchen Zusammenhang finden wir sowohl bei Artefakten als auch in der belebten Natur; Süddtsch. Ztg. 22.4.1993 nähern sich Juden (und Christen) . . der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in feierlicher Haltung, betrachten sie Photos und Artifakte [!] mit geziemender Ehrfurcht. artifizialisch: Walther 1708 Praecepta 15 jetzo wollen wir den figürlichen Gesang besehen: Dieser ist nun zweyerley, neml. Naturalis und Artificialis; 1725 (Freyberg 1836 Pragmat. Gesch. H 74) den von ihm fabrizirten artifizialischen weissen und rothen Balsam. artifiziell: Sperander 1727 A la mod Sprach 50 Artificiel, Künstlich, Meisterlich, Kunstreich, artificieös; Lichtenberg 1768 Aphorismen I 95 Diese [Mädchen vom Lande] dienen, .. Stellen der Dichter zu erklären, die der Gymnasiast übersezt, aber

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nicht empfindet, die das gepuderte Mädgen uns nicht aufschliesset, die zu artificiel liebt, zu systematisch blickt; 1786 Journal d. Moden I 251 ein Bouquet von kleinen artificiellen Rosen; 1795 ebd. X 599 Die zweyte neue Mode, welche ich hier bemerke, sind die artifiziellen Blumen, die man entweder zu Guirlanden, Brust-Bouquets, . . oder sie bloss in die Haare zu stecken, häufig trägt; Pückler-Muskau 1831 Br. e.Verstorbenen IV 386 daß . . ein Kameel in der Stadt sey — der Decorateur möge sich es daher ansehen, um sein artificielles Thier demselben so ähnlich als möglich zu machen; Schwarzenberg 1844 W. I 41 Das Leben im Orient ist eine Barke;.. Das Leben im Okzident ist ein Dampfwagen auf artificieller Eisenbahn dahin rasselnd; Imelmann 1877 70er Jahre 47 die aristokratisch-artificielle Kunst der schlesischen Schulen; 1882 Brockhaus II 21 Artifiziell . . künstlich, durch Kunst erzeugt, kunstmäßig; Franke 1913 Das „Artifizielle" in der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts (Titel); Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. IX 249) Herrn Walthers Weise klingt an in „verirrt" („ein Vöglein singt so süße"); aber das artifiziell Altertümliche und Volksliedhafte .. tritt weit zurück hinter eine durchaus vorherrschende Modernität; 1945 Freundesg. f. Korrodi 25 Die Blätter im Paradis artificiel der Literatur; Hellpach 1951 Sozialpsych. 69 Der . . professionelle Mathematiker „lebt" in seinen gänzlich artefiziellen Signensystemen („Formeln") wie in etwas Natürlichem; Offenburger Tagebl. 6.6.1959 Elisabeth Flickenschildt. . ist absolut einmalig: . . wie sie mit einer . . Nuancierung des Ausdrucks eine neue Seite der Figur enthüllt — . . wenngleich diese hochartifizielle Auffassung . . weder mit Schiller noch mit der Historic viel zu tun hat; Stuttgarter Ztg. 16.5.1962 wenn nun . . Tapies nachdrücklicher noch als der in der Verwendung von Goldund Silberpasten artifizieller geartete Cuixart ausgedehnte Leinwände mit. . Erdfarben buchstäblich zumauert; Deschner 1964 Talente 128 eine etwas artifiziell altertümliche Aura (DUDEN); Botond 1970 Nachwort z. Laforgue 123 schrieb er [Laforgue] 1885 eine Salome, ein Stück dichter, artifizieller, clownesker Kunstprosa; FAZ 16.12.1970 gelang es ihr [Theateraufführung] nicht, einige langatmige und artifiziell wirkende Abschweifungen im Text zu überbrücken; Hocke 1976 Tagebücher 83 Stendhal erweist sich . . als einer der . . frühen Exponenten eines . . Anarchismus, der . . in artifizieller, dandyhafter Isolierung mit einem . . gesetzesfrohen Hedonismus verbunden wird; Hitdesheimer 1977 Mozart 129 Ein elementarer Ausbruch. Und gleichzeitig ein ganz und gar beherrschter artifizieller Text; ebd. 152 Die Sprache dieser Texte ist tot und artifiziell; MM 23.1.1985 sehr unterkühlt, sehr artifiziell sind diese fließenden Bilder; Zeit

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15.2.1985 nachdem die abrasierten und glattgestampften Pisten ihren natürlichen Wert verloren haben, werden sie artifiziell wieder gesichert; ebd. 23.10.1985 Gertrude Stein identifiziert sich . . bewußt und höchst artifiziell mit der Attitüde der Kindlichkeit, mit einer Kindersprache, die auf den Plunder der Bedeutungen und Traditionen noch verzichten kann, weil sie am Anfang steht; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 54 Nicht daß er eine Halluzination gehabt hätte, aber mit einem Mal erschien ihm . . die ganze Szene irgendwie in einem anderen Licht: manieriert, artifiziell, synthetisch; ebd. 55 Schon wieder so eine konstruierte, artifizielle Szene; MM 4.1.1988 er spielt gekonnt mit den Versatzstücken des Genres, aber sein Thriller gibt sich zugleich so artifiziell, daß er keine Alpträume hervorzurufen vermag; ebd. 5.2.1988 die Diktion dieses Buches ist auf weite Strecken hin ebenso artifiziell, man kann auch sagen: gekünstelt wie die Konstruktion selbst; 1991 Tempo Vlll 3 Ist eine [Fernseh]Serie vorstellbar, die modern, gemein, artifiziell, kritisch, künstlerisch und trotzdem populär ist?; Süddtsch. Ztg. 4.8.1993 Vor allem kann er hochartifiziell, spannend und unterhaltsam zugleich erzählen; ebd. 20./21.11.1993 Die [Roman] Autorin macht aus der seltsamen Situation des Landes, dem widernatürlichen Herrschaftssystem, ein artifizielles Prinzip; Spiegel 25.7.1994 Ihre Figuren siedeln nicht im Artifiziellen, haben Bodenhaftung und sind doch nicht plump. artifiziös: Sperander 1727 A la mod Sprach 50 Artificiel, Künstlich, . . artificeös; 1882 Brockhaus H

21 Artifiziell . .; artifiziös, kunstreich, kunstvoll; auf Kunstgriffe bedacht, schlau. Artefakt b: Rütimeyer 1924 Ur-Ethnogr. d. Schweiz Vorr. XIJ1 Wir werden . . gewahr, wie dünn die Oberflächendecke ist, die uns von den Niederschlägen früherer Kulturen trennt und wie gleich oder wenig verändert gewisse Leitartefakte (in der Geologie würde man sagen Leitfossilien) jener Schichten sich . . bis heute erhalten haben; Cassirer 1925 Philosophie U 265 Artefakten [UrHand werkszeuge], die irgendeinem einzelnen, in den Bereich der mechanischen Technik gehörenden Bedürfnis dienen; 1967 Bild d. Wiss. III 178 der zweite Fund ist kein Teil eines Skelettes, sondern ein vermutliches Artefact, ein Feuersteinstückchen aus dem unteren Miocän von Thenay . . in Frankreich; Thenius 1970 Paläontologie o. S. ursprünglich von Agricola (Georg Bauer, 1494—1555) auch für Mineralien und Artefakte verwendet, wird die Bezeichnung [Paläontologie] heute auf Reste vorzeitlicher Lebenwesen beschränkt; 1991 Vogue II 186 260000 Mark für ein Aborigines-Artefakt. Artefakt c: Pschyrembel 1977 Klinisches Wb. 81 Artefact, Artefakt ..: Künstl. gemacht, Kunstprodukt (z. B. Verletzg. z. Zwecke d. Täuschg.). An Selbstbeschädigungen der Haut ist zu denken bei Hauterscheinungen mit eigentümlichen Formen. . . Bes. bei jungen hysterischen Frauen; Zeit 13.3. 1987 Enteignete Körper (Überschr.) . . die Elektroden waren alle in Ordnung und Frau K. verhielt sich ganz ruhig; keine Möglichkeiten für Artefakte.

Arterie F. (-; -n), Mitte 14. Jh. als medizinischer Terminus über lat. arteria entlehnt aus griech. 'Blutgefäß, Pulsader' (zu 'anbinden, aufhängen', also eigentlich 'am Herz festgemachte Leitung für Blut', vgl. das zum gleichen Etymon gehörige Subst. Aorta 'Hauptschlagader'). In der Bed. '(Haupt-)Schlagader, die das Blut vom Herz zu einem Organ oder Gewebe hinführt' (Ggs. —*· Vene), häufig in Zss. wie Arterienverkalkung, Herzkranzarterie; seit dem 19. Jh. öfters auch übertragen gebraucht (s. Belege 1851, 1886, 1954, 1994). Dazu Anfang 17. Jh. das vereinzelte Adj. arterisch und seit Mitte 18. Jh. die adj. Ableitungen arteriös und eventuell unter frz. Einfluß aufgekommenes arteriell in der Bed. 'zu den Arterien gehörig, die Schlagadern betreffend, mit ihnen in Verbindung stehend, in ihnen enthalten', auch 'sauerstoffhaltig' (Ggs. venös}, z. B. in der Wendung arterielles Blut 'vom Herzen kommendes, sauerstoffhaltiges Blut'; vereinzelt übertragen gebraucht (s. Beleg 1821). Dazu seit frühem 20. Jh. die Krankheitsbezeichnung Arteriosklerose F. (-; -n), neoklassische Kombination aus Arterie (s. o.) und Sklerose 'krankhafte Verhärtung von Geweben und Organen' (< griech. 'Härtung', zu 'hart, spröde, herb, streng'), in der Bed. 'krankhafte Veränderung der Arterien als Folge von Kalk-

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ablagerungen an der Innenwand; Arterienverkalkung' sowie die adj. Ableitung arteriosklerotisch (ohne Steigerung) 'die Arterienverkalkung betreffend, auf ihr beruhend, durch sie hervorgerufen, an ihr erkrankt'; dazu auch die Personenbezeichnung Arteriosklerotiker 'jmd., der an Arterienverkalkung erkrankt ist'. Arterie: K. v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 35 so schol man wizzen, daz dreierlai ädern sint in dem menschen, die ersten sint runstädern, da daz pluot inne rint und fleuzt von dem herzen . . in alliu andriu glider, .. haizent ze latein vene. die ändern ädern sint gaistädern und haizent ze latein arterie, . . in den vliezent die natürlichen gaist . . die dritten ädern sint pantädern und haizent ze latein nervi; 1446—48 Lanfrank. Chir. Parva 226 v von andremm äderen/ vnd von denn arterien, [die] ein ue weck machen (beide FRNHD. WB); Braunschweig 1497 Chirurgia 39 die vene das do sint die rechtenn plut äderen/ oder arterie das do sint die puls äderen; ebd. 117 vnd die wunden der grossen äderen oder venarum vnd arteri. die sint schedlich/ wann von irem vber fluß des plutz gat bald vß d' geist des lebens; Fries 1519 Spiegel d. Arznei 24b dy schlahung des puls durch die ädern Arterie genant; ebd. 69b nach dem sich dy arteri vff vnd zu thut; Paracelsus 1527 S. W. / 3,6 ex Mercurio körnen alle die krankheiten so in arteriis ligent; ebd. 3,196 so einem ein glid gar abgehauen wird on absterben der arterien; Thurneisser 1538 Onomasticon II 84 ein species oder art des Puls/ welcher theil sich bewegt oder erzeigt/ wann sich die arteria nicht gar auff einmal dilatirt; Begardi 1539 Index Sanitatis 8a mit den Arterijs, das ist mit den geyst ädern; Ruff 1580 Hebammenbuch 15 die lebendige Krafft deß Hertzens/ die nach der Leber geformiert vnd gemacht wirt/ mit allen jren verbundenen/ anerbornen vnd verwandtzen bendlein/ schnürlein und sennäderlein/ Arterie genannt; 1611 Triumph Wagen Antimonii 507 der Stein . . wird sich förder durch alle arterie vnd Adern des gantzen Leibs ziehen; Fabricius 1615 New Feldt Artzney Buch 25 die Arterien, das ist, die Hertz oder Pulssadern; 1654 (Zittmann 1706 Medicina 36) [ein Schlag oder Stich] welcher . . nicht allein die Nerven/ Arterien/ und einen Musculum entzwey geschnitten; 1701 Monatl. Auszug Okt. 42 daß man damahls alle Blut-Gefässe Venas geheissen/ und das Wort Arteria nur von der Arteria aspera oder Lufft-Röhre gebrauchet; Marperger 1712 Naturlex. 115 Arteria, ist ein zweydeutig Wort, wird erstlich genommen, vor das Blut-Gefäß, . . insgemein Pulß-Ader genannt. Zum ändern, vor die LufftRöhre, so auß dem Hals biß in die Lungen gehet; Elis. Chart. 1715 Br. II 648 die arterren ahn den schlaffen klopffen mir alß wie kleine hämerger; 1772 Frankf. gel. Anz. 24 Das Aus- und Einathmen, eine Art von Larynx, und Lunge, un-

merkliche Ausdünstung, Venen, Arterien, Milchgefäße, . . gehören eben sowol den Pflanzen, als den Thieren; Herder 1784 S. W. X///152 Sein [des Tieres] Zellengewebe, seine Nervenhäute, seine Arterien, Knochen, sein Gehirn sogar ist härter als das unsre; Jean Paul 1797 S. W. / 7,80 Auf diese Absonderung aus den Arterien ins Zellgewebe nimmt auch der lutherische Klerus . . Bedacht; Schiller vor 1805 Br. I 247 ihre Empfindungen und Ideen tröpfeln hidrostatisch, wie das Blut durch seine Venen und Arterien; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. II 128) der Lauf der Schläfarterien und Venen; Puchelt 1826 System d. Med. l 194 Im gesunden Zustande wird der Puls vom Gemeingefühle nur dann wahrgenommen, wenn irgend eine größere Arterie an einen festen Körper gedrückt wird; Feuerbach 1828 Merkw. Verbrechen l 157 Die zweite dieser Wunden hatte die äussere und innere Kopfarterie gerade bei ihrem Ausgang aus der gemeinschaftlichen Halsarterie . . zerschnitten; Neumann 1829 Krankheiten d. Menschen 52 Das System der Blutgefäße, das in drei Haupttheile zerfällt, in das Arterien-, das Venensystem und das System der kleinen Gefäße; Goethe 1831 Br. (WA IV 49,164) wie ja die letzten Verzweigungen der Arterien mit ihren verschwisterten Venen ganz am Ende der Fingerspitzen zusammentreffen; Gutzkow 1838 Blasedow I 113 In den feinen Arterien der Baumschale liegt die Kraft der Vegetation; Kohl 1851 Rhein I 15 die Flüsse sind gleichsam die Nerven oder Arterien des Festlandkörpers; Alexis 1852 Ruhe III 27 er mußte die heran geholte Lanzette noch sinken lassen, weil die Wunde an der Schläfe des Knaben so nahe an eine Arterie streifte; Valentin 1855 Physiologie 138 Das Pumpwerk des Herzens schöpft .. Blut aus den Venen und giesst es in die Arterien aus; Kürnberger 1855 Amerikamüde 462 Dieser Hudson, dieser Missisippi, dieser Ohio und Missouri, diese Seen und dieser Golf — er beschrieb mit der Hand schwungvolle Linien — welcher Landkörper der Erde hat ähnliche Venen und Arterien aufzuweisen?; Heyse 1874 Ges. W. II 4,305 mein Gott, ich glaube gar, eine Arterie ist verletzt; 1886 Buch d. Erfindungen IV 193 Die im Bilde dunkel gehaltenen Kanäle b können die Arterien vorstellen; in ihnen rinnt das flüssige Metall hinab und verbreitet sich nach allen Teilen der Form; Boruttau 1898 Physiologie 74 Von den anatomischen Kennzeichen der Arterien sei hier an den Reichthum an elastischen Elementen erinnert; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 125) er hatte

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sie gemustert und gesagt: ja, die Arterien an den Schläfen seien gefüllt; Münch. N. N. 3.9.1918 Neue Forschungen über die Arterien-Verkalkung; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 386) dieser Lebenskörper in dem geheimnisvollen Gleichmaß seines blutgenährten, von Nerven, Venen, Arterien, Haarfiltern durchzweigten, . . Gliederbaus; Dombrowski 1925 System IV 174 die Parteien .. erstarrten langsam wieder. Dieser Prozeß der parlamentarischen Arterienverkalkung . .; Werfet 1928 Abituriententag 94 Kandidat der Arterienverkalkung; Baum 1929 Menschen 282 mit dem etwas zu hohen Blutdruck des gutgenährten künftigen Arterienverkalkten; Niekisch 1929 Gedanken 172 dass die Sozialdemokratie überhaupt der politischen Arterienverkalkung entgegenzuarbeiten suchte; Süddtsch. Ztg. 26.6.1954 Um diese Nachschublinie wollte das Oberkommando eine Arterienklammer legen; Welt 8.8.1974 am häufigsten sind die Veränderungen am Auge, an den Nieren und an den Arterien der Beine; Zeit 9.8.1985 plötzlich versorgen verengte Arterien bestimmte Regionen des Gehirns nicht mehr mit genügend Blut; ebd. 7.2.1986 lebensbedrohlich verstopfte Herzkranzarterien; MM 27.6. 1986 dem Schlaganfall beugen amerikanische und deutsche Chirurgen durch „Ausschälen" der verkalkten, zum Gehirn führenden Arterien vor; ebd. 9.9.1987 Laser gegen verstopfte Herzkranzgefäße, gegen Hirntumor, Thrombosen und Arterienverkalkung; Spiegel 24.1.1994 Es [Erdbeben] zerstörte die Arterien einer Gesellschaft, die förmlich in Automobilen . . gefangen ist; ebd. 28.3.1994 die Mangeldurchblutung kann viele Ursachen haben, darunter als häufigste der Verschluß einer Arterie durch einen Blutpfropf. arteriell: Goethe um 1790 Naturwiss. Sehr. (WA II 1,255) zeigt das arterielle Blut ein höheres Roth, wahrscheinlich wegen der Säurung, die ihm bei'm Athemholen widerfährt; Steffens 1821 Caricaturen II 582 was . . als erregende oder wiederherstellende Potenz den Vereinen, und durch diese einer jeden Familie, einem jeden Bürger zuströmen soll (der Pulsschlag, das arterielle System, die ausübende Gewalt); Puchelt 1826 System d. Med. I 277 das Blut ist im höhern Grade arteriell, d. h. an Sauerstoff . . reicher; Neumann 1829 Krankheiten d. Menschen 77 Warum aber in den Lungen das Blut zu arteriellem aus venösem durch dasselbe Mittel wird; 1844 Handwb. d. Physiologie II 64 Die Entfaltung und Wirkung der arteriellen Klappen; Schopenhauer 1859 S. W. III 87 die Heftigkeit, mit der das arterielle Blut zum Gehirn ströhmt; Boruttau 1898 Physiologie 83 Die Methodik der betreffenden Untersuchungen besteht theils in Beobachtung des arteriellen Blutdrucks; Th. Mann 1924

Zauberberg (W. Ill 359) ich kenne sie ja mehr inwendig, subkutan, verstehen Sie, über arteriellen Blutdruck, . . da weiß ich .. Bescheid; L/lmer 1970 Lungenfunktion o. S. im arteriellen Blut; MM 1.7.1987 Erkrankungen .. wie .. Schlaganfälle, arterielle Embolien, epileptische Anfälle. arteriös: Pf äff 1756 von den Zähnen 37 Die Zähne bekommen ihre Nahrung vom arteriösen Geblüthe; ebd. 93 arteriöse Gefässe . . verletzet; Hufeland 1795 Pathogenie 293 des arteriösen Systems; Keil 1811 Ges. kl. Sehr. I 216 Wenn man den blutführenden Gefäßen, den arteriösen sowohl, als den venösen . . nicht eine eigentümliche Bewegungskraft zuschreibt, so kann man schwerlich aus der bloßen Kraft des Herzens und der größern Schlagadern die beständige und gleichmäßige Bewegung der Säfte erklären; Bichat 1823 Anatomie (Übers.) HI 102 arteriöser Kanal; Baer 1828 Entwickelungsgesch. I 100 die arteriöse Mündung dieser Kammer. arterisch: Colerus 1604 Oeconomia I 47 bringet Arterische und Podagrische kranckheiten. Arteriosklerose: Hammerstein 1916 Februar 40 Ich studiere, . . wie weit die moralische und geistige Arteriosklerose meiner Kaste fortgeschritten ist; Stekel 1924 Grund d. Seele 185 Was hat man früher von der Arteriosklerose, der so unheimlich klingenden „Verkalkung der Arterien" gehört?; Kronberg 1929 Jugend 188 im nächsten Jahr mache ich eine große Erbschaft. Mein Onkel ist dann mit der Arteriosklerose soweit; Münch. N. N. 23.11.1938 Jod und Jodverbindungen seien in vielen Arzneimitteln enthalten, die gegen Arteriosklerose und Altersbeschwerden angepriesen würden; Offenburger Tagebl. 1.9.1959 der Frankfurter Internist . . [gab] neue Ergebnisse der Arterioskleroseforschung [bekannt]; Welt 19.2.1966 Erforschung, Behandlung und Vorbeugung von Arteriosklerose; ebd. 12.3.1970 Ein Spezialinstitut für Arteriosklerose-Forschung; MM 4.7.1985 hoher Blutdruck kann zu einer Arteriosklerose (Verengung der Arterien) beitragen, indem er die Gefäßwände beschädigt, wodurch sich dort Cholesterin und andere Stoffe ablagern können. Arteriosklerotiker: 1931-32 Ostdtsch. Monatsh. XII 115 Arteriosklerotiker; Zeit 16.8.1985 ich habe ja in „Achterloo" den Ausspruch getan, Arteriosklerotiker stehen Hysterikern gegenüber. arteriosklerotisch: Pinkwart 1963 Mord 84 es steht zwar fest, daß der arteriosklerotische Bluthochdruck durch die Verengungen der Gefäße entsteht;

Artikel 2.eit 7. 6.1985 Gerinnsel können arteriosklerotisch eingeengte Herzkranzgefäße plötzlich verschließen; MM 24.9.1986 Verwirrtheiten auf arterio-

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sklerotischer Grundlage; ebd. W. 6.1988 hebt sich .. von der alkoholisch bedingten Form oder der arteriosklerotischen . . Demenz ab.

Artikel M. (-s; -), Mitte 13. Jh. über mlat. articulus 'Gelenk, kleines Glied, Finger; Augenblick, Moment; Abschnitt eines Schriftstücks; Glaubenssatz; Streitpunkt, Rechtsfall; grammatisches Geschlechtswort' entlehnt aus lat. articulus 'Gelenk; Ansatzknoten der Pflanzen; Glied, Teil der Rede; entscheidender Zeitpunkt, Augenblick; Abschnitt eines Schriftstücks; Glaubenssatz; Rechtssache; grammatisches Geschlechtswort' (Diminutiv zu artus 'Gelenk, Glied(maßen)' < griech. apSpov 'das Eingefügte, Gelenk'), vgl. etwa gleichzeitig aufgekommenes frz. article, engl. article, ital. articolo, anfangs auch in den Schreibungen Articul, Artic(e)l, Arti(c)kl, Artick(h)el, Artiggl, Artick(iel), Artygkel, Artykkel, selten auch in der frz. beeinflußten Form Article und bis ins späte 18. Jh. auch in lat. (flekt.) Formen wie Articulus, Articuli, Articulos, Ende 19. Jh. die Verkleinerungsform Artikelchen N. (-s; -). l Zunächst vor allem in der Kanzleisprache (bes. in Recht, Verwaltung und Religion) in der Bed. 'Teil eines gesprochenen oder geschriebenen Textes', oft auch auf dessen Inhalt übertragen. a Anfangs bes. bezogen auf argumentierende und sozial bindende Texte für 'Abschnitt, Punkt eines Schriftstückes, einer gesellschaftlich verpflichtenden Ordnung', auch übertragen für 'in einem Textabschnitt artikulierte Bedingung, Forderung, Abmachung; Argument, Grundsatz' (vgl. Ib), z. B. der Artikel eines Vertrages; die Artikel des Friedens, Krieges; die Artikel eines Handwerks, einer Zunft, Gilde; die zwölf Artikel im Bauernkrieg; der Artikel eines Briefes, eines verbrieften Rechtes; auch 'in Abschnitte gegliedertes offizielles Schriftstück'; seit spätem 15. Jh. als Bestimmungswort in den Zss. Artikel(s)brief, ursprünglich für 'in Artikel eingeteilte Vertragsurkunde über das geltende Kriegsrecht, die die Kriegsknechte bei der Musterung beschwören mußten, Kriegsstatut', dann allgemeiner für 'Urkunde, Satzungsdokument in verschiedenen Rechtsbereichen wie Dorfordnung, Zunftbrief, Gildebrief u. ä.', vom 15. bis 18. Jh. Artikelbuch 'Satzungsbuch, Amtsbuch'; vom frühen 16. bis Mitte 19. Jh. als Grundwort in den Zss. Amts-, Freiheit(s)-, Fundamental-, Geheim-, Gemein-, General-, Grund-, Handwerks-, Haupt-, Innung(s)-, Kriegs-, Not-, Straf-, Verhandlungs-, Vertrags-, Wahl-, Warnung(s)-, Weisung(s)-, Zenthaupt-, Zunftartikel; Fried(en)sartikel 'Friedensordnung, Friedensvertrag', Kriegsartikel 'Kriegsordnung', Regimentsartikel 'Heeresordnung', im früheren 16. Jh. vereinzelt auch Sprachartikel 'Verhandlungstext' (s. Beleg 1541); im späten 17. Jh. auch für 'Regelwerk' (s. Beleg 1676). b Seit Anfang 14. Jh., als Präzisierung zu la, in der Bed. 'einzelner, (meist mit einer Nummer gekennzeichneter) Punkt eines Textes, bes. einzelner Paragraph eines Vertrages, einer Satzung, Rechtsvorschrift', auch übertragen im Sinne von 'Verordnung, Gesetz' z. B. die Artikel eines Gesetzes; Artikel l der Verfassung besagt . .; nach Artikel 4 des Grundgesetzes; zunächst in der Rechtssprache häufig auch formelhaft verwendet, z. B. Artikel und Punkt, Stück, Sachen; in allen Artikeln, Stücken und Punkten; in allen Artikeln, Klauseln und Punkten; ein strafbarer, gesetzter Artikel; Abk.: Art.; seit frühem 17. Jh. als Grundwort in den Zss. Haupt-, Statut-, Verfassungsartikel, seit Mitte 20. Jh. in der Zs. Grundgesetzartikel.

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c Seit Mitte 14. Jh. in der Bed. 'Abschnitt eines Glaubensbekenntnisses, Glaubenssatz, dogmatischer Lehrsatz der christlichen Kirche, bes. einzelne Aussage des Credo', z. B. die Artikel des (christlichen) Glaubens, der Kirche, der Religion, der Gebote Gottes; die Artikel des Katechismus, Glaubensbekenntnisses; die Schmalkaldischen Artikel; Abk.: Art.; seit frühem 16. Jh. als Grundwort in den Zss. Glaubens-, Hauptartikel; im späteren 18. Jh. auch übertragen verwendet für 'Grundsatz' (s. Belege 1771, 1772, 1781, 1800, 1821, 1882). d Von Anfang 15. bis Anfang 19. Jh. im Bereich der vom römischen Recht geprägten juristischen Fachsprache für 'einzelner Punkt einer Anklage, Anklagepunkt, den der Kläger vorbringt und zu dem der Verklagte Punkt für Punkt Stellung nehmen muß, einzelne Position', auch übertragen für 'Anklage, Vergehen', z. B. jmdn. eines Artikels beschuldigen; auf des Klägers Punkte und Artikel antworten; von Artikel zu Artikel antworten; als Bestimmungswort bes. in der Zs. Artikelprozeß 'Prozeß, bei dem der Prozeßstoff in Anklagepunkte gegliedert ist'; als Grundwort in den Zss. Beschwer(de)-, Klage-, Ladungs-, Schirmartikel; Frageartikel 'gerichtliche Frage', Hauptartikel ' Hauptanklagepunkt'. e Von Anfang 16. bis Mitte 19. Jh. auch in der allgemeinen Bed. 'in einem Text(abschnitt) angesprochener Gegenstand, Sache, Angelegenheit, Thema, Bezugspunkt, Aspekt', z. B. von diesem Artikel ist genug geredet. 2 Seit Mitte 16. Jh. in der Fachsprache der Grammatik für 'der Genus-, Numerusund Kasusbestimmung von Substantiven dienende Wortart mit identifizierender, individualisierender oder generalisierender Funktion, Geschlechts-, Gliedwort', eigentlich 'kleinster Teil der Rede, der vor das Subst. gesetzt wird', hergeleitet von lat. articulus in seiner Bed. 'Rede-, Satzteilchen' (eigentlich 'syntaktisches Gelenkstück') (vgl. 1), z. B. der (un)bestimmte, (un)flektierte, männliche, feminine Artikel; ein Wort mit, ohne Artikel gebrauchen; Abk.: Art.; seit frühem 19. Jh. die adj. Ableitung artikellos 'kein Geschlechtswort aufweisend, ohne Geschlechtswort (gebraucht)' und das dazugehörige Subst. Artikellosigkeit F. (-; ohne PL); seit dem 20. Jh. als Bestimmungswort in den Zss. Artikelfunktion, -gebrauch, -klassifikation, -lehre, -morphem, -position, -Verwendung; etwa gleichzeitig in der Fachsprache der Sprachwissenschaft als Grundwort in der Zs. Nullartikel 'phonologisch nicht ausgedrücktes, inhaltlich aber vorhandenes Morphem des Geschlechtswortes, Artikellosigkeit'. 3 Seit frühem 17. Jh. unter Einfluß von gleichbed. frz. article im kaufmännischen Bereich verwendet: a Zunächst bis ins 19. Jh. selten für 'Posten in einer Rechnung'. b Von daher seit spätem 17. Jh. nach den gegliederten Posten in Warenrechnungen in der Bed. 'Handelsgegenstand, Ware einer bestimmten Art, Warensorte, Warengattung', z. B. preiswerte, billige, teure, gängige, modische Artikel; ein begehrter, beliebter, ausgefallener Artikel; diesen Artikel führen wir nicht, haben wir nicht am Lager; dieser Artikel ist ausverkauft, ugs. dieser Artikel geht schwer, geht nicht; Abk.: Art.; seit späterem 18. Jh. als Grundwort in Zss. wie Ausfuhr-, Bedarfs-, Bekleidungs-, Billig-, Büro-, Camping-, Damen-, Einfuhr-, Einmal-, Einweg-, Einzel-, Export-, Faschings-, Gebrauchs-, Genuß-, Geschenk-, Handels-, Haushalts-, Heimwerker-, Herren(mode)-, High-Tech-Export-, Hobby-, Import-, Industrie-, Konfektions-, Kosmetik-, Krankenpflege-, Luxus-, Marken-, Massen-

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(Bedarfs)-, Mode-, Pfennig-, Reise-, Reklame-, Scherz-, Spezial-, Spitzen-, Sport-, Standard-, Toiletten-, Trend-, Verlags-, Waren-, Wegwerf-, Werbe-, Wirtschaftsartikel; im 20. Jh. als Bestimmungswort in den Zss. Artikelbereich, -geschäft, -gruppe, -preis, -Umsätze. Dazu in neuerer Zeit die seltene Berufsbezeichnung Markenartikler M. (-s; -) 'Vertreter, der Markenware anbietet und vertreibt' (s. Belege 1955, 1970), auch 'Hersteller von Markenware' (s. Belege 1969, 1987). c Seit späterem 18. Jh., bes. auch in den Zss. Bedarfs-, Handels-, Gebrauchs-, Mode-, Warenartikel ironisch und zuweilen leicht abwertend auf Personen (s. Belege 1779, 1884) oder abstrakte Sachverhalte übertragen (s. Belege 1769, 1820, 1953), z. B. der Artikel Glück, Liebe. 4 Seit Anfang 18. Jh., wohl als Weiterentwicklung von l, in der allgemeinen Bed. 'selbständiger (kleinerer) Text, (kleinere) selbständige Abhandlung, Aufsatz'. a Zunächst für 'schriftlicher Beitrag in Zeitungen, Zeitschriften', z. B. ein interessanter, anregender, polemischer, spaltenlanger, großer, kleiner, kurzer, wissenschaftlicher Artikel. Seit früherem 18. Jh. als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Artikelreihe, -Schreiber; Enthüllungs-, Gedenk-, Gegen-, Hetz-, Illustrierten-, Leading-, Presse-, Revue-, Schand-, Schimpf-, Schluß-, Schmäh-, Sensations-, Sonntags-, Standard-, Tages-, Zeitschriften-, Zeitungsartikel. Seit Mitte 19. Jh. in der aus gleichbed. engl. leading article lehnübersetzten Fügung leitender Artikel und der Zs. Leitartikel 'wichtigster, den Leser führender Beitrag über die aktuellste politische Tagesfrage in einer Zeitung'; dazu gleichzeitig die oft abwertend gebrauchte verbale Ableitung leitartikeln V.intrans. 'einen Leitartikel verfassen', im späteren 19. Jh. vereinzelt auch übertragen für 'in trockenem Ton belehren' (s. Beleg 1871), seit späterem 19. Jh. die zuweilen abwertende subst. Ableitung Leitartikler M. (-s; -) 'Verfasser von Leitartikeln', seit spätem 19. Jh. die abwertende Zs. Leitartikelschreiberei F. (-; selten -en) 'das Verfassen von Leitartikeln' und die gleichbed. Ableitung Leitartikelei F. (-; selten -en), seit Mitte 20. Jh. die Zss. Leitartikelsprache, -Stil. In neuerer Zeit die eventuell aus Leitartikler verkürzte subst. Ableitung Artikler M.(-s; -) für 'Verfasser von Zeitungsartikeln'. b Seit späterem 18. Jh. speziell für 'wissenschaftlicher Beitrag in Lexika, Enzyklopädien', z. B. der Artikel eines Lexikons, Wörterbuches; wieviele Artikel umfaßt eine Lieferung?; gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Gruppen-, Lexikon-, Rahmen-, Wort-, Wörterbuchartikel und als Bestimmungswort in Zss. wie Artikelabschnitt, -aufbau, -Struktur. Dazu von Anfang 16. bis ins spätere 19. Jh. die adv. gebrauchte Ableitung artikel(s)weise in der Bed. 'von Anklagepunkt zu Anklagepunkt', z. B. jmdn. artikelweise verhören, vernehmen (s. Belege 1514, 1521, 1555); vom früheren 18. bis ins spätere 19. Jh. auch übertragen verwendet für 'jmdn. im privaten Bereich Punkt für Punkt befragen' (s. Belege 1740, 1768, 1804) (zu Id); vom frühen 16. bis Anfang 18. Jh. auch in der Bed. 'in einzelne Abschnitte, Gliederungspunkte, Aussageeinheiten aufgeteilt', z. B. die Sachen sind artikelweise verzeichnet, werden artikelweise besprochen (zu la und lb); seit Mitte 19. Jh. in der Bed. 'in kurzen Beiträgen (in Zeitungen) erscheinend', z. B. eine Arbeit artikelweise publizieren (zu 4a). Artikel la: nach 1250 Nürnb. Polizeiordn. 8 ditz sint die articuli, die ain ieclich sweren sol; 1291

Corpus d. altdt. Originalurkunden U 604 mit allen den setzen/ vnd artikeln/ die dar an begriffen/ vnd

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gesetzet sind/ in ir chreften stet beleiben; 1293 ebd. Ill 122 wir wellen auch daz der brief der in der vasten zwischen den herren geschriben wart — an allen sinen artikeln behalten werd; 1294 ebd. III 206 daz si . . allez daz mit triwen volfüren/ vnd tvon/ vnd ouch füdern an arge list/ vnd laisten vf vnsern schaden in allen den artykkeln vnd Sätzen/ die hie vor geschriben stent; 1350 Siegener Urkundenb. 332 dyse . . articule; 1373 CDSaxReg. II 12,94 rede gesecze recht unde artikel (DRW): 1375 ArchHessG. 3,151 artikel und friheide (DRW); 1385 Urkundenb. d. Klosters Berge b. Magdeburg 178 dissze vorgenannten zcwene morgen landes mit allen ändern vorgeschreven artickeln den vorgenanten iuden zcw yrem kever ewichlich zcw habene und zcw bruchene mit crafft disszes brives; 1398 Frankfurts Reichscorrespondenz l 48 Die aretükkel wil ich erzöigen die dem lande hoeren zu; 1400 ebd. l 63 Ich lassen uch wissen daz die Kurfürsten den Romsschen Konig abegesast hant von allen gnaden, friheiden des richs umb sache und artikele als hernach geschriben steent; 15.]h. Strassb. Zunft- u. Polizei-Verordn. 9 ein artickel des schultheissen ordenunge; ebd. 23 artickel . . in der stat buoch geschriben; ebd. 176 der ersamen zunft artikelbuch und Ordnung; Hugo v. Montfort Anfang 15. Jh. Gedichte 13 gitikeit, du bitter hört!/ du stifftest mein, du stifftest mort/ und hast vil böser artikel; 1439-40 Kottanerin (Mollay 1971 Denkwürdigkeiten 12) hielt Si in drey sach für . . Aber Si wessat wol, daz sy der dreirr artikel kainen hielten (FRNHD. WB); 1491 Urkunden Tübingen 83 Als denn das wie wir wollen, das es fürter zu ewigen zyten one abbruch gehalten vnd vollzogen werd, in nochuolgenden Artickeln eigentlich begriffen ist; 1518 Bayr. Landrechtsreformation (1936 Quellen z. Privatrechtsgesch. I 2,1) das dis Rechtbuech ist aufgetaut in 53 Tittl und derselben Tittl yeder hat nachvolgend seine ausgedruckte Gesatz . . Doch werden dieselben Gesatz dem alten Geprauch nach Artikl genennt; Hartmut v. Cronberg 1522 Sehr. 71 Verzeichnüß eynnes artickel briefs, der von dem gemeinen Christlichen kriegs hauffen, vestigklich gehallten werden muß; 1524 Bauernkrieg a. Oberrhein (Mone 1854 QuSamml, H 18) Darnach haben sich an allen orten uff dem Reynstrome aller oberkeiten bawerschafften gemeinlich, doch underschiedlich rottirt und entboret, auch sein zuvor von inen im truckh zwelff artickel ussgangen; Luther 1525 Ermahnunge zum fride auff die zwelff artickel der Bawrschafft ynn Schwaben (Titel); Busteter 1532 Bericht 8 soll ain Fürst vnd oberster sein Hochmüglichesten flüss dahin lenden, Das die bestell, artickels, vnd Regimentz Brieff, vber alle vnnd yede amptssverwaltung, vnnd gemaindenn, zuoglych vnpartheyesch, rächtmäsig, . . gesetzt, vnd wärhafftig beschriben

[werden]; Paracelsus 1537 S. W. / 10,433 f. darnach so ir also euer selbst vergessent in den articuln, wie gemelt seind, so straft man euch umb ein summa gelts; Meichssner 1541 Handbüchlin 122 Spraach Artickel einer statt die belegert ist vnd sich ergibt; Sleidan 1551 Briefw. 185 das alle bisher beschlossene artikel und acta sollen uffgehebt werden und nichts gelten; Fabricius 1568 Surius Chronik 26 Artikel/ des Friedens; Reissner 1572 Frundsberg 83b Vertragsartickel; Fischart 1575 Geschichtklitterung (Übers.) 316 Zwischen dem essen bestellt er die Aempter, befehl und Commissionen . . Articulbrieff; Schwendi 1593 Kriegs Discurs 21 Kriegsarticul; Kirchhof1602 Milit. disciplina 66 darmit der Articulsbrieff (also nennet man dasjenige/ was den Kriegsleuten vorgehalten wirdt/ und sie zu halten schwebten sollen) verlesen; 1623 Orientalisch Indien V 12 man hette jhn [den aufrührerischen Seemann] gern abgebetten, aber vorgelesener Ordnung vnnd Artickel nach, darauff wir alle geschworen, hat es . . nicht anders seyn können [als dal? das Urteil vollstreckt wurde]; Ammann 1630 Reise ins Hl. Land 44 in Friedens-Artiklen; Francisci 1676 Lust-Haus 537 Nichts destoweniger (spricht erwähnter Author) weil ohne das der Artickels-Brieff dieser vermeinten Kunst/ auf die blosse Himmels-Plätze/ fürnemlich gestellet/ und die geschmiedete Regeln vielmehr auf die BogenStücke deß Planeten-Kreises eingerichtet/ die Sterne aber nur zum Vorwand hierinn gebraucht worden; 1689 Polit. Fliegenwedel l 20 Für das Änderte/ ebener massen wahr/ daß das Fürstenthum Siebenbürgen/ ein wahres unzertrennliches Dependens von dem Königreich Hungarn seye/ . . es aber der zwischen Keysern Rudolpho Secundo, als König in Ungarn/ und dann Sigismunden Bathory, am 14. Martii Anno 1595. aufgerichte/ und von den gesamten Ständen des Königreichs Ungarn mutbewilligte Vertrag gnugsam zeiget/ wann der änderte Articulus desselben so viel vermag; Beer 1700 Staats-Mann 132 und folgten nach denen Buchstaben/ die Abschreiber/ Allmosen-Schreiber/ Amtsschreiber/ Articuls-Schreiber (CARMESIN); Bohse 1703 Helicon 254 Nach Unterschreibung dieser Articul wurde Franciscus [der französische König] wieder losgelassen [aus der spanischen Gefangenschaft]; Marperger 1712 Naturlex. 1421 Dachdekker haben in Nürnberg ihre Ordnung und Articuls-Briefe; Fleming 1726 Soldat 204 sie [die Soldaten der freiwilligen Miliz] müssen . . sich dennoch der Ordre und dem Commando des Officiers . . völlig unterwerffen, und denen Krieges-Articuln, die sie sich so wohl als die ändern Soldaten bekandt machen müssen, nachleben; Bürckhle 1742 Process H 733 der vierzehend Arthickhel deß obgemeinten Vertrags vermag vnd zugibt, ob sich begebe . . Vnderthanen Herrn Junckhern vnd obern diesem

Artikel Vertrag, Och den Artickheln darinnen begriffen, so vil sy die betreffen; Görres 1807 Ges. Sehr. Ill 192 Dann gründliche Beschreibung alles desjenigen, was bei dem Aufdingen, Lossprechen und Meisterwerden nach ihren Artikulsbriefen von langer Zeit her, bei ihren Zünften in Acht genommen wird; Marx 1850 Klassenkämpfe i. Frankreich (MEW VII 55) Der andre Teil . . zog sich, nachdem der Artikel über die Untersagung der Klubs durchgegangen war, mit Ledru-Rollin und der Montagne vereint, in einen besondern Bürosaal zurück; Hauser 1854 Dtsch. Gesch. I 276 [die kleineren Verbündeten] erwarteten vertraute Mittheilungen, hofften, daß man sie zum Beitritt zu den geheimen Artikeln einladen . . werde; Schmoller 1870 Gesch. d. dtsch. Kleingewerbe 31 Aus der Handwerkerordnung für Westpreußen von 1774 hebe ich folgendes hervor: alle alten Artikel und Bräuche, alle Schmausereien sind abgeschafft; Weismantel 1936 Riemenschneider 111 Hans Böhm .. predigt den Ungezählten vom Dache eines Bauernhauses zwölf Artikel, und sagt, die Mutter Gottes hätte sie ihm gegeben; Dülmen 1977 Reformation 50f. Die Zwölf Artikel, „Die grundlichen und rechten Hauptartikel aller Baurschaft und Hintersessen der geistlichen und weltlichen Oberkaiten, von wölchen si sich beschwert vermeinen", wie der vollständige Titel der vom Memminger Kürschnergesellen und Laienprediger Sebastian Lotzer für die schwäbischen Bauern aufgestellten Schrift lautet, fanden unter den bekannten Artikeln die weiteste Verbreitung. Artikel Ib: 1304 Brixner Urkunden II 1,89 ob wir oder dehainer vnser erben vnd nachchomen mit gevaerd der vorgenanten pünt saetz vnd artikel dehainen übergiengen/ vnd niht behielten; 1323 (Brandts 1850 Gesch. d. Landeshauptleute 57) all ändern obgeschribner Stuckh vnd Artiggl; i333 Brixner Urkunden II 1,560 Vnd daz vnserm vorgenantem/ herren bischoff Albr(echt) seinem nachchomen vnd seinem gotzhous die vorgescriben pünt vnd artigel/ also stät vnd vnuerprochen peleibe, haben wir . . insigel gehenget . . an diesem prief/ ze äynem vrchünde der warheit; 2343 Privilegien d. Stadt Eger 7 dasz die purger all gnaden vnnd freyheiten . . geprauchen vnnd welche wir mit punkten, clausein vnnd artigkheln ratificiern vnd bekreftigen (DRW); 1379 Hess. Urkundenb. II 4,134 Czuo urkuonde des und allir vorgeschriben stugke, phüngte und artygkel czu eyner ewegin stedykeit, ewecliche czu blyben, so han wir Ulrich und Eise dy vorgenanten unser beidir ingesigel . . an dysen brieff gehangin; 1381 Frankfurts Reichscorrespondenz I 5 daz artickele uff und abe wurden getan; 15. Jh. Strassb. Zunft- u. Polizei-Verordn. 79 Alle und yegliche vorgeschriben stücke,

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puncten und artickele [der Verordnung]; um 1450 Chroniken d. dtsch. Städte XVII 35 daz wir die vorgeschreben sune mit allen den Vorworten und artikeln und bunden . . gesworn han; Tucher 1464 — 75 Baumeisterbuch 294 Nochdem das puch geschriben und gancz gemacht worden ist, hot sich doch dornoch und etliche stück in mitler zeit begeben . . und wie wol die auch eins eigen reigisters und anzeigens bedorften, so hab ich die doch hinfur und voren in das register mit ziffras an dieselben oder der geleichen artickel hencken lossen, dordurch man die auch hinten im puch finden mag; 1484 Fürstenb. Urkundenb. IV 28 wie wir deß in allen artickheln, clausein vnd puncten angesehen, verschriben vnd versiglet habend (DRW); Arnpeck 1486 Chroniken 549 und fragt den Küng [Maximilian bei seiner Krönung zu Aachen] . . di nachvolgenden artikl und punct [des Eides]; 1487 Würzb. Polizeisätze 194 H Doch so behalten wir uns für uns und alle unser nachkomen hiemit vor, diese unsere Satzung und ordenung in einen oder mere puncktn und artickel zu mern und zu myndern; Murner 1519 Geuchmat 645 Der [Cantzler] vnser höfflich geuchisch wesen/ Von stuck soll zuo den stucken lesen,/ Artickel/ reformation,/ Wo ein yeder gouch sol ston (FRNHD. WB); 1522 (1782 Annales Ingolstadiensis Academiae IV 212) [die neue Universitätsverfassung] von Artigkien zu Artigkien erwegen und beratslagen; 1523 Flugschr. z. Ritterschaftsbewegung 36 [Vertrag] in allen stükken, puncten Artickeln und clausulen on einichen ausszzug ein oder widerred zu halten; Paracelsus um 1530 S. W. // 6 o. S. dann diese gotlos haben discipliner under ihnen wie die henkersbueben mit vil artikeln; 1532 Peinl. GO Karls V. 101 wie straff . . durch den Richter erkannt mögen werden, davon wirdt die form des vrteills hernach jnn dem 196. Artickell fundenn (FRNHD. WB); Fabricius 1532 Büchlein 6 Aber wo sich ein sententz oder ein ander artickel sich in der red wider anhebet, ist von nöten ein versal zu schreiben; Paracelsus 1534 S. W. // 2, 260 darumb seindt ire articul und puncten nichts als ehebruch, hypocrisis; 1542—46 Joachims II. Hofordn. 63 Diese oben geschriebene Ordnung der Kuchen sol in in keinem artikel . . überschritten [werden]; Schertlin v. Burtenbach 1545 Br. 43 alle puncten vnd artickul meiner instruction; Fischart 1578 Philos. Ehezuchtbüchlein (W. III 126) hie inn gewisse Articul und vergleichungen zusammen zutragen . . vnd euch jungen Ehleuten dieselbige . . zuverehren; 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 190) Auff diese sechs Puncten antwort der Geist dem Fausto, daß er jhm in allem wolt willfahren vnd gehorsamen, so ferrn daß er jm dagegen auch etlich fürgehaltene Artikkel wolle leisten, vnd wo er solches thue, sol es weiter kein noht haben, vnd seind diß darunter deß

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Geistes etliche Artickel gewesen: Erstlich, daß er, Faustus, verspreche vnd schwere, daß er sein, deß Geistes, eygen seyn wolte; Hoppe 1636 Gesch. 534 Als sie . . sich gesetzet, lass der frantzösische Legatus einen Articul nach dem anderen mit lauter Simmte ab, darauff beyderseits Interessenten Acht gaben, wie selbige mit ihren Exemplaren übereinstimmeten; Leibniz 1668—76 Briefw. I 234 Dafern nun . . die Herrn Subdelegirte einige articel verwerffen, und juramentum purgationis dem beclagten oder Inqvisiten zuerkennen wollen; Grimmelshausen 1672 Simpl. Ill 390 Obenermeltem Orontäo wolte diese Vermächtnüs/ Meinung und letzter Wille Modesti durchaus nicht gefallen/ ohnangesehen sie der einige rechtmässig Erb Proximus/ als ein gehorsamer Sohn/ von Wort zu Wort gutsprach/ und darmit in allen Puncten und Artickeln zufrieden war; 1700 Monatl. Auszug I 590 Wofern Spanien oder Franckreich nicht drein willigen würden/ so wolle man wieder die abschlagende Partey nachdem 3. 4. und letztern Artickeln verfahren; Barre 1752 Gesch. v. Deutschland VIII 5 Der [Friedens]Vertrag enthielt hundert und vier und zwanzig Artikel; Goethe um 1820 Paralipomena z. Faust // (WA 115.2,190) Enyo . . Bündniß [des Mephistopheles] mit ihr [Enyo]. Die offenbaren Bedingungen wollen nichts heißen, die geheimen Artikel sind die wirksamsten; Dahlmann 1845 Gesch. d. frz. Rev. 242 wenn es bei dem höchst unpraktischen Vorschlage blieb, den Verfassungsentwurf keinem Ausschusse zu vertrauen, sondern die vom Comite namhaft gemachten Artikel: Menschenrechte . . Rechte der Nation, . . gleichzeitig in allen Bureaus berathen . . zu lassen; Marx 1850 Klassenkämpfe i. Frankreich (MEW VII 54) Artikel 8 der Konstitution garantiert allen Franzosen das Recht, sich zu assoziieren; 1869 Bundes-Gesetzblatt d. Norddtsch. Bundes 458 Artikel 261. Die stille Gesellschaft wird aufgelöst: 1) durch den Tod des Inhabers des Handelsgewerbes; Bluntschli 1878 Beuterecht 162 Es ist wünschenswerth, dass der Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privateigenthums . . unter dem Vorbehalt des Artikel 3 angenommen werde; Bismarck 1881 Reden VHI 287 Beide Artikel enthalten in der gegenwärtigen Fassung die Bestimmung, daß die staatliche Aufsicht durch Organe geübt werden soll, welche keine Staatsbehörden sind; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 98) zwischen Österreich und Rußland [kam eine Übereinkunft] zustande, worin ein geheimer Artikel besagte, daß, wenn der König eines oder das andere angreife, er den Besitz Schlesiens verwirkt haben solle; 1949 Grundgesetz 3 Die Grundrechte. Art. l [Schutz der Menschenwürde] (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt; Gail 1958 Weltraumfahrt 130

Artikel l der Satzungen der IAF lautet: „es soll Aufgabe der Internationalen Astronautischen Föderation sein, das große Werk der Weltraumfahrt als friedliche Aufgabe zu fördern und anzuspornen"; Welt 24.4.1959 in seiner Entscheidung stellt der Erste Senat des Verfassungsgerichtes fest, die getrennte Veranlagung verstoße weder gegen Artikel 6 Absatz l des Grundgesetzes noch gegen anderes Verfassungsrecht (Artikel 6 Absatz l stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung); FAZ 22.1.1966 27 Artikel des Gesetzes waren bei der Lesung in der Kammer am Donnerstag einzeln abgestimmt und angenommen worden; Welt 1.10.1969 der Antrag der hessischen Landesregierung . . wendet sich gegen die Neufassung des Artikels 10 im Grundgesetz; MM 7.6. 1985 in den insgesamt 37 Artikeln der Konvention; ebd. 8.1.1988 für eine solche Auslegung genügen die Absätze eins und vier des Grundgesetzartikels 12a; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 613 In Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1949 ist die rechtliche und politische Gleichberechtigung von Frauen und Männern festgehalten. artikelweise: 1525 Bauernkr. Rotenb. 418 als ir uns in aim eingelegten zedel, artickels weys verzaichnet, zuschickt, wes nechst vergangen samstags beratschlagt worden (FRNHD. WB); 1536 Chroniken d. dtsch. Städte XX1I1 284 so die stände in diesem ir opinion in schrifft stellten, artickelsweis teutsch oder lateinisch; 1558 Chronik Augsb. VII 315 Die beschwerung . . so bishero das gottshaus . . erlitten und tragen hat, auf das kürzest articulsweis angetzaigt, wie hernach volgt (FRNHD. WB); Schlöpke 1704 Chronik Bardewick 357 Inmittelst ließ Hertzog Ernst durch Evangelische Theologos die gröbeste . . Mißbräuche Päbstlicher Religion Articulweise in ein Buch verfassen. Artikel Ic: Johann v. Marienu>erder 14. Jh. Beichten 167 Ich gebe mich schuldig, . . das ich dy artykel des heiligen cristengelouben gebrochen habe; um 1350 Niederrhein. Bericht ü. d. Orient (1887 ZfdPh. XIX 9) alle dise lüde, die in diesen koninckrychen wonent, die sind kirsten, nur sy en synt nyet alle gelyche gude kirsten, sy synt mit etzlichen articulen ind puncten gescheiden; Velser 1393 — 99 Mandevilles Reisebeschreibung (Übers.) 78 Und hond etlich artickel von unserm glouben; Eyb 1472 Ehebüchlein (Dtsch. Sehr, l 70) Sibille, der do zwelff gewest sein, haben durch ir götliche weyßheit die zukunfft vnsers herren Christi, sein gepurt von der iunckfrawen Maria, sein leiden, sein tod vnd sein vrstende mit ändern artickeln des heilligen glawben geweyssagt vnd geöffnet; ders. 1474 Spiegel d. Sitten 6a mere ander der geleichen

Artikel kristenlicher artickel; Nazarei 1521 Gott 13 in Concilio Niceni, do ward darumb vnd sunst im glouben gar Christlich artickel eröffnet vnd beschlossen; ebd. 46 das, so er [Thomas] geschriben hat, ist nit sin meynung ye gewesen, für artickel des glaubens zehalten, wann er sin schriben der oberkeyt, den wisen vnterwirfft; Zwingli 1522 Bitte (W. l 228) die summe diss artickels oder worten Christi; Bucer 1523 Dt. Sehr. I 137 so hab ich hye lossen trucken mein artickel und ußschreiben, das ich bey euch öffentlich angeschlagen und uff der cantzel gelesen und verkündt habe; Luther 1524 Abgott (W. XV 195) Der Bapst aber, ya alle engel haben nicht gewalt, eynen newen artickel des glaubens zu setzen, der nicht ynn der schrifft ausgedruckt ist; ders. um 1526 (W. XXIH 101) was ich wil, das sol und mus aus solcher kunst [der Schriftauslegung] für glaubensartickel geschlossen werden (DWB); Paracelsus um 1530-32 S. W. II 2, 306 sollich articul der gebott gottes sollen vor allen dingen im seligen leben vortretten und ein Spiegel sein in unserm herzen; Agricola 1537 Tragedia Joh. Huss A 5b erdichten falsche Artickel, die er [Jan Hus] solt geleret haben; Lauterbach 1538 Tagebuch 64 Ah wir solten bleibenn bey dem artickel: Credo in Christum Jhesum; Franck 1539 Guldin Arch 4b Also haben . . die Barfuosser . . ein gar newen vnnützen/ vnnoetigen/ ja thoerichten frag vnd artickel/ ob Maria inn erbsünd sey geboren oder nicht/ auffbracht; Kirchmair vor 1554 Denkwürdigkeiten 525 Noch zuversuechen, ob die streittigen artigkl der Religion möchten guettlich zu friden gepracht werden; Sachs 1556 (Bibl. d. lit. Ver. XII 531) Ich bin als wol, als du, ein Christ Und glaub all christliche artikel; Spangenberg 1563 Formularbüchlein D6b die streittigen Artickel der Religion; Fischart 1580 Jesuiterhütlein (W. l 256) Zuglauben, daß er [der Papst] on all Sachen/ Mög Neu Glaubens Articul machen; Nigrinus 1587 Schlüssel Büchlein 30 b Dann wer in disem Artickel von der Rechtfertigung jrret, vnd im finstern geht; Theobald 1609 Hussitenkrieg (Zinzendorf, Materialien l 2,17) Es hab Huß den Articul von dem Abendmal nicht herfur bracht; Böhme vor 1624 Theosophia Revelata 185 So ist nun der Glaube nicht eine historische Wissenschaft, dasz ihme ein Mensch Articul mache, und daran alleine hange, und zwaenge sein Gemueth in die Wercke seiner Vernunft; Winckelmann 1649 Bedencken 146 Die Artickel unsers Christlichen Glaubens; Bellin 1657 Rechtschreibung Vorw. o. S. einer [der den Hochzeitsscherz] also bestritte/ als wan in einem Glaubensartikel eine falsche lere zu glauben wäre aufgedrungen worden; Butschky vor 1679 Rosen-Thal 384 es sey ein Mann zu ihren Ureltern kommen/ der ihnen/ eben solche Articul/ von Gott/ und der ewigen Seligkeit/ fürgetragen;

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Spener 1685 Klagen (Sehr. IV 153) So wird kein einiger articul von uns gehandlet/ der nicht endlich eben auff solche heiligkeit mit zielete; ders. 1687 Natur (Sehr. IV 434) Lasset uns die articul von demselben [von Jesus Christus]/ seiner person/ amt und guetern/ gleichsam unser erstes und letztes seyn; Bodmer/Breitinger 1746 Mahler I 62 Wenn ihr nun auf der ändern Seite die Natur der Religion betrachten werdet, so werdet ihr die Grosse der Gefahr, in welche der Vorwitz einen Menschen in dem Artickel der Religion stuertzet, noch klärer ermessen können; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,9) Da ward aus der ganzen Lehre von der Gottheit das einige Stueck von Christo, und aus der ganzen Lehre von Christo der einige Articul von seinem Leiden . . heraus genommen; Dusch 1771 Br. V 11 weil es ein Glaubensartikel bey den Griechen war, dass die Götter sich oft sichtbar . . in die Geschäfte der Menschen mengen; Gemmingen 1772 Br. (Briefiv. Haller-Gemmingen 32) In Helvetien gehöret sie [die Geschichte von Wilhelm Teil] unter die politischen Glaubensarticul, die nicht angetastet werden sollen; Lavater 1776 Br. (Verm. Sehr. II 234) Ja, Freund, das Kernsystem der . . ischen ist Konzilienreligion. Nicht Ein Artikel ist ohne Zusatz von grober Menschlichkeit. Rein-biblisch ist kein Punkt; Goethe 1781 Br. (WA IV 5,228) weil es ein Artikel meines Glaubens ist, daß wir durch Standhaftigkeit und Treue in dem gegenwärtigen Zustande, ganz allein der höheren Stufe eines folgenden werth und, sie zu betreten, fähig werden; Heinzmann 1800 Frühst., Beil. 6 Glaubens-Artikel der Modewelt; Goethe 1821 Wanderfahre (WA I 24,244 f.) Schon wird dieses Bekenntniß von einem großen Theil der Welt ausgesprochen, doch unbewußt . . Im Credo! . . denn der erste Artikel ist ethnisch und gehört allen Völkern; der zweite christlich, für die mit Leiden Kämpfenden und in Leiden Verherrlichten; der dritte zuletzt lehrt eine begeisterte Gemeinschaft der Heiligen, welches heißt: der im höchsten Grad Guten und Weisen; Du Bois-Reymond 1882 Reden II 169 Der Widerwille gegen den physikalischen Versuch und dessen mathematische Behandlung bildet bekanntlich einen wichtigen Artikel von Goethe's naturwissenschaftlichem Bekenntnis, und . . das Leitmotiv zu seiner gehässigen Polemik gegen die Newtonsche Farbenlehre; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 9) die kleine Antonie, achtjährig und zartgebaut, . . sprach darauf langsam: „ich glaube, daß mich Gott", fügte, . . rasch hinzu:" — geschaffen hat samt allen Kreaturen", war plötzlich auf glatte Bahn geraten und schnurrte nun, glückstrahlend und unaufhaltsam, den ganzen Artikel daher, getreu nach dem Katechismus, wie er soeben, Anno 1835, . . neu revidiert herausgegeben war; MM

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Artikel

18.12.1985 im zweiten Artikel des Glaubensbekenntnisses komme diese Doppelnatur des Weihnachtsgeschehens [von Krippe und Kreuz, Geburt und Tod Christi] zum Ausdruck. Artikel Id: um 1400 Magd. Fragen 64 Czu deme andirn artikel spreche wir eyn recht (FRNHD. WB); Richental um 1430 Chronik d. Constanzer Concils 73 also ward Balthasar de Cossis . . gefürt gen Gottlieben under Costenz und ward im da vorgelesen die bösen artikel und Sachen die er getan hett; 1464 Bayreuth StB. l 288 welcher meyster der obgeschriben artickel einen verbrech und des wissenlich besagt würde (DRW); 1472 Ständetage Preußen I 283 ihr habt ums geandwert uff drey artikel; 1491 Urkundenb. NdRhein IV 1,559 wie dan sulchen articule der gebrechen mit anderen inreden daran treffende zo beiden deilen vurder und langer geleydt mögen hauen ind hernae vurder erchiert staent; 1525 Glaubwürdiger Bericht b la auff den ändern puncten oder artikel vermeinten klag zu antworten; Schwartzenbach 1564 Synonyma Xlll r Articul. Satzstück/ so der Klaeger zu erleuchterung seiner klag vbergibt/ Positional Articul; Termineus 1565 Processus 40 vnnd auff des gegentheils vormeinte position vnd artickul vermittelst gleichem eydt zu antworten; ebd. 160 Ein artickel oder satzstücke ist eine Verfassung des punctes, daraus oder damit cleger zu erhaltung den grund seiner clage beweisen will; Fischart 1575 Geschichtklitterung (Übers.) 249 Auff solche wort rufften sie Blasphemauit und stellen darüber artikkul wider jhne; Musculus 1585 Wetterhan 130 von Artickel zu Artickel antworten; Megiser 1612 Annales Carinthiae 472 hat er [Kaiser Karl] . . zu Wormbs einen Reichs Tag gehalten/ dahin er König Thessel beschieden/ welcher aber nicht kommen / vnd auch auff die Artickel/ so ihm der Keyser fürhalten lassen nicht geantwortet; 1616 Bayr. Landrecht 30 welcher hinfuero Schirm: oder Gegenweisung zefuehrn Vorhabens/ derselb mit vnd neben seiner Antwort/ auff deß Klaegers Articul / seine SchirmArticul einbringen/ vnd da es nit beschehe/ mit denselben hernach weiter nit zuogelassen werden solle/ Er künde dann beweisen; Bretzner 1787 Leben I 171 Fragartickel; Schiller 1800 Maria Stuart (S. W. XVI 161) Ihr hörtet die Klagartikel an, ließt euch darüber Vernehmen vor Gerichte. artikelweise: 1514 (Franz 1935 Bauernkrieg 105) das wir dieselbigen [Beschwerden] geschriftlich in artikelswysz uffzaychnen; Murner 1521 Kl. Sehr. 16 Ist aber disser babst mit seinem hoff ein solcher grosser findt gottes/ so zeig das an artickels weiß vnd laß in zu verantwürten kummen; 1555 Reichskammergo 230 wollen wir eynem jeden cläger frey-

gelassen und heimgestelt haben, dieselbig sein clag articulsweiß zu stellen oder aber summario fürzubringen und volgendts . . in termino articulandi zu articulirn (FRNHD. WB); Sachs 1556 W. X 498 Es ist, wie köngklich Mayestat Artickel-weiß verlesen hat; 1576 Urkundl. Material 33 so erscheinet daraus, . . das der ehrmelte söhn und andere, in der[en] nhamen die feindebriefe ausgegangen, gefenglichen eingezogen und ihnen, . . beschuldiget, artickelweis die bezichtigungen . .; Böhme vor 1624 Theosophia Kevelata 397 so bitte und begehre ich um Gottes willen, E. Ehrbarer Rath wolle ihm [einem Gegner] befehlen, dass er mir meine Irrthümer Articuls Weise aus diesem Büchlein aufzeichne, und mich zur Antwort kommen lasse oder zu einem mündlichen Gespräch in Beyseyn etlicher Herren des Raths; 1638 Urkundl. Material II 695 [man will] besagten allen nachtrachten, . . einen jeden absonderlichen artickelsweise befragen; Fleming 1719 Jäger l Anh. 19a Ob wohl Inquisit, als er Articulsweise vernommen worden, des angegebenen Verbrechens nicht geständig seyn wollen; /. E. Schlegel 1740 W. 194 Ich [die Köchin] sehe wohl, ich muss dich [den Diener] Artikelweise vernehmen [und prüfen, ob der Diener die Instruktion der Köchin begriffen hat]; Weisse 1768 Beytrag III 282 dass ich nicht Ursache habe, Artikelweise von Ihnen über Ihre Verdienste verhört zu werden; Goethe 1804 Götz (WA I 13.2,285) Wir kommen nicht weiter mit ihm [mit dem Narren]. Doctor vernehmt ihn artikelweise. Artikel le: Geiler v. Keisersberg 1510 Granatapfel G 5 vb des geleichen wenn du lang vnd vil betrachtet hast dein selbs geprechen vnnd armuot . . vnd auch ander artickel/ die zuo dißer betrachtung gehörent; Paracelsus 1537-38 S. W. I 12,63 die elementen sollen kinder machen, so sie nun zuvil wöllent, so entspringet hieraus, das der mensch sein lust, lieb und gemüt auf dise artikel alein sezt, und also falt er in hurerei, in ehebruch und in laster der Sünden; Maaler 1561 Teütsch spraach 31 Die zween furnemsten puncten oder Artikel deines brieffs; Berlichingen vor 1562 Lebensbeschr. 85 aber ich gieng . . und tranck nicht weiter, denn ich hette sonst auch ein Geschäfte. Solch Articul zeig ich darum an, dann Hr. Georg und Franciscus von Sicklingen seyn mir allhier zu Gefallen; v. Herberstein 1566 Selbstbiographie 246 Wir haben dein schreiben . . emphanngen . . Vnnd . . schreiben dier hieneben auff all Articl gueten beschaid, wie dw dann sehen wierdest; 1569—70 Haushaltung i. Vorwerken 12 So er [der Verwalter] ein gut keufen oder zu eine forwerge zurichten will, soll er uff folgende artikel sehen: 1. Das es eine gesunde Luft habe. 2. Das es gutte nachtbarn habe; 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 184) als hette Faustus

Artikel von seinen Eltern gesogen, da sie etlich Artickel fürgeben, Nemlich, sie haben jm allen Mutwillen in der Jugend zugelassen, vnd jhn nicht fleissig zum studieren gehalten; Ercker 1672 Aula subterranea 3 Item, dass er [der „Probierer"] neben diesen jetzt erzehlten Artickeln, oder Puncten, auch in der Arithmetic oder Rechenkunst, wol geübt . . sey; E//5. Charl. 1680 Br. VI 496 wegen meiner unaußsprechlichen großen trawerigkeit undt viellem schreyen hab ich eine solche groß kopffpein gehabt, das ich nicht auß den äugen hab sehen können, viel geschweygen schreiben. Auß dießem letztem article könt Ihr leicht erahten, wie es mir zu muhte geweßen, alß ich die abscheuliche zeittung, unßer verlust, vernehmen, undt noch ist; dies. 1699 Br. l 182 Auff alle article, so man mir gesagt, welche nicht zum besten bey Carl Moritz sein, habe ich ihm starck gepredigt undt nicht verhelf, waß man davon sagt; Kant 1763 Br. (Ges. Sehr. X 45) Er [Swedenborg] würde im May dieses Jahres nach London gehen, wo er sein Buch herausgeben würde, darin auch die Beantwortung meines Briefes nach allen Artikeln sollte anzutreffen seyn; Goethe 1769 Br. (WA IV 1,185) Es ist gar zu ein gros Ding um den Ehstand heut zu Tage, . . NB. dass niemand den Artickel sieht als wem er nütz ist; Schiller 1788 S. W. V 315 Berty wollte nun zu dem letzten Punkte, der den Herzog von Alba betraf, übergehen, als ihn der Prinz [von Oranien], der diesen Artickel nicht gern beleuchtet haben wollte, unterbrach; Laukhard 1792 Leben H 151 Doch genug von diesem Artikel [von den Leipziger Studenten]; Goethe 1816-17 Italien. Reise (WA I 31,125) Vom Essen und Trinken hier zu Land hab' ich noch nichts gesagt, und doch ist es kein kleiner Artikel; ders. 1823 Br. (WA IV 37,279) Es kommt jetzt viel darauf an, das Publicum immerfort an . . Ihre Leistungen zu erinnern . . Und so werd ich fortfahren, Ihr Interesse zum stehenden Artikel meiner Hefte [Kunst und Alterthum] zu machen; Weiller 1825 Ber. d. Akad. d.Wiss. München V 158 Die Feuersicherungsangelegenheit bildete auch in diesem Quartale, wie immer, einen stehenden Artikel in dem Verzeichnisse der akademischen Leistungen; Goethe 1831 Tagebücher (WA III 13,7) [in Vorbereitung des Testaments] Besondere Einrichtung des Artikels Privatacten, wegen verschiedener Druckschriften und deren künftiger Besorgung; Kurz 1855 Sonnenwirt 119 Zuerst . . sind Kirchenstuhlstreitigkeiten unter den Weibern abgemacht worden; das ist ja ein stehender Artikel bei allen Konventssitzungen. Artikel 2: 1556 Gegenw. 7 v das umb deß Griekischen artikkels . . willen/ so bei das wortlin . . gesetzt ist (FRNHD. WB); Mathesius 1562 Sarepta 13 Denn Vulcan ist ein verbrochen wort vom Tu-

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balcain/ darinn die erste silbe verschlungen/ wie im Licaon/ welchs Cain ist/ der Hebreische artikkel blieben/ wie im Almanach vnd Algarithmo; Thurneisser 1583 Onomasticon Vorr. o. S. die Articuli, Als im Arabischen AI, ly vnd la; ebd. mit wolstimmenden Accenten, Articulen vnd Syllaben; Ratke um 163O Sehr. z. dtsch. Grammatik 151 Was Nennestu alhier den artickel? Der artickel ist ein Bieglich wort, so den Sprech- vnd Nennwörtern dienet, Ihre Geschlechte vnd Biege nach den zahlen zu vnterscheiden; Schneider 1655 Chronik 4 weil der NiederSächsischen Sprache Eigenschaft ist/ den Artickul mit einem harten T zu schreiben; Tscherning 1659 Bedencken 143 articuli oder geschlechtworte; Buchner vor 1661 Poeterey 115 wie ich den Artikel der/ als der Mensch/ der Mann/ lieber kurtz [setze]/ weil er flüchtig; Schottelius 1663 Haubt Sprache l 224 f. Das Geschlechtwort (Articulus) ist ein Wörtlein/ welches in Teutscher Sprache muß vorn gefüget/ und daraus das Geschlecht des Nennwortes/ oder Mittelwortes erkant werden: Solches ist zweyerley: Benennend / und unbenennend. Das benennende Geschlechtwort (Articulus definitivus) ist/ durch wessen Vorfügung das sonst gemeine Nennwort auf ein gewisses Ding oder Person zudeuten pflegt/ und also etwas gewisses benennet . . Das unbenennende Geschlechtwort (Articulus indefinitivus) ist/ durch welches Vorsetzung kein gewisses Ding oder Person insonderheit vorgestellet wird/ sondern es wird das gemeine Wort bey seiner gemeinen Andeutung gelassen/ und bleibet also etwas gewisses dadurch unbenennt: als da ist/ ein/ eine/ ein; Happel 1690 Academ. Roman 849 welche die Articulos von den Conjunctionibus unterscheiden; Stieler 1691 Stammbaum 51 Das Das Geschlechtwort/ sonsten auch der Artikel genannt/ ist ein Wörtlein/ so vor die Nennwörter gesetzt/ und daraus eines ieden Geschlecht erkant wird/ und zwar benennend und unbenennend; Wolff 1719 Vernünfftige Gedancken v. Gott 147 Da man nun im Reden auch auf diese Verknüpffung gar offte acht haben muß; so werden in einigen Sprachen die Nahmen verändert/ in ändern aber gewisse Beywörter gebraucht/ die man Artickel zu nennen pfleget; Bodmer/Brettinger 1746 Crit. Br. 199 f. Hesso von Rinach hat gesungen: . . Froeiden si mich roubet zaller Zit . . froeiden setzen wir nicht mehr ohne den Artickel zum berauben; Benget 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien U 10,200) Im Text heisset es, auf die Stunde und Tag und Monat und Jahr. Der Articulus machet eine bestimmte Rede und hebt den Pluralem auf; Herder 1768 Neuere Dtsch. Litteratur (S. W. II 49) So vermuthet Michaelis aus der Botanischen Lebensart der Morgenländer, daß sie die Pflanzengeschlechter gekannt, und sie deshalb also in den Artikeln der Sprache

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Artikel

unterschieden; ders. 1769 Krit. Wälder (S. W. ill 409) [die deutsche Sprache] liebt den . . Bau der Rede mit Artikeln; ders. 1772 Urspr. d. Sprache (S. W. V 54) alle diese Spuren der Menschlichkeit drückten sich auch in die ersten Namen! Auch sie sprachen Liebe oder Haß, Fluch oder Segen, Sanftes oder Widrigkeit, und insonderheit wurden aus diesem Gefühl in so vielen Sprachen die Artikel!; ebd. V 55 Sähe und fühlte er, wie ein Mensch siehet, daß sich ihm die Nomina in Geschlechter und Artikel paaren mußten; Beckmann 1790—92 Erfindungen III 151 Anm. Das L initiale ist wohl nicht der Artickel, sondern scheint zum Worte selbst zu gehören, weil es nicht arabischen Ursprungs ist; Voss 1802 Zeitmessung 20 Durch An wachs wird selbst der kurze Artikel ein verlängt: einen Berg; E. T. A. Hoffmann 1810 S. W. XV 42 Von einem Schwärm Artickel, Hülfswörter und Bindungen, . . umgeben schreitet unsere Sprache mühsam einher; Chamisso 1819 W. U 66 Durch Artikel und Präposition werden an dem Hauptwort meist nicht mehr als ein direkter und indirekter Fall bezeichnet; /. Grimm 1847 Kleinere Sehr, l 339 Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dasz fast alle heutigen Sprache und schon einige der altern sich des Artikels bedienen; Paul 1880 Principien 87 Man bemerkt das noch deutlicher, wenn man die adverbial gewordenen Formen ohne Artikel abends, morgens, tags ansieht; Keller 1886 Ges. W. VIII 292 „Du hast ja gar nichts dazu gethan, als die Pronomina, den Artikel und einige Präpositionen .."; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 40) er übersetzte ungenau und mit Geschmack, er setzte den unbestimmten Artikel, sagte un des sommets; 1928 Schuchardt Brevier 212 [die] Ansicht, daß die Einführung des Artikels einen Kulturfortschritt bedeute . ., unterliegt zwar ernstlichem Bedenken, enthält aber doch eine fruchtbare Anregung; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 533) was Plato mit seiner weitgehenden Auslegung des Unterschiedes von bestimmtem und unbestimmtem Artikel in die frühe abendländische Welt einführte, das war der Geist der Wissenschaft; Vater 1963 Artikelformen 120 Der Artikel zeigt Umfang und Gliederung der im Substantiv ausgedrückten Klasse von Sachverhalten an; Arens 1969 Sprachwissenschaft 17 Unter „Artikel" . . verstanden sie [die Griechen] den Artikel, das Personalpronomen und das Possessivpronomen; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 335 Andererseits wird [das Wort] Reaktion, meist mit dem bestimmten Artikel die, als abwertende und polemische Bezeichnung für die Gesamtheit aller fortschrittsfeindlichen gesellschaftlichen und politischen Kräfte im Staat . . verwendet; Lewandowski 1990 Ling. Wb. l 91 Artikel. Geschlechtswort, Begleiter oder Geleitwort des Substantivs. Determinator, Hilfswort im Be-

reich des Substantivs/ Nomens, u. zw.: bestimmter Artikel (der, die, das, die); unbestimmter Artikel (ein, eine, ein); . . Null-Artikel oder Artikellosigkeit . . Artikelgebrauch. Auch: Artikelselektion, Artikelfunktionen. Im Dt. hat der Sprecher beim Artikelgebrauch je nach Intention, Information und situativer Referenz die Wahl zwischen bestimmtem Artikel, unbestimmtem Artikel und Null-Artikel. artikellos: Grillparzer 1819 S. W. XV 156 Der Mangel bestimmter, regelmäßig sich wiederholender Endsilben bei Nenn- und Zeitwörtern, die in den artikellosen Sprachen die entferntesten Glieder einer Rede so leicht und natürlich verbinden; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. I 163 E. Schwyzer (KZ 63, 1936, 146 ff.) will die heute lebenden idg. Sprachen einteilen in artikelhafte und artikellose. Der artikellose Gebrauch der Personennamen ist in der nhd. Schriftsprache die Regel. Artikellosigkeit: /. Grimm 1837 Dtsch. Grammatik IV 559 seiner Artikellosigkeit halben sollte man ihm [dem attributiven Vokativ] gerade starke Form zuerkennen?; Seidler 1953 Stilistik 154 In den ersten zwei Versen herrscht Artikellosigkeit vor; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. I 163 Artikellosigkeit ist seit Homer für die griechische Dichtersprache als Archaismus Kennzeichen höheren Stils; Lewandowski 1990 Ling. Wb. I 91 Null-Artikel oder Artikellosigkeit. Artikel 3a: Henisch 1616 Teutsche Sprach 225 Artickel/ die posten vnd Item in einer jeden rechnung; Ludovici 1752 — 56 Akademie d. Kaufleute I 922 Also saget man z. E. diese Rechnung besteht aus so viel Artikeln in Debet, und aus so viel Artikeln in Credit . . in meinem Inventario beläuft sich der Artikel der Sarschen von Aumale auf so und so viel (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Bode 1768 Yorick I 92 Wenn alles fertig, und jeder Artikel im Gasthofe bezankt und bezahlt ist; Schiller 1783 Er. (S. W. II 211) Perückenmacher, Postgeld, Wäsche und Tabak machen einen eignen Artikel; ders. 1789 S. W. XXV 254 Wäsche, Friseur, Bedienung und dergl. wird alles vierteljährlich bezahlt, und kein Artikel beträgt über zwei Thaler; Varnhagen v. Ense 1834 Andenken 314 Rousseau, alle Gelehrten, lebten vor ihrer Krönung so. Da bezahlt man Wohnung, Aufwartung, Kost, und auch wohl Wäsche — ein großer Artikel — in Eins. Artikel 3b: Savary 1676 Negociant I 579 dann offtmahls kan man die Gelegenheit, wann man auff eine oder andere [Ware] gar zu sehr hält, vom Preiß des Einkauffs nicht weichen, oder auff eini-

Artikel gen Articklen gar zu verliehren, sich resolviren will (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Schlettwein 1773 Ordnung H 108 wenn ein jeder von diesen Weinwirthen . . ohne Hinderniß ein anderes Geschaffte ergreifen, und mit Getraide, mit Mehl, mit Vieh, mit Leder . . mit Specerey, und ändern Waarenartickeln nach seinem Gefallen handeln darf; Sinapius 1782 Er. 28 dass ich es beym Einkauf der dahin gehörigen Artikel an keinem Fleisse habe fehlen lassen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Knüppeln 1784 Charakteristik i 42 Dadurch daß der König die großen Artikel des Handels an sich zog, gewinnt der Staat unendlich; Beckmann 1784-88 Erfindungen II 90 Im fünfzehnten und dem folgenden Jahrhunderte war der Safranbau ein so wichtiger Artikel in der Europäischen Landwirthschaft, daß ihn kein Lehrer derselben auslies; Iffland 1785 Jäger (Theatral. Sehr. I 15) was man so unter dem Preise weggiebt, pflegt kein gangbarer Artikel mehr zu seyn; J. G. Müller 1788 Emmerich 27 Das ist schon ein recht guter Verlagsartikel, von dem ein Buchhändler tausend Exemplare absetzt; Forster 1791 S. Sehr. XI 297 Die Consumtion der indischen Waaren bey den Alten war sehr groß, ob es gleich lauter Artikel des Luxus waren; Wakkenroder 1793 W. u. Br. 528 Süßholz . . dieser Artikel wird hier sehr stark . . gebaut; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 21,54) sollen wir nicht .. auch Zoll von jenen Artikeln nehmen, die theils das Bedürfnis, theils der Übermut der Menschen unentbehrlich gemacht hat; Beckmann 1795 — 99 Erfindungen IV 516 Wahrscheinlich haben die Gewürze . . nebst den Edelsteinen, die ersten Handelsartikel ausgemacht; 1798 Jakobinische Flugschr. 229 Schon haben die Engländer diesem Lande seit dem Krieg alle weißen Waren, seidenen Strümpfe etc. ganz allein geliefert, was sonst der ausschließliche Ausfuhrartikel von Frankreich war; Goethe 1811 Br. (WA IV 22,100) Nach Quartieren ist Nachfrage gewesen. Manche Gäste haben wieder abgeschrieben, weil die Carlsbader in diesem Artikel eine allzuschnelle Steigerung beliebt haben; ders. 1812 Br. (WA IV 23,16) Vor allem aber rathe ich dir deinen Weinbedarf mitzubringen, weil dieser Artikel dieses Jahr, wegen des zu unserem Nachtheil schwankenden Curses, unerträglich theuer werden müßte; Gülich 1830 Handel H 227 Auch war die Exportation dieses Artikels [Korn] aus Deutschland im Allgemeinen nicht sehr erheblich; Roos 1832 Leben 276 An Verpflegungsartikeln, als Fleisch, Brod, Salz, fehlte es nur bisweilen; Schiebe 1845 Corr. 103 ebenso wird auch in Manufactur-Artikeln nur wenig gemacht; Hebbel 1846 S. W. II 3,88 die Beschaffenheit und den Preis der Waaren-Artikel; Glassbrenner 1851 Volksleben 111 Und sind denn nicht, zum Beispiel, Strümpfe ein sehr liebenswürdiger Artikel? Man muß sie sich

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freilich nicht dutzendweise wagerecht, sondern paarweise senkrecht denken; Barnum 1855 Leben (Übers.) 26 Spezerei, Essen und tausend andere Artikeln; Wachenhusen 1861 Freisch. 73 eines Pferdes (hier ein sehr rarer Artikel); Marx 1862 — 63 Theorien ü. d. Mehrwert (MEW XXVI 275) D le Wertsteigerung eines Artikels, wie Kohle; Schliemann 1863 Briefw. 118 thun Sie doch alles Mögliche, um Wagons nach Wirballen zu schaffen, damit meine Zucker und Thees expedirt werden können. Ich brauche beide Artikel hier so dringend; Engels 1881-82 Urgeschichte d. Deutschen (MEW XIX 453) In der Tat waren Sklaven außer Vieh der einzige Artikel, von dem Deutschland hinreichend ausführen konnte; H. Mann 1914 Untertan 184 Einen Prozeß hielten Büschli & Co. wohl für besonders wirksam zur Einführung Ihres neuen Artikels; Welt 26.3. 1949 Parfümerien und kosmetische Artikel; ebd. 11.12.1954 daß für alle Artikel des täglichen Gebrauchs eine wirklich freie Konsumwahl bestand; Trauen 1956 Baumwollpflücker 201 Wasser ist hier ein kostbarer Artikel; Johnson 1961 Buch 285 die Verkäuferin schien froh, den Artikel loszuwerden; Welt 19.12.1964 Alleinvertriebsrechte eines technischen Artikels an Firmen zu vergeben; ebd. 16.12.1969 [die] Exportpreise für Artikel der französischen Bekleidungsindustrie; Zeit 18. l. 1985 die Subventionierung bestimmter Artikel, vor allem Lebensmittel; MM 21.3.1987 dafür bietet der vollsortierte Supermarkt . . auf nur unwesentlich mehr Verkaufsfläche etwa 5 200 Artikel an; ebd. 20.1.1988 ein gefragter Artikel im Sortiment sind auch die Pendel; ebd. 3.3.1988 in den ersten 75 Jahren wuchs das Arzneimittelsortiment auf 700 pharmazeutische, zahnmedizinische und tiermedizinische Artikel an; Spiegel 11.6. 1990 Dominiert wird der Markt von den verhaßten „trabendos", die den Markt mit Mangelartikeln aus dem Ausland versorgen. Markenartikler: Süddtsch. Ztg. 1.6.1955 Bekannte Markenartikelfirma sucht jüngeren, erfahrenen Markenartikler für den Innendienst (Anzeige); Welt 13.3.1969 die immer stärker werdende Gefahr einer Nivellierung durch SyntheticRohstoffmarken wird naturgemäß für einen Markenartikler in der Textilindustrie, zu denen sich Nino zählt, zu einer renditeentscheidenden Frage; ebd. 31.3.1969 Abhilfe ist mithin nur zu schaffen, wenn Markenartikler und Handel wirklich Partner werden; FAZ 25. 3.1970 Markenartikler, erfahrene Führungskraft und Verkäufer, 38 J., sucht verantwortliche und ausbaufähige Position im Außendienst (Anzeige); MM 30.11.1987 neben den Generika-Herstellern . . drängen auch große Markenartikler wie Procter & Gamble oder Nestle in das Geschäft mit der Gesundheit.

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Artikel

Artikel 3c: Herder 1769 S. W. Ill 95 eine Abhandlung über den Artikel Glück; Schummel 1779 Spitzbart 46 [wollte] man eine Berechnung der Kosten anstellen, die der Artikel Soldat in dem einzigen Europa verursacht, es würde eine Summe von mehr als 100 Millionen Thaler herauskommen; Wieland 1781 Ges. Sehr. I 10,123 weil es damahls noch nicht Mode war die Zuschauer bezahlen zu lassen, sondern das Ärarium die Unkosten des Theaters tragen mußte, und also ohnedieß bey diesem neuen Artikel schon genug auszugeben hatte; Meist 1820 Quodlibet I 62 Die Lieb wird ein ordentlicher Handlungsartikel; Brachvogel 1858 Friedemann Bach I 223 Die Männer fanden ihn geistreich und angenehm, die Frauen schön, poetisch und galant, er war im besten Zuge, Modeartikel zu werden; Raabe 1864 Hungerpastor 201 dass der neue Hauslehrer . . brutto wie netto ein Artikel sei, der keinem Menschen gefallen könne; Schweichel 1873 Erz. 12 „Warum haben Sie von dem Artikel [Kinder] so viel auf Lager gearbeitet?" witzelte Herr Knapplich mit einem rohen Lachen; Einsiedel 1884 Gouvernantenwesen 13 dass die Gouvernante in England ein Handelsartikel ist; Moreck 1928 Liebe 6 macht das Weib zum sexuellen Bedarfsartikel des Mannes; Voss. Ztg. 24.4.1929 die Kinder, ein Artikel, von dem sie zwei Muster an Lager hatten; Nell 1953 Fischer 188 Zeit, diesen Artikel hatte man für einige Wochen weggelegt. Nun ist er wieder da, gebieterisch. Artikel 4a: Elis. Charl. 1704 Br. I 342 Es ist mir woll zu paß kommen, daß ich so viel brieff nach einander von ma tante bekommen, umb mich auß den abscheulichen ängsten zu ziehen, worinen mich die verfluchte Pariser gazette gesetzt hatte, welche im article von Brüssel vom 14 Februari geschrieben, daß ma tante gefahrlich kranck were; 1741 Samml. crit. Sehr. U 157 Derjenige, der den letzten Artikel . . in den gelehrten Zeitungen von Leipzig . . verfertiget hat; 1744 Neuer crit. SackAllmanach B. 6b Wie hoch ein gelehrter Artickelschreiber einen jeden Lobspruch aufs genaueste mit guten Gewissen ohne seiner Nahrung zu schaden, gehen kann; Gleim-Ramler 1745 Briefw. l 6 in seinem gelehrten Artikel; Möser 1768 S. W. l 260 dasz bei jedem Intelligenzartikel [des Blattes] . . ein kleiner Buchdruckerstock . . angebracht ist, wodurch der Inhalt des Artikels angezeigt ist; K. Lessing 1769 Br. (G. E. Lessing 1886-1924 S. Sehr. XIX 313) Ich danke Dir für Deine Rechtfertigung in Ansehung des ehrenrührigen Artikels, den Klotz mir Schuld giebt wider ihn in Vossens Zeitung eingerückt zu haben; Krohne 1786 Etwas v. Nachdrucken 5 so greife ich sie [die Journale] mit spitzigen Fingern an, schlage alle die Artikel, aus welchen ich krause arabische, hebräische und griechi-

sche Wörter hervor stechen sehe, über, und lese die ändern mit fliegendem Auge durch; 1786 Journal d. Moden l 333 Zeitungsartickel; Tieck 1796 Sehr. XV 119 Der Zeitungsschreiber machte in seinem Blatte einen großen Artikel aus der Ankunft und Einführung des neuen Raths; Goethe 1815 Br. (WA IV 26,135) [Gemäldesammlung der Brüder Boisseree] Von ihrem Werth . . wird mein Heft [Kunst und Alterthum Rhein Main] unter dem Artikel Heidelberg im Allgemeinen Kenntniß geben; ders. 1821 Wanderjahre (WA l 25.1,98) Der Zeitungsleser findet Artikel interessant und lustig; Heine 1835 Romant. Schule 166 Derselbe Grund, den ich oben angedeutet, verhindert mich mit gehöriger Würdigung einen Schriftsteller [Jean Paul] zu besprechen, . . auf welchen . ., durch die geistreichen Artikel von Philaret Chasles, das französische Publikum noch besonders aufmerksam geworden; Gutzkow 1839 Skizzenbuch 275 Mehrere Frankfurter Gelehrte sahen das Unglück mit an, und der Redakteur der Oberpostamtszeitung meinte, darüber wollt' er morgen einen „leitenden Artikel" schreiben (ZFDW III 316); 1842 Grenzboten 374 leitende Artikel in der Art, wie die großen französischen und englischen Journale sie bringen (LADENDORF); 1843 ebd. l 818 Dieser leitende Artikel (ZFDW V 116); 1843 ebd. l 1044 Zuerst kommt [in dem französischen Journal] das „Premier Paris", der leitende Artikel, welcher die hauptsächlichste Tagesfrage, je nach der Farbe des Journals, entschieden beleuchtet (ZFDW V 116 f.); Gubitz 1843 Kalender auf 1844 (ZfdW 111 316) Es wird nicht an „leitenden Artikeln", oft aber am rechten und graden Weg fehlen; Kohl 1844 Brit. Inseln III 69 Er [der Hauptredakteur der Times] schreibt in der Regel die „Leading articles" oder „Leaders" (die leitenden, tonangebenden Artikel) des Journals oder, wenn er dies auch den „writers of leaders" überläßt, so sieht man es doch so an, als kämen sie von ihm, und diesen leitenden Artikeln widmet er wenigstens seine Hauptthätigkeit, indem er sie durchsieht und in Person approbiert (beide ZFDW III 316f.); Landesmann 1847 Br. Vormärz 431 der von Dir verehrte Redacteur und leitende Artikelschreiber der Frankfurter OberPost-Amtszeitung Bayle; 1848 Grenzboten III 83 Leitartikel; Wolff 1852 Berl. Revolutions-Chronik 41 Herr Rötscher, den die Zeitumstände aus einem Theaterkritiker der Spen. Zeitung zu einem Politiker und Leitartikelschreiber dieses Blattes gemacht hatten (ZFDW III 317); Keller 1854 Heinrich (S. W. XVII 293) Ein Leitartikel oder eine Rede wäre zwar aus diesem Turnier nicht zu schöpfen gewesen; Feuerbach 1874 Br. a. seine Mutter II 301 Schon eine Annonce in der Presse war gemein, dann folgte ein Schmähartikel; Bracke 1876 Verzweiflung 15 Und wenn ich auch nicht der

Artikel Meinung bin, der Artikelschreiber der Magd. Ztg. gehöre selbst zu den Schlaraffen, so steht er doch so sehr unter deren Einfluß, daß seine Artikel, wie wir sehen, sich erweisen als eine rechte Schlaraffenarbeit; Gutzkow 1878 Longinus 42 im Gegensatz zu unserer sensationellen, tobsüchtigen Feuilletonistik oder Leitartikelschreiberei; Harden 1892 Apostata. N. F. 15 Sogar des alten Rembrandt van Rijn vorn leitartikelberühmten Zeitzahn angefressenes Schuhzeug wurde hervorgekramt; Th. Mann 1906 Reden u. Aufs. (W. X 13) auf einem Abendspaziergange habe ich beschlossen, einen Artikel daraus zu machen, damit recht viel Leute es lesen; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 90) er habe dieses Theorem unter die Leute zu bringen gewußt, habe populäre Artikel darüber verfaßt; Kesten 1932 Scharlatan 183 er solle eine Artikelreihe über die soziologische Struktur der deutschen Bürger schreiben; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 516) mit einem dem Schaffen Adrians gewidmeten Artikel, der kürzlich in der radikalprogressiven Wiener Musikzeitschrift . . erschienen war; Heimpel 1956 Kapitulation 15 ein sehr langer Artikel wandte sich gegen die Auffassung, eine weitere Erhöhung der technisch begründeten Arbeitsnormen bedeute eine Senkung der Löhne; Welt 8.11.1974 durch diesen Artikel in der „New York Times" wird bestätigt, was sehr viele Deutsche immer empfanden; Zeit 16.8.1985 leider entsteht in dem umfassend recherchierten Artikel der Eindruck, als hätten die Einkommen der Ärzte 1984 um 6 Prozent zugenommen; ebd. 2. 5.1986 „. . die Zeitschriften sind überall das Werkzeug der Verbreitung der Bildung . .", unterstreicht ein einschlägiger Artikel; ebd. 27. 6.1986 einig zeigen sich die Artikelschreiber jedenfalls in dem Bemühen, möglichst locker, „nicht bieder" zu formulieren; MM 30.10.1986 unter Bezug auf einen Artikel im „Mannheimer Morgen" vom 29. Oktober heißt es weiter, daß . .; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 108 In einem Leitartikel hatte er [Wolfram Engels] sich über die „angebliche Diskriminierung der Frau" ausgelassen. artikelweise: Marx 1851 Er. (MEW XXVI1 594) Für die weitern Nummern kannst Du von mir eine fortlaufende, artikelweis erscheinende Arbeit ankündigen; Cornelius 1861 Ausgew, Br. I 591 Nur die artikelweise Entstehung wird auch hier stellenweise auffällig. Artikler. 1971 Börsenblatt C 2956 Der Herausgeber hat geschickte Blattmacher und gute Artikler . . gewonnen; Wohmann 1972 Galerie 56 Weiter mit den anrüchigen Anwürfen unseres fragwürdigen Artiklers Hubert Hammer.

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Leitartikelei: Friedell 1931 Kulturgesch. Ill 157 Leitartikelei. leitartikeln: 1857 Kladderadatsch 98 Heinrich Leo in Halle hat wieder einmal jeleitartikelt (LADENDORF); Frankf. Journal 22.10.1870 Die KreuzZeitung leitartikelt heute über Garibaldi als Retter Frankreichs; 1871 Blätter f. lit. Unterhaltung 197 in der groszen Frühlings-Canzone [eines neueren Dichters] 'Deutschlands Wiedergeburt' leitartikelt eine trotz aller Reimglocken oft ziemlich schwunglose Reflexion (beide DWB); vor 1885 Volksztg. XIV 245 In derselben Zeitung, wo vorne für den deutschen Einheitsstaat geleitartikelt wird; ebd. XV l Die „Times" leitartikelt über . . (beide SANDERS 1885). Leitartikler: Hillebrand 1873 Wälsches 298 Leitartikler; Zobeltitz 1902 Papierene Macht I 24 [die] öden Leitartikler; 1921 Dtsch. Presse XXVll o. S. Leitartikler .. sind in amerikanischen Blättern nicht die entscheidenden Leute; Reibnitz 1928 Gestalten 77 Leitartiklerin; 1929 Preuss. Jahrb. CCXV 369 Leitartikler; Dtsch. AZ. 13.5.1944 Der . . amerikanische Leitartikler Walter Lippman; Münch. N.N. 12.6.1944 Der Leitartikler der „Daily Mail" muß plötzlich ebenfalls erklären, man könne erst in etwa fünf Wochen wissen, ob der Landungsversuch Montgomery's gelungen sei oder nicht; 1958 Weltbühne XII 355 mit dem sozialpolitischen Leitartikler der Wiener „ArbeiterZeitung"; Zeit 4.10.1985 führende Leitartikler raten dem Präsidenten zu einer Umbildung der .. Regierung; ebd. 11.7.1986 der Leitartikler des „Tagesspiegel". Artikel 4b: Sulzer 1771 Allgemeine Theorie der schönen Künste in einzelnen . . Artikeln abgehandelt (Titel); 1772 Frankf. gel. Anz. 583 Es befremdete uns deßwegen sehr in diesem Wörterbuch zum Verstand der Griechen und Römer die Articul: Aberglaube, Accidenz, Ähnlichkeit, Abstraktion, Abstinenz u. dgl. zu finden; Goethe 1773 Baukunst (WA I 37,144) Unter der Rubrik gothisch, gleich dem Artikel eines Wörterbuchs, häufte ich alle synonymischen Mißverständnisse, die mir von Un- bestimmtem, Ungeordnetem, Unnatürlichem, Zusammengestoppeltem, Aufgeflicktem, Überladenem, jemals durch den Kopf gezogen waren; ders. 1805 Kameau's Neffe Anm. (WA l 45,194) Es befinden sich [in der Encyklopädie Diderots] . . bewundernswerthe Artikel; Borne 1831 Br. a. Paris (Ges. Sehr. V 91J Da ich Napoleon gestern abend hatte sterben sehen und ich vergessen hatte, in welchem Jahre er gestorben, wollte ich das im Konversationslexikon nachsuchen. Ich schlug den Artikel Napoleon auf, da hieß es . .; Link 1836 Propyläen

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I 175 wie man aus Gehlers Wörterbuch im Artikel Physik lesen kann; Keller 1854 Heinrich (S. W. XVII 28) Wie ich die enzyklopädische Einrichtung desselben [des Buches „Theorie der schönen Künste" von Sulzer] bemerkte, schlug ich flugs den Artikel Landschaftsmalerei nach und, als ich ihn gelesen, alle möglichen Begriffe, die ich . . teils aus eben diesem Artikel abgezogen hatte, . . las dazwischen schnell einen Artikel über ein anderes Gebiet, der gerade neben einem Malerartikel stand und mir auffiel; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 344) berufene Fachmänner der europäischen Gelehrtenwelt, Ärzte, Volkswirte und Psychologen, werden sich in die Ausarbeitung dieser Enzyklopädie der Leiden teilen, und das General-Redaktionsbureau zu Lugano wird das Sammelbekken sein, in dem die Artikel zusammenfließen;

1956 Wirk. Wort V 309 Da A. Lasch schon 1933 und 1934 die Artikel von gä bis heger herausgebracht hatte; Welt 1.6.1974 dieser Band gibt Ihnen in rund 3 500 Artikeln Auskunft über Männer und Frauen, die den Lauf der Welt verändert haben — von der Antike bis zur Gegenwart; Zeit 31.10.1986 wer in dem 1968 . . erschienenen „Lexikon der Kunst" unter dem Stichwort „Expressionismus" nachschlägt, kann in einem Artikel von extremer Kürze nachlesen, daß . .; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 42 Als Elemente der lexikographischen Beschreibungssprache dienen sie [die Wörter des politischen Handelns] dazu, die Verwendungseigenschaften von einzelnen Stichwörtern oder . . den Umgang von Personen mit diesen Wörtern zu charakterisieren: (vgl. z. B. die Artikel Anarchismus, Chaot, Faschismus, Terrorismus).

artikulieren V. (in)trans., im früheren 15. Jh. entlehnt aus lat. articulare 'gliedern, deutlich (gegliedert) aussprechen', zu articulus, —* Artikel), vgl. etwa gleichzeitig aufgekommenes frz. articuler, engl. articulate, ital. articolare, anfangs auch in den Schreibungen articuliren, artikuliren, artikeliren, artigkelern. \ Zunächst, vor allem in der Kanzleisprache, bes. in Verwaltung und Recht, in der vereinzelt bis Mitte 19. Jh. gebuchten Bed. 'einen geschriebenen oder gesprochenen Text in Abschnitte gliedern': a Anfangs bes. bezogen auf sozial bindende Texte für 'ein Schriftstück Punkt für Punkt gegliedert abfassen', im späteren 15. Jh. auch für 'ein Schriftstück gründlich, Punkt für Punkt durchgehen, studieren' (s. Beleg 1474), von daher im 16. Jh. in der Bed. 'Punkt für Punkt ein Statut, eine Ordnung formulieren' (s. Belege 1500, vor 1542). b Vom Ende 15. vereinzelt bis Anfang 19. Jh. im Bereich der vom römischen Recht geprägten juristischen Fachsprache für 'eine Klage in deutlich abgegrenzte Behauptungen einzelner Tatsachen gliedern'. 2a Seit spätem 16. Jh. in der Bed. 'etwas phonetisch deutlich (gegliedert) aussprechen', z. B. Laute, Silben, Worte genau, deutlich artikulieren; klar, gut schlecht artikulieren, zunächst bis etwa Mitte 18. Jh. ausschließlich und bis heute häufig in der adj. verwendeten Part. Perf.-Form artikuliert, in Wendungen wie eine artikulierte Sprache; artikulierte Laute, Silben, Worte; der artikulierte Ton der Sprache; artikuliert sprechen; etwas artikuliert vorbringen; sich artikuliert äußern; als Grundwort in den Kombinationen halb-, wohlartikuliert. Anfang 20. Jh. die aus lat. articulosus 'gliederreich' entlehnte seltene adj. Ableitung artikulös 'deutlich ausgesprochen'. b Seit frühem 18. Jh. auch übertragen verwendet, bes. in der Fachsprache der Malerei und bildenden Kunst für 'etwas, bes. ein Kunstwerk, klar in Konturen gestalten', c Seit spätem 18. Jh. in der Fachsprache der Musik für 'den Ton, die Töne sinnvoll gegliedert und betont äußern', z. B. deutlich artikuliert singen, spielen; eine gut artikulierende Singstimme. d Seit Ende 18. Jh. im Hinblick auf sprachliche Deklamation 'eine sprachliche Äußerung dynamisch und in der Tonstärke richtig betont aussprechen'.

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3 Seit Ende 18. Jh. von 2a her weiterentwickelt und bildungsspr. verwendet in der dominanten Bed. 'seine Gedanken, Gefühle (deutlich) in Worte fassen, zum Ausdruck bringen', z. B. seinen Willen, seine Bedürfnisse, Pläne, Interessen artikulieren (s. Belege 1794, 1971), in neuerer Zeit auch reflex, sich artikulieren 'sich in Worten äußern', z. B. die Gesellschaft für Umweltschutz artikulierte sich in der Presse folgendermaßen . . (s. Belege 1965, 1968, 1992); etwa gleichzeitig auch in der Wendung sich in, mit, durch, gegen etwas artikulieren für 'sich in, mit, durch, gegen etwas seinen gemäßen Ausdruck verschaffen', z. B. die Extremisten artikulierten sich durch Terrorakte (s. Belege 1986, 1992); etwa gleichzeitig auch in der Fügung etwas artikuliert sich in, mit, durch, gegen etwas für 'etwas kommt in, mit, durch, gegen etwas zum Ausdruck', z. B. die Stimmung der Bevölkerung artikulierte sich im Wahlergebnis (s. Belege 1966, 1977, 1987). 4 Daneben seit frühem 18. Jh. auch intrans. verwendet in der Fachsprache der Anatomie, Biologie, Zoologie (in bezug auf Menschen, Tiere, bes. Insekten, Pflanzen) in der Wendung etwas, bes. ein Knochen, artikuliert mit einem anderen Knochen für 'etwas, bes. ein Knochen, steht mit einem anderen Knochen in Gelenkverbindung, ist mit einem anderen Knochen gelenkig verbunden'; ein Insekt, eine Pflanze ist artikuliert für 'ein Insekt ist in Gelenke, Abschnitte gegliedert; eine Pflanze ist in Knoten gegliedert'. Dazu seit spätem 19. Jh. das fachspr. Subst. Articulata, Artikulaten PL 'Gliedertiere'. Dazu vom früheren 15. bis ins späte 19. Jh. das seltene Verbalsubst. Artikulierung F. (-; -en) in der Bed. 'das Gliedern eines sozial verbindlichen Schriftstückes' (zu la); seit früherem 19. Jh. für 'deutlich gegliederte Aussprache' (zu 2a). Vom früheren 16., vereinzelt bis ins frühere 20. Jh., die aus gleichbed. lat. articulate, articulatim entlehnten Adverbien artikulat(e), artikulatim in der Bed. 'in Artikel, Punkte gegliedert, punkt-, artikelweise' (zu la und Ib), etwa gleichzeitig auch für 'deutlich ausgesprochen' (zu 2a). Seit späterem 18. Jh. die zum Part. Perf. gebildeten Präfixbildungen in-, unartikuliert für 'phonetisch unklar und undeutlich ausgesprochen; in tierhafter Weise laut, schrill' (zu 2a); auch übertragen verwendet für 'verschwommen, undeutlich, unklar' (zu 2b). Seit Mitte 20. Jh. die adj. Ableitung artikulierbar 'deutlich auszusprechen' (zu 2a); '(in Worten) ausdrückbar' (zu 3) und das Subst. Artikulierbarkeit F. (-; ohne Pl.) (zu 2a und 3). Zu gleicher Zeit das vom Part. Perf. abgeleitete Subst. Artikuliertheit F. (-; selten -en) in der Bed. 'deutliche Aussprache' (zu 2a), auch für 'Ausdruckskraft' (zu 2b, 2c, 2d und 3). Seit späterem 16. Jh. das über mlat. articulatio 'Deutlichkeit der Aussprache' aus (flekt. Form von) lat. articulatio 'der gehörig gegliederte Vortrag' entlehnte Subst. Artikulation F. (-; -en), bis ins späte 19. Jh. in der lat. Form; zunächst in der heute veralteten Bed. '(wohlgegliederte) Unterredung', seit späterem 18. Jh. auch für 'Wohlgegliedertheit, wohlgegliederte Struktur' (zu la), gleichzeitig im Bereich der Fachsprachen der Anatomie, Zoologie, Biologie für 'Gelenkverbindung; Gliederungsabschnitt bei Insekten und Pflanzen' (zu 4). Zu gleicher Zeit, eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. articulation (vgl. gleichbed. engl. articulation), in der Bed. 'deutliche Aussprache', seit spätem 19. Jh. als Bestimmungswort in subst. und adj. Zss. wie Artikulationsart, -basis, -faktor, -fehler, -hemmung, -merkmal, -mittel, -organ, -Spannung; -stelle 'Stelle der Sprechorgane, an der ein Laut gebildet wird'; artikulationsfreudig, -gehemmt (zu 2a); Artikulationsform, -stil, -weise (zu 2a, 2b und 2d); seit frühem 20. Jh. in der Fachsprache der Malerei für 'Gliederung

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eines Gemäldes' (zu 2b); in neuerer Zeit in der Fachsprache der Musik für 'sinnvolle Gliederung, sinngemäß betonte Äußerung und Gestaltung von Tönen'; gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Artikulationsformen, -mittel, -stil, -technik(en), -weise (zu 2c); auch bildungsspr. verwendet für 'deutliche Äußerung von Gedanken, Gefühlen in Worten' (zu 3). In neuerer Zeit das eventuell in Anlehnung an lat. articulator 'Zergliederer' gebildete und bereits im früheren 18. Jh. (WEBER) gebuchte Subst. Artikulator M. (-s; -en), in der Sprachwissenschaft für 'symbolische Repräsentation eines Handlungsschemas durch Lautschemata oder andere Sprachhandlungen; Organ, Organteil, das die Artikulationsstelle berührt' (zu 2a); seit etwa Mitte 20. Jh. die adj. Ableitung artikulatorisch in der Bed. 'eine deutliche Aussprache betreffend, auf eine deutliche Aussprache gerichtet', adv. gebraucht für 'im Hinblick auf eine deutliche Aussprache' (zu 2a). artikulieren la: 1439 Urkundenb. Leipzig 200 öbir dessen brieff czu artikeliren lassen wir (MÖLLER); 1474 Schöffenspr. Pössneck 213 ßo er der von Peßenigk vorschreibunge gruntlichen artigkelern will (FRNHD. WB); 1500 (1847 Geschichtsfreund IV 61) Sy sollen aber ir beger artigkulieren/ Vnd jm die ordennlich geben in geschrifft; Murner 1522 Lutherischer Narr 801 Sie haben es als articuliert, Wie man den grosen narren Bert; 1524 (G. Franz 1935 Bauernkrieg 139) soliche grosse Furcht [vor dem Junker] . . , das wir . . obgeschriben articulirte neuwerung und beschwerden . . geduldet. . haben; Paracelsus nach 1530 S. W. II 1,276 solch gebot ist durch Johannem euangelisten geschrieben . . worden, das Christus Fürgehalten hat, die lieb under einander nit zu articulirn; v. Watt vor 1531 (Dtsch. histor. Sehr. HI 283) Item daß dieselben 5 ort mit des herzogs botschaft von Mailand ain artikulierten frid oder püntnuss habend beschließen wellen; Fuchsperger 1534 Dialectica 13a Kündtlich wort/ seindt taufnamen . . Als Petrus/ Saltzburg . . Dann der massen mögen solche kündliche Wörter/ durch den articulierten oder anzaigischen zosatz/ damit etwas den äugen angezeigt/ vmbredt werden; 1535 Urkundenb. Mansfeld. Saigerhandels 191 Ab etwas weyters zufiele, welchs itzt nit bedacht und doch zu forderunge des handels notdorftigk seyn kont, sol hernach mit beder teyle wissen artuculirt und gefast . . werden; Paracelsus 1537—38 S. W. I 12,358 das also ein ieglicher artikel sein besondern man hat, wie auch der glauben in den zwölf aposteln articulirt wird; Scheurl 1538 Briefb. H 202 Inem kurtzlich Der Christenlichenn potentaten Artickulirte pundtnuss wider die vnglaubigenn zuschicken; vor 1542 (Baumann 1876 Bauernchronik Oberschw. 64) Sy erweiten under iren häufen hauptlewt, ret, artickolierten, wie sy ir regiment wollten halten (FRNHD. WB); Gengenbach vor 1545—46 W. 295 Renckens vnd klenckens wie sie wölln/ So solln wir ball darinn gehelln,/ Punctie-

rens und articulirens fein,/ So macht mann vns ein neselein; 1546 Kurmärk. Ständeakten I 202 dorumb wollet die Sachen also für die hand nhemen domit ir forderlich zum ehesten schliesset und unser dißmal mit ändern beihendeln und articulirn vorschonet; Sachs 1546 W. VIII 368 Alles mit wolzeitigem rat/ In bestem furm in unser statt/ Unterschiedlich articulieren (FRNHD. WB); 1558 Chronik Augsb. VII 324 zuo widerableinung des probsts zum Creutz articulierten vermainten beschwerden (FRNHD. WB); 1559 Warhaffter Summarischer Articulierter Ausszuge Von der Capitulation des abgeredten Friedens (Titel); Serres 1574 Frantz. History 195a sonderlich weil solches [die frommen Untertanen abwendig zu machen] geschieht durch das mittel der Zulassung jhrer religions vbung vnd irer Versammlungen, so geschehen vnter eim schein der predigten vnd das Nachtmal zu celebrieren, inn welchem sie geldt zusammen schiessen, sich verbünden, zusammen schweren, . . vnd greiffen zur wehr, auch dasz sie auff solche weisz articulieren wollen, gleich als benachbarte vnd nicht als vnterthane; Goethe nach 1775 Faust I, Paralipomena (WA l 14,290) Faust nimmts auf Schilt sein [des fahrenden Scholasticus] Schwadroniren Verlangt daß er articulire Meph. thuts fällt aber gleich ins Lob des Vagierens; Marx 1855 Eröffnung d. Parlaments (MEW XI 5) Rußland . . hat trotz der Annahme dieser „Grundlage" [des Memorandums] das Recht, „jeden Punkt" derselben zu bestreiten, sobald sie artikuliert ist. articulatim: Kirsch 1718 Cornvcopiae 1109 articulatim. Adv. von einem Glied zum ändern/ von Stuck zu Stuck/ Glieder-weiß . Artikulation: Rennefahrt 1571 Statut. Saanen 194 mit ihren gesandten gehaltnen underredungen und gepflägten articulationen (FRNHD. WB); Mayr 1604 Epitome 297a vnd warde also zu tractierung/

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vnd articulation eines . . fridens anstand/ ein gewisser tag . . angestellet; Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft Vorr. (Ges. Sehr. IV 13) Denn die Hülfsmittel der Deutlichkeit helfen zwar in Theilen [eines Werkes], zerstreuen aber öfters im Ganzen, indem sie den Leser nicht schnell gnug zu Überschauung des Ganzen gelangen lassen und durch alle ihre helle Farben gleichwol die Articulation, oder den Gliederbau des Systems verkleben und unkenntlich machen; ebd. IV 56 Daher wird der Inbegriff seiner Erkenntniß ein unter einer Idee zu befassendes und zu bestimmendes System ausmachen, dessen Vollständigkeit und Articulation zugleich einen Probirstein der Richtigkeit und Ächtheit aller hineinpassenden Erkenntnißstücke abgeben kann; ders. 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Einzelausg.) 834 Denn da wird sich finden: daß der Urheber [einer Wissenschaft] und oft noch seine späteste Nachfolger um eine Idee herumirren, die sie sich selbst nicht haben deutlich machen und daher den eigenthümlichen Inhalt die Articulation (systematische Einheit) und Gränzen der Wissenschaft nicht bestimmen können; ders. 1793 Br. (Ges. Sehr. XI 432) Um desto mehr und, da mich Ihr, eine gründliche Einsicht in das Wesen und die Articulation des Systems verrathender Abris, von Ihrer Geschicklichkeit in Ausführung desselben überzeugt hat; Hegel 1807 System d. Wissenschaft l 267 was der Natur widerspricht, welche den Momenten des Begriffs ein eigenes Daseyn gibt, und daher die flüssige Einfachheit des organischen Lebens rein auf eine Seite, und die Articulation und Eintheilung desselben ebenso in seinen Unterschieden auf die andere Seite stellt; Herbart 1808 Allg. pract. Philosophie 325 Soll . . der Staat überhaupt als beseelte Gesellschaft gedacht werden: so müssen die, von mancherley Willkühr herrührenden, neben und durch einander liegenden Gesellungen, sich auflösen in die Articulation der beseelten Gesellschaft; Behr 1810 Staatslehre U 128 Eben in dieser Artikulation und wesentlichen inneren Verkettung aller Glieder besteht der organische Charakter der so gearteten Verfassung; Ersch/Gruber 1818 ff. Allg. Enc. I 5,454 Nach allem diesem wird man nun leicht begreifen, warum Kant die Gliederung einer Wissenschaft, woraus man die systematische Einheit derselben, oder die Einheit des ganzen wissenschaftlichen Gebäudes in allen seinen Theilen erkennt und wie in einem Blicke überschaut, die Articulation oder den Gliederbau der Wissenschaft nannte.

Articulirung und Vorschläge/ schlechter Dings vertrauet.

Artikulierung: 1442 Urkundenb. Chemnitz 395 noch keinerley behelf von uns nemen wollen oder articulierung diss brieffs (MÖLLER); Prancisci 1677 Trauer-Saal III 748 [Der Inka hat] den Spaniern sich/ samt seinem gantzen Hause/ ohn einige

Articulat: Ayrer 1601 Hist. Processus juris 269 Ob er [Moses] wol willens gewest/ auff Belialn . . Klaglibell/ also bald lite negatiue zu contestirn/ vnd wie es sein Articulaten halben darinnen geschafft .. zu respondirn.

artikulieren Ib: 1499 (Köhler, Ref. Wormbs 35) ISt aber die clag hoch mergklich vnd wytleuffig so soll dem cleger nach verneynung der clag vff syn begerde, syn clag zu articuliren vergünstigt vnnd ein tag bestimpt werden. Vnnd ein yeder cleger soll sich fürbas flyssen syn clag vnderschidlich luter formlich vnd beschlußlich in artikel zu stellen. Vnnd dieselben Position vnnd artikel vff den bestimpten tag fürbringen (FRNHD. WB); 1507 Des hlg. Rom. Reichs Ordnungen Wormbs 64b so mag der kleger seine articulos leichtlich machen vnd formiern/ vnd also den dritten termin zu articuliern zu halten/ dann die artickel von position sollen auß glider des libels/ auß innhaltung inn den selbigen/ oder darzuo gehörig/ gemacht werden; Knebel 1531 Chronik d. Klosters Kaisheim 311 Haben dise zwu stött ir andtwurdt auf dise clag dermassen articuliert und gestellt; 1539 Des hlg. Rom. Reichs Ordn. Wormbs 62a Vnd alle solche artickel sollen principaliter auff die geschieht oder that vnd nit auff das recht/ gesetzt vnd gestelt werden. Doch mag man das recht/ so auß vor articulierter that fleußt/ domit wol anzeuygen; Stumpf 1541 beschreybung XXa Wie des Hussen feynd zuo Constentz über jn heimlich klagtend und artikkulierend; ebd. 3a mit fragen, examinieren, articulieren vnd disputieren . . geübt; Perneder vor 1543 Process 45a Wa aber ain antworter .. nit gleich antwort geben wolt . . die solle er all auff dem nechsten termin . . schrifftlich vnd articulirt vorbringen; 1555 (Laufs, Reichskammergo 234) Darauff in beyden feilen, als nemlich, do der cleger sein articulirt clag anstatt der articul repetirt, dem beclagten zu antwurten, oder so die clag nit articulirt, dem cleger zu articuliren zeit uff nechsten termin zugelassen sein soll (FRNHD. WB); Machholt 1560 Formular 134r obs von nöten/ die Klage zu articuliren begern/ vnd alle andere löbliche auszüge des Rechten vnd der Gerechtigkeit gebrauchen; Sperander 1727 A la mod Sprach 49 Articuliren, etwas von punct zu punct vorbringen oder aufsetzen, etwas in gewisse Articul oder puncten bringen, specificiren; Gönner 1804 Gem. Proz. l 88 An vier verschiedenen stellen des jüngsten reichsabschieds bey citations- mandats- und appellationssachen das verboth des artikulirten Verfahrens wiederholt wurde (DRW).

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articulatim: 1533 Des hlg. Rom. Reichs Ordn. Wormbs 191 b Wo aber je eyniche parthei die Restitution/ auß rechtmessigen/ erheblichen vrsachen zu bitten/ vor hett/ soll das selbig articulatim geschehen. artikulieren 2a: Zedler 1732 Unwersallex. 1721 articu- lieren, deutlich aussprechen; Sonnenfels 1768 Br. 650 er spricht nicht, er artikuliert gebrochene Töne; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 19) Geschrei der Empfindungen, das ihnen [den Menschen] . . zum Muster diente, sich eine neue Sprache zu machen, neue Schälle zu artikuliren, sich zu gewöhnen, die Sachen mit Namen zu bezeichnen; Goethe nach 1791 Förderniß (WA II 11,61) die Worte deutlich articuliren, damit man auch wisse, wovon die Rede sei; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 153 Artikuliren: Wörter und Silben deutlich aussprechen; Goethe 1813 Br. (WA IV 23,320) der Prediger habe sich in diesem weiten und wunderlich durchbrochenen Raum gar nicht anzugreifen, wenn er nur deutlich articulire und das letzte Wort so genau ausspreche wie das erste; Campe 1813 Fremdwb. 129 Articuliren in der Sprachlehre, . . silbenmäßig sprechen, die Silben deutlich hören lassen; /. Grimm 1864—90 Kl. Sehr. I 266 das geordnete entfalten der laute heiszt uns gliedern, articulieren; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 35) ein schlecht rasierter, fremdartig artikulierender Mann . . verkaufte die Billette; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 493) der Italiener, . . wandte den Kopf zurück und artikulierte: „Götter und Sterbliche haben zuweilen das Schattenreich besucht und den Rückweg gefunden"; Fallada 1937 Wolf II 409 Die von Alkohol und Veronal fast gelähmte Zunge weigert sich, die Worte genau zu artikulieren; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 666) „dieser Mann", ließ sich da in der Stille die klar artikulierende . . Stimme des Dr. Kranich vernehmen, „dieser Mann ist wahnsinnig"; Welt 4.8. 1969 als er noch vernehmliche Sätze zu artikulieren vermochte; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. I 171 Motorische Sprachstörung, . . bei der in zusammenhängender Rede jedoch so rasch und so undeutlich artikuliert wird, daß der Eindruck entsteht, der Patient spräche mit vollem Munde; MM 8.4.1987 die Schwerhörigen und Gehörlosen, die meist nur undeutlich artikulieren können; ebd. in mühseliger Kleinarbeit üben die Kleinen in speziellen Therapiestunden, Laute zu artikulieren; Lewandowski 1990 Ling. Wb. l 94 Nach dem artikulierenden Organ ergeben sich bilabiale, labiodentale, dentale . . Laute; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 59 Welch eines hochkomplizierten Wechselspiels zwischen Denktätigkeit und Sprachorganen bedarf es, um nur ein einziges Wort zu artikulieren, umgekehrt es auch zu verstehen.

artikuliert: Horscht 1580 Lemnius' Geheimnisse HO die unterschiedliche articulierte Stimme; Hirsch 1662 Kirchers Musurgia (Übers.) 229 weil man ja nach dem Muster der Natur einen laryngem und Zungen/ wie auch die andere Sprach-instrumenta zurüsten könne/ daß wann sie vom Wind erreget und lebendig gemachet werden/sie eine articulirte Stimme öffentlich von sich hören lassen; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 5 articulierten Töne; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 94) Wenn es wahr ist, daß die Mahlerey zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nehmlich Figuren und Farben in dem Räume, diese aber artikulirte Töne in der Zeit; 1766 — 67 Merkwürdigkeiten 372 so müsse die lyrische Poesie ein Ausdruck der Empfindungen durch artikulirte Töne oder Worte seyn; Goethe 1783 Theatral. Sendung (WA I 51,250f.) so nudelte er [Herr Bengel] mit der Sprache, wenn wir mit diesem Ausdrucke einen näselnden und durch eine unbehülfliche Zunge schlecht articulirten Ton bezeichnen dürfen; 1787 Journal v. u. f. Deutschland II 301 [nach der Krankheit] lernte sie wieder ordentlich und articulirt sprechen; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 8) Nun sind freilich diese Töne sehr einfach; und wenn sie artikulirt, und als Interjektionen aufs Papier hinbuchstabirt werden; so haben die entgegengesetzten Empfindungen fast Einen Ausdruck; ebd. V 12 Lappen . . haben oft eben so halbartikulirte und unschreibbare Schälle . . als Huronen; Siebenkees 1792 Von letzten Willen 8 ein Taubstummer kann articulirte Töne herausbringen; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 153 Man setzt nehmlich artikulirte Töne, wie sie in der menschlichen Sprache statt finden, den unartikulirten Lauten der Thiere, dem Bellen des Hundes, dem Blöken des Schafes u. s.w. entgegen . . welcher Unterschied durch den Ausdruck artikulirt und unartikulirt am passendsten und treffendsten angedeutet wird; Bergsträsser 1795 Signal-Schreiberey 21 die artikulirten Töne einer Sprache; A. W. Schlegel 1798 Kunstlehren 11 Die tierische Sprache, ein artikulierter Schrei; Campe 1813 Fremdwb. 129 Für articulirte Töne kann man, entweder gegliederte Töne, oder auch mit Einem Worte Gliedertöne, wie Gliederpuppe, ja wenn man wollte, auch Gelenktöne und Silbentöne sagen. Das Wort gegliedert für articulirt habe ich . . zuerst versucht. . Sollte man nicht auch für articulirte Töne gesilbete oder auch gesilbte sagen dürfen?; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 121 allen articulirten verschiedenen Sprachen, toten und lebenden; ebd. 298 die menschlichen articulirten Laute zeugen von zufälliger Bedeutung; Marx 1855 Kirchl. Agitation (MEW XI 325) ein diabolisches Konzert war von grunzenden, zischenden, pfeifenden . . Tönen. Eine Musik, Menschen rasend zu

artikulieren machen und Steine zum Bewußtsein zu bringen . . „Go to the church!" (Geht zur Kirche!) war der einzige artikulierte Laut, der sich unterscheiden ließ; Schmid 1861 Schwalberl IV 306 das Gemurmel, das anfing, in articulirte Laute und Worte überzugehen; Rutenberg 1877 Zinne 29 im langsamen artikulirten Sprechen; Bebel 1883 Frau 55 die Periode der Wildheit . . , in der aber auch die artikulierte Sprache beginnt; Engels 1884 Ursprung d. Familie (MEW XXI 30) Kindheit des Menschengeschlechts . . die Ausbildung artikulierter Sprache ist Hauptergebnis dieser Zeit; Dombrowski 1920 System III 60 Gewirr artikulierter und unartikulierter Laute; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 612) der Jesuit horchte auf bei den ersten höhnisch klar artikulierten Sätzen, mit denen der armselige Judenjüngling seine Fragen beantwortete; 1928 Schuchardt-Erevier 250 Sprachfähigkeit, Gebärdensprache, unartikulierte, artikulierte Lautsprache; Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. X 317) vielleicht hat noch niemals eine Epoche ihre . . artikulierten Losungen zu einem so großen Teil von der Jugend empfangen — ich nenne nur das Wort „Gemeinschaft"; ders. 1947 Faustus (W. VI 215) daß die Rede des Leidenden . . zuweilen etwas Schleppendes und, durch trägen Gebrauch der Lippen, etwas mangelhaft Artikuliertes hatte; ebd. VI 549 er sprach, wie immer, außerordentlich distinkt, fest, klar artikuliert und verständig; Porzig 1950 Wunder 50 Die menschliche Sprache ist artikuliert, die tierischen Laute sind unartikuliert; Th. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. XI 691) daß die einzelne Danksagung eigentlich nur zum halb artikulierten Geblubber wird; i955 Aufbau XI/XU 1005 die Organe des Mundes lernten allmählich einen artikulierten Buchstaben nach dem anderen aussprechen; Borst 1957 Turmbau 18 Aus anatomischen Einzelheiten hat man schließen können, daß bereits der Pithecanthropus pekinensis vor vielleicht 500 000 Jahren über eine artikulierte Sprache verfügte; ebd. 35 Sprache verbindet Worte durch artikulierte Laute. inartikuliert: Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 56) meistens aber musten sie [die Interjektionen], als halb inartikulirte Töne, verlohren gehen, da sich die Sprache formte. unartikuliert: 1766 — 67 Merkwürdigkeiten 372 weil die lyrische Poesie zum Singen gemacht, die Musik aber ein Ausdruck der Empfindungen durch unartikulirte Töne sey; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 197) Wir scheinen von dieser ganzen Sprache nichts als ein unartikulirtes Geschrey behalten zu haben; Goethe 1773 Fragen (WA l 37,189) Mehr als Pantomime doch unarticulirt muß die Sprache gewesen sein; Abel 1786 Seelen-

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lehre 170 die unarticulirte Ton- Geberden- und die Minensprache. Diese sind zugleich natürlich und auch Thieren gemein; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 5) Schon als Thier, hat der Mensch Sprache. Alle . . schmerzhaften Empfindungen seines Körpers, alle starke Leidenschaften seiner Seele äußern sich unmittelbar in Geschrei, in Töne, in wilde, unartikulirte Laute; ebd. V 14 Was ist unschreibbarer, als die unartikulirten Töne der Natur? und wenn die Sprache, je näher ihrem Ursprünge desto unartikulirter ist; Matthisson 1790 Frankreich (II 266) unartikulirten Schrey; Holtet 1854 Schneider III 54 hörten sie den Tischler in unartikulirten Tönen . . ihnen entgegenschreien; Barnum 1855 Leben 16 einiges unartikulirte Gemurmel; Nürnberger 1877 Herzenssachen 28 Wenn paragraphirt auch paraphirt heißen kann, so ist die menschliche Sprache überhaupt abgeschafft, denn jedes Menschenwort ist eine Wurzel oder hat eine Wurzel. Paraphirt hat keine, just sein vitalstes Glied fehlt (das Glied fehlt (das Glied heißt articulus), es ist unarticulirt, mithin ein Thierlaut; Kretzer 1880 Genossen 175 einen jämmerlichen Schrei. ., der unartikulirt klang; Winterfeld um 1880 Excellenz 31 er stieß noch ein paar unarticulirte Töne hervor; Walloth 1887 Praxis 32 einen unartikulierten Laut ohnmächtiger Wut; Perfall 1890 Liebe 98 hob das nackte Knäblein den kleinen . . Kopf und besah sich die sonnige Natur, in unartikulirten Lauten seine Zufriedenheit mit der Weltordnung ausdrückend; Benjamin 1912 Br. I 40 Verzeihen Sie diesen unartikulierten Choral der seelischen Gefühle; Winnig 1930 Proletariat 69 [der] unartikulierte Aufschrei der Masse; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 171 eine Stimme, die unartikulierte Schreie ausstößt. articulat: Beer 1704 Österreicher 97 fast jede Sylbe so articulat auszusprechen (CARMESIN); Stranitzky 1711 Ollapatrida 111 Der Cantzley-Schreiber . . läse mir folgende Puncte vor/ die ich von Wort zu Wort nachsprechen/ und alles Teutsch und articulat ausreden muste. articulate: Wächtler 1709 Manual 41 Articulate . . vernehmlich/ z. E. articulate reden; Zedler 1732 Universallex. II 1721 articulate . . vernehmlich. articulatim: Corvinus 1623 Föns tat. 79 Articulatim loqui, deutlich reden; Kirsch 1718 Cornvcopiae I 109 Articulatim .. deutlich; Zedler 1732 Universallex. H 1721 Articulatim . . vernehmlich. Artikulation: Klopstock 1774 Gelehrtenrepublik I 351 Einer Sprache, die lauter Kürzen hätte, würde ein wichtiger Theil der Articulation fehlen; Herder

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1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 11) Die Artikulationen unsrer Sprachwerkzeuge sind so viel; ebd. V 37 Man hat ihn [den Ursprung der Sprache] in der beßern Artikulation der Sprachwerkzeuge gesucht; Kant 1790 Kritik d. Urteilskraft (Ges. Sehr. V 320) Dieser [Ausdruck, dessen sich die Menschen beim Sprechen bedienen] besteht in dem Worte, der Geberdung und dem Tone (Articulation, Gesticulation und Modulation); F. H. Jacobi 1792 Allwill 149 Clerdon hatte Mühe nicht zu lachen, da ihm die Sprache immer enger und enger gemacht wurde, und er wohl voraus sah, wie ihm zuletzt nur ein Hauch ohne Articulation übrig bleiben würde; Moritz 1793 Grammat. Wb. 1153 Artikulation heißt also auch die deutliche Aussprache der einzelnen voneinander verschiednen Laute. Dieser fremde Ausdruck ist sehr bedeutend, weil er die Sprache in ihren Lauten, gleichsam als einen regelmäßigen, aus einzelnen Gliedern zusammengesetzten Bau bezeichnet; Garve 1798 Fragmente II 97 Wir lassen also noch jetzt die meisten der Articulationen in unsern Wörtern hören, welche unsre Vorfahren aussprachen; Humboldt 1820 Sprachstudien (Ges. W. IV 4) feste Begrenzung der Laute, die wir Articulation nennen; ebd. IV 21 Denn wie die Stärke der Reflexion Trennung und Individualisierung der Töne durch Articulation hervorbringt; Wackernagel vor 1869 Kleinere Sehr. III 4 Und obschon mehr als ein Thier körperlich wohl darauf eingerichtet wäre den ausgestossenen Lauten eine Articulation zu geben; Paul 1880 Principien 45 Ebenso lassen sich die Articulationsstellen sämmtlicher Zungen-Gaumenlaute in dem Bilde einer continuierten Linie darstellen; Hauptmann 1912 Ausgew. Prosa II 61 Seine Artikulation war tadellos, und er vermied es, mit irgendeinem dialektischen Anklang zu sprechen; Weithase 1940 Vortragskunst 16 Man versuchte nun, die Vokale in solchen Systemen darzustellen, die einmal Rücksicht auf die Artikulationsstelle und die Artikulationsart, zum ändern auf den akustischen Gesamtwert der fertigen Laute nahmen; Th. Mann 1948 Reden u. Aufs. (W. X 783) [die] Fülle von all dem, die auf mich ausging von der Dichtung, dem Kunstwerk höchster Artikulation; 1949 Sprache I 177 Samt allen jenen „Merkmalen, nach denen die Schallbilder beurteilt werden sollen" . . wie Atmungsform, Überluft, Register, . . Artikulationsspannung usw.; Kronasser 1952 Semasiologie Einl. 21 letzten Endes spricht jeder Mensch seine eigene Sprache, nicht nur bezüglich der Artikulation, des Verhältnisses zwischen Grund- und Obertönen und der Wortwahl, sondern auch semasiologisch; Welt 9. 7.1969 der Lautvorrat bzw. die Artikulationsbasis des Menschenkindes reicht für alle vorhandenen und etwa noch aufkommenden Sprachen der Welt; Arens 1969 Sprachwissenschaft 494 Die fin-

nisch-ugrischen Sprachen . . bieten nur zwei Artikulationsarten der Verschlußlaute; ebd. 649 [in der vorsprachlichen Lallstufe] kann das Kind deutsche, kaukasische, spezifisch afrikanische, . . beliebige Artikulationen nebeneinander hervorbringen; Althaus/Henne/Wiegand 1980 Lex. d. germ. Linguistik 121 Als primäre Parameter der Artikulation gelten Artikulationsart, d. h. Bildungs- und Überwindungsmodi der Konstriktion im Artikulationsraum, und Artikulationsstelle; Zeit 1.8.1986 wer all diese Produktionen sah, . . kann es sich drastisch vorstellen, warum Götz Friedrich ein „intellektueller Profi mit der samtigen Artikulation" genannt . . wird; MM 8.4.1987 doch bei aller konzentrierten Arbeit an Artikulation und Wortschatz: die Lust an der Sprache als Brücke zwischen Menschen soll im Vordergrund stehen; Zeit 10.4.1987 so lernt der Junge im Hause seines Vaters, innerhalb seiner Grenzen, die Artikulationshemmung zu überwinden; Borst 1988 Barbaren 36 Hebräisch, Griechisch, Latein vertreten auch die natürlichen Grundformen der Artikulation. Artikulator: Abraham 1974 Terminologie 39 Das Organ (bzw. der Organteil), das die Artikulationsstelle berührt bzw. ihm nähert, heißt der Artikulator; 1980 Enz. Philos. u. Wissenschaftstheorie 188 Artikulator, die symbolische Repräsentation eines Handlungs- oder Dingschemas . . durch Lautschemata oder andere eigenständige Sprachhandlungen; ebd. Z. B. führt die Trennung der Sprachhandlungen Benennung und Prädikation zur Aufspaltung eines Artikulators in Nominator und Prädikator; Althaus/Henne/Wiegand 1980 Lex. d. germ. Linguistik 7 Auf der ersten Stufe der Spracheinführungshandlungen . . werden Zeichen erzeugt, die als verbale Zeichen entsprechend Artikulatoren heißen; ebd. 8 die vom Wortaspekt des Artikulators Sam's Rauchen repräsentierte Handlung RAUCHEN VON SAM. artikulatorisch: Kainz 1941 Psychologie d. Sprache IV 420 Das stille Wortklangbild, das uns beim Schreiben leitet, ist weniger valent als das zu artikulatorischer Ausprägung bestimmte; 1955 Aufbau X1/XII 1006 Beim Tierlaut handelt es sich, vom Hundegebell bis zum Kuckucksruf, um einen einheitlichen Laut ohne innere Aufteilung und Gliederung, die wir zwar infolge unserer eigenen Sprachgewohnheiten hineindeuten können, die sich aber niemals physiologisch-artikulatorisch nachweisen läßt; Schweikle (1964 PBB LXXXVI 233) Der Hauchlaut h kann ein a in ahir z. B. schon deshalb artikulatorisch stützen und abschirmen, weil er gleichfalls ein Öffnungslaut ist; 1964 Muttersprache 69 die „Lautform" als „phonetische oder artikulatorische Größe"; Althaus/Henne/

artikulieren Wiegand 1980 Lex. d. germ. Linguistik 122 Die Summe der Merkmale repräsentiert das menschliche artikulatorische Potential; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. l 170 artikulatorische Affektentladung . . artikulatorische Divergenz . . artikulatorische Verzögerung; Lewandowski 1990 Ling. Wb. I 94 Die artikulatorische Phonetik untersucht und beschreibt die Bildung der Laute. Artikuliertheit: Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 215) ich stellte fest, daß die Tendenz zur Vermählung mit dem Wort, zur vokalen Artikuliertheit ihn mehr und mehr beherrschte. Artikulierung: Fries 1832 Philosophie II 236 Articulirung der Töne in der Sprache; Rümelin 1885 Kanzlerreden 402 Ich finde, daß mein Denken, wenn ich allein bin, fast ausschließlich in einem solchen stillen Sprechen besteht, daß dabei die Worte nicht bis zu voller Artikulierung gelangen, sondern nur wie flüchtige, aber deutliche Schatten vorüberschweben. artikulös: 1910-11 Pan I 645 Glosse! Tochter der Zukunft; Merkmal der „reicheren, geflügelten, heisser eilenden Zeit"; die du überflüssig machst das seriöse Artikulöse. artikulieren 2b: Sperander 1727 A la mod Sprach 49 von einem Gemähide sagen die Mahler, daß es wohl Articulirt sey; Wann die Theile daran wohl bezeichnet sind; Zedler 1732 Universallex. U 1721 wird von einer erhabenen Figur gesagt bey der Mahlerey, daß die Theile wohl articulirt seyn, an statt, daß selbige wohl bezeicnet seyn; Jacobsson 1781 Technolog. Wb. l 68 Artikulirt (Maler) ist ein Gemälde, wenn die Theile desselben gut ausgedrucket sind; Schleiermacher 1805—06 Brouillon (W. II 199) Die neue Kunst muß sich in einer höheren Schicht erhalten, in articulirtem Licht und Luft; 1871 Vier Monate vor Paris 4 Dies Alles [der Anblick von Paris] blau und duftig; und da wir von Norden kamen, so konnte auch die Beleuchtung nicht die verschwommenen Massen artikuliren, die nur vermöge ihrer äussersten, auf dem hellen Himmel gezeichneten Contouren ein charakteristisches Bild abgaben; Th. Mann 1912 Reden u. Aufs. (W. X 406) denn die schöne Literatur ist ja eigentlich artikulierte Kunst, welche zu artikulierter Rückäußerung und Zustimmung . . auffordert; ders. 1924 Reden u. Aufs. (W. X 434) ist dieser „Träumer" nicht der Deutsche selbst, der . . nicht will, daß der Dichter ein Schriftsteller sei, so auch wieder der Musik vor der artikulierten Dichtung einen weiten Herzensvorrang gewährt; 955 Forsch, u. Fortschr. VIII 242 Und doch kündigt

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sich seit dem l I.Jahrhundert v.Chr. der Einfluß von neuen Kräften und einem neuen Geist in den äußerlich gleichen Gefäßformen und Dekorationen an . . die Gefäße werden klar und straffer artikuliert. Artikulation: Salts 1919 Kunst d. Griechen 36 der Deutlichkeit zuliebe läßt der Künstler die Kleidung weg; das Gewand verdeckt den Bau des Körpers und seine Artikulation; MM 23. 2.1988 Schon die Beschreibung einiger Bilder macht spürbar: hier ist eine Phantasie von eigenwilliger Artikulation am Werk, die den Betrachter am einzelnen Werk festhält und auch in ihm nachwirkt. unartikuliert: 1871 Vier Monate vor Paris 5 Die untergehende Sonne warf ihren rothen Schein auf die westliche Seite der Forts, Kuppeln, Kirchthürme, Fabrikessen, die aus dem unten liegenden Nebel glänzend hervortraten, so dass aus den vorher unartikulirten Massen ein vielgegliedertes, farbenvolles Bild entstand. artikulieren 2c: Nicolai 1783-84 Reise l 129 die Stimme überhaupt nicht biegsam, die Passagien nicht artikulirt, sondern geschliffen und unsicher, kein Triller. Diese Opernarie ward nicht mit einem Flügel . . akkompagnirt; Holtet 1863 Letzte Komödiant II 25 Haydn . . : „ . . Besonders halten Sie [Wulf] darauf, daß sie [die Sängerin] immer deutlich und rein artikuliert . ."; Viebig 1900 Tagt. Brot 314 Elli . . sang . ., jede Silbe deutlich artikulierend; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 606) artikuliert wird das Ganze durch sehr deutlich gegeneinander abgesetzte Tempi; ders. 1948 Reden u. Aufs. (W. X 783) [die] Fülle von all dem, die auf mich ausging von der Dichtung . . und von jener mystisch artikulierten Sprache der Töne, der wunderbar abstrakten Figuren- und ßewegungswelt der Musik; Zeit 22.2.1985 eine ungehört schöne Horn-Melodie (so überaus sicher und schön und artikuliert geblasen von Peter Damm); MM 2.5. 1985 die Streicher artikulierten plastisch; Zeit 17.5.1985 [die] musikalischen Botschaften [der versonnenen Stücke] sind intelligent formuliert und durchweg virtuos artikuliert; ebd. 5.9. 1986 wie . . [ein junger Interpret] von einer geheimnisvollen Kraft mitgerissen wird, . . wie er die Details erkennt, formuliert, fordert, artikuliert, wie er sich verausgabt, wie er hört, wie er schwingt und musiziert; MM 24.3.1987 wenn man freilich so sauber artikuliert wie diese vier Instrumentalisten; ebd. 18.4.1987 der . . Chor, der selbst bei dichtester kontrapunktischer Führung Balance hielt und immer sinngerecht und genau artikulierte; ebd. 11.6.1987 er beherrscht einfach alles, . . rasende Läufe aus den tiefsten Lagen in kristallklar artiku-

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lierte Höhen ebenso wie das Erzeugen vibrierender Klangflächen; MM 9.3.1988 durch feine dynamische Schattierungen, vor allem aber durch eine deutlich artikulierte Phrasierung unterstreicht Bader darüber hinaus die expressiven, dramatischen Anteile dieser Musik.

articulirten Ton lege; ders. 1830 Paralipomena z. Faust H (WA I 15,224) Proserpina verhüllt. Manto trägt vor . . Unterhaltung von der verhüllten Seite, melodisch artikulirt scheinend aber unvernehmlich; Zeit 26.9.1986 von einigen unverständlich oder zu leise artikulierenden Akteuren.

Artikulation: Stuttgarter Ztg. 19.4.1969 die feinnervige Artikulationskunst, mit der [der Geiger] Voicu seine Hörer schon im Ritornell des Rondos in Erstaunen versetzt hatte; MM 22.2.1985 wenngleich man Matthias Ank bestätigen kann, daß er durch glasklare Artikulation und stilvolle . . Registrierungsnuancen manches polyphone Knäuel einsichtig entwirrte; Zeit 10.5.1985 der liturgische Charakter der Canticum-Komposition hält John Eliot Gardiner nicht davon ab, . . mit grandios beherrschten Chor-Koloraturen (Monteverdi-Choir) ein Musterbeispiel für die musikalische Artikulation zu geben; ebd. 24.5.1985 die Biennale [soll] den einheimischen Künstlern die Vielschichtigkeit und Gegensätzlichkeit jener musikalischen (auch meta-musikalischen oder multimedialen) Artikulationsformen und -techniken vor Ohren führen; ebd. 27.9.1985 Trevor Pinnock, der mit HändelSuiten und Scarlatti-Sonaten zeigte, . . was Artikulation einer Komposition an Lebendigkeit verleiht; ebd. Solisten, . . in absoluter Beherrschung von Koloratur wie lyrischer Linie, mit perfekter Artikulation; ebd. 14.11.1986 [ein Orchesterensemble] vier Individualisten, die . . rhythmische Energie mit exakter Artikulation potenzieren; MM 26.2.1987 saubere Stimmführung und vorzügliche Artikulation sowie darstellerische Überzeugungskraft ergänzten den hervorragenden Eindruck, den man von diesem jungen Sänger gewann; ebd. 7. 9.1987 nicht umsonst wird immer wieder das souveräne „non legato" des Pianisten gerühmt — hier prägte es wesentlich die Wiedergabe, den ganz eigenen Artikulationsstil eines Solisten; ebd. 9.12.1987 Werner Hollwegs Tenor, . . sicher und auch markant in Artikulation und Gestaltung geführt; ebd. 11.6.1988 so klingen Bachs Skalen und Doppelgriffe delikat und schwerelos, durch feinsinnige Artikulation sowohl im Detail wie auch in der Großstruktur klar und nachvollziehbar gegliedert.

Artikulation: Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 298) Und mit einer Stimme, der Artikulation eines Schauspielers. „Wird es?" wiederholte er; MM 3.1.1987 Prononcierte Artikulation muß nicht pathetisch sein; ebd. 1.10.1987 leider aber wurde auf eine deutliche Artikulation nicht der geringste Wert gelegt; ebd. 16.12.1987 zu den großen Vorzügen der Aufführung gehörte die markante Artikulation, für die der Regisseur bei allen Darstellern sorgte.

artikulieren 2d: Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 22,186) Er [Wilhelm Meister] articulirte gut, sprach gemäßigt aus, steigerte den Ton stufenweise, und überschrie sich nicht in den heftigsten Stellen; Goethe 1798 Regeln f. Schauspieler (WA i 40,149) Wenn ein Wort . . mit stärker articulirtem Ton ausgesprochen werden muß, so . . bereite [man] durch eine weise Eintheilung des erhöhten Ausdrucks gleichsam den Zuhörer vor, indem man schon auf die vorhergehenden Wörter einen mehr

artikulieren 3: Goethe 1794 Versuch, die Elemente d. Farbenlehre zu entdecken (WA II 5.1,152) Ich articulire also hier wiederholt, daß die Newtonische Proposition falsch und kaptiös gestellt; ebd. 157 Articulirte Wiederholung der diesseitigen Behauptung; ders. 1803 Br. (WA IV 16,363) Nun war es aber sowohl mir als meiner Umgebung unmöglich den Ort zu articuliren, woher gedachten verehrten Mannes Brief datirt worden; ders. 1804 Tag- u. Jahresh. (WA / 35,187) [die] Frage, die ich gegenwärtig nicht mehr zu articuliren wüßte; ders. 1806 Br. (WA IV 19,121) sonst dürfen wir kaum wagen, unsre Bitte zu articuliren; ders. 1813 Br. (WA IV 24,25) Wie wir seit vierzehn Tagen leben, brauchen wir einander nicht zu articuliren; ders. 1827 Br. (WA IV 42,16) ersuche Sie ein ostensibles ausführliches Promemoria zu schicken, worin Ihre Lage, Absichten und Wünsche articulirt seyen; ders. 1831 Br. (WA IV 49,133) Am ändern Morgen begab man sich nach Belvedere [zur Gartenausstellung des landwirtschaftlichen Vereins], . . wo sich . . die größte Fülle vorfand, . . welches zu articuliren man mehr Zeit brauchte; Koch-Sternfeld 1833 Beytr. III 519 aus dem Tagebuch eines bayerischen Gutsbesitzers articulirt nachgewiesen, welche Verluste der Landwirthschaft . . zugingen; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 30) alles, worin der Rang, Reiz und Wert seiner [Fontanes] Persönlichkeit beruht, die geistige Nuance, die artikulierte Problematik, die verantwortungsvolle Ungebundenheit, muß ihn in den Augen der herrschenden als gesinnungsuntüchtig, verdächtig erscheinen lassen; ders. 1924 Reden u. Aufs. (W. X 429) [Ricarda Huch] eine wunderbar artikulierte Herrscherin im Reich des Bewußten, eine . . große Schriftstellerin; ders. 1933-43 Joseph (W. IV/V 1567) soweit Worte und selbst Gedanken in Frage kommen, mochte er die Sache bei sich so artikulieren; ders. 1936 Reden u. Aufs. (W. X 479) was er [Bruno

artikulieren Walter] ist: . . ein geformter, erhellter, gebildeter Geist, dessen . . Ingenium . . sein menschliches, . . gesellschaftliches Befehlsrecht aus der Sphäre artikulierter Humanität, aus literarischer Sphäre zieht; Böll 1957 Irisches Tagebuch 18 Das Donnern hielt an, artikulierte sich; Süddtsch. Ztg. 17.8.1965 die Münstersche Gesellschaft, soweit sie sich in der Presse artikuliert; Böll 1966 Dienstfahrt 217 da er die Freiheit respektiere, selbst wenn sie sich gegen seine Überzeugung artikuliere; Welt 21.5.1968 die französische Freude am Debattieren, das Bedürfnis sich zu artikulieren; FAZ 22.5.19'68 Im Gewirr der Appelle und Forderungen, in denen sich der Aufruhr in Frankreich zu artikulieren versucht; Welt 4.1. 1969 in solchen Protesten . . wird . . das Verlangen artikuliert, den Gehorsam aus Freiheit und Einsicht zu vollziehen; ebd. 6.1.1969 artikuliert sich in ihm jedoch der Wunsch, erforderliche Kontrollinstanzen . . abzubauen; Stuttgarter Ztg. 29. 9.1969 Es wird also schwer sein, in der verkleinerten Fraktion einen klaren Willen zu artikulieren; FAZ 20.4.1971 In Düsseldorf, Wiesbaden . . geht die Gewerkschaft der Polizei . . auf die Straßen, um ihre besoldungspolitischen Forderungen zu artikulieren; Dülmen 1977 Reformation 26 die Reformation . . artikulierte sich als religiöser Protest gegen . . die Kirche; ebd. 33 Das Problem des Verhältnisses von weltlicher und geistlicher Ordnung, das sich bei Luther keinesfalls auf seine persönliche Stellung zur weltlichen Obrigkeit beschränkt, artikulierte er in seiner Zwei-ReicheLehre; Zeit 22. 2.1985 ich sah in der dortigen, dem Ministerium nachgeordneten Position keine Möglichkeit, Vorstellungen zu artikulieren, die ich im Bereich der Bevölkerungspolitik entwickelte; ebd. 12.4.1985 nicht nur die Interessen von Mehrheiten, die sich auf Verbandstagungen artikulieren können, sondern die Interessen jedes einzelen Verbrauchers; ebd. 19.4.1985 wenn wir unsere Besorgnisse nicht deutlich artikulieren; ebd. 27.9. 1985 diejenigen, die sich besser artikulieren können, meinen „die Tiger sagen, sie wollen ihre eigenen Grenzen"; MM 26.11.1985 daß es auch in der Vergangenheit Phasen gab, in denen leidenschaftlich das Für und Wider die Technik artikuliert wurde; Zeit 28. 2.1986 in Zukunft sollten sie ihren Protest doch bitte in intelligenter, pfiffiger Weise „artikulieren"; ebd. 11.4.1986 der Autor artikulierte sich als Avantgardist; ebd. 19.9.1986 der Widerstand soll sich artikulieren; ob er politisch etwas bewirken wird, steht dahin; ebd. 16.1.1987 auch die Grünen haben gelernt, daß sich Politik durch Personen artikuliert; MM 10.4.1987 der Gruppe gelingt es, Gefühle in einer ehrlichen, ungekünstelten Sprache zu artikulieren, die ihre jugendlichen Fans versteht; ebd. 1.3.1988 seine individuelle Art, den christlichen Glauben zu artikulie-

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ren; Spiegel 30.11.1992 Die Skin-Bewegung leidet überall, wo sie sich im westlichen Osteuropa politisch zu artikulieren versucht, an dem gleichen pathologischen Realitätsverlust; ebd. 7.12.1992 Mit den „Riot girls" artikuliere sich „die feministische Stimme der Videogeneration", vermutet Newsweek; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 125 Da die Sprachkritik in Deutschland über eine lange Tradition verfügt, täte die Sprachwissenschaft gut daran, diese „traditionelle", hier als „frei" bezeichnete Sprachkritik, die strenggenommen eine Stiloder Redekritik ist und sich vornehmlich in Sprachglossen artikuliert, im Gegensatz zur früheren Nichtbeachtung ernst zu nehmen. Artikulation: Heuss 1951 Qualität 33 schwierig, ja unmöglich . ., von einer bestimmten geistigen Artikulation des Käufers zu reden, denn unter den Käufern ist heute bei dem ungeheuren Umschichtungsprozeß in der sozialen Lebensform und in den Herkunften eine irgendwie bestimmende, ja verpflichtende Schicht nicht mehr vorhanden, wie sie früher einmal . . war; FAZ 16.2.1971 durch eine „verfehlte linke Artikulation" sei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, die SPD entferne sich vom Boden des Godesberger Programms; 1973 Gesundheit XI 322 dann sind damit gesellschaftliche Bedürfnisse erfüllt und weitergehende Anforderungen initiiert worden, deren Artikulation man nicht mit Mordterror zum Schweigen bringen kann; Dülmen 1977 Reformation 12 Da jedoch das Kultur- und Religionssystem, wie es das in der Kirche institutionalisierte Christentum vermittelte, die Hauptartikulationsmöglichkeit vor allem auch politischer und sozialer Wünsche bildete, konnte eine Lösung der Probleme auch nur in diesem religiösen Rahmen erfolgen; Fleischer 1978 Geschichtsprozeß 163 die Einheit des sozialen Gesamtverhältnisses besteht darin, daß . . die sozialen Energien sich in einer politischen Artikulation äußern und ihre Konflikte in politischen Formen ausgefochten werden; Zeit 22.3.1985 die Pädagogik . . hatte sich . . im „Handbuch der Pädagogik" von Nohl und Pallat am Ausgang der Weimarer Zeit Orte eigenständiger und zusammenfassender Artikulation geschaffen; ebd. 29. 3.1985 die zweite Phase euroäischer Artikulation eröffnete Margaret Thatcher Ende Dezember vorigen Jahres in Camp David; Zeit 7.3.1986 was die sozialdemokratische Vielfalt betrifft, so mündet sie doch immer wieder in die Artikulation gemeinsamer Grundüberzeugungen; MM 12.6.1986 also komme es zu Unterstellungen und aggressiver Artikulation — eine der Konfliktursachen seitens junger Menschen auf der Suche nach dem eigenen Standpunkt; Zeit 14.11.1986 im „Chandos"-Brief von Hofmannsthal verliert der imaginäre Briefschreiber fast den

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Verstand über der vernichtenden Erkenntnis, daß alle Worte verbraucht, vernutzt, zerstört sind, daß jede Artikulation von Gefühlen und Gedanken paralysiert ist; ebd. 27.3.1987 die Formulierung politischer Ziele und die Artikulation politischer Wünsche der Bevölkerung. artikulierbar: Staiger 1951 Grundbegriffe 172 wer irgend etwas als etwas erkennt, ja wer es bloß wahrnimmt, verfügt bereits über einen Sinnzusammenhang, in dem es artikulierbar wird. Artikulierbarkeit: MM 3.3.1988 Vallas Begehren ist weit weniger reflektiert, entzieht sich ganz begrifflicher Artikulierbarkeit. Artikuliertheit: Th. Mann 1960 Reden u. Aufs. (W. X 333) ist es die höhere Artikuliertheit, das menschlich Unmittelbarere, sittlich Bewußtere und Verbindlichere ihres Wesens, das hier obsiegt?. artikulieren 4: Petit 1725 Kranckheiten l 109 das Schlüsselbein .. verrencket sich .. viel eher und leichter an dem Ort, wo es mit dem Brustbein articuliret; Goethe 1795 Morphologie Hl, Paralipomena (WA H 8,338) Erster Halswirbel. Atlas . . Die Gestalt desselben weicht von der Gestalt der übrigen Wirbelknochen ab. Die Ursache davon ist seine besondere . . Bestimmung . . mit dem Haupte zu articuliren; ebd. 8,339 oben artikulirt er [der zweite Halswirbel] sich dreifach mit dem Atlas; ebd. 8,343 wir sehen . . daß zwischen den röhrenförmigen Knochen die Natur kleinere, in der Mitte articulirte Knochen angelegt hat; ebd. 8,344 Aus deutlicher Verwachsung entstanden, die zwei Phalangen articulirend; ders. 1796 Morphologie l, Paralipomena (WA H 6,401) Schaalige Theile [der Insekten] Unter sich selbst und mit dem Kopf durch Membranose Verbindungen articulirt; Schubert 1808 Ansichten 260 jene kleinen dunkel gefärbten Hügel . ., die an dem Kopfe vieler articulir-

ter Würmer . . gefunden werden; Reil 1811 Ges. kl. Sehr, l 48 artikulirter Körper; Wiegmann/Ruthe 1832 Handb. d. Zoologie 14 Der Kopf der Säugethiere artikulirt mit dem ersten Halswirbel. Articulata: Haeckel 1866 Generelle Morphologie I Vorr. XXXI das Thierreich als ein Aggregat von 5 verschiedenen Stämmen auffassen . .: Vertebraten, Articulaten, Mollusken; ebd. 49 III Gliederthiere (Articulata). Artikulaten: Bechhold 1894 Handlex. I 100 Artikulaten . . 1. Gliedertiere im Sinne Cuviers und Haeckels, Anneliden und Arthropoden. Artikulation: Büttner 1771 Anweisung l 3 Wenn jung geborenen Kindern Arme und Beine zerbrochen und aus ihren Gelenken oder Articulationen gebracht; Schmucker 1774 Wahrnehmungen IV 493 eine Canonen-Kugel . . zerriß . . den rechten Arm dergestalt, daß der Knochen des Ober-Arms bis an seinen Kopf zerschmettert, und aus seiner Articulation gerissen wurde; Goethe 1795 Morphologie III, Paralipomena (WA U 8,338) Die Articulation [des ersten Halswirbels] mit dem Epistrophäus geschieht durch eminentias condyloideas; ebd. 8,339 Die untere Artikulation mit dem folgenden Gelenkknochen ist einfach und ausgehöhlt; ders. 1796 Morphologie I, Paralipomena (WA II 6,409) [die Raupe vor der Häutung] Gespanntheit des Kopfs und der ersten Articulationen; ebd. 6,440 Stacheln und Haare an den Articulationen; ders. 1824 Morphologie III (WA II 8,215) die Ulna ist gleichsam bloß Articulation mit dem Oberarm; ders. 1831 Morphologie U (WA II 7,66) Hier ist keine Articulation zu sehen, welche sich doch bei allen Pflanzenorganen findet; ders. 1832 Morphologie (WA U 7,204) das Olekranon als nothwendigste Articulation mit dem Oberarme; Lotze 1858 Mikrokosmus 113 keine einzige Articulation des Skelets, keine Muskelschicht ist in verschiedenen Racen nach verschiedenen Principien gebildet.

Artillerie F. (-; selten -n), im späten 15. Jh. (JONES) eventuell über mlat. artillaria, artilleria, artilliaria entlehnt aus altfrz. artillerie 'Gesamtheit des Kriegsgeräts' (zu artill(i)er 'mit Kriegsgerät ausrüsten, bestücken', wahrscheinlich unter Einfluß von altfrz. art 'Kunst, Geschicklichkeit' (< flekt. Form von gleichbed. lat. ars) umgebildet aus älterem altfrz. atil(l)ier 'schmücken, ausstatten, ausrüsten, sich bewaffnen' < gleichbed. vulgärlat. *apticulare < lat. aptare 'anpassen, instand setzen, rüsten, einrichten', Intensivbildung zu apere 'anpassen'; möglicherweise auch herzuleiten von einer dissimilierten Nebenform von altfrz. atirier 'ausrüsten, anordnen', zu tire Ordnung, Reihe', aus frank. ifteri (vgl. ahd. ziari) 'Pracht, Schmuck'). Vgl. wenig älteres gleichbed. engl. artillery und auf provenzal. artilha 'Festungswerk' zurückge-

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hendes provenzal. artilharia und bes. ital. artigl(i)eria, span, artilleria sowie davon beeinflußte, vom 15. bis ins 17. Jh. übliche Schreibweisen wie Artalarei, Artelrie, Artel(l)erey, Artilleria, Artillerey, Artilleri, Artol(l)erey, Artolleri(e), Artolorey, Artlerey, Artigleria; vgl. auch frnhd. Formen wie Arkoley, Arkolay, Arculey, Ar(c)keley, Arcklerey, Ercklerey, Erkerei, eventuell zurückgehend auf eine Kombination von lat. arcus 'Bogen' und lat. telum 'Geschoß' (FRISCH 1741) oder auf lat. ars tollendi 'Schleuderkunst'; seit spätem 16. Jh. in der heutigen, an das Frz. angeglichenen Form Artillerie. la Zunächst in der Bed. 'Gesamtheit des Kriegsgeräts', dann für 'Gesamtheit aller großen Feuerwaffen, die mehr als einen Mann zu ihrer Bedienung erfordern', seit dem 17. Jh. für 'die mit (schweren) Geschützen, Raketen, Granatwerfern ausgerüstete Waffengattung; Gesamtheit von (schweren) Geschützen, Raketen, Granatwerfern mit den zur Beförderung notwendigen Bespannungen, Zugmaschinen, Transportmitteln', z. B. die leichte, schwere, fahrende, motorisierte, atomare Artillerie; der Beschüß durch Artillerie; unter dem Feuer der feindlichen Artillerie; seit spätem 16. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Artillerieangriff, -(be)deckung, -beschuß, -depot, -duell, -feuer, -gefecht, -gerät, -haus, -kämpf, -linie, -manöver, -massen, -material, -pferd , -platz, -salve, -schlacht, -Schießplatz, -schießschule, -Stellung, -tank, -Vorbereitung, -wagen; Artilleriepark 'Platz, der zur Aufbewahrung aller Geschütze und Geräte der Artillerie dient' (s. Belege 1777, 1781, 1815), auch für 'Verband von Artilleriefahrzeugen' (s. Belege 1813, 1849); Artillerietrain 'Geschützzug' (s. Beleg 1805); seit spätem 17. Jh. als Grundwort in Zss. wie Belagerungs-, Feld-, Festungs-, Gebirgs-, Küsten-, Marine-, Raketen-, Reichs-, Schiffsartillerie, im 20. Jh. in Zss. wie Atom-, Flugzeug-, Kraftzugartillerie. b Seit frühem 16. Jh. auch in der Bed. 'die mit (schweren) Geschützen, Raketen, Granatwerfern ausgerüsteten Kampfunterstützungstruppen eines Heeres', z. B. bei der Artillerie dienen; zur Artillerie gehören; die reitende, berittene Artillerie (die im deutschen Heerwesen seit 1759 zur ständigen Einrichtung wurde); seit spätem 16. Jh. als Grundwort in Zss. wie Fußartillerie; gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Artillerieabteilung, -batterie, -brigade, -beobachter, -formation, -general, -hauptmann, -kaserne, -kasino, -kommandeur, -korps, -kompanie, -leutnant, -meister, -oberster, -obrist, -Offizier, -regiment, -soldat, -zeugmeister, im 20. Jh. in Zss. wie Artillerieflieger. 2 Von la her seit Mitte 17. Jh. auch übertragen meist in scherzhaft-ironischer Verwendung für 'in (geistigen) Auseinandersetzungen oder Spannungen gebrauchtes Mittel, sich zu wehren, durchzusetzen, (geistige) Waffen'. 3 Seit frühem 17. Jh. für 'Wissenschaft, Lehre, die sich mit der Entwicklung des Artilleriewesens, der Herstellung und dem Gebrauch artilleristischer Waffen und mit artilleristischer Kriegführung befaßt sowie die Kenntnisse und Fähigkeiten auf diesem Gebiet', im 19.720. Jh. nur noch historisierend gebraucht; seit spätem 17. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Artilleriekunst, -lehre, -schule, -taktik, -wesen, -Wissenschaft. Dazu im 17.718. Jh. vereinzelt das möglicherweise unter Einfluß von ital. artigliere 'Stückgießer, Geschützsoldat', span, artillero, frz. artilleur gebildete Subst. Artillier M. (-s; -s), Artili(e)rer M. (-s; -), vereinzelt auch in der Schreibung Artollerir, für 'Soldat der Artillerie', verdrängt von der gleichbed., seit spätem 17. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. engl. artillerist aufgekommenen subst. Ableitung Artil-

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lerist M. (-en; -en), im 18.719. Jh. auch allgemein für 'Feuerwerker', seit frühem 19. Jh. auch Artilleristin F. (-; -nen) (zu Ib); seit Mitte 17. Jh. die adj. Ableitung artilleristisch (ohne Steigerung) für 'von der Artillerie ausgehend; zur Artillerie gehörend; die Artillerie betreffend', z. B. ein artilleristischer Angriff; die artilleristische Armierung; nach sorgfältiger artilleristischer Vorbereitung angreifen (zu l a und Ib). Artillerie l a: 1499 Chronik Köln III 840 unse vrunde naemen dem herzogen 10 schif mit sinre artelrien (FRNHD. WB); Arnold v. Harff 1499 Pilgerfahrt 217 eyn schoin pallais, da e . . ouch eyn schoene artalarey stunt; 1507 Geschichten Wilwolts v. Schaumburg 96 In dem wurden auch leut verordent, die sie des künigs erkerei und geschütz sehen ließen, das was von mancherlai haubtgeschoßen, cartanen und notschlangen; 1512 Frankfurts Reichscorrespondenz II 2,851 auch ander ordinantz ußgab darvon zu thun, als auff arthalari, gebew und derglichen; 1516 Ständetage Preußen V 583 dan s. f.g. barschafft an gelte durch dye key, und Romische handelungen auch zeugung der artilerei . . erschopfft (FRNHD. WB); Volkslied 1521 (Liliencron III 382) stain, pulver, blei, von artlarei all stuck genuog da waren; 1523 Flugschr. z. Ritierschaftsbewegung 44 Item es soll yeder teyll der sechs ort mit notturfftigem veldgeschütz sambt seiner zugehorung, wes zu der ecklerey gehört, jm veld erscheynen; Paracelsus 1530 S. W. // 5,85 darumb überwinden ihn [den Gerechten] die bösen; ir seindt mehr, sie seindt auch baß gerust, sie haben den seckel und artellerei; Moritz v. Sachsen 1541 Polit. Korrespondenz l 210 wie der Türke . . das geschütz und alle artelerei eroberet; Waldis 1542 Streitgedichte 29 So prechtig, trutzig zeucht daher, Mit Büchssen und vil schwerem gschütz, . . Puluer vnd aller Artlerei, Mit mörsern, bölern vnd Tormenten; Volkslied 1544 (Liliencron IV 243) Wann wir nun haben dise summ, dann wolln wir mit fleiß uns sehen urnb nach reutern, geschütz und artlerei; 1546 ebd. IV 374 die rott die thet sich mehren, schmalkaldisch wurden sie genant, bekant durchs ganze teutsche land, versahen sich mit höres kraft mit artlarei in großer macht (1912—13 ZFDW XVI 48); um 1547 Chronik Augsb. VIII 335 er alsbald mit allem seinem kriegsvolck zue roß und fueß, auch aller seiner artillereien und munition zue Jrer kay. may. veldtleger rucken . . wollt (FRNHD. WB); um 1550 Zimmer. Chronik I 293 Do das die Wurtembergischen Sachen, do wollen sie auch nit die wenigisten sein und, seitmals sie die artolei bei banden und sonst in allweg mit aller kriegsrustung wol versehen, so fiengen [sie] . . die statt zu beschießen, auch . . das schloß zu stürmen und zu netten; Christoph v. Württemberg 1552 Briefw. I 588 des orts [Asperg] wir [Herzog Christoph] dann unser furnemst geschütz, artalarei und munition hetten; Fronsperger 1555 Kriegß Regi-

ment 20b Item ein wagen mitt huoffeysen/ vnd zuo dem ein gebreüchliche anzal huoffnagel den Rossen/ der Arckelley zuo guot; ders. 1557 Geschütz 57b Es sey ein Krieg auffs geringest als jenner müglich angestelt/ wirdt dannoch Gelt gebraucht/ dann solches durch die Reutterei/ Arckaley/ Geschütz/ Prouiant/ vnd anders Kriegsrüstung . . auffgeht vnd verthan wirdt; ebd. 75b Gleicher gestalt erfordert sein Ampt/ was er außgibt auff die Arkkelley/ .. daß er das ordentlich beschreibe vnd verrechne; Lauterbeck 1559 Regentenbuch 54b das Zeughaus mit aller notturfft/ mit Büchssen vnd an der Arctalarey staffiert haben; Herberstein vor 1566 Selbstbiographie 262 den Zeugmaister hannsen Hessen enntsetzt . . auch sich aller Arthollorey vnnderzogen; Reiszner 1572 Historia 6b und sol jeder Bundgenoss zu Rossz vnd FUSS mit gebürlicher Artelerey gerüstet seyn; Fischart 1575 Geschichtklitterung (Übers.) 316 Zur Artilleri ward bestallt der groß Schilttrager Truckedillon, darunter neun hundert vierzehen grosse Feldstuck vnnd Maurbrecher waren, Scharffmetzen, Basiliscen, Nachtgallen, Singerin, Virteilbüchs; Henricpetri 1577 General historia 166 Man verordnet die höhe zu der Arckeley platz/ die denen im Schloß vor dem gesiebt/ läge; 1580 (Kentenich 1915 Trier 428) das Geschütz, Artellerei und Munition in guter Sorge und Verwahrung halten; Golius 1579 Onomasticon 169 Zeugmeister/ Arcklerey meister; Schwendi 1593 Kriegs Discurs 109 Artilleriepferd; 1597 Kronn aller Wegweiser 196 [die Stadt ist von festen Mauren umgeben] dazu mit Artillerey vnd anderer Munition auffs beste versehen; Albertinus 1599 Guevaras Sendtschreiben III 23b Saget mir/ Herr Bischoff/ ob ich auch werde unrecht thun/ wann ich in meiner Cronicol werde setzen/ daß ich ewer Hauß rings hervmb mit Artillerey vnd groben Geschütz besetzt . . gesehen habe; Kirchhof 1602 Wendunmuth II 64 ist die artalarey, büchsen, pulver, kugel und ander kriegsrustung gar wunderlich und köstlich geachtet; Wallhausen 1616 Corpus Militare 177 Man helt es für eine grosse schände einem Obristen/ wann er verliehrt sein Artilerey vnd geschütz; ebd. 182 Wann mangel an geld vnd an der ardllerey ist vmb die Stätte zu zwingen/ alsdann muß man etwas anders als den Krieg beginnen; ders. 1616 Manuale militare o. S. Artilerei Das grobe Geschütz; Henisch 1616 Teutsche Sprach 125 Artellerei haus/ arsenal/ Zeughauß; um 1617 Teutscher Michel A 3v Was ist Artolerey,

Artillerie was ist infanterey, Was die causalerey, was partey?; Amman 1625 Armamentarium Principale Oder Kriegsmunition vnd Artillerey-Buch (Titel); ebd. 2 Artillerey Vnd Zeugwartung; Aretin 1632 Bayerns auswaert. Verh. l 351 vnnd ganze wolformirte artilleria; Bürster 1634 Schwed. Krieg 56 Gegen abend volgt gewüße aviso, daß die schwedische infanteria mit der artiglieria berait zu Althaimb und Früeclcingen . . ankörnen; Hoppe 1636 Gesch. 183 commandirte er etzliche Compagnien auf den Artollerey Rossen Dragonsweise aus; Micraelius 1639 Pommerland l 548 dagegen hette der Meister das Haus Wildenbruch . . nach absterben Gottschalck von Veitheim/ außgelediget vnd entblösset/ vnd an Geschütz/ Artolerey vnd Rüstunge davon geführet; Schilt 1644 Ehren-Krantz 311 Es seynd in der Teutschen Sprach viel frembde Lateinische/ Frantzösische/ Italiänische/ Griechische vnnd Spannische Wörter eingeschlichen . . als . . Artilleri Geschütz/ Fewerwerck; Schupp 1656 Br. (Reifferscheid 1889 Br. l 634) Dann ich mehrmals gehört, dass eine wohlbestellte Artillery das fundament eines Kriegs sei; Lavater 1659 Kriegsbüchlein 2a Artillerie, das gross Geschütz; Grimmeishausen 1670 Springinsfeld 81 diser [der Kaiser] mustert uns und führte uns bey 60000 starck/ samt einer unvergleichlichen Artigleria in Bayrn vor Regenspurg; Francisci 1670 Trauer-Saal l 432 [er war] versehen . . mit . . häuffiger Artillerie/ Munition/ und ändern Kriegs-behörigen Sachen; Mieth 1683 Geschütz-Beschr. l 31 Es zweifflet kein Vernünfftiger mehr/ daß die Artilleri/ seit ihrer Erfindung/ durch continuirliches Practiciren/ eine gantz andere Gestalt und Form bekommen/ ja dermassen in Perfection gebracht; ebd. IV 18 Feld-Artillerie; 1689 Polit. Fliegenwedel I 47 wegen des . . Kriegs/ und dardurch verursachten Verlusts so vieler mächtigen Vestungen und Landschafften/ so unbeschreiblich vieler Tonnen Goldes/ Schätze und Reichthüme/ so gewaltiger Artiglenen/ so vieler tausend Soldaten und anderer Türken; Titius 1699 Lehn-Recht 222 Unter solchen Eigenthum sind begriffen (1) die Cammer-Güter/ .. (2) die Wälder/ Flüsse/ Meer sammt den Ufern/ .. Mauren/ Thore/ Festungen/ Artillerey und Ammunition, (4) die Metalle; Micraelius 1723 Pommerland I 110 da tieffe Gruben zu Verwahrung der Artollerie gemachet; Belemnon 1728 Bauernlex. 24 Artillerie, Geschütz/ Canonen/ und was dazu gehöret/ als Bomben/ Grenaten/ Pulver/ Kugeln; Sturm 1737 Wahre Vauban 86 was zur Artillerie und Munition gehöret . . Artillerie . . bedeutet das grobe Geschütz und Mörser nebst allen ihren Zugehörungen und Munition; 1777 Kriegsschule 527 . . kleine Artilleriepark; ]acobsson 1781 Technolog. Wb. I 69 Artilleriepark, . . derjenige Platz in einem Lager bey einem Kriegsheer, auf welchen sämmtliches schweres und leichtes Geschütz nebst

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Zubehör, als Kanonen, Mörser, Haubitzen, Pontons und Munitionswagen zusammen gefahren werden; Beckmann 1784~88 Erfindungen U 462 Caliberstab, Visirstab oder Artillerie-Maaßstab ist ein Maaßstab, auf welchem die Durchmesser der eisernen, steinernen und bleyernen Kugeln von verschiedenen Gewichten verzeichnet sind; ders. 1795-99 Erfindungen IV 109 Er erfand allerley nützliche Maschinen zum Gebrauche der Schiffart und der Artillerie; Goethe 1796 Cellini (WA l 43,309) ich machte mich wacker an die Artillerie, welche von den Bombardierern und Soldaten ganz verlassen da stand; Rumford 1805 Kl. Sehr. IV 2 fehlte der Armee ein wohlorganisirter Artillerietram; Goethe 1813 Tagebücher (WA 111 5,29) Ging ein Artilleriepark durch nach Erfurt; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst l 31 Artilleriepark (Pare de Partillerie) wird bei Belagerungen immer in der Nähe der Angriffsfronte . . angelegt, . . Nächst dem aufgefahrnen Geschütz und dazu gehörigen Geräthschaften und Munition, befinden sich im Artilleriepark die verschiednen Werkstätte der Wagner, Sattler, Schmiede, Schlosser . ., welche die Belagerungsgeräthe ausbessern; Marx/Engels 1849 Aufstand (MEW VI 488) Der Artillerie-Park von Wesel wird nach Elberfeld aufbrechen; Raabe 1862 Herrgotts Kanzlei (S. W. l 4,36) Mangelt es an allem, was zur Artalerey gehöret; Engels 1864 Br. (MEW XXX 393) Allerdings waren die Dänen durch das Feuer der Artillerie sehr mürbe gemacht; Prittwitz/ Gaffron 1865 Befestigung 539 Die Wirksamkeit der Festungs-Artillerie; Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 129 Gestern . . entspann sich auf dem anderen Moselufer ein ziemlich lebhaftes Artilleriegefecht; Keller 1875-80 Heinrich (S. W. XVI 217) sahen wir endlich die befreundete Stadt vor uns, aus deren . . Tor die so wie wir gerüstete Jugend uns entgegentrat . . Ihre Artillerie löste uns zu Ehren eine Anzal von Schüssen; ebd. XVI 218 Indem ihre Artillerie nämlich nur blind zu schießen gewohnt war und keine Kugeln kannte, schoß die unserige so geschickt nach dem Ziele, daß das bei solcher Gelegenheit stehende Sprichwort: „die Kleinen machten es wahrlich besser denn die Großen!" diesmal nicht ganz unrichtig war; Engels 1884 Verfall (MEW XXI 399) Dann wurde im vierzehnten Jahrhundert ebenfalls das Schießpulver und die Artillerie von den Arabern über Spanien nach Europa gebracht; Cibura 1933 M. G. 146 Trotz Sprengung der ersten Linie und furchtbarem Artilleriefeuer!; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XH 461) „. . daß ich insofern", sagt er, „dem Krieg im allgemeinen und der französischen Artillerie im besonderen Dank schulde, ist eine seltsame Begleiterscheinung der Zeit"; ders. 1947 Faustus (W. VI 637) russische Corps, durch die Einnahme von Königsberg und Wien zur Forcierung der Oder frei

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geworden, rückten, eine Millionen-Armee, gegen die in Schutt liegende, von allen Staatsämtern schon geräumte Reichshauptstadt, vollendeten mit ihrer schweren Artillerie das längst aus der Luft Vollstreckte und nähern sich gegenwärtig dem Stadtzentrum; Welt 1.11.1949 Graziani behauptet, er habe energisch widerraten, daß sich die italienischen Armeen bei ihrer ungeügenden Ausrüstung, insbesondere an Artillerie, auf eine Wiederholung des Feldzugs am Isonzo im Jahre 1915 einlassen sollten; ebd. 3.12.1949 in den weiten Wäldern der Eifel . . [an] der holländischen Grenze, in der von 22454 Häusern 20438 durch Bomben und Artillerie ausradiert oder beschädigt wurden; Andersch 1952 Kirschen 64 die strategische Situation der 20. und der 21. Luftwaffen-Felddivision bestand darin, daß sie als voll ausgerüstete, halb motorisierte, mit Sturmgeschützabteilungen und taktischer Artillerie versehene . . Einheiten auf einem Schauplatz erschienen, auf dem die Truppen der Westmächte soeben eine Druchbruchsschlacht siegreich beendeten; Heimpel 1956 Kapitulation 41 die Technisierung des Krieges. Sie geht von dem Telegraphendraht des Krimkrieges über die Eisenbahn Moltkes zum Maschinengewehr, zur motorisierten Artillerie, zu den mechanischen Waffen und zur vollen Einbettung des Krieges in die . . Wirtschaft; Partner 1964 Erben 54 ganz zum Schluß, als der Krieg eigentlich schon beendet war, hatte er [der Kölner Dom] noch unter schwerem Artilleriebeschuß gelegen und an die zwanzig Volltreffer hinnehmen müssen; Welt 10.1.1974 die Nordvietnamesen haben danach im vergangenen Jahr ihre Truppen . . mit großen Mengen moderner Panzer, Artillerie und Flugzeugabwehr ausgerüstet; MM 17.1.1986 erbitterte Artilleriegefechte; ebd. 6.5.1988 es sei zu klären, . . ob die atomare Artillerie überhaupt noch nötig sei. artilleristisch: Holstein 1656 Papiere (Frauendienst HI 540} mit besonders starker artilleristischer Armierung, was S. M. Steckenpferd; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 56 der alte Inspecteur . . wollte lieber artilleristische Ausdrücke, wie Kugel, Geschütz . . erklärt hören; Hohenlohe-Ingelfingen 1864-70 Leben III 216 die vier Abteilungskommandeure konnten kein natürliches Vertrauen zu meiner Überlegenheit an artilleristischer Erfahrung haben; Hartmann 1866 Erlebnisse 161 zwei Offiziere . ., die beflissen gewesen waren, uns bei den artilleristischen Besichtigungen zu nützen; Keller 1876—77 Ges. W. VI 13 man konnte sich an jenes andere Fragment ihrer artilleristischen Poesie erinnern; Werner 1880 Erinn. 246 Nach der Autorität meines artilleristischen ad latus Bassermann werden sie [die Frictionsschlagröhren] zum Abfeuern der Kanonen gebraucht; Engels 1878 Anti-Düh-

rung (MEW XX 160) Aber der artilleristische Fortschritt überholte bald die Panzerung; LokalAnz. 9.2.1933 Sollten es die Aufrührer auf einen Kampf ankommen lassen, so sind sie der „Java", die nur 15-Zentimeter-Geschütze führt, durch ihre beiden 28-Zentimeter-Geschütze artilleristisch überlegen; Rommel 1937 Infanterie 264 Damit ist die artilleristische Unterstützung des Angreifers sichergestellt; Jaspers 1958 Atombombe 103 eine „artilleristische" Anwendung der Atomexplosionen würde sofort den totalen Atomkrieg zur Folge haben. Artillerie Ib: 1525 (Weller 1872 Zeitungen 54) hauptmann oder pherd vnd über die Artillerey; Fronsperger 1555 Kriegß Regiment 28a Freyheit vnd gerechtigkeyt der gantzen Arckelley; ders. 1571 Kriegßbuch I 107a So sie gemustert seind/ sollen sie mit Bezalung/ auch mit an und außgang des Monats/ wie ander Arckelley Personen/ gehalten werden; ebd. I HOa Item zu einem Feldtzug gehören auch zu der Arckelley acht Zimmerleut (beide ZFDW XIV 48); Fischart 1575 Geschichtklitterung (Übers.) 316 Zur Artilleri ward bestallt . . ; Henricpetri 1577 General historia 156 Man hat alle Schütz auß der Arckelley gezelt/ vnd haben sich zwey tausend vnd acht hundert befunden; Golius 1579 Onomasticon 160 Zeugmeister/ Arcklerey meister; 1599 Anzeig u. Bericht 32b der Spanisch Oberst Artollereymeister Don Francisco de Valasco; Wallhausen 1616 Manuale 143 Artillerey Meister . . Artilirei Meister. Der Oberst vbers Geschueß (JONES); Dilich 1689 Krieges-Schule I 89 Von denen Artillerie-Soldaten; Tilemann 1691 Werbung 19 In der Artollerie. (1) Obrister. (2) Obrist-Lieutenant . . Major . . Hauptmann . . Stück-Capitain oder Lieutenant; Wagner 1724 Soldatenbibl. 371 Soldaten . . von der Artillerie einer Galee; Zedler 1732 Universallex. H 1727 Wenn diese Artillerie marchiren soll, so gehet der Major von der Artillerie mit einigen Pioniers . . voraus . . und sticht den Platz ab, wo die Artillerie übernachten soll; Schubart 1774 Dtsch. Chronik 349 Artilleriecorps; Archenholz 1790 Siebenfähr. Krieg l 293 die sogenannte reitende Artillerie; Nicolai 1790 Anekdoten IV 58 Als der König einmal im August zur Musterung des Artilleriekorps zu Berlin, von Potsdam nach Charlottenburg . . ritt; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 21,18) Ein junger Mann von der Artillerie; Laukhard 1796 Reichsarmee 140 Die sogenannte fliegende oder reitende Artillerie, (artillerie volante) welche im Felde so vielen Vortheil bringt, ist bey den Reichstruppen ein fremder Vogel; Goethe 1808 Tagebücher (WA III 3,334) in Pösneck, wo 80 Mann französische reitende Artillerie mit schönen Pferden einquartiert; ders. 1813 Br. (WA IV 23,344) Auf dem Neu-

Artillerie markte hielten Kaiser und König. Hier sah ich noch den Rest der Infanterie, alsdann Cavallerie und starke Artillerie vorbey defiliren; Ersch/Gruber 1818-89 Allg. Enc. l 5, 458 diese gaben wol vorzüglich zur Errichtung einer stehenden reitenden Artillerie von Friedrich dem Großen 1759 Anlaß. Eine Idee, auf die sein verdienstvoller Bruder, der Prinz Heinrich, . . zugleich gefallen war; denn Beide ließen zu gleicher Zeit — ohne etwas von einander zu wissen — eine Brigade berittener Artillerie einüben; Aster 1819 Festungskr. 27 Anordnungen des Befehlshabers der Belagerungs-Artillerie; Goethe 1822 Campagne (WA I 33,36) Ein Offizier von der Artillerie suchte sein Pferd zu tränken; ebd. l 33,103 Die Armee zog über die Brücken, Fußvolk und Artillerie, die Reiterei durch eine Furth; ders. 1825 Br. (WA IV 40,18) Herr Graf Edward Vargas-Bedemar . . diente in der neapolitanischen Artillerie bis 1806; Engels 1848 Nationalrat (MEW VI 93) Die Urner, Walliser und Unterwalder hatten sich inzwischen auf mehr als 2 000 Mann mit Artillerie verstärkt; ders. 1848 Köln (MEW V 62) Die Artillerie exerziert schon heute abend um 7 Uhr mit Gewehren; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch l Seit acht Tagen war ich Soldat und trug die Uniform der Kanoniere Seiner preußischen Majestät Artillerie; Hartmann 1866 Erlebnisse 268 Während des österreichischen Erbfolgekrieges wurde die Artillerie vermehrt, 1743 nach der Schlacht bei Dettingen erhielt sie den Namen Artillerie-Regiment; Engels 1887 Borkheim (MEW XXI 346) Borkheim .. mußte 1847 als dreijähriger Freiwilliger bei der Artillerie in Glogau eintreten; Andersch 1952 Kirschen 88 die französische Artillerie legte täglich eine bestimmte Anzahl von Granaten auf eine Beobachterstellung an der Limburg; Grass 1962 Blechtrommel 329 sei noch berichtet, daß während preußischer Zeit die 1. Artillerie-Brigade zur 1. Festungsabteilung und zur 2. Fußabteilung des ostpreußischen Artillerieregiments Numero l erweitert wurde; FAZ 18.1.1966 die verbleibende Truppenstärke der Amerikaner wird jetzt mit 6000 Mann angegeben, darunter eine Panzer-, eine Sturm-, Artillerie- und eine Pioniereinheit; Welt 4. 6.1974 darauf haben . . Flugzeuge und Artillerieeinheiten das Dorf bombardiert; ebd. 8.11.1974 Kommandeur eines Artillerie-Bataillons; MM 29.1.1987 der Sohn eines Tuchmachers . . trat darauf als Soldat in das fränkische Artilleriekorps ein; Zeit 29.5.1987 [Balthasar] Neumann, . . der selbstbewußte Meister: Obrist der Artillerie, Ingenieur und Architekt. Artili(e)rer: Lorini 1616 Fortification (Übers.) 43 Eines rechten Büchsenmeisters oder Artilierers Ampt vnd Stelle; ebd. von der Wissenschaft, so ein Artilirer haben muss; 1741 Critischer Versuch

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(Greifswald) 1198 Wenn vom Kriegswesen geredet würde, so wisse er wiederum nicht, was Cavalliers, . . Artollerire für Thiere wären. Artillerist: Mieth 1683 Geschütz-Beschr. U 61 Ihren grösten Stoß haben sie bekommen von denen Artilleristen; Lichtenberg 1773 Br. l 148 ein Feuerwerck .., das wohl so gut war, als dasjenige, welches die Artilleri- sten zu Hannover abbrennen werden; Beckmann 1777 Anl. z. Technologie Vorr. a5b Kennen muss der Feldherr die Arbeiten der Artilleristen, aber es ist ihm keine Schande, wenn diese das Geschütz genauer und schneller zu richten verstehn; ders. 1780 Erfindungen I 361 Stat Kanonirer, Artillerist, Artillerie und Zeughaus, sagte man ehemals Büchsenmeister, Büchsenmeisterey, Büchsenhaus; Zimmermann 1785 Einsamkeit III 461 der Graf . . sagte: meine Herren, ich habe ihnen nur zeigen wollen, wie sehr ich mich auf meine Artilleristen verlassen kann; Schubart 1791 Chronik 201 Da wimmeln die Landstraßen von Kanonen, Mörsern, Bagagewagen, Artilleristen, Pontoniers; Goethe 1792 Br. (WA IV 10,21) als wir nach der Canonade vom 20ten auf den Höhen mitten unter 12 und 24 pfundigen Canonenkugeln viele kleinere fanden, die kein Artillerist anerkennen wollte und die zuletzt von dem Naturforscher für Naturproduckte erklärt werden mußten; Archenholz 1793 Siebenjähr. Krieg II 221 Der Graf von der Lippe-Bückeburg, damahls vielleicht der größte Artillerist in Europa, commandirte das aus 15 000 Hannoveranern bestehende Belagerungs-Corps; Goethe 1796 Celltni (WA I 43,305) zwar wissen wir ganz gewiß, daß du zur Zeit der unglücklichen Verheerung von Rom gegenwärtig in dem Castell Sanct Angelo warst und man sich deiner als eines Artilleristen bediente; Wedel 1800 Br. 132 Schon lange hat mir der Major Ebra versprochen, daß ich im April, m i t . . Artilleristen . ., nach Koenigsberg gehen soll, um sie dort zu exercieren; Goethe 1813 Tagebücher (WA III 5,38) Gespräch mit einem entlassenen Sachs. Artilleristen; Sartori 1830 Wiens Tage I 181 Anton Tomser, beurlaubter Grenadier, Joseph Wanker, Artillerist, und Joseph Schitterich, Schustergeselle, reichten entschlossen sich die Hände; Gumtau 1834 Jäger l 86 W Jäger wurden unter dem Major von Hirschfeld mit l Füsilier-Bataillon und 12 Artilleristen in Aismeer eingeschifft; Engels 1842 Br. (MEW XXVII 404) ich bin nur Kaufmann und k[öniglich] preußischer Artillerist; Freiligrath 1849 Briefw. I 4 Frau Anneke, the Captain's Lady, ist reitende Artilleristin im Stabe ihres Mannes geworden; Normann um 1850 Erinn. 45 Denn ihr [der Dänen] Überwinder war eine handvoll junger Artilleristen, holsteinsche Rekruten; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 3 Auch ging das Gerücht um, daß ein Artillerist auf gute Beför-

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derung hoffen könnte, wenn er nicht ganz unerfahren in den schönen Misch- und Zersetzungsverhältnissen der Chemie sei; Hohenlohe-lngelfingen 1864-70 Leben 111 119 Denn der Artillerist sagte, das Terrain, auf dem er Batterien erbauen solle, müsse erobert und durch Vorposten gedeckt sein; Kisch 1926 Hetzjagd 31 Wattestücke . ., die sich die Artilleristen bei dem mörderischen Krachen in die Ohren gestopft hatten; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 126) um uns von meinem jüngeren Bruder zu verabschieden, der sogleich als Artillerist an die Front gehen mußte; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 677) [Nietzsches] Erfolge sind derart, daß er, kaum daß er seiner Militärpflicht als Artillerist nachgekommen ist, fast ein Jüngling noch, aufs akademische Katheder berufen wird, und zwar in in der ernsten und frommen, patrizisch regierten Stadt Basel; Fendrich 1953 Jahre 16 Er sah mit seinen hohlen Wangen zum Erbarmen aus und in seiner zu weiten Uniform eines Festungsartilleristen ein wenig komisch; Wie/i 8.11.1974 ein Artillerist an der Spitze einer Panzerdivision; ebd. der gediente Artillerist beendete den 2. Weltkrieg als Hauptmann; Zeit 29.5.1987 Stückgießer, das war ja das Handwerk, das er gelernt hatte, und Ingenieur, das heißt Festungsbauer und Artillerist, sein Beruf. Artillerie 2: 3656 Venus-Gärtlein 210 Mein Artollerey sind lauter Begierden, bey Tag vnd Nacht fewrige Gedancken; 1672 Kunst 38 des Himmels Artillerie, der Donner; Schönaich 1754 Ästhetik 193 Wenn wir aber diese Ehre nun dem Obermeister des reimenden Bathos einräumeten: würden die heiligen Männer und Meister nicht böse werden? Und wie fürchterlich ist ihr Zorn nicht! Haben sie nicht Sehraffen zu Legionen . ., ja die ganze himmlische Artillerie zu ihrem Befehle? Nur ein Knall, ein Pfiff: so müßten wir in unser Nichts, d. i. in unsere Kemnate, oder Cabinet zurückzittern; Fielding 1761 J. Andrews (Übers.) 101 der . . Bedienten . . mit der ganzen Artillerie ihrer Seufzer, ihrer Liebkosungen; Joseph U. 1765 (1981 Geflügelte Worte 275) Auch das Wort „Kirchenglocken sind die Artillerie der Geistlichkeit" soll auf Joseph II. zurückgehen, nach dem der sog. Josephinismus benannt ist; Lesiing 1769 Br. antiqu. Inh. (S. Sehr. X 416) Herr Klotz . . brach mit seiner ganzen Artillerie von Voraussetzungen, Verdrehungen, Verleumdungen und Vergiftungen wider mich auf; Goethe 1804 Tag- u. Jahresh. (WA I 35,312) [im Zusammenhang mit der Neubegründung der Allgemeinen Literatur-Zeitung in Jena] Man hatte nicht bedacht, daß . . dadurch der Widersacher nicht verhindert wird, an der verlassenen Stelle denselben Posten mit seiner Artillerie zu besetzen; Marx/Engels 1848 Manifest (MEW IV 466) Die wohlfeilen

Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie [die Bourgeoisie] alle chinesischen Mauern in den Grund schießt; Welt 9.8.1954 angefangen bei der Lanze eines spitzen Blickes bis zur Atomartillerie der Kommentare; ebd. 16.12.1959 im Arsenal der galanten Diplomatie gibt es Artillerie; Zeit 25. 7.1986 aber dennoch riefen sie stärkste Reaktionen der politischen Führung hervor, es folgten Feuerüberfälle der „Parteiartillerie", Demontagen, Rügen, Verbote; ebd. 13.3.1987 Killer-Zellen, die als „Artillerie" fremdes Gewebe chemisch sturmreif machen, werden . . in ihrer Vermehrung und Funktion behindert. Artillerie 3: Wallhausen 1615 Kriegskunst z. Fuß 132 in der Wissenschafft der Artielerey; ders. 1616 Corpvs Militare 203 Die Kriegskunst in der Artilerey Ist ein Kunst oder wissenschafft wol wissen mit dem Geschütz zu kriegen, Bestehet In zwey stükken/ das erste die Kunst in grossem Geschütz / das zweyte die Kunst in Sprengkuglen oder fewerwerffen. Die Kunst in Petarten oder ändern Sprengzeug dieselbige wissen zu gebrauchen; 1620 Discurs 82v das Artelerey wesen (JONES); i646 (Liebe 1896 Kriegswesen Erfurts 65) zu der löblichen artillereykunst beliebung tragen; Böckler 1665 Schola militaris 49 Der General Feld-Zeugmeister . . solle ebenmässig ein Tugendsamer/ insonderheit in der Feuerwerck-Kunst und Artilleria, auch ändern Mechanischen Künsten Hocherfahrner Herr seyn; Mieth 1683 Geschütz-Beschr. l 80 Artilleri-Wissenschaft; Wagner 1724 Soldatenbibl. 25 Da hat man zu studieren die Kriegs-Kunst zu Fuß/ zu Pferde/ in Schlacht-Ordnunge; mit Artillerie, Fortification; ebd. 126 Eins von den fürtrefflichsten ArtillerieBüchern sind die die Memoires de Artillerie; ebd. 320 Artillerie-Schulen; Fleming 1726 Soldat 124 Sind diese Voluntairs nicht allein in denen KriegesExercitiis, sondern auch in der Geometrie, Fortification und Artillerie erfahren; Zedler 1732 Universallex. II 1728 Unter dem Namen der Artillerie wird auch die Wissenschafft verstanden, welche lehret, wie man mit dem Geschütz umgehen soll, und bey uns Deutschen die Geschütz- und Feuerwercker-Kunst genenntet wird; Stigler 1757 Mathemat. Wiss. 299 Die Artillerie oder GeschützKunst; Meister 1766 Kriegsunterricht 51 Die erste Artillerieschule wurde 1679 zu Douay errichtet; Beckmann 1783 — 86 Erfindungen I 360 Die genaue Bestimmung des Unterschieds [zwischen Büchse, Hakenbüchse, Arquebuse, Muskete, Pistole, Flinte usw.] überlasse ich denen, welche die Geschichte der Artillerie zu schreiben verstehen; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 153 Man verdeutscht Artillerie durch Geschützkunst. — Dieser deutsche Ausdruck klingt freilich schon in seiner Zusammensetzung etwas hart . . Im gemeinen Leben aber ist der Aus-

Artist druck Artillerie einmal so gewöhnlich und allgemein angenommen; daß er tüglich wie ein der deutschen Sprache einverleibtes Wort betrachtet werden kann; Goethe um 1828 Paralipomena z. Maximen u. Reflex. (WA 11 13,442) Astronomie, Mechanik, Schiffsbau, Festungsbau, Artillerie . . riefen in der zweyten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die Mathematik wechselweise zu Hülfe; Engels 1848 Nationalrat (MEW VI 96) Dieser alte Genieoffizier, der sein Leben lang bloß Artillerieschulen organisiert; ders. 1859 Po u. Rhein (MEW XHI 265) Wir wissen sehr gut, daß . . was leichte Infanterie angeht und . . gewisse Seiten der Artilleriewissenschaft, keine Armee in Deutschland sich

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mit der französischen messen kann; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 42 Ich griff in das Schränkchen und holte ein dauerhaft aber nicht schön eingebundenes Exemplar von Oelze's Lehrbuch der Artillerie; Teuber 1881 jugendleben l 5 Eisenstadt . . ein wahres Eden schien's dem Laien, ein düsterer Kerker den 200 ungezogenen Buben, die dort zu vierjähriger Institutshaft verurtheilt waren, um dann nach abermaliger vierjähriger Haft in den Akademien zu . . Weißkirchen (Artillerie) den 2922 Tage und Nächte heiß ersehnten Lieutenantsstern zu erobern; v. Gumppenberg 1929 Lebenserinn. 25 in den „Artillerie- und Fortificationswissenschaften" wie man damals [um 1870 in Bayern] sagte.

Artist M. (-en; -en), etwa Mitte 14. Jh. entlehnt aus mlat. artista 'Künstler' (gebildet zu flekt. Form von lat. ars 'Geschicklichkeit; Kunst; Wissenschaft'; —» Artefakt), unter frz. Einwirkung früher gelegentlich auch in der Schreibform Artiste. Zunächst als Bezeichnung für den Angehörigen der Fakultät der Artes liberales an einer mittelalterlichen Universität (der sog. Artistenfakultät), insbes. für den Kenner der (sieben) freien Künste bzw. Wissenschaften (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik); dann auch, vereinzelt bis ins 19. Jh. (s. Beleg 1887), für 'Gelehrter, Wissenschaftler, der sein Fach vorzüglich beherrscht', bes. in bezug auf Alchimisten, Mediziner (s. Belege 1466, 1515, 1528, 1583, 1682, 1727, 1781); seit dem 16.717. Jh. auch allgemein für 'jmd., der eine der schönen Künste ausübt oder sie fördert, Künstler; Kunstkenner, Kunstliebhaber', bes. im literarischen Bereich und in der bildenden Kunst (s. Belege 1616, 1741, 1767, 1789, 1811, 1835); seit etwa Anfang 20. Jh., eventuell unter frz. Einwirkung, mit bes. Betonung des Merkmals der Geschicklichkeit (vgl. b), auch für 'Künstler, der die formalen, technischen oder darstellerischen Mittel seiner Kunst meisterhaft, perfekt, souverän beherrscht' (—>· Virtuose a), gelegentlich eher negativ konnotiert mit „überbetont formkünstlerisch, rein formalistisch" (s. Beleg 1914), aber auch positiv mit „geistreich und doch spielerisch leicht, spielerisch-ästhet(izist)isch, raffiniert, virtuos und artifiziell im Formalen, Stilistischen, formkünstlerisch brillant" (s. Belege 1907, 1908, 1912, 1918, 1925, 1945, 1985, 1986), z. B. in Zss. wie Wort-, Verbal-, Sprachartist. Vgl. daneben in neuester Zeit Personenbezeichnungen auf -ist wie Popart-ist, Conceptart-ist, gebildet zu entsprechenden, in den 60er Jahren aus dem Engl.-Amerikan. übernommenen Kombinationen mit -Art (aus engl. art 'Kunst' < gleichbed. lat. ars, s. o.) wie Pop Art, Concept Art, in der Bed. 'Vertreter der im Bestimmungswort genannten Kunstrichtung'. b Seit früherem 19. Jh. im Zusammenhang mit der Gründung von Varietes unter Einfluß von frz. artiste 'Schauspieler' in der heute dominanten Bed. 'Schaukünstler, der (bes. mit Geschicklichkeitsübungen und Tricks) im Zirkus oder Variete auftritt; Variete-, Zirkuskünstler' (—» Akrobat), z. B. den Artisten Beifall spenden, als Artist auftreten, reisen, als Grund- und bes. Bestimmungswort in Zss. wie Drahtseil-, Zirkusartist; Artistenberuf, -blut, -gepäck, -leben, -stück, -truppe, -volk, -weit und Artistenloge 'im Jahre 1901 gegründete, internationale Berufsorganisation der Artisten';

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in neuerer Zeit gelegentlich übertragen für 'jmd., der überaus geschickt mit etwas (z. B. Zahlen, Begriffen, Fakten) umzugehen weiß, ein kunstvolles Spiel damit treibt; Jongleur', z. B. Zahlen-, Finanzartist. Dazu die im späten 16. Jh. selten, erst seit spätem 18. Jh. kontinuierlich belegte adj. Ableitung artistisch, anfangs auf die traditionellen Wissenschaften (Artes liberales) bezogen und vereinzelt in der latinisierenden Form artisticus, dann allgemein in der Bed. 'künstlerisch' (s. Belege 1835, 1837, 1852, 1860, 1876), speziell auch 'kunstbetrachtend, kunstwissenschaftlich', z. B. artistische Wanderungen, Gespräche, Aufsätze und in addierten Adj. wie artistisch-literarisch, artistisch-ästhetisch (s. Belege 1812, 1816—17), im 19.720. Jh. auch 'große formalkünstlerische Fertigkeiten, hohes formalkünstlerisches Können zeigend' (—» virtuos), z. B. mit artistischer Technik, ein Instrument artistisch beherrschen, artistisch schreiben, malen, artistisch geformte Sätze, dieser Schriftsteller liebt die artistischen Spielereien, auch abwertend, z. B. mangelnden Inhalt, innere Leere mit artistischer Raffinesse überdecken (s. Belege 1963, 1985), gleichzeitig auch positiv wertend für 'geistreich, raffiniert, artifiziell mit sprachlichen, stilistischen Mitteln spielend, experimentierend' (s. Belege 1901, 1917, 1941, 1959, 1966) (zu a). Seit früherem 20. Jh. auch in der Bed. 'die Zirkuskunst, den Zirkuskünstler betreffend, akrobatisch', z. B. artistische Kunststücke, Glanzleistungen, eine artistische Nummer im Zirkus, von daher auch für 'in der Art eines Artisten, von bes. (körperlicher) Geschicklichkeit, Gewandtheit', z. B. eine artistische Ballbehandlung, artistische Paraden (zu b). Seit Anfang 19. Jh. die subst. Ableitung Artistik F. (-; ohne PL), zunächst in positiv wertender Gegenüberstellung zu Belletristik (—>· Belletrist) für '(mit) künstlerische(r) Meisterschaft (geschriebene Literatur oder Literaturkritik)' (s. Beleg 1804), dann vor allem 'großes Maß an formaler, formalkünstlerischer Beherrschung', auch stärker positiv für 'spielerisch-leichter, virtuoser, geistreicher Umgang mit Sprache, mit sprachlichen Ausdrucksmitteln; Wortkunst (als schöpferisches Formerlebnis)' (s. Belege 1918, 1951; —* L'art pour l'art), seltener auch abwertend für 'bloße Kunst-, Fingerfertigkeit', z. B. das ist bloße Artistik 'reine Formkunst ohne inneren Gehalt' (s. Belege 1918, 1927) (zu a); seit früherem 20. Jh. auch für 'Variete- und Zirkuskunst, die Kunst des Zirkusartisten, Akrobatik', von daher auch übertragen für 'außerordentliche (körperliche) Geschicklichkeit' (s. Beleg 1988), z. B. die Artistik der Abfahrtsläufer (zu b). Dazu schon im 16. Jh. vereinzelt, erst im 20. Jh. wieder selten bezeugtes Artisterei F. (-; selten -en), zunächst allgemein für 'Kunst', dann in der Bed. 'formale Spielerei' (zu a); seit Anfang 20. Jh. die subst. Ableitung Artistentum N. (-s; ohne PL), zunächst für 'Künstlertum, technische Meisterhaftigkeit, Gekonntheit, Virtuosität', auch abwertend 'bloße Formkunst' (s. Beleg 1933) (zu a), vereinzelt auch für '(typisches) Wesen, Verhalten, Auftreten von Zirkusartisten' (zu b); seit frühem 20. Jh. seltenes Artismus M. (-; ohne PL) 'rein formale Kunst, Formkunst' (zu a). Artist a: um 1340 Jeroschin V. 13690 kein juriste, legiste noch artiste; 1378 Augsb. Chronik 60 all Studenten, artisten und Juristen und all ander gelert; Volkslied 1414-18 (Liliencron \ 237) Ander maister in theologie/ an zal ist und gewesen ie,/ gar vil doctores canonisten/ . . maister sibenkunst artisten,/ astrologie mit clugen listen; 1450 Algo-

rismus Rat. 272 artist; 1466 Basler Chronik V 467 In dem huse mechte man lectoria für die artisten und ertzete; 1491 Urkunden Tübingen 83 ein yeglicher Ordinarius in der heiligen geschrifft in yeglichem vierndel Jars visitieren ein mal die ordenlich disputation der artisten; 7496 (Ann. Ingolstad. Acad. 155) Wir Dechant . . der Artisten Facultet in

Artist der wirdigen Universität zw Inngolstat bekhennen und tun kunt allmennigklich mit disen unscrn offenen Brieve für unns und all unser Nachkommen; 3515 Eulenspiegel 51 [Ulenspiegel] sprach .., ich bin ein künstner, des froewd sich der landgraff, dan er meint er wer ein artist vnd künt mit der archamy (FRNHD. WB); Paracelsus 1528 S. W. I 6,231 und ob ich schon die Aristotelisch geigen nicht geige und die gugelfur der artisten, so sol sich doch ein arzet dasselbig nicht erschrecken; ebd. 6,315 f. dise subtilikeit bringen die artisten herfür und wollen die medicin wie ir stinkende logic distinguiren; ders. 1530 S. W. / 8,151 das also weder der theologus, jurist, artist, astronomus, philosophus, alchimicus und al andere nichts mit inen [Ärzten] gemein haben, noch si mit ändern; ders. 1537-38 S. W. I 12,482 aber gleich wol die kunst ist gerecht, der incertus artista aber, der sie braucht, der mag vileicht zu solcher creation, neuer himel und firmament zu generiren nicht geschikt sein; 1544 Urkunden Tübingen 233 So soll solches fürterhin bey vnser Artistenfacultet zu Tüwingen vff volgend form, Ordnung, maß vnd Satzung gericht vnd gestelt sein; Wedel 1570—1606 Hausbuch 169 Imgleichen Johannes Rivius ein christliche und wolgelahrter theologus und artist; Paracelsus 1575 Heimligkeiten 4 jhr Leser und Artisten [Gelehrten]; Thurneisser 1583 Onomasticon II 51 Est Luna, Wird bey den Artisten [Alchimisten] für Silber verstanden; 1597 New Distill. 211a dieselbe wässrigkeit, so die gemeinen Artisten das Magma nennen; Hemsch 1616 Teutsche Sprach 126 Artist/ ein Künstler/ ein Handwerksman; Grassaeus 1618 Kl. Bauer 38 Wer nun solchen Mangel kan hinweg nemmen/ vnd der Natur durch jhre gebürliche oder tüchtige Mittel vnd Medicin, darauf? der Artist die plusquamperfection, so besonders in fecibus verborgen, zu hilff kommen, der ist ein rechter wahrer Meister vnnd Philosophus; Leibniz 1668-76 Briefw. I 223 hat sich .. alter laborant namens Gregorius, itzo hier eingefunden, . . wiewohl er sonst ein erfahrner artist seyn soll; Lebenwaldt 1681 Teufels List VI 44 daß sich ein Artist berühmbt/ er wolle den Magnet also bekräfftigen/ daß er ein Wagen voll mit Leuth ziehe; Becher 1682 Glücks-Hafen 23 in der Zeit der Kochung offenbaren sich nicht weniger Farben/ als auch in plantis, welcher doch die Artisten [Chemiker] nicht mehr als drey vornehmer notiren: Schwartz/ weiß/ und roth; Grassaeus 1687 Gr. Bauer 209 Meine getreue liebe Artisten [Anrede der chemischen Laboranten]; Sperander 1727 A la mod Sprach 50 Artiste, ein Künstler; sonderlich der in der Chymie seine Sachen wohl zu machen weiß; Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 37 Artist . . Grammaticus, Literatur; ein Kunst-reicher, Kunstergebener Mensch; Wieland 1757 Gesch. d. Ge-

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lehrtheit 35 Wir finden . . kein Volk, welches innerhalb 150 Jahre mehr große Philosophen, große Staatsmänner, . . große Artisten hervorgebracht [als die Griechen]; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 42) Die Bildhauerey . . könne keine Stoffe nachahmen . . Wenn die alten Artisten bey dem Einwürfe lachen würden, so weis ich nicht, was sie zu der Beantwortung sagen dürften. Man kann die Kunst nicht tiefer herabsetzen, als es dadurch geschiehet; ebd. IX 53 wie nützlich die Werke der alten Artisten zur Erklärung der klassischen römischen Dichter gebraucht werden können; Herder 1767 Dtsch. Lit. (S. W. I 427) Der Dichter und Artist braucht oft solche personificirte Stücke der Natur; ebd. I 437 Am Artisten ist uns Gottlob! im Gedicht nichts gelegen, wenn er nicht durch seine Künstelei sich als wahrer Dichter zeigt; Riedel 1767 Theorie 11 Dass sich einmahl ein Dichter, ein Artist unterstehe, seine Produkte ohne Beyhülfe einer gesunden Philosophie zu liefern!; Rust 1774 Antiquitäten I 291 die alten Artisten (warum nicht Künstler?) [der Griechen]; Musäus 1778 Physiognom. Reisen I 76 Der Eingeweihete, oder eigentlich der wahre Artist suchet und findet, . . und wärmet seine erstarrten Gliedmaßen an der heiligen Flamme des Altars; Semler 1781 Lebensbeschr. I 323 Es felete [!] selbst hier in Halle nicht an mehrern so genanten [!] Artisten oder Liebhabern dieser grossen Kunst [Chemie]; Schlözer 1781 Briefw. histor. Inb. IX 88 was ich zur Geschichte der Artisten [Schriftsteller] beitragen kan, die vorzüglich bei Sächsischen Regenten ihr Heil versucht haben; Forster 1789 Kl. Sehr. 139 die laute Beschuldigung, daß Gewinnsucht und Stolz den neueren Artisten beherrschen; 1791 Thalia III 9,106 wirkten geschmacklose Ueppigkeit . ., Thorheit in den Wissenschaften und Wahn im Volksglauben, auf die Phantasie des modernen Artisten und lahmten den Fittig; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 154 Artist. Dieser fremde Ausdruck, anstatt, Künstler, ist im Deutschen sehr gebräuchlich; welches wohl daher kommt, weil das Wort Künstler, wegen seines Mißbrauchs oder vielmehr zu häufigen Gebrauchs, uns nicht mehr edel genug scheint; 1799 Journal d. Moden XIV 215 Ich wünschte . ., daß bey der nächsten Ausgabe dieses Werks [Dictionnaire] die Definition des Wortes Artiste verändert würde. Sollte inzwischen dieses Wort vor lauter Vieldeutigkeit vielleicht gar nichts mehr bedeuten, . . so laßt uns, ihr meine Kameraden allzumahl, Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Zeichner, nicht mehr Künstler, sondern schlechthin, aber wahrhaftig Maler, Bildhauer usw. seyn; Böttiger 1800 Kl. Sehr. III 74 in eine Schusterbude eines Atheniensischen . . Lederschneiders (denn so nennt der Grieche seine Beschuhungsartisten); Novalis vor 1801 Sehr. II 598 Der Physiker, der Histo-

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riker, der Artist, der Kritiker etc. gehören alle in dieselbe Klasse. . . Alles befaßt die Kunst und Wiss[enschaft]; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 29,169) Dem Dilettanten ist die Nähe des Künstlers unerläßlich, . . die Wünsche des Liebhabers erfüllen sich im Artisten; ders. 1820 Br. (WA IV 7,145) Die Musici gelten bey mir am wenigsten. Es ist nichts beschränckter [im Urteil] als ein mittelmäsiger Artiste. Besonders ein Musicus der nur ausführen sollte und verführt wird selbst zu komponiren; Heine 1835 Romant. Schule 61 auch Goethe besang einige große Emanzipationsgeschichten, aber er besang sie als Artist; ebd. 105 Als Cyrus die Revolte der Lydier gestillt hatte, wußte er den . . freiheitsssüchtigen Geist derselben nur dadurch zu bezähmen, daß er ihnen befahl schöne Künste und sonstige Dinge zu treiben. Von lydischen Erneuten war seitdem nicht mehr die Rede, desto berühmter aber wurden lydische Restaurateure . . und Artisten; Kurz 1843 Schillers Heimatfahre H 36 daß er [Herzog], . . aus Rücksicht auf den Rang des Akademiestallmeisters im Adreßkalender an der Spitze des gesamten Instituts die Reitkunst figurieren ließ, während die „Artisten" in der untersten Abteilung das Verzeichnis beschlossen. Arm wie das Talent fast immer ist, waren diese ihrem Versorger [dem Herzog], der sie meist beim Theater und Bauwesen zu äußerlichen Zwecken verbrauchte, willenlos verschrieben, ein Schicksal, das auch andere Zöglinge in anderen Fächern teilten; 1860 ZfVPs. l 481 „Artiste" [als beliebter Titel], Maler oder Bildhauer, doch ohne dass man . . etwas davon gewahr wird; Rose 1884 Revanche 133 Ueber den Eingang des Artistenfoyers könnte man ein Ladenschild mit den Worten hängen: „Hier werden [Vertrags-] Künstler für den Abend oder für die Stunde vermiethet"; Wolff 1887 Hagestolze 69 er wäre Artist und triebe die Heilkunde nach eigenen Erfahrungen und wie er sie mit manchen Geheimnissen der Natur für theures Lehrgeld . . von seinem Meister gelernt hätte. . . Er wäre in vielen Künsten und Praktiken geübt und immer dienstbereit; Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Universitäten 75 Auch die Rangordnung der Fakultäten übernahmen die deutschen Universitäten bereits ausgebildet von Frankreich und Italien. Die Theologie hatte den ersten Platz, ihr zunächst folgten die Juristen, dann die Mediziner, dann an vierter Stelle, die Artisten. Die drei ersten wurden als . . obere Fakultäten zusammengefaßt und der Artistenfakultät gegenübergestellt. Doch begegnet nur äußerst selten die Bezeichnung der Artisten als der unteren Fakultät, und es lag auch keineswegs eine Geringschätzung der Artisten in der Bezeichnung der oberen Fakultäten. Der Ausdruck wollte nur sagen, daß die artes die Vorhalle bildeten, durch welche jeder hindurchgehen mußte, der sich zu

dem Studium einer der drei anderen Fakultäten wenden wollte Th. Mann 1904 Reden u. Aufs. (W. X 405) zwiespältige und ironische Mischlinge aus Bourgeois und Künstler, die als Artisten das Leben und als Bürger die Kunst bespötteln; Mauthner 1907 Vorw. z. Lale, Sehr. XIII Die deutsche Artistenlyrik. Sie war [als Gegensatz zum strengen Naturalismus] der lebendigen Artistenlyrik von Frankreich und England nachgefolgt. Ein Stückchen Marmor, ein Seidenfetzchen von unbenannter Farbe, eine Blume; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 35) das Theater .. bietet dem kritischen Artisten eine viel größere Möglichkeit geistig-stilistischer Überlegenheit als die Literatur; es schreibt sich über das Theater aus einer luftigeren Höhe; der kritische Artist spielt mit der Naivität des Theaters wie ein ironischer Dichter mit dem unbewußten und stummen Leben; 1909 Stimmen d. Zeit LXXVl 550 Nietzsche ist mehr Dichter, mehr „Artist" als Philosoph. Er schuf seine Begriffe: ewige Wiederkunft, Übermensch usw., wie sie ihn just anregten; Beweise blieben Nebensache; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. XI 731) wenn er Richard Dehmel einen „slawischen Virtuosen" nennt, so möge er uns „romanische Artisten" nennen; 1912 Stimmen d. Zeit LXXXH 45 Ich bin der Überzeugung, dass nicht Stefan George, Hofmannsthal oder Mombert und ähnliche Wortkünstler und „Artisten" die Vorbilder zukünftiger Poeten sein werden; Schmilz 1914 Frankreich 58 Der Deutsche neigt dazu, den Künstler des Wortes einen Artisten zu schelten. Der Artist [aber] ist die Karikatur des Künstlers und verhält sich zu ihm wie der Dichterling zum Dichter; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. X 416) freilich ist Keyserling, obgleich äußerst künstlerisch, weniger Artist und Exzentriker, weniger pariserisch-virtuos als Bang; ders. 1920 Reden u. Aufs. (W. XU 599) Nietzsche's kritische Terminologie gab für seine moderne Erscheinungsform den Namen des „Artisten", des „Künstlers" an die Hand, es ist der Typus, den ich .. darstelle; ders. 1925 Reden u. Aufs. (W. X 189) zu denken, daß Wagner noch heute . . als . . Vertreter roher Biederkeit mißbraucht werden kann, — während europäische Artisten und Dekadente wie Baudelaire die ersten waren, die ihm zujubelten!; Kolbenheyer 1929 Universitäten 6 Hat unser . . verödetes Zivlisationsleben vergessen, daß es Zeiten gegeben hat, in denen die facultas artium (die „Artistenfakultät") eine unerläßliche Vorstufe jedes höheren akademischen Grades gewesen ist; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 515 [in Oscar Wilde] vollzog sich die Selbstkreuzigung der modernen Geistes- oder hedonistischen Skepsis und Artistenimmoralität; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 381) das mag ein Einwand sein für Esoteriker und Aristokraten der Kunst — aber wenn unter

Artist den Unmusikalischen sich nun Menschen und Artisten wie Baudelaire befinden?; Benn 1941 Kunst u. drittes Reich (Ges. W. l 312) Singen - das heißt Sätze bilden, Ausdruck finden, Artist sein, kalte einsame Arbeit machen, dich an niemanden wenden, keine Gemeinde apostrophieren; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 137) der Artist, der Zigeuner und Libertiner vergesse doch nicht . ., daß ein gutes Stück seiner selbst im deutschen Bürger steckt: denn Artistik, Zigeunertum und Libertinage ist der überpolitische Teil des Menschlichen, jener Teil, der im Staatlich-Gesellschaftlichen nicht aufgeht, — der atomistisch-individualistische Teil; ebd. XII 313 man weiß, daß Turgenjew für seine Person ein Sapadnik war, ein Westler und Antislawophile, ein gläubiger Anhänger europäischer Kultur: er war Franzosenfreund als Artist, er kam als Geist von Goethe und Schopenhauer; Muhs 1948 Universitas 40 Aufgabe der mittelalterlichen Artistenfakultät; Heimpel 1956 Kapitulation 96 [in Reformationszeit] neue Professuren für die alten Sprachen in der Artistenfakultät, für biblische Wissenschaften in der theologischen Fakultät machten sich nötig, und sofort ertönte der Ruf nach . . dem Mäzenat des Landesherrn; Heuss 1963 Erinn. 280 sicher war er unter den . . Vordergrunds-Akteuren des öffentlichen Lebens der gebildetste und zugleich als Literat farbenreichste — . . ein, freilich unnaiver musischer Artist; Zeit 19. 7.1985 als die großen (hermetischen) Artisten der Nachkriegsliteratur gelten . . Paul Celan oder Arno Schmidt oder Uwe Johnson; ebd. 25.7.1985 das war .. ein wahnwitziges Artistenstück, das sich in vertrackten Wortkaskaden über die Zuhörer ergoß, und nur Joachim Kaiser . . sprach von „losgelassener Virtuosität"; MM 2.5.1986 die „Statischen Gedichte" . ., „Roman des Phänotyp" . ., seine [Gottfried Benns] neuen Aufsätze und Reden — , sie zeigen den Sprachartisten und Virtuosen der Form; Zeit 9.5.1986 weniger evident, um so nachdrücklicher jedoch, äußert sich in diesem Haßausbruch der Künstler, wenn nicht gar der Artist; ebd. 18.7.1986 so wie die seines Nachfolgers, der es verdient, als Artist und Fabulierer mit ihm zusammen genannt zu werden; ebd. 17.10.1986 schon die Nazarener setzten die fromme mit der guten Malerei gleich — und werden von den Artisten ob ihrer Schlichtheit gescholten; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 5 Karl Kraus, einer der größten Sprachartisten deutscher Zunge. (Pop-, Concept-)Artist: Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 15 der Pop-Artist, der den Geist der modernen Bewegung in ein Zitat verwandelt und ironisch mit anderen Zitaten zu grellen . . Texten vermischt; FAZ 1.1.1991 Viele von ihnen zählen zu den Concept-Artisten der zweiten Generation,

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andere wehren sich gegen diese Schublade; Süddtsch. Ztg. 28.9.1993 daß Madonna auf .. virtuose Weise Images am eigenen Körper ausprobiert und trotzdem als Exhibitionistin mißverstanden wird. In Wahrheit gibt die Popartistin, selbst wenn sie nackt ist, überhaupt nichts von sich preis. Artismus: 1928 Handb. d. Frankreichkunde l 237 Bemerkenswert ist bei Ravel . . die neue Liebe für Ballettmusiken; dieser alte französische Grundtrieb sproßt immer wieder auf, . . selten tiefgehend, aber fast immer locker fesselnd durch einen graziösen Artismus, der gefällig unterhält; Benn 1933 Eigengesetzlichkeit d. Kunst (Ges. W. I 213) Das bedeutet hinsichtlich der Kunst eine Eigengesetzlichkeit des Geistig-Konstruktiven, das bedeutet, daß nicht alles Artismus ist, was sich nicht programmatisch zum Volksliedhaften bekennt; Röpke 1946 Civitas 115 [der französische Adel,] der schliesslich der Langeweile, dem Artismus und dem Zynismus verfallen; 1955 Festschr. a. Fechter 127 der formalistische Artismus der Kunst. Artistentum: Simmel 1901 Philosophie 39 [in Stefan Georges letzten Werken erkennt man] . . jenes vollkommene Artistentum, das keinem bloß persönlichen Tone Raum gibt, und in dem der Wille zum objektiven Kunstwerk alleinherrschend geworden ist; Schlaf 1905 Nonne 66 Ach, wieviel Luxus und Narrheit ist heute das, war wir „Liebe" nennen. Wieviel raffinierter, überflüssiger Schönheitskult und wieviel frevles Artistentum; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 104) ein Artistentum ist dadurch bürgerlich, daß es die ethischen Charakteristika der bürgerlichen Lebensform: Ordnung, . . Ruhe, Fleiß — nicht im Sinne der Emsigkeit, sondern der Handwerkstreue — auf die Kunstübung überträgt; Brieger 1921 Pastell 133 Sein [Liotards] beträchtliches Können wird zum Artistentum, seine lebhafte Farbigkeit zur Buntheit; Strich 1928 Dichtung 231 Das Artistentum und das Ästhetentum eines Catull und seines Kreises; 1933 Börsenbl. d. dtsch. Buchhandels Nr. 269 o. S. Sie [Kunst] hatte jede Kühnheit der Konzeption, jeden Mut zur Gestaltung und jede Verwegenheit des Stils verloren. Sie sank herab zum bloßen Artistentum; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 292) in ihrer . . Wohnung am Corso trafen sie mit einem Gemenge internationalen Artistentums, Theatervolk, Malern und Musikern . . zusammen; Zeit 25.10.1985 der Dichter . . bewegte sich auf dem schmalen Grat zwischen romantischer Empfindsamkeit und bewußtseinsgeschärftem Artistentum. Artisterei: Paracelsus 1530 S. W. l 8,208 alle künst auf erden sind götlich . . dan der heilig geist ist der anzünder des Hechts der natur, darumb niemants

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lestern mag die astronomei, niemants die alchimei, . . niemants die theologei, niemants die artisterei, niemants die poeterei; ders. 1533—34 S. W. / 9,513 die ding zu erkenen braucht ein erfarnen in transmutationibus, und in den praeparationibus der artisterei, der ich an dem ort die ding befilch; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 11) ein Rest von Rolle, Advokatentum, Spiel, Artisterei, Überder-Sache-Stehen, ein Rest von . . jener dichterischen Sophistik, welche den Recht haben läßt, der eben redet; Zeit 29.3.1985 das Abenteuer der Improvisation birgt immer das Risiko der Belanglosigkeit und der Sackgasse, und wenn Konzentration und Inspiration sich . . partout nicht einstellen wollen, dann muß sich der Solist notgedrungen mit Artistereien über die Runden hangeln. Artistik: Goethe 1804 Br. (WA IV 17,123) Dergleichen Salbadereyen [in einer Rezension] stechen gar zu sehr gegen den übrigen Gehalt ab. Möchten wir doch bald die Rubrik Belletristik ganz auslöschen und Artistik dafür setzen können; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XU 103) diese Mischung aus Artistik und Bürgerlichkeit bilde die eigentlich deutsche Abwandlung des europäischen Ästhetentums, das deutsche l'art pour l'art; Benjamin 1918 Br. l 173 was bloße Artistik in der Malerei ist; Th. Mann 1924 Reden u. Aufs. (W. X 641) seine Kunst ist weniger bürgerlich, europäisch gepfefferter . .; er ging bei den Parisern in die Schule und wandte die französische Artistik der achtziger Jahre auf die phantastische Erzählung, den Abenteuerroman an, — Gattungen, die er in künstlerischer und geistiger Hinsicht erstaunlich zu heben wußte; Thiess 1927 Gesicht 115 Aber Kunst kann (in Zeiten hoher Kultur) die Artistik, und Artistik (in Zeiten der Kulturlosigkeit) die Kunst verdrängen; Voss. Ztg. 29.12.1929 Der Darsteller hätte auf den Theaterkritiker Borne noch mehr eingehen sollen, der in dieser Eigenschaft gar nicht so „Unkünstler" und „artistikfremd" war. Was er . . über das Käthchen, den Teil, den Hamlet geschrieben hat, glänzt für uns immer noch; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 424) das ist das äußerste und höchste Wort dieser Welt, ihre Krönung . ., geprägt . . von ihrem Geiste, dessen europäische, mystischsinnliche Artistik durch Wagner und den frühen Nietzsche die Stilisierung ins Deutsch-Bildungsmäßige erhält; Börsenztg. 7.2.1937 diese Geschichten sind vortrefflich „ersonnen". Literarische Artistik (wobei mir eine solche, wenn sie makellos ist, lieber ist als eine „Poesie", die auf Krükken geht); Benn 1951 Probleme d. Lyrik (Ges. W. l 495 f.) Das neue Gedicht, die Lyrik, ist ein Kunstprodukt. Damit verbindet sich die Vorstellung von Bewußtheit, kritischer Kontrolle, und, um gleich einen gefährlichen Ausdruck zu gebrau-

chen, .. die Vorstellung von „Artistik". . . Die Herstellung des Gedichtes selbst ist ein Thema; ebd. l 500 Der durchschnittliche Ästhet verbindet mit ihm [Begriff Artistik] die Vorstellung von Oberflächlichkeit, Gaudium, leichte Muse, auch von Spielerei und Fehlen jeder Transzendenz. In Wirklichkeit ist es ein ungeheuer ernster Begriff und ein zentraler. Artistik ist der Versuch der Kunst, innerhalb des allgemeinen Verfalls der Inhalte sich selber als Inhalt zu erleben und aus diesem Erlebnis einen neuen Stil zu bilden, es ist der Versuch, gegen den allgemeinen Nihilismus der Werte eine neue Transzendenz zu setzen: die Transzendenz der schöpferischen Lust; ebd. l 500 f. In unser Bewußtsein eingedrungen war dieser Begriff durch Nietzsche, der ihn aus Frankreich übernahm. Er sagte: die Delikatesse in allen fünf Kunstsinnen, die Finger für Nuancen, die psychologische Morbidität . . und: die Kunst als die eigentliche Aufgabe des Lebens, die Kunst als dessen metaphysische Tätigkeit. Das alles nannte er Artistik. . . Das ist kein Ästhetizismus. . .Sein inneres Wesen mit Worten zu zerreißen, der Drang sich auszudrücken, zu formulieren, zu blenden . . — das war eine neue Existenz; Heuss 1951 Qualität 45 Artistik; Bense 1954 Aesthetica 127 die Artistik der Sprache besteht mehr und mehr darin, die Absage in einem verwirrenden Spiel von Aufschüben und Ausreden zu verhüllen; 1954 Begegnungen 110 [Kunst des Zeitungsmannes, durch Tarnung hindurch die Wahrheit zu sagen] Heuss bildete diese Fähigkeit bis zur Artistik aus, gleich einem Seiltänzer, der ohne Netz sicher über dem Abgrund schwebt; Koch 1956 Lex. 917 Erst seine [des englischen Dichters Tennysons] „Poems" . . drangen in weitere Kreise. In ihm zeigte sich die Versartistik bereits in voller Größe; Jaspers 1958 Atombombe 396 wer durch Artistik der Form indirekt sagt, daß er nichts zu sagen hat, trifft auf eine Stimmung, der diese Wahrheit gemäß .. ist; Pfeiffer 1959 Gedicht 36 Was Luther und seine Zeitgenossen an . . Sinnbildern hervorgebracht haben, das wird durch das ganze Jahrhundert hindurch in mannigfacher Verwandlung bewahrt, wobei die Nähe oder Ferne zur barocken Artistik wechselt; Heuss 1963 Erinn. 90 als Lyriker baute er seine Strophen in höchst bewußter Artistik, und er baute sie in seiner eigenen Architektur; Zeit 23.5.1986 selbst der Entwurf einer Landschaft ist bei ihm Wortartistik und Entwurf einer zu entziffernden Zeichensprache; MM 16.10.1987 als sich Grass in den folgenden Arbeiten vom baltischen Ambiente entfernte und sich . . der bundesrepublikanischen Gegenwart zuwandte, entzog sich diese unübersichtliche Wirklichkeit dem Zugriff seiner Artistik der skurrilen Idylle; ebd. 14.5.1988 das Fehlen vitaler . . Jazz-Elemente wird ersetzt durch harmonisches Raffinesse, subtile Nuancie-

Artist rungen und melodische Artistik; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 30 sie [die von Lehrern verfaßten Stillehren] ergehen sich nicht, wie sonst manche Stillehrer, in schöner . . und hochgestochener Verbalartistik — oft so hoch, daß alles wie eine ätherische Wolke über die Köpfe der Leser hinwegschwebt; Spiegel 14.2.1994 Zu groß sind die Gegensätze zwischen Ausdruck und Äußerung, zwischen körperlicher Artikulation und verbaler Artistik. artistisch: Thurneisser 1583 Onomasticon II 119 Grünspan/ Ist ein Alchymistisch wort/ .. Also heist auch das wort Baslach mit zusatz des worts gallorum, . . Opperment/ welchs an ändern orten nach Artistischer manier vnd weis Lamprenas geheissen wird; 1588 (Ann. Ingolstad. Acad. IV 361) dass die Facultas Artistica alls aller ändern Faculteten Fundament und Grundtfesst angeordnet werde; Prange 1782 Schule d. Mahlerey 17 Pernety gab ein Wörterbuch heraus, worinn die artistische Terminologie sehr gut erklärt ist; Matthison 1786 Rheinfahrt (H 94) Die herrlichen, aus dieser [Heinses „Ardinghello"] artistisch-romantischen Dichtung entlehnten Fragmente, wodurch das . . Deutsche Museum . . sich . . wieder verjüngte, berechtigen uns, der Erscheinung des ganzen mit gespannter Erwartung entgegenzusehen; Jean Paul 1792 S. W. I 2,91 [Den größten Haß hegt der Erbprinz] gegen seinen Bruder . ., der zu Rom in der schönsten natürlichen Natur sowol als artistischen geblieben war, um im Genuß . . der römischen Gegenden und Antiken zu schwelgen; Meyer 1794 Sehr. 132 Eine artistische Abhandlung von H. Meyer [über antikes Gefäß]; Matthison 1796 Italien (V 206) erlaubt uns auf keine Weise, weder ihren [Werken der bildenden Kunst] artistischen Werth richtig zu würdigen, noch ihren ästhetischen Charakter befriedigend aufzufassen; Novalis vor 1801 Sehr. II 422 f. Formeln für Kunstindividuen finden . . macht das Geschäft des artistischen Kritikers aus, dessen Arbeiten die Geschichte der Kunst vorbereiten; ebd. II 424 f. Persiflage gehört zum Humor, ist aber nur einen Grad geringer. Sie ist nicht mehr rein artistisch und viel beschränkter; Fülleborn 1802 Rhetorik 157 Wäre es für die Wissenschaften und Künste vortheilhaft. ., wenn die in der Welt zerstreuten litterarischen und artistischen Merkwürdigkeiten alle auf einen Fleck zusammengebracht würden?; Matthison 1803 Tyrol (VI 15) Der treffliche Kodex des Teuerdank in der Universitätsbibliothek und Maximilians des Ersten Monument . . behaupten . . in literarischer und artistischer Hinsicht unstreitig den ersten Rang; Humboldt 1805 Br. (XVI 46) artistische Gegenstände; Eouterwek 1807 Ästhetik 187 Artistische Vollkommenheit schliesst Neuheit, . . die ursprüngliche Neuheit des Originals in sich,

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durch die das wahre Genie seine schöpferische Kraft unverkennbar darthut; 1807 Anekdoten 24 [habe ein Musiker] einen hohen Grad von artistischem Werth; Böttiger 1811 Ideen l 104 diese drei artistischen Bücher des Plinius; Goethe 1812 Br. (WA IV 22,370) diese Blätter; sie geben zu artistisch-antiquarischer Unterhaltung Anlaß; ders. 1814 Br. (WA IV 25,72) Herr . . Bibliothekar Hundeshagen hatte . . durch antiquarische, artistisch-literarische Mittheilung am Vergnügen und Nutzen, den ich aus meinem Aufenthalte zog, den größten Antheil; 1815 Fahnenbergs Magazin VI 322 Antn. ihres [der französischen Akademie] literarischen und artistischen Ranges wegen; Goethe 1815 Br. (WA IV 26,188) Weimar hat den Ruhm einer wissenschaftlichen und kunstreichen Bildung über Deutschland, ja über Europa verbreitet; dadurch ward herkömmlich sich in zweifelhaften literarischen und artistischen Fällen hier guten Raths zu erholen; 1816 ZfBaiern III 216 die artistischen Schriftsteller des XVIII. Jahrhunderts; Goethe 1816-17 Italien. Reise (WA I 32,120) zu unseren Spaziergängen und sonstigen artistischen Wanderungen in's Gebirg [zum Zeichnen von Landschaften]; ders. 1817 Br. (WA IV 27,350) Im eigentlich Artistischen, Technischen, Oekonomischen kann man sich keine Einrichtung besser wünschen [als das Weimarer Theater]; 1818 Eos 145 seit der Ausübung des chemischen Steindruckes in artistischer Beziehung Vortreffliches geleistet; Niemeyer 1822 Beob. I 345 Dadurch [durch Lesen wichtiger Werke] habe ich am meisten gewonnen, irrige Vorstellungen berichtigt und was ich wohl gelegentlich in antiquarischen und artistischen Schriften gelesen hatte, erst recht verstehen gelernt; 1824 KunstBlatt 257 das Sehen in artistischer Bedeutung; Ittner 1827 Sehr, (l 61) Jede [Künstlerklasse] hat ihre literarischen und artistischen Hülfsmittel; Heine 1835 Romant. Schule 109 artistische Klarheit, Heiterkeit, Ruhe und Ironie; ebd. 205 Die französischen Schriftsteller hatten nur artistische Interessen; 1837 Briefw. Ludwig l. u. Schenk 39 [Sängerin] gehörte . . zu den artistischen Denkwürdigkeiten Münchens; Steinmann 1843 Mefistofeles IV 50 scientifischer und artistischer Intelligenz; Preller 1845 Aufs. 385 und zeigt in dem ganzen Aufsatze, wie er auch in der praktischen Kunsterklärung zu thun pflegt, viel mehr ein theologisches als ein artistisches Interesse. Gibt es andere Kunstwerke als schöne?; Wagner-Liszt 1852 Briefw. I 195 Auf die folgenden Vorstellungen des Lohengrin . . wird . . die Einwirkung unsres neuen artistischen Directors Herrn Marr günstig sein; Szarvady 1852 Paris I 309 war auch ganz der Mann, das Feuer zu unterhalten, das seine literarisch-artistische Polemik anzufachen wußte; 1852 Prutz'Museum II 958 [Devrient] als artistischer Director; Gregorofius 1854

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Wanderjahre l 165 sollte . . ein artistisches Institut Deutschlands ein Hohenstaufen-Album hertausgeben; 1856 Monatsschr. Wiss. V. Zürich 128 [Stillehre faßt das Schöne auf als] Lösung eines artistischen Problems; Mandl 1856 Wien-Triest 5 [Stahlstiche] mit der grössten artistischen Sorgfalt ausgeführten Ansichten; Steinmann 1857 Rothschild l 50 da sich die Juden . . eine Bildung angeeignet und einen Grad szientifischer und artistischer Intelligenz erreicht haben; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen U 253 artistische Ausschmückung seiner Leinenschachteln; Holtet 1863 Letzte Komödiant II 105 artistische Experimente im Gebiete des sogenannten Charakterfaches [Schaupiel]; ebd. H 233 „weshalb hat er mich nicht sehen, weshalb seine Künste mir nicht zeigen wollen? Sie müssen das wissen, Schall; sie sind ja sein Freund, sein artistischer Berater"; Schmidt 1871 Bilder II 221 Wie wenig sich man auf das allgemeine Urtheil verlassen kann, sieht man aus der Vergleichung dieser beiden Schriften: sie sind, artistisch wie moralisch betrachtet, einander entgegengesetzt; Pecht 1876 Glaspalast 43 in jedem Dorfe ein artistisch gebildeter Handwerker, Tischler oder Schlosser; MöllerBruck 1901 Stilismus 23 es wird eine Summe von Urbildern, sprachlichen, bildlichen, klanglichen sein, die in Bierbaums Blut steckt. Denn seine Meisterhaftigkeit muss ja wohl einen tieferen Grund .. haben, als der der blossen artistischen Gewandtheit wäre. Gewiß spricht auch bei ihm viel bewusst Aesthetisches mit; Zobeltitz 1902 Papierene Macht l 13 dass unser Verlag auch in artistischer Beziehung an der Spitze der deutschen Buchhändlerwelt marschiert; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 35) unsere selbstgenügsamsten und artistisch anspruchsvollsten Kritiker; Wilde 1908 De profundis (Übers.) Vonv. XXII aber seit wann heisst „artistisch" schreiben — nach Walter Pater die einzige Daseinsberechtigung des Schreibers — eine der sieben Todsünden begehen?; Wölfflin 1909 Kl. Sehr. 136 Es gehört artistische Erziehung dazu, auf diese [malerischen] Qualitäten zu reagieren; Dresd. N. Nachr. 29.8.1913 Der Artistische Rat und das Lehrerkollegium der Dresdener Musik-Schule; Lissauer 1917 Aufs. (I 64) [Luther] ein fast artistisch zu nennender Sprachkünstler; Wätzold 1921 Kunsthistoriker I 227 Aus dieser Erweiterung der Gefühlsbereiche der Seele ergibt sich [für die Romantik] die Ablehnung des Artistischen in der zeitgenössischen Kunst; Rehm 1923 Antike 93 seine [Horaz'] Oden, deren Sprachkunst Nietzsches „artistisches Entzücken" war; 1926 — 27 ZfMenschenkunde II 2,11 artistische Seele des Schauspielers; Voss. Ztg. 2.8.1931 Des Meisters Bemühungen in der Kunst gingen über das Artistische hinaus und brachten ihn der Ausformung seines innersten Gehaltes im Werk nahe; Brach 1932 Br. (X 346 f.) da

nun die „Totenklage" nicht nur ein stilistisches und artistisches Experiment ist; Lokal-Anz. 19.8.1933 Seitz, der als Maler wie auch als artistischer Direktor des Münchener Hof- und Residenztheaters bekannt geworden ist; Benn 1941 Kunst u. drittes Reich (Ges. W. I 309) Deutschland zögert, intellektuelle Talente sind hier spärlich, doch eine Elite antwortet hinüber, ergriffen von der Wahrheit eines sich abzeichnenden Ethos, das sich in der Betonung von Klarheit, artistischer Delikatesse, Helligkeit, Wurf und Glanz . . erstmalig äußert; Welt 14. 7.1949 ich finde hieran meine unheilige Freude, an dem artistisch zugespitzten Arrangement des Farbgeriesels; Heuss 1951 Qualität 21 eines Bauwerkes, wo in artistischer Steinmetzarbeit steinerne Flächen einer Art von kurvierter Meisselgraphik dienten; Kasack 1953 Fälschungen 30 Bei dem fortschrittlichen Stande unserer technischen und artistischen Verfeinerung [könne man antike Kunstwerke leicht erneuern]; Bense 1958 Ästhetik 11 artistische Gesinnung und jene artistische Sphäre, denen man heute mit so grossem Misstrauen begegnet; Süddtsch. Ztg. 25.3.1959 Das Geistreiche, Artistisch-Spielerische der „Ariadne"; Koeppen 1961 Frankreich 81 Auch Valenciennes .. hat der Krieg zerstört, aber hier ist der Wiederaufbau . . artistischer und humaner, moderner und traditioneller zugleich geschehen; Heuss 1963 Erinn. 354 es störte mich . . immer das esoterische Drum und Dran und das artistisch-bewußte Wortgefüge seiner Lyrik; Staiger 1966 Grundbegriffe 246 ich nenne als Beispiel den Namen Horaz und erinnere damit an Dichter, in deren Werk das artistische Element, die Anspielung, das Zitat . . ganz in den Vordergrund tritt; Sloterdijk 1983 Kritik 218 f. Hingegen hat sich seit mehr als hundert Jahren die „hohe Kunst" ins Schwierige, Artistische und Schmerzliche zurückgezogen; Zeit 25.1.1985 die urbanen, eine artistische Literatur favorisierenden Vertreter des „New criticism"; ebd. 1.2.1985 die Verwechslung von „artistisch" und „artifiziell"; ebd. 29.5.1985 er verschmäht das ästhetische Raffinement des Artistischen; er [„Prometheus"] ist kein Virtuosenstück beschwörender Wortmagie; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 27 Die Trennung von Form und Funktion trifft ebenso auf eine Postmoderne zu, die den Definitionen von Charles Jencks entspricht und von Nostalgie ganz frei ist — ob nun Eisenmann und Grave das formale Repertoire der zwanziger Jahre artistisch verselbständigen, oder ob Hollein und Venturi .. die modernen Gestaltungsmittel einsetzen; Zeit 9.5.1986 in den Berliner Jahren hat Grosz selber keine Mühe gescheut, das Künstlerische, ja das Artistische seiner Arbeiten in Abrede zu stellen; MM 10.1.1987 in Romanen . . oder Erzählungen versuchte er, artistisch diese Maxime einzulösen, den Stoff des Le-

Artist bens in künstlerischer Form zu bannen; ebd. 17. 7.1987 den Titel [Universalist] gab es schon im Mittelalter, wo er als höchster akademischer Grad der artistischen Fakultät galt; Süddtsch. Ztg. 4.1 5.9.1993 als Schreiber skurriler und schrulliger, zuweilen recht artistischer „Prosastückli", um eine von ihm selbst verwendete Bezeichnung zu gebrauchen. Artist b: Görres 1832 Ges. Sehr. XV 436 flatternde Wimpel allumher, unzähliges Volk unten versammelt, das ungeduldig den Artisten herausruft; Holtet 1852 Vagabunden 181 Man wiederholte ihm stündlich als eine Hauptregel des „Metiers", daß der „Artiste" sich vorzugsweise auf ein Stück richten müsse; Saltarino um 1880 A. 97 Ihm zunächst saß die volle, runde Jenni und der alte Jude; ihm gegenüber die etwas blasse . . Mary. „Ich bin der Artist Alfredo Steppmann", begann er, nachdem auch der Hunger gestillt war; Dunger 1884 Fremdwörterunwesen 32 An einem solchen „Kulturinstitut" oder „equestrischem Etablissement" giebt es nicht Künstler, sondern „Artisten"; Tb. Mann 1903 Erz. (W. VIII 298) irgendeinem Gaukler und abenteuernden Artisten; 1916 Festscbr. a. Muncker 83 in diesem Gegensinn von Wirklichkeit und Kunst . . ihre [Mignons] Versetzung in die kümmerliche und rohe Sphäre der „Artisten", Jahrmarktsgaukler; 1926—27 ZfMenschenkunde II l Wir saßen nebeneinander vor einer improvisierten Bühne, auf der ein wandernder Schmierenkünstler: „Artist-Exzentriker und Melodeklamator, ein Maskenmimiker und -Porträtist", ein liederlich befrackter . . Fakir sein . . Wesen trieb. Er zeigte Karten- und Jongleurkunststücke; Voss. Ztg. 1928 Anfang Febr. Artistenliebe (Überschr.) . . Die Welt der Artisten, von der Filmfabel oft, von der Filmregie zuweilen schon entdeckt. . . Nichts von der Arbeit, nichts von Elend, Glanz und Wahn des Artistenlebens — ein paar Bühnenbilder, ein paar Hintergründe mit probendem Akrobatenvolk, das ist alles; Berl. lllustr. Ztg. 1929 Nr. 14 Gab es nicht sogenannte Artisten, die zur Belustigung der Menschen . . sich aus den kunstvollen Fesselungen befreiten?; Der Montag 12.1.1931 Artistenpapa, [der] . . mit Mohrenköpfen und Tellern jongliert; Berl. lllustr. Nachtausg. 13.4.1932 bleibt den Jungens von der Jazzband . . nichts anderes übrig, als das Mädchen aus der Fremde, die Abgesandte des Artistenhimmels, wie ein Kleinod auf den Händen zu tragen; Lokal-Anz. 17.1.1933 hatte sich . . ein Unfall ereignet, der den . . Tod eines jungen Artisten zur Folge hatte; ebd. 24. 4.1934 Wir sprechen von „Künstler", wenn einer komponiert . ., wenn einer Sonaten spielt ..; wir sprechen vom „Artisten", wenn einer auf dem Seil tanzt; Munch. N.N. 22.2.1937 Das „Artistenmilieu" hat von je-

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her den Film gelockt; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. X 172) „Akt" . . ein Artisten- und Akrobatenausdruck; NZ. (Basel) 9./10.4.1949 Artistenkönnen ist . . zu einer etwas seltenen Kost im Theater . . geworden; Süddtsch. Ztg. 21.3.1951 Es gibt. . eine nicht unbeträchtliche Zahl bedeutender Tänzerinnen, die nicht allein virtuose Artistinnen sind, sondern Künstlerinnen, deren Tanz echte Aussagekraft hat; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 456) mit kurzem Kopfnicken (denn der Circus kennt nicht die Verbeugung) quittiert der Artist den rauschenden Beifall; Süddtsch. Ztg. 13.12. 1960 Das Fähnlein der aufrechten Artisten von Düsseldorf (Überschr.) An den Striptease-Tänzen scheiden sich die Geister eines im Zwielicht stehenden Schaugewerbes. . . Die Austreibung textilfeindlicher „Künstlerinnen" aus den wenigen noch nicht entweihten deutschen Artistentempeln ist der letzte Versuch, die . . deutschen Varietekünstler vor einer Abwanderung in andere Berufe zurückzuhalten; Ball 1963 Clown 152 Ich bin kein Artist, . . sondern ein Clown; Welt 11.12.1964 die schlanke Artistin wird sich an den Haaren zur Hallendecke hinaufziehen lassen; Süddtsch. Ztg. 1.7.1967 Allen Freunden und Bekannten unseres lieben Verstorbenen Tony Daniel, Bezirksleiter der Artistenloge, sagen wir . . herzlichsten Dank (Anzeige); ND 27.10.2969 er wurde von den Künstlern der damaligen internationalen Artistenloge . . organisiert; Zeit 22.3.1985 wie sich nach dem Kollaps von E. S. M. herausstellte, hatten die Finanzartisten dieser Firma aber die Schatzbriefe ihrerseits als Pfand für Darlehen benutzt; MM 5. 6.1985 die Künste der Gaukler, Spaßmacher und Artisten sind eine der Wurzeln des Theaters; ebd. 6. 6.1986 dennoch ist der Maikäfer ein Flugartist von hohen Gnaden; ebd. 16.12.1987 sind die ersten Mitglieder der Artistengruppe beim Sozialamt aufgetaucht; ebd. 3. 3.1988 Heller, der schon mit Zirkusartisten aus Europa und Akrobaten aus China .. spektakuläre Inszenierungen schuf; ebd. 26.3. 1988 Zirkusdirektoren . . umgeben von Jongleusen und Akrobaten, von einem Zirkus eigens engagierter Artisten, die unentwegt in Aktion treten; ebd. 26.4.1988 Chirac . . begann wie ein Artist auf dem Drahtseil seinen Balanceakt; Spiegel 18.10.1993 Fast nie kamen Menschen ernstlich zu Schaden, nicht einmal die arbeitslose Artistin Marie Kindl, die sich 1898 in Wien, um auf ihre soziale Notlage aufmerksam zu machen, in ein Seil verbissen, aus dem Waggon pendeln ließ. Artistentum: Stekel 1924 Grund d. Seele 106 Gerade wird eine besondere Glanznummer vorgeführt. Ein vorzüglicher Springer setzt über die weitesten Hindernisse. Er springt über zehn Menschen, fünf Pferde und einen kleinen Garten [im

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Zirkus]. Kaum dass sein tadellos sitzender Frack etwas in Unordnung gerät. Das ist auch so ein Fortschritt des modernen Artistentunis. In meinen Kindertagen trugen die Springer noch ein buntes Trikot und „arbeiteten" im Kostüm. Heute ist jeder Jongleur und Prestidagitateur das Muster eines Salonmannes.

Artistik: Berl. lllustr. Nachtausg. 8.3.1933 Auf der Bühne: vollendete Artistik, Können und Kunst; Lokal-Anz. 24.4.1934 Die „Artistik" . . trägt das moralische Gesetz so stark in sich, daß können oder untergehen absolut eins ist. Der Dilettant auf dem Seil bricht sich den Hals; 12 Uhr-Blatt 3.8.1934 Die Arbeitsbeschaffungsstelle des Reichsverbandes der deutschen Artistik hat mit ihren . . volkstümlichen Abenden, an denen arbeitslose Artisten auftreten, den richtigen Weg beschritten; Munch. N.N. 7.1.1944 Artistik und Dressur (Überschr.); Süddtsch. Ztg. 12.1.1949 Fasching in der Manege (Überschr.) . . Dazu ein schillernder Bilderbogen guter Artistik; ND 30.7.1954 ein Volkskunstensemble . . tritt . . mit Musik, Tanz und Artistik für die Spandauer Einwohner auf; Bull 1963 Clown 122 meine Nummern sind zu sehr gemischt aus Pantomime, Artistik, Clownerie; FAZ 5.2.1966 er warnte davor, die Politik zur demoskopischen „Anpassungsartistik" zu erniedrigen; Zeit 10.10.1986 die irrwitzige Artistik der „KungFu"-Abenteuer; MM 25.5.1988 [er] schlug Salti, Flick-Flacks und Räder, bot ein wahres Feuerwerk an Artistik.

artistisch: Lokal-Anz. 6.7.1933 Bezeichnend für das artistische Können der Fahrenden ist ihre Vielseitigkeit, . . so müssen die einzelnen .. Steptänzer, Luftakrobat, . . Athlet . . und Clown sein; ebd. 6.9.1933 Die echt artistischen Nummern werden immer seltener; Dtsch. AZ. 4.9.1935 Diese drei „Clowns", . . ganz abgesehen von den akrobatischen und artistischen Qualitäten; Köln. Ztg. Aug. 1936 Die beiden . . steigen . . auf zwei hohe Kandelaber, die . . mit . . einem Gerüst verbunden sind, das .. dazu dient, die artistische Leistung der Brüder zu erschweren; Böll 1963 Clown 123 meine Nummern Tanzendes Paar und Schulgang und Heimkehr aus der Schule waren wenigstens artistisch noch passabel; ND 28.9.1966 [sie] staunten . . über die fast artistischen Kopfballparaden; Welt 20.11.1969 artistische Perfektion [im Sport] zwingt zu artistischen Abwehrmaßnahmen, die die Schiedsrichter zu artistischen Leistungen herausfordern; FAZ 14.4.1971 Noch einmal schaltet der Fahrer [im Bus] das gebrechliche Getriebe mit artistischer Gewandtheit auf Fußgängertempo; ND 3.9.1974 Modenschauen . . und artistische Darbietungen trugen zum guten Gelingen der Festwoche bei; Zeit 5. 4.1985 er ist dabei noch immer auf die Füße gefallen, so artistisch auch seine Hochseildarbietungen gewesen sein mögen; MM 23.3.1987 eine artistische Glanzleistung vollbringt Peter Simonischek, wenn er, an einem Seil hängend, mit einem Bärenhaupt über den Schultern in horizontaler Position eine Steilwand entlangschreitet.

Asbest M. (-(e)s; -e), im früheren 12. Jh. (LEXER) als abesto, aspinde, aspindei über mlat. asbestus, asbeston 'Bergflachs; ungelöschter Kalk', eventuell unter Einwirkung von gleichbed. altfrz. abestos, abeste, abeston entlehnt aus gleichbed. lat. asbestus, asbestos (< griech. ( - ) 'unverbrennlicher Stoff, Asbeststein', zu 'unverbrennlich, unauslöschlich, unzerstörbar', gebildet aus verneinendem - (—> a-Präfix) und flekt. Form von 'löschen'), bis ins 18., vereinzelt bis ins frühe 20. Jh., in den (z. T. lat./griech. flekt.) Varianten A(s)beston, Asbesto, Asbestus, Asbestum, Asbestes, Asbestinum. a Zunächst als Bezeichnung für eine feuer- und säurefeste, biegsame, faserige mineralische Substanz, die früher zu feuerbeständigen Geweben, Lampendochten, Papiersorten verarbeitet, dann als feuersichere Schutzkleidung, Isoliermaterial und als künstlicher Baustoff verwendet wurde, heute als krebserregender Stoff eingestuft und zunehmend durch andere Materialien ersetzt wird, z. B. der gemeine, holzförmige Asbest; Asbest gewinnen, verwenden, verbauen, spritzen; mit Asbest arbeiten; Baumaterialien, Gebäude auf Asbest prüfen, untersuchen; Asbest wird freigesetzt; krebserregender Asbest; die Gefährdung durch Asbest. Seit früherem 18. Jh. als Bestimmungswort in subst. und adj. Zss. wie Asbestabfälle, -alarm, -anzug, -arbeitet, -aufbereitung, -belastung, -beton, -decke, -emission, -er-

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satz, -fabrik, -faser, -gefahr, -gehalt, -gewinnung, -Handschuh, -Industrie, -Isolierung, -konzentration, -krebs, -material, -opfer, -platte, -problem, -produktion, -staub, -Verarbeitung, -verdacht, -ware, -werte, -zement; asbestarm, -artig, -belastet, -frei, -haltig, -kontaminiert, -verarbeitend; heute auch als Grundwort in Zss. wie Blau-, Filter-, Spritzasbest. Dazu Mitte 20. Jh. vereinzelt die adj. Ableitung asbesten 'aus Asbest bestehend'; seit früherem 20. Jh. die subst. Ableitung Asbestose F. (-; -n) in der Bed. 'durch das Einatmen von Asbeststaub verursachte Lungenerkrankung'. b Seit Ende 18. Jh. selten auch in Vergleichen übertragen verwendet für 'Härte, Festigkeit, Unzerstörbarkeit wie die eines Steins', z. B. ein Herz von Asbest. Dazu im 18. Jh. die seltene adj. Ableitung asbestisch 'aus Asbest bestehend; asbestartig', z. B. asbestische Leinwand, asbestisches Papier (zu a); Ende 18. Jh. auch übertragen verwendet in der Bed. 'hart, schrill, schroff (zu b). Asbest a: Pfaffe Lamprecht 1130 Alexanderlied 6094 von edelem holze aspindei; Wolfram v. Eschenbach 1200-10 Parzival 164 sin [des König Amfortas] spanbette was noch baz gehert mit edeln steinen . . die hoert hie nennen rehte: karfunkel und silenites, . . abestö und zegolitus; K. v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 434 Asbeston ist ain stain, den vint man in dem land Archadia und ist eisenvar. wenn man den stain ains mäls entzünt, so mag man in nümmer mer erleschen, er gibt immer mer dar flammen, von dem spricht Isidorus. auz dem stain macht man ain künstendingel zuo ainer latern oder zuo ainer lucern, daz allzeit print, also daz si kain ungewiter noch kain regen erleschen mag; Cholinus/Frtsius 1541 Diet, i 94 Asbestinum . . Asbestos; Grimmeishausen 1669 Simpl. 515 Asbeston; Francisci 1672 Histor. Rauchfaß l 175 einen Tocht vom Asbest; Lebenwaldt 1681 Teufels List 661 tuechl auß Asbesto kan die Feuer nicht verzehren; 1692 Novellen 349 Die unverbrennliche Leinwad, asbestus genannt; Marperger 1710 Hanf 62 Dahero auch gedachter Autor in den Gedancken stehet/ daß der Römer Asbest aus diesem Kraut müsse gemachet gewesen seyn/ wahrscheinlicher aber ist es/ daß solches aus dem Amiant-Stein oder Asbestus gemachet worden/ welcher Stein/ weil er hin und wieder gefunden wird/ dannenhero auch nach der Verschiedenheit seines Vaterlandes mancherley Nahmen bekommen; Hagedorn 1729 Versuch 26 der feurige Asbest; Christhold 1729 Andachten 212 „Asbestus, oder Stein-Flachs"; Key ssler 1730 Reisen // 885 Ich werde etliche Stücke von diesem unverbrennlichen Holze in meines Herrn Sammlung natürlicher Merkwürdigkeiten zurück bringen. Man hat dergleichen auch ungefähr in Andalusien bey Seville gefunden . . Linurn asbestum, das man in Siebenbürgen und anderwärts findet, und woraus unverbrennlich Papier und Leinwand verfertziget wird, ist ein Stein, der mit itztgedachtem Holze keine

Verwandtschaft hat; Zedler 1732 Universallex. II 1790 Asbestes, oder Asbeston, Asbestus, Asbestum, . . in einer haarichten Gestalt, und zwar bißweilen in weisser, offtmahls in Aschgrauen, vielmahls in gelb-rother, oder auch wohl in einer Eisen-Farbe; 1739 Hamb. Berichte 196 Asbeststein; Weinlig 1782 Br. I 103 unverbrennliche Leinwand von Amiant oder Asbest; Blumauer 1784 — 94 Virgils Aeneis (Ges. W. l 42) Doch nun passirt' ich kugelfest, Und unverbrennlich, wie Asbest; Matthisson 1787-98 Gedichte 95 Jetzt blähn wir [die Gnomen] uns beim Fest Im Leibrock von Asbest; Goethe 1790 Tagebücher (WA Hl 2,23) ein mächtiger Gang von Kalckspath-Hornstein . . es kommen Asbesttrümmer darinnen vor; ebd. 1807 (WA III 3,273) Durch die Haupt- und Nebenklüfte des Basaltes zieht sich Asbest, der in Amiant übergeht . . der Asbest setzt durch die Klüfte des Thonschiefers fort; ders. 1807 Naturwiss. Sehr. (WA H 9,50) Basalt . . vielfach bis in's Innerste zerklüftet, und alle Klüfte, selbst die zartesten mit Asbest ausgefüllt; ders. 1809 Farbenlehre (WA U 5,1,307) doch lassen sich Asbeste und Selenite gleichmäßig zurichten; Ersch/Gruber 1818-89 Allg. Enc. l 6, 42 Asbest, eine Fossiliengattung, welche schon den Alten bekannt war . . Werner hat sie in vier Arten: Bergkork, Amianth, gemeinen Asbest und Bergholz getheilt; Goethe 1821 Br. (WA IV 35,340) Serpentin mit Asbest in Pechstein überziehend so nah bey oder vielmehr über Marienbad zu finden sey; Poppe 1837 Technolog. Universal-Handb. l 53 f. Asbest, Amianth, Steinflachs, Erdflachs; 1843 Real-Enc. l 532 Tischzeug aus Asbest hatte Kaiser Karl V.; allein es gehörte zu den Kostbarkeiten. In neuern Zeiten hat man aus Asbest Lampendochte und Papier gefertigt; auch wurde er empfohlen zur Anfertigung gegen das Feuer schützender Gewänder; Wittstein 1847 Etymolog.-chem. Handwb. I 102 Asbest . . nennt man im Allgemeinen die mehr oder weniger locker-faserigen, oft in langen atlas-

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glänzenden Faserbüscheln vorkommenden Amphibole .. besonders Tremolit .. Je nach seiner äussern Beschaffenheit (Dichtigkeit) nennt man ihn Amianth, Asbest, Bergkork, Bergholz; Lokal-Anz. 7. 9.1933 Die Feuerwehr mußte wieder einmal helfen. Ein Beamter zog sich dicke Asbesthandschuhe an; 1933 „Duden"-Sammlung o. S. man stellt ihn [den Topf] auf eine Asbestplatte und läßt den Reis langsam aufquellen; Schaefer 1955 Eternit-Dächer. Die Erfindung, Herstellung und Anwendung des Bedachungsstoffes Asbestzement (Titel); Welt 28.1.1959 elektrische, chemische, Asbest- und Zementindustrien; ebd. 30.10.1964 die Herstellung von Asbestzementwaren und Bodenbelägen; ebd. bei der Asbestgewinnung fallen kurze, mittellange und lange Fasern in einem bestimmten Verhältnis an; 2974 Aktionsprogramm d. EG 114 dementsprechend soll photochemischen Oxydantien, Asbesten . . eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden; Welt 31.7.1974 ein führendes Unternehmen der Dichtungsbranche mit Metall-, Kunststoff- und Asbestverarbeitung; 1982 Umweltfreundliche Produkte 32 fragen Sie beim Autokauf nach asbestarmen Bremsbelägen; ebd. 96 asbesthaltige Materialien finden Verwendung im und am Haus (Verkleidungen der Fassade, des Daches, . . Baumaterialien und Fußbodenbeläge), außerdem bei Bremsbelägen des Autos; ebd. 97 in Schweden, Dänemark und den Niederlanden ist die Verwendung von Asbest generell verboten; ebd. EG-Forderungen, denen sich auch das Umwelt-Bundesamt Berlin anschließt, sind: „Verwendungsbeschränkung von asbesthaltigen Produkten" und die „Herstellung und Verwendung asbestfreier Substitute"; MM 7.3.1985 Asbest-Opfer klagen um Milliarden; ebd. 3.4.1985 Meldungen über krebserregende Asbestplatten; Zeit 19. 7.1985 Asbest gilt als krebsgefährlich; ebd. die Chemie hat deshalb Kunstfasern zu entwickeln versucht, die den Asbest ersetzen sollen; ebd. die Faserzementhersteller haben sich gegenüber dem Bonner Innenminister verpflichtet, bis Ende 1986 den Asbestgehalt ihrer Produkte um die Hälfte zu vermindern; MM 18.9.1985 das Umweltbundesamt hat jetzt einen zehnbändigen Katalog über Ersatzstoffe für Asbest herausgegeben, in dem die verschiedenen Einsatzbereiche und Ersatzmöglichkeiten für Asbest und asbesthaltige Produkte beschrieben werden; ebd. 3. 9.1986 durch Einatmen von Asbestfasern erhöht sich das Lungenkrebsrisiko der Raucher um das Fünffache; ebd. 16. 9.1986 sollten die Luftmessungen in den Büroräumen positive Asbestwerte ergeben, müssen die betreffenden Zimmer zum Schutz der Bediensteten umgehend verschlossen werden; ebd. 25.10.1986 Asbestbelastung von Heidelberger Gebäuden mit Zahlen belegt; Stern 14. 5.1987 das Frankfurter Baudezernat ließ jedoch nur die Asbe-

st-Schächte räumen; ebd. alle 120 Kindertagesstätten und 160 Schulen in Frankfurt werden jetzt auf Asbest untersucht; MM 17. 9.1987 in einem Raum . . [wurde] eine Konzentration von 10000 Asbestfasern pro Kubikmeter festgestellt; ebd. bisher sind erst zehn Prozent aller Räume auf Asbest geprüft worden; ebd. in anderen Räumen wurde der Asbest durch den Einbau neuer Fenster freigesetzt; ebd. in den 60er Jahren war es üblich, Asbest als Feuerschutz zwischen Geschoßdecken und in die Außenhaut von Gebäuden zu spritzen; ebd. bis 1980 . . wurde Asbest massenhaft bei Großbauten benutzt; ebd. 27.6. 1988 [ein] Gutachten . ., wonach sich das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, erhöht, wenn man zugleich raucht und Asbeststaub einatmet; 992 Kursbuch Gesundheit 915 Asbest ist . . weiterhin in vielen Fußbodenbelägen, aber auch in anderen Baumaterialien enthalten. asbesten: Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 146) mit einem asbestenen Panzer gegen die Flammen der Hölle gewappnet sein. asbestisch: Marperger 1710 Hanf 63 Bey den Alten/ denen diese Asbestische Leinwand kein Geheimniß und nicht ungemein war/ pflegte man die todten Cörper darein zu wickeln/ um deren Asche/ wann sie verbrandt wurden/ von der Vermengung mit der Holtz-Asche/ in dieser unverbrennlichen Leinwand zu bewahren; Zedler 1732 Universallex. 11 1791 Asbestisches Papier, welches sich offt beschreiben, und hernach, so offt man es ins Feuer wirfft, von dem Geschriebenen wieder reinigen lasset, wird auf folgende Weise bereitet: Man zerstösset den Asbestischen Stein .. in einem Mosel, so lange biß nichts anders, als das Flock-Wollen-Zeug erscheine; Jacobsson 1781 Technolog. Wb. l 69 Asbestisches Papier. Asbestose: Pschyrembel 1942 Klinisches Wb. 63 Asbestose . . eine der Staubkrankheiten. Meldepflichtige Berufskrankheit; 1956 Wb. d. Medizin 70 Asbestose . . Durch Einatmung von Asbeststaub zunehmende Bindegewebsvermehrung (chronisch indurierende Pneumonic, Lungenzirrhose, Lungenfibröse) . . Lungenkrebs, häufigste Komplikation der Asbestose . . Als melde- und entschädigungspflichtige Berufskrankheit anerkannt; 1982 Umweltfreundliche Produkte 97 sie [Asbestfasern] führen, wie bewiesen, zu Lungenkrebs, Lungenversteifung (Asbestose) und somit zum Tode oder Frühinvalidität; MM 7.3.1985 die mikroskopisch kleinen Mineralfasern können die Lungenkrankheit Asbestose und Krebs auslösen; ebd. 16. 9.1986 die sogenannte Asbestose ist als Berufskrankheit längst bekannt; ebd. 30.10.1986 weil sie [die Be-

Asket rufskrankheiten] streng auf eine Ursache zurückgeführt werden, etwa die Asbestose auf den AsbestStaub; ebd. 17.1.1987 die Asbestose ist eine Schädigung des Lungengewebes, die durch Einlagerung von Asbestteilchen in die Lunge hervorgerufen werden kann und die Lungenfunktion beeinträchtigt; ebd. eine Asbestose allerdings sei anhand der erhobenen Befunde nicht zu befürchten; ebd. 10.2.1987 die Gewerkschaft ÖTV hatte zuvor mitgeteilt, in der Folge der Asbestbelastung in den Heidelberger Justizbehörden und Finanzbehörden sei ein erster Fall von Asbestose aufgetreten. Asbest b: 1793 Wiener Musenalmanach 25 Wen solch ein Anblick ruhig lässt, . . Was dem im Busen schlüge, wäre Nicht Fleisch und Blut, es war' Asbest; Wieland vor 1813 S. W. XII 218 Herzen von Asbest . . zum Weinen zu bewegen; Goethe 1832

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Faust II (WA l 15,331) [die Engel, Faustens Unsterbliches tragend:] Die vollendeteren Engel. Uns bleibt ein Erdenrest/ Zu tragen peinlich,/ Und war' er von Asbest/ Er ist nicht reinlich; Droste-Hülshoff 1820-48 Geistl. Jahr 87 Und ist dein Lieben auch ein Flammenstern,/ Willst läutern du durch Glut, wie den Asbest, Dein Eigentum von fauler Flecken Pest: Wir sehen deine Hand und sind getrost; Platen vor 1835 Ges. W. 46 Als mich in Flammen umdroht Verzweiflung,/ deckte des Glaubens Asbest-Gewand mich; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 583) ich scheine lächerlicherweise vergessen zu haben, daß auch du von Fleisch und Blut bist und nicht in Asbest gewickelt gegen den Reiz des Holden und Schönen. asbestisch: Matthisson 1791 Frankreich (H 292) asbestisches Gelächter.

