Deutscher und polnischer Adel im Vergleich: Adel und Adelsbezeichnungen in der deutschen und polnischen verfassungsgeschichtlichen Entwicklung sowie die rechtliche Problematik polnischer Adelsbezeichnungen nach deutschem Recht [1 ed.] 9783428449385, 9783428049387


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Deutscher und polnischer Adel im Vergleich: Adel und Adelsbezeichnungen in der deutschen und polnischen verfassungsgeschichtlichen Entwicklung sowie die rechtliche Problematik polnischer Adelsbezeichnungen nach deutschem Recht [1 ed.]
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PETER MIKLISS

Deutscher und polnischer Adel im Vergleich

Historische Forschungen

Band 19

Deutscher und polnischer Adel im Vergleich Adel und Adelsbezeichnungen in der deutschen und polnischen verfassungsgeschichtlichen Entwicklung sowie die rechtliche Problematik polnischer Adelsbezeichnungen nach deutschem Recht

Von

Peter Mikliss

DUNCKER &

HUMBLOT/ BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlln 65 Printed in Germany

© 1981 Duncker

ISBN 3 428 04938 1

lnhaltsverzeich nis I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

II. Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

§ 1 Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

§ 2 Name -

13

Adelsbezeichnung -

Adelsprädikat

111. Adel und Adelsbezeichnungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

§ 1 Deutscher Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

A. Hoher Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

1. Aufstieg und Erwerb der Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

a) Herkommen und Errichtung der Territorien - Entwicklung von Reichsunmittelbarkeit und Landeshoheit b) Entwicklung des Reiches zum Wahlreich . . . . . . . . . . . . . . c) Aktive Teilnahme am Reich - Reichsstandschaft . . . . d) Weitere Entwicklung bis 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 27 29 31

2. Struktur des Hohen Adels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

a) Hochadliges Haus - Privatfürstenrecht . . . . . . . . . . . . . . b) Standesvorrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 38

B. Niederer Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

1. Aufstieg und Erwerb der Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

a) Herkommen und Ausbildung einer freien Ritterschaft . . 40 b) Entwicklung: ländsässiger Adel - Reichsadel . . . . . . . . 42 c) Der Genossenschaftsgedanke bei Erwerb und Erweiterung der Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Struktur und Rechtsstellung des Niederen Adels . . . . . . . . a) Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 50 52

§ 2 Die Adelsbezeichnung des deutschen Adels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

A. Adelsbezeichnungen des titulierten Adels . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

B. Das einfache "von" als Adelsbezeichnung des Niederen Adels 59 C. Wappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

6

Inhaltsverzeichnis

IV. Adel und Adelsbezeichnungen in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

§ 1 Polnischer Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

A. Aufstieg und Erwerb der Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

1. Herkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Differenzierungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Geschlechterverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

B. Die "goldene Freiheit" als Kernbegriff der polnischen Verfassungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Historische Ausgangslage und Erwerb der Privilegien . . . . 76 2. Form des Rechtserwerbs: genossenschaftliche Geschlossenheit - aequalitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Szlachta-Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

4. Erscheinungsformen der aequalitas in Rechtsinstituten . . . .

84

C. Verfassung der Adelsrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

1. Der Reichstag (poln. sejm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

a) Die Abgeordneten- bzw. Landbotenkammer (poln. izba poselska) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Landtage (poln. sejmiki ziemskie) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Senat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90 90 92 94

2. Verfassungsreform und Ausklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

D. Soziale Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

§ 2 Adelsbezeichnung des polnischen Adels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

A. Ablehnung von Adelstiteln

103

B. Wappen und Wappennamen

109

C. Familienname . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

V. Vergleich und Ergebnis ............. . ......... . ........ . ...... . . . .. 124 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

I. Einleitung Nach deutschem Recht gelten Adelsbezeichnungen nur noch als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden1 • Gemäß diesen Bestimmungen enthält der Familienname bestimmter Menschen einen Hinweis auf deren adlige Abstammung, das heißt, auf die Tatsache, daß der Namensträger oder der, von dem er sein Recht ableitet, in monarchischer Zeit einem bestimmten Stande angehört hat. Diese ehemalige Standeszugehörigkeit war jedoch nicht nur Eigenschaft der Vorfahren von Namensträgern deutscher adliger Namen, vielmehr können sich auf sie auch Personen berufen, die oder deren Vorfahren im Ausland einem vergleichbaren Stande angehört haben und die nunmehr in Deutschland leben, zum Teil auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Ein Problem, das sich bereits in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, ja zum Teil sogar in monarchischer Zeit stellte, gelangte in der Kriegs- und Nachkriegszeit zu besonderer Bedeutung: wie wirkt sich der grenzüberschreitende Wechsel des Aufenthaltsortes bzw. der Staatsangehörigkeit namensrechtlich hinsichtlich der diesem Stand eigentümlichen besonderen Namensformen, d. h. der ausländischen Adelsbezeichnungen aus2• So standen deutsche Gerichte und Behörden immer wieder vor einem Problem, wenn Mitglieder ausländischer Adelsfamilien den Wunsch äußerten, sie namensrechtlich dem deutschen Adel gleichzustellen und auch ihrem Namen einen Hinweis auf die adlige Abstammung zu gestatten. Die Frage in bezug auf den polnischen Adel in Deutschland zu untersuchen, soll das Thema dieser Arbeit sein. Für die vor 1918 eingebürgerten Personen löste sich das Problem seinerzeit dadurch, daß man beim zuständigen deutschen Landesfürsten um die Befugnis zur Führung des Adels einkam. Die von diesem als fons nobilitatis3 erteilte Genehmigung war sozusagen als neue Nobilitierung anzusehen". Art.l09 Abs. III WRV i. V. mit Art. l23 Abs. I GG. Vgl. hier besonders Neumeyer, K ., Internationales Verwaltungsrecht, München 1910, Bd. I, S. 285 - 331; Brintzinger, 0. L., Die ausländische Adelsgesetzgebung und der Adelsname im deutschen internationalen Privatrecht, JIR, Bd. X (1960/61), S. 94. t

2

8

I Einleitung

Das heutige deutsche Recht behandelt dagegen Adelsbezeichnungen von Ausländern, Staatenlosen und seit 1918 in Deutschland eingebürgerten Personen als Namensbestandteile5• Ob allerdings ausländische Adelsbezeichnungen überhaupt zum Namensbestandteil werden können, richtet sich nach den für die Namensführung maßgeblichen Bestimmungen der ausländischen Rechtsordnungen, die für die Führung des Namens in Deutschland verbindlich werden 6 • Das herrschende Recht stellt hierbei in den Fällen, in denen es Adelsbezeichnungen untersagt, generell auf die den Adel bzw. adlige Namensformen aufhebende Gesetzgebung fremder Staaten in nachmonarchischer Zeit ab 7 • In bezug auf den polnischen Adel ist es jedoch fraglich, ob man an den Oberflächenschichten der Verfassungsänderungen unseres Jahrhunderts wird ansetzen dürfen, um im Rahmen des IPR Parallelen bei den deutschen und polnischen Adelsbezeichnungen zu erforschen und deren Übertragbarkeit zu beurteilen. Denn dabei geht man vielleicht allzu unbedenklich auf beiden Seiten von kommensurablen Größen aus, das heißt, legt für Deutschland und für Polen evtl. fälschlich den gleichen Adelsbegriff zugrunde. Man übersieht jedoch möglicherweise, daß man den polnischen Adel, die Szlachta, insbesondere wegen seiner korporativen Gliederung in künstliche Geschlechterverbände8 und der Auswirkung dieser Struktur auf das gesamte Verfassungsrecht sowie die verfassungsrechtliche Entwicklung, nicht mit dem deutschen Adel wird vergleichen können und vielleicht schon deshalb Anpassungen an deutsche Adelsbezeichnungen - sei es mit Hilfe des IPR, sei es gestützt auf das N amensrechtsänderungsgesetz - evtl. unmöglich sind. Eine Lösung des aufgezeigten Problems dürfte sich daher aus einer Untersuchung der Ursprünge und Entwicklungen der jeweiligen Adelsgesellschaften, ihrer jeweiligen Struktur und Rechtsstellung im Staate und der daraus evtl. folgenden namensrechtlichen Konsequenzen ergeben. Daher mag die vorliegende Arbeit ihren Schwerpunkt darin finden, die Behandlung der Namen polnischer Adliger durch das deutsche Recht aus der Perspektive sowohl der deutschen wie auch der polnia Rensch, M., Der adelige Name nach deutschem Recht, Berlin 1931, S. 68; vgl. auch Müller, E., Standesvorrechte und Adelsname im geltenden Recht, Leipzig 1926, S. 34. 4 Rensch, S. 75 f.; Brintzinger, S. 100, Anm. 55 a. 5 Statt vieler: Soergel-Kegel, S. 92 f.; KG, StAZ 1927, 246; Bay ObLG, StAZ 1957, 95 f. mit weiteren Nachweisen, A. A. Rensch, S. 188 f. 6 Brintzinger, S. 100. 7 LG Hamburg, StAZ 1954, 111; VG München, StAZ 1955, 135; OLG Bremen, StAZ 1954, 133; BVerwG, StAZ 1958, 324; BVerwG, NJW 1960, 1452. s s. unten Kap. IV § 1 A 3.

I Einleitung

9

sehen Verfassungsgeschichte, die das jeweilige Adelsrecht einschließt, zu untersuchen. So sollen neue Aspekte beim Durchdenken und für die Begründung der aktuellen Rechtsproblematik aufgezeigt werden. Die Arbeit wird daher ihr Hauptgewicht in der Rechtsgeschichte finden9. Aber auch politische Geschichte und Sozialgeschichte, zu denen die Rechtsgeschichte in einem besonders intensiven Austauschverhältnis steht10, müssen mitberücksichtigt werden. Der Aufbau der Arbeit ist damit vorgezeichnet: Nach Klärung der wichtigsten Grundbegriffe muß auf die historische Entwicklung des Adels, seine Rechtsstellung sowie seine Bezeichnungen in Deutschland eingegangen werden, um auf diesem Hintergrund dann eine entsprechende Untersuchung bei der Szlachta vorzunehmen und vergleichend daraus Folgerungen zu ziehen11 •

Durch den Vergleich der beiden Abschnitte sollen die Ergebnisse verdeutlicht, die Konturen besser kontrastiert und die Strukturen erhellt werden12• Die komparative Methode regt an, sich nicht nur auf die deskriptive Ebene zu beschränken, sondern aus dem Durchblick auf die Wurzeln der jeweiligen Adelsgesellschaften ihren bestimmenden Triebkräften nachzuspüren und deren Auswirkungen nachzugehen. Das gestellte Problem soll so eingebettet in den umfassenden historischen Zusammenhang und Prozeß gesehen, erfaßt und analysiert werden. Besondere Aufmerksamkeit soll den korporativen Faktoren der jeweiligen Adelsgesellschaften gewidmet werden. Allerdings führt die Beachtung auch dieses Gesichtspunktes dazu, mitunter den Duktus kontinuierlicher historischer Linien unterbrechen zu müssen, was einer raschen Übersichtlichkeit teilweise Grenzen setzen muß.

9 Mitteis, H., Lieberich, H ., Deutsche Rechtsgeschichte, München-Berlin 1961, Kap. 1 und 2, S. 1- 6; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, Göttingen 1952, s. 14 ff. 1o Conrad, H., Deutsche Rechtsgeschichte, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Freiburg/Br. 1957 - 1970, Bd. VI, sub verbo. 11 Meyer, H., Systematische Philosophie, Bd. I, Faderborn 1955- 1960, S. 14; zur Diskussion über das Problem "Methodenmonismus" - "Methodenpluralismus" - "Methodensynkretismus" - "Methodenreinheit" - "Methodenstaffelung" vgl. Coing, H., Die juristischen Arbeitsmethoden und die Lehren der allgemeinen Hermeneutik, Köln-Opladen 1958; insbes. Waider, H., Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts, Berlin 1970, S. 7 ff., 11 f. "Der eigentliche ,process of comparison' setzt ... erst ein, wenn die Länderberichte fertiggestellt sind" - Zweigert, K., Zur Methode der Rechtsvergleichung, in: Studium Generale XIII, 1960, S . 193 f. 12 Rehfeldt, B., Grenzen der vergleichenden Methode in der rechtsgeschichtlichen Forschung, Bonn 1942, bes. S. 4 f., 16; Zweigert, S. 198.

II. Gemeinsame Grundbegriffe Bevor auf das eigentliche Thema eingegangen wird, sollen vorab kurz die wichtigsten Grundbegriffe dieser Arbeit behandelt werden. § 1 Adel

Wenn Art. 109 Abs. III WRV bestimmte, daß öffentlich-rechtliche Vorrechte der Geburt oder des Standes aufzuheben sind, eine Bestimmung, die gemäß Art. 123 GG weitergiltl, so liegt darin eine Definition des Standes, um dessen Namensträger es in dieser Untersuchung geht. Unter Adel versteht man einen in der Regel durch Abstammung erworbenen Stand, der öffentlich-rechtliche Vorrechte, wenigstens aber Ehrenrechte genießt2 • Diese Rechte sind von der Entstehung her im Verhältnis zu einem zentralen Herrscherrecht3 zu sehen. Hat sich nämlich eine Gesellschaft über die Größenordnung einer rein faktischen Lebensgemeinschaft hinaus entwickelt, so stellt sich das Problem, diese größeren Menschenzahlen zusammenzuhalten. Die aus der Summe der Einzelnen gebildete Einheit bewegt sich hin zur Abstraktion eines Staatsbegriffs. Hier hat man Gründe für die Entstehung und Ausbreitung eines zentralen Herrenrechts erblickt4 • Das Volk überträgt diesem Herrscher als dem Träger mythisch-sakraler Weihe und hervorragender Macht "Souveränität". Wie der Herr an der Spitze seines Hauses, als Hausherr, so steht der Herrscher an der Spitze seines Herrschaftsverbandes5 • In diesem wird die Vielheit der Beherrschten nunmehr allein vom Herrn bzw. Herrscher repräsentiert. Er allein stellt die rechtliche Einheit des t Statt vieler: Soergel-Schultze-v. Lasaulx, Bürgerliches Gesetzbuch, Kohlhammer, 1957, § 12, Rz 3. 2 RGSt 43, 34; Schücking, W., Art. "Adel" in Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, Hrsg. von Stengel-Fleischmann, Tübingen 1911- 1914, Bd. 1, S. 55 ff.; Scheying, R., "Adel", in: HRG I (1979), Sp. 41- 51. a Zu diesem Begriff vgl. Gierke, 0. v., Das deutsche Genossenschaftsrecht, Graz 1954, Bd. I, S. 136 ff. 4 Dies und das Folgende im Anschluß an Gierke, S. 49 ff. Die sehr differenzierte und umfangreiche Diskussion zum Thema "Gesellschaftsvertrag" wird hier im übrigen ausgeklammert. s Vgl. dazu Gierke, S. 89 ff.

§ 1 Adel

11

Verbandes dar, durch ihn und in ihm ist die Vielheit verbunden. Nur von ihm, als der Zentralgewalt, gehen Frieden und Gewalt aus. Er allein ist auch der zentrale Angelpunkt des Rechts, d. h. Rechtsbande knüpfen sich nur zwischen ihm und den Beherrschten. Zwischen den einzelnen Angehörigen des Verbandes besteht zunächst kein rechtlicher Zusammenhang. Gegen diese zentrale Position des Herrschers besteht oder entwickelt sich zentrifugal die Stellung des Adels, der durch Grundbesitz bzw. durch die Einnahme gewisser Positionen, insbesondere im Kult-, Kriegs- und Verwaltungsdienst als Erbvorrecht schließlich mit deren Hilfe als Kontrahent der Zentralgewalt dasteht. Hierbei bedient er sich als Hilfsmittel bestimmter Strukturelemente der Genossenschaft, die, indem bei ihr die Einheit allein von der Gesamtheit repräsentiert wird, den Gegensatz zum herrschaftlichen Verband bildet8 • Bei diesen korporativen Zusammenschlüssen als den Hilfsmitteln ständischer Selbstbehauptung bzw. ständischen Selbstfindens und Erstarkens ist nach Gierke zwischen der herrschaftlichen Genossenschaft einerseits und der freien Genossenschaft andererseits zu unterscheiden7 • "Als charakteristisches Merkmal der herrschaftlichen Genossenschaft" sieht er, "daß bei ihr die rechtliche Einheit, die in der reinen Genossenschaft von der Versammlung aller, im Herrschaftsverbande von dem Herrn allein dargestellt wird, zwischen Herrn und Gesamtheit dergestalt geteilt war, daß, wie immer die Proportion sich stellen mochte, das Herrenrecht als das ursprüngliche, das der Gesamtheit als das abgeleitete galt8 ." Dabei schließt er nicht aus, daß sich auch bei der freien Genossenschaft ein selbständiges Herrenrecht aus ihr entwickelt, indem ein Stück der rechtlichen Einheit von der Genossenschaft auf einen Herrn übergeht, jedoch das Bewußtsein erhalten bleibt, daß das Gesamtrecht die Quelle aller Herrschaft ist9 • Unterschiede in Stellenwert und Ausmaß dieser korporativen Hilfsmittel sind bei der Adelsgeschichte Deutschlands und Polens besonders zu beachten. Auch der Umfang dieser schließlich kraft öffentlichen Rechts bestehenden Rechte, der auch innerständisch evtl. bestimmend sein konnte für die Auffächerung in einen hohen und niederen Adel, dürfte daneben die Eigenarten der jeweiligen Adelsgesellschaften rechtlich charakterisieren. Gierke, S . 136. Ebd., S. 9. s Ebd., S. 155. 9 Ebd., S. 155. 6

7

12

li Gemeinsame Grundbegriffe

Im kontinentalen Europa sind diese Rechte im allgerneinen durch die Verfassungsänderungen des 20. Jh. beseitigt worden. Damit endete eine aristokratisch geprägte Epoche, die sich von der Frühzeit Europas im wesentlichen bis in unser Jahrhundert erstreckte. Während dieser Zeit übten aristokratische Elitegruppen Einfluß auf die Kulturvölker Europas aus und übernahmen deren Führung. Insbesondere aus der feudalen Herrschafts- und Sozialordnung des Mittelalters entwickelte sich, bis auf wenige Ausnahmen, der neuzeitliche Adel im engeren Sinne1o. Bindeglied zwischen dem Adel ganz Europas und kennzeichnend für ihn war schließlich über Jahrhunderte ein aus dem Rittergedanken herrührendes gerneinsames Standesethos11 • Nach außen dokumentierte es sich abgrenzend als adliges Standesbewußtsein mit der rechtlich, zumindest aber sozial, erhobenen Forderung nach Ebenbürtigkeit, während diese Forderung innerhalb der sozialen Gruppe noch im Zeitalter der Nationalstaaten durch Heiraten die territorialen und nationalen Grenzen zu überwinden half12 • Die äußeren Erscheinungsformen der Adelszugehörigkeit veränderten sich je nach Land und Epoche. Vorn naturalwirtschaftlich bestimmten Adel bis zu dem durch einen Herrscher mittels Brief in den Adelsstand erhobenen, eventuell vererbbaren, Dienstadel der Beamtenschaft und des Heeres spannte sich der Bogen und differenzierte sich zumeist durch verschiedene Titel und Ränge. Auch zahlenmäßig, also in bezug auf den Anteil des Adels eines jeweiligen Landes an der Menge der Gesarntbevölkerung, bot die Adelslandschaft Europas ein differenziertes Bild, in dem Polen mit seiner adligen Schicht, der Szlachta, in Europa ohne Vergleich dastand13 : Während der Anteil des Adels im gesamten Europa des 17. und 18. Jh. in einer Spannbreite von 0,3 bis 1 Ofo schwankte, also nur jeder hundertste bis dreihundertste Einwohner des europäischen Kontinents zum Adel zählte, hielt sich dessen Anteil im alten Polen durch zwei Jahrhunderte konstant auf 8 Ofo oder einem Zwölftel der Gesamtbevölkerung. Eine Schätzung für Frankreich um 1780 zählte nur 78 000 Edelleute - 0,3 Ofo der Gesamtzahl der Einwohner, die britische Adelsgesellschaft, 10 Vgl. Herderlexikon, Freiburg 19, Bd. 1, Stichwort "Adel", Bosl, K., in Staatslexikon, Freiburg 1957, Bd. I, Stichwort "Adel". 11 Vgl. Winter, van, J. M., Rittertum, München 1979; Bosl, K., Europa im Mittelalter, Bayreuth 1978. 12 Bosl, Staatslexikon. 13 Zur folgenden Statistik vgl. Roos, H., Ständewesen und parlamentarische Verfassung in Polen (1505- 1772), in: Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jh., hrsg. von Gerhard, D ., Göttingen 1972, S. 310 ff.

§ 2 Name- Adelsbezeichnung-Adelsprädikat

13

in ihrer parlamentarischen Verfassung der polnischen am verwandtesten, im Königreich England und dem Fürstentum Wales mit 3,7 Ofo und für Großbritannien insgesamt - also England, Wales, Schottland und Irland- mit 1,4 Ofo an der Gesamtbevölkerung teilhabend kam bis ins 19. Jh. hinein nicht an die Marke von 1/2o der Gesamteinwohnerzahl heran. Demgegenüber stellen allein die Verhältnisse in Ungarn, das sich auch in seiner sozialen und verfassungsrechtlichen Lage Polen ziemlich verwandt zeigte, mit einem Anteil von 4,7 Ofo Edelleuten an der Gesamteinwohnerzahl eine gewisse Annäherung an die Zahlen in Polen dar. Für das alte Polen selbst dagegen gilt es im einzelnen von folgenden Zahlen auszugehen: Gut ein Jahrzehnt nach den Lubliner Verträgen von 1569 zählte die so vereinigte "polnische Republik" innerhalb eines Territoriums von etwa 815 000 km2 bei ca. 7 500 000 Einwohnern mehr als 600 000 Adlige. Diese Zahl wuchs innerhalb eines Jahrzehnts auf 800 000 an und steigerte sich schließlich kurz vor der ersten polnischen Teilung (um 1764 bis 1772) bei einer Gesamteinwohnerzahl von 11 400 000 auf etwa 1 000 000 Edelleute. § 2 Name- Adelsbezeichnung-Adelsprädikat

Der menschliche Name ist die sprachliche Kennzeichnung der Person und wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Menschen14• Als solches bezieht es sich auf die Gesellschaft der Mitmenschen; die Unterscheidungsfunktion schließt auch eine Ordnungsfunktion ein15 und bedarf insoweit rechtlicher Regelung. Durch seinen Namen unterscheidet sich aber nicht nur der Namensträger von anderen, sondern im Namen drückt sich auch die Individualität der dahinterstehenden Persönlichkeit aus - "der Name steht für die Person". Demzufolge weist der Name "in tiefere Bezüge und Zusammenhänge, in denen der Mensch steht" 16• Der in unserer heutigen Rechtsordnung für natürliche Personen geläufige Name ist - abgesehen vom Vornamen, um den es hier nicht geht - der Familienname, der die Herkunft aus einer bestimmten soziologischen Gruppe, der Familie17, kennzeichnet und auf die früheren Glieder dieser Familie, die Vorfahren, zurückführt18. 14

Soergel-Schultze-v. Lasaulx, § 12 Rdz 1.

16

BGHZ 25, 163 ff.; 32, 103 ff.

1s RGZ 91, 352; 137, 213 ff.

14

II Gemeinsame Grundbegriffe

Zugleich faßt er alle Namensträger zusammen, die ihre Herkunft auf diese männlichen Vorfahren beziehen19. So lassen sich die über den Bereich der Einzelpersönlichkeiten hinausgehenden Zusammenhänge dreifach gliedern20 : - In der Verbindung zur Vergangenheit, zu den Vorfahren und deren Erbe; in der zusammenfassenden Klammer aller gegenwärtigen Zeitgenossen des gleichen Namens und gleicher Abstammung; in der zukunftsweisenden Vermittlung des sittlichen und geistigen Erbes der Familie an die Nachkommen. Juristisch ist das Namenswesen primär nicht bürgerlichen Rechts, sondern bildet einen Status des öffentlichen Rechts, nämlich die rechtlich geregelte Identitätsbezeichnung einer Person, begründet durch staatliche Verleihung oder Anerkennung in den staatlich anerkannten Grenzen, vermittelt durch Familienfolge21. Das BGB greift also beim Namensrecht nur in einem bestimmten Ausschnittbereich ein. In der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um den adligen Namen, das heißt, einen Namen, der die Zugehörigkeit des Trägers zum Adel erkennen läßt22 . Adelsbezeichnung nennt man dabei dann die Bezeichnung bzw. denjenigen Teil des Namens, der im engeren Sinne die Zugehörigkeit zum Adel ausdrückt, den Namen zum adligen macht23. So sind zum Beispiel die deutschen Adelstitel Freiherr, Graf, Fürst Adelsbezeichnungen in diesem Sinne24. Von den Adelsbezeichnungen bzw. Adelstiteln sind die Adelsprädikate scharf zu trennen2s.

17 Arndt, J ., Name und Wappen in ihrer Funktion als Familienkennzeichen, StAZ 1954, 40. 1s Bernstorff, Graf v., Der Familienname in der deutschen Rechtsordnung, NJW 1957, 1901 ff. 19 Bernstorff, Graf v. 20 Bernstorff, Graf v. 21 Neumeyer, K., Der adelige Name in Bayern, Zeitschrf. f. Rechtspfl. i. Bayern 1920, 6. 22 Brintzinger, S. 98. 23 Schenck zu Schweinsberg, Freiherr, H., Zur rechtlichen Bedeutung der Adelszeichen, Diss., Gießen 1927, S. 7. 24 Rensch, S. 6. Die besondere Problematik im Zusammenhang mit dem Wort "von" wird unten Kap. III § 2 B erörtert. 25 Schücking, S. 64 f.; Rehm, H., Prädikat- und Titelrecht der deutschen Landesherren, München 1905, § 1; Müller, S. 25.

§2

Name- Adelsbezeichnung-Adelsprädikat

15

Wie Rensch mit zahlreichen Nachweisen noch einmal klarstellte26 , handelt es sich bei ihnen im deutschen Sprachgebrauch um reine Ehrenbeiwörter wie etwa die Anreden Erlaucht, Durchlaucht, Hoheit. Da sie weder zum Namen gehören, noch Bestandteil des Adels sind27, können sie nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein. Allerdings werden die beiden Begriffe Adelsbezeichnung und Adelsprädikat oft nicht scharf in der Terminologie getrennt und teilweise identisch oder sogar im umgekehrten Sinne verstanden. So hat etwa der Begriff "Adelsprädikat" in der italienischen Gesetzgebung eine völlig andere Bedeutung als in der deutschen28, und der alte § 350 Abs. I Nr. 8 StGB verstand unter Adelsprädikat in Wirklichkeit Adelstitel29.

26

21

2s 29

Rensch, S. 6 f. Brintzinger, S. 99, Anm. 53. Brintzinger, S. 99, Anm. 53. Rens eh, S. 7.

III. Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland Wäre Gegenstand der vorliegenden Arbeit das Namensrecht des Adels in einem bestimmten Lande, so wäre die rechtliche Bedeutung der geltenden namensrechtlichen Bestimmungen im Hinblick auf den Adel zu untersuchen. Da es sich hier aber um eine rechtsvergleichende Arbeit handelt, bei der es darum geht, inwieweit sich ein polnischer Adliger in Deutschland der hier üblichen Adelsbezeichnungen bedienen kannt, muß zunächst untersucht werden, welche namensrechtlichen Bestimmungen im Hinblick auf den Adel hier in Deutschland für welchen Personenkreis gelten, um auf diesem Hintergrund der Frage nachzugehen, welcher Personenkreis auf polnischer Seite die Anpassung an das deutsche Recht begehrt und mit welcher heimischen Rechtsordnung er dabei bereits befrachtet ist. Die Frage nach dem vergleichbaren Personenkreis führt ihrerseits zur eigentlichen verfassungsgeschichtlichen Kernfrage, nämlich der Frage, was in dem jeweiligen Land unter Adel verstanden wurde. Erst danach kann sinnvollerweise untersucht werden, welche Bezeichnungen den darunter fallenden Personen zustanden bzw. noch zustehen. Entscheidender Zeitpunkt, auf den es dabei abzustellen gilt, ist zwar die heutige Rechtslage über die Adelsbezeichnungen. Da jedoch die Frage, ob ein Namensträger sie heute noch in irgendeiner Form geltend machen kann, davon abhängt, ob er selbst oder der, von dem er sein Recht ableitet, vor Inkrafttreten der heutigen Rechtslage ein Recht darauf hatte, muß entscheidend auf das frühere Recht abgestellt werden, und zwar auf den Zeitpunkt, zu dem zuletzt in monarchischer Zeit solche Adelsbezeichnungen verliehen werden konnten. In Deutschland wird das der Zeitpunkt unmittelbar vor 1918 sein2 • 3 , während es in Polen auf die Zeit unmittelbar vor Aufhebung der polnischen Staatlichkeit, also vor der dritten polnischen Teilung im Jahre 17954, ankommen wird. Vgl. hierzu Neumeyer, K., Internationales Verwaltungsrecht, S. 285- 331. Hartung, F., Deutsche Verfassungsgeschichte, Stuttgart 1950, S. 312. 3 Die Weimarer Reichsverfassung datiert vom 11. August 1919, verkündet und in Kraft getreten ist sie am 14. August 1919 (RGBl. S. 1383 ff.). 4 Kutrzeba, S., Historia ustroju Polski- Korona (Verfassungsgeschichte Polens - die Krone Polen), Warszawa 1949, S. 11; The Cambridge history of Poland, hrsg. von Reddaway, W. F., Penson, J. H., Halecki, 0., Dyboski, R., Bd. II, S. 174 f. 1

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Unbestritten ist auch heute noch der Adel in Deutschland eine soziologische Tatsache5 • Und gerade nachdem er zu Anfang dieses Jahrhunderts als Rechtsinstitution aufgehoben wurde, hat ihn das gesellschaftliche Empfinden als besonderen, einheitlichen Stand dem Bürgertum gegenüber aufgefaßt und behandelt. In Wirklichkeit jedoch verbargen sich in Deutschland hinter der seit dem 16. Jh. aufgekommenen gemeinsamen Bezeichnung "Adel" 6 zwei wesentlich unterschiedliche Stände im Rechtssinne7 , nämlich der Herrenstand des Hohen Adels auf der einen und der Niedere Adel auf der anderen Seite. Bereits vom geschichtlichen Herkommen her trennte sie der geburtsständische Unterschied der freien bzw. unfreien Geburt8 , der durch das im allgemeinen bestehende Erfordernis der Ebenbürtigkeit bei Eheschließungen des Hohen Adels vertieft wurde9 • Vor allem aber waren es Wesen und Ausmaß der Vorrechte, die Hohen Adel von Niederem Adel trennten. Beim Niederen Adel, derivativ vom jeweiligen Landesherren abgeleitet und zuletzt bis zu bloßen Ehrenrechten verkümmert10, standen sie dem Hohen Adel z. T. originär11 zu, hatten sich bei ihm zeitweise bis zur vollen Landeshoheit1 2 gesteigert und bis zuletzt zumindest in Rudimenten dieser ehedem umfassenden und allgemeinen Rechtsstellung erhalten13 • Aber nicht nur das materiell-inhaltliche "Was" in Quantität und Qualität der Privilegien unterschied Hohen vom Nieren Adel. Auch im formellen "Wie", das heißt in der Art und Weise des Rechtserwerbs bestanden Unterschiede in der Art, daß sie beim Niederen Adel stärker korporativ von der Gesamtgruppe erlangt wurden, während sich beim Hohen Adel die genossenschaftlichen Bindungen loser gestalteten 14• 5 Vgl. z. B. die im Magazin "Stern" Nr. 31 vom 25. 7. 1979 begonnene Serie. Gleiches gilt aber auch für die Volksrepublik Polen, vgl. die in der polnischen Zeitschrift "Polityka" vom 21. 4. 1973 begonnene Serie. 6 Bornhak, C., Deutsches Adelsrecht, Leipzig 1929, S. 24. 7 Baring, A., Der Adel und sein Name im neuen Recht, Fischers Zeitschrift für Praxis und Gesetzgebung der Verwaltung, Bd. 51, S. 272; A. A. Müller, S. 14, der übersieht, daß das Ebenbürtigkeitsrecht bis zuletzt Ehen zwischen Angehörigen regierender Häuser und Niederem Adel verbot (vgl. Rensch, s. 45 ff.). s Gierke, S. 180, 195; Bornhak, S. 9 ff., 19 ff.; Rensch, S. 16. 9 Baring. 1o s. unten Kap. III § 1 B 2 b. 11 s. unten Kap. III § 1 A 1 a. 12 s. unten Kap. III § 1 A 1 d. 13 s. unten Kap. III § 1 A 2 b. 14 s. unten Kap. III § 1 B 1 c.

2 Mikliss

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland A. Bober Adel

Der Hohe Adel bildete, wie bereits erwähnt, einen gegenüber dem Niederen Adel eigenen Standu. Die ihm in der Regel eigentümliche edelfreie Herkunft16 brachte für ihn notwendigerweise eine größere Annäherung zur monarchischen Spitze, als sie anderen Ständen möglich war. Das prädestinierte ihn zur Übernahme der führenden Ämter des Kriegs- und Verwaltungsdienstes im Staate17• Die Erblichkeit dieser Ämter und der Erwerb einer steigenden Zahl von Hoheitsrechten bis hin zur vollen Souveränität führen dazu, daß sich der Hohe Adel schließlich zum Kontrahenten der Zentralgewalt entwickelt' 8 • Das heißt: es interessiert zum einen sein Herkommen und die Rechte, die er von dieser Ausgangsposition her im Verhältnis zur Zentralgewalt erwirbt. Neben dieser quasi vertikalen Betrachtungsweise, die sich, negativ ausgedrückt, in einer Schwächung der Zentralgewalt zugunsten der partikularen Fürstenmacht äußert, gilt es zum anderen auf den Hohen Adel als solchen, das heißt als soziale Gesamtgruppe einzugehen und quasi auf horizontaler Ebene einen Blick auf seine Struktur und seine innerständischen Rivalitäten zu werfen. Die Rivalität auf der horizontalen Ebene führt schließlich dazu, daß ein Teil des Hohen Adels seine volle Landeshoheit an innerständische Rivalen verliert und so rechtlich in deren Abhängigkeit gerät (Mediatisierung) 19• Die Deutsche Adelsgesellschaft bietet sich damit dem Betrachter nicht nur als vertikal (Roher Adel - Niederer Adel), sondern auch als ein horizontal vielschichtiges Gebilde dar (Mediatisierte, Depossedierte, Landesherren).