Asket M. (-en; -en), auch Asketin F. (-; -nen), im frühen 18. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. ascete über mlat. asceta, spätlat. ascetes 'Mönch, der Tugend, Enthaltsamkeit und christliches Leben übt', entlehnt aus griech. 'jmd., der sich entsagungsvoll in Frömmigkeit und Tugend übt, Anachoret, Eremit', bei den Stoikern für 'jmd., der sich in der Beherrschung der Leidenschaften und Begierden übt', in der Antike ursprünglich zunächst bes. 'jmd., der sich in etwas übt, etwas ausübt, bes. der sich sportlich übende Athlet' (zu 'etwas technisch oder künstlerisch bearbeiten; sich üben, befleißigen, ertüchtigen'; vgl. wenig älteres gleichbed. engl. ascetic, etwa gleichzeitig ital. asceta, span, asceta), anfangs noch in der vom Mlat. beeinflußten Schreibung Asceta, seit späterem 18. Jh. in der heutigen verkürzten Form, bis ins frühere 20. Jh. auch noch in den Schreibweisen Ascet, Aszet. a Zunächst in der speziellen Bed. 'jmd., der zur Verwirklichung religiöser und sittlicher Ideale durch Bußübungen, Entsagungen sinnliche Begierden, Triebe zu überwinden sucht und ein Leben in "Weltverneinung und Einsamkeit führt, jmd., der in Mönchsaskese lebt, Eremit'. b Seit Anfang 19. Jh. säkularisiert und allgemein auf tugendhafte Lebenshaltung erweitert in der Bed. c jmd., der sehr enthaltsam, entsagungsvoll und diszipliniert lebt'. Dazu seit früherem 18. Jh. die eventuell unter Einwirkung von älterem gleichbed. frz. ascetique aufgekommene, auf griech. 'übend, arbeitsam' zurückgehende adj. Ableitung asketisch, früher auch in den Schreibweisen ascetisch, aszetisch, für '(berufsmäßig) in einsamer mönchischer Askese lebend, auf einsamer mönchischer Askese beruhend', z. B. asketische Übungen; das asketische Leben eines Einsiedlers, Mönchs; ein asketischer Heiliger, Mönch, Buddhist (zu a); vom früheren 18. bis ins 19. Jh. auch in der erweiterten, auf tugendhafte Lebenshaltung bezogenen Bed. 'erbaulich, zu christlicher Frömmigkeit und Tugend hinführend', meist in den Fügungen asketische Schriften, Bücher 'Erbauungsschriften, -bücher' (s. Belege 1739, 1766, 1793, 1795-99, 1813); gleichzeitig auch allgemein verwendet für 'enthaltsam, entsagungsvoll', z. B. ein asketischer Sportler; eine asketische Erscheinung;

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ein asketisches Gesicht; asketisch leben; eine asketisch strenge Pflichterfüllung (s. Belege 1775, 1819, 1844); in jüngster Zeit auch abgeblaßt für 'sparsam, nur in geringem Maße verwendet, auf das Nötigste beschränkt; sich auf das Nötigste beschränkend' (s. Beleg 1985) (alle zu b). Seit späterem 18. Jh., vereinzelt schon im 17. Jh. (RITTER), die eventuell unter Einwirkung von älterem gleichbed. frz. ascetique, engl. ascetic gebildete, zunächst meist in den Fachsprachen der Theologie, Philosophie und Ethik, dann auch allgemeiner verwendete subst. Ableitung Asketik F. (-; ohne PL), früher auch Aszetik, für "Lehre der katholischen Kirche vom Streben nach christlicher Vollkommenheit in mönchischer Einsamkeit (als Teil der Lehre vom geistlichen Leben, der als zweiter Teil die Mystik gegenübersteht)', z. B. mönchische Asketik; als Grundwort in der Zs. Mönchsasketik (zu a); etwa gleichzeitig auch in der katholischen Morallehre und protestantischen Ethik für 'Lehre vom Streben nach tugendhaftem christlichem Leben', dann in der allgemeinen Bed. 'Lehre von der Übung und Ausbildung der Tugend, Kultur der Tugend', z. B. moralische, ethische Asketik (Kant, s. Belege 1793, 1797); seit etwa Mitte 19. Jh. auch übertragen verwendet für 'enthaltsame Lebensweise, Enthaltsamkeit', gleichbed. mit Askese (s. u.), selten auch ironisch gebraucht (s. Belege 1831, 1854) (zu b). Dazu seit frühem 19. Jh. die subst. Ableitung Asketiker M. (-s; -) 'Anhänger der Asketik, Verfasser von Büß- und Erbauungsliteratur' (zu a und b). Seit Anfang 19. Jh. die subst. Ableitung Asketismus M. (-; ohne PL), früher auch Aszetismus, 'religiöser Tugendeifer, Denk- und Lebensweise der Asketen'. Seit frühem 20. Jh. die subst. Ableitung Asketentum N. (-s; ohne PL), weitgehend gleichbed. mit Askese, Asketik, gleichzeitig auch für 'das Vorhandensein, die Anzahl und Verbreitung von Asketen' (beide zu a und b). Dazu seit früherem 18. Jh. das über mlat. ascesis 'Tugendübung', gleichbed. spätlat. ascesis aus griech. 'Übung, bes. des Athleten; enthaltsame Lebensweise' entlehnte Subst. Askese F. (-; selten -n), früher auch Ascese, Aszese, in der Bed. 'auf die Verwirklichung religiöser und sittlicher Ideale zielende, streng enthaltsame Lebensweise, die durch Bußübungen und Entsagungen sinnliche Begierden, Triebe zu überwinden sucht und auf ein Leben in Weltverneinung und Einsamkeit gerichtet ist', z. B. mönchische Askese, als Grundwort in Zss. wie Berufs-, Mönchsaskese (zu a); gleichzeitig auch allgemein für 'streng enthaltsame und entsagungsvolle Lebensweise, Enthaltsamkeit, bewußter Verzicht', z. B. die innerweltliche Askese (M. Weber, s. Beleg 1904), in neuerer Zeit als Grundwort in Zss. wie Konsum-, Nahrungsaskese (zu b). Asket a: Kirsch 1718 Cornvcopiae l 111 Asceta . . einer/ der sich in ein Closter verlobt hat; Mönch. it. Nonne; Zedler 1732 Unwersallex. U 1805 Ascetae haben ihren Namen von , sich üben, welches Wort eigentlich denen Kämpfern zukam, welche sich, um in dem Kampfe wohl zu bestehen, zu Hause fleißig und öffters übeten. Hernach nahmen diesen Titel verschiedene griechische Philosophen an, welche sich im Essen und Trincken gantz schlecht hielten, geringe Kleider, und gar keine Schuhe anhatten, keine Weiber nahmen, auf Geld und Reichthum nicht hielten, in schlechten Winkkeln und Löchern wohneten, und überhaupt eine

sehr strenge Lebensart führeten. Dergleichen sonderlich die Pythagoräer und in Indien die Brachmanen thaten . . Bey denen alten Christen waren gottselige und andächtige Leute, welche Gott mit Beten, Fasten und ändern heiligen Uebungen dieneten, und ein strenges Leben führeten . . Unter allen Orientalischen Mönchen, sind diese Ascetae oder Eremiten die allerstrengsten; Wieland 1769 Ges. Sehr, l 7,220 Von neuen Büchern werden höchstens nur eine gewisse Art von Kanonisten, Asketen und Ordensgeschichtsschreibern angeschafft; Eberhard 1776 Theorie 6 f. Ein allgemeines Vorurtheil gegen das Empfindungsvermögen des

Asket Menschen .. Diese Idee [die] . . sich noch unter unsern Augen in vielen abenteuerlichen sittlichen Gestalten, Uebungen und Lebensarten bey den Mystikern und Asceten erhält; Miller 1777 Siegwart l 35 P. Gregor und Anton .. giengen nun mit den beyden Siegwarts auf den Büchersaal, der größtentheils aus Scholastikern, Asketen, alten Predigten und Postillen bestand; Körner 1784 Coelibat 123 Das erste behaupteten die Montanisten, und das letzte die Asceten; Zimmermann 1784 Einsamkeit I 148 Man nannte diese überspannten Egyptischen Männer Asceten, das ist, solche, die sich üben; ebd. l 150 Es war Sitte unter den Egyptischen Asceten, immer zu glauben, sie haben gesündigt, also auch immer Busse zu thun, ohne daß es ihnen die Kirche befahl; ebd. l 151 Anm. Aus dieser falschen Exegetik entstand, um das Jahr Christi 240, eine noch weit gefährlichere Gattung von Asceten. Man nannte sie Valesier; 1810 Almanach a. Rom l Vorerinn. 11.. heilige oder fromme Menschen, d. i. Märtirer und Asceten, fanden in dem Kalender der Christen ihre Apotheose; ebd. l 164 Der Heroismus der alten Welt . . verwandelt sich in Duldung, . . Zu Märtyrern und Asceten werden die Heroen; Campe 1813 Fremdwb. 129 f. Asceten, in der Kirchengeschichte, Leute, welche sich durch einen strengern und angeblich frömmern, vornehmlich aber auf Körperkasteiungen abzweckenden Lebenswandel von den übrigen Kristen unterschieden und absonderten. Man hätte sie die Strengen nennen können; Ersch/Gruber 1818—89 Allg. Enc. I 6,50 Die Brachmanen, Germanen oder Sarmanen . . in Asien und Ostafrika waren Asceten, deren wunderliche Kasteiungen und Selbstquälereien man in der mönchischen Lebensart der in Ostasien von neueren Reisenden beobachteten Sanyasseen . . wieder erkennt; ebd. das Bestreben der Christen den heidnischen und jüdischen Asceten in der Selbstbeherrschung nicht nachzustehen . . Darf man einer mährchenhaften Erzählung bei Eusebius trauen, so lebte schon Jacob der Gerechte . . zu Jerusalem vor Zerstörung dieser Stadt als Ascet . . Doch erweisliche Spuren von christlichen Asceten findet man erst im Z.Jahrhundert; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. / 491) Ertödtung des Eigenwillens, Askesis, ausgesprochen als Verneinung des Willens zum Leben, . . durch die That ausgesprochen haben es alle jene Heiligen und Asketen; ebd. U 721 Diesen, aller Mystik gemeinsamen Hergang finden wir von Meister Eckhard, dem Vater der Deutschen Mystik . . in Form einer Vorschrift für den vollendeten Asketen ausgesprochen; Lertau 1838 Asketen (S. W. l 190) O spottet nicht der traurigen Asketen, Daß sie den Leib mit . . Leiden plagen; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW I! 105) gleich den christlichen Asketen, die den Feldzug des Geistes gegen das Fleisch mit der Abtötung

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ihres eigenen Fleisches beginnen; Hesse 1904 Camenzind (Ges. Sehr. I 282) Es gab Asketen, die sich mit Enthaltsamkeit quälten und deren Toilette zum Himmel schrie. Ihr Gott hieß Tolstoi oder Buddha; 1915 Stimmen d. Zeit LXXXIX 270 Wenn gerade in jüngster Zeit immer wieder gesagt wird: „Jesus war in keiner Weise Asket", so waltet entweder ein Mißverständnis in Bezug auf den Begriff der Aszese vor, oder alle christliche Aszese verliert Sinn und Verstand; Th. Mann 1940 Erz. (W. VIII 774) darum suchte ich die Bekanntschaft eines Asketen voll Selbstbezwingung, Kamadamana mit Namen, damit er mir Anweisungen gäbe über das Leben im Menschenleeren, und besuchte ihn im Dankakawalde, wo er lebt und wo es ringsum viele Heilige gibt; Ranke 1952 Gott u. Welt 19 der weltabgeschiedene Asket, dessen Leben ausschließlich und unter strengem Verzicht auf alle irdischen Güter, dem Dienste Gottes geweiht ist; 1956 Aufbau VII VII 650 Der energische Kaplan . . war dürr wie jene Asketen, die zum Ruhme Gottes tagelang auf einem Piedestal zu stehen vermochten, ohne auch nur einen Bissen zu sich zu nehmen; Jäger 1956 Reden 267 Gregors Lieblingswort für das asketische Leben ist , und der Asket selbst, der Mönch . . wird genannt; Jaspers 1958 Atombombe 73 Asketen und Heilige, die jederzeit zu sterben bereit sind, ohne Willen zur Welt und ohne Verantwortung für irgend etwas in der Welt; ebd. 478 der weltindifferente Asket wirkt nicht; es ist, als ob er in seiner Einsamkeit verschwinde; Partner 1964 Erben 151 mehr als die Predigten der Bischöfe und Priester der entfernten Städte hat das Auftreten dieser schwarzgekleideten Asketen den bäuerlichen Geist von der Ankunft einer neuen Macht überzeugt; Ritter 1971 Hist. Wb. d. Philosophie I 539 Der Mönch gilt schlechthin als der Asket; Sloterdijk 1983 Kritik 299 Ihn [Diogenes] einen Asketen zu nennen wäre unkorrekt, der falschen Untertöne wegen, die das Wort Askese durch tausendjähriges masochistisches Mißverständnis angenommen hat; Zeit 10.1.1986 zwar verurteilt der Asket, der sich zur Meditation in die Wüste zurückzuziehen pflegt, alles Geldliche; Borst 1988 Barbaren 220 Noch hatten die weltfeindlichen Asketen [Katharer] kein politisches Programm; Ohler 1990 Sterben 55 Vom Heimgang des abgeklärten, frommen, als heilig verehrten Asketen; ebd. 115 Martins Leib . . sei geleitet worden von denen, die unter seiner Führung — als Asketen — die Welt besiegt hätten. Askese: 1739 Hamb. Berichte 288 [das] Wort $ . . eine Uebung . . in der Gotseligkeit; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. I 488) Freiwillige, vollkommene Keuschheit ist der erste Schritt in der Askese oder der Verneinung des Willens; ebd. I 502 Unter

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dem . . Ausdruck Askesis verstehe ich, im engern Sinne, diese vorsätzliche Brechung des Willens, durch Versagung des Angenehmen und Aufsuchen des Unangenehmen, die selbstgewählte büßende Lebensart und Selbstkasteiung, zur anhaltenden Mortifikation des Willens; ebd. 715 deshalb ist der Buddhaismus frei von jeder strengen und übertriebenen Askese, welche im Brahmanismus eine so große Rolle spielt; Hartmann 1869 Philosophie 274 Als Drittes tritt uns die Askese entgegen; sie ist ein hirnloser Wahnsinn oder eine krankhafte Wollust, wenn sie nicht als ethisches System gefaßt wird, was aber auch sowohl bei indischen als neupersischen, als christlichen Büssern stattfindet; Nordau 1881 Paris II S3 Die Erscheinung des Herrn Lyson athmet eine fast brutale Kräftigkeit; sie drückt Lebensfreude und nicht Entsagung, Weltlichkeit und nicht Askese aus; er ist eine Gestalt der Straße und des Marktes, nicht des hallenden Kreuzganges eines Klosters; Engels 1894—95 Urchristentum (MEW XXII 464) die stoisch-philonische Weltentsagung und Askese; Zöckler 1897 Askese und Mönchtum (Titel); Walzel 1915 Wortkunstwerk 163 Zola ist von vornherein in einer Fechterstellung gegen alle Anwälte kirchlich-sinnenfeindlicher Askese; 1915 Stimmen d. Zeit LXXXIX 270 aus der Fülle zeitgeschichtlicher Erscheinungen den allgemeinen, kontinuierlich überlieferten Bestand der christlichen Aszese festzulegen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 223) Dante . . , der gegen Askese und Weltverneinung die Tatkraft, die umwälzende und weltverbessernde, verteidigt habe; ders. 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 56) ich kenne Jesuiten sehr munteren Geistes und vertraue fest, daß die artige Heiterkeit des kleinen Pierre der Askese standhalten und daß er seine Begabung für so zierliche Nebendinge des Lebens, wie das Nachahmen von Vogelstimmen, des Kuckucks, der Meise, nie völlig verleugnen wird; Schjelderup 1928 Die Askese. Eine religionspsychologische Untersuchung (Titel); Darre 1929 Bauernthum 453 Askese (mönchische Lebensweise); Th. Mann 1940 Erz. (W. VIII 797) alles in allem habe Nanda den Ort seiner Zurückgezogenheit wohl etwas zu herzerfreuend gewählt, als daß die strengeren Heiligen seine Askese ganz ernst zu nehmen vermöchten, zumal da er außer Baden und Schweigen keine nennenswerten Observanzen befolge; Werfet 1941 Bernadette 208 Das Verhalten dieser heiligen Menschen nennt man Askese; Jäger 1947 Reden 238 Askese [im altchristlichen Gebrauch] von den griechischen Philosophen übernommen; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 242) Die Erwählung, verdient durch die Entstehung aus Geschwister-Verkehr und durch Blutschande mit der Mutter, — was alles freilich durch eine siebzehnjährige unglaubliche Askese auf dem

wilden Stein abgebüßt wird; 1957 Natur u. Heimat I 3 Die Zisterzienser ließen sich völlig von den Prinzipien mönchischer Askese leiten; Partner 1964 Erben 35 die Franken erhoben den wahrhaften, edlen Mann, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte und auch als Bischof in mönchischer Askese lebte, zu ihrem Nationalheiligen; ebd. 145 ihr ungeschriebenes Gesetz war, den nahöstlichen Eremiten an Selbstzucht und Askese gleichzukommen, sie in der Härte der Arbeit aber zu übertreffen; Ritter 1971 Htst. Wb. d. Philosophie I 539 f. Im biblischen Sinne gehört Askese grundsätzlich zur christlichen Lehre und Überlieferung . . Das Wort allerdings wird ins Lateinische nicht übersetzt und im Mittelalter auch nicht gebraucht . . Gegen sie als Werkgerechtigkeit und Mönchsaszese wenden sich die Reformatoren in aller Schärfe; 1980 Lex. d. Mittelalters I 1113 Die Aufklärung verwarf die Askese ganz. Die Romantik neigte dazu, ihr exzessive Formen zuzubilligen; 1983 Taschenlex. Religion u. Theol. I 112 Askese ist eine in den meisten Religionen vorkommende Frömmigkeitspraxis . . Enger begrenzt, bedeutet Askese „negative Aktionen der Enthaltung und Unterdrükkung", durch welche die „seelische Energie erhöht und konzentriert wird"; 1990 Europ. Enz. z. Philos. u. Wissenschaften IV 722 Luther wendet sich .. gegen Askese als verdienstliche Werke, besonders gegen Mönchsaskese. Asketentum: 1915 Stimmen d. Zeit LXXXIX 270 Zur Geschichte des Aszetentums; Hesse 1922 Siddhartha (Ges. Sehr. Ill 648) da war es seine Absicht gewesen .. daß er, nach den Jahren seines Asketentums, in seine Heimat und zu seinem Vater zurückkehre; 19*0 Lex. d. Mittelalters I 1115 Als Denkund Lebensform hat sich das muslimische Asketentum in frommen Kreisen der tabi'un . . ausgebildet. Asketik: 1773 (Müller 1802 Br. 77) Ascetik; Laukhard 1796 Leben u. Schicksale III 99 kömmt sie [die Natur] erst zur Reife, dann holt sie das unbändig nach, was vorher, als sie noch unreif war, die Kloster-Ascetik . . zurückhielt; Denis 1796 Einl. II 45 Ascetik (von Askein Üben) oder mystische Theologie; Campe 1813 Fremdwb. 130 Ascetic . . Freilich aber haben viele von jeher nur äußere Übungen — Einsamkeit, Fasten und Körperkasteiungen aller Art damit gemeint; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. I 230 Die mönchische Ascetik war aber mit dieser Bezähmung der Natur noch nicht zufrieden; sie wollte Ausrottung der Natur d. h. eine völlige Entsinnlichung des Menschen, eine Unterdrückung aller sinnlichen Triebe und Neigungen, auch der unschuldigsten; Dabimann 1835 Politik l 319 die Forderungen der Religion, welchen die zurückgezogenste Ascetik sich

Asket nur stufenweise zu nähern weiß; Gervinus 1853 Gesch. d. dtsch. Dichtung U 315 Der Gebrauch des Lebens ward wieder an die Stelle der mystischen Ascetik gesetzt; Hettner 1879 Italien. Studien 101 Seit Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts wandelt sich die starre dogmatische Tendenzpredigt in fromme Ascetik; Oldenberg 1881 Buddha 178 In der Predigt von Benares . . fehlt die Polemik gegen jene Verirrungen finsterer Asketik nicht; Achelis 1890 Theologie I 2 Der 3. und 4. Band dieses Werkes . . behandeln die theologia practica, welche . . aus 3 Teilen besteht: 1. Moral und Kasuistik; 2. Asketik . . 3. politica ecclesiastica; Zimmermann 1932 Lehrbuch der Aszetik (Titel). Asketiker : £. T. A. Hoffmann 1821 S. W. 3 4 auf diesem ausgedörrten starren Antlitz . . liegt in den finstern abgestorbenen Zügen eine unerbittliche Strenge, die den bis zur höchsten Selbstqual gesteigerten Asketiker verkündet; Hartmann 1869 Philosophie 343 wir finden dieselbe [Anästhesie des Hirnes] ebenfalls bei der Entrückung der mystischen Asketiker, bei den Somnambulen; Nordau 1879 Seifenblasen 41 Die göttliche, verklärte Gestalt des begeisterten Predigers — der finstere Asketiker, der prüft, ehe er glaubt; Wundt 1886 Ethik 80 Der Mystiker wie der Asketiker meinen, . . schon hier die ewigen Güter eines von der Last der Erde befreiten Daseins geniessen zu können; Haekkel 1899 Welträthsel 409 Als Auswüchse dieser Leibesverachtung möge noch an die widerwärtigen Bußübungen der Geißler und anderer Asketiker erinnert werden. asketisch: Hamann um 1745 S. W. IV 96 in seinen ascetischen Reden; Zimmermann 1784 Einsamkeit 151 Die ascetischen Jungfrauen schämten sich ihrer Weiblichkeit; die Jünglinge entmannten sich, in heiliger Wuth; ebd. 304 Jovinianus dachte auch nicht besser von der Jungfernschaft; Hieronymus . . nannte den Jovinianus einen Epikuräer und einen lüderlichen Wollüstling, ob er gleich ganz ascetisch lebte. Das Ende des Streites war, daß Jovinianus in den Kirchenbann kam; Ersch/Gruber 1818-89 Allg. Enc. I 6,50 das hohe Alter und die weite Ausbreitung des Glaubens an einen besonderen religiösen Werrh des ascetischen Lebens, welches in den um Jesu Zeit blühenden, jüdischen Instituten der Essener in Palästina und der Therapeuten in Ägypten bereits vollkommen geordnet und ausgebildet erscheint; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. U 735) Dies stimmt zu dem asketischen Geiste der Verläugnung des eigenen Selbst und der Überwindung der Welt; Feuerbach 1840 Christentum 254 Das klösterliche, überhaupt asketische Leben ist das himmlische Leben; Engels 1850 Bauernkrieg (MEW VII 356) Diese Sekte,. . zusammengehalten

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nur durch ihre gemeinsame Opposition gegen alle herrschenden Klassen und durch das gemeinsame Symbol der Wiedertaufe, asketisch-streng im Lebenswandel, unermüdlich, fanatisch und unerschrocken in der Agitation, hatte sich mehr und mehr um Münzer gruppiert; Hartmann 1869 Philosophie 137 Durch das ganze Mittelalter hindurch ziehen sich die Berichte von Wundmalen und Blutungen an ascetischen Schwärmerinnen; Kompert 1882 Monte Pinsio (Ges. Sehr. VII 115) der düstere Caraffa, der asketische Kapuziner aus Neapel setzt Todesstrafe auf den Ankauf von der heiligen Kirche gehörigen Besitzthümern; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. / 750) Es lag etwas Brutales und Stumpfsinniges und zugleich etwas asketisch Religöses, etwas wie Glaube und Selbstaufgabe in dem fanatischen Kultus dieses Nichts, dieses Stücks Melodie; Windelband 1902 Präludien H 297 auch in den reineren Formen asketischer, kontemplativer, ekstatischer Weltentfremdung liegt die Gefahr der Vernachlässigung irdischer Pflichten; ebd. II 304 So zeigt sich auch hier die ganze Skala vom grobsinnlichen ungern entbehrten Erdenguts bis zur asketischen und mystischen Vergeistigung des Opfers; Breuen'Freud 1909 Hysterie 84 f. Ich glaube, sie nimmt diese Lehre nicht viel besser auf als irgendein asketischer Mönch des Mittelalters, der den Finger Gottes und die Versuchung des Teufels in jedem kleinsten Erlebnisse sieht; 1915 Stimmen d. Zeit LXXXIX 270 Erst durch die mühsame Vorarbeit wissenschaftlicher Einzeluntersuchungen wird es gelingen, den Strom des aszetischen Lebens an seiner Quelle zu fassen; Voss 1917 Welt 225 Der Bußprediger . . war jung, bleich, asketisch. Das Feuer des Fanatikers brannte in seinen Augen; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 94) der Prior . . der asketische Priester; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 620) wie Naphta von kriegerischen Mönchstypen des Mittelalters erzählte, welche, asketisch bis zur Erschöpfung und dabei voll geistlicher Machtbegier, des Blutes nicht hatten schonen wollen, um den Gottesstaat, die Weltherrschaft des Übernatürlichen herbeizuführen; ders. 1950 Reden u. Aufs. (W. IX 790) als Vittoria sich im Kloster zu Viterbo asketischen Übungen hingibt; Rinser 1950 Mitte 147 ich sehe Nina kauern, halb eine asketische Heilige, halb eine Indianerin; N/'gg 1954 Wiederkehr 13 Die alte Kirche kannte die Wandermönche, die sich die asketische Heimatlosigkeit zur Aufgabe . . gemacht hatten; 1959 Urania III 85 Die anfangs noch starre, strenge, asketische mittelalterliche Denkweise vermischte sich nun immer stärker mit dem gelösten, irdischen und erdgebundenen Denken des Volkes; Partner 1964 Erben 148 Kolumban . . nahm die asketische Pilgerfahrt unverdrossen wieder auf; MM 11.4.1987 mit dieser ebenso asketischen wie spirituellen Haltung fand

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er sich plötzlich im Zentrum zisterziensischen Denkens und Glaubens wieder. Asketismus: Klinger 1803 Betrachtungen H 10 Dieser Mysticismus ist aber vom Ascetismus eben so verschieden, wie dieser von der wahren Religion; ebd. II167 dem mit ihm verwandten religiösen Ascetismus; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. /i 724 f.) Und wenn, im Urtheil der Zeitgenossen, die paradoxe und beispiellose Übereinstimmung meiner Philosophie mit dem Quietismus und Asketismus als ein offenbarer Stein des Anstoßes erscheint; so sehe ich . . darin einen Beweis ihrer alleinigen Richtigkeit und Wahrheit; ebd. II 733 Am Schlüsse des siebenten Kapitels stellt unser Kirchenvater den Indischen Asketismus, als schlecht, dem Christlich-Jüdischen entgegen; Engels 1850 Bauernkrieg (MEW VII 359 f.) Wir finden hier, bei dem ersten Vorläufer der Bewegung, jenen Asketismus, den wir bei allen mittelalterlichen Aufständen mit religiöser Färbung und in der neueren Zeit im Anfang jeder proletarischen Bewegung antreffen . . Dieser plebejische und proletarische Asketismus; 1899 Lit. Echo I 1228 Die Rückkehr zum Glauben, der Asketismus ist das Ergebnis seiner Schwäche; Bunsen 1914 Ruderboot 188 Wie ernst hat uns Harnack vor den Gefahren des Asketismus verwarnt!; Maenner 1927 Bayern 149 Aus neu gegründeten oder verjüngten Orden entblühte der Aszetismus erneut zu überirdischem Glänze; 1951 Saeculum 276 f. der strenge Asketismus, der dem Bogomilentum . . eigen ist; Bosl 1964 Frühformen 27 gehe ich auch mit H. Löwe einig, dass man weder die Zeit Gregors d. Gr. mit dem Ausdruck „Simplismus" vollgültig charakterisiert, noch auch das 10. Jahrhundert mit dem Begriff „Asketismus" eindeutig trifft; 1980 Lex. d. Mittelalters I 1115 Die übliche Bezeichnung für Asketismus [im Islam] ist zuhd, 'Verzicht'(auf diesseitige Interessen zugunsten jenseitiger Belange). Asket b: Campe 1813 Fremdwb. 130 Asceten, . . In besonderer Bedeutung werden Lehrer und Schriftsteller darunter verstanden, welche auf Übungen der Tugend überhaupt oder der Frömmigkeit insbesondre dringen, und Anleitung und Ausübung der Tugendlehre oder der Gotteslehre geben; also Erbauungsprediger, Erbauungslehrer, Erbauungsschriftsteller; Goethe 1819 Noten z. Divan (WA I 7,22) Eine so zarte Religion [Religion der alten Parsen] . . muß einen eignen Einfluß auf die Sitten ausüben. Man betrachte ihre Hauptgebote und Verbote: nicht lügen, keine Schulden machen, nicht undankbar sein! die Fruchtbarkeit dieser Lehren wird sich jeder Ethiker und Ascete leicht entwickeln; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW 136) Um den menschenfeindlichen,

fleischlosen Geist auf seinem eignen Gebiet überwinden zu können, muß der Materialismus selbst sein Fleisch abtöten und zum Asketen werden; Raabe 1851-93 S. W. Ill 3,504 eine blonde, blauäugige Asketin; Marx 1852 Br. (MEW XXVIII 78) Eines Tages stürzt das Blut unsrem Asketen [Willich] in den Kopf, er macht einen tierisch-brutalen Angriff auf Madame und wird mit Glanz zum Hause hinausgeschmissen. Verlorne Liebe!; Bruckner 1928 Dramat. W. I 28 Irene lacht: Lebensgenuß. Petrell: Ein Fremdwort, wie? Irene: Einsamkeit bis zur Verzweiflung. Wenn sie produktiv war, ist das der einzige Lebensgenuß. Petrell: Asketin; Scheler 1928 Weltanschauung 102 ist der Mensch der relative „Asket des Lebens" ganz entsprechend dem Ende und der Sackgasse der irdischen Lebensentfaltung; Musil um 1930-52 Mann 775 Warum sollte also gerade ein Asket hungern; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 555) der Asket verweigert die Befriedigung des Geschlechts: seine Keuschheit ist das Zeichen, daß mit dem Leben dieses Leibes auch der Wille, dessen Erscheinung er ist, sich aufhebt; ders. 1946 Reden u. Aufs. (W. Xll 697) Nietzsche's Kampf gegen Platonismus, Sokratismus, Christentum war der eines Menschen, der mit Pascal viel mehr Ähnlichkeit hatte als mit Machiavelli oder Cesare Borgia; ein moralbesessener Anti-Moralist, ein Asket der Selbstüberwindung, der die asektischen Ideale verdammt; Welt 20.9.1949 Sportler . ., die zuweilen Asketen sehr verwandt sind; 1956 Aufbau XU 1098 das Gesicht eines Asketen, konzentriert, wie das eines Forschers; Flake 1957 Primaner (Dtsch. Erzähler I 369) Zänkischer Junggeselle, Asket, der nur den Genuß der Zigarre kannte; Zeit 11.10.1985 er [Herbert Bayer] war ein BauhausKünstler: einer, dessen Gestaltungslust kein Gebiet unseres Daseins ausließ, weder ein ästhetischer Asket noch ein Doktrinär; ebd. 28.2.1986 Caravaggios Werk wäre wohl nicht entstanden, wenn der Lüstling nicht auch ein Asket gewesen wäre; ebd. 28.3. 1986 Mies war ein Asket und ein Genießer, den Havanna-Zigarren und dem Alkohol zugetan; MM 3.4.1986 Kritiker werden . . sich vielleicht daran erinnern, daß Le Corbusier, der hagere Asket mit der Physiognomie eines Raben („le corbeau"), die Seitenkorridore seiner Villen einst exakt nach den Maßen der Internationalen Schlafwagengesellschaft zu berechnen pflegte; Zeit 17.10.1986 wenn man . . diese Veranstaltung mit dem Blick eines calvinistischen Asketen zu betrachten versucht, dann kann man fast verstehen, daß er zum Bilderstürmer wurde; ebd. 10.4.1987 bei Hauptmann sind die beiden Menschen, die in der leibfeindlichen Seelenschwärmerei von Herrnhut erzogene Bauerntochter und der seinen Körper als Reproduktions-Maschine pflegende Asket und Ab-

Asket stinenzler, genau definiert; MM 21.5.1987 Georg Martin als Robespierre gibt das notorische Bildnis eines puritanischen Langweilers und Asketen; ebd. 19.120.2.1994 [Heinrich von Portugal, der Seefahrer] Ein Asket mit unbändigem maritimem Ehrgeiz. Askese: 1739 Hamb. Berichte 288 Oporini .. liefert ein Einladungsprogr. von l B. in 4. (apud Vandenhoek 1739.) zu seinen Vorlesungen über die Theologiam moralem und asceticam. Er bemühet sich darin von dem Wort , welches eigentlich eine Uebung, (nemlich in der Gotseligkeit) bedeutet, und dem Wort ascetisch die Benennung gibt, einen rechten Begrif zu ertheilen; Goethe 1820 Meteorologie (WA H 12,50) diese kleine Brüderschaft . ., die so lange sie bestand, sich die Askesian Society nannte, „von , exercitatio,"; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. l 230 Tugendübung . . die auch schlechtweg Askese heißt; Immermann 1838-39 W. HI 194 die Dome . ., in welchen Andacht, Askese, Pracht des Cultus und die Magie der Künste wie ein berauschender Duft wallte und wehte; Marx/Engels 1844 Ök. Sehr. (MEW, Erg.bd. I 549) Diese Wissenschaft der wunderbaren Industrie ist zugleich die Wissenschaft der Askese; Goltz 1852 Jugendleben I 222 [die] Uebertreibung dieses protestantischen Geistes bis zu einer Ausnüchterung, . . einer Askese und Förmlichkeit; Keller 1875-88 Heinrich (S. W. XVI 73) ein billiges rauhes [steinhartes] Landbrot . . vergnüglich und zufrieden bewältigend, schwelgte sie ordentlich in ihrer freiwilligen Aszese; ebd. XVI 106 die Sättigung, welche manche übermütige und geistreiche Aszese hervorbringt; M. Weber 1904 Protestant. Ethik (1947 Ges. Aufs. z. Religionssoziol. I 84 f.) . . innerweltliche Askese; Hesse 1914 Roßhalde (Ges. Sehr. 495) Er trat in das kleine Schlafzimmer des Freundes . . Das Ganze war fast dürftig anzusehen und sprach von Arbeit und Askese; T/;. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 621) es war die Askese, um derentwillen Naphta die Vaterlandsliebe eine Pest nannte, — denn was begriff er nicht alles unter diesem Wort, was alles lief nicht nach seinem Erachten der Askese und dem Gottesreiche zuwider!; ders. 1925 Erz. (W. VIII 627) obgleich es natürlich die wahnsinnigste Askese wäre, sich wegen solcher gelegentlichen wissenschaftlichen Einsicht das liebste und reinste Gefühl aus dem Herzen zu reißen; ders. 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 45) radikale Askese, das bedeutet immer und überall nur Charakterschwäche; ders. 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 130) es ist hier viel naives Pflichtgefühl und kategorischer Imperativ einschlägig, und man könnte von dem Paradoxon einer Askese mit schlechtem Gewissen sprechen, wenn nicht ein gut Teil Lust und Genugtuung damit ver-

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bunden wäre, — wie übrigens bei aller Askese; Musil um 1930-52 Mann 775 Eine vernünftige Askese besteht in der Abneigung gegen das Essen bei ständig gut unterhaltener Ernährung; Gebauer 1932 Kulturgesch. 174 Daneben herrschte ein geistiges Muckertum, . . auf die Askese wurde vielfach ein ganz übertriebener Wert gelegt, Tanz, Spiel, Theaterbesuch, Kleiderluxus, ja Scherz und Lachen galten als unerlaubte, sündhafte Dinge; Tb. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 573) [Kants] Ästhetik der Interesselosigkeit ist nicht das moralische Ergebnis eines romantisch-emotionellen Dualismus von Wille und Vorstellung, einer Weltkonzeption des Kontrastes von Sinnlichkeit und Askese; Leisegang 1951 Weltanschauung 71 Der Gelehrte . ., der sittliche Mensch . . stellt. . das Leben in den Dienst des sittlichen Ideals und der sittlichen Pflicht, oft bis zur Askese des Leibes um der höheren Werte der Seele willen; Jäger 1952 Scripta II 433 Das Wort Askese selbst war ein Erbteil der griechischen Philosophie . . auf die Christen übertragen; Borst 1957 Turmbau 321 Gleichzeitig wandte sich das russische Denken der ekstatischen Askese zu, die von allem Weltlichen . . absah; Silberschmidt 1958 Entwicklung 175 Seit Max Weber wissen wir, dass Business ein Produkt „innerweltlicher Askese" ist; jaspers 1958 Atombombe 126 die Zeiten dieses kapitalistischen Wirtschaftsethos unter der Berufsidee einer religiös begründeten innerweltlichen Askese sind vorbei; Welt 9.10.1959 die vorläufig drei Millionen deutschen Fernseher wurden zur „Kunst der Pause", zur Auswahl und zu einer Konsumaskese ermahnt; Grass 1962 Blechtrommel 169 Oskar übte Askese, magerte ab; Böll 1963 Clown 198 weißt du wenigstens, daß Askese ein teures Vergnügen ist, jedenfalls die Askese, an die Genneholm denkt; er meint nämlich Diät und nicht Askese, viel mageres Fleisch und Salate — die billigste Form der Askese ist der Hunger; Ritter 1971 Hist. Wb. d. Philosophie I 540 M. Scheler betont, daß Askese nur im Opfern eines echten Wertes und um eines höheren Wertes willen sittlich geleistet werden kann, und unterscheidet sie von der „Scheinaskese des Ressentiments", die das zu Opfernde schon im voraus entwertet; ebd. Den Begriff der „innerweltlichen Askese" verwendet M. Weber in seiner Religionssoziologie. Er sieht sie im Calvinismus religiös begründet und leitet aus ihr den Geist des Kapitalismus ab. Rastlose Berufsarbeit und bedürfnislose Sparsamkeit sind nach ihr das hervorragendste Mittel, um die Selbstgewißheit der Gnadenerwählung zu erlangen; 1976 Wb. d. Sozial. 41 Ursprünglich religiöse Notwendigkeit . . gottesfürchtigen und Gott wohlgefälligen Handelns, ließen Sparzwang, Konsumaskese und Arbeitsamkeit eine Fülle von materiellen Besitz- und Kapitalgütern entstehen; Hocke 1976 Ta-

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gebücher 348 Lektüre setzt Askese voraus: zunächst Verzicht auf falsche Vergnügungen; Zeit 28.12.1984 kein Zweifel, daß Ustinov die lange, steile Karriere nicht nur seiner technischen Begabung und seinem administrativen Geschick, seiner Disziplin und Askese, sondern auch politischen Glücksumständen zu verdanken hatte; ebd. 15.2.1985 Eltern, die sich mehrheitlich dem Prosperitätsdenken des Wirtschaftswunders verschrieben, konnten von ihren Kindern nicht erwarten, Askese und Selbstdisziplin zu üben; 1990 Europ. EMZ. z. Philos. u. Wissenschaften 722 in der vom Calvinismus geforderten „innerweltlichen Askese" . . wird der Verzicht wirtschaftsfördernder Faktor. Asketentum: Luxemburg 1919 Er. 55 Ich denke ja nicht daran, Sie mit Asketentum, mit eingebildeten Freuden abzuspeisen. Ich gönne Ihnen alle reellen Sinnesfreuden; Weizsäcker 1950 Erinn. 140 vegetarisches, getränkefeindliches Asketentum; Süddtsch. Ztg. 13.2.1951 Andererseits werde sich ein modernes Asketentum entwickeln, das auf eine Zucht der seelischen Kräfte und die innere Beherrschung des Körpers ziele. Asketik: Kant 1793 Religion (Ges. Sehr. VI 50) Der Satz vom angebornen Bösen ist in der moralischen Dogmatik von gar keinem Gebrauch . . In der moralischen Ascetik aber will dieser Satz mehr . . sagen; Schiller 1793 Anmut (S. W. IX 228) In der Kantischen Moralphilosophie ist die Idee der Pflicht mit einer Härte vorgetragen, die alle Grazien davon zurückschreckt und einen schwachen Verstand leicht versuchen könnte, auf dem Wege einer finsteren . . Asketik die moralische Vollkommenheit zu suchen; Kant 1797 Ges. Sehr. VI 411 Der Katechetik als theoretischer Übung entspricht als Gegenstück im Praktischen die Ascetik; ebd. VI 484 Die Cultur der Tugend, d. i. die Ascetik; Novalis 1798 W. /// 737 Kunst, Philosoph zu werden, ist die Methodik — Kunst, sittlicher Mensch zu werden — die Asketik; Adelung 1808 Grammat. -krit. Wb. II 445 Ascetik . . aus dem Griech. und Lat. Ascetica, in der Theologie, die Lehre von den Übungen der Andacht und des geistlichen Lebens; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA I 27,386) Alle mythologischen Figuren verschwinden aus meinen Gedichten. Luna und Amor bleiben allein übrig. Eine Art von Ascetik, d. h. Vergegenwärtigung und Bewußtseyn der Leidenschaften, Mängel und Fehler und eine Lust sie kunstgemäß darzustellen; Campe 1813 Fremdwb. 130 Ascetic, überhaupt die Übungslehre von dem Griechischen die Übung. Insbesondere wird darunter diejenige Lehre, welche Tugendübungen vorschreibt und Anleitung dazu gibt; also die Tugendübungslehre, und in der Gottesgelehrtheit, eine Anwei-

sung entweder zur Ausübung der Vorschriften der Gotteslehre oder zum eindringlichen und erbaulichen Vortrage derselben, also die geistliche Tugendübungslehre, und die Erbauungslehre, verstanden; Fries 1818 Philos. I 225 Asketik, die Lehre von Übung und Ausbildung der Tugend; Goethe 1822 Campagne (WA l 33,208) Wenn auch sein [Sternes] Geist nicht über den Deutschen schwebte, so theilte sich sein Gefühl um desto lebhafter mit. Es entstand [bei der Sterne-Rezeption als Hintergrund des Werther-Fiebers] eine Art zärtlich leidenschaftlicher Ascetik, welche, da uns die humoristische Ironie des Briten nicht gegeben war, in eine leidige Selbstquälerei gewöhnlich ausarten mußte; ebd. 33,232 als die schönste Vermittlung zwischen beiden Welten [Rousseauismus u. kath. Christentum] entsproßte Wohltätigkeit, die mildeste Wirkung einer ernsten Ascetik; das Leben füllte sich aus mit Religionsübung und Wohlthun; Mäßigkeit und Genügsamkeit sprach sich aus in der ganzen häuslichen Umgebung; Lenau 1831 Br. (Kerner 1897 Briefw. II 14) doch wäre es vielleicht die schönste Höhe der Ascetik, von Schweinen gefressen zu werden?; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. l 230 Ascetik oder Asketik .. ist derjenige Theil der Tugendlehre, welcher von der Tugendübung . . handelt und daher im Deutschen Tugendmittellehre genannt wird. Alle sogenannte Tugendmittel zwecken nämlich darauf ab, die Hindernisse der Tugend zu entfernen und einen sittlichguten Charakter zu bilden; Carus 1846 Psyche 204 wenn es die Aufgabe einer ächten Asketik wird zu sorgen, daß Unbewußtes wie Bewußtes nur auf schöne Weise sich darlebe; Gutzkow 1850 Ritter H 127 die dumpfe, hier auf dem Schlosse wohnende protestantische Ascetik konnte mich nicht erwärmen; Heine 1854 S. W. VI 29 Unter den Muster-Deutschen . . befand sich auch Friedrich von Schlegel, welcher gewiss die gastronomische Ascetik oder den Spiritualismus des gebratenen Hühnertums repräsentierte; Tausig 1858 Br. a. Franz Liszt II 191 Da ich auch in der Composition gerne Schritt mit der Ascetik meiner sensuellen Bedürfnisse künftiger Jahre halten möchte, so will ich j e t z t . . die vier Reiter der Apocalypse von Cornelius: Hunger, Tod etc. in Musik setzen; Marx 1867 Kapital l (MEW XXIII 243) Ein Jahr zuvor . . hatte er . . „entdeckt", daß der Profit aus der Arbeit des Kapitalisten und der Zins aus seiner Asketik, seiner „Abstinenz" herstamme. Diese Flause selbst war alt; Raabe 1882-83 S. W. Ill 2,433 ich gestehe dir offen, daß ich dir auch diesmal wieder den alten Appetit von Halle in deine jetzige Klausur und Asketik mitgebracht habe; Nietzsche vor 1901 Wille (W. Ill 539) Ich will auch die Asketik wieder vernatürlichen: an Stelle der Absicht auf Verneinung die Absicht auf Verstärkung; eine Gymnastik des Wil-

Asket lens, eine Entbehrung und eingelegte Fastenzeit jeder Art; Ratbenau 1918 Br. II 25 Ist nicht jede Asketik eine halbe Lüge?; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. IX 183) nicht um die Asketik des Absurden, . . handelt es sich hier [in Goethes „Wahlverwandtschaften"], sondern um sittliche Kultur, um die tiefste, ahnungsvoll verwandte Sympathie mit dem Naturhaften bei allem Gehorsam gegen den höheren Befehl; Ritter 1971 Hist. Wb. d. Philosophie I 540 Im 17. Jh. beginnt schließlich die wissenschaftliche Theologie wieder von „Aszetik" zu sprechen; sie betrachtet sie als Teil der Lehre vom geistlichen Leben, deren zweiter Teil die Mystik ist . . Kant kennt eine „ethische Asketik", eine „Kultur der Tugend". Asketiker: £. T. A. Hoffmann 1819 S. W. V 31 Es gibt poetische Asketiker, die noch weiter gehen und es aller weiblichen Zartheit engegen finden, daß ein Mädchen lachen, essen und trinken und sich zierlich nach der Mode kleiden sollte; ders. 1822 S. W. XIV 171 Ich weiß, enthusiastische Bigoristen, hyperpatriotische Ascetiker eifern grimmig gegen diesen vermehrten äußern Anstand des Volks; Gutzkow 1851 Ritter VII 110 Der Adel und die Beamten werden so viel, als sie von seiner Lehre brauchen können, auspressen und ihn dann als einen politischen närrischen Ascetiker bei Seite werfen. asketisch: 1739 Hamb. Berichte 288 Oporini . . zu seinen Verlesungen über die Theologiam moralem und asceticam. Er bemühet sich darin von dem Wort , welches eigentlich eine Uebung, (nemlich in der Gotseligkeit) bedeutet, und dem Wort ascetisch die Benennung gibt, einen rechten Begrif zu ertheilen . . und zeiget auch einigermassen die Verbindung der christlichen Sittenlehre mit dem studio ascetico; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 13 f. die Erleichterung des genauen Verstandes und nützlichem Gebrauchs theologischer Schriften fremder Religionsverwandten, welches sonderlich bey ihren moralischen und ascetischen Schriften stattfindet; Nicolat 1775 Nothanker 124 f. Nach Tische fing der Pietist die Betstunde an . . Er . . hielt sich bei allgemeinen asketischen Betrachtungen auf, die der Bauernfamilie begreiflich schienen; Kinäleben 1779 Schluterius 87 er werde seiner jungen Wirthin die Zeit nicht mit ascetischen Übungen vertrieben haben; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 154 Erbauungsschriften drückt im Deutschen völlig aus, was man z. B. durch ascetische Schriften bezeichnen will. — Ascetisch ist dasjenige, was auf Erbauung abzielt; und da wir diesen deutschen Ausdruck haben, so wird der fremde dadurch entbehrlich; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 387 Segni, . . hat viele

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ascetische Bucher geschrieben; Campe 1813 Fremdwb. 130 Für ascetische Schriften, Betrachtungen u. s. w. sagen wir Erbauungsschriften, erbauliche Betrachtungen; Goethe 1819 Noten u. Abh. z. Dwan (WA l 7,151) Die Parabeln des Orients . . kann man in drei verschiedene Rubriken . . eintheilen: in ethische, moralische und ascetische. . . Die dritte hingegen fügt noch eine entschiedene Nöthigung hinzu: die sittliche Anregung wird Gebot und Gesetz; ders. 1828 Br. (WA IV 44,28) daß die deutsche Literatur in diesem humanen Bezug viel geleistet hat, daß durch sie eine sittlich-psychologische Richtung durchgeht, nicht in asketischer Ängstlichkeit, sondern eine freye naturgemäße Bildung und heitere Gesetzlichkeit einleitend; ders. 1829 Maximen u. Reflex. (WA l 42.2,189) das bedeutende Wort . . Erkenne dich selbst . . müssen wir . . nicht im ascetischen Sinne auslegen; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. l 230 Diese [die Affekte] müssen . . gebändigt werden, damit der Mensch zur Herrschaft über sich selbst gelange, was Pythagoras auch die Reinigung oder die Bezähmung der Natur nannte und worauf hauptsächlich die in seiner Schule vorgeschriebenen Tugendübungen abzweckten, welhalb man auch diese Schule nicht mit Unrecht eine ascetische Gesellschaft genannt hat; Heine 1835 Rotnant. Schule 17 die Heilsamkeit des asketischen Spiritualismus; Marx/Engels 1844 Ök. Sehr. (MEW Erg. bd. I 549) Diese Wissenschaft der wunderbaren Industrie ist zugleich die Wissenschaft der Askese, und ihr wahres Ideal ist der asketische, aber wuchernde Geizhals und der asketische, aber produzierende Sklave; Marx/Engels 1845-46 Dtsch. Ideol. (MEW /// 79) Er [Max Stirner] ist . . zu gleicher Zeit Sancho Pansa und Don Quijote. Seine asketischen Übungen bestehen in sauren Gedanken über die Gedankenlosigkeit; Keller 1846 Nacht (W. I 20) Dicht auf der Heide kühle Winde streichen, Asketisch beugen sich die ernsten Eichen; ders. 1875 Heinrich (S. W. XVI 2) ließ eine aszetische Laune mir diesen Gang [in finsterer Nacht und bei Regen) als eine Wohltat erscheinen; Kuernberger 1877 Herzenssachen 264 Griechisch wie Goethe, modern wie Heine, romantisch wie der Tannhäuser .. ascetisch und vor Allem einig,. . das ist der Liederpuls dieses von ächtester Lyrik bewegten Tanhäuser-Lynkers; Proelss 1891 Modelle 196 Ihre eben noch ernst und asketisch gestimmten Züge erhellt ein heiteres Lächeln; Grabein 1911 Hans 98 „Ich bedaure sehr; aber ich tanze heute nicht — grundsätzlich." . . „Beharren Sie wirklich auf Ihrem asketischen Entschluß?"; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 98) Brühls Haß gegen Friedrich aber . . der Haß des üppigen und femininen Minister-Favoriten gegen den asketischen Arbeiter und Solda-

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ten, war eingeboren und unsterblich; Freud 1917 Vorlesungen 449 weil wir selbst verkündet haben, bei den Kranken bestehe ein hartnäckiger Konflikt zwischen der libidinösen Regung und der Sexualverdrängung, zwischen der sinnlichen und der asketischen Richtung; Werfet 1924 Verdi 159 Sassaroli . . sandte zu dem Stehenden einen dunklen Blick asketischer Verachtung empor; Hesse 1927 Steppenwolf (Ges. Sehr. IV 319) Wie das Grammophon die Luft von asketischer Geistigkeit in meinem Studierzimmer verdarb; Scherr/Lokesch 1927 Kulturgesch. 686 Das Wort „auf der Alm da gibt 's ka Sund'" besteht aber trotzdem zu Recht. Nicht etwa, daß die Menschen dort asketisch veranlagt wären! Im Gegenteil!; Broch 1933 Grosse (Ges. W. X 43) Der Vater war ein stiller Mensch gewesen, beinahe zart, mit einem kurzen dunkeln Vollbart um das asketische Gesicht; Wege 1936 Baldachin 93 [die] asketische Tracht [der katholischen Schwester]; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 534) von dieser Seite gesehen, zeigt Platons Philosophie die Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit von Wissenschaft und asketischer Moral; ebd. IX 556 asketische Keuschheit nun, zur allgemeinen Maxime geworden, würde das Ende des Menschengeschlechts herbeiführen; ders. 1947 Faustus (W. VI 104) bei Brahms . . demonstrierte er ihm die Bezugnahme auf Archaisches, auf alte Kirchentonarten, und wie dies asketische Element bei ihm zum Mittel eines düsteren Reichtums und dunkler Fülle werde; Niebelschütz 1949 Bürgerin 17 Borromeos asketische Lippen zogen sich einwärts; Jahnn 1949-51 Niederschrift U 13 Wir lebten nicht asketisch, doch wurden Wein und Schnaps zu seltenen Genüssen; Welk 1953 Morgennebel 223 Nottebohm . . hatte . . ein bleiches, asketisches Gesicht; ebd. 439 So ernst, mißtrauisch und finster er in seiner asketischen Hagerkkeit auch wirkte; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 881 ) kann man nicht . . jenes Ewig-Knabenhafte auch wiederfinden in der jahrelangen Selbstkasteiiung des mächtigen Künstlers [Schiller] durch philosophische Spekulation, dies Sich-Vergraben in ästhetische Metaphysik und Kritik unter gewaltsam asketischem Verzicht auf dichterisches Schaffen um der Freiheit willen; Welt 15.2.1969 eine Art geschäftlichen Spürsinns, den viele Athleten vor allem dann entwikkeln, wenn am Ende der Bahn für asketischen Einsatz der reelle Gegenwert wartet; Plessen 1984 Stella 13 er hatte einen markigen Kopf, nagend asketisch; MM 26.1.1985 Maurice Andre war mit den „Österreichischen Bachsolisten" nach Mannheim gekommen — einem asketisch besetzten Ensemble, bei dem man in der Tat solistisch musiziert; Zeit 1.2.1985 Pasolinis Vision: ein asketisches Theater ohne Bühnenbild, ein leerer Raum ohne Beleuchtungseffekte und Musik; MM 4.5.

1985 asketisch streng, in Form und Farbgebung bis zum äußersten reduziert, sind die Grafiken und Mischtechniken von Antoni Tapies; Zeit 24.4. 1987 die asketische, die nach wie vor experimentierfreudige Literatur Österreichs erscheint . . so gut wie ausschließlich in der Edition Neue Texte; ebd. 15.5.1987 den großen, hageren, weißhaarigen Mann in Kordhosen und kariertem Baumwollhemd, mit asketischen Gesichtszügen und sparsamen Gesten; Süddtsch. Ztg. 17.8.1993 Ganz asketische Geher freilich wandern und fasten gleichzeitig; Spiegel 11.10.1993 Der asketisch wirkende Grauhaarterrier Moebius war es dann auch, der den . . Minister . . in die Bredouille brachte. Asketismus: Klinger 1803 Betrachtungen II 167 der moralische Ascetismus; Bentham 1833 Principien 7 Princip des Ascetismus; Marx/Engels 1848 Manifest (MEW IV 489) Die revolutionäre Literatur, welche diese ersten Bewegungen des Proletariats begleitete, . . lehrt einen allgemeinen Asketismus und eine rohe Gleichmacherei; Engels 1850 Bauernkrieg (MEW VII 359 f.) Dieser plebejische und proletarische Asketismus unterscheidet sich sowohl seiner wild-fanatischen Form wie seinem Inhalt nach durchaus von dem bürgerlichen Asketismus, wie ihn die bürgerliche, lutherische Moral und die englischen Puritaner (im Unterschied von den Independenten und weitergehenden Sekten) predigten, und dessen ganzes Geheimnis die bürgerliche Sparsamkeit ist; Marx 1856 Br. (MEW 1XXX 619) Dieser Mensch [Vogt] ist ein Kurioses Kompositum von noblen Instinkten, natürlich (auch körperlicher) Schwäche, Asketismus und Bummelei; 1910-11 Pan I 534 [geschlechtlicher] Asketismus; Busse-Wilson 1919 (Grundschr. d. dtsch. Jugendbewegung 329) Doch möchten wir diesen beispiellosen Asketismus etwas näher betrachten; Hartmann 1926 Ethik 403 Damit ist dem Asketismus jeder Art die Grenze vorgezogen; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 575) [Schopenhauers] Extremismus und Asketismus aber ist ausgesprochen romantisch in einem Sinne des Wortes, der Goethe's Geschmack . . gar sehr entgegen war und mit entsprechenden Gefühlen mag er „Die Welt als Wille und Vorstellung" gelesen haben; R. Schneider 1960 Gefängnis 164 Er liebte jegliche Art von Asketismus; Weiss 1961 Abschied 205 Selbst die Bücher, die mir vor einiger Zeit noch einen unersetzlichen Wert bedeutet hatten, schienen mir plötzlich wie ein unnötiger Ballast, und in einem Anflug von Asketismus packte ich ein paar Koffer voll mit ihnen und trug sie zum Antiquariat.

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asozial Adj., im frühen 20. Jh. aufgekommene, aus dem Negationspräfix —* a-2 und —»· sozial gebildete Kombination. Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'sich nicht an die Verhaltensnormen der Gesellschaft anpassend, in die soziale Ordnung einfügend; unfähig zum Leben in der Gemeinschaft', z. B. ein asozialer Charakter, asozial veranlagt sein, eine asoziale Lebensweise; auch für 'nicht sozial, unsozial', z. B. Überstunden sind asozial (s. Belege 1936, 1985, 1986, 1988) und gelegentlich, bes. in bezug auf die künstlerische Existenz, für 'in bewußter sozialer Isolation, zurückgezogen, einsam lebend und schaffend' (s. Belege 1950, 1963, 1964, 1986); oft, bes. auch im Nationalsozialismus, stärker pejorativ für 'sich rücksichtslos gegenüber seinen Mitmenschen verhaltend; ablehnend, feindlich gegen die Gesellschaft eingestellt, gerichtet, sie schädigend, den sozialen Interessen zuwiderhandelnd, antisozial; kriminell' (s. Belege 1933, 1934, 1935, 1938, 1940, 1958), z. B. sich asozial verhalten und bes. in der festen Verbindung asoziale Elemente 'am Rand der Gesellschaft lebende und oft im Konflikt mit dem Gesetz stehende Personen, Kriminelle'. Etwa gleichzeitig das Subst. Asozialer M. (Asozialen; Asozialen), meist plur. gebraucht (die) Asoziale(n) als Kollektivbezeichnung für Personen, die sich den normativen Mindestforderungen und den üblichen Verhaltensmustern der Gesellschaft nicht anpassen können oder wollen, insbes. für 'Gruppen, die am Rand der Gesellschaft leben, asoziale Menschen, Kriminelle'; seit früherem 20. Jh. die subst. Ableitung Asozialität F. (-; ohne PL) 'gemeinschaftsfeindliches Verhalten; asoziales Wesen, Verhalten, asoziale Einstellung', auch 'extremer Individualismus' (s. Beleg 1931) sowie vereinzeltes gleichbed. Asozialismus M. (-; ohne PL). asozial: Voss. Ztg. 23.8.1928 Der Schrecken aller Wohlfahrtspfleger, Aerzte, Kassenbeamten sind wohl die armen „asozialen" Menschen. . . Ungeduldig, oft sogar anmaßend verlangen sie meistens sofort abgefertigt zu werden, weil sie „keine Zeit" haben. . . Sie stellen Anforderungen, die mit Satzung und Gesetz gar nicht in Einklang zu bringen sind; Tempo 27.2.1929 Auf den ersten Reihen, wohin sie gehört hätten, fehlen [bei Festveranstaltung Berliner Schauspieler] fast sämtliche Prominente. Ihr asoziales Verhalten ist ein dunkles Kapitel im sozialen Befreiungskampf des Schauspielers; Friedell 1931 Kulturgesch. Hl 525 das Disharmonische, Morbide, Amoralische, Asoziale, Perverse bis zum Irrsinn und Verbrechen; 1932 Stecowa 19 [die] „asozialen Elemente"; Berl. Illustr. Nachtausg. 11.3.1933 Die Ausbeutung der sozialen Einrichtungen . . durch asoziale Elemente auf Kosten der wirklich Hilfsbedürftigen; 1933 Geopolitik X 313 [die] „asozialen Individuen"; Lokal-Anz. 14.5. 1934 Die Justiz muß . . das Ihre tun, um die ehrlich arbeitende Bevölkerung . . vor ihr drohenden Angriffen asozialer Elemente zu warnen; Pulver 1934 Trieb und Verbrechen in der Handschrift. Ausdrucksbilder asozialer Persönlichkeiten (Titel); Lokal-Anz. 29.11.1934 Volksempörung gegen asoziales Verhalten; Dtsch. AZ. 24.10.1935 Es sollen . . nur solche Leute in Vorbeugungshaft genommen

werden, die als bewußt asoziale Elemente anzusprechen sind; 1936 „Duden"-Sammlung o. S. So wenig es dereinst asozial gewesen sei, sich statt der herkömmlichen geölten Haut ein Stück modernes Glas in sein Fenster einzusetzen, so wenig asozial sei es heute, sich einen Kraftwagen zu kaufen; Münch. N.N. 19.10.1938 Der Angeklagte, ein asozialer Mensch, hat den größten Teil seines Lebens in Erziehungsanstalten verbracht; Frankf. Kurier 28.7.1940 Als asozial bzw. gemeinschaftsfremd gelten Personen, die auf Grund einer anlagebedingten Geisteshaltung fortgesetzt mit Strafgesetzen . . in Konflikt geraten; Hellpach 1944 VPs. 73 der asozialen „Unterwelt", des Landstreicherund Berufsverbrechertums; 1945 Freundesg. f. Korrodi 196 der Mensch ist sozial und asozial, ja antisozial in einem; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 507) ich hörte, die Belegschaft bestehe zu einem Drittel aus schlechthin asozialen Elementen und verwilderten Landfahrern; Benn 1950 Doppelleben (Ges. W. IV 162) Der Kunstträger ist statistisch asozial, lebt nur mit seinem inneren Material, er ist . . uninteressiert an Verbreiterung, Flächenwirkung, Aufnahmesteigerung, an Kultur; NZ. (Basel) 14.2.1950 Ein Mensch, der stets verdächtigt wird, muss asozial werden; Süddtsch. Ztg. 28.3.1950 Der Wohnungsbehörde könne es nicht zugemutet werden, einen asozialen Mieter aus sei-

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ner bisherigen Wohnung zu nehmen; ebd. 18.6. 1951 es gebe in München gegenwärtig ungefähr 300 Wohnwagen und die Stadtverwaltung sei sich darüber klar, daß sich unter den Besitzern der Wagen zahlreiche asoziale Elemente befänden; ebd. 21.5.1953 Eine soziale Horde nannte der Staatsanwalt . . die Pantherbande; ebd. 17.10.1953 In Tutzing werden drei asoziale Typen unterschieden. Der bewußte Rechtsbrecher, der sich jenseits von Gut und Böse stellt. . . Daneben der labile, haltund hemmungslose Psychopath. .. Der dritte Typ ist der durch die Erlebnisse der Zeit asozial Gewordene; Bamm 1956 Ex ovo 76 [daß] die ganze Menschheit mit fröhlicher Stupidität einer gemütsarmen, asozialen, frigiden Hysterika von mäßiger Intelligenz . . aufgesessen ist; Niekisch 1958 Leben 352 Die Beamten sollten prüfen, ob es sich bei den Häftlingen um „Unverbesserliche" handle, um „asoziale Elemente", wie der schöne Ausdruck hieß (DUDEN); Welt 5.2.1959 sie sind dem System . . gefährlich, da sie dem asozialen und mephistophelischen PseudoSozialismus des Sowjetsystems den sozialen Sozialismus entgegenzuhalten trachten; Stuttgarter Ztg. 12.12.1960 Das Gericht bezeichnete den Angeklagten als asozial-psychopathisches Wesen; Böll 1963 Clown 62 die Dummköpfe wenden den Begriff asozial immer nur auf die Armen an; Glaser 1964 Spießer 169 Asozial darf jedoch nicht als Charakterisierung einer soziologischen Schicht, sondern muß als Bezeichnung einer menschlichen Verhaltensweise verstanden werden; 1970 Rauschmittel o. S. starke Neigung zu asozialem und antisozialem Verhalten; Zeit 10.5.1985 ein Lehrer-Kollege . . hat die Geburt . . ironisch mit den Worten kommentiert: „drei Kinder, das ist ja asozial"; ebd. 24.5.1985 es erklingt der Vorwurf, daß Überstunden asozial sind; MM 24.9.1985 die Nichtseßhaften, landauf, landab von vielen immer noch verächtlich als Stadtstreicher, Penner oder Trebegänger bezeichnet, sehen sich als asozial und arbeitsscheu abqualifiziert; Zeit 25.4.1986 dürfen wir nicht vergessen, daß Verbrecher, Arbeitsscheue, asoziale Menschen zum großen Teil . . aus der Zahl der Schwachsinnigen und geistig Minderwertigen sich rekrutieren; ebd. 7.11.1986 der avantgardistische Künstler, .. der Künstler als „asoziales" Subjekt, als Bohemien, als methodischer Narr; MM 26.5.1988 es ist die asoziale Spielatmosphäre [in Spielhallen], die ihrem [der Mädchen] Wunsch nach Gespräch, dem Miteinander und dem Gefühl füreinander entgegensteht; Altner 1991 Naturvergessenheit 286 Was im Einzelfall sinnvoll sein mag, ist als allgemeines eugenisches Handlungsziel bedrohlich verantwortungslos, unmenschlich und asozial. Asozialer: 1930 „Duden"-Sammlung o. S. Je schärfer Verbrecher oder sonst Asoziale im Volke selbst

abgelehnt werden, eine um so stärkere Unterstützung bedeutet das für die Kriminalpolizei; LokalAnz. 26.8.1933 mit dem Dietrich [als Einbruchswerkzeug] durch die Welt zu gehen und sich als Asozialer zu betätigen; Kranz 1940 Die Gemeinschaftsunfähigen. Ein Beitrag zur wissenschaftlichen und praktischen Lösung des sog. „Asozialenproblems" (Titel); Süddtsch. Ztg. 18.12.1945 Es lag in Himmlers Interesse, daß möglichst viele „Asoziale" kraft Urteils in seine Hände übergingen; ebd. 13.114.5.1950 In einem Rechtsstaat müssen die anständigen Menschen vor den unanständigen geschützt werden. Im Vorliegenden werden praktisch nur die Asozialen geschützt; Neue Ztg. 9.5.1953 Holland schützt „lebensschwache" Familien, indem es ausdrücklich von echten „Asozialen" trennt; Süddtsch. Ztg. 24.9.1955 „Ich sehe Kontraste, . . das brodelnde Fest draußen [Oktoberfest] und bei uns [Polizei] die Kehrseite, Gewalttätige, Betrunkene, Asoziale, Verletzte; FAZ 22.2.1964 So habe es . . [zur Zeit des Nationalsozialismus] schon genügt, als „Asozialer" in ein Lager zu kommen, wenn man zweimal ohne Grund seinen Arbeitsplatz verlassen habe; Stuttgarter Ztg. 1.6.1964 1500 Asoziale in Rom zwangsevakuiert (Überschr.) . . Die Asozialen, die aus den römischen Slums gekommen waren, hatten die neuen Häuser vor zwei Nächten „bezogen"; ebd. 8.11.1967 Wegen des Metalldiebstahls .. wurde er in Stuttgart angeklagt, und da es sich bei ihm um einen Kriminellen und Asozialen handelt, .. konnte es also wiederum nur Zuchthaus . . geben; Offenburger Tagebl. 23.4.1971 In einem Lager sogenannter „Asozialer" am Rande Freiburgs filmt gegenwärtig ein Regie-Kollektiv der Universität Freiburg; Flach 1977 Chance 33 die [Menschen], welche auf der untersten Stufe als sogenannte Asoziale vegetieren; Sloterdijk 1983 Kritik 36 Der moderne Zyniker ist ein integrierter Asozialer, der es an unterschwelliger Illusionslosigkeit mit jedem Hippie aufnimmt; Zeit 27. 9.1985 mit vier Mitarbeitern machte er sich ans Werk, reiste über Land und katalogisierte „Asoziale, Landstreicher, Zigeuner und Mischlinge"; ebd. 27.2.1987 von nun an jedoch wurden Kranke und Asoziale kaum noch mit Gas getötet — die SS brauchte die erfahrenen Vergasungskommandos für den Massenmord an den Juden; MM 12.11.1987 wenn Pastor Albertz in seiner christlichen Milde für die Gestrauchelten und Gestrandeten meint: „wir brauchen nichts weniger als Gewalt", . . so soll er doch einmal versuchen, diese Asozialen zu bekehren. Asozialismus: Schickele 1927 Hans 241 f. Brands persönlicher Asozialismus findet doch schließlich Zuflucht und Halt im Wesen seiner einheitlichen, von sittlichen Volksinstinkten beherrschten Land-

Aspekt schaff. Für den Rittmeister Brand wäre der Krieg eine Erlösung gewesen. Asozialität: Th. Mann 1931 Heden u. Aufs. (W. X 748) wenn das so . . genialische Werk Marcel Prousts in Deutschland keine sehr tiefgehende Wirkung geübt hat, woran liegt es als an seiner für unsere Begriffe krassen Asozialität, einem Indiviualismus, der uns unzeitgemäß bis zum Provokatorischen anmutet?; Bauer 1957 Verbrechen 69 kann günstiges Milieu und Klima . . Asozialität und Antisozialität in sozial tolerierte Kanäle lenken; Zeit 21.6.1985 in der kollektiven Produktionsweise entstehen die Bruchlinien zwischen „Wir-Ge-

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fühl" und „Asozialität" immer wieder aufs neue; Zimmer 1986 RedensArten 101 daß die jetzige Asozialität Usachen hat; MM 5.5. 1987 dieser gesellschaftsfeindlichen Attitüde setzte Dieter Dorn nun einen Mephisto gegenüber, dem just diese Asozialität zupass kommt, um sich dem Manne anzubieten; Spiegel 28. 6.1993 Wir müssen uns fragen, ob die kulturelle Hochrüstung der vergangenen Jahre weiter finanzierbar ist. Andererseits: Sollten wir uns nicht den Luxus, die Asozialität von Kunst auch in wirtschaftlich karger Zukunft leisten? Die 60 Millionen, die in der Berliner Kultur eingespart werden müssen, sind doch nur eine Petitesse im riesigen Haushaltsloch der Stadt.

Aspekt M. (-(e)s; -e, bis ins 19. Jh. häufig auch -en), im späten 15. Jh. übernommen aus aspectus, lat. Terminus der mittelalterlichen Astronomie für 'Stellung der Gestirne zueinander', eigentlich 'das Schauen der Sterne' bzw. 'Anblick, den die Gestirne (dem Beobachter) auf ihrem Lauf zueinander bieten' (vgl. mlat. aspectus 'Lichtgestalt, Mondphase') (< klass. lat. aspectus 'Anblick, Aussehen, Aussicht, Gesichtskreis', eigentlich 'das Hinsehen', Part. Perf. von aspicere 'hinsehen, ansehen, anblicken', aus ad- 'hin, zu, an' und specere 'sehen, schauen'), anfangs und vereinzelt bis ins 20. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form und im 18./19. Jh. selten in der Form Adspekt(en). la Zunächst für 'das Anschauen, Beobachten der Gestirne am Himmel' (s. Belege 1478 — 81, 1519, 1530), dann als Fachwort der Astronomie in der Bed. 'das Aussehen, d. h. die Stellung, Konstellation der Himmelskörper, also von Sonne, Mond und Planeten, wie sie dem Beobachter auf der Erde zu einem bestimmten Zeitpunkt erscheint', in astrologischer Deutung oft zeichenhaft auf zukünftiges irdisches Geschehen bezogen, daher schon seit frühem 16. Jh. häufig übertragen verwendet im Sinne von 'An-, Vorzeichen, Aussicht(en) für die Zukunft' (—» Omen, —»· Prognose; s. Belege 1522, 1575, 1674, 1774, 1811), meist plur. verwendet in Verbindung mit wertenden Attributen wie gute, günstige, erfreuliche, glückliche, traurige, kriegerische, schlechte, üble Aspekte(n). b Seit spätem 18. Jh. über 'der Blickwinkel, unter dem man etwas ansieht, betrachtet (z. B. eine bestimmte Seite einer Sache)' weiterentwickelt zu der heute dominanten Bed. 'Art und Weise der Betrachtung und Beurteilung von etwas, Gesichtspunkt' (—» Perspektive), vor allem in Wendungen wie etwas unter einem bestimmten Aspekt sehen, betrachten; dadurch gewinnt/bekommt die Sache einen anderen Aspekt, diese Sache hat verschiedene Aspekte, den sozialen/wirtschaftlichen Aspekt eines Problems betonen, herausstellen, als Grundwort in Zss. wie Einzel-, Doppel-, Grund-, Haupt-, Teil-, Neben-, Gesamtaspekt. 2 Ebenfalls seit spätem 15. Jh. selten nachgewiesen in der an das lat. Vorbild angelehnten allgemeinen Bed. 'Anblick, Ansicht; Aussehen', auch 'der Blick, die Sicht auf etwas' (vgl. Ib; s. Belege 1927, 1958). Aspekt la: Püetrer 1478-81 Bayr. Chronik 94 Ich/ hab für mich genommen ewr physionomia und complexion, hab/ aller Sachen judicij gemacht, und

zaigen mir alle gruntlich/ mit iren aspecten und anschawen der planeten gleich, ir/ müeszt heint bei ewr eelichen hausfrawen liegen; 1507 Geschichten

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Wilwolts v. Schaumburg 32 derhalb bei vert und opfer ufgericht, widerumbs ires tails, gelucklicher aspect erhart, darnach die veint angriffen, dardurch sie ehr und guet erlangt; Gengenbach 1516 Gouchtnatt 138 Gut aspect thun ich auch setzen,/ Do mit ich thun vyl lüt verletzen/ Das sie ir tag vnd nacht nend acht,/ All ander Astrologie ich veracht; Fries 1519 Spiegel d. Arznei 71b daz der mon nit zugesellet sei einem bößen planeten, welche zugesellung von den gelerten des gestirns aspect genant werden; ebd. 84d Weiteres ist not, das du acht nemest die angesicht, aspect genant, so die planeten zu dem mon, vnd vnder in selbs zu einander haben; Nazarei 1521 Gott 33 doch der alt schlang bringt solich gots lesterung zu wegen durch die Aristotelischen Theologen vnd Thomisten, münch und aspect der Scotisten, die richtent solich götter vff, als got . . anzeygt hat dem heyligen Ezechiel; Pauli 1522 Schimpf u. Ernst l 386 ich weiß ein Aspect und Zeichen, welcher darin Hochzeit macht, der wuerd langen Friden . . haben (FRNHD. WB); Planitz 1523 Berichte 556 auf welchen tag die cardinell in das conclave gegangen, und das sie zuvor noch einen guten aspect haben sehen lassen, darauf sie mehr dan auf den heiligen geist vortrauen; Paracelsus 1528 S. W. / 6,416 dermaßen auch so gibt die zeit Verwandlung der zeichen, derselbigen solent ir auch merken, wan sie . . sind euch gleich zu urteilen, als weren sie aspectus und böse coniunctiones; wo solche zeichen in böser art fielen, zu gutem nicht zu hoffen ist; ders. 1529-32 S. W. / 14,66 ein besessen man mit vil bösen aspecten; ders. 1530 S. W. i/ 4,2#4 laufen das firmament aus und das gestirn des himels und secht an, wie seltzam lauf im himel sei, so seltzam gestirn, planeten, Sternen, conjunctiones, aspectus; ders. um 1530 S. W. H 6,149 dem feind wird die sun nit scheinen, daß er werd steg und weg finden ..; noch der mon schein wird ihm nit platz anzeigen, noch kein stern im himel, kein ascendent, kein aspekt, kein planet wird ihm sein nativitet Sterken; Lullus 1532 Verborgenheyten A3a Wirkungen vnnd aspect der behafften vnd jrrigen Sternen; Paracelsus 1537 S. W. / 10,460 auf die enderung geschieht manche cur, die sonst nit geschehen mocht, so sie nit gefunden wird in einem guten aspekt und zeichen; Rivius 1548 Vitruv. 193b Aspect des Hymels; ebd. 275a Aspect der Planeten; 1569—70 Haushaltung in Vorwerken 130 Wenn man kapisstrünk, rote rüben, mören, rüben und zwibeln zu samen fortpflanzen soll. Diß soll geschehen, wann der monde ist im zeichen des Stiers, . . Und man soll auf die bösen aspect achtung geben; Rot 1571 Diet. 291 Aspect, . . Item zeichen des Himels guot oder boeß; Thurneisser 1575 Archidoxa 46b Auch wan Coniunction werd sein/ Geuiert Aspect vnd gegen schein./ Obs truk-

ken sein würt Heiß/ vnd Kalt/ Obs regnet/ Haglet/ Sehne rab falt./ . . Was für Planeten s Jar regiren/ Vnd was für Regiment sy fieren./ Wie teurung/ Krieg/ vnd hungers noth; Fischart 1581 Dämonomania 140 Aber er würde sich noch mehr entsetzt haben, wann er die Wirckungen der anderen Planeten vnd jre Zusammenfugen oder Coniunctiones auch jhre Anscheinunge oder Aspect vnter sich vnd gegen den Fixis oder bestaendigen Sternen verstanden het: Sonderlich was diselbigen vber die Cörper/ vnd vber die gelegenheit vnd Anstellung des Menschens vermögen; 15#5 Cyclopedia Paracelsica l 93 da seind inn jhm newe Planeten auffgangen/ da solle ein newe Himmelsfigur auffgericht/ vnd sein geburtsstunde gestellet werden/ allda würstu auß seinen Aspecten vnnd verruchtem wesen/ seinen geburtsherren den leidigen Teuffei finden; Spangenberg 1607 Ganss König 99 [das Sternbild] sey auch kein böser Aspect. Dann kein Gefahr dahinder steckt: Sondern bedeuttet etwas guts; Colerus 1645 Oeconomia rur. l 195 Wann nur kein böser aspect oder keine Constellatio vmb die Pfropfzeit ist/ so glaube ich nicht/ daß diß dem pfropfen [Veredeln von Obstbäumen] etwas schaden kan; Creidius 1657 Nuptialia Continuata H 427 Also ist der heilige Ehestand ein heiliger Stand/ den Gott im Paradeiß gestifftet/ da noch kein Sund in der Welt gewesen/ aber es gibt zu Zeiten böse Aspecten, wann Mann und Weib sich nit recht zusammen vertragen können/ oder die HaußSonn wird verfinstert; Widmann/Pfitzer 1674 Fausts Leben 231 ein starckes Vatter unser kan alle böse Aspecten aufhalten; Butschky 1677 Pathmos 15 Zu gewisser Zeit/ seyn viel gute Aspecten, und harmonische Scheine/ unter denen Planeten am Himmel; Becher 1682 Glücks-Hafen 144 wann in der rechten Zeit der Constellation und Aspecten der himmlischen Planeten und Stern auff gewisse Weiß und Manier selbiges Salz an die Lufft gestellet wird/ und durch seine magnetische anziehende Krafft/ mit Hülff der guten Aspecten und Influenzen der himmlischen Planeten/ den Sohn der grosser Welt/ nemlich den himmlischen Geist sampt der in ihm verborgenen Seelen der Welt/ an sich zieht/ und in ihm gebohren wird; Beer 1682 Winter-Nächte 296 in solchen verwunderlichen Gedanken brachte ich den Tag zu Ende und konnte dieselbe Nacht kein Auge zubringen, weil ich gleichsam in einem solchen Aspecten geboren war, welcher rechte wunderbare Offenbarungen nach sich zog (CARMESIN); Seckendorff 1691 Reden 329 diese löbliche Constellation und lieblicher Aspect; 1699 Staatsspiegel H 58 In dem jüngst heraus gekommenen . . Entwurff . . deß alten und neuen Calenders hat man angemercket/ daß verschiedliche Aspecten der himmlischen Zeichen falsch . . gesetzet [sind]; 1705 Auserlesene Anm. 11130 zu rechter Zeit unter

Aspekt erforderten Aspecten/ und Stationen der HimmelZeichen und Planeten; 1716 Neuaufgest. Fama 58 übele aspecten; Sperander 1727 A la mod Sprach 50 f. Aspect, . . In der Stern-Kunst bedeutet dieses Wort die Witterung der Planeten, Himmels-Zeichen; Zedler 1732 Universallex. 1872 Aspectus, Aspecten, oder Adspecten, sind gewiße Stände derer Planeten in dem Zodiaco gegen einander. . . Keplerus hat in seiner Harmonia mundi IV. noch eine andere Einrichtung von diesen dreyzehn Aspecten gemacht, und sie in Ansehung ihrer Würckung auf der Erden, nach derer Stern-Deuter Meynung, in 5. Grad eingetheilet; Geliert 1745 Betschwester (S. Sehr. Hl 164) [Dialog] Ferdin.: . . Sie wollen von den zehntausend Thalern gar nichts hören. Simon: Das sind schlechte Aspecten. Ich wollte das Geld gern vergessen; Edelmann 1752 Selbstbiographie 25 Der Verdruss über die widrigen Aspecten, die sich an meinem Glückshimmel zeigten; Michaelis 1772 Walmir (W. III 56) Nun, wie sind die Aspecten? — Ziemlich schlecht. — Ein böser Prophet; Goethe 1773 Götz (WA I 39,132) mein Unternehmen fängt an reif zu werden. Günstige Aspeckten deuten mir: brich auf; Schubart 1774 Dtsch. Chronik 524 In Cölln zeigen sich ebenfalls für den Jesuitenorden sehr günstige Aspecten; 1775 ebd. 180 Seine Gesandten sehen nicht lauter gute Aspecten am politischen Firmamente; Musäus 1778 Physiognom. Reisen I 152 Wahrlich, kein günstiger Adspekt für die Wissenschaften!; L. Mozart 1778 Br. H 128 Nun muß ich Dir aber noch die gefährlichen aspecten von Europa vor Augen halten; Schiller 1784 S. Sehr. Ill 374 so trink ich auf die guten Aspecten meines Stammbaums eine Bouteille Malaga mehr; Bretzner 1787 Leben II 60 Nun was sagst Du dazu? Sind das nicht herrliche Aspekten?; Goethe 1790 Br. (WA IV 9,181) Ritter, Räuber . . ein redlicher biederer Tiers Etat, ein infamer Adel . . die Ingredienzien . . unsrer Romane und Schauspiele. Was ich unter diesen Aspeckten von Ihrem Theater hoffe . . können Sie dencken; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 155 Aspekt. Schlimme Aspekten! Schlimme Aussichten. Der fremde Ausdruck kann im komischen Sinne immer beibehalten werden, weil er eigentlich den Schein oder die Stellung der Gestirne gegeneinander bezeichnet, woraus die Sterndeutungskunst die Schicksale der Menschen zu enträthseln suchte, und welchen alten Begriff man nun, im komischen Sinne, auf eine gewisse Aussicht in die Zukunft anwendet; Laukhard 1796 Leben u. Schicksale l 4,150 Das sind schlimme Aspekten; Goethe 1799 Br. (WA IV 14,203) Ich wünsche Glück zu den fortdauernden guten Aspecten, die über die Wochenstube scheinen; ders. 1799 Die Piccolomini (WA I 40,37) Ein astrologischer Aberglaube nährt seinen [Wallensteins] Ehrgeiz, er hört Wahrsagun-

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gen begierig an, . . da ihm sein Horoskop die Gewährung derselben zu verbürgen scheint und manche himmlische Aspecten von Zeit zu Zeit ihm günstige Ereignisse prophezeien; Haschka 1806 briefl. (Keil, Wiener Freunde 88) Und nun von der literarischen zur politischen Welt! Was sagen Sie zu den jetzigen neuen und neuesten Adspecten?; Goethe 1809 Br. (WA IV 20,368) Vor einem Jahre waren zwar die Adspeckten zum längsten Tage erfreulicher doch hoffte ich auch diesmal das schöne Fest mit Ihnen zu feyern; ders. 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 26,11) Diese guten Aspekten [bei Goethes Geburt], welche mir die Astrologen in der Folgezeit sehr hoch anzurechnen wußten, mögen wohl Ursache an meiner Erhaltung gewesen sein; Brentano 1813 Valeria 59 man hält uns für arme Schelme, .. schlechte FreierAspekten; 1819 Uhlands Briefw. II 159 Jedenfalls müßte ich hier vorher noch eine Weile zuwarten, wie sich die Aspekten für die nächste Versammlung anlassen; £. T. A. Hoffmann 1822 S. W. XIV 169 Alle Aspekten waren dazu da, daß das Ding sich mit Mord und Totschlag endigen . . würde; Anzengruber 1869-70 Ges. W. VI 44 Ei, Ihr Schützling tritt unter günstigen Aspekten ins Haus; Spielhagen 1876 S. Romane IX 76 Damit schien . . übereinzustimmen, daß in den letzten Tagen, während welcher das fast entwerthete Papier in Folge der neuen glückverheißenden Adspekte zu einem Gegenstande wildester Speculation geworden und fast um das Doppelte gestiegen war, auch die gute Laune des alten Herrn sich wieder eingefunden hatte; Ebner-Eschenbach 1893-1911 Ges. Sehr. HI 23 [sie] kontrollierten die Aspekte und Phasen des Mondes (WDG); 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Ausgesprochen schwarz ist der Aspekt für die Verhandlungen mit Frankreich. Aspekt Ib: 1778 Ephemeriden d. Menschheit VI 115 Was können also die politischen Aspecte uns bekümmern?; Musäus 1787—88 Volksmärchen I 97 Die Königin hatte bei Hofe eine starke Gegenpartei. Sobald ihre Widersacher merkten, unter welchem Aspect dem Humor des Königs jetzt die Beherrscherin seines Willens erschien, verabsäumte der Geist der Cabale nicht, die Gelegenheit zu nutzen, sie zu verderben; Gotter 1802 Nachlass 231 Die äusserlichen Aspekten [Heirat, Mitgift] sind . . eben nicht favorabel [günstig]; 1859 Briefw. Dahlmann-Gervinus (II 427) er steht grade jetzt darüber mit der höheren Behörde in Correspondenz. Unter solchen Aspecten darf ich aus vielen Gründen nicht von hier [weg]; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 558) schon, daß es zwei Ärzte waren, die kamen und gingen, gab der Sache einen beunruhigenden Aspekt; Benjamin 1920 Br. I 239 Von den ändern schlimmeren . . Aspekten der Sache will ich jetzt

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nicht reden; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 40) die Aufgabe, einen Fahrdamm zu überschreiten, bot mehr als einmal den Aspekt ewiger Hoffnungslosigkeit; Tillich 1926 Religiöse Lage 42 Die Krisis der kritisch-bürgerlichen Philosophie wurde als Kulturkrisis überhaupt unter tragischem Aspekt betrachtet; Hoffmannsthal 1927 Schrifttum 31 jene Geistesumwälzung des 16. Jahrhunderts, die wir in ihren zwei Aspekten Renaissance und Reformation zu nennen pflegen; Bronnen 1928 Film 26 Auf Ewigkeitsaspekte durfte sich die Firma nicht einlassen; Brod 1928 Zauberreich 320 Unvermittelt hat die Angelegenheit für sie diesen veränderten Aspekt bekommen; Voss. Ztg. 16. 7.1929 Das paneuropäische Programm hat einen politischen und einen wirtschaftlichen Aspekt; 1930 Nord u. Süd Llll 429 einige wenige verlockende Aspekte des amerikanischen Industrialismus; 1942 Berl. Monatsh. 390 das Problem des untergehenden Habsburgerstaates . . unter nationalem Aspekt zu betrachten; Süddtsch. Ztg. 17.7.1950 daß dadurch die Lohnverhandlungen für die Arbeitnehmer einen günstigeren Aspekt bekommen; Neue Ztg. 11.5.1953 einen . . Eindruck von den . . Problemen des Erdteils und der Verschiedenartigkeit der Aspekte zu gewinnen; Welt 21.12.1954 was hier die . . Geopolitiker an Argumenten aufbieten — es sind doch nur Vordergrundsgefechte gegenüber dem eigentlichen, zentralen Aspekt, dem strategischen; Bickel 1956 Kultur 20 Das lebendige Geschehen ist ein Aspekt derselben qualitätslosen Bewegung, von der auch das physikalisch-chemische Geschehen ein, wenn auch weit umfassenderer, Aspekt ist; Bamm 1956 Ex ovo 68 unter diesem Aspekt ist sein biographischer Charakter nicht mehr von Bedeutung; Süddtsch. Ztg. 8.1.1962 Es [Problem] berühre ziemlich alle Aspekte des deutsch-sowjetischen Verhältnisses; Heuss 1963 Erinn. 168 dieser Entschluß besaß auch einen außenpolitischen Aspekt; 1966 Studium Generale XU 744 es ist . . anzunehmen, daß diese unterschiedlichen Wörter . . nicht synonym sind, sondern daß jedes von ihnen einen besonderen Aspekt des Begriffes enthält; 1967 Bild d. Wiss. I 63 das . . zweite Untersuchungsbeispiel wurde ausgewählt, um . . einen weiteren funktionalen Grundaspekt des Verhaltens zu zeigen; FAZ 1.4.1969 Unter finanzwirtschaftlichem Aspekt ist .. laut Finanzminmisterium der Gemeindeschuldenstand um etwa die Hälfte niedriger als angegeben; Welt 24.4.1969 Komitee . ., das sämtliche Aspekte der Beziehungen zwischen Künstlern und Museen prüfen soll; Brugger 1970 Hörfunkprogramm o. S. Greiffenhagen . . erklärt den Konservatismus unter universalhistorischem Aspekt, wie auch in abendländisch-christlicher Perspektive; Duerr 1985 Traumzeit 25 es ging ihr weniger um die naturwis-

senschaftlichen Aspekte; MM 18.4.1985 daß jede Krankheit einen psychologischen Aspekt hat; Zeit 18.10.1985 diese Veranstaltungen könnten . . den geladenen Gruppen durch Vorträge, Filme und Diskussionsrunden die vielfältigen Aspekte des Problems nahebringen; ebd. 25.4.1986 eine wichtige Abweichung zur österreichischen Verfahrensweise ist unter Diskriminierungsaspekten jedoch angezeigt; MM 20. 8.1986 was die Bundesregierung als Entspannung vorstellt, muß man stark unter dem Aspekt Wahlkampf subsumieren; Zeit 31.10.1986 man sollte nicht erwarten, daß sich unter diesem Aspekt ein gänzlich anderer Blick auf die Künste erschließt; ebd. 22.5.1987 ließen sich die ökonomischen Interessen der Versicherer . . verbinden mit dem humanitären Aspekt der Aufklärung; MM 31.10.1987 tatsächlich kreisen fast alle Phantasien und Gedanken der . . Künstlerin um diesen Doppelaspekt des Lebens; ebd. 9.11. 1987 doch die finanziellen Einbußen sind nicht der einzige Aspekt; ebd. 16.1.1988 hinzu kommt, daß unter innenpolitischen Aspekten in Frankreich vorrangig eine Verbindung von Metz nach Straßburg gebaut werden dürfte; ebd. 11.3.1988 Etiketten wie „Neo-Pop" .. oder „Waren-Kunst" .. spiegeln bloß Einzelaspekte dieser neuen Kunst; HodelHoenes 1992 Leben u. Tod 141 Die schwarze Bemalung der Hautpartien weist auf den osirianischen Aspekt der Wiedergeburt hin; Spiegel 30.11.1992 ABS und elektronische Geschwindigkeitsregelung sind nur Aspekte seines vielseitigen Charakters; ebd. 27. 9.1993 daß die Betriebe schon unter diesem Aspekt gar nichts anderes mehr als Verlust . . würden produzieren können; Süddtsch. Ztg. 26.10.1993 daß hier nicht mit den Scheuklappen filmischer Nostalgie gearbeitet, sondern Kinogeschichte mit Zeitgeschichte und Politik verwoben wird — ein wichtiger Aspekt in Marlenes Biographie. Aspekt 2: Melker 1481 Voc. o. S. Aspectus, ansieht; Begardi 1539 Index Sanitatis 38b Eyn artzet hab dreiseitigen aspect, das ist Angelicum, Humanum vnd Diabolicum; Rot 1571 Diet. 291 Aspect, Ein angesicht oder anschawung; Fischart 1572 Aller Practick Grossmutter 7 Ein langweiliger Aspect eine häßlich jungfraw; Messerschmid 1618 Garzoni's Narrenspital l Nach dem ich solche Mühe auff mich genommen/ der Welt die wunderseltzame Gestalt vnd Formen der Narrheit/ die von Aspect vnd anschawen vngestalter ist/ weder die Schlang auß Cadmo: hässlicher dann die Chimaera; Lebmann 1662 Florilegium Politicum auctum I/H 169 Ein heßlich Weib ist ein langweiliger aspect; Sperander 1727 A la mod Sprach 50 Aspect, die Anschauung, das Ansehen, Aussehen; Regis 1832 Rabelais' Garg. u. Pantagruel I 404 daß

Asphalt ein jeglicher Mensch . . an seinem Hals ein Ränzel trüg, in dessen . . hintersten Täschchen . . unsre eigene Sund und Unglück [war], die keiner jemals sah noch merkt' als wem des Himmels Huld dazu den rechten Aspekt verliehen hätt; Freytag 1859 Aufs. / 223 Die Feuerkugel, welche jetzt plötzlich auf seiner Bahn zersprang, störte alle seine Aspecten; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen l 29 Der Aspect ward freier; ebd. I 45 Über mir wölbten sich die Thorhallen — vor mir schlössen alterthümliche Gebäude den Aspect; Th. Mann 1907 Nachtr. (W. 461) es besteht . . keine Notwendigkeit, daß der Jude immer einen Fettbuckel, krumme

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Beine und rote, mauschelnde Hände behalte, ein leidvoll-unverschämtes Wesen zur Schau trage und im ganzen einen fremdartig schmierigen Aspekt gewähre; Bäte 1927 Gang 35 Er führt galant ihre Hand zum Mund: „Wir wollen sehen! Vielleicht richtet er dann noch seinen Aspektum auf eine honorable Mariage, und seine Fortune ist gemacht!"; Jaspers 1958 Atombombe 137 der Aspekt der Weltlage kann so erscheinen, als ob der Kampf der abendländischen Mächte untereinander auf dem Boden des gesamten Erdballs . . sich fortsetzte; Dieterich 1970 Urwald o. S. ihr heutiger Vegetationsaspekt ist am Sonn- und Schattenhang verschieden.

Asphalt M. (-s; selten -e), im späteren 15. Jh. über spätlat. asphaltus entlehnt aus griech. 'Asphalt, Erdharz' (subst., mit verneinendem - gebildetes Verbaladj. zu 'zum Fallen bringen, stürzen', also eigentlich 'unzerstörbar (aufgrund der starken Bindeeigenschaft des vorwiegend im Mauerbau verwendeten Materials)'), anfangs meist in lat. (flekt.) Form. Zunächst zur Bezeichnung eines Minerals, das zum Abdichten von Holz und Steinfugen sowie als (Universal-)Heilmittel verwendet wurde, daneben auch in der Malerei und in der Kupferstecherkunst (s. Belege 1537, 1588, um 1790), auch Bergpech, Erdpech, Judenpech (nach seinem Vorkommen am Toten Meer), Erdharz, Erdteer genannt; dann seit früherem 19. Jh. durch (von Frankreich ausgehenden) verstärkten Gebrauch von Asphaltmischungen zum Straßenbau unter Einfluß von frz. asphalte bes. als Bezeichnung für ein meist als Straßenbelag verwendetes Gemisch aus Bitumen und Mineralstoffen; häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Asphaltbahn 'mit Asphalt belegte Kegelbahn', Asphaltbeton 'Gemisch für Fahrbahndecken im Straßenbau', Asphaltdecke 'Bodenbelag aus Asphalt, meist als Straßenbelag', Asphaltstraße 'mit Asphalt gedeckte Straße', Asphaltlack 'Lack aus einer Lösung von stark bitumenhaltigem Asphalt und und anderen organischen Lösungsmitteln'; seit Ende 19. Jh. als Bestimmungswort auch übertragen und teilweise abwertend verwendet in Zss. wie Asphaltblume 'Dirne, Prostituierte', Asphaltdschungel, -ungeheuer, -wüste als Bezeichnungen für die Großstadt, Asphaltpflanze, -mensch 'Großstadtmensch', Asphaltliterat 'Schriftsteller, der in der Großstadt lebt und das Leben der Menschen in ihrer Verlorenheit beschreibt', Asphaltgeist, -kultur 'Großstadtkultur', Asphaltblatt, -presse 'Sensations-, Boulevardpresse', zuerst im nationalsozialistischen Sprachgebrauch für 'jüdische Sensationspresse' (s. Belege 1934, 1949, 1975, 1978). Dazu die adj. Ableitungen asphaltisch (17. Jh.), asphalten (19. Jh.) und vereinzeltes asphaltig (20. Jh.) in der Bed. 'aus Asphalt bestehend, in der Art des Asphalts, dickflüssig'; seit spätem 19. Jh. die verbale Ableitung asphaltieren V. trans, in der Bed. 'eine Straße mit einer Asphaltdecke versehen', in Wendungen wie eine Straße, einen Weg asphaltieren, häufig adj. verwendet in der Part. Perf.-Form asphaltiert; gleichzeitig das Verbalsubst. Asphaltierung F. (-; -en); im 19.720. Jh. die seltenen Berufsbezeichnungen Asphaltierer, Asphalteur. Asphalt: 2. H. 15. ]h. Minner. Chir. Parva 237 aspaltum nach dem vnd Dyascorides spricht ist bytumen Judaicum vnd ist in lattin stercus demonis,

in tutsch tufelskat vnd etlich sprechend imm naphea vnd petrolium (FRNHD. WB); Braunschweig 1497 Chirurgia 247 Aspaltum ein harter schum

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Asphalt

swartz wie bech/ gebracht von dem dotten mer; Paracelsus 1528 S. W. I 6,361 der sulphur ist extrahirt aus dem margazita, asphaltum aus dem schwarzen karabe; ders. 1537 S. W. I 10,494 Der arznei stück seind die: Carabe, magnes, asphaltum, gummi, terpentina; Thurneisser 1538 Onomasticon H 25 Es hand auch etlich den Asphaltum der auff dem See Asphaltite in Judäa herfür fleusset/ darzu rechnen wollen; Rivius 1548 Vitruv. 250 b Man nennet aber Bitumen oder Asphaltum ein weyche/ zehe materi/ so auß dem gebirg fleusset/ vnd in den Brunnen oder Seen obschwimbt; Mathesius 1562 Sarepta 80a wie denn die gelerten dieselbige zehe materia hernach Asphalten/ von dem wunderbarlichen fewer sollen genennet . . haben; Toxites 1574 Onomastica 401 Asphaltum bitumen, . . aus dem subtilisten Mur gezogen/ Erdenharz/ lettbech/ gemudert harz; Tabernaemontanus 1588 Kräuterbuch I 505 a Wider das keichen und schwerlich äthmen: Nimb . . Erdbech (Asphaiti); Lubenau 1628 Reisen 141 Und wan sie es [das Pech] gebrauchen wollen, müssen sie ein ander harttes Pech, welches wie Glas springet und gahr schwartz ist, darunter schmeltzen, welches ich fuhr Asphaltum angesehen; Marperger 1712 Naturlex. 124 Asphaltus, Juden-Hartz . . ist ein schwarz und dürres Gummi oder Hartz; Bodtner 1752 Noah 221 waren von der vertäfelten Decke Leuchter gehängt, beständig mit Asphalt . . genährt; Wieland 1753 Ges. Sehr, l 3,509 ein erhabenes weites Gewölbe . ., das mit vielen Gängen und Zimmern durchschnitten war, und von einigen Lampen mit Asphalt Licht bekam; Goethe um 1790 Naturwiss. Sehr. (WA U 3,87) daß Apelles auf oder über seine Mahlereinen einen . . Firniß von dunkler Farbe zog, der ganz die Eigenschaft und Wirkung der in der Ölmahlerei heut zu Tage angewendeten Lasurfarben, vorzüglich des Asphalts, hatte; Klaproth 1807 Chem. Wb. l 188 Der Asphalt ist eine Art des Bitumens. Er bildet feste Massen, ist aber dabei zerbrechlich, so daß man ihn mit dem Nagel des Fingers in Pulver verwandeln kann; Wiebeking 1826 Baukunde IV 8 Der Asphalt, als das Erdpech oder Erdharz; 1838 Die Eisenbahn 36 In Hamburg im Jungfernstiege wird ein kleiner Versuch mit Asphaltpflasterung gemacht — Taglioni und Asphalt sind jetzt der Gegenstand der Hamburger Salon-Gespräche; ebd. 74 Dennoch hat sich die Kuhpockenimpfung, die Idee der Dampfkraft, die Asphaltpflasterung Bahn gebrochen; Raumer 1839 Bilder a. Paris II 140 Rings um diesen kleinen Tempel dampfen zahlreiche Kessel; — das ist der Asphalt, der seine Proben den Augen der Speculanten vorweist; 1842 (Hartmann 1866 Erlebnisse 257) das Johanneum, das nur aus Eisen, Stein und Asphalt besteht, und selbst nicht brannte; Nestroy 1847 S. W. VII 151 das gehört zu dem famosen

Pech, welches, mit den Steinen des Anstoßes vermengt, den Asphalt zum Lebenspfad eines Malheurmenschen bildet; Meissner 1863 Schwarzgelb Hl 54 Flanierte auf dem Asphalt der Boulevards; 1864 lllustr. Welt 239 Den Asphalt, auch Erdpech, Judenpech genannt, kennt in den größeren Städten jedes Kind, da es täglich darauf spazieren geht . . Der Asphalt ist ein brennbares Material, wahrscheinlich organischen Ursprungs; er . . ist schwarz mit muschligem Bruch; Ebeling 1869 Neue Bilder a. Paris I 191 Asphalttrottoirs; Kürnberger 1877 Herzenssachen 117 Asphalt der hergebrachten Gefühle; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 120 So trat er mit seinen Begleitern hinaus auf den von elektrischem Licht überstrahlten Asphalt; ebd. 134 Mit dem Winter flutete „tout Berlin" wieder zurück auf den großstädtischen Asphalt; Nordau 1881 Paris I 194 der Panzer des Asphaltpflasters ist nicht stark genug, um die überquellende Keimkraft der Erde am Durchbruch zu verhindern; Lindenberg 1883 Berlin I 16 die Reinigungswagen fahren langsam auf dem Asphalt dahin; Sommerfeld 1894 Wetter 52 Du Blume auf dem Steinasphalt; T/7. Mann 1909 Hoheit (W. H 9) sein Säbel klirrt auf dem Asphalt; Thoma 1916 Br. 149 mit einer auf Anschauung und Erfahrung beruhenden gründlichen Abneigung gegen die Asphaltkultur; 1925 Fortunatus VII 5 Wir stehen unter dem Zeichen der seelenmordenden Asphalrkultur; Voss. Ztg. 13.3.1929 Der Asphalt, das Großstadtleben, das Hochstaplermilieu [in einem Film]; ebd. 22.11.1929 Anno 69 erhielten einige Straßen Berlins den ersten Asphaltüberzug. 1878 stellte die Polizei Erhebungen über die sich mehrenden Unfälle auf dem glatten Asphalt an; 1930 Süddtsch. Monatsh. XXVII 530 Mag der asphaltgeschwängerte Zeitgeist noch jahrzehntelang mit seinen giftigen Schwaden die Gehirne benebeln; Musil 1930 Mann I 114 Es war ein Asphaltfrühling, ein jahreszeitenloser Frühlingstag im Herbst, wie ihn die Städte hervorzaubern; Welt am Abend 20.9.1932 Die Berliner wird es interessieren zu hören, daß die Stadt Paris den Kampf gegen den „Rutschasphalt" mit großer Energie aufgenommen hat; Lokal-Anz. 8.1.1933 Asphalt, auch Bitumen genannt . . wird heute hauptsächlich auf Trinidad, in Venezuela und Texas gewonnen, aber auch in erheblichen Mengen künstlich hergestellt; Berl. lllustr. Nachtausg. 11.5.1933 Vor genau 60 Jahren erhielt die Krausenstraße als erste Straße Berlins Asphaltpflaster; Steglitzer Anz. 15.9.1933 Das Monopol des Schrifttums hatten ja die Asphaltliteraten; 1934 Börsenbl. f. d. dtsch. Buchhandel XI 40 Hinweg drum mit der Vielleserei und Neuigkeitssucht, hinweg mit dem nivellierenden Pluralismus und der internationalen Asphaltliteratur, hin zu Volksdichtung in ihrer volkhaften Verwurzelung und

Asphalt gnadenreichen Mannigfaltigkeit!; Dtsch. AZ, 8.8.1935 Die Radfahrwege werden aus Hartgußasphalt oder aus Asphaltplatten auf einen 8 Zentimeter starken Unterbau geschaffen werden; Koch 1938 Geist 216 Gegen das, was als übles Großstadtwesen sich entwickelt hatte, vor allem gegen die um sich greifende Asphaltliteratur, brechen jetzt Kräfte aus den Bundesländern vor; 1940 Münchnerin 222 Asphaltdamen; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. 730) während man . . im modernen Massengeist arbeitet und auch nicht anders kann, . . schimpft [man] auf den Asphaltgeist, den man aufs gemeinste verkörpert; 1949 Synopsis 418 Was von spezifischer Großstadtkunst, „Asphaltkunst", zu halten ist, wissen wir; Süddtsch. Ztg. 13.4.1950 Das Freimaurertum rührt sich wieder gewaltig und was die Zeitschriften, besonders die importierten, an Asphaltgeist bringen, ist wirklich entsetzlich; ebd. 26.4.1950 Er .. wurde .. erstmals Münchner Meister auf Asphaltbahn; Röpke 1950 Mass 10 Überall haben sich mehr und mehr Menschen angewöhnt, mit dem Wort „Liberalismus" die Vorstellung egoistischer Engherzigkeit, satter Bürgerlichkeit ,. . zersetzender Asphaltkultur . . zu verbinden; Muschg 1958 Zerstörung 31 Die Ironie dieses Aufstands gegen die „Asphaltlitaratur" war, daß er den literarischen Betrieb als das Verwerfliche schlechthin erklärte, ihn aber durch einen wahren Leviathan der Organisation ersetzte, deren Günstlinge auch nichts anderes wollten als Karriere; Münch. Stadtanz. 17.4. 1959 „grüne Lungen" zur Erholung und Freude des „Asphaltmenschen" schaffen; 1962 Weimarer Republik 214 Berliner Asphaltpresse; Grass 1962 Blechtrommel 333 [die] Fahrt, erst über Kopfsteinpflaster, dann über Asphalt mit Schlaglöchern; Schnurre 1964 Schreibtisch 47 zum risseversehrten, betonbubikopfüberdachten Asphaltantlitz Berlins; ND 13.6.1969 bei internationalen Einzelturnieren im Asphaltkegeln; Welt 3.9. 1974 Rom ist kein schattiger Wanderweg, sondern Asphalt, Staub und Hitze; Kinski 1975 Erdbeermund 67 Ich muß zurück in meinen Asphaltdschungel (DUDEN 1993); MM 20.6.1978 Die Rolle des Wahrsagers spielte . . ein Kioskverkäufer von . . Asphaltblättern; Vesper 1978 Reise 129 Die Asphaltliteraten in Berlin haben . . alle Werte zu zersetzen versucht (DUDEN 1993); MM 28.1. 1985 man klagte über seine „höhnende Illusionslosigkeit", jammerte scheinheilig über den „Pessimismus" seiner Romane und bekämpfte den Autor als Prototyp des „Asphaltliteratur"; Zeit 29.3.1985, Lit.beil. die Schauplätze erinnern an den Asphaltdschungel im Los Angeles der dreißiger Jahre; MM 4.4.1985 die zwei schweren Frosteinbrüche und der harte lange Winter, haben den Asphalt vielerorts zum Bersten gebracht; Zeit 31.1.1986

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Asphaltschneisen durchschnitten Städte und Dörfer; ebd. 21.6.1985 Büsche und Unkraut schießen aus aufgerissenem Asphalt in die Höhe; ebd. 3.10. 1986 Holly, eine erfolglose Schauspielerin und nervöse Asphaltblüte; MM 2.7.1987 im Asphaltdschungel einer Großstadt; Süddtsch. Ztg. 27.128.3. 1993 schon [veranschlagt] der Verkehrsminister Milliarden für bessere und breitere Asphaltpisten, liegen die ersten Baumleichen hinter den Leitplanken; ebd. 16.2.1994 „Urgestein ist mir näher als Asphalt", pflegt der Schweizer Verkehrsminister Adolf Ogi zu sagen. asphalten: Nordau 1881 Paris I 85 Die Spaziergänger auf dem asphaltenen Trottoir; Burte 1912 Wiltfeber 65 In der Stadt, . . wo alles asphalten und backsteinen und eisern ist, . . da lohnt es sich nicht, zu leben; Becher 1920 Aufruhr 26 Auf asphaltenen Flüssen zögen leer mechanisch Kähne; Miller 1950 Köpfe 189 Andre Gide fing mit asphaltnen Melancholien . . an; Wiens 1968 Dienstgeheimnis 136 Die leidenschaften der erde,/ in runzeln, erkaltet, erstarrt,/ asphaltene schäume,/ die wir touristisch berollen. Asphalteur: Weber 1910 Kapital u. Arbeit 259 Asphalteure. asphaltieren: Rathenau 1883 Br. I 10 der Weg zur Hölle ist ja mit guten Vorsätzen asphaltiert; Land 1890 Gott 96 Während die vornehmen Straßen asphaltiert seien; Fontäne 1894 Kinder/ahre 57 Noch jetzt nähre ich mich, oder doch wenigstens meine Nerven, mit Vorliebe von dem Erdpechqualm, der mitunter durch unsere neu zu asphaltierenden Berliner Straßen zieht; 1925 Sachs. Dorfgeschichten 18 Rauchschwaden und Drähten, die wie Spinnengespinste über dem Gewirr der asphaltierten Strassen hingen; Heyck 1928 Aussenseiter 57 das graue Elend des asphaltierten Jahrhunderts; National-Ztg. 3.6.1931 Genau zehn Jahre dauerte es, bis die Hauptverkehrsstraßen Berlins asphaltiert waren; Lokal-Anz. 4. 9. 1934 In Athen ist es ein Vergnügen, auf den asphaltierten Straßen den ganzen Tag über zu wandern; Hamb. Tagehl. 6.2.1939 Wenn wir heute über asphaltierte Autostraßen dahinflitzen, denken wir nicht daran, daß der Asphalt, zum Straßenpflaster verwendet, sein Hundertjahr-Jubiläum begeht; Münch. N. N. 1./2.6.1941 Die Straße nach Canea ist verhältnismäßig gut, teilweise sogar asphaltiert; Süddtsch. Ztg. 27. 9.1946 diese Dörfer, Weiler und einschichtigen Höfe haben sich gegen die Überfremdung der letzten Jahrzehnte, die auch eine kulturelle (oft genug eine asphaltierte Unkultur) ist, kraftvoll gehalten; T/?. Mann 1947 Faustus (W. VI 594) die stille Monumental-Chaussee (seit Jahren freilich durch-

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aus asphaltiert); Grzimek 1959 Serengeti 32 Der Apfelbutzen fällt tief hinunter auf die schöne asphaltierte Straße; Partner 1964 Erben 92 asphaltierte Straßen kurven hinab; Welt 3.12.1969 über gut asphaltierte Straßen fahren wir; Schädlich 1977 Nähe 14 leichter ist es, . . unter sonnigem Himmel die asphaltierte Straße entlangzugehen; Zeit 4.1.1985 der Kunstpark verdeckt einen unasphaltierten Platz; MM 19.1.1985 schon fast zehn Prozent der Fläche unseres Landes [sind] asphaltiert und betoniert; Stern 14.5.1987 auf einem großen, asphaltierten Platz übt eine Hundertschaft für die nächsten Demonstrationen; MM 18.5.1988 ein elektrischer Rollstuhl braucht ebene, am besten asphaltierte Wege; Spiegel 15.2.1993 Die Dorfstraße wurde asphaltiert; ebd. 7.2.1994 Die Hauptstraße und die Zufahrt zur Zeche sind asphaltiert. Asphaltierer: Hirschberg 1897 Soz. Lage 13 Asphaltierer; Kimmel 1936 Ost. Staatsbürgerb. 374 Asphaltierer, Isolierer und Schwarzdecker; Berl. Ztg. 27.11.1966 Ich bin Asphaltierer, also Straßenbauarbeiter. Asphaltierung: Lindenberg 1883 Berlin 49 Asphaltierung und Holzpflasterung dieser Strassen; Goldschmidt 1910 Berlin 304 Holzpflaster wird . . jetzt nur noch da gelegt, wo geräuschloses Pflaster nötig, aber Asphaltierung nicht geeignet ist; Janitsckek 1912 Ehen 154 Asphaltierung der Strassen;

Kellermann 1948 Totentanz 206 Sein Freund Taubenhaus wählte konsequent nur die teuersten Firmen für die Asphaltierung der Straßen; Böll 1959 Waage 15 Rechts und links von der defekten Asphaltierung waren winzige Vorgartendreiecke; Gutschick 1971 Forstbetriebsdienst o. S. Grundwasserabsenkungen, Asphaltierung und Betonierung des Wurzelbereichs; MM 13.6.1986 jeder freut sich, daß die häßliche Asphaltierung den Kopfsteinpflaster-Gäßchen in Taxco bislang nicht den Garaus machen durfte; ebd. 6. 9.1986 Asphaltierung einer Sommertrainingsstrecke. asphaltig: Musil 1930 Mann 352 Im Kleid einer ungewöhnlich angezogenen Frau, . . im hingebreiteten Bunten eines großen Gemüsemarkts, in der graubraun asphaltigen Luft der Straßen, diesem weichen Luftasphalt. asphaltisch: Schildknecht 1652 Harmonia l 4 mit Asphaltischem Bitumien; 1746 Leben i. Frankfurt a. M. /// 68 diejenige Asphaltische Wagenschmiere, welche aus dem Bergwerck la Sablonniere im untern Elsaß gelegen, gezogen wird; Schiller 1797 W. (Nat.) l 313 Ein asphaltischer Sumpf bezeichnet hier noch die Stätte,/ Wo Jerusalem stand, das uns Torquato besang; Schubert 1839 Morgenland III 86 Auch wir . . bemerkten nichts von einem asphaltischen oder schweflichten Dampfe, den die Einbildungskraft mancher früherer Pilgrime und noch fortwährend die der Beduinen dem todten Meere beilegte.

aspirieren V. (in)trans., Mitte 16. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. aspirer, über mlat. aspirare 'wehen, (an)hauchen; etwas erstreben', entlehnt aus lat. aspirare 'an-, einhauchen; einen Laut behauchen; sich einer Sache oder Person nähern, zu etwas zu gelangen suchen' (aus ad- 'zu, an, hin' und spirare 'hauchen, atmen'), anfangs vereinzelt auch asperiren. l Zunächst, vereinzelt bis ins frühe 20. Jh., heute nur noch im Österr. üblich in der Bed. 'nach etwas, bes. einem Posten, einer Stellung streben, sich auf etwas Hoffnung machen, sich um etwas bewerben, etwas erstreben', z. B. nach, zu etwas aspirieren, österr. auf etwas aspirieren. Dazu die im späten 18. Jh. aus gleichbed. frz. aspirant (subst. Part. Präs, von frz. aspirer 'an-, einhauchen; etwas anstreben') entlehnte subst. Ableitung Aspirant M. (-en; -en), auch Aspirantin F. (-; -nen), vereinzelt in der veralteten Form Adspirant, zunächst in der heute nur noch im Österr. üblichen Bed. 'jmd, der sich um etwas bewirbt, bes. Anwärter auf einen Posten, Bewerber um eine Stellung', etwa gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Lehrstellen-, Macht-, Meisterschafts-, Offiziers-, Partnerschafts-, Präsidentschafts-, Staatsdienst-, Thron-, Wohnungsaspirant; auch für 'jmd., der eine akademische Prüfung ablegen möchte, Kandidat, Bewerber um einen Titel' (s. Belege 1811, 1954); von Mitte 20. Jh. bis gegen Ende der 80er Jahre, bes. in der DDR, unter Einfluß von gleichbed. russ. aspirant für 'Wissenschaftler mit

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abgeschlossener Hochschulbildung, der in die Aspirantur aufgenommen wurde und sich auf den Erwerb eines höheren akademischen Grades vorbereitete', z. B. ein wissenschaftlicher Aspirant; er war Aspirant an der Humboldt-Universität, am Institut für Mikrobiologie; dazu die aus gleichbed. russ. aspirantura entlehnte subst. Ableitung Aspirantur F. (-; -en) 'Ausbildungsweg des wissenschaftlichen Nachwuchses, der Wissenschaftlern mit abgeschlossenem Hochschulstudium die Möglichkeit bot, sich auf den Erwerb eines höheren akademischen Grades vorzubereiten', z. B. eine wissenschaftliche Aspirantur; eine Aspirantur haben; in der Aspirantur sein; in die Aspirantur aufgenommen werden. 2 Seit frühem 18. Jh. in der Bed. 'einen Laut mit einem h-Laut aussprechen, einen Laut behauchen', z. B. Laute aspirieren, meist in der adj. verwendeten Part. Perf.-Form aspiriert, in Wendungen wie aspirierte Verschlußlaute, Tenues, Medien; vgl. die im späteren 17. Jh. von Schottel mit Hauchlaut übersetzten lat. Syntagmen aspirans tonus, litera aspirans. Schon seit früherem 16. Jh. das über gleichbed. mlat. aspirata aus lat. aspirata (nota), aspirata (litera) 'Hauchlautzeichen' entlehnte Subst. Aspirata F. (-; Aspiraten/Aspiratae) für 'behauchter Verschlußlaut', das im späteren 19. Jh. gebuchte Adj. aspirativ 'mit Behauchung auszusprechen, behaucht' und das in neuester Zeit gebuchte gleichbed. Adj. aspiratorisch. 3 Seit spätem 19. Jh. in der Fachsprache der Medizin für 'gasförmige, flüssige oder feste Fremdkörper in die Luftröhre, Bronchien oder Lunge einatmen' und in der Fachsprache der Technik für 'gasförmige, flüssige oder feste Stoffe ansaugen'. Dazu seit späterem 19. Jh. das eventuell in Anlehnung an mlat. aspirator 'Inspirator, Urheber' und gleichbed. lat. aspirator in den Fachsprachen der Medizin und Technik gebildete Subst. Aspirator M. (-s; Aspiratoren) für 'Vorrichtung zum Absaugen von Gasen, die bei chemischen Experimenten oder industriellen Verfahren entstehen, Luft-, Gasansauger' und das etwa gleichzeitig aus gleichbed. frz. aspirateur entlehnte Subst. Aspirateur M. (-s; -e) für 'Maschine, die in Müllereibetrieben das Getreide vor dem Mahlen durch Siebe und unter Luftzug reinigt'. Dazu seit frühem 16. Jh. das über mlat. aspiratio 'Atem, Anhauch; Hauchlaut; Inspiration; Verlangen, Bestreben' aus flekt. Form von gleichbed. lat. aspiratio entlehnte Subst. Aspiration F. (-; -en), anfangs in lat. (flekt.) Form und im 18. Jh. selten in der Schreibung Aspirazion, zunächst in der Bed. 'Aussprache eines Verschlußlautes mit Behauchung', z. B. die Aspiration der Tenues (zu 2); seit Mitte 19. Jh. für 'Bewerbung für eine Stelle, einen Posten; Anwartschaft auf eine Kandidatur'; gleichzeitig auch übertragen verwendet für 'Bestrebung, Interesse, Ambition, ehrgeiziger Plan', z. B. nationale, politische Aspirationen; Aspirationen auf/nach etwas haben (zu 1); seit spätem 19. Jh. in der Fachsprache der Medizin für 'das Ansaugen gasförmiger, flüssiger oder fester Fremdkörper in die Luftröhre, Bronchien oder Lunge', z. B. die Gefahr der Aspiration bei Bewußtlosen (s. Belege 1888, 1970, 1986), gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Aspirationsnadel, -pneumonie, -versuch; etwa gleichzeitig in der Fachsprache der Technik für 'das Absaugen gasförmiger, flüssiger oder fester Stoffe, die bei chemischen Experimenten oder industriellen Verfahren entstehen', zugleich in der Fachsprache der Meteorologie als Bestimmungswort in Zss. wie Aspirationshygrometer, -instrument, -thermometer; -psychrometer 'Gerät zur Bestimmung der Luftfeuchtigkeit' (zu 3).

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aspirieren 1: 1546 Urkundensamml. Univ. Mark. H. 45 so sol derwegen der prefectus achtung darauf haben, das man der jugent den zäum nicht zulang lasse, dan sonst ein yder ad studia miscella etwa aspiriren, vnd allerley seinem lusten nach .. zulernen sich vnderstehen, vnd also das predigampt vnd kirchendienst fliehen wurde; vor 1661 Samml. wirzburg. Landesverordn. I 259a Das Examen und Befähigung der zum geistlichen Stand aspirirenden Candidaten betreffend; Ettner 1700 Apothecker 902 denn sie [die Seele] aspirirte ja allezeit was gut und Gott wohlgefällig seyn mag; Wächtler 1709 Manual 42 Aspiriren/ nach etwas trachten; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 315 dahero der meiste Theil aus den Menschen nach der Ehr aspiriren . . Die Ehr ist eine Seel/ die alle Glieder macht aspiriren; Dann wegen der Ehr wachen die Augen/ laustem die Ohren/ redet die Zung/ gehen die Fuß/ arbeiten die Hand. Alles aspirirt nach der Ehr; Köhler 1714 Kern-Chronicke U 362 Allermassen Wir dann . . auch wegen des ihme [dem Verwalter] zu adjungiren intendirenden Stiffts-Schreibers . . nach erhaltenen Gutachten . . über der hierzu aspirirenden Competenten Capazität und fernerweitig revolviren werden; Sperander 1727 A la mod Sprach 51 Aspiriren, wornach trachten, begierig nach etwas seyn, nach etwas streben; 1746 Egerer Zunftordn. 86 Ereignete sich aber der Fall, daß des abgelebten Meisters hinterlassener unmündiger Sohn zu seines Vatters Werckstatt aspiriret; Goethe 1773 Br. (WA IV 2,99) ein junger Mann wie ihr [J. C. Kestner] muss hoffen, muss auf den besten Platz aspiriren; Marx/Engels 1852 Die großen Männer d. Exils (MEW VIII 271) Später aspirierte er vergeblich, zum auswärtigen Minister ernannt zu werden; Th. Mann 1939 Lotte (W. 347) der Geheime Landkammerrat, der auf den Kammerdirektor in großherzoglichen Diensten aspirierte; Tages Anzeiger 10.7. 1982 Crews, die auf die WM-Teilnahme aspirieren (DUDEN 1993). Aspirant: Hamann 1777 Briefw. Ill 299 wo mein Nebenbuhler als ein würdiger Aspirant . . vorgeschlagen [ward]; Wieland um 1780 S. W. XXXV 68 Wie viel sie einem Aspiranten von ihren Geheimnissen mittheilen wollten (KEHREIN); Musäus 1787—88 Märchen l 86 Amarin, dessen Außenseite ihn eben nicht empfahl, denn er hatte völlig das Ansehen eines Vagabunden, mußte seine ganze Beredsamkeit . . annehmen, um unter die Aspiranten der Kochbestallung aufgenommen zu werden; Bürger 1791 Gedichte // 131 Die Aspiranten und der Dichter. Die Aspiranten. Du Göttlicher, wie geht es zu, Daß deine Lieder so behagen; Wir quälen uns zu ganzen Tagen, Zu ganzen Nächten, sonder Ruh . . Und dennoch wollen unsre Schuh Uns nicht wie dich zum Ruhme tragen; Hip-

pel 1793 S. W. VIII 365 brachte der Hauptmann .. ihm doch in der Quer eine große Meinung von der . . Freimaurerei bei und nahm es über sich, ihn in . . als Aspiranten in die Rolle einzeichnen zu lassen, wodurch er edle Zeit gewänne . . da in der Loge zum hohen Licht . . niemand auf- und angenommen würde, der nicht zuvor drei Jahre . . auf der Exspectanten-Liste gestanden hätte; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 28,43) . . Der Aspirant habe sich der Facultät als einen denkenden jungen Mann gezeigt, von dem sie das Beste hoffen dürfe; sie wolle mich gern . . über Theses disputiren lassen; ders. 1816 Tagebücher (WA III 5,271) Um 11 Uhr Berathung mit Hofr. Meyer wegen der von den Schülern des Zeicheninstituts eingereichten Proben ihrer Fertigkeit. Translocanten und Aspiranten bestimmt; Lang 1817 Reise l 7 Ersuche daher alle Kaiser und Exkaiser, Könige und Vicekönige, . . Staatsdienst-Aspiranten und Exspiranten . . gegen Beobachtung des Reciprokums für sein Geld essen, trinken, schlafen, gehen, reiten und fahren zu lassen; Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 25.1,86) Wilhelm, der als nächster Aspirant gleichfalls berufen wurde [zu einer anatomischen Übung]; 1828 Baier. Int'Bl. (Isar) 305 Die Prüfung der Adspiranten zu den Bau- und WerkmeisterStellen in den Städten I. Classe betreffend; 1829 Eos Beil. z. Nr. 36,4 Staatsdienst-Adspiranten [in Bayern]; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 17 In dieser Mannigfaltigkeit liegt der Grund, weshalb „Offiziersaspiranten und intelligentere Freiwillige", behufs Ausbildung, zuerst bei der Festungsartillerie eingestellt .. werden; Holtet 1863 Letzte Komödiant II 34 zur hörbar symbolischen Weihe lassen Sie, teuerster Kapellmeister, unsere holde Aspirantin ein Liedchen singen; Engels 1864 Engl. Armee (MEW XV 607) Die Offiziere rekrutieren sich aus allen gebildeten Klassen der Nation. Viel theoretische Schulbildung wird von den Aspiranten nicht verlangt . . Sprachenkenntnisse . . nur wenige und dabei ist dem Aspiranten eine große Freiheit der Wahl zwischen mehreren europäischen und indischen Sprachen gelassen; Marx 1878 Br. (MEW XXXIV 78) Vor seiner Abreise hatten bei ihm verschiedne „diplomatische" Aspiranten unter seinen Moskauer Studenten Examen zu passieren; Derblieb 1889 Militärarzt l 90 daß der Vater des Untersuchten den Habitus eines Tuberkulösen zeige . . was später einmal üble Folgen für den Aspiranten haben könnte; Zapp 1896 Off'töchter I 63 so erkundigte sie sich, von wem die Anstellung der Aspirantinnen abhänge. „Vom Regierungsrath Weiler", sagte man ihr; Münch. N.N. 27.10.1944 John Foster Dulles . . der allgemein als der aussichtsreichste Aspirant auf den Posten des Außenministers, als Nachfolger Hulls im Staatsdepartement, gilt; Welt 30.10.1954 in vier Klassen fand

aspirieren sich nicht ein einziger Aspirant für die Medizin; 1958 Luzerner Tagebl. Nr. 136 sind doch von 3600 Interessenten für den Pilotenberuf schließlich noch ganze zwölf als Aspiranten aufgeboten worden; Offenburger Tagebl. 14.4.1966 Der Unterricht war so aufgebaut, daß man die Schüler, alle aktive Chorsänger, zunächst mit dem theoretischen Rüstzeug eines Dirigenten vertraut machte, ehe sich die „Aspiranten" [Chorleiter] am lebenden Objekt versuchten; FAZ 12.2.1966 Maaß war vor 1963 wissenschaftlicher Aspirant am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralmonitee der SED; Zeit 22.2.1985 angesichts der 88000 arbeitslosen Akademiker beschert der Gedanke, einen Job auszuschlagen, um in weiteren drei Jahren den Doktorhut zu erringen, so manchem Aspiranten ein flaues Gefühl in der Magengegend; ebd. 13.9.1985 wenn die Aspiranten mit gespitztem (weichem) Bleistift vor den Aufgaben sitzen, sollen sie ihr „Gedächtnis für figurales Material", ihre „Fähigkeit zu sorgfältigem Arbeiten" und ein „Gefühl für feine sprachliche Bedeutungsunterschiede" unter Beweis stellen; Stern 16. 6. 1987 denn das seit 1939 geltende Heilpraktikergesetz schreibt lediglich vor, daß der Aspirant vom Amtsarzt überprüft werden muß, ob er „keine Gefahr für die Volksgesundheit" darstellt; Spiegel 30.7. 1990 Doch jeder Aspirant für eine Amtsleiterstelle wird von den Stadtverordneten mißtrauisch beäugt. Aspirantur: 1953 Wiss. Annalen XII 184 Aspirantur an der Humboldt-Universität 1948-1952; ND 3.10.1953 durch eine dreijährige Aspirantur an der Universität . . [die] wissenschaftlichen Kenntnisse weiter erhöhen; 3955 Mitteilungsbl. d. DAW /V/V 3 In diesem Zusammenhang kommt der Einrichtung der wissenschaftlichen Aspirantur an der Akademie größte Bedeutung zu; 1955 Altertum I 247 Die Einführung der Aspirantur, die große Anzahl qualifizierter Hilfskräfte sowie das wissenschaftliche Niveau der neuen Absolventen bieten die Gewähr, der Zukunft mit Vertrauen entgegenzusehen; i956 Wiss. Annnalen I 131 Für die Heranbildung von Wissenschaftlern wurde die „Aspirantur" geschaffen. Aspiration: Schücking um 1850 Fr. N. I 8 Die Erfüllung all seiner Hoffnungen und Aspirationen; Engels 1869 Br. (MEW XXXII 410) Irland ist noch immer die sacra insula, deren Aspirationen ja nicht mit den profanen Klassenkämpfen der übrigen sündigen Welt dürfen zusammengeworfen werden; Nordau 1881 Paris II [der] Verfasser [der Neuen Soldatenlieder], Deroulede, der seitdem der .. bevollmächtigte Sänger der nationalen Aspirationen geworden ist; ders. 1881 Kreml 11 Wüßte das eine Volk, was die politischen und sozialen Ideale des

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ändern, was seine Errungenschaften und Aspirationen sind, welche Beschleunigung würde der Fortschritt erfahren, um wie viel schwerer würde den Feinden der Völkeremanzipation ihr Werk gemacht!; ebd. 160 Die Popularität der Dynastien ist also das Haupthinderniß praktischer Verwirklichung der Aspirationen nach der skandinavischen Union; Lamn 1893 RUSS. Zustände II 19 [das] Bewußtsein der Ohnmacht verstärkt nur das Gefühl des Hasses, das die meisten Armenier gegen die russische Regierung beseelt, die sich planmäßig bemüht, die nationale Kirche und damit die letzte Citadelle der Überlieferungen, Hoffnungen und Aspirationen eines tapferen Volkes wegzufegen; Engels 1894 Bauern/rage (MEW XXII 485) Die unklaren sozialistischen Aspirationen der Februarrevolution 1848; Engels 1895 Klassenkämpfe i. Frankr. Einl. (MEW XXII 516) Der imperialistische Rückschlag von 1851 gab einen neuen Beweis von der Unreife der proletarischen Aspirationen jener Zeit; Suttner 1896 Die poetischen Aspirationen ihres Herzens fanden keinen Widerhall bei ihm; Kraus 1899 Br., Beil. Nr. 26 [politische] Aspirationen; 1903 Preuss. Jahrb. CXIH 363 die sogenannten „nationalen Aspirationen"; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 208 höhere geistige Aspirationen; 1925 Stimmen d. Zeit 393 „Aspirationen" auf Triest; Bülow 1916 Dtsch. Politik 36 Verträge sind nur dann haltbar, wenn sie der Ausdruck des gegenseitigen Interessenverhältnisses und der beiderseitigen Aspirationen sind; 1916 Deutschland H 698 [die] „nationalen Aspirationen" [Italiens]; Wilhelm II. 1922 Ereignisse 13 die russischen Aspirationen; 1922—23 Schweizer. Monatsh. II 309 Aspirationen des italienischen Nationalismus; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 590) ihn erbitterten die nationalen Aspirationen des Böhmen; ders. 1925 Reden u. Aufs. (W. X 195) Schönheit . . ist heute . . eine allgemein jugendlich-menschliche, also nicht nur weibliche Aspiration und Idee; ebd. wo diese Aspiration und Idee im Spiele ist, da ist der reine und rohe Begriff des Männlichen seelisch nicht haltbar; ders. 1928 Reden u. Aufs. (W. X 237) die moralische Qual und Aspiration dieses erschütternden Lebens [Tolstois]; Huizinga 1933 Naturbild 149 In all diesen Fällen erklang der Name schon, während die Erscheinung sich vollzog als Aspiration der Zeitgenossen; Trierische Landesztg. 30.10.1934 Schon vor der Besitzergreifung durch Frankreich im Jahre 1881, mit der es den römischen Aspirationen zuvorkam, hatten sich viele Italiener im Lande des Bey angesiedelt; Th. Mann 1935 Nachtr. (W. XIII 837) die Bahn eines Künstlergeistes von tiefem Ernst und hohen Aspirationen; Dtsch. AZ. 6.1.1935 Die Tschechoslowakei wolle ihre nationalen Aspirationen ohne Eroberung eines neuen Landes ver-

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aspirieren

wirklichen und brauche auch keinen Krieg; ebd. 2.12.1938 Die „Aspirationen" Italiens,. . seien auf den Schutz aller Menschen italienischer Rasse und auf die vollständige Auswertung des Imperiums gerichtet; Frankf. Ztg. 8.1.1939 Der Komplex von Problemen jedoch, der mit den Zurufen in der fascistischen Kammer angedeutet wurde und den Graf Ciano selbst durch die Worte „nationale Aspirationen" kennzeichnete; 1940 Berl. Monatsh. 239 unter dem Sammelnamen „nationale Aspirationen Italiens"; Nassauer Volksbl. 9.1. 1941 Er [Roosevelt] scheut sich nicht, Staaten, die nie eine Aktion auf dem amerikanischen Kontinent unternommen haben . . Aspirationen auf amerikanische Stützpunkte zu unterschieben; 1945 Freundesg. f. Korrodi 25 Studenten der Literatur und schriftstellerischen Aspirationen; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. IX 757) ein europäisches Deutschland, welches immer das Ziel meiner Wünsche und Bedürfnisse bildete, — sehr im Gegensatz zu dem „deutschen Europa", dieser Schreckensaspiration des deutschen Nationalismus, die mir von je ein Grauen war; Welt 27.1.1949 es ist ihm gelungen, Peruaner und Chilenen gegeneinander aufzuhetzen und die bolivianischen Aspirationen neu zu beleben; Weizsäcker 1950 Erinn. 306 [die] russischen Aspirationen; K. Mann 1952 Wendepunkt 412 Über die politischen Aktivitäten und Aspirationen des Papa dürftest du unterrichtet sein; 3954 Begegnungen 104 Ablehnung aller politischen Aspirationen; 1955 Bild. Kunst VI 412 Es ist die Zeit, die in die Gründerjahre wie ein Selbstrausch hineinstrebt. Er hört sie stöhnen, ächzen, schuften, wenn nur das Leben auf Hochtouren läuft. Aber ihre Aspirationen nach Genuß jeder Art gehen darüber hinweg; Fest 1973 Hitler 69 er habe sich zunächst, von seinen künstlerischen Aspirationen erfüllt, nur „nebenbei" für die Politik interessiert; Sloterdijk 1983 Kritik 371 „Kulturphilosophie" . . kann ja nicht mehr sein als „Aspiration": vergeblicher Anspruch, Großdenkerei und Weltanschauung im Stil des nicht enden wollenden 19. Jahrhunderts; Zeit 18.10.1985 über die vertraute Stereotypie weiblicher Aspirationen, Emotionen, Reaktionen, über die Atavismen des ewig Weiblichen; ebd. 27.6.1986 die Technik zur Befriedigung der Aspirationen des Flugreisenden; Süddtsch. Ztg. 24.11.1993 Das Zeitalter der heroischen Hochbauten . . ist endgültig vorbei. Es mangelt nicht nur am Geld für solche Unternehmen, sondern auch an einem passenden Architektur-Idiom, das den luftigen Aspirationen des Skyscrapers Ausdruck verleihen kann. aspirieren 2: Wahn 1720 Teutsche Orthographia 23 das ch ist ein asperiert oder scharff g; Abel 1786 Seelenlehre 172 Endlich ist jeder tenuis, aspirirt

oder mittlerer Art; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 12) Rußen und Polen . . aspiriren noch immer so, daß der wahre Ton ihrer Organisation nicht durch Buchstaben gemahlt werden kann; Goethe 1829 Naturwiss. Sehr. (WA U 13,469) Magnetische Behandlung. 1. Einfache. Ohne Manipulation. Das Aspiriren. Das Fixiren der Augen. Das Fixiren der Gedanken; Engels 1881—82 Frank. Zeit (MEW XIX 5O2) Dieser Konsonant [g] wird [im Niederländischen] wie ein stark aspiriertes gh gesprochen; ebd. XIX SOS Ein Teil der an der salischen Grenze liegenden Mundarten, so wie die bergische, hat für an- und inlautendes g ebenfalls aspiriertes gh, doch weicher als das niederländische; ebd. XIX 5O7 Dann aber ist der angeblich sächsische Bewohner des bergischen Industriebezirks vom Bewohner der Rheinebene, der mittelfränkisch sein soll, für den Nichteingeborenen absolut ununterscheidbar, außer an dem etwas härteren aspirierten gh, wo der andere j spricht; 2957 Forsch, u. Fortschr. IV 108 Als „aspiriert" oder „behaucht" bezeichnet man gewöhnlich die glottisweiten Vollverschlußlaleme [p, t, k]; 1985 Lex. Sprachwiss. Termini 33 Aspirierte Konsonanten (z. B. [ph], [th], [kh] haben z. B. im Deutschen und Englischen keinen eigenen Phonemwert; in anderen Sprachen . . dagegen stehen sie in phonologischer Opposition zu nicht aspirierten Konsonanten; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. I 180 Es können stimmlose . . und stimmhafte Laute . . aspiriert werden; ebd. 1181 Stark aspirierte Tenues . . nennt Jespersen . . beblasene, schwach aspirierte . . behauchte Verschlußlaute. E. A. Meyer . . ermittelt im Dt. und im Engl. auch aspirierte stimmlose Engenlaute . . Sommer . . setzt für das Griech. aspirierte gedehnte Konsonanten an. Aspirata: Meichßner 1538 Handbüchlin (Müller 1882 QuSchr. 160) Nach dem aber mein fürnemen nit ist/ in diesem büchlin lang darob zuo verharren/ was die uocales/ diphthongi/ consonantes/ liquidae/ und aspirate/ für kraft haben; Dunckelberg 1701 Schul-Zeiger 24 Nun aber führen die Asperatae Litterae , , 9 ihre Asperation hinter sich; ebd. 29 So verkehret auch die Endung -keit den vorhergehenden Asperatam ch in seinem Mediam g, als: fröhlich, daher Fröhligkeit; 1874 Meyer Konversationslex. H 50 Aspirata, gehauchter Buchstabe . . gehauchte Aussprache; J. Grimm 1882 Kl. Sehr. 309 bei aufzählung der ersten classe [derjenigen Adjektive, bei denen ein Konsonant dem Vokal der Wurzel folgt] wird theils die aspirata, theils spätere, unorganische geminata für einfach angesehen; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. l 181 Es gibt schwache und starke Aspiraten; diese entstehen, wenn dem Hauchlaut ein besonderer Impuls mitgeteilt wird; ebd. l 182 Bei Stellung

aspirieren einer Aspirata (oder auch des Hauchlauts) im Wortinneren spricht man von Binnen- oder Interaspiration. Aspiration: Emser 1525 Annotat. D 4b aspirationes; Kolross 1530 Enchiridion (Müller 1882 QuSchr. 72) dise vnd der glychen mit dem doppel o mag man ouch nit vnartlich mit der aspiration (das ist/ mit dem h) schryben/ also/ wohn/ lohn; Schottet 1663 Haubt Sprache l 23 [die Sachsen] per crebras aspirationes . . mit starkem hauchen die groben zusammenstossende Buchstaben hervor bringen; Grimmeishausen 1673 Simpl. 169 Andere haben drumb disputirt/ ob das H . . auch ein Buchstab: oder nur ein Nota aspirationis sey?; Abr. a S. Clara 1680 Gr. 38 der Mensch in Lateinischer Sprach genennet wird HOMO, der erste ist kein Buchstab zu nennen/ sondern das H ist nur ein aspiration (FRNHD. WB.); Dunckelberg 1701 Schul-Zeiger 24 Nun aber führen die Asperatae Litterae , , 3 ihre Asperation hinter sich; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 318 Die Gelehrten observiren nicht unrecht/ daß mitten in dem Wörtlein Ehr/ ein H. sey/ etwann darum/ dieweil das H. kein Buchstab/ sondern nur ein Aspiration genennt wird; dahero der meiste Theil aus den Menschen nach der Ehr aspiriren . . Die Ehr ist eine Seel/ die alle Glieder macht aspiriren; . . Alles aspirirt nach der Ehr/ daß nicht ohne Ursach mitten in dem Wörtlein Ehr ein H. folgends nichts sey/ als ein lautere Aspiration; Wahn 1720 Teutsche Orthographia 29 mit einer gelinden aspiration oder Hauch; Bödiker 1729 Grund-Sätze 18 Das Aspirations-h in dem ch, ph, th; ders. 1746 Grundsätze 20 Das Adspirations-H; Sperander 1727 A la mod Sprach 51 Adspiration, das Anblasen, Anhauchen, Athemholen, it. Einfluß der Gestirne, ferner eine Art der Aussprache; Wieland um 1750 S. W. XL/V 141 In den eben so häufigen und starken Aspirazionen (der deutschen Sprache) ist das muntere, kräftige und der anhaltendsten Anstrengung fähige desselben (Temperaments) ausgedrückt; Herderum 1770 S. W. XVII 37 Die Aspiration gehört so sehr zum Lieblichen der Rede, als der Seufzer zu den zärtlichen Worten des Liebhabers (beide KEHREIN); Beckmann 1784-88 Erfindungen II 278 Seine [des hochdeutsch redenden Plattdeutschen] Regel jedes deutsche p mit Aspiration auszusprechen, wie der Obersachse das leider immer noch nicht kan, war damals noch nicht erdacht; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 13) Nur erst bei den Griechen wurden diese lebendige Aspirationen in förmliche Vokale aufgefädelt, denen doch noch Spiritus u. s.w. zu Hülfe kommen musten; Engels 1881—82 Frank. Zeit (MEW XIX 515) Das charakteristische der mittelfränkischen Mundarten ist zunächst das Eindringen der hochdeutschen Verschiebung.

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Nicht der bloßen Verschiebung einiger Tenues zu Aspiraten, die sich auf verhältnismäßig wenige Worte erstreckt und den Charakter der Mundart nicht berührt, sondern die beginnende Verschiebung der Medien, die die eigentümlich mittel- und oberdeutsche Vermischung von b und p, g und k, d und t herbeiführt; Lewandowski 1973 Ling. Wb. I 67 Nach v. Essen ist die Aspiration im Dt. „redundantes Merkmal bestimmter Verschlußlaute" und bildet kein Phonem; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. I 181 In der modernen Sprachwissenschaft wird Aspiration nur noch von der Modifikation der Verschlußlaute gebraucht, die darin besteht, daß die Phonationsluft bei Weitstellung der Stimmbänder bis zur Artikulation des folgenden Lautes frei ausströmt. aspiratorisch: 1977 fremdwb. 75 aspiratorisch: mit Hauchlaut gesprochen; 1987 Brockhaus U 201 aspiratorisch .. mit Behauchung (Aspiration) gesprochen. aspirieren 3: Kamarsch/Heeren 1876 Techn. Wb. I 221 Im Grossen wendet man Asptratoren der genannten Art wohl nur selten an, dagegen bedient man sich, wo es gilt Gase zu aspiriren . . der sogenannten Exhaustoren oder Ventilatoren; 1964 Gr. Duden-Lex. I 351 aspirieren . . ansaugen (von Luft, Gasen, Flüssigkeiten u. a.; 1987 Brockhaus H 201 aspirieren . . ansaugen (Gase, Flüssigkeiten u. ä.). Aspirateur: 1933—36 Verd. techn. Frw. 33 Aspirateur . . Sauger , Windsichter; 1964 Gr. DudenLex. l 351 Aspirateur . . Maschine zum Reinigen des Getreides; 1975 dtv-Lex. l 225 Aspirateur .. Müllerei: Maschine zum Reinigen des Getreides von Spelzen, Staub u. dgl. mit Druckluft. Aspiration: Pierer 1888 Konversationslex. l 1364 In der Medizin heißt Aspiration s. v.w. Einsaugung; 1889 Landes- u. Volksforschung 275 Aspirationspsychrometer; Boruttau 1898 Physiologie 80 f. Sehr gering ist der Druck in den Venen . . in Folge der Aspiration des Thorax; 1909 Wir Luftschiffer 117 Aspirationsthermometer; Pschyrembel 1942 Klinisches Wb. 65 Aspiration: Ansaugung von Gasen oder Flüssigkeiten durch den negativen Druck verdünnter Luft; /964 Gr. Duden-Lex. I 351 Aspiration . . Ansaugung von gasförmigen Medien; Weidenbach 1970 Infektionen 134 so wird man beim Erwachsenen an einen Herzinfarkt denken müssen, . . beim Säugling an eine Aspiration; Zetkin/Schaldach 1974 Wb. d. Medizin I 118 Aspiration . . das Ansaugen von gasförmigen, flüssigen oder festen Stoffen infolge Unterdrucks. Eindringen von flüssigen oder festen Stoffen in die Trachea

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Assekuranz

oder Lunge bei der Einatmung, bes. bei Früh- oder Unreifgeborenen und bei Bewußtslosigkeit; ebd. Aspirationspneumonie . . entsteht durch Verlegung eines Bronchialastes infolge Aspiration von Fremdkörpern, Erbrochenem usw.; Zeit 24.10.1986 die Gefahr der Aspiration stellt eine direkte Bedrohung des Lebens dar; Pschyrembel 1986 Klinisches Wb. 139 Aspiration . . Ansaugen, Einatmen von Luft oder Flüssigkeit; Eindringen flüssiger oder fester Stoffe in die Atemwege; 1987 Brockhaus U 201 Aspiration . . Medizin: das Einatmen, auch Ansaugen flüssiger, fester oder gasförmiger Stoffe durch die Luftwege: erhöhte Gefahr der Aspiration bei Bewußtlosigkeit . . und bei unsachgemäßer Narkose. Aspirator: 1862 Meyer Konversationslex. U 178 Aspirator, Luftsauger; 1874 Meyer Konversationslex. II 50 Aspirator, Apparat zur Erzeugung eines

Luftstroms durch Saugen; Kamarsch/Heeren 1876 Techn. Wb. i 219 Aspirator . . Luftsauger, nennt man in der Regel jede Vorrichtung, die dazu dienen kann, Gase anzusaugen; ebd. Die meisten für diesen Zweck construirten Apparate gründen sich auf die Anwendung der saugenden Wirkung einer in einem unten offenen Gefässe fallenden Flüssigkeitssäule und können sonach als hydrostatische Aspiratoren bezeichnet werden; Pierer 1888 Konversationslex. 1364 Aspirator . . Vorrichtung, durch welche Luft oder ein anderes Gas angesogen und weiter befördert wird; 1924 Meyer Lex. l 992 Aspirator . . Apparat zur Erzeugung eines Luftstroms oder eines luftverdünnten Raums; 1964 Gr. Duden-Lex. I 351 Aspirator . . jede Vorrichtung zum Ansaugen und Fördern von Gasen, Flüssigkeiten u. a.; 1987 Brockhaus U 201 Aspirator . . Absaugvorrichtung für Gase, die bei chemischen Experimenten oder industriellen Verfahren entstehen.

Assekuranz F. (-; -en, früher vereinzelt Assekurantien), Mitte 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. assicuranza, assecuranza, assiguranza, mlat. assecurantia (zu ital. assicurare, mlat. assecurare, s. u.), anfangs selten in der verkürzten Nebenform Securantz(a), unter ital. und frz. Einfluß in den Schreibformen Assiguranza und Ass(e)urantz. Fachspr. im kaufmännischen Bereich in der Bed. 'Versicherung gegen Gefahr, Schaden, Verlust; Sicherheit, Bürgschaft', als Bestimmungswort in Zss. wie Assekuranzanstalt, -Beitrag, -brief, -fonds, -gebühren, -gesellschaft, -kammer, -kasse, -kompanie, -konzern, -Ordnung, -police, -prämie, -prinzip, -titel, -Verordnung, -vertrag, -wert, -wesen und Assekuranztheorie 'Theorie, nach der die an den Staat gezahlten Steuern gleichsam Versicherungsprämien für den vom Staat gewährten Personenund Eigentumsschutz sind'; als Grundwort in Zss. wie Alters-, Brand-, Feuer-, Friedens-, Lebens-, Privat-, Schiffs-, See-, Viehassekuranz und in mehrgliedrigen Zss. wie Brand-Assekuranz-Gesellschaft, Feuer-Assekuranz-Societät, See-AssekuranzCompanie. Vom früheren 17. bis ins späte 19. Jh. selten auch übertragen gebraucht für 'Sicherheit, Gewißheit über etwas' (s. Belege 1633, 1787-88, 1860). Dazu seit Mitte 16. Jh. das zugrundeliegende, aus gleichbed. ital. assicurare entlehnte, über mlat. assecurare 'durch Unterpfand sicherstellen' auf lat. ad- 'zu, an, hin' und securus 'sicher, sorglos' zurückgehende trans. Verb assekurieren, anfangs unter ital. und frz. Einfluß auch in den Schreibformen assicurieren und ass(e)urieren sowie in der verkürzten Nebenform securieren; zunächst in der Bed. 'etwas, bes. ein Schiff, gegen Gefahr, Schaden, Verlust versichern', dann auch für 'Besitz, jmdn., jmds. Leben versichern', oft in der adj. verwendeten Part. Perf.-Form assekuriert, auch un-, wohlassekuriert; etwa gleichzeitig auch für 'Sicherheit geben' (s. Belege 1627, 1633, 1823, 1831); im 19. Jh. durch versichern stark zurückgedrängt, heute veraltet, nur noch fachspr. verwendet. Dazu vom späteren 16. bis ins frühere 19. Jh. die Präfixbildungen verassekurieren, verassuriren und im 18. Jh. die vereinzelte subst. Ableitung Assekurierer M. (-s; -) 'jmd., der eine Versicherung abschließt'. Vom früheren 16. bis ins spätere 19. Jh. das aus gleichbed. ital. assicurazione, mlat. assecuratio entlehnte Subst. Assekuration F. (-; -en) 'Versicherung, Bürgschaft, Si-

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cherheit', als Bestimmungswort in Zss. wie Assekurationsanstalt, -brief, -gericht, -gesellschaft, -schein, -societal; als Grundwort in Zss. wie Brand-, Schadens-, Viehassekuration, vgl. auch ßrandassekurationsgesellschaft, -societät; selten auch übertragen gebraucht für 'Bezeugung' (s. Beleg 1864). Von Anfang 17. bis Anfang 19. Jh. das aus gleichbed. ital. assecuratore, assicuratore entlehnte Subst. Assekurator M. (-s; -en) 'jmd., der Versicherung leistet, Versicherer', vom späteren 17. bis Anfang 20. Jh. das zu mlat. assecurans, subst. Part. Präs, von assecurare, gebildete gleichbed. Subst. Assekurant M. (-en; -en), vom späteren 18. bis Mitte 19. Jh. die aus gleichbed. ital. assecurato, assicurato übernommene Personenbezeichnung Assekurat M. (-en; -en) 'Versicherter, Versicherungsnehmer', seit früherem 18. Jh. die französisierende Personenbezeichnung Assekuradeur, Assekurateur M. (-s; -s/-e) 'Versicherungsagent, der als Selbständiger für Versicherungsgesellschaften bes. an Seehandelsplätzen tätig ist', anfangs noch in den Schreibungen Assecurandeur, Assekuradör, Asserör, Assereur. Assekuranz: Meder 1558 Handel Buch lla Securantz; ebd. 26a Fracht und Securantza; Gamersfelder 1570 Buchhalten 6a solches gut hat mir obgedachter Franciscus Banawer gen Lisabona verassurirt/ dauon ich jm geben sol fl. 7 1/2 pro Cento für assurantz; 1611 Weiserfaktor 15 umb ein Camer von Assiguranza anzurichten (alle SCHIRMER, Kaufmannssprache); Friedrich 1633 Clytie l 131 Die gewisse eweres ableibens/ asseurantz, hat auch mit Euch/ alle ewern meriten gethane vota vnd affection zu gleich/ in das Grabtuch verhüllet; Nicolai 1633 a. Spiring (Sonden 299) In solcher hoffnung und asseurance lebe ich (beide JONES); Overheide 1657 Schreib-Kunst 223 Assecurantz, Versicherung; Spreng 1662 Wechßel-Pracktick 29 in Holland die Assecuranten mehr von der assecurance, von der Strat als von West-Indien nehmen; 1692 (Schück 1889 Kolonial-Politik U 420) See-Assecurantien (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Schurtz 1695 Kaufftnannschaft o. S. Police, Versicherungs- oder Assekurantz-Brieff; 1739 Hamb. Berichte 471 Assecuranzen der Kaufleute; Hübner 1709 Conversationslex. 112 Asseurance, ein See-Contract (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Marperger 1712 Naturlex. 370 Wesentliche, selbständige Rechnungen hingegen seynd, die Assecurantz, Bodmerey Schiffsparten, und die Rechnungen aller Personen und Sachen; ebd. 1383 In Frankreich aber ist eine weit längere Zeit, . . 3. bis 5. Jahr, in welcher Zeit es freylich mit der Assecurance zu einer Veränderung kommen kan; Rohr 1718 Staats-Klugheit 1039 Die teutschen manufacturiers haben vor den Holländern, die ihre Seide über See mit grosser Gefahr müssen holen lassen, viel Assekuranz-Gelder zu bezahlen; Sperander 1727 A la mod Sprach 51 Assecuranz, assecuration, ein gewisser Handel, oder Versicherung, da einer um eine verglichene Vergeltung, die man Premie nennet, alle Gefahr, Schaden und Verlust der

versendeten Schiffe und Güter übernimmt. Dieser Contract ist . . auch heut zu Tage nur in Seestädten, und bey der Seefahrt gebräuchlich. Es werden so wohl die Güter als das Schiff und dessen zugehör absonderlich versichert; 1733 Banquier l 475 Assecurans, wird genannt, wann ein Handelsmann die Gefahr von ändern zu Land oder See abgesandter Güter gegen ein gewisses Praemium übernimmt, und damit für der selben glückliche Uberkunft cavirt; 1739 Hamb. Berichte 471 Assecuranzen der Kaufleute; 1742 Diogenes I 692 wie die Engellische Assecurance-Gesellschaft sich für Wind und Wetter verbürget; Placius 1749 BriefBuch U 322 Assecuranz-Schein eines Fuhrmannes, der solche Waaren empfanget; Mendelssohn 1761 Philos. Sehr. H 245 In allen Arten von Glücksspielen, Wetten, Assekuranzen, Lotterien; Sonnenfels 1765 Polizey I 274 eine Gesellschaft, eine Bank übernimmt die Assekurantz der Häuser gegen eine jährliche Prämie; Möser 1767 S. W. / 143 [das ganze Land] leistete gleichsam die Assecuranz; Sonnenfels 1769 Polizey II 30 Man hat daher . . die Sicherstellung der Güter und Schiffe gegen eine verhältnismäßige Vergütung über sich genommen. Von dieser Sicherstellung hat das Geschafft den Namen Versicherung, Assekuranz; ebd. 11 291 In der Assekuranzpolize, muß der Werth der Waare ausgedrückt werden; Krünitz 1773 — 75 Oec. Enc. II 577 so haben patriotische Schriftsteller Vorschläge gethan, wie man auf eine ähnliche Art dergleichen Assecuranzen gegen Wasser-, Wetter-, Heuschrecken- und andere, die Feldfrüchte betreffende, Schäden einrichten könne; Adelung 1774 Versuch l 453 die Assecuranz, die Übernahme der Gefahr gegen Bezahlung, die Versicherung, ingleichen dasjenige Geld, welches man einem ändern dafür bezahlet, die Prämie; die Assecuranz-Anstalt, eine Verbindung mehrerer, anderer Gefahr gegen Bezahlung gemeinschaftlich zu übernehmen, die

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Assekuranz

Versicherungsanstalt; Basedow 1777 Pract. Philosophie i 331 Assecuranzen und Bodmerien sind Verträge zwischen zwey Personen, davon das Eigenthum der einen einem grossem Grade der Gefahr unterworfen ist; Hermes 1778 Sophiens Reise VI 212 Ich hatte schon hübsch Vermögen, und es fiel mir ein, etwas zu wagen; ich lies es also ohn Assecuranz abgehn; Beckmann 1783 — 86 Erfindungen I 204 Die Assecuranz, dieses vortreffliche Mittel, wodurch ein Verlust, der einen Kaufmann völlig unglücklich machen würde, unter viele vertheilet, und dadurch erträglich, fast unmerklich gemacht wird, wodurch Unternehmungen, welche das Vermögen einzelner Personen übersteigen, möglich, und Waaren der entferntesten Gegenden wohlfeiler gemacht werden; ebd. I 218 im J. 1567 . . das älteste Beyspiel einer Seeassecuranz; ebd. So viel ich weis, sind die noch daurenden Gesellschaften dieser Art (denn einzelne Personen haben schon viel früher die Assecuranz der Gebäude wider Brand übernommen) erst nach dem ersten Viertel des jetzigen Jahrhunderts errichtet worden; ebd. Eine heilsame Nachahmung der HandlungsAssecuranz ist die Einrichtung unserer Feuer-Assecuranzen oder Brandkassen; 1785 Handlungsbibliothek 109 Assecuranzen, die viele Millionen betragen; Musäus 1787—88 Volksmärchen III 4 Sie fand großen Trost und Beruhigung in der Assecuranz ihrer Liebe in jenem Leben; Forster 1788 S. Sehr. X/ 140 Dem englischen Handel widmet er einen . . Abschnitt, worin er von den Producten des Landes . ., den Assecuranzen, der Bank und ihren Geschäften spricht; Jean Paul 1794 S. W. / 3,339 zu nothwendigen Wahrheiten, die ohne die Assekuranz und Reassekuranz der Gründe angenommen werden müssen; Wölfling 1796 Reise II 27 Assecuranzsysteme zur Aufnahme und Unterstüzung des Weinbaues; 1797 Handlungshibliothek 119 Assecuranzen für Seeschäden; Goethe 1804 Br. (WA IV 17,133) [über Schadenhausens Brief und Rezension] Wir werden ihm die Urania wegen der Assecuranz passiren lassen; Holte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 373 allgemeine BrandschadensAssekuranz, welche nach den Grundsätzen der Phönixgesellschaft in London eingerichtet . . ist. Sie . . wird als ein gewagtes Geschäft, gleich ändern kaufmännischen Assekuranzen, -betrieben; Humboldt 1806 Br. (Ges. Sehr. XVI 54) 2100 rth. kosten die Kasten, die Emballage, und die Versendung [der Gipse] bis Livorno; und 1500 rth. etwa der fernere Transport und die Assecuranz; Brandes 1807 Lebensgesch. HI 104 Hier erhielt ich . . die mir sehr willkommene Nachricht, daß das Schiff . . bereits glücklich in Travemünde eingelaufen, und folglich die Prämie für die Assekuranz . . erspart worden sey; Busch 1808 Handlung l 319 ff. Versicherungen oder Assekuranzen; ebd. l 329 Asseku-

ranz auf Kasko; Campe 1808 Fremdwb. 133 Assecuranz, die Versicherung. Assecuranzcompagnie, eine Versicherungsgesellschaft, d. i. eine Gesellschaft, welche für eine verhältnißmäßige Belohnung sich dergestalt für Wasser- oder Feuergefahr verbürget, daß sie sich anheischig macht, den Werth der versicherten Güter, im Falle daß diese verunglücken, dem Einsetzer zu ersetzen; Mayr 1809 Gen.-lndex Baiern 29 weil . . das Vorhaben, aus der Assekuranz auszutretten, zuerst angezeigt werden muß; Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 25.2,133) Eine allgemeine Assekuranz ist errichtet . . ein mächtiger Grundbesitz, auf welchem die Möglichkeit der großen wandernden Gesellschaft beruht, deren einzelne Glieder . . gegen alle Unfälle gesichert sind, dagegen aber auch als denkbare zerstreute Colonisten aufs Vaterland günstig zurückwirken; 1838 Conversations lex. d. Gegenwart I 236 Nach Analogie der Brandassecuranzen sind die Versicherungsanstalten bei Hagelschaden, Viehseuchen u. s. w. gebildet; Marx 1843 Kritik d. Hegelschen Rechtsphilosophie (MEW I 269) Daß das Volk auf die Stände, in denen es selbst sich zu versichern glaubt, mehr Gewicht legt als auf die Insitutionen, die ohne sein Tun die Assekuranzen seiner Freiheit sein sollen; Rotteck/Welcker 1845-48 Staatslex. I 712 Assecuranz, Assecuration .. oder Assuranz .. Am häufigsten bedient man sich des Ausdrucks Assecuranz noch bei Seeversicherungen . . Man versteht unter Assecuranz oder Versicherung einen Vertrag, nach welchem Jemand gegen eine gewisse Vergeltung einem Ändern gegenüber eine gewisse Gefahr übernimmt; 1855 Prutz' Museum I 262 Die Regierung führt hier ein altes, oft discutirtes Project aus, indem sie die Remplacementscompagnien, welche nach den Grundsätzen der Assecuranz construirt waren, aufhebt, selbst das Geschäft in die Hände nimmt . . und aus dem Ueberschuß . . eine Dotationskasse für Pensionen an Invaliden und Witwen und Waisen der im Kriege Gefallenen stiftet; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen II 177 trotz dieser geistlichen Assecuranz [Anrufung des Schutzpatrons bei schlechtem Wetter]; Auerbach 1861 Gesellschaftswesen 224 einer auf Gegenseitigkeit gegründeten Assekuranz; Dahn 1870 Kriegsrecht 5 Assecuranz feindlicher Güter, Lieferungen an den Feind; Michelis 1872 Reiseschule 50 daß es eine „Assecuranz der Personen gegen Beschädigung auf der Reise" gibt; Stein 1872 Heerwesen 21 Das Heer ist die Assekuranz des Friedens; Marx 1875 Kritik d. Gothaer Programms (MEW XIX 19) Reserve- oder Assekuranzfonds gegen Mißfälle, Störungen durch Naturereignisse; Marx/Engels 1885-94 Kapital III (MEW XXV 914) Von den Reedern liegt es auf der Hand, daß ihre Profite mindestens die landesüblichen sein mußten, mit Extrazuschlag für Assekuranz, Ver-

Assekuranz schleiß der Schiffe; Harden 1927 Versailles 44 russische Assekuranz [im Dreibund für Deutschland]; Berl. Ztg. am Mittag 28.3.1930 Er erzählte mir, daß er Versicherungsbeamter sei, und wollte mich nun durchaus zu einer Assekuranz auf mein Leben bewegen; ND 29.4.3954 Reserve- oder Assekuranzfonds gegem Mißfälle, Störungen durch Naturereignisse; Baur 1956 Schriftspr. i. Öster. 92 Ferner ist das Fremdwort „Assekuranz" noch heute neben „Versicherung" zu hören; Partner 1964 Erben 268 auf die Initiative der großen „Assekuranzen" geht die 1870 gegründete Technische Hochschule zurück; 1967 Capital XI 97 kann man . . das Angebot der Assekuranz prüfen (DUDEN); Zeit 16. 5.1986 auf der Empfehlungsliste von Spanienexperten stehen neben den Assekuranztiteln solche Qualitätsaktien wie Telefonica oder Banoc de Vizcaya; ebd. 28.11.1986 die meisten Assekuranz-Konzerne sind in festen Händen; ebd. 12. 6.1987 [er] meint dennoch, daß weder die Assekuranzwerte und schon gar nicht die AMB-Aktie links liegengelassen werden sollten; MM 5. 9. 2987 auch in den Vorstandsetagen der Privatassekuranz sowie der Sozialversicherungsträger hat die Viruskrankheit Schrecken hervorgerufen. Assekurateur: 1733 Banquier I 475 Assecurateur, ist ein solcher Handelsmann, so solchergestalt über See oder Land versandte Güter versichert; Musäus 1778 Physiognom. Reisen l 62 Kapitän Basedow sein philantropinisch Schifflein, als er's noch auf dem Werft liegen hatt', und vor drey oder vier Jahren weit und breit herumzog Assekurateurs aufzutreiben; Jacobsson 1793 Technolog. Wb. V 101 Assecurirer, Assecuradeurs, Assecuranten (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Berg 1792 Handb. Policeyrecht Vll 545 Pflichten des Mäklers . . gegen Assecurandeurs; Busch 1797 Hamb. Handlung 107 Aber es wurden ihrer so viele genommen, daß kein Assekuradeur auf ein Hamburgisches Schiff assekuriren wollte; ders. 1808 Handlung l 247 ff. Assuradör, Assekuradör oder Versicherer; ebd. I 320 Assekuradör, Assuradör, Englisch: Insurer; Campe 1808 Fremdwb. 133 Assecurateur (spr. Assekuratöhr), wofür man in Handelsstädten auch Asserör (Assureur) hört, ein Versicherer, welcher für eine verhältnismäßige Belohnung sich für Wasser- und Feuergefahr verbürget; Nettelbeck 1821 Lebensbeschr. I 200 Ehe ich gegen [den Untreuen] losfuhr, . . mußte ich mir erst seine Gottenburger HavereyRechnung haben vorlegen lassen, um zu wissen, ob und wie diese gegen meine Assecuradeurs zu rechtfertigen wäre; Baltisch 1846 Eigenthum 31 die Handlungshäuser in Hamburg und Bremen mit ihren Commis, Magazinaufsehern, Lastträgern, die Rheder und Assecuradeurs der Schiffe, sammt Schiffsleuten; Dunkelberg 1910 Rheinschiffahrts-

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lex. 7 Assekuradeur, . . Versicherungsnehmer; Frankf. Ztg. 31.3.1941 Die Raumtonne samt Ladung wird . . also mit einem empfindlichen Milliardenbetrag angenommen werden können, der die Assekuradeure und ihre Fonds . . heftig angriff; 1986 Versicherungswirtschaft Vll 416 Der Assekuradeur wird von den Steuerbehörden als Versicherungsvertreter (Vermittler) angesehen (DUDEN 1993). Assekurant: Spreng 1662 Wechßel-Pracktick 29 es ist nötig, daß dieselbe, die zur see handeln oder andere Assecuriren die pericul des Wegs wissen — dahero auch in Holland die Assecuranten mehr von der assecurance, von der Strat als von West-Indien nehmen; Dibbern 1692 Gloss, o. S. Assecuratores, oder Assuratores, Assecuranten und Asserenten, diejenigen so Versicherung . . leisten (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Sonnenfels 1769 Polizey U 290 Der Assekurant begnüget sich mit einem kleineren Gewinne, und überläßt dem Assekuranten den Ungewissen größeren, wenn er ihm diesen kleineren gewiß machet; Krünitz 1773-75 Oec. Enc. H 577 Ist der Werth der Effeeten, so zu versichern verlangt wird, nicht von sonderlicher Importanz, . . so findet er seinen Assecuranten sehr bald; Adelung 1774 Versuch I 453 der Assecurant. . der die Gafahr gegen Bezahlung über sich nimmt, der Versicherer; Smollet 1785 Peregrine (Übers.) l 5 durch den Bankerot eines Assekuranten 500 Pfund einbüsste; Jacobsson 1781 — 1802 Technolog. Wb. V 101 Assecurirer, Assecuradeurs, Assecuranten; Beckmann 1783 — 86 Erfindungen I 205 f. Inzwischen ward bey dieser Gelegenheit schon die Betriegerey erfunden, welche noch jetzt zuweilen den Assecuranten gespielet wird; ebd. 217 Man lieset . ., daß sich die Assecuranten bis dahin so betragen hätten, daß man sich auf ihre Treue ganz sicher hätte verlassen können; Rotteck/Welcker 1845-48 Staatslex. l 719 Derjenige Theil, welcher die Gefahr (. . Risiko) übernimmt, heißt Assecurant, Assecurateur, Assurateur (nicht Assuradeur) oder Versicherer, (franz. assurant); Cuendias 1847 Spanien 32 Dort [in Vittoria] legen sie [die baskischen Schmuggler] ihre englischen Waaren beim Assecuranten nieder, der seinerseits dafür sorgt, daß dieselben sicher durch ganz Spanien gelangen und vier bis fünfmal theuerer, als sie werth sind, bezahlt werden; Wewer 1912 Geschäftsmann 156 Assekurant, Versicherer. Assekurat: Sonnenfels 1769 Polizey II 290 Sobald sich der Assekurat erklärt hat, so wird der Assekurant ohne Zweifel seinen Vertrag darnach eingerichtet haben; ebd. II 291 sollte der Assekurat, um die Vergütung zu erhalten, seine Ladung vorsetzlich verunglücken lassen; so ist der Assekurant

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zum Ersätze nicht verbunden; Adelung 1774 Versuch l 453 der Assecurat, . . von dem sie [die Assekuranz] übernommen wird, der Versicherte; Edler 1841 Terminologie 20 Assekurat (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Rotteck/Welcker 1845-48 Staatslex. l 713 derjenige . . , welchem für die Sicherstellung gegen die Gefahr die Vergeltung obliegt, [heißt] Assecurat, Assecurirter oder Versicherter (assure).

103 .. Brandassecuration . . glücklich zu Stande gekommen; Möser 1778 Patriot. Phantasien l 257 Schifund Brandassecurations-Gesellschaften (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Goethe 1781 Amtl. Sehr, l 160 zum Exempel die Brandassekurazionsabgabe . . kann man keinem, der . . es an das Assekurationsinstitut einliefern muß, begreiflich machen, daß sein Kapital sich nicht verringert habe, sondern daß die Sicherheit . . weit mehr als die geringe Zubuße werth sey (GWB); Beckmann Assekuration: Moritz v. Sachsen 1543 Polit. Korre- 1783—86 Erfindungen l 216 Die erste Verfassung dieses Assecurations-Gerichts; Berg 1803 Handb. spondenz I 703 dass die stende . . eine assecuration Policeyrecht VI 2,778 Sollte es sich aber ergeben, und versicherunge erlangt, dass .. nichts wider sie daß ein Interessent der Calenberg-Grubenhagenvorgenommen wollte werden; Christoph v. Würtschen Brandassecurations-Societät seine Gebäude temberg 1554 Briefw. H 608 Aber den leisten puncin einer ändern Assecurations-Astalt versichern ten, die assecuration der stend undereinander belassen; 1825 Eos 79 die jetzigen allgemeinen Prätreffend; 1561 Urkundenb. Mansfeld. Saigerhanmien- und Assekurations-Anstalten; Goethe 1829 dels 756 sollen die Frankfortischen von den graven Br. (WA IV 45,266) Sollte von Assekuration der betagten termin gnedig, aufrecht und redlich [Transportversicherung für eine Büchersendung an und ee mit gewaltiger assecuration ir der FrankforLoder in Moskau] die Rede seyn, so könnte man tischen nachpaurn etc. versorgt und versichert diese Sendung auf 30—40 Thaler schätzen; Goltz werden; 1609 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 13) die Assecu1864 Typen d. Gesellschaft I I 1 5 1 Gleich beim Einration so ihnen vom Kayser Maximilian . . erteilt worden (KINNEMARK); 1621 (Aretm 1839 Bay- treten des säuberlich geschniegelten Herrn . . giebt es . . eine . . attentäterische Liebenwürdigkeit, die erns auswaert. Verh. l Urkd. Bd. 114) es bei der von lachgrinzenden . . Freundlichkeits-Assekuraüblichen assecuration bleiben lassen; Opitz 1639 tionen begleitet wird. Er. (Quellen G. geist. Lebens I 581) Vollmacht [sich des Kursächsischen Landes anzunehmen, um Assekurator: 3611 Weiserfaktor 7 den Assiguradoes zu schützen] nebenst einer Assecuration für das ren; Schurtz 1672 Material-Kammer 3a AssecuraLand überschickten; 1648 Samml. würzburg. Lantores, die jenigen, so Versicherung leisten; Dibbern desverordn. I 235b der Creditor wollte sich dieser 1692 Beschreibung o. S. Assecuratores, oder Assuihm zum besten gemachten Ordnung und Assecuratores, Assecuranten und Asserenten, diejenigen ration . . begeben; Overbeide 1657 Schreib-Kunst 88 Assecuration, Versicherung; Hübner 1709 Con- so Versicherung . . leisten (alle SCHIRMER, Kaufmannssprache); Frisch 1741 Teutsch-lat. Wb. 272 versationslex. 112 Assecuration, Asseurance, ein die Versicherer, cautores, vulg. assecuratores; Jean See-Contract (beide SCHIRMER, KaufmannsspraPaul 1812 S. W. Ill 6,248 Es wäre aber sehr che); Cleander 1710 Cabinet U 43 in Erwegung der schmerzhaft für meine Anhänglichkeit an den libefast noch vorm Jahre beschehenen Stipulationen ralen und letzten und stärksten Assekurator des und Assecurationen, dass der aufgerichtete Stilldeutschen Buchhandels, wenn ich auf einmal sogar stand fest gehalten werden solle; Musig 1718 Licht zwei Werke . . aus seinen Händen in fremde müßte d. Weisheit U 388 das Los, das Wetten, allerhand übergehen sehen. der Spiele . ., eine assecuratio, da einer vor ein gesisses Geld die Gefahr einer Sache über sich nimmt; Sperander 1727 A la mod Sprach 51 Asseassekurieren: Christoph v. Württemberg 1554 curanz, assecuration, ein gewisser Handel, oder Briefw. Ill 15 auch passauischen confirmierten und Versicherung; Boltz 1752 Amts-Actuarius 25 . . Asassecurirten Vertrags; L. Guicc. 1588 Niderlands securations-Brief; Schreber 1762 Samml. IX 122 ff. Beschreibung (Übers.) 243 im assicurirn und versiErrichtung einer . . Brand-Assecurationssocietät; chern der Kauffmannschafften (WIS); 17. )h. ders. 1765 Samml. XV 207 ff. Errichtung einer As- Ewig-währender Calender 206 assecuriert (HECHsecurationssozietät by der Viehseuche; Michaelis TENBERG); 1603 Font. rer. Austr. II 60,310 auch 1768 Räsonnement I 33 . . Brandassecurationsdie anstellung des ministerii allergenedigist concecasse; Sonnenfels 1769 Polizey U 299 es wäre also dirt und verwilligt, sie auch für sich und ire nachnachtheilig irgend einer Gesellschaft ein ausschlieskhommen assecurirt; 1609 Aviso Nr. 24,A3a also sendes Recht der Assekuration zu ertheilen; Krühaben sie zubefürderung der Sachen/ ein Concept nitz 1773 — 75 Oec. Enc. H 571 Assecuranz-Anstallin Böhm. Sprach/ wie sie in puncto Religionis geten, Assecuration, . . L. Assecuratio, Fr. Asseunugsam assecurirt zu seyn vermeynt/ stellen/ dasrance, Assurance; Haller-Gemmingen 1776 Briefw. selbe hiemit E. M. vnterthenigst offeriren lassen;

Assekuranz 1614 Urkundl. Material II 527 so soll [die Braut] die lehn nicht ehr zu reumen, . . es sein ihr denn . . die anderen dreytausent taler . . assecuriret und versichert; 1618 Acta Publica Schles. (Palm) 79 Also das die damaln Regierende Kay. Maytt. . . beweget worden, die gehorsamen Fürsten vnd Stände durch dero Kayserliche resolution zu assecuriren, das fortan von den Königen zu Böhaimb kein krieg ohne der ganczen Cron Böhaimb . . zustimb vnd beliebung angefangen . . werden solte; Furttenhach 1627 Halinitro-Pyrobolia Vorr. Ib Dahero ich den Gunstigen Leser assecurire, daß er Zweyer Vortheyl bey meinen processen gaudirn werde; Friedrich 1633 Clytie I 16 welche sie heimlich dessen/ daran Sie nicht mehr zweifelt/ asseurirten (JONES); Spreng 1662 Wechßel-Pracktick 29 es ist nötig, daß dieselbe, die zur see handeln oder andere Assecuriren die pericul des Wegs wissen; överheide 1657 Schreib-Kunst 88 assecuriren, versichern (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Schurtz 1695 Kauffmannschaft 65 welche einem und ändern Kauffmann sein Gut assecuriren; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 53 Geheimnisse der Statts-Sachen/ und zwar eines Spanischen Autoris, der so tieffsinnig geschrieben/ daß man öffters seine Meinung kaum asseqviren kan; Wächtler 1709 Manual 42 Assecuriren/ versichern/ gut davor seyn/ z. E. ich will ihn assecuriren; Ettner 1719 Maulauffe 278 Jener [Arzt] sagte ja, damit wurde die Wette approbirt, und bald darauff gerichtlich assecurirt; Sperander 1727 A la mod Sprach 51 Assecuriren, versichern, Bürge vor etwas seyn, einem vor Gefahr und Schaden gut seyn; 1733 Banquier l 475 Assecuriren ist solche Gefahr übernehmen; Eggers 1757 Landt-Gestüdte o. S . dazu assecuriren sich eine gewisse Summe Geldes als Assekuranz zahlen lassen; Rabener 1759 Satiren II 240 Er assecurirt Schiffe; Sonnenfels 1769 Polizey II 298 so ist gewiß, daß die assekurirende Nation, durch die Vergütung einen großen Theil ihrer Prisen verliert; ebd. II 299 eigentlich also würde in einer solchen Lage der Umstände das Assekuriren nur ein Geschafft für den Staat seyn; Smollet 1772 Klinkers Reisen (Übers.) III 36 die Kaufleute . . beschlossen, sich unter einander selbst zu assecurieren; Krünitz 1773-75 Oec. Enc. H 573 f. Der Herr von Justi, im I. Bande seiner Policeiwissenschaft, S. 883, schlägt noch eine andere Art von Assecuranzeinrichtung vor . . In der Hauptstadt, und in jeder wichtigen Seestadt, wird ein Assecuranzcomtoir errichtet; daselbst zeiget ein jeder, der zu assecuriren Lust hat, seinen Nahmen und die Summe an, wie hoch er assecuriren will; ebd. II 575 das Assecuriren kann sich nicht weiter erstrecken, als auf diejenigen Schiffe, so in der Handlung jährlich pflegen befrachtet zu werden; ebd. II 599 hierüber giebt er seine Versicherung gegen eine zwischen ihm und

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dem Assecurirten verglichene Provision, welches man bei ändern Assecuranzen eine Prämie nennet; ebd. bei einer solchen Assecuranz aber gehen die Fälle derer Assecurirten, da sie durch schlechte Aufführung oder Malversationes ihre gekaufte Charge verlieren, den Versicherer nichts an; Adelung 1774 Versuch I 453 Assecuriren, . . aus dem Ital. assecurare, ein besonders im Handelswesen übliches Wort, Sicherheit vor der Gefahr des Verlustes gewähren, die Gefahr des Verlustes gegen eine angemessene Bezahlung über sich nehmen, mit einem guten Deutschen Worte, versichern; Bürger 1776 Er. I 315 das Pfarrgebäude sey allein auf 300 Rthl. assecurirt; Wieland 1778 Schach (S. W. X 327) Mein Schach antwortet ihm und spricht: Dass du mit deinem eignen Leben Assekurieren sollst was andre aufgegeben, Das wollen Wir, beym Allah! nicht; 17X3 Berlin. Monatsschr. I 133 Eine geringe Summe [ist es], mit der man sein Gut und Leben gegen den Blitz assekuriren kann!; Beckmann 1783—86 Erfindungen I 218 in An versa 1567 in der Beschreibung von Antwerpen S. 126 merkt er [Guicciardini] an, daß die dortigen Kaufleute gewohnt wären, ihre Schiffe zu assecuriren; SchillerKörner 1784-1805 Briefw. Ill 256 Nun habe ich meine Existenz auf gewisse Weise assecurirt (KEHREIN); Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 23,236) Es ist gegenwärtig nichts weniger als räthlich nur an Einem Ort zu besitzen . . Wir assecuriren uns unter einander unsere Existenz, auf den einzigen Fall, daß eine Staatsrevolution den einen oder den ändern von seinen Besitzthümern völlig vertriebe; Busch 1797 Hamb. Handlung 107 Aber es wurden ihrer so viele genommen, daß kein Assekuradeur auf ein Hamburgisches Schiff assekuriren wollte; Brentano 1800 Gustaf Wasa 91 Bürgermeister: Herr Ritter . . Ich hab ihn [Gustav Wasa] schon assekurirt . . Und Mord und Tod wer ihn berührt! Schiller um 1800 Br. II 288 Sonst wüßte ich wahrlich niemand, der seine Existenz in der Nachwelt weniger zu assecuriren brauchte (KEHREIN); Campe 1808 Fremdwb. 133 Assecuriren, versichern; Mayr 1809 Gen.-Index Baiern 29 Assekurirte Gebäude, die Verordnung der Brandassekuranz vom 17. September 1799 weiset jeden Darleiher auf assekurirte Gebäude an, zu seiner Sicherheit das Darleihen bei der Assekuranz-Kommission vormerken zu lassen; Müller 1817 Sehr. I 143 Wir hätten noch lange das bequeme Gefühl eines wohlassekurirten Lebens für Neigung zum Vaterlande . . gehalten; Cancrin 1820 Militärökonomie I 279 Es liegt nicht in der Natur der Gesellschaft die Mitglieder gegen Unfälle zu assekuriren; Goethe 1823 Br. (WA IV 36,453) die . . Vögel . . gingen wohlbehalten ab und das Thermometer assecurirt uns eine glückliche Ankunft; Grabbe 1827 ShakespearoManie (S. W. III 398) weil die unbedingte Bewun-

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derung des Shakespeare ein mehrfach assekuriertes Geschäft ist; Pahl 1831 Er. (Bacherer 1840 Stellungen I 336) habe ich den grossen annus climacterius zurückgelegt und so wäre mir die Lebensdauer bis auf siebenzig assecurirt!; Marx 1842 Holzdiebstahl (MEW I 136) Konnte der Waldeigentümer sein Holz besser assekurieren, als es hier geschehen ist, wo man das Verbrechen in eine Rente verwandelt hat?; Rotteck/Welcker 1845-48 Staatslex. l derjenige . ., welchem für die Sicherstellung gegen die Gefahr die Vergeltung obliegt, [heißt] Assecurat, Assecurirter oder Versicherter; Marx/Engels 1850 Rezensionen (MEW VII 284) So tritt an die Stelle des Steuerpflichtigen der Assekurirte; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen l 144 O, wenn ich für mein leben assecurirt hätte!; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. IH 433) von Petersburg aus hatte er in weitläufigen Kreuz- und Querfahrten durch ganz Rußland die assekurierten Fabriken besucht und die wirtschaftlich zweifelhaften auszukundschaften gehabt; Miethe 1956 Fahrt 34 Und keines der Schiffe war „assecuriert". unassekuriert: Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge II 90 Zeno von Citium, der ein Rheder war, hörte von dem Verluste seines unassecurirten Schiffes. verassekurieren, verassurieren: Gamersfelder 1570 Buchhalten 6a solches gut hat mir obgedachter Franciscus Banawer gen Lisabona verassurirt . ./

dauon ich jm geben sol fl. 7 1/2 pro Cento für assurantz; 1652 (Schück 1889 Kolonial-Politik II 47) Schiffe und Guet bei anderen Leuten zu verassuriren (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); Zeiller 1653 Nd. Sachsen 45 verassekurieren; Heine vor 1856 Gedanken (S. W. VII 446) Wie die Theater mehrmals abbrennen müssen, ehe sie als ganz prachtvoll gebaut hervorsteigen wie ein Phönix aus der Asche, so gewisse Bankiers. Jetzt glänzt das Haus, nachdem es drei- bis viermal falliert, am glänzendsten. Nach jedem Brande erhob es sich prunkvoller — die Gläubiger waren nicht verassekuriert. Assekurierer: Krünitz 1773-75 Oec. Enc. II 572 Der Vortheil, welcher dem Assecurirer für die zu übernehmende Gefahr stipuliret wird, wird die Assecuranz-Prämie genennet; ebd. II 573 In Frankreich, England, Italien, hat man Assecuranz-Kammern oder Gesellschaften von Assecurirern, die zu dem Ende ein gewisses Capital von einigen hundert tausend Thalern, und höher, zu diesem Geschäfte bestimmt; ebd. II 574 Alle Nahmen der sich angemeldeten Assecurirer; ebd. In Friedenszeiten . . darf das Comtoir nur die Police ausfertigen, und sie denen erwählten Assecurirern zur Unterschrift zuschicken .. In Kriegeszeiten und ändern besondern Zeitumständen aber darf nur jeder Assecurirer dem Comtoir wissen laßen, wie hoch die Prämie seyn soll; Beckmann 1783—86 Erfindungen l 207 Hier könnte praedes Assecurirer bedeuten.

assertorisch Adj. (ohne Steigerung, meist prädikativ verwendet), im späten 18. Jh. entlehnt aus lat. assertorius, Terminus des römischen Rechts 'behauptend, ob jmd. Sklave oder freier Mann sei; zur Freisprechung gehörig' (zu assertor 'Vertreter der Freiheit, Verteidiger'). Zunächst in der Fachsprache der Philosophie und Logik in der Bed. 'behauptend, versichernd', nach Kants Differenzierung der Urteilsmöglichkeiten, -modifikationen (Kant, s. Beleg 1783) meist in der Wendung assertorisches Urteil für 'logisch richtiges Urteil, das ohne Beweis Gültigkeit beansprucht, einfache Tatsachenbehauptung, behauptendes Urteil', im Unterschied zu apodiktischen und problematischen Urteilen ( —»· apodiktisch, —> problematisch); gegen Ende 19. Jh. in der juristischen Fachsprache das Syntagma assertorischer Eid für 'Beeidigung einer schon gemachten Aussage, Nacheid' (s. Belege 1890, 1924, 1936); seit etwa Mitte 20. Jh. in der Sprachwissenschaft, bes. der Semantik, in der Wendung assertorischer Satz in der Bed. 'Behauptungssatz, behauptender Satz; derjenige Teil der Aussage, der durch Negation in sein Gegenteil verkehrt werden kann, im Unterschied zur Präsupposition, die von der Negation nicht betroffen wird' (s. Belege 1970, 1986), etwa gleichzeitig in der Sprechakttheorie als Bezeichnung für den Sprechhandlungstyp des Behauptens (s. Beleg 1970). Vom früheren 16. bis ins frühere 18. Jh. das seltene, über mlat. assertor 'Vertreter, Sachwalter, Richter, Verteidiger, Schützer, Verfechter' aus gleichbed. lat. assertor

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entlehnte Subst. Assertor M. (-s; -en), anfangs vereinzelt auch Aäsertor, 'Schirmer, Beschützer, Befreier, Erretter'. Seit früherem 16. Jh. vereinzelt, seit späterem 17. Jh. häufiger das über mlat. assertio 'Anspruch; Behauptung, Versicherung, Erklärung, Bestätigung, Bericht' aus (flekt. Form von) gleichbed. lat. assertio entlehnte Subst. Assertion F. (-; -en), anfangs in lat. (flekt.) Form, zunächst in der Fachsprache der Justiz, Philosophie und Logik für 'Behauptung, die ohne Beweis Gültigkeit beansprucht, einfache Tatsachenbehauptung' (s. Belege 1772, 1781), auch allgemeiner, bes. im Hinblick auf die Einwände der Gegenpartei oder einer entgegengesetzten Lehrmeinung verwendet für 'Behauptung ohne beweiskräftiges Argument' (s. Belege 1674, 1772, 1799, 1810); etwa gleichzeitig auch für 'Argumentzusammenhang, Reihe von Argumenten' (s. Beleg 1792); im frühen 19. Jh. vereinzelt die gleichbed. Form Assert N. (-s; -s); seit Mitte 20. Jh. in der modernen Sprachwissenschaft, bes. in der Semantik, für 'Behauptungssatz, behauptender Satz, derjenige Teil der Aussage, der durch Negation in sein Gegenteil verkehrt werden kann, im Unterschied zur Präsupposition, die von der Negation nicht betroffen wird', (s. Belege 1986, 1990, 1993), in der Sprechakttheorie auch als Bezeichnung für den Sprechhandlungstyp des Behauptens, auch für die Sprechereinstellung in Sätzen (s. Beleg 1986). Seit spätem 16. Jh. über mlat. asserere 'jmdn. in Freiheit setzen, für frei erklären lassen; etwas behaupten, versichern, aussagen' aus gleichbed. lat. asserere (aus ad'zu, an, hin' und serere 'verbinden') entlehntes, selten belegtes, bis heute gebuchtes Verb asserieren 'behaupten'. Im 18. Jh. das zu gleichbed. lat. assertum (subst. Part. Perf. von lat. asserere, s. o.) gebildete Subst. Assertum N. (Asserti; Asserti) für 'aufgestellte These, deren Wahrheitsgehalt geprüft werden muß' (vgl. Assertion). assertorisch: Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft 75 In dem obigen Beyspiel wird der Satz: es ist eine vollkommene Gerechtigkeit da, nicht assertorisch gesagt, sondern nur als ein beliebiges Unheil, wovon möglich ist, daß iemand es annehme, gedacht, und nur die Consequenz ist assertorisch; ders. 1783 Prolegomena (Ges. Sehr. IV 302 f.) Um die Möglichkeit der Erfahrung . . darzulegen, müssen wir zuvor das, was zum Urtheilen überhaupt gehört, und die verschiedene Momente des Verstandes in denselben in einer vollständigen Tafel vorstellen . . Logische Tafel der Urtheile . . 4. der Modalität nach Problematische Assertorische Apodiktische; ders. 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. /// 89) Problematische Urtheile sind solche, wo man das Bejahen oder Verneinen als bloß möglich (beliebig) annimmt; assertorische, da es als wirklich (wahr) betrachtet wird; apodiktische, in denen man es als nothwendig ansieht; ders. 1793 Religion (Ges. Sehr. VI 154) in Ansehung des Gegenstandes aber, wohin uns unsere moralisch-gebietende Vernunft zu wirken anweiset, ein dieser ihrer Endabsicht Effect verheißendes, praktisches, mithin freies assertorisches Glauben vorausgesetzt wird, welches nur der Idee von Gott . . bedarf; Beck 1799 Propädeutik 321 Eintheilung der Ur-

theile, welche die der Modalität nach genannt wird, in problematische, assertorische und apodictische Urtheile; ebd. 322 Assertorisch aber ist folgendes Urtheil: Dieser Mensch ist von aufrichtiger Denkungsart . . in diesem assertorischen Urtheile ist es der Begriff der Aufrichtigkeit selbst, dessen logische Einheit, durch das Urtheil, objectiv wird; Kant 1800 Logik (Ges. Sehr. IX 108) Der Modalität nach . . sind die Urtheile entweder problematische oder assertorische oder apodiktische. Die problematischen sind mit dem Bewußtsein der bloßen Möglichkeit, die assertorischen mit dem Bewußtsein der Wirklichkeit, die apodiktischen endlich mit dem Bewußtsein der Nothwendigkeit des Urtheilens begleitet; ebd. IX 109 Auf dem Unterschiede zwischen problematischem und assertorischem Urtheilen beruht der wahre Unterschied zwischen Urtheilen und Sätzen; Herbart 1808 Metaphysik 119 Jedes Urtheil, als solches, für sich allein, ist assertorisch; Schopenhauer 1818 Kritik d. Kantischen Philosophie (S. W. I 594) Da alle Nothwendigkeit auf dem Satze vom Grunde beruht, und eben deshalb relativ ist; so sind alle apodiktischen Urtheile ursprünglich und ihrer letzten Bedeutung nach hypothetisch. Sie werden kategorisch nur durch den Zutritt einer assertorischen Minor, also

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im Schlußsatz; Ersch/Gruber 1818-32 Allg. Enc. I 4,418 Die assertorischen Urtheile sind behauptend, aber doch mit dem Vorbehalt der Möglichkeit eines vernünftigen Zweifels, z. B. alle historischen Urtheile; Goethe 1829 Naturwiss. Sehr. (WA II 13,464) [Auszug aus Kants Kritik der reinen Vernunft] Axiomen der Anschauung . . logische Functionen . . Modalität [der Urteile] Problematische Assertorische Apodictische; Marx/Engels 1845 — 46 Dtsch. Ideologie (MEW III 467) [Matthäi] Der Verfasser [der „Sozialistischen Bausteine"] besitzt ein großes Talent, zuerst einen Satz assertorisch aufzustellen und ihn dann durch ein Daher, Dennoch . . als Konsequenz aus sich selbst zu legitimieren; Engels 1873-86 Dialektik d. Natur (MEW XX 492) Urteil des Begriffs, worin vom Subjekt ausgesagt wird, inwieweit es seiner allgemeinen Natur oder, wie Hegel sagt, seinem Begriff entspricht (assertorisches Urteil: Dies Haus ist schlecht; problematisches: Wenn ein Haus so und so beschaffen ist, so ist es gut; apodiktisches: Das Haus, so und so beschaffen, ist gut); 1874 Meyer Konversationslex. II 55 Assertorisch ist ein schlechthin (d. i. weder als bloß möglich wie im problematischen, noch als nothwendig wie im apodiktischen) als wirklich bejahendes oder verneinendes Unheil, z. B. Cajus ist ein Gelehrter, oder: Cajus ist kein Gelehrter; Achelis 1890 Theologie I 524 Der Eidschwur kann sich entweder auf Zukünftiges beziehen (promissorischer Eid, z. B. Amtseid), oder auf Vergangenes (assertorischer Eid, eidliche Aussage): die Verletzung des promiss. Eides ist Eidbruch, die des assertorischen Meineid; 1924 Meyer Lex. l 996 Assertorisch ., behauptend, versichernd. Assertorischer Eid (Nacheid), die Beeidigung einer schon erstatteten Aussage. Nach § 392 ZPO haben Zeugen den Nacheid zu leisten, während der früher vorgeschriebene Voreid (promissorischer Eid), d. i. der Eid, daß man eine wahre Aussage erstatten werde, beseitigt ist; — In der Logik nennt man assertorisch ein einfach aussagendes (schlechthin bejahendes oder verneinendes Urteil (vgl. Modalität). Beispiel: Die Sonne scheint. Der Himmel ist nicht bewölkt; 1936 Meyer Lex. I 630 f. Assertorisch, behauptend, versichernd. Assertorischer Eid (Nacheid), der von einem Zeugen nach seiner Vernehmung zu leistende Eid; nach § 392 ZPO, § 95 StPO. jetzt an Stelle des früheren Voreids (promissorischer Eid) gesetzlich vorgeschrieben; 1970 Forschungsber. d. IDS V 54 assertorisch, d. h. eine vorausgegangene Negation (sei sie auch nur impliziter Art) negierend: und ihr habt doch gesiegt; ebd. V 76 assertorisch, ist durch trotzdem, dennoch u. a. substituierbar; ebd. V 134 wir unterscheiden begrifflich „affirmativ", d. h. positiv, nicht negiert, und assertorisch, d. h. positiv durch Negation der Negation; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. I 182 assertorischer Satz, Behauptungs-

satz. Sein Inhalt wird als wirklich angesehen. Er kann affirmativ oder negativ gefaßt sein. asserieren: Hansonius 1588 Warnung 24 Caluinus schreibt, vnnd asserirn es mit jhme seine Sectgenossen; Sperander 1727 A la mod Sprach 51 Asseriren, bezahlen, bekräfftigen, versichern, behaupten; Zedler 1732 Universallex. II1903 Asserere, assurer, asseriren, sagen, bejahen, bekräfftigen, bestätigen, versichern, asserere aliquem manu caussa liberali, einen durch einen Proceß als einen freyen vertheidigen; Goethe 1774 (Fischer-Lamberg 1963-74 D/G IV 212) [der Beklagte] auch von geschehener Bezahlung keinen Schein, vielweniger Bescheinigung darzulegen im Stande ist, vielmehr sich mit allgemeinem läugnen und asserieren auszuhelfen sucht (GWB); 1874 Meyer Konversationslex. II 55 Asseriren . ., mit Bestimmtheit aussagen, behaupten. Assert: Grillparzer 1816 S. W. XVI 57 Mir kömmt ein solches Assert ebenso vor, als ob jemand glaubte, der Natur lägen wirklich die anziehende und abstoßende Kraft zu Grunde. Assertion: v. Watt vor 1531 (Dtsch. Hist. Sehr. III 445) die stat Straßburg, Nürnberg, . . Northusen und Hamburgk, die allain die Säxisch assertion und apologi sich veraint und bewilgt; Mathesius 1562—64 Ausgew. W. Ill 330 Denn es war die zeyt da, das Gott mit seinem geyst vnnd guter leut bestendiger assertion vnnd bekentnus den Antichrist offenbaren vnd tödten solte; Nas 1570 Das ander Hundert 88 das jn [Pomeranus] Luther gelobt/ vnnd sein assertion Für lautier oracula gehabt; 674 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 218) der Warheit zu wider lauffende, vnbegründete assertiones vnd aufflagen, ja gar grobe vnd handgreiffliche Landlügen; Thomasius 1701 K.I. Sehr. 111 Zwar ist mir nicht unbekant/ daß besagte des Monzambano assertion von vielen/ auch gelehrten publicisten angefochten wird; Sperander 1727 A la mod Sprach 52 Assertion, Bejahung, Bestätigung, Ausspruch, Bekräfftigung; Zedler 1732 Universallex. I 579 Adsertio, die Verteidigung der Freyheit desjenigen, dem dieserwegen Controvers gemachet werden, dadurch man ihn von der Knechtschafft zu befreyen suchte; Assertio; Beust 1743 Consiliarius 57 So sind auch unterschiedliche Rechtsgelehrte der Meynung, daß ein solch ungeschicktes Subjectum, wenn auch gleich . . nicht wieder abzuschaffen, sondern in seinem Amt und Verwaltung zu lassen sei . . Allein diese Assertio dörffte noch wohl einigen Limitationibus unterworffen weyn; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 84) In Ansehung der Stärke und Schnelligkeit wird niemand, der den Homer auch nur ein einzigesmal flüchtig durchlauffen hat, die-

Assessor ser Assertion in Abrede sein; ders. 1767—68 Dramaturgie (S. Sehr. X 160) Zuerst muß ich anmerken, daß Diderot seine Assertion ohne allen Beweis gelassen hat; ders. 1768 Br. antiqu. Inh. (S. Sehr. X 247) Ich weiß wohl, daß meine Assertion von den Furien mehrere befremdet hat; Muratori 1772 Von d. guten Geschmacke (Übers.) 681 Dergleichen Assertionen oder Sätze . ., die sich nicht auf richtige und gewisse Vordersätze gründen, sondern itzt mehr, itzt minder der Wahrheit nahe kommen, werden Meynungen genannt; Goethe 1772 (Fischer-Lamberg 1963 - 74 DjG II 250) will die Stadt Gerechtsame wahren, muß sie darthun können, daß sie Gerechtsame hat; durch die bloße Assertion ist hier nichts gethan, und ich bleibe wie vor in rechtmäßigem Besitz (GWB); Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. IV 204) Den Satz: Caius ist sterblich, könnte ich auch blos durch den Verstand aus der Erfahrung schöpfen. Allein ich suche einen Begriff, der die Bedingung enthält, unter welcher das Prädicat (Assertion überhaupt) dieses Urtheils gegeben wird (d. i. hier den Begriff des Menschen); ders. 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. Ill 255) Das wirkliche Urtheil, welches die Assertion der Regel in dem subsumirten Falle aussagt, ist der Schlußsatz (Conclusio); Goethe 1792 Naturwiss. Sehr. (WA II 11,34) Denn eigentlich ist es die mathematische Methode, welche wegen ihrer Bedachtlichkeit und Reinheit gleich jeden Sprung in die Assertion offenbart; ders. 1799 Sammler (WA I 47,162) Das wird sich schon geben, versetzte mein Gast, das ganze Altherthum spricht mir zu; denn wo wüthet Schrekken und Tod entsetzlicher als bei den Darstellungen der Niobe? Ich erschrak über eine solche Assertion; ders. 1810 Naturwiss. Sehr. (WA II 2, 43) wir müssen also die Newtonische Assertion bloß als eine eine beliebige, aus dem vorgefaßten Vorurtheil entsprungen, bloß mit den Augen des Geistes gesehene Erscheinung halten und angeben; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. II 139) Ein Satz, der sich unmittelbar auf die empirische Anschauung beruft, ist eine Assertion; ders. 1840 Moral (S. W. Ill 512) Ich muß hier, wo die Sache nur beiläufig zur Sprache kommt, es bei der bloßen Assertion des Gegentheils bewenden lassen, daß nämlich die Vernunft, wie das Erkenntnisvermögen überhaupt, ein Sekundäres, ein der Erscheinung Angehöriges, ja durch den Organismus Bedingtes, hingegen der eigentliche Kern, das allein Metaphysische und daher Unzerstörbare im Menschen sein Wille ist; 1874 Meyer Konversationslex. II 55 Assertion, auf-

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gestellte Behauptung; speciell im römischen Recht in Bezug darauf, ob jemand ein Sklave oder freier Mann sei; 1986 Lex. sprachwiss. Termini 33 Assertion: in der Logik behauptendes Urteil, in dem nur das Vorhandensein oder Fehlen eines Merkmals bei einem Gegenstand konstatiert wird . . In der Sprachwissenschaft auch für den Ausdruck von Sprechereinstellungen in Sätzen verwendet . . In neueren Darstellungen wird deshalb die Assertion als ein von einem Plus- zu einem Minuspol reichendes Paradigma affirmierender . . und negierender Sprecher-Stellungnahmen . . verstanden; Bußmann 1990 Lex. d. Sprachwiss. 104 Assertion . . Unter semantischem Aspekt die Bedeutungselemente eines Satzes, die unter Negation in ihr Gegenteil verkehrt werden . . In „Philip bedauert/ bedauert nicht, daß die Preise gestiegen sind" entspricht die gesamte Aussage der Assertion, während die Präsupposition lautet: die Preise sind gestiegen; 1993 Metzler Lex. Sprache 61 Assertion .. Der aus den lexikal. Elementen gebildete Gehalt eines Satzes . ., soweit er durch Negation in sein Gegenteil verkehrt werden kann, im Gegensatz zur implizit mitausgedrückten Präsupposition, die auch in der Negation erhalten bleibt. Assertor: Furttenhach 1630 Architect, mart. Vorr. 2a so haben aber nit allein viel dapfferer meiner Patronen vnd favoriten, bey mir angehalten/ . . solches opus an deß Tagesliecht herauß zugeben: sondern auch . . nach gepflogner fleissigen bereiffung/ was für taugliche assertores vnd gleichsam Mantenitores ich zu öffentlicher dedication erkisen möchte/ besseren raht nicht befunden / als da diß mein fünffte opus den Herren vnd Vettern/ zu auffnemung in dero Schutz vnd Handhabung/ ich offerirte. Assertum: Sperander 1727 A la mod Sprach 52 Assertion, Bejahung, Bestätigung, Ausspruch, Bekräfftigung, welches alles das Wort assertum ebenfalls bedeutet; Zedler 1732 Universallex. U 1904 Assertum ist der Ausspruch, Bejahung, Bekräfftigung, imgleichen die An- oder Beybringung eines Umstands; Goethe 1785 Br. (WA IV 7,11 f.) Daß dir meine Abhandlung einige Freude gemacht hat, giebt mir wieder Freude ob du gleich von der Wahrheit meines Asserti nicht durchdrungen zu seyn scheinest; ders. 1785 Amtl. Sehr, l 359 Jedoch unter der Voraussetzung, daß das Assertum fol.168 man habe keine neuen [Gelderbzinsen] aufgelegt. . vollkommen in der Wahrheit beruhe (GWB).

Assessor M. (-s; -en), selten auch Assessorin F. (-; -nen), im späten 15. Jh. entlehnt aus lat. assessor 'Beisitzer bei Gericht, Gehilfe im Amt' (zu assessus, Part. Perf. von

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assidere 'dabeisitzen, zur Seite sitzen, stehen, verweilen', aus ad- 'zu, an, bei' und sedere 'sitzen'), anfangs auch in lat. (flekt.) Form. Zunächst als juristischer Terminus in der Bed. 'Beisitzer am Gericht (bei Verhandlungen) oder einer Verwaltungsbehörde, jmd., der bei Gericht Sitz und Stimme hat' (s. Belege um 1488, 1541), bes. im 18. Jh. als Titel verwendet (s. Beleg 1784) und seit dem 19. Jh. als Rangbezeichnung mit der Bed. 'Jurist, der die zweite Staatsprüfung bestanden, aber noch keine feste Anstellung erlangt hat; Anwärter auf die höhere Beamtenlaufbahn, Beamte (vor allem Richter, Lehrer) am Anfang der Laufbahn im höheren Staatsdienst' (s. Belege 1819, 1836, 1889), häufig in Zss. wie Forst-, Gerichts-, Justiz-, Kammer-, Konsistorial-, Regierungs-, Studienassessor. Dazu im 16. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Assessorei, seit früherem 18. Jh. die veralteten subst. Ableitungen Assessorat und selten Assessur als Bezeichnungen für das Amt, die Stelle eines Assessors oder das Geschäft und die Würde eines Beisitzers, sowie die veraltete adj. Ableitung assessor(i)al 'beisitzend' und vor allem 'den Assessor betreffend, zu ihm gehörend, in der Art eines Assessors'. Dazu seit Ende 19. Jh. die subst. Ableitung Assessorismus M. (-; ohne PL), abwertend für 'Beamtendenken'. Assessor: um 1488 Folz. Reimp. 35 So schafft kein advocat do nit,/ Peystenden noch procuratores,/ Auffmercker oder assessores,/ Eingerley rot hie zu ersuchen (FRNHD. WB); 1500 (Hl. Rom. Reichs Ordn. 40) drei oder vier Assessores verzeychnet../ darauß das Regiment eyn zu Assessorn/ . . kiesen sol; Paracelsus um 1530 S. W. II 6,30 und kein richter, assessor, procurator hat got nie gebotten in seim ampt, daß er ihn vor laster behuet oder vor schand; Gobier 1536 Prozess la bei dem Richter seine Assessorn; Volkslied 1541 (Liliencron IV 180) am camergricht die assessorn/ werden dein lestern und schandzorn/ . . mit ernst nicht unverantwort lan; Perneder 1544 Process 2b Von Assessorn vnd beysitzern. Es werden an vil orten den Richtern beysitzer vnd rniturthailer von Raths/ vnn besser erwegung wegen der Sachen zugeordnet; 2555 Reichskammergo. 76 sollen auch bederseytz religion assessores und cammergerichtspersonen keiner den ändern derwegen verachten (FRNHD. WB); Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 140 dem nation oberister haisst procurator, . . dessen zuegebne sein disc officier: ain assessor, quaestor, bibliothecarius; Spangenberg 1591 Adels-Sp. l 160 a Assessores, Schöpften, Beysitzer im Gericht, so dem Gerichte beywonen, nicht als Richter, sondern als zugeordnete Mitgehülffen; Wedel um 1600 Hausbuch 331 denn er eine gute weile assessor, praesident zu Speier am kaiserlichen cammer-gericht . . gewesen; Sattler 1607 Orthographie 370 Assessores, das ist, Beysitzer, Schöffen, oder urtheilsprecher, sind die, welche bey dem Richter sitzen, neben jhme die sach anhören; Henisch 1616 Teutsche Sprach 133 Assessor/ assessor secundarius iudex, beysitzer/ welcher dem Richter seinen

raht vnd gutduncken in entscheidunn der Sachen mittheilt; 1620 Acta Publica schles. Ill 305 wolten wir . . vor den herren Adsessoribus Tribunalitiis .. protestiret haben; Greflinger 1647 ComplementierBüchlein 61 Cla anwesende Mitherrn Assessores oder Collegen; Leibniz 1668 — 76 Briefw. I 61 nachdem ich . . hernach zu Maynz Herman Andreas Laßern Churfürstl. Maynz. HofRath und Hof-Gerichts Assessoren . . angetroffen; Francisci 1687 Trauersaal II 520 Denselbigen Tag/ . . seyn die Assessores/ als die vom Adel/ Hauptleute/ Fähndrich und Befehlhaber/ . . zusammen kommen/ das Gericht besessen; Happel 1690 Academ. Roman 841 Bissweilen aber ist die Beschaffenheit der Sachen also/ dass er [der Rector] etliche Assessores erwählet/ oder gar ein Consistorium beruffet; Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 43 Ich selbst hätte dem Apollini den Sieges-Crantz zugetheilet, wenn ich . . ein Assessor gewesen wäre; Rohr 1718 Staatsklugheit 985 was die Functiones des Directoris, derer Assessoren .. und anderer banco-Bedienten betrifft; 1721-22 Chronik d. Ges. d. Mahler 20 Wir sind delicat in der Erwehlung neuer Assessorum; Ayrenhoff 1775 S. W. Ill 98 Du mußt bey der bevorstehenden Akademie-Versammlung als Assessorinn erscheinen; Goethe 1784 Br. (WA IV 6,397) Der Assessor Büttner; Laukhard 1796 Reichsarmee 88 Die Assessoren dieser Gerichte sind zu Wetzlar Kreaturen der großen Reichsstände; Kortum 1799 Jobsiade 69 Nach ihm kam der geistliche Assesser,/ Ein Mann von Person zwar etwas größer,/ Doch an Körper und Waden dünn/ Und von etwas mürrischem Sinn; Rochlitz 1808 Romane I 200 Er behielt von den höchsten Beamten Niemand, als den Consistorialrath, . . den Assessor im geistli-

Assessor chen, den Assessor im weltlichen Obergerichte; Goethe 1807 Br. (WA IV 19,440) Der Assessor Leonhard in Hanau; Mayr 1809 Gen.-lndex Baiern 29 die allerhöchste Stelle [hat] beschlossen, bei jedem dermal bestehenden Landgerichte zwei ständige Assessoren zu ernennen; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 28,125) Er bestellt den Oberrichter, die Stände senden die Beisitzer . . anfangs begnügt man sich mit zwölfen . . Die Zahl der Assessoren war zu klein; ders. 1819 Br. (WA IV 31,194) Der jüngere Sohn des verewigten Schiller, im preußischen Rechtsfache am Niederrhein als Assessor angestellt; 1819 Die Wage I 322 Von einem Polizeigerichts-Assessor geleitet; Bauer 1836 Überschw. 111 während der Finanzminister Kollegen und Assessoren in ihre Geschäftskreise einleitete; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 46 wie herzlich gescheut waren hinwiederum die jungen Leute, die Auskultatoren, die Referendare und jüngeren Assessoren; Wiehert 1889 Grafenkind 149 ein unbesoldeter Assessor . . Das ist ein Mann, der Jura studirt, Jahrelang als Referendar umsonst gearbeitet, sein Staatsexamen absolvirt hat — und nun weiter umsonst arbeitet, bis sich für ihn eine Richterstelle findet; Lettenbaur 1927 Morgen 13 die [Klasse] der „Assessoren", . . die sich der Konsulatskarriere widmete oder . . später die weitaus größere Anzahl der höheren Ministerialbeamten stellte ; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 500) [er war] fast sogleich in den Hof- und Staatsdienst getreten: er war Hofjunker, war Wirklicher Assessor beim herzoglichen Kammer-Collegium; ebd. II 525 so fühlte Ottilie sich doch gehalten, dem Kammerassessor Bericht. . abzulegen; ders. 1947 Faustus (W. VI 223) nicht einmal bis zum Assessor-Examen war er gediehen; Bergengruen 1950 Tempelchen 7 das in Weißrußland gelegene Gut . . kam . . schließlich durch Heirat an den Kollegienassessor Tschaikin; Welt 2.6.1954 er war Bergassessor, kam also, wie so viele Erfinder, aus einem völlig anderen Wirkungskreis; Süddtsch. Ztg. 25.6.1957 Die Ausbildung soll 42 Monate dauern und mit dem wirtschaftlichen Assessor abschließen; FAZ 14.2.1966 Erzbischof Parente, der das Amt des Sekretärs (früher Assessor) versieht; Welt 7.2.1969 Studienassessoren und Studienreferendare, also Lehrer an Gymnasien, sind nur zu einem verschwindend geringen Bruchteil in der genannten Gewerkschaft vertreten; Zeit 25.1.1985 als ich auf „bewährte Weise" mein Referendariat abgeschlossen und als Studienassessor eine Anstellung gefunden hatte, versuchte ich einige meiner „amerikanischen Ideen" in die Wirklichkeit umzusetzen; ebd. 14.2.1986 die lange unbesoldete Tätigkeit als Gerichtsreferendar und Assessor; ebd. 7.2.1986 der Großvater war Geologe, der Vater Bergassessor; MM 11.3.1988 Wolfgang Moritz, Landwirtschaftsassessor aus Karlsruhe.

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Assessorat: 1741 Staats- u. Gel.ztg. (Hambg.) I 41,4b zum Assessorat bey dem Hochpreißlichen Kayserlichen und ReichsCammer-Gericht; Bürger 1773 Br. I 182 da. dein assessorat nur 200 Rthlr. jährlich abwirft; 1774 (Moser, JustizVerf. II 390) [es wird befohlen] auch fürohin, . . keine assessoratstelle eigenmächtig ledig und unbesezt zu lassen (DRW-Archiv); Vollbeding 1820 Briefsteller 381 Assessorat: Beisitzeramt, Beisitzerstelle. assessor(i)al: 1740 (Buchner 1925 Religion 298) Der Proceß, welcher . . von den Assessorial Gerichten geführet worden; Fontäne 1889 Ges. W. II 5,225 Er ist trotz seiner guten Assessoralbildung ein ungebildetes Genie. Assessorei: 1531 (Hl. Rom. Reichs Ordn. 179b) Ob Ch merrichter oder Beisitzer mit todt verschied/ . . sol er der Ch merrichter fleissig nachforschung haben/ welche vnder den selben presentierten der gelertest/ geschicktest/ vnn zuo der Assessorei am tüglichsten vnn breuchlichsten sei. Assessorismus: Richter 1893 Jugend-Erinn. 118 der „Assessorismus" in der denkbar einseitigsten Form. Solche Verwaltungsgrundsätze entsprechen ungefähr Anschauungen, als ob das Wichtigste in der Eisenbahnverwaltung nicht die prompteste Beförderung von Gütern, sondern die juristisch korrekteste Abweisung von Beschwerden des Publikums sei; 1897 (Histor.-polit. Blätter CXIX 376) „Assessorismus" und „Militarismus" sind in Preussen bereits sprichwörtlich geworden; Bahr 1909 Reise 14 Die Kapitäne der Lloyd sind die besten der Welt. Aber in der Direktion der Lloyd steckt etwas viel Assessorismus; Stier-Somlo 1917 Grundfragen 95 Ein weiterer Tadel betrifft den sogenannten Assessorismus. Man kann darunter etwa verstehen die Bevorzugung von jüngeren und lediglich juristisch vorgebildeten Beamten gegenüber den sonstigen, insbesondere technischen und kaufmännischen Berufskreisen; Dombrowski 1920 System // 166 Da pflegte man einst, unter dem preußischen Assessorismus, mit den Händen an der Hosennaht aus dem Bett aufzustehen und im Parademarsch an den Kaffeetisch zu schreiten; 1923 Polit. Handwb. l 113 Assessorismus, Scheltwort, das einerseits ein bureaukratisch-dünkelhaft-weltfremdes Gebaren, andererseits die übermäßige Besetzung von Ämtern mit geschulten Juristen, z. B. im diplomatischen Dienst, in der Landesverwaltung usw. treffen soll; Lettenbaur 1927 Morgen 320 es fehlt bei ihm [dem Außenseiter] der von Bismarck so genannte Assessorismus; 1934 Deutschlands Erneuerung XVIII 490 Es sind anfangs von dem „Assessorismus" manche schweren Fehler gemacht worden.

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assimilieren

Assessur: 1772 (Br. a. Bahrdt III 235) Wegen der Assessur zum f. Consistorio habe ich mich erkundigt; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 27,188) Schritt vor Schritt . . sah ich ihn den Doctorgrad erreichen, dann sich zur Assessur empor-

heben; Gneist 1867 Advocatur 28 [er hat] die Schule des preußischen Referendariates und der Assessur so vollständig durchgemacht . . daß er das preußische Richteramt in allen Instanzen eine Reihe von Jahren verwaltet . . hat.

assimilieren V. trans, und reflex., im späteren 17. Jh. über mlat. assimilare, assimulare 'ähnlich machen, angleichen; ähnlich werden; vortäuschen' entlehnt aus gleichbed. lat. assimilare, assimulare (aus ad- 'zu, an, hin' und simulare, similare 'ähnlich machen; abbilden; sich den Anschein geben', zu similis 'ähnlich; zweifelhaft'; —* simulieren), anfangs vereinzelt auch assimiliren, assimuliren. 1 Zunächst vorwiegend als V. trans., nur mit unpersönlichem Objekt, vor allem zur Beschreibung geistig-kultureller, dann auch physikalischer Vorgänge verwendet: a In der Bed. 'etwas Fremdartiges, Andersartiges in sich aufnehmen und sich angleichen, sich anverwandeln, etwas sich zu eigen machen', z. B. Ideen assimilieren, auch jmd. assimiliert sich Bildung, Kultur; auch reflex, verwendet, z. B. Eindrücke assimilieren sich zu Bildern, selten auch sich einer Sache assimilieren 'sich einer Sache hingeben, widmen' (s. Beleg 1827), auch sich mit etwas, an etwas assimilieren, b Seit spätem 18. Jh. auf den Bereich der Biologie und Medizin übertragen, mit Bezug auf Lebewesen, in der Bed. 'Nahrungsstoffe aufnehmen und dem Organismus angleichen', z. B. Bakterien assimilieren Nährstoffe in Zellmaterial; der Körper assimiliert Nahrung; Stärke, Zucker werden im Körper zu Eiweißverbindungen assimiliert; auch reflex, verwendet etwas assimiliert sich mit etwas 'etwas gleicht sich etwas (z. B. einer Substanz) an und verändert sie' (s. Beleg 1782). c Seit Anfang 19. Jh. fachspr. in der Botanik gebucht (RITTER), mit Bezug auf Pflanzen, für 'körperfremde Nahrungsstoffe unter Energieverbrauch in sich aufnehmen und mit Hilfe des Sonnenlichts und des Chlorophylls in körpereigene Stoffe umwandeln', im Unterschied zu dissimilieren, z. B. Pflanzen assimilieren Kohlensäure, Kohlendioxyd. d Seit Mitte 19. Jh. in der Sprachwissenschaft, bes. Phonetik, für 'einen Laut einem benachbarten Laut angleichen', z. B. ein Laut assimiliert einen anderen, auch passivisch ein Konsonant wird dem anderen assimiliert; oft im Part. Perf. assimiliert, z. B. assimilierte Laute. e Seit spätem 19. Jh. (RITTER) in der Sinnespsychologie für 'Sehsubstanzen in der Netzhaut aufbauen, in deren Folge Farbempfindungen entstehen', z. B. optische Wahrnehmungen assimilieren; etwa gleichzeitig in der physiologischen Psychologie für 'Bewußtseinsinhalte an früher Erlebtes angleichen, neue Vorstellungen mit vorhandenen verschmelzen' (Wundt), z. B. Wahrnehmungen assimilieren; seit früherem 20. Jh. für 'Bestandteile der Umgebung in den Funktionszyklus des Organismus übernehmen und sie an die Organisation des Organismus angleichen' (Piaget) und in der Psychoanalyse für 'Inhalte des Unbewußten in die Struktur des Ich integrieren' (Jung, s. Beleg 1934). 2 Seit frühem 19. Jh. vorwiegend als V. reflex, in der Bed. 'sich (auch jmdn.) an eine andere ethnische oder soziale Gruppe, ein anderes Volk, eine andere gesellschaftliche Situation, Geistesrichtung, Kultur, Zeit, Umgebung anpassen, angleichen', in Wendungen wie sich rasch an die neuen Verhältnisse, in der neuen Umgebung assimilieren; sich einer Partei assimilieren; der Schüler assimilierte sich sofort in der Klasse;

assimilieren

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oft auch passivisch, z. B. die Zugezogenen wurden schnell assimiliert; häufig auch im Part. Perf. assimiliert, z. B. assimilierte Bevölkerungsgruppen; vereinzelt auch abwertend in der Bed. 'sich um persönlicher Vorteile willen der jeweils herrschenden Meinung anschließen' (s. Beleg vor 1832); selten auch sich (Dat.) jmdn. assimilieren 'sich jmdn. angleichen' (s. Beleg 1914). Dazu seit Ende 19. Jh. das eventuell unter Einfluß von gleichbed. engl./frz. assimilant über mlat. assimilans 'ähnlich machend' zu lat. assimilans, subst. Part. Präs, von assimilare, gebildete Subst. Assimilant M. (-en; -en) 'jmd., der sich einer ethnischen oder sozialen Gruppe, einem Volk, einer Kultur, Zeit, Umgebung angepaßt hat', gleichzeitig auch für 'jmd., der um seiner persönlichen Vorteile willen sich der jeweilig herrschenden Meinung anschließt' (s. Beleg 1899); in jüngster Zeit die subst. Ableitung Assimilantentum N. (-s; ohne Pl.) 'das Vorhandensein, die Anzahl und Verbreitung von Assimilanten in einem Land, Gebiet'; seit frühem 20. Jh. die vereinzelte Ableitung Assimilationist M. (-en; -en) für 'jmd., der sich dafür einsetzt, daß ein Land einem anderen integriert und angeglichen wird'. Dazu seit frühem 19. Jh. die adj. Ableitung assimilierbar in der Bed. 'integrierbar' (zu Ib, Ic und 2), seit früherem 20. Jh. die subst. Ableitung Assimilierbarkeit 'Integrierbarkeit' (zu 2). Seit Mitte 19. Jh. das Verbalsubst. Assimilierung F. (-; -en) in der Bed. 'Anpassung an eine andere ethnische oder soziale Gruppe, gesellschaftliche Situation, Geistesrichtung, Kultur, Zeit, Umgebung', die Assimilierung von Einwanderern an die einheimische Bevölkerung; seit Anfang 20. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Assimilierungskraft, -politik, -prozeß (zu 2); seit späterem 19. Jh. auch in der Bed. 'Integration, Aufnahme von etwas Fremdartigem'(zu la). Seit Anfang 18. Jh. das über mlat. assimilatio 'Angleichung, Ähnlichwerden, Ähnlichkeit' aus (flekt. Form von) lat. assimilatio 'Ähnlichmachung, das Invergleichbringen; Erdichtung, Verstellung' entlehnte Subst. Assimilation F. (-; -en), anfangs in lat. (flekt.) Form, zunächst in der Bed. 'Integration und verarbeitende Angleichung, Verähnlichung, Ähnlichkeit', seit Anfang 19. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Assimilationsgabe, -fähigkeit, -prozeß (zu la); seit früherem 18. Jh. in der Fachsprache der Biologie und Medizin für 'Aufnahme, Verarbeitung und Umwandlung der von einem Lebewesen aufgenommenen körperfremden Nahrungsmittel in körpereigene Substanz', heute dafür chemosynthetische Assimilation (vgl. Chemosynthese, Anabolismus) (zu Ib); seit späterem 18. Jh. in der Botanik gebraucht für 'unter Energieverbrauch und mit Hilfe des Sonnenlichts und des Chlorophylls vor sich gehende Umwandlung der von einer Pflanze aufgenommenen körperfremden Stoffe in körpereigene Substanz', heute dafür photosynthetische Assimilation (vgl. Photosynthese)·, etwa gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Kohlensäure-, (Kohlen)stoffassimilation, in neuerer Zeit auch als Bestimmungswort in Zss. wie Assimilationsprodukt, -stärke (zu Ic); seit früherem 19. Jh. in der Sprachwissenschaft, bes. Phonetik, für 'Angleichung von phonetischen Eigenschaften, bes. Lautqualitäten eines Lautes, Konsonanten an die eines anderen', z. B. sprachliche, progressive, regressive, reziproke, partielle, generelle, spezielle, divergente, totale, graphische, inverse, morphologische, grammatische, sprecherische Assimilation; etwa gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Begriffs-, Fern-, Kasus-, Kontakt-, Korrespondenz-, Laut-, Silben-, Wortassimilation und als Bestimmungswort in den Zss. Assimilationsgesetz, -kette, -theorie (zu Id); seit spätem 19. Jh. in der Sinnespsychologie für 'Wiederaufbau von

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assimilieren

Sehsubstanzen in der Netzhaut, demzufolge Farbempfindungen entstehen' (Hering, s. Beleg 1878); etwa gleichzeitig in der physiologischen Psychologie für 'Angleichung von Bewußtseinsinhalten an früher Erlebtes, Verschmelzung neuer Vorstellungen mit vorhandenen' (Wundt, s. Beleg 1880), seit früherem 20. Jh. für 'Übernahme von Bestandteilen der Umgebung in den Funktionszyklus des Organismus und ihre Angleichung an die Organisation des Organismus' (Piaget) und in der Psychoanalyse für 'Integration von Inhalten des Unbewußten in die Struktur des Ich' (Jung, s. Beleg 1967), als Bestimmungswort in Zss. wie Assimilations-Kontrast-Theorie (zu le). Schon seit früherem 19. Jh. in der Bed. 'Angleichung an eine ethnische oder soziale Gruppe, eine gesellschaftliche Situation, Geistesrichtung, Kultur, Zeit, Umgebung', z. B. eine kulturelle, politische Assimilation; die Assimilation der zugezogenen Bevölkerung, im früheren 20. Jh. ideologisch verwendet zur Rechtfertigung von politischen Integrationsbestrebungen (s. Belege 1925, 1927, 1934), von den Nationalsozialisten für ihre Herrschaftsansprüche mißbraucht (s. Belege 1935, 1937); seit Mitte 19. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Assimilationsbestrebung, -fähigkeit, -kraft, -politik, -prozeß, -vermögen, -wille und in der adj. Ableitung assimilationsfähig (vgl. Akkulturation) (zu 2). Dazu seit Anfang 20. Jh. das zu gleichbed. lat. assimilatum (Part. Perf. von assimilare, s. o.) gebildete Subst. Assimilat N. (-(e)s; -e) 'Produkt, das im Organismus durch Umwandlung körperfremder in körpereigene Stoffe entsteht', in jüngster Zeit auch als Bestimmungswort in der Zs. Assimilatbildung (zu Ib und le). Etwa gleichzeitig in der Fachsprache von Biologie und Medizin die seltene subst. Ableitung Assimilator M. (-s; -en) für 'Zellteilchen, das Nährstoffe aufnimmt und an die eigene Zellstruktur angleicht' (zu Ib und le). Seit Anfang 20. Jh. in der Fachsprache der Psychologie das Adj. assimilativ 'Wahrnehmungen an früher Erlebtes angleichend, auf Assimilation beruhend, durch Assimilation entstanden', z. B. eine assimilative Verbindung psychischer Elemente, assimilatives Lesen (zu le). Seit frühem 20. Jh. in den Fachsprachen von Biologie, Medizin, Psychologie, Linguistik, Ethnologie und Soziologie die adj. Ableitung assimilatorisch (ohne Steigerung) in der Bed. 'auf Assimilation beruhend, durch Assimilation entstanden; die Assimilation betreffend', z. B. assimilatorischer Traubenzucker (zu le), assimilatorischer Lautwandel (zu Id), assimilatorische Gruppenbildung (zu 2). assimilieren la: Praetorius 1667 Anthropodemus III 382 doch will ihme solches/ Idolum Rationis oder Ratio Status Superbiae: daß ein Deutscher nemblich mit denen Musicis nicht solle eadem chorda oberriren/ sondern variiren/ u. dem Polypo sich assimiliren. Aber thuen das die Fohlen/ welche vor ändern Nationen die Music lieben; aber sich dennoch an einerley Kleidung laben/ dieselbe loben und drinnen leben; Musäus 1778 Physiognotn. Reisen U 89 Darüber aßimilirt ich flugs ein paar Ideen, die mein Gast aus Gefälligkeit oder aus Ueberzeugung gar paßlich fand; Schiller 1789 Antrittsrede (S. W. IX 96) alles um sich herum seiner eigenen vernünftigen Natur zu assimiliren; Böttiger 1794 Literar. Zustände l 144 Überhaupt ist mein Gedächtniß für bestimmte Wortformen und ganze

Stücke mir sehr ungetreu, weil ich immer nur mit der Imagination gearbeitet und also Alles, was das Gedächtniß aufnahm, meiner eigenen Phantasie assimilirt und dort gleichsam eingeschmolzen habe; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,143) bis dahin wird der neue Körper des Almanachs [Schillers] schon so lebendig und mächtig seyn, um sie [die Xenien] sich zu assimilieren; ders. 1803 Br. (WA IV 16,356) in der so viele Jahre nun geduldeten Niedertracht nordischer Umgebung, der man sich doch auch mehr oder weniger assimilirt; 1806 Br. v. d. Univ. 289 Reichsstädte ohne Reich sind abgeschnittene Glieder, die für sich nichts bedeuten, und doch endlich als eine todte Masse von irgendeiner Organisation wieder assimilirt werden; Goethe 1808 Br. (WA IV 20,91) was sind die elementaren Erschei-

assimilieren nungen der Natur selbst gegen den Menschen, der sie alle erst bändigen und modificiren muß, um sie sich einigermaßen assimiliren zu können; ders. 1814 Dichtung u. Wahrh. (WA I 28,359) Wenn wir unsere Bildung von fremden Literaturen zu erlangen suchen . . wir suchen, so entfernt auch die Zeiten, so fremd auch die Zustände seyn mögen, sie uns, und uns ihnen zu assimiliren; Steffens 1817 Gegenwärtige Zeit I 107 Diese [die deutsche Sprache] hat allerdings lateinische Elemente aufgenommen, aber auf eine lebendige Weise, ohne ihre Eigenthümlichkeiten zu verlieren, sie hat diese assimilirt; Schopenhauer 1819 Kritik (S. W. / 531 f.) ein neues, unbefangenes Geschlecht . . welches allmälig, aus tausend abgeleiteten Kanälen, den Inhalt jener Quelle, schon in der Jugend, theilweise empfängt, nach und nach assimilirt und so der Wohlthat theilhaft wird, welche von jenem großem Geiste aus, der Menschheit zufließen sollte; Steffens 1819 Caricaturen I 302 Eine wahre Zunft musste für den erweiterten Unterricht der Lehrlinge sorgen, so dass von dem lebendigen Mittelpunkte des Gewerbes aus eine assimilierende Kraft entstand, die, was Wissenschaft und Erfindung lieferte, als nährenden Stoff von innen heraus in sich aufnahm; Goethe 1822 Br. (WA IV 36,110) Für dich [Zelter] ist mir übrigens nicht bange: deine Natur weis zu assimiliren, worauf doch alles ankommt; ders. 1827 Br. (WA IV 42,214) der Musiker . . genießt im Lebensgange große Vortheile, weil er dem Lebendig-dahin-fließenden und aller Art von Genüssen sich mehr assimiliren kann; ders. 1829 Tagebücher (WA III 12,21) Ich hielt mich nachher an Dr. Choisy von Genf Vorlesungen: Des Doctrines Exclusives en Philosophie Rationelle, immer fort bemerkend, wie man sich mit der neufranzösischen Philosophie, die wir die Cousinische nennen wollen, zu assimiliren trachtet; Tieck 1830 Sehr. XXI 265 Der Mensch ist freilich . . selbst nur Staub und Asche, aber wir können diese doch nicht ohne Unbequemlichkeit mit uns assimiliren; die zu nahe Freundschaft widersteht einer zärtlichen, ehehaften Verbindung; Goethe vor 1832 Maximen u. Reflex. (WA I 42.2,250) Der Romanheld assimilirt sich alles; der Theaterheld muß nichts Ähnliches in allem dem finden, was ihn umgibt; Mörike 1833 (1957 Aufbau X 412) Übrigens sage ich . ., daß ich der Kränklichkeit und Schmerzensprahlerei unserer jetzigen Poesie gegenüber mich . . herzlich nach einem gesunden Stoff sehne, der sich eine antike Form assimilierte; Burckhardt 1843 Br. a. Schauenburg 27 Anschauungen von den Reisen und den Menschen . . strahlen und funkeln schön gegeneinander und assimilieren sich zu Bildern und Geschichten; Grillparzer um 1850 S. W. XVII 111 Tritt diese Absicht nun zu sehr in den Vordergrund, so wird das Begriffsmäßige daraus

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ein geschworener Feind des Natürlichen, und in dieser Gestalt erscheint es bei Calderon, wo es denn dessen ganze belebende Kraft braucht, um das fremde Element dem warmen Organismus zu assimilieren; Eichendorff 1854 Drama 78 Bocaccio versuchte allen Ernstes die heidnische Mythologie dem Christentum zu assimiliren; Marx 1857—58 Grundrisse d. Kritik d. pol. Ök. 532 das Kapital als Resultat des Werts, der die lebendige Arbeit in sich absorbiert und sich assimiliert hat; Lassalle 1861 System II 9 der [Gedanke] nicht die Macht hat, aus sich heraus sein Gegentheil zu überwältigen und sich zu assimiliren; Hillebrand 1874 Wälsches 21 Kein Volk assimilirte sich die athenische Cultur wie das florentinische — ohne sich je selber dabei zu verlieren; Kürnberger 1877 Herzenssachen 84 Sogar bei den Griechen selbst. . All' ihre Fortschritte assimilirten sich in schönen Bildungen und Umbildungen . . abenteuerliche Matrosenlügen zu einer Odyssee; Schaffte 1878 Bau II 193 die der christlichen Kirche assimilirten römischen und heidnischen Feste und Gebräuche; Hillebrand 1885 Culturgesch. 234 daß man bei ihrem [der Engländer] Bestrebungen sich in fremdes Wesen einzuleben, um es dann ihrem eigenen Leben zu assimiliren, jede Nuance vermißt; Nordau 1885 Paradoxe 129 Das Nichtgenie kann die Natur nicht verdauen, nicht assimiliren, nicht in Bestandttheile des eigenen Bewußtseins umsetzen; Hornberger 1886 Essays 350 vielleicht ist gerade der Purismus das Hinderniß, welches uns unfähig macht, fremde Elemente zu assimiliren, in nationale zu verwandeln . . [der Grund dafür ,] daß deutsche Elemente so leicht sich dem deutschen Wesen entfremden und von fremdem Wesen assimilirt werden; Luxemburg um 1918 Reden II 220 auch für die internationale Sozialdemokratie ist die Erhebung des russischen Proletariats ein neues Phänomen, das man sich erst geistig assimilieren muß; Thälmann um 1924 Reden I 341 daß die deutsche Parteiführung es verstanden hat, die verschiedenen Strömungen zum Teil zu assimilieren; Keyserling 1926 Welt 34 wir Europäer . . brauchen nicht annähernd so viel Fremdes zu assimilieren, um neu zu werden; Tillich 1926 Religiöse Lage 56 Flaubert, dessen Naturalismus ihn nicht hindert, in seiner Entwicklung mystische Elemente zu assimilieren; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. XI 110) seine Verherrlichung des Lebens auf Kosten des Geistes, diese Lyrik, die im deutschen Denken so mißliche Folgen gehabt hat, — es gab nur eine Möglichkeit, sie mir zu assimilieren: als Ironie; ders. 1939 Lotte (W. II 423) daß er bei seiner hurtigen Auffassung, seinem festhaltenden Gedächtnis, der hohen Lebendigkeit seines Geistes trotzdem sehr viele Kenntnisse im Fluge errafft und assimiliert hat; Thierf'eider 1956 Dtsch. Sprache 59 die italieni-

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assimilieren

sehen Siedler in Übersee waren weniger noch als die deutschen imstande, fremde Umwelt sich jenseits der Grenzen zu assimilieren; 1958 Urania VI 208 Die Ursache mag darin zu finden sein, daß hier das Magma größere Kalkmengen assimilierte; Welt 23.9.1969 die Genuesen imitieren nicht, sie assimilieren die fremde Kunst und führen sie zu neuen poetischen und koloristischen Höhen; MM 11.4. 1986 daß Picasso sich wie kein anderer darauf verstand, . . hemmungslos den Fundus der Kunstgeschichte auszuplündern, behende fremde Themen und Techniken zu assimilieren; Zeit 4.7.1986 die vietnamesischen Nationaleigenschaften: eigensinnige Zähigkeit und rasches, manchmal aufbrausendes Temperament, das Erbe einer jahrtausendealten Geschichte, in deren Verlauf chinesische, französische, amerikanische und russische Einflüsse assimiliert wurden. Assimilation: Sonntag 1714 Voc. pseudomyst. 9 assimilationem cum Deo; Bode 1774 Tristram Schandi (Übers.) // 21 Nach eben dem Processe und eben der elektrischen Assimilation, . . durch welche . . die Seelen der Natur- und Kunstkenner selbst, durch langes Reiben und Betasten endlich das Glück haben, über und über beliebhabert, — begemähldet, beschmetterlinget und begeiget zu werden; Musäus 1781 Physiognom. Reisen II 130 die das innere Gefühl aus der Assimilation vorempfundener Ideen ableiten; ebd. IV 206 Wir wollen, weils gleichgültig ist was für Personen wir zur Assimilation wählen, die Tischgenossenschaft von heut und gestern . . vornehmen; Herder 1784—91 Ideen (S. W. XIII 184) Wie der Leib durch Speise zunimmt, nimmt unser Geist durch Ideen zu, ja wir bemerken bei ihm eben die Gesetze der Aßimilation, des Wachsthums und der Hervorbringung, nur nicht auf eine körperliche, sondern eine ihm eigene Weise; Goethe 1819 Divan Noten, Pavalip, (WA l 7,304) Assimilation an die deutsche Denkweise, wozu schon die Anlage fürtrefflich (GWB); Schopenhauer 1819 Welt (S. W. l 206) Der gegebenen Ansicht gemäß, wird man zwar im Organismus die Spuren chemischer und physischer Wirkungsarten nachweisen, aber nie ihn aus diesen erklären können; weil er keineswegs ein durch das vereinigte Wirken solcher Kräfte, also zufällig hervorgebrachtes Phänomen ist, sondern eine höhere Idee, welche sich jene niedrigeren durch überwältigende Assimilation unterworfen hat; Wit v. Dörring 1827 Lucubrationen 114 dass nicht allein in der Körperwelt, sondern auch in dem Geisterreiche ein steter Assimilations-Process vorgeht; Th. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. IX 504) es ist eine . . zutreffende Feststellung, daß . . die Fähigkeit zu lieben und zu lernen, die Kraft der Aneignung, Assi-

milation, Verwandlung, persönlichen Fortbildung jeder großen Begabung zum Grunde liegt. Assimilierung: Holtet 1860 Eselsfresser 281 es ist im Wesen schwacher Naturen begründet, alle Eigenschaften, die sie von Stärkeren an- und in sich aufnehmen, durch diese Assimilirung übel zu benützen; Billroth 1876 Lehren 359 universelle Bildung und Esprit verbinden sich in ihnen mit einer sonst nur productiven Naturen eigenen kräftigen Assimilirung des täglich Aufgenommmenen; Bernheim 1903 Methode 461 Ungenaues und mangelhaftes Verständnis des Überlieferten führt . . [in der Sagenbildung] auch zu dem weittragenden Prozeß der Aneignung, Assimilierung und Umwandlung von unverstandener, unverständlich gewordener Überlieferung; Voss. Ztg. 9.8.1931 Wohl kann eine Assimilierung solcher Fremdkörper [fremder Gedanken, Gefühle, Seelenbestandteile, Wirtschafts- und Rechtsordnungen] zur Bereicherung führen; Hocke 1976 Tagebücher 360 [den angespannten Konflikt zwischen Geist und Leben] kennen .. ältere Autoren nicht. Waren sie vitaler? Hatten sie eine stärkere geistige Assimilierungskraft? assimilieren Ib: Sturz 1782 Sehr. II 298 wir arten nach unsern Eltern, nach der Erde, die uns trägt, . . nach der Nahrung, die sich mit unsrer Substanz assimilirt; 1797 Archiv Physiologie U 386 Stärke oder Schwäche der assimilirenden und bildenden Kraft . . Homogen nennen wir diejenigen Stoffe, welche einen sehr geringen Grad von Kraft erfordern, um assimilirt zu werden; Hufeland 1822 Kl. med. Sehr. I 222 Täglich sieht es ja der praktische Arzt, wie die gefährlichsten Krankheitsmaterien durch die fieberhafte Bearbeitung verändert, gemilder, assimilirt . . werden; Hegel 1830 Enc. d. philos. Wiss. H (W. IX §365, Zusatz) Ein Äußerliches, was zur unorganischen Natur des Tiers gehört, wird hier assimiliert, aber so, daß es zugleich als äußerlicher Gegenstand gelassen wird; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. I 232 Es assimilirt aber nicht bloß unser Körper in Ansehung alles dessen, was er als Nahrungsmittel und sonst in sich aufnimmt; Engels 1857 Br. (MEW XXIX 163) Gesetzt . ., der Charakter meiner Krankheit wäre, daß das Blut nicht mehr fähig sei, das Eisen in Nahrungsmitteln zu assimilieren, so assimiliert's das aus der Medizin noch weniger; Hartmann 1869 Philosophie 141 Der Organismus kann ferner nur durch Resorption Materie assimiliren, daher muss diese in flüssiger Gestalt sein; Engels 1873—83 Dialektik d. Natur (MEW XX 560) [Stoffe] die dem Organismus assimiliert werden; ders. 1878 Anti-Dühring (MEW XXVIII 76) daß der Eiweißkörper aus seiner Umgebung andre geeignete Stoffe in sich aufnimmt, sie sich assimiliert; Leisegang

assimilieren 1951 Weltanschauung 67 Im Organismus werden fremde Stoffe assimiliert, ohne daß sich die Struktur des Ganzen verändert; 1967 Bild d. Wiss. Ill 178 das neue, „Catgut" genannte Material scheint den Vorzug zu haben, daß es nach einiger Zeit vom Körpergewebe völlig assimiliert wird. Assimilation: Zedler 1732 Unwersallex. II 1909 Assimilatio .. ist ein Zusatz oder Vollendung der Nahrung, wenn dasjenige, so ernähret, verändert, und demjenigen, so ernähret wird, gantz gleich, und in dessen Natur verwandelt wird; Bonnet 1772 Natur (Übers.) 147 Es werden ihr [der Fiber] daher die fremden Partikelgen in einem geraden Verhältnisse mit ihrer eigenen Natur, oder mit ihrer besonderen Beschaffenheit, einverleibet. Ihre Structur enthält derowegen einige Bedingungen, welche schon durch sich selbst die Verähnlichung (assimilation) bestimmen; Herder 1784-91 Ideen (S. W. XIII 179) Die Natur dankt die Maschiene ab, die sie zu ihrem Zweck der gesunden Assimilation, der muntern Verarbeitung nicht mehr tüchtig findet; ebd. Verlohrne Kräfte ersetzt sie [die Kunst des Arztes] . . durch Herbeiführung und Assimilation solcher oder entgegengesetzter Kräfte aus den niedern Reichen; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 155 Assimilation. In der Physik ist dieser fremde Ausdruck fast unentbehrlich; weil er auf eine sehr anschauliche Art die Wirkung bezeichnet, durch welche die Theile der Nahrungsmittel in Theile des Körpers verwandelt werden. Wir haben keinen deutschen Ausdruck, der diesen Begriff so kurz und bündig bezeichnete; Hufeland 1797 Kunst 225 Diese wichtige Operation der Assimilation und Animalisation ist das Geschäft zuerst des absorbierenden und Drüsensystems . . auch die einsaugenden Gefässe der Haut; 1797 Archiv Physiologie II 386 die Hauptwirkung der Lebenskraft ist Assimilation und Formation des Stoffes; ebd. Je stärker . . die Kraft, je vollkommener das Organ, je bildungsfähiger der Stoff, desto vollkommener geschieht die Assimilation und Animalisation des zu bearbeitenden Stoffes; Klaproth 1807 Chem. Wb. I 190 Assimilation. Mit diesem Namen belegt man die vereinte Wirkung chemischer und organischer Kräfte, wodurch die Nahrungsmittel, welche das organische Wesen in sich genommen hat, in die Bestandtheile . . desselben verwandelt werden; 1808 Reils Beytr. I 34 Die Parallele . . [von Körper und Geist] . . geht durch den ganzen Organismus. Auf der einen Seite steigt das Thätige von seiner obersten Potenz im Denken und Empfinden, durch die Bewegungen in der Muskelaktion, Assimilation und Decomposition zu der tiefsten Stufe herab, wo nur noch Schwere, Cohäsiv- und Expansivkraft sind; Ritter 1810 Fragmente I 22 das bekannte Phänomen der Verähnlichung, z. B. daß Milch in den

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Brüsten entsteht . . Der Assimilationsproceß scheint sehr zu gewinnen, wo immer Homogenes sich an Homogenes ansetzt. — Die Reproduction bey Thieren; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. l 205) es entsteht ursprünglich durch generatio aequivoca, nachher durch Assimilation an den vorhandenen Keim, organischer Saft, Pflanze, Thier, Mensch; ebd. l 207 Daher auch deprimirt die Verdauung alle animalischen Funktionen, weil sie die ganze Lebenskraft in Anspruch nimmt zur Ueberwältigung chemischer Naturkräfte durch die Assimilation; Hufeland 1822 Sympathie 57 Die Bestimmungen der vegetativen und objectiven Sphäre des Menschen ist, das Äussere aufzunehmen und zu organisieren, und ihre Functionen erscheinen als Assimilations-, Reproductions- und Ernährungsprocess; ders. 1822 Kl. med. Sehr. II 223 zum deutlichen Beweis, daß . . die Materie selbst erst eine Art von Assimilation und Homogenität erhalten muß, um abgeschieden zu werden; Puchelt 1826 System d. Med. l 52 Die Reproduction äussert sich in der Assimilation, Sanguification, Nutrition und Secretion, an welche letztere die Excretion sich anreiht. Die Assimilation aber zerfällt in Chymification und Chylification. Die Thätigkeit des . . Gefäßsystems tritt zwischen diese und die Sanguification; Hegel 1830 Enc. d. philos. Wiss. II (W. IX $ 357, l, Zusatz) Assimilation . . alle Prozesse, in denen ein Organismus das ihm Äußerliche, Unorganische . . als subjektiv setzt, [es] sich zu eigen macht, mit sich identifiziert; Schleiermacher 1830 Psychologie (W. IV 14) Die menschliche Organisation kann nicht bestehen ohne den Assimilationsprozess, der zunächst dem Animalischen und Vegetabilischen angehört; Goethe 1830 Er. (WA IV 48,6) daß in dem Wasser unter allen Himmelsstrichen sich gleiche einfache Gestalten [Infusorien] hervorthun, die sich denn hernach durch Entwicklung und Assimilation, als den Haupt-Wirksamkeiten des Lebendigen, auf das wuderbarste vermannichfaltigen mögen; Lotze 1839 KL Sehr. I 56 Bemerkt doch der Verfasser selbst, dass diese allgemeine Assimilation, die sich im thierischen Blutsysteme zeigt, den Pflanzen abgehe; Ihering um 1860 Recht u. Sitte 63 Leben ist Aufnahme von aussen und innerliche Aneignung; Rezeption und Assimilation sind die beiden Fundamentalfunktionen, auf deren Dasein und Gleichgewicht das Bestehen und die Gesundheit jedes lebenden Organismus beruht; Hartmann 1869 Philosophie 142 das System des Blutlaufes, welches allen Theilen des Organismus fortwährend neue Stoffe in schon geeignetster Form zur Assimilation darbietet; Engels 1878 Anti-Dühring (MEW XX 77) innere Bewegung, ohne die weder Verzehrung noch Assimilation der Nahrung möglich ist; 1903 Preuss. Jahrb. CXI 207f. Wie die Umwandlung der Nahrungsmittel in Baustoffe und

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assimilieren

Arbeitsstoffe als Assimilation bezeichnet werden kann, so wird die Umwandlung des Verbrauchten in Ausscheidungsstoffe Dissimilation genannt; Haeckel 1913 Lebenswunder 243 der weitere und viel ältere Begriff der Assimilation bedeutet in der thierischen Physiologie ursprünglich im weitesten Sinne die Aneignung und Verarbeitung der von außen aufgenommenen Nahrung; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 394) Solange die Teilung organische Einheiten ergab, die die Eigenschaften des Lebens, nämlich die Fähigkeiten der Assimilation, des Wachstums und der Vermehrung besaßen, waren ihr keine Grenzen gesetzt; ebd. HI 632 Die Vernichtung des Leichnams durch Feuersglut, — welche reinliche, hygienische und würdige, ja heldische Vorstellung war das, im Vergleich mit derjenigen, ihn der elenden Selbstzersetzung und der Assimilation durch niedere Lebewesen zu überlassen. Assimilator: 1903 Preuss. Jahrb. CX11I 287 Ich habe die Biomoleküle der Plastiden Assimilatoren genannt und ihnen ausschließlich die Fähigkeit zur Assimilation (Angleichung der Nährstoffe an den eigenen Chemismus), also zur komplizirtesten Synthese, zugeschrieben. Bei der Reifung der Plastiden zu Fermenten, Kollosen oder Bestandtheilen des Gerüstes wandeln sich die Assimilatoren in Ergatiden um, die nun nur Spaltungen, Verbrennungen oder minder komplizirte Synthesen auszuführen vermögen. assimilierbar: Neumann 1829 Krankheiten 56 Zellgewebe der Pflanzen z. B. ist dem menschlichen Magen nicht assimilierbar. assimilieren lc: Dittmann 1858 Landw. I 205 Bevor der Stickstoff von den Pflanzen assimilirt werden kann; Marx 1861—63 Theorien ü. d. Mehrwert (MEW XXVI 289) Es ist nur von dem organischen Teil [des Korns] Unorganisches assimiliert und in Organisches verwandelt worden; Thome 1872 Lehrb. d. Botanik 107 Die in die Pflanzen aufgenommenen rohen Nährstoffe . . müssen .. wichtige Umwandlungen erleiden und den bereits vorhandenen organischen Verbindungen verähnlicht (assimilirt) werden; Molisch 1920 Vortr. 261 Blätter von Efeu . . da sie fortwährend assimilieren, die Assimilate aber nicht ganz aufbrauchen, . . werden sie auffallend dick; 1955 Urania IX 361 die assimilierenden Blätter. Assimilat: Driesch 1901 Regulationen 117 dass normaler Weise etwa die Blüthenbildung durch von „anderswoher" stammende Stoffe ausgelöst werde, etwa durch eine Steigerung der Koncentration des Saftstromes oder durch specifische Assimi-

late; Molisch 1920 Vortr. 261 Blätter von Eufeu .. da sie fortwährend assimilieren, die Assimilate aber nicht ganz aufbrauchen, .. werden . . auffallend dick; 1924 Meyer Lex. I 998 Aus den genannten Kohlehydraten, die als Assimilationsprodukte oder Assimilate auftreten, bildet die Pflanze andere Stoffe, so bes. Zellulose und Eiweiß; 1936 Meyer Lex. I 631 daher sind die Blätter die hauptsächlichsten Ernährungsorgane, in denen als Assimilationsprodukte (Assimilate) Kohlehydrate entstehen (Photosynthese); ebd. Aus den Assimilaten, Zucker und Stärke, werden Zelluslose, Fett und Eiweißstoffe gebildet; 1958 Urania XI 415 Da aber ein großer Teil der tagsüber gewonnenen Assimilate in der Nacht wieder veratmet wird . . nehmen die Pflanzen an Grünsubstanz kaum noch zu. Assimilation: 772 Frankf. gel. Anz. 25 In der Assimilation der Nahrung sind sie [die Pflanzen] zu gleichen Gesetzen angewiesen, und können nicht alle annehmen; denn die Früchte schmecken eben so gut nach dem Boden, als Milch, Urin, Fleisch und Beine der Thiere nach dem besondern Futter, das sie genährt hat; Steffens 1817 Gegenwärtige Zeit I 262 wie dieses Pflanzenleben selbst eine Assimilation der Elemente ist; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. I 209) wo durch organische Assimilation Wasser und Kohle in Pflanzensaft . . verwandelt wird; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. I 232 Assimilation findet statt . . bei allen Pflanzen, und ist im Kreise der organischen Wirksamkeit eben das, was im Gebiete der chemischen Wirksamkeit Neutralisation heißt; Bischoff 1833 Handb. d. botan. Terminologie I 13 Assimilation (Adsimilatio ..), die Function, durch welche die Pflanze die von ihr aufgenommenen Nahrungsstoffe sich aneignet und in Theile ihrer selbst umändert; Thome 1872 Lehrb. d. Botanik 107 Diese Umänderung (Assimilation) ist dem Verdauen der Nahrung bei den Thieren . . vergleichbar, . . während es sich bei der Pflanze darum handelt, aus einfachen Verbindungen . . höher zusammengesetzte herzustellen; Hallier 1889 Kulturgesch. 304 Die . . Assimilation der Pflanzen . . ist ein Reduktionsprozess auf Kosten der Kohlensäure, der Luft und des Wassers der Zelle . . Wie die Assimilation durch Reduktionsprozesse charakterisiert ist, so ist es der Stoffwechsel durch Oxydationsprozesse; Kleinpaul 1892 Sprache 171 bei der sogenannten Assimilation wird von den Pflanzen Kohlensäure aufgenommen und Sauerstoff abgegeben; Haeckel 1904 Lebenswunder 242 Das Pflanzenreich besorgt im Großen und Ganzen überwiegend die Assimilation, indem es aus anorganischen Substanzen durch Synthese und Reduction neues Plasma bildet. Im Thierreiche higegen überwiegt die Dissimilation, indem das aufgenommene Plasma durch

assimilieren Oxydation zersetzt und die dabei durch Analyse gewonnene actuelle Energie in Wärme und Bewegung umgesetzt wird; ebd. 243 die beständige Neubildung von Plasma . . wir bezeichnen dieselbe als Plasmodomie . . oder als „Carbon-Assimilation" = Kohlenstoff-Assimilation. Die Botaniker haben sich neuerdings daran gewöhnt, diese kurzweg Assimilation zu nennen, und dadurch viele Mißverständnisse veranlaßt; ebd. 396 Die wichtigste von diesen Thatsachen ist, daß jede lebendige grüne Pflanzenzelle das synthetische Vermögen der Plasmodomie oder „Kohlenstoff-Assimilation" besitzt, d. h. sie ist im Stande, durch eine chemische Synthese und Reduction aus einfachen anorganischen Verbindungen: Wasser, Kohlensäure, Salpetersäure und Ammoniak, jene verwickelten eiweißartigen Verbindungen aufzubauen, die wir Plasma oder Protoplasma nennen und als die active „lebendige Substanz", als die wahre materielle Basis aller Lebensthätigkeit betrachten; 1955 Urania IX 361 Wenn man die assimilierenden Blätter untersucht, stellt man . . Stärke bzw. . . Glukose, als erstes Assimilationsprodukt fest; i 956 ebd. V 199 die berechtigte Annahme . ., daß diese Assimilationsstärke im Blatt erst sekundär aus dem primären Assimilationsprodukt Traubenzucker entstanden ist; Zeit 22. 8.1986 Assimilation und Atmung verlaufen unzureichend und die Verdunstung über die Blätter stagniert. assimilatorisch: Poenicke/Schmidt 1950 Obstbau 287 eine zu starke Beschattung der Blätter . ., so daß deren assimilatorische Leistung beeinträchtigt ist; 1956 Urania V 198 Wie läßt sich der assimilatorisch gebildete Traubenzucker . . bezogen auf Blattfläche oder Chloroplastenzahl bestimmen; ebd. Da dieser chemische Prozeß in der Pflanze meist außerordentlich schnell verläuft, ist man häufig nicht in der Lage, den assimilatorisch synthetisierten Traubenzucker zu bestimmen. assimilierbar: Dittmann 1858 Landw. l 221 Ist der Acker aber sehr reich an Bestandtheilen, die dieses . . Gewächs hauptsächlich verlangt, oder auch nur an solchen leicht verwitterbaren Substanzen, die in einem oder einigen Jahren assimilierbar werden, so kann ein solches Gewächs auf demselben Grundstück bald wiederkehren; Marx 1894 Kapital III (MEW XXV 664) je nachdem sich diese Nahrungsstoffe in einer Form befinden, worin sie mehr oder minder assimilierbar, unmittelbar verwertbar für die Nahrung der Pflanzen sind. assimilieren Id: 1860 ZfVölkerpsychol. l 112 Wie der Römer seine Präposition in bei Zusammensetzungen je nach dem folgenden Consonanten, dem sie sich assimiliren muß, in il, im, ir verwandelt,

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so lassen auch wir das n von „in" nicht unversehrt in den Worten „Imbiß, immitten"; Pierer 1888 Konversationslex. l 1373 In neuhochd. Kamm, mittelhochd. kamp (bayr. noch Kamp) hat das m den folgenden Labialen assimiliert; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 433) „das ist ganz eimfach", sagte sie (nach oberbayerischer Art assimilierte sie immer das n dem f, so daß ein m daraus wurde); 1958 Forsch, u. Fortschr. VII 214 Ningal [erscheint] im Ugaritischen, in dem das zweite n des Namens dem ihm folgenden k assimiliert wurde, als Nikkal. Assimilation: Kurz 1843 Schillers Heimatjahre l 98 die Mädchen . . sprachen wirklich das R vor gewissen Konsonanten nicht aus, während sie es vor ändern scharf und hell hören ließen. Die eigensinnige Assimilation wurde zu seiner Belustigung mehrmals an Gretchens „Latännle" ausgeübt; 1844 Volks-Conversationslex. l 231 Assimilation, Verähnlichung, . . In der Grammatik bei Wörterzusammensetzung Verwandlung des Endbuchstaben im ersten Worte in den Anfangsbuchstaben des zweiten; 1860 ZfVölkerpsychol. I 113 Schon aus den gegebenen Beispielen geht hervor, daß bei der Assimilation sich theils der erste Laut dem folgenden fügt (rückwirkende Assimilation), theils dieser sich nach jenem richtet (vorschreitende Assimilation); 1874 Meyer Konversationslex. II 57 In sprachlicher Hinsicht bezeichnet Assimilation (Anähnlichung, Angleichung) einen Vorgang, wonach einem gesprochenen oder zu sprechenden Laute zu Gefallen ein Laut in einen ändern allmählich übergeht, der jenem gleich oder doch ähnlich ist; Pierer 1888 Konversationslex. l 1373 Vielfachen Assimilationen sind im Griechischen und Lateinischen z. B. die Präpositionen in der Zusammensetzung unterworfen; Porzig 1950 Wunder 121 Die Folge [der Vorausnahme und Nachwirkung der Sprechbewegungen] ist, dass dieser Laut nun Züge annimmt, die den folgenden gehören, er wird ihnen also in gewisser Hinsicht ähnlich. Man nennt diese Erscheinung darum Angleichung oder lateinisch Assimilation; 1958 Lebende Sprachen IV 119 Ein ausspracheerleichterndes Ausgleiten ins artikulatorisch Bequemere kann durch Angleichungen (Assimilationen) und durch Entähnlichungen (Dissimilationen) bewirkt werden; Abraham 1974 Terminologie 41 Assimilation, Angleichung oder Anähnelung von Lauten. Man unterscheidet Nah(Kontakt-) und Fernassimilation; ferner regressive (vorwirkende: mhd. zimber > Zimmer) und progressive (nachwirkende: mhd. hochvart > mhd. Hoffart); Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. l 183 Assimilation . . Sigmaringen (1855) wollte den Terminus auf die totale, J. Vendryes auf die Fernassimilation . . einschränken.

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assimilatorisch: Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. / 186 assimilatorischer Lautwandel . . assimilatorischer (Laut)zuwachs; 1993 Metzler Lex. Sprache 62 Diese gesetzhafte Assimilationskette liefert auch eine Erklärungsbasis für fernassimilatorische Umlautfälle. assimilieren le: Jung 1934 Archetypen d. Unbewußten 182 dagegen hat seine [des Primitiven] unbewußte Seele einen unüberwindlichen Drang, alle äußere Sinneserfahrung an geheimes seelisches Geschehen zu assimilieren; Kronasser 1952 Semasiologie 44 Der assimilative Bedeutungswandel, bei dem innerhalb des gleichen Sinnesgebietes Eindrucks- oder Erinnerungselemente assimiliert werden; 1956 Sprachpflege XXI 3 Der Sprechende projiziert sein Denken, seine Gefühle, seine Empfindungen, . . in diese Dinge und assimiliert sie so seinem Vorstellungsvermögen. Assimilation: Hering 1878 Lichtsinn 81 Assimilation [bedeutet] in der Sinnespsychologie beim Farbensehen den Wiederaufbau . . dreier Sehsubstanzen, demzufolge Farbenempfindung entsteht; Wundt 1880 Grundzüge d. physiol. Psychol. II 436 Assimilation bezeichnet die Verschmelzung früher wahrgenommener Elemente mit einem neu hinzutretenden zu einer neuen Verbindung (beide RITTER); Eisenhans 1912 Psychologie 174 Diesen Vorgang, in welchem also primäre und sekundäre Bewußtseinslelemente zusammenwirken, nennt man für gewöhnlich, nach Wundts Vorgang, Assimilation oder Angleichung; Kainz 1941 Psychologie IV 259 [die] Assimilation, . . Angleichung des Aufgenommenen an innere Bestände, . . Verschmelzung des eben Perzipierten mit dem mnestischen Besitz; Jung 1967 Dynamik d. Unbewußten 256 Assimilation . . die Aufnahme und Integration von Inhalten des Unbewußten in die Struktur des Ich. assimilativ: Wundt 1913 Elemente d. Völkerpsychologie 355 Dieser Vorgang besteht in der assimilativen Verbindung psychischer Elemente verschiedenen Ursprungs; Kainz 1941 Psychologie IV 259 Das assimilative Lesen hat seinen Namen von der Tätigkeit der Assimilation; Kronasser 1952 Semasiologie 44 Hier [nach Wundt] werden zwei Grundformen unterschieden: 1. Der assimilative Bedeutungswandel, bei dem innerhalb des gleichen Sinnesgebietes Eindrucks- oder Erinnerungselemente assimiliert werden. assimilieren 2: Steffens 1817 Gegenwärtige Zeit I 160 assimilierende Kraft der Germanen; Goethe 1826 Er. (WA IV 41,144 f.) Denn eigentlich sollte

man sie [Demoiselle Sontag] doch erst als Individuum fassen und begreifen, sie im Elemente der Zeit erkennen, sich ihr assimiliren, sich an sie gewöhnen, dann müßt es ein lieblicher Genuß bleiben; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. I 232 Und so werden auch ganze Völker durch die Fortschritte der Civilisation, so wie der Bildung überhaupt, einander dergestalt assimilirt, daß das Unterscheidende oder Auszeichnende in ihren Nationalcharakteren nach und nach immer mehr vermischt wird; Goethe vor 1832 Maximen u. Reflex. (WA U 11,137) Nichts ist widerwärtiger als die Majorität: denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, . . aus Schwachen, die sich assimiliren, und der Masse die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen was sie will; Szarvady 1852 Paris l 288 Die politischen Mitarbeiter seines Journals verschwinden neben ihm, er wirkt zu assimilirend auf sie und ihre Arbeiten bleiben immer nur ein Abklatsch seiner eigenen Gedanken, sogar die Ausdrucksweise wird dieselbe; Spielhagen 1857 Engl. Charakterzüge (Übers.) 89 Sie [die Engländer] assimiliren sich andre Rassen und werden nicht assimiliert; Engels 1870 Geschichte Irlands (MEW XVI 461) wurde vielmehr jede neue Welle von Eindringlingen, die Irland eine nach der ändern überschwemmte, von Irland assimiliert; ebd. XVI 493 die Bevölkerung dieser Städte blieb noch lange skandinavisch, hatte sich aber im 12. Jahrhundert längst den Iren in Sprache und Sitte assimiliert; ders. 1878 Anti-Dühring (MEW XX 170) der rohere Eroberer . . wird von den Eroberten assimiliert und muß meist sogar ihre Sprache annehmen; Nordau 1881 Paris 1188 Er sucht sich so viel als möglich den eigentlichen Parisern zu assimilieren; 1914 Preuss. Jahrb. CLVI 373 die englische Gesellschaft verstehe es ganz vorzüglich, Menschen von fremder Nationalität, die nach Großbritannien kommen, sich zu assimilieren; Voss 1916 Ges. Reden 195 in Staaten wie Wisconsin und Minnesota, wo Germanen sich nicht haben von englischer Kultur assimilieren, aufsaugen lassen; Walther 1919 Wege dtsch. Geistes 13 In Großbritannien ist der Schotte durch Gleichheit der Religion und sozialen Struktur dem Volkskörper eingearbeitet worden. Nur der katholische bäuerlich abgeschlossene Ire ist nicht assimiliert; 1923 ElsassLothringen. Heimatstimmen I 151 Die elsässische Presse ist bald der französischen restlos „assimiliert" . . Tardieu sprach von der „Chloroformierung der öffentlichen Meinung durch die grossen Pariser Informationsblätter"; Toller um 1927 Ausgew. Sehr. 154 Mit Aufsehern, die ehemalige Arbeiter waren, machten wir die besten Erfahrungen. Sie lösen rasch alle Beziehungen zu ihren früheren Kameraden und assimilieren sich; Lettenbaur 1927 Morgen 201 Wird die neue Seele Deutschlands die-

assimilieren sen, den Fremden so vielfach auffallenden Zug [Dünkelhaftigkeit] ersterben machen; Oder wird Neudeutschland zum Ende sich wieder mit ihm assimilieren?; Voss. Ztg. 20.5.1928 Bei allen gesetzlichen Versuchen, einen Teil der assimilierten Ausländer als Schweizer Bürger zu erfassen; 1929 Dtsch. Einheit 214 Der Ansässige bewahrt seine Eigenart und der Zusiedelnde gibt sie auf, er ähnelt sich je länger je mehr dem Wesen des Einheimischen an, er „assimiliert" sich; 1929 Nord u. Süd Lll 219 die Verwaltung [Australiens] hat Vollmachten, die ihr eine Aussperrung oder Rationierung der Einwanderer je nach dem Grad der Assimilierfähigkeit der einzelnen Völker gestatte; Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. X 314) assimiliertes Franzosentum ist die paradoxe und dabei klassich voltairische Mischung aus Pessimismus und Hochherzigkeit, Menschenverachtung und revolutionärem Elan; K. Mann 1952 Wendepunkt 272 Bibi . . verliebte sich . . in eine . . Schweizerin, was wahrscheinlich die männliche Art ist, sich dem Gastland zu assimilieren; Welt 10.9.1954 es gehört zum eigenarigen Bild der „Kunststadt" München, daß die Assimilierten, die Zugereisten, dazu ausersehen sind, die Vorstellung vom geistigen Wesen dieser Stadt wach und rein zu halten; 1956 FAZ Nr. 262 wie die untersten Schichten, vornehmlich die Farbigen, voll assimiliert werden können, ohne doch die Wertvorstellungen einer angelsächsischen Gesellschaftsordnung zu zerstören — solcher Fragen gibt es viele; 1958 Weltbühne IX 273 Mehr als ein halbes Jahrtausend ist seit dem gewaltsamen Eindringen spanischer Abenteurer in Amerika vergangen, ohne daß die Eingeborenen sich der europäischen Mentalität assimiliert hätten; 1976 Wh. d. Sozial. 42 Da Prozesse der Assimilation allmählich erfolgen, sind Generationskonflikte innerhalb der sich assimilierenden Gruppe häufig; Hilsenrath 1977 Friseur 251 Sie sind kein typisch assimilierter Jude wie zum Beispiel Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter. Aber halbassimiliert? Das sind Sie! Ein Halbassimlierter! Ein bißchen Tradition ist noch da; Zeit 8.2.1985 ob und wie schnell sich die Eingebürgerten assimilieren lassen, müssen wir allerdings diesen überlassen; ebd. 21.6.1985 dabei machten die Eroberer eine Erfahrung . .: statt dem unterjochten Volk ihren Stempel aufzudrücken, gerieten die Fremdherren regelmäßig unter den Einfluß der älteren und überlegenen einheimischen Kultur und wurden assimiliert; ebd. 1.11.1985 wir haben einen Rechtsstaat von einiger Solidität, der kann auch die Grünen assimilieren; ebd. 24.10. 1986 die frankophone Negritude-Lyrik der Entfremdeten und an die Europäer Assimilierten . . — das war nicht sein Afrika; ebd. 31.10.1986 der Vater vertrat die Tradition der in Preußen assimilierten Juden; Spiegel 30.8.1993 Ein paar tausend Ein-

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geborene ziehen mit ihren Rentieren durch die Taiga, . . Einige Assimilierte bieten im Kulturhaus Folklore dar; ebd. 13.6.1994 Manchmal stelle ich mir vor, wie Deutschland wohl aussähe, wenn man aus unserer Geschichte die tausend Jährchen zwischen 1933 und 1945 einfach ausradieren könnte. . . Wie sähe die deutsche Literaturlandschaft aus, wenn all diese assimilierten und akkulturierten Juden noch lebten? Assimilant: Kraus (1899 Fackel XV 28) Dieser polemisierte gegen die Assimilanten und sagte wörtlich; „Die Abstreifung aller unserer Besonderheiten, unseres Glaubens, unserer Bräuche, unserer Ueberlieferungen, sogar unserer Gesichtsbildung"; 1918 Deutschland 276 Ein Wille zur Staatenbildung aber ist in der deutschen und polnischen und auch in einem Teil der jüdischen Bürgerschaft (Assimilanten) [Polens] vorhanden; Rathenau 1917 V. kommenden Dingen 334 die Assimilanten an eine gegebene, nicht überwindbare Atmosphäre haben die Anwartschaft auf die doppelten Schwächen des verlassenen und des imitierten Standes; Gablentz 1930 Berufskunde 430 In jeder Beamtengruppe und jeder Art von Behörden finden wir heute diese vier Richtungen: Reaktionäre und Assimilanten, Außenseiter und . . Reformer; Werfel 1933 Musa Dagh 349 Doch Gabriel gehörte ja selbst zu den Parisern, zu den Assimilanten, die von Armenien als von einer klassisch vornehmen, aber ein wenig unwirklichen Sache sprachen; Brehm 1938 Wien 43 f. Josef Edler von Sonnenfels . . war der Stammvater jener zahlreichen Assimilanten; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 375) Maimonides, dem angeblich größten Rabbiner des Mittelalters, einem Aristotelischen Assimilanten in Wahrheit, der es fertigbringt, die Opfer als eine Konzession Gottes an die heidnischen Instinkte des Volkes zu erklären. Assimilantentum: Zeit 5.4.1985 was veranlaßt den tief im Wiener Assimilantentum wurzelnden Herzl zu diesem Bruch mit seiner Welt. Assimilation: Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. I 232 Auch im gesellschaftlichen Leben findet ein Assimilationsproceß statt. Denn was thun die Menschen, welche mit einander umgehn, anders, als daß sie sich einander zu verähnlichen suchen? Alles, was wir Sitte, Gewohnheit, Nachahmung, Mode . . nennen, beruht auf dieser socialen Assimilation; Spielhagen 1857 Engl. Charakterzüge (Übers.) 17 Sie [die Engländer] haben Assimilationskrafft, desswegen wird ihnen von ihren auswärtigen Unterthanen nachgeahmt; 1866 Grenzboten IV 160 hat Preussen die Assimilationskraft eines echten Staates bewahrt; Rutenberg 1877 Zinne 177 [Staels] Werke, . . dessen Verdienste für den

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internationalen Assimilations-Process beider Nationen nicht verkannt werden sollen; Bauernfeld 1877 Ges. Aufs. 510 Assimilation der slavischen Länder; Oppenheim 1880 Stöcker u. Treitschke 18 seit der Emancipation herrscht ein starker Assimilationstrieb in den Juden; Hornberger 1886 Essays 354 Meiden sich die Bestandteile [einer Nation], so bleiben sie eben getrennt, jedes für sich. Suchen sie sich, sei es freiwillig, sei es gezwungen, so findet erst Annäherung, dann Verbindung, schließlich Ausgleichung statt, mit einem Worte das, was Assimilation genannt wird; Th. Mann 1907 Nachtr. (W. Xlll 461) gefragt, mit welchen der vorhandenen Vorschläge zur Lösung oder Förderung des Judenproblems ich am meisten sympathisiere, würde ich mich zur „Assimilation" bekennen, — wenn auch in einem anderen, allgemeineren Sinne als dem üblichen; Rathenau 1917 V. kommenden Dingen 334 die Assimilanten an eine gegebene, nicht überwindbare Atmosphäre haben die Anwartschaft auf die doppelten Schwächen des verlassenenen und des imitierten Standes und verarmen weiter in der Assimilation, die zu übertreiben sie gezwungen sind; Walther 1919 Wege ätsch. Geistes 14 die unwiderstehliche Assimilationskraft des Schmelztiegels der Völker Amerika; 1925 ElsassLothringen. Heimatstimmen 111 2 Die „Assimilation", die restlose Verschmelzung Elsaß-Lothringens mit Frankreich durch gesetzliche und administrative Massnahmen; 1927 ebd. V 507 [die französische] Politik der „Assimilation"; Baumgarten 1929 Lebensgesch. 306 [die] Assimilation ElsassLothringens an Deutschland; Voss. Ztg. 22. 9.1929 Die „Assimilation", wie Mendelssohn sie erstrebte, ist keineswegs identisch mit einem Aufgehen der Juden in der Umwelt .. Daß Mendelssohn trotz der „Assimilation" niemals an ein Aufgehen, sondern vielmehr an eine Erhaltung des Judentums gedacht hat, geht aus seinen Werken . . eindeutig hervor; Curtius 1930 Frz. Kultur 49 Assimilationskraft des französischen Bodens; Herold 1934 Frz. Saarpolitik 8 Die Schulpolitik der französischen Grubenverwaltung im „Saargebiet" gibt einen Vorgeschmack der volksgenössischen Mittel der „assimilation"; Lokal-Anz. 12.9.1934 Pop macht weiter sehr richtig darauf aufmerksam, daß die Politik der „Assimilation" und Entvolkung „durch zahlreiche Beispiele der modernen Epoche widerlegt" sei; 1935 Elsass-Lothringen. Heimatstimmen XIII 513 Der Verzicht der französischen Nation auf eine sinnlose „Assimilation" deutschen Volksbodens hätte die freiwillige, weitblickende Gegenleistung für den Verzicht des Reiches auf territoriale Ansprüche bedeutet; Hauser 1935 Judentum 195 Von diesem neologischen Judentum zum Christentum, zum völligen Aufgehenwollen in der europäischen Bevölkerung, zur Assimilation, ist der Schritt nicht

mehr schwer; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 107 die Überzeugung, daß Assimilation ein Haupterfordernis zur Lösung des deutschen Judenproblems sei; ebd. 202 Er war in seinem tiefsten Herzen Deutscher, nur Deutscher, hatte gedacht, durch die Taufe der Assimilation zu dienen; Lösch 1937 Dtsch. Volk 269 gewaltsame Bestrebungen zur Einschmelzung („Assimilation") von Angehörigen fremder Völker in das staatsführende Volk; Hiller 1950 Köpfe 292 Jakob van Hoddis . . hat den Zionismus die hysterische Form der Assimilation genannt; Welt 24.12.1959 es gibt keine Nation auf dieser Erde . . mit einer Volksgruppe, die zum Teil wirklich noch primitiv ist, nicht die gleiche Geschichte hat und deren Assimilation dennoch täglich fortschreitet; 1959 Urania II 62 So verschieden sich die Kolonialpolitik der europäischen Mächte im Kolonialzeitalter herausbildete, etwa die Assoziation der Engländer, die Assimilation (Aufsaugung) der Franzosen; Munch. Stadtanz. 27.5.1960 [München] hat . . so viel Assimilationskraft und so viel prägende Individualität, dass sie auch als Stadtlandschaft, als Stadtregion nicht zu einer beliebig auswechselbaren Anhäufung von Menschen, Flächen und Gebäuden werden . . wird; Süddtsch. Ztg. 26.4.1961 gerade die starke Assimilationskraft des jüdischen Geistes hat sich in Europa, insbesondere in Deutschland, als bedeutsame Anregung erwiesen; Stuttgarter Ztg. 2.8.1968 Am Vortage hatte Nahum Goldmann . . erklärt, . . nun müsse ein neuer Kampf geführt werden, bei dem es sich darum handle, den spezifischen Charakter der jüdischen Gemeinschaft gegen die Gefahren der Assimilation zu retten; Zeit 11.1.1985 sowohl statistische Ergebnisse als auch Beobachtungen belegen, daß der Prozeß der strukturellen und kulturellen Assimilation unaufhaltsam fortschreitet; ebd. in der Schweiz, wo der Ausländeranteil doppelt so hoch ist wie in der Bundesrepublik, ist die Assimilation . . der Ausländer weitaus weiter gediehen; ebd. 25.1.1985 die Erfahrung des Scheiterns der Assimilation sei bei Rathenau und Harden der Anlaß zu doppeltem Selbsthaß gewesen; ebd. 20. 9.1985 inwieweit Integration oder Assimilation die Lösung sind für ethnisch gemischte Gesellschaften . . ist heftig umstritten; MM 17.11. 1986 während die Briten ihre Kolonien nach dem Prinzip der indirekten Herrschaft regierten, . . betrieben die Franzosen eine Politik der „Assimilation", die im wesentlichen das Ziel hatte, aus jedem kolonialen Untertan einen Franzosen zu machen; Zeit 3.4.1987 die zitierten Äußerungen sind Hinweise auf die gebrochene Identität ostjüdischer Existenz in Deutschland zwischen Assimilation, Akkulturation, Zionismus, Orthodoxie und religiös-kultureller Selbstbehauptung.

assimilieren Assimilationist: 1927 Elsass-Lothringen. Heimatstimmen V 513 Es verfängt nicht einmal mehr, wenn der Straßburger Bischof Charles Eugene Ruch versucht, der [französischen] Regierung und den Assimilationisten [die Elsaß-Lothringen an Frankreich angleichen wollten] zuliebe das gläubige Volk hinzulenken auf „seine" Religion, die Chauvinismus heißt. assimilatorisch: Rathenau 1917 V. kommenden Dingen 206 Die herrschende Geistesmacht aber hat in einem Mehrheitsgeist die Gewalt, . ., den indifferenten Bestandteil sich anzugleichen und allmählich die Vormacht zur Mehrheitsmacht heranzubilden. Alles assimilatorische Wirken beruht auf diesem Gesetz; Zeit 3.4.1987 sie waren ebenso kommunistisch sozialistisch, anarchistisch oder syndikalistisch wie konservativ, religiös, orthodox, chassidisch oder atheistisch, zionistisch oder assimilatorisch. assimilierbar: Bülow 1916 Dtsch. Politik 285 [die] Notwendigkeit, dem . . so leicht assimilierbaren Deutschen den Rücken zu stärken. Assimilierbarkeit: 1940 USA 94 Assimilierbarkeit gelber Einwanderer in den pazifischen Küstenstaaten Nordamerikas. Assimilierung: Nordstein 1850 Wiener Revolution 103 Man konnte in Wien nicht mehr auf eine Assimilirung Ungarns mit den deutschen Ländern denken; Bismarck 1895 Neue Tischgespr. II 74 dass die beste und schleunigste Assimilirung der Elsässer mit Deutschland durch die Kameradschaft in der Armee zu bezwecken sei; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 83 Der Jurist Dr. Herzl in Wien, der sich dem Antisemitismus ebenso würdig und ernst gegenüberstellt, wie seinen Stammesgenossen, die zur Assimilirung mit den „Wirtsvölkern" geneigt sind, was er aber bekämpft, empfiehlt die Gründung eines Judenstaates mit aristokratisch-republikanischer Verfassung . . in Palästina oder in Argentinien; Peters 1904 England 20 alle Rassen und alle Völker unseres Planeten findet man in London ansässig. Zwar bleibt es dabei eine typisch-englische Stadt, so stark ist die Assimilierungskraft dieser Rasse; Heigel 1906 Essays 87 Zumal an Rhein und Donau, wo sich außer Germanen auch römische und gallische Ansiedler niederließen und aus Vermischung und Assimilierung dieser Elemente ein ganz neues Volkstum hervorging, waren einige bedeutendere Kultursitze emporgewachsen; 1918 Deutschland 274 Assimilierung fremder Volksangehöriger; Marx 1919 Staatsprinzip 7 Statt eine Assimilierung der deutschen

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Juden an den von den Konservativen gehegten preußisch-deutschen oder deusch-nationalen Staat herbeizuführen, hat der Antisemitismus diese Assimilierung künstlich verhindert, und der Konservativen Partei . . die Feindschaft des größten Teiles der inländischen und ausländischen Presse zugezogen; 1929 Preuss. Jahrb. CCXV//I 291 Bindung, . ., die mit dem Begriff und Wesen der Partei nun einmal gegeben ist. Sie verlangt Einordnung und Unterordnung, Nivellierung und Assimilierung, Zurückdrängung des Eigenen; 1929 Nord u. Süd LII 407 die vollkommene Assimilierung ihrer Kinder macht ihnen [den in Argentinien lebenden Belgiern] keine Sorge; 1930—31 Schweizer. Monatsh. 269 Assimilierung, d. h. der vollständigen Auslöschung des elsass-lothringischen Volkstums; Münch. N.N. 12.3.1941 Die gegenwärtige Zeit begünstige die natürliche Assimilierung [Ungarns und Deutschlands] nicht; Süddtsch. Ztg. 27.4. 1955 Unsere Situation unterscheidet sich davon insofern, als das von der Weltpolitik begünstigte deutsch-amerikanische Wunder außer der zeitbedingten Assimilierung der Sieger an die Besiegten bald auch noch gemeinsame Interessen mit sich brachte; 1955 FAZ Nr. 151 Ablehnung der alten Kolonialauffassung, für welche das Schlagwort von der Assimilierungspolitik als Maske bezeichnet wird; 1956 Aufbau IX 842 eine Elite kultivierter Menschen . ., die aus den herrschenden Klassen hervorgingen und gerechterweise durch brauchbare Vertreter der Unterklassen ergänzt wurden — in einer Zahl, die eine Assimilierung leicht möglich machte; Borst 1957 Turmbau 41 die rasche Assimilierung fremder Dynastien und Völker bezeugte diese Fähigkeit zum Entgegenkommen; Herzfeld 1959 Aufs. 363 schon . . 1947 durch die fortschreitende, erzwungene Assimilierung der deutschen Sowjetzone an den Ostblock; Zeit 25.1.1985 daß er [Jesse Jackson] das schwarze Gruppenbewußtsein neu betont und damit den Prozeß der Assimilierung der Schwarzen aufgehalten hat; ebd. 19.7.1985 die Türken mögen sich gegenüber den Einflüssen der neuen Umgebung resistenter zeigen als andere Völkerstämme, die Anpassung, Assimilierung, Integration mag bei ihnen langsamer gehen; MM 6.5.1986 die rapide Verstädterung im „Land der drei Kulturen" beschleunigt den Assimilierungsprozeß; Zeit 26.9.1986 umngekehrt ist eine Assimilierung der sogenannten „Hispanics" nirgends in Sicht; Spiegel 23.5.1994 200 Kundgebungen, mit denen die Bewohner Lhasas in den letzten Jahren gegen die zerstörerische Assimilierungsspolitik der chinesischen Besatzer protestierten.

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assistieren V. intrans., Ende 16. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. assister, entlehnt aus lat. assistere 'sich dazustellen, hintreten, (sich) hinstellen; beistehen, unterstützen' (aus ad- "zu, an, bei' und sistere 'stellen, hinstellen'). In der Bed. 'jmdm. beratend oder handelnd beistehen, (aus)helfen, mitarbeiten, unterstützend mitwirken, Hilfe leisten, zur Hand gehen, jmdm. nach dessen Anweisungen helfen, behilflich sein', z. B. bei einer Operation assistieren. Dazu seit frühem 17. Jh. das seltene Verbalsubst. Assistierung F. (-; selten -en). Dazu seit späterem 16. Jh. die aus assistens, Gen. assistentis, subst. Part. Präs, von assistere (s. o.) gebildete Personenbezeichnung Assistent M. (-en; -en), auch Assistentin F. (-; -nen), zunächst in der Bed. 'jmd., der einem assistiert, Helfer, Gehilfe, sachverständiger Berater' (s. Belege 1616, 1630, 1798), dann auch 'Anwalt, gerichtlicher Beistand, Amtshelfer' (s. Belege 1680, 1681, 1750), heute meist 'einer Person oder Institution zugeordneter Mitarbeiter, wissenschaftlich entsprechend ausgebildete Fachkraft in Forschung und Lehre, Mitarbeiter eines Hochschullehrers' und 'Nachwuchswissenschaftler mit besonderen Aufgaben' (s. Belege 1928, 1936, 1970); häufig als Grundwort in Zss. wie Hochschul-, Medizinal-, Ober-, Pflicht-, Regie-, Werbeassistent. Bereits seit früherem 15. Jh. die auf spätlat./mlat. assistentia 'Hilfe, Unterstützung' zurückgehende subst. Ableitung Assistenz F. (-; selten -en), im 18. Jh. unter frz. Einwirkung gelegentlich auch assistance, gleichbed. mit der im 19. Jh. nachgewiesenen subst. Gelegenheitsbildung Assistenterei, in der Bed. 'Mitarbeit, Mitwirkung, Teilnahme, Hilfe, sachkundige Beratung, Beistand, Unterstützung', z. B. als Bezeichnung für ärztliche Betreuung (s. Belege 1863, 1993); häufig in Wendungen wie jmdm. Assistenz leisten, offerieren; Assistenz übernehmen; jmds. Assistenz anfordern; etwas unter Assistenz ('mit Hilfe') von jmdm. tun; häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Assistenzarzt 'approbierter Arzt, der in einer Klinik oder Praxis angestellt oder einem Chefarzt unterstellt ist', Assistenzprofessor 'junger Wissenschaftler, der (zeitlich befristet) mit den Aufgaben eines Hochschullehrers betraut ist; wissenschaftliche Fachkraft an deutschen Universitäten', Assistenzfigur als Terminus der Kunstwissenschaft 'in Bildern verwendete Figur, die das Bild auffüllt und abrundet, jedoch nicht zu seinem Sinngehalt beiträgt', Assistenzprediger 'Hilfsprediger' und in dem Titel Assistenzrat, seltener auch als Grundwort in den Zss. Regie-, Redaktionsassistenz. assistieren: 1594 Urkundenb. NdRhein IV 2,743 daertoe synder liefden te helpen, obedieren ende assisteren; 1609 Aviso Nr. 49 Bl. A2a sich gleichfals mit der leichten Reuterey auff selbige Frontiern des Lützelburger Lands begeben/ vnd die beyde Fürsten zu assestirn; Hainhofer 1610 Br. 4 dass er .. den fürsten contra das Haus Oesterreich assistiren werde; 1618 Acta Publica Schles. (Palm) 62 Wie Wir Vnsz nun den herren . . zu assistiren vnd in mehrerm beyzuspringen . . schuldig befinden; Neumayr 1620 Neutralität A Ib Welchem Theil ein Fürst assistiren sol, dem sterckern oder schwechern; 1623 Politik Max. I. v. Baiern ( 1,274) mit etwas gewisser geltassistenz aus der puntscassa hernach zu assistirn; 1623 Apocalypsis A2a in massen dann Frankreich bekennen muss, dass von vnserer Kriegsmacht jhr Glück depen-

diert, vnd die Parthey triumphiert, deren nach gelegenheit der Zeit, Wir assistiren wollen; 1637—45 Instruktionen 399 die . . assistierende churfürsten unnd stende; Micraelitts 1639 Pommerland 256 ehe . . der Churfürst zu Brandenburgk . . diesen Landen zu jhrer entledigung [vom Krieg] würcklich assistiret hette; 1690 Hochbeehrt. Augsburg 26 denenselbigen in solcher Verrichtung zu assistiren; Ettner 1700 Apotecker 655 Nun hat der Herr selbst Königl. Anraumung zur Audienz vernommen/ als bitte denselben/ mir bestmögligst zu adsistiren; Marperger 1717 Beschr. d. Banken 27 vielmehr animirt, ihm zu assistiren; Ettner 1719 Maulaffe 53 Als ich ihn vor mir ließ, machte er mir einige Complimente, mit Bitte ihme mit 12 Rthr. Geld zu assistiren; Betemnon 1728 Bauernlex. 25 Assistiren. Beystehen/ beyspringen/ helffen; Mär-

assistieren sellus 1741 Kriegs-Staat 37 Wann das Reich . . Ihr Käys. Maj. in Ungarn wider den Türcken nur mit dreyssig tausend Mann assistiret; 1743 Reglement Preuss. Cav. 197 In suchen . . Fällen muß die bey der Bagage commandirte Escorte dem General-Wagen-meister und den ändern Vorgesetzten sonder einigen Anstand assistiren, und die Knechte und Wagens in Ordnung halten helfen; 1747 Genuesische Merkwürdigkeiten 4a bedräuete sie auch mit seiner Ungnade, wofern sie ihm nicht assistiren wolten; Musäus 1781 Physiognom. Reisen H 70 wenn er des Abends einer Favoritin im Arm lag, oder bey ihrer Entbindung assistirte; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 156 Der Ausdruck assistiren sollte im Deutschen gar nicht statt finden, weil der damit verknüpfte Begriff durch beistehen, helfen, aushelfen, eben so gut bezeichnet werden kann; Gedicke 1795 Schulschr. 11 120 in einer zahlreichen Klasse zu assistiren; Kortum 1799 Jobsiade 91 Auch bei dem Schreiben und Notiren/ That Amalia ihm treulich assistiren; Jean Paul 1799 S. W. / 8,138 Sündlicher Weise assistieren nur bei der Tortur, nicht bei der Freude Chirurgen und Aerzte; Balte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 421 auch assistirt er [der Kassenschreiber] dem Kassirer beim Zählen und bei ändern Geschäften; Kürnberger 1855 Amerikamüde 327 Anhörst assistirte ihm bei dem Abschlüsse seines Kaufes; Storm 1877—78 S. W. V 36 Schon als Knabe hatte er zu den auserwählten Schülern gehört, welche dem derzeitigen Cantor . . vor der Frühpredigt assistirten; Lindenberg 1883 Berlin 28 Auch andere Institute assistiren ihm; Zapp 1896 Off'töchter l 111 Neulich hat sie bei einer Operation assistiren dürfen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 249) [er] blickte den Eintretenden mit dem stumpfen Ausdruck einer Persönlichkeit, die nur assistierenderweise anwesend ist, entgegen; Lokal-Anz. 6.9.1933 Das Requiem zelebrierte Fürst-Erzbischof Kardinal Bertram, assistiert von mehreren Bischöfen; Th. Mann 1939 Lotte (W. // 551,) Ottilie, berufen, ihr in dieser fast über Menschenkraft gehenden Bewährung zu assistieren; Partner 1964 Erben 406 Erzbischof Lul von Mainz . . vollzog die feierliche Weihe; die Oberhirten von Trier, Metz, Würzburg und Passau assistierten; Welt 23.10.1974 die ihm assistierenden Fachleute; MM 4.1.1985 als ihn Savigny 1805 nach Paris mitnahm, wo ihm Grimm bei den Vorbereitungen zur Geschichte des Römischen Rechtes assistieren sollte; Zeit 24.1.1986 der geniale kalifornische Choreograph Jeffrey Hornaday .. assistierte Attenborough und brachte mit kraftvollen Tanznummern dieses Musical so spektakulär auf Touren; Spiegel 2. 5.1994 Aids könne sich, so assistierte dem Minister letzte Woche die linke Bundestagsabgeordnete Ursula Fischer, „im Vergleich dazu als geradezu harmlos erweisen"; ebd. ein Ortsansässiger [Arzt] assistiert dem Operierenden.

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Assistent: 1564 Zimmer. Chronik // 301 Es haben alle assistenten ires handele also gelacht, das niemands under inen dem Junker hilf beweisen künden; 1616 Braunschweig. Kriegshandlung B 4b mit vnser Freunden vnd Assistenten der Erbarn Statt hierauß zu communicirn; Hulsius 1630 22. Schiffart 17 Der das Geschütz loss brandte, war ein Assistent; Schiel 1674 Schand- u. Lasterchronik 61 Diese haben mit zuthun etlicher Assistenten sich anfänglich in den Rath mit vielen ungeräumbten Postulatis getrungen; Abr. a S. Clara 1680 Deo Gratias XI 16 unsers Heiligsten Vatters Innocentii deß Eylfften Hoff-Prälaten und Assistenten (FRNHD. WB); Lebenwaldt 1681 Teufels List Vlll 214 der Richter gienge mit seinen Assistenten in das Zimmer; 1714 Berl. geschrieb. Zeitungen 219 wiewohl deßen intention dabey gewesen, wenn es zu einem Duell wäre kommen, des Graffen von Dhona assistent zu seyn; Chomel 1750 Lex. I 763 Bey den Holländischen Contoiren in Indien werden die Buchhalter Assistenten genennet; 1782 Leipz. Intelligenz-Bl. 206a der Aßistente controllirt ihn; 179« Annalen d. dtsch. Univ. 425 der Hr. M. ist des erste Bibliothekar dabei, seine Assistenten sind zwar schon am 11. Dez. 1795 ernannt; Kortum 1799 Jobsiade 191 Diese waren dann die beiden Advocaten,/ Welche die Jobsischen Processe führen thaten./ Sein Assistent war Herr Schluck; Blücher 1815 Br. 276 so glaube ich der Landrat von Nimptsch sei der beste, bei der Übernahme zum Assistenten zu erbitten; Lang 1817 Reise l 7 Ersuchen daher alle . . Präsidenten, Residenten, Assistenten . ., den besagten [Reisenden] — gegen Beobachtung des Reciprokums für sein Geld essen, trinken, schlafen . . zu lassen; E. T. A. Hoffmann 1821 S. W. XIII 92 ich bin ein stiller, gutmütiger friedliebender Kanzlei-Assistent; Jäger 1835 F. Schnabel 148 Die Aerzte ließen bei ihrer Entfernung einen Assistenten zurück; Dittmann 1858 Landw. H 109 der Hirte muß Tag und Nacht bei den Kühen bleiben und nöthigenfalls einen Assistenten haben; Mommsen 1879 Reden u. Aufs. 238 die Stellung, die durch den Etat den zehn Assistenten des Museums angewiesen ist; Eckstein 1889 Camilla 236 der alte würdige Doktor Cellini. Sechs Monate lang war ich sein Assistent gewesen; Janitschek 1896 Weib 22 der Hühneraugenschneider, der dem berühmten Professor O. auf der Klinik das Waschbecken halten durfte und sich als „Assistent" bezeichnete; Heyse 1899 Ges. W. II 2,493 die hilfreiche Assistentin jener grossen Ärztin Zeit, die gute, stille, unerschöpfliche herrliche Natur an diesem gesegneten See; Löffler 1911 Verkehr i. Baden 388 Hinsichtlich der unteren Beamtenlaufbahn ist zu bemerken, daß es bis 1862 keine „Assistenten" gegeben hat; 1914 Z. D. Sp. V. XXIX 321 Hilfsgerichtsschreiber bei den Amtsgerichten und

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zweite Staatsanwaltsgehilfen sind Aktuariatsassistenten geworden; Dombrowski 1920 System II 43 Schon ein Jahr danach wurde er Praktikant, dann Assistent (o, diese wohlweise, vorsichtig ausgeklügelte Königlich Bayrische Beamtenrangordnung!); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 932) da man übrigens vollzählig war, so zog Dr. Krokowski sich mit zwei Assistentinnen . . zur Leibeskontrolle des Mediums ins Nebengelaß zurück; ders. 1924 Reden u. Aufs, (W. X 144) ein . . deutscher Mediziner, Assistent an einem Münchener Krankenhaus; Baum 1928 Willfüer 33 Im Hintergrund wirbelte der erste Assistent Reagenzgläser auf der Zentrifuge; Lokal-Anz. 14.2.1933 eine stellungslose ärztliche Assistentin; ebd. 13.4.1934 der Reichsbahnbetriebsassistent; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 68 mein Lehrer Proskauer war sein chemischer Assistent; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 256) die erste Allgemeinuntersuchung nachher nahm Professor Bloch, mit Autorität eintretend, dem Assistenten aus der Hand, der schon damit begonnen hatte; Welt 20.2.1954 Chemisches Werk in rheinischer Großstadt sucht einen Kaufmann im Alter von ca. 30 bis 35 Jahren als Assistent der Geschäftsführung (Anzeige); ebd. 3.4.1954 Texter als Werbeassistent von führendem Haus der Bürobedarfs-Industrie gesucht (Anzeige); ND 17.4.1959 für die Besetzung städt. verw. Apotheken im Stadtbezirk Pankow werden Apothekenassistentinnen . . dringend gesucht (Anzeige); Grass 1962 Blechtrommel 68 die war klug, keine gewöhnliche Sprechstundenhilfe, sondern eine unersetzliche Assistentin; Kant 1965 Aula 151 Sie war keine richtige Assistentin, sie studierte noch und sollte sich praktische Kenntnisse erwerben; FAZ 13.1.1966 der Angeklagte Hass war . . in dem Prozeß gegen den wissenschaftlichen Assistenten an der historischen Fakultät der Warschauer Universität . . aufgetreten; Welt 5.3.1969 es läßt sich doch nicht bestreiten, daß ein nicht unbedeutender Anteil an Lehre und Forschung von den Assistenten geleistet wird; ebd. 24.4.1969 der ehemalige Assistent von Stanislawski war lange Jahre bei Louise Dumont am Düsseldorfer Schauspielhaus Oberspielleiter; FAZ 13.3.1970 Das Heer der Assistenten, der akademische Mittelbau, war die letzte Hochschulgruppe, die sich in einem Bundesverband zusammenschloß; Welt 26.1.1974 Physikalisch-Technische Assistenten und Assistentinnen (Anzeige); MM 19.1.1985 häufigste Startposition ist der Sachbearbeiter und Assistent; Zeit 11.10.1985 unter den Hochschulassistenten gibt es gerade mal 8,3 Prozent Frauen; ebd. 7.11.1986, Lit.beil. Lise Meitner . . promovierte im Fach Physik, ging nach Berlin, wurde Assistentin von Max Planck; ebd. 2.1.1987 der Sekretär - bis ins 19. Jahrhundert der verantwortungsvolle, in Position und Ansehen

hochgeschätzte (Geheim-) Schreiber, die Rechte Hand, die Graue Eminenz — ist, seit es Sekretärinnen gibt, zum Assistenten der Geschäftsleitung, zum Direktionsassistenten avanciert; MM 5.9. 1987 jedoch seien nur 15 Prozent der wissenschaftlichen Assistenten und Mitarbeiter Frauen; Spiegel 7.2.1994 So verstärkt sich ein teutonischer Typus des Lehrens und Forschens: weniger kooperativ als der angelsächsische, weniger professoral als der romanische, statt dessen die Last und Lust der Wissenschaft auf Studenten und Assistenten schiebend; Süddtsch. Ztg. 19./20.2.1994 Der unbezahlte Parlamentarische Staatssekretär, der in den Verdacht gerät, einen Flirt mit einer jungen Assistentin gehabt zu haben; Spiegel 6. 6.1994 Selbst ihre Privatpatienten lassen die Profs von Oberärzten oder sogar Assistenten ohne abgeschlossene Facharztausbildung behandeln. Assistenterei.· Hofmiller 1897 Br. I 42 Es ist ja die Assistenterei auch nichts Besonderes, aber man sieht doch, warum man arbeitet. Assistenz: 1430 Urkunden Höchst. Augsb. 295 daz . . diser caplan eim pfarrer zu Dilingen in der kürchen diebus festivis assistentz laisten solle (FRNHD. WB); 1593 Font. rer. Austr. II 58,83 thails durch ire personliche thails durch derselben ansehenlichen abgesandten assistenz und gegenwürt; Wedel um 1600 Hausbuch 24 f. daselbst die von Lübeck und andere ansee-städte [!] den sundischen gute adsistenz geleistet; Carolus 1614 Relation 20a damit sie dem Gross Fürsten in der Moskaw/ so wol mit Schiffung/ als Soldaten assistentz thun mögen; Wallhausen 1616 Kriegskunst z. FUSS den Feind so lange auffhalten/ biß genügsame Assistentie geschehen könne; ders. 1617 Corpus militare 23 hülff vnnd adsistentz; 1618 Acta Publica Schles. (Palm) 43 So befehle er Oppersdorff . . wo es vonnöten . . alle gute Assistenz und Beförderung soviel möglich leisten zu wollen; Neumayr von Ramssla 1620 Reise i. Frankr. Vorr. 2b dero Reise in Franckreich, Engelland vnd Niderland durch Göttliche Hülff vnd Assistenz glücklichen abgeleget; 1623 Politik Max I. v. Baiern (11,1,274) mit etwas gewisser geltassistenz aus der puntscassa hernach zu assistirn; Perez 1626 Landstörtzerin I 49 so ruff deine Schlang vmb Assistentz vnd Beystand an; Nicolai 1632 a. Wechel (Irmer I 234) eine starcke partie von dem Friedländer Bayern zu asistence geschickt sei (JONES); Moscherosch 1642 Visiones 27 nachdem sie ohne einige assistentz vnd hülffreichung herumb geirret; Leibniz 1668—76 Briefw. I 47 [er hat] nochmahlen alle mögliche assistentz versprochen; 1672 Interims-Ordinantz B 7a Assistentz leisten; Becher 1682 Glücks-Hafen 84 daß sie solche . . ohne seine Herrn Bechers weitere

Assonanz assistenz . . thun können; Ettner 1697 Chymicus 59 mit göttlicher assistentz; 1708 Academic zu Liegnitz B 2b sich alles billichen Schutzes und Assistenz . . zu versehen haben; Cleander 1710 Cabinet II 11 Schreiben an . . um Assistence in obiger Affaire; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 368 ein unmäßiger Zorn wegen Verlust dieser Blätter/ dergestalten/ daß er alle Teuffei zur Assistenz anruffet; Fleming 1726 Soldat 41 [er muß sich versehen] mit Briefen an auswärtige Kaufleute und Banquiers, denn diese sind nachgehende zu einer guten Assistenz, wenn die Gelder ausbleiben; Boltz 1727 Amts-Redner 22 Und verspricht die Halßstarrigen durch Amtl. Assistence zur Raison zu bringen; Marsellus 1741 Kriegs-Staat 37 in Assistentz so vielen und mächtigen hohen Alliirten; Boltz 1752 Atnts-Actuarius 158 Assistentz und Vorschrifft; l76« (Löffler 1911 Verkehr i. Baden 483) die erfordernde weitere Hülf und Assistenz . . suchen; Hess 1775 Gedanken 327 Anm. den Lombard, oder das sogenannte Assistenz-Comptoir; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 155 Assistanz. Wir brauchen diesen Ausdruck im gemeinen Leben, und geben ihm eine deutsche Endung, indem wir sagen: Assistenz, womit wir den Begriff von Beistand oder Hülfleistung verknüpfen, in so fern derjenige, welchem sie geleistet wird, nicht als arm oder hülfsbedürftig, sondern nur als etwa mit Geschäften zu sehr überhäuft, bezeichnet werden soll; Laukhard 1802 Leben V 115 Friedrich II. [schaffte] diesen Titel Advocat ab, und gab den Herrn Sachwaltern den Titel Assistenzrath; Schreiber 1818 Handb. f. Reisende 105 Nach der neuen politischen Eintheilung des Landes gehört Baden in den Murgkreis, ist der Sitz eines Justiz- und Kriminalamtes, . . eines Physikats (mit Assistenzarzt und Landchirurgen); 1859 Allg. Mil.-Enc. II 308 Assistenz bedeutet Beistand, Hilfe; Mahler I860 Milit. Bilderbuch 17 Unter Assistenz des Bombardier v. Sl. hatte ein Unteroffizier Müller meine . . militärische Ausbildung übernommen; 1863 Bilder a. Paris 285 wenn der schwarze Doctor erschien, ward er jedesmal entweder von dem Director selbst, oder von einigen Assistenzärzten empfangen; Mahler 1864 Über die Eider 85 ein Privatdozent der Universität und ein Berliner Civilarzt, beide als Assistenzärzte eingezogen; Zobeltitz 1914 Frau 63 Die Sehenswürdigkeiten von Weimar wollten sie pflichtgetreu nach dem Reisehandbuch und unter Assistenz Mariannes absolvieren;

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Reinhard 1917 Gesch. d. Heeressanitätswesens 55 Die Wundärzte zweiter Klasse erhielten laut dieser Kabinetsordre den Titel „Unterärzte", diejenigen erster Klasse den Titel „Assistenzärzte"; Lokal-Anz. 3.2.1933 Vertragsverhandlungen über die Anstellung städtischer Assistenz- und Hilfsärzte; Tb. Mann 1939 Lotte (W. II 515) mit wie errötenden Umarmungen [sie] mir dankte für meine Assistenz; ders. 1939 Reden u. Aufs. (W. IX 616) die Gretchengeschichte ist auch die Tragödie des unter höhnischer Assistenz des Teufels an der Schönheit tödlich schuldig werdenden Geistes; Heimeran 1947 Christ. 103 Unter geduldiger mütterlicher Assistenz bestiefelt, behost, ober- und unterwärts warm eingepackt; Welt 23. 6.1959 es fehlt an Assistenzärzten, die ärztliche Versorgung läßt zu wünschen übrig; FAZ 1.12.1965 die Messe [wurde] von dem maronitischen Patriarchen Kardinal Meouchi unter Assistenz zahlreicher orientalischer Erzbischöfe und Bischöfe .. gefeiert; ebd. 14.3. 1970 Die Konzeption des Assistenzprofessors . . unterscheidet sich von seinem amerikanischen Vorbild in einem wesentlichen Punkt; Zeit 11.7.1986 während dieser Zeit verdient der junge Mediziner ein bescheidenes Gehalt als Assistenzarzt, darf jedoch noch nicht auf eigene Verantwortung handeln; ebd. 16.1.1987 ich habe dann so etwas wie eine Regieassistenz gemacht; MM 22.6.1988 bevor sich ein Medizinstudent nach rund sechs Jahren Studium Assistenzarzt nennen darf, muß er künftig zuvor zusätzlich 18 Monate als Arzt im Praktikum arbeiten; Spiegel 15.2.1993 Ohne ärztliche Assistenz haben in den Altbauräumen des Geburtshauses in Berlin-Charlottenburg schon mehr als 1100 Frauen ihre Babys gekriegt; ebd. 30.5.1994 Es sei jedoch nicht unüblich, den Ärzten „zeitweise finanzielle Assistenz zu gewähren, um einen Teil der Reisekosten ausgleichen zu helfen". Assistierung: 1619 Acta Publica Schles. (Palm) II 4 Und ob wir [die Stände] wohl für diesem lieber wünschen wollen und noch, dass es dergleichen Assistirung gantz und gar nicht bedörfft; Lünig 1720 Theatrum cerem. 1294 Solche Weihung verrichtete . . der Hz, Bischoff von Wien, in Assistirung der Geistlichkeit; Königsberger 1919 Leben 7 Am 22. Mai 1860 wurde ich unter Assistierung von Weierstraß . . promoviert.

Assonanz F. (-; -en), Anfang 19. Jh. gebildet zu lat. assonans, Part. Präs, von assonare 'tönend beistimmen' (aus ad- 'hin, zu' und sonare 'klingen, tönen'; —» Sonate, —»· sonor). Als Fachwort der Poetik gebraucht in der Bed. 'Gleichklang der Vokale zwischen zwei Wörtern (meist am Versende), vokalischer Halbreim' (Ggs. Konsonanz,

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assortiert

—» Konsonant); vereinzelt auch übertragen im Sinn von 'Übereinstimmung' (s. Beleg 1802; Ggs. —»· Dissonanz). W. v. Humboldt 1802 Br. a. K. G. v. Brinkmann 135 Es hat ihm immer in der Seele widerstanden, und er hat einen ganz besondern Grimm auf Assonanzen; Herder vor 1803 S. W. XXVlll 299 Assonanzen, d. i. der ähnliche Klang und Ausklang der zweiten und vierten Zeile (KEHREIN); 1803 Europa l/ll 86 Ich übersetze also durchaus in dieselben Versarten mit Reimen oder Assonanzen, wähle die letzten so analog als möglich, und führe sie eben so lange durch; Bouterwek 1807 Ästhetik 287 auch der halbe Reim, oder die Assonanz, wie ihn die Spanier nennen, hat seinen ästhetischen Werth im Gegensatz mit dem ganzen Reime, der in Spanien Consonanz heisst; /. Grimm 1809 Briefw. zw. ]. u. W. Grimm 168 Was Du gegen die nordische Poesieform sagst, könnte höchstens nur auf zehn Jahre gelten, bis man sie ebenso gewohnt würde, wie die Stanzen und Assonanzen; Wieland vor 1813 S. W. XXIX 146 Galore hält eine Rede in terze rime oder in Assonanzen auf U. (KEHREIN); Ersch/Gruber 1819 ff. Allg. Enc. VI 127 Assonanz ist der correspondirende Anlaut von gleichen oder ähnlichen Vocalen oder Consonanten ein und desselben Verses in den alliterirenden Gedichten, vorzüglich des Nordens; ebd. VI 128 Assonanz oder Sylbenanlaut . . ist entweder unvollkommen (eine halbe Assonanz) oder vollkommen (eine ganze Assonanz); Goethe 1820 Kunst u. Alterthum (WA l 41.1,248) man müßte sich Assonanzen, unreine

Reime und wer weiß was alles erlauben; Rosenkranz 1830 Gesch. dtsch. Poesie 56 Assonanz; Heine 1835 Romant. Schule 200 Die Gedichte, die Herr Uhland in südlichen Versarten geschrieben, sind ebenfalls den Sonetten, Assonanzen und Ottaverime seiner Mitschüler von der romantischen Schule aufs innigste verwandt; Freud 1900 Traumdeutung (Studienausg. II 507) Als ein untrügliches Zeichen der von Zielvorstellungen freien Assoziation hat man es betrachtet, wenn die auftauchenden Vorstellungen (oder Bilder) untereinander durch die Bande der sogenannten oberflächlichen Assoziation verknüpft erscheinen, also durch Assonanz, Wortzweideutigkeit, zeitliches Zusammentreffen ohne innere Sinnbeziehung; Th. Mann 1951 Erwählte (W. Vll 15) ich möchte wohl wissen, warum das Gehüpf auf drei, vier jambischen Füßen . . und ein bißchen spaßige Assonanz der Endwörter die strengere Form darstellen sollten; Staiger 1966 Grundbegriffe 36 Eine der wunderbarsten Proben sind die Reime und Assonanzen in Brentanos „Romanzen vom Rosenkranz"; Zeit 6.12. 1985 Leitmotive, sich jagende Metaphern, Assonanzen und Wortspiele dienen Mandelstam dazu, das „fin de siecle" . . in den „Fieberbrand der Literatur" zu verwandeln; ebd. 10.4.1987 Der Umgang mit Assonanzen, mit Doppeldeutigkeiten, mit Wortwitz ist für Polgar so konstitutiv gewesen wie für Karl Kraus.

assortiert Adj. (ohne Steigerung), im frühen 18. Jh. gebildet aus der Part. Perf.-Form von älterem assortieren (< frz. assortir 'abstimmen, zusammenstellen, mit Ware versehen', aus a- und sorte; —> sortieren, —> Sorte). Zunächst kaufmannsspr. in der Bed. '(nach Warenarten) geordnet, passend, vielfältig zusammengestellt, mit Waren ausgestattet', bes. auf Warenlager bezogen (s. Belege 1727, 1836, 1845, 1993), häufig mit aufwertenden Adj. verbunden in den Syntagmen gut, reich, wohl assortiert, seit früherem 18. Jh. bes. in der Zs. wohlassortiert; auch übertragen verwendet (s. Belege 1821, 1898, 1930, 1947, 1986). Dazu schon seit spätem 17. Jh. das zugrundeliegende V. trans, assortieren (s. o.), kaufmannsspr. in der Bed. 'ein Warenlager einrichten, Ware passend zusammenstellen, sich mit Waren versehen' (s. Belege 1676, 1695, 1862), auch übertragen im Sinn von Ordnen' (s. Belege 1777, 1787—88, 1827). Dazu gleichzeitig das aus gleichbed. frz. assortiment übernommene Subst. Assortiment N. (-s; -e, auch -s), kaufmannsspr. in der Bed. 'Warenlager, Auswahl an Waren', heute veraltet und durch —>· Sortiment ersetzt. assortiert: Sperander 1727 A la mod Sprach 53 er hat einen wohl assortirten, wohl ausstaffierten Laden; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 615 neue und

wohlassortirte Kleider; Goethe 1821 Wanderfahre (WA l 24,147) Wenn ich sie aber so zusammen sehe, kann ich sie nicht für ein wohl assortirtes

Assoziation Paar halten; Courtin 1836 Enc. Handb. 61 wohl assortirtes Lager (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Gaudy 1839 W. V 157 Denken Sie sich das Ehepaar als einen Kreis, welcher bekanntlich in 360 Grade getheilt wird, und nehmen Sie den fast unglaublichen Fall an, daß beide Theile 180 Grad hielten, so wird die Ehe eine wohl assortirte seyn. Auf jeden Fall muß das Weib das Complement des Gatten bilden; J845 Beschr. O A. Esslingen 117 ein wohl assortirtes Möbelmagazin; Rose 1884 Revanche 193 mit Hilfe eines gut assortirten Kleiderständers; Fontäne 1898 Zwanzig 93 wurde [im Club] sehr freundlich aufgenommen . . , vielleicht, weil ich wohlassortiert, will sagen, mit einem Lager, dessen Bestände kein Ende nehmen wollten, in ihren Kreis eingetreten war; 1911 Grenzboten IV 179 eine wohlassortierte Garderobe; Voss. Ztg. 30.4. 1930 Bei den Gebrüdern wurde zahlreiches und gut assortiertes Einbruchswerkzeug gefunden; Berl. Illustr. Nachtausg. 9. 8.1933 Emilie ließ sich . . Geld aus der wohl assortierten Ladenkasse geben; Hülsen 1947 Zwillings-Seele III 86 Kneipereien, für die ein wohlassortierter Keller uns nun Stoff lieferte; NZ. (Basel) 30.5.1949 Wenn man den .. alten Herrn . . plaudern und spielen hörte, so glaubte man sich in einen wohlassortierten Salon des 19. Jahrhunderts zurückversetzt; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 553) unter der Glasplatte, auf der man zu gefälliger Erfrischung des Gastes ein wohlassortiertes Fruchtkörbchen . . vorbereitet hatte; Welt 22.4.1974 Das wohlassortierte Angebot präsentiert das Heute mit zwei gegensätzlichen Künstlern; Zeit 26.4.1985 Freilich funktionierte das todsichere Rezept nur im Zusammenhang mit einer gut assortierten Layout-Setzerei; Wohmann 1986 Irrgast 200 ein Mann . ., der den Eindruck von gut assortiertem finanziellen Hintergrund vermittelte (DUDEN 1993); Schulze 1993 Erlebnisgesellschaft 51 Unter gesellschaftlichen Umständen, wo reich assortierte Kaufhäuser nur einen kleinen Teil des gesamten Möglichkeitsraums ausmachen, stehen die Menschen unter dem Druck . . sich intensiv mit sich selbst zu beschäftigen; Süddtsch. Ztg. 9.1 10.10.1993 Über reich assortierte Kleiderschränke

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und Schmuckschatullen . . verfügte Annette Kolb nicht. assortieren: Savary 1676 D. vollkommene Kauffu. Handels-Mann l 463 wird also ein groß Capital mit allerley Zeug [um] assortirt zu seyn erfordert (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Schurz 1695 Kaufmannschaft (Wb.) Sortiren, assortiren, sondern, in gewisse Sorten bringen; Zedler 1732 Universallex, II 1914 Assortiren heist eigentlich durch das Loos auslesen, sich mit Waaren versehen, herbey schaffen und austheilen; 1748 Verzeichnis 12 assortiren, aussondern (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1752 Pariser Koch-Buch 380 und endlich [bei der Parfümherstellung] dahin trachtet, daß der vielerley dazu kommende Geruch so assortirt werde, daß man nicht erkennen kann, was für ein Geruch . . die Oberhand hat; Goethe 1777 Br. (WA IV 3,148) Die Kupfer sind assortirt; Musäus 1787—88 Volksmärchen l 96 eine durchwachte Nacht . ., in welcher ihre warme Phantasie den sämmtlichen Feenornat . . assortirt hatte; Goethe 1827 Tagebücher (WA W 11,54) die von Herrn von Stein . . übersendeten Zeichnungen assortirt; Köhler 1862 Erinn. I 447 die Kleidermagazine sind schlecht assortirt. Assortiment: Savary 1676 D. vollkommene Kauffund Handels-Mann l 565 Formular eines Assortiments-Memorials zur Einkauffung der Wahren (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Sturz 1768 Br. (I 55) ein Assortiment Dresdner Puppen aus Einer Form; Berghaus 1796 Handb. f. Kaufleute l 62 Assortiment, der Vorrath aller Arten von Waaren, die der Kaufmann besitzt; 1853 Beschr. O A. Besigheim 63 Assortiment für gewirkte . . Strickgarne; Kürnberger 1877 Herzenssachen 306 derselbe . . ist . . im Stande stets im neuesten Geschmacke . . zu arbeiten, so wie auch sein berühmtes Assortiment von Knalleffecten fortwährend durch die neuesten und überraschendsten Exemplare vermehrt wird; 1955 Wiss. Annalen IV 153 Die Verwendung dieses Polyamides in der Industrie wird es ermöglichen, das Assortiment zu erweitern.

Assoziation F. (-; -en), seit frühem 17. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. association (vgl. auch engl. association) (zurückgehend auf mlat. associatio, zu (m)lat. associare, —·» assoziieren), früher vereinzelt in phonetischer Schreibung, bis Ende 19./Anfang 20. Jh. in der (frz. oder engl. beeinflußten) c-Schreibung. a In der Bed. '(Vorgang, Ergebnis einer) Vereinigung, Verbindung, Zusammenschluß (von Personen(-gruppen)) zur gegenseitigen Unterstützung und Wahrung gemeinsamer Interessen', zunächst speziell im (staats- und gesellschafts-)politischen Bereich für '(mit oder ohne Bündnis-Vertrag zustandegekommener) Zusammenschluß politischer Kräfte und Gruppierungen, Vereinigung von Staaten zur Wahrung gemeinsa-

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mer (militärischer) Interessen und gegenseitigen Unterstützung' (s. Belege 1689, 1703, 1785, 1788); seit früherem 19. Jh. dann vor allem auf gesellschafts- und wirtschaftspolitische Gruppierungen bezogen und von der frühsozialistischen Gesellschaftslehre (Fourier, Saint-Simon, Blanc, Lassalle) aus dem Rousseauschen Gedanken der freiwilligen Vergesellschaftung zum Genossenschaftsgedanken weiterentwickelt (s. Belege 1835, 1845), anfangs häufig auf frz. oder engl. Verhältnisse bezogen in der Bed. 'Geschäftsverbindung, Kooperation; genossenschaftlicher Zusammenschluß, Handelsgenossenschaft, -gesellschaft, -verein, Vergesellschaftung zu gegenseitigem wirtschaftlichem Nutzen' (—> Sozietät, —> Kompagnie; s. Belege 1818, 1833), speziell als Bezeichnung für die Zusammenschlüsse der Arbeiter mit sozialen Zielen in England und Frankreich in der ersten Hälfte des 19. Jhs., von daher schlagwortartig bezogen auf entsprechende internationale Proletariervereinigungen und -Organisationen (im Zuge der Arbeiterbewegung gegen das Kapital) (s. Belege 1959, 1961, 1962), gelegentlich in bezug auf gemeinnützige, wohltätige Einrichtungen mit missionarischen, philanthropischen Zielen (s. Belege 1838, 1843, 1908), auch auf Arbeitgebervereine und -verbände (s. Belege 1920, 1926); häufig in Zss. wie Staaten-, (internationale) Arbeiterassoziation als historische Bezeichnung für die 1864 in Deutschland gegründete Arbeitervereinigung, Assoziationsabkommen, -Bündnis, -rat, -recht 'Recht auf Bildung politischer Vereine', Assoziationstrieb, -Vereinbarung, -vertrag, seit Ende der 50er Jahre häufig im Verwendungskontext der Europäischen Wirtschaftsunion (vgl. Wirtschaftsassoziation; s. Belege 1959, 1961, 1962, 1965); gelegentlich auf Gruppierungen und Vereinigungen in Kunst und Wissenschaft (s. Belege 1840, 1847, 1879, 1887, 1984, 1985, 1986) und andere gesellschaftliche Bereiche (s. Beleg 1985) übertragen; daneben auch in verschiedenen naturwissenschaftlichen Fachbereichen wie in der Chemie als Bezeichnung für die Vereinigung gleichartiger Moleküle zu Molekülkomplexen, in der Botanik oder der Geologie für das Zusammenvorkommen, in bestimmter Weise zusammengesetzte Gruppierungen von Pflanzen- oder Gesteinsarten (s. Belege 1845-50, 1919). b Seit Anfang 18. Jh. nachgewiesen als in der antiken Philosophie wurzelnder, in England (J. Locke, D. Hume) als Lehre begründeter philosophischer Begriff des 17./ 18. Jhs. (vgl. engl. association (of ideas) 'Ideenassoziation') und Fachausdruck der empiristischen Psychologie des 19. Jhs. (J. Mill, in Deutschland J. F. Herbart, S. Freud, C. G. Jung) in der Bed. 'unwillkürliche, spontane Aufeinanderfolge, gedankliche Verknüpfung verschiedener Begriffe, Denk- oder Bewußtseinsinhalte, Gedankenverbindung zwischen einem Gegenstand und der zufällig oder gewohnheitsmäßig damit verbundenen oder aufgrund (sprachlicher, begrifflicher) Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten zusammenhängenden Vorstellung'; bereits seit späterem 19. Jh. speziell im sprachwissenschaftlichen Bereich in der Bedeutungslehre (H. Paul, W. Wundt; s. Belege 1878, 1952, 1980) als Bezeichnung für ein literarisches, künstlerisches Ausdrucks- und Stilmittel verwendet, gelegentlich leicht abwertend konnotiert mit „alogisch, sprunghaft, bizarr, chaotisch, wuchernd, subjektiv" (s. Belege 1959, 1985, 1986), auch aufwertend mit „phantasievoll, spontan, kreativ, frei, locker, poetisch" (s. Belege 1945, 1985); häufig synonym bzw. im Kontext mit indigenen plur. Entsprechungen wie Zusammenhänge, Erinnerungen, Reminiszenzen, Bilder, Gedanken, Einfalle, Phantasien, Anspielungen, Anklänge (s. Belege 1985, 1987); vereinzelt als physiologisch-medizinischer Fachausdruck bezogen auf Hirnströmungen (s. Beleg 1919). In Wendungen wie Assoziationen auslösen, wecken, hervor-, wach-

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rufen, herstellen (an, mit, zu etwas), etwas mit Assoziationen belegen, verbinden; spontane, freie Assoziation 'ungesteuerte Produktion von Gedanken und Einfallen auf ein Stichwort'; als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Laut-, Wort-, Ideenassoziation (vgl. das latinisierende Syntagma associatio idearum sowie engl. association of ideas); Assoziationsexperiment, -fähigkeit, -faser, -Zentren, -fetzen, -gesetz 'Gesetz der Ähnlichkeit, des Gegensatzes, der Nähe usw. von gedanklichen Vorstellungen', -kette, -psychologic 'Lehre, die sämtliche geistige Phänomene auf Assoziation zurückführt', -reihe, -sträng, -test, -vermögen und -theorie eTheorie der Regeln, die dem Wechsel einer Vorstellung zur anderen, dem Vorstellungsverlauf zugrundeliegen'. Dazu im 18.719. Jh. die eventuell engl./frz. beeinflußte adj. Ableitung assoziabel 'assoziierbar, (gedanklich) vereinbar', mit der dazugehörigen, Anfang 20. Jh. vereinzelt nachgewiesenen subst. Ableitung Assoziabilität (zu b); seit späterem 19. Jh. die wohl unter Einwirkung von gleichbed. frz. associatif oder engl. associative aufgekommene adj. Ableitung assoziativ 'verbindend, vereinigend', vereinzelt im wirtschaftlichen Bereich (zu a), vor allem im Bereich der Literatur- und Kunstkritik in der Bed. 'durch Gedanken-, Vorstellungsverknüpfung zustandegekommen, bewirkt, damit arbeitend', oft schlagwortartig verwendet und häufig konnotiert mit „frei, lose, ungeordnet, sprunghaft, alogisch, zufällig, spontan aneinandergereiht"; in Syntagmen wie assoziativer Stil, Bedeutungswandel, assoziative Erzählform, Verkettung, Reihe, Bilder, Beziehungen, assoziatives Lernen, assoziativ verbunden, verknüpft, gereiht; bes. in der Zs. Assoziativgesetz als Fachwort der Mathematik zur Bezeichnung einer Verknüpfungsart innerhalb einer Gleichung, bei der das Ergebnis unabhängig von der Klammerung ermittelt wird (Ggs. Kommutativgesetz)··, in jüngster Zeit die subst. Gelegenheitsableitung Assoziativität F. (-; ohne PL), bezogen auf die mathematische Verknüpfungsoperation (alle zu b); seit Mitte 20. Jh. fachspr. in der Chemie das Subst. Assoziat F. (-s; -e) (vgl. -at als chemiespr. Suffix in Substrat, Nitrat usw.) 'Stoff, der eine Verbindung eingeht; chemische Verbindung' (zu a). Assoziation a: 1619 Acta publica (schles.) II 285 kein ander mittel vnd weg . . denn . . auf eigene vnd solche association vnd Versicherung zu denkken; 1689 Polit. Fliegenwedel l 8 AssociationsBindnis; 1691 Pfalz 13a zu Augspurg Anno 1686 getroffene Associations-Bündnuss [zwischen Kaiser und Reichsständen]; 1703 Gefährtin z. d. IsarGesellschafft 111 40 Association= vnd Bündnuss; Sperander 1727 A la mod Sprach 52 Association, Mitgesellschaft, Zugesellung, Societät oder Compagnie; Dohm 1785 Fürstenbund 121 Von der Assoziazion zur Erhaltung des Reichsystems; Müller 1788 Fürstenbund 265 Durch Associationen half Österreich seiner verdunkelten und erschütterten Grosse; Schiller vor 1805 briefl. a. Körner (Br. I 5) Treten die vorzüglichsten Schriftsteller der Nation in eine literarische Association zusammen (KEHREIN); Fries 1818 Philosophie. I 30 Zu den Gesetzen der sinnlichen Anregung unsers geistigen Lebens kommt zunächst das Gesetz der Gewohnheit mit dem sogenannten Gesetz der Association unsrer Lebensthätigkeiten; Koch-Sternfeld 1833 Beytr. HI

264 Anm. Im Mittelalter ward das Recht der Assotiation [sie], der Einigung, zu nützlichen und ehrenhaften Zwecken, von allen Ständen sehr mannigfaltig . . gegen die sittlichen und gesetzlichen Autoritäten geübt; Menzel 1835 Geist 97f. die ganze Menschheit umfassende [98] industrielle Association nach dem Princip St. Simons; 1838 Conversationslex. d. Gegenw. l 244 zu mächtigen Gebietern der Erde, zu einer wachsenden Herrschaft über die Natur erheben sich die Vereine der Menschen durch die Verbindung ihrer Kräfte für Erreichung gemeinsamer Zwecke . . die höchste Bestimmung der Menschheit die Gründung einer umfassenden Association aller menschlichen Anlagen und Fähigkeiten . . in dem Maße . . wie in allen Bereichen menschlicher Wirksamkeit die freiere Concurrenz sich vergrößerte, mußten die freien Associationen für alle erdenklichen Zwecke des menschlichen Lebens zunehmen . . Und selbst in das Gebiet des religiösen und sittlichen Lebens greift der mächtige Associationsgeist durch Missionsgesellschaften, Mäßigkeitsvereine, Vereine zur

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Verbesserung der Verbrecher und auf tausenderlei andere Weise . . ein . . Beschränkungen traten in Deutschland ein, sowie in Frankreich durch das Gesetz über die Associationen vom J. 1834 . . In Großbritannien dagegen [blieb] das Associationsrecht in seiner frühern Ausdehnung unangetastet; Goldmann 1839 Pentarchie 38 Staatenassociation; Lavergne-Herwegh 1840 Ged. U 143 Über Schriftstellerassociationen; Peguilhen 1841 Kulturgesetze l 143 Association der Kulturkreise; Buss 1843 Armenpflege I Vorw. XVIII des Owenismus als eines Systems durchgreifender gewerblicher Association, nach Gründung eines gemeinschaftlichen Fonds für die Beschäftigung; ebd. 307 Gemeinschaften .. auf das Prinzip freier Association gegründet . . Die gegenseitige Unterstützung, unter den Mitgliedern der Gemeinde . . aus den Beziehungen der Nachbarschaft abgeleitet, hat noch engere Bande unter den Mitgliedern bestimmter Gemeinschaften gegründet, welche durch die Sympathie der Gefühle . . gebildet wurden; Carus 1845 England u. Schottland 314 und so entstehen auch hier [in London] die ungeheuersten Arbeiten schnell und leicht ohne daß die Regierung sich irgend besonders darum bekümmert, durch das einzige Zauberwort der „Association"; Herwegh 1845 (ZfdU XXIV 474) Am meisten Lärm haben . . Associationen gemacht, welche die Abhülfe materieller Übel sich zur Aufgabe gestellt haben (PAUL); Humboldt 1845-50 Kosmos l 260 Die zusammengesetzten Gebirgsarten sind bestimmte Associationen gewisser oryktognostisch einfacher Fossilien (KEHREIN); Engels 1846 Fest (IV 460) Stiftung der „demokratischen Assoziation" durch die radikalste Fraktion der englischen Bewegungspartei; ebd. IV 461 Die Assoziation zerfiel . . aber ihre Wirksamkeit ist nicht verloren gegangen; Abrens 1846 Naturrecht 206 f. Von der Geselligkeit oder dem Vermögen der Association; ebd. 310 Der Staat muß . . die Gründung von Assoziationen für die Wirtschaft in ihren verschiedenen Zweigen . . begünstigen; Blanc 1847 Organisation d. Arbeit (Übers.) 62 Wenn Ihr Mittel gefunden habt, das Princip der Association einzuweihen und die arbeitenden Klassen, nach den Regeln der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Menschheit zu organisiren; ebd. 70 In jede dieser Associationen, welche für die Industriezweige gebildet würden; ebd. 78 Bei dem System der Association und gegenseitigen Verpflichtung würde es dagegen keine Erfindungspatente, keine exclusive Ausbeutung mehr geben; ebd. 106 und .. unser Plan eine Erneuerung zum Zweck hat, welche endlich die ganze Gesellschaft umfassen und folglich daran gelegen ist, daß die Kapitalisten so sehr wie möglich vermocht werden, in die allgemeine Association einzutreten, damit die Concentratiuon aller zerstreuten Kräfte mit Schnelligkeit vollbracht

werden; Stahr 1847 Italien I 395 [in Frankreich] macht sich schon der Geist der Association geltend, mit welchem das Proletariat den Krieg gegen die besitzende Klasse begonnen hat; 1848 Grenzboten l 2,63 Press- und Associationsfreiheit; Perthes 1856 Herbergswesen 9 Die an allen Orten entstehenden Gesellenvereine, die zahllosen Associationen, welche die Meister ausschließen, sind . . ein Zeichen, daß das Leben überall auf die Hervorbildung eines selbständigen Gesellenstandes hindrängt; 1856 Monatsschr. Wiss. V. Zürich 413 Mit staunender Bewunderung sehen die Zeitgenossen der mächtigen Entfaltung jener gewaltigen wirthschaftlichen Kräfte zu, welche wir mit den Worten Credit und Association bezeichnen; Mundt 1857 Kaiser-Skizzen U 163 f. dass die Politik Napoleons im eigentlichen Sinne darin bestanden habe, die „europäische Association" zu begründen; alle gelehrten Associationen in Europa; Spielhagen 1857 Engl. Charakterzüge (Übers.) 20 die Leichtigkeit der Association zu politischen oder geschäftlichen Zwecken; Hundt v. Hafften 1864 Rechte II 250 erweitert sich der Begriff der „Association" zur Organisation; Jäger 1869 Darwinsche Theorie 73 Da jedes einzellige Wesen die Fähigkeit besitzt, sich zu halbiren und zu zwei zu werden, durch nochmalige Halbirung dieser zu vier und so fort, so bedurfte es, um zur Association zu kommen, nur des einen Umstandes, daß diese aus der Theilung hervorgegangenen Zellchen an ändern kleben blieben; 1871 Grundzüge d. Geseüschaftswiss. 411 Princip der Cooperation oder der Association; Klüpfel 1872 Gesch. I 237 auf dem Wege kündbarer Associationen [Bündnissen von Staaten] nach Analogie des Zollvereins; Reichensperger 1872 Phrasen 172 Die Freiheit der Association hat unter allen Umständen ihre Gränze dort zu finden, wo das Gebiet der Religion anfängt, mit welcher der Liberalismus ohne die energische Beihülfe der Staatspolizei nun einmal nicht fertig zu werden vermag; Kodenberg 1872 Studienreisen i. England 257 Gegenwärtig allerdings, unter den neuen Conjuncturen und Constellationen in der Finanzwelt, ist das Haus Rothschild nicht mehr die Großmacht . . Andere Mächte, die großen Creditinstitute, sind neben ihm emporgewachsen und drängen es in den Schatten; die Association, das Consortium hat die Einzelherrschaft gebrochen; Schaffte 1878 Bau HI 457 Arbeiterassociationen [in Frankreich schon 1791] welche die Arbeitgeber „Vampyre" und Tyrannen der Arbeiter nannten; Dingelstedt 1879 Bilderbogen 85 Associationstriebes in der Körperschaft dramatischer Künstler; Mommsen 1887 Reden 155 überall da, wo die Wissenschaft der staatlichen Hülfe bedarf, wo die Arbeitskosten die Mittel des einzelnen übersteigen, wo die Gelehrtenassociation erforderlich wird; Achelis 1891 Theologie II 323

Assoziation Gegenüber den revolutionären und kommunistischen Associationen sind christliche Associationen der Hilfsbedürftigen selbst zu errichten .. Auch die Armen haben sich in Sparkassen zu associieren; Herding 1893 Kl. Sehr. 343 Wo der ökonomische Liberalismus ohne jede Einschränkung herrscht und der kapitalistische Lohnarbeiter ohne jeden Schutz durch staatliche Gesetzgebung und ohne jede Verstärkung auf dem Wege der Association dem Unternehmer gegenübersteht [353] corporative Association der Arbeiter; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 165 Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Associationen); 1903 Preuss. Jahrb. CXIV 87 Die Pools des 20.Jahrhunderts, oder Associations, oder Gentlemen Agreements, oder wie sie sonst heißen; Wähle 1906 Mechanismus 270 Jene Systeme von Nervenzellen und -fasern, welche in der Rinde Assoziationsfelder verbinden und in ihnen dem Verkehre der zentralen Sinnesfelder dienen, also mehr transversal verlaufen, nennt man Assoziationsneurone; Bergengrün 1908 v. d. Heydt 134 Assoziation des Kapitals in der Form der Aktiengesellschaft; 1916 Deutschland l 37 Die geheimnisvolle „internationale Assoziation", hinter der sich der König Leopold II. von Belgien verbarg; Bechhold 1919 Handlex. I 106 Assoziation Min. das Zusammenvorkommen d. Mineralien im Eruptivgestein; Sombart 1919 Soz. 250 Die erste Form, in der ein Versuch zu internationalem Zusammenschluß des Proletariats gemacht wurde, ist die berühmte Internationale Arbeiterassoziation. Es war im Jahre 1862, als französische Arbeiter in London sich auf der Weltausstellung mit englischen Arbeitern ins Einverständnis setzten, um über gemeinsame Bestrebungen zu beraten. Weitere Zusammenkünfte folgten dann nach, und 1864 wurde ein Bund gegründet, der den Zweck hatte, Vertreter der Arbeiter aus verschiedenen Ländern zu einem gemeinsamen Vorgehen zu vereinigen. Es wurde dies die Internationale Arbeiterassoziation: L'Association des Travailleurs, the International Workmen Association; ebd. 252 Nun aber beginnt Marx seine Pläne systematisch zu verwirklichen, das heißt die Internationale Arbeiterassoziation langsam mit seinem Geiste zu erfüllen und durch sie die Arbeiterbewegung der verschiedenen Länder zu leiten; Redlich 1920 Österr. Staatsproblem l 447 der kapitalistischen Assoziationen, der Aktiengesellschaften; Lenz 1922 Staat 5 Lassalles „friedliche Arbeiterassoziationen mit Staatshilfe"; 2926 Unternehmertum 162 Die Arbeitgeberorganisationen werden gewöhnlich „association" genannt . . Das Wort „association" in dem Titel einer Organisation oder das Fehlen des Wortes ist kein sicherer Beweis dafür, daß die Vereinigung eine solche von Arbeitgebern ist oder nicht; Matthes 1926 Sprachform 39 alle Sprachge-

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setze als 'Associationsgesetze' zu erklären, das ist erst das Werk H. Pauls .. und W. Wundts; Simmel 1930 Geld 373 Nach 1848 bildeten sich in Frankreich Syndikate von Arbeiter-Assoziationen desselben Gewerkes; Hegemann 1930 Berlin 284 [V. Aime Huber 1800-1869] erkannte weitsichtig den . . Zusammenschluß der Industrie-Arbeiter zu 'Associationen', nach englischem Vorbilde, als notwendige Lösung der sozialen Frage; Gebauer 1932 Kulturgesch. 428 Selbst der Betrieb der Wissenschaft blieb von der kapitalistischen Entwicklung nicht unberührt. Auch hier wurde wie in den industriellen Betrieben behufs leichteren und schnelleren Verdienstes das Prinzip der Arbeitsteilung peinlich durchgeführt; auch fand der Grundsatz der Kooperation, der Assoziation oder Vergesellschaftung Eingang; Stuttgarter Ztg. 2.11.1959 Assoziation auch für die Landwirtschaft (Überschr.) Die niederländische Regierung wünscht eine völlige Einbeziehung des landwirtschaftlichen Handels in eine Wirtschaftsassoziation zwischen der EWG und der Kleinen Freihandelszone; Münch. Merkur 3.6.1961 Längst existiert eine internationale „Association" der Festivals, die auch einen Kalender mit allen Festspieldaten herausgibt; 196J NaturOrdnung 539 Assoziation oder Konföderation der europäischen Staaten; Offenburger Tagebl. 19.8. 1962 daß die Assoziation mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft . . weder eine politische Bindung für sie darstellen soll, noch ein Hindernis für die in Afrika sehr starken Vereinigungstendenzen . . Ebenso wie anderen europäischen Staaten im Römischen Vertrag die Möglichkeit zum Beitritt oder zur Assoziation geboten ist, steht allen bisher an der Assoziation nicht beteiligten afrikanischen Staaten die Tür zur Mitarbeit offen; Stuttgarter Ztg. 22. 9.1962 Der Schweizer Bundesrat ist zur „audition" über die Assoziierung der Schweiz mit der EWG nach Brüssel eingeladen worden . . Die Rücksichtnahme ist vor allem deshalb unerläßlich, weil ein künftiger Assoziationsvertrag dem Volk und den Ständen zur Zustimmung vorgelegt werden muß . . Man ist sich in zuständigen Kreisen über die Schwierigkeiten einer derart konzipierten Assoziationsvereinbarung . . durchaus klar; Süddtsch. Ztg. 27.2.1964 daß die derzeit geschäftsführende Regierung . . nicht in der Lage sei, das Assoziationsabkommen zu unterzeichnen; Welt 2.6.1964 Der gemischte Assoziationsrat trifft die einzelnen Entscheidungen; FAZ 6.12.1965 Abgeordnete derjenigen achtzehn afrikanischen Staaten . . die mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Assoziation gebildet haben; ebd. 27.11.1969 Nun begannen Proteste der Anhänger der akademischen Ausbildungskurse . . aller derer, die die materiellen Vorteile der „Assoziation" an die Vereinigten Staaten für wichtig ansehen; Zeit

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28.12.1984 Eine populäre Lernkultur, die aus der freien Assoziation von Menschen zum Zwecke der Bildung erwächst, steht im Widerspruch zum produktivistischen Schulsystem; ebd. 3.5.1985 taufte die Sinti und Romani in „Neubürger" um oder erklärte sie zu einer „besonderen sozialen und ethnischen Schicht" und verweigerte ihnen jedes Recht auf eigene Assoziationen; Stern 1986 Erinn. 145 Zusammen mit ihnen hatte Heinz Völkel der Assoziation revolutionärer bildender Künstler, der Asso angehört; Zeit 7.11.1986 Als Monika Maron den Henker als „führendes Mitglied der Assoziation dichtender Männer" vorstellt, möchte man sich fragen, womit die schreibenden Kollegen das verdient haben. Assoziat: 1947 Orion H 353b Da aber eine Bildung von Polymeren und Assoziaten meist mit dem Verzehr von Energie . . verbunden ist, war es nötig; Umland 1970 Theorie u. Methoden IX o. S. Gegebenenfalls ist das extrahierte lonenassoziat mit einem anderen Reagens zur photometrischen Bestimmung umzusetzen. assoziativ: Schaffte 1869 Ges. Aufs. I 228 Ungetheilt ist es bei der Privatunternehmung, getheilt bei allen associativen Unternehmungsformen. Assoziation b: 1711 Neue Bibliothek XIV 297 Der herr Author strechet mit vielen Lobsprüchen die Lehre deß Monsieur Lock de associatione idearum herauß; Eberhard 1776 Theorie 123 Wenn man das stätige Fortrücken der Seele von einer Vorstellung zur ändern verständlich erklären will, so wird alles leicht, so bald man annimmt, daß bey einer jeglichen derselben durch die Association der Ideen mehrere andere rege werden, die die Seele voraus sieht; Hamann 1761 Er. 87 wenn ich . . vermöge einer Ideenaßociation, an jene Stutzer denke, die ihren knotichten Stäben die Allmacht jener Keule zutrauen, von der man so grobe Lügen gedichtet, daß man sie mit Händen greifen kann; Abel 1786 Seelenlehre 56 Durch eben diese sinnliche Eindrücke sind zugleich die Materialien zu allen künftigen Empfindungen und Neigungen gegeben, weil dieselbe entweder jene sinnliche selbst sind . . oder blos durch Association und Verwechslung des Mittels und Zwecks entstanden; ebd. 66 Alle übrigen Verhältnisse, z. E. Zeichen und Bezeichnetes, lassen sich auf die vorige zurückführen, aber noch läßt sich keine evidente Methode angeben, alle Assoziationsgesetze auf eines zurückzuführen; 1780 Götting. Magazin d. Wiss. II 65 dieser Erklärungsversuch der Assoziazion, sowohl als der Gedächtnisbilder selbst . . nach den Gesichts-ideen eingerichtet; Maimon 1791 Philos. Wb. 14 Apprehension und Association der Einbildungskraft; Maas

1797 Einbildungskraft 21 eine Folge zusammengehöriger Partialvorstellungen . . also insofern einer Association der Einbildungen ähnlich; ebd. 60 könnte die Ordnung, welche in der Folge der Verstandesvorstellungen obwaltet . . eine intelligible Association heissen; Beck 1799 Propädeutik 13 Die Sprache beruht . . auf diesem Associations-Vermögen; Keil 1803 Rhapsodien 118 Die letzte Art successiver Erregungen im Seelenorgan, sofern es Vorstellungen erzielt, nennen wir Association; Schopenhauer 1819 Welt (1859 3. Aufl. U 145 ff.) Über die Gedankenassociation; Heine 1835 Rotnant. Schule 188 Die Ideenassoziation, die durch Kontraste entsteht, ist schuld daran, daß ich, indem ich von Herren Uhland reden wollte, plötzlich auf Herren Raupach . . geriet; Herbart 1841 Vorlesungen 75 Die Erfahrung associiert zwar das, was sie giebt; will man aber diese schon vorhandene Association in das Werk der Lehrstunden eingreifen lassen . . so muß Erfahrenes und Gelerntes zusammenpassen; Lange 1866 Materialismus II 395 eine genaue Berücksichtigung der neueren Anatomie und Physiologie und ein energischer Versuch, die Associationspsychologie mit unserer Kenntnis des Nervensystems und seiner Functionen in Einklang zu setzen; Heerdegen 1878 Lat. Semasiologie II 30 Association [Bedeutungslehre]; Hartmann 1869 Philosophie 238 wenn beim wachen Träumen einem Bilder aufsteigen, so müssen dieselben erst bis zu einem gewissen Grade der Vollständigkeit gediehen sein, ehe sie durch Association für einen Moment das Ganze der erlebten Situation als zweites Bild vor die Seele führen, und erst in diesem Moment springt plötzlich das Bewußtsein hervor, daß man ja die Sache erlebt hat, erst dann wird die aufgestiegene Erinnerung als Erinnerung bewußt; 1908 Zukunft LXV 78 Freuds Verfahren bewirkt die Lösung von ganz bestimmten Sperrungen der Assoziationen, die sich auf affektive Erlebnise, besonders der Kindheit, zurückführen lassen; Breuer/ Freud 1909 Hysterie 59 Wahrscheinlich machte sie Versuche, die Schlange mit der gelähmten rechten Hand zu verjagen, und dadurch trat die Anästhesie und Lähmung derselben in Assoziation mit der Schlangenhalluzination; Schmilz 1911 Brevier 343 Unser ganzes gegenseitiges Verstehen beruht auf Assoziationen, die aus den paar Eindrücken, die wir von jemand empfangen, einen Menschen ergänzen; Haeckel 1913 LW. 13 Denkherde oder Associations-Centren; Münsterberg 1914 Psychotechnik 335 in meiner Aktionstheorie im Gegensatz zur Assoziations- und Apperzeptionstheorie; Freud 1917 Psychopathologie 51 Laut- und Wortassoziationen; Bechhold 1919 Handlex. I 106 Assoziationsfasern s. Gehirn . . Assoziationslähmung Lähmung v. Augenmuskeln . . Assoziationszentren s. Gehirn; Tb. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 67)

Assoziation Welche beiden Assoziationen sind es . . die anklingen, wenn der Name Rousseau ausgesprochen wird — abgesehen von der Assoziation 'Natur', die selbstverständlich zuallererst sich meldet; Freud 1926 Psychoanalyse 104 daß er sich der freien Assoziation unter Festhaltung einer Ausgangsvorstellung überlasse . . es gibt nun einen höheren Grad von Freiheit der Assoziation, wenn ich nämlich auch diese Ausgangsvorstellung fallenlasse; ebd. 107 das sogenannte Assoziationsexperiment . . bei welchem der Versuchsperson der Auftrag erteilt wird, auf ein ihr zugerufenes Reizwort möglichst rasch mit einer beliebigen Reaktion zu antworten; Matthes 1926 Spracbform 39 alle Sprachgesetze als 'Associationsgesetze' zu erklären; 1929 Querschnitt 720 Konstruktionskraft + Sprachkraft + Assoziationsfähigkeit; Voss. Ztg. 28.9.1930 ein unwahrscheinlich breiter Sessel, und seine dunkle Lehne erinnert mich an den mächtigen Rücken eines alten Seefahrers, eine kuriose Assoziation; Gebauer 1932 Kulturgesch. 542 Freilich hat es in manchen Phasen der Entwicklung lange gedauert, bis sich das menschliche Ohr an das Neue gewöhnt hatte, bis das Publikum den Meister verstehen konnte und schließlich früher unbekannte Klangassoziationen nicht mehr als Mißklänge, Dissonanzen, empfand; 1945 Freundesg. f. Korrodi 13 die stete Präsenz der Summe des Wissens und die Fähigkeit zum virtuosen Spiel der Assoziationen; Hesse 1943 Glasperlenspiel I 96 Aber die Assoziation, das jedesmalige Aufsuchen zweier sinnlicher Erlebnisse beim Gedanken „Vorfrühling" (PAUL); Schock 1952 Soziologie (Reg.) Assoziationspsychologie; Kronasser 1952 Semasiologie 44 Der komplikative Bedeutungswandel, bei dem sich Assoziationen zwischen verschiedenen Sinnesgebieten abspielen . . durch Assoziation des Wortes mit anderen Wörtern, mit denen es häufig in den Zusammenhang der Rede eingeht; Pfeiffer 1959 Gedicht 72 Ein Gedicht, das sich in sprunghaften Assoziationen entfaltet: eine Reihe von herausgegriffenen Eindrucksfetzen schließen sich in steigerndem Wechsel so aneinander, daß der verdämmernde Horizont einer umfassenden Lebensstimmung geweckt wird; Stuttgarter Ztg. 19.2.1969 Gegenwehr setzt . . ein, wo der Künstler direkten Assoziationen an Blutiges und Verwesendes erlegen ist; Offenburger Tagebl. 25.8.1969 des von Franz Josef Strauß herausgegebenen „Bayernkuriers", der eine Assoziation zwischen dem Hitler-Stalin-Pakt und der Moskauer Reise der SPD-Politiker hergestellt habe; 1970 Durch d. schöne Welt Hl o. S. Eine Fülle von Assoziationen ist mit dem Namen dieser liebenswerten Stadt verbunden; Seger 1970 Knaurs mod. Soziologie o. S. das Vorzeigen von Bildern, kleine Zeichenproben, das Vorlegen von Sachproben, Assoziations-Tests; Wertpapier

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(Zschr. f. Kapitalanlage) 1.4.1971 Nicht von ungefähr wird das Wort „Japan" immer häufiger mit negativen Assoziationen belegt; Althaus/Henne/ Wiegand 1980 Lex. d. germ. Linguistik 32 Appräsentation als aktive Bewußtseinsleistung gründet in primitiveren appräsentativen Bewußtseinssynthesen. Diese beruhen ihrerseits auf den ursprünglichsten passiven Synthesen der Assoziation (oder „Paarung"); MM 20.2.1985 viele Schnitte und Unmengen von Szenen, die Assoziationen wecken sollen; ebd. 21.2.1985 seine wildwuchernde Bildphantasie zu disziplinieren und mit den Einfallen und Assoziationen, die ihm in verschwenderischer Fülle zuströmen, haushälterisch oder auch nur einigermaßen werkbezogen umzugehen; Zeit 22.2. 1985 Hier ist ein eh schon gedanklich blasses Konstrukt . . mit Assoziationen, Anspielungen, Bildungsflitter behängt, bestückt, erstickt worden; ebd. 5.4.1985 Dem Feuilletonisten genügen in der Tat kleinste objektive Anlässe, um sich seinen subjektiven Bildern, Assoziationen, Betrachtungen hinzugeben; ebd. 3.5.1985 Das Programm wählt aus einem vorgegebenen Wortschatz Bausteine aus — nach Zufallsroutinen oder vorgegebenen „Assoziationssträngen"; MM 11.9.1985 Auf diese Weise ruft Beuys vielfältige Assoziationen hervor; ebd. 3.10.1985 dieses Material wird umgesetzt in Poesie — durch überraschende Verknüpfungen und Assoziationen; Zeit 8.11.1985 die Faszination einer Oberfläche, das Notat eines Sinneseindrucks, eines Geräuschs oder eines bestimmten Lichteinfalls verknüpfen sich mit Assoziationen, Einfallen, Überlegungen; ebd. Das Wort „Zigeuner" ist derart beladen mit Vorurteilen — im besten Fall folkloristisch und operettenhaft, im schlimmsten rassistisch verachtend — daß für positive Assoziationen wie ihre eigene Geschichte, Tradition, Würde überhaupt kein Platz geblieben ist; ebd. 6.12.1985 Eine Gattungsbezeichnung für diesen aus bizarren Episoden, Reflexionen, Assoziationsreihen, Zitaten und autobiographischen Reminiszenzen bestehenden Text läßt sich nicht finden; MM 7.6.1986 Die „Erinnerungen und Assoziationen" . . beziehen sich auf eine Kindheit in Nazideutschland; ebd. 14.6.1986 Riesige Bettlaken, die im letzten Akt über die Flügel und den Pianisten geworfen werden, wecken Assoziationen an Christos Verpakkungskünste; ebd. 21.7.1986 Das Feld der Phantasien und Assoziationen, die in dieser Ausstellung geweckt werden, ist unübersehbar; ebd. 7.8.1986 Er bleibt seinen freien Assoziationen und Eindrükken ausgeliefert; ebd. 12.9. 1986 daß er seine Schlußfolgerung denn auch fast gar nicht aus dieser abstrusen Assoziationskette ableitet; Zeit 27. 3.1987 operiert . . mit poetischen und sprachlichen Assoziationen, die dem deutschen Leser nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar sein dürften;

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MM 20.5.1987 Assoziationen — Gedankenverbindungen etwa zwischen Dingen oder Personen und einer bestimmten Szene; ebd. 12.3.1988 Aus der Sicht Bohrmanns scheint das Leben eine Collage, eine Abfolge Ungewisser Assoziationen; Strauß/ Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 33 daß gerade bei den Begriffen, die in verschiedenen Ideologien und über lange Zeiträume in der Sprache der Politik gebräuchlich sind, in Emotionen gründende Nebenvorstellungen und Assoziationen den Wandel im begrifflichen Kern überdauern können; Süddtsch. Ztg. 18.12. 1992 monologisch daherwabernde Sprach- und Assoziationsfetzen; Spiegel 15.2.1993 Er plazierte Kabel, Messer und Rasierklingen an den empfindlichsten Stellen des Körpers und weckte bestürzende Assoziationen an Folter und Amputation; Spiegel 1.8.1994 Mittels Hypnose, Körpermassage, Assoziationssteuerung und Psychopharmaka machen in den USA Erinnerungstherapeuten Ausgrabungen im Seelenleben von Tausenden von Frauen. assoziabel: Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. / 4,122) Denn, ob wir gleich das Vermögen hatten, Wahrnehmung zu associiren; so bliebe es doch an sich ganz unbestimmt und zufällig, ob sie auch associabel wären; Steltzer 1817 Ueber d. Willen 114 Es ist auch möglich, daß diese Vorstellung jene Wirkung nur mittelbar hervorbringt, indem sie sich mit einer widersprechenden Vorstellung . . vergesellschaftet . . oder aber aus sich selbst die bisher herrschende Vorstellung so mindert, daß sie direkt mit der widersprechenden Vorstellung associabel wird. Assoziabilität: Gaudig 1909 Didakt. Präludien 219 zunächst eine Steigerung der Reproduktionstendenz und der Reproduzierbarkeit . . ferner die Assoziabilität. assoziativ: Fechner 1876 Vorschule d. Ästhetik l 64 ob wir die Wohlgefälligkeit eines Gegenstandes . . auf seine regelmäßige Form oder die sich associativ geltend machende Angemessenheit derselben zu seiner Bestimmung zu schreiben haben; MöllerBrück 1899 Neutöner 33 associative Vorstellungsreihen; Freud 1911—24 metapsychol. Sehr. 86 Die fliehende Besetzung wendete sich einer Ersatzvorstellung zu, die . . assoziativ mit der abgewiesenen Vorstellung zusammenhing; Holder 1924 Mathem. Methode 59 daß für die so definierte Streckenaddition das sogenannte Kommutativgesetz . . gilt . . für die Addition der Strecken auch das Assoziativgesetz besteht; Kronasser 1952 Handb. Semasiologie 42 Assoziativer Bedeutungswandel; hier tritt an die Stelle einer Vorstellung eine andere, die mit der alten durch irgendwelche Gemeinsamkeiten asso-

ziiert ist; Marti u. a. 1963 Literatur 97 Der assoziative Stil, signifikant für einen guten Teil der modernen Lyrik, geht auf Entdeckungen der Surrealisten zurück; Hellwig 1971 Höhere Mathematik o. S. Formel (assoziatives Gesetz); Knobloch 1971 Sprachwiss. Wb. o. S. Dazu kommt der Verbundenheitszuwachs: wird ein bestimmtes Wort reproduziert, so werden dadurch auch alle jenen Wörter mobilisiert, zu denen assoziative Beziehungen bestehen; FAZ 1.4.1971 eine frei assoziative, das bürgerliche Alltagsleben surreal verfremdende Szenenfolge; MM 2.1.1985 in der Sound- und Stimmencollage . . sein Grauen beim Wiederlesen des Buches mit assoziativen Bildern, Geräuschen, Tönen und Stimmen konserviert hat; Zeit 15.3.1985 daß er im Grunde kein systematischer, sondern ein stark assoziativer Denker ist; MM 12.8.1985 alogische, assoziative Reihungen von Tätigkeiten, Bewegungen, Vorgängen; Repetition, Alliteration, literarische Anspielung; Zeit 6.12.1985 So genügt es, dem assoziativen Bilder- und Gedankenstrom . . zu folgen, damit sich aus den Teilen kaleidoskopisch ein Ganzes zusammenfügt; ebd. 24.1.1986 Assoziatives Lernen durch eine zweifache Veränderung an einem Molekül kann freilich nur dann stattfinden, wenn der unkonditionierte Reiz auch tatsächlich erst kurz nach dem konditionierten kommt; ebd. 2.5.1986 lockere assoziative Erzählform von Kurz- und Kürzestgeschichten; ebd. 7.11.1986 poetischen Techniken . . die teils aus in sich abgeschlossenen, hermetischen Einzelstücken . . teils aus assoziativen, wie eine einzige Gedankenkette ablaufenden Reihen . . bestehen; ebd. 13.2.1987 das rauschhafte Aufglühen des monologischen Redestroms, der sich assoziativ, stolpernd, kreisend voran- und eigentlich doch nicht von der Stelle bewegt; MM 28.3.1987 Müllers Texte kommen deshalb seiner Musik, die er als eine assoziative Kunstform verstanden wissen will, in besonderer Weise entgegen; ebd. 30.11.1987 eine sehr eindringliche poetische Sprache, die man sich assoziativ auch ohne Kenntnis des jeweiligen Performance-Umfeldes erschließen kann; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 528 weil Störfall im allgemeinen Sprachgebrauch mit Störung, Vorfall, Zwischenfall im Sinn eines kleineren, ungefährlichen und nicht bedrohlichen Ereignisses assoziativ verknüpft ist; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 16 Alphabetisch oder assoziativ, immer aber kurzgehalten, reiht sich auch dort Sprachthema an Sprachthema; ebd. 87 baut seine Bücher journalistisch perfekt in assoziativ gereihten Kurzkapiteln; Süddtsch. Ztg. 12./13.12.1992 Nichts ist gesagt über die stupende Fülle des ihnen eingeschmolzenen Materials, nichts über ihr assoziatives Spiel des Intellekts und ihre Sinnlichkeit im sprachlichen Prozedere; Spiegel 30.8.1993 Kurze Zeit später

assoziieren gab er schon Wörter ein, die assoziativ verbunden waren. Dann brach ein Strom von Gedanken und Gefühlen aus ihm heraus; Süddtsch. Ztg. 2.2.1994 Dazu paßt die locker-assoziative Erzählweise voller Randepisoden und Momenterlebnisse, in denen das Kuriose und Spielerische dominiert.

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Assoziativität: Tränkle 1985 Statist. Methoden 15 Die Assoziativität der Verknüpfungsoperation (d. h. es muß auf dasselbe hinauslaufen, ob erst a mit b und dann das Ergebnis mit c oder ob erst b und c und dann das Ergebnis mit a verknüpft wird).

assoziieren V. (in)trans. und reflex., seit Mitte 16. Jh. vereinzelt, seit spätem 17. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. (s')associer (< lat. assodare 'beigesellen; vereinigen, verbinden', aus ad- '(da-, hin-)zu, (dar-)an' und sociare 'vereinigen, verbinden; vergesellschaften', zu socius 'gemeinsam; Gefährte, Teilnehmer'; —> Sozius, —> sozial). a Zunächst als V. reflex, in der allgemeinen Bed. 'sich jmdm./etwas bei-, hinzugesellen, anschließen; sich (mit jmdm.) zusammentun, verbinden' (in einer im Unterschied zu verbünden eher lockeren Weise) und 'mit jmdm. zusammenarbeiten', vor allem auf Staats- oder (außen-)wirtschaftspolitischer Ebene von Regierungen, Großmächten o. ä. für 'sich angliedern, -schließen, vereinigen zum gegenseitigen (wirtschaftlichen, politischen, militärischen) Nutzen', speziell im kaufmännisch-gewerblichen Bereich 'mit jmdm. in eine Geschäftsbeziehung, -Verbindung eintreten, sich in einer Genossenschaft zusammenschließen, jmdn. als Teilhaber aufnehmen; vergesellschaften' (s. Belege 1597, 1712), häufig in Syntagmen mit Präp. wie sich assoziieren an, mit, passivisch gebraucht in der subst. und adj. verwendeten Part. Perf.-Form Assoziierter M. (Assoziierten; Assoziierten), assoziiert (im Unterschied zu bedeutungssverstärktem Alliierter, alliiert, —>· Allianz; s. Belege 1785, 1952) sowie in Syntagmen wie assoziierte Mächte, Staaten; dazu das seit Ende 17. Jh. nachgewiesene Verbalsubst. Assoziierung F. (-; -en) '(vertraglicher) Zusammenschluß, Angliederung; Verbindung, Verknüpfung, Vereinigung', gleichbed. mit —»· Assoziation a. Daneben vereinzelt im 17. Jh., seit Mitte 18. Jh. selten nachgewiesenes, aus gleichbed. frz. associe übernommenes, heute veraltetes Associe '(Geschäfts-)Teilhaber, Gesellschafter, Assoziierter; Genösse; Kompagnon', auch allgemeiner im Sinne von 'Helfer, Gehilfe' (s. Beleg 1864), mit der Gelegenheitsableitung Associeschaft 'Zusammenschluß, Bündnis; Teilhaberschaft'. b Seit der 2. Hälfte des 18. Jhs. vereinzelt im Sinne einer Übertragung von Bed. a auf abstrakte Gegenstände, zum Teil als V. reflex, (vgl. a), seit Mitte 19. Jh. kontinuierlich als V.(in)trans., entsprechend —> Assoziation b und unter Einfluß von engl. associate als Fachausdruck der Philosophie und Psychologie, in neuerer Zeit zunehmend auch als Schlag- und Modewort der Bildungssprache in der Bed. 'Denk- oder Bewußtseinsinhalte (spontan) miteinander in Verbindung bringen, eine gedankliche Vorstellung (z. B. aufgrund von Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten) mit etwas verknüpfen', vereinzelt auch 'in einem Zusammenhang, in Beziehung stehen, zusammenhängen' (s. Belege 1980, 1992) und gelegentlich positiv konnotiert mit „frei, poetisch, anschaulich" (s. Belege 1970, 1985), häufig passivisch verwendet in Syntagmen wie (positiv, negativ) assoziiert werden (mit) und in der idiomatischen Verbindung frei assoziieren; dazu im 20. Jh. die Gelegenheitsableitungen assoziierbar Adj. und Assoziierbarkeit F. (-; ohne PL). assoziieren a: Christoph v. Wirtemberg 1555 Br. Ill 108 Zum dritten das derhalben in solchem die

obvermelte gaistliche stend allein höchstgemelter . . fursten und stenden des reichs associert, connec-

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tiert. . seien; 1597 Simonsfeld I 414 Weill aber wir uns . . iezo thöctlich zu associren . . geneigt (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Krafft 1683 Bedenken v. d. Manufakturen 37 Wenn nun obigen Vorschlag einige ins Werck zu stellen Lust hätten und zum Exempel funffzig Personen sich associirten; 1712 Hübner 127 associiren, sich zusammen gesellen, in Compagnie und Gesellschaft einlassen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Sperander 1727 A la mod Sprach 52 associiren, vergesellschaften, mit einem Gesellschaft machen, sich in Gesellschaft einlassen, zusammen verbinden; Zedler 1732 Universallex. 1913 Associiren heisset sich zusammengesellen, oder in Compagnie aufnehmen; Schlözer 1779 Briefw. histor. Inh. 25 Die Zinszahlung geschieht in halbjährigen Terminen, und die, aus der Landschaft Associirte, leisten dieselbe auf den bestimmten Tag . . Diejenigen Besitzer adlicher Güter, welche keine Schulden haben, können dennoch nicht minder sich mit grossem Vorteile associiren; Goethe 1787 Br. (WA IV 8,137) als die Villa Negroni zu Kauf stand, associirte er sich mit einem, der zu dem Grund und Boden Lust hatte; 1791 (Waldhausen 1902 Steinkohlenbergwerk 38) zur Anlage einer Eisenhütte assoziirten Gesellschaft; Goethe 1791 Br. (WA IV 9, 291) Lassen Sie uns die Akustik gemeinsam angreifen . . Lassen Sie uns conferiren und jeden von seiner Seite arbeiten, ich habe mich schon mit einem Mahler . . und Mathematiker . . innig associirt und hoffe bald für die übrigen Fächer auch nahe und reine Verbindungen; ders. 1795 — 96 Lehrjahre (HA VII 232) man gab Wilhelmen zu verstehen, er habe wahrlich nicht übel getan, sich mit dieser Schönen zu assoziieren und durch ihr Glück auch seine Habseligkeiten zu retten; Freytag 1855 Soll u. Haben 359 Immer hatten Sie einen grossen Widerwillen sich zu associiren; Bebel 1870 Ziele 17 daß meine frühere Rechnung, es würden jedes Jahr . . neue 20 000 oder 40 000 Arbeiter befreit werden können, noch eine viel zu geringe ist, und daß, wenn die Assoziirung erst fortgeschritten wäre und sich entwickelt hätte, weit größere Massen sich jährlich assoziiren und zum Licht der Freiheit und des Wohlstandes hindurchdringen könnten; Misch 1952 Gesch. 256 den Alliierten gegenüber, mit denen es [Amerika] sich nie verbündet, sondern nur zusammengetan („assoziiert") hatte; Süddtsch. Ztg. 12.1.1953 von anderen Mitgliedern des Europarates . . die sich der Gemeinschaft vertraglich „assoziieren" wollen; Stuttgarter Ztg. 3.3.1959 Nun sind am Wochenende die Fluggesellschaften der EWG-Länder . . übereingekommen, die Bedingungen und Formen zu prüfen, die es erlauben, „die Tätigkeiten der Gesellschaften zu assoziieren"; Offenburger Tagebl. 8.6. 1961 Der Entwicklungsfonds der EWG gilt auch für das Common-

wealth, das sich im übrigen wohl bald „assoziieren" wird; Welt 8.12.1969 unter Einbeziehung der französischen und unter Ausschluß der deutschen Elektroindustrie eine mit dem amerikanischen Konzern assoziierte „europäische" Unternehmensgruppe zu erwägen; Zeit 26.4.1985 ein typographisches Institut, das einem Lehrstuhl assoziiert wäre und eine Druckwerkstatt hätte; FAZ 7. 7. 1990 Der Westen ist an dieser Stätte nicht als Kahlschläger hereingebrochen, sondern assoziiert sich dem angestammten Selbstbewußtsein als Partner. Wie lange es noch zwei eigenständig geprägte Buchproduktionen geben wird, ist die Frage. Associe: Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Associe Verbundtgesellen; 1752 Ludovici l 999 Associe, s. Compagnon (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Schiller 1794 Br. IV 23 [Cotta] äusert den Wunsch, daß wir seinem Associe in unserm Ausschuß eine consultative Stimme geben möchten; Goethe 1795 Unterhaltungen (HA XV111 209) Die Handlungssachen hingegen wurden von einem geschickten und genauen Associe sehr richtig besorgt; Bauer 1836 Ueberschw. l 126 erschien mein Associe wirklich vor der Behörde, und verlangte, man solle mich zur Rückzahlung der Summe anhalten, die er für die Dampfmaschine bezahlt habe; Herbart 1841 Vorlesungen 63 Zwischen dem ersten Zeigen der Allgemeinheiten und dem systematischen Lehren ihres Zusammenhangs darf das Associieren .. nicht fehlen; Unruh 1851 Erfahrungen 22 einem großen Handlungshause .. in welchem der Vater seine mündigen Söhne zu seinen Associes erhoben hat; Freytag 1864 Ges. W. VI 129 Was gesagt werden muß, besorge ich allein, ohne Associe; Duimchen 1902 Mittel 137 Ich aber nehme an, daß Sie aus den alten Akten Ihres Associes sich vermutlich unterrichten könnten; Brach 1931 Schlafwandler U 181 Blieb also der Windbeutel Teltscher als alleiniger Associe; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 128 Grüneck gehörte dem uns befreundeten Baron Dreyfus, der ein Associe des Wiener Barons Erlanger gewesen war. Associeschaft: Alexis 1852 Ruhe IV 179 Pitts Nachfolger werden und können sich auf eine Associeschaft mit Bonaparte niemals einlassen; Schaffte 1869 Ges. Aufs, l 210 Zahllose Associeschaften lösen sich mit der Kapitalserstarkung einzelner Gesellschafter auf. assoziiert: 1772 Frankf. gel. Anz. 298 associirtes Zeug; Treitschke 1897 Politik I 394 Ebenso zeigt das associirte . . Capital viele dunkle Seiten. Die Grundsätze unserer heutigen Actiengesetzgebung bergen viele Gefahren in sich; 1923 Polit. Handwb. I 40 Alliierte und assoziierte Mächte; Neue Ztg.

assoziieren 9.5.1950 der Lage entsprechende wirtschaftliche Hilfe und militärische Ausrüstung an die assoziierten Staaten Indochinas, um ihnen bei der Wiederherstellung stabiler Verhaltnisse beizustehen; Süddtsch. Ztg. 19.4.1950 die Bonner Bundesrepublik, Oesterreich, Schweden, die Türkei und Griechenland als assoziierte Mächte dem Atlantik-Pakt anzuschließen; Bad. Volksztg. 78.9.1960 Das seit langem vorbereitete Sonderstatut, mit dem Finnland als „assoziiertes" Mitgliedsland in die Kleine Freihandelszone (EFTA) aufgenommen werden soll; Offenburger Tagebl. 1.4.1961 Griechenland der EWG assoziiert (Überschr.); Frankf. Ztg. 19.12.1968 Forderungen der Assoziierten (Überschr.) Für eine Aufstockung der Mittel aus dem dritten europäischen Entwicklungsfonds werden die 18 mit der EWG assoziierten Staaten . . im Assoziationsrat am 19.Dezember plädieren; MM 11.7.1985 Dieses garantiert den Türken als assoziierten Europäern ab 1986 die Freizügigkeit. Assoziierter: Dohm 1791 (Berg 1799 Handb. Policeyrecht VI 2, 930) Vorzüglich erwarten wir dieses von denen, die durch den Beitrag, den sie zu dieser Anstalt leisten, als Associirte derselben zu betrachten sind; ders. 1785 Fürstenbund 134 Anm. Wollte man allenfalls zwischen Associirter und Alliirter einen Unterschied ergrübeln, so würde das letztere Wort noch stärker als das erste scheinen können; Dronke 1846 Berlin 31 Die Interessen der Associirten waren gleich und gemeinsam; Frankf. Ztg. 19.12.1968 Forderungen der Assoziierten (Überschr.) Für eine Aufstockung der Mittel aus dem dritten europäischen Entwicklungsfonds werden die 18 mit der EWG assoziierten Staaten . . im Assoziationsrat am 19. Dezember plädieren. Assoziierung: Ettner 1697 Chymicus abb bey beqvemer Gelegenheit und Associrung eines getreuen Freundes; 1772 (Berg 1799 Handb. Policeyrecht VI 2,705) so haben Wir geschehen lassen, daß . . die Dörfer nach der Convenienz ihrer Lage und Beschaffenheit associirt worden, die zusammen eine dergleichen große metallene Spritze halten sollen; welche Associirung wir denn . . approbiren; Bebel 1870 Ziele 17 daß meine frühere Rechnung, es würden jedes Jahr . . neue 20 000 oder 40 000 Arbeiter befreit werden können, noch eine viel zu geringe ist, und daß, wenn die Assoziirung erst fortgeschritten wäre und sich entwickelt hätte, weit größere Massen sich jährlich assoziiren und zum Licht der Freiheit und des Wohlstandes hindurchdringen könnten; Bin 1900 Dtsch. Wissenschaft 8 Deutsches Forschen! das ist Arbeitstheilung, aber auch Associirung zwischen gemeinsamer Arbeit; Süddtsch. Ztg. 18. 7.1951 einer militärischen „Assoziierung" Spaniens mit irgend einem Mitglied des Atlantikpaktes; ebd. 23.2.1959 das Common-

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wealth als freie Assoziierung von Nationen; Stuttgarter Ztg. 13.3.1959 ein erhebliches Interesse bei der Industrie und im Handel an einer „Assoziierung" mit dem Internationalen Zinnabkommen; Offenburger Tagebl. 10.2.1962 Spanien beantragt Assoziierung mit der EWG (Überschr.); Stuttgarter Ztg. 30.3.1962 daß diejenigen EFTA-Länder .. hinterher ihren drei neutralen Partnern bei deren Assoziierungsbemühungen sekundieren sollten; Wenn aber die Sechs bereit sein sollten, eine Assoziierungsordnung für Schweden zu akzeptieren; Süddtsch. Ztg. 6.7.1962 Der EWG-Ministerrat hat sich in Vorbereitung der Tagung mit den Ministern der assoziierten afrikanischen Staaten mit einer Reihe noch offen stehender Fragen über das neue Assoziierungsabkommen befaßt; Stuttgarter Ztg. 22.9.1962 Der Schweizer Bundesrat ist zur „audition" über die Assoziierung der Schweiz mit der EWG nach Brüssel eingeladen worden; Welt 10.6.1964 Optimistisch äußern sich diplomatische Kreise in Brüssel über die Möglichkeiten, einen Assoziierungsvertrag zwischen Österreich und den EWGMitgliedsstaaten im Laufe dieses Jahres zu schließen; Stuttgarter Ztg. 22.4.1969 Israels Assoziierung an den gemeinsamen Markt mit allen Mitteln zu verhindern; Welt 24.8.1974 Als erster Schritt zur Wiederbelebung der EG-Assoziierung könne dann kurzfristig der Assoziierungsrat auf Ministerebene einberufen werden; ebd. 26.8.1974 daß die Assoziierung griechischer mit europäischen Interessen naiver Griechenland-Romantik nach dem Stil des Jahres 1821 entspringt. assoziieren b: Goethe 1757—1775 Jugendwerke (AAJw III 10) Da petillirt weder leichtgereitzter Muthwillen eines . . Jünglings noch greift ein Yorick mit der Gelassenheit eines Reichen in die Fülle seiner Besitzthümer, faßt aus dem gedrängten häufen wunderlich associirtes Zeug auf . . setzt ein Halbbetrachtetes weg, um ein ohngefehr erblicktes merkwürdigeres zu ergreifen, wirft dann alles wieder unter einander (GWB); Wezel 1774 Tob. Knaut II 235 Die Empfindung der Unerschrockenheit associirte sich mit der Idee der Gefahr; Herbart 1841 Vorlesungen 63 Zwischen dem ersten Zeigen der Allgemeinheiten und dem systematischen Lehren ihres Zusammenhangs darf das Associieren . . nicht fehlen; ebd. 75 Die Erfahrung associiert zwar das, was sie giebt; will man aber diese schon vorhandene Association in das Werk der Lehrstunden eingreifen lassen . . so muß Erfahrenes und Gelerntes zusammenpassen; ebd. 165 Die Geographie ist eine associierende Wissenschaft und soll die Gelegenheit nützen, Verbindung unter mancherlei Kenntnissen, die nicht vereinzelt stehen dürfen, zu stiften; H. Paul 1880 Prinzipien 26 nicht bloss die einzelnen Wörter, sondern grössere Lautreihen, ganze Sätze assoziieren sich unmittelbar mit dem

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Gedankeninhalt, der in sie gelegt worden ist (PAUL); Windelband 1902 Präludien II 295 die ganze Breite der Möglichkeiten, in denen das individuell gefärbte Gefühl mit einzelnen Erfahrungsinhalten und Wertbeziehungen sich assoziiert; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 570) Kann man humanistischer assoziieren? Nicht umsonst erblickt er die Würde des Menschen im Bilde des Musengottes; ders. 1948 Reden u. Aufs. (W. X 723) Man assoziiert nur das Größte, wenn man an ihn denkt. Der Universalismus dieses Riesenhirns ist allein dem Goethe's zu vergleichen, den der seine in vielen Stücken übertrifft; Tritsch 1954 Erben 114 Langschädlige, schizothyme Neger leben in anderem Tempo und assoziieren auch anders als rund- und breitschädlige, geduldig lächelnde, zyklothyme Mongolen; Stork 1970 Nil igitur (Diss.) o. S. Die Gedankenführung ist nicht streng und geradlinig auf das Ziel hin ausgerichtet, sondern assoziierend; Schwelbusch 1980 Paradies 99 Nicht mehr die Düsternis von Jesuitentum, Inquisition, Escorial assoziiert sie [die Schokolade] sondern die Eleganz des Rokoko; ebd. 137 Sie [die Zigarette] gehört zum Sekt, zu Hazardspiel und Liebe, zum Leichtsinn . . assoziiert ein Wiener Literat des Fin de siecle; MM 3.4.1985 Es sei nicht bestritten, daß der Regisseur phantasievoll zu assoziieren und in den „Ring"-Figuranten mancherlei Nebenaspekte aufzuspüren vermag, die andere Interpreten bisher übersehen haben. Aber er war offensichtlich außerstande, aus seinen Assoziationen und Einfallen diejenigen auszusondern, die einer neuen Erschließung der Tetralogie im Wege stehen könnten; ebd. 25.5.1985 Mit der Tätigkeit eines Dienstboten wird gemeinhin das Mädchen mit Spitzenhäubchen assoziiert .. auch der herrschaftliche Gärtner oder der weißbehandschuhte Diener mögen damit in Verbindung gebracht werden; ebd. 26. 7.1985 Er ist kein analytischer Denker, eher ein poetisch assoziierender Autor . . einer von homerischer Qualität; ebd. 31.10.1985 Alle anderen Ölbilder und Gouachen, die bei Fahlbusch zu sehen sind, lassen Gegenständliches allenfalls frei assoziieren. Die Konsequenz, mit der Brosch sein Programm verfolgt, läßt das Bild mit den deutlich gegenständlichen Anklängen wie einen Fauxpas erscheinen; ebd. 25.11.1985 Von 1979 datieren die ältesten Exponate, Eisenplastiken, die in ihren raumgriffigen Konstruktionen Vorstellungen von Bäumen assoziieren lassen; Zeit 6.12.1985 Warum

hat er es dann dennoch unternommen, sich selbst über so viele Jahre hinweg unter den verschiedensten Stichworten Rechenschaft zu geben, was bestimmte Worte, Begriffe, Namen, Vorstellungen ihm bedeuteten oder nicht bedeuteten, was er mit ihnen assoziierte, welche Gedanken, Empfindungen, Erinnerungen sie in ihm auslösten, und was an den Gefühlen, Vorurteilen und Verbohrtheiten der Zeitgenossen ihn in diesem Zusammenhang am meisten aufregte; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 20 Der Ausdruck „Funktionalismus" . . verschleiert .. daß die mit ihm assoziierten Eigenschaften moderner Bauten das Ergebnis einer konsequent verfolgten ästhetischen Eigengesetzlichkeit sind; MM 27.1.1988 Es entsteht eine Komposition, in der allmählich Gegenstände oder Gegenstandsfragmente vom Künstler gedanklich assoziiert und in der Folge . . anschaulich konkretisiert werden; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 289 Dabei wird Pluralismus gelegentlich positiv assoziiert mit 'Toleranz (zwischen verschiedenen Gruppen)' . . aber auch negativ assoziiert mit 'Durcheinander, Gewirr (der Interessen, Meinungen u. ä.)'; FAZ 26.8.1989 Diese verwirrend fröhlichen DDR-Bewohner scheinen wenig mit den etwas verkniffenen Landsleuten in den schlecht sitzenden braunen Anzügen zu tun zu haben, die man früher mit der DDR assoziierte und mit denen eine deutsche Einheit nur schwer möglich schien; ebd. 25.6.1990 „Wenn hier jemand säße, der eine Nachfolgeorganisation der NSDAP verträte", assoziierte Geißler . . und spielte auf mutmaßliche Zuhörer-Reaktionen an — „es wäre völlig unmöglich"; ebd. 27.6.1990 Für die DDR-Hochschulen, die in der Bundesrepublik keine Entsprechung finden, soll bis zur Klärung offener Strukturfragen eine assoziierte Mitgliedschaft vorgesehen werden; Süddtsch. Ztg. 19.120.12.1992 Was in unserem Jahrhundert an deutschen Worten in die italienische Sprache gelangt ist, assoziiert meist wenig Sympathisches. assoziierbar: Zeit 22.2.1985 hat . . hier noch den cul de Paris erlebt, einzige mit diesem Logentheater assoziierbare Robe. Assoziierbarkeit: Gaudig 1909 Didakt. Präludien 94 [Solche Vorstellungen haben nur] geringe Assoziierbarkeit.

Ästhetik F. (-; -en), im früheren 18. Jh. in der gelehrtenlat. Form Aesthetica aufgekommene Bildung zu griech. 'empfindend, wahrnehmend', vgl. 'wahrnehmbar', 3 $ 'Sinn, Sinnenwerkzeug, sinnliche Wahrnehmung' (zu 3 $ 'durch die Sinne wahrnehmen, empfinden, fühlen').

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Wissenschaftsspr. verwendet in der Bed. 'Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren, von der sinnlichen Erkenntnis, Regelwerk der schönen Künste' (s. Belege 1744, 1754, 1792), als Bezeichnung einer neuen philosophischen Disziplin, welche die Trennung zwischen Philosophie und Kunst aufheben und Malerei, Plastik, Architektur, Musik und Poesie systematisieren sollte, zunächst in der von Baumgarten in lat. Sprache verfaßten Kunsttheorie („Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus" 1735; 1742 ästhetische Vorlesung, 1750 als „Aesthetica" erschienen), von seinem Schüler G. F. Meier („Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften", 1748 — 1750) dann in dtsch. Sprache verbreitet; im 18. Jh. häufig mit der auf das Moment der Empfindung abzielenden neuen Kategorie des Geschmacks definiert (s. Belege 1767, 1771, 1781), im 20. Jh. bes. die Zss. Schul(meister)-, Anweisungs-, Gefühls-, Einfühlungs-, Wirkungsästhetik; bezogen auf die verschiedenen Kunstformen, z. B. in den Wendungen bzw. Zss. Ästhetik der Baukunst, Tonkunst, Musikästhetik, der nationalen Herkunft, vgl. deutsche, französische Ästhetik; bes. im 18. Jh. auch als Modewort z. T. abwertend bzw. scherzhaft-ironisch gebraucht (s. Belege 1755, 1774, 1803, 1807). In der Auseinandersetzung mit Baumgartens Theorie und mit dem Beginn der wissenschaftlichen Rezeption antiker Kunstwerke (bes. Winckelmann „Geschichte der Kunst des Altertums", 1764) wird die auf Empfindung ausgerichtete Bedeutung hinterfragt und neugefaßt mit Betonung des durch historisch-vergleichende Kunstbetrachtung gebildeten Beurteilungsvermögens im Sinn von 'Theorie der schönen Künste, Wissenschaft der Kunst, Theorie des Schönen' (s. Belege 1767, 1805-06, 1830, 1903); im späten 18. Jh. von Kant, der das Erkennen des Schönen als gefühlsmäßiges Geschmacksurteil außerhalb der Grenzen der Vernunft stellt, verwendet in der Bed. 'Kritik des Geschmacks' (s. Beleg 1781), mit dem Syntagma transzendentale Ästhetik dem Übersinnlichen zugewiesen; von Hegel dann in der Bed. 'Philosophie der schönen Künste' (s. Beleg 1835) konsequent als Wissenschaft gedeutet, vgl. die mit der Rezeption von Hegels „Ästhetik" (1835) geprägten Zss. Inhalts, Gehaltsästhetik; daneben auch als ethische Kategorie gedeutet (s. Beleg 1813), vgl. die Wendung Ethik und Ästhetik. Auch im Sinn von 'Lehrfach/Lehrbuch, das sich mit der Theorie der sinnlichen Wahrnehmung, der schönen Künste befaßt' (s. Belege 1755, 1789, 1802). Seit frühem 19. Jh. setzt sich die in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. (vgl. Lessing „Laokoon" 1766, „Hamburgische Dramaturgie" 1767—69; vgl. die Bedeutungsgeschichte von —> Genie im 18. Jh.) begonnene Loslösung künstlerischen Ausdrucks von einem normativen Regelwerk durch und die klassische, auf ihre Wirkung bezogene Vorstellung von Kunst wird zunehmend hinterfragt, damit richtet sich die Kunsttheorie auf den künstlerischen Schöpfungsakt aus und öffnet sich zu einem die Moderne kennzeichnenden individuellen Schönheitsbegriff (s. Belege 1804, 1812, 1831), der auch das Häßliche einbezieht (s. Belege 1853, 1885, 1903); dadurch erweitert sich der Anwendungsbereich in Form neuer Syntagmen wie die Ästhetik des Kunstgenies, die Ästhetik Zolas; daran anschließend seit frühem 20. Jh. zunehmende Systematisierung der unterschiedlichen Auslegungen und Aspekte des Begriffs, ausgedrückt in Zss. wie Sprach-, Maler-, Musik-, Künstlerästhetik; seit Mitte des 20. Jhs. mit der Deutung eines Kunstwerks als kommunikativen Akt Unterscheidung zwischen Rezeptionsästhetik 'Lehre von der Wirkung(sgeschichte) eines Kunstwerks', Produktionsästhetik 'Lehre von der Entstehung eines Kunstwerks', Darstellungsästhetik 'Lehre von der Gestaltung eines künstlerischen Gegenstands'.

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Vereinzelt im späteren 18. Jh., seit Mitte 19. Jh. häufiger bildungsspr. und nur im Sing, verwendet in der Bed. 'das stilvoll Schöne, das Geschmackvolle, Schönheit' (s. Belege 1777, 1849, 1852, 1909, 1928, 1975-78,), vor allem auf Dinge des täglichen Lebens bezogen, z. B. Ästhetik des Essens und Trinkens, Ästhetik der Mietswohnung, vgl. die Zss. Volks-, Angestellten-, Alltagsästhetik; daneben heute, ebenfalls ohne PL, auch in der Bed. 'Schönheitssinn' (s. Beleg 1974). Dazu seit Mitte 18. Jh. die subst. Ableitung Ästhetiker M. (-s; -), zunächst auch in der latinisierenden Form Ästhetikus, in der Bed. 'Gelehrter der Theorie der schönen Künste, Theoretiker des Schönen' (s. Belege 1767, 1837, 1990), auch abwertend im Sinn von 'kleinlicher Kunsttheoretiker' (s. Belege 1792, 1829, 1911). Seit Ende 18. Jh. die Ableitung ästhetisieren V. intrans., zunächst in der Bed. 'Betrachtungen über die Theorie des Schönen anstellen' (s. Belege 1792, 1795, 1830); häufig adj. verwendet in der Part. Präs.-Form ästhetisierend 'der Kunsttheorie entsprechend gestaltend' (s. Belege 1852, 1952), zumeist abwertend 'das Schöne übermäßig betonend, nur auf den Genuß des Schönen, den schönen Schein bezogen' (s. Belege 1909, 1915, 1951, 1993), auch in der Part. Perf.-Form ästhetisiert adj. gebraucht in der (z. T. abwertenden) Bed. 'ausschließlich nach der Vorstellung vom Schönen gestaltet; übertrieben, unwirklich schön' (s. Beleg 1989). Dazu seit Anfang 19. Jh. das Verbalsubst. Ästhetisierung F. (-; -en), zunächst in der Bed. 'den Regeln der Kunsttheorie folgende Gestaltung' (s. Belege 1812, 1870, 1933); heute vor allem erweitert gebraucht im Sinn von 'das Schöne (übertrieben) betonende, die Wirklichkeit ignorierende Gestaltung' (s. Belege 1954, 1957, 1993). Anfang 20. Jh. die unter Einfluß von gleichbed. engl. aestheücism aufgekommene subst. Ableitung Ästhetizismus M. (-; Ästhetizismen), meist abwertend in der Bed. 'übertriebene Betonung des Schönen (und seiner Theorie), ausschließlich auf das ästhetische Prinzip ausgerichtete Gestaltung, Weltsicht', als weltanschauliches Epochenmerkmal bes. auf Renaissance, Romantik und die Wende zum 20. Jh. bezogen (s. Belege 1909, 1928, 1929, 1961), speziell auch für 'Realitätsferne aufgrund einer ausschließlich auf das Schöne ausgerichteten Weltsicht' (s. Belege 1940, 1946, 1957); dazu seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung ästhetizistisch (Steigerung ungebr.) 'einseitig das Ästhetische betonend'. Seit Anfang 20. Jh. die eventuell unter Einwirkung von gleichbed. engl. aesthete aufgekommene subst. Ableitung Ästhet M. (-en; -en) (vgl. griech. ? 'der Wahrnehmende, Empfindende'), meist abwertend in der Bed. 'dem Schönen, dem Genuß des schönen Scheins (in übertriebener Weise) Zugeneigter, (überfeinerter) Schöngeist', zunächst in den Zss. Ästhetenhochmut, -geflunker (s. Belege 1902, 1904), dazu gleichzeitig die adj. Ableitung ästhetenhaft (ohne Steigerung), abwertend im Sinn von Oberflächlich, nur dem schönen Schein entsprechend', und die subst. Ableitung Ästhetentum M. (-s; ohne PL), ebenfalls abwertend in der Bed. 'das Schöne in übertriebener Weise betonende Haltung'. Ästhetik: Meier 1744 Gemüthsbewegungen 7 Die Ästhetik ist . . die Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis, und des Vertrages dieser Erkenntniss; Wieland 1754 Ges. Sehr. IV 116 die ganze Stärke der Gottschedischen Zunft, und alles, was Tollheit, Aberwitz und eine fast unmenschliche Boßheit auszurichten vermögen, scheinet sich in dem Nichts-

würdigen vereiniget zu haben, der sich selbst durch Verfertigung des elenden Geschmiers gebrandmarket hat, welches sich unter dem Titel Aesthetik . . in Deutschland bekannt gemacht hat; Meier 1754 Anfangsgründe l 11 bleibt . . Baumgarten der Ruhm, dass er der erste ist, welcher einen systematischen Plan der Ästhetick entworffen, denselben

Ästhetik ausgeführt, und mit seinen Erfindungen bereichert hat; Sehönaich 1754 Die ganze Ästhetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch (Titel); Nicolai 1755 Zustand d. schönen Wiss. Von. o. S. Kaum kann man glauben, daß der Herr Doktor die Aesthetik, die er beurtheilt, selbst gelesen hat; Gottsched 1755 Neuestes a. d. anmutigen Gelehrsamkeit V 55 wohlüberlegte Gedanken von der sogenannten großen Diana unsrer Zeiten, der lieben Aesthetik; Meier 1755-59 Metaphysik 86 Aesthetik . . die Wissenschaft der Regeln, wie wir eine Sache auf eine recht volkommene Art sinnlich erkennen und vortragen sollen; ders. 1757 Betrachtungen 3 Seitdem die Ästhetik bekant geworden, seitdem hat sie auf verschiedene Arten des Widerspruchs erfahren; Lichtenberg 1764 Aphorismen I 8 Unsre Aestheticken sind bei weitem noch nicht pracktisch genug; J 766—67 Merkwürdigkeiten 393 „ . . lassen Sie uns . . statt des Subjects das Object betrachten." „Sie wollen doch keine Aesthetik erfinden?" „Fürchten Sie nichts .."; Riedel 1767 Theorie 9 Die Philosophie des Geschmacks ist die Theorie der schönen Künste und Wissenschaften, welche einige die Aesthetik genennet haben; Herder 1769 Wäldchen (S. W. IV 25) Unsere Ästhetik ist Wissenschaft . . nichts als Philosophen will sie bilden; Sulzer 1771 Theorie I 20 Aesthetik. Die Philosophie der schönen Künste, oder die Wissenschaft, welche sowol die allgemeine Theorie, als die Regeln der schönen Künste aus der Natur des Geschmacks herleitet; Rust 1774 Antiquitäten / 77 Ästhetik ist überall die Losung; Lueder 1777 Blumengarten 576 Aesthetic der Blumen . . von der Schönheit der Hyacinthen; Kant 1781 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. I 4,30) Eine Wissenschaft von allen Principien der Sinnlichkeit a priori nenne ich die transcendentale Ästhetik; ebd. Anm. Die Deutschen sind die einzige, welche sich jetzt des Worts Ästhetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Kritik des Geschmacks heißen. Es liegt hier jene verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortreffliche Analyst Baumgarten faßte, die kritische Beurtheilung des Schönen unter Vernunftprincipien zu bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 47) die mancherlei Aussichten, die von diesem genetischen Punkt der Sprache in der menschlichen Seele, in die weiten Felder der Logik, Aesthetik, und Psychologie . . gehen; Caroline 1789 Br. I 48 wenn ich es nun verfügte, Sie zum Professor der Aesthetik in Marburg zu machen; Dalberg 1791 Grundsätze der Aesthetik, deren Anwendung und künftige Entwicklung (Titel); Stieglitz 1792 Baukunst l 16 Aesthetik der Baukunst, ist die Wissenschaft, die Werke dieser Kunst so auszulegen und ihnen ein solches Ansehn zu geben, daß sie auf das Herz wirken und mit

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unsern Empfindungen übereinstimmen; Eschenburg 1792 Lehrbuch 104 Ästhetik, oder die Theorie der sinnlichen Erkenntniss; Schiller 1795 Ästhetische Erziehung (H. XJ 65) Dies ist der eigentliche Punkt, auf den zuletzt die ganze Frage über die Schönheit hinausläuft, und gelingt es uns, dieses Problem befriedigend aufzulösen, so haben wir zugleich den Faden gefunden, der uns durch das ganze Labyrinth der Ästhetik führt; Hölderlin 1796 Br. (S. W. u. Br. U 692 f.) Du willst . . mit Ästhetik Dich beschäftigen. Glaubst Du nicht, daß . . die untergeordneten Teile der Wissenschaft . . müssen studiert werden, ehe man an die cacumina rerum geht?; Schlegel 1798 Kunstlehre 246 Der Name Ästhetik ist durchaus unschicklich . ., eine Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung, . . ; hierbei verwechselte man die Eindrücke, die die schönen Künste auf uns machen, mit den sinnlichen; Goethe 1800 Paralipomena (WA l 48,228) Wie sich die Hauptelemente, aus denen ein Kunstwerk besteht, rangiren werden, mag sich zeigen, wenn der Philosoph mit der Ästhetik erst mehr im Reinen ist; ders. 1802 Br. (WA IV 16,26) ich fürchte, er wird seine Ästhetik noch einmal umschreiben müssen, wenn er [aus Italien] zurück kommt; Thomasius 1803 Über Veredlung des christlichen Kultus durch Hülfe der Ästhetik (Titel); Ayrenhoff 1803 S. W. Ill 83 Man nennt sie nirgends mehr anders, als die Madam Ästhetick: ich kenne dieses Schimpfwort gar nicht, so oft ich es auch seit einiger Zeit aussprechen höre; Jean Paul 1804 Vorschule der Ästhetik (Titel); ebd. (W. IX 14 Anm.) Eine Sammlung von Wielands Rezensionen im teutschen Merkur schlüge dem Künstler besser zu als eine neueste Ästhetik . . In jeder guten Rezension verbirgt oder entdeckt sich eine gute Ästhetik und noch dazu eine angewandte und freie und kürzeste und durch die Beispiele — helleste; Goethe 1805 Kameaus Neffe (WA l 45,216 f.) Eine historische Darstellung der französischen Ästhetik von einem Deutschen wäre . . höchst interessant, und wir würden auf diesem Wege vielleicht einige Standpuncte gewinnen, um . . eine allgemeine deutsche Ästhetik, die jetzt noch so sehr an Einseitigkeiten leidet, vorzubereiten; Schlegel 1805 — 06 Prop. (XIII 187) Die Rhetorik als Wissenschaft des Künstlichen und Schönen in der Sprache ist nahe verwandt mit der Ästhetik, oder der Wissenschaft von der schönen Kunst.. Die Ästhetik gehört zur Philologie und ist innig mit ihr verwandt. . Außerdem setzt die Ästhetik ein richtiges Urteil voraus, und dieses beruht wieder auf einem natürlichen Schönheitsgefühl und einem gebildeten Verstande; Bouterwek 1807 Ästhetik Vorr. [Um 1800] ist die Ästhetik, oder was man so nennt, aus einem Strudel der neuen, neuesten und allerneuesten Mode-Metaphysik in den ändern hinübergezogen wor-

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den; Schelling 1807 Verhältniß d. bildenden Künste zu der Natur (S. W. l 7,322) daß es zufolge der neuesten Aesthetik und Philosophie . . nur eine Kunstschönheit, aber keine Naturschönheit gebe. Wir möchten nun gern fragen, wo die neueste Philosophie, deßgleichen Aesthetik, eine solche Behauptung aufgestellt; Brandes 1808 Zeitgeist 237 Die ersten abstrakten Principien der Aesthetik waren, durch Ideen von Kant ausgehend, besser aufgehellet, zur Ehre deutscher Denkkraft im Transcendentalen; Jean Paul 1812 Vorschule (W. IX 17) der Unterschied zwischen der Vexier- und der ErnstÄsthetik; ebd. IX 19 Die Ästhetik des Täters ist ein Oberons-Horn, das zum Tanzen, die des bloßen Wissenschaftlers oft ein Astolfos-Horn, das zum Entlaufen blaset; Herbart 1813 Lehrbuch (S. W. I 47) kann die Hauptclasse, wohin auch die Ethik gehört, mit dem Namen Ästhetik benannt werden; Solger 1829 Vorlesungen ü. Ästhetik l Die Aesthetik soll uns eine philosophische Lehre vom Schönen, oder besser eine philosophische Kunstlehre sein . . Entstanden ist der Name Aesthetik . . daher, daß man unter dieser Wissenschaft eine Anweisung verstand, wie man das als fertigen Stoff dargebotene Schöne empfinden soll; Weiße 1830 System der Ästhetik als Wissenschaft von der Idee der Schönheit (Titel); Heine 1831 Gemäldeausstellung (S. W. VI 23) Sie [die Kunstphilosophen] wußten nicht, daß . . jeder Originalkünstler und gar jedes neue Kunstgenie nach seiner eigenen mitgebrachten Ästhetik beurteilt werden muß; Schleiermacher 1832 Ästhetik 2 Die Theorie der Wahrnehmung nannte man die allgemeine Ästhetik; die Regeln, welche sich auf die Dicht- und Redekunst bezogen, die spezielle. Daraus ist das, was wir jetzt Ästhetik nennen, entstanden, indem man die allgemeine Theorie mit der Logik verband; ebd. 3 Das Wohlgefallen am Schönen . . ist . . eigentlicher Gegenstand der Aesthetik; Jäger 1835 F. Schnabel 186 sein Thun und Lassen hielt.. nicht immer vor der strengen Kritik der Moral, der Aesthetik und der akademischen Gesetze Stich; Hegel 1835 Ästhetik 37 Für diesen Gegenstand [der schönen Kunst] .. ist der Name Ästhetik eigentlich nicht ganz passend, denn „Ästhetik" bezeichnet genauer die Wissenschaft des Sinnes, des Empfindens, . . Wir wollen es . . bei dem Namen Ästhetik bewenden lassen . . Der eigentliche Ausdruck jedoch für unsere Wissenschaft ist . . „Philosophie der schönen Kunst"; Rüge 1836 Neue Vorschule der Ästhetik (Titel); Vischer 1837 Erhabene 41 Die Kirchenväter und die Philosophie des Mittelalters konnten der ganzen Geistesweise der Zeit gemäß ebensowenig jene Ablösung des Schönen von anderen Gebieten vornehmen, welche der Ästhetik erst das Leben gibt; Hettner 1845 Sehr. 35 Die spekulative Ästhetik betrachtet die Phantasie ihrer subjektiven Gradation

nach als Talent, fragmentarisches Genie und eigentliches Genie und in ihren objektiven, historischen Grundformen als klassisches, romantisches und modernes Ideal; Marx/Engels 1849 Debatte ü. d. Plakatgesetz (MEW VI 435) Die Regierung gebe das Gesetz für eine bloße Polizeimaßregel im Interesse des Straßenverkehrs und der Ästhetik aus; Szarvady 1852 Paris I 124 man kann ihn [den Pariser Opernball] so ziemlich richtig, wenngleich etwas paradox, die Aesthetik der Tollheit . . nennen; Rosenkranz 1853 Ästhetik des Häßlichen (Titel); Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVIII 107) das Gefühl, das ich jetzt empfand, war so seltsam, daß ich es nicht anders als mit dem fremden hochtrabenden und kalten Worte „objektiv" benennen kann, welches die deutsche Ästhetik erfunden hat; Riehl 1857-61 Vortr. I 215 Das Gedicht sollte predigen, bessern, aufklären, und der Componist, in derselben Nützlichkeits-Ästhetik befangen, wollte vollends auch noch in Tönen der Schulmeister spielen; Hartmann 1869 Philosophie 226 die Geschichte der Aesthetik zeigt das Ziel dieser Wissenschaft, die Herleitung aller und jeder Schönheit aus logischen Momenten .. unverkennbar an; Nietzsche 1871 Geburt d. Tragödie (W. I 131) Wer die Wirkung des Tragischen aber allein aus diesen moralischen Quellen ableiten wollte, wie es freilich in der Ästhetik nur allzu lange üblich war, der mag nur nicht glauben, etwas für die Kunst damit getan zu haben; Hermann 1876 Ästhetik l Ästhetik . . das Gebiet des wissenschaftlichen Erkennens vom Schönen; Nürnberger 1877 Herzenssachen 280 Kirchthurms-Ästhetik; Gutzkow 1878 Schwulst 82 den prahlerischen Velleitäten, die von jener Schwulst-Ästhetik analysirt und in's Wunderbarste emporgegipfelt wurden; Ihering 1884 Zweck i. Recht 427 Ästhetik des Essens und Trinkens; Gottschall 1885 Totenkl. 213 Ganz überflüssig ist eine „Ästhetik des Häßlichen", welche nachzuweisen sucht, inwieweit das Häßliche in das Bereich des Schönen hineinspielen darf. Alles Häßliche ist gleich berechtigt; Wölfßin 1886 Kl. Sehr. 21 die Gesetze der formalen Ästhetik; Nietzsche 1888 Nietzsche contra Wagner (W. U 1041) Meine Einwände gegen die Musik Wagners sind physiologische Einwände . . Ästhetik ist . . eine angewandte Physiologie; Dilthey 1892 (VI 242) Die drei Epochen der modernen Ästhetik und ihre heutigen Aufgaben (Titel); Lipps 1903 Ästhetik I l Die Ästhetik ist die Wissenschaft vom Schönen; implicite auch vom Hässlichen; Rucken 1904 Strömungen 204 Ästhetik der Naturvölker; Lipps 1906 Ästhetik II 252 Ein Stück Raumästhetik. Einfachste körperliche Formen der Raumkünste; Richter 1909 kunsterz. Ged. 39 Die Ästhetik unserer Wohnungen wird späteren Zeiten ein Hauptdokument unserer Unkultur sein, weil sie eine „Ästhetik der

Ästhetik Mietswohnungen" ist; Ostwald 1910 Forderung 349 Die frühere Ästhetik, die Ästhetik von oben; Schmitz 1911 Brevier 343 Die Ästhetik . . ist . . die Hygiene der Seele; Haeckel 1913 LW. 214 Diese „Regionale Ästhetik", die die Gesetze der landschaftlichen Schönheit zu ergründen hat, ist viel jünger als die übrigen . . Theile der „Wissenschaft vom Schönen"; Pazaurek 1914 Patriot 16 sofern vor diesem Richterstuhl eine Ästhetik überhaupt berechtigt erscheint, wäre es nur die seichte Inhaltsästhetik, die stets das „was" über dem „wie" triumphieren läßt; Hatzfeld 1921 Einführung 130 die Krone der Sprachbetrachtung innerhalb einer literaturfähigen Kultursprache ist die künstlerische Würdigung der Stile und ihre Abgrenzung gegen die starre Syntax. Der Gipfel der Sprachphilosophie ist die Sprachästhetik; Wätzold 1921 Kunsthistoriker i 292 Der letzte Rest der Malerästhetik des 18. Jahrhunderts weicht dem Geist einer mit modernen Methoden betriebenen Fachwissenschaft; 1924 Kunstwissenschaft 45 Dieser durch eine Schulmeisterästhetik gassenhauerartig trivialisierte Geschmack; ebd. 119 ästhetikfrei; Rothacker 1927 Logik 29 Von der Historie her gesehen ist er [der Rangstreit um Gehalt und Form] .. sachlich gesehen die alte Auseinandersetzung zwischen Form- und Gehaltsästhetik; Bäumer 1928 Studien ü. Frauen 89 eine wahrhaft ihrer selbst sichere „Ästhetik des Willens"; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. IX 238) Dichtungsform . ., die seit Aristoteles aller Schulästhetik als die unbedingt höchste unter den Formen gilt; 1929 Preuss. Jahrb. CCXV1 96 Zu dieser eigentlich fachwissenschaftlichen Kunsthistoriographie des späteren 19. Jahrhunderts, die mit Carl Friedrich von Rumohr einsetzt, bildet die Gefühlsästhetik des 16., 17. und 18. Jahrhunderts Auftakt und Vorspiel; 1929 Handb. d. Englandkunde II 274 Rossetti . . ist Maler und Dichter zugleich und führt die archaisierende Stimmung typisch in Erotik über, so daß er .. sich gegen den Vorwurf, die Ästhetik in Fleischlichkeit übergeführt zu haben, hat verteidigen müssen; Freud 1930 D. Unbehagen i. d. Kultur (Studienausg. IX 214) Die Wissenschaft der Ästhetik untersucht die Bedingungen, unter denen das Schöne empfunden wird; über Natur und Herkunft der Schönheit hat sie keine Aufklärung geben können; Cassirer 1932 Renaissance 137 Die Ästhetik ist nicht aus der Grundrichtung des englischen Empirismus, sondern aus der des englischen Platonismus herausgewachsen; Bloch 1938—47 Prinzip Hoffnung 945 Der Grundzug der . . bürgerlich-klassizistischen Ästhetik ist nicht Hoffnung (und durch sie erregter Wille), sondern Betrachtung (und durch sie stillender Genuß); Benn 1941 Kunst u. Drittes Reich (Ges. W. l 313) Der Exhibitionismus und der Zusammenbruch waren von Wahrheit

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erfüllt und waren souverän. Der denkerische Schmarren von der Volksästhetik war noch nicht hervorgeholt; Horkheimer/ Adorno 1944 Dialektik 167 Das Prinzip der idealistischen Ästhetik, Zweckmäßigkeit ohne Zweck, ist die Umkehrung des Schemas, dem gesellschaftlich die bürgerliche Kunst gehorcht: der Zwecklosigkeit für Zwecke, die der Markt deklariert; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 26) Zuweilen war sie tückisch, diese Außenästhetik; denn gewisse Kegelschnecken, reizend asymmetrische, in ein geädertes Blaßrosa . . getauchte Erscheinungen, waren wegen ihres Giftbisses berüchtigt; ND 1.11.1949 daß eine heutige wissenschaftliche Kunstästhetik historisch-materialistisch fundiert sein und dialektisch angewandt werden muß; Hartmann 1953 Ästhetik l Die Ästhetik ist nur etwas für den philosophisch Eingestellten (RITTER); Bense 1954 Aesthetica 13 Nicht das Kunstwerk ist angewandte Ästhetik, sondern die Kritik des Kunstwerks; ebd. 16 Alles, was die Kunst ausdrückt. . und wir in der Ästhetik formulieren, ist nicht Kunsttheorie, sondern Metatheorie der Kunst. Sie geht in eine Metaästhetik über, wenn . . die Ästhetik selbst konstituiert wird; Fechter 1955 Menschen 291 Einfühlung war ein vertrauter Begriff: Einfühlungsästhetik, Theodor Lipps — da war man zu Hause; Bense 1958 Ästhetik 27 macht Hegels Ästhetik zu einer Gehaltsästhetik; Lukacs 1962 Theorie d. Romans 11 Als wir . . die echte Ästhetik von Marx auszugraben und weiterzubilden trachteten, kamen wir zu einer wirklichen historisch-systematischen Methode; FAZ 15.9. 1964 Integrationsprinzipien . ., welche bis heute die Musikästhetik zu einer überschaubaren diskutierbaren Sache machen; Jauß 1967 Literaturgeschichte als Provokation 169 Der geschlossene Kreis einer Produktions- und Darstellungsästhetik, in dem sich die Methodologie der Literaturwissenschaft bisher vornehmlich bewegt, muß . . auf eine Rezeptions- und Wirkungsästhetik geöffnet werden; Welt 12.11.1969 Das Lebensgefühl der Romantik war schon am Ende des 18. Jahrhunderts voll entfaltet: bei Wackenroder und E. T. A. Hoffmann in der Musik, zumindest in der Musikästhetik; Bubner 1971 Einführung (Hegel, Ästhetik 24) die Sinnlichkeit . . ist . . das Moment an Kunst, das die umfassende Inhaltsästhetik am ehesten vernachlässigt; Lämmert 1971 Romantheorie o. S. eine Ära der Romantheorie in Deutschland, . . an deren Ende die Auseinandersetzungen innerhalb der westeuropäischen Experimentalästhetik . . von der deutschen Romanliteratur . . reflektiert werden; MM 14.2.1974 Es fehlt seiner Gestaltung Geschmack und Ästhetik (DUDEN); Weiß 1975-78 Die Ästhetik des Widerstands (Titel); Hochschule für Gestaltung (Hrsg.) 1978 Ästhetik im Alltag (Titel); Zeit 19.4.1985

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Verschreckt . . hatte sich die Germanistik nach 1945 zuerst in eine „Einfühlungsästhetik" . . zurückgezogen; MM 10. 4.1986 eine Ausstellung zur Jugendäsrhetik des 20. Jahrhunderts im Stuttgarter Kunstgebäude; Zeit 10.10.1986 Karl Heinz Bohrer beklagt . , die Zerstörung der Formen staatlicher Repräsentation durch eine Art Angestelltenästhetik; ebd. Selbst ein Picasso .. bleibt hinter den Erfordernissen der Zahlenästhetik zurück; Welsch 1988 postmoderne Moderne 88 Baumgarten hat die Ästhetik als Korrekturdisziplin des einseitigen Rationalismus konzipiert und begründet; MM 25.4.1988 bewußtes Ausspielen des spielerisch-barocken Elements mit seiner . . Bühnenästhetik; Geyer-Ryan 1989 Dialektik 116 Konsequent beschränkt sich Lyotard mit seiner Theorie des Erhabenen auf eine Wirkungsästhetik in der Nachfolge Kants und Burkes; 1990 Ästhetische Grundbegriffe 13 f. einer . . in der marxistischen Ästhetik und in unseren Disziplinen vorherrschenden Vernachlässigung von Ästhetikgeschichte; ebd. 31 Das Phänomen einer Künstler-Ästhetik . . ist . . Ausdruck davon, daß Regelpoetik und Anweisungsästhetik ihre normative Verbindlichkeit verloren haben und die Produzenten selbst die Theorie ihrer Praxis entwikkelten; Spiegel 15.2.1993 Das brodelnde Durcheinander der ibero-amerikanischen Alltagsästhetik ignoriert diese Schau arrivierter Hochkunst; Süddtsch. Ztg. 6.9.1993 Der Künstler verstand sich zugleich als Antikünstler bzw. Nichtkünstler, seine Ästhetik zugleich als Antiästhetik; Schulze 1993 Erlebnisgesellschaft 90 Jede Untersuchung zur Alltagsästhetik, die den lokalen Kontext nicht breit erfaßt, klammert einen wesentlichen Bereich aus; Zeit 25.2.1994 die Ästhetik . . speziell das Formund Ausdrucksproblem der symphonischen Oper; Spiegel 14.3.1994 Andere Eltern .. begrüßen den Trend zur Designerklamotte für das Kind. Sie faseln . . „von Ästhetikschulung, Geschmacksbildung und Stiltraining durch ein früh herausgebildetes Kleidungsbewußtsein". Ästhet: 1902 Preuss. Jahrb. CX 543 f. solchen didaktischen Zweck soll man der Masse des Publikums gegenüber doch nur nicht in allzu hohlköpfigem Ästhetenhochmuth unterschätzen; Hesse 1904 Camenzind 108 f. Auf den Villen des alten Herrn trieb er mit dessen nervösen Damen ein fades Ästhetengeflunker, stieg in seiner Einbildung zum verkannten Heras und brachte sich . . durch lauter Chopinmusik und präraphaelitische Ekstasen systematisch um den Verstand; Brod 1908 Nornepygge 13 Der Aesthet hält zwei Finger der rechten Hand vorgespreizt und schweigt wirkungsvoll; 1910 Der Sturm 343a wie vom Aesthetiker bekanntlich der Aesthet, so ist vom Ethiker der Eth zu unterscheiden; Haeckel 1913 LW. 15 die

Ästheten, die als centrale Sinneswerkzeuge das Sensorium zusammensetzen; Braun 1915 Lebenssucher 375 du gehörst neuerdings zu den Ästheten, den Expressionisten und Futuristen, die den Weltbrand schüren helfen, um der neuen unerhörten Sensation willen, die auch die schlaffsten Nerven aufzupeitschen vermag!; 1917 Lit. Echo 849 Sehr fein ist .., wie das Wesen von Meyers Ästhetenkunst bestimmt wird . . der dekorativen Darstellung, auf die ein Künstler wie Meyer, ein Zuschauer durch Schicksal und Wahl, ausgeht, dem „Facon alles ist"; Dombrowski 1919 System I 181 Ein verschämter Aesthet. Ein Kulturmensch. Ein Belesener. Ein nach stillen seelischen Freuden Langender; Curtius 1921 Barres 78 Das reich aromatisierte Ästhetenbuch . . erschien 1894; Wätzold 1924 Kunsthistorikern 215 [H. Grimm] ist Ästhet, nicht Ästhetiker, Stimmung, nicht Analyse lockt ihn; H. Mann 1925 D. Kopf 552 Mangolf erblickte, als zerrisse ein Schleier die ganze Frau: das übermütige Kraushaar von einst, dann jene gezierte Ästhetin, endlich die Ruhelose der äußersten Stunde; Curtius 1930 Frz. Kultur 193 Zu den Politikern und Moralisten traten die Ästheten des Dekadenzgefühls; Benn 1931 D. neue literarische Saison (Ges. W. l 427) Heine, der mit dem Ästhetenkitzel, der immer nur die Frage bereit hatte: „Aber ist es nicht schön ausgedrückt?"; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 254 Das Wort „Ästhet" gehört zu jenen, die, je nachdem man sie ausspricht, eine Schmeichelei oder eine Beleidigung bedeuten können .. Eigentlich gibt es ja nichts Unästhetischeres als einen Ästheten .. Er täuscht die Form einer Kraft vor, die nicht in ihm wohnt. Er ist ein Glasauge, eine Wachshand; Benn 1933 Zucht u. Zukunft (Ges. W. l 460) Die Kunst - wer soll sie denn aufnehmen, doch nicht allein jener Kreis international-neurotischer Ästheten, der zweifellos an der Entstehung von Kunst einen ganz bedeutenden . . Anteil hat; Beurmann 1942 Von Leuten 84 Aber den modernen Kunstästheten gilt eben ein gemalter Frauenkopf sogleich für süss, wenn er ein schönes Geschöpf Gottes mit ehrlichem Respekt vor der Natur darstellt; Benn 1951 Probleme d. Lyrik (Ges. W. I 515) Lyriker . . sind eigentlich keine geistigen Menschen, keine Ästheten, sie machen ja Kunst; Schnurre 1964 Schreibtisch 19 Ästhetendünkel des Außenseiters; Stuttgarter Ztg. 10.4.1969 Wäre es nicht auch für Böll an der Zeit, sich angesichts eines Aesthetennihilismus und der ewigen Inklination bestimmter Intelligenzschichten zu anarchistischen Utopien deutlicher zu distanzieren?; MM 30.6.1987 Martin Gregor-Dellin . . ist ein traditionsverbundener Sprachästhet, ein Autor, der für Stil, Qualität und Geschmack bürgt; Spiegel 18.4.1994 wenn kein deutscher Hersteller den richtigen Farbton der zu

Ästhetik restaurierenden Fassade liefern konnte, ließ der hessische Ästhet die Steine in Frankreich brennen. ästhetenhaft: Borchardt 1905 Reden 91 Er, den man als „bildungssatten Decadent", als ästhetenhaften Klängehascher abzutun vermeint; Rilke 1906 Br. 30 Der Gedicht-Kreis „Die Stimmen" erweitert das Buch nach einer Seite hin und wird ihm dazu verhelfen, daß man nicht fürder es für ein bloß Ästhetenhaftes ausgibt; 1917 Lit. Echo 849 Der Renaissancismus ist im letzten Grunde ästhetenhaft; Werfet 1929 Barbara 196 Da waren ästhetenhafte Neigungen und snobistische Vorurteile; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XU 323) Ein Geist, in dem der Wille, der politisch-rechthaberische Wille das absolute Übergewicht über die Anschauung — die ästhetenhaft ungebundene Anschauung — besäße: wäre ein solcher Geist überhaupt noch Geist? Ästhetentum: 1905 Schaubühne 192 an die Stelle des naturalistisch neuen . . sollte jenes andre treten, das man bald Mystik und Neuromantik, Dekadenz und Aesthetentum nannte, das einfach Poesie und künstlerische Kraft ist; 1905 Neue Rundsch. 378 Hofmannsthal zerstreut fraglos mit dieser Arbeit den Vorwurf des Ästhetentums; Richter 1909 kunsterz. Ged. 121 Somit ist er jedem schwächlichen Ästhetentum entgegengesetzt; Benjamin 1913 Br. l 47 Oder ist das Ultimatum: Ästhetentum oder Sittlichkeit?; Meinecke 1915 Erhebung 90 Es hat sich ein weichliches Ästhetentum entwickelt, das sich in den Kultus der eigenen Subjektivität versenkt und es für selbstverständliche Vornehmheit hält, den Staat zu ignorieren; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 103) diese Mischung von Artistik und Bürgerlichkeit bilde die eigentlich deutsche Abwandlung des europäischen Ästhetentums, das deutsche l'art pour Part; Curtius 1921 Barres 227 Skepsis, Ästhetentum, Relativismus, müder Determinismus, Amoralismus: alle diese Seelenverfassungen . . sind Äußerungen eines niedergehenden Lebensgefühls und sind auf Verneinung gerichtet; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. X 887) Wie weit war er entfernt von Ästhetentum in irgendeinem faulen und genüßlichen Verstande!; Strich 1928 Dichtung 231 Das Artistentum und Ästhetentum eines Catull und seines Kreises; Redlich 1935 Reklame 115 Erbliche kaufmännische Veranlagung mag ihn vor reinem Ästhetentum bewahrt haben; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. Xll 539) es war ein ästhetizistisch gedeutetes, eine ästhetizistisch geschaute Schönheit, und „ruchlos" wurde das Leib- und Lieblingswort alles von Nietzsche herkommenden Ästhetentums; Maass 1955 Geheimwiss. 126 eines geistig dünnen, blutleeren und lebensfernen Ästheten- und Litera-

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tentums; Zeit 10.4.1987 nichts verkürzter also, als in dem Streit Borne-Heine bloß den stereotypen Disput zwischen Engagement und Ästhetentum zu sehen. Ästhetiker: Lessing 1754 Possen (Deneke, Lessing u. d. Possen 24) Weil es heute zu Tage an manchen Orten keine schönen Geister, wohl aber desto mehr Aesthetiker giebt, so will ich . . folgenden Satz philosophisch erweisen: Daß ein jeder Scherz abgeschmackt sey; wobey derjenige, der ihn vorbringt nicht laute auflacht; Herder 1767 S. W. 229 ich erinnere mich an keinen Aesthetiker in Frankreich, der . . den wahren und hohen Begrif von ihr [der Ode] erreicht hätte; Nicolai 1755 Zustand d. schönen Wiss. Vorr. o. S. Er zeigt . . daß Hr. P. Lodtmann zwar ein schöner Geist, aber nicht . . ein Aesthetikus gewesen sei; Gottsched 1755 Neuestes a. d. anmutigen Gelehrsamkeit V 545 diejenigen, so neulich die Gelehrsamkeit mit einer neuen Erfindung zu bereichern, und die Gränzen der freyen Künste zu erweitern gesuchet, würden ihn wohl gar für einen trefflichen Aesthetiker gehalten haben (REICHEL); Riedel 1768 Publicum 14 Vielleicht aber ist der Aesthetiker dann glücklicher, wenn es darauf ankommt, von einer besondern Gattung der Kunst . . einen Begrif zu bilden und aus diesem die Regeln derselben herzuleiten; 1772 Frankf. gel. Anz. 85 alle die Herren irren sich, wenn sie glauben, sie beurtheilen ein Buch — — es ist eine Menschenseele; und wir wissen nicht, ob diese vor das Forum der großen Welt, des Ästhetikers, des Zeloten, und des Kritikers gehört; Meiners 1775 Sehr, l 138 So lange vom Geschmack im allgemeinen die Rede ist, trifft man bey Weltweisen, und Aesthetikern weniger Widerspruch, als unvollständige Begriffe, und Erklärungen an; Schubart 1785 Ästhetik d. Tonkunst 180 Er ist Theoret und Aesthetiker zugleich; Wackenroder 1792 W. u. Br. 393 in dem Menschen von feiner Empfindung liegt das alles ungleich deutlicher und lebendiger, was der Ästhetiker ihm in ein totes System zusammenbringt; Goethe 1793 Chromatische Sätze (WA H 5.1,91 f.) So wird der speculative Philosoph eingeladen . . als Ästhetiker zu prüfen, ob er bei Betrachtung der Werke der Kunst und ihrer Schätzung einen sicherern Maßstab erhält; Schiller 1795 Ästhetische Erziehung (H. XI 84 Anm.) die sensualen Ästhetiker, welche das Zeugnis der Empfindung mehr als das Raisonnement gelten lassen; F. Schlegel 1798 Gnech. Poesie (Knt. Sehr. 224) Die Ästhetiker selbst, welche gemeinschaftlich von den Resultaten der kritischen Philosophie ausgegangen sind, sind weder in den Prinzipien noch in der Methode unter sich einig; Matthisson 1801 Lausanne (V 308) Die Vorliebe, womit er Winkelmann und Sulzer über alle Antiquare und

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Ästhetiker Italiens erhob, war das ehrenvollste Diplom für einen das Wahre und Schöne überall anerkennenden und von kleinlichen Nationalvorurtheilen ungefesselten Geist; Jean Paul 1804 Vorschule (W. IX 22) Von nichts wimmelt unsere Zeit so sehr als von Ästhetikern; Heine 1820—31 Kleinere Sehr. (S. W. V 320) Darum [weil die Leidenschaft eben so gut Gedichte hervorbringt, als der eingeborne poetische Genius] sind . . manche Winkel-Ästhetiker . . zu dem Wahne gelangt: die Poesie sei gar nichts anderes, als die Sprache der Leidenschaft; Goethe 1829 Br. (WA IV 45,257) Den thörichten Aesthetiker hast du gut bedient. Einen solchen beschränkten und eigendünklichen Menschen möchte man sich nicht leicht imaginieren; Vischer 1837 Erhabene 46 Das echte Schöne aber kann . . nur hervorgebracht und verstanden werden, wo beide Richtungen, die idealistische und realistische, zusammentreffen, sowohl in der Phantasie des Künstlers als in der Philosophie des Ästhetikers; 1838 Briefw. Kurz-Mörike 114 ein Ästhetikus .. sagte: er hätte nicht gedacht, so etwas Schwaches von mir lesen zu müssen; Marx 1839-1844 Debatten ü. d. Preßfreiheit (MEW I 59) [Die Zensur] ist ein chirurgischer Ästhetiker, der alles für überflüssig an meinem Körper hält, was ihm nicht gefällt, und abrasiert, was ihn widrig affiziert; Strauss 1846 Ausgeiv. Br. 180 ein Mangel Deiner Ästhetikernatur zeigt sich darin [in der Schwerfälligkeit eines Buches] gar nicht; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XIX 62) so wenig es dem Schönen gegenüber eine absolute dämonische Häßlichkeit gibt, wie die dualistischen Ästhetiker glauben; 1856 Weimar. Jahrb. V 6 Macht der Schneider den Rock, so macht er ihn stets nach dem Maß nur, Doch der Ästhetiker macht erst nach dem Rocke das Mass; Riehl 1866-71 Vortr. I 312 Die Aesthetiker unterscheiden zwischen der constructiven Schönheit eines Bauwerkes und dem blos decorativen Schmuck; Nietzsche 1871 Geburt d. Tragödie (W. l 119) die unphilosophische Roheit jenes Gegensatzes [zwischen Seele und Körper] scheint gerade bei unseren Ästhetikern . . zu einem gern bekannten Glaubensartikel geworden zu sein; Gutzkow 1878 Schwulst 98 Das ist Euch Aesthetikern des Schwulstes „rhetorisch"! Aber das Motiv des „Erbförsters" . . das scheint Euch Narren groß; 1886 Briefw. Billroth-Brahms 406 seine Frau ist eine geborne Köstlin (aus der berühmten Juristen-, Theologen-, Ästhetikerfamilie); Fontäne 1897 Ges. W. I 5,200 Sie sind Ästhetikus und das ist man nicht ungestraft; Lipps 1903 Ästhetik I 261 Das Beschneiden der Bäume, so dass sie eine bestimmte geometrische Gestalt, Kugelform, Pyramidenform u. s. w. gewinnen, das wäre Stilisierung nach dem Herzen solcher Ästhetiker; Berend 1909 Ästhetik 94 die Eigenart des Ästhetikers Jean Paul durch

Vergleichung mit anderen Dichterästhetikern näher zu bestimmen; Dehtnel 1911 Ausgew. Br. 261 was seid Ihr Herrn Ästhetikusse doch für superkluge Tiftelfritzen!; Wätzold 1921 Kunsthistoriker I 103 Die Reihe der Werkstatt-Ästhetiker beschließen zwei Schweizer Künstler; Kultermann 1987 Kunsttheorie 103 Von dem Dichter und Ästhetiker Jean Paul; 1990 Ästhetische Grundbegriffe 7 das Projekt des „Historischen Wörterbuchs ästhetischer Grundbegriffe", das . . in Zusammenarbeit mit Musik-, Theater-, Kunstwissenschaftlern, mit Philosophiehistorikern, Ästhetikern und Literaturwissenschaftlern . . entsteht. ästhetisieren: Wackenroder 1792 W. u. Br. 276 Er scheint sehr gern über Musik zu kritisieren und zu ästhetisieren; Schmidt 1795 Reise l 401 Erscheint ein Bücher-Rezensent, Thut schier, als ob allein er's könnt'! Aesthetisiert mit Hulter und Pulter; Böttiger 1797 Literar. Zustände II 102 Marcus Herz . . ist . . der Mittelpunkt des philosophirenden und ästhetisirenden Zirkels; Heine 1830 Br. I 426 Nur unsere ästhetisirende, philosophirende Kunstsinnzeit war dem Aufkommen Goethes günstig; Hettner 1850 Schule 9 erst später zeigte er für die Philosophie Solgers . . Interesse . . weil diese durch ihre wesentlich ästhetisirende Grundfärbung . . seiner Stimmung verwandt entgegenklang; Keller 1851 Leben, Br. u. Tagebücher II 281 Obgleich das fortwährende Ästhetisieren ä la Flugi auch zu nichts führt, so ist das entgegengesetzte Extrem doch nachteilig; 1852 Prutz' Museum I 5 Der pikanten ästhetisierenden Leckerbissen [in unserer Literatur] haben wir genug; Lotze 1852 Kl. Sehr. III 1,4 Aesthetisirende Ansichten von einer Einheit des Idealen und Realen .. nöthigten . . auf ihre . . Untauglichkeit zu wissenschaftlicher Erklärung der einzelnen psychologischen Thatsachen hinzuweisen; Riehl 1871 Vortr. l 169 Weber aesthetisirt und kritisirt bereits, er schreibt Bücher zu seinen Noten; Gutzkow 1878 Schwulst 99 „Er that nichts für Hebbel und Otto Ludwig." Wie sich das so leicht im Kreise der ästhetisirenden und „mitarbeitenden" Handlungsdiener herumlügen kann!; Th. Mann 1896 Nachtr. (W. XIII 376) Der alte Katholik und Legitimist, der dem Typus des skeptischen ästhetisierenden Genußmenschen prachtvoll gegenübersteht; 1908 Zukunft 29 dem ästhetisirenden . . Berlin; Richter 1909 kunsterz. Ged. 139 Das rein passive, faule Geniessen, die ästhetisierende Beschäftigung mit dem Kunstwerk; Troeltsch 1913 Ges. Sehr. IV 759 Die Renaissance . . denkt eher daran, die Kirche zu ästhetisieren und zu intellektualisieren als sie zu beseitigen; Simmel 1915 Philosophie 146 Unser Leben litt unter einer materialistischen und einer ästhetisierenden Führung; Hoff ding 1918 Humor 146 ein Ästhe-

Ästhetik tisieren, bei dem das Gemüt in Gedanken und Bildern schwelgt; Hauptmann 1924 Insel 19 einen ästhetisierenden, ethisierenden oder politisierenden Aufsatz; 2930 Handb. d. Frankreichkunde II 507 Dem etwas lächerlichen Schwulst eines französischen Kreises ästhetisierender Studenten wird der nihilistisch-politische Überschwang russischer Studenten gegenübergestellt; 1932 — 33 Schweizer. Rundsch. XXXII 2,1140 Sören Kirkegaard . . hat seinerzeit den Vorwurf gemacht, dass ihr religiöses Leben in ästhetisierenden Genuss . . entartet sei; 1934 AfdA 86 Das Wort ist da auf eine so durchaus intellektuelle Weise naturalisiert, ästhetisiert, synästhetisiert, daß die Grenze zum Spielerischen hin nicht mehr gewahrt bleibt; Münch. N. N. 8.8. 1941 sie lehnt intellektuelle Haarspaltereien und ästhetisierendes Literatentum ab; Kippenberg 1948 Rilke 117 Dann sprach man viel, manchmal wohl auch etwas ästhetisierend, über Malerei und Bücher; Süddtsch. Ztg. 10.5.1951 Die theoretisch ästhetisierende Art des gesamten Herstellungsversuches [des Münchner Hofgartens] müsse heute in vollem Umfang als gescheitert betrachtet werden; Th. Mann 1952 Reden u. Aufs. (W. X 391) Tatsächlich . . ist aller Kunst ein kritisches Element eingeboren, — sehr oft . . auch geneigt, sich nach außen zu wenden und kritisch zu ästhetisieren, ästhetisierend zu untersuchen und zu werten; Süddtsch. Ztg. 5.8.1957 Die Naivität des Singspiels wird zugleich ausgekostet und ästhetisiert; Kofier 1962 Theorie 13 die Ästhetik zu ästhetisieren, d. h. ihr das Ansehen eines interessanten Spiels mit subjektiven Meinungen kluger Leute, eines Spiels ohne tieferen Sinn für das Leben, zu geben; 1963 Märchen (Festg. v. d. Leyen 15) Wie das morsche „antike" Möbel allmählich zum volkstümlichen Requisit wird, so gibt es auch auf anderen Gebieten historisierende und ästhetisierende Einstellungen, die durchaus populär geworden sind; Welt 14.3.1968 vordergründiges Aesthetisieren; Zeit 10.5.1985 Feinde sind für mich diejenigen, . ., die Waffen willkommen heißen, Stahlgewitter preisen und Tötungszeugnisse ästhetisieren; Lemke 1989 Anders 160 tief beeindruckt war ich von Cocteaus ästhetisierter Männerwelt; Süddtsch. Ztg. 6.12. 1993 seine blumenumkränzten, strohbehüteten, in Nebelschwaden und damit ästhetisierend in glasklare Rollenzuweisung gehüllten Jungfrauen. Ästhetisierung: Goethe 1812 Paralipomena 320 (WA II 13,338) Man entwürfe sodann einen verständigen Plan zur Ästhetisirung der Gegend; Haym 1870 Romant. Schule 302 die Aufgabe der ganzen Zeit, die schließlich in der Aesthetisirung der Logik, der Physik und der Ethik durch Hegel's universalisches System die kühnste und umfassendste Lösung fand; Windelband 1909 Philosophie 65 in diesem Sinne hat David Friedrich Strauss mit

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seinem letzten Bekenntnis, dem „Alten und neuen Glauben", dem Materialismus eine feine Aesthetisierung gegeben, worin er ihm die grösstmögliche Annäherung an das idealistische Bildungssystem aufzwang; Jäger 1929 Reden 174 Auf keinem Gebiet ist die Ästhetisierung unseres Lebens restloser durchgeführt als in der modernen Kunst; Fehr 1933 England 155 impressionistische Ästhetisierung nach der Art des grossen englischen Stilkünstlers Walter Pater; Benjamin 1936 Kunstwerk 42 Der Faschismus läuft folgerecht auf eine Ästhetisierung des Lebens hinaus . . Alle Bemühungen und die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg; Köster 1954 Einl. zu Huizinga, Gesch. XVI weitgehende Ästhetisierung des Geistes; Gehlen 1957 Seele 33 eine Ästhetisierung der Bildung; 1972 Musik in Schule u. Ges. 111 Wahrnehmungssignaturen mit dem Sinn für das Gleichartige in der Welt . ., über simultane Kollektivrezeption, über die Ästhetisierung des Politischen und über die Politisierung des Ästhetischen; Schwendter 1973 Subkultur 51 Die Ästhetisierung insbesondere des Krieges . . wird zu einem wesentlichen Indikator regressiver Boheme; Kultermann 1987 Kunsttheorie 212 Nietzsches . . Ästhetisierung der Wirklichkeit; Schulze 1993 Erlebnisgesellschaft 38 Zu den Wirkungen der Innenorientierung zählt die Ästhetisierung des Alltagslebens. Angebote, Gruppenbildungen, Beziehungsmuster, Institutionen sind immer mehr dem Einfluß dieser Basismotivationen unterworfen; Süddtsch. Ztg. 3.11.1993 Claus Leggewie . ., der . . von Kunst spricht, wenn es um eine Ästhetisierung des Staates und der Demokratie geht. Ästhetizismus: Troeltsch 1900 Aufs. z. Geistesgesch. u. Religionssoziologie (Ges. Sehr. IV 549) Die neue . . Philosophie hat die alten Probleme freilich weder beseitigt noch gelöst und insbesondere durch ihren einseitigen Aesthetizismus die von Kant so nachdrücklich betonten Elemente des Dualismus oft täuschend verschleiert; Hamann 1907 Impressionismus 304 der Ästhetizismus, die Schätzung des Menschen nach Seite des Originellen, des Individualismus und des Andersseins; 1908 Zukunft LXIl 165 Mit der unzersetzten Leidenschaft (für George viel bezeichnender als alle ihm nachgerühmten Aesthetizismen) dringt er durch das entgötterte und ameisenhafte Wirrsal des Heute; Schmid 1909 Mönch 157 Nun drohte die jüngste Entwickelung des deutschen Kulturgeistes im Ästhetizismus unterzugehen. Im Schauen, Träumen, Phantasieren und Genießen; Richter 1909 Kunsterz. Ged. 121 Freilich birgt die Erziehung zur künstlerischen Genußfähigkeit mit ihrem vornehmlich passiven Charakter eine große Gefahr in sich: den schwächlichen und einseitigen Ästhetizismus, der nicht mehr erhebt und stärkt, son-

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dem verweichlicht; Diederichs 1911 Br. 196 Ästhetizismus in Literatur und Kunst; Wernle 1912 Renaissance 76 jener reine Aesthetizismus und Epikuräismus, der uns bei sehr vielen äußerlich kirchlichen Humanisten und Künstlern entgegentritt; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XU 103) dem Mönchsästhetizismus Flauberts, dessen bürgerliche Lebensführung eine nihilistische Maske war; Curtius 1925 Geist 47 Klassizismus und Ästhetizismus; 1927 Jahrb. f. Philologie U 6 die Gefahr des Ästhetizismus; Strich 1928 Dichtung, 160 Auch er [Rilke] verfiel dem Ästhetizismus seiner Zeit; Rehm 1929 Dichter 69 des „ruchlosen Ästhetizismus", jene Weltanschauung, die sich jenseits von Gut und Böse . . hält; 1929 ZfdPhil UV 304 Nietzsche . . wirkt . . als Verkünder eines zuchtlosen Individualismus, des Macht- und Herrenmenschentums, des Schönheits- und Lebenskultes, als Verkünder des Ruchlosigkeits- und Renaissanceästhetizismus; ebd. L/V 325 jener Lebenshaltung, die dem Aesthetischen das Uebergewicht im Leben einräumt. Ihre Uebersteigerung und Fanatisierung wird Aesthetizismus, Lebensunbürgerlichkeit als Ziel und Inhalt und Wert; Benn 1934 Rede a. Stefan George (Ges. W. / 475) dieser Wille zur Form, dieses neue Formgefühl, das ist nicht Ästhetizismus, nicht Intellektualismus, nicht Formalismus, sondern höchster Glaube; Rosenfeld 1935 Bildgedicht 90 der Hochmut eines modernen Ästhetizismus; Dacque 1936 Urgeschichte Vorw. o. S. Man sucht heute wieder, statt nur nach der äusseren Beschreibung . . zu fragen, nach dem ideenhaften Gehalt in allen Daseinsformen. Wenn dies auch die Gefahr eines gewissen Ästhetizismus in sich birgt, so scheint mir diese doch nicht allzugross; Kohler 1940 Balladendichtung 36 Formkunst und Ästhetizismus der GeibelHeysischen Richtung standen . . einem von Fontäne und Scherenberg ausgebildeten Realismus gegenüber; HorkheimerlAdorno 1944 Dialektik 24 Wissenschaft, in ihrer neopositivistischen Interpretation, wird zum Ästhetizismus, zum System abgelöster Zeichen, bar jeglicher Intention, die das System transzendierte; Adorno 1945 Minima moralia 117 Der Ästhetizismus des neunzehnten Jahrhunderts kann nicht geistesgeschichtlich aus sich heraus verstanden werden, sondern einzig im Verhältnis zur tragenden Realität, den sozialen Konflikten; Strich 1946 Goethe 376 Goethe . ., von dem Vorwurf des Ästhetizismus, der Abgelöstheit von der Gesellschaft, der Ichsucht nicht verschont; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 707) eine Ausschweifung seiner ästhetischen Trunkenheit . . verrät . . eine Nachbarschaft, über die wir allen Grund haben nachzudenken: die Nachbarschaft eben von Ästhetizismus und Barbarei; 1949 Archiv f. Literatur u. Volksdichtung l 62 Der Nihilismus ist die notwendige Folge ihrer [der geistigen Welt, der gestalteten Lebenswirklichkeit] Entwertung,

und der Ästhetizismus nur ein letzter, unzulänglicher Versuch, sich diesen Nihilismus zu verbergen; Gmelin 1950 Zyklenroman 24 Orgien des Ästhetizismus; Benn 1951 Probleme d. Lyrik (Ges. W. l 501) „Olymp des Scheins" . . Das ist kein Ästhetizismus, wie er das neunzehnte Jahrhundert durchzuckte . . dafür gibt es nur ein Wort von antikem Klang: Verhängnis; 1955 Sociologica 385 Der Ästhetizismus der 90er Jahre . . ist noch ein Inbegriff an Aktivität, gemessen an der Müdigkeit und Schwäche, welche von diesen Epigonen ausgeht; Jolles 1957 Kunstanschauung 37 Ideal eines weltfremden Ästhetizismus; Niebelschütz 1961 Spiel 531 der . . kanonische Ästhetizismus des späten 19. Jahrhunderts; Krill 1962 Rankerenaissance 151 Erich Marcks und der Bildungsästhetizismus; Haas 1962 Gestalten 56 vom Ästhetizismus Oscar Wildes . . zum Konstruktivismus, zu den frühen Fabrikbauten von Peter Behrens; 1963 Definitionen 115 jenen billigen Ästhetizismus des Industriellen; Schnurre 1964 Schreibtisch 19 Ästhetizismus verseucht . . Er macht hochmütig, dieser Ästhetendünkel, hochmütig auf Kosten des Menschen; Basler Ztg. 23.12.1970 Was . . jüngere Vertreter dieses Instruments . . an Überästhetizismus einsetzen. ästhetizistisch: Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. Xll 84) wenn emanzipatorische Kühnheit im Verhältnis zur Moral bis dahin immer nur ästhetizistischen Charakter getragen hatte; ders. 1926 Br. (1889-1936) 255 der Zauberberg . . spiele vor dem Kriege, in einer wesentlich ästhetischen oder ästhetizistischen Epoche also; 1929 ZfdPhil 54 317 vornehmlich als schön, als die Schönheit selbst war hier das „Leben" in seiner amoralischen und überschwänglich-männlichen Brutalität empfunden, gefeiert, umschmeichelt und umworben: es war ein ästhetizistisch gedeutetes, eine ästhetizistisch geschaute Schönheit; Friedell 1931 Kulturgesch. III 252 eine graziöse und aparte, aristokratische und anämische, sublimiert sinnliche und durchfeinert ästhetizistische Welt; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XU 226) man kann . . im politikfeindlichen Ästhetizismus nicht weiter gehen, als indem man die Natur selbst für ästhetizistisch erklärt; Pfeiffer 1959 Gedicht 63 so hat der spare Ruhm ihn vollends ins Artistische und Ästhetizistische hineinverführt: am Ende droht der Leerlauf einer Sprachlichkeit, die sich vom Lebensgrund gesondert hat; Zeit 1.8.1986 schließlich sollte nicht unbekannt sein, daß seit längerem Kritik an M. Stürmers ästhetizistischen Feldzügen und neo-konservativen Redeausarbeitungen geübt wird; ebd. 22.5.1987 Jüngers Literaturbegriff ist also kein ästherizistischer, wie oft behauptet, keiner der schönen Form an sich, sondern medial.

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ästhetisch Adj. (Steigerung ungebr.), seit Mitte 18. Jh. belegte Ableitung von —» Ästhetik; auch subst. gebraucht (s. Belege 1757, 1945, 1969). Zunächst wissenschaftsspr. in der Kunsttheorie in der Bed. 'den Regeln der Kunst folgend, auf die Lehre der schönen Künste bezogen' (s. Belege 1748, 1754, 1885, 1903), in Wendungen wie ästhetische Regeln, Wahrscheinlichkeit, Schönheit, ästhetisch schön, auch im Sinn von 'die Regeln der Kunsttheorie anwendend' (s. Belege 1754, 1755, 1760), in Wendungen wie ästhetischer Dichter, ästhetisches Gedicht, ästhetische Methode, als Modewort des 18. Jhs. auch abwertend (s. Belege 1755, 1764, 1767); auf das Lehrfach bzw. Druckerzeugnisse bezogen in der Bed. 'die Theorie vom Schönen darlegend' (s. Belege 1772, 1793 — 96), z. B. ästhetische Vorlesungen, Schriften. Seit späterem 18. Jh. setzt die Loslösung von der Vorstellung eines aus Regeln bzw. Normen erzeugten Kunstwerks ein, danach verallgemeinert zu der Bed. 'das Schöne empfindend, für Schönheit empfänglich seiend, auf den Schönheitssinn bezogen' (s. Belege 1790-91, 1838, 1945, 1961), in der Wendung ästhetisches Urteil von Kant ausdrücklich vom Verstandesurteil abgegrenzt (s. Beleg 1790), auf eine dem Schönen bes. zugeneigte Zeit/Epoche bezogen (s. Belege 1888, 1921) in Wendungen wie ästhetisches Zeitalter, ästhetische Epoche; seit dem 18. Jh., vor allem in der von Schiller in seiner philosophischen Darlegung geprägten festen Verbindung ästhetische Erziehung, auch als ethisch-moralische Kategorie gedeutet (s. Belege 1793-96, 1795, 1939, 1974, 1983), vgl. auch die von Schiller geprägte Verbindung ästhetischer Staat (s. Beleg 1795); als kunsttheoretische Bewertungskategorie im 20. Jh. zunehmend konnotiert mit „oberflächlich, äußerlich" (s. Beleg 1985) bzw. in Zss. wie rezeptions-, wirkungs-, gehalts-, produktions-, darstellungsästhetisch differenziert, der Vorstellung vom Kunstwerk als kommunikativem Akt entsprechend. Seit spätem 18. Jh. verallgemeinert zu der Bed. 'schöngeistig', z. B. auf Zeitschriften bezogen (s. Beleg 1799), im 19. Jh. bes. in der schlagwortartig gebrauchten Wendung ästhetischer Tee 'Teegesellschaft, in der Fragen der Kunst und des Schönen erörtert werden' (—» Tee Ic; s. Belege 1800, 1824, 1831); heute auch von Personen, vgl. die Wendungen ästhetischer Typus, ästhetische Intellektuelle. Seit späterem 18. Jh. mit erweitertem Anwendungsbereich weiter abgeflacht zu der Bed. 'angenehm, schön, Wohlgefallen erregend' (s. Belege 1789, 1813, 1854-55, 1936, 1993), seit frühem 20. Jh. zunehmend auf alltägliche Gegenstände/Erscheinungen bezogen im Sinn von 'stil-, geschmackvoll' (s. Belege 1904, 1928, 1929, 1959, 1993), vgl. die Zs. alltagsästhetisch. Daneben um 1800 gelegentlich verhüllend in der Verbindung ästhetische Krankheit im Sinn von 'Geschlechtskrankheit' (s. Belege 1799, 1802). Seit späterem 18. Jh. die Präfixbildung unästhetisch, zunächst vereinzelt in der Bed. 'den Regeln der Kunst, der Ästhetik widersprechend' (s. Beleg 1772), Mitte 19. Jh. vereinzelt im Sinn von 'für das Schöne nicht empfänglich' (s. Beleg 1831), heute in der Bed. 'Widerwillen erregend, den optischen Eindruck störend' (s. Beleg 1963). ästhetisch: Meier 1748 Anfangsgründe l 6 aesthetischen Regeln; ebd. l 230 Eine Fabel, die utopisch ist, die folglich keine aesthetische Wahrscheinlichkeit besitzt, ist ein Mährlein . . und dergleichen Fratzen haben gar keine aesthetische Schönheit; Wieland 753 Ges. Sehr. IV 6 Gewöhnen Sie sich

nur bey Zeiten, sich über die mittlere Gegend des Aesthetischen Horizonts zu heben; Meier 1754 Anfangsgründe l 295 Wenn man . . einen Gedanken aesthetisch erleuchten wil, so kan man dieses bewerkstelligen, wenn man das Gegentheil seines Gegenstandes auch denkt; Gottsched 1754 Auszug a.

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Batteux Schöne Künste 41 unsre ästhetischen Dichter; Schönaich 1754 Ästhetik 75 Ein gelehrter Mann . . hat das Wörtchen Brunnen recht ästhetisch angebracht, und uns ein Muster gegeben, wie man die gewöhnliche Sprache verlassen müsse, wenn man gefallen will; Nicolai 1755 Zustand d. schönen Wiss. Vorr. o. S. Es sind viel die den Hrn. Klopstok schlecht nachgeahmt haben . . Man nennt alle diese Gedichte ästhetische Gedichte, wenn sie gleich die Ästhetik noch so sehr verwirft; ebd. Es gehet dem Worte Aesthetisch, fast eben so, wie dem Worte Philosophisch, vor zwanzig und mehreren Jahren. Es war genung, einen zum Kezzer in der Theologie zu machen, wenn man sagte: Er denkt philosophisch; Gottsched 1757 Neuestes a. d. anmutigen Gelehrsamkeit VIII 515 Einige . . haben das Sinnliche, das Aesthetische im Ausdrucke, für den wesentlichen Charakter der Dichtkunst gehalten; Meier 1759 Anfangsgründe III l Von den ästhetischen Begriffen; Gottsched 1760 Handlex. 50 Was es mit unsern ästhetischen Dichtern für eine Bewandniß habe, kann aus der ganzen Aesthetik in einer Nuß ersehen werden. In der That aber strafet dieß Buch, nicht so wohl den guten untadelichen ästhetischen Ausdruck; als den Mißbrauch einiger neuern, gar zu schwülstigen Dichter und Redner; Hatnann 1764 Briefw. H 238 Sie müssen es [das Exemplar] nach den Hiesigen Horizont beurtheilen um die Größe des ästhetischen Bubenstücks zu schätzen; Herder 1764 S. W. / 388 [Unterschied] der gemeinen, aesthetischen und gelehrten Sprache; ders. 1767 S. W. I 422 aesthetische Kapriolen; Riedel 1768 Publicum 14 der ästhetische Horizont ist der Innbegriff aller Gegenstände des schönen Denkens; Sonnenfels 1769 Wienerische Schaubühne 310 wenn der Stoff . . keinen ästäthischen [!] Reichthum in sich hielt; Sulzer 1771 Theorie I 22 Aesthetisch . . Die Eigenschaft einer Sache, wodurch sie ein Gegenstand des Gefühls, und also geschikt wird, in den Werken der schönen Künste gebraucht zu werden. Die Ausdrücke: ein ästhetischer Gedanke, ein ästhetisches Bild u. d.gl. bezeichnen solche Gedanken und Bilder, die bequem sind, in einem Werk des Geschmaks Platz zu finden; 1772 Frankf. gel. Anz. 49 Ästhetische Vorlesungen; Matthisson 1786 Rheinfahrt (II 22) zur Ehrenrettung seines ästhetischen Takts; Hermes 1789 für Eltern H 62 weil der Prügel beim Hunde lag: so kostete michs nichts, mein Herz mit der ästhetischen Bemerkung abzufinden, er sei nächst dem Bischof von * der schönste Mensch in Europa; Kant 1790 Kritik d. Urteilskraft (Werkausg. X 36 f.) ästhetisch oder sinnlich urteilen, so fern dieses Erkenntnis eines Gegenstands sein soll, ist selbst alsdann ein Widerspruch, wenn Sinnlichkeit sich in das Geschäft des Verstandes einmengt und . . dem Verstande eine falsche

Richtung gibt .. ein ästhetisches Urteil [ist] dasjenige, dessen Bestimmungsgrund in einer Empfindung liegt, die mit dem Gefühle der Lust und Unlust unmittelbar verbunden ist; Hölderlin 1790—91 Geschichte d. schönen Künste (S. W. u. Br. l 810) Das dunkle Altertum erlaubt nicht anders, als fragmentarisch, und auch das Fragmentarische noch sehr ungewiß darzustellen. Doch sehen wir auch in diesen Spuren . . das künftige ästhetische Volk zum voraus; Reichardt 1791 Musikal. Kunstmagazin 39 Die Zusammensetzung [von Leichtsinn und Schwermut in einer Person] kan also wohl moralische Wahrheit haben, aesthetische hat sie gewiß nicht; Dalberg 1791 Grundsätze 109 Ästhetische Bemerkung über das Buch Ruth; ders. 1791 Ästhetik 17 die ästhetischen Gesetze verlangen so viel geistiges, als möglich ist; so wenig körperliches, als unentbehrlich ist. Ohne Geistiges ist kein Daseyn des Schönen; ohne Körperliches ist kein Anschauen des Schönen; Schiller 1793—96 Nutzen (H. XII 150) ästhetischer Sitten; ebd. 190 Über den moralischen Nutzen ästhetischer Schriften; Hölderlin 1794 Br. (S. W. u. Br. II 608) Ich würde Dir gerne auch noch etwas von mir, von . . meinen kantischästhetischen Beschäftigungen . . erzählen; Schiller 1794 Br. (Prutz' Museum I 145) ich nenne ihn [den Umgang] aesthetisch, wo sich die Menschen bloß als Erscheinungen gegeneinander verhalten, und wo nur auf den Eindruck, den sie auf den Schönheitssinn machen, geachtet wird; ders. 1795 Ästhetische Erziehung (H. XI 5) Ich hoffe, Sie zu überzeugen, daß diese Materie weit weniger dem Bedürfnis als dem Geschmack des Zeitalters fremd ist, ja daß man, um jenes politische Problem in der Erfahrung zu lösen, durch das ästhetische den Weg nehmen muß, weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert; ebd. XI 86 Es gehört . . zu den wichtigsten Aufgaben der Kultur, den Menschen auch schon in seinem bloß physischen Leben der Form zu unterwerfen und ihn, soweit das Reich der Schönheit nur immer reichen kann, ästhetisch zu machen, weil nur aus dem ästhetischen, nicht aber aus dem physischen Zustand der moralische sich entwickeln kann; ebd. XI 114 Der dynamische Staat kann die Gesellschaft bloß möglich machen, indem er die Natur durch Natur bezähmt; der ethische Staat kann sie bloß (moralisch) notwendig machen, indem er den einzelnen Willen dem allgemeinen unterwirft; der ästhetische Staat allein kann sie wirklich machen, weil er den Willen des Ganzen durch die Natur des Individuums vollzieht; Böttiger 1797 Literar. Zustände I 220 [Sie] schmiedeten das berüchtigte ästhetische Wörterbuch, worin Haller, Bodmer, Breitinger, Klopstock und seine Freunde mit einer Flut Gottschedischen Wassersuppenwitzes begossen wurden; F. Schlegel 1798 Griech. Poesie (Krit.

ästhetisch Sehr. 161 f.) Es ist wahrhaft wunderbar, wie in unserm Zeitalter das Bedürfnis des Objektiven sich allenthalben regt . . Der Augenblick scheint . . für eine ästhetische Revolution reif zu sein, durch welche das Objektive in der ästhetischen Bildung der Modernen herrschend werden könnte . . Die ästhetische Revolution setzt zwei notwendige Postulate als vorläufige Bedingungen ihrer Möglichkeit voraus: ästhetische Kraft und Moralität; Laukhard 1799 Annalen 111 68 venerisch oder ästhetisch-scabiös, nach der Sprache der Privilegirten; Hölderlin 1799 Br. (S. W. u. Br. U 819) Der Ton, der durchaus in der Zeitschrift herrschen wird, macht es wohl schicklich, daß der HE. Verleger . . ihr .. den Titel: Journal für Damen, ästhetischen Inhalts, geben kann; Brentano 1800 Gustau Wasa 96 Ich kenne zwanzig Mittel dagegen, erstens den ästhetischen Thee . . d. h. Kunst mit Moral, die ihr aufhelfen soll; Goethe 1800 Br. (WA IV 15,151) Wenn der ästhetische Theil der Beschreibung raphaelischer Werke . . sich lesen läßt, so ist schon viel gewonnen. Möchten Sie die Lücke, die Sie am Technischen finden, einmal selbst ausfüllen; Laukhard 1802 Leben V 29 Der gar zu häufige Genuß der Wollust schwächte ihren Körper . . Damals .. war die ästhetische Krankheit schon sehr sichtbar an ihr; 1803 Br. v. d. Univ. 15 das ästhetisch vollendetste Frauenzimmer; Goethe 1805 Br. (WA IV 19,73) Ich lasse jederzeit die Namen lebender Personen ausstreichen . . Das Schauspiel soll eine heiter ästhetische Stimmung hervorbringen, die durch solche Realitäten durchaus gestört wird; Bouterwek 1807 Ästhetik 51 ästhetischer Cynismus; ebd. 187 Das natürliche Bedürfniß der Abwechselung hat an sich mit dem ästhetischen Verlangen nach Neuheit wenig gemein. Aber wir verlangen von der Kunst mit ästhetischem Rechte dieselbe Unerschöpflichkeit im Mannigfaltigen, die zum Wesen der Natur gehört; ders. 1807 Gesch. VI 25 ästhetische Universalität . ., durch die eine Nation beweiset, daß sie überhaupt nichts Geschmackloses dulden will; Heinsius 1809 Bardenhain l 331 einen moralisch- und ästhetisch-feinen Sinn für das Große, Gute und Schöne; Jean Paul 1812 Vorschule. Von. zur zweiten Aufl. (W. IX 16) Aber wollte ich denn in der Vorschule etwas anders sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger lediglich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?; ebd. bekanntlich ist der ästhetische Lehrstuhl ein Triklinium dreier Parteien . ., nämlich der kritischen, der naturphilosophischen und der eklektischen; Seume 1813 Leben l (W. l 42) Die schönsten Stellen sind immer die einfachsten, und es ward mein ästhetisches Glaubensbekenntniß; Heine 1824 Harzreise (S. W. IV 51) ein junger Dichter bemerkte sogar, wie einige belletristische Damen auf

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einer Bergecke ihre ästhetische Teegesellschaft hielten . . und über alle Erscheinungen in der deutschen Literatur ihr Endurteil fällten; Goethe 1827 Br. (WA IV 43,134) Hätte ich mich nicht in die Naturwissenschaften eingelassen, so wäre ich nie zu dieser Einsicht gelangt; denn in sittlichen und ästhetischen Dingen läßt sich das Wahre und Falsche niemals so in die Enge treiben; Immermann 1831 W. X 206 Ausdünstungen der ästhetischen Teemaschine (LADENDORF); Rumohr 1832 Denkwürdigkeiten II 84 ein angenehmer Vierziger, den Sie an seinen weichen ästhetischen Manieren alsbald erkennen werden. Er ist Mitarbeiter an unserem grossen encyclopädischen Werke, worin er die gesamte ästhetische Partie übernommen hat; Glassbrenner 1836 Bilder II 213 diese berühmten ästhetischen Soireen; Vischer 1837 Erhabene 41 das Altertum [schenkte] dem rein ästhetischen Gebiete keine abgesonderte Betrachtung; Immermann 1838 Oberhof 31 das ästhetische Landschaftsgefühl ist schon ein Produkt der Überfeinerung, weshalb es denn auch nie in eigentlich robusten Zeiten auftritt; Herhart 1841 Vorlesungen 63 Die ästhetische Kontemplation . . erfolgt nicht anders, als bei so ruhiger Lage des Gemüts, daß es das simultane Schöne genau zusammenfassen und dem successiven in entsprechender Bewegung nachkommen kann; Burckhard 1844 Br. H 62 eines übel berufenen ästhetischen Christenthums; Hettner 1850 Schule 164 Regungen des ästhetischen Katholizismus; Marx/Engels 1853 D. großen Männer d. Exils (MEW VIII 261) von diesem Augenblick an beteiligte sich die Masse des deutschen Spießbürgertums und des ästhetischen Waschlappentums eine Zeitlang an der blauen-Blume-Komödie; Eichendorff 1854 Drama 213 eine andere Art von Nippes für die Boudoirs ästhetischer Damen; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVIII 149) Sonst war die achtzehnjährige Tochter Agnes der einzige ästhetische Nachlaß des Mannes; Strauss 1856 Papierreisende 17 meinen ästhetischen Freund in Zürich; Landsteiner 1860 Leben 129 Wer der Meinung ist, daß es bloß . . an der Spree ästhetische Thee's gibt, der irrt. Auch die südliche Metropole . . erfreut sich gewisser Salons, in denen . . geschöngeistert und kritisirt wird; Marx 1868 Die Verbindungen (MEW XVI 332 f.) Hier macht sie ihre verschämten Auszüge aus „Times", „Morning Star" und „Saturday Review" mit einer ästhetischen Fischsauce für den Geschmack ihres Publikums zurecht; Nietzsche 1871 Geburt d. Tragödie (W. l 40) nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt; Gutzkow 1878 Schwulst 81 einen . ., an der ästhetischen Geschmacksschmiede Deutschlands betheiligten Hauptwortführer des „ästhetischen Schwulstes"; Hartmann 1879 Phänomenal. 700 Culturge-

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ästhetisch

schichte . . als ästhetische Culturgeschichte oder Entwicklungsgeschichte der Ideale der Menschheit; Schmidt 1883 Dtsch. Literaturdenkmale XIII 89 Ein Stück, das nicht, nach ihrem Maaße abgemessen, oder auf ihrer Probecharte steht .. bleibt in ihren Augen . . Aesthetische Konterbande; Gottschall 1885 Totenkl. 267 Diese Vorrede . . charakterisirt das Wesen des photographischen Zeitromans, ohne ästhetische Analyse und Begriffsbestimmung; Rolef 1887 Reisebr. 193 wenn man das Rauchen und Schnupfen vom ästhetischen Standpunkte aus betrachten will, so wird wohl das Nichtschnupfen den Vorzug verdienen; 1888 V/S. f. Literaturgesch. l 225 Wunsch Goethes und Schillers, in ihrem Zusammenwirken ein ästhetisches Zeitalter für die deutsche Nation heraufzuführen; Dahn 1895 Erinn. IV 2 Völklein der ästhetischen Wandervögel: der Schauspieler, Sänger, Musiker; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 196) Sehen Sie, Schwiegervater, die Revolution ist in Berlin an ästhetischen Teetischen vorbereitet worden; Lipps 1903 Ästhetik I 229 Das Resultat ist eine ästhetisch vollkommen unmögliche Linie; Oppenheimer 1904 Ges. Reden I 358 leider fehlt . . der unbemittelten Klasse . . das Verständnis für die gemütlich-ästhetischen Reize . . einer gut gehalteten . . Wohnung; Schmilz 1911 Brevier 211 Warum essen die wenigsten Frauen gerade so viel, wie ihnen gut steht? Entweder, sie sind „ästhetisch" und essen nichts, oder sie essen gleich so viel wie ein Mann; Benjamin 1913 Br. I 63 Schreibt Ihr, was Ihr über die Angelegenheit des Jahrhundertspiels zu sagen habt! Möglichst gründlich und zugleich möglichst wenig technisch-ästhetisch; 1915 — 16 Polit.-anthropol. Monatsschr. XIV 610 Die kleinen Unbequemlichkeiten, die immerhin die Mutterschaft mit sich bringt, glauben unsere überästhetischen und nervösen jungen Frauen nicht vertragen zu können; Cassirer 1916 Freiheit 103 die ästhetische Reflexion und Kritik wird zur produktiven Bedingung für den Prozeß des Schaffens, weil sie bis in jene letzten geistigen Tiefen zurückdringt, aus denen das Schaffen selbst seine Bestimmung empfängt; Wätzold 1921 Kunsthistoriker l 318 Ihre [der deutschen Kunstgeschichtsschreibung] „ästhetische" Epoche schliesst mit Rumohr; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 631) ein humanes Zuchthaus sei eine ästhetische Halbheit, ein Kompromiß, und Herr Settembrini, obgleich er ein Schönredner sei, verstehe im Grunde nichts von Schönheit; Borries 1925 Romantik 108 Der Bildungsbegriff der Frühromantik . . beschränkt sich auf die rein menschliche Form, er enthält den ästhetischen Imperativ; Bahr 1925 Liebe I 315 man sollte fortan: ästh-etisch schreiben; 1928 Die Dame 2. Okt.'h. 71 Erst in den letzten Jahren werden wir auf das amerikanische Beispiel aufmerksam, das an Mö-

beln und Hausrat nur, was wirklich notwendig ist und womit sich ein echtes Bedürfnis (das auch ein ästhetisches sein kann) verbindet, auf die Dauer um sich dulden möchte; Voss. Ztg. 16.7.1929 Aesthetischer Genuß auch, Joe Childs im Sattel zu sehen, . . der . . Jockey des Stalles Weinberg war; 1930 Handb. d. Frankreichkunde II 275 V. Hugo war viel zu sehr Künstler, als daß ausserästhetische Bindungen seiner Dichtung dauernd ihren Stempel aufgedrückt hätten; Friedeil 1931 Kulturgesch. HI 254 was ist ästhetisch? Übereinstimmung mit den Gesetzen des eigenen Organismus. Daher ist die Natur immer ästhetisch; Benn 1932 Nach dem Nihilismus (Ges. W. I 161) Raumgefühl, Proportion, Realisierungszauber, Bindung an einen Stil. Also ästhetische Werte . . Artistik; Cassirer 1932 Renaissance 137 Man pflegt fast allgemein anzunehmen, daß das Erstarken des ästhetischen Interesses im 18. Jahrhundert aus der Vertiefung und Verfeinerung der psychologischen Einsichten zu erklären ist; Freud 1933 Warum Krieg? (Studienausg. IX 286) Und zwar scheint es, daß die ästhetischen Erniedrigungen des Krieges nicht viel weniger Anteil an unserer Auflehnung [gegen den Krieg] haben als seine Grausamkeiten; K. Mann 1936 Mephisto 26 Vom ästhetischen Gesichtspunkt aus war die Situation für Höfgen vorteilhaft: neben dem gar zu ausladenden Ehepaar wirkte er schlank; Block 1938-47 Prinzip Hoffnung 249 Ob . . der Ruf nach Vollendung — man kann ihn das gottlose Gebet der Poesie nennen — auch nur einigermaßen praktisch wird und nicht bloß im ästhetischen VorSchein bleibt, darüber wird nicht in der Poesie entschieden, sondern in der Gesellschaft; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 541) nie ist mir klarer geworden, daß, was uns sittlich, und ästhetisch beruhigt, uns Billigung abnötigt, die Harmonie, die Stimmigkeit ist; Horkheimer/Adorno 1944 Dialektik 132 Das Fernsehen zielt auf die Synthese von Radio und Film . . deren unbegrenzte Möglichkeiten . . die Verarmung der ästhetischen Materialien . . radikal zu steigern verspricht; Adorno 1945 Minima moralia 156 Dem ästhetischen Auge, welches das Unnütze gegen die Utilität vertritt, wird das mit Gewalt von den Zwecken abgelöste Ästhetische zum Antiästhetischen, weil es Gewalt ausdrückt: Luxus zur Roheit; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 706) Es gibt zuletzt nur zwei Gesinnungen und Haltungen: die ästhetische und die moralistische, und der Sozialismus ist streng moralische Weltansicht; ND 1.11.1949 weil sich dort in der Kunst der Kampf um den Realismus gegen den Formalismus zugunsten des Realismus entschieden hat — das ist nur die kunstästhetisch formulierte Schlußfolgerung; Bense 1954 Aesthetica 12 in der Reflexion, in der sich das ästhetische Urteil vorbereitet, stellt sich das Kunstwerk außer-

ästhetisch halb der Affekte; Jaspers 1958 Atombombe 193 Der geistige Neutralismus . . läßt alles in irgendeiner Weise gelten, entzieht sich und ist die Folge des unverbindlichen, ästhetischen Zusehens; Welt 2.5.1959 jenen ästhetisch vollendeten Spielschreibtischen . ., in deren Schubladen sich höchstens eine Handvoll Papiere unterbringen läßt; Bachmann 1959-60 Frankf. Vorlesungen (W. IV 192) Da mag sie [die neue Sprache] uns freilich erlauben, auf ihre Schönheit zu achten, Schönheit zu empfinden, aber sie gehorcht einer Veränderung, die weder zuerst noch zuletzt ästhetische Befriedigung will, sondern neue Fassungskraft; Adorno 1961 Noten II 43 Das antirealistische Moment des neuen Romans, seine metaphysische Dimension, wird selber gezeitigt von seinem realen Gegenstand, einer Gesellschaft, in der die Menschen voneinander und von sich selber gerissen sind. In der ästhetischen Transzendenz reflektiert sich die Entzauberung der Welt; Johnson 1961 Buch 310 Einigkeit und Recht und Freiheit immer nach der selben Melodie, die Achim vielleicht mißfiel, musikalisch, ästhetisch, und von früher her?; Lukacs 1962 Theorie d. Romans 11 Aus dem Hegelschen Erbe stammt ebenfalls die ästhetische Problematik der Gegenwart: daß geschichtsphilosophisch die Entwicklung in einer Art von Aufhebung jener ästhetischen Prinzipien mündet, die den bisherigen Gang der Kunst bestimmten; Bölt 1963 Clown 281 Sommerweil hatte sich die Haare raufen müssen, eine Trauung ohne Schleier verdarb ihm das ganze ästhetische Konzept; Glaser 1964 Spießer 35 was von dem ästhetischen Schmelz überzogen war, erschien schön — auch das Niedrige oder Gemeine; Staiger 1966 Grundbegriffe 228 Eine Poetik, wie sie hier vorliegt, kann keine ästhetische Wertung begründen; Jauß 1967 Literaturgeschichte als Provokation 169 Die rezeptionsästhetische Perspektive vermittelt . . zwischen passiver Aufnahme und aktivem Verstehen, normbildender Erfahrung und neuer Produktion; ebd. 174 die verbreitete . . Skepsis, ob eine wirkungsästhetische Analyse überhaupt an die Bedeutungssphäre eines Kunstwerks heranreiche und nicht bestenfalls in eine simple Soziologie des Geschmacks bei solchen Versuchen herauskomme; ND 8.4.1969 Allerdings sei den Zirkeln empfohlen, sich über die ästhetischen Gesetze des Genres, vor allem der Anekdote, mehr Klarheit zu verschaffen; Kuczynski 1969 Gestalten 86 Das Ästhetische bei Hölderlin ist zugleich immer auch ein Ästhetisch-Menschliches, das heißt, das vollendete Gedicht ist eine Widerspiegelung der Vollendung des Menschen; ND 19.6.1974 [eine] Vervollkommnung der Aussage . ., die im textgebundenen wie im rein instrumentalen Werk beim Publikum eindeutige ästhetisch-ethische Haltungen auslöst; Hildesheimer 1977 Mozart 370 Sterbensakt und Tod des Genies

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unterliegen nicht zuletzt auch der ästhetischen Zensur; Seile 1981 Kultur der Sinne und ästhetische Erziehung (Titel); Richter-Reichenbach 1983 Btldungstheorie und ästhetische Erziehung heute (Titel); Zeit 29.3.1985 er verschmäht das ästhetische Raffinement des Artistischen; ebd. 24.5. 1985 Damals ging es unter anderem um die Begeisterung, die amerikanische ästhetische Intellektuelle und Cineasten für Leni Riefenstahl an den Tag legten; ebd. 7.6.1985 wer die Exzesse allein dem Fußball anlastet, wird dem Charakter eines Spiels nicht gerecht, das auch höchsten ästhetischen Genuß vermitteln kann; MM 12.8. 1985 mit Büchern . ., in denen Kausalität, Logik, Psychologie ersetzt sind durch Phantastik, mit alogischen und akausalen Dichtungen, in denen eine nur-ästhetische Welt entworfen wird; Zeit 4.10. 1985 Er meint damit weniger die ästhetische Ödnis seiner begradigten Ufer oder seine Farbe, sondern die reduzierte Gleichförmigkeit des Lebens in seinen Fluten; ebd. 18.4.1986 der neue ästhetische Typus, gekleidet in Ciosed-Jeans und einen Armani-Pullover, bevölkert die Vernissagen der schicken Galerien; Welsch 1988 postmoderne Moderne 49 Dabei zeigen die . . Beispiele, daß sich nicht nur innerästhetisch schon höchst gegensätzliche „Modernen" gegenüberstehen, sondern daß auch der Unterschied der ästhetischen Sphäre gegenüber anderen Sphären, etwa der ökonomisch-industriellen, sich innerästhetisch reproduziert; MM 31.3.1988 Wie soll denn nun endlich das Müll-Splitting auch ästhetisch schmackhaft gemacht werden?; ebd. 24.5.1988 Zum erstenmal scheinen Zahls Aussagen beliebig, vermag er es nicht, sich die ästhetischere Form der Lyrik zunutze zu machen; ebd. 30.5.1988 Während . . die einen von den filmästhetischen Reizen schwärmen, . . fühlen sich die anderen wie in einem Supermarkt der Bilder; 1990 Ästhetische Grundbegriffe 21 f. die Promotion des Wortes „Geschmack" zum ästhetischen Grundbegriff im 18. Jahrhundert bis zur Ästhetik Kants; ebd. 28 Hegels gehaltsästhetischer Begriff der Schönheit ist ein anderer als Kants geschmacksästhetischer; ebd. Die Differenzierung kunstwissenschaftlicher Theorien und Methoden in produktionsästhetisch oder darstellungsästhetisch, wirkungsästhetisch und rezeptionsästhetisch orientierte; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 6 Wörter und Wendungen . . den höheren Weihen sprachästhetischer Würdigung zuzuführen; Spiegel 30.11. 1992 Selbst eine Bombennacht gerät dem Regisseur Liebeneiner zum ästhetischen Ereignis; Schulze 1993 Erlebnisgesellschaft 13 Geländeautos . . sind vordergründig zweckmäßig, nur besitzt Geländegängigkeit in unserem asphaltierten und betonierten Ambiente kaum Gebrauchswert, so daß sich diese Eigenschaft als ästhetisches Attribut entpuppt; ebd. 96 Was Gegenstand alltagsästhetischer

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Asthma

Episoden ist, von der Mondscheinsonate bis zum Autozubehör, erscheint aus der Perspektive des semantischen Paradigmas als Zeichen, dessen Gehalt Erlebnisse sind; Süddtsch. Ztg. 19./20.2.1994 [Er] erwartete . ., daß sich das, was ihm und anderen Parteigängern der ästhetischen Fortschrittspartei . . vorschwebte, am Hoftheater rasch und vorteilhaft verwirkliche.

unästhetisch: Hamann 1772 S. W. /// 21 der mystische [Unterricht] ist zweydeutig, unphilosophisch, unästhetisch; Pückler 1831 Er. Ill 364 Er war aber darin gar zu nüchtern und unästhetisch; Böll 1963 Clown 285 Karl und Sabine werden weinen, hemmungslos, auf eine Weise, die allen Teilnehmern am Begräbnis unästhetisch vorkommen wird.

Asthma N. (-s; ohne Pl.), im frühen 16. Jh. über lat. asthma 'Engbrüstigkeit, Beklemmung' entlehnt aus griech. 'schweres, kurzes Atmen', anfangs auch in der lat. (flekt.) Form. Als Krankheitsbezeichnung verwendet in der Bed. 'in Anfällen auftretende (oft quälende) Atemnot, Kurzatmigkeit', bes. in Wendungen wie Asthma haben, bekommen, an Asthma leiden und in Zss. wie Asthmaanfall; Bronchial-, Herzasthma, vereinzelt übertragen gebraucht (s. Beleg 1945). Dazu etwa gleichzeitig die (auf gleichbed. lat. asthmaticus beruhende) subst. Ableitung Asthmatiker M. (-s; -), bis ins 18.719. Jh. in der lat. (flekt.) Form Asthmaticus, erst seit späterem 19. Jh. (gebucht 1870 bei Heyse) in der heutigen Form, in der Bed. 'jmd., der an Asthma leidet'; im späten 16. Jh. vereinzelt, seit Anfang 18. Jh. häufiger die (über lat. asthmaticus auf gleichbed. griech. zurückgehende) adj. Ableitung asthmatisch, anfangs vereinzelt in der lat. Form asthmaticus und im lat. Syntagma asthmaticum (remedium) 'Heilmittel gegen Asthma', in der Bed. 'durch Asthma bedingt, hervorgerufen', z. B. asthmatische Beschwerden, asthmatisches Stöhnen, die Schmerzen sind rein asthmatisch (bedingt), asthmatisch keuchen, eine asthmatische Veranlagung haben, auch für 'an Asthma leidend, kurzatmig', z. B. asthmatisch sein, ein asthmatischer Mensch; seit früherem 20. Jh. gelegentlich auch bildlich verwendet für '(vor Anstrengung) schwer keuchend, schnaubend, ächzend, krächzend' (s. Belege 1931, 1952, 1963), z. B. ein asthmatisch vorbeischnaubender Autobus, auch übertragen gebraucht im Sinne von Ohne viel eigene Lebenskraft, in schwacher Verfassung, schlechtem Zustand; nur schwache Leistungen bietend, aufweisend', z. B. die asthmatische polnische Wirtschaft, ein asthmatischer Lyriker (s. Belege 1971, 1986). Asthma: Paracelsus 1527 S. W. / 3,424 in asthmate [nehme man] caulis de pastinaca; ders. 1533—34 S. W. l 9,482 so der asthma gnugsam erkennet wird, wie er zwischen dem himel und der erden wechst; ders. 1537 S. W. / 10,496 Dermaßen die wunden oder stich, so in leib gehent, so sie schentlich geheilt werden: betrift es die region des lufts, pulmones, alsdan so folgt asthma, pus, apostemata . . hernach, das weret sein lebenlang; Toxites 1574 Onomastica 401 Asthma; Paracelsus 1575 Onomasticon 6 Asthma, pulmonum affectus; Tabernämontanus 1588 Kräuterbuch I 321a Wann einer das keichen[d] Asthma hette vnnd neben dem außwerffen am Leib abneme; Podagra 1721 Apothekertod 27 hat deßwegen der Patient ein asthma geklagt?; Musig 1726 Licht d. Weisheit l 421 Die Colic, das Keichen auf der Brust, asthma; Weber 1734

Enc. 136 Asthma, . . Enbrüstigkeit, Keichen, schwerer Athem; Meissner 1789 Erz. III 26 Es ward eben Winter. Daß meines Mannes altem rheumatischen Körper die Decembertage nicht bequem fielen, war sehr begreiflich; daß er sich innen hielt, sehr natürlich. Doch daß sein Asthma auch mich mit klösterlicher Zucht auf seinem Zimmer festhalten solte — dieser Befehl dünkte mich schon hart genug; Schiller-Körner vor 1805 Briefw. II 243 Es war ein heftiges Asthma (KEHREIN); Puchelt 1822 System d. Med. II 2,308 Asthma; Hufeland 1836 Ench. med. 288 Asthma. Enbrüstigkeit, Dampf; ebd. 749 Asthma acutum infantile; Ramagde 1838 Das Asthma (Übers.) (Titel); Steffens 1840 Was ich erlebte II 206 ein psychisch erzeugtes Asthma; 1865 Beschr. OA. Horb 42 Emphysem (Asthma); Heyse 1877 Ges. W. // 4,525 [Das Frau-

Asthma lein] ist immer guter Laune, außer wenn es der Mama einmal besonders schlecht geht, da sie an Asthma leidet; Rosegger 1887 Ges. W. l 5,41 Ich hatte . . in Salzburg stark an Asthma zu leiden; v. d. Vring 1928 Adrian Dehls 63 Tante Gesine aber sagte nichts. Asthma plagte sie; Greinz 1930 Golgatha d. Ehe 18 Trotz Asthma und Sonnenglut hatte er diesen großen Umweg gewählt; Fischer 1939 U eher die Asthmabehandlung mit pflanzlichen Heilmitteln (Titel); Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XU 955) ich vergesse nicht, daß Sie später viel Schlimmeres durchgemacht haben, dem ich entging; aber das haben Sie nicht gekannt: das Herzasthma des Exils, die Entwurzelung, die nervösen Schrecken der Heimatlosigkeit; den,. 1947 Faustus (W. VI 403) Kunstmaler Zink litt an keuchhustenartigen Asthma-Anfällen; 1956 Dtsch. Stimmen 133 Die Drouet pflegte auf die Minute ins Bett zu gehen, und nur wenn sie einen ihrer Asthmaanfälle bekam, blieb sie die Nacht über steif auf ihrem Stuhl sitzen; Welt 7.9.1959 Asthma-Sanatorium Dr. med. J. Parow funktioneile Atmungstherapie, Lungenerweiterung, Bronchialasthma; ebd. 4.7.1964 im Asthmabad Lippspringe bauen wir Eigentums- und Mietappartements; Bildztg. 4.7. 1967 hatte sich der asthmakranke Mann . . um Mitternacht aus dem Städtischen Krankenhaus Baden-Baden geschlichen; Zeit 28.12.1984 daß sie bei einigen Personen allergische Asthmaanfälle hervorrufen können; MM 27. 7.1985 bei einigen Patienten traten Asthmaanfälle nach dem Genuß chinesischer Mahlzeiten auf; ebd. W. 6.1986 ein Asthmakranker ist bereits nach einem CS-Einsatz in Wakkersdorf verstorben; Stern 16.6.1987 vor allem bei psychosomatischen Leiden wie Migräne, Bronchialasthma . . bietet sich die Naturheilkunde als Alternative zur Schulmedizin an; MM 9.9. 1987 erneut Tod von zwei Asthma-Kranken; ebd. 24.2.1988 Asthma-Anfälle können von Stäuben der frühblühenden Bäume . . hervorgerufen werden; ebd. 23.3.1988 der .. Wirkstoff Ibuprofen darf Asthma-Kranken nicht gegeben werden. Asthmatiker: Krautwadel 1531 Regiment d. Gesundtheyt 3r er hab gesehnn ein Asmaticum [!] oder schwerathmigenn der schoen gesund/ vonn wegen einer behenden vnd fast grossen bewegung inn ainer stund gestorben seinn; Ryff 1548 Confect Buch (Ausg. 1554) 260 f. Confectio asthmaticorum (Überschr.) Den keichenden/ vnnd denen so schwerlich athmen/ solt du dise Latwerg oder Confect taefelin bereyten/ dann der athem wirt hefftig daruon gesenfftiget; Golius 1579 Onomasticon 98 Asthmaticus, . . engbrüstig/ der ein kurtzen athem hat; Wächtler 1709 Manual 43 Asthmaticus, Engbrüstig/ z. E. er ist ein Asthmaticus; Sperander 1727 A la mod Sprach 53 Asthmaticus, der schwe-

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ren Odem holet, ein Engbrüstiger; Raabe 1882 — 83 S. W. Ill 2,244 Brave, aber eigensinnige alte Dame, die sich merkwürdigerweise etwas darauf einbildete, noch einen Kalkulationsrat, Steuerzahler, Hungerleider und Asthmatikus mehr in die üble Luft dieser Welt gesetzt zu haben; Burckhard 1893 Er. a. Preen 296 Und nun gedenke ich Ihrer, wie Sie jetzt wieder sich einstweilen . . auf irgendeiner Promenade ergehen und täglich neue Kräfte sammeln, nicht noch einmal für den Aktentisch, sondern für eine gemütlichere Ruhe, als die von uns Asthmatikern sein wird; Fontäne 1898 Zwanzig 11 er litt nämlich, weil er kurzhalsig und ein Asthmatiker war, unter „Rigi" und „Schyniger Platte"; Döblin 1928 Alexanderplatz 210 Da holte an der nächsten Laterne der dicke Asthmatiker ein Pack Postkarten aus der Tasche; 1955 Almanach Aufbau 559 mit der Mühe des Asthmatikers holte er Atem; Welt 4.7.1964 besonders geeignet für Pensionäre und Asthmatiker, in einmalig schöner Lage am Kurpark; ebd. 4.12.1974 unsere . . Kunden sind Asthmatiker, Krankenhäuser, Laboratorien; MM 16.1.1985 in der Bundesrepublik gibt es zwei Millionen Asthmatiker; Zeit 31.5.1985 er hüstelte unaufhörlich, sein Atem klingt wie das keuchende Luftschnappen eines Asthmatikers; MM 26.6. 1985 bei Asthmatikern könne . . die Warnung vor verstärktem Pollenflug zusätzliche Beschwerden hervorrufen; ebd. 11.1.1988 der bereits 1897 ins Leben gerufene „Allergiker- und Asthmatikerbund" versteht sich als Ansprechpartner für ratlose Patienten; ebd. 12.113.3.1994 Die Rheinauer sind doch Schlimmeres [an Luftverschmutzung] gewöhnt, sogar eine Asthmatikerin hatte keine Beschwerden; Spiegel 4. 7.1994 Ozon . . setzt vor allem auch Kindern und alten Menschen zu, besonders gefährdet sind Asthmatiker und Herz-Kreislauf-Kranke. asthmatisch: Golius 1579 Onomasticon 98 Asthmaticus, . . engbrüstig; Wächtler 1709 Manual 43 Asthmaticus, Engbrüstig; Schubart 1774 Dtsch. Chronik 104 Herr Valepi . . ist ein vortreflicher Tenorist, singt aber etwas asthmatisch und gepreßt; ders. 1775 Dtsch. Chronik 204 in einem . . asthmatischen Tone; Semler 1781 Lebensbeschr. l 311 Ich erschrack, da ich die asthmatischen Unfälle dieses vortrefflichen Mannes mit ansah; Schubart 1785 Ästhetik d. Tonkunst 162 Seine dicke Leibeskonstitution verursacht, daß er etwas asthmatisch bläst; Forster 1789 Br. ü. Italien l 22 asthmatischen Husten; Thümmel 1791 Reise // 87 „Welch ein Ideal!" fing ich an — das einzige Wort das er mir erlaubte: denn sogleich legte sich seine asthmatische Stimme darein; 1813 — 15 Prinzenbr. 154 Glaser ist recht krank gewesen, an asthmatischen Beschwerden; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti IV 109 eine . .

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asthmatische Stimme, die noch nicht recht zu Athem kommen konnte; Devrient 1855 Aus s. Tagebüchern H 118 das asthmatische hörbare Atemholen bezeugt, daß es ihm an Atem fehlte zu rechter Zeit; Raabe 1867 S. W U 1,440 haben Sie schon einmal einen asthmatischen Mops, der auf Fräuleins Sofa tat, was nicht hübsch von ihm war — vernommen?; ders. 1882-83 S. W. Ill 2,185 Nur noch eines Zitates mußte er sich, asthmatisch keuchend, entledigen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 312) war eine zeitweilige Atemnot, ein asthmatisches Übel hinzugetreten; ders. 1909 Hoheit (W. II 15) eine beleibte und asthmatische Dame von unterstrichen spießbürgerlichem Äußeren; ebd. 11 174 „nein, Königliche Hoheit", erwiderte Axel Martini mit asthmatischer Stimme; 1930 Abenteuer. Märzh. 18 ET war, genau zu seiner besseren Hälfte passend, auch „wohlgenährt", und demgemäß etwas asthmatisch. Er keuchte die Treppe hinauf; Th. Mann 1930 Erz. (W. VIII 678) man . . wandte seine Aufmerksamkeit dem Künstler zu, der, vom Stärkungstischchen zurückkehrend, folgendermaßen zu sprechen fortfuhr: „meine Damen und Herren", sagte er mit seiner asthmatisch-metallischen Stimme; Lee 1931 Zundler 69 die Dreschmaschine . . Das schwere, rotgestrichene Ungetüm rollte von seiner asthmatisch puffenden Lokomobile gezogen . . an der Strasse vorbei; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 596) sagte er, bleichen Angesichts, in seiner klaren, akademisch wohlartikulierten und dabei asthmatischen Sprechweise, indem er das Wort „entsetzlich" . . entsetzlich aussprach; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 195) unter herzasthmatischen Beschwerden litten gleichzeitig auch Schönberg und Döblin, dem ich an seinem Garten-Krankenlager einen Besuch machte; W. Borchert 1949 Gesamtwerk 271 Dann geht eine Tür asthmatisch zu; Wolf 1951 Grenze 10 da die Bäuerin den schweren asthmatischen Mann an der Schulter niederhält; Marchwitza 1952 Jugend 32 In dem wirren Lärm ertönten Glocken, krächzende,

asthmatische Drehorgeln, heisere Klarinetten; Steinberg 1956 Der Tag 284 Magister Grimm unterbricht ihn mit asthmatischer Stimme; Grass 1962 Blechtrommel 11 vor senkrecht gestellten, mit den Spitzen zusammenstrebenden Stiefelsohlen schwelte manchmal ein asthmatisch auflebendes, den Rauch flach und umständlich über die kaum geneigte Erdkruste hinschickendes Kartoffelkrautfeuer; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 188 Bienkopp sattelt sein asthmatisches Motorrad und reist bis an die Meeresküste; ebd. 312 das Kirchenglöcklein bimmelt asthmatisch; Pinkwart 1963 Mord 90 „ah ja", kam es durch den Draht, gefolgt von einer Serie keuchender Röchellaute, die asthmatisch klangen; Bad. Ztg. 8.6.1967 Durch ihre krankhaft übertriebenen gefühlsmäßigen oder geistigen Ansprüche hindert sie [Mutter] ihr Kind an der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit - es kann im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr „frei atmen", es wird asthmatisch; ebd. 28.1.1971 Hätte Gierek das Einlenken der Streikenden durch . . Konzessionen zu erkaufen versucht, so wäre damit ein bedenklicher Präzedenzfall geschaffen und die Basis seiner auf eine Kräftigung der asthmatischen polnischen Wirtschaft gerichteten Politik erschüttert gewesen; Zeit 28.12.1984 viele Frauen in der Fabrik hatte oft leichte asthmatische Beschwerden; MM 7.12.1985 mit dem männlichen Personal der elterlichen Reitställe kam der asthmatische Knabe in homosexuelle Kontakte; Zeit 9,5.1986 Säntimäntl .. sieht aus wie ein asthmatischer Theaterkritiker, trägt ständig schwarze Kordanzüge; ebd. 8.8.1986 man wollte die „innere Emigration" als Zeit des „Wartestandes" begreifen, und politischbeherzte Töne fanden sich allenfalls gegenüber dem asthmatischen Lyriker Baidur von Schirach; ebd. 13.2.1987 war Ascona der Ort, wo asthmatische Tanten für ihre hühnerbrüstigen Nichten eine passende Partie suchten; MM 24.2.1988 jeder fünfte Patient mit einer Pollenallergie reagiert auf die reizenden Blutenstäube mit asthmatischen Erscheinungen.

ästimieren V. trans., Anfang 15. Jh. wohl unter Einfluß von gleichbed. frz. estimer aufgekommen, zurückgehend auf (m)lat. aestimare 'etwas (ab-)schätzen, taxieren, den Wert einer Sache bestimmen; etwas beurteilen, einschätzen, erwägen, meinen, halten für; etwas hochschätzen, würdigen, rühmen' (zu lat. aes 'Vermögen, Erz'; —* Ära), anfangs in den Schreibformen estimi(e)ren, estumi(e)ren. l Zunächst bis ins frühere 20. Jh. in der Bed. 'etwas dem Wert nach schätzen, taxieren, veranschlagen, den Wert einer Sache bestimmen', z. B. Güter, Sachen, ein Haus, einen Schaden ästimieren; seit spätem 18. Jh. selten auch übertragen verwendet (s. Belege 1787, 1864, 1931). Dazu seit späterem 16. Jh. (ROT) die nur gebuchte, auf gleichbed. (m)lat. aestimator zurückgehende, veraltete Personenbezeichnung Ästimator M. (-s; -en) 'Schätzer,

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Taxator'; im früheren 19. Jh. die (1838 bei Heyse) gebuchte, auf gleichbed. lat. aestimatorius zurückgehende, in der juristischen Fachsprache gebrauchte, veraltete adj. Ableitung ästimatorisch 'die Schätzung betreffend', meist in den Wendungen ästimatorischer Eid 'Schätzungseid', ästimatorischer Vertrag 'Trödelvertrag' und in lat. Syntagmen wie aestimatoria actio 'Schätzungs-, Wertbestimmungsklage', aestimatorius contractus 'Vertrag, der bestimmt, daß der Empfänger einer Sache diese zurückgeben oder für den Schätzungswert zu behalten hat, Trödelvertrag'; gleichzeitig das nur gebuchte Subst. Ästimium N. (-s; Ästimia) 'Steuerbuch, Acker- und Flurbuch'. 2 Seit späterem 16. Jh. (ROT) in der Bed. 'etwas, jmds. Leistungen, jmdn. hochachten, hochschätzen, würdigen, lieben', oft auch verneinend etwas, jmdn. nicht ästimieren 'für etwas, jmdn. nicht viel übrig haben, etwas, jmdn. nicht besonders gern mögen, etwas, jmdn. nicht beachten', z. B. sie hat ihn, seine Worte gar nicht ästimiert; so heute noch bes. in Mundarten lebendig (s. Beleg 1959), auch in der adj. verwendeten Part. Perf.-Form ästimiert, in Wendungen wie ein (hoch-) ästimierter Herr. Dazu vom früheren 17. bis ins frühere 19. Jh. das aus gleichbed. frz. estime entlehnte Subst. Ästim M., auch N. (-s; ohne PL), anfangs auch in den vom Frz. beeinflußten Schreibformen Ästim, Estim(e), für 'Hochachtung, Wertschätzung', z. B. in Ästim sein, kommen; sich bei jmdm. in Ästim setzen; vor jmdm. den größten Ästim haben; er zeigte sein Ästim für die Damen. Dazu seit früherem 16. Jh. das auf (m)lat. aestimatio 'Bestimmung, das Abschätzen des Wertes; geschätzter Geldwert; Beurteilung, Meinung; Ruf; Sinn, Bedeutung' zurückgehende, heute veraltete Subst. Ästimation F. (-; -en), anfangs noch in der lat. Form; zunächst für 'Hochschätzung, Hochachtung, äußere Anerkennung durch die Gesellschaft' (zu 2), dann auch 'Schätzung des Wertes' (zu 1). Seit Ende 18. Jh. das eventuell über gleichbed. frz. estimable auf (m)lat. aestimablilis 'abschätzbar, wahrnehmbar, erfaßbar' zurückgehende, veraltete Adj. ästimabel, anfangs in der frz. Form, 'achtbar, ehrenwert, respektabel, würdig' (zu 2), im 19. Jh. nur gebucht in der Bed. 'schätzbar', mit den Präfixbildungen unästimabel, inästimabel (zu 1). ästimieren 1: 1403 (Mone, Zs. f. G. d. Oberrheins XVII 435) . . estimiren; Lori 1444 Lechram 154 (Schneller 1961 Bayer. Wb. I 168) daz sullent sy mir bezallen allz ez dann gestumiert ist; Begardi 1539 Index sanitatis Vorr. 3b Wie vil mer solt dise sach ehrlich vnd wie billich estimiert vnd erhalten werden; Heroldt 1541 Bauernkrieg (Mone 1839 Anzeiger VIII 151) auch gemeine Bawleut den Schaden und Unkosten zue ästimieren . . verordnet; Rot 1571 Diet. 288 Aestimirn, schetzen/ . . gmain halten/ erwegen; Meurer 1600 Rel. Continuatio I 59 20 Spanische Schiff genommen, welche wol auff 7. Million Ducaten ästimirt worden; Kiechel um 1600 Reisen 30 Düses soll sein der tribut von anderthalb jaren, so ein theyl von den Indijs de Peru dem könig us Spania zu geben pflegen, für sein gebür, das wurdt estimirt uf 25 donn goldts; 3605 (1898 Hohenzollern-Jahrb. H 33) angeschlagen und ästimirt; 3609 (Wärt. Ländl. Rechtsqu. II

163) dasselbig in jedes gegenwertigkeit berechnet und belegt, doch zuvor durch Schultheiß und gericht absonderlich aestimiert und anschlagen (FRNHD. WB); Hainhofer 1610 Corr. 46 [ein Becher] costet 8.f. ist vom geschwornen gantner also ästimiert worden; 3625 Stadtb. Karpfen 153 dises hauß ist Per florin 100 ästimirt worden (FRNHD. WB); Perez 1626 Landstörtzerin l 9 vnnd werden auch solche Thier der menge jhrer Flecken nach ästimiert/ vnd thewerer verkaufft; 3627 ebd. II 77 dieweil wir den Verdienst der Männer oder anderer fürnehmer Leute nicht nach Gebühr können aestimieren vnd schätzen/ vnnd nach jhren Qualitäten billich vnderscheiden; 36JO (Nöst. Weist. Ill 112) wirdt die straff nach dem er getroffen aestimirt und aufgesetzt (FRNHD. WB); 3633 Allgäu Geschfrd. XIII 303 21 malter an roggen und körnern . . nach dem marggtschlägen ästimiert belauffens zue gelt 253 gülden l kr. 3 h. (DRW); Schupp 1657

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Freund i. d. Not 9 Als er aber die Jubilirer den Ring hab aestimiren lassen, hab er . . erfahren müssen, daß ein weisser Saphir eingesetzt, welcher nicht einen Ducaten werth sey; Weise 1673 Erznarren 33 Aestimirt man doch einen fahlen Papagoy höher, als einen bundscheckigten; ebd. 199 wegen des angethanen Schimpffes, welchen ich auff eilff tausend siebenhundert und acht une viertzig Gülden . . schätzen und aestimiren wil; Beer 1683 Sommer 503 mir aber verehrte er sein Pferd, das ich ich über hundert Reichstaler aestimiere (CARMESIN); Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 258 [seine] Tugend . ., welche selbst die allerbeste Belohnung seines Fleisses, und gegen welche kein vergängliches Gold und Silber zu aestimiren ist; Schlettwein 1784 Archiv VII 132 jedoch muß er [der Eigentümer, der sein Erbe verbessert hat] alsdann die . . Taxations-Gebühren für denjenigen Capital-Werth, worauf er die hinzugekommene Melioration seines Erbes ästimirt, aufs neue entrichten; Bretzner 1787 Leben 159 verliebte Lamento's über die lange Abwesenheit [des Geliebten], gegen welche die Ewigkeit nur wie eine Sommernacht zu ästimiren sey; Raabe 1864 Hungerpastor 66 Daß er seinen Oheim und Paten Grünebaum für 'n Pechesel und Philister ästimiert, hat er gesagt; Fallada 1931 Bauern 515 Das kann ich nicht sagen, Herr Präsident, warum uns der Mann für Hunde estimiert hat. Ästimation: Rot 1571 Diet. 288 Aestimation, Schätzung/ . . betrachtung/ entschaidung/ mittlung; 2606 Westphalen, Man. II 1910 auf unsere gnaedige cognition und aestimation ein jeder seine lehngüther zu errettung seiner ehren in solutum seinem creditor! geben moege (DRW); Wehner 1608 Observ. 195 In der Werdirung, Vabration oder Ästimation [der Münzen]; 1648 Samml. würzburg. Landesverordn. l 235a Aestimation . . [„Schätzung" von Grund und Boden zwecks Geldbeleihens]; 1664 Memorial C 4fa Nur allein/ daß in den Anlagen die Geometrische Proportion observiret/ das Vermögen pro Theseo aequalitatis filo gehalten/ und die Schätzung nach Aestimation und Schätzung der Güter und derselben beschützung/ davon sie auch den Nahmen hat/ angeleget werde; Becher 1668 Discurs 75 Wahren, derer pretium allein in der aestimation dess Liebhabers, Kauffers und Verkauf fers stehet; Krünitz 1773-75 Oec. Enc. II 583 Doch verstehet sich von selbst, daß kein Taxator zur Aestimation seines eigenen, seiner nächsten Verwandten, oder des Dorfes Schaden, worinnen er wohnet, gebrauchet und zugelassen werden kann; Schlettwein 1781 Archiv III 139 nach Ästimation der Beamten [wurden die Steuern im Todfall festgesetzt]; ders. 1784 Archiv VII 111 Von der ersten Classe der Interessenten, oder von

denjenigen Erben, Besitzern, welche nicht in der Garantie der Credit-Casse stehen, sondern den Werth ihrer Erben nach eigener Aestimation bestimmen; Schaffte 1879 Socialismus 44 Auch als gerichtliches Aestimationsmittel wäre der sociale Arbeitstag die Wertheinheit; der gerichtlichen Aestimation, Strafe und Execution wäre durch Bons auf die öffentlichen Artbeitsconti der Verurtheilten und Gemeinschuldner gar das denkbar sicherste Executionsobject zur Verfügung gestellt. ästimatorisch: 1858 Staatswb. Ill ästimatorischen Klage.

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[der]

ästimieren 2: Rot 1571 Diet. 288 Aestimirn,. . achten; Harsdörffer 1643 Gesprechspiele III 383 Der Gewogenheit einer so hohen Person bin ich gantz unfähig. — Ich kan euch nicht verhindern, dass jhr mich ästimiret; Fleming 1660 Poemata Vorr. VI a dass ihre [der Dichter und Gelehrten] Arbeit von Kunst- und Ehrliebenden, insonderheit aber von denen aestimiret, geliebet und gelobet werden, welche in Republicä literariä das Regiment führen; Böckler 1665 Schola Militaris 48 Der General über die Cavalleri, dessen Amt jederzeit hochgehalten und aestimiret wird; Beer 1677—79 Welt 17 indem ich in meinem Gemüth einen Capell-Jungen höher aestimirt/ als einen Rittmeister auf der Spanischen Flotte (CARMESIN); Elis. Charl. 1679 Br. l 5 Das hatt den könig verdroßen vndt hatt gesagt, das er dießen kerl zwar estimire, aber weill er so hoffartig sey vndt meine, das er ihm ein affront thet, so möge er den seine charge verkauffen vndt hinziehen, wo er will; Becher 1682 Glücks-Hafen 82 wie es dann auch etliche zuthun bereits anfangen/ und diese Scienz [das Kapital zum Wohle anderer Menschen einzusetzen] nicht wenig aestimiren/ und remuneriren; Riemer 1684 Polit. Passagier 277 von ändern aestimiret werden; Thomasius 1688 Monats-Gespräche o. S. daß auch die Hochteutschen ziemlich starck anfiengen/ die Frantzösische Sprache zu viel/ und mehr als billich ist/ zu aestimiren; ebd. 22 Ja/ ich halte dieses für genugsam/ warumb ein Buch auch von ändern Menschen aestimiret und hochgehalten werden soll/ wenn es eine geziemende Belustigung . . erwecket; ebd. 624 da die saure Mühe und Arbeit/ die man dabey [beim Meditieren] aufwenden müste/ ich wil nicht sagen nicht belohnet/ sondern von sehr wenig Leuten aestimiret wird; ders. 1701 Kl. Sehr. 61 weil ich Ihn/ ohne Ihn zu kennen/ aus dieser blossen Critique würdig achte/ von allen curiösen Schafften gründlich zu urtheilen/ und solcher gestalt seine approbation oder censur höher aestimire, als aller unserer Gelehrten zu Leipzig; Hunold 1709 Satir. Roman I 175 Weiln dero mir angenehmste Person lieb und wehrt ist, und recht von Hertzen aesti-

ästimieren mire, selbige aber zu meinem Leid quitiren muste; 1710 Antwort Schreiben Vorr. a Es scheinet/ daß die Frantzosen deßwegen die Teutsche nicht sonderlich aestimiren wollen/ weilen sie unter ihnen so wenige gefunden/ welche auff eine honnette und galante Weise ihre Gelehrsamkeit haben öffentlich außsetzen/ und fürsteilig machen können. Dann die meisten studieren doch wie die Handwercksleute; Stranitzky 1711 Ollapatrida 48 sie weiß ja wohl/ daß ein Cavalier wenig aestimiret wird/ wenn er sich nicht in der Welt umsihet; ebd. 107 Ha! das ist Lobens-würdig/ wenn man gelehrte Leute hoch hält/ das ist/ wenn man ihre Gedankken gerne vernimmt/ ihre Reden liebet/ ihre Schrifften aestimiret; Hagger 1719 N. Saltzb. Kochb. Vorr. 3 Diese Koch-Kunst . . geehret und ist wiederum . . von ihnen aestimirt worden; Gichtel 1722 Theosophia Practica 70 daß sie eben die Weise so hoch nicht ästimirten, weil sie aber dadurch in Leiden kommen; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 18 der heutige Sappfenberg, der vor einigen Jahren wegen seiner besonders guten Eigenschafft/ in Ober- und Nieder-Sachsen sehr aestimiret wurde; ebd. 93 Wiewohl man findet einige/ welche justement das Contrarium lieben/ und eine Pfeiffe nicht mehr aestimiren/ wenn sie über 2. mahl daraus gerauchet haben; Pegius 1725 Hunde-Recht 57 In Siberien werden grosse Hunde hoch ästimiret und geachtet wegen ihrer Nutzbarkeit; Musig 1726 Licht d. Weisheit I 113 sintemahlen sie . . solche Studia, welche das Heyl einer Republic befördern, gar hoch aestimiren und fleissig ausüben; Fassmann 1729 Narr Vorr. o. S. Und wer wolte einen Medicum nicht aestimiren und. hoch halten, da wir in der Schrifft selber lesen, daß man den Artzt ehren solle; Philippi 1743 Reimschmiede-Kunst 6.5 Wer seinem angenommenen Character, z. E. eines poetischen Strausses, am besten ein Gnüge thut, der wird am meisten ästimirt; Beust 1743 Consiliarius 223 Gerechte und gütige Regenten, welche ihre getreue Diener nicht allein erhöhet und Zeit Lebens sehr aestimiret, sondern auch, nach ihrem Tod, . . bedauret; Schiller 1792 S. W. XV 244 Beim Kaiser sind Eure Fürstliche Gnaden ein hoch ästimirter Herr (KEHREIN); Laukhard 1792 Leben l 343 ich ästimirte mich [wegen des schlechten Lebenswandels] selbst nicht mehr, wie sollte ich also für meine Reputation sorgen; Goethe 1798 Er. (WA IV 13,49) Dafür [für Humor] hat der Deutsche so selten Sinn, weil ihn seine Philisterhaftigkeit jede Albernheit nur ästimiren läßt, die einen Schein von Empfindung oder Menschenverstand vor sich trägt; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti l 76 die Pferde taten ihre Pflicht und noch etwas mehr — ein sicheres Mittel, wenig ästimirt zu werden; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 46) Wohl zu Unrecht verhoffe ich, daß Ihr Rechtssinn groß genug

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sein wird, um die Entrüstung zu ästimieren, welche ich empfand, als mein zweiter, so dringlicher Brief in betreff der wohlbewußten Angelegenheit ohne Antwort verblieb; Hesse 1914 In d. alten Sonne (Ges. Sehr. I 783) glaubten sie [die Armenhäusler], . . eine kleine Republik zu sein, in welcher jeder freie Bürger den ändern genau um Rang und Stellung ansah und emsig darauf bedacht war, ja nirgends um ein Haarbreit zuwenig ästimiert zu werden; Stegemann 1932 Herren 58 Habe zwei Söhne . . respektiere und ästimiere sie gleich hoch; Löscher 1937 Alles Getrennte 323 „. . Das fahrende Volk wird zur Landplage. Kein Wunder; es wird mehr ästimiert als unsereiner"; Welk 1938 Grambauer 19 In späteren Jahren, als er aus dem Zuchthaus raus war und keiner ihn mehr ästimierte; ebd. 131 So dachte ich mir, daß sie es ansehen und ästimieren würden, wenn ich in Berlin ankäme. Nämlich Gustav, das war ich; ebd. 292 zuerst, da ästimierte mich der Herr Pastor. Da kam er zu mir, und ich kam zu ihm, und wir sprachen über die Welt und über Kummerow; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 322) magst mich als Kenner nur immerhin ästimieren; Rosenfeldt (1959 Dtsch. Wortgesch. I 373) zur gleichen Zeit dringt ästimieren ins Deutsche . ., das heute in den Mundarten lebendiger ist als in der Schriftsprache; Waiser 1960 Halbzeit 207 Meine Mutter saß am Tisch des Eßzimmers, in das kein irgendwie ästimierter Besucher geführt wurde. Ästim: Friederich 1633 Clytie l 181 von so geringer astime (JONES); Thomasius 1688 Monats-Gespräche l 467 durch den Cassander, Antipater, Perdicas und die ändern/ die mit in der Verschwerung wider den Alexander gewesen/ in noch grössere aestim zu kommen; ebd. l 523 weil er sähe/ daß die Königin etwas hochmüthig war/ und . . auch von Leuthen/ die bey Hoff in aestim waren bedienet seyn wolte; ebd. l 621 aber Hottomannus hat dieselben [Noten über die Reden des Cicero] so überhin verfertiget/ daß er von dieser Schrifft nicht grossen aestim sich zuwege gebracht; 1689 Polit. Fliegenwedel 72 Ists dann eine sonderbare Klugheit und Verstands-Vortrefflichkeit/ um welcher willen man beym Fürsten in Aestim und Ansehen kommet; 1692 Novellen 65 [Münsters Kosmographie ist] zu ihrer Zeit in Aestim gewesen; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 268 aestim und Hochachtung; Wächtler 1709 Manual 31 Aestim, das Ansehen/ Hochhaltung/ z. E. er stehet bey ihm in gutem aestim. Ich verehre dero angenehme Qvalitäten jederzeit mit sonderbarem aestim; Hunold 1709 Satir. Roman I 32 Wir sehen in der Liebe viel auf was Estims-würdiges; sie aber mehr auf die Zärtlichkeit; Vischer 1709 Informator 214 in Estim und Verwunderung setzen; 1716 Gelehrte Fama XLVIII 941 In was für

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grossen aestim in denen alten Zeiten biss ietzo die Zitronen sind gehalten worden; Bodmer/Breitinger 1721 Discourse d. Mahlern l A 3v (1. Discours) Alle Gelehrte wissen/ was ungemeine Approbation diesem Autor nicht allein in seinem Vatterlande/ sondern auch in Franckreich und Deutschland widerfahren/ wo er in nicht minderer Estime stehet; ebd. l B 2r (2. Discours) Man kan in der That eine generate Observation machen/ daß eine Person/ welche Estime für uns hat/ niemals ermangeln wird/ dieselbe in Affection zuveränderen; Musig 1726 Licht d. Weisheit l 253 in ihrer Reinlichkeit, Zierlichkeit und gehörigen Aestim; ebd. I 259 [der Lehrer muß den Schülern] die Vortrefflichkeit und rechte Gestalt der Wissenschafften . . gleichsam vor die Augen mahle[n], und auf solche Art die Gemüther reitze[n], dass eine Liebe, ein Aestim und war Fleiss bey ihnen erwecket werde; Marsellus 1741 Kriegs-Staat 37 die alte teutsche Aestime, und das vorige Ansehen; Boltz 1752 Amts-Actuarius 38 Estime und Zuneigung; 1787 Journal d. Moden II 119 für den sie gross Estime hegen; 1844 (Anz. f. d. A. IV 172a) [Leibniz,] der sich bei allen warhafftig Gelehrten in den größten Estim gesetzt. ästimabel: Goethe 1793 Er. (WA IV 10,96) Ich habe mit Mühe und Anstrengung diese Tage die zwar ästimable, aber doch nach einer hypothetischen, captiosen Methode geschriebene Abhandlung Marats gelesen und mir die Hauptpunckte ausgezogen; Raimund 1828 Alpenkönig 37 Ich bitte auch höchst estimable, Euer Hoheit!; Goethe 1831 Br. (WA IV 48,159) Unsere Künstler skizziren jetzt nach der Natur mitunter sehr estimable Einzelheiten, Gegenstände sowohl als Effecte, in Hoff-

nung sie dereinst, bey größern Compositionen, benutzen zu können; ebd. 48,164 wie er [Lord Byron] gegen Personen gesinnt ist, deren Productionen er nun einmal nicht estimable finden konnte, wenn auch ein großes Publicum daran Genüge findet; Raabe 1864 Hungerpastor 84 Aber ein ästimabler, räsonabler, angenehmer Herr ist der Herr Professor. Ästimation: Paracelsus 1532-34 S. W. II 2,440 willtu aber über diese krankheiten ein arzet zu sein dich rüemen, so mußtu auch . . wissen, daß etlich krankheiten allein aus essen und trinken entspringen, auch aus dem gestirn, aus dem gemuet, durch die imagination, estimation, magica, aus dem aberglauben; Rot 1571 Diet. 288 Aestimation, . . achtung; Grimmeishausen 1670 Springinsfeld (III 241) ob ich nicht . . ein Kerl von Ästimation abgeben würde; ders. 1672 Vogelnest (HI 384) achtbarkeit und ästimation; Buddeus 1709 (Musig 1726 Licht d. Weisheit I c 4a) bey der aestimation der Gelahrtheit; Goethe 1767 Dichtung u. Wahrh., biogr. Schema (WA I 26,356) Alles nach innerer Erfahrung. Selbstbildnis durch Verwandlung] des Erlebten in ein Bild. Die Laune des Verliebten. Die Mitschuldigen. Druck der Estimation Äusserer Schein Innere Verbrechen; ders. 1805 Winckelmann (WA l 46,64 f.) Wir finden bei Winckelmann das unnachlassende Streben nach Ästimation und Consideration; aber er wünscht sie durch etwas Reelles zu erlangen . . Die Ehrenbezeigungen von Akademien . . waren ihm angenehm . . Am meisten aber förderte ihn das . . Document seines Verdienstes . . die Geschichte der Kunst .. ward .. er dadurch weit und breit bekannt.

astral Adj. (ohne Steigerung), im frühen 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. lat. astralis (zu astrum, Pl. astra 'Stern(-bild), Gestirn' < gleichbed. griech. ; —» Astrologie), zunächst nur und vereinzelt bis ins 19.720. Jh in der eindeutschenden Form astralisch, seit frühem 18. Jh., meist als Bestimmungswort astral-, in der heutigen Form. Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'auf die Sterne, Gestirne bezogen, von den Sternen herrührend, stern-, gestirnförmig', auch übertragen im Sinn von 'überirdisch, unsichtbar, himmlisch, (als) ätherisch(e Wesenheit gedacht)' (—» ätherisch), meist in Zss. wie Astralgeist, in der Dämonologie für 'der Sternen weit angehörendes Wesen, Sterngeist aus Luft und Feuer (welcher die Seelen Gestorbener aufnimmt)' (s. Belege 1730, 1732, 1808); im 19. Jh. häufig in der Zs. Astrallampe 'hell scheinende, strahlende Lampe, deren Licht kaum Schatten wirft' (s. Belege 1822, 1835, 1863, 1868); seit früherem 19. Jh. in der Kulturphilosophie in den Zss. astralmythisch, -kultisch, Astraldienst, -kult, -mythos, auf Mythen und Religionen bezogen, die die Gestirne als göttliche Macht verehren (s. Belege 1822, 1924, 1938-47, 1957, 1966, 1985); seit Ende 19. Jh. vor allem in den Zss. Astralkörper, -leib, in der Anthroposophie

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'ätherisch gedachter materieller Träger des Lebens im menschlichen Körper, Vermittler der Geistigkeit, Seelenleib', okkultisch gedeutet im Sinn von 'den Tod überdauernder unsichtbarer Leib des Menschen, Weltseele', häufig auch übertragen, meist ironisch verwendet für 'schöner, makelloser menschlicher Körper' (s. Belege 1897, 1902, 1919, 1925, 1930, 1936, 1973). astral(-): 1730 Unterredungen v. d. Reiche d. Geister I 691 Astral-Geister; Zedler 1732 Universallex. II 1945 f. Astral-Geist. Nach einiger Meynung ist dieses der dritte Theil des Menschen. Es soll der Mensch aus dem Leibe, der Seele und dem Astral-Geiste bestehen . . Er käme von der Gestirnen her; 1751 Wurmsaamen 33 Astralgeist der Zähne; Amavero 1775 Untersuchung 69 der farblose Astralgeist der Alchymisten; 1787 Dtsch. Museum I 10 hält jeden Segenssprecher für einen Genius der astralen Gewalt; Wieland 1797 Stein (S. W. XXX 277) [wer] durch Hülfe des alldurchdringenden Astralfeuers diesen Proteus fest halten und in seiner eigenen Urgestalt zu erscheinen zwingen kann, der allein ist der wahre Weise; Adelung 1808 Gramm.-Krit. Wb. I 456 Astral . . kommt nur in einigen Zusammensetzungen vor, unter welchen der Astral-Geist der neuern Goldköche und Schwärmer am bekanntesten ist; Borne 1822 Schilderungen a, Paris (Ges. Sehr. 140) Dieses Metallgewebe ist so fein, daß auf den Quadratmeter beinahe vierzehn Millionen Maschen kommen . . Es werden Lichtschirme daraus verfertigt; Halbkugeln über Astrallampen; 1822 Atnaltkea II Vorher. V// Es war vorauszusehen, daß meine Ansicht über . . den phönizischen Astraldienst . . Widerspruch finden würde; 1823 Eidora 396 Astrallampe; Pükkler-Muskau 1834 Tutti-frutti V 268 Astrallampe; Heine 1835 Romant. Schule 175 Während Herr de la Motte Fouque von der Herzogin bis zur Wäscherin mit gleicher Lust gelesen und als die Sonne der Leihbibliotheken strahlte, war Herr Tieck nur die Astrallampe der Teegesellschaften; Gaudy 1839 W. V 122 Astrallampe; 1842 DVjS 111 165 Astrallampen; Freytag 1855 Soll u. Haben 76 Astrallampen; Grabowski 1863 Off. 27 Auf dem großen runden Tische, der reichlich mit Theetassen, Kuchenkörben u. dgl. besetzt war, brannten zwei strahlende Astrallampen; Marlitt 1868 Geheimnis 155 Die Astrallampe . . warf ihren Schein auch in den langen Korridor; Willmann 1894 Gesch. I 125 In der Neunzahl der Welten . . sind die Astralsphären mit den Elementen verknüpft und liegt zugleich ein Beispiel der Zahlenmystik vor; Henne- am Rhyn 1897 Kulturgesch. 440 Gurney betrachtet diese Fälle . . als Hallucinationen, was wol vernünftiger ist als der sog. Astralleib, den die Theosophen . . für eine Loslösung vom wirklichen Leibe halten; Dessoir 1902 Psychologie 21 Beim Tode fällt der grobstoffliche Körper, der Träger

von Hunger und Durst, an die Elemente zurück, das Lebensprinzip (der siderische oder Astral-Leib) kehrt zu seinem Stern zurück, und die ewige Vernunft in uns verschmilzt mit Gott; 1909 Walhalla V 195 Astralkörper; Wassermann 1910 Masken 346 Sie zeiget sich ihm wie ein astraler Leib, und aus ihren Augen war das entwichen, was er als die reine Musik des Herzens empfand; Laarss 1919 Amulette 182 f. Dr. med. Patrik O'Donnel ist es gelungen, . . den Astralkörper eines Sterbenden im Moment des Ausscheidens auf die photographische Platte zu bannen . . wir wissen, daß es sich dabei nicht um die Seele handelt, sondern um den sog. Äther- oder Astralkörper, einen feinstofflichen Träger des Bewußtseins und der Seele, der nach dem Tode des leiblichen Körpers an dessen Stelle tritt; Gräbner 1924 Weltbild 22 Astralmythologie; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 212) Man hat Geschichten von Doppelgängerei, Astralleibern; Benjamin 1925 Br. l 385 sei es, daß mein akademischer Astralleib die Wanderung durch das Labyrinth der Kommissionsberatungen wird antreten müssen; Mehring 1927 Paris 21 das Astrallicht der Martinisten; Friedell 1928 Kulturgesch. II 74 Um seine letzten Lebensjahre liegt ein überwirklicher Astralglanz; ebd. II 150 Astralschimmer; 1930 Die Zeit 327 weil die sogenannte Opposition letzten Endes doch nur der verdünnte, bläulich zitternde, luftartige, gasmäßige Astralleib — um theosophisch zu reden — des materiellen deutschen Machtkörpers ist; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. IV/V 1796) die astrale Aufhöhung bewährte sich doppelt bei ihm, Jungfrau und Stier wechselten bei seiner Kennzeichnung; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 129 wenn ich einmal als Geist wieder auf dieser herrlichen Welt in Hitlerdeutschland zu erscheinen habe, ich dies . . tun werde, . . weil mein Astralleib im Dunkeln nicht so leicht als der eines „Juden, Negers oder Zigeuners" erkenntlich wäre; Block 1938-47 Prinzip Hoffnung 1465 Geschichte tritt . . in die astralmythische Statik ein; ebd. 1467 Der Gläubige, statt wie im Astralkult tief unten, ja draußen zu stehen, zieht nun die Rüstung des Lichtgotts an . . folgerichtig ist ihr das Licht nicht so sehr ein Symbol des Guten, als das Gute ein Symbol des Lichts. Aber der Astralmythos ist dadurch freilich nicht der gleiche geblieben; Hellpach 1944 VPs. 80 Astralleib modischer Glaubensströmungen; 1957 Kathol. Glaube I 335 Astral-Mythologie; Koeppen 1961 Frankreich 162 Um seinen

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[Grab-]Hügel, um seinen Gedenkstein . . standen schwarzgekleidete geistergleiche Gestalten. Man konnte sie für wahre Astralleiber halten; Marti u.a. 1963 Literatur 212 Astralsymbolik; 1966 Brockhaus I 814 astralkultische Züge finden sich bei den alten Ägyptern, Arabern, Phönikern, zeitweise auch bei den Hebräern; Doucet 1970 Forschungsobjekt Seele o. S. Tertullian dachte sich . . die Seele als einen hauchartigen feinen Stoff in der Art eines Subtlebody oder Astralkörpers; 3972 Meyer Enz. 782 Paracelsus teilt.. allen Lebewesen einen elementaren, ird., sichtbaren und einen himml., astralen, unsichtbaren (spiritus) Leib zu; Schwendter 1973 Subkultur 179 In seiner Theorie wimmelt es von weder bewiesenen noch sonstwie prärational plausiblen Hypothesen: Astralleiber, Stufenbauten der Menschenordnung, . . Schwarze Magie; 'Wattenberg 1984 Himmel 367 können wir heute davon sprechen, daß die Würdigung der Frau nicht auf den Astralmythos beschränkt geblieben ist, sondern an den großen Observatorien der Welt Astronominnen tätig sind; MM 30.4.1985 Die Sternkunde war vielmehr die Dienerin der Sterndeutekunst; sie ist wohl aus dem Astralkult entstanden. astralisch: Paracelsus 1530 S. W. / 8,278 der donner des wassers . . nimpt sich .. aus den dreien . . mercurion, sulphure und sale, durch bereitung und zusamen Verfügung des Wassergestirns, und alsdan so solche astralische operatio do ist, als bald ist auch do die vermachte schalen oder blasen; ders. 1532-34 S. W. U 2,442 was . . aus den astralischen kreften des menschen komben; ders. 1537—38 S. W. l 12,56 ein astralischer geist . . nimpt kein corpus an; Toxites 1574 Onomastica 402 wan der Mercurius sublimirt/ der schwebel mit eim fünk-

lein feur angezündet/ vnd das salz vor sich selber solvirt oder zerlöset wird/ so werden sie Astralisch/ gestirnmäßig; Böhme 1623 Theosophia Kevelata XVI 31 den Spiritum Mundi, als die rechte astralische Seele, welche am Juengsten Tage wiederkommen, und probiret werden soll; Croll 1629 Tractat v. d. innerlichen Signaturn oder Zeichen aller Dinge 12 wie der gantze Baum in seinem Kern compliciert oder gleichsamb eingewickelt vnd Astralischer weise ein Baum; Glauber 1655 Op. Min. 48 astralische geister; Praetorius 1667 Anthropodemus III l astralischer Geist; Lebenwaldt 1680 Teufels List 111 19 der astralischen Influentz; 1700 Sendschreiben a. Herrn B. 89 den sieben Planeten der astralischen oder gestirnten Welt; Gichtel 1710 Send-Schr. I 235 astralischen Gemüts; 1717 Geheimnüsse 33 ein astralisch redend Bild zu machen; Zimmermann 1785 Einsamkeit III 56 er höhlte für alle seine kleinen chymischen Produkte, Namen aus der Centralphilosophie, taufte alles astralisch, und glaubte dann, Namen seyen Sachen; Lavater 1794 briefl. a. Langmesser (Sarasin 118 f.) alle Editionen der krassesten und feinsten Schwärmerey — der sinnlichen, der sogenannten astralischen und der antiastralischen oder mystischen unmittelbar kennen zu lernen; Goethe 1796 Cellini (WA I 43,350) Daran sehe man eben die Macht der Gestirne .. weil ich einer solchen göttlichen Gnade nicht werth sei, so würden jene astralischen Einflüsse . . wohl ihre Bösartigkeit an mir beweisen; Tieck 1823 Novellen I 131 astralischer Einfluss; Schubert 1840 Nachtseite d. Naturwiss. 1223 das astralische (Licht-)Wesen; Wundt 1885 Essays 322 astralische Bedeutung; Morgenstern 1912 E. Leben i. Briefen 445 Und noch ist alles so sauber und aus erster Hand, noch hat nichts „Astralisches" darin gehaust; Wachsmuth 1953 Werdegang 89 astralische Organisation.

Astrologie F. (-; -n ungebr.), in spätmhd. Zeit über gleichbed. lat. astrologia entlehnt aus gleichbed. griech. (zu 'Stern', Rückbildung aus , Pl. , und $ 'das Sprechen über . ., die Lehre von . .', zu 'berechnen, sammeln, sagen, vortragen'; —» Logik, —» Logos), bis Mitte 17. Jh. auch in den Formen Astrologei, Astrologey und bis Mitte 18. Jh. meist in der lat. (flekt.) Form, seit frühem 18. Jh. zunehmend in der heutigen Form. In der Bed. 'Wissenschaft von Lauf und Stellung der Gestirne, Stern-, Himmelskunde, Sterndeutekunst' zunächst und gelegentlich bis ins 17. Jh. weitgehend gleichbed. mit -> Astronomie (s. Belege 1531, um 1533, 1534, 1569, 1581, 1587), häufig in Aufzählungen mit Bezeichnungen für andere Wissenschaften (s. Belege um 1400, 1587, 1690) bzw. in Wendungen wie Kunst der Astrologie. Seit dem 17. Jh. (gelegentlich schon im 15. und 16. Jh.) in der heutigen eingeschränkten Bed. 'Lehre, die irdische Geschehnisse, bes. menschliche Schicksale und Lebensläufe aus Lauf und Stellung der Sterne (pseudo-)wissenschaftlich deutet bzw.

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voraussagt, (Pseudo-)Wissenschaft, die diesen Einflu von Sternen voraussetzt und erforscht, Sterndeutekunst', h ufig abwertend, (s. Belege um 1400, 1535, 1599, 1615, 1675, 1704, 1776, 1930, 1958), daher auch im Sinn von 'Wahrsagerei, Aberglaube' (s. Belege 1743, 1843, 1924), als Grundwort in Zss. wie Tierkreis-, Planeten-, Zeitungsastrologie. Etwa gleichzeitig (LEXER) die ber gleichbed. lat. astrologus aus griech. αστρολόγος (aus άστρον und -λόγος 'der ber etwas Redende', also eigentlich 'der ber die Sterne Redende') entlehnte Personenbezeichnung Astrologe M. (-n; -n), bis ins sp tere 18. Jh. meist in lat. (flekt.) Form, seit fr hem 16. Jh. auch schon in der heutigen Form, aber bis ins 19.720. Jh. h ufig in der verk rzten Form Astrolog; zun chst und bis ins 17. Jh. gleichbed. mit Astronom (—» Astronomie) im Sinn von 'Gelehrter, der den Lauf der Gestirne beobachtet und erforscht, Himmelskundiger, der irdische Geschehnisse, menschliche Schicksale und Lebensl ufe aus Lauf und Stellung der Sterne deutet, Sterndeuter, Wahrsager' (s. Belege 1530, 1571, 1587), z. B. in Wendungen wie Astrolog und Sternseher/Sterngucker, Astronom und Astrologe, gelehrter Astrologe bzw. in Aufz hlungen mit Bezeichnungen f r Wissenschaftler anderer Disziplinen (s. Belege 1534, 1626). Seit dem 16. Jh. in der heutigen Bed. 'Wahrsager, (Pseudo-)Wissenschaftler, der irdische Geschehnisse und menschliche Schicksale und Lebensl ufe aus Lauf und Stellung von Sternen bestimmt', h ufig abwertend im Sinn von 'Scharlatan' (s. Belege 1581, 1599, 1642, 1717, 1732, 1886, 1985), als Grundwort in Zss. wie Winkel-, Waschzettelastrologe. Seit Mitte 16. Jh. die ber gleichbed. lat. astrologicus auf gleichbed. griech. αστρολογικός zur ckgehende adj. Ableitung astrologisch (ohne Steigerung), zun chst gleichbed. mit astronomisch (—» Astronomie) im Sinn von 'den Sternenlauf, die Sterndeutekunst, die Himmelskunde betreffend, auf die Astronomie, Astrologie bezogen' (s. Beleg 1537—38); seit dem 17. Jh. in der heutigen Bed. 'die Wahrsagerei, das Horoskop, die Deutung des Schicksals aus den Sternen betreffend' (s. Belege 1732, 1862, 1882), in Verbindungen wie astrologische Prophezeiungen, Prognostika, astrologischer Aberglaube. Astrologie: 14. Jh. (Karl u. Galle 9287 DTM) eyn behende boich/ Dat was van astrologyen; Rothe um 1400 Ritterspiegel Z. 4045 ff. Astrologie; um 1400 Ackermann 32 f. Astronomia, des gestirnes meisterin, hilfet da nicht mit irem sterngewalte, mit einflusse der planeten; Musica . . hilfet da nicht . . Astrologia mit oberlendischen Sachen irdisches laufes auslegerin; Melber 1481 Voc. o. S. Astrologie iudicia. vrteil des gestirnsz; 1489 (Wahrsagetexte d. Sp tmittelalters SS) kunst der astrologeij; um 1490 Dtsch. Ptolem us a6b der edlen kunst astrologie; Oesterreicher 1491 Columella I 18 [Hipparch], verjecher der astrology; Gengenbach 1516 Gouchmatt 138 Wie wol ich der Astrology/ Ein meister bin; Aventin 1521 Bayr. Chronik l 428 „Astronomei" und „astrologei", ist teutsch ein „saz" und „ma , au rechnung des gestierns"; Sch ner 1528 Erczney a2a Dann als Ipocrates vnd Mesue wollen, ist ein Artzt on die Astrologey

gleych wie ein blinder on eynen f rer; Hedio 1531 Josephus Vorr. Vila Astrology kunst von des hymels lauff welche erstmals nyeman leren mocht, nach meynung der alten, er were dan sechss hundert jar alt; Turmair um 1533 Bayr. Chronik IV 428 „astronomei" und „astrologei", ist teutsch „. . auszrechnung des gestierns"; Eppendorf 1534 Plutarch 496 in der astrologey/oder kunst des gestyrns; Schwarzenberg 1535 Teutsch Cicero 120a Astronomei ist war und guot . . Daruon ist weit Astrologei,/ Dj fast mit l g vnd phantasei/ Will eben wissen bey eim har,/ Wj es st ts gh t das gantze jar; Paracelsus 1537-38 S. W. / 12,162 nun folget aus dem, das zweierlei astrologien sollen f rgenommen werden, das ist aus zweien sol man practicirn, aus dem gestirn und aus den elementen; Luther 1540 Tischreden (W. V 96) Philippus mit seiner heillosen und schwermerischen astrologia hielt mich noch ein tag auff, denn es war novilu-

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nium; Rivius 1548 Vitruv. 5b das er der Geometri/ Astrologi/ Music vnnd ander dergleichen künsten hoch erfaren; Nas 1567 Das erste Hundert 189 Prognostic! ( .. wölliche . . dem gemeinen mann vndter dem namen der Astrologia aine blähen dunst für die äugen machen); Hocker 1569 Theatrum diabolorum 103 Von der Astronomie/ Astrologia vnd Sternenguecker Kunst; Rot 1571 Diet. 291 Astrologei, Rechnung von des Himels lauff/ Sternkunst; Fischart 1581 Dämonomania 141 daß keyn Artzet angenomen wirde/ er het dann eyne Erfahrnuß der Astrology oder des Gestirns; ebd. 250 Gestirnkündigung oder Astrology; 2587 Faust 12 durch seine grosse Erkenntniß der Astrologie und Mathematic; ebd. 68 Als nun D. Faustus seine Practicam vnd Calender zwey Jahr gerichtet/ vnd gemacht hatte/ fragt er seinen Geist/ was es für eine Gelegenheit hab mit der Astronomia oder Astrologia, wie die Mathematici zustellen pflegen; 1599 Widmanns Faustbuch (Scheibles Kloster II 286) [Faust] studierte fleissig . . [in der] Astronomia oder im Himmelslauff, vnd sonderlich in der Astrologia, vnd lernete Nativitet stellen; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 172 Die Astrologia ist schir ein lauters Lugenwerck/ vnnd erfuellt mit allerhand eyteln Imaginationen, einbildungen vnd meinungen der Astrologorum; Micraelius 1639 Alten Stetin II 351 Albinus . . insonderheit in der Astrologey ein erfahrner Mann; Colerus 1645 Oeconomia rur. lala Als haben wir/ wegen Gemeinschafft der Materi einen kurzen Tractat von der Astrologia diesem Calendario vorsetzen . . wollen; Duez 1652 Nomencl. 156 L'astrologie, die sterneguckerey, astrology; Grimmeishausen 1675 Simpl. II 738 ihr betrügliche Träum, ihr falsche omina Und du verlogene Astrologia!; Happel 1690 Academ. Roman 153 Mathematica, darzu gehören folgende Disziplinen: 1. Arithmetica .. 2. Geometria . . 3. Astronomia, Sternkunst, 4. Astrologia, Sterndeutungskunst; 1704 Auserlesene Anm. I 118 Daß Seth sich weder auff die Astrologie, noch Astronomie, und deren observationes geleget/ ist sehr wahrscheinlich. Auff die Astrologie kan er sich nicht beflißen haben/ dieweil ihre Eitelkeit nicht allein in heiliger Schrifft in ernsten Straff-Gesetzen wider die Astrologos oder Sterndeuter bemercket/ sondern auch bißher von vielen gelehrten Scribenten gezeiget; Crusius 1722 Portrait aller Wiss. 72 Die Astrologia oder Sterndeutung; Zedler 1732 Universallex. II 1953 Astrologia ist eine Kunst, nach welcher man sowol die natürlichen Würckungen des Wetters, und Hervorbringung derer Gewächse aus der Erden/ als auch die Handlungen und Zufälle derer Menschen aus dem Einflüsse und Zusammenfügung der Gestirne herleiten will, um sowol die Nothwendigkeit der geschehenen Sachen daraus zu beweisen, als zukünftige Dinge vorher

zu sehen. Man siehet aus dieser Beschreibung gar wohl, daß dieselbe mit der Astronomia nicht einerley sey; ebd. II 1959 Wir müssen freylich wol die Astrologie in zwey Theile eintheilen. Das erste betrifft die natürlichen Würckungen/ das andre die menschlichen Geschäfte. Was die natürlichen Dinge anbelangt/ so kann man doch einen Einfluß derer Planeten zugeben; Philipp! 1743 Witz u. Geschmack 255 Astrologie, oder Wahrsagerey aus dem Gestirne; Reichard 1747 Historie 52 Es scheint, als ob er ein Liebhaber der Astrologie gewesen wäre. Ich meyne aber auch Grund zu haben, gute Gemüthseigenschaften und ein redliches Herz an ihm rühmen zu können; Amavero 1775 Untersuchung 58 Ursprung der Sternkunde, der Astrologiae judiciariae; ebd. 67 Irrthum der Astrologie; Eberhard 1776 Theorie 100 Aus solchen Erschleichungen bestehet größtentheils die ganze Philosophie des gemeinen Mannes, nach welcher alles, was nebeneinander empfunden wird, zu einander gehört, und was nacheinander empfunden wird, ineinander gegründet ist: Alles dieses sind die gefühlten Vordersätze der Astrologie und Zauberey, deren Macht durch die Entwickelung der Begriffe unvermeidlich zerstöret wird; Musäus 1781 Physiognom. Reisen l 174 Solche luftige Scienzen erhalten in dem Gebiete der Gelehrsamkeit nicht einmal das Bürgerrecht, sondern werden als Vagabonden bald wieder über die Gränze gebracht, wie wir das an der Alchymie, Astrologie, Geomantie . . erlebt; Eschenburg 1792 Lehrbuch 159 Schon bei den ältesten Völkern findet man Spuren astronomischer Kenntnisse; sie wurden aber mehr zur Sterndeuterei, oder Astrologie, als zur Gründung einer wahren und ächten Sternwissenschaft, angewandt; Goethe 1819 Noten u. Abhandlungen z. Divan (WA I 7,55) Die Ehre der Astrologie kann . . gerettet werden, wenn man annimmt, daß die Zusammenkunft so vieler Planeten in Einem Zeichen auf die Zukunft von Dschengis Chan hindeute; Schopenhauer 1840 Moral 135 Dann würde . . die Moral eine Wissenschaft ohne reales Objekt sein, gleich der Astrologie und Alchimie; 1843 Brockhaus l 578 Astrologie oder Sterndeutekunst ist die trügerische Kunst, aus der Stellung der Gestirne künftige Dinge, besonders das Schicksal der Menschen, vorherzusagen. Die Astrologie gehört zu den ältesten Arten des Aberglaubens . . Für die Geschichte der Verirrungen des menschlichen Geistes bleibt die Astrologie immer höchst merkwürdig; Schieiden 1855 Studien 226 Auf dieser Kindheitsstufe der Menschheit fielen Religion, Astronomie und Astrologie in Eins zusammen. Astronomie war Erkenntniß Gottes, Astrologie Glaube an göttliche Vorsehung; 1882 Brockhaus II 101 Das Kopernikanische System versetzte der Astrologie den Todesstoß; Nietzsche 1885 Jenseits v. Gut u. Böse (W. //

Astrologie 565) Die Philosophie der Dogmatiker war hoffentlich nur ein Versprechen über Jahrtausende hinweg: wie es in noch früherer Zeit die Astrologie war, für deren Dienst vielleicht mehr Arbeit, Geld, Scharfsinn, Geduld aufgewendet worden ist als bisher für irgendeine wirkliche Wissenschaft; Dessoir 1902 Psychologie 20 wie auf praktischem Gebiet der Individualismus zurückgedrängt wurde durch die Lehre von einer autonomen Sittlichkeit, so wichen auf theoretischem Gebiet Dämonologie und Astrologie, Wunder- und Zauberwesen der autonomen Vernunft; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. Hl 514) die Chaldäer, ich bitte dich, dies alte Zaubervolk, arabisch-semitisch, hochgelehrt in Astrologie und Wahrsagerei; 1928—29 ZfMenschenkunde IV 410 der einzig schwerwiegende Einwand gegen die Astrologie — wenn man sie einmal sehr ernst nimmt. Man kann nur wünschen, daß der objektive Wahrheitsbeweis .. eines Tages dadurch gelänge, daß man die vielberufenen determinierenden „Strahlen" fände; Voss. Ztg. 23.2.1930 Torheiten der jüngsten Gegenwart . . Okkultismus oder das neueste Monstrum, die Astrologie; Friedeil 1931 Kulturgesch. HI 557 Spengler ist kein Astrologiegläubiger; Tb. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. XI 450) Der Planetenstand war günstig, wie Adepten der Astrologie mir später oft versicherten, indem sie mir aufgrund meines Horoskops ein langes und glückliches Leben sowie einen sanften Tod verhießen; Block 1938-47 Prinzip Hoffnung 1471 Mond und Sonne . . sind keine Götter, sondern Wege, zu Gott zu gelangen: der Astralmythos kommt derart in Bewegung gegen sich selbst, Astrologie wird kosmische Alchymie; Gail 1958 Weltraumfahrt 122 leichtgläubige Menschen, denen das Gruseln ein Hochgenuß ist und die sich bezeichnenderweise meist aus Kreisen rekrutieren, die auch den Schwindel der Astrologie für bare Münze nehmen; 1966 Brockhaus H 815 Die astrologische Voraussage (prognostische Astrologie); ebd. H 817 einer abergläubischen Haltung, die sich hauptsächlich auf die Zeitungsastrologie bezieht; 1971 Meyer Enz. H 784 f. Um 150 v. Chr. wurde die . . Tierkreis-Astrologie in einem . . Kompendium mit der babylonischen Planeten-Astrologie verbunden; Hocke 1976 Tagebücher 279 Nicht nur neue astronomische Erkenntnisse und alte Tages-"Einteilungen" regen die Menschenkunde der Renaissance an. Auch die Astrologie, die Vorberechnung von Tages-"Konstellationen" und die Fixierung von Charakterstrukturen wird in einem neuen Sinne für das Renaissance-Europa bedeutsam; Zeit 27. 9.1985 Ob Astrologie hilft, ist zwar umstritten, aber man darf selbstverständlich nichts unversucht lassen; MM 4.1.1986 Manchmal werde ich einer astrologiefeindlichen Sekretärin überantwortet, an die Haustür geleitet und rücksichtslos der Mißgunst des nördlichen Sternenhimmels ausgesetzt.

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Astrologe: Velser 1393-99 Mandeviüe 31 Und da ist es all weg schoen und clar wetter, da von vindet man die besten astroloygen da so man mag finden, wann es da numer bewilcket; Volkslied 1414—18 (Liliencron I 237) astrologi mit cluogen listen,/ den ist wol kund der himel gang/ biß auf das end und vom anfang,/ von der weit angang von erst; M. u. Kemnast 1470—75 Chronik 83 sternenseher astrologi genant; Steinhöwel 1473 Büchlin d. Ordnung 6 da von ich astrologis enphile ze reden; ders. 1473 Boccaccio (Übers.) 129 als die astrologi sagen; 1489 (Wahrsagetexte d. Spätmittelalers 56) die astroligen; 1508 Bauern-Praktik Alb Astrologen . . Die weisen vnd klugen Maister vnd sternschauwer; Gengenbach 1516 Gouchmatt 137 Den hat venus so gar verblent/ Das er vor aller waelt ward gschendt/ Wie wol er ein Astrologus was; Paracelsus 1530 S. W. I 8,98 dan so er den himel nur eußerlich weißt, so bleibt er ein astronomus und ein astrologus, so ers aber im menschen ordnet, so weißt er zwen himel; Franck 1534 Von Künsten vnnd Menschl. Weyszheit 80b Dem Dialectico/ Rhetorico/ Poeten/ Geometro Astrologo/ etc. Summa einem ieden [glaubt man] in seiner Profession vnd inn seiner kunst; Paracelsus 1536 S. W. l 10,263 etlich canones der astrologi, auch die kunst geomantica; ders. 1537—38 S. W. l 12,6 der astrologus wil den magum nichts sein lassen, auch den divinatorem, auch den nicromanticum; Boltz 1551 Weltspiegel (H 305) Sternenseher. Astrologus; 1569 Amadis (LVXL 43) dass die Astrologen seinen Traum aussgelegt; Rot 1571 Diet. 291 Astrologus vnd Astronomus, Außleger/ des gestirns/ Sternseher; Golius 1579 Onomasticon 166 Astrologus, Sternseher/ practick Schreiber/ außleger des gestirns; Fischart 1581 Dämonomania 142 Also thun auch viel vnzeitigen Astrologi/ die/ nach dem sie durch die Horoscopos vnd Geburtsfigurirung die Natürlichen Humores vnd Dispositiones, die Arten vnd Anschickungen der leiblichen Sachen erklärt/ so schreiten sie noch weiter/ zu Sachen/ die vberall den Leib nicht berüren/ Nemlich zu Heurhaten/ zu Würdigkeyten/ Reysen/ Reichthum vnd anderen dergleichen dingen: Darüber das Gestirn weder stärck/ krafft noch Macht hat; 1587 Faust 67 also derselben Zeit ein guter Astronomus oder Astrologus, gelehrt vnd Erfahren/ von seinem Geist in der Sternkunst/ vnd Practicken schreiben; Fabricius 1588 Surius' Chronik 206a Astrologi und Sternseher; Fleissner 1594 Podagra (Wolkan, Böhmen H 84) Der Astrologen Kunst vnd Hand; 1599 Widmanns Faustbuch (Scheibles Kloster II 293) Seine bücher sindt mannigerley vnnd von allerhandt materye vnd Sachen gewest, wie jhre tituli haben aussgeweiset, als nemlich Astrologici von einflüss des gestirns, vnd wie man künfftige dinge wissen . . könne; Kirchhof 1602 Wendunmuth U 84 ein

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weitberühmter astrologus Itralicus, vor fünff jaren, hat den könig schrifftlich verwarnet; Spangenberg 1607 Ganss König 95 gelehrte Astrologi; Kepler 1610 Terivs interveniens l a wann der Astrologus eben zu der Zeit auffmercket/ die dem Medico Feselio zu seiner Nachrichtung tauglich/ so hat allwegen der Astrologus zwey Augen/ da der Medicus nur eins hat. Dann dieser betrachtet nur die Lufft/ jener aber siehet auch die himlische mithelffende Vrsach zu dieser Constitution deß Luffts; Böhme 1612 Theosophia Revelata 321 Und obgleich der Geist wieder etliche Astrologis wird lauffen; so liegt mir nicht viel dran, . . : sie sind im Geiste blind, wollen sie nicht sehen, so moegen sie blind bleiben; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 125 Dieser Medicus war auch zugleich ein Astrologus, derwegen discurrirte er mit meinem Herrn gar vil von Himmlischen Dingen; Perez 1626 Landstörtzerin l 346 er war der aller fürtrefflichste Grammaticus, ein außbündiger Philosophus vnd der aller vollkommenste Astrologus; Moscherosch 1642 Visiones 192 Ich bin Herr Lug-ins-land/ der gewisseste Astrologus vnnd Prophet so heutiges tags mag gefunden werden; ders. 1650 Philander 491 abergläubische Astrologi; Birken 1657 Ostländischer Lorbeerhain 7 Jch erinnere mich eines Astrologen oder Sternweißen welcher den gestirnHimmel einem Reichs-Staat vergleicht; Oleanus 1660 Rosenthal 103 Sternkucker . . Astrologus oder Sternprophet; Lehmann 1699 Historischer Schauplatz 356 Die Astrologi werden aufs Zeichen sehen/ darinnen die Sonne stehet; Elis. Charl. 1700 Er. l 201 Es muß ein astrologue sein, so Ewere geburt muß gesteh haben, so Euch versichert, daß Ewere kranckheit von der sonnenfinsternuß kompt; 1704 Auserlesene Anm. I 118 Astrologos oder Sterndeuter; Sturm 1717 Mathesis 67a nach der Astrologorum oder abergläubischen Stern-Propheten; Zedler 1732 Universallex. II 1958 Die Herren Astrologi wollen nicht nur gelehrte, sondern auch tiefsinnige und Geheimnisvolle Gelehrten seyn. Sie reden von ihren Sachen so gewiß, als es gewiß ist, daß die Sterne am Himel stehen, aus deren Zusammenfügung sie die künftigen Dinge so deutlich lesen können, als andre Menschen die aufgezeichneten Geschichte aus denen Büchern lernen; Amavero 1775 Untersuchung 58 Astrologi oder Sterndeuter; Beckmann 1783 — 86 Erfindungen I 109 Im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderte herrschte noch überall die Sterndeuterey, und die Astrologen gaben ihre Wahrsagungen unter dem Namen Praktika; Schiller 1800 W. P. (H. XV 90) Seni, der Astrolog, wie ein italienischer Doktor schwarz und etwas phantastisch gekleidet; Novalis 1802 Ofterdingen (Sehr, l 260) Ihr seid beinah verkehrte Astrologen . . Wenn diese den Himmel unverwandt betrachten und seine unermeßlichen

Räume durchirren: so wendet ihr euren Blick auf den Erdboden, und erforscht seinen Bau. Jene studieren die Kräfte und Einflüsse der Gestirne, und ihr untersucht die Kräfte der Felsen und Berge, und die mannigfaltigen Wirkungen der Erd- und Steinschichten; Goethe 1822 Entopttsche Farben (WA II 5.1,300) so haben die Astrologen, deren Lehre auf gläubige unermüdliche Beschauung des Himmels begründet war, unsere Lehre von Schein, Rück-, Wider- und Nebenschein vorempfunden; Szarvady 1852 Paris I 412 Astrolog; Schieiden 1855 Studien 215 der Astrolog der Wirklichkeit ist in der That ein ganz anderer, als in der Phantasie der meisten Menschen; Nietzsche 1886 Fröhliche Wissenschaft (W. II 176) Glaubt ihr denn, daß die Wissenschaften entstanden und groß geworden wären, wenn ihnen nicht die Zauberer, Alchimisten, Astrologen und Hexen vorangelaufen wären als die, welche mit ihren Verheißungen und Vorspiegelungen erst Durst, Hunger und Wohlgeschmack an verborgenen und verbotenen Mächten schaffen mußten?; Treitschke 1898 Politik U 36 Nun tritt der Hofastrolog hervor mit seinem Astrolabium, um zu sehen, ob Allah die günstige Stunde geschickt hat; Friedländer 1910 Sittengesch. Roms 325 Schon seit Ennius' Zeit war der Zirkus ein stehender Aufenthaltsort für Winkelastrologen; Fendrich 1922 Mainberg 62 Er soll Astrologe sein. Das ist eine Wissenschaft. . die uns ums Paradies gebracht hat; Mehring 1927 Paris 40 Da fingen sich Kartensybillen und Waschzettelastrologen ihre lumpige Kundschaft ein; 1928-29 ZfMenschenkunde IV 410 Einerlei wie die subjektive Besinnlichkeit und das Verantwortungsbewußtsein des einzelnen Astrologen sein mag, sie stehen alle unter dem Druck des blinden Glaubens an die objektive Gültigkeit ihrer Wissenschaft; Colerus 1929 Kaufherr 332 dem Spruche Keplers, der gesagt haben soll, der Astrologus bleibe deshalb in Ehren, weil man nur die eingetroffenen Horoskope beachte, während die viel zahlreicheren Fehlprognosen der Vergessenheit anheimfielen; Grzimek 1959 Serengeti 276 Wir haben zwar keine Regenmacher, aber dafür Astrologen und Wunderdoktoren; ND 15.2.1964 Alles wurde stundenlang unter den beratenden Hinweisen von Astrologen vorausberechnet; 1966 Brockhaus II 817 entstand .. die zweite, noch heute verwendete Astrologenbibel, der Tetrabiblos .. des Astronomen Claudius Ptolemäus; ebd. Die entgeltliche Betätigung als Astrologe ist in einigen deutschen Ländern durch eine Polizeivorschrift (Gauklerparagraph) verboten; MM 28.12.1985 Der Hausastrologe dürfte wohl zu den Betriebsgeheimnissen gehören, weil man sich doch vor der Konkurrenz keine Blöße geben will; ebd. 4.1.1986 Betriebsastrologen wie ich haben Konjunktur; Zeit 5.9.1986 Astrologen, Kartenschlägerinnen und

Astronaut Hellseher würden lange nicht so viele Kunden haben, wenn diese nicht insgeheim vermuteten, daß doch alles nur Schwindel sei, jedenfalls dann, wenn Schlechtes in den Karten steht; Süädtsch. Ztg. 15.2.1994 Ein anderer berühmter Sohn der Provence ist Nostradamus, der Humanist und Astrologe, den Katharina von Medici einst zu Rat gezogen hat. astrologisch: Paracelsus 1537-38 S. W. / 12,137 Darmit und ir der probation der nicromancei ein wissen habt, aus was Ursachen sie ein species der astronomei sei und under die astronomei gezelt, wiewol sie doch nichts astrologisch handelt; Fischart 1581 Dämonomania 140 astrologisch (WEIGAND/HIRT); Gundling 1702 Sehr. 247 astrologische Schriften; 1716 Geotnantica I 11 die Astrologische Wissenschaften so sehr angefeindet; 1725 Faustbuch Christi. Meyn. 5 Weswegen er allerhand Astrologische, Chiro- und Nigromantische etc. Schriften . . auffgekauffet, oder geborget und abgeschrieben; Drucker 1732 Fragen III 57 Astrologische Prognostica; Zachariae 1757 Tageszeiten 2715 Wurden nach Influenzen betrachtet die hohen Planeten; von ihrer Begegnung/ Leiteten astrologische Träume das Schicksal der Menschen; Lambert 1764 Organen l 21 da wird . . Wort und Begriff der Vergessenheit überlassen, wie es etwann den astrologischen und vielen Wörtern der Schulphilosophie ergeht; Beckmann 1790—92 Erfindungen Hl 363 Die astrologische Benennung der Metalle muß auch zu den Brachmanen nach Indien gekommen seyn; Schiller 1790-92 GKr. (H. VIII 24) Sein Geschmack an der Sternkunst verirrte sich in astrologische Träumereien, denen sich ein melancholisches und furchtsames Gemüt wie das seinige war, so leicht überliefert; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 148 die Teutschen haben das voraus, daß die astrologischen Gesundheits- und Gewerbsregeln und die Weissagungen über das Schicksal der Länder, blos in ihren Kalendern gefunden werden; Goethe 1798 Er. (WA IV 13,331) Der astrologische Aberglaube ruht auf dem dunkeln Gefühl

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eines ungeheuren Weltganzen . . Diesen und ähnlichen Wahn möchte ich nicht einmal Aberglauben nennen; Schiller 1800 W. P. (H. XV 124) wißt Ihr, Daß er sich in der Nacht, die jetzo kommt, Im astrologischen Turme mit dem Doktor Einschließen wird und mit ihm observieren?; Pfaff 1823 Astrologisches Taschenbuch (Titel); Daumer 1862 Mansarde VI 105 astrologischer Aberglaube; 1882 Brockhaus II 101 Selbst Ptolemäus scheint . . von astrologischem Aberglauben nicht frei geblieben zu sein; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 560) ein Individualismus . ., der von der kosmischen, der astrologischen Wichtigkeit der Einzelseele ausgeht; Keyserling 1926 Welt 15 Was ich „Sinn" heiße, liegt dem Leben als schöpferisches Prinzip unter allen Umständen zugrunde, ob der jeweilige Tatbestand nun kollektiv-psychologisch, morphologisch, rassenbiologisch und astrologisch so oder anders am besten zu beschreiben sei; Münch. N. N. 7.2.1941 Der Schatzkanzler gab zu, daß damit der englische Kriegshaushalt eine astrologische Höhe erreicht habe; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 905) Dem Wirklichen hat Kepler das Horoskop gestellt und das Entscheidende seines Schicksals in der Verbindung von Saturn und Jupiter im ersten astrologischen Hause, dem Hause des Lebens, erblickt; Süddtsch. Ztg. 26.10.1962 Politik und Wirtschaft, Glücks- und Unglückstage, Gesundheit und Liebesleben, alles wird besprochen, astrologisch durchleuchtet und dient so Ihrem Fortkommen im Beruf und der Erleichterung Ihres Lebens; Staiger 1966 Grundbegriffe 180 Der astrologische Glaube krönt die Idee, die Wallensteins Leben beherrscht; Dülmen 1977 Reformation 20 Lichtenberger . . mit seinen vielbeachteten und weit verbreiteten Weissagungen, in denen sich biblische Prophezeiungen mit astrologischen Vorhersagen verbinden; MM 30. 4.1985 Anderthalb Jahrtausende lang war die Lehre des Ptolemäus für alle Astronomen verbindlich; auf das astrologische Werk aber greifen die Sterndeuter unserer Zeit noch immer zurück; Spiegel 30. 7.1990 Vor Monaten hatte der Unbekannte angekündigt, in astrologischer Folge zwölf Menschen . . umzubringen.

Astronaut M. (-en; -en), Mitte 20. Jh. eventuell unter Einfluß von älterem gleichbed. frz. astronaute, engl. astronaut aufgekommen, in Analogie zu Aeronaut (—» Aero-) gebildet aus griech. (—» Astrologie) und $ 'Seefahrer' (—+ Nautik). In der Bed. 'Raumfahrer, Physiker, der bei Fahrten durch das All den Weltraum (z. B. hinsichtlich Schwerelosigkeit, Klimaverhältnissen u. ä.) erforscht', zumeist bezogen auf amerikanische Forscher im Ggs. zu sowjetischem Kosmonaut (—* Kosmos), vgl. die Zss. Astronautenanzug, -look, -nahrung und Wissenschaftsastronaut; dazu gleichzeitig die unter Einfluß von älterem gleichbed. frz. astronautique aufge-

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kommene subst. Ableitung Astronautik F. (-; PL ungebr.), in der Bed. '(Wissenschaft von der) Weltraumfahrt' und die adj. Ableitung astronautisch (ohne Steigerung) 'die Raumfahrt betreffend' Astronaut: Siiddtsch. Ztg. 7.9.1950 Auf dem ersten internationalen Astronauten-Kongreß in Paris . . sollen Probleme und Möglichkeiten einer Expedition zum Mond erörtert werden; Welt 5. 9.1959 sie sprachen . . über einen Menschen, .. der in den Zentrifugen Amerikas und Rußlands herumgeschleudert wird, der in parabolischen Experimentierflügen sich an das Phänomen der Gewichtslosigkeit gewöhnt und der der schwersten psychophysiologischen Zerreißprobe ausgesetzt ist, die je ein Mensch erlebt hat .. der Astronaut, der Mensch, der sich bereit macht, um unseren Stern zu kreisen; Süddtsch. Ztg. 2.5.1961 Drei Wochen nach dem Weltraumflug des sowjetischen Majors Gagarin steht nun der erste amerikanische Astronaut startbereit; Offenburger Tagebl. 6.5.1961 Amerika erfreut über Astronauten-Erfolg; ebd. 6.6.1962 es werde keine amerikanischen „Astronetten" geben. In Kürze würden jedoch sechs bis zehn neue Astronauten ausgewählt; Süddtsch. Ztg. 3.9.1962 Die künftigen Erdumkreiser — die man allzu vermessen schon Astro- oder gar Kosmonauten nennt — brauchen . . den . . Strahlungsgürtel nicht zu fürchten; Offenburger Tagebl. 6.3.1964 Mit der „Reise auf den Mond" hat man eine Offenbach-Operette ausgegraben . . Seltsamerweise ist noch keiner unserer zeitgenössischen Komponisten auf die Idee gekommen, eine solche „AstronautenOperette" zu schreiben; Stuttgarter Ztg. 29.9. 1965 Astronauten-Trainer. Künftige amerikanische Astronauten werden . . in Ueberschall-Jägern .. ausgebildet; Offenburger Tagebl. 31.3. 1966 Für die mutigen Mode-Avantgardistinnen bot der Courege-Stil, teils mit Astronauten-Look, die vielfältigsten Möglichkeiten; Welt 4.1.1969 acht Tage nach der Rückkehr der Astronauten Borman, Lovell und Anders von ihrem historischen Flug zum Mond; v. Khuon 1970 Waren die Götter Astronauten? (Titel); 1971 Junge Wirtschaft Vl/VH o. S. Dieser Schiller ist wie ein Astronaut, der sich im Anflug befindet und einen bestimmten Korridor im Weltraum erreichen muß; FAZ 17. 7.1971 In allen Häusern wird jetzt exklusiv in Deutschland die „Astronauten-Brille" angeboten; MM 18.2.1985 Am 17. Juli 1975 wechselten ein sowjetischer Kosmonaut und ein amerikanischer Astronaut einen Händedruck hoch über dem Planeten Erde; ebd. 5.8. 1985 die AEA, deren Vorsitzender seit dem Wochenende der erste bundesdeutsche Astronaut Ulf Merbold ist; ebd. der Berliner Physiker und Wissenschaftsastronaut Reinhard Furrer; ebd. 28.11. 1985 Außerdem [ist] bei dem Flug . . die

Astronautin Mary Cleave . . dabei; Zeit 2.1.1987 Paul Williams träumt bereits von neuer Astronauten-Nahrung; ebd. 6.3.1987 Seinerzeit, als zum erstenmal ein Mensch den Mond betrat, saßen wir noch gebannt vor den Fernsehschirmen, und die Kinder spielten Astronauten; ebd. 19. 6.1987 Pfleger und Besucher dürfen sich den Tieren nur in einer luft- und wasserdichten Schutzkleidung nähern, die an Taucher- oder Astronautenanzüge erinnert; Kohlmeier 1988 Helden 13 Anstatt normaler Nahrung hatten Minach, Degaspari und Gratt Astronautennahrung in Pulverform mitgenommen; MM 2.1.1988 Die Titel „Kosmonaut" und „Astronaut" sind angesichts der Grenzen, die dem Menschen durch Schwerkraft und Verfügbarkeit von Energie gesetzt sind, recht überhöht gewählt; Hawking 1992 Gesch. d. Zeit (Übers.) 145 Fällt ein Astronaut in ein Schwarzes Loch, wird sich dessen Masse vergrößern, doch am Ende wird das Energieäquivalent der zusätzlichen Masse dem Universum in Form von Strahlung zurückgegeben. In gewisser Weise würde der Astronaut also einem „Recycling"-Prozeß unterworfen werden; Spiegel 18.4. 1994 Auch Science-fiction-Autoren . . lassen ihre Helden gern . . durch die Zeiten hüpfen. Da führen Zeitastronauten Selbstgespräche mit ihren jüngeren Ebenbildern. Astronautik: Süddtsch. Ztg. 29.9.1950 In diesen Tagen treten . . Physiker und Ingenieure . . zu einem Kongreß zusammen, der den Problemen der Astronautik .. gewidmet ist; Gail 1958 Weltraumfahrt 61 Diese ganze Wissenschaft von den möglichen Bahnen der Raumschiffe heißt Astronautik; MM 31.10.1985 Mit viel Fleiß und Mühe gelang es den Staaten der „alten Welt" nach vielen Rückschlägen in den siebziger Jahren dann aber doch, in der Astronautik Anschluß an die beiden Weltraum-Großmächte zu bekommen. astronautisch: Süddtsch. Ztg. 24.8.1950 Wissenschaftler aus zehn Ländern . . auf dem 1. Astronautischen Kongreß; Gail 1958 Weltraumfahrt 129 daß es heute schon in der ganzen Welt Zehntausende gibt, die sich in der Dachorganisation der Internationalen Astronautischen Föderation (IAF) zusammengefunden haben; MM 29.1.1985 das Schwergewicht der astronautischen Aktivitäten . . liegt nach wie vor bei der Erde; ebd. 17.10.1986 Unter diesem Titel stand . . der 37. Internationale Astronautische Kongreß.