1. Aufstieg und Erwerb der Rechtsstellung Will man den Aufstieg des Hochadels als des ebenbürtigen Kontrahenten der Zentralgewalt verfolgen, insbesondere den Gang der Entwicklung beim Erwerb seiner Rechtsstellung nachzeichnen, so gilt es, mindestens drei Kraftlinien zu erfassen, die sich teilweise überlagern, teilweise verzahnen, bzw. ineinander übergehen. Dabei handelt es sich zum einen um das Herkommen und die Herausbildung eines erblichen Reichsfürstenstandes mit landesherrlicher Gewalt, schließlich sogar Souveränität. Zweitens gilt es auf die Entwicklung des Reiches hin zum Wahlreich- und die dadurch bedingte Erstarkung bestimmter Adelsgruppen - einzugehen. Vgl. oben Anm. 7. Vgl. oben Anm. 8. 17 Bornhak, S. 11; Bosl, Staatslexikon. 1s Bosl, Staatslexikon. Langfristig konnte auch die Einbeziehung des hohen Klerus durch Otto I. diese Entwicklung nicht verhindern. 19 Rensch, S. 2 f. 15

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Zum dritten interessiert die Frage nach der Entwicklung der Reichsstandschaft. Dabei ist bei allen drei Fragekomplexen immer wieder neben dem "was" des Erworbenen im Hinblick auf die noch zu behandelnde Fragestellung hinsichtlich des polnischen Adels auch zu fragen, "wie" der Deutsche Hochadel seine Privilegien errungen hat: individuell oder genossenschaftlich. Abschließend ist in diesem Kapitel noch kurz auf die Entwicklung bis 1918 einzugehen, wobei hier bereits Probleme auftauchen, die im nächsten Kapitel innerhalb der innerständischen Strukturentwicklung des Hochadels näher zu untersuchen sein werden. a) Herkommen und Errichtung der TerritorienEntwicklung von Reichsunmittelbarkeit und Landeshoheit Die Wurzeln des deutschen Hochadels gehen geschichtlich im wesentlichen auf die karolingische Zeit zurück. Die ältere Adelsschicht, d. h. die Mitglieder des alten germanischen Uradels, nämlich die Nobiles und Principes der Germanen, von denen bei Tacitus die Rede ist20, hatten sich teils bereits vorher in gegenseitigen Kämpfen aufgerieben 21 oder waren dem konkurrierenden fränkischen Königsgeschlecht zum Opfer gefallen, das aus der Mitte dieses germanischen Volksadels erwählt worden war22 • In merowingischer Zeit bildet sich innerhalb des herrschaftlichen Verbandes des königlichen Dienstes, der verschiedene Elemente des Volkes umfaßt, eine engere Königsgefolgschaft, die Vasallität, heraus23 • Die Vasallen, zumeist edelfreier Abkunft, schulden dem Herrscher Gefolgschaft in Kriegs-, Verwaltungs- und Hofdienst (Heerfahrt und Hoffahrt) 24• Dafür stellt sich dieser schützend vor sie als ihr persönlicher Schutzherr25 • Als Freie und Edle unterliegen sie grundsätzlich freiem Volksrecht Nur in dem Bereich, der ihr besonderes Gewaltverhältnis, die Vasallität, betrifft, besteht eine persönliche Abhängigkeit vom Herrscher und dort unterliegen sie einem besonderen vasallitischen Dienstrecht28• Unter dieser mit König und Kirche herrschenden Oberschicht stehen die Unterschichten unfreier und abhängiger Leute. Sie finden sich ebenfalls im Herrschaftsverband des Königs wieder. Tacitus, Cornelius, Germania, hrsg. von Adami, F., Frankfurt 1956, S. 12. Bosl, Staatslexikon. 22 Bornha k, S. 5. 23 Gierke, S. 102 f.; Mitteis, H ., Der Staat des hohen Mittelalters, Weimar 1959, s. 39 ff. 24 Bosl, K., Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter, in: Gebhardt, H andbuch der deutschen Geschichte, hrsg. von Grundmann, H., Bd. 7, München 1976, S. 53, 180. 25 Gierke, S. 193. 20 Gierke, S. 141, 193. 20

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

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Bei ihnen geht die Abhängigkeit bis in den persönlichen Bereich27. Sie unterliegen reinem Dienstrecht28. Diese rechtlich und sozial unterhalb der adligen Vasallität einzuordnenden Mitglieder des Herrschaftsverbandes werden sich mit der Zeit zum Kreis der Dienstmannschaft oder Ministerialität entwickeln bzw. darunter im Kreis der Hörigen verbleiben29. Die Karolinger machen sich die Vasallität dann planmäßig zunutze: Ihre Monarchie, deren Verfassung und Verwaltung auf dem Königtum und dessen Amtsrechten beruhen, ist in Grafschaften gegliedert und wird durch Beamte verwaltet30 . Das Grafenamt wird mit einheimischen Mitgliedern der freien Grundbesitzerschicht besetzt. Zur Stärkung der Königsherrschaft werden diese höchsten Beamten verpflichtet, in die Königsvasallität einzutreten und so dem Herrscher gegenüber in persönlicher Vasallentreue im Wort zu stehen. Als Gegenleistung erhalten sie reiche Benefizien, und zwar im Reiche Karls des Großen noch unausgeglichen nebeneinander in patriarchal-persönlicher Form bestimmter Amtspositionen sowie weiter in der Form von Grundbesitz31. Diese zunächst von der Gunst und dem Ermessen des Herrschers abhängigen Positionen im Vasallenverband versucht man von seiten der Vasallen zu festigen, zu "versächlichen" und nach Möglichkeit zu perpetuieren. Dazu bedient man sich genossenschaftlicher MitteP2. Neben der durch den gemeinsamen Herrscher bestehenden Verbindung entsteht damals ein eigenes Band der beherrschten Vasallen untereinander. Dieses Band eint sie hinsichtlich der gegenüber dem Herrscher erhobenen Ansprüche. In persönlicher Einordnung in den genossenschaftlichen Verband aller Vasallen des einen Herrn - was teilweise bis zur gegenseitigen Verschwörung reicht - tritt man aus gleicher Interessenlage dem Herrscher gesamtheitlieh entgegen. Gestärkt als Glieder dieser Gesamtheit trachtet man einen festen Bestand gemeinsamer Ziele zu erreichen, nämlich ein festes, erbliches Recht an den Benefizien33 . Trotz edelfreier Abkunft der einzelnen Genossen muß man diesen frühen vasallitischen Verband als herrschaftliche Genossenschaft cha27 2s 29 30 31 32 33

Ebd., S. 141. Ebd., S. 141, 180 ff. Ebd., S. 157. Bornhak, S. 11. lVIitteis, S. 55 ff., 63 ff. Für das Folgende: Gierke, S. 193 ff. Chenon, E., Histoire generale du droit franr;ais, Bd. I, S. 471; lVIitteis,

s. 59.

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rakterisieren; denn gemeinsames Herrenrecht hält ihn zusammen. Als derivatives Recht gelangt es auf den einzelnen Genossen. Doch schon für diese frühe Epoche, als der Akzent noch auf den persönlichen Treuebindungen des Vasallen zu seinem Herrn lag, also für die Zeit reiner Vasallität, nimmt man hier losere korporative Bindungen an34, als in den parallelen Genossenschaftsbildungen der anderen Stände des herrschaftlichen Verbandes, nämlich den Genossenschaften der Ministerialen bzw. der Hörigen, auf die noch einzugehen sein wird. Den Grund dafür sieht man in der nur partiellen Abhängigkeit dieser freien Vasallen von ihrem Herrn. Denn nur in den vasallitischen Angelegenheiten waren sie vom freien Volksrecht und Volksgericht ausgeschlossen. Das sich entwickelnde Lehnswesen wird nicht ohne Auswirkungen auf den Charakter der genossenschaftlichen Bindungen bleiben. Vor allem aber wird es das angestrebte Ziel, nämlich die Benefizien erblich werden zu lassen, begünstigen. Mit dem Aufgehen der Vasallität in der Lehnsbewegung und der Entwicklung eines eigentlichen Lehnsrechts im 10. Jh. tritt nämlich eine völlige Symbiose von Vasallität und Benefizium ein35 : Der Tendenz, mit welcher der Herrscher von oben nach unten durch Herrschaft und Indienstnahme in das Volksrecht und die Freiheit eingreift, begegnet im Lehnswesen von unten nach oben eine Gegenbewegung, in welcher der Grundbesitz alle privaten und öffentlichen Rechte an sich zieht und von sich abhängig macht. Damit tritt eine Abhängigkeit allen Rechts vom Grund und Boden ein. Herrschaft und Dienst bzw. Ämter werden Zubehör von Grundstücken, bzw. abgetrennt, selbständiges Immobiliarrecht, so daß folgerichtig von einer Verdinglichung und vermögensrechtlichen Auffassung allen Rechts gesprochen werden kann. Realrechtlich-dingliche Bindungen schieben sich vor die persönlich-dienstrechtlichen zwischen Herrscher und Vasall. Wenn aber alles Recht privatrechtliehen Charakter annimmt, so heißt das folgerichtig, daß nichts dagegen spricht, auch die Benefizien, sei es in der Form von Grundstücken oder Ämtern als vererblich, veräußerlich bzw. teilbar anzusehen38• Das Lehnswesen, das dem Königtum dazu verhelfen soll, die Vasallen sicher und fest seinem Dienst zu unterwerfen, bewirkt so im Gegenteil Ausbau und Stärkung der Adelsherrschaft37• Mitteis, S. 67 ff.; Bosl in Gebhardt, S. 80. Mitteis, S. 63, vgl. dazu vor allem die grundlegenden Werke von Francois Ganshof, Qu'est ce que la feodalite, Brüssel 1957, sowie von Mare Bloch, La societe feodale, 2 Bde., Paris 1949, ferner von R. Boutruche, Seigneurie et Feodalite. Le premier äge des liens d'homme a homme, Paris 1959. 36 Gierke, S. 153 f. 37 Bosl, in: Gebhardt, S. 80; Mitteis, S. 67 ff. 34

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

In dem Maße, in dem sich in der Verfallszeit des karolingischen Königtums die Gefolgschaft in einen förmlichen Lehnsverband wandelt, zeichnet sich dann folgerichtig ein fester Stamm "grafenbarer" 38 Familien ab, der den auf bestimmte Zeit und ad personam geschlossenen Lehnsvertrag nicht nur immer wieder verlängert, sondern neben dem vom König erhaltenen Lehnsgut des Grundbesitzes auch das Amt und die damit verbundenen Hoheitsrechte als Lehen, bald sogar als vererbliches Lehen betrachtet, wobei der Amtsertrag zur Lehensnutzung wird. Es tritt also eine Feudalisierung der Ämter39 ein, wodurch Herzogtümer, Markgrafschaften, Grafschaften - alles Ämter auf der Basis der karolingischen Grafschaft40 - in den festen Besitz adliger Familien gelangen und es ihnen ermöglichen, eine eigene Politik mit zentrifugaler Tendenz zu betreiben. Dabei kommt ihnen zugute, daß sie es ihrerseits bereits verstanden haben, einen eigenen Herrschaftsverband aus ihren Verwaltern, Verwesern und Gefolgsleuten zu begründen41. Dieser Herrschaftsverband spiegelt alle Schichten des Volkes wider von Edelfreien bis zu Hörigen. Die Invasionen des äußeren Feindes, zum Beispiel der Ungarn und Normannen, fördern die Bildung dieser erblichen Machtzentren, indem insbesondere bei zunehmender Schwäche des zerfallenden Karolingerreiches ein eigenes Befestigungsrecht dieser lokalen Machthaber entsteht, mit eigenem Burgenbau und eigenen Verwaltungsbezirken. Auch hierbei wirkt sich das Lehnswesen stärkend für die partikulare Adelsherrschaft aus; denn durch die Selbsthilfebemühungen der Großen, die ihrerseits ein starkes Vasallenturn nach sich ziehen, fällt auch das Heerwesen der Feudalisierung anheim42 • Ferner bringt die Ausübung der Kirchenvogtei den hochadligen Vögten steigenden Einfluß auf die geistlichen Immunitätsgebiete und beschert ihnen als Gegenleistung für den gewährten Schutz eine zunehmende Zahl von Hoheitsrechten, so daß man darin mit Recht eine der stärksten Wurzeln mittelalterlicher Adelsherrschaft erblickt hat43 • Und schließlich gibt es auch noch einen Kern hochadliger Herren, die als Inhaber allodialer, d. h. eigenrechtlicher Grundherrschaften, in ungebrochener Tradition des Volksrechts ihre Vollfreiheit und ihr vollfreies Grundeigentum samt den damit verbundenen Herrschaftsrechten nie königlichem Herrschaftsrecht haben unterstellen müssen44 • LedigBosl, Staatslexikon. Gierke, S. 196. 40 Bornhak, S. 12. u Bosl, in: Gebhardt, S. 83 f. 42 Mitteis, S. 69; Bosl, in: Gebhardt, S. 95. 43 Bosl, in: Gebhardt, S. 96. 44 Gierke, S. 195 f.

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lieh den Gerichtsbann müssen sie lehnsanalog vom König übernehmen45. Unmittelbar vor dem Investiturstreit hat die Feudalisierung den persönlichen Königsdienst, der in fränkischer Zeit die Mitgliedschaft zum Hohen Adel ausmachte, dementsprechend soweit verdrängt, daß neben den allodialen Territorien mit ihrer feudalanalogen Bannleihe und den in Ausübung der Kirchenvogtei erlangten Immunitäten, die königlichen Grafschaften inzwischen endgültig zum Erblehen und festen Besitz hochadliger Familien geworden sind46 • Auch die obersten Reichshofämter ziehen sehr bald nach; auch sie unterliegen sehr bald nur noch dem Lehnsrecht, nicht mehr reinem Dienstrecht47. Eine weitere Möglichkeit, Königsgut und Königsrecht zu allodialisieren, ergibt sich infolge der Schwächung der Zentralgewalt durch die Vormundschaft über Heinrich IV48. Dessen Herrschaft endet schließlich in der für diese Zentralgewalt tödlichen Allianz zwischen Partikularmächten und Reformpapsttum. Als politisches Ergebnis des Reformkonkordats von 1122 zwischen Heinrich V. und Calixt II. verschmelzen die Bischöfe mit den weltlichen Großen zu einer politischen Interessengemeinschaft im gemeinsamen Wettkampf um die Errichtung eigener Territorien. Durch dieses Konkordat sind sie nämlich von bischöflichen Reichsbeamten mit strikter Unterwerfung unter strenges Dienstrecht auf die Stufe der weltlichen Reichsvasallen emporgestiegen, die Hoheitsrechte beanspruchen49. Die Möglichkeit einer für das Königtum schädlichen Koalition zwischen geistlichen und weltlichen Herren war dadurch eröffnet worden, daß der König seit dem Investiturstreit die Verfügung über die Vergabe der Bistümer verloren hatte50 • Die Staufer, insbesondere Barbarossa, unternehmen noch einmal den - im Endergebnis allerdings vergeblichen - Versuch, die zentrifugalen Tendenzen fürstlicher Verselbständigung aufzuhalten und einen königlichen Gesamtstaat zu errichten. Man bedient sich dabei insbesondere zweier Mittel: Der Territorialisierung des Reiches sowie des Lehnsrechts, dessen oberlehnsherrschaftliche Möglichkeiten man sich zunutze machen will51 . 45 Sachsenspiegel II!, 64 § 5. 46 Bosl, in : Gebhardt, S. 85. 47 Gierke, S. 196. 48 Mirgeler, A., Geschichte Europas, Freiburg i. Br. 1964, S. 69; Bosl, in: Gebhardt, S. 150. 49 Mitteis, S. 203. so Mirgeler, S. 70; Bosl, in: Gebhardt, S. 148. 51 Bosl, in: Gebhardt, S. 148 f.

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Mit der Schaffung der Territorien wendet sich der König bewußt gegen die alten Machtzentren des Volksrechts und freier Genossenschaftsbildung52, die der Zentralgewalt nicht erst unter den Staufern Schwierigkeiten bereitet hatten53• Anlaß für die Aufhebung der Stammesherzogtümer unter Barbarossa ist das lehnsrechtliche Verfahren, in dem Heinrich dem Löwen seine Reichslehen, die Herzogtümer Bayern und Sachsen entzogen werden. In diesem Verfahren treten zum ersten Mal urkundlich faßbar die Fürsten in genossenschaftlicher Verbundenheit unter der Bezeichnung "principes" neben den Herrscher54. Es ist die zum Fürstenstand zusammengeschlossene Genossenschaft derjenigen Lehnsträger, denen als Reichsvasallen vom Kaiser unmittelbar die höchste Gattung öffentlicher Gewalt in feudaler Form als Fahnen- oder Szepterlehen verliehen wurde55• An die Stelle der zerschlagenen Stammesherzogtümer treten nach diesem Verfahren gegen Heinrich den Löwen in einem Prozeß der Dezentralisierung und Territorialisierung aller staatlichen Macht nunmehr stark herrschaftlich-dienstrechtlich gebundene Einheiten, die die vom Kaiser mit reichen Privilegien ausgestatteten Reichsfürsten als Herrscher dieser neuen territorialen Einheiten lenken sollen56. Grundlage der neuen Territorien bleibt die alte karolingische Verwaltungseinheit, die Grafschaft, trotz unterschiedlicher Benennungen, wie Herzogtum, Markgrafschaft, Fürstentum und Grafschaft. Vollends das andere Hauptmerkmal staufiseher Politik, nämlich die Heerschildordnung57, hat die "principes" aus einer offenen Führungselite zu einem juristisch genau umschriebenen Kreis landesherrlicher Reichsfürsten umgestaltet: Hat das aus privatrechtliehen Wurzeln stammende Lehnsrecht bis dahin eher die Herrschaftsstruktur zersetzende Tendenzen gezeigt, indem es aus diesen privatrechtliehen Bezügen heraus in öffentliches Recht übergegriffen und durch die Verwandlung von Dienstrecht in Lehnsrecht zu einer Zersetzung des Beamtenstaates alter karolingischer Prägung geführt hatte, so unternimmt nunmehr Barbarossa, angeregt durch westeuropäische Vorbilder, den Versuch, gerade die Machtmittel des Lehnsrechts auszunutzen und seine königliche Gewalt feudalrechtlich als eine Oberlehnsherrschaft neu zu begründen. Er bedient sich s2 Gierke, S. 217. 53

Vgl. die Kämpfe Karl d. Großen gegen Tassilo v. Bayern und Widukind.

54 Bosl, in: Gebhardt, S. 61.

55 Bosl, in : Gebhardt, S. 164; Mitteis, H., Der Staat, S. 257 sowie dort Anm.2. 56 Bosl, in: Gebhardt, S. 61. 57 Dazu grundlegend Ficker, J., Vom Heerschilde, Innsbruck 1862.

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dafür der Heerschildordnung, einer Rangordnung der Lehnshierarchie. Der König steht als Senior an der Spitze. Auf den nächsten zwei Heerschilden folgen die geistlichen und weltlichen Reichsfürsten. Beide sind dem König gegenüber gleichwertig und werden unmittelbar von ihm belehnt. Sie sind "reichsunmittelbar". Nur diese, unmittelbar dem König folgenden, d. h. reichsunmittelbaren geistlichen und weltlichen Kronvasallen auf den beiden obersten Stufen der Lehnspyramide bilden fortan den Reichsfürstenstand. Die übrigen Vasallen, selbst die eigene Dienstmannschaft des Königs, können von den Reichsfürsten mediatisiert, ihrer Landeshoheit eingeordnet und rechtlich vom König völlig abgeschnitten werden 58• Die verbleibende Zeit von 1180 bis zum Untergang der Staufer erweist sich allerdings als zu kurz, um eine strenge Hierarchisierung der Lehnspyramide und ihre Gesamtausrichtung auf den König durchzusetzen. Die Reichsfürsten lassen sich das einmal gewonnene Monopol der Mitwirkung bei der Leitung des Reiches nicht mehr nehmen (ganz anders übrigens als in Frankreich und England, die für diese feudale Reorganisation als Vorbild dienten: dort müht sich der König gerade um die Untervasallen und kann so die Lehnsfürsten in die Zange nehmen) 59• Dazu trägt schließlich auch die dritte große Neuschöpfung der Barbarossazeit auf lehnsrechtlicher Grundlage, nämlich der sogenannte Leihezwang der Fahnenlehen60 bei: Darin verpflichtet sich der König, ein heimgefallenes, d. h. ausgestorbenes Fahnenlehen, nicht länger als Jahr und Tag einzubehalten, danach aber wieder zu vergeben. Somit ist es ihm verwehrt, heimgefallene Fürstenlehen dem Krongut einzuverleiben und auf diese Weise die Zentralgewalt zu stärken. Die Reichsfürsten ihrerseits fühlten sich in ihren Territorien an diesen Leihezwang ihren Untervasallen gegenüber nicht gebunden. Dementsprechend ergänzen sie ihre landesstaatlichen Gebilde nicht nur mittels Erbschaft, Allianzen und Verträgen, sondern in nicht geringem Maße auch durch die Einziehung von, in ihren Augen, endgültig erledigten Lehen. So scheitert Barbarossas Versuch einer lehnsrechtliehen Neustrukturierung des Reiches, die nicht zuletzt auch die Bischöfe im Kampf gegen das Papsttum lehnsrechtlich hatte einbinden sollen. Im Gegensatz zu England und Frankreich bleiben Feudalität und Königsherrschaft 58 59

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Bosl, in: Gebhardt, S. 164. Mitteis, Der Staat, S. 260. Ebd., S. 259.

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gegensätzliche Kräfte. Während die Reichsfürsten ihre Lehnshoheit nach unten durchsetzen können 61 , gelingt das dem König gegenüber seinen unmittelbaren Kronvasallen nicht mehr. Friedrich II. muß schließlich die territoriale Selbständigkeit der Reichsfürsten 1220 in der confoederatio cum principibus ecclesiasticis zunächst den geistlichen Fürsten und um 1231 im statutum in favorem principum auch den weltlichen Fürsten reichsgesetzlich verbriefen, indem er sie erstmalig als "Landesherren" bezeichnet, d. h. ihre innenpolitische Unabhängigkeit anerkennt und ihnen so wichtige Regalien wie das Markt-, Münz- und Zollrecht, die Befestigungshoheit, die gesamte Gerichtsbarkeit in ihren Territorien überläßt und zu ihren Gunsten die autonomen Rechte der Städte beschneidet62 • Ist oben als politisches Ergebnis des Konkordats von 1122 bereits die Identität politischer Interessen zwischen weltlichen und geistlichen Reichsfürsten bei den Autonomiebestrebungen gegenüber der Zentralgewalt angesprochen worden, so zeigt sich, daß letzteren dabei inzwischen eine Vorkämpferrolle63 zugefallen ist, die ihren weltlichen Standesgenossen den Weg zu den im statutum in favorem principum 1231 eingeräumten Privilegien ebnet. Natürlich sind sie durch ihren geistlichen Stand von vornherein den weltlichen Großen gegenüber in einer Sonderstellung und von daher zur Bildung politischer Interessengruppen korporativer Art prädestiniert. Das nutzen sie, um einerseits ihre eigene geistliche Sondergruppe zu stärken und dann modellhaft auf die weltlichen Großen zu wirken, wie z. B. in der erwähnten confoederatio von 1220, andererseits aber auch, um aus ihrer geistlichen Sonderstellung heraus Anstöße zu Allianzen und Genossenschaftsbildungen mit anderen Gruppen des weltlichen Hochadels zu geben: Diese zweite Variante politischer Einflußnahme mit Hilfe korporativer Gruppierungen zeigt sich z. B. bei der Herausbildung des noch in anderem Zusammenhang näher zu erörternden Kurfürstenkollegiums, dessen wichtigste Anstöße teilweise unter dem Einfluß Roms von seinen späteren geistlichen Mitgliedern ausgehen werden 64 (z. B. bei der Wahl Lothars von Supplinburg oder dem Scheitern des Erbreichsplans von Barbarossas Sohn Heinrich VI. am Widerstand des Papsttums, das sich hierfür der Person des Kölner Erzbischofs bedient bzw. der Wahl von Bosl, in: Gebhardt, S. 164. Bosl, in: Gebhardt, S . 186 f .; Klingelhöfer, E., Ursprünge und Wirkungen der Reichsgesetze Friedrich II. von 1220, 1231/32 und 1235, Diss., Marburg 1948. ss Bosl, in: Gebhardt, S. 223. 64 Bosl, in: Gebhardt, S. 179. 61

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Gegenkönigen durch die drei rheinischen Erzbischöfe nach der Absetzung Friedrichs II.). Als in den Auseinandersetzungen mit Heinrich VI. von kaiserlicher Seite ein Angebot erfolgt, die Fürstenlehen sogar bis in die Seitenlinien hinein zu vererben65 , zeigt sich, worauf alle diese fürstlichen Aktivitäten letztlich gerichtet sind. Die historische Entwicklung, in deren Verlauf die Hoheitsrechte des Königs eingeschränkt werden, d. h. positiv die des hohen Adels sich herausbilden und damit staatlichen Charakter annehmen, geht weiter über das umfassende Privileg des Deutschordensstaates von 1226 und die Usurpierung aller Hoheitsrechte, welche eine einheitliche Staatsgewalt ausmachen, durch Länder wie Bayern, Österreich und Sachsen im Interregnum66 bis hin zur Erlangung der letzten Regalien, wie sie bis dahin nur dem König zustanden, die bestimmten Reichsfürsten, nämlich den Kurfürsten, durch die Goldene Bulle 1356 zufallen67 • Sämtliche Territorialfürsten werden schließlich mit dem Westfälischen Frieden das "Jus territorii et superioritatis" erringen oder, wie der französische Entwurf im Überschwang sagt, das "droit de souverainitt~" 88• Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß der Reichsfürstenstand reichsunmittelbar ist und im Laufe der hier geschilderten Entwicklung die Landeshoheit errungen hat. b) Entwicklung des Reiches zum Wahlreich Eine weitere Stärkung des Adels, insbesondere des Hochadels, muß ferner in der Entwicklung des Reiches hin zum Wahlreich erblickt werden. Zugleich liegt hierin ein weiteres Element innerständischer Differenzierung innerhalb des Hochadels. Für das gesamte Frühmittelalter war der König der durch Erbrecht und Geblüt geheiligte, auf himmlischen Ursprung verweisende Priester - König gewesen und als solcher begnadeter Vermittler zwischen Gott und den Menschen 69 • Ebd., S. 179. Ebd., S. 182. 67 Ebd., S. 230 ff.; vgl. ferner Bailey, C. C., The formation of the College of Electors in the mid thirteenth century, 1949. 68 Kürschner, Th., Die Landeshoheit der deutschen Länder seit dem Westfälischen Frieden unter dem Gesichtspunkt der Souveränität, Diss., Heidelberg 1938. 69 Aubin, H., Stufen und Formen der kirchlichen Durchdringung des Staates ,in: Festschrift für G. Ritter, 1950; Schramm, P. E., Geschichte des englischen Königtums, 1937; Mitteis, H., Die deutsche Königswahl und ihre Rechtsgrundlagen bis zur Goldenen Bulle, 1944; Kern, F., Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter, 1962, S. 139 ff. 65

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Gegen diese Auffassung und die alten volksrechtlichen Wahlformen, auf die sich das Geblütsrecht stützt, formiert sich schon früh eine kleine Gruppe von Fürsten. Eine erhebliche Erschütterung geheiligten königlichen Geblüts bedeutet auch der Bann Gregors VII. gegen Heinrich IV. im Jahre 1076. Aus dem mythisch-sakral überhöhten rex et sacerdos soll durch die Säkularisierungswirkung des Bannes ein rex terrenus werden70 • In folgerichtiger Entwicklung wählt man 1077 den Schwabenherzog Rudolf von Rheinfelden zum Gegenkönig. Damit hat der Hohe Adel einen wichtigen Schritt dahin getan, Deutschland mit Hilfe des Papsttums zum Wahlreich und sich selbst anstelle der das Geblütsrecht stützenden Stämme zum Königswähler zu bestimmen71 • Das Papsttum trägt dann auch zu einer weiteren Differenzierung innerhalb des Hochadels selbst bei, indem es die These formuliert, der Ausschluß (contemptus) oder die Behinderung bestimmter Wähler mache die Wahl ungültig72 • Damit kristallisiert sich innerhalb der Reichsfürsten nochmals ein exklusiver Führungskreis weniger Magnaten, die Kurfürsten, heraus, die zunehmend die anderen Fürsten von der Wahl ausschließen und dabei dann weitgehend eigene Interessen verfolgen. Sie lassen sich ihre Sonderstellung in der Goldenen Bulle 1356 durch Karl IV. schließlich reichsgesetzlich garantieren. Der Kaiser muß darin den geschichtlich gewordenen Dualismus kaiserlicher und fürstlicher Rechte verfassungsmäßig verankern und diesem herausgehobenen Kapitel der sieben Kurfürsten die letzten Regalien gewähren, die ihm selbst bisher noch zugestanden haben73 • Vor allem ist ihr Gericht als höchste Instanz für ihre Untertanen anerkannt, so daß eine Berufung an den Kaiser für einen großen Teil des Volkes nicht mehr möglich ist. Sie werden schließlich dazu beitragen, daß der lehnsgenossenschaftliche Charakter des Reiches sich in eine Korporation der Stände verwandelt, indem sie sich aussondern und zur ersten Kurie des Reichstages entwickeln werden74 • 70 Heer, Fr., Das Heilige Römische Reich, München 1977, S. 78 f .; Ullmann, W., Die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter, Graz-Köln 1960, S. 383 ff.; Bosl, in: Gebhardt, S. 147 f. n Bosl, in: Gebhardt, S. 147. 72 Kempf, F., Papsttum und Kaisertum bei Innozenz III. Die geistigen und rechtlichen Grundlagen seiner Thronstreitpolitik, 1954; Thillmann, H., Papst Innocenz III., Bonn 1954. 73 Vgl. Anm. 61. 74 Gierke, S. 198; Ficker, J., Zur Geschichte des Kurvereins zu Rense, Wien 1853.

§ 1 Deutscher Adel

c) Aktive Teilnahme am Reich -

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Reichsstandschaft

Neben Reichsunmittelbarkeit und Landeshoheit gilt es als drittes Kennzeichen des als Fürstenstand sich herausbildenden Hochadels die Reichsstandschaft zu nennen75, d. h. das Recht, mit Sitz und Stimme an Reichstagen teilzunehmen. Diese hatten sich insbesondere seit dem Interregnum aus königlichen Hoftagen des Lehnszeitalters, die der König aus eigenem Recht zu seiner Beratung einberufen konnte, herausgebildet76 • Aber bereits in diese Zeit der sich aus dem Lehnsrecht ergebenden Verpflichtung zur Hoffahrt gehen Ansätze korporativer Zusammenschlüsse77 der Herren zurück, dem Herrscher in genossenschaftlicher Verbundenheit entgegenzutreten. Allerdings wurde bereits oben78 darauf hingewiesen, daß diese korporativen Zusammenschlüsse der freien Vasallen auf loseren Bindungen untereinander beruhten, als die im Dienstrecht wurzelnden Korporationen der anderen Gruppen des Herrschaftsverbandes, also der Ministerialen und der Hörigen, die vom freien Volksrecht völlig abgeschnitten waren. Die Teilnahme der freien Vasallen beruht nicht mehr auf bloßer Lehnspflicht oder königlichem Befehl, sondern erfolgt kraft eigenen Rechts, das dem Herrscherrecht entgegengesetzt wird und es einschränkt. Gleichwohl bleibt der Kaiser noch der Herr (senior) dieses lehnsgenossenschaftlichen Reichsverbandes79. Seit dem Ende des 10. Jh. jedoch verschworen sich die Vasallen immer häufiger geradezu gegen ihren Herrn, um ihn zur Abschließung förmlicher Verträge über Festsetzung oder Abänderung des Lehnsrechts, insbesondere zur Anerkennung der Erblichkeit der Lehen zu nötigen80 . Vom Herrenrecht des Seniors geht damit immer mehr auf die körperschaftlich verbundene Lehnsmannschaft über. Er wird nicht nur aus der Mitte dieser Lehnsmänner und von ihnen gewählt (vgl. Kapitel III § 1 A 1 b über die Kurfürsten), sondern teilt mit ihnen auf den Reichstagen das Reichsregiment. 75 Bornhak, S . 18.

76 Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte, 9. Aufi., hrsg. von Haering, H., 1931, Reichstag: 2408, 7087, 8335. 77 Gierke, S. 194; Mitteis, Der Staat, S. 434. 78 s. oben Kap. III § 1 A 1 a. 79 Gierke, S. 197. so Ebd., S. 194 Anm. 3.

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Die Entwicklung des Reichstages vollzieht sich so von einer ehedem beratenden Versammlung zu einer Lehnskurie8 t, d. h. nicht mehr reine Beratung des kaiserlichen Herren als des alleinigen Rechtsgebers kennzeichnet den Weg der Rechtsfindung und Rechtssetzung, sondern über beratende und zugleich das Herrscherrecht beschränkende Funktionen gelangt die Gesamtheit der Reichslehnsträger schließlich zu einer Position, von der aus sie mit ihrem Lehnsherren von gleich zu gleich Verträge in der Form von Reichsgesetzen abschließen kann. So ist z. B. das bereits oben erwähnte statutum in favorem principum Friedrichs II. solch ein Vertrag82• Die Formel "Kaiser und Reich", die in diesem Sinne noch die Einheit des Kaisers an der Spitze seiner Lehnsmannschaft ausdrücken sollte, erfährt mit dem Verfall der Lehnsverfassung eine andere Bedeutung und bezeichnet hinfort zwei verschiedene Interessensbereiche, ja förmlich den Gegensatz von Kaiser und Reichsständen83• Diese Zeit ist gekommen, als ab 1582 die Reichsstandschaft nicht mehr auf der belehnten Person, sondern auf dem Territorium beruht84, d. h. sie holt den Verdinglichungsvorgang, den das Lehnswesen schon vorbereitet hatte, nach, indem sich weiterhin je nach bevorzugter Stellung einzelne Gruppen gleichberechtigter Reichsstände zusammenschließen85 • Letzteres ist der Fall, als ein bevorzugtes Kollegium der Königswähler, die Kurfürsten, sich aussondert und die Reichsstädte im Reichstag neben die Herren treten. Damit kann man nicht länger vom Reich als einer Lehnsgenossenschaft ausgehen, sondern es erfährt eine Umwandlung in eine Korporation der verschiedenen Stände mit dem Kaiser als erwähltem korporativen Haupt einer nur noch auf Einigung der Stände beruhenden Friedens- und Ständegenossenschaft86• In diesem Stadium kann man auch nicht mehr von einem einheitlichen Fürstenstand bzw. Hochadel sprechen. Vielmehr zerfällt er jetzt in verschiedene sich bekämpfende und korporativ gegeneinander abschließende Gruppen. In ähnlicher Weise, wie sich das Kurfürstenkolleg nicht nur faktisch als bloße Interessengruppe, sondern auch rechtlich absonderte und korporativ gegenüber den anderen Reichsständen abschloß, so konstituierten sich analog innerhalb der übrigen Gierke, S. 197, Anm. 15. Ebd., S. 197, Anm. 16. 83 Smend, R., Zur Geschichte der Formel "Kaiser und Reich", in: Historische Aufsätze, K. Zenner dargebracht, 1910; Mitteis, H., Der Staat, S. 434 f. 84 Bornhak, S. 16; Gierke, S. 198. 85 Gierke, S. 198. 86 Gierke, S . 509, 511. 81

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§ 1 Deutscher Adel

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gleichberechtigten Reichsstände dauernde genossenschaftliche Verbindungen87, nämlich Fürsten, Prälaten, Grafen und freie Herren. Sie wurden zur Grundlage der Kollegialverfassung der einzelnen Bänke des Reichstages. Die genossenschaftliche Stoßrichtung dieser Bänke ist nicht nur auf Erhaltung, Verteidigung und, wenn möglich, Vermehrung der Rechte ihrer Glieder dem Herrscher gegenüber gerichtet, sondern äußert sich auch möglichen politischen Konkurrenten gegenüber in der Abschließung: Seit der Wahlkapitulation Ferdinands IV. von 1653 genügte als Voraussetzung der Reichsstandschaft nämlich nicht mehr eine bloße entsprechende Titelverleihung durch den Kaiser, sondern es war die ausdrückliche Aufnahme in die entsprechende Bank durch die Genossen erforderlich88, bei Nachweis von entsprechendem reichsunmittelbarem Gebiet. Seitdem sind als die Merkmale des Hochadels festgelegt: Reichsunmittelbarkeit, Landeshoheit und Reichsstandschaft89. d) Weitere Entwicklung bis 1918 Der Reichsdeputationshauptschluß im Jahre 180390 und der Rheinbund im Jahre 180691 waren Anlaß zur Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. am 6. 8. 180692. Damit erlangten die Reichsfürsten die volle Unabhängigkeit und wurden zu Staatssouveränen. Rheinbund und Reichsdeputationshauptschluß hatten bereits dazu geführt, daß nahezu alle geistlichen Territorien säkularisiert, alle Reichsstädte ihrer Selbständigkeit beraubt und insbesondere Preußen, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen Hunderte von kleineren reichsunmittelbaren Herrschaften mediatisierten, d. h. der Reichsunmittelbarkeit beraubten und dem eigenen Staatsverband inkorporierten bzw. ihrer durch die oben genannten Ereignisse neuerworbenen vollen Souveränität unterwarfen. 87 Ebd., S. 198, 488, 508 ff. Bornhak, S. 18; Oestreich, G., Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reiches, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, hrsg. von Grundmann, H., Bd. 11, München 1976, S. 58. 89 Bornhak, S. 18. oo Dazu Walder, E., Das Ende des alten Reiches, Quellen zur neueren Geschichte, hrsg. vom Hist. Seminar der Universität Bern, 1948; Oestreich, 88

s. 54 f.

91 Vgl. hierzu Bornhak, C., Deutsche Verfassungsgeschichte vom westfälischen Frieden an, Stuttgart 1934, S. 233; Scharnagel, A., Zur Geschichte des Reichsdeputationshauptschlusses vom Jahre 1803, in: Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 70, 1950, S. 238 ff. 92 Vgl. hierzu Kleiber, J. L., Staatsrecht des Rheinbundes, Tübingen 1808.

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Souveränitätsrechte in diesem Sinne über die mediatisierten Gebiete sollten jedoch nur die Rechte der "h~gislation, jurisdiction supreme, baute police, conscription militaire ou recrutement et impot" sein, d. h. Gesetzgebung, oberste Rechtsprechung und Verwaltung, Militärwesen und Besteuerung. Den mediatisierten Herren sollten auf Abruf Sonderrechte zustehen, und zwar einerseits persönliche, aus ihrer früheren Stellung als landesherrliche Familie sowie andererseits dingliche aus ihrer früheren Landeshoheit über ein bestimmtes Gebiet. Dementsprechend gewährleistete dann die deutsche Bundesakte in Art. 14 diese Sonderrechte der Mediatisierten93 • Die nähere Durchführung fand sich in den Gesetzgebungen der Einzelstaaten. Dieser Hohe Adel der Mediatisierten oder Standesherren, wie sie auch genannt wurden, bestand also aus den 1806-1815 ihrer Landeshoheit verlustig gegangenen Familien, die zur Zeit des alten Reiches Reichsunmittelbarkeit, Reichsstandschaft und Landeshoheit besessen hatten. Da die Voraussetzung der Zugehörigkeit zu diesem Kreis sich nach dem Staatsrecht des alten, untergegangenen Reiches und seiner Rechtsordnung richtete, war somit also ein rechtlich geschlossener Stand geschaffen, dem neue Mitglieder nicht mehr zufließen konnten. Die Familien waren entweder reichsfürstlich oder reichsgräflich. Noch ein weiterer geschlossener Kreis von Familien des Hohen Adels hatte bis 1918 Einbußen in seiner öffentlich-rechtlichen Stellung hinzunehmen: die sogenannten Depossedierten94 • Das waren die Familien, die erst im Jahre 1866 ihre zur Souveränität entwickelte Landeshoheit verloren. Demnach konnten sie sich nicht auf die in Art. 14 der deutschen Bundesakte den Mediatisierten garantierten Sonderrechte bzw. die zu ihrer Durchführung von den einzelnen deutschen Staaten erlassenen Anordnungen berufen. Ihre Sonderrechte bis 1918 beruhten daher meist auf allgemeinem Gewohnheitsrecht bzw. einzelnen Bestimmungen der Reichs- bzw. Preußischen Landesgesetze. Sie konnten sich auf keinerlei dingliche Rechte, sondern nur auf Familienrechte und auf Rechte, die ihr Verhältnis zu den Behörden regelten, berufen. Die Regelungen waren von Haus zu Haus verschieden. Zu den Depossedierten zählten: Das frühere Hannoversche Königshaus, die landgräflichen Nebenlinien des Hauses Hessen, das Nassauische Herzogshaus, die in Deutschland ansässigen Linien des Hauses Holstein. 93 Bornhak, Verfassungsgeschichte, S. 368; Bornhak, Adelsrecht, S. 67 ff. sowie dort S . 67 Anm.l; vgl. auch Müller, S. 23; Rensch, S. 3 vor allem dort auch Anm. 5. 94 Bornhak, Adelsrecht, S. 76 ff.; Rensch, S. 3.