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Astronomie F. (-; -n ungebr.), im Mhd. (LEXER) ber gleichbed. lat. astronomia entlehnt aus gleichbed. griech. αστρονομία (zu άστρον, —» Astrologie und -νόμος 'Wissensgebiet', zu νέμειν 'ab-, zu-, verteilen'), zun chst und bis Mitte 18. Jh. vorwiegend in der lat. (flekt.) Form, bis Anfang 17. Jh. gelegentlich auch Astronotney, bis ins fr he 18. Jh. auch Astronomy, Astronomi, seit Mitte 17. Jh. auch schon in der heutigen Form. In der Bed. 'Wissenschaft von Lauf und Stellung der Gestirne, Stern-, Himmelskunde, Sterndeutekunst' zun chst und bis ins 17. Jh. weitgehend gleichbed. mit —> Astrologie (s. Belege 1397-1400, 1464, 1553, 1675), h ufig in Aufz hlungen mit Bezeichnungen f r okkultistische Lehren (s. Belege 1456, 1528, 1565, 1601) bzw. (Hilfs-)Wissenschaften der freien K nste (s. Belege 1210, 1355, 1565,), speziell als Partnerwissenschaft der Musik (s. Belege um 1400, 1464, 1562, 1575), der Medizin (s. Beleg 1531 — 34) sowie der Mathematik bzw. Geometrie (s. Belege 1527, 1562, 1575, 1669, 1690). Vereinzelt schon im 16. Jh., h ufiger seit dem 17. Jh. unter dem Einflu humanistischen bzw. rationalistisch-aufkl rerischen Denkens als wissenschaftsspr. Terminus der Physik gebraucht in der heutigen eingeschr nkten Bed. 'Wissenschaft vom Sternenlauf und seinem Einflu auf die Erde, Wissenschaft von Entstehung und Beschaffenheit des Weltalls (hinsichtlich chemischer und physikalischer Bedingungen und Gegebenheiten), Stern-, Himmelskunde' (s. Belege 1523, 1535, 1557, 1620, 1717); im 18. und 19. Jh. mit dem Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden Differenzierung des Fachs (s. Belege 1732, 1776, 1821), vgl. die lat. Syntagmen Astronomia physica 'physische Astronomie', Astronomia practica 'praktische Astronomie', Astronomia sphaerica 'sph rische Astronomie', Astronomia theorica 'theorische Astronomie' und Kombinationen wie Astrophotographie; gegen Ende des 19. Jhs. wiederum Erweiterung des Anwendungsbereichs, vgl. nautische, geographische, photographische Astronomie; im 20. Jh., bes. seit der Erforschung des Weltalls durch die Raumfahrt und der Anwendung neuer Techniken seit ca. 1950, in Verbindungen wie klassische, fundamentale, optische, beobachtende Astronomie bzw. als Grundwort in Zss. wie Ballon-, Gamma-, Infrarot-, Mikrowellen-, Positions-, Radar-, Radio-, Raketen-, R ntgen-, Stellar-, Ultraviolettastronomie, vgl. auch die Kombination Astrobotanik. Seit Anfang 13. Jh. die ber gleichbed. lat. astronomus aus gleichbed. griech. αστρονόμος (aus άστρον und -νόμος 'einer Sache Kundiger', also eigentlich 'wer die Sterne beobachtet und in Sternbilder aufteilt, ordnet', zu νέμειν 'ab-, zu-, verteilen') entlehnte Personenbezeichnung Astronom M. (-en; -en), zun chst in der Form Astronomierre, bis Mitte 18. Jh. in der lat. (flekt.) Form, vereinzelt seit sp tem 15. Jh., durchg ngig seit Mitte 18. Jh. in der heutigen Form; in der Bed. 'Gelehrter, der den Lauf der Gestirne beobachtet und erforscht, Sternenkundiger, Erforscher und Ausleger des Sternenlaufs, Wahrsager', bis ins 17. Jh., vereinzelt noch im sp ten 18. Jh. gleichbed. mit Astrologe (—* Astrologie; s. Belege 1447, Ende 15. Jh., 1510—30, 1521, 1527, 1628, 1794), in Syntagmen mit Verben der Deutung bzw. Prophezeiung (s. Belege 1447, um 1520, 1637), in Aufz hlungen zusammen mit Bezeichnungen f r Gelehrte anderer K nste, bes. der Mathematik (s. Belege um 1520, 1675). Vereinzelt seit Mitte 16. Jh., h ufiger seit dem 17. Jh. (bes. J. Kepler) in der heutigen eingeschr nkten Bed. 'Wissenschaftler, der Lauf, Entstehung und Beschaffenheit der Gestirne erforscht', in Syntagmen in Verbindung mit Verben des Berechnens und

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Messens (s. Belege 1543, 1577, 1760, 1773, 1777), seit Ende des 19. Jhs. mit zunehmender Ausfächerung bzw. Spezialisierung des Fachs vor allem in der Bed. 'Physiker, der sich auf Weltraumforschung spezialisiert hat' (s. Belege 1958, 1985), seit späterem 19. Jh. vor allem in der Kombination Astrophysiker, mit den Ableitungen Astrophysik und astrophysikalisch. Seit früherem 16. Jh. die über lat. astronomicus aus griech. übernommene adj. Ableitung astronomisch (ohne Steigerung); zunächst und bis ins 17. Jh. gleichbed. mit astrologisch (—* Astrologie) im Sinn von 'die Sternen-, Himmelskunde betreffend, auf die Sternendeutung, Wahrsagerei bezogen' (s. Belege 1536, 1644); seit dem 17. Jh. in der heutigen Bed. 'die wissenschaftliche Erforschung von Lauf, Entstehung und Beschaffenheit der Gestirne und ihren Einfluß auf die Erde betreffend, auf die Weltraumforschung bezogen', in festen Verbindungen wie astronomische Uhr, Instrumente, Zeichen, Tafeln bzw. Syntagmen wie astronomische Stunden, Tage, Monate, Jahre, astronomischer Frühling, Sommer, vgl. auch addierte Adj. wie astronomisch-kalendarisch, physikalisch-astronomisch, mathematisch-astronomisch, radioastronomisch. Seit frühem 19. Jh. in der übertragenen Bed. 'sehr groß' (s. Belege 1823, 1909, 1941, 1950, 1985), in Wendungen wie astronomische Zahlen, Summen, Preise, z. T. wortspielerisch verwendet (s. Belege 1957, 1985); danach auch mit erweitertem Anwendungsbereich in Verbindungen wie astronomischer Reichtum, astronomische Kälte, Auflagen. Astronomie: um 1180 Pilatus 227 tyrus . . sähe daz gestirne an,/ er was ein vollencomen man/ an astronomien; W. v. Eschenbach um 1210 Parz- 312 dialetike und jeometrie/ ir waren ouch die liste bi/ von astronomic; um 1225 Lancelot 499 Und saget die hystori das der konig Artus nach den wißesten pfaffen sant die er in sim lande wüst, nach der bischoff worte und der erczbischoff, die im sagten das meist das sie von astronomic künden; K. v. Megenberg 1350 Buch d. Natur o. S. Astronomie .. sternkunst; 1355 Schachzabelbuch 95 Ein rechter artzzt sol chünnen . . der astronomey läwf vnd der arismetrey tzal, der müsikk gehellung, der stern läwff; Volkslied 1397-1400 (Liliencron I 173) Einer las im decretal,/ der ander sang im gradual,/ der drit studirt astronomi,/ wenn die zit mochte gesi,/ daß die planeten liefen,/ daß sie icht versliefen/ allen iren schuolgang,/ darzuo ir eigen will sie zwang; um 1400 Ackermann 32 Astronomia, des gestirnes meisterin, hilfet da nicht mit irem sterngewalte, mit einflusse der planeten; Musica, des gesanges vnd der stimme geordente hantreicherin, . . Philosophia, acker der Weisheit, . . Physica mit iren mancherlei steurenden trenken; Königshofen 1400 Chronik 241 Astronomie; Volkslied 1414-18 (Liliencron I 244) der maister in philosophi/ hats funden in astronomi/ und in zwain puochen . . dar inn man alls das erfund,/ was ie beschach und beschechen mag; Johann Hartlieb 1456 Buch aller verbotenen Kunst 27 nun

will jch schreiben von der ändern verpotten kunst, die haißt jn latin geomancia vnd ist geswistret mit der astronomey; 1464 Stretlinger Chronik 2 Er was ouch wol gelert in den natürlichen künsten; ouch in musica, das ist in gesang; desglichen in astronomia, das ist in den Sternen sechen; Beheim 1469-72 Reimchronik Str. 71 Friderich/ tet. . lieb ../ . ./ . . die kunst arismetrika,/ rechnung vnd geometria,/ der messung aller höhe,/ tieff, breit, die ferr vnd nöhe/ Vnd auch ettlicher mass da by,/ diser kunst der astronomy; Gossembrot um 1480 (Stammler, Totentänze 38) Ptholomeus ist eyn meister jn Astronomey;/ Das seyn, die velt pawen, vih zihen dopey; Füeterer 1490 Bayerische Chronik 93 Es was bei im ain vast gelerter/ astrologus in der kunst astronomia; 15. ]h. Fastnachtsp. (H 741) Astronomia geit zu versten,/ Wie sunne und mond so vern umb gen/ Und wie sie all frücht würken hie unten; ebd. (H 744) Astronomia ist ein kunst,/ Die einem wolf hilft zu frauen gunst; Thüring v. Ringollingen Ende 15. Jh. 37 in der kunst Astronomya; 1500 (1847 Der Geschichtsfreund 4) Die guten herren haben jr astronomy vbel geleßen/ Als ettwa gesagt wirt, von den hochgelerten Doctorn den herren stannd yetz glügk vnd sig emporn/ Ir ettlicher verstund sich baß vff ein wurst; Murner 1512 Narrenbeschw. V. 141 Des hymels louff, astronomy,/ Die wissendt sy ouch lychnam fry:/ Zu zwölffen sy erkennendt schon,/ Das zyt zu nacht ist schlaffen gon; Gengenbach 1517 Nollhart

Astronomie 79 Hab jn das selb als vor geseit/ Vnd jn clorlich an tag geleit,/ Nit allein durcht Astronomy/ Sunder durch manche propriety; Kettenbach 1523 Practica U 176 Ein practica practiciert, auß/ der heylgen Bibel, vff vil zuokunfftig/ jar, . . Die zeyt ist/ hie, dz man solich practica mer/ acht hab, dan der astrono-/ mey; Apianus 1527 Newe vnderweysung a2b dann Plato schreib vber die thür seiner schuoel, Khainer soll da rein gehn der vnwissent ist der Mathematica, vnd ausserhalb der Arithmetica . . alss die erste, mag nyemantz den verstandt des gesangs, vnd den subtilen eingang der Geometrei vnd Astronomei vberkommen; Paracelsus 1528 S. W. / 6,44 f. Ferner sind eins erlichen ansehens, wol gekleidet, aber übel gefüttert; etliche lassen mitlaufen astronomiam, etlich geomantiam, etlich pyromantiam; um 1530 Lied vom Hürnen Sewfrid E4b Laß mich deyner kunst gemessen,/ Astronomey genant./ Dort auff dem Trachenstayne/ Heut frü du hast erkandt/ Die Stern vnd jr anzeygen,/ Wie es mir sol ergan; Paracelsus 1530 S. W. / 68,37 ich wird gezwungen, so ich wil der warheit nachgon, den grund zu fassen aus der philosophei, astronomei, und alchimei; ders. 1531 — 34 S. W. // 2,62 Also seindt in der dritten monarchia vil künsten undern gelehrten, die gott eröffnet, als die astronomia, medicina; Turmair um 1533 Bayr. Chronik. (S. W. IV 428) „astronomei" und „astrologei", ist teutsch . . auszrechnung des gestierns; Schwarzenberg 1535 Teutsch Cicero 120a Astronomei ist war vnd guot,/ Ja wer dj recht gebrauchen thuot./ Der himel vnd der Sterne krafft,/ Ir laif, vnd manche aigenschafft./ . ./ Daruon ist weit Astrologei,/ Dj fast mit lüg vnd phantasei/ . .; Paracelsus 1536 S. W. l 10,347 weiter sol ein arzet der astronomei warhaften grünt haben; ders. 1537-38 S. W. / 12,3 dan der arzt der die astronomei nicht kan, der mag nicht ein volkomener arzt genant werden, dan mer dan der halbe teil der krankheiten wird vom firmament regiret; ebd. 12,5 wenen und meinen, wissen und können werden durch die kunst gescheiden. das ist mit großer vernunft sollen die ding alle beschehen, das leret astronomia; was auf sein teil gehört in götlichen wandel, wird aus got gelernet, was aber zu dem tötlichen dient, das lernet das firmament; 1539 Mark. Weihnachtssp. 162 Den es ist kein naturlich Licht, Wie mich Astronomi Bericht; Rivius 1548 Vitruv. 4b Aus der Astronomi wirt im bekant/Auff vn Nidergang der Sonne/ Mittag vn Mitnacht; Sachs 1553 (WA Xll 165) Hör, zwerg! durch dein astronomey/ Sag uns, ob nit treib bulerey/ Herr Tristrant mit der königin!; Stade 1557 Reise 94 auß Überlegung des Himels, oder Astronomia, mit der Geometria, rechnet man gar eigentlich ab, wie weit, rond, breit und lang das erdtreich sey, so doch dise ding alle dem gemeinen man . . als un-

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glaublich geachtet werden; Xylander 1562 Euclid (Übers.) 119 Es wissen alle verstendigen, das die rechenkunst vnd Geometri, ain grund, vrsprung, vnd onvermeidenlicher behilff seind der ändern künsten, so auch Matematisch genant werden, vnd disen zugethon seind. Alss Astronomey . . item Musica, Perspectiua, Architectur; Paracelsus 1565 S. W. / 13,304 medicina, geomantia, astronomia, pyromantia, augurium . ., dise dinge alle seind in der natur, das ist in den geschöpfen; Fabrtcius 1568 Surius Chronik 46a Astronomie, Astronomey; Hocker 1569 Theatrum diabolorum 103r Von der Astronomia/ Astrologia vnd Sternenguecker Kunst; Paracelsus 1572 S. W. / 13,369 sein [Ptolemäus] astronomia vil rechnung und müh und arbeit bedarf, das alles wol vermiten könte bleiben, dan das rechte und höchste geheimnus der astronomiae gehet aus der magica; Fischart 1575 Garg. 276 inn anderen Matemathischen (!] Weißheitkundlichkeyten vnd erfarungskünsten . ., als inn Geometry, Astronomy vnd der Music; 1587 Faust 68 Ein Frag oder Disputatio von der Kunst Astronomia oder Astrologia; Spangenberg 1598 Musica 6 Daß . . die Grammattica, Dialectica vnnd Rhetorica vorhergehen, Darnach Arithmetica, Geometria vnnd Astronomia hernach folgen; Ayrer 1601 Hist, processus juris 627 Er heisz Caspar/ . . verstehe sich sonst auff die Magiam oder Astronomiam; Hainhofer 1615 Corr. 275 ein sondern offenen thurm oben mit einer altana, für vnsern Mathematicum zur astronomia vnd sternguggerey erbauwet; Böhme 1620 Theosophia Revelata IV 48 aus Magia entstehet Philosophie, welche Magia gruendet und darinne suchet, und findet Astrologiam ewig: und Astrologia suchet wieder seinen Meister und Macher als Astronomiam, den Sulphur, und den Mercurium, welcher ein eigen Principium hat; Lubenau 1628 Beschr. d. Reisen l 186 mit etlichen vornehmen, gelartten Gesellen, die der Astronomia kundigk; Furttenbach 1663 KunstSpiegel Vorr. o. S. Astronomia, lehrt ein rechtes Fundament/ der mit. 12: Himmlischen Zaichen ornierten ligenden Sonnenuhr auffzureissen/ alsdann/ vnd gleich von derselbigen an/ ein andere/ von sich selber just stellende Horizontal-Sonnenuhr .. an iede Wand zuzaichnen; Grimmeishausen 1669 Simpl. 439 die Mathematica und Geometria fand noch platz bey mir/ so bald ich aber von diesen ein wenig zu der Astronomia geleitet wurde/ gab ich ihnen auch Feyerabend und hieng dieser sampt der Astrologia . . an; ders. 1675 Simpl. u. a. Sehr. 790 [Joseph] übte sich mit Hülff und besserer Unterweisung eines alten Srernsehers . . wiederumb in der Astronomia und Astrologia; Happel 1690 Academ. Roman 153 Mathematica, darzu gehören folgende Disciplinen: . . Arithmetica, . . Geometria, . . Astronomia, Sternkunst; 1704 Aus-

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erlesene Anm. l 118 Auff die Astronomie kan er sich nicht gelegt haben/wegen des klaren Texts Fred. Salom. XI 4.6 und weil die schlechte Wißenschafft/ deren sich noch heutiges Tages die Bauren gebrauchen/ zu Erhaltung Menschliches Lebens öffters dienlicher und nützlicher ist/ als die subtilen Kunst-Regeln der Sterngelehrten; Sturm 1717 Mathesis 2a Die Welt-Beschreibung, welche die Astronomie und Geographie unter sich begreiffet, unter welche ferner noch gehören die Chronologie .., wie auch die Astrologie (Kunst, Tabellen von der Sterne Lauf zu machen); Gottsched 1730 Dichtkunst 513 Wir finden, daß . . Aratus, ein Stern-Kundiger, eine Astronomie in Versen geschrieben; Zedler 1732 Universallex. II 1968 f. Die Astronomie handelt . . von denen Bewegungen derer Sterne; Diese können aber auf zweyerley Weise betrachtet werden, entweder wie sie sich denen Sinnen, oder wie sie sich dem Verstande vorstellen . . Bey denen Schifffahrten ist sonderlich die practische Astronomie fast unentbehrlich, indem ein Steuer-Mann auf der offenbaren See nach einem Ungewitter sich ohnmöglich anders als hierdurch helfen kann; Philippi 1743 Witz u. Geschmack 251 wenn man die Astronomie in der Absicht erkläret, um aus dem ganzen Weltgebäude darzuthun, daß nothwendig ein Gott sey; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. Vlll 99) so hätte ich . . bewiesen . . daß Herr Dusch . . höchst verwirrte Begriffe von einem Phänomeno in der Natur haben muß, das jeder Anfänger in der Astronomie zu erklären weiß; Lambert 1764 Organon l 492 Sanderson gelange . . zu dem Begriffe des täglichen und jährlichen Umlaufs der Sonne. Dieses ist nun seine ganze Astronomie; ebd. II 220 da der Schein von dem Wahren öfters sehr verschieden .. seyn kann, so haben sie besonders in der Astronomie für den Schein eine eigene Sprache angenommen, und die Uebersetzung aus derselben in die wahre, und hinwiederum aus dieser in jene gewiesen. Und dieses macht in der That auch den Unterschied zwischen der sphärischen und theorischen Astronomie aus; Eberhard 1776 Theorie 30 alle die verschieden scheinenden Gesetze und Erscheinungen der Körperwelt im Großen und im Kleinen, in der Chymie, Astronomie, Vegetation, Mineralogie, an der magnetischen, elektrischen und kometischen Materie, auf die Gesetze eines allgemeinen Triebrades . . zurückbringen; Beckmann 1783-86 Erfindungen I 17 Da . . Picard selbst sich bey seinen mathematischen Messungen, mit Beihülfe der neuern Astronomie, um 123 Toises geirret hat; Schleiermacher 1804—05 Tugendlehre (W. HI 35) Verhältniss der Tugend zum höchsten Gut. 1. Scheinbau Astronomie zwischen beiden; Litrow 1821 Theoretische und praktische Astronomie (Titel); Goethe 1827 Gespr. weßhalb ich mich denn auch nie mit Astronomie

beschäftigt habe, weil hiebey die Sinne nicht mehr ausreichen, sondern weil man hier schon zu Instrumenten, Berechnungen und Mechanik seine Zuflucht nehmen muß (GWB); Herbart 1841 Vorlesungen 168 der populären Astronomie (die so manchen Schwärmereien wehren muß!) fehlt die ganze Anknüpfung; Heine 1852 Religion u. Philos. (S. W. VII 306) Ganz konfus machten mich die Mitteilungen aus der Astronomie, .. und ich konnte mich nicht genug wundern, daß alle diese tausend Millionen Sterne, eben so große, schöne Erdkugeln seien, wie die unsrige; Nietzsche 1886 Morgenröte (W. l 1038) Hat man nicht selbst in der Astronomie die (angebliche) Nützlichkeit in der Anordnung der Satelliten . . für den Endzweck ihrer Anordnung und für die Erklärung ihrer Entstehung ausgegeben?; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 549) angefangen mit der neuen Astronomie, die aus dem Zentrum des Alls, dem erlauchten Schauplatz, wo Gott und Teufel um den Besitz des beiderseits heiß begehrten Geschöpfes kämpften, einen gleichgültigen kleinen Wandelstern machte; Freud 1933 Neue Folge (Studienausg. l 464) kürzlich haben . . Mediziner . . sich geweigert, der Psychoanalyse den Charakter einer Wissenschaft zuzugestehen, mit der Begründung, daß sie keine experimentellen Beweise zulasse. Sie hätten denselben Einwand auch gegen die Astronomie erheben können; das Experimentieren mit den Himmelskörpern ist ja besonders schwierig; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 120) Wäre es nicht besser gewesen, die „Tatsache" des menschlichen Sinnes für das Unendliche dem frommen Gefühl, den schönen Künsten, der freien Kontemplation, ja auch der exakten Forschung zu überlassen, welche als Kosmologie, Astronomie, theoretische Physik diesem Sinn mit durchaus religiöser Hingabe an das Geheimnis der Schöpfung zu dienen vermag; Brecht 1955 Galilei (Ges. W. /// 1288) Er will in aller Unschuld Gott die dicksten Schnitzer in der Astronomie nachweisen! Wie, Gott hat nicht sorgfältig genug Astronomie studiert, bevor er die Heilige Schrift verfaßte?; Heisenberg 1955 Naturbild 44 Das Gebäude der Chemie erhebt sich auf dem Fundament der Atomphysik, die moderne Astronomie hängt mit ihr aufs engste zusammen und kann ohne Atomphysik kaum gefördert werden; Gail 1958 Weltraumfahrt 60 Hier hat die Astronomie das Wort; denn sobald das Raumschiff in seinem Element ist, bewegt es sich als Stern unter Sternen; Welt 8.4.1959 Wird die Entdeckung des sowjetischen Astronomen von westlichen Wissenschaftlern bestätigt, dann scheint sich der Konflikt durch die Experimente der modernen Radioastronomie zugunsten der jungen Kosmologen zu lösen; Welt 28.8.1969 Das jüngste Werk des katalanischen Malers Salvador Dali . . bringt etwas Astronomie

Astronomie und etwas Geschichte, nämlich „Geschichtsastronomie"; 1971 Meyer Enz. l 793 Man spricht im Zusammenhang mit dieser Arbeitsweise [der Radiostrahlungsmessung] von Radarastronomie; MM 7.11.1985 Schon jetzt erfreut sich Deubner an einem zunehmenden Interesse für das Fach Astronomie, das in Baden-Württemberg Schüler in der 12. Klasse als ordentliches Unterrichtsfach wählen können; Zeit 7.3.1986 Die Schule der Pädagogen und die Schule der Verwaltungsbeamten — haben sie beide sowenig miteinander gemein wie der Mond der Dichter mit dem Mond der Astronomie?; 2987 Brockhaus 224 Heute wird die Astronomie auch entsprechend der beobachtenden Wellenlängenbereiche des elektromagnetischen Spektrums unterteilt (Gamma-, Röntgen-, Ultraviolett-, optische, Infrarot-, Mikrowellen oder Radio-Astronomie); MM 5.1.1988 Die Astronomie hat in unserem Jahrhundert durch Raumfahrt, Raumsonden und Weltraumlabors mehr Erkenntnisse gewonnen als in allen vergangenen Jahrhunderten zusammen; Hawking 1992 Gesch. d. Zeit (Übers.) 2 in den sechziger Jahren wurde das Interesse an den Fragen der Astronomie und Kosmologie neu belebt, weil die Anwendung moderner Techniken die Zahl und Reichweite astronomischer Beobachtungen erheblich vergrößerte. Astrobotanik, Astrobotaniker, astrobotanisch: NZ. (Basel) 1.12.1949 Fortschritte der „astrobotanischen" Wissenschaft . . er habe seine Untersuchungen in Sowjetkasakstan durchgeführt, wo das einzige Observatorium der Welt sei, das für die Zwecke dieser neuen Wissenschaft, genannt Astrobotanik, eingerichtet sei; Süddtsch. Ztg. 21.10. 1953 „Astro-Botaniker" . . unternahmen die Mars-Forschung, nachdem sie die Strahlungseigenschaften von Pflanzen auf der Erde studiert hatten. Astronom: W. v. Eschenbach um 1210 Parztval 773 der wise Pictagoras,/ der ein astronomierre was; um 1390 Österr. Chronik l etleich sint auf gestigen an der laitter der natürleichen vernumfte üncz an die lewff der planeten und gestirne alz astronomi; 1447 Augsb. Chronik 110 in dem 1406 jar . . kom ain finsternüss . . man sol wizzen, daz die astronomy heften ez gut wil den lüten vorgesagt; Matthias v. Kemnat 1470-75 Chronik 88 natürlich meister vnd alle astronomi; A. v. Pforr 1480—81 Buch d. Beispiele 175 Es ward nach den artzaten vnd beschweren, ouch den astronomen geschickt, kunst zuo suochen vnd zuo erfinden, wie dem jung küng zuo helffen war; Arnold v. Harff 1499 Pilgerfahrt 140 [diese Leute] sijnt ouch gemeynlich gar gude astronimi; Thüring v. Ringoltingen Ende 15. ]h. Melusine 40 den er ein guter astronimus was und etzwas künftiger ding sich wüste zuo be-

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richten; Simon Grunau 1510—30 Preuss. Chronik // 37 Item er hielt bey im warsager, astronomos, . . diesen er glaubte, unnd er wurde Polen wider bestreitten in eim solchen und solchen zeichen; ebd. 330 unnd gewisz die astronimi sagten, sie wurden es in disem jar wider gewynnen; Johann Virdung um 1520 Außlegung Ala Von dem Hochberümpten Astronomo vnd Mathematico/ Mayster Johansen Virdung von Haßfuort/ Vßgelegt/ beschrieben/ vnd wie nach volgt yre [der Himmelserscheinungen] Beteütnis offenbaret; 1521 Satiren u. Pasquillen H 97 auch unser astronomen darumb befragen laßen, was sie doch von diesem Carolo und seinem fürnemen halten; 1523 Von menig der Juden 444 die Caldeyschen Astronomi; Paracelsus 1527 S. W. I 3,18 dan falsch reden die unerfarnen astronomi von den nativiteten und ascendenten; ders. 1530 S. W. / S,225 dieweil nu der astronomus nichts ander dan alein ein geschichtschreiber ist der geschichten des himels; ders. 1537 S. W. / 10,454 aus was grünt aber derselbig astronomus, des namen mir unbekant ist, geret hat, merkent ir astrologi; Knaust 1542 Mahomet B3b Hie ist. . zu wissen, das der . . Vater Machometi Abdalla, hab grosse kuntschafft vnd freuntschafft mit einem Juden, welcher ein Astronimus gewesen, gehabt; Luther 1543 W. CllI 479 das sie doch einen guten Astronom heften hie gehabt, der es ein wenig genawer hette abgerechnet. Der wuerde vielleicht gefunden haben, das es zu den zehen jaren nach drey monden, zwo Wochen, . . drueber gewest weren; um 1550 Chronik d. dtsch. Städte XV 55 Item von disem jar haben dy astronomi vill und grosz wundert practiciert von einem diluium; 1552 Seuche d. Pestilentz B2a Über diese fürnemliche vrsach zeigen die Astronomi an . . den lauff des Himels; Stade 1557 Reise 94 Dieweil aber diese Natürliche dinge [z. B., daß die Sonne größer ist als die Erde] bei den Astronomie dermassen dargethan werden, daß die verständigen der kunst hieran nicht zweiffein; Hans Sachs 1568 Beschr. aller Stände Elr So bin ich ein Astronomus/ Erkenn zukuenfftig Finsternuß/ An Sonn vnd Mond/ durch das Gestirn; Rot 1571 Diet. 291 Astrologus vnd Astronomus, Außleger/des gestirns/ Sternseher; Fischart 1577 W. /// 10 Die Astronomi lehren doch/ Das Gstirn messen, wie weit vnd hoch,/ Vnd flog doch keiner nie hinauff,/ Das er seh wie ein jedes lauff; 1587 Faust 66 ward also derselben Zeit ein guter Astronomus oder Astrologus, gelehrt vnd Erfahren/ von seinem Geist in der Sternkunst/ vnd Practicken schreiben; Speckle 1589 Architectura l a Dann ob wol ein Architectus oder Bawmeister kein vollkomener Astronomus sein . . kan/ so soll er doch . . gründtliches vnd genügsames wissen vnd erkanntnuß haben; Dilich 1598 Histor. Beschr. 55 Griechenland ist eine Mutter aller Künste/ der erfahr-

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nesten Astronomen, der sinnreichen Geometren, kunstreichen Rechner; Herlicius 1606 Musicom. F8a Das man Astronomos zuhauff/ . . Erfoerdert/ das sie wießn vnd lehrtn/ Wie man die Tabeln wieder recht/ Vnd auff mehr Jahr zu rechnen brecht?; Kornmann 1614 Mons Veneris 90 Wann dann am sechsten Tag in der Wochen Venus die Regierung annimpt in der ersten Stundt/ wie die Astronomi vnnd Planeten Schreiber in jhren Büchern bezeugen; Keppler 1618 Br. II 115 Dan wan zuvor die ganze Land mappa richtig nach dem Ersten puncten, so würt hernach disem Änderten durch einen Astronomum oder Geographum leichtlich geholfen; Opitz 1624 Poeterey 135 wer kan leugnen, das nicht .. Manilius ein Astronomus [sei]; Lubenau 1628 Beschr. d. Reisen l 186 Unter diesen Wahrsagern seindt etliche Araber, die ihren schönen instrumenta astronomica haben, als etwa der vornembste astronomus; 1637 Geschichtsbücher der Wiedertäufer in Österreich-Ungarn 424 obwol etliche geleerte, Astronomi.. propheceit haben; Duez 1652 Nomenci. 156 Vn astronome, vn astrologue, ein astronomus, der in des himmelslauff erfahren ist; Grimmeishausen 1670 Simpliciana N in einem weit entlegenen Ort. . ist der Kern der Astronomorum/ die verstehen sich auf des Himmels Lauff so fix und fertig/ daß man vermeinen solle/ sie hätten ihre Kunst bey den Seleniten oder Mond-Leuten grundrichtig erlernt; ders. 1675 Simpl. 11 715 Er war ein guter Astronomus und Mathematicus und verstünde die Magiam oder vielmehr die Philosophiam naturalem vollkommen neben dem Ackerbau; Francisci 1676 Lust-haus 616 Goldstern. Die neue Astronomi urtheilen solches/ aus dem schein deß Merkurs/ . . / und/ zu solcher Erkenntniß/ seynd sie freylich/ durch gute Schau-Röhre/ gelangt; 1718 Fama LXI/LXH 110 Die Astronomi haben 7. Planeten/ 7. Plejades. 7. Hyades. Die Ethici nennen 7. vitia und virtutes morales; Gottsched 1760 Von. zu des Helvetius Discurs o. S. alle Astronomen berechnen den Lauf [der Gestirne] und die ändern Himmelsbegebenheiten, ohne zu melden, ob sie den Himmelsraum für leer oder angefüllet halten (REICHEL); Lambert 1764 Organon II 270 Uebrigens haben sich die Astronomen die optischen Lehrsätze bisher noch am meisten zu Nutze gemacht, aus der scheinbaren Lage und Bewegung der Sterne die wahre zu finden, und hinwiederum aus dieser jene vorauszusagen; Lichtenberg 1768 Aphorismen 139 sie [die Beobachter des Menschen] hätten ein weit gröseres Recht sich über den Mangel eines genugsam festen Standorts zu beklagen, als alle seefahrende Astronomen und Sterngucker dieser Welt; Schlegel 1769 Fabeln 28 Will ich nicht den Beweis aus Weltgebäuden holen,/ Die kein Astronomus ganz überzählt und mißt; Goethe 1773 Brief d. Pastors (WA I 37,158)

Um wie viel Millionen Meilen verrechnet sich der Astronom? Wer der Liebe Gottes Gränzen bestimmen wollte, würde sich noch mehr verrechnen; Gatterer 1777 Abriss d. Chronologie 17 Die Astronomen unsers Jahrhunderts haben bereits ihrer [der Zeiten] 69 berechnet, und von einigen bestimmen sie schon ziemlich genau die Zeit ihrer Wiederkunft; Laukhard 1794 Feldzug 111 88 f. wenn die politischen Hof-Astronomen sich so wenig auf die richtige Beobachtungskunst verstehen, daß sie die jetzige Revolution in Frankreich der Aufklärung zuschreiben; Jean Paul 1795 Ftxlein (W. VII 51) Der Astronom inventiert und taxiert den Himmel . . der Dichter möblieret und bereichert ihn; Heinzmann 1800 Frühst. 72 Reisende, die auf den Feldern waren, auch der Astronom auf dem Observatorium, und der Telegraph-Offizier, machten die gleiche Beobachtung; Goethe 1810 Farbenlehre (WA H l,XXX) wie etwa ein Astronom verfahren müßte, der aus Grille den Mond in die Mitte unseres Systems setzen möchte; Riehl 1864 Vortr. l 356 Perioden, welche wir so parteilos objectiv betrachten zu können glauben, wie der Astronom seine unerreichbaren Sterne; Nietzsche 1886 Menschliches, Allzumenschliches (W. I 880) Die Astronomen . . geben zu verstehen, daß der Tropfen Leben in der Welt für den gesamten Charakter des ungeheuren Ozeans von Werden und Vergehen ohne Bedeutung ist: daß ungezählte Gestirne ähnliche Bedingungen zur Erzeugung des Lebens haben wie die Erde; Döblin 1929 Alexanderplatz 189 Die Welt hat sich weitergewälzt. Die Sonne ist aufgegangen. Es ist nicht sicher, was diese Sonne ist. Die Astronomen beschäftigen sich viel mit diesem Körper. Er ist ja, sagen sie, der Zentralkörper unseres Planetensystems; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 213) Er sprach ein großes Gefallen darüber aus, daß es ein Astronom und Mathematiker gewesen sei, Claudius Ptolemäus, . ., der die beste aller bekannten Skalen, die natürliche oder richtige, aufgestellt habe; Brecht 1955 Galilei (Ges. W. Ill 1241) Sie, der Sie Astronom sind, also in einem Fach tätig, wo seit geraumer Zeit die Lehre der Kirche nicht mehr mit dem schuldigen Respekt geachtet wird!; Gail 1958 Weltraumfahrt 90 Ein sehr prominenter englischer Astronom erklärte gleichzeitig in der Öffentlichkeit, daß bis zu einer menschlichen Landung auf dem Monde noch Generationen vergehen würden; Hunke 1960 Erbe 81 Jeder Muezzin, jeder Gebetsausrufer in einer Moschee, mußte ein kleiner Astronom sein und praktische Kenntnisse in der „Wissenschaft von den bestimmten Zeitpunkten" besitzen; 1966 Studium Generale XII 724 Beratung durch gelehrte Fachleute, vor allem wohl alexandrinische und griechische Chronographen und Astronomen; J966 Urania XI 77 Eine spezielle Art solcher Instrumente ist nach dem Ra-

Astronomie dioastronomen Mills benannt worden; Welt 5.2.1974 Astronomen hoffen, daß die Fernsehbilder Details von Wolkenformationen enthüllen werden, die atmosphärische Informationen erbringen könnten; Wattenberg 1984 Himmel 367 wir [können] heute davon sprechen, daß . . an den großen Observatorien der Welt Astronominnen tätig sind, die als wirkende Forscherinnen ihre volle Gleichberechtigung behaupten; Zeit 22.3.1985 die verstanden mich nicht, wenn ich erklärte, ein Astronom beschäftigte sich nicht primär mit den astronomischen Theorien anderer Leute, sondern mit den Gestirnen; MM 4.11.1985 Als Chef des Planetariums ist Dr. Wolfgang Wacker . . nicht nur Astronom, er muß die Wissenschaft auch dramaturgisch in Szene setzen und allgemeinverständlich verkaufen; Zeit 31.1.1986 Übrigens hat Uranus, seitdem ihn der Amateurastronom Herschel 1781 zum erstenmal am Himmel ausmachte, nicht mehr als zwei Sonnenumläufe vollendet; ebd. 8.8.1986 Zwar ist die Frist eines einzigen Menschen zu kurz, um alle Regelmäßigkeiten der Himmelsbewegung zu erfassen, aber die Bruderschaft der Astronomen ist ja durch die Kette der Tradition gerade so weit gekommen, um das große kosmische Jahr sich runden zu lassen; MM 27.8.1986 Schwarze Löcher sind nach der gängigen Theorie der Astronomen die Überbleibsel verblichener Sterne in so ungeheurer Masseverdichtung, daß die Schwerkraft aus ihnen nicht einmal mehr Licht herausläßt; ebd. 5.1.1988 Die meisten Astronomen sind sich heute darin einig, daß es sich beim Stern von Bethlehem eigentlich um zwei Sterne gehandelt hat: die große Konjuntkion der Planeten Jupiter und Saturn; ebd. In der Volkssternwarte in München werden regelmäßig Vorträge über astronomische Themen gehalten, und er gibt jedes Jahr sechs Kurse für Hobbyastronomen; Hawking 1992 Gesch. d. Zeit (Übers.) 123 Astronomen kennen zahlreiche Systeme, in denen zwei Sterne umeinander kreisen, wobei sie sich gegenseitig mit ihrer Schwerkraft anziehen; MM 16./17. 7.1994 Die Astronomen bekamen bereits Mitte der siebziger Jahre erste Hinweise für die Existenz von Asteroiden-Monden; Zeit 22.7.1994 Infrarotteleskope auf der ganzen Welt enthüllen die ganze Pracht dieses Schauspiels, das noch niemals zuvor ein Astronomenauge zu Gesicht bekam. astronomisch: Paracelsus 1530-31 S. W. / 13,159 wiewol alles meteorisch, alles astronomisch, so ist doch da ein underscheit; Fuchsberger 1534 Dialektik 2a des verteutschten Kaiserspergerischen Kalenders/ darinn gar nahe aller Astronomisch grund verborgen; Paracelsus 1536 Wundartzney I Vorr. XXXlXb ausserthalb der Astronomischen anzeigung [von Glück und Unglück]; ders. 1537—38 S.

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W. / 12,208 Weiter so begibt sichs, das ein astronomei sich selbs gebirt, . ., wie die natur selbs one kunst und menschlichs hinzutun von ir selbs astronomisch Wirkung volbringet, welche one kunst und fleiß zugehen; Rivius 1548 Vitruv. 4b notwendiger Astronomischer obseruation vn Verwandlung der zeit/ in den Sonnen wendenden puncten/ deßgleichen beider vergleichung tags vnd nachts/ on welcher Sachen guten bericht/ er weder Vrwerck noch dergleiche Astronomische instrument machen oder bereiten mag; Kaspar Scheit um 1551 Lobrede von wegen des Meyen 29 so ist doch der Glentz die erste zeit im Jar nach erzelter Astronomischer vnd Hebreischer meinung; Hocker 1569 Theatrum diabolorum 104r Darumb haben die beiden die Astronomische Zeichen vnd Planeten nach vnd von jhren Goettern also genennet; Rot 1571 Diet. 352 Spher, oder Sphera . . ein Astronomisch instrument/ darinn des Himels lauff wirdt etlicher massen erkandt; Fischart 1575 Garg. 276 [sie] vbten vnd Practicirten also damit die Astronomysche Hauptregelen vnnd Canones; ders. 1577 Trostb. 92 So bedörfen sie nun nicht zu erkantnus des Himels lauf etlicher tafeln oder Astronomischer instrument; Ernstinger 1579—1610 Raisbuch 231 und hat alda ain schönes urwerckh mit dem lauff der planeten und ändern astronomischen sachen und jars Zeiten und glegenheiten; Thurneisser 1583 Onomasticon U 96 Astronomischer weiß/ die den tag vmb den Mittag beginnen/ oder Jüdischer weiß die den tag mit vntergang der Sonnen anfahen; Spangenberg 1607 Ganss König 81 Da schlich als bald/ zu mir/ herbey/ Die Astronomisch Phantasey:/ . . Drumb bat sie mich . . Das ich/ ..mit jhr/ wolt nun/ Inns Firmament/ ein Reyse thun; Hainhofer 1610 Corr. 55 astronomische Instrumenta; Moscherosch 1644 Philander // 470 astronomische Prognostic machen; 1677 Schaubühne 26 die berühmten Astronomischen Tafeln; Sturm 1717 Mathesis 75a Die Zeit, . . die die Menschen durch den Himmels-Lauff . . in verschiedene Theile eingetheilet. Daher ist anfänglich die Astronomische Zeit-Rechnung/ mit denen Astronomischen Stunden, Tagen, Monathen und Jahren entstanden; Rost 1718 Astronomisches Hand-Buch (Titel); Gottsched 1726 Fontenelles „Gespräche von mehr als einer Welt" 47 die lustige Chimäre einer gewissen astronomischen Theorie (REICHEL); Zedler 1732 Universallex. U 1974 daß man einem in der Astronomia gedachte Problemata auch durch den globum coelestum auflöset, dienet nur zu besserer Erklärung, nicht aber zur Astronomischen Gewißheit; Gottsched 1756 Des Abtes Terrassons Philosophie. Vorr. o. S. Uebrigens nähert sich der Verfasser dem astronomischtheologischen Lehrgebäude, dessen Leibnitz [!] im I. Theile seiner Theodicee gedenket (REICHEL);

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Büsching 1760 Neue Erdbeschr. l 37 jener [der Polarzirkel] enthalte 57437 (oder, wenn man auf die astronomischen Strahlenbrechungen mit acht hat, nur 57422} französische Ruthen; Lambert 1764 Organon H 20 Die chymischen und astronomischen Zeichen sind bloße Abkürzungen, die man statt der Wörter gebraucht; Goethe 1781 Br. (WA IV 5,57) Die Astronomischen Kenntnisse sind nicht die geringsten . ., und wenn du Lamberts kosmologische Briefe kennst . .; Beckmann 1783—86 Erfindungen l 309 Ich komme nun zu der beruehmten astronomischen Uhr, welche einer unserer Landsleute, . . verfertigt hat; ders. 1790—92 Erfindungen HI 361 von der astronomischen oder mythologischen Benennung der Metalle . . Nach dieser gehört Zinn dem Jupiter; Schiller 1800 W. T. (H. XV 196) astronomische Geräte; Goethe 1810 Farbenlehre (WA II 3,288) Marcus Marci, etliche und zwanzig Jahre jünger als Kepler, . ., scheint auch durch jenen mathematisch-astronomischen Geist angeregt worden zu sein; ders. 1812 Br. (WA IV 22,497) Das astronomische Geschäft. . ist auf Mathematik gegründet. Außer ihren wissenschaftlichen, weltbürgerlichen Zwecken . . hat [sie] auf gewisse, ins bürgerliche Leben eingreifende Einrichtungen unmittelbaren Einfluß, als auf Verfertigung der Calender und auf alles, was Zeit, Maß und Gewicht im höheren Sinne betrifft; Schubert 1823 Wanderbüchlein 98 Der Schreiber dieses Büchleins aber, der sich viel mit astronomischen Zahlen beschäftigt, wo es immer gleich in die Tausende geht; Menzel 1835 Geist 11 Astronomisches Problem. Unsere Erde ist ein Planet; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 586 Heinrich fragte ihn, ob er . . derselbe Hahn sei, der die astronomische Uhr . . verfertigt habe, und vernahm mit Erstaunen, daß er . . den weltberühmten Mechaniker, Mathematiker und Astronomen vor sich sehe; Holtet 1860 Eselsfresser II 17 Ein glückliches Zusammentreffen machte mich mit einem reichen Manne bekannt, der in astronomischen Beobachtungen dilettirt und für allerlei Berechnungen einen Gehilfen brauchte; Lazarus 1878 Fragen 304 Wenn man diejenige Weltanschauung, welche alle Erscheinungen nach Regel und Gesetz ihrer ursächlichen Verknüpfung mit einander betrachtet, nach dem hervorleuchtenden Gebiete ihrer Durchführung die „astronomische" genannt hat; 1882 Brockhaus l 105 Die 1863 gegründete Deutsche Astronomische Gesellschaft hat sich die Aufgabe gestellt, durch Mitwirkung von etwa zehn Sternwarten die genauen Positionen aller Sterne der nördl. Himmelskugel bis zur neunten Größe bestimmen zu lassen; 1901 Naturwiss. Wochenschr. 67 In einem Anhang werden Aufgaben für den Unterricht in der astronomischen Geographie gebracht; Th. Mann 1909 Hoheit (W. // 354) Man befand sich im Taumel, man war von

einer tollen Sucht besessen, mit wahrhaft astronomischen Ziffern um sich zu werfen; Naumann 1911 Geist 17 astronomische Periode; Weber 1922 Aufs. z. Wiss. 172 eine „astronomische" Erkenntnis der Lebensvorgänge; 1922 Türmer XXIV 2,269 Zahlen, die Tschitscherin mit kühlem Spott als „astronomische" kennzeichnete; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 752) Als Frau Chauchat wiedergekehrt war . . hatte . . der kürzeste Tag, Winteranfang also, astronomisch gesprochen, in naher Aussicht gestanden; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 371 gehört zum existierenden Dasein nicht auch das Faktum, daß es, seine Zeit verbringend, tagtäglich der „Zeit" Rechnung trägt und die „Rechnung" astronomisch-kalendarisch regelt?; Dominik 1928 Uraniden 289 Jetzt war es an der Zeit, die mitgebrachten astronomischen Uhren, deren Werk bereits auf die Länge des Venustages . . eingerichtet war, auf die Ortszeit des Venus-Nullmeridians einzustellen; Freud 1930 Das Unbehagen i. d. Kultur (Studienausg. IX 223 f.) die Beobachtung der großen astronomischen Regelmäßigkeiten hat dem Menschen nicht nur das Vorbild, sondern die ersten Anhaltspunkte für die Einführung der Ordnung in sein Leben gegeben; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 553 Hätte unser Auffassungsvermögen annähernde Lichtgeschwindigkeit, so würden wir wahrnehmen, daß die Zeit sich bewegt, während wir niemals wahrnehmen würden, höchstens durch „astronomische" Beobachtungen erschließen könnten, daß ein Stein fällt; Münch. N. N. 8.12.1937 schließlich waren wir ja nicht das einzige mitteleuropäische Blatt, das einige Zweifel an der von ihm festgestellten astronomischen Zahl von 1219976 österreichischen Legitimisten äußerte; 1937 Amerikareise 26 amerikanische Zahlen haben für uns leicht etwas Astronomisches; Mast 1940 Soldaten 52 fror in der astronomischen Kälte, mit der wir Missvergnügten ihn empfingen; 1941 Geopolitik 182 Staatsgelder in immer astronomischeren Summen in seine Kriegsspekulation hineinsteckt; 1941 Dtsch. Volkswirtschaft 643 Astronomische Kostenanschläge. Am 16. Mai 1940 .. verlangte [Roosevelt] die Bewilligung von 1182 Mill. $; B. N. 9.110.10.1943 [Preise] die man nur noch als astronomisch bezeichnen kann; Münch. N. N. 3.3.1945 Am 21. März geht die Sonne in den Widder, das bedeutet den astronomischen Frühlingsanfang; Süddtsch. Ztg. 31.12.1948 Es ist Westdeutschland nichts gedient mit einer „astronomischen Investitions-Mathematik", die nicht-realisierbare Wunschträume wirtschaftlicher Entfaltung verfolgt; ND 19.1.1949 Nur ein Narr könnte verlangen, jeder Mensch habe die Pflicht, sich erst mit den Fundamenten der astronomischen Wissenschaft zu beschäftigen, bevor er sich der Betrachtung des nächtlichen Sternenhimmels hingebe;

Astronomie Süddtsch. Ztg. 12.7.1950 Die Rennpreise erreichen bald astronomische Ausmaße; ebd. 20.10. 1950 Astronomische Zahlen. Der Haushalt der bayerischen Finanzverwaltung; ebd. 8.12.1953 Dumont d'Urville . . ist . . 1842 . . bei einem Eisenbahnunglück ums Leben gekommen, was damals für einen Forschungsreisenden eine Todesursache von wahrhaft astronomischer Unwahrscheinlichkeit war; Heitnpel 1956 Kapitulation 61 Wie, wenn die Erde nicht nur astronomisch, sondern auch historisch ein Stern unter ändern wäre? Wenn der beruhigende, seit 500 Jahren währende Zwitterzustand aufhörte, daß wir astronomisch nach Kopernikus, aber historisch nach Ptolemäus leben?; Süddtsch. Ztg. 15. 6.1957 Astronomische Summen für Erdsatelliten; Jaspers 1958 Atombombe 410 auch die vermeintliche Notwendigkeit des späten Endes beruht nur auf physikalisch-astronomischen Beobachtungen und Gedanken; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 30 Die mathematisch-astronomischen Grundlagen der Zeitrechnung behandelt die Astronomische Chronologie; Süddtsch. Ztg. 12.1. 1959 Der Unterschied zwischen Opern- und Oratoriengesang ist eben astronomisch!; Hunke 1960 Erbe 77 Dienste, die sie der Wissenschaft dank ihres geradezu astronomischen Reichtums leisten; Staiger 1966 Grundbegriffe 72 Der Mond stimmt nicht als astronomischer Körper oder als Kraterfeld, sondern etwa als Silbergondel; 1967 Urania I 81 Nach 1945 setzte . . eine stürmische Entwicklung der radioastronomischen Beobachtungstechnik und damit der Ansammlung neuen Wissens ein; MM 7.2.1985 Über das Entstehen der neuen Galaxis wurde kürzlich beim Jahreskongreß der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft in Tucson im US-Staat Arizona berichtet; Zeit 19.4.1985 Ende der achtziger Jahre werden die astronomischen Geldforderungen des Raumstationenprogramms mit den kosmischen Kosten für die Entwicklung der Strategie Defense Initiative .. kollidieren; MM 19.6.1985 Einige Asteroide sind indes auch in das Sonnensystem hinein abgelenkt worden und können sich der Erde in astronomischen Maßstäben auf Haaresbreite nähern; Zeit 17.10.1986 Die im Sinn des Wortes astronomischen Entfernungen zwischen den Sternen machen es . . unmöglich, Raumsonden . . zu unseren nächsten Nachbarsternen zu schicken; ebd. 1.5.1987 Während einer klaren Nacht öffnet sich der Spalt einer astronomischen Kuppel; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 121 sechsstellige Auflagen: astronomisch im Vergleich etwa mit wissenschaftlichen Publikationen; Hawking 1992 Gesch. d. Zeit (Übers.) 112 Einwände . . bewogen Chandrasekhar, . . sich anderen astronomischen Problemen zuzuwenden, etwa der Bewegung von Sternenhau-

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fen; Spiegel 16.5.1994 Beschwerden über astronomisch hohe Telefonrechnungen. Astrophotograph, Astrophotographie, astrophotographisch: Sanders 1871 Fremdwb. I 105 Astrophotograph . . Einer, der photographische Aufnahmen zu astronom. Zwecken macht, z. B. von den Sonnenprotuberanzen; Krämer 1900 XIX Jahrh. Ul 300 Astrophotographie; Stenger 1929 Gesch. d. Photographie 30 Astrophotographie. Versuche Daguerres bewiesen bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1839 die deutliche Einwirkung des Mondlichtes auf die Silberplatten; Kluth 1939 Wunder 231 erhofft man von dem neuen Wunderwerk der Technik und Feinmechanik . . Fortschritte der Astronomie und besonders der Astrophotographie; MM 29.1.1985 Erst durch die systematische astrofotografische Durchmusterung der nördlichen und südlichen Himmelssphären haben wir heute einen ungefähren Eindruck von der großräumigen Struktur des Universums und vom Aufbau unserer eigenen Galaxis; 1987 Brockhaus H 227 Astrophotographie . . Anwendung der Photographie zur Aufnahme von Himmelskörpern mit Fernrohren. Astrophysik, astrophysikalisch, Astrophysiker: vor 1871 Salon 483 Zöllner, der scharfsinnige Leipziger Astrophysiker (SANDERS 1871); 1882 Brockhaus II108 Astrophysik heißt der Zweig der Astronomie, welcher vorzugsweise auf Grund physik. Methoden Resultate über die Beschaffenheit und Bewegung der Himmelskörper abzuleiten sucht; 1885 Nord u. Süd XXXIV 419 im astrophysikalischen Observatorium bei Potsdam; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 315 Astrophysik; Kluth 1939 Wunder 169 Das Jahr 1868 brachte für alle Astrophysiker und Chemiker eine der größten Überraschungen; Süddtsch. Ztg. 9.5.1954 gegenüber der . . Frage nach der Bewohnbarkeit fremder Planeten verhält sich der Astrophysiker . . ablehnend; Heisenberg 1955 Naturbild 28 Mit Hilfe des Rutherford-Bohrschen Atommodells hat man die chemischen Vorgänge erklären können, und seit dieser Zeit sind Chemie, Physik und Astrophysik zu einer Einheit verschmolzen; Süddtsch. Ztg. 4.1.1960 Die Astrophysik will auf Raketen- und Sputnikbasis jene kosmischen Vorgänge beobachten, die sich bisher unseren, der Erdatmosphäre verhafteten Geräten entziehen konnten; ND 30. 4. 1974 Ebenso wie die Astrophysik zählt auch die Genetik zu jenen Wissenschaftsdisziplinen, in denen der Wissenszuwachs in den letzten zehn bis 15 Jahren besonders stürmisch war; Zeit 22.3. 1985 Das Ende der Erde kommt, wenn sich die Astrophysiker nicht verrechnet haben, so in etwa fünf Milliarden Jahren; ebd. 6.6.1986 Zur Überraschung der Astrophysiker scheint das Schwarze

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Loch im Zentrum unserer Milchstraße weitaus kleiner zu sein, als bislang angenommen; ebd. 26.12.1986 Etwa alle hundert Jahre erwarten die Astrophysiker eine Supernova-Explosion oder den

Zusammenstoß zweier Neutronensterne; Spiegel 18.4.1994 Noch kein Astrophysiker hat je ein String gesichtet, die Energieschnüre tauchen vorerst nur in den Denkmodellen der Kosmologen auf.

Asyl N. (-s; -e), im früheren 15. Jh. vereinzelt, seit frühem 16. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. lat. asylum (< gleichbed. griech. , eigentlich 'der unverletzliche Ort, das Heiligtum, in dessen Schutz der Zufluchtsuchende vor jedem Zugriff sicher ist', subst. N. von $ 'unberaubt, frei von Raub und Plünderung; unverletzlich, sicher', aus dem Negationspräfix - (—» a-Präfix) und '(nach dem Kriegsrecht) berauben, ausplündern', also eigentlich 'ein Ort, der nicht geplündert werden darf), bis ins 18. Jh. meist und bis ins 20. Jh. vereinzelt in der lat. (flekt.) Form. a Zunächst, in Anlehnung an das lat./griech. Vorbild, für 'schützender Ort, Freistätte', anfangs vor allem eingeschränkt auf den unverletzbaren (sakralen) Bezirk in Klöstern, Kirchen, Schulen u. ä., der nach mittelalterlichem Recht Verfolgten, auch Kriminellen, Schutz gewährte (s. Belege 1525, 1580, 1627, 1775, 1843, 1860, 1957, 1985), dann bald allgemeiner in der Bed. 'Zufluchtsort, -statte (für Verfolgte, Bedrängte)', in Wendungen wie ein festes, sicheres Asyl haben, suchen, finden; schon seit dem 16. Jh. auch bildlich und übertragen verwendet, z. B. in Gott, in der Poesie, in den Wissenschaften, im Gesetz, im Studium sein Asyl suchen (s. Belege 1525, 1695,1750, 1831, 1846,1906, 1950,1964, 1987), im 18./20. Jh. selten auch phraseologisch im lat. Syntagma asylum ignorantiae 'letzter Ausweg, Zuflucht für menschliche Unwissenheit; Ausweg, Ausrede' (s. Belege 1747, 1931, 1944, 1956); daneben gelegentlich auch im Sinne von 'Fluchtort', insbes. 'Versteck, Unterschlupf (s. Belege 1815, 1830, 1939) und 'Ruhestätte, abgeschiedener Ort, an den man sich (von der Gesellschaft) zurückzieht, zur Ruhe kommt; Ort der Besinnung, Kontemplation, Reflexion', bes. in Wendungen wie ein stilles, friedliches, seliges, kleines Asyl, ein Asyl des Friedens (-» Refugium; s. Belege 1777, 1802, 1850, 1857, 1860, 1869, 1913, 1985). Seit dem 19. Jh. zunehmend eingeengt auf den politischen Bereich in der heute dominanten Bed. 'Schutz und Aufenthalt, den ein Staat einem politisch Verfolgten gewährt, Zuflucht' (s. Belege 1847, 1853, 1854, 1870), vor allem in den Wendungen um (politisches) Asyl bitten, nachsuchen; einen Antrag auf (politisches) Asyl stellen; jmdm. (politisches) Asyl gewähren und bes. politisches Asyl 'Schutz, Zuflucht vor politischer Verfolgung'. Als Bestimmungswort in Zss. wie Asylantrag, -bewerber, -suchender, -verfahren und bes. Asylrecht, zunächst als historische Bezeichnung für das bis ins 18. Jh. geltende Privileg von Kirchen, Klöstern u. ä., Verfolgten Asyl zu gewähren (s. Beleg 1827), dann für das entsprechende Recht souveräner Staaten; seit dem 19. Jh. auch für 'Recht, Anspruch politisch oder religiös Verfolgter auf Aufnahme und Schutz im Zufluchtsstaat', z. B. Asylrecht genießen. Dazu in neuester Zeit die Personenbezeichnung Asylant M. (-en; -en), auch Asylantin F. (-; -nen), 'Person, die (politisches) Asyl genießt', auch 'Person, die um (politisches) Asyl nachsucht, bittet', als Bestimmungswort häufig in Zss. wie Asylanten(wohn)heim, -lager, -frage, -problem, auch eher negativ konnotiert, z. B. Asylantenstrom, -schwemme, -flut, -lawine, und als Grundwort bes. in den (oft schlagwortartig gebrauchten) abwertenden Zss. Schein-, Wirtschaftsasylant 'jmd., der vorgibt

Asyl

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(politisch) verfolgt zu werden, um die wirtschaftlichen Vergünstigungen und sozialen Leistungen des Gast- oder Zufluchtslandes zu genießen'. b Anfang 19. Jh. vereinzelt, seit Mitte 19. Jh. im Zusammenhang mit dem im Gefolge von Industrialisierung und Kapitalismus aufkommenden sozialen Elend vor allem in bezug auf gemeinnützige öffentliche Einrichtungen in der Bed. 'Heim, Unterkunft für Obdachlose, Bedürftige, Arme, Notleidende', selten auch übertragen verwendet (s. Belege 1957, 1988); in Wendungen wie in ein Asyl gehen müssen, in einem Asyl unterkommnen, übernachten, als Grundwort in den Zss. Obdachlosen-, Männerasyl und dem vermutlich aus engl. night-asylum lehnübersetzten Nachtasyl, vgl. auch Tierasyl 'Heim für herrenlose Tiere, Tierheim'. Dazu seit frühem 20. Jh. die verbale Ableitung asylieren 'jmdn. (bes. Personen mit ansteckender Krankeit) in einem Heim unterbringen', vereinzelt auch 'jmdn. an einem bestimmten (sicheren) Ort einquartieren, internieren' (s. Beleg 1930) (zu b), etwa gleichzeitig das Verbalsubst. Asylierung F. (-; -en) 'Unterbringung in einem Heim' (zu b) sowie die veraltete Personenbezeichnung Asylist M. (-en; -en) 'jmd., der in einem Heim untergebracht ist/war' (zu b). Asyl a: 1433 Voc. rerum (1839 Mones Anzeiger Vlll 251) asylum, fridhaws; Luther 1525 Briefw. (W. /// 64«; Darzu hast du [Herzog Georg] zu Wittenberg eyn asylum angericht, das alle die monche und nonnen , . haben bey dir Zuflucht, ufenrhalt; ders. 1525 W. XVI 188 wir auch zu im [Gott] als zu dem rechten Asylo Zuflucht und trost haben (FRNHD. WB); Paracelsus 1537-38 S. W. / 11,18 eine sonderliche neigung hat gegen allen apollinischen und vulcanischen, sonderlichen gegen iren Moecenaten und denen die inen asylum geben, die residenz mit sampt dem schuz und schirm; Boner 1541 Plutarch l 11 a vnd enmitten inn der statt bey vnser hohen schuol vnnd Gymnasio da ist ein Asylum vnnd freyheit/ darin die knecht vnnd arme leütt fliehen; Xylander 1580 Plutarchus lla Als sie nun das Fundament in der Statt erstlich gelegt, haben sie ein Ort besonders weihen vnd heiligen lassen, menniglichen zu einer Freyheit vnd Zuflucht, vnd dasselbig ort Asilum genannt; Lipsius 1614 Von Wunderbarer Natur 13 Solches war allen Christen . . ein gewiss vnd festes asylum oder zuflucht; Lercheimer 1627 Christi. Bedencken 219 die verfälschete religion reformiert, die asyla, da todtschläger vnd andere übelthäter frey waren, auffgehaben; Dannhauer 1642 Katechismusmilch l 325 Sein Gnadenthron ist das rechte Asylum und Freystatt, dahin wir uns für den Bluträcher salviren; Lassenius 1661 Tischreden 139 [wer einen ändern] ohnversehens [tötet], . . Ich habe noch nie einen am Leben desswegen straffen gesehen. Dann man allenthalben Asyla oder Freyheiten hat, darinn solche Leute sich verbergen; Becher 1668 Discurs 211 den Armen ein wahres Gasthaus, asylum und Zuflucht, ein Stück Brot zu verdienen [geben]; ders. 1670 Bericht A3a [durch Kolonialgründung] vielen tausend armen bedrängten Menschen, ja der

gantzen Teutschen Nation ein asylum verschaffen; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 216 sie suchte ihr asylum auff Herrn Davids seinem Capitolio; Stieler 1695 Auditeur 339 Das vornehmste Asylum endlich sind die freyen Pässe und sichere GeleitsBriefe; Sperander 1727 A la mod Sprach 54 Asylum, eine Freystadt, befreyter Ort; Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) l 211 Wie weit der König die Asyla gelten lasse [bei Verbrechern, die in kirchlichen Gebäuden Zuflucht suchen]; Hönn 1747 Lex. topogr. Vorr. o. S. ein anderer Einwurf . ., da man die lexica für asyla ignorantiae hält, und in der Meinung stehet, sie dieneten nur den Unwissenden, ja macheten unwissende und unfleissige Leute; Oehner 1750 Br. 36 Asyl der Wissenschaften und des freien Denkens; Schreger 1753 Zeit-Vertreiber 377 Die Asyla, oder befreyte Oerter, woraus kein Gerichts-Diener einen armen Sünder zur Abstraffung hinweg nehmen darff; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 38 Wie er zur Regierung kam, machte er die Stadt Bagdad . . zu einem Asylo der Musen; Potter 1775 Archäologie l 485 Das erste Asylum ist . . von den Herakliden zu Athen aufgerichtet worden. Alle von ihren Aeltern gedruckte Kinder konnten dahin fliehen; ja alle und jede Bittende konnten . . ihre Zuflucht zu demselben nehmen. Wahrscheinlich ist es aber, daß schon vorher einen Freystadt errichtet worden, und zwar damals, da Kadmus Theben erbaute, zu welchem allen Verbrechern zu fliehn erlaubt wurde. Nach dem Beyspiel desselben eröfnete Romulus eine Freystadt zu Rom. . . Die Freystädte blieben bis unter die Regierung des Tiberius unverletzt. Dieser Kayser aber überlegte den aus der Duldung so vieler Bösewichter, die bei den Asylen allemal Schutz fanden, erwachsenden grossen Schaden, und Schafte [!] sie ab; Wezel 1777 Satir. Erz. l 58 dass

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ihre Wohnung in kurzem ein Asylum für den elendesten schlechtesten Haufen .. wurde; Grecourt 1777 Auserles. W. (Übers.) 11 147 Von Amorn selbst geleitet,/ Und mehr als je in seinem Dienste treu,/ Ward ihnen ein Asyl an Oertern zubereitet,/ Wohin kein Auge drang — die süße Tändeley/ Ward da von neuem angefangen; Herder 1796 Br. (S. W. X V I I I 1 1 8 ) Das patriotisch-menschliche Gemüth, das mitten unter Kriegesscenen in diese kleinen Gedichte wie in ein Asylum floh; Hölderlin 1797-99 Hyperion (U 14) Auf dieser Höhe steh ich oft, mein Bellarmin! . . Ich denke nach und finde mich . . allein, mit allen Schmerzen der Sterblichkeit, und meines Herzens Asyl, die ewigeinige Welt, ist hin; Matthison 1802 Evian (V 376) waren wir durch die offene Hinterpforte des Hauses eines baumreichen Gartens gewahr geworden, als wir diesem willkommenen Asyle sogleich entgegeneilten; Goethe 1814 Br. (WA IV 25,2) Der übrige Raum [um die Kaiserpfalz auf der Kinziginsel bei Geinhausen] ist mit . . schlechten, theils einfallenden, von Juden bewohnten Häusern besetzt. Denn hier ist ein Asyl. Die Insel war nie der Stadt unterworfen; ders. 1815 Br. (WA IV 25,395) [die Wissenschaften] behaupten ihre Wohnung in einem Pallaste .. in gewissen . . Dingen vortrefflich, im Übrigen aber sehr windig; . . am lächerlichsten sind die Physiker, welche sich in dieses Asyl verstecken; Bandemer 1821 Blätter 41 einsame Wohnung, . . die mir nach tausend Stürmen des Lebens ein friedliches Asyl darzubieten schien; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 120 Romulus gründete seine Stadt. . mit Eröffnung eines Asyles; Wit v. Dörring 1827 Fragmente H 151 [die] den Kirchen zustehende Asylgerechtigkeit; Goethe 1828 Br. (WA IV 44,186) [Aufenthalt in den Dornburger Schlössern] Herrn v. Spiegel . . Dank . . für die Vergünstigung dieses Asyls, wo ich mich besser als ich hoffen durfte befinde; 1830 Jahrb. d. Gesch. l 500 Asyle oder Freistätten — einst in Kirchenräumen und Friedhöfen mit dem Verbrecher auch das Verbrechen begünstigend, sind zu vielen Orten verschwunden; Goethe 1830 Br. (WA IV 48,4) [über die Sicherung von Papieren im Kriegsjahr 1806] daß irgend jemand anders auch dieses Asyl für bedeutende Dinge gesucht, mein Geflüchtetes beseitigt hatte. Es war auch so gerettet; ders. 1831 Br. (WA IV 48,211) weil denn doch die Poesie das glückliche Asyl der Menschheit bleiben wird; Büchner 1835 Dantons Tod 52 Das Verbrechen hat kein Asyl; Gutzkow 1838 Blasedow III 93 daß sein [Eremit] nur der Zurückgezogenheit vom Leben gewidmetes Dach auch oft für unglückliche Liebende . . ein freundliches . . Asyl wurde; Kurz 1843 Schillers Heimat/ahre H 302 Vom Turme der Stiftskirche ertönte jetzt das mitternächtige Zeichen, ein Überbleibsel aus jenen rauheren Zeiten, wo dem

Wanderer in Frost, Wildnis . . mancherlei Gefahren drohten, das silberne Glöckchen, dessen heller Klang dem Verirrten draußen anzeigen sollte, daß ein Asyl in der Nähe sei, das ihn gastlich in die schützenden Mauern lade; Freiligrath 1844 Glaubensbek. (Ill 113) Sieh', so biet' ich dir die Hand,/ Einer auch von Denen,/ Die sich an des Rheines Strand/ Dir entgegensehnen!/ Die in's dornige Exil/ Gern dir Rosen flöchten,/ Gern ein friedlich Rheinasyl/ Dir bereiten möchten; 1846 Urania 186 Das Mutterherz ist ein heiliges Asyl, in das sich Freude und Schmerz zu flüchten verlangen; Blanc 1847 Organisation d. Arbeit (Übers.) 54 daß es [England] das einzige Land ist, in welchem die von der Politik anderer Saaten Verfolgten Zulucht und Schutz finden können. Ja, dort habt Ihr ein Asyl gefunden, Ihr armen und edlen Geächteten; Laube 1849 Pari. Ill 8 einen dringlichen Antrag in Betreff der Schweiz, gegen deren „heiliges Asylrecht" das Reichsministerium sich schicklicher benehmen sollte; Wagner-Liszt 1850 Briefw. l 111 so kommt mir Weimar jetzt wie ein seliges Asyl vor, in dem ich endlich tief und frisch aufathmen und meinem gepreßten Herzen Luft machen kann; Freiligrath 1851 Neuere polit. Gedichte U (HI 182f.) Bleibt mir nicht hinter jeder Stirn, in jedem Herzen eine Statt?/ In jedem Haupt, das trotzig denkt? das hoch und ungebeugt sich trägt?/ Ist mein Asyl nicht jede Brust, die menschlich fühlt und menschlich schlägt?; Szarvady 1852 Paris l 362 daß Cavaignac dem Papste . . Frankreich zum Asyle anbot; Prokesch v. Osten 1853 Br. 313 Missbrauch des Asylrechts in England; Schadow 1854 Vasari 30 [Louis David, als Königsmörder aus Paris verbannt] suchte ein Asyl in Brüssel, starb, vielfach angefeindet; 1857 Träumereien 135 Hat doch Kossuth keinen Anstand genommen,.. einige Drohungen gegen die Asylgeber und Schutzpatrone auszustoßen; Willkomm 1857 Ammer 203 Lassen Sie uns hier rasten, sagte Graf Alban zu seinem Begleiter. Ich mag zuweilen gern einen Blick in das Gewirr einer Welt thun, die von unserm stillen Asyl grundsätzlich fern gehalten wird; 1859 Staatswb. IV 243 Das sog. Asylrecht . ., d. h. das Recht des Gesandten, den nicht zu seinem Gefolge gehörigen Personen (Flüchtlingen, Verbrechern . .) seiner oder anderer Nationen Schutz gegen die verfolgende Obrigkeit in seinem Hotel zu gewähren oder Schutzbriefe zu verleihen; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen I 45 [College in Dublin: mitten in Revolution] hat es der stillen Beschaulichkeit gelehrter Männer stets ein sicheres Asyl geboten; Gutzkow 1860 Zauberer VII 29 [in Rom] Asyl der Pilger! Eine fromme Stiftung des hl. Philippus Neri; Holtet 1863 Letzte Komödiant 111 Was jenseits unter der Direktorin Direktion an Heidenlärm geleistet wurde, drang aus der Hauptfronte nicht bis in dies

Asyl friedliche Asyl [Wohnstube im Winkel eines Schlosses]; Freytag-Herzog Ernst v. Gotha 1869 Briefw. 239 in diesem kleinen Asyl [Häuschen am Schloßgarten]; Sehen 1870 Farrago 467 Als mein Heimatland mich ausgestoßen, da gab mir die Schweiz ein Asyl; Meysenburg 1876 Mem. I 246 [Friedhof] das Asyl der Toten; Hillebrand 1875 Frankreich 91 noch existiren einige Asyle, wo sich die freie Wissenschaft hinflüchten . . kann; Nordau 1881 Paris l 229 die zahllosen Kaffeehäuser gewähren ihm bis um ein Uhr nach Mitternacht ein Asyl und einen herzstärkenden Trank; ebd. l 285 Die Restaurants, die doch hauptsächlich für Fahnenflüchtige des Familienlebens ein Asyl sind; Gengel 1885 Asylrecht und Fürstenmord (Titel); Gottschall 1885 Totenkl. 213 das Widrigste, Gemeinste hat ein Asylrecht in der Dichtung gefunden [z. B. bei Zola]; Schweizer 1895 Neutralität 10 Anwendung des Asylrechts auf Deserteurs; 1906 Walhalla II 73 [Hymne auf Bayern] . . in den Falten der weiss-blauen Fahne all diesen heiligen Begriffen ein letztes Asyl zu bieten; Voss 1909 Ges. Reden 99 Menschen, die im Vertrauen auf das alte Asylrecht der Vereinigten Staaten an diese gastlichen Gestade kommen; Bergmann 1913 Maschine 39 Es lockt ihn, aus der Unantastbarkeit seines Potsdamer Asyls der Kulturwelt zum Hohn mit rücksichtsloser Härte die Konsequenzen seiner theoretischen Philosophie auch für die praktische zu ziehen; Th. Mann 1914 Reden u. Aufs. (W. X 74) nachdem er seinem Opfer das Glück des Asyls geschildert, schildert er die Qualen, die hier draußen noch seiner warten; 1922—23 Schweizer. Monatsh. 129 die Schweiz als Asyl der italienischen [vertriebenen] Patrioten; Benjamin 1923 Br. I 317 Stefan hat stets bei meinen Schwiegereltern ein Asyl; Stegemann 1930 Tage 77 als Kronfeldherr Frankreichs nach Paris zurückgekehrt, . . um . . nach Chambord in ein vergoldetes Asyl zu flüchten, da man ihm die Macht entzogen hatte; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 404) er [PenClub in Warschau] soll ein Asyl und eine Zuflucht des Geistes sein in Zeiten, wo nationale Leidenschaft die Köpfe und Herzen . . zu verwirren droht, ein Sammelort des Widerstandes und eine Festung der Freiheit; Hürlimann 1931 Schweiz Vorr. XIX das Asylrecht . ., das zu den vornehmsten Pflichten der Schweiz gehört; Tönnies 1931 Soziologie 78 Die Aerzte lassen Altersschwäche als eine Todesursache zu und zwar schon nach vollendetem 60. Jahre. Man darf wohl diese Altersschwäche für ein Asylum Ignorantiae halten. Die wahre Todesursache ist oft schwer zu ermitteln; Lokal-Anz. 23.11.1934 Durch ihre [Terroristen] sei festgestellt, daß sie in Ungarn . . ein Asyl gefunden hätten; Dtsch. AZ. 18. 9.1935 Er ist heimlich und ohne Grenzkontrolle in die Schweiz gekommen. . . Er wird als asylunwürdig bezeich-

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net; Th. Mann 1939 Lotte (W. U 522) wo ihm [dem Verwundeten] der Kammerherr . . ein hoch unterm Dach gelegenes Zimmerchen als Versteck und Asyl im Einvernehmen mit der Verwaltung zubereitet hatte; Wolfskehl 1941 Br. 103 Asylregion Switzerland; Münch. N.N. 8.3.1944 daß eine unverteidigte Stadt [wie Rom] ein Asyl des Friedens sei; Dtsch. AZ. 28.5.1944 da in den vergangenen Kriegsjahren nicht wenige Elemente nach Rom einwanderten, die in Rom ein Asyl vor Luftangriffen erhofften; 1944 ZfWehnecht 59 Über die Anerkennung von Voraussetzungen für die Anwendung des 2. Abs. besteht Einigkeit insofern, als er nicht für Psychopathen schlechthin da ist und insofern, als man mit seiner Anwendung sehr vorsichtig sein muß, soll er nicht als „Asylum ignorantiae" dienen und damit völlig seinen Zweck verlieren; Süddtsch. Ztg. 22.123.7.1950 Von jeher war es eine Ehrenpflicht freier Länder, den um ihrer politischen oder religiösen Überzeugung willen Verfolgten Asylrecht zu gewähren; Mosca 1950 Klasse 331 Der Beamte . . tut nicht mehr als unbedingt nötig ist; . . wird die Beamtenlaufbahn zum Asyl der Mittelmäßigen; Welt 19.1. 1954 hier finden Menschen aus ganz Europa Asyl und Schutz, die nach dem 30. Juni 1950 nach Deutschland geflüchtet sind; ebd. 6. 7.1954 ein jugoslawischer Flüchtling . . erhielt in Österreich Asyl als politischer Flüchtling; Süddtsch. Ztg. 26.9.1955 Zwei Belgier, die auch mit dem Transport gekommen waren, baten an der deutsch-belgischen Grenzübergangsstelle bei Aachen . . um Asyl in der Bundesrepublik; Lange-Eichbaum 1956 Genie 58 Worte als eine zauberische Substanz. . . Das Wort selbst wird so zum asylum ignorantiae und hilft das Rätsel des Daseins lösen; . . das Wort wird selbst sakrosankt; Frisch 1957 Homo faber 55 die Schweiz sei ein kleines Land, kein Platz für Flüchtlinge, Asylrecht; Schilling 1957 Religion 142 die Religionswelt gewisser Primitiven kennt die Einrichtung der Asyle. Jeder Verfolgte hatte die Möglichkeit, sich da und dort an einem bestimmten Ort (Heiligtum) zu flüchten und war dort unantastbar; Süddtsch. Ztg. 21. 2.1959 Es ist bereits der zweite Fall, in dem ein Oppositionsführer in einer ausländischen Vertretung in Lissabon um politisches Asyl nachsucht; Stuttgarter Ztg. 21.3.1959 die Asylverweigerung für politische Flüchtlinge; Polgar 1959 Fensterplatz 8 [Das Kaffeehaus] ist ein Asyl für Menschen, die die Zeit totschlagen müssen, um von ihr nicht totgeschlagen zu werden; Partner 1964 Erben 364 was blieb ihnen nun anders übrig, als möglichst viele Kirchen und Kapellen zu bauen: Asyle nicht nur der bedrängten Seele, sondern auch des nackten Lebens; Stuttgarter Ztg. 8.11. 1967 Der . . ehemalige KZ-Häftling . . hat bei der Bundesdienststelle für die Anerkennung politischer Flüchtlinge aus

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dem Ausland einen Antrag auf Asyl in der Bundesrepublik gestellt; Welt 9. 7.1969 500 [Männer] aus der alten neutralistischen Armee des heute in Paris im Asyl lebenden Generals Kong Le; Koebner 1971 Entfremdung o. S. löst sich ein Icherzähler langsam von einer provozierend selbstsicheren Gesellschaft und bekräftigt seine Entfremdung durch die Wahl des Exils oder Asyls; Zeit 5.4.1985 „Wirtschaftsflüchtlinge" aus Südvietnam und anderen Ländern bewarben sich um politisches Asyl; MM 10.5.1985 der Kirchhof diente in Dörfern . . zur Gemeindeversammlung, als Sammelplatz der bewaffneten Mannschaft, wenn die Sturmglocke rief, als Asyl für Verfolgte, denn der Kirchenfriede erstreckte sich meist auf den Kirchhof; ebd. 4.7.1985 immer mehr Ausländer bitten um Asyl; ebd. 7.12.1985 sein Atelier ist sein Asyl; Zeit 21.3.1986 nach Hamburg strömen mehr Asylbewerber, als der Stadtstaat . . aufnehmen muß; ebd. 8.8.1986 wächst mit den Asylsuchenden das Gewaltpotential; ebd. 12.9.1986 Asylrecht: wer immer in der Union . . das Grundrecht auf Asyl zu einer Art Gnadenakt. . verfälschen will, bricht mit dem Geist des Grundgesetzes; ebd. 27.2.1987 deutlich privilegiert gegenüber anderen Ausländern sind politisch Verfolgte, die um Asyl bitten; ebd. 15.5.1987 nachdem der gebürtige Ungar aus dem amerikanischen Exil. , ins (komfortable) Asyl des deutschen Staatstheaters gewechselt ist, will Tabori noch mal von „unten" anfangen; MM 24.10.1987 die Tatsache, daß Asylverfahren oft mehrere Jahre laufen, habe die Stadt veranlaßt, Integrationshilfen anzubieten; ebd. 5.1.1988 Proteste gegen angekündigte Verschärfung des Asylrechts; Spiegel 30.11.1992 In Bayern hat der CSU-Bundestagsabgeordnete . . vorgeschlagen, homosexuellen Ausländern kein Asyl mehr zu gewähren; ebd. Obwohl anonyme Anrufer . . gewalttätige Demonstrationen gegen Asylbewerber angedroht hatten; ebd. Zwar werden solche Flüchtlinge nicht abgeschoben, aber sie bekommen auch kein Asyl, sondern dürfen nur nach dem „Duldungsrecht" bleiben; ebd. 7.12.1992 daß der Artikel 19 geändert werden solle; er garantiert den Rechtsweg bei der Ablehnung eines Asylantrags. Anders ist es beim Artikel 16, der jedem politischen Flüchtling Asyl zusichert. Asylant: MM 29.5.1980 eine Abschiebung von Asylanten durch die Grenzbehörden; ebd. 29.1. 1981 Ein neuer Zustrom afghanischer Asylanten hat .. eingesetzt; Zeit 11.1.1985 Im Dezember 1983 erhält er seine endgültige Ablehnung als Asylant; die Ausweisung droht; ebd. 26.4.1985 das Wort Asylant darf nicht zu einem Schimpfwort werden; MM 6. 7.1985 eine Erhöhung des Swings und als Gegenleistung Stopp des Asylantenstroms

nach West-Berlin; ebd. 7.9.1985 Dämme gegen die Asylantenflut; Zeit 8.8.1986 Rolf Kaufeidt, Ausländerexperte der Berliner Alternativen Liste, hält Begriffe wie „Asylanten-Strom", „Schwemme", „Flut" für abwegig; ebd. 26.9.1986 widerspricht die Unterscheidung zwischen deutschen und nichtdeutschen Flüchtlingen oder Asylanten dem Geist unserer Verfassung; ebd. wollte man ähnliches in Deutschland tun, dann müßte man jungen persischen Flüchtlingen Stipendien anbieten, anstatt sie als „Scheinasylanten" an der Grenze abzuweisen; MM 30.12.1987 die Sprachförderung von Aussiedlern, Asylanten und Kontingentflüchtlingen wird von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt; ebd. 3.2.1988 es sei „nicht länger hinnehmbar", daß der größte Teil der abgelehnten Asylanten in der Bundesrepublik bleibe; Spiegel 30.11.1992 wies er darauf hin, daß man Asylanten nicht in Länder zurückschicken könne, in denen es noch die Todesstrafe gebe; ebd. Wie viele Asylanten brauchen wir, um uns moralisch akzeptieren zu können?; ebd. 7.12.1992 Nach den jüngsten Angriffen gegen Ausländer in Deutschland, Brandanschlägen auf Asylantenwohnheime und Verwüstungen von Friedhöfen; Süddtsch. Ztg. 12.8.1993 Ist das Historische Museum also die letzte Rettung für Ungeliebtes, für Kunst-Asylanten [NSKünstler]. Asyl b: Campe 1803 Reisebeschr. V 56 Das Gegenstück zu dieser wohlthätigen Anstalt ist eine andere, der man den Namen Asylum oder Zufluchtshaus gegeben hat. So wie jene die Rettung verirrter und gefallener Personen zur Absicht hat: so zweckt diese . . darauf ab, den Verirrungen und dem Falle zuvorzukommen. Sie bemächtiget sich besonders solcher jungen Mädchen, die keine Eltern oder anderweitige Fürsorger haben; Kohl 1843 Reisen i. England U 111 Die englischen Irrenhäuser . . Lunatic-Asylums (SANDERS 1871); ders. 1844 Reisen E. u.W. 213 „The Night-Asylum", das Nachtasyl; Erlenmeyer 1854 Gehirnatrophie 29 in diesem Zustande ward er sogleich in das Asyl gebracht; 1863 Bilder a. Paris H 135 [daß er] dem Pfarrer des Ortes eine gleiche Summe zur Gründung eines Asyls für altersschwache und arbeitsunfähige Personen [angewiesen hat]; 1866 Kreisbl. f. d. Ost-Prignitz 134a Das . . auf 24 Wohnungen berechnete Charlottenburger Asyl will hülfsbedürftigen Wittwen und verwaisten Jungfrauen aus den gebildeten Ständen für den Abend des Lebens ein Unterkommen bereiten; Storm 1873 S. W. // 215 So kam er in ein städtisches Asyl; Gisbert 1879 Zeit-Arabesken 80 Asyl für Obdachlose; Lindenberg 1883 Berlin l 112 die Ziffern des Asyls für Obdachlose; Ratzinger 1884 Armenpflege (Reg.) Asyl der Barmherzigkeit; Achelts 1891 Theologie II 323 Die Dienst-

Asyl botenpflege ist den Herrschaften ans Herz zu legen, Mägdeanstalten und . . Magdalenenasyle sind zu errichten; ebd. U 334 Die Enthaltsamkeitsvereine . . und die Trinkerasyle; Herkner 1894 Arbeiterfrage 107 ist . . der Förderung der freiwilligen Kranken- und Armenpflege durch Gründung von Spitälern, Asylen, Vincentiusvereinen usw. ein immer größeres . . Interesse gewidmet worden; Hirschberg 1897 Soz. Lage 208 [in] der Wärmehalle (einem Asyl für Obdachlose während der kalten Jahreszeit und nur für den Tag über) wurden am 30. Januar 1895 fast 4000 Besucher gezählt. . . Der Besuch des städtischen Obdachs schwankte; Zobeltitz 1902 Papierene Macht l 21 Asyl für besserungsfähige Trunkenbolde; Schallmayer 1903 Vererbung 303 Gewohnheitsverbrecher sollen in ein Verbrecherasyl lebenslang kommen; 1929 Querschnitt 741 er war kein Reporter, der in einem Armenasyl übernachtet, um eine gute Geschichte zu schreiben; Asch 1929 Firma 59 Und wenn er alt wird und nichts erspart hat, so kann er in den Nachtasylen der Heilsarmee schlafen; Lokal-Anz. 5.10.1934 suchte ein deutscher Reichsminister das Städtische Obdachlosenasyl in der Fröbelstraße auf; Schauwecker 1937 Kasematte 64 Auf Zehenspitzen ging er [in einer Scheune] im raschen Schein einer . . Taschenlampe durch eine Allee von kümmerlichen Schlafstellen. Asyl von Obdachlosen, dachte er; Münch. N.N. 17.2.1943 [Baracke in Marseille] Nachtasyl der Obdachlosen; ND 25.8.1949 er kennt die Asyle und singt auf den Höfen; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 179) laßt Euch . . von Eurem Wittumsgut ein Asylum bauen an der Landstraße für die Obdachlosen, die Alten, Gebrechlichen, Kranken und Krüppel; Münch. Stadtanz. 30. 9.1955 das vom Tierschutzverein seit 1928 in Karlsfeld bei München betriebene Tierasyl; Altheim 1957 Utopie 41 im Lesesaal des Britischen Museums, dem Asyl manch anderer geistig Obdachloser, inmitten des viktorianischen London; Offenburger Tagebl. 17.7.1959 Mord im Nachtasyl (Überschr.); ebd. 29.11.1966 Den Haushaltsansatz . . für den Bau des sogenannten „Obdachlosenasyls" werde man besser für allgemeine Zwecke des Wohnungsbaues verwenden; Bildztg. 22.2. 1967 um der Zwangsräumung zu entgehen, hatte Erich Irrgard den . . Boxer [Hund] ins Tierasyl gegeben; Strauß 1984 Mann 13 Ihr .. wohlsortierter Laden verwandelte sich binnen kurzem in ein stinkendes, verdrecktes Asyl; Zeit 1.2.1985 die Kulisse in der „Schwemme" des Donisl paßte gut zu dieser Latte: ein Nachtasyl für Hehler, Diebe, Penner, Zuhälter, Prostituierte; MM 16.3.1985 wenn ein junger Mensch zum Penner geworden, einen Platz im Asyl braucht; ebd. 30.3.1985 immer mehr Dauerarbeitslose landeten in Obdachlosenasylen; ebd. 13.6.1986 zehn bis 15 Prozent dieser

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„Penner" . . haben nicht einmal die Chance, ein Asyldach über dem Kopf zu haben; ebd. 7.11.1986 in einem der ehemaligen Hotelzimmer treffen wir drei junge Männer, die früher die Straßen und Plätze Heidelbergs bevölkerten (eine Katze und ein Hund haben auch Asyl gefunden); ebd. 3.1.1987 die Asyle sind bis auf den letzten Platz belegt; das Katholische Männerheim . . muß 46 „Nichtseßhafte", wie das im Jargon der Sozialbehörde heißt, abweisen; Zeit 15.5.1987 die Szene . . für die Begegnung der besonderen Art ist ein Männerasyl im Wiener Winter anno Neunzehnhundertpunktpunkt — bedeutungshalber im Souterrain einer Metzgerei gelegen, in der Blutgasse; MM 28.5.1988 Frauen, die auf der Straße leben (Überschr.) . . in den letzten Jahren kommen immer mehr aus der Psychiatrie: direkt vom Krankenhaus ins Asyl; ebd. in vielen Unterkünften und Obdachlosenasylen werde nur verwahrt und es mangele an Fachpersonal; Goetz 1988 Kontrolliert 146 Asyl für Penner und Gescheiterte, das sich Journalismus nannte (PAUL); Spiegel 28.5.1990 Es gibt kein Kino in Anklam. Nichts. Nur das Theater — ein Nachtasyl. Der Totentanz hier drinnen ist eine Premierenfeier. asylieren: Berl. lllustr. Nachtausg. 25.3.1930 Man wird sich erinnern, daß der Kronprinz Ende des Krieges auf der „Insel" Wieringen asyliert wurde. Die braven Wieringer haben den „kriegerischen Germanen" ausgerechnet beim Pastor einquartiert; Stuttgarter Ztg. 21.5.1963 Der . . Abgeordnete . . weist auf die Gefahren hin, die sich daraus ergeben, daß an offener Tuberkulose erkrankte Personen nicht „asyliert" werden können; Süddtsch. Ztg. 31.3.1993 Am Beispiel des indischen Mystikers . . und einer Französin namens Madeleine, deren Ekstasen . . sie um die Jahrhundertwende zur Patientin Salpetrieres werden ließen, erörtern Catherine Clement und Sudhir Kakar .. die gesellschaftlichen Bedingungen, die bestimmen, weshalb der indische Mystiker frei ist, die Französin hingegen asyliert ward. Asylierung: Voss. Ztg. 21.10.1926 Asylierung ansteckender Tuberkulöser (Überschr.) Bei der großen Wohnungsnot . . ist die dauernde Unterbringung ansteckender Tuberkulöser eine dringende sozialhygienische Maßnahme, um die Weiterverbreitung in der Familie zu verhindern; 1955 „Duden"-Sammlung o. S. Beihilfen wurden bewilligt zur Beschaffung gesünderer Wohnungen und von besonderen Schlafstellen . . für die Angehörigen der Erkrankten. Auch für Asylierungen sind Zuschüsse gezahlt worden; Münch. Ztg. 23.3.1937 daß das . . Tuberkulosegesetz einen Asylierungszwang für Asoziale enthalten müsse; Fest 1973 Hit-

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Aszendent

ler 81 die zwangsweise Asylierung und Sterilisierung Untüchtiger. Asylist: Voss. Ztg. 26.9.1929 In dem [Männer-] Heim halten sich regelmäßig rund 150 Asylisten auf; 1930 Börsenbl. f. d. dtsch. Buchhandel XCVU o. S. Geschichten und Begebenheiten aus dem Le-

ben russischer Barfüssler und Asylisten, denen Gorki in den Jahren seines Tramplebens begegnete [und in seinem Drama „Nachtasyl" darstellte]; Fest 1973 Hitler 198 Die Furcht vor gesellschaftlicher Geringschätzung . . spiegelte das irreparabel gestörte Verhältnis des einstigen Asylisten zur bürgerlichen Gesellschaft.

Aszendent M. (-en; -en), Gelehrtenbildung des frühen 16. Jhs. aus (flekt. Form von) lat. ascendens, subst. Part. Präs, von ascendere 'hinauf-, emporsteigen' (zu scandere '(hinauf-)steigen'; —» skandieren, —> Skala), bis ins 19. Jh. auch in der lat. Form. a Zunächst als Fachwort der Himmelskunde gebraucht, in der Astrologie in der Bed. 'zum Zeitpunkt der Geburt aufsteigendes Gestirn, das in der Geburtsstunde am östlichen Himmel aufgehende Tierkreiszeichen', das vermeintlich Auswirkungen auf das Schicksal des Menschen hat (s. Belege um 1515, 1528, 1530, 1583, 1939, 1962, 1986), in Verbindungen wie die Jungfrau im Aszendenten haben, den Aszendenten Steinbock haben, im Aszendenten Stier geboren sein; in der Astronomie in der Bed. 'aufsteigendes Gestirn'. b Seit Anfang 18. Jh. als genealogisches Fachwort gebraucht im Sinn von 'Verwandter in direkter aufsteigender Linie, Vorfahr' (Ggs. Deszendent), z. B. (Groß-)Vater, (Groß-)Mutter, bes. im Erbrecht (s. Belege 1791, 1792, 1837, 1892), z. B. in der Zs. Aszendenten(erb)folge. Dazu seit früherem 16. Jh. die subst. Ableitung Aszendenz F. (-; ohne PL), zunächst gelegentlich Fachwort der Himmelskunde in der Bed. 'Aufgehen eines Gestirns' (zu a); seit frühem 19. Jh. im Sinn von 'direkte Verwandtschaft in aufsteigender Linie' (Ggs. Deszendenz), vereinzelt übertragen (s. Beleg 1939) (zu b); dazu gleichzeitig das selten belegte V. intrans. aszendieren, in der Bed. 'aufgehen, aufsteigen (von Gestirnen)', früher bes. auf hierarchische Strukturen bezogen im übertragenen Sinn von 'befördert werden' (zu a; —» avancieren; s. Belege 1721, 1726, 1829); seit späterem 17. Jh. die adj. Ableitung aszendent (ohne Steigerung), in der allgemeinen Bed. 'aufsteigend', selten belegt zunächst in der Himmelskunde, bes. in der Verbindung aszendente Geister (zu a); vereinzelt im späteren 18. Jh. als genealogisches Fachwort auf die direkte aufsteigende Verwandtschaftslinie bezogen, seit Mitte 20. Jh. als geologisches Fachwort gebucht für 'aus der Erde aufsteigend' (zu b; s. Beleg 1952). Aszendent a: um 1515 Gengenbach 202 die wil aber Venus iren fal het in der Junckfrawen ist zuo besorgen das ir gloub jetz nüt sy, aber der vor xl. jaren wer besser gewesen, dann sy hand den rechten ascendenten verloren; Paracelsus 1528 S. W. l 6,348 Habent ir nie verstanden, warumb der astronomus das astrum declarirt, so er sagt von der natur der planeten, der ascendenten, coniunctionibus, cometen und dergleichen?; ders. 1530 S. W. l 8,99 Dieweil nun im menschen der himel ligt und nicht änderst sein mag, so wisset hierin ir arzet alle, das im menschen ligen alle ascendenten. nun wer wil sagen das, den menschen eim ascendenten underworfen zu sein, als allein der eußer ausgedor-

ret astronomus?; ders. 1536 Wundartzney II IXa nach dem vnnd ein jedtlicher inn seim ascendente geporn ist worden; ders. 1537-38 S. W. I 12,137 also habt ir wunderbarlich auch durch die magos von Saba und Tharsis, durch den ascendenten Christi in Bethlehem/ verkünden lassen, was seine himel und firmament verkünden in der heimlikeit gottes; ders. 1572 S. W. I 13,381 durch unsern glauben und durch unser imagination . . können wir die ascendenten bezwingen nach unserm begern, und red und antwort von inen haben; Fischart 1581 Dämonomania 139 Ascendente oder Stundenzeiger; Thurneisser 1583 Onomasticon H 60 von Gott vnd meinen ascendenten ins werck

Aszendent gerichtet, vnd . . volzogen; 1586 Volksbuch vom Doctor Faust 210 Wann nuhn Gott den Ascendenten vnnd Zauberer verhenget, so mag der Geist alles zuwegen bringen, das die Natur vermag. Daher der Zauberer durch Huelff der Ascendenten die Sommerfrucht . . in dem Winter bringen; Praetorius 1668 Blockes-berg 96 Diese Zauberer und Hexen erkennen wir auß ihren Wercken/ Leben und Wandel/ diese richten ihr Thun und Lassen auff eigen Nutz/ Vnfriede/ und Zwietracht zu machen/ denn ihr Ascendent ein Feind des Friedes und Liebe ist; Zedler 1732 Universallex. II 1799 Ascendent, so heisset in der Stern-Deutung das Zeichen des Thier-Kreises, welches zur Zeit der GeburthsStunde im Aufgang stehet, oder im Aufgehen begriffen ist; Werfet 1939 Cella 146 Saturn als Aszendent, träumte es in mir, mit der Waage in Konjunktion; Brecht 1943 Galilei (Ges. W. Ill 1301) Drei Monate lang muß ich achtgeben, weil da die Sonne im Steinbock steht, aber dann bekomme ich einen äußerst günstigen Aszendenten . . Wenn ich den Jupiter nicht aus den Augen lasse, kann ich jede Reise unternehmen; Grass 1962 Blechtrotnmel 246 Was bei mir die Venus des Zeichens Waage im Hause des Aszendenten milderte, verschlimmerte der Widder im gleichen Haus meines Sohnes; ich sollte seinen Mars noch zu spüren bekommen; 1981 Spiegel Nr. 49 viele sind fest davon überzeugt, daß Sonne, Mond und Sternzeichen, daß Aszendenten . . ihr Leben beeinflussen (DUDEN 1993); MM 4.1.1986 In gemurmelter Fachsprache mache ich Saturn, die Aszendenten und die Ephemeriden für die Gewinneinbußen verantwortlich. aszendent: Widmann/Pfitzer 1674 Fausts Leben 78 Wie er nun . . von den ascendenten und descendenten-Geistern, und ändern mehr geforschet, und seine Geburt-Stunde mit denen damaligen Gestirns-Einflüssen, wol erwogen, hat er befunden, daß . . die Geister eine sonderliche . . Zuneigung zu ihm haben solten; 1725 Faustbuch christl. Meyn. 5 Darum läse er fleißig im Zoroastre von ascendenten und decendenten Geistern. Aszendenz: Paracelsus 1530 S. W. l 8,248 so der pfau zu seiner unnatürlichen zeit den tot seins hausherrn verkünt mit seim geschrei? dieweil nit der pfau das tut sonder der ascendens des tots, der hat sein Wirkung im pfauen; Toxites 1574 Onomastica 442 f. das gros Ilech/ ist das astrum/oder ascendens das auffsteigend der artzney/ darin er verborgen ligt/ wie das ober gestirn im firmament/ vnd das vnder im menschen mit der arzenei gege/ vnd eingepflanzt ist; Halbe 1898 Ges. W. IV 75 Saturn steht in der Aszendenz! Hütet Euch, Herr! aszendieren: Paracelsus 1531 S. W. l 9,235 solche krankheit komen . . alein aus dem geist mercurii

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der also ascendirt; Rot 1571 Diet. 291 ascendirn auff steygen/ vbersich gehn; Herlicius 1606 Musicom. E6b Manch duodecimam vnd quint,/ Die miteinander ascendirn,/ Vnd auch fein wieder descendirn; 1721 Evangel. Schulordn. Ill 231 Wer das pensum classis tertiae absolviret und nach allen Stücken recht gefasset hat, ascendiret ad secundam; Fleming 1726 Soldat 145 wer sich bey dieser wohl signalisirt, kan hernach mit größern Meriten und weniger Neide zu höhern Stellen ascendiren; Zedler 1732 Universallex. 1799 ascendiren, auffwärts steigen, hinauff kommen, oder gehen, aufffahren; Goethe 1826 Gespr. Kanzler Müller Der Irrtum jener Schule bestehe darinnen, daß sie ihre Muster in der Periode vor dem Culminations Punct der Mahlerey aufsuche, vermeinend daß sie dabey historisch ascendiren könne (GWB); Dinter 1829 Leben 87 Endlich bat ich um das Diakonat in meiner Vaterstadt, als der schon ein Mal erwähnte Bilder-Prediger, Archidiakonus Herrmann gestorben war. Allein der Diakonus Winter ascendirte nicht, und ein Candidat konnte ihm nicht vorgezogen werden; Pierer 1888 Konversationslex. l 1404 Aszendieren . . aufsteigen; Hartmann 1926 Ethik 361 Die aszendierende Tendenz, die hier wurzelt, ist darum dennoch eine echte vorsehende und sittlich schaffende Aszendenz. Aszendent b: Marperger 1712 Naturlex. 121 Ascendentes, die Eltern, Groß-Eltern und alle andere Freunde in aufsteigender Linie; 1712 Gesch. Kees 524 Herr Johann Jacob Käse auf Lösnig etc. Ansuchung gethan . . dasz Er dem Altar zur rechten Hand die abgezeichnete Vierte Capelle . . und darunter ein Begräbnis vor sich, seine . . descendenten, Aszcendenten und Collatorales .. anbauen und sich derselben bedienen möchte; Zedler 1732 Universallex. U 1799 Ascendentes, von denen wir gezeuget oder gebohren worden, bey denen RechtsGelehrten die Eltern, GroßEltern und andere Persohnen in aufsteigender Linie; Hase 1779 Aldermann H 195 Nun, ich glaube, daß dies genung von ihm gesagt ist, daß ihn Ihro Exzellenz in Dero Protektion genommen. Und das giebt ihn auch den größten Ascendent, durch den er so viel vermag, und überall Einflüsse hat; 1791 (Berg 1796 Handb. Policeyrecht VI 2,957) Im Fall aber dergleichen Erben nicht vorhanden sind; so soll den Kollateralerben oder Ascendenten, welche sich, bei Lebzeiten des Verstorbenen, mit dessen Unterhaltung nicht belästigen wollen, auch von dessen Verlassenschaft nichts gereicht werden; Siebenkees 1792 von letzten Willen 60 Testamente der Eltern (Ascendenten) unter ihren Kindern (Descendenten) erfordern nicht die gewöhnlichen Förmlichkeiten; Jean Paul 1797 S. W. l 7,143 Ich [werde] blos in den Kirchenbüchern graben und grübeln . . um hinter meine

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Atavismus

Aszendenten mütterlicher Seite zu kommen; Borne 1823 Ges. Sehr, l 233 Der Hirtenjunge David .. stellt sich selbst als Aszendent des Christ dar; Puchta 1837 Gewohnheitsrecht II 68 Es läßt sich nachweisen, daß Justinian, indem er den Ascendente verstattete, wahnsinnigen Descendenten in dem ihnen hinterlassenen Pflichttheil, für den Fall, daß sie nicht genesen würden, zu substituiren; Mommsen 1856 Rom. Gesch. I 58 so reicht die Familie so weit, als die Ascendenten individuell bezeichnet werden; v. Liszt 1877 Strafrechtl. Aufs, l 28 Sind nur Aszendenten und Deszendenten, oder auch die Seitenverwandten und Verschwägerten des Ermordeten . . „ideell" verletzt?; Wolf 1892 Sozialpolitik I 152 Daß die Erbschaftssteuer vieler Staaten unvollständig ist, insbesondere Descendenten und Ascendenten frei läßt, wäre kein Hindernis der Brauchbarkeit eventueller statistischer Aufnahmen; Tucholsky 1913 Ges. W. 79 Vielmehr sehen sie nur die bewegliche Sache und die Frauensperson und eine Aszendentin im ersten Grad. aszendent: Lichtenberg 1765—99 Sudelbücher 427 Es könnte gar wohl sein, daß eine gewisse Generation in linea recta ascendente et descendente ein Ganzes ausmachen könnte, das sich teils vervollkommnet teils verschlimmert; v. Bubnoff 1952 Fennosarmatia 229 daß der Absatz der Erze aus aszendenten Thermallösungen erfolgte, die sich beim Aufstieg abkühlten.

Aszendenz: /. Grimm 1826 Dtsch. Grammatik II 364 kuning, oudering etc. bezeichnen durchaus nichts kleines und fädrunge ascendenz, keine desendenz; Alexis 1852 Bürgerpflicht V 21 wobei ich gar nicht in Abrede stellen will, daß ein in der Descendenz so heruntergekommener Adel gut thut, seine Ascendenz bis zu den Cimbern hinaufzuführen und seine Schläfe mit Druidenkränzen zu umwinden; Hilty 1903 Br. 17 und daß die Söhne darin in der Regel eher der Mutter . . die Töchter umgekehrt der väterlichen Aszendenz gleichen; Wätzold 1924 Kunsthistoriker U 130 Genealogie der Motive in Aszendenz und Deszendenz; 1927 Natur XVlll 311 a Wir sehen Einzelwesen mit geringen Abänderungen behaftet auftreten, die auf die Nachkommenschaft vererbt werden. Es müssen doch individuelle Variationen sein: denn in der Aszendenz konnten die neuen Eigenschaften nicht vorhanden sein; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XI 615) Man sieht hier Goethe's großen Roman, der zu der hohen Aszendenz des „Zauberbergs" gehört, ebenfalls in der Traditionsreihe der Quester Legends; Hausenstein 1951 Wanderungen 243 dass . . Max Regers . . mütterliche Ascendenz ins Böhmische hinüberführt; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 40 Ahnentafel (=Darstellung der „Aszendenz"); Rensch 1965 Homo 5 Aszendenz des Menschen . . Schriften . . die sich mit der Frage der menschlichen Sonderstellung im Reiche der Lebewesen befassen.

Atavismus M. (-; Atavismen), im späteren 19. Jh., eventuell unter Einwirkung von älterem gleichbed. engl. atavism, frz. atavisme, gebildet zu lat. atavus 'Großvater des Urgroßvaters, Vorfahre, Urahne' (zu avus 'Großvater'). Zunächst fachspr. in der Vererbungslehre in der Bed. 'Wiederauftreten von Merkmalen mittelbar vorangegangener Generationen (bei Pflanzen, Tieren, Menschen), Generationensprung von erblichen Kennzeichen' (s. Belege 1866, 1886, 1901, 1913, 1957), auch wertend im Sinn von 'Rückfall in eine frühere Entwicklungsstufe' (s. Belege 1882, 1903, 1909, 1957, 1985, 1990); etwa gleichzeitig bildungsspr. und meist abwertend im Sinn von 'Rückkehr zu einem unzeitgemäßen, überholten Verhalten oder Weltbild, Rückschritt, Barbarismus' (s. Belege 1881, 1911, 1943, 1993), gelegentlich übertragen verwendet, weitgehend gleichbed. mit —* Anachronismus bzw. ^Archaismus (s. Belege 1918-29, 1930, 1947, 1950, 1957). Dazu seit spätem 19. Jh. die adj. Ableitung atavistisch (ohne Steigerung), fachspr. in der Bed. 'den Generationensprung von erblichen Merkmalen betreffend, auf ihm beruhend' (s. Beleg 1896), auch wertend (s. Belege 1927, 1932); seit Ende 19. Jh. bildungsspr. und meist abwertend verwendet im Sinn von 'rückschrittlich, unzivilisiert, barbarisch' (s. Belege 1896, 1944, 1952, 1970, 1993), auch übertragen gebraucht, weitgehend gleichbed. mit anachronistisch (—> Anachronismus) bzw. archaistisch (—* Archaismus) (s. Belege 1912, 1963), z. B. ein atavistisches Verhalten.

Atavismus Atavismus: Haeckel 1866 Generelle Morphologie U 223 Vererbung und Anpassung (Atavismus und Variabilität); 1870 Geograph. Jahrb. 291 Wir sahen jenen Fall in Wien und Meynert sprach sich dabei über Atavismus vorsichtig aus; Scherer 1870 Vortr. u. Aufs. 328 Auch die Geschichte des Geistes hat ihren Atavismus. Es leben unter uns Leute, deren seelische Verfassung, deren Gedanken, Anschauungen, Empfindungen aus einer abgelaufenen Geschichtsepoche, aus dem Mittelalter stammen; Büchner 1872 Mensch 55 Ein Beispiel von dem, was die Botaniker Atavismus nennen oder von dem Streben der Abarten, zu einem früheren Typus zurückzukehren; Nordau 1881 Kreml l 103 politischer Atavismus; Büchner 1882 Licht 281 Erscheinungen des s. g. Atavismus oder Rückschlags; Dilthey 1883 Einl. (Ges. Sehr, l 136) durch eine Art von wissenschaftlichem Atavismus auf die erste, die theologische Stufe zurücksank; Scherr 1883 Haidekraut 287 die Lehre vom Atavismus, womit unsere Zeit, wie mit anderen gleichwerthigen Aufstellungen und Schlagwörtern, so dickthut; Hornberger 1883 Selbstgespr. 42 In Bismarck und Wagner lebt nach dem Gesetze des Atavismus der primitive Germane wieder auf. Wann wird die andere Generation, die der massvollen Denker, die der Lessing und Goethe wieder aufleben und in welcher Gestalt?; Nordau 1884 Lügen 127 Nur das Phänomen des Atavismus gibt den Schlüssel zum Verständnis einer die Manneswürde, das Selbstgefühl, ja manchmal sogar den Selbsterhaltungstrieb überwiegenden Königstreue; Nietzsche 1886 Fröhliche Wissenschaft (W. U 43) Die seltnen Menschen einer Zeit verstehe ich am liebsten als plötzlich auftauchende Nachschößlinge vergangener Kulturen und deren Kräfte: gleichsam als den Atavismus eines Volks und einer Gesittung; Schmidt 1886 Charakteristiken l 424 Die Naturwissenschaft nennt es Atavismus, wenn Eigenthümlichkeiten der Vorfahren mit Überspringung ganzer Generationen bei den Enkeln wieder hervortreten; Hallier 1889 Kulturgesch. 429 Atavismus .. Die Organismen zeigen individuelle Charaktere, welche mehrere Generationen hindurch latent bleiben können; Haeckel 1899 Welträthsel 165 Denn auch die Gesetze der latenten Vererbung oder des Atavismus gelten ebenso für die Psyche wie für die anatomische Organisation; Gegenbaur 1901 Erlebtes 113 Von meinen Kindern ward das Interesse für die Kunst allgemein gepflegt, und ich sehe dies als einen Atavismus an, welcher von meiner seligen Mutter seinen Ausgang nahm; Woltmann 1903 Anthropologie 28 Atavismus oder Rückschlagsvererbung; Babo u. Mach 1909 Weinbau l 1,332 Rückschlag zu den Formen der Voreltern (Atavismus); Berolzheimer 1910 Deutschland 413 Ob sich bei der Dirne (wie auch beim Verbrecher) physiolo-

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gisch Atavismen nachweisen lassen, sodaß sie also somatisch einen Rückschlag in längst vergangene Zeiten darstellen würden, mag dahingestellt bleiben; Brieger-WasseriOgel 1911 Gesellschaft 52 unschön sind alle pathetischen Haar- und Barttrachten. Die Künstlertolle, der Künstlerbart sind Atavismen, die . . heute noch . . Kurs haben; Haeckel 1913 LW. 289 Gesetze der latenten Vererbung (Atavismus); 1914 Stimmen d. Zeit LXXXVII 565 stellt er als herkömmliche Definition fest, „daß der Atavismus ein Rückschlag auf einen früheren phyletischen Zustand sei"; Rathenau 1917 V. kommenden Dingen 35 Dieser Zustand des mechanistischen Geistes . . ist nichts anderes als der zum Grossstadttaumel aufgepeitschte Urzustand der niederen Rassen . . Mehr als ein Atavismus; ein Niedersinken; Meray 1918 Weltmutation 50 Die griechische Geschichte . . ist bereits die Geschichte des „Atavismus", des Durchbruchs der Rückschlagserscheinungen; Schumpeter 1918-29 Aufs. z. Soz. 119 Der Imperialismus ist ein Atavismus; Benjamin 1924 Br. l 351 Du hast — aus irgendwelchen sagenhaften Komplexen oder Atavismen heraus — Dich entschlossen, unsern . . Briefwechsel . . auszusetzen; Colerus 1929 Kaufherr 25 Er hatte trotz seiner sonstigen hochgeistigen und fortschrittlichen Art einen merkwürdig altertümlichen Akzent in seinen Scherzen . . sie waren sicher der Atavismus einer langen patrizischen Ahnenreihe; 1930 Nord u. Süd LIII 374 für das Verschwinden, mindestens die Verfeinerung dieses Kampfes nicht kämpfen wollen, hieße, . . den räuberischen Atavismus barbarischer Epochen verewigen; 1939 Bistum Regensburg 200 der „Atavismus" einer mehr oder minder gelungenen Palestnna-Nachahmung; N. Z. Z. 1.9.1943 Die Klassendikatur . . ist nur als Rückfall, als politischer Atavismus zu betrachten; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 496) ein naturalistischer Atavismus, . . ein barbarisches Rudiment aus vormusikalischen Tagen, ist der Gleitklang; 1949 Sprache l 111 Diese zeichenrealistische Identifikation von Zeichen und Bezeichnetem, Namen und Sache geht aus einer Einstellung zur Sprache hervor, die in primitiven Zeiten allgemein ist, auf religiösem Gebiet dagegen als sakraler Atavismus auch noch in Hochkulturphasen hinüberreicht; 1950 Wort u. Wahrheit V 884 der Hass ist kein Atavismus, kein Überbleibsel von Urinstinkt aus einer wahrscheinlich nur phantastisch fingierten tierischen Herdenzeit der Menschen; Bauer 1957 Verbrechen 42 Rückfall in ein früheres Entwicklungsstadium des Menschengeschlechts (Atavismus); Frisch 1957 Homo faber 127 Reisen, meine Herren, ist mittelalterlich . . es ist ein Atavismus, von einem Ort zum ändern zu fahren; Zeit 15.11.1985 Ähnlich deutete der italienische Kriminologe Cesare Lombroso . . „verbrecherische Gesinnung" als Folge ei-

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Atelier

nes Atavismus, als Rückfall in einen niederen, primitiven menschlichen Zustand; Spiegel 30. 7.1990 Die Atavismus-These schien besonders attraktiv: zu augenfällig sind die kannibalischen Riten, . . zu denen Sexualmörder imstande sind; Süddtsch. Ztg. 2. 2.1993 Die kultische Verehrung des „Unbekannten Soldaten" ist eine Erfindung der Französischen Revolution . . Da an diesem Ritual . . nicht mehr gezweifelt wird, obwohl man durchaus fragen könnte, welchen Sinn solcher Atavismus macht, entzündet sich der Streit . . an dessen Liturgie; Spiegel 4. 4.1994 Daß es noch immer Ungleichheit gibt, ist in unserer Gesellschaft ein Atavismus. atavistisch: Nordau 1881 Kreml I 9 daß die ganze Politik des neunzehnten Jahrhunderts auf der Nationalitätenidee beruht, die nichts Anderes ist als ein geradezu atavistischer Rückfall in die Beschränktheit der antiken Anschauung, die die eigene Nation für die ausgewählte . . hielt; Schmidt 1886 Charakteristiken 1424 Auerbachs Wesen läßt sich atavistisch begreifen; du Bois-Reymond 1890 Reden II 2,419 Es wäre doch etwas bedenklich .. auf eine aus der Fischzeit des Menschen herstammende, atavistische Empfindungsweise sich zu berufen; Lombroso 1894 Antisemitismus (Übers.) 2 zwei Ursachen [des Antisemitismus], die atavistischer Natur sind; Fern 1895 Socialismus (Übers.) 29 trotz mancher atavistischer Rückfälle oder krankhaften Äusserungen in Gewaltthaten einzelner gegen die Gesellschaft; Vogt 1896 Leben 2 atavistische Vererbung; 1896 Cosmopolis l 263 atavistischer Rückfall in abgelebte Anschauungen; Kellner 1900 England 121 ein solches Ausmass von atavistischer Entartung; Schmilz 1911 Brevier 36 atavistischer Rückschlag; Berolzheimer 1910 Deutschland 413 psychologisch bedeutet die Prostituierte ganz zweifellos eine durchaus atavistische Erscheinung; Lamprecht 1912 DG;V. / 195 noch heute tragen selbst unsere vollendetsten Dampfmaschinen . . deutlich die atavistischen Spuren der Pumpmaschine; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 959) Ein Zwischenfall und Menetekel wie der Untergang des Dampfers Titanic wirkte atavistisch, aber wahrhaft erquicklich; 1927 Sittengesch. d. Lasters 188 Der Cunnilingus dürfte seine

Entstehungsgründe teils in einem atavistischen Rückfall haben, teils in einer isolierten Adoration der Genitalen; 1929 Nord u. Süd Lll 266 jene Instinkte . ., die bei der größten Zahl von Menschen zu finden sind . . die atavistischen, von Urvätern her ererbten; Steynen 1932 Frau 125 in dieser Verquickung von zurückgehaltenem Stolz und atavistischer Ungezähmtheit des Erotischen; Hoche 1936 Weg 154 Merkwürdig, daß Du mit Deiner freudigen Bereitwilligkeit, alle körperlichen Hüllen fallen zu lassen, seelisch so andere Pfade wandelst — augenscheinlich atavistische Instinkte, uralte Waffen im Kampfe gegen den Mann; Th. Mann 1944 Reden u. Aufs. (W. XII 927) Der deutsche Liberalismus . . empfand ihn als atavistisch und rückfällig; ders. 1947 Faustus (W. VI 377) Seinen Kavalierskonservativismus übertrumpft zu sehen durch das fürchterlich gescheite Ausspielen des Atavistischen, durch einen Radikalismus der Bewahrung; Süddtsch. Ztg. 18.4.1950 alles war zu sehen. Vom elegant und praktisch eingerichteten Hotelzimmer . . bis zum Klosettpapier, vom atavistischen Kellnerfrack bis zum aktivistischen Sahnebläser; K. Mann 1952 Wendepunkt 56 die atavistischen Monstrositäten des . . Massenkrieges (DUDEN); Süddtsch. Ztg. 16.10.1957 atavistischen kriegerischen Gelüste; ebd. 25. 3.1963 die atavistischen Ehrbegriffe, die verwunschene Strenge einer Gehorsamen des Sittenkodex; ebd. 3.10.1964 Er weiß . ., daß in allen Kulturstaaten, in denen das Amt des Henkers noch als ein atavistisches Relikt besteht, eine starke Bewegung die Abschaffung der Todesstrafe fordert; Goswin 1970 Grundzüge o. S. die brutalen und erschütternd unzeitgemäßen Unterdrückungsmaßnahmen der britischen Regierung — hier paßt der Ausdruck „atavistisch" eher; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 89 der atavistischen Ordensbrust des Generals; Zeit 24.1.1986 Besonders grundlos ist die atavistische britische Angst, Feinde welcher Art auch immer könnten nun ungehindert vom Kontinent auf die Inseln vordringen; FAZ 31.10.1990 im High-tech-Japan hätte man solch atavistischen Personalaufwand .. am allerletzten erwartet; Spiegel 6. 9.1993 mit dem Krieg aufzuräumen, diesem letzten Relikt einer atavistischen Vergangenheit.

Atelier N. (-s; -s), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. atelier (< gleichbed. altfrz. astelier, ursprünglich 'Haufen von Holzspänen; Zimmermannswerkstatt, in der Holzspäne anfallen', zu altfrz. astel(l)e, attelle 'Span, Splitter' < gleichbed. mlat./spätlat. astella < gleichbed. lat. astula, assula, Diminutiv zu assis, asser 'Stange, Balken, Brett'), anfangs vereinzelt in Schreibungen wie Attelier, Attilier. a In der Bed. 'heller, meist mit hohen Fenstern ausgestatteter größerer Arbeitsraum, Arbeitsstätte, Werkstatt eines Künstlers' (weitgehend gleichbed. mit —*Studio a),

Atelier

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zunächst vor allem in Bezug auf Maler und Bildhauer, dann auch auf Maßschneider (seit ca. 1850, s. Belege 1888, 1915) und Fotografen (seit ca. 1870, s. Belege 1924, 1985) ausgedehnt, bes. in der Wendung ein Atelier einrichten; als Grundwort in Zss. wie Künstler-, Maler-, Zeichen-, Foto-, Meister-, Maß-, Modeatelier 'Modegeschäft, in dem Damenkleidung nach Maß angefertigt wird', auch als Bestimmungswort in Zss. wie Atelierbildnis 'Bild, das den Künstler bei der Arbeit im Atelier zeigt (häufig als Kulisse für ein Selbstporträt dienend)', Ateliermalerei 'Malerei, die Außenmotive (bes. Landschaften) darstellt, die aus der Erinnerung, nach Skizzen oder mit Hilfe technischer Mittel im Atelier entstanden sind' (Ggs. Freilichtmalerei)., Atelierfenster 'schräges, in das Dach eingebautes Fenster einer Atelierwohnung', Atelierwohnung 'anspruchsvolle, großzügige Wohnung unter dem Dach eines Hauses' (—» Studio e; s. Belege 1958, 1987), Atelierfest 'Künstlerfest', Ateliertheater 'kleines Werkstatt-, Experimentiertheater, Zimmertheater' (—» Studio c). Selten auch in der Bed. 'Sammlungs-, Ausstellungsraum (bes. für Kunstwerke und -schätze)' (s. Belege 1811, 1827, 1919, 1964, 1987); früher gelegentlich auch als Bezeichnung für den organisierten (künstlerischen) Werkstattbetrieb und das in einem Atelier arbeitende Personal (s. Belege 1816, 1828, 1863, 1866) sowie selten im Sinne von 'Werkstätte für (Kunst-)Handwerker, Arbeiter' (s. Belege 1845, 1964), im 19. Jh. bes. in dem frz. Syntagma ateliers nationaux für die 1789 in Frankreich errichteten öffentlichen Werkstätten, in denen jeder Bürger Arbeit finden konnte (s. Belege 1850, 1852). b Seit frühem 20. Jh. speziell in der Bed. 'Raum, Gebäude(-komplex) für Filmaufnahmen; Filmwerkstätte(n)' (heute meist durch —»· Studio b ersetzt), z. B. in der Wendung ein Stück, ein Roman geht ins Atelier 'ein Stück, ein Roman wird verfilmt' und bes. in den Zss. Filmatelier; Atelierbetrieb. Atelier a: Marperger 1712 Naturlex. 132 Attelier, ist eines Mahlers oder Bildhauers . . Werckstatt; Zedler 1732 Unwersallex. U 2001 Atelier, . . Bauoder Zimmerhof; Gessner 1787 Briefw. 226 Doch über alle Feuerwerke und Feste gieng mir der Besuch bei Moor, den ich zwar diesmal nicht sprechen, aber doch mit Müsse mich in seinem Attelier umsehen konnte; Kotzebue 1804 Erinn. a. Paris 361 Einige große Mahler und ihre Atteliers; Goethe 1807 Br. (WA IV 30,109) so ließe sich ihm [Zeichenlehrer] vielleicht ein von der Zeichenschule abgesondertes Atelier, wie es ja [der Bildhauer] Weißer auch hat, einrichten; 1811 Die Grille I 89 ein Mahler, der seine Kunststatt (die Deutschen sagen Attelier) in der Vorstadt einer belagerten Festung aufgeschlagen; Goethe 1811 Br. (WA IV 22,384) durch die Einrichtung eines Ateliers für die eigentliche Ölmalerey; ders. 1811 Dichtung u. Wahrh. (I 26,137) wurde mein . . helles Giebelzimmer . . sogleich in ein Kabinett und Atelier umgewandelt; ders. 1816 Br. (WA IV 27,30) [dem Bildhauer Kaufmann] der gegenwärtig in Rom, in Canova's Atelier, gewiß an seine rechte Stelle, von dem Ober-Meister angewiesen; . . ihm wird durch Handwerker und Unterkünstler entgegen gearbeitet, wie er das ihm Aufgetragene des Obermeisters letzter Hand entgegen zu führen strebt; Ad. Scho-

penhauer 1823 — 26 Tagebuch 14 malte ich in meinem Atelier; Goethe 1827 Br. (WA IV 42,342) in Ihrem Atelier zugleich der seltensten Kunstschätze und einer geneigten Aufnahme zu genießen; ders. 1828 Br. (WA IV 44,346) daß ein gründlicher plastischer Unterricht, eine fortschreitende künstlerische Ausbildung nur in Ihrem Attilier, unter Ihrer geneigten Aufsicht zu hoffen . . sey, daß Sie derselben [Angelica Facius] einen Platz in ihrem Attilier gönnen; Lewald 1836 Aquarelle U 204 hingen Gemälde von allen Dimensionen an der Wand, in den Ecken und auf Staffeleien..Dann gab es noch die widerwärtigen Zugaben eines Malerateliers: eine Suite von Todtenköpfen, Todtenmasken, ferner Puppen und Acte, Theatercostüme, . . die nach der Natur gemalt werden wollen; Pückler-Muskau 1840 Bildersaal l 224 Heute besuchte ich . . das Attelier [!] des berühmten Bildhauers Dannecker; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW U 55) die massenhaften, kommunistischen Arbeiter, welche in den Ateliers (Werkstätten) von Manchester und Lyon . . tätig sind; Stein 1850 Königthum 256 Die Ateliers nationaux (Überschr.) Es ist seiner Zeit über diese Nationalwerkstätten viel geschrieben und gestritten worden. . . Das Dauernde und Bedeutende in dieser eigenthümlichen Institution liegt . . in dem Verhältniß, in welchem sie zu dem ent-

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stehenden und immer schärfer hervortretenden Gegensatz der beiden Klassen stand; ebd. 278 daß die Organisation der Arbeit durch die Centralisation der Industrie in der Hand des Staats vermittelst der Ateliers sociaux geschehen solle; Szarvady 1852 Paris l 359 Die provisorische Regierung hatte durch ihren ebenso unmoralischen wie leichtsinnigen Versuch der großen Bettlerbewahranstalt, die man nach französischem Brauche mit dem pompösen Titel „ateliers nationaux" ausschmückte, alle Taugenichtse und Müßiggänger Frankreichs nach Paris [zu holen]; Maser 1853 Pauperismus 28 Der Betrag der den Fabrikanten zu gewährenden Subsidien ist ein höherer oder geringerer, je nachdem in dem Atelier eine neue oder schon bekannte Industrie betrieben werden soll. Man betrachtet die Atelier modeles nicht ausschließlich als ein Mittel zur Bekämpfung des Pauperismus in Flandern; 1855 Hausblätter U 459 Pariser Atelierbesuche. Aus den Briefen eines Künstlers (Überschr.); ebd. Ill 384 Es leben jetzt in Berlin unter den 150 Bildhauern und Bildschnitzern nicht weniger als achtzehn bis zwanzig bedeutende Meister dieser Kunst, die zum Theil ihre eigenen Ateliers haben; 1858 Staatswb. Ill 486 Die Idee der ateliers nationaux ist von der Wissenschaft und von der Geschichte so überwunden, daß wir von demjenigen Standpunkte als dem richtigen ausgehen, welcher eine direkte staatliche Ordnung der Fabrikökonomik in allen Formen für verwerflich ansieht; Vischer 1860 Krit. Gänge N. F. i 105 Wir wollen uns . . heute in das Atelier eines Malers begeben; Rodenberg 1863 Strassensängerin III 190 In dem Atelier wirtschaftete der . . Gehülfe mit Messer, Kamm und Brenneisen; 1866 Gartenlaube 679 Wir wurden in ein großes, helles Atelier geführt, wo wir ein Dutzend Creolen emsig über den Zeichentisch und die Holzplatten gebückt sehen; Springer 1868 Berlin 66 Ein niedliches Mädchen begiebt sich nach dem Atelier, um Akt zu stehen, aber unterwegs begegnet ihr der hübsche Fähnrich und beredet sie zur Umkehr. Unterdessen harren die jungen Künstler vergeblich an ihren Staffeleien und der alte Professor spricht kopfschüttelnd: „Ja, meine Herren, die weiblichen Modelle sind nun einmal unzuverlässig!"; Faucher 1877 Culturbilder 221 die Studenten-Frauen . . sind . . aus dem . . Stande der Nähterinnen, Floristinnen, Modistinnen . ., welche in den Atliers für die Frauen-Toilette arbeiten; Hillebrand 1878 Profile 46 Lamartine's . . biographische Notizen enthalten Nichts als allgemeine Betrachtungen, . . mehr oder minder verbürgte Atelieranekdoten ohne besonderen Werth; Nordau 1881 Paris l 232 erhält er Einladungen in gute Bürgerhäuser, erlangt er Zutritt in Zeitungsredactionen, Künstlerateliers, Theatercoulissen, ja Garderobezimmer von reizenden Actricen; Lindenberg 1883

Berlin 23 die Ateliers und Werkstätten; Gottschall 1885 Totenkl. 266 Aus dem Modell macht Alphonse Daudet kein Hehl, wie er uns überhaupt den vollen Einblick in sein Atelier gestattet; 1888 Wien 496 [Gunkel, berühmter Schneider in Wien um 1850,] besass sein Atelier, wie er es nannte, in der Hauptstrasse des alten Wien, . . im ersten Stockwerke eines Hauses, in dessen Gassenläden Sammt und Seide . . verkauft wurden; Proelli 1891 Modelle 26 hatten . . wir . . uns um den Eintritt in eines der akademischen Meisterateliers beworben; ebd. waren wir . . darauf bedacht, unsre Ateliers thunlichst nahe bei einander, womöglich auf einem Flur, in einem Hause zu mieten. Fröhliche Bummeltage die folgende Ateliersuche! Schließlich wurde unser eifriges Suchen belohnt. Strömberg und ich fanden geeignete Zimmer .. und eine Etage höher schlug Peter Klampfner seine Malerwerkstatt auf; ebd. 58 Ihr kommt gerade recht, um ein bißl Münchener Atelierromantik kennen zu lernen; Harden 1892 Apostata N. F. 2 dessen ernsteste Sorge die ist, nicht in künstlich getönter Atelierbeleuchtung, vielmehr im hellen Licht eines genau festgehaltenen Augenblicks das Bild zu zeigen; Eckstein 1892 Dombrowsky l 93 las er eine redaktionelle Notiz über die bevorstehende Publikation, von „Atelierwanderungen" aus der Feder Emanuel Hardner's, „des anerkanntesten unter den deutschen Kunstkritikern"; Th. Mann 1894 Erz. (W. Vlll 11) in seinem Atelier soupierte es sich ganz charmant; 1898 (Trübner, Personalien 78) die Komponierschulen (auch Meisterateliers genannt); Potenz 1900 Leben 195 daß jetzt sein Atelier ein öffentlicher Ort geworden sei, den jedermann unbedenklich aufsuchen könne; Th. Mann 1902 Erz. (W. Vlll 198) jedes fünfte Haus läßt Atelierfensterscheiben in der Sonne blinken; ders. 1906 Erz. (W. Vlll 391) er hatte die Morgenstunde . . in dem Atelier seines Professors verbracht; Berolzheimer 1910 Deutschland 297 Emanzipation von der matten Atelier-Farbengebung; Hesse 1910 Rosshalde 70 Er stand leise auf . . und trug die Leinwand . . in das Atelier; Meyer 1911 Aufs, l 76 Wieder sind wir in der Virtuosität des Nachahmens . . so weit, daß es gar nichts mehr zu sagen hat, wenn ein Dichter parodiert wird. Die Augen sind geschärft, die Finger im Technischen geschult; da kommen bald „Atelierbilder" zustande und bald Karikaturen. Sie wirken nicht mehr; . . sie haben höchstens noch literarhistorische Bedeutung; Böhmer 1915 Sklavinnen 59 Ein junges Mädchen aus dem Schnittmusteratelier kam jetzt hereingestürzt, um einen von ihr in Papier abgenommenen Schnitt zu zeigen; 1919 Dtsch. Rundsch. CLXXVUI 138 Atelier- und Ausstellungskunst; Hannenheim 1920 Kristian 3 Einer ist Maler, der ladet die ändern zum Atelierfrühstück; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Hl 300)

Atelier man wußte nicht, war man in dem Atelier eines Photographen, einer Dunkelkammer oder einer Erfinderwerkstatt und technischen Hexenoffizin; Graf 1925 Gesicht 69 Es werden auch noch „Atelier-Abende" gefeiert; Friedeil 1928 Kulturgesch. II 378 Die ganze klassische Dichtung wurde zur Atelierdichtung: die Dramen, Romane, Gedichte, Abhandlungen der Klassiker haben kleine Fenster, Zimmeratmosphäre, künstliche oder höchstens Interieurbeleuchtung, starke Linien, aber blasse Farben; Musil 1930 Mann l 50 er hatte . . eine Zeitlang in einem Atelier gewohnt; Friedell 1931 Kulturgesch. Ill 177 der Staat hat . . „der Banker der Armen" zu sein. Dieses Projekt wurde in Paris nach der Revolution von der „provisorischen" Regierung aufgenommen. Man errichtete „ateliers nationaux", in denen jedem Bürger Lohn und Arbeit geboten wurde. . . Die Idee der Nationalwerkstätten hatte ein klägliches Fiasko gemacht; Gebauer 1932 Kulturgesch. 517 Die neuen Maler lehrten, daß es nicht nur ein Atelierlicht, sondern unzählige wechselnde Lichteindrücke gibt; Berl. Illustr. Nachtausg. 19.1.1933 Poelzig wurde 1916 als Stadtbaurat zum Professor der Technischen Hochschule .. ernannt und 1920 als Leiter eines Meisteratiliers [!] für Architektur an die Technische Hochschule nach Berlin berufen; Lokal-Anz. 8.8.1933 Am liebsten hielt Karl Hagemeister sich in der Natur auf. Als Jäger, als Fischer und als Maler . . mietete er sich bei Bauersleuten ein und streifte mit seinem „Freilicht-Atelier" durch das Land; ebd. 29.12.1934 Vorsteher eines Meisterateliers für Malerei bei der Preußischen Akademie der Künste; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 135 wohnte ich . . im Hause meines Vetters, des Malers Max Liebermann, der oben sein Atelier hatte; ebd. 140 besuchten wir noch Künstlerateliers, namentlich die Schott am meisten interessierenden Bildhauer; Dhünen 1939 Spiel 137 Seit Herr Püttner eine Dreizimmerwohnung mit Atelier in der Galeriestraße gemietet hatte; Münch. N.N. 7./8.1l. 1942 die ausgereifte Ruhe eines sorgfältig durchgeführten Atelierbildes; Mühsam 1949 Namen 207 Wahrhaft schön waren aber im Münchener Fasching die Atelierfeste (WDG); Süddtsch. Ztg. 24.3.1949 Die Atelierreihenhäuser, die der Architekt .. bei Kopenhagen baute, die Malerateliers, die in Zürich im Zusammenhang mit viergeschossigen Wohnbauten . . errichtet wurden, die von dem Züricher Architekten . . projektierte Maler- und Bildhauersiedlung . . können Anregungen zur Lösung der Ateliernot geben; ebd. München braucht Künstlerateliers (Überschr.); NZ. (Basel) 4.2.1950 Führendes Damenkonfektionshaus . . sucht . . eine qualifizierte . . Absteckerin, Atelierdirectrice, welche schon viele Jahre diesen Posten in erstklassigen Häusern der Branche bekleidet hat (Anzeige);

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Münch. Abendztg. 30.12.1950 Herbert Weicker ist voller Zuversicht für sein Ateliertheater. Die drei ausverkauften Monate der „Ehrbaren Dirne" . . haben diese kleinste Münchner Bühne endgültig existenzfähig gemacht. Im Ateliertheater, übrigens das einzige deutsche Zimmertheater mit Guckkastenbühne, waren . . das Gastspiel der Kammerspiele mit Sartres „Hinter verschlossenen Türen" und das Gastspiel Sibylle Schmitz' die glücklichsten Treffer; Simmel 1958 Affäre 111 Sie wohnte in einer Atelierwohnung, hoch über den Dächern der Stadt (DUDEN); Grass 1962 Blechtrommel 385 das Atelier Maruhns war staubig hell, fast leer und zeigte keine einzige fertige Arbeit; Heuss 1963 Erinn. 101 ich bin oft im Atelier . . gewesen und habe etwas von der Technik der Bildhauerei . . gelernt; Partner 1964 Erben 102 dieser Helm kam aus einem oberitalienischen Atelier; ebd. 312 das Land am Chiemsee . . sei noch unverdorben: „keine modischen Badeorte, . . keine Golfplätze und keine Spielkasinos, . . keine Modelle von Dior und keine Roben aus römischen Ateliers"; ebd. 421 neben den Schreibsälen gab es auch Ateliers für Goldschmiede und Elfenbeinschnitzer, für Seidenweber und Teppichwirker, Freskenmaler und Mosaikkünstler; Welt 2.8.1969 Fotogeschäft evtl. mit Atelier .. zu pachten . . gesucht (Anzeige); Andersch 1971 Kirschen 86 während ein Maler und ein Theoretiker sich in dem .. Dämmerlicht eines Schwabinger Ateliers über gegenständliche und abstrakte Kunst streiten; Zeit 8.1.1985 die Stipendiaten in den Studios und Ateliers; ebd. 15.2.1985 seine Impressionistenfreunde, mit denen er sich 1874 zu einer Protestausstellung im Atelier des Photographen Nadar zusammengefunden hatte; ebd. 8.3.1985 ob man denn schreiben könne, wenn man so schön wohnt außerhalb der Problemzonen — auf diese Frage reagieren Karl Lyrik und Gabriele Prosa mit einer langen Reihe von Bänden, geschrieben in den schrägoffenen Schreib- und Atelierhäusern, die wie aufgetane Augen und Ohren im Park sind; ebd. 29. 3.1985 die Schöne, einst Aktmodell im Atelier des berühmten Bildhauers; MM 16.9.1986 der Dadaist wird Surrealist, hat sein Atelier in Paris neben dem von Max Ernst; Zeit 12.6.1987 die Ausstellung der Stiftung Deutsche Kinomathek nimmt das alte Berliner Nobelhotel „Esplanade" als großes Atelier: als leeren Raum, in den hinein mit Kulissen und Dekors eine fremde . . Welt gezaubert wird; MM 20.6.1987 er . . eröffnete in Hannover ein seriöses Atelier für Werbegrafik; ebd. 18. 7.1987 fast wie ein Ausstellungsraum wirkt die riesige, lichtüberflutete Atelierwohnung der Mannheimer Malerin in den Quadraten; ebd. 15.2.1988 vor der Trümmerkulisse des Brandenburger Tors im schwäbischen Dachatelier sitzt ein rundlich-puppiges Mädchen mit

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amerikanischem Besatzerfähnchen; ebd. 25.5. 1988 diese Gruppe von sechs Künstlern arbeitete gemeinsam in einem Atelier in Köln; Süddtsch. Ztg. 12./13.12.1992 Im Aquarell „Der Künstler vor seinem Werk" entwirft Daumier das Bild des grüblerischen Malers. . . Die Kargheit des dargestellten Raumes erinnert an Atelierszenen Caspar David Friedrichs und an Daumiers eigenes weniger luxuriöses Atelier; ebd. 18./19.9.1993 Der Berliner Maler . . reist — photographierend — durch Europa und hält das . . Vergehen dieser von Menschen gemachten . . Architekturen [Fabriken] fest. Im Atelier werden dann aus diesen Begegnungen romantische Bilder; ebd. 9./10.10.1993 Im römischen Schneideratelier . . entstanden die Gewänder für Kolossalfilme. Atelier b: Bronnen 1928 Film 26 Das war also Burbank, dies die großen Ateliers der First National, alles noch neu, frisch gestrichen, . . je vier Ateliers in zwei Reihen, mit Verwaltungsgebäuden und Maschinenräumen ein Komplex von 25 Gebäuden auf einem Gelände, das eine Breite von 700, eine Tiefe von 1100 Metern aufwies; 1933 „Duden" Sammlung o. S. Nach einer Arbeitszeit von rund 2 Monaten sind die Außenaufnahmen fertiggestellt. . . Die Atelieraufnahmen [zur Verfilmung des „Schimmelreiters"] sind jetzt in vollem Gange, so daß mit der Fertigstellung und der Uraufführung zu Weihnachten bestimmt zu rechnen ist; LokalAnz. 18.8.1934 Die Aufnahmen zu dem großen Ufa-Tonfilm „Turandot" haben begonnen. Das Fieber der Arbeit erfüllt die mächtige Atelierhalle; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Die Produktionsstätten (Überseht.) Zwischen der äußersten Konzentration in der Herstellung der Tonapparatur in einer Hand und der weitgehenden Zersplitterung der Filmherstellung in kleine .. Unternehmen steht eine verhältnismäßig begrenzte Gruppe der Ate-

lierbetriebe. . . Die Kosten eines Atelierbetriebs sind . . mit der Umstellung auf den Tonfilm . . wesentlich gewachsen; Manch. N.N. 22.1.1940 Der hohe Tannenwald, der draußen in Geiselgasteig zu allen Atelierfenstern (möchte man sagen, wenn ein Filmatelier Fenster hätte) hineinsieht und die ganzen Anlagen als eine botanische Brandungsstelle umfaßt, ist allen Stilelementen verbunden; Süddtsch. Ztg. 30.5.1951 Rationelle Auslastung der Atelierkapazität [beim Filmen]; Welt 25.7.1959 unter den Scheinwerfern des Fernsehateliers, in dem die Diskussion auf Farbfilm aufgenommen . . wurde; Bildztg. 16.2.1967 laut Drehbuch stellte die Masina in dem Film Ritas gestrenge Mutter dar — aber die beiden „Rettichköpfe" hielten sich kaum an die Vorschriften: sie trieben im Atelier so tolle Spaße, daß der Kameramann vor Lachen kaum weiterdrehen konnte; FAZ 27.1.1970 Die SPD-Fraktion . . hat den Verwaltungsrat des Norddeutschen Rundfunks . . aufgefordert, die vorgesehene Beteiligung des Springer-Konzerns an der „Studio Hamburg Atelierbetriebsgesellschaft" .. zu verhindern; Prange 1970 Rübmann o. S. dieselbe Schauspielerin erschien eines Morgens mit einer angeschwollenen Lippe in den Atelierräumen; 1973 Hörzu XIV 147 Mitte Mai soll der Fünfteiler ins Atelier gehen (DUDEN); Zeit 25.1.1985 daß über Wochen und Monate, ohne daß . . der Regisseur am Schneidetisch dazwischen fährt, ein derart diskretes Aufnahmegerät in ein Atelier installiert werden könnte; ebd. 8.8.1986 um die Welt auf die Leinwand zu bringen, genügt Lang [Regisseur] ein gut ausgestattetes Atelier; MM 25.8.1986 man kann ein kleines Modell jenes Filmateliers studieren, in dem 1919/20 „Das Cabinett des Dr. Caligari" gedreht wurde; ebd. 9.7.1987 wenn ich im Atelier stehe und filme, weiß ich nicht, ob ich drei Stunden oder sieben Minuten oder neun Stunden spiele.

Atheismus M. (-; PL ungebr.), seit spätem 16. Jh. nachgewiesene gelehrte Bildung zu griech. 'gottlos, ohne Gott, die öffentlich verehrten Götter leugnend, verachtend' (Possessivkompositum aus dem Negationspräfix - (—» a-Präfix) und 'Gott', also eigentlich 'nicht Gott habend'), bis ins späte 18. Jh. auch in der latinisierten (flekt.) Form, vereinzelt mit lat. PL Atheismi (s. Beleg 1588). Vor allem im weltanschaulichen Bereich verwendet in der Bed. 'Ablehnung jeder Art von Gottesglauben; Verneinung der Existenz Gottes oder einer göttlichen Weltordnung; Gottesleugnung', häufig in Verbindung mit sinnverwandten Ausdrücken wie Aberglaube, Abgötterei (s. Beleg 1709), Götzendienst, Heidentum, Ketzerei, Freigeisterei (s. Beleg 1924), Unglaube (s. Belege 1827, 1843), Schwärmerei (s. Beleg 1785), -» Nihilismus und -» Materialismus (s. Belege 1897, 1904, 1985), zu unterscheiden von Bezeichnungen für religionsphilosophische Lehren wie —» Theismus (s.

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Beleg 1910), -» Deismus (s. Belege 1790, 1910) und -» Pantheismus (s. Beleg 1862); selten auch übertragen verwendet (s. Belege 1843, 1852). Im 17./18. Jh. dafür häufiger auch das von Atheist (s. u.) abgeleitete, eher pejorativ verwendete Subst. Atheisterey F. (-; -en), plur. auch für 'gotteslästerliche Handlungen, Äußerungen'. Dazu ebenfalls seit spätem 16. Jh. die Personenbezeichnung Atheist M. (-en; -en), anfangs und vereinzelt bis ins 18. Jh. in der gräzisierenden Form Atheos mit Pl. Athei, selten in der latinisierenden Form Atheista (s. Belege 1668, 1700, 1907) und vom Ende 17. bis etwa Mitte 18. Jh. gelegentlich in der frz. beeinflußten Form Atheiste, in der Bed. 'Anhänger des Atheismus; jmd., der die Existenz Gottes verneint, Gottesleugner', öfter in Verbindung mit Ausdrücken wie Götzendiener, Ketzer (s. Belege 1627, 1790), Heide, Nichtchrist, Unchrist, Ungläubiger, Freigeist (s. Belege 1714, 1790), Pantheist, Deist (s. Belege 1713, 1775) sowie Materialist und Nihilist (—» Agnostiker und —»· Dissident); gleichzeitig die adj. Ableitung atheistisch (ohne Steigerung) 'den Atheismus, die Atheisten betreffend; dem Atheismus anhängend; zu ihm gehörend, ihm entsprechend', öfter in Verbindung mit Ausdrücken wie gottlos, heidnisch, ketzerisch, unchristlich, ungläubig, nihilistisch und materialistisch (s. Beleg 1926), in Wendungen wie ein atheistischer Philosoph, Staat, atheistische Äußerungen. Atheismus: Fischart 1581 Dämonomania 128 sagt/ . . Polytheismus est merus Atheismus, das ist/ Die Manigfaltigung der Götter ist eyn lautere Gottlosigkeit; ebd. 354 Aber es ward eyner so wol als der ander des Atheismi vnd der Zauberei beschuldigt; Hansonius 1588 Warnung 23 solche jhre Calvinisten Gotslästerliche Lehrstuck vnnd Atheismi; Rathgeb 1592 Von Kriegssachen 5 f. Ich will allein von jetzt von dreyen erschrecklichen Lastern reden/ . . das erste ist Atheismus oder Verachtung göttlicher Vrtheil; Lusy 1596 Reisbuch gen Jerusalem 106 [kommen] auß einem Irrthumb in den ändern vnd also volgends gar in den Atheismum; Schweighart 1617 Pandora 14 Dann spanstu . . die Seyten zu hoch/ so fälstu in Atheismum; Meyfart 1636 Hochschulen 3b daraus gleichsam ein öffentlicher Atheismus entstehen wollen; Mengering 1638 Soldatenteufel 121 Ruchlosigkeit, Frevel, Trotz, verlassen auff eigen krafft vnd Vermögen, vnd mit einem Wort Atheismus, die Epicurische wirckliche Verleugnung Gottes; Seifert 1647 Gewissens-Buch 15 zu dem atheismo vnd allem bösen dem Teuffei die thür . . öffnet; Praetorius 1676 Winter-Quartier 440 Atheismus; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 95 daß die Mahometanische Lehre unter uns in schwänge gienge/ das wäre ja ein rechter offenbahrer Atheismus; Kirchmayer 1698 Bergwerck 2 nebenst dem vermaledeyeten Atheismo [im Staatsleben]; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 96 auch die principia Ethica eines neuen Philosophi, welche den Atheismum gantz offenbarlich inculciren/ und also dem Christentum und allen Religionen zuwider sind; 1702 Monatl. Auszug

Okt. 21 Anm. Diejenigen/ welche den Auctorem des Atheismi beschuldigen/ wollen/ daß er sich durch diese Begebenheit über das Wunder moquire, so bey Gebung der Zehn Gebote/ Gott auf den Berg Sinai denen Israeliten sehen lassen/ da er auf denen Wolken zu Mose geredet; 1705 Auserlesene Anm. 188 Nun aber da die Welt anietzo gar sehr zum Atheismo incliniret/ kan es nicht anders seyn es müßen nicht nur die Prediger spitzfindigen ingeniis Anlaß geben über ihre treuhertzige Vermahnungen zu spotten; sondern auch viele arme Seelen in die gefährlichste Gemüths-Kranckheit/ ich meyne den Atheismum hingerißen werden/ wenn sie von ändern hören/ wie man natürliche Dinge vor göttliche Thaten ausgiebet; 1709 Neue Bibliothek 47 die controvers, ob der Aberglauben oder der Atheismus einer Republique schädlicher seye; 1711 Fama V// 511 Es scheinet aber/ als habe der Autor dem guten Cartesio ebenfalls zuviel gethan/ wann er schreibet/ daß man durch solche Hypothesin zum Atheismo verführet würde; 1715 Fama XL/V 614 stellet er unterschiedener Philosophos ex Schola Jonica auf/ und untersuchet/ wie weit sie sich des Atheismi schuldig gemacht. Z. E. von Thalete urtheilet er/ er sey nicht Atheismi expliciti, sondern nur directi regus; Sperander 1727 A la mod Sprach 54 Atheismus, die Atheisterey, oder GOttes-Verleugnung; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) U 780 so fallen sie .. auf . . den Atheismum; 1736 Heluet. Bibliothek IV 173 was berühmte Männer unsrer Zeiten . . in besondern Dissertationen beygetragen haben, die Ehre und Unschuld vieler grosser Männer wider die bös-

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haffte Verleumdung des Atheismi, ans Licht und in Sicherheit zu stellen; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 26 In der .. Beurtheilung atheistischer Sätze muß man behutsam seyn, noch viel weniger aber darf man von der Behauptung aller atheistischen Sätze auf den Atheismum selbst schliessen; ebd. 29 in der Bestreitung des Atheismi; ebd. 34 Wenn gleich die Grundsätze dieser Lehrgebäude zum atheismo gereichen und einen atheistischen Lehrbegriff ausmachen, so sind doch um deswillen nicht alle Anhänger dieser Lehrgebäude für eigentliche . . Gottesverleugner zu halten; Meister 1777 Beiträge H 221 den Calvin zugleich des Nestorianismus, des Judaismus, des Mahometanismus und des Atheismus selbst zu beschuldigen; 1781 Dtsch. Museum U 502 Anm. Dieses Buch [„System der Natur"], das öffentlich den Atheismus lehrt; Mendelssohn 1785 Morgenstunden l 144 Atheimus und Aberglaube, Zweifelsucht und Schwärmerey; Nicolai 1790 Anekdoten l 215 Daß der Herr Graf . . Friedrich den zweyten vom Atheismus zum Deismus zurückgebracht habe; 1805 Br. v. d. Univ. 227 Dies ist der wahre, wissenschaftlicher Atheismus, der, wenn sich der Mensch je noch recht besänne, wie er einer ursprünglichen Naturidee fremd geworden ist, ihn zur vollen Zerknirschung treiben müßte; Luden 1811 Sinn d. Handb. d. Staatsweisheit 6 Anm. wer die Weltbegebenheiten nicht in diesem Sinne [die Geschichte als Quelle der Staatsweisheit] nimmt, sondern vielmehr für zufällige Folgen zufälliger Handlungen, der predigt im Grunde . . Atheismus; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 28,259) als Lavater zuletzt mit dem harten Dilemma hervortrat: Entweder Christ oder Atheist! Ich erklärte darauf, daß wenn er mir mein Christentum nicht lassen wollte, . . so könnte ich mich auch wohl zum Atheismus entschließen; Ranke 1827 Br. Llll/LlV 180 sich gegenüber sehen sie nichts, als Mechanismus, Irreligiosität, Atheismus; Wit v. Dörring 1830 Fragmente l 95 Atheismus; Gutzkow 1838 Blasedow 111 114 Ist der Atheismus consequent, so macht er aus seiner Resignation auf die Welt einen Cultus; Buss 1843 Armenpflege l Von. XXV Wir erkennen . . den immer mehr in die Massen dringenden kirchlichen und politischen Rationalismus . . und infolge des politischen Atheismus den Mangel alles Glaubens an die Institutionen; 1844 Histor.-polit. Blätter 267 dem pantheistischen Atheismus der modernen spinozisch-schellingisch-hegelschen Speculation; Preller 1846 Aufs. 206 welche Verse [des Kritias] eine vollständige Theorie des Atheismus enthalten; Prutz 1847 Shelley und die Posie des Atheismus (Titel); Szarvady 1852 Paris l 41 Was die Franzosen den Deutschen noch weit übler nehmen, als ihre hartnäckige Liebe zum Rhein und der katholischen Stadt Köln, das ist ihr culinarischer

Atheismus. Sie können es nicht begreifen, daß sich die Deutschen noch nicht zur französischen Küche bekehrt haben und sie erzählen sich die ergötzlichsten Sonderbarkeiten von der Barbarei der deutschen Gastronomie; Daumer 1862 Mansarde VI 201 Die verschiedenartigsten . . Principien, . . Glaubensbekenntnisse . . und tendenziösen Verbindungen . . sind in Deutschland zu Hause: Absolutismus, Aristokratismus, . . Katholicismus, . . Pantheismus, Atheismus, Materialismus; Meyr 1866 Gespr. 224 Der andere Theil, der aus den hellem Köpfen besteht, . . den Männern der Wissenschaft, bekennt entweder . . den Atheismus, oder kümmert sich wenigstens nicht um Gott; Hillebrand 1881 Jahrb. d. Revol. 357 man schwor auf die Republik . ., auf den Katholicismus oder den Atheismus, auf die Romantik oder die Classik; Harden 1892 Apostata N. F. 3 als der leitende . . General seinen Ansichten über Atheismus und Soldatenmißhandlungen . . freien Lauf ließ; Hertling 1897 Kl. Sehr. 24 Propaganda des krassesten Materialismus und Atheismus; Berolzheimer 1904 System l Vorr. V Der überwuchernde Einfluß der Naturwissenschaften . . auf die Geisteswissenschaften, der einem pseudophilosophischen Atheismus und . . Materialismus das Feld geebnet hatte; 1904 Zfvgl. Lit. gesch. N. F. XV 278 die britische Form des Atheismus und Quietismus; 1907 Dtsch. Revue XXXil 1,143 Was kann die Kirche gegen die Ausbreitung des Atheismus tun?; Shaftesbury 1910 Moralisten 17 daß man, um ein echter Christ zu sein, vor allem zuerst ein guter Theist sein muß, denn der Gegensatz von Theismus ist notwendig Polytheismus oder Atheismus; Hashagen 1910 Kandidatenzeit 177 Oberflächliches Philosophieren mag zum Atheismus hintreiben; Mauthner 1922—23 Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande (Titel); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 705) er erinnert sich nicht gern daran, daß es Zeiten gab, wo sein Bund all die Antipathie auf sich versammelte, die Freigeisterei, Atheismus, enzyklopädische Vernunft sonst dem Komplex von Kirche, Katholizismus . . zuwendete; Der Tag 3.11.1928 daß der Atheismus, sofern einer nur wirklich an ihn glaubt, religiöser sei als ein gleichgültiger Glaube an Gott; Friedeil 1931 Kulturgesch. 111 396 [der] narzistische Großstadtatheismus; Gebauer 1932 Kulturgesch. 239 [der] glaubenslose Atheismus; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. XI 272) Aufsatz über Nietzsche's Atheismus, verstanden als eine religiöse Sonderform; Maritain 1950 Hum. (Übers.) 29 Wurzeln des sowjetischen Atheismus; Süddtsch. Ztg. 31.3.1959 Wo der Atheismus folgerichtig zu Ende gedacht . . wird, verliert der Mensch seine Würde; Stuttgarter Ztg. 15.6.1959 Der Atheismus bedroht die ganze Welt (Überschr.); Brentano 1962 Literatur 22 am

Atheismus Ende ist der Atheismus die indiskutable Weltanschauung aller Gebildeten; Welt 21.2.1964 nach den Worten des Bischofs sollte mit dieser Äußerung keineswegs zum Ausdruck gebracht werden, Kirche und Atheismus künftig friedlich nebeneinander leben zu lassen; Stuttgarter Ztg. 6.8.1964 Experten des Atheismus. Ein schwedisches Handbuch rät zum Austritt aus der Kirche (Überschr.); ebd. 8.1.1967 Das vatikanische Sekretariat für die Nichtgläubigen wird . . ein „römisches Zentrum für Studien über den Atheismus" errichten; FAZ 12.11.1970 Der einzige an einer DDR-Universität bisher geschaffene Lehrstuhl für wissenschaftlichen Atheismus ist abgeschafft worden; Welt 2.1.1974 der König griff kommunistischen Atheismus und israelischen Zionismus an; Sloterdijk 1983 Kritik 73 Einen dogmatischen Rückfall erlitt die Kritik erst, als sie . . anfing, sich zu einem tolpatschigen Atheismus zu bekennen; Zeit 8.2.1985 die einzige Lösung, die . . die Rettung des christlichen Abendlands bedeuten würde, wäre . . Abschied von Atheismus, Materialismus, Vergnügungssucht, Rückbesinnung auf den Sinn unseres Daseins; MM 16.2.1985 für Guardini sind entfesselte Technik, totalitäre Macht und militanter Atheismus die Folgen der Neuzeit; Zeit 27.12. 1985 der Atheismus als „wissenschaftlich" untermauerte Weltanschauung ist nahezu tot; Stern 3. 6. 1987 Phryne, eine schöne Hetäre, die im vierten Jahrhundert vor Christus in Athen lebte und es dank ihrer körperlichen Reize zu beachtlichem Reichtum gebracht hatte, war von einem verschmähten Liebhaber des Atheismus bezichtigt worden. Atheist: Fischart 1581 Dämonotnania 46 Ja nicht allein die H. Schrifft/ sondern auch allerley geschlecht der Philosophen . . vnd Araber stimmen hierinn/ das Geyster seien/ vbereyn. Also/ das wer es zweiffei ziehen wolt (gleich wie die Epicurische Atheisten thun) der müst ganz vngereimt die Principia der Metaphysick verneynen/ ja das eyn Gott sei läugnen; ebd. 323 Gottlose Atheisten; ebd. 325 Gotteslästerer vnd Atheisten; M. Florenünus 1617 Rosa Florescens B5a wie jener Atheist, der bey einem angerichtem prechtigen Pancket vnnd Wolleben mit solchen Gottlosen werten heraußfuhre; Stettier 1627 Chronik l 361 b Er führete ein Epicurisches Leben, were ein Atheist, Kätzer, hochgetragen, ein Spieler vnd Prasser; um 1638 Teutscher Michel 210 was thuet der Calvinist? er nist zum Atheist/ und sitzt bequem beym Antichrist auff seinem Mist; Borne 1641 Consultatio Clb Im Gegentheil aber diese Atheisten fluchen, verneinen vnd verachten . . allen Gottesdienst; Grossgebauer 1661 Preservatif 11 die Atheisten, als Partheyische Leute und Feinde der Bibel; Leibniz 1668 Confes-

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sio Naturae contra Atheistas (Titel); Birken 1669 Ulysses. Vorr. 3a thörichte Atheisten; Weise 1673 Erznarren 140 Ach was vor ein schön Fundament haben die Atheisten zu ihrem absoluto decreto, zu ihrer praedeterminatione voluntatis, und was die ändern Grillen sein, dadurch man Gott entweder per directum oder per indirectum zu der Sünden Ursache machen will; Thomasius 1688 MonatsGespräche 269 ich bin mit dieser definition ankommen/ daß ich bald darüber wäre zum Atheisten gemacht worden; ders. 1691 Vernunftlehre 11 35 Auff diese Weise heist man ja ausdrücklich/ daß ein vernünfftiger Mensch zum wenigsten auff eine Zeitlang ein Atheiste seyn müsse; Heidegger 1698 Mythoscopia. Zuschrifft 4a Peter Gassers Roman, under dem Titul: Außforderung mit aller-demüthigst-gebottnem Vernunfts-Trotz/ an alle Atheisten/ Machiavellisten/ Romans etc. zu einem Zweykampf; um 1700 Schock Phantasten 60 Der gröste Narr auf Erden ist,/ Ein Gott vergessner Atheist,/ Der hört und siht die Göttlich Krafft/ Die er verläugnet Vnd veracht; um 1700 (1938 Sachsen u. Anhalt XIV 137) [jener Spruch, den man damals, um 1700—1750, einem jungen Studenten mit auf den Weg gab:] Halam tendis, auf pietista, aut atheista revisurus; Wernicke 1704 Epigramme 179 Atheisten (Überschr.) Dass ein verfluchter Mensch vor seinem Irrthum stirbt,/ und eh' er Gott bekennt, des Lebens sich beraubet; 1705 Auserlesene Anm. II 188 Denn diese Vorstellung ist capabel sowohl einen sonst alles in Zweifel ziehenden Atheisten zu faßen/ als denen ändern lebendig erkennen zu geben/ worinn Sie GOtt um Reinigung ihres Herzens anzuflehen haben; 1709 Neue Bibliothek l 48 daß Mr. Toland speculativische Atheisten/ welche mit dem Diagora sagen/ se nescire an detur Deus, und keine practices supponire; Menantes 1709 Satir. Roman H 56 du wollüstiger Atheist, must du die Schrift [Bibel] zur Billigung der allerverdammlichsten Unzucht selber anziehen?; Wächtler 1709 Manual 43 Atheiste, der nichts von GOtt glaubet/ ein ruchloser Mensch; 1713 Fama XXVIII 257 Widerlegung der Atheisten, Deisten und Neuen Zweiffler; Abel 1714 Gedichte 24 Ein Frey-Geist aber, ja ein frecher Atheist; Schmidt 1736 Bibl. Mathematicus Vorr. o. S. Die boshafften Atheisten und Spötter haben ja nichts mehr gemein, als die H. Schrifft vieler falschen und mit der Vernunft zustreitenden Dinge zu beschuldigen; 1743 Belustigungen U 9 Atheiste; 1748 Vergnügte Abendstunden I 156 Atheisten, die weder Gott noch Teufel glauben; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,49) die Leute, . . die der Satan nicht zu puren Atheisten hat machen können, zu so Narren, die sich dahin determiniren, es ist kein Gott; Meier 1755-59 Metaphysik 489 Die theoretischen Atheisten leugnen Gott. . . Und

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man theilt sie wieder in eine doppelte Classe ein. a) Die unwissenden Atheisten, oder die aus Unwissenheit Atheisten sind. . . b) Die leugnenden Atheisten, das sind die eigentlichen Atheisten, welche eine Erkenntniß von Gott haben, und ihn demohnerachtet leugnen; Rabener 1759 Satiren I 101 Er war ein rechter Atheiste, ohne Gottesfurcht und Gewissen, und wie er lebte, so starb er auch; Basedow 1764 Philatelie l 566 Wer keine übermenschlichen Wesen glaubt, . . wird ein Atheist genannt; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 26 wird die Benennung von solchen gebraucht, die dergleichen Lehren behaupten, welche zwar mit der Gottesverleugnung zusammenhängen, doch aber nicht so offenbar und nothwendig, daß sie von allen Atheisten . . als . . Lehren angenommen werden solten; Sailer 1767 Urbild 9 als Freydenker, als Deisten, als Naturalisten, als Atheisten, als Enkel der Socinianer; Geliert 1770 S. Sehr. VII 409 Man kann der gründlichste Kenner der Religion dem Verstande nach, und nach dem Herzen ein ungebesserter Atheist seyn; Goethe 1774 Br. (WA IV 2,173) all die hohe heilige Krafft der simpeln Natur . . führt sie nun in . . Orphischem Gesang von Aufgang herauf über die Weite Welt, nachdem er [Herder in seiner Kritik der deistischen Vernunftreligion] vorher die Lasterbrut der neuern Geister, De- und Atheisten, Philologen, Textverbesserer, Orientalisten, mit Feuer und Schwefel und Fluthsturm ausgetilget; Nicolai 1775 Notbanker II 72 Berlin sey voll von Atheisten, Deisten, Naturalisten, und wer weis von was für isten mehr; Schertel v. Burtenbach 1778 Beytr. 57 Ich rede hier zwar nicht nach dem Geschmack der so genannten Esprits forts, Atheisten, Deisten . ., selbige werden aber auch von der Gründlichkeit ihrer Lehrsätze Niemand bereden können als jene Leute, die eben so verdorbenen Herzens und verblendeter Sinne sind als sie selbsten; Mably 1779 Gesetzgebung (Übers.) U 202 Man nennet insgemein Atheisten jene Philosophen, . . welche die Existenz eines höchsten Wesens oder die Vorsicht läugnen; Lavater 1781 Verm. Sehr. II 137 wie ich ohne Christus ein Atheist wäre; Nicolai 1790 Anekdoten I 31 Freygeister . ., in welchem besonders der Markis d'Argens als ein Ketzer und Atheist abgemalt war; Laukhard 1797 Leben IV 1,24 Laubadere sey im Grunde ein Bethbruder, ein Rosenkränzler, so sehr er auch öffentlich den Atheisten spielen wolle; Heinzmann 1800 Fruehst. 192 Atheisten (Gottesläugner); Mattbison 1808 Wallfahrt (VI 335) Atheisten; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 29,8) Bayle's Wörterbuch. . . Der Artikel Spinoza erregte in mir Unbehagen und Mißtrauen. Zuerst wird der Mann als Atheist, und seine Meinungen als höchst verwerflich angegeben; Heine 1835 Romant. Schule 124 die alten Jesuiten . . wurden Mörder und Handelsleute, und, wo es

darauf ankam, wurden sie sogar Atheisten; Schopenhauer 1840 Moral 78 strömten alle Philosophaster und Phantasten, den Atheistendenunzianten F. H. Jacobi an der Spitze, nach diesem ihnen unerwartet aufgegangenen Pförtlein hin; Szarvady 1852 Paris I 60 f. Ein Atheist, der zu zweifeln anfängt, ist kein Atheist mehr; Meyr 1866 Gespr. 224 diejenigen, die einen Gott annehmen und ihn . . gegen die Atheisten von Profession auch zu erweisen suchen, bleiben doch in der Regel ohne näheres Verhältniß zu ihm; Jäger 1869 Darwinsche Theorie 145 Wenn man Jemanden einen Atheisten nennt, welcher das fortwährende Eingreifen eines persönlichen Schöpfers in den Gang der Natur in Abrede stellt, dann bin einer; Hillebrand 1874 England 309 Vorzüglich mundete jene mittlere Philosophie Voltaire's dem Mittelstande, der noch nicht daran dachte, wie die eingeschüchterte Bourgeoisie von heute, sie mit dem Materialismus revolutionärer Atheisten in einen Topf zu werfen; Nordau 1884 Lügen 41 Friedrich Strauß nennt einen Idealismus, dessen Wesenheit das Nichtvorhandensein einer übersinnlichen Religion ist, die „Religion" der Zukunft. Erinnert das nicht ein wenig an den Atheisten der bekannten Anekdote, der ausruft: „Bei Gott, ich bin ein Atheist?"; Kleinpaul 1892 Sprache 499 Was soll man von einem Atheisten halten, der den Glauben hersagt; Harden 1892 Apostata N. F. 35 der . . Redacteur Dumas, ein Atheist von reinstem Wasser, den keine Macht der Erde zur Ablegung des christlichen Eides bewegen konnte; Keller 1904 Humanismus 10 Atheisten oder Heiden; 1907 Dtsch. Revue XXXII 1,143 Die Zeit, in der unter das Bild Baruch Spinoza's neben den Namen das Wort „Atheista" gesetzt wurde, ist längst vorüber; das Wort hat seinen schrecklichen Klang verloren; Wassermann 1908 Hauser 67 aber die wohlwollende Dame ging hin und erzählte überall, Caspar [Hauser] werde zum Atheisten gemacht; Flake 1924 Zweite Jugend 59 Sie war religiös, er ein Atheist; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 85) ich hörte, sie sei eine so enragierte Atheistin, daß sie jedem, der es wage, Gott vor ihr zu nennen, die Douche verordne; Werfet 1928 Abituriententag 87 Bist du noch immer Atheist ..? Ich meine, wir haben eben einen Gottesbeweis erlebt; Musil 1930 Mann I 83 geradeso wie man ein Atheist sein kann und doch „Grüß Gott" sagt; Gebauer 1932 Kulturgesch. 198 Auch die Religion suchte er [Christian Wolff] ausschließlich auf die Vernunft zu stützen, die Moral aber vom Glauben unabhängig zu begründen. Er wurde deshalb von Halle auf Betreiben der Pietisten als „Atheist" verbannt; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 562) man möge selbst Atheist sein — und Schopenhauer war es — ; ist man nur Metaphysiker, so bleibt es immer möglich zu Resultaten zu gelangen, die die Forderungen re-

Atheismus ligiöser Moral . . in wünschenswerter Weise bekräftigen; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. 1X711) wenn er [Nietzsche] Atheist war, . . so war er es . . aus Menschenliebe; ders. 1954 Reden u. Aufs. (W. X 825) in diesen Abschiedsbriefen finden Christen und Atheisten sich in dem Glauben des Fortlebens, der ihre Seelen ruhig macht; Stuttgarter Ztg. 6.8.1964 Ein „Handbuch des Atheisten" ist in Schweden erschienen, versehen mit einer einzigartigen Neuheit: In jedem Exemplar liegt eine gedruckte Austrittserklärung aus der Staatskirche; Buchmann 1971 Gott o. S. wenn sie als Christen wirklich gefordert werden, versagen sie, sind sie oft brutaler . . als Ungläubige und Atheisten; Zeit 15. 2.1985 Bach ist die Religion für Atheisten; ebd. 29.3.1985 mit einem Papst, der . . wie ein Pazifist der Welt ins Gewissen geredet hat . . können sich sogar Atheisten über den Frieden im Himmel verständigen; ebd. 21.11.1986 Kirchen und Kirchenleute dürfen nicht beleidigt . . werden, ebensowenig wie . . etwa die Agnostiker oder Atheisten; MM 24. 6.1987 die jüngste im Plenum, . . 25 Jahre und schon seit zehn Jahren „grün", gefällt sich im Handbuch, eine „Atheistin" zu sein; Wuketits 1987 Darwin 115 gerade Atheisten und Agnostiker sind nicht selten von Humanismus beseelt; Zeit 31.12. 1993 Ernst Bloch, der Atheist, war ein abgefeimter Kenner von allerlei Theologie. Atheisterey: Grossgebauer 1661 Preservatif 4a Atheisterey; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 38 die Knaben von Jugend an desto besser von der . . einreissenden atheisterey abzuhalten; ders. 1691 Vernunftlehre II 35 Ist dieses aber nicht eine schöne Philosophie die von der Atheisterey anfanget!; Martin-Schnüffis 1695 Maultrommel 57 Atheisterey; 1709 Neue Bibliothek I 49 Mr. Fay gestehet ja/ der Herr Toland streite gegen die Atheisten/ er sage die wahre Religion werde von zwey Feinden der Atheisterey und der superstition geplaget; 1715 Fama XLll 409 Er könne sich nicht genug verwundern, daß er so ein erschrecklicher Narr gewesen und auf die Atheisterey und deren Grund etwas gehalten; 1717 Gundlingiana 303 f. Von Th. Hobbesii Atheisterey (Überschr.); Musig 1718 Licht d. Weisheit II 133 Die Atheisterey kömmt daher, weil ich aus unordentlicher Liebe zu mir selbst alleine einen Herrn abgeben und keinen höhern über mich erkennen will; Faramond 1719 Epictetus 174 die Atheisterey und das gottlose Leben; 3727 Gundlingiana l Von Platonis Atheisterey; Sperander 1727 A la mod Sprach 54 Die verhohlene Atheisterey wird getrieben, entweder in Gedancken theoretice, wann solche Sätze behauptet werden, die durch unumgängliche Folgen die Gottheit vernichten, . . oder mit der That, practice; Brucker 1734 Fragen V Reg. II Atheisterey . .

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nimmt mit den Wissenschaften in Italien zu; 1736 Helvet. Bibliothek IV 172 da die Verleumdung höher nicht kan getrieben werden, als daß man jemanden der Atheisterey und Gottes-Vergessenheit bezüchtiget; 1738 Hamb. Berichte 315 die Meinung von der möglichen Ewigkeit der Welt, und der vorher bestirnten Harmonie, von der angeschuldigten indirecten Einflössung der Atheisterey, unmöglich frei gesprochen werden könne; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,197) Wir wollen nicht erst wieder Grund legen mit Bußpredigten über die Laster, oder wider die Atheisterey; Zincke 1751-52 Camer. Bibl. 504 dieser gelehrte und fromme Lehrer in seinem Tractat von der Atheisterey und dem Aberglauben; Meier 1755-59 Metaphysik 488 Ich meine die Atheisterey oder Gottesleugnung, den Irrthum, vermöge dessen man leugnet, daß ein Gott sey; Geliert 1770 S. Sehr. V! 57 Anm. Er drücket sich aber so dunkel . . aus, daß man ihn selber der Atheisterey verdächtig gehalten; Lavater 1781 Verm. Sehr. 249 Mir auf der einen Seite Materialismus, auf der ändern Inspirazionsanmaßung beymessen; Den einen Augenblick mir Lamettrie's Atheisterey aufbürden, den ändern mit Hohngelächter . . sich darüber mockiren, daß ich den würcklichen Einfluß des Vaters der Geister alles Fleisches auf alle seine Kinder lehre?; Zimmermann 1784 Einsamkeit l 370 f. Dieser geheimnißreichen, grillenhaften und auf eine völlige Atheisterey hinauslaufenden Lehre; Laukhard 1792 Leben II IS wegen meiner Atheisterey — so nennen diese Leute [katholische Geistliche] gemeiniglich alle freiere Urtheile über Religionssachen; Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge H 250 um mit dem Atheisten Price zu reden, der, seiner bekannten Atheisterey unbeschadet, sein Testament, das er vor dem Kirschlorbeertrank machte, anhob: Da ich vermuthlich bald an einem bessern Orte seyn werde. atheistisch: Fischart 1581 Dämonomania 419 Dann so lang die Gottslästerungen . ./ vnd das Verrucht Epicurisch und Atheistisch leben .. werden im schwang vnd für recht durchgehen/ da ist kein hoffnung nicht/ daß man der Bösen Geyster . . werd abkommen; Weise 1673 Erznarren 151 hütet euch vor Fressen und Sauffen, das ist in der Atheistischen Welt kein Wunder, da man Gottes Gebote offt hintan setzt; 1677 Machiavell. Hocuspocus 264 die Pfaffen in Ordnung/ und ihr Hertz/ von dem atheistischen Ehr und Geldt Mammon, und dessen verfluchter Wollusts-Schwester/ zu GOtt bringen?; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 401 was hat man nicht auf vielen Universitäten für Streit wider ihn [Grotius] angefangen; wie hat man nicht diese seine wohlgegründete Lehre als Atheistisch/ Ketzerisch . . ausgeschrien; 3715 Fama XLll 408 Die

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Erfahrung bezeuget auch, daß alle Atheistische Trost-Gründe zur Zeit der Noth nicht Stich halten; Zedler 1739 Universallex. XIX 548 wenn die göttliche majestät, es sey . . durch ausgestossene ungebuerliche reden, oder ausgestreuet gotteslästerliche schrifften, und ander dergleichen unanstaendige und recht atheistische dinge, beleidiget wird; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 26 In der Benennung sowol als Beurtheilung atheistischer Sätze muß man behutsam seyn; ebd. 27 f. daß sie den Zusammenhang . . der Welt mit diesem höchsten Grundwesen leugnen, dahin nicht nur die alten atheistischen Lehrbegriffe der Epicurer und der Peripateticorum zu rechnen sind, sondern auch mancher neuern Gottesverleugner; Christ 1776 Lit. u. Kunstwerke 353 Wir wollen . . einige Arten von den zu unterdrückenden Schriften durchgehen. Einige sind so beschaffen, daß man sie bey keiner Religion duldet. Dahin gehören 1) Die völlig atheistischen Schriften; Lavater 1781 Verm. Sehr. H 448 unter allen . . atheistischen, kalvinistischen, lutherischen, menonitischen, herrnhuterschen Lesern; Becker 1784—86 Reise 214 aus atheistischen Grundsätzen; Goethe 1799 B.r. (WA IV 14,179) Daß Fichte von Jena abgegangen ist.. . Erst machten sie im philosophischen Journal einen albernen Streich, indem sie einen Aufsatz, der nach dem hergebrachten Sprachgebrauch atheistisch genug war, einrückten; ders. 1811 Dichtung u. Wahrh. (W. l 28,60) gewisse Grundsätze auf denen er [Voltaire] seine ganze Lebenszeit bestanden . . wollte man nicht mehr schätzen . . ja seinen Gott durch dessen Bekenntniß er sich von allem atheistischen Wesen loszusagen fortfuhr, ließ man ihm nicht mehr gelten; 1830 Jahrb. d.Gesch. H 484 Atheistisch hat man unsere Zeit in sehr verschiedenem Sinne genannt; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW II 134) er kündete die atheistische Gesellschaft, welche bald zu existieren beginnen sollte, durch den Beweis an, daß eine Gesellschaft von lauter Atheisten existieren, daß ein Atheist ein ehrbarer Mensch sein könne, daß sich der Mensch nicht durch den Atheismus, sondern durch den Aberglauben und den Götzendienst herabwürdige; Schopenhauer 1859 Welt (II 187) Den Fundamentalunterschied aller Religionen kann ich nicht . . darin setzen, ob sie monotheistisch, polytheistisch, pantheistisch oder atheistisch sind; Hillebrand 1882 Zeitgenossen 326 weil er [der Staat] „atheistisch" sei, d. h. nicht unter der Invocation der Gottheit stehe; Achelis 1890 Theologie II 375 Das Gift unserer sozialen Krisis liegt in den atheistischen und kommunistischen Mächten; 'Windelband 1909 Philosophie 70 den „atheistischen Buddhismus" Schopenhauers; 1915 Stimmen d. Zeit IXC 190 Das religiöse Leben der Heimat ist durch die Aushebung der Geistlichen seiner Führer be-

raubt, gerade zu einer Zeit, wo . . Paul Bourget von einem „atheistischen Mutismus" sprechen kann; Tillich 1926 religiöse Lage 108 Die materialistische oder atheistische Lösung des Gottesproblems erschien mehr und mehr als gänzlich abwegig. . . Aber auch ein eigentlicher Pantheismus . . fand in den Kreisen der höheren Bildung kein Gehör mehr; Heilborn 1929 Revolutionen II 36 die Frage: Soll der Staat christlich oder atheistisch sein? wird nicht nur erörtert, sie wird geradezu zu einem Zeitproblem; Gebauer 1932 Kulturgesch. 353 Im Jahre 1841 erschien Ludwig Feuerbachs Buch „Das Wesen des Christentums", das erste völlig atheistische und materialistische System in Deutschland; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 403) es gibt ausschließlich erotische Philosophie, atheistische Metaphysik, den kosmogonischen Mythus, in dem das Sehnsuchtsmotiv die Welt hervorruft; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 711) daß . . die religiösen Kräfte immer noch stark genug sein könnten zu einer atheistischen Religion; Süddtsch. Ztg. 18.4.1950 Das atheistische Theater (Überschr.) . . Krings unternahm es in der Vortragsreihe „Wer ist Gott?" . ., seine Erscheinungsform auf dem existentialistischen Theater zu demonstrieren und gab eine . . Analyse dieser . . Situation, in der die . . programmatische Gottesleugnung Gott gerade durch diese permanente Provokation mit im Spiele zu sein zwingt; Offenburger Tagebl. 18.2.1959 Atheistische Gegenkirche ist auf dem Marsch (Überschr.) . . soll diese mit deutscher Gründlichkeit betriebene systematische Ausgestaltung kultischer Formen als Modell für die ganze sogenannte DDR dienen und künftig alle christlichen Feiern verdrängen. Hier wird der Kultus der „atheistischen Gegenkirche" propagiert, der drüben das ganze Leben der Menschen begleiten soll; Welt 21.2.1964 schon im Entbindungsheim sollen atheistisch geschulte Mediziner auf die Mutter einreden, ihre Kinder nicht taufen zu lassen; Zeit 11.1.1985 sowohl Christen wie die atheistischen Nachfahren der Französischen Revolution glauben, daß alle Menschen Freie und Gleiche sind; ebd. 18.1.1985 regierte Enver Hodscha über Albanien, dem ersten atheistischen Staat der Welt; MM 20.1.1986 die UdSSR will sich in den Augen der konservativen Golfstaaten nicht schuldig machen, einen atheistischen Marxismus in der islamischen Welt zu fördern; Zeit 24.4.1987 ein Mikrokosmos, der sich dem Anschein nach problemlos in den atheistischen Alltag der DDR einfügt. Atheos: Fischart 1575 Garg. 7 So wißt demnach, daß er Frantz Rabelais bey vilen einen bösen ruff hat, alß ob er ein Gottloser Atheos und Epicurer seye (RÜTTER); Scheffler 1664 Türcken-Schrifft 38 Athei, das ist Gottvergessene Leute; 1702 Mo-

Äther natl. Auszug Okt. 7 Der berühmte Herr Morhof in seiner Polyhistore . . scheinet den Auctorem dieses Werks gar unter die Atheos und Naturalisten zu rechnen; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 26 welche Irrthümer [die Bestreitung der Unsterblich-

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keit] zwar muthmaßliche und indirecte, doch nicht erweisliche und eigentliche Atheisten ausmachen. Indirect! Athei oder materialiter und praesumtive tales sind solche, die es, ohne sich dessen bewußt zu seyn, sind.

Äther M. (-s; ohne PL), Anfang 14. Jh. über (m)lat. aether 'die obere, feinere Luft, Himmel, Himmelsraum; feurige Luftregion, Prinzip der Lebenswärme, des Elementarfeuers; Aufenthaltsort der Götter und Seligen, heitere Höhe' entlehnt aus griech. 'die nach Vorstellung der antiken Naturphilosophie über einer unteren, unreinen, unklareren Luftzone (griech. 'Dunst, Nebel, Gewölk', —·· aero-) liegende, klare, helle, strahlende Luftschicht' (zu 3 'leuchten, brennen'), anfangs auch in der Schreibung Ether, Etor, Eter, bis Mitte 19. Jh. auch in lat. (flekt.) Form. la Zunächst für Oberste, reine Luftschicht, Himmel', seit früherem 18. Jh. in der Sprache der Dichtung für 'hell leuchtendes Firmament, strahlender Himmel, Luft', z. B. der unendliche, weite, lichte Äther; die Lerche schwingt sich in den Äther; des Äthers Blumen für 'Sterne' (s. Beleg 1795 — 98); dazu vereinzelt die neoklassische Kombination Aethereologie F. (-; ohne PL) 'Betrachtung der Himmelsluft'. b Im 16. Jh. (Paracelsus) in der Bed. 'gestirnter Himmel, Sternenkonstellation, Gestirn, Himmelsraum mit Sternen'. 2a Vom früheren 16. bis Mitte 20. Jh., anknüpfend an die Vorstellung der antiken Naturphilosophie vom Urstoff, aus dem alle Dinge entstehen und der in allen Dingen wirkt, in der Bed. 'gesamter Luftraum, Universum; höchste Bewegkraft alles Lebens, Lebenskraft, Lebenssaft, lebendiger Urstoff, Weltseele'; im Anschluß an die in der Renaissancephilosophie übliche Auffassung des Äthers als den anderen vier Elementen übergeordnetes, himmlisch-astrales, unsichtbares fünftes Element (—»· Quintessenz), speziell in der Fachsprache der Physik in der zu Beginn des 20. Jhs. aufgegebenen Bed. 'widerstandsloses, den Weltraum und alle Dinge durchdringendes feines Medium, das die Vermittlung von Gravitationskräften, elektrischen, magnetischen und optischen Phänomenen und die Ausbreitung von Lichtwellen, elektrischen Wellen im Weltraum erklären sollte'; als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Gravitations-, Licht-, Sonnen-, Weltäther; Ätherhypothese, -problem, -räum, -teilchen, -theorie, -wellen, -wind. b Von daher seit frühem 20. Jh., heute seltener, oft in gehobener Ausdrucksweise verwendet für 'Sphäre, Substanz, in der sich elektromagnetische Wellen, bes. des Funks, Rundfunks, ausbreiten', z. B. eine Rundfunksendung geht über den Äther, in den Äther hinaus; Grüße durch den Äther schicken; Radionachrichten werden in den Äther ausgestrahlt; etwa gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Ätheraufrüstung, -brücke, -krieg, -netz, -pirat, -streit, -wellen; -wellenmusik 'um 1927 erfundene Musik, die auf elektronischem Wege erzeugt wird', etwa gleichzeitig die gebuchte subst. Ableitung Ätherophon N. (-s; -e) 'Musikinstrument, bei dem Töne durch Frequenzgeneratoren erzeugt werden'. 3a Im Anschluß an antike und christliche Vorstellungen vereinzelt seit Anfang 14. Jh., häufiger seit frühem 17. Jh. auch übertragen verwendet für 'der Hölle oder der diesseitigen Erde gegenübergestellte Region Gottes, der Seligen, Ort der ewigen Seligkeit, Paradies', in Ausrufen der Beteuerung beim Äther! 'wahrhaftig!'. Dazu im

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späten 19. Jh. die vereinzelte subst. Ableitung Ätherismus M. (-; ohne Pl.) 'Ansicht, die im Äther die Verkörperung Gottes als Urkraft sieht'. b Seit frühem 17. Jh., anknüpfend an antike und christliche Vorstellungen und an die Auffassung der Renaissancephilosophie, daß alle Wesen aus einem elementarisch irdischen, sichtbaren und einem himmlischen, astralischen, unsichtbaren Leib bestehen, auch für 'Reich des menschlichen Geistes, des Geistigen, Seelischen im menschlichen Körper, des Traums'; später auch als Bestimmungswort in Zss. wie Ätherleib 'nach anthroposophischer Ansicht angenommener geistig gedachter Träger des Lebens im menschlichen Körper, unsichtbarer Leib der höchsten geistigen Stufe, Seelenleib' (vgl. Astralleib, —> astral). c Seit Mitte 18. Jh., anknüpfend an antike griech. Bilder vom ätherischen Flammenmeer, in dem die Götter wohnen und im Anschluß an christliche Vorstellungen vom himmlischen Paradies als Symbol des Hellen, Klaren, Lichten, der Glückseligkeit einerseits und andererseits auch der klaren Nacht, Einsamkeit, wohl im Sinne einer bildlichen Verwendung von la, 2a, 3a und 3b als poetisches Modewort gebraucht; als Grundwort in Zss. wie Erden-, Frühlings-, Himmels-, Licht-, Sonnenäther; häufig als Bestimmungswort in dichterischen subst. und adj. Zss. wie Ätherauge, -blau, -dunst, -flügel, -geist, -gestalt, -glänz, -halle, -hauch, -helle, -kraft, -leben, -licht, -lüfte, -meer, -poesie, -räume, -reich, -schein, -Schimmer, -schleier, -schwinge, -strahl, -Sphäre; ätherblau, -gleich, -klar, -rein, -schillernd. 4a Anknüpfend an die alchimistische Auffassung vom Äther als feinste Bestandteile von Flüssigkeiten (s. Beleg 1913), seit früherem 18. Jh. (1730 bei Frobenius) auf den Bereich der Chemie übertragen für 'farblose, schnell verdunstende, leicht entzündliche Flüssigkeit, die aus Alkoholen (und Säuren) chemisch hergestellt und in der chemischen Industrie als Fettlösungs- und Reinigungsmittel verwendet wird' , z. B. Fette und Harze in Äther lösen; Äther abdampfen; als Grundwort in Zss. wie Ameisen-, Arsenik-, Benzol-, Dimethyl-, Essig-, Fett-, Harn-, Kochsalz-, Phosophor-, Salpeter-, Schwefel-, Vitriol-, Weinsteinäther und als Bestimmungswort in Zss. wie Ätherart , -derivat, -geruch, -säure sowie in den adj. Kombinationen ätherhaltig, -löslich, vgl. das aus den ersten zwei Buchstaben £5 und der letzten Silbe ter des Wortes Essigäther gebildete Ester M. (-s; -) 'organische Verbindung aus der Vereinigung von Säuren mit Alkoholen unter Abspaltung von Wasser'. Dazu im 17.718. Jh. die vereinzelte adj. Ableitung äther(i)alisch für 'Äther enthaltend, leicht verdunstend, flüchtig'. b Seit frühem 19. Jh. in der Medizin für 'klare, farblose, schnell verdunstende, als Narkosemittel verwendete Flüssigkeit', z. B. einen Patienten vor einer Operation mit Äther betäuben; als Bestimmungswort in Zss. wie Ätherbetäubung, -geruch, -narkose, -rausch , -Vergiftung und in der Kombination Äthyläther. Dazu Anfang 20. Jh. die vereinzelte Präfixbildung beäthern 'jmdn. mit Äther behandeln', auch übertragen verwendet für 'jmdn. verwirren, betäuben'; seit frühem 19. Jh. das eventuell aus gleichbed. frz. etheriser entlehnte trans. Verb ätherisieren für 'etwas vergeistigen, geistig überhöhen', vereinzelt auch spöttisch verwendet 'etwas übertrieben vergeistigen' (s. Beleg 1823), auch für 'jmdn. mit Äther behandeln, betäuben; Äther anwenden', z. B. einen Patienten ätherisieren. Äther la: Anfang 14. Jh. Lucidarius 39 Do sprach der iunger: Nu hest du mir geseit uon den manin biz an daz gestirne daz der ether furin si, vnde ob

deme fur gefrorn wasser si, daz sag mir, wie daz cume; Dasypodius 1536 Diet. 5 Äther . . aethera . . Der hymel/ oder das oberst element das feur; Porta

Äther 1612 Magia C 7b den obersten Ort, welchen man aethera das ist, den Himmel nennet; Corvinus 1623 Föns tat. 25 Aether . . der Schein oder Glantz den der Himmel von sich gibt/ . . der Himmel; Lebenwaldt 1680 Teufels List H 78 in aethere oder Himmels-Lufft; Hübner 1717 Naturlex. 34 Äther . . der Feuer-Himmel, oder die Gegend so über der Luft und Region der Elementen sich befindet (ZFDW XIII 26); Brockes 1745 Thomsons Jahreszeiten, Sommer (Übers.) 151 der gleichsam feste Äther, der lieblich funkelnde Saphir (ZFDW XIII 27); Bodmer 1755 Homer (Übers.) 31 Der Argusbezwinger . . sank von dem Aether zum Meer (ZFDW XIII 28); Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 651) willst du Siege erzehlen, o suche mein Geist, wie in des Aethers Wüsten am Tage kein erwärmender Gestirn, als die Sonne, so auch keine herrlichem Kämpfe, als die Olympischen zu singen; Herder um 1790 S. W. XXIX 170 in Lüften des blauen Äthers (ZFDW XIII 29); Heinse 1794 H. v. Hohenthal V 76 Aether des .. Himmels; Hölderlin 1795-98 Oden (S. W. II 198) Wenn wir im Garten oft zusammensaßen Nach schönem Sommertage, wenn die Luft Um unsre Stille freundlich atmete, Und über uns des Aethers Blumen glänzten; ebd. 235 Denn ewig wohnen sie, des Aethers Blühende Sterne, die Heiligfreien; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 655) Der Mensch soll . . das Leben wie einen hitzigen Falken auf der Hand forttragen, ihn in den Äther auflassen und wieder herunterrufen können; ebd. IV 664 mit einer göttlichen Windmühle, die der blaue Äther treibt, . . eben die Äthermühle, die ich projektieren will; Soden 1805 Virginia 115 Es donnert nicht, und heiter ist der Aether; 1811 Almanack a. Rom II 95 In vollkommner Klarheit des Äthers, durch den erhellte, leichte Wölkchen ziehen; ebd. U 143 die hellleuchtende Göttin des Monds, die auf ihrem Wagen durch den nächtlichen Äther zieht; Campe 1813 Premdwb. 91 f. AEther. Adelung hat Himmelsluft. Kinderling Oberluft dafür angesetzt. Da die ätherische Luft, eine verfeinte, von allen gröbern Theilen gereinigte Luft ist, die sich zu der gemeinen oder sogenannten atomosphärischen Luft, wie Weingeist zu Wein verhält: so wäre vielleicht Luftgeist, nach Weingeist gebildet, keine unschickliche Benennung dafür; Goethe 1817 Naturwiss. Sehr. (WA II 5.1,252) Stünde die Sonne im Zenith, im reinen blauen Äther; Droste-Hülshoff 1820-48 Geistl. Jahr 66 Wie versteinert steht Der Äther um uns her; ebd. 179 [der] Stern, der gleitet über Äthers Wange, wie Freudenzähre, die der Himmel weint; Goethe 1821 Wander jähre (WA I 24,180) die ungünstige Witterung die uns so oft den Glanzraum des Äthers verbirgt; ders. 1823—32 Literatur (WA I 41.2,239) So wende mir zuerst dein Auge ätherwärts; ders. 1827 Nausikaa, Paralip. (WA I

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10,423) Und duftend schwebt der Aether ohne Wolcken; ders. 1827 Landschaft (WA I 3,136) Seht nur das Wölkchen wie es spielt, Und sich im reinen Äther kühlt!; ders. 1828 Faust II (WA I 15.1,226) [der Schmetterling] Sonne=durchstrahlten Äther kühn Und muthwillig durchflatternd; ebd. 15.1,242 der Cypressen schlanke Wipfel, über Landschaft, Uferzug und Wellenspiegel nach dem Äther steigende; ebd. 15.1,246 Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form, Lös't sich nicht auf, erhebt sich in den Äther hin Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort; Lenau 1832 Kleyle (S. W. I 20) Die Sterne tauchten aus dem Äthermeere; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. I 69 Aether . . Jetzt versteht man darunter . . die feine und reine Himmelsluft im Gegensatze der dichten, gröberen und mit Dünsten geschwängerten atmosphärischen Luft; Keller 1837—46 Pfingstfest (S. W. I 342) Siehst du die Lerche hoch zum Äther steigen?; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 242 Erblickt ein Habicht von hoch oben aus blauen Aetherhöhen ein winziges kleines Glied . . der weitverbreiteten . . Familie Lampe, so stürzt er mit einer Sicherheit und Erfolgsgewißheit auf seine Beute los; Kleinpaul 1892 Sprache 172 die [menschliche] Stimme [,die] gleichsam als Draht dient . . aber dieser Draht wird bereits im Pflanzenreich so schwach, dass wir ihn kaum noch ergreifen können, er verdünnt sich zusehends, bis er in der Sternenwelt und im Äther vollständig versagt; Trakt vor 1914 Jugenddichtungen 125 Im grünen Äther flimmert jäh ein Stern; Sternheim 1918 Chronik II 233 Heidenstam . . hatte seines gewichtigen Körpers Kraft einzig gebraucht, der Menschenmassen Brandung vor seiner Person verebben zu lassen, so daß von ihren Ausstrahlungen höchstens seine Füße genetzt wurden, Leib und Haupt aber frei im Äther standen; Brecht 1918—50 (1958 Gedichte 71) Auch füllte sich abends dann seltsam der Himmel Mit fremdem Gevögel: Kräh und Geier, die mit Lautlosem Flug in dunklem Gewimmel Im Äther verfolgen den keuchenden Ritt; Curtius 1927 Torso V Dies Denken ist wie ein Weltenbaum, dessen Wurzeln sich in den Felsgrund unserer Erde verkrallen und dessen Krone im Äther sich verzweigt; 1954 Wiss. u. Fortschr. VI 11 Man glaubte, . . daß der Äther an der Erde haften könne, so daß dann auch auf der Erdoberfläche kein Ätherwind feststellbar sein kann, sondern erst in größeren Höhen; 1957 Aufbau VI 628 so daß man hätte annehmen können, die Erde ruhe im Äthermeer, oder sie führe rings um sich eine „Ätherwolke" mit; Simek 1992 Erde 36 oberhalb der Lufthülle der Erde befand sich noch eine Feueroder besser Ätherhülle [nach mittelalterlicher Vorstellung].

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Äthereologie: Gottsched 1761 Neuestes XI 828 Die Aethereologie oder Betrachtung der Himmelluft (REICHEL). Äther Ib: Paracelsus 1530 Paragranum (S. W. I 8,168) hieraus folgt nun die vorsagung zukünftiger krankheiten, deren so den aether betriff . . so der himel einen krank macht . . So nimpt sich auch weiter der grünt aus der astronomei, so die krankheiten komen; ders. 1536 Wundarznei (S. W. I 10,331) dan leichtlich verstanden mag werden, was der aether olympii getan hat oder das sidus phisici corporis, wiewol solche der arzet, der im firmament kein wissen tregt.nit versteet; ders. 1537—38 Astronomia Magna (S. W. 7 12,175) und ist eine natürliche astronomia, die sich selbs im menschen fabricirt und ist das firmament microcosmi sein himel, sein cursus, sein sphaer und sein aether und olympus; ebd. 12,495 was nun nit leiblich ist, das selbig ist ein gestirn, astrum oder sidus oder aether, deren aber so nit leib haben, sonder on leib sind, sind vilerlei species im menschen. Äther 2a: Paracelsus vor 1541 Philosophia ad Athenienses (S. W. I 13,390) Aller geschaffnen dingen, die da in zergenglichem wesen stehen, ist gewesen ein einiger anfang, in welchem beschlossen gewesen ist alles geschöpf, so zwischen den etheren eingefangen und begriffen seind; ebd. 13,391 darumb zu gedenken ist, das allerlei geschöpf so in etheren begriffen werden, zusamen geordnet seind in das mysterium magnum; Böhme 1620 Sex Puncta Theosophica 26 Was aber aus dem Anfang in der Begierde gemacht oder ergriffen ward, das gehet wieder in sein Äther, als in Nichts, nur blos wieder in Spiegel der Imagination; das ist nicht vom Ewigen, sondern ist und gehöret der ewigen Magiae ins Begehren: Gleich als ein Feuer ein Wesen verschlinget und verzehret, da nichts bleibet, sondern wird wieder das, als es war, da es noch kein Wesen war; Hirsch 1662 Kirchers Musurgia (Übers.) 21 Etliche schliessen zwar den Luft aus/ setzen aber hinein an anderes subtiles corpus, das allerdings dem Liecht gleich sei/ . . welches sie aetherem nennen; Frankenberg 1676 Nosce te ipsum 91 Alles was Anfang hat, das hat Ende, was in die Zeit geschlossen ist, das gehet am Ende der Zeit wiederum ins Aether, aber was nur dem Ewigen Willen ist geschnitzet und formieret, das bleibt ewig in dem Ewigen; Kunckel 1716 Collegium 2 und haben selbige in Principia activa und passiva getheilet: Davon das erstere nemlich die Lufft oder AEther subtilissimus das Principium activum; Die ändern zwey aber/ nemlich Wasser und Erde Principia passiva seyn; ebd. 3 Also haben auch bereits schon viele brave Männer die Nichtigkeit derselben eingesehen/ und mit besserem Grunde den

AEtherem oder subtile Lufft/ nebst Wasser und Erde/ vor ihre Principia Physica angenommen; ebd. 12 Die Physici betrachten zwar dieses unvergleichliche Geschöpffe GOTTES nur oben hin/ und halten es . . nur vor einen Effect oder Würkkung des AEtheris, und statuiren dabey/ daß es an und vor sich selbst weder licht noch finster wäre/ sondern nur durch des AEtheris gleichgehenden und geschwinden Motum verursachet würde; ebd. und ist im Anfang/ ehe GOtt das Licht geschaffen/ kein solcher AEther oder subtile Lufft gewesen . . Nächst diesem/ so ist der AEther nach der heutigen Physicorum Definition ein Corpus, ob es gleich subtilissimum und simplicissimum seyn soll; Leutmann 1735 Vvlcanvs Famvlans 5 Ich kam dannenhero auf folgende Meinungen: Der AEther müsse eine materia subtilissima, fluida, pellucida atque flexilis seyn, wie Wasser, in diesem aethere schwimme die aura als ein corpus globulosum, pellucium, expansibile atque contrahibile, beydes aber, aether atque aura, könne aller Cörper porös subtilissimos . . durchdringen; . . Es könne auch der aether . . die globulorum aurae porös durchdringen; Gottsched 1749 Neueste Gedichte 433 Er nimmt ferner einen Kegel von solchen elastischen Aethertheilchen an; ebd. 435 die elastische Kraft jedes Theilchens des Aethers (beide REICHEL); Kant 1755 (Eisler 1989 Kant-Lex. 48) Der Äther ist durch die Attraktion aller Materie des Universums zusammengedrückt und ist die Gebärmutter aller Körper und der Grund alles Zusammenhanges; ebd. [Die Materie ist ein in verschiedene Grade] verdichteter Äther . . [Alle Materien] bestehen aus Äther, der in vberschiedenem Grade angezogen wird; Bonnet 1774 Natur (Übers.) 146 Von welcher Structur und Feinheit müssen also nicht diejenigen Röhrgen [Blutgefäße] seyn, welche diese so subtile Flüßigkeit durchlassen, die wir dem Aether oder dem Lichte verglichen haben; Goethe 1790 Naturwiss. Sehr. (WA II 13,472) Der Äther den die Astronomen als die Raumsystole annehmen, welche schon in dem Grade materiel ist daß sie die sich in ihm bewegenden Körper verbinden kann, enthält die uranfängliche Identität welche sich in dem Äther bildet zum Differiren geneigt; ders. 1790 Faust I (WA l 14,40) Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen, An mich heran! Ich fühle mich bereit Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen, Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit; Herder um 1790 S. W. XXIX 70 den Raum des leeren Äthers (ZFDW XIII 29); ebd. XXIX 205 der Weltgeist, nenn ihn Äther oder Licht (ZFDW XIII 29); ebd. XXIX 219 alle Funken des allweiten Äthers (ZFDW XIII 29); Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. l 458 Äther . . Diejenige feine, flüssige und elastische Materie, mit welcher der ganze unermeßliche Raum des Himmels angefüllet seyn soll;

Äther die Himmelsluft. Ingleichen in weiterer Bedeutung, eine jede elastische und flüssige Substanz, welche subtiler als Luft ist; Goethe 1805 Naturwiss. Sehr. (WA H 11,211) Raumerfüllung: Materie. Unendlich mannichfaltige Raumerfüllung durch Wirksamkeiten und Materialitäten. Äther. Licht. Magnetismus. Elektricität Gehören in die höhere Classe; ders. 1810 Farbenlehre (WA II 4,117) Statt der Luft, die durch den Schall bewegt wird, einen Äther zu supponiren, der durch die Anregung des Lichts auf eine ähnliche Weise vibrire, bringt das Geschäft um nichts weiter; ebd. 4,474 Die Lehre des Descartes, Malebranche, Huigens wird mit gewissen Modificationen von Euler aufgenommen, die Materialität des Lichts bestritten und das Phänomen gewissen Schwingungen des Äthers zugeschrieben; Ersch/Gruber 1818-32 Aug. Enc. l 2,96 Uebrigens ist es sehr natürlich, daß das Wort Äther in sehr verschiedenen Bedeutungen gebraucht wurde . . Äther bedeutet die feinere Substanz .. Und da die Alten unter Äther sich eine feine Materie . . und als eine zur Erklärung gewisser Erscheinungen angenommene Kraft dachten, so wird hieraus begreiflich, wie die Vorstellungen von dem Äther, was er sey, und welche Eigenschaften er habe, sehr verschieden seyn mußten, die Hauptvorstellungen sind jedoch immer die höchste Bewegungkraft, physische Wärme, Lebenswärme; Goethe 1830 Br. (WA IV 47,236) Ew. Hoch wohlgeboren [v. Gruithuisens] Bemühungen, uns den Äther näher kennen zu lehren, sind auch mir von dem größten Werthe. So hätten wir denn endlich eine erste Materie, welche, durch das Differenzieren ihrer selbst, alles andere wo nicht hervorzubringen doch zu beleben die uranfängliche Eigenschaft besitzt; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. I 69 Aether . . wird von den alten Naturphilosophen halb für Licht, Feuer, Luft gebraucht, halb als ein eignes, noch feineres Element angesehn; Schopenhauer 1847 Satz v. Grunde (S. W. III 57f.) Man kann . . die Frage aufwerfen, Ob auch zwischen Körpern, welche durch eine absolute Leere getrennt wären, Gravitation stattfände; oder ob dieselbe innerhalb eines Sonnensystems, etwan durch einen Aether, vermittelt würde; ders. 1851 Parerga (S. W. V 128) Das Licht ist eben so wenig mechanisch zu erklären, wie die Schwerkraft. Auch diese hat man Anfangs ebenso durch den Stoß eines Aethers zu erklären versucht . . Der Erfinder des Aethers ist Kartesius . . sagt Plattner; Engels 1873-83 Dialektik d. Natur (MEW XX 121) bis auch die Äthertheorie etwa durch eine ganz neue verdrängt wird; ebd. XX 355 Alle Bewegung ist mit irgendwelcher Ortsveränderung verbunden, sei es nun Ortsveränderung von Weltkörpern, von irdischen Massen, von Molekülen, Atomen oder Ätherteilchen; ebd. XX 537 Wobei nicht gesagt

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werden soll, daß es nicht eine Entfernung gibt, wo der Äther kein Licht mehr durchläßt; Nürnberger 1877 Herzenssachen 85 als die Philosophen über Elemente, Atome, Seele und Aether zu lehren anfingen; Röntgen 1895 Strahlen 89 Sollten nun die neuen Strahlen nicht longitudinalen Schwingungen im Aether zuzuschreiben sein; Spann 1923 Fundament 45 jene bestimmten Bewegungsformen von Materie, die wir „Ätherwellen" nennen; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 432 Im Anschluß an die Begriffsbestimmung von Äther und Bewegung erörtert Hegel den Begriff der Zeit; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 545) die Pflanzenzelle erweise die natürliche Möglichkeit, dem Steinreich angehörige Stoffe mit Hilfe des Sonnenäthers so umzubauen, daß sie in ihr Leben gewönnen; 1954 Wiss. u. Fortschr. VI 9 Da man sie [die Trägersubstanz] schon nicht nachweisen konnte, so gab man ihr wenigstens einen Namen und nannte sie „Äther"; Heisenberg 1955 Naturbild 11 Daher hat es nicht an Versuchen gefehlt, auf dem Umweg über einen materiellen Äther, der diese Kraftfelder als elastische Verspannung tragen sollte, wieder zu dem einfachen Materiebegriff der materialistischen Philosophie zurückzukehren; Jordan 1956 Aufstand 24 Hypothetischen „Äther"; 1957 Aufbau V 513 die Verquikkung der Theorie vom absoluten Raum mit der Ätherhypothese, entsprechend der mechanistischen Ära in der Physik; ebd. VI 627 Wie bekannt, wurde Ende des vorigen Jahrhunderts von Michelson der Versuch unternommen, die absolute Bewegung der Erde, ihre Bewegung im Äthermeer . . nachzu-

Äther 2b: Hurst 1927 Mannequin 152 Meine Gedanken kommen wie aus dem Äther; Berl. Illustr. Nachtausg. 24.1.1933 und sich in ihrer Morsesprache bissig gerührte Worte über ihre „Aether-Kameradschaft" sagten; Lokal-Anz. 14.2. 1933 Frankreichs Aether-Aufrüstung; Berl. Illustr. Nachtausg. 27.2.1933 daß es mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln der Technik ohne weiteres möglich ist, Rundfunksendungen „mit Rückantwort" in den Aether hinauszustrahlen; Lokal-Anz. 31.8. 1934 Nachrichten, die uns die Aetherwellen zuflüsterten; Münch. N.N. 25.7.1937 Möge es [das Rundfunkorchester] erholt und frisch zurückkommen, neuen Taten entgegeneilen, nicht zuletzt über den weltverbindenden Aether zum Ruhme der Stadt der Kunst München; Koffler 1941 Wellennetz d. Äthers (1989 Faust Parodien o. S.) „Ein Signal aus den Akkorden: „Alle — Menschen — werden — Brüder" schwingt durch den Äther; Uhse 1943 Bertram 257 Jost . . ließ die Maschine sich weiter in den Äther schrauben; V. B. 11.7.1944 Schon im ersten Weltkrieg 1914—18 wurde der Krieg im Äther geführt; ebd. Der deutsche Auslandsrund-

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funk . . wird bei unseren Gegnern als eine starke geistige Waffe im Ätherkrieg gewertet .. Der Rundfunk ist aber nur ein Teilgebiet des Ätherkrieges . . so schrieb . . der „America-Mercury", „Abend für Abend wird unser Land von Deutschland im Äther angegriffen"; Munch. N.N. 5.2. 1945 dieses . . Aethernetz der Weltpropaganda; Süddtsch. Ztg. 28.9.1950 Aetherstreit der Gewerkschaften; Koeppen 1953 Treibhaus 27 Sollte er . . Kommentare in den Äther sprechen?; Süddtsch. Ztg. 9. 7.1953 Politische Aetherwellen; 1954 Frau v. heute XX 2 Mehr als zweihundert Hörspiele für Kinder sind von ihr durch den Äther gegangen; Oelfken 1955 Logbuch 113 das Geschwätz der Menschen übertönt die Stimme aus dem Äther; Goldberg 1957 Wildmarkgeschichten 129 Joseppi schickte . . Grüße durch den Äther an seinen alten Perlenfischerfreund Wallenius; ND 21.2.1957 Die Ätherwellen des antifaschistischen „Freiheitssenders 29,8" verbreiteten Brechts Botschaft in Deutschland; Bad. Ztg. 27.8.1958 Der „Ätherkrieg" ist abgeflaut; Süddtsch. Ztg. 30.3. 1967 Beratungen, wie man dem Unwesen der sogenannten „Ätherpiraten" zu Leibe rücken könne. Damit sind die beiden kommerziellen Reklamesender Radio Merkur und Radio Nord gemeint. Äther 3a: Anfang 14. Jh. Lucidarius 12 Von dem manen biz an daz gestirne ist der ether furin. Da inne sint die engele. Die sint da zuo gesezzet, daz sie den menschen bewarn; Böhme 1620 Sex Puncta Theosophica 26 Also geben wir auch zu verstehen, was dieser Welt Wesen sei, anders nichts als ein coagulierter Rauch aus den ewigen Äthern, der also eine Verbindung hat gleich dem Ewigen; ebd. 34 Das Gemüt ist frei, und ist der Angel, und hat den Verstand, es mag hinwägen, wohin es will, und mag beistehen einem Princip, welchem es will, in welch Äther es eingehet, da ists ewig; Bodmer 1752 Noah 139 Schwer ist's für Menschen, den Wohnplatz der schwarzen Wurzel zu finden, Aber die Söhn' und Fürsten des Äthers entdecken sie leichtlich; Schönaich 1754 Aesthetik 32 [Polemik gegen den dichterischen Stil in Bodmers „Noah"] Auen des Aethers, oder Wiesen des Himmels. Noah 22O S. Hier werden vielleicht die himmlischen Kühe weiden. Es giebt auch ambrosialische Auen; Matthisson 1787—93 Gedichte 33 Hain, der von der Götter Frieden Wie von Thau die Rose träuft, . . Den ein rosenfarbner Aether Ewig unbewölkt umfleußt; ebd. 62 Geläuterter und freier Der Sinnenwelt entflieht Und schon im Ätherschleier An Lethes Ufern kniet; Hölderlin 1797-99 Hyperion (S. W. HI 546) Verzeih mir! Aber beim Aether! man muß Aristogiton sein, um nachzufühlen, wie Aristogiton liebte; ebd. Ill 595 dann erst, wenn die Augen all in Triumphbogen sich wandeln, wo der

Menschengeist, der langabwesende, hervorglänzt aus den Irren und Leiden und siegesfroh den väterlichen Aether grüßt; 1811 Almanack a. Rom II Vorerinn. VI/VIl Nie hatten sie sich in die höhern Regionen des vom Zeus beherrschten Äthers emporgedrängt; Ersch/Gruber 1818-32 Allg. Enc. I 2,96 Äther bedeutet . . die feinere Substanz aller himmlischen Wesen und Kräfte. So werden die Dämonen und die Engel für Luft oder ätherische Wesen gehalten; Goethe 1828 Faust II (WA I 15.1,330) Denn das ist der Geister Nahrung Die im freisten Äther waltet, Ewigen Liebens Offenbarung Die zur Seligkeit entfaltet; Liliencron 1896 Poggfred (XI 179) Im Äther tumml ich mich wie selige Geister; Hesse 1927 Steppenwolf (Ges. Sehr. IV 347) Die Unsterblichen, wie sie im zeitlosen Raum leben, entrückt, Bild geworden, und die kristallne Ewigkeit wie Äther um sie gegossen. Ätherismus: Spiller 1876 Urkraft o. S. Ätherismus (RITTER). Äther 3b: Böhme 1620 Sex Puncta Theosophica 34 So er [der Mensch] aber dann auch die zwei innern Welten in sich hat . . welche . . mit einander im Streit liegen), so mag er eben zusehen, welche Welt er zum Herrn in ihm mache, . . Diese Zeit kann er zerbrechen, und weiter nicht, wenn das Äußere zerbricht, so stehet alles in seinem Äther; 1732 Anthologie 179 Mit des Genies gefährlichem Ätherstrahl; Lichtenberg 1768 Aphorismen l 82 Das was ich unter moralischem Äther verstehe, ist eigentlich das geistige was allzeit in unsern Handlungen auch in unsern kleinsten steckt; Schiller 1782 Melancholie (S. W. I 240) Und der lohe Ätherstrahl Genie Nährt sich nur vom Lebenslampenschimmer; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. l 69 Aether . . wird von den alten Naturphilosophen . . als ein eignes, noch feineres Element angesehn, aus welchem die denkenden Wesen, die Intelligenzen, bestehen sollen; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 520 so einen Mann mit des Genies gefährlichem Ätherstrahl; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW 56) Als absolute Idealisten, als ätherische Wesen können sie hinterher auch natürlich vom Äther des reinen Gedankens leben; ebd. II 62 Früchte, die . . aus dem Äther deines Gehirns und nicht aus dem materiellen Grund und Boden herausgewachsen . . sind; Wagner-Liszt 1850 Briefw. I 69 Wir schwimmen ganz im Aether Deines Lohengrin; Bucher 1855 Parlamentarismus 316 Eine solche politische „Essenz" ist auch die öffentliche Meinung. Sie ist unser Äther oder „Phlogiston"; Raabe 1864 Hungerpastor 93 Es gab fast keinen Tröster, über den nicht sein Geist sich aus der Gegenwart verlieren konnte, um im blauen Äther, der über den Dingen ist, träumerisch lächelnd zu

Äther schweben, bis ihn die metallscharfe Stimme des Freundes durch eine ironische Frage oder Bemerkung wieder herabzog in die dunkle Stube in der Kröppelstraße; Hofmannsthal 1907—17 Prosa l 7 Die kaum merkliche gleichartige Atmosphäre, in welcher sich alle Figuren eines Romanes bewegen, die ätherfeinen geistigen Schwingungen, welche sich aus dem Auge des Schauenden, des Autors, in das Geschaute, die dargestellten Seelenzustände, hinüberziehen; Werfel 1924 Verdi 81 er [Richard Wagner] hat seine Gaben, gleichsam außerhalb der Welt, ausgewirkt. In einem Ätherraum, befreit von allen Bedingungen, allen niederziehenden Kräften praktischer Überlegung, nur dem Gesetz seiner selbst unterworfen. Äther 3c: E. v. Kleist 1749 Frühling 210 sein Blut ist leicht wie der Äther; Musäus 1781 Physiognom. Reisen IV 218 Des Schlummers Ätherschwinge; Matthisson 1787-93 Gedichte 36 Schöne Sylphide, schweb' in Frühlingsäther, Fleug von Rose zu Rose; Herder um 1790 S. W. XXIX 171 in jenem heiligen Schweigen des Äthers; Tieck 1797 Gestiefelte Kater (W. 7 132) Wie wallt mein Herz vor Entzücken über, wenn ich die ganze harmonische Natur so um mich her versammelt sehe, . . wenn sich der ganze Himmel niederbeugt, um Äther auf mich auszuschütten; Schiller 1800 Piccolotnini (S. W. XV 133) Mir machte sie mein wirklich Glück zum Traum. Auf einer Insel in des Äthers Höhn Hab ich gelebt in diesen letzten Tagen; Jean Paul 1800-03 Titan (W. V 120) der blaue Schleier des Äthers [der in der Malerei dargestellten Himmelskönigin Juno] flatterte tausendfach gefaltet über verhüllten Göttern in der Weite; Soden 1805 Virginia 32 Rein, wie dein Herz, ist deiner Zukunft Aether; Goethe 1815 Br. (WA IV 25,173) Möge Deutschlands Horizont sich immer mehr aufhellen, und der gereinigte Äther, . . die Lust erregen, sich wieder . . das Gute mitzutheilen .. Gern würde ich der trüben, isolirenden Zeiten vergessen; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. I 500) wir wissen, daß diese Augenblicke, wo wir, vom grimmen Willensdrange erlöst, gleichsam aus dem schweren Erdenäther auftauchen, die säligsten sind, welche wir kennen; Droste-Hülshoff 1820-48 Geistl. Jahr 27 So bleib' ich auf der Höhe, Wo du zum Schutz gezogen um die Deinen Des frommen Glaubens zarte Ätherhalle; Laube 1847 Karlsschüler 48 Schiller. Aus Aetherhauch und Himmelsflammen, aus Sternen des Geistes und aus dem Dufte des schmachtenden Herzens bilde ich sie mir und umarme sie, die schimmernde Wolke; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 19 Du anmuthig Wesen, heute schwärmen wir nicht durch die Aetherräume und nicht gilt es der goldnen Saite der Harfe lyrischen Zauberton zu entlocken; Fon-

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täne 1881 Br. II 2,49 Äthersphäre der Kunst; Hesse 1920 Klingsor (Ges. Sehr. Ill 453) Damals . . atmete ich . . zum erstemal in meinem Leben für Augenblicke den kalten Äther, die Einsamkeit, das Schicksal; ders. 1927 Steppenwolf (Ges. Sehr. IV 347) es fielen mir Stücke aus Mozarts „Cassations", aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier" ein, und überall in dieser Musik schien mir diese kühle sternige Helligkeit zu leuchten, diese Ätherklarheit zu schwingen; Hoehne 1928 Reportage 71 Man hexte mir ein Fragment vergangener Ätherpoesie an; Nun bin ich nicht mehr ich, sondern dies Buch; Doderer 1951 Strudlhofstiege 579 wenn . . für ihn [den Amtsrat] eigentlich eine Finanz-Landesdirektion allezeit schon fast das höchste Ätherblau ämtlichen Begriffs-Himmels und Fimmels dargestellt hatte; Zimmer 1986 Redens Arten 124 Damit ist aufs genaueste ein Bündel von Charakeristika dieser Redeweise bezeichnet: ihr Äther der Feierlichkeit. Äther 4a: Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. I 458 Äther . . In der Chymie ist es ein weißer, durchsichtiger und höchst flüchtiger flüssiger Körper, von einem durchdringenden Gerüche, welcher das Mittel zwischen dem Weingeiste und dem Öhle hält. Man bereitet ihn aus dem Weingeiste mit VitriolSalpeter- Salz- oder Essigsäure, da er denn die Nahmen Vitriol-Äther, Salz-Äther, Essig-Äther u. s.f. bekommt. Der Chymist Frobenius bereitete ihn 1730 zuerst, und legte ihm wegen seiner Flüchtigkeit diesen Nahmen bey. Andere nennen ihn Naphtha; Ersch/Gruber 1818-32 Allg. Enc. l 2, 97 Äther (in der Chemie . . — (ein liquides chemisches Kunstprodukt), wegen seiner Feinheit nach dem Luftäther . . so benannt, Naphtha aber von seiner Aehnlichkeit mit dem leichten, farblosen, sehr entzündlichen, feinen, wahrscheinlich durch unterirdische Destillation rectificirten Bergöle (Berg-, Erdnaphtha). Man findet schon Spuren seiner Kentniß beim Basilius Valentinus [Johannes Thölde]. Indeß machte Frobenius zuerst dieses Produkt unter dem Namen Spiritus aethereus bekannt; ebd. Die Ätherbildung ähnelt einigermaßen der Gährung, und besteht in einer theilweisen Umwandlung des Weingeistes in Äther oder Naphtha, eine äußerst flüchtige, brennbare Flüssigkeit, welche den ätherischen Öelen nahe kommt; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. I 69 Aether . . eine sehr feine Flüssigkeit von durchdringendem und starkem Geruch und Geschmack, auch Naphtha genannt; Poppe 1837 Technolog. Universal-Handb. l 22 Aetherbereitung; Gmelin 1848 Handb. d. organ. Chemie l 182 Ester oder sauerstoffsaure Aetherarten; Meyer 1908 Naturkräfte 78 Äthyläther, im gewöhnlichen Leben einfach Äther genannt, ist eine dünnflüssige, infolge seines schon bei 35 lie-

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genden Siedpunktes sehr feuergefährliche Substanz . . Das in der Formel der Äther freistehende Sauerstoffatom . . deutet die geringere Widerstandsfähigkeit der Äther an; Lippmann 1913 Abh. U 225 Äther . . als etor, eter schon bei dem mittelalterlichen Alchemisten die feinsten und feuchtigsten Bestandteile von Flüssigkeiten; Fallada 1937 Wolf 340 Negermeier nimmt die Flasche heraus, zieht den Stopfen und riecht in den Flaschenhals. . . Hoch hinauf in die Nase zieht er den Ätherdampf; 1939 Muttersprache UV 338 bis zum Jahre 1848 nannte man die Stoffe, die heute Ester heißen, Äther, worunter man außerdem die Verbindungen verstand, die auch heute noch Äther genannt werden; ebd. Darum ist, wie wir vermuten, in Liebigs Gießener Laboratorium kurz vor 1848 für den Essigäther die Klammerform Ester eingeführt worden. äther(i)alisch: Blancard 1694 Teatrum Chimicum 116 aetheralisches Wasser; Starkey 1722 Chymie 381 ein aetherialisches, subtiles, und geistiges oder spiritualisches Saltz, ausser welchen die gantze Natur keine geistigere und durchdringendere Creatur hat. Äther 4b: Ersch/Gruber 1818-32 Allg. Enc. l 2, 98 Äther, Naphtha (Arzneimittellehre), ist eins der flüchtigsten Reizmittel des Nervensystems und verbreitet seine Wirkungen ungemein schnell über dasselbe. Man gebraucht daher den Äther mit großem Nutzen, wo es darauf ankommt, eine, wenn auch nur vorübergehende Steigerung der Nerventhätigkeit hervorzubringen, bei darnieder liegender Sensibilität, Schlagfluß, Schlafsucht, Ohnmacht, Asphyrie, torpidem Typhus; ferner bei verschiede-

nen Formen mit Nervenschwäche zusammenhängender Hastigkeit und Regellosigkeit der Lebensthätigkeiten, bei asthenischen Fiebern, Krämpfen und Schmerzen, z. B. Schwindel, Kopfweh, Asthma, Keichhusten, Magenkrampf, Erbrechen, Kolik; Pierer 1888 Konversationslex. l 352 Anwendung des Äthers als anästhetisches Mittel; Boruttau 1898 Physiologie 74 So ist der gelegentlich vorgekommene „primäre Herzcollaps" im Beginne der Aether- oder Chloroformnarkose gedeutet worden; Pschyrembel 1942 Klinisches Wb. 12 Narkoseäther, besonders reiner Äthyläther, in braunen Flaschen, kühl aufzubewahren; ebd. 499 Äther-Narkose, eingeführt von dem amerikanischen Arzt und Chemiker Jackson (1841—42) zusammen mit dem amerikanischen Zahnarzt Morton (1846), verwendet wird Äthyläther, Siedepunkt 35°; i 955 Urania U 74 Durch die Äthernarkose werden Speichelfluß und Schleimabsonderungen der gesamten Atemwege angeregt; Pschyrembel 1986 Klinisches Wb. 24 f. Med. wichtig: (Di-)äthyläther .. wird allgemein mit Äther, zuweilen mit dem veralteten Namen Schwefela'ther bezeichnet. beäthern: Kretzer 1910 Stehe auf 189 „Sie können einen ja rein beäthern", fauchte Frau Sabosch. ätherisieren: Tieck 1823 Novellen U 26 all' das Ätherisiren und Frommsüsslichen; Sanders 1860 DWB 53 Ätherisieren . . Einen durch Einathmenlassen von Ätherdämpfen betäuben, nam. um ihn eine Operation schmerzlos überstehn zu lassen; Honegger 1865 Literatur 79 sinnliches Aetherisiren; 1882 Brockhaus 128 Ätherisieren, Äther als anästhetisches Mittel anwenden.

ätherisch Adj., im frühen 16. Jh. über (m)lat. aetherius 'aus Äther bestehend; Luft-; am Himmel befindlich; himmelblau; himmlisch, glückselig' entlehnt aus griech. 3 9105 'Äther enthaltend; sich zum Himmel erhebend', anfangs noch in lat. Form, la Zunächst in der heute veralteten Bed. 'als Gestirn erscheinend, stellar, Sternen-', z. B. der ätherische Lauf der Gestirne ( —» Äther Ib). b Seit früherem 18. Jh. in der heute veraltenden Bed. 'in der obersten klaren, reinen Luftschicht des Himmels, am Himmel befindlich', z. B. ätherische Sphären des Himmels (—·· Äther l a). 2 Im Anschluß an antike und christliche Vorstellungen seit früherem 16. Jh. auch übertragen verwendet: a Zunächst in der Bed. 'dem Bereich des menschlichen Geistes, dem Geistigen, Seelischen im menschlichen Körper zugehörend' ( —* Äther 3b). b Seit früherem 18. Jh. in der Bed. 'göttlich, überirdisch, übersinnlich, erdentrückt, engelhaft', auch 'dem Geisterreich angehörend, geisterhaft' (—»· Äther 3a). c Seit Mitte 18. Jh., unter Einfluß von Miltons etheral bzw. etherous, bes. in dichterischem Gebrauch für 'klar, hell, licht, himmlisch glänzend, heiter strahlend, paradie-

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sisch', von Bodmer bis 1742 etherisch geschrieben, im 18. Jh. in bildlicher Verwendung von Ib, 2a, 2b und 2c häufig als poetisches Modewort (—* Äther 3c). d Seit spätem 18. Jh. auch für 'überaus zart, verfeinert, zerbrechlich, durchgeistigt', z. B. eine ätherische Erscheinung, vereinzelt auch abwertend gebraucht für 'übertrieben vergeistigt, überspannt und wirklichkeitsfern'. 3 Seit Ende 17. Jh. im Bereich der Physik, anknüpfend an die heute aufgegebene Hypothese vom unwägbaren, den Weltraum und alle Körper durchdringenden feinen Medium als Urstoff, in der Bed. 'aus dem Urstoff aller Dinge bestehend', z. B. ätherische Materie (—» Äther 2a). 4a Seit früherem 18. Jh. (1730 bei Frobenius) auf den Bereich der Chemie, dann auch auf das Gebiet der Medizin übertragen in der Bed. 'Äther enthaltend und daher leicht verdunstend, flüchtig', z. B. eine ätherische Flüssigkeit, Lösung ( —> Äther 4a und4b). b Seit Mitte 18. Jh. auch für 'angenehm riechend', z. B. ätherische Öle 'stark aromatisch riechende, vollständig verdunstende, aus Pflanzen gewonnene Öle, die für die Parfüm-, Spirituosen-, und Arzneimittelherstellung verwendet werden' (—»· Äther 4a). ätherisch la: Paracelsus um 1520 Elf Traktat (S. W. 11,18) das . . ist olympus . . in seiner olympietet und etherischen leufen; ders. 1530 Siechtagen (S. W. I 8,363) also wie dan die ändern astra al,. . so aufsteigent und eingehen! solcher computation nach etherischem lauf geendet und getöt werden; ders. 1537-38 Astronomia Magna (S. W. l 12,102) nun merkent . ., das noch zehen membra seind in der astronomia. es seind aber nicht artes humanae, sonder artes aethereae. das ist, der himel ist selbs astronomus; Frankenberg 1644 Oculus sidereus (Obers.) E 2a Das keine Caeli oder auszgehölete unnd auffgewölbete Himmel, sondern ein einziger, Ewiger Aetherischer, oder liechtheller, gleich durch gehender Spacium, Spatzier Platz, und Raumstadt umb alle Sternen; Hübner 1717 Naturlex. 34 der FeuerHimmel, oder die Gegend so über der Luft und Region der Elementen sich befindet, daher auch die Welt in Elementarische und Aetherische Gegend eingetheilet wird, in deren ersten die Elemente, in der ändern aber die Sterne, Planeten und andere Phänomene sind (ZFDW XIII 26). ätherisch Ib: L. A. Gottsched 1743 Zuschauer IX 697 indem so schiesst von einer grossen ätherischen Höhe ein dickleibichter Kranich .. herab; Klopstock 1743 Messias I 11 Hell, gleich einem vom Lichte gewebten ätherischen Vorhang, Zieht sich ihr [der Sonne] Glanz um den Himmel herum; Goethe 1778 Br. (WA IV 3,232) Es scheint als sollen unsre Gäste das ätherische Haus [den Himmel] nicht sehn; Schmidt 1801 Reise 42 so sehnten wir uns [unten im Bergwerk] wieder nach der reinen ätherischen Luft; Goethe 1822 Naturwiss. Sehr. (WA U 12,63) Jene schwebenden Cumulus regnen ab von höchster Höhe, leicht ätherisch; Meurer 1892 Bergsteiger 23 ätherische Luft [im Gebirge]; Simek 1992 Erde 139 daß das kalte Kondenswasser in den Wolken mit aus

der ätherischen Sphäre fallenden Feuerteilchen zusammentreffe. ätherisch 2a: Paracelsus 1537—38 Astronomia Magna (S. W. l 12, 207) das sollent ir wissen, das kein leib eifert dan der elementisch, der ist beiden ändern schulen feint, er wolts gern alein sein, vergißt das er durch dass feur muß und aber die ändern zwen leib der schüler des aetherischen himels und der schüler des paradeisischen himels mögen sich wol mit einander vertragen; Herder 1774 Volkslieder Vorr. (S. W. XXV 12) der hohen Ätherischen, unsinnlichen, ganz Duft-, Gewürz- und Moralvollen Erziehung, wie sie unsere aufgeklärte Zeit gibt; Meiners 1776 Sehr. 11136 Die Stoiker. . nannten sie [die Seele] ein feuriges, ätherisches oder geistiges Wesen, . . das durch die ganze Masse des organischen Körpers verbreitet sey; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW H 203) Hegels Phänomenologie . . das ganze . . Werk hatte die konservativste Philosophie zum Resultat, weil es die gegenständliche Welt, die sinnlich wirkliche Welt überwunden zu haben meint, sobald es sie in ein „Gedankending", in eine bloße Bestimmtheit des Selbstbewußtseins verwandelt hat und den ätherisch gewordenen Gegner nun auch im „Äther des reinen Gedankens" auflösen kann; 1923 Almanack d. Musikbücherei 171 Dieses intellektuelle Leben schwebt, wie eine ätherische Zugabe . . über dem weltlichen Treiben; Th. Mann 1954 Krull (W. VU 348) welch wundersame Bewandtnis hat es . . mit dem menschlichen Auge,. . [das] solange der Funke des Lebens darin wacht, über alle Klüfte der Fremdheit hinweg, die zwischen Mensch und Mensch gelagert sein können, so schöne, ätherische Brücken zu schlagen versteht. ätherisch 2b: Bodmer 1732 Miltons Verlust d. Paradieses (Übers.) I 45 aus der etherischen Luftbühne;

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ebd. l 285 von einer etherischen Stählung (beide ZFDW XIII25); ebd. 183 Oder hoerst du dich lieber einen reinen Etherischen Strohme heissen (GANZ); ebd. 1203 Nicht weniger erschrecklich begannen die lauten Etherischen Trompete aus der Höhe zu blasen (GANZ); ebd. II 63 Fahre wol, himmlischer Gast, Etherischer Botschafter (GANZ); ebd. 978 der Etherische König (ZFDW XIII 25); ebd. Ill 364 mit den Etherischen Rosen (ZFDW XIII25); ebd. Ill 760 in einem Etherischen Harnisch (ZFDW XIII 26); Klopstock 1748 Messias l 476 ein ätherischer Leib helleuchtend gebildet; ebd. Ill 17 der aetherische Strom von dem himmlischen Urquell (GANZ); ebd. Hl 22 Aus einer Morgenröthe schuf er ihm einen ätherischen Leib (GANZ); Sulzer 1750 Br. (Br. d. Schweizer 124) Ihre [Bodmers] Materie [im Noah] ist ätherisch; Wieland 1751 Hermann I 183 Dazu liess dich der oberste Gott aus ätherischen Sphären; Bodmer 1752 Noah 141 einer der neidischen Geister aus dem aetherischen Reich; ders. 1753 Parcival (Übers.) H 29 [der Gral - ein] Stein von ätherischer Kraft; Wieland 1754 Timoklea (S. W. Suppl. bd. IV 40) so wie etwann ein ätherischer Geist auf die Schwachheiten der Menschen herunterlächeln würde; Schönaich 1754 Aesthetik 21 [Polemik gegen den dichterischen Stil von Bodmer und Klopstock] Aetherisch. Dieses aus der Philosophie der Goldmacher in die heilige Sprache übertragene Wort haben wir unsern Theologisten zu danken. Es giebt diesemnach ätherische Leiber, und Vorhänge. Meßias 11 S. ätherische Ströme, und was nicht mehr ätherisch! Auch ätherische Nasen? Warum nicht? die Engel haben auch Nasen. Aber was ist nun ätherisch? Etwas, das man gern beschreiben will und nicht kann. Hell, gleich einem vom Lichte gewebten ätherischen Vorhang, Zieht sich ihr Glanz (der Sonnen) um den Himmel herum. Meßias 11 S.; ebd. 353 Da schwärmen wir denn auf den ätherischen Auen herum; setzen uns mit den ätherischen Maykäfern auf die Blumen und ätherische Gräselein; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. Vlll 166) Freuen Sie sich mit mir! Herr Wieland hat die aetherischen Sphären verlassen, und wandelt wieder unter den Menschenkindern; Dusch 1764 Br. I 162 aetherische und menschliche Naturen; Wieland 1773 Agathon (S. W. l 238) ätherische Geister; Müller 1778 Fausts Leben 68 als einen Gott, ein aetherisches überirdisches Wesen; 1781 Literar. Pamphlete 165 die ätherischen Geschichten in der Messiade; Musäus 1782 Grandison U 14 Oder ist euer Geist irgend einmahl in die ätherischen Regionen entzückt worden (GANZ); Goethe 1787-1807 Literatur (WA l 40,275) Schon schweben Hagedorn und Kleist, die erst verschiedenen, gleichsam selig gesprochenen deutschen Dichtergestalten, in die ätherischen Wohnungen voraus; 1815 Fahnenbergs Magazin VI280 das höhere, ätherische Feuer der Religiosität im Menschen; Goethe

1828 Faust II (WA l 15.1,336) Vom edlen Geisterchor umgeben, Wird sich der Neue kaum gewahr, Er ahnet kaum das frische Leben, So gleicht er schon der heiligen Schaar. Sieh! wie er jedem Erdenbande Der alten Hülle sich entrafft, Und aus ätherischem Gewände Hervortritt erste Jugendkraft; Schickele 1920 Mädchen 50 die blauen Augen glänzten in ätherischer Verzückung; Werfet 1924 Verdi 257 Dann betrachtete er . . die Instrumente amatis. Sie sind nicht sehr groß, süß geschwungen, schmal, die eine hellgelb lackiert, die andere rötlich. Der Lack bildet wunderschöne, ätherische, übersinnliche Landschaften auf ihren Flächen; Voss. Ztg. 21.8.1931 das Aechzen der ätherischen Leiber, die durch die Lüfte streifen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 612) beim Gedanken an ihn, welches zugleich mich doch mit einer grundseltsamen, ätherischen, nicht ganz irdischen Heiterkeit erfüllt. ätherisch 2c: Brockes 1745 Thomsons Jahreszeiten (Übers.) 131 Von den Aetherischen Gefilden, in seiner schoensten Pracht, entbunden, stellt sich nunmehr das Kind der Sonnen der Strahlenreiche Sommer, ein (GANZ); Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. Vlll 166 f.) Sie sind alle in einer Form gegossen; in der idealischen Form der Vollkommenheit, die der Dichter mit aus den ätherischen Gegenden gebracht hat (GANZ); Wieland 1773 Agathon (S. W. l 238) ätherische Liebe; Adelung 1774 Versuch I 411 das Bey- und Nebenwort ätherisch, welches einige Dichter für himmlisch eingeführet haben; Herder um 1790 S. W. XXIX 191 mit ätherisch-süssem Thau; 1810 Almanack a. Rom I 96 da hingegen alle Erzeugnisse der zeitlichen Dichtung in der lieblichen Magie eines ätherischen Zauberduftes empfangen und also auch dargestellt werden müssen; 1811 ebd. H 14 f. Grad aus . . lag das reizende, langgedehnte Albanergebirge in seiner ätherischen Klarheit; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA l 28,31) Monate lang beglückten uns reine ätherische Morgen, wo der Himmel sich in seiner ganzen Pracht wies; ders. vor 1815 Glück d. Entfernung (WA11,48) Aufgezogen durch die Sonne Schwimmt im Hauch äther'scher Wonne So das leichtste Wölkchen nie, Wie mein Herz in Ruh und Freude; Heine 1830 Italien (S. W. III 247) vor allem aber liebe ich jenen genialen Gang, jene stumme Musik des Leibes, jene Glieder, die sich in den süßesten Rhythmen bewegen, üppig, schmiegsam, göttlich liederlich, sterbefaul, dann wieder ätherisch erhaben und immer hochpoetisch; ders. 1835 Romant. Schule 72 diese [Verse Goethes] sind so leicht, so glücklich, so hingehaucht, so ätherisch, daß man sich wundert wie dergleichen in deutscher Sprache möglich war; Keller 1854 Heinrich (S. W. XIX 256) Er las eifrigst alle humoristischen Schriften und alle, welche vom Humor handelten, und hatte sich ein ordentliches

ätherisch System über dieses Feuchte, Flüssige, Ätherische, Weltumplätschernde, wie er es nannte, aufgebaut; Andersch 1952 Kirschen 85 was uns umgibt, ist die Luft der Stimmung, die als ätherisches Element zugleich das ästhetische ist; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 30 Sie ergehen sich nicht, wie sonst manche Stillehrer, in schöner, eindrucksvoller und hochgestochener Verbalartistik — oft so hoch, daß alles wie eine ätherische Wolke über die Köpfe der Leser hinwegschwebt; Süddtsch. Ztg. 10.8.1993 Die ätherisch leichte Glaspyramide des Architekten I. M. Pei in der Cour Napoleon; Zeit 12.12. 1986 das ätherisch lichte Blau. ätherisch 2d: Musäus 1781 Physiognom. Reisen H 114 [unser Enthusiasmus ist] mehr tändelnder Modekram als Schwung- und Stosskraft der Seele. Ist daher kein Wunder, wenn unsre süssliche ätherische Schwärmerey so lammsartiger Natur ist; Forster 1789 Kl. Sehr. 143 allwirksam stand die Lebenskraft vor ihnen da, in ätherischen Umrissen noch sichtbar; Becker 1803 Dichtkunst 38 [über Schillers Dichtungen] ätherische Zartheit seiner erotischen Schöpfungen; 1810 Hufelands Journal XXXI 3,66 Unsere Jungfrauen und Weiber wollen, in unseren nördlichen . . Gegenden, durchaus die ätherische Kleidung der Athenienserinnen tragen; Arndt 1818 Geist d. Zeit IV 211 der Zweck unserer Gesellschaft ist so fein und ätherisch und überirdisch, das was uns verbindet, ist so überfliegend und überschwenglich, daß es in das Staatsleben kaum eine Einwirkung haben kann; Lady Morgan 1821 Frankreich (Übers.) l 77 folgten meine Blicke der schwebenden Bewegung einer leichten ätherischen Gestalt, zierlich und wunderbar; Hauff 1826 Memoiren d. Satans (I 72) Hier in Norddeutschland gibt es meist nur Theegesichter, die einen Trost darin finden, ästhetisch oder ätherisch auszusehen; ders. 1826 W. II 18 da höre ich sie mit ihrer süssen Stimme den rauhbärigen Bären von einem Ladendiener [des Galanterieladens] fragen, ob man das Weiss nicht noch etwas ätherischer habe?; Mörike 1832 Maler Nolten II 102 diesen Seufzer recht reizend und schwindsüchtig und ätherisch hervorzubringen; Schwarzenberg 1844 Wanderbuch II 145 am Abend beim ätherischen Thee; Polko 1869 Staub 31 eine fast ätherische Zartheit [eines jungen Mädchens]; Bebel 1883 Frau 235 bei unsern schlecht genährten verweichlichten, nervenüberreizten, ätherischen Stadtfräuleins; Fontäne 1891 Jenny Treibet 47 Etwas Feines, nicht wahr? Meine Frau würde sagen: ätherisch; Huch 1893 Ursleu 164 sie war schlanker in allen Verhältnissen [ihres Körpers] und ätherischer; ihre Hände waren das Weisseste, Schlankste und Feinste, was man sich denken kann; Wassermann 1919 Wahnschaffe I 361 Er sah ein erlesenes Wesen in ihr, eine kleine

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Heilige, und so erscheint sie auch, außerordentlich fein, stolz, ätherisch; man würde nicht wagen, mit einem Finger nach ihr zu greifen; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1459) in dem ätherischen Plissee ihres Gewandflusses; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. IX 758) Goethe, eine weniger ätherische Natur als Hölderlin; Doderer 1951 Strudlhofstiege 111 Das fertige Bild machte einen irgendwie verschleierten und verschwommenen Eindruck, wie getrübt durch Dunst und Nebel . . und dahinter erst tauchte das recht ennuyierte und trübsälige Gesicht auf, weit ätherischer als Etelka je gelebt hat; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 877) die Frauen [in S'chillers Dramen], auch sie gehören dazu, . . und zur ätherischen Blässe der Gestalten die pueril prahlende Sinnlichkeit; Berl. Ztg. 3.11.1955 Köhler ist alles andere als ein ätherischer Künstler. Starkknochig, besonnen und doch viel jünger als 45 Jahre wirkend; U. Becher 1957 Spiele 346 Mignon . . in ihrem ärmellos-schwarzen Kleid, zu dem sie heute ein Bukett ätherisch weißer Asphodelosblumen im Halsausschnitt trägt; Offenburger Tagebl. 19.1.1967 In Hollywood konnte sich dieses ätherische und fragile Wesen [Lilian Harvey] nicht gegen das dortige Vamp-Aufgebot durchsetzen; Böll 1971 Gruppenbild V 33 Eine ätherische Person mit matten, sehr klugen Augen; Kunert 1973 Bibliothek 152 ätherische Mädchen, wie Milch und Blut, Schneewittchentypen, die Zigarette zwischen porzellanhaften Fingern; MM 18.6.1985 wenn Pogorelic wirklich vorführt, daß ein Pianissimo auch in seinem Anschlagsrepertoire zu finden ist . ., umgibt sein Spiel. . ein ätherisches Flair; Zeit 25.10.1985 das Ganze umrahmt von wispernden und zirpenden, ätherischen und hypersensiblen Klängen; MM 4.4. 1987 was Wunder, daß . . man . . es auch genoß, sich in ätherisch glitzernder Akkordik sonnen zu können; ebd. 30.5. 1987 das Nationaltheater-Orchester . . voll untheatralischer Impulsivität und ätherischem Schimmer; ebd. 20.6.1987 die ätherische Lena, die am Erdendasein leidet; ebd. 16. 9.1987 nach dem kostbaren, ätherisch verklingenden Messiaen; ebd. 14.11.1987 Birgit Keil als ätherische Porzellanfigur; ebd. 26.5.1988 selbst Schillers jugendreines Liebespaar, Thekla Wallenstein und Max Piccolomini . . schwärmt nicht ätherisch; Spiegel 13. 9.1993 „Redneck", murmelt seine Frau Debbie, eine ätherische Blondine. ätherisch 3: Ettner 1697 Chymicus 186 ein aetherisches Feuer; 1700 Sendschreiben a. Herrn B. 82 sofern man nicht die Bewegung einer aetherischen Materie von einem Polo zu dem ändern unterstellet (ZFDW VI 103); ebd. 83 so erhellet daraus/ daß die aetherische magnetische Materie sich durch das Eisen einen Weg machen werde (ZFDW VI 103);

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Bodnter 1732 Miltons Verlust d. Paradieses (Übers.) H 139 die Ethensche Materie (ZFDW XIII 28); ebd. H 311 etherische Kräfte (ZFDW XIII 28); ebd. U 601 Etherische Wärme (ZFDW XIII 28); Schwabe 1734 Anti-Longin (Übers.) 57 Kanst du die Etherischen Minen in der Höhe anzeigen, welche das glänzende Erzt des Lichts verschaffen? (ZFDW XIII 28); Milton 1754 Verl. Paradies (Übers.) l 142 ätherische Quintessenz des Himmels; 1782 Anthologie 21 ätherisch Feuer; Herder 1784-91 Ideen (S. W. XIII 77) Nur ein Principium des Lebens scheint in der Natur zu herrschen: dies ist der ätherische oder elektrische Strom, der in den Röhren der Pflanze, in den Adern und Muskeln des Thiers, endlich gar im Nervengebäude immer feiner und feiner verarbeitet wird; Goethe 1810 Farbenlehre, Paralipomena (WA H 5.2,332) Farben nur Schwingungen eines ätherischen Mittels nach Cartes. ätherisch 4a: Brockes 1745 Thomsons Jahreszeiten,Winter (Übers.) 550 der ätherische Salpeter (ZFDW XIII 26); Ersch/Gruber 1818-32 Allg. Enc. l 2,97 Indeß machte Frobenius zuerst dieses Produkt unter dem Namen Spiritus aethereus bekannt; ebd. 2,98 Außer dem Äther werden bei diesem Processe gewöhnlich auch entzündliche Gasarten, z. B. ätherisches Kohlenwasserstoffgas .. gebildet; ebd. 2,102 der ätherische Antheil der Metallnaphthen; 1821 Polytechn. Journal V 388 die Pharmacie vermehrte nach und nach das Verzeichniß ihrer ätherischen Medicamente; Borne 1822-23 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. II144)

Der Adel eines Menschen zeigt sich darin, daß er . . feste Nahrungen in flüssige, flüssige in ätherische . . verwandele. ätherisch 4b: Wieland 1759 Br. II 17 Ätherischem Duft — könnten Sie nicht sagen flüchtigem Duft? - Nein! (GANZ); Matthisson 1787-93 Gedichte 84 Nichts auf der Erde kann feiner, ätherischer, lieblicher duften, Blüte des Weinstocks, als du, die noch kein Dichter besang; Poppe 1837 Erfindungen 542 [die] ätherischen oder destillirten Öle; ders. 1837 Technolog. Universal-Handb. l 34 Der Weingeist löst die Harze, den Kampher, die Balsame, die ätherischen Oele . . auf; Binz 1886 Pharmakologie 393 [die] ätherischen Öle; Pierer 1888 Konuersationslex. I 351 Die ätherischen Oele finden eine vielseitige Anwendung in der Pharmacie, der Likörfabrikation und Parfümerie; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 29) ein Tropfen, bestehe er nun aus was immer, aus Paraffin, aus ätherischem Öl . ., Chloroform; 1954 Wiss. u. Fortschr. VI 29 In Spezialbetrieben werden die wertvollen Pflanzen, die einen hohen Gehalt an ätherischen Ölen haben, angebaut; ebd. VI175 Der mit kleinen Drüsenhaaren bedeckte Stamm scheidet ätherische Öle aus; Gildemeister 1956 Die ätherischen Öle (Titel); 1960 Urania XII 474 Viele Pflanzen sondern ätherische Öle ab; 1971 ebd. IX 20 Die großen . . Blätter sind durchscheinend drüsig punktiert, da sie ätherische Öle enthalten; 1982 Umweltfreundliche Produkte 71 umweltfreundliche, pflanzliche Produkte enthalten meist ätherische Öle; MM 8.1.1987 Vorsicht ist geboten bei der Anwendung von ätherischen Ölen bei Säuglingen und Kleinkindern.

Athlet M. (-en; -en), auch Athletin F. (-; -nen), im früheren 16. Jh. über gleichbed. lat. athleta entlehnt aus griech. 'Wettkämpfer, Ringer' (zu 3 'Mühsal dulden, arbeiten, sich mühen; kämpfen, wettkämpfen', vgl. auch 3 '(Wett-) Kampf, Anstrengung; Kampfpreis'), früher gelegentlich in der lat. (flekt.) Form. Zunächst meist in antiken Schilderungen (s. Belege 1531, 1584), dann auch von modernen Verhältnissen (s. Belege 1776, 1790) in der Bed. 'Wettkämpfer, Sportler, Ringer'; seit dem 19. Jh. unter semantischer Einwirkung des Adj. (s. u.) auch für 'kraftvoller, muskulöser Typ, kräftig gebauter Mann, Mann mit ausgeprägter Muskulatur, Kraftmensch' (s. Belege 1787, 1808), häufig auf sportliche Disziplinen bezogen in den Zss. Leicht- und Schwerathlet; im 20. Jh. gelegentlich übertragen gebraucht, z. B. Gemütsathlet 'jmd., der ein unerschütterliches, stabiles Gemüt hat, sehr belastbar, wenig empfindsam ist' und Geistesathlet 'jmd., der großer Denkleistungen fähig ist, Geistesgröße', daneben die abwertend gebrauchte Zs. Schreibtischathlet 'jmd., dessen sportliche Betätigung sich auf Schreibtischtätigkeiten beschränkt' (s. Beleg 1994). Dazu seit frühem 16. Jh. die (auf lat. athleticus 'kräftig', griech. 'den Athleten betreffend, zum Wettkampf gehörig, tauglich' zurückgehende) adj. Ablei-

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tung athletisch, zunächst in der Bed. 'kräftig, gesund' (s. Belege 1527, 1680), dann 'sehr stark, kraftvoll, kräftig; kampfkundig, faustkräftig; sportlich durchtrainiert, gestählt, muskulös, starkknochig, kräftig gebaut' (s. Belege 1781, 1795), auch im Sinne von 'der Athletik zugehörig, ihr eigentümlich, sie betreffend' (s. Belege 1885, 1935), in der Zs. leichtathletisch; häufig in Wendungen wie athletischer Typ, Körperbau, athletische Konstitution, leichtathletische Übungen, Sportarten, Wettkämpfe; gelegentlich auch metaphorisch verwendet (s. Belege 1932, 1987). Dazu seit späterem 18. Jh. das aus lat. athletica (ars) übernommene Subst. Athletik F. (-; ohne PL), ursprünglich 'Wettkämpfe der Athleten im antiken Griechenland', auch 'Wettkampflehre, Ringkunst', heute als Bezeichnung für die Gesamtheit sportlicher Übungen, meist in den Zss. Leicht- und Schwerathletik, selten auch übetragen gebraucht (s. Beleg 1762). Dazu im 20. Jh. die subst. Ableitung Athletiker M. (-s; -), als Terminus der Medizin, Physiologie und Psychologie für einen dem Körperbautyp nach starkknochigen, muskulösen Menschen, der eine besonders an Schultergürtel und Gliedmaßenenden ausgeprägte Muskulatur und groben Knochenbau aufweist. Athlet: Hedio 1531 Josephus l 242 wie offt den Athleten vnd kempffern beschicht/ welche so sye sich jrer krefft nit trösten mögen/ vnnd sich doch schämen zuo weichen; Rivius 1548 Vitruv. 189a In disem gemeltem baw erlustigten sich auch vnterweilen die Fürsten vnd Mechtigsten Herren zu zuschawen solchen künen Ritterlichen vnn Mannlichem spil der Athleten; ebd. 267a Athleten vnd Kempfer; Fugger 1584 Gestüterey 4a andere Völcker, so man Crotoniatos (von welchen der Milo Crotoniates ein trefflicher athleta oder ringer gebürtig gewest) genannt; Guarinonius 1610 Greuel 1183 von welchem Wort hernach die vbenden .. bey vns athlaetae genennt worden; Hörl 1667 Bacchusia 77 so bin ich auch kein Athleta; Dusch 1764 Br. I 188 [Horaz] zeigt uns, was ein Athlet lernen und ausstehen muß, ehe er seine Kunst versteht; 1766—67 Merkwürdigkeiten 442 die nur einen einfachen Steinkranz um ihren Fuß haben, sind den Generals und ändern angesehenen Männern gewidmet gewesen, so wie jene bloßen Soldaten und Athleten bestimmt waren; Bürger 1776 Br. l 285 Ich freue mich dieses Lebens und dieser Fülle, wie sich der gesunde rüstige Athlete des Gefühls seiner Stärke freuet; Kindleben 1779 Schluterius 39 wird aber auch in seinem Leben kein grosser Athlet werden; Blumauer 1784-94 Virgils Aeneis (I 113) So liefen einst die griechischen/ Athleten um ein Zweigelchen/ Des Oelbaums sich zu Tode; 1787 Journal d. Moden II 78 Leuten von einer AthletenStärke; 1790 Der Beobachter 367 zwei ihrer Mitglieder traten als Athleten gegeneinander auf und kämpften um einen unbedeutenden Gegenstand; Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge U 86 Vergiß des Athleten nicht, der das Unglück hatte, seinen Gegner beim Ringen zu tödten; Heinse 1794 Ardinghello 131 der [Kriegszug] des Africaners hat mehr

Einheit, Nerv und Kernathletengeist; Völkel 1798 Wegführung d. Kunstwerke 99 Athletenstatue aus Argos; Matthisson 1808 Wallfahrt (VI 332) nun beginnen sie lebhaft sich die Köpfe mit den Fäusten zu bearbeiten, daß, ohne die Dazwischenkunft eines Dritten, der die Athleten kannte, unvermeidlich Blut geflossen wäre; Heyne 1822 Archäologie 156 Athleten-Statuen; Bettina v. Arnim 1843 S. W. VI 313 Eine Athletin, immer Trotz bietend, immer bereit zum Kampf, braucht kein Gewand!; Hartmann 1869 Philosophie 126 die .. contrahirten Muskeln des Athleten; Kleinpaul 1892 Sprache 96 Coliphium, die alte Athletenkost, war vermutlich auch nichts anderes als eine Art Gulasch; Liliencron 1896 Poggfred (XI 35) Künstler sind Maler, Musiker, Athleten; 1900 Berl. Range IV 139 ein Gemütsatlet; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 364) so eine griechische Venus oder so ein Athlet, da zeigt sich das Humanistische zweifellos am deutlichsten, es ist wohl im Grunde das Wahre, die eigentlich humanistische Art von Kunst; Stratz 1929 Lill 125 Athletin von Gardemass; Musil 1930 Mann i 12 Die Muskelleistung eines Bürgers, der ruhig einen Tag lang seines Weges geht, ist bedeutend größer als die eines Athleten, der einmal im Tag ein ungeheures Gewicht stemmt; Lokal-Anz. 27.5.1934 Nur Gemütsathleten vertragen es, wenn sie viermal an einem Abend einen Grand mit oder ohne Bier mit Kontra und Re verlieren; ebd. 30.5.1934 Wenn wir nicht ähnliche „Schwerathleten" einsetzen können, werden wir den Amerikanern ihre Vorherrschaft im Kugelstoßen kaum entreißen können; ebd. 25.9.1934 Die erfolgreichste Leichtathletin war Ellen Braumüller; Lüdtke 1941 Wagen 87 Sie sitzen am Straßenrand, strecken ihren Daumen in die Luft und warten. Sie kann nichts mehr aufregen. Ich beneide sie, diese Ge-

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fühlsathleten; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 456) Gymnastiker in der wuchsverklärenden rosa Haut ihres Trikots, strotzende, enthaarte Athletenarme, von den Frauen mit sonderbar kaltem Gesichtsausdruck fixiert; Süddtsch. Ztg. 21.8.1951 Nicht einmal die Sowjetunion, die Überathletin Alexandra Tschudina ausgenommen, hat ein derart stabiles Mehrkämpferinnen-Kleeblatt; 1953 Festschr. a. Kutscher 206 Die eigentliche Bedeutung des „gymnasion" als Stätte der Pflege des Geistes und des Körpers im antiken Sinne, war in Deutschland bis zur Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht erkannt worden. Man wollte nur Geistesathleten heranbilden; Koeppen 1961 Frankreich 102 Ein junger Athlet hatte ein schönes, waches Gesicht und den Haarschnitt eines Intellektuellen; Kapeller 1964 Schimpfbuch 63 Gemütsathlet. Er protzt mit seinem „Gemüt" wie ein Athlet mit seinen Muskeln; er heuchelt Gefühle und tut sentimental, ist dabei aber oft „kalt wie 'ne Hundeschnauze"; Welt 17.8.1964 beim Leichtathletikkampf der Juniorinnen . . war Erika Pollmann . . die überragende Athletin; ebd. 15.2.1969 eine wesentliche Rolle spielt auch die Erfolgsbesessenheit, eine Art geschäftlichen Spürsinns, den viele Athleten vor allem dann entwickeln, wenn am Ende der Bahn für asketischen Einsatz der reelle Gegenwert wartet; ebd. 15.9.1969 ein Paragraph in den IAAF-Satzungen, wonach ein Athlet oder eine Athletin beim Wechsel in ein anderes Land erst nach dreijähriger Staatsangehörigkeit wieder bei großen internationalen Veranstaltungen . . startberechtigt ist; ebd. 27.6.1974 die Leichtathletinnen der Bundesrepublik gewannen in Oslo; ND 15. 7.1974 das größte Teilnehmerfeld stellten aber wieder die Leichtathleten; Duerr 1985 Traumzeit 88 entrüsteten sich die prüden Römer wiederum über die nackten griechischen Athleten; MM 31.1.1986 auf dieses Mittel, das in den Kraftsportarten . . den Muskelaufbau fördern soll . ., bauen immer mehr Athleten; Zeit 1.5. 1987 gedopt wurden die Athleten schon bei den klassischen Spielen der Griechen, ehe der römische Kaiser Theodosius der Große sie wegen „moralischer Verrottung" verbot; MM 8.5.1987 einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Vertriebsstopp und dem Tod der Leichtathletin schloß der Vizepräsident aus; Spiegel 6. 9.1993 Die Straßen von Heldrungen, einer kleinen Stadt in Thüringen, gleichen seit Monaten einer Übungsstrecke für Cross-Athleten. Die Bürgersteigplatten sind kaputt, die Hauptstraße ist eine Schotterpiste; ebd. 14.2.1994 die schwierigste Aufgabe, die Olympische Winterspiele jemals den Athletinnen gestellt haben; Süddtsch. Ztg. 22.2. 1994 daß Olympische Spiele immer noch solches Zusammensein einer so großen Zahl von Menschen in so friedlichem Geist bei härtesten Kämp-

fen der Athleten zustande bringen können; Spiegel 18.7.1994 [seit er] das Pleiteobjekt [Hotel] zum Trainingslager für Schreibtischathleten umgestaltet hat, beträgt die Auslastung 80 bis 90 Prozent. Athletik: Kant 1762 Ges. Sehr. I 2,57 Es gibt noch eine gewisse andere Brauchbarkeit der Syllogistik, nämlich vermittelst ihrer in einem gelehrten Wortwechsel dem Unbehutsamen den Rang abzulaufen. Da dieses aber zur Athletik der Gelehrten gehört; Potter 1778 Archäologie HI 569 Sie trieben die Athletik als ein eignes Studium, blos in der Absicht, um bey feyerlichen Gelegenheiten mit ihren Gegnern um den Preis zu streiten; Pockels 1813 Gesellschaft I 375 Nur in Griechenland konnten . . solche Virtuosen [Gaukler und Tausendkünstler] Eindruck machen, da Alles, was die Athletik der Nation nur berührte, wundersam auf sie zu wirken pflegte; 1825 Aus Schinkels Nachlass HI 258 Auch würde ein Saal für die vortrefflichsten Statuen der Athletik einzurichten sein; Bogeng 1926 Gesch. d. Sports 311 Nun entstanden zwischen 1850 und 1860 auch abseits der großen Städte in der Provinz schon die ersten Leichtathletikklubs, so daß sich dieser „Athletiksport" von nun an erst eigentlich entwickelte; ebd. 393 wo die Menschen versuchten, durch das Heben großer Lasten . . ihre Kräfte zu messen, sind die Anfänge der Schwerathletik zu suchen; 1931 Sport im Bild I 26 Amerikanische Athletik-Clubs sind sportlich wie gesellschaftlich einzig dastehend in der Welt; Voss. Ztg. 29. 8.1931 Grade in diesem Jahr ist man auf die Leichtathletik-Länderkämpfe besonders gespannt; Lokal-Anz. 29. 8.1934 der Kongreß des Internationalen Athletik-Verbandes; ebd. 30. 8.1934 Zwecks Zusammenschlusses des Frauenleichtathletik-Verbandes mit dem Internationalen Leichtathletikverband wurde ein Ausschuß gebildet; Hülsen 1947 Zwillings-Seele U 91 ein mir völlig überraschender Fall von Gemütsathletik, und lange wurde ich den schlechten Geschmack auf der Zunge nicht los; Welt 17.5.1954 Deutschland führt im Leichtathletik-Länderkampf gegen Spanien; ebd. 2.6.1954 das Stadtjugendamt machte geltend, daß auch der bayerische Schwerathletikverband für das Jugendverbot plädiert habe; ebd. 17. 8.1964 von vorolympischen Glanz umstrahlt sind drei herausragende Leichtathletik-Leistungen des vergangenen Wochenendes; Zeit 29.3.1985 daß ein klein besetztes Orchester . . vorführt, wie mit Phrasierung und Artikulation eine Expressivität erzeugt werden kann ohne schweißtreibende Athletik; ebd. 1.5.1987 allein in der Leichtathletik hat sich die Zahl der Wettkämpfe von internationaler Bedeutung in den letzten zwanzig Jahren verzehnfacht; Süddtsch. Ztg. 23.2.1994 Während einer Leichtathletik-Ver-

atlantisch anstaltung gibt es im Stadion eben nicht nur den 10.000-Meter-Lauf. Athletiker: 1927-28 ZfMenschenkunde 111 150 Arbeiten . . des Psychiaters Kretschmer, dessen Körperbautypen des Athletikers, Asthenikers, Pyknikers . . heute allgemeines Wissensgut sind; Lange-Eichbaum 1956 Genie 93 Es besteht nun eine deutliche „biologische Affinität" zwischen .. dem schizoiden Temperament und den Körperbautypen der Leptosomen, der Athletiker und gewisser Dysplastiker. athletisch: Paracelsus 1527 S. W. I 4,520 auch die athletischen corpora der gleichen ein solchs aufmerken bedörfen; dan nach dem sie feißt oder mager seind, so vil ist es die sterk und kraft irer sonnen; Lebenwaldt 1680 Teufels List U 83 Ich hab selbst einen Frey-herrn gekennt, welcher erst 33 Jahr seines Alters, einer gesunden athletischen Natur; Lessing 1764 S. Sehr. XVII 211 sollten sich wohl Dichter eine athletische Gesundheit wünschen?; Musäus 1781 Physiognom. Reisen II 188 fochten mit emphatischen Worten und athletischen Fäusten; Forster 1787 Reise u. d. Welt 193 Starke athletische Kerle; Brettner 1787 Leben II 206 Dieser athletische Centaur, der nicht die geringste feine Empfindung und Gefühl für dergleichen schöne Künste hatte; Schiller 1795 Ästhet. Erziehung (X 294) durch gymnastische Übungen bilden sich zwar athletische Körper aus; 1808 Reifs Beytr. I 39 Oft wohnen blöde Seelen in athletischen Körpern; Moltke 1827 Freunde I 58 Er war von athletischem Wüchse; P'ückler-Muskau 1835 Semilasso IH 66 Leute von athletischen Formen; Steinmann 1843 Mefistofeles III 150 Armin, der grosse, an athletischem Bau und Gestalt unsern Manen angemessene Cherusker-Fürst; Gutzkow 1860 Zauberer VIII 52 der schlanke junge Mann mit athletisch breiten Schultern; Werther 1861 Kl. Deutschland I 225 Seine Kleidung schloß so fest, so faltenlos an den athletischen Körper an; Hillebrand 1885 Culturgesch. 206 Der englische Gentleman hat schon seit mehr als einem Jahrhundert Zeit gefunden, athletischen Sport zu treiben; Perfall 1904 Künstlerblut 11 Die Gestalt war breit und gedrungen, sie hatte etwas Athletisches in dem . . dünnen Leinwandkittel, der so eng anschloß, daß jede Muskel

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hindurchspielte; Hauptmann 1918 Ketzer (V 553) Er war stärker und untersetzter gebaut, seine Muskeln hatten etwas Athletisches; Kretschmer 1921 Körperbau 12 3 immer wiederkehrende Haupttypen des Körperbaues . ., die wir den asthenischen, den athletischen und den pyknischen nennen wollen; Th. Mann 1925 Erz. (W. VIII 625) er . . unterstreicht aber seine vierjährige Manneswürde noch in Haltung, Miene und Redeweise, indem er die Ärmchen athletisch, wie ein junger Amerikaner, von den etwas gehobenen Schultern hängen läßt; Nora 1932 Am Färbergraben 213 Mir ist noch im Gedächtnis die gemütsathletische Antwort eines Herausgebers zu einem meiner jungen Freunde; Lokal-Anz. 30.5.1934 in einem Bericht über jene leichtathletische Veranstaltung; Dtsch. AZ. 5.8. 1935 das zarte Geschlecht bewies wieder, daß es robust genug ist, um es in dem jungen athletischen Sport noch zu mancher neuen Höchstleistung zu bringen; Welt 14.7.1954 einige Jahre desselben vielseitigen und athletischen Trainings — und Japans Kunstturner stehen hoch über allen anderen; ebd. 12.5.1959 nach den neuesten Beschlüssen darf nämlich jedes Land in den leichtathletischen Disziplinen nur einen Teilnehmer fest nominieren; ND 27. 9.1959 alle Spieler sind athletisch durchgebildet und verfügen über eine enorme Sprungkraft; Partner 1964 Erben 275 erstaunlich dabei ist, daß er seine athletische Form bis ins hohe Alter bewahrte; Welt 22.10.1964 das war kein Rennen mehr, das war ein leichtathletisches Naturereignis; Bernhard 1985 Untergeher 113 er war tatsächlich ein athletischer Typus; Zeit 8.2.1985 athletisch muß der Körper sein, durchtrainiert bis in die Fingerspitzen; ebd. 28.2.1986 dem Lichtkegel folgen im Schnellschritt die athletischen Leibwächter; MM 12.1.1987 unwiderstehlich treibt er das Orchester immer wieder zu athletischen Kraftakten, überwindet die leise Euphorie des Komponisten mit mächtigen Ausbrüchen; ebd. 16.2.1987 [das Stück] ist für athletische Tänzer gedacht, die ihre Partnerinnen wie Federn heben und herumwirbeln; ebd. 13.5.1988 seine athletische Starre und das rauhe, trockene Timbre seines Baritons unterstreichen die unmenschlichen Züge seiner Partie; Spiegel 28. 2.1994 mit athletisch modellierten Körpern, die in hellen Fleischtönen schimmern und an denen sich jede Kontur, jede Muskelschwellung in idealer Klarheit abzeichnet.

atlantisch Adj., im späteren 15. Jh. über gleichbed. lat. atlanticus entlehnt aus griech. 'zum Gebirge Atlas (in Nordwestafrika) gehörig, westafrikanisch'. l Zunächst als Attribut zur Kennzeichnung der an das Atlasgebirge (auf dem nach antiken mythologischen Vorstellungen der Himmel ruhte, —·· Atlas) angrenzenden

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atlantisch

Regionen in der Bed. 'zum Atlasgebirge gehörig, an dieses stoßend', dann erweitert auf benachbarte Regionen, insbes. das an das Atlasgebirge stoßende, an der Westküste Afrikas gelegene Meer, bes. in dem aus lat. Atlanticum märe, Atlanticus oceanus, griech. lehnübersetzten Syntagma atlantisches Meer, dann auch Atlantischer Ozean, in neuerer Zeit dafür auch Atlantik als Name für den Ozean zwischen Europa, Afrika und Amerika. a In der Bed. 'den atlantischen Ozean betreffend, von ihm herkommend', häufig in Wendungen wie atlantisches Kabel 'von Europa nach Amerika gelegte telegrafische Leitung', atlantischer Tiefausläufer, atlantische Luftmassen, Störung, b Von daher seit etwa Mitte 20. Jh. mit Bezug auf die an Bündnissen, Verträgen beteiligten, am Atlantik liegenden politischen Partner Europa, Afrika und Amerika in der Bed. 'den Atlantikpakt, die Atlantikpartner betreffend', bes. in Wendungen wie atlantische Allianz, Politik, atlantisches Bündnis; oft als Grundwort in Ableitungen bzw. Zss. wie trans-, nordatlantisch. 2 Daneben, wohl in Anspielung auf die Riesengestalt des Atlas, in der bis ins frühere 20. Jh. gebuchten übertragenen Bed. 'riesenhaft, groß, kräftig, stark'. atlantisch la: Steinhöwel 1473 Boccaccio (Übers.) 79 in dem athlantischen meer; 1599 America V 1,28 es werde dem günstigen Leser ein angenemes Werck seyn/ in welchem er . . in seinem Stüblein vber das wilde Atlantische Meer auff jene seiten der Aequinoctialischen Linien wanderen (FRNHD. WB); Opitz 1644 Argenis II 304 wie man mich vber die Atlantische/ vber die Mittelländische See geschleppt; Lohenstein 1689 Arminius l 132a erbte er von seiner Mutter alle Britannische Reiche und die Atlantischen Eylande; Kramer 1702 TeutschItal. Diet. // 35 das Atlantische Meer; Schnabel 1731 Felsenburg 63 so bald [ich] mich aber nur auf dem Atlantischen Meere befand; Bodmer 1752 Noah 349 fern von den mittleren Meeren der Erde, Wird sie über die breiten atlantischen Wasser weg fliegen; Schönaich 1754 Ästhetik 207 Ist das atlantische Meer nicht ein kleiner Meerbusen?; Büsching 1760 Erdbeschr. I 94 Das atlantische Weltmeer ist von dem in Africa im Königreich Marocco befindlichen Gebirge Atlas benennet worden, daher der Name auch eigentlich dem Theile des Weltmeeres zukömmt, welcher die africanische Küste in dieser Gegend bespület; Kohl 1778 Steuermannskunst 310 Das Wasser zwischen Europa und America heisset das atlantische Meer, von einer grossen Insul Atlantica, die ehemals zwischen diesen beiden Welttheilen gelegen haben .. soll; Westenrieder 1784 Erdbeschr. 96 Unter dem atlantischen Weltmeer versteht man das gesammte Meer; Forster 1791 W. XI 264 er sey durch eine große Meerenge .. in eine offene See gekommen, wo er in zwanzig Tagen das atlantische Meer erreicht habe; Berenhorst 1798 Kriegskunst II 117 jenseits des atlandischen Meeres; Lindner 1814 Australien 6 den atlantischen Ocean, nämlich zwischen Europa, Afrika und America; Bobrik 1848 Handb. d. See-

fahrtskunde l 384 Der Atlantische, auch der Amerikanische Ozean und das Westliche Weltmeer genannt; Peschel 1858 Gesch. 163 Zwischen beiden Punkten erweitert sich das atlantische Thal unter dem Breitenkreise der Canarien beinahe auf das Doppelte; Grün 1872 Kulturgesch. 11 Italien und die deutsche Hanse legten das Scepter nieder. Europa war atlantisch geworden; Reichensperger 1872 Phrasen 148 Erfindungen der Neuzeit, von der Dampfmaschine an bis zum atlantischen Telegraphenkabel; 1929 Handb. d. Englandkunde II 87 die atlantischen Küstenländer Nordeuropas; 1930 Nord u. Süd Llll 375 es ist eine Hypothese, der andere die Verwandtschaft der Basken und Iberer mit afrikanischen Völkern und den Weg der Kultur vom atlantischen Küstengebiet Westafrikas nach Norden gegenüberstellen; Münch. N.N. 3./4.6. 1944 wobei sich ohnehin England mit einigen atlantischen Randgebieten zu begnügen verspricht; Welt 22.2.1954 Konferenz der 15 am transatlantischen Luftverkehr beteiligten Nationen; ebd. 26.6.1954 Westwinde treiben mehrere atlantische Tiefs nach Skandinavien; ebd. 28.11.1969 die anderen Gebiete der Bundesrepublik geraten jetzt mehr und mehr in den Bereich eines nordatlantischen Tiefs; ND 15.7.1974 damit bleibt die Zufuhr atlantischer Luftmassen bestehen; Zeit 8.2. 1985 vor zweieinhalb Jahren ausgesetzte atlantische Lachse; MM 3. 9. 2986 eine weitere Folge des Temperaturanstiegs der Luft und damit des Meerwassers könnten häufigere und verheerende Orkane sein, die als Taifune im indischen und atlantischen Ozean berüchtigt sind. atlantisch Ib: Dtsch. AZ. 6. 7.1944 Die Pyrenäenhalbinsel zwischen den Fronten in Frankreich und

Atlas Italien hallt wider vom Kriegslärm, aber ihr Schicksal bei einem offenen Rennen zwischen den atlantischen Mächten und dem Bolschewismus scheint den verantwortlichen Staatsmännern keineswegs gesichert; Welt 20.5.1959 im Ausland spricht man seit Wochen von der Aufnahme Spaniens in das atlantische Bündnis; FAZ 18.12.1965 ein neuer Vorschlag für eine gemeinsame atlantische Atomstreitmacht; ebd. 20.12.1965 im Seengebiet der Bermudas im atlantischen Ozean; Welt 27.1.1966 die Verbündeten Amerikas, seine Partner in der atlantischen Allianz, sind damit zur Aufmerksamkeit aufgerufen; ebd. 19.2.1966 es wird keinen deutschen militärischen oder militärähnlichen Einsatz in Vietnam oder irgendwo sonst außerhalb des Bereiches der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft geben; Süddtsch. Ztg. 12.4.1969 Vielmehr scheint es die große Absicht dieser Rede gewesen zu sein, dem atlantischen Bündnis — das um Europas und Amerikas Sicherheit willen weiterhin gebraucht werde — einen neuen Inhalt zu verleihen; FAZ 3.3.1971 Die Er-

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klärung von Präsident Nixon zur europäischen Einigungspolitik und zu Fragen der internationalen Handelspolitik haben die Fortsetzung der „atlantischen" Diskussion nicht erschwert; Zeit 25. 5.1985 beim Ausbleiben „atlantischer Störungen" [dürfte] der seit März vorherrschende Zinssenkungstrend in der Bundesrepublik noch weiter anhalten; ebd. 14.6.1985 das atlantische Spannungsfeld um Reagans Weltraumpläne; ebd. 21.1.1986 der Streit um eine neue Kunstfaser eskaliert zum atlantischen Handelskrieg. atlantisch 2: Schupp vor 1661 Lehrreiche Sehr. 486 und das gantze Regirungswesen übern Hauffen fallen müsse/ wann sie ihre Atlantische Schultern nicht darunter stützeten; Wieland 1751 Ges. Sehr. I 1,185 Mit 1000 Sicambrern/ Unüberwundnen Kriegern, um deren atlantische Schultern,/ Zottichte Häute Hercynischer Bären erschreklich flogen; Schubart 1785 Tonkunst 100 Er spielte das Ciavier eben so stark als die Orgel und umschrieb alle Theile der Tonkunst mit atlantischer Kraft.

Atlas M. (-, auch -ses; Atlanten, selten Atlasse), Ende 16. Jh. aufgekommen, nach dem das Himmelsgewölbe bzw. die Erdkugel auf den Schultern tragenden Titanen der griechischen Mythologie namens " (Gen. " $), lat. Atlas (vgl. Atlas als geographischer Name für einen Gebirgszug in Afrika; —> atlantisch), früher gelegentlich lat. flektiert. a Zuerst von dem Geographen G. Kremer (genannt Mercator) als Titelstichwort für sein kartographisches Werk „Atlas" (1595) eingeführt, auf dessen Titelblatt auch die Atlasfigur abgebildet ist, die seitdem als Titelkupfer für geographische Atlanten beliebt war; in der Bed. 'Kartenwerk der Erd- und Himmelskunde, (Land-)Kartensammlung, Sammlung geographischer Karten in Buchform' (s. Belege 1727, 1741), dann auch erweitert auf andere Sammlungen von Abbildungen aus einem Wissensgebiet (z. B. der Anatomie, Geologie, Kunstgeschichte) in Buchform (s. Belege 1822, 1855, 1909), häufig als Grundwort in Zss. wie Bilder-, Sprach-, Schul-, Auto-, Sozial-, Umwelt-, Taschen-, Weltatlas, in neuerer Zeit auch übertragen verwendet, z. B. Steuer-, Krebsatlas (s. Belege 1965, 1986). b Daneben in der Architektur gebucht als Bezeichnung für eine Säule in Form einer riesigen, kräftigen Männergestalt, die ein Gebälk trägt oder ein Gesims abstützt (—»· Karyatide), häufiger in der zu dem griech. Gen. Atlantas gebildeten Form Atlant M. (-en; -en). Atlas a: Zeiller 1646 Episteln HI 625 Atlas; Homann 1715 Groszer atlas über die ganze weit (Titel); Köler 1718 Bequemer Schul- u. Reisenatlas (Titel); Sperander 1727 A la mod Sprach 54 Atlas, ein Land-Charten-Buch; Zedler 1732 Universallex. 11 2049 Atlas, ein Atlant, ist eine Menge LandCharten, von allen Theilen des Erd-Bodens, welche man in einem Band zusammen getragen; Desing 1741 Auxilia l 6 zu handen haben einen Atlantem,

das ist einen Bund unterschiedlicher und der nöthigsten Land-Karten; Winckelmann 1758 Er. l 421 Der Atlas, von dem ich in kurzen keinen Begriff geben kann, wird auf 24 000 Thaler gehalten; 1782 Leipz. lntelligenz-Bl. 474a Ein geographischer Atlas, bestehend in 44 Charten, auf Befehl der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, zum Gebrauch der Jugend in Schulen herausgegeben; Herder 1784 S. W. XIII 46 Es wäre schön, wenn wir

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eine Bergcharte oder vielmehr einen Berg-Atlas hätten; Erdt 1786 Anl. f. Bibliothekare 72 wo von . . der Geographie, Reisen, Atlanten, Prospecten, und dergleichen die Rede ist; Forster 1789 W. XI 207 Diese Charten . . dienen dem Seemann . . zu einem wichtigen Atlaß; Goethe 1795—96 Lehrjahre (WA i 22,101) ein Buch . . das man bald an Form und Einband für einen kleinen geographischen Atlas erkannte; ders. 1822 Tagebücher (WA 111 8,282) Sein geologischer Atlas von Deutschland . . verspricht sehr brauchbar zu werden und uns eine längst gewünschte Übersicht zu geben; Humboldt 1845-50 Kosmos U 436 Verfasser des vortrefflichen physikalischen Atlasses; Keller 1855 S. W. XiX 27 Sie zeigten ihm bereitwillig ihre anatomischen Atlanten; 1863 Schulbl. Brandenb. XXV111 336 Wenn ich nun . . mir heute erlaube, Ihnen einen Pflanzen-Atlas zur gefälligen Ansicht vorzulegen; Nordau 1881 Paris 221 Ihre wolgetroffenen Bilder figuriren im Pariser Roman und Theater, diesem Atlas der Pariser Fauna; Lübke 1891 Lebenserinn. 104 Für mich .. wurde dann bald das Rheinufer mit der Fülle seiner alten Denkmäler ein grosser Bilderatlas, an welchem ich meine Anschauungen bereicherte; Fontäne 1894 Kinderjahre 205 wertvolle Geschenke: Schellers Lexikon, Stielers Atlas, Beckers Weltgeschichte; Breuer/Freud 1909 Hysterie 72 Während der Massage erzählt sie nur, daß ihr die Gouvernante der Kinder einen kulturhistorischen Atlas gebracht und daß sie über Bilder darin, welche als Tiere verkleidete Indianer darstellen, so heftig erschrocken sei; . Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 25 Für die großflä-

chigen Historischen Atlanten, die heute für viele Länder oder Landschaften vorliegen oder bearbeitet werden, sind Grundkarten verkleinerten Maßstabs erforderlich; FAZ 28.12.1965 in diesem „Steueratlas" sollte alles Material der Länderfinanzminister über die Steueraufkommen zusammengefaßt werden; Bernhard 1967 Verstörung 30 Mit ihrem Mann habe sie lange Zeit die Vorliebe für das Studieren von Atlanten geteilt; Welt 17. 2.1969 die riesigen Erzlagerstätten im nördlichsten Teil Skandinaviens und die beachtlichen Vorkommen im sowjetischen Polargebiet sind in den Atlanten der Geologen längst vermerkt; MM 21.6.1985 ein Atlas mit der Kartierung und Beschreibung von insgesamt 326 Feuchtgebieten; ebd. 31.10.1985 Ziel dieser Mission ist es, einen Atlas der Röntgenstrahlquellen im Kosmos zu erstellen; Fuchs 1986 Schinderhannes 87 Aus der Bibliothek seines Vaters hatte er sich Atlanten geholt. Er saß jetzt lange über Seekarten, die bunt waren von Ungeheuern und Schlangen; Zeit 15.8.1986 ein Blick in den historischen Atlas zeigt, daß im 16. Jahrhundert die territorialen Verhältnisse im südwestlichen Deutschland einigermaßen zerklüftet waren; MM 20.8.1986 für mögliche Zusammenhänge zwischen Krebs und Umweltbelastung gibt der Krebsatlas erste Anhaltspunkte; ebd. 18.3.1988 zu den für 1988 angekündigten Neuerscheinungen zählt ein großformatiger Atlas zur Brockhaus Enzyklopädie; Spiegel 29.8.1994 In Berlin und Baden-Württemberg lernen Kinder aus 15 Jahre alten Geschichtsbüchern; in Hamburg müssen sie über 30 Jahre alte Atlanten wälzen.

Atmosphäre F. (-; -n), im späten 17. Jh. aufgekommene gelehrte Bildung aus griech. 'Dunst, Dampf und '(Erd-)Kugel, Ball, Himmelskugel' (—» Sphäre), bis ins 18. Jh. auch in der latinisierten (flekt.) Form Atmosphaera (s. Beleg 1680). la Zunächst als Terminus der Physik in der Bed. 'von den Himmelskörpern ausströmender und sie umgebender Dunst', dann bes. 'die einen Planeten umgebende Luftschicht, Gashülle eines Planeten oder Sterns' (s. Belege 1680, 1712, 1738), speziell 'Lufthülle der Erde, die sich als ein dünner unsichtbarer Mantel um die Erde breitet und einen Schutz bildet vor Meteoriteneinschlag, vor tödlicher Strahlung und vor Auskühlung' (s. Belege 1788, 1842, 1869) (-» Äther, -» Sphäre Ib), als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Erd-, Mond-, Planetenatmosphäre und Atmosphärenbereich, -forschung, -gas, -physiker, -schient. b Seit Mitte 18. Jh. auch bildlich für 'die jmdn./etwas umgebende Atemluft, Geruch; Luft, Klima eines bestimmten Ortes, einer Gegend', heute veraltet; vgl. auch 2. c Seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. als Terminus der Physik zur Bezeichnung einer (nicht gesetzlichen) Maßeinheit des Drucks, z. B. absolute, physikalische, technische Atmosphäre und Atmosphärendruck.

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2 Seit früherem 18. Jh., bes. seit der Epoche des „Sturm und Drang", in der wohl von la, Ib her übertragenen Bed. 'der einen Menschen umgebende Lebenskreis, die an einem Ort herrschende Stimmung, (geistiges) Klima, (gesellschaftliche) Sphäre; Ausstrahlung, eigenes Gepräge' (—> Air 1 , —* Aura 2, —> Fluidum, —» Klima); auch 'Umwelt, Umgebung, Einfluß' (—» Milieu, —> Sphäre 3), oft in Wendungen wie eine Atmosphäre des Vertrauens, der Harmonie, der Entspannung, der Verständigung, der Behaglichkeit; die Atmosphäre eines Gesprächs, Treffens, Buches; eine behagliche, sachliche, frostige, gereizte, spannungsgeladene, feindliche Atmosphäre schaffen, um sich verbreiten, erzeugen; die Veränderung, Entgiftung, Verschlechterung der Atmosphäre; eine friedliche Atmosphäre herstellen, eine dumpfe Atmosphäre reinigen, eine gespannte Atmosphäre lösen, einem Werk Atmosphäre geben, verleihen; eine Atmosphäre herrscht, breitet sich aus und als Grundwort in Zss. wie Arbeits-, Betriebs-, Gesprächs-, Konzert-, Lebens-, Verhandlungsatmosphäre. Dazu seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung atmosphärisch in der Bed. 'die Atmosphäre betreffend, zu ihr gehörig, auf ihr beruhend, in ihr befindlich', häufig in Wendungen wie atmosphärische Erscheinungen, Vorgänge, Einflüsse, atmosphärisches Geschehen, atmosphärischer Druck, atmosphärische Strahlung, Elektrizität 'die in der Luft enthaltene Elektrizität, z. B. bei einem Gewitter', atmosphärische Störungen 'durch elektromagnetische Wellen und Entladungen in der Atmosphäre hervorgerufene Beeinträchtigungen des Rundfunkempfangs', atmosphärische Zirkulation 'großräumiger Kreislauf der Luft auf der Erde' (zu la). Seit früherem 19. Jh. in der Bed. 'Atmosphäre schaffend, wiedergebend; stimmungsmäßig, stimmungsvoll', z. B. ein Buch von atmosphärischer Dichte (s. Belege 1840, 1925, 1937), auch 'nur in sehr feiner Form, nur andeutungsweise vorhanden (und daher kaum feststellbar), anklingend', z. B. in der Wendung ein atmosphärischer Unterschied (s. Belege 1959, 1966) (zu 2). Dazu seit Anfang 19. Jh. die seltene latinisierende Kombination Atmosphärilium N. (-s; Atmosphärilien), meist plur. gebraucht als Bezeichnung für die in der uns umgebenden Luft enthaltenen, chemisch oder physikalisch wirksamen Stoffe wie z. B. Sauerstoff und Stickstoff, die verantwortlich sind für die Verwitterung der Gesteine und die Korrosion von Metallen, selten auch für 'Steine aus der Atmosphäre', —» Meteorit, vgl. Aerolith, —»· Aero- (s. Beleg 1804) (zu la); daneben gelegentlich die Kombination Atmosphärologie F. (-; PL ungebr.) in der Bed. 'Lehre von der Atmosphäre und Witterungskunde', früher auch 'Dunstkreislehre', und die adj. Ableitung atmosphärologisch 'zur Witterungskunde gehörend' (zu l a) und vereinzelt die Gelegenheitsbildung Atmosphärik (zu 2). Atmosphäre la: Lebenwaldt 1680 Teufels List 16 [die Sterne] haben auch ihr Athmosphaeram oder Außtämpff-Kraiß; ebd. VIH 189 Die Athmosphaera ist voller Tämpff von Schwefel vnd Salniter; Marperger 1712 Naturlex. 130 Atmosphaera, Sphaera Atomorum, der Dämpffe Creis, wird dasjenige Theil der Lufft genennet, so der Erden am nächsten; Sperander 1727 A la mod Sprach 55 Atmosphaera . . Gegend der Lufft, so zunächst auf dem Erdboden anliegt, und denselben umfasset; 1738 Hamb. Berichte 699 ein Luftzeichen unserer Atmospher (oder Dunstkugel); Bodmer 1752 Noah

248 Nicht nur die Pyramide des neblichten Schweifs zu durchwandeln, Sondern die Ufer der Atmosphär des Sterns zu betreten; Lessing 1769 Br. antiqu. Inh. II (S. Sehr. X 429) Von der ganzen weiten Atmosphäre verlange ich nicht einen Fingerbreit mehr, als gerade meine Flügel zu ihrem Umlaufe brauchen; Pfennig 1781 Physikal. Geogr. 2 Land, Wasser und einem Dunstkreise, Atmosphära; Goethe 1785 Naturwtss. Sehr. (WA II 9,297) schlug sich . . zuerst der Granit nieder . . Alle Theile woraus der Granit besteht, mit soviel flüchtigen trübte noch das Wasser; über den Was-

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sern schwebten in der Atmosphäre die flüchtigsten und wechselten ab und zu; 1788 Journal v. u. f. Deutschland U der Druck der gesammten Atmosphäre auf die Erdoberfläche; 1798 Gallerte d. 'Welt 131 der Name Dunstkreis oder Dunstkugel; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 966) das hebende, warme Wesen, womit Walt wie mit einer elektrischen Atmosphäre umgeben war; Ritter 1810 Fragmente l 47 Das Thierreich hat weniger Individuen, mehr das Pflanzenreich. Das Atmosphärenreich unendlich viele, aber sie sind flüssig; Goethe 1818 Naturwiss. Sehr. (WA U 12,110) Unsere ganze Wetterbeobachtung überhaupt bezieht sich allein auf den Wetterstreit der Atmosphäre den sie mit Dunst und Nebel und Wolken aller Art zu bestehen hat; ders. 1828 Br. (WA IV 45,6) ich nehme zwey Atmosphären an, eine untere und eine obere; die untere erstreckt sich nicht sonderlich hoch, gehört eigentlich der Erde zu .. Die Eigenschaft dieser Atmosphäre ist Wasser zu erzeugen, und zwar vorzüglich bey niederem Barometerstand; Schubert 1830 Gesch. d. Seele 17 Wie die vermuthlich tropfbarflüssige Wassermenge der Erde, wenn sie Gasgestalt gewönne, an Volumen . . der Erde gleich würde, so ist es wahrscheinlich, daß das Oxygen der Erde: das freie der Atmosphäre, zusammt dem gebundenen in den festen Körpern — wenn es für sich allein Gasgestalt annähme — an Volumen der leuchtenden, herrschend waltenden Sonne gleichen würde; Cotta 1842 Geognosie 361 In der Atmosphäre entsteht Eis durch Gefrieren von Wasserdünsten — als Schnee — oder von fallenden Tropfen — als Hagel; Moltke 1845-46 Wanderbuch (Rom) 72 sobald die Sommerhitze einen hohen Grad erreicht, [verlassen wir] die Stadt und suchen eine freiere und gesundere Atmosphäre auf dem Lande; Schlesinger 1852 London l 212 Dann ist sie [Sonne] zu einer dicken, kleinen, dunkelrothen, matten Kugel zusammengeschrumpft, deren Strahlen von der umgebenden Dunstatmosphäre so sorgfältig aufgesaugt werden, daß keiner bis zur Erde gelangt; Hartmann 1869 Philosophie 142 Die Pflanzen brauchen zur Wechselwirkung mit der Atmosphäre keine besonderen Organe; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 95 nach der Theorie, daß stillstehende Wasser . . gute Luft erzeugen, muß über uns eine nette Atmosphäre sein; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 247) die Schwüle schien verdoppelt, die Atmosphäre schien einen sich binnen einer Sekunde rapide steigernden Druck auszuüben, der das Gehirn beängstigte, das Herz bedrängte, die Atmung verwehrte; Pringsheim 1910 Physik d. Sonne 389 [wir können] angeben, wie groß die Helligkeit bei senkrechtem Durchgange des Lichtes durch die Erdatmosphäre sein würde; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 166) Hans Castorp [atmete] tief die reine Frühluft,

diese frische und leichte Atmosphäre; Mehring 1927 Paris 63 Es kam der Tag der Hochzeit mit unerträglich lastender Atmosphäre und brenzelnder Luft; Stein 1929 Schmied Raus 73 Hie und da steht allerdings ein Gebäude grell und nackt in der erbarmungslos klaren Atmosphäre; 1930 Uhu Aprilh. 112 Nun zeigt der Planet Venus . . statt einer Atmosphäre nur einen leuchtenden Gasmantel; Lokal-Anz. 24.8.1934 Sowohl Temperatur wie Atmosphärendruck innerhalb der Gondel blieben ziemlich stabil; Münch. N. N. 13.3.1943 Es ist Münchens Atmosphäre, die ihm seine einzigartige Anziehungskraft und Beliebtheit verliehen hat. Seine Atmosphäre im tatsächlichen, klimatischmeteorologischen Sinn, das heißt in der Frische seiner Höhenluft und der Bergnähe; NZ. (Basel) 15.3.1950 Das Hoch hatte sich damit in sehr hoch gelegene Atmosphärenschichten aufgewölbt; Frisch 1957 Homo faber 243 Zone des Lebens, wie dünn sie eigentlich ist, ein paar hundert Meter, dann wird die Atmosphäre schon zu dünn, zu kalt; Gail 1958 Weltraumfahrt 99 weil die Ausstrahlung infolge der dünnen Atmosphäre sehr groß ist, herrscht ein extremes Klima; Partner 1964 Erben 130 die Särge standen in den von Feuchtigkeit gesättigten Letten des Braunjuras, der sie luftdicht gegen den Zutritt der Atmosphäre abschloß; Welt 4.2.1966 von den Satelliten . . bekommt man . . Nachricht über die Vorgänge in der Atmosphäre abseitsgelegener Gebiete; MM 5.4.1986 auch zeigten sich auf den Aufnahmen der Voyager-Kameras am westlichen Atmosphärenrand des Planeten deutlich ausgeprägte Wolkenstrukturen; ebd. 30. 4. 1988 das aus Fluorkohlenwasserstoffen bestehende Kühlmittel Frigen, dem die Zerstörung der Ozonschicht der Atmosphäre nachgesagt wird; Spiegel 15.2.1993 Ein Großteil des Methans steigt aus Kuhmägen und Reisfeldern auf; aber rund 35 Millionen Tonnen entweichen durch den Kohlebergbau jährlich in die Atmosphäre; ebd. 21.2. 1994 Folgen der bislang festgestellten globalen Erwärmung der Erdatmosphäre um 0,6 Grad Celsius. Atmosphärilien: Goethe 1804 Br. (WA IV 17,30) Steinschränkchen . . In der obern Schublade . . die Atmosphärilien . . gleich unter Glas zu bringen, damit sie nicht betastet weden . . denn was bey ändern Mineralien der frische Bruch ist, das ist bey diesen der schwarze reine Überzug, den sie mitgebracht haben; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XU 22) Romantik, Nationalismus, Bürgerlichkeit, Musik, Pessimismus, Humor — diese Atmosphärilien des abgelaufenen Zeitalters bilden in der Hauptsache die unpersönlichen Bestandteile auch meines Seins; Pape 1971 Gesteinsbestimmung o. S. chemische Verwitterung unter dem Einfluß der At-

Atmosphäre mosphärilien . . (Stoffe der Atmosphäre) verwittern die Gesteine chemisch. atmosphärisch: Herder 1769 S. W. IV 44 Unsre und keine Sprache ist von einem Philosophen ausgedacht, der die atmosphärische Natur abstrakter Begriffe gleichsam von oben herab in Worte geordnet hätte; 1781 Götting. Magazin d. Wiss. U 57 denn die atmosphärische Luft ist ein Bestandtheil der fixen Luft; Wieland 1783 Aempetomanie (S. W. XXX U) Man bemerkte eine Öffnung an ihr, wodurch die brennbare Luft, nachdem die Kugel eine Höhe erreicht, wo die atmosfärische weniger Widerstand that, sich mit Gewalt in Freyheit gesetzt hatte; ebd. XXX 34 atmosfärische Beobachtungen; Saussure 1787 Reisen durch d. Alpen (Übers.) Ill 231 Neues atmosphärisches Elektrometer; Jean Paul 1797 S. W. I 7,26 obgleich Gefühle der Schwamm voll atmosphärischer Luft ist, den . . Dichter . . [und] Taucher am Munde haben [müssen]; Ackermann 1797 Lebenskräfte II 45 Es ist bekannt, daß die Pflanzen ihre Nahrung gewöhnlich aus dem Humus, dem Wasser und der atmosphärischen Luft [aufnehmen]; Goethe 1808 Faust 11 (WA l 15.1,84) Es ist des Wachsthums Blüthe,/ Im Jüngling als Ambrosia bereitet,/ Und atmosphärisch rings umher verbreitet; 1821 Polytechn. Journal V 401 da er an die Stelle des Queksilbers eine andere wirkende Drukkraft zu setzen suchte, die comprimirte atmosphärische Luft; Goethe 1825 Naturwtss. Sehr. (WA II 12,83) Das Barometer gibt uns eine unmittelbare Andeutung . . von der ab- und zunehmenden Schwere der atmosphärischen Masse; ders. 1830 Er. (WA IV 46,210) sind die atmosphärischen Erscheinungen aus aller Regel getreten. Barometer- und Thermometerstand, Windfahne und Wolkenzüge, nichts trifft mehr zusammen; Hufeland 1836 Ench. med. 236 auch atmosphärischer und klimatischer Einfluß . . besonders feuchte, oder oft wechselnde Witterung; Moltke 1845-46 Wanderbuch (Rom) 82 An einer besonders für ungesund gehaltenen Stelle . . sammelte er während mehrerer Nächte in einem mit der höchsten Vorsicht zugerichteten Apparate den atmosphärischen Niederschlag; Dittmann 1858 Landw. l 203 Die Blätter und Wurzeln der Gewächse beziehen nämlich einerlei Nahrung aus der atmosphärischen Luft und aus dem Boden; 1858 Beschr. OA. Freudenstadt 31 atmosphärische Erscheinungen, wie Stürme, Erdbeben; Hartmann 1869 Philosophie 70 Vielmehr ist eine solche Gefühlswahrnehmung gegenwärtiger atmosphärischer Einflüsse nichts weiter, als die sinnliche Wahrnehmung, welche als Motiv wirkt, und ein Motiv muss ja doch immer vorhanden sein, wenn ein Instinct functioniren soll; Berlepsch 1875 Schweizerkunde 322 Klimatische und atmosphäri-

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sche Verhältnisse (Überschr.); 1889 Landes- u. Volksforschung 195 atmosphärischen Staub; Boruttau 1898 Physiologie 90 in atmosphärischer Luft bei gewöhnlichem Barometerstande; Haeckel 1899 Welträthsel 49 daß es einst gelingen werde, aus der atmosphärischen Luft den Bestandteil auszuscheiden, welcher als Pneuma bei der Atmung in das Blut aufgenommen werde; Brandt 1901 OstAsien II 341 nur in dem kleinen Einschnitt war der Schnee liegen geblieben und hatte sich dort in kürzester Frist, ich weiß nicht, durch welche atmosphärischen Einflüsse, in eine kompakte Eismasse verwandelt; Pringsheim 1910 Physik d. Sonne 18 Auch mit dem besten Fernrohr und unter den günstigsten atmosphärischen Bedingungen können wir kaum zur genauen Abbildung von Größen auf die Sonne kommen, die unter einem kleineren Winkel erscheinen als l"; Dtsch. AZ,. 7.9.1935 Im Sommer sind die atmosphärischen Störungen hier so stark, daß das Knattern auch die schmelzendste Zigeunermusik aus Rostow . . übertönt; 1935 Wehrtechn. Monatsh. 389 Popoff stellte 1895 Untersuchungen über die Gewitterelektrizität an und verband hierzu einen Fritter mit einem langen, in die Luft gespannten Draht zum Auffangen der atmosphärischen Elektrizität nach Art eines Blitzableiters; Hellpach 1939 Geopsyche 135 alle Klimawirkung sei weiter nichts als eine fortgesetzte, längerwährende Wetterwirkung. Von der atmosphärischen Seite her betrachtet, ist das richtig; Gail 1958 Weltraumfahrt 66 an den weitläufig verteilten Atomen der letzten atmosphärischen Gasreste lösen die Ultraviolettstrahlung der Sonne und die kosmischen Ultrastrahlen Reaktionen aus, die weitere energiereiche Strahlungen verursachen; MM 15.3. 1985 die Erdbahn schwankt, Ströme im Erdinnern verschieben Kontinente und verändern die atmosphärischen und ozeanischen Strömungen; ebd. 19. 6.1986 neben der Wärmeausdehnung von Stoffen untersuchte Fahrenheit, wie der Siedepunkt des Wassers vom atmosphärischen Druck abhängt; Spiegel 6.9.1993 Nur dort ist das Klima trocken und kalt genug, um mit Antennen das älteste Echo der Welt ungestört von atmosphärischen Schlieren abhorchen zu können; ebd. 27. 6.1994 Die Allianz wiederum mag nicht einsehen, warum sie im Rahmen der Hausratversicherung einen Fernseher ersetzen soll, der bei einem Gewitter zerstört wurde. An dem Defekt seien „atmosphärische Überspannungen" schuld, für die es keine Entschädigung gebe. Atmosphärologie: Fries 1822 Naturphilosophie 6 die Lehren von der Atmosphäre (Atmosphärologie) und von den Lufterscheinungen (Meteorologie); Ratzeburg 1859 Standortsgewächse 197 Die äußeren Bedingungen, welche wir auf den vorigen

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Blättern als chemische und physikalische kennen lernten, und die sich in Atmosphärologie, Meteorologie und Klimatologie aussprechen; 1863 Schulbl. Erandenb. XXVHI 55 So könnte auch aus der physikalischen Geographie (der Atmosphärologie) angeführt werden, welches der mittlere Temperaturgrad bei uns ist und zugleich der Wärmegrad des Quellwassers sei; Carus 1866 Lebenserinn. H 219 In früherer Zeit hat man gewöhnlich eine ungeheuere Lernbegier, man möchte alles umfassen, Geschichte, Astronomie, . . Atmosphärologie. atmosphärologisch: Chamisso 1816 W. VI 42 Die athmosphärologischen Tabellen . . werden auf jeden Fall sehr schätzbare Beiträge sein. Atmosphäre Ib: Zachariä 1744 Renommist V. 1029 der Stutzer zitterte in fremder Atmosphäre [sc. dem Tabaksdampf], wie im Kometenschweif des bangen Erdballs Schwere; Wieland 1771 Amadis (S. W. XV 13) Ein süßer Geruch von destillirtem Jasmin Macht eine Atmosphäre um ihn; 1783 Teutscher Merkur III 141 ein Schränkchen, worin sie ihre Flaschen verschloß; die Atmosphäre um dasselbe war unendlich süß; Schiller 1784 Kabale u, Liebe (S. W. HI 1) eine Atmosphäre von eau de mille fleurs und Bisam; Goethe 1795 — 96 Lehrjahre (WA I 21,22) selbst der wunderliche Geruch, den so mancherlei Specereien durch einander aushauchten, hatte so eine leckere Wirkung auf mich, daß ich niemals versäumte . . mich . . an der eröffneten Atmosphäre zu weiden; Weitenweber 1837 Kaffee 82 die bei den Branntweintrinkern am Ende lästig werdende Branntweinatmosphäre; Rodenberg 1863 Strassensängerin II 165 Es war die reinere Atmosphäre offener Räume; Reck 1909 Grossmutter 24 „ich bitte Sie, Ihre Atmosphäre von Kohl und Knoblauch abzustreifen, ehe Sie meinen Salon betreten!"; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 516) eine Sinfonie von heiteren Wiesenblumendüften erfüllte die reine, trockene, klar durchsonnte Atmosphäre. Atmosphäre Ic: Nietzsche 1877-79 W. IV 176 Der Geist jener Zeit würde mit der Last von hundert Atmosphären auf dich drücken; 1878 Buch d. Erfindungen V 366 Ist z. B. das Steigrohr 12 Meter hoch geführt, so repräsentirt die Druckhöhe von der darin befindlichen Wassersäule einen Ueberdruck von l 1/2 Atmosphäre; Wiesner 1892 Elementarstructur 242 mit Rücksicht auf die Zugfestigkeit derartiger Bastzellen [müssen] Drucke von 3000—5000 Atmosphären angenommen werden, um die thatsächlich vorkommenden Oberflächenvergrößerungen durch Dehnung zu erklären; Dtsch. AZ. 20. 8.1935 daß der Druck von zehn At-

mosphären vollkommen genüge, um hier in 50 Meter Höhe ein Feuer zu löschen; ND 27.1.1949 unverrückbar steht der Zeiger auf 16 Atmosphären; Gail 1958 Weltraumfahrt 113 er war von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen und atmete Luft von einer halben Atmosphäre Druck, deren Sauerstoffgehalt auf 40 Prozent angereichert war; Grzimek 1959 Serengeti 197 das gibt einen Druck von 50 Atmosphären; Welt 5.2.1974 bei . . einem Druck von rund neunzig Atmosphären und einer Planetenhülle, die fast ausschließlich aus Kohlendioxid . . besteht; MM 19.9.1985 dort werden durch hohen Druck (bis zu zwölf Atmosphären) Engstellen der Arterien aufgesprengt. Atmosphäre 2: Ludewig 1744 Gel. Anzeigen II 899 daß er in seiner Kunst sich über die Sterne verstiegen; die gantze athmosphaer getadelt und öffentlich sich vernehmen lassen; Herder 1767 D. Literatur (S. W. I 419) [die Muse] hat sich aus der Sphäre des Lebens in die Atmosphäre der Katheder versezzt; Goethe 1782 Br. (WA IV 6,19) nur ein Hauch nur ein Laut der nicht stimmend von dir zu mir herüberkommt verändert die ganze Atmosphäre um mich; 1790 Journal d. Moden V 623 politischen Atmosphäre; Thümmel 1791 Reise (I 128) ich eilte mit ihr aus der Atmosphäre des Schwätzers; Schiller 1797 Br. V 290 [der Rhythmus] bildet auf diese Weise die Atmosphaere für die poetische Schöpfung, das gröbere bleibt zurück, nur das geistige kann von diesem dünnen Elemente getragen werden; Wieland 1798 Aristipp (XXII 222) ich verbannte mich aus seiner Atmosphäre so weit ich konnte; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA I 20,397) Charakter, Individualität, Neigung, Richtung, Örtlichkeit, Umgebungen und Gewohnheiten bilden zusammen ein Ganzes, in welchem jeder Mensch, wie in einem Elemente, in einer Atmosphäre, schwimmt, worin es ihm allein bequem und behaglich ist; Kohl 1842 Böhmen 119 [er hat] seine herrlichsten Werke hier in Prag unter dem Einflüsse des böhmischen Himmels und in der Atmosphäre der böhmischen Musik geschrieben; Raumer 1842 England HI 581 Ich wollte nicht mehr politisieren, es kann aber in der Londoner Atmosphäre nicht unterbleiben; 1852 Prutz' Museum II 715 Eine Atmosphäre von Trauerflor .. liegt über dem ganzen Lande; Scheffel 1856 Glück (Br.) 19 eine so anregende künstlerisch reine Atmosphäre; Knies 1857 Telegraph 62 Die Verantwortlichkeit muß noch in dem Grade größer erscheinen, . . je mehr die unsichtbare Atmosphäre der „öffentlichen Meinung" einen fühlbaren Druck auf die Nerven des Staatskörpers ausübt; Riehl 1861 Vortr. I 277 Atmosphäre der vornehmen Welt; Rodenberg 1863 Strassensängerin II 132 diesen ganzen Menschen, klein und dunkel, welcher

Atmosphäre befangen war in der niedrigsten Atmosphäre des menschlichen Daseins; Hundt v. Hafften 1863 Rechte l 70 In der Indischen Philosophie und Religionslehre umfängt uns ein magisches Helldunkel, eine schwüle Zauberatmosphäre; Raabe 1864 Hungerpastor 397 die Atmosphäre von Teer und Tran, die das Fischerdorf umgab; Sehen 1865 Blücher 111 101 die geistige Atmosphäre Wiens; Schmidt 1871 Bilder II 234 Atmosphäre dieses Buchs; Gervinus 1872 Hinterlass. Sehr. 19 wie ein unsichtbares und unergreifliches Etwas in der politischen Atmosphäre, ein plötzliches Kraftgefühl und Selbstbewegen, die Massen durchdringt und sie .. auf die Bühne der Handlung wirft; Gottschall 1885 Totenkl. 244 aus dieser schwülen Theateratmosphäre; Hornberger 1888 Selbstgespr. 158 die intellektuelle Atmosphäre des Shakespeareschen Zeitalters; Spielhagen 1890 Finder I 84 Hatte ich doch aus seinem sanften Munde zum ersten Male Worte vernommen, die nicht aus der staubigen Schulatmosphäre . . zu kommen schienen; Franke-Schievelbein 1894 Rotdorn 177 Das Lob des Lehrers that ihm wohl, die Atmosphäre daheim gewann an Freundlichkeit; Polko 1895 Hell u. Dunkel 147 Und doch birgt eben das Leben auch des besten Mannes so manches, was der Frau stets unbegreiflich bleiben wird und muß, weil sie eben in einer ganz anderen Gefühlsatmosphäre lebt und auch leben soll; Croissant-Rust 1896 Feierabend 71 eine bedrückende Atmosphäre weht ihr entgegen, es wird leise gesprochen, geflüstert, sie hört Schluchzen; Polenz 1900 Liebe 235 jemand, der von Jugend auf in der linden Atmosphäre üppigen Wohlbehagens gelebt hatte; Schwabach 1905 Akten 61 dass die Atmosphäre in London mit einer gewissen Mißstimmung gegen uns geladen ist; Reck 1909 Grossmutter 11 Sie [Großmutter] hat eine Handarbeit auf dem Schoß, an der sie eifrig herumstichelt und eine ganze Atmosphäre von Behaglichkeit umgibt sie; Hesse 1910 Rosshalde 132 sie war nicht entwurzelt, sie stand sicher in ihrer eigenen Atmosphäre, und ihre Luft war es, in der die Söhne aufwuchsen; Wildenbruch 1917 Neid 72 wenn man zum ersten Male in die Atmosphäre eines ungewöhnlichen Menschen tritt; Schulz 1924 Unkenbrenner 22 Es war nicht das stumme Kommen, mit dem sie sonst das Abends behutsam in seine Atmosphäre trat; Tillich 1926 Religiöse Lage 108 Durch die Gesamtheit dieser Einflüsse ergab sich eine Atmosphäre, in der ein mystisch gefaßter Gottesgedanke unmittelbare Gewißheit hatte; Baum 1928 Willfüer 32 Helene Willfüer besitzt das Talent, mitten in der ätzenden und unreinlichen Atmosphäre des Labors einen Kreis von Behagen um sich zu ziehen; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 388 die „Atmosphäre" . . jene undefinierbare Aura, die die Gegenstände umhüllt; Münch. N. N.

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15.10.1938 die starke künstlerische Atmosphäre der Stadt; ebd. 13. 9.1941 Allzu rasch und laut bekundete Ungeduld des Gastes und darauffolgende unfreundliche Antworten des Kellners . . dienen nicht dazu, die Atmosphäre der Gastlichkeit, . . zu erhöhen; Süddtsch. Ztg. 23.1.1945 eine Atmosphäre strenger Sachlichkeit, die den Anwesenden das Gefühl gab, daß unter alleiniger Zugrundelegung von Tatsachen verhandelt werden würde; Kippenberg 1948 Rilke 60 die Atmosphäre, die von einem Menschen ausgeht; Welt 25.11.1954 die Mittwochsitzung wurde in spannungsgeladener Atmosphäre eröffnet; Süddtsch. Ztg. 2.1.1959 daß die Diskussionen in einer Atmosphäre ohne Druck und Drohungen stattfinden können; Stuttgarter Ztg. 1.3.1962 Die Zusammenkünfte und Beratungen verliefen in einer aufgeschlossenen, herzlichen Atmosphäre; FAZ 15.2.1969 Dame .. gepflegte häusl. Atmosphäre liebend (Anzeige); Schivelbusch 1980 Paradies 224 die emotionale Atmosphäre; Sloterdijk 1983 Kritik 103 die moralisch verschwülte Atmosphäre des späteren 19. Jahrhunderts; Zeit 21.3.1986 die intensive Arbeitsatmosphäre nimmt den Eintretenden sofort gefangen; MM 2.4.1987 die seitlich im Bild völlig leere Straße gibt dem Ganzen eine gespenstige, surreale Atmosphäre; Spiegel 7.12.1992 In der Atmosphäre scheinbar harmloser Pfadfindertreffen mit Frühsport, Geländelauf und Mutproben lernt die braune Jugend im Rassenkunde-Unterricht, was „artgerechte Erziehung" heißt; ebd. 28.2.1994 Je liberaler die Atmosphäre, desto mehr verschiebt sich der Schwerpunkt der Kriminalstatistik vom Schwerverbrechen zur Kleinkriminalität. Atmosphärik: Finder 1937 Bürgerzeit 232 der Kampf um die Projektion der raumkörperlichen Welt auf die Fläche. Er hat einen Ernst angenommen, unter dem der holde Duft allgemein malerischer und farbiger Atmosphärik verjagt wird wie schädlicher und betäubender Nebel. atmosphärisch: Bacherer 1840 Stellungen l 29 und die politische Vernunft den geistes-atmosphärischen Stimmungen und Zuständen der Einzelperson gar zu sehr unterthan ist; 1908 Zukunft LXIV 104 der Wille, dieses Fluidum, . . diese immaterielle Schwingung, dieser rein atmosphärische Druck eines Geistigen nach außen; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. IX 184) ihre sympathetische Naturverbundenheit ist recht aus dem Herzen ihres Dichters erfunden, dessen Liebe sie atmosphärisch umgibt; ders. 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 389) es gibt verschiedene Arten das Daseins: die atmosphärische zum Beispiel, statt der körperlichen, die akustische, statt der visuellen; ders. 1931 Reden u. Aufs. (W. X 747) Bertaux deutet treffend die atmo-

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sphärischen Unterschiede an, die in unseren beiden Ländern das geistig-künstlerische Leben bestimmen; Berl. lllustr. Nachtausg. 9.3.1934 Diese Rollen lassen stärkste naturalistische Darstellung zu, ohne damit das „Atmosphärische" zu bedrängen; Münch. N. N. 22.2.1937 Hans H. Zerlett hat die abenteuerliche Welt des internationalen Artistentums in ihren Kulissen aufgespürt und „atmosphärisch" erfaßt; Dtsch. AZ. 2.12.1938 die atmosphärische Schilderung Pagnols, die seinen Stücken eine gewisse Breite und Gedehntheit geben; Th. Mann 1947 Faustus (W. V! 51) es ist von der Stadt zu sagen, daß sie atmosphärisch wie schon in ihrem äußeren Bilde etwas stark Mittelalterliches bewahrt hatte; NZ. (Basel) 27.5.1949 Nur wem die Isolde auf der Opernbühne zum persönlichen Erlebnis geworden, ist es gegeben, Wagners beziehungsvolle Wesendonk-Lieder „atmosphärisch" richtig .. zu singen; Süddtsch. Ztg. 14.12.1950 Das Atmosphärische des Sendung war dicht und rein; ebd. 15.6.1959 [er tat] den Konflikt mit „Meinungsverschiedenheiten, wie sie nun mal unter denkenden Menschen vorkommen können" und der Erklärung ab, daß es sich lediglich um „atmosphärische Störungen" in der Partei gehandelt habe; Staiger 1966 Grundbegriffe 81 wer wollte einen Duft, ein Schwebendes, Atmosphärisches je als

Zeugen in irgendeiner Sache nennen?; Welt 5.6.1969 der atmosphärische Reiz der französischen Provinz; FAZ 20.2.1971 trotz aller atmosphärischer Anzeichen, die auf eine mögliche friedliche Regelung hindeuten; Sloterdijk 1983 Kritik 280 In der modernen Medien- und Modezivilisation herrscht ein atmosphärisches Gemisch aus Kosmetik, Pornographie, ..; Zeit 25.10.1985 Hans Abrahamsens . . wunderbar atmosphärische, scheinbar nostalgisch verzückte Märchenbilder mit schönen Holzbläserlinien und „richtigen" Harmonien; MM 7.12.1985 die Musik dient Mitteregger aber meist nur als atmosphärische Untermalung für seine Texte; Süddtsch. Ztg. 19./20.12.1992 eine . . unpathetische, sehr atmosphärische, in warmen Erdfarben gehaltene Skizze; ebd. 2.3. 1993 die romantischen Ansichten aus der Zeit der Wiederentdeckung geben wenigstens einen atmosphärischen Eindruck von der magischen Wirkung dieser Toten-Wohnungen im Fels; Spiegel 30.8. 1993 [er ließ] als Augenzeuge ergreifend und atmosphärisch dicht das Ende der kommunistischen Regime in der DDR und in Polen . . Revue passieren; ebd. 7.2.1994 die akkurate Spärlichkeit dieser Anpflanzung widersprach nicht der Nüchternheit des übrigen Kasernengeländes. Keine atmosphärische Begütigung ging von ihr aus.

Atom N. (-s; -e), im späten 15. Jh. über mlat. atomus F., auch M. 'kleinster unteilbarer Bestandteil der Materie, Stäubchen, Körnchen', lat. atomus F. 'unteilbares Ding, Monade' entlehnt aus gleichbed. griech. $ (neben ) (subst. F. von 'ungeschnitten; unteilbar', aus dem Negationspräfix - und 'schneiden'; —* Anatomie), zunächst als M., bis ins frühere 18. Jh. nur in lat., vereinzelt auch griech. (flekt.) Form, vom früheren 18. bis ins späte 19. Jh. auch mit Pl. Atomen, seit etwa Mitte 18. Jh. zunehmend in der heutigen Form. l Zunächst in der Bed. 'kleinstes Stäubchen in der Luft, das in der Sonne sichtbar ist, Sonnenstäubchen', bis heute übertragen gebraucht für 'winziges Teilchen, kaum wahrnehmbares Bruchstück', z. B. sich in Atome auflösen 'sich in nichts auflösen, verschwinden', in Wendungen wie nicht ein Atom, kein Atom 'gar nichts'; seit Ende 18. Jh. als Grundwort in dichterischen Zss. wie Luft-, Staub-, Ur-, Wissensatom; dazu im späteren 19. Jh. die nur gebuchte adj. Ableitung atomarisch 'winzig klein, bunt gesprenkelt'. Dazu etwa gleichzeitig die eventuell unter Einfluß von engl. atomize, frz. atomiser aufgekommene Ableitung atomisieren V. trans., zunächst bildungsspr. und eher abwertend verwendet für 'etwas zerstückelnd, zersplitternd behandeln, betrachten und dabei seine geistig-begriffliche Einheit, Ganzheit vernachlässigen, auflösen, zerstören', häufig in der adj. verwendeten Part. Präs.-Form atomisierend, z. B. eine atomisierende Betrachtungsweise, atomisierendes Denken; seit früherem 20. Jh. auch in der Bed. 'etwas in kleinste Teile aufteilen', z. B. den Boden, die Bevölkerung, Wirtschaft eines Landes atomisieren, oft in der adj. verwendeten Part. Perf.-Form atomisiert, z. B. ein atomisierter Besitz; eine atomisierte Gesellschaft, Medienwelt; etwa

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seit Mitte 20. Jh. auch für 'etwas zertrümmern und völlig zerstören', z. B. ganze Häuserblocks wurden bei der Explosion atomisiert; gleichzeitig auch für 'Flüssigkeiten in kleinste Tröpfchen zerstäuben'; selten auch als V. reflex, sich atomisieren 'sich aufspalten, zerplittern' (s. Beleg 1993). Seit späterem 19. Jh. das Verbalsubst. Atomisierung F. (-; -en) '(zu) stark differenzierte Aufteilung, Aufspaltung, Aufsplitterung in kleinste Teile, ohne den geistig-begrifflichen Zusammenhang zu wahren', z. B. die Atomisierung der Gesellschaft, der Kräfte; eine geistige, soziale Atomisierung. In jüngster Zeit das aus gleichbed. engl. atomizer entlehnte Subst. Atomizer M. (-s; -) 'mit einem Ventil ausgestatteter, unter Druck stehender kleinerer Behälter, in dem sich eine Flüssigkeit, z. B. Parfüm, Spray befindet, Zerstäuber', gleichzeitig das aus gleichbed. frz. atomiseur entlehnte gleichbed. Subst. Atomiseur M. (-s; -e). 2 Seit spätem 17. Jh., anknüpfend an die Vorstellung der antiken Naturphilosophie (Leukipp, Demokrit, Epikur, Lukrez) zunächst in der Philosophie, dann in den Fachsprachen der Naturwissenschaften, bes. Physik, für 'kleinster unteilbarer Baustein der Materie'; im Anschluß an Huygens und R. Boyle im 18. Jh. in die Sprache der Chemie (A. L. Lavoisier, später J. Dalton) übernommen und im 19. Jh. neu bestimmt im Sinne von 'kleinste, mit chemischen Mitteln nicht weiter zerlegbare Einheit eines chemischen Elements, die noch die für das Element charakteristischen Eigenschaften besitzt'; trotz des Nachweises der weiteren Spaltbarkeit des Atoms in der Physik gegen Ende 19. Jh., der zahlreichen zu Beginn des 20. Jhs. entwickelten Modelle zu Struktur und Verhaltenweise des Atoms, das aus einem positiv geladenen Atomkern und einer mit Elektronen besetzten Atomhülle besteht, und trotz der technischen Bewältigung der Atomkernspaltung (um 1939) wird das nun nicht mehr motivierte Fachwort jedoch bis heute beibehalten. Etwa seit Mitte 20. Jh. als Grundwort in fachspr. Zss. wie Äther-, Blei-, Cäsium-, Chlor-, Einzel-, Eisen-, Färb-, Fluor-, Gas-, Helium-, Kalium-, Kobalt-, Kohlenstoff-, Licht-, Luft-, Metall-, Natrium-, Oberflächen-, Phosphor-, Radium-, Sauerstoff-, Schwefel-, Stickstoff-, Wasserstoffatom. Vor allem aber, seit frühem 19. Jh., als mehrdeutiges Bestimmungswort Atom- in zahlreichen Zss. gebraucht, wobei jeweils das bestimmende Glied, z. B. Atomkern-, Atomenergie-, Atommaterial-, Atombomben-, Atomwaffen- verkürzt wird zu Atomund mit Kern-, Nuklear- und den Adj. atomar (s. u.) und —» nuklear konkurriert, z. B. Atomenergie/Kernenergie/nukleare Energie/atomare Energie, Atomwaffen/ Kernwaffen/Nuklearwaffen/nukleare Waffen/atomare Waffen, Atomphysik/Kernphysik, Atomreaktor/Kernreaktor: a Etwa seit Mitte 19. Jh. im Bereich der Naturwissenschaft, bes. Chemie, Physik, in der bis in die Gegenwart ständig weiterentwickelten und modifizierten Bed. 'zum Atom gehörend', in Zss. wie Atom(auf)bau 'Zusammensetzung eines Atoms aus Elementarteilchen', Atombeschießung 'Einwirkung energiereicher Teilchen oder Strahlung auf Atome', -bindung, in der Fachsprache der Chemie für 'unpolare Bindung zwischen Elementen, deren Elektronegativität annähernd gleich groß ist', -elektron 'in der Elektronenhülle eines Atomkerns befindliches Elektron', -gewicht 'Vergleichszahl, die angibt, wievielmal die Masse eines Atoms größer ist als die eines Standardatoms', z. B. relatives, absolutes Atomgewicht, -hülle 'Gesamtheit der Elektronen, die den Atomkern umgeben', -kern 'Kern eines Atoms, der aus Protonen und Neutronen besteht und von der Elektronenhülle umgeben ist' mit den Zss.

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Atomkernenergie, Atomkernreaktion, -(kern)umwandlung 'Veränderung des Atom(kern)s durch natürlichen Zerfall oder Beschüß mit Elementarteilchen, Kernspaltung', Atommodell 'von experimentellen Befunden ausgehende, hypothetisch konstruierte räumliche Darstellung eines Atoms, mit deren Hilfe viele seiner Eigenschaften und Wirkungen gedeutet werden können', Atommolekül 'aus ungeladenen Atomen aufgebautes Molekül', -reaktion 'Kernreaktion', -Spaltung 'Veränderung des Atom(kern)s durch natürlichen Zerfall oder Beschüß mit Elementarteilchen, Kernspaltung', -strahlen Pl. 'radioaktive Strahlen', -teilchen, -volumen 'Volumen eines Grammatoms', -zeichen 'Abkürzungssymbol für ein chemisches Element', -Zertrümmerung. b Seit spätem 19. Jh., zunächst in der Fachsprache der Kernphysik, dann zunehmend auch gemeinspr. in der Bed. 'auf die Erforschung des Atoms, der Kernumwandlung, Kernspaltung gerichtet, Kern-' (s. u. atomar, —* nuklear), in Zss. wie Atomexperte, -forschung, ohne PL, 'Forschung auf dem Gebiet der Kernphysik im Hinblick auf die Nutzung der Kernenergie', -(kern)physik 'Wissenschaft von den Atomen, Ionen, Molekülen und den von ihnen verursachten physikalischen Erscheinungen; Physik der Elektronenhülle und der in ihr ablaufenden Vorgänge, an denen die Atomelektronen beteiligt sind; Kernphysik', Atom(en)lehre 'Lehre, daß alle Stoffe aus kleinsten Teilchen, den Atomen bestehen', -philosophic, -physiker(in) 'Wissenschaftler(in) auf dem Gebiet der Atomphysik; Student(in) der Atomphysik', -theorie 'Theorie, die alle physikalischen Eigenschaften und Vorgänge innerhalb des von ihr beschriebenen Problemkreises auf die Wechselwirkung und das Verhalten der Atome (oder der Elektronen in ihnen) zurückführt', -Wissenschaft, Sammelbezeichnung für 'Atomphysik und Kernphysik', -wissenschaftler(in), Atomzeitalter, ohne Pl., für 'das mit der Entdeckung der Atomkernumwandlung eingeleitete und durch die Bedrohung durch die Atombombe gekennzeichnete Zeitalter, in dem die Atomphysik beherrschend ist', -Zentrum. c Seit Mitte 20. Jh. in der Bed. 'durch Kernenergie erzeugt, angetrieben, Kern-' (s. u. atomar, —> nuklear), in Zss. wie Atomantrieb 'Antrieb durch einen Kernreaktor als Energiequelle', -auto, -batterie, -ei, ugs. scherzhaft für 'erster Kernreaktor, der nach der Form des Reaktorgebäudes so bezeichnet wurde', -energie 'bei Kernspaltung freiwerdende Energie, Kernenergie', -kraft, -kraftwerk 'Kraftwerk, das aus Atomenergie elektrische Energie gewinnt' (vgl. Atom- 2d], Atommeiler, seltener gebraucht, heute veraltend für 'großer Kernreaktor', -reaktor 'Kernreaktor', -uhr 'Uhr, deren höchste Genauigkeit darauf beruht, daß die Schwingung bestimmter Atome oder Moleküle für die Zeitmessung benutzt wird', -Unterseeboot 'mit Kernenergie betriebenes Unterseeboot', -wärme 'Wärmemenge, die notwendig ist, um ein Grammatom eines Elements um l Grad zu erwärmen', -zeit 'mit einer Atomuhr bestimmte Zeit', in partizipialen Adj. wie atombetrieben 'durch Atomenergie betrieben', z. B. ein atombetriebenes U-Boot. d Etwa gleichzeitig für 'auf die industrielle und wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie gerichtet' (s. u. atomar , —* nuklear), in Zss. wie Atomanlage, -fabrik 'Wiederaufarbeitungsanlage für Brennstäbe, nukleares Brennmaterial', -Industrie, markt, -technik 'mit Kernkraft arbeitende Technik'; -Wirtschaft 'Teil der Wirtschaft als Gesamtheit aller Maßnahmen und Einrichtungen für die Gewinnung, Nutzung und Verteilung von Atomenergie'.

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e Zu gleicher Zeit in der Bed. 'im Hinblick auf negative Folgen der Kernenergie gesehen', in Erinnerung an die Atombombenabwürfe von 1945, aber auch an die späteren Unfälle in Atomkraftwerken und aus der Überzeugung langfristiger Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen durch die industrielle Nutzung der Kernenergie, in der öffentlichen Diskussion und in den Medien in kritischen bis polemischen, in appellierenden und gefühlsbezogenen Äußerungen oft negativ wertend verwendet, (s. u. atomar, —+ nuklear), in Zss. wie Atomabfall, -affäre, -angst, -friedhof 'Aufbewahrungsort für atomare Abfälle', -gefahr, -katastrophe, -krankheit, -material, -muH 'bei der industriellen Nutzung der Kernenergie entstehende feste Abfälle, die radioaktive Stoffe enthalten oder selbst radioaktiv sind', dazu die Zss. Atommülldeponie 'Lagerstätte zur Aufbewahrung radioaktiver Abfälle', Atommüllskandal, Atompilz 'bei einer Atomexplosion entstehende riesige pilzförmige Wolke', Atomruine, -schaden, -skandal, -Strahlung 'radioaktive Strahlung', -tod 'durch atomare Strahlung verursachter Tod', -transport 'Transport von radioaktivem Material', -unfall 'Unfall o. ä. (z. B. in einem Kernkraftwerk), bei dem Radioaktivität freigesetzt wird', -Verseuchung und in den Adj. atombesessen, -krank, -verseucht, f Ebenfalls seit Mitte 20. Jh. im militärischen Bereich für 'zu militärischem Einsatz von Kernwaffen bestimmt; zum Schutz gegen einen militärischen Angriff von Kernwaffen eingerichtet' (s. u. atomar, —» nuklear), in Zss. wie Atomangriff, -basis, 'militärischer Stützpunkt für den Einsatz von Atomwaffen', vor allem in der Mitte 20. Jh. aus gleichbed. engl. atom(ic) bomb übernommenen Zs. Atombombe 'mit einem atomaren oder thermonuklearen Sprengsatz ausgerüstete Bombe, bei deren Explosion Atomkerne unter Freigabe größter Energiemengen zerfallen und höchste Vernichtung bewirken' und den damit gebildeten mehrgliedrigen Zss. Atombombenabwurf, -drohung, -experiment, -versuch, dem Adj. atom (bomben) sicher und der subst. Ableitung Atombomber, ugs. für 'Kampfflugzeug, das atomare Sprengkörper mit sich führt oder zur Aufnahme von Atomwaffen ausgerüstet ist', ferner in Zss. wie Atombrückenkopf, -bunker 'Bunker zum Schutz gegen die Wirkung von Atombombenexplosionen', -gefechtskopf, -geschoß, -klub, ugs. verwendet für 'Gesamtheit der Staaten, die über Atomwaffen verfügen', -konflikt, -krieg 'Krieg, in dem Atomwaffen eingesetzt werden'; -macht 'Staat, der über Atomwaffen verfügt, mit Atomwaffen ausgerüstete Streitmacht, Streitkräfte', -mine Ortsfest eingebauter Atomsprengkörper, der zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Explosion gebracht werden kann', -rakete 'Rakete mit Strahlenantrieb, der durch die gerichtete Abstrahlung der Zerfallsprodukte von Kernreaktionen entsteht, Rakete mit atomarem Sprengkopf, -rüstung 'das Ausstatten eines Staates mit Atomwaffen, Aufrüstung der Atomwaffen; Gesamtheit der Atomwaffen eines Staates', -schirm, ohne PL, für 'atomarer Schutz durch Atommächte für Nicht-Atommächte', in jüngster Zeit die abwertend gebrauchte Zs. -Schmuggel für 'Schwarzhandel mit radioaktivem oder radioaktive Stoffe enthaltendem Material bzw. mit Substanzen, die zur Herstellung von Atomwaffen verwendet werden können', -schütz mit den Zss. Atomschutzbunker, -übung, Atom Sprengkopf 'nuklearer Sprengkörper, der auf einer (Träger-) Rakete oder Granate montiert ist', -Sprengkörper 'Vorrichtung zur detonationsartigen Freisetzung von Atomenergie', -Staat 'Staat, der über Atomwaffen verfügt, mit Atomwaffen ausgerüstete Staatsmacht, Streitkräfte', -test 'Erprobung von atomaren Sprengkörpern', -versuch 'Erprobung von atomaren Sprengsätzen im Weltraum, auf und unter der Erde', -waffe, meist im PL, 'Waffe, deren Wirkung auf Kernspaltung

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oder Kernverschmelzung beruht' mit den Kombinationen Atomwaffenproduktion, -versuch, Atomwarnung 'Hinweis an die Truppe auf bevorstehenden eigenen oder vermuteten feindlichen Einsatz von Atomsprengkörpern' und in adj. Zss. wie atomfest 'einen Angriff mit Atombomben überstehend', gleichbed. mit atomsicher, g Seit Mitte 20. Jh. auch im Bereich politischer Verhandlungen, in öffentlichen Diskussionen und in den Medien gebraucht, mit Bezug auf Personen, Organisationen, Institutionen und Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit Kernkraft, dem Umgang mit Kernkraft stehen, auf die Erforschung, Entwicklung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken und zum Schutz vor ihren Gefahren gerichtet und bemüht sind, den Einsatz, Besitz und die Verbreitung von Kernwaffen einzuschränken (s. u. atomar, —+ nuklear), in Zss. wie Atomappell, -arbeit, -aufsieht, -ausschuß, -behörde mit dem Kompositum Atomenergiebehörde, -kommission '1946 eingesetzte, danach durch Nachfolgeorganisationen abgelöste Kommission zur Planung und Kontrolle der Erzeugung und Anwendung von Atomenergie in den USA', Atombündnis, -debatte, -fan, -forum, -frage, -freak, Anti-Atomfront, Atomgemeinschaft, z. B. in dem Namen Europäische Atomgemeinschaft EURATOM '1957 gegründeter, im Laufe der Zeit ständig erweiterter Zusammenschluß der sechs Mitgliedsländer der Montanunion auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Atomenergie', -gesetz 'Ende 1959 verabschiedetes, danach ständig erweitertes und verändertes Gesetz für die Erforschung, friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren', -Inspektor, -kommission, -konferenz, -kontrolle, Atomkraftgegner (in), Atomlobby 'Gesamtheit derjenigen, die ungeachtet der Gefahren am Ausbau der Atomwirtschaft festhalten', -mafia, ugs. abwertend für 'Atomlobby', -manager, -medizin 'Teilgebiet der Medizin, das sich mit der Anwendung und den Auswirkungen der künstlichen Radioaktivität auf den menschlichen Organismus und mit der therapeutischen und diagnostischen Anwendung radioaktiver Substanz befaßt, Nuklearmedizin', -ministerium 'das 1955 gegründete Bundesministerium für Atomfragen, das 1961 in Bundesministerium für Atomenergie umbenannt wurde', -recht, -sperrvertrag 'zwischenstaatlicher Vertrag über die Nichtweitergabe von Kernwaffen und der zu ihrer Herstellung erforderlichen Produktionsmittel', -stopp 'Einstellung der Atombombenversuche und Einschränkung der Herstellung spaltbaren Materials', -teststopp und bes. Atomteststoppabkommen '1963 von den USA, Großbritannien und der UdSSR abgeschlossener, danach durch weitergehende Nachfolgeverträge abgelöster Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser', Atomtestverbot 'Abkommen über die Einstellung von Atomversuchen', -versuchsstopp 'Einstellung der Versuche mit Kernwaffen und Wasserstoffbomben', Atomwaffenpolitik, Atomwaffensperrvertrag 'zwischen den Atommächten USA, Rußland und Großbritannien 1968 ausgehandeltes und von zahlreichen Staaten unterzeichnetes Abkommen über die Nichtweitergabe von Atomwaffen und der zu ihrer Produktion notwendigen Rohstoffe' und in dem Adj. atomwaffenfrei (ohne Steigerung), nicht adv., z. B. atomwaffenfreie Zone 'Gebiet, in dem auf Grund internationaler Abmachungen oder einseitiger Erklärungen keine Kernwaffen hergestellt, stationiert oder eingesetzt werden sollen', -zentrale, -Zusammenschluß. Dazu seit frühem 20. Jh. im Bereich von Philosophie und Naturwissenschaft die adj. Ableitung atomisch (ohne Steigerung) für 'in die kleinsten Uratome aufgelöst', von Goethe entsprechend der Urstofflehre als 'das, was bewegt wird' dem Dynamischen

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gegenübergestellt (zu Atom- 2 a), seit Mitte 20. Jh. nur noch Schweiz, 'auf Kernspaltung beruhend, radioaktiv', z. B. atomische Substanzen, Explosionen (zu Atom- 2c und Atom- 2e), etwa gleichzeitig im militärischen Bereich für 'zu militärischem Einsatz von Kernenergie bestimmt, nuklear', z. B. atomische Waffen, atomisches Potential, atomischer Massenmord (zu Atom- 2e und f). Vom späten 19. bis ins frühe 20. Jh. vereinzelt die nur gebuchten Ableitungen Atomologie für 'Atomistik' (s. u.) und atomologisch, ohne Steigerung 'atomistisch' (s. u.); seit spätem 19. Jh. als Grundwort in der adj. Ableitung -atomig, in Kombinationen wie vieratomig 'vierwertig'; Anfang 20. Jh. die adj. Bildung atomhaft für 'in der Art eines Atoms'; im früheren 20. Jh. die nur gebuchte subst. Ableitung Atomizität E (-; ohne Pl.) für 'Wertigkeit' (alle zu Atom- 2 a). Dazu seit früherem 20. Jh. die latinisierende adj. Ableitung atomar (ohne Steigerung), meist attributiv verwendet, im Bereich der Naturwissenschaft, bes. Chemie, Physik, zunächst in der Bed. 'die innere Struktur des Atoms, das Atom betreffend, zu ihm gehörend, auf ihm beruhend, nuklear', z. B. das atomare Geschehen untersuchen, atomare Vorgänge, Reaktionen, die atomare Struktur der Materie, in Kombinationen wie inner-, superatomar (zu Atom- 2a); etwa gleichzeitig, zunächst in der Fachsprache der Kernphysik, dann zunehmend gemeinspr. für 'auf die Erforschung der Prozesse der Kernspaltung gerichtet, von der Kernenergie geprägt, nuklear, Kern-', z. B. die atomare Forschung, das atomare Zeitalter, ohne PL, 'das mit der Entdeckung der Kernspaltung eingeleitete und durch die Bedrohung durch die Atombombe gekennzeichnete Zeitalter, in dem die Atomphysik beherrschend ist' (s. o. Atomzeitalter) (zu Atom- 2b); etwa gleichzeitig auch für 'durch Kernenergie (angetrieben, erzeugt)', z. B. ein atomar angetriebenens U-Boot, Auto, atomarer Antrieb; atomar erzeugter Strom (zu Atom- 2c), auch in der Bed. 'auf Prozessen der Kernspaltung beruhend, mit Kernenergie arbeitend, nuklear/Kern-', z. B. die atomare Technik (zu Atom- 2d), auch für 'radioaktiv, nuklear, Kern-', z. B. atomare Stoffe, atomares Material; atomarer Müll, Abfall (zu Atom- 2e); zu gleicher Zeit für 'durch schädigende Einwirkung von Kernenergie hervorgerufen, nuklear', z. B. ein atomarer Unfall, eine atomare Katastrophe, Verseuchung, ein atomar verseuchtes Gebiet (zu Atom- 2e); gleichzeitig im militärischen Bereich in der Bed. 'zu militärischem Einsatz von Kernenergie bestimmt, die Atomwaffen betreffend, nuklear, Kern-', z. B. atomare Waffen, Raketen, Geschosse, Granaten, Minen, Sprengkörper, die atomare Rüstung, ein atomares Wettrüsten, atomar bewaffnete Truppen (zu Atom- 2f); gleichzeitig auch für 'mit Kernwaffen geführt', z. B. ein atomarer Krieg; eine atomare Kampfführung, Überlegenheit; die atomare Bedrohung (zu Atom- 2f), zu gleicher Zeit im militärischen Bereich und im Rahmen politischer Verhandlungen in der Bed. 'den Einsatz, Besitz und die Verbreitung von Kernwaffen betreffend, nuklear', z. B. atomare Abrüstungsverhandlungen 'seit 1969 laufende Verhandlungen zur Begrenzung bzw. Verminderung der strategischen Atomwaffenarsenale'; die atomare Abrüstung, Überlegenheit; atomares Gleichgewicht, atomares Patt zwischen den Atommächten, aus dem Schachspiel übertragener Begriff, mit dem seit Ende der 1950er Jahre das nukleare Rüstungsgleichgewicht der USA und der UdSSR gekennzeichnet wurde (zu Atom- 2f und 2g), etwa seit Mitte 20. Jh. in der adj. Zs. nichtatomar, z. B. nichtatomare Rüstung, (zu Atom- 2f). Dazu seit Mitte 20. Jh. die latinisierte Ableitung Atomium N. (-s; ohne Pl.) als Bezeichnung für das Symbol der Brüsseler Weltausstellung von 1958 in Form eines milliardenfach vergrößerten Atommodells (zu Atom- 2a).

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Dazu die seit früherem 18. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. engl. atomist, frz. atomiste gebildete subst. Ableitung Atomist M. (-en; -en) 'Anhänger der Atomistik (s. u.), des Atomismus' (s. u.) (zu Atom- 2a); etwa Mitte 20. Jh. auch übertragen verwendet in der Bed. 'jmd., der vereinzelt, isoliert ist' (zu 1). Etwa gleichzeitig die adj. Ableitung atomistisch (ohne Steigerung), zunächst für 'die Atomistik (s. u.) betreffend, zu ihr gehörig, auf ihr beruhend', z. B. die atomistische Theorie, Lehre, Richtung, atomistische Ansichten, Prinzipien (zu Atom- 2a); auch für 'die Atomistik, den Atomismus (s. u.) vertretend', z. B. atomistische Naturphilosophen (zu Atom- 2a); seit frühem 19. Jh. bildungsspr. verwendet in der Bed. 'etwas in kleinste Teile aufgliedernd, aufteilend, extrem vereinzelnd', gleichbed. mit atomisierend (s. o.), z. B. eine atomistisch organisierte Gesellschaft (zu 1). Seit spätem 18. Jh. die meist in den Fachsprachen der Philosophie, Physik und Chemie, dann auch allgemeiner verwendete subst. Ableitung Atomistik F. (-; ohne Pl.) für 'Lehre der antiken Naturphilosophie (Leukipp, Demokrit), die besagt, daß die Materie aus Atomen zusammengesetzt sei und das Naturgeschehen aus den Eigenschaften der Atome bzw. deren Bewegung erklärt werden müsse' (zu Atom- 2a); im 18.719. Jh. in der Fachsprache der Psychologie für 'von der Gestalt- und Ganzheitspsychologie Ende 19. Jh. als widerlegt angesehene spezielle Richtung der Psychologie, die die komplizierten psychischen Vorgänge und Denkprozesse in psychische Einzelelemente zerlegt und losgelöst vom Zusammenhang erforscht', seit Mitte 19. Jh. übertragen verwendet für 'zu starke Aufspaltung, Zersplitterung in kleinste Teile, ohne die geistig-begriffliche Einheit des Ganzen zu wahren' (zu 1). Seit Anfang 19. Jh. die eventuell unter Einfluß von gleichbed. engl. atomism, frz. atomisme gebildete, meist in den Fachsprachen der Philosophie, Physik, und Chemie, dann auch allgemeiner verwendete subst. Ableitung Atomismus M. (-; ohne Pl.) (zu l und Atom- 2a). Atom 1: Melber 1481 Voc. o. S. Athomus klein gestuppe in der sunnen schein, gestupp in dem lufft; Cholinusl Frisius 1541 Diet. 102 Atomus, atomi .. Vnzerteylig ding/ wie das daß man sieht in dem strömen oder glantz der Sonnen/ Gstüpp; Rii/ius 1548 Vitruv. 64b stüpfflein so im Sonnenschein schweben/ . . welche . . von den Griechen Atomi genant werden/dann sie vnzertheilbar oder vnzertrenlich sind; Fischart 1581 Dämonomania 40 Atomi oder Sonnenstäublein; ders. 1582 Bienenkorb 177 zu griechisch atomos nennt, zu latinisch aber heisst es Individuum; Lebenwaldt 1681 Teufels List VI 149 atomos oder kleine Stäublein; Ettner 1697 Chymicus 368 Wann die Atomi und Sonnen-Stäublein in ein compactes Wesen können gebracht werden; Wächtler 1709 Manual 43 Atomi, Lufftstäublein/ als denn siehet man die Atomos recht/ wenn die Sonne durchs Fenster scheinet; Sperander 1727 A la mod Sprach 55 Atomi, sind subtile Materie oder untheilbare Sonnenstäubgen, welche man alsdann recht siehet, wann die Sonne durchs Fenster scheinet; Zedler 1732 Universallex. 2052 Atomi, werden insgemein genennet die Sonnen-Stäublein, so in einem finstern Gemach,

wenn die Sonne durch ein enges Loch hinein scheinet, schwebend gesehen werden, oder andere Cörperlein, so diesen von Grosse gleichen; Bodmer 1746 Crit. Er. 195 jeder Atomus suchte seine besondere Classe, die Liebe warf ihren Central-Reiz rund um sich her durch manchen schönen, verliebten Stof, und band ihn mit ewigen Heurathsbanden; Wieland 1771 Kombabus (S. W. X 277) Denn von den höchsten Sfären Bis zum Atom herab ist nichts, wovon er . . nicht . . spricht; Schiller vor 1782 Freundschaft (S. W. l 236) Und aus Millionen mein bist du — Laß das Chaos diese Welt umrütteln, Durcheinander die Atomen schütteln; Ewig fliehn sich unsre Herzen zu; Jean Paul 1795 Fixlein (W. VII 92) ein einziger Glut-Atom trägt den hängenden Garten von Eden; Goethe 1792 Naturwiss. Sehr. (WA II 5.1,396) Dunst, Dampf, Rauch, Staubwirbel, Nebel, dicke Luft, Wolke, Regenguß, Schneegestöber sind sämmtlich Aggregate. Versammlungen von Ungleichartigem, d. h. von Atomen und deren vacuo, wovon jene keine Durchsicht . . gestattet; Fülleborn 1802 Rhetorik 35 Atom, Sonnenstäubchen; Goethe 1804 Er. (WA IV 17,197) Wenn gewisse mechanische Behandlungs-

Atom weisen, wie Kupferstich und Mosaik, in der Nähe vor dem Auge sich in ihre technische Atome zerlegen, so fallen die höchsten Kunstwerke, Odysse und Ilias, vor dem Scharfblick eines trennenden Kritikers auseinander; ders. 1810 Farbenlehre (WA II 1,134) eine weiße feine Staubwolke, welche durch feinen recht trockenen Haarpuder am besten hervorgebracht wird. Die mehr oder weniger gefärbte Erscheinung wird nun durch die weißen Atomen aufgefangen und dem Auge in ihrer ganzen Breite und Länge dargestellt; Büchner 1835 Dantons Tod 65 jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW U 127) Genau und im prosaischen Sinne zu reden, sind die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft keine Atome. Die charakteristische Eigenschaft des Atoms besteht darin, keine Eigenschaften und darum keine durch seine eigne Naturnotwendigkeit bedingte Beziehung zu ändern Wesen außer ihm zu haben. Das Atom ist bedürfnislos, selbstgenügsam; die Welt außer ihm ist die absolute Leere . . Das egoistische Individuum der bürgerlichen Gesellschaft mag sich in seiner unsinnlichen Vorstellung und unlebendigen Abstraktion zum Atom aufblähen, d. h. zu einem beziehungslosen, selbstgenügsamen, bedürfnislosen, absolut vollen, seligen Wesen; Keller 1856-74 Seldwyla (W. VI 555) der durch haushälterischen und sparsamen Sinn oft Geplagte freute sich, daß nicht ein Atom seines Leiblichen wirklich verlorengehe, sondern in dem Haushalte der Natur in ewig wechselnder Gestaltung zu Ehren gezogen bleibe; Gutzkow I860 Zauberer VI 47 Staubatomen; Marx 1867 Kapital (MEW XX1U 177) Der zirkulierende Wert hat sich um kein Atom vergrößert; Frenzel 1884 Hausfreund 66 warum mischten sich die Atome meines Leibes; Nordau 1885 Paradoxe 392 den Staat in Atome auflösen; Marx/Engels 1885-94 Kapital U (MEW XX1V 390) Sismondi . . hat nicht ein wissenschaftliches Wort gesagt, nicht ein Atom zur Klärung des Problems beigetragen; Rilke 1905 Stundenbuch (W. I 16) Wir bauen an dir mit zitternden Händen, und wir türmen Atom auf Atom. Aber wer kann dich vollenden, du Dom; Böhme 1905 Tagebuch 230 Auch kein Atomchen Macht ist einem mitgegeben; H. Mann 1914 Untertan 344 Die Macht . . Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat! (PAUL); Th. Mann 1916 Reden u. Aufs. (W. XI 702) wir sind . . einig darüber, daß die Vorherrschaft dieses Romantyps in Deutschland . . aufs engste zusammenhängt mit dem deutschen Humanitätsbegriff, welchem, da er das Produkt einer Epoche ist, in der die Gesellschaft in Atome zerfiel und die aus jedem Bürger einen Menschen machte, das politische Element von jeher fast völlig fehlte; Sternheim 1918 Chro-

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nik II 35 Nasse Wärme quoll aus den Körpern, ganz eng hämmerten Atome sich aneinander, und die Glieder waren geballt; Dotnbrowski 1920 System II 90 Wer hat Ihnen den Bären aufgebunden? Nicht ein Atom davon ist wahr; Werfet 1928 Abituriententag 132 f. Vielleicht war bei den Worten, die wir mit den Geistern wechselten, . . nicht alles Einbildung . . Vielleicht war . . doch eine Spur, ein Atom nicht erlogener Wirklichkeit da; Berl. Illustr. Nachtausg. 18.2.1933 daß wir uns an der Bar vor Neugier in Atome auflösen; Spoerl 1935 Feuerzangenbowle 245 ET [Schnauz] wird in Atome zerrieben und läßt alles über sich ergehen; Münch. N.N. 29.10.1940 Alle Karten zeigen . . die englische Insel, die hier nach den verschiedensten Gesichtspunkten geradezu in ihre Atome zerlegt ist; Andres 1947 Hochzeit 187 diese Tanten- und Großmütterzimmer seiner Heimat . . alles . . sauber, ohne ein Mückendreckchen und das Atom eines Staubkorns; Fallada 1947 Jeder stirbt 80 Drei Jahre später sollte eine Sprengmine dieses Heim in Atome zerreiben; Mackensen 1954 Sprache u. Technik 28 wer wie eine Maschine arbeitet, kann eine dicke Maschine sein, aber auch, je nach Anlage, kein Atom Fett ansetzen. Atomiseur: Friman 1977 Z. angloamerikan. Einfluß 154 Eine gewöhnlichere Bezeichnung ist jedoch sonst Atomiseur 'Zerstäuber' . . , die wohl aus dem Französischen entlehnt wurde . . Schütz (1968) 152 belegt Atomiseur als ein[en] Anglizismus in der französischen Reklamesprache wie auch Atomizer 'Sprühgerät'; 7994 Max X 397 das erste Haarspray mit Pumpe (Atomiseur). atomisieren: Huber 1865 Proletarier 101 der Sozialismus . . würde selbst auf die von der Natur geknüpften Bande auflösend und also nur atomisierend wirken; Willmann 1896 Gesch. II 625 Ganz im Geiste der Aufklärungszeit ist das Atomisieren und Mechanisieren von Allem und Jedem, das Hobbes vornimmt; Richter 1909 Kunsterz. Gedanken 64 Ein demokratisierender, nivellierender, atomisierender Geist erfüllt das 19. Jahrhundert; Spann 1919 Geist 357 dass die Volkswirtschaft nun atomisiert ist; 1924 Deutschlands Erneuerung 273 Die Bevölkerung wurde [im Bereich der städtischen Selbstverwaltung] atomisiert, wie es dem liberalen Ideal entsprach; Sintzel 1935 Karl d. Große 18 Der [merowingische] Staat verlor . . seine Randgebiete, und er schien durch die Kämpfe der Grossen untereinander und gegen das Königtum atomisiert zu werden; Höpker 1936 Rumänien 50 den ohnehin durch die Agrarreform übermässig parzellierten Boden in noch kleinere Zwergbesitzungen aufspaltet, ihn „atomisiert"; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XII 859) der Nationalsozialismus,

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nur er, ist dieser Bolschewismus; und wenn Kriege zerstörender und barbarischer als der Dreißigjährige, über Europa hingehen und es atomisiert und um Jahrhunderte zurückgeworfen hinterlassen werden, er, der Feind der Menschheit wird der Urheber gewesen sein; ders. 1947 Faustus (W. VI 485) ein Zeitalter, das . . auf die despotische Zwangsherrschaft über nivellierte, atomisierte, kontaktlose und, gleich dem Individuum, hilflose Massen zusteuerte; Sedlmayr 1948 Verlust 174 In sich isoliert verliert er [der Mensch] den Zusammenhang mit der Gemeinschaft, er wird „atomisiert"; de Man 1951 Vermassung 50 des Angestellten, der in sozialer Hinsicht viel weiter „atomisiert" ist [als der Arbeiter]; Bamm 1956 Ex ovo 257f. die „Ganzheit" des Patienten . . ist . . die adäquate Charakterisierung für den Zustand des Objekts der modernen naturwissenschaftlichen Medizin, das zuerst atomisierte und dann aus seinen Teilen wieder „ganz gemachte" Individuum; 1959 Forsch. u. Fortschr. X 291 die Gefahr einer atomisierenden Betrachtungsweise biologischer Vorgänge; Stuttgarter Ztg. 17.11. 1960 im heutigen „atomisierten Zeitalter" müsse die Kirche ihrer seelsorgerlichen Aufgabe .. nachzukommen suchen; MM 21.10. 1986 das Gesangsstück . ., dessen atomisierte Texte einem Mezzosopran anvertraut sind; Zeitmagazin 19.10.1990 Die Menschen, die bisher atomisiert und für sich dahingelebt hatten, schaffen sich den Raum ihrer Verständigung; MM 15. 1.1993 die Gesellschaft hat sich atomisiert; Spiegel 21.2.1994 In der atomisierten Medienwelt, in der über hundert TV-Kanäle, unzählige Zeitungen und Zeitschriften um Aufmerksamkeit buhlen. Atomisierung: Brentano 1871 Arbeitergilden I Vorw. VI Die englischen Arbeiter . . haben sich das Prinzip der Ordnung gerettet, sich vor Atomisirung geschützt und ihre Herabdrückung in einen willenlosen, sklavenähnlichen Zustand verhindert; Schaffte 1878 Bau III 435 Atomisirung der liberalen Volkswirtschaft; Ziegler 1895 Student 155 f. solche Kasernierung [von Studenten] giebt es ja . . auch noch .. Man kann fragen, ob das gegenüber der Atomisierung der Studenten . . nicht fast noch seine Vorzüge habe; Willmann 1897 Gesch. Ill 943 Der moderne Staat hat zur Atomisierung der Gesellschaft sein redlich Teil beigetragen; Dibelius 1929 England II 197 Atomisierung und Entseelung der Masse; Nitzschke 1932 Gescbichtsphilosophie 107 Atomisierung des Gemeinschaftslebens, Fehlen jeglicher Bindung, Schwinden der Moral, Krieg aller gegen alle; 1937 Weisse Blätter 10 eine allgemeine Entwurzelung, eine „Atomisierung" des einzelnen Menschen [in Großstädten]; Münch. N.N. 26.5.1940 die Wiederherstellung einer geistigen Einheit nach der Atomisierung des kulturellen Le-

bens; Williams 1953 Ges. 67 Individualisierung („Atomisierung") der gesetzlichen Struktur der Familie; 1955 FAZ Nr. 164 Diese Art von Handelspolitik [nach 1929] . . trieb . . zur Isolierung und Atomisierung der Volkswirtschaften; Picard 1956 Die Atomisierung in der modernen Kunst (Titel); Bamm 1956 Ex ovo 96 die Atomisierung der Welt haben schon 1905 Picasso und die Maler der Brücke auf die Leinwand gezaubert; Salomon-Delatour 1959 Soz. 197 Die Massen erscheinen am Ende zivilisierter Regime. Die allgemeine Standardisierung und Atomisierung des Volkes führt zu einem allgemeinen passiven Schicksal, das erlitten werden muss; FAZ 21.7.1978 eine „Atomisierung" der Eigentumsrechte; Zeit 27.12.1985 eine Atomisierung der Tarifpolitik. Atomismus: Schopenhauer 1851 Parerga (S. W. V 533) In den Wissenschaften will Jeder, um sich geltend zu machen, etwas Neues zu Markte bringen . . die Sterilität ihrer Köpfe empfiehlt ihnen die Negation: nun werden längst erkannte Wahrheiten geleugnet, . . es wird zum krassen Atomismus zurückgekehrt . . Daher ist oft der Gang der Wissenschaften ein retrograder; Honegger 1865 Literatur 19 leicht mechanischen Atomismus der Arbeit; Schmidt 1878 Portraits 180 Atomismus des Gedankens; Willmann 1897 Gesch. Ill 944 Das Bedürfnis, an einem organischen Prinzipe Halt gegen die Konsequenzen des sozialen Atomismus zu suchen, ist wesentlich mitwirkend bei dem Eifer, mit dem man das Volkstum als Komplement des Staates geltend macht und den Nationalstaat als den Damm gegen die sozialistische Hochflut anpreist; Wundt 1917 Völkerpsychologie VIII 75 Weg vom „Atomismus der wilden Naturvölker" zu einem . . [Staat]; Stadtler 1919 Weltkrieg 18 Liberalismus und Atomismus; Spann 1923 Gesellschaftslehre 165 Gleichheit als Grund von Atomismus und Zentralismus; Sombart 1930 Nationalökonomie 144 ff. Atomismus der klassischen Nationalökonomie. Atomist: Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 136) man nenne also . . den Bürger in seiner geistigen Reinkultur einen Atomisten: diesen Begriff des atomistischen Bildungsindividualismus mit dem des Philistertums sich decken zu lassen wird immer schwerfallen. Atomistik: 1840 DVjS III 3 Atomistik der Nationalökonomie; Marx 1843 Kritik d. Hegeischen Staatsrechts (MEW l 283) Diese atomistische, abstrakte Ansicht . . ist die Atomistik der Gesellschaft selbst . . Die Atomistik, in die sich die bürgerliche Gesellschaft in ihrem politischen Akt stürzt; 1856 Monatsschr. Wiss. V. Zürich 47 nur zum Krieg Aller gegen Alle, d. i. zur Atomistik der

Atom Anarchie, zur chaotischen Selbstauflösung der geistigen Welt; 2930 Handb. d. Frankreichkunde H 469 soziale Atomistik. atomistisch: Görres 1819 Teutschland 117 was man in frommem Liebeseifer aus dem atomistischen starren Seyn in ein dynamisches Werden umdeutend, . . einregistrirt; 1838 D V/S // 45 Wenn Drangsale, allgemeine Wehrpflicht . . weitester Verkehr uns ungleich praktischer gemacht haben, so wird es dennoch . . nie bei uns zur atomistischen Vereinzelung kommen, welche der Fluch der . . Völker ist; Marx 1843 Kritik d. Hegeischen Staatsrechts (MEW I 283) Diese atomistische, abstrakte Ansicht verschwindet schon in der Familie .. kehrt im politischen Staate wieder; ders. 1844 Judenfrage (MEW I 376) die Menschenwelt in eine Welt atomistischer, feindlich sich gegenüberstehender Individuen auflösen; Schmidt 1878 Portraits 177 Die Richtung der Zeit geht aufs Atomistische: Demokratische Verfassung; völlige Freiheit für alle Personen; Röscher 1888 Ackerbau (System II 520) Nur wer das Leben atomistischer Weise aus lauter isolirten Äusserungen zusammensetzt; ders. 1899 Handel (System Hl 42) [der Mensch] in der ungeheuren atomistischen Masse; Wilutzky 1903 Vorgeschichte d. Rechts III 4 Und so beginnt die politische Geschichte der Menschheit mit ihrer atomistischen Zersplitterung, und erst die Kultur schuf feste Verbände; Ssymank 1905 Finkenschaftsbewegung 4 und die Nichtinkorporierten müssen aus ihrer „atomistischen Vereinzelung" heraustreten und sich in vollem Umfang am studentischen Gemeinschaftsleben beteiligen; Berolzheimer 1914 Moral 120 im atomistisch gestalteten Privatrecht während der späteren Naturrechtsherrschaft; 1929 Handb. d. Englandkunde II 103 atomistisch-mechanistischen Auffassung. Atomizer: Priman 1977 Z. angloamerikan. Einfluß 154 Außerdem kommt in derselben Anzeige als vierte Packungsvariante atomizer vor, das im Deutschen ein ungebuchter Ausdruck ist. Im Englischen bedeutet es 'device for producing a fine spray, e. g. perfume'; 1977 Katalog d. Fa. 4711 Köln Jacaranda — Luxus-Zerstäuber — Atomizer in Faltschachtel; Stern 14. 5.1980 Martin lernt, daß .. ein Atomizer nichts mit Atomkraft zu tun hat (beide AWB). Atom 2: Becher 1682 Glücks-Hafen 57 die Superficial-Mischung aber kan nicht besser/ als durch die Trituration geschehen/ allwo sich die Atomi gesaltsamb untereinander reiben/ und in solchen reiben in minimis atomis permisciren; 1692 Novellen 204 Dass aber die Kälte . . aus solchen salpetrigen und saltzigen kleinen Cörperlein (Atomis) bestehe;

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Gundling 1706 Otia I 159 er lebet in seinen Intermundiis und bekümmert sich wenig, was die kleinen Atomi auf dieser Erden wunderliches und lächerliches auswürckten; Kunckel 1716 Collegium 2 die Materie des ersten Elements seyn/ die mit einer solchen grossen Bewegungs-Krafft begäbet/ daß sie alle vorkommende Cörper in die allerkleinesten Theile oder Atomos auff unendliche Weise zertheilen könte; ebd. 4 Man bringe das . . in so subtile Atomos, daß 1. Theil 1280. Theil ein gar schön Rubin-Glaß tingiren kan . . Wo sind die Atomi Solares geblieben; ebd. 155 ob er gleich viel von particulis Sulphureis, und Atomis auff die Bahn brachte; Bruckner 1731 Fragen Reg. Atomi. Das Principium Ecphanti . . Democriti . . Epicuri . . sind unendlich an der Zahl; Zedler 1732 Universallex. U 2052 f. Atomi, sind in der NaturLehre, nach einiger Meinung, die Elemente aller Dinge, welche untheilbar sind; Fluche 1740 Historie (Übers.) l a2a Demokrit . . um dem Bau der Welt. . nach zu denken/ welche . . von den darinne befindlichen und zusammen verbundenen vorher gewesenen Theilgen gebildet worden, die er Atomen . . zu nennen beliebet; Bayle 1741-44 Wb. Ill 219 Ihre Körper sind aus Atomen zusammengesetzt; Gottsched 1744 Leibnizens „Theodicee" 246 die Atomen des Epikurs (beide REICHEL); Lessing 1747 Junge Gelehrte (S. Sehr, l 366) die Akademie . . wollte nicht untersucht wissen, was das Wort Monas grammatikalisch bedeute . . ob die Monaden des Pythagoras die Atomi des Moschus gewesen; Schönaich 1754 Aesthetik 259 f. Monaden . . fehleten noch im Nimrod, und können mit den Atomen einen ungemeinen Glanz einer biblischen Epopöe ertheilen: ginge es nicht an, die vorher bestimmte Harmonie des Hn. von Leibnitz darinn einzuflechten; z. E. in der Hexe von Endor?; Kant 1755 Naturgeschichte d. Himmels Vorr. b4b in der allgemeinen Zerstreuung des Urstoffs aller Weltkörper, oder der Atomen, wie sie bey jenen [antiken Philsophen Epikur, Leukipp, Demokrit] genannt werden; ebd. 118 Das ganze Stück der Natur, das wir kennen, ob es gleich nur ein Atomus in Ansehung dessen ist, was .. unter unserem Gesichtskreise verborgen bleibt; Gottsched 1757 Gesch. d. kgl. Akad. d. schönen Wiss. VIII 44 Atomen lehren, heißt noch nicht Wirbel setzen. Und wenn es gleich wäre: so hülfe es nichts. Die Wirbel des Cartesius sind ja lauter Träume (REICHEL); Lessing 1760 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 270) der andere war durch ihn . . bis in die Tiefen jener Philosophie gelangt, in welchen er sich mit . . seinen Freunden noch als Atomos, die allererst aus der Hand der Natur kamen, erblickte; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 34 daß in den intermundiis Götter anzutreffen seyn, die aber kein Verbindung mit der Welt haben, die aus den atomis von

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sich selbst entstanden; Geliert 1770 S. Sehr. VI 59 .. aus dem Zusammenstoße der Atomen im leeren Räume ließ er die Welt entspringen . . [die Gottheiten der Alten] bestunden aus den subtilsten Atomen; Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. HI 306) Die eigentliche Bedeutung des Wortes Monas (nach Leibnizens Gebrauch) sollte wohl nur auf das Einfache gehen, welches unmittelbar als einfache Substanz gegeben ist (z. B. im Selbstbewußtsein) und nicht als Element des Zusammengesetzten, welches man besser den Atomus nennen könnte; ders. um 1789 (Altpreuss. Monatsh. XIX 585) Die Körper bestehen nicht aus Atomen, sondern sind ins Unendliche teilbar; ebd. Das Atom ist eine „bloße Idee" (beide EISLER); ErsehtGruber 1818-32 Allg. Enc. I 6,203 Die Behauptung, daß es Atome gebe, oder daß die letzten Grundtheilchen der Materie selbst nicht mehr theilbar seyen . . stützt sich darauf, daß von dem Begriffe der Materie die Merkmale der Ausdehunung und Begränzung unzertrennlich seyen; Goethe 1828 Faust U, Paralipomena (WA 115.2,205) Das chemische Menschlein, an der Erde hinschleichend, klaubt aus dem Humus eine Menge phosphorescirender Atome auf, deren einige blaues, andere purpurnes Feuer von sich strahlen; Cotta 1842 Geognosie 362 Alle Theile und Atome sind fortwährend theils sichtbaren, theils unsichtbaren Bewegungen unterworfen; Engels 1845 Lage (MEW II 257) Die Auflösung der Menschheit in Monaden, deren jede ein apartes Lebensprinzip und einen aparten Zweck hat, die Welt der Atome ist hier auf ihre höchste Spitze getrieben; Haeckel 1866 Generelle Morphologie I 243 Das Wort Individuum wird in ausserordentlich vielfacher und verschiedenartiger Bedeutung angewandt. Seinem Wortlaute nach soll dieser Begriff ein Untheilbares bezeichnen . . Atom ist ja ursprünglich weiter Nichts, als das griechische Wort für das römische „Individuum", für das deutsche „Untheilbar". In diesem Sinne wurden denn auch von früheren Philosophen die Ausdrücke Atom und Individuum als gleichbedeutend angewandt; Lange 1866 Materialismus l 104 die Atome, Lucrez nennt sie . . „Anfänge", principia oder primordia rerum; Hartmann 1869 Philosophie 128 weil letztere [Wärme] ebenfalls in Schwingungszuständen von grösseren mechanischen Schwingungsmomenten der Atome besteht; 1874 Grenzboten IV 89 Diese vernünftigen Ursamen — der Name „Atom" würde für sie nicht bezeichnend sein, — sind materiell und enthalten in sich dynamisch die ganze Entwickelung der Welt; Kürnberger 1877 Herzenssachen 85 als die Philosophen über Elemente, Atome, Seele und Aether zu lehren anfingen; Eucken 1879 Philos. Term. 51 In mannigfacher Weise wird Atom umschrieben: z. B. principia, semina (rerum), minima naturae,

corpuscula, corpora prima, elementa u. a.; ebd. 64 atomum (in dieser Form), monas, theoria, usia, gnosticus (im weitern Sinne), mysticus u. a.; ebd. 86 Im Anschluß an epicureische Begriffe hat er wohl zuerst dem Ausdruck nach zwischen Atom und Molecül genau geschieden; Büchner 1882 Licht 192 Unter solchen Umständen kann man schließlich das Wort „Kraft" nicht mehr anders definiren, denn als Bewegung der Atome oder der kleinsten Körpertheilchen; Dilthey 1883 EM. 1159 Der Begriff des Elements oder Massenteilchens (Atoms); Willmann 1896 Gesch. U 615 Die Dinge sind nicht mehr essentialiter verschieden, wenn ihre Unterschiede nur in der Konvenienz oder Kombination der Atome juxta cujusque compositi naturalis exigentiam gesetzt werden; ders. 1897 Gesch. Ill 99 Es werden Atome nach Demokrits und Gassendis Vorstellung angenommen; Ostwald 1910 Forderung 196 Die Schicksale des Atoms; Benn nach 1919 Essays I 153 (Ges. W. 1153) da es den Ausdruck Atom noch nicht gab, er entstand erst 1805 durch die chemischen Untersuchungen von Dalton, schon ein in Monaden aufgeteiltes All; Lazarus 1922 Ehrlich 40 Die heutige Entwicklung der physikalischen Chemie als Physik wirklicher, nicht eingebildeter oder konstruierter Moleküle und Atome; friedeil 1928 Kulturgesch. II 69 Wir operieren in der Naturwissenschaft mit 'Atomen'; 1933 Siemens-Z l o. S. Beschreibung der die Atome bzw. Moleküle unter sich zusammenhaltenden Kräfte, die den elektrischen Feldern in und zwischen den Atomen entstammen; Münch. N.N. 4.1.1940 den kosmischen Strahl in dem Augenblick photographisch aufnahm, als er mit einem Luftatom zusammenstieß und explodierte. Der Atomkern des Luftatoms wurde zertrümmert, die kosmischen Strahlen . . zerstreut; 1949 Dies Vniv. I 30 was in der modernen Physik von dem Demokritischen Atom übrig geblieben ist; 1954 Wiss. u. Fortschr. I 14 Das Phosphoratom strebt nämlich ebenso wie das Siliziumatom nach einer sehr festen Verbindung; Heisenberg 1955 Naturbild 11 Für dieses Weltbild war es auch nicht allzu bedeutsam, daß nach der Entdeckung der Radioaktivität gegen Ende des letzten Jahrhunderts die Atome der Chemie nicht mehr als die letzten unteilbaren Bausteine der Materie aufgefaßt werden konnten, daß diese vielmehr wieder aus drei Sorten von Grundbausteinen zusammengesetzt sind, die wir heute Protonen, Neutronen und Elektronen nennen; ebd. 29 So kann man z. B. das Bohrsche Atom als ein Planetensystem im Kleinen beschreiben: in der Mitte ein Atomkern und außen Elektronen, die diesen Kern umkreisen; Bamm 1956 Ex ovo 128 Der witzigste aller Dämonen, der Dämon der Sprache, hat der Wissenschaft einen Streich gespielt. Atom und Individuum sind Synonyma. Das eine

Atom wie das andere bedeutet das Unteilbarer. Atom leitet sich von dem griechischen Wort TEUEIV, teilen, Individuum von dem lateinischen Wort dwidere, teilen, ab. Wir haben erlebt, wie weit das unteilbare Atom zertrümmert werden konnte; 1967 Bild d. W/55. 116 die andere Alternative der Energieneuschöpfung ist bekanntlich die Verschmelzung leichter Elemente zu mittelschweren Atomen; Zeit 7. 6.1985 in Molekülen gebundene Atome können keine weiteren Atome an sich binden; ebd. 27. 9. 1985 die Smektite bestehen aus . . elektrisch negativ geladenen Silikatschichten, die durch positiv geladene Atome („Ionen") der Elemente Natrium und Kalzium zusammengehalten werden; ebd. 17.10.1986 im Atomstrahlrohr einer Cäsiumuhr bewegen sich die Atome äußerst schnell. Atom- 2a: Liebig 1851 Chem. Br. 161 Atomgewicht; Redtenbacher 1859 Mechanik 91 Es ist aber eine feststehende Thatsache, dass sich diese einfachen Substanzen nur in ganz bestimmten Gewichtsverhältnissen verbinden, die . . Atomgewichte genannt werden; ebd. Nebeneinanderlagerung und Gegeneinandergruppirung von ungemein kleinen, aufs Bestimmteste gestalteten Körperchen, . . sogenannten Atomgruppirungen; Haeckel 1877 Entwicklungslehre 14 Die Summe der centralen Atom-Kräfte aber können wir in consequent monistischem Sinn auch: „Atom-Seele" nennen; 1899 Naturwiss. Wochenschr. 52 f. Festsetzung der Atomgewichte; Haeckel 1904 Lebenswunder 401 Polymerien (Atomverkettungen); i905 Naturwiss. Wochenschr. XX 127 „Atomwärme" . . Produkt aus Atomgewicht und spezifischer Wärme; Dominik 1928 Uraniden 59 Atomstruktur; Vo5S. Ztg. 23.8.1928 Die Mitglieder des Berliner physikalischen Instituts Lange, Prasch und Dr. Urban arbeiteten seit dem Sommer 1927 am Monte Generosa bei Lugano an einem großzügigen Versuch. Die Atomzertrümmerung ist das Ziel ihrer Arbeit; 1932-33 Schweizer. Rundsch, XXXII 2,1137 Die Wunderwelt des Atomaufbaues und Atomzerfalles; i 933 Siemens-Z I o. S. Atom- und Molekularkräfte: Beschreibung der die Atome bzw. Moleküle unter sich zusammenhaltenden Kräfte, die den elektrischen Feldern in und zwischen den Atomen entstammen; ebd. Elektrischer Aufbau der Atomkerne; Schauberger 1933 Der Aufbau durch Atomverwandlung, nicht Atomzertrümmerung (Titel); Sommerfeld 1939 Atombau und Spektrallinien (Titel); Manch. N. N. 6.11.1940 [auf der Hauptversammlung der Deutschen Bunsen-Gesellschaft] wurde deutlich, . . daß selbst das zunächst so begrenzt erscheinende Gebiet der Atom-Umwandlung .. wichtige Auswirkungen zeigt; ebd. 19.3. 1941 Zukunftsmöglichkeiten der Atomzertrümmerung. Was man bis vor kurzem Atomzertrümme-

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rung nannte, heißt man heute meistens Atomneubau oder Atomumwandlung; 1955 Wiss. u. Fortschr. XII 353 Nur ist in den meisten Fällen die Aufhebung einer Atombindung durch die Absorption eines Lichtquants energetisch nicht möglich; Heisenberg 1955 Naturbild 28 mit Hilfe des Rutherford-Bohrschen Atommodells hat man die chemischen Vorgänge erklären können; ebd. 33 In der Quantentheorie der Atomhülle spielte diese RaumZeit-Struktur keine sehr wichtige Rolle, da sich die Elektronen der Atomhülle verhältnismäßig langsam bewegen; ebd. 120 Bewegungen, . . die aber Bohr sich vorgestellt hat, um die Eigentümlichkeiten seines planetaren Atommodells berechnen zu können; J956 Wi55. u. Fortschr. II 61 so daß die chemische Bindung der Atome auf Grund des Atombaus einwandfrei hätte erklärt werden können; 1967 Bild d. Wiss. i 16 neben den Schwerpunktprogrammen der Atomspaltung und Atomfusion; ebd. diese Atomfusion hat zwar als reine Wissenschaft in den letzten fünf Jahren große Fortschritte gemacht; 1967 ebd. 131 1939 gelang Rabi und seinen Mitarbeitern .. der erste Nachweis der Kernresonanz in hochverdünnten Gasen, in sogenannten Atom- und Molekularstrahlen; Zeit 16.5.1986 Atome eines bestimmten Elements mit unterschiedlichem Atomgewicht; MM 10.8. 1986 Otto Hahn, dem die erste kontrollierte Atomspaltung gelungen war. atomar: Miinch. N.N. 6.12.1937 sie [die experimentelle Physik] könne keine endgültige Antwort geben, da ihre Instrumente immer gröber seien als das zu untersuchende atomare Geschehen; ebd. Aber die Wellenmechanik gestatte, auch das atomare Geschehen als determiniert aufzufassen; Hartmann 1938 Planck 118 inneratomare Vorgänge; Süddtsch. Ztg. 18.1. 1949 Der atomare Brand . . bedeutet Veränderumg der Atome selbst . . die atomare Reaktion; Heisenberg 1955 Naturbild 9 die Chemie versuchte, aus dem Verhalten der Stoffe bei chemischen Umsetzungen die Vorgänge in atomaren Dimensionen zu erschließen; ebd. 116 Daher haben seit dreißig oder vierzig Jahren die Vorkämpfer der Physik ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr den subtileren Phänomenen zugewandt . . den molekularen, atomaren und inneratomaren Phänomenen; Gail 1958 Weltraumfahrt 49 bekanntlich hat auch das Licht atomare Struktur; 1966 Urania XI 72 die Bestandteile des Sonnenwindes sind atomare, geladene Teilchen, eben Protonen, Elektronen und auch einige schwere Atomkerne; MM 28. 5.1986 Dr. Johann Deisenhofer und Dr. Hartmut Michel war es erstmals gelungen, die atomare Architektur eines membrangebundenen Proteins mit Hilfe von Röntgenstrahlen bis in die atomaren Details aufzuklä-

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ren; Altner 1991 Naturvergessenheit 17 Die Erfahrung der Quantenphysik, dal? bestimmte atomare Teilchen — je nach der gewählten Versuchskonstellation — entweder als Welle oder als Partikel erschienen. -atomig: Hallier 1889 Kulturgesch. (Übers.) 219 Kekule gab an, dass der Kohlenstoff vierwertig (vieratomig) sei. atomisch: Th. Mann 1924 Zauberberg (W. ill 396) War es unerlaubt, zu denken, daß gewisse Planeten des atomischen Sonnensystems, . . daß also einer oder der andere dieser innerweltlichen Weltkörper sich in einem Zustande befand, der demjenigen entsprach, der die Erde zu einer Wohnstätte des Lebens machte?. Atomismus: Goethe 1805 Naturwiss. Sehr. (WA II 11,209) Atomismus, Dynamismus (GWB); Latz 1869 Alchemie 199 Dem Atomismus zufolge besteht die Materia prima aus kleinen Körperchen, Atomen; Büchner 1898 Sterbelager 6 die Naturwissenschaft, welche sich so grosser Erfolge rühmt . ., ist im Grunde nur eine verbesserte Wiederholung des alten Atomismus eines Leukipp, Epikur und Lucretius Carus; 1913 Vortr. wiss. Probleme 155 die Weltanschauung der griechischen „Atomisten" unterscheidet sich kaum vom heutigen Atomismus; Troeltsch 1922 Geist 11 Die Naturwissenschaften bringen die Analogie des grundlegenden Atomismus und der die Atome organisierenden rationalen Gesetze; Meinecke 1924 Idee 270 Hobbes' Philosophie, auf mechanischem Atomismus und Egoismus aufgebaut; Bavink 1950 Weltschöpfung 71 Atomismus der Materie. Atomist: Zedler 1732 Universallex. II 1055 obgleich die Haupt-Sätze derer Atomisten nicht zu billigen wären, so hätten dennoch Democritus und Leucippus mit ihrer Lehre Gelegenheit gegeben, das Wesen derer natürlichen Sachen besser zu untersuchen; Beyle 1743 Wb. III 101 Leucippus, Epikur und die ändern Atomisten; Gottsched 1744 Leibnizens „Theodicee" 68 es kann wohl seyn, daß es Atomisten giebt (beide REICHEL); Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. 459 der Atomist . . derjenige, welcher solche Bestandteile der Körper annimmt; Goethe 1810 Farbenlehre (WA 3,312) deßhalb er [Grimaldi] sich denn vertheidigen muß, daß seine Lehre mit der Lehre der Atomisten nicht zusammenfalle; ebd. 3,316 f. Alsdann gibt es unter den Neueren einige, die . . die Meinung Platons annehmen, . . Nun gibt es andere, welche einigen der alten Atomisten nachfolgen und die Farbe zwar nicht für eine leuchtende Emanation, aber doch für

einen körperlichen Ausfluß halten; ders. 1827 Pretsaufgabe (WA H 5.1,433) Der Atomist wird alles aus Theilchen zusammengesetzt sehen . . der Dynamiker, wenn er von Bewegung spricht, bleibt immer noch materiell; Knauer 1885 Grundlinien z. aristotelisch-thomist. Psychologie 69 Kant ist Atomist; 1913 Vortr. wiss. Probleme 155 die Weltanschauung der griechischen „Atomisten" unterscheidet sich kaum vom heutigen Atomismus. Atomistik: Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. III 306) Und da ich nur in Ansehung des Zusammengesetzten die einfachen Substanzen als deren Elemente beweisen will, so könnte ich die These der zweiten Antinomie die transcendentale Atomistik nennen. Weil aber dieses Wort schon vorlängst zur Bezeichnung einer besondern Erklärungsart körperlicher Erscheinungen (molecularum) gebraucht worden und also empirische Begriffe voraussetzt, so mag er der dialektische Grundsatz der Monadologie heißen; Ersch/Gruber 1818-32 Allg. Enc. I 6.265 Man hat . . das Wesentliche der Atomistik noch genauer in die Voraussetzung der absoluten Undurchdringlichkeit der primitiven Materie . . gesetzt; Raumer 1842 England III 444 [Vorlesungen an der Royal Institution in London um 1836] Man bedarf ein Jenseit, ein Füllstück, einen Übergang, man muss aus der Atomistik hinein in die Dynamik; Lange 1866 Materialismus I 224 Die Atomistik, durch Ihn [Gassendi] aus dem Alterthum wieder hervorgezogen; Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 65 „abstrakte Atomistik"; Lotze 1869 Mikrokosmus I 41 Atomistik der Alten; Engels 1873-83 Dialektik d. Natur (MEW XX 552J Neue Epoche beginnt in der Chemie mit der Atomistik (Dalton, nicht Lavoisier, also der Vater der neueren Chemie) und entsprechend in der Physik mit der Molekulartheorie (in andrer Form, aber wesentlich nur die andre Seite dieses Prozesses darstellend, mit der Entdeckung der Umwandlung der Bewegungsformen). Die neue Atomistik unterscheidet sich von allen früheren dadurch, daß sie nicht behauptet . ., daß die Materie bloß diskret, sondern daß die diskreten Teile verschiedener Stufen (Ätheratome, chemische Atome, Massen, Weltkörper) verschiedene Knotenpunkte sind, die verschiedene qualitative Daseinsweisen der allgemeinen Materie bedingen; 1899 Abhandlungen z. Gesch. d. mathemat. Wissenschaften IX 186 Kampf zwischen der Energetik und Atomistik, der . . noch lange andauern wird; Heisenberg 1947 Wandlungen 31 Lehren der Atomistik [von Gassendi]; Lippmann 1952 Beitr. II 58 ff. Die Lehre der 'Atomistik' bei Lucretius; 1957 Wiss. u. Fortschr. VIII 266 [Heraklit] wurde neben Leukipp . . und Demokrit . ., die diese kleinsten Teilchen in allen Einzeldingen vermuteten und ih-

Atom nen den Namen „Atom" gaben, zum Begründer der Atomistik; 1958 Aufbau Hl 3 7 Jungius . . baute auf den Anschauungen der klassischen Atomistik wie der antiken Materialisten seine Lehren auf. atomistisch: Zedler 1732 \Jniversallex. U 1052 Wilhelm Lamy in seinen drei Büchern de Principiis rerum. Paris 1680, hält die Atomistischen Prinzipia vor die wahrscheinlichsten und bequemsten, doch verwirfft er die von dem Epicuro angegebene Independenz und Bewegung derer Atomorum; Brucker 1737 Zusätze, Reg. II Atomistische Philosophie; 1745 Neuer Büchersaal V 89 die atomistische Lehre des Gassendus (REICHEL); Kant um 1789 (Altpreuss. Monatsh. XIX 588) Die Materie ist nicht atomistisch, sondern dynamistisch aufzufassen (EISLER); Goethe 1790 Naturwiss. Sehr. (WA 6,322) Wie und wo fand Linne diese Denkweise? . . aus eigner Überzeugung oder aus Nachgiebigkeit gegen seine atomistisch-realistischen Zeitgenossen?; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 700) Im ganzen mineralogischen, atomistischen oder toten Reiche der Krystallisation herrscht nur die gerade Linie; Goethe 1809 Tagebücher (WA III 4,28) Dünkelhafte Natur, die dynamisch wirkt und atomistisch ergreift; ders. 1812 Tagebücher (WA III 4,271) Es wird so weit kommen, daß die mechanische und atomistische Vorstellungsart in guten Köpfen ganz verdrängt und alle Phänomene als dynamisch und chemisch erscheinen und so das göttliche Leben der Natur immer mehr bethätigen werden; Ersch/Gruber 1818-32 Allg. Enc. l 6,203 [die atomistische Theorie herrschte so lange in allen Lehrbüchern der Physik,] bis Kant, gemäß den Grundsätzen seines philosophischen Systems, die sogenannte dynamische Theorie in die Physik einzuführen suchte, welche er der atomistischen Ansicht oder der von ihm als mechanische bezeichneten Theorie entgegensetzte. Seit dieser Zeit haben auch mehrere teutsche Physiker die atomistische Erklärungsart aufgegeben, und sich für die dymamische erklärt. . und auch die französischen Physiker sind im Allgemeinen der atomistischen Ansicht getreu geblieben; Goethe 1821 Er. (WA IV 35,163 f.) Man nahm nach Hauy eine Grundgestalt des Crystalls an, setzte sie real in den Mittelpunct und baute an ihr, auf wunderliche Weise, die abzuleitenden Veränderungen hinaus. Damit konnte ich mich nicht befreunden, weil ich, auch mit dem besten Willen, nicht ein atomistisches Atom an mir dulden könnte; ders. 1822 Naturwiss. Sehr. (WA H 9, 292 f.) atomistische und dynamische Vorstellungen werden immer wechseln, . . der entschiedenste Dynamiker wird , ehe er sichs versieht, atomistisch reden, und so kann sich auch der Atomiste nicht dergestalt abschließen, daß er nicht hie und da dy-

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namisch werden wollte; Hufeland 1822 Sympathie 43 [Mesmer] folgte [in seiner Fluidumtheorie] der zu seiner Zeit herrschenden atomistischen Ansicht; Hecker 1822 Heilkunde / Reg. Atomistisches System der Naturphilosophie; Puchelt 1826 System d. Med. I 27 Asklepiades von Bithynien, ein Zeitgenosse des Cicero . . veranlasst, eine neue Schule zu begründen, in welcher die atomistische Lehre des Demokritus und Epikur auf die Medicin angewendet wurde; Engels 1873—83 Dialektik d. Natur (MEW XX 331) Seitdem Physik und Chemie wieder fast ausschließlich mit Molekülen und Atomen hantieren, ist die altgriechische atomistische Philosophie mit Nowendigkeit wieder in den Vordergrund getreten; 1913 Vortr. wiss. Probleme 155 Aristoteles hat die atomistische Lehre nicht angenommen; Goldmann 1915 Militär. 22 f. atomistische Denk- und Empfindungsweise [des Engländers]; ebd. 23 atomistische Geistesrichtung; Simmel 1916 Brücke 57 atomistische Weltanschauung; 1928 Koralle U o. S. Durch solche „atomistische Schießübungen" gelangte Rutherford zur Aufstellung seiner berühmten Kernhypothese; Spetsieris 1938 Formproblem 67 [das] atomistische Weltbild; 1957 Aufbau VII 106 Diese atomistische Auffassung, festgelegt in dem Gesetz der Atomverkettung, konnte aber hinsichtlich der neuentdeckten aromatischen Kohlenwasserstoffe keine Erklärung geben, da sie für jede Verbindung nur eine Strukturformel annehmen konnte. Atomium: 1955 FAZ Nr. 304 Das Atomium soll einen Überblick über den Stand der Atomwissenschaft geben; Süddtsch. Ztg. 17.4.1958 [die Ausstellung] ist in einer der neun Kugeln des Atomiums, des 102 Meter hohen Wahrzeichens der Weltausstellung, untergebracht; 1960 Dtsch. Literaturztg. I 79 Teil IV . . „Sphaera, Globus und Reichsapfel in der Neuzeit" . . verfolgt den Wandel . . des Bildzeichens Kugel bis hin zum Atomium der Brüsseler Weltausstellung; Stuttgarter Ztg. 24.8. 1962 Die neun gewaltigen Aluminiumkugeln des Atomiums, ein kristallinisches Eisenmolekül des zentrierten kubischen Systems in 165-milliardenfacher Vergrößerung, steht heute ziemlich einsam in dem alten Ausstellungsgelände. Atom- 2b: Wundt 1885 Essays 33 Dalton's Atomtheorie; 1913 Vortr. wiss. Probleme 156 Das Wiederaufleben der Atomlehre geschah durch Dalton am Anfang des vorigen Jahrhunderts; 1920—21 Süddtsch. Monatsh. XVIH 1,91 ff. Neue Wege der Atomforschung; Voss. Ztg. 5.2.1928 Schrödingers Atomtheorie . . Die moderne Atom-Theorie erscheint . . auf den ersten Blick ungemein anschaulich . . Das Wesen der modernen Atom-Theorie ist . . ihre Verquickung mit sogenannten quantentheo-

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retischen Vorstellungen, durch die Bohr diese Lehre völlig neu begründete; Hartmann 1938 Planck 118 Die Atomphysik spaltet sich also aus der klassischen Physik als ein eigener Bereich ab; Süddtsch. Ztg. 14. 7.1950 Seit geraumer Zeit höre ich sagen, daß die Menschheit sich anschickt, in das Atomzeitalter einzutreten; Hausmann 1955 Entscheidung l 49 des anhebenden Atomzeitalters; Heisenberg 1955 Naturbild 25 Schon in der antiken Atomlehre von Demokrit und Leukipp wird ja angenommen, daß die Vorgänge im Großen dadurch zustande kommen, daß viele unregelmäßige Vorgänge im Kleinen geschehen; ebd. 41 ich geriet . . an den Dialog Timaios: in dem ich zum erstenmal wirklich etwas aus erster Quelle von der griechischen Atomphilosophie erfuhr; Süddtsch. Ztg. 26. 7.1955 Aber es scheint, als seien die Kriegs verächter trotz ihres nun öffentlich bekanntgewordenen Bündnisses mit der Atomwissenschaft immer noch nicht „hoffähig"; Jordan 1956 Aufstand 58 [die] Atomphilosophie Demokrits; Jaspers 1958 Atombombe 53 im Atomzeitalter wird uns keine Politik zu etwas führen können, wenn sie nicht tief im moralischen Bewußtsein der Völker fundiert ist; ebd. 236 britische Atomforscher haben ein Verfahren entdeckt; Süddtsch. Ztg. 1.5.1957 NordrheinWestfalen baut Atomzentrum . . Als Standort für das Atomforschungszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen hat die Regierung ein 250 Hektar großes Waldgelände zwischen Köln und Aachen . . bestimmt; Gail 1958 Weltraumfahrt 66 hier gewinnt man einen tiefen Einblick in das große atomphysikalische Laboratorium des Kosmos; FAZ 11.2. 1966 daß der Bund in Zukunft wie bisher die Atom- und Weltraumforschung als Schwerpunkte der Wissenschaftsfinanzierung ansehe; Zeit 28.12. 1984 sie verstärkt die Zentralisierung und die Warenintensität des Lebens, und sie kommt — wie schon das Dampfzeitalter oder das Atomzeitalter — als das „Informations-Zeitalter" daher, wo nun endlich der wahre Überfluß ausbrechen soll; Spiegel 20.11.1992 Auf den Strahlenalarm . . reagierten . . Politiker und Atomexperten mit demonstrativer Gelassenheit. atomar: Süddtsch. Ztg. 9.8.1955 Atomare Zukunft . . Konferenz der tausend Gelehrten über die . . friedliche Auswertung der Kernenergie; 1955 FAZ Nr. 274 Blücher sprach sich für einen stärkeren Schutz der Zivilbevölkerung gegen die Gefahren des atomaren Zeitalters aus; Zeit 27.6.1986 die Hoffnung dieser Zeit, daß der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erleichtern, von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann; Altner 1991 Naturvergessenheit 28 Als die Atomphysik in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts mit ihren theoretischen Überlegungen das

atomare Zeitalter mit seiner Großtechnik eröffnete, schrieb Jakob van Hoddis . . sein Gedicht 'Weltende'(1911). Atom- 2c: Süddtsch. Ztg. 19.3.1946 [die] Einrichtung eines Komitees für den Einsatz der Atomenergie; ebd. 18.12.1948 Erster französischer Atomofen in Betrieb; ebd. 31.12.1953 die friedliche Nutzung der Atomenergie gewinnt zunehmend an Bedeutung; ebd. 26. 3.1955 Amerikanischer Atomreaktor nach Genf. Die Amerikaner beabsichtigen, auf der internationalen Konferenz über die friedliche Verwendung von Atomenergie in Genf . . einen Atomreaktor zu Demonstrationszwecken aufzubauen; 1955 FAZ Nr. 18 Das amerikanische Unterseeboot „Nautikus", das erste Schiff und das erste Fahrzeug mit Atomantrieb; Fahlberg 1956 Erde 112 Einige große Atomautos waren lautlos herangekommen; Jaspers 1958 Atombombe 419 diese Erde, die durch eine Atomexplosion entstanden ist; ebd. 475 Menschen haben Angst vor dem Bau eines Atommeilers; Süddtsch. Ztg. 16. 8.1958 Atom-Unterseeboot - eine neue Waffe; 1959 Urania Vlll 285 Bald wird der erste Atomeisbrecher seine Jungfernfahrt in die endlosen Weiten der Arktis antreten; Stuttgarter Ztg. 15.5.1961 Das erste deutsche Atomschiff wird im Jahr 1962 gebaut; Süddtsch. Ztg. 3.12.1962 Am 2.Derember wurde in Chikago der erste Atomreaktor in Betrieb genommen; Welt 18.1.1964 atombetriebene Handelsschiffe; ebd. 3.2.1966 Weltraummaschinen, die mit Atomkraft angetrieben werden; ebd. 17.2.1966 atomgetriebene U-Boote; Stuttgarter Ztg. 20.5.1968 Die Kommission rechnet damit, daß etwa zwei Drittel der Kraftwerke, die zwischen den Jahren 1980 und 2000 gebaut werden, „Atomstrom" liefern werden; 1967 Bild d. Wiss. l 18 Atomreaktoren als Wärmequellen für Elektrizitätswerke; FAZ 4.7.1969 Das . . Atomkraftwerk soll vornehmlich Prozeßdampf für chemische Reaktionen und erst in zweiter Linie Strom liefern; MM 31.12.1985 an gegenüberliegenden Seiten sind . . drei „Atombatterien" für die Stromversorgung montiert; Zeit 17.10.1986 gegenwärtig umkreisen sechs mit Atomuhren ausgestattete Satelliten dieser Institution den Erdball; MM 7.10.1987 in einem Interview . . gab Delaporte offen zu, daß Frankreich bis zum Jahr 1990 bei der Erzeugung von Atomstrom Überkapazitäten von rund fünf Kernkraftblöcken haben wird. atomar: 1954 FAZ Nr. 65 nach der atomaren Explosion; Süddtsch. Ztg. 4.9.1954 neue atomare Kraftquellen . . erschließen; Sonntag 3.11.1963 die Beherrschung der atomaren Energien; Welt 3.2. 1966 das erste komplette atomare Raketentriebwerk der Welt wollen amerikanische Forscher am

Atom Donnerstag in der Wüste von Nevada testen; MM 20.12.1985 die Selbstvermchtung der Menschheit durch atomare Kraft; ebd. 28.8.1986 Pläne für die Entwicklung neuer atomarer Energiequellen. atomisch: NZ. (Basel) 7.2.1950 Am 3. oder 4. März werde . . eine weitere atomische Explosion stattfinden. Atom- 2d: Köln. Ztg. 5. 7.1944 Mit großen „Atomzertrümmerungsanlagen" lassen sich künstlich radioaktive Stoffe herstellen; Süddtsch. Ztg. 11.8.1955 Es erregt die erste Internationale AtomMesse in Genf in der ganzen Welt eben deswegen so viel Aufsehen . ., weil sie schlagartig ins Bewußtsein bringt, daß die friedliche Atomindustrie längst eine Realität geworden ist, daß der Wettbewerb der Atomwirtschaft auf dem Weltmarkt bereits entbrannt ist; ebd. Das Interesse, welches die ganze Welt für diesen neuen Industriezweig der friedlichen Atomtechnik zeigt, ist außerordentlich; 1955 ebd. Nr. 187 Der Kampf um die Atommärkte beginnt; ebd. 29.4.1957 Die englische Atomindustrie; MM 24.1.1985 [der] Bau eines atomaren Entsorgungszentrums im niedersächsischen Gorleben; Zeit 15.2.1985 Wackersdorf . . seit wenigen Tagen zukünftige Standortgemeinde der Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe, der vierten kommerziell betriebenen Atomfabrik dieser Art in Europa; ebd. 27. 9.1985 daß sich die Emissionen atomtechnischer und anderer industrieller Anlagen in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken; ebd. 15.11.1985 [der] Minister, der den Schnellen Brüter in Kaikar weiter bauen läßt und für eine atomare Wiederaufbereitungsanlage eintritt; ebd. 4. 4.1986 daß unsere Atomindustrie auf noch mehr Wiederaufarbeitung drängt; ebd. 13.6.1986 Landesverbände der Grünen . . einigten sich auf die Forderung „sofortige Stillegung aller Atomanlagen!"; MM 26. 6.1986 das Verlangen der Grünen, die ersten hessischen Atomanlagen noch in diesem Jahr stillzulegen; Zeit 20.2.1987 die Atomwirtschaft ist also gezwungen, immer mehr strahlenden Müll aus den arbeitenden Reaktoren sicher zu verwahren; MM 18.12.1987 menschliches Fehlverhalten in den Atombetrieben führt zu unkalkulierbaren Risiken. atomar: 1954 FAZ Nr. 18 Die Privatindustrie soll sich umfassender als bisher an der Entwicklung der atomaren Energiewirtschaft beteiligen; ebd. 11.12. 1965 daß sich .. die atomaren Gemeinschaftsprojekte plötzlich im Mittelpunkt einer Diskussion befinden können; ebd. 6. 6.1986 ein Anhänger der atomaren Technologie; MM 20.6.1986 atomare Verbrennungsanlage; FAZ 23.12.1986 die atomare Technik.

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Atom- 2e: 1945 (Büchmann 1981 Geflügelte Worte 648) Am 6.8.1945 warf ein amerikanisches Flugzeug über der japanischen Hafenstadt Hiroshima die erste Atombombe ab. Die Explosionswolke glich einer Erscheinung, die bald als Atompilz Eingang in die Sprachen der Welt fand. Die vermutlich erste Quelle für diesen Begriff ist eine Reportage in der New York Times vom 21. 6. 1945, in der ein Reporter das sich bei einer Testexplosion in der Wüste von Nevada bietende Bild so beschreibt: . . Zuerst war es eine riesige Säule, die bald den Umriß eines überirdischen Pilzes annahm; 1954 FAZ Nr. 172 die Auswirkungen atombestrahlter Lebensmittel auf den menschlichen Organismus; Süddtsch. Ztg. 11.6.1954 Japanische Seeleute „atomkrank"; 1955 FAZ Nr. 291 „Ikomono no Kiroku", wörtlich übersetzt, „Bericht über ein Lebewesen" . . Es ist der erste Film, der je über die Atom-Angst gedreht wurde; Süddtsch. Ztg. 27.7.1956 Ein „Kampfbund gegen Atomschäden", der sich für die Einstellung der Atombombenversuche und für wirksame Schutzmaßnahmen gegen atomare Schäden bei der Bevölkerung verwenden will; 1956 Europa IX Die einzige und letzte Chance, dem Atomtod zu entgehen, ist die europäische Einheit; Süddtsch. Ztg. 10. 5.1957 Die radioaktiven Flüssigkeiten . . sollen . . in Behältern . . und mit dem übrigen Atommüll auf dem Reaktorgelände in Bunkern strahlungssicher gelagert werden, bis ein geeigneter Atomfriedhof in der Bundesrepublik gefunden ist; Jaspers 1958 Atombombe 38 die Abschaffung der Atomgefahr; ebd. 245 dann entsteht auch die Abhängigkeit von den Staaten, die das Atommaterial liefern; FAZ 3.4.1958 [die] Frankfurter Protestaktion „Kampf dem Atomtod"; Offenburger Tagebl. 20.9.1963 Ein rund 200 Meter hoher „Atompilz" stand am Mittwochnachmittag über dem Truppenübungsplatz Hohenfels in der Oberpfalz; ebd. 24.11.1965 Bei einem „Atom-Unfall" im IsotopenLabor des Instituts für anorganische Chemie der Technischen Hochschule München . . hat ein 34jähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter möglicherwiese genetische Schäden davongetragen; Zeit 26. 9.1986 Wasser und Boden sind bald überall verschmutzt und nicht nur vor der Atomwolke sind alle gleich; MM 3.11.1986 drei Männer und eine Frau ziehen ihre Todesspur durch ein abgewracktes, atomverseuchtes und chemieverseuchtes Land; ebd. 29.11.1986 bei einem „GAU" (größter anzunehmender Atomunfall); Zeit 22.5.1987 die Atompilze über Hiroshima und Nagasaki; MM 22.12.1987 das Kontrollsystem für Atomtransporte einschließlich der Eingänge und Ausgänge bei den Kernkraftwerken soll verschärft werden; ebd. 9.2.1988 einen Widerspruch, den die Landtagsfraktion der Grünen bei ihren Recherchen zum Atommüll-Skandal um die Firmen Nukem und

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Transnuklear bezüglich atomarer Verbrennung bei der BASF ausmachte, löste das Chemieunternehmen nun selbst mit einem Schreiben an den Landtagsabgeordneten der Partei . . auf; Spiegel 30.11. 1992 [Verschickung] armer oder strahlenkranker Kinder aus der atomverseuchten Tschernobyl-Region. atomar: Jaspers 1958 Atombombe 237 obgleich, was getan wird, immer noch von Menschen getan wird, ist es in die Entscheidung so vieler Orte gelegt, daß der Gang der atomaren Zerstörung wie ein nicht mehr beherrschbares Naturgeschehen werden kann; Welt 11.3.1959 Bonn und Paris haben nur die Pflicht, das atomare Chaos zu verhüten zu helfen (AWB); FAZ 21.6.1966 ein weiterer atomarer Unfall, der gefährliche Folgen hätte haben können; ebd. 10.8.1979 ist nicht vor dem Jahr 2000 mit der Wiederaufarbeitung oder alternativen Konditionierungstechniken und nicht mit einer Endlagerung atomarer Abfälle zu rechnen (AWB); Zeit 11.1.1985 den atomaren Holocaust; MM 24.1.1985 [die] Menschen .. rennen in die atomare Katastrophe; ebd. 30.4.1986 damit wollen sie sich gegen Schäden schützen, die durch die atomare Strahlung aus dem offenbar durchgeschmolzenen Reaktorkern verursacht werden können; Zeit 9.5.1986 der Schutz der Bevölkerung gegen die Folgen atomarer Störfälle; MM 15.5.1986 die Schaffung eines Frühwarnsystems für atomare Unfälle; Zeit 23.5.1986 daß die Wetterlage extrem ungünstig ist, die atomare Wolke deshalb über ein dichtbesiedeltes Gebiet geweht wird und dort niederregnet; ebd. 19.9.1986 Endlager für atomare Müllhalden; ebd. die atomare Katastrophe in Tschernobyl; ebd. 26. 9.1986 unsere Welt ist durch eine mögliche atomare Verseuchung bedroht; ebd. 17.10.1986 die Entsorgung des atomaren Mülls; ebd. 1.5.1987 daß die Menschheit angesichts der atomaren Vernichtung an einem Punkt sei, wo sie sich dringend als Menschheit begreifen und organisieren müsse; ebd. 5.6.1987 zwölf Monate nach dem atomaren Super-Gau in der fernen Ukraine sitzen die Atombefürworter fester denn je im Sattel; MM 15.1.1988 die Genehmigung zum Umgang mit atomarem Material; Spiegel 30.11.1992 Zudem wurden Angaben über die Orte übermittelt, an denen beide Seiten . . atomaren Müll ins Meer gekippt haben, ebd. 15.2.1993 Die Sowjetunion hat in der Ostsee unter Mißachtung aller Sicherheitsregeln mindestens zwei atomar verseuchte Schiffe versenkt.

Atom- 2f: Münch. Ztg. 11.8.1945 Präsident Truman hat in einem Bericht des Weißen Hauses bekanntgegeben, daß bei den jüngsten Luftangriffen auf Japan zum ersten Male eine sogenannte Atombombe abgeworfen wurde; ebd. 18.8.1945 Am 6. August 1945 wurde zum ersten Male eine Atombombe über Japan abgeworfen; Süddtsch. Ztg. 7.7.1951 Die atomsicheren Betonfestungen; 1954 Weltbühne X 304 Achtung: Atomalarm!; 1954 Neue Zeit XXX 4 Einsatzhäfen für moderne Atombomber; 1954 FAZ Nr. 85 die allgemeine Abrüstung und insbesondere die Atomabrüstung übernehmen; 1954 ebd. Nr. 225 die Gefahr eines plötzlichen Atomangriffs; Süddtsch. Ztg. 15.9. 1954 die vierzylindrigen Atomgeschosse von Gilera und MV Agusta; Süddtsch. Ztg. 16.6.1955 Eisenhower im Atomschutzbunker; 1957 ebd. Nr. 83 Alarm gegen die Atomrüstung . . eine Protestversammlung gegen die Atomaufrüstung; ebd. 6.5. 1957 sämtliche Verbände . . mit taktischen Atomwaffen auszurüsten; ebd. 8.6.1957 Das Thema, welches heute die . . Sprachen der Völker aufeinander zutreibt, ist das Thema Atomversuche; 1957 ebd. Nr. 89 Zur Ausrüstung dieser neuen Divisionen gehören sowohl Atomartillerie als auch taktische Atomraketen; 195& Aufbau IV 396 Am 16. Juli . . wurden die führenden Wissenschaftler und Militärs des Manhattanprojekts mit Omnibussen zu ihren Beobachtungsständen gefahren, um den ersten Atombombentest mitzuerleben; Jaspers 1958 Atombombe 37 weil der Atomkrieg unmöglich geworden ist, ist jeder Krieg der Atomgroßmächte miteinander unmöglich geworden; Süddtsch. Ztg. 1.12.1958 Entwurf für ein Abkommen zur Einstellung der Kernwaffenversuche und zur Überwachung eines Atomtestverbots; FAZ 3.12. 1965 an die Atommächte wird besonders appeliert, keine Kernwaffen und auch keine technischen Daten zur Herstellung [von solchen] an afrikanische Staaten zu geben; ebd. 4.12.1965 auf Mitterands Programm stehen die Abschaffung der Atomrüstung; Welt 17.2.1966 zur Zeit haben die Vereinigten Staaten 29 atomgetriebene U-Boote mit 464 Atomraketen im Einsatz; Süddtsch. Ztg. 14.5.1967 USA erwägen Beschränkung der Atomtests; Zeit 15.2.1985 folglich wurde . . atombewaffneten Schiffen die Einfahrt in die Häfen verboten; MM 6.12.1985 [der] Nachweis von Spätfolgen der Atomversuche; Zeit 2.5.1986 Reduzierung der Atomtests; MM 15.1.1988 ein . . vager Verdacht, daß atomwaffenfähiges Material international verschoben worden ist; ebd. 16.1.1988 spaltbares, atomwaffentaugliches Material.

atomisch: NZ. (Basel) 6.12.1949 Die Sowjetunion erhielt 1943 drei Sendungen atomischer Substanzen.

atomar: Süddtsch. Ztg. 23.6.1955 Born [sprach] über „Konsequenzen atomarer Waffen"; Heimpel 1956 Kapitulation 43 unter . . der Angst vor den

Atom atomaren und nuklearen Waffen; 1957 FAZ Nr. 3 die . . Flotte als Träger der atomaren Abschrekkung; Jaspers 1958 Atombombe 91 der atomare Krieg könnte durch seine Drohung einen neuen Soldaten erzeugen, der im Besitze der Kriegsmittel den Krieg verhindert; ebd. 236 wenn es soweit kommt, dann ist die atomare Drohung, statt von zwei Mächten auszugehen, universell; ebd. 270 wenn die Physiker über den Sinn atomarer Rüstung für Deutschland urteilen; Süddtsch. Ztg. 8.4.1958 Die atomare Bewaffnung Westdeutschlands wird die atomare Aufrüstung Ostdeutschlands und anderer Länder in Osteuropa zur Folge haben; 1958 Sprachdienst XII179 Nun lasen wir . . von atomaren Übungen der Bundeswehr und von atomarer Ausbildung; Welt 9.7.1959 Strauß hat einmal gesagt, atomare Mittelstreckenraketen stelle man nicht in den Schützengraben; FAZ 14.12.1965 wer von Nichtweiterverbreitung atomarer Waffen spricht; ebd. 17.12.1965 man hebt zwar . . hervor, daß das Mitspracherecht der Partner in der Nato in deren atomarer Verteidigung nicht bestritten worden ist; Bad. Ztg. 30.4.1970 das atomare Arsenal; Spiegel 7.2.1983 Der .. Pershing-Plan zeigt auch die geographische Lage von drei amerikanischen und zwei deutschen fest vermessenen Rampen für den atomaren Schnellschuß; Zeit 11.1.1985 Auswirkungen eines atomaren Schlagabtausches auf die Atmosphäre; MM 11.6.1985 um auf die atomare Bedrohung hinzuweisen; ebd. 14.6.1985 die Strategie, Defense Initiative . . soll die Möglichkeit für den Aufbau eines Abwehrsystems gegen Interkontinentalraketen im Weltraum erforschen, mit dessen Hilfe die Doktrin der atomaren Abschreckung überwunden werden soll; ebd. 1.7.1985 atomare Raketen zu testen; Zeit 18.4.1986 damals bedrohte die eine der beiden atomaren Supermächte die andere; Bad. Ztg. 28.8.1986 Abzug der atomaren Mittelstreckenraketen gefordert; Westfalenpost 31.3./1.4.1988 die im Elsaß stationierte Mirage sei nicht mit einem atomaren oder konventionellen Sprengkopf bestückt gewesen (beide AWB). atomisch: Süddtsch. Ztg. 7.10.1953 Präsident Eienhower . . man müsse die Folgerungen daraus ziehen und auch eine „atomische Antwort vorbereiten"; i 955 FAZ Nr. 291 die Bedrohnung durch die atomischen Waffen. Atom- 2g: Neue Zeit 12. 7.1946 US-Vorschläge zur Atomkontrolle; Morgen 11.10.1953 ein Vertreter des Atomausschusses; 1954 Neue Zeit XCVIIl 2 Bonn läßt Atomärzte ausbilden; 1954 FAZ Nr. 277 [die] Errichtung der Internationalen Atombehörde; Süddtsch. Ztg. 2.7.1955 daß sich die Wissenschaftler auf die Genfer Atomkonferenz vom 8. Au-

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gust vorbereiten müßten; ebd. 30.4.1957 einige Konsequenzen aus den Atom-Diskussionen der vergangenen Woche; Jaspers 1958 Atombombe 188 eine militärfreie Sphäre, eine atomfreie Zone; ebd. 271 eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa; Offenburger Tagebl. 19.12.1959 Bundesrat stimmte Atomgesetz zu; Stuttgarter Ztg. 27.4. 1961 Das Atomforum fordert darüber hinaus für Neuentwicklungen die Gewährung von staatlichen Darlehen; ebd. 16.8.1962 die Wiederverbindung der Atomverhandlungen mit den Gesprächen über die allgemeine Abrüstung; FAZ 11.12.1965 die starke Beteiligung der Nato-Partner an dem Atomkomitee; ebd. 14.12.1965 in Paris wird kein Zweifel daran gelassen, daß Frankreichs Haltung . . in der Atomfrage unverändert bleibt; ebd. 21.12. 1965 ein geheimes Atomabkommen zu schließen; ebd. 20.1.1966 bis zum 7. Februar könnten im schriftlichen Verfahren die Etats der EWG und der Atomgemeinschaft beschlossen werden; Welt 22.1.1966 eine . . Erklärung der Australischen Atomenergiekommission; ebd. 27.1.1966 der „Atomklub" wird bis 1995 wahrscheinlich 32 Mächte, darunter auch Deutschland, umfassen; 1966 Urania l 48 mit der Atom- und Weltraumkommission, zwei speziellen Organen des Bundesforschungsministeriums; Bildztg. 8. 2.1967 die Dokumente gehören den Instituten der britischen Atomenergiebehörden in Risley und Hartnell; Offenburger Tagebl. 18.2.1967 Das große deutsche Interesse an dem Atomsperrvertrag kam am Freitag in Bonn . . zum Ausdruck; Stuttgarter Ztg. 12.3.1968 Die Bundesregierung hat ihre Stellungnahme zu dem vorliegenden Entwurf eines Atomsperrvertrages am 8. März in einem Memorandum noch einmal dargelegt; MM 19.11.1985 die erforderlichen atomrechtlichen Genehmigungsverfahren; Zeit 7.2.1986 für eine atomwaffenfreie Welt, für ein menschliches Miteinander ohne Feindbilder; ebd. 5.6.1987 nach geltendem Atomrecht ist die gesicherte Entsorgung der Atommeiler überhaupt die Voraussetzung für den Betrieb von Kernkraftwerken; 1992 Meyers Gr. Taschenlex. II 206 Der erste Vertrag über die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone wurde am 14.2.1967 von mittel- und südamerikanischen Staaten geschlossen; Spiegel 30.11.1992 Nicht, daß es in Futaba von Atomfreaks nur so wimmelte; ebd. 7.12.1992 Die Atomfans in der Union; ebd. Ein weiteres Entgegenkommen der Atommanager an die Kernenergieskeptiker liegt ebenfalls in ihrem eigenen Interesse; ebd. 15.2.1993 das Zentrum [wurde] trotz des Protests prominenter Wissenschschaftler und unabhängiger Institute dem Atomministerium unterstellt. atomar: Süddtsch. Ztg. 4.2.1954 die Notwendigkeit der Abkehr von der „atomaren Strategie";

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Atrium

1955 FAZ Nr. 158 wenn beide Seiten das atomare Gleichgewicht errungen hätten; Süddtsch. Ztg. 5.7.1955 „Es gibt keine atomare Pat-Stellung", verkündet General Twining; Welt 11.3. 1959 daß der Weltfriede heute vom atomaren Gleichgewicht abhängt; ebd. 9.11.1964 [die] Frage . . der atomaren Politik im westlichen Bündnis; FAZ 5.4.3965 Bei den großen internationalen Problemen wie der atomaren Partnerschaft, der britischen Beteiligung an Europa . . blieben die Ansichten geteilt; ebd. 14. 12.1965 in welcher Form Bonn mehr als bisher am atomaren Entscheidungsprozeß beteiligt werden könnte; ebd. 15.12. 1965 das Problem atomarer Zusammenarbeit; ebd. 18.12.1965 eine angemessene Lösung des Problems der Gleichberechtigung atomarer und nichtatomarer Partner in der Bündnisgemeinschaft; ebd. 21. 12.1965 Bundeskanzler Erhard hat am Montag in Washington seine zwei-

tägigen Besprechungen mit Präsident Johnson begonnen, bei denen über die künftige atomare Organisation des westlichen Bündnisses . . gesprochen wird; ebd. 11.1.1966 dabei erscheint besonders wichtig, daß Washington keinerlei Verbindung zwischen der Lösung der atomaren Mitbestimmung in der Nato und den Verhandlungen über einen Sperrvertrag gegen Weitergabe von Atomwaffen anerkennt; Welt 14.1.1969 ein Abkommen über atomare Zusammenarbeit unterzeichnen; Zeit 2.5.1986 bei dem Vorschlag für einen atomaren Teststopp; ebd. 24.10.1986 Polanyi ist seit vielen Jahren ein engagierter Kämpfer für atomare Abrüstung und Frieden; Spiegel 30.11. 1992 Das Ausmaß des atomaren Klimawechsels, der zwischen den beiden Nuklearmächten mittlerweile eingetreten ist, hatte sich schon zu Beginn dieses Jahres angedeutet.

Atrium N. (-s; Atrien), im späten 15. Jh. übernommen aus lat. atrium 'Vorsaal, Vorhalle', vermutlich etrusk. Ursprungs; nach anderer Auffassung abgeleitet von lat. ater 'vom Herdfeuer geschwärzter Raum'. a Zunächst in der Antike als Bezeichnung für den Wohnraum eines altrömischen Hauses, einer Halle, an die sich ringsum kleinere Schlaf-, Wirtschafts- und Vorratsräume anschlössen und die das Zentrum des Familienlebens darstellte, ursprünglich mit geschlossenem Dach, später als Innenhof gestaltet mit einer Öffnung in der Dachmitte, durch die Rauch abziehen und Regenwasser aufgefangen werden konnte, von daher im 20. Jh. in der Bed. 'nach außen geöffnete Halle im Erdgeschoß eines großen Gebäudes', auch Offener, auf drei oder vier Seiten umbauter Hof oder Garten eines Gebäudes', gelegentlich in Zss. wie Atriumhaus, -bungalow. Früher vereinzelt übertragen (s. Beleg 1729); daneben in der Medizin (bes. der Anatomie) auch in der Bed. 'Vorhof, Vorkammer eines Hohlorgans, z. B. des Herzens' (s. Beleg 1855). b Bis heute gebucht als Bezeichnung für den mit Säulen geschmückten Empfangsraum, an den sich die Wohnräume anschlössen; im altchristlichen Kirchenbau für den von Säulenhallen umgebenen Hof vor dem Eingang der Basilika. Atrium a: Melber 1481 Voc. o. S. ein hoff, furhoff, ein wonung; Luther 1521 W. VII 795 Das dryt hieß Atrium, der hoff, der war hundert eilen lang, funftzig breyt und funff eilen hoch, und daselbs war eyn weyß furhang, durchsichtig wie eyn netz umb das tabernackel; Rivius 1548 Vitruv. 203a Atrium (das ist der Hoffplatz/ oder haußtennen); Stoppe 1729 Gedichte II17 Wie mancher plackt sich dreyzehn Jahre/ Mit den lateinschen Regeln rum,/ Wächst groß und kriegt den Bart voll Haare,/ Und lernt doch kaum das Atrium; Zedler 1732 Universallex. II 2063 Atrium, ein verdeckter Platz, den man unsern ietzigen Creutz-Gängen vergleichen kan, . . auch in derer privat-Personen ein Vorhauß, oder Vorhof; Beckmann 1784 — 88 Erfindungen II

409 Davon [Ruß] waren nicht einmal die Bilder der Vorfahren . . sicher, die, ungeachtet sie nur in den Häusern der Vornehmen waren, und zwar im Atrio, noch dazu in Schränken standen, räucherig waren; ebd. U 409 Anm. Auch der Namen Atrium soll daher entstanden seyn, weil da alles von Rauch schwarz war; Goethe 1816—17 Italien. Reise (WA I 30,109) Klostergebäude , . in welchem er die Privatwohnung der reichen und gastfreien Alten darzustellen gedachte . . Die Kirche stand schon, aus ihr tritt man in ein Atrium von korinthischen Säulen; Wehrhahn 1834 Familienreise 297 Ich besuchte auch das Rathhaus, . . in dessen grandiosem Atrium die beiden berühmten kolossalen Statuen . . [stehen]; Bötticher 1852 Tektonik d. Hellenen II

attachieren 7 Daher bedingt er ganz natürlich die Zunahme oder Abnahme dieser Portiken in Hinsicht ihrer Tiefe mit der Ausdehnung des Atrium in entsprechendem Verhältnisse; Valentin 1855 Physiologie 114 Vorkammern (Atria, ..); Mommsen 1856 Rom. Gesch. I 22 das wesentliche Stück und ursprünglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd; Jahn 1867 Mozart I 182 In einem mit den Denkmälern der Ahnen geschmückten Atrium; 1891 Herrigs Archiv LXXXVII 112 in heidnischer Zeit, wo atrium nebenher auch von der Vorhalle der Tempel gebraucht wurde; Holz 1913 Ignorabimus 132 Also dort winkt uns zunächst. . das hohe, schimmernde Atrium dieses alten . . Herrensitzes; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 82) das statuenbesetzte Atrium eines Palastes aus Marc Aureis Tagen; Hauptmann 1930 Buch d. Leidenschaft l 133 Der Wohntempel hatte ein säulenumgebenes, weites und herrliches Atrium, das mystischen Bädern dienen sollte; Lokal-Anz. 15.6.1934 Seit Menschengedenken gibt es in allen Ländern rauschende Brunnen, spielende Wasser: in maurischen Schlössern, im Atrium römischer Villen; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 236) die gestreckten Marmorstufen zum Atrium der Grabeskirche; Behn 1957 Vorzeit 138 mit kühnem Wurfe machte er sich frei von dem überkommenen Schema des quadratischen

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Atriums; Stuttgarter Ztg. 13.3.1959 Versammlungen und Veranstaltungen im Freien wird das „Atrium" dienen, ein windgeschützter, durch Glasfronten abgeschlossener Innenhof; Schadewaldt I960 Hellas 402 Die Bedeutung des homerischen Epos als Grundlegung des Atrium der griechischen Geschichte; Süddtsch. Ztg. 23.3.1961 Neben den zahlreichen neuen Wohnblöcken, Reiheneigenheimen und Atriumhäusern sieht der Bebauungsplan ein großes Geschäftszentrum . . vor; Münch. Stadtanz. 30.3.1962 Der zweite Bauabschnitt umfaßt 2407 Wohneinheiten . . teils als Gartenhofhäuser (Atriumhäuser); Partner 1964 Erben 54 ein imponierender Bau übrigens — fast hundert Meter lang, vierzig Meter breit, mit einem großen Atrium im Westen, dessen überdachter Umgang zum Teil von den Säulen einer alten römischen Straßenkolonnade getragen wurde; ebd. 253 ein . . großes Atrium ..: ein von einem Säulengang umschlossenes „Paradies", das als Versammlungsort, Gerichtsstätte und Prozessionsstation diente; FAZ 5.6.1970 Komi. Atrium-Bungalow (Anzeige); Welt 20.4.1974 unsere Angebotspalette enthält: Eigentumswohnungen, Eigenheime, Atrium-Bungalows . . (Anzeige); Zeit 18.1.1985 im städtischen Haus, wo der Herd aus dem Atrium verschwunden ist; ebd. 24. 9.1993 Die zehngeschossigen Blöcke lokken zu Kommerz und Konsum in ihre feinen Atrien; Süddtsch. Ztg. 29.10.1993 [Man] wohnt nicht mehr, wir residieren .. in der Residenz, im Domizil, im Atrium.

attachieren V. reflex, und trans., Mitte 17. Jh. entlehnt aus frz. (s') attacher 'befestigen, anbinden, verbinden, zuordnen, zuweisen; sich anschließen' (aus altfrz. atachier, estachier 'festbinden', zu estache 'Pfahl', german. Herkunft, wohl frank. *stakka 'Pfahl'), anfangs gelegentlich in der Schreibung attaschieren. Meist reflex, verwendet in der Bed. 'sich anschmiegen, sich an jmdn./etwas anhängen, sich an etwas gewöhnen, etwas liebgewinnen, sich jmdm. (freundschaftlich, verehrungsvoll) anschließen' (s. Belege 1698, 1783, 1799, 1837), auch 'sich mit etwas beschäftigen, abgeben, einer Sache mit Eifer und Hingabe widmen' (s. Beleg 1791), häufig in Wendungen wie sich jmdm./an jmdn. attachieren, oft im Part. Perf. in der Verbindung jmdm./an jmdn. attachiert sein 'jmdm. beigegeben, bei jmdm. angestellt sein; jmdm. ergeben, zugetan sein, jmdm. in Zuneigung verbunden, anhänglich'. Seit Mitte 18. Jh. auch als V. trans, in der Bed. 'jmdn. (z. B. im Rahmen eines Dienstverhältnisses) als Gehilfe, Begleiter zuteilen, zur Unterstützung zuordnen; jmdn. an etwas binden' (s. Belege 1758, 1813 — 15, 1836, 1949), auch 'jmdn. (durch Verpflichtungen) an sich binden, für sich gewinnen, einnehmen' (s. Belege 1810, 1831); dazu in neuester Zeit das Verbalsubst. Attachierung F. (-; -en). Dazu seit Ende 18. Jh. die aus frz. attache (d' ambassade) '(Gesandtschafts-)Attache' (subst. Part. Perf. von attacher s. o.) übernommene Personenbezeichnung Attache M. (-s; -s), zunächst in der Bed. 'Ergebener, Hausdiener, Aufwärter', seit frühem 19. Jh. 'Amtsgehilfe, Angestellter (bes. bei einer Gesandtschaft), einem Gesandten

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zugewiesener Hilfsbeamter', heute meist 'Mitarbeiter einer diplomatischen Vertretung im niederen Rang, Gesandter ohne Botschafterrang, Anfänger im diplomatischen Dienst, der bei einer diplomatischen Vertretung seines Staates im Ausland eine Praktikantenzeit ableistet', daneben als auch Bezeichnung für einen der diplomatischen Vertretung zugeteilten Berater, Sachverständigen in Fragen der Kultur, des Handels oder des Militärs; häufig als Grundwort in Zss. wie Handels-, Kultur-, Marine-, Militär-, Presse-, Wissenschaftsattache. Dazu schon seit späterem 17. Jh. das aus gleichbed. frz. attachement übernommene Subst. Attachement N. (-s; -s) in der Bed. 'Anhänglichkeit, Zuneigung, Ergebenheit, Vorliebe, durch Ergebenheit oder Liebe verpflichtende Bindung; Hingabe, Eifer', häufig in der Wendung Attachement an etwas/jmdn.; im 18.719. Jh. selten das aus frz. attachant entlehnte Adj. attachant 'bezaubernd, anziehend, lockend, reizend, anschmiegsam, anhänglich'; Ende 19. Jh. vereinzelt die adj. Gelegenheitsableitung attachelich 'in der Art eines Attaches' und die subst. Ableitung Attacheschaft 'das Attachesein'. attachieren: Bürster 1647 Schwed. Krieg 66 Dieweilen dan unser statt an disem ort, die Höll genant, den drüdten sturmb außgestanden und fürters nit attachirt worden; Elis. Charl. 1698 Er. l 105 ohne den heydelbergischen cathegisemus kan man woll lehrnen, sich nicht zu sehr ahn die weit zu attachiren, insonderheit hir im landt, da alles so voller falschheit, neydt undt boßheit ist; dies. 1705 Br. l 407 sie muß verstandt haben, sich so ahn ma tante zu attachiren; dies. 1721 Br. VI 26 „sie halt daß glück, E. L. gnade zu haben, undt über daß, so ist [sie] sehr ahn unßere s. churfürstin attachirt geweßen"; Sperander 1727 A la mod sprach 55 Attachiren, sich worzu verbinden, anhefften, anbinden, it. sehr ergeben seyn; Wieland 1758 Ges. Sehr. I 4,563 die Unsterblichkeit sey als eine übernatürliche und wundervolle Gabe von Gott an die Unschuld des Menschen attachiert worden; 1764 (Belli 1850 Leben i. Frankf. a. M. V 54) Das Publicum wird hiermit benachrichtiget, was massen der bey der ChurPfältzischen Hof-Capelle attachirte und überall so berühmte Virtuose .. Hieselbst angekommen; Leisewitz 1780 Tagebücher II 51 wenn ich sehe, dass sich iemand an etwas attachiret, was ich auch schätze; Lavater 1781 Verm. Sehr. II 168 Autorität, wirksamer Einfluß, der nicht von der Vernünftigkeit der Worte, sondern von dem Willen, der Macht, dem Ansehen des Befehlenden abhängt, an seine Person, oder persönlichen Charakter attaschirt ist; Schiller 1783 Br. l 146 An Schwan habe ich mich am meisten attaschiert; Becker 1784-86 Reise 155 Ein Oberst Griesheim attachiert sich noch sehr an Elise; Goethe 1791 Br. (WA IV 9,270) Indeß attachire ich mich täglich mehr an diese Wissenschaften, und ich merke wohl daß sie in der Folge mich vielleicht ausschließlich beschäftigen werden; ders. 1793 Br. (WA IV 10,48) ich habe eine Arbeit unternommen

die mich sehr attachirt; Tieck 1796 Sehr. VII 324 Mit Dir kam dieses seltsame Geschöpf nach Italien, an das Du anfangs sehr attachirt warst; Hase 1799 Aldermann 1102 scheint sich jetzt sehr an Sie zu attachieren; Delbrück 1800 Tagebuchbl. I 44 das Empressement, mit welchem sie den Prinzen an sich . . zu attachiren suchte; Blücher 1809 Br. 99 er wisse, wie sehr ich an seine Person attachirt wäre; Goethe 1810 Br. (WA IV 21,225) ersuche ich meine . . Herrn Mit-Commissarien . . das gegenwärtige Personal . . zufrieden zu stellen und sich diese Personen für das Gegenwärtige und Zukünftige zu attachiren; 1813 —15 Prinzenbr. 27 der König hat nicht gesagt ob ich Fähnrich oder Feldmarschall binn; (zum Offizier der Armee, attachirt am Hauptquartier des Generals von Blücher, . .); Goethe 1831 Br. (WA IV 49,78) Auch Herr Rentamtmann Mahr . . wäre durch ein Diplom an unsern Wirkungskreis zu attachiren; Gaudy 1836 W. // 46 So war ich denn . . dem Gefolge einer . . fürstlichen Person attaschirt und aller meiner Sorgen bar und ledig; Büchner 1837 Lenz 232 Lenz hatte ihn oft gesehen und hatte sich an ihn attachirt; Wagner 1848 Kaukasus l 208 Herr Friedrich von Kotzebue, der dem Generalstatthalter Georgiens für „besondere Aufträge" attachirt war; Kürnberger 1855 Amerikamüde 416 Ich muß plaidyren für den armen Gaul, denn ich hatte mich so attachirt an ihn; Schmidt 1871 Bilder II 183 Er wurde der Gesandtschaft erst in Florenz, dann in London attachirt; Billroth 1876 Lehren 259 Reicht der Eine oder Andere nicht aus, so attachire man ihm zur Ergänzung einen Adjuncten, dessen Anstellung man nach einiger Zeit der Beobachtung etwa für fünf Jahre beantragt; Heyse 1895 Ges. W. II 2,144 Sie werden ja selbst sehen, dass die Ehre, einem so edlen und hochgebildeten Fürstenpaar attachiert zu sein, auch ihre Schattenseiten hat; 1902 Grenzboten l

attachieren 322 Ellen hat sich mir nie so attachiert wie ihrem Vater; Janitschek 1912 Ehen 120 Agathe hatte sich schnell an die junge, hübsche Frau attachiert; Sternheim 1914 Snob 51 da die Möglichkeit auftaucht, Sie uns näher attachiert zu finden; Frank 1926 Liebesleben 109 dürfen die Eltern auch nicht in den Fehler verfallen, dem Kinde allzuviel Liebe zu erweisen, weil es sich ihnen sonst in krankhafter Weise attachieren könnte und später möglicherweise ausserstande wäre, sich von den Eltern loszulösen; Lauckner 1928 Krisis 45 Du attachierest Dich überhaupt zu leicht an Frauen; Baum 1929 Menschen 97 die Sorte von Menschen, denen er sich attachiert hatte; Ceram 1949 Götter 89 Als Napoleon diesen Mann wählte, um ihn einer seiner Expeditionen als künstlerischen Mitarbeiter zu attachieren (DUDEN 1993); Welt 12.2. 1954 der bayrische Kultusminister wollte anfangs Kempes Vertrag bis 1956 einhalten, hat sich dann aber überraschend entschlossen, Kempe gehen zu lassen, Knappertsbusch dem Institut enger zu attachieren; MM 7.6.1986 die Briten sahen ihre eigenen Interessen in den Fürstenstaaten ausreichend dadurch gewahrt, daß sie den Herrschern englische Berater als „Residents" oder „Political Officers" attachierten; Haubrichs 1988 Geschichte 183 einige an regionalen Zentren . . attachierte Texte lassen an eine Vorlage aus der Erzdiözese Köln denken. attachant: Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,60) Gott ist eben unser lieber Mann, sein Vater ist unser lieber Vater, und der heilige Geist ist unsere liebe Mutter .. damit ist die Familien-Idee, die älteste, die simpleste, . . die attachanteste unter allen Menschen-Ideen . . etablirt; Goethe 1829 Er. (WA IV 45,132) Überhaupt haben die Kinder in Italien etwas unglaublich Zartes, Attachantes und Anmuthiges, mit diesem Lied Harmonirendes. Attache: Vulpius 1799 Rmaldini l 219 Hierauf gab er das Signal, und seine Zwölf Attaches traten in den Saal; Hauff 1826 Memoiren d. Satans (VII 64) Ich war mit dem ..sehen Attache engagiert; Gutzkow 1838 Blasedow 111 214 Er faßte nämlich zuweilen Jemanden von seinen oder meinen Attache's beim Knopfloche und stellte sich mit ihnen . . in eine Fensternische; Großmann 1847 Gesellschaft 72 die Freundin des Gesandten, dem Gaden als Attache nach Paris folgte; Bauernfeld 1851 Kategor. Imperativ VII 30 Erst Attache, nun Professor; Schlözer 1856 Jugendbr. 203 Verwunderung, . . dass ein vom Hof so anerkannter Schriftsteller mit dem Titel eines Attache begnadet worden sei; 1859 A//g. Mil.-Enc. // 322 Attache, Adjutant; gebräuchlicher bei Gesandtschaften für die . . diplomati-

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schen Gehilfen; Wachenhusen 1865 Ballet / 125 Gesandtschaftsattache; Lindau 1877 Br. 94 die Attaches der verschiedenen Gesandtschaften; Rose 1884 Revanche 70 Militärattaches; ebd. 448 mit der Haltung eines Gesandtschaftsattaches; Gottschall 1885 Totenkl. 270 daß an dem Tage, wo der Herzog ihm eine Stelle in seinem Cabinet anbot, der künftige Attache glaubte . . erklären zu müssen, „daß er Legitimist sei"; Brandt 1901 Ost-Asien I 295 sie habe ihrem Gatten abends oft die von den Attaches der Mission geführten Tagebüchern vorgelesen; Th. Mann 1903 Erz. (W. Vlll 298) verkleiden Sie sich, vermummen Sie sich, ziehem Sie sich an wie ein Attache oder wie ein Gardeleutnant in Urlaub; Wassermann 1910 Masken 178 Einige Attachees umringten sie; Bierbaum 1910 Reife Früchte 72 Ein Attache der französischen Gesandtschaft; Höhne 1928 Reportage 70 In Paris suchte Hans Born den zurückversetzten Attache der französischen Botschaft auf; Musil 1930 Mann I 96 feudaler Reichtum hat entweder die Form törichter Schulden junger Attaches oder er ist an einen überlieferten Lebensstil gebunden; Lokal-Anz. 11.1. 1933 Zum Marineattache bei der Deutschen Botschaft in London wird Kapitän z. S. Waßner ernannt; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 89 So wurde er selbst ein berühmter Mann . . führte später ein großes Haus, wurde Handelsattache in Paris; ebd. 108 So konnte er . . [ihn], wenn er ihn auch zum Attache in London machte, noch immer nicht zum Leutnant avancieren lassen; Th. Mann 1941 Reden u. Aufs. (W. IX 653) man darf das soziale Motiv nicht vergessen, . . den Klassenkonflikt, in den er seinen sensitiven Helden zu der Zeit geraten läßt, als er die Nähe Lottens geflohen hat und Attache einer Gesandtschaft geworden ist; ders. 1954 Krull (W. VII 288) an der einen Seite der Rampe trällerte er den ersten Vers eines Liedes, das die außerordentliche Leichtigkeit und Heiterkeit seines Lebens als Attache und Schürzenjäger schilderte; Welt 23.5.1964 die Bundesrepublik unterhält noch nicht einmal einen hauptamtlichen Militärattache in Saigon; FAZ 21. 7.1971 Neue Wissenschafts-Attaches (Überschr.) Am I.Juli hat Professor K. Gottstein seine Aufgabe als Wissenschaftsreferent an der Deutschen Botschaft in Washington aufgenommen; Zeit 16.5.1986 er ließ drei Attaches der syrischen Botschaft außer Landes weisen; MM 8.8.1986 außerdem sollten an den deutschen Botschaften nach dem Vorbild der Drogenattaches Ansprechpartner für den Gesamtbereich der OK eingesetzt werden; ebd. 10.9.1986 mit einer bei Abdallah gefundenen Waffe aber wurde 1982 in Paris der amerikanische Militärattache erschossen; Süddtsch. Ztg. 9./10.10.1993 Als Presseattache arbeitete er in der Deutschen Botschaft in London; ebd. 22.2.1994 Mein Mann ist erfolgreich, wird Diplomat, Militärattache, eines Tages General.

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attachelich: Liliencron 1885 Br. a. Friedrichs 84 Sie haben etwas .. Attacheliches. Attachement: Leibniz 1673 Br. l 322 das Schönbornische Haus, an welches Herr du Fresne auch ein privat attachement gehabt (BRUNT); Elis. Charl. 1715 Br. U 607 bitte nur noch, mein Compliment undt Versicherung meines attachements ahn die printzes von Wallis zu machen; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 34 so nehme man nur eine Pfeiffe Tobac bey einem guten Trunck Bier; ich versichere/ er wird/ . . hievon ein solches Attachement finden/ als er sich nicht eingebildet hätte; Fassmann 1732 Gespräche XL 630 wann er sich . . ihres Attachements . . dadurch hätte versichern wollen (BRUNT); Boltz 1752 Amts-Actuarius 157 Wogegen ich . . mit allem Attachement verharre; Nicolai 1790 Anecdoten V 39 darum müßten die Schulmeister sich Mühe geben, daß die leute attachement zur Religion behalten, und sie so weit bringen, daß sie nicht stehlen und nicht morden; Cogniaczo 1794 Geständn. U 384 dem persönlichen Attachement der Preussen an ihren .. König; Sintenis 1799 Dialogen H 204 Nicht Respekt, sondern Attachement, Dienstbeflissenheit, wahre Treue müssen die Bedienten für die Kleinen haben; Rochlitz 1808 Romane l 16 ist mir doch solch ein brillantes Stück von Attachement mein Lebetage noch nicht vorkommen; Blücher 1811 Br. 148 in dem dieser Offizier mit Aufopferung seines Vermögens noch ganz kürzlich sein Attachement an E. K. M. Dienst und den Staat bewiesen hat; Goethe 1816—17 Italien. Reise (WA I 31,201) das alles gab mir ein solches Attachement an diesen Plan . . daß ich darüber . . den größten Theil meiner . . sicilianischen Reise verträumte; ders. 1824 Br. (WA IV 38,341) wie sehr Ihro Königliche Hoheit . . Ihr Attachement zu schätzen und zu erwidern weiß; Hauff 1825 S. W. V 96 das habe ich mir neulich gleich gedacht, daß das Attachement an die hohe Person nicht gar so groß sein müsse; Schlözer 1828 Schlözers Privatleben I 280 mit jedem Tage wächst ihr Attachement, weil sie sehen, dass ihnen meine Gesellschaft mehr nützt, als sie gehofft haben; Heine 1829 S. W. Ill 331 Ein wahres, gefühlvoll leidenschaftliches Attachement hatte ich nur ein einziges Mal, und das war die dicke Gudel vom Dreckwall; Gutzkow 1851 Ritter Vll 218 Sie . . hatte eigentlich, . . in der ganzen Gegend Niemanden ihres Attachements Würdigeren gefunden, als . . Selma's Vater; Fessler 1851 Rückblicke 120 vor sogenannten attachements du coeur, die unbezwinglichste Abneigung

hatte; 1855 Hausblätter I 90 man kannte noch die alten guten Attachements, die rührender und sanfter waren als die Freundschaft, ruhiger als die Leidenschaft und meist viel dauerhafter als die Liebe. Solch ein Attachement verargte man keiner unbescholtenen Frau; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 322 Attachement. Die Zutheilung einer Truppe einem grösseren Heerkörper. Auch diese Truppe selbst; SacherMasoch 1876 Galiz- Gesch. l 51 das ganze Dorf, das Volk hat so ein Attachement an unsereins, weil man zu ihm gehört; Fontäne 1895 Ges. W. l 4,442 Papas Jagdhund hat gar kein Attachement für mich; Ball 1919 Kritik 102 Im Attachement an die Natur der fünf Sinne fand er die physischen und sittlichen Urphänomene und deren Durchdringung; Th. Mann 1924 Reden u. Aufs. (W. X 179) mit einem Wort, er ist ein Snob — und erweist sich als solcher auch in seinem Attachement an die Natur, das Naturgesetz, seiner Verhöhnung des Geistes; Friedell 1928 Kulturgesch. U 194 Alles, was er tat und unterliess, sichert ihm unser persönliches Attachement; Th. Mann 1939 Lotte (W. H 450) wie hätte er sich anders als durch die Schattenrisse . . ein Bild machen sollen von meinen Kindern, da er doch trotz seinem Attachement für sie niemals Gelegenheit genommen oder gefunden hat, ihre Bekanntschaft zu machen; ders. 1943 Nachtr. (W. XIII 197) auch ich bin im Begriff, amerikanischer Bürger zu werden, wie meine Söhne .. und meine . . Enkelkinder es sind, und mein attachement an dieses Land ist so weit fortgeschritten, daß es aller Dankbarkeit zuwiderliefe, mich wieder gänzlich von ihm zu trennen; Jaspers 1958 Atombombe 312 hier gelten nicht persönliche Attachements; Haubrichs 1988 Gesch. 314 neben dem Attachement an ein großes Kloster oder bischöfliches Zentrum, das sich auch im Eintritt von Familienmitgliedern in diese kirchlichen Institutionen äußerte. Attacheschaft: Fontäne 1891 Unwiederbringlich 512 die Tage seiner Londoner Attacheschaft; ders. 1898 Zwanzig 326 Wenn man einer vornehmen Dame vorgestellt werden soll, und zwar nicht auf Attacheschaft, sondern auf Dichterschaft hin. Attachierung: Zeit 24.4.1987 während es Residenz gelungen ist, mit der Attachierung an die gemäßigte Moderne des Grazer „Forum Stadtpark" zur ersten literarischen Adresse in Österreich zu werden . ., hat die nach wie vor experimentierende Literatur ihre Heimstatt in der Linzer edition neue texte.

attackieren V. trans., Anfang 17. Jh. über gleichbed. frz. attaquer entlehnt aus ital. attaccare 'Streit anfangen; angreifen', eigentlich 'festmachen' (—» attachieren),

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bis Mitte 19. Jh. in frz. beeinflußten Schreibungen wie attecquiren, attaquiren, seit 18. Jh. auch schon in der heutigen Form. Zunächst als Ausdruck des Kriegswesens in der Bed. 'einen militärischen Gegner zu Pferde angreifen, (plötzlich und überraschend) überfallen, ihm zusetzen; eine Schlacht beginnen' (s. Belege 1607, 1617, 1647), seit Mitte 18. Jh. vorwiegend übertragen verwendet in der Bed. 'Angriffe gegen eine Person oder Sache richten, jmdn. mit Worten angreifen, scharf kritisieren, gegen jmdn./etwas zu Felde ziehen'(s. Beleg 1854), häufig in Wendungen wie jmdn. scharf, heftig attackieren; im 17.718. Jh. gelegentlich das Verbalsubst. Attackierung. Dazu seit frühem 17. Jh. das aus frz. attaque 'Sturmangriff entlehnte Subst. Attacke F. (-; -n), bis Mitte 19. Jh. auch in der Form Attaque, zunächst in der Bed. '(Kavallerie-)Angriff, Überfall, Ansturm'; selten auch 'Gefecht, Treffen', oft in Wendungen wie eine forsche, schneidige, heftige, mörderische Attacke auf/gegen den Feind reiten, zur Attacke blasen, übergehen, dazu auch die aus frz. fausse attaque lehnübersetzte Wendung falsche Attacke 'Scheinangriff; seit spätem 18. Jh. auch übertragen verwendet in der Bed. 'Angriff gegen eine Person oder Sache, scharfe Kritik, Feldzug gegen jmdn./etwas' (s. Belege 1787, 1788, 1863), häufig in Wendungen wie eine Attacke gegen die Gesundheit, eine Attacke gegen jmdn./etwas reiten 'sich scharf gegen jmdn./etwas wenden'; seit späterem 18. Jh. unter erneuter frz. Einwirkung auch 'anfallartiges Auftreten einer Krankheit, Anfall', z. B. eine Schmerz-, Fieber-, Herzattacke überstehen, überleben (s. Belege 1767, 1894, 1985). attackieren: Dilich 1607 Kriegsbuch 69 den feindt zu attecquiren (JONES); Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Attaquiren/ Attaquer: Angreifen; ders. 1617 Corpus militare 125 Man soll nicht warten biß der Feindt vns attacquire vnnd vberfalle in unserem Land/ sondern man soll jhn auff den Grentzen ansprengen vnd anfallen; Fabronius nach 1617 (1896 Hessenland X S3) Teütscher, was hindert es, daß du/ vor attaquiren,/ Vor ruiniren, vor soldatesca vndt/ laviren,/ . . Sprechet, wie dein grosvater/ g'redt hatt?; 1633 Konstanzer Belagerung 7 der Hertzog von Weimar [hat] die Statt Vberlingen etwas attaquiert; Moscherosch 1642 Visiones 215 So muß er gleichwohl/ sprach ich/ nicht sonders bey sinnen/ vnd ein rechter Narr sein/ daß er mich da mit fausten attaquiren will; Bürster 1647 Schwed. Krieg 227 ist also besehenen, dan Freyburg attagiert und von Merzi oder deß reichs bayerische armee belegert worden; Lavater 1659 Kriegsbüchlein 2a Attaquieren. Antasten; Grimmeishausen 1669 Simpl. 480 daß diese [Hoffart und Wollust] beyde manchem armen Tropffen ins Hertz gestigen und dem Geitz den Weg bereitet, eh er, der Geitz, einmahl gedachte oder sich erkühnen dörffte, einen solchen Menschen zu attaquiren?; ders. 1672 Vogelnest ( 358) attaquirten mit ihren höltzernen Löffeln; Scheither 1672 FestungsBatv-Schuel 109 daß hiernechst der Feind/ wann er vor erst solte die Stadt übermeistert haben/ von solchen halben Bollwercken gar leicht das Citadell

kan attaquiren/ beschiessen/ und endlich über ein Hauffen werffen; Happel 1690 Academ. Roman 566 Seine äusserste Zuflucht hätte er zu dem Degen/ er führete ihn aber nicht so sehr/ andere zu attaquiren/ als sich selbst darmit zu defendiren; Elis. Charl. 1699 Br. l 129 Ein wolff ist viel weniger, alß ein hirsch, zu förchten, den wen sie gejagt, attaquiren sie die menschen nie; 1705 Herrschaft d. Männer 12 der Teuffei hätte das Weib zu erst in Paradieße attaquiret/ weil er dieselbe leichter hätte wegen Schwachheit des Verstandes bereden können; Lucas 1711 Helicon 707 wie er solle die gemeinen knechte unterrichten im Gewehr führen/ . . im attaquiren; Fleming 1726 Soldat 31 Die Fortification lehret, wie die Festungen anzulegen, wie sie zu attaquiren, und zu verdefendiren sind; Schnabel 1731 Felsenburg l 43 wir [wurden] auf dem rückwege, um die Gegend der Canarischen Insuln, von zweyen Saleeischen Raub-Schiffen attaquiret; 1743 Reglement Preuss. Cav. 196 Wenn die Bagage im währenden March vom Feinde attaquirt werden sollte; Edelmann 1752 Selbstbiographie 84 Doch lernte ich bey der Gelegenheit [Krankheit] meine Natur ein wenig kennen, und sähe, dass was mich attaquirte, mich gleich mit der äussersten Force angriff, wenn ich aber der Natur . . nur ihren Lauf Hess, sich selbige bald wider erholete; Laukhard 1792 Leben II 302 Freilich attakirten mich die Kerls oft auf der Straße; Goethe 1793 Br. (WA IV 10,61) Heute Nacht sind wir unsanft geweckt wor-

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attackieren

den. Die Franzosen attakirten das Hauptquartier; Laukhard 1796 Leben III 209 Eine Hessische Patrouille würde von einer Französischen attakirt; Mutius 1812 Br. 186 Es hat mich dort auch eine Frau von Durant attakiert, welche als Kind mich in Fürstenstein will gesehen haben; Keller 1854 Ges. W. V 94 wie werden doch solche große Stammhäuser gleich in der Wiege schon vom Neid und von der Selbstsucht attaquiert!; Anzengruber 1879 Ges. W. V 81 des Försters Dirn', die . . alle Mannleut', die ihr fremd waren, atackiert hat; Zastrow um 1890 Oberstlt. Kreuzschnabel 6 so attaquirte ich einen alten Kanzleirath, welcher . . über den Corridor huschte; Dombrowski 1920 System III 46 Die Gegner der Nationalversammlung erleiden eine Niederlage. Henke wird von allen Seiten attackiert; Schlözer 1926 Menschen 117 Der Bär springt über seinen Körper fort und beginnt den Baum zu attackieren; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. XII 175) Friedensliebe und Kriegertugend seien darum in der Natur der Deutschen so wohl vereinbar, weil ihr Soldatentum nicht aus Gloiresucht entspringe, nicht Ausdruck einer kekken, brillanten und bravourösen Rauf- und Attakkierlust sei; Welt 20.1.1964 Ruhrbergbau attakkiert Preispolitik des RWE; Hocke 1976 Tagebücher 247 Es gibt kaum ein Tagebuch über Rom, in dem derart entschlossen der pseudoromantische Romkult attackiert wird; Zeit 9. 8.1985 falls diese Tumorzellen vom Immunsystem erkannt werden, was nicht immer der Fall ist, wird es aktiviert und attackiert das entartete Gewebe; ebd. 25.10.1985 dabei attackiert der SPD-Linksaußen die Arzneimittelhersteller und deren „Monopolpreise mit beliebigen Gewinnspannen" als den skandalösesten Teil des kostentreibenden Medizinsektors überhaupt; Spiegel 30.11.1992 Viele Jugendliche, die von rechtsradikalen Parolen fasziniert sind, gehören selber zu den sozial Benachteiligten, die sie attackieren; ebd. 4. 7.1994 Weltweit attackieren der Öko-Pirat Paul Watson und seine Umwelt-Guerilla „Hirt der Meere" Walfänger. Attacke: 1622 Acta Publica (Londorp 11 468a) Attacque; Heideman 1664 Architectura militaris l Vorr. 3a sehr furiosischen attaquen; Mieth 1683 Geschütz-Beschr. IV 2 Wie die Batterien in einer Attaque beschaffen seyn sollen (Überseht.); Brulig 1683 Wien 448 auss dessen persuasion er die unglückliche attaque der Stadt Wienn vorgenohmen; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 677 Der Herr Bayle hat in seinen Nouvelles allbereit den Cartesius wieder diese attaqve defendiret; Abr. a S. Clara 1689 Judas U 53 (Wunderkur 104) als werde er zu seinem Duel, oder Haupt-Kampff eingeladen/ dahero sich vnverweilt in die Postur gestellt/ auch in etwas zurück gewichen/ desto kräfftiger Ataque

zu führen; Elis. Charl. 1701 Br. l 219 daß der könig in Engellandt . . zwey attaquen von dem schlag gehabt; Wolff 1716 Math. Lex. 216 Attaque . . Heisset überhaupt ein feindlicher Anfall; Wagner 1724 Soldatenbibl. 300 Alle ihre Verrichtungen sind gefährlich/ so wohl den Attaquen als Defensen der Städte und Plätze; Montecuculi 1736 Kriegs-Nachrichten 351 Von der Defension wider eine formale Attaque; Sturm 1737 Wahre Vauban 8b Attaque, ein Angriff, ist alles dasjenige, was ein Belagerer zu seinem Vortheil thun kan, um gegen einen Plaz anzurucken und den Sturm zu versuchen; Lessing 1761 S. Sehr. XVIII 389 Unterdeßen hatte der Feind doch noch ein Ansehnliches bey Hundsfeld nebst genügsamer Artillerie stehen laßen, mit welcher er ohne Zweifel eine Attaque gewaget haben würde; Buwinghausen-Wallmerode 2767 Tagebuch 7 Weilen der Herzog abermahlen eine Attaque vom Fieber spühreten; Bretzner 1787 Leben U 199 Attaquen der Liebe; ders. 1788 Leben 111 169 die häufigen Attaken der ungestümen Gläubiger; Nicolai 1790 Anekdoten l 230 Der König . . dankte ihm für seine herrlich angeordneten Attaken des rechten Flügels; Goethe 1793 Br. (WA IV 10,67) hörte man im ganzen Umkreis . . das Feuern von falschen Attaquen; Cogniaczo 1794 Geständn. II 413 gegen die Front und den rechten Flügel des Feindes durch Scheinattaquen [operiren]; Laukhard 1796 Leben 111 325 Unser Regiment, welches zu keiner eigentlichen Attake gekommen war; Berenhorst 1798 Kriegskunst II 412 eine Reuterattake auf Fußvolk; Grabbe 1831 W. III 294 die Engländer wehren sich matter als bei unserer ersten Attacke; Immermann 1838 Oberhof 21 [ich bin] der Meinung, daß die Attacke in den Bergen . . vorgefallen ist; Holtet 1863 Letzte Komödiant I 12 jene auf die Spitze getriebene Scene zwischen Mortimer und der Königin von Schottland, [versetzte] die Versammlung in Todesangst . ., weil von Moment zu Moment befürchtet ward, Herr Vohs möge in seinem Kunstfeuer vergessen, wie weit dergleichen Attakken auf der Bühne gehen dürfen!; Hohenlohe-Ingelfingen 1864-70 Leben III 45 Daß die Husaren bei der Attacke ihren Schlachtruf . . ertönen ließen; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 133 Er machte am 16. die große Attacke mit, ward verwundet; ebd. 285 Zu ihr hat sich eine sehr unternehmende Pariserin und ein verwundeter französischer Offizier . . gesellt. Auf erstere machen unsere jungen Herren recht energische Attacken; Eckstein 1889 Camilla 72 diese Kreuzung zweier gleich verächtlicher Lugund Trugattaken; Franke-Schievelbein 1894 Rotdorn 119 doch nicht 'ne neue Attaque des . . heimtückischen Übels?; Thiess 1927 Gesicht 269 Die sittlichen Vorschriften der christlichen Kirche, gegen die Nietzsche seine herrlichen Attacken ritt; Schacht 1931 Rep.93 Diese französische Attacke

Attentat auf die deutsche Währung; Berl. lllustr. Nachtausg. 27.1.1933 Die Fülle der Bildchen und Überschneidungen hinter den Kulissen, auf der Bühne und im Zuschauerraum eines Revuetheaters wird zu einer Attacke auf das Auge des Zuschauers; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 691) es ist überraschend, die nahe Verwandtschaft mancher Apercus von Nietzsche mit den keineswegs nur eitlen Attakken auf die Moral festzustellen, mit denen ungefähr gleichzeitig Oscar Wilde, der englische Ästhet, sein Publikum chokierte und zum Lachen brachte; Heuss 1963 Erinn. 157 daß dieser Mann gerade in diesen Tagen eine scharfe Attacke gegen die deutsche Marokko-Politik ritt; Welt 17.11.1964 die Afrikaner überlegen nun, wie sie in Europa um Verständnis für ihre Einheitsbestrebungen werben können, zumal dort ihre Attacken gegen Portugiesen und Südafrikaner vielfach mit Stirnrunzeln aufgenommen werden; Offenburger Tagebl. 16.2. 1970 Die bereits in Kniehöhe abgewehrten Attakken des Kaufmanns wollte das Gericht allerdings noch nicht als Notzuchtversuch werten; FAZ 9.8.1971 vier andere Personen erlitten Herzattakken; Welt 8.11.1974 der Bundeskanzler hätte seine Attacke gegen die immer größer werdenden Wettbewerbsverzerrungen in der EG schon Monate früher reiten sollen; Dülmen 1977 Reformation 55 Luthers Attacken gegen die Bauern [werden] in ihrer Wirkung sicherlich überschätzt; Sloterdijk 1983 Kritik 325 Seine Satire ist eine gebildete Attacke gegen die unkultivierten Bettelmoralisten und Kläffer; Müller-Thurau 1984 Köpfe 94 die nothwendige Widerstandskraft gegen bakterielle Attacken; MM 4. 7.1985 schon leichte Hypertonie kann einen Schlaganfall oder eine Herzattacke ankündigen; Zeit 19.7.1985 beständig weht ein Wind; man fühlt ihn im Nacken und ahnt die rheumatischen Attacken am folgenden Tag; ebd. 9.8.

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1985 bekannt war, daß Krebszellen Mechanismen haben, der Attacke des Immunsystems zu entgehen; MM 3.10.1985 die das menschliche Blut zerstörenden, zu Fieberattacken führenden Erreger; ebd. 14.11.1985 Konstantin Wecker: ein Mann, . . dem die leisen Töne ebensowenig fremd sind wie die jazzige Attacke, mit der er seinem Publikum einheizt; ebd. 25.11.1985 die Folgen jahrelanger Attacken von Frost und Tausalz; Ortheil 1987 Schwerenöter 135 Der Junge leide unter manischen Attacken; Wuketits 1987 Darwin 116 So kommt es, daß viele der gegen Darwin gerittenen Attacken religiöse Gründe hatten; MM 26. 3.1988 geschickt in den Tagesablauf eingeschobene Nickerchen [können] unkontrollierte Schlafattacken weitgehend verhindern; Spiegel 7.12.1992 Diamantfilme sind immun gegen chemische Attacken; ebd. 30.8.1993 Körpereigene Zellen und Gewebe sind in der Regel gegen derartige Attacken geschützt; ebd. 15.11.1993 eine symbolische Attacke auf „eingefahrene Denkschablonen"; Süddtsch. Ztg. 19.120. 2.1994 Oft waren die Belagerer Bergvölker und Nomaden, die bis zum Tag ihrer Attacken auf Städte an der Geschichte nicht teilgenommen hatten; Spiegel 9.5.1994 das ganze, sattsam verrufene Arsenal zeitgenössischer Opernmache: schrille Sforzatos, Bläserattacken, daß die Bühne bebt. Attackierung: Reinhard 1632 a. Johann Georg firmer / 180) attaquirung (JONES); Mengering 1639 Quartiermeister 8 vmb vermutlicher Feindesgefahr vnd Attaquirung willen; nach 1650 (1929 ZG Oberrhein LXXXI 441) Was bey attacquirung der Statt Freyburg in acht zenemmen sein möcht; Heideman 1664 Architectura militaris H 3 attaquirung der Städte vnnd Vestungen; Bohse 1703 FrühlingsFrüchte 483 Nun hatte der König in Attaquirung der Holländer zweyerley Absichten gehabt.

Attentat N. (-(e)s; -e, früher auch -en), in spätmhd. Zeit (LEXER) wohl über gleichbed. altfrz. attentat entlehnt aus (m)lat. attentatum, attemptatum 'Versuchtes, Versuch', speziell 'verbrecherischer Versuch' (subst. Part. Perf. N. von lat. attentare, Nebenform von attemptare 'antasten, versuchen, jmdm. beizukommen suchen', aus ad- 'zu, an, hin(zu), heran, herbei' und temptare 'betasten, berühren, angreifen'), anfangs auch in der lat. (flekt.) Form. a Zunächst bis ins 19. Jh. in der Rechtssprache in der Bed. 'verbrecherischer Versuch; Verstoß, Rechtsverletzung', auch 'Frevel, Übergriff, Gewalttat', gelegentlich auch allgemeiner verwendet (vgl. b; s. Belege 1788, 1798, 1882). b Seit spätem 18. Jh. wohl unter erneutem Einfluß von gleichbed. frz. attentat in der heutigen Bed. 'politisch oder ideologisch motivierter (Mord-)Anschlag, bes. auf eine im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeit; Gewalttat, Tötungsversuch aus politischen oder Rachemotiven', z. B. in Wendungen wie ein Attentat auf/gegen jmdn. planen, vorhaben, begehen, verüben, vorbereiten, vereiteln; einem Attentat

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Attentat

zum Opfer fallen, durch ein Attentat ums Leben kommen; ein feiges, frevelhaftes Attentat; als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Mord-, Bomben-, Sprengstoffattentat; Attentatsdrohung, -welle; selten auch für 'bewaffneter Überfall, militärischer Angriff (auf ein feindliches Land)' (s. Belege 1932, 1944). Schon seit dem 19. Jh., zunächst wohl auch unter Einwirkung von a, häufig übertragen gebraucht im Sinne von 'Anschlag, Angriff, als unrechtmäßig empfundener Eingriff, Einschränkung', z. B. ein Attentat auf die persönliche Freiheit 'Versuch, die persönliche Freiheit jmds. empfindlich einzuschränken' (s. Belege 1835, 1843, 1860, 1869, 1872); heute vor allem in der ugs.-scherzhaften Wendung ein Attentat auf jmdn. vorhaben 'von jmdm. (unversehens) etwas Bestimmtes wollen; sich unvermittelt an jmdn. mit einer für ihn vielleicht unangenehmen Bitte um Unterstützung o. ä. wenden'. Dazu die nach dem mißglückten Attentat (1844) auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. in einem Drehorgellied (in Anlehnung an Übel-, Missetäter) als Reimwort zu Hochverräter gebildete Personenbezeichnung Attentäter M. (-s; -), auch Attentäterin F. (-; -nen) 'Person, die ein Attentat verübt (hat)', gelegentlich auch allgemeiner und abgeflacht (s. Belege 1893, 1900, 1913, 1930), in neuerer Zeit bes. in der Zs. Kunstattentäter 'jmd., der Kunstgegenstände, bes. Gemälde, beschädigt'; im 19. Jh. die Gelegenheitsableitungen beattentaten, attentätern, Attentäterei und attentäterisch. Attentat a: 15. ]h. Fontes habsburg. H 2,345 attemptat; 15. Jh. Reichs.-Ordn. 97b attentat (beide WEIGAND); Murner 1524 Purgatio 2a mit vilen lutherischen attentaten und unzimlichen fürnemmen; ders. 1527 Appellation Bla Appellier und berieff mich wider alle ire attentata (beide ECKEL); Perneder 1544 Process b2a Attentata (Überschr.) Das die attentata zwayerlay gestalt instificirt werden; 2. Hälfte 16. Jh. Weinsb. U 297 das capittel suit auch von der reconvention und attentaten clag absolviert sin (FRNHD. WB); 1555 Retchskammergo. 119 alle appellationsachen und was denselbigen anhengig oder zufallen mag, als attentatorum, declarationum ob non paritionem compulsorialium und inhibitionum (FRNHD. WB); 1564 Zimmer. Chronik II 441 so hette er auch ohne sein, herr Gotfrid Wernhers, rath oder vorwissen diß attentat angefangen; Wedel 1579 Hausbuch 276 beschwehrliche attentaten vorgenommen; Fischart 1581 Dämonomania 689 Attentatorum oder versuchstucken; 1609 (Stumpf 1800 Teutsche Liga. Urkundenanh. 6) alle vnd yede in rechten unzulessige Attentata vnd Thettlichkeiten durchaus eingestellt, vnd verbotten; Hainhofer 1611 Corr. 174 Des ändern symboli [auf einer Münze] würd sich die Stadt Braunschweig wider des hertzogen von Braunschweig attentata getrösten; Carolus 1614 Relation 16d solches attentat nicht vngeendert lassen; 1616 Bayer. Landrecht 189 in hangender appellation (so man in latein Attentata nennet); 1619 (Schafstädt, Mühlheim a. Rhein 32) [dassj mit weitteren thathandlungen und attentaten innege-

halten [werde gegen das Hab und Gut der Einwohner]; 1620 Calvin. Mutwill C4b mit was vor attentaten sie verfahren; Furttenbach 1630 Architect, mart. Vorr. 4a Sintemalen fast alle Augenblick/ nach dem man deß Feinds propositum, gesuchte vortheil . . und renck advertirt, hingegen ingleichem newe opera mit gegenschantzungen/ vnd gleichmässigen attentaten müssen fürgenommen/ vnd mit seinen defensorn nach Notturfft besetzt werden; Freiberger 1656 Polit. Diskurse 9 die vorgeloffene Attentata in ein vergessen stellen; 1689 Polit. Fliegenwedel I 101 wie frembd ihnen dieses des Königs attentadum vorkommen seyn müsse; Dalhover 1689 Gartenbeetlein U 882a in dem Weeg ligenden Feindseeligkeiten, hochgefährenden Attentaten vnd Hinderungen; 1699 Staatsspiegel II 63 von denen sich häuffenden unerträglichen Attentatis und allen Thätlichkeiten; Sperander 1727 A la mod Sprach 55 Attentat, Gewalt oder Unrecht, so bößlicher Weise wieder eines ändern Person oder Gut vorgenommen oder ausgeübet wird. Ein Attentat ist allezeit strafbar.. . In Gerichten heißen attentata Eingrieffe [!] in eines Höhern Bottmässigkeit, oder in eines ändern sein Recht; 1758 Abhandlung (Acta Publica. Sammelbd. XVI) 78 Eine Vertheidigung ist kein Attentatum; 1775 (Wissmüller 1909 Moorkultur l 48) die ausgeübte Gewaltthätigkeit abthuen, die niedergerissene Zäun renoviren, die verheerten Felder widerum aufbauen und Alles in den vorigen standt, wie es vor dem begangenen Attentate gewesen, herstellen; Sturz 1779 Sehr. (I 206) denn ihre Attentaten und Nullitäten

Attentat bedeckt das verschwiegene Grab; 1784 Thomas Hartmann 23 was vor Kirchenstrafen auf derley Attentatum gesetzet seyen; Forster 1788 Kl. Sehr. 84 Attentate gegen die Denkfreyheit; Schiller 1789 Lykurgus (IX 157) Ein solches Gesetz wäre ein Attentat gegen die Menschheit; Görres 1798 Rotes Blatt (l 12) alle Attentate dieser Individuen oder Verbindungen gegen die Freiheit; E.T.A. Hoffmann 1820 K. Murr (X 81) und [er] eine Beschäftigung begann, die ihn dem Attentat des Lieutenants gänzlich entzog; 1843 Brockhaus I 603 Attentat heißt im prägnanten Sinne so viel als gesetzwidrige Unternehmung. Die altern criminalistischen Schriftsteller pflegten mit Attentat die erste Stufe des verbrecherischen Versuchs . . zu bezeichnen; 1882 Brockhaus 160 Attentat . . bedeutet eine strafbare Unternehmung, besonders gegen die Persönlichkeit.. . In einem weitern Sinne spricht man z. B. von Theorien, Ansichten u.s.w., welche ein A. auf die Grundlagen des Staats und der Gesellschaft, wie auf das Privateigentum, die Ehe u. s.w., enthalten. Attentat b: Musäus 1781 Physiognotn. Reisen IV 66 in Zürch sey bereits das Giftkomplott entdeckt, es sey offenbar, daß er der Urheber dieses gräulichen Attentats sey; er werde in allen Zeitungen durch Steckbriefe gesucht; Schiller 1794 Franz. Unruhen (IX 368) Vor und nach dem meuchelmörderischen Attentat drangen viele Gutgesinnte in ihn, von Paris zu entweichen; Jacobs 1811 a. Thiersch (Nachlaß H 207) wären Sie das Opfer dieses infamen Attentats geworden, ich hätte mich nie zufrieden gegeben — im Anfange glaubte ich, daß das Attentat vielleicht aus Privatrache entstanden sey; Wit v. Dörnng 1828 Fragmente III 210 Einige Monate vor dem Mord-Attentate erhielten mehrere bedeutende Männer anonyme Briefe; Jäger 1835 F. Schnabel 38 Auf Schnabels Garderobe und Wäschvorrath wurden häufige Attentate gemacht, die durch des Besitzers Gutmüthigkeit und Leichtsinn fast immer gelangen. Seine Kommoden und Koffer leerten sich täglich mehr; Büchner 1835 Er. 358 Ich kann mir das Attentat [Fieschis] auf keine andere Weise erklären; Bechstein 1836 Reisetage II 157 Louis Philipp ist nicht beneidenswerth um die Herrschaft über dem Krater eines Vulkans, um die gegen ihn gerichteten Attentate; 1843 Brockhaus I 603 Attentat heißt . . gesetzwidrige Unternehmung. . . Auch im franz. wie im engl. Rechte kommt dieses Wort vor, jedoch in der Bedeutung von commencement d'execution, wo es also die schon weiter vorgeschrittene verbrecherische Handlung anzeigt; 1843 Portugal 4 Attentat auf das Leben der [englischen] Königin; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 89 Das andere Mal allegorische Schau- und Singspiele, durch Lange-

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weile tötend, zu Ehren seiner gestrengen Gönner. Ich habe schon gedacht, ob sie nicht als heimliche Mordattentate anzusehen seien; Max. v. Mex. 1852 Leben III 36 die vermuthlich von dem Gedanken an ein Attentat herrührende Unruhe; Szarvady 1852 Paris I 382 Die Julifeste kommen herbei und Fieschi's Attentat auf den König versetzt Frankreich wieder in neue Erschütterung; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 325 Attentat. Nach gebräuchlichstem Verständniss ein missglückter Mordversuch gegen eine regierende oder sonst hochstehende Person; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 21 Ich werde versuchen annähernd die Kommandoworte wiederzugeben, wie ich sie stets aus dem Munde des Unteroffiziers vernahm, denn um sein Attentat auf mein Portemonnaie zu verbergen, liebte er es erst eine halbe Stunde den Exerciermeister zu spielen; Meissner 1866 Schwarzgelb 158 [er] eilte . . auf den Schauplatz des Attentats. Mit ehrfurchtsvollem Schweigen theilte sich dort die Menge, um Seine Hochwürden vorzulassen; ]äger 1869 Darwinsche Theorie 138 Attentat auf die Menschenwürde; 1872 Briefw. G. Freytag-Herzog Ernst v. Gotha 255 f. Ein Recensent hat die Vermuthung aufgestellt, daß die Absicht des Verfassers [Freytag] sei, allmählich eine Ahnengeschichte des erlauchten Hauses Koburg zu schreiben. Ew. Hoheit habe ich nicht nöthig zu versichern, daß jedes solche Attentat mir fern liegt; Ihering 1878 Br. a. Freunde 334 die grauenhaften sozialen Zustände, deren Dasein und wahren Charakter die zwei Attentate auf unsern Kaiser in so grellem Lichte enthüllt haben; 1882 Brockhaus II 160 In neuern Zeiten hat man den Ausdruck A[ttentat] ganz besonders auf Versuche der Ermordung einer polit. Persönlichkeit, insbesondere eines Regenten angewendet; Walloth 1886 Seelenrätsel 147 Sind Sie zu Ende, oder haben Sie noch ähnliche Attentate im Hinterhalt?; Engels 1893 Pariser Polizeistreich (MEW XXII 356) Leute, die in Paris sehr zurückgezogen lebten und nicht so einfältig waren, Attentatskomplotte zu machen; Brandt 1901 Ost-Asien II 381 blieben sie hinter den Wünschen der Partei zurück, was die mannigfachen Attentate erklärt, die gegen einzelne aus ihrer Mitte stattgefunden haben; 1903 Stimmen d. Zeit LXIV 251 Attentat auf die .. Unterrichtsfreiheit; Schnitzer 1905 Kate 113 Mannes Attentat auf meine Wade; Zobeltitz um 1920 GrossQ. 289 wollen Sie nicht endlich eingestehen, daß Sie an dem Eisenbahnattentat beteiligt waren?; 1922 Schweizer. Monatsh. f. Politik 46 daß er [Vertrag von Versailles] ein Attentat gegen die nationale Freiheit bedeutet; Dresd. Anz. 8.5.1932 die letzte Alarmmeldung über einen beabsichtigten polnischen Einfall in Danzig sei nicht nur eine Verleumdung, sondern eine Vorbereitung zum Attentat auf Polen und den Frieden. Es seien natürlich

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Attentat

Vorbereitungen der Deutschen; Montag Morgen 9.5.1932 Für die Mehrzahl der großen Attentate in den letzten Jahren ist es bezeichnend, daß der Ermordete seinem Mörder, der Bedrohte seinem Bedroher in jedem Sinne „nichts getan" hat; Kesten 1932 Scharlatan 181 Sie roch nach dem Blut der Opfer, die bei den Attentaten geschlachtet wurden; Berl. lllustr. Nachtausg. 13.3.1933 Attentat auf Hitler geplant? (Überschr.); Lokal-Anz. 23.10. 1934 Attentatsplan gegen König Carol aufgedeckt (Überschr.); v. Wahlendorf 1936 Erinn. 27 bei den in die damalige Zeit fallenden Attentaten auf Wilhelm L, die uns alle in Tränen versetzten; M.-A. Abendztg. 14.6.1944 wieder waren es Wohnviertel, denen das gemeine Attentat [Bombenangriff] des Feindes zuvorderst galt; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1042) daß das Attentat und die Flucht der Attentäter ohne . . Nachhilfe von Naziseite . . schwerlich hätte gelingen können; ebd. XI 1118 das wüste Attentat Nazi-Deutschlands auf die Freiheit der Völker; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 202) das Generalsattentat auf Hitler; Kesten 1952 Casanova o. S. Man warf ihr [Freimaurerei] vor, Verschwörungen anzuzetteln und Attentate zu begehen; 11.1.1954 der Staatsanwalt bezeichnete den Entflohenen als Schlüssel zur Lösung des mysteriösen Revolverattentats auf den CIOFührer; Süddtsch. Ztg. 8.5.1957 Damit ist aber das Attentat, das man auf den Münchner Schwimmsport [durch Verbot, Schwimmbecken zum Training zu benutzen] hinter verschlossenen Rathaustüren vorbereitet hat, keineswegs vollständig; Guggenheim 1961 Heimat 24 die Attentate auf die Schweiz und das schweizerische Kulturbewusstsein, die vermittelst der Sprache, vermittelst der uns vertrauten deutschen Sprache erfolgen, — durch die Literatur; Offenburger Tagebl. 1.4.1961 Der Täter suchte sich als Opfer junge . . Mädchen .. aus. Am 3.August trat der Säurespritzer wieder auf, um dann bis Anfang Oktober nicht mehr in Aktion zu treten. Eine Häufung von 16 Fällen war im November 1959 zu verzeichnen. Im Dezember wurde in Offenburg nur ein „Attentat" verübt, in Rastatt dagegen zwei; Stuttgarter Ztg. 15.1.1963 Arbeitgeber wie Arbeitnehmer betrachten den Vorschlag . . als ein Attentat auf das freie Verhandlungsrecht der Sozialpartner; Offenburger Tagebl. 18. 9.1964 Für den Schutz de Gaulles ergriffen die lateinamerikanischen Länder . . eine Fülle von Abschirmungsmaßnahmen, mit denen man jedes mögliche Attentat . . abzuwehren hofft; FAZ 15.2.1966 elf Personen . ., die des Attentatsversuchs gegen General de Gaulle . . angeklagt sind; ebd. 20.11. 1970 Mit Sorge beobachten die Verfassungsschutzbehörden . . die . . anonymen Attentatsdrohungen; Welt 4. 6.1974 das Bombenattentat von Brescia hat ein siebentes Todesopfer gefordert;

Zeit 18.6.1985 als Folge der Bomben- und Attentatswelle gewinnt maximales Sicherheitsdenken an Berechtigung; MM 4.2.1986 in der . . vom Innenministerium veröffentlichten Bilanz .. wurden außer 256 Brandanschlägen 75 Sprengstoffattentate registriert; Zeit 21.11.1986 Strafrechtsexperten, Terroristen und sogar ehemalige Attentatsopfer redeten gemeinsam über die Zukunft nach den „bleiernen Jahren"; MM 24.2. 1987 Attentate sind „Kriegshandlungen"; Zeit 24.4.1987 Luchino Visconti: Das anthropomorphe Kino (Überschr.) . . jede andere Lösung des Problems stellt für mich ein Attentat auf die Realität, wie sie sich unseren Blicken darbietet, dar: von den Menschen geschaffen und ständig von ihnen verändert; MM 9.4.1988 das Attentat auf Dutschke war nicht Ursache, sondern nur Auslöser der Revolte; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 73 Abgesehen davon sind viele von ihnen [Fremdwörter] wie Streß, Foto . . aber auch viel populärer als ihre deutschen Entsprechungen. „Die Gewalt einer Sprache ist nicht, daß sie das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt", hat Goethe geäußert — wie beispielsweise im Falle von Attentat (französisch attentat 'Anschlag'), das den gut deutsch klingenden Attentäter nach sich zog; Spiegel 15.2.1993 In der vergangenen Woche . . war der . . Schauspieler Irfan Mensur das Ziel eines Attentats, bei dem er angeschossen wurde. Attentäter: Rüge 1861 Er. u. Tagebuchbl. II 212 Das Attentat [auf König Wilhelm in Baden-Baden] blamirt viele Leute .. Außerdem beweist es den verzweifelten Zustand der Einheitsfrage, denn nur die Verzweiflung an einem ändern Erfolge erzeugt Attentäter; Fontäne 1882 Ges. W. I 2,62 der Attentäter, dem er [Polizeirat] sich an die Fersen heftet; Engels 1893 Pariser Polizeistreich (MEW XXII 356) Die Pariser Bourgeoisiepresse verkündet . ., die Polizei habe ein höchst niederträchtiges Komplott entdeckt. Einige „russische Nihilisten" hätten sich verschworen, den sanftmütigen Zar . . aller Reußen ins Jenseits zu befördern; aber die Polizei wachte, die „Misse- und auch Attentäter" wurden gefaßt; Hartleben 1893 Jagert 92 Alexander: . . Du, Hanna, ich habe einen Brief von unserem Attentäter. Hanna: Von Conrad! Was schreibt er denn? Woher denn?; Viebig 1900 Das Weiberdorf 260 die Kerle sind die Attentäter, die Weiber . . machen die Fehler; Bebel 1913 Aus meinem Leben I 24 genoß ich diesen bei unserem Kantor, der das Departement des Äußeren zu vertreten hatte, das heißt, der all die bösen Streiche, die der Schule gemeldet wurden, an den Attentätern zu bestrafen hatte; Huch 1919 Sinn 293 [Karl] Sand, der Mörder Kotzebues, oder zahlreiche andere Attentäter; Mathar 1930 Johannes 45 Doch der Lehrer . .

Attest macht den schönen Plan der Überraschung schmählich zunichte. Seine scharfen Augen haben die beiden Attentäter wohl erkannt; Lokal-Anz. 1.3.1933 Reichstagsattentäter wollte auch Rathaus anzünden (Überschr.); Berl. Morgenpost 29.10.1934 Es handelte sich nicht um einen Banditenstreich, sondern die sechs „Attentäter" waren Mitglieder der gräflichen Familie, die auf diese Weise die geplante Heirat verhindern wollten. Erst nach drei Stunden konnte die Braut aus ihrem Gefängnis in der Badestube befreit werden; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1017) die Attentäter sind weder Kommunisten noch Juden, noch sind sie von England und Rußland gedungen; ebd. Schlageter war ein Held und Märtyrer, die französischen Attentäter aber sind feige, bezahlte Mordbuben; Welt 28.12.1959 die Anklagerede des Staatsanwaltes, der gegen Staatspräsident Nasser den Vorwurf erhob, die Attentäter mit Geld und Waffen unterstützt zu haben; Grass 1962 Blechtrommel 309 sagte man uns beim Prozeß Beziehungen zu den Attentätern und Verschwörern des zwanzigsten Juli nach; Bildztg. 24.4.1967 der Attentäter wurde durch dieselbe Explosion zerrissen; Stuttgarter Ztg. 4. 6.1969 bedauert Giordano, daß die Attentäter, denen heute die Kennedys, Martin Luther King und andere zum Opfer fielen, hoffnungslos unterdurchschnittliche Burschen seien; Welt 4.6.1974 der Polizei gelang es bisher noch nicht, die Attentäter zu identifizieren; Zeit 24.5. 1985 hatte sich Agca bereits 1979 beim Türkeibesuch Papst Johannes Pauls II. mit einem Drobrief als potentieller Attentäter empfohlen; ebd. 21.6. 1985 überhaupt scheint Rubens das Lieblingsziel der Kunstattentäter zu sein; ebd. 18.10. 1985 nicht

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nur Attentäter, die Bilder zerschneiden, werden den Museen gefährlich; MM 3.6. 1986 bekannt wurden auch die Beträge, die .. an Bombenleger und Attentäter gezahlt werden; Zeit 1.10. 1986 das Land gilt seit langem als Stützpunkt für politische Mörder und Attentäter; ebd. 27.2. 1987 „er hielt mein Leben zu sehr unter Kontrolle", erklärte Valerie, die Attentäterin nach ihrem Mordanschlag; Sanders 1992 Sprachkritikastereten 73 [das Wort] Attentat . ., das den gut deutsch klingenden [Ausdruck] Attentäter nach sich zog. Attentäterei: Goltz 1860 Typen d. Gesellschaft l 48 Bei öffentlichen Versammlungen wird er [der Rührungsredner] heute in einem summarischen Verfahren unschädlich gemacht, sobald er nur Miene zu einer Attentäterei auf Tränendrüsen macht. attentäterisch: Goltz I860 Typen d. Gesellschaft l 102 f. Frauen von dieser Art können eben für gelehrte . . Männer ein größerer Segen, als sehr geistreiche und beredte Frauen sein, falls diese die Eitelkeit, die attentäterische Lebhaftigkeit und den unersättlichen Geisteshunger einer Frau von Stael besitzen; ebd. // 151 entwickelt sich dann eine spürnasig-vorwärtsschnüffelnde Verhaltenheit, eine leise-tretende, leise-tastende und doch attentäterische Liebenswürdigkeit, die von lachgrinsenden . . Freundlichkeits-Assecurationen begleitet wird; Scherr 1865 Blücher 11 50 attentäterisch. attentätern: Goltz 1853 Kleinstädter 308 ein . . attentäterndes „Gesellen-point d'honneur" (LADENDORF).

Attest N. (-(e)s; -e), Anfang 17. Jh. in der bis ins 19. Jh. belegten (z. T. lat. fielet.) Form Attestat(um) entlehnt aus lat. attestatum '(schriftliches) Zeugnis' (subst. N. des Part. Perf. von attestari 'versichern, beweisen, bestätigen' aus ad- 'zu, hin' und testari 'bezeugen, bekräftigen', zu testis 'Zeuge'; —»· Testament), seit Anfang 18. Jh. selten, seit dem 19. Jh. zunehmend in der heutigen verkürzten Form. Zunächst amtsspr. gebraucht in der Bed. 'mündliche oder schriftliche Bestätigung, amtliches Zeugnis, behördliche Beglaubigung, Schein, Bescheinigung' (s. Belege 1713, 1727, 1886, 1896), speziell auch im Sinn von 'Nachweis, Gutachten, Referenz, Urkunde' (s. Beleg 1799), z. B. als Beleg über geleistete Arbeit, Bestätigung einer abgelegten Prüfung u. ä.; in festeren Syntagmen wie ein Attest (bei-, vor-)bringen, erlangen, verlangen, ein beglaubigtes Attest und Zss. wie Leistungs-, Führungsattest. Seit früherem 18. Jh. in der heute dominierenden Bed. 'ärztliche Bescheinigung über die Erkrankung eines Patienten' (s. Belege 1803, 1863, 1929, 1962, 1985, 1986), in Verbindungen wie ein Attest ausstellen, ärztliches Attest, eine Erkrankung mit einem. Attest bestätigen und in der Zs. Gesundheitsattest.

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Attest

Vgl. daneben das direkt auf gleichbed. klass. lat. attestatio zurückgehende, vom 17. bis ins 20. Jh. nachgewiesene Subst. Attestation F. (-; -en) 'Bescheinigung, Bezeugung'. Dazu seit früherem 17. Jh. das aus gleichbed. lat. attestari (s. o.) entlehnte V. trans. attestieren, zunächst allgemein im Sinn von 'bezeugen, beglaubigen, bescheinigen, bestätigen' (s. Belege 1634, 1706, 1778, 1922, 1973, 1987, 1992), bes. zur Charakterisierung bestimmter Wesenszüge einer Person, in Verbindungen wie jmdm. besondere Fähigkeiten, Verstand attestieren, einer Sache z. B. hohe Qualität attestieren; speziell auch auf eine behördliche bzw. ärztliche Amtshandlung bezogen (s. Belege 1678, 1692, 1697, 1713, 1738, 1752, 1992, 1994); in der Part. Perf.-Form attestiert gelegentlich auch adj. gebraucht für 'bescheinigt, bestätigt'. Attest: 1713 (Frauenholz 1935 Heerwesen IV 198) und wenn das Corps wieder aus den frembden Landen gehet, muß der Commissarius . . da/3 gute Ordre gehalten worden, ein gehöriges Attest ertheilen lassen; 1727 (Nelken, Bewachungsgewerbe 28) [Nachtwächer müssen] des ändern Tages . . Attest und Schein bringen, dass sie solches [beim Feuerlöschen helfen] prompt gethan haben; 1736 Preuss. Bankerottedikt (Ludewig U 407) Im Fall aber ein solcher Richter vorsätzlich ein falsch Attest ertheilen würde; Kirchhof 1766 Schutzreden II 291 in dem angebogenen Atteste; um 1790 (Lang I 145) Originalattest; Kortum 1799 Jobsiade 71 Und fragten ihn bald, ob er auch hättV Ein Zeugniß von der Universität?/ Hieronimus . ./ Gab das Attest in des Inspectors Hände; Herder vor 1803 S. W. XX 54 Wenn er zur Glaubwürdigkeit derselben den Attest eines Wundarztes geben ließ (KEHREIN); Immermann 1838 Oberhof 63 Er zeigte mir ein .. förmliches Attest über die Echtheit der Waffe, von einem gefälligen Provinzgelehrten ihm ausgestellt; Holtet 1863 Letzte Komödiant Hl 234 Der Theaterarzt, der ihr ein Weniges den Hof machte, ließ sich verführen, ein Attest auszustellen; ebd. Ill 286 Krankheits-Attest; }oh. v. Bismarck 1870 Br. 24 daß Du ihr das allerschönste beste Geschenk mit Deinem Gesundheitsattest gemacht; Stinde 1886 Wandertruppe 78 Ich habe Atteste von sieben Lehrern; Fontäne 1891 Quitt 15 Ich hab es schriftlich in meinem Attest; Zapp 1896 Offtöchter l 72 Sie reichte ihm ihr Taufzeugnis, ihre Schulzeugnisse und das Abzugs-Attest von der Polizeibehörde ihrer Vaterstadt; Baum 1929 Menschen 22 ärztlichen Attest; Grass 1962 Blechtrommel 60 Die Schulbehörde äußerste Bedenken und verlangte ein ärztliches Attest; Schädlich 1977 Nähe 48 ich hatte sie mal am Abend angerufen, so gegen neun, da war meiner Ansicht nach noch irgendwas zu besprechen wegen dieses Attests, das sie mir schreiben sollte fürs Wohnungsamt; MM 3.5.1985 mögliche Schmerzensgeldforderungen [können] nur durch ein ärztliches Attest begründet werden; Zeit

21.3.1986 Stanislaw Grondowski hat ein Attest dabei, das ihm Reiseunfähigkeit bescheinigt. Attestat(um): 1612 Privilegium (Schafstädt, Mülheim am Rhein 27) [Neuzuziehende in die Stadt Mülheim müssen] attestatte voorbrenghen, dat se eerbare, vrome Heden syn; 1654 Bericht a. d. Leipz. medizin. Fakultät (Zittmann 43) des Feldscherers Attestatum; Leibniz 1668-76 Brtefw. I 228 Und weis ich nicht ob man attestatis injuratis in re tanti momenti als die processum injuriarum criminalem und also famam betrifft, glauben werde oder könne; 1672 Jnterims-Ordinantz CSb richtige attestata und Scheine ihres Verhaltens halber; Riemer 1684 Polit. Passagier 114 Attestata und grosse auf Pergament geschriebene Testimonia; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 126 die Frembden [sollten] gar nichts geben/ wenn sie gegen ein Attestatum von ihrer Obrigkeit/ bey der Obrigkeit des Verkäuffers einen Freyzettel erhalten hätten; 1693 Hess. Samml. Ill 374 da . . jemand .. angeben moechte . . daß er . . [das] handwerck . . als verstaendiger meister [an einem anderen Ort] exerciret habe, [und dies] durch ein beglaubigtes attestatum darthun . . kan (DRW-Archiv); Ettner 1700 Apotecker 1191 bringet euere Attestata mit/ so wollen wir sehen/ wie wir miteinander accordiren werden; Nehring 1710 Lex. 257 ein licentiat, eine doctormaeßige Person, oder welche von einer facultaet sich examiniren lassen, solemniter creiret, und folgende juramentum praestiret, auch ein schrifftlich attestatum um ueber solchen gradum impretiret, und also licenz oder freyheit doctor zu werden erlanget (DRW-Archiv); Ettner 1719 Maulaffe 229 gelingt es unter 50 mahlen nur einmahl, so bitten sie deswegen bald ein Attestatum aus, schlägt aber die Cur fehl, so entschuldigen sie sich auf tausenderley Arthen; 1723 (Leben i. Frankfurt a. M. l 37j Es wird von einem gewissen Baron unweit Franckfurt ein Gärtner verlangt, welcher . . auch schon bey ändern Herren in dergleichen Diensten gestanden, und darüber beglaubte Atte-

Attest stata auffweisen kan; Schoppe 1728 Gedichte i 135 Was ist ein Burschen-Kind? Es ist ein Attestat, dass man pro praeside sehr wohl gefochten hat; Schnabel 1731 Felsenburg l 2 gegen Martini aber mit den herrlichsten Attestaten meiner Professoren versehen nach Hause reisete; 1733 (Evangel. Schulordn. HI 338) wovon aber Attestata von denen verordneten Medicis oder Chirurgis produciret werden müssen; 1735 (Jahresber. Histor. V. f. Mittelfranken XL 14) Attestat der Dienstboten; Zedler 1737 Unwersallex. XVI 869 Laß- oder Lat-Brief, ist ein Attestat, da ein Leibeigener aus des Leib-Herrn Gewalt frey gelassen wird; Philander 1743 Vorrath 325 Attestatum; Boltz 1752 Amts-Actuarius 86 Uhrkundlich haben wir dieses Attestat eigenhändig unterschrieben/ und mit unsern Insiegeln corroboriret; 1772 (Ann. Ingolstadt Acad. IV 471) Attestata [über belegte Vorlesungen]; 1770 Land-Schulordn. 6 dass denselben [schulentlassenen Kindern] von dem Pfarrherren und Beamten ein gehöriges Attestat unentgeltlich zugestellet wurde; Schertet v. Burtelbach 1778 Beytr. 138 Verlangt er ein Attestat seines Verhaltens, so kann und wird ihm schwerlich damit entstanden werden; zur Lippe 1792 Br. 177 Gesundheits Attestat; Goethe 1793 Br. (WA IV 10,50) Der junge Wette, der sich mit zu den Künstlern zählt, hat von mir, zum Entzweck seiner Aufnahme ein Attestat seiner Talente und seines Verhaltens begehrt; Lavater 1798 Br. an Bremer Freunde 87 eidliche Attesta; Raimund 1828 Alpenkönig 18 Ich hab' zu viel ausgestanden in der Welt, ich kann's beweisen, ich hab' vier Attestate, denn ich habe das vierte Weib; Schopenhauer 1844 (Nachlass H 142) Attestat. Attestation: 1656 (Samml. würzb. Landesverordn. l 249b) Attestation ihres angewandten Fleisses und gebottenen Hilfe beybringen; Zedler 1732 Unwersallex. II 2076 Attestationes, derer Zeugen Aussage, Zeugniß, welche in Schrifften abgefasset ist; 1741 Begebenheiten 74 die erlangte Attestation; Mehring 1927 Paris 122 wogegen die Vertreter der Geistlichkeit schriftlich protestierten durch zwei im wesentlichen übereinstimmende Attestationen. attestieren: 1634 (Gädeke 263) über das wie der warheit zum besten solches zu attestiren und zu bezeugen ersucht worden; Hilarius 1649 Rechenschafft Vorr. o. S. diss werden alle Liebhaber der Warheit von Selbsten attestirn; 1678 (Oberrhein. Stadtrechte 762) von dem Chur-Pfältzischen ambtschultheissen . . der freie Zug . . in genere attestiret; 1692 (Gesch. Kees II 219) Wie denn die Postambts Bedienten . . attestieren müssen, . . dass darunter nicht . . muthwillige und strafbare Fahrlässigkeit gebrauchet oder von mir und den meinigen veruhrsachet; Reuter 1696 Schlampampe 113

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Monsieur hier hat mir den Brieff selbst vorgelesen . . ich muß . . attestiren, daß nicht ein Wort . . mit der Wahrheit nichtüberein stimmte; Wigand 1697 Minden II 320 attestiren wir hiemit. ., daß sothane gewohnheit . . vnter den eigenbehoerigen hiesiges fuerstenthumbs . . in observantia sey (DRW-Archiv); 1706 (Gesch. Kees II 469) Anders nicht, als dass sich eine Abschrift von solchem Wechsel unter seines Hr. Vaters Verlassenschaft gefunden habe, welches alle seine Miterben würden attestiren können; Marperger 1712 Naturlex. 132 Attestiren, bezeugen, welches theils mündlich, theils schrifftlich geschieht; 1713 (Oberrhein. Stadtrechte l 613) Daß hieroben specificirte posten denen alten Privilegien der statt Neckargemündt conform . . geweßen wird . . mittels aufgetrücktem größerem oberamtsinsiegels attestirt; 1738 (Buchner 1925 Ärzte u. Kurpfuscher 309) und die aus Siebenbürgen oder denen angräntzenden Landen ankommende Personen und Waren, ohne producirung dergleichen Obrigkeitlichen Pässe, welche von Ort zu Ort, sonderlich in denen Nachtlagern attestiret seyn müssen; Boltz 1752 Amts-Actuarius 90 Als wird ihme N. von Ober-Amts wegen hierdurch attestiret/ daß . . in hiesiger Refier der Zeit reine und gesunde Lufft; Gotzkowsky 1769 Patriot. Kaufmann I 57 Ich mußte ihm dieses eidlich und schriftlich attestiren; Müller 1778 Fausts Leben 70 Cameraden ihr könnt mirs attestiren, hab gethan was ein Freund dem ändern schuldig ist; Lessing 1778 Von dem Zwecke (S. Sehr. XIII 220) da, wie mir der Herr Hauptpastor bereits selbst attestiret haben, ich schlechterdings kein Hebräisch verstehe; Goethe 1785 Br. (WA IV 7,41) Das Publikum, das so gerne Könige ein und absezt um nicht müssig zu seyn, hat auch Mosern uns zum Kanzler gegeben, wie ich solches auf dein Verlangen auch auf einem besondern Zettel attestire; Fichte 1805 Plan (S. W. VIII 169) durch einen Stempel zu attestiren; Immermann 1838 Oberhof 291 Durch solche Schandtaten, und indem immer ein Schelm dem ändern seinen Plunder als echtes Altertum attestierte, sind die Sammlungen mit Narrenpossen und Quisqillien angefüllt worden; Reichensperger 1872 Phrasen 172 eine preußische Ministerialverfügung . ., welche . . es den Professoren geradezu verbietet, den Besuch oder Nichtbesuch der Collegien Seitens der Studenten zu attestiren; Th. Mann 1913 Reden u. Aufs. (W. X 562) wenigstens gehörte er nicht zum Schlage derer, welche die Verantwortung für das Wagnis des eigenen Lebens auf andere abwälzen und sich den Beruf zum Dichter von außen attestieren lassen möchten; Hauptmann 1922 Phantom 21 wurde mir . . die väterliche Gewalt. . von der Mutter attestiert; Welt 6. 7.1954 Der psychologische Fehler im heutigen deutschen Führerschein liegt darin, daß er dem Fahrschüler nach einer einmäli-

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Attitüde

gen Prüfung attestiert, daß er ein „perfekter Fahrer" ist; ND 2.3.1964 Der Entphenolungsanlage des VEB Maschinen- und Apparatebau Grimma wird . . vom Braunkohlenwerk Lauchhammer attestiert, dal? sie in elfjähriger Betriebszeit keinen Herstellungsmangel erkennen ließ; Welt 21.3.1969 Beinahe überflüssig erscheint es, der Maclnnes und ihrem Salzburg-Thriller darüber hinaus noch Spannung zu attestieren; FAZ 21.3.1970 Die Bemerkung wird kein Sündenfall sein, daß Stoph ein umgänglicher Mann zu sein scheint, dem man sogar etwas Sympathie attestieren möchte; Fest 1973 Hitler 22 Dieser enge Zusammenhang entfernt Hitler zugleich von allen Auffassungen, die ihm übermenschliche Fähigkeiten attestierten; Schwelbusch 1983 Lichtblicke 32 Die „Edingburgh Review" attestierte ihm „ignorance, quackery, extravagance, and false calculation"; Zeit 23.8.1985 keinen Augenblick zögern sie, Teltschik neben seiner persönlichen Liebenswürdigkeit hohes fachliches Können zu attestieren; MM 29.10.1985 Zwar attestiert das Buch einen Rückgang der Schadstoffe von 180000 auf 104000 Jahrestonnen, aber „die Luft bleibt ein Problem"; Zeit 3.10.1986 Hölderlins „geistige Umnachtung", sein Sturz in die Tiefe der (von Schelling bereits 1803 attestierten) „Geistesabwesenheit" findet in Schlegels Aphorimsus ihre poetische Diagnose; Wuketits 1987 Darwin 73 Darwin attestierte Huxley einen Verstand, „so

schnell wie ein Blitz und so scharf wie ein Rasiermesser"; Zeit 27.3.1987 Beim Hörfunk waren es drei von zehn und bei der Tageszeitung nur zwei von zehn Personen, die diesem Medium hohe Glaubwürdigkeit attestieren; MM 27.4.1988 Der DGHS-Vorsitzende Atrott behauptet zudem, Ärzte hätten in anderen Fällen das Eingreifen seiner Vereinigung gebilligt und einen natürlichen Tod attestiert; FAZ 11.12. 1991 Erinnern wir uns doch an Herrn Keuner, der ziemlich erschrocken war, als ihm sein Gesprächspartner attestierte, er habe sich gar nicht verändert; Spiegel 30.11.1992 Auch Amtmann Kasper, dem der Münchner Toxikologe . . eine Schwerbehinderung von 60 Prozent attestiert hatte, gehörte zu den Klägern; Süddtsch. Ztg. 6. . 3,1993 Deshalb attestiert sich nahezu jeder Kommerzkanal gern selbst den jugendlichen Schwung; ebd. 2.2.1994 Die Filmbewertungsstelle konnte mit ihren Prädikaten einem Film die Kultur attestieren und ihn damit vor dieser Steuer bewahren. attestiert: Fontäne 1871 Kriegsgef. 57 bei attestirter Herz- und Lungenschwäche; Zeit 8.2.1985 Äußeres Zeichen des so attestierten vorschriftsmäßigen Zustande ist die Prüfplakette auf dem Nummernschild; MM 27.10.1986 Geruchsbelästigungen auf der Friesenheimer Insel, die inzwischen bei einigen Anwohnern zu ärztlich attestierten Kehlkopfverätzungen . . geführt haben.

Attitüde F. (-; -n), auch Attitüde F. (-; -n, auch -s), im späteren 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. attitude (< ital. attitudine 'natürliche Anlage, Stellung, Haltung' < spätlat. aptitudo 'Brauchbarkeit', zu aptus 'passend, tauglich, geeignet'). Zunächst kunsttheoretisches Fachwort in der Bed. 'Position, Haltung einer dargestellten Figur', bes. in der Malerei, Bildhauerei und Tanzkunst (s. Belege 1762, 1771, 1802, 1834, 1852, 1928, 1932, 1987); gleichzeitig auch allgemeiner gebraucht in der Bed. 'äußerlich wahrnehmbare Körperhaltung, Gesamtheit von Gestik, Mimik und Gebärden, die eine Person zum Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Position, einer inneren Einstellung oder Weltanschauung u. ä. gebraucht', häufig mit dem Merkmal des Vornehmen (s. Belege 1773, 1777, 1779, 1870, 1892, 1968, 1986, 1987), vor allem in genitivischen Wendungen wie in der Attitüde einer Dame, eines Experten, die Attitüde eines Schauspielers an den Tag legen; seit früherem 20. Jh. häufig abwertend auf die geistige Einstellung bzw. intellektuelle Haltung z. B. zu bestimmten Weltanschauungen, Meinungen, Zeitströmungen u. ä. bezogen im Sinn von Oberflächlicher Anschein, (nur aus opportunistischen Gründen) angenommene bzw. vertretene geistige Position, der tatsächlichen Einstellung nicht entsprechende Pose' (s. Belege 1913, 1920, 1931, 1965, 1976, 1985, 1986, 1987), häufig ohne nähere Bestimmung, in Wendungen wie das ist (bloß) Attitüde, Politik als Attitüde. Hagedorn 1762 Betrachtungen ü. d. Malerei 601 die ruhigste Stellung (attitude); Sulzer 1771 Theorie I Vorr. XI Attitüde (Zeichnenden Künste) Stel-

lung, Gebehrden; Hagen 1772 Logen 75 LieblingsAttitüden [einer Schauspielerin]; Hamann 1773 Briefw. Ill 68 in der attitude eines Narren; Wieland

Attitüde 1774 Teutscher Merkur I 150 weder Lage, noch Stellung, noch Gebehrde drückt das aus, was Attitüde; Grecourt 1777 Auserles. W. (Übers.) U 214 Der Künstler läßt gern seiner Phantasie/ Den freyen Lauf — er zeigt uns ohne Schleyer/ Die Schönheit, wie sie die Natur gebahr,/ Und seine Farben stellen treuer/ Uns jede Attitüde dar; Schummel 1779 Spitzbart 174 Und damit stürzte sie in eben der Attitüde wieder zur Thür heraus, wie sie gekommen war; Riesbeck 1783—84 Br. e. reisenden Franzosen 363 Grade wie man in den Zeichenschulen die Leuthe, welche den Studierenden zum Muster dienen, in gewisse steife Attitüden sezt, worin sie nichts empfinden, eben so kalt und steif fallen auch alle Bewegungen des Herrn Lange aus; Smollet 1785 P. (Übers.) I 287 gravitätische Personen in lächerliche Attitüden zu versetzen; Moritz 1786 Reiser U (LD XXlll 142) in dieser Attitüde; Bretzner 1787 Leben l 238 Freund Blond .. warf sich ihm mit der malerischsten Attitüde einer Schauspielerin die in eine zierliche Theaterohnmacht fallen will, in die Arme; 1789 Journal d. Moden IV 418 Eine neue Attitüde um Krankheiten der Brust und anderer Theile zu heilen; Böttiger 1791 Uterar. Zustände 1113 Auf der Stelle, wo die Trauung vollzogen worden war, machte Miß Heart gleich darauf ihre Attitüden; Laukhard 1796 Reichsarmee 194 In dieser Attitüde steht er hier, und prediget durch diese Attitüde mehr als zu eindringend; Goethe 1799 Diderots Versuch (WA I 45,277) so gebraucht Diderot das Wort Attitüde hier im mißbilligenden Sinne, den wir auf kein deutsches Wort übertragen können, wir müßten denn etwa akademische Stellung sagen wollen; 1802 Eunomia 11 357 als ein Mensch ausdauern kann, in derselben Attitüde [einem Bildhauer Modell] zu stehen; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti IV 4 die Attitüden griechischer Statuen nachahmend; Kurtz 1837 Genzianen 208 dieser rednerischen Attitüde; Gutzkow 1838 Blasedow l 62 ich . . finde das genannte Weibsbild in einer dem griechischen Kunstprincip der Nacktheit splitterweg huldigenden krampfhaften Attitüde; Ziegler 1852 Spanien I 294 Die Cachucha . . ist ein Kinderspiel gegen diesen Tanz der Gitanos. Die kecken Bewegungen und Attitüden des Körpers sind höchst obscön und erlauben mir keine nähere Beschreibung; Peterssen 1870 Genrebilder 82 Er trägt seinen graugelben Plüschrock mit der Attitüde eines Hofmannes; Hillebrand 1873 Wälsches 106 Es . . erklärt uns . . wie die durchaus natürlichen, keineswegs affectirten Attitüden unserer italienischen Volksmänner uns jene Schlagworte und Posen plutarchischer Helden erläutern, die wir nüchterneren Nordmänner so oft versucht sind, als rein theatralische Effecte anzusehen; ders. 1874 Frankreich 51 Das membre du Jockey-Club nimmt Herzoginnen

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und Marquisinnen gegenüber Attitüden, und erlaubt sich Ungenirtheiten der Rede, die früher nur an verrufenen Orten geduldet wurden; ders. 1876 England 248 Attitüden-Künstlerin; ders. 1881 ]ahrh. d. Revol. 361 Trauerweidenattituden; Kompert 1882 Spieler (Ges. Sehr. VII 281 f.) Einstweilen mußte sich Julie Rettich, um mir eine Probe ihrer hohen Begabung zu geben, in eine gewisse „Attitüde" werfen und dann mit eingelernt falschem Pathos .. Schillers „Handschuh" deklamieren; Nietzsche 1887 Genealogie d. Moral (W. U 896) ich mag auch sie nicht, diese neuesten Spekulanten in Idealismus, die Antisemiten, welche . . durch einen jede Geduld erschöpfenden Mißbrauch des wohlfeilsten Agitationsmittels, der moralischen Attitüde, alle Hornvieh-Elemente des Volkes aufzuregen suchen; Kleinpaul 1892 Sprache 61 dass der Urmensch bei der Enge der ihm zum Aufenthalte dienenden hohlen Bäume, Felsenhöhlen und Eisgruben beim Schlafen und Wachen zu Attitüden gezwungen war, welche zuerst in einem Kauern bestanden; Nietzsche vor 1900 Ecce homo (W. // 1097) Das Pathos der Attitüde gehört nicht zur Größe; wer Attitüden überhaupt nötig hat, ist falsch . . Vorsicht vor allen pittoresken Menschen!; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 537) Don Pizarro, mit gewaltig gepufften Ärmeln, verharrte irgendwo in fürchterlicher Attitüde; Burger 1913 Cezanne u. Hodler 66 Cezanne kann deshalb niemals bloße Aktfiguren oder Attitüden wiedergeben; Schumpeter 1918-29 Aufs. z. Soz. 82 Kandidatenattitude; Keyserling 1920 Reisetagebuch II 673 Der Japaner ist unsubstantiell, . . wo die Attitüde die letzte Instanz ist, dort fehlt es an innerem Gehalt; Bahr 1925 Liebe I 185 die „Attitüde" des XIX. Jahrhunderts; Fischer 1928 Körperschönheit 202 Alle Tänze werden nach dem Schluß hin pointiert: in der Schlußattitüde sammelt sich noch einmal der ganze Zauber wie in einer kristallisierten Form; Bohner 1930 Philosophie Simmels 40 Attitüdenlehre; Friedell 1931 Kulturgesch. III 560 [der Expressionismus] war revolutionär nur in der Attitüde; Gebauer 1932 Kulturgesch. 402 lebende Bilder in Gruppen oder sogen. Attitüden; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 682) Es ist, dank seiner biblischen Attitüde, das populärste seiner Bücher geworden; Hitler 1950 Köpfe 168 die philosophische Attitüde der Zielhaftigkeit; Haffner 1965 Todsünden 122 dass er in Wahrheit. . keinen Krieg wollte, sondern sich nur komödiantenhaft in kriegerischen Attitüden gefiel; Mayer 1965 Nachbem. zu Sartre, Wörter 201 Lebensattitüde eines wütenden Antisemiten; Stuttgarter Ztg. 26.3.1968 mit der großartigen kühlen Attitüde einer Dame, die, selbst in Unterkleidern und in flagranti ertappt, überlegene Haltung bewahrt; Offenburger Tagebl. 2.10.1971 die Attitüde-Kunst, die concept art, die

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Aktionskunst, die Denk-Produktionen; Welt 1.3. 1974 Die Klausur brachte . . „keinen Optimismus hinsichtlich der weiteren Preisentwicklung aber auch keine Attitüde der Resignation"; Hocke 1976 Tagebücher 93 Immer weiter entfernt er sich — literarisch — von zeitgebundenen literarischen Moden und Attitüden; Zeit 25.1.1985 Jeffers . . ist keiner, der die Attitüde des müden Weltekels pflegt; ebd. Mittlerweile ist der Trend von vielen aufgegriffen und ins Harmlose übersetzt worden, bloße Attitüde des „jungen Wohnens"; ebd. 25.10. 1985 Gertrude Stein identifiziert sich . . bewußt und höchst artifiziell mit der Attitüde der Kindlichkeit; MM 25. 9.1986 Das (zu) jung besetzte Ensemble . . verharrt meist in vordergründiger Attitüde; ebd. 5.11.1986 Schon zahlreiche Ärzte haben unterdessen die Attitüde des „Halbgotts in Weiß" abgelegt; Zeit 19.12.1986 daß das Leben nur noch als . . Billigproduktion mit klischeehaft erstarrten Haltungen, Gesten, Attitüden [inszeniert werden kann]; MM 18.2.1987 wenn die Tänzer nicht . . wundervoll präzise, geschmeidige Attitü-

den, Pirouetten, Beugungen, Battements . . aus sich hervorbrächten; ebd. 31.3.1987 eine mit großer Attitüde und furiosem Ausdruck gestaltete Göttermutter; ebd. 27.4.1987 Die aphoristische Kürze ist keine Attitüde bei Canetti, sie ist eine Reduktion aufs Wesentliche; Zeit 15.5.1987 Schnabel .. greift mit seinen Themen und Attitüden . . tief und mit Schläue in den Fundus der Mythen und Weltkulturen; MM 9.10.1987 alle Porträts aus einem Schwung, einer Attitüde heraus entstanden; ebd. 6.2.1988 ein Künstler, der seine Emotionen . . musikalisch ausdrückt, der auf der Basis grundsolider Technik auf Attitüden verzichten kann; Spiegel 11.6.1990 die lakonische, diskrete und rätselhafte Figur des Titelhelden, der ungeachtet seiner Macher-Attitüde eine am Leben zweifelnde und introvertierte Natur ist; Süddtsch. Ztg. 21.12.1992 Gleichwohl kommt Gewalt überall in seinem Werk vor: Gewalt als Attitüde; Spiegel 13. 9.1993 Umweltschutz und politische Aussagen leistet sich Hansen als Attitüde; ebd. 18.7. 1994 Lieben Sie die Attitüde des Unzeitgemäßen?

Attraktion F. (-; -en), seit frühem 16. Jh. vereinzelt, seit Anfang 18. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus spätlat. attractio 'das Ansichziehen' (zu attractum, Part. Perf. von attrahere 'heran-, herbeiziehen', aus ad- 'hin, zu' und trahere 'ziehen'), a Zunächst, ohne PL, als naturwissenschaftliches Fachwort gebraucht in der Bed. 'Anziehungskraft von Materie aufgrund magnetischer Kräfte, chemischer Einflüsse oder Auswirkungen der Gravitation' (—* Affinität, —» Gravitation, —» Magnetismus, —» Kohäsion; Ggs. Repulsion), bes. in Medizin, Physik und Chemie (s. Belege 1528, 1566, 1764, 1805, 1840, 1936), vgl. die tautologische Zs. Attraktionskraft (s. Belege 1755, 1764), öfter in der Verbindung Attraktions- und Repulsionskraft (s. Belege 1798, 1844); häufig bildlich verwendet für 'Anziehung(-skraft), Reiz' (vgl. b; s. Belege 1757-75, 1777, 1830, 1866, 1924, 1955, 1985, 1991), bes. in verbalen Wendungen wie Attraktion haben, ausüben, von jmdm. etwas geht eine Attraktion aus, etwas gewinnt/verliert an Attraktion. b Seit spätem 19. Jh. unter Einfluß von gleichbed. engl. attraction (< frz. attraction), zunächst gelegentlich in dem engl. Syntagma great attraction (s. Belege 1877, 1884, 1891 — 1901) bzw. in der engl. Form attractions (s. Beleg 1917), übertragen und häufig im Pl. verwendet in der heutigen Bed. 'etwas, das durch seine besondere, außerordentliche Art großes Interesse hervorruft, Sehenswürdigkeit, Sensation, Anziehungspunkt, Magnet' und auf Zirkus, Jahrmarkt, Variete bezogen im Sinn von 'zugkräftige Darbietung, Glanznummer' (s. Belege 1901, 1922, 1929, 1932, 1950, 1959, 1988), auch auf reale Gegenstände, Darbietungen, Personen etc. bezogen (s. Belege 1890-91, 1909, 1934, 1962), selten in Anführungszeichen zum Ausdruck von Distanz (s. Belege 1953, 1964), bes. in Wendungen wie eine echte Attraktion, eine Attraktion bieten, die Attraktion sein, etwas stellt eine besondere, die neueste Attraktion dar, mit neuen Attraktionen aufwarten, und als Grundwort in den Zss. Haupt-, Urlaubs-, Tanz-, Publikums-, Fremdenverkehrs-, Touristenattraktion.

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Dazu seit frühem 16. Jh. vereinzelt, seit Anfang 19. Jh. häufiger die aus gleichbed. spätlat. attractivus (zu attrahere, s. o.) entlehnte adj. Ableitung attraktiv, bis ins 18. Jh. auch in der eindeutschenden Form attractivisch; zunächst als naturwissenschaftliches Fachwort in der Bed. 'die Anziehungskraft der Materie betreffend' (s. Belege 1525 — 26, 1537—38, 1568), vgl. die aus dem lat. Syntagma virtus attractiva lehnübersetzte Zs. Attraktivkraft 'Anziehungskraft' (zu a); seit frühem 19. Jh. unter Einfluß von engl. attractive (vgl. gleichbed. frz. attractif) in der heutigen Bed. 'anziehend, reizvoll' (s. Belege 1829, 1924, 1963, 1985), in Wendungen wie attraktiv gestalten, machen, häufig im Komparativ noch attraktiver bzw. mit der Präposition für: ein Angebot, eine Perspektive ist attraktiv für jemanden; auf Personen, bes. Frauen bezogen im Sinn von 'hübsch, schön, gut aussehend, von reizvollem, anziehendem Äußeren, apart' (s. Belege 1952, 1959, 1987), häufig als (Selbst-)Charakterisierung in Kontaktanzeigen (s. Belege 1958, 1963), z. B. in der Wendung attraktive Erscheinung; modewortartig auf Sachen, z. B. Berufe, Parteien bezogen in der Bed. 'Interesse und Zustimmung hervorrufend, interessant, durch besondere Vorteile einen starken Anreiz bietend, verlockend, erstrebenswert' (s. Belege 1931, 1954, 1963, 1970, 1986, 1993), auf Geldanlagen u. ä. bezogen im Sinn von 'lukrativ, lohnend', auch '(kosten-)günstig, preiswert' (s. Belege 1952, 1961, 1992), z. B. in Wendungen wie attraktive Preise, Bedingungen, Angebote, finanziell attraktiv (Ggs. unattraktiv) (zu b). Seit früherem 20. Jh. die subst. Ableitung Attraktivität F. (-; Pl. ungebr.), in der Bed. 'Schönheit' zur Bezeichnung der äußerlich wahrnehmbaren Erscheinung (s. Belege 1954, 1967, 1987, 1992), auch allgemeiner im Sinn von 'Aufmerksamkeit erregende, Anziehungskraft ausübende, attraktive Beschaffenheit (von etwas/jmdm.)' (s. Belege 1954, 1970, 1985, 1990); in den Bereichen von Handel, Wirtschaft und Politik häufig gebraucht im Sinn von 'Reiz' (s. Belege 1985, 1986, 1988), z. B. die Attraktivität einer Partei, einer Investition, von Aktien (zu b). In jüngster Zeit vereinzelt die Ableitung attraktivieren V. trans., 'etwas attraktiv, anziehend, reizvoll machen' (zu b). Attraktion a: Paracelsus 1528 S. W. I 6,201 carlina . . hat . . ihre virtutes und nimpt die ex attractione, also das sie aus allen teilen des leibs die virtutes ziehet an das krenkest ort; ders. 1566 S. W. I 13,199 wissent nun, das auch andere Sternen seind, die magnetische art haben, die ziehen eisen an sich . . so es sich also ein attraction anfinge, so ist nicht minder, eisen wird an sich zogen in die höhe; 370! Monatl. Auszug Okt. 43 Indem die Bewegung des Geblüths und der Feuchtigkeiten insgemein nach der Nothwendigkeit/ und wie es die Attraction verordnet hatte/ sich bey ihm richtete; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776 // 752) Wenn ich die rothen und gelblichten Steine zu Pulver gestossen und den Magnet dabey gebracht habe, war keine attraction oder Anhängung zu spüren; Zedler 1732 Universallex. II 1732 Attractio . . eine Anziehung, heisset überhaupt diejenige Art der Bewegung, wenn nemlich eine Sache, von einem Orte, vermittelst einer gewissen bewegenden Krafft eines ändern an sich ziehenden Dinges, beweget, und zu

diesen gezogen wird; Kant 1755 Naturgeschichte d. Himmels (Ges. Sehr. 11,225) Ich nehme die Materie aller Welt in einer allgemeinen Zerstreuung an und mache aus derselben ein vollkommenes Chaos. Ich sehe nach den ausgemachten Gesetzen der Attraction den Stoff sich bilden und durch die Zurückstoßung ihre Bewegung modificiren; ebd. I 1,230 wenn eine Materie vorhanden ist, welche mit einer wesentlichen Attractionskraft begabt ist, so ist es nicht schwer diejenigen Ursachen zu bestimmen, die zu der Einrichtung des Weltsystems, im Großen betrachtet, haben beitragen können; Goethe 1757-1775 Jugendwerke 141 Wir ehren die Schönheit von ganzem Herzen, sind für ihre Attraktion nie unfühlbar gewesen (GWB); Lambert 1764 Neues Organon I 393 f. So z. E. vergliech .. Newton die Schwere des Monds gegen die Erde, und die Schwere der Körper auf Erden, um zu finden ob Attraction und Schwere einerley sey; ebd. l 496 Man könnte vermuten, daß es an sich auch möglich wäre, ihre [der Sonne] Größe, ihren Ab-

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stand, ihre Attractionskraft, ihre innere Structur etc. zu empfinden; Lichtenberg 1765 — 93 Sudelbücher 137 Die Attraktion scheint bei der leblosen Materie das zu sein, was die Selbstliebe bei der lebendigen ist; Heß 1775 Freim. Gedanken 479 so möchten sie .. aus Liebe zu ihren eigenen werthen Personen, das Eis und den Unrath, ehe er einen Dunst verursachet, vors Thor fallen lassen, aber Attraction, Elasticität, specifike Schwere, Atmosphäre, lauter Räthsel; Mercier 1777 Abhandlung (Übers.) Vorr. o. S. Die innige Attraction ist würklich vorhanden, sie ist das Band der Menschen und das Meisterstück des Allmächtigen; ebd. Die Attraction des Newton ist . . bewundernswerth; aber diejenige, die uns einer dem ändern nähert, die uns geselliger macht, die das Gefühl der Wohlthätigkeit in uns vervollkommnet, verdient es noch weit mehr erklärt .. zu werden; Beckmann 1783—86 Erfindungen I 450 in neuern Zeiten ist wohl auf gleiche Weise [Erscheinungen, deren Ursache man nicht kennt, der magnetischen Materie zuzuschreiben] Attraction und Electricität zum Deckmantel gebraucht worden; Dalberg 1787 Betrachtungen 27 Attraktion der Weltkörper, Schwere der Atmosphäre; 1787 Journal d. Moden 77 118 Nach einigen Tagen bemerkte ich, daß die Kinder nicht wohl vor dem Baume vorbeygehen konnten, ohne noch einige Attraction zu erleiden; Dalberg 1791 Ästhetik 143 Ein Lehrbuch . . würde zeigen, . . dass es [das aus mehreren Kraftäusserungen zusammengesetzte Ganze] mehrere Weltkörper in ein Weltsystem zusammen setzt, und Attraktion heisst; Goethe 1793 Über Newton (WA U 5.1,170) Daß der Stein fällt ist Factum, daß es durch Attraktion geschehe ist Theorie; Görres 1798 Frieden (Polit. Sehr, l 21) jene physische und moralische Attractions- und Repulsionskräfte; Rumford 1805 Kl. Sehr. IV 1,325 Da man voraussetzen konnte, dass vielleicht eine Luftschicht, die sich, vermittelst der Attraktion, auf den Oberflächen aller . . Gefässe . . angesetzt habe; Reil 1811 Ges. kl. Sehr. I 54 Anziehung (Attraction) vermittelst einer chemischen Verwandtschaft der Materie; Herbart 1813 Lehrbuch (S. W. 7 318) den analytischen Theil der Naturphilosophie eröffnet die Bemerkung: dass uns die Qualitäten der Wesen nur durch die Folgen ihrer Gegensätze, — Attraction und Repulsion, — erscheinen; Hufeland 1822 Sympathie 217 Da in dem Fall, wenn bei eben dieser Kranken, statt der gewöhnlichen Attraction, Repulsion eintrat, dieselbe . . über Stechen und Brennen klagte; Dalberg 1830 Betrachtungen 21 wo nämlich keine Repulsion (keine Zurückstossung) ist, da ist auch keine Attraktion (Anziehung); beide wirken also wundersam in einander [bei Schwingungen der Saiten der Seele]; Schopenhauer 1840 Moral 23 mit welcher unendlichen Vornehmigkeit dieser Sünder herab-

blickt auf Newtons allgemeine Attraktion und Kants metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft; Stein 1842 Soz. 269 industrielle Attraction, l'attraction industrielle; Buss 1843 Armenpflege 7 Vorw. XIII bei der von dem Fabriksystem bewirkten Attraktion der Arbeitsgelegenheit; Schopenhauer 1844 Welt (S. W. II 633) die Attraktionskraft und Repulsionskraft, durch deren Antagonismus die Materie besteht, vergleichen; Gurowski 1845 Tour d. Belgien 279 So gelangt Fourier zu den beiden Grundbegriffen seiner ganzen praktischen socialen Theorie; denn die neue Ordnung des Besitzes ist die landwirtschaftliche Gesellschaftung . ., die der Arbeit die industrielle Attraktion; Stahl 1863 Parteien 217 industriellen Anziehung (attraction industrielle); Treitschke 1866 Jahre 135 Attractionskraft eines nationalen Staates; Peterssen 1870 Genrebilder 146 [Zunahme von Kunden] in Folge der Attraktion des [neu gestrichenen] Schildes; Ratzel 1897 Polit. Geogr. 92 Wenn man schon das viel mißbrauchte Wort „politische Gravitation" gebraucht, sollte man es aber nicht einseitig anwenden in dem Sinne der . . „Attraktionskraft mächtiger Staatenbildungen"; 1904 Brandenburgia 442 Berlin als Attraktionszentrum nach dem statistischen Jahrbuch . . 1903; Benjamin 1924 Br. l 354 Es [ein neues Buch über deutsche Barockdichtung] . . unterliegt im ganzen . . vollständig der vertiginösen Attraktion den dieser Stoff . . ausübt; W«si 1936 Ungeivissheit IV 245 diesem mystischen Gesetz von Attraktion und Repulsion; Süddtsch. Ztg. 27.6.1955 In die östliche Nachbarschaft hinein hatte . . dieser Auftrieb mehr Attraktion und Interesse, als manche . . Deklamation; Zeit 22.3.1985 Auf mir undurchsichtige Weise und verdächtigerweise übe ich auf religiöse Mitmenschen eine gewisse Attraktion aus; Zeit 17.4.1987 Er bringt es fertig, gebildet und zugleich vital zu sein — ein Kunststück, das seine Attraktion, aber auch seine Schwierigkeiten erklärt; Lukoschik 1991 In u. Out 26 dezente Menschen mit Attraktion zu leicht versteckten Assecoires. attraktiv: Paracelsus 1525-26 S. W. I 3,178 darumb so wollen wir etlich attractivische virtutes ansezen zu dem leib, aus dem dan das bös sol ausgezogen werden und gescheiden vom guten; ders. 1537-38 S. W. I 12,461 So nun die natur ir kunst auch austeilt und gibt ir kunst denen, die sie suchen, und teilt inen mit ir kraft durch die attractivische tugent, das sie den gewalt hat und macht; ders. 1568 S. W. I 14,658 alle jungen frauen expulsivischer art seind, die alten aber propter defectum menstrui seind attractivischer art; Görres 1804 Ges. Sehr. 777 39 Und wie im Wechselverkehr der attraktiven und expansiven Kräfte, der Erde und des Mondes, die Bewegungen im Systeme geregelt

Attraktion werden; 1824 Archiv f. d. gesammte Naturlehre l 33 zweierlei einander entgegengesetzte Wirksamkeiten: die chemische und die magnetische (Anziehung aus der Ferne veranlassende) oder attractive; Hartmann 1885 Spiritismus 48 so muss man sich ein System von attraktiven Kraftlinien . . vorstellen. Attraktion b: Lindau 1877 Br. 247 das Franzosenthum [der Schauspieler, die gerade in Berlin auftreten] ist die great attraction für ihre Gönner; Rose 1884 Revanche 88 Die „great attraction" des [Renn-]Tages war vorüber; 1890—91 Velhagen u. Klasings Monatsh. l 339 So hat die Akademische Kunstausstellung . . noch vor ihrem Schluß eine Attraktion erhalten . . ein Bild, das nicht geringes . . Interesse in Anspruch nimmt; Hofmannsthal 1891-1901 (Prosa l 12) man speist und küßt dort so raffiniert geistreich — das dürfte die great attraction für die ersten Siebzigtausend sein; Burg 1901 In der Manege 70 Der Circus X. glaubte, mit dieser equestrischen Leistung sich eine neue Attraktion allerersten Ranges zu schaffen; Knoop 1909 Br. 179 um für den wohltätigen Zweck eine neue Attraktion herbeizuziehen, hat man mir das Prorektorat . . angeboten; Weber 1909 Industrien 34 Die optimalen Arbeitskostenplätze sind nichts anderes als ablenkende Attraktionspunkte der Orientierung; 1910-11 Pan I 57 Das Leben besteht, wie das Variete, aus Nummern, die zehn Minuten arbeiten. Manchmal ist's eine Attraktion, manchmal ein Reinfall; Schmilz 1913 Frauen 156 daß ihn die Wirte schließlich ohne Bezahlung dabehielten und ihn als Attraktion benutzten; Voss 1917 Welt 217 Sie . . auf einer . . Ottomane ruhen zu sehen, war eine der größten gesellschaftlichen „attractions"; Benjamin 1921 Br. l 262 Fernere Attraktionen in Berlin: eine kleine Klee-Ausstellung; 1922 Der Sammler 84 jener merkwürdigen „Attraktionen" [auf Rummelplätzen]; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 883) ferner waren jene leichten Attraktionen nach Klasse, Rang und Wert überhaupt nicht mit ihr zu vergleichen; ebd. III 907 im Speisesaal, Hauptattraktion des Hauses, Stolz des Prospektes; Film-Magazin 3.3.1929 [ein] Gaukler . ., der aus den beiden Findlingen Attraktionen eines Wanderzirkus macht; Voss. Ztg. 22. 9.1929 könnte man sich vorstellen, dass solche Konzerte eine eigenartige Attraktion werden könnten; Revue 26.5.1931 die neueste Urlaubs-Attraktion: den Ferien-Bungalow; Mitr. Ztg. 1932 Jan. Was die Nacht von Berlin angeht, so brennt sie am Potsdamer Platz am heftigsten im „Haus Vaterland" mit seinen Attraktionen bis unters Dach; 1932 Tempo VI o. S. allabendlich sorgen . . Tanzattraktionen für gute Stimmung; Lokal-Anz. 21.1.1933 für den arbeitslos gewordenen Bürger fällt die flotte Fami-

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lienpension (mit Dolly Haas als „Attraktion") ab; ebd. 4.2.1933 Nur wenn . . spannende Kämpfe zustande kommen, dann werden die Dauerrennen die neue Attraktion des Sportpalastes sein; ebd. 13. 9. 1934 Spieler, der bei allen Kämpfen eine besondere Publikums-"Attraktion" darstellt; ebd. 25.10. 1934 Sie [die historische Pariser Revolutionsguillotine] wurde von einem Pariser Kaffeehausbesitzer . . erworben, der sie in seinem Lokal als Attraktion aufstellen will; NZ. (Basel) 17.12. 1949 Seit einiger Zeit ist es . . Sitte geworden, ausländische Ensemble-Musiker und Attraktionsorchester zu engagieren; Süddtsch. Ztg. 26.9. 1950 Das Theater, von dem man spricht. Das Theater der Attraktionen; Neue Ztg. 18.4.1953 Besteht ernsthaft im niedersächsischen Kultusministerium die Überzeugung, daß durch „Attraktionen" die Menschen ergriffen werden, die wirklich noch fähig sein könnten, Menschenbilder im echten Sinne zu werden?; Süddtsch. Ztg. 27. 7.1955 wenn wir sie nur als besondere Fremdenverkehrs-Attraktion bewerten wollten; ebd. 26. 9.1957 Die im Prospekt als Attraktion gepriesenen Sturmfluten seien doch recht selten; Welt 10.1.1959 Die große Attraktion des Moskauer Zirkus ist der Clown Popov; ebd. 4.5.1959 Das Stechen hatte seine besondere Attraktion; sämtliche deutschen Reiter absolvierten den Parcours nacheinander; Welt 20.8.1959 Hauptattraktion ist . . immer der Renngemeinschaftsachter aus Kiel; Grass 1962 Blechtrommel 420 Die Attraktion des Hauses war ein offenes, kreisrundes Kaminloch dicht unter der Decke; schwarz atmete es aus der Wand; Heuss 1963 Erinn. 84 Die vollkommen unbefangene Ablehnung jeglicher demagogischer Attraktionen hatte etwas Gewinnendes; Stuttgarter Ztg. 21.2. 1964 Die beiden hatten allabendlich vor Schließung ihrer Bude als besondere „Attraktion" eine Lotterie veranstaltet; FAZ 26. 2.1969 Eine besondere Attraktion bietet das teleskopgefederte Vorderrad; ND 16.4. 1969 Eine kleine Attraktion für die Inselstadt ist die neueröffnete Speisegaststätte und Milchbar; 1973 Rundsch. Vlll 10 Satsumas stellen im Monat Oktober eine echte Attraktion der Obst- und Gemüseabteilung dar; MM 11.1.1985 Streikposten vor Zechentoren als touristische Attraktionen im industriellen Britischen Museum; Zeit 9.8.1985 Wir sind angehalten, nach Attraktionen zu suchen, und nicht nach Sinn; MM 24.7.1986 Eine besondere Attraktion ist für heute mittag vorgesehen; ebd. 17.8.1987 Bei prächtigem Wetter waren .. die Showläufe einiger besonders interessanter Dragster die Attraktion; ebd. 4.2. 1988 Mannheims Kulturwelt ist um eine Attraktion reicher geworden; ebd. 18.6.1988 Einem mit Spektakeln übersättigten Publikum circensische Attraktionen zu bieten; ebd. 25.6.1988 während aus dem Lautsprecher Flamenco Marke

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Attraktion

„Touristenattraktion" ertönt; Spiegel 7.12.1992 Attraktionen, die von religiösen und territorialen Auseinandersetzungen ablenken, kann das kleine Morgenland gut gebrauchen. attraktiv: 1829 Jahrb. d. Gesch. U 533 wegen ihres erfinderischen und attractiven Talents; Wienbarg 1846 D. dän. Fehdehandschuh 253 daß deutsche Kraft und Ueberlegenheit. . sie zu attraktiven Mittelpunkten verschiedenartiger Bildungen gemacht hat; Kathenau 1886 Br. l 16 Es braucht ja nicht gerade die K. . . zu sein, denn sie sieht en public ja nie besonders attraktiv aus; 1924 Preuss. Jahrb. 77 Das ist die attraktive Kraft, die eine . . deutsche Ansiedlung .. auf die in der Heimat befindlichen, aber zur Auswanderung entschlossenen Stammesgenossen ausübt; Schacht 1931 Rep. 172 [Das] Zinsniveau ist attraktiv; N.Z.Z. 11.5.1944 Ursprünglich gab das Zürcher Stadttheater seinen Festspielen den attraktiven Charakter, um die Spielzeit in modifizierter Form um einen Monat verlängern zu können; Neue Ztg. 9.5.1950 Nach bewährtem Muster soll das Pfingsttreffen der kommunistischen FDJ in Berlin durch „lebende Bilder" attraktiv gemacht werden; Süddtsch. Ztg. 14.3. 1951 wenn ich . , Bundespräsident a. D. sein werde, bin ich . . vielleicht als Ehrenmitglied nicht mehr so attraktiv; ebd. 30.4.1952 Um den Spendern ihre Großmut attraktiver werden zu lassen, hat man erwirkt, daß sie ihre Gabe von den Steuern abziehen können; ebd. 28.4.1952 dann vergaßen die . . Damen, auf die attraktive Lage ihrer Stolen zu achten; ebd. 3.11.1952 Man hofft, daß das Gesetz den sozialen Wohnungsbau für das Publikum und die Wirtschaft attraktiv gestaltet; ebd. 13. 7.1953 Die „Kleine Komödie" . . ist. . amüsant und attraktiv: Und sie macht ausgezeichnetes Theater; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 517) mein guter Papa hat da in seiner Fürsorge eine sehr hübsche, für jeden anderen als mich höchst attraktive Route zusammengestellt; Süddtsch. Ztg. 19.3. 1954 das Geschäft litt bald unter den wenig attraktiven Mädchen; ebd. 30.6.1954 Welcher Partei . . konnte dieser attraktive Einfall gekommen sein?; ebd. 12. 7.1955 Der Vorschlag . ., die Besoldung . . derjenigen des Bundesgrenzschutzes anzugleichen, wurde . . als „zu wenig attraktiv und auch ungenügend" abgelehnt; ebd. 26. 7.1956 Man sollte . . die Anziehungskraft eines guten Namens . . nicht unterschätzen, vor allem dann, wenn die Emission mit einem attraktiven Bezugsrecht verknüpft ist; Frisch 1957 Homo faber 172 eine Frau, die noch so tadellos aussieht wie Hanna, geradezu attraktiv, dazu eine Persönlichkeit; Süddtsch. Ztg. 12.6. 1957 Klauseln in die Verträge zu schreiben, die dazu bestimmt sind, die Arbeit attraktiver zu machen; ebd. 27.7.1957 Die Broschüren seien zum

Teil mit Photos attraktiver Mädchen und harmlosen Titelblättern getarnt; Münch. Abendztg. 17.5. 1958 Symp. Vierziger . . sucht attraktive . . Gefährtin mit Chic und Charme; Süddtsch. Ztg. 14.8. 1958 Es ist ein attraktiver, appetitanreizender Geruch; ebd. 10. 4.1959 Eine Verbrauchssteigerung durch attraktive Preise empfahl . . A. Münchmeyer; Welt am Sonntag 19. 7.1959 Daß das junge Mädchen attraktiv aussieht, dafür kann sie nichts; Süddtsch. Ztg. 23.11.1959 Schwesternberuf soll attraktiver werden; Münch. Stadtanz. 27.5.1960 Verstärkter Wohnungsbau in den Großstädten . . mache die Großstädte noch attraktiver; Süddtsch. Ztg. 1. 7.1960 Nur attraktivere Bedingungen können dem Personalmangel der Lokale abhelfen; ebd. 17.10.1960 daß sowohl die CDU als auch die SPD geistige Anleihen bei den Freien Demokraten gemacht hätten, um dadurch für ihre Wähler attraktiver zu werden; Offenburger Tagebl. 31.1.1961 Die . . attraktiven Preisangebote . . waren stärker, als die . . Wirkung des . . Wetters; Becker 1962 Quantität 184 um diesen Beruf [des Lehrers] wieder attraktiver zu machen; Böll 1963 Clown 114 wenn ich Marie nicht zurückbekomme, bringe ich euren attraktivsten Prälaten um; FAZ 16.3.1963 Charmante . . Dame, attraktive Erscheinung, . . wünscht die Bekanntschaft eines . . Ehepartners; Offenburger Tagebl. 16.8.1963 den vieldiskutierten Versuchen evangelischer und katholischer Geistlicher, die Gottesdienste für Jugendliche . . „attraktiver" zu gestalten; Süddtsch. Ztg. 20.8. 1963 Forderung . . nach attraktiverer Gestaltung nichtakademischer Berufe; Stuttgarter Ztg. 13.12. 1966 man müsse „drüben" erst einmal einen attraktiven Sozialismus aufbauen; ebd. 29.11. 1967 Der Bundestag will . . einen Versuch unternehmen, die Parlamentsdebatten . . lebendiger und attraktiver zu gestalten; FAZ 25.5.1970 Attraktivstes Objekt war die deutsche Erstausgabe der von Vesalius verfaßten Anatomie; Welt 13.4. 1974 Besonders attraktive Möglichkeiten für Ihre Anlagen bieten sich in den . . Provinzen Kanadas; ebd. 7.10.1974 natürlich muß eine deutsche Weinkönigin attraktiv und nett sein; Zeit 1.2.1985 Damals galt der öffentliche Dienst . . als wenig attraktiv; MM 14.2.1985 Ein attraktiveres Angebot in diesem Bereich setzte zunächst attraktive, also „billigere" Fahrpreise voraus; Zeit 17.5.1985 Das Bankhaus . . kommt . . zu dem Schluß, daß Aktien von SEL, Nixdorf und PKI als anlageattraktiv eingestuft werden können; ebd. 19.7.1985 Völlig gegensätzlich, und schon dadurch attraktiv, ist der Stil des . . Weißrussen Boris Zaborov; ebd. 3.1. 1986 bieten das Biotechnikum und andere Infrastrukturbereiche besonders attraktive Forschungsmöglichkeiten; MM 1.3.1986 den öffentlichen Nahverkehr attraktiv . . halten; ebd. 3.6. 1986 rechterhand

Attrappe wird eine attraktive Ausstellung aus den Bereichen Chemie und Metall arrangiert; Zeit 8.8.1986 die bei ordentlicher Bearbeitung überhaupt nicht finanziell attraktiven Mandate; MM 30.12.1986 Nach wie vor bietet die amerikanische Rüstungsindustrie der nachrückenden Intelligenz die attraktivsten Arbeitsplätze; Zeit 12.6.1987 Wir finden alles wieder: den überarbeiteten Karrieristen, seine attraktive Gattin, die große Tochter, den zwielichtigen Liebhaber; MM 3.12.1987 Der Mangel an menschlichen Spenderherzen . . macht Kunst- und Tierherzen . . attraktiv; ebd. 5.2.1988 in dem finanziell attraktiven . . Geschäft mit der atomaren Ver- und Entsorgung; Spiegel 30.7.1990 Geschäftsreisenden dürfte der Oldtimer zuwenig attraktiv erscheinen; ebd. 30.11.1992 Ohne „eine gewisse Versorgungssicherheit" . . sei der Bundestag nicht attraktiv; ebd. 15.2.1993 Statt .. die Bahn attraktiver und konkurrenzfähiger zu machen, bevorzugt Krause weiter die Straße; Süddtsch. Ztg. 26.127. 2.1994 für einen Schriftsteller, der ein kritisches Verhältnis zu seiner Zeit oder zur Gesellschaft hat, liegt es heute nahe, attraktiv und verständlich zu schreiben. attraktivieren: 1983 Wiener X 112 das Projekt . ., das den Haspelkeller attraktivieren soll (DUDEN 1993). Attraktivität: Louis Ferdinand, Prinz v. Preußen 1931 Attraktivitätstheorie; Süddtsch. Ztg. 27.2. 1954 Eine sentimentale Biographie von mäßiger Attraktivität; ebd. 30. 6.1954 daß Jane Wyman die inneren Werte . . überzeugender glaubhaft zu machen versteht als . . die Attraktivität eines Revuestars; ebd. 19.3.1963 die Attraktivität gescheit pointierter Dialoge; FAZ 26.3.1964 Für sie reicht es noch weniger als für die beiden großen Parteien aus, nur auf die „Attraktivität" eines einzigen telegenen, gut polierten „Paradepferdes" zu vertrauen; Süddtsch. Ztg. 8.7.1966 weil qualifizierter Nachwuchs für die Richterlaufbahn wegen „mangelnder

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Attraktivität" nicht zu bekommen sei; FAZ 18.11.1967 Dr. med. .. möchte akad. gebildete Dame .. nicht ohne Attraktivität . . kennenlernen; ebd. 29.6.1970 Es wird . . nicht zur Attraktivität der Partei beitragen, daß sie jetzt überhaupt keinen Chef hat; Zeit 22.2.1985 Ohnehin verstärkt der Disput die Attraktivität der Partei für Wähler nicht; ebd. 4.10.1985 Neben vielen pittoresken Einfallen gab es ganz nüchterne Erwägungen: die „Attraktivität des Hafens als Silhouette" für die Stadt zu nutzen; MM 17.10.1985 Während das Kontensparen an Attraktivität verlor, verlegten sich die Banken zunehmend auf Schuldverschreibungen; ebd. 17.1.1986 Die Verwaltung verspricht sich eine Attraktivitätssteigerung für den öffentlichen Nahverkehr; Zeit 13.6.1986 Meisterwerke der Goldschmiedekunst . . können auch in den Spiegelkabinetten der Villa Hügel ihre eigentümliche Attraktivität entfalten; MM 11.6.1987 die Magd Zerline . ., die es einst verstanden hat, mit ihrer körperlichen Attraktivität, die sozialen Schranken . . vorübergehend zu überwinden; ebd. 18.3.1988 das Vertrauen in die D-Mark .. aufgrund ihrer Stabilität und ihrer Attraktivität; Keller 1990 Sprachwandel 169 Worin besteht die Attraktivität eines solchen Konzepts für einen Sprachhistoriker und Sprachwandeltheoretiker?; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 16 Die sprachliche Attraktivität der Glossen . . paart sich . . mit einem Hang zu persuasiver Rhetorik. unattraktiv: Süddtsch. Ztg. 2.7.1968 Von deutscher Seite wird entgegengehalten, daß .. die britischen Warenangebote unattraktiv seien; MM 4.7.1985 Unattraktiv erscheinen vor allem Plätze mit Gemeinschaftsunterbringung; ebd. 4.12.1987 Menschen, die sich . . mit einer Brille unattraktiv finden, blicken .. durch die winzigen, glasklaren Sehhilfen in die Welt; ebd. 3.6.1988 Dieser werde vielmehr voraussichtlich noch in diesem Herbst durch eine zehnprozentige Tariferhöhung noch unattraktiver gemacht.

Attrappe F. (-; -n), im späten 18. Jh. entlehnt aus frz. attrape 'auf Täuschung, Irreführung abzielender Gegenstand, Scherzartikel (auf den man hereinfällt)', ursprünglich 'Falle, Fallstrick, Schlinge' (zu attraper 'in der Falle fangen, ertappen; täuschen, anführen, foppen', zurückgehend auf altfrz. trape 'Falle' < altfränk. trappa 'Falle, Vogelschlinge'). In der Bed. 'täuschend ähnliche Nachbildung von etwas (die stellvertretend für etwas fungiert oder mit der man jmdn. täuscht, mit der eine bestimmte Illusion bewirkt werden soll), Schein-', früher gelegentlich auch für 'Anführerei, Fopperei, Täuschung(sspiel)' (s. Belege 1810, 1811), z. B. in Wendungen wie leere Attrappen, im Schaufenster liegen nur Attrappen, die Soldaten übten an Attrappen, sich als

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Attrappe

Attrappe entpuppen und in der Zs. Attrappenversuch, in der Verhaltensforschung für 'Tierversuch mit Hilfe von Attrappen' (s. Beleg 1965); seit dem 19. Jh. auch übertragen und abwertend verwendet im Sinne von 'vorgetäuschte Großartigkeit, Blendwerk, trügerischer Schein', z. B. in den Wendungen das ist ja alles nur/reine Attrappe, seine Toleranz war lediglich Attrappe, meist negativ konnotiert mit „unecht, starr, leblos", auch „keine echte/wirkliche Funktion habend", z. B. diese Institution ist eine reine Attrappe, und „keine eigenständige Bedeutung habend, wirkungslos sein", z. B. im totalitären Staat waren die demokratischen Parteien nur noch Attrappen; im 20. Jh. häufiger auch auf Personen bezogen (s. Belege 1918, 1928, 1934, 1958, 1963); dazu die adj. Ableitung attrappenhaft 'wie eine Attrappe'. Dazu schon seit Anfang 17. Jh. das aus frz. attraper (s. o.) übernommene, heute veraltete Verb attrappieren 'erwischen, ertappen', auch 'täuschen, hereinlegen' mit dem Verbalsubst. Attrappierung F. (-; -en) '(Vor-)Täuschung)'. Attrappe: Musäus 1781 Physiognom. Reisen //168 Mir kommt's vor, als sey diese Vignett' eine Attrapp', mit Vorbedacht aufgestellt, den physiognomischen Witz . . zu versuchen; Goethe 1810 Br. (WA IV 21,450) den etwas barocken Gedanken der Inschrift [auf dem Rahmen eines Porträts] . . Erst späterhin entdeckt der Beschauer Buchstabenzüge unter den Zieraten, freut sich dieser Attrappe, und giebt sich Mühe die räthselhaften Formen zu entziffern; ders. 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 26,265) [nach Mißbrauch fingierter poetischer Liebesbriefe] Wir hatten uns in unsern Knabenjahren einander oft angeführt; viele Spiele beruhen auf solchen Mystificationen und Attrapen [!]; Bauer 1836 Überschw. l Vorr. IX Attrappenkults; Lewald 1836 Aquarelle l 256 mit Grotten, Nymphen, Attrappen, Wasserkünsten; Immermann 1843 Mem. Ill 175 Attrappen; 1871 Vier Monate vor Paris 96 Attrapen; Fontäne 1891 Jenny Treibet 8 Ostereier werden in dem Garten versteckt, und jedes Ei ist eine Atrappe [!] voll Konfitüren von Hövell oder Krantzler; 1901 (Beuertnann 1942 Von Leuten 40) entpuppte sich die schöne Bibel als Attrappe, eine Kartonschachtel, die den Pfeifentabak enthielt; Wassermann 1910 Masken 114 Attrappe; 1910-11 Pan I 682 Attrappenschiff; Lasker-Schüler 1913 Essays (II 285) hält einen Vortrag, es sind die schönsten Abende, goldene Attrappen mit überraschendem Inhalt; 1916 Deutschland I 456 nur eine Papierwand stand als Attrappe nach aussen hin noch da; Sternheim 1918 Chronik II 199 sitzt im Kreis der Feiernden, betäubt und gestäupt als leere Attrappe; Dresd. N.N. 1.8.1925 damit es besser aussieht, sind die Bücherrücken [einer Bibliothek, hinter der sich ein herunterklappbares Bett befindet] täuschend ähnlich nachgemacht . . [als Zeichen einer] Attrappenkultur; Priedell 1928 Kulturgesch. II 381 [das antike echte Athen] der Griechen . .; ihre Frauen [waren] Schmuckattrappen für die Zimmerdekoration; Baum 1929 Menschen

242 Kaminattrappe; Heer 1930 Erinn. 124 eine Attrappe in der Fastnacht des Lebens; ß. Z. am Mittag 15.2.1933 Oft ist die Befestigung der Trennlinie ja nur eine Attrappe. Die Türen [im Zug] werden einfach soweit heruntergezogen, daß sie bis auf das Trittbrett reichen; Lokal-Anz. 29.8.1933 Die feierliche Weihe der Fliegerbombenattrappe auf dem Horst-Wessel-Platz (Bildunterschr.); 1934 Hindenhurg-Denkmal Erg'bd. 67 Hindenburg als [einer] „zerfallenden Attrappe"; Benjamin 1934 Br. II 629 Ich werde . . den Versuch machen, aufzuzeigen, wieso . . der Begriff der „Gesetze" bei Kafka einen überwiegend scheinhaften Charakter hat und eigentlich eine Attrappe ist; Münch. N.N. 28.2. 1941 Als Schaupackungen kommen zweierlei Gegenstände in Betracht: Nachbildungen der Waren selbst (sog. Attrappen) und leere Umhüllungen; ebd. 25.10.1944 Rasenfläche eines Parks, wo Rekruten an Hand einer Panzerattrappe in der Panzernahbekämpfung ausgebildet werden; Weizsäkker 1950 Erinn. 159 Ich hatte Rom noch nie gesehen. Es blieb [1938] verborgen hinter Flaggen, Dekorationen und Attrappen; Kesten 1952 Casanova 89 Teresa zog Knabentracht an, versprach, nie in Gegenwart eines anderen sich auszukleiden, und hieß fortan Bellino. Als ihr Busen sich entwickelte, schrieb man es der Verstümmelung zu. Mit einer kleinen Attrappe . . schuf sie die Illusion, die einer oberflächlichen Untersuchung standhielt; ND 16.5.1954 man spricht offen von einer Krise der Adenauerschen Politik, der man bislang den Anschein der „ehernen Stärke" gab, was aber, wie sich jetzt zeigt, nur blecherne Attrappe war; Anders 1956 Antiquiertheit 337 Attrappe; Gail 1958 Weltraumfahrt 20 der Wagen unterschied sich kaum von anderen seiner Art; aber die . . Motorhaube war eine Attrappe: sie umschloß leeren Raum; Jaspers 1958 Atombombe 327 man ist unterwürfig noch gegenüber den Attrappen und untersten Instanzen, die ihre Macht vertreten; 1962

Attrappe Weimarer Republik 56 Einige unserer Divisionen sind nur noch Attrappen; Heuss 1963 Erinn. 311 die Deutschnationalen hatten den Großadmiral von Tirpitz . . als Attrappe für die Wähler gewonnen; Offenburger Tagebl. 19. 8.1965 ob es sich bei den Raketenstellungen in Nordvietnam nicht möglicherweise um Schein- oder Attrappenstellungen gehandelt haben könnte; Lorenz 1965 Verhalten l 160 Versuche mit Attrappen oder mit Ammenvögeln . . könnten über diese Frage Aufklärung bringen (DUDEN); Süddtsch. Ztg. 24.6.1967 Es wird darauf hingewiesen, daß die israelischen Piloten die echten Flugzeuge von den Attrappen zu unterscheiden wußten; Blume 1971 Mensch o. S. wenn man Schimpansen die Attrappe eines Leoparden, ihres einzigen Feindes, in den Weg stellt, schlagen sie mit Knüppeln auf ihn ein; Offenburger Tagebl. 18.9.1971 Bankräuber warf Granaten-Attrappe (Überschr.) . . Kurz vor seiner Flucht hatte er eine selbstgebastelte Handgranate in den Schalterraum geworfen, die sich später als Attrappe entpuppte; Welt 31.10.1974 wenn ich Ihnen . . 100000 Dollar anbiete, wer von Ihnen wäre bereit, sein echtes Bein zu verkaufen und sich dafür so eine Attrappe anschnallen zu lassen?; MM 11.1.1985 gelang es den Amerikanern erstmals ein paar Etagen tiefer eine anfliegende Raketenattrappe mit einer Rakete zu treffen; Zeit 26. 7.1985 ein „Jahrmarkt der Attrappen", tönte die CDU-Fraktion damals; ebd. 13.9.1985 die Sowjets könnten . . die Zahl ihrer Raketen, Sprengköpfe und Attrappen bedeutend erhöhen; ebd. 18.10.1985 hat als Maler . . mit Farben die Dinge nicht zum Leben erweckt, sondern zu Monumenten, Attrappen oder . . Dekorationen erstarren lassen; MM 3.4.1986 doch ist das teure Transplantat, ist diese isolierte Musterzelle aus Marseille tatsächlich mehr als eine architektonische Attrappe?; Zeit 27. 6.1986 hat aber die Interkontinentalrakete ihre Sprengköpfe und Attrappen erst einmal ausgespien, bewegen sie sich in einer „Wolke der Bedrohung" durch das All — eine Ansammlung von Tausenden, vielleicht Millionen Objekten, die der Verteidiger auseinanderhalten muß, wenn er die Sprengköpfe ausfindig machen will; ebd. 4. 9.1986 [geschmuggeltes Rauschgift] — verborgen in Souvenirs, Teddybären, doppelten Kofferböden, Holzbeinen, Schwangerschaftsattrappen oder im Magen; ebd. 12. 9.1986 zarte Malereien, plumpe Architektur — mit massiven . , Stellwänden und Baumattrappen werden die Schauplätze des Dramas auf eher konventionelle Weise her- und hingestellt; MM 12.2.1987 die Virologen müssen deswegen tricksen, indem sie „Attrappen" des potenten Eindringlings bauen; Zeit 29.5.1987 auf der Bühne, hinter den Musikern, steht die Attrappe einer Scheune; Spiegel 28.6. 1993 Im Inneren der Plaste-Attrappe [eines Schlo-

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ßes] soll es . . unter dem Motto: „Imagination, Phantasie, fürstlicher Alltag und festliches Ambiente" Schloßfeten geben; MM 10.7.1993 Die Kampener Variante sieht so aus: Pseudofriesisches von der Stange, konvexe Sprossenfenster vom Baumarkt, Haustüren in schwülstigstem Bauernbarock, Kutscherlampen, Ankerattrappen und anderer Maritimkitisch für Betuchte; Spiegel 7.2.1994 Bei allergrößter Hundeknappheit gebe er [phlegmatischer Hund] die Attrappe eines Wächters ab. attrappenhaft: 1931 -32 Ostdtsch. Monatsh. Xll 401 Symbolisch für den attrappenhaften Menschen ist das „amerikanische Lächeln", das nur aus den Muskeln stammt, nicht aus dem Herzen; es repräsentiert Empfindungen bei innerer Gleichgültigkeit; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 275) zweifellos hat sie etwas Attrappenhaftes, bedeutsam Nichtiges, diese Persönlichkeit, hatte in ihrer geistigen Gebundenheit etwas von . . maskenhafter Größe; Süddtsch. Ztg. 15.12.1950 Lina Carstens als lebenslustige Magd . . und Eva Vaitls Angelica, die wirkten „gut besetzt", aber das Attrappenhafte ließ sich nirgends ganz überwinden. attrapieren: Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Attrappieren. Ereilen; Chemnitz 1648 Krieg I 462 Worüber eine compagnie Crabaten von denselben attrappiret (beide JONES); Menantes 1709 Satir. Roman l 139 und in Meynung, der Mann habe ihn attrapirt, zu Vermeidung fernerer Ungelegenheit anitzo sonder Abschied fort reiten wollen; Callenbach 1714 Wurmland 22 Dannoch geht ein Kerl aus Hunger durch und wird attrapirt, muß er mit hungrigem Bauch hangen; Döbel 1746 Jägerpracttca III 89b die Forste werden von ihm auch nicht öffters besucht, um die Holtz-Deuben zu attrapiren; 1781 Literar. Pamphlete 56 Man schreibt latein, man schreibt/ französisch, wer attrapirt aber das/ zarte und natürliche der Sprache?/ niemand als der, so in der Sprache/ erzogen ist; Schummel 1794 Revolution 251 dem ersten dem besten, den er als einen Verräther attrapirte; 1804 Churpfalzbaier. Int'bl. 30 den Thäter auf allenfalliges Attrapiren handfest zu machen; Kotzebue 1804 Pagenstreiche 8 Es wäre doch ein verfluchter Streich, wenn der Kutscher und der Hausknecht mich hier attrapirten; 1805 Er. . d. Univ. 165 habe ich . . als grosse Rarität den Jacob Böhme, den liebenswürdigen Schuster attrapirt; Marwitz 1836 Nachlass H 434 Alle Welt kannte den Dieb, aber man konnte ihn nicht attrapiren; Immermann 1838 Oberhof (R.) 42 „Was? Ich ein Wildschütz?. ." rief der junge Mann und lachte so herzlich . . auf, daß er den Hofschulzen ansteckte . . [Dieser] sagte: „Eben darum, weil es bei Ihnen wohl keine sonderliche Gefahr haben wird, wenn Sie auch attrappiert wer-

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Attribut

den. Sie werden sich schon eher loszumachen wissen als so ein armer Knecht . .". Attrappierung: Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 404) daß ich nur ein knappes Jahr, bis zu den Ar-

gonnen-Kämpfen 1915, im Felde blieb und dann mit dem Kreuze heimtransportiert wurde, das ich mir nur durch das Ertragen von Unbequemlichkeiten und die Attrappierung einer Typhus-Infektion verdient hatte.