§ 1 Deutscher Adel

:13

Als Inhaber der Staatsgewalt verblieben somit bis zu den Verfassungsumwälzungen nach dem 1. Weltkrieg lediglich die sogenannten landesherrlichen Häuser bzw. deren Oberhäupter. 2. Struktur des Hohen Adels

Ging es im vorigen Kapitel darum, den historischen Entwicklungsprozeß des Hohen Adels aus edelfreier Herkunft bzw. den obersten Rängen des Dienstgefolges bis hin zu den ihn kennzeichnenden Merkmalen von Reichsunmittelbarkeit, Reichsstandschaft und Landeshoheit sowie deren teilweisen Verlust durch Mediatisierung bzw. Depossedierung aufzuzeigen, so geht es im vorliegenden Kapitel um das eher statische Problem, dem sich wahrscheinlich jede einigermaßen konsolidierte soziale Schicht ausgesetzt sieht, nämlich die Frage, was eigentlich das Errungene sei und wie es bewahrt werden könne. Es interessiert also quasi die Momentaufnahme dessen, was den spätestens mit dem Westfälischen Frieden und der damit beendeten Entwicklung der Reichsverfassung in seiner Rechtsstellung vollausgebildeten und in sich abgeschlossenen deutschen Hochadel wesensmäßig ausmachte und wie, d. h. mit Hilfe welcher Rechtsinstitute und Strukturen er sich seine Position zu erhalten trachtete. Dabei soll wiederum, mit Blick auf den späteren Vergleich mit dem polnischen Adel, die Frage nach möglichen korporativen Strukturelementen besonders beachtet werden. Historischer Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß der dienstrechtliche Charakter, der das Fürstentum zumindest bis zur Hohenstaufenzeit prägte, sich verändert und aus dem Amtsadel ein sozialer Adel wird, der sich auf alle Familienmitglieder erstreckt95 • Für ihn gilt in erster Linie das freie Familienrecht96 und damit die individuellen Rechte der einzelnen Familienmitglieder. Dementsprechend kann jedes auf seine Erbberechtigung pochen. Es lassen sich zumindest drei Ursachen für den Wandel des alten Amtsadels zu einem sozialen Adel nennen. Zum einen das für ihn grundsätzlich geltende freie Volksrecht (nur in ganz begrenzten Bereichen unterliegt der vasallitische Herrenstand ja dem Dienstrecht). Als zweiter, mehr gesamtpolitischer Grund, kommt die bereits obenerwähnte Entwicklung97 im Lehnsrecht hinzu, wo im Zuge der immer stärker werdenden Anhindung allen Rechts an Grund und Boden auch 95

96

t7

Bornhak, Adelsrecht, S. 15. Vgl. oben Kap. III § 1 A 1 a. Vgl. oben, Kap. III § 1 A 1 a.

3 Mikllss

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Herrschaft und Dienst zu bloßem Gebietszubehör und, abgetrennt, zur selbständigen Immobiliarrechten des Privatrechts geworden sind. Diese vormals öffentlichen, nunmehr aber privaten Rechte wurden vererblich und veräußerlich, und der Aspekt der vom Reiche verliehenen Ämter trat hinter dem des ererbten Familienbesitzes zurück98• Ein weiterer, politischer, Umstand, der hier noch hineinspielt, ist das Verschwinden jeglicher Zentralgewalt im Interregnum, nach dem Untergang der Staufer99 • Juristische Konsequenz ist, daß es nunmehr zu Teilungen des Erbes, insbesondere des ererbten Herrschaftsgebietes kommt. Es fällt an sämtliche Familienmitglieder, die auch sämtlich auf den Reichstagen vertreten sind. Auf diese Weise wird auch deiureaus dem ehemaligen Amtsadel der Stauferzeit ein alle erbfähigen Mitglieder des Geschlechts umfassender sozialer Adel. Der Wandel im Selbstverständnis dieser neuen sozialen Schicht hoher Herren spiegelt sich bezeichnenderweise in den beiden großen Gesetzeswerken100 dieser Zeit wider: Der Schwabenspiegel - gegen 1280 - spricht zum ersten Mal von einem Ebenbürtigkeitsrecht, wonach jeder aus dem Herrenstande nur im Herrenstande heiraten solle, während der Sachsenspiegel - etwa 50 Jahre früher - also gegen 1230, dieses Postulat einer ebenbürtigen Heirat noch nicht erwähnt hatte. Es ist dieses sich auf alle Familienmitglieder beziehende Ebenbürtigkeitsrecht, das nunmehr den Hohen Adel entscheidend von den anderen Ständen, auch dem übrigen Adel, abschließt101, ja in Zukunft den Hohen Adel selbst untereinander noch differenzieren wird: für die regierenden Häuser wird es aufgrund öffentlichen Rechts bestehen, für die standesherrlichen aufgrund Privatrechts102. Für diese wird auch der Niedere Adel ebenbürtig sein, für jene nur Mitglieder regierender oder ehedem regierender Häuser103. Dieses Ebenbürtigkeitspostulat bildet seitdem ein wichtiges Kriterium des deutschen Hochadels und bleibt gesetzlich bis in unser Jahrhundert festgelegt104.

Gierke, S. 152 ff. Bornhak, Adelsrecht, S. 14. 1oo Bornhak, Adelsrecht, S. 16. 101 Bornhak, Adelsrecht, S. 30; vgl. auch die vielen bei Müller angeführten Beispiele. 102 Bornhak, Adelsrecht, S. 36. 1oa Bornhak, Adelsrecht, S. 36. 104 Rensch, S. 45 ff. ; vgl. ferner die Beispiele bei Müller. 98 99

§ 1 Deutscher Adel

a) Hochadliges Haus -

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Privatfürstenrecht105

Das Hauptproblem für diese neue Schicht als herrschendem Stand ist die Gefahr seiner völligen Zersplitterung und damit einer herrschaftsbedrohenden Krise durch die möglichen und auch vollzogenen radikalen Erbteilungentos. Dem wirkt man entgegen, indem man einerseits - wie bereits erwähnt - die Reichsstandschaft zu verdinglichen trachtet, was endgültig erst 1562 gelangto7. Zum anderen bemüht man sich, eine Rechtsentwicklung nachzuvollziehen, die Karl IV. in der Goldenen Bulle 1356 bereits für die Kurländer festgelegt hatte108, nämlich durch rechtliche Bindung Land und Leute ungeteilt in einer Hand zu behalten, indem man die Individualinteressen der einzelnen Familienmitglieder zugunsten der Gesamtfamilie im weitesten Sinne, deren Ansehen und Macht durch jede Teilung sinkt, eindämmttou. Die als Antwort darauf gewählte Art der Selbstorganisation in der Form eines korporativen Zusammen- und Abschlusses im sog. hochadligen "Haus" - wofür das Ebenbürtigkeitsrecht als Voraussetzung gedient hatte - ist das wohl entscheidende Merkmal, das den Deutschen Hochadel bis in unsere Zeit110 kennzeichnet und von anderen Ständen und Gesellschaften unterschieden hat111 • Das "Haus" ist die zur juristischen Person zusammengeschlossene Gemeinschaft aller Agnaten, d. h. aller Verwandten gleichen Namens und Stammes als seiner aktiven Träger112• Entsprechend ihrer Rechtsnatur genießt diese juristische Person Autonomie113, d. h. die Korporation des Hauses hat das Recht, die eigenen Angelegenheiten insbesondere auf dem Gebiet des Vermögens-, Familien- und Erbrechts sowie der Namen und Titel selbständig durch Schöpfung objektiven, alle Mitglieder des Hauses bindenden Rechts zu regeln. tos Vgl. dazu Rehm, H., Modernes Fürstenrecht, München 1904; Bornhak, C., Hausgesetz und Hausvertrag, DJ 1927, 1140 ff.; Schulze, H., Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, 3 Bde, Jena 1862. tos Bornhak, Adelsrecht, S. 14 ff., 32. 101 s. oben Anm. 84. tos Bornhak, Adelsrecht, S. 32; Gierke, S. 414, Anm. 22. tou Noch Moser sieht im 18. Jh. den einzigen Grund solcher Regelungen allein in der Eigeninitiative des Herrenstandes zur Erhaltung des Lustres der landesherrlichen Familie (vgl. Bornhak, Verfassungsgeschichte, S. 23). Gierke (vgl. Gierke, S. 415) weist schließlich auf die große Bedeutung hin, die hierbei den Landständen zukam. uo Rensch, S. 43 ff. m Außerhalb Deutschlands gab es ein Ebenbürtigkeitsrecht nur in Rußland, vgl. Bornhak, Adelsrecht, S. 115. 112 Brintzinger, S. 98 f. ; Gierke, S. 418 f. 113 Gierke, S. 419. 3*

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!II Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Dieses Sonderrecht der hochadligen Häuser beruhte auf Standesgewohnheitsrecht114 (gemeines deutsches Fürstenrecht) oder auf privatrechtlichem Vertrag zwischen allen Agnaten, letzteres deshalb, weil alle Familienmitglieder reichsunmittelbar waren, dem Landesherrn gegenüber den einzelnen Mitgliedern seines Hauses also keinerlei Satzungsgewalt zukam115. Den Rang einer Rechtssatzung erhielten die Hausgesetze nur in den Fällen einer Kaiserlichen Bestätigung, die allerdings materiell lediglich beinhaltete, daß kein Reichsrecht verletzt sei118• Erst nach Auflösung des alten Reiches war es für die aus dem Reich entlassenen nunmehr souveränen Herrscher möglich, Hausgesetze ohne Zustimmung der Agnaten in der Form verbindlicher Regelungen zu erlassen117. Das Hausrecht enthielt ursprünglich auch staatsrechtliche Bestimmungen, die besonders der Landesteilung entgegenwirken oder die Thronfolge der weiblichen Linie sichern sollten. Mit dem Übergang zum Konstitutionalismus beschränkte sich das Hausrecht auf das Privatrecht, soweit nicht die Landesverfassungen auf die landesherrlichen Hausgesetze Bezug nahmen118. Im Unterschied dazu blieb es in den seit 1803 mediatisierten Häusern des Hohen Adels ununterbrochen bei dem älteren Rechtszustand, wonach die Agnaten nicht Untertanen des Familienoberhauptes waren, es auch nicht werden konnten, weil dieses die Landeshoheit verloren hatte. Dementsprechend konnte sich bei dieser Gruppe das Hausrecht weiterhin nur in der Form von privatrechtliehen Verträgen herausbilden119. Die autonome Befugnis zum Abschluß solcher Verträge wurde in Art. 14 der Deutschen Bundesakte von 1815 gewährleistet. Durch Art. 57, 58 EGBGB wurde diese Autonomie und damit die Sonderstellung des Hohen Adels aufrechterhalten. Art. 109 WRV bestimmte deren Aufhebung im Wege der Gesetzgebung. Dieser Verfassungsauftrag an die Gesetzgeber der Länder wurde in Preußen durch das Adelsgesetz vom 23. Juni 1920 ausgeführt12o. 114 Gierke, S. 419; Bornhak, Adelsrecht, S. 31. 11s Bornhak, Adelsrecht, S. 32 f. 116 Bornhak, Adelsrecht, S. 35. 117 So erließ König Max Joseph v. Bayern auf diese Weise sein Hausgesetz vom 28. 6. 1808 ohne Zustimmung der Agnaten auf seine Berechtigung pochend "als erstes souveränes königliches Haupt unserer Familie" (vgl. Bornhak, Adelsrecht, S. 36). us Rensch, S. 44 f. 119 Bornhak, Adelsrecht, S. 38. 120 Gesetz über die Aufhebung der Standesrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen; ausgegeben zu Berlin am 22. Juli 1920, beschlossen am 23. Juni 1920, G.-S. S. 367 ff.

§ 1 Deutscher Adel

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Inhaltlich121 wird das Hausrecht in seiner Eigentümlichkeit als hochadliges durch drei Grundprinzipien geprägt, aus denen sich die anderen Strukturen ableiten lassen, nämlich: -

Titel, auf den noch näher einzugehen sein wird;

-

Ebenbürtigkeit als soziologische Voraussetzung und gemeinsame Klammer des gesamten deutschen Hochadels; Autonomie, die als Autonomie eines Vereins wiederum bestimmte Konsequenzen nach sich zieht, und zwar erstens: die korporative Verfassung des Hauses, zweitens: die Tatsache, daß jedes Haus sein eigenes Recht bildet, man also keineswegs von einem einheitlichen fürstlichen Hausrecht ausgehen kann, sondern lediglich bestimmte Grundstrukturen der Verfassung den hochadligen Häusern gemeinsam sind, während einzelne Rechtsinhalte durchaus von Haus zu Haus unterschiedlich geregelt sein können.

-

Die Grundtatsache, daß das Haus Korporation ist, bedeutet mithin, daß es eine vom Wechsel der Familienmitglieder unabhängige Gesamtpersönlichkeit der Familieneinheit ist. Als derart überpersönliches Gebilde ist es auf Dauer, d. h. auf den Wechsel der Generationen über Jahrhunderte hinweg angelegt. Juristisch bedeutet das: das Haus ist Subjekt des korporativen Rechts und Quelle der Verfassung. Träger dieses korporativen Rechts ist die Gesamtheit der Agnaten. Nur sie haben Stimmrecht, während eingeheiratete Frauen und Kognaten lediglich Schutz- und Passivgenossen in der Korporation sind. Aus der genossenschaftlichen Organisation folgt ferner, daß jedes Hausmitglied als solches auch gegen seinen individuellen Willen an das Hausrecht gebunden ist. Dieses umfaßt seinem Gegenstand nach nicht nur die eigentliche Hausverfassung, sondern auch die in ihr wurzelnden Privatrechte des Einzelnen, so vor allem die Sukzession in das Hausvermögen, die Grundsätze über die Primogenitur, eventuelle Erbrechte, Abfindungen, Erbverzichte, Versorgung der Witwen, vor allem das Eherecht (Ebenbürtigkeit), väterliche Gewalt und Vormundschaftsrecht sowie eine Reihe persönlicher Folgen des Familienverhältnisses bis hin zu Bestimmungen über Namen, Stand, Rang, Titel, ja selbst über die Religion. Aus der korporativen Hausverfassung ergibt sich ferner, daß dieses Haus durch seine Organe handelt. Geborenes Organ und Oberhaupt der Korporation ist das Familienhaupt, sei es als regierender Herr, sei es als bloßer Familienchef (so nach 1803 bzw. 1918). Er ist ausschließlicher Verwalter und Nießbraucher des im Eigentum des Gesamthauses 121

Zum Folgenden: Gierke, S. 418 ff.; Bornhak, Adelsrecht, S. 31 ff.

III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

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stehenden Hausvermögens, während den übrigen Mitgliedern der Korporation lediglich besondere Rechte auf Abfindung, Entschädigung usw. zukommen. Ihm obliegen Aufsichtsfunktionen innerhalb der Korporation, insbesondere auch hinsichtlich der Familiendisziplin und, je nach Hausverfassung, nimmt er insofern neben der Rechtsquelle die von der Gesamtheit der Agnaten ausgeht, wesentliche Rechtssetzungsbefugnisse wahr. Als Korporation manifestiert sich das Haus, und das ist die zweite fundamentale Tatsache, in der Erzeugung und Bewahrung eigenen Rechts; denn Autonomie ist die Konsequenz der genossenschaftlichen Verfassung. Das bedeutet, je nach Haus verschieden, auch Ordnungsbzw. Polizeifunktionen im Interesse der Familiendisziplin und Aufsicht für das Familienhaupt. Das bedeutet insbesondere auch in allen das Haus betreffenden Rechtsmaterien den Ausschluß ordentlicher Gerichte und die Zuständigkeit der Hausgerichtsbarkeit bzw. von Schiedsgerichten. b) Standesvorrechte Die Standesvorrechte mit ihrer jeweiligen Ausprägung im jeweiligen Hausrecht, auf die sich der deutsche Hochadel berief, hatten sich, wie bereits dargelegt, zeitweise bis zur vollen Landeshoheit, ja schließlich bei den sogenannten landesherrlichen Häusern bzw. deren Oberhäuptern sogar bis zur, zuletzt konstitutionell eingeschränkten, vollen Souveränität gesteigert. Der gesamte übrige deutsche Hochadel unterlag durch Mediatisierung und Depossedierung zwar im wesentlichen der Landesgesetzgebung, doch hatte sich auch bei ihm seine ehedem umfassende und allgemeine Rechtsstellung wenigstens rudimentär erhalten. Exemplarisch für die anderen Staaten zählt das Preußische Adelsgesetz vom 23. Juni 1920122, zum Zwecke der Aufhebung, die öffentlichrechtlichen Vorrechte des Hohen Adels in Preußen, wie sie vor den Verfassungsumwälzungen bestanden hatten, noch einmal auf. Es sind: 1. das Recht eigener Gesetzgebung (Autonomie) und Gerichtsbarkeit;

2. das Recht, durch besondere Behörden oder Beamte öffentlichrechtliche Befugnisse auszuüben oder Staatsbeamte mit der Wahrnehmung hausrechtlicher Aufgaben zu beauftragen; 3. das Recht auf die Prädikate Königliche Hoheit, Hoheit, Durchlaucht und dergleichen und auf besondere Ehrungen (Landestrauer, Ehrenwachen, Kanzleizeremoniell und dergleichen); 122

G.-s. s. 367 u.

§ 1 Deutscher Adel

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4. das Recht, Titel oder Auszeichnungen zu verleihen, die den Anschein staatlicher Titel oder Auszeichnungen zu erwecken geeignet sind; 5. das Recht besonderer Vertretung in Körperschaften des öffentlichen Rechts; 6. die Befreiung von öffentlich-rechtlichen Pflichten, Lasten und Abgaben; 7. das Recht besonderen Strafschutzes und des besonderen Gerichtsstandes vor staatlichen Behörden; 8. die Befreiung von Arrest, Verhaftung und sonstigen Beschränkun-

gen der persönlichen Freiheit;

9. das Recht der gesetzlichen Vertretung in Rechtsstreitigkeiten und

bei der Ableistung von Eiden;

10. das auf Grund Haus- oder Landesrechts in den Häusern der vor-

maligen Landes- und Standesherren etwa noch bestehende besondere Ehescheidungs-, Entmündigungs- und Vormundschaftsrecht sowie das besondere Recht der Eheschließung, namentlich auch soweit es Nachteile an eine den Ebenbürtigkeitsbegriffen des Hausrechts nicht entsprechende Eheschließung knüpft.

Davon sind unentziehbare Vorrechte eines jeden schlechthin hochadligen Hauses123 (gleichgültig ob regierend, vormals regierend oder standesherrlich) Autonomie (oben Punkt 1), Ebenbürtigkeit (Punkt 10) und Titel (in § 22 geordnet). B. Niederer Adel

Der Niedere Adel bildet einen vom Hohen Adel im Rechtssinne wesentlich verschiedenen Stand124 • Die sowohl Hohem wie Niederem Adel seit dem 16. Jh. gemeinsame Bezeichnung "Adel" 125 täuscht darüber hinweg, daß der Niedere Adel sowohl vom Herkommen wie vom geschichtlichen Werdegang, insbesondere hinsichtlich seiner Vorrechte und inbezug auf deren Qualität und Quantität, rechtlich ein Aliud und sozial eine Kopie inbezug auf den Hohen Adel darstellte.

1. Aufstieg und Erwerb der Rechtsstellung Es gilt zwei Entwicklungsperioden zu unterscheiden: Die erste Phase ist gekennzeichnet durch den Aufstieg aus der persönlichen Unfreiheit in die freie Ritterschaft. Diese Entwicklung ist etwa um 1300 beendet. 12s Rehm, Mod. Fürstenrecht, S . 459. 124 s . oben Kap. III § 1 B 1 c. 12s Bornhak, Adelsrecht, S. 19.

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Die zweite Phase beinhaltet die Entwicklung des daraus entstandenen Niederen Adels in Form des nur dem Kaiser unterstellten Reichsadels oder des durch fürstliche Gewalt mediatisierten Landesadels. Dieser Niedere Adel ist nach unten gegen Bauern- und Bürgertum (mit Ausnahme der Patrizierfamilien) und nach oben gegen den Hohen Adel abgeschlossen. Die Zugehörigkeit zum Niederen Adel bedeutet zumindest für die Zeitphase zwischen der Herstellung der staatsbürgerlichen Gleichheit in den Staaten bis zu den Verfassungsänderungen nach 1918 nurmehr eine erbliche Ehrenauszeichnung. In beiden Entwicklungsphasen bedient man sich zur Bewahrung und Erweiterung der eigenen Rechte korporativer Zusammenschlüsse. Allerdings unterscheiden sich diese in beiden Perioden nach ihrer Rechtsnatur: Bei den älteren Genossenschaften der unfreien Dienstleute eines Herrn handelt es sich um herrschaftliche Genossenschaften, bei denen der Grund der Zusammengehörigkeit - mehr oder weniger in der Unterwerfung unter denselben Herrn begründet liegt. Die Einigungen der zweiten Phase müssen dagegen z. T. als gewillkürte, freie Genossenschaften aufgrund freien Willens der genossenschaftlich verbundenen Glieder angesehen werden. a) Herkommen und Ausbildung einer freien Ritterschaft Hatte sich in merowingischer und karolingischer Zeit aus der Königsgefolgschaft ein neuer Stand entwickelt, der durch Königsdienst, insbesondere aber das Grafenamt sich über die volle Freiheit erhebend zum erblichen Geburtsstand des Hochadels wurde, so vollzieht sich in nachkarolingischer Zeit eine analoge Entwicklung bei den, nach herrschender Meinung, überwiegend unfreien Dienstleuten und Knechten dieser Herren bzw. den auf entsprechender Stufe stehenden kaiserlichen Dienstleuten. Durch den als besonders ehrenvoll geltenden Hof- und Waffendienst im herrschaftlichen Verband des Kaisers bzw. seiner Herren bildet sich innerhalb des unfreien Dienstgefolges eine oberste Klasse heraus, die sich dann zwischen dem 10. und 13. Jh. zu einem besonderen, gleichwohl noch unfreien Stande der Dienstmannen oder Ministerialen abschließt126• Von größter Wichtigkeit für die Herausbildung127 des Niederen Adels aus dem Ministerialenturn sowie für seine Abschließung sind insbesondere zwei Faktoren, nämlich Rittertum und Lehnswesen128• 126 Grundlegend: Bosl, K., Die Reichsministerialität der Salier und Staufer, ein Beitrag zur Geschichte des hochmittelalterlichen deutschen Volkes, Staates und Reiches, 2 Bde., 1967/68; Bornhak, Adelsrecht, S. 19 f.; Gierke, S. 180 f. 127 Rensch, S. 16; Bosl, in: Staatslexikon; Hartung, F., Deutsche Verfassungsgeschichte, Stuttgart 1950, 8. Aufl., S. 53 f. 12s Gierke, S. 188; Bornhak, Adelsrecht, S. 20 f.

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Gefördert insbesondere durch die Kreuzzüge, erlangt die sogenannte vita militaris des Rittertums129 eine höhere soziale Geltung als jede andere berufliche Tätigkeit. So, wie die Gesellschaft bereit ist, deren Vertretern größere persönliche Vorrechte zuzubilligen, bildet sich bei ihnen selbst auch ein besonderes Standesbewußtsein aus. Die alte germanische Rechtsanschauung, wonach Unterschiede im Waffenrecht zugleich Unterschiede des Standesrechts seien, trägt dazu bei, die Ritterschaft zum eigenen Stand herauszubilden, setzt sich doch zunehmend die Auffassung durch, nur den Rittern stehe volles Waffenrecht zu, während es die gemeinfreien Bauern allmählich verlieren. Der Ritterstand ist damit allerdings noch nichts anderes als ein bloßer Berufsstand, an dem jedoch in gleicher Weise unfreie Ministeriale und freie Vasallen teilhaben. Damit ist zwar keine rechtliche, wohl aber eine soziale Verklammerung zwischen Adel und Ministerialenturn möglich. Adlige Vorstellungen von Ebenhurt sowie adlige Sitten und Gebräuche wie Turnier und Schwertleihe färben auch auf die ritterlichen Ministerialen ab. Sie werden zum integralen Bestandteil einer höfischen Kultur, die auch ein gemeinsames Ritterrecht hervorbringt. Der durch die Kreuzzüge aktualisierte Ordensgedanke, der zunächst das Selbstverständnis des weltlichen Innungswesens beeinflußt, greift in der Folge auch auf das Rittertum über und führt zu der Anschauung, daß die gesamte abendländische Ritterschaft ein einziger brüderlicher Orden sei (ordo equestris), wobei das Ritterrecht in Parallele zur Ordensregel gesehen wird. Als man dann zunehmend postuliert, nicht mehr nur persönliche Eigenschaften und Vorzüge seien Voraussetzung für das Rittertum, sondern die ritterliche Lebensweise bereits der Vorfahren, ist aus dem Berufsstand ein Geburtsstand geworden. Im Spätmittelalter zerfällt dann die soziale Gemeinschaft des Rittertums in die beiden voneinander ständerechtlich geschiedenen Kreise des Hohen Adels und der Ritterschaften des Niederen Adels. Bedeutungsvoll für die Genese eines Niederen Adels ist neben dem Rittergedanken als zweiter Faktor das Lehnswesen130 : Im Gegensatz zur bloßen dinglichen Abhängigkeit, die insbesondere im Zuge des sich ausbildenden Lehnsrechts den Herrenstand nur noch sehr bedingt an den Herrscher bindet, ist die Abhängigkeit des Ministerialentums vom Herren noch persönlicher Natur, d. h. unabhängig Gierke, S. 188, 199 ff.; Winter. 1so Gierke, S. 188, 198; Bosl, in: Gebhardt, S. 165.

129

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von einem eventuellen Benefizium. Nicht Lehnsrecht, sondern die persönlichen Bindungen des Dienstrechts bestimmen sein abhängiges Verhältnis zum Herrn. Seit dem 11. Jh. werden die Ministerialen passiv lehnsfähig und können sogenannte Dienstlehen erhalten, d. h. sie können mit Lehen bedacht werden, diese jedoch nicht unterverleihen. Ihre Lehen sind ferner an die tatsächliche Ausübung des Dienstes geknüpft, können nur so lange genutzt werden, wie der Dienst andauert. Doch gerade dieses, wenn auch noch eingeschränkte, Lehnswesen dient ihnen als besonderer Hebel zum sozialen Aufstieg. Dank des Kaisertums, das zeitweise glaubt, sich ihrer als Instrument gegen den Herrenstand bedienen zu können13t, beginnt sich insbesondere in der Stauferzeit der Unterschied zwischen "echten" und "Dienstlehen" allmählich zu verwischen, wozu weiterhin auch beigetragen haben mag, daß die Ministerialen von fremden Herren stets auch "echte" Lehen empfangen konnten. Als dann die schöffenbar Freien des Sachsenspiegels, die sich durch Lehnsnahme über die Gemeinfreien erhoben haben, all diejenigen Gruppen aufnehmen, die sich aus der Ministerialität durch die Lehnsbewegung zu einer bloß dinglichen Abhängigkeit emporgearbeitet haben, dehnt sich die Genossenschaft der Lehnsbesitzer auch auf die ehemalige Dienstmannschaft aus und wird unter dem besonderen Namen einer Ritterschaft zum Verbandeall derer, die Lehen von demselben Herrn genommen haben. Inzwischen sind auch noch Mitglieder des Herrenstandes, denen es nicht gelungen ist, sich als Reichsvasallen in der obersten Spitze der Lehnspyramide anzusiedeln, hinzugestoßen (z. B. die Dohna)1 32 • b) Entwicklung: landsässiger Adel -

Reichsadel

Die erste Entwicklungsphase der Bildung eines Niederen Adels ist etwa um 1300 abgeschlossen. In ihrem Verlauf hat sich aus Teilen der freien Vasallenschaft, der diensthörigen Ministerialen und schöffenbar Freien allmählich auf dem Wege über Rittertum und Lehnswesen ein neuer Stand, der Niedere Adel, herausgebildetl33• Eine zweite Phase bringt die Entwicklung dieses sich zwischen Hohem Adel einerseits und Bürger- bzw. Bauerntum andererseits behauptenden und sich dagegen rechtlich abschließenden Niederen Adels. 1a1 132 133

Bosl, in : Gebhardt, S. 154. Rensch, S. 16; Gierke, S. 198; Bornhak, Adelsrecht, S. 21. Gie rke, S. 188; Bornhak, Adelsrecht, S. 22.

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Fürstlicher Territorialgewalt gelingt es, sich gegenüber der Mehrzahl dieses Niederen Adels durchzusetzen und ihn in Lehnsabhängigkeit zu nehmen. Hierbei handelt es sich um den sogenannten landsässigen Niederen AdeP 34 • Zusammen mit den anderen Ständen vereinigt er sich in Abwehr gegen den Landesherrn. Als wichtigstem Landstand gelingt es ihm, auf korporativer Grundlage in Gemeinschaft mit den anderen Landständen eine gewisse korporative Autonomie, deren Wurzeln in gemeinsamen Abwehr- und Mitspracherechten bereits erwähnt wurden, zu behaupten135 • Wichtigstes ständisches Recht in diesem älteren Ständestaat ist angesichts eines steigenden fürstlichen Geldbedarfs die Steuerbewilligung136. Die Stände, als Verbände aller lokalen Herrschaftsgewalten, vertreten nicht nur die Belange des Landes, zusammen mit dem Landesherrn sind sie vielmehr das Land137• Unter Vorgabe der Wahrung von Landesinteressen festigen und erweitern sie mit Hilfe der konfirmierten korporativen Freiheitsrechte auch ihre eigenen ererbten Vorrechte. Im Landtag findet diese landständische Verfassung ihre Organisationsform. Teilnahmeberechtigt daran ist der landsässige Adel, der persönlich erscheint, aufgrundeiner MatrikeP 38• Als es im Zuge des Umwandlungsprozesses von mittelalterlichem Territorium zum Landesstaat, der im 15. Jh. einsetzt, der erstarkenden fürstlichen Zentralgewalt gelingt, diese genossenschaftliche Mitwirkung zurückzudrängen, ist das der Beginn einer Entwicklung, die schließlich im Absolutismus ihren Höhepunkt findet. Konnte man den älteren Ständestaat vorher mit einer Ellipse139 vergleichen, deren ein Brennpunkt im Fürsten, der andere in den landständischen Herrschaftsträgern zu erblicken war, so greift nunmehr im Absolutismus ein "Verfürstlichungs- und Verstaatlichungs134

Gierke, S. 198 f.

Vgl. zur Gesamtproblematik: Spangenberg, H ., Vom Lehnsstaat zum Ständestaat, 1912; Hintze, 0., Typologie der ständischen Verfassungen des Abendlandes, Hist. Zeitschrift, Bd. 141/1930, S. 229 ff. 136 Bosl, in : Gebhardt, S. 223 ff. 137 Vgl. dazu: Brunner, 0., Land und Herrschaft, 1959, S. 423 ; Hintze ; Hartung, S. 85. 138 Oestreich, S. 77; Mitterauer, M., Grundlagen politischer Berechtigung im mittelalterlichen Ständewesen, S. 32 f. in: Der Moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, hrsg. von Bosl, K., Berlin 1977. 139 Näf, W., Frühformen des modernen Staates, Hist. Zeitschrift 171 (1951); Below, v., G., System und Bedeutung der landständischen Verfassung, 1923, 135

s. 129.

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prozeß" 140 Platz, der sowohl korporative Freiheitsrechte wie eigenererbte Vorrechte des landständischen Adels überwindet und schließlich auszuschalten versucht. Aus der ständischen Gleichsetzung von Land und Ständen des 16. Jh. wird die Identifizierung von Staat und Landesherrn im Sinne der Formell'etat c'est moi. Die Zentralgewalt geht damit nicht mehr von politisch konkurrierenden Herrschaftsgewalten, sondern von einem allgemeinen politischen Untertanenturn aus141. Konsequenterweise kommt es seit Ende des 18. Jh. zu landesherrlichen Regelungen des Adelsrechts, wobei das Preußische Allgemeine Landrecht die erste Kodifikation dieser Art ist. Die Zugehörigkeit zum Adel gewährt danach keine Sonderrechte mehr, sondern wird zu einer erblichen Ehrenauszeichnung. Die Preußische Verfassung vom 31. 1. 1850, um bei dem Beispiel Preußen zu bleiben, formuliert die allgemeine staatsbürgerliche Gleichheit142. Als dann Art. 109 III 3 WRV von einer Aufhebung der Vorrechte des Adels spricht, liegt darin für den Niederen Adel nach überwiegender Ansicht nurmehr deklaratorische Wirkung143. Für eine Gruppe des Niederen Adels, nämlich die Reichsritter144, nimmt die Entwicklung allerdings einen anderen Gang: Ehemals Königs- bzw. Reichsministerialenfamilien der staufischen Reichsländer, in Franken, Schwaben, am Rhein und im Elsaß entstammend145, gelingt es ihnen, teils aus eigener Kraft, teils durch genossenschaftlichen Zusammenschluß 146, sich fürstlicher Mediatisierung zu entziehen und der Unterwerfung unter eine Landesherrschaft zu entgehen. Zwar vermögen sie es nicht, die Reichsstandschaft zu erlangen weshalb sie Niederer Adel bleiben - doch sind sie reichsunmittelbar und genießen als kaiserliches Instrument antifürstlicher Politik nicht nur besonderen kaiserlichen Schutz, sondern erfreuen sich gegenüber 140 Oestreich, S. 90. 141 Oestreich, S. 91 ff. 142 G.-s. s. 17. us Über den Meinungsstand: Vorrechte - keine Vorrechte ausführlich Rensch, S. 10, Anm. 2. 144 Zusammenfassend hierzu: Bader, K. S., Der deutsche Südwesten, 1950; Pfeiffer, G., Studien zur Geschichte der fränkischen Reichsritterschaft, Jahrbuch für fränkische Landesforschung 22 (1962); Roth v. Schreckenstein, Freiherr, K. H., Geschichte der ehemaligen freien Reichsritterschaft, Bd. 1, Tübingen 1859. 145 Roth, S. 18 f., 544 f.; Bosl, in: Gebhardt, S. 217. 146 Gierke, S. 198 f., 489.

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dem landsässigen Niederen Adel besonderer Privilegien, die ihnen dank der engen Verbindungen zum Kaiserhaus bis zum Ende des Reiches erhalten bleiben147 • Art. 14 der Deutschen Bundesakte sollte ihnen schließlich noch einen Restbestand an Rechten sichern, doch geschah das bereits nach Maßgabe der jeweiligen Landesgesetzgebung und war im wesentlichen nichts anderes als das, was an Rechten bereits dem landständischen Adel zustand. Die Reichsritterschaft ging daher in der Folge sehr bald im landständischen Niederen Adel auf und teilte sein SchicksaP48 • c) Der Genossenschaftsgedanke bei Erwerb und Erweiterung

der Rechtsstellung

Viel stärker als beim Hochadel artikuliert sich beim Niederen Adel der Genossenschaftsgedanke, und zwar sowohl hinsichtlich der Intensität der genossenschaftlichen Bindungen als auch hinsichtlich der Quantität der Verbände. Die kräftigere korporative Einbindung hat historische Gründe in der unfreien Herkunft des Ministerialentums. Während nämlich der Hochadel, wie gezeigt, selbst in frühesten Zeiten seiner Teilnahme an der Königsvasallität nur in den diesbezüglichen dienstlichen Angelegenheiten besonderem Dienstrecht unterlag, sich im übrigen aber als edelfreier Stand auf die volksrechtlichen Korporationen und den von ihnen gewährten Rechtsschutz berufen konnte, war das Bedürfnis nach dem Schutz einer besonderen Genossenverbindung unter den vom Volksrecht abgeschnittenen Ständen der Ministerialen lebhafter149• Ursprünglich wie alle unfreien Diener eines Herrn rein herrschaftlich organisiert und in ihrer Verfügbarkeit allein vom herrschaftlichen Willen abhängig, trachten sie seit ihrer Emanzipation aus der allgemeinen Menge des unfreien Gesindes zu einem eigenen, zwischen Freiheit und Unfreiheit angesiedelten Stand, diese ihre herausgehobene Stellung durch besondere Korporationsbildung zu schützen, zu festigen und zu verbessern150• Neben ihrer Rechtsbindung an den gemeinsamen Herrn besteht daher schon früh für alle einem Herrn unterstehenden Dienstleute ein selbständiges Band untereinander, das sie zu einer eng verbundenen Genossenschaft, und zwar entsprechend dem ursprünglichen Rechtsgrund dieser Gemeinschaft zu einer herrschaftlichen Genossenschaft mit dem Herrn an der Spitze als selbständigem Haupt vereinigt. 147 148

149 150

Bosl, in: Gebhardt, S. 217, 232; Oestreich, S. 34. Bornhak, Adelsrecht, S. 40 ff. Gierke, S. 180 ff., 193 ff. Ebd., S. 182.