Attribut N. (-(e)s; -e), im früheren 17. Jh. entlehnt aus mlat. attributum '(als charakteristisch und wesentlich) zugeschriebene oder zukommende Eigenschaft; Beigabe, Kennzeichen', Subst. von lat. attributum 'zugeteilt, beigefügt' (Part. Perf. N. von attribuere 'zuteilen, verleihen', aus ad- 'hin, zu, an' und tribuere 'zuteilen, zuschreiben'; —» Tribut), bis ins 18. Jh. in lat. (flekt.) Form. 1 Zunächst als Fachwort der Kunstbetrachtung gebraucht in der Bed. 'charakterisierende Beigabe, das eine Person, Figur kennzeichnende Symbol, Emblem', z. B. die Waage als Attribut der Justitia, Attribut des Poseidon ist der Dreizack (s. Belege 1642, 1763-68, 1766, 1778, 1801, 1925, 1936, 1992). Vereinzelt Ende 17. Jh. (s. Beleg 1685), häufiger seit Mitte des 18. Jhs. bildungsspr. im Sinn von 'charakteristische Eigenschaft, Merkmal, Zeichen, Kenn-, Erkennungszeichen' (s. Belege 1767, 1786, 1788, 1792, 1863, 1959, 1985, 1994), in Genitiv-Verbindungen wie Attribut der Freiheit, der Wahrheit, mit den Attributen der Frau, die Attribute der Weiblichkeit, häufig in Syntagmen wie jmdn. mit dem Attribut der Unfehlbarkeit belegen, versehen; öfter mit nachgestellter Nennung des Kennzeichens (z. T. in Anführungszeichen) (s. Beleg 1985), z. B. mit dem Attribut „schön". Seit Mitte des 18. Jhs. (eventuell unter Rückgriff auf mlat. attributum, s. o.) speziell in der Philosophie (Logik) 'das den Dingen wesentlich Zukommende, wesentliche, substantielle Eigenschaft, Wesensmerkmal, Prädikat' (s. Belege 1741, 1859, 1927). 2 Seit früherem 19. Jh. als Fachwort der Grammatik in der Bed. 'grammatisch abhängige, einem Substantiv, Adjektiv oder Adverb beigefügte Bestimmung zur semantischen Kennzeichnung von Personen, Sachen und Sachverhalten', je nach Funktion bzw. Konstruktion näher bestimmt, bes. in den Syntagmen erweitertes, prädikatives, präpositionales Attribut und Grundwort in Zss. wie Adjektiv-, Genitiv-, Partizipialattribut, vgl. auch Attributsatz. Dazu seit Ende 16. Jh. die verbale Ableitung attribuieren, bis ins späte 18. Jh. selten belegt in der Bed. '(als Attribut) beigeben, beifügen, zuschreiben, zueignen' (zu 1); im 20. Jh. nur noch in der Grammatik in der Bed. 'ein nominales Satzglied näher bestimmen, durch ein Adjektiv, eine Präpositionalphrase etc. charakterisieren; mit einem Attribut versehen; als Attribut gebrauchen', mit dem Verbalsubst. Attribuierung F. (-; -en) (zu 2). Seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitung attributiv, gelegentlich attributivisch (ohne Steigerung), meist grammatisch gebraucht in der Bed. 'als Attribut fungierend, ein nominales Satzglied bestimmend; beifügend' (Ggs. prädikativ), in den Verbindungen attributives Adjektiv, Adverbiale, attributive Beziehung, mit der bis ins frühe 20. Jh. häufiger gebuchten subst. Ableitung Attributiv(um) N. (-s; Attributiva), 'ein Nomen bestimmendes Beiwort, als Attribut verwendetes Wort' (zu 2); in neuerer Zeit auch bildungsspr. für 'ergänzend, beifügend' (zu 1). Seit Mitte 19. Jh. die seltene subst. Ableitung Attribution F. (-; -en), speziell in der Sprache der Politik 'Bevollmächtigung', allgemeiner 'Beifügung, Wesensmerkmal, Kennzeichen' (zu 1).

Attribut Attribut 1: Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 439 Derwegen seind diejenigen/ so ein reines vnd keusches Gemüt haben/ vil tauglicher vnd bequemer erleuchtet vnd von Gott begnadet zu werden/ wie auch die Himmlische ding/ die Göttliche attributa, die heilige Geister/ die Güter der ewigen Seligkeit zu contempliren; Moscherosch 1642 Visiones 251 es war dem Homerus vnd Virgilius an statt der ändern allen geantwortet/ das die schöne Attributa, so jhrem vermeinten Gott Jupiter zugeeignet/ sie der Thorheit genugsam bezüchtigen thäten; Spener 1685 Klagen 215 es ist gleichwol dasselbe thier gar ein anders in dem jenigen verstand und nach den attributis, welche der Geist in der Offenbarung ihme zuleget; Prambhofer 1708 Hönig-Fl. 41 der Prophet hab dieses darum gesagt/ dieweil aus seiner Allmacht/ auß seiner Weißheit/ auß seiner Gerechtigkeit/ auß allen anderen seinen Göttlichen Attributen sich allezeit sonderlich seine Barmherczigkeit blicken lässt; Zedler 1741 Universallex. XXIX 38 Die Scholastic! haben disputiret, wie das Prädicatum und Attributum unterschieden wären; Gottsched 1741 Bayles hist. u. krit. Wb. I 20 Das Attribut, sagen sie, oder die Eigenschaft ist von der Substanz, der sie zukömmt, nicht unterschieden (REICHEL); ders. 1760 Hanalex. 153 Attributa. Man versteht unter diesem Namen gewisse Bilder, die eine Figur anzeigen und characterisiren sollen; Winckelmann 1763 — 68 Kunst 97 wenn eine männliche nackte Figur . . dieses und kein anderes Attribut [ein Hörn des Überflusses] hat, ist dieselbe . . alle Zeit ein Genius; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 73) Doch giebt es unter den Attributen, mit welchen die Künstler ihre Abstracta bezeichnen, eine Art, die des poetischen Gebrauchs fähiger und würdiger ist; ebd. IX 68 so wenig auch die hetrurischen Künstler überhaupt auf das Schöne gearbeitet, so scheinen sie doch auch die Furien nicht so wohl durch schreckliche Gesichtszüge, als vielmehr durch ihre Tracht und Attributa ausgedruckt zu haben; Riedel 1767 Theorie 212 ein Attribut, welches . . nur der Aesopischen Fabel . . beygeleget werden kan; Sulzer 1771 Theorie l 36b schwache Zeichen, die man attribute nennet; Hirschfeld 1776 Br. d. Schweiz betr. 234 Der Huth scheint noch manchen Schweizern ein liebes Attribut der Freiheit zu sein; Eberhard 1776 Theorie 109 Schon Plato und Aristoteles haben daher die Unveränderlichkeit zum Attribut der Wissenschaft, und die Veränderlichkeit zum Attribut der Empfindung gemacht; Rabiosus 1778 Reise 24 Die Stärke der bayrischen Schauspieler bestehet im Gebrauch der Attributen, wie es die neue Dramaturgie nennt. Hierunter verstehet man das Schnupftuch, den Stock, die Colombinschurze etc.; 1780 Dtsch. Museum I 152 alle Götter des Olimps haben . . ire wagen und attribute; 1786 Journal aller Journale

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VI 99 Die Unwissenheit ist . . das Attribut aller Stände ohne Ausnahme; Wem/ig 1787 Br. Ill 82 Attributen von Europa und Asien [auf Statuen]; Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. I 3,264) warum das letztere Attribut der Seele [die Seele im Verhältnisse zu möglichen Gegenständen im Räume] zur Kategorie der Existenz gehöre; Friedet 1788 Br. a. Wien I 321 weil es zu den Attributen der feinen Welt gehörte, über alles in Freudenthränen zu zerfliessen; Hermes 1789 für Eltern V 170 Die Zukerzange ist ein Storch mit seinem Attribut . . Geschenk eines Hochzeitsgastes; Kant 1790 Kritik d. Urteilskraft (Ges. Sehr, l 5,315) Man nennt diejenigen Formen, welche nicht die Darstellung eines gegebenen Begriffs selber ausmachen, sondern nur als Nebenvorstellungen der Einbildungskraft die damit verknüpften Folgen und die Verwandtschaft desselben mit ändern ausdrücken, Attribute (ästhetische) eines Gegenstandes, dessen Begriff als Vernunftidee nicht adäquat dargestellt werden kann. So ist der Adler Jupiters mit dem Blitze in den Klauen ein Attribut des mächtigen Himmelskönigs und der Pfau der prächtigen Himmelskönigin; Beckmann 1790—92 Erfindungen III 368 Die Antiquarier und Astrologen, nach deren Meynung die Planeten diese Zeichen zuerst erhalten haben sollen, sehen sie für Attribute der gleichnamigen Götter an; Matthisson 1792 Frankreich (H 339) weil eine Kutsche zu den Attributen des Aristokratismus gehört; F. Schlegel 1793 Br. 155 das Wesen des Dichters sey Harmonie innrer Fülle. Das wesentliche Attribut, Trieb nach diesem Bewußtseyn innrer Fülle in Harmonie; die äußre Erscheinung dieses Attributs Trieb zur Darstellung; Schiller 1793 Anmut (H. IX 192) Die Griechen unterschieden . . die Anmuth und die Grazien noch von der Schönheit, da sie solche durch Attribute ausdrückten, die von der Schönheitsgöttin zu trennen waren; Matthisson 1796 Italien (V 121) bacchischen Attributen; ebd. V 174 Dreyzacke, Delphine, Muscheln und andere auf dem Denkmale gar nicht sparsam angebrachte Neptuns-Attribute; 1798 Propyläen I 1,43 Amorinen, welche die Attribute aller Götter im Triumpf aufführen; Goethe 1801 Br. (WA IV 18,84) Abdruck eines geschnittenen Steins . . Julius Cäsar, bezeichnet durch den Schwanzstern, das Vexill und das Schwerdt, gegen seinen Mördern über, welche gleichfalls mit Attributen bezeichnet sind; der Dolch über ihrem Haupte ist leicht auszulegen; Schleiermacher 1808 Gedanken (IV 627) eine Universität . ., der es an diesen wesentlichen Attributen [Bibliotheken, botanischen Gärten, anatomischen Kabinetten] fehlte; 1813-15 Prinzenbr. 157 diese Quadrille . . stellt die Hauptmomente der deutschen Geschichte vor. . . 9 Broncene Statuen, . . zu ihren Füßen 9 weibliche Statuen als ihre Attribute; Schmelka

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Attribut

1822 der Rechte (Jahrb. Dtsch. Nachspiele l 121) dann wäre ja der Spiegel nicht mehr das Attribut der Wahrheit; 1827 Satzungen Univ. München 12 wissenschaftliche Sammlung, Anstalten und Attribute der Universität; Jäger 1835 F. Schnabel 38 er mußte nothwendig Koller und Kanonen haben, jener Jude besaß deren und so konnte er vielleicht recht wohlfeil in den Besitz dieses nothwendigen Attributs kommen; Büchner 1835 Dantons Tod (S. W. u. Br. l 47) [Wenn die Schöpfung ewig ist] dann ist sie schon keine Schöpfung mehr, dann ist sie Eins mit Gott oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt, dann ist Gott in Allem; ders. 1842 Leonce u. Lena (S. W. u. Br. 1108) Die Substanz ist das „an sich", das bin ich . . Jetzt kommen meine Attribute, Modificationen, Affectionen und Accidenzien, wo ist mein Hemd, meine Hose? Freytag 1855 Soll u. Haben I 161 diese Anspielungen auf die berühmten Attribute der drei Herren fand den größten Beifall; Schopenhauer 1859 Welt (S. W. II 188) Indem ferner wir selbst Theile, Modi, Attribute oder Akzidenzien einer solchen Substantz wären; Holtet 1863 Letzte Komödiant II 22 Attribute der vornehmen Geburt; Strauss 1872 Glaube 137 Manches von den Wunschattributen, die der Mensch früherer Zeitalter seinen Göttern beilegte, . . hat er jetzt selbst an sich genommen; Nordau 1884 Lügen 383 wer ist es, der diese höchsten Attribute der öffentlichen Meinung besitzt?; Bierbaum 1910 Reife Früchte 67 Da waren bunte, edelsteinbeladene russische Heiligenbilder, byzantinische Madonnen neben tibetanischen Malereien auf Seide, die schauderhafte Götzen, überladen mit Attributen der Grausamkeit und Wollust, darstellten; Poppenberg 1913 Rokoko 46 Als notwendiges Attribut des Glanzes und der Würde galt . . das Schaffen von Porzellan im eigenen Zeichen; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 79) so daß uns angesichts ihrer die Krankheit geradezu als Adelsattribut höheren Menschentums erscheint; ders. 1924 Zauberberg (W. HI 725) das reine Nichts, rein allerdings, da „rein" denn in der Tat das einzige Attribut sei, das allenfalls dem Nichts noch könne beigelegt werden; Curtius 1925 Geist 46 Das Spielzeug erinnert an ein seltsames Attribut, das Giotto der Allegorie des Götzendienstes in der „Arena" von Padua beigegeben hat; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 94 Weil „Sein" in der Tat nicht als Seiendes zugänglich ist, wird Sein durch seiende Bestimmtheiten des betreffenden Seienden, Attribute, ausgedrückt; 1931 Sport i. Bild I 39 Für den Tag bestimmt, erfüllen sie alle Forderungen dieses als Garnitur gedachten Attributs des eleganten Anzuges; Kesten 1932 Scharlatan 161 Die objektive Wahrheit . . ist jenes Attribut Gottes, das er der Schöpfung nicht überliefern konnte; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1158) wie aber, wenn

. . man statt von weiblicher Schönheit besser von schöner Weiblichkeit redete, weil nämnlich das Weibliche zum Anfangsgrunde und Hauptgedanken geworden und die Schönheit zu ihrem Attribute; Brandl 1936 Inn 198 Der Schweizer hatte seinem Zwingli nur ein Buch in die Hand gegeben; beide Bildhauer sollten jetzt sowohl Schwert als Buch als Attribute verwerten; Pretorius 1941 Gedanken 16 Delacroix' berühmtes Wort vom Attribut des künstlerischen Genies gilt auch für den Allschöpfer; ND 10.3.1949 daß Zwangsarbeit und Sklaverei die unseligen Attribute der kapitalistischen Welt sind; Bense 1954 Aesthetica 18 Kunst . . dringt mit diesen Attributen [eines technologischen Manierismus] ins Bewußtsein ein, und was sie hervorbringt, die Kunstwerke, die Produkte, sind . . Fortsetzungen des Realen in einem anderen Modus des Seins; Welt 10.1.1959 Das Attribut hängt ihm an, seit der junge Pfarrer zum ersten Male mit einer Jazzband . . ein öffentliches Konzert gab; Grass 1962 Blechtrommel 386 daß Oskar .. ein Geschlechtsteil mit sich führte, welches sich . . mit jedem anderen . . männlichen Attribut hätte messen können; Glaser 1964 Spießer 112 Jede positive Eigenschaft wurde als Attribut des Germanentums in Anspruch genommen; FAZ 15.5.1965 die moderne, mit allen Attributen der außergewöhnlichen und erfolgreichen Frau versehen; Welt 9.3.1974 die . . mit allen Attributen bescheidener Eleganz ausgestattete Dame; Zazoff 1970 Antike Gemmen o. S. eine Wiedergabe als jugendlich und bartlos und die Auswahl der Attribute wären für Poseidon zumindest ungewöhnlich; Zeit 25.1.1985 dieser Mammutmesse, die sich mit dem Attribut „größter Möbelmarkt der Welt" schmückt; ebd. 10.5.1985 auch diese „typisch weiblichen" Attribute drängten sich auf; ebd. 13.12.1985 Der Urtyp des deutschen Professors, . . auf den seine geringeren Mitbürger das respektvolle Attribut „zerstreut" anwenden; ebd. 23.5.1986 Die Atomenergie ist Mittel zum Zweck, die Atombombe ein Attribut der Macht; ebd. 11.7.1986 Kleidung war Standesattribut, und es gab immer wieder dekretierende Ansätze, „die Exklusivität der adligen Kleidung durch gesetzliche Verordnungen" zu sichern; Ohler 1990 Sterben 110 Die [Grabplatte] bringt .. ein Bild des Verstorbenen mit Attributen seiner Herrschaft; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 200 Der Gott sitzt in einem Schrein . . In den Händen seine Attribute, Krummstab und Geißel; Schulze 1993 Erlebnisgesellschaft 107 Für das schöne Erlebnis sind die sinnlich wahrgenommenen Attribute der Situation (Farben, Geräusche, Bewegungen) nur Rohstoffe, aus denen das Subjekt eine Erlebnisgestalt zusammensetzt; Spiegel 6.6.1994 Jeanshosen waren nicht mehr das Attribut des Klassenfeindes.

Attribut attribuieren: J595 Akten Gegenref. I 177 die pfarlich recht zu ersparung iren contribution euch zu attribuieren; Carolus 1614 Relation 9a wie sie dann auch das Regiment der Königin nicht länger lassen/ sondern dem König allein zu attribuiren gesinnet; Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Attribuiren. Zu messen oder zulegen; Becher 1682 Glücks-Hafen 14 Dann solche Kräffte werden den qualitatibus primis von den alten Philosophis attribuirt, dann alle Ding/ so man sihet/ durch dieselben ihren Anfang genommen zu haben eracht werden; Zedler 1732 Unwersallex. II 2089 Attribuere, attribuiren, zueignen, beymessen, zuschreiben, zuschlagen; Musäus 1781 Physiognom. Reisen II 46 die den Zunftgenossen attribuirte Missgestalt. Attribution: um 1850 (friedjung 1912 Histor. Aufs. 98) Das Wiener Kabinett . . werde den engeren Bund . . anerkennen, wenn er . . weiter nicht die „Attributionen" des weiteren Bundes aufsauge; Radowitz 1851 Neue Gespr. I 86 Attributionen der Krone; Stahl 1856 Staatslehre 95 Die Macht der Verhinderung .. ist die schlechthin unerläßliche Attribution des Königs; 1931 H. Z. 131 die im folgenden versuchte „Attribution", wie die Kunstgeschichte zu sagen liebt, oder Zuschreibung. attributiv: Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 434) weshalb man mir denn auch nicht weismachen wird, daß Menschlichkeit und Politik je in einem attributiven Verhältnis zueinander stehen können; Ziegler 1963 Kultur 131 von hier [Kant] über das absolute urtätige Ich Fichtes, das ewig bewusstlose Subjekt-Objekt Schellings . . über das zweiattributive Unbewusste Hartmanns, führt ein einziger glorreicher Weg; Hoyos 1987 Wirtschaftspsychologie 514 Risiko ist ein vielschichtiges und multiattributives Phänomen. Attribut 2: /. Grimm 1819-37 Dtsch. Grammatik IV 561 außer den . . bemerkten fällen hat das got. adj. stets flexion als prädicat oder attribut; Heyse 1838 Dtsch. Grammatik I 279 Alle Wörter müssen . . entweder Ausdrücke für das Selbständige . . oder für das Unselbständige . . sein, welches Letztere . . auch Attribut (Beigelegtes) genannt wird; Becker 1870 Dtsch. Grammatik I 55 wir nennen . . den auf das Sein bezogenen Thätigkeitsbegriff . . und den Ausdruck desselben das Attribut; Paul 1919 Dtsch. Grammatik III15 Zwischen Präd. und Attribut gibt es etwas Mittleres, das wir als prädikatives Attribut bezeichnen . . Es bezeichnet den Zustand, in dem das Subj. sich in der Zeit befindet, für die ihm das Präd. beigelegt wird. Im Gegensatz zu dem reinen Attribut bildet das prädikative ein besonderes Satzglied; Erben 1958 Abriß d. dtsch. Grammatik 178 Auch sonst bestehen . . Beziehungen zwischen Funktion und Stellung — nicht nur

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beim „Attributsatz", der in der Regel einer Bezugsgröße folgt; ebd. 187 Im einzelnen unterscheidet man das adjektivische, adverbiale und substantivische Attribut; Admoni 1966 D. dtsch. Sprachbau 211 So vertritt beim Ersatz das Demonstrativpronomen die Stelle der Fügung Artikel + Substantiv in der genitivischen Attributgruppe, wenn eine semantisch ähnliche Gruppe mit demselben herrschenden Wort vorher schon genannt wurde; ebd. 211 f. Das Pronomen, ohne substantiviert zu werden, hat hier ein Genitivattribut neben sich; ebd. 219 Man könnte das prädikative Attribut und das Modalglied als Nebenglieder des Satzes mit doppelter syntaktischer Abhängigkeit bezeichnen; 1970 Forschungsber. d. IDS V 78 Beim präpositionalen Attribut sind . . die Umstellungsmöglichkeiten scheinbar beschränkter; ebd. V 87 Diese Regel, die für einfache Attribute wie für Attributsätze gilt, ist deshalb besonders zu betonen, weil sie einer verbreiteten Schulregel widerspricht, nach der sich Attribute möglichst wenig von ihrem Regens entfernen sollen; ebd. V 143 Genitivattribute sind in der Gegenwartssprache fast immer Substantivgruppen; Weber 1970 Das erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribut im Deutschen (Titel); Admoni 1973 Entwicklungstendenzen 55 in dem zusammengedrängten Satz Edschmids . . ist natürlich für das erweiterte Attribut wenig Platz; 1984 Duden Grammatik 591 Man spricht hier [bei den syntaktischen Stellen zweiten Grades] von Attributen (Beifügungen). Sie ermöglichen es, das im Gliedkern Genannte zu charakterisieren, auszudeuten und genauer zu bestimmen; ebd. 669 Unter Berücksichtigung dieser Möglichkeiten unterscheidet man Subjektsätze, Objektsätze, Adverbialsätze und Attributsätze. attribuieren: 1984 Duden Grammatik 289 nominale oder attribuierende Deklination des Adjektivs; ebd. 594 ein attributives Partizip . ., dem . . eine Partikel und ein Präpositionalgefüge attribuiert sind. Attribuierung: 1956 Euphorion L 237 Attribuierung; 1984 Duden Grammatik 592 Attribuierung kann man auffassen als Anreicherung eines (prinzipiell als einwertig anzusehenden) Satzgliedkerns. attributiv: J. Grimm 1819—37 Dtsch. Grammatik IV 560 das begleitende, attributive adj. hat die wähl zwischen beiderlei [flektiertem oder unflektiertem] ausdruck; Heyse 1838 Dtsch. Grammatik I 609 wenn es [das Adjektiv] als Attribut mit einem Substantiv verbunden ist, tritt zuweilen die attributive Bedeutung zurück . . [in dem Satz] „Bald darauf trat der blinde Mann . . herein" tritt dieser attributivische Begriff [„blind"] zurück und wird zum bloßen Elemente des individuellen Substantiv-

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Audienz

Begriffes; Becker 1870 Dtsch. Grammatik l 55 Das Subjekt eines Satzes erweitert sich, indem es mit einem Thätigkeitsbegriffe in eine attributive Beziehung tritt; Paul 1919 Dtsch. Grammatik 111 48 Freie Anknüpfung eines Adj. ist bei attributiver Verwendung viel häufiger als bei prädikativer; Behaghel 1928 Dtsch. Syntax 111 33 Das veränderliche Glied [der Rede] steht zum unveränderlichen in attributivem Verhältnis; Erben 1958 Abriß d. dtsch. Grammatik 114 Allerdings tritt nicht der gesamte Bestand der Beiwörter in allen vier Aufgabenbereichen auf. Einige erscheinen nur attributiv; Admoni 1966 D. dtsch. Sprachbau 217 Die attributive Beziehung . . ensteht zwischen dem Substantiv und

den Wortarten und Wertformen, die das Substantiv bestimmen, indem sie zur Gruppe des Substantivs gehören und also von ihm syntaktisch abhängig sind; Stötzel 1970 Grundlagen o. S. Dependenz besteht . . zwischen den attributiven Satzteilen .. und ihren Bezugsgrößen; 1970 Forschungsber. d. IDS V 114 Jedes attributive Adverbiale kann um ein kategoriell gleiches Adverbiale erweitert werden; Admoni 1973 Entwicklungstendenzen 50 das ursprünglich Ungewöhnliche, Ungelenke in der Verbindung des attributiven Partizips mit seinen Bestimmungsgliedern; 1984 Duden Grammatik 597 Die attributiven Glieder im Satz entsprechen dann selbständigen Satzgliedern von ganzen Sätzen.

Audienz F. (-; -en), im frühen 15. Jh. entlehnt aus lat. audientia 'das Hören; Gehör; Anhörung, Aufmerksamkeit', spätlat. audientia 'richterliche Vernehmung' (zu (flekt. Form von) audiens, Part. Präs, von audire '(zu-)hören; verhören'; —» Auditorium), bis ins 18. Jh. überwiegend in der Schreibung Audientz, zunächst in lat. (flekt.) Form, dann bis ins 18. Jh. selten auch in frz. (/ital.) Form. Anfangs vorwiegend noch in der an das Lat. angelehnten Bed. 'Gehör, aufmerksame Anhörung, Gelegenheit zum Vortrag eines Anliegens; Aufmerksamkeit, die jmd. (bes. eine niedrigstehende Person) erbittet bzw. die ihm (bes. von einer höherstehenden Person) gewährt wird' (s. Belege 1414—18, 1464), daneben speziell rechtsspr. für 'richterliche Vernehmung, Gerichtsverhör, -Verhandlung' (s. Belege 1541, 1544— 45, 1555); von daher etwa gleichzeitig, wohl unter Einwirkung von frz. audience (vgl. auch mlat. audientia} zunächst in der Hof- und Regierungssprache (bes. an Fürstenhöfen) weiterentwickelt zu der Bed. 'feierlicher Zutritt, Empfang bei, Unterredung mit einem Fürsten o. ä. (bei der einem Gehör geschenkt wird)' (s. Belege 1506, 1529, 1549), in der Folge zunehmend erweitert und den veränderten gesellschaftlichen Hierarchien angepaßt für 'öffentliche Anhörung Niedrigstehender, Abhängiger durch einen Höhergestellten', dann in der heute dominierenden Bed. Offizieller Empfang bei einer hohen politischen oder kirchlichen Persönlichkeit, bei einem Würdenträger', gelegentlich scherzhaft-ironisch gebraucht, z. B. in bezug auf den formellen Antrittsbesuch bei einer Dame, der man den Hof macht (s. Belege 1697, 1987) oder für den Besuch bei einer Dirne (s. Belege 1880, 1885), selten bildlich verwendet (s. Belege 1709, 1987); häufig in Wendungen wie jmdn. um Audienz bitten, jmdm. (eine) Audienz geben, gewähren, jmdn. in (einer) Audienz empfangen, um Audienz ersuchen, jmdn. zu einer Audienz zulassen, früher auch bildlich seinen Gedanken Audienz geben (s. Belege 1861, 1887, vor 1888), als Grundwort in z. T. nur noch historisierend verwendeten Zss. wie Audienzkammer (vgl. ital. camera della audienza), -saal, -zimmer, -tag, -termin, seltener als Bestimmungswort in den bis heute gebräuchlichen Zss. Abschieds-, Geheim-, Morgen-, Privataudienz. Daneben seit frühem 16. Jh. das auf (flekt. Form von) lat. audiens (s. o.) zurückgehende, meist gebuchte Subst. Audient M. (-en; -en) 'Zuhörer, Schüler', im 20. Jh. auch 'Anwesender bei einer Audienz'. Audienz: Richental 1414—18 Konstanzer Chronik 151 Und lag also da, das er sinen hoff noch gericht

nit uff tett und hett och kain audientz; 1433 (Palacky 1873 Hussittenkrieg // 377) Do begerten am-

Audienz basiatores Concilii das man In vor der ritterschaft audientiam gab; Manko 1464 brtefl. (Script, rer. Siles. IX 64) audienciam bitten; ebd. IX 69 noch der ersten audiencia, die ich hatt . . kein audientz geben; Artzt 1469-71 Krieg 267 [Übergabe eines Schriftstückes] in offner audientzen; Dürer 1506 Br. (Nachlaß 34) Der Markgrof word nit so lang Audienz geben; Pauli 1522 Schimpf l 91 das er [Salomon] jederman Audiens gab und jederman hört; nach 1529 Berner Chronik 111 343 zuer andren audiens hond wir zuem ersten bäbstliche heilikeit um ein gmeinen finden . . ernstlich vermant (FRNHD. WB); Stumpf 1541 Beschreybung Illb hat wollen tag oder audientz geben [im Prozeßverfahren]; 1544 Chronik Augsb. IX 106 daß sie . . mencklichen laut derselben verschreibungen durch zehen personen, dartzu erwöllet, audientz und urteil geben lassen (FRNHD. WB); 1549 Chronik Augsb. VII 109 als der printz dahin kam, gab er der augspurgischen potschaft von stunden gantz genedige audientz und antwort (FRNHD. WB); Pauli 1551 Sleidan-Briefw. 171 umb audienz angesucht; 1555 Keichskammergo. C1X 24 sollen die procuratores hinfürther under der gerichtlichen audientz sich viel redens under inen selbs oder mit ändern umbstenden enthalten (FRNHD. WB); 1556 Sachs U 80 Dem thund die richter audientz geben (FRNHD. WB); Ernstinger 1579-1610 Ratsbuch 91 In der camera della audienza sein zwei bilder von gloggenspeiss gössen zwayer Jüngling; ebd. 178 cämmer oder saal d'audience; ebd. 191 chambre d'audience oder verhörzimmer; 1587 Faust 212 Doctor Faustus dorffte . . den Geist von Göttlichen vnd Himmlischen dingen nicht mehr fragen . . er wußte, daß er hinfüro von dem Geist kein Audientz mehr würde erlangen; Lichtenstein 1589 Reisen 47 Audience-Kammer . . Audienzgemach; Simon zur Lippe 1591-92 Tagebuch (1906 Mitt. lipp. Gesch. IV 55) hatt uns der Hertzog von Parma audientz . . gegeben; 1598 Schildbürger 309 Demnach haben sie sich zum Rathaus verfügt, vnd Audientz gegen den Schultheissen begert; Hainhofer 1611 Corr. 92 in dess Bapst Clementis Octavi Zimmern da er pflegte Audientz zu geben; Carolus 1614 Relation 3b In Frankreich hat des Königs inn Spanien Ambassadeur bey der Königin Audientz gehabt; Nicolai 1632 (Irmer I 95) seit von ihr. churfürstl. durchl. verstatteter audience (JONES); Weise 1697 Vertr. Gespr. 347 hatt sich gleich eine Audientz bey dem Frauenzimmer ausgebeten. Drum nahm der Cavallier Gelegenheit / den Herrn Hofemeister und den Unbekannten in das GartenHauß zu führen; Elis. Charl. 1705 Br. I 375 Sagt man nun die audientzcammer? Zu meiner zeit sagte man die pressentz; Menantes 1709 Satir. Roman I 16 In dem Audientz-Cabinet der Gedanken, ich meine im Bette; 1713 Rabsch IV 269 die präsi-

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denten und beysitzere sollen in rathsgängen, audientzien und übrigen öffentlichen amts-verrichtungen . . in schwartzer und zierlicher kleidung erscheinen; Sperander 1727 A la mod Sprach 57 Audienz, Anhörung, verhör, die Verstattung der Gehör. Im Gericht die bestimmte Zeit und Ort, da die verordnete Richter und Beysitzer zusamen kommen, die im Recht liegende Theile zu hören, und zu entscheiden. Audienz am Hof heisset, wenn der König oder Fürst jemand vor sich kommen last, sein Anbringen zu hören; Lavater 1781 Vertn. Sehr. II 68 Was würden Sie sagen, wenn jemand das schöne Gemähide in Ihres Papa's Audienzzimmer, mit Koth oder Dinte bespritzte?; ebd. II 475 Ich furcht' aber, wenn deine Schuhe nicht rein genug sind . . daß man dir, deiner gutherzigen Miene ungeachtet, kurze Audienz geben werde; Weinlig 1784 Br. II 30 Auch in diesem [Saal] werden verschiedene schöne alte Kunstwerke gezeigt, und in dem darauf folgenden Audienzssaal befindet sich eine Sammlung alter Brustbilder, die so zahlreich als merkwürdig sind; Campe 1806 Reisebeschr. II 53 Das Gehörzimmer — oder möchten meine jungen Leser lieber das undeutsche Wort AudienzZimmer hören?; Goethe 1816-17 Italien. Reise (HA XI 62) Der Audienzsaal des Rathauses, mit dem Recht durch das Augmentativum Salone betitelt, das ungeheuerste abgeschlossene Gefäß; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre l 40 ein Gesuch beim Herzoge? aber morgen werden Sie nicht vorgelassen, es ist kein Audienztag; ebd. 150 Er hatte Amalien versprochen, sie das Resultat der Audienz sogleich wissen zu lassen; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 5 Ich studirte die wenigen Tage, die zwischen dem Audienztermin und Sonntag lagen, die Straßenverhältnisse meiner Garnison; ebd. 235 Gedrückt verließ ich meinen verehrten Chef, und wenn ich das Resultat meiner Audienz den Kameraden und Commilitonen auch verschwieg, der nächste Tag schon brachte dem ganzen Regimente Gewißheit; Schmid 1861 Schwalberl IV 263 da bin ich am Abend so mutterseelen allein in der Stuben gesessen und hab 'meinen Gedanken Audienz' geb'n; Winterfeld um 1880 Gr. 57 Dann entließ mich der König mit einer leichten Handbewegung und wandte sich zum Gehen. Die Audienz war zu Ende; Kretzer 1880 Genossen 80 missgluckten „Audienz" . . bei einem verrufenen Mädchen; Gottschall 1885 Totenkl. 242 der kleine George Hugon wird ebenfalls vorgelassen; er verräth eine glühende Neigung zur schönen Nana; auch der Bankier Steiner harrt auf eine Audienz; Leibig 1887 Erlebn. 16 mancher zündete noch seine Zigarre an und gab seinen Gedanken Audienz, die sich nach der Heimat lenkten, wie die Rauchwölkchen nach der Zugluft; Storm vor 1888 S. W. III 151 vermummte ich mich in meinen Plaid und gab

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meinen Gedanken Audienz (WOG); Hubler 1900 Magistraturen 26 Auf feierliche (sog. öffentliche) Empfangsaudienz bei dem Staatshaupt (seiner Gemahlin und seinen Familienmitgliedern) haben nur Botschafter Anspruch; Th. Mann 1909 Hoheit (W. H 32) Ganz kurz darauf verließ Johann Albrecht die Burg und kehrte mit Extrazug in die Residenz zurück, hauptsächlich, um sich der festlich bewegten Bevölkerung zu zeigen, dann aber auch, um im Stadtschloß mehrere Audienzen zu erteilen; ebd. 58 Er ging mit Mama durch die Zimmer und Säle, in denen die Hofrangklassen versammelt waren, ging durch den Marmorsaal und die schönen Zimmer, durch die Bildergalerie, den Rittersaal, den Saal der zwölf Monate, den Audienzsaal und den Tanzsaal; ebd. II 73 Jemand wird zur Audienz zugelassen beim Herrn Papa, unserm gnädigsten Großherzog; ebd. II 312 daß seine Königliche Hoheit Prinz Klaus Heinrich seine Exzellenz, den Herrn Staatsminister von Knobelsdorff auf Schloß Eremitage in einer Audienz empfangen habe; Federer 1915 Sisto 59 dem audienzumlagerten Greis [Papst]; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1394) wenn er wirklich sein Kuh- und Ährengesicht für staatswichtig halte, so möge er sich damit während der Morgenaudienz an . . den Wesir des Nordens halten; Lokal-Anz. 21.3.1933 Reichspräsident v. Hindenburg empfing gestern den von Berlin scheidenden amerikanischen Botschafter Sakkett in privater Abschiedsaudienz; Kühn 1937 Kerle 156 Form der Aussprache zwischen Regierendem und Regiertem, die man „Empfang" oder noch fürnehmer: „Audienz" zu nennen liebt; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 602) die leidige Tatsache, daß die Anberaumung der Audienz einige Tage, vier oder fünf, in Anspruch nehmen würde; ebd. VH 608 ohne Zweifel hatte er ursprünglich die Absicht gehabt, die Audienz im Stehen abzuhalten und sie, da es sich ja eben nur um meine Vorstellung handelte, in wenigen Minuten zu beenden; Böll 1963 Clown 218 Immer wieder erliege ich meiner Phantasie: ich stellte mir meine Audienz beim Papst so genau vor, sah mich da knien und als Ungläubiger um seinen Segen bitten; Partner

1964 Erben 389 Dann gewährte er Gesandtschaften aus den verschiedensten Ländern Europas Audienz; ebd. 414 in dieser Nische stand vielleicht der Thronsessel des Herrschers, wenn er in Lorsch Audienzen gab oder Gerichtssitzungen abhielt; Welt 24.1.1966 Er wird den höchsten Geistlichen der Anglikanischen Kirche am 23.März in Privataudienz empfangen; Bildztg. 12.5.1967 Da hatte Papst Paul VI. die italienische Schauspielerin Claudia Cardinale zu einer Audienz empfangen; Zeit 20.9.1985 Der Niederländer, der nach Justizquellen jährlich bis zu 6400 Tonnen verseuchtes Flüssigei in deutsche Unternehmen pumpte, wurde vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und Ernährungsminister Gerhard Weiser zusammen mit württembergischen Industriellen zu einer dreistündigen Krisenaudienz empfangen; Zeit 4.10. 1985 Am letzten Sonntag hatte er eine zweistündige Audienz bei Franz Josef Strauß; MM 18.4. 1987 Audienz bei König Alkohol (Überschr.); Zeit 1.5.1987 Ein 76jähriger Jüngling umwirbt nun, gravitätisch und glühend, die 72jährige Witwe, zunächst mit einer Kanonade von 140 Briefen, dann bei der ersten Audienz vertrieben durch sein rücksichtslos explodierendes Gedärm; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 18 Der „Empfangsraum" birgt Bilder . . der täglichen Vergnügungen oder Höhepunkte des irdischen Daseins des Toten, wozu eine Audienz beim König oder besondere Ereignisse und Auszeichnungen in seiner Laufbahn als Militär oder Beamter zählen. Audient: 1529 Strassb. Ratsprotok. 194 dasz die andienten in der schulen zu den Predigern in einer kalten Stuben sitzen (NYSTRÖM); Wieland vor 1813 S. W. XVI 261 Die Katechumenen [bei den Christianiern] waren eingetheilt in die 3 Grade der Hörenden (audientes), Kniebeugenden (substrati) und der Erwählten (electi, competentes) (SANDERS 1871); 1893 Meyer Enz. II 124 Auditorium . . in der kirchlichen Sprache der Standort der Audientes; Hartmann 1954 Begegnung 200 Audienten [Anwesende bei einer Audienz].

Audi(o)-, audi(o)-, rechtsgebundenes Element von Lehn-Wortbildungen, Ende 19. Jh. übernommen aus gleichbed. engl.-amerikan. audi(o)- bzw. audio (Subst. und Adj.), zurückgehend auf lat. audi-, Stamm von audire 'hören', und den Kombinationsvokal -o-, l In fachspr. subst. und adj. neoklassischen Kombinationen im Zusammenhang mit dem Phänomen des Hörens und der akustischen Wahrnehmung verwendet: a Zunächst in der medizinischen und medizintechnischen Bed. 'den Gehörsinn, Funktionen, Störungen des Gehörs, Hörvermögens betreffend; auf Überprüfung, Messung, Verstärkung oder Verbesserung der Hörleistung gerichtet', nachgewiesen

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in verschiedenen Termini im Zusammenhang mit Diagnose- und Therapieverfahren vor allem zur Bezeichnung elektroakustischer Geräte, die der Verbesserung oder Überprüfung der Hörfähigkeit des Menschen dienen, z. B. Audiphon N. (-s; -e), Ende 19./Anfang 20. Jh. wohl aus gleichbed. engl. audiphone (aus audi- und -phone 'elektroakustisches Gerät', zurückgehend auf griech. 'Laut, Ton'; —> Telephon) übernommene Bezeichnung für einen heute durch moderne Geräte ersetzten Hörapparat zur Verbesserung der Hörleistung bei Schwerhörigen (s. Belege 1894, 1896, 1911), in jüngster Zeit wohl im Neuzugriff auf die Wortbestandteile wiederverwendet als Warenname Audiophon N. (-s; -e), gebildet aus audi(o)- und -(o)phon, zur Bezeichnung eines Telefonapparats mit Hörverstärker für das Telefonieren in lauter Umgebung (s. Beleg 1994); seit frühem 20. Jh. (1911 bei Petri) gebuchtes Audiometer N. (-s; -), eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. audi(o)metre oder engl. audiometer aus audi(o)- und -(o)meter 'Meßgerät' gebildete (auf griech. 'Maß; Ziel; Länge, Größe; Meßgerät' zurückgehende) Bezeichnung für ein Meßgerät zur Prüfung des menschlichen Hörvermögens auf elektroakustischem Wege (s. Beleg 1952), mit dazugehörigem Audiometrie (s. Belege 1952, 1986) und audiometrisch (s. Beleg 1971); Audiologie F. (-; ohne PL), seit Mitte 20. Jh. nachgewiesen, eventuell unter Einwirkung von gleichbed. engl. audiology oder frz. audiologie gebildet aus audi(o)- und -(o)logie 'Lehre, wissenschaftliche Disziplin, (Fach-)Wissenschaft' (zurückgehend auf griech. 'Wort, Rede; Inhalt; Vernunft, Überlegung, Nachdenken', zu 'sammeln; sagen, vortragen'), in der Bed. 'Wissenschaft (als Teilgebiet der Medizin) von den Funktionen und Erkrankungen des menschlichen Gehörs', meist in der zusammengesetzten Bildung Pädaudiologie (s. Beleg 1986), mit den in neuerer Zeit nachgewiesenenen Ableitungen audiologisch Adj., vor allem in der zusammengesetzten Bildung pädaudiologisch (s. Beleg 1987) sowie im Syntagma audiologisches Zentrum (s. Beleg 1971), und Audiologe F. (-n; -n) 'Facharzt auf dem Gebiet der Audiologie; Ohrenarzt'; audipathisch Adj., Mitte 20. Jh. vereinzelt nachgewiesen, gebildet aus audi- und -pathisch (zurückgehend auf griech. 'Leiden') 'schwerhörig', z. B. im Syntagma audipathische Zirkel (s. Beleg 1953); Audiogramm N. (-s; -e), eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. audiogramme oder engl. audiogram gebildet aus audi(o)- und -(o)gramm 'graphische Aufzeichnung' (zurückgehend auf griech. 'Schriftzeichen, Buchstabe; Geschriebenes', zu 'einritzen; zeichnen, schreiben'; —» Gramm, —> Grammatik), in der Bed. 'graphische Erfassung und Darstellung der mittels eines Audiometers gemessenen Werte, an welcher der Umfang der Hörfähigkeit (eines Schwerhörigen) abzulesen ist', auch in den Zss. Ton-, Sprachaudiogramm (s. Belege 1967, 1971). b Seit den 60er, vor allem 70er Jahren fach- und gemeinspr. in den Bereichen Kommunikation, Information und Medien, in bezug auf Vermittlungsmethoden, Unterrichtsverfahren speziell in der Fremdsprachendidaktik in der Bed. 'durch Hören wahrgenommen, gehört; auf auditivem Wege erfolgend; (hörbare) Information auf auditivem Wege darbietend, vermittelnd; die Hörfähigkeit ansprechend, nutzend, einsetzend, darauf beruhend', in meist unter engl./frz. Lehneinfluß aufgekommenen Kombinationen wie vor allem —* audiovisuell (bzw. Audiovision); Audiotypistin F. (-; -nen), wohl übernommen aus gleichbed. engl. audio typiste (aus audio- und typist 'Maschinenschreiber'), für 'weibliche Schreibkraft, Sekretärin, die nach einem Diktiergerät schreibt, welches ein besprochenes Magnetband enthält; Phonotypistin'; audiolingual Adj., eventuell unter engl. Einwirkung gebildet aus audio- und lingual

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'das Sprechen betreffend, sprachlich' (zurückgehend auf lat. lingua 'Zunge; Sprache'), bezogen auf eine Methode des Sprachunterrichts in der Bed. 'das Hören und Sprechen betreffend; vom gesprochenen Wort ausgehend' (im Unterschied zum Schreiben und Lesen und zum geschriebenen Wort). 2 Seit den 30er Jahren gelegentlich und seit den 70er Jahren zunehmend häufiger nachgewiesen in der auf Klangwiedergabetechnik und -produkte bezogenen Bed. 'das physikalische Phänomen der akustisch, (für das menschliche Ohr) als Klang wahrnehmbaren Tonschwingungen bzw. entsprechende Verfahren und Geräte zu ihrer elektroakustischen Übertragung und Wiedergabe betreffend', speziell auch 'die (Reinheit, Qualität der) Ton-, Musikwiedergabe, Klangtreue (High Fidelity) betreffend, darauf ausgerichtet, dabei benötigt', in Kombinationen, die von der Fachsprache (Musik-Medientechnik, HiFi, Hörfunk) ausgehend sich sehr schnell verfestigen und in den allgemeinen Sprachgebrauch (Unterhaltungs- und Werbebranche) übergehen, wie seit den 30er Jahren nachgewiesenes Audion N. (-s; -en und -s), wohl entlehnt aus gleichbed. amerikan.-engl. audion (aus audi(o)- und dem fachspr. Suffix -on, vgl. electron, union, cation, neutron), Bezeichnung für ein elektrotechnisches Instrument zur Gleichrichtung hochfrequenter Töne durch Verstärkung der hörbaren niederfrequenten Schwingungen beim Rundfunkempfänger (s. Belege 1931, 1949, 1952); audiophil Adj. (Steigerung ungebr.), seit den 60er Jahren nachgewiesen, eventuell unter frz. Einfluß aufgekommen, gebildet aus audi(o)- und -(o)phil '-liebend' (zurückgehend auf griech. 'lieb, liebend, freundlich'), 'auf Klänge, Klangreinheit und -treue, perfektes akustisches Erleben versessen' (s. Belege 1963, 1980, 1986); in jüngster Zeit Audiokassette F. (-; -n), aus audi(o)- und —» Kassette (vgl. aber engl. audio tape) 'nach dem Verfahren der Übertragung von Tonsignalen bespieltes/bespielbares Kassetten-Tonband; Hörkassette' (s. Belege 1986, 1988, 1989); Audiothek F. (-; -en), analog zu —»· Bibliothek gebildet aus audi(o)- und -fojthek 'Sammel- und Aufbewahrungsstelle' (zurückgehend auf griech. 'Abstellplatz, Aufbewahrungsort; Behälter'), für 'Sammelstelle für Musikaufzeichnungen'; in der Folge, ablesbar am Aufkommen indigener zweiter Konstituenten, zunehmend im Dtsch. produktiv in zahlreichen Kombinationen wie Audiogerät, -gruppe, -bereich, -technik und in Waren- oder Firmennamen wie Audioline, Audioton; häufig komplementär mit paradigmatisch verwandtem —> video- und synonym gebraucht in basisgleichen Kombinationen (vgl. Videokassette, Videothek, Videoband) oder im selben syntagmatischen Kontext, z. B. in Audio-Video-Technik 'Gesamtheit technischer Verfahren und Geräte zur Aufnahme, Übertragung und Wiedergabe von Tonund Bildsignalen' (vgl. Audiovision, —» audiovisuell). Daneben seit den 70er Jahren vor allem in der Werbesprache in absoluter Verwendung das eventuell auch im Sinne einer lexematisierten Kurzform oder Rückbildung von audio-Kombinationen (z. B. Audiotechnik, -verfahren, -system) interpretierbare Subst. Audio (indeklinabel, vereinzelt F.) in der Bed. '(Herstellung/Vermarktung/ Verwendung der) Produkte, Anlagen, Geräte und Vorrichtungen des Verfahrens der elektroakustische(n) Übertragung, Aufnahme, Speicherung und Wiedergabe von Ton-Signalen', auch als Bestimmungswort von Zss., daher von audi(o)- als gebundener Wortbildungseinheit nicht immer eindeutig zu unterscheiden (vgl. entsprechendes und oft im selben Kontext vorkommendes Video, Phono). Dazu direkt oder vermittelt über moderne europäische Sprachen auf lat. Etyma mit Stammformen von audire als Ableitungsbasis zurückgehende Entlehnungen wie

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—» Audienz und —*· Auditorium. Daneben die Form audi- als erster Bestandteil in seit den 60er Jahren nachgewiesenem Audimeter M. (-s; -), wohl unter Einwirkung von gleichbed. frz. audimetre aufgekommene Bezeichnung für ein am Rundfunkoder Fernsehempfänger einer Testperson angebrachtes, in der Publikumsforschung verwendetes Meß- und Registriergerät zur statistischen Auswertung des Hörerverhaltens bzw. der Einschaltquoten einzelner Sender und Sendungen. audi(o)- la: 1893 Konversationslex. U 124 Audiphon, von Graydon angegebener Hörapparat für Taube, besteht in einem kleinen Mikrophon und einer an der schwingenden Platte desselben angebrachten Schnur von beliebiger Länge . . Audiometer, s. Sonometer; 1952 Brockhaus l 486 Audiologie .. die Lehre vom Hören .. Audiometer, ein elektroakustiscb.es Gerät zum Messen des Hörvermögens beim Menschen . . Beim Messen des Gehörs (Audiometrie) werden im allgemeinen die Hörschwellen bestimmt; Süddtscb. Ztg. 11.7.1953 Am Sonntagnachmittag, um drei Uhr, begeht der Audipathische Zirkel München, eine Interessengemeinschaft der Schwerhörigen . . sein 40. Gründungsjubiläum; 1967 Brockhaus U 50 Audiometer . . Wenn man den beim Messen des Hörvermögens gefundenen Wert in ein Koordinatensystem einträgt, in dem die Tonhöhe (Frequenz) Abszisse und die Lautstärke Ordinate ist, so erhält man das Ton-Audiogramm; 1971 Meyer Enz. / 13 audiologisches Zentrum, Spezialklinik zur Untersuchung und medizin. Beratung Schwerhöriger; Plath 1971 Das Ton- u. Sprachgehör bei Lärmschäden d. Ohres o. S. daß diejenige Intensität, mit der die optimale Diskrimination für Einsilber im Sprachaudiogramm zu erreichen ist . . ebenfalls sowohl zu den tonaudiometrischen als auch zu den anderen sprachaudiometrischen Daten keine gute Korrelation hat; Zeit 4.7.1986 Die diagnostischen Möglichkeiten EEG, EMG, Eps, Audiometrie, Röntgen, klinisches Labor sind vorhanden; ebd. 7.11.1986 Wir suchen . . zum baldmöglichen Termin l Phoniater als Leiter (Teilgebiet Phoniatrie und Pädaudiologie) (Anzeige); MM 8.4.1987 In der pädaudiologischen Beratungsstelle können die Eltern in kindgerecht-freundlicher Umgebung mit ihren Babys und Kleinkindern Hörtests machen lassen; ebd. 1.6.1987 eine Beratungsstelle für sprachbehinderte Kinder, eine pädaudiologische Beratungsstelle und einen vorbereitenden Sonderschulkindergarten; 1994 Werbekatalog FrühJahr/Sommer Telekom o. S Audiophon 4 Regeln Sie Ihre individuelle Lautstärke für leicht verständliches Telefonieren — auch in lauter Umgebung . . Audiophon 4 hat einen eingebauten, regelbaren Hörverstärker . . Außerdem verfügt der Handapparat über einen Magnetfelderzeuger — für Hörgeräteträger mit Induktionsaufnehmer.

audi(o)- lb: Zeit 18.4.1986 Im Oberhausener Audiodata-Team, in dem mittlerweile vier Blinde zusammen mit acht Sehenden arbeiten, wird mit Hochdruck neue Hardware für Blinde entwickelt . . im Labor steht ein Tischgerät, welches gedruckte oder getippte Texte ablichtet, um sie dann per Mustererkennung zu entschlüsseln — und ein perfektionierter Synthesizer, programmierbar in sechs Sprachen, um die automatisch eingelesenen Texte vorzulesen; MM 11.12.1986 Die Firma Frank Audiodata in Oberhausen-Rheinhausen stellt seit 1981 elektronische Hilfsmittel für Sehbehinderte und Blinde her; ebd. Auch der sehbehinderte Ingenieur am FHT-Institut arbeitet mit Frank-Audiodata-Hilfsgeräten. Was er nicht sehen kann, wird ihm von einer blechernen Elektronenstimme (Sprachausgabe) vorgelesen; was er mit dem wenigen ihm verbleibenen Sehvermögen nicht lesen kann, wird ihm mit einer elektronischen Lupe (Großschriftbildschirm) vergrößert (CK). audi(o)-2: Voss. Ztg. 22.8.1931 Völlig neuartige Empfänger, die den schwierigen Rundfunkverhältnissen Europas sorgfältig angepaßt sind . . sogar den großen Lautstärke-Unterschieden beim Empfang größerer und kleinerer Sender hat man Rechnung getragen, hat Empfänger mit umschaltbarem „Audion" geschaffen, die auch beim Empfang der lautstarken Sender eine völlig unverzerrte Wiedergabe verbürgen; Bley 1949 Radar 4 Das „Audion", eine Röhre, die sich in jedem Rundfunkempfänger befindet, war 1913 von dem Amerikaner Lee de Forest entwickelt worden. Sie trat an die Stelle des Kristalldetektors; 1952 Brockhaus I 486 Audion .. eine Verstärkerröhre, die so geschaltet ist, daß sie die zugeführten Hochfrequenzschwingungen am Gitter gleichrichtet und zugleich verstärkt.. Rundfunkempfänger; 1973 Spiegel XI o. S. „VierkanalAudiophile"; Wiesbadener Kurier 27.128. 9.1980 Was tun Compander für die Cassetten? (Überschr.) Eine Antwort, die Audiophile wissen sollten; 1973 Spiegel XVI o. S. Aber was Kegel. . eingespielt hat, ist nicht nur eine audiophile Premiere; Zeit 18.2.1985 findet ein Großteil der Lehrveranstaltungen in meinem Produktionsstudio statt, wo ein direkter Zugriff zu professionellen und halbprofessionellen Audio- und Videogeräten gegeben ist; ebd. 28.6.1985 An der Pädagogischen Hochschule

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Kiel ist . . die Stelle eines akademischen Rates . . als Leiter des Sprachlabors und der Audiothek zu besetzen (Anzeige); MM 21.12.1985 Deshalb können nicht nur Videofilme und Standbilder, sondern auch HiFi-Audiosignale jeder beliebigen Codierung und nicht zuletzt Computerdaten in die lichtempfindlichen Platten eingeschrieben werden. Innerhalb des Konzerns McDonnell-Douglas werden „Laserfilm"-Platten bereits verwendet; Zeit 11.4. 1986 Man wollte damit die hohe Produktivität . . nutzen, den Belegschaftsstand halten und gegenüber dem zu launischen Audio-Geschäft mehr Kontinuität gewinnen . . auch Amstrad, Importeur von Audiogeräten der Billigklasse und damit britischer Marktführer, suchte einen zweiten Geschäftzweig; MM 21.4.1986 Weniger optimistisch als noch vor einem Jahr ist man für den Audio/HiFiBereich, der auf unter ein Drittel zurückfallen dürfte; Zeit 30.5.1986 Für die Stuttgarter Redaktion . . suchen wir Sie, die/den erfahrene/n Vollblut-Redakteur/in. Neben der unerläßlichen „audiophilen" wie journalistischen Erfahrung sollten Sie . . eine flotte Schreibe mitbringen (Anzeige); MM 3. 9.1986 Die BASF schafft mühelos das hohe C (Überschr.) So etwa im Audio/Video-Bereich, wo der Chemieriese einen Marktanteil von 30 v. H. innehat; ebd. 4.9.1986 Zum Jubiläums-Kongreß in Salzburg dachte eine kleine „Audiogruppe" darüber nach, was die Medien der musikalischen Interpretation gebracht haben; Zeit 5.9.1986 die Digital Audio Cassette, kurz DAT genannt . . kann nicht nur mit den dauerhaft klaren Klängen der silbernen . . Compact-Disc (CD) konkurrieren, die neuen Cassetten machen auch noch den perfekten Musikklau möglich .. Allein in der Bundesrepublik werden jährlich rund 100 Millionen unbespielte Audio-Cassetten verkauft — fast soviel, wie die einheimische Plattenbranche an sogenannten Langtonträgern absetzt . . die Digitalcassette [bietet] die Chance, wenige Jahre nach der Einführung von CD schon wieder eine neue Geräte-Generation auf den Markt zu bringen, wobei die Kombination CD-Spieler und Digital-Audio-Recorder — Horrorvision der Plattenbranche — sich so selbstverständlich wie ideal anbieten würde; 1986 Werbeprospekt JVC Electronics o. S. Das Audiogramm (Überschr.) Klang sehr gut. . Abtastsicherheit sehr gut; ebd. So steht z. B. das PCM Digital-Audio System DAS 900 in Aufnahme- und Schneidestudios in aller Welt; Hoppe 1986 Bösdeutsch 106 [unter No-Book-Generation:] die Audio- und VideoJugend nach der Null-Bock-Phase; Zeit 20.3.1987 Kaum ein Guru, der seine suggestiven Beschwörungsformeln, seinen Meditationssound, seine „lectures" zur Leibes-, Lebens- oder Seelenertüchtigung nicht auf Video- und Audiokassette als Therapieergänzung andient; MM 2.6.1987 wir haben

unser angestrebtes Ziel, den Bekanntheitsgrad unserer Audio-Video-Bänder zu steigern, erreicht; ebd. 5.6.1987 Im zweiten Obergeschoß des Fridericianums soll eine Video- und Audiothek zum ersten Mal auch Hörstücke, Klangskulpturen, kurz eine akustische Kunst „von Lautreamont bis Gerhard Rühm" bieten; Zeit 19.6.1987 die documenta 8 integriert schließlich in einem bisher nicht dagewesenen Umfang Performance und Theater, offeriert die Programme einer Audiothek und Videothek; MM 28.8.1987 Digital Audio Tape und CD-Video im Blickpunkt des Interesses . . die herkömmlichen, etwa doppelt so großen Audio-Kassetten arbeiten mit einer mehr als fünfmal so hohen Bandgeschwindigkeit. Ausgeglichen wird dies durch eine Aufnahmetechnik wie beim Videorecorder, was die DAT-Geräte recht aufwendig werden läßt . . Außerdem probieren Audio-Zeitschriften bereits aus, wie einfach ein Kopierschutz zu knakken ist. . In Berlin wird jetzt sozusagen die größere Schwester der Audio-CD vorgestellt: CD-Video. Dahinter verbirgt sich, kurz gesagt, die Bildplatte, allerdings mit digitaler Aufnahmetechnik . . Zur silberglänzenden CD-Audio kommt die goldene CD-Video-Single mit ebenfalls 12 Zentimeter Durchmesser; ebd. 16.9.1987 Während sich zum Beispiel bei Audio- oder Videobändern allenfalls .. kurze Störungen bemerkbar machen, haben sie hier mitunter fatale Folgen; Stern 5.11.1987 Daheim stapeln sich die Audio- und Video-Türme. Jeder „Baustein" für sich kann . . fast alles . , Audio und Video sollten mit Hilfe der Dänen endlich zusammenfinden. Für seine jüngste Gerätegeneration entwickelt B&O nun eine Fernbedienungssprache mit besonders reichem Wortschatz. Die HiFi-Anlage versteht sie ebenso wie ein Fernseher oder Videorecorder; MM 29.3.1988 Für Audiocassetten sind pro Spielstunde 12 Pfennige, bei Videocassetten pro Spielstunde 17 Pfennige vom Hersteller an die GEMA abzuführen; ebd. 10.5.1989 Der Ludwigshafener Chemiekonzern darf nicht länger mit einem Comic für seine Audiocassetten werben; FAZ 26.6.1990 Der Zuwachs stammte vor allem von jüngeren dpa-Produkten wie Audiodienst, Hörfunknachrichtendienst und Selektionsdienst („maßgeschneiderte" Nachrichten der dpa-Datenbank). Der Gewinn wird wieder zur inneren Stärkung verwendet; MM 4.2.1993 Audioline Anrufbeantworter; J994 Werbeprospekt der Fa. KARLEV-AUDIO AG o. S. Das langjährig bewährte AUDIO-System für natürliche Musikwiedergabe führt zum neuen, einmaligen . . reson — das echte klangerlebnis [sie]. Audio: 1970—71 Sprachdienst 26 ein magnetisches Aufzeichnungsgerät für Bild- und Tonsignale . . Die beiden Tasten sind mit VIDEO und AUDIO

audiovisuell beschriftet; Zeit 18.4.1986 Der Hauscomputer, mit zusätzlichem Sprach-Chip bestückt und auf Kommando „Audio" programmiert, liest . . die Texte laut und deutlich vor; MM 2. 9.1986 Insgesamt stellen . . 3200 Beschäftigte jährlich Produkte für die Einsatzbereiche EDV, Audio und Video im Wert von 1,2 Mrd. DM her; 1986 Werbeprospekt Onkyo Audio Das Magazin für HiFi, Musik und Video; 1987 Denon CD im Standard der Audio Klassik Referenz; MM 25.8.1988 Auch in diesem Jahr fehlen auf der Audio-Video 88 in Düsseldorf die Marken Philips, Sony, Grundig und Hitachi . . Mit Pauken und Trompeten soll dafür gesorgt werden, daß der Audio-Video nicht das gleiche Ende widerfährt wie ihrer Vorgängerin HiFi-Video; 1989

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Kaufhof Werbebroschüre Nr. 27 o. S. Neues von Audio bis Video. Audimeter: Süddtsch. Ztg. 17.3.1950 'Audimeter' registriert die Hörermeinung/ Testversuche des Bayerischen Rundfunks (Überschr.) Die Uhr, mit deren Konstruktion vor einem Jahr begonnen wurde, ist bereits seit etwa einem Vierteljahr in Gebrauch. Da erst zehn Audimeter verfügbar sind, ist der Kreis der befragten Hörer naturgemäß klein; 1967 Brockhaus U 50 Audimeter . . elektromechan. Gerät für die . . Publikumsforschung. Das A. wird am Hörfunk- oder Fernsehempfänger — mit Wissen des Besitzers — angeschlossen und registriert, wann und wie lange die einzelnen Sender empfangen werden.

audiovisuell Adj. (ohne Steigerung), seit den 60er Jahren und vor allem in den 70er Jahren nachgewiesene Kombination aus —> audi(o)- b und —>· visuell 'sichtbar'. In der Bed. 'gleichzeitig hör- und sichtbar; das Hör- und Sehvermögen gleichzeitig ansprechend', vor allem in der (Sprach-)Pädagogik 'die Fähigkeit nutzend, durch gleichzeitiges Hören und Sehen Informationen aufzunehmen' (s. Beleg 1967), zunehmend auf entsprechende elektronische Verfahren und Geräte in der Informationsvermittlungs-, Kommunikations- und Medientechnik bezogen im Sinne von 'die Wirkung von Ton und Bild gleichzeitig vermittelnd durch den mehrdimensionalen Einsatz von Ton- und Bildträgern', häufig in Syntagmen wie audiovisuelle Lehrmethoden, Unterrichts-, Kommunikationsmittel, Medien. Dazu seit Anfang der 70er Jahre das aus —» audio- b und -vision analog zu Television (vgl. auch Eurovision, Multivision) gebildete Subst. Audiovision F., oft auch Audio-Vision, (-; ohne PL) in der Bed. 'Technik der Aufzeichnung, Speicherung und Reproduktion von Ton und Bild, die ein gleichzeitiges Hören und Sehen ermöglicht', mit modewortartiger Verbreitung im Bereich der Medien und von der reinen Informationsübertragung auf die Vermittlung ästhetischer Eindrücke als Kunstform (s. Beleg 1974) übergehend. Daneben in jüngster Zeit vereinzelt auch als N. (-s; -e) gebucht für 'fernseherartiges Vorführgerät für Kassettenfilme' audiovisuell: 1964 Arbeitgeber XIX o. S. Indes muß erkannt und eingestanden werden, daß das von dem Unternehmen angesteuerte Ziel mit den herkömmlichen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit nur annähernd erreicht wurde. Es erschien unerläßlich, die zum Teil hervorragenden Beispiele unternehmerischer Selbstdarstellung nun durch eine audiovisuelle Demonstration zu ergänzen; 1967 Brockhaus H 51 audio-visuelle Unterrichtsmittel, Sammelbezeichnung für unterrichtliche Arbeitsmittel (Lehr- und Lernmittel), die dem Schüler hörbare oder sichtbare Informationen oder beide gleichzeitig darbieten; Stuttgarter Ztg. 8.2.1967 Fragen der audiovisuellen Entwicklungs- und Bildungsarbeit; ebd. 29.11.1967 Die 3M audio-visuellen Unterrichtsmittel sind auf der Erfahrung

aufgebaut, daß eine Darstellung, deren Entwicklungsphasen man selbst erarbeitet, sich besser einprägt als eine, die man fertig sieht. . Als Arbeitsgerät dient der 3M Tageslicht-Projektor; Welt 25. 7.1969 Niveau ließ sich . . an der „audiovisuellen Show" . . noch nicht ablesen; ebd. I.W. 1969 Der Kodak Carousel S-AV ist ein speziell für audio-visuelle Kommunikation konstruierter DiaProjektor . . Kodak AG Stuttgart. . Kino- und Audiovisueller Markt; FAZ 24.2.1970 Berteismann und Springer haben eine Vereinbarung getroffen, ihre Interessen im jungen Markt der audio-visuellen Kommunikationsmittel zu koordinieren; Welt 12.3.1970 Audiovisuelles reizt auch Zeiss (Überschr.) Zur Photokina sollen erste Geräte vorgestellt werden; FAZ 24. 3.1970 In Wien ist kürzlich . . das

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audiovisuell

„Internationale Institut für audiovisuelle Medien" gegründet worden. Es soll erzieherische Programme zur Hebung des ästhetischen Standards in der künstlerischen Präsentation mit audiovisuellen Medien bieten; Stuttgarter Ztg. 10. 7.1970 Audiovisuell (Überschr.) . . Betrachten wir also kurz dieses Fremdwort, das so jung ist, daß ein Fremdwörterbuch von 1966 es noch gar nicht verzeichnet. Neu ist freilich nur die Zusammensetzung; ihre beiden Bestandteile sind alte Bekannte. Die erste Worthälfte, für die man früher mehr den griechischen Ausdruck „akustisch" verwendete, ist heute jedermann von einer Automarke her geläufig . . Aber auch zahlreiche andere Wörter, zum Beispiel Audienz, Audiometer, Audiologe (Ohrenarzt), Audition, Auditor, Auditorium verraten uns, daß lateinisch audio, audire, auf deutsch hören oder horchen heißt . . der zweite Wortbestandteil „visuell" geht zurück auf lat. videre = sehen (oder seine Intensivbildung viso, visere), ebenso wie manche weitere Fremdwörter . . Visage, Visum, Visier, Vision (Television!), Visite, Visitenkarte, Visitation, Provision, provisorisch, improvisieren, Revision, Revue, Interview. Beide Ausdrücke erscheinen nebeneinander in der altrömischen Lebensregel: „Audi, vide, tace, si vis vivere in pace", höre, sieh und schweige, wenn du in Frieden leben willst; FAZ 13.4.1971 Audiovisuelle Fortbildungsprogramme für den Arzt; Welt 31. 7. 1974 Unter Verzicht auf „Land-Art" und die „audiovisuelle Kunst" spannt sich der Bogen stilistisch von der reinen Abstraktion über die verschlüsselten Botschaften einer gleichnishaften neuen Gegenständlichkeit bis zum zeitkritischen Realismus; Eco 1984 Apokalyptiker (Übers.) 18 Und wenn wir schon von Werten sprechen wollen, dann sind die objektiven Bedingungen ihrer Kommunikation diejenigen, die von den Zeitungen, dem Radio, dem Fernsehen, der reproduzierten und reproduzierbaren Musik (Musikkonserven), von den neuen visuellen und audiovisuellen Medien geprägt und bereitgestellt werden; MM 31.10.1985 Die Augen und die Ohren machen mit (Überschr.) Der Leiter des „Arbeitskreises Natürliches Lernen" hat ein „audiovisuelles Rechtschreibtraining" entwickelt, das den Zusammenhang zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort herstellen soll; ebd. 23.4.1986 Ein Platz für neue Medien (Überschr.) Diese neue Einrichtung ist der Fort- und Weiterbildung der Wirtschaft, insbesondere im Bereich audiovisueller und elektronischer Medien gewidmet; 1987 IdSSprachreport U 11 Angesichts der Tatsache, daß junge Menschen nahezu jederzeit und überall audiovisuelle Kommunikationsprozesse erleben, fordert Glaser eine Erweiterung der „Spracherziehung" zur „Bilderziehung", Eigler gar eine „audio-visuelle Schule"; 3988 Prospekt z. Ausstellung

Schüler u. Medien o. S. Erste Ergebnisse dieser Arbeiten werden in einer multimedialen Ausstellung präsentiert. Visuell, auditiv und audiovisuell kann der Besucher erleben, wie Schüler eigenständig und schöpferisch mit Medien umgehen; Süddtsch. Ztg. 16.12.1993 Ist der Film aufgrund seiner besonderen Entstehungsbedingungen der Kooperation, die Offenheit und Ehrlichkeit gewährleisten, eines der besten audiovisuellen Schriftstellerportraits überhaupt; Spiegel 16.5. 1994 Doch die Schulen haben den technologischen und gesellschaftlichen Quantensprung der letzten Jahre weitgehend verschlafen. Den Schülern wird gar nicht oder nur ungenügend beigebracht, mit der wachsenden Vielfalt audiovisueller Medien sinnvoll umzugehen. Audiovision: FAZ 21.7.1970 Wie stark die beiden Verlage bereits in letzter Zeit voneinander abgerückt waren, zeigt sich vor allem auf dem jungen Markt der Audio-Vision; ebd. 5.10.1970 Kodak setzt auf Audiovision (Überschr.) . . Neu: Tonbandkassetten . . Beteiligung an dem oft als Multimilliarden-Markt bezeichneten Gebiet der audiovisuellen Vermittlung von Information; Offenburger Tagebl. 29.10.1970 Es bestehe heute eine allgemeine Unruhe auf dem Sektor der Kommunikationsmedien. Doch alle neuen Informationsträger wie etwa die Audiovision seien sekundär: „Am Informationsträger Papier ist auch in Zukunft nicht vorbeizukommen"; FAZ 30.10.1970 Audiovisions-Geräte von Foto Quelle (Überschr.); ebd. 2. 8.1971 Unterhaltung durch Audio-Vision (Überschr.) beginnt nunmehr in Zusammenarbeit mit der Foto-Quelle GmbH, Fürth, den Vertrieb des angekündigten Audiovisions-Programms . . Unterhaltungsfilme werden im neuen Fotoquelle-Katalog in drei Verleihsparten unter der Rubrik „Revue Audiovision 2000" offeriert; ebd. 28.8.1971 Audio-Visionen (Überschr.) Ganz Berlin war wieder eine Wolke, elektrisch aufgeladen, versteht sich: denn die Funkausstellung stand vor der Tür . . Draußen fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: das ist die totale Audiovision. Jedermann hört und sieht so fern, bis einem Hören und Fernsehen vergeht; Frankf. Wochenbl. 2. 9.1971 Im Mittelpunkt des Interesses auf dem Fernsehsektor steht die Audiovision. Mehrere audiovisuelle Systeme sind hier in den Wettbewerb getreten; FAZ 6. 9.1971 In hellen Scharen zogen Besucher aus dem In- und Ausland durch ein Fernseh- und Phono-Wunderland, wie es in solcher Dichte und Vollständigkeit bisher noch nirgends zu sehen und zu hören war . . Farbbildplatte, Audiovision, HiFi-Technik, Quadrophonie — das waren die Publikumsmagnete der Monsterschau; ebd. 5.10.1971 Dieses Jahr kam Bach modern, über das neue Medium „Audio-Vision" . . Mehr als sechzig Projektoren in Verbin-

Auditorium dung mit einer Elektronenorgel führten dem Bundespräsidenten Gustav Heinemann und zahlreichen Ehrengästen eine moderne „Visiofonie" vor . . Das neue Schlagwort heißt „Audio-Vision", und es meint nichts anderes als die Kombination von Ton und Bild zu einer gleichsam mehrdimensionalen Botschaft. Beider Wirkung soll vereinigt werden. Die „AV"-Instrumente, die neuen Bild- und Tonträger, greifen längst über die Kamerabereiche

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hinaus, die einst zur Gründung der „photokina" führten. Die Grenzen werden fließender, und der „AV"-Interessent weiß nicht recht, ob er zum Fotooder zum Radiohändler einkaufen gehen soll; MM 23.4.1986 Die . . Akademie will dem Bildungsinteresse der Medienfachverbände (International Tele-Vision Association, Fachverband der Medienberater und Centrum Audiovisionskommunikation) entgegenkommen.

Auditorium N., früher auch M. (-s; Auditorien), Ende 15. Jh. entlehnt aus lat. auditorium 'Anhören einer Rechtssache; Hörsaal, Gerichtshof; Zuhörerschaft' (zu auditorius 'auf das Hören bezogen', auditor 'Hörer', zu audire 'hören'; —> Audienz), im 16.717. Jh. häufig und bis ins 20. Jh. vereinzelt in lat. (fielet.) Form und gelegentlich in (veralteten) latinisierenden Syntagmen wie auditorium jurisprudentiae, medicinae, in auditorio publico/privato. a In der Bed. 'Hör-, Lehrsaal (in akademischen Anstalten, Universitäten)', früher vereinzelt auch für 'Schulstube, Klassenzimmer (in einer Lateinschule)' (s. Beleg 1583) und im 19. Jh. auf Kirchen und Klöster bezogen gebucht; bereits im 17. Jh. mit Übergängen zu b (s. Belege 1609, 1679, 1796); in Verbindungen wie anatomisches, juristisches, philosophisches Auditorium, häufig im Syntagma Auditorium maximum, Kurzform Audimax, als Bezeichnung für den größten oder Hauptlehrsaal einer Universität (s. Belege 1920, 1933, 1987), vereinzelt auch übertragen verwendet (s. Beleg 1895); gelegentlich auch im Sinne von 'hörsaalartig angelegter Raum in öffentlichen Gebäuden' (s. Belege 1964, 1985, 1987). b Seit früherem 17. Jh. von der Räumlichkeit auf die darin versammelte Personengruppe übertragen im Sinne von 'Gesamtheit der Zuhörer, Zuhörerschaft', zunächst speziell im juristischen, musischen und im Hochschulbereich (s. Belege 1642, 1687, 1701), von daher gelegentlich mit leicht aufwertender Konnotation im Sinne von 'gebildete Zuhörerschaft', auch auf andere kulturelle Bereiche übertragen (s. Belege 1768, 1782, 1922, 1928) und allgemeiner verwendet für 'umfangreichere Menschenansammlung, größere Zuhörermenge, -Versammlung; Publikum' (s. Belege 1712, 1864, 1894, 1985). Zum gleichen Etymon gehört das seit Anfang 15. Jh. nachgewiesene, auf lat. auditor '(Zu-)Hörer; (Verhörs-)Richter' zurückgehende Subst. Auditor M. (-s; -en), anfangs und bis ins 19. Jh. in lat. (flekt.) Form und mit lat. Pl. Auditores, im 16./17. Jh. als Amtsbezeichnung für 'Zuhörer, Beisitzer, Mitglied bei Gericht; Justizanwärter', auch 'Vernehmungsrichter', daneben auch für 'Hilfs-, Unterlehrer (an einer Schule)' und bis ins 18. Jh. 'Zuhörer (eines Redners oder Hochschullehrers); Zögling, Schüler (der höheren Stufen in lateinischen Schulen)' (s. Belege 1528, 1530), in seiner heute auf das katholische Kirchenrecht und Militärrecht beschränkten Bed. 'Vernehmungsrichter' gleichbed. mit seit früherem 17. Jh. nachgewiesenem Auditeur M. (-s; -e) (< gleichbed. frz. auditeur), gelegentlich in frz. Form, in der (speziell österr./schweiz.) Bed. 'Verhörender beim (Militär-)Gericht; (militärischer) Untersuchungsrichter' (s. Belege 1616, 1644); dazu seit Anfang 19. Jh. die Weiterbildung Auditorial, neben im 19. Jh. (1863 bei Kaltschmidt) gebuchtem Auditorat, 'Amt eines (militärischen) Auditors', auch 'päpstliches Gesandschaftssekretariat'. Im 15.716. Jh. vereinzelt, erst im 19. und kontinuierlich im 20. Jh. wieder

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nachgewiesenes, auf lat. auditio 'Anhörung' zurückgehendes Audition F. (-; -en), zunächst in der Bed. 'Zusammenkunft, Versammlung' (s. Beleg 1414—18), speziell '(gerichtliche) Anhörung' (s. Beleg 1575), im 20. Jh. wohl frz. beeinflußt und in der entsprechend flekt. Form für '(öffentliche) Anhörung (vor einem politischen Gremium, einem größeren Publikum)' (s. Belege 1962, 1988), in neuerer Zeit gebucht für '(inneres) Hören, Vernehmen von Botschaften einer höheren Macht (durch Propheten, Mystiker)'; im 19. Jh. vereinzelt (1863 bei Kaltschmidt) gebuchtes, aus gleichbed. lat. auditorius übernommenes Adj. auditorisch 'das Gehör betreffend, zum Hören dienend', gleichbed. mit seit späterem 19. Jh. gebuchtem, seit früherem 20. Jh. belegtem Adj. auditiv, wohl über gleichbed. frz. auditif zurückgehend auf lat. auditivus, speziell im medizinischen Bereich für 'das Hören betreffend, auf die Wahrnehmung durch das menschliche Gehör bezogen' (vgl. auf materielle Gegenstände bezogenes —» akustisch), in der Linguistik/Phonetik und der Psychologie 'die Fähigkeit zur Wahrnehmung und Analyse von Sprachlauten betreffend; (überwiegend) hörbegabt' (Ggs. —+ visuell), in Syntagmen wie auditiver Typ (Ggs. visueller Typ). Auditorium a: Burlens 1490 De libera vita 88b das auditorium: das ist: das leszhaus war vngehörend (ZFDW XV 177); 1547 Gesetze d. Lektoriums z. Braunschw. M.G.P. I 75 de änderst in dussem auditorio auditores sin willen (NYSTRÖM); Rivius 1548 Vitruv. 22a Solche gemach oder grosse Säl mögen nit auch allein zu Libereyen / sonder zu den Auditorijs der Universiteten in solcher gestalt geordnet werden; 1558 Statuten d. Univ. Heidelb. 32 die auditoria der drei obern faculteten sauber und rein halten; Ernstinger 1579—1610 Kaisbuch 173 auditorium medicinae [248] Douay, ain statt in Flandern . . hat . . ain academia mit vilen auditoriis, darunter sonderlich das auditorium jurisprudentiae vast weit; Neander 1583 Bedenken 7b wenn man zur Stunde laute vnd ich in das Auditorium gehen muste, darinnen eine grosse lange Taffei, voll erwachsene, auch viel Bertige Gesellen saßen; 1591 Ordn. d. Gymn. z. Bern M. G. P. Beih. XII 53 Uff dem proffessorem, der lesen will, soll man . . im auditorio warten (NYSTRÖM); Theobald 1609 Hussitenkrige 6 b Darumb wil Ich euch [Studenten aus England]. . geboten haben/ von solchen Irrthumen/ in vnserm Auditorio zu schweigen; Meyfart 1636 Von den Hochschulen 86 die Studenten weren dermassen fleißig gewesen in Lectionen daß mancher gar früe zu den Auditorien eylen müssen, wo er Raum zu sitzen finden wolte; 1664 Lehrplan f. d. Auditorium M. G. P. XLII 504 Doch sollen alle Exercitia publica in loco Auditorij consueto abgehalten werden (NYSTRÖM); Riemer 1679 Polit. Maulaffe 52 Im auditorio war er fleißig und niemals abwesend; Thomasius 1688 MonatsGespräche 507 Des Morgens stunden die Macedonischen Studiosi um vier Uhr auf/ und eilten in den Auditorio einen guten Platz zu kriegen; ders. 1701 Kl. Sehr. 634 in auditorio privato . . in auditorio

publico; 1704 Auserlesene Anm. I 327 Auditoria, oder öffentliche Werkstätten; Haller 1723-27 Tagebücher 74 Die Auditoria sind gut gnug; ebd. 102 Auditoria [Hörsäle d. Univ. Leyden]; Leisewitz 1780 Tagebücher 76 Bibliothek, die ich ansehnlich vermehrt fand: man h a t . . eines von den Auditoriis dazu genommen; Goethe 1794 Tag- u. Jahresh. (HA X 441) Wir Genannten . . wandelten des Morgens im tiefsten Schnee, um in einem fast leeren anatomischen Auditorium diese wichtige Verknüpfung aufs deutlichste nach den genauesten Präparaten vorgetragen zu sehen; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland III 153 Die Aufklärung der vielen Gelehrten in dieser Zeit verhallt in ihren Auditorien; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 295) Das philosophische Auditorium war in solchen Stunden gedrängt voll; Holtet 1860 Eselsfresser III 250 im Gesellschaftssaale, im Arbeitsstübchen, im Schlafgemach, in den Auditorien der Universität; Raabe 1864 Hungerpastor 273 Wenn dann auch ein anderer gelehrter mann von einem ändern Lehrstuhl aus in den geschichtlichen Sumpf schlug, so tat er das vor einem ändern Publikum und in einem ändern Auditorio; 1893 Meyer Enz. 11 124 Auditorium . . in der kirchlichen Sprache der Standort der Audientes . . in den Kirchen, auch Sprechzimmer in Klöstern; Ziegler 1895 Student 3 Ich wollt sie [Vorlesungen an d. Universität Straßburg] erst, nach gründlicher Umarbeitung, dem Auditorium maximum der Öffentlichkeit übergeben; Dombrowski 1920 System III 101 Noch am Nachmittag des Sonnabend fand im Auditorium maximum der Universität eine stark besuchte Studentenversammlung statt, in der der Studentenschaft der Staatsanwalt und „Reichsminister" . . die Grüße des Herrn „Reichskanzlers" überbrachte; Lokal-Anz. 22.2.1933 Im dicht überfüll-

Auditorium ten Auditorium maximum der Friedrich-WilhelmUniversität . . es hatten wegen des Andrangs verschiedene Parallelversammlungen in anderen großen Hörsälen eingerichtet werden müssen; 1937 ZG Oberrhein XC 257 Unsere juristischen Auditoria sind jetzt kleiner, da unsere akademische Totalsumme sich nur auf 518 Studenten beläuft; Welt 2.3.1964 Johnson hat äußerlich den Unterschied gewählt, daß er seine Konferenz nicht in dem theaterartig angelegten Auditorium des State Department abhielt, sondern in dem „internationalen Konferenzraum"; Zeit 15.2.1985 Es war letzte Woche im Auditorium von Jad Vaschem, der Gedenkstätte für die sechs Millionen Juden auf einem der Hügel Jerusalems; Ortheil 1987 Schwerenöter 436 Am Morgen kamen wir mit Tausenden anderer Studenten im Auditorium maximum der Universität zusammen, um . . zu diskutieren; Stern 10.6.1987 600 Ärzte trommelten auf die Klapptische im Auditorium des vollbesetzten Hörsaals AI der Kölner Universität; MM 13.5.1987 Nur einmal kam etwas von der politisch engagierten Stimmung früherer Jahre ins Festival: als vor allem Frauen das Auditorium der Stadthalle bis auf den letzten Platz füllten; Spiegel 30. 5.1994 Am Broadway und im West End laufen die neuen Stücke bereits seit Jahren . . Die Produktionen müssen aufwendig, die Auditorien gigantisch sein. Auditorium b: Moscherosch 1642 Visiones 237 dieweil in meinem leben vnd Richter Ampt/ mann mir die Hände offtmahl schmieren müssen/ damit die Process vnnd Händel richtig/ schlichtig vnd gelind gemacht wirden . . also versuche ich,/ ob solche schmier hie nicht abzuwäschen wäre/ ehe ich vor dem Auditorio generali erscheinen müßte; Speer 1687 Musikal. Kunst 37 wanns schon nicht in so gar kunstreicher Composition hergesungen wird, wornach das Auditorium gar nicht fraget; Dalhover 1687 Garten-Bethlein I 51b ein Volkreiches auditorium, ein grosse Menge der Zuhörer; Amaranthes 1710 Proben 353 Das Auditorium mit vollem Lachen schreyt; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 255 Die Lehren der Oeconomie, die ich meinen Auditoribus beyzubringen gesonnen bin; Ertl 1712 Buss-Kraut 36 Volckreiches Auditorium [in den Kirchen Münchens]; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 213) Sie [die Engländer] wissen hunderterley darinn zu sagen, was das Auditorium für den Dichter, oder für den von ihm bearbeiteten Stoff einnehmen, und unbilligen Kritiken . . vorbauen kann; Sonnenfels 1768 Br. 25 ein Gedräng [auf einer Messe], das der Quacksalber, nach Würde und Standesgebühr geehrtes, hochgeneigtes Auditorium nennet; 3782 Almanach d. Belletristen 212 im Angesicht eines zahlreichen und erleuchteten Auditoriums; Heine 1835 Romant. Schule 120 Vor einem

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Auditorium das meistens aus katholischen Seminaristen bestand, hielt er Vorlesungen über allgemeine Weltgeschichte; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch l Der alte Czymek . . hämmerte, eine polnische Mollarie pfeifend, auf einen unförmigen Kommißstiefel los; ich bildete das Auditorum [sie] bei diesem Schauspiel; Raabe 1864 Hungerpastor 273 Wenn dann auch ein anderer gelehrter Mann von einem anderen Lehrstuhl aus in den geschichtlichen Sumpf schlug, so tat er das vor einem anderen Publikum und in einem anderen Auditorio; Arber 1894 Pereat 11 Isa zieht sich zurück, um Toilette zum Ausgehen zu machen und erscheint bald darauf wieder in einem Kostüm, das einen Seufzer des Neids in jeder Damenbrust des Auditoriums erweckte; Zapp 1896 Off töchter 173 Sie haben in unsern zweiundzwanzig Schülerinnen ein nicht leicht zu behandelndes Auditorium vor sich; 1910 Stimmen d. Zeit LXXIX 275 Applaus eines philosophisch ungeschulten Auditoriums; Th. Mann 1922 Reden u. Aufs. (W. XI 811) Als ich an einem Tage der Goethe-Woche zu Frankfurt in der Universität über Bekenntnis und Erziehung, über Humanität also, sprechen durfte . . hinter Ihnen war das Festauditorium bis zur Empore hinauf voll akademischer Jugend; ders. 1928 Reden u. Aufs. (W. XI 624) Das gebildete Deutschland machte den Ehrentag einer verdienten Buchhandlung zu dem seinen, und der ihn am Pult zelebrierte, wußte wohl sich der Aufmerksamkeit und Zustimmung zu freuen, die ein dies Deutschland verkörperndes Auditorium, die höhere Gesellschaft. . versetzt mit auswärtigen Künstlern, Schriftstellern, Verlegern, Reichs- und Landesvertretern, ihm schenkte; Voss. Ztg. 28. 2. 1932 Das kunstsinnige Auditorium wartet auf Anna Bahr-Mildenburg; ND 19.9.1959 Man muß nur erlebt haben, mit welcher Intensität die verschiedensten Auditorien Chruschtschow zuhören, seien es die ausgekochten Reporter der amerikanischen Presse oder die ehrwürdigen Stadtväter New Yorks, Industriekapitäne oder gewiefte Diplomaten; Welt 7. W. 1974 Das Auditorium aber blieb gelassen, reagierte gelangweilt oder mit Gelächter; MM 25.5.1985 Das Gericht sah es als verwerfliche Handlung an, wenn jemand den motorisierten Verkehr lahmlegt, um ein großes Auditorium für sein Anliegen zu gewinnen; ebd. 26.2. 1986 Und im Verlauf eines langen Tages . . sitzt das Auditorium ohne Zeichen der Ermüdung im riesigen Kongreßpalast des Kreml; Zeit 13.2. 1987 „That's Art Rock", grinst Jack Bruce in den gelehrigen Beifall des Auditoriums, dem er gerade mit seiner schönen Stimme ein kryptisches Gedicht von Samuel Beckett vorgesungen hat; ebd. 6.3.1987 Ähnlich wie die Lesungen bisher nicht gerade privilegierter Dichter ein bei uns unvorstellbar großes Auditorium anziehen, zeigen erstmals junge Kunst-

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ler in größerer Freiheit ihre allerdings noch nach überzeugender Form suchenden Werke; MM 18. S. 1988 Der Mann, der an britischen und amerikanischen Universitäten als Germanistik-Dozent wirkt . . muß sich erst daran gewöhnen, vor einem deutschsprachigen Auditorium in Deutschland aus der deutschen Übersetzung seiner englischen Arbeiten zu lesen. Audition: 1414-1418 Const. Conzil XXVIII 11 wart des hauptes audicion (MÖLLER); 1575 Costnitzer Concilium Bl. 13b ward angestellt die Audition, das sind die Auditores die da richten, was ad rotam gebraucht wirt; Stuttgarter Ztg. 22.9.1962 „Audition" am kommenden Montag (Überschr.) Der Schweizer Bundesrat ist auf den 24. September durch den Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur „audition" über die Assoziierung der Schweiz mit der EWG nach Brüssel geladen worden; 7967 Brockhaus II 52 Audition . . Religionswissenschaft: eine durch Hören vollzogene Form der Begegnung schöpferischer religiöser Persönlichkeiten (Mystiker, Propheten) mit dem Göttlichen; MM 16.2.1988 bei Vortanz- und Vorsingterminen mit internationaler Beteiligung . . in Fachkreisen „Auditions" genannt. auditiv: 1932 AfdA LI 64 auditiven Feststellungen; Bäte 1937 Annette 31 Annette [v. Droste-Hülshoff] ist ein ausgesprochen auditiver Typ; 1970 Porschungsber. d. IDS V 64 „Akzent" ist ein komplexes Phänomen übrigens auditiver Natur, das vorwiegend durch Lautstärke realisiert wird, bei dem aber auch Pausen, Konsonantendauzer . . Tonintervall u.a. eine Rolle spielen; 1988 Prospekt z. Ausstellung Schüler u. Medien o. S. Erste Ergebnisse dieser Arbeiten werden in einer multimedialen Ausstellung präsentiert. Visuell, auditiv und audiovisuell kann der Besucher erleben, wie Schüler eigenständig und schöpferisch mit Medien umgehen; Süddtsch. Ztg. 7.18.8.1993 Wie die Kamera in seinen früheren Filmen, so setzte er auch die neue Lebensgefährtin ein. Er nahm mit ihr eine Zeitlang fast täglich alle möglichen Gespräche und Geräusche auf. Zusammen mit seinem Assistenten, dem Dichter Gerard Malanga, „schrieb" er auf diese Weise zwei auditive Tagebücher. A, sein als „Roman" bezeichnetes Buch, ist schließlich die wortwörtliche Wiedergabe einer 24stündigen Aufnahme von Gesprächen in der Factory. Auditor, Auditeur: Königshofen 1400 Chronik 598 Do er nun wider gein Rome kam und arm was worden von schetzunge, von soldenern und maniger hande kosten den er gehebet hefte, do schetzete er sine schriber, notarien und auditores und alle sine ambahtlüte umb gut; 1414—1418 Const. Con-

zil XXVHI 2 und nam der auditor [XXVIII13] und haissent auditores (MÖLLER); 1438 Ständefrage Preußen II 71 mögen rath haben van den richteren des hilgen vaters des bawstes, die men auditores rote nent (FRNHD. WB); 1462 Silesiaca VII 86 mit eynem auditori von Rome gesant (MÖLLER); Luther 1520 W. VI 431 Drumb wo es sein mocht, zuscheyden die hedder und krieg, das der primat in Germanien ein gemeyn Consistorium hielte mit auditoribus, Cantzelern; 1528 (Schles. Kirchen u. Schulordn. I 18) Es hat ein erbar rath beschlossen . . das in yder schule ein Schulmeister sein soll, drei baccalaurien, ein signator und zwene auditores; ebd. l 2l und die zwene auditores sollen beide . . die elementarios oder Donatisten buchstaben und lesen lernen; Bresl. SO 1528 (Bauch, Aktenst. 28) doruor sollen sie die elementarios odder donatisten buchstaben vnd lesen lernen, vnd solliche zcwene auditores sollen seyn zcwene aus der zall der sechs schreyber (NYSTRÖM); Paracelsus 1528 S. W. I 6,1 175 f. Aus was art, wesen und eigenschaft sol der arzt sein? so hörend, lieben auditores, sein wesen sol nit sein, das er dahin stellen woll, sein sekkel zu füllen; ders. 1530 S. W. l 8,62 mit solchem schreien ubertören sie die auditores, das sie von arcanis und mysteriis der natur nicht horchen wollen; Württemb. SO 1559 Vormb. I 70 Dieweil aber nit . . dise vnser Schulordnung mit allen Ciassibus ausz mangel der Pedagogen auch Auditoren gentzlichen . . anzurichten (NYSTRÖM); Bresl. SO 1570 Vormb. l 190 Die andere stunde sollen sie . . im lesen verhöret werden, Vnnd sol in solcher Verhöre der Auditor oder Praeceptor mit sonderm vleis darauff achtung geben (NYSTRÖM); Wallhausen 1616 Manuale (Gl.) Auditeur. Einer so in Kriegs Sachen alles pflegt zu verhören (JONES); Magdeb. u. Halberstadt SO 1632 Mitteil. V 96 Von den Auditoribus, Discipuln oder Zuhörern (NYSTRÖM); 1644 (Lavater 1651 Kriegsbuchlein 2r) Auditeur, der Kriegssachen verhöre (JONES); 1691 Stieler 1556 Feldrichter . . Auditor; Gruber 1697 Kriegs-Disziplin I 26 Auditeur, oder RegimentsSchultheiss und Secret; Musig 1726 Licht d. Weisheit 69 In Annahme seiner Auditorum hat er sich sehr vorsichtig aufgeführet; 1710 Neue Bibliothek VI 628 damit . . die Herrn Auditores über den abgeschmacken Bickelhäring auff der Catheder möchten was zu Lachen kriegen; 2743 Reglement Preuss. Cav. 196 f. so soll der General-Wagen-Meister . . oder die von ihm bey jeder Colonne bestellten Leute, oder auch die Auditeurs dergleichen Knechte augenblicklich vor den Kopf schiessen; Trenck 1745 Leben 20 Ich ritte gleich nach Esseck mit meinem Banduren, der den Diebs-Protecteur erschossen, vor Gericht, und verlangte Satisfaction; weilen aber der alldortige Stabs-Auditor . . meiner Protestation ungeachtet, die Sach ausma-

Augiasstall chen mußte; Pütter 1798 Selbstbiogr. 72 als Auditeur oder Regiments-Quartiermeister . . zu dienen; Bolte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 6 Die Seelsorge und Aufsicht über den Schulunterricht führt der Feldprediger, und der Auditeur ist der Justitiarus des Regiments; ebd. 63 Um sich zu den Geschäften eines Auditeurs vorzubereiten, thut man sehr wohl, wenn man bei dem Generalauditoriat als Auscultator den gerichtlichen Verhandlungen beiwohnt; 1894 Konversationslex. 11 124 Auditeur . . Auditor; bei Militärgerichten (mit Ausnahme der in Bayern) der den Gerichtsherren beigegebene Rechtsgelehrte, welcher bei Untersuchungen das Technische des Rechtsganges leitet, jedoch weder richterliche Befugnisse noch diejenigen eines Anwalts hat . . Auditor . . eigentlich Hörer, Zuhörer; in manchen deutschen Staaten früher Bezeichnung für einen Aspiranten zum Eintritt in den Justizdienst, der an den Geschäften und Verhandlungen teilnahm, aber ohne Sitz und Stimme; auch Auditeur, so insbes. in Österreich; in der kirchlichen Sprache ein zur Klasse der Audientes . . gehöriger

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Katechumene oder Büßer; Hermann 1908 Henriette 198 Aber es war noch ein Rat vom Kultus da . . irgendein angehender Auditor oder Richter von der Universität; Busch 1962 Militärsystem 129 „Auditeure", Beamten der Militärjustiz; Knemeyer 1970 Regierungs- u. Verwaltungsreformen o. S. Zudem wurden französische Staatsauditeurs in die einzelnen Departments gesandt, um das durch die Befragungen erlangte Material zu vervollständigen. Auditor(i)at: Bolte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 63 Um sich zu den Geschäften eines Auditeurs vorzubereiten, thut man sehr wohl, wenn man bei dem Generalauditoriat als Auscultator den gerichtlichen Verhandlungen beiwohnt; Schneider 1860 Bayer. Mil'Oekonomie l 3 Auditoriats-Actuare; Stein 1872 Heerwesen 69 während zu demselben stets die Chefs des betreffenden Auditoriats, Sanitätscorps und der Intendanz hinzugezählt werden; ebd. 86 Das Auditorial ist der große Organismus für die Verwaltung der Rechtspflege des Heeres.

Augiasstall M. (-(e)s; PL ungebr.), im späten 18. Jh. aufgekommene, phraseologisch verwendete Zs., nach Augias (griech. Augeias), dem sagenhaften König von Elis im antiken Griechenland, dessen 30 Jahre lang nicht ausgemisteten, völlig verschmutzten Rinderstall Herkules an einem Tag reinigte, indem er zwei Flüsse hindurchleitete (daher auch Herkulesarbeit 'ungeheuer schwere, großen Kräfteaufwand erfordernde Arbeit'). Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'Raum, der sich in einem besonders verschmutzten oder vernachlässigten Zustand befindet, stark verschmutzter Raum' (s. Belege 1864—70, 1866, 1929), von Anfang an meist übertragen gebraucht für 'durch Vernachlässigung entstandene große, kaum noch zu beseitigende Unordnung' und, bes. in bezug auf gesellschaftliche und politische Phänomene, auch stärker pejorativ im Sinne von 'unhaltbarer, verrotteter Zustand, Mißstand; üble, korrupte Verhältnisse', z. B. einen wahren Augiasstall vorfinden und bes. in den festen Wendungen den Augiasstall ausmisten/reinigen/ausfegen 'eine durch Schlamperei, Nachlässigkeit entstandene große Unordnung mit Mühe beseitigen; korrupte Verhältnisse abschaffen, die Ordnung wiederherstellen'. 1777 (Br. dtsch. Gelehrter l 444 Anm.) Des Canonicus, bekannten Verfassers der kritischen Dichtkunst, und, neben Bodmern, des rüstigsten Werkzeuges, den Augiasstall des deutschen Ungeschmackes in der ersten Hälfte seines Jahrhunderts zu säubern; Wolf 1797 bnefl. (Schütz, Leben l 474) Ich stehe jetzt alle Tage voll inniger Hochachtung vor Aeschylus (das heißt, vor Ihnen selbst) ein paar Male von meinem Stuhle auf: Bester! welchen Augiasstall haben Sie da bearbeitet, am Agamemnon; Jean Paul vor 1807 (Campe 1807-11 Wb. d. dtsch. Spr.) nur knaben kommen aus dem Augiasstall des welttreibens mit ein wenig Stallgeruch da-

von (DWB); Haller 1820 Restauration l Vorr. XXXVI den Augias-Stall sophistischer Doctrinen säubern; Krimer 1833 Erinn. I 7 geistige Augiasstall; Burckhardt 1844 Br. a. Kinkel 81 Habe einer die Stärke Herculis, . . er wird den Augiasstall [des gegenwärtigen Lebens] nicht ausmisten, er wird dieser Hyder nicht alle Köpfe abschlagen; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris I 15 Wenn man mich endlich bei den Wahlen für die Reichstage als verbraucht. . betrachtet hat, und meine gemäßigten Grundsätze feige und ungenügend nennt, so will ich auch ändern und jüngeren Kräften überlassen, mit größerer Weisheit den städtischen Augiasstall auszumi-

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Augiasstall

sten; Füster 1850 Mem. l 81 Augiasstall; Szarvady 1852 Paris l 244 Was Proudhon gethan, das war mehr als eine Herkulesarbeit; er hat den Augiasstall eingewurzelter Inbegriffe gesäubert; Krimer 1853 Erinn. I 7 Außer ihm hatte aber dieser geistige Augiasstall [Kloster] nichts besseres, als — den besten Wein und die leckerste Tafel; 855 Prutz' Museum II 595 Es ist recht schön, sich als ein Hercules zu fühlen; aber muß man sein erstes Probestück [Theateraufführung einer längst abgespielten Posse] darum gerade an einem Augiasstall machen?; 1862 Staatswb. VII 319 Bei dieser Untersuchung überzeugte sich N. selber von dem furchtbaren Abgrund voll Fäulniß im russischen Reich, vor Allem von der Verderbniß in der Justiz und in der Verwaltung. Auch ein starker Charakter konnte vor der Arbeit zurückschrecken, diesen Augiasstall in Angriff zu nehmen; 1863 (Eyth 1904 Strom 178) ein Mann .., der Geschick und Tatkraft zu haben scheint, den muselmänischen Augiasstall auszufegen; Hohenlohe-Ingelfingen 1864-70 Leben III 323 Ich ließ sämtliche Ärzte und Lazarettgehilfen der . . einquartierten Truppen unter Kommando meines Oberstabsarztes stellen und kommandierte ihm täglich noch so viel Hilfsmannschaften, als er brauchte. So war zunächst der Augiasstall ausgefegt. Dann sah ich mich nach einem anderen Lokal um; 1866 Grenzboten III 341 Manche [österr. Kasernen] waren wie Augiasställe, denn glaubte man mit Schmutz und Unordnung fertig zu sein . .; Bismarck 1867 (bei Klemm l 57) Zu Bernhardis Ueberraschung theilte Bismarck demselben mit, daß er damit umgehe, sobald Preußen bei einer etwas ruhigeren Periode angelangt sei, das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten abzugeben und das Portefeuille des Inneren zu übernehmen, wo viel unnütze Weitläufigkeit herrsche — „um den Augiasstall zu reinigen"; Dincklage 1870 Gesch. II 331 Herr Sporer nannte diesen [mit Rechnungsbüchern bedeckten] Tisch „seinen Augias-Stall" und empfand bei der Hercules-Arbeit, seine ordnungslose Last zu sichten, jenes selbstzufriedene Behagen, das systematische Menschen zu so vielen Opfern . . antreibt; Harless 1872 Bruchstücke l 50 der den Augiasstall [ein verwahrlostes Nürnberger Gymnasium] ausfegte; Nürnberger 1874 Siegelringe 85 In allen civilisirten Rechtsstaaten gibt es umsichtige Preßgesetze . ., welche den Gebrauch des ländlichen Wortes Hornvieh in . . vielen Fällen erschweren, . . so daß eine „taktvolle Preße" in Benützung dieses unschuldigen, aber von den Zeichendeutern für zweideutig gehaltenen Wortes die äußerste Reserve sich aufzulegen beflissen ist. Desto ungenirter springt aber auch die taktvollste Preße mit dem Worte Augiasstall um. Und doch ist ein Augiasstall ohne das dazu gehörige Hornvieh gar nicht denkbar und ist

besagter Stall just dadurch so hochberühmt geworden, weil ihn Tausende von Ochsen hundert Jahre lang — organischchemisch benutzt haben; Mouteton 1875 Sonst 71 Augias-Stall, den nur ein Herkules zu reinigen vermag; Lindau 1877 Blätter I 262 Augiasstall des höheren Blödsinns; Derblich 1889 Militärarzt l 159 So mancher Pfeiler der Barbarei war in dieser kurzen Zeit niedergerissen, mancher Winkel des Augiasstalles [in der Hauptstadt der Wallachei] gereinigt; Lübke 1891 Lebenserinn. 295 Was für einen Augiasstall hat die strenge piemontesische Verwaltung zu reinigen gehabt; Harden 1892 Apostata. N. F. Vorw. V Sie [Staatsanwaltschaft und Presse] haben es wahrscheinlich nicht verschuldet, daß ich durch keine herkulische That mir den Himmel verdient habe, denn ihre Verfolgung hat mich stachelnd geleitet. . . Aber die Götterkraft läßt sich nicht erzwingen und man muß schon froh sein, wenn die Reinigung eines Eckchens nur im allzu geräumigen Augiasställe gelang; Lanin 1893 RUSS. Zustände II 213 der Strom russischer Civilisation, der .. die Bestimmung hat, dereinst den Augiasstall westeuropäischer Kultur zu säubern; Kussmaul 1903 Jugenderinn. 89 Nur seine [Napoleons] eiserne Hand vermochte den Besen zu führen, der den Augiasstall des hl. röm. Reiches ausfegte; Thäter 1911 Feldzugserinn. 168 Irgend ein anderer Raum hatte ohne jede Anpassung an seinen Zweck als Klosett gedient. Es kostete tagelange Arbeit, bis mit diesem Augiasstall nur einigermaßen aufgeräumt war; 1922 Heimatland (München) Nr. l Unterwerfung unter die starke Hand eines wirklichen Staatsmannes, der den Augiasstall im Innern säubert und . . die Herabsetzung der Tribute, die Revision des Vertrages von Versailles fordert; Erman 1929 Werden 179 das Reinigen dieses Augiasstalles [Königliche Bibliothek Berlin]; Th. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. X 792) daß der „Augiasstall" unserer Geldzivilisation auf politischem Wege nicht zu reinigen sei; Süddtsch. Ztg. 2.6.1951 Demokratie ist von zwei Seiten her besonders gefährdet: von innen durch Korruption, von außen durch die Feindschaft der auf ihre Anfälligkeit spekulierenden Gegner. Die Augias-Ställe der Korruption räume man rücksichtslos aus. Jedoch auch die „externen" Gegner verdienen eine harte Hand; ebd. 24. 9.1954 Auch große unabhängige Blätter stützten den mutigen Untersuchungsrichter Raffaelo Sepe, einen Mann von der Statur eines Herkules, der . . den Augiasstall der Skandale zu reinigen suchte und Tausende von Seiten mit seinen amtlichen Berichten füllte; Stuttgarter Ztg. 19.12.1959 Seiner 80 Punkte umfassenden Strafanzeige ist es nach den Worten von Staatsanwalt Dr. Sandner zu danken, daß der „Augiasstall [Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere] ausgemistet" werden könne; Welt

Auktion 7.2.1969 die Frage „was dann?" bewegt heute die Spezialisten in den Amtsstuben, morgen aber jeden Haushalt in der Bundesrepublik, denn bei aller Unklarheit im Kampf der modernen Nachfolger des Herkules, der den Augiasstall noch durch einfaches Hindurchleiten von zwei Flüssen reinigen durfte, ist eins ganz sicher: die Kosten der Müllvernichtung trägt der Konsument; Zeit 20.12.1985 geblieben sind ein paar Sprüche, Gemeinplätze, Metaphern; ein Kainsmal, ein Linsengericht, ein Goldenes Kalb, abgegriffen wie die Achillesferse oder der Augiasstall; Bundestagsprotokolle 24.10. 1990 (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU). „Herkules steht vor dem Augias-

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stall, aber wird gar nicht gebraucht, zahllose Putzfrauen sind doch längst mit dem Staubwedel am Werk"; FAZ 1.1.1991 [der Boden, auf dem der Terrorismus gedeiht] Dieser Sumpf, Ergebnis gleichsam von fortgesetzter Nestbeschmutzung, also eine Art Augiasstall, sollte trockengelegt werden — eine wahre Herkulesarbeit; Spiegel 15.2. 1993 das von Kupfers Vorgänger Diederich und dessen Staatssekretär . . ausgebaute Innenressort gilt als regelrechter Augiasstall; ebd. 28.6. 1993 Nun jammern und heulen die schlampigen Schlappschwänze ihr selbstverschuldetes Elend heraus, während die nachfolgenden Lehrergenerationen den angerichteten geistigen Augiasstall ausmisten dürfen.

Auktion F. (-; -en), vereinzelt im späteren 16. Jh., erst seit Anfang 18. Jh kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus (flekt. Form von) lat. auctio 'Vermehrung, (Ver-)Steigerung (des Preises)' (zu auctum, Part. Perf. von augere 'wachsen lassen; vergrößern, vermehren'; —·· Autor), anfangs vereinzelt in der lat. Form. In der Bed. '(öffentliche) Veranstaltung zum Verkauf von Waren, Kunstgegenständen, Büchern, Schmuck, Antiquitäten (aus Nachlässen, Sammlungen o. ä.) an die Meistbietenden, wobei der Kaufpreis durch das Bieten immer höherer Summen vermehrt, erhöht wird; Versteigerung', gelegentlich in bezug auf Menschen, z. B. (scherzhaft) auf heiratswillige Frauen, verwendet (s. Belege 1714, 1910, 1956); häufig als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Auktionskatalog, -kauf, -kommissar, -halle, -haus, -pferd, -preis; Bücher-, Nachlaß-, Kunst-, Groß-, Fisch-, Vieh-, Wohltätigkeitsauktion und heute noch historisierend verwendetes Holzauktion, das auch leicht abwertend und bildlich im Sinne von 'auf den Erwerb derselben Sache, die Erreichung desselben Ziels gerichteter Massenansturm' verwendet wird (s. Belege 1893, 1930, 1969). Dazu seit Ende 17. die auf lat. auctionari 'Auktion halten, veranstalten; in der Auktion versteigern, ersteigern; den Preis steigern' zurückgehende verbale Ableitung auktionieren V. trans., in der Bed. 'auf Mehrgebot ausbieten, meistbietend, zum Höchstpreis verkaufen, versteigern', neben der häufigeren, bis heute nachgewiesenen Präfixbildung verauktionieren, auch leicht abschätzig im Sinne von 'ausverkaufen, verscheuern'; im 18.719. Jh. die veraltete Personalableitung Auktionär (zurückgehend auf gleichbed. lat. auctionarius; vgl. engl. auctioneer), gleichbed. mit seit früherem 18. Jh. nachgewiesenem, auf gleichbed. mlat. auctionator zurückgehendem Auktionator M. (-; -en), anfangs in der lat. (flekt.) Form, für 'jmd., der bei einer Auktion die gebotenen Preise ausruft; Versteigerer'; im 19. Jh vereinzelt die (1863 bei Kaltschmidt) gebuchte adj. Ableitung auktionär (vgl. engl. auctionary) 'zur Auktion gehörend'. Auktion: Rot 1571 Diet. 291 Auction, Mehrung/ zuenemung. Item ein Gant . . verkauffung der guter/ dem der am aller meisten drauff legt vnd drumb gibt; Callenbach 1714 P 73 daß sich die Töchter so wohl signalisiren/ so . . in Kauff / in die Auction schicken; 1740 (1902 Jahresber. Histor. V.f. Mittelfranken IL 16) Auctions-Ordnung [erlassen]; 1741 Regensb. Process-Ordn. 155 die

bald vom Anfang des Gannt-Processes denen Gläubigern . . vorgenommene Subhastation . . Auction derer Mo- und Immobilien; Lessing 1750 Br. l 22 Hr. Mylius ist zwar Auctions Commißar geworden, doch wer ihm die 1500 .. Besoldung angedichtet hat, der hat ihm groß Unrecht gethan; Kruenitz 1773 Oec. Enc. 647 [unter Auction] In anderen Städten sind besondere Auctions-Corn-

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Auktion

missarien, Auctionatores und Ausrufer bestellt; Michaelis 1776 Räsonnement IV 690 Dieser Mann, der sein Vergnügen an der Bücherkenntniß fand, las Auctionskatalogos mit der Empfindung, mit der ein Poet Hallers Gedichte liest; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 500 welches also den neunten Band ausmacht, aber meinem Exemplar, welches ich aus der Bücherauktion des Ornithologen P. G.G. Möhring gekauft habe, fehlt; Gadebuseh 1788 Staatskunde II 55 gewürze . . aus den auctionen der holländischen kompagnie; Heinzmann 1795 Pest d. Lit. 198 So habe ich das bändereiche Buch, die allgemeine deutsche Bibliothek, in öffentlichen Auktionen schon ä 5 Groschen den Band verkaufen sehen; 1800 Journal d. Moden XV 191 Rostische Kunstauktion (Überschr.) Die ausgesuchte Sammlung von Kupferstichen und Handzeichnungen, welche der . . Kunsthändler Rost für sich selbst. . zurückgelegt hatte, wird in der bevorstehenden Leipziger Ostermesse . . verauctioniret werden; Balte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 397 Sachen, die auf Auktionen erkauft sind, müssen, wenn sie aus der Fremde kommen, alle versteuert werden; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 26,119) Eine vortreffliche Landkartensammlung . . und anderer damals vorzüglicher geographischer Blätter . . ein Schrank alter Gewehre, ein Schrank merkwürdigster venezianischer Gläser, Becher und Pokale, Naturalien . . und hundert andere Dinge wurden gesondert und aufgestellt, und ich verfehlte nicht, bei vorfallenden Auktionen mir jederzeit einige Aufträge zur Vermehrung des Vorhandenen zu erbitten; ders. 1816 Sehr. z. Kunst (WA l 49.1,282) Sie kamen vielmehr unter Karl L, welcher als ein großer Kunstfreund die köstlichsten Schätze zusammenbrachte und also auch den Herzog von Mantua auskaufte, nach London und blieben daselbst, obgleich nach seinem unglücklichen Tode die meisten Besitzungen dieser Art durch eine Auktion verschleudert wurden; 1840 ZKrieges L 247 den ausrangirten oder sogenannten Auktionspferden; Hesslein 1867 Neger-Bar. 315 Hier [in New-Orleans] durchwanderten wir eine der Hauptstraßen, als ich auf eine Sklavenauction aufmerksam gemacht wurde, die soeben in einem großen Magazine abgehalten wurde; Stinde 1893 Liedermacher 15 Ach was Thee's, Holzauktionen sind's. Gerade wie bei einer Versteigerung kommen Menschen auf einen Fleck zusammen, von denen sich die wenigsten näher kennen . . Und Jeder giert, etwas zu ergattern; Eilenberger 1910 Pennälerspr. 55 Gänseauktion: Verteilung der Damen beim Schulball; Philippi 1916 Hagedorn 128 Säle eines großen Auktionshauses; Wilke 1930 Erinn. 215 Holzauktion im Grunewald (Überschr.) Schlager . . von der Holzauktion, bei der „die ganze Klafter Holz bloß 'nen Taler kostete"; Hintz 1931

Gisela 115 Die Möbel sind wahllos zusammengewürfelt, sicher auf Auktionen und in Pfandhäusern erworben; Berl. Illustr. Nachtausg. 22.12.1931 Die Schilderung Heines, die man in dem hübschen Auktionskatalog, der mit einer Ausnahme sämtliche Blätter abbildet . . verteilte; Welt 26.3.1949 Die erste freie Auktion von Seefischen mußte jetzt in Cuxhaven stattfinden, da der Fischgroßhandel die Aufnahme zu den neuen Höchstpreisen ablehnte; ebd. 20.2.1954 Auktionspreise für Fische (Überschr.); ebd. 7.8.1954 Kaufe ständig für meinen Kunsthandel oder übernehme in meine in Vorbereitung befindliche Kunst- oder Juwelenauktion: Gemälde, Silber, Schmuck, Orientteppiche, antike Möbel, gute Antiquitäten; Süddtsch. Ztg. 28.4. 1956 als er Galerani . . in der „Auktionshalle" in Uelzen abholte, wohin man alle Bauern kommen ließ, die sich einen Italiener „bestellt" hatten; Stuttgarter Ztg. 19.2.1969 „Olympische Holzauktion" (Überschr.) Der Parcours des Nationenpreises am Schlußtag der Olympischen Spiele in Mexiko war falsch vermessen; Zeit 15.3.1985 Am Kunstmarkt weit bekannter als unter Medizinern, erwarb er sich einen legendären Ruf mit spektakulären Auktionskäufen; MM 14.6.1985 Das Hack-Museum war ebenfalls an dem Erwerb des Triptychon interessiert, und der damalige Museumsleiter . . bot auf der Auktion mit, mußte jedoch bei 250 000 Mark passen; Zeit 14. 6.1985 Die Frau des reichen Waffenhändlers ersteht auf einer Auktion ein kostbares Porzellan-Service; ebd. 16.8.1985 Am Wochenende ziehen sie durch die vielen Auktionsschuppen, Flohmärkte und Buchhandlungen; ebd. 6.6.1985 Was Müller sammelt, das sammelt er en gros, das verfolgt er quer durch die Länder und Auktionen wie der Jäger das angeschossene Wild; ebd. 4.10. 1985 die restaurierte Fischauktionshalle von 1896, eine weitläufige Handelsbasilika aus Gußeisen und Backstein; ebd. 8.11.1985 Von 'ban the bomb' bis hin zu 'rettet den Wal' stifte ich Bilder für jede Wohltätigkeitsauktion; ebd. 27.3.1987 Verglichen mit den schwindelerregenden Preisen auf Großauktionen ist zeitgenössische Kunst in den Galerien jedoch für ein Taschengeld zu haben; ebd. Ein Teil wird an der Kunstbörse der großen Auktionshäuser umgesetzt, der andere fließt in den Markt der zeitgenössischen Kunst . . In Auktionshäusern, Galerien und Ateliers blüht das Geschäft, ein schickes Millionenspiel, an dem alle beteiligt sein wollen; MM 16.7.1987 In die Viehauktionshalle von Neumünster werden 5000 Besucher regelrecht eingepfercht; Spiegel 30.11.1992 Die Fürstin mußte deshalb bereits bei einer Auktion in Genf für rund 22 Millionen Mark wertvolle Schmuckstücke und Einrichtungsgegenstände verkaufen. Auktionär/Auktionarius: 1712 Hübner 134 Der Ausruffer.. wird . . auch Auctionarius genannt

Aula (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1844 Schleier 49 Auctionarius. . Ausrufer; Schlesinger 1852 London I 258 Auctionäre der verschiedensten Gegenstände. Auktionator: 1727 Hübner 169f. Auctionator (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Lessing 1748 Misogyn 378 Was? daß ich sein Unglück machen will? . . Sie werden mit Ihrer verräterischen Auktionatorstimme noch meines machen. Ich thue meine Dinge alle gern heimlich und in der Stille; Kruenitz 1773 Oec. Enc. 647 [unter Auction] In anderen Städten sind besondere Auctions-Commissarien, Auctionatores und Ausrufer bestellt; Sentier 1782 Lebensbescbr. U 85 ein alter Auctionator . . der eine schöne Bücherkentnis sich gesamlet hatte; 1844 Schleier 49 Auctionator . . Ausrufer; Hesslein 1867 Neger-Bar. 315 Der Auctionator war gerade mit dem Verkauf von Pflanzungsarbeitern und Handwerkern beschäftigt; Berl. Illustr. Nachtausg. 22.12.1931 Im weiten ovalen Versteigerungsraum sitzt an dem hohen Pult der Auktionator, ruhig und lässig; nur die Zahlen der Angebote kommen eintönig von seinen Lippen; Süddtsch. Ztg. 22.4.1952 Die Auktionatoren sind — auf allen Gebieten — gezwungen, in einem mühsamen Zusammensetzspiel aus vielen Besitzen auzuwählen und den Versuch zu machen, aus dem Vielerlei auf der Bühne der Auktionsausstellung eine dem Auge wohlgefällige Kulisse zu errichten; FAZ 9.6.1971 während die wichtigsten öffentlichen Sammlungen ihr Interesse auf die Produktion von heute richten . . halten die Auktionatoren . . ein Terrain, das der Kunstgeschichte und . . der Erlebnis- und Vorstellungswelt einer Generation gehört, die kaum für die Zukunft der Versteigerungen bürgen dürfte; Welt 3.9.1974 Für 12000DM hatte

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seinerzeit der Auktionator den Zuschlag erteilt, mehr als eine Million DM holte der inzwischen in die USA verkaufte Vollblüter durch seine Rennsiege herein; Zeit 27.3.1987 Spielerisch schwingt Noel Annesley, der Auktionator, seinen elfenbeinernen Hammer. (ver-)auktionieren: Dibbern 1692 Gl. auctioniren . . dem meistbietenden eine Wahre verkauften (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Thomasius 1701 Kl. Sehr. 85 mit etlichen alten verlegenen Büchern/ die man gherne verauctioniren wollte/ aber weil sie niemand kauffen will/ vielfältige mahl in die Catalogos setzen last; 1716 Marperger BdB 52 Waaren verauktioniren (SCHIRMER, Kaufmannssprache ); Laukhard 1792 Leben l 331 seine Sachen verauktionirte man unter allerlei Betrügereien; 1800 Journal d. Moden XV 191 Die ausgesuchte Sammlung von Kupferstichen und Handzeichnungen . . wird in der bevorstehenden Leipziger Ostermesse . . verauctioniret werden; Goethe 1813 Br. (WA IV 23,323) diese Dinge [Meißner Porzellan] zu verauktioniren; Gerstäcker 1848 Flußpiraten l 50 Haus und Land wurde verauktioniert; Berl. Illustr. Nachtausg. 3.1.1933 Meine letzten Sachen sind verauktioniert. Meine Bibliothek ist fort, Vatis Flügel auch; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 153 Nicht das einfachste Möbelstück, nicht ein einziger Stuhl wurde dort fabriziert, alles mußte von unten 1800 Meter heraufgebracht werden und wurde dann auf der Straße verauktioniert; Zeit 31.10.1986 Nach der von den Nationalsozialisten 1937 veranstalteten Ausstellung „Entartete Kunst" wurden die öffentlichen Sammlungen von den mißliebigen Kunstprodukten der „Brücke", des „Blauen Reiters", des Dessauer Bauhauses und expressionistischer Bildhauer geleert, die Kunstwerke teils vernichtet, teils im Ausland verauktioniert.

Aula F. (-; -s und Aulen), im frühen 16. Jh. entlehnt aus lat. aula '(überdeckte) Halle, Innenhof (des Hauses); Haus' (—» Atrium), auch 'Palast, Schloß; Residenz' (< griech. 'Vor-, Innenhof (als Versammlungsort der Familie); Wohnung'). a In der Bed. '(freie) hof-, atriumähnliche Halle, Hof (herrschaftlicher Gebäude, Paläste oder Villen)', speziell in der in lat. Syntagmen wie aula regia, aula palatii aufgekommenen Bed. 'Königs-, Reichs-, Regierungssaal, -halle; Palast' (vgl. Palastaula), von daher '(Königs-)Hof; Hofstaat, fürstliche Macht, Herrschaft', als Bestimmungswort in der Bed. 'höfisch; Hof-' vereinzelt auch in Zss. wie Auladrama; bis heute historisierend verwendet in Beschreibungen historischer Gebäude. Dazu das vom 16. bis ins frühere 20. Jh. vereinzelt gebuchte Subst. Aulicus 'Höfling', mit dem Adj. aulicus im latinisierenden Syntagma vita aulica 'höfisches Leben, Hofleben' (s. Beleg 1523), gleichbed. mit im früheren 20. Jh. vereinzelt (1933 bei Genius) gebuchtem Adj. aulisch in der Bed. 'zum Hofe gehörig'; im 19./früheren 20. Jh. die gebuchte subst. Ableitung Aulismus 'höfisches Wesen; Kriecherei, Schmeichelei'.

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Aula

b Seit Mitte 16. Jh. in der heute dominanten Bed. 'großer Versammlungssaal, Festsaal, -halle für Veranstaltungen in Universitäten, Hochschulen und (höheren) Schulen', auch allgemeiner für 'größerer Versammlungsraum in öffentlichen Gebäuden' (s. Belege 1965, 1966), gelegentlich als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Aularedner, -schule, -Vorlesung; Konzils-, Schulaula. Aula a: Corvinus 1523 Föns tat. 92 Aula . . ein Herrn oder Fürsten Hoffstadt; Dasypodius 1536 Diet. 16 Aula, ein sal/ fürste hauß oder künigshoff, regia; Rivius 1548 Vitruv. 212b die geng zwischen den Aulis/ das ist den Atrijs/ dann bey den Griechen wird ein solch gemach das lenger dan breit ist Andros genant; Alberus 1590 Fabeln II (1752 Gottsched 32) [Alkmar als Verfasser des Reineke Fuchs] ein hochverstendiger weiser Mann, ein Ehr aller Sachssen, der hat wol verstanden, was Aula vnd Welt heisst; 16. Jh. (Schuberth 1955 Bühnenbild 55) Von Wien aus trat das Jesuitentheater seinen Siegeszug durch die deutschen katholischen Länder an. Die erste Bühnentype ist das Auladrama. Es wird in der Aula der Universität gespielt und ist damit bereits zu einem außerordentlichen Grad von Bedeutung vorgedrungen; Partner 1964 Erben 81 Das römische Prätorium war damit zur aula palatii der fränkischen Herren geworden. Der Wohnbezirk der Hofbeamten grenzte unmittelbar an die Residenz; ebd. 300 Wenn er nicht im Gebäude der Aula, an Stelle des jetzigen Rathauses, wohnte, was steckt von seiner Wohnung noch im Boden?; ebd. 396 Beim Neubau einer Villa auf dem Platz der karolingischen Basilika stießen 1873 Erdarbeiter auf die Mauern der aula regia und der Torhalle. Anderthalb Jahrzehnte später legte Paul Clemen „im Nordteil des Basilikainneren" Säulenfundamente frei; ebd. 397 An die ganze Länge der Südseite des nördlichen Quadrates, dessen Mitte der Saalbrunnen in einem großen Hofe bezeichnet, legte der Architekt die beiden Gebäude besonderer, öffentlich-amtlicher Bestimmung: den Königssaal (aula regia, auch Reichssaal genannt) und die Kirche; ebd. 398 Der große Halbkreispalast zum Beispiel erinnerte Rauch „an den Halbrundbau am Trajansforum zu Rom", der Reichssaal mit seinem Atrium „an die Aula des Diokletian-Palastes zu Spalato und ihren Peristylvorhof"; ebd. 401 Inmitten der Thermenruinen — zwei Meter unter dem großen Kahlschlag, der sich während der fünfziger Jahre noch vom Dom bis zum Römerberg erstreckte — stießen die Ausgräber auf die Reste der aula regia, einer zweischiffigen Halle von 12,20 mal 26,50 Meter Größe; Zeit 2. 8.1985 Hell strahlt die Antike (Überschr.) In der Aula des Hauses, das von der Bergeshöhe hinab ins Tal und fern in die weite Rheinebene schaut, ist die Büste Platons aufgestellt, als des unerschöpflichen und unversiegbaren Urquells aller Kultur des Abendlandes.

aulicus: Corvinus 1523 Föns lat. 92 Aulicus, adj. Vita aulica, das Hoffleben. Aulicus: Corvinus 1523 Föns lat. 92 Aulicus, subst. ein Hoffmann/ der Hoffsbrauch vnd Gewonheit weis; Dasypodius 1536 Diet. 16 Vnde Aulicus, ein hoffmann/ der an eins fürsten hoff dienst; Wächtler 1709 Manual 46 Aulicus, ein Hoffmann. Aula b: 1544 Urkunden Tübingen 240 Allen Professoribus . . sollen in allen Promotionen vnd publicis actibus in Aula gegen den Doctorn vber ir gebürende session verordnet vnd gegeben werden; 1617 Summar. Inhalt d. Comicotragedien v. d. Paris. Doktor A 2a nach dem er mit Todt abgegangen vnd nach loblichem brauch derselben Vniversitet jhme den gantzen Tag in aula oder auff dem Academischen Saal psalliert wurde; Happel 1690 Akadem. Roman 166 Zu Oxford ist die berühmteste Academie in Engelland/ sie hat 16. Collegia und 8. Aulas, oder Höfe; Lessing 1777 S. Sehr. XXI 173 Die Aula Leopoldina und die Jesuiten=Kirche sind vortrefflich gemalt; 1848 Grenzboten I 2, 259 die [Wiener] Aula [als Mittelpunkt des Revolutionsstudententums], bis jetzt ein forum Romanum, dürfte . . ein campus Martius, oder zu deutsch eine völlige Kaserne werden, denn die Studenten wollen dann die Hörsäle zu ihren permanenten Wohnstuben umwandeln; Treitschke 1865 Jahre 34 Vorrechte der Aularedner; Burckhardt 1882 Br. a. Alioth 188 Aulavorlesung; Kaufmann 1896 Gesch. d. dtsch. Universitäten II 283 Am folgenden Tage fand die Aula oder die Promotion statt. In einer feierlichen und möglichst zahlreichen Versammlung leistete der Lizentiat knieend das Gelübde, Ehrerbietung zu bewahren gegen die Minister; Wassermann 1910 Masken 164 Er arbeitete, hörte Kollegien, hielt selbst Vorträge in der Aula, zu denen sich ein erlesenes Publikum drängte; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. XII 636) Ich durfte auch vor ihm sprechen anläßlich der studentischen Feier in der Aula der Universität, wobei das Ereignis war, daß zum erstenmal das Haupt des neuen Staates eine deutsche Hochschule betrat; ders. 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 142) Die Feier in der Aula der Universität Bonn, deren philosophische Fakultät mich kurz nach dem Kriege zum Doktor h. c. promoviert hatte, bleibt mir unvergeßlich durch einen jugendlichen Zudrang, der nach Aussage

Aura besorgter Professoren den Fußboden des alten Saales auf eine bedenkliche Belastungsprobe stellte; Süddtsch. Ztg. 9.12.1953 Zur Zeit wird eine Volksschule am Harthof in Form einer großen reizvollen Aula-Schule mit vierzehn Klassen, drei Fachklassen und Turnhalle sowie mit Kindertagesheim, zwei Kindergärten und zwei Horten, gebaut; Stuttgarter Ztg. 21.1.1959 neue Aulen aller Schulkategorien; Grzimek 1959 Serengeti 13 Während wir beide ganz hinten im Lichtspieltheater der Uraufführung unseres Filmes beiwohnten, kamen wir uns vor wie die Schuljungen zu Ostern in der Aula, wenn bekanntgegeben wird, wer versetzt und wer sitzengeblieben ist; Heuss 1963 Erinn. 238 er war stolz, daß wir die erste „bürgerliche" Versammlung in Berlin wagten, eine große Schulaula war völlig überfüllt; FAZ 9.1. 1965 Die Konzilsaula war auf die große Freitreppe vor Sankt Peter verlegt; ebd. 15.1.1966 Vor einer wegen des Elektrizitätsstreiks nur halb beleuchteten Aula hat im Palazzo Montecitorio die durch den Rücktritt

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des Außenministers Fanfani hervorgerufene allgemeine Aussprache über die Außenpoltik der Regierung Moro begonnen; Stuttgarter Ztg. 25.1.1966 Als eine erfolgreiche Einrichtung bezeichnete der Vorsitzende des Allgemeinen Studenten-Ausschusses . . in einer Studentenvollversammlung die Aula-Gespräche der Staatsbauschule; MM 7.2.1986 Ein Hörsaalgebäude mit einer großen Aula . . konnte endlich gebaut werden; ebd. 22.9.1986 Der Unterricht mußte mangels eigener Räumlichkeiten zunächst in der Lateinschule und in der Aulaschule erfolgen; Zeit 20.2.1987 Ein Fünf-Stunden-"Abend" in der Aula der Kölner Musikhochschule; Stern 14.5.1987 „Demonstrationen in einem freiheitlichen, demokratischen Staat sind etwas Selbstverständliches", sagt Resch den Polizeischülern, die sich in der Aula versammelt haben; MM 27.6.1988 Vom Heidelberger Festivalensemble rhythmisch präzise strukturiert, wurde diese „Symphony" zum spannenden Mittelpunkt des Konzerts in der Aula der Alten Universität.

Aura F. (-; ohne PL), im frühen 17. Jh. vereinzelt, seit früherem 18. Jh. häufiger belegte Entlehnung aus (spät-)lat. aura 'sanft bewegte Luft, leiser, lockender, angenehmer Lufthauch, -zug; sanfter Schimmer, Lichtglanz; Duft, Dunst' (< griech. 'frische Luft, Hauch, Luftzug', zu ; —> Aero-/aero-). la Zunächst in der an das Lat. angelehnten, selten belegten Bed. 'sanft bewegte Luft, Luftzug, Lüftchen, Hauch', auch für 'Ausdünstung, der verbreitete Dunst, Geruch, Duft' ; vom 18. bis ins frühere 20. Jh. vor allem in lat. bzw. latinisierenden Syntagmen wie aura vitalis 'Lebenshauch, -kraft', aura sanguinis 'Blutdunst', aura nervea 'Nervenäther' und bes. aura popularis, bildlich für 'die (unzuverlässige, wie ein Hauch vergängliche) Gunst des Volkes'. b Von daher seit Ende 19. Jh. wohl über 'das wie ein Hauch aufsteigende Gefühl (vor epileptischen Anfällen)' (PSCHYREMBEL) oder '(die dem epileptischen Anfall vorausgehende) Empfindung des Angeblasenwerdens' (ZETKIN/SCHALDACH) in der Medizin in der Bed. 'seelische Erlebnisse oder körperliche Empfindungen (Unbehagen, Schwindel, Benommenheit), die epileptischen oder anderen Krampfanfällen vorangehen können; Krankheitsvorboten, -anzeichen', anfangs in dem (1863 bei Kaltschmidt) gebuchten lat. Syntagma aura epileptica 'Vorboten epileptischer Anfälle, kleine Krämpfe'. 2 Seit Ende 19./Anfang 20. Jh. bildungsspr. verwendet, vor allem im psychologischen und ästhetischen Bereich in der dominierenden Bed. 'Gesamtheit der Wirkungen, die von einem Menschen oder Gegenstand ausgehen, besondere (geheimnisvolle) Ausstrahlung einer Person, eines Gegenstandes; Fluidum' (—* Air 1 , —»· Charisma, —»· Flair), in neuerer Zeit auch modewortartig gebraucht, z. B. in Wendungen wie von der Aura eines Geheimnisses, mit einer Aura von Ehrfurcht umgeben sein; die Aura eines Kunstwerks, einer Statue, einer Stadt, die Aura von Sprache, von Wissenschaft; eine bestimmte Aura haben, ausstrahlen; eine magische, religiöse, künstlerische Aura; gelegentlich auch für 'Atmosphäre' (s. Belege 1927, 1951, 1986) und vereinzelt 'Lichtschein' (s. Beleg 1944).

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Aura

Daneben speziell (vereinzelt bereits im 19. Jh.) im Spiritismus und Okkultismus als Bezeichnung für die von sensitiven Menschen angeblich beobachtbaren persönlichkeitsgeprägten Ausstrahlungen des menschlichen Körpers bzw. die Strahlungserscheinungen, die einen Menschen angeblich umgeben (s. Belege 1883, 1919, 1920, 1932, 1987), vor allem im Bereich von Theosophie und Anthroposophie in Syntagmen wie vitale/ätherische, seelische/astrale und mentale Aura (zu 2). Dazu die adj. Ableitung auratisch 'von großer (geheimnisvoller) Ausstrahlung(skraft)', vor allem im künstlerischen Bereich gebraucht (zu 2). Aura la: Opitz 1624 Poemata 105 f. Die Jagt deß Cupido (Überschr.) . . Als der Zephyrus vernommen,/ Was das Kind gesonnen wer,/ Ist er mit der Aura kommen,/ Zu verkünden diese Mähr; Zedler 1732 Universallex. U 2202 Aura, . . ist so viel als Exhalatio aerea, eine subtile, lufftige Ausdunstung, ein Geist, Dunst. Besonders sind einige von den Neuern, so an diesem Worte ein grosses Vergnügen haben, welche, weil ihnen das Wort Flamma oder Calidum nativum nicht gefället, das lebendige Wesen des Blutes dadurch auszudrücken, dem Helmontio folgen, welcher einen gantzen Tractat von dieser Materie geschrieben und ihn betitult hat: Aura vitalis . . ist der Ursprung des Lebens in dem Geblüte; Wieland 1773 Agathon (S. W. // 88) aura popularis; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 56) Als ich aber einmal gefunden hatte, daß Aura eben sowohl ein schönes junges Mädgen, als die Luft bedeuten könnte, so bekam die Sache ein ganz anderes Ansehen; Herder 1768 S. W. 90 als wenn Plato keine Vergleichung mit dem Hauche der Aura machen könnte, ohne den Zephyr in dem Elysium im Sinne zu haben; ders. 1787 S. W. X/V 95 Eine Reihe von Küsten aber, die im Lauf der Cultur für die Betriebsamkeit kleiner Staaten unter einer so günstigen Aura lägen, wie diese Jonischen, Griechischen und Großgriechischen Küsten, findet man sonst nirgends auf der Erde; ders. 1793—95 Er. (S. W. XVII 301) Ueber augenblickliche, enge Verhältnisse, selbst über die Schranken der Fassungskraft dieser einzelnen Versammlung hinweggerückt, ahnet man ein fortgehendes erlesenes Publicum und athmet die Aura einer reinmoralischen Zukunft; Goethe 1797 Er. (WA IV 12,186) Zum Willkomm auf deutschem Grund und Boden sende ich Ihnen etwas über die Hälfte meines neuen Gedichtes [Hermann u. Dorothea]. Möge Ihnen die Aura die Ihnen daraus entgegenwehet angenehm und erquicklich seyn; 1808 Heidelb. Jahrb. I 5,203 von der schönen Aura der Griechen; Troxler 1812 Blicke 166 Aber jenes Athmen, dessen Atmosphäre der Odem des Lebens ist, die aura vitalis das vom Geist ausströmende Lebenselement; Chamisso 1824 W. VI 136 Varnhagen quiescirt immer hier, in Erwartung einer günstigeren Aura; Görres 1836-42 Mystik l 384 Die Aura der Nervengeister

(KEHREIN); Valentin 1847-51 Physiologie (Reg.) Die Annahme älterer Forscher, dass die flüchtigen Substanzen der Samenmasse, ein sogenannter Samendunst (Aura seminalis), die Befruchtung vermitteln könne, war daher nicht begründet; 1871 Preuss. Jahrb. XXV11 360 Ein Bund der Liberalen mit den Demokraten wäre .. nur eine Gemeinschaft des Hasses, er würde um so sicherer in eine unfruchtbare Politik der Negation verfallen, da, bei dem ewigen Ebben und Fluthen der öffentlichen Meinung, vermuthlich schon in zwei Jahren wieder eine ärgerliche Verstimmung durch die deutsche Welt gehen wird und die Demokratie bisher noch niemals jene Kraft des Charakters gezeigt hat, welche solchen Schwankungen der aura popularis widersteht; Dingelstedt 1879 Bilderbogen 191 Die aura popularis, wetterwendisch wie sie ist; Boruttau 1898 Physiologie 403 Auf Zersetzungsproducte des Spermins wird meist auch der eigenthümliche Geruch des frisch entleerten Samens (vor Zeiten als befruchtendes Princip angesehen, „Aura seminalis") zurückgeführt; Haym 1902 Leben 297 Scharf wollte er [sich] gegen diese kaum halb bekehrten Fortschrittsleute abgeschnitten wissen; jede Annäherung an sie verurtheilte er als Nachgiebigkeit gegen die aura popularis, und in jeder Hindeutung auf ein künftiges Zusammengehn mit ihnen erblickte er Meuterei. Aura Ib: 1894 Real-Enc. Heilkunde o. S. gewisse Formen der Epilepsie mit vasomotorischer Aura; Pschyrembel 1942 Klinisches Wb. 72 Aura . .: das wie e. Hauch aufst. Gefühl vor epilept. Anfällen, oft auch eine Geruchs- od. andere (bes. optische) Sinnesempfindung; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 369) die Erscheinungen der sogenannten Aura waren in den freilich unbeholfenen Schilderungen des Patienten unverkennbar; Spiegel 30.7.1990 Den US-Mediziner . . erinnert dieser Bewußtseinszustand an die Aura, die sich vor epileptischen Anfällen einstellt. Aura 2: Weber 1883 Spiritismus 18 Anm. Der Nervengeist wurde von den modernen Spiritisten Perisprit oder Aura genannt; Laarss 1919 Amulette 183 Die menschliche Aura photographic« (Über-

Aura sehr.) Dr. med. Patrik O'Donnel ist es gelungen, im Chicagoer Mercy-Hospital den Astralkörper eines Sterbenden im Moment des Ausscheidens auf die photographische Platte zu bannen. Er ist Spezialist auf dem Gebiete der Strahlenforschung und hat . . den . . Beweis erbracht, daß der menschliche Lichtkranz mit unbewaffnetem Auge sichtbar ist. . . Für uns Okkultisten ist dies nichts neues; wir wissen, daß es sich dabei nicht um die Seele handelt, sondern um den sog. Äther- oder Astralkörper. . . So werden sich also unsere Gelehrten . . daran gewöhnen müssen, zu glauben, daß der Mensch eine Lichtaustrahlung elektrischer Natur hat, ein strahlendes menschliches Fluidum (welches die Okkultisten schon seit Jahrhunderten kennen und die „menschliche Aura" nannten); Werfet 1920 Mörder 244 Die Klaviatur, auf denen diese Schauer spielen, der nervus magicus, liegt außerhalb unserer materiellen Natur und hat in jener unerforscht feinen Substanz seinen Ort, die uns umgibt, von uns und zu uns zurückstrahlt, in jener Substanz, die einige den Perisprit, andere Aura nennen; Benjamin 1921 Br. l 253 aus der Quelle eines Herrn Goldberg — von dem ich zwar wenig weiß, durch dessen unreinliche Aura ich mich aber . . abgestoßen fühle; Friedeil 1927 Kulturgesch. I 133 verwirrende Aura von narkotischer Dämonie; ebd. l 191 Es lag [in der Renaissance] um die damalige Menschheit eine undefinierbare Aura von Genialität, eine eigentümlich geladene und gespannte Atmosphäre; Brod 1928 Zauberreich 239 Oder ist es nur ihre besondere Schönheit, die durch ihren Glanz alles Peinliche, also auch begründetes Schuldgefühl aus ihrer Aura entfernt?; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 274) Adepten, die um ihren psychiatrisch-medizinischen Kern diese Aura von Wirkungen gelegt haben, derjenigen zu vergleichen, die um das persönliche Werk Stefan Georges liegt; Benjamin 1931 Kl. Gesch. d. Photographie (Ges. Sehr. 376) Es war eine Aura um sie [Menschen auf den frühsten Fotografien], ein Medium, das ihrem Blick, indem er es durchdringt, die Fülle und Sicherheit gibt (PAUL); Gebauer 1932 Kulturgesch. 527 Die anthroposophische Lehre ist spiritualistisch, aber auch reichlich phantastisch; auf der zweiten Stufe der dreistufigen „Geheimschulung" soll der Jünger z. B. die „Aura", d. h. die dem geistigen Auge wahrnehmbaren Farbenwirkungen, die den physischen Menschen wie eine Wolke in Eiform umgeben, am Nebenmenschen wahrnehmen können; Hausenstein 1935 Wanderungen 192 Hier liegt ein bedingendes Geheimnis der edlen Wirkung, der künstlerischen Aura verborgen: innen und außen bleibt die Größe des Werks [Kirche] dem menschlichen Maßstab zugeordnet; Wolfskehl 1939 Jahre 43 wie das Verhältnis „trübselig — trübsinnig — trüb" be-

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deutungs- und stimmungsgemäss zu interpretieren ist. Während „trüb" in allen Bedeutungsphasen den gleichen Sinn und auch die gleiche Aura enthält, ist „trübsinnig" . . nur metaphorisch . . zu verwerten; V. B. 15./16.7.1944 Am frühen Nachmittag gelingt es der Sonne manchmal, hoch und fern zu erscheinen. Von einer blutroten Aura umgeben, schaut sie herab in die seltsame Schattenwelt; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (IX 667) die religiöse Aura, die das Leben dieser Menschen so deutlich umgibt; Hülsen 1947 Zwillings-Seele // 69 eine hauchzarte Aura von Stimmung; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 352) daß . . eine Aura esoterischen Ruhms sich um den Namen meines Freundes zu breiten begann; Fendrich 1950 Land 252 Ahnungslos hat er jahrzehntelang . . durch die Aura von Schulbuben und knospenden Mädchen das Licht der Heimat in seine jungfräuliche Seele regnen lassen, ein virgilischer Mensch; Süddtsch. Ztg. 23.5.1951 saßen .. Schumacher, Carlo Schmid und Ollenhauer mit Morrison zusammen, sehr förmlich zunächst und in einer Aura, als hörte man noch die Demontagehämmer klopfen; Armbruster 1952 Lux 57 band sich um des Pfarrers Namen ein Ruf ungemeiner Kenntnis altmorgenländischer Sprachen. . . Der kleine Christian war geweckt genug, von solcher Aura etwas zu verspüren und es ehrfürchtig in sich aufzunehmen; Wachsmuth 1953 Werdegang 186 Aura; Kolb 1954 Blätter 122 Das greuliche Wort „mondän" hatte sich nicht aus dem Norden nach München verpflanzt, und bei aller Festlichkeit war die Aura hier [in München] stiller, gesammelter und entschieden weniger versnobt als im . . Covent Garden; Süddtsch. Ztg. 20.7.1957 [Theaterregisseur] gibt . . der Figur [der Iphigenie] einen sonderlichen Antrieb und eine Aura von Schicksal, die sie gewöhnlich nicht hat; ebd. 14.5.1958 Alle drei Werke sind auf ihre Art Dokumente für das Streben, die „Aura" des musikalischdramatischen Gesamtkunstwerks, d. h. die innere Geschlossenheit der gesamten Werkatmosphäre . . zu gewinnen; Adorno 1958 Noten I 100 Die Harmonie des Liedes . . beruht auf dem, was Valery refus nannte, auf einem unerbittlichen Versagen alles dessen, woran die lyrische Konvention die Aura der Dinge zu besitzen wähnt; Jünger 1958 Jahre 29 Die Bombe Stauffenbergs nahm ihm [Hitler] zwar nicht das Leben, doch die Aura; man hörte das auch der Stimme an; Benckiser 1958 Tage 133 „Ich bin Holländer" . . — Aber von hier war Holland weit und eine Aura von sakrosankter Neutralität . . umwitterte den Namen; Guggenheim 1959 Sandkorn 231 [Die Sammlungen von Insekten-Büchern J.-H. Fabres] waren, so armselig, so brüchig sie auch sein mochten, von einer magischen Aura umgeben. Und immer war es auf eine nicht zu erklärende Weise möglich, dass sie bereits

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einem Mythos angehörten; Stuttgarter Ztg. 21.5. I960 die Aura eines Mannes, dem alles leicht von der Hand geht; Adorno 1961 Noten II 9 [das Adjektiv „weichlich" als] Zeichen der erotischen Liebe, in der Aura der himmlischen; Süddtsch. Ztg. 10.3.1962 Die berühmten Kurorte Europas umgibt immer noch die Aura eines Zeitalters, da es für Adel und Großbürgertum fast zur Lebensart gehörte, sich zweimal im Jahr . . an den . . Quellen Kissingens, Badgasteins . . zu treffen; Reitzenstein 1963 Städte 22 dank der sie [säkularisierte Klöster] umgebenden Aura erfüllter Jahrhunderte; Heuss 1963 Erinn. 368 Gessler wählte als Nachfolger den farblos wirkenden Generaloberst Wilhelm Heye, dem die sonderliche Aura des Kriegsruhms mangelte; Partner 1964 Erben 22 der große Theoderich — bis heute von der Aura der Milde und Weisheit umglänzt; Stave 1964 Betrachtungen 35 Warum ein [Mode-]Wort diese „Aura" der Beliebtheit bilden kann, läßt sich meistens nicht erklären; Fischer 1966 Kunst 45 ist, was wir Idee nennen, auch heute noch von platonischer Aura umgeben; Wagner 1970 Camus o. S. hat dieser „organisierte Schall" . . die Aura des Naturereignisses; Knef 1970 Gaul o. S. Augen folgten ihr, fraßen sie, . . wollten . . einbrechen in die majestätische Aura, in das Desinteresse an Umgebung und Aufsehen; Fest 1973 Hitler 29 die Aura besonderer Erwähltheit; Welt 22.4.1974 die Aura, die um eine Mona Lisa ist, reißt nicht den Intellekt — sie schlägt . . die Seele in Bann; ebd. 8.5.1974 ein Sänger, . . ein Publikumsbezwinger mit unverwechselbarer Aura; Sloterdijk 1983 Kritik 438 als Abschirmung der weltlichen Lebensfreude vor der masochistischen Aura christlicher Klöster; Zeit 5.4.1985 Palästina ist ein Klang, ein Name mit Aura, ein geistiges Stimulans; ebd. 12.4.1985 das Amt, das in allen seinen Mitteilungen eine Aura von Rechtlichkeit . . ausstrahlt; ebd. 26.4.1985 sind es nach wie vor die persönlichkeitsbildenden Ideale, die das Studentenleben mit der Aura des Besonderen umgeben; ebd. in der Gunst der Neulinge stehen die mit der Aura des Soliden umgebenen Ingenieurfächer an zweiter Stelle; MM 23.5.1985 weiß ist die Farbe der Aura, die Jesus hatte; Zeit 21.6.1985 die Spuren der „Privatisierung des Politischen" finden wir überall: in einer . . mit angestrengten Duz-Ritualen . . durchsetzten Sprache ebenso wie einer Parteitagsaura, die stets irgendwo zwischen Feldküche und Familientreff oszilliert; ebd. 5.7.1985 Hans Albers, der Sänger mit dem Timbre und der Aura dessen, was Nicht-Hamburger sich gern unter der sogenannten Waterkant vorstellen; ebd. 23.8.1985 sie [Sprache] hat nicht mehr das Vibrato eines personalen Sprachstils, spreizt sich nicht mehr, legt sich keine Aura mehr zu; MM 23.11.1985 in der Mongolei spielend, umgibt diese Erzählung etwas

von der Aura der Märchen aus Tausendundeiner Nacht; ebd. 10.3.1986 in einem Gedicht .. versucht er . . mit Hilfe lautmalerischer Klangrhythmik die Aura eines spezifischen Ortes, des Frankfurter Hauptbahnhofs, widerzugeben; Zeit 30.5. 1986 mit diesem . . Widerspruch von Wissenschaft als Erkenntnisgewinn und Wissenschaft als Zweckfaktor der Erwerbstätigkeit ergibt sich für die meisten jungen Menschen ein Schwund der Aura von Wissenschaft; MM 23.6.1986 ein Kunstwerk .. hat seine Aura und seine unverwechselbaren Geheimnisse; Zeit 7.11.1986 Dieter Hildebrandt erhielt sich bis heute seine unbestimmt bubenhafte Aura; Ortheil 1987 Schwerenöter 289 So umgab Großvater George eine abwehrende Aura, ein Panzer aus Starrsinn und Zurückhaltung; Zeit 6.3.1987 der Pastor verteilt Salz und Brot an die . . Gemeinde, doch hat für sie das Salz seine jahrhundertealte Aura der Reinheit verloren; MM 13.4.1987 Picasso hat Menschen, Tiere, Pflanzen sowie einfache Gegenstände immer in einer Aura von Belebtheit und natürlicher Würde gesehen; ebd. 9.6.1987 in knalliges Rot gewandet, verbreitete er die Aura eines Musical-Stars der 50er Jahre; ebd. 27.6.1987 Treppen im Park von Versailles, . . eine Ansammlung von Champagnerflaschen —, noch die gewöhnlichsten Dinge werden so präsentiert, daß sie von der Aura des Ungewöhnlichen umgeben sind; ebd. 19.1.1988 bekommt dieses archaische Werk . . etwas von einem Unikat, von dem eine geheimnisvolle Aura ausgeht; ebd. 5.4.1988 er versteht es.., dem Unscheinbarsten die Aura des Phantastischen zu geben; ebd. 3.5.1988 er war ein großartiger Mann, ein begnadeter Sänger,.. eine Persönlichkeit, deren Aura jeden Raum füllte und ihn menschlich überaus anziehend machte; Lukoschik 1990 In u. Out 102 aber er [Helmut Schmidt] verströmt die Aura des olderstatesman; FAZ 11.10. 1991 Petain ekelt sich vor den schwarzen Zähnen und der ungewaschenen Aura seines Premier, von dem er gleichwohl politisch abhängig ist; 1991 Esquire XI 146 Fragil, stabdünn und von einer geheimnisvollen Aura umgeben — die Figuren des Alberto Giacometti . . sind zart und voller Ausdruckskraft; Süddtsch. Ztg. 12./13.12.1992 [Beruf des Gefängnisbeamten erfordert] eine Aura der moralischen Betroffenheit, des Ernstes, der tiefen Verantwortung; Ortheil 1992 Agenten 61 Seine Gelassenheit verlieh ihm eine Aura von Erfahrung; Spiegel 5. 7.1993 Immer wieder werden Besucher Jerusalems von der sakralen Aura der heiligen Stadt überwältigt; Süddtsch. Ztg. 14./15.8.1993 es umgab sie die tragische Aura der Emigrantin; Spiegel 30.8.1993 Madonna [Sängerin], die ihre Videos auf den Index setzen ließ und sie mit der Aura des Verbotenen versehen später in den Läden verkaufte; ebd. 23.5.1994

Auspizien Gern erliegen Sportler wie Matthäus dem Irrglauben, daß ihre Aura nicht nur Kunstprodukt [d. h. von ihrem Manager produziert] ist. auratisch: Zeit 15.3.1985 zugleich ist am Ort des Vorfalls . . eine Intensivierung der Spannung zu spüren, die nicht weniger wirklich ist als der auratische Auftritt eines Westernhelden in der Kulisse einer Frontstadt; MM 13.5. 1985 Rote Ziegel, viel Beton . . (Überschr.) . . vor allem können die Kunstwerke dagegen an, indem sie mit ihrer auratischen Kraft Gegengewichte bilden oder bestimmte Stellen der Architektur erst sinnvoll definieren; ebd. 21.3.1986 sie verheißen ihm ein Ziel mit den auratischen Namen alter Meister; Zeit 3.10.1986 im Labyrinth der Bilderwelt scheint kein Platz mehr für das auratische Gegen-, Selbstoder Sinnbild; ebd. 5.12.1986 wie weit also Modick ist Benjamin-Kenner — besteht die aurati-

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sche Kraft eines Kunstwerkes in seiner eigenen Rezeptionsgeschichte?; MM 6.4.1987 „alles an diesen frühen Bildern war angelegt zu dauern", schrieb Walter Benjamnin einmal, um damit gleichzeitig auf ihre „auratische Erscheinung" aufmerksam zu machen; Zeit 22. S. 1987 wie um die Posse vollends zur Groteske zu steigern, schöpft er von den geschundenen Bildern auch noch den Mehrwert auratischer Koloristik ab; MM 27.2. 1988 dies ist sicher das Erregendste an Munch . ., daß er gerade das Unsichtbare, die auratischen Kraftfelder gemalt hat; Süddtsch. Ztg. 22.9. 1993 Der „Schnappschuß" . . hat Eingang in die Welt der sich auratisch spreizenden Künstlerphotographie gefunden; ebd. 2./3.10. 1993 Diese Linie trennt das 20. Jahrhundert immer unversöhnlicher von seiner Vorgeschichte ab; die Hochkultur der auratischen Kunstwerke noch des 19. Jahrhunderts wird von der neuen Massenkultur . . mehr und mehr zurückgedrängt.

Auspizien PL, auch im Sing. Auspizium N., im 16./17. Jh. selten, seit etwa Mitte 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus lat. auspicium, auch avispicium 'Vorzeichen, Vorbedeutung', eigentlich 'Vogelschau, Beobachtung und weissagende Deutung des Vogelflugs', sowie Oberste Leitung, Oberbefehl', eigentlich 'das Recht der Vogelschau, das nur dem Feldherrn, also dem Oberbefehlshaber, zukam' (zu auspex 'Vogelschauer', zu *avispeks, aus avis 'Vogel' und specere 'sehen'), bis ins 20. Jh. gelegentlich in lat. (flekt.) Form. la Zunächst in der auf kultische Handlungen im alten Rom bezogenen, nur noch historisierend verwendeten Bed. 'Vogelschau, auf der Beobachtung und Deutung des Vogelflugs beruhende Prophezeiung für die Zukunft, bes. für den Ausgang eines militärischen Unternehmens'. b Von daher im späteren 16. Jh. vereinzelt, erst seit spätem 18. Jh. häufiger für 'Vorzeichen, Vorbedeutung, Aussicht(en) für etwas', auch für 'allgemeine Umstände, Bedingungen', häufig mit wertenden Attributen in Verbindungen wie unter (un)günstigen, guten, (un)erfreulichen, schlechten Auspizien. 2 Seit Mitte 18. Jh. in der Bed. Obhut, Aufsicht, Leitung, Schirmherrschaft; Gunst', meist in der Verbindung unter jmds. Auspizien 'unter der Schirmherrschaft, Oberhoheit einer Person oder Institution' (—» Ägide), seit späterem 19. Jh. (1870 bei Heyse) gebucht, im 20. Jh. vereinzelt belegt in dem latinisierenden Syntagma sub auspiciis (regis/imperatoris/gubernatoris) 'unter dem Schutz des Königs/Regenten'. Auspizien l a: Hedio 1531 Josephus l 346r Etlich bezeugten aber/ das die ding so beschehen weren/ durch ein Auspicium bestetigt worden; Praetorius 1669 Glückstopf 208 solches ein recht heydnisches . . und abergläubisches Zeichen deuten/ und Achtung auff Vogel-Geschrey/ rechte Heydnische Auspicia . . nicht dörffe lernen; Herder 1787 S. W. XIV 167 Man schreibt dies gemeiniglich blos ihrer [der Römer] Staatsklugheit zu, weil sie durch die Auspicien und Aruspicien als durch einen künstlichen

Religionsbetrug den Lauf der Begebenheiten in ihrer Hand hatten. . . Staats- und Kriegesreligion war die Religion der Römer, die sie zwar nicht vor ungerechten Feldzügen bewahrte, diese Feldzüge aber wenigstens unter dem Schein der Gerechtigkeit durch Gebräuche der Fecialen und Auspicien dem Auge der Götter unterwarf; Niebuhr 1811 Rom. Gesch. I 154 Wer Auspicien suchte erhob sich in der Stille tiefer Nacht, und sah .. weissagenden Erscheinungen entgegen; 1843 Brockhaus l

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Auspizien

657 Die Vorhersagungen der Zukunft aus Beobachtung der Vögel hieß . . Auspicien. . . Das Recht der Auspicien, d. h. das Recht, von den Göttern durch gewisse Anzeichen den Ausgang einer Kriegsunternehmung zu erforschen, stand nur dem Oberfeldherrn zu; Mommsen 1861 Forschungen l 195 zu den römischen Auspicien; 1882 Brockhaus l 246 Auspizien . . nannten die Römer die Ausschau nach den Anzeichen des Willens der Götter, . . sofern dieselben . . aus der Beobachtung der Vögel entnommen wurden; 1960 Bild. Kunst l 94 „Tempel" bezeichnete ursprünglich den . . Bereich, von dem aus die Auspizien . . gemacht wurden. Auspizien Ib: Fischart 1572 Eulenspiegel 434 Sie werd mich weiter nicht verschmehen,/ Sonder mich leyten biß zu endt,/ Durch jhr Nachtigall, die sie sendt./ Wolan, so laßt, on hindernuß/ Mit den guten Auspicijs/ Vnd mit der Vögel trost vnd gunst/ Die sach angreiffen nun nach wünsch; Jean Paul 1790 S. W. Ill 1,285 Mithin komm' ich im zunehmenden Licht der Erde und folglich des Stükgens, das man S(chwarzenbach) nent: brauch' ich schönere Auspizien für mein Subrektorat?; Ehlers 1791 Staatswiss. Aufs. 175 daß man unter den Staaten, die man im Bunde wider Frankreich finden will, Dänemark nicht genannt hat, worin mit so vielem Eifer an der Verbesserung der Staatseinrichtungen unter so günstigen Auspicien gearbeitet wird; Schiller 1795 Br. IV 244 Auf Ihr Mährchen freue ich mich sehr, denn es scheint unter sehr guten Auspicien zur Welt zu kommen; Goethe 1815 Br. (WA IV 25,209) Am Ende dieses Monats wird sich's entscheiden, ob ich das heilsame Bad [Wiesbaden] auch unter weniger günstigen Auspicien benutzen kann; Gentz 1828 briefl. (Gesch. 190) unter weit günstigem auspicien; Pückler-Muskau 1835 Semilasso I 190 so kann man in der That keine Reise unter bessern Auspicien beginnen; Dronke 1846 Berlin I 334 der schlesische Landtag war unter besonderen Auspicien eröffnet worden; 1848 Grenzboten l 2,104 unter weit ungünstigen Auspicien für unsere Republikaner; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 107 der unter so schönen Auspicien begonnene Tag; Ranke 1867 S. W. I 315 Unter diesen Auspicien nahm man nun auch die Beratungen über die allgemeineren Einrichtungen im Reich wieder auf; Böhme 1905 Tagebuch 117 Meine Ankunft in B. erfolgte unter nicht sehr günstigen Auspizien; Zobeltitz um 1920 Gross-Q. 253 Sie treten Ihren Besitz nicht unter freudigen Auspizien an; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XU 943) wer fühlt nicht, daß die Auspizien der Konferenz von San Francisco glücklicher gewesen wären, wenn er selbst . . sie eröffnet hätte; Spiegel 3. 6.1969 ist das haltbar unter den Auspizien einer ziemlich düsteren . . Restriktionspolitik?; Augsb. Allg. 11.2.1978

Angesichts solcher Auspizien scheint endlich auch der Westen aufzuwachen; Zeit 22.3.1985 doch das war noch harmlos, verglichen mit den Auspizien für dieses Jahr; ebd. 14.3.1986 unter diesen Auspizien haben überwiegend französische Intellektuelle . . dem Prinzip Vernunft den Rücken gekehrt; ebd. 6.6.1986 bestanden einige Amtsrichter darauf, daß unter den bedrohlichen Auspizien moderner Rüstung vielleicht auch der Nötigungsparagraph mit neuen Gedanken ausgelegt werden muß; Norddtsch. Neueste Nachr. 6.12.1988 Unsere extrem schwierige Dreharbeit begann unter besorgniserregenden Auspizien; Spiegel 13.9.1993 Gorbatschow machte Falin 1990 noch zum ZK-Sekretär, unter hohen Auspizien: „um die Nachfolge zu sichern". Auspizien 2: Wieland 1759 Gesch. d. Gelehrtheit 35 die Litteratur und die Künste der Musen können auch ohne Freiheit unter den Auspiciis unumschränkter Fürsten florieren; Musäus 1779 Physiognom. Reisen IV 72 da der arme Narr .. urplötzlich einer Frevelthat schuldig erkannt wurde, die ihm, unter den Auspizien Ihrer Criminaleloquenz, all die Martern des heiligen Laurentius verhieß; Wieland 1782 Horaz (S. W. U 13) Auf Rechnung desjenigen, unter dessen Auspicien sie würkten; Goethe 1788 Br. (WA IV 9,52) unter Ew. Durchl. Auspiciis; Berenhorst 1798 Kriegskunst I 277 besaßen beyde Fürsten eine übergroße Tüchtigkeit unter Friedrichs Auspizien zu kommandieren; Schmeller 1827 Tagebücher II 42 und unter seinen Auspicien wurde hinter der Neptunsquelle . . zur Ehre Linne's eine junge Eiche gepflanzt; Wit v. Dörring 1827 Fragmente U 15 wie dieser Bund kein Knabenspiel, sondern unter den Auspicien ausländischer Revolutionäre gestiftet sei; Goethe 1827 Br. (IV 43,184) gewiß ist die Versammlung [von Naturforschern] in Berlin, unter den Auspicien des allgemein anerkannten Alexander v. Humboldt, geeignet, uns die besten Hoffnungen einzuflößen; Carus 1835 Reise I 244 Vulpes, welcher unter den Auspicien des Leibmedicus diese Anstalt leitet; Laube 1836 Schauspielerin 107 welch eine zügellose Gesellschaft sich unter den Auspicien der Frau von Weiden etabliert hat; Ranke 1867 S. W. l 16 unter den Auspizien Heinrichs III. trat ein deutscher Papst an die Stelle der drei römischen Bewerber; Curtius 1883 Alterthum u. Gegenwart III 144 Gleichzeitig bildete sich unter Niebuhrs Auspicien in Bonn ein neues Centrum für historische Alterthumskunde; Riehl 1883 Vortr. II 513 Jede Immatrikulation wird . . „unter den Auspizien Seiner Majestät des Königs" vorgenommen, jede Doktorpromotion ausdrücklich unter denselben Auspizien vollzogen; Meyer-Förster 1902 Alt-H. 6 der Erbprinz hat . . das Reife-Examen für die Universität

Autarkie . . bestanden — . . gewisserma en unter den Auspizien Ew. Exzellenz —; Th. Mann 1917 Reden u. Aufs. (W. X 847) der Vorleseabend von Karl Kraus, der unter Ihren Auspizien k rzlich in M nchen stattfand; Dtsch. AZ. 11.10.1935 Das ungarische Doktorat „sub auspiciis gubernatoris" ( berschr.) . . wird in Budapest . . das 40j hrige Bestehen des Doktorats „sub auspiciis regis" bzw. „sub auspiciis gubernatoris" begangen. Durch diese besondere Art der Doktorpromovierung werden . . diejenigen Akademiker geehrt, die . . ihre Hochschulstudien

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. . mit Auszeichnung vollendet haben. Sie erhalten in Gegenwart eines pers nlichen Vertreters des Staatsoberhauptes .. einen Ring; N.Z.Z. 20.10. 1943 Der . . Vortrag . . steht unter den Auspizien der Schweizerischen Gesellschaft zur Pflege der kulturellen .. Beziehungen; Heuss 1963 Erinn. 372 als . . die grunds tzlichen Teile seiner theoretischen Darstellung, unter den Auspizien der Royal Society for International Affairs besorgt, ins Englische bertragen wurden; 1968 St. Galler Tagbl. / 559 als unter russischen Auspizien das Abkommen mit Indien . . geschlossen wurde (DUDEN 1993).

Autarkie F. (-; selten -n), seit Anfang 19. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus griech. αυτάρκεια 'gen gendes Auskommen; Selbstgen gsamkeit' (zu αύταρκεΐν 'sich selbst gen gen', aus αύτό$ 'selbst-, aus sich heraus' (—» auto-) und άρκεΐν '(ab-) wehren, sch tzen, helfen; ausreichen, gen gen'); vgl. daneben sach-, aber nicht etymologisch verwandtes, auf griech. αύταρχία (zu αυταρχός, zu άρχος 'Herrscher') zur ckgehendes Autarchic F. (-; ohne Pl.) 'Selbstherrschaft, Despotismus'. Zun chst und bis in neuere Zeit selten im philosophischen (Hegel, Feuerbach), kulturellen, geistigen Bereich f r 'Selbstgen gsamkeit, Unabh ngigkeit', z. B. kulturelle, literarische, religi se Autarkie (s. Belege 1849, 1859, 1933, 1935, 1936, 1938, 1948); seit Anfang 20. Jh. fach- und bildungsspr. in der auf die antike Staatsphilosophie und Sozialethik (Platon, Aristoteles) gegr ndeten Bed. '(F higkeit zur) Selbstversorgung und -erhaltung, Selbstgen gsamkeit (innerhalb eines abgeschlossenen sozialen und konomischen Gef ges)', von daher bes. im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise als politisches Schlagwort f r '(politische, wirtschaftliche, soziale) Eigen-, Selbst ndigkeit, Unabh ngigkeit; auslandsunabh ngige National konomie' (—» Autonomie) mit unterschiedlicher Wertung verwendet, bes. in der Diskussion um die (Nachkriegs-)Wirtschaftsordnung und vor allem im Vorfeld und w hrend des Zweiten Weltkrieges in nationalistischer (au en-)politischer Abgrenzung und kriegsvorbereitender Einkapselung zum Teil kontrovers diskutiert, oft manipulativ eingesetzt und positiv konnotiert mit „stark, unangreifbar, autonom", auch negativ assoziiert als (aus nationalsozialistischer Sicht) erzwungene Folge fremdverschuldeter wirtschaftlicher Isolation (s. Belege 1930, 1932, 1934, 1938, 1939) oder (aus sozialistischer Sicht) als Gegenpol zu vergemeinschaftlichter und universalistischer Wirtschaftspolitik gesehen (s. Beleg 1938), seit den 50er Jahren mit der Wiederaufnahme des Europagedankens bzw. der Diskussion um Europa meist abwertend gebraucht vor allem als Bezeichnung f r eine unerw nschte (gegenber dem Nationalismus noch gesteigerte) Form der Abschottung anstelle gesamteurop ischer Zusammenarbeit (bes. in der EWG) und internationaler Freihandelspolitik (s. Belege 1940, 1950, 1959, 1986); als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Autarkiebestrebungen, -politik, -rat, -Wirtschaft; Familien-, Nahrungsmittel-, Rohstoff-, W hrungs-, Wirtschafts- und (pleonastisch) Selbstautarkie. Dazu seit Anfang 20. Jh. die auf griech. αυτάρκης 'sich selbst gen gend, selbstgen gsam; unabh ngig' zur ckgehende adj. R ckbildung autark, von Anfang an im staatspolitischen und volkswirtschaftlichen Bereich in der Bed. 'politisch, wirtschaftlich (vom Ausland) unabh ngig, selbst ndig; ohne Wirtschaftsbeziehungen

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Autarkie

nach außen', schlagwortartig verwendet und konnotiert mit „stark, (über-)lebensfähig, unangreifbar" (s. Beleg 1943), (häufig aus sozialistischer Sicht) leicht abwertend mit „abgekapselt, ausgesperrt, auf sich beschränkt, isoliert (innerhalb des umgebenden wirtschaftlichen oder politischen Gefüges)", auch negativ konnotiert mit „stark durch Unterwerfung und Einverleibung schwächerer Nationen und ihrer Ressourcen, nationalistisch" (s. Beleg 1960), gelegentlich im selben Kontext und weitgehend gleichbed. mit —* autonom gebraucht (s. Belege 1948, 1985), vereinzelt in Zss. wie energieautark; selten allgemeiner für 'kulturell eigenständig, unabhängig, ohne fremde Einflüsse' (s. Belege 1948, 1950, 1952, 1958, 1969). Daneben gleichzeitig die bis in die 60er Jahre belegte, heute nur noch gebuchte Nebenform autarkisch; seit den 30er Jahren vereinzelt die Gelegenheitsableitungen Autarkisierung und Autarkist mit jüngerem autarkistisch. Autarkie: Hegel 1807 Phänomenologie d. Geistes (System d. Wiss. l 598) Aber ebenso ist das Gewissen von jedem Inhalt überhaupt frey; es absolvirt sich von jeder bestimmten Pflicht, die als Gesetz gelten soll; in der Krafft der Gewißheit seiner selbst, hat es die Majestät der absoluten Avtarkie, zu binden und zu lösen; Feuerbach 1838 Sehr. VIII 172 Wo ist die Weisheit, die Autarkie der Stoa; 1838 Htst.-polit. Blätter f. d. kathol. Dtld. // 352 Es bedurfte vieler Jahrzehnte und Jahrhunderte . . bevor die zum Gehorsam gewöhnte . . Vernunft bis zu dem Uebermuth sich vermessen konnte . . ihre Autonomie und Autarkie in bezug auf alle Wahrheit und Gerechtigkeit auszusprechen; Feuerbach 1841 Wesen 75 Denken kann man allein, lieben nur selbander. Einsamkeit ist Autarkie — bedürfnislos sind wir nur in der Intelligenz, nur im Acte des Denkens; Uhde 1849 Grundzüge I 41 Aber gewiss steht man der Idee der Ehe mit der Behauptung ungleich näher, dass der Mensch nur durch dieses Verhältniss seine Autarkie, seine höhere geistige und sittliche Ausbildung, seine ihm von der Vorsehung vorgezeichnete Bestimmung zu erreichen vermag; Treitschke 1859 Gesellschaftswiss. 30 In diesen reingeistigen Sphären [Wissenschaft, Kunst, Erziehung] liegt gar keine Autarkie, gar kein Bedürfnis äußerer Macht. Ihr Leben ist innerlich; Mommsen 1874 Reden 45 Autarkie des gelehrten Individuums; Schaffte 1906 Soziologie 91 je weniger ein Volk aus seinem eigenen Lande sich volle Genüge (Autarkie) zu schaffen weiß; Kjellen 1916 Polit. Probleme (Übers.) 108 Die Autarkie ist ein Parallelphänomen zu der Politik der „geschlossenen Interessensphäre"; Renner 1917 Marxismus 111 Es genügt. . nur für eine sehr kleine Volkszahl mit armseligem Konsum . . Niemals aber kann dieses Bodenstück, isoliert betrachtet, kraft seiner „Autarkie" . . einen nennenswerten Kulturgrad erringen; ebd. 114 in „Autarkie" leben; 1918 Deutschland u. Katholizismus H 77 Die kleinen nationalen Staaten . . behaupteten ihre Autarkie, ihre

wirtschaftliche Selbstversorgung; Borries 1925 Romantik 87 Die herbe Autarkie des platonischen Eros liegt der Romantik fern; Voss. Ztg. 9.12.1930 Man ist in Europa empört, daß die neuen jungen Länder, die Gebiete, die noch Raum haben, anfangen, sich abzusperren gegen das übervölkerte Europa . . Diese Absperrung liegt durchaus in der Wirtschaftsentwicklung der Zeit, die auf nationale Autarkien abzielt; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. XI 907) Gleichwohl spukt der Gedanke der sogenannten nationalen Autarkie, das heißt der materiellen und geistigen Absperrung der Völker gegeneinander und ihrer stolzen und mißtrauischen Selbstgenügsamkeit und Selbstversorgung in allen Dingen, heute überall in Europa; Epstein 1932 Das Schicksal der Akkumulation in Deutschland oder der Irrsinn der Autarkie (Titel); ebd. 373 Autarkie bedeutet auch politische Unabhängigkeit; Volk u. Heimat 20.7.1932 Autarkie oder Weltwirtschaft, Konkurrenz- oder Planwirtschaft, Arbeitsbeschaffung und Arbeitsdienstpflicht; LokalAnz. 2.2.1933 Es ist eine große Arbeit, die hier in . . „Autarkie" geleistet wird mit wenig Geld und viel guter Laune, aufgekrempelten Aermeln, Zigaretten, Grammophonmusik; ebd. 14.2.1933 Weiter wird von einer „unter dem neuen Kurs in höchst bedenklicher Weise auf die Spitze getriebenen Autarkiepolitik" gesprochen; Der Tag 2.5. 1933 Literarische Autarkie? (Überschr.) Der Deutsche hat immer starkes Assimilierungsvermögen besessen, hat sich zwar mache Übertreibungen in der Nachahmung fremder Völker und Kulturen geleistet, letzten Endes aber dabei auch seine Vielseitigkeit und Universalität entwickelt; Laum 1933 Die geschlossene Wirtschaft. Soziologische Grundlegung des Autarkieproblems (Titel); Lokal-Anz. 22.4.1934 Die mehr oder minder zuversichtlichen Anhänger der Autarkie, die unbeirrbaren Gläubiger von der Möglichkeit völliger Selbstgenügsamkeit der deutschen Wirtschaft ohne jegliche umfangreichere Wirtschaftsbeziehung zum Auslande

Autarkie . . können auf die . . Fortschritte verweisen, die in der . . Befreiung von langgewohnter Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen schon in einem Jahr wirtschaftlicher Umstellung erreicht sind; 1935 Die dtsch. Schule im Ausland 291 das paradiesische Bewußtsein ihrer [der Auslandsdeutschen] geistigen und seelischen Autarkie; Dtsch. AZ. 11.1.1935 Oder aber es müssen die mehr oder weniger zwangsläufig gegebenen „Autarkiebestrebungen" wenigstens auf dem Gebiet der Metallversorgung durchbrochen werden; ebd. 31.7.1935 der völligen Autarkie in der Seeschiffahrt durch den planmäßigen Ausbau der Linien; Höpker 1936 Rumänien 50 eine gesamtvolkswirtschaftliche Belebung zu gewährleisten, indem sie . . den Bauern aus seiner „Familienautarkie" herausführen und ihn in den volkswirtschaftlichen Kreislauf einschalten; Wust 1936 Ungewißheit IV 57 [der Mensch] ringt so vergebens nach jener tierischen Daseinsautarkie, die eben ein Zeichen für die Definiertheit der tierischen Natur ist; ebd. IV 165 Gott seinem Sosein und Dasein nach nicht von einem anderen (non ab alio) ist. Positiv gewendet, bedeutet das, daß er ganz und gar von sich selbst ist, als absolute Selbstmacht und Selbstautarkie; Füller 1937 Völkerbundkriege (Übers.) 171 [Hitler hat] erkannt, daß die nationale Selbstgenügsamkeit die Grundlage des modernen Krieges ist, daher sein Streben nach Autarkie; Schüttet 1938 Luftkrieg 149 völligen Rohstoff-Autarkie des Sowjet-Riesenreiches; 1938 Elsaß von 1870-1932 III 34 kulturellen Autarkie; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. XI 933) statt sozialer Einfügung in eine kollektive Ordnung, deren Ergebnis Weltwirtschaftsblüte, Austausch der Kräfte und Leistungen, wechselseitige Hilfe, kurz, aller Segen der Vernunft wäre, treiben sie Autarkie, Abschließung, Kriegswirtschaft, Scheinbeseitigung der Arbeitslosigkeit durch Aufrüstung; 1939 Das Gymnasium L 140 zum Begriff Autarkie . . In der Gegenwart bedeutet das Wort den Zustand der Selbstversorgungsfähigkeit, der Unabhängigkeit von allen lebenswichtigen Zufuhren. In der Zeit des internationalen Freihandels für eine Utopie gehalten, sind doch in vollem Ernst von Platon, in der Neuzeit zuerst von Fichte autarkische Gedanken geäußert worden. Vor dem Weltkrieg bestand nirgends ein Bedürfnis nach Autarkie, und auch die deutsche Kriegswirtschaft ist nicht autark gewesen. Erst als Deutschland nach dem Krieg kaufunfähig wurde, sah es sich zur Autarkie getrieben, und erst seit 1929 ist dieser Begriff als Schlagwort in die Masse gekommen. Indessen ist das Autarkie-Bestreben nur Notbehelf und Notwehr; Deutschland wünscht keine völlige Handelsisolierung, vielmehr eine Hebung der Einund Ausfuhr und nur für den Kriegsfall wirtschaftliche Selbständigkeit; Manch. N.N. 20.11.1939 In

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Italien gibt es heute nur ein Thema: Der Vormarsch der Autarkie, zu dem die am 18. November 1935 von England verhängten „Sanktionen" den Anstoß gaben . . Vor dem Obersten Autarkierat Italiens, der am vierten Jahrestag der Sanktionsverhängung zusammengetreten war, hielt Mussolini eine Rede, in der er u. a. erklärte, alle Wirtschaft sei heute notwendigerweise Kriegswirtschaft; ebd. 4.1.1940 daß nach Ansicht der Pariser Presse das „Neue Europa" sich vor allem durch eine freie Wirtschaft auszeichnen wird, die von den totalitären Staaten während der vergangenen Zeit völlig zerstört worden sei .. das Ende der Autarkiewirtschaft Italiens; Wiesbadener Tagebl. 6.3.1941 Das Wort „Autarkie" . . wurde von Zynikern und Stoikern im Sinne von Bedürfnislosigkeit als Grundlage wahrer Glückseligkeit gepriesen. Heute nennt man Autarkie die Wirtschaftsform der Staaten, die infolge der eigenen Hilfsmittel danach trachten, von den Lieferungen ihrer Nachbarn unabhängig zu werden; Munch. N.N. 24.725.5.1942 Damit hat der uns aufgezwungene Krieg die Frage nach der Berechtigung der unmittelbaren und totalen Wirtschaftsführung, die mit „Autarkie" nur ungenügend charakterisiert wird, als Pflicht der staatlichen Selbstbehauptung gutgeheißen; ebd. 10.12. 1942 Praktisch müsse die Ernährungsautarkie Großostasiens .. erreicht werden; N.Z.Z. 31.5. 1943 Argumente . . der wirtschaftlichen Unabhängigkeit (Währungsautarkie); Münch. N.N. 16.3. 1944 Die Europa durch den Krieg auferlegte Wirtschaftsautarkie hat dazu beigetragen, daß die Verwertung des Donauschilfes nunmehr praktisch in Angriff genommen werden soll; V. ß. 20.9.1944 Unsere ernährungswirtschaftliche Planung ist von Beginn des Krieges an stets darauf abgestellt gewesen, unsere Versorgung . . aus eigener Scholle zu sichern; Stresau 1948 Pfiff 42 die Auflösung des Widerspruchs in einer Art Autarkie des Schönen zu suchen, das nun einen spürbaren Gegensatz zum Profanen, zum Alltag, zum „Gemeinen" stiftet; Münch. Allg. Ztg. 14.5.1950 Wenn man, wie so oft in Deutschland versichert würde, ein Europa anstrebe, müsse man sich darüber klar sein, daß man dabei keineswegs eine Autarkie zugleich begehren könne; Süddtsch. Ztg. 5.5.1950 die Tragödie des Marshall-Planes sei es, daß er .. nicht den erträumten europäischen Bundesstaat herbeiführe, sondern vielmehr die Autarkie von sechzehn Nationalstaaten festige; Offenburger Tagebl. 17.1. 1959 Keine Politik der Autarkie bei der EWG (Überschr.) Größter Importeur der Welt — Zweitgrößter Exporteur nach den USA; 1966 Festschr. a. Hallstein 10 Die Agrarpolitik mit der . . Frage nach europäischer Autarkie oder Liberalismus oder die Handelspolitik, jetzt im Zeichen der KennedyRunde; Welt 14.2.1966 Auf dem Parteitag der

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Autarkie

Kongreßpartei in Jaipur sagte Frau Gandhi, das Ziel dieser Anstrengungen sei es, Indiens Autarkiebestrebungen so schnell wie möglich zum Erfolg zu führen; Offenburger Tagebl. 17.4.1968 Die Krisenjahre wurden durch entsprechende Neuorientierung der Geschäftspolitik bewältigt und durch den Beitritt zum Badischen Sparkassen- und Giroverband am I.Januar 1921 eine gewisse Autarkie aufgegeben; Lauffer 1971 Gesch. d. Antiken Welt o. S. Jeder Spartaner hatte gleichen Grundbesitz und zwar so viel, daß er sich in Krieg und Frieden selbst versorgen konnte, nach dem Grundsatz der Autarkie, der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Die Güter waren unteilbar und unveräußerlich, so daß keine Besitzunterschiede und Klassengegensätze aufkamen; Welt 13.2.1974 Während der 01konferenz in Washington veröffentlichte sie zum erstenmal genaue Angaben darüber, wie sie bis 1980 das Ziel einer energiepolitischen Autarkie erreichen will; Zeit 22.2.1985 Das Verlangen nach Autarkie in einer immer konfliktreicheren und interdependenteren Welt war verständlich. Aber eine völlige Unabhängigkeit von anderen konnten nur die Supermächte erringen, deren globale Vorherrschaft sich schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts ankündigte; ebd. 24.1.1986 Auf das Konto ihrer Autarkiebestrebungen gehen letztlich die grotesken jugoslawischen Fehlinvestitionen, der völlig unrentable Aufbau überflüssiger und unkoordinierter Produktionslinien und die massive Auslandsverschuldung des Landes. Die Selbstverwaltungsdemokratie ist der eigentliche Kern der jugoslawischen Malaise; ebd. 28.2.1986 Aber auch das kann den Drang der Äthanol-Lobby zur profitablen Autarkie nicht bremsen; ebd. 11.4.1986 Eine neue Sehnsucht nach Abschirmung vor den rauhen Winden des Weltmarkts, nach Autarkie, könnte die Reform im Ansatz ersticken; ebd. 15.8.1986 Von Marx und Mao auf Markt und Mammon; von Klassenkampf auf Konkurrenzkampf, von kollektiver Gleichmacherei und kommunistischer Askese auf materielle Anreize und auf persönliche Leistung; von permanenter revolutionärer Unruhe auf Stabilität und Rechtssicherheit; von Abkapselung und Autarkie auf Weltöffnung und Interdependenz; ebd. 5.12.1986 Die Schweizer Regierung versucht deshalb, ihre Autarkie zu stärken, ihre Abhängigkeit von Lebensmittelimporten so weit wie möglich abzubauen; Spiegel 11.4.1994 Im Horrordreieck von Apartheid, Embargo und Autarkie sind in Südafrika weder Produktivität noch Massenwohlstand erkennbar; ebd. 15.8.1994 Nach dem Ende der Sowjetunion versank Kuba in totaler Autarkie, die der Führer als „Nulloption" schönte. autark: Losch 1914 Wirtschaftsblock 11 Rußland zu einer Art von selbstgenügendem „autarkem"

und weltpolitisch maßgebendem Großkörper . . zu machen; Spann 1914 System 326 Wenn die gesellschaftliche Beobachtung . . mich zu der Bestimmung bringt: es seien autarke Individuen, welche die Gesellschaft bilden; Renner 1917 Marxismus 111 Beinahe jedes Stückchen Erdfläche, selbst die Schneefelder der Eskimos, kann in voller Isolierung noch Menschen nähren, und also ist es „autark" oder selbstgenügsam; Spann 1919 Geist 370 Er [der Sozialismus] ist, sofern er eine durchgängige Vergemeinschaftung der Volkswirtschaft . . an die Stelle der autarken Wirtschaftspolitik setzen will, universalistisch; Breysig 1931 Seele 182 Vries' Lehre . . die den inneren, stoßweise sich vollziehenden, als autark und autogen, selbstgenügsam und eigenwüchsig anzusehenden Werdegang . . zur einzigen Triebkraft der Artenbildung macht; Dix 1934 Raum 92 Den ganzen Doppelerdteil [Nord- und Südamerika] zu einem autarken Betätigungsfeld der USA [auszubauen]; 1934 Volk u. Reich 121 autarken, d. h. selbstgenügsamen Volkswirtschaft; ebd. 126 autarken Staat; Dtsch. AZ. 17.12.1935 Eine autarke Schule im Grünen (Überschr.) Er hat einen Gärtner und einen Bäcker angestellt, die mit den Schülern zusammen die fünf Morgen Gartenland bestellen . . die ist beinahe ihre alleinige Nahrungsquelle; Münch. N.N. 31.10.1939 Eine weitgehend autarke Wirtschaft, auch wenn sie die Notwendigkeiten des internationalen Güteraustausche vollauf würdigt, kann es ablehnen, in den Vordergrund ihrer Erwägungen das geldmäßige Denken zu stellen; Th. Mann 1940 Reden u. Aufs. (W. XII 890) Im Werden begriffen ist danach die Aufteilung der Welt in einige wenige Groß-Lebensräume, die „autark", das heißt im nationalen Privatbesitz aller wirtschaftswichtigen Rohstoffe sein müssen. Herzustellen sind sie durch Gewalt, deren Rechtmäßigkeit in dem natürlichen Anspruch der Herrenvölker liegt, die sie sich schaffen: durch die Unterwerfung und Einverleibung umliegender kleiner und kriegerisch schwacher Nationen; Münch. N.N. 26.7.1940 daß die Bestrebungen Erfolg haben werden, die amerikanischen Märkte in sich autark zu machen. Es fehlen alle wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür, um die amerikanischen Märkte von der übrigen Welt abzusperren; ebd. 6.12.1941 Im Stadtbild Mailands fallen . . die zahlreichen „autark" betriebenen Kraftwagen auf; ebd. 27.5. 1941 Der Markt erhält also sein Material zum allergrößten Teil aus den Beständen des eigenen Landes und ist in verstärktem Maße „autark" geworden; 1943 Geopolitik 21 den lebensfähigen, autarken Großraum; Köln. Ztg. 13.4.1944 Japans Absicht geht ja dahin, einen ostasiatischen Block zu bilden, der den britisch-amerikanischen Demokratien autark und unangreifbar gegenübersteht; Sedlmayr 1948 Verlust 87 Die verschiedenen Ge-

Autarkie biete des Kunstschaffens streben danach, „autonom", autark, jede in ihrem Gebiet „absolut" . . zu werden; Süddtsch. Ztg. 7.9.1950 Er ist ein Nachzügler derer, die, bevor wir auch in den Künsten „autark" wurden, bei uns in gutem Ansehen standen; ebd. 9.5.1952 wenn man .. bescheiden ißt und trinkt . . können Frau oder Freundin den vom modisch autarken Rom diktierten Chic mitmachen, zu dem Anno 1952 selbstverständlich die Pudelfrisur in schwarz oder rotblond gehört; Reichhold 1953 Arbeiterbewegungen II 245 Nationalstaat als autarker Lebensraum; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 16 Damit ist jedoch den Spezialvertretern des einzelnen Faches keineswegs der Anspruch bestritten, ihr Fach ihrerseits auch ohne Rücksicht auf die Geschichte, auch als autarken Wissenszweig zu behandeln; Offenburger Tagebl. 18. 9.1958 Die Zone will „autark" werden (Überschr.) Ueberraschte zunächst seine Ankündigung, daß die „DDR" in Zukunft selbst genügend wichtige Lebensmittel wie Butter, Fleisch und Eier produzieren werde, so fand die Mitteilung Raus, die Zone werde diese Lebensmittel nicht mehr aus den „kapitalistischen Ländern" beziehen . . kein günstiges Echo; ebd. 14.1.1960 auf den Spuren De Gaulles eine nationalistische, vielleicht sogar autarke Wirtschaftspolitik mit diesem Öl [der Sahara]; Partner 1964 Erben 220 Seine Mönche lebten nicht von milden Spenden, sondern von ihrer Hände Arbeit — sie waren autark, und um dieser Autarkie willen betrieben sie Ackerbau und Viehzucht, Mühlen und Bäckereien, Werkstätten und Gartenbauschulen; Welt 28.1.1964 Die Gruppe Müller ist so autark geworden, wie man in Europa nur werden kann — die Schafe für die Wolle wird man ja nicht auch noch halten wollen; ebd. 10. 9.1964 Damit würde der umgebaute Atomflugzeugträger zu einer autarken schwimmenden Raketenstation werden, von der aus bei Weltkrisen ein ganzes Infanterie-Regiment mit Kampfausrüstung innerhalb von 5 Minuten an jeden Brennpunkt der Erde geschossen werden könnte; ebd. 17.10.1969 Gegen soviel Gehemmtheit hätte schon längst der Einwand kommen müssen, daß die Bilder auch auf dem Fernsehschirm autark sind, trotz den offenbar komplexfördernden kleinen Dimensionen gegenüber der Leinwand; Süddtsch. Ztg. 28.3.1970 Erkenntnis, daß es keine isolierte „autarke" Prosperität geben kann; 1971 Spiegel 1 o. S. Es war nur ein kleiner Teil der Hog-Familie, die in Neu-Mexiko autark ihr Land bebaut . . autark bis hin zur eigenen Ernte wollen manche werden. Sie pflanzen Salat, Rhabarber, Hafer; heimlich auch Hanf, ihre Wunderpflanze; Zeit 22. 2.1985 Auch die Idee der Ausweitung deutscher Wirtschaftsdominanz und politischer Vorherrschaft im Osten mit dem Ziel eines

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autarken Reiches hatte sehr ehrbare Vorläufer. Die Vorschläge einer von London beherrschten imperialen Föderation . . verfolgten weitgehend ähnliche Ziele; ebd. 16.8.1985 die südafrikanische Wirtschaft ist bedeutend kräftiger, autarker als seinerzeit die rhodesische; Schipperges 1985 Garten 41 Der Mensch ist. . geschaffen, geworden, geworfen und damit abhängig, und nicht autonom oder autark; Zeit 2.5.1986 Diese zumindest zeitweise autarke kleine Raumstation wäre in der Lage, unabhängig von der großen Space Station, bemannt oder unbemannt zu operieren; ebd. 30. 5.1986 Der neueste Schrei sind . . langlebige Diesel- oder Gasmotoren — die selbst Einfamilienhäuser energieautark machen und preiswert mit Strom, Heizung und Warmwasser versorgen; Spiegel 7.12.1992 In ihrer Miniwelt [Projekt „Biosphäre" in Arizona] wollen sie den Beweis erbringen, daß ein völlig autarkes Leben auf engem Raum über lange Zeiträume möglich ist; Süddtsch. Ztg. 2.2.1994 gelingt es, ein energieautarkes Solarhaus . . in der Ökohauptstadt Freiburg. autarkisch: Lamprecht 1906 Americana 84 die neue, noch in Bildungsgärungen begriffene und doch schon deutlich teutonisch charakterisierte jüngste Nation . . was kann ihr schon fehlen, wenn sie nicht das Unglück der Selbstüberhebung hinreißt? Wirtschaftlich autonom und autarkisch als Erzeugerin der Rohstoffe subtropischer, gemäßigter und arktischer Zonen . . schreitet die junge Nation fort zu dem letzten, höchsten Versuche, dem Ideale, sie selbst zu sein; ders. 1913 DG/V. // 515 Das [Deutsche ] Reich ist [1871] der Hauptsache nach noch agrarisch-autarkisch begründet worden, seine Entwicklung dagegen wurde . . industriell-expansiv; ebd. II 531 Das [Deutsche] Reich ist zunächst wirtschaftlich kein autarkischer Staat; es bedarf unter allen Umständen der Zufuhr; Hettner 1915 Englands Weltherrschaft 59 bei einer auf sich beschränkten autarkischen Volkswirtschaft; Haushofer 1927 Grenzen 53 zwischen dem expansiven, exzentrischen, atlantischen Küstentyp und dem pazifischen mit seinen abschließenden, autarkischen, zentripetalen Zügen; Th. Mann 1934 Br. (18891936) 351 Zu diesem Lande (der Schweiz) wage ich ihnen nicht, Mut zu machen. Es ist vielleicht das „autarkischste", auf sich und die Seinen am meisten bedachte, den Ausländern abholdeste von allen; Dominik 1936 Vistra 37 Vorbildlich ist . . das Preußen Friedrich Wilhelms L, in dem . . eine autarkische Planwirtschaft betrieben wird; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. XI 944) Ich meine aber doch, daß die Dankbarkeit und Loyalität gegenüber den Ländern, die uns aufgenommen, die Treue zur angestammten Kultur nicht ausschließen, und wenn wir in der Fremde fortfahren, die

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authentisch

spezifischen Eigenschaften unserer Überlieferung zu bewähren, so könnte man gerade in einer Zeit autarkischer Verhärtung wie der gegenwärtigen in einer solchen Vermittlerrolle den Auftrag erkennen, den der Geist dem europäischen Emigrantentum erteilt; ders. 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 692) Das europäische Pathos Goethe's, der erklärte, Wohl und Wehe fremden Volkes wie das des eigenen zu empfinden, ist, allem Wüten des Nationalismus und aller autarkischen Verkrampfung zum Trotz, im stillen und in der Tiefe heute Gemeinbesitz geworden; 1955 Das Altertum l 203 Anm. Ich muß bekennen, daß ich den sicher weithin berechtigten autarkischen Bemühungen der Verfasserin nicht immer folgen kann; Heuss 1963 Erinn. 424 Nachdem die zoll- und devisenpolitische Abriegelung der Wirtschaften . . immer weiter fortgeschritten ist, wird die Losung gepredigt, daß wir aus der Not eine Tugend machen sollen, das heißt, daß wir diese „autarkische" Tendenz, die aus finanz- und wirtschaftspolitischen Konkurrenzgründen oder aus währungspolitischen Gefährnissen fast überall entstanden ist, bejahen, daß wir in ihr den neuen Typus unserer wirtschaftlichen Zukunft sehen sollen; Geissler 1965 Kulturhygiene 186 Auch der Welthandel verbindet alle Länder miteinander. Nur gewisse Staaten sind hier wiederum durch gewollte „autarkische" Beschränkungen im Hintertreffen geblieben. Autarkisierung: Reiners 1933 Wirtschaft 64 glauben Sie, daß Deutschland nach einer solchen Autarkisierung, nach der „Nährfreiheit" streben soll?; Höpker 1936 Rumänien 48 industriellen „Autarkisierung"; Volk u. Heimat 20. 7.1932 Wir würden bei einer solchen zielbewußten Autarkisie-

rungspolitik von dem gegenwärtigen Nahrungsmittel-Import in absehbarer Zeit etwa 2 Miliarden einsparen können; Frankf. Ztg. 31.3.1941 diese Aufstellung . . hat .. auch einen allgemeinen Wert für die Erkenntnis der großen Verschiebungen innerhalb des italienischen Preisgefüges, vor allem seit der Lire-Abwertung und der Autarkisierung Italiens. Autarkist: 3932-33 Schweizer. Rundsch. XXXII 2,773 Ähnliche Behauptungen kehren in den Meinungsäußerungen der Autarkisten auch weniger großen Geistesformats beständig wieder; ebd. 2,781 Autarkisten; Reiners 1933 Wirtschaft H 65 Eine Vegetarierautarkie werden die wenigsten Autarkisten wünschen; Lokal-Anz. 30.8.1933 Wir sind keine Autarkisten aus Prinzip, die Autarkie ist vielmehr eine Folge der Arbeitslosigkeit; Dominik 1936 Vistra 235 Der Rohstoff für derartige Fasern auf Zellulosebasis ist das Waldholz und nach der Meinung der hundertprozentigen Autarkisten sollte es Holz aus deutschen Wäldern sein; Spiegel 11.7.1994 Als kinematographischer Selbstdarsteller hat Moretti ein bißchen was von Herbert Achternbusch und ein bißchen was von Woody Allen. Doch er ist ein Autarkist geblieben und hat sich mit seiner Ein-Mann-Karriere behauptet. autarkistisch: Stuttgarter Ztg. 11.3.1959 daß sich zum Schluß Kleineuropa in autarkistischer Krähwinkelei wieder vom Welthandel abkapseln könnte; Offenhurger Tagebl. 23.1.1960 Die Entwicklung treibt somit immer schneller fort von nationalwirtschaftlichen oder gar autarkistischen Vorstellungen und hin zur großraumigen Lösung.

authentisch Adj., im späten 16. Jh. aufgekommen, eventuell unter Einfluß von frz. authentique über mlat. authenticus Original, echt, zuverlässig; anerkannt, rechtmäßig' zurückgehend auf spätlat. authenticus 'eigenhändig (geschrieben), urschriftlich, verbürgt, zuverlässig' (< griech. 3 $ 'einen bestimmten Urheber habend, zum Urheber einer Tat in Beziehung stehend', daher '(von Schriften) urschriftlich, aus erster Hand, eigenhändig (geschrieben), original, echt; (von Äußerungen) zuverlässig, maßgebend, nach einem sicheren Gewährsmann', zu 'eigene Macht, Selbstherrschaft' und 3 $ 'jmd., der selbst, mit eigener Hand etwas vollbringt, ausführt; Urheber, Verursacher (eines Mordes); Selbst-, Verwandtenmörder', später 'unumschränkter Herrscher, Gewalthaber, Gebieter', aus 'selbst-, aus sich heraus' (—»· auto-) und einem zweiten Bestandteil, dessen Herkunft nicht gesichert ist), bis ins 18. Jh. in der lat. (flekt.) Form und in lat. Syntagmen wie (in) forma, interpretatio authentica, pro authentica habeatur 'soll für authentisch gehalten werden', oder in latinisierenden bzw. frz.(/engl.) beeinflußten Formen wie authentic, authentik, authentique.

authentisch

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Zunächst in der Amts- und Kanzleisprache, im Bereich des Rechtswesens, insbes. Kirchenrechts in der Bed. 'amtlich (geprüft, bezeugt, bescheinigt), echt; rechtmäßig, legitim, gültig; maßgeblich, verbindlich, gesichert, objektiv, anerkannt, bewährt', z. B. von Aussagen, Reliquien, Kunst- und Wertgegenständen (s. Belege 1575, 1610) und Original-, urschriftlich; urkundlich, beurkundet, beglaubigt', bes. von Schriftstücken, Gesetzestexten (s. Belege 1609, 1680, 1699, 1702); seit Mitte 18. Jh. im kulturellen Bereich, bes. in der Geschichts- und Literaturwissenschaft, in bezug auf historische oder publizistische Fakten und Quellen für 'historisch, quellenkundlich, wissenschaftlich nachgeprüft, bezeugt, verbürgt, (ab-)gesichert, verläßlich, korrekt; nachvollziehbar, glaubhaft, -würdig' (s. Belege 1754, 1767, 1749, 1810) und bezogen auf literarische Quellen, Übersetzungen und Interpretationen für 'den eigentlichen ursprünglichen, zum Entstehungszeitpunkt vom Autor, Komponisten gemeinten Gehalt, Charakter wiedergebend, original-, text-, werkgetreu' (s. Belege 1743, 1765, 1767/68, 1985, 1986); dann auch allgemeiner bis abgeflacht und (analog zur indigenen Entsprechung echt) in vielfältigen Verwendungszusammenhängen gebraucht, mit Bezug auf Objektivität(sanspruch) im Sinne von 'richtig, korrekt, wahr(haftig), objektiv, solide, zuverlässig, den Tatsachen entsprechend, tatsächlich' oder eher subjektiv und mit positiver Konnotation im Sinne von 'ursprünglich, echt, der Realität entsprechend, realistisch; natur-, wirklichkeitsnah, (lebens-)echt, wirklich, natürlich, normal; unverfälscht, unverformt, unverdorben, unverbildet, unverbraucht; spontan, gefühlsecht' (s. Belege 1781, 1803, 1853, 1971, 1975, 1985, 1986); häufig in Syntagmen wie authentische Abschrift, Kopie, Übersetzung, Zeugnisse, aus lat. interpretatio authentica (s. o.) lehnübersetztes authentische Interpretation 'Auslegung einer juristischen Bestimmung durch ihren Urheber', authentische Äußerung, Erklärung, Nachricht, Quelle, Fakten, authentischer Beweis, Fall, authentisches Exemplar bzw. authentisch beweisen, erklären. Dazu im 16. —18. Jh. weitgehend veraltete, aus lat. Syntagmen wie authenticae leges I literae I tabulae l novellae, authentica interpretatio übernommene rechtsspr. Bezeichnungen wie Authentikum, meist plur. und lat. flekt. für 'Urschrift eines Textes, Original; beglaubigte Urkundenabschrift', im 16. Jh. auch 'Sammlung von Gesetzestexten'; seit früherem 18. (bis heute gebucht) Authentiken PL, anfangs auch in lat. (flekt.) Sing.- oder Pl.-Formen wie Authentica und Authenticae (vgl. lat. (leges) authenticae), als historische Bezeichnung für die von Irnerius als verbindlich angesehene, wörtlich dem griechischen Urtext folgende Fassung der Justitianischen Novellen (s. Beleg 1732), dann für unmittelbar vom Kaiser (nachträglich) in das Gesetzbuch eingebrachte Verordnungen (s. Beleg 1747), auch als Sing. Authentik bis ins 20. Jh. gebucht für '(schriftliches) Echtheitszeugnis, -bescheinigung', speziell für 'bischöfliches Zeugnis der Echtheit von Reliquien' (s. Belege 1784, 1845). Seit spätem 16. Jh. die verbale Ableitung authentisieren V. trans., in der Bed. '(die Echtheit) rechtsgültig beglaubigen, urkundlich bescheinigen; glaubwürdig machen', mit dem dazugehörigen, im 17. und 18. Jh. vereinzelt nachgewiesenen Verbalsubst. Authentisierung F. (-; -en); vom frühen 18. Jh. bis Ende 19. Jh. selten nachgewiesenes, auf griech. 'eigene Macht, Selbstherrschaft' zurückgehendes Authentic F. (-; ohne PL), seit Mitte 18. Jh. ersetzt durch das wohl unter Einwirkung von frz. autbenticite aufgekommene Subst. Authentizität F. (-; ohne PL), in der Bed. 'Urkundlichkeit, Rechtsgültigkeit, Echtheit; zuverlässige (historische, literarische) Glaubwürdigkeit, Richtigkeit, Gültigkeit, Bewährtheit, (Werk-)Treue; Wirklichkeitsnähe; Ge-

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authentisch

fühlsechtheit'; die seit Ende 19. Jh. vereinzelt gebuchte verbale Ableitung authentifizieren 'etwas in authentischer Form abfassen, vollziehen', und in jüngster Zeit die vereinzelt nachgewiesene, eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. authentification aufgekommene subst. Gelegenheitsbildung Authentifikation F. (-; -en) 'Authentisierung'. authentisch: Fischart 1575 Garg. XVH 153 Nun will ich zu verschiedenen Neuigkeiten, Welche hieselbst vorgefallen sind, schreiben. Sie sind zwar meist unangenehm und schlecht, Aber doch alle authentisch und acht. . nach Authentischem vnwidersprechlichem Cardinalspruch: Natura abhorret vacuum; Gutmar 1592 Kennzeichen kathol. Rel. 118 welche [Prediger] nun schänden und schmähen, kein giltige Autentische kraffthabende Vrsach jhres Blendwercks fürbringen; 1609 Goldast l 137 matricula deß römerzugs. diese, als ein rechte, waare vnnd authentische matricul, ist mir auß einer churfürstlichen cantzley; Hainhofer 1610 Corr. 7 aber ist mit gefälschten [Münzen] vnd abgossnen d. die nit authentic gewest sein, weil er nit verstanden, sehr betrogen worden; Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Authentique. Das glaubhafftig ist; Lebenwaldt 1680 Teufels List Hl 111 Die Bücher mit bleien Blättern/ wie auch andere Pargament-Zetl/ welche bey dem H. Cecilio, Thesiphone vnd ändern H. Märtyrern gefunden worden . . seynd authentisch/ weilen es von der Christlichen Catholischen Kirchen approbirt worden; 1688 Wängarten, Fase. II 437 gefertigtes authentisches vidimus (DRW-Archiv); 1699 Staatsspiegel U 21 authentische Abschrift; Chilemont 1702 Kriegsrat l 157 authentische Copey; Marperger 1717 Beschr. d. Banken 45 authentic; Ferriol 1719 Abb. (Übers.) 2a einem authentischen Zeugniss; Zschackwitz 1723 Karl VI. 276 autentische Urkunden; Zedler 1732 Universallex. 11 2266 Authenticus . . glaubwürdig, das von ansehnlichen glaubwürdigen Leuten gestellet, und für gut angesehen ist, das gilt und angenommen wird. Authentica interpretatio wird genennet, da weiter zu widersprechen, oder darinne zu critisiren, niemand erlaubt; 1732 Vorarlberg/ÖW XVIH 224 zu all .. ende dan solle dise kirchspihlordnung in originali in die gemeindstand gelegt und eine authentische abschrift davon alljährlich publiciert und vor sambentlicher gemeind verlesen werden (DRW-Archiv); Beust 1743 Consiliarius 80 Interpretatio authentica; Winckelmann 1749 briefl. (Jahrb. Samml. Kippenberg l 30) Man muß sich aber wundern, wie fast kein einziger [Schriftsteller] von denen, die sich .. an die deutsche Geschichte gewaget, richtig ist, wenn man jeden gegen authentique Nachrichten hält; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10 o. S.) Es kan seyn, daß es eine authentique Approbation bekommt; Geliert 1751 Br.

(IV 175) Ich bin selbst niemals da gewesen, und ich möchte nicht gern, daß Sie meine Beschreibung für authentischer hielten als ich sie ausgebe; Boltz 1752 Amts-Actuarius 57 was massen er . . seines . . allhier ehrlich erlernten Handwercks halber, einen beglaubigten Lehr-Brief vonnöthen hätte, und derowegen anbey gebührend bitten, ihm solchen in forma authentica mitzutheilen; ebd. 92 nach genommener Hand-Gelübd de dicenda veritate über anliegende Interrogatoria genau und umständlich zu examiniren, sonach dessen Aussage in forma authentica durch einen Expressen mir wiederum verschlossen zu communiciren; Milton 1754 Verl. Paradies (Übers.) I 182 Prometheus, der Jupiters authentisches Feuer gestohlen hatte; Lessing 1760 Literaturbr. (S. Sehr. Vlll 224f.) Kann man das anders als eine authentische Erklärung, als eine Erklärung annehmen, die der Verfasser als derjenige giebt, der sich seiner Meinung am besten bewußt sein muß?; Basedow 1764 Philatelie l 276 Es heißt aber eine Erklärung alsdann authentik, wenn sie von dem Urheber der Worte selbst hinzugesetzt wird; 1765 Allg. dtsch. Bibl. l l, 175 authentische Übersetzungen; Lessing 1767—68 Dramaturgie (S. Sehr. X 102 f.) Die authentische Erklärung dieser Furcht, welche Aristoteles dem tragischen Mitleid beyfüget, findet sich in dem fünften und achten Kapitel des zweyten Buches seiner Rhetorik; Goethe 1773 Br. (WA IV 2,57) Von Jerusalems Todte schrieb ich nur das pragmatische Resultat meiner Reflecktionen . . Ich hoffte auf eine umständliche avtentische Nachricht, die ich nun überschicken kann . . das gewissenhafte Detail der Erzählung nimmt ganz hin; 1773 Br. a. Klotz II 132 so kann ich Ihnen avthentik sagen; Lessing 1778 Nöthige Antwort (S. Sehr. XIII 335) Auch nicht einmal als authentischer Commentar der gesammten Regula fidei sind die Schriften der Apostel in den ersten Jahrhunderten betrachtet worden; 1781 Literar. Pamphlete 58 haben alle seine Landsleute seit etlich hundert Jahren ihre Langsamkeit authentisch bewiesen; Schlettwein 1784 Archiv VH 103 der . . gedruckte Entwurf zur Errichtung einer CreditKasse für nichts anders gehalten werden dürfen, als für das, was sie wirklich sind, für Privatschriften, keineswegs aber für legale Auslegungen, und am wenigsten für authentische Erklärungen der ersten Stifter; 1785 Holland. Staats-Anzeigen 157 weil es an authentischen Beweisen fehlt; 1787 Journal d. Luxus 129 Authentischen Nachrichten zu

authentisch folge verhält sich die Geschichte mit dem Handel der hinterlaßnen Kleidungsstücke des Königs als Reliquien folgendermaassen; 1787 Journal d. Moden Vlll 284 wir zeigen also von der Sache an, was wir seitdem davon erfahren haben; und können ihm versichern daß die Nachricht authentisch ist; Nicolai 1790 Anekdoten l 75 Von diesen Anekdoten waren die allerwenigsten wirklich authentisch. Die meisten waren ganz falsch oder bloß ersonnen; 1810 Almanack a. Rom I 40 Gegenwärtig trifft man noch authentische Ruinen davon in den Substructionen eines Dominikanerklosters an; ebd. I 134 der die gegenwärtig größtentheils in Paris, Florenz, Perugia und Rom befindlichen, authentischen Öhlgemälde . . genau untersucht hat; Goethe 1821 Wanderjahre (WA 115.1,279) Leider ist dieser Aufsatz aus dem Gedächtnis geschrieben und nicht . . für ganz authentisch anzusehen; ders. 1827 Br. (WA IV 42,274) indem Sie mir einen authentischen Abguß des erwünschten Basreliefs übersenden wollen; Wagner-Liszt 1853 Briefw. I 267 falsche Araber und authentische Chinesen, die zum Davonlaufen heulen und klimpern; 1855 Prutz' Museum I 321 Ein authentischer Text des Parlamentscomment — denn der ist verstanden, wenn in solchen Fragen von Verfassung gesprochen wird — ist nirgends vorhanden; Gutzkow 1859 Zauberer IV 157 Sie wüßten aus authentischer Quelle, daß er geliebt wird; Holtet 1863 Letzte Komödiant l 296 authentische Auskunft; Reichensperger 1872 Phrasen 55 Eine gewissermaßen authentische Interpretation des in Rede stehenden Wortes; Burckhardt 1879 Br. a. Alioth 115 Damit man die authentischen Gesichtszüge Ramses-Sesostris kennenlerne, hat ein Basler kommen müssen; Braun 1881 Bilder IV 297 was hat denn aber der Fürst Hohenlohe eigentlich gesagt? Gebt mir den authentischen Text seiner Worte; 1905 Luxemburg 12,513 Und sogar wenn authentische Berichte von Augenzeugen darüber nicht vorliegen würden; Liebknecht 1914 Ges. Reden 7 diese Ausführungen, die einer parlamentarischen Korrespondenz entnommen sind, machen den Eindruck, authentisch zu sein, wenigstens auf guter Information zu beruhen; Dombrowski 1920 System II 282 von authentischer Seite; Berl. Tagebl. 30.10.1936 Seine Aufzeichnung stellte sich aber schon nach wenigen Grabungstagen in diesem Spätsommer als nicht authentisch heraus; FAZ 15.2.1966 Die Erklärung des Generalsekretärs des Sachverständigenrates, Sievers, wonach das Gutachten bei Berechnung möglicher Lohnsteigerungen vom Durchschnittslohn des vergangenen Jahres ausgegangen sei, wird von der Gewerkschaft nicht als authentische Äußerung der Sachverständigen angesehen; Amery 1971 Widersprüche 11 Zum Teile liegt . . die Hoffnungslosigkeit bei der Suche nach der authentischen Aktualität in der Aktivität

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der Medien; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 37 Der avantgardistische Künstler verleiht Erfahrungen authentischen Ausdruck, die er im Umgang mit einer dezentrierten, von den Zwängen des Erkennens und Handelns freigesetzten Subjektivität macht; MM 2.1.1985 Im Widerschein des Kerzenlichts aus goldgerahmten Spiegeln und einem cremefarbigen Porzellanofen erklingt eine seiner frühen . . Kompositionen auf einem Hammerklavier, eines der wenigen noch erhaltenen authentischen Instrumente; Zeit 29. 3.1985 Wenn der Autor nicht als Dichter spricht, überrascht er mit einer in solcher Bündelung bislang unerreichten Sammlung authentisch überlieferter Fakten; ebd. 24.5.1985 Was wie eine reißerische Kinogeschichte klingt, beruht auf einem authentischen Fall, der vor zehn Jahren vor allem im europäischen Ausland für Schlagzeilen sorgte; MM 23.7.1985 Echte Vertreter des bayerischen Adels . . nahmen in authentischer Kostümierung, als Herolde und Turniermeister . . neben politischer Prominenz und Angehörigen bekannter bayerischer Adelsfamilien . . an der Landshuter Hochzeit teil . . Sie ist ein Wunder an authentischer Wiedergabe, die lediglich in der künstlerischen Überhöhung ihrer Tanzspiele und höfischen Musikdarbietungen, sorgsam nach historischen Vorlagen gestaltet, vom Original abweichen; ebd. 19. S. 1985 War das, was aus europäischer Perspektive die authentische Kunst der Uramerikaner genannt werden könnte, unauflösbar eingebunden in das Alltagsleben und die ihm zugehörige religiöse Praxis, wurde die Kunst nun zu einem Ausdrucksmittel im europäisch-amerikanischen Sinn; Zeit 27.9.1985 Diese sollen ein Bild des eigentlichen „normalen", authentischen und unverformten, eben des „natürlichen" Zustandes abgeben; ebd. 8.11.1985 Die Vision der Rettung durch das unverbrauchte, authentische Leben ist in sich zusammengefallen; ebd. 20.12.1985 Eine einzige Montage von authentischen Reden, Aufsätzen, Zeitungsausschnitten, Aufrufen, Flugblättern, Photographien, Filmen des Krieges, der Revolution, von historischen Personen und Szenen; Zimmer 1986 Redens Arten 85 Die zweite Säule, auf der das Weltbild des Empfindungsmenschen beruht, ist das Gebot: Sei echt, authentisch, spontan; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 14 Auf jeden Fall leben sie gesünder. Und irgendwie . . authentischer; ebd. 138 nichts stand mehr fest und solide auf eigenen Füßen, nichts schien mehr real und authentisch zu sein; MM 1.2.1986 Das Tagesmenü wird unter der Bezeichnung „Carlos Quintos" in einer nach ihrer Ausstattung authentischen Atmosphäre angeboten. Käme es zu einem fiktiven Familientreffen der Habsburger, kein Ort wäre geeigneter als dieses von den Großeltern Karls V. benutzte Gildegebäude am Buttermarkt; Zeit 2.5.1986 Keines

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seiner zahlreichen Bücher ist so autobiographisch, so authentisch im Lokalkolorit. Die jugendliche Drogenszene glaubwürdig zu schildern, ist besonders schwierig; ebd. 3.10.1986 Doch umgekehrt hat die massenhafte Verbilderung der Lebenswirklichkeit das Bedürfnis nach authentischem Ausdruck, nach Überhöhung und Bedeutung nicht löschen können . . Wem es mehr um Literatur als um Information geht, der mag authentische literarische Zeugnisse entfernter Welten bevorzugen; ebd. 24. 4.1987 Um nicht von Laiendarstellern zu sprechen, wo man — abgesehen von der Tatsache, daß sie auf faszinierende Weise ihre Einfachheit einbringen — diese Eigenschaften oft authentischer und unverbildeter antrifft, gerade weil sie als Produkt eines unverdorbenen Milieus oft die besseren Menschen sind . . Längst ist der Verlust authentischer Menschlichkeit unter dem unbewältigten Ansturm der neuen Technologien und ihrer Folgen zum Thema in Kirchen und Akademien geworden; MM 14. W. 1987 Das Young Vic Theatre aus London, spezialisiert auf ein jugendliches Publikum, kam mit einer vollkommen authentischen, texttreuen und herrlich entstaubten „Romeo und Julia"-Inszenierung in den Ludwigshafener Pfalzbau; Haubrichs 1988 Gesch. 241 Als Karl der Große sich . . um ein authentisches Exemplar der Regel bemühte .. kursierten in Frankreich bereits andere Fassungen; Ohler 1990 Sterben 73 Als authentisch darf man letzte Worte vielleicht dann ansehen, wenn sie aus dem Rahmen des Üblichen fallen; Spiegel 30.7.1990 Alfred Hitchcock hat den authentischen Fall noch milde präsentiert; 1991 Madame II 258 In der Tat, eine authentische rheinische Küche hat es nie gegeben; Spiegel 30.11. 1992 Am Ende stand eben doch nicht das wirkliche, authentische Leben auf der Bühne, sondern dessen mehr oder weniger mangelhafte Fiktion; Süddtsch. Ztg. 19J20.12.1992 Auch wurde verlangt, all jene Christen auszugrenzen, die jene Grundüberzeugung nicht für wahr und richtig hielten, auszuschließen vom authentischen Christentum; Sanders 1992 Sprachkrilikastereien 68 Die seriöseste Art, Beispiele wissenschaftlicher Schreibweise zu bieten, ist natürlich das authentische Zitieren, wie es ja die Wissenschaft selber extensiv pflegt; Spiegel 15. 2.1993 In einer Szene hatte er, durch einen authentischen Fall angeregt, das letzte Stündlein eines hohen Berliner Senats-Funktionärs ausgemalt, der dann von einer Briefbombe zerissen wurde. Authentic: 1721-22 Discourse d. Mahlern 23 daß ins Gegentheil Leute, die solche Principia aus der Acht gelassen, in deren Authentic und Wahrheit sie doch keinen Zweifel setzen; 1742 (Samml. crit. Sehr. VI 116) Dieser neue Mathanasius ist sehr sorgfältig die historischen Umstände zu bemerk-

ken, um die vorgegebene Authentic seiner Auszüge dadurch glaubwürdig zu machen (DWB N.); Lessing 1778 Nöthige Antwort (S. Sehr. XIU 334) Die Authentic der Regula fidei ist viel leichter und richtiger zu erweisen, als die Authentic der Neutestamentlichen Schriften; ebd. XHI 335 Auf die unstreitig erwiesene Authentic der Regula fidei, ist auch weit sicherer die Göttlichkeit derselben zu gründen, als man itzt auf die Authentic der Neutestamentlichen Schriften, derselben Inspiration gründen zu können vermeynet; 1783 Berlin. Monatsscbr. II 532 Glaube an die Authentic der Apokalypse; 1893 Meyer Enz. 11 250 Authentic . . in der Litteratur der echte Ursprung einer Schrift, im Gegensatz zu einer untergeschobenen, zu irgendeinem Zweck erdichteten . . Authentic der Schrift, ein Kunstausdruck, welchen die protestantische Orthodoxie zur Entwicklung des Begriffs der sogen. Autorität . . gebrauchte. Authentifikation: Süddtsch. Ztg. 16.12.1993 Der Adressat wird das falsche Faksimile nie von einem richtigen unterscheiden können, weil er ohnehin stets nur eine Kopie empfängt. Zwar tauschen die Endgeräte ihre Teilnehmerkennung aus, „es findet aber keine Authentifikation statt", ob der angegebene Absender wirklich der richtige ist. authentifizieren: 1893 Meyer Enz. U 250 Authentifizieren . . eine Urkunde in aller (ihre Authentizität verbürgenden) Form vollziehen; 1952 Brockhaus I 545 authentifizieren . . eine Urkunde in aller Form vollziehen. Authentikum/Authentik(en): 1547 Bucer 117,2445 das alle regenten vnd regierende amtleut im reich solche . . gemeinschafft der kirchen vnd willen zu christlichen leben schweren sollen, welches eids form noch in Authenticis gelesen wirdt (DWB N.); Hainhofer 1610 Corr. 16 die halten die numismata alle für originalia vnd authentica; Winckler 1696 Edelmann 19 und weil das Sprichwort: De male quaesitis non gaudet tertius haeres, voraus allhier zu Belissa authentica worden; Zedler 1732 Universallex. II 2265 Avthenticae, so heissen erstlich die Novellae Justitiani. Denn zu Irnerii Zeiten waren zwey Übersetzungen bekannt, wovon die eine dem Griechischen Texte von Wort zu Worte folgte, die andere aber sich nicht so wohl an die Worte band, als den wahren Verstand derselben auszudrücken suchte. Ob nun schon diese letztere weit besser als jene war, so ergriff doch Irnerius die erste, welche daher authentica und die Novellen hiervon authenticae oder Liber authenticorum genennet wurden . . Avthenticum, das Original eines Instruments, Testaments . . denen entgegengesetzt wird Exemplum, die Copey; Ludewig 1747 Discours Vorher.

authentisch XCVIH durch eine eigene Kayserliche Satzung und authenticam auf Römische Hohe Schulen gelocket; 1784 Journal v. u. f. Deutschland l 346 Die Pfarrer und Geistlichen . . glauben ihre Ehre dadurch vor der vernünftigen Welt zu retten, daß sie den neuen Mirakeln [offiziell] ihre Authentik oder Zeugenschaft nicht geben; Reichenbach 1784 Beytr. l 56 Die Justiz war . . so mit Institutionen . . Novellen, Authenticken, Edicten .. Texten, Glossen . . Commentarii, Decisionen, Praejudicien . . verbrähmt; 1845 Anemonen II 71 Er zeigte ihre Widersprüche, ihre gänzliche Unächtheit, obgleich der Verfasser . . eine Geschichte des Manuskriptes und hiemit eine Art Authentik voranzusetzen, sich die undankbare Mühe gegeben hat; Koeniger 1926 Kathol. Kirchenrecht 348 Wäre die Authentik verloren, bedürfte es zur öffentlichen Verehrung der Erlaubnis des Ortsordinarius. authentisieren: 1582 (Reuter, Reichsstandschaft 109) befollen Maximilian! privilegii coram officiali praepositi Majoris Ecclesiae . . zu authentisieren; 1616 (1893 Mitt. G Erz'Gesch. Ill 263) Welches Ich zwar in ein rein Pergamentbuch oder Libell vmb besserer Wehre willen, sauber vnnd rein abzuschreiben zu lassen vnndt gewöhnlicher weise vntter Meinem Insiegell vnnd eigener handtschriefft, anderweit auss- zuferttigen, vnndt mitt mehrem zu authentisiren gänzlichen enttschlossen . . diss concept oder abschriefft von Mir genungsamb authentisiret werden köntte, dass diess von Mier selbst . . vidimirte Concept vnndt abschriefft, so vollkomben, alss ein rechtt Original Krafft haben Vnd gültig sein; Dalhover 1689 Gartenbeetlein II 6a solches durch . . Zeugschafften authentisiret wird; Braun 1783 Gesch. 129 Wie die Censuren zu authentisieren?; Wagner-Liszt 1850 Briefw. l 95 Dies wäre, selbst eine revidirte, corrigirte, bereicherte und authentisirte Uebersetzung davon anzufertigen; 1893 Meyer Enz. II 250 Authentisieren .. beglaubigen, bekräftigen; originalisieren, eine Urkunde vollziehen durch Unterschrift oder die Stelle derselben vertretende Zeichen und Formeln, durch Aufdrücken oder Anhängen eines Siegels .. häufig unter Zuziehung angesehener, glaubwürdiger Personen (authenticae personae) als Zeugen; 1987 Brockhaus II 401 authentisieren, glaubwürdig, rechtsgültig machen. Authentisierung: Eitel Friedrich v. Herden 1660 Grundf. d. heilig. Rom. Reichs 194 Reformation des Müntzswesens Authentisierung des mit Frankreich geschloßenen Friedens; 1774 Würzb. Stadtbaurecht 3 Authentisirung des Stadt-Baurechts. Authentizität: 1742 (Samml. crit. Sehr. V 8) Allein die Authenticität derer Stücke, welche dieser

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Sammler zusammengelesen hat, scheint mir um etwas verdächtig, und man thut wohl, wenn man sich nicht allzu stark darauf verläßt; 1767 Br. ü. Merkwürdigkeiten d. Literatur 263 An der Authentizität des Drucks durfte ich nicht zweifeln; 1772 Frankf. gel. Anz. 159 Einige haben daher einen Einwurf gegen die Authenticität der Mosaischen Geschichte genommen, die diese Stadt weit eher unter diesem Namen anführt, als jener Hebron gebohren worden, von dem doch, wie sie voraus setzen, die Stadt den Namen hat; ebd. 223 die Samaritaner haben da ihr Zion — würden mit dieser einen Entdeckung die Avtenticität ihres Pentatevchs beweisen; ebd. 281 Kapitel . . die so viel schwürige Stellen und Anführungen des A. T. haben, an deren Authenticität also manche gezweifelt, die das alte hebräische Evangelium der Ebioniten nicht gehabt; 1785 Staats-Anzeigen III 49 Authentizität [eines amtlichen Schriftstücks]; 1786 Journal aller Journale H 227 Authenticität der Gedichte Ossians; Küster 1792 Lebensrettungen Friedrichs II. Vorr. Mit Anführung ihrer Autencität [sie] drucken lassen; Goethe 1824 Br. (WA IV 38, 27) Das Bild der Maria Stuart . . da es auf dem Grabmal zweyer ihr höchst anhänglicher Frauen aufgestellt worden, so kann man die Autenticität voraussetzen; Ampere 1840 Weg (Übers.) 29 Authentizität des Werkes Nicodemi; Sybel 1865 Kl. histor. Sehr. U 137 An ihrer [der Briefe Marie Antoinettes aus 1791] Authenticität war niemals ein Zweifel, mochte man auf ihre Provenienz oder auf ihren Inhalt sehen; Brandt 1901 Ost-Asien II 157 ich habe dieselben gelesen und bin in der Lage gewesen, mich von ihrer Authentizität zu überzeugen; Roth 1930 Panoptikum 7 Die Gestalten der Geschichte und die bescheinigte Authentizität ihrer Gesichter, Bratenröcke, Kostüme, Zylinder; Adorno 1961 Noten II 127 „Authentizität" . . soll der Charakter von Werken sein, der ihnen ein objektiv Verpflichtendes, über die Zufälligkeit des des bloß subjektiven Ausdrucks Hinausreichendes, zugleich auch gesellschaftlich Verbürgtes verleiht. Hätte ich einfach „Autorität" gesagt, also ein wenigstens eingebürgertes Fremdwort, so wäre dadurch zwar die Gewalt bezeichnet worden, die solche Werke ausüben, nicht aber das Moment von deren Berechtigung kraft einer Wahrheit; Welt 21.3.1969 siedelt . . ihre Fabel nicht im Niemandsland purer Fiktion an, sondern vor dem konkreten Hintergrund der Zeit, bettet sie ein in politische Authentizität; Stuttgarter Ztg. 22.4.1970 literarische Werke mit einer in Europa sonst unerreichten Authentizität zur Aufführung gebracht; Hocke 1976 Tagebücher 183 Aus all diesen Gründen wird ein Tagebuch wie das der Anne Frank, dessen Authentizität vergeblich bezweifelt worden ist, auch in diesem Zusammenhang zu einem besonderen Ereignis; Zeit

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5.4. 1985 Diese Form von Kunst kommt mir zu sehr von künstlich, mir ist die subjektive Authentizität wichtiger; ebd. 3.5.1985 Die Bilder, die Tag und Nacht unsere Vorstellungskraft belagern, entwerten sich gegenseitig, und es wird immer mühsamer, durch den visuellen Müll hindurch zur Authentizität vorzustoßen; ebd. 17.5. 1985 was auch einiges besagt über die Machtverhältnisse und Mechanismen im Musikbetrieb wie über die Authentizität und/oder Fragwürdigkeit des Werkbegriffs; ebd. 28.6.1985 Das verlieh den Erklärungen und Mitteilungen des Sprechers Authentizität, sei es in der Öffentlichkeit der Pressekonferenzen, sei es erst recht in der diskreten Atmosphäre von Hintergrundgesprächen im kleinen Kreise; MM 26.9. 1985 Heinrichs dem Zeitalter der Entstehung angenäherte Fassung besaß Authentizität und scheint mir durch Henzes jüngste Salzburger MonteverdiKonzeption weder überholt noch antiquiert; Zeit 20.12.1985 Zumal die SPD, die eine aufklärerische Geschichte hat, geht es viel an, wenn dieses Stück politischer Ratio in dem neuen Gemisch aus Politiküberdruß, Ärger über das Unvermögen in Bonn, Betroffenheit, Authentizitätskult, Mythos und Absage an die Repräsentativdemokratie untergeht; MM 14.2.1986 Die Unterscheidung zwischen wörtlichen und nur inhaltlichen Wiedergaben amtlicher Schriftstücke sei nicht ungeeignet für die Erreichung des Schutzzwecks, denn die wörtliche Wiedergabe von Aktenteilen erwecke den Eindruck amtlicher Authentizität und bezwecke dies auch; ebd. 4. W. 1986 Das blutige Drama aus den Oktobertagen . . widerlegt mit der Wucht seiner glaubensstärkenden Nachwirkung alle wissen-

schaftlichen Zweifel in seine Authentizität; Zeit 13.3.1987 Was wird nun also aus dem Monopol der Handschrift auf Individualität und Authentizität, wenn auch Automatenschriften mehr oder weniger individualisierbar sind? Gewiß, die Unverwechselbarkeit und Vielschichtigkeit einer Handschrift können Computer nie produzieren; ebd. 10.4.1987 Wie Köhler wählt auch Hackl eine distanzierte Darstellungsweise, um nicht durch zuviel fabulierende Imagination den Eindruck historischer Authentizität zu verwischen: und so beglaubigt die kühl-protokollierende Sprache des Rechercheurs auch noch die Wahrscheinlichkeit erfundener Details; MM 23.9.1987 Und zwar mit einer Authentizität und Gefühlsechtheit, wie man sie normalerweise nur von Blues-Musikanten schwarzer Hautfarbe erwarten darf; Spiegel 30. 7.1990 Die Authentizität der Mitschrift bestritt auch Strauß nicht; ebd. 30.11.1992 Ich suche mit meiner Arbeit immer nach dem Leben, der Authentizität des Lebens; Süddtsch. Ztg. 24.3. 1993 die wiederkehrenden Motive in den verschiedenen Büchern als Belege des Gleichen wie der Abweichung vorführt, und so das übereinandergeschichtete Registerbild einer möglichen Authentizität evoziert; ebd. 10.9.1993 Eingebettet in dies internationale Verlangen nach mehr musikalischer Authentizität erklärt sich denn auch der saalfüllende Erfolg von Voice-Pop .. einer Musik nicht von Maschinen sondern von Menschen; Musik nicht mit Strom, sondern mit Dampf; Spiegel 28.2.1994 Heins Bericht lebt vom schönen Schein der Authentizität. Exakte Daten, Namen, historische Ereignisse schmücken die Fiktion, machen die erfundenen Episoden so glaubhaft wie eine Dokumentation.

Autismus M. (-; ohne PL), im frühen 20. Jh. von dem Psychiater J. E. Bleuler eingeführte Bildung aus griech. 'selbst, eigen' (—> auto-) und dem Suffix -ismus. Als Fachwort der Psychoanalyse gebraucht in der Bed. '(krankhaft übersteigerte) Selbst-, Ichbezogenheit, Unfähigkeit zu sozialem Verhalten, Beschränkung auf die eigene Vorstellung und Phantasie'. Dazu seit Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung autistisch (ohne Steigerung) 'an Autismus leidend, (krankhaft) ich-, selbstbezogen' und in neuester Zeit die subst. Ableitung Autist M. (-en; -en), auch Autistin F. (-; -nen) '(krankhaft) ich-, selbstbezogener, kontaktunfähiger, an Geschehnissen der Außenwelt nicht teilnehmender Mensch'. Autismus: Bleuler 1921 Autistisch-undiszipliniertes Denken Vorw. z. 2. Aufl. V Erfahrung, daß man den Autismus mit Logik nicht direkt bekämpfen kann; Kretschmer 1921 Körperbau 118 Autismus, als schizoides Temperamentssymptom betrachtet; Diederichs 1929 Er. 458 Das sind keine Vollmenschen, die im Autismus befangen sind und deren

Gedanken immer nur um die Entwicklung des Ich kreisen; Rohracker 1934 Charakterkunde 17 der sog. Autismus: der Kranke verliert den Kontakt mit der Umwelt, er kümmert sich nicht im Geringsten um das, was um ihn vorgeht, er spinnt sich in eine eigene Welt ein; Bircher 1940 Arzt u. Soldat 49 Neigung zum Autismus . ., zum Insichhineinleben;

Auto Newcomb 1959 Sozialpsych. (Übers.) 232 Autismus steht . . zumeist im Gegensatz zur „Realität", d. h. zu den tatsächlich gegebenen Bedingungen, mit deren Hilfe wirkliche Befriedigung erreicht wird; Packard 1961 Verführer (Übers.) 37 Autismus; MM 8.10.1987 Autismus ist nicht heilbar; Spiegel 30.8.1993 Autismus . . Ein niederschmetternder Befund: Autismus gilt bis heute als nahezu unheilbar. Autist: Zeit 25.4.1986 In den Pubs galt der beer junkie . . als Autist, der, wenn überhaupt, in egomanen Ellipsen redete; MM 8.10.1987 Autisten . . müssen mühsam erlernen, was für andere selbstverständlich ist — beispielsweise Körperempfinden, Gefühle überhaupt; Zeit 15. 7.1994 Er ist autark, aber kein Autist mehr; und er ist ein Vorbild für das europäische Autorenkino, das sich nur aus eigener Kraft aus seiner Misere retten kann. autistisch: Freud 1911 Formulierungen ü. d. zwei Prinzipien d. psychischen Geschehens (Studienausg. III 19) Ein schönes Beispiel eines von den Reizen der Außenwelt abgeschlossenen psychischen Systems, welches selbst seine Ernährungsbedürfnisse autistisch . . befriedigen kann, gibt das mit seinem Nahrungsvorrat in die Eischale eingeschlossene Vogelei; Bleuler 1912 Autistisches Denken (Titel); ders. 1919 Autistisch-undiszipliniertes Denken Vorw. z. 1. Aufl. IV die Therapie . . ist . . noch eine autistische, d. h. sie gründet sich zu sehr noch auf den uralten Boden der Wünsche und Einbildungen statt auf den der Wirklichkeit und strenger logischer Schlußfolgerung; ders. 1922 Auti-

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stisch-undiszipliniertes Denken l dem Denken . . des autistischen Schizophrenen, der, sich um die Wirklichkeit möglichst wenig kümmernd, im Größenwahn seine Wünsche erfüllt und im Verfolgungswahn seine eigene Unfähigkeit in die Umgebung projiziert. Es ist deshalb das autistische Denken genannt worden; Süddtsch. Ztg. 2. 9.1946 Berechtigt war der Dreschflegel [der Kritiker] immer nur, wenn ein Star, garniert von Wolken der Mittelmäßigkeit, autistisches Theater zu machen suchte; Benn 1949 Ptolemäer 106 Durch Einsamkeit, Riten und Verzicht auf das Gewohnte wird die autistische Realität die Weltausweitung löschen; Newcomb 1959 Sozialpsych. (Übers.) 78 Autistisches Denken ist . . nicht nur Wunschdenken, . . autistisches Denken ist auch unrealistisch; ebd. 232 In diesem Entwicklungsstadium sind die Wünsche des Kindes rein autistischer Natur; autistisches Denken; Hocke 1976 Tagebücher 100 daß sich der englische Diarist Barbellion im Überdruß autistischer Bespiegelung einmal als eine „aufgespießte Qualle" bezeichnete; Hildesheimer 1977 Mozart 63 Doch ist diese Geselligkeit autistisch; in Wirklichkeit fehlt ihm [dem Genie] der Schlüssel zur verbalen Kommunikation; Zeit 21.11.1986 beginnen wir unser Leben in einem Zustand, wo Ich und Es, Libido und Aggression, Selbst und Umwelt noch nicht unterschieden werden, der „autistischen Phase"; Ortheil 1987 Schwerenöter 45 Autismus? — so laute die Fachbezeichnung. Das autistische Kind schlucke allen Kummer gleichsam in sich hinein, kapsle sich ab; Spiegel 15.11.1993 Der entschlossenste Vorstoß hin zur autistischen und partnerlosen Erotik wird derzeit in den USA angebahnt.

Auto N. (-s; -s), seit Anfang 20. Jh. nachgewiesene Kurzform von —» Automobil, früher vereinzelt in der Form Aut. In der Bed. 'durch Motorkraft betriebenes Straßenfahrzeug zur individuellen Personenbeförderung, Personenkraftfahrzeug' (abgek. PKW). Daneben seit den 30er Jahren bis heute konkurrierende indigene Formen wie (Kraft-)Fahrzeug, Wagen, vor allem in Zss. wie (Kraft-)Fahrzeugindustrie, -halter; Dienst-, Klein-, Last-, Liefer-, Miet-, Möbel-, Personen(kraft)-, Überfall-, Volkswagen gegenüber eher veraltetem Autohalter; Dienst-, Klein-, Last-, Liefer-, Miet-, Möbel-, Überfall-, Volksauto (s.Belege 1929, 1930, 1931, 1933). Von Anfang an schlagwortartig verwendet und unterschiedlich konnotiert, je nach Sichtweise und Zeitbezug positiv mit „sportlich, dynamisch, modern, bequem, lässig, elegant" (s. Belege 1912, 1917, 1933; deutlicher ausgeprägt bei —> Automobil) und (im Zuge der technischen Entwicklung und seriellen Fertigung) mit „Fortschritt, Freiheit, Lebensqualität (für alle, viele) bietend" (s. Belege 1926, 1930, 1934), meist eher negativ mit „lebensbedrohlich, unfallträchtig; konsumorientiert, schnellebig, hektisch, übersättigt" (s. Belege 1910, 1928, 1933, 1952, 1962, 1963, 1964, 1985,

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1989), bes. im Zusammenhang mit ökologischen Umdenkungsprozessen „umweltschädigend" (s. Belege 1970, 1985, 1986). In festen Verbindungen wie per Auto, mit dem/im Auto (unterwegs sein, durch-, überqueren usw.), Auto fahren, ins Auto steigen, als Bestimmungswort in subst. Zss. wie Autoabgase, -antenne, -atlas, -aufkleber, -bahn, -bus (aus frz. auto(mobile) (omni)bus oder zu engl. bus, von omnibus —» Bus), -club, -dieb, -(o)drom ('Fahrbahn für Autoskooter, Motodrom'), -export, -fähre, -fahrt, -friedhof, -garage, -haftpflichtversicherung, -handler, -halter, -hupe, -insasse, -karosserie, -kennzeichen, -kino, -kolonne, -konvoi, -konzern, -marke, -motor, -narr, -nummer, -panne, -parkplatz, -pflege, -plakette, -produktion, -raserei (mit negativer Konnotation), -reifen, -reise, -rennen, -route, -schlänge, -schild, -sitz, -skooter ('kleines elektrisches Auto zur Kinderbelustigung auf Jahrmärkten'), -sport, -Steuer, -stop ('Anhalten von Autos in der Absicht, mitgenommen zu werden'), -Straße, -sucht, -techniker, -telefon ('Fernsprechverbindung auf dem Funkwege vom Kraftfahrzeug aus'), -tunnel, -tür, -Unfall, -verkehr, -Vermietung, -Verleiher, -Versicherung, -wasche, -Werkstatt, -werkzeug, -zubehör; autofahren; autogerecht; als Grundwort (weitgehend von dt. Wagen verdrängt) nur in veralteten Zss. wie Dienst-, Klein-, Last-, Liefer-, Miet-, Möbel-, Volksauto, oder eher okkasionell in Behörden-, Billig-, Traum-, Tret-, Sicherheits-, Unglücks-, Wegwerfauto (s. Belege 1934, 1952, 1967, 1970, 1971). Dazu das Anfang des 20. Jhs. vereinzelt nachgewiesene, von der Nebenform Aut abgleitete, wohl regional (süddtsch.), scherzhaft und leicht abwertend verwendete Subst. Autler 'Autofahrer, Automobilist' mit der verbalen Ableitung auteln 'autofahren'. Auto: Strigl 1905 Plaudereien l 38 Anm. Auto . . Automobil; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 182 das Auto; Maria v. Schlözer 1907 Er. 108 Auto; Reich 1909 Leben 500 die zahllosen Automobildroschken und die vielen Autoomnibusse; Dunger 1909 Engländerei 58 Eine Anzahl solcher englischer Kurzwörter haben wir unmittelbar übernommen wie . . Photos für Photographien, Zoo . . für Zoologischer Garten . . Auto für Automobil; ebd. 69 In Sportkreisen zieht man das englische Kurzwort Auto vor; Huret 1909 Berlin 224 Autos mit Benzinbetrieb [für Omnibusse oder Droschken]; Birt 1910 Provence 20 In den Straßen ist der Verkehr enorm, berauschend, betäubend . . Die Trams und Autos tuten und lärmen und rasen. Die Passage stockt überall an den Kreuzungspunkten. Die Zeitungen melden täglich Unglücksfälle; ebd. 137 Der alte Herr ist einarmig, lenkt aber gleichwohl täglich sein Auto selbst; 1910 Technik, u. Wirtsch. 521 Dieses Gesetz beschränkt sich aber nicht auf jene privatrechtliche Angelegenheit, sondern will auch die Zahl der Unfälle, die durch die Autos herbeigeführt werden, durch neue polizeiliche und strafrechtliche Vorschriften vermindern; Berolzheimer 1910 Deutschland 259 ein forscher sportsman . . hat sich erfolgreich an Auto-Dauerrennen beteiligt; Ebertin um 1910 Alles verstehen 123 dann machen wir auch zusammen ein paar schöne Autofahrten; Janitschek 1912 Ehen 39 Sie sauste in einem Auto

zu ihm; fresher 1912 Von Ihr 85 Vor . . dem merkwürdigen Haus . . halten blanke Autos und elegante Equipagen. Die Chauffeure erzählen herablassend den Kutschern Geschichten von diskreten Tiergartenfahrten und unerhörten Trinkgeldern; N. Nachr. (Leipzig) 9.8.1912 man denke an das unschöne Wort „Autogarage", früher sprach man von Wagen-, Autoschuppen; 1912-13 Pan 111 576 Autodroschke; Kees 1914 Kraftwagenlinien 2 Autobus . . Autobusse; Schmitz 1914 Frankreich 190 Die neueste, von den französischen Behörden verständigerweise genehmigte Bildung ist „autobus" . . der gelehrte Einwand, daß „bus" kein Fahrzeug bezeichnet . . hat für die Lebenden keine Bedeutung; Müller-Guttenbrunn 1915 Völkerkrieg 50 auch in Wien sind schon einige Überklebungen der Modes- und Robes-Schilder vorgekommen. Unsere Chauffeure heißen plötzlich Autolenker; Hammerstein 1916 Februar 189 bis Fritz meldete, daß sein Bruder Karl, der ein geschlossenes Mietauto führte und, wenn man eines solchen bedufte, bestellt wurde, vorgefahren sei; Flake 1917 Horns Ring 25 hier traten .. die Häuser vor den Menschen zurück und niemand sah von ihnen mehr als die Schaufenster, die voll gewählter und teurer Dinge waren; hier rollten die Wagen elegant und schössen die Autos vorüber; Graf 1925 Gesicht 475 Zwei Autounfälle (Überschr.) Der kleine Hund von meiner Cousine Lilli ist von einem Lastauto

Auto überfahren worden; Federer 1925 Regina Lob 259 zu Ross oder per Auto; Voss. Ztg. 2.11.1926 Autovoik — Volksauto (Überschr.) internationale Illustrationen für das, was unsere KraftfahrzeugIndustrie noch immer oder schon wieder kann; ebd. 15.8.1928 Gegenwärtig sei zwar Auto Trumpf, aber man sei nicht rückständig, wenn man dafür eintrete, daß . . unsere Waldgebiete in ihrer natürlichen Schönheit und Ruhe erhalten blieben; ebd. 22.8.1928 Zuschauerterrasse, Autoparkplatz ergänzen die Anlage; Renn 1929 Krieg 189 Wir rückten auf die Straße hinaus. Da standen große Lastautos mit Planen darüber; 1929 Uhu 52 Wir müssen — falls wir Anspruch auf Bildung erheben — die wichtigsten Rekordzeiten, die Automarken, die Flugzeugkonstruktionen kennen; Grüne Post 15. 7. 1929 Eben hielt ein Auto vor dem Hause, und wenige Sekunden später meldete das Mädchen die Ankunft des Wagens; Colerus 1929 Kaufherr 333 als wir den Karlsplatz mit dem Auto überquerten; Voss. Ztg. 14.6.1929 Als Nutzund Berufswagen und namentlich für den Großstadtverkehr ist ferner . . das Kleinauto ein beachtlicher Nebenbuhler für das Motorrad geworden; 1930 Hamb. lllustr. XX o. S. Mein Lehrer hat mir . . schon ein paarmal versichert, daß Frauen, prozentual gerechnet, besser und sensibler autofahren als Männer; 1930 Dame am Volant 29 Autotouristik, Sport und Reisen (Überschr.); Voss. Ztg. 7.3.1930 Aus dem Sportgerät, aus der Liebhaberei einiger weniger ist in knappen drei Jahrzehnten das Verkehrsmittel der Zeit geworden. In diesen „dreißig Jahren Auto" steckt also auch ein gewaltiges Stück Kulturgeschichte; Hintz 1931 Gisela 103 Während er noch mit dem Hebeln des Wagens beschäftigt ist, schießt Endriks Auto mit eigenwilligem Brummen in den Regen hinein. Dann setzt sich auch der Wagen des Doktors in Bewegung; Hoppe 1931 Kleinautoindustrie 56 „sogenannte Volksauto"; 1931 Ursula 101 ein Gerenne und Gehetze in Eisenbahnen, Elektrischen und Autos; Berl. Morgenpost 10.4.1931 Es [das Pariser Publikum] bevorzugte die alten Droschken. Und außerdem war das Autotaxi teurer; Berl. lllustr. Nachtausg. 4.5.1932 An die Stelle der behäbigen Kremser sind die wuchtigen Lieferautos getreten; ebd. 18.6.1932 Die neuen Autos vom Mai (Überschr.) Im vergangenen Monat sind in Deutschland 5663 fabrikneue Personen- und Lastkraftwagen erstmalig zugelassen worden; Lokal-Anz. 29.6. 1932 eine Schreibmaschine klappert irgendwo, Autohupen, Straßenbahnen lärmen zu mir herauf; Ley den 1933 Groß-Berlin 129 Autobus (Kraftomnibus); Lokal-Anz. 22.1.1933 Kreise . . die Autosport treiben wollen, ohne dem immer neue Opfer fordernden Götzen „Rekord" zu huldigen; ebd. 24.1.1933 Das fürstliche Brautpaar fuhr im offe-

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nen Auto durch die Straßen des Städtchens; Lokal-Anz. 31.1.1933 Nach der eindrucksvollen Feier setzte sich die Auto-Karawane wieder in Bewegung und kehrte in das Haus zum Hochzeitsmahl zurück; Berl. lllustr. Nachtausg. 3.2.1933 Autodiebe stahlen vier Autos (Überschr.); ebd. 13.2.1933 Die ersten Ermittlungen ergaben, daß der Wagen einem gewerbsmäßigen Autoverleiher gehört; ebd. 23.3. 1933 Autosteuer-Reform erst ab I.Mai (Überschr.); ebd. 8. 6. 1933 Kurz vor 8 Uhr morgens jagten von allen Seiten die Schnellwagen der Polizei, die Überfallautos und Streifenwagen sowie die Kraftwagenzüge .. heran; Österr. Wehrztg. 4.8.1933 die Schaffung von „Autobahnen". Es ist dieselbe Straßenart, die von den Italienern „autostrada" genannt wird. Autobahnen [dienen] ausschließlich dem Kraftwagen- und Kraftradverkehr; LokalAnz. 10.8. 1933 Dann steigt das Auto durch das Eisacktal empor zum Brenner; ebd. 24.8.1933 In der Autohaftpflichtversicherung dürfte eine fühlbare Prämiensenkung vermutlich möglich werden, wenn die Haftung des Autohalters bei selbst- und mitverschuldeten Unfällen entspannt werden würde; Sckmidtmann 1934 Kraftverkehr und Volksgesundheit. Gibt es chronische Autoabgasschäden? (Titel); Lokal-Anz. 4.4.1934 Unter den Rädern eines Möbelautos (Überschr.); ebd. 14.4. 1934 „Autofähre" nennt er sein Schiff, das mit Hilfe des Kraftwagenmotors durch Schaufelräder angetrieben werden soll; ebd. 10. 6.1934 Die Menschen denken an den Autoverkehr, an Lärm und Staub; ebd. 8.8.1934 Der Fahrer überholte auf der falschen Seite und rannte dem Unglücksauto direkt in die Flanke; ebd. 26.8. 1934 Autoreifen, Motorradzubehör, Riesenauswahl (Anzeige); ebd. 2.9. 1934 Reifenpanne durch einen Igel (Überschr.) Eine nicht alltägliche Autopanne erlitt ein nächtlicher Autofahrer; ebd. 8.11.1934 Eine halbe Autostunde von Saarbrücken entfernt liegt im Lothringischen die kleine Garnisonsstadt Forbach; Dtsch. AZ. 31.8. 1935 Soviele Gäste aus aller Herren Länder hat man hier seit Jahrzehnten nicht mehr beisammen gesehen . . man erkennt sie ohne weiteres an ihren — Autonummern; Berndt 1939 IPS 14 an schnaufenden und ratternden Autos vorbei, denn die Kästen fuhren damals noch mit einem netten Geräusch; Münch. N.N. 15. 7.1941 Weder in Rom noch in Berlin noch in Paris schieben sich heute derartige Autokolonnen durch die Straßen wie in Madrid; ebd. 23.7.1942 Autoreise 1905 (Überschr.) Im Mittelpunkt steht die erste Ferienreise Rudolf Diesels und seiner Familie mit dem Automobil; ebd. 31.7.1944 In Stadt und Land wurde in diesen erregten Tagen jedes Auto (man sagte damals noch langatmig „Automobil") an den Straßenkreuzungen und Landstraßen aufgehalten; Röpke 1946 Cifitas 314 Auto als Kulturproblem;

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949 Alt-Bayer. Heimat X o. S. den Rat, seine Reise durch Auto-Stop fortzusetzen; NZ. (Basel) 9.5.1949 Verhängnisvolle Autoraserei (Überschr.); Welt 28.9.1949 Nur wenige Wohlhabende konnten sich damals einen Rennwagen leisten, die breite Masse aber der Motorsportfans mußte zusehen. Zwei pfiffige Mechaniker aus Detroit hatten daher eines Tages die Idee, aus alten Motorrädern und Autoteilen einen Rennwagen zu bauen, so klein aber auch so leistungsfähig wie möglich; Süddtsch. Ztg. 19.9.1950 Höchststand der Autoproduktion (Überschr.); ebd. 20.9.1950 Wir könnten die niedersächsischen Autofabriken (Volkswagenwerk, Hanomag, Bussing, Borgward-Bremen) und die hiesigen Konservenfabriken mit Feinblech beliefern; ebd. 25. 9.1950 vor dem . . Rotor . . und bei den Autoskootern drängten sich die Menschen; ebd. 20.10.1950 Autoversicherung beharrt auf Nachprämie (Überschr.); ebd. 6.7.1951 die Maschinen — und Autohändler fanden den Weg zu solventen Kunden; ebd. 19.7.1951 Mehr Autos nur mit mehr Kohle (Überschr.) Im ersten Halbjahr 1951 produzierte die westdeutsche Autoindustrie 190 986 .. Kraftwagen und Straßenzugmaschinen; ebd. 5.5.1952 Der Landtag und die „Autosucht" (Überschr.); ebd. 20.1.1954 Wenn man früher zu Kindern von einem Auto sprach, nannte man es wegen der noch hörbaren einzelnen Explosionen ein Töff-Töff; Münch. Merkur 29.7.1957 Das „Autodrom von Monza" ist schließlich Austragungsort der erstmals durchgeführten „500 Meilen"; Silberschmidt 1958 Entwicklung 188 Henry Fords Idee: ein Auto für jedermann; Münch. N.N. 9.3.1958 Man unterscheidet künftig „Autobahndreiecke" und „Autobahnkreuze"; Abendztg. (München) 29.4.1958 Auf dem Fabrikhof fuhr er eine Ehrenrunde im ältesten Auto der Welt, einer Daimler-Benz-Kutsche aus dem Jahre 1894; Welt 19.3.1959 Statistiker behaupten nachweisen zu können, daß bei Unfällen, in die diese Fahrzeuge verwickelt wurden, mindestens 50 Prozent weniger getötete Auto-Insassen zu beklagen sind; Süddtsch. Ztg. 18.9.1959 Auto - ein Symbol des Wohlstands .. Das Auto habe sich vom Luxusgegenstand zu einem Gegenstand des täglichen Bedarfs entwickelt; ebd. 2.7.1960 Der Münchner Kriminalpolizei gelang es, eine sechsköpfige Autoknakker- und Einbrecherbande unschädlich zu machen; Münch. Stadtanz. 6.4.1962 daß wir keine „autogerechten", wohl aber „geschäftsgerechte" Stadtzentren brauchen, wenn der Handel gedeihen soll; Stuttgarter Ztg. 24.9.1962 Jeder Neunte hat ein Auto (Überschr.) Der Grad der Motorisierung in der Bundesrepublik liegt nur noch wenig unter dem Großbritanniens und Frankreichs; Pinkwart 1963 Mord 21 Haben Sie ein Auto? . . Verordnung Nummer eins: die Benzinkutsche bleibt im Stall.

Hier wird gelaufen, und zwar nicht im Großstadttempo, sondern im Kurschritt; Süddtsch. Ztg. 11.5.1963 Autoboom in Amerika (Überschr.); Revue 19.5.1963 Alexander Spoerl: So kam der Mensch aufs Auto. Vom ersten Dampf zum ersten Knall (Überschr.) Vor knapp hundert Jahren wurde in Wien das erste Auto „geboren". Der stolze Vater hieß nicht Daimler und auch nicht Benz, sondern Siegfried Marcus. Sein hölzerner Viersitzer mit Gasmotor war der Zeit weit voraus, denn noch ratterten in Frankreich und England „altmodische" Dampfmobile durch die Gegend. Marcus' Beispiel machte Schule. 1865 experimentierte Daimler mit einem Gasmotor auf Rädern, und auch Benz bereitete insgeheim schon die erste Ausfahrt mit seinem „Patent-Motorwagen" vor; 1964 Kristall XVIII o. S. Aus einer nüchtern-nützlichen Fortbewegungsmaschine früherer Zeiten ist das Auto zum Götzen unseres Zeitalters geworden; Stuttgarter Ztg. 21.2.1964 Autoradios auf „Bestellung" gestohlen (Überschr.); Süddtsch. Ztg. 3.10.1964 Oberwellen .. schlagen durch, und so kommt es, daß der Inhaber eines Autotelephons seine Gespräche einem größeren Kreis von Fernsehern bekannt macht; Bad. Ztg. 16.10.1964 Autofahren prägt den Charakter (Überschr.); Süddtsch. Ztg. 23.10. 1964 Der Pariser Autosalon und die Automobilausstellung in London sind die größten herbstlichen Demonstrationen der internationalen Automobilindustrie; Stuttgarter Ztg. 27.10.1965 Ein Wunder auf 4 Rädern. Alles Wissenswerte vom Auto; FAZ 29.12.1965 Der zweite Flüchtling sei im Kofferraum eines Wagens versteckt gewesen, an dem gestohlene Autoschilder der amerikanischen Armee angebracht gewesen seien; Stuttgarter Ztg. 24.3.1966 Wohin mit den unverkäuflichen Autowracks? (Überschr.) Angesichts wachsender Autofriedhöfe und durch Autoveteranen verunzierter öffentlicher Straßen; ebd. 15.9.1967 die in den USA einen Marktanteil auf dem Gebiet der Autowaschanlagen . . besitzt; Süddtsch. Ztg. 10.2.1968 Elegie auf ein Traumauto (Überschr.); Offenburger Tagebl. 15.2.1968 Wir werden Erhard Keller mit einem Autokonvoi nach seiner Rückkehr von Grenoble in München abholen; FAZ 12.12.1968 Weitere fünf Autokinos (Überschr.); Stuttgarter Ztg. 8.4.1969 Mit diesem . . Urteil hat das Oberlandesgericht Stuttgart vor allem die gewerblichen Autovermieter eindringlich gewarnt, mit jugendlichen Autofans Verträge zu schließen; ND 16.4.1969 Autotunnel. Die letzte Bauphase am 660 Meter langen Straßentunnel am Alex hat begonnen; FAZ 4. 7.1969 Eines Tages ist es soweit. Das neue Auto steht beim Händler. Man räumt Handschuhkasten und Seitentaschen des alten Wagens aus; 1970 Durch d. schöne Welt H o. S. Das ist nach dem „Komet" (Hamburg-Chiasso), dem „Christoforus-

Auto Expreß" (Düsseldorf-Müchen) und dem „AutoTraum-Expreß" (Hamburg-München) der vierte Autoreisezug, der getauft werden soll; FAZ W. 11.1970 Opel weist jedoch darauf hin, daß nur wenige „Billigautos" bisher importiert worden seien; Offenburger Tagebl. 29.4.1970 Auto-Touristen brauchen also nicht mehr zu befürchten, bei einem schuldlos verursachten Unfall zur Kasse gebeten zu werden; FAZ 13. 7.1970 Die neue Bestimmung über das Mitführen von „Autoapotheken" hatte der Branche schon letztes Jahr Auftrieb gegeben; ebd. 7.10.1970 Wegwerfautos (Überseht.) Baut Autos wie ehedem, dann hätten auch die Lebenden etwas mehr von ihren Autos; ebd. 16.10.1970 Die Entwicklung eines sogenannten „europäischen Sicherheitsautos", die ursprünglich eine Reihe von Autoherstellern zu einer Gemeinschaftsarbeit unter der Federführung des Bundesverkehrsministeriums zusammenführen sollte; Offenburger Tagebl. 30.10.1970 Steigen die Autopreise nochmals an? (Überschr.); FAZ 21.7.1971 Tretautos (Überschr.) Ein amerikanischer Ingenieur hat ein Pedalsystem entwickelt, das dem Fahrer gestatten soll, im Falle einer Panne seinen Wagen doch noch aus eigener Kraft fortzubewegen; 1973 ADAC-motorwelt VI 74 Nach Sizilien führt eine der schönsten Autorouten Europas: die Autostrada del Sol . . Damit ist die „Mafia-Insel" noch mehr Autoreiseziel geworden; Zeit 8.2.1985 Der französische Sozialphilosoph Roland Barthes nannte sie die „Mythen des Alltags" und kam (Schicksal ist immer auch grinsend) durch ein Auto um: jene schön-häßlichen Maschinen, die wir zu unserer Erleichterung erfanden und die (Schicksal ist immer auch höhnisch) sich nun rächen: die Autos, Flugzeuge, Schiffe, Fabriken. Der italienische Schriftsteller Tommaso Marinetti hat den klassischen Ausspruch gewagt: „ein Rennwagen ist schöner als die Nike von Samothrake"; MM 16.3. 1985 Markus, heute 20 und in einer Autowerkstatt angestellt, hatte mit 17 Jahren eine Lehrstelle als Kfz.-Mechaniker gefunden; ebd. 15.5. 1985 der Mischkonzern, der in den Sparten Hochbau, Energie (Flugzeugturbinen), Verteidigung (Hubschrauber) und Industrie (Autozubehör) arbeitet, ist knapp bei Kasse; Zeit 6. 9.1985 Für ihre Initiative hat sie über 2000 Unterschriften gesammelt, die Entlastung von den Auto-Abgasen verlangen. Zehn Tonnen Schadstoffe werden täglich auf den vier Kilometern Autobahn ausgestoßen; MM 30.5.3956 Bisher wurde bei Anbauten sofort der Bedarf für das gesamte Haus ausgerechnet, so daß fehlende Autoabstellplätze nachträglich gebaut werden mußten; Zeit 13.6.1986 Bei Kontrollen hat ihnen die Polizei ihr Autowerkzeug beschlagnahmt; ebd. 19.9.1986 Da rast am Anfang eine Hippietype mit einer alten Karre in ein staubiges

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italienisches Nest am Meer. Nach einigem Gefasel und Gezeter zerrt dort aus einer Strandkommune der Hippie ein Kind, das er in sein Auto schleppt; MM 31.10. 1986 So sei unklar, was mit schrottreifen Autokarosserien geschehen könnte, die immer mehr Plastikteile enthielten; ebd. 31.10.1986 Außer der „Eintrittsgebühr" von zehn Dollar ist ein teilweises oder sogar totales Autoverbot für Manhattan in der Diskussion. Unter anderem wird erwogen, Personenwagen mit nur einem Insassen nicht mehr in den Stadtteil zu lassen; Zeit 14.11.1986 Man muß erleben, wie heiter sie mittags und abends von ihren verstreuten Arbeitsplätzen zu den Mahlzeiten kommen, eingesammelt von Kleinlastern oder auch von kennzeichenlosen Karren für den internen Betrieb, die nach der Methode „aus zwei mach eins" von Auto-Schrottplätzen geklaubt und zusammengebastelt wurden; MM 28.7.1987 Die Lahnsteiner Vereinbarung betrifft 10000 Tonnen in Haushalten eingesetzte Putz- und Pflegemittel, außerdem Produkte der Fußboden-, Autopflege-, Reinigungs-, Schuh- und Möbelpflegemittel; ebd. 5. 8,1987 Dem widersprechen AutoTechniker freilich unter Hinweis auf grundlegende Gesetzmäßigkeiten beim Betrieb von Otto-Motoren vehement; Stern 5.11.1987 Autoexport in die USA: ein weiterer Dollarverfall würde die Deutschen schwer treffen; MM 16.12.1987 Mark Armbruster, der stets fremde Hilfe beanspruchen muß, braucht für den Umstieg vom Autositz in den Rollstuhl fünf Minuten; Berl. Ztg. 8.7.1989 Nun bin ich einer von jenen, für die das Auto nicht zu den ersten Lebensbedürfnissen gehört, ohne daß ich deshalb etwas gegen Autofahrer habe. Mich störte nur, daß dieser Mann sein Menschsein von solch einer Blechkarre abhängig macht; Balten 1990 Komteß Silvia v. Schönthal 49 Als sie im Bad stand, hörte sie auf einmal vor dem Haus das leise Geräusch von zuschlagenden Autotüren; Rhein. Merkur 23.2.1990 Flint, einst blühende Industriestadt und Geburtsstadt des Auto-Konzerns General Motors, büßte durch Werkschließungen insgesamt 30000 Arbeitsplätze ein; Frankf. Rundsch. 19.4.1990 „Wir sind ein Volk" und „Ausländer raus" — zwei Autoaufkleber an einem „Wartburg", gesehen in Grünau; Wochenpost 31.8.1990 Bücher wurden jetzt weniger gebraucht, und wenn schon, dann Shells großer Autoatlas, ein Schnellkurs „Let's speak English"; Lukoschik 1991 In u. Out 20 Der Trend-Fahrzeug-Lenker hält sich für einen Zeitgenossen, ohne den die gesamte Welt irgendwie öder und leerer wäre, weshalb er beim Autokauf darauf achtet, daß sich in seinem Selbst-Beweger (Umgangssprachlich: Automobil) im unfälligen Bedarfsfall ein Airbag vor ihm bläht, in den er sich dann ruckartig, aber folgenlos fallenlassen kann.

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Aut: Dunger 1909 Engländerei 68 f. Im Jahre 1901 erließ der Allgemeine Schnauferl-Klub (gesellige Vereinigung deutscher Automobilisten) ein Preisausschreiben für die Verdeutschung der Wörter Automobil, Automobilist, Automobilismus und Automobilfahren . . Das Preisgericht, dem mehrere angesehene Sprachforscher und auch der Vorsitzende des Deutschen Sprachvereins . . angehörten, entschied sich für Aut, Autler, das Auteln, und auteln . . Aber dieser in vielen Beziehungen empfehlenswerte Vorschlag fand nur wenig Beifall. In Sportkreisen zieht man das englische Kurzwort Auto vor. auteln: 1902 Rad-Wanderer 110 unser eisernes, und doch wieder so papierenes, unser „bedampftes", elektrisches und nicht zuletzt auch „beradeltes" und „beauteltes" Jahrhundert; 1903 Grenzboten IV 327 Rasch vorwärts kommen, das ist heute die Losung . . Bloß des Rekords wegen, um eher den Hals zu brechen als alle ändern. Bricht man ihn nicht, so radelt, autelt oder spekuliert man zurück, ist auf demselben Fleck wie vorher und sieht sich nach einer Gelegenheit zu einem neuen Rekord um; Schick 1903 Bierbaum 13 reiten, auteln, fechten; Dunger 1909 Engländerei 69 Das Preisgericht entschied sich für . . das Auteln, und auteln; 1914 Z. D. Spr. V. XXIX 422 Der Verfasser stimmt für „Auto" gegen Kraftwagen. Warum? Weil wir ein Hauptwort brauchen, von dem sich leicht Eigenschaftswort und Zeitwort bilden lassen. Und dabei denkt er als Eigenschaftswort an „automobil", das sich allerdings von Kraftfahrzeug oder Kraftwagen nicht bilden läßt, dann aber merkwürdigerweise an „auteln" und „Autler", für die er sehr eingenommen ist; Stratz 1929 Lill 140 Nach der Geschichte mit dem Norweger auteln wir alle hinaus auf sein Jagdgut.

Autler: 1905 Rad-Wanderer 225 den Radlern, Motorradlern und Autlern; Dunger 1909 Engländerei 69 Das Preisgericht. . entschied sich für Autler; l 914 Z. D. Spr. V. XXIX 422 Der Verfasser stimmt für „Auto" gegen Kraftwagen. Warum? Weil wir ein Hauptwort brauchen, von dem sich leicht Eigenschaftswort und Zeitwort bilden lassen. Und dabei denkt er als Eigenschaftswort an „automobil", das sich allerdings von Kraftfahrzeug oder Kraftwagen nicht bilden läßt, dann aber merkwürdigerweise an „auteln" und „Autler", für die er sehr eingenommen ist; Voss. Ztg. 15.8.1928 Jeder Autler kommt irgendwann und irgendwo auch mal über Land; 8-Uhr-Abendbl. 16.10.1929 Freude für die Autler (Überschr.) für alle Kraftwagenbesitzer; Berl. lllustr. Nachtausg. 18.1.1933 Die Sorgen des Autlers (Überschr.) werden um einiges vermehrt, wenn zu Kälte noch der Schneefall kommt; ebd. 19.1.1933 Das schwere Autlerdeutsch (Überschr.); NZ. (Basel) 25.1.1950 wurde die 44 Jahre alte Frau . . von einem Auto überfahren . . Der Autler, so hieß es, sei flüchtig; Süddtsch. Zig. 13.2.1950 daß Hunderte von mißbräuchlich benutzten Personenkraftwagen vor einem Bierkeller parken . . Allerdings gehört so ein Geschwader von „fahrbaren Untersätzen" schon seit jeher zum AutlerKirta, der am Samstag im Löwenbräukeller abgehalten wurde; ebd. 5.9.1950 den eiligen Autlern; ebd. 24.1.1951 [grantigen] Nicht-Autler; ebd. 30.3.1954 Bei den Autlern hat König Ludwig I. eine gute Nachrede. Wer sich durch die engen Straßen und Gäßchen der altbayerischen Städte mühsam hindurchmanövriert hat, weiß es zu schätzen, wenn er mitten in der Großstadt München auf der Ludwigstraße eine Verkehrsader von der Breite einer Autobahn durchbrausen kann.