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Für die Genossenschaft ist ursprünglich der Herr Rechtsgeber eines besonderen Rechts, das in der Folge jedoch, genossenschaftlich fortgebildet, zum unentziehbaren Besitzstand der Genossenschaft wird. Im Innenverhältnis151 erlangt die Korporation für sich selbst eine immer unabhängigere Selbstverwaltung, darüber hinaus aber eine zunächst vom Herrn ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gewährte, schließlich sich zum Anspruch verfestigende Teilnahme an Verwaltung und Regiment der ganzen Herrschaft, so daß der Herr ohne Zustimmung der Korporation schließlich keine Regierungsakte mehr vornehmen kann. Von ihrer Rechtsnatur152 her bleibt die Ministerialenkorporation trotz derart weitgehender Selbstverwaltung und politischer Mitwirkungsrechte bis zu der infolge der lehnsrechtliehen Verdinglichung und des Rittergedankens erfolgten Auflösung dieses Ministerialerwerbandes im 13. und 14. Jh. und seinem Aufgehen in einer freien Ritterschaft ein diensthöriger Herrschaftsverband, dessen Existenzgrund die Bestätigung des Herrn ist, in dem er originäre Rechte ausübt und alleinige Vertretungsmacht innehat. Mit Vollendung der neuen Standesbildung freier Ritterschaften gegen Ende des 13. Jh. (womit entsprechende Standesbildungen bei Geistlichkeit und Bürgertum parallel gehen) ist dieser Stand sowohl von seinem Selbstverständnis als auch von seiner äußeren Organisation her genossenschaftlich verbunden (bei den anderen Ständen vollzieht sich ähnliches). In der Zukunft werden sich daraus die reichsständischen Rechte der Reichsritterschaft sowie die landständischen Rechte der landsässigen Ritterschaften entwickeln153. Allerdings vollzieht sich diese korporative Bindung nicht in einer einzigen Genossenschaft, sondern in einer VielzahP 54 von Verbänden: Steht an der Wurzel des Niederen Adels seine Herkunft aus dem unfreien Ministerialenturn des Kaisers bzw. seiner verschiedenen Kronvasallen und bilden diese Ministerialen dann in den jeweiligen Herrschaftsverbänden, wie dargelegt, herrschaftliche dienstrechtliche Genossenschaften, so ist es an sich selbstverständlich, daß, entsprechend der Vielzahl der verschiedenen, rechtlich streng voneinander abgeschlossenen Herrschaftsverbände eine Vielzahl von Genossenschaften vorhanden ist, in denen sich, je nach Herrschaftsverband, die Ministerialen als Standesgenossen vereinigen. 1s1 1s2 153 154

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 186. S. 182 ff. S. 186, 198 f. S. 156 ff., 184 f .

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Neben diesem horizontalen Nebeneinander trennt die Ministerialen jedoch auch ein vertikaler Unterschied des Genossenschaftsgefüges im Sinne verschiedenrangigen Rechts der Genossenschaft bzw. ihrer Mitglieder, der Standesgenossen155 : Je nach dem Stande des Herrn deutet z. B. der Schwabenspiegel auch auf die Unterschiedlichkeit des Dienstrechts und dementsprechend der genossenschaftlichen Organisation der Ministerialen hin, so daß man von drei verschieden berechtigten Klassen von Dienstmannen mit jeweils niedrigerem Rang auszugehen hat: Zuoberst die Reichsministerialen, gefolgt von den Ministerialen der Kirche, weiter den Ministerialen des Adels, wobei unter den letztgenannten die Korporationen der fürstlichen, von denen der gräflichen, freiherrlichen oder stiftischen Dienstmannen sich untereinander wiederum rangmäßig abstufen. In der zweiten Periode, als sich aus Teilen der freien Vasallenschaft, der diensthörigen Ministerialen und schöffenbar Freien allmählich über Rittertum und Lehnswesen der Niedere Adel konsolidiert hat, erlangt der Genossenschaftsgedanke bei ihm eine weit größere Bedeutung. Entsprechend der nunmehr vollen Freiheit ihrer Mitglieder, beruhen die Vereinigungen nunmehr ausschließlich auf dem freien Willen der Verbundenen; denn mit voller Freiheit geht ein freies Einigungsrecht einher. Die Mitgliedschaft in der herrschaftlichen Genossenschaft ist damit der Mitgliedschaft in einer freien Genossenschaft gewichen156. Nach dem Verfall der Stufenordnung der Lehnsverfassung und dem Aufhören staatlicher Ordnungskräfte im Zuge des Untergangs der Hohenstaufenherrschaft beginnt zuerst zwischen den Städten, dann innerhalb des Herrn- und Ritterstandes sowie des Klerus, schließlich sogar zwischen der Gesamtheit aller Stände, eine politische Einigungsbewegung157 in der Form von Gesellschaften, Bündnissen und Eidgenossenschaften mit dem Ziel, durch die eigenmächtige Verbindung der Glieder das zu erreichen, was das verfallende Reich selbst nicht mehr zu leisten vermag, nämlich eine Friedensordnung herzustellen und dieses Reich als großes Föderativgemeinwesen neu zu konstituieren. Angestoßen durch die Städtebünde, entstehen auf diesem Hintergrund insbesondere in der zweiten Hälfte des 14. Jh. Adelsbünde und Rittergesellschaften des Niederen Adels 158 (der Herrenstand nimmt an 155 156 157 1ss

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 184 f. S. 492 f.

S . 457 ff.

S. 487 ff.

111 Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

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diesem politischen Einigungswesen am wenigsten Anteil, da ihm zur Erhaltung und Erweiterung seiner Machtverhältnisse die eigene Kraft genügt). So entstehen z. B. die Wetterausche Gesellschaft 1362 in Hessen, die Gesellschaft vom Stern 1371 in Hessen, Sachsen, Thüringen und am Oberrhein, die Gesellschaft der Fürspränger 1355 in Franken, die Gesellschaft vom St. Georgenschild 1392 insbesondere in Schwaben, die Gesellschaft vom Einhorn 1410 in Thüringen, die Rittervereinigung vom Drachen und der Elefantenbund in Österreich und in Tirol. Hauptzweck all deser Rittergesellschaften, die im Innenverhältnis Gemeinschaften des Friedens und des Rechts begründen sollen, ist es nach außen, die Standesinteressen gegen Fürsten und Städte zu verteidigen. Dementsprechend treffen sie insbesondere auf den Widerstand der Landesherren, und in dem Maße, als ihr Ziel, insbesondere die Wahrung der völligen Unabhängigkeit von der Landeshoheit mißlingt, hört das ritterliche Einigungswesen Anfang des 15. Jh. in Norddeutschland, Mitte des 15. Jh. auch im Süden auf. Die fürstlichen Landesherren trachten zunehmend, sich dieses gegen sie gerichteten Instruments zu bemächtigen159 und geben ihm eine Sinnänderung, indem sie daraus Vereinigungen gesellschaftlichen Charakters, z. B. Turniergesellschaften, fürstliche Ritterorden machen, jeweils mit sich, dem Landesherrn, an der Spitze. Dementsprechend wie die Versammlungen der nunmehr durch landesherrliche Begnadigung aufgenommenen Mitglieder an Bedeutung verlieren, der freie korporative Gedanke also schwindet, vollzieht sich eine Entwicklung in Richtung des modernen Ordenswesens. Lediglich der ursprünglich schwäbischen Rittergesellschaft vom St. Georgenschild ist ein Fortbestand als selbständige politische Korporation beschieden. Sie absorbiert in der Folge die Überbleibsel der übrigen Gesellschaften sowie aller anderen Elemente des Niederen Adels, welche sich erfolgreich gegen die Landsässigkeit zur Wehr gesetzt haben und wird zum Werkzeug, mit welchem die Reichsritterschaft, wenn auch nicht Reichsstandschaft, so doch Reichsunmittelbarkeit und korporative Selbständigkeit für sich erringen kann160• Für diejenigen in den Rittergesellschaften verbundenen Elemente des Niederen Adels, denen es nicht mehr gelingt, die völlige Unabhängigkeit von der Landeshoheit zu erringen, geht der politische Impetus der Ritterbünde in die landständischen Einungen über. Das bleibende Resultat sind dort die mehr oder minder selbständig ausgebildeten 159

1oo

Ebd., S. 496 f. Roth, S. 544 f ., 618 - 652.

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korporativen Organisationsformen und ständischen Rechte der landsässigen Ritterschaft in der Form einheitlicher landständischer Genossenschaften1 61. Verschiedenartig sind die Formen, in denen sich schließlich der Zusammenschluß der so gebildeten Stände zu einer Gesamtkörperschaft, der Landschaft, in den einzelnen Territorien vollzog. Verschiedenartig ist schließlich auch die Form, wie dann nach dem im 15. Jh. einsetzenden Umbildungsprozeß der mittelalterlichen Territorien in Landesstaaten die Landtage als Organisationsform der landständischen Verfassung ihre bzw. ihrer Glieder Freiheitsrechte dem Fürsten gegenüber behalten162 • Sucht man beim Niederen AdeP 63 neben der Mitgliedschaft in diesen über die Familie hinausreichenden, ins Politische einwirkenden Vereinigungen nach engeren, stärker auf das einzelne Geschlecht oder die Familie gerichteten Gemeinschaftsformen, so fehlt im allgemeinen eine Abschließung in der Art der "Häuser" des Hohen Adels. Vielmehr sind es gerade die politischen und sozialen Vereinigungen, die dem Niederen Adel (wie auch dem Bürgertum) die fehlende Geschlechtsgenossenschaft, die für den Hohen Adel das "Haus" beinhaltet, ersetzen müssen. Daß jedoch Rudimente einer genossenschaftlichen Verbindung ähnlich der des hochadligen "Hauses" dem Niederen Adel bis ins 18. Jh. und 19. Jh. nicht völlig fremd waren, läßt sich z. B. an der Rechtsstellung des unehelichen Kindes eines adligen Vaters zeigen: Müller 16' demonstriert das am Beispiel des berühmten Generals der Befreiungskriege Johann David Ludwig York v. Wartenburg. York, 1759 unehelich geboren, ist niemals formell legitimiert worden. Trotzdem trägt er den Namen seines außerehelichen Vaters, des Leutnants David v. York, und zwar allein durch die (sogar nur) stillschweigende Anerkennung durch das "Geschlecht" der York als Geschlechtsgenosse. Bestimmend für seine Zugehörigkeit zum Geschlecht sind demnach satzungsmäßige (observanzmäßige) Elemente der Genossenschaft. Wen die Genossenschaft, hier also die Yorks, nach eigenen Grundsätzen als Geschlechtsgenossen anerkennt, der ist Mitglied dieser Rechtsgemeinschaft. Selbst das kodifizierte Landesrecht kann diese Form der Autonomie nicht unberücksichtigt lassen: Gierke, S. 496; Oestreich, S. 78. Vgl. Oestreich, S. 77 ff., 94 ff.; Brunner, 0 ., Adeliges Landleben und Europäischer Geist, Salzburg 1949, S. 23 ff. 163 Gierke, S. 423 f. 164 Müller, S. 55 im Anschluß an Kekule v. Stradonitz. 1e1

162

4 Mlkliss

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So bestimmt das Preußische Allgemeine Landesrecht (Teil II, Titel 2, §§ 603 ff.), daß bei der Legitimation per rescriptum principis das Kind nur dann die Zugehörigkeit zur Familie des Vaters erhält, wenn es durch förmlichen Familienbeschluß aufgenommen wird. Eine ähnliche, eine gewisse genossenschaftliche Autonomie des Niederen Adels berücksichtigende Bestimmung findet sich in § 2 des Bayerischen Adelsediktes165.

2. Struktur und Rechtsstellung des Niederen Adels Bei Untersuchung von Struktur und Rechtsstellung des Hohen Adels hat sich gezeigt, daß man spätestens vom Westfälischen Frieden an, als die Entwicklung der Reichsverfassung im wesentlichen abgeschlossen ist, bis zum Ende des Reichs 1806 in dieser Frage bei ihm von konstanten Größen ausgehen kann. Erst im 19. Jh., insbesondere durch Mediatisierung und Depossedierung bestimmter Häuser, treten Veränderungen der Rechtsstellung ein. Rechtsstellung und Aufbau beim Niederen Adel sind keine über Ort und Zeit gleichbleibenden Faktoren. a) Struktur Man hat mit Recht behauptet, die Reichsverfassung habe für die Reichsstände die Aufgabe einer "negativen Schutzorganisation168 erfüllt und vor allem verhindert, daß die schwächeren Reichsstände in ihrem Besitzstand von den stärkeren bedroht bzw. sogar vereinnahmt werden konnten. Dergleichen Rechtsgarant - nimmt man die Reichsritterschaft aus fehlte dem Niederen Adel. Vielmehr verharrt er stets im fürstlichen Herrschaftsverband und so in einer vom Fürstentum abhängigen Rechtsposition: Bereits seit den Zeiten Barbarossas durch 'd ie Lehnspyramide vom Rechtskreis des Reiches abgeschnitten, wird er in der Folge immer stärker durch das Fürstentum mediatisiert, das schließlich im Absolutismus das alleinige Herrschaftsmonopol in den Grenzen seines Staates durchzusetzen weiß. Hatte er insbesondere dank seiner korporativen Zusammenschlüsse von den Zeiten der Ministerialität an bis zu den freien Einungen, die zur Standschaft führten, eine gewisse167 eigenberechtigte Teilnahme an der Herrschaft erlangen können, so gelten mit dem Sieg des Absolutismus die von ihm ausgeübten Herrschaftsrechte nurmehr als vom 165 Bornhak, Adelsrecht, S. 57. 166 Oestreich, S. 43, 54. 167 Zu dieser Einschränkung insbes. Hartung, S. 89 ff.

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Fürsten delegiert und die Träger des alten Herrschaftsrechts damit nur noch als disponible Privilegierte im Kreis einer sonst gleichen Staatsbürgerschaft188. Man kann daher, streng genommen, nicht von der einheitlichen Rechtsstellung des Niederen Adels sprechen, sondern muß zu verschiedenen Zeiten und Orten von verschieden starken Rechtspositionen verschiedener Adelsgesellschaften ausgehen. Zu diesem Adel zählen im Lehnszeitalter die grundbesitzenden Lehnsmannen samt ihrer Familienmitglieder189. Seit Karl IV. wächst die Einwirkungsmöglichkeit des Herrschers, später auch der Landesherren über den Niederen Adel; denn von da an können ihm durch Nobilitierung per Diplom ohne Rücksicht auf Grundbesitz bzw. Beruf neue Elemente als sog. BriefadeP70 zugeführt werden. Dabei bleibt, rein formal, die Adelsverleihung zwar bis zum Ende des Reiches Reservatsrecht des Kaisers, er allein gilt als fons nobilitatis. Tatsächlich aber entscheiden schon bald die Landesherrn über die Gestaltung der Adelsgesellschaft; denn bald nehmen sie das Recht der Adelsverleihung für sich in Anspruch, verbieten schließlich teilweise sogar die Führung anderswo erworbenen Adels (so z. B. § 13 II, 9 ALR) 171• Dieser vom Rechtskreis des Reiches abgeschnittene landsässige Adel, der also dadurch nicht zum Hochadel zählen kann, beschränkt sich nicht auf den einfachen Adel, sondern ist differenziert und kann alle Adelsränge umfassen: Als nämlich seit Ferdinand IV. ab 1653 die kaiserlichen Erhebungen in die höheren Adelsränge allein zur Erlangung des Hohen Adels und der Reichsstandsschaft nicht mehr genügen 172, sondern dazu auch der Erwerb eines reichsunmittelbaren Territoriums und die ausdrückliche Aufnahme in das entsprechende Kollegium des Reichstages seitens der Standesgenossen erforderlich sind, bewirken diese kaiserlichen Standeserhöhungen, z. B. in den Reichsgrafen- oder Reichsfürstenstand, allein keine Zugehörigkeit zum Hohen Adel mehr, was natürlich erst recht bei entsprechenden Standeserhöhungen seitens des Landesherrn gilt. Nicht zuletzt zählen zu diesem Kreis auch die alten Familien edelfreier Herkunft, wie z. B. die bereits erwähnten Dohna, denen im 188 189 110 111 172 4•

Bosl, Staatslexikon. Bornhak, Adelsrecht, S. 22. Ebd., S. 23; Rensch, S. 4, Anm. 9. Bornhak, Adelsrecht, S. 25.

Ebd., S. 18.

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Lehnszeitalter eine Ansiedlung in der obersten Stufe der Lehnspyramide nicht gelungen war und die demzufolge nicht im Reichsfürstenstand Aufnahme fanden 173. b) Rechtsstellung Grundlage der Rechtsstellung des Adels ist seit dem Verdinglichungsprozeß des Lehnszeitalters die Grundherrschaft174• Sie trennt schon im Frühmittelalter die bäuerlichen Bevölkerungsteile vom Staatsoberhaupt ab und unterstellt sie dem adligen Grundherrn. Dazu zählt im Laufe der Zeit auch der ritterliche Grundherr, der wohl zunächst der Vogtei des Lehnsherrn175 unterstellt ist, also Teil von dessen Herrschaft ausübt. Diese folgt aber der allgemeinen Tendenz des Lehnsrechts und geht zunehmend auf ihn über. Die Grundherrschaft blieb teilweise bis ins 19. Jh. die Basis für die Rechtsstellung des Niederen Adels. Die aus der Grundherrschaft entspringenden Rechte gliedern sich mit der Zeit in verschiedene Gruppen: Zum einen sind es die Rechte, die aus der dinglichen Herrschaft über Grund und Boden sowie über die dort ansässigen unfreien Personen herrühren. Zum zweiten sind es Verwaltungsrechte. Zum dritten stehen dem Grundherrn bestimmte Gerichtsrechte zu. Allerdings bestehen im Maß der Abhängigkeit der bäuerlichen Bevölkerung qualitative Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland176: Im Westen sachliche Abhängigkeit und bloß allgemeines Untertanenverhältnis - im Osten persönliche Abhängigkeit bis hin zur Leibeigenschaft. Man hat diese Unterschiede aus der verschiedenen Größe der Wirtschaftseinheiten des jeweiligen Adels zu erklären versucht. Das Fehlen von adligen Großbetrieben führte im Westen dazu, daß der Adel seine meist kleinen Wirtschaftseinheiten in der Regel nicht in eigener Regie betrieb, sondern ganz bäuerlicher Arbeitskraft über173 Vgl. oben Kap. III § 1 A 2 a. 174 Grundlegend hierzu: Dopsch, A., Herrschaft und Bauer in der deutschen Kaiserzeit, 1964; Lütge, F., Die mittelalterliche Grundherrschaft, 1957; Brunner, D., Land und Herrschaft, insbes. S. 276 ff.; Brunner, D., Adeliges Landleben, S.280ff.; Bosl, in: Gebhardt, 8.33, 104ff., 108ff.; Oestreich, S 81. 175 Bosl, in: Gebhardt, S. 106 f. 176 Bosl, in: Gebhardt, S. 111, 217; Oestreich, S. 81, zu den wirtschaftlichen Aspekten: Treue, W., Wirtschaft, Gesellschaft und Technik, in : Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, hrsg. von Grundmann, H., Bd. 12, München 1974, S. 33 ff.

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ließ, die er dann nur sachlich durch Abgaben bzw. Rentenzahlungen heranzog, sei es aus Pachtverträgen oder Bauernlehen, sei es, daß es zur Entrichtung von festem Zins aus belastetem Eigentum kam. Das ostdeutsche, koloniale Wirtschaftssystem, Gutsherrschaft177 genannt, ging dagegen vom adligen Großbetrieb aus, der in Eigenwirtschaft geführt wurde. Hier dehnte der adlige Grundherr, dem ja auch die Gerichts-, Dorf- und Steuergewalt zustand, sein Herrenland auf Kosten des Bauernlandes aus, bildete geschlossene, lokale Herrschaftsbezirke (Bauernlegen) und begründete eine Leibeigenschaft seiner Bauern. Die Territorialgewalten und späteren Landesherren dulden solches Vorgehen ihres Adels, kommen ihm sogar entgegen, da sie ihn umgekehrt als Mitglied der Landschaft wiederum zur Steuerbewilligung benötigen. Der monarchische Absolutismus trifft diese lokale ständische Herrschaftsebene zunächst kaum178. Ende des 17. Jh. (z. B. Robotpatent Leopolds I. für Böhmen 1680), vollends im 18. Jh. greift dann der Landesherr durch staatliche Gesetze jedoch tief in diese Sphäre ein bzw. garantiert deren Fortbestehen nunmehr durch die staatliche Ordnung179. Der Bauer ist nun nicht mehr nur Untertan seiner Herrschaft, sondern auch des Staates, schließlich dann vollends nur noch des Staates, für den der Grundherr - selbst Staatsuntertan - übertragene staatliche Aufgaben stellvertretend als Unterinstanz wahrnimmt. Auch in der übergeordneten Rechtssphäre, der Landschaft, bildet die Grundherrschaft die Basis der landständischen Verfassung. Denn die adligen Grundherren sind gemäß Matrikel Mitglied der Landschaft und deren wichtigster Landstand. In dieser Eigenschaft werden sie dann allerdings im Absolutismus gemeinsam mit den übrigen Ständen vom Fürstentum in unterschiedlichem Maße zurückgedrängt, was, wie zum Beispiel in der Mark Brandenburg, bis zur völligen Ausschaltung gehen kann. Ende des 18. Jh. eröffnen landesherrliche Regelungen des Adelsrechts180 den Beginn einer Liquidierung des Niederen Adels als tatsächlich bevorrechtigten Stand. Es beginnt seine Einebnung zum bloßen Inhaber einer erblichen Ehrenauszeichnung ohne öffentlich-rechtliche Vorrechte. 177 burg 178 179 180

Dazu außer den in Anm. 162 genannten: Görlitz, W., Die Junker, Glücks1957, S. 32 ff. Oestreich, S. 90 f . Brunner, Adeliges Landleben, S. 314 ff. Vgl. dazu Oestreich, Kap. 16 ff.; Bornhak, Adelsrecht, S. 41 ff.

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111 Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

Den Anfang macht das Ständerecht "von den Pflichten und Rechten des Adelsstandes" des ALR von 1794, das als einziges allein auf der Adelseigenschaft basierendes Vorrecht nunmehr die ausschließliche Berechtigung zum Erwerb und Besitz adliger Güter mit den darin bestehenden obrigkeitlichen Rechten bestehen läßt. Bereits durch Edikt vom 9. 10. 1807 verschwindet auch dieses Vorrecht des Niederen Adels. Mit der Feststellung der allgemeinen Gleichheit aller Staatsbürger in der preußischen Verfassung ist dann der Adel darin endgültig aufgegangen, so daß Art. 109 WRV, der von der Beseitigung öffentlichrechtlicher Vorrechte des Adels spricht, nurmehr deklaratorische Bedeutung hat. Zwar sieht Müller181 als ein entscheidendes, dem gesamten Niederen Adel zum Schluß verbliebenes Vorrecht seine "Fähigkeit mit den meisten Standesherrn, also hochadligen Familien ebenbürtige Ehen einzugehen". Ihm entgeht dabei aber, daß dieses Ebenbürtigkeitsrecht der Standesherrn als Privatfürstenrecht reines Privatrecht ist, damit also nichts über Vorrechte im Sinne öffentlich-rechtlicher Vorrechte ausgesagt ist182. Die Entwicklung im übrigen Deutschland nimmt bis zum Erlaß der Weimarer Reichsverfassung einen entsprechenden Gang. Das gilt schließlich auch für die ehemalige Reichsritterschaft183 ; Wie schon wiederholt festgestellt, gehört sie nicht zum Hochadel, gleichwohl übt sie, solange das alte Reich besteht, eigene Landeshoheit aus. Sie zahlt keine Reichssteuer, sondern die freiwillige Leistung der sog. subsidia caritativa. Ihr persönlicher Gerichtsstand ist vor dem Reichsgericht, während das beim landsässigen Adel infolge des von den Territorialherren errungenen ius de non evocando et appelando das fürstliche Hofgericht ist184 • In Art. 14 der deutschen Bundesakte wird der ehemaligen Reichsritterschaft nach dem Untergang des alten Reiches ein Restbestand an Rechten garantiert, z. B. Freiheit der Aufenthaltswahl, Landstandschaft, Patrimonial- und Forstgerichtsbarkeit, Familienautonomie185 • Diese Rechte stehen allerdings unter dem Vorbehalt einer landesgesetzlichen Regelung. Bis auf die Familienautonomie, die der Reichsritterschaft, wie auch den sog. rheinisch-westfälischen ritterschaftliehen Autonomen186 ver181 Müller, S. 11. 182 Wie hier auch Rensch, S. 143. 183 Dazu: s. oben Anm. 132; Bosl, in: Gebhardt, S. 232. 184 Ebd., S. 187. 185 Bornhak, Adelsrecht, S. 40 f. 1so Ebd., S. 43.

§ 2 Die Adelsbezeichnung des deutschen Adels

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bleiben, gilt daher für sie alsbald das allgemeine Adelsrecht des jeweiligen Landes, so daß deren Endphase schließlich dem des restlichen Niederen Adels entspricht18 7 • § 2 Die Adelsbezeichnung des deutschen Adels

Die vorliegende Arbeit widmete der Entwicklung der Rechtsstellung des deutschen Adels und deren Differenzierungen starke Beachtung. Das geschah nicht zuletzt auch mit dem Ziel, von dieser Rechtsstellung auf die Adelsbezeichnung zu schließen. Wenn sich, wie gezeigt, ein Prozeß des Erblichwerdens von hierarchisch abgestuften Ämtern und Lehen erkennen läßt, so war es konsequent, daß auch die entsprechenden Amtsbezeichnungen und Titel diesem Vererbungsprozeß folgen mußten188• Auch die rechtliche Zäsur zwischen Hohem Adel und Niederem Adel kann nicht ohne Einfluß auf die entsprechenden Bezeichnungen geblieben sein. Einer bestimmten vererbliehen Rechtsstellung entsprechen bestimmte vererbliche Bezeichnungen, d. h. die Adelsbezeichnung ist Konsequenz der verfassungsrechtlichen bzw. adelsrechtlichen Stellung des Trägers und bringt diese Stellung im öffentlichen Recht zum Ausdruck. Im Rahmen vorliegender Arbeit wäre eine Systematik dienlich, um den jeweiligen Stellenwert und die eventuellen Parallelen zur Übertragung polnischer Adelsbezeichnungen in deutsche zu ermitteln. Ein solches Namenssystem suchte die deutsche Rechtsprechung und -Wissenschaft vor allem seit Inkrafttreten des BGB: Wenn nämlich Art. 109 III Satz 2 WRV bestimmte, daß Adelsbezeichnungen nur noch als Teil des Namens zu gelten hatten, somit also die Adelsbezeichnung im Namen aufging, so waren damit durch einen Federstrich des Gesetzgebers zwei Begriffe zusammengefallen, deren Definition im Sinne einer gegenseitigen Abgrenzung sowie deren Einordnung der Rechtswissenschaft vorher erhebliche Schwierigkeiten und Meinungsunterschiede beschert hatte18D. Die Frage, die seit dem Inkrafttreten des BGB entstanden war und im Meinungsstreit auf dem 25. DJT 1900 einen Höhepunkt erreichte, lautete: Was ist Familienname adliger Familien und was Adelsbezeichnung? Sind das zwei getrennte Größen verschiedener Rechtsnatur- das eine 187 188 189

Ebd., S. 43 ff. Vgl. Gierke, S. 154, 196; Bornhak, Adelsrecht, S. 14 f.; Rensch, S. 39 f. In allen Einzelheiten dazu Rensch.

56

III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

dem Privatrecht, das andere dem öffentlichen Recht zuzuordnen oder ist die Adelsbezeichnung Teil des Familiennamens? Es ging hierbei nicht um eine rein akademische Frage, sondern dahinter standen damals Probleme von großer praktischer Tragweite19°, Wäre die Adelsbezeichnung nach damaligem Recht nämlich Teil des Familiennamens gewesen, und zwar gleichgültig, ob nur das oder zugleich Standestitel, so hätten die namensrechtlichen Vorschriften des BGB, insbesondere auch hinsichtlich der Adoption und des Unehelichenrechts, ebenfalls auf die Adelsbezeichnung Anwendung finden müssen, die dann wegen des Kodifikationscharakters des BGB (vgl. Art. 55 EGBGB) diesbezügliche landesrechtliche Sonderregelungen verdrängt hätten. A. Adelsbezeichnungen des titulierten Adels

Der Herrenstand nimmt seinen Familiennamen etwa seit dem Investiturstreit und der Umwandlung der Grafschaft zu Erblehen von seinen Besitzungen, ursprünglich insbesondere von seinen Burgen, und wechselt ihn mit diesen19 1. Mit der Feudalisierung der Ämter, die- wie oben bereits dargelegt - ihre Vererbbarkeit brachte, fallen bestimmte Amtstitel immer an Mitglieder der gleichen "grafenbaren" Familien. Bis zum Ende der staufischen Zeit bleiben diese Amtstitel jedoch nur einem Erben, dem tatsächlichen Amtsinhaber, vorbehalten, der, wie gesagt, Amt und Titel allerdings seinem Nachfolger weitervererben kann. Die Nachgeborenen treten in den vornehmen Familienkreis zurück. Nur wenn sich mehrere Ämter bei einem Träger vereinigen, kann er sie an verschiedene Söhne übertragen. So erhalten z. B. nachgeborene Söhne anstelle einer Grafschaft etwa eine mit dem Land verbundene Vizegrafschaft. Als Beispiel dafür wären in diesem Zusammenhang etwa die Ascanier zu nennen. Der Herrenstand befindet sich damals auf einer Stufe, die der des heutigen englischen Adels vergleichbar ist, der Amt und Amtsadel immer nur auf einen vererben kann. Nach dem Untergang der Staufer wird aus diesem Amtsadel aus Gründen, die bereits angesprochen worden sind, ein sozialer Adel, der alle Familienmitglieder einbezieht, sie alle am Vererbungs- und Teilungswesen teilhaben läßt. 190 Vgl. dazu Rensch, S. 31 und die dort in Anm. 67 Genannten; die verschiedenen Aspekte dieser Frage erhellt z. B. der sog. Bentincksche Erbfolgestreit (vgl. dazu Bornhak, Verfassungsgeschichte, S. 353, Anm. 1). 191 Zur Geschichte vgl. Bornhak, Adelsrecht, S. 13 ff.

§ 2 Die Adelsbezeichnung des deutschen Adels

57

Die Amtstitel teilen das Schicksal der Ämter, d. h. Herzogtümer, Grafschaften usw. vererben sich mit ihnen. Aber auch die Hofämter unterliegen nicht mehr dem Dienstrecht, sondern gehen samt Titel im Feudalisierungsprozeß kraft Lehnsrechts 192 auf alle Familienmitglieder, selbst die unverheirateten weiblichen, über193 • Beispielhaft erwähnt seien hier die heutigen Freiherren Marschall v. Bieberstein194, die das Erbmarschallamt von Meißen innehatten oder die Droste zu Senden 195 und Droste zu Hülshoff196, zwei von der Abstammung her völlig verschiedene westfälische Geschlechter, die lediglich die von der Würde eines Drosten oder Truchseß herrührende Bezeichnung "Droste" vor ihrem Familiennamen gemeinsam haben. Auch so bekannte Geschlechter wie die Droste zu Vischering, die Marschall v. Altengottern, die Schenk v. Stauffenberg oder die Schenck zu Schweinsberg fallen in diese Gruppe. An dem Titelübergang auf alle Glieder der Familie ändert sich auch nach Herausbildung der hochadligen Häuser nichts 197 : die Nachgeborenen behalten trotz der nun festgelegten Unteilbarkeit von Land und Leuten und der damit beendeten Vererblichkeit der eigentlichen Ämter den Titel. Lediglich in den nach der Goldenen Bulle Karls IV. von 1356 unteilbaren Kurlanden bleibt der Kurfürstentitel dem Inhaber der Kurwürde allein vorbehalten. Entsprechend der Abstufung des Fürstenstandes, der "principes", in verschiedene Ränge, sind auch die Titel abgestuft und gliedern sich in: Kurfürsten, Herzöge, Markgrafen, Landgrafen, Pfalzgrafen und Grafen sowie Freiherren, das sind Inhaber allodialer Grundherrschaften. Die Bezeichnung "Fürst" ist zunächst eine reine Gattungsbezeichnung und wird erst nach dem Westfälischen Frieden zu einem TiteP98 • (Der Titel "Prinz" findet dann später Verwendung für die Nachgeborenen in landesherrlichen wie in fürstlichen und in herzoglichen mediatisierten Häusern neben dem Fürsten- bzw. Herzogtitel oder an dessen Stelle199 .) Der Kaiser als fons nobilitatis kann durch Verleihung entsprechender Titel diesem Herrenstand zunächst neue Mitglieder zuführen. Das 102

Vgl. Gierke, S . 196.

toa Rensch, S. 33. 194

t93 196 197 198

tuu

Gotha A VI 1966. Ebd. A X 1977. Ebd. A IV 1975. Bornhak, Adelsrecht, S. 15. Bornhak, Adelsrecht, S. 16. Rensch, S. 6, 54, Anm. 36.

III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

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ändert sich mit der Wahlkapitulation Ferdinands IV. von 1653, als die Reichsstandschaft von der ausdrücklichen Aufnahme in eine der entsprechenden Bänke des Reichstages abhängig gemacht wird, was wiederum an die Innehabung eines reichsunmittelbaren Territoriums geknüpft ist200. Danach bewirken Verleihungen von entsprechenden Titeln keine Zugehörigkeit zum Hohen Adel mehr, die Erhöhten bleiben Personalisten201. Die nunmehr leeren Titel können- auch von Landesherrenals besondere Auszeichnung ebenfalls dem Niederen Adel2°2 verliehen werden. Doch läßt sich festhalten, daß jeder, der zum Hohen Adel gehörte, einen solchen Titel führte und - negativ ausgedrückt - derjenige nicht zum Hohen Adel gehörte, der keinen derartigen Titel führte. Hinsichtlich dieser Titel stand die herrschende Meinung203 insbesondere im Hinblick auf die skizzierte geschichtliche Entstehungsweise stets auf dem Standpunkt, daß sie nicht als Teil des Familiennamens anzusehen seien und so beschloß auch der entscheidende 22. DJT 1900 auf Antrag Gierkes mit überwiegender Mehrheit: "Die höheren Adelstitel, wie Freiherr, Graf, Fürst, Herzog, sind bloße Adelszeichen, nicht Namensbestandteile20 4." Das ist nahezu einhellige Meinung geblieben205 • Im Hinblick auf die hier interessierende Problematik der Abgrenzung Familienname - Adelsbezeichnung ist es zwar ohne grundsätzliche Bedeutung, doch sollte der Vollständigkeit halber erwähnt werden, daß der vorerwähnte, vor allem durch das Inkrafttreten des BGB begründete Meinungsstreit für den eigentlichen Hohen Adel keine praktische Bedeutung hatte: Gemäß Artikel 57, 58 EGBGB waren für ihn ohnehin Hausverfassungen und Landesgesetze in Kraft geblieben, d. h. auch die Bestimmungen über Erwerb und Verlust des Namens. Damit hätte das Namensrecht des BGB in keinem Fall auf ihn angewendet werden können. Im Hinblick auf die Adelsbezeichnung als gefestigter Ausdruck der öffentlich-rechtlichen Stellung des Trägers ändert das jedoch nichts daran, daß auch die höheren Adelsbezeichnungen des Niederen Adels eigentlich den Hohen Adel kennzeichneten und der Niedere Adel sie 2oo Bornhak, Adelsrecht, S. 18.

201 Ebd., S. 18. 202

Rensch, S. 4, 6, 34.

2oa Ebd., S. 33 f.

204 25. DJT. 3, 73.

2os Vgl. die bei Rensch, S. 35, Anm. 78 genannten Autoren.

§ 2 Die Adelsbezeichnung des deutschen Adels

59

lediglich in bestimmten, systematisch und vom ursprünglich Beinhalteten als Ausnahme zu wertenden Fällen führte. B. Das einfache "von" als Adelsbezeichnung des Niederen Adels

Wenn, wie gezeigt, sich ursprüngliche Amtseigenschaft sowie herausgehobener Rang des Hohen Adels in dessen adligen Namen niederschlugen, so kann der "klassische" adlige Name des Niederen Adels bestimmte Amtstitel dieser Art eben gerade nicht beinhaltet haben. Aus den oben206 dargelegten Gründen war es für Rechtsprechung und -lehre in Deutschland nach Irrkrafttreten des BGB vor allem auch beim Niederen Adel wichtig geworden, abgrenzend nach Inhalt und Rechtsnatur von Familienname und Adelsbezeichnung zu forschen. Es kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, den Meinungsstreit in allen Einzelheiten nachzuzeichnen, doch lohnt es, insbesondere auf die Lösungsversuche von drei Autoren einzugehen, die allesamt historische Argumente zur Begründung ihres Ergebnisses anführten und darin übereinstimmten, in der Adelsbezeichnung nicht einen Teil des Familiennamens zu sehen. Sohm207 sah im adligen Namen einen Titel. Dieser Titel bezeichne das Miteigentum des sich im Gesamteigentum der Familie befindlichen adligen Landes oder Stammgutes. Sei die Familie nicht mehr Besitzerin des Stammgutes, handele es sich eben um einen fiktiven Besitz. Das gleiche gelte bei Familien, die nie ein solches Stammgut besessen hätten. Bei letzteren bezeichne der Titel fiktiven Besitz eines fiktiven adligen Stammgutes. Das einzelne Familienmitglied führe den Titel "Herr von x" bzw. "Frau von x" als Namen, die Gesamtfamilie dagegen allein den Stammgutsnamen ohne Adelsbezeichnung. Der Name des Hauses im Rechtssinne (der Familie) sei nämlich der Name des Hauses im dinglichen Sinne (des Gebäudes) auf dem Stammgut. Dementsprechend gehe der Titel des einzelnen Familienmitgliedes mit Adelsbezeichnung nach Landesrecht, genauer gesagt nach Stammgutsrecht, über, der Name der Familie aber ohne Adelsbezeichnung nach BGB-Regeln. Sohms These besticht dadurch, daß sie den oben behandelten, feudalen Verdinglichungsprozeß, der eine Abhängigkeit allen Rechts von Grund und Boden brachte, auf das adlige Namensrecht anwendet. Das liegt um so näher, als sich tatsächlich die Bindung bestimmter Titel an 206 207

s. oben Kap. III § 2. Sohm, R., Adelsrecht und Namensrecht, DJZ 1839, 8 ff.