Auto-, auto-, vor Vokalen und h auch aut-, seit früherem 19, Jh. nachgewiesenes erstes Glied von Lehn-Wortbildungen, zurückgehend auf das griech. (Demonstrativund Reflexiv-) Pronomen 'selbst, eigen', als Wortbildungselement - bzw. - mit der Bed. c (von) selbst' in Subst. und Adj., seltener Verben. Konkurrierend in zahlreichen synonymen indigenen Zss. und Verdeutschungsversuchen mit indigenen Bestimmungswörtern wie selbst-, eigen- (vgl. seif- im Engl., dagegen im Frz. auch gemeinspr. nur auto-). Seit dem 16. Jh. selten, seit dem 18. Jh. häufiger in bildungs- und fachspr., meist subst. und adj. Entlehnungen aus dem Griech., z. B. —» Autonomie, —* autonom(isch), —» Autarkie, —» Autodidakt und —+ Autograph (alle vgl. a), —»· Automat (vgl. c), —> Autopsie (vgl. b), —* authentisch (vgl. a), —> autogen (vgl. b und c). Seit der zweiten Hälfte des 19. Jhs. im Dt. wie in anderen modernen Sprachen zunehmend produktiv in neoklassischen Kombinationen, z.B. —> Automobil (vgl. c), —+ Autosuggestion (vgl. b), —* Autogramm und —» Autobiographie (beide vgl. a),

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autosemantisch (s. u.), zur Bezeichnung vor allem von Vorgängen, Verfahren und Ergebnissen, die ohne äußere Einflüsse von jmdm. oder etwas selbst hervorgebracht oder auf jmdn. oder etwas selbst gerichtet sind, und zwar innerhalb verschiedener Fach- und Wissenschaftsbereiche: a Zunächst in philosophischen, geisteswissenschaftlichen und allgemeineren Zusammenhängen bezogen auf das Subjekt, gelegentlich auch das Objekt von Handlungen, Vorgängen in der Bed. '(von) selbst, aus sich selbst heraus; auf sich selbst gerichtet, bezogen; aus eigener Kraft, eigen; persönlich; unmittelbar; unabhängig, frei von äußeren Einwirkungen' (vgl. idio-; Ggs. syn-, hetero-, allo-, xeno-); z. B. seit früherem 19. Jh. (gebucht 1831 bei Oertel) das Adj. autokephal, früher auch autokephalisch, aus auto- und -kephal(isch) (zurückgehend auf griech. 'Kopf, Haupt'; vgl. 'der Kopf selbst'), in der allgemeinen Bed. 'unabhängig, selbständig', speziell kirchenrechtlich, vor allem auf die Ostkirchen bezogen für 'mit eigenem (kirchlichen) Oberhaupt, unabhängig von der Rechtssprechung der Dachkirche', häufig in der subst. Form Autokephale, meist PL für 'nur dem Papst oder der Synode unterstehende Bischöfe; selbständige Kirchengemeinschaften', mit dazugehörigem, seit späterem 19. Jh. (1870 bei Heyse) nachgewiesenem Autokephalie F. (-; ohne PL) 'Selbständigkeit, Unabhängigkeit (eines Bischofs, der keinem Patriarchen unterstellt ist); nationalkirchliche Stellung mit eigener Rechtsprechung' (—» Autokratie); im späteren 19. Jh. (1870 bei Heyse) gebucht Autologie, aus auto- und -(o)logie (zurückgehend auf griech. 'Wort'; vgl. 'das Wort selbst; selbstredend'), in der Bed. 'eigentliche, nicht bildlich-übertragene Rede', auch (gebucht 1879 bei Petri) 'Verhältnis zu sich selbst' (—> Autonomie) und bezogen auf einen theologisch-philosophischen Begriffszusammenhang im England des 16./17. Jhs. für 'Studium des Ich, Streben nach Erkenntnis des Selbst', mit der gleichzeitig gebuchten adj. Ableitung autologisch 'an und für sich betrachtet; absolut' (vgl. autonomisch, —> autonom); seit Ende 19. Jh. nachgewiesenes Autodeterminismus M. (-; ohne PL), aus auto-, —» Determination und -ismus, für '(Lehre von der) nach der Eigengesetzlichkeit der Vernunft verlaufende(n), von außen unbeeinflußte(n) Selbstbestimmtheit des Wollens und Handelns; Selbstbestimmung(-srecht)', gleichbed. mit in jüngster Zeit gebuchtem Autodetermination F. (-; -en), aus auto- und —* Determination; seit Anfang 20. Jh. (OED) in der Sprachwissenschaft nachgewiesen autosemantisch Adj., aus auto- und semantisch, —» Semantik, 'selbständige, kontextunabhängige Bedeutung aufweisend' (Ggs. synsemantisch), dazu in neuerer Zeit Autosemantikon F. (-s; Autosemantika), aus auto-, —»· Semantik und gräzisierendem -on, in der Linguistik für 'sprachliche Äußerung mit eigener, selbstständiger, kontextunabhängiger Bedeutung' (Ggs. Synsemantikon); in jüngster Zeit nachgewiesen das Adj. autonym, aus auto- und -(o)nym (zurückgehend auf griech. , auch 'Name'), 'vom Verfasser unter dem eigenen Namen herausgebracht', sowie Autoporträt N. (-; -s), eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. autoportrait aus auto- und —> Porträt in der Bed. 'Selbstbildnis, -porträt', auch auf den literarischen Bereich übertragen. b Etwa gleichzeitig in medizinischen, (sozial-)psychologischen/psychoanalytischen Zusammenhängen bezogen auf Körper und Psyche des Menschen als Objekt oder Subjekt pathologischer Vorgänge oder therapeutischer Handlungen im Sinne von 'den eigenen Körper betreffend, darauf gerichtet, im eigenen Organismus entstanden; ohne physiologische, biochemische, psychische Einwirkung oder krankmachende Einflüsse von außen im Körper oder Organismus selbst entstanden, hervor-

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gebracht; am eigenen K rper vorgenommen; auf den eigenen k rperlichen, psychischen oder intellektuellen Kr ften beruhend' (Ggs. —> hetero-), in zahlreichen Kombinationen wie seit fr herem 19. Jh. (1838 bei Heyse) gebuchtem, heute wohl veraltetem Autosomnambulismus, aus auto- und Somnambulismus 'Schlafwandel, Monds chtigkeit' (zur ckgehend auf lat. somnus 'Schlaf und ambulare 'herumgehen'), 'selbstbewirkter Zustand zwischen Wachen und Schlafen'; seit Mitte 19. Jh. in der Medizin nachgewiesen Autoplastik F. (-; -en), fr her auch in der Form Autoplastie, aus auto- und —»· Plastik (zur ckgehend auf griech. πλαστός 'gebildet, geformt', zu ττλάσσειυ 'bilden, formen, gestalten') 'Wiederherstellung verletzten K rpergewebes oder verlorener K rperteile durch bertragung k rpereigenen Gewebes; autoplastischer Ersatz' (Ggs. Heteroplastik), im fr heren 20. Jh. (1933 bei Genius) auch gebucht f r 'Verfahren zur Gewinnung eines naturgetreuen Abdrucks von Pflanzengewebe und anderer Materialien', mit dem Adj. autoplastisch 'mittels einer Autoplastik durchgef hrt; selbstgebildet'; seit sp terem 19. Jh. (1871 bei Sanders) bis heute gebucht Autophilie F. (-; ohne PL), aus auto- und -philie (zur ckgehend auf griech. φιλία 'Freundschaft, Zuneigung'), in der Bed. ' bertriebenes Selbstwertgef hl, Eigenliebe; sexuelle Selbstbefriedigung'; seit sp terem 19. Jh. (gebucht 1871 bei Sanders) Autoskopie F. (-; Autoskopien), aus auto- und -(o)skopie (zur ckgehend auf griech. σκοττή 'Umschauen, Sp hen; Betrachtung, Beobachtung', vgl. auch σκοττία 'Warte, Wachtturm', zu σκοττέιν 'betrachten, (be-)schauen'), in der medizinischen Diagnostik f r 'Selbstbetrachtung des Auges (mit einem entsprechenden Instrument)', auch 'Kehlkopfuntersuchung durch direkte Inaugenscheinnahme ohne Benutzung eines Spiegels mittels einer elektrischen Lampe, eines Autolaryngoskops', im 19. Jh. auch gleichbed. mit —» Autopsie im philosophischen Sinne (vgl. a; s. Beleg 1893); seit sp terem 19. Jh. (1870 bei Heyse) bis ins 20. Jh. gebucht Autotherapie, aus auto- und —+ Therapie, in der Bed. 'Selbstheilung durch Naturkr fte', gleichbed. mit Autophysiotherapie; seit sp tem 19. Jh. (gebucht 1879 bei Petri) als Fachwort der Psychoanalyse Autohypnose F. (-; -n), aus auto- und —»Hypnose, 'Hypnose, in die jemand sich selbst versetzt oder durch zuf llige Einwirkung versetzt wird; Selbsthypnose', mit seit fr herem 20. Jh. (1933 bei Genius) gebuchtem Adj. autohypnotisch 'durch Autohypnose hervorgerufen, auf Autohypnose bezogen'; gleichzeitig (gebucht 1879 bei Petri) Autoinfektion F. (-; -en), aus auto- und —»· Infektion, in der Bed. 'Infektion durch einen im K rper bereits vorhandenen, die Abwehrkr fte beeintr chtigenden Erreger'; seit Ende 19. Jh. als Fachwort der Pathologie Autodigestion F. (-; PL ungebr.), aus auto- und Digestion 'Verdauung' (< gleichbed. lat. digestio}, gleichbed. mit seit Anfang 20. Jh. nachgewiesenem Autolyse F. (-; ohne PL), aus auto- und -lyse (zur ckgehend auf griech. λύσι$ '(Auf-)L sung'), 'Selbstverdauung, -Zerst rung der Magen wand durch die eigenen Verdauungss fte', auch 'verdauungs hnliche Selbstzersetzung, -aufl sung von absterbendem organischem Gewebe durch seine eigenen, aus Lysosomen freiwerdenden Zellenzyme; Abbau von Organeiwei ohne mikrobakterielle Einwirkung' (vgl. d), z. B. in der Zs. Autolysekrankheiten, mit dem dazugeh rigen Adj. autolytisch 'sich selbst aufl send (von Organeiwei )' (vgl. d); seit Ende 19. Jh. Autointoxikation F. (-; -en), aus auto- und Intoxikation 'Vergiftung' (zur ckgehend auf griech. τοξικόν 'Gift (zum Bestreichen der Pfeile)'), 'Selbstvergiftung durch im K rper entstandene und nicht weiter abgebaute giftige Stoffwechselprodukte'; seit Ende 19. Jh. Autotransfusion F. (-; -en), aus auto- und —» Transfusion, 'R ckf hrung (infolge Verletzung) gestauter Blutmen-

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gen in den Blutkreislauf; Hochlage und Abbinden von Gliedmaßen als Erste-HilfeMaßnahme, die der Blutversorgung des Gehirns nach schweren Blutungen dient'; seit frühem 20. Jh. von S. Freud geprägtes Autoerotismus M. (-; PL ungebr.), aus auto- und -erotismus (aus —* Erotik und -ismus), 'sexuelle Empfindung, die ihren Ausgang im Subjekt selbst nimmt, auf den eigenen Körper gerichtet ist; Trieborientierung und -erfüllung ohne Partnerbezug; sexuelle Selbstbefriedigung; Narzißmus', gleichbed. mit seit den 50/60er Jahren nachgewiesenem Autoerotik F. (-; Pl. ungebr.) und der Gelegenheitsableitung Auto-Sexualismus, dazu gleichzeitig das Adj. autoerotisch 'in sexueller Hinsicht auf sich selbst bezogen, nicht partnerorientiert'; seit früherem 20. Jh. gebucht Autophonie F. (-; ohne PL), aus auto- und -phonie (zurückgehend auf griech. 'Stimme, Klang, Schall'), in der medizinischen Bed. 'Nachklang, Widerhall, verstärktes Hören der eigenen Stimme (durch Blutbewegungen) nach Mittelohrentzündungen oder starkem Gewichtsverlust'; in der ersten Hälfte des 20. Jhs. Autoanalyse F. (-; -n), aus auto- und —> Analyse, in der Bed. 'Selbsterforschung des eigenen Bewußtseins oder Unbewußten'; seit früherem 20. Jh. (1933 bei Genius) gebuchtes Autotoxin N. (-s; -e), aus auto- und Toxin 'giftige Substanz', in der Bed. 'giftige Substanz, die innerhalb des Körpers gebildet wird', auch 'Bakteriengift, das durch das Bakterium selbst produziert wird' (s. o. Autointoxikation); seit den 60er Jahren Autoantikörper M. (-s; -), aus auto- und Antikörper (—» anti-), meist im Pl. verwendet in der Medizin für 'gegen körpereigenes Eiweiß, Gewebe gerichteter Antikörper'; ebenfalls seit den 60er Jahren (1967 bei Brockhaus) gebucht Autoaggression F. (-; -en), aus auto- und —> Aggression, in der Psychologie für 'gegen das eigene Selbst gerichtete Aggression', in der Medizin speziell in der Zs. Autoaggressionsskrankheiten 'durch Immunreaktionreaktion des Körpers auf körpereigene Antigene verursachte Krankheiten; Autoantikörper-, Autoimmunkrankheiten'; gleichzeitig gebucht Autoregulation F. (-; -en), daneben Autoregulierung, aus auto- und —> Regulation bzw. Regulierung (—> regulieren), in der medizinisch-physiologischen Bed. 'Selbstregelung der inneren Bedingungen und Angleichung an (wechselnde) äußere Bedingungen durch den Organismus', auch übertragen auf bestimmte psychische Vorgänge und Prozesse; in jüngster Zeit nachgewiesen Autoimmunisierung F. (-; -en), aus auto- und Immunisierung, —> immun, für 'Antikörperbildung gegen körpereigene Substanzen', Autoimmunreaktion F. (-; -en), aus auto-, —» immun und —* Reaktion, 'krankhafte Produktion von Antikörpern, die sich gegen den eigenen Organismus richten' (vgl. auch Autoimmunkrankheit, Autoimmunopathie, Autoimmuntoleranz); seit den 70er Jahren nachgewiesen Autostereotyp N. oder M. (-s; -e), aus auto- und Stereotyp (—» stereotyp), in der Psychologie für 'festgefügte Vorstellung, Bild, das eine Menschengruppe oder Person von sich selbst hat; Selbsteinschätzung, Selbststereotyp' (Ggs. Heterostereotyp, Fremdstereotyp); gleichzeitig Autorhythmie F. (-; -n), aus auto- und -rhythmic (zurückgehend auf griech. 3 05 'Bewegung'), 'rhythmische Impulse, die vom Atemzentrum im Gehirn oder vom Herzen ausgehen'; gleichzeitig gebucht Autotransplantat N. (-s; -e), aus auto- und —> Transplantat, 'verpflanztes Eigengewebsstück' (s. o. Autoplastik). c Ebenfalls seit früherem 19. Jh. in den Bereichen Druck- und Phototechnik in Kombinationen zur Bezeichnung physikalisch-technischer Verfahren und Geräte bezogen auf das Subjekt der Handlung für 'automatisch, selbsttätig, ohne mechanische Einwirkung'; zunächst (1838 bei Heyse) bis heute nachgewiesenes Autoklav M. (-s; -en), anfangs in der Form Autoclave F., wohl entlehnt aus gleichbed. frz. autoclave

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(aus auto und -clave, zur ckgehend auf lat. clavis 'Schl ssel'), Bezeichnung f r ein in der (Lebensmittel-) Chemie verwendetes technischesGer t, ein abgeschlossenes Gef bzw. eine Art Dampfkochtopf, in welchem unter Erhitzen oder unter (Dampf) Druck chemische Reaktionen ablaufen, und der zur Desinfektion oder Sterilisation von fl ssigen oder festen Stoffen dient, dazu in j ngster Zeit vereinzelt gebucht autoklavieren V.(in)trans. 'Lebensmittel in einem Autoklav sterilisieren'; seit sp terem 19. Jh. (1874 bei Meyer Enz.) bis heute gebuchtes autodynamisch Adj., zur ckgehend auf gleichbed. griech. αυτοδύναμος (zu δύναμις 'Kraft, St rke'; —> dynamisch), in der Bed. 'mit eigener Kraft arbeitend; selbstwirkend, -t tig'; gleichzeitig gebucht Autotyp, aus auto- und -typ (zur ckgehend auf griech. τύπος 'Schlag, (Ein)Druck', zu τύπτειν 'schlagen, drucken'), in der Bed. '(vom Verfasser selbst hergestellter) Urabdruck, Selbstdruck', auch 'Maschine zum Drucken photographischer Bilder, Selbstdrucker', mit dazugeh rigem, seit sp terem 19. Jh. gebuchtem Autotypographie F. (-; -n), aus auto-, typo- (zur ckgehend auf griech. τύπος 'Druck') und -graphie (zur ckgehend auf griech. γράφειν 'schreiben'), Bezeichnung f r eine Vervielf ltigungstechnik zur bertragung einer —» Autographic (z. B. Schrift oder Zeichnung) auf Zink, und seit Ende 19. Jh. (gebucht 1893 bei Meyer Enz.) Autotypie F. (-; -en), aus auto- und -typte (zur ckgehend auf griech. τύπος s.o.) 'durch Druck vervielf ltigte Photographic', auch Bezeichnung f r ein Buchdruckverfahren bzw. die entsprechende Originalabdruckplatte f r Reproduktion mittels Raster tzung, mit im 20. Jh. (1933 bei Genius) gebuchtem autotypisch 'selbst(ab)druckend'; seit den 30er Jahren in der Luftfahrttechnik Autopilot M. (-en; -en), wohl aus gleichbed. engl. autopilot, aus auto- bzw. auto(matic) und pilot, Bezeichnung f r ein flugtechnisches Verfahren, bei dem die Handsteuerung des Flugzeugs ausgeschaltet und auf automatischen Betrieb umgestellt wird; gleichzeitig nachgewiesen Autorotation F. (-; -en), aus auto- und —»· Rotation, Fachwort der Flugzeugtechnik zur Bezeichnung der automatischen Drehung eines Tragfl gels um eine Achse parallel zur Anstr mungsrichtung f r 'Selbstdrehung', in j ngster Zeit auch gebucht f r 'aerodynamisch bedingte Rotorbewegung um die eigene Achse'. d Seit sp terem 19. Jh. in verschiedenen naturwissenschaftlichen Bereichen in Kombinationen zur Bezeichnung (mikro-)biologischer, botanischer, zoologischer, physikalischer, chemischer, mathematischer Ph nomene, Vorg nge und Prozesse, bezogen auf das Subjekt der Handlung in der Bed. 'spontan, selbstt tig; (sich) selbst; von selbst (erfolgend)'; zun chst bis ins 20. Jh. gebuchtes Autogonie F. (-; -n), aus autound -gonie (zur ckgehend auf griech. γόνος 'Wurzel', vgl. αύτόγονος '(aus sich) selbst erzeugt'), 'Urzeugung'; seit sp terem 19. Jh. (gebucht 1871 bei Sanders) als Fachausdruck der Botanik Autotroph M. (-; -en), aus auto- und -troph (zur ckgehend auf griech. τροφός 'N hrer; Pfleger, Erzieher'; vgl. αύτότροφος 'jmd., der f r Kost und Logis arbeitet'), 'sich selbst ndig ern hrendes Tier' (Ggs. —+ Parasit), mit dem Adj. autotroph, aus auto- und -troph (zur ckgehend auf griech. τροφή 'das Ern hren'; vgl. αύτότροφος 'zu Hause, auf eigene Kosten essend, lebend'), bezogen aufgr ne Pflanzen in der Bed. 'sich von anorganischen Stoffen ern hrend' und 'mit den eigenen Ern hrungsorganen Nahrungsstoffe aufnehmend, sich aus eigener Kraft erhaltend, -n hrend' (Ggs. heterotroph), und dazugeh rigem Autotrophie F. (-; PL ungebr.), Bezeichnung f r die Ern hrungsart der gr nen Pflanzen durch Aufnahme anorganischer Stoffe und Umsetzung in k rpereigene Stoffe; seit sp tem 19. Jh. (1879 bei Petri) gebuchtes Autogamie F. (-; -n), aus auto- und -gamie (zur ckgehend

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auf griech. γάμος 'Kreuzung, Begattung; Hochzeit, Ehe', zu γαμεΐν 'kreuzen, begatten; heiraten'; vgl. Polygamie), 'Fortplanzung (bei bestimmten Tieren und Pflanzen) ohne Partner; Selbstbest ubung der Bl ten', mit dem in j ngster Zeit gebuchten Adj. autogam, zur ckgehend auf griech. αύτογάμος '(von) selbst gekreuzt, gezeugt', 'sich selbst befruchtend'; gleichzeitig gebucht in der Biologie/Zoologie Autophagie F. (-; ohne PL), aus auto- und -phagie (zur ckgehend auf griech. φαγεϊν 'fressen'), zun chst in der Bed. 'Auffressen von Artgenossen', heute f r 'Nahrungsaufnahme ohne fremde Hilfe' und 'Beseitigung berfl ssigen Materials in den Zellen durch k rpereigene Bakteriophagen', dazu seit fr hem 20. Jh. Autophagen Pl. (vgl. gleichbed. griech. αύτόφαγος , zu φαγεϊν s. o., vgl. φάγο$ 'Fresser'), auch in der latinisierenden Form Autophagae PL, Bezeichnung f r die sofort nach dem Ausschl pfen selbst ndig Nahrung aufnehmenden Tierarten (Nestfl chter); gleichzeitig (1879 bei Petri) nachgewiesenes Autotomie F. (-; -n) aus auto- und -tomie (zur ckgehend auf griech. τομή 'Schnitt; das Schneiden', zu τέμνειν 'schneiden'), fachspr. Bezeichnung im Bereich der Biologie/Zoologie f r die Abtrennung, das Abwerfen von (sp ter wieder nachwachsenden) K rperteilen und Gliedma en an vorgesehenen Bruchstellen bei bestimmten Tieren (Eidechsen, W rmer), daneben in der Medizin auch '(absichtliche) Selbstverst mmelung beim Menschen' (vgl. a); seit Ende 19. Jh. (gebucht 1893 bei Meyer Enz.) das Adj. automorph, zur ckgehend auf griech. αύτόμορφο$ 'selbstgeformt' (zu μορφή 'Form'), als Fachwort der Kristallogie und Mineralogie 'auf allen Seiten von den eigenen Kristallseiten begrenzt' (vgl. idiomorph, Ggs. xenomorph), seit den 50er Jahren auch in der Mathematik vor allem im Syntagma automorphe Funktionen bezogen auf auf mathematische Funktionen, die bei bestimmten linearen Transformationen des Arguments gleich bleiben (vgl. isomorph), mit dazugeh rigem in j ngster Zeit nachgewiesenem Automorphismus M. (-; ohne Pl.) in der mathematischen Fachbed. 'Zuordnung der Elemente algebraischer Strukturen innerhalb dieser selbst' (vgl. Isomorphismus, Homomorphismus); seit Anfang 20. Jh. (1909 bei Meyer Enz.) gebucht Autoxydation F. (-; -en) 'unter direkter Beteiligung einer Sauerstoffverbindung als Katalysator erfolgte Oxydation (von Metallen u. .)'; im fr hen 20. Jh. Autogenese F. (-; ohne PL), aus auto- und —»· Genese, Ohne u ere Umwelteinfl sse, aus dem Inneren der Lebewesen heraus vollzogene Evolution', gleichbed. mit in den 30er/40er Jahren nachgewiesenem Autogenetik F. (-; ohne PL), mit der dazugeh rigen adj. Ableitung autogenetisch; seit fr hem 20. Jh. gebucht Autotropismus M. (-; Autotropismen), aus auto- und Tropismus 'Bewegung der Organe festgewachsener Pflanzen, die durch Au enfaktoren ausgel st und auf diese gerichtet ist' (—»tropisch), in der Bed. 'von Pflanzenorganen angestrebte Einhaltung der Normallage oder R ckkehr in diese nach Ablenkung'; seit den 50er Jahren gebucht Autokatalyse F. (-; Pl. ungebr.), aus auto- und Katalyse 'mittels eines Katalysators beschleunigte oder verlangsamte Stoffumwandlung' (< griech. κατάλυσις 'Auf-, Abl sung; Zerst rung, Vernichtung; Beendigung, Ende', zu λύσις '(Auf-)L sung'), fachspr. in der Chemie f r 'beschleunigte chemische Reaktion aufgrund eines im Verlauf dieser Reaktion entstehenden Katalysator-Stoffes'; seit den 50er/60er Jahren vereinzelt nachgewiesen autokinetisch Adj., aus auto- und -kinetisch (zur ckgehend auf griech. κίνησις 'Bewegung'), 'selbstbeweglich', in Syntagmen wie autokinetischer Effekt, autokinetisches Ph nomen, mit gleichzeitig gebuchtem Autokinese F. (-; ohne PL), zur ckgehend auf gleichbed. griech. αύτοκίνησι$, zu κίνησίξ s. o., f r Optisches Ph nomen der scheinbaren Eigenbewegung von Gegen-

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ständen oder Lichtquellen im dunklen Raum (als Folge der unwillkürlichen Eigenbewegung der Augen)'; seit den 60er Jahren gebucht Autosterilität F. (-; ohne PL), aus auto- und —» Sterilität, in der Biologie für 'Sterilität bei Pflanzen trotz blüteneigener Bestäubung'; seit den 70er Jahren nachgewiesen Autosom N. (-s; -en), aus auto- und -(o)som bzw. (Chromo-)som e im Zellkern vorhandenes erbguttragendes Gebilde' (zurückgehend auf griech. 'Körper'), Fachwort der Biologie in der Bed. 'nicht geschlechtgebundenes, paarweise vorkommendes Chromosom' (Ggs. Allosom), mit dazugehörigem Adj. autosomal 'auf Autosomen bezogen'; in den 70er Jahren gebucht Autökologie F. (-; ohne PL), aus auto- und —* Ökologie, Bezeichnung für ein Teilgebiet der Ökologie, das sich mit Umwelteinflüssen auf Individuen innerhalb einer Art befaßt (vgl. Synökologie); in jüngster Zeit nachgewiesenes Autosterilisation F. (-; -en), aus auto- und —·· Sterilisation, 'Vernichtung eingedrungener Mikroorganismen durch die Abwehrkräfte des Körpers', auch als Bezeichnung für den Vorgang der Abtötung von Mikroorganismen bei verdorbenen Lebensmittelkonserven durch die beim Verderb entstandenen Stoffe. auto- a: 1862 Meyer Enz. U 537 Autokephaler .. selbstständige, nur den Synoden untergeordnete Bischöfe; 1874 Meyer Enz. U 318 Autologie .. eigentliche (im Gegensatz zur bildlichen) Rede; ebd. H 321 Autophilie . . Eigenliebe; ebd. Autoskopie . . Autopsie; 1882 Brockhaus II 279 Autologie . . die eigentliche Rede, im Gegensatz zur bildlichen; auch soviel wie Autonomie .. im philosoph. Sinne. Autologisch, selbstredend, an und für sich selbst; 1893 Meyer Enz. II 256 Autopsie . . Selbstschau . . Selbstbeobachtung, das eigene Sehen, Wahrnehmen und Erfahren überhaupt, entgegengesetzt den Berichten andrer und dem daraus geschöpften Wissen. In der Mystik soviel wie das Anschauen Gottes . . Autoskopie . . soviel wie Autopsie; 1893 Byzantin. Zschr. H 646 serbischen Autokephalkirche; 1902 ebd. XI 651 die autokephalen selbständigen orthodoxen Kirchen; 2909 Meyer Enz. II 187 Autodeterminismus, s. Indeterminismus; 929 Festschr. a. Wechssler 177 [Zur Wort- und Begriffskunst der frz. Klassik] weil der Franzose außerordentlich klare, feste Begriffe liebt, an die er sich halten kann . . [Anm.] Kürzlich hat Bruno Borowski in einem ersten tiefschürfenden Aufsatz die Frage der Autologie behandelt; 1929 Brittanica. Festschr. f. Max Förster Die Rolle der Autologie im Lebenssystem des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance in England (Überschr.) ein bekannter anglikanischer Geistlicher der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, beginnt seine kurze Adresse an die Leser . . mit den Worten: He that would learn Theologie, must first Studie Autologie. The Way to God is by ourselves. Autologie bedeutet das Studium des Ich, das Streben nach der Erkenntnis des Selbst; N. Z. Z. 9.9.1943 [1461 durch Ernennung eines Metropoliten für Moskau . . ohne Befragung und Zustimmung der ökumenischen Patriarchen] Damit war die russische Kirche

tatsächlich „autokephal" geworden. Nach mehr als 120 Jahren war dieser Zustand kirchenrechtlich gesichert; Münch. N.N. 15.5.1944 Häupter der autokephalen und autonomen orthodoxen Kirchen der Ukraine; Largiader 1945 Zürich I 185 „Autokephalie"; Weizsäcker 1950 Erinn. 336 im Warthegau, wo der Gauleiter Greiser eine Art autokephaler Kirche katholischen Ritus' errichten wollte; 1967 Brockhaus U 161 Autosemantikon . . in der Semantik Wörter (auch Wortgruppen) mit eigener Bedeutung: Voll- oder Begriffswörter . . Synsemantikon; 197J Meyer Enz. Ill 215 autonym . . vom Autor unter eigenem Namen veröffentlicht. Gegensatz . . anonym . . Pseudonym; ebd. autosemantisch, über eine eigene selbständige Bedeutung verfügend; Althaus/Henne/Wiegand 1980 Lex. d. germ. Linguistik I 156 Die vorstehende Dreiteilung ist der „logischen Propädeutik" . . verpflichtet (vgl. auch die Unterscheidung in Autosemantica — denen Prädikatoren — und Synsemantica, denen Indikatoren und Junktoren entsprechen); Zeit 4.10.1985 Der heraldische Auftritt des „Autoportrait" von 1901, die Cezanne-Adaption des Jahres 1908, die Kühnheiten des kubistischen Experiments mit dem Primat der Sinnlichkeit vor der formalen Radikalität; ebd. 20.2.1987 Auch dieser sechste Band von Thomas Manns Tagebüchern ist wieder ein Autoporträt, so selbstverliebt und gnadenlos unbestechlich, wie es nur ein ganz großer Künstler schafft; ebd. 5.4.1985 Längst gab es die zionistischen Schriften von Moses Hess, 1882 war, von dem russischen Juden Leon Pinsker geschrieben, die „Autoemanzipation" erschienen .. Die Kulturzionisten spüren, daß Herzl, wie es in den Tagebüchern heißt, keinen „hebräischen" Staat will, sondern einen „Judenstaat, in dem es keine Schande ist, Jude zu sein".

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nismus eindringt und die Erkrankung erzeugt; auto- b: 1852 Prutz' Museum II 881 Der Somnambulismus erscheint in zweifacher Gestalt. Entweder 1900 Dtsch. Revue I 133 Selbstverstümmelung (Autotomie); Bretter/Freud 1909 Hysterie 50 Das als eigenthümliche Nervenkrankheit (Idiosomnambulismus, Autosomnambulismus) oder als Produkt Wesentliche der beschriebenen Erscheinung, die Häufung und Verdichtung ihrer Absencen zur der animalisch-magnetischen Behandlung (animaabendlichen Autohypnose, die Wirksamkeit der lisch-magnetischer Somnambulismus); 3862 Meyer Enz. II 542 Autoplastik . . Selbstbildung, chirurgiphantastischen Produkte als psychischer Reiz und sches Verfahren, wobei behufs der Ergänzung oder die Erleichterung und Behebung des Reizzustandes Wiederherstellung fehlender Theile das nöthige durch die Aussprache in der Hypnose; ebd. 59 Nun Material vom Körper des Kranken selbst genomwar die Neigung zu autohypnotischen Absencen men wird; Preyer 1881 Hypnotismus 15 Anm. religeschaffen; Kretzer um 1910 Stehe auf 157 als er dann endlich ins Bett ging, konnte er doch nicht giöse Autosomnambulismus; 3893 Meyer Enz. II 253 Autohypnose . . hypnotischer Zustand, der schlafen, so viel er sich auch bemühte, an nichts sich ohne unmittelbare Einwirkung eines Hypnotizu denken, und die flache Hand über Stirn und sierenden entwickelt. Er entsteht durch VorstellunSchläfen preßte, um sich auf diese Art autohypnogen oder Empfindungen, die in associativer Vertisch zu behandeln; Freud 1911—24 Metapsychol. knüpfung zu frühern, durch andre Personen ausgeSehr. 14 Die Sexualtriebe benehmen sich zunächst lösten hypnotischen Zuständen stehen; ebd. Autoautoerotisch, sie finden ihre Befriedigung am eigeinfektion (Selbstansteckung), nach frühern Annen Leib . . Wenn dann später bei ihnen der Prozeß schauungen die bei allen ansteckenden Krankheiten der Objektfindung beginnt, erfährt er alsbald eine nachweisbare Verschleppung des Infektionsstoffes lange Unterbrechung durch die Latenzzeit, welche im Körper von einer Stelle auf die andre, von eidie Sexualentwicklung bis zur Pubertät verzögert. nem Organ auf ein ganz fernliegendes; ebd. H 254 Diese beiden Momente — Autoerotismus und LaAutointoxikation, Selbstvergiftung mit im eigenen tenzperiode — haben zur Folge, daß der SexualKörper erzeugten Giften. Die Gifte sind Produkte trieb in seiner psychischen Ausbildung aufgehalten des Stoffwechsels und krankhafter Prozesse im wird; ebd. 16 Während das Ich die Umwandlung Körper; ebd. II 256 Autoplastik . . Selbstbildung vom Lust-Ich zum Real-Ich durchmacht, erfahren . . soviel wie Physioplastik; ebd. Autotherapie . . die Sexualtriebe jene Veränderungen, die sie vom Selbstheilung durch die Natur; ebd. Autotransfuanfänglichen Autoerotismus durch verschiedene sion, Verfahren zur Herbeiführung einer bessern Zwischenphasen zur Objektliebe im Dienste der Verteilung des im Körper noch vorhandenen Blutes Fortpflanzungsfunktion führen; 3912 Imago l 8 Anämischer, welches in verhältnismäßig großer Zunächst sucht das Kind Lustbefriedigung am eiMenge in der Unterleibshöhle angesammelt ist; genen Körper, indem es die beim Saugen an der 1896 Naturwiss. Wochenschr. XI 21 f. KehlkopfMutterbrust sowie bei der Abgabe der Stoffwechspiegel . . Autoskopie; 1897 ebd. XII 437 Selbstverselprodukte erfahrene Nebenlust . . sich unabhänstümmelung oder Autotomie; 1899 ebd. XIV 6 Die , gig von diesen Funktionen verschafft . . Bei diesen Störung dieses normalen Entgiftungsprocesses Befriedigungsweisen ist das Kind nur auf sich führt zur Ansammlung und Retention giftiger selbst angewiesen und von der Außenwelt. . völlig Stoffwechselproducte im Körper, die als „Autoinunabhängig, wir nennen dies die Periode der reinen toxicationen" bezeichnet werden"; 3905 ebd. XX Auto-Erotik; Bechhold 1919 Handlex. I 123 Auto323 Autotomie oder Selbstverstümmelng bei Tiehypnose Selbsthypnose, entsteht nur durch Vorstelren (Überschr.) Man kennt sie von den Protozoen lungen des Hypnotisierten selbst, nicht aber durch an durch alle Tierklassen hindurch bis weit hinauf den Einfluß e. zweiten Person; ebd. Autointoxikain den Stamm der Wirbeltiere . . Vielleicht könnte tion Vergiftung d. Körpers mit Säften d. eigenen man das regelmäßige Abwerfen der Geweihe oder Stoffwechsels; ebd. Autophonie die verstärkte ReGehörne bei Hirschen und Rehen stammesgesonanz der eigenen Stimme, d. Blutbewegungen schichtlich aus der Autotomie hervorgegangen usw., beobachtet b. Erkrankungen des Mittelohrs; denken; Kubner 1900 Hygiene 856 Man hat solche ebd. I 124 Autoskopie Methode, um ohne reflekErkrankungen, bei welchen eine Gelegenheitsurtiertes Licht den Kehlkopf direkt sichtbar zu masache zur Erkrankung den Anstoß gibt und der chen; ebd. Autotransfusion Verfahren, um nach Krankheitserreger schon vorher im Körper war, schweren Blutungen d. noch vorhandene Blut zum auch Autoinfectionen genannt. . Jeder Fall, in welGehirn zu befördern; ebd. Autotomie Selbstverchem sich der Zeitpunkt der Invasion nicht mit der stümmelung, kommt bei Geisteskranken vor, od. Infection deckt, kann als solche Autoinfection beauch zu bestimmten Zwecken, z. B. um vom Milizeichnet werden; ebd. In machen Fällen können tärdienst befreit zu sein. A. kommt auch bei Würauch Autointoxicationen zustande kommen, wenn mern, Mollusken, Echinodermen, Arthropoden, z. B. das in dem Darm erzeugte Gift in den OrgaEidechsen vor, wenn sie sich von festgehaltenen

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Auto-, auto-

Teilen ihres Körpers trennen; 1922 Türmer XXIV 2, 27 eine Art autohypnotischen Schlafes; Aschner 1928 Krise d. Medizin 23 eine allgemeine Säftestörung, eine Autointoxikation; Friedeil 1928 Kulturgesch. II 168 [im Rokoko] Freude an Selbstbeschau, Autoanalyse und Versenkung ins Ichproblem; Dtsch. AZ. 25.8.1929 autoplastisch (ausgebildet) .. Krankheitsbild; Voss. Ztg. 5.1.1930 Onanie weder Laster noch Krankheit . . Dieses Büchlein . . zeigt an größerem Material, daß die „Aufklärungen", die den Autoerotismus moralisch oder hygienisch verurteilen, unabsehbaren Schaden stiften; Becher 1941 Das Problem der Selbstvergiftung vom Darm. Pathogenese, Symptomatologie und Therapie der intestinalen Autointoxikation (Titel); Hofstätter 1956 Sozialpsych. 159 Vielleicht das wichtigste, jedenfalls aber das am häufigsten verwendete Mittel zur Kleinhaltung der erlebten interindividuellen Distanzen ist die Entwicklung eines Auto-Steteotyps der Gruppe: Wir (soll heißen: wir alle) sind Menschen eines bestimmten Schlags (anständig, sachlich, wahrheitsliebend, friedfertig, tapfer usw.); Balint 1959 Angstlust 38 Es scheint deshalb, daß befriedigende Autoerotik gleichlaufende Entwicklungslinien sind, die möglicherweise aus derselben Quelle stammen; Offenburger Tagebl. 10.5.1962 Es gibt nämlich Antikörper, die nicht gegen körperfremdes, sonden gegen körpereigenes Eiweiß . . gerichtet sind und deshalb als Auto-Antikörper bezeichnet werden, weil sie gegen bestimmte Organe und Gewebe des Organismus selbst .. gebildet werden; 1967 Brockhaus I 149 Autoaggressionskrankheiten sind Krankheiten, die auf einer . . Antigen-Antikörper-Reaktion beruhen, wobei der Organismus Antikörper gegen körpereigene Antigene (Autoantikörper) gebildet hat; ebd. l 160 Autoregulation, Autoregulierung, Selbstregelung; eigentätige Regelung . . 2) Physiologie: die Fähigkeit eines Organismus, die inneren Bedingungen in lebensdienl. Weise an wechselnde ZuStands- und Außenbedingungen von selbst anzugleichen. Alle Lebewesen sind auf unwillkürliche Kontrolleinrichtungen angewiesen, die unvermeidliche Schwankungen der Lebensbedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit, Ernährung) ausgleichen . . 3) Psychologie: Der Begriff A. wird auch . . übertragen . . auf die von der Tiefenpsychologie untersuchten Regulationsleistungen des Ich (Abwehrmechanismen . .) oder die Regulation des Selbstgefühls; Richter 1970 Strategie o. S. Der Abstand des Heterostereotyps des Umfrageträgers vom Autostereotyp der Befragten allein laßt noch keine Vorhersage der Antwortbereitschaft zu . . weil durch den immer stärker werdenden kommunikativen Prozeß innerhalb unserer Gesellschaft allgemeine Einstellungspräferenzen, Autostereotype, bewußte Autostereotype, Heterostereotype

und Zielstereotype sich in ganz bestimmten Dimensionsräumen bilden; Walter 1970 Grundriß d. Anthropologie o. S. Dabei ist zu beachten, daß weibliche Individuen Keimzellen mit je 22 Autosomen und einem X-Chromosom bilden, männliche Individuen Keimzellen mit ebenfalls 22 Autosomen aber entweder einem X- oder einem Y-Chromosom . . Trisomien dieser Autosomen führen ebenfalls zu schweren Störungen der körperlichen und geistigseelischen Entwicklung der hiervon betroffenen Individuen; Scharzacher 1970 Methoden d. medizin. Cytogenetik o. S. Auch andere cytologische Beobachtungen, etwa das Studium des autosomalen Heterochromatins (evtl. in Verbindung mit autoradiographischer Markierung) und der Nucleoli, können an Zellkulturen gemacht werden; FAZ 30.12. 1970 Alterstod durch Auto-Immunreaktion? (Überschr.) Zunehmende Aggression gegen körpereigenes Gewebe im Alter; Schwendter 1973 Subkultur 127 Kreuzer zitiert das bürgerliche Autostereotyp (Ordnungsliebe, Reinlichkeit . .) und das bürgerliche Heterostereotyp; Zetkin/Schaldach 1974 Wb. d. Med. I 156 Autoimmunisierung: Antikörperbildung od. Bildung von spezif. sensibilisierten Lymphozyten gegen körpereigene Substanzen; ebd. I 157 Autorhythmie . . auch Automatic; Fähigkeit des Herzens, Reize selbständig zu bilden; vgl. Erregungsleitersystem; ebd. Autotransplantat .. das verpflanzte Gewebsstück stammt von demselben Individuum; Hocke 1976 Tagebücher 151 Doch erscheinen physischer Narzismus und extreme Selbstanalyse, Auto-Sexualismus und egotistische Introspektion in den „intimsten" Tagebüchern Europas eng verbunden; Zeit 25. l. 1985 Bei Experimenten lassen die Lymphokine vermuten, daß sie auch sogenannte Autoimmunkrankheiten normalisieren können. Bei diesen Leiden richtet sich das Abwehrsystem in einer Art zellulärem Bürgerkrieg gegen den eigenen Körper; ebd. 22.2.1985 Im modernen Koitus, den Bejin unterstellt, erscheint der andere nur noch als „Parasit einer im Grunde autoerotischen Handlung". Und die „Utopie des sexuellen Egalitarismus" ist unschwer zu erkennen als eine Variante des Totalitarismus, der jeden Unterschied haßt; ebd. 7.6.1985 wie mit den verstärkt auftretenden Autoimmunerkrankungen umzugehen ist, bei denen sich das körpereigene Abwehrsystem in einer Art immunologischem Bürgerkrieg gegen das eigene Gewebe wendet. MIC als sehr reaktive Substanz bindet sich an beinahe alle körpereigenen Moleküle. Die so veränderten Substanzen werden vom Immunsystem als körperfremd eingestuft, das Abwehrsystem wird aktiviert und richtet sich schließlich auch gegen natürliche Wirkstoffe wie etwa Hormone; ebd. 22.11.1985 Dies könnte ein Hinweis auf den autoimmunähnlichen Charakter der Multiplen Sklerose

Auto-, autosein (bei Autoimmunkrankheiten richtet sich das Immunsystem gegen körpereigenes Gewebe); MM 28.11. 1985 Zwar ist man sich inzwischen sicher, daß dem Leiden ein Autoimmunprozeß zugrunde liegt; das heißt, das Immunsystem, als Abwehr des Organismus normalerweise nur gegen körperfremde Stoffe gerichtet, reagiert irrtümlich gegen körpereigene Strukturen. Doch weder der oder die Auslöser noch die Zielstrukturen der Autoimmunreaktion sind bislang bekannt; Zeit 24.1.1986 Eine positive Rückkoppelung liegt dagegen bei bestimmten „autoimmunen" oder immunologisch selbstzerstörerischen Krankheiten vor, zu deren ersten Auswirkungen es gehört, aufs neue gerade jene Bedingungen zu erzeugen und damit zu verstärken, die zu der Krankheit geführt hatten. Eine Verletzung der Schilddrüse, die eine AutoimmunThyroiditis (genauer: Antikörper, die gegen die Schilddrüse wirksam werden) entstehen läßt, führt zur Bildung von Antikörpern, die der Schilddrüse weiteren Schaden zufügen und dadurch die Krankheit verschlimmern; 1987 Brockhaus II 401 Autoaggression, Psychologie: gegen die eigene Person gerichtete Aggression . . Sie beruht auf Verdrängung urspr. gegen die Umwelt gerichteter Aggressionstendenzen aufgrund von äußeren Zwängen oder psych. Störungen; MM 14.4.1987 Operierte bekommen ihr eigenes Blut (Überschr.) Die Eigenblutspende ist freilich auch bei planbaren Eingriffen nicht immer möglich. Es gibt weitere Verfahren, welche Fremdblutmengen wesentlich verringern können. Hier wäre an erster Stelle die sogenannte Autotransfusion zu nennen: bei dieser Methode wird jenes Blut, das ein Patient während einer Operation verliert, aufgefangen und „gewaschen". Wenn die verunreinigten Teilchen per Zentrifuge herausgeschleudert worden sind, bekommt der Betroffene seine roten Blutkörperchen wieder zurück; ebd. 24.5.1988 Nicht über Therapien konnten die von der Krankheit bedrohten oder schon befallenen Teilnehmer miteinander reden, sondern nur über „Therapieansätze", etwa über eine Autoimmuntherapie; Süddtsch. Ztg. 12.1. 1994 Diese so dumpfe Kritik am autoerotischen „Verhalten" . . findet man sonst nur in Underground-Comics. auto- c: 1874 Meyer Enz. 315 Autoclaves .. Digestoren; ebd. 11 316 Autodynamisch . . durch sich selbst mächtig, wirkend; ebd. II 322 Autotypographie . . Selbstdruck . . die Vervielfältigung der Facsimile's von Handschriften, Zeichnungen .. mittels der Buchdruckerpresse; 1882 Brockhaus 278 Autoklav nennt man ein luft- und dampfdicht verschließbares, starkwandiges Gefäß, welches dazu bestimmt ist, Substanzen einer höhern Temperatur und stärkerm Druck, als dem normalen Siedpunkt

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der gleichzeitig anwesenden Flüssigkeit entspricht, auszusetzen; 1893 Meyer Enz. // 256 Autotypie . . Selbstschrift . . ein von Meisenbach in München erfundenes Verfahren der Zerlegung voller Flächen in Linien und Punkte vermittelst Anwendung sogen. Raster- oder Kornplatten als Zwischenlagen bei der photograhischen Aufnahme oder beim Kopieren; ebd. Autotypographie . . Selbstdruck . . veraltete Bezeichnung der Vervielfältigung der Faksimiles von Handschriften, Zeichnungen . . vermittelst der Buchdruckpresse; 1895 Naturwiss. Wochenschr. X 403 Autotypie; Krämer 1900 XIX. Jdt. Ill 297 Autotypie-Clicl^; Zobeltitz 1902 papierene Macht l 153 autotypischen Dreifarbendruck; Bechhold 1919 Handlex.l 123 Autoklav = Kochtopf mit luftdicht aufschraubbarem Deckel, Manometer, Thermometer u. Sicherheitsventil, oft auch Rührwerk u. Ablaßhahn für Gase, dient zur Ausführung chemischer Prozesse unter hohem Druck und hoher Temperatur; 1927 Technik l 27 Selbsttätiger Feuer-und Wärmemelder (Überschr.) Der . . Wärmemelder „Auto-Thermo-Phon" stellt einen verhältnismäßig billigen Apparat dar, um Temperatursteigerungen vorwiegend bei Brandfällen, Überhitzungen, Heizungen usw. auf dem schnellsten Wege zu signalisieren; Stenger 1929 Gesch. d. Photographie 25 autotypischen Druckplatte; 1933—34 Verd. techn. Prw. o. S. Autotypie . . Netzätzung, Rasterätzung, Rasterbild; 1934 Luftwissen 309 Selbststeuergerät „Autopilot"; Lokal-Anz. 16.11.1934 Noch phantastischer aber ist die Tatsache, daß man eine solche Automatik schon für Flugzeuge entwickelt hat. Autopilot hat die Siemens Apparate und Maschinen G. m.b. H. die Sache genannt. Roboter wird der Laie sagen, obwohl der Fachmann es nicht wünscht; ebd. 17.11.1934 Autopilot, der mechanische Steuermann der Lüfte; Börsenbl. 27.5.1941 Die Erfinder der Autotypie, des Tiefdrucks und des Holzschliffs als Jubilare (Überschr.); 1952 Brockhaus I 546 Autokatalyse . . die Erscheinung, daß ein bei einer Reaktion entstehendes Produkt die Reaktion selbst beschleunigt; Münch. Stadtanz. 22.6.1951 das Bild aus einem gitterartigen Netzwerk zusammengesetzt. Die zugrundeliegende Erfindung der sogenannten Autotypie wurde im Jahre 1881 von dem Münchner Ingenieur Georg Meisenbach gemacht. . Die Autotypie-Klischeeherstellung wurde eine Weltindustrie; Schulze-Eckhardt 1935 Übungsflug 51 sogenannten Autorotation des Flugzeuges, einer „Selbstdrehung"; 1952 Brockhaus l 548 Autorotation, die Fähigkeit eines Tragflügels bei Anstellwinkeln oberhalb etwa 15°, sich automatisch um die Anströmungsachse zu drehen; Süddtsch. Ztg. 20.10.1964 Ein „Autopilot" übernimmt das Steuer (Überschr.); Welt 1.7.1969 Spannung okay . . Autopilot okay . . Treibstoffdruck okay; Strübel 1971 Mineralogie

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Auto-, auto-

u. Kristallographie o. S. nimmt . . die Löslichkeit von Quarz in Wasser, die bei Raumtemperatur praktisch gleich Null ist, im überkritischen Temperaturbereich sehr stark zu. Diese Eigenschaft wird großtechnisch zur Herstellung synthetischer Schwingquarze ausgenutzt, indem man in einem geeigneten Reaktionsgefäß (Autoklav) einen Quarzkeim unter erhöhtem Druck im Temperaturgefälle wachsen läßt. auto-d: Haeckel 1866 Generelle Morphologie l 169 Annahme einer Autogonie, d. h. einer mechanischen Entstehungsweise der ersten Lebensformen auf der Erde; ebd. 33 Autogonie oder Selbstzeugung; 1893 Meyer Enz. U 252 Autogamie . . Blütenbestäubung; ebd. Autogonie . . Urzeugung; ebd. Autodigestion . . Selbstverdauung; ebd. 256 Autophagae, Nestflüchter, s. Vögel; 1909 Meyer Enz. H 187 Autogenetischer Teil, s. Erblichkeit; ebd. H 189 Autolyse, s. Erweichung; ebd. II 192 Autoxydation . . die Verbindung gewisser Körper mit Sauerstoff bei gewöhnlicher Temperatur; Bechhold 1919 Handlex.I 123 Autophagen s. Nestflüchter, welche, nachdem sie dem Ei entschlüpft sind, d. Mutter folgen und selbständig Nahrung aufnehmen (Hühner, Enten, Gänse); ebd. automorph = idiomorph, kristallographisch begrenzte Gesteinsgemengteile; ebd. I 124 Autotomie kommt . . bei Würmern, Mollusken, Echinodermen, Arthropoden, Eidechsen vor, wenn sie sich von festgehaltenen Teilen ihres Körpers trennen. Letztere wachsen häufig nach; ebd. autotroph nach Warming Pflanzen, welche sich lediglich v. unorganischen Stoffen ernähren (Autophyten); ebd. Autotropismus d. Eigenschaft d. Pflanzenorgane, bei Ausschaltung äußerer Richtkräfte e. ganz bestimmte Gleichgewichtslage anzunehmen, die dem betreffenden Organ eingentümlich ist, u. in die es stets nach vorübergehender Ablenkung durch äußere Reize wieder zurückzukehren strebt. Diese Gleichgewichtslage kann gerad- oder krummlinig sein; ebd. Autoxydation e. Oxydation, die ohne künstliche Nachhilfe, durch bloße Einwirkg. d. Luftsauerstoffes od. des im Molekül d. betr. Substanz enthaltenen Säuerst, stattfindet; 1931 Geograph Zschr. XXXVH 454 Autogenetische Geobotanik (Überseht.) Von der Veränderung der Pflanze ausgehend, studiert man . . wie durch die Verteilung in Raum und Zeit z. B. aus der Grundform einer Gattung die einzelnen Arten und Varietäten sich herausgebildet und verbreitet haben. Von der Erdveränderung ausgehend, ist zu versuchen, die Entwicklung der Flora durch die geologischen Perioden zu verfolgen .. Man kann dieses Wissensgebiet auch zerlegen in die eigentliche Florengeschichte (autochronologische Geobotanik) und die Entwicklungsgeschichte der Pflanzensippen (auto-

phylogenetische Geobotanik); Ziegelmayer 1940 Lebensmittel 172 Selbstzersetzung, Autolyse; Pschyrembel 1942 Klinisches Wb. 73 Autodigestion . . Selbstverdauung, postmortaler Prozeß, besser ist Autolyse; ebd. 74 Autotrophie: Aufbauernährung; erfolgt b. Tier u. Pflanze unter Energiezufuhr mit Hilfe d. Lebensatome; ebd. Autosom: Chromosom, das kein Geschlechtschromosom ist; 2943 Blätter f. dtsch. Philosophie XVII 385 Die Phänomene der Restitution und der Autogenetik des Organismus . . Der Organismus nimmt die Bedingungen in sein Gefüge auf, bringt sie aber . . in eigener Ordnung und Gestalt, die neu und die seine ist . . Die Autogenetik wurzelt im Genom und im Plasmon als Erbgut des Zytoplasmas; N. Z.Z. 13.11.1943 Selbstauflösung (Autolyse) [von Pflanzen und Tieren]; 2952 Brockhaus l 545 Autogamie . . Selbstbefruchtung, 1) bei den Einzellern die Vereinigung zweier Individuen, die durch Teilung aus einem Individuum entstanden sind; 2) bei Pflanzen Selbstbestäubung in zwittrigen Blüten; ebd. I 546 Autolyse . . Selbstauflösung, Autodigestion, die der Verdauung ähnliche Auflösung von abgestorbenen tierischen und pflanzlichen Organen und Geweben unter der Einwirkung von eiweißabbauenden Eigenfermenten. Sie erfolgt im Gegensatz zu Fäulnis und Verwesung ohne die Mitwirkung von Mikroorganismen; ebd. I 547 Automorphismus, umkehrbar eindeutige . . Abbildung einer Gruppe oder eines Körpers auf sich mit den Eigenschaften eines . . Isomorphismus; Newcomb 1959 Sozialpsych. (Übers.) 73 „autokinetisches Phänomen"; 2967 Brockhaus II 154 Autokinese . . die scheinbare Eigenbewegung eines Gegenstandes, aufweisbar an dem . . Aubertschen Phänomen und dem autokinetischen Effekt . . Bewegungsillusion beruht auf der Eigenbewegung der Augen; ebd. II 158 automorphe Funktionen, Mathematik: meromorphe Funktionen einer komplexen Variablen . . die bei gewissen Gruppen linearer Tranformationen des Argumentes ungeändert bleiben; ebd. II 161 Autosterilität, Selbststerilität bei Pflanzen: eine blüteneigene Bestäubung führt zu keiner Befruchtung; 2972 Meyer Enz. Ill 296 Autogenese, von L. Plate 1913 geprägte Bez. für eine angenommene Evolution von Lebewesen, die sich weitgehend unabhängig von der Umwelt allein durch die den Lebewesen innewohnenden Kräfte vollzogen hat; ebd. III 199 Autökologie . . Lehre von den Umwelteinflüssen auf die Individuen einer Art; ebd. Hl 215 Autophagie . . das Sichernähren ohne fremde Hilfe (z. B. bei den Nestflüchtern); Zetkin/Schaldach 1974 Wb. d. Med. I 157 Autophagie .. Vorgang, bei dem körpereigene Bakteriophagen (sog. Eigenphagen) überflüssiges Material, das innerh. der Zellen vorhanden ist, wegräumen; vgl. Lysosomen; Zeit 22.2.1985 Da vertieft sich

Autobiographie jemand in „die Verbreitung und Ökologie der Wasserasseln" . . ein anderer brütet über den „Automorphismen p-adischer Schottkykurven" . . auch „dit islamische Baukunst in Afghanisch-Sishan" wird von einem Studenten zum Gegenstand eingehender wissenschaftlicher Betrachtungen gewählt; Pscbyrembel 1986 Klinisches Wb. 139 Autosterilisation . . Selbsthilfe des Körpers gegen eingedrungene Erreger, wobei Mikroorganismen durch die eigenen Abwehrkräfte des Körpers unwirksam ge-

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macht werden; 1987 Brockhaus U 405 autogam, Biologie: sich selbst befruchtend; ebd. Autogamie . . eine Form der Selbstbefruchtung (Automixis): bei Pflanzen die Bestäubung der Narbe mit Pollen derselben Blüte. Bei Einzellern die Vereinigung zweier Geschlechtszellen oder von Kernen; ebd. U 418 Autosterilisation, eine bei Konserven auftretende Erscheinung, bei der sich nach mikrobiellem Verderb keine lebenden Mikroorganismen nachweisen lassen, da diese durch entstehende Stoffwechselprodukte (z. B. Säuren) abgetötet werden.

Autobiographie F. (-; -n), seit Mitte 18. Jh. nachgewiesene Bildung aus —»· Auto-, auto- (< griech. 'selbst, eigen') und —»Biographie, anfangs vereinzelt in der gräzisierenden Form. In der Bed. 'selbstverfaßte Lebensbeschreibung, (literarische) Darstellung des eigenen Lebens, Selbstbiographie' (ältere, inhaltlich entsprechende Bezeichnungen wie Lebenserinnerung, -bericht, -beschreibung, Bekenntnisse, —> Memoiren verdrängend), häufig in Wendungen wie eine wahrheitsgetreue Autobiographie schreiben, verfassen. Dazu seit Ende 18. Jh. die wohl in Anlehnung an Biograph (—» Biographie) gebildete Personenbezeichnung Autobiograph M. (-en; -en) 'Verfasser der eigenen Lebensgeschichte, Selbstbiograph'; seit frühem 19. Jh. die adj. Ableitung autobiographisch 'das eigene Leben beschreibend, darstellend, in Form einer Autobiographie verfaßt, zu ihr gehörig', oft in Wendungen wie ein autobiographischer Roman, ein Buch mit autobiographischen Zügen; im 19. Jh. die Gelegenheitsbildung Autobiographiererei und im 20. Jh. Autobiographik und Autobiographismus. Autobiographie: Themel 1756 Samml. Ober-Ertzgebürg. Sehr. 289 oder selbst eigene Lebens-Beschreibung; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. H 141) Sie sagt in ihrer Autobiographie; Wolff 1841 Gesch. d. Romans 179 Das Buch ist eine Autobiographie; ganz natürlich da die subjective Form der Darstellung immer die leichteste und bequemste für den Anfänger; Wagner-Liszt 1851 Briefw. I 128 Wenn du kannst, schicke mir sogleich nach Eilsen . . eine Nummer Deiner Autobiographie; 1854 Prutz' Museum II 933 Fragment aus der Autobiographie eines Siebenzigers (Überschr.); Mahler 1860 Milit. Bilderbuch V Gewagt ist es immer, ein Stück Autobiographie zu veröffentlichen, bevor die Greisenlokken auf eine gefurchte Stirn fallen; Hornberger 1867 Essays 22 Einer doppelten Absicht pflegen Autobiographien ihren Ursprung zu verdanken: entweder berichtet jemand über sein Leben, damit er besser verstanden, seine Thaten und Werke richtiger gewürdigt werden, oder er hält die Ereignisse, an denen er als Mitspieler und Zuschauer theilgenommen, für interessant genug, um durch ihre Mittheilung der geschichtlichen Kenntniß, manchmal auch nur dem Unterhaltungsbedürfniß seiner

Leser einen Dienst zu erweisen; Hillebrand 1872 Wälsches 367 Göthe's Autobiographie ist ja schon viel zu sehr planmäßiges Kunstwerk, um unter die Denkwürdigkeiten im französischen Sinne des Wortes gerechnet zu werden; ders. 1881 Jahrh. d. Revol. 264 Die Italiener und Deutschen haben sicherlich höchst interessante Autobiographien, die sogar oft als literarische Denkmäler und an geistigem und sittlichem Gewicht weit bedeutender als die der Franzosen sind; ders. 1885 Culturgesch. 280 es existirt kein Werk, das . . aus dem Innersten des Glaubens heraus geschrieben wäre, wie JungStilling's Autobiographie; Spielhagen 1890 Finder l Vorw. V Man kann in einem langen Leben bei dem nötigen Fleiß viele Romane schreiben, aber nur eine Autobiographie; Th. Mann 1916 Reden u. Aufs. (W. XI 701) wo ich mich anschicke, einiges aus den Anfängen eines bisher unvollendeten Buches vorzulesen, das sich illusionsweise als Autobiographie eines Schwindlers, eines Hochstaplers gibt; ders. 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 69) Liebe zu sich selbst, . . ist auch der Anfang aller Autobiographie; 1923 Almanach d. Musikbücherei 226 mein Vater, dessen geplante Autobiographie nur Skizze geblieben ist; Th. Mann 1950 Reden

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Autobiographie

u. Aufs. (W. X 522) der große Essayist [hat] sich vollendet in dem faszinierenden Memoirenbuch „Ein Zeitalter wird besichtigt", einer Autobiographie als Kritik des erlebten Zeitalters; Hems 1963 Erinn, 362 von Stresemann sind Tagesnotizen publiziert, von Luther, Gessler, Severing und anderen Autobiographien, zum Teil in der eigenen Formung, zum Teil durch dritte Hand geleistet; 1963 Definitionen 66 Künstler-Autobiographien, von Ghiberti bis Benvenuto Cellini; Bad. Ztg. 15.11. 1966 Dem ersten Band der Autobiographie des irischen Dramatikers Sean O'Casey ist nun der zweite in der Übersetzung gefolgt; Zeit 15.2.1985 „Jugenderinnerungen eines alten Mannes" ist der Titel einer der berühmtesten Autobiographien des 19.Jahrhunderts; ebd. 23.1.1987 sein bildnerisches Werk ist eine einzige geistige Autobiographie; MM 28.7.1987 in seiner Autobiographie „Ausgangspunkte" (1979) hat Popper geschildert, wie er sein Leben lang „auf der Suche nach einer besseren Welt" (1984) gewesen ist; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 127 An der Schmalwand ist die Autobiographie Rechmires nachzulesen; Spiegel 22.8.1994 Die Beziehung zur Mutter und zu dieser besonderen Mutter-Sprache sind Zentralthemen in der dreiteiligen Autobiographie, die Canetti in seinem achten Lebensjahrzehnt den internationalen Ruhm einbrachte. Autobiograph: Schubart 1791 Leben I 121 Man macht daher die Biografen, sonderlich die Autobiografen so furchtsam, daß sie oft diejenige Umstände unterdrükken, die den Helden just am meisten heben; 1798 Athenäum l 228 Eine große Klasse unter den Autobiographen machen die Autopseusten aus; Hebbel 1848-49 S. W. l 11,225 Der Chronist, der Autobiograph hätte diese Dinge ganz anders behandelt; Raabe 1877 S. W. 11 6,30 So ist es aber hundert und aber hundert Autobiographen . . ergangen; Kussmaul 1899 Jugenderinn. 471 Als gewissenhafter Autobiograph werde ich einige davon bekennen; Klee 1905 Tagebuch 163 Welcher Autobiograph fühlte sich davon betroffen?; Th. Mann 1913 Reden u. Aufs. (W. X 560) ein Wort des größten Autobiographen unter den Dichtern; ders. 1948 Reden u. Aufs. (W. IX 747) jenes „nationale Behagen" . ., das der Autobiograph in Dichtung und Wahrheit sehr anmutig schildert; ders. 1950 Reden u. Aufs. (W. XI 302) vielleicht liebe ich mein Leben nicht genug, um zum Autobiographen zu taugen; Kesten 1952 Casanova 17 Für den Autobiographen ist die Zeit und ihr Ablauf eine der gefährlichen Klippen; Meyerowitz 1971 Witz o. S. die vollkommene, fast schreckliche Aufrichtigkeit des Autobiographen gibt dem Buch den Charakter bedeutender Echtheit; Zeit 29.3.1985, Lit.beil. diese künstlerische

Selbstdisziplin des Autobiographen Canetti verleiht seiner Darstellung eine Entschiedenheit und Gedrungenheit, wie man sie in deutscher Sprache heute sonst nicht findet; ebd. 6.12.1985 so vereinigte auch der Schriftsteller eine Vielzahl von Personen in sich: den Mitarbeiter von Zeitungen, . . den Autobiographen, den Essayisten; ebd. 8.5. 1987 Brodskij ist demnach als Autobiograph sein eigener Übersetzer. Autobiographiererei: 1880 (1919 P. Heyse u. G. Keller im Briefw. 193) Damit Du nicht glaubst, liebster Freund, daß es sich bei neulich besprochenen Dingen etwa um pedantische Autobiographiererei handle. Autobiographik: Hausenstein 1935 Wanderungen 9 [Seumes „Lebensgeschichte"] die zu den klassischen Urkunden deutscher Autobiographik und der Selbstbiographik der Weltliteratur gehört. autobiographisch: Matthisson 1828 Reiseskizzen (Nachlaß I 119) Ihr Gesicht zeugte mit grauenhafter Deutlichkeit von der Unregelmäßigkeit ihres Lebenswandels; es war vollkommen autobiographisch, und der Charakter der Züge vulkanisch zu nennen; Wagner 1842 Ges. Sehr. u. Dichtungen J 4 Autobiographische Skizze (Titel); Droysen 1852 Wartenburg II 264 Über die Sendung Knesebeck's nach Petersburg im Februar 1812 . . liegt jetzt eine zweite autobiographische Mittheilung . . vor; Anzengruber 1883 Ges. W. Erg. bd. II 161 ich müßte nur einmal vom Teufel geritten werden, mein liebes Ich autobiographisch der Welt als etwas ganz Besonderes vorzuschwindeln; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 67) beide Elemente, das pädagogische und das autobiographische, tun sich aufs stärkste hervor bei Goethe wie bei Tolstoi, sie sind aus beider Werk und Leben überhaupt nicht wegzudenken; Heyck 1928 Aussenseiter 219 Du bist undeutlich wie der Held eines autobiographischen Romans; Heilborn 1929 Revolutionen II 78 Sie alle darf man um so eher befragen, als sie autobiographische Niederschriften . . hinterlassen haben; Th. Mann 1950 Reden u. Aufs. (W. XI 303) von der Betrachtung meiner Zeit ist das autobiographische Ich nicht ganz fernzuhalten, der Überblick über sie wird .. zum Überblick über mein Leben; ND 25.8.1954 es ist schwieriger, ein Buch mit einer straffen Fabel zu schreiben, das nicht autobiographische Züge trägt, als das eigene Leben, wenn auch verdichtet, zu erzählen; Bad. Ztg. 15.11.1966 Sie macht aus dem ersten Kapitel eine große, das Autobiographische weit überholende Komposition; Welt 21.3.1969 Diplomaten sind seit Roger Peyrefittes autobiografischem Roman gleichen Titels Zielscheiben des Spotts . . geworden; Welt

autochthon 33.7.1974 der Film ist autobiographisch bis zur Besessenheit; MM 28.11.1985 in diesen späten, stark autobiographisch geprägten Gedichten verzichtet Seifen auf allen Wortzauber; Zeit 7.11. 1986,Lit. beil. eine Sammlung von autobiographischen Kindheitsgeschichten; Spiegel 29.8. 1994 Einen wichtigen autobiographischen Aspekt, der auch für das Verständnis des Tatmotivs von Pre-

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textat Tach wichtig ist; ebd. 5. 9.1994 Man hat viel über den autobiographischen Charakter meiner Filme gesprochen. Autobiographismus: Hocke 1976 Tagebücher 94 Ende 1939 . . beginnt er sich vom romantischen „Autobiographismus" zu distanzieren.

autochthon Adj. (ohne Steigerung), seit frühem 19. Jh. nachgewiesen, zurückgehend auf griech. "im Lande selbst geboren, von Alters her im Lande ansässig, wohnend, zu den Ureinwohnern gehörend' (aus - (—* auto-) und 3 'Erde, Erdboden', also eigentlich 'aus der Erde selbst stammend'), bis Anfang 20. Jh. auch in der eindeutschenden Form autochthonisch. Zunächst meist in bezug auf Völker, Personen und kulturelle Gegenstände in der Bed. 'alteingesessen, bodenständig, eingeboren', z. B. die autochthone Vorwelt, die autochthone Bevölkerung dieses Gebietes, ein autochthoner Münchner, die autochthone Tierwelt Amerikas, autochthone Sitten, Gebräuche, Lieder, autochthon entstanden sein, auch 'im Lande selbst entsprungen, entstanden, nicht von fremder Herkunft; landeseigen, vom Land selbst erzeugt, im eigenen Land vorhanden', z. B. autochthone Getreidesorten, Energiequellen (s. Belege 1852 ff., 1874, 1905, 1935, 1985); auch übertragen verwendet im Sinne von 'aus einfachen, bäuerlichen Verhältnissen stammend; erdverbunden; naturhaft, aber etwas derb und drastisch', dabei positiv konnotiert mit „urwüchsig, originell, natürlich, ursprünglich, nicht verbildet, nicht gekünstelt, originell; rein (erhalten), unverfälscht, unbeeinflußt von Fremdem", z. B. autochthone Kultur (s. Belege 1885, 1914, 1929, 1930); selten auch eher negativ konnotiert mit „rückständig, überholt, altmodisch, primitiv, wie eh und je (beschaffen)" (s. Beleg 1959). Daneben fachspr. in der Biologie und Geologie für 'noch am Fundort vorkommend, am Entstehungsort befindlich', bes. von Lebewesen, Gesteinen (Ggs. aüochthon; s. Belege 1889, 1905, 1942, 1970); in der Medizin gebucht für 'von selbst, an Ort und Stelle (nicht durch Fernwirkung oder äußere Einwirkungen) entstehend, herbeigeführt'. Dazu bereits seit Mitte 18. Jh. das (über gleichbed. lat. autochthon auf griech. , s. o., zurückgehende) Subst. Autochthon M. (-en; -en), heute auch (als subst. Adj.) in der Form Autochthoner M. (Autochthonen; Autochthonen), bis ins 19. Jh. oft in der lat. Pl.-Form Autochthones gebucht und vereinzelt in der gräzisierenden Form (s. Beleg 1817), häufig plur. verwendet in der Bed. 'in dem Lande selbst Geborener, nicht als Einwanderer aus der Fremde Gekommener, Einheimischer; Ureinwohner, Urbewohner eines Landes, Eingeborener'; auch übertragen gebraucht für 'jmd., der sich unabhängig von fremdem Einfluß zu entwickeln strebt' (s. Belege 1805, 1809—29) und im Sinne von 'Mensch von urtümlichem Schlag, Original; Mensch mit Originalität' (s. Belege 1820, 1877, 1906); selten auch fachspr. (Zoologie) verwendet (s. Belege 1897, 1974). Seit etwa Mitte 19. Jh. die seltene subst. Ableitung Autochthonentum N. (-s; ohne Pi.) 'autochthones Wesen, Sein (das im Ausschluß alles Fremden besteht)'; etwa gleichzeitig das Subst. Autochthonie F. (-; ohne PL) 'Ureinwohnerschaft; Alteingesessenheit', gelegentlich fachspr. gebraucht (s. Belege 1905, 1913, 1942).

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autochthon(isch): Goethe 1816—17 Italien. Reise (WA I 32,183) gebe es eine allgemeine Sprache, welche zu manifestiren ein jeder autochthonische Stamm versucht habe; ders. um 1825 Zahme Xenien (WA l 5.1,84) Autochthonisch, autodidaktisch/ Lebst du so hin, verblendete Seele!; Ross 1840 ff. Inseln U 67 Die autochthonische, insularische Abstammung (SANDERS 1871); Grimm 1848 Gesch. d. dtsch. Spr. Vorr. XII folgt der belesene Böhme dem geleise unserer historiker und sucht, wie diese den deutschen stamm von allen ändern absondern und beinahe als einen autochthonischen aufstellen, auch den slavischen von uralter zeit an eigenmächtig und ungemischt zu schildern; Fichte 1848 Staatslehre 11 f. Entweder der Staat war autochthonischen Ursprungs und ging hervor aus der Einheit des Stammes, war die erweiterte Familie; 1852 ff. Ergänz, z. Natur IX 25a Ihr [der Cholera] autochthoner Ursprung weist sie auf Indien hin (SANDERS 1871); Mommsen 1856 Rom. Gesch. l 8 geschichtlich ist es weder möglich noch wichtig festzustellen, ob die älteste bezeugte Bevölkerung eines Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist; Treitschke 1859 Gesellschaf tswiss. 10 autochthone Völker, von aussen unberührt, ohne Wunsch sich auszubreiten; Schweinfurth 1874 Im Herzen v. Afrika II 259 ein Meisterstück autochthoner Töpferei; SchweigerLerchenfeld 1880 Frauenleben 382 [die] autochthone Bevölkerung [der westindischen Inselwelt]; ebd. 551 [der] autochthonen Halbcultur [der heutigen Griechen]; Dabn 1882 Bausteine III 206 nimmt die Alterthumswissenschaft. . als die älteste Bewohnerschaft Europas ein Volk an, welches unter allen jetzt noch bekannten Stämmen der finnischen Gruppe am nächsten verwandt ist. Auch dieses Geschlecht zwar ist nicht autochthon in Europa: die Spuren seiner Einwanderung aus Asien sind zu verfolgen an den Gräbern; Rieht 1885 Vortr. II 337 Man wird dann vielleicht das Aegyptische, Assyrische oder Indische verdeutschen, entwickeln, umbilden. Vielleicht kommt man auch zu einer ganz autochthonen Kunstweise, zu einer Zukunfts-Architektur . . in irgendwelchem Walkürenoder Parsifal-Stil; Bleibtreu 1889 Nap. I. 228 Die Korsen sind ein Überrest der autochthonen Vorwelt, auf deren Trümmern erst die Parvenüs an der Tiber ihr Imperium errichteten; 1889 Landes- u. Volksforschung 269 altautochthone Formen [in der Tierwelt); Schneegans um 1890 Memoiren 42 f. An diesem Abend fühlte sich die autochthone Bevölkerung [Straßburgs] erst recht auf sich allein angewiesen; Riegl 1893 Stilfragen Vorw. XVI Die . . byzantinischen Elemente in der saracenischen Ornamentik hat man längst richtig auf ihre Herkunft hin erkannt, ja . . richtiger als heutzutage, woran . . die dazwischen gekommene, unselige technisch-

materielle Entstehungstheorie mit der Schwärmerei für spontan-autochthone Anfänge der unterschiedlichen nationalen Künste Schuld ist; Bölsche 1901 Eroberung d. Menschen 32 ob (dieser Menschentyp] eingewandert war oder autochthon; 1905 (Petzet 1944 Falckenberg 155) Gewiß es [Haus] ist autochthon und paßt gut in die Landschaft; aber weniger gut zu uns, die wir doch nur Wahlbayern und noch keine richtigen Bauern sind; 7905 Naturwiss. Wochenschr. XX 8 Wo mit der Bildung von Faulschlamm (der durch „autochthone Sedimentierung" zustande kommt) gleichzeitig eine allochthone Sedimentierung stattgefunden hat; Spitteler 1906 Frühling I 144 Zuvorderst schritten der Behörden Ehrenwächter: Erlesne Söhne autochthonischer Geschlechter; Keller 1907 Schwaben 3 Scherze und Schwanke, die über ganz Deutschland . . verbreitet sind und überall autochthon entstanden sein mögen; Ratzel 1907 Raum 32 „autochthon"; 1908 Put. I 4 das Militär . ., wo autochthone erotische Lieder verschiedener Gegenden ausgewechselt werden; Oncken 1914 Aufs. I 40 daß dieses . . Staatswesen [Amerika] nicht etwa unabhängig von den großen Mächten Europas entstanden ist, frei sich bildend nach autochthonen Lebensbedingungen auf dem unberührten Boden einer neuen Welt; Th. Mann 1919 Erz. (W. VIII 562) ich nannte die Esche als autochthonen Baum, — sie ist sehr stark verbreitet, man findet sie in allen Lebensaltern, als hundertjährigen Riesen wie auch als weichen Schößling; Fränzel 1919 Volksstaat 13 Lehrplan wie Lehrstoff [müssen] im Hinblick auf wahrhaft Autochthones . . durchgeforstet werden; Salomon 1922 Mittelalter 13 dass die Kulturhegemonie wieder auf Italien überging, haben die frühen Humanisten . . [als] Anzeigen . . autochthoner Kultur gesehen; Bahr 1925 Liebe I 260 [der] autochthonen Germanenkultur; Bogeng 1926 Gesch. d. Sports 265 eine zweite Schicht der ruhigen „autochthonen" Entwicklung; Friedell 1927 Kulturgesch. I 355 [der] autochthonen Tierwelt [Amerikas]; 1929 Preuss. Jahrb. CCXVl 102 die autonome und autochthone geistige Kultur des Deutschtums . . zu retten; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 733) ist es von . . Reiz, durch unsere ganze Geistesgeschichte hin zu verfolgen, wie diese beiden Gegensätze: der rational-irrationale und der zwischen autochthonem Volkstum und Europa, jederzeit verfließen; ders. 1930 Erz. (W. VIII 672) er stand da, halbnackte Arme auf gestreifter Trikotbrust verschränkt, allerlei autochthone Männlichkeit von Torre di Venere, Fischervolk; Diesel 1930 Völkerschicksal 53 es hat also schon vor Anbruch der technischen Zeit unbeeinflusste, ganz reine (autochthone) Kulturen kaum noch gegeben; Voss. Ztg. 13. 5.1930 Sie [Volkstrachten] können sich im Modebild einer unanständigen Zeit nicht halten!

autochthon — Nicht nur, weil sie Rückbleibsel vergangener Modeepochen und keine „autochthonen" Volkstrachten im Sinne der nordischen Urkleidung sind, sondern weil eine Spezialtracht irgendwelcher Art heute ein Unding geworden ist; 1930 Elsass-Lothr. V!H 701 Ich glaube, daß diese Kraft des Bewahrens nicht eingewanderten Erobererstämmen, sondern autochthonen Stämmen im Land zu verdanken ist; Scheler 1931 Idee 33 autochthone Lebensraum; Münichsdorfer 1932 Bayerns Boden l 149 autochthon: An Ort und Stelle entstanden; 3935 Forsch, u. Fortschr. 376 Die älteste landeigene (autochthone) Weizen-Landsorte der Alpentäler; Th. Mann 1937 Nachtr. (W. XIH 485) daß dieser zäh überlebende Stamm, der die Verbindung darstellt zwischen Gegenwart und tiefster Vergangenheit, zwischen dem Europäertum und seinen vorderasiatischen Ursprüngen, vielfach vermischt mit dem Autochthonen und darin aufgelöst, aber zum großen Teil doch ganz rein erhalten, immer noch unter uns west und wandelt, mit dem dunklen und klugen Auge der Vorwelt in unsre Welt blickt; 1938 Schweizerdeutsch 15 Theorie von einem „autochthonen" Schweizervolk . ., das von den Kelten oder gar von den Pfahlbauern abstamme; 1940 Münchnerin 118 [eine] autochthone Münchnerin; Flohn 1942 Witterung 128 Gegensatz eigenbürtig (autochthon) — fremdburtig (allochthon); Krüdener 1944 Landeswirtschaft 42 Druckwasser (als autochtone Überschwemmung); Hülsen 1947 Zwillings-Seele 204 dessen [Positanos] autochthone Bewohner ebenso wie seine Architektur die unverwischbaren Spuren langer Maurenherrschaft tragen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 264) Konrad Knöterich, autochthon münchnerisch, dem Ansehen nach einem alten Germanen . . gleich; Muhs 1954 Gesch. 3 Der Idealismus und das Reich des autochthonen Geistes (Überschr.); 1957 Hölderlin-Jahrb. 217 Aus autochthonen Gründen war diese Verjüngung [der deutschen Musiktradition] seit den Tagen der Wiener Klassik entartet; Kantorowicz 1959 Tagebuch I 656 Auf dem deutschen Kasernenhof herrscht nun wieder der autochthone Unteroffizier; Krauss 1963 Perspektiven 288 Schon die Sevaramben hatte eine autochthone Bevölkerung unterworfen und versklavt; 2965 Aspekte 172 die Gegenwart mit ihrem autochthonen Ursprung, dem christlichen Mittelalter; FAZ 11.12.1970 Autochthone amerikanische Intelligenz (Überschr.) . . Gegen die . . Behauptung, „daß amerikanische Hochintelligenz bis heute importierte Intelligenz ist", . . möchte ich energischen Einspruch erheben; Seuffert 1970 Reliefentwicklung o. S. die würmzeitlichen Oberflächen weisen . . keinerlei autochthone Ferritisierung auf; Thenius 1970 Paläontologie o. S. grundsätzlich lassen sich autochthone und allochthone Vorkommen unterscheiden;

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Hocke 1976 Tagebücher 396 In den Tagebüchern Kafkas erhält fast jede Eintragung einen unmittelbar philosophisch-existentiellen Sinn. Dadurch findet das Tagebuchschreiben zu einer neuen literarisch-autochthonen Form; Zeit 19.4.1985 es gibt einen herrschenden wirtschaftspolitischen Grundsatz, daß die Bundesrepublik . . auf die einzige autochthone Energiequelle, die sie hat, nicht verzichten soll; Pschyrembel 1986 Klinisches Wh. 155 autochthon . .: von selbst od. an Ort u. Stelle . . entstehend; Spiegel 5.2.1990 [die] beiden einzigen autochthonen Polit-Profis, die es in der DDR noch gibt. Ich meine Wolfgang Berghofer und Lothar de Maiziere; MM 3.4.1990 in der DDR gibt es noch eine Reihe von Tierarten, die im Bundesgebiet verschwunden sind oder nie vorkamen. Das ist etwa bei den Bibern so, von denen das letzte autochthone, also bodenständige Vorkommen an der Mündung der Mulde in die Elbe zu Hause ist; Spiegel 20. 6.1994 der Krim territoriale Autonomie zuzugestehen. Das war unlogisch. Wenn schon eine Autonomie, dann auf der Grundlage der autochthonen Bevölkerung — und das sind die Krimtataren; Zeit 9.9.1994 Die ARD zeigte Udo Kilimanns Film über den verfluchten Kindersegen auf den Philippinen. Hier ist es zusätzlich zur autochthonen Tradition die katholische Kirche, die eine wirksame Regulierung der Fruchtbarkeit verhindert. Autochthon(er): Zedler 1751 Universallex. Suppl. II 1050 Autochthones, werden von den Griechen diejenigen Völker genennet, welche aus eben dem Lande, worinnen sie wohnen, ihren Ursprung gehabt, und nicht von fremden Orten dahin gekommen sind; Wieland 1769 Grazien (S. W. X 16) jene Autochthonen, . . jene rohen Kinder der Mutter Erde; Viamann 1772 S. W. Ill 31 eine Erfindung eurer gelehrigen und witzigen Erzväter, die sich Aborigines oder Avtochthones . . nannten; Herder 1785 S. W. XIH 406 denn bloss die Urkunde voriger Zeiten macht Avtochthonen; Rousseau 1791 Emile (Übers.) IV 421 die alten Völker, da sie sich meist als Autochthonen, oder als Urbewohner ihres Landes ansahen; Jean Paul 1798 S. W. l 7,168 Es ist ein trauriges Loos, daß gerade meine Ideen zur Geschichte der Menschheit . . von . . Herder für seine Werke und für Autochthonen von Weimar ausgerufen werden; Arndt 1803 Germanien 420 eines Regenten, der als ein Autochton [!] auf seinem eignen Boden steht; Goethe 1805 Br. (WA IV 17,268) er [Zacharias Werner] . . gehört auch . . zu den Autochthonen, die, indem sie aus den Erdschollen hervorspringen und ihres Daseyns gewahr werden, überzeugt sind, daß die ganze Welt in diesem Augenblick geschaffen sey, und was vorher da war nur allenfalls in einer trüben und ver-

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kleinernden Entfernung erblicken; ders. 1809—29 Maximen u. Reflex. Nr. 790 „Pereant, qui ante nos nostra dixerunt!" So wunderlich könnte nur derjenige sprechen, der sich einbildete, ein Autochthon zu sein (GWB); Steffens 1817 gegenwärtige Zeit 315 tief begründet in der Natur, als sprosste das Geschlecht, ein wahrer Autochthonon selbst, wenn er eingewandert ist, weil das Gemüth allmählig wurzelt in der langgewohnten Heimath; Cbamisso 1819 W. // 89 Autochthonen kann man in Europa nur die Cantabrer und Kelten nennen; Goethe 1820 Biogr. Einzelheiten (WA I 36,285) Zwei gräfliche Gebrüder . . wie kann mit solchen ein tüchtiger, derber, isolierter Autochthon in wahre dauernde Verbindung treten?; 1839 DVjS U 236 Völker, welche wir amerikanisierte Autochthone nennen; Preller 1846 Aufs. 205 Auch der Autochthonenglaube läßt sich mit dem Glauben an eine bessere Vorzeit wohl vereinigen, wei denn namentlich die attischen Autochthonen . . für höchst begabt und erst die spätere Menschheit für herabgekommen gilt; Gurowski 1846 Ereignisse Polens 20 Autochthonen [als Bezeichnung für die Nationalpolen, im Ggs. zu den eingewanderten Deutschen]; 1859 Hausblätter II 97 Autochthonen des Berges [die schweizer. Sennen]; Goltz I860 Typen d. Gesellschaft H 169 denn die Berliner Autochthonen stehen mindestens so naiv zum Landleben, . . wie die elementaren Grasteufel in Westpreußen und Polen zur Literatur und Residenz; Sybel 1863 Kl. histor. Sehr. I 27 Die Gewährsmänner des Tacitus erfuhren von den Germanen, sie seien Söhne dieses Bodens, Autochthonen der deutschen Erde; Raabe 1864 S. W. I 6,252 der Wirt freute sich unseres Daseins in seinem Etablissement, und ein Autochthone tröstete uns aus einem fernen Winkel, daß wir nicht die ersten seien, die bei solchem Wetter in Hallstadt anlangten; Grimm 1870 Essays I 98 f. da die europäischen Völker ihren Ueberlieferungen nach sich alle für Autochthonen hielten, ein Gedanke, der jetzt noch mit der Idee des vaterländischen Bodens fest zusammenhängt; 1872 Geograph. Jahrb. 311 Autochthonen Afrikas; Rutenberg 1877 Zinne 107 Als Autochthone des Materialismus [der amerikanische Poet Bret Harte] ist er doch voll echt poetischer Originalität; Nürnberger 1877 Herzenssachen 278 f. Wie dieses seltene . . Phänomen [Gemütlichkeit] in der Wirklichkeit aussieht, . . kann man nur bei unserm Native-Wiener und Vorstadt-Autochthonen sehen!; Rosen 1879 Bulgar. Volksdichtungen 4 Süd-Slawen, d. h. die Autochthonen des ungarischen Donaubeckens; Dingelstedt 1879 Bilderbogen 112 Ein einziger Autochthone, . . ein urwüchsiges, echt- und altbaierisches Talent, Poet und Professor zugleich, Franz von Kobell; 1883 Zßthnologie XV l Autochthonen Amerikas; Scherr 1885 Germania 10 die

Germanen müssten [nach Tacitus] wohl Erdentsprossene (Autochthonen) sein; Spielhagen 1890 Finder I 27 pommerschen Autochthonen; ebd. I 111 von den Autochthonen: den hochmögenden Magistratspersonen, stolzen Kaufherren, behäbigen Pfahl- und Spiessbürgern [Stralsunds] abgesehen; Becker 1897 Walchensee 182 [Renken und Seiblinge sind nicht] Autochthone des Walchensees; 1903 Grenzboten III 385 Die Erfüllung der Forderung „Elsaß-Lothringen den Autochthonen" würde die Kluft zwischen Eingebornen und Eingewanderten . . von neuem vertiefen; Heigel 1906 Essays 329 Auch an Friktionen mit anderen „Berufenen" fehlte es nicht, während er mit dem „laisser aller" der „Autochthonen" [Wissenschaftler] sich ebensowenig anfreunden konnte. Nur an einen der einheimischen Gelehrten . . schloß er sich rückhaltlos an; 1911 ZDÖAlpenver. 308 Die sagenhaften Autochthonen des Landes Friaul, die Römerzeit, die Völkerwanderung . . würden hinreichend Stoff zu Erörterungen liefern; 1915 Dtsch. Reden l 120 Die deutsche Nation ist keine Nation von Autochthonen, von Leuten, die nach physiologischer Abstammung diesem Boden entsprungen wären; Bahr 1925 Liebe I 261 Wir sind nun einmal nicht Autochthonen, kein Volk des Abendlandes ist es, schon Homer war ein Epigone Babylons; Voss. Ztg. 23.10.1929 Hier [im Hotel eines Urlaubsorts] vollzieht sich der Anschluß des Fremden an die Autochthonen schneller als am großen Platz; Tb. Mann 1944 Reden u. Aufs. (W. XI 979) ein solches bürgerliches . . Pflichtgefühl ist vielleicht bei einem neugebackenen Bürger, wie ich es bin, noch frischer und stärker als bei einem Auchtochthonen; Horkheimer/Adorno 1947 Dialektik 24 Die Gesänge Homers . . stammen aus der Zeit der Grundherrschaft und der festen Plätze, in der ein kriegerisches Herrenvolk über der Masse besiegter Autochthonen sich sesshaft macht; Süddtsch. Ztg. 1955 Nr. 187 Aus . . Kattowitz . . sind nur 700000 Menschen ausgesiedelt worden; der Rest blieb und hatte keine Schwierigkeit als sogennannte Autochthonen (Lexikon: Ureinwohner) den Nachweis polnischer Volkszugehörigkeit. . zu beweisen; FAZ 25.7. 1959 wendet sich gegen die Propagandathese, wonach die „Autochthonen" — die „bodenständige Bevölkerung" in den Oder-Neiße-Gebieten — eine polnische Bevölkerungsgruppe darstellten; Stuttgarter Nachr. 7.4.1960 Du bist als Pole anerkannt. Warschau schuf einen neuen Begriff für diese Polen. Man nennt sie die „Autochthonen". .. Freilich mußten die Autochthonen von heute in der Vergangenheit deutsche Schulen besuchen; Kunert 1974 Ortsangaben 122 Nur Tod ist hier denkbar, nie Leben: ausschließlich die rosahäutigen blinden Olme, Autochthone der Gegend, sind die einzigen Höhlenhäusler.

Autodafe Autochtonentum: um 1848 Grenzboten l 140 Das bairische Autochthonenthum; um 1858 Magazin d. Ausld. XXXVI 158a Ein exklusives Autochthonenthum (beide SANDERS 1871); 1939 AfdA. LVIII 161 Autochthonentum einzelner Erscheinungen; 1947 Eranos-]ahrb. 52 Es ist die bekannte Tradition vom Autochthonentum, von der Geburt der ersten Ahnen aus der Erde des eigenen Landes; ebd. 56 Autochthonentum in diesem Sinne, — daß sie nämlich von der Erde selbst Geborene sind — wird außer den Arkadern und den Thebanern . . noch den Athenern . . zugesprochen. Autochthonie: Wachsmuth 1850 Culturgesch. I 11 Begriff der Autochthonie; Phillips 1851 Verm. Sehr, l 5 [wenn man die Genesis aus dem Schulbetrieb entfernt als „Quelle aller Völkergeschichte", dann bleibt die] Autochthonie im crassesten Sinn des Wortes übrig; Bachofen 1851 Griech. Reise 106 Es ist eine ganz kindische Eitelkeit der heutigen Hellenen und Italiener, wenn sie für die alte Kultur ihrer Länder den Ruhm der Autochthonie in An-

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spruch nehmen, und den Empfang eines fremden Samenkorns leugnen; Burckhardt vor 1897 Ges. W. V 19 vollends . . war das Volk von Attika stolz auf seine Autochthonie; Boruttau 1898 Physiologie 273 Autochthonie; 1905 Naturwiss. Wochenschr. XX 4 aquatische, terrestrische Autochthonie; 1913 Mitt. Geogr. Ges. Wien LVl 439 die Autochthonie des Granites des Waschberges; Jäger 1919 Reden 27 Als die reinste Verkörperung eines höheren geistigen Gesetzes, vollkommenste Autochthonie des Schönen haben die Zeiten hoher Kultur die Griechen betrachtet; Rohden 1925 Polit. Denken 64 [einer] ständischen und kirchlichen Autochthonie; Flohn 1942 Witterung 139 Der Begriff der Eigenbürtigkeit (Autochthonie) bzw. Fremdbürtigkeit (Allochthonie); Buber 1960 Jude 545 Darum widerstrebte er [Lenin] dem Hebräischen, der Ursprache, der die Generationen des wandernden Judentums die Treue hielten — . ., aber die Treue hielten eben nicht als der Äußerung gegenwärtigen Volkslebens, sondern als der Sprache einstiger Autochthonie, die auch die Sprache der Verheißung war.

Autodafe N. (-s; -s, früher selten auch -), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. port, auto-de-fe, span, auto-da-fe, eigentlich 'Urteil über den Glauben, Glaubensakt' nach lat. actus fidei, früher gelegentlich auch in der port, und vereinzelt in der span. Form sowie in Schreibungen wie Auto da Fe/fe, Auto da Fee. a Häufig auf portugiesische und spanische Verhältnisse bezogen in der nur noch historisierend verwendeten Bed. 'öffentliche Verkündung eines Urteils der Inquisition und seine feierliche Vollstreckung, die durch Verbrennung der verurteilten Ketzer erfolgte'. b Seit späterem 18. Jh. bildungsspr. verwendet in der Bed. '(öffentliche) Verbrennung von (verbotenen oder mißliebigen) Büchern, Schriften u. ä.', gelegentlich auch übertragen im Sinne von 'vernichtendes Urteil, scharfe Kritik, Verriß, Verurteilung' (s. Belege 1768, 1769, 1798, 1815, 1816, 1911, 1980). Autodafe ä: Schudt 1714 Merkwürdigkeiten l 188 ein Auto da Fe, wie sie es nennen [in Lissabon], das ist, Actus Fidei eine Glaubenshandlung oder Execution vorgenommen, derer, so des Irrglaubens wegen angeklagt worden; Hübner 1717 Konversationslex. 158 Auto-da-fe . . also wird in Portugall und Spanien das scharffe Inquisitions-Gericht der Geistlichkeit genennet; 1726 Hamb. Correspondent Nr. 190 Gestern wurde ein Auto da Fe in dieser Stadt [Lissabon] gehalten, worin 39 Mannsund 32 Frauens-Persohnen wegen verschiedener Missethaten gerichtet wurden (SCHEID); Sperander 1727 A la mod Sprach 60 Auto da Fee [!] wird in Portugall und Spanien das scharffe inquisitionsGerichte der Geistlichkeit genennet; 1731 Hamb. Correspondent Nr. 117 Heute hat man abermals

ein Auto da Fe oder Blut-Gericht der Inquisition gehalten (SCHEID); Zedler 1732 Unwersallex. II 1050 Auto Da Fe . . heisset eigentlich der ausgestellte Inquisitions-Befehl, wenn jemand in Glaubens-Sachen verdächtig; Gottsched 1743 Bayles Wb. Ill 798 Er lebte nicht bis zu dem Auto de Fe (REICHEL); Rabenerl751 Mißbrauch d. Satire 39 Es ist ein Glück für mich, daß wir in Sachsen kein Auto da Fe haben; Kant 1764 Gefühl d. Schönen 86 [Der Spanier] ist öfters hart und auch wohl grausam. Das Auto da Fe erhält sich nicht so wohl durch den Aberglauben, als durch die abenteuerliche Neigung der Nation, welche durch einen ehrwürdig-schrecklichen Aufzug gerührt wird; Goeze 1778 Streitschr. 169 das alte Schandlied von Inquisition, Auto da Fe und Inquisitor; Schubart 1780

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Autodafe

Originalien 54 Das Fest der Unmenschlichkeit, die Auto da Fe; Blumauer 1784-94 Virgils Aeneis (I 154) Dann auch die bösen Päbste, die,/ Um Blut nicht zu vergießen,/ Am Feuer der Orthodoxie/ Die Ketzer braten ließen:/ Als ewiges Auto-da-fe/ Stand drum hier auch der spanische/ Mordbrenner, Sennor Brandthurm; Kratter 1786 FreimaurerAutodafe in Wien (Titel); Schiller 1787 Don Karlos (S. W. l 3) ein Autodafe hat man uns auch versprochen; Müller 1789 Emmerich VH 184 In Madrid sah er die Zurichtungen zu einem Glaubensakt (Auto da fe); Goethe 1805 Kameaus Neffe (WA I 45,106) Der Jude erschrickt. . . Er sieht die Häscher an seiner Thüre . . er sieht sein auto-da-fe bereitet; Lang um 1805 Haushaltung III 103 Auto da Fe (Glaubenswerk) . . [an den] zum Scheiterhaufen Verurtheilten; 1826 Feldjäger l 166 die Auto da Fees [!] der öffentlichen Glaubensgerichte; Hauff 1827 Kontroverspredigt (XII 193) wie den spanischen Inquisitoren, so ist euch ein solches Autodafee [!] ein Freudenfest; 1830 Jahrb. d. Gesch. l 500 Autodafe oder Glaubenshandlung — einst als eine gottgefällige Strafe hartnäckiger Ketzer; Schopenhauer 1840 Moral 148 Dies ist aber der Weg, auf welchem man weiland zu Inquisitionen, Autodafes und Religionskriegen gelangt ist; 1870 Magazin d. Ausld. 410 Das Autodafe-Jubiläum in Brüssel [zur Erinnerung an eine vor 500 Jahren erfolgte Verbrennung]; Rolef 1887 Reisebr. 178 hier in Valladolid war es auch, wo Philipp II. im Jahre 1559 einem Autodafee [!] persönlich beiwohnte; Th. Mann 1914 Nachtr. (W. XIII 528) Kultur kann Orakel, Magie, Päderastie, . . Menschenopfer, orgiastische Kultformen, Inquisitionen, Autodafes, Veitstanz, Hexenprozesse, Blüte des Giftmordes und die buntesten Greuel umfassen; Friedell 1927 Kulturgesch. I 352 Auf den spanischen Stammländern lag der . . Druck der Despotie und der kirchlichen Inquisition; durch die mit verschwenderischer Pracht und ehrfurchtgebietender Feierlichkeit vollzogenen zahlreichen Autodafes wurde das Volk dezimiert und der Rest zur . . Grausamkeit erzogen; Voss. Ztg. 19.7.1929 der größte . . Glaubensakt aller Zeiten, das Auto da fe vom 30Juni 1680; König 1940 Ausgeburten des Menschenwahns im Spiegel der Hexenprozesse und der Autodafes (Titel); Hartmann 1954 Begegnung 187 die Autodafes der Inquisition; FAZ 25. 2.1970 Am auffallendsten war die szenische Lösung für das Autodafe [in einer Freilichtaufführung]: vor giftgrünem Horizont eine grellbunte Festwiese mit dem von der Menge begafften Aufzug von Kutten und Kettenträgern, Hofstaat und Klerisei — ein . . Spektakel, das eher ablenkt vom Thema Ketzerverbrennung als Volksfest; MM 13.1.1987 und dies, nachdem es vor der Pause zu Buhrufen gekommen war, als die Opfer des Autodafes, nur „andeutungsweise" gemartert durch Fackelflammen, nach oben entschwebten.

Autodafe b: Riedel 1768 Publicum 82 Abbt in seinem Auto da Fe, einer Satire, die völlig untadelhaft seyn würde, wenn sich ihr Verfasser hätte überwinden können, einige . . Anspielungen hinwegzulassen; Flöget 1769 (Br. Gelehrter a. Klotz I 154) Ich weis, dass Sie über das papierene Auto da Fe [vernichtende Kritik] lachen; Schiller 1795 Br. I 227 Unterdessen, daß die halbe Stadt Mannheim sich im Schauspielhaus zusammendrängt, einem Auto da Fe über Natur und Dichtkunst — einer großen Opera — beizuwohnen und sich an den Verzückungen dieser armen Delinquentinnen zu weiden; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,140) [die Stolberg soll die Lehrjahre bis auf das 6. Buch aus religiösen Gründen verbrannt haben] Die Auto da Fe der Stolberge . . sollen ihnen [Xenien] übel bekommen; Görres 1798 Frieden (I 57) den Russischen litterarischen Auto da Fe's; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,216) Dieses bewog mich, wieder ein großes Haupt-Autodafe über meine Schriften zu verhängen; Brendel 1815 Pressfreyheit 22 die Hinrichtung Palms und die Einkerkerung Beckers waren ja blos politische Autos-da-fe [!]; Goethe 1816 Br. (WA IV 27,412) [im Zusammenhang mit dem Problem der Pressefreiheit und dem drohenden Verbot von Okens Zeitschrift „Isis"] was hilfts daß wir gegen spanische Inquisition in Zeitungen eifern wenn ein academisches Auto da fe über unsere Blätter gebieten kann. Doch das ist nur Scherz; Pückler-Muskau 1841 Bildersaal 111 72 [den Auftrag,] die verpönten Autoren aufzusuchen und ihr Auto da fe sofort zu veranlassen; 1848 Grenzboten l 2,23 Abdankung König Ludwigs; . . Nachrichten der Berliner Gräuelscenen . . rufen Autodafes und ähnliche Demonstrationen hervor; ebd. 2,53 das Autodafe an dem Bilde des Königs von Preussen; 3851 Perthes Leben U 175 Die Massen selbst hätten den Regierungen willig den Holzstoß zum Autodafe liberaler Schreiber und Sprecher zusammengetragen (SCHEID); Suckow 1862 Sold'leben 141 Auch ein Autodafe sollte Stuttgart . . in seinen Mauern sehen, wenn auch nicht gegen Ketzer, so doch gegen englische Waaren; Dincklage 1870 Gesch. I 299 sie würde ein gräßliches Autodafe mit meinen armen Briefen anstellen; Reichensperger 1872 Phrasen 177 Insbesondere ist „dem Zeitgeist ins Gesicht geschlagen", wenn die Männer des modernen Fortschritts irgendwo einen Rippenstoß bekommen, desgleichen wenn in Rom ein Buch auf den Index gesetzt wird, wohingegen die Autodafe's, welche jungitalienische oder sonstige fortschritttliche Studenten mit päpstlichen Encykliken veranstaltet haben, vom Zeitgeist huldvoll als Opferduft entgegengenommen wurden; Raabe 1895 W. XVII 388 einen Zuschauer und Teilnehmer der nur durch seine Ruhe abgehalten wurde, . . mit beiden Händen dreinzugreifen und dem

Autodidakt Autodafe Einhalt zu tun (SCHEID); zur Megede 1911 Quitt 151 bange vor einem gesellschaftlichen Autodafe; Lettenbaur 1927 Morgen 315 Man konnte das Dokument verschwinden lassen, aber nicht die Register vernichten, die es aufwiesen. Sonst hätte man sie alle dem Autodafe überweisen müssen, und vor solcher Urkundenschändung scheute der alte preußische Beamtengeist zurück; Lokal-Anz. 31.8.1933 Und damit dieses „Autodafe" [Verbrennung von Sofas, Matratzen] noch einen besonderen Zweck erfülle, wird die Verbrennung gleich mit einem Schulungskurs zum Feuerlöschen verbunden; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1073) am ersten Jahrestag des Autodafes, dem 10. Mai 1934, wurde diese eröffnet und ist natürlich seitdem, samt ihrem ganzen Anti-Nazi-Archiv, ein Opfer der Gestapo geworden; 1945 Freundesg. f. Korrodi 30 f. Nie hätten wir uns als junge Leute träumen lassen, daß der deutsche Geist ein Jahrzwölft mundtot gemacht würde, . . daß ihm ein Autodafe nahe bevorstehe, noch daß, was der Furor teutonicus übrigließe, in Bibliotheken und Lagerhäusern durch Feuer . . zerstört würde; G. Hauptmann vor 1946 Ges. Dramen IV 360 [sie veranstaltete] ein großes Autodafe, in dessen Flam-

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men sie alle Photographien, alle Briefe . . opferte; Ceram 1949 Götter 389 Don Juan . . vernichtete in einem gigantischen Autodafe jedes erreichbare Schriftstück; Süddtsch. Ztg. 1.4.1954 Der Filmproduzent wollte seinen unheilvollen Streifen [Film] . . vorführen, um das Originalnegativ dann feierlich zu verbrennen. . . Dieses merkwürdige Autodafe ist inzwischen aus unbekannten Gründen verschoben worden; Welt 20.5. 1959 das Autodafe von Utrillo-Fälschungen soll durch das Fernsehen übertragen werden; Zuckmayer 1959 Fastnachtsbeichte 143 Ein Autodafe ist noch keine Tugend, eine Selbstzerstörung noch lang keine Entsühnung; Zorn 1980 Mars 95 meist hatte ich schon kurze Zeit nach dem Autodafe wieder Inspiration für etwas Neues; Zeit 5.4.1985 zuletzt . . ließ er den . . Anführer der aufgeklärten Republikanischen Bruderschaft . . öffentlich hängen . . und seine Bücher in einem Autodafe verbrennen; Domin 1986 Paradies 188 „Nur eine Kerze", sagte sie, „damit Sie meine Briefe verbrennen." . . Es gab keine andere Bestimmung für diese Kerze, klein wie sie war für ein solches Autodafe; Zimmer 1986 Redens Arten 138 Am Ende: die Selbstzerfleischung, die große Liquidierung der elitären, der uneffektiven, der ästhetizistischen Kunst, das Autodafe.

Autodidakt M. (-en; -en), im späten 17. Jh. aufgekommene subst. Bildung zu gleichbed. griech. (aus 'selbst' (—> auto) und 'gelehrt, gebildet', zu Mehren, unterrichten'; —> Didaktik), bis ins 19. Jh. auch in der griech. und in der latinisierten (flekt.) Form Autodidactos, Autodidactus. In der Bed. 'jmd., der sich sein Wissen, seine Kenntnisse selbst beigebracht hat, ein nicht professionell, sondern durch Eigenstudium oder Selbstunterricht (Aus-) Gebildeter', auch abwertend im Sinn von 'Dilettant, Amateur' (s. Beleg 1866); dazu seit spätem 18. Jh. die adj. Ableitung autodidaktisch 'das Eigenstudium betreffend, durch Selbstunterricht erworben, auf die Selbstlehre bezogen', häufiger in dem Syntagma auf autodidaktischem Weg, gelegentlich abwertend im Sinn von 'dilettantisch, amateurhaft' (s. Belege 1776, 1878, 1950), auch auf Schriften bezogen; seit früherem 19. Jh. die seltene subst. Ableitung Autodidaktik E (-; -en) 'Lehre vom Selbstlernen' sowie seit Mitte 19. Jh. die subst. Ableitung Autodidaktentum N. (-s; ohne Pl.) 'das Vorhandensein, das Wesen des Selbstlernens, Eigenstudiums'. Autodidakt: Thomasius 1688 Monats-Gespräche 353 weil . . man nicht geringe Mühe anwenden muß/ wenn man seine eigendliche Meynung/ oder den Hauptgrund derselben recht hervor suchen wil/ indem er solche manchmal an einen Ort versteckt/ da sie ein ieder nicht suchen solte. Und scheinet also/ daß er ein wenig ein autodidactus müsse gewesen seyn; 1693 Wohlgemeyntes Bedenken 35 Darneben werden solche Kerls gemeiniglich eigensinnige und eigenthätige Avtodidacti, welche hernachmals sich nimmer weisen noch berichten

lassen; 1704 Auserlesene Anm. l 312 Auch weil er seine Künste nicht von Meistern/ sondern von sich selbst gelernet/ ist er an alle ihr Werckzeug/ so wenig gebunden/ als ein Selbstgelehrter/ (autodidactus) an die Bücher; Sperander 1727 A la mod Sprach 60 Autodidactos, heist ein solcher, der seine erlangte Wissenschaft und Studia, ohne jemands Beyhülffe und Unterweisung von sich selbst erlernet hat; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien 10,294) da er ein Autodidactus und nicht von ändern gesalbten erleuchteten Lehrern

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Autodidakt

unterrichtet worden ist; Zincke 1752 Camer. Eibl. IV 1007 Ich will . . nicht darauf dringen, daß kein einziger Avtodidactus (Selbstgelehrter) zu finden sey, der nicht wenigstens einigen schriftlichen und sinnlichen Unterricht nöthig gehabt und gebraucht hätte; 1755 Leipziger Samml. XI 1001 als ein Selbstgelehrter (avtodidactus) durch Bücher und eigenen Fleiss unterrichtet; Michaelis 1763 Räsonnement I 94 dis grössere Genie ist nicht die einzige Eigenschaft, die ein Autodidactus haben muß: er braucht auch entweder sehr viel Geduld und Fleiß, oder sehr viel Eifer, um den schweren und verdrieslichen Anfang der Wissenschaften, gerade so viel als auf Universitäten gelehrt wird, ohne die Erleichterung eines mündlichen Vortrages, blos aus Büchern zu fassen und zu behalten; Springer 1769 Raisonnement 145 Gedult und Fleiß ist auch allerdings das Erbtheil eines jeden Autodidactus; Flöget 1770 (Br. Gelehrter a. Klotz I 158) [Neugebauer] ist niemals in eine Schule kommen, sondern war in dieser Absicht ein Avtodidactus; Hamann 1781 Br. IV 279 Nach seiner Claßification der Schrifststeller sollte man ihn für einen layen oder Avtodidacten oder Idioten halten; Hermes 1787 Für Töchter U 131 Autodidakt . . Ein Mensch, welcher ohne Anweisung etwas erlernt hat; Novalis vor 1797 W., Br., Dokumente III 456 Ein Autodidaktos hat . . den großen Vorteil, daß jede neue Idee, die er sich zu eigen macht, sogleich in die Gemeinschaft seiner Kenntnisse und Ideen tritt; Humboldt 1789 Tagebücher (XIV 176) sein bild, . . von einem bauernknaben in oel gemahlt, der nie eigentliche anleitung gehabt hat. Von solchen autodidactis scheint die Schweiz mehr als irgend ein andres land zu haben; Goethe 1793 Br. (WA IV 10,121) hiervon will ich, was mir bekannt ist, zusammen schreiben und vorlegen, mit der Bitte die Specimina eines Liebhabers und Autodidacten freundlich aufzunehmen; Kant 1798 Anthropologie 135 Die blossen Naturalisten des Kopfs (. . Autodidacti) können in manchen Fällen auch für Genies gelten; Engelhard 1840 Naturschild. 60 mit den theoretischen Kenntnissen bei diesem Autodidactos; Szarvady 1852 Paris I 242 Proudhon begann als Autodidact und schrieb wie Rousseau anonyme Preisabhandlungen; Niendorf 1854 Paris 283 der Volkspoet Autodidakt würden wir sagen; Keller 1854—55 Heinrich (S. W. XVII 36) Dies alles mußte umso größern Eindruck machen, wenn man bedachte, daß die guten Mädchen Autodidaktinnen waren und in Sachen des Putzes ganz allein und ratlos in der Welt dastanden; ebd. XIX 29 jener ängstliche Traum aller Autodidakten, welche sich im Mannesalter, ja mit grauen Haaren in die Schulstube versetzt sehen, mitten unter ein Geschlecht mutwilliger Knaben; Goltz 1865 Jugendleben 111 79 der starkwillige, auf einen Punkt hinarbeitende Auto-

didaktenverstand; Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 148 Die Menschen verharren ewig auf dem Standpunkt des Autodidakten, der, mit grosser Anstrengung und mächtigem Selbstbewusstsein, längst Gefundenes und längst Überwundenes noch einmal findet und als neueste Weisheit an sein Herz drückt; Wallner 1874 Land 296 Raimund als Autodidakt; Hillebrand 1882 Zeitgenossen J07obschon Autodidakt in Allem was nicht Gegenstand des ersten Jugendunterrichts ist, wird er bald ein Meister in jedem Fache; Fontäne 1897 Stechlin 25 Autodidakten übertreiben immer; Peters 1904 England 190 Unser Gymnasial- und Universitätswesen . . ist . . eine Frucht des 19. Jahrhunderts, während auch bei uns im 18. dem Selbstlernen des Autodidakten mehr überlassen blieb, als im gegenwärtigen Deutschland; Ford 1926 Leben (Übers.) Vorr. VII der self-made-man, der Autodidakt; 1928 Querschnitt 335 Während die meisten Schriftsteller vom Buch zur Tat übergehen, kommt Gorki von der Tat zum Buche . . Dieser Autodidakt hat im Buche seine Erlösung gefunden; Döblin 1929 Alexanderplatz 380 Ick bin Autodidakt, wat ich gelernt hab, hab ich von mir, alles ausm Gefängnis; Lokal-Anz. 8.8.1933 Er hatte sich seine eigene medizinische Wissenschaft zurechtgelegt — Autodidakt auch auf diesem Gebiet; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Ist es Zufall, daß sich gerade unter den Künstlern eine verhältnismäßig hohe Anzahl von Autodidakten befindet?; 1948 Geopolitik 2 Friedrich Ratzels Autodidaktenvorliebe für griechische Wortungetüme; Guggenheim 1961 Heimat 9 Jeder Schriftsteller ist Autodidakt; MM 14.1.1985 Disler ist Autodidakt . ., ein Künstler, der ohne Titel spontan zu Papier bringt, was ihn berührt und anspricht; Zeit 7.11.1986 der literarische Autodidakt . . hat alle seine Romane und Erzählungen . . mit „einer mächtigen Pranke" geschrieben; ebd. 1.5.1987 Andere Sportler greifen trotz dieses Kompetenzgefälles zu Selbsthilfe, wenn ihnen der Arzt keine Anabolika verschreibt, und werden pharmazeutisch-chemisch-medizinische Autodidak-ten; Wuketits 1987 Darwin 58 den naturwissenschaftlichen Kenntnissen, die er bis dahin als Autodidakt erworben hatte. Autodidaktentum: 1855 Br. a. Franz Liszt II 43 Für meine spätere Entwickelung hat diese unerquickliche Periode desshalb Bedeutung, da sie mich ausschliesslich auf Selbsthülfe verwies und meine angeborne Neigung zum Autodidaktenthum sehr verstärken half; Gottschall 1885 Totenkl. 235 Autodidaktenthum; Holz 1913 Ignorabimus 150 Trotz deines schon seit jeher immer höchst eigenmächtigen Autodidaktentums; 1925 Geschichtswissenschaft l 91 Autodidaktentum; Bäumer 1931 Frau 47 Autodidaktentum; Welt 4.7.1964 die wirklich

autogen Bildungsfreudigen auf die Sandbänke unfruchtbaren Autodidaktentums zu verweisen. Autodidaktik: Krimer 1833 Erinn. II 111 Autodidaktik; Noe 1865 Bayerisches Seebuch 439 Autodidaktik des Lebens; 1906 Z. f. i/g/. Literaturgesch. XVI 60 dass die Chinesen . . den unleugbaren Ruhm der Autodidaktik mit einer gewissen Stagnation des geistigen Lebens bezahlt haben. autodidaktisch: Michaelis 1776 Räsonnement IV 711 blosse autodidaktische Bücherstudierwerke; 1787 Journal v. u. f. Deutschland II 289 Natürlich müssen gedruckte autodidaktische Anweisungen zum Hebräischen . . den mündlichen Unterricht in dieser Sprache ersetzen; Goethe 1822 Br. (WA IV 36,233) wie er sich aus dem Abgrund des Pfaffenthums durch eigene Kräfte herausgehoben, sich autodidaktisch entwickelt und gebildet; Menzel 1846 Br. 95 wo jeder sich alles praktische Erfahrungswissen autodidaktisch unter unsäglicher Selbstqual hat erwerben müssen; Goltz 1852 Jugendleben II 253 Jedenfalls müßte ein vergleichendes . . Studium . . der auf naturalistischem und autodidaktischem Wege aberwitzig geworde-

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nen Praktikanten und Dilettanten das . . pikanteste Stück der . . Menschheitsgeschichte sein; Gutzkow 1878 Schwulst 91 Gedankenlosigkeit eines autodidaktischen Nachschreibers; Welti 1896 Br. II 66 In meinem autodidaktischen Lehrgange [als Maler]; 1909 Mitt. G Erz'gesch. XIX 148 Autodidaktische Anstalt; Bahr 1925 Liebe l 164 geistig autochthonisch, autodidaktisch zu sein; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 413) Was ich an Bildung besitze, vermochte ich mir nur auf freiem und autodidaktischem Wege zu erwerben und nahm vom amtlichen Unterricht fast nichts an als das Elementarste; Heuschele 1950 Dank 103 keine systematische, sondern nur eine zufällige, autodidaktische Bildung; Th. Mann 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 846) [er] versuchte sich autodidaktisch auf der Geige; Süddtsch. Ztg. 13.5.1957 Realismus, Impressionismus und Expressionismus stürzten mitund übereinander aus der fiebrigen Feder des autodidaktischen Genies in Lumpen; MM 23. 9.1985 der . . Sohn eines wohlhabenden .. Kaufmanns, der sich .. entschloß, auf autodidaktischem Wege vom gelernten Apotheker zur Malerei überzuwechseln; ebd. 4. 7.1987 daß er . . sein Handwerk nicht auf einer Jazzakademie, sondern autodidaktisch . . auf der Straße gelernt hat.

autogen Adj., Ende 19. vereinzelt (vgl. 1), seit Anfang 20. Jh. kontinuierlich nachgewiesen, zurückgehend auf griech. 'aus sich selbst geworden, entstanden, seinen Ursprung in sich selbst habend' (aus (—*· auto-) und 'Abstammung, Geschlecht, Herkunft, Ursprung'; —·· Genus). 1 Anfangs vereinzelt belegt und bis ins frühere 20. Jh. (1933 bei Genius) gebucht als Nebenform von dem bis heute nachgewiesenen, aus gleichbed. griech. 3 'an Ort und Stelle geboren, entstanden' entlehnten Adj. authigen, Fachausdruck der Geologie und Mineralogie für 'am Entstehungsort befindlich', in bezug auf Gesteine, Minerale (—> autochthon; Ggs. allogen, allothigen). 2 Seit Anfang 20. Jh. in der Bed. 'selbst, aus eigener Kraft erzeugend/erzeugt, hervorbringend/hervorgebracht, von selbst entstanden; seinen Ursprung in sich selbst habend, ursprünglich', meist fachspr. verwendet in unterschiedlichen Bereichen: a Zunächst in der (Schweiß-)Technik in der Bed. 'selbsttätig; unmittelbar' in Syntagmen wie aus engl. autogeneous soldering (eigentlich 'autogenes Löten') lehnübersetztem autogenes Schweißen, Schneiden, Brennen, autogene Metallbearbeitung bzw. Zss. wie Autogenschweißung, bezogen auf die unmittelbare Verschmelzung zweier Werkstoffe durch eine Stichflamme ohne zusätzliches Bindematerial oder mechanische Einwirkung von außen. b Seit den 20/30er Jahren in der Psychoanalyse (J. H. Schultz) in der Bed. 'aus eigenen Kräften, von innen heraus', vor allem in der Fügung autogenes Training 'aus der eigenen Psyche, dem eigenen Bewußtsein heraus, ohne hypnotische Fremdeinwirkung vorgenommene Konzentrationsübung zur Schmerzregulierung und Beeinflussung von Körperfunktionen; Selbstentspannung' (vgl. autosuggestiv, —>· Auto-

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autogen

suggestion, und autohypnotisch, —»· aut(o)-), in der Medizin auch gebucht für 'aus dem Körper entstanden, nicht von außen eingebracht'. c Gelegentlich allgemeiner verwendet im Sinne von 'seine Ursachen in sich selbst tragend, von selbst entstanden; nicht beeinflußt'. autogen 1: 1893 Meyer Enz. II 250 Authigen (Autogen . .) heißen Gesteine . . welche an Ort und Stelle, wo sie sich finden, entstanden sind, im Gegensatz zu den allothigenen oder allogenen, welche sich nicht an ihren jetzigen Fundorten gebildet haben. autogen 2a: Zeit (Wien) 30.8.1907 Autogene Schweißung mittelst Wasserstoff oder Azetylen (Überschr.) Die hydroxygene Selbstschweißung ist eine der wertvollsten neueren Arbeitsmethoden; Bechhold 1919 Handlex. I 123 autogenes Schneiden Verfahren, um Metalle, bes. Eisen, durch Erzeugung lokaler hoher Temperaturen zu zerschneiden. Die Schnittstelle wird zuerst vorgewärmt u. ähnlich wie beim autogenen Schweißen mit e. Stichflamme durchschmolzen, autogenes Schweißen Vereinigung von Metallen durch starkes Erhitzen durch die Stichflamme e. Gasgemisches; 1933—34 Verd.techn. Frw. o. S. autogene Schweißung Gasschweißung; Berl. Illustr. Nachtausg. 6.1.1933 Nun rückten Taucher mit autogenen Schneideapparaten an; Sauerbrei/Köhler 1938 Anschauungsblätter der Autogentechnik (Titel); Münch. N.N. 1.12.1939 Trotzdem ist das Berufserziehungswerk in der Lage, auf den Gebieten des Autogen-Schweißens, Elektro-Schweißens Umschulungslehrgänge durchzuführen; 1952 Brockhaus I 545 autogenes Schneiden . . autogenes Schweißen; Reitze 1956 Fachkunde des Autogenschweißens (Titel); Welt 22.2.1949 Spezialfabrik für Autogen-, Elektro-Schweißgeräte u. Schweißelektroden (Anzeige); ND 27.6.1954 Schweißmaschinen und Einrichtungen der Lichtbogen- und Widerstandsschweißung . . autogene Schweißanlagen mit allem Zubehör . . Maschinen für das Brennschneiden und das Metallspritzen; ebd. 17.4. 1959 Werkstoffkenntnisse in Stahl, Eisen und Buntmetallen, Kenntnisse im autogenen und Lichtbogenschweißen (Anzeige); Münch. Stadtanz. 7.4. 1961 Vertrieb von Autogen-, Schweiß-, Schneidund Löschgeräten; 1971 Meyer Enz. Ill 196 autogene Metallbearbeitung, Schweißen (Gasschweißen) und . . Brennschneiden mit Brenngas-Sauerstoff-Flamme; ebd. autogenes Trennen . . Brennschneiden. autogen 2b: Schultz 1932 Das autogene Training (Konzentrative Selbstentspannung) (Titel); Süddtsch. Ztg. 2.10.1950 der Psychotherapeut riet zu autogenem Training; 1952 Brockhaus I 545 autogenes Training, von dem Berliner Nervenarzt J. H.

Schultz eingeführte Methode der . . Psychotherapie. Seinem Wesen nach ist das a. T. eine Selbsthypnose, die durch konzentrative Entspannung erzielt wird; Süddtsch. Ztg. 13.5.1952 Der Schöpfer des autogenen Trainings . . J. H. Schultz, Berlin; Stuttgarter Ztg. 6.3.1959 Das von Professor Schultz selbst ausgearbeitete, seit 1920 bekannte autogene Training erlaubt erhöhte Selbstverfügung, z. B. über die Blutgefäße; Offenburger Tagebl. 13.3.1962 Heilung durch autogenes Training (Überschr.) Der Bezirksleiter des Kneipp-Verbandes . . sprach über das autogene Training des Berliner Arztes Prof. Dr. J. H. Schultz. Mit dieser Methode können vom Bewußtsein her fehlgesteuerte Körperfunktionen beeinflußt werden . . Das autogene Training will nun durch systematische Bewußtseins-"Gymnastik" diese schädlichen Eingriffe der Großhirnrinde . . unterbinden und durch heilsame Beeinflussung vom Bewußtsein her ersetzen; Zeit 2. 8.1985 Er kann den Schleim durch tiefe Zwerchfell-, Bauch- und Flankenatmung selbständig heraufholen und abhusten . . Das Rehabilitationszentrum Satteldüne auf Amrum, das die autogene Technik vermittelt, platzt schon 18 Monate nach seiner Gründung aus allen Nähten . . Die neue Methode der autogenen Atem-Drainage hat ihn von der häuslichen Fessel erlöst: dreimal täglich mußte er auf dem Schrägbett liegend von seinen Eltern abgeklopft werden. Heute braucht sich Richard nicht mehr wie ein Teppichvorleger ausklopfen zu lassen; MM 10.2.1986 körperlicher Bewegung und Entspannungsübungen etwa durch autogenes Training, Meditation oder Biofeedback; ebd. 10.10.1986 Bei älteren Kindern bewährt sich die sogenannte autogene Drainage: Atemtechnik, die Lockerung und Verlagerung des Schleims bewirkt. Sie erfordert allerdings starke Konzentration; Zeit 31.10.1986 Mitunter aber geht es auch ganz ohne. Von selbst, oder durch sanfte Therapien wie autogenes Training, Massage, Akupunktur oder Yoga . . Wer sich darauf einläßt, daß der Kopf nicht immer steuern kann, sondern sich auch mal vom Körper steuern läßt der kann auch den Schmerz als ganzheitliche Reaktion verstehen und überwinden. autogen 2c: de Man 1951 Vermassung 185 Der autogene Krieg bedeutet den Krieg in Permanenz . . weshalb der Krieg auch darin autogen ist, daß schon der Eintritt in die Phase des Wettrüstens ihn unvermeidlich macht . . der autogene Charakter des Krieges als Erzeugnis der Angst.

Autogramm

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Autogramm N. (-(e)s; -e), gelehrte Neubildung des sp teren 19. Jhs. aus —» Auto-, auto- (< griech. αυτός 'selbst, eigen') und -gramm (zur ckgehend auf γράμμα 'das Geschriebene; der Buchstabe', zu γράφειν 'einritzen, zeichnen, schreiben', eigentlich also 'Selbstgeschriebenes'; —> Autograph). In der Bed. 'eigenh ndiger Namenszug einer bekannten Pers nlichkeit, Unterschrift', z. B. jmdn. um ein Autogramm bitten, h ufig als Grundwort in Zss. wie Autogrammsammler, -J ger 'leidenschaftlicher Sammler von Autogrammen', Autogrammadresse 'Adresse, unter der das Autogramm einer bekannten Pers nlichkeit zu erhalten ist', Autogrammstunde 'f r die Anh nger/Verehrer einer bekannten Pers nlichkeit eingerichteter Zeit- und Treffpunkt, Termin, an dem diese Autogramme vergibt'. Dazu im fr heren 20. Jh. die scherzhafte subst. Gelegenheitsableitung Autogrammatiker M. (-s; -) 'Autogrammsammler'. Autogramm: Raabe 1867-69 S. W. Ill 1,240 ein ihm ganz interessantes Autogramm; Fulda 1878 D rer 76 Einen ganzen Vormittag mu te er damit zubringen, die Albums zahlreicher Damen mit Skizzen oder wenigstens mit Autogrammen zu versehen; Hauptmann 1890 Ausgew. Dramen l 270 Er buchstabiert: „Ernst Haeckel. Autogramm sogar! . ."; Du Bois-Reymond 1892 Reden II 483 um deren Stil Friedrich's Stil hnlicher zu machen und dadurch ihren Wert auf dem Autogrammenmarkte zu erh hen; Kraus 1899 (Fackel III 28) Zugleich bezeichneten sie den schon lauernden Autogrammj gern das Gasthauslocal, in welches sich Perosi .. aus dem Impresariol rm mittags zu fl chten liebte; Modersohn-Becker 1900 Br. 110 Als er einmal an mein Pf rtlein klopfte, war ich leider nicht zu Hause, sondern fand nur sein Autogramm; Th. Mann 1907 Reden u. Aufs. (W. XI 332) Leutnants und junge Damen bitten mich in den ehrerbietigsten Worten um mein Autogramm; Bahr 1923 Selbstbildnis 139 Er wollte nichts von ihm, die Zeit war noch von der Unsitte der Autogramme verschont; Berl. Illustr. Nachtausg. 9.5.1932 Als Autogrammsammler wollten sie an der T r der Villa klingeln; Lokal-Anz. 8.8.1934 Aus ihrer gro-

en Autogrammsammlung hat die Bank f r ihre Gefolgschaft eine Erinnerungsschau zusammengestellt; M.-A. Abendztg. 30.12.1943 „Nun gib schnell das Bild her, du wolltest doch ein Autogramm."; Welt 6.10.1954 kein Freundeskreis applaudiert ihm, keine M dchen dr ngen sich um Autogramme, keine Zeitung schreibt Lobges nge; Grass 1962 Blechtrommel 466 wie am Hauptbahnhof warteten auch vor dem Hochhaus die l stigen Autogrammj ger; Welt 2.3.1964 wir schrieben heimlich an ihn, baten um Bild und Autogramm und erhielten eine Postkarte von ihm in der Phantasieuniform des Danilo, nebst Unterschrift; Spiegel 25.7.1994 Obschon der Rathauskeller einer Sauna gleicht, schreibt er unentwegt Autogramme, w hrend ihm der Schwei von der Nasenspitze in die frischen Schriftz ge tropft; ebd. 29.8.1994 ich mu die Presse befriedigen, ich mu Autogramme geben, wenn die Leute das wollen. Autogrammatiker: Berl. Illustr. Nachtausg. 2.1. 1933 So ist er in der Filmkantine Kellner, im Boudoir des Vamp Autogrammatiker, dem statt eines Autogramms gleich die ganze Dame zuf llt.

Autograph N. (-(e)s; -e(n), im sp ten 16. Jh. ber sp tlat. autographum 'Selbstgeschriebenes' entlehnt aus gleichbed. griech. αύτόγραφον (subst. N. zu αυτόγραφος 'eigenh ndig geschrieben', aus αυτός 'selbst, eigen' (—>· auto-) und γράμμα 'geschrieben', zu γράφειν 'einritzen, zeichnen, schreiben'; —» Autogramm), bis ins 19. Jh. berwiegend in lat. (flekt.) Form mit Pl. Autographa, gelegentlich auch in der griech. Form. a Zun chst in der Bed. 'Urschrift, Original' (z. B. von einem Vertrag, im Ggs. zu —> Kopie), auch 'handschriftliche Verlautbarung, handgeschriebene Aktenst cke, Memoiren, Gesandtschaftsberichte, Briefe, Urkunden' (—> Manuskript; s. Belege 1689, 1712), seit Mitte 18. Jh. unter Verlagerung vom wissenschaftlichen auf den psychologischen Aspekt (—»Graphologie) bes. f r 'eigenh ndiges Schriftst ck, Handschrift einer bekannten Pers nlichkeit', z. B. von Gelehrten, Schriftstellern,

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Autograph

Dichtern (s. Belege 1799, 1809); daneben als Bezeichnung für die ersten Drucke aus der Anfangszeit der Buchdruckerkunst in der Bed. 'Urdruck, erster (vom Verfasser selbst herausgegebener oder beaufsichtigter) Druck eines Werkes' (s. Beleg 1782); in neuerer Zeit auch 'eigenhändig signierter maschinenschriftlicher Text, der auf eine schriftliche Vorlage des Autors oder sein Diktat zurückzuführen ist'. Die bereits in der Antike vorhandene Beschäftigung mit handgeschriebenen historischen Schriftstücken aus wissenschaftlichem Interesse führte seit Ende 16. Jh. zunächst in Frankreich, dann in England und seit der zweiten Hälfte des 18. Jhs. in Deutschland zum Anlegen von Autographensammlungen durch private Sammler oder öffentliche Bibliotheken, wobei die Echtheit der Handschrift mehr im Vordergrund stand als deren Inhalt; seit Anfang des 19. Jhs. wurden Autographe(n) auch Gegenstand des Antiquar- und Kunsthandels, z. B. auf einer Autographenversteigerung, bei der das Interesse am Verfasser, die Seltenheit des Schriftstückes sowie dessen Inhalt und Umfang den Wert (und den in Autographenkatalogen verzeichneten Preis) bestimmen. b Seit früherem 19. Jh. auch als M. Autograph (-en; -en) als Bezeichnung für einen Apparat zur Vervielfältigung eines mit lithographischer Tinte geschriebenen Originals durch Umdruck auf eine Steinplatte (sog. Flachdruckverfahren), daneben in der Bed. 'Selbstschreiber' auch gebucht für ein selbstschreibendes Registriergerät (z. B. für meteorologische Beobachtungen). Dazu seit Anfang 19. Jh. die adj. Ableitung autograph(isch) 'mit eigener Hand geschrieben, eigenschriftlich, eigenhändig' (zu a); seit früherem 19. Jh. in der Bed. 'durch Umdruck vervielfältigt; die Autographic betreffend, auf ihr beruhend, mit ihrer Hilfe' (zu b). Seit frühem 19. Jh. die subst. Ableitung Autographic F. (-; -n) als Bezeichnung für ein veraltetes lithographisches Verfahren zur Vervielfältigung handschriftlicher Vorlagen, auch Autolithographie genannt, mit der im späteren 19. Jh. nachgewiesenen gleichbed. Gelegenheitsbildung Autographierung (zu b). Seit Mitte 19. Jh. die verbale Ableitung autographieren V. intrans. 'eigenhändig schreiben' (zu a) und 'mittels Autographic anfertigen, vervielfältigen' (zu b). Dazu die im 19./20. Jh. selten belegten neoklassischen Kombinationen Autographomanie 'Autographensucht, Handschriftensammelwut' (—» Manie) und (zu griech. 'Liebe' gebildetes Subst.) Autographilie 'Liebhaberei für alte (Original-)Manuskripte' (zu a). Autograph a: Golius 1579 Onomasticon 118 Autographum, eigene handgeschrifft; Helber 1593 Syllabierbüchlein 29 Au-to-gra-phon; 1683 (Clemen, Beitr. Ref. gesch. H 100) Hutteni will ich selbsten abholen; Tentzel 1689 Unterredungen 16 aus einem Briefe des Pauli Eberi, dessen autographum ich in Händen gehabt; 7704 Auserlesene Anm. l 12 Autographo wenn wir den Inhalt des Werckes an sich selbst erwegen/ und des Londorpii exemplar mit dem Autographo des Auctoris collationiren; Marperger 1712 Naturlex. 150 Autographum, das Original von einem Contract oder Obligation; Gottsched 1725 Sprachkunst 566 Er [Luther] hat sich in seiner Schreibart, von 1517 an, bis an seinen Tod 1546 sehr merklich gebessert: wie

ich aus etlichen 100 Autographis von allen diesen Jahren, die ich in Händen habe, erweisen kann (REICHEL); Hauschild 1771 Bauern 16 aus dem Autographo eindrucken; Lessing 1779 S. Sehr. XVIII 320 Sie müssen mir den Gefallen thun, und beyliegende zwey Bogen, welche das Fragment vom Durchgange etc. enthalten,. . mit dem Authographo vergleichen; Semler 1781 Lebensbeschr. l 92 viele sogenannte Autographa, von dem Jahr 1500 an; ders. 1782 Lebensbeschr. II 190 ein Liebhaber von sogenanten Autographis, oder von den ältesten ersten Ausgaben solcher Schriften .., die in die ersten 30 bis 40 Jahre dieses 16. Jahrhunderts gehören; Jean Paul 1799 S. W. I 8,269 Bibliotheken von Werth glänzen gern durch Autographa

Autograph oder eigne Handschriften großer Männer; Schleiermacher 1799 Religion (IV 33) die Urkunden und die Autographs der Religion; Rötger 1809 briefl. (Schütz, Leben U 403) von meiner Spielerei mit autographis gelehrter Männer; Wieland vor 1813 S. W. XL 120 Wo entweder das wahre Autografon dieser Werke oder wenigstens eine davon genommene Abschrift befindlich war (KEHREIN); Niendorf 1854 Paris 247 Autographon von Ludwig XIV.; Strauss 1856 Papierreisende 12 in der That waren es höchst schätzbare Autographen — Testimonien, wollte ich sagen, eigenhändig von Kant, Lenz, Goethe, . . von fast allen Grossen unserer Literatur; Plönnies 1869 Leben Knopfs 49 eine interessante militärische Autographensammlung von Wechseln; Fontäne 1871 Kriegsgef. 198 Autographen-Album; Nordau 1881 Paris l 231 schließlich wurde auch das Dankschreiben der Prinzessin an einen Autographenliebhaber verhandelt; Rieht 1888 Lebensrätsel 127 Ein bekannter Autographenhändler gesellte sich zu ihm und klagte, daß er schon mehrmals Herrn Hilmer vergebens um „einige Zeilen von seiner Hand" gebeten; 1894 Dtsch. Dichtung XVI 151 Während der Autographen-Bettel immer tiefer in Misskredit gerät — . . wächst die Zahl der ernsthaften Sammler; Haarhaus um 1900 Blattschüsse I 63 als Autographensammler verstehn Sie sich auch darauf, Handschriften zu entziffern; Holz 1909 Br. 181 Für alle Fälle lege ich eine Anzahl mit meinem kompromittierenden Autograph versehene Zettel bei; Neue Ztg. 3.3.1949 Die Autographenjäger haben goldene Zeiten im heutigen Rom; Stuttgarter Ztg. 13.11.1961 In dieses Verzeichnis sollen alle bekannten und zu irgendeiner Zeit einmal im Autographenhandel erschienenen Handschriften großer Dichter, Künstler, Staatsmänner und Wissenschaftler sowie alle Werke, die je über Autographen geschrieben worden sind, aufgenommen werden; Welt 23.5.1964 Bücher, Stiche, Autographen, alte Städteansichten und Landkarten kauft Antiquar A. Hase (Anzeige); ebd. 1.10.1969 wie aus der Übersicht der Marburger Autographenhandlung J. A. Stargardt hervorgeht, werden in der Auktion wiederum weit über 1000 Manuskripte, Briefe und Notenblätter großer Europäer aus sieben Jahrhunderten versteigert; ND 1.6.1974 in unserem Hause befinden sich aus seiner Berliner Wohnung stammende Möbel, Bilder und Romanautographe; Hildesheimer 1977 Mozart 86 Betrachten wir diesen Brief im Autograph, so haben wir hier ein kalligraphisches Schmuckstück vor uns; Zeit 27.9.1985 Ausstellung . . in der Staatsgalerie mit Autographen und Drucken, Instrumenten und Monographien; MM 14.8.1987 es könnten noch wichtige Korrespondenzen aus privater Hand auf dem Autographenmarkt auftauchen; ebd. 19.2.1988

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Fotografien, Bücher, Autographen, Flugschriften, Plakate und Bilder geflüchteter Künstler wurden hier zusammengetragen; Süddtsch. Ztg. 21.10. 1993 Eine sehr reizvolle Auswahl von literarischen Autographen wird am 29. Oktober bei dem Wiener Antiquar Hassfurther aufgerufen; Spiegel 18. 4.1994 Später stellte sich heraus, daß nicht nur wertvolle Autographe . . gerettet worden waren. autograph: nach 1827 Magazin d. Ausld. XXXVIII 777 Ein altes Exemplar, das der Käufer für autograph hielt (SANDERS 1871); Schliemann 1882 Br. 213 Wäre es Ihnen denn nicht möglich, irgendwie zu vermitteln, daß Se. Majestät der Kaiser einen autographen Brief an den Sultan richtete. autographieren: Hess 1848 Briefw. 186 er wird sich von selber schon Dir nach seiner üblichen Manier brieflich und autographiert antragen. autographisch: Arnold 1802 Erfurt 345 der autographische Name des Besitzers; Zarncke 1872 Kl. Sehr. U 336 alle Bilder doppelt werthvoll durch die beigefügten autographischen Namensunterschriften; 1899 Dtsch. Rundsch. C 185 In dem Kästchen befindet sich eine autographische Inschrift; Fischer 1922 Leben 21 sein autographisches Testament, das durch dieselbe Klarheit der Form und der Gedanken ausgezeichnet war, wie alle seine Schriftstücke. Autographomanie: 1836 Album d. Boudoirs 25 (Überschr.) Manien der Zeit. Die Autographomanie. Autograph b: Poppe 1837 Erfindungen 343 zur Schreibekunst gehörige, Maschinen, nämlich die Kopiermaschinen oder Abschreibemaschinen (Autographen, Polygraphen). Autographic: Bartsch 1821 Kupferstichkunde I 47 Die wichtigeste [Manier] derselben ist die Autographie; Poppe 1837 Erfindungen 383 In neuester Zeit suchte man besonders auch die Autographic oder das Verfahren zu vervollkommnen, eine Schrift oder Zeichnung sogleich von dem Papier auf den Stein überzutragen; 1884 Buch d. Erfindungen I 624 Auch die Kreide kann mit Vorteil zu Autographien Anwendung finden. autographieren: Heine 1851 Br. Ill 346 In Betreff meines Porträts mögen Sie immerhin das leichtfertige Wort . . nebst einer nicht allzuschlechten Namensunterschrift, autographiren lassen; Wagner - Liszt 1853 Briefw. I 294 Zu Weihnachten schicke ich Dir den Künstler-Chor, der jetzt in Partitur

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Autokratie

autographirt wird; 1865 (1902 Beschl sse schles. Landtag l 243a) Lizitationsprotokolle .. wegen Beistellung der Bespeisung und sonstiger Erfordernisse sind . . autographieren zu lassen; Keller 1886 Ges. W. V/// 49 Abz ge eines unordentlich autographierten Cirkulars; Freytag 1887 Erinn. 257 eine autographirte Correspondenz . ., welche unentgeltlich an Zeitungen und an Parteigenossen . . versandt werden sollte; Ostwald 1927 Lebenslinien 111 167 Eines Morgens fand jeder Mitarbeiter auf seinem Platz ein autographiertes Heft mit einem vollst ndigen Plan einer neuen, nach den gefundenen Grunds tzen gebildeten Sprache.

Autographierung: 1863 (1902 Beschl sse schles. Landtag l 214a) von der Drucklegung oder Autographierung des Antrages. autographisch: 1843 Junge Generation 12 Vor 3 Monaten gr ndete man im Verein zu Lausanne eine autographische Zeitung; Du Bois-Reymond 1892 Reden II 644 die autographische Methode der Kurvenzeichnung; Eoruttau 1898 Physiologie 75 Die Registrirung des Blutdruckes in den Arterien ist das erste Object autographischer Darstellung in der Physiologie gewesen.

Autokratie R (-; -n), Ende 18. Jh. entlehnt aus griech. αύτοκράτεια 'Alleinherrschaft' (aus αυτός "eigen, selbst' (—»· auto-) und -κρατια 'Herrschaft', zu κράτος 'Macht, St rke', zu κρατεΐν 'herrschen'). Bezeichnung f r eine (monarchische, c saristische oder diktatorische) Regierungsform, in der sich die unumschr nkte Staatsgewalt in der Hand eines Alleinherrschers befindet; daneben in der Philosophie (Kant) als Bezeichnung f r die Herrschaft der Vernunft ber die widerstrebenden Neigungen und die Sinnlichkeit im Sinne von 'Selbstbeherrschung, Eigenverantwortlichkeit' (s. Belege 1795, um 1826). Dazu bereits seit sp terem 18. Jh. die zu griech. αύτοκρατής 'selbstherrschend, eigenm chtig' gebildete Personenbezeichnung Autokrat M. (-en; -en) (vgl. auch gleichbed. frz. autocrate), bis Mitte 19. Jh. auch in der auf lat. autocrator, griech. αυτοκράτωρ zur ckgehenden Form Autokrator M. (-s; -en), schon als Titel der byzantinischen Kaiser und seit dem 15. Jh. der russischen Zaren in der Bed. 'Selbstherrscher, diktatorischer Alleinherrscher, der die unumschr nkte Staatsgewalt f r sich beansprucht, unbeschr nkt regiert', in neuerer Zeit selten bertragen gebraucht f r 'selbstherrlicher Mensch'. Dazu seit Ende 18. Jh. die adj. Ableitung autokrat(isch) (ohne Steigerung) in der Bed. 'die Autokratie betreffend, auf ihr beruhend, unumschr nkt (herrschend)', in Wendungen wie autokratischer Herrscher, autokratische Gewalt aus ben (vgl. auch absolutistisch , —> Absolutismus, —> autorit r, —> despotisch, —> totalit r, —» tyrannisch, vgl. zentralistisch, —> Zentralismus), auch 'selbstverantwortlich' (—> autonom), in neuerer Zeit gelegentlich bertragen gebraucht f r 'selbstherrlich'. Seit sp terem 19. Jh. (1870 bei Heyse) gebucht, seit Anfang 20. Jh. selten belegt die subst. Ableitung Autokratismus M. (-; ohne PL) 'Selbstherrlichkeit, Denk- und Handlungsweise des Alleinherrschers, Selbstherrschsucht' und im sp ten 19. Jh. vereinzeltes Autokratentum. Autokratie: Kant 1795 Z. ew. Frieden Vlll 352 wo n mlich entweder nur Einer, oder Einige unter sich verbunden, oder Alle zusammen, welche die b rgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschergewalt besitzen (Autokratie, Aristokratie und Demokratie); Goethe um 1826 Maximen u. Reflex. (WA / 42.2,152) Der Despotismus f rdert die Autokratie eines jeden, indem er von oben bis unten die Verantwortlichkeit dem Individuum zumuthet und

so den h chsten Grad von Th tigkeit hervorbringt; Krause 1828 System d. Philosophie 242 die Wesenheit der Freiheit besteht in der Selbstbestimmung oder Selbstmacht (der Autokratie), in der Selbstgesetzm igkeit (der Autonomie), und in dem Bestimmen nach allgemeinen Zweckbegriffen (der Idealit t); 1836 Jahrb. d. Gesch. 11 317 Autokratie und Demokratie; beide mit allen ihren, selbst den entferntesten Consequenzen; Immermann 1836 W.

Autokratie Vli 112 Auch wir hatten so ein römisches Reich an der Autokratie der Fürsten oder gewisser allgemeiner Begriffe; 1861 Staatswb. l 603 Die Ausdrücke Autokratie und Autokrat . . betonen vorzüglich die von ändern Menschen unabhängige, in sich selbst gegründete Autorität und die nicht an die Zustimmung und Mitwirkung Anderer gebundene Selbstregierung des Monarchen; Nürnberger 1877 Herzenssachen 163 In der Literatur hieß sie [die Subjectivität] Sturm und Drang, in der Theologie hieß sie Pietismus, in der Politik hieß sie Absolutismus, Autokratie; Katscher 1886 Nebelland 84 Die Autokratie der Regierungsform, der mechanische, reinmilitärische, blinde Gehorsam der Untergebenen gegen den Vorgesetzten; 1916 Deutschland l 459 Er war der Hauptverfechter des vom Zaren gebilligten offiziellen Nationalismus, dessen Dreigestirn „Autokratie", „Orthodoxie" und „russische Nationalität" bildeten; Rathenau 1917 Br. l 274 Der Krieg erscheint mir als die Weltrevolution gegen die Reste der Autokratie und des Feudalismus in Mittel- und Osteuropa; Ball 1919 Kritik 202 Die Marx'sche Doktrin . . enthüllt sich als die Ausflucht eines patriotischen Juden, der über die mit kontinentalen Ansprüchen auftretende Militärautokratie seines Landes hinwegtäuschen wollte; Hartmann 1926 Ethik 614 wo die Metaphysik des Telos die harmlose Maske blosser Naturtheorie fallen lässt und sich als tyrannische Autokratie zeigt; Winnig 1932 Weg 192 Den Vorteil sah ich in dem Verschwinden der Autokratie, den Nachteil in der danach kommenden Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte des ungeheuren Landes; Hellpach 1949 Pax 91 die Kluft . ., die zwischen „Demokratie" und „Autokratie" klafft; Th. Mann 1950 Reden u. Aufs. (W. X; 319) durch lange Jahrzehnte haben in dem ungeheuren Lande Autokratie und Revolution einen erbarmungslosen Kampf gegeneinander geführt; Kesten 1952 Casanova 31 Das Jahrhundert verstand darunter [„Philosoph"] einen skeptischen Oppositionellen gegen die Autokratie Gottes und der Könige; Zeit 7.6.1985 mitgerissene Massen indes bringen nur Chaos und Anarchie — das fürchtete einst die zaristische Autokratie; ebd. 4. 7.1986 für die meisten kommunistischen Länder ist der Begriff des Totalitarismus schlicht falsch und der der Autokratie zumindest ungenau. Autokrat: Lenz 1772-77 Vortr. (IV 210) die vielversprechende Miene . ., den zuversichtlichen Ton, den Autokratenblick; Chamisso 1809 W. V 223 Lass' einen starken Autokrat an die Spitze kommen; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti I 76 unbeschränkter Autokrat im Hause; Lacroix 1844 Geheimnisse f. Russland (Übers.) 2 i In Russland aber hemmt nichts den Willen des Herrschers; dieser ist das oberste Gesetz. Er ist der Autokrat, das heisst: er schöpft die Macht und das Recht zu regieren,

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nur aus sich selbst; Carus 1845 England u. Schottland l 134 Autokrat in jeder Bewegung!; Holland 1851 Reminiscenzen (Übers.) 92 und wäre Alexander wirklich und buchstäblich so mächtig gewesen, als sein Titel „Autokrat" voraussetzen lässt; Holtet 1860 Eselsfresser H 147 Die Bel-Etage hatte nur Madame inne; dort empfing sie, dort thronte sie als Autokratin; 1861 Staatswb. l 603 Der Autokrat steht dem Volke gegenüber als eine für sich bestehende höhere Macht; Rümelin 1882 Reden 111 70 Wenn im Staat ein einziger Mann alltäglich alles das Große und Kleine nach dem ersten Eindruck dessen, was er gehört und gelesen hat, entscheiden will, so kann es selbst bei großem Verstand und gutem Willen ohne zahlreiche Mißgriffe und Widersprüche, ohne Akte der Willkür und harten Unrechts gar nicht abgehen, wie bekannte Beispiele weit berühmterer Autokraten, Friedrichs des Großen, Josephs des Zweiten genügend beweisen; Heyse 1895 Ges. W. II 2,59 Er suchte nach einer Antwort, die seiner Überzeugung entspräche, ohne den alten Autokraten zu verletzen; Rathenau 1918 Br. H 97 für die Handlungen der Autokraten sind die Völker nicht verantwortlich; Bunsen 1914 Ruderboot 348 Autokrat in einer absolutistisch regierten Zeit, glaubte er [König] gewissenhaft für das ihm von Gott anvertraute Land zu sorgen; Ludwig 1922 Goethe l 9 die Autokraten des Katheders; Lerchenfeld 1935 Erinn. 331 Daß die systematische Verhetzung des russischen Volkes auf die Dauer friedenstörend wirken müßte, sah der Kaiser von seinem Autokratenstandpunkt aus nicht ein; Fallada 1937 Wolf 674 Strenger Herrscher in seinem Harem, völliger König und Autokrat, vertrug er [Gänserich] Widerspruch gar nicht; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. X 377; [er war] ein so eiserner wie pathologisch irritabler Autokrat, der niemanden neben sich duldete, alles allein tun wollte und seinem Volk die Erziehung zur Selbstregierung . . vorenthielt; Jaspers 1958 Atombombe 175 der Russe dagegen vereinigt gewissermaßen in seinem durch seinen Charakter verehrten Autokraten die ganze Macht des Staates; Zeit 25.1.1985 Rathenau mußte sich anhören, daß er von Harden in der „Zukunft" als Ehrgeizling bezeichnet wurde, ein Autokrat sei, der sich nicht um die Massen kümmere, die politischen Notwendigkeiten verkenne und seine Macht nur zur Vermehrung seines Ruhmes mißbrauche; Spiegel 30.11.1992 Sie [Hussein] bemühen sich seit einiger Zeit, Ihr Königreich in eine konstitutionelle Monarchie umzuwandeln. Macht das auch Eindruck auf die Autokraten um Sie herum? autokrat: 1861 Staatswb. l 603 „Der Kaiser aller russischen Länder ist ein autokrater und absoluter Souverän."; Hellwald 1878 Orient 95 im autokraten Zarenthume.

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Autokratentum: Meysenburg 1876 Mem. I 317 unter dem Begriff des Autokratentums auf dem Throne fasste man Russland zusammen; ebd. l 418 Sturz des Autokratentums. autokratisch: Riem 1799 Reise l 32 der Missbrauch der königlichen Gewalt, welche nicht wenigen als autokratisch, oder unbegrenzt war; Goethe 1807 Gespr. o. S. Ich bin Ihnen eine Schilderung von ihr schuldig, vor Ihrer Frau würde ich es nicht wagen, denn sie hat eine zu autokratische Natur (GWB); 1819 Die Wage l 331 ein autokratischer Finanzminister, dem ruchlose Volksvertreter noch nicht die wohlthätigen Hände binden, womit er die Wunden des Staates verbindet; Gurowski 1845 Tour d. Belgien 259 Dank der autokratischen Gewalt; Treitschke 1859 Gesellschaftswiss. 23 mit einem autokratischen Regimente; Scherr 1865 Blücher H 291 durch seinen unbeugsamen autokratischen Stolz; Waldstein 1892 Erst wägen 2 im autokratisch regierten Russland; Treitschke 1894 Gesch. V 10 Seine Autokratische Majestät; Willmann 1896 Gesch. 630 der Wille des Herrschers [tritt] in höherem Grade hervor und [es] kommt ein autokratisches Element in die Gesellschaftsansicht; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 224 der autokratische monarch trage die volle Verantwortlichkeit für die Metzeleien; Heinroth 1906 Enttäuschungen l 44 der Selbstbewusste, Einschüchternde, die autokratische Persönlichkeit fügte sich . . ihrer sanften Überredungskraft; Bierbaum 1910 Reife Früchte 82 Alles Mystische, Auto- und Theokratische lag dem Jünger der Zukunftsmusik aus altem germanischen Adelsstamme gänzlich fern; Anders 1912 Glossen 69 autokratisch regiert; 1919 Geist d. Volksgemeinschaft 36 Der Staatsmann . . war Beamter und Diener eines selbst durch Interessen . . bewegten, aber seinem sich täuschenden Bewusstsein nach „autokratischen" Willens; Dombrowski 1920 System II 158 Leute des alten, autokratischen Regimes; Lettenbaur 1927 Morgen 195 Den Amerikanern selbst war er [Roosevelt] zu autokratisch; 1928 ZfPolitik 354 Enge regierende Gruppen von Politikern . . nehmen . . autokratische Allüren an und drängen selbst die Kontrollgewalt des Parlaments zurück; Hülsen 1947 Zwillings-Seele l 48 in der als autokratisch und tyrannisch verschrienen Regierung des letzten Kaisers; Offenburger Tagebl. 2.7.1966 Neun von zehn Lehrern in der Bundesrepublik reagieren autokratisch, wenn sie Konfliktsituationen im Klassenzimmer begegnen müssen; Welt 13.6.1969 [er] war

aber selbst ein so machtbesessener, streitbarer und autokratischer Führer seiner Gewerkschaft, daß man ihn allgemein den „Zaren der Bergleute" nannte; Zeit 16.5.1986 Revolutionen in Rußland . . waren seit dem Aufstand der Dekabristen Versuche der Gesellschaft, sich von einer autokratischen Regierung zu befreien beziehungsweise die Regierung gesellschaftlicher Kontrolle zu unterwerfen; Süddtsch. Ztg. 12J13.12.1992 Die durchaus autokratisch geneigten slowakischen Machtwalter . . sind es jedenfalls bislang nicht, die die listenmäßige Aufteilung der Welt in rassisch-kulturell Gute und Böse betreiben. Autokratismus: Woltmann 1903 Polit. Anthropologie 269 sehen wir in der Türkei und in Russland das grausame Schauspiel, wie das Blut der begabtesten Schichten für das Idol des Autokratismus verspritzt wird; Joel 1915 Weltkultur 45 von dieser deutschen Mystik und Spekulation geht der Weg unmittelbar zum scheinbar so widersprechenden, vielverschrienen deutschen „Autokratismus", „Bureaukratismus" und „Militarismus"; 1932 Volk u. Reich 537 östlichen Autokratismus; Zeit 5.4. 1985 als Ausweg aus der Unsicherheit des labilen Zustande steht der „östliche Autokratismus" allzeit bereit, den Menschen alle Verantwortung abzunehmen. Autokraten 1738 Hamb. Berichte 259 Gedanken über den russischen Monarchen . . Titel eines Autocratoris; Cogniaczo 1794 Geständn. I Vorr. XIII Joseph II., auf den ich als Wiederhersteller und Autocrator der Monarchie . . hinwies; Kant 1797 Ges. Sehr. VI 339 denn Monarch ist der, welcher die höchste, Autokrator aber oder Selbstherrscher der, welcher alle Gewalt hat; Herder 1799 Vernunft (S. W. XXI 336) Der metaphysische Kritikus, . ., Controlleur aller Facultäten, . ., Autokrator; Wieland vor 1813 S. W. XXXV 242 Daß ich von dem innern Zustande des ganzen Reiches so genau unterrichtet war, als der Autokrator selbst (KEHREIN); 1828 Jahrb. d. Gesch. l 21 Allerdings nennt die Geschichte Autokratoren, welche .. ohne Verfassung gerechter und besser regiert haben, als andere Regenten mit Verfassungen; ebd. I 327 hat etwa Napoleon das Repräsentativsystem verschmäht und blos Autokrator seyn wollen?; Knies 1853 Eisenbahnen 4 der neueste französische Autokrator; 1861 Staatswb. I 603 das spätere byzantinische Kaiserthum wurde als Autokratie aufgefaßt und die griechisch-römischen Kaiser nannten sich selbst Autokratoren.

Automat M. (-en; -en), bis Mitte 19. Jh. auch N., im späteren 16. Jh. vereinzelt, seit frühem 18. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. automate kontinuier-

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lieh nachgewiesen, über lat. automatum 'sich selbst bewegende Maschine' (subst. N. zu automatus 'freiwillig, aus eigenem Antrieb handelnd') zurückgehend auf griech. 'sich von selbst Bewegendes' (subst. N. PL zu '(sich) von selbst (bewegend), unwillkürlich, freiwillig'), bis ins 18. Jh. in der griech. und lat. (flekt.) Form. Zunächst in der Bed. 'Vorrichtung, Maschine mit selbsttätig arbeitender Mechanik' (s. Belege 1575, 1702, 1732, 1882, 1914), vor allem auf Uhrwerke bezogen (s. Belege 1709, 1756, 1795), im 18. und 19. Jh. zur Bezeichnung menschlicher oder tierischer Kunstfiguren mit einer die natürlichen Bewegungen nachahmenden Mechanik (-" Roboter 2; s. Belege 1795-99, 1824, 1842), z.B. künstliche Automaten, die Vaucansonischen Automaten 'mechanischer Flötenspieler, künstliche, die natürlichen Bewegungen und Vorgänge (wie Gehen und Schnattern) nachahmende mechanische Ente des Jacques de Vaucanson' (s. Belege 1784, 1805). Seit der Industrialisierung im 19. Jh. im Sinn von 'Maschine zur (seriellen) Fertigung von Industrieprodukten, die nach einem Schaltvorgang bestimmte wiederkehrende mechanische Bewegungen selbsttätig ausführt, nach Programm technische Abläufe selbsttätig steuert' (s. Belege 1882, 1914, 1926, 1959), z. B. industrielle Automaten, Industrieautomat; im 20. Jh. bes. in der Bed. 'Elektrogerät zur mechanischen Verrichtung bestimmter Vorgänge', als Grundwort in den Zss. Toast-, Wasch-, Geschirrspül-, Kaffeeautomat. Seit späterem 19. Jh. auch in der Bed. 'Gerät, das nach Einwurf von Geldmünzen Waren ausgibt' (s. Belege 1894, 1926, 1959, 1971, 1985), in Wendungen wie der Automat funktioniert nicht, ist leer, außer Betrieb, (etwas) aus dem Automaten (ziehen), Automaten aufstellen, als Grund- und Bestimmungswort in zahlreichen Zss., z. B. Waren-, Lebensmittel-, Verpflegungs-, Zigaretten-, Münz-, Getränke-, Kaffeeautomat; Automatenverpflegung, -restaurant, -Straße 'in einer Reihe aufgestellte, mit unterschiedlichen Lebensmitteln (wie Obst, Süßigkeiten, belegten Brötchen) bestückte Münzautomaten', Automatenknacker, -räuber, -plunderer; auch auf Dienstleistungen bezogen, in den Zss. Briefmarken-, Fahrkarten-, (Münz-)Fernsprech-, (Bar-)Geldautomat, selten auch übertragen gebraucht (s. Belege 1964, 1993); seit früherem 20. Jh. speziell in der Bed. 'Glücksspielgerät, das durch Einwurf von Münzen in Betrieb gesetzt wird' (s. Belege 1934, 1957, 1964), in Zss. wie Spielautomat; Automatenhalle, -spieler, -spielsucht. Seit Mitte 18. Jh. in Vergleichen und häufig übertragen, zumeist abwertend in der Bed. 'willenlos, nur auf Anweisung handelnder, wie eine Maschine arbeitender, funktionierender Mensch, geist-, seelenlose Puppe' (—* Marionette, —» Roboter 2; s. Belege 1748, 1776, 1791, 1808, 1835, 1845, 1991), öfters in der Verbindung geistige Automaten. Seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung automatisch (Steigerung ungebr.), zunächst in der Bed. 'selbsttätig, mechanisch' (s. Belege 1811, 1853, 1910, 1924), in Verbindungen wie automatische Bewegung, sich automatisch öffnen, schließen, auch auf menschliche und tierische Figuren bezogen (s. Belege 1839, 1920); seit der Industrialisierung Mitte 19. Jh. auf Maschinen bezogen im Sinn von 'zur rationellen Fertigung von Industrieprodukten selbsttätig bestimmte Bewegungen ausführend' (s. Beleg 1844—46), bes. in der Ableitung vollautomatisch 'in allen (Produktions-)Phasen selbsttätig ablaufend, alle Teile eines komplexen Prozesses selbsttätig ausführend'; seit frühem 20. Jh. auf Geräte bezogen, die nach Münzeinwurf Waren ausgeben bzw.

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Dienstleistungen verrichten, dazu Verbindungen wie automatische Fernsprechzelle, automatisches Telephon, in heute veralteten Wendungen wie automatisches Restaurant, automatische Bar, automatischer Laden in der Bed. 'mit Automaten versehen' (s. Belege 1925, 1956, 1959); von Maschinen, deren Funktion mittels Strom in Betrieb gesetzt wird, im Sinn von 'elektrisch' (s. Belege 1909, 1912, 1949). Seit frühem 20. Jh. auch in der Bed. 'selbststeuernd, -regelnd' (s. Belege 1930, 1933, 1934, 1957, 1986), automatische Verkehrsregelung, automatisches Kontrollsystem, sich automatisch ab-, einschalten (Ggs. individuell, mit der Hand; s. Belege 1958, 1961, 1985). Seit Entwicklung des Computerwesens Mitte des 20. Jhs. auch im Sinn von 'maschinell, elektronisch' (s. Belege 1964, 1985), öfters in der Wendung automatische Übersetzung. Seit späterem 19. Jh. übertragen zur Bezeichnung selbsttätig ablaufender psychischer Prozesse in der Bed. Ohne Reflexion, willenlos, unwillkürlich, unbewußt, instinktiv' (s. Belege 1875, 1900, 1905, 1929, 1963, 1986); auch allgemeiner auf abstrakte Gegebenheiten bezogen in der Bed. '(wie) von selbst, (scheinbar) unbeeinflußt, (scheinbar) unveränderbar, (geschehend), ohne daß der Beteiligte etwas dazu tun muß', z. B. der Vertrag wird automatisch verlängert, öfters in Wendungen wie etwas führt automatisch zu etwas, automatisch gesteuert, sich automatisch ergeben, automatisch erfolgen, attributiv gebraucht im Sinn von 'zwangsläufig, unwillkürlich' (s. Belege 1902, 1916, 1930, 1952, 1981, 1985), . Seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitung automatenhaft, meist übertragen, oft abwertend gebraucht in der Bed. 'wie ein Automat, seelen-, willenlos, mechanisch, automatisch', automatenhafte Bewegungen. Seit Mitte 19. Jh. die subst. Ableitung Automatismus M. (-; Automatismen), in der Bed. 'selbsttätig funktionierender Ablauf, sich selbst regelnder Mechanismus, Selbstregelungsprozeß' (s. Belege 1912, 1952), z. B. der Automatismus einer Maschine, Bewegungsautomatismen; häufig auf unbewußte seelische Vorgänge übertragen 'vom Bewußtsein unabhängige Handlung' (s. Belege 1900, 1904, 1949, 1962, 1983), z. B. der Automatismus der Gewohnheit, bzw. auf abstrakte, scheinbar selbsttätig ablaufende Prozesse, die aufgrund ihrer Komplexität unbeeinflußbar erscheinen '(scheinbar) selbstbestimmte, eigengesetzliche Entwicklung' (s. Belege 1918—29, 1957, 1959, 1963), z. B. der Automatismus der Wirtschaft, einen Automatismus in Gang setzen, Marktautomatismus. Seit Ende 19. Jh. die oft schlagwortartig gebrauchte subst. Ableitung Automatisierung F. (-; -en), zumeist in Technik und Industrie verwendet in der Bed. 'Einführung von Automaten, auf Automaten beruhende kostengünstige Herstellung von Industrieprodukten, Umstellung auf rationelle automatische Produktion' (s. Belege 1928, 1932, 1954, 1961, 1985), häufig in Verbindungen wie Mechanisierung und Automatisierung, Rationalisierung und Automatisierung, Automatisierung eines Betriebs und in Ableitungen bzw. Zss. wie Vollautomatisierung, Automatisierungsmaßnahmen; auch auf nichtindustrielle Einrichtungen bezogen, z. B. Automatisierung des Telephonbetriebs; gelegentlich auch übertragen verwendet in bezug auf unbewußt ablaufende geistige bzw. seelische Vorgänge (s. Belege 1894, 1914). Seit Anfang 20. Jh. die verbale Ableitung automatisieren V. trans., im Bereich von Technik und Industrie gebraucht in der Bed. 'Automaten einführen, mit Automaten ausrüsten, auf selbsttätigen, mechanischen Betrieb, auf vollautomatische Fabrikation umstellen' (s. Belege 1953, 1958, 1965, 1985), in Verbindungen wie rationalisieren

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und automatisieren, bes. in der Ableitung vollautomatisieren; auf seelische Vorgänge übertragen im Sinn von '(z. B. einen Bewegunsgablauf) so trainieren, daß er fest im Unterbewußtsein verankert ist und ohne Nachdenken ausgeführt werden kann, unbewußt machen, der bewußten Wahrnehmung entziehen' (s. Belege 1914, 1961); häufig adj. verwendet im Part. Perf. automatisiert 'selbsttätig funktionierend, mit Automaten ausgerüstet, automatisch', in Wendungen wie automatisierter Betrieb, automatisiertes Lokal, automatisierte Anlage und in der Ableitung vollautomatisiert, auch übertragen Ohne Reflexion, unbewußt (erfolgend, geschehend)' (s. Beleg 1925). Seit früherem 20. Jh. die unter Einfluß von gleichbed. engl. automatic aufgekommene subst. Ableitung Automatik F. (-; -en ungebr.), gelegentlich in engl. Schreibweise; allgemein in der Bed. '(scheinbar) selbsttätig ablaufender Prozeß, Komplex scheinbar selbstwirkender, einen Ablauf in Gang setzender Faktoren', bes. auf wirtschaftliche Zusammenhänge (s. Belege 1941, 1957, 1961, 1970) bzw. psychische Vorgänge bezogen (s. Belege 1925, 1950, 1961); in neuerer Zeit in der Bed. 'mechanische, selbsttätig funktionierende Steuer-, Regelvorrichtung' (s. Belege 1954, 1962, 1970) bes. auf das Getriebe von PKW's bezogen, ein VW Automatik, einen Automatik(-Wagen) fahren; häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Automatik-Armbanduhr, -modeil, -ofen, -getriebe; Schalt-, Zeit-, Bügel-, Vollautomatik. Seit Mitte 20. Jh. unter Einfluß von gleichbed. engl. automatization, engl.-amerikan. automation die subst. Ableitung Automation F. (-; ohne PL), im Sinn von 'Umstellung auf automatisch ablaufende Fertigung(sprozesse), Automatisierung', in Wendungen wie Umstellung auf Automation, Rationalisierung und Automation, in den 50er/60er Jahren oft als Schlagwort für den durch Automatisierung erreichten Zustand der modernen technischen Entwicklung, der vom Einsatz bedienungsfreier Arbeitssysteme geprägt ist, z. B. im Zeitalter der Automation. Automat: Fischart 1575 Garg. 304 viel kleine sinnreiche automata, das ist, selbs bewegliche kunstwercklin; 1701 Monatl. Auszug Mai 41 weil dieses nur ein Gedicht der Feinde Cartesii wäre/ so von dem Automato hergenommen/ welches er mit grossen Fleiß gemacht/ um zu weisen/ daß die Bestien keine Seelen hätten/ und nur wol eingerichtete Machinen wären; Florin 1702 Hausvater l 257a Massen ein solches nicht unfüglich einem Kunstwerck, das sich selbst beweget (dergleichen man auf Griechisch automata nennet); Wächtler 1709 Manual 46 Avtomaton, ein selbstgängiges Werck, z. E. wie ein Uhrwerck; Marperger 1716 Küchendict. 161 Automatum; Zedler 1732 Universallex. 2269 f. Automata . . sind Mechanische Instrumente, nach der Lehre der Geometrie so künstlich und subtil verfertiget, daß sie ohne Beyhülfe einer auswärtigen Gewalt sich selbst bewegen und herumtreiben; ebd. Automaton heisset eine Machine, bey welcher die bewegende Kraft einen Theil derselbigen ausmacht. Hieher gehören alle Machinen, welche durch Gewichte oder Federn beweget werden, und solchergestalt das Ansehen gewinnen, als wenn sie sich selbst bewegten. Derglei-

chen sind Uhren, Bratenwender u. andere; Trichter 1742 Ritterlex. 89 Automata, Heissen diejenigen Instrumente oder Claviere, deren Palmulae durch Wellen oder Cylindros, diese aber durch Wasser oder Gewicht regieret werden; Gottsched 1748 Neuer Büchersaal VI 334 Wehe denen armen theatralischen Dichtern! deren Arbeiten solchen unbelebten Automaten in die Hände fallen!; Griesbach 1756 Von d. Fingern 304 eines, wenn es aufgezogen wird, selbstgängigen Kunst- und Uhrwerkes, welche Maschinen wir automata heissen; Sturz 1768 Br. (Sehr. I 56) Ich ging gestern zu einer berühmten Modehändlerin, welche Puppen durch ganz Europa versendet. Hier sah ich mit Unmut ein Heer Automaten, furchtbarer für uns als ein gallisches Kriegsheer, weil es uns schon Jahrhunderte brandschazt; Meiners 1776 Sehr. Ill 140 geistige Avtomata; Eberhard 1776 Theorie o. S. Soll nun . . der Körper das vollkommenste körperliche Automaton und die Seele das vollkommenste geistige Automaton seyn; Musäus 1781 Physiognom. Reisen IV 268 Beym Fuhrmann in der Senke dacht ich: Ein wahres Automat, eine Fleisch und Knochenmasse, die sich nach einem gewissen Mechanismus bewegt;

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Nicolai 1783 Reise l 17 der beiden Herren . ., deren künstliche Automaten im Göttingischen Taschenbuche vom Jahre 1780 beschrieben sind; 1784 Berlin. Monatsschr. IV 130 es war . . ein selbstbewegendes sinnreiches Kunststück, ein Automaton nach Vaucansonscher Art, das alle menschliche Verrichtungen nachzuahmen eingerichtet, und noch mehrerer Veränderungen fähig war; Schubart 1789 Vaterlandschronik 176 Unsre Zeiten sind so berühmt durch Zauberkünste, Geisterbeschwörungen . . Automaten und andere Kunststücklein; Schiller 1790 Erste Menschengesellschaft (S. W. IX 128) der Mensch wurde dadurch aus einem Sklaven des Naturtriebes ein freihandelndes Geschöpf, aus einem Automat ein sittliches Wesen; Forster 1791 Ansichten (111 213) diese schönen Automaten können nur sündigen und beten; Siebenkees 1795 Materialien IV 441 Die Nürnbergische grosse Uhr ist eigentlich die Böhmische, welche noch jetzt in Prag, so wie in Windsheim, durch ein Automat getrieben wird; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 22,235 f.) jedes schien seiner Kunst viel zu versprechen, weil jedes die ersten Schritte mit Feuer und Munterkeit that. Bald aber entdeckte sich, daß ein Theil doch nur Automaten waren, die nur das erreichen konnten, wohin man ohne Gefühl gelangen kann; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 56 künstlich abgerichtete Thiere, so genante Automaten und andere Kunstwerke, die durch ihre versteckte Einrichtung wunderliche Würkungen zu haben scheinen; Laukhard 1797 Leben IV 1,88 Die strenge Mannszucht, welche Friedrich, der Zweyte, bey seinen Truppen einführte, hat viel Nachahmer gemacht . . Getäuscht durch den Schein, meynte man, dass eine bis zum unmenschlichsten Zwang getriebene Strenge Automaten unüberwindlich oder sieghaft machen würde; Keil 1803 Rhapsodien 10 Der Nachtwandler producirt die nemlichen Handlungen, die wir am Tage nach den Gesetzen der Willensfreiheit bewirken . . im Schlaf . . Er producirt sie gezwungen, als Automat, ohne klares Bewusstseyn und Spontaneität; Goethe 1805 Tag- u. Jahresh. (WA I 35,211) Gar manches von seinen früheren Besitzungen . . war in den jämmerlichsten Umständen; die Vaucansonischen Automaten fanden wir durchaus paralysirt. In einem alten Gartenhause saß der Flötenspieler in sehr unscheinbaren Kleidern; aber er flötete nicht mehr, und Beireis zeigte die ursprüngliche Walze vor; Schaller 1808 Stuziade III 190 Weiberautomaten; Lady Morgan 1821 Frankreich (Übers.) I 38 die Automaten-Bewegungen des Militairs; Goethe 1822 Campagne (WA l 33,206) vor Alters seiner Sinne kaum mächtig, als ein bedauernwürdiges Automat; 1824 Eos 175 Sammlung von mehreren mechanischen Figuren (Automaten), welche sich frey bewegen; Normann 1833

Österreich l 1,14 Im Kopfe ist das Triebwerk des todten Automats; Lewald 1835 Theaterrevue 146 Er bildet keine Automaten, keine linkischen Nachbeter aus seinen Schülern; Menzel 1835 Geist d. Gesch. 177 Der Chinese ist und bleibt dem Europäer gegenüber eine Art von Automat; Bacherer 1840 Stellungen I 289 Nicht über eine Welt von Menschen will der römische Despotismus herrschen, sondern über eine Welt von, aus Fleisch und Bein zusammengesetzten, Automaten; Schliemann 1842 Br. l 32 [in Amsterdamer Friseurläden gibt es] 4 — 6 wunderschöne weibliche Automaten mit den schönsten Frisuren vorm Fenster, die sich den ganzen Tag fortwährend drehen; Büchner 1842 Leonce u. Lena (S. W. u. Br. 1131) eigentlich wollte ich . . verkündigen, daß hiemit die zwei weltberühmten Automaten angekommen sind und daß ich vielleicht der dritte und merkwürdigste von beiden bin, wenn ich eigentlich selbst recht wüßte, wer ich wäre . . und es eigentlich nichts als Walzen und Windschläuche sind, die das Alles sagen; Lotze 1844 Kl. Sehr. (I 263) Tierautomat; Marx/ Engels 1845 Heil. Familie (MEW II 83) Die Wahrheit ist für Herrn Bauer wie für Hegel ein Automaton, das sich selbst beweist; Kohl 1845 Paris l 120 eine Art Automaten oder Marionetten, die sich's gefallen lassen müssen, durch die Hand des Theaterdirectors, der alle Drähte hoch oben in einer Hand hält; Schopenhauer 1851 Parerga I 179 Gedankenautomaton; ebd. II 172 Wenn es keine Lebenskraft giebt, so ist jedes Wesen ein bloßes Automat, d. h. ein Spiel mechanischer u. chemischer Kräfte; 1854 Prutz' Museum l 403 das Tanzorchester auf der Galerie hinter Automatenfiguren versteckt; Grässe 1856 Zur Geschichte des Puppenspiels und der Automaten (Titel); 2859 Hausblätter I 23 f. ob das da . . ein Mensch, oder nur ein Automat [sei], so mechanisch waren ihre Bewegungen; Schmid 1861 Schwalberl (IV 58) Sehen Sie den Alten dort . ., der den zahnlosen Mund zum Beten wie ein Automat bewegt; Goltz 1869 Weltklugheit II 69 verdorbene musikalische Automaten; 1882 Brockhaus U 279 Automat . . jede mechanische Vorrichtung, welche die zu ihrem Zwecke erforderlichen Bewegungen allein durch einen in ihr verborgenen Mechanismus verrichtet. Dahin gehören z. B. Uhren, Planetarien und eine Menge industrieller Maschinen; Rose 1884 Revanche 284 Automatencabinets; Nordau 1885 Paradoxe 56 geistiger Automat; Franke-Schievelbein 1894 Rotdorn 109 Automaten; 1894 Brockhaus II194 In neuerer Zeit ist die Bezeichnung Automat für eine Einrichtung verwendet worden, die beim Verkauf von Schokoladentäfelchen, Cigarren, Eisenbahnfahrkarten, Wachskerzen, Broschüren, Postkarten, wohlriechenden Flüssigkeiten, Blumensträußchen u. dgl. die Anwesenheit eines persönlichen Verkäufers

Automat entbehrlich macht (Verkaufsautomaten); 1898 Fliegende Blätter CX 19 Bummel [vor einem Speisenund Getränkeautomaten]: „Diese Automaten sind eine wirklich sinnreiche Erfindung!" - Süffel: „Das finde ich nun ganz und gar nicht! . . diesen Automaten-Luders kann man nichts schuldig bleiben!"; Haarhaus um 1900 Blattschüsse l 51 Hungrig wie ich war, langte ich von allem zu, was aufgetragen wurde, speiste aber mit der Gleichgültigkeit eines Automaten; 1910 Archiv f. Post u. Telegraphie XXXVIII 455 Postwertzeichen-Automaten; 1914 Technik u. Wissensch. VH 517 Zwar gibt es Maschinen, bei denen eine . . fast vollständig erscheinende Mechanisierung gelingt; aber ganz abgesehen davon, daß diese sogenannten Automaten weit in der Minderzahl sind . . bleiben sie doch immer Maschinen mit erborgtem Leben; Kircher 1926 Engländer 208 industriellen Automaten; Haiser 1926 Judenfrage 100 Weckt den Geist im Mädchen durch geeignete Lektüre, aber macht keine studierten Marionetten und Wissensautomaten aus ihnen; 1926 Der Automat. Das Fachorgan der Automatenwirtschaft (Titel); Voss. Ztg. 6.11.1926 Erinnert man sich noch aus Friedenszeiten der Automaten-Restaurants?; Lokesch 1927 Fortf. v. Scherr, Kulturgesch. 707 Die Dirne hörte mit dem 1. Oktober 1927 auf, eine seelenlose Nummer zu sein, die in dem Polizeiautomaten stumm und willenlos gut funktionierte und stets zur Stelle war, sowie der . . Beamte auf den Knopf des Automaten drückte; Colerus 1929 Kaufherr 255 Wenn wir voraussetzen, daß wir solch einen Serienartikel haben oder zwei oder drei, würden Sie sich dann getrauen, alles rein technisch zu organisieren, Automaten und Fließbänder zu konstruieren und das ganze Ding streng rationell in Gang zu setzen?; 1929 Dtsch. Rundsch. LV 96 Sprechautomat in der Haltung eines Forschers; Stenger 1929 Gesch. d. Photographie 28 Photo-Automaten. Ein photographischer Porträt-Automat, welcher nach Einwurf eines Geldstückes Belichtung, Entwicklung, Fixierung, Wässerung, Trocknung und Auslieferung des Bildes ausführte; Ri Tokko 1931 Das Automatenzeitalter. Ein prognostischer Roman (Titel); 1932 Volk u. Reich 854 Die Industrie hat immer mehr die Eigenschaft eines warenerzeugenden Automaten angenommen; Gebauer 1932 Kulturgesch. 478 Gebetsautomat; Berl. Illustr. Nachtausg. 9.2.1933 Automatenbüfett; Lokal-Anz. 24.8.1933 In einem Postamt.. wurde gestern ein Automatenplünderer festgenommen, der . . Telephon-, Briefmarkenund Fahrkartenautomaten beraubt hatte; 1934 Reichsgesetzbl. l 585 selbsttätigen Verkausfeinrichtungen (Warenautomaten); Berl. Illustr. Nachtausg. 15.2.1934 Diese Spielsalons sind Tag und Nacht geöffnet, das klappernde Geräusch der Billardkugel, das Schnarren der Geschicklichkeits-

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automaten; Lokal-Anz. 13. 9.1934 des am 6.Juli . . verabschiedeten Automatengesetzes; ebd. 11.11. 1934 Gasautomat; ebd. Wendung in der Automatenfrage. Edeka beschließt Gemeinschaftsbezug von Spezialautomaten; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Verbot des Automatenverkaufs von Zigarren; ebd. 1936 Automatenindustrie; Benjamin 1936 Kunstwerk 37 es gab die Automaten in den Bazaren, deren Bilderablauf durch eine Drehung der Kurbel hervorgerufen wurde; ders. 1937 Eduard Fuchs (Kunstwerk 90 Anm.) Der Begriff der Selbsttätigkeit .. feiert . . seinen Triumph ebensowohl bei Kant, in Gestalt der Spontaneität, wie in der Technik, in Gestalt der Automaten; ND19.1.1954 Zur besseren Versorgung der Bevölkerung schlägt die Bezirksleitung . . Verkaufsbasars auf dem Lande vor,. . und Automatengaststätten in Magdeburg; Remarque 1954 Zeit 372 Steinbrenner war . . ein Automat, für den Waffenreinigen, Exerzieren und Töten ein und dasselbe waren; Frisch 1957 Homo faber 17 es war in einer Spielbar in Las Vegas . . ein Chaos von blauen und roten und gelben Automaten, wo man Geld gewinnen kann; Kreplin 1957 Das Automaten-Motiv bei E. T. A. Hoffmann (Titel); Süddtsch. Ztg. 13.5. 1957 Vor den . . knakkenden Hebeln eines Spielautomaten; ebd. 15.5. 1957 Es wird niemanden . . geben, der nicht der Ansicht wäre, daß diese Automatenhallen für die jungen Menschen schädlich sind . . Wenn man in diese Spielhallen hineinschaut, kann man immer wieder Jugendliche an den Automaten sehen; ND 7.11. 1959 Es ist klar, daß die Bearbeitungszeit einer Welle auf dem Automaten wesentlich kürzer ist, als auf einer herkömmlichen Spitzendrehbank; Süddtsch. Ztg. 28.2. 1959 Aus dem Innenleben eines Automaten . . Vor dem Krieg gab es in München nicht mehr als etwa 300 Warenautomaten; ebd. 25.10.1960 Hier schafft der Schreibautomat wirksam Abhilfe; Offenburger Tagebl. 2.2.1960 Automatenmarder gefaßt. Ein .. Automatenknakker ist . . einem Beamten des Paßkontrolldienstes ins Garn gegangen; ebd. 1.2.1961 Bei Lebensmittelautomaten ist eine Kühleinrichtung erforderlich; ebd. 6.3.1962 Finanzierungshilfe für Automatenstraßen. Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels will mit dem Verband der Deutschen Automatenindustrie . . darüber beraten, wie der Verkauf über Warenautomaten intensiviert werden kann; Böll 1963 Clown 20 Ich lehnte mich gegen einen Zigarettenautomaten und warf einen Blick auf das Haus; ebd. 224 Ich fand sie erst langweilig, war aber dann fasziniert und erzählte ihr allerlei, so wie man Groschen in einen Automaten wirft — nur um herauszubekommen, wie sie reagieren würde; Offenburger Tagebl. 9.11.1963 Mit zunehmendem Mangel an Küchen- und Kantinenpersonal steigt auch innerhalb der Betriebe die Automa-

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tenverpflegung .. Automaten-Aufsteller von Verpflegungsautomaten; Kehler Ztg. 11.1.1964 daß der Staat immer mehr als „Versorgungsautomat" empfunden werde; Welt 19.12.1964 Für eine Weltneuheit auf dem Spielautomaten-Sektor werden . . Automatenhändler und Importeure einzelne Verkaufsgebiete vergeben; FAZ 27.3.1965 Automateneinsteller für Index- und Langdrehautomaten gesucht; Süddtsch. Ztg. 6.10.1965 Speiseautomaten lösen Brotzeitholer ab; Horkheimer 1966 Reden 33 Musikkapelle oder Spielautomat; BildZtg. 1.4.1967 Einer der Polizisten, der bei der Ablieferung der beiden Automatenknacker vor dem Polizeirevier gestanden hatte, hatte den Taxifahrer belastet; Stuttgarter Ztg. 16.10.1969 daß die Kybernetik die theoretischen Voraussetzungen hat, selbstlernende Automaten zu entwickeln; Arnold 1971 Verkaufsaktionen o. S. Manche Geschäftsleute haben . . sogar Getränke-Automaten in Schulen installiert; Falk 1971 Handelsbetriebslehre programmiert o. S. Automatenstraßen . . haben sich bislang noch nicht in nennenswertem Umfang durchgesetzt . . Will ein Handelsmanager Warenautomaten rentabel einsetzen, so muß er den richtigen automatengeeigneten Standort wählen; Strauß 1980 Rumor 161 Ich sehe . . hinüber zu den Waschautomaten, in denen es so lebendig rast und rollt, stockt und weitergeht; Klemm 1983 Technik 31 Viele von Heroins Apparaten dienten kultischen Zwecken, wie der Weihwasserautomat oder der Tempeltüröffner; Zeit 28.12.1984 Bis auf die Seele sei der Mensch nichts anderes als ein Automat, meinte der große Mathematiker; ebd. Erst hundert Jahre später dämmerte dem Engländer Alan Mathison Turing diese Idee, als er eine allgemeine mathematische Theorie logisch funktionierender Automaten entwarf; ebd. Unbeschwert konnten nun im 18. Jahrhundert, der Blütezeit der Automatenkunst, die Meisterwerke des Jacques de Vaucanson aus Grenoble bewundert werden; ebd. 17.5. 1985 Die Kantine ist geschlossen, aber es gibt Cola aus dem Automaten; ebd. 13.9.1985 Ich bin der Automatenspielsucht verfallen; MM 29.10. 1985 Der Automatenspieler, das ist ein einsamer, komplexbeladener Großstadtmensch, der begierig zum Flipper rennt, wie andere zur Flasche oder zur Nadel greifen; ebd. 27.3.1986 bis die Transaktionen der Geldautomaten . . erfaßt . . und . . die manipulierten Karten . . vom Automaten bei einem neuen Abhebeversuch eingezogen werden; Zeit 19.6. 1987 Sanktionen gegen die Automatenbranche; ebd. Die amerikanischen Automatenspielsüchtigen spielen an den sogenannten Slot-Machines; MM 5.12.1987 Im Automatenschlitz bleibt's Glück hängen; 1991 Cosmopolitan V 52 Aus dem Krankenhaus zurück, saß ich wie ein Automat neben meinen Geschwistern; Spiegel 18.10. 1993 den

Staat als eine „Art Sozialagentur" gebrauchen, . . als Automaten, „in den man oben Münzen einwirft, um unten Berechtigungsscheine aller Art in Empfang zu nehmen". automatenhaft: Devrient 1839 BP IV 220 automatenhaft; Goltz 1888 Paradoxen 71 automatenhafte; Telmann 1895 Hagar 131 Es war etwas Automatenhaftes in ihrem Sprechen, wie in ihrem Wesen; es machte den Eindruck, als stände sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit unter einem bestimmten Zwang und Bann; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 44 automatenhafte Bewegungen [der Rekruten]; zur Megede 1911 Quitt 367 mit den automatenhaften Bewegungen einer Gelähmten; Ehrler 1928 Gesetz 13 Das zwanghaft automatenhafte Spiel [der Menschen] zeigt sich als etwas . . Verfallendes, Zerbröckelndes; 1934 Hindenburg-Denkmal Erg'bd. 12 automatenhafte Gestalt; Fuchs 1986 Schinderhannes 73 Etwas Puppenhaft-Automatenhaftes war noch an ihm; MM 2.10.1987 gegen Ende korrigiert er eine automatenhaft gehorchende und doch stets aus dem Konzept fallende Ballerina. Automatik: Gottl-Ottilienfeld 1925 W. 561 es [wäre] eine lächerliche Verkennung, anzunehmen, daß sich die Welt der Erlebungen, nach der Konkurrenz zum phänomenologisch Erfaßbaren gerechnet, etwa nur auf die „Automatik" des menschlichen Handelns, auf das Marionettenspiel der Menschenleiber ausdehnen würde; . . die noetisch denkenden Wissenschaften . . schneiden nicht etwa das menschliche Handeln aus der „Welt der Erscheinungen" heraus, im Sinne eine psychophysischen Automatik; Münch. N. N. 13.7.1941 Die Auswirkungen [der Goldeinlösungsspflicht in englische Pfundnoten] auf die unentwegten Anhänger internationaler Automatik, internationaler „Wirtschaftsgesetzlichkeiten" mußten erschütternd sein; Wmschuh 1941 Weltbild 22 Goldautomatik des 19.Jhs.; ß. N. 9.3.1943 Theorie, dass die Wirtschaftskrisen unvermeidlich seien, dass man die Automatik, nach der sie kommen und gehen, nicht stören dürfe; Paulsen 1948 Gerechtigkeit 44 die „Automatik" des [Wirtschafts-]Marktes; Süddtsch. Ztg. 14. 9.1950 Ich selbst trage eine AutomatikArmbanduhr; ebd. 20.9.1950 Es hat . . den Anschein, als würde die „Automatik" [des Denkens und Handelns auf einen Krieg hin] bei uns nicht ganz funktionieren . . Mit der augenblicklichen Lage ist noch jede „Automatik", das heißt jeder Verzicht auf genaues Denken entschuldigt worden; ebd. 26. 9.1950 ein Stück . ., das den Menschen in seiner ausweglosen Verstricktheit in die dämonische Automatik anonymer Abläufe zeigt; ebd. 20.4.1951 die gefährliche Automatik der anscheinend unvermeidlichen Bündnis- und Rüstungspoli-

Automat tik; ebd. 26.9.1954 Hinsichtlich Präzision, fortschrittlicher Technik und weitgehender Automatik schössen die deutschen Aussteller den Vogel ab; ebd. 16. 6.19.55 Das Wunderwerk der Automatik . . Entsteht aus irgendeinem Grunde keine Flamme, so verbleiben die Kontakte im Kaminthermostat in ihrer Ausgangsstellung; Schilling 1957 Gesch. 321 dass die Arbeit der Arbeiter menschlich gesehen unselbständig, „Automatik" ist; Arbeitgeber 5.6. 1957 eine weitere Verbesserung der kürzlich verabschiedeten Rentengesetze mit Vollautomatik; Süddtsch. Ztg. 24. 8.1957 die immer mehr Freunde gewinnenden Automatic-Armbanduhren; Stuttgarter Ztg. 8.11.1958 ob nicht diese ganze „Wohlfahrtsautomatik" etwas künstlich vergoldet wird; Süddtsch. Ztg. 16.1.1959 Dem österreichischen Schlagbaum in Nickelsdorf an der Grenze nach Ungarn fehlt jede Automatik; ebd. 4.4.1959 Arbeitssparende Automatik auch beim Kochen, Braten und Backen; Niebelschütz 1961 Spiel 107 Technik als eines von luziferischen Kräften regierten Phantoms, das in entsetzlicher Automatik mit uns davonrast; Münch. Stadtanz. 25.8.1961 der Herd mit Zeitautomatik; Johnson 1961 Buch 281 Er habe im Studium erfahren, daß die Fahrbewegungen eines hochtrainierten Körpers durch das Zentralnervensystem gesteuert werden, und jede Aufsicht durch Willen und Bewußtsein verwirre die Automatik für längere Zeit; Stuttgarter Ztg. 15. 9.1962 Kohleofen mit Automatik .. Sie können sich Ihren Automatikofen . . passend zur Größe und Einrichtung Ihres Zimmers auswählen; ebd. 24.10.1962 Die „2. Internationale Fachtagung und Fachmesse für Laboratoriumstechnik, Meßtechnik und Automatik in der Chemie" wurde . . in Basel . . durchgeführt . . Die Automatik, die zu einer selbständigen Wissenschaft mit eigener Technik und Termonologie geworden ist, war hervorragend vertreten; FAZ 7.12.1963 Schaltautomatik schont die Nerven; Böll 1963 Clown 11 Es war schon dunkel, als ich in Bonn ankam, ich zwang mich, meine Ankunft nicht mit der Automatik ablaufen zu lassen, die sich in fünfjährigem Unterwegssein herausgebildet hat; Welt 29.4.1964 Elektronik und Automatik sind die Stichworte der Rationalisierung; Offenburger Tagebl. 3.9.1965 Heimbügler mit Bügelautomatik; FAZ 22.10.1966 Ihre Olympia, eine brillante Studie seelenloser Automatik; Stuttgarter Ztg. 6. 9.1967 Die Automatik-Modelle erhalten außerdem eine neue Hinterachse; FAZ 18.10.1967 „Automatic in Großserie" schreien die Werbeplakate des Volkswagenhändlers hinaus . . Längst sind wir der Meinung, daß die Automatik (wir schreibend mit „k"; VW wird für das „c" Exportgründe geltend machen) nicht langweilig ist; ebd. Bei den hier lebenden Familien hat die Nachricht vom „VW Automatik" wie eine Heilsbot-

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schaft eingeschlagen; ebd. Ein wenig anders ist es schon mit der Wählautomatik . . Wenn die Maschine läuft, wählt man (mit angezogener Handbremse oder dem rechten Fuß auf dem Bremspedal) die gewünschte Fahrtrichtung; Welt 20.5.1969 Wir stehen nicht unter einem Gesetz der Automatik; Stuttgarter Ztg. 2.6.1969 Dank dieser Erklärung sei die Bundesregierung nicht mehr zu einer „Automatik der Reaktionen" gezwungen; Welt 25. 10.1969 durch Automatik geregelte Innentemperatur und Luftfeuchtigkeit im Sommer und Winter; Offenburger Tagebl. 20.1.1970 Die Dinge sind ins Rollen gekommen, sie unterliegen damit einer gewissen Automatik; ebd. 22.10.1970 Heizkessel mit Anheiz-Automatik; Bad. Ztg. 8.4.1971 Vor dem Richter machte er geltend, daß die Automatik seines Fahrzeuges versagt habe; Zeit 29. 3.1985 ein 45er Colt Commander Automatic mit vollem Magazin als Versuch einer Antwort auf die uralte Frage: „und wie geht's weiter?"; MM 30.3.1985 Automatic-Freunde können ein neues VierstufenGetriebe . . ordern; ebd. 12. 9.1985 Bergmann liegt daran, die Automatik zu durchbrechen; Zeit 9.5.1986 Die Alarmsignale störten das Personal beim Fernsehen, man glaubte an eine Überreaktion der Automatik — und schaltete das Schnellabschaltsystem aus; MM 5.5.1988 Alle sieben Geräte haben . . Blitzautomatik bei Verwendung systemkonformer Blitzgeräte; Süddtsch. Ztg. 17.1. 1994 die alte Automatik [der Filmförderung] als Heilmittel. Automation: 1955 Sociologica 77 „Automation" ist eine amerikanischenglische Neubildung, die in den letzten Jahren überraschend schnell weite Verbreitung . . gefunden hat; ebd. 106 Selbst wenn die sozialen Auswirkungen der Automation eher denen der Rationalisierungsbewegung nach dem I. Weltkrieg ähneln sollten; ebd. 125 Liste der für die Automation reifen Industrien; Münch. Merkur 28.5.1955 Eine zweite industrielle Revolution bahnt sich an . . Der Amerikaner hat dafür den knappen Begriff „Automation" geprägt. Wir sprechen etwas umständlicher von Automatisierung; Anders 1956 Antiquiertheit 350 Automation ist . . die endgültige Ersetzung des Gewissens durch die Gewinnhaftigkeit der mechanischen Funktion; Süddtsch. Ztg. 12.7.1957 Eine hochgezüchtete Spezialisierung, die Automation und die Massenerzeugung von Gütern bedeuteten für die kapitalistischen Staaten Arbeitslosigkeit, für die sozialistischen Länder hingegen einen höheren Lebensstandard; Arbeitgeber 5.10.1957 Automation ist die Verwendung von Maschinen zur Warenproduktion mit dem Ergebnis größerer und zuverlässigerer Arbeitsgeschwindigkeit und damit einer potenzierten Produktivität; Jaspers 1958 Atombombe 400

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Die jetzt beginnende neue Industrielle Revolution durch Automation und Atomenergie ist eingreifender als jede frühere; Bunte Illustr. 4.1.1958 verstärkt sich . . die Meinung, daß eine Umstellung auf Automation nicht reibungslos vor sich gehen wird; Middendorff 1959 Soziologie 232 Automation, d. h. die weitgehende Ablösung des Menschen durch die Maschine; Münch. Stadtanz. 6.11.1959 Im Zeitalter der Automation müssen wir uns anders ernähren als unsere Voreltern; Süddtsch. Ztg. 25.10.1961 Rationalisierung und Automation in der Wirtschaft; Offenburger Tagebl. 14.8.1964 Ein derartiger Aufwand an Arbeitskraft schreit nach Automation; Stuttgarter Ztg. 30.3.1965 Das Automationstempo werde sich über Gebühr verstärken, wenn weitere Arbeitszeitverkürzungen verlangt würden; ebd. 13.1. 1966 Automationsmuffel; FAZ 17.2.1971 Die Automation des Zahlungsverkehrs wird nur stufenweise möglich sein; Schwendter 1973 Subkultur 115 Die Automation zwingt dem Leben Zeitmaße auf, die den physiologischen Zeitablauf stören; MM 13.5.1985 daß es bei Rationalisierung und Automation vor allem die weiblichen Beschäftigten treffe; ebd. 24.11.1987 neue Technologien, Automation und Maschinisierung; ebd. 10.2.1988 Durch die Automation sind . . Einfachtätigkeiten rar geworden. automatisch: Hamann 1763 S. W. // 248 daß unter den Hülsen avtophorischer Beyspiele avtomatische Lehrsätze . . enthalten sind; den. 1772 S. W. /// 31 Die Verwirrung der Sprache . . ist freylich eine sehr natürliche Zauberey avtomatischer Vernunft; Akkermann 1797 Darstellung d. Lebenskräfte l 430 dass das Herz nur automatisch, das heisst, vermöge des dem Blute beigemischten Lebensäthers, und nicht durch den Einfluss dieses Princips durch die Natur bewegt werde; Keil 1811 Ges. kl. Sehr. I 212 automatische Bewegungen; Görres 1819 Ges. Sehr. XIII 110 Es giebt . . [zweierlei] Systeme, das Automatische und das Willkürliche; Hufeland 1822 Sympathie 53 Diese Bewegung [von dem Tiere] ist aber noch ganz automatisch; 1839 D V/S /// 190 und im Verliess . . die Überraschung . ., dass vor dem Eintretenden ein automatischer Ritter oder Kapuziner vom Humpen oder vom Brevier aufsteht; 1840 D V/'S /// 256 so zeigt sich auch beim Reisebild . . der Trieb, aus automatischen . . Puppen die Discussionen über die sogenannten socialen Fragen plappern zu lassen; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW II 12) 1825: self-acting mule oder self-actor (der Selbsttätige), die automatische Spinnmaschine von Richard Robert; Lotze 1853 Kl. Sehr. Ill 159 Bei jungen Thieren beobachten wir . . am meisten jene rastlosen, auf kein bestimmtes Ziel bezogenen automatischen Bewegun-

gen, durch welche die Seele auf den Gliedergebrauch sich einzuüben Gelegenheit findet; Barnum 1855 Leben 144 automatische Schachtische; Schaffte 1875 Bau I 118 Eine grosse Menge von Vorstellungen werden uns in dem Masse ihrer Eingewöhnung so zu sagen automatisch eigen; Preyer 1881 Hypnotismus 27 die „automatischen" Bewegungen des Hypnotischen; Nordau 1885 Paradoxe 146 weshalb häufig geübte Thätigkeiten nicht mehr von den höchsten Zentren frei verrichtet werden, sondern automatisch, das heißt organisch vor sich gehen; Eckstein 1892 Dombrowsky II 160 Er hatte genickt, wie Einer, der zustimmt, und ihren Händedruck, der den Vetrag besiegelte, automatisch erwidert; Tovote 1900 Laterne 113 musste sie Grüsse, die offenbar ihr galten, erwidern. Automatisch that sie es, ohne zu sehen, wem sie dankte; Moll 1902 Ärztl. Ethik 15 Auch im konkretem Fall kann das automatisch auftretende Gefühl durch Vernunftgründe geläutert . . werden; Freud 1905 D. Witz u. s. Beziehung zum Unbewußten (Studienausg. IV 205) man kann für . . Vorgänge, die sich im Vorbewußten abspielen und der Aufmerksamkeitsbesetzung, mit welcher Bewußtsein verbunden ist, entbehren, passend den Namen „automatische" verwenden; Huret 1909 Berlin 236 Anzahl automatischer Fernsprechzellen; 1910 Buch d. Sports Nr. 789 man versieht ihn mit einem sich leicht automatisch öffnenden Ventil; Berend 1912 Reise 11 automatischen Staubreiniger; Freud 1915 Triebe u. Triebschicksale (Studienausg. Ill 84) daß die Tätigkeit auch der höchstentwickelten Seelenapparate dem Lustprinzip unterliegt, d. h. durch Empfindungen der Lust-Unlustreihe automatisch reguliert wird; 1916 Deutschland II 649 unabwendbare Konsequenzen, die mit automatischer Schnelligkeit abrollten und nur an einer einzigen Stelle noch das Medium einer scheinbar freien Entschließung zu passieren hatten; 1918 Deutschland 605 „automatische" Regelung; Freud 1919 Das Unheimliche (Studienausg. IV 250) weil durch sie [epileptische Anfälle und Äußerungen des Wahnsinns] in dem Zuschauer Ahnungen von automatischen — mechanischen — Prozessen geweckt werden; Werfel 1920 Mörder 230 die Bude mit den automatischen Figuren . . denen man die Hüte vom Kopf wirft; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 884) Man öffnete den anmutig sich verjüngenden Deckel, dessen innere, vom Grunde gehobene Messingstütze ihn in schräg schirmender Lage automatisch feststellte; Sacerdote 1925 Italien 43 Das „automatische Restaurant" oder die „automatische Bar", in der man eine Münze in einen Apparat steckt und dafür ein belegtes Brötchen .. automatisch gereicht bekommt . . die „automatischen Verkäufer" . ., aus denen man durch Einstecken einer Münze eine Tafel Schokolade erhält; Kellermann

Automat 1925 Schellenberg 9 und schon schlug er, fast automatisch, jenen Weg ein, den er in . . Träumen .. gegangen war; Hesse 1925 Strassenecken 97 automatische Löschvorrichtung; Friedeil 1928 Kulturgesch. H 442 Es zeigt sich . . die . . Kraft . . des Wortes, das fast automatisch sich immer an die rechte Stelle drängt; Dublin 1929 Alexanderplatz 192 Er selbst wollte . . nicht, die Tat vollzog sich . . automatisch . . unter Beteiligung seines Mittelhirns.· Er war nämlich stark alkoholisiert; 1930 Westermanns Monatsh. (August) 579 Große Banken, Kaufhäuser, Fabriken haben ihre eignen automatischen Anlagen, die einen schnelleren und sicheren Verkehr der einzelnen Abteilungen untereinander ermöglichen; Voss. Zig. 11.2.1930 Eva Rötsch war zwischen die Türen, die sich automatisch schließen, eingeklemmt; ebd. 4.5.1930 Eine Neuauffassung vom Staate aber führt automatisch zu einer Revision der Eheauffassung; Freksa 1931 Sommer 155 Patronenhülsen einer . . automatischen Pistole; Arnholds Wochenber. 7.2.1931 daß ein . . Abgleiten der Preise . . nicht möglich sei, ohne daß automatisch Nachfrage auftrete; LokalArn. 16.2.1933 Auch diese .. „Belastung" des Fahrers fällt fort, falls der Wagen . . eine automatische Kupplung besitzt; Berl. lllustr. Nachtausg. 5.1. 1933 automatische Feuermelder; ebd. 14.3. 1933 bei den großen Schiffahrtslinien . . geht die Beförderung automatisch und wie am Schnürchen; ebd. 19.5.1933 automatische Verkehrsregelung; Bahr 1933 Volk 45 automatisch erfolgen; Lokal-Anz. 7.5.1934 auf der Kontrolltafel ist . . automatisch registriert, wo es fehlt; Berl. Börsenztg. 15.5.1935 Es braucht nur der Fall einzutreten, daß der über 70 Jahre alte Lerroux . . erkrankt, so rückt Gil Robles automatisch an dessen Stelle; Münch. N. N. 15.5.1936 findet bei den spärlichen deutschen Rohstoffquellen die Binnenkonjunktur ihre automatische Begrenzung in der Möglichkeit einer Bezahlung der erforderlichen ausländischen Rohstoffe; ebd. 1.10.1940 Diese Dame ruft die Kunden . . vermittels eines automatischen Nummernwählers an; Süddtsch. Ztg. 26.3.1946 Das amerikanische Hauptquartier hat eine Verfügung herausgegeben, nach der bestimmte Gruppen von Personen von der automatischen Festnahme ausgenommen werden; ebd. 25.9.1948 300 Personen, die . . durch die US-Armee wegen ihrer aktiven Parteizugehörigkeit „automatisch" in Lager eingewiesen wurden; ND 22.2.1949 der schreckenerregende Anblick des Menschen mit der Handgranate zwang automatisch Dutzende von Händen in die Höhe; Welt 17.8.1949 Eine automatische KaffeeRöstmaschine für den Hausgebrauch wurde von einem Hotelier in Boston entwickelt; ebd. 25.8. 1949 Anerkennung aber bedeutet automatisch Nichteinmischung; Süddtsch. Ztg. 13.10. 1950 das

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alles werde automatisch verschwinden, wenn die Wirtschaft wieder nach dem Gesetz der freien Marktwirtschaft ablaufe; ebd. 1.10. 1952 eine automatische Erhöhung der Mieten; Welt 6.7.1954 eine . . Haftpflichtversicherung, die mit Beendigung der Probezeit automatisch erlischt; ND 25.11.1954 Eine spezialisierte Produktion mit wenig Artikeln würde automatisch auch zu einer Qualitätssteigerung führen; Kaschnitz 1956 Haus 45 da seit einigen Jahren alle besseren Gasthäuser . . zu automatischer Bedienung übergegangen sind; Süddtsch. Ztg. 14.6. 1957 Die neue Anlage wird automatisch gesteuert; Frisch 1957 Homo faber 91 Ich erklärte, was die heutige Kybernetik als Information bezeichnet: unsere Handlungen als Antworten auf sogenannte Informationen, beziehungsweise Impulse, und zwar sind es automatische Antworten, größtenteils unserem Willen entzogen; Gail 1958 Weltraumfahrt 43 Zweitens wurde diese Stufe nicht automatisch, sondern durch individuellen Befehl vom Boden aus gezündet; Welt 19.3. 1959 Für alle Typen gibt es Overdrive auf Wunsch oder für die Sechszylinder automatisches Getriebe; ND 8.7.1959 Selbstverständlich können die in dem „automatischen Laden" geführten Artikel auch während der üblichen Ladenöffnungszeiten gekauft werden; Welt 12.11.1959 Um Mitternacht schaltet das Datum automatisch weiter; Johnson 1961 Buch 20 Die Farben der Ampel wechselten nicht automatisch sondern bedient von einem weißbemützten Polizisten; Marti u. a. 1963 Literatur 96 Der Surrealismus begann mit Versuchen Bretons und Philippe Soupaults, „automatisch" zu schreiben, d. h. ohne Kontrolle durch das Bewusstsein; Böll 1963 Clown 53 „Geh", sagte sie, aber sie sagte es automatisch, ich wußte ja, daß sie es sagen mußte; ND 10.9.1964 Sprachwissenschaftler .. beschäftigen sich . . mit den Aufgaben der automatischen Übersetzung; FAZ 5A. 1966 Die . . Rückkehr der Emissäre . . sollte . . nicht als automatisches Signal für den endgültigen Abschluß genommen werden; Welt 16.12.1969 Verhängnisvoll wurde dieses System dadurch, daß es automatisch funktionierte; Zinn 1971 Sozialistische Planwirtschaftstheone o. S. daß sich die gesellschaftliche Wohlstandsfunktion „automatisch" durch eine Kombination aus marktwirtschaftlichem Koordinationsmechanismus und demokratischer Willensbildung . . ergibt; Hildesheimer 1977 Mozart 181 der kreative Akt blieb unerinnert, die Niederschrift war ein automatischer Vollzug, währenddessen er sich bereits von dem Werk löste; Süßkind 1981 Kontrabaß 91 Alle zwei Jahre automatische Anhebung der Bezüge. Später Pension. Ich bin total abgesichert; Fränkle 1985 Statist. Methoden 151 als damit bei Entscheidung über eine der Hypothesen automatisch über die andere Hypothese mitenr-

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schieden ist; MM 6.4.1985 Außerhalb der Dienstzeit schaltet sich der automatische Anrufbeantworter ein; ebd. 6.7.1985 Diese Umwandlung erfolgt jedoch nicht automatisch, sondern muß beantragt werden; ebd. 26.10.1985 daß man in Zukunft englische Texte in den Computer eingeben kann, die automatisch ins Japanische übersetzt werden; ebd. 29.4.1986 Bei einem Leck im Kühlkreis schaltet sich der Reaktor nicht automatisch ab; Zeit 9.5.1986 Selbst wenn das Unglaubliche sich ereignen sollte, würden die automatischen Kontrollund Sicherheitssysteme den Reaktor binnen weniger Minuten abstellen; ebd. 10.10.1986 Denn aus ihr, der Romantik, stammt . . der . . religiöse Tonfall, in den wir automatisch verfallen, wenn von Dingen der Kunst die Rede ist; Spiegel 30.11.1992 Wer stehend von seinem Platz aus sprechen will, dem saust sogleich automatisch der Stuhl in die Kniekehlen; ebd. 15.3.1993 Ausländerkinder sollen . . von der dritten Generation an automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. vollautomatisch: 1928 Technik XXIX 8 den neuesten vollautomatischen, bürsten- und kettenlosen Flaschenreinigunsgmaschinen für alle gebräuchlichen Gefäßformen; 1929 Technik LXVII 2 Ketten werden heute vollautomatisch geschweißt; LokalAnz. 1.6.1930 bitten wir Sie, künftig sogleich vollautomatisch D l 1111 zu wählen; 1936 „Duden" Sammlung o. S. Kräftiges elektrisches Laufwerk mit vollautomatischer Ein- und Ausschaltvorrichtung; March 1948 Weg 166 dass die Maschine . . vollautomatisch zu arbeiten beginnt; NZ. (Basel) 13.4.1950 eine vollautomatische Drehscheibe einzubauen; Neue Ztg. 22.9.1950 die vollautomatische Verkehrsregelung durch Ampeln; Süddtsch. Ztg. 31.5.1951 ein vollautomatisches NotstromAggregat; ebd. drei vollautomatisch arbeitende Klimaanlagen; ebd. 13.5.1955 Als er sich Vater werden fühlt, stellt sich die sozusagen vollautomatische Charakterweiche um, . . ist aus dem Lump ein Tugendbold geworden; ebd. 30.4.1957 vollautomatische Durchlauferhitzer; Gail 1958 Weltraumfahrt 38 Der Druckknopfkrieg, das vollautomatische Vernichtungsunternehmen auf Abruf, ist heute keine technische Utopie mehr; Stuttgarter Ztg. 3.3.1959 Preissenkungen für vollautomatische Waschmaschinen; Süddtsch. Ztg. 7.3.1959 Der vollautomatische Lehrer . . Äußerlich eine Kreuzung aus Spielautomat und Fernsehgerät; Offenburger Tagebl. 1.2.1961 Vollautomatische Läden, in denen die Automatenstraßen oder -gruppen durch Fernsehanlagen ständig beobachtet werden; Stuttgarter Ztg. 9.11.1962 vollautomatisches Kino; Süddtsch. Ztg. 30. 4.1962 das erste vollautomatische Tonbandgerät; Stuttgarter Ztg. 8.12. 1967 Deshalb bremst man so schnelle Züge lieber

vollautomatisch als nach dem menschlichen Ermessen; MM 7.11.1985 halb- oder vollautomatische Steuerung per Heimcomputer; Spiegel 11.6. 1990 ein Roboter-Theater, in dem 40 Automaten .. vorführen, was sie können: .. auf einem Bein tanzen oder als vollautomatische Putzhilfe die Böden reinigen. automatisieren: Dessoir 1906 Ästhetik 136 Ist aber der Takt erfaßt, so wird er auch bald automatisiert und das Bewußtsein von der Aufmerksamkeit auf ihn befreit; 1914 Technik u. Wirtschaft VII 520 Zweck der Übung, den Geist so weit wie möglich zu mechanisieren und automatisieren, um jeder geistigen wie körperlichen Einzeltätigkeit ein immer geringeres Maß von Aufmerksamkeit zuwenden zu können; Kyber 1925 Tierschutz 22 dass sehr viele Menschen in Deutschland so entmenscht und naturferne, so mechanisiert im Denken und automatisiert im Gefühl geworden sind; Berl. IIlustr. Nachtausg. 15.2.1933 wir sind vollautomatisiert, und das schon lange; Horkheimer/Adorno 1947 Dialektik 197 Projektion ist im Menschen automatisiert wie andere Angriffs- und Schutzleistungen, die Reflexe wurden; Süddtsch. Ztg. 19.2.1953 Die Dachauer [Telefon-]Anlage wurde . . im Jahre 1934 . . automatisiert; ebd. 19. 7.1957 in der Schule . . kann höchstens das Auf- und Abschieben der Tafel automatisiert werden; ebd. 6.3.1958 Die Kapazitäten werden erweitert, die Arbeitsvorgänge rationalisiert und weitgehend automatisiert; Johnson 1961 Buch 275 und darf nicht wissen was er tut, unsichtbar ungesehen automatisiert das Gehirn ihm die Bewegung, er soll denken woran er will aber nicht an seine Nerven; 1965 Arbeitgeber 8 Angesichts unseres ungenügenden Arbeitskräftepotentials muss die Industrie . . investieren, rationalisieren und automatisieren; Zeit 16. 8.1985 Die Arbeitsgruppe will die Technik noch weiter vereinfachen und automatisieren, so daß die Apparatur bald industriell hergestellt werden kann; ebd. 19.6.1987 die Gefahr, eine nicht effektive Organisation mit Computern zu automatisieren. automatisiert: Buber 1923 Ich und du 55 Wenn . . der automatisierte Staat wesensfremde Bürger zusammenkoppelt .. sei er durch die Liebesgemeinde zu ersetzen; 1925 ZfMenschenkunde l 45 automatisierte Vorstellungsreihen; Süddtsch. Ztg. 10. 5.1958 Es fiel das Wort von der Mediation, zu welcher der künftige Maschinenüberwacher im automatisierten Betrieb seine Zuflucht nehmen müsse; ebd. 18.5.1958 vom zünftigen Berggasthof zum automatisierten Ausflugslokal; Offenburger Tagebl. 5. 3.1959 Ein automatisierter Betrieb brauche nicht weniger Arbeitskräfte als ein nach kon-

Automat servativen Methoden arbeitender, er produziere nur mehr; Becker 1962 Quantität 262 die automatisierte Maschine; ND 26.9.1964 eine moderne, weitgehend automatisierte Anlage; FAZ 18.10. 1967 Wir ließen viele andere beim Start an Ampeln neben uns zurück, da wir die Schaltpause der Nichtautomatisierten überbrücken konnten; Zeit 5.4.1985 Dazwischen schiebt sich vielmehr eine weitgehend automatisierte Produktion, die sicherstellt, daß die Bedürfnisse der Alten mit einem Minimum an gesellschaftlichem Aufwand realisiert werden; Hoyos 1990 Ingenieurpsychologie 474 Als Möglichkeit, Operateure auch in hochautomatisierten Systemen wieder stärker in das Prozeßgeschehen einzubinden, gilt eine interaktive Beziehung Mensch-Rechner. vollautomatisieren: ND 2.3.1964 Sie ist vollautomatisiert, zwei Arbeitskräfte pro Schicht genügen für die Überwachung; MM 7.2.1985 Auf absehbare Zeit wird es keinen fahrerlosen Zug geben, aber das Fahren kann vollautomatisiert werden. vollautomatisiert: 23.5.1956 Moderne Rechenanlagen — Muster und Kernstück einer vollautomatisierten Fabrik (Vortragstitel); Becker 1962 Quantität 262 vollautomatisierte Produktion; ND 8.12. 1969 Von sozialistischen Arbeitsgemeinschaften exakt vorbereitet, wird am 15.Dezember das erste vollautomatisierte Stellwerk den Betrieb aufnehmen; Zeit 22.11.1985 Es kann schließlich nicht so sein, daß eine vollautomatisierte Wirtschaft keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. Automatisierung: Hirth 1894 Lokalisationstheorie 48 Automatisierung selbst komplizierter Ideenverbindungen; Weber 1910 Kapital u. Arbeit 31 die Leistungsfähigkeit [der Arbeiter wird] . . durch Mechanisierung und durch Automatisierung der Arbeit. . gesteigert; Münsterberg 1914 Psychotechnik 262 Automatisierung des Seelenlebens; Münch. N. N. 23.1.1915 Die Automatisierung des Telephonbetriebes in München wird trotz des Krieges . . fortgesetzt; l 928 Arbeitgeber 543 Die Produktionstechnik der Gegenwart ist gekennzeichnet durch Mechanisierung und Automatisierung der Arbeitsform; Guttmann 1932 Industriepolitik 115 Mechanisierung und Automatisierung der Arbeitsweisen; Der Westen 31.12.1934 die weitere Automatisierung des Fernsprechnetzes und die Verbesserung des Rohrpostbetriebs; Sombart 1938 Menschen 337 Ersetzung des Lebens durch Versachlichung, besser noch Verdinglichung dieser Systeme mit Apparatisierung, Mechanisierung, Automatisierung, Taxametrisierung, Motorisierung, Maschinisierung; ß. N. 9.9.1943 Wir leben halt im Zeitalter der Automatisierung; N. Z. Z. 13. 9.1944

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Ungefähr gleichzeitig mit dem Ausbau des Fernleitungssystems begann und verlief auch die Automatisierung des Telephons; Görlitz 1949 Idee 50 Automatisierung des Nahrungstriebes; Süddtsch. Ztg. 26.9.1954 Die Notwendigkeit, infolge des harten Wettbewerbs Zeit, Arbeit und Geld zu sparen, läuft auf eine weitere Automatisierung hinaus; Offenburger Tagebl. 16.8.1958 auch die technische Vervollkommnung der Betriebe, ihre Rationalisierung und Automatisierung wird nicht den Mangel an menschlicher Arbeitskraft aufheben können; ND 26.1.1959 die Einführung von Automatisierung und Vollmechanisierung; Arbeitgeber 5.4.1961 daß die Belegschaft die Automatisierungsmaßnahmen mit dem gleichen Elan begrüßt und fördert wie die Unternehmensleitung; Offenburger Tagebl. 6.10.1961 Automatisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen; Münch. Stadtanz. 10.11.1961 weil die rapide fortschreitende Technisierung, Rationalisierung und Automatisierung der Produktion unsere Lebensverhältnisse unaufhörlich verändert; Stuttgarter Ztg. 24.10.1962 Ganz neue Wege hat auch eine Weltfirma bei der Entwicklung eines Automatisierungssystems beschriften, das aus verschiedenen Blöcken aufgebaut ist, die zu einer Kontrollhierarchie zusammengesetzt werden können; ebd. 6.10.1964 einer Besichtigung des Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung der Technischen Hochschule; 1966 Kulturanthropologie 362 Der Fortbestand der herrschenden Ordnung impliziert eine Automatisierung des Lebens; FAZ 18.7.1969 Kernstück der Automatisierung: der Computer; ebd. 10.3.1971 die weitergehende Mechanisierung und Automatisierung dort, wo sie möglich ist; Offenburger Tagebl. 27.4.1971 Manche hören .. „die Automatisierungspeitsche knallen"; Zeit 9.8.1985 seine führende Rolle im Bereich der Büroautomatisierung; ebd. 6.12.1985 wird jemand aus dem Arbeitsprozeß durch Automatisierung freigesetzt, erhält er . . eine Rente; ebd. 8.8.1986 wenn . . ein Automatisierungsprozeß einsetzt, so daß man . . auf den Knopf drücken und die Dinge perfekt ablaufen lassen kann; MM 6.11.1987 Automatisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen. Vollautomatisierung: Schwab. Landesztg. 9.9. 1949 Vollautomatisierung des Sicherungswesens; Süddtsch. Ztg. 19. 9.1950 Dabei wird nicht immer dem . . Streben nach Vollautomatisierung gefolgt; 1956 Arbeitgeber XII o. S. Wenn auch . . große Fortschritte in der Automatisierung gemacht worden sind, so ist. . das Stadium der Vollautomatisierung noch nirgends ganz erreicht worden. Automatismus: Lotze 1856 Kl. Sehr. Ill 297 ich theile . . seine Polemik gegen jenen Automatismus,

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der in dem Stoffe und seinen Bewegungen höchstens mit Hinzunahme des wichtigen Princips des Zufalls die Grundlage der Welt sieht; Nordau 1885 Paradoxe 154 die automatische, emotioneile Thätigkeit der höchsten Zentren war stärker als ihre freie kogitationelle, . . der Wille hat die kräftigere Anregung von ihrem Automatismus erhalten; Freud 1900 Traumdeutung (Studienausg. II 584) Die automatische Herrschaft des primären Unlustprinzips und die damit verbundene Einschränkung der Leistungsfähigkeit wird durch die sensiblen Regulierungen, die selbst wieder Automatismen sind, gebrochen; Moll 1902 Ärztl. Ethik 70 Je mehr jemand im stände ist, sich von der Neigung zum Automatismus frei zu machen, und der aktiven Reflexion die Herrschaft zu lassen, um so mehr wird er zum wahren Individualisieren befähigt sein; 1903 Stimmen d. Zeit LXIV 58 Schreibautomatismus; 2904 Naturwiss. Wochenschr. XIX 3 Durch Automatismus ausgeführte Handlungen sind ursprünglich vom Verstande kontrolliert oder eingegeben; Freud 1905 D, Witz u. s. Beziehung zum Unbewußten (Studienausg. IV 63 f.) Eine Person . . versäumt es, sich den Anforderungen der Situation anzupassen, indem sie dem Automatismus der Gewöhnung nachgibt; 1910 Stimmen d. Zeit LXXVUI149 Bewegungsautomatismen; 1912 Technik u. Wirtsch. V 468 Wie .. der Automatismus einer Maschine nie so weit getrieben werden kann, daß der Mensch . . entbehrt werden könnte; Schumpeter 1918—29 Aufs. z. Soz. 52 Automatismus der freien Wirtschaft; Curtius 1921 Barres 223 Automatismus der Gewohnheit; 1925 ZfMenschenkunde l 44 die bewußte Persönlichkeit gegenüber den Automatismen des Vorstellungslebens selbständig zu machen; Spann 1932 Haupttheorien 15 wäre die Einfuhr des Geldes durch aktive Handelsbilanz auf die Dauer durch die Gesetze der

Preisbildung („Automatismus") unmöglich; 2933 ZfPolitik XXIII 269 Marktautomatismus; Berl. Börsenztg. 16.5.1935 Dieses System läßt . . zwischen „Konsultation" und „Automatismus" . . wenig Spielraum; Münch. N. N. 22.4.1938 eine öffentliche Diskusssion für und gegen . . den Automatismus dieser Allianz in England; Süddtsch. Ztg. 19.7. 1946 Wunderlicher Automatismus „Mensch"! Man verlangt von dir, was man . . von keiner Maschine sich zu verlangen getraute; NZ. (Basel) 27.4.1949 Der Psychiater . . erklärte, daß trotz der dämmrigen Bewußtseinsstörung solch logische Handlungen als „eingeschliffene Automatismen" möglich seien; Süddtsch. Ztg. 28.6.1952 Wie gespenstisch der Automatismus der Apparaturen schon ganz ohne die Physik eines wirklichen Knopfes herrscht; ebd. 4.12.1953 In Wirklichkeit finden die meisten Dialoge nur statt, weil vom einen (oder beiden) ein Automatismus in Gang gebracht wird; Münch. Stadtanz. 31.5.1957 daß die früher so stolze Selbstverwaltung sich heute weitgehend im „Automatismus subalternen Vollzugs" erschöpfe; Süddtsch. Ztg. 8.10.1959 Auch der Automatismus einer Marktwirtschaft könne, wie der eines Kraftwagens, gesteuert werden; Stuttgarter Ztg. 26.3.1962 Dem unpersönlichen Automatismus der Triebbefriedigung stellte er die Faszination gegenüber, die das Wesen des Erotischen ausmache; ebd. 27.4.1963 Viel zu früh haben die Funktionäre der IG Metall den verhängnisvollen Automatismus der Urabstimmungen und Streikvorbereitungen in Gang gesetzt; ebd. 17.1.1968 dem Ausbruch des abstrakten Expressionismus im Banne des von den Surrealisten entdeckten „Automatismus"; Sloterdijk 1983 Kritik 155 Es ist schwer, innere Automatismen aufzulösen; es kostet Mühe, das Unbewußte zu duchdringen.

Automobil N., anfangs auch F. (-s; -e, früher auch -es, -en), Ende 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. automobile, zurückgehend auf die subst. Verwendung von automobile Adj. in Syntagmen wie (voiture, canot, tricycle) automobile (wohl nach dem c Vorbild von gleichbed. locomobile, aus griech. (von) selbst' (—»· aut(o)-) und lat. mobilis 'beweglich', also eigentlich 'etwas, das sich von selbst bewegt; Selbstbeweger, -fahrer'; —» mobil), heute weitgehend von der Kurzform —» Auto verdrängt. Anfangs häufig auf französische oder englische Verhältnisse bezogene Bezeichnung für nicht von Pferden gezogene, erst dampf-, später motorbetriebene, bis in die 20er Jahre als Beförderungsmittel (zum Transport von Personen und Sachen) neben der privaten auch für öffentliche, militärische o. ä. Nutzung eingesetzte Fahrzeuge, deren Vorläufermodelle bis in die 2. Hälfte des 18. Jhs. zurückreichen und an deren Erfindung und Entwicklung mehrere Nationen Anteil beanspruchen, seit der Jahrhundertwende dann in der zunehmend verfestigten Bed. c motorbetriebenes, zum Transport einer beschränkten Anzahl von Personen bestimmtes vierrädriges Kraftfahrzeug

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(für den privaten Gebrauch)'. Meist positiv konnotiert mit „weltläufig, vornehm, gediegen, exklusiv, elegant, luxuriös" (s. Belege 1893, 1905, 1907, 1909, 1910, 1924, 1926, 1930, 1955, 1985) und (im Zuge der technischen Entwicklung und seriellen Fertigung) auch mit „Fortschritt, Freiheit, Lebensqualität (für alle, viele) bietend, einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellend" (s. Belege 1907, 1919, 1927, 1928, 1931, 1932, 1958, 1959, 1966), seltener auch negativ konnotiert mit „lebensbedrohend, umweltschädlich" (s. Belege 1902, 1905, 1913, 1931, 1985). Daneben heute weitgehend verdrängte indigene Entsprechungen wie Motorwagen, Motorfahrzeug, Kraftwagen (s. Belege 1907, 1933, 1985), mit Bezug auf die Hersteller Daimler-, Benz-Wagen (s. Beleg vor 1910), und Verdeutschungsversuche wie Selbstfahrer, Motorfahrzeug, Selbstfahrzeug, sowie bis heute konkurrierend (1901 offiziell anerkanntes) Kraftfahrzeug, allgemeinere Synonyme wie Fahrzeug, Wagen (s. Belege 1907, 1909, 1914, 1933, 1938, 1955, 1986) und vor allem die abgekürzte Form —» Auto, die als die alltäglichere Variante uneingeschränkt neue wortbildungsbezogene und syntagmatische Verbindungen eingeht, während sich Automobil vom Bezug auf den konkreten Gegenstand eher entfernt und als Bezeichnung häufig eher offizielle, übergeordnete, historische Aspekte oder solche der Technik und Typik oder des Phänomens sowie entsprechende Konnotationen (s. Belege 1968, 1969) übernimmt und bevorzugt in eher pathetisch-archaisierender Redeweise verwendet wird (s. Belege 1934, 1942, 1954, 1961). Bereits seit den 30er Jahren, seit den 50er Jahren überwiegend, als Bestimmungswort in spezifischen Zss., die teils neben, teils anstelle entsprechender Zss. mit der Kurzform —* Auto nachgewiesen sind, z. B. Automobilausstellung, -besitzer, -bau, -branche, -betrieb, -fahrer, -fabrik, -fahrt, -firma, -gesellschaft, -Handlung, -herstellet, -Industrie, -klub, -konzern, -markt, -mechaniker, -motor, -park, -preise, -produktion, -reise, -rennen, -Straßen, -Steuer, -sport, -sektor, -salon, -typ, -technik, -transport, -Unglück, -(ver)kauf, -verband, -werk, als Grundwort nur vereinzelt in veralteten Zss. wie Last-, Privatautomobil, außerdem als Vorbild und Leitwort einer Reihe analoger Bildungen mit dem produktiven zweiten Bestandteil -mobil (vgl. Elektro-, Goggo-, Multi-, Papa-, Solar-, Spiel-, Tret-, Wohnmobil); dazu Ende 19./ Anfang 20. Jh. aus frz. automobilisme (aus automobile und -isme) übernommenes Automobilismus M. (-; ohne PL) 'Gesamtheit aller technischen, wirtschaftlichen und sozialen Phänomene, die mit dem Automobil einhergehen, Automobilwesen', mit ebenfalls frz. beeinflußtem Automobilist M. (-en; -en), auch in der movierten Form Automobilistin F. (-; -nen), in der Bed. 'Kraft-, Autofahrer (in)', auch 'Rennsportler(in)' (s. Beleg 1931), mit dem veraltenden Adj. automobilistisch 'auf das Automobil, den Automobilismus, Automobilisten bezogen' und vereinzelt im früheren 20. Jh. nachgewiesenem automobilisieren 'den Automobilhandel und -verkehr fördern, in Schwung bringen'; seit Anfang 20. Jh. eventuell unter frz. Einwirkung das Adj. automobil (Steigerung ungebr.), vor allem im Syntagma automobiles Fahrzeug 'sich von selbst, aus eigener Triebkraft fortbewegendes Fahrzeug', in neuerer Zeit im Sinne einer semantischen Ableitung von Automobil verwendet in der Bed. 'auf das Automobil, die Autoherstellung, den Autoverkehr bezogen' (s. Beleg 1965). Automobil: Siklosy 1893 Kadfahrergesch. 62 In den Straßen von Paris wird es bald komisch aussehen. Viele Fiaker fahren bereits ohne Pferde als numerirte Automobiles umher; ebd. 70 Die offenkun-

dige Absicht meines Nachbars war, die „Automobiles" zu persifliren. Da sich aber bei dem Festzuge in Oloron kein solches hochmodernes und kostspieliges Vehikel befand, hielt sich der Mensch an

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mich . . Automobilfahrer; 1896 Dtsch. hippolog. Presse XII 512 Der erste Automobil-Fiaker ist am 31.10. [1896] auf den Pariser Boulevards erschienen; 1899 Z. D. Spr. V. XIV 208 Die bereits einigermaßen eingebürgerte . . Verdeutschung „Selbstfahrer" für Automobil- oder Motorwagen scheint uns recht glücklich zu sein; 1900 ebd. XV 76 Das Automobil wie der Motorwagen sind beides „selbstfahrende Wagen", „Selbstfahrer" oder „Triebwagen", die ihre Antriebvorrichtung oder ihren Antrieb bei sich führen; 2900 ebd. XV 236 Über die Verdeutschung des Automobils . . Wie sie aus dem Velozipedisten einen Radler gemacht haben, so haben sie aus der Automobile das Schnauferl oder den Selbster entstehen lassen. Ob sich eins der beiden Worte halten wird, kann niemand voraussagen: besser als das neueste norddeutsche 'Kraftwagen' sind sie aber entschieden; 3900 Münch. Adreßbuch (Abtig. Handel u. Gewerbe) 18 Automobile (& Motorfahrzeuge); Haarhaus um 1900 Blattschüsse l Bis vor wenigen Jahren wohnte die Frau Großmutter des gnädigen Herrn hier, aber die hat sich nun ganz auf den Automobilsport gelegt und lebt meistens an der Riviera; Mirandoli 1901 Die Automobilen für schwere Lasten und ihre Bedeutung für militärische Verwendung (Übers.) (Titel); ebd. l Anm. Die Bezeichnung „Automobile", die von vielen Seiten abgelehnt wird, ist hier beibehalten. Sie soll den Gegensatz zur Vorspannmaschine ausdrücken, der der Name Straßenlokomotive gebührt. In Frankreich versucht man die Namen Trakteur oder Remorqueur dafür einzuführen, während England in seinen Gesetzen für den Verkehr auf Landstraßen nur schwere und leichte Lokomotiven kennt; ebd. 5 schweren Automobilen (Vorspannwagen und Lastwagen); Feeg 1902 Die modernen Verkehrsmittel zu Wasser u. zu Land (Seedampfer, Eisenbahn, Fahrrad u. Automobil) (Titel); Bierbaum 1903 Er. a. Gemma 58 [Reise] mit dem Automobil; Morawetz 1905 Tendenzen i. Verpflegungswesen 7 Lastautomobile; 2905 RadWanderer 204 „Automobil-Raserei in der Riviera"; Küster 1907 Automobil 3 für den „Kleinen Wagen", das [4] „Volksautomobil"; ebd. 5 internationalen Automobil-Austeilung Berlin 1905; Küster 1907 Chauffeur-Schule 15 Automobilfabrik, Automobilindustrie; Stafenhagen 1907 Kraftwagen 12 Die Automobilen (Kraft-, Trieb- oder Motorwagen, Selbstbeweger, Selbstfahrer, Schnaufel, Töff-Töff, Auf, motorcarriages, autocars, autocabs, voitures automobiles etc.); Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 218 „Automobil-Klub", pardon, „Kaiserliche Automobil-Klub"; 1908 Brandenburgia 241 Anlagen von Rennbahnen und Automobilstraßen; Dunger 1909 Engländer ei 68 f. In reichen und vornehmen Kreisen erfreut sich jetzt das Kraftfahrwesen (Automobilsport) großer Beliebt-

heit. Da der 'Automobilismus' von Frankeich ausgegangen ist, so haben wir besonders französische Ausdrücke dafür, wie Chassis . . Carrosserie .. Garage . . Chauffeur, die sich .. sämtlich unschwer verdeutschen lassen . . Besonderen Anstoß erregte das Fremdwort Automobil: es ist lang, schwer auszusprechen und außerdem eine häßliche Zwitterbildung, halb griechisch und halb lateinisch, offenbar nach dem Muster von Lokomobil (lat. vom Orte beweglich) . . der Volkswitz verwandelte das unverständliche Wort in Automoppel, in Süddeutschland schuf man die Namen Schnauferl und Stinkwägele; andere nannten es Töff-Töff.. Andere wählen die Übersetzungen Kraftwagen, Kraftfahrzeug, Triebwagen, Selbstfahrer, Selbster; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 195) Das Gärtnerhäuschen ward aufgefrischt, die Ställe und Remiesen, die den Spoelmann'schen Wagenund Automobilpark aufnehmen sollten, wurden erweitert; ebd. II 271 Was die rasche Automobilfahrt betraf, so erklärte Imma Spoelmann im Laufe derselben, daß sie Klaus Heinrich eigentlich nur dazu eingeladen habe, um ihm den Chauffeur zu zeigen; Huret 1909 Berlin 224 Automobildroschken mit elektrischem und mit Benzinbetrieb; vor 1910 Motorwagen (Automobile) 2 ff. Die Motorwagen, auch Selbstfahrer, Automobilwagen und kurz Automobile genannt, sind eigentlich keine Erfindung der jüngsten Zeit. Der erste, der wirklich einen „Dampfwagen" konstruierte, welcher sich auf der gewöhnlichen Fahrstraße gleich einem sonstigen Gefährt bewegte, war der Franzose Eugnot. . Der erste Motorwagen, der sich wenigstens in gewissem Grade als praktisch verwendbar erwies, wurde um das Jahr 1801 von dem Engländer Trevithick erbaut. . Die Trevithicksche Dampfkutsche, die für die Beförderung von 6 Personen eingerichtet war, besaß einen liegenden Dampfzylinder; ebd. 8 f. Benzin-Motorwagen (Überschr.) Bis jetzt herrscht das Benzin als Betriebsmittel für Motorwagen beinahe unumschränkt. Automobile mit Dampfbetrieb wollen sich immer noch nicht so recht bewähren; ebd. 24 Endlich erzeugt man vielfach künstlichen Luftzug durch ein sich drehendes Ventilationsrad mit Windflügeln, so z. B. bei den Daimler-, den Benz- und Opel-Motorwagen; Ebertin um 1910 Alles verstehen 141 Der Andere renommierte fortwährend mit einem AutomobilWettrennen, bei dem er den ersten Preis errungen; Meerheimb 1910 Modell 53 Equipagen, Radfahreren, Droschken, Automobilen, Omnibusse, Reklamewagen . . überall eine Vielgeschäftigkeit; Bloem 1910 Sommerlt. 203 Da blinkte durch die Nebelschwaden ein funkelnagelneues, schneeweißes Automobil . . ein sehr nobles Geschenk meines Vaters; 1910-11 Lit. Echo 826 sagenhaften Epoche um 1903, als die Automobile noch Lederkupplun-

Automobil gen hatten; Schaukai 1913 Zettelkasten 115 das überhandnehmende Automobilwesen; ebd. 277 Unsere modernen Verkehrseinrichtungen, so gewaltig etwa der Eindruck einer Lokomotive, so massig der eines Automobilomnibus sein mögen, wirken nicht groß; Kees 1914 Kraftwagenlinien l Unter dem Begriff Automobil, Kraftfahrzeug oder Kraftwagen soll im folgenden verstanden werden ein Fahrzeug, das sich aus selbsterzeugter Kraft fortbewegt, ohne durch Geleise oder Zuleitung an eine bestimmte Fahrbahn gebunden zu sein; Schüler 1915 Du ahnst 103 der so plötzlich Verstorbene — er war das Opfer eines Automobils geworden; Hertling 1919 Jahr 152 im Zeitalter der Maschinen und des Automobils; Rutimeyer 1924 Ur-Ethnogr. d. Schweiz Vorr. XI Reise in der Schweiz — allerdings nicht nur per Bahn oder Automobil; Stekel 1924 Grund d. Seele 93 diese Frau, von ihren Kolleginnen beneidet, wenn sie im stolzen Automobil an ihnen vorbeifährt; Unruh 1925 Opfergang 34 Der Kellner lag auf zweihundert Wolldecken, die ein Kraftautomobil aus dem Etappengebiet der Front zuführte; Frankf. Ztg. 2.10.1927 Ein Denkmal für den Erfinder des Automobils (Überschr.) Kaum in Österreich, geschweige denn im Auslande ist bekannt, daß die bedeutendste Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts, das Automobil, aus Wien stammt; Bonn 1927 Geld u. Geist 84 Automobilfriedhöfe; 1928 Querschnitt 858 Bei dieser ersten internationalen Automobilausstellung, in der Amerika ziemlich stark vertreten ist, sind recht deutlich die großen Fortschritte der deutschen Kraftfahrzeugindustrie festzustellen; Erhard 1929 Weg 5 So ähnelt. . das neuzeitliche Automobil in seinen Grundzügen viel weniger der Eisenbahn, der es unmittelbar nachfolgte, als dem veralteten schienenlosen Straßendampfwagens und Dampfomnibus aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts; ebd. 102 Von Automobilen und Röntgenstrahlen kann man ja sprechen, das löst noch Gefühle aus; Roth 1930 Panoptikum 17 daß gemeinsame Interessen für einen neuen Typ eleganter Sportautomobile die Gegner einander nahegebracht hätten; 1931 Technik XI 82 Deutschland, das Geburtsland des Automobils; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 512 der „Telegrammstil", der dem Zeitalter der Blitzzüge, Automobile und Bioskope entspricht; 1931 Handb. d. Amerikakunde 64 „Automobil für jedermann"; Wohl 1932 Reporter 105 wo das Rennen endet, stauen sich Menschenmassen, Automobilherden, Autobusse in Rudeln; ß. Z. am Mittag 15.2.1933 eines der größten Verkehrsunternehmen . . mit seinem ausgedehnten Automobilpark einer der besten Kunden unserer Kraftwagen- und Zubehör-Industrie; Berl. Morgenpost 9. 6.1933 Beide Automobilfirmen geben ausführliche Darstellungen über ihre Herstellungs-

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und Prüfungsmethoden; ß. Z. am Mittag 24.6. 1933 Billigere Kraftfahrzeugversicherung (Überschr.) Abschaffung der Automobilsteuer für neue Wagen; Berl. lllustr. Nachtausg. 8.3.1934 Welch gigantische Entwicklung seit jenem 16. Dezember 1883, da zum erstenmal ein Automobilmotor in der Welt unter Patentschutz genommen wurde; Lokal- Anz. 1.9.1934 Auch das letzte europäische Automobilrennen des Jahres, bestritten von den besten Fahrern der Welt, konnte die Stellung Deutschlands im Automobilsport nicht erschüttern; Berl. Morgenpost 29.10.1934 Auf einer Straßenkreuzung in Japan ist auf einem riesigen Plakat folgende Warnung .. geschrieben: „O Automobil, du bist mächtig, schnell und wunderbar. Brauche deine Kraft und deine Schnelligkeit, aber mißbrauche sie nicht! Habe Mitleid mit denen, die sich mit dir nicht messen können, den Hunden, den Pferden und den Fußgängern . ."; Dtsch. AZ. 18.1.1935 Namentlich für billige Automobiltypen besteht in Dänemark große Nachfrage; ebd. 14.2.1935 Das Automobil ist das älteste Landverkehrsmittel der Menschheit, das eine Naturkraft, und zwar ursprünglich den Dampf, dazu benutzte, um über weite Strecken Menschen zu befördern. Die Erfindung wird, wohl mit Recht, dem Franzosen Eugnot zugeschrieben; ebd. 7.9.1935 Hartmann, der zu Deutschlands ersten Automobilfahrern gehörte und bereits 1899 einen . . Vortrag über die Verwendung des Automobils im Heeresdienst gehalten hatte; Münch. N.N. 17.12.1938 Umso stolzer können die Opelwerke darauf sein, daß sie das einzige Automobilwerk der Welt sind, das in der Lage ist, einen solchen Wagen, ganz aus Stahl geschweißt, im Serienbau herzustellen; ebd. 23.7. 1942 Im Mittelpunkt steht die erste Ferienreise Rudolf Diesels und seiner Familie mit dem Automobil; Th. Mann 1947 Paustus (W. VI 527) der Anblick eines auf dem Hof, bei der Ulme haltenden Automobils, — keiner gewöhnlichen Autodroschke, sondern eines Gefährtes von mehr privatem Ansehen, wie man es, samt Chauffeur, von einem Fuhrgeschäft stunden- und tagweise mietet; NZ. (Basel) 1.4.1949 Vor wenigen Tagen hat der diesjährige Genfer Automobil-Salon seine Tore geschlossen; Süddtsch. Ztg. 25.6.1950 Die Gleiswaagen in den Bahnhöfen sowie die Fuhrwerksund Automobilwaagen werden durch Beamte des Landesamtes für Maß und Gewicht. . geprüft; Dürrenmatt 1950 Nihilist 53 [er besaß] ein Haus, ein Automobil, eine Geliebte; Süddtsch. Ztg. 24.8. 1951 Benzinautos . . Elektromobile. Dazu noch Privatautomobile; ebd. 7. 8.1953 In den letzten Tagen erregte ein Automobil allgemeine Aufmerksamkeit, weil es statt des widerlichen Töff-TöffGetutes als melodiös klingendes Warnsignal den Anfang eines französischen Volksliedes von sich

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gab; Welt 20.2.1954 Automobil-Verkäufer für das gesamte VW-Verkaufsprogramm, verhandlungsgewandt und abschlußsicher gegen Fixum und Provision sofort gesucht; ebd. 10.3.1954 Für den Ausbau einer solventen Automobilhandlung . . wird ein tätiger Teilhaber .. gesucht; Süddtsch. Ztg. 14.4.1954 Raserei im 12-Kilometer-Tempo (Überschr.) Es ist heute auf den Tag genau 55 Jahre her, daß in München der erste Führerschein ausgegeben wurde. Die Königliche Polizeidirektion . . sah sich zu dieser Maßnahme gezwungen, weil die ersten Automobile die Straßen der Stadt aufs höchste unsicher machten; ebd. 8.5. 1954 mit „Automobils" fahren; ebd. 19./20.6. 1954 die Gartenvorstädte Amerikas, in die seit den späten dreißger Jahren rund 30 Millionen Städter geflüchtet sind. Verantwortlich für diesen beispiellosen Prozeß war der Anbruch der Automobil-Ära in Amerika; ebd. 16.8.1954 In der Tegernseer Landstraße veranstalteten gestern einige Radler ein Wettrennen mit einem im schnellsten Tempo fahrenden Automobil; ebd. 8. 6.1955 Seit einigen Tagen schaukelt ein altväterlich-elegant wirkender Maybach, Baujahr 1937, durch das Verkehrsgewimmel von New York . . Der neue deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen . . wußte genau, was er tat, als er sich .. den sozusagen deutschen Rolls Royce der Vorkriegszeit über den Ozean holte, kein Kraftfahrzeug, behüte, auch kein Auto, sondern ein Automobil im urtümlichsten Sinne des Wortes, ein motorgetriebenes Fahrzeug, das in erster Linie Fahrzeug, erst in zweiter Motor ist. . Steigt man ein, so hat man nichts von der Würde eines Automobilbesitzers aufzugeben; Silberschmidt 1958 Entwicklung 188 Die Analyse der Industrial Revolution in Amerika erreicht einen gewissen Höhepunkt mit dem Hinweis auf das Werk von Henry Ford, dem Mann, der mit dem Automobil das Vehikel unserer Zeit schuf; Süddtsch. Ztg. 15.9.1959 Henry Fords weltberühmtes „Modell T", das erste serienmäßig hergestellte Automobil von DaimlerMaybach (Baujahr 1885); FAZ 19.9.1959 Neuheiten im deutschen Automobilbau (Überschr.); Offenburger Tagebl. 19.9.1959 Das Automobil hat im gesellschaftlich-technischen Kosmos den Weg von der Primadonna zum Haustier und Hofhund zurückgelegt . . Ein Bummel durch die Hallen der Frankfurter Automobil-Ausstellung vermittelt einen wertvollen Blick in die Welt des Automobils von heute; Welt 23. 9.1959 Bei der Aufzählung der großen deutschen Automobile darf man den Mercedes 300 und die exklusiven BMW-Typen nicht vergessen; Offenburger Tagebl. 8.10.1960 Im Zeichen eines harten Konkurrenzkampfes zwischen den Automobilfabriken Europas und Amerikas steht die „47. Pariser Automobil-, Motorrad- und Fahrradausstellung"; Koeppen 1961 Frankreich 13

Vor dem Hotel, im Mauerschutz der alten Kirche, hatten sich Automobile zur Nacht gebettet; Süddtsch. Ztg. 4. 7.1961 Im Ehrensaal des Deutschen Museums fand gestern vormittag eine Feierstunde „75 Jahre Automobil" statt, die vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club, dem Allgemeinen Schnauferl-Club .. gemeinsam veranstaltet wurde; Quick 25.3.1962 Mit Hurra ins neue Jahrhundert — das Jahrhundert des Automobils! Die selbstfahrende Benzinkutsche ist der letzte Schrei. Begeistert rast eine junge, übermütige Generation ins Zeitalter der Technik; Stuttgarter Ztg. 31.8.1963 fuhr Daimler .. im April 1887 mit dem ersten vierrädrigen Automobil durch die Cannstatter Straßen. Das war die Voraussetzung für die Gründung der ältesten Automobilfabrik der Welt, der DaimlerBenz AG in Untertürkheim; Süddtsch. Ztg. 23.10. 1964 Der Pariser Autosalon und die Automobilausstellung in London sind die größten herbstlichen Demonstrationen der internationalen Automobilindustrie; Offenburger Tagebl. 11.5. 1966 Die sowjetische „Automobil-Revolution" beflügelte dieser Tage einen italienischen Kommentator zu der Zukunftsvision eines gewaltigen Automobilmarktes im Osten, eines „neuen verheißungsvollen Landes" für die Autoindustrie; 1966 Urania XI 29 einer technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit auf dem Automobilsektor zwischen dem Staatlichen Komitee für Wissenschaft und Technik des Ministerrats der UdSSR; Offenburger Tagebl. 13.3.1968 Neu auf dem Genfer Automobilsalon (Überschr.); Stuttgarter Ztg. 4.5.1968 Blick in die Wiege neuer Automobile; ebd. 7.3.1969 Ein völlig neues Automobilkonzept. Eine völlig neue Straßenlage; Welt 25.7.1969 wieder einmal sind die Automobilpreise im Gespräch. Es mehren sich die Stimmen, daß der Bürger vielleicht schon im Herbst. . für sein liebstes Kind mehr als bisher wird aufwenden müssen; Offenburger Tagebl. 14.1.1970 Wenn wir noch Freude an diesem Spiel haben wollen, so müssen die Automobile in Konzept und Konstruktion so ausgelegt sein, daß sie den Fahrer unterstützen und ergänzen. Ein Automobil hat heute keine Berechtigung mehr, wenn seine begrenzte technische Leistungsfähigkeit einen Teil der Aufmerksamkeit des Fahrers fordert; FAZ 25.2.1970 Frankreichs Automobilhersteller behaupten immer noch, Parkuhren am Straßenrand seien der Ruin der französischen Automobilindustrie; Offenburger Tagebl. 29.4.1970 [haben] in der Bundesrepublik rund 5,3 Millionen Frauen den Führerschein erworben. Sie kommen mit dem komplizierten technischen Gerät „Automobil" zurecht; Welt 1.3.1974 Das Automobil werde gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln benachteiligt, wenn der Beschluß des Bundeskabinetts realisiert werde. Der Automobilabsatz werde aber auch auf

Automobil andere Weise betroffen; Klemm 1983 Technik 167 Das Fließbandsystem w u r d e . . seit 1913 von Henry Ford bei der Serienerzeugung von Automobilen angewandt; MM 4.1. 985 1985 soll auch der erste nationale Kraftwagen.. von den Montagebändern der neuen staatlichen Automobilgesellschaft Malaysias rollen; ebd. 20.2.1985 Die bekannte Problematik um den Katalysator und das Tempolimit bremst die Automobilkonjunktur und trägt zur Verunsicherung bei; Zeit 19.4.1985 Die elektronische Datenverarbeitung scheint noch mehr Fanatiker hervorzubringen als das Automobilwesen; MM 20.4.1985 Die Commerzbank kam kürzlich in einer Studie zu dem Ergebnis, daß bis 1990 etwa die Hälfte der 1,2 Mill. Beschäftigten in der Automobilmontage dem Kollegen Roboter Platz machen müssen; ebd. 3.5.1985 Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC), mit derzeit 7,65 Millionen Mitgliedern größte Autofahrer-Vereinigung in Europa, hat sich gegen eine „Verteufelung" des Autos gewandt; Zeit 24. 5.1985 Ein Verbot von Überstunden in der Automobilbranche schafft keine Arbeitsplätze für arbeitslose Arzthelferinnen; MM 16.8.1985 Absage für das Auto als reines Statussymbol (Überschr.) Mit ihrer Unterschrift auf dem Formular des Clubs verpflichten sich Sympathisanten der Idee vom sparsamen Gebrauch des Automobils; Zeit 4.10.1985 Frauen vor blitzenden Automobilen, Frauen im grünen Gras, Frauen in teuer dekorierten Schlafzimmern; ebd. 29.11.1985 Das Automobil verursacht Emissionen verschiedener Art, es nimmt den knapper werdenden Ressourcenvorrat in immer stärkerem Maße in Anspruch . . Das marktwirtschaftliche Ziel der Freiheit der Verkehrsmittelwahl wird daher in zunehmendem Maße von Zielverzichten in anderen Bereichen begleitet; MM 24.4.1986 viele Besucher des Internationalen Veteranen- und Ersatzteilmarktes kümmerten sich nicht um die herausgeputzten Fahrzeuge der früheren Automobilgeschichte; ebd. 9.7.1986 Die Fusion der Automobilfirma Daimler-Benz mit dem Elektrokonzern AEG hat nach Ansicht der Kommission gezeigt, daß die geltenden gesetzlichen Eingriffsmöglichkeiten gegenüber „Großzusammenschlüssen" nicht ausreichend sind; MM 8.8. 1986 Neben Automobilen haben es dem Aktionisten auch Flugzeuge als Fetische der Hochtechnisierung angetan; Zeit 3.10. 1986 sie ist Grundlage der „DIN-Norm 51607 für unverbleite Ottokraftstoffe", die Mineralölindustrie und Automobilwirtschaft gemeinsam aushandelten; MM 30.10. 1986 Dabei bringen sie nicht nur in die Computerfirmen, sondern auch in die geplanten Automobilbetriebe den bekannten fernöstlichen Firmengeist mit; ebd. 27. 6.1987 Der Staat und die Automobilverbände können auf diesem Gebiet noch viel

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mehr tun für die Verkehrssicherheit; ebd. 13.3. 1990 Der größte bundesdeutsche Automobilkonzern will in der DDR ein Netz von Händlern für den Verkauf von Autos der Marken VW, Audi und Seat aufbauen; ebd. 12.4.1990 Eine falsche Entscheidung für eine schlechte Umwelt-Automobiltechnik heute wäre eine schwere Hypothek auf viele Jahre hinaus; Spiegel 30.7. 1990 „Bereits in wenigen Jahren", glaubt Hans-Wilhelm Meyer von der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) in Stuttgart, „könnte auf dem Gebiet der jetzigen DDR die gleiche Verkehrsdichte erreicht sein wie bei uns"; Stern 4.10.1990 Mit dem „Käfer" aus Wolfsburg beginnt das Zeitalter des Automobils in der Bundesrepublik: immer mehr, immer schneller, immer teurer; ebd. der Export hat dank des gestiegenen Dollarkur ses Hochkonjunktur, bundesdeutsche Automobile sind in aller Welt begehrt; FAZ 8.10.1990 Zum anderen dächten die Leute in der DDR jetzt an andere Genüsse des Lebens: an das Automobil, an die Urlaubsreise, an die Unterhaltungselektronik und weniger an Literatur und Kunst; Frankf. Rundsch. 8.10.1990 Und dann nutzt er die Gelegenheit, bei einem Spitzenmanager der Automobilwirtschaft für den „Superstandort" zu werben. automobil: Mirandoli 1901 Automobilen (Übers.) 3 die Straße verlangt von jedem automobilen Fahrzeug (das heißt von einem, das sich selbst die Triebkraft erzeugt und gleichzeitig den Übertragungs-Mechanismus trägt), daß es zwei Anforderungen entspricht: leicht fahrbar ist und große Leistungsfähigkeit besitzt; Olszewski u. Elgott 1911 Flugzeug in Heer u. Marine 59 Verwendung automobiler Fahrzeuge im Krieg; Süddtsch. Ztg. 12.10.1965 zeigte auf engstem Raum seine bekannten Citroen-Sonderaufbauten, während Facel als Marke bereits der automobilen Vergangenheit angehört; Zeit 6.6.1986 wir suchen: für die verantwortliche Steuerung und Abwicklung der Schlußredaktion, „BMW Automobil-Literatur und -Werbung" einen Korrektor/Lektor. Sie bringen ein: automobilen Sachverstand, perfekte Kenntnisse der deutschen Sprache, absolute Präzision und Zuverlässigkeit; Spiegel 30. 7.1990 Die Interessenvertreter der mobilen und besonders der automobilen Gesellschaft; ebd. 29.8.1994 Damit hatte der Mann, der im Januar dieses Jahres Rover gekauft und zur BMW-Tochter gemacht hat, fast so untertrieben wie der Schloßportier von Cliveden, in dessen Beritt die automobile Neuschöpfung deutschen Journalisten vorgestellt wurde . . Sein Nachfolger ist über zwei Tonnen schwer, in der Maximai-Motorisierung . . unglaublich schnell, und . . fast geschwind auf hundert wie jene ÖkoKämpfer, die sich reflexhaft über automobile

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Trinksitten wie die des neuen Range Rover ereifern. automobilisieren: Berl. Tagebl. 20.12.1929 AutoAusstellung in Berlin . . Rußland wird automobilisiert; Hirsch 1931 'Wirtschaftskrise 23 Seit etwa fünf Jahren sind die Herstellungskosten von Spitzenbetrieben für ein Pfund dieses seit der Automobilisierung so dringlich begehrten Produkts . . gesunken. Automobilismus: Kürschner 1899 Jahrb. 803 Der Automobilismus, wie man nach französischem Vorgang die ganze Bewegung zu Gunsten und zur Einführung der selbstfahrenden Wagen jeder Gestalt oder Gattung nennt, hat offenbar auch im letzten Jahr mächtig an Boden gewonnen; 1900 Z. D. Spr. V. XV 76 Auch der „Motorwagen" mit dem „Motor" wie das aus Frankreich hergeholte „Automobil" mit dem häßlichen „Automobilismus" sind ganz überflüssige neue Gäste; 1914 ebd. XXIX 422 „Automobilismus" erscheint ihm zwar nicht schöner als „Kraftfahrwesen", aber deshalb besser, weil es das Eigenschaftswort „automobilistisch" bilde, nach unserm Geschmacke freilich ein fürchterliches Gebilde; Mirandoli 1901 Automobilen (Übers.) l Der mechanische Zug auf gewöhnlichen Straßen hat seit einigen Jahren den Namen geändert und wird auf Veranlassung der französischen Erfinder „Automobilismus" genannt; 1905 Rad-Wanderer 253 der Automobilismus wird sich unaufhaltsam weiter ausbreiten; Dunger 1909 Engländerei 68 f. Da der 'Automobilismus' von Frankreich ausgegangen ist, so haben wir besonders französische Ausdrücke dafür, wie Chassis . . Carrosserie . . Garage . . Chauffeur, die sich . . sämtlich unschwer verdeutschen lassen . . Im Jahre 1901 erließ der Allgemeine Schnauferl-Klub (gesellige Vereinigung deutscher Automobilisten) ein Preisausschreiben für die Verdeutschung der Wörter Automobil, Automobilist, Automobilismus und Automobilfahren; Sacerdote 1925 Italien 46 die Stellung, die Italien im Rahmen des internationalen Automobilismus einnimmt; 1929 Arbeitgeber 530 f. Arbeitslosenfürsorge, Landstraßen und Automobilismus in England (Überschr.); Voss. Ztg. 7.3.1930 Einer der Pioniere des Automobilismus . . der Vorsitzendes des Frankfurter Automobil-Klubs, hat die Geschichte des Kraftfahrzeugs geschrieben . . Aus dem Sportgerät, aus der Liebhaberei einiger weniger ist in knappen drei Jahrzehnten das Verkehrsmittel der Zeit geworden; Berl. Morgenpost 9.6.1933 es ist ein besonders glücklicher Umstand, daß Deutschland zum erstenmal einen Kanzler besitzt, der sich . . für den Automobilismus einsetzt. Dadurch besteht die berechtigte Hoffnung, daß die Bedeutung des Automobils — vor allem auch im

internationalen Verkehr — noch weiter zunehmen wird; Lokal-Anz. 29.11.1934 der Schlußfolgerung . . daß der Schienenweg der sicherste und rentabelste, der schnellste und auch jetzt zukunftsreichste Deutschlands und der Welt sei, kann man sich nicht verschließen, bei aller Anerkennung der Bedeutung des Automobilismus; Münch. N.N. 12.5.1944 Dem verdienstvollen Pionier des deutschen Automobilismus sind zahlreiche Glückwünsche zugegangen; NZ. (Basel) 15. 1. 1950 Automobilismus (Überschr.) Zwischen den AutomobilClubs von Italien und Argentinien ist eine Vereinbarung getroffen worden, wonach . . eine argentinische Rennfahrer-Equipe nach Italien reist, um an verschiedenen internationalen Rennen teilzunehmen; ebd. 2.5.1950 Wie schön war's doch in der guten alten Zeit des Automobilismus vor dreißig oder vierzig Jahren; Süddtsch. Ztg. 5.6.1954 hat sich nach einem kurzen Abstecher zum Automobilismus wieder reumütig aufs Fahrrad gesetzt, nachdem die erste Fahrt des neuen Autos . . mit einem Zusammenstoß geendet hat; Offenburger Tagebl. 23. 9.1961 Die 40. IAA ist die repräsentative Schau des Automobilismus; Süddtsch. Ztg. 22.8.1962 Der wilde deutsche Automobilismus (Überschr.). Automobilist: Siklosy 1893 Radfahrergesch. 71 Automobilisten; 905 Rad-Wanderer 206 ein eifriger Automobilist; Joel u. Fränkel 1924 Cocainismus 39 So berichten Vallon u. Bessiere, daß ein Automobilist nie so kühn und zugleich so sicher durch die Straßen von Paris fuhr, als wenn er Kokain genommen hatte; Voss. Ztg. 7.3.1930 In diesen „dreißig Jahren Auto" steckt also auch ein gewaltiges Stück Kulturgeschichte. Jeder Automobilist, aber auch jeder am Werden der Zeitphysiognomie Interessierte wird das Buch mit Vergnügen und Nutzen lesen; Reibnitz 1928 Gestalten 72 Passionierte Automobilistin, gehört sie zu den wenigen Damen, die nicht abergläubisch sind. Auf ihren Wunsch hat ihr das Berliner Polizeipräsidium die Autonummer 13 gegeben; Der Montag 15.6. 1931 An der Seite des Siegers seine Braut, die bekannte Automobilistin Fräulein Vollmer; Berl. IIlustr. Nachtausg. 14.1.1932 Dabei machten sie zu ihrem Entsetzen die Feststellung, daß der Automobilist bereits tot war; Lokal-Anz. 23.3.1933 Der Eigentümer hatte sich damit entschuldigt, daß erfahrenene Automobilisten absichtlich von dem Verschließen ihrer Wagentüren absehen; ebd. 7. 8. 1934 Vier Tote, drei Verletzte durch Autoraserei (Überschr.) Der Lenker . . überrannte . . auf dem Gehsteig eine Frau, die tödliche Verletzungen erlitt. Wieder fuhr der Automobilist davon, raste aber kurz darauf gegen den Pfahl einer elektrischen Leitung und zerschellte; ebd. 21.4.1934 Da in solchen Fällen die Schuldfrage aus Mangel an Augenzeu-

autonom gen häufig nicht einwandfrei geklärt zu werden vermag, ist selbst der vorsichtigste Automobilist immer der Gefahr ausgesetzt, sich straf- und haftbar zu machen; Berl. Morgenpost 29.10.1934 Auf einer Straßenkreuzung in Japan ist auf einem riesigen Plakat folgende Warnung an die Automobilisten geschrieben: „O Automobil, du bist mächtig, schnell und wunderbar. Brauche deine Kraft und deine Schnelligkeit, aber mißbrauche sie nicht! Habe Mitleid mit denen, die sich mit dir nicht messen können, den Hunden, den Pferden und den Fußgängern . ."; Dtsch. AZ. 26.7.1935 Der Automobilist will wissen, wo es z. B. nach Dresden oder Frankfurt geht; Hülsen 1947 Zwillings-Seele U 50 dem geübten Automobilisten; NZ. (Basel) 16.1. 1950 wird . . der automatische Verkehrsregler in Betrieb genommen werden, sodaß von diesem Zeitpunkt an der weißbehandschuhte Verkehrspolizist der Vergangenheit angehört. Sein Verschwinden wird scheinbar von gewissen Automobilisten lebhaft bedauert; Süddtsch. Ztg. 21.5.1955 Im Magistrat wurde gestern angeregt, den Automobilisten die Benützung der Hupe in der Stadt zu verbieten; ebd. 10.9.1955 Automobilisten, denen die Auszeichnung 'Kavalier am Steuer' und 'Unfallfreies Fahren' zuerkannt wurde; Doderer 1959 Peinigung 19 Automobilist und Sportsmann; Süddtsch. Ztg. 13.4.1961 ein Gebiet, das für den Automobilisten mit dem Ziel Pyrenäen oder Spanien . . einen Abstecher von der großen Route Nationale . . nach Westen wert ist; Zeit 20. 9.1985 die Entwicklung einzuleiten, die zukünftig den Individualverkehr befreit von der bedingungslosen Vorherrschaft der Automobilisten über den Rest der Verkehrsteilnehmer; Stern 1.10.1987 Ältere Untersuchungen machen Radler und Automobilisten etwa im Verhältnis 50:50 für die Unfälle verantwortlich, doch solche Zahlen können irreführen.

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Juristisch sind nämlich die Autofahrer immer mitschuldig, auch wenn der Unfall eindeutig allein vom Radler verursacht wurde; MM 29.7.1987 Damit wird dem anspruchsvollen Automobilisten nach fast fünfzig Jahren wieder ein Zwölfzylinder aus deutscher Produktion an die Hand gegeben; Spiegel 30.7.1990 wo es die Automobilisten mit vereinten Kräften auf täglich 14 Millionen Kilometer bringen; ebd. 15.8.1994 Gemeinsam mit Yvonne gewinnt der Grandseigneur, in tadellos affektierter Haltung, einen Schönheitswettbewerb für hundebesitzende Automobilisten. Bewertet wurde die Harmonie von Herrchen, Frauchen, Droschke und Tier. automobilistisch: Küster 1907 Automobil 4 Zu Beginn der automobilistischen Bewegung, also um 1900; 1914 Z. D. Spr. V. XXIX 422 „Automobilismus" erscheint ihm zwar nicht schöner als „Kraftfahrwesen", aber deshalb besser, weil es das Eigenschaftswort „automobilistisch" bilde, nach unserm Geschmacke freilich ein fürchterliches Gebilde; Voss. Ztg. 3. 7.192« Der Arzt hatte dem Außenminister nicht gestattet, den automobilistischen Vorführungen beizuwohnen; Abend-Ei. 17.5.1930 einen automobilistischen Abstecher nach Holland; Lokal-Anz. 5.10.1934 Zum 28.Male wird im riesigen Grand-Palais die automobilistisch interessierte Welt über den neuesten Stand der KraftfahrzeugEntwicklung unterrichtet; Süddtsch. Ztg. 19.3. 1954 daß dort, wo kein gebührenpflichtig verwarndender Schutzmann waltet, der Rowdy seine Feste feiert, daß dort die Unfälle geschehen und daß dort.. die automobilistischen Bubenstücke sich ereignen; Offenburger Tagebl. 1.8. 1959 Kostenloser Test für alle Verkehrsteilnehmer, welche ihre automobilistischen Fähigkeiten prüfen lassen wollen.

autonom Adj. (ohne Steigerung), im späteren 18. Jh. entlehnt aus griech. 'unabhängig, politisch selbständig' (aus 'selbst, eigen' (—»· auto-) und 'Brauch, Sitte; Ordnung, Gesetz', zu 'beherrschen, verwalten'; —» Autonomie), anfangs und vereinzelt noch in neuester Zeit auch in der Nebenform autonomisch. a Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'nach eigenen Gesetzen lebend, sich selbst Gesetze gebend, zur selbständigen Gesetzgebung berechtigt; selbständig, unabhängig' (vgl. autark, —» Autarkie, —» souverän a), bes. im Bereich von Politik und Verwaltung, z. B. autonom(isch)e Körperschaften, Bewegungen; die Bildung autonomer Staaten aus ehemaligen Kolonien, autonome Gebiete, Republiken; diese Institution besitzt eine autonome Stellung; gelegentlich auch für 'eigenständig, nicht beeinflußbar, frei und unabhängig (von irgendwelchen Bindungen, Vorschriften, Regeln, Zwängen)', speziell im künstlerischen Bereich auch im Sinne von 'eigengesetzlich, sich selbstgenügend' (s. Belege 1793-95, vor 1805, 1848, 1908, 1934, 1948, 1974,

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autonom

1983), z. B. der autonom(isch)e Wille, autonome Vernunft, autonom arbeiten, der autonome Mensch, eine autonome Persönlichkeit, autonomes Denken, Künstlertum und bes. autonome Kunst (vgl. absolute Kunst, —+ absolut); in jüngster Zeit vereinzelt auch für 'von politischen Parteien oder Gruppierungen unabhängig', z. B. autonomes Frauencafe, autonome Frauenbewegung 'unter Ausschluß von Männern, unabhängig von politischen Parteien oder Gruppierungen organisierter Teil der Frauenbewegung' (s. Belege 1984, 1986); gleichzeitig auch für 'zur politischen Gruppierung der Autonomen (s. u.) gehörend, von ihnen ausgehend', z. B. in Wendungen wie militante autonome Gruppen (s. Belege 1985, 1986, 1987). Dazu die schon im 17. Jh. vereinzelt, erst seit spätem 19. Jh. häufiger belegte subst. Ableitung Autonomist M. (-en; -en) 'jmd., der eine (politische) Autonomie anstrebt', speziell im PL Autonomisten zur Bezeichnung einer politischen Partei, die für eine regionale Selbstverwaltung und Unabhängigkeit von der Zentralregierung eintritt (z. B. in Elsaß-Lothringen seit 1871), gleichzeitig die adj. Ableitung autonomistisch 'zur Partei der Autonomisten gehörig', z. B. eine autonomistische Auffassung, Gesinnung, Politik; seit Ende 19. Jh. die subst. Ableitung Autonomismus M. (-; ohne PL), zunächst in der Philosophie selten für 'Streben nach (sittlicher) Freiheit, Selbständigkeit' (—»· Autonomie a; s. Beleg 1897), seit frühem 20. Jh. vor allem 'Streben nach politischer Unabhängigkeit, Selbstverwaltung'; in neuerer Zeit vereinzelt das Verb autonomisieren 'verselbständigen' mit dem schon seit frühem 20. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Autonomisierung F. (-; -en ungebr.), allgemein für 'Verselbständigung, Emanzipation', z. B. Autonomisierung der Vernunft, der Kunst, der Universitäten und Schulen. In neuester Zeit die häufig im PL gebrauchte Personenbezeichnung Autonome(r) M./F. (Autonomen; Autonomen), meist abwertend für 'Mitglied einer politisch linksextremen, nach eigenem Selbstverständnis jedoch keiner bestimmten Ideologie verpflichteten Gruppierung, die den bestehenden Staat und das Gesellschaftssystem ablehnt und mit Gewaltaktionen bekämpft', häufig in Wendungen wie militante Autonome, Autonome und Anarchisten, Extremisten; linksextreme, linksextremistische Autonome; die Terrorakte der Autonomen. b Daneben auch fachspr. in Biologie/Medizin in der Bed. 'selbsttätig (ohne Eingreifen des Willens) geschehend, vom Bewußtsein unabhängig', bes. im Syntagma autonomes Nervensystem 'vegetatives Nervensystem' (—> vegetativ b). autonom(isch) a: Stockhausen 1766 Samml. verm. Br. II 398 f. autonom; Herder 1793-95 Br. (S. W. XVII 296) Wo also die Griechen standen, stehen wir in Ansehung des Publicums mehr und minder mit der Philosophie noch jetzt; jeder . . muß sich selbst zum Philosophen bilden. Der Lehrer hält ihm die Wahrheit vor, damit er sich solche avtonomisch zueigne: denn Wahrheit läßt sich sowenig, als Tugend und Genie von ändern lernen; ders. 1796-97 Br. (S. W. XVIII 289) Der Unterschied, den er zwischen Nationen, die von Europäern verderbt sind . . und zwischen autonomischen Völkern bemerkt, ist schneidend; ders. 1802 Adrastea 111 (S. W. XXIII 486) das avtonomische sollte das neue Jahrhundert heißen, wo jeder sich Gesetze gebe; Hegel 1802 Glauben (I 311) Die theoretische

Vernunft . . macht keinen Anspruch auf eine autonomische Würde; Herder vor 1803 S. W. X 239 Jede autonomische Gesellschaft (KEHREIN); Schiller-Körner vor 1805 Briefw. Ill 20 Nicht von außen, sondern durch sich selbst bestimmt sein, autonomisch bestimmt sein (KEHREIN); Fries 1818 Philosophie 1157 indem sich unter ihnen [Sittengesetzen] jede Gesellschaft vernünftiger Wesen republikanisch zu einem Reiche ausbildet, in welchem (autonomisch) Jeder sich selbst das Gesetz als Pflicht gibt; Feuerbach 1835 Sehr. VIII 296 Jedes Ding, jedes Wesen in der Natur hat ein autonomisches Leben; Kapp 1848 Aufruf 3 so muss sich der deutsche Lehrstand durch den einfachen Act seines autonomen Willens selbst erst befreien; 1859 Staatswb. IV 154 Genehmigung autonomischer

autonom Satzungen. . . Hierher gehören . . die der Genehmigung unterworfenen Beschlüsse über Maßstab und Beitragspflicht bei der Erhebung von . . Steuern; Riehl 1865-72 Vortr. I 473 Der Bürde der großen Politik und des autonomen Heerwesens ledig, können sie [Einzelstaaten] sich in die Pflege der heimischen Volks- und Landescultur vertiefen; Reichensperger 1872 Phrasen 130 Die römisch-katholische Kirche ist eine Körperschaft nur insoweit, als der moderne Staat sie anerkennt, keine autonomische Körperschaft; Faucher 1877 Culturbilder 37 Wien hat es eben verstanden, die . . Hauptstadt des Kaiserstaates . . trotz der „autonomischen" Bewegungen der Oesterreichischen Völkerschaften zu bleiben; Reumont 1886 Charakterbilder 31 die alte autonome Gesinnung [der Bewohner von Lucca]; 1888 Wien l 77 trug die nächste Zeit die Signatur einer wirtschaftlichen Reaction an sich, deren Stichwörter: der „autonome" Tarif und die Schutzzölle [waren]; Hertling 1893 Naturrecht 4 Forderung freier Bewegung der Einzelnen und autonomer Bethätigung der gesellschaftlichen Bildungen; Willmann 1896 Gesch. U 838 als Stützpunkt bot sich nur der Monismus dar, dem die Kantsche Lehre selbst entgegentrieb, und den Kultus der autonomen Vernunft steigerte; Zobeltitz 1902 Papierene Macht II 97 System autonomer Wirtschaft; Lamprecht 1906 Americana 84 [Amerika] Wirtschaftlich autonom und autarkisch als Erzeugerin der Rohstoffe subtropischer, gemäßigter und arktischer Zonen, reich an Energie des sozialen Lebens; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 271) daß heute, zur Zeit der Zwischengattungen, der Mischungen und Verwischungen, des autonomen Künstlertums, — daß es heute . . eine Narrheit ist, auch noch von Rangordnung zu sprechen; Bin 1910 Provence 152 Massilia blieb seit Cäsars Sieg zwar griechisch, ja, autonom, aber seine Bedeutung sank; Kemmerich 1910 Dinge 86 Die autonomen Fakultäten; Berolzheimer 1914 Moral 122 Verkennung dieser autonomen Natur der Befestigung von Herrschaft durch das Recht; Gierke 1915 Volksgeist 33 ein autonomes Grosspolen; Bülous 1916 Dtsch. Politik 272 sollte 150 Jahre nach dem Großen König und der ersten Teilung Polens ein selbständiges und autonomes Polen wiedererstehen, so muß die unlösbare Zusammengehörigkeit der preußischen Monarchie . . sichergestellt. . werden; Benjamin 1917 Br. I 145 Wenn man also sagt, der Lehrer gibt das „Beispiel" zum Lernen, so verdeckt man durch den Begriff Beispiel das eigentümliche Autonome im Begriff solchen Lernens: nämlich das Lehren; Johnston 1917 Menschenverst. 117 Arabien . . müßte von europäischer Einmischung freibleiben und in die autonom regierten Staaten AI Hijaz, Yemen und Nijd geteilt werden; Redlich 1920 Österr. Staatsproblem 311 Vorstel-

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lung einer „autonomen", einer Selbstverwaltung der Länder; ebd. 670 Übertragung eines . . Teiles der Verwaltung . . an autonome, durch freie Wahl der Steuerzahler gebildete Körperschaften; Th. Mann 1923 Reden u. Aufs. (W. XU 626) nichts in der Welt ist sicherer, als daß ein autonomes Rheinland, halb deutsch, halb französisch, . . die Vorbereitung der Annexion dieses Landes durch Frankreich sein würde; Tillich 1926 Religiöse Lage 140 daß man die Gebiete des Glaubens und Wissens radikal getrennt und der autonomen Wissenschaft das Feld restlos überlassen hat; 1928 Dtsch. Rundsch. LV l Memelland wurde, ohne gefragt zu sein, „autonom"; Scheler 1929 Weltansch. 100 Erst der Besitz von Akten einer autonomen Gesetzlichkeit gegenüber aller psychischen Vitalkausalität (mit Einschluß der durch Triebe geleiteten praktischen Intelligenz) macht das Neue aus; Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. X 317) man könnte sagen, daß sie die Jugend als autonome und eigenwertige Lebensform überhaupt erst entdeckt habe; 1933 Geopolitik X 152 Hier entstand an der Grenze innerhalb der UdSSR die autonome Burjat-Mongolische Republik; Berl. lllustr. Nachtausg. 2.2.1933 Das große Gerippe des Flugplans wird mit Berücksichtigung der . . internationalen Durchgangsverbindungen von der Luft-Hansa ziemlich autonom festgelegt; Lokal-Am. 24.10.1934 Die bisher autonome Verwaltung des deutschen Bildungswesens wurde beseitigt; Bäumler 1934 Männerbund 144 die Liquidierung des Begriffs einer „autonomen" Kultur; ebd. 155 dass die Wissenschaft „autonom" über den Zeiten schwebt; Dtsch. AZ. 10.8.1935 die Grundlage zu einer autonomen Handelspolitik auf einem neuen Wege zu schaffen, und zwar nicht, wie bisher, auf dem Wege autonomer Zölle, sondern einer autonomen Devisengesetzgebung; N. Z. Z. 5.5.1943 Unter den „autonomen Maßnahmen", die der Bundesrat nach der Erfolglosigkeit der diplomatischen Mittel prüft, wäre die Zwangsausbürgerung eine, nicht die einzige; Münch. N.N. 13.3.1944 Der Wert unseres Geldes wird nicht von einer autonomen Bankpolitik bestimmt, sondern vom autonomen Willen des Volkes; Siemens 1947 Leben 299 einen solchen autonomen und omnipotenten Staat; Sedlmayr 1948 Verlust 87 Die verschiedenen Gebiete des Kunstschaffens streben darnach, „autonom", autark, jede in ihrem Gebiet „absolut" .. zu werden; ebd. 91 Das Ornament ist die einzige Kunstgattung, die nicht „autonom" bestehen kann; Welt 22.2.1949 daß die autonomen Industrieverbände in der britischen Zone im DGB zusammengeschlossen sind; ebd. 29.4.1954 eine Saarlösung darf nicht zur Bildung eines autonomen Staates führen; Heimpel 1956 Kapitulation 98 Der absolutistische Staat. . löste die Zünfte auf und rüttelte . . an der autonomen Gelehrtenzunft;

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autonom

v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers W denjenigen [Bereich] der Alten Geschichte als eines weitgehend autonom gewordenen Faches; Süddtsch. Zig. 16.8.1958 inwieweit die Lohngestaltung „autonom" bzw. inwieweit sie mehr oder weniger die Folge anderer Entwicklungen ist; 1961 Haeresien 419 Der Staat.. ist dann gleichsam der autonome Mensch im Grossen; Heuss 1963 Erinn. 195 hatte der Reichstag wenig Zeit zuvor den „Reichslanden" in einer neuen Verfassung den Quasi-Status eines autonomen Bundesstaates gegeben; FAZ 31.12.1965 es handele sich um autonome und nicht koordinierte Aktionen; 1971 Fesig, a. Klett 306 Marcuses Einsicht, dass der Mensch keine autonome Persönlichkeit ist; FAZ 4.3.1971 der These des kommunistischen Deutschlands größeres Gewicht verleihen, nach der Berlin eine autonome Einheit ist, ein dritter deutscher Staat; ND 4.4.1974 29 Gebiete und autonome Republiken gehören zu dieser Zone; Bürger 1974 Theorie d. Avantgarde 51 Was hier mit Autonomie bezeichnet wird, ist fast ausschließlich die subjektive Seite des Prozesses des Autonomwerdens der Kunst. Gegenstand des Erklärungsversuchs sind die Vorstellungen, die die Künstler mit ihrer Tätigkeit verbinden, nicht der Prozeß des Autonomwerdens als ganzer. Der Prozeß aber umfaßt zugleich ein anderes Moment: das der Freisetzung eines . . Vermögens der Wirklichkeitswahrnehmung und Gestaltung; Dülmen 1977 Reformation 34 Das weltliche Reich untersteht eigenen Gesetzen . . Versuche einer Änderung der Sozial- und Herrschaftsordnung nach evangelischen Grundsätzen widersprechen dem autonomen Recht der weltlichen Ordnung; Ch. Meier 1978 Prozesse 22 Die autonomen Geschehenszusammenhänge, die Elias herausarbeitete, bilden heute die wichtigste Problematik auf dem Feld der Prozesse; 1983 Szene VI 47 Winwoods autonomes Künstlertum, frei von Arbeitsteilung, entspricht ganz seiner traditionellen Kunstauffassung (DUDEN 1993); 1984 Mannh. illustriert XII 6 fordere ich die Anerkennung und finanzielle Unterstützung des autonomen Frauencafes durch die Stadt (DUDEN 1993); Zeit 28.12.1984 andererseits sollten, damit nicht der Verdacht eines römischen Kulturzentralismus aufkommt, die Opernhäuser autonom bleiben; ebd. 5.4.1985 bleibt .. dieser „Stil des Abendlandes" mit dem Bild der autonomen Persönlichkeit verbunden; ebd. 12.4. 1985 haben nicht nur die Grünen, sondern auch sogenannte autonome Gruppen Aufzüge und Aktionen angekündigt; ebd. 19.4.1985 das Kunstwerk sei autonom, habe sich zu entfernen von der Wirklichkeit; MM 10.5.1985 Terroristen der militanten autonomen Gruppen sind . . zum überwiegenden Teil für die 1984 begangenen Anschläge verantwortlich; ebd. 12.8.1985 eine neue Wirk-

lichkeit soll aus den Einzelelementen der nun autonom gewordenen Sprache selbst aufleuchten; ebd. 29. 8.1985 jede Börse in der Bundesrepublik könne aber autonom entscheiden, ob der Handel ausgesetzt werde; Zeit 10.1.1986 kämpfen die meisten der 87 autonomen Frauenhäuser . . ums Überleben, damit sie nicht. . die Pforten dichtmachen müssen; Süddtsch. Ztg. 24.725.5.1986 Die „Chaoten von Wackersdorf" bilden in den Augen von Rebman ein mögliches personelles Reservoir der „Roten Armee Fraktion", der „Revolutionären Zellen" und anderer autonomer Gruppen; MM 10.6.1986 daß der Vertrag, der Hongkong für eine Periode von 50 Jahren nach dem Anschluß an . . China . . einen autonomischen Status .. garantiert; ebd. 11.6. 1986 auch anarchistische und autonome Gruppen . . können ohne finanzielle Unterstützung kaum bundesweit aktiv sein; Zeit 12.9.1986 Fraueninitiativen, autonom und alternativ; ebd. 13.12. 1986 alljährlich neu gewählt, ist Gisela Burkamp . . in allen künstlerischen Fragen autonom; Spiegel 13.7.1987 Bei den militanten Ausländerfreunden handele es sich . . um autonome Leute, die vor gar nicht so langer Zeit mit Resolutionen oder Sitzdemos angefangen haben; MM 16.10. 1987 der Kardinal betonte, daß die Einrichtungen des Staates der Vatikanstadt, etwa Museen, Münze und Postwesen, autonom seien und sich selbst finanzierten; ebd. 4.11.1987 Die zahlreichen über das ganze Bundesgebiet und Berlin verbreiteten „autonomen Gruppen" folgen „diffusen anarchistischen und nihilistischen Ideen"; ebd. 26.1. 1988 als sie sich in der autonomen Friedensbewegung engagierte, bekam sie zunehmend Schwierigkeiten; ebd. 26.4. 1988 dabei schwanken Künstlerinnen und Künstler zwischen . . autonomem Kunstwerk und gesellschaftsrelevanten Rettungsvorschlägen; ebd. 25.5. 1988 Künstler haben immer das Papier bevorzugt, wenn es um eine flüchtige Idee, die Entwicklung einer Komposition, aber auch um eine autonome, bildhafte Arbeit ging; ebd. 27.5.1988 rechtsfreie Räume wie die Hamburger Hafenstraße . . setzen nicht nur Fragezeichen hinter den Anspruch der wehrhaften Demokratie, solch autonome Trutzburgen sind auch Zuflucht und Brutstätten für das Umfeld des Terrorismus; Spiegel 7.12. 1992 das einst autonome, durch Belgrad annektierte Kosovo; ebd. daß Hongkong 1997 als halbautonomes Verwaltungsgebiet ein Teil Chinas wird; ebd. 15.2.1993 Die Regionen, die autonom werden, übernehmen, was das Zentrum nicht mehr leisten kann. Autonome(r): Zeit 30.9.1983 Friedensbewegung und Vertreter der Obrigkeit wollen sich . . über „Konfliktaustrag und innerer Friede" unterhalten. Doch der Versuch . . schlug gründlich fehl. Die

autonom „Autonomen" — militante Randgruppen mit Brutalo-Jargon und einem Hang zur Tätlichkeit — legten sich buchstäblich quer; ebd. 15. 2.1985 die Gegenkultur der Autonomen . . ruft zu undurchsichtigen Aktionen . . auf, wo an Randale gedacht ist; MM 10.5.1985 von den 148 den Linksextremisten zuzuschreibenden Terrorakten des letzten Jahres werden in dem Bericht allein 116 den militanten Autonomen zur Last gelegt; Zeit 13. 6.1986 Autonome werfen mit Steinen, schießen Leuchtraketen ab; ebd. die Demonstranten bezeichnete er als „Autonome, Anarchisten und Leute aus dem RAFUmfeld"; MM 4. 5.1987 Aus dem Umfeld von Demonstranten und Gewalttätern, zu denen vor allem „Autonome" gerechnet werden; ebd. 20.5. 1987 1986 erreichte die Zahl der Terrorakte der „Autonomen" (linksextremistische Kleingruppen und Einzeltäter) mit 282 Anschlägen . . eine erhebliche Steigerung; ebd. 11.6.1987 RAF gelingt Annäherung an Autonome (Überschr.); Stern 16.6.1987 Autonome mischen auch in der Hamburger Hafenstraße mit; . . Autonome wollen eine „herrschaftsfreie Gesellschaft"; Spiegel 9.11.1987 Die StraußThese, Autonome seien „terroristische Mordtäter", stützt der Hamburger Verfassungsschutz-Chef nicht . . [Er] ist sicher, daß die Autonomen „keine neue Strategie" verfolgen und der Einsatz einer scharfen Waffe „einmaliges Ereignis" bleiben wird; MM 23.12.1987 ein Teil der regionalen Autonomen, die die Militanz der Startbahnereignisse entscheidend mitgeprägt hätten, sei . . mit Haftbefehlen überzogen; Spiegel 30.11.1992 Die Gewalteskalation von rechts hat auch die Gewaltbereitschaft linksradikaler Autonomer neu entfacht; ebd. 7.12.1992 Einen der Schläger glaubt der Kirchenmann als Kämpfer der Ost-Berliner AutonomenSzene identifiziert zu haben. autonomisieren: 1961 Haeresien 418 Ein sekundärer Primitivismus ist kennzeichnend für eine Menschheit, die sich gläubig einer autonomisierten und idolisierten Technik anheim gegeben hat. Fragmente hat der einzelne vielleicht in der Hand, aber das Ganze versteht er nicht mehr. Autonomisierung: Rathenau 1917 V. kommenden Dingen 145 So arbeitet die Psyche des Unternehmens in gleicher Richtung wie die Entwicklung des Besitzverhältnisses: beide wirken im Sinne einer Autonomisierung; Schmalenbach 1926 M A. 26 war . . auch schon von Anfang an der „Individualismus" im Sinne bloßer Emanzipiation und Autonomisierung . . die negative Form der Zerbröckelung des Mittelalters; Berges 1938 Fürstenspiegel 50 Autonomisierung der Vernunft; Muhs 1950 Gesch. I 117 Autonomisierung des religiösen Bewusstseins; Schelsky 1959 Ortsbestimmung 14

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Eine „junge Wissenschaft" ist die Soziologie in der Tat im Sinne dieser Fachautonomisierung, die bei uns sogar sehr jungen Datums ist gegenüber dem uralten . . Konnubium oder . . der Biozönose, in der die Soziologie mit ihren Nachbarwissenschaften immer gelebt hat; Zeit 31.5. 1985 weil Vertreter der Universitäten künftig mitentscheiden, wer sich im Anatomiesaal einfindet, feiert die Westdeutsche Rektorenkonferenz die Neuregelung gar als einen „ersten Schritt zur Autonomisierung der Hochschulen"; ebd. 20.9.1985 die Beamtung der Lehrerschaft aufheben und damit den wohl entscheidenden Schritt zur Autonomisierung der Schule tun; MM 19.12. 1985 die Funktion hat sich mit der Autonomisierung der Kunst gewandelt; ebd. die Aufforderung zum „Selbstdenken" . . sprengte den Absolutheitsanspruch der Kirche und führte zur „Autonomisierung" der ständischen Gesellschaft; Kultermann 1987 Kunsttheorte 199 Wie Marees . . hat auch Paul Cezanne . . wesentlich an der Autonomisierung der Kunst mitgewirkt. Autonomismus: Schneegans um 1890 Memoiren 292 die Politik der Enthaltung . . mißfiel seinen [eines Abgeordneten] Wählern, die ihn alle 1876 verließen, um sich an mich zu wenden, den sie als einen der Vertreter der entgegengesetzten Politik des Autonomismus ansahen; Willmann 1897 Gesch. 111 373 Die Subjektivierung des Idealen durch Kants Autonomismus; ebd. Ill 391 Autonomismus als Nerv des kantischen Philosophierens; ebd. III 577 Der deutsche Anarchismus wächst aus dem hegelschen Autonomismus hervor; ebd. Ill 623 Stärker verurteilt er [Goethe] den Autonomismus dieser Denkweise im zweiten Teil des „Faust", wo er den Scholaren als Adepten derselben einführt; Rucken 1903 Aufs. 223 Spinoza, die englischen Denker der Aufklärung und . . Kant [stellen] den Höhepunkt des „Autonomismus" [dar]; Redlich 1920 Österr. Staatsproblem l 671 in der Auffassung, daß im konstitutionellen Oesterreich die Länder vor allem als Träger der Verwaltung fungieren, . . unterscheidet sich der „Autonomismus" der österreichischen Deutschen von vornherein auf das deutlichste von dem der Slawen; 1927 ElsassLothnngen. Heimatstimmen V 690 Die Zerrüttung des Autonomismus im Elsaß ist vollkommen. Die letzten politischen . . Ereignisse . . haben in der ganzen Region den günstigsten . . Eindruck gemacht; 1928 ebd. VI 363 dass vor dem Kriege, im bundesstaatlichen Deutschland, Autonomismus erlaubt war, während es im zentralistischen Frankreich ein Verbrechen war; 1928 Nation u. Staat 890 Man sah förmlich, wie aus einer solchen Saat der Autonomismus herauswachsen mußte. Die Elsässer sind nicht die Leute, die sich durch die hochklingenden Phrasen der Behörden und verantwort-

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lichen Staatsmänner darüber hinwegtäuschen lassen, daß sie . . ein reines Ausbeutungsobjekt waren und sind; 1933 Freie Dtsch. Schule VIII 107 Das Streben nach „Ganzheit" in der Gegenwartsschule (Überschr.) . . Wir leben an einer Zeitenwende. Zu Ende ist das, was man in den Begriff des „Autonomismus" zusammenfassen kann: der autonome Einzelmensch, die autonome Vernunft, Sittlichkeit, Humanität, Wissenschaft, Erziehung, Bildung, Politik, Wirtschaft, Technik; 1933 DVjS I 430 neuen künstlerischen Autonomismus; NZ. (Basel) 19.1. 1950 Der Autonomismus [im Elsaß] ist tot, der unpolitische Regionalismus manifestiert sich; Guardini u.a. 1954 Verantwortung 24 die geschichtliche Antwort auf den neuzeitlichen Autonomismus . . [, der] im Faschismus fast 30 Jahre, im Nationalsozialismus zwölf Jahre geherrscht [hat]; 1961 Haeresien 428 Der Autonomismus wollte den Menschen zur absoluten . . Freiheit bringen. In Wahrheit ist aber die Freiheit des Menschen heute, trotz den demokratischen Rechten, in der Lebensrealität weit drückender eingeengt als zuvor.