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

den Besitz bestimmter Adelsgüter feststellen läßt (z. B. bei den Zitzewitz oder bei den Hobe) 2os. Man hat gegen Sohms These vor allem vorgebracht209, der Niedere Adel habe kein freies, allodiales Eigentum besessen, sondern lediglich Lehnsbesitz, wobei eine Belehnung der Gesamtfamilie zunächst vollkommen ausschied, später nur vereinzelt regional üblich wurde. Vor allem aber seien weibliche Mitglieder der Familie nicht lehnsfähig gewesen, hätten also weder am Gesamtbesitz noch konsequenterweise am Titel Anteil haben können. Diese Argumente gehen insofern fehl, als sie sich ebensogut gegenüber dem Erblichwerden der Titel beim Hochadel vorbringen ließen, das Ergebnis dort aber gegenteilig ist. Auch dem Hinweis, dem Niederen Adel hätte wegen seines unfreien Ursprungs aus der Ministerialität der Titel "Herr von x" im Gegensatz zum Herrenstand nicht gebührt, kann keine Bedeutung zukommen, da zur Zeit der Namensbildung im 13. Jh. im Feudalisierungsprozeß aus den unfreien Ministerialen bereits freie Lehnsleute geworden waren. Wohl mit Recht hat man gegen Sohms Theorie jedoch eingewandt, zur Zeit der Namensbildung sei der Gedanke des Familieneigentums kaum ausgeprägt gewesen, und die von ihm behauptete Natur des "von" sei dem Rechtsbewußtsein seinerzeit fremd gewesen. Auch habe er nicht berücksichtigt, daß auch bei bürgerlichen Familiennamen das "von" in völlig gleicher Art zur Bildung der Familiennamen benutzt worden sei. Einen eigenwilligen Versuch, eine Systematisierung der rechtlichen Behandlung des Adelsnamens zu erreichen und so die Streitfrage zu lösen, unternimmt Müller21o. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen dem Begriff der Familie, bestehend aus der natürlichen Dreiheit von Vater, Mutter und Kind einerseits und dem Begriff des Geschlechts, das für ihn über das natürliche Element der Familiengemeinschaft hinaus durch das einer Rechts2os Zahlreiche weitere Beispiele bei Rehm, H., Prädikat- und Titelrecht der deutschen Standesherren, München 1905, S. 107, 298 ff. 209 Opet, D., Das Verwandtschaftsrecht des BGB, Berlin 1899, S. 345 a; Wendland, Freiherr v., F. K., Der adelige Familienname, seine Gestaltung und seine Rechtsverhältnisse, Diss., Würzburg, Diessen vor München 1920, S. 34; Bülow, Freiherr v., Adlige Familiennamen. Mein Schlußwort, DJZ 1900, S. 374 f.; Lehmann, E., Die Bedeutung und Tragweite des Satzes "Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens" Art 109111, 2 RV, Diss., Heidelberg 1927, S. 28 ff.; vgl. ferner Müller, S. 26, 70; Olshausen, T., Das Verhältnis des Namensrechts zum Firmenrecht, Berlin 1900, S. 41; Marx, A., Der Schutz des Namensrechts durch § 12 des BGB, Diss., Leipzig, Borna-Leipzig, 1906, S. 22 f. sowie Gierke v., 0., 25. DJT, 3, S. 51 f. 210 Müller, S. 29 f., 32 ff.

§ 2 Die Adelsbezeichnung des deutschen Adels

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gemeinschaft charakterisiert ist, wobei bei dem einen das Indvidualitätsprinzip, bei dem anderen das Gemeinschaftsprinzip stärker ausgeprägt ist, stellt er der Betonung dieser beiden Prinzipien entsprechend eine Stufenfolge des Namensgefüges auf. Vom Individualitätsprinzip beginnend und immer stärker in Richtung des Gemeinschaftsprinzips gehend, kommt er zu folgender Stufenfolge: 1. Vorname 2. generelle Indvidualitätsbezeichnung, von ihm auch Charaktername genannt 3. Geschlechtsname, d. h. Rechtsgemeinschaftsname 4. Familienname Müller hat damit in der Tat ein System erstellt, in das sich alle Namen für natürliche Personen und Personengemeinschaften abgrenzend einordnen lassen. Er behauptet nun, der Adel hätte gar keinen Familiennamen gemäß Ziffer 4 getragen, sondern ein Aliud, nämlich einen Geschlechtsnamen gemäß Ziffer 3. Er läßt also die Namens- und die Adelsbezeichnung zu einem Namen sui generis, nämlich dem Geschlechtsnamen gehören, den er selbständig neben den Familiennamen bürgerlicher Familien stellt. Indem er so für die Adelsgeschlechter Geschlechtsnamen annimmt, geführt ursprünglich nach autonomem Satzungsrecht, später nach öffentlich-rechtlichem Adelsrecht, für die bürgerliche Familie aber Familiennamen, geführt nach BGB, entgeht er natürlich den sich beim Inkrafttreten des BGB im oben genannten Meinungsstreit artikulierenden Schwierigkeiten. Unter Ziffer 2 reiht er die Primogeniturbezeichnungen, aber auch das "von" des persönlichen Adels ein. Man hat gegen Müllers Theorie vorgebracht211 , sie ginge zu weit, indem sie den Geschlechtsnamen dem Familiennamen als selbständige Namensart zur Seite stelle und hat die Argumente gegen ihn insbesondere aus den Bestimmungen des ALR hergenommen, wo bestimmt ist, daß die unehelichen Kinder den Namen, i. e. Familiennamen, der Mutter lediglich ohne ihre Adelsbezeichnung (§ 640, Anh. § 94 zu § 592 II 2, § 14 II, 9 ALR), die adoptierten den Namen, i. e. Familiennamen, des Wahlvaters erhielten (vgl. § 682 II, 2 ALR), die Adelsbezeichnung aber besonderer landesherrlicher Begnadigung bedürfte (vgl. § 684 ALR). Nicht zuletzt diese Gegenargumente gegen Müller sind es, auf die sich die herrschende neuzeitliche Auffassung von Rensch212 stützt, die 211 212

Zusammenstellung der Gegenmeinungen bei Rensch, S. 29 f. Ebd., S. 18 ff., 30 f.

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III Adel und Adelsbezeichnung in Deutschland

im "von" ein Adelszeichen sieht, das gesondert neben dem Familiennamen steht, beide zusammen ergäben dann den adligen Namen. Diese, dem Niederen Adel vorbehaltene Adelsbezeichnung "von" sei, sofern dem Briefadel nicht ausdrücklich im Adelsbrief verliehen, vom restlichen untitulierten Adel kraft Gewohnheitsrechts angenommen worden. Obgleich diese Ansicht von Rensch heute die herrschende218 ist und sich insoweit auch auf den Beschluß des entscheidenden 25. DJT berufen kann, wo mit großer Mehrheit festgestellt wurde214 : "Überwiegende Gründe sprechen dafür, bei adligen Familiennamen auch das einfache "von" heute als bloßes Adelszeichen zu betrachten", sprechen doch folgende Erwägungen noch für Müllers Theorie: Er allein trägt dem Umstand Rechnung, daß der Genossenschaftsgedanke während der gesamten Entwicklung des Adels im Gegensatz zum Bürgertum hier eine besondere Bedeutung hatte. Wenn auch beim Hohen Adel insbesondere in der Form der Hausbildung bis in die neueste Zeit aktuell, kann sich, wie dargelegt, der Niedere Adel seit der Frühzeit des ministeriellen dienstrechtlichen Genossenschaftsverbandes hier auf alte Traditionen besonders intensiver korporativer Bindungen berufen. Daß schließlich Rudimente solcher genossenschaftlicher Strukturen sich auch beim Niederen Adel bis in die neueste Zeit erhalten haben, beweisen schließlich die Bestimmungen des ALR über die Adoption per rescriptum principis, wo, wie dargelegt, die Aufnahme in die adlige Familie weiterhin von der Zustimmung der Genossenschaft aller Agnaten abhängig gemacht wurde215 . Im Rahmen der vorliegenden Arbeit könnte eine Entscheidung zwischen der herrschenden Meinung von Rensch und Müllers Ansicht jedoch dahingestellt bleiben, da sich an beiden Namenssystemen die polnische Namenssystematik mit gleichen Ergebnissen messen läßt. C. Wappen

Bindeglied zwischen Hohem und Niederem Adel sind die Wappen. Wahrscheinlich in vorgeschichtliche Bezüge des Totemismus zurückreichend216, entsprechen sie in der Kreuzzugszeit der Notwendigkeit, den vollgerüsteten Krieger zu erkennen. Als äußeres Zeichen des 213 Vgl. statt vieler Soergel-Schultze-v. Lasaulx, § 12 Rdz. 3. 214

25 DJT 3, S. 73.

21e

Bornhak, Adelsrecht, S. 47.

21s s. oben Kap. 111 § 1 B 2.

§ 2 Die Adelsbezeichnung des deutschen Adels

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Rittertums sind sie in Deutschland um 1150 nachweisbar, bleiben aber nicht darauf beschränkt. Bereits im 13. Jh. kommen jedoch hier auch schon bürgerliche und bäuerliche Wappen vor217 • Kann man in Deutschland also von "Wappen ohne Adel" ausgehen, so ist umgekehrt aber "Adel ohne Wappen" nicht denkbar. Man hat das Wappen insofern geradezu als "Zubehör" des Adels gesehen218 • Bei der Adelsverleihung (Briefadel) wurde auch stets das Wappen besonders verliehen. Ebenfalls bei der Erhebung in einen höheren Adelsrang erfolgte eine Veränderung des Wappens (Wappenverbesserung, Wappenvermehrung). Aus den Siegeln geht hervor, daß eine Gleichsetzung des Wappens mit seinem Träger erfolgte219 • Die rechtliche Bedeutung der Siegel überträgt sich auch auf die Wappen, so daß Inhaber verschiedener Rechte auch mehrere Wappen oder, aus deren Zusammenfügung, mehrfeldige Wappenschilde führen. Der Adelsbrief enthielt zugleich eine Rechtsschutzklausel gegen unbefugte Wappenführung, alle anderen Wappen, also insbesondere die althergebrachten, genossen den selbstverständlichen Rechtsschutz aus dem unbeschränkten ius politiae des Landesherrn220• Ein allgemeiner strafrechtlicher Schutz der Wappen hörte im 19. Jh. auf. Bereits der alte § 300 Nr. 7 StGB bedrohte auch vor 1918 nur noch denjenigen mit Strafe, "wer unbefugt die Abbildung des kaiserlichen Wappens oder von Wappen eines Bundesfürsten oder von Landeswappen gebraucht". Als Gründe für diese wachsende rechtliche Bedeutungslosigkeit hat man die fortschreitende Nivellierung des Volkes und Bürokratisierung des Alltagslebens angeführt. Im Zuge dieser Entwicklung habe der Name ständig an Bedeutung gewonnen, das Wappenwesen diese aber eingebüßt221 • Man behilft sich bis heute mit einer entsprechenden Anwendung des Rechts des Namenschutzes 222 • Im übrigen gibt es keine zwingende Verbindung zwischen Adelsname und Wappen.

211 21s 219

dik".

Arndt, S. 40, Anm. 3. Bornhak, Adelsrecht, S. 51. Brackhaus Enzyklopädie, Wiesbaden 1966, 17. Aufl., Stichwort .,Heral-

Bornhak, Adelsrecht, S. 51. Arndt, S. 40. 222 Soergel-Heinrich, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl., Kohlhammer, 1978, Rz.155. 220 221

IV. Adel und Adelsbezeichnung in Polen Nachdem im Vorabschnitt unter dem Aspekt von Herkunft, Entwicklung sowie Inhalt der Rechtsstellung untersucht wurde, was unter "Adel" in Deutschland zu verstehen ist und wie sich die namensrechtliche Situation bei diesem Personenkreis gestaltet hat, gilt es, auf diesem Hintergrund unter möglichst gleichen Gesichtspunkten nunmehr den Personenkreis zu erfassen, der auf polnischer Seite dieser deutschen Ordnung entspricht. Es gilt also zu definieren, was in Polen unter "Adel" verstanden wurde, um alsdann zu erforschen, wie sich die Rechtsstellung dieses Adels im Staate namensrechtlich niederschlug, mit welchen Bezeichnungen er sich als solcher charakterisierte. Für die Verfassungsgeschichte und die Sozialgeschichte stellte sich der polnische Adel in seiner Entwicklung und Rechtsgestalt als eine im Vergleich zum deutschen Adel völlig anders geartete, in sich homogene Größe dar. Zeitlicher Einschnitt, auf den es dabei abzustellen gilt, wird, wie oben dargelegt, die Aufhebung polnischer Staatlichkeit in der dritten polnischen Teilung 1795 sein. Allerdings muß darüber hinaus die Frage gestellt werden, ob sich die namensrechtliche Situation nach dem 1. Weltkrieg mit der Wiederherstellung autonomer polnischer Staatlichkeit geändert hat. § 1 Polnischer Adel

Die Arbeiten über den polnischen Adel kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß für Polen von einer rechtlich homogenen, demokratischen Adelsgesellschaft auszugehen ist. Damit scheidet für die folgende Untersuchung eine Zäsur zwischen Hohem Adel und Niederem Adel, wie wir sie in Deutschland vorgefunden haben, aus. Die Differenzierungen und Schichtungen dieser formalrechtlich einheitlichen Adelsschicht, die sich in Anlehnung an das deutsche Wort "Geschlecht" selbst als "szlachta" bezeichnet\ werden im soziologischwirtschaftlichen Bereich zu suchen und herauszustellen sein.

1

Rhode, G ., Kleine Geschichte Polens, Darmstadt 1865, S. 36.

§ 1 Polnischer Adel

65

A. Aufstieg und Erwerb der Rechtsstellung

In drei Etappen2 vollzieht sich die Entwicklung der Szlachta: Mit der Bildung polnischer Staatlichkeit unter den Piasten entwickelt sich parallel dazu eine Adelsschicht, die verschiedene Versuche einzelner Gruppen, eine Hierarchisierung in der Form von Hohem und Niederem Adel einzuführen, dank der körperschaftlichen Organisation des kaum überwundenen ursprünglichen Stammesgefüges alsbald absorbiert und zunehmend zu einer einheitlichen Adelsgenossenschaft zusammenwächst. Nach dem Aussterben der Piasten mit Kasimir dem Großen 1370 schwingt sich dieser Adel unter der Dynastie der Jagiellonen dank immer größerer einheitlich von der Zentralgewalt an ihn vergebener Rechte zunehmend zum alleinigen Vertreter und Sachwalter des Staates auf, ja verkörpert seit dem 15. Jh. bewußt die "Nation". Seit dem Aussterben der Jagiellonen 1572 an keine bestimmte Dynastie mehr gebunden, erfreut er sich dann bis kurz vor den Teilungen einer Zeit der Adelsomnipotenz. Schließlich vor dem Untergang des Staates macht er noch einmal einen vergeblichen Versuch, durch Selbstbeschränkung seiner Macht den Staat zu retten. 1. Herkommen

Das erste sichere Datum der polnischen Geschichte ist das Jahr 963, in dem der Staat des Piastenfürsten Mieszko bei einem militärischen Zusammenstoß an der unteren Oder Markgraf Gero unterlag3 • Die erkennbar straffe Organisation und militärische Stärke dieses Staatswesens lassen jedoch auf eine schon früher erfolgte Staatsbildung in der ersten Hälfte des 10. Jhs. schließen, in der die Herrschaft des Fürsten, wie man angenommen hat4 , eine rein genossenschaftlich verfaßte Herrschaft der Stämme ablöst. Als Polen dann im Jahre 966 mit der Annahme des römischen Christentums unter Mieszko5 als Staat endgültig Anschluß an die abendländische Kultursphäre findet, hatte sich im Westen das Lehnswesen bereits stark entwickelt. Im Piastenstaat dagegen kann man auch nach vielen Jahren seines Bestehens so gut wie keine Spuren einer lehnsrechtlichen Verfassung finden 6 • Zu diesen drei Etappen in Stichworten vgl. Kutrzeba, S. 9 ff. Rhode, S . 7 ff.; Meyer, E., Grundzüge der Geschichte Polens, Darmstadt 1977, s. 12. 4 Kutrzeba, S. 9. s Vgl. über ihn: Zakrzewski, S., Mieszko I jako budowniczy panstwa polski,ego (Mieszko I als Erbauer des polnischen Staates); Rhode, S. 10. G Wojciechowski, Z., Ustroj polityczny Slaska do konca XIV w. (Die Ver2

3

5 Mikliss

IV Adel und Adelsbezeichnung in Polen

66

Er verbleibt - auch noch im 13. Jh. - ein Patrimonialstaat, in dem nicht gegenseitige Treuepflicht, sondern einseitiger Gehorsam gilF. Stütze und Garant der fürstlichen Macht ist eine Schicht von adligen Kriegern, in den Quellen als milites oder equites bezeichnet8 , von der polnischen Literatur9 heute insgesamt als Ritter angesprochen, deren Herkunft lebhaften Streit ausgelöst hat. Frühere, speziell diesem Thema gewidmete Untersuchungen gingen vor allem aufgrund sphragistischer und heraldischer Forschungen davon aus, der polnische Staat sei eine Normannengründung, und die Kriegerschicht, auf die er sich stützte, sei aus den landfremden Eroberern gebildetl 0• Demgegenüber hat sich die bis heute herrschende Stammestheorie durchgesetzt. Danach hat der Piastenstaat und seine Organisation nur sehr allmählich das Stammesgefüge ablösen können und seinen Kriegeradel im Wege natürlicher Auslese aus den angesehenen und zum Waffendienst besonders geeigneten Mitgliedern der einheimischen Bevölkerung genommen. Auch Wechsel in der Wirtschaftsstruktur hätten dazu beigetragen11 • Die ersten Piasten - so Mieszko und Boleslaw Chrobry - kommen selbst aus eigener Schatulle für den Unterhalt ihrer Krieger auf12• Später dann werden die milites vom Fürsten "iure militari" gegen die Verpflichtung zum Waffendienst mit Land abgefunden. Das "ius militare" 13, in der polnischen Literatur als "Ritterrecht" bezeichnet, ist das für diese Krieger verbindliche gemeinsame Recht. Es verleiht ihnen u. a. den Anspruch, im Falle der Gefangenschaft vom Herrscher losgekauft zu werden. Für alle im Kriege erlittenen Verluste fassung Schlesiens bis zum Ende des 14. Jh.) in : Historia Slaska (Geschichte Schlesiens), Bd. 1, Krakow 1933, S. 576. 1 Weizsäcker, W., Geschichtliche Wechselwirkungen deutsch-slawischen Rechtsdenkens, in: Zeitschrift für Ostforschung, Bd. 5 (1956), S. 165. s Kutrzeba, S. 51; Janecki, M., Die staatsrechtliche Stellung des polnischen Adels, Berlin 1897, S. 9. 9 Vor allem Piekosinski, F., Rycerstwo polskie wiekow srednich (Die polnische Ritterschaft des Mittelalters), 3 Bde., Krakow 1896/1901; vgl. auch Rhode,

s. 35,

95.

Bardach, J., Historia panstwa i prawa Polski (Staats- und Rechtsgeschichte Polens), Bd. 1, Warszawa 1965, S. 114; Kutrzeba, S. 55. 11 Einen guten Überblick zum Forschungsstand über Herkunft der poln. Ritterschaft gibt Friedberg, M., Kultura polska a niemiecka. Elementy rodzime a wplywy niemieckie w ustroju i kulturze Polski srednowiecznej (Poln. und deutsche Kultur. Einheimische Elemente und deutsche Einflüsse in Verfassung und Kultur des mittelalterlichen Polen), Bd. 1, Poznan 1946, Reddaway u. a., S. 11. 12 Rhode, S. 35; Kutrzeba, S. 55. 13 Hierzu die eingehende Monographie von Wojciechowski, Z., Das Ritterrecht in Polen vor den Statuten Kasimirs des Großen, Breslau 1930; Kutrzeba, S. 55 ff.; Rhode, S. 35, 95. 10

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kann man Entschädigung fordern. Auswärtige Unternehmen müssen vergütet werden. Vor allem aber gewährt das ius militare dem Krieger unbeschränktes, allodiales Grundeigentum. Die Rechtsqualität dieses Eigentums ist so frei wie die des vom Ursprung her freien genossenschaftlichen Grundeigentums der Stämme. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß hierbei die Rechtsbeziehung zwischen Herrscher und bedachtem Krieger durch keinerlei rechtliche Zwischenposition unterbrochen wird, sondern unmittelbar bleibt. Indem es Gegenleistung für Fürstendienste darstellt, erfüllt es zwar gleiche Funktionen wie das westeuropäische Lehen, doch bestehen dazu wichtige Unterschiede14 : Während das Lehen in seiner unverfälschten Form ungeteilt auf nur einen Nachfolger übergeht, ist das iure militari besessene Grundeigentum frei verfügbar und vererblich, vor allem teilbar unter die gesamte, auch weibliche, Nachkommenschaft. Durch die stets unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen Herrscher und allodialem Grundeigentümer-Krieger gibt es keine Unterverleihungen und damit keine rechtlichen Abstufungen, die der Lehnspyramide entsprechen könnten.

2. Differenzierungstendenzen Aus dem großen Kreis der milites schart sich bereits seit der Frühzeit der ersten Piasten eine engere Gruppe von ausgewählten Vornehmen als engere fürstliche Gefolgschaft15 um den Herrscher. Diese vor den übrigen Edelleuten ausgezeichneten nobiles schaffen im Hof einen Mittelpunkt gesellschaftlich-staatlichen Lebens, gruppieren sich zu einem Hofstaat und stehen dem Herrscher als Ratgeber zur Seite. So berichtet z. B. die Galluschronik davon, daß Boleslaw Chrobry (992 bis 1025) eine enge, beratende Gefolgschaft gehabt habe: "Habebat autem rex amicos conciliarios et cum eis regni familiarius et consilii ministeria pertractabat" 16• Der Hof vereinigt auf diese Weise Elemente des Privatlebens des Fürsten mit ersten Ansätzen staatlicher Tätigkeit. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es der oben erwähnte Boleslaw Chrobry, der eine polnische Ämterverfassung einführt17, bei der, wie man annimmt, das fränkische Vorbild Pate gestanden hat1 8 • u Dazu Kutrzeba, S. 56 f.

1s Bardach, S. 125.

Monumenta Poloniae Historica, nova series II, lib. I, cap. 13, p. 32. Kutrzeba, S. 94; Rachfahl, F., Die Organisation und Gesamtstaatsverwaltung Schlesiens vor dem dreißigjährigen Kriege, Leipzig 1894, S. 30; vgl. auch 16 17

s•

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Hier wie dort erfüllen Hofbeamte anfangs sowohl Aufgaben der eigentlichen Hofhaltung als auch staatliche Dienste19• Als höchster Hofbeamter fungiert der comes palatinus, dem fränkischen Pfalzgrafen 20 entsprechend. Im Polnischen wird er zum Wojewoda, was übersetzt fast wörtlich dem deutschen "Herzog" gleichkommt: wojenny = Kriegs wodz = Anführer. Ähnlich wie der fränkische Pfalzgraf ist er nicht nur Leiter des Hofstaates, sondern auch Vertreter des Fürsten beim Oberbefehl des Heeres und später als Vorsteher eines regionalen Verwaltungsbezirks, der Wojewodschaft, auch in der staatlichen Verwaltung und Rechtsprechung tätig. Im Rang unter dem Pfalzgrafen folgen in Polen ebenso wie in Westeuropa der camerarius, der Kämmerer oder Kammerherr, der in Polen allerdings die Bezeichnung Unterkämmerer = Podkomorzy annimmt, der Truchseß (lat. dapifer) = polnisch Stolnik, der Mundschenk (lat. pincerna) = polnisch Czesnik, und der Marschall (lat. mareschalus) = polnisch Marszalek. Wichtige Aufgaben obliegen ferner dem Kastellan (lat. comes castellanus) = polnisch Kasztelan. Er steht an der Spitze des fürstlichen Burgbezirks und verwaltet die fürstlichen Güter. Aus diesen Würdenträgern, ergänzt durch den Hohen Klerus, erwählt der Herrscher auch den engeren Kronrat21 • Es liegt nahe, daß die hier aufgezählten Ämter, mit Machtfülle und Ansehen ausgestattet, seit ihrer Schaffung ein begehrenswertes Ziel und Reservat der Familien darstellen mußten, denen allein schon ihre ökonomischen Verhältnisse die Möglichkeit boten, höheres kulturelles Niveau, mehr Bildung und sozialen Einfluß zu erlangen22• Andererseits erwachsen mit den Ämtern diesen Gruppen institutionalisierte Hilfsmittel zur Elitebildung, die Bestandteil der praktizierten Verfassung wurden, die das Übergewicht dieser Familien nur noch vergrößern mußten23. Zernicki-Szeliga, v. E., Geschichte des polnischen Adels, Harnburg 1905,

s. 24 ff.

1s Allgemein anerkannt. Vgl. Friedberg, S. 43 f.; Wojciechowski, Ustroj, S. 616; Rachfahl, S. 31; Loesch, v. H., Die Verfassung im Mittelalter, in: Geschichte Schlesiens, Bd. 1, 3. Aufi., Stuttgart 1961, S. 315. 19 Tzschoppe-Stenzel, Urkundensammlung zur Geschichte des Ursprungs der Städte und der Einführung und Verbreitung deutscher Kolonisation und Rechte in Schlesien und der Ober-Lausitz, Harnburg 1832, S. 70; Kutrzeba, S. 95; Friedberg, S. 43; Rachfahl, S. 31. 2o Friedberg, S. 43 f. auch über den weiteren Ämteraufbau; Rhode, S. 37; Zernicki-Szeliga, S. 25. 21 Bardach, S. 125. 22 Kutrzeba, S. 99, Rhode, S. 35. 23 Rhode, S. 97.

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Damit bildet sich eine kleine Gruppe bestimmter Magnatenfamilien heraus, denen es dank ihres materiell-gesellschaftlichen Übergewichts gelingt, die Ämter zumeist durch Kauf in ihren festen Besitz zu bringen und ein ausschließliches ius honorum zu beanspruchen24 • In diesem Zusammenhang darf auch die bald nach der Gründung des ersten Staates feststellbare Schwächung der fürstlichen Zentralgewalt nicht außer acht gelassen werden: Denn trotz der unterschiedlichen Verfassungstraditionen im mittelalterlichen Polen, das, wie erwähnt, innerstaatlich kein Lehnswesen kannte, und in Deutschland, werden die zentrifugalen Folgen, die hier das Lehnswesen zeitigt, dort durch das slawische Erbteilungsprinzip herbeigeführt25 : Nahezu auf dem Höhepunkt der ersten Herrschaft unter Boleslaw Chrobry beginnt nach dessen Tod durch das Fehlen einer bestimmten Erbfolge und die Teilung des Landes unter die Nachkommen bereits ihr Verfall. Insbesondere nach dem Tode des letzten Alleinherrschers Boleslaw Krzywousty und vollends nach dem Mongoleneinfall 1241 kann von integrierenden, zentripetalen Kräften kaum mehr gesprochen werden. Polen verfällt durch die Vielzahl sich befehdender Teilfürsten in anarchische Zustände26 • Tatsächlich gelingt es in dieser Zeit den Magnatenfamilien, selbst einen Großteil der Kompetenzen der verschwindenden Staatsgewalt zu übernehmen, die Teilfürsten mehr und mehr in ihre Abhängigkeit zu bringen und ihrerseits zunehmend die entscheidende Rolle im staatlichen Leben zu spielen27• Damit könnte- wenn auch mit einer zeitlichen Verschiebung- eine Parallelentwicklung zu Westeuropa eingesetzt haben: es könnte diesen Magnatenfamilien, die in den Quellen28 des 12. und 13. Jh. unter der allgemeinen Bezeichnung "comites" oder auch unterschiedslos "barones" genannt werden, ganz wie den "grafenbaren" Familien des deutschen Hochmittelalters gelungen sein, durch die Bildung lokaler immunisierter Machtzentren, insbesondere aber durch die faktische Ämtererblichkeit zu einer juristisch verankerten Erblichkeit der Ämter vorzustoßen. Damit wäre für sie die Möglichkeit gegeben gewesen, sich von der übrigen Bevölkerung, aber auch vom übrigen Adel rechtlich abzusondern, diesen zu mediatisieren und neue, erbliche Machtzentren zu errichten. Bardach, S. 127. Tischer, K., Das älteste polnische Gewonheitsrechtsbuch, Diss., Freiburg/Er., 1969, S. 34. 26 Rhode, S. 41 ff. 21 Bardach, S. 87. 2s Janecki, S. 10 f.; Bardach, S. 113, 127. 24

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Doch blieb dieses Ergebnis aus. Es gelang den Magnaten in Polen weder zur Zeit der Piasten noch später, über die Erblichkeit der Ämter und die Bildung erblicher Territorien Parallelentwicklungen zu denen in Deutschland durchzusetzen. Wenn man dabei nach den Gründen fragt, so dürften hierfür mehrere Ursachen zu nennen sein: Zum ersten dürfte hier der Landbesitz als wichtigste Grundlage aller europäischen Adelsgesellschaften, genauer gesagt, die Rechtsnatur der Inhaberschaft, eine entscheidende Rolle gespielt haben. In Westeuropa in der Regel aufgrund Lehnsrechts an den Inhaber gelangt, und damit auch nach der Erblichkeit der Lehen gleichwohl Lehnsbesitz bleibend, war im Gegensatz dazu der allodiale Landbesitz der Szlachta frei und unabhängig29• Brachte dort die Lehnspyramide den Herrscher lediglich mit seinen obersten Kronvasallen in Rechtsbeziehung und die Mediatisierung aller übrigen, so bestanden hier unmittelbare Rechtsbande zwischen dem Herrscher und jedem einzelnen allodialen Grundbesitzer30• Damit hatte der Herrscher eine ungleich stärkere Ausgangsposition. Durch das Fehlen des Lehnswesens war die Beziehung zwischen Herrscher und Amtsinhaber ferner durch keinerlei rechtliche Wechselwirkung geprägt, wie sie sich im Westen in den gegenseitigen lehnsrechtlichen Treuepflichten artikulierte. Waren folglich dem Kaiser in Deutschland durch die lehnsrechtliche Treuepflicht erhebliche Bindungen zugunsten bestimmter Kandidaten bei der Ämterbesetzung auferlegt, so galt im Patrimonialstaat der Piasten trotz staatlicher Schwäche sowie mannigfacher sozialer und materieller Verstrickungen der Fürsten (Ämterverkauf) weiterhin einseitige Gehorsamspflicht, so daß der Fürst bei der Vergabe staatlicher Ämter de iure die volle Entscheidungsfreiheit behielt31 • Ein weiterer Umstand, der dazu beigetragen haben dürfte, daß es nicht zur Ämtererblichkeit kam, lag in der Entwicklungsstufe der Ämterverfassung selbst begründet: Sie war nämlich nicht über Deutschland, sondern auf dem Umweg über Böhmen, von wo aus die erste Christianisierung Polens betrieben worden war, ins Land gelangt32 • Das legte es nahe, daß die polnischen comites nicht dem Vorbild der deutschen (erblichen) Grafen des 10. Jhs. Kutrzeba, S. 56; Janecki, S. 7; Bardach, S. 115. Vgl. oben Kap. IV § 1 A 1. 31 Weizsäcker, S. 165; Mirgeler, A., Europa in der Weltgeschichte, Freiburg/München 1971, S. 22. a2 Peterka, 0., Rechtsgeschichte der böhmischen Länder in ihren Grundzügen dargestellt, Bd. 1, Reichenberg 1923, S. 33 f.; Loesch, S. 315; Wojciechowski, Ustroj, S. 616; Rhode, S. 87. 29

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entsprachen, sondern, wie die fränkischen und böhmischen comites, reinen Beamtenstatus bekleideten33 • Die Piastenherrscher der Teilfürstentümer setzten zur Verhinderung der Ämtererblichkeit zudem mit Erfolg den Rest ihrer politischen Oberhoheit ein. So führen sie z. B. mit dem Ende des 13. Jh. geschaffenen Amt des "Starosta" (lat. capitaneus) ein von lokaler Adelsmacht unabhängiges Organ der Zentralgewalt ein. Dem, im Gegensatz zu den anderen Würden, landfremden Starosten soll als bracchium regale nahezu volle fürstliche Vertretungsmacht zukommen34 • Allerdings beginnt schon zu Ende des 14. Jh. der Verfall dieses Amtes35• 3. Geschlechterverfassung Der im Rahmen der hier behandelten Thematik allerdings wichtigste Beitrag zur Verhinderung der Ämtererblichkeit und damit der Abspaltung eines Hohen Adels kam aus der Menge der Ritterschaft selbst. Bei ihnen bewirkte der Mediatisierungsversuch der Magnaten einen Abwehrprozeß, der sowohl konstitutionell, wie auch in bezug auf die hier interessierenden Adelsbezeichnungen von größter Wichtigkeit werden sollte. Man griff nämlich auf genossenschaftliche Formen zurück, wie sie die alten Stammesverbände der vorstaatlichen Zeit charakterisiert hatten, als noch das Volk in seiner Gesamtheit, die sozialen Ränge übergreifend, so organisiert war36 • Das fiel um so leichter, als man ohnehin die Organisationsformen der Stammesepoche noch nicht allzu lange abgestreift hatte. So kam es zu einer Wiederbelebung der Geschlechterordnung in dem Sinne, daß man sich ihrer in der Ritterschaft nunmehr bewußt als Schutz- und Trutzverbindung bediente. Dieses für den Gesamtverlauf der polnischen Geschichte und ihr Verständnis so bedeutsame Institut ist sowohl in seiner Existenz wie in seiner Bedeutung von deutschen Autoren kaum in gebührender Weise wahrgenommen worden: Die Mediatisierungsbestrebungen der Großen stoßen in allen Fürstentümern Polens auf eine gesellschaftliche Gliederung, wie sie im ss Loesch, S. 107 f. Bardach, S. 256 f., 457. 35 Im 16. Jh. ist der starosta schließlich nahezu all seiner Kompetenzen beraubt und als Rang unterhalb des Kämmerers ganz in die Hierarchie der mittleren Ämter eingepaßt, vgl. Kaczmarczyk, Z., Lesnodorski, B., Historia panstwa i prawa Polski (Verfassungsgeschichte Polens), Bd. II, War szawa 1966, s. 133. 36 Dworzaczek, W., Genealogia, Warszawa 1959, S. 15; Bardach, S. 57; Kutrzeba, S. 24. 34

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restlichen Europa um diese Zeit längst vergangen ist, nämlich ein verhältnismäßig intaktes Gefüge adeliger Großgeschlechter37, die generell noch nicht in Einzelfamilien zerfallen sind. Namentlich Gruppen des mittleren Adels und des Kleinadels aktivieren in einer Zeit staatlicher Ohnmacht und magnatischer Bedrohung diese überfamiliären Gruppierungen und finden sich in sog. Rittergeschlechtern, poln. als "rody rycerskie", in den lateinischen Quellen als "gentes" bezeichnet, auf genossenschaftlicher Basis zusammen38• Die Tatsache, daß so der Ritter nicht als einzelnes Individuum, sondern im Rahmen und unter dem Schutz eines Stammesverbandes auftritt, die Sippe als "Schutz und Trutzverbindung zur gemeinsamen Wahrung eines alle Genossen umfassenden Friedens" 39 ins Feld führen kann, gewährt zahlreichen Elementen Zugang zu diesem noch nicht abgeschlossenen Kreis40 • Das erlaubt rein materiell seinen schwächeren Mitgliedern, sich in der bevorzugten Schicht zu erhalten, und bewirkt schließlich auch politisch, daß dieser zahlenmäßig starke Geschlechterverband mit der Zeit für seine einzelnen Mitglieder mit dem gleichen Machtanspruch nach den von den Fürsten insbesondere seit dem 13. und 14. Jh. ausgeschütteten Rechten greifen kann, wie die bis dahin in ihrer Macht privilegierten Magnaten. Die räumliche Zerstreuung der Bevölkerung in einem großflächigen Staatswesen im allgemeinen, die Seßhaftwerdung mehrerer Zweige eines Geschlechts an verschiedenen Orten, ja der natürliche Auflösungsprozeß, dem Sippen in wechselvollen Zeiten bei räumlicher Tren37 Vgl. dazu: Ze studiow nad organizacja spoleczenstwa w Polsee sredniowiecznej, Studia ku czci S. Kutrzeby (Aus Studien über die Organisation der Gesellschaft im mittelalterlichen Polen, Studien zur Ehre von S. Kutrzeba), Bd. I, Krakow 1938; Piekosinski; Wojciechowski; ferner Kutrzeba, S. 52 ff.; Bardach, S. 225 f., 419 f.; Tymiencki, K., Plemiona i "gniazda". Przyczynek do dziejow zanikania Ukladu rodowopatriachalnego i umacniania sie ukladu feudalnego, Pisma wybrane (Stämme und "Nester". Ein Beitrag zur Geschichte des Schwindens des patriarchalischen Geschlechtersystems und der Festigung des Feudalsystems, Ausgewählte Schriften), Warszawa 1956, S. 311- 366; Reddaway u. a., 8 . 105, 176; Mirgeler, Europa, S. 22; ders. Geschichte, S. 237; Dworzaczek, W., Genealogia, Warszawa 1959, S. 15 ff. as Es ist nicht ersichtlich, daß man sich auf Seiten der bäuerlichen Bevölkerung dieses genossenschaftlichen Instruments in dem hier angesprochenen Sinne bedient hätte. Allerdings haben es einzelne Nichtadelige verstanden, sei es durch Eheschließungen, sei es durch Usurpierung oder materiellen Aufstieg Aufnahme in den Rittergeschlechtern zu finden. Dworzaczek, S. 17 nennt hier das Beispiel bürgerlicher Familien, die durch Niederlassung auf dem Lande im dörflichen Kleinadel aufgehen. Die Usurpierung des Wappens, auf das noch einzugehen ist, spielte dabei die entscheidende Rolle; bzw. man erkaufte die Adoption zum Wappen eines Adelsgeschlechts, was erst im Jahre 1616 verboten wurde, vgl. Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 283. au Vgl. Gierke, S. 18. 40 s. oben Anm. 38.

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nung unterliegen, alle diese Umstände, die in Westeuropa zur völligen Auflösung der alten Geschlechtergenossenschaft als Grundlage geordneter Verfassungszustände führten, zeitigen in Polen ein ganz anderes Ergebnis: Gemeinsames Bindeglied dieser nunmehr in das Verfassungsleben eintretenden Rittergeschlechter ist zwar eine ursprünglich gemeinsame blutsmäßige und regionale Abkunft, doch findet man in nahezu allen Rittergeschlechtern bald auch blutsfremde Elemente vor41 . Die natürlichen Verbände ergänzen sich zu einem bald staatstragenden künstlichen Geschlechtergefüge, bei dem nicht mehr nachweisbare, ja größtenteils sogar völlig fehlende Blutsverwandtschaft gleich den jüdischen, afghanischen, schottischen Geschlechtern, den griechischen Phylen oder den römischen Gentes durch deren Fiktion ersetzt wird. Überwiegt bei den einen, stärker auf Blutsverwandtschaft beruhenden Verbindungen, die von der polnischen Forschung als genealogische bzw. Gebiets-Geschlechter bezeichnet werden (rod gniazdowy oder rod genealogiczny) das kleinadlige, für blutsfremde Mitglieder wenig attraktive Element, so bildet den Kern der anderen, künstlich stärker ergänzten Geschlechter in der Regel eine mächtigere Adelsfamilie, die durch ihren politischen Einfluß Anziehungskraft auf schwächere Elemente ausübt und sie zum Anschluß bewegt. Insbesondere bei dieser zweiten Gruppe spielt das Wappenwesen, auf das später noch einzugehen sein wird, als Mittel zur Vereinigung eine große Rolle. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Vorzüge dieser genossenschaftlichen Organisationsform sich auf die Dauer nicht auf die kleine und mittlere Ritterschaft beschränkten, sondern ebenso anziehend auf die Magnaten wirken mußten und von ihnen rezipiert wurden. Hier insbesondere treffen wir die sog. heraldischen Stämme an, als deren Kern eine Magnatenfamilie eine zwar nicht juristisch, aber wirtschaftlich von sich abhängige kleinadlige Klientel um sich schart42 • Als Ergebnis bei diesem Prozeß der Geschlechteraktivierung läßt sich, wenn auch nicht in sozialer, so doch in juristischer Hinsicht ein Vereinheitlichungsprozen zu einem einzigen, sich herausbildenden einheitlichen Adelsstand, der Szlachta, feststellen. Innerhalb dieser Szlachta kann man nunmehr nur noch von sozialen Untergruppierungen ausgehen43, nämlich: s. oben Anm. 38. Die, w enn auch nicht juristischen, so doch sozialen Parallelen zum westeuropäischen Ministerialenwesen sind hier nicht zu übersehen, je doch - sow eit ersichtlich - weder von deutscher noch von polnischer Seite ausreichend erforscht worden. 43 Bardach, S. 228. 41

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den oligarchischen Magnaten, dem mittleren Adel, dem Kleinadel (eventuell im Dienst fremder Herren). Diese sich etwa seit dem 12. Jh. 44 vollziehende Geschlechterbewegung trägt schließlich auch das ihre zur politischen Vereinigung der Teilfürstentümer, die schließlich unter König Wladyslaw Lokietiek (1305 bis 1333) gelingt, bei. Von ihrer Rechtsnatur her sind die Rittergeschlechter Polens Beispiele dessen, was Gierke45 als Geschlechtsgenossenschaft des älteren Rechts oder, allgemeiner gesagt, als freie Genossenschaft des alten Rechts bezeichnet hat, nämlich ein auf natürlicher Zusammengehörigkeit beruhender persönlicher Friedens- und Rechtsverein, bei dem alles Recht in die Gesamtheit des Geschlechts verlegt ist. In dem Maße, als diese Geschlechtsgenossenschaft zunehmend öffentliche Funktionen übernimmt, vollzieht sie eine Entwicklung, die genau entgegengesetzt zu den Verhältnissen in Westeuropa verläuft, wo "die Bedeutung des Geschlechts sich immer mehr aus dem öffentlichen in das private Recht zurückzog" 46. Zwar läßt sich für diese Geschlechtergenossenschaft Polens im Außenverhältnis zunächst kein verfassungsrechtlich fest umrissener Ort im Sinne einer institutionalisierten Mitträgerschaft an der staatlichen Macht ausmachen47, doch bildet sie andererseits einen Machtfaktor, den selbst der Herrscher in Betracht ziehen muß. So beruft z. B. König Wladyslaw Jagiello zwei Vertreter eines jeden Geschlechts48 zu einer Zusammenkunft, als es um Steuererhöhungen geht, und zum Provinziallandtag in Wislica 1424 werden ebenfalls zwei Vertreter eines jeden Geschlechts berufen49 . Über die innere Verfassung der Rittergeschlechter ist kaum etwas bekannt50• Man weiß von der Blutrache, die das Geschlecht übt, wenn in einem Mitglied der Gesamtfriede verletzt war5 \ auch berichten die Quellen von Eidgenossenschaft beim Adelsnachweis 52• Es dürfte nicht abwegig sein, auch auf diese Genossenschaftsbewegung der Rittergeschlechter die Charakteristik anzuwenden, die man - wiederum mit Blick auf das Ende Polens- als bösen Stern über der Gesamtgeschichte 44 Kutrzeba, S. 58.

Gierke, Genossenschaftsrecht, S. 14 ff. Gierke, Genossenschaftsrecht, S . 16 f., vgl. auch S. 9. Dworzaczek, S. 16. KutrZJeba, S. 216 f. Bardach, S. 445, Anm. 8. so Dworzaczek, S. 16. 51 Bardach, S . 226. s2 Ebd., S. 226, 421. 45

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dieses Staatswesens hat stehen sehen: daß sich die Bildung der sozialen Strukturen vor der Staatsgewalt, außerhalb ihrer, ja gegen sie vollzogen hat53• Die soziale Herausbildung eines in Geschlechterverbände organisierten, grundsätzlich aber noch offenen Adelsstandes konnte auf die Dauer nicht ohne rechtliche Konsequenzen im Sinne einer Verfestigung und Abschließung dieses Standes bleiben. Seit der zweiten Hälfte des 14. Jh. gilt so als Kriterium der Zugehörigkeit zur Szlachta nicht mehr der Landbesitz iure militari, sondern die adlige Abkunft54 : nach den Statuten Kasimirs III. ist adlig nurmehr, wer von adligen Ahnen abstammt, was notfalls auch durch Zeugen belegt werden kann55• In der Praxis mag letzteres auch zahlreichen bürgerlichen und bäuerlichen Elementen Eingang in den Adelsstand verschafft haben. Die seit dieser Zeit im Recht vorgesehene Form der Nobilitierung zeigt wiederum den starken Einfluß genossenschaftlicher Kräfte: konstitutiv dafür wird die formelle Adoption56 zu einem der Rittergeschlechter. B. Die "goldene Freiheit" als Kernbegriff der polnischen Verfassungsgeschicllte

Als im 18. Jh. in den letzten Stunden des alten polnischen Staates auf dem Höhepunkt einer für das Staatswesen tödlichen Adelsomnipotenz der sog. Sarmatismus57, diese Verfassungszustände als "goldene Freiheit" (zlota wolnosc) preist, subsumiert er unter den Begriff der "goldenen Freiheit" die Gesamtheit der Rechte, die der Szlachta seit den Frühzeiten durch die Jahrhunderte zugefallen waren58• Es sei daher kurz skizziert, wie es durch die Vielzahl immer ausgedehnterer "libertates" (in der polnischen Literatur als Standesprivilegien bezeichnet) zu deren Inbegriff, der "goldenen Freiheit", kam. Hierbei bilden die Thronfolgeprobleme nach dem Erlöschen der Piastendynastie und das in diesem Zusammenhang gewährte Privileg von Kaschau von 1374 einen Angelpunkt59 • Grappin, H., Histoire de Ia Pologne, Paris-Wien, 1922, S. 30. Zernicki, S. 18. 55 Rhode, S. 96; Bardach, S. 421. ss Bardach, S. 421; Kutrzeba, S. 158. 57 Dazu: Olszewski, H., Doktryny prawno-ustrojowe czasow saskich 1697 - 1740 (Verfassungsrechtliche Theorien der Zeit der sächsischen Könige, 1697- 1740), Warszawa 1961; Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 229 f.; Laeuen, H., Polnische Tragödie, Stuttgart, 3. Aufi. 1958, S. 83 f. ss Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 230. 59 Vgl. Rhode, S. 107 ff. 53

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1. Historische Ausgangslage und Erwerb der Privilegien Die Bedeutung der Szlachta ist in den Einigungskämpfen der Teilfürstentümer derart gestiegen, daß, nach der endgültigen Vereinigung des Landes unter Wladyslaw Lokietek (1320 -1333), es sich der König grundsätzlich nicht mehr erlauben kann, gegen sie zu regieren 60 • Vollends unter Lokieteks Sohn Kasimir III. wird deutlich, daß die Szlachta, und in kleinerem Umfang auch die Städte, ein zunächst zwar noch nicht festgelegtes, jedoch auch nicht mehr zu übergehendes Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen beanspruchen können61 • So wird der Friede von Kalisch, den Kasimir 1343 mit dem deutschen Orden abschließt, bereits nicht mehr allein vom König, sondern auch von den Vertretern der Szlachta und der wichtigsten Städte unterzeichnet. Auch bei der Gesetzgebung - 1346 läßt Kasimir das kleinpolnische Recht in den Statuten von Wislica aufzeichnen, später auch das großpolnische - wirken Landesversammlungen der Oberschicht mit62 • Die für das späte Mittelalter so kennzeichnende Entwicklung zum Ständestaat zeichnet sich damit auch in Polen ab (wobei die Städte von Anfang an keinen allzu großen Machtfaktor darstellen, schließlich völlig bedeutungslos werden). Den entscheidenden Machtzuwachs schöpft die Szlachta dann aus Thronfolgeproblemen im Zusammenhang mit dem Aussterben der Piastendynastie63 : In Ermangelung männlicher Nachkommen trachtet Kasimir III., die unter seiner Regierung erfolgte endgültige Restauration Polens durch eine Personalunion mit Ungarn unter seinem Neffen Ludwig von Anjou (1370- 1382) zu sichern. Die Zustimmung des Adels zu dieser Nachfolge und zur Nachfolge von Ludwigs Tochter Hedwig - Ludwig seinerseits blieb ebenfalls ohne männlichen Nachkommen - bedeutet eine grundsätzliche Anerkennung des Wahlrechts und muß vom König durch die Erteilung von Privilegien an den gesamten Adel als Stand- und nur an ihnerkauft werden. Herausragende Bedeutung kommt dabei dem Privileg von Kaschau von 1374 zu, das er dem Adel erteilt. Während also die Städte dabei als Ganzes leer ausgehen, wird die Szlachta zu einem entschieden bevorzugten Stand mit weitgehenden, in der Zukunft noch erheblich vermehrten Rechten64 • Rhode, S. 90. Reddaway, u. a., S. 167 ff. 62 Rhode, S. 90, Reddaway u. a., S. 178. ss Rhode, S.107 11; Reddaway u. a., S.185 ff.; Meyer, S. 30 ff.; Bardach, 60 61

s. 365.

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Aus dem Elektionsprinzip leitet die Szlachta dann auch ihr Recht ab, für Hedwig in der Person des litauischen Großfürsten Wladyslaw Jagiello den Ehemann auszuwählen und ihn in einem förmlichen Wahlakt zum König zu küren. Es trägt sicher nicht zur Stärkung der Zentralgewalt bei, daß Hedwig schon nach relativ kurzer Ehe stirbt und der Adel damit die Möglichkeit hat, das Problem der Thronfolge für die Söhne des landfremden Jagiello aus späteren Ehen erneut aufzuwerfen. Zwar wählt man tatsächlich Jagiellos Sohn Wladyslaw III., doch hat sich damit endgültig das Elektionsprinzip durchgesetzt65 • Aus dem Sachzwang jedoch, die staatliche Verbindung mit Litauen aufrecht zu erhalten, begrenzt man bis zum Aussterben der Jagiellonendynastie im Jahre 1572 die Wahl im wesentlichen auf diese Dynastie: der erbliche Großfürst von Litauen ist zugleich polnischer Wahlkönig 66 • Nach dem Aussterben der Jagiellonen 1572 ist die Szlachta bei den Königswahlen dann an keine bestimmte Dynastie mehr gebunden. Ludwigs von Anjou 1374 in Kaschau gewährtes Privileg stellt sowohl formell wie materiell einen für die Rechtsstellung der Szlachta bedeutsamen Präzedenzfall67 dar: Seit dem Kaschauer Privileg wird es bei der Szlachta Brauch, sich bei jeder Königswahl ihre alten Rechte bestätigen und neue erteilen zu lassen. Dazu ist seitdem jeder neu gewählte König durch die Erteilung von sog. Privilegien und Statuten gezwungen68 • Materiell-inhaltlich brachte das Kaschauer Privileg von 1374 der Szlachta die nahezu völlige Abgaben- sowie Steuerfreiheit: Darin "setzte Ludwig die bisher 12 Groschen betragende, allerdings nicht ganz regelmäßig erhobene Pflugsteuer (poradlne) auf 2 Groschen je Hufe und Jahr für den gesamten adligen Besitz fest (die symbolischen 2 Groschen erhoben in signum summi dominii) und erklärte, daß damit auch alle übrigen Steuern abgegolten sein sollten. Zugleich wurden die zum Teil schon früher geltenden Verpflichtungen des Königs gegenüber dem Adel bei Kriegszügen jenseits der Landesgrenzen bestätigt und der Grundsatz, daß alle Landesämter nur an Polen, und zwar jeweils des betroffenen Landesteils, der terra, gegeben werden sollten, schriftlich fixiert" 69• 64 Rhode, S. 111; Bardach, J., Lesnodorski, B., Pietrzak, M., Historia panstwa i prawa Polskiego (Polnische Verfassungsgeschichte), Warszawa 1979, s. 95. 65 Kutrreba, S. 146 ff.; Bardach, S. 382. 66 Rhode, S. 221; Bardach, S. 382. 67 Laeuen, S. 26; Bardach, S . 372; Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S. 95. ss Vgl. Brückner, A., Encyklopedia Staropolska (Altpolnische Enzyklopädie), Warszawa 1939, Stichwort "przywileje" (Privilegien).

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Königswahl und die nunmehr durch das Kasellauer Privileg in der Praxis bestehende volle Steuerfreiheit bieten der Szlachta die entscheidenden Hebel zur Erweiterung ihrer Rechte: In jedem Fall außergewöhnlicher Ausgaben, also vor allem im Falle der zahlreichen Kriegszüge, muß der König der Szlachta ihre Zustimmung durch Gewährung immer umfassenderer Rechte abhandeln70 • Am Ende dieser Entwicklung, die bis zum 18. Jh. währt, steht dann die beinahe unbegrenzte Freiheit - von den Zeitgenossen als "goldene Freiheit" apostrophiert - einer schon wegen ihrer großen Zahl einzigartigen Trägerschicht. Auf der Strecke bleibt ein Königtum, das schließlich, viritim gewählt, keine einzige wesentliche Entscheidung mehr aus eigener Machtvollkommenheit treffen und durchsetzen kann. So garantieren nach Kaschau z. B.71 das Privileg von Czerwinsk 1422 und das Statut von Krakau, 1433, die Unantastbarkeit von Leib, Leben und Eigentum. Die Nessauer Statuten, 1454, bringen eine weitgehende Mitbestimmung der Szlachta und sind daher als eigentlicher Ausgangspunkt der Adelsdemokratie gewertet worden72 : Kein Aufgebot ist seitdem ohne Zustimmung des Adels mehr möglich. Darüber hinaus bescheren sie der Szlachta die Möglichkeit, Standesgenossen als Kandidaten der Landgerichte durchzusetzen. Vor allem aber darf der König keinerlei neue Rechte ohne Anrufung des Adels mehr erteilen. Das Statut von Petrikau, 1496, befreit die Szlachta von allen Zöllen auf Produkte ihrer Ländereien. Den adligen Grundherren fällt in Zukunft auch die absoluta potestas samt Roher Gerichtsbarkeit über ihre rechtsunfähigen Untertanen zu, die so mit der Staatsgewalt keine unmittelbare Berührung mehr haben. Die Macht des Königs wird 1405 ferner dadurch entscheidend geschwächt, daß ihm die freie Verfügungsgewalt über die Krongüter untersagt wird, wodurch ihm die Möglichkeit genommen werden soll, sich durch Landvergabe Parteigänger zu schaffen. Mit der Nihil-NoviKonstitution von Radom, 1505, schließlich verpflichtet sich der König, "ut deinceps futuris temporibus perpetuis nihil novi constitui debeat per nos et successores sine communi consiliarorum et nuntiorum terrestrium consensu "73 • Rhode, S. 110 f. Bardach, S. 424; Laeuen, S. 40. 71 Eine Aufzählung wichtiger Privilegien bei Roos, S. 316, 355 f. sowie bei Laeuen, S. 82. 72 Bardach, S. 426; Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 31. 73 Volumina Legum (VL) I, St. Petersburg 1859, S. 299. 69

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Folglich können ohne Zustimmung des vom Adel gewählten Parlaments, des Sejm, auf den noch einzugehen sein wird, in Zukunft keine Gesetze mehr ergehen. Damit sind endlich alle Staatsangelegenheiten von der Entscheidung dieses Adelsparlaments abhängig74. Die zeitgenössischen Autoren sprechen von nun an von der Souveränität des Rechtes, dem der König unterworfen ist. Im Grunde steht dahinter die Souveränität des adligen Staatsvolkes, dessen Repräsentanz, der Sejm, das Recht ja fortan allein zu setzen hat75. Seitdem kann von königlicher Zentralgewalt als einem das Verfassungsleben Polens eigenständig bestimmenden Machtfaktor eigentlich nicht mehr die Rede sein. Auch können seitdem alle von der Szlachta beanspruchten Rechte eigentlich keine Weiterungen mehr bringen, sind vielmehr lediglich logische Konsequenz und Ausdifferenzierung dieser ihrer Souveränität.

2. Form des Rechtserwerbs: genossenschaftliche Geschlossenheit - aequalitas Auch in anderer Hinsicht hat man 76 im Kaschauer Privileg mit Recht ein für die Zukunft Polens bedeutsames Staatsgrundgesetz und einen Eckstein gesehen: Erstmals tritt hier der polnische Adel dem Herrscher in genossenschaftlicher Geschlossenheit als "communitas nobilium" des ganzen Landes entgegen und erwirbt gleiche Rechte für alle Mitglieder dieser Körperschaft. Durch diese formal gleiche Rechtsstellung aller Berechtigten ist damit ein Präjudiz geschaffen für den zunächst ungeschriebenen, später ausdrücklich betonten Verfassungsgrundsatz einer inneradligen Rechtsgleichheit; denn die in Kaschau gezeigte Form der Gemeinsamkeit bleibt keine vereinzelte Ausnahme, sondern es wird fortan zur Regel, jedes neue Privileg für die gesamte Körperschaft der Szlachta zu erwirken77. Ja in den schon erwähnten Nessauer Statuten von 1454 begibt sich der König ausdrücklich des Machtmittels, durch die Erteilung von einzelnen, von seiner Willkür abhängenden Privilegien, Par74 Vgl. dazu: Kutrzeba, S. 221 f.; Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 123, 126; Laeuen, S. 82. 75 S. Orzechowski, einer der meist beachteten literarischen Verfechter der "Goldenen Freiheit" drückt das um 1560 so in seinem Werk "Fidelis subditus albo o stanie krolewskim" (Der treue Untertan oder über den Königsstand) aus; abgedruckt bei Ulanowski, B. (Hrsg.), Szesc broszur politycznych z XVI i poczatku XVI stulecia (Sechs politische Schriften aus dem XVI. und beginnenden XVII. Jahrhundert), Krakow 1921, S. 20; vgl. auch Laieuen, S. 88. 76 Bardach, S. 424; Laeuen, S. 26. 11 Rhode, S. 222.

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teigänger zu gewinnen, indem jede Neugewährung an die Zustimmung des gesamten Adels gebunden wird78 • Und so liegt es in der Natur der Sache, daß als Folge dieser gemeinsam erworbenen gleichen Rechte notwendigerweise eine rechtliche Verschmelzung aller Edelleute zu einem einheitlichen, egalitären Stand eintritt, vereinigt "zu einer unitarischen Rechtskorporation" 79 • Verständlicherweise vollzog sich diese Entwicklung nicht, ohne zeitweise zu innerständischen Gegensätzen zwischen oligarchischem Magnatenturn und dem übrigen Adel zu führen. Natürlich lag, besonders anfangs, die Initiative bei den Magnaten, die ihre Machtstellung - vor allem als Ratgeber der Krone und Mitwirkende bei der Regierung nicht freiwillig mit der Adelsmasse teilen wollen. Der König sieht andererseits gerade im kleineren und mittleren Adel den willkommenen Bundesgenossen zur Eindämmung des Machtstrebens der Großen, und so drängt, besonders seit den Privilegien des 15. Jh., die Szlachta in ihrer ganzen sozialen Bandbreite kraftvoll und selbstbewußt nach80• Zwar versuchen immer wieder mächtige Magnaten- z. B. Jan Tarnowski, gest. 1561 - der innerständischen Vereinheitlichung entgegenzuwirken und eine Unterscheidung in Hohen und Niederen Adel einzuführen81 • Die Szlachta reagiert dagegen mit zunehmender Empfindlichkeit. Jede Maßnahme des Herrschers, die als Anschein der Auszeichnung oder Erhöhung einer Familie gewertet werden könnte, weckt ihren erbitterten Widerstand82 • Folglich verhindert man die Stiftung von Orden und Ehrenzeichen. Die Adelsmassen sehen darin eine Bedrohung der Gleichheit und eine Gefahr für wohlerworbene Rechte. Man fürchtet vor allem die dadurch mögliche Heranbildung einer Elite königstreuer "Regalisten". Äußerstenfalls ist man, so 1537 im sog. Hahnenkrieg, sogar bereit, sich gegen die Anerkennung eines Hohen Adels mit Waffengewalt zu wehren. Der Magnatenschaft bleibt in dieser Lage nur der Weg nach vorn: um sich führende soziale Stellung und politischen Einfluß an der Spitze der Szlachta zu erhalten, gilt es, den Sippenbanden der RitterBardach, S. 425. Roos·, S. 317. so So sind z. B. die Nessauer Statuten von 1454 Ausdruck dieser verstärkten Stellung der mittleren Szlachta und werden nicht zu Unrecht als Markstein der Entwicklung zur Adelsdemokratie gewertet (vgl. Bardach, S. 367, 426; Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S. 96). 81 Vgl. Konarski, S., Armorial de la noblesse polonaise titree, Paris 1958, S. 26; Janecki, S. 15. 82 Konarski, S. 28, 30, 38 ff.; Roos, S. 327; Zernicki, S. 38. 78 79

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geschlechter (pokrewienstwo rodowe) Vorrang vor sozialen Unterschieden einzuräumen, das Gleichheitsprinzip anzuerkennen und, gestützt auf das sowohl zahlenmäßig wie politisch beachtlich weitverzweigte Gefüge dieser Rittergeschlechter, vor den König hinzutreten, um neue Privilegien für die Gesamtheit der Szlachta in allen ihren Geschlechterverzweigungen zu erkämpfen83. Der Weg, den die Szlachta so von den Frühzeiten ihrer Gemeinschaften gleicher ritterschaftlieber Geschlechtsgenossen über Kaschau bis nach Radom zurückgelegt hat, führt gerade durch die ständige Mehrung und Erweiterung der Rechte zu einer fortschreitenden Solidarisierung84 dieses Adels gegenüber der Zentralgewalt, deren- in Wahrheit übrigens kaum je - drohende Möglichkeiten zur Errichtung eines "absolutum dominum" man im Laufe der Zeiten zunehmend stärker abschreckend an die Wand malt. Die daraus entspringende vereinheitlichende Wirkung mündet schließlich in der zwar nicht rechtlichen, aber politischen Führungsstellung des Magnatentums, in Gegnerschaft gegen die Zentralgewalt und im Bestreben, über die Hintertür der Mehrung der Rechte des gesamten Adels die eigene Position anzuheben. Zum Sprecher und Vollstrecker dieser Richtung wird der Magnat Jan Zamoyski (1541-1605), den man geradezu als Tribun der Szlachta bezeichnet hat85, und der konsequent die Konstitutionalisierung der Prinzipien adliger Gleichheit und Freiheit (aequalitas et libertas)86 durchsetzt. Denn fortan erkennen gerade die Magnaten bald ihr lebhaftes Interesse an der strengen Beachtung der Adelsgleichheit Erhalten sie doch damit erst die Möglichkeit, aus stimmberechtigten, aber sozial abhängigen Adelsplebejern, insbesondere adligen Bediensteten, ganze "Klientelen" zu bilden und geradezu als "Stimmvieh" in die politische Auseinandersetzung zu treiben bzw. für ihre Zwecke einzusetzen87 • So widerspricht es diesem Umstand nicht, daß zwischen der oligarchischen Magnatenschicht und dem Heer eines zahlenmäßig wachsenden Adelsproletariates die größte ökonomische Ungleichheit besteht88• 83 Kutrzeba, S. 160; Bardach, S. 242, 422. 84 Roos, S. 317. 85 Sobieski, W., Trybun ludu szlacheckiego (Ein Tribun des Adelsvolkes), Warszawa 1905. 86 VL III, 441. 87 Laeuen, S. 148 f. 88 Korzon, T. (Wewnetrzne dzieje Polski za Stanislawa Augusta Die inneren Verhältnisse Polens unter Stanislaus August - Krakow/Warszawa 1897, S. 88) und Roos, S. 337, Anm. 70 zeigen an einer Fülle von Beispielen, wie sich diese Allianz politisch Gleicher und wirtschaftlich Ungleicher bis zum Ende der Adelsrepublik erhalten hat. 6 Mikliss

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Als sichtbarsten Ausdruck der aequalitas sowie der unmittelbaren Hoheit der Adelsnation (und als Möglichkeit politischer Einflußnahme seitens der Magnaten) setzt Zamoyski 1573 folgerichtig die electio viritim89 und die electio libera90 durch: In eigentümlicher Form adliger Urdemokratie steht fortan allen adligen Einwohnern des inzwischen 900 000 km2 großen Riesenreiches die Befugnis zu, sich persönlich an der Königswahl zu beteiligen aktiv als Elektoren der Könige, aber auch durch das passive Wahlrecht, das die Möglichkeit bietet, daß aus den Elektoren selbst Könige gekürt werden. Mehrfach noch haben die Reichstage in der Folgezeit die Adelsgleichheit unterstrichen, und als eine Konstitution vom Jahre 1690 zufällig den Ausdruck "Kleinadel" verwendet, sieht sich der Reichstag einem solchen Entrüstungssturm seitens der Adelsmassen ausgesetzt, daß er alsbald, im Jahre 1699, in einem Spezialgesetz feierlich erklären mußte, nur "per errorem" habe man sich im Ausdruck vergriffen, alle Edelleute seien gleich, weder höheren noch geringeren Adel könne es geben, die inkriminierende Unterscheidung werde "in perpetuum" verbannt91. Als eines der "Kardinalrechte" (prawa kardynalne, iura cardinalia) wird die Adelsgleichheit 1768 bzw. 1775 nochmals ausdrücklich anerkannt, kurz vor dem Ende des Reiches dann noch einmal in der Konstitution von 179192 • Das Bewußtsein der Adelsmassen artikulierte sie in dem klassischen Sprichwort szlachcic na zagrodzie rowny wojewodzie (Auf seinem Besitz ist der ärmste Szlachcic dem Wojewoden gleich93.) 3. Szlachta-Ideologie

Für das Selbstverständnis der Szlachta als einer das Gemeinwesen tragenden souveränen Körperschaft sind neben der territorialen Vorstellung der Herrschaft des einzelnen Edelmannes über seinen freien, unabhängigen Grundbesitz, vor allem die geistigen Wurzeln der aequa89 Der Ausdruck "viritim" i. e. für jeden Mann hat allgemein Eingang in die Literatur gefunden. 90 Zernicki, S. 47 ff. 91 Konarski, S. 28. 92 VL VII, 562 - 606; VL VIII, 62 - 63. 93 Nach 1956 wird auch in der Volksrepublik der sozialgeschichtliche Hint ergrund dieses Sprichworts wissenschaftlich wieder erörtert. Vgl. z. B. Sroga, A., Szlachcic na za drodzie .. ., in: Swiat, 1958, Nr. 15; Chudzynski, J ., Berkajlo, M., Rowni wojewodzie, in: Kierunki 1958, Nr. 11.

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litas von Bedeutung geworden; sie wurzelt in der personalen Auffassung einer brüderlichen - und daher gleichen - Adelsfamilie, letztlich begründet in der Idee einer ritterlich-adligen Bruderschaft (confraternia, braterstwo)94• Die gemeinsame adlige Abstammung wird- getreu dem mittelalterlichen Ordensgedanken - als Ordensregel aufgefaßt (ragula militaris), der Adel selbst als Mitgliedschaft in einem bestimmte Privilegien und Verpflichtungen begründenden Orden. Wurde jedoch der obige Ordensgedanke in Deutschland zunächst mit Beruf und Dienst verknüpft auf Innungen aller Art ausgedehnt und die Ritterzunft als bloßer dienender Berufsstand neben Gilden und Zünften gesehen, der sich erst allmählich abschloß 95 , so führte die steigende ständische Verfestigung der Szlachta in Polen schon früh dazu, sich mit dem Kleinod (klejnot) besonderer moralischer Qualifikation zu schmücken und gegenüber Nichtadligen höhere, untereinander jedoch brüderlich gleiche sittliche Pflichten zu postulieren96 • Angesichts der großen materiell-sozialen Spannweite der Szlachta ist diese Bruderschaftsideologie, die sich um so mehr intensivierte, als die soziale Sphäre zwischen Kleinadel und oligarchischem Magnatenturn auseinanderklaffte, natürlich ein purer, rechtlich aber unverrückbarer Formalismus geblieben: Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist die Charakteristik, die ein Anonymus97 auf dem Höhepunkt des Sarmatismus im 18. Jh. gab: Danach konnte es demselben, im Dienst eines Magnaten stehenden Edelmann geschehen, daß ihn jener während der Wahlen mit Met und Schnaps bewirtete und "großmächtiger Herr Bruder" nannte und ihn danach bei der Feldarbeit von kosakischen Aufsehern mit Stockschlägen traktieren ließ. Durch die Rezeption römisch-republikanischer praecepta98, vor allem ciceronianischen Gedankengutes, erfolgt in der Renaissance die Um94 Roos (Roos, H., Der Adel der Polnischen Republik im vorrevolutionären Europa, S. 51, in: Vierhaus, R., Hrsg., Der Adel vor der Revolution, Göttingen 1971) weist in diesem Zusammenhang auf die Anregungen hin, die der Deutsche Orden gab. 95 Vgl. Laeuen, S. 90; Gielike, Genossenschaftsrecht, S. 200, 344 f. 96 Roos, Ständewesen, S. 324. 97 Anonymus (Franciszak Salery Jezierski), Katechizm o taiemnicach rzadu polskiego, iako byl okolo roku 1735; napisany przez J . P. Sterna ... w Samborze 1790 (Katechismus über die Geheimnisse der polnischen Regierung, wie sie um das Jahr 1735 war, niedergeschrieben von dem erlauchten Herrn Lawrence Sterne ... in Sambor 1790), S. 15 f. 98 Vgl. dazu: Vahle, H., Die Rezeption römischer Staatstheorien in Polen zur Zeit Jan Zamoyskis, Diss., Bochum 1968; Lempicki, S., Renesans i humanizm w Polsee (Renaissance und Humanismus in Polen), Warszawa 1951.

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formung und Ausgestaltung der Szlachtabruderschaft zu einer inneradligen Demokratie: Die Nation wird im Schrifttum zum "populus", die Versammlungen der Szlachta werden "comitia", der einzelne Adlige sieht sich als "quiriten" oder "cives" (obywatel) der Republik und das Bürgerrecht, die civitas, wird zum Inbegriff aller politischen Privilegien und zum ausschließlich dem Edelmann vorbehaltenen Recht - alle übrigen Einwohner des Reiches genießen rechtlich kein Einzeldasein. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Jan Zamoyski, dem es als Großkanzler während des "großen Interregnums" von 1571-1575 schließlich gelingt, die Prinzipien adliger Freiheit und Gleichheit grundgesetzlich zu verankern, vormals Universitätsrektor von Padua war.

4. Erscheinungsformen der aequalitas in Rechtsinstituten Im Begriff inneradliger Brüderlichkeit, die in der frühen Szlachtagemeinschaft ihren vereinheitlichenden Tugend- und Moralkodex sowie die gleichen Lebensgewohnheiten zunächst aus halbmystischen Vorstellungen des Mittelalters nahm, sowie im Begriff der civitas äußert sich das Gleichheitsprinzip eines genuin polnischen Genossenschaftsbegriffs: Für ihn sind nicht nur die einzelnen Geschlechter reale Verbandspersönlichkeiten, sondern auch Inbegriffe von Geschlechtern, ja das gesamte öffentliche Leben stehen unter dem gleichen Recht99• Im Unterschied zu Deutschland, wo während des gesamten Lehnszeitalters bis zur Epoche der freien Einungen, aber auch danach, etwa im Absolutismus, das entgegengesetzte Prinzip der Herrschaft über die Genossenschaft obsiegt hatte100, artikuliert sich in Polen immer deutlicher auch juristisch die freie Genossenschaft: Die Rittergeschlechter der Frühzeit, zwar sozial und auch schon politisch faßbar, verfassungsrechtlich jedoch noch nicht einzuordnen101, dann die communitas nobilium102, die dem König seit Kaschau eindeutig als Vertragspartner gegenübertritt, sind immer deutlichere juristisch faßbare Erscheinungsformen dieses Genossenschaftsgedankens. Der deutsche Genossenschaftsgedanke ist beruflich gebunden103. Der polnische beruht dagegen auf familiären Banden. Diese seine Eigenart 99 Vgl. Laeuen, S. 68 f., 90. 100 Vgl. die Ausführungen in Kapitel II sowie Gierke, Genossenschaftsrecht, S. 9. 101 s. oben Kap. IV § 1 A 1. 102 s. oben Kap. IV § 1 A 3. 1oa Laeuen, S. 90.

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tritt besonders deutlich in einer der litauisch-polnischen Unionsakten, nämlich der Unionsakte von Horodlo von 1413104 hervor. Dort heißt es: "Es ist unzweifelhaft, daß niemand wahren Heiles teilhaftig wird, der sich nicht auf das Geheimnis der Liebe stützt. Nur die Liebe allein bleibt nicht ohne Erfolg: strahlend wie sie ist, dämpft sie Gehässigkeiten, schwächt den Zorn, gewährt allen den Frieden. Sie einigt die Getrennten, hebt die Gefallenen, ebnet die Unebenheiten, macht Krümmungen gerade. Sie steht jedermann bei, ist sicher. Keine Drohungen werden ihn schrecken. Die Liebe schafft Gesetze, regiert Staaten, verwaltet Städte und leitet den Stand des Staatswesens zum besten Ende. Wer sie aber verschmäht, wird alles verlieren. Daher bestätigen wir mit dieser Urkunde, daß wir alle, wie wir hier versammelt sind: Prälaten, Ritter und Adel, indem wir im Schutze der Liebe ruhen wollen und von ihrem frommen Gefühl durchdrungen sind, unsere Häuser und Geschlechter, unsere Familien und Wappen vereinigen und verbinden." Obwohl die geistliche Autorenschaft bei dem Vertragstext nicht zu übersehen ist, handelt es sich doch dabei nicht um die fromme, unverbindliche Beteuerung eines Hoftheologen, sondern um den Text eines völkerrechtlichen Vertrages: Die Vereinigung Polens mit Litauen vollzieht sich durch eine "Verbrüderung" des Adels der beteiligten Länder: Die Familien des litauischen Adels werden durch Adoption in 47 polnische Wappen- und Geschlechterverbände aufgenommen105• Es ist zwar ein - wenn auch verständlicher -Überschwang nationaler Emphase, wenn der polnische Historiker Konopczynski feststellt 106, daß jener christliche Grundsatz der brüderlichen Liebe hier die politische Regel wurde. Doch läßt sich zumindest feststellen, daß man sich auch in diesem Falle, im völkerrechtlichen Bereich, genossenschaftlicher Mittel bedient. Diese wiederum sind nicht herrschaftlich gebunden, sondern auf das - im Gegensatz zum germanischen Rechtskreis - auch noch im öffentlichen Recht verankerte Geschlecht orientiert. (Die Auffassung inneradliger Brüderlichkeit hat sich auch sprachlich bis zum Untergang des alten Polens dadurch erhalten, daß sich der Adel gegenseitig mit "Herr Bruder" [brat szlachcic] anredete107. ) 104 Lateinischer Text in: Akta unji Polski z Litwa 1385- 1791, hrsg. von Kutrzeba, S., Semkowicz, W., Krakow 1932, S. 53; deutsche Übersetzung bei Laeuen, S. 80. 1os Reddaway u . a., S . 217. 1oe Konopczynski, W., Dzieje Polski nowozytnej (Geschichte des neuzeitlichen Polen), Bd. I, Warszawa 1936, S. 405. 107 Lozinski, W., ZycLe polskie w dawnych wiekach (Polnisches Leben in früheren Jahrhunderten), Paris o. J., S. 143; Roos, Ständewesen, S. 337 f.

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Schließlich äußert sich dieser genuin polnische Genossenschaftsgedanke im Sejm selbst. Dort herrscht als weitere Folge brüderlicher aequalitas das davon nicht zu trennende Prinzip der Einmütigkeit parlamentarischer Beschlüsse, das schließlich in der Endzeit des Staatswesens zu der vom liberum vetobedrohten Einstimmigkeit degeneriert108• Für den Präzedenzfall sorgt im Sejm des Jahres 1652 der Abgeordnete Sicinskpoe. Unter Berufung auf die konsequente Anwendung der Prinzipien von brüderlicher Einmut und Freiheit wendet er allein sich in einer Verfahrensfrage gegen eine geplante Verlängerung der Session. Das Plenum unter seinem Sejmmarschall Andrzej Maksymilian Fredro verurteilt zwar dieses willkürliche Insistieren eines Einzelnen, erkennt aber dessen ius vetandi ausdrücklich an. Das Abdrängen des Genossen, polnisch gesagt des Bruders, in die Minderheit, für die dann die Beschlüsse der Mehrheit verbindlich würden, hieße nämlich, dem einen größere Prärogativen einzuräumen als dem anderen: so läge darin ein Angriff auf die aequalitas. Zugleich läge darin auch ein Angriff auf das Prinzip der libertas; denn dieses überstimmten Genossen Freiheit kann nicht einfach majorisiert werden, zudem wäre der Grundsatz mißachtet, daß "quod omnes tangit ab omnibus aprobetur" 110. In obiger Begründung kommt zugleich noch eine weitere Erscheinungsform des Freiheitsprinzips zum Ausdruck, nämlich das seit 1501 im articulus de non praestanda oboedientia gesetzlich verankerte, 1573 vom damaligen Kronprätendenten Heinrich von Valois feierlich bekräftigte Widerstandsrecht111 des Adels für den Fall, daß der König dessen Freiheiten verletzte. In der Ausübung des liberum veto kommt dieses Widerstandsrecht nach Meinung der damaligen Staatstheoretiker dadurch zum Ausdruck, daß man es in der Verteidigung der "goldenen Freiheit" nicht nur gegen Bedrohungen seitens der monarchischen Spitze stipulieren dürfe, es vielmehr ebenfalls innerhalb der egalitären Genossenschaft zu gelten habe: des Genossen Freiheit dürfe nicht einfach majorisiert werden112• 1os Vgl. dazu: Konopczynski, L., Le liberum veto, Paris 1930, der in dieser ausführlichen Arbeit die Entwicklung des Mehrheitsprinzips auch außerhalb Polens untersucht. Für Polen dort S. 153 ff.; Roos, Ständewesen, S. 364 ff.; Laeuen, S. 148. 109 Zu den historischen Ereignissen vgl. Roos, Ständewesen, S. 364; Laeuen, S.148. uo Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 32; Roos, Der Adel, S. 72. 111 Laeuen, S. 85 ff. 112 So deutet auch Mitteis, Der Staat, S. 434 dieses individuelle Wider-

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Aus dieser vermeintlichen doppelten Bewahrerfunktion sowohl des Prinzips adliger Freiheit wie adliger Gleichheit durch das Instrument des liberum veto konnte schließlich die sarmatische Szlachta dieses Veto sogar als einen Augapfel der Freiheit (pupilla libertatis) bezeichnen113. C. Verfassung der Adelsrepublik

In keiner Hinsicht kann der polnische Adel wohl auf größere Rechte pochen, nirgends sich dem Adel anderer Staaten so überlegen zeigen, als hinsichtlich der Teilnahme an der Verfassung und ihren Organen. Was ihre Genese betrifft, würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, im einzelnen darzulegen, wie aus dem Patrimonium114 der Piasten nach deren Aussterben mit dem immer stärker in der Überzeugung der Zeitgenossen sich festigenden Wahlprinzip allmählich die Krone Polens115 wird. Die Vorstellung, im Staat das Privateigentum des Herrschers zu sehen, wandelt sich dahingehend, daß der Staat eine von der Person des Herrschers unabhängige Größe sei. In den zwei Jahrhunderten der Jagiellonendynastie gelingt es der Szlachta, die litauischen, weißruthenischen, ukrainischen Bojaren, dann die Nachkommen des armenischen, tartarischen, karäischen Adels, den Adel des Ordensstaates Preußen und Livlands zum freiwilligen Anschluß zu bewegen. Das gelingt mit Hilfe der insbesondere im Laufe des 15. Jh. von der Zentralgewalt einheitlich an die Szlachta vergebenen umfassenden Privilegien. Sie versteht es, die Bauern, dann auch das Bürgertum als politische Kraft auszuschalten und als allein verbleibende staatstragende Schicht ein Monopol bei der Ausübung politischer Rechte zu erlangen116 • Aus einem Stand hat sie sich damit im 16. Jh., abstellend nicht auf ethnische, sondern ständische Kriterien, in ihrer Selbstcharakterisierung in die "adlige Nation" (narod szlachecki) 117 verwandelt, der es 1573 auch gelingt, die monarchische Spitze zu einem auf Lebenszeit standsrecht des liberum veto. 113 Laeuen, S. 147. 114 Der patrimoniale Charakter des frühen Piastenstaates äußert sich z. B. in der Aufteilung des Landes durch König Wladyslaw Lokietek unter seine Söhne bzw. in der privatrechtliehen Übertragung der Ämter. Vgl. dazu Bardach, Lesnodorski, Pietrzak, S. 29; Friedberg, S. 38; Wojciechowski, Ustroj,

s. 571.

115 Dazu Dabrowski, J., Die Krone des polnischen Königtums im 14. Jahrhundert, hrsg. von Hellmann, M., in: Corona regni, Darmstadt 1961; Bardach, s. 383 ff. 116 Russocki, S., Le systeme representatif de la "Republique Nobiliaire" de Pologne, S. 279, hrsg. von Bosl, K., in: Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977. 117 Dazu Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 78 f.; Rhode, S. 229, 233.

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viritim118 gewähltem, durch Wahlkapitulationen (deren Nichteinhaltung ein förmliches ius resistendi einräumt) gebundenen Wahlkönigtum auszugestalten. Nach der Terminologie der Zeit eine Adelsrepublik mit monarchischer Spitze von der Form her, ist Polen vom Inhalt her bis zu seinem Ende eine Adelsdemokratie. Es ist bereits dargelegt worden, wie bestimmte Faktoren, z. B. Geschlechterverfassung, bestimmte historische Umstände beim Übergang von den Piasten zu den Jagiellonen, diese Szlachta prädisponieren, zu einer einheitlichen egalitären Genossenschaft zusammenzuwachsen. Dieser Adel verwirklicht seine verfassungsrechtliche Stellung durch die Verfassungsorgane, umgekehrt trägt die Teilnahme an der gemeinsamen Verfassung, die alle Edelleute in den gemeinsamen parlamentarischen Gremien, in allen Ämtern, Würden, Kollegien einander näher bringt, entscheidend zur Solidarisierung und zur Festigung der Genossenschaft bei. Wie gezeigt, geht in dieser Adelsrepublik seit der Nihil-Novi-Konstitution von 1505 alle Gewalt vom einmütigen Gesamtwillen des Adelsvolkes aus119• Dementsprechend ist höchstes Organ: 1. Der Reichstag (poln. sejm)

In der Art seines Entstehens120 ist der Sejm wiederum ein Spiegel des polnischen Genossenschaftsgedankens, der von der Familie bzw. dem Geschlecht als kleinster Einheit ausgehend und darauf fußend das gesamte öffentliche Leben durchdringt. Grundlage eines sich ausbildenden Parlamentarismus sind die vom König an die Szlachta vergebenen Privilegien, insbesondere die weitgehende Abgabenfreiheit121 • Wie dargelegt122 bedarf der König seit dem Kaschauer Privileg von 1374 für jede außerordenliehe Abgabe als punktuelle Abänderung des Privilegs der Zustimmung der Berechtigten. Er wendet sich daher zunächst an die einzelnen adligen GeVgl. Anm. 89. Rhode, S. 223; Forst-Battaglia, D., Stanislaw August Poniatowski und der Ausgang des alten Polenstaates, Berlin 1927, S. 43. 12o Dazu Gorski, K., The Origins of the Polish Sejm, in: The Slavonic and East European Review 44, 1965/66, S. 132 ff.; ders., Die Anfänge des Ständewesens in Nord- und Ostmitteleuropa im Mittelalter, in: Ancien Pays et Assemblees d'Etats 40, 1966, S. 50 ff.; ders., Les Debuts de la Representation de la Communitas Nobilium dans des Assemblees d'Etats de l'Est europeen, in: Anciens Pays et Assemblees d'Etats 47, 1968, S. 37 ff.; Laeuen, S. 86. 121 s. oben Kap. IV § 1 B 1 122 s. oben Kap. IV § 1 B 1. 11s 119

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schlechter 123• Andererseits kennt man seit altersher bereits die Virilversammlung (conventus, poln. wiec)1 24 aller männlichen erwachsenen Adligen einer Region. Auf der Grundlage der früheren Teilfürstentümer, nunmehr als Landschaften (poln. ziemie) unselbständige regionale Verwaltungseinheiten, findet sich so allmählich der Adel dieser einzelnen Gebiete als communitas nobilium zu Landtagen zusammen, an die sich der König wendet. Zum Zweck abgestimmten Verhaltens125 kommt es in der 2. Hälfte des 15. Jh. zwischen ihnen sowie mit dem anderen parlamentarischen Organ, dem königlichen Rat, zu Kontakten durch Vertreter. Daraus erwächst seit 1493 der eigentliche zentrale Reichstag, der Sejm126, zu dem jeder Landtag127 bevollmächtigte Vertreter128 - zwei in der Regel - mit imperativem Mandat, die nuntii terrestres, die Landboten, entsendet. Seit Mitte des 16. Jh. taucht in den Quellen der Begriff des "corpus regni" auf, das durch den königlichen Rat, nunmehr Senat genannt, und die Landboten verkörpert wird. Grzybowski stützt darauf seine These vom frühen Repräsentativcharakter der von den Abgeordneten repräsentierten Nation - bestehend allerdings nur aus dem AdeP 29 • In dem Maße, in dem sich bis gegen Ende der Jagiellonenzeit die Stellung des Königtums verschlechtert, vollendet sich die parlamentarische Verfassung. Insofern kann von dem einen Verfassungsorgan jeweils auf das andere geschlossen werden. Die sich nun formende Sejm-Omnipotenz verbleibt im wesentlichen dann bis zu den Teilungen13o.

Seit 1573, also schon 80 Jahre nach Herausbildung des einheitlichen Sejm, ist der König in den parlamentarischen Aufbau einbezogen, als ein Stand unter anderen, in einer Position also, die hinter dem britischen "king in parliament" zurücksteht131 • Die drei Stände des Sejm sind nunmehr: Landbotenkammer, Senat, König. s. oben Anm. 45 und 46. Roos, Ständewesen, S. 354; Kutrzeba, S. 215 f.; Bardach, S. 126. 12s Kutrzeba, S. 217. 126 Rhode, S. 223, 226 ff.; Zernicki, S. 32 ff.; Kutrzeba, S. 217; Russocki, S. 268, Roos, Ständewesen, S. 354; Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 119. 127 Näheres über den Landtag Kap. IV § 1 C 1 b. 12s Kutrzeba, S. 218; Laeuen, S. 86; Roos, Ständewesen, S. 354. 12u Grzybowski, K., Teoria reprezentacji w Posce epoki Odrodzenia (Die Theorie der Vertretung im Polen der Renaissance), Warszawa 1959, S. 51 ff. 130 Vgl. Forst-Battaglia, S. 43 ff. 131 Russocki, S. 290; Roos, Ständewesen, S. 354 f. 123 124

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Nur alle Stände zusammen, als die "Allerdurchlauchtigsten Reichstragenden Stände" auf gleicher Ebene arbeitsteilig angesiedelt, konstituieren den Sejm, der damit zum höchsten Staatsorgan wird132• Es handelt sich also nicht um einen von oben, dem König, nach unten in Stufen gegliederten Herrschaftsverband, sondern um eine gewillkürte Rechtsgenossenschaft, in der die Aufgaben unter den Genossen, die Standesgenossen sind, verteilt sind. Erst das Zusammenwirken, der communis consensus, dieser gleichen Genossen, und zwar jedes einzelnen, führt zu einer constitutio, einem Reichstagsabschied. Denn, wie dargelegt, verhindert jedes Veto eine Beschlußfassung, ja vernichtet, sofern nicht zurückgezogen, die Gültigkeit sämtlicher, von einem Reichstag getroffenen Entscheidungen. a) Die Abgeordneten- bzw. Landbotenkammer (poln. izba poselska) Dem Selbstverständnis der Szlachta entsprechend, kommt der Abgeordnetenkammer, als "officina legum" apostrophiert, seit dem 17. Jh. der erste Platz unter den Verfassungsorganen zu. Kann doch ohne ihr Placet keine Entscheidung von Bedeutung mehr gefällt werden133 • Ihre Mitglieder werden bis 1791 für jede der in der Regel alle zwei Jahre stattfindenden Sitzungsperioden für eine Tagungsdauer von sechs Wochen auf den Landtagen neu gewählt. Die Abgeordneten sind im wahren Sinne des Wortes Landboten. Sie üben ein imperatives Mandat aus, gebunden an die Weisungen des Landtages, so daß man die Landbotenkammer eher mit einem Gesandtenkongreß als einem Repräsentativorgan vergleichen kann. b) Die Landtage (poln. sejmiki ziemskie) Da im Grunde also die vollmachtgebenden Landtage die Arbeit des Sejm bestimmen und insofern als sein Unterbau untrennbar mit ihm verbunden sind, muß an dieser Stelle auf sie eingegangen werden. Die binnenstaatliche Unterorganisation geht, wie oben erwähnt134, auf die ehemaligen Teilfürstentümer zurück, aus denen nach der Vereinigung des Landes unter König Lokietek unselbständige "terrae" oder Wojewodschaften135 geworden sind. Entsprechend ihrem Charakter als ehemaliges Teilfürstentum erhalten sich in jeder Wojewodschaft zum einen alle (Hof)Ämter, nun132 133

KäCzm:arczyk-Lesnodorski, S. 122; Kutrzeba, S. 341. Russocki, S. 282; Kutrzeba, S. 215 ff.; Bardach-Lesnodorski-Pietrzak,

8 . 110 f . 134 135

s. oben Kap. IV § 1 C 1. Russocki, S. 290.

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mehr allerdings zumeist reine Titel ohne wirkliche Funktion und Macht. Zum anderen besteht auch die genossenschaftliche Organisationsform des Adels dieser Gebiete als regionale communitas nobilium fort. Aus deren Virilversammlung, die alle erwachsenen Adligen umfaßt, entsteht noch vor dem 14. Jh. das "iudicium terrae", ein mit pares curiae besetzes Adelsgericht1aa. Lokale Verwaltung und Partikulargesetzgebung liegen zunächst noch in den Händen magnatischer Würdenträger, dem Herrenrat (poln. rada panow ziemi). Eine erstarkende Szlachta drängt auch hier auf Beteiligung, so daß Ende des 14. Jh. die Landtage in der Form eines parlamentarischen Zweikammersystems (Herrenrat und Gesamtheit des Adels) entstehen. Schließlich, im 15. Jh., verschwindet der Herrenrat ganz. Die Landtage bestehen nunmehr aus allen erwachsenen männlichen Adligen der Region, ohne Rücksicht auf Landbesitz137, unter Vorsitz des Wojewoden, später eines gewählten Landtagsmarschalls. Neben großen Kompetenzen im Rahmen des lokalen "Selfgovernment" obliegen ihnen als wichtigste Aufgaben die Auswahl der Landboten für den Sejm sowie deren, in der Regel schriftlich niedergelegte, Instruktionen. Somit sind es letztlich diese Virilversammlungen der adligen Urwähler, welche den Sejm in seiner Gesetzgebungsarbeit bestimmen. Die Beratungen des Sejm werden auf besonderen Relationslandtagen überprüft. In diesem ihrem wichtigsten Kompetenzbereich sind die Landtage nicht autonome Lokalparlamente, sondern in einem Rechtszug untere Ebene des unmittelbaren gesamtstaatlichen Rechtskreises138• "Der Sachverhalt, daß der Mechanismus der Gesetzgebung in jedem Falle bei den Urwählern begann", stellt Roos zutreffend zur Charakterisierung dieser Rechtslage fest, "und auf dem Umwege über den Reichstag auch bei ihnen endete, kennzeichnete das versuchte Prinzip einer adligen ,Ur-Demokratie', welche die vor 1573 noch funktionsfähige kleine und regional begrenzte Adelsversammlung auf ein Reich von (1668 - 1772) rund 730 000 km 2 auszudehnen versuchte. Diese UrDemokratie mußte auf die Dauer ebenso impraktikabel sein, wie die Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S. 110. Kutrzeba, S. 215; Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S. 110. 138 Eine tabellarische Gesamtübersicht über die verschiedenen Funktionen der Landtage geben Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S . 229. 136 137

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auf ein Weltreich übertragene Idee der Polis-Demokratie in der antiken römischen Republik. Schon allein in diesem Umstande fand sich ein echter Grund für die weltbekannte ,polnische Anarchie'139 ." c) Der Senat Das Oberhaus des Reichstages, der Senat 140, ist aus dem königlichen Rat hervorgegangen, dessen Wurzeln wiederum bis zu den legendären zwölf Freunden Boleslaw Chrobrys zurückgehen, von denen die Galluschronik berichtetl41 • Seit der Mitte des 14. Jhs. in seiner Zusammensetzung aus höheren Hof-, Landes- und Kirchenwürden klarer konturiert, führt dieser königliche Beraterstab ab 1385 die offizielle Bezeichnung königlicher Rat (consilium domini regis) 142• Im Gegensatz zu den auf Landschaftsebene basierenden parlamentarischen Gruppierungen, aus denen sich schließlich die Landtage entwickeln, stellt er bis zur Herausbildung des eigentlichen Sejm 1493 das einzige gesamtstaatliche parlamentarische Gebilde dar. Im Jahre 1505 wird er zur ersten Kammer des Reichstages. Zwar nimmt er selbstbewußt die charakteristische altrömische Bezeichnung "Senat" 143 an, doch bedeutet diese Inkorporierung tatsächlich eine Einschränkung oligarchischer Machtbestrebungen: Aus dem Oligarchenkollegium mit unklaren Kompetenzen, das in seiner Zusammensetzung zunächst völlig vom Willen und der Berufung des Königs und der Machtposition des einzelnen Magnaten abhängt, ist so ein Gremium geworden, dessen Mitglieder ganz bestimmte Staatsämter bekleiden144• Und zwar sind es in erster Linie die Wojewoden und Kastellane der aus den ehemaligen Teilfürstentümern hervorgegangenen Wojewodschaften sowie die röm.-kath. Bischöfe, die nunmehr in den Senat einziehen. Die Kandidatur für die Ämter des Wojewoden und Kastellans ist zudem nach dem Privileg von 1374 nur Possessoren der entsprechenden terra erlaubt, auch hat die Szlachta dieser terra bei der Besetzung ein Mitspracherecht (Privileg von 1386). Roos, Der Adel, S. 70. s. oben, Anm. 116 sowie Prochaska, A., Genesa i rozwoj parlamentaryzmu za pierwszych Jagiellonow (Genese und Entwicklung des Parlamentarismus unter den ersten Jagiellonen), Rozprawy akademii Umiejetnosci Krakow. Wydzial Hist.-Filoz., Krakow 1899; Zernicki, S. 35. 141 Kutrzeba, S. 111 ff.; Bardach, S. 125. 142 Bardach, S. 441 f.; Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S. 108 f. 143 Roos, Ständewesen, S. 354. 144 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 123 f.; Kutrzeba, S. 212; Russocki, S. 287. 139

140

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Neben seiner Eigenschaft als erste Kammer des Reichstages bewahrt der Senat auch noch seinen selbständigen Charakter als königlicher Rat zur Unterstützung des Königs in der Verwaltung, wird in der Folge jedoch zugleich Kontrollorgan königlicher Tätigkeit. Wie alle Staatsämter werden auch die Senatorenämter (mit Ausnahme der Bischöfe) vom König "antiquo modo" auf Lebenszeit vergeben. Die Unabsetzbarkeit bedeutet für den Amtsträger neben einer Stärkung seiner politischen und sozialen Stellung gegenüber seinen Standesgenossen ebenfalls eine große Unabhängigkeit gegenüber dem König selbst. Der König kann im Zweifelsfall auch seine engsten Mitarbeiter nicht zum Gehorsam zwingen145• Es ist evident, daß der Senat und die in ihm repräsentierten Ämter in erster Linie eine Domäne der reichen Magnatenfamilien bilden146, wozu nicht zuletzt die bereits erwähnte Käuflichkeit147 dieser Würden beiträgt, sei es in der Form "alter alteri", d. h. von Würdenträger zu Würdenträger (natürlich mit königlicher Bestätigung), sei es "ex parte regis", welch letzteres dem König bedeutende Einnahmequellen bietet. Es ist bereits in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen worden, daß die Magnatenfamilien hier, in den senatorischen Würden, am ehesten einen Ansatzpunkt dafür sehen, über die faktische Ämtererblichkeit zu einer rechtlichen vorzustoßen und auf diese Weise eine Hierarchie von Hohem und mediatisiertem Niederem Adel einzuführen148. Am Verfassungsgrundsatz der aequalitas, der feste Wurzeln im Bewußtsein der Szlachta geschlagen hatte, enden alle ihre diesbezüglichen Bemühungen, die insbesondere im 16. Jh. verstärkt unternommen werden: So führt etwa der Versuch des Senats im sog. Privileg von Mielnik im Jahre 150!149 , die gerade erst 1493 entstandene Landbotenkammer zu majorisieren, 1505 in der Nihil-Novi-Konstitution von Radom150 zum gleichberechtigten Nebeneinander der ersten und zweiten Kammer151 • 1537 im Feldlager bei Lernberg bemüht man sich von Seiten des Senats wiederum, eine solche Zäsur zu setzen. Dies Unterfangen endet, wie bereits erwähnt, im sog. Hahnenkrieg152 • Als es 1690 gelingt, sogar

145 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 113.

146 Vgl. dazu Konarski, der bei jeder von ihm berücksichtigten Familie die Zahl der von ihr gestellten Senatoren angibt; s. dort auch S. 26, 30; Roos, Ständewesen, S. 340, 362. 147 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 246 f. 148 Zernicki, S. 37 f. 149 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 14, 123. 150 Nach den Kernworten dieser Konstitution in die Literatur eingegangen. 151 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 78. 152 Konarski, S. 30; Zernicki, S. 38.

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in einem Gesetzestext des Sejm die Formulierung "Kleinadel" einzuführen, stößt das bei der Szlachtamehrheit auf so starken Widerstand, daß sich der Sejm daraufhin 1699 genötigt sieht, in einem Spezialgesetz kundzutun, die inkriminierende Bezeichnung habe sich "per errorem" eingeschlichen, werde "in perpetuum" verbannt, alle Edelleute seien gleich und weder höheren noch geringeren Adel könne es geben153. Unter Berufung auf die Adelsgleichheit wird daran bis zum Ende der Adelsrepublik festgehalten und eine Erblichkeit der Ämter und so eine rechtliche Stufung des Adels verhindert. d) Der König Nachdem bereits im einzelnen Entstehung und Aufbau der parlamentarischen Verfassung der Adelsrepublik erörtert worden sind und auf Stellung von Sejm, Landtagen sowie Senat eingegangen wurde, könnte man, bildhaft auf einen Negativabdruck verweisend, geradezu versucht sein, auf die besondere Umschreibung der Stellung des Königtums zu verzichten. In dem Maße nämlich, indem sich Polens parlamentarische Verfassung entfaltet, mindert sich die ursprüngliche monarchische Gewalt des Königs 154• Es braucht daher nicht noch einmal detailliert dargestellt zu werden, wie das Königtum, nach dem Aussterben der Piasten in der Schere zwischen Wahlprinzip und der seit Kaschau 1374 gewährten adligen Mitwirkung an der Steuererhebung, sich Stück um Stück seiner ursprünglichen Rechtsposition zu entäußern und diese auf den Adel zu übertragen gezwungen war155. Die Wahlen der Jahre 1573-1575 brachten dem Königtum als eigenständiger monarchischer Gewalt, wie es das übrige zeitgenössische Europa kannte und wo es im Begriffe stand sich zu verabsolutieren, die eigentliche verfassungsrechtliche Bedeutungslosigkeit156• Ja, die Republik erhebt den Kampf gegen das absolutum dominium ihrer Könige geradezu zur alles bestimmenden Maxime des gesamten Staatslebens157• Der König, seit 1573 viritim gewählt und in folgerichtiger Anwendung des seit dem gleichen Jahr verfassungsrechtlich garantierten Prinzips der electio libera, d. h. des grundsätzlich freien Zugangs zu allen Ämtern der Republik für alle ihre Edelleute, in seiner Königswürde ebenfalls jedem von ihnen zugänglich, gerät in völlige Abhängigkeit Janecki, S. 16; Konarski, S. 28. Roos, Ständewesen, S. 354. 155 Vgl. auch Rhode, S. 222 ff. 15& Allgemeine Meinung, vgl. Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 112, Laeuen, 15S

154

S.116.

157 Laeuen, S. 109, 122, 136; Roos, Ständewesen, S. 314, 356 f.

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von dem adligen Wahlvolk 158• Und zwar sind es die pacta conventa, die sog. articuli henriciani sowie der articulus de non praestanda oboedientia, die 1573 anläßlich der Wahl Heinrichs von Valois gegeben werden, und wiederum den Modellcharakter eines Präzedenzfalles annehmen. Während die pacta conventa159 den konkreten Vertrag des Adels mit dem jeweiligen Thronkandidaten bilden und sich dementsprechend in ihrem Inhalt an dessen Person ausrichten, sind die articuli henricianil 60 von nun an eine Art von unveränderlichem Staatsgrundgesetz. Alle dem Adel seit dem Kaschauer Privileg zugestandenen Rechte zusammenfassend, machen sie in den Augen der Zeitgenossen den Reichstag zum eigentlichen Souverän 161 und schränken die königliche Gewalt in ihren wichtigsten Bestimmungen folgendermaßen ein162 : Garantie der weiteren electio libera, also auch freier Königswahlen, Verzicht auf den Titel eines Erbherrn, Verpflichtung, in Sachen Krieg und Frieden nichts ohne den Senat zu unternehmen, das allgemeine Adelsaufgebot nur mit Zustimmung des Sejm einzuberufen, zeitlich eingeschränkte Verfügungsgewalt über dieses Aufgebot, Kriegszüge des Aufgebots ins Ausland nur gegen Bezahlung, neue Steuern und Monopole nur mit Zustimmung des Reichstages, Eheschließung nur mit Wissen und Zustimmung des Reichstages, kein Gebrauch von eigenem königlichem Siegel, sondern nur des von den Kanzlern verwalteten Staatssiegels, Einberufung des Reichstages mindestens alle zwei Jahre, zwischen den Reichstagen Kontrolle durch einen Rat von 16 Senatoren (seit 1641: 28 Senatoren). Ferner enthalten die articuli das Königliche Versprechen, den religiösen Frieden zu wahren. Im articulus de non praestanda oboedientia163 schließlich nimmt der König ein schon 1501 im sog. Privileg von Mielnik164 zugestandenes Privileg wieder auf und billigt dem Adel ein ausdrückliches Widerstandsrecht zu. Von 1573 an beschwört jeder neugewählte polnische König aufs neue den Artikel über das Widerstandsrecht im feierlichen Krönungseid. So kann sich dann auch in kritischen Zeiten, wenn die regierende Gewalt den Beifall der Mehrheit verliert, die Gemeinschaft der Unzufrie158 Roos, Ständewesen, S. 352; Laeuen, S. 114; Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S. 220; Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 114. 1su Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 116; Roos, Ständewesen, S. 353. 160 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 117. 161 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 127. 162 Rhode, S. 248; Zernicki, S. 49 ff. 163 Kaczmarczyk-Lesnodorski, 8.117 f.; Kutrzeba, S. 267 f. 164 Rhode, S. 176 f.; Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 117, Anm. 13; vgl. auch Roos, Ständewesen, S. 366, Anm. 140.

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denen in der sog. Konföderation185 zu einer Art "gesetzmäßiger Revolution"166 zusammenfinden. Diese Konföderationen blicken im übrigen auf eine lange Tradition genossenschaftlicher Einung zurück: immer wieder im Laufe der Geschichte bilden sich Adelsgruppen zur Verfolgung bestimmter Ziele, die während des Interregnums sogar die Herrschaftsgewalt übernehmen. Rousseau187 nennt sie sogar "Schild, Asyl und Heiligtum" der polnischen Verfassung. Auch als fons nobilitatis des polnischen Adels tritt 1578 der Sejm an die Stelle des Königstos. Untersucht man die Position des Königtums im Hinblick auf Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, so ist der stärkste Schwund ursprünglich monarchischer Gewalt bezüglich der Legislative festzustellen. Man hat die Nihil-Novi-Konstitution von Radom aus dem Jahre 1505 mit Recht als die eigentliche Magna Charta adliger Rechte bezeichnet189. Von da an ist der König in der Gesetzgebung beschränkt170. Zwar verbleibt bei ihm die Gesetzesinitiative, da er den Reichstag einberuft, doch ohne Mitwirkung des Adelsparlaments ist fortan für ihn nahezu nichts mehr möglich. Autonomer Normgeber verbleibt er allein in bezug auf die königlichen Städte, die Juden sowie die Bauern auf Krongut - er unterscheidet sich insoweit nicht von jedem anderen Edelmann, der ebenfalls Normen für seine Bauern setzen kann. Sichtbarer Ausdruck der Beschränkung171 königlicher Gewalt in der Legislative bildet dann 1573 die Inkorporierung und Einebung des Königs in den Sejm. Als ordo regius ist er neben dem ordo senatorius und dem ordo equestris nurmehr einer seiner Stände, angewiesen auf ein Zusammenwirken mit den beiden anderen, um einen Reichstagsabschied zustandezubringen. 165 Dazu: Rembowski, A., Konfederacya i rokosz. Porownanie stanowych konstytucyi panstw Europejskich z ustrojem Rzeczypospolitej Polskiej (Konföderation und Aufruhr. Ein Vergleich der ständischen Verfassungen europäischer Staaten mit dem Verfassungsaufbau der Polnischen Republik), Warszawa 1896. 166 Forst-Battaglia, S. 47. 167 Rousseau, J. J ., Considerations sur le Gouvernement de Pologne et sur sa reformation projetee en avril 1772, Paris 1954, S. 380; vgl. auch Ranke bei Laeuen, S. 110 f. 1os VL Il, 971. 169 Roos, Ständewesen, S. 355. 110 K aczmarczyk-Lesnodorski. 171 Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S. 225; Roos, Ständewesen, S. 354 f.; Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 113.

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Dem Sejm fällt auch in der Exekutive eine wichtige Rolle172 zu: Zwar verbleibt der König formell die höchste Spitze der Exekutive, doch kontrolliert das Parlament, zumindest während der Zeit seiner Beratungen, auch das Exekutivorgan König und zwischen den Sessionen sind es die residierenden Senatoren. Die vollziehende Gewalt des Königs findet auch im übrigen allenthalben in der Verfassung ihre Grenzen173 : der Monarch präsidiert in der zentralen Regierung zehn Ministern, je fünf, Großkanzler, Vizekanzler, Großmarschall, Hofmarschall und Großschatzmeister für die Krone Polens und das Großfürstentum Litauen, doch sind diese dem Reichstag verantwortlich. Allein durch sie darf der König regieren, jeder von ihnen ist selbständig in seinem Handeln. Insofern ist dem König die Schaffung eines Kabinettsministeriums verwehrt. Auch können sich weder er noch seine Minister auf ein ergebenes Berufsbeamtenturn stützen. Keine Berufs-, sondern Ehrenbeamte verwalten den Staat auf allen seinen Ebenen174• Zwar steht dem König das Recht der Beamtenernennung vom kleinsten Schreiber bis zum Senator zu, doch wird er darin durch die Landtage beschränkt. Ihnen kommt das Recht der Kandidatenaufstellung zu175. Zwar kann der König auf die oberste Disziplinargewalt den Beamten gegenüber pochen, doch bricht sie sich am Prinzip des Lebenszeitbeamten. Zwar fällt die Außenpolitik in seine Zuständigkeit, allerdings wiederum nur zwischen den Parlamentssessionen. Gesandte zu empfangen oder zu beglaubigen steht jedoch nicht ihm zu, sondern dem Sejm176. Die grundlose Besorgnis der Szlachta vor einem absolutum dominium bewirkt, daß dem König auch die militärische Gewalt weitgehend entwunden wird. Als oberster Kriegsherr ohnehin durch die der Szlachta im Laufe der Jahrhunderte erteilten Privilegien beschnitten, erfährt er eine weitere Einschränkung seiner Befehlsgewalt durch die Hetmanswürde, das sich im 16. Jh. herausbildende Amt eines Oberbefehlshabers177. Auch darf nicht außer Betracht bleiben, daß ein stehendes Heer, die Voraussetzung eines starken Königtums, in der Republik nicht existiert. Das allgemeine Aufgebot des Adels hingegen kann der König seit 1578 nur noch mit Zustimmung des Sejm einberufen. 112 173 174 175 176 111

Vgl. Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 113. Rhode, S. 225; Roos, Ständewesen, S. 361 f.; Forst-Battaglia, S. 49 f . Laeuen, S. 81. Roos, Ständewesen, S. 359 f. Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 113; Forst-Battaglia, S. 46. Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 113.

7 Mlkllss

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Vom König unabhängig ist schließlich auch die Rechtsprechung. 1578 wird ein Krontribunal als Gericht letzter Instanz errichtet. Seine Mitglieder, die "Assessoren", werden für ein Jahr von den Landtagen gewählt178. Dem König bleibt nicht einmal das Begnadigungs- und Amnestierecht179. Im Grundsatz also kann der König tatsächlich keine einzige wesentliche Entscheidung mehr aus eigener Machtvollkommenheit treffen und durchsetzen, so daß sich am Ende des 16. Jhs. die Lehre von der Souveränität des adligen Staatsvolkes durchsetzen kann180, der auch der König unterworfen ist. Selbstbewußt können so die Szlachtaautoren sagen181: "nos sumus regni et reges nostri et leges" oder "absoluta potestas in unserem Königreich liegt nicht beim König, sondern beim Stande aller". Dieses Selbstverständnis findet sich aber auch in den offiziellen Urkunden des Staates. In einer vom Reichstag ausgestellten Indigenatsurkunde aus dem Jahre 1676 heißt es182 : "Die Könige von Polen herrschen über Könige; denn warum sollten jene nicht eben solche sein, aus deren Zahl und nach deren Willkür Könige gewählt werden, in deren Hände die Entscheidung über Krieg und Frieden ruht, samt der Macht über Gesetze und Abgaben, wie auch über die Untertanen, eine absolute und fast gesetzesfreie Herrschaft; wie dies alles eine viel größere Prärogative und Ehre bedeutet als das sarmatische (russische) Indigenat, so bewirkt es auch eine viel herrlichere Majestät für den, dem gegeben ist, über ein so freies Volk zu herrschen." 2. Verfassungsreform und Ausklang183 Aufgrund de Schocks, den die erste Teilung von 1772 Polen versetzt, wird das Land von einem reformerischen Aufschwung erfaßt, der insbesondere die anarchischen Verfassungszustände für das erlittene Schicksal verantwortlich macht und sie zu reformieren trachtet. Man fordert u . a. eine erbliche Monarchie, die Abschaffung des liberum veto, erhöhte Steuereinnahmen sowie die Schaffung eines stehenden Heeres. 178 Rhode, S. 255; Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 32, 113; Roos, Ständewesen, s. 362. 179 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 113. Eine instruktive tabellarische Zusammenstellung der Befugnisse des Königs während der Zeit der Adelsrepublik bei Bardach-Lesnodorski-Pietrzak, S. 221. 180 Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 112. 181 Zitiert nach Kaczmarczyk-Lesnodorski, S. 112, Anm. 6. 182 Zitiert nach Janecki, S. 35. 183 S. dazu Rhode, S. 306 ff.; Reddaway u. a., Bd. II, S.112 ff.; eine ausführliche Behandlung der Verfassung vom 3. Mai 1791 findet sich bei Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 375- 395; vgl. ferner Kaczmarczyk-Lesnodorski, s. 522 ff.

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Aus diesem Geiste heraus tritt 1788 der "große" oder "vierjährige" Sejm zusammen. Die inzwischen in Frankreich ausgebrochene Revolution spornt die Reformbestrebungen weiter an, so daß am 3. Mai 1791 eine reformierte Verfassung als erste geschriebene Verfassung Europas beschlossen werden kann. In elf Artikeln wird u. a. festgelegt: Polen wird konstitutionelle erbliche Monarchie, die Teilung der Gewalten ferner die Abschaffung des liberum veto, der Konföderationen und der Sonderstellung Litauens. Die Rechte der Szlachta bleiben unangetastet, allerdings werden die Nichtpossessoren aus dem parlamentarischen Leben, insbesondere der Landtage verbannt. Den Bürgern der königlichen Städte wird ein die Städte betreffendes Stimmrecht zuerkannt, sie können ebenfalls Land erwerben. Juden- und Bauernfrage sowie Heeresreform bleiben ungeregelt. Unter dem Vorwand der Wiederherstellung der "Goldenen Freiheit" kommt es daraufhin zum Bündnis zwischen Katharina II. und einer Reihe von Magnaten. Schließlich, um den Geist des französischen Demokratismus und die Agitation der jakobinischen Emissäre184 in Polen zu unterdrücken, erfolgt der Einmarsch russischer sowie preußischer Truppen und am 23. Januar 1793 die zweite Teilung. Nach einem Aufstand 1794/1795 wird am 3. Januar 1795 der dritte Teilungsvertrag zwischen Österreich und Rußland geschlossen, dem Preußen am 24. Oktober 1795 beitritt. Die staatliche Existenz der "Republik" ist damit beendet. D. Soziale Struktur

Es ist an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen worden, daß für Polen, das Land adliger aequalitas, die Frage nach der Struktur nicht dahin beantwortet werden kann, verschiedene juristische Positionen innerhalb einer innerständischen Gliederung aufzuzeigen. Das Prinzip der aequalitas garantiert bis zur Verfassung vom 3. Mai 1791 formal jedem Mitglied der Szlachta gleiche staatsbürgerliche Rechte. Die Strukturfrage kann daher nur sozial beantwortet werden: die wirtschaftlichen Unterschiede der Szlachta, ihre sozialen Schichtungen bestimmten wesentlich das Maß, in welchem der Einzelne seine staatsbürgerlichen Rechte auszuschöpfen vermochte. Die Interessengegensätze dieser formal gleichberechtigten, aber sozial auseinanderstrebenden Adelsschichten waren es, die der Auflösung dieses Staates Vorschub geleistet haben. Wie gezeigt, läßt sich bereits in den Frühzeiten der Piastendynastie eine soziale Zäsur zwischen einigen Magnatenfamilien aus der Umge184 Sinngemäß zitiert bei Roos, Der Adel, S. 56. 7*

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bung des Fürsten, den comites, und der übrigen adligen Kriegerschicht, den milites, feststellen. Frühe Tendenzen, auf dem Wege der Ämtererblichkeit juristische Zäsuren zu setzen, und zwar im Wege des Ämterkaufs vom Recht auf ein Amt zum Recht am Amt zu kommen, scheitern vor allem an der stark ausgebildeten Geschlechterordnung. Doch zeichnet sich dadurch schon im 13. Jh. eine soziale Einteilung des Adels ab, die, stärker differenziert, bis zum Ende der Republik im 18. Jh. fortdauert, nämlich: Magnaten, mittlerer Adel, KleinadeL Bis zum 18. Jh. hat sich diese Einteilung auf vier große Gruppen verbreiterf186, nämlich: Magnaten, mittlere Possessoren, Kleinadel, N ichtpossessoren. Innerhalb dieser vier großen Gruppen bestehen wiederum Untergruppen. Die Magnaten besetzen in der Regel alle hohen Ämter, insbesondere die senatorischen Würden; man spricht daher auch von den sog. Senatorenfamilien186 • Man geht von rund einem Dutzend Familien aus 187• Ihre Besitzungen, vor allem im Osten und Südosten Polens, also ethnischem Fremdgebiet, gelegen, sind regelrechte Kleinstaaten mit Residenzhauptstadt und einem Netz von Städten und Dörfern, eigenen Gesetzen für ihre Untertanen, eigenem Regierungsapparat und eigener Armee. In ihren Größenordnungen entsprechen sie deutschen Fürstentümern mit z. T. mehr als 50 000 Untertanen und Ausdehnungen von mehreren hundert Kilometern. So erstreckten sich z. B. die Besitzungen des späteren Schwagers von Stanislaw August des Großhetmans Jan Klemens Branicki um seine Residenzstadt Bialystok, das "podlachische Versailles", herum über 800 km188• 185 Diese Einteilung in Großgruppen mit entsprechenden Untergruppierungen bringt in aller Ausführlichkeit Lepkowski, T., Polska - narodziny nowoczesnego narodu 176 - 1870 (Polen - die Geburt einer euzeitlichen Nation 1764- 1870), Warszawa 1967, S. 138- 146. 186 Fester Begriff in der gesamten polnischen wissenschaftlichen und belletristischen Literatur. 187 Konarski, S. 84 spricht von 15 Familien, Roos, Der Adel, S . 42 von einem runden Dutzend. 188 Vgl. dazu: Moscicki, H., Bialystok, Zarys historyczny (Bialystok, Historischer Abriß), Bialystok 1933.

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Szczesny Potocki, der spätere Marschall der Konföderation von Targowica, kann um das Jahr 1788 in der Umgebung seiner Residenz Tulczyn in der Ukraine etwa 300 000 Morgen = 168 000 ha Land unter den Pflug bringen. Dazu kommen noch große Gebiete unkultivierten Steppenlandes189. Kleinere Einheiten wie etwa der "Schlüssel" Siemiatycze190 von Anna Jablonowska, der aus der Stadt selbst (1797: 3556 Einwohner) und 19 Dörfern bestand, wurde 1797 von der preußischen Administration auf ca. 400 000 Reichstaler geschätzt. Im Vergleich dazu gab es zu dieser Zeit z. B. in der ganzen Provinz Ostpreußen keinen Besitz dieser Größenordnung. Die Güter der Finckenstein wurden 1803 auf 250 000 Reichstaler und die der Dohna-Schlobitten auf 111170 Reichstaler geschätzt. Die Zahl dieser Senatorenfamilien erweitert sich auf etwa 100 -150 mit Besitzungen von einigen zehn bis einigen hundert Gütern, wenn man alle Familien nimmt, die irgendwann im Laufe ihrer Geschichte einen Senatorenrang bekleidet haben191 . Die zweite Gruppe, die Gruppe der mittleren Possessoren, die sich teilweise mit den Magnaten verzahnt, weist die größte materielle Spannweite auf192 : Sie reicht hinunter bis zum Besitzer eines einzigen ungeteilten Rittergutes. Magnaten und mittlere Possesseren zusammen machen unmittelbar vor der dritten polnischen Teilung allerdings nur 5 °/o des gesamten Adels der Republik aus193. Bezeichnender für die soziale Struktur Polens und zahlenmäßig mit 40 Ofo weit größer ist die dritte Gruppe, die Gruppe des pauperisierten Kleinadels, die wiederum drei Unterabteilungen aufweist, nämlich: 1. Inhaber eines Anteils von Gut und Dorf mit einigen hörigen Bauern, 2. adlige Kleinbauern mit einem Streifen Land ohne hörige Bauern, aber evtl. mit Gesinde, angesiedelt in sog. Edel-Weilern, wie sie für ganze Regionen charakteristisch sind,

3. Zinsadel, d. h. kleine Pächter von Krongut oder Magnatenland. 189 Swietochowski, A., Historia chlopow Polskich (Geschichte der polnischen Bauern), Warszawa 147, S. 209. 190 Dazu Roos, Ständewesen, S. 332, Anm. 55. 191 Lepkowski, S. 138- 140; vgl. auch die Zahlenaufstellung der Senatorenfamilien bei Konarski, S. 90. 192 Lepkowski; Roos, Der Adel, S. 42. 193 Diese und die nachfolgenden Angaben gemäß: Konfrontacje historyczne. Polska w epoce Oswiecenia. Panstwo - Spoleczenstwo - kultura, zbior

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IV Adel und Adelsbezeichnung in Polen

Noch unterhalb des Kleinadels, aber mit 55 Ofo den überwiegenden Anteil an der Gesamtzahl des Adels beanspruchend, folgt die völlig besitzlose Schicht der Nichtpossessoren, denen jedoch die strengen Standesgesetze die Ausübung kaufmännischer Berufe in der Stadt verbieten. Folglich lebt man 1. als Dienstadel, besser gesagt adliges Gesinde, bei den Possessoren, insbesondere an den Magnatenhöfen,

2. als sog. Pflastertreter (brukowiec) von freiberuflicher Tätigkeit oder schlicht als Müßiggänger von der Großzügigkeit anderer. Betrachtet man die weite soziale Auffächerung dieser formal mit gleichen staatsbürgerlichen Rechten ausgestatteten Adelsgesellschaft, so lassen sich hierin sicher Gründe dafür finden, daß mancher Adelsplebejer seine Stimme im politisch-parlamentarischen Leben den Magnaten verkaufte. Hieraus wird auch der Interessengegensatz verständlich, der die staatstragende Schicht der unabhängigen Landbesitzer auf eine staatsrechtliche Ausschaltung der Nichtpossessoren drängen läßt- was schließlich mit der Verfassung vom 3. Mai 1791 auch gelingt. Aus diesen Verhältnissen heraus versteht sich die Tendenz neuer polnischer Autoren194, darauf zu verweisen, daß die Verfassungswirklichkeit viel stärker, als ihr Buchstabe hätte erkennen lassen, durch die soziale und wirtschaftliche Machtposition einzelner Gruppen innerhalb dieser Adelsgesellschaft bestimmt war. Es konnte nicht ausbleiben, daß diese Gruppen ihre ökonomische Macht immer wieder für den Versuch einsetzten, verfassungsrechtlich verankerte Sonderpositionen- bis hin zu den entsprechenden Titelnzu schaffen und so den Buchstaben der Verfassung ihrer Wirklichkeit anzupassen. § 2 Adelsbezeichnung des polnischen Adels

Behält man die bereits in dem Abschnitt über den deutschen Adel benutzte Arbeitsmethode bei, von der Rechtsstellung des Adels auf seine Adelsbezeichnung zu schließen, so müssen sich zwangsläufig aus Geschlechtsordnung, Ablehnung einer Ämtererblichkeit sowie aus der demokratisch egalitären Szlachtaverfassung Rückwirkungen auf die Adelsbezeichnung des polnischen Adels ergeben. studiow pod red. B. Lesnodorskiego (Polen im Zeitalter der Aufklärung. Staat - Gesellschaft - Kultur, gesammelte Aufsätze, hrsg. von Lesnodorski, B.), Warszawa 1971. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angaben bei Roos, Ständewesen, S. 329 ff. 194 Vgl. Kaczmarczyk-Lesnodorski in den Kapiteln "Oligarchia magnacka" (Magnatenoligarchie), S. 190 ff. sowie "Organizacja latyfundiow magnackich" (Organisation des magnatischen Großgrundbesitzes), S. 194 f., s. auch Roos, Ständewesen, S. 34, Anm. 78.

§ 2 Adelsbezeichnung des

polnischen Adels

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A. Ablehnung von Adelstiteln

Miles oder miles gregarius taucht als. älteste Bezeichnung des polnischen Adligen in den lateinischen Quellen auf- die entsprechende polnische Bezeichnung lautet "woj" = Krieger195. So wird z. B. ein Mitglied der späteren Senatorenfamilie Narzymski, die sich in manchen Gegenden, z. B. in Schlesien, auch Naczenski nannten, für das Jahr 1351 anläßlich einer Belehnung durch den DeutschordensgroBmeister Winrich v. Kniprode als "Menczelinus prope Soldow, de prope Soldow miles, Menczil bi Solda ritter" erwähnt196• Später lautet die Bezeichnung auch "Eques Polonus" 197 - sein Stand ist der ordo equestris 198. Es wurde bereits dargetan, daß sich daraus trotz unterschiedlicher Verfassungstraditionen im mittelalterlichen Polen und Deutschland ein bestimmter fester Stamm polnischer Magnatenfamilien herausbildet, dem es ähnlich den "grafenbaren" Familien Deutschlands gelingt, die Ämter zumeist durch Kauf in ihren festen Besitz zu bringen und ein ausschließliches "ius honorum" zu beanspruchen. Dieses Gewicht bestimmter Magnatenfamilien bei der Ämterbesetzung zieht sich seit den Frühzeiten der piastischen Ämterverfassung bis ins 18. Jh. durch den Gesamtverlauf der polnischen Geschichte. Die Würden fallen, ohne formell erblich zu sein, immer wieder den gleichen Familien, den sog. Senatorenfamilien, zu. Die Quellen nennen diese Würdenträger "barones" oder "comites". Oft findet sich bei derselben Person die Bezeichnung "baro" und "comes" zugleich, mitunter auch ist von "vir nobilis" die Rede199. So zitiert Janecki200 eine Urkunde von 1253 von Boleslaus Pudicus, die von "noster fidelis Baro Comes Clemens Palatinus Cracoviensis" spricht. In einer Urkunde des Jahres 1230201 ist von einer Schenkung die Rede, die ein "Bronissius Dei gratia nobilis Comes Poloniae" vornimmt. Der Schenker bezeichnet sich in weiteren Urkunden lediglich als "Venator", dann als "Palatinus" ohne Comes, und schließlich nennt er sich einfach "vir nobilis". 195 Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 55; Bardach, S. 114. 196 Zitiert bei Ketrzynski, W., 0 ludnosci Polskiej w Prusiech niegdys Krzyzackich (Über die polnische Bevölkerung im ehern. Ordenspreußen), Lwow 1882, S. 315. 197 Janecki, S. 9. 198 Roos, Ständewesen, S. 355. 199 Bardach, S. 224; Janecki, S. 10; Konarski, S. 23. 200 Janecki, S. 11. 201 Zitiert bei Janecki, S. 10.

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Piekosinski202 stößt bei seinen Forschungen über die Polnische Ritterschaft im Mittelalter auf einen Dzierzykraj des Wappens Rawicz. Dieser Dzierzykraj ist 1224 Kastellan von Wojnicz, 1228 und 1229 Kastellan von Sandecz. Im Jahre 1230 nennt er sich "Baro Ducis Sandomiriae". Einer seiner Söhne, Mironej oder Miron gehört 1233 zum Gefolge des Herzogs Konrad von Krakau und Mazovien und nennt sich "Comes". Es ist bereits im Zusammenhang des piastischen Ämtergefüges und der Bestrebungen ihrer Vererblichkeit darauf hingewiesen worden, daß hier verständlicherweise eine Quelle für den Wunsch dieser Honoratiorengruppierungen lag, nicht nur Amt und Würde zu vererben, sondern auch die damit verbundenen AmtstiteL Wegen der Gründe des Mißlingens dieser Bestrebungen kann auf Kap. IV § 1, insbesondere die aus der genossenschaftlichen Geschlechterordnung resultierenden Konsequenzen, so das Prinzip der aequalitas, verwiesen werden. Bereits gegen 1420 ist erstmals belegbar, daß sich der Adel unter Hinweis auf die Verfassungstraditionen des Landes erfolgreich gegen Bestrebungen behauptet, eine erbliche Grafenwürde einzuführen. In diesem Fall ist es König Wladyslaw Jagiello, der vergeblich versucht, seinen Stiefsohn Jan v. Pilcza mit der Grafschaft Jaroslaw zu belehnen203 • Doch bleibt in den reichen und mächtigen polnischen Magnatenfamilien stets der Wunsch lebendig, sich durch einen erblichen Adelstitel äußerlich sichtbar vom übrigen Adel abzuheben. Vor allem Auslandsmissionen sind es20\ die diesen Familien stets erneut vor Augen führen, wie die Allianz von materiellem Reichtum und wichtigen Staatsämtern sich dort in der rechtlichen Unterscheidung von Hohem und Niederem Adel und der äußeren Kennzeichnung dieser Stufung durch entsprechende erbliche Adelstitel niederschlagen. Die Gründung von Majoraten205, mit deren Hilfe es die Magnatenschaft unternimmt, sich von den Adelsmassen zu differenzieren, wird von diesen schließlich widerspruchslos hingenommen. Denn formell verstößt sie nicht gegen das öffentlich-rechtliche Prinzip der aequalitas. Für die Einführung einer inneradligen Titel-Hierarchie hingegen ist in der Rechtsordnung kein Platz. Von seiten der Magnaten behilft man sich damit, bei ausländischen Souveränen - vor allem Kaiser und Papst - um Titel einzukommen206, Piekosinski, Bd. 3, S. 47 f. Konarski, S. 23. Zernicki, S. 20 bringt das Beispiel ebenfalls, nennt ihn aber Jan Granowski. 204 Konarski, S. 25. 2os Zernicki, S. 52 ff.; Konarski, S. 30 f. 2os Zernicki, S. 37; Konarski, S. 32 ff. 2o2

2os

§ 2 Adelsbezeichnung des polnischen Adels

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was polnisches Recht bis zum Jahre 1638 zumindest nicht verbietet. Vor allem ein Monarchentreffen im Jahr 1515 zwischen König Sigismund I. von Polen und Kaiser Maximilian in Wien leitet eine Reihe von ausländischen Titelverleihungen an polnische Magnatenfamilien ein207. Das zeitgenössische polnische Recht nimmt diese Titel nicht zur Kenntnis. Als im Jahre 1569 das reformbedürftige Verhältnis Polens zu Litauen in der Union von Lublin über den Rahmen der bisherigen Personalunion hinaus in einer gemeinsamen Rzeczpospolita (poln. Übersetzung von res publica) neu geordnet wird, trifft die Unionsakte bezüglich der Adelstitel insoweit eine Ausnahmeregelung vom bisherigen Rechtszustand, als deren Art. 9 die fürstlichen Titel jener litauischen Familien ausdrücklich anerkennt, die ihre Abkunft von den einstmals regierenden Dynastien der Rurikiden oder der Gedyminiden herleiten208. Im obiter dieturn der Unionsakten gelingt es ferner zwei polnischen Familien, nämlich den Olesnicki und den Teczynski, mit ihren im Ausland erworbenen Grafentiteln zitiert zu werden209, was aber ohne rechtliche Bedeutung bleibt. Zugleich versäumt man jedoch nicht, in einer besonderen Bestimmung der Unionsakte auf das Prinzip der aequalitas hinzuweisen, das durch die Einführung der Titel nicht berührt sei210. Das gleichwohl dadurch feststellbare vermehrte Streben nach ausländischen Titeln muß den Argwohn der auf die aequalitas pochenden Szlachta verstärken und führt nach einem Eklat im Jahre 1635 211 schließlich im Jahre 1638 zu einer Sejmkonstitution, die alle Adelstitel mit Ausnahme der durch die Union von Lublin autorisierten verbietet2t2. Die Tatsache, daß auch eine Konstitution von 1641 213 sowie eine weitere von 1673214 die Führung von Adelstiteln untersagte (wiederum mit Ausnahme der litauischen Fürstentitel, aber auch diese nur "salva per omnia paritate et aequalitate juris, poenae, conditionis et praeeminentiarum", so daß die Fürsten Litauens mit der übrigen Szlachta "pro uno statu Equestri" zu gelten hätten), zeigt, daß das Titelverbot bei den betroffenen Familien nur widerstrebend befolgt wurde 215 . 201

2os 209 210 211 212 213 214 215

ebd., S. 32. Konarski, S. 34 f.; Zernicki, S . 45. Konarski, S. 35. ebd., S . 35. ebd., S . 38 f. beschreibt die Vorgänge. Vgl. auch Zernicki, S. 54. VL III, 931; vgl. auch Konarski, S. 39. VL IV, 8. ebd., V, 119. Vgl. Konarski, S. 40.

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Die Konstitution von 1673, die mit der Wendung beginnt, "Nobilitatem, aequalitatem, quae magnis zawsze (= immer) par est", verbannt schließlich alle Adelstitel "in Zukunft für alle Ewigkeit" und stellt deren Gebrauch sogar unter Strafe. 1738 wird das Verbot noch einmal bestätigt216 • Bei diesem Rechtszustand verbleibt es bis zur Regierungszeit des letzten, bereits unter dem Druck217 der nachmaligen Teilungsmacht Rußland gewählten Königs Stanislaw August Poniatowski (1764- 1795). Unter Stanislaw August vollzieht sich - bereits im Vorfeld der Teilungen - in der Titelfrage ein Bruch zum bis dahin geltenden Zustand. Bereits die bei Regierungsantritt 1764 beschworenen pacta conventa218 sprechen in vorsichtiger Abstraktheit nur davon, daß Adelstitel kein Präjudiz des Gleichheitsgrundsatzes bilden könnten. Das formell unvermindert fortgeltende Titelverbot wird nicht erwähnt. Eine Sejmkonföderation verleiht dann 1765, erstmals in der polnischen Geschichte, Inländern einen originär polnischen Adelstitel: die Brüder des Königs erhalten den FürstentiteL 1768 wird den Sapieha vom Sejm ein angeblich alter Fürstentitel bestätigt219 (nicht zu verwechseln mit den litauischen Fürstentiteln dynastischen Ursprungs der Union von Lublin). In dem 23jährigen Zeitraum der eigentlichen drei polnischen Teilungen zwischen 1772 bis 1795 offenbaren die wichtigsten Sejmbeschlüsse zur Frage der Adelstitel weiterhin die neu eingeschlagene Tendenz220 : Der Sejm von 1773- 1775 beschließt auf Vorschlag des Österreichischen Ministers von Reviczky die gegenseitige Anerkennung der Fürstentitel zwischen Wien und Warschau. Damit sind die vorher von einigen polnischen Familien (z. B. den Jablonowski221 und Sulkowski222 ) rechtswidrig vom Kaiser empfangenen Fürstentitel legalisiert. Der Sejm selbst verleiht 1775 den Brüdern Adam und Calixt Poninski den FürstentiteL Ein weiterer Sejmbeschluß verleiht Michael Massaiski ebenfalls den FürstentiteL Moderne polnische Autoren sehen hinter dieser im Sejm im Widerspruch zum bisherigen Rechtszustand vorgenommenen Sanktionierung von Adelstiteln nichts als eine geschickt betriebene Politik der Teilungsmächte223, dem Ehrgeiz politisch einflußreicher Magnaten zu schmei216

Zernicki, S. 61.

211 Rhode, S. 308.

Konarski, S. 43 f. Konarski, S. 44; Zernicki, S. 62. 2~o Zum Folgenden vgl. Konar ski, S. 44 ff. 221 Im Jahre 1743 I 1744 (Konarski, S. 100). 222 In den J a hren 1752 und 1754 (Konarski, S . 120). 223 Konarski, S. 48. 21s 21o

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cheln, eine Politik, die sich vollends offenbare, wenn man zugleich die entsprechende Gesetzgebung in den inkorporierten Gebieten im Auge behalte. In einem Patent Maria Theresias vom 13. Juni 1775 224 wird nämlich ausdrücklich auf die schon erwähnte gegenseitige Titelanerkennung Bezug genommen. Damit vermeidet der eigentliche Inhalt der Vorschrift, die nunmehr in Galizien eine erbliche Grafen- und Freiherrnwürde einführt, jeden Überrumpelungseffekt einer einseitigen Aufhebung des Gleichheitsgrundsatzes. Alle Senatoren und deren Nachkommen können um den Grafentitel einkommen, für die Provinzialwürden gilt der FreiherrntiteL Einfache Edelleute haben "über die Richtigkeit ihres wenigstens vom Großvater an fortdauernden Adels" der königlichen Landtafel Abstammungsurkunden beizubringen, die bei Armut sogar taxfrei aufgenommen werden225 • Diese Regelung wird in der Folge auf die Einwohner der in der zweiten und dritten Teilung an Österreich fallenden Gebiete ausgedehnt. Die damit eingeführte Zäsur zwischen Hohem und Niederem Adel (Herren- und Ritterstand) manifestiert sich dann auch in einem Dekret J osefs II. vom 28. Januar 1782, das folgerichtig für die Stände von Galizien ein Zweikammersystem mit Magnatentafel und Abgeordnetenkammer vorsieht, eine Stufung, bei der es bis 1918 bleibt. Die Einführung eines titulierten Adels durch Österreich wirkt beispielgebend auf die anderen Teilungsgebiete: Auch Preußen und Rußland vergeben Titel an Adelsfamilien ihrer Teilungsgebiete, auf diese Weise um Parteigänger werbend. Terminologisch besteht eine ähnliche Abstufung der Titel wie in Österreich. In Preußen226 werden die höheren Titel nach freiem Entschluß des Königs, ohne spezielle, sich auf höhere Titel des polnischen Adels beziehende Gesetzgebung vergeben. Ein allerhöchstes Patent vom 13. September 1772 227 sichert den Familien, deren männliche Namensträger 224 Sammlung Maria Theresia: Sammlung aller k.k. Verordnungen und Gesetze vom Jahre 1740 bis 1780, die unter der Regierung des Kaisers Josephs des li. theils noch ganz bestehen, theils zum Theile abgeändert sind, als ein Hilfs- und Ergänzungsbuch zu dem Handbuch'e aller unter der Regierung des Kaisers Joseph des li. für die k.k. Erbländer ergangenen Verordnungen und Gesetze in einer chronologischen Ordnung, Bd. 7, Wien 1780, s. 220. 225 Vgl. auch Hofdekret aus dem Jahre 1785, Sammlung Bd. 9, S. 689. 226 Konarski, S. 52. 227 Novum Corpus Constitutionum Prussico Brandenburgensium praecipue Marchicarum, oder: Neue Sammlung Koenigl. Preußl. und Churfuerstl. Brandenburgischer, . . . Ordnungen, Edicten, Mandaten, Rescripten etc. Vom Anfang des Jahres 1751 und folgenden Zeiten, Bd. 5, Berlin 1753 - 1822, S. 385.

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dem König den Huldigungseid leisten, den Schutz ihrer Besitzungen und Rechte zu. Sie werden in besondere Huldigungsverzeichnisse und Vasallentabellen aufgenommen. Nur sie zählen hinfort zum Adel und dürfen das "von" führen2 2 s. Maßgebende Rechtsgrundlage für die russischen229 Teilgebiete ist die sich auf den gesamten russischen Adel beziehende Hramota (Patent) Katharinas II. vom 21. April 1785, die gemäß Ukaz vom 3. März 1795 auf den Adel der ehemaligen polnischen Teilgebiete ausgedehnt wird und bis zur russischen Revolution 1917 auch Grundlage des russischen Adelsrechts bleibt. Voraussetzung für die Aufnahme in die Adelsmatrikel ist eine Ahnenprobe. In dem russischen Teilgebiet, das als KongreßKönigreich Polen230 seit 1815 unter dem Zaren als König von Polen verselbständigt ist, gilt folgendes: das zuständige Heroldsamt in Warschau - später nach St. Petersburg verlegt- führt eine eigene AdelsmatrikeL Dort muß der Adelsbeweis geführt werden. Höhere Adelstitel verleiht der Zar nach freiem Entschluß. Fragt man, ob durch die letzten Sejmbeschlüsse auch in Polen ein den deutschen Verhältnissen entsprechendes System adliger Titel Einzug gehalten hat, gilt es folgendes zu bedenken: Es geht allein um die Fürstentite!231 , die der Sejm 1764 den Poniatowski, 1768 den Sapieha, 1775 den Poninski und Massaiski verliehen hat, sowie um den Beschluß über die gegenseitige Anerkennung der Fürstentitel zwischen Wien und Warschau, den der Sejm von 1773-1775 auf Vorschlag des Österreichischen Ministers von Reviczky faßte. (Die Titel der litauischen Dynastengeschlechter aus der Union von Lublin haben natürlich außer Betracht zu bleiben.) Zwar sind diese Beschlüsse, die alle vor der "jakobinischen" Verfassungsreform von 1791, also einstimmig erfolgten, von einem Parlament gefaßt worden, das als solches über der Verfassung stand. Trotzdem wird man in den Beschlüssen keine Umkehrung des gesamten Titelrechts im Sinne der generellen Einführung einer Hierarchie von Adelstiteln erblicken dürfen, vielmehr feststellen müssen, daß bis zum Ende der Adelsrepublik ein den deutschen Verhältnissen entsprechendes System adliger Titel der polnischen Rechtsordnung nicht entsprach, und zwar aus folgenden Gründen: 22s Vgl. auch §§ 5, 20 Westpreuß. Provinzialrecht vom 19. April 1844 G.-S. S. 103; s. auch Brintzinger, S. 138. 229 Konarski, S. 53 ff. 230 Spis Szlachty Krolestwa Polskiego (Adelsverzeichnis des Königsreiches Polen), Warszawa 1851, S 2 ff.; Konarski, S. 58 ff. 231 Vgl. auch die Tabelle bei Konarski, S. 89 über die Herkunft der Titel.

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Die Einführung bzw. Anerkennung von Titeln durch die Adelsrepublik unmittelbar vor ihrem Untergang steht in tiefem Widerspruch zu dem bis dahin jahrhundertelang praktizierten Selbstverständnis, den tragenden Verfassungsgrundsätzen und-traditionendes Landes. Diesen Akten kommt Ausnahmecharakter zu. Das ergibt sich aus der kurzen Zeit ihrer Geltung sowie der geringen Zahl von Familien, die sich darauf berufen können. Vor allem aber können bei Einführung bzw. Anerkennung der Fürstentitel Interesse, Einfluß und Drohung der späteren Teilungsmächte nicht übersehen werden232. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß auch moderne polnische Autoren den hier in Rede stehenden Titeln deshalb mit Bedenken begegnen. Die nach dem Wiedererstehen eines souveränen polnischen Staates verabschiedete Verfassung vom 17. März 192!233 bestimmt in Art. 96: " . . . Die Republik Polen anerkennt weder Geschlechter- und Standesprivilegien, ferner keine Wappen, keine Geschlechter- und sonstige Titel ... " Geilke234 hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der polnische Verfassungsgeber damit hinsichtlich dieser Titel, trotz voraufgegangenen Studiums ausländischer Verfassungsnormen, nicht die in Deutschland oder Österreich in dieser Frage gefundenen Lösungen gewählt hat, sondern die vor den Teilungen Polens bestandene Rechtslage erneuert hat. B. Wappen und Wappenname

Die als freie Genossenschaften organisierten Geschlechterverbände des Rittertums, von denen bereits gesprochen wurde, verwenden als äußeres Zeichen ihrer Geschlechterzugehörigkeit sogenannte proclamationes, pol. zawolanie235. Dabei handelt es sich um das Losungswort bzw. den Kriegsruf des Geschlechts, dem ursprünglich wohl die Aufgabe zukam, die Sippenangehörigen zum Kampf aufzurufen und während des Gefechts zusammenzuhalten. Hatte die polnische Forschung des vorigen Jahrhunderts noch angenommen, daß die Wurzeln der proclamatio noch in der primitiven Stammesepoche zu suchen seien236 , so gilt heute als erwiesen, daß ihre 232 Vgl. z. B. Rhode, S. 308, 317. 233 Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej (DzU) Nr. 44 vom 1. Juni 1921, S. 633, Pos. 267. 234 Geilke, G., Polnische Adelsnamen, StAZ 1959, S. 189. 235 Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 58 ; Bardach, S. 229; Brückner. 236 Semkowicz, W., Zawolania jako hasla bojowe (Die proclamationes als

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Ursprünge ebenfalls dort liegen, wo zeitlich die Aktualisierung der Rittergeschlechter liegt, nämlich etwa im 12. Jh. 237 • Vom Namen her läßt sich die einzelne proclamatio teils auf eine bestimmte Charakteristik der Sippe (z. B. Starykon = altes Pferd; Habdank = vom skandinavischen "Schatz"), teils auf topographische Bezeichnungen von Flüssen, Siedlungen, Feldern zurückzuführen 238 • Der letzteren Gruppen lassen sich z. B. folgende proclamationes zuzählen: Opole = Feld, aber auch Doliwa, Doraja, Dolega, wobei "do" poln. die Richtung "zu", "auf" ausdrückt, also der Aufruf an die Krieger, zu einem bestimmten Ort zu eilen. Gegen Ende des 12. Jhs. nehmen diese polnischen Adelsgeschlechter im Zuge ständischer Verfestigung, westeuropäischem Vorbild folgend, als einziger Stand Wappen an. Der gesamte Geschlechterverband führt ein gemeinsames Wappen239 • Zunächst findet man sie nur vereinzelt, im 13. Jh. schon häufiger, im 14. Jh. werden sie erblich. In ihrer heutigen Erscheinungsform gehen sie auf diese Zeit des 14. Jh. zurück240 • Entstanden aus alten Ursprungs- und Besitzzeichen zur Kennzeichnung von Pferden, Waffen und Liegenschaftsgrenzen sowie aus charakteristischen Feld- und Erkennungszeic.~en, erweisen sie sich bei Begegnungen der polnischen Ritterschaft mit westeuropäischem Herolds- und Turnierwesen oft als ungeeignet für die Beschreibung in heraldischer Wappenrolle und auf dem Turnier. Die daraufhin erfolgte Umgestaltung, die sich meistens an die ursprünglichen Formen anlehnt, bringt dann die für Polen charakteristischen "redenden", d. h . bildlich darstellenden Wappen mit meist nur einer Schildfigur, ohne Schildesteilung und Heroldsfiguren- die Schildfigur oft Gegenstände der Jagd (z. B. Pekoslaw) und Tierwelt (Rawicz, Ciolek, Junosza), sowie des täglichen Gebrauchs, wie z. B. Handwerkzeuge (z. B. Topor, Lodzia, Oksza), vor allem aber Hufeisen in mannigfacher Form (z. B. Belina, Lada, Jastrzebiec, Dolega) darstellend241 • Als redendes Wappenbild verwendet man ganz einfach den Wortinhalt der alten proclamatio. Kriegsruf), Sprawozdania Akad. Um. (Rechenschaftsbericht der Akad. der Wiss.), Krakow 1914. 237 Bardach, S. 228 f.; Dworzaczek, S. 16. 238 Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 58. 239 Bardach, S. 228; Rhode, S. 95 ; Kutrzeba, Verfassungsg~eschichte, S. 59. 240 Brückner, S. 598. 241 Rhode, S . 95.

§ 2 Adelsbezeichnung des polnischen Adels

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Stehen nämlich anfangs noch Kriegsruf und Wappen als gleichrangige erbliche Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht der Ritterschaft nebeneinander, so gewinnt in der Folge das Wappen die überragende Bedeutung eines Standesmerkmales. Das Bewußtsein, in der proclamatio etwas eigenständiges neben dem Wappen vor sich zu haben, schwindet242. Indem man nun also auf den Inhalt der proclamatio zurückgreift und ihn als Wappenbild verwendet, führt das dazu, daß man die proclamatio bald mit dem Wappen gleichsetzt und sie schließlich zum bloßen Wappennamen243 wird. Man spricht nicht mehr vom Wappen und Kriegsruf eines bestimmten Geschlechts, sondern allein von dessen Wappen samt Wappennamen und endlich nur noch vom bloßen Wappen, das man mit dem Wappennamen, der ehemaligen proclamatio charakterisiert. Es geht nicht mehr um die obenerwähnte proclamatio Habdank, Pomian, Doliwa oder Dolega, sondern um das Wappen dieses Namens, das gleichgesetzt mit dem Geschlecht, zum Geschlechterwappen - Wappengeschlecht wird. Wo vom Wappen gesprochen wird, ist fortan auch das Geschlecht gemeint, das ein Wappen dieses Namens führt, wo umgekehrt vom Geschlecht (rod) die Rede ist, ist der Wappenname gemeint244. Bis zum Entstehen der eigentlichen Familiennamen im 15. Jh. 245 führt der polnische Edelmann nunmehr außer seinem Vornamen gemeinsam mit dem gesamten Geschlechterverband den Namen dieses Geschlechterwappens246. Beim Zusammenwachsen des polnischen Adels zu einer einheitlichen Körperschaft ohne die in Westeuropa so tiefe standesrechtliche Zäsur zwischen Hohem und Niederem Adel und damit ohne Titelunterschiede, fällt diesen Geschlechterwappen nun eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Wie oben dargetan247, beruht die Aktualisierung der ritterschaftliehen Stammesbewegung ursprünglich auf dem Gedanken der Abwehr: regional und meistens auch blutsmäßig zusammenhängende Elemente des schwächeren Kleinadels aktualisieren gegen Mediatisierungsbestrebungen der Großen ihren sog. Gebiets- oder auch genealogischen Geschlechterverband (rod gniazdowy oder rod genealogiczny). 242 Brückner; Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 60; Zernicki, S. 17. 243 Ebd., S. 17, 21; Reddaway u. a., S. 176. 244 Konarski, S., 0 heraldyce i "heraldycznym" snobizmie (Über Heraldik und "heraldischen" Snobismus), Paris 1967, S. 9, 18; Zernicki-Szeliga, v., E., Der polnische Adel und die demselben hinzutretenden andersländischen Adelsfamilien, Harnburg 1900, Bd. 1, S. 10. 245 Konarski, Heraldik, S. 15. 246 Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 60 f.; Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 1, Wiesbaden 1966, Stichwort "Adel" steht im deutschen Sprachraum nahezu allein mit Hinweisen auf diese Zusammenhänge. 247 s. oben, Kap. IV § 1 A 3.

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Diese genossenschaftliche Organisationsform wirkt durch ihren Erfolg auch anziehend auf die Magnaten und wird dort gleichermaßen rezipiert. Deren Geschlechterverbände wiederum üben eine starke Anziehungskraft auf den schwächeren Adel aus, sich diesen z. T. künstlichen Gebilden zu integrieren. Das Fehlen einer rechtlichen Fixierung des Wappenwesens - erst 1412 wird der Nachweis verlangt, ein bestimmtes Wappen führen zu dürfen248 - kommt diesem sozialen Sog entgegen: indem sie das Wappen eines mächtigen, attraktiven Geschlechterverbandes annehmen, können fremde eventuell wirtschaftlich oder politisch schwächere Elemente zugleich dessen Namen annehmen und integrieren sich zu Genossen dieses Verbandes. Man spricht hier von sog. heraldischen Geschlechtern (rod heraldyczny) 249 • Daß dabei ausgerechnet die Annahme des Wappens diesen konstitutiven Klammereffekt ausübt, sie also nicht nur deklaratorische Folge einer sonstwie längst vollzogenen Integrierung in den Wappenstamm ist, beweisen die Untersuchungen von Dworzaczek250• Er liefert eine Fülle von Material, das zeigt, wie noch bis ins 18. Jh. hinein viele kleinadlige Familien, sogar trotz eines später bestehenden gesetzlichen Verbotes, bei Umzügen innerhalb des Landes im Bestreben, in neuer Umgebung assimiliert zu werden, eigene Wappen unterdrücken und Wappen lokaler Honoratiorengeschlechter annehmen. Mitglieder anderer Geschlechter eint lediglich das Band gemeinsamer ethnischer Herkunft, z. B. die Wappengeschlechter: Prus - Preußen, Sas-Sachsen251 • In Anbetracht der großen Menge der Szlachta und der verhältnismäßig kleinen