Etappen noch einmal zu gehen; 1928 Elsass-Lothringen. Heimatstimmen VI 503 von den französischen Autonomistentötern; /. Schneider 1933 Die elsässische Autonomistenpartei 1871 — 1881 (Titel); Dtsch. AZ. 15.1.1935 Bis auf bestimmte interessierte Kreise rückt Frankreich von den Separatisten, die es heute Autonomisten nennt, ab; Munch. N.N. 22.3.1938 Elsässische Autonomistenkundgebung verboten (Überschr.); ebd. 27.5. 1939 Die aktiveren Kräfte der afrikanischen Selbständigkeitsbestrebungen — seien es nun die arabischen Autonomisten in Tunis . . oder die Nationalisten in Ägypten; Offenburger Tagebl. 31.12.1958 Die Kernfrage auf dem Kongreß wird das Verhältnis zur kommunistischen Partei sein. Hier wird es sich entscheiden, ob die Autonomisten unter Nenni stark genug sind; Flake 1960 Abend 52 dass die zentralistischen Franzosen im privaten Bezirk Autonomisten und Individualisten sind, die föderalistischen Deutschen wiederum Zentralisten; Stuttgarter Ztg. 19.5.1961 Der Autonomist Milazzo regiert wieder in Sizilien (Überschr.).

Autonomist: Besold 1637 Motiuen 10 Vnd disem nach/ sollen beedes die Catholischen/ vnd jenige Lutheraner/ in dero Hertzen noch nicht alle Gottsforcht außgelöscht/ solch newen Politicis .. oder auch ändern Autonomisten vnd Freystellern/ in keinen weg gehör geben; 1887 Dtsch. Rundsch. LI 424 Obwohl Petri sich nicht für das Septennat gebunden hatte, traten die eingewanderten Deutschen [in Straßburg] . . doch einmüthig auf seine Seite. Die Autonomisten [Elsass-Lothr. Partei] waren ohnehin für ihn, und ihr Organ, das „Elsässer Journal" . . kämpfte jetzt für Petri und sogar für das Septennat; ebd. LI 435 dem Wunsche der Autonomisten, nicht länger als Deutsche zweiter Classe, sondern als Deutsche erster Classe behandelt zu werden; 1889 Unsere Zeit I 466 Er nahm im October 1866 an dem Autonomistentage in Aussee theil und er vertheidigte auch später den Ausgleich mit Ungarn, so oft Centralisten auf die Nachtheile desselben hinwiesen; Schneegans um 1890 Memoiren 297 Die Autonomistenpartei stellte .. Kandidaturen in allen Kreisen des Unterelsasses auf; 1911 Grenzboten l 205 wem Elsaß-Lothringen gleichgestellt werden soll. Mit demselben . . Rechte als die elsaß-lothringischen Autonomisten könnte man die „Gleichstellung" des Reichslandes mit den . . Teilen des Reichsgebiets . . verlangen; 1926 ElsassLothringen. Heimatstimmen IV 2 Autonomistenbewegung in Elsass-Lothringen; 1927 ebd. V 588 Kongress der bretonischen Autonomisten; Frankf. Ztg. 23.5.1928 Der Autonomistenprozeß in Colmar lehrt in jedem Wort, was dort gesprochen wird, daß die Staaten wie an ihrer Souveränität an dem Recht festhalten, den falschen Weg in allen

autonomistisch: 1887 Dtsch. Rundsch. LI 424 Anm. Man sagte, wenn Petri wieder auftrete, würden viele von den eingewanderten Deutschen ihm ihre Stimmen nicht von Neuem geben, weil er zu „autonomistisch" sei; Schneegans um 1890 Memoiren 293 f. Klein betonte aber die Notwendigkeit, autonomistische Kandidaturen in allen Kreisen von Unterelsaß aufzustellen; Willmann 1896 Gesch. II630 der im Prinzipe liegende Individualismus treibt früher oder später die autonomistische Auffassung hervor; Eucken 1903 Aufs. 221 als sei gegen Ausgang des Mittelalters die katholische Kirche in vortrefflichstem Zustande gewesen, bis „neologische" und „autonomistische" Gesinnung einzelner Individuen die verhängnisvolle Spaltung herbeiführte; Eberle 1912 Grossmacht 50 In ihrer [Presse] Selbstauffassung und in ihren Prinzipien verwandt mit der autonomistischen Moderne, wird sie zur Schicksalsgenossin; Redlich 1920 Osten. Staatsproblem 1571 die Idee der autonomistischen Umgestaltung Öesterreichs; 1921—22 Schweizer. Monatsh. I 92 den .. autonomistischen Geist . . in den Elsässern; Voss. 18.11.1926 Die autonomistische Bewegung, die seit .. Jahren in Elsaß-Lothringen hervorgetreten ist, wurde von der französischen Regierung anfangs völllig ignoriert; Frankf. Ztg. 4.10.1927 die Gründung einer besonderen „Autonomistischen Partei Elsaß-Lothringens"; Berl. Illustr. Nachtausg. 4.3.1933 Klaus Zorn v. Bulach hat durch seine autonomistisch eingestellte Zeitung „Die Wahrheit", die auch im Kolmarer Autonomisten-Prozeß genannt wurde, vorübergehend eine politische Rolle gespielt; 1937 Geopolitik 263 Nährboden gewisser autonomisti-

Autonomie scher Ideen [in Rumänien]; NZ. (Basel) 24. S. 1949 Man erfuhr da ganz erbauliche Dinge: Dolmetscher bei den Deutschen während des Krieges, autonomistischer Eiferer vor dem Kriege; 1950 Wort u. Wahrheit V 723 ihr autonomistischer Freiheitsbegriff [war] die Pandora-Büchse der totalitaristischen Plagen; Stuttgarter Ztg. 19.5.1961 Milazzo ist der abtrünnige Katholik, der . . eine eigene regional-autonomistische Partei gründete [in Sizilien]; FAZ 13.7.1970 In diesen drei Landesteilen [Spaniens] . . gibt es autonomistische Tendenzen, die im Baskenland . . zu bewaffneten Auseinandersetzungen . . geführt haben. autonom b: Psychyrembel 1942 Klinisches Wb. 74 Autonomes Nervensystem . . s. Vegetatives Nervensystem; Bamm 1956 Ex ot/o 110 den Fragen der

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Steuerung der Lebensvorgänge durch das autonome, vom Bewußtsein unabhängige Nervensystem; Becker 1970 Kreislaufbefunde o. S. ist als auslösender Faktor für die Ausbildung hyaliner Membranen eine Hypersekretion anzusehen, die durch abnorme autonome Stimulation durch ein neurohormonales Agens verursacht sein könnte; MM 3.4.1986 Ein zentrales Thema von großer klinischer Relevanz . . ist der Einfluß des autonomen Nervensystems auf Herzrhythmusstörungen; ebd. 1.10.1986 auch am autonomen Nervensystem vermag die Mikroangiopathie Wirkung zu zeigen; Zeit 24.10.1986 das NGF ist . . ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren des „sympathischen" Nervensystems, jenem autonomen Teil des Nervensystems, das wir nicht durch unseren eigenen Willen beeinflussen können.

Autonomie F. (-; selten -n), seit früherem 16. Jh. selten, erst seit dem 18. Jh. häufiger belegte Entlehnung aus gleichbed. griech. (zu , —»· autonom), bis ins 18. Jh. in der latinisierten (flekt.) Form Autonomia. a Eher bildungsspr. verwendet in der Bed. 'das Recht, die Möglichkeit, (innerhalb eines Staatsverbandes) sich selbst Gesetze zu geben, nach eigenen Gesetzen zu leben, (politische, verwaltungsmäßige) Selbständigkeit, Unabhängigkeit (eines Staates vom Einfluß anderer Staaten)' (—» Autarkie, —»· Souveränität a, im Ggs. zu —> Zentralismus), in Wendungen wie die Autonomie eines Landes fordern, erkämpfen; einer Kolonie den Status der Autonomie verleihen; die staatliche, politische, nationale, kirchliche Autonomie; den Gemeinden volle, weitgehende Autonomie zubilligen; selten auch plur. verwendet für 'Region, Provinz mit autonomer Verwaltung, Regierung' (s. Belege 1903, 1963); früher gelegentlich auch in der Bed. 'Religions-, Glaubensfreiheit' (s. Belege 1727, 1732, 1783, 1792—97), bes. im lat. Syntagma autonomia religionism seit dem 19. Jh. häufiger auch allgemeiner gebraucht für 'Freiheit, Ungebundenheit, Eigenverantwortlichkeit' und gelegentlich im Sinne von 'Eigengesetzlichkeit', z. B. die Autonomie der Kunst, der Wissenschaft, des Menschen, des Individuums, der Hochschulen (s. Belege 1831, 1840, 1884, 1918, 1921, 1948, 1954, 1956, 1960); als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Autonomiebewegung, -Bestrebungen, -gedanke; Hochschul-, Vereins-, Verwaltungs-, Verfassungs- und Tarifautonomie 'Recht der Sozialpartner, ohne staatliche Einmischung Tarifverträge auszuhandeln und zu kündigen.' Daneben speziell (seit Kant) in der Philosophie im Sinne von 'sittliche Freiheit, Willensfreiheit; Selbstbestimmung(srecht)', bes. in der Ethik als Bezeichnung für den Zustand des sittlich reifen Menschen, der sich nur von seinem Gewissen die Gesetze seines Verhaltens und Handelns vorschreiben läßt, z. B. die Autonomie des Willens, die sittliche Autonomie des Menschen (s. Belege vor 1805, 1840, 1897, 1907, 1918, 1922, 1927, 1929, 1934). b Fachspr. in der Medizin gebucht in der Bed. 'Eigengesetzlichkeit, Unabhängigkeit vom gesamten Organismus', früher bes. in bezug auf das vegetative, autonome Nervensystem, heute vor allem vom Wachstum bösartiger Geschwülste, das weitgehend

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Autonomie

unabhängig vom Gesamtstoffwechsel erfolgt und vom Organismus nicht reguliert wird (—* autonom b). Autonomie a: Dasypodius 1536 Diet. 16 Autonomia, freiheit nach eygnem gesatz zuo leben; Friedensberg 1597 Discurs v. Unger. Kriegswesen 10 Wann nun jetziger Bapst nach des obgemeldten Johannis selbst solicitation eine Amnistiam/ Ja eine Christliche Autonomiam, nach alten vorgesetzten Exempel zu machen . . lust trüge; Sperander 1727 A la mod Sprach 60 Autonomia, heist an sich selbst die Freyheit nach eigenen Gesetzen zu leben. Nach diesem bedeutet es auch, wann Unterthanen von ihrer Landes-Herrschafft, obgleich diese einer ändern Religion zugethan, bey ihrem ReligionsExercitio gelassen werden; Zedler 1732 Universallex. 2272 Autonomia, Autonomia Religionis, Freystellung der Religion, Gewissens-Freyheit derer Unterthanen; Hederich 1743 Antiqu.-Lex. 442 Autonomia . . war das Recht, welches die Römer einem Volcke, das sie überwunden, . . liessen, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben; Potter 1778 Archäologie III 28 Aus eben der Ursach veränderten die syrischen Städte . . ihre Epoche, und zählten ihre Jahre von der Zeit an, da sie vom Pompeius oder Julius Cäsar erhalten hatten; ebd. Anm. Die eine [Epoche] bezieht sich auf die vom Pompeius erkaufte und erhaltne Autonomie; Dohm 1783 Verbesserung U 80 Autonomie, die er [Mendelssohn] den Juden eingeräumt wissen wollte; Müller 1788 Fürstenbund 8 Anm. Autonomia, welche Xenophon in diesem Sinne billig für den allgemeinen Charakter der europäischen Verfassungen giebt; Herder 1792 — 97 Er. Anhang (S. W. XVlll 331) Indeßen ist und bleibt Freiheit im Denken (Autonomie) die Seele der protestantischen Kirchenverbeßerung; Fr. Schlegel 1796 Versuch (Baxa, Gesellschaft 44) Die Autonomie jedes einzelnen Staats und die Isonomie aller; 1801 RepRecht IX 5 (MSICR IX l Majestät) der . . einverleibte Staat verliert die autonomie und die eigentlichen majestaetsrecht[e] (DRW); Herder 1802 Adrastea III (S. W. XXlll 430) eigene Gesetzgebung (Autonomie); Schiller vor 1805 S. W. XVH 239 Der Wille muß durch den nachdrücklichsten Widerstand seine Selbständigkeit (Autonomie) beweisen (KEHREIN); Jaup 1814 Rhein. Bund 75 Die Autonomie der Standesherrn hat man . . so wenig eingeschränkt; 1817 ZfBaiern III 29S Der Bundestag hat nichts Anderes im Ganzen, als was jeder einzelne Bundesstaat oder Mitstaat in seinem Theile hat, Autonomie; Fries 1818 Philosophie l 159 So unterscheidet sie [Sittengesetzgebung] sich ihrer Modalität nach durch die Selbstgesetzgebung (Autonomie), und als Aufgabe von jeder theoretischen Naturgesetzgebung; Koch-Sternfeld 1825 Beytr. I 411 Als die Autonomie der Stände und

Körperschaften zu Grabe gegangen, erhob sich in der furchtbaren Grosse civilisirter Formen der Egoismus; Rosenkranz 1830 Gesch. dtsch. Poesie 32 weshalb die geistige Autonomie der Staaten und Individuen das Mittelalter der Germanen beendete; Kahldorf 1831 Adel 145 da eine sittliche Grenze der Macht der Staatsgesetzgebung anzunehmen, wo die höhere Autonomie der Ehre ihren Anfang nimmt; 1832 Histor.-polit. Zschr. l 5 Eine gewisse Autonomie haben die deutschen Fürstenthümer für ihre inneren Einrichtungen immer gehabt; Ranke 1839 GRef. (I 10) die Autonomie der weltlichen Macht hielten sie [die Deutschen gegen Rom] auf das gewaltigste . . aufrecht; Schopenhauer 1840 Moral 85 Kants Lehre von der Autonomie des Willens, welche als Stimme der reinen, praktischen Vernunft, für alle vernünftige Wesen als solche gesetzgebend ist; 1840 D V/S /// 253 Ideen von der Autonomie des Menschengeistes; Buss 1843 Armenpflege l Vorw. XX dass sie durch ihre Vielregiererei die Autonomie des Volkslebens .. erdrückt; Heinzen 1845 Mehr als 20 Bogen 3 Die Autonomie des rheinischen Adels könnte man in rechtlicher Beziehung eine theilweise Ausgleichung gegen die Abschaffung der Leibeigenschaft nennen; Stahl 1856 Staatslehre 253 Die altständischen Elemente und ihre Autonomie und das historische Recht sind nicht bloß .. dem Souverän untergeordnet; Stahl 1863 Parteien 200 warum in Amerika diese enorme Selbständigkeit (Autonomie) der Gemeinden gegenüber dem Staate möglich ist; Hamerling 1870 Danton (VI 12) Autonomie der Provinz; vor 1871 NatB.-XVIlI 453 Decentralisation . , In Frankreich ist bei den Meisten die Freiheit ein negativer Begriff, darum spricht man von Entcentralisation, wo in Deutschland von Autonomie, in England von Selfgovernment die Rede ist (SANDERS 1871); Gregorovius 1871 Wanderjahre IV 355 Zu sehr sind schon die Unterschiede und Autonomien der Provinzen . . vermischt worden; Hillebrand 1874 Frankreich 92 Die ganze Natur der Universitäten, ihr complexer . . Charakter, der Rest von Autonomie, ohne welche sie in Wirklichkeit aufhören Universitäten zu sein; Roggenbach 1876 Br. 130 Einverständnis zwischen England und Russland .., welches der Türkei die Autonomie der Provinzen nördlich des Balkans oktroyirt; Walcker 1876 Reichs-Eisenbahn-Frage 8 Schlagwörter wie Autonomie, Dezentralisiation, Hyperzentralisation; Rümelin 1880 Reden H 219 Autonomie der Kirche; Ihering 1884 Zweck i. Recht l 319 Die Autonomie der Individuen wie der Vereine findet ihre Grenze an der durch die Rücksichten auf das Wohl der Gesellschaft geleiteten Kritik des Staats;

Autonomie Schneegans um 1890 Memoiren 207 mit Bismarck zu verhandeln, um für das Elsaß die Autonomie auf breitester Grundlage zu erreichen; Willmann 1897 Gesch. Ill 395 Autonomie der praktischen Vernunft; Ziegler 1903 Kultur 93 dass sich die verwirklichende Civilisation in ihrem meist adäquaten Ausdruck: dem Staat, die menschliche Autonomie und physische Freiheit naturgemäss immer mehr einschränken musste . . — nicht genug mit all dem, hat die Naturwissenschaft sich ein neues Abhängigkeitsverhältnis geschaffen, noch eine neue Mittelbarkeit dem Menschen ersonnen; 1903 Grenzboten IV 395 durch Errichtung „lokaler Autonomien" die türkische Herrschaft zu erhalten; Weber 1907 Ehefrau 302 Jene ethische „Autonomie", die sie als wahre Freiheit verkündeten, beruhte ihnen darauf, daß der Mensch zwar als „Teil der Natur" sich ihren Gesetzen eingeordnet . ., als „Träger der Vernunft" aber das Gebot in sich fühlt, „selbst Ursache seiner Handlungen zu sein"; 1913 Jahr 1913 25 dass in Elsass-Lothringen kein Krieg geführt werden soll, . . je mehr Elsass-Lothringen selbst zur vollen Autonomie geführt . . wird; Kentenich 1915 Trier 15 Die Teilnahme am Bataveraufstand bedeutete das Ende der Autonomie der Gaugemeinde der Treverer; Benjamin 1918 Br. l 180 Die relative Autonomie des Kunstwerkes gegenüber der Kunst . . ist die Bedingung der romantischen Kunstkritik geworden; 1918 Deutschland u. Katholizismus l 58 trotz der behaupteten „Autonomie" der sittlichen Vernunft bei Kant; 1919 Geist a. Volksgemeinschaft 165 Im neuen Staate ist die Autonomie des Bildungswesens durchzuführen; Redlich 1920 Österr. Staatsproblem 670 die .. „Idee" der Autonomie . . als Allheilmittel für eine umfassende Reform Oesterreichs . . zu machen; Wätzold 1921 Kunsthistoriker I 311 Die Romantiker predigten die Autonomie der Kunst; Barth 1922 Philosophie d. Gesch. 97 Die Selbständigkeit, die „Autonomie" des Menschen hat Kant als unerlässliche Bedingung jeder sittlichen Handlung erwiesen und der Heteronomie, d. h. dem blossen Gehorsam gegen ein von aussen kommendes Gebot, scharf entgegengesetzt; Troeltsch 1922 Geist 19 Idee der Autonomie des Menschen; 1926 ElsassLothringen. Heimatstimmen IV 350 Darum jubelte auch die Menge den Rednern so begeistert zu, als sie unsere Lage rücksichtslos gegen Frankreich schilderten und als Mittel gegen die systematische Erdrosselung alles Eigenlebens die Autonomie forderten; Wiese 1927 Schlegel 3 Autonomie des Bildungsgedankens [der Romantik] wurde zugunsten der kirchlich-katholischen Ordnung aufgegeben; Rothacker 1927 Logik 18 Postulat der Autonomie des Willens; Gerstenhauer 1927 Führer 17 Autonomie des sittlichen Bewußtseins ist Voraussetzung jedes echten sittlichen Handelns; Lienhard 1929

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Raub Strassburgs 103 Das Losungswort „Autonomie", d. h. die Heimatrechte des elsässischen Landes gegenüber dem übrigen Frankreich; Delekat 1929 Gemeinschaft 21 Autonomie bedeutet, dass der Mensch sich selbst durch seine eigene Vernunft die Gesetze seines Handelns geben . . könne; 1929 Handb. d. Englandkunde U 126 Autonomie der Kolonien; 1929 Preuss. Jahrb. CCXV 375 Das Gemeinwesen, das an die Stelle des Zarenreichs getreten ist, trägt einen sehr gewaltsamen Charakter, aber den Nationalitäten, die es in seinem Schöße birgt, hat es als solchen Autonomie gegeben; Dingräve 1931 Junge Generation 12 der von 1905 — 1925 allmählich sich durchsetzende Gedanke der Autonomie der Jugend; Wohl 1932 Reporter 199 Die Basken fordern Autonomie; Lokal-Anz. 30. 6.1933 Es kommen . . alle möglichen geistigen und wirtschaftlichen Organisationen und proklamieren für sich eine gewisse Autonomie. Die Wirtschaft will nicht vom Staat bevormundet sein; Platz 1934 Renouvier 9 Autonomiebegriff, der Freiheit und Vernunft umschliesst; 1934 Archiv G Medizin XXVII 474 Driesch, der unentwegte Verkünder der Autonomie des Lebens; Rust u. Krieck 1935 Deutschtand 22 wahre Autonomie und Freiheit der Wissenschaft; Höpker 1936 Rumänien 102 Forderung nach Autonomie und Selbstverwaltung der Landschaften; 1938 Festschr. a. Dopsch 484 Der Kampf der Schweizerbauern um Autonomie und Befreiung von den Grundlasten; Münch. N.N. 6.8.1940 Der Autonomiegedanke, vor dem Weltkrieg das Panier eines reichsverdrossenen Separatismus, lebte zunächst als elsässische Heimatbewegung wieder auf; Dtsch. AZ. 26. 9.1944 Die Autonomie der Neutralen [Nationen]; Sedlmayr 1948 Verlust 200 „Autonomie" der Kunst und der Künste; 1950 Festschr. R.Thoma 127 Autonomie der unpolitischen Lebensbereiche; Neue Ztg. 1.3.1950 daß dieselben Politiker, die da . . laut und leidenschaftlich für den Anschluß an Abessinien plädierten, noch vor wenigen Tagen . . die völlige Autonomie des Landes forderten; Süddtsch. Ztg. 23.3. 1950 Südtirol erhielt sein regionales Autonomiestatut gemeinsam mit dem Gebiet von Trient; Reichhold 1953 Arbeiterbewegung // 285 Autonomie der sozialen Schichten; 1954 Veritas 274 Anm. Anerkennung der Autonomie und Vorrangstellung der Wissenschaft seitens der Philosophie; Muhs 1954 Gesch. ll/Xl 287 Proudhon und die Autonomie des Individuums; Süddtsch. Ztg. 3. 5.1954 Die Studierenden sollten sich auch weiterhin um die rechtliche und geschichtliche Autonomie der Hochschulen kümmern; Einem 1956 Beitr. 89 Die Autonomie, die Eigengesetzlichkeit der Kunst; Süddtsch. Ztg. 8.4.1958 die Hauptforderung der Südtiroler, die Autonomie der Provinz Bozen; ebd. 5.3.1959 Als Beispiel einer echten Autonomie

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Autopsie

führte Figl die Stellung der deutschen Minderheit in Belgien . . an; Schelsky 1959 Ortsbestimmung 137 Das fachliche Autonomiestreben einer Praxis trägt gegenüber der notwendigen Verwissenschaftlichung der Primärerfahrung die Gefahr in sich, diese Autonomie mit steigender Wirklichkeitsfremdheit zu erkaufen und sich im Gefüge der wissenschaftlichen Kooperation zu isolieren; Bosshard 1960 Winckelmann 13 Noch kennt Winckelmann nicht die romantische Rede von der Autonomie des Geistes; Behrendt 1962 Mensch 14 So werden wir z. B. oft anstatt von Gemeinschaft von hochgradiger Integration, anstatt von Freiheit von . . Autonomie sprechen; Heuss 1963 Erinn. 197 zwei ihrer führenden Köpfe, Karl Renner und Otto Bauer, theoretisieren über die konkrete Möglichkeit, einen Staatenverband mit nationalen Teilautonomien zu begründen; ebd. 306 der Führer der kroatischen Bauern, der eine Verwaltungsautonomie für seine engeren Landsleute verfocht; Roth 1966 Prophet 69 Notwendigkeit einer Autonomie der [österreichischen] Nationen oder einer starken zentralisierenden Faust; Stuttgarter Ztg. 17.2.1969 Ein Symptom solcher Entwicklungen sieht man .. in der immer stärker herausgestellten und immer klarer formulierten „Autonomie" im Rahmen des "Weltkommunismus; Litten 1970 Sandwich-Universität o. S. die . . Hochschulgesetzgebung regelt von Staats wegen, d. h. unter politischen Gesichtspunkten eben die Angelegenheiten der Hochschule, die in deren Verfassungsautonomie und Selbstverwaltung fallen; FAZ 29.10.1971 Autonomie für Südtirol endgültig gebilligt (Überschr.); Dülmen 1977 Reformation 51 Die . . Forderungen sind Ausdruck des Freiheits- und Autonomiewillens der Bauern; Zeit 1.2.1985 konkrete Schritte auf ein gemeinsames Europa hin bedeuten zwangsläufig den Verzicht auf ein Stück nationaler Handlungsautonomie; ebd. 5.11.1985 es gibt verbriefte demokrati-

sche Freiheiten, das Recht auf Scheidung, .. die Emanzipation der Frauen und Homosexuellen, Autonomiestatute und vieles mehr; MM 29.11. 1985 niemand wolle das Streikrecht der Gewerkschaften oder die Tarifautonomie der Sozialpartner antasten; Zeit 27.12.1985 mußte die Universität selbst auf die Hochschulautonomie verweisen und die Kultusbürokratie bremsen; ebd. 30.1. 1986 es ist ein System, in dem . . Geborgenheits- und Autonomiebedürfnis die großen Gegenspieler sind und in dem die Sexualität erst zur Zeit der Geschlechtsreife ins Spiel kommt, um dem Autonomiestreben Beine zu machen; ebd. 5.9. 1986 die Pekinger Reformbeschlüsse über Dezentralisierung und Betriebsautonomie sind .. unten nie angekommen; MM 10.6.1987 erhielt die Gemeinschaft nach einem Beschluß der Mitgliedsregierungen eine Art Finanzautonomie; Borst 1988 Barbaren 37 er [Dante] steht zwischen den Fronten seiner Zeit, zwischen dem geistlichen und politischen Universalismus des mittelalterlichen Papst- und Kaisertums und der Autonomie des modernen Bürgertums; Spiegel 30. 7.1990 Lieber die Monotonie im Auto als einmal ohne Auto die eigene Autonomie erleben; ebd. 30.11.1992 bedeutet der allseits verbreitete Pessimismus nicht, daß die Palästinenser ihre Hoffnungen auf eine vorläufige Autonomie oder die Forderung nach einem unabhängigen Staat aufgegeben hätten; ebd. 7.12.1992 Die Stadtväter von Kaliningrad . . wollen in Moskau für mehr Autonomie kämpfen; Süddtsch. Ztg. 17.2.1994 Sowohl die .. Stadterweiterungskonzepte der Jahrhundertwende . . noch das utopische Projekt einer Cite mondiale vollziehen den Bruch mit der Tradition nicht im Inneren künstlerischer Autonomie, sondern im und fürs Außen des realen Stadtraumes; Spiegel 29.8.1994 Brauchen die Schulen mehr Autonomie, wie Pädagogen . . fordern?

Autopsie F. (-; -n), Mitte 18. Jh. entlehnt aus griech. 'Sehen mit eigenen Augen, Augenschein' (zu 'wer selbst, mit eigenen Augen sieht, gesehen hat, Augenzeuge' und 'selbst gesehen', aus 'selbst, eigen' (—> auto-) und dem Verbalstamm - 'sehen'; —> Optik). a Zunächst in der Bed. 'Besichtigen, (Prüfung durch) persönliche Inaugenscheinnahme, eigenes Anschauen, Beobachtung, Augenschein, Sichtbarmachung, Prüfung durch Ansehen', als Bezeichnung für die eigene, sinnliche Wahrnehmung einer Sache (im Ggs. zu der durch Berichte anderer erlangten Kenntnis über diese) (s. Beleg 1888), häufig mit Bezug auf wissenschaftliche und medizinische Untersuchungen, z. B. für eine Art der Krankenuntersuchung durch Beobachtung des Kranken ohne dessen Befragung (s. Beleg 1826); daneben im 20. Jh. gebucht als Terminus des Buchwesens zur Bezeichnung einer Arbeitsmethode der Bibliographie, bei der die biblio-

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graphische Titelbeschreibung nicht nach sekundären Quellen, sondern nur anhand der Originalwerke selbst gemacht wird. b Seit früherem 19. Jh. (gebucht 1838 bei Heyse) in der Bed. 'Leichenöffnung zur Feststellung der Todesursache, Öffnung und Untersuchung einer Leiche und ihrer Teile, Leichenschau' (—* Obduktion, —> Sektion 3), häufig in Wendungen wie eine Autopsie veranlassen, vornehmen und als Bestimmungswort in Zss. wie Autopsiebericht, -befund. Dazu bereits seit Anfang 19. Jh die seltene adj. Ableitung autoptisch 'aus/nach eigener Ansicht, auf Autopsie beruhend' (zu a und b) und die im 19.720. Jh. meist gebuchte, selten belegte Personenbezeichnung Autopt M. (-en; -en) 'Selbstseher, Augenzeuge'; im 20. Jh. die Gelegenheitsbildung Autoptik (zu a). Autopsie a: Chomel 1750 Lex. I 78 Wir wollen hier den Neugierigen zu Gefallen, welche das KunstStücke vollkommen wohl begreiffen wollen, von dem hier die Rede ist, hinzufügen, daß zwey Dinge nöthig sind, nemlich sich so wohl die vorhergehenden Beschreibungen, nebst ihren eigenen KunstWörtern ins Gedächtniß fassen, als auch die Avtopsie oder eine aufmercksame Besichtigung des Weber-Stuhles und des Werckes selbst hinzufügen muß; Hamann 1778 Briefw. IV S Eher ist an keine Gewißheit oder Autopsie zu denken; Böttiger 1799 Literar. Zustände l 244 [sie] hat Alles selbst gesehen, erfahren, umtastet. Daher ist ihr Gedächtniß durch Autopsie so treu; Hoffmann 1810 briefl. (Schütz, Leben U 171) der Recensent spricht aus Autopsie; Goethe 1813 Naturwiss. Sehr. (WA H 10,120) Von den merkwürdigen und ohne Autopsie oder Modell kaum zu fassenden Verhältnissen wäre . . vielleicht mit Hinzufügung einiger Zeichnungen, ein Begriff zu geben; Puchelt 1826 System d. Med. l 97 ist es nothwendig, dass sich der Arzt theils durch Autopsie, theils durch Zeugen . . von der Realität und Wahrheit der Angaben zu überzeugen sucht; 1828 Jahrb. d. Gesch. 142 ohne Autopsie dieser Völker; Goethe 1831 Br. (WA IV 49,40) ob es nicht möglich sey . . einige [Gesteins-JStufen zu erhalten . . Der Drang nach Autopsie scheint sich mit den Jahren zu steigern; Fuchs 1838 Gehirnerweichung 3 ich kann daher die Flüssigkeit . . nicht aus Autopsie beschreiben; Boretius 1863 Br. 206 Autopsie der Handschrift; Mahler 1864 Über die Eider 247 in dem Bewußtsein, daß in Betreff der Schanzen seiner ungenügenden Autopsie ein schönes Erzählertalent zur Hülfe kam; Strauss 1871 Br. 527 Dein Urtheil durch Autopsie zu bestätigen; 1871 Vier Monate vor Paris 55 Durch Autopsie merken wir von der allgemeinen militärischen Lage gar nichts; Braun 1881 Bilder / Vorr. X die auf Autopsie beruhende Kenntnis« grosser Staaten; Schwarz 1888 Montenegro 42 Konstantinopel . . [das] ich aus Autopsie kannte; 1891 Dtsch. Dichtung IX 281 Unmittelbarste Autopsie der Menschen und Dinge gab mir die An-

regung; Kaiser 1911 Lebenserinn. 194 entschloss mich zu sofortiger maskierter Autopsie [Brautschau]; 1923 ZDÖ Alpenver. 17 Als erste Bedingung galt ihm gute Mappierung als mathematische Grundlage, dann als zweite die Autopsie, „die eigene Untersuchung des betreffenden Gebietes"; Tb. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. iX 238) die Schwäche der sinnlichen Anschauung, ja, die Gleichgültigkeit und Bedürfnislosigkeit in diesem Punkt, die ihn bei der Arbeit am Laokoon, beim Behandeln antiker Bildwerke die Autopsie nicht einmal entbehren läßt; 1937 ZfdA. LXXIV 2 Im folgenden wird das Verhältnis beider Hss. zueinander skizziert, soweit das ohne Autopsie möglich ist; Tb. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 921) das Bedürfnis nach Autopsie, nach Studien an Ort und Stelle lag diesem Dichter fern; 1963 Probleme d. Kunstwiss. l 8 Autopsie: Daß Erörterungen über Kunst aus einer leiblichen Betrachtung von Kunstwerken genährt werden sollten, setzt sich als prinzipielle Forderung nur langsam durch . . Konsequenterweise wird die Abbildung immer mehr zum Ersatz einer möglichst genauen und möglichst wenig Interpretation vorwegnehmenden Autopsie; Welt 31.10.1974 Autopsie eines Autors. Autopt: Herder vor 1803 S. W. XL/V 64 Durch Autopten und Hypereten bekannt (KEHREIN). Autoptik: Miller 1950 Köpfe 189 Andre Gide fing mit asphaltnen Melancholien, depressiver Autoptik, edelneurotischem Nihil an. autoptisch: Seume 1803 Spaziergang (W. l 364) Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr Umstände . . Ein autoptischer Anblick gibt es in einem Moment; Kürnberger 1877 Herzenssachen 279 das alles kennst du auch, hast es gesehen und durchconjugirt wie Unsereiner, ja noch autoptischer. Autopsie b: Carus 1866 Lebenserinn. IV 155 Anm. Bei der Autopsie fanden sich nicht weniger als

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Autor

neun ziemlich große Blasensteine; Grosser 1926 Mann 52 Er wußte recht gut, daß bei einer Autopsie das Verbrechen ruchbar werden würde; Frankf. Ztg. 24.5.1928 die Autopsie [ergab] keine Spur einer körperlichen Erkrankung; Dominik 1928 Uraniden 63 Die Autopsie hat den ersten Befund: Kältetod, bestätigt; 1932 Magazin VI 26 Die Richtigkeit dieser mehr als seltsamen Angaben wurde durch die Autopsie vollkommen bewiesen; Stuttgarter Ztg. 20.3.1961 Eine Autopsie der Leichen ergab als Todesursache Borsäurevergiftung; FAZ 8.4.1970 Mangel an Pathologen . ., die insbesondere durch die Vornahme von Autopsien stark

überlastet sind; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 149 woran wohl Puddu tatsächlich gestorben war und wann man wohl den Befund der Autopsie erfahren würde; MM 2.5.1987 in einem Fall sei der Pokkenvirus durch die Autopsie bestätigt worden; Zeit 5.6.1987 absolut sicher läßt sich die Diagnose erst nach dem Tode in der Autopsie feststellen. autoptisch: Joel u. Fränkel 1924 Cocainismus 35 Autoptische Befunde. Die wenigen Obduktionen . . haben . . keine besonderen Veränderungen erkennen lassen.

Autor M. (-s; -en), auch Autorin F. (-; -nen), im späteren 15. Jh. entlehnt aus lat. autor, älter auctor 'Förderer, Veranlasser, Urheber, Schöpfer', eigentlich 'Mehrer, Förderer' (zu auctum, Part. Perf. von augere 'vermehren, vergrößern'; —* Auktion), bis ins 18. Jh. selten auch in der Form Auctor und häufig lat. flektiert, schon seit dem 16. Jh. gelegentlich auch in der heutigen Form. a In der Bed. 'Verfasser von (publizierten) literarischen oder wissenschaftlichen Texten, Werken; Schriftsteller, publizistisch tätiger Wissenschaftler', von Anfang an häufig auch für 'Dichter, Poet' (s. Belege 1538, 1663, 1757, 1838, 1917, 1986), gelegentlich konnotiert mit „eine Autorität (z. B auf literarischem oder wissenschaftlichem Gebiet) darstellend" (s. Belege 1820, 1836, 1962; -> Autorität b), im 19./ 20. Jh. auch in erweitertem Sinne von 'Urheber eines künstlerischen Werks' (vgl. b) auf Produzenten unterschiedlichster Kunstformen (z. B. Musik, bildende Kunst, Film, Fotografie, s. Belege 1934, 1969, 1974, 1985, 1987) bezogen, vgl. Bild-, Filmautor; z. B. in den Wendungen ein begabter, beliebter, (un-)bekannter, anonymer, junger, klassischer, namhafter, prominenter, zeitgenössischer Autor; der Autor eines Lehrbuches, Dramas, Romans; die Autoren des Grundgesetzes, einer wissenschaftlichen Studie; Autoren des Exils; der Autor der Dissertation, Rezension; unter Mitwirkung eines bekannten Autors; neue/bekannte Autoren für die Mitwirkung an einer Zeitschrift gewinnen; einen Autor angreifen, kritisieren, schätzen; die Ansichten des Autors ablehnen; als Grundwort in Zss. wie Bestseller-, Bühnen-, Drehbuch-, Kinderbuch-, Jugendbuch-, Wörterbuch-, Fachbuch-, Lieblings-, Erfolgs-, Exil-, Hörspiel-, Nachwuchs-, Prosa-, Trivial-, Wissenschafts-, Textautor und als Bestimmungswort in Zss. wie Autorenexemplar 'Exemplar eines Druckwerks, das der Verlag dem Autor laut Vertrag kostenlos überläßt', Autor(en)korrektur 'Korrektur der Druckfahnen durch den Autor persönlich', auch 'vom Autor vorgenommene Korrektur am Satz, die vom Manuskript abweicht und deren Kosten der Autor selbst zu tragen hat', Autor(en)referat 'vom Autor verfaßte Zusammenstellung der Ergebnisse seiner (wissenschaftlichen) Darstellung, Untersuchung', Autorenabend 'Abendveranstaltung, auf der ein Schriftsteller, Dichter aus seinen Werken liest, Dichterlesung', weitgehend gleichbed. mit Autorenlesung, Autorenregister 'alphabetisches Namensregister der in einem Werk genannten oder zitierten Autoren mit Angabe der Seiten, auf denen ihr Name erscheint', Autorenhonorar 'Vergütung des Autors durch den Verlag für einen schriftlichen (literarischen, wissenschaftlichen) Beitrag, für ein Buch', Autor(en)recht 'Urheberrecht', Autorenfilm, zunächst 'Stück, das eigens für das Kino geschrieben wird' (s. Beleg 1914), dann vor allem 'Film, bei dem der

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Regisseur zugleich der Verfasser des Drehbuchs ist', Autorenkollektiv 'Gruppe von Autoren, die ein Werk in Zusammenarbeit verfaßt und herausgibt'. Seit späterem 16. Jh. häufiger auch metonymisch gebraucht für '(das gesamte) Werk, (die gesamten) Werke eines Schriftstellers, Dichters' (s. Belege 1562, 1590, 1682, 1726, 1759, 1798, 1843, 1964), z. B. ein gefragter, vielgelesener Autor ist im Buchhandel schnell vergriffen; englische Autoren herausgeben, verlegen, aufführen, kaufen; gerne französische Autoren lesen. Dazu Mitte 18. Jh. die subst. Ableitung Autor(en)schaft F. (-; ohne PL), zunächst 'Stand, Beruf eines Autors', auch 'Schriftstellertum, Schriftstellerei' und vereinzelt metonymisch für 'gesamte literarische Produktion', dann vor allem 'Urheberschaft, Verfasserschaft', z. B. seine Autor(en)schaft beteuern, verschweigen, bestreiten; jmdm. die Autor(en)schaft eines Buches zuschreiben. b Seit spätem 15. Jh., in engerer Anlehnung an das Lat., selten in der allgemeineren Bed. 'jmd., der etwas gründet, erzeugt; Urheber, Schöpfer, Gründer, Veranlasser, Anstifter', z. B. in den vom 18. bis ins 20. Jh. gebuchten lat. Syntagmen au(c)tor rixae 'Urheber des Streits' und au(c)tor delicti 'Urheber, Anstifter des Verbrechens'. Autor a: Steinhötvel 1473 Boccaccio (Übers.) 336 dz der auctor discs büchlins [Verfasser einer Arzneikunde] die kunst der erztny hette lassen ain natürliche wäre rechte, unverkerliche kunst syn; Schnaphan 1523 (1906-07 Journal of Engl. a. German. Phil. VI 203) der gering auctor disz buechlins; Paracelsus 1528 S. W. I 6,437 es ist euch nüzer ein jar in solchen simplicibus gestudiret, dan hundert jar in dem unnüzen geschwez euerer autorum; Schwarzenberg 1535 Teiitsch Cicero Vorr. 2a Ciceronische, vnd ander trefflicher Lateinischer Auctor [!] etc. büchle; Paracelsus 1537 S. W. I 10,500 die geschriften autorum, die von solcher krankheit nichts gewißt haben; Cochläus 1538 Heimlich Gespräch 2 vnder welchenn eynes [Buch] was gedruckt zuo Wittenberg, des Titels Tragedia Johannis Hus, hette aber keynen namen des Autors oder tichters; Tappius 1542 Waidwerck G4b Autoren vnnd Schribenden; 1544 (Urkunden Tübingen 235) Sribenten oder Authores; Paracelsus 1562 Spitalbuch Gla auß neuwern authoribus; Fischart 1572 Geschichtklitterung 7 was deß Authors person betrifft; ebd. 11 So vil sey genug von deß Authors person; ders. 1577 Trostbüchlein 645 bevorab dem Authori discs Tractatus, welcher inn erforschung des lobs der zarten Dirnen Podagre, solchen hohen fleis erwiesen; Letzner 1590 Chronica Vorr. V2a aus allerhandt alten Büchern, schrifftlichen Vrkunden vnd Verzeichnissen, vnnd bewehreten [mittelalterlichen] Authoribus; 7597 Kronn aller Wegweiser Vorr. 2b [einen Fehler im Buch soll der Leser] nicht dem Authoren zumessen; Kirchof 1601 Wendunmuth 22 unter allen auctoribus und chronographis, welche in griechischer Sprach geschrieben; Sandrub 1618 Delitiae 18 Authori dieses Buchs; Opitz 1624 Poemata 169 dann der die alten Lehrer, welchen der Autor als den

gelehrtesten vnd gottseligsten Nachfolgern der Propheten vnd Apostel, auch hierinnen hat folgen wollen, nicht gesehen noch gelesen hat; Beilin 1657 Rechtschr. Vorw. o. S. Diweil auch etlicher angefuerten Autoren Schriften unterschidlich ausgelaeget sein/ so hab' ich die/ in disem Buechlein gebrauchte/ ausfaertigungen auch forher verzeichnen wollen/ damit der Läser/ was für welche auf zu schlagen sein/ wissen möge; Gryphius 1663 Horr. Vorr. 7 wo nicht Neid und Mißgunst des Autoribus [!] die letzte zwey Seiten verfaulet; ders. 1663 Peter Squenz 15 Author der Comedi; Neumark 1667 Poet. Tafeln 114 nach Anleitung unsers Autoris; Leibniz 1668 — 76 Briefw. I 3 Weil sich nun gestalten Sachen nach nicht wohl thun läßet den Autoren das Schreiben niederzulegen, so ist fast kein ander Mittel übrig, . . als daß alle Messen . . ein Protocol! oder Inventarium gehalten; Weise 1673 Erznarren 86 Aber daß die Obrigkeit sich umb die interna bekümmern will, und doch keine erfahrne Schulmänner zu Rathe zeucht, zum Exempel, daß sie die Autores vorschreibt, . . das ist zu viel; Lebenwaldt 1681 Teufels List VI 83 Daß die Authores nicht übereinstimmen/ geschieht auch bey den Theologis, Philosophie, Medicis, Chymicis, Es will einer deß ändern fundamenta vmbstossen; Morhof 1682 Unterricht 416 der gelehrte Frantzösische Autor in seiner grammaire generale; ebd. 562 von vielen Autoribus; ebd. 573 in ändern Autoribus; ebd. 679 wer die alten Autores zur Richtschnur hat; Becher 1682 Glücks-Hafen 160 Der erste auß vor angezogenen Authoribus genommene Process, welcher mit Manualischer und handgreifflicher Scheidung der Principien geschieht/ nach Meynung voriger Authoren; 16X4 Zusahmen-Sprach v. d. Bücherschreiben 2 wie soll ein Mensch können ein Buch schreiben/ welches nach eines jeden Gusto

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wäre? der eine penetriert in deß Authoris Absehen/ der andere nicht; Spener 1685 Klagen 147 Eines unpartheyischen autoris Bericht/ wie sich bey der communion der unwürdigen zu verhalten; Thomasius 1687 Discurs 13 den Kern von den Lateinischen, Griechischen, ja auch nach Gelegenheit teutschen Autoren in ihre Muttersprache übersetzen; ebd. 17 die meisten Übersetzungen der Autorum classicorum; Abr. a S. Clara 1689 Judas II 62 f. (Wunderkur 41) wie der Author/ also das Buch; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 53 über Geheimnisse der Staats-Sachen/ und zwar eines Spanischen Autoris, der so tieffsinnig geschrieben/ daß man öffters seine Meinung kaum asseqviren kan; 1702 Monatl. Auszug Sept. 22 daß er einen und ändern Autorem fleissig lesen . . solle; Omeis 1704 Anl. z. Reim- u. Dichtkunst 37 man haette den auctorem dieses Werkes mit Namen angefuehret; Menantes 1707 Gal. Poesie c5b wider Wissen und Willen des Hochgelehrten Autoris; Besser 1711 Sehr. Vorr. x7b aber diß alles will man nur eintzig dem Publico zum Besten, nicht aber dem Autori zu gefallen, gewuenschet haben; Weichmann 1726 Poesie 25 es sey das Gegentheil in den allerältesten Schriften, auch allen guten neuen Autoribus befindlich; ebd. 47 an Testimonia ist wohl nicht zu gedenken, weil es mit den Autoribus nicht fort will; Sperander 1727 A la mod Sprach 61 Autor, Author, Auctor, . . ein Bücher-Schreiber; 1732—33 Beitr. z. krit. Hist. d. dtsch. Spr. 187 von allen denen hier beschriebenen deutschen uralten Autoren; Bodmer 1741 Streitschr. 1150 es deucht uns deswegen, daß die Deutsche Autoren, welche sich in Disputationen und ganzen Tractaten mit dergleichen Erweise Mühe machen, selbige wohl sparen könnten; Schwabe 1743 Belustigungen V 302 so würden wir weit weniger Schulautoribus aufzuweisen haben; ebd. V 421 aber ich bitte sie nur, uns Autores nicht über die Achsel anzusehen; 1744 ebd. VI 332 wer weiß, ob nicht jetzo, da ich dieses schreibe, eine Hand mit Armbändern, durch meine Aufmunterung bemüht ist, dem Autor eine Autorinn an die Seite zu setzen; Gleim 1748 a. Kleist II 76 er nimmt sich auch die Mühe, seine übersetzten Horazischen Oden Stück für Stück durchzugehen und genau zu kritisieren, was für H. Langens flüchtige Feder und empfindlichen Autorgeist ein vorteilhafter Umstand ist; Geliert u. a. 1757 Br. (S. Sehr. IX 458) Daß ich kein ganz mittelmäßiger Autor bin, o das gebe ich gern zu, wenn mirs die Welt vorsaget; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 112) Meister gab 1726 ein elendes Büchelchen heraus,. . aus vielen Autoribus zusammengelesen; 1765 Satyr. Bibl. V 947 auf meine Autorparole versichern . . [Anm.] Ist ein Synonymum von Advocatengewissen, Kramerschwur; Geliert u. a. 1768 Br. (S. Sehr. IX 516) Damit wären uns denn auf einmal alle griechische

und lateinische Autoren aus den Händen gerissen; 1772 Frankf. gel. Anz. 300 aus der . . Classe der Anecdotensammler, Edirer und literarischen Glatschen, welche unfähig selbst etwas zu schreiben, doch ihren Autorenkitzel wenigstens durchs Ediren zu sättigen; ebd. 515 vom wörtlichen Verstand der alten Autoren; Blanckenburg 1774 Versuch Vorher. XIX ich verabscheue Kritiker- und Autorenkrieg; Klinger 1780 Plimplamplasko 186 Auctor oder Bücherschreiber; 1781 Literar. Pamphlete 49 Wenn aber ein Author für seine Mühe schon sehr bezahlt wird, wenn er Leser findet, die damit zufrieden sind; Moritz 1782 Reisen 99 Er war Master of Arts, und hielt . . Vorlesungen über klassische Autoren; Blumauer 1782-87 Gedichte (HI 90) Die Autorpolitik (Überschr.) Ich kenn' ein Künstchen,/ Das spielt gar gern/ Mit blauen Dünstchen,/ Das lehrt die Herr'n,/ Genannt Autoren -/ Versteht sich die/ Mit langen Ohren -/ Sich weislich wie/ Genie's zu tragen. In unsern Tagen/ Macht Politik/ Des Autors Glück; 1757 Journal v. u. f. Deutschland l 366 ein Mann, den der Autorkitzel schon lange in den Daumen juckte; Meusel 1788 Mag. I 6 mein Ehren- und Autorswort; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 121) Wenn ist die Französische, durch Akademien und Autoren und Wörterbücher so gebildete Sprache, denn so zu Ende gebildet, daß sie sich nicht mit jedem neuen originalen Autor . . neu bilden oder mißbilden müßte?; 1790 Journal v. u. f. Deutschland II 533 etwas aus meiner eignen Autorerfahrung auszuführen; 1791 ebd. II 703 Mancher . . Gelehrter fühlt sich, oft ehe er sichs versieht, vom Autorfieber ergriffen und schreibt um — die Presse nicht leer stehen zu lassen; 1792 Wiener Musenalmanach 39 Das Verboth. (Überschr.) Der Pfaff verbiethet mir die Liebe,/ Der Arzt verbiethet mir den Wein,/ Der Recensent das Autorseyn.-/ Sagt, Freunde, was mir übrig bliebe,/ Wenn ich nicht liebte, tränk'und schriebe?; ebd. 146 Sieh! Wie die Bücher hier uns rings den Rücken zeigen!/ Kein Wunder! Autorstolz ist den Gelehrten eigen; Cogniaczo 1794 Gestaendn. l Vorr. XI nicht Autorkniff, oder versteckte Betteley nach Schriftstellerlobe; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,70) Ich habe . . ein Dutzend Autoren, die in meinem Fache geschrieben haben, nur flüchtig durchgesehen, um für die Geschichte [der Farbenlehre] einige Hauptmomente zu finden; Kortum 1799 Jobsiade 11 Vorrede, und der Autor hebt an, die Mähr von Hieronymus Jobsen . . zu beschreiben; Borne 1803 Br. a. H. Herz 93 [er] schmiedet gar viel Autorenpläne; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 28,94) da ich . . die übrigen [Sprachen] nur in so weit cultivirte, daß ich die besten Autoren im Original . . zu lesen im Stande war; ebd. 28,150 wird dieses Buch erst was es eigentlich sein soll . . es ist . . bestimmt die Lücken eines

Autor Autorlebens auszufüllen; ders. 1820 Kunst u. Alterthum (WA l 41.1,509) Seit dreyßig Jahren hat die sondernde und zweifelnde Kritik [in Deutschland] . . überhand genommen, daß wir fast allen Glauben an schriftlich Überliefertes verlieren mußten. Ein alter Autor nach dem ändern ward uns entrissen . . auf einmal ermannt sich die deutsche Jugend wieder, neigt sich ehrfurchtsvollst vor der Bibel wie vor dem Homer; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 114 Anm. Im Urwortsinne. Ich hätte allenfalls [ital.] Autori und Scriptori durch Thaturheber und Schrifturheber geben können; Goethe 1827 Br. (WA IV 42,19) Das vollständige Manuscript wird vor Ende des Monats abgesendet. Es ist auch hier das alte Autorwesen: man getraut sich nicht Amen zu sagen, bis der Setzer uns an die Fersen tritt; 1836 Berl. Conversations-Blatt 183 f. Solche edle Köche, welche der Geist in die Welt gebracht hat und die den Geist in die Welt bringen, waren auch die alten griechischen und römischen Schriftsteller, denen man keine größere Ehr erweist als mit dem Titel eines „Autoren". Das Wort hat Gewicht, und ein andres bedeutungsvolles, das Wort „Autorität" kommt davon her; Bauer 1836 Ueberschw. 1113 Allein er hatte aus Autorenstolz schon zu viel von dem Werkchen geplaudert und mußte auf sechs Monate in die Festung spazieren; Immermann 1838 Oberhof (R.) 43 Wer aber glaubt, daß die Unterhaltung dieses westfälischen Hofschulzen und schwäbischen Jägers so flüssig vonstatten gegangen sei, wie meine Autorfeder sie niedergeschrieben hat, der irrt sich; Schopenhauer 1840 Moral 67 In welchem Sinn kann denn einer solchen Handlung Notwendigkeit beigelegt werden? Da es billig ist, einen Autor stets auf das günstigste auszulegen, wollen wir sagen, daß seine Meinung dahin geht, eine pflichtgemäße Handlung sei objektiv notwendig, aber subjektiv zufällig; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 544 „Fürwahr," rief er, „es wäre die glücklichste Hütte, welche Fürstengroßmut einem bescheidenen Dichter zimmern könnte! Ich habe in diesen Schränken Autoren gesehen, deren Ansprüche auf Ruhm . . mäßig sind; ihren Büchern wurde ein prächtiger Einband und den Verfassern ein fürstengleiches Dasein zuteil . ."; Wagner-Liszt 1851 Briefw. I 143 diese [Bedingungen] bestehen darin, daß die Einschaltung des französischen Textes in die Partitur unter der Mitarbeit des Autors ausgeführt werde; Holtet 1854 Schneider I 206 mit . . mancher bangen Autorsorge; ders. 1860 Eselsfresser I 13 Ich wollte das verhehlen, wollte mir das Ansehen eines selbsterfindenden Autors geben; daher das vorredenartige Einschiebsel im ersten Kapitel; Raabe 1864 Hungerpastor 11 wenngleich er niemals vollständig orthographisch schreiben lernte, so hatte er doch ein dichterisches Gemüt, .. und las, so viel

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er nur irgend konnte. Was er las, verstand er meistens auch; und wenn er aus manchem den Sinn nicht herausfand, welchen der Autor hineingelegt hatte, so fand er einen anderen Sinn heraus; Gisbert 1874 Zeit-Arabesken 102 Autoren; Proelss 1891 Modelle 225 Und Thausig, der als Erzähler der Geschichte der „braunen Burgei" eine Art Autorstolz beim Anblick der jungen Malerin empfand; Luise v. Kobell 1894 Ertnn. II 176 Ich bewegte mich etwas im Autorenparadies [weil ein von ihr geschriebenes Stück angenommen wurde]; Berend 1909 Ästhetik 94 Von ihren Theorien gilt, was Jean Paul von den Romanhelden behauptet: sie tragen die geheimen Gebrechen ihrer Autoren zur Schau; 2914 Stimmen d. Zeit LXXXVII 180 Ein anderer Versuch, dem Kino aufzuhelfen, sind die „Autorenfilme", d. h. Stücke, die eigens für die Lichtspielbühne gedichtet werden; Th. Mann 1916 Reden u. Aufs. (W. X 570) in diesem persönlichen Falle handelt es sich . . um einen heroischen Humor, der so recht eigentlich unseres Autors [Carlyles] menschliche und schriftstellerische Note ist; Voss 1917 Welt 63 Die Romane der modernen Autoren Frankreichs; Th. Mann 1920 Reden u. Aufs. (W. X 865) sein Lieblingsautor scheint Heine zu sein; ders. 1925 Reden u. Aufs. (W. X 187) in der Schweizer Rundschau „Wissen und Leben" las ich die Arbeit eines Wiener Autors namens Lesser über „Neue erzählende Prosa"; Brod 1928 Zauberreich 73 Er liest nur immer und immer diese und jene Stelle aus seinen Lieblingsautoren vor; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. X 693) die meisten Bücher sind schlecht geschrieben, weil sie zu sehr in der Muttersprache des Autors geschrieben sind; 1929 Querschnitt 720 daß diese dramatische Szene für das Theater verfaßt war und daß ich während der Vorstellung mehrere Male an die Rampe gerufen wurde von einem Publikum, das „Autor, Autor" brüllte; Voss. Ztg. 27. 9.1929 Der norwegische Autorenverband plante die Ueberreichung eines Silberpokales an Hamsun; Berl. Hlustr. Nachtausg. 10.10.1931 Nur ein kleines Schild „Zur Autorenbörse" weist den Weg zu Berlins jüngster Börse; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 336) Goethe . . hat es ausgesprochen, daß es nur die Persönlichkeit und der Charakter des Autors seien, durch die sein Werk eigentlich wirke; Lokal-Anz. 8.2.1933 Aber eine Anzahl von Buchautoren beschimpfen und verachten Deutschland; ebd. 9.11.1934 Erst sein [Pirandellos] Drama „Sechs Personen suchen einen Autor" . . hat ihm europäischen Nimbus gegeben; ebd. 11.11.1934 Wie schwierig die Autorenfrage beim Tonfilm sein muß, das beweist wieder einmal dieses Drehbuch von Maria Stefan. Wieviel stärker hätte der Film gewirkt, wenn das Buch mehr Rücksicht genommen hätte auf die technischen Gesetze eines Film-

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schwankes; Dtsch. AZ. 3.2.1935 In einem Autorenabend im Lessing-Museum las . . Marie Luise Becker aus eigenen Werken; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. IX 589) zeigt es die satirische Unabhängigkeit des jungen Autors, der durch „Götz" und „Werther" an die Spitze der Genie-Bewegung gelangt war; Süddtsch. Ztg. 1.8.1948 In den Buchhandlungen konzentriert sich das Interesse der Käufer auf eine verhältnismäßig geringe Zahl von „Spitzenautoren"; ND 26.3.1949 sein Autor ist unseren Lesern kein Unbekannter: er heißt Willi Bredel; ebd. 25.8.1954 ein guter Lektor feilte daran [Buch] mit dem Autor; Bamm 1956 Ex ovo 214 der geneigte Leser, dem der Autor für seine Geduld herzliche Dankbarkeit bezeugt; Borst 1957 Turmbau 234 Die starke historisch-kritische Begabung des Autors; Gail 1958 Weltraumfahrt 19 darin [Buch] wurde das Prinzip der Mehrstufenrakete näher ausgeführt, auf welches der Autor auch alsbald ein Patent nahm; Bollnow 1962 Mass 198 unter Zitaten versteht man bekanntlich wörtliche Anführungen von Äußerungen anderer Autoren; ebd. 199 auch dem gewissenhaftesten Autor passiert es, daß er eine früher gelesene oder gehörte Meinung wiedergibt, ohne sich dabei der fremden Herkunft bewußt zu sein; ebd. 203 im allgemeinen braucht hier der Autor, den man anführt, nicht einmal eine besondere Autorität zu sein; Heuss 1963 Erinn. 15 die Setzer . . waren zum Teil auf die einzelnen Autoren [des Verlags] spezialisiert; Partner 1964 Erben 20 Hans Freyer, der Autor der Weltgeschichte; ebd. 171 ein eindrucksvolles Bild, selbst wenn man annimt, daß dem hymnisch gestimmten Autor die Feder ein wenig durchgegangen ist; ebd. 217 sie [Ausbildung] erstreckte sich nicht nur auf die Theologie und die Auslegung der heiligen Schriften, sondern auch auf das Studium der antiken Autoren; ND 22. 7.1964 hat sich als sozialistischer Kinderschriftsteller, Dramatiker und Hörspielautor schnell die Herzen unserer Pioniere . . erobert; Offenburger Tagebl. 7.10.1966 in dem Stück „Das Gartenfest" des jungen tschechischen Autors Vaclav Havel; Bildztg. 22.3.1967 Doktor Boskov, der gleichzeitig praktischer Arzt sowie Autor zweier Fußball-Lehrbücher ist; ebd. 21.6. 1967 in zahlreichen Gesprächen mit Psychologen und Juristen . . hat sich die Autorin bestätigen lassen, was sie selbst oft gesehen und selber erlebt hat: eine Frau, die sexy ist, hat schon halb gewonnen; 1967 Bild d. Wiss. I 74 Dr. Fritz Zwicky, Schweizer Astronom und seit 1937 Professor für Astrophysik . ., ist der Autor des Artikels „Durchmusterung der Himmelsobjekte"; Welt 5.3. 1969 Bingel gibt im Verlag zwei Paperback-Reihen heraus . ., an deren Umsatz er mit 5 Prozent beteiligt ist (die Autoren mit 10 Prozent); ebd. 21.3.1969 der Autor gab sich Mühe, mit dem Mittel der Ka-

mera und des Kommentars eine komplexe gesellschaftliche Realität verständlich zu machen; ND 16.4.1969 am anfälligsten für die Grippe, so berichtet der Autor des Beitrags weiter, sind ältere Personen; Welt 12.8.1969 das kürzlich gegründete Autorenzentrum verhilft zu literarischen Nebenverdiensten und finanziert auch den unmittelbaren Kontakt mit der potentiellen Leserschaft; ebd. 12.11.1969 leider hatte der inszenierende Autor seine gedruckte Regieanweisung nicht ganz durchgeführt; Schwarzacher 1970 Methoden o. S. manche Autoren wenden Lokalanaesthesie an, andere halten sie für das Zellwachstum für schädlich; Flechtheim 1970 Futurologie o. S. so sind heute Ernst Bloch und Teilhard de Chardin mit ihrem utopischen Optimismus Erfolgsautoren geworden; Lämmert 1971 Romantheorie o. S. ein zugehöriges Autorenregister erleichtert das Auffinden verschiedener Beiträge eines Verfassers; Bad. Ztg. 28.1.1971 Es geht darum, kritische Stimmen zu sammeln, offensichtliche Fehler, die dem Autorenkollektiv entgangen sind, herauszunehmen; Welt 11.3.1974 bitte schicken Sie mir folgende Werbeprämie (bei Büchern bitte Autor und Verlag . . angeben); ebd. 13.4.1974 der Autor . . ein anerkannter Experte auf dem Gebiet des Tendenzrechtes; ND 8.11.1974 bei einem Preisausschreiben sind Ausstellungsfotos zu gewinnen, es wird Gelegenheit sein, Bildautoren persönlich kennenzulernen; Zeit 28.12.1984 die Autoren sind immer stärker in das ökonomische Kalkül der Mediengiganten geraten, ihr Urheberrecht ist bedroht, Theaterleute, bildende und musizierende Künstler leiden unter einer restriktiven Kulturpolitik; ebd. 11.1.1985 doktrinäre Alternativen, die mit deutschem Trotz auf Unversöhnlichkeit zwischen Erzählkino und Autorenfilm . . pochen; MM 17.1. 1985 von Heinrich Böll über Oskar Maria Graf . . bis hin zu Christa Wolf reichen die Autoren, die in einzelnen Seminaren behandelt werden; Zeit 22.3.1985 die Veröffentlichung war nur möglich, weil die Herausgeber und Autoren ihre Honorare stornierten, bis eine Mindestauflage verkauft ist; ebd. 29.3.1985 die Drehbuch- und Romanautorin Thea von Harbou; ebd. 3.5.1985 die Autoren dieses Bildbandes schildern mit Photos, Graphiken, Tabellen und einem wissenschaftlich fundierten Text die Entstehungsgeschichte der Hekken und ihre ökologische Bedeutung; MM 22.6.1985 mit dem Lesen der prägnanten Passagen aus diesen beiden Werken rundete sie ihren Autorenabend im Hack-Museum ab; Zeit 16. 8.1985 er verlegt Autoren, die sich zum Risiko des Irrens bekennen; MM 20.9.1985 die Autoren dieses Bandes nehmen .. eindeutig Partei für die Position der DritteWelt-Länder; Zeit 4.10.1985 die Autoren der Studie schränken indes ein, daß wohl die meisten der

Autor Unternehmen das Anforderungsniveau in die Höhe treiben; ebd. 11.10.1985 Autobiographie und Autorenkollektiv — das ist wie Arno Schmidt und Gruppenarbeit; ebd. der Verfasser — Professor für Psychiatrie und Neurologic sowie erfolgreicher Buch- und Fernsehautor; ebd. 6.12.1985 Schmidtke ist Mitglied der neunköpfigen Autorengruppe; Zimmer 1986 Redens Arten 127 Seit Jahren sind die Wörter „Dichter" und „Dichtung" verpönt. Heute heißt es „Autor" und „Text"; MM 11.1. 1986 in ihrer Schulzeit erfuhr die Generation von Thomas B. Schumann [und Erich Mühsam] über Autoren des Exils meist nur dann etwas, wenn sie ihnen von engagierten Lehrern nahegebracht wurden; Zeit 21.3.1986 der Medizinstudent absolvierte sein Studium, begann jedoch gleichzeitig, Gedichte seiner bevorzugten Autoren zu übersetzen; ebd. IB. 4. 1986 ein Bericht über den Bestsellerautor Umberto Eco läßt sich aufs schönste mit einer Reportage über die Modemetropole Mailand verbinden; MM 25.4.1986 im .. Streit zwischen der Schulmedizin und der . . Homöopathie-Lehre lassen die Autoren mehrerer von der Ärztekammer .. publizierter neuer Arbeiten die Homöopathie auch heute noch für die Heilung vieler Krankheiten gelten; ebd. 29. 7.1986 die Praxis des Pseudonyms ist so alt wie das Interesse der Gesellschaft an den Namen und Personen von Autoren; ebd. auch adelige Autoren wählten gerne Decknamen; hinter Novalis . . verbarg sich . . der Freiherr Friedrich von Hardenberg; Zeit 19.9. 1986 daß die Autoren des Grundgesetzes mit der Formulierung „Kriegsdienst mit der Waffe" wohl kaum die konkrete Handhabe einer Waffe meinten; ebd. 21.11.1986 die . . heute eher grüne „Tageszeitung" veröffentlichte . . ein Interview mit anonymen Autoren, die detalliert berichteten, wie man einen Strommast umsägt; ebd. Literaturprofessoren werden auf Autorenlesungen höchst selten gesichtet; ebd. die Mischung aus Literaturgeschichte und Handbuch wird noch dadurch verstärkt, daß ein Autorenlexikon den Band beschließt; ebd. 5.12.1986 diese vierte Arbeit, mit der Brigitte Kronauer sich als eine der wichtigsten deutschsprachigen Autoren ausweist; MM 4.3. 1987 durch heutige Dokumentaraufnahmen und . . Reflexionen des Autor-Regisseurs . . werden Parallelen zur Gegenwart gezogen; ebd. 10.4.1987 so arg weit her ist es oft nicht mit dem, was deutsche Autoren für deutsche Bühnen liefern; Zeit 24.4. 1987 die Stuttgarter „Alkestis" aber hatte drei Autoren: Robert Wilson, Euripides und Heiner Müller; ebd. 15.5.1987 war Bresson ein Filmautor avant la lettre, so gilt dies für Rohmer auch; MM 15.10.1987 neben den 19 in der Physik haben 24 Wissenschaftler den Nobelpreis für Chemie, zwölf den für Medizin, sechs Autoren den für Literatur und vier Deutsche den Friedens-

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nobelpreis erhalten; ebd. 2.11.1987 in der Sprache liegt die Stärke des gelernten Politologen, Filmund Bühnenautors; ebd. 7.4.1988 es war die eigene Entscheidung des Autors, im Film alle Abstraktionen wegzulassen; ebd. 27. 5.1988 die Autorin vermischte Elemente aus fernöstlichen Theatertraditionen mit der Dramaturgie Shakespeares; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 31 Ähnlich wie bei den Sprachkritikern ist in Stillehrerkreisen der geringe Anteil von Autorinnen zu beklagen; Spiegel 7.12. 1992 Aber dann wieder stehen da Briefe, die dürr und faktisch aus dem Leben erzählen, und mancher Beitrag wirkt, als öffne sich die Autorin zum ersten Mal; ebd. 15. 2.1993 Die Uraufführung in Berlin führte nun zu neuen Konfrontationen: zwischen Autor und Regisseur; ebd. 24.1.1994 Hat nicht vielmehr das Konzept des Autorenfilms — einer kann und macht alles, Drehbuch, Regie, Schnitt — einfach verhindert, daß in Deutschland die Grundlagen für eine breite Nachwuchsausbildung entstanden? Autor(en)schaft: 1752 (Rabener 1782 freundsch. Er. 219) mit dem vierten Theile den Lauf meiner Autorschaft zu vollenden; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 6) Pope erzehlt die Geschichte seiner Autorschaft. Ich schrieb, sagt er, weil es mich angenehm beschäftigte; ich verbesserte, weil mir das Verbessern eben so viel Vergnügen machte, als das Schreiben; Sonnenfels 1768 Br. ü. Wiener Schattbühne 40 die Geschichte meiner Autorschaft werde ich Ihnen nicht vorlesen, nun hören Sie ein kleines Autorenabentheuer, denn in Wien zieht sich die Autorschaft gemeiniglich kleine, oft auch wichtige Vorfälle zu; 1774 Gellerts Leben (S. Sehr. X 114) Sagen Sie es also, daß man mir über meine Pausen in meiner poetischen Autorschaft keine Vorwürfe machen müsse; Göckingk 1780—82 Gedichte I 266 im Gewühl der Autorschaft; Ph. Engelhard (geb. Gatterer) a. Bürger 1781 (Briefw. Bürger-Gatterer 125) Es ist doch ein eignes Ding um weibliche Autorenschaft [doppelsinnig]. Meine bisherige Kränklichkeit scheint auf was andres gezielt zu haben und vermuthlich wird mit der Geistesgeburt [von Gedichten] auch zu gleicher Zeit eine leibliche [Geburt eines Kindes] vorfallen; Degen 1794 Übersetzungen d. Römer 106 nach noch mehr als 160 Jahren lieferte Küster seine Übersetzung und erschöpfte beinahe damit seine ganze Autorschaft; Matthisson 1802 Evian (V 406) wenn Frau von Stael nicht mit der trefflichsten . . Schöpfung ihres Genius die Laufbahn der Autorschaft beschlösse; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 29,202) Durch meine, wie vom Himmel gefallene Autorschaft, als durch ein neues wunderbares Ereigniß ward die Aufmerksamkeit meiner Mitbürger erregt; Müller 1817 Sehr. 247 f. Die Autor-

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schaff unsrer deutschen Geschäftsmänner hat sich nie weit hinaus erstreckt über .. publicistische Deduction in vorfallenden Erb- oder Besitzes-Streitigkeiten; Szarvady 1852 Paris I 404 er nahm im Geheimen die Intitiative zu allen Gesetzen, wie die Wiederherstellung der Getränkesteuer, die Beschränkung des allgemeinen Stimmrechts, um bei spätem Veranlassungen die Autorschaft des legislativen Reactionswerkes den Nationalvertretern ausschließlich zuzuschreiben; Meyer 1911 Aufs, l 172 So ist bis heut noch nicht für alle Stücke völlige Sicherheit über die Autorschaft [von Goethes „Sesenmheimer Liederbuch"] erzielt; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. X 210) wenn ich dem etwas hinzuzufügen habe, so ist es dies, an Stelle der Autorenschaft den deutschen Buchhändlern für ihr werbendes Werk zu danken; ders. 1947 Faustus (W. VI 346) Jeannettens drollige Impulsivität spricht für ihre Autorschaft; aber gar zu gut stimmte der Einfall doch auch wieder mit Rudi's erstaunlicher Zutraulichkeit zusammen; ebd. VI 563 er erhebe keinen Anspruch auf die Autorschaft der Idee, sie sei von Schwerdtfeger ausgegangen; Heuss 1963 Erinn. 52 ich erzähle diese Anekdote . ., weil sie mir die Peinlichkeit auferlegte, noch nach Jahren . . die Autorschaft an diesem reizenden Apercu zurückzuweisen; Zeit 8.11.1985 das Rätsel um Hölderlins Autorschaft aber bleibt; ebd. l. 8.1986 überzeugend war nicht nur die Methode der Studie, sondern auch die Autorenschaft von Adipositas-Spezialisten; ebd. 15.8.1986 doch Agejews Autorenschaft blieb weiterhin ungeklärt; Klarheit besteht. . nur gerade darüber, daß es sich .. um ein Pseudonym handeln muß; ebd. 6.3.1987 die „Elemente"-Allegorien (Erde, Wasser, Feuer,

Luft) bilden in Venedig ein aus den verschiedensten Werkperioden zusammengestelltes Ensemble, dessen Autorenschaft auch nicht in jedem Fall geklärt scheint; MM 20.4.1988 am bekanntesten ist bis heute ein Werk Huttens, dessen Autorenschaft er nie zugegeben hat. Autor b: Melber 1481 Voc. o. S. Auctor, ein merer . . gewaltiger; ebd. Autor, ein ursprünglicher maister, .. vrsecher .. geber . . werckmaister eines dings, gewaltiger vel schepffer; Rot 1571 Diet. 291 Author . . Ein vrheber/ anheber/ durch des Vorgang/ anlaitung gepiet etwas geschieht; Eyzinger 1590 Relationen l 66 Author, Urheber; Praetorius 1619 Syntagma mus. II 89 Wer aber der Autor vnd erster erfinder dieses wundersahmen zierlichen . . Instruments sey/ wird . . nirgends gefunden; Perez 1626 Landstörzerin I 122 Dann es kompt die Ehr welche einer einem ändern beweist/ allezeit ihrem Authori wiederumb heim; Menantes 1709 Gal. Poesie 413 Autor der Invention [zu einer Oper]; Sperander 1727 A la mod Sprach 61 Autor, Author, Auctor, der Anfänger, Urheber, Erfinder eines Wercks; Belemnon 1728 Bauernlex. 29 Autor Rixae. Urheber des Streits, Zancks; Stoppe 1728 Gedichte l 16 Man schätzt die Kinder ja vor Lebenswerthe Sachen, Von denen Ehr und Ruhm auf den zurücke fliest, der davon Autor [Vater] war; Goethe 1785 Amtl. Sehr, l 398 Lindner . . anzuhalten, als autor rixae, die verursachten Kosten zu tragen (GWB); Jähns 1885 Heeresverf. 367 Francois Quesnay, den Vater des Physiokratismus, den seine begeisterten Anhänger nur kurzweg den „Autor" nannten; Gmelin 1937 Festschr. f. Wach II 295 „laudatio auctoris" (Urheberbenennung).

autorisieren V. trans., um 1500 entlehnt aus mlat. auctorizare 'billigen, zustimmen, bestätigen, als wahr oder echt erklären, anerkennen, beglaubigen; Gewähr(schaft) bieten, garantieren' (zu auctor in seiner Bed. 'jmd., der genehmigt, zustimmt; Gewährsmann, Garant' < lat. au(c)tor; —» Autor, —»· Autorität), anfangs vereinzelt in der Form autorisieren und häufiger authorisieren. a Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'etwas (amtlich) genehmigen, für berechtigt erklären, gutheißen, beglaubigen, bestätigen, bewilligen', in neuerer Zeit meist adj. verwendet in der Part. Perf.-Form autorisiert, bes. in den Syntagmen autorisierte Übersetzung, Ausgabe 'vom Verfasser durchgesehene und genehmigte, gebilligte Übersetzung, Ausgabe', daher auch 'die einzig berechtigte Übersetzung, Ausgabe', wissenschaftlich autorisiert 'wissenschaftlich anerkannt, bestätigt'. b Seit frühem 17. Jh. in der heute dominierenden Bed. 'jmdn. bevollmächtigen, (als einzigen) zu etwas ermächtigen, beauftragen, mit Vollmacht versehen', auch 'jmdm. Autorität geben' (—> Autorität a), z. B. in der Wendung jmdn. zu etwas autorisieren, (zu etwas) autorisiert sein '(zu etwas) befugt sein', auch adj. in der Part. Perf.-Form autorisiert 'mit Vollmacht ausgestattet, bevollmächtigt', z. B. autorisierte Vertre-

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tung, staatlich autorisierte Stelle, von autorisierter Seite, aus autorisierter Quelle, aus autorisiertem Munde 'aus befugtem, berufenem Munde'. Dazu seit Mitte 16. Jh. die subst. Ableitung Autorisation F. (-; -en), zunächst vor allem amtsspr. für 'Genehmigung, Bestätigung', z. B. die Autorisation einer Rechnung, Quittungen zur Autorisation einreichen, auch die Autorisation zu einer Übersetzung erlangen (zu a); seit Ende 18. Jh. auch für 'Ermächtigung, Befugnis, Berechtigung, Legitimation (einer Person zu etwas); Vollmacht', z. B. jmdm. die Autorisation erteilen, gleichbed. mit dem seit Mitte 19. Jh. selten nachgewiesenen Verbalsubst. Autorisierung F. (-; -en) (zu b). autorisieren a: 3 500 Handelsbuch d. Bischofs Dietrich 164r Wyr, Joannes etc., Erkunden allermeniclich, das wyr Sie mit Irem wissen, willen, Volwort doraus . . gutlich entscheyden, auch selbs aus Vberkeit becrefftiget vnd autorisirett haben; 1501 ebd. 178v mit wisßen entschieden, auch denselbigen schiedt aus Bischofflicher vberkeyt becrefftiget vnd autorisiret; Emser 1524—25 Annotat. Ff5a vnnd spricht, das vil gemelte Epistel von der kirchen auctorisirt vnd angenommen sey; 1558 Heidelb. Statuten 29 wellichs wir . . zu bewilligen und zu authorisiren oder nit, wir uns wollen vorbehalten haben; Primus Trüber 1563 Br. 379 daß sie hinfür nichts in crainerischer Sprache ohn unser vorwissen und zeugnis, daß dasselbe autorisirt sei, annehmen; 1588 Oberrhein. Stadtrechte I 927 Hierauf authorisirn, confirmirn und bestetigen wir vorgeschriebene gemehrte und verbesserte Ordnung; 3626 Theatrum amoris 406 diese weise Dame . . authorisiert vnd bestaetigt derwegen mit jrem Rath der Princessin lieb vnd Bulschafft gar gern; Mengering 1638 Soldatenteufel 645 aus dem protocoll ein authorisirtes Zeugniß/ Abschrifft vnd Nachricht abfolgen zu lassen; Weidner 1663 Teutscher Nation Apophthegmatem III162 Zinckgref . . [sagte], Daß Trunckenheit darumb bey den Weltkindern vor kein laster gehalten wird/ weil sie von den grossen Hauptern Authorisirt vnd gehandhabt wird; Francisci 1680 Wunder-reiche Überzug 1099 So wird auch diese Gewohnheit/ durch das . . Gesetz authorisirt; 1684 Getrost. Europa D3b wie dass Ihre . . Majestät solche Executiones authorisirten, und befehlen könten; Mevius 1685 Kurtzes Bedencken 44 als wenn die Landes-Gebräuche solche Bücher autorisiren oder wenn sie alt und ordentlich geschrieben seyn; Glaser 1728 Kriegs-Bau-Kunst 4 dass wenn auch jemand eine andere Einsicht der durch den Gebrauch autorisirten Meinung zuwider, in eine Sache hat; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. l 42 denn diese sind es die eine Mode autorisiren müssen und auf welche die Geringen ihr Augenmerk gerichtet; Glafey 1736 Anleitung 41 RedensArten, deren sonderbare Deutung bereits durch den Brauch autorisiret ist; 3754 Moser,Hofr. l 164 an einem herzoglich saechsischen hof ueber die gel-

der, so das marschall-amt wöchentlich von der rent-cammer empfaengt, die rechnungen von dem haus-hofmeister gefuehret, in dem marschall-amt autorisiret (DRW); 1766~67 Merkwürdigkeiten 308 der liebreichste Beförderer der Künste und Wissenschaften hatte sie [Dänische Gesellschaft] nicht nur bey ihrem ersten Ursprünge autorisirt, sondern ihr sogar einen Fond zur Aussetzung der Preise . . bestimmt; Lessing 1768 Br. antiqu. inh. (S. Sehr. X 307) Denn das [falsche Übersetzen von lat. Fachwörtern] heißt Verstümmelungen der Unwissenheit autorisiren, und die Benennungen unnöthiger Weise häuffen; 3785 Holland. Staats-Anz. IV 33 durch die Gesetze des Krieges autorisiert; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,248) Der Modus die Zahlungen [für Handwerker] zu besorgen könnte recht gut durch autorisirte Quittungen geschehen; ders. 1815 Br. (WA IV 26,192) Wollen sodann Höchstdieselbigen Herzogliche Cammer berechtigen, gegen . . von mir autorisirte Zettel, 500 rh. auszuzahlen; Tieck 1828-54 Sehr. XXIV 174 [durch Lotterien] autorisiert der Staat Straßenraub und Mord (WOG); C. F. Meyer 1892 briefl. a. Hardmeyer-Jenny 16 autorisiere ich die italienische Übersetzung; Frankf. Ztg. 30.4.1933 Im westdeutschen Revier hat man bereits einen — anscheinend unautorisierten — Anlauf dazu gemacht; Th. Mann 1934 Reden u. Aufs. (W. X 476) ihm verdanken wir die prachtvolle vierzehnbändige, .. vom Dichter autorisierte Ausgabe der Sämtlichen Schriften des großen Norwegers in deutscher Sprache; ders. 1939 Lotte (W. II 679) in den Erziehungsbriefen, autorisiert von Ihrem Denker; Schürmann 1948 Mensch 48 ihrer als legitim „autorisierten" Macht; Welt 13.12.1949 einzig autorisierte Übersetzung aus dem Spanischen von Enrique; Zeit 14.1.1985 „besser ein autorisiertes Interview, das unfrisiert bleibt — mit Bildern, die ich aussuche — als irgendein Scheiß mit hämischem Kommentar"; MM 6.4.1985 kann der nächste Schritt nur noch die Erarbeitung einer vollständig ökumenisch anerkannten und kirchlich autorisierten Einheitsübersetzung beider Konfessionen sein; Zeit 25.7.1986 Ende hat Schaafs Werk autorisiert und damit allen Versuchen, das Buch und den Film gegeneinander

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auszuspielen, die Grundlage entzogen; ebd. 10.10. 1986 politische Reformprobleme .. liegen oft außerhalb der Reichweite jener Medien der Handlungskoordination, die der Politik in Gestalt von Recht, materiellen Anreizen und wissenschaftlich autorisierten Wahrheiten zur Verfügung stehen; ebd. 5.12.1986 Pirandello bezeichnete sich selbst als Humoristen, in diesem Essay also liegt eine vom Künstler autorisierte Auskunft darüber vor, was wir als „pirandellesk" zu verstehen haben; ebd. 6.3.1987 im Gegensatz zu „TV6", einem reinen Jugendmusik-Sender, autorisierten die Linken das „Fünfte" als Vollprogramm; MM 15.1.1988 generell wird vom autorisierten und wirksam gewordenen Erstdruck ausgegangen. Autorisadon: 1558 Heidelb. Statuten 3 erlangte authorisation der . . höchsten obrigkeiten; Boltz 1752 Amts-Actuarius 255 sage ich meinen Herrn Vater N. N. solcher durch meinen Ehe-Gemahl empfangener 6000. fl. Heyrath-Guth, mit Authorisation meines Kriegerischen Vormundes, quitt, ledig und los; Goethe 1791 Br. (Wahl l 163) lege ich Ew. Durchl. die Rechnung sowohl als die DiätenZettel vor mit Bitte solche durch Autorisation oder auf sonst gefällige Weise gelten zu machen (GWB); ders. 1813 Br. (WA IV 24,52) [geplante Entlassung einer Schauspielerin] Können wir ohne Serenissimi ausdrückliche Authorisation niemand verabschieden; 1818 (Bibliothek Polit. Reden VI 189) derjenige Beamte, welcher ohne Autorisation ein Geschenk annimmt; Cancrin 1823 Militairökonomie III 379 Der Rechnungsgrund einer Einnahme oder Ausgabe, liegt entweder in einem äussern Befehl (Autorisation), oder einer inneren Entschliessung der Behörde; Goethe 1829 Br. (WA IV 46,61) Ein Wagen Schmiedekohlen kann angeschafft und die Quittung zur Autorisation hierher gesendet werden; Varnhagen v. Ense 1842 Tagebücher II 80 Studenten wollten hier eine Gesellschaft zur Vertheidigung des historischen Christus bilden, der Senat schlug die Autorisation ab. Der Minister ist unzufrieden, er würde sie ertheilt haben, und hat Aehnliches schon in Halle autorisirt; Meysenburg 1900 Br. P/7. 293 Gestern einen Brief von den Verlegern mit einem englischen an sie, worin gefragt wird, ob die Memoiren schon übersetzt wären und wieviel ich für die Automation verlangen würde. autorisieren b: Wallhausen 1616 Kriegs-Manual o. S. autorisiren, vollmächtig machen; 1633 (Gaedeke 1885 Wallensteins Verhandlungen 141) daß ich [Oxenstierna] offtgemelten herrn Grafen von Thurn nottdurfftig authorisirt, Vnnd zu dem directorio der Königl. Schwedischen trouppen . . versehen vnnd instruirt habe; Mengering 1633 Siegskrone 14 den auch in Gottes Wort autorisirten vnd

berühmbten Helden; Berckenmeyer 1712 Antiquarius 617 Vnd soll er zu diesem Blutbade von dem Papste authorisiret seyn; Marperger 1716 Küchendict. Vorr. o. S. Ich finde mich aber hiezu [etwas zur Aufklärung über das Unglück in Deutschland zu schreiben] authorisiret/ durch die Christliche und nie gnug zu preisende Edicta eines der weisesten und mächtigsten Potentaten; 1722 (1929 Festschr. a. Indeich 215) einen Rectorem perpetuum zu setzen . ., der extra corpus und Selbsten Professorus . . zu halten auctorisiret würde; Boltz 1752 Amts-Actuarius 196 authorisiret und bevollmächtiget; 1766—67 Merkwürdigkeiten 426 Was ihn aber zu dieser Anmerkung authorisirt haben könne, begreife ich nicht; Nicolai 1779 Berlin 403 die Königl. General-Tabaksadministration läßt allen Tabak durch dazu autorisirte Fabrikanten verfertigen; Wieland 1788 Geheimnis (Ges. Sehr. XXX 164J_dass eine eigenmächtige und von der höchsten Gewalt nicht mit völliger Kenntniss der Sache autorisirte eidliche Verbindung eine Art von Zusammenschwörung ist, und einen Staat im Staat hervorbringt; Laukhard 1797 Leben IV 1,51 ein Gesetz, welches einen General autorisirt, aus einer blokirten Stadt alle die zu entfernen, welche bey der Belagerung unnütz sind; Hufeland 1807 Ideen (Gedenkschr. l 16) [der Dekan der Fakultät] als erste Instanz autorisiert; 1808 (Schulze, Hausgesetze l 315) Der Minister darf jedoch keinen Akt der Prinzen . . des Hauses über die Heirath aufnehmen, ohne von dem König durch ein besonderes Rescript dazu autorisirt worden zu sein; Goethe 1820 Br. (WA IV 34,13) Holzerde . . wovon der .. Förster Sckell so viel als nöthig abzugeben geneigt ist, sobald er von seinem Vorgesetzten dazu autorisirt worden; Freytag 1846 Valentine (I 266) Das zu sagen, bin ich nicht autorisirt; Ranke 1854 Brief werk 382 mich zu autorisieren; Holtet 1863 Letzte Komödiant I 200 Ich bitte Sie um alles in der Welt, autorisieren Sie mich im Namen Ihres .. Herrn Vaters, eine Umänderung zu treffen; Dahn 1870 Kriegsrecht 8 Freischaren, welche von einer kriegführenden Partei autorisirt sind [gelten als Truppen]; Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 161 zu der Kapitulation, wie wir sie fordern müssen, ist Prinz Friedrich Karl autorisiert; Liliencron 1885 Br. 32 Sie würden mich umgehend autorisieren zu folgendem Schreiben; 1903 Grenzboten III 675 Der Amerikaner . . autorisiert alle Großabnehmer in fremden Ländern, alle Mittel und Wege zu versuchen, seine Sachen bekannt zu machen; 1914 ZDÖAlpenver. 192 als sie im Mannesalter, als Besitzer kleiner Bauernlehen, nebenbei anfangs „wilde", und nach der Gründung des D. u. Ö. Alpenvereins „autorisierte" Bergführer geworden; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 450) ich würde nicht wagen, so von uns zu sprechen, .. wenn nicht er

autorisieren selbst mich dazu autorisiert hätte durch einen wunderschönen öffentlichen Geburtstagsgruß; Voss. Ztg. 20.12.1930 werden die städtischen und provinzialen Verwaltungsbüros autorisiert, es zur Bedingung zu machen, nur gewerkschaftlich organisierte Beamte einzustellen; Berl. Illustr. Nachtausg. 25.7. 1935 „Daily Telegraph" erfährt aus autorisierten Quellen, daß Sowjetrußland . . sein 60. U-Boot auf Kiel gelegt habe; Dtsch. AZ. 27.8.1935 Autorisierte Vertretung darf Fabriknamen führen (Überschr.); Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. IX 489) könnte man sagen, die Wissenschaft habe nie eine Entdeckung gemacht, zu der sie nicht von der Philosophie autorisiert und angewiesen gewesen wäre; Berl. Ztg. 19. 7.1946 Die Studentische Arbeitsgemeinschaft der Universität Berlin, als einzige zur Zeit autorisierte Vertretung der Berliner Studentenschaft; Süddtsch. Ztg. 1.3.1950 sollte es . . in einer Demokratie vor allem die Sache des Volkes selbst sein, Verhalten und Arbeit der eigenen Regierung zu kritisieren. Das hat aber wenig Sinn, . . wenn alle möglichen Gouvernanten, die dann noch dazu nachträglich von autorisierter Seite als „unautorisiert" abgetan werden, unausgesetzt mit erhobenem Zeigefinger durch das Fenster herein winken; Th. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. XI 797) M. Joliot-Curie war nicht autorisiert, meinen Brief zur Gänze, oder gar zu irreführenden Teilen der Öffentlichkeit zu übergeben; Welt 10. 9.1954 wie verlautet, hat er bei diesen Besuchen häufig Verhandlungen geführt, zu denen er von Nasser nicht autorisiert war; ebd. 25.11.1964 Verkauf und Service nur durch die autorisierten IWC-Vertreter; FAZ 20.2.1970 Bundeskanzler Brandt, der gewiß den aus autorisiertem Munde gekommenen Wunsch amerikanischer Freunde noch im Ohr hat; Jens 1971 Dichter o. S. um diesem unhaltbaren Zustand zu begegnen, forderte man . . eine durch den Staat protegierte und autorisierte Zentralanstalt, die . . dem Dichter seinen . . Einfluß im kulturpolitischen Bereich sichern sollte; MM 28.3. 1985 in Kfz-Betrieben, die von Handwerkskammer und Innung zur Abgas-Sonderuntersuchung autorisiert sind, kostet es weniger; Zeit 24.5. 1985 zog sich der damalige französische Geheimdienstchef auf das Staatsgeheimnis zurück — „von Präsident Mitterand persönlich autorisiert"; MM 6.11.1985 der Gesetzgeber wird aufgefordert, . . beantragte Forschungen mit menschlichen Embryonen durch eine staatlich autorisierte Stelle nur von Fall zu Fall zu genehmigen; Ohler 1990 Sterben 72 Eine früher einmal bekundete Absicht, auf bestimmte Weise mit gewissen Worten auf den Lippen sterben zu wollen, autorisierte den Biographen, diese als die letzten der Nachwelt zu übermitteln; Süddtsch. Ztg. 16.12.1992 Innenminister .. Clarke hat soeben einen Gefängnisarzt autori-

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siert, ein Gericht anzurufen, um einem Strafgefangenen das Sterben zu gestatten. Autorisation: Elise v. Türckheim 1795 Br. 82 Nach einem gegäbenen Decret sollen alle diejenige welche aus dem Lande sind als emigranten erklärt werden! bange würde mir bey dieser Ankündigung geworden seyn, beruhigte mich nicht, die mir überschikte autorisation des Repressentanten, welche Türckheims Rükkehr auf die Schmeichelhafteste Art, bewilligt, und die erlaubnüß der Rükkehr, auf mich und meine Kinder ausdehnt; Goethe 1822 Tagebücher (WA Hl 8,201) Autorisation meines Sohnes, die Besoldung zu erheben; Ranke 1838 Briefwerk 294 Autorisation des Herrn Ministers für mich [die preuss. Staatsprüfung zu leiten]; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris I 207 Es war eine Art von Autorisation, sich gegen Rußland fort und fort aufzulehnen; 1851 Fontane-Lepel Briefw. I 298 Eggers machte nämlich den Vorschlag, vereint mit den Malern und Musikern ein uns . . zugehöriges Lokal anzuschaffen. Die Autorisation von Seiten der genannten brachte er bereits mit; 7896 Cosmopolis l 261 nicht die sogenannte poetische [Wahrheit], sondern die der Wissenschaft, ohne deren Autorisation der Künstler keinen Schritt mehr wagte; Weber 1907 Ehefrau 320 „Ermächtigung" (autorisation); Th. Mann 1928 Nachtr. (W. XIII 608) hat man hinter meinem Rücken eine Broschüre hergestellt und sich nicht begnügt, gedruckt Vorliegendes darin aufzunehmen, sondern, ohne jede Autorisation von meiner Seite, heimtückisch . . einen privaten Briefwechsel miteinbezogen; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 197 Er fragte weiter, was ich in Brüssel getan hätte. Ich antwortete, da ich meine Arbeit für Erzberger ohne dessen Autorisation nicht preisgeben durfte, ich hätte kaufmännische Gründe dazu gehabt; Weizsäcker 1950 Erinn. 365 die Autorisation erwirkt, wegen des kampflosen Besitzwechsels von Rom; Kisch 1970 Rechts- u. Sozialgesch. o. S. das Generalprivileg von 1704 bedeutet im Sinne des schon im 17. Jahrhundert . . aufgestellten Postulates staatlicher Autorisation den staatlichen Schöpfungsakt; Zeit 18.4.1986 nachdem die Brautbriefe zwischen ihr [Minna Jaegle] und Georg Büchner 1850 in der von Georgs Bruder Ludwig . . edierten ersten Werkausgabe ohne ihre Autorisation und gegen ihren Willen veröffentlicht worden waren. Autorisierung: Stahl 1856 Staatslehre 157 ihre [Landesvertretung] eigene Wirksamkeit gründet sich notwendig auf die Autorisierung des Fürsten, sie werden durch ihn berufen, versammelt, verabschiedet; Krüger 1935 Rechtsst. 175 Autorisierung der kirchlichen Verbände; 1939 Ceopolittk 843 mit britischer Autorisierung.

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autoritär

autoritär Adj., im späteren 19. Jh. eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. autoritaire aufgekommene Ableitung von —* Autorität. Meist abwertend verwendet, zunächst vor allem im staatlich-politischen Bereich in der Bed. 'sich auf gewaltsame Autorität stützend, auf Gewalt beruhend, von ihr ausgehend; mit unumschränkter Autorität herrschend, diktatorisch', z. B. ein autoritärer Staat, der autoritäre Kurs der Regierung, autoritäres Regime als Bezeichnung für eine Herrschaftsform, die sich auf Regierungs- und Polizeigewalt sowie auf militärische Macht stützt, in der das Parlament ausgeschaltet ist und die Grundrechte der Bürger mißachtet werden; häufig auf den Bereich sozialen Zusammenlebens bezogen für 'seine gesellschaftliche Stellung einseitig (gegenüber anderen) ausnutzend, mißbrauchend', auch 'selbstherrlich; herrisch, herrschsüchtig, gebieterisch', z. B. etwas mit autoritärer Stimme, in autoritärem Ton ('im Befehlston') sagen (s. Belege 1881, 1967, 1977); bes. seit der Studentenbewegung der 1960er Jahre oft schlagwortartig in bezug auf (übergeordnete) Personen, Gruppen und Institutionen gebraucht für '(auf Grund einer privilegierten Stellung oder einer angemaßten Führungs- und Vorbildrolle) die unkritische Unterordnung, Anerkennung oder (unbedingten) Gehorsam fordernd, das unkritische Zuerkennen von Autorität fordernd, keine abweichende Meinung duldend' (s. Belege 1961, 1970, 1988), z. B. sich autoritär verhalten, ein Kind autoritär erziehen, ein autoritärer Vater, Ordinarius, autoritäre Ordnung, autoritäre gesellschaftliche Strukturen und bes. autoritäre Erziehung 'Erziehungsmethode, die strikten Gehorsam fordert und meist mit Strafen oder Strafandrohungen verbunden ist'; vgl. die zunächst vor allem in der Pädagogik programmatisch gebrauchte Präfixbildung antiautoritär 'autoritäre Vorschriften, Normen, (mißbrauchte, angemaßte) Autorität ablehnend', z. B. antiautoritäres Denken, antiautoritäre Erziehung, ein antiautoritärer Kindergarten, sein Kind antiautoritär ('unter Vermeidung von Zwängen)' erziehen. Dazu ebenfalls seit späterem 19. Jh. die eventuell unter Einfluß von frz. autoritarisme aufgekommene subst. Ableitung Autoritarismus M. (-; ohne PL) 'absoluter Autoritätsanspruch (z. B. eines politischen Regimes)', auch von Personen für 'autoritäres, herrisches, herrschsüchtiges Wesen'. autoritär: Dühring 1871 Nationalökonomie 349 Man könnte . . an eine Selbsterziehung der Nation denken, die aber alsdann nicht mehr diesen Namen von vormundschaftlichem und autoritärem Beigeschmack verdienen würde. In der That strebte die Listsche Anschauung in dieser Richtung weiter, gelangte aber nicht bis in das Gebiet, in welchem allein von einer solchen eignen Wahrnehmung der höheren wirthschaftlichen Interessen des Ganzen die Rede sein kann. Letzteres ist erst da . . der Fall, wo die socialen Interessen von der Grundlage der letzten Volksschicht aus eine wirksame Vertretung finden; Mehring 1877 Socialdemokratie 117 sie [deutsche Sozialdemokraten] erwiesen sich als die treuesten Knappen von Marx. Einer von jenen Leuten, die Schweitzer wegen seiner Dictatur nicht genug verdächtigen . . konnten, rief emphatisch: „Wir Deutsche sind autoritäre Socialisten"; Nordau 1881 Paris // 12 der . . mit dem autoritären,

die Aufmerksamkeit der Hörer gebieterisch fordernden Tone sprach; Holstein 1882 Papiere III 64 Ich habe Stuht geraten, . . anzudeuten, daß Gambetta kein rechter Volksmann sei, und gelegentlich einen . . Artikel . . gegen seine autoritären Gelüste abzudrucken; Blume 1899 Wehrkraft 62 Das [Ansehen zu erwerben] wird denen, die im bürgerlichen Leben gesellschaftlich hoch stehen und in ihrer Berufsthätigkeit eine autoritäre Stellung einnehmen, leichter werden, als solchen, die in untergeordneten Verhältnissen leben; Oncken 1914 Aufs, l 33 den Mechanismus des autoritären alten Staates; Joel 1915 Weltkultur 29 der in Paris triumphierende kirchlich autoritäre Realismus; 1930 Osteuropa VIII 690 im Sinne des autoritären Staates; Voss. Ztg. 19.7.1931 ob nicht auch die .. autoritären Systeme durch das Fehlen der Pressekritik stets in Gefahr sind — . . ganz sicher ist jedenfalls, daß das demokratische System der Presse-

autoritär freiheit nicht entraten kann; Guttmann 1932 Industriepolitik 11 dass man .. dem industriellen Leben nicht mit autoritären Reglementierungen beikommen kann; Lokal-Anz. 22.1.1933 Bekenntnis zur autoritären Staatsmacht (Überschr.); Berl. Illustr. ntbachtausg. 18.5.1933 Wiederherstellung einer stabilen und autoritären Staatsführung, die Deutschland der Welt gegenüber endlich wieder vertragsfähig macht; 1934 Banaler Monatsh. I 193 Der deutsche Nationalsozialismus und . . der italienische Faschismus sind als die Vorläufer einer in weltanschaulicher Hinsicht vollständigen Umwandlung Europas zu werten: von Liberalismus und Demokratie zur autoritären Führung der in sich wieder geschlossenen . . Völker; Lokal-Anz. 2. 6. 1934 daß . . in Lettland an Stelle der bisherigen parlamentarischen Regierungsform eine autoritäre getreten ist; ebd. 11.8.1934 Nach innen ein „autoritärer, christlich gegliederter Staat", der die Eintracht will und das ganze Volk der „Arbeiter, Bauern und Bürger" umfassen soll; ebd. 1.9.1935 Wenn die Preise autoritär festgesetzt und durch die Versorgungslage nicht gestützt werden, nützt die Preisfestsetzung für die Lebensmittel auf die Dauer nichts; Dtsch. AZ. 30.11.1935 Die Gegner der autoritären Regierungsform haben . . erklärt, das Nichtfunktionieren einer normalen Meinungsbildung aus Mangel an Kritik und Opposition werde ein solches System aushöhlen; i935 „Duden"Sammlung o. S. Einen wertvollen Beitrag zur allgemeinen Staatslehre liefert . . Gerhard Röhrborn in seinem Buch „Der autoritäre Staat" . ., der die autoritäre Staatsauffassung als Gegensatz zur liberalen und als Gegensatz zum Parlamentarismus im einzelnen untersucht; Münch. N.N. 27.12.1937 daß die gesamte Volksfrontpresse ein Triumphgeschrei erhebt und behauptet, daß die Kirche sich „im Kampfe gegen die autoritären Staaten auf die Seite der Demokratien stellt"; 1937 Milit. Mitt. 247 Sie [Kaiser Franz Josephs absolute Regierung] war, wenn eine heute übliche Bezeichnung gebraucht werden darf, eine autoritäre Staatsführung mit stark sozialem Einschlag; Münch. N.N. 26, 6. 1940 „Jeder von uns muß den alten Menschen ablegen", heißt es in diesem Appell, der autoritäre und einschneidende Maßnahmen des Bundesrates . . ankündigt; ebd. 27.7.1941 muß der Jungzugführer einen geschickten Ausgleich treffen, im Notfall entscheidet er autoritär; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 712) autoritäre, diktatorische Methoden, national betont, beginnen an vielen Orten die klassischen Formen der Demokratie abzulösen; ders. 1949 Nachtr. (W. 1 797) der autoritäre Volksstaat hat seine schaurigen Seiten; Röpke 1950 Mass 222 im autoritären Staatssystem Hitlers; Süddtsch. Ztg. 13./14.5.1950 ihre [leitende Beamte] jetzige Amtsführung bezeichnete Dr. Hoegner als

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„autoritär"; ebd. 21.8.1950 Die Führung der Landesärztekammer sei „autoritär"; ebd. 31.8.1953 Wenn Adenauer wieder Bundeskanzler werden sollte, werden wir einem autoritären System viel näher sein als einem demokratischen; ebd. 17. 8.1957 Dem moralischen Ansehen einer demokratischen Weltmacht sei nicht gedient, wenn sie gezwungen sei, sich mit Staaten zu verbünden, welche ins Autoritäre abglitten; Jaspers 1958 Atombombe 429 sie [die Einzelnen] bleiben eingefangen in schönen oder elenden Umwelten besonderen Charakters unter autoritärer Lenkung; sie werden technisch dressiert; 7961 Festschr. a. Noack 331 gab sich der Vater „autoritär", um ein Wort zu wählen, das später der Sohn so trefflich verkörperte; Holzner 1961 VPs. 46 die sogenannten „autoritären" Persönlichkeiten; Bollnow 1962 Mass 52 Camus, erschüttert durch die Unterdrückung der Menschlichkeit in den modernen autoritären Systemen; Brentano 1962 Literatur 31 in den autoritär regierten Ländern; Welt 23.5.1964 die militärischen Verbündeten des Westens . . sind fast durchweg autoritäre oder halbautoritäre Staaten; Offenburger Tagebl. 12.9.1964 Ergebnisse des Stabilisierungsplans — er umfasst. . eine ganze Skala von dirigistischen und autoritären Massnahmen; Btldztg. 4.2.1967 der „Schülerbund" will „autoritäre Vergehen" der Lehrer in einer Kartei sammeln und an die Öffentlichkeit bringen; Beer 1970 Gemeinde o. S. der . . mühsame Weg des Ausgleichens zwischen Partnern sollte keinesfalls . . durch autoritäre Entscheidungen ersetzt werden; FAZ 11.4. 1970 Wenig Erfolg mit autoritärer Erziehung (Überschr.) . . kritisierten Gymnasiasten die elterliche Erziehung als zu autoritär; Hocke 1977 Tagebücher 185 Das bedrohte Ich muß sich nicht nur mit dunklen Kräften im eigenen Ich auseinandersetzen, sondern auch mit einer . . autoritären, angeblich brüderlichen, in Wirklickeit erstickenden Gemeinschaft; Hildesheimer 1977 Mozart 76 Nur eben betrieb er alle seine Manipulationen mit allzu autoritärem Eifer; MM 22.2.1985 der Argwohn der „Frankfurter Schule", autoritäre Gesellschaftsstrukturen wurzelten in autoritären Familien, fand Resonanz; ebd. 22.3.1985 dann kommen Spannungen heraus, die eigentlich noch viel größer sind als diejenigen, die wir aus einer rein autoritären Erziehung haben; .. die Söhne dieser autoritären Eltern mögen . . die klassischen Neurosen aufweisen; Zeit 29.3.1985 gerade in unserem Land mit seiner Gehorsams-Tradition sind autoritäre Haltungen weit bedenklicher; ebd. 6.12.1985 von Haus aus ein Mann mit autoritären Zügen; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 91 Wenn Staatsanwälte und Richter . . den Regelverletzer als Kriminellen verfolgen und mit den üblichen Strafen belegen, verfallen sie einem autoritären Legalismus;

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autoritär

MM 1.2.1986 die Grünen warfen der Regierung vor, sie bewege sich . . auf einen „autoritären, zentralen Verwaltungsstaat" zu; Zeit 28.2. 1986 dessen Berater lange Zeit spitzfindig zwischen „autoritären" und „totalitären" Regimen unterschieden, um enge Beziehungen mit dubiosen Alleinherrschern zu rechtfertigen; ebd. 19. 9.1986 Vesper litt in seiner Kindheit unter einem grausam autoritären Vater; ebd. 31.10.1986 müssen Fachleute ihre Berichte unbedingt in einer antiquierten, zentralisierten, autoritären und hierarchischen Bürokratie verfassen?; ebd. 24.4.1987 hätte ein autoritäres Regime bei ihnen [Studenten] nicht die geringste Chance — doch vom Parlamentarismus fühlen sie sich ebenfalls verschaukelt; MM 1.10. 1987 autoritäre und militante Umgangsformen gehören [bei den Punks] zum Stil; ebd. 7.10. 1987 auch normale Jugendliche neigen zu autoritär-nationalistischen Einstellungen; ebd. 24. 5. 1988 Schiller sei in seiner Verinnerlichung autoritärer Strukturen (Vater und Fürst) und damit auch des Verbots sehr deutsch; Spiegel 7.12.1992 erlaubte ein autoritäres Regime keinen Ausbruch . . Der Staat entpuppte sich als Diktatur; ebd. 18.10. 1993 der .. Alternativo Wegner .. ist . . ein Repräsentant jener neuen Mittelschichten, die mit einem zeitgemäßen Verständnis von Teilhabe und problemoffenem Umgang in die oft immer noch patriarchalisch-autoritär geprägte Politikwelt der Altparteien vordringen. antiautoritär: Neill 1969 Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung am Beispiel Summerhill (Titel); Buchmann 1971 Gott o. S. die antiautoritäre Entwicklung ist trotz allem noch soweit gediehen, daß nicht die Angehörigen sowohl des katholischen wie des protestantischen Partners versuchen würden, mehr oder weniger massiv den Entschluß des Paares zu beeinflussen; Welt 30.12. 1974 kein Student verfällt . . antiautoritären Anwandlungen; Flach 1977 Chance 43 konsequenterweise begann die Entwicklung in Amerika als Bürgerrechtsaktion und in Europa als antiautoritäre Bewegung; ebd. 90 das Experiment antiautoritärer Erziehung sollte . . gefördert werden; MM 13.9.1985 antiautoritäre Schule, . . war ein Reizthema in den 70er Jahren; ebd. die Maxime der Summerhill Schule, der Wegbereiterin für das antiautoritäre Erziehungsmodell; Zeit 27.9.1985 ich meine . . den Glauben an die antiautoritäre Tendenz der Aufklärung; ebd. 18.10.1985 das Team fand bei den befragten Studenten „keine Unterschiede zu den psychosozialen Grundmerkmalen der sogenannten antiautoritären Studentengeneration der 60er Jahre"; ebd. 1.11.1985 im Prinzip waren wir durchaus für die antiautoritäre Erziehung, haben uns ihr aber nicht mit Leib und Seele verschrieben; ebd. haben . . mit . . Interesse das

Entstehen der antiautoritären Kindergärten und -laden verfolgt; ebd. 28.11.1986 die Linke startete damals antiparlamentarisch (und antiautoritär); ebd. 27.3.1987 die antiautoritäre Revolte von 1968 verdankt ihren Furor und Pathos . . dieser Unschuldsvermutung; MM 20.8.1987 den nunmehr antiautoritär gestimmten Jungen ist es fast so schnurz wie die Mauer, die die autoritären Politfreaks von drüben gerade bauen zu glauben müssen; Spiegel 15.2.1993 Natürlich ist es falsch, der emanzipatorisch-antiautoritären Erziehung die Alleinschuld an Rechtsextremismus und Gewalt zuzuschreiben; ebd. 29.8.1994 Vertreter von Zucht und Ordnung machen hingegen noch immer die antiautoritären Methoden der 68er Generation für Brutalität und rechte Tendenzen unter Schülern verantwortlich. Autoritarismus: Jäger 1873 Socialismus 178 Nun griff jene Section den Generalrath heftig an, und warf ihm . . vor, er sei ein deutsches Comite, von einem Agenten Bismarcks geleitet; besonders aber wurde über den „Autoritarismus" des Generalraths geklagt; Lamprecht 1913 DG/V // 53 als Gegensatz zu einem sogenannten Demokratismus das Wort und den Begriff des Autoritarismus zu prägen; Kjellen 1916 Polit. Probleme (Übers.) 141 den „deutschen Rationalismus" . ., dem der „englische Empirismus" vorausgegangen ist, wie dieser seinerzeit dem „französischen Autoritarismus" gefolgt ist; 1927 Zges. Staatswiss. LXXXU1 114 Proletariat und sozialistische Lehrmeinungen (Ungläubigkeit, Revolutionismus, Hedonismus, Relativismus, Anti-Autoritarismus, Anti-Traditionismus) bedingen sich; Offenburger Tagebl. 7.10.1960 Ein reichhaltiges Sündenregister wird ihm [französischen Staatspräsidenten] vorgehalten: Fortdauer des Krieges in Algerien, . . soziale Unzufriedenheit, immer stärker anwachsender Autoritarismus des Regimes, steigende Militärausgaben; Zeit 10.4. 1987 Preußen: das war , . eben nicht nur Militarismus und Säbelrasseln, . . nicht nur Obrigkeitsstaat und Autoritarismus; Süddtsch. Ztg. 19./20.32. 992 Gemeinsam ist den Fundamentalismen auch eine starke Reserve gegenüber der Demokratie . . Den meisten ist auch eine Neigung zum Autoritarismus eigen; Spiegel 15.2.1993 Mit seinem brutalen Autoritarismus und seiner Gleichschaltungspolitik hat er . . auch viele seiner vordem fanatischen Anhänger gegen sich aufgebracht; Süddtsch. Ztg. 12.11.1993 Liebe Eltern, liebe Kinder: Bevor Sie beziehungsweise Ihre Dereinst-Erben empört aufheulen und über neuen Autoritarismus und alte Zöpfe schimpfen, bedenken Sie doch folgendes: Nicht jede Freiheit macht schon frei.

Autorität

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Autorität F. (-; -en), in spätmhd. Zeit (LEXER, Nachtr.) entlehnt aus (flekt. Form von) lat. au(c)toritas 'Gültigkeit, Beglaubigung, Gewähr, Verbürgung, das gewährleistende Ansehen, das Gewicht; fördernder Einfluß; Ermächtigung, Machtvollkommenheit, Vollmacht; angesehene, einflußreiche Person' (zu au(c)tor; —> Autor), anfangs auch lat. flektiert und in der Form Aut(h)oritet, bis ins 20. Jh. (in gelehrter Anknüpfung an das klassische Lat.) auch Auctoritet, Auctorität, Auktorität. a Ohne Pl. verwendet, zunächst vor allem im kirchlichen und staatlich-politischen Bereich, seit dem 18. Jh. auch allgemeiner in der Bed. Obrigkeitliche Macht(-befugnis), (Amts-)Gewalt', insbes. 'auf Macht oder Tradition beruhendes bzw. durch Leistung und Können erworbenes Ansehen einer Person oder Institution, das seinem Träger einen maßgeblichen Einfluß auf andere sichert', anfangs bes. in den formelhaften Verbindungen Autorität und Macht, Ansehen, Würde, Reputation, dann auch in Wendungen wie kirchliche, staatliche, elterliche Autorität; die Autorität des Staates, der Schule, des Vaters, des Richters; Autorität haben, besitzen, sich Autorität verschaffen, an Autorität einbüßen, sich jmds. Autorität unterwerfen, jmds. Autorität anerkennen, untergraben; als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Amts-, Staats-, Regierungsautorität; Autoritätsperson, -prinzip, -anspruch, -mißbrauch, — sucht, -verlust und Autoritätsglaube 'kritikloser Glaube an die Macht und Unfehlbarkeit der/einer Autorität' (vgl. b), auch in adj. Zss wie autoritätsgläubig, -feindlich. Seit dem 16. Jh. gelegentlich von Sachen, bes. überlieferten oder allgemein anerkannten schriftlichen Zeugnissen, z. B. die Autorität der Bibel, einer wissenschaftlichen Abhandlung (s. Belege 1518, 1562, 1565, 1661, 1675, 1799-1801) und seit dem 18. Jh. auch von Abstrakta, z. B. die Autorität einer Lehre, der Wissenschaft, des Glaubens (s. Belege 1778, 1798, 1817, 1848, 1899, 1992). Dazu von Anfang 17. bis Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung autoritätisch 'Autorität besitzend; mit Ansehen und Würde ausgestattet; gebieterisch'; im 18. Jh. vereinzelt, erst seit spätem 19. Jh. häufiger nachgewiesen das auf gleichbed. mlat. auctoritativus zurückgehende Adj. autoritativ, anfangs vereinzelt in der lat. Adv.-Form (s. Beleg 1704), in der Bed. 'auf Autorität, Ansehen beruhend; sich auf Autorität stützend, maßgebend, entscheidend, einflußreich; auf Autorität pochend, gebieterisch, herrisch; auf Grund, mit Hilfe seiner Autorität, Stellung' (—> autoritär), z. B. autoritative Maßnahmen treffen, ein autoritatives Organ zur Wahrung der Ordnung, sein autoritativer ('herrischer, gebieterischer') Umgangston, gelegentlich auch im Sinne von '(auf Grund seiner Kompetenz, seines Wissens oder Ansehens) befugt, bevollmächtigt, berufen' (vgl. autorisiert, —> autorisieren b), bes. in Wendungen wie eine Erklärung von autoritativer Seite, Stelle, aus autoritativer Quelle, autoritativem Munde (s. Belege 1916-17, 1929, 1970). b Seit frühem 16. Jh. selten, seit dem 18. Jh. häufiger, auch plur. verwendet, in der Bed. 'Person/Institution von allgemein anerkanntem, mit Macht oder Einfluß verbundenem Ansehen; auf einem (Fach-)Gebiet als maßgeblich geltende Persönlichkeit/Institution; anerkannter, maßgebender Fachmann, Kapazität', bes. in Wendungen wie eine wissenschaftliche, medizinische Autorität sein, als Autorität auf einem bestimmten Gebiet gelten; jmdn., eine Institution als höchste Autorität anrufen, sich wegen eines Gutachtens an verschiedene Autoritäten wenden; sich auf (das Urteil von) Autoritäten stützen, auch in Zss. wie Autoritätsgläubigkeit, autoritätsgläubig 'eine Autorität für unfehlbar haltend' (vgl. a), Autoritätenmeinung 'Meinung von

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Fachleuten, Experten' und Autoritätenzitation 'Zitat aus dem (wissenschaftlichen) Werk eines Fachmanns'; seit dem 18.719. Jh., ebenfalls meist im PL, im staatlich-politischen und administrativen Bereich für 'Vertreter der Obrigkeit, der Regierung, Amts-, Würdenträger; Behörde(n)', früher bes. in der Verbindung die konstituierten Autoritäten 'die verfassungsmäßig eingesetzten regierenden Gewalten', vgl. auch Syntagmen wie die öffentlichen, staatlichen, militärischen, kirchlichen Autoritäten (s. Belege 1822, 1823, vor 1898, 1933, 1945, 1952, 1970, 1990). Autorität a: Brandts 1319 Gesch. d. Landeshauptleute 42 [die Testamentsvollstrecker] mit Irer Gerichtlichen gwalt vnnd Authoritet; 15. Jh. Franziskan. Schrifttum l 124 der auctoriteyt der theghenwoirdigher briuen; Folz um 1460 Meisterlieder 385 Aber die zukunfft Cristi zu dem gericht wirt in der beweisung der höchsten gerechtikeit von suben aller grausamsten Sachen wiln, die do gescheen. . . Und die guten werden gereinget dar durch, aber die posen verprenen einer verdamplichen pein dar inen. Und auß diser auctoritet oder red hat man dreierlei Wirkung diß feuerz [der Hölle]; Niclas v. Wyle 1478 Transl. 121 Es ist nit hie notdürftig sprach benedictus aincher Auctoritet der rechten, sunder allain ainer verstentlichen entschaidung ains wysen mans; Luther 1518 Auszug (W. XVlll 213) „Weide meine Schafe etc." das ist, dass die heilige Schrift ihre Kraft nicht von den Pabsts Autorität, sondern dass die Gewalt des Pabsts ihre Kraft habe aus der heiligen Schrift; Nazarei 1521 Gott 30 Der Pabst hatt in disen hundert iaren nun etlich keyser ingesetzt vnnd gesalbt, das nun die auctoritet wol krafft hatt, doch ward jm etwan widersprochen, vnnd syn landt angefochten; Emser 1525 Annotat. Cc2b der priesterlichen wirdikeyt vnd auctoritet; Hedio 1531 Josephus Von. lila seytenmal alweg Josephus vnder allen History schreibern ein gross auctoritet vnnd glauben gehapt; Franck 1534 Weltbuch xxija auss der Authoritet/ . . vnd ansehen der alten weltbeschreibern; Wicel 1535 Vom Beten dd2b seine [des Apostels Paulus] auctoritet; Luther 1541 Briefe. (W. 322) Zu diesen stucken bedarff man besondere Personen vnd kosten. Darumb auch erstlich die Stifft eine grosse Autoritet gehabt; 1558 Heidelb. Statuten 9 furthin umb mehrerer authoritet und ansehens; Sarcerius 1559 Pastorale Vorr. 3b ist . . [der weltlichen] Hohenobrigkeit autoritet vnd ansehen hoch zuachten; Spangenberg 1562 Böse Sieben D3a von auffheben der Schrifft [Bibel] authoritet; ders. 1563 Formular-B. N5a nach dem eusserlichen ansehen, vnd nach der menge oder authoritet der Personen; ders. 1565 Vom geistlichen Furwerck c8a des heiligen Apostels Pauli Schrifft, welche mit einem starken ringe oder strick, Das ist, mit der Christlichen Kirchen, authoritet vnd gezeugnissen . . an die Predigt des Göttlichen Worts gebunden ist; Nas 1567 Das erste Hundert 176 [die Evangelischen] glauben

mer der Judischen authoritet dan der Catholischen Kirchen; Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 50 und ist diser rath von allen ändern hochgeehrt und grosser authoritet; Federmann 1580 Niderlands Beschr. 2 wegen authoritet vnnd ansehen des . . Caesaris; 15X7 Faust (Babertag 1887 Volksbücher 134) wie vor mir meine Voreltern vnd Vorfahren in so hohen Grad vnd Authoritet gestiegen gewesen; Fabricius 1588 Surius'Chronik 21 hatt sich . . gantz vom gehorsam vnd authoritet des Römischen Stuls abgesondert; 1591 Rel. Hist. 11 159 was sich . . zu erhaltung jhrer K. M. authoritet und Reputation zuthun gebüren und nötig sein wurde; 1599 Orientalisch Indien 111 10 damit er seinen gewalt vnd authoritet gebrauchte; Albertinus 1599 Guevaras Sendschreiben III 96a Authoritet deß Keysers; Lopez 1609 Congo 53 mit seiner Authoritet vnd ansehen; Perez 1626 Landstörtzerin l 49 Vnnd da du vielleicht dein Autoritet vnd ansehen verlierest/ so ruff deine Schlang umb Assistentz vnd Beystand an; Furttenbach 1635 Architect, univ. 159 auch einem Potentaten/ oder sonsten einer wolmuegenden Commun zu Bezeugung dero Hochheit/ Autoritet, vnd heroischer Disposition so herrlichen Behuf zu geben vermag; Moscherosch 1642 Visiones 170 ihr grobe vnhöffliche Gesellen/ warumb mußt jhr dan meiner vnschuldigen authorität also mißbrauchen!; 1650 Rebellion l 24 Die Authorität vnnd das Ansehen ist gleich dess Fürstlichen Staats Seel vnd Wesen; Overheide 1657 Schreibkunst 293 Authoritet, Ansehen, Macht; Grossgebauer 1661 Preservatif 217 nach der Autorität der Bibel; 1666 Ann. Ingolstad. Acad. IV 408 euren Respectt und Autoritet in Acht zu nemmen; Leibniz 1668 — 76 Briefw. l 224 Der gute Herr, der sich hierzue offerirt, ist H. Vogt, Hoffrath vnd geheimer Cammer-Secretarius, ein Mann von großer authorität vnd ansehen; 1669 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 212) so daß Parlament wider seinen Willen vnd Authorität den Krieg fortsetzen wolt; 1675 Technol. Interim 99 Was solche [Spötter] der Heiligen Schrifft für authorität lassen, ist am Tage; 16S4 Der Hof 10 In einigen [Staaten] sind die Königliche Macht vnd Authoritet dermassen beschrenckt; 1684 Zusahmen-Sprach v. d. Bücherschreiben 5 es wäre wohl nöthig/ daß die Kirch . . ihre Authoritet sehen ließ/ vmb dergleichen Compositiones zu verbieten; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 88 Der vornehme Mann der

Autorität mir diesen Discours recommendiret, . . hatte auch gehirne in Kopff/ und ware bey Fürsten und Herren wegen seiner politischen Wissenschafft lieb und angenehm/ dessen Autorität gilt mehr bey mir als des Herrn Augustins; Happel 1690 Academ. Roman 180 Rektor Magnificus, welcher ein sehr kleiner Mann, aber von grosser Autorität war; 1700 Monatl. Auszug Jan. 37 Eusebii, Hieronymi, und Photii Autorität aber sey nicht zulaenglich/ die Sache völlig zu beweisen; 1704 Auserlesene Anm. I 129 an anderer Leute autorität kleben; Elis. Charl. 1704 Er. I 347 sollen sich die herrn prediger befleißen, dießes den Christen einzuprägen undt nicht nachzugrübellen auff alle punckten, wie sie verstanden werden; aber daß würde dem herrn autoritet mindern; 1708 Academie z. Liegnitz B2a unter deren Dependenz soll ein so genandter Director . . sich befinden/ auch ihme zu mehrer Authorität der Academie, der Rang immediate nach denen Landes-Eltisten/ constituiret werden; Menantes 1709 Satir. Roman II 115 auf einen Menschen . ., der mit sonderbahrer stoischen Autorität . . hertrat; Buddeus 1709 (Musig 1726 Licht d. Weisheit l da) bis man sich von aller menschlichen auctorität befreyet; 1718 Abentheuerl. Welt l 26 Dass sie der Herr im Hauss, und er der Siemann heisse,/ Dass er ihr Sclave sey, und dass Authorität/ Ihr zu dem Hals heraus und biss an Ermel geht; Fr. W. l. 1722 Instr. 72 die ottoritet [!] in der Armee durchs Kommando; Marsellus 1741 Kriegs-Staat 45 es wird ein Regent durch dergleichen Zagheit sein Ansehen, Autorität und Respect . . bey seinen eigenen Ständen . . in Gefahr setzen; Beust 1743 Consiliarius 16 [des Fürsten] Autoritaet und Reputation; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,184) Das rühret von der Scheue vor dem Gesetz her, wiewohl die Autorität dessen, der gebeut, und die Willigkeit dessen, dem geboten wird, gar wohl beysammen stehen; Lessing 1760 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 272) Kaum daß sie [Fabeln der alten Schriftsteller] einen kleinen Umstand enthalten, auf welchen sich dieser oder jener Zug in der Fabel beziehet, und den er dadurch nicht ohne Autorität angenommen zu haben erweisen will; Dusch 1767 Br. Ill 5 Das Vorurtheil eines grossen Namens, der Authorität, des Alters, ist oftmals mächtiger, als alle Gründe des sichersten Geschmackes; Weisse 1769 Beytr. (IV 384) seine väterliche Autorität; Lessing 1778 Axiomata (S. Sehr. XIII 116) könnte ich keinen Einwurf gegen dieses Werk machen, ohne mich der Autorität der Hamburgischen Gesetze selbst entgegen zu stellen?; Lavater 1781 Verm. Sehr. H 168 Autorität, wirksamer Einfluß, der . . von dem Willen, der Macht, dem Ansehen des Befehlenden abhängt, an seine Person . . attaschirt ist, das ist das Wesentliche in dem Begriffe Herr; Ramdohr 1787 Malerei III 176 Autorität der

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Gesetze; Goethe 1788 Br. (WA IV 8,358) Die Authorität, Responsabilität und der anhaltende unmittelbare Einfluß eines würcklichen Präsidenten ist auf alle Weise nötig; Nicolai 1790 Anekdoten V 66 daß der Kaiser mit eigener Hand an den König geschrieben habe, giebt mit großer Wahrscheinlichkeit zu erkennen, daß der Brief rührend, nicht im Tone der Autorität gewesen sey; Richardson 1790 Kl. (Übers.) l 292 Kinder stehen ein für allemal unter väterlicher Autorität; Laukhard 1797 Leben IV 2,232 Ich liess nämlich . . zwey Korporale . . auf eigne Autorität wieder los; Meyer 1798 Sehr. VIII 3 Autorität der Geschichte; Wolff 1799-1801 Erziehung 61 Das Buch muss Autorität haben und oft gelesen werden; Beekmann 1800—05 Erfindungen V 380 daß jedes Kind unter dessen Auctorität demjenigen aus der Gemeinde, welcher es für das seinige annehmen wolle, übergeben worden ist. Diese Pflegeältern hießen nutncarii; Planck 1804 Christi.-kirchl. Gesellschaftsverf. l 174 da die meisten dieser [Kirchen-]Gesetze auch unter der Autorität der höchsten Staats-Gewalt publicirt, und von dieser mit einer Poenal-Sanktion versehen wurden; Goethe um 1805 Naturwiss. Sehr. (WA II 3,145) So hat die Vernunft und das ihr verwandte Gewissen eine ungeheure Autorität, weil sie unergründlich sind; . . dagegen kann man dem Verstand gar keine Autorität zuschreiben: denn er bringt nur Seinesgleichen hervor; ebd. 3,146 Das Kind bequemt sich meist mit Ergebung unter die Autorität der Eltern; 1808 Heidelb. Jahrb. l 4,5 Euklides Autorität; Körner 1810-11 Erz. (IV 239) der junge Herr mußte sich dem Ausspruche des Pfarres unterwerfen, der mit väterlicher Autorität entschied, daß Alfred bis morgen das Zimmer . . nicht verlassen dürfe; Müller 1817 Sehr. I 365 Autorität des Glaubens; Stiedenroth 1819 Theorie 40 Ein Autoritätsglaube, da er nicht aus eignem Bedürfnis lebendig hervorgegangen ist, weiss weder von der Bescheidenheit des philosophischen Glaubens, noch von der Peinlichkeit des blossen Gemüthsglaubens; Buchholz 1821 Taschenbuch 330 Da am Tage lag, daß etwas gegen die Autorität des Königs unternommen werden sollte; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 235 göttliche Auctorität führte nach sich die menschliche; 1828 Jahrb. d. Gesch. Hl 47 Die Reformation strebte dem Autoritätsglauben entgegen; Riemer 1832 Tagebücher (1925 Jahrb. Samml. Kippenberg V 33) so wunderbar ist das menschliche Herz, so sich selbst in seinem Wollen und Wünschen widersprechend, dass selbst da, wo ich so gern Bestätigung, Auktorität oder wie mans nennen will, für meine Schwächen und Idiosynkrasien gefunden hätte; Aurbacher 1835 Volksbüchlein H 106 Gesetzgeber mit seiner Autorität; Glassbrenner 1836 Bilder II 169 an die Stelle einer menschlichen Autorität die göttliche zu setzen;

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Autorität

Bauer 1836 Überschw. H 94 Autorität der gefallenen Kirche; Schopenhauer 1840 Moral 17 da ich nicht die Auktorität einer Akademie habe; 1848 Volk u. Heer 180 jenen persönlichen Einfluss [des militär. Vorgesetzten], den wir moralische Autorität nennen wollen; Stolz 1848 Wanderbüchlein (VI 581) Der Polizeibeamte, der mir meinen Pass visierte, machte ein finsteres Autoritätsgesicht; Gerstäcker 1848 Flusspiraten I 45 Diesen Rückzug nahm Madame . . als ein stillschweigendes Zeichen der Anerkennung ihrer Autorität; Ambrosch 1849 Frankf. Pari. 70 Der größte Teil des jüngeren Lehrerstandes . . beherrscht . . das platte Land, weil eben auch die Autorität der Geistlichkeit dahin ist; Schopenhauer 1851 Parerga (V 545) Eine anonyme Rezension hat nicht mehr Auktorität, als ein anonymer Brief; 1852 P'rutz'Museum l 293 Feststellung der legitimen Autorität; 1852 Fontane-Lepel Briefw. H 10 [die Engländer] stecken bis über die Ohren im Autoritätsglauben; Stahl 1856 Staatslehre 269 leidet die Republik vor allem an dem Mangel einheitlicher fester Autorität und Gewalt; Boretius 1857 Br. 91 Zucht und Autorität ist das, was er jetzt überall vermißt; Scheidler 1859 Jen. Bl. 111 Emancipation des forschenden Geistes aus den Fesseln des Auctoritätszwanges; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 11 hatte sich der alte Kompagnieschuhmacher meiner angenommen, und seine Autorität in Verbindung mit meinem geöffneten Geldbeutel verschafften mir hilfeleistende Hände; Frohschammer 1861 Freiheit Vorr. XI das Ansehen der kirchlichen Auctorität; Kortüm 1861 Gesch. Europas l Vorr. X in . . der Glaubens- und Gewissensfreiheit . . gegenüber dem blinden Auktoritätsglauben lag jene Kraft, welche die Scholastik des Mittelalters stürzte; Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 271 dem Moloche des Autoritätskultus geopfert; Hartmann 1869 Philosophie 283 Der Autoritätsglaube an eine äussere Offenbarung kann den Lehrsatz einer solchen Einheit gläubig nachsprechen; Nordau 1884 Lügen 77 Wenn ein gesetzliebender Bürger der Reihe nach einen Vortrag eines staatlich ordinirten Professors der Naturwissenschaften und einen Vortrag eines mit derselben Autorität ausgerüsteten Professors der Theologie anhört, so wird er sich in einem schweren Gemüthszwiespalt befinden; Sudermann 1893 Heimat 24 in diesen Zeiten, in denen alle Bande der Moral und Autorität zu zerreissen drohen; 1898 Jahrb. f. dtsch. Armee l 109 Solange . . ein mit der erforderlichen Autorität (Macht) ausgerüstetes Gericht für die Entscheidung solcher Streitigkeiten fehlt; Fontäne 1898 Zwanzig 297 der bloss ministeriellen Halbautorität gegenüber ihren hofamtlichen Charakter betonen; Busch 1899 Tagebuchbl. (1870-80) 52 [Favre] heiligt mit der Autorität des Völkerrechts den Regierungs-

wechsel; Senden 1900 Tänzerin 65 [es ist] nur der Autorität des Doktors [zu verdanken]; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 608) Frau Permaneder lobte Gott, als auch Mamsell Severin, die ihr bislang im Wirtschaftswesen aufs unerträglichste die Autorität streitig gemacht hatte, sich . . verabschiedete; Bierbaum 1907 Musenkrieg 82 Kraft meiner Würde und Autorität [als Rektor]/ Gebiet' ich im Namen der Universität,/ Dass jeder sofort nach Hause geht; Schmid 1909 Mönch 157 Im Pietismus lagen . . die Wurzeln des autoritätsfeindlichen Individualismus im Gegensatz zur Massenorganisation des Glaubens in den Kirchen; Diederich 1911 Br. 203 sind wir Deutschen furchtbar autoritätshungrig; Anders 1912 Glossen 99 gehorche, unterwirf dich. Das ist das Autoritätsprinzip in voller Konsequenz; Wernle 1912 Renaissance 47 f. [die] Autoritätskultur des Mittelalters, der Kirche durch diejenige des Altertums . . zu ersetzen; Karwath 1917 Schles. Fräulein 22 er konnte zwar gewaltig fluchen und hielt auch eisern auf die Autorität; Werfet 1920 Mörder 101 Die patria potestas, die Autorität, ist eine Unnatur, das verderbliche Prinzip an sich; Lania 1925 Hitler 31 Es hat vor dem Kriege kein autoritätsgläubigeres Kleinbürgertum gegeben als das deutsche; Tillich 1926 Religiöse Lage 90 spielten allen Grundsätzen zum Trotz Autorität auf der einen, Vertrauen auf der anderen Seite immer eine erhebliche Rolle [im Verhältnis zwischen Arzt und Patient]; 1929 Handb. d. Englandkunde 274 Trotz des akademischen und hochkirchlichen Autoritätssozialismus entfremden sich Volk und Literatur dem Christentum; Vierkandt 1929 Staat 27 Der Starke, der in einer Menschengruppe führt und herrscht, besitzt seiner Umgebung gegenüber eine wichtige Eigenschaft, die wir Autorität nennen; Tönnies 1931 Soziologie 36 dass die patriarchalische Autorität das entschiedene Übergewicht erlangt hat; Voss. Ztg. 31.3.1932 Jede Achtung vor der Autorität des Alters und der geschichtlichen Bedeutung einer Persönlichkeit hat man der Jugend aus dem Herzen gerissen; LokalAnz. 19.1.1933 Er sah diese Sicherung in einer starken Staatsautorität; ebd. 5.2.1933 eine Regierung, die auf Autorität hält; Berl. lllustr. Nachtausg. 24.2.1933 werde die Reichsregierung eingreifen, selbst wenn darunter die Autorität der Landesregierung Schaden leiden sollte; ebd. 24.5.1933 es bedurfte der ganzen Autorität Oskar Ferns, die Leute im Zaum zu halten; Lokal-Anz. 6.8.1933 Aus der Lösung des Arbeitslosenproblems . . würde die NSDAP einen ungeheuren Gewinn an Autorität ziehen, eine Autorität, wie sie noch kein Regiment vor uns besessen habe; ebd. 14.8.1934 Autorität durch Gefolgschaft des Volkes (Überschr.); Bohnenblust 1939 Schweizerdegen 1171 Autorität ist das Wort des Tages; Picard 1942

Autorität Ehe 103 Die Autorität des Mannes in der Ehe; Uhde-Bernays 1947 Im Lichte 53 War ich doch bei aller Ablehnung einer autoritätsgläubigen Erziehung in der . . kritiklosen Anerkennung der kaiserlichen Würde aufgewachsen; Süddtsch. Ztg. 17.7.1951 wenn sich die in Deutschland verfassungsrechtlich starke Kanzlerautorität mit der quer durch die Parteien laufenden Interessenpolitik . . verbindet; ebd. 28. 7.1951 was Papst Pius XII. dieser Tage zum Thema gesagt hat, als er in einem Brief . . die „Krise der Autorität" für das Übel unserer Zeit verantwortlich machte; Müller 1954 Mars 124 in unserem autoritätsfrommen Deutschland; Jaspers 1958 Atombombe 270 Autorität der Physiker und Autorität politischer Weisheit geraten irreführend ineinander; Arbeitgeber 18.12.1958 „Führung und Autorität in der modernen Wirtschaftsgesellschaft" hieß das Thema einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie Loccum; Stuttgarter Ztg. 7.1.1959 die Bundesrepublik habe seit dem großen Wahlsieg der CDU „verdächtige Züge" des Autoritätsstaates angenommen; Offenburger Tagebl. 2.11,1961 Gerstenmaier fordert Wiederaufbau der Autorität (Überschr.); Böli 1962 Clown 56 Pater Wunibald wurde wütend, klopfte mit dem Finger aufs Pult, berief sich auf seine Autorität; Süddtsch. Ztg. 20.9.1962 Kogon hat den Finger an eine Wunde gelegt, die uns allen nur allzu bewußt ist. Er faßt das Übel in dem einen Wort zusammen: Mangel an Autorität. Sowohl der Regierung wie den Interessenverbänden gegenüber . . müsse es die Autorität der Volksvertreter stärken, wenn sie mit dem Prädikat dipl. pol. ins parlamentarische Leben einträten; Partner 1964 Erben 284 seine kirchliche Autorität spielte er auch in Fragen der weltlichen Macht konsequent aus; FAZ 7.12.1965 daß die persönliche Autorität de Gaulles durch das Wahlergebnis stark beeinträchtigt worden sei; Stuttgarter Ztg. 16.6.1969 Es gebe . ., auch in der Bundeswehr, keine Autorität des Amtes mehr, sondern nur noch die Autorität der Funktion; ebd. 18.6.1969 „Die Position der Autorität" will die Katholische Filmkommission für Deutschland zugunsten „einer Position des kritischen Arguments" verlassen; Pieper 1970 Überlieferung 42 Das ganze Mittelalter hindurch ist „Autorität" geradezu der Name für die Überlieferung selbst gewesen. Auctoritas und ratio, das waren die Kennworte . ., durch die man sich in einer scholastischen Erörterung ausweisen konnte, durch den Rückgriff nämlich entweder auf die Überlieferung oder auf die Vernunft; ebd. 57 „Autorität" — das ist nämlich zwar einesteils Beglaubigung, Verlässlichkeit, Bürgschaft, Garantie; zugleich jedoch bedeutet „Autorität" einen klaren Verbindlichkeitsanspruch; Offenburger Tagebl. 21.12.1971 Nicht Amts-, sondern Sachautorität ist

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notwendig (Überschr.); Zeit 4.1. 1985 erzählte . ., wie er seine Lehrer . . als „Autoritätspersonen" erlebte und wie er heute als Hochschullehrer „Autorität" (nicht) hat; MM 5.1.1985 seine Autorität schwebt über allen Lebensbereichen seiner Untertanen; Zeit 4.5.1985 er hat keine Macht mehr, ihm fehlt die Amtsautorität; MM 5. 6.1985 er muß Führung glaubhaft machen und Autorität zurückgewinnen; ebd. 23.8. 1986 auch an einer rein katholischen Universität müßten echte Autonomie und akademische Freiheit vor jeglicher Autorität gelten; Zeit 26.9. 1986 die Eltern, die Polizei, die Tradition, die Autorität, die Verfügungsgewalt bleiben auf der Strecke; ebd. 20. 3.1987 besitzt die documenta . . die Autorität einer Institution; ebd. 27.3.1987 emotional richtete sich der antiautoritäre Protest gegen die angeschlagene und unglaubwürdige Autorität der Väter-Generation, die für den Faschismus verantwortlich war; MM 2.5. 1988 daß dies keinen Autoritätsverlust für Kohl darstelle, . . mag glauben, wer will; Spiegel 30.11. 1992 Die Skin-Gruppen sind alle nicht organisiert . . Die Autorität richtet sich nach Stimmgewalt und Körpermaß; ebd. 7.12.1992 Ungeschickte Äußerungen . . haben Image und Autorität des obersten Währungshüters [Bundesbank] beschädigt; ebd. Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Autoritätsglaube — die jungen Rechten brüllen heraus, was viele Politiker . . sich nur zu flüstern trauen; ebd. 15.2.1993 Kinder brauchen Zuwendung . ., sie brauchen aber ebenso Konsequenz, Aufzeigen der Grenzen, verpflichtende Werte und Autorität, die nur ein Dummkopf mit Unterdrückung verwechselt. autoritätisch: Wedel um 1600 Hausbuch 33 Welchen jungen herrn hochgemeldter hertzog von Sachsen gantz gern aufgenommen, . . als ein hochweiser auctoritätischer herr ihn gantz sittlich, fürstlich und wol erzogen; ebd. 107 Der hertzog ist eine sehr schöne erwachsene autoritätische person gewesen, gutes Verstandes, der den frieden und gerechtigkeit liebet; Dannhauer 1667 Scheid-Brieff 96 Autoritätischen; Happel 1690 Academ. Roman 30 So bald dieser Mann seinen Abtritt genommen, redete Cajo seine Leute gantz authoritätisch an; Abr. a. S. Clara vor 1709 Kramer-Laden l 507 ein autoritätisches Silentium halten; 1718 Abentheuerl. Welt 111 32 mich kan es nur erbittern, Wann ein gelehrter Mann den Dreck [Tabak] auch in sich frisst, Und seine Nase nicht authorität'scher ist; W. A. Mozart 1777 Er. l 80 ich lasse ihn bitten, er möchte die gute haben, und nächstem Sonntage bey der gewöhnlichen 11 uhr Musique, . . eine auctoritätische anrede machen; Wolf 1793 Dulder 57 ein autoritätscher, gesezter Mann; Lavater 1798 Nachgelass. Sehr, l 210 der Christenglaube, in so-

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fern er sich, als solcher, auf ein autoritätisches Objekt gründet; Anders 1912 Glossen 76 der autoritätisch gebietende Wille. autoritativ: Leibniz 1704 Dtsch, Sehr. II 232 so dergleichen autoritative auferlegte Veränderungen nach sich gezogen, welches in presenti casu um desto mehr zu evitiren, so viel mehr man Ursache hat, in einer ohnedem schweren Sache die Difficultäten ohne Noth nicht zu multipliciren; Kapp 1876 Amerika 1154 er kann keine selbständige diplomatische Maßregel ergreifen, sondern hat nur die vom Kongreß autoritativ aufgestellte Politik auszuführen; Hartmann 1879 Phänomenologie 54 Die heteronome Pseudomoral oder die autoritativen Moralprincipien (Überschr.); Mommsen 1880 Reden u. Aufs. 421 Die Juden sollen von allen obrigkeitlichen (autoritativen) Stellungen ausgeschlossen werden; Nietzsche 1885-86 W. VW 148 Zunächst eine unvornehme Art Mensch, mit den Tugenden einer unvornehmen, . . nicht autoritativen und auch nicht selbstgenugsamen Art Mensch; Paulsen 1889 System d. Ethik 260 das Eigentümliche des menschlichen Pflichtgefühls . .: der autoritative Charakter der Pflicht; Göhre 1891 Fabrikarb. 85 sozial autoritative Stellung [als Meister]; Reichenau 1897 Kultur 38 Agitation unter den industriellen Arbeitern, welche auf die Untergrabung autoritativer Auffassung hinarbeitet; Moll 1902 Ärztl. Ethik 189 Im Krankenhaus soll der Arzt autoritative Person und Vorgesetzter der Krankenwärter sein; Zander 1904 Neue Welt 136 [als Arzt] empfohlen von der besten Gesellschaft und autoritativen Persönlichkeiten; Liman 1904 Kaiser 47 Anspruch auf autoritative Geltung seines Wortes [Wilhelm II.]; 1908 Zukunft LXIII 78 [einer] aus wenig autoritativem Munde kommenden Beleidigung; Breuer/Freud 1909 Hysterie 87 Mein Vorschlag, kühle Bäder zu nehmen, geschah nicht so autoritativ; Meysenberg 1914 Psychotechnik 339 Verfahren der autoritativen Versicherung oder des Glaubensmachens; 1916—17 Polit.-antbropolog, Monatsschr. XV 287 von sogenannter „autoritativer" Seite; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. X 195) Jugend, die nicht länger sich als eine autoritativ bedrückte und gemaßregelte Vorform des Menschlichen . . zu verstehen gewillt ist; 7926 Sittengesch. v. Paris 32 Über deren [verlorene Kinder in Paris] Leben unterrichtet uns ein anderer Literat freilich am autoritativsten; Mehring 1927 Paris 38 [sein] Gastgebertum blieb bei allem Charme immer autoritativ; Voss. Ztg. 8.6.1929 Von autoritativer Seite fiel kürzlich das Wort, der heutige Musiker habe keine technischen Probleme mehr zu lösen; 3929 Jahrb. Dichtung 135 [Lessings] Bedeutung . . wird aus autoritativem Mund gewürdigt werden; 1932-33 Schweizer. Rundsch. XXXII 2,826 auto-

ritative Staatsführung; Frankf. Ztg. 4.6.1933 die dem Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht als Hüter der Währung eingeräumte autoritative Machtstellung; Lokal-Anz. 19.10.1934 daß das heutige Deutschland in seinen Grenzen niemals eine südslawische Organisation dulden wird, die an der Zerstörung Ihres autoritativen Systems arbeitet; Brandl 1936 Inn 85 autoritativ zu dozieren; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. XI 924) was dieser neuartige Herrscher über Kunst und Geist, . . Literatur autoritativ zum besten gibt; Welt 29.12.1949 ob dieses Gewissen in einer Welt drängender . . Probleme die letzte autoritative Instanz ist?; Pastor 1950 Tagebücher 676 von autoritativer Seite; Jaspers 1958 Atombombe 265 jeder . . erhebt mit Recht den Anspruch, hier überzeugt werden zu müssen und nicht durch autoritative Mitteilung zur einfachen Hinnahme kommen zu dürfen; Partner 1964 Erben 238 Karlmann selbst verkündete autoritativ die auf der Tagesordnung stehenden Beschlüsse; ND 10.9.1964 die Scala hat sich . . das Ziel gesetzt, dem sowjetischen Publikum mit autoritativen Interpretationen der klassischen italienischen Oper zu begegnen; Fischer 1966 Kunst 54 ein „Über-Ich", wie Freud es nannte, um das Ich durch autoritative Persönlichkeiten und Institutionen; Mauz 1970 Stillstand o. S. Alfred Otto ist, als er von der Dampflok auf den Dieseltriebwagen umgeschult wurde, autoritativ versichert worden, die Druckluftbremse sei hundertprozentig sicher für ein Feststellen des Triebwagens; Helmers 1971 Humor o. S. bei vielen Texten . . bedeutet die autoritative Methode des Zergliederns . . ein zu starkes Einengen der Schülerinitiativen; Zeit 29.3.1985 ziviler Ungehorsam ist „ein die Schranken der Legalität überschreitender Protest gegen ein Gesetz oder eine andere autoritative Maßnahme . ."; MM 15.4.1986 vertrat er die Auffassung, daß über die unterschiedlichen Ansichten in den christlichen Kirchen zu Themen der nuklearen Konfrontation . . auf keinen Fall irgendwelche „autoritativen Entscheidungen" gefällt werden; Zeit 22.8.1986 der große Friedrich . . steht jetzt als „intelligenter Herrschertyp" des l S.Jahrhunderts da — so befand „Neues Deutschland" ebenso salopp wie autoritativ; ebd. 22.5.1987 ihr Verhalten war elitär, ihr Anspruch autoritativ; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 2 was ihn . . nicht daran hindert, in subjektiver Verkürzung und popularisierender Vereinfachung eine autoritativ wertende Pauschaldarstellung zu präsentieren; ebd. 13 prägnante Kürze und autoritative Belehrung in Sprach- und Stilfragen: Sprachessays im Taschenformat. Autorität b: Paracelsus 1528 S. W. I 6,316 Wen haben sie gesund gemacht in franzosen, das ich sol ire autoritates annemmen?; ebd. 6,366 darum ir

Autorität euch auf sie nit verlassen sollen, sonder euch selbs so dapfer und ernstlich machen, das euer eigen experienz volle und gewaltige autoritates seien; ebd. 6,420 f. und ob wir schon lenden wolten in die alten autoriteten, so sind derselbigen recepten keins auf die franzosen gemacht; ders. 1530 Französ. Krankheit A2a das ich nit pfleg, die auctoriteten der alten zugeprauchen; Young 1760 Originalwerke (Übers.) 48 lass nicht die grossen Beyspiele, oder Autoritäten, deine Vernunft in ein allzugrosses Misstrauen gegen dich selbst niederschlagen; Fourbonnais 1767 Beobachtungen (Übers.) U 6 Die Versicherung des Verfassers, dass damals ein Drittheil Menschen mehr in Frankreich gewesen, ist gleichfalls gewagt, wenn sie von keiner Authorität unterstützt wird; Lavater 1775 Fragmente I 23 Daß Zeugnisse und Authoritäten selbst in Sachen des Verstandes bey den meisten mehr gelten als Gründe, — ist gewiß; 1781 Literar. Pamphlete 50 keine Autorität aller Akademien [in sprachlichen Dingen]; Nicolai 1790 Anekdoten V 109 werden sie [Erdichtungen] in kurzem für Wahrheit gehalten, zumal wenn sie dreist vorgetragen, und auf scheinbare, wenn gleich unzulängliche Autoritäten gestützt sind; Beckmann 1790—92 Erfindungen III 19 Für beyde Bedeutungen lassen sich Gründe und alte Autoritäten anführen; 1803 Eunomia II 290 heut zu Tage weicht weder Mensch noch Vieh der Post [dem Postilion] aus; es ist keine Autorität mehr; Goethe um 1810 Tiecks Dramaturg. Blätter (WA l 40,181) das Publicum sieht sich nach Autoritäten um; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. H 14) Möchten sich doch die deutschen Autoritäten [Staatsgewalten] ihr barsches Wesen abgewöhnen; Athenstädt 1823 Eur. II 117 unter den Soldaten und höheren Verwaltungsbeamten, die erfahrenen Generale und Minister, durch deren Tapferkeit, oder Weisheit die Größe der Wohlfahrt des Staats auf sichern Grund gebauet und erhalten wird. Hiernächst alle öffentlichen Autoritäten und Behörden, und unter ihnen wieder vorzüglich die Diener der Gerechtigkeit; Diesterweg 1836 Lebensfrage III 9 ihre [akademischen] Lehrer, besonders die mit Ruhm umgebenen, gefeierten, sind für sie Autoritäten; Schopenhauer 1840 Moral 179 Von Auktoritäten abseilen der Schulen . . entblößt, führe ich noch an, daß die Chinesen fünf Kardinaltugenden . . annehmen; Brunner 1848 Prinzenschule 11167 wie in der politischen [Welt] der Radicalismus eine Autorität ist; Stahl 1856 Staatslehre 97 Der König ist nicht minder eine Autorität und er regiert kraft dieser seiner Autorität; 1863 Bilder a. Paris II 195 ist Maury grundgelehrt und eine der ersten Autoritäten Frankreichs in Bezug auf die alte Geographie; Rodenberg 1863 Strassensängerin l 79 ein Hof glänzender Namen und berühmter Autoritäten, deren Aussprüche das Geistvollste und Zuverlässigste waren; 1864 Vjschr. f. Volks-

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wirtschaft II 233 dass die Gegner der volkswirtschaftlichen Freiheit aus den von verschiedenen volkswirtschaftlichen „Autoritäten" aufgestellten Lehren die falschen Sätze heraussuchen; Noe 1865 Voralpen 40 In wissenschaftlichen Dingen herrscht . . der erdrückendste Autoritätsglaube; 1866 Grenzboten III 400 Soetbeer, einer der ersten handelspolitischen Autoritäten Deutschlands; Hartmann 1869 Philosophie 276 was mir durch eine von mir als vollgültig anerkannte Autorität offenbar geworden ist; um 1870 (Graf 1912 Schülerjahre 177) Fähigkeit zu freier, voraussetzungsloser Forschung, d. h. einer Forschung, die sich ihre Voraussetzungen selber schafft und nicht von „Autoritäten" diktieren läßt; Hillebrand 1873 Wälsches 277 wie ihn die Partei früh verwöhnte und ihn zu einer Autorität machte, an die man nicht ungestraft rühren durfte, vor Allem darin glich Gervinus seinem Gegner; Wickede 1878 Leutnant 73 er galt im ganzen Regiment als höchste Autorität im Tornister pakken; Rose 1884 Revanche 321 Auf die Aussagen von Wasserautoritäten gestützt; Walloth 1887 Praxis 25 Sie sind ein berühmter Mann, eine Autorität [Arzt]; 1895 Dtsch. Dichtung XVIII 171 die medizinischen Autoritäten; Bismarck vor 1898 (bei Klemm II 338) Die Verdienste aller parlamentarischen und staatlichen Autoritäten; Potenz 1900 Liebe 123 Die einzige Autorität . . war die Wissenschaft; 1903 Grenzboten I I I 1 1 9 Kjellen sagt uns in seiner Schrift . . nichts neues, aber eben weil er das altbekannte mit Anführung vieler Zahlen und Autoritäten bestätigt, empfehlen wir diese Studien; Schmarsow 1905 Grundbegriffe Vorr. IX unter uns Männern wollen wir solchen Auktoritätsglauben [an vermeintliche Größen der Kunst] doch lieber nicht einbürgern; Heinroth 1906 Enttäuschungen l 6 eine der ersten Autoritäten [des Rechts] in Deutschland; Th. Mann 1909 Hoheit (W. H 27) Geheimrat Grasanger hat Ihre Königliche Hoheit untersucht, — eine gynäkologische Autorität; Bierbaum 1910 Reife Früchte 160 [eine] anerkannte Autorität; Janitschek 1912 Ehen 37 eine mir von [ärztlichen] Autoritäten empfohlene [Diakonissin]; Hackmack 1919 ]ugend 24 medizinische „Autoritäten; Voss. Ztg. 11.5.1927 Der Schwimmverein „Neptun" veranstaltete sein alljährliches Schwimmfest . . Die Preisrichter . . und alle Wasserautoritäten hatten auf dem Bohlensteg Platz genommen; Stratz 1929 Lill 144 eine medizinische Autorität; 1929 ZfdPhil. L/V 310 Man will sich ausleben und zitiert als bequeme Autorität Nietzsche; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 712) [Schriftsteller als] Beispiel einer das Konventionelle unter sich lassenden literarischen Autorität; 1933 Vom Gestern 110 Rebell gegen staatliche Autoritäten; Kaiser 1934 Zeitung 67 So gibt eine Autorität auf dem Gebiete der Schönheitspflege ihr Urteil über eine Seife . . ab; Lokal-Anz. 21.6.1934 Das

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große Interesse, das diese Streitfrage im Publikum hervorrief, veranlaßte die .. Zeitung, eine medizinische Autorität darüber zu befragen; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 143 nachdem die Erfindung durch ein Gremium bedeutender Berliner Ärzteautoritäten . . eine gute Beurteilung gefunden hatte; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 989) Hitler . . hat . . versichert, daß die höchsten militärischen Autoritäten Deutschlands des Sieges gewiß seien; Heuss 1947 Gestalten 43 [der] für die Bankfragen . . noch immer als erste Autorität gelten konnte; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 630) am nächsten Nachmittag kam . . die konsultierende Autorität aus München, Professor von Rothenbuch; Bergsträsser 1952 Gesch. 479 Gerade in den Kreisen, die an sich geneigt waren, sich der Regierungsautorität zu unterstellen, litt infolgedessen deren Ansehen, und das Vertrauen wandte sich umso stärker den militärischen Autoritäten zu; Bonn 1953 Gesch. 140 kenntnisreiche, jedoch unbeliebte Autorität in Kolonialfragen; Bamm 1956 Ex ovo 164 gab es doch bemerkenswerte Autoritäten, welche dieser Meinung waren; Frisch 1957 Homo faber 11 die Unesco, scheint es, machte ihm Eindruck, wie alles Internationale, er behandelte mich nicht mehr als Schwyzzer, sondern hörte zu, als sei man eine Autorität, geradezu ehrfürchtig, interessiert bis zur Unterwürfigkeit; Niebelschütz 1961 Spiel 138 Leibniz, . . dieser als oberste Autorität in allen geistigen Fragen anerkannte Schöpfer der optimistischen Philosophie; Bollnow 1962 Mass 202 auch hier wird eine Autorität in Anspruch genommen, aber . . in einer ganz ändern Weise; ebd. 203 im allgemeinen . . braucht hier der Autor, den man anführt, nicht einmal eine besondere Autorität zu sein; Heuss 1963 Erinn. 252 irgend etwas wie Kündigung des Waffenstillstandes kam nach dem Urteil der militärischen Autoritäten gar nicht in Frage; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 265 jetzt muß sie . . mit diesem Quertreiber Bienkopp nachexerzieren, der darauf aus ist, sie als Mensch und Autorität zu zerstören; ND 30.10.1964 welche Merkmale die von den Kollektiven anerkannten Autoritäten auszeichnen; 1966 Urania XI 63 nicht zuletzt durch neu hinzukommende Krankheiten

wie den „englischen Schweiß" . . und die „Geschlechtspest" des ausgehenden 15. und 16. Jh. (Siphilis) wurden die alten Autoritäten erschüttert; Lammers 1970 Bemerkungen o. S. Luthers Wirkung auf die Staatsauffassung im Sinne . . der Anerkennung eingesetzter, weltlicher Autoritäten ist ein Punkt, der in einer Darstellung des deutschen Schicksals eine Beurteilung verlangt; Stötzel 1970 Grundlagen o. S. da aber die Autoritätenmeinungen z. B. für das Deutsche differieren, sind solche Differenzen . . auch in den Schullehrbüchern zu beobachten; ebd. ohne Angabe der Kriterien für unterschiedliche Klassifikationen aber erscheinen Jägels Beschreibungen nur als Autoritätenzitation und nicht als wissenschaftlich fundierter Fortschritt; Buchmann 1971 Gott o. S. sind nicht viele von uns in ihrer Einstellung zum Religiösen wie Kinder geblieben, die unkritisch weiterpflegen, was ihnen frühere Autoritäten beigebracht haben?; Müller-Thurau 1984 Köpfe 75 Wer so mit vorgefertigten Wortautoritäten zu rasseln vermag, darf sich seiner Wirkung sicher sein; Zeit 4.1.1985 zwischen diesen beiden Ereignissen liegen nicht nur 270 Jahre, sondern auch ein völlig gewandeltes Verhältnis gegenüber Autoritäten, ob in Kasernen oder Schulen, in Kirchen oder Familien; Zimmer 1986 RedensArten 121 wer im normalen Leben etwa von einem Rangierer als einer „Autorität für statische Kinetik" spräche, weckte Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit; Zeit 10.1.1986 die Autoritäten, die der Autor angeblich konsultiert hatte, wurden pseudonym zitiert; ebd. 7.3.1986 eine stille Autorität, ein gütiger Patriarch sei er gewesen, tief religiös und bescheiden; ebd. 13.2. 1987 dem Art-Rock-Musiker war die Frage, wie man am aufregendsten von fis-Moll nach As-Dur modulieren könne, jederzeit wichtiger als der Klassenkampf oder auch nur der Kampf gegen die Autoritäten; ebd. 27.2.1987 auch kirchliche Autoritäten rührten sich hinter den Kulissen; Ohler 1990 Sterben 126 Kirchliche Autoritäten hatten ein gespaltenes Verhältnis zur Trauer; Spiegel 15.2. 1993 Seit er in Amerika erlebt hatte, wie frech und unbekümmert junge Studenten . . mit anerkannten Autoritäten umsprangen, hatte Berndt Seite ein Ziel.

Autosuggestion F. (-; -en), im späten 19. Jh., eventuell unter Einwirkung von gleichbed. engl. auto-suggestion, aufgekommen, gebildet aus —»· aut(o)- und —» Suggestion. Häufig in philosophischen, psychologischen, aber auch allgemeineren Zusammenhängen in der Bed. 'Vorstellung, Einstellung, die durch affektbetonte Wunsch- oder Erwartungshaltungen entsteht; Fähigkeit, sich selbst etwas einzureden; Wunschdenken'; etwa gleichzeitig zunehmend als Fachausdruck der Psychoanalyse und -therapie für 'Vorgang, Fähigkeit der psychischen Selbstbeeinflussung durch unmittel-

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bar, ohne äußere Einwirkungen bei sich selbst hervorgerufene Eigenhypnose, Autohypnose (als Heilmethode, Therapieverfahren)' (im Unterschied zu —» Hypnose und —» Suggestion als den Bezeichnungen für ältere Methoden, bei denen der Einfluß von einer anderen Person ausgeht; Ggs. Hetero-, Fremdsuggestion); dazu in neuerer Zeit die adj. Ableitung autosuggestiv (vgl. engl. autosuggestive) 'durch Selbstbeeinflussung hervorgerufen; sich selbst beeinflussend'; in der ersten Hälfte des 20. Jhs. vereinzelt die Gelegenheitsableitungen autosuggerieren 'sich selbst etwas einreden' und Autosuggestibilität 'Selbstbeeinflußbarkeit'. Autosuggestion: Petrt 1879 fremdwb. I 108 Autosuggestion . . Selbsteinbildung; 1891 Dtsch. Dichtung IX 76 Es giebt Suggestionen ohne eigentliche Hypnose; es giebt auch Suggestion ohne Suggerenten, oder vielmehr der Beeinflußte ist in diesem Falle zugleich Subjekt und Objekt, er suggeriert sich selbst eine bestimmte Vorstellung — ein Vorgang, den man seit längerer Zeit kennt und mit einer schlecht gebildeten Vox hybrida als „Autosuggestion" bezeichnet; 1893 Meyer Enz. // 256 Autosuggestion . . Vorstellungen, Bewegungen, Empfindungen und Affekte, welche im Verlauf einer Autohypnose abnormerweise auftreten; 1896 Cosmopolis l 892 Es geht damit wie in Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: die meisten heucheln nur, etwas zu sehen und zu bewundern . . in diesem Falle . . aus Furcht, unmodern zu erscheinen. Früher nannte man dergleichen: Nachäfferei; heute, wo alle Dummheiten ein wissenschaftliches Mäntelchen umhängen, heißt es vornehm „Suggestion" oder noch vornehmer, weil etwas Griechisch drinsteckt, „Autosuggestion"; Alberty 1912 Regie 62 Denn jede Darstellung einer Rolle beruht auf Autosuggestion, auf einem Zustand der Ekstase, und verlangt daher die absoluteste Konzentration; Bechhold 1919 Handlex. l 124 Autosuggestion sich selbst etwas einreden, i. G. zur Suggestion, die von e. zweiten Person ausgeht; Thümmler 1936 Gefangen 89 Wer mit einer blühenden Phantasie begnadet und ein Meister der Autosuggestion ist, der schließt die Augen, wo ihn der Duft umschmeichelt; Hellpach 1951 Sozialpsych. 71 Der Prototyp der akustisch ausgelösten Ideorealisierung von Mensch zu Mitmensch ist die Verbalsuggestion, die Ideorealisierung von gehörtem Gesprochenem. Insofern überhaupt kein anwesender Mitmensch ins Spiel tritt, spricht man auch von „Autosuggestionen", womit allerdings meist nur die aus unserm inneren Vorstellungsbesitz auftauchenden Vorstellungsinhalte bezeichnet werden („Einbildungen" im vulgären Wortsinne); Offenburger Tagebl, 5.8.1959 Auf eine Autosug-

gestion der Menge führt der Bischof von Noto . . die angeblichen Wunder zurück, die sich in . . der sizilianischen Ortschaft Rosolini ereignet haben sollen; 1962 Landarzt VI 4 Von ebensolcher Bedeutung ist die Beeinflussung somatischer Vorgänge. Es ist . . festzustellen, daß der Wirkungsbereich entspannnender Autosuggestion mit dem der Hypnose gleichzusetzen ist; Stuttgarter Ztg. 24.2.1969 Auto-Suggestion (Überschr.) Die Börse stand in der vorigen Woche ganz im Zeichen der angekündigten Zusammenarbeit zwischen dem Volkswagenwerk und NSU. Dagegen scheinen die großen Standardwerke ihre traditionell führende Stellung als Schwerpunkte der Tendenzbildung vorübergehend eingebüßt zu haben; Welt 4.11.1969 Es sind wohl einige Helfer gestorben, dies scheint jedoch mehr eine Angelegenheit der Autosuggestion und der Angst gewesen zu sein; MM 12.3.1986 Ministerpräsident Gonzalez . . zeigt sich nach außen hin vom Sieg der „Vernunft" überzeugt. Aber das mutet je länger desto mehr wie ein krampfhafter Versuch zur Autosuggestion an; Zeit 14.3,1986 Suggestion und Autosuggestion, Ritual und Magie: Fichtes Literatur ist der große Anruf der Welt, deren Verkrümmungen und Verwerfungen ihm die Luft abdrücken; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 720 Die Reizbeeinflussung kann auch vom Patienten selbst ausgehen, man spricht dann von Autosuggestion. autosuggerieren: Schmilz 1911 Brevier 107 Autosuggerieren wir uns Armut. Autosuggestibilität: Joel u. Fränkel 1924 Cocainismus 41 Autosuggestibilität [des Cocainisten]. autosuggestiv: Pinkwart 1963 Mord 85 Diese Diskrepanz resultiert aus einer hohen Anzahl von Hypertonikern, denen leider nur wenig Ärzte gegenüberstehen, die mit Hypnose vertraut sind . . Die Patienten sollen . . in die Lage versetzt werden, sich quasi autosuggestiv zu heilen.

avancieren V. intrans., Anfang 17. Jh. entlehnt aus frz. avancer, altfrz. avancier 'vorwärtsbringen; voranschreiten, -gehen' (< vulgärlat. *abantiare, zu spätlat. ab-

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avancieren

ante 'vorweg', zu ante 'vor, vorn, voran, vorher'; —> Avantgarde), im 18. Jh. auch in der eindeutschenden Form avanzi(e)ren. Zunächst bis Mitte 19. Jh. im Militärwesen in der Bed. 'vorrücken, vorwärtsgehen' (s. Belege 1621, 1684, 1723, 1859). Seit Mitte 17. Jh. übertragen verwendet im Sinn von 'im Dienstrang aufrücken, befördert werden, aufsteigen, Karriere machen' (s. Belege 1645, 1697, 1726, 1866, 1908, 1993), absolut gebraucht bzw. präp. mit zu in der Verbindung jmd. avanciert zu etwas, früher auch im Passiv in der Wendung avanciert werden/sein 'befördert werden/sein' (s. Belege 1634, 1645, 1661, 1688), im 18. Jh. auch allgemeiner für 'Fortschritte machen, vorankommen', bes. in dem Syntagma in etwas (z. B. einer Arbeit) avancieren (s. Belege 1706, 1718, 1729, 1798); im 20. Jh. gelegentlich auch ironisch bzw. abwertend (s. Beleg 1993); seit Mitte 18. Jh. adj. verwendet in der Part. Perf.-Form avanciert in der übertragenen Bed. 'fortgeschritten, vorgerückt', bes. auf das Lebensalter bezogen (s. Belege 1757, 1781, 1856), dann auch für 'aufgestiegen, emporgekommen' (s. Beleg 1860) und positiv wertend im Sinn von 'arriviert, erfolgreich, anerkannt' (s. Beleg 1865), auch für 'fortschrittlich', bes. in der Kunst (s. Belege 1874, 1985, 1986, 1991). Dazu seit frühem 17. Jh. das aus gleichbed. frz. avancement entlehnte Subst. Avancement N. (-s; -s), in der allgemeinen Bed. 'das Vorankommen, das Emporkommen, Karriere', bes. in Bezug auf Soldaten für 'Beförderung' (s. Belege 1625, 1642, 1789, 1878, 1929, 1963); im 18. Jh. speziell im Militärwesen für 'das Vorrücken, das Vorwärtsgehen' (s. Belege 1710, 1764); seit Mitte 17. Jh. das aus dem Frz. übernommene Subst. Avance F. (-; -n), kaufmannsspr. bzw. im Börsenwesen in der Bed. 'Gewinn, Profit, Vorteil' (s. Belege 1647, 1676, 1883, 1985, 1987). Seit früherem 18. Jh. nur im Pl. Avancen in der Bed. 'Näherkommen, Entgegenkommen, Aufforderung (zur Annäherung)' (s. Belege 1738, 1779, 1782, 1789, 1894, 1914, 1987, 1993), von Anfang an häufig in der aus frz. faire des avances (a quelquun) lehnübersetzten Verbindung (jmdm.) Avancen machen, vor allem auf Liebesbeziehungen bezogen im Sinn von '(sexuelles) Interesse an einer Person deutlich zeigen, (verbal) ausdrücken' (s. Belege 1789, um 1800, 1822, 1899, 1930, 1954); dann auch i-n Wendungen wie Avancen erwidern, auf jmds. Avancen eingehen (s. Belege 1779, 1894, 1916, 1987, 1990, 1993). avancieren: Hainhof er 1611 Relation 77 auanzirt vnd erspart; Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) avanciren. Vortrucken oder sich eilen; 1621 (Dtsch. Ztg. 17. ]h. 39) Neuheusel . . hält sich noch, es hat sich aber der Conte de Boucquery schon so weyt hizu auanciert, dass jhm das Geschütz nicht schaden kan; 1623 Politik Max I. v. Baiern (II 1,313) euch gegen dem Rhain werts avanzirn; Opitz 1634 briefl. a. Breslau (Quellen G. geist. Lebens l 671) möchte wüntschen die gnade zue haben, E. F. Gn. gehorsamb auf zue warten, oder durch dero gnädige beförderung anderwertshin avanciret zue werden; um 1638 Teutscher Michel 205 Was ist armieren, was avisieren?/ Was avancieren, attaquieren?; Opitz 1639 briefl. a. Oxenstierna (Quellen G. geist. Lebens l 582) Kunte der an den donawstrom avanciren; 1645 Briefw. Camerarius-Behaim

(Ernstberger 203) Meines h. Vettern Sohn . . ist von seinem herrn zum Leutenampt gemacht, bey demselben angenehm, also daß er noch mehr avancirt werden möchte (BRUNT); Klaj-Birken 1645 Fortsetzung 86 Wo Einfalt avancirt, und Vnschuld mit raison, Die retrogarde hat (JONES); Lavater 1659 Kriegsbüchlein 2a Avancieren, Fort rucken; Schütz 1661 Reflexiones 301 Wird nun aber einer vorgelassen/ . . da bildet sich . . ein solcher Minister gleich ein/ der Himmel henge voll Geigen/ . . [und] verhoffe noch weiter avancirt, und befördert zu werden; Francisci 1663 Türkengefahr 2 Wie der Erb- und Erzfeind darauf weiter avanciret/ was vermeint der H. Bruder/ sey für fröliche Zeitung zuhoffen?. . der Widerstand ist gegen einer solchen schrecklichen Macht/ schlecht und gering; Grimmelshausen 1670 Springinsfeld (HI 235) sähe ich

avancieren gegen mir einen grosser Wolff avanciren; 1684 Getrost. Europa E4a dieweilen Persien in Syrien einfiele, Moscau gegen den Fluss Tanaim avancirte; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 647 Wiewohl nun ihrer viel/ die so weit avanciret wären als Ariste, sich die Freyheit ohne ferneren Bedacht genommen hätten/ ihrer maitresse sehr viel von ihrer Liebe vorzuschwatzen; Groben 1694 Reisebeschr. 128 Er avansirte etliche mahl mit tausend Mann; Elts. Charl. 1697 Br. l 80 Ich wünsche sehr, daß Carl Moritz je mehr undt mehr avanciren möge. Die reflection, so ihr über Ewer bruder gemacht, haben ma tante undt ich auch woll schon gar offt gethan; Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 246 Verstehet nun ein solcher Musicus Instrumentalis die Composition, so kan es nicht fehlen, er muß auff seinem Instrumente avanciren; Naude 1706 Messkunst Vorr. 3b man werde hinführo . . allezeit in neuen Wissenschaften avanciren und zunehmen; Menantes 1709 Satir. Roman 4 f. Daher muthmasseten sie, die Festung würde in letzten Zügen liegen, und avancirten des Dieners Wincken ohnerachtet; Hübner 1712 Poet. Handb. Vorher, o. S. so will ich sehen, daß ich die angefangene Version des . . Büchleins des frommen Thomae ä Kempis, . ., welche Arbeit schon ziemlich avanciret ist, vollends zum Ende bringen kann; Nemeitz 1718 Sejour 10 in der Mahlerey oder Zeichen-Kunst zu avancieren (BRUNT); Zschackwitz 1723 Karl VI. 134 der General-Major Wilkes thate den ersten Angriff indem er gegen die beyden . . avancirte; Uhse 1726 Poet 122 Ich sehe, dass mein Herz gar glücklich avanciret, Weil er bey seinem Thun so viel Patronen spüret; Fleming 1726 Soldat 124 es wird aber auch aus solchen Leuten nachgehends nichts rechts, und tugendhaffte und verständige avanciren, und machen ihr Glück; Hübner 1729 Bibl. Gen. 430 [man wisse nicht] wie weit diese Arbeit .. avanciret sey; Goulon 1737 Bericht (Übers.) 34 die Lauff-Gräben so weit einwerffen, als die Belagerten avanciren; 1743 Reglement Preuss. Cav. 197 wenn der General-Wagen-Meister befiehlet, daß die Bagage avanciren oder sich zurück ziehen soll; 1748 Gleim-Ramler I 135 Ist die neue Ausgabe seiner Gedichte schon sehr avancirt?; Lessing 1757 Br. l 129 avanciren laßen; Dominicus 1763 Tagebuch 5 Morgens als den Iten October um 6 Uhr avansirten wir drauf loss, kamen auf das Dorf Kiens; Lessing 1763 Minna (S. Sehr. H 207) Der Läufer? der ist avancirt; Michaelis 1770 Raisonnement II 225 [ein Professor] dem es im Avanciren nicht hat glücken wollen; Goethe 1772 Br. (WA IV 2,50) Das erste Grau des Tags . . Der Tag kömmt mit Macht, wenn das Glück so schnell im avanziren ist, so machen wir balde Hochzeit; Sturz 1782 Sehr. II 377 Sonst avanzirten wir alle nach der Anciennetät; Bretzner 1788 Le-

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ben III 31 Das unerfahrne, leichtgläubige Mädchen . . ließ sich . . zu heimlichen Zusammenkünften bereden, in deren jeder . . der Geliebte Schritt vor Schritt avanzirte, und das Terrain in Besitz nahm; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 22,281) man gab sich das Wort auf den bald zu hoffenden Fall, daß man ihn weiter avanciren werde; ders. 1798 Br. (WA IV 13,170) Schreiben Sie mir doch . . wie Thouret avancirt und was Sie von seiner weitern Arbeit auguriren; Schaller 1804 Stuziade 177 Des Volkes Rest indessen, . . avancirte — rükwärts; Rumford 1805 Kl. Sehr. IV 2,317 eine Kanone . ., die sowohl avancirend als retirirend in vollem Marsche losgefeuert werden konnte; Blücher 1815 Br. 264 Ich glaube, der König würde ihm nun wohl avancieren, aber es ist zu spät und er hat sich öffentlich engagiert, nicht zu dienen; Goethe 1830 Br. (WA IV 46,226) wie Böttiger jubilirte als der Doge von Venedig abgesetzt wurde, eben als wenn sein Vordermann gestorben wäre und er nunmehr avancirte; Großmann 1847 Gem. Gesellschaft 72 Gadau avancirte sehr schnell zum Legationsrath; Keller 1856 Seldwyla (S. W. VII 75) was ich mit so grimmigem Eifer tat, daß ich auch bei den Franzosen avancierte und Oberst ward; 1859 Allg. Mil.Enc. II B87 avanciren, Vorwärtsschreiten, vorzüglich der Tirailleurketten, Batterien und Colonnen; Riehl 1861 Ges. 377 das militärische Proletariat, wie es in den Tagen der Landsknechte Deutschland in Schrecken setzte, ist von den Gemeinen zu den Officieren avancirt; Hartmann 1866 Erlebnisse 27 Ich war nach einem fleißigen Winter . . zum KadettFeuerwerker . . avanciert; Rose 1884 Revanche 120 zum legitimen Gatten avanciren; Schwarz 1888 Monteneg 27 vom gemeinen Soldaten bis zum Herrscher der alten Welt zu avancieren; Windelband 1908 (Präludien II 226) Sie [die Massen] avancieren auch in dem Sinne, daß sie an den Bildungswerten der Kultur ihren vollen Anteil in Anspruch nehmen; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 98) Und was das Schaukeln der Arme betraf, so sorgte das schöne Mädchen dafür, wenn sie miteinander avancierten; Colerus 1929 Kaufherr 47 Er bewies unwiderleglich das Mangelhafte in der Auffassung der Probleme, zeigte in einer glücklichen Stunde neue Wege und avancierte; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 62 auch sind weder ich noch meine Gegner jemals avanciert, was bei Forderungen „auf Barriere", wo man sich bis auf fünf Schritt nähern darf, erlaubt ist; Bonn 1953 Gesch. 115 Ich avancierte allmählich .. vom blossen Ausländer zum Fremden von Distinktion; Grass 1962 Blechtrommel 27 Koljaiczek . . avancierte am nächsten Tag schon . . zum blinden Passagier auf einem der berühmt berüchtigten griechischen Tanker; Heuss 1963 Erinn. 60 Als er im Spätjahr 1902 seine Stellung antrat, „übernahm" er mich von seinem Vor-

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avancieren

ganger, . . ließ mich aber schnell zu „unserem Münchner Vertreter" avancieren; Fest 1973 Hitler 33 Er war rasch avanciert und am Ende als Zollamtsoberoffizial in die höchste Rangklasse befördert worden; Zeit 18.1.1985 Dort . . lernte er die Leute kennen, die ihm halfen, Karriere zu machen, 1448 zum Kardinal und nicht ganz aussichtslosen Anwärter auf den Stuhl Petri zu avancieren; ebd. 11.10.1985 Er avancierte bald, leitet bis 1928 die Druckerei des Bauhauses und die Reklamewerkstatt; 1991 Wiener VI 15 So war es kaum verwunderlich, daß die Smiths zur Super-Kult-Band der 80er avancierten; Süddtsch. Ztg. 19.120.12.1992 Als Union würde die EG zur obersten wirtschaftsund währungspolitischen Autorität avancieren; Spiegel 15.2.1993 Experten der Umweltorganisation Greenpeace kritisieren, die neuen Bundesländer seien zu einer Art Mülldrehscheibe avanciert. Avance: 1647 Schück U 7 Zahlung fünfhundert pro cento d'avance (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Overheide 1657 Schreibkunst 223 Avance Gewinn Vorteil; 2676 Savary l 4SI weiln er die 1000 fr. discontiert, das ist, seinen Creditorn per avanze auszahlt (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Hertz 1883 Elternhaus 34 So sagte er, wenn er etwas nicht vortheilhaft fand: „Herr, dabi is keen Provance." Er setzte sich dieses Wort aus Profit und Avance zusammen; Fliess 1893 Miasmen 157 Die Bank war . . in der Avance; MM 29.10.1985 Für die eine oder andere Aktie gibt es immer wieder begründete oder auch nur vermeintliche Avancen, für wieder andere muß oder kann man schwarz sehen; Zeit 13.2.1987 Ressortleiter Eberhardt Unger hält den Wert indes weiterhin im Bestand, da er — gerade für die Chemiewerte — in absehbarer Zeit Kursavancen erwartet. Avancen: Zinzendorf 1738 Berlin. Reden (Hauptschr. I 112) wir sollen uns nur nicht verstecken, welches anzeigt, daß die avancen alle von Ihm gemacht werden. Der Heiland braucht unserer hülfe nicht; Hase 1779 Aldermann l 103 gehen seine Avancen ziemlich weit!; 1782 Schlettweins Archiv IV 263 Man muß ihnen Avanzen aller Arten machen, um unsere Verhältnisse mit ihnen wiederherzustellen; Hermes 1789 Für Eltern V 39 so komme es ja nur auf ganz kleine avances an um meine Stelle anzunehmen; Fichte 1789 (Runge, Neue Fichte-Funde 89) Mit Jungfr. Schwägerin, die mir Avancen machte, und die ich wohl näher zu erforschen Lust hätte, . . zwischen 11. u. 12. Uhr gesprochen; Christ um 1800 Schauspielerleben 139 Madam fing . . an, mir Avancen zu machen; Spaun 1822 Santioni (Verm. Sehr. II 244) einem jungen hübschen Manne keine Avancen machen; Laube 1847 Karlsschüler 33 Sire, die Demoseil Laura

macht mir Avancen; Waldmüller 1884 Dar/a I 89 solche junge Herren . ., die das Unglück gehabt haben, die Avancen einer vornehmen Dame nicht zu erwiedern; 1894 Dtsch. Dichtung XV 154 Ihre Seufzer bedeuteten Avancen, Aufforderungen zu trösten; Neresheimer 1899 Komödie 79 sie macht mir Avancen; Bülow 1916 Dtsch. Politik 36 Das tatsächliche Verhalten der Engländer uns gegenüber gerade in dieser Periode ihrer Avancen bewiese, wie wenig die englische Politik imstande war . . ihre eifersüchtige Gehässigkeit zu zügeln; 1930 Uhu VH 27 Sie ist leicht dazu geneigt, dem Mann Avancen zu machen, um ihn zu gewinnen; 1931 Umschau XXXV 243 Mein Prachtexemplar eines Berkshire-Ebers enttäuschte mich aber. Er kam bei meinen blonden Schönen, die ihm alle Avancen gaben, geradezu in Verlegenheit; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 629) Ich hatte Zouzou erzählt, wie die Athenerin in einem Winkel des Salons mich beständig mit dem Fächer geklapst, . . mit einem Auge gezwinkert und mir die losesten Avancen gemacht habe; Zeit 3.9.1985 Mit gemischten Gefühlen sehen sie zu, wie Präsident Mitterand und vor allem der junge Premierminister Fabius den bürgerlichen Wählern Avancen machen; Ortheil 1987 Schwerenöter 463 Er war auf Manons Avancen hereingefallen; Spiegel 30.7.1990 zumal das junge Mädchen ihr versicherte, nie und nimmer auf die Avancen des 30 Jahre älteren Mannes eingehen zu wollen; ebd. 30.8.1993 Möllemann und sein Landesverband stehen in der Gesamt-FDP allein; ihre Avancen sind vor allem landespolitisch motiviert. Avancement: 1625 (Frauenholz 1935 Heerwesen 111 1,294) auff dass ein jeglicher . . sich der Tugend und Tapferkeit und avancements befleissigen möge; Rist 1642 Rettung A6a daß sie ihm sein Avencement mißgönnen; Francisci 1680 Aller Edelste List 242 Das erste Mittel/ welches . . Hofleute brauchen/ zu ihrem avancement und Aufnehmen/ ist die Freundlichkeit (BRUNT); 1710 Antwort Schreiben 29 die geringste Avancemens der Frantzosen; Fleming 1726 Soldat 204 daß sie sich bey denen gefährlichsten Actionen, wo ein andrer nicht gerne hin will, mit gebrauchen lassen, bloß damit sie ihre Courage erweisen, und sich zu besondern Avancemens etwan der Weg bahnen; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. I 243 an seinen weitern Avancement hinderlich; Beust 1743 Consiliarius 209 einige zu seinem Avancement [in fürstliche Dienste] dienliche Occasion; 1764 Beschr. e. Kriegs-Platzes 25 Avancement des Feindes; Michaelis 1770 Räsonnement 321 gar kein Recht zu weiterem Avancement; Knigge 1789 Umgang II 49 einen Mann . ., der nur als Volontair in der großen Welt dient, und kein Avancement verlangt; Balte 1804

Avantgarde Geschäftsgang i, Preussen 9 Das eigentliche Avancement ist nach folgenden Regeln festgesetzt. Die Offiziere avanciren bis zum Rang eines Hauptmanns .. oder Rittmeisters; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,270) Voigt d. J. hat in einem Schreiben an Serenissimum um ein akademisch Avancement gebeten; darf er hoffen bittseelig bestellt zu werden?; Ranke 1836 Gespräch 23 (Ndr.) Was wäre es auch für eine Armee, die den Krieg nicht von Herzen herbeiwünschte? Tätigkeit, Geltung, Avancement?; Laube 1847 Karlsschüler 14 Gräfin: Du bist kein kleines Mädchen mehr. Laura: Nicht? . . Ich danke Ihnen . . für das Avancement; Freytag 1855 Soll u. Haben l 237 Unser Avancement wird magnifique; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 387 Avancement ist die Erhebung zu höheren militairischen Würden; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 234 Mangelnden Vermögens, der schlechten Aussichten und des gar zu langsamen Avancements wegen wollte ich die Offiziercarriere nicht einschlagen; Kretschman 1870— 71 Kriegsbr. 353 Du weißt, daß ein außergewöhnliches Avancement vom Major an nicht mehr stattfindet; Burckhardt 1872 Br. a. Preen 51 ein bestimmtes und überwachtes Maß von Misere mit Avancement und in Uniform täglich unter Trommelwirbel begonnen und beschlossen, das ist's was logisch kommen müßte; Wickede 1878 Leutnant 63 um ihm in manchen einflußreichen Kreisen der Residenz den Ruf eines ausgezeichneten Militairs zu verschaffen, daher auch sein schnelles Avancement; 1895 Dtsch. Dichtung XVII 9 Von einem Augenblick zum ändern war ich zum Rang eines deutschen Schriftstellers erhoben, eines Schriftstellers, den man ernst nimmt — das Avancement war unheimlich rasch!; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 722) Die Schule war ein Staat im Staate geworden, in dem preußische Dienststrammheit so gewaltig herrschte, daß nicht allein die Lehrer, sondern auch die Schüler sich als Beamte empfanden, die um nichts als ihr Avancement. . besorgt waren; Werfet 1928 Abituriententag 52 Der Gedanke an amtliche Veränderung, an das bislang von mir verhinderte Avancement macht mich schaudern; Brach 1933 Grosse (Ges. W. X 53) künftige Avancementsmöglichkeiten; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 569) Darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit gratu-

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lieren zu Ihren kürzlichen Avancements als Hofund Geschäftsmann?; Koeppen 1953 Treibhaus 40 trottend auf dem schmalen Pfad nicht gerade der Tugend, aber des Avancements; 1963 Märchen (Festg. v. d. Leyen) 18 gesellschaftliches Avancement; Bobrowski 1965 Boehlendorff u. Mäusefest 11 Herr Hofmeister, die Frau Mutter legt Wert auf unseren avancement im Französisch. avanciert: Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 28 Man sieht dieses daraus, daß er bei ziemlich avanciertem Alter noch so lehrbegierig war; Biantes 1781 Historicus 31 ein paar gegen das 40ste Jahr avancirten Damen; Schlözer 1856 Jugendbr. 209 die kleine Gräfin Hacke ist noch immer, trotz ihrer avancierten Jahre, einschmeichelnd; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 205 Oberst E. begehrte die zu Schülern avancirten Leute zu sehen und wir wurden ihm vorgestellt; Engels 1865 Militärfrage (Ndr. marxist. Seltenheiten IV 41) avancirtesten Arbeiter; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 356 Man hat auch wohl einen Unterschied zwischen avancirten von der Enceinte noch durch Geschütz zu unterstützenden, und zwischen selbstständigen weit detachirten Werken gemacht; Hillebrand 1874 Frankreich 76 avancirte Pädagogen; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII101) In ihrer Art nicht weniger avancierte Köpfe zählten die Ideen meines Literatenartikels jenen Dingen zu, die „der neue Geist einer jüngsten Literatur dem Geiste der älteren .. zu sagen hat"; Zeit 4.1.1985 Bei den avanciertesten Reaktortypen dürfte es der Schnelle Brüter sein, der international die größten Aussichten auf wirtschaftliche Nutzung hat; ebd. 21.3. 1986 Nono, der einst mit avancierten Kunstmitteln politische Aufklärung betreiben wollte, hat zu einem gänzlich persönlichen Pathos der Einsamkeit gefunden; ebd. 10.10.1986 Dada, das Bauhaus und der Surrealismus, einst die avanciertesten Einstellungen; MM 4.6.1987 Die avancierte Bemühung des Regisseurs George Tabori, das Katastrophische in den Kunstraum zu überführen; ebd. 5.4.1991 Frischs Erfindungskraft und Sprachvermögen gehen hier so weit, daß dieser Text gewohnte Raum- und Zeitstrukturen ad absurdum führt. Er wirkt sehr avanciert.

Avantgarde F. (-; -n), Ende 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. avant-garde (zu altfrz. avantgarde 'Vortrupp', aus avant Vor, voraus' (< spätlat. abante 'vorweg'; —» avancieren) und garde 'Wache, Wachmannschaft', zu garder 'bewachen, bewahren'; —> Garde), bis ins 18. Jh. auch in den Formen avangarde, Avantguarde, Avant garde, Avant-G(u)arde. a Zunächst als Fachwort des Militär- und Kriegswesens gebraucht in der heute veralteten Bed. 'Vorhut, Vortrab einer Soldatentruppe' (Ggs. Arrieregarde).

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Avantgarde

b Seit dem 18. Jh. übertragen verwendet, zunächst vereinzelt für 'Vorzug' (s. Beleg 1716); seit spätem 18. Jh. Bezeichnung für ein Personenkollektiv im Sinn von 'Vorkämpfer für eine neue geistige Idee, intellektuelle Neuerer', in Verbindungen wie politische Avantgarde, Avantgarde der Zivilisation, im dialektischen Materialismus bes. im Sinn von 'Vorkämpfer der Arbeiterbewegung' (s. Belege 1868, 1871, 1949, 1974), in Verbindungen wie revolutionäre Avantgarde; seit spätem 19. Jh. unter Einfluß eines 1845 in frz. Sprache erschienenen, die Avantgarde der Künstler behandelnden Essays von Gabriel-Desire Laverdant in der heute dominierenden Bed. 'Vertreter einer neuen Kunstrichtung, Vorbereiter einer neuen Kunstepoche, Gruppe künstlerischer Neuerer' verwendet (s. Belege 1899, 1931, 1949, 1952, 1959, 1969, 1990, 1994), auf neue experimentelle Formen künstlerischen Ausdrucks vor allem in Literatur, Musik, Film und Malerei bezogen, um 1900 bes. für das bis dahin gebräuchlichere —» Moderne gebraucht, speziell auch Sammelbezeichnung für die Künstler der klassischen Moderne, die durch eine neuartige Anwendung herkömmlicher bzw. durch die Einführung neuer Kunstmittel einen anderen Kunstbegriff zu schaffen beabsichtigen, bes. auch für die sich im Ggs. zur Moderne nicht auf die —»· Klassik beziehenden, sondern das Revolutionäre und Zukünftige betonenden Stilrichtungen des Dadaismus, Futurismus und Expressionismus von etwa 1910 bis 1930; zumeist in Genitiv-Verbindungen wie die Avantgarde der Malerei, der Architekten, Italiens, Künstler der Avantgarde bzw. mit Attribut europäische, künstlerische Avantgarde, vgl. Zss. wie Avantgardebewegung, -film, -bühne, -literatur, -ausstellung, Tanzavantgarde und die Präfixbildungen Neo-, Transavantgarde. Seit früherem 20. Jh. die Personenbezeichnung Avantgardist M. (-en; -en), auch Avantgardistin F. (-; -nen) (vgl. gleichbed. frz. avant-gardiste), im Sinn von 'Vertreter einer neuen Richtung künstlerischen Ausdrucks, künstlerischer Neuerer' gebraucht (s. Belege 1930, 1933, 1939, 1946, 1951, 1963, 1985), bes. in Literatur, Musik, Film und Malerei, vgl. Wendungen wie literarischer Avantgardist, Avantgardisten des Films; gelegentlich auch allgemeiner für 'Vorkämpfer einer neuen Idee' (s. Beleg 1961), z. B. Avantgardist der Politik; gleichzeitig die adj. Ableitung avantgardistisch (vgl. gleichbed. frz. avant-gardiste}, in der Kunsttheorie in der Bed. 'neu, experimentell' auf progressive, fortschrittliche Formen künstlerischen Ausdrucks bes. in Literatur, Musik, Malerei und Film bezogen, im Ggs. zu —+ konservativ, traditionalistisch, —* epigonal; in Präfixbildungen wie neo-, post-, transavantgardistisch; gelegentlich auch allgemeiner für 'fortschrittlich' (s. Belege 1963, 1968, 1969, 1970); gleichzeitig die subst. Ableitung Avantgardismus M. (-; ohne Pl.) (vgl. gleichbed. frz. avant-gardisme), in der Kunsttheorie programmatisch verwendet in der Bed. 'künstlerischen Fortschritt, ästhetische Neuerung, experimentellen künstlerischen Ausdruck vertretende Richtung', im Ggs. zu —> Traditionalismus; gelegentlich auch allgemeiner im Sinn von 'Fortschrittlichkeit' (s. Belege 1964, 1966) (alle zu b). Avantgarde a: um 1598 (Frauenholz 1935 Heerwesen Hl 1,425) die avangarde oder das vortraben; Kirchhof 1602 Wendunmuth 111 434 Als der von Cone . . auff der catholischen hauffen und avantgarde gestoßen, haben sie mit einander troffen; Wallhausen 1615 Kriegskunst zu FUSS 116 wie auch zum Vorzug/ Vortrab oder Avangarde allezeit die Zimmerleute von jedem Fähnlein zween gehören/ vmb die Wege vnd Passagie desto färtiger zuma-

chen; Freitag 1631 Architektur 128 Avantgarde; Schill 1644 Ehrenkranz 4 der Vorzug [muß] avantgarde [heissen], der nachzug arriere garde; Lavater 1659 Kriegsbüchlein 115 die Avantguarde, Vorzug, oder Vorhut; Mieth 1683 Geschütz-Beschr. l 6 da last Gott abermahl sein Volk durch Moysen zum Krieg encouragiren, und gibt ihnen/ so gar seine Priester/ zur Avantguarde; Stieler 1695 Auditeur 46 ietzo/ da wir Generale und GeneralLieutenante/

Avantgarde . . Canonen und Cartaunen/ Avantgarden/ Batalie und Arriergarde haben/ können wir mit unserer vermumten Tapferkeit fast wenig ausrichten; Earth 1734 Tagebuch 155 Den 7. hujus Abends sehr späte ist erst die Arrieregarde . . eingerückt, . . Den anderen Tag vor Sonnenaufgang ist die Armee mit der Avantgarde schon wieder aufgebrochen; Dominicus 1763 Tagebuch 46 Wir hatten die Avangarde. Wir marschirten auf die Österreicher loss; Schmettau 1772 Nachrichten 155 die Tete unserer Avantgarde; Nicolai 1790 Anekdoten l 146 als diese Truppen von den Oesterreichern erblickt wurden, so hielten sie dieselben . . für die Avantgarde des Korps des Herzogs von Holstein; Goethe 1795 — 96 Lehrjahre (WA I 21,281) man ritt einigemal aus, die Avantgarde in der Nachbarschaft campiren zu sehen; Schiller 1800 W. T. (H. XV 342) Avantgarde; Blücher 1813 Br. 191 ich erhielt Order, von Philippstal meine Direktion auf Gießen zu nehmen, und die Hauptarmee wollte mit ihrer Avantgarde den [!] Feind folgen; Kohl 1842 Böhmen 5 Ganz auf ähnliche Weise wäre auch um ein Haar der nachrückende Napoleon selbst umzingelt worden, wie der seiner Avantgarde nachrückende Lothar; Suckow 1862 Sold'leben 187 Die Russen .. verließen . . dieselbe [Stadt] nach einem ziemlich hartnäckigen Avantgardegefecht; Wagner 1870 Fortifikation 116 Avantgardestellung: um den Angreifer zur frühzeitigen Entwickelung seiner Kräfte zu nöthigen; Gizycki 1899 Aufgaben 411 Avantgarden-Kommandeur; M. A. — Abendztg. 13.6. 1944 daß die „Avant-Garde" Greniers in Algier und auf Korsika von Eisenhower Startverbot erhalten habe Welt 17.11.1949 Möwen, Avantgarde des Winters. Avantgarde b: 1716 Europ. Fama 85 Wir geben diesem Artickel [über Polen] die Avantgarde, weil in demselben ein ausführlicher Tag-Register von 2. Monathen enthalten; 3785 Journal v. u. f. Dtschld. i 23 die Avant- und Arriergarde des grossen Gottes; v. Schölten 1788 (Br. a. Bahrdt II 180) Sie [eine Schrift über die Aufklärung] macht die Avantgarde; Pückler-Muskau 1830 Br. e. Verstorbenen II 65 mitkämpfend in den Reihen der bisherigen Arriere-Garde der Civilisation, welche sich nun umdreht, um als Avantgarde sie den Barbaren mit dem Schwerdt in der Faust zuzubringen; Spielhagen 1857 Engl. Charakterzüge (Übers.) 61 [die Engländer] behaupten . . kaltblütig diese Stellung als Avantgarde der Civilisation und Macht, marschiren in Phalanx; Eichhoff 1868 Arbeiter association 72 Überall ist sie [die Assoziation] ein wenig Sündenbock der Reaction und dies beweist, daß man sie überall als die Avantgarde der socialen Reformation betrachtet; 1871 (Gesch. d. dtsch. Arbeiterbewegung I 592) Französische Arbeiter, euch

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ist's wiederum gegeben, als Avantgarde für die Befreiung der Völker voranzugehen; Fontäne 1878 S. W. I 1,522 Diese schwarzen Körner, was sind sie anders, als ein Vortrab aus dem Osten, als eine Avantgarde der großen slawischen Welt; 1899 Fliegende Blätter CX 4 Jede Kunstepoche hat ihre Avant- und Arrieregarde; die ersten beiden bilden die Vorläufer, die letztere die Nachahmer; Höhne 1928 Reportage 56 Man horcht in pseudo-revolutionäre Phraseologie hinein, zieht singend mit, weil eine Avantgarde schoß, und will keineswegs an der nur stimmungsmäßig erlebten Wirklichkeit ernsthaft etwas ändern; Voss. Ztg. 1.1.1931 des französischen Avantgardefilms; Benjamin 1931 Photographic (Kunstwerk 62) Die Photographen, die nicht aus opportunistischen Erwägungen, nicht zufällig, nicht aus Bequemlichkeit von der bildenden Kunst zum Photo gekommen sind, bilden heute die Avantgarde unter den Fachgenossen, weil sie durch ihren Entwicklungsgang gegen .. den kunstgewerblichen Einschlag einigermaßen gesichert sind; Biermann-Ratjen 1945 Kultur 23 kühne Avantgarden der neuen geistigen Erlebnisse; Horkheimer/ Adorno 1947 Dialektik 98 Jene Utopie aber, die zwischen Natur und Selbst die Versöhnung ankündigte, trat mit der revolutionären Avantgarde aus ihrem Versteck in der deutschen Philosophie . . als Idee des Vereins freier Menschen hervor; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 486) Niemand wird sich wundern, daß bei den Unterhaltungen dieser kulturkritischen Avantgarde ein sieben Jahre vor dem Krieg erschienenes Buch . . eine bedeutende Rolle spielte; ND 1.1.1949 [die KPD] zu einer Partei zu machen, welche Führerin der deutschen Arbeiterbewegung, Avantgarde des werktätigen Volkes sein konnte; Anders 1949 Europäische Avantgarde. 12 Aufsätze führender Schriftsteller (Titel); Süddtsch. Ztg. 5.12.1950 Avantgarde-Bühnen; ebd. 3.3.1951 wenn man das Christentum . . betrachtet wissen will . . als Avantgarde einer kämpferischen und kernigen Zeit; 1952 Soziologie 18 zwischen politischen und künstlerischen Avantgarden; Hartmann 1954 Begegnung 224 ein Mann, der in der Avantgarde seiner Kirche reitet; Eppelsheimer 1955 Schild 56 Es kann nun einmal die Literatur so wenig nur Avantgarde und Experiment sein wie eben ein Baum nur freischwebende Krone; Süddtsch. Ztg. 23.10.1957 das Werk, mit dem Maurice Bejart sich vor zwei Jahren in die erste Reihe der französischen Tanz-Avantgarde stellte; ebd. 2.5. 1958 Auf der einen Seite das Machtdeutschland mit seiner nur historisierenden „Kultur", auf der anderen Seite das Deutschland des wachen, lebendigen, schöpferischen Geistes . . Soll die Kluft zwischen „Tradition" und „Avantgarde" künstlich vertieft werden?; Jaspers 1958 Atombombe 384 Dieses Denken bringt hervor, was an der Zeit ist und

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sich in den Händen der Führenden (der Avantgarde), die zugleich die Wissenden sind, befindet; Süddtsch. Ztg. 16.1.1959 Die Weltausstellungen haben seit jeher der Avantgarde der Architekten die Freiheit gegeben, ihre kühnsten Träume zu realisieren; ebd. 4.1.1961 In dem kleinen Schauspielhaus . ., das sich noch immer als Zentrum der dramatischen Avantgarde Englands bezeichnet; Offenburger Tagebl. 5.12.1961 Der französische Avantgarde-Dramatiker Arthur Adamov; Haas 1962 Gestalten 42 Avantgarde-Bürgertum; Enzensberger 1962 Aporien der Avantgarde (Titel); Süddtsch. Ztg. 22.7.1963 Das Wort „Avantgarde" riecht heute leicht nach Snobismus . . Was da als „Vorhut" bezeichnet wird, ist dann auch oft nur der bekannte „letzte Schrei" . . so findet man . . doch in der Ausstellung „Europäische Avantgarde" . . dargestellt, daß sich Neues in der Kunst vorbereitet; Stuttgarter Ztg. 20.6.1963 Die Avantgarde tagt in Amsterdam. Das Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik; Fischer 1966 Kunst 37 Avantgarde einer neuen wagemutigen und besonnenen, revolutionären und demokratischen Bewegung; FAZ 7.10.1967 Eine internationale Messe für Avantgarde-Literatur; Stuttgarter Ztg. 27.3.1969 „Deutsche Avantgarde" ist der Titel einer neuen Ausstellungsreihe der Kestner-Gesellschaft in Hannover; FAZ 27.11.1970 „Avantgarde gestern" heißt eine Ausstellung, die das Kunstmuseum Düsseldorf . . zusammengetragen hat . . Im übrigen wurde breiter Raum auch einem Provinzialismus gegeben, der auch gestern nicht Avantgarde, sondern Nachfolge . . war; ebd. 22.1.1970 Schließlich muß es ja irgendwo einen Platz geben, an dem nicht die künstlerische Avantgarde die Schweigenden von Küste zu Küste einzuschüchtern vermag; Schwendter 1973 Subkultur 10 Herbert Marcuse hatte von den „Randschichten" gesprochen und die . . zur Avantgarde der Veränderung der Gesellschaft gemacht; Bürger 1974 Theorie d. Avantgarde 117 Die Intention der historischen Avantgardebewegungen ist . . Zerstörung der Institution Kunst als einer von der Lebenspraxis abgehobenen; N D 5.2.1974 die einzelnen Abteilungen der weltweiten revolutionären Avantgarde in Gegensatz zueinander zu bringen; Schivelbusch 1980 Paradies 220 daß die künstlerische und literarische Avantgarde derselben Periode ausgiebig Opium genießt; Sloterdijk 1983 Kritik 160 Die Kritik besitzt keinen einheitlichen Träger, sondern zersplittert sich in eine Fülle von Schulen, Fraktionen, Strömungen, Avantgarden; MM 11.1.1985 Metall-Arbeiten, die mit Stil-Bezeichnungen wie Art Deco, Jugendstil oder Avantgarde nur unzureichend einzuordnen sind; Zeit 18.1.1985 Die RAF versteht sich auch hinter Gittern als die Avantgarde der Revolution; ebd. 10.5.1985 Das Verlags-

programm nennt nur Namen, mit denen das große Geld bestimmt nicht zu verdienen war: Avantgarde. Und was heißt „Avantgarde" anderes als „unverkäuflich"?; MM 18.6.1985 mit Jazz-, Rock-, Klassik- und Avantgardeelementen; Zeit 21.6. 1985 Weder Avantgarde-Launen noch Marktmachinationen haben ihn von seinem unbeugsamen Kulturhedonismus abbringen können; ebd. 1.11.1985 Wir sind immer Avantgarde, auch wenn es rückwärts geht; ebd. 6.12.1985 Wir brauchen nicht alle fünf Jahre eine neue Avantgarde; Zeit 30.5.1986 Avantgarde sei nur das, was einen zwingt, sich die kulturellen Traditionen neu anzueignen; MM 9.10.1986 Ob die aktuelle Stilrichtung nun aber unter die Rubrik Avantgarde-Rock oder Experimental-Jazz einzuordnen ist, wissen die professionellen Schubladenhüter selbst nicht so recht; Zeit 7.11.1986 den „historischen" Avantgarden des 20. Jahrhunderts; Ortheil 1987 Schwerenöter 381 Wir sollten jetzt zur Avantgarde gehören, doch du trabst noch nicht einmal in der Nachhut mit; Frankf. Rundsch. 23.1.1988 in Frankreich, wo die linken Avantgarden von 1968 zu den neokonservativen Avantgarden von heute geworden sind; MM 4. 2.1988 die Avantgarde der sechziger Jahre — aus heutiger Sicht fast schon eine zweite klasssiche Moderne; Borst 1988 Barbaren 527 Heute gilt die Alpenregion nur noch selten als Reservat der Hinterwäldler; immer häufiger wird sie Refugium der Avantgarde; Geyer-Ryan 1989 Dialektik 115 Im Scheitern der klassischen Avantgarden, Kunst und Leben miteinander zu versöhnen; 1990 Ästhetische Grundbegriffe 44 Tendenzen einer Ästhetik des Alltäglichen und der „nicht mehr schönen Künste", wie sie die historischen Avantgarden praktizieren, erzwingen einen kulturellen Paradigmenwechsel; Spiegel 30. 7.1990 Ihnen bleibt zumindest eine gebildete Klientel, die mit der schwierigen, radikalen, alles in Frage stellenden West-Avantgarde Probleme hat; ebd. 30.11. 1992 Koons ist Stammgast bei allen aufsehenerregenden Avantgarde-Ausstellungen, zuletzt 1990 bei der Biennale in Venedig; Zeit 17.9.1993 Eine unheimliche Unverwundbarkeit haftet ihnen [den rechten Jugendlichen] an, die nur eine Uniform gewährt: die der Avantgarde. Nur wenn man sich als Avantgarde, als Vollstrecker einer künftigen Wirklichkeit fühlen kann, zählt die Zerstörung des eigenen Lebens nicht; ebd. 29.10.1993 Was mich an der modernen Avantgarde am meisten empört, ist die Absicht, das, was vorher gewesen ist, wegzustreichen; MM 11.8.1994 Ruths .. versammelte die Avantgarde von Maria Lassnig . . bis zu Antonio Saura. Neoavantgarde: Bürger 1974 Theorie d. Avantgarde 71 Da inzwischen der Protest der histori-

Avantgarde sehen Avantgarde gegen die Institution Kunst als Kunst rezipierbar geworden ist, verfällt die Protestgeste der Neoavantgarde der Inauthentizität. Transavantgarde: Zeit 5.4.1985 weshalb vermutlich die zahm gewordenen Neuen Wilden im Käfig blieben und die Transavantgarde erschöpft wirkt; MM 19.6.1987 Renaissance der Avantgarde (im Gegensatz zur „neuwilden" Transavantgarde). Avantgardismus: Piscator 1934 Sehr. 2 erlaubten wir uns gewissermaßen die Scheuklappenmethode, uns mit Kunstrichtungen wie dem Avantgardismus .. oder dem Surrealismus nicht eingehend genug zu befassen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 208) Nie waren Avantgardismus und Erfolgssicherheit vertrauter beisammen; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 205) neben Joyce's exzentrischem Avantgardismus; 1950 Wort u. Wahrheit V 880 Avantgardismus um auch schon jeden Preis stößt an die Grenzen endlich des Künstlerischen selbst vor; Röpke 1950 Mass 161 jener abscheulichen Mentalität des Avantgardismus; 955 Akzente 403 Öffentlich ist die Dichtung des Avantgardismus das notierte Ressentiment gegen die bürgerliche; Stuttgarter Ztg. 12.12.1958 Avantgardismus ist literarisches Marschierertum, ein ideologisch belasteter Begriff für ein Handeln, das es offenbar sehr eilig hat; Pfeiffer 1959 Gedicht 70 Dem Traditionalismus entspricht als Gegenpol ein Avantgardismus, der es wagt, sich dem Chaos auszusetzen; Stuttgarter Ztg. 17.2.1959 daß er in Bälde . . zum Star jener Bübchen [wird], die den „Avantgardismus" wie ein Innungsschild vor sich hertragen, zum Schwätzen geboren, zur Pose bestellt; Kofier 1962 Theorie 23 Die Tragik der unter dem Komplex „Expressionismus" erscheinenden Literatur, die man dann auch als Avantgardismus bezeichnete; Süddtsch. Ztg. 22.7.1963 So ist dieser Avantgardismus weniger Vorläufer eines neuen Stils als vielmehr einer neuen Existenzweise der Kunst; Holthusen 1964 Avantgardismus und die Zukunft der modernen Kunst (Titel); ebd. 7 „Avantgardismus" und „Revolution" scheinen wesentlich aufeinander angewiesen zu sein; FAZ 26. 8.1964 einer gewissen Interessengemeinschaft zwischen Avantgardismus und den Begriffen „Demokratie" und „freie Welt"; Stuttgarter Ztg. 27.6.1966 Der Landesvorsitzende der Europa-Union . . hat . . unterstrichen, in allen Fragen des europäischen Föderalismus dem Avantgardismus treu zu bleiben; Offenburger Tagebl. 13.7.1967 Bis jetzt war dem fast sprühenden Avantgardismus der tapferen jungen Galerieleiterin das Glück hold; Bad. Ztg. 1.2.1968 Aufs ganze gesehen bestätigte die Auswahl, daß auch der Avantgardismus von echten Einfallen angeregt sein will; Bürger 1974 Theorie d. Avantgarde 80 Die

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Wiederaufnahme der avantgardistischen Intentionen mit den Mitteln des Avantgardismus kann in einem veränderten Kontext nicht einmal mehr die begrenzte Wirkung der historischen Avantgarden erreichen; Zeit 25.10.1985 Der Avantgardismus der Gertrude Stein ist damit definiert als eine Art „Hebammenkunst" für andere; ebd. 3.4.1987 Kaum einer seiner Generation . . hat die Aporien des sich radikalisierenden Avantgardismus, die Unschulds- und Unmittelbarkeitsverluste der Künste so ernst genommen. Avantgardist: Tempo 10.4.1930 Wesentlich neues Gebiet ist durch diesen Film nicht erobert. Aber es könnte sein, daß er unsere Avantgardisten zu einem neuen, großen Versuch anregt; Wolf 1933 Eriefw. 261 keiner Eurer Einwände wurde mir bisher von den linken Regisseuren und Avantgardisten in London und Paris gemacht; Brecht 1939 Arbeitsjournal 24 Die literarischen Avantgardisten sind dekadente Bourgeois, fertig; 1946 Weltbühne l 286 Ihr Avantgardisten des französischen Films, wo seid ihr geblieben?; V. Mann 1949 Wir waren fünf 123 Diese meine erste Zigarette hieß „Elephant" und ich genoß sie als unerschrockener Häuptling und Avantgardist des Stammes; Welt 17.11.1949 er erklärte, die Avantgardisten von einst . . seien heute nichts anderes mehr als eine klägliche Nachhut; Röpke 1950 Mass 161 sie werden finden, daß dieser heiße Wunsch eines unserer Avantgardisten inzwischen mehr als genug in Mitteleuropa erfüllt worden sei; Benn 1951 Probleme d. Lyrik (Ges. W. l 498) Dann kamen Heym, Trakl, Werfel — . . Lichtenstein . . Hoddis . . Marinetti . . waren die Avantgardisten, sie waren aber im einzelnen auch schon die Vollender; Th. Mann 1952 Reden u. Aufs. (W. X 396) Ein kühner Künstler und lyrischer Avantgardist, warf er auch sich dem Faschismus in die Arme; Münch. Merkur 13.9. 1956 die Bostoner wurden zu Avantgardisten moderner Musik; 1956 Akzente 45 Was wir besitzen, ist Experimentiertheater, Avantgardistentheater; Stuttgarter Ztg. 12.12. 1958 Der Avantgardist ist der Mann einer heraufkommenden Zeit. Er widerspricht in allem der Gegenwart. . . der erfolgreiche Avantgardist ist am erfolgreichsten jenseits des Grabes, erst die Generationen nach ihm werden sein würdiges, weil ihn würdigendes Publikum sein; ebd. 20.10.1961 vom Vorposten nationaler Militärpolitik . . zu Avantgardisten der neuen europäischen Politik; Offenburger Tagebl. 17.10. 1961 Sollten den Fernseh-Avantgardisten schon die diskussionswerten Stoffe ausgegangen sein?; Heuss 1963 Erinn. 351 der verwegene „Avantgardist" seiner frühen Jahre wurde ein heftiger Verteidiger bestimmter Traditionswerte gegenüber den Propagandisten und Experimentatoren der sogenannten

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abstrakten Malerei; Süddtsch. Ztg. 22.7.1963 Schwanengesang einer Gruppe von Künstlern, die seit Jahren als Avantgardisten firmieren; ebd. 26.8.1964 Die Avantgardisten .. seien stets auf der Suche nach dem neuen Extravaganten und deshalb für alle Ladengeschäfte interessant, die modische Spitzenmodelle führten; Bürger 1974 Theorie a. Avantgarde 67 Als dominierendes Merkmal der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft sehen die Avantgardisten deren Abgehobenheit von der Lebenspraxis an; Zeit 25.10.1985 Gertrude Stein ist die einzige Autorin der Klassischen Moderne, der das Etikett einer Avantgardistin zugeordnet wird; MM 28.11. 1985 er experimentierte als Avantgardist mit Paradoxen und Assoziationen, mit Wortspielen und Metaphern, ehe er dann zu einem beinahe klassischen Formenkanon zurückkehrte; ebd. 19.3. 1986 Ob Malerei, Musik oder Literatur, immer hatten es die Avantgardisten der Muse schwer, sich gegen die jeweils „herrschende Meinung" mit Neuem und Ungewohntem durchzusetzen; MM 25.4. 1987 die Avantgardisten von damals sind die Klassiker von heute; Lukoschik 1991 In u. Out 182 der Trend-Traveller zieht eindeutig die Massen-abhaltenden Strapazen vor . . Und das verbindet ihn mit den Traditionen der ganz alten Avantgardisten. avantgardistisch: Brach 1932 Br. (Ges. W. X 343) Umsomehr als die moderne amerikanische Literatur sich sogar recht avant-gardistisch gibt; Münch. N.N. 18.12.1940 Es war vom Thematischen her ein avantgardistischer Film, das stand fest; Neue Ztg. 17.5.1946 Der bekannte avantgardistische Filmregisseur Werner Hochbaum ist in Berlin verstorben; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 530) nur daß ich ihn [den Namen Fitelberg] zu dem Namen eines angesehenen Vorkämpfers avantgardistischer Kultur und . . eines Freundes großer Künstler gemacht habe; Langgässer 1948 Vergänglichkeit 192 einem kleinen Gedichtzyklus, . . für den ich den Rahmen einer ausgesprochen avantgardistischen Literaturzeitschrift brauche; Süddtsch. Ztg. 30.11. 1949 Eine der ausgefallensten, avantgardistischen Bücherreihen Vorhitler-Deutschlands; ebd. 31.7. 1950 Avantgardistisch? Ausgefeiltes Zusammenspiel, sichere Leichtigkeit, echtes Komödiantentum. Schön wärs, wenn eine ganze Menge unserer Ensembles auch so „avantgardistisch" wäre!; ebd. 25.5.1951 Zwei Tendenzen lassen sich deutlich unterscheiden: eine romantisch-schmückende, bürgerlich-traditionalistische und eine abstrakt-funktionalistische, avantgardistisch-revolutionäre; ebd. 4.7. 1952 Wer heute in Paris nach avantgardistischem Theater, nach dramatischen Experimenten, nach literarischem Nachwuchs sucht; ebd. 14.4. 1954 Die für die ersten Helgoländer errichteten

Versuchshäuser sind so avantgardistisch, daß sie der Kritik breite Angriffsfläche bieten; ebd. 19.7. 1955 Dieses Spiel, das in so anspruchsvollem Gewände vor uns hintrat, als sei es ein avantgardistisches Experiment; ebd. 18.5.1956 auf dieser erzwungenen Begrenzung beruht der außergewöhnliche Reiz dieser avantgardistischen, unternehmungslustigen Bühne; Stuttgarter Ztg. 12.12.1958 daß nicht wenige die Frage bewegt, im wievielten Gliede sie hinter Kafka, Benn oder Brecht avantgardistisch marschieren; Zuckmayer 1961 Uhr 22 avantgardistischen Film-Clubs; Süddtsch. Ztg. 25.1. 1962 dem kleinsten Theater von Paris mit. . einem wohlverdienten Ruf avantgardistischen Wagemuts; Stuttgarter Ztg. 21.3.1962 Avantgaristische Exzesse im Theater der Altstadt; Süddtsch. Ztg. 2.9.1963 in Berlin stehe der „avantgardistische" Flügel der SPD dem „stationären" der CDU gegenüber; Holthusen 1964 Avantgardismus 6 Der Künstler . . als Funktionär des gesellschaftlichen Fortschritts, die Kunst als Vorausabteilung der Menschheit auf ihrem Marsch in eine schönere Zukunft: das ist die These, die am Anfang der Geschichte der avantgardistischen Bewegungen steht; FAZ 26.8.1964 Es gilt als moralisch lobenswert, avantgardistisch zu sein. Den in hinteren Reihen mühsam Marschierenden bleibt solche Anerkennung versagt; Offenburger Tagebl. 12.1.1968 Die avantgardistischen Freiburger Müllwerker haben sich einen neuen „Schlager" einfallen lassen; Stuttgarter Ztg. 9. 7.1969 Die CDU zeigte sich in Essen geradezu avantgardistisch; Welt 4.11.1969 Avantgardistische und experimentelle Kunst soll auf der Kunstmesse nicht angeboten werden; Troller 1970 Einheit o. S. die avantgardistischsten Pariser, die hintergründigsten Wiener, die unternehmungslustigsten Londoner; Amery 1971 Widersprüche 8 Wer die Heirat der Millionärstochter in einer Illustrierten verfolgt, wird nur wenig Interesse für die Publikation eines neuen, avantgardistischen Romans aufbringen; Zeit 29.3.1985 eines Einzelgängers, der weder avantgardistisch experimentierte, noch tradierte Muster feinsinnig fortwebte; ebd. 24.5.1985 sein Film wirkte wie ein boshaftes, trotziges, altmodisch-avantgardistisches Monument der Non-Kommunikation; ebd. 6.12.1985 In keinem anderen Werk hat sich Mandelstam .. so sehr avantgardistische Techniken zu eigen gemacht; ebd. 10.1.1986 Spielberg und Kasdan sind .. avantgardistische Designer, die klassische Erzählstoffe und alte Kinomythen als Material für eine verblüffende Neuerfindung des Kinos benutzen; ebd. 28.3.1986 Von Mies erwartete man in dieser frühesten Epoche seines Schaffens nicht avantgardistische Manifeste, sondern gediegene Orte menschlichen Wohnens; MM 10.6.1986 Weitaus avantgardistischer waren die Mittel, deren sich das

Avenue . . „Theater Mikado" . . bediente; Zeit 19.12.1986 weil die Verbindung von barockem und avantgardistischem Interieur so nobel gelungen ist, vermittel dieses Haus das seltene Gefühl stolzer Zeitgenossenschaft; MM 10.2.1987 eine moderne und aufgeklärte Spielart des Rock, der sich avantgardistisch und experimentell gibt und gern den Platz zwischen allen Stilen sucht; 1990 Ästhetische Grundbegriffe 119 Verschiedene literarische Bewegungen des 20. Jahrhunderts, vor allem avantgardistische, haben eigene von dem der Wissenschaft abweichende Literaturbegriffe entwickelt; Spiegel 7.12.1992 Avantgardistische Modeschöpfer . . propagieren . . den Vierknöpfer; Zeit 25.2.1994 bonbongrell eingefärbte Schachspiele mit abenteuerlichen Figuren, laszive Tänzerinnen, die als

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Lampenhalter dienen, avantgardistisch geschwungene Obstschalen, Souvenirs. neoavantgardistisch: Bürger 1974 Theoried. Avantgarde 80 Neoavantgardistische Kunst ist autonome Kunst im vollen Sinne des Wortes. postavantgardistisch: Bürger 1974 Theorie a. Avantgarde 78 ebensowenig darf sie [eine gegenwärtige Ästhetik] an der Tatsache vorbeigehen, daß die Kunst längst in eine postavantgardistische Phase eingetreten ist. transavantgardistisch: MM 5. 6.1987 Das Komitee scheint rasch erkannt zu haben, daß die „erstarkte, expressive, transavantgardistische Malerei" der vorigen „documenta" kein Neuland mehr bot.

Avenue F. (-; -n), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. avenue, älter auch advenue (zu avenu, subst. Part. Perf. von (alt-)frz. avenir 'ankommen' < gleichbed. lat. advenire, aus ad- 'an, hin(zu), herbei' und venire 'kommen'), im 17.718. Jh. selten auch in der Schreibung Advenue. Zunächst bes. im militärischen Bereich für 'Zugang, Zufahrt(sstraße), An-, Auffahrt zu einer Befestigung(sanlage)' (s. Belege 1616, 1648, 1684), seit Anfang 18. Jh. auch 'mit Bäumen gesäumter, oft durch einen Garten oder Park führender Weg, Baumgang zu einem Gebäude, z. B. zu einem Land-, Gartenhaus, einer Villa, einem Schloß o. ä.; von Bäumen umgebener Vorplatz vor einem Gebäude' (s. Belege 1709, 1787, 1803-04, 1880, 1914); seit früherem 19. Jh. (s. Beleg 1838), eventuell unter Einfluß von gleichbed. engl.(-amerikan.) avenue (s. Belege 1845, 1864), zunehmend in der heutigen Bed. '(beidseitig mit Bäumen bepflanzte) große, breite Prachtstraße in einer Stadt' H Allee, -» Boulevard; s. Belege 1909, 1914, 1954, 1985, 1991), bes. in Reiseschilderungen, Romanen und Zeitungsberichten häufig in (meist frz. und engl.-amerikan.) Straßennamen, z. B. Avenue de l' Opera, Avenue Montaigne, Pennsylvania Avenue, Fifth Avenue (s. Belege um 1867, 1926, 1961, 1985). Wallhausen 1616 Manuale (Gl.) Avenues Die Ort da der Feindt ankompt; ders. 1617 Militia 68 advenues vnd Gassen; Chemnitz 1648 Krieg I 59 Warumb Er aber die advenueen an der See . . abandonniret (alle Jones); Nehring 1684 Manuale o. S. Avenüe, der Orth da der Feind ankoemt/ die Gegend/ der Weg/ Paß; Wächtler 1709 Manual 45 Avenue . . Zugang/ Paß/ z. E. alle Avenüen zu einem Orte besetzen/ und den Paß verrennen lassen; Elis. Charl. 1709 Br. U 137 Ich weiß woll, waß advenüen [!] sein. In Franckreich ist kein eintzig landthauß, so nicht avenuen hatt; Sperander 1727 A la mod Sprach 58 Avenues, Zugänge, Wege, Pässe zu einem Ort; Goethe 1787 Tagebücher (WA 111 1,335) [Stichworte zu einer Grundrißskizze der Villa Palagonia in Sizilien] Avenue. Balustrade. Piedestale Vasen Gruppen; Schopenhauer 1803—04

Reisetagebücher 117 [Schlösser in Südfrankreich] mit schönen breiten Avenuen; Eurckhardt 1838 Bilder (l 3) in der prächtigen Avenue zwischen vierfachen schattigen Alleen [in Mailand]; Carus 1845 England u. Schottland I 174 Die parkartige Umgebung und die Avenue sind großartig; Müller 1864 Reisen l 95 [in Washington] die grossen Strassen, „Avenues" genannt; um 1867 Magazin d. Ausld. XXXV 595b In Newyork auf der 5ten Avenue, einer Straße, von der der Shoddy den Glauben hat, daß sie direkt in den Himmel führt (SANDERS 1871); Jung 1875 Panacee l 20 Boulevards, Perspectiven, Alexander-Newskij-Prospecte, Avenuen; Winterfeld um 1880 Gr. 3 der Vollmond warf sein bleiches Licht auf das mächtige, graue Schloß und dessen ganze Umgebung, während die breite Avenue der Linden sich in die Schatten des Halbdun-

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Aversion

kels verlor; Lindau 1904 Gesch. 31 [Paris] die Avenue des Champs-Elysees; Th. Mann 1909 Hoheit (W. H 134) dann verließ sein Wagen die volkstümliche Gegend und gelangte in die Gartenstraße, eine stattliche, mit Bäumen bepflanzte Avenue, an welcher die Häuser und Villen begüterter Bürger lagen; ebd. U 187 Samuel hatte den Palast in der fünften Avenue von Newyork; Gothein 1914 Gartenkunst 197 Kein Wunder, daß eine Neuerung des französischen Gartenstils in England besonderen Anklang fand: die Anlage von Avenuen; Croissant-Rust 1914 Winkelquartett 5 das schmale . . Haus wird wohl nicht mehr in der Girgngass stehen, die jetzt als Georgenstraße die „Avenue" der Stadt geworden ist und vom Marktplatz an mit stattlichen Zierkästen prangt; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 53) wir durften rasch weiterfahren und stiegen aus vor der schloßartigen Parkvilla der Reinachs, Avenue Victor Hugo; 1930 Handb. d. Frankreichkunde H 434 Anm. Avenue; Tb. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1486) so jubelten Wesets Leute sehr auf den Dächern und hüpften auf einem Bein am Rande der Avenuen; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 204) auf einem Spaziergang zu zweien unter den ägyptischen Palmensäulen der Ocean Avenue; Benn 1950 Reisen (Ges. W. Ill 327) Bahnhofsstraße und Ruen,/ Boulevards, Lidos, . ./ selbst auf den Fifth Avenuen/ fällt sie die Leere an; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 421) von den Bewohnern der Straße „zur Himmelsleiter" hatte vielleicht so mancher in Jahr und Tag das Geglitzer der Avenue de l'Opera, den Welttumult des Boulevard . . nicht gesehen; ebd. VII 606 welche Avenuen, welche Parks, welche Promenaden und Aussichten!; Welt 3.4.1954 dieser Mensch aber zeigt sein Innenleben als Spiegelbild der Uferavenue von Cannes; Koeppen 1961 Frankreich 60 er blickte . . in die schöne, von Platanen beschattete Avenue de la Victoire mit ihren Läden, Kaufhäusern und Cafeterrassen; Grass 1962 Blechtrommel 492 blickte mich . . ängstlich suchend um und sah . . in der Menschenmenge auf der Avenue . . das schrecklich ruhige Gesicht der Schwarzen Köchin; 1967 Urania I 38 ein phantasievoller Zeichner entwarf damals das Bild einer „rol-

lenden Avenue" als gewaltigem Plattenband über der eigentlichen Hauptstraße; Welt 5.2.1969 vielleicht haben Sie nach der Show Lust, zur Fifth Avenue zu bummeln; Kepper 1970 Staatsmänner o. S. vor dem Büro, das die französische Regierung de Gaulle nach dessen Abtritt in der Avenue Breteuil hinter dem Pariser Invalidendom eingerichtet hatte; MM 22.1.1985 mußte .. die traditionelle Parade vom Kapitol zum Weißen Haus über die Pennsylvania Avenue wegen arktischer Kälte abgesagt werden; Zeit 1.2.1985 man zählt nicht weniger als 2700 Straßen und Avenuen, und selbst die Taxifahrer haben Orientierungsschwierigkeiten; ebd. 8.2,1985 ein paar Straßen weiter im Norden, beginnt die Fifth Avenue wieder jene kommerzielle Respektierlichkeit anzunehmen, die sie als Manhattans Einkaufsstraße in aller Welt berühmt gemacht hat; ebd. 15.2.1985 den beiden höchsten Beamten der Krone ist die Mount Road vorbehalten, Gibraltars hochgelegene „Snob Avenue"; ebd. 16.8.1985 Gerda Höhm, die an der Park Avenue ihre eigene Marketing Firma leitet; ebd. 20. 9.1985 es gibt nichts Entsetzlicheres, als wenn ich über die Amsterdam Avenue gehe und 20 Leuten begegne, die genauso aussehen wie ich; MM 5.3.1986 New Yorks berühmte Einkaufsstraße „Fifth Avenue" gibt das Stichwort für die neue Citymode; Zeit 13.6.1986 die Umbenennung der Duvalierstraße in Avenue Johannes Paul II. [in Haiti]; ebd. 18.7.1986 der Platz selber wird sich bald wieder mit den großzügigen Verwandten messen können, die dem prachtvollen Nord-Süd-Zug der Avenuen das Gepräge geben: den Fußgängern freundlicher als den Autofahrern gesonnen; ebd. 1.7.1987 Im Time-Life-Hochhaus an Manhattans Sechster Avenue ist die Seance in vollem Gange; MM 13.2. 1988 still ist es in diesem feinen Häuschen an der Avenue des Figuiers in Lausanne; Zeitmagazin 3.10. 1991 Aber wollen all die Aufsichtsratsvorsitzenden, die Minister . . unbedingt in einem Penthouse an der Friedrichstraße residieren? Vielleicht bringen manche wenigstens ihre Mätressen dort unter. Oder es kommen ein paar Ölscheichs aus Genf oder London in diese Park Avenue, der leider der Park fehlt.

Aversion F. (-; -en), im früheren 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. aversion (< (spät-)lat. aversio, Gen. aversionis, 'das Abwenden, Abkehr; Abscheu', zu aversum, Part. Perf von wertere 'abwenden', aus ab 'von . . her, von . . weg' und vertere 'kehren, wenden, drehen'; —»· Vers). Bildungsspr. in der Bed. 'Widerwille, Abneigung', früher in vom Frz. beeinflußten Wendungen wie (etwas in) Aversion nehmen 'Widerwillen gegen etwas fassen' (s. Belege 1717, 1798), und mit den Präp. vor (s. Belege 1732, 1790, 1827), von (s. Belege 1670, 1718) und für (s. Beleg 1801), seit Mitte des 19. Jhs. meist mit gegen

Axiom

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in dem Syntagma eine Aversion gegen jmdn./etwas haben (—* Antipathie; s. Belege 1723, 1860, 1904, 1992), seit Ende des 19. Jhs. und heute häufiger im Pl. (s. Belege 1887, 1986, 1988). 1640 (1921 Sehr. d. Ver. f. Gesch. IL 104) Dises ist . . nimahls observirt worden, welches seinem Unverstände oder aversion zuzumessen gewesen; Friedrich Wilhelm 1660 (Erdmannsdörffer u.a. 1864-1926 Urkunden u. Actenstücke IX 29) Ich finde aber gleichwol auch bei unterschiedenen nicht geringe Aversion zu dergleichen Handlung (BRUNT); Leibniz 1670 Dtsch. Sehr, l 197 und bestehet zuförderst in höchster Dissimulirung aller Partialität, aller Aversion von französischem Interesse und Inclination zu Oesterreich; Elis. Charl. 1717 Br. Ill 126 Der junge könig . . nimbt ohne ursach aversion gegen die leütte undt sagt schon gern waß piquantes; Rohr 1718 Staatsklugheit 143 wenn man diejenigen Printzen, so eine Aversion davon haben, mit Vehemenz darzu antreiben will, ist nicht zu approbiren. Es wird ihnen hierdurch nur ein Eckel hernach zu den übrigen Wissenschaften gemacht; Fassmann 1723 Gespraeche Ll 229 eine gewisse Aversion und Abscheu, gegen die Beywohnung meiner Gemahlin (BRUNT); Schnabel 1732 Wunderliche Fata H 371 Wenn ich nicht in meiner Jugend eine besondere Aversion vor dergleichen Leuten bekommen hätte; Goethe 1790 Lila (WA l 12,43) Es ist ein Arzt und darum schon hab ich eine Aversion vor ihm; ders. 1798 Br. (WA IV 13,196) Es können ohngefähr 16 Jahre seyn daß ich diese beyden Acre schrieb, nahm sie aber bald in Aversion . . die Ursache, warum das Product mir zuwider war, läßt sich nun auch denken; ders. 1801 Br. (WA IV 15,281) daß er einige Aversion für der Philosophie habe; ders. 1808 Br. (WA IV 20,45) Daß die Redacteure Ihres Morgenblattes . . gegen das Sonett eine so komische Aversion beweisen, ist mir unbegreiflich . . jene wunderliche ausschließende Aversion; Tietz 1827 Spleen (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele VIII 72) ich bin ein feiger Lumpenhund, habe eine Aversion vor dem Sterben; Devnent 1843 W. Ill 240 Wenn das schöne gnädige Fräulein nicht gerade eine Aversion für mich fühlt; 1860 Briefw. Burckhardt-Heyse 92 Gegen die gelehrtesten Gelehrten und literirendsten Schriftstel-

ler, wenn sie nichts als das sind, hat man eine wohlgegründete Aversion in Zürich; Rodenberg 1863 Strassensängerin II 230 Es giebt viele Verhältnisse . . deren Zweck die Liebe und deren Aversion die Ehe ist; Meissner 1866 Schwarzgelb 78 Die Gleichgültigkeit steigerte sich zur Aversion; 1871 ZD Alpenver. II 6 Gegen elegante Wirtshäuser haben sie entschiedene Aversion; Walloth 1887 Praxis 164 Mit krankhaften Aversionen .. müsse man Geduld haben; Th. Mann 1904 Nachtr. (W. XIII 395) die . . spöttische Aversion gegen alle zigeunerhafte Oberflächlichkeit und Äußerlichkeit; 1929 Fazit 38 [Er hatte] gegen die Trauer der Welt . . eine Aversion . . wie viele Menschen gegen das Läuten der Kirchenglocken; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 489) Zum ersten hat er überhaupt eine ironische Aversion gegen schöngeistige Frauenzimmer; Baden 1948 Sinn 19 Mit dem, was ich die Aversion des Historikers gegen den Tode nenne; Süddtsch. Ztg. 9.11.1950 Nach einigen Erfolgen jenseits der Grenzen ist die Aversion gegen die deutsche Produktion im Auslande stark geschwunden; Borst 1957 Turmbau 23 Wie dort ist auch hier, trotz der Aversion gegen die Mongolen, die Einheit der zentralasiatischen Völker hervorgehoben; Fränkel 1964 Deutschland 36 virulente Aversion gegen den Regierungsstil; Bernhard 1967 Verstörung 101 Es ist eine sehr kurze Unterredung, eine Begegnung, ein Insultieren in Aversionen mit ihm gewesen; Offenburger Tagebl. 17.3.1971 Unter diesem Aspekt sind auch die französischen Aversionen gegen die Einräumung von Präferenzen an die traditionellen Lieferländer Großbritanniens . . zu sehen; Zeit 29.3.1985 Aber Percy hat auch ihr gegenüber nicht die mindeste Aversion gespürt; MM 9.6. 1986 nach einer Zeit mancherlei Aversionen gegen Einüben und Anwenden der . . deutschen Rechtschreibregeln; ebd. 27.6.1988 die Eskalierung der Probleme mit . . Aversionen gegen den Partner; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 80 letztlich also eine unbestimmte, gefühlsmäßige Aversion gegen das erfolgreiche Neuwort.

Axiom N. (-s; -e), im späteren 16. Jh. über gleichbed. lat. axioma entlehnt aus gleichbed. griech. , eigentlich 'Würde, Geltung, Ansehen' (zu 'für würdig, wert, angemessen erachten', zu 'würdig, wert, angemessen', das im Sinne von '(ge)wichtig' wohl zu in seiner Bed. 'wiegen, wägen' gehört, also eigentlich 'etwas, das für wichtig erachtet, von allen anerkannt wird; allgemein gewürdigter Grundsatz'; —»· agieren), bis Ende 18. Jh. meist in der lat. (flekt.) Form.

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Axiom

In der Bed. 'allgemeine Grundwahrheit, -einsieht', insbes. als Fachwort der Philosophie für 'Grundsatz, grundlegender Lehrsatz, der als absolut unwiederleglich (an)erkannt ist; feststehende, gültige Wahrheit, die keines Beweises bedarf bzw. nicht bewiesen werden kann', in Syntagmen wie ein Axiom aufstellen, etwas zum Axiom erheben und in Verbindung mit verwandten Fachausdrücken wie —» Definition, —» Hypothese, —»· Maxime, —» Postulat, —» Prämisse, —»· Prinzip, —»· Theorem (s. Belege 1604, 1672, 1709, 1764, 1778, 1840, 1911, 1985), vgl. auch Zss. wie Grund-, Hauptaxiom; Axiomensystem; im 17.718. Jh. speziell im Bereich der empirischen Wissenschaften für 'aus Erfahrung, Beobachtung und Experiment gewonnener Grundsatz, Erfahrungssatz, -tatsache; Hypothese' (s. Belege 1682, um 1810, 1945), im 20. Jh. bes. in der Mathematik und Logik (unter Bezug auf Euklid, s. Beleg 1951) neu bestimmt in der Bed. 'nicht abgeleitete Aussage eines Wissenschaftsbereichs, aus der andere Aussagen deduziert werden' (s. Belege 1970, 1971), z. B. ein mathematisches Axiom, die Axiome der Logik. Schon seit dem 17. Jh. häufig auch allgemeiner verwendet, z. B. im Sinne von 'eine allgemeingültige Einsicht, Regel enthaltender Ausspruch, Sentenz; auf Objektivität, Wahrheit beruhende Behauptung, Festellung', auch 'unumstößlicher Grundsatz, leitendes Prinzip' (s. Belege 1896, 1954), vor allem in Wendungen wie ein moralisches, künstlerisches, politisches, unumstößliches, unantastbares Axiom, Axiome der Staatskunst, Lebensweisheit, etwas wird (für jmdn.) zum Axiom (s. Belege 1604, 1695, 1785, 1794, 1822, 1828, 1835, 1872, 1924, 1985). Dazu seit spätem 18. Jh. die auf gleichbed. griech. zurückgehende adj. Ableitung axiomatisch 'auf Axiomen beruhend', auch 'keines Beweises bedürfend, unanzweifelbar, gewiß; unmittelbar einleuchtend' und allgemeiner für 'grundsätzlich, prinzipiell, unumstößlich' (s. Beleg 1934); seit frühem 20. Jh. die subst. Ableitung Axiomatik F. (-; ohne Pl.) 'Lehre vom Definieren und Beweisen mit Hilfe/auf Grund von Axiomen; axiomatisches Verfahren', z. B. mathematische, geometrische Axiomatik, selten auch übertragen verwendet (s. Belege 1950, 1974); in neuester Zeit die gebuchte verbale Ableitung axiomatisieren V. trans, 'zum Axiom erklären, gültige Aussagen einer Theorie zu einem (Axiomen-)System zusammenstellen, aus dem alle übrigen Aussagen der Theorie abzuleiten sind', z. B. eine Annahme axiomatisieren, auch 'etwas axiomatisch festlegen, bestimmen', mit dem vereinzelt belegten Verbalsubst. Axiomatisierung F. (-; -en). Axiom: Rot 1571 Diet. 308 Enunciation, Verkündung. Jtem ein hauptspruch den die Griechen Axioma nennen. Von jederman angenommen; 3574 (ZfBaiern III 119) für ein axioma halten, das er mehrers mit thuen, oder derselben mit höhern trewen nit zugethan sein khund; Wasserleiter 1590 Logica lllb Ein Axioma ist ein volkomener [!], deutlicher vnd begreifflicher Spruch oder Sententz, die verstanden kan werden, dorin nichts mangelt, er sey denn bejahet oder verneinet; Erard de Bar le Due 1604 Fortif. (Übers.) l an den allgemeinen vnnd jedermann bekannten Axiomatibus vnd Reguln [des Festungsbaus] anfangen; 1619 Acta publica (schles.) i/ 354 ein vnwiedertreibliches axioma ist, das kein König ohne Vorwissen der Lande . . nichts alienando Fürnehmen könne; Cel-

larius 1645 Arch. mil. 35 Gewisse Regeln vnd Axiomata gezogen; Abele v. Lilienberg 1654 Seltsame Gerichtshändel 16 Es seye das allgemeine Juris axioma, gar zu war: Welcher Ursacher eines Schadens ist/ daß es so viel seye/ als wann derselbe Selbsten den Schaden gethan hätte; Böckler 1672 Man. arch. mil. I 29 nachfolgende Axiomata oder Schlussregeln; ders. 1674 Man. arch. mil. II 22 Etliche Axiomata und Regeln bey der Fortification; Becher 1682 Glücks-Hafen o. S. Nun die Wissenschafften recht auf? dem Fundament zu lernen/ ist nöthig auf ihre Principia und hierauß erfolgende Axiomata zusehen/ welche auß den Observationen und Experimenten kommen; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 118 Gleichwie nun aus dem Titul des Autoris Intention . . zusehen ist; also setzet er

Axiom bald Anfangs zum Grunde derselben folgende Axioma: . .; 1694 Eudides 14 allgemeine Lehroder Grund-Spruch, Axioma; Stieler 1695 Auditeur 307 Man müsse bisweilen Krieg anfangen, damit das Reich von Mördern, Dieben . . gereiniget . . [werde], welches axioma auch Franckreich in seinen Stats-Secreten haben soll; Reyher 1699 Euklidübers. Vorr. o. S. Grundsätze (axiomata) der Geometrie; Naude 1706 Messkunst Vorr. 4b Axiomata oder Grundsätze Die in der ganzen Mathesi zum Voraus genommen werden, und welche solche Aussprüche seynd, an welcher Wahrheit, niemand zweiffein kan; Buddeus 1709 (Musig 1726 Licht d. Weisheit l 2b) Die principia oder axiomata, deren sich die Gelehrsamkeit bedienet; Stranitzky 1711 Ollapatrida 210 Galenus: Ihr thut sehr wohl/ wenn ihr euer Vertrauen zu mir habet/ denn die Artzneyen schlagen allezeit besser an/ wenn man das Vertrauen zum Medico hat. Und dahero bleibet mein Axioma allezeit wahr: Ille plures sanat, de quo plures confidunt; Wolff 1716 Math. Lex. 223 Axioma, ein Grundsatz, wird insgemein genennet ein so klarer Satz, den man ohne Beweiß zugeben kan; Sperander 1727 A la mod Sprach 61 Axioma, Ausspruch, Grundsatz, Satz, der zum Grund einer Wissenschafft als unläugbar vest gestellt oder davor angenommen wird, dieweil er so deutlich ist, daß er von niemand kan in Zweiffei gezogen werden. Eigentlich heist Axioma ein Denk-Spruch, Lehr-Spruch . . Eine Regel, geschwinde Maxim oder Practique; Stigler 1757 Mathemat. Wiss. Vorr. 2a Grund-Sätze (Axiomata) sind, darinnen ein allgemeiner Vortrag enthalten, den jederman [!] wegen seiner Klarheit als wahr zuläst, ohne dass man vonnöthen hat, solchen zu beweisen, das ist, mit unbetrüglichen Schlüssen seine Wahrheit zu erörtern; Hamann 1762 S. W. II 133 Leibnitz machte bekanntermaßen ein Axioma daraus; Lambert 1764 Philos. Sehr. I 500 in sofern wir die Arithmetik als eine bloß ideale Wissenschaft ansehen. Sofern wir aber den Begriff der Einheit und Zahlen auf Dinge anwenden, äußern sich dabey Unterschiede, die wir an jedem Orte als speciale Axiomata und Postulata anführen müssen; Goeze 1778 Streitschr. 165 Ich hatte mich in dem 2ten Stücke von Leßings Schwächen S. 67 erklärt, daß ich die weitere Beantwortung der Axiomaten bis dahin aussetzen müste, bis er uns erst die bestimmteste Erklärung gegeben: was für eine Religion er durch die christliche Religion verstünde?; Lessing 1778 Axiomata (S. Sehr. XIII 107) da ich in den einzelnen Sätzen derselben [Textstelle], die ich wie lauter Axiome dahin gepflanzt haben soll, eine etwas andere Ordnung geben will; ebd. XIII 190 Warum widerlegt er meine Axiomata nicht, wenn er kann?; Schertet v. Burtenbach 1778 Beytr. 52 Die Wissenschaften werden durch Eintheilung in Axiomata,

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Theoremata, Consectaria etc. begreiflich und leicht gemacht; der Krieg stützet sich ebenfalls auf Grundsätze, Lehrsätze und Folgerungsregeln, welche vorschreiben, was in diesem oder jenem Fall zu thun oder zu lassen sey, bleibt aber demohnerachtet gleichwie die Metaphysik und Medicin darum eine Conjecturalwissenschaft, weil die Umstände der Zeit, des Orts, der Personen und andere Zufälligkeiten gar mannigfaltige Abänderungen verursachen; 3785 Holland. Staats-Anzeigen III 95 Axiomen und [politische, allgemein menschliche] Grundwahrheiten; Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. I 3,480) Von den Axiomen. Diese sind synthetische Grundsätze a priori, so fern sie unmittelbar gewiß sind . . Da nun Philosophie bloß die Vernunfterkenntniß nach Begriffen ist, so wird in ihr kein Grundsatz anzutreffen sein, der den Namen eines Axioms verdiente. Die Mathematik dagegen ist der Axiomen fähig, weil sie vermittelst der Construction der Begriffe in der Anschauung des Gegenstandes die Prädicate desselben a priori und unmittelbar verknüpfen kann, z. B. daß drei Punkte jederzeit in einer Ebene liegen; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 106) Ich kann unmöglich den ganzen Abschnitt, so verflochten mit willkürlich angenommenen Heischesätzen und falschen Axiomen über die Natur der Sprache er ist, hier ganz auseinander setzen; Westenrieder 1794 Beitr. V 329 Diese nämliche Grundsäze werden bey Berathschlagungen über den Handel noch sehr häufig als Grundsäze oder Axiomata, wozu jeder Beweis ganz überflüssig seyn soll, vorausgelegt, und sodann die Schlüsse daraus abgezogen, welche zum System, das man eben ausführen will, passen sollen; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,362) Die Poesie ist doch . . auf die Darstellung des empirisch pathologischen Zustandes des Menschen gegründet . . Hat ein Mann wie Garve . . denn nur die geringste Ahnung eines solchen Axioms?; ders. 1798 Br. (WA IV 13,137) Fichte hat mir den zweyten Theil seines Naturrechts geschickt . . Ich mag mich stellen wie ich will, so sehe ich in den vielen berühmten Axiomen nur die Aussprüche einer Individualität; Beck 1799 Propädeutik 323 Die Axiome der Geometrie sind assertorische Sätze, eben so wie jedes Erfahrungsurtheil assertorisch ist; Goethe um 1810 Farbenlehre (WA 4,18 f.) [Fr. Bacon über Forschungsorganisation in seiner Utopie „Nova Atlantis", um 1624] haben wir drei [Gesellen], die jene Erfindungen und Offenbarungen der Natur durch Versuche zu höheren Beobachtungen, Axiomata und Aphorismen erheben und befördern; Görres 1810 Fall (I 156) Die Reformation hat zuerst begonnen, an die Stelle der Postulate [der alten Kirche] das Axiom zu setzen, und als Folge . . die biblische Offenbarung . . angenommen; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,247) Ihr erster . . [Paragraph]

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Axiom

enthält ein Axiom welches mich anlächelte indem die Verkleinerung des schwarzen Bildes gegen das weiße daraus abzuleiten schien .. Jene Maxime will jedoch bey den physischen Versuchen nicht ganz zutreffen; Hufeland 1822 Kl. med. Sehr. II 6 ein Axiom in der Medicin [Reiz und Reizempfänglichkeit]; Huber 1828 Spanien l 188 [ein] politisches Axiom; Heine 1835 Romant. Schule 184 daß die Schauspieler in einem schlechten Stücke immer besser spielen können als in einem guten Stücke. Fußend auf solchem Axiom griffen die Komödianten scharenweis zur Feder, schrieben Trauerspiele und Lustspiele , ., und es wurde uns manchmal schwer zu entscheiden: dichtete der eitle Komödiant ein Stück absichtlich schlecht, um gut darin zu spielen?; Schopenhauer 1840 Moral 136 stelle ich einige Prämissen voran, welche die Voraussetzungen der Beweisführung sind und gar wohl als Axiomata gelten können; Reichensperger 1872 Phrasen 121 daß auch die christliche Moral die Politik . . nichts angeht, sondern dem diskretionären Ermessen eines jeden Individuums anheimgestellt ist, wie sich dies ja schon aus dem Axiome der unbedingt freien Forschung mit Nothwendigkeit ergibt; 1880 Monatsschr. (Nathusius) 111 381 Bei den Jüngern Schopenhauers, die der gleichen Bewegung zufallen, werden einerseits leicht ähnliche Motive mitwirken, andererseits wird für sie ein Lieblingsaxiom ihres Meisters von mitbestimmendem Einflüsse sein; 1896 Kirchenpolit. Er. Nr. 150,6 daß das Beharren in der Allianz mit Oesterreich und vor allem mit Italien uns als ein unantastbares Axiom jeder richtigen . . deutschen Politik erscheint; Frey 1904 Physiologie 305 psychophysische Axiome; Eucken 1904 Strömungen 97 das Axiom der Axiome; 190« Zukunft LX1V 58 f. daß jedes Individuum seine Wesenheit aus einer Atmosphäre sauge, um selbst wieder eine neue Atmosphäre zu entStrahlen, dieses universelle Bedingtsein von In- und Umwelt war ihm Axiom; Windelhand 1911 Präludien U 109 für die kritische Methode sind diese Axiome — ganz gleichgiltig, wie weit ihre tatsächliche Anerkennung reicht — Normen, welche unter der Voraussetzung gelten sollen, daß das Denken den Zweck wahr zu sein . . erfüllen will; 1911 Grenzboten I 213 politische Axiome und Theorien; Kaiser 1911 Lebenserinn. 29 Jenen Lehren . . meines Vaters danke ich meinen gleichen Sinn, der sich später dann noch als Fundament geselliger Gewöhnung und politischer Axiome bei mir befestigte; Meinecke 1924 Idee 398 [die] politischen Axiome [Friedrich II.]; Lettenbaur 1927 Morgen 67 Sie gleichen oft einer Findung im Reich naturwissenschaftlichen Forschens, die erst absurd erscheint und deswegen angegriffen wird, weil sie ja mit allen bisherigen Axiomen in Widerspruch stehe!; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. XU 641)

welches war denn also die Grunderkenntnis des Buches, das Axiom, von dem es ausging?; ders. 1933-43 Joseph (W. 1V/V 820) ist es ein allgemein angenommenes Faktum, ein Axiom, das keines Beweises bedarf, sondern für sich selber spricht; ebd. /V/V 3506 das war ein Axiom, auf dem der ägyptische Joseph bei seinem Entschlüsse fußte, . . daß der Handelsverkehr mit den syrischen Städten am Meer . . erleichtert war; Bühler 1934 Sprachtheorie 20 Als klassische Versuche, die noch reichlich unbestimmte ubi materia ibi geometria in ein System von Axiomen aufzugliedern, kann man ebensowohl die philosophia naturalis Newtons wie die Kritik der reinen Vernunft . . ansehen; Wust 1936 Ungewissheit 132 Das bekannte Axiom: „Quidquid cognoscitur, ad modum cognoscentis cognoscitur" erhält in der philosophischen Erkenntnissituation den tieferen metaphysischen Sinn, daß hier der Klarheitsgrad der Erkenntnis sehr wesentlich davon abhängt, inwieweit es dem Menschen gelingt, existenziell zu werden; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 370) war ihm die Überzeugung, daß alles in der Welt nur aus Berechnung und des Geldes wegen geschehe, nicht auffallend rasch zum Axiom, zur Grundtatsache des Lebens geworden . .?; Leisegang 1951 Weltanschauung 68 Das logische Gesetz, nach dem das Ganze immer gleich der Summe seiner Teile ist . ., gilt hier nicht. Es ist ein Gegenstandsbereich aufgetreten, der ein anderer ist als der, von dem dieses Gesetz abgelesen wurde, das Euklid einst unter die Axiome seiner Geometrie aufnahm; Th. Mann 1954 Nachtr. (W. 811) die westdeutsche Publizistik . . ist ziemlich einig in dem Axiom, daß bei der Ordnung der europäischen Angelegenheiten nichts ohne Frankreich . . geschehen darf; 1957 Kathol. Glaube l 264 Nihilismus, im eigentlichen Sinn, ist der Verzicht auf das Grundaxiom des Geistes, dass alles Wirkliche einen Sinn habe; Welt 23.9.1969 die Basis eines jeden Wertsystems sei das Axiom; Essler 1970 Logik o. S. die Axiomensysteme der Mathematik und der Naturwissenschaften haben die Unhaltbarkeit der Aristotelischen Vorstellung gezeigt, daß es in einer Disziplin die Grundsätze und die Grundbegriffe gibt; Wirth 1970 Deutschland o. S. dies Quasi-Subjektive kann man als eigentliches Axiom des philosophischen Idealismus betrachten: der Anfang ist Geist, oder die Materie ist in ihrem ursprünglichsten Zustande zugleich empfindend, also Geist; Helltvig 1971 Höhere Mathematik o. S. unsere grundsätzlichen Erfahrungen über . . Anordnungseigenschaften der reellen Zahlen stellen wir in vier Anordnungsaxiomen (auch Ordnungsaxiome genannt) zusammen; Müller-Thurau 1984 Köpfe 97 daß man sich auf das Axiom wird einigen können, daß keiner eine Treppe steigen kann, ohne sie berühren zu müssen; Zeit 3.5.1985 die

Axiom deutsch-amerikanische Freundschaft . . bildet das Grundaxiom, das fast schon den Kern seiner [Kohls] Außenpolitik macht; ebd. 27.9.1985 der einen Roman Anthony Trollopes mit Hilfe von Axiomen aus der Informationstheorie demontiert; Schipperges 1985 Garten 185 Der andere Grundsatz aber ist ein Axiom aller Ärzte; Tränkte 1985 Statist. Methoden 15 ein . . archimedisches Axiom, das . . aussagt, daß eine nach oben streng begrenzte Eigenschaftsausprägung einer endlichen Folge gleichabständiger Objekte . . entspricht; Zeit 27. 6. 1986 Webers Grundbegriffe und Axiome von der „Vernünftigkeit des Macht-Staates als Selbstzweck" sind fester Bestandteil unseres politischgesellschaftlichen Denkens; Hoyos 1990 Ingenieurpsychologie 458 Die subjektive Bewertung von Wahrscheinlichkeiten folgt nicht den Axiomen der Wahrscheinlichkeitstheorie. Axiomatik: Voss. Ztg. 25.9.1930 Jung ist auch sein Lebenswerk geblieben, das der mathematischen Axiomatik galt; Reichenbach 1930 Atom u. Kosmos 25 wir können nur feststellen, daß hier mit sicherem Instinkt das Problem der geometrischen Axiomatik gerade an der Stelle angegriffen wurde, von der aus es seine fruchtbarste Fortbildung erfahren konnte; Bühler 1933 Ausdruckstheorie 3 Es ist also sein [Ludwig Klages'] historisches Verdienst, schon zu einer Zeit, wo andere noch alles Heil von Experimenten älteren Stils erwarteten, deren Schwäche gesehen, neue Beobachtungsmöglichkeiten gesucht und an einer neuen Axiomatik der Ausdruckslehre gearbeitet zu haben; ebd. 78 Über all das findet sich bei Piderit kein Wort. Was Wunder, daß wir seine Axiomatik nicht als ebenbürtig der feinen empirischen Detailuntersuchung ansehen dürfen? Die zwei „Fundamentalsätze der Mimik" werden zwar überall herangezogen; allein man hat genau wie bei der Lektüre von Darwins Buch den Eindruck, daß die im Abschnitt von den Grundsätzen vorausgeschickten Einsichten innerlich doch nur in lockerer Verbindung mit der eigentlichen Leistung des Verfassers stehen; ders. 1934 Sprachtheorie 20 Von der Physik kann man sagen, sie sei sich seit der Konzeption der Idee von der mathematischen Analysis der Naturvorgänge des rechten Forschungsweges wohl bewußt gewesen und habe sich auf eine mit der Einzelforschung selbst fortschreitende Ausgestaltung ihrer explizit formulierten Axiomatik eingestellt; Bense 1935 Aufstand d. Geistes 39 Hilpert weiß um die geheime Mitte der Mathematik und stellt die gesamte mathematische Methodik und Axiomatik in den Dienst der Aufgabe, das Unendliche in seiner Transzendenz zu erfassen; Holzer 1936 Zur Axiomatik der Buchführung!- und Bilanztheorie (Titel); Bense 1939 Geist d. Mathema-

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tik 97 wenn die Existenzbehauptung, daß wirklich Mengen existieren, von den späteren Entwicklern der Mengenlehre in die Axiomatik dieser Disziplin aufgenommen worden ist; Steck 1939 Zur Axiomatik der reellen projektiven Geometrie (Titel); Cysarz 1950 Neumond 165 f. die Axiomatik der Macht; Krbek 1952 Unendlich 201 Zunächst können Elemente selber als Mengen aufgefaßt werden, und so kennt die Axiomatik nur einen einzigen Grundbegriff, die Menge und und nur eine grundlegende Beziehung, das Enthaltensein; Adorno 1958 Noten l 34 Wie in der Forderung von Definition hat die Cartesianische Regel . . das rationalistische Theorem überlebt, auf dem sie beruhte. . . Dadurch verwandelt sich, was bei Descartes als intellektuelles Gewissen über die Notwendigkeit der Erkenntnis wachen will, in Willkür, die eines „frame of reference", einer Axiomatik, die zur Befriedigung des methodischen Bedürfnisses . . an den Anfang gestellt werden soll, ohne daß sie selbst ihre Gültigkeit oder Evidenz mehr dartun könnte; Fichte 1974 Versuch 209 Irene, Agnes und mich verwendet er zu einer Axiomatik menschlichen Sprechens; 3974 Zschr. f. Phonetik l-lll 78 weil bei der Vergegenständlichung mathematischer Gesetze Axiome angesetzt werden, bei der der sprachlichen dagegen eine Axiomatik per definitionem ausgeschlossen ist; Zeit 19.4.1985 dieser „Gördelsche Unvollständigkeitssatz" und die sich daraus ergebenden Konsequenzen werden zu Beginn gestreift,. . was zur Folge hat, das vieles ungeklärt bleibt, zum Beispiel, was es mit der „Zahlentheorie" oder mit „Axiomatik" auf sich hat. axiomatisch: 1787 Journal d. Moden II 341 [eine] axiomatische Wahrheit; Hoffbauer 1803 Untersuchung 70 Eben so wird es jedem unmoeglich seyn, einen falschen Satz als eine axiomatische Wahrheit anzunehmen; Tieck 1822 Sehr. XV11 200 War es denn nicht auch damals dieselbe große Schicksalskatastrophe und Weltumschwungsaxiomatische Wunderbegebenheit als dasjenige, was man bis dahin nur für arkanische Centripetalkraft abgewogen hatte, sich plötzlich als das ungeheure Ixionsrad schwärmerischer Antidiluvianer manifestirte?; Dührung 1871 Nationalökonomie 381 Im strengsten Sinne des Worts kann man nur da von einem neuen System reden, wo ein principieller Satz von grosser Tragweite oder auch einige axiomatische Grundeinsichten den ganzen Inhalt einer Wissenschaft umwandeln; Windelband 1882 (Präludien II 61) axiomatische Geltung des Kausalgesetzes; 1894 Real-Enc. Heilkunde l 92 Es ist einstweilen die Annahme nothwendig, dass jeder gegenwärtig lebende Körper von einem anderen oder einem Paare erzeugt worden ist. Diese Annahme hat einen axiomatischen Charakter; Eucken 1904 Strö-

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Azur

mungen 237 Sache axiomatischer Selbsterhaltung; Friedell 1931 Kulturgesch. HI 426 axiomatisch behauptet; Bühler 1934 Sprachtheorie 20 Es sind Grundsätze, die aus dem Bestände der erfolgreichen Sprachforschung selbst durch Reduktion zu gewinnen sind. D. Hilpert nennt dies Vorgehen axiomatisches Denken und fordert es . . für alle Wissenschaften; Lütge 1934 Grundherrschaft Vorw. V Einstellung . ., die diese [Herrschaftsform] axiomatisch bejaht; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. Xll 309) sie ist einfach, von axiomatischer Einfachheit, und wenn sie uns zum Teil schon bekannt ist, so wird es doch nützlich sein, sie . . auf ihre kernigste und gedrungenste Formel zu bringen; FAZ 25.2.1970 die abstrakte axiomatische Denkweise [der Mathematik]; Müller 1971 Vertrauensschutz o. S. man darf sich im Völkerrecht den Vertrauensschutz nicht als axiomatischen Grundsatz mit Deduktionsmöglichkeiten für einzelne Rechtsfälle vorstellen; Fleischer 1978 Geschichtsprozeß 161 Den systematischen Ertrag die-

ser Überlegungen, in der Kritik an der ideologischen Denkweise der Junghegelianer . . gewonnen, faßte er . . in einer Reihe höchst prägnanter Sätze zusammen, deren axiomatische Essenz lautet: das Bewußtsein des Menschen ist nichts Autarkes, sondern es ist das „bewußte Sein"; Tränkte 1985 Statist. Methoden 112 Für die Mathematik ist Wahrscheinlichkeit ein formaler Sachverhalt, der axiomatisch begründet, d. h. dadurch definiert wird, daß er bestimmten Axiomen genügt; Zeit 14.2. 1986 dafür stürzte er [Heß] sich seit 1935 auf die England-Politik, die an sich im NS-Spektrum gemäß Hitlers axiomatisch fixiertem Bündnisstreben bereits gut von anderen Personen besetzt war; ebd. 30.5.1986 dehnt sich das Reich anderer politischer Systeme, die sich das baconische Prinzip wissenschaftlich-technischen Fortschritts . . voll, ja axiomatisch zu eigen gemacht haben. Axiomatisierung: Schröter 1943 Axiomatisierung der Fregeschen Aussagenkalküle (Titel).

Azur M. (-s; ohne PL), im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. azur (< mlat. azur(ium), provenzal. azur, ital. azzuro, span, azul, vermutlich unter Wegfall des irrtümlich für einen arab. Artikel gehaltenen anlautenden /- entstanden aus den Nebenformen mlat. lazur(i)um, lazur, ital. lazuro < arab. lazaward, lazurd 'Lasurstein, leuchtend blauer Stein' < gleichbed. pers. lagward; vgl. schon mhd. Lasur). In der Bed. "leuchtendes, strahlendes Blau', bes. literaturspr. verwendet, vor allem zur Beschreibung der Farbe des Himmels für 'Himmelblau' (s. Belege 1767, 1799, 1895, 1901) und metonymisch für 'Himmel' (s. Belege 1909, 1918, 1927); daneben in der Chemie 'intensiv blauer Farbstoff, der bes. beim Mikroskopieren verwendet wird (s. Beleg 1938); seit späterem 18. Jh. als Bestimmungswort in der Zs. azurblau 'tiefblau, himmelblau', auch subst. verwendet; seit Mitte 18. Jh. die adj. Ableitung azur(e)n (ohne Steigerung), 'tiefblau, himmelblau', vor allem literaturspr., bes. zur Bezeichnung der kräftigen blauen Farbe des Himmels und des Wassers sowie der blau flimmernden Luft eines warmen Sommertages. Azur: 1677 (Killy 1963 Dtsch. Literatur III 359) den inwendigen Tempel eröffnete/ dessen Gewölb von blauem Azur/ mit unschätzbaren Edelsteinen besternet; Marperger 1712 Naturlex. 152 Azur, sonst auch ultramarin genannt, ist eine blaue Farbe, deren sich die Mahler bedienen; Wieland 1767 Ges. Sehr. I 7,134 Denn, das Gesicht des Paladins zu sparen, Umschatteten leicht wallende Simaren Von himmlischem Azur, durchwebt mit Sonnenschein, Den schönen Leib; Hamann 1778 S. W. V 336 eine azurblaue Tuchene Uniform; Matthisson 1787-93 Gedichte (I 171) Wie schimmert das Grün der arkadischen Flur!/ Wie glänzen die Thäler von Gold und Azur!; 1799 Athenäum // 68 Der Wiederschein der Gegenstände im klaren See wird zum Theil noch von der Sonne erleuchtet: der

Himmel geht in einem etwas tieferen Azur aus diesem Bade hervor; Kerner 1811 Reiseschatten 113 Das Morgengold, das Abendroth, das Azurblau, das Silber der Mittagswolken liegt auf der Welt zerstreut; Clauren 1816 Mimili (Ndr.) 17 die Jungfrau hob über alle diese himmelhohen Felsen ihr silbergeschmücktes Haupt in die azurblauen Regionen ihres Gottes empor; E. T. A. Hoffmann 1822 S. W. XU 130 Dazwischen erhoben aus dunklem Gesträuch die schönsten Rosen . . ihre Häupter empor, wie in dürstender Sehnsucht nach dem reinen Azur, das durch die verschlungenen Zweige der Cedern glänzend, wie mit liebenden Augen hinabblickte; Huber 1828 Spanien I 182 Der azurblaue Himmel, das dunkelblaue Meer, die Sonnenstrahlen in tausendfachem Glänze zurückwerfend,

Azur die schneeweißen, blendenden Mauern; Niendorf 1854 Paris 89 Ein Kästlein, welches Cardinal Richelieu der Anna von Oesterreich schenkte: Filigran in Gold, Azurblau durchschimmernd; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVIII 174) Der Maler Hans Spring . . kunstreich im Malen auf Pergament, in zierlich goldschimmernden und azurblauen Arabesken und Figuren; ders. 1878 — 80 Ges. W. III 185 Auf dem Kopfe trug er ein azurblaues Hütchen mit einem Kranze von je einer Rose und einer goldenen Schelle; Leitner 1880 Novellen 64 Azuraugen; Eckstein 1889 Camilla 210 Hoch oben im dunklen Azur glänzten vereinzelte Sterne; Proelss 1891 Modelle 66 Hat hier am Gestade von Capri doch das azurblaue Südmeer die Frische und Bewegtheit der Nordsee; Telmann 1895 Hagar 45 Tag um Tag brannte am wolkenlosen Azur eine grausame Sonne; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 672) darüber spannte sich der Himmel zartblau und makellos, und Milliarden von Lichtatomen schienen wie Kristalle in dem Azur zu flimmern und zu tanzen; ders. 1909 Hoheit (W. II 357) mit vergoldeten Wölkchen im reinen Azur, kam der Tag herauf; Wassermann 1910 Masken 190 Entflammt von diesem Körper, dem kühlen, in seinen wunderbaren Schleiern kühlen Wesen des Mädchens, dessen Wert er spürte, wie ein Luftschiffer den Azur spürt, in dem er schwimmt; Hauptmann 1918 Ketzer (Ausgew. W. V 510) aus dem seidigen Blau des Azurs; Holz 1924 Blechschmiede // 675 Die Pinienkrone wiegt sich/ im Mondlicht hin und her,/ und mir zu Füßen schmiegt sich/ das azurblaue Meer; Brecht 1927 Hauspostille 83 O Himmel, strahlender Azur! Enormer Wind, die Segel bläh!; Geusler 1930 Weiss 63 Der blaue Traum. Ein schöner Name für eine Villa an der Azurküste; Th. Mann 1933 — 43 Joseph (W. /V/V 250) die Erhabenheit des Turmes . ., azurblau in der Höhe, so daß das dortige Heiligtum . . des Gottes . . mit dem Blau der oberen Lüfte gleißend zusammenzufließen schien; Unger 1938 Germanin 58 Für die Färbung der Blutpräparate fand Robert Koch . . wiederum die einfachste Methode, indem er sie mit Eosin und Azur behandelte; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 34) Das Pechschwarz der mütterlichen und der Azur der väterlichen Iris hatte sich in seinen Augen zu einem schattigen Blau-Grau-Grün vermischt; Niebelschütz 1949 Bürgerin 29 und blau und klar standen die Berge im Azur des Nachmittags; Süddtsch. Ztg. 28.5.1951 Die neue Haarmode: azurblond und nachtblau; Welt 15.5.1954 Über 90000 Ausländer . . badeten . . in den warmen, azurblauen Adriafluten der alten Märchenstadt Ragusa; Grass 1962 Blechtrommel 317 Stellen Sie sich bitte ein azurblau gefliestes Schwimmbassin vor; Kunert 1965 D. ungebetene Gast 45 Gegen den bei uns

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seltenen Azur des Himmels; Fabian 1968 Weg 235 Weißwattige Wolkenfetzen zogen eilig durch das warme Azurblau; ND 17.7.1969 Drei Böllerschüsse ziehen kleine weiße Rauchfähnchen in den azurblauen Himmel; Celan vor 1970 Zeitgehöft (Ges. W. Ui 91) herzschwer/ rollt Azur/ über dich hin; Zeit 4.1.1985 wie sein Präsident malt auch der Verteidigungsminister die Fata Morgana einer Welt ohne Raketenangst in das Azurblau des Alls; ebd. 6.12.1985 Azur und Lehmbraun, Lehmbraun und Azur. azur(e)n: Zachariä 1756 Tageszeiten 89 Der Morgen. Aus den azurnen Wellen steigen die Pferde der Sonne; Wieland 1759 Ges. Sehr. I 3,127 Also ertönte der Weisen Gesang, von Andacht beflügelt, Durch die azurne Luft; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 65) Nicht mehr die holde Venus; nicht mehr das Haar mit goldenen Spangen geheftet; von keinem azurnen Gewände umflattert; Stolberg 1773 Gedichte I 14 Süßer duftet die Flur, und kühler hauchet der Abend; Nur ein welkendes Roth weilt am azurenen West; Musäus 1787—88 Volksmärchen II 78 nicht nur dieses Felsengewölbe, sondern auch die Kapelle, die Speisekammer, der Keller des Einsiedlers, ja selbst das azurne Gewölbe des Himmels gewann in seinen Augen die Gestalt eines Backofens; Thümmel 1800 Reise VII 72 und das Zwitschern der Vögel um und neben mir, und der Wiederschein des azurnen Gezeltes, das so viele Freuden bedeckte; Soden 1805 Virginia 79 azurne Ferne; Goethe 1819 Noten u. Abhandlungen (WA I 7,104) Denn der goldne Falke, breiter Schwingen,/ Überschwebet sein azurnes Nest; Regis 1832 Rabelais' Gargantua u. Pantagruel l 905 Trauben von viel hundert verschiedenen Farben und Formen . . gelb, blau, azuren; Max. v. Mex. 1851 Leben l 11 die azurnen Fluthen; Eckstein 1889 Camilla 109 azuren; Birt 1910 Provence 158 durch die abenteurlich gewundenen Stämme flammt ringsum das durchsichtig azurne Meer auf; Becher 1920 Ewig im Aufruhr 40 Azurener Schnee grüßt näher und immer näher schon Moder- und Trümmerlandschaft deiner zerklüfteten Schläfen wund; Hauptmann 1930 Buch d. Leidenschaft II 10 wir wollten einen glückseligen Wandel unter Palmen, an goldenen Gestaden azurner Golfe daraus machen; Brandt 1936 Inn 64 azurnen Achensee; Wolf 1938 Zwei an d. Grenze 28 das stolz ein azurenes Meer durchfurchende Schiff des Triester Lloyd; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 613) er hielt Nepomuks Hand und blickte, schnell versunken, in das süße Licht dieser in azurnem Lächeln zu ihm aufgeschlagenen Augensterne; Grass 1962 Blechtrommel 317 [Er] wagt sich aufs überragende, bei jedem Schritt federnde Sprungbrett, schaut hinab, erlaubt seinem Blick, sich zu einem azurenen, bestürzend kleinen Bassin zu verjüngen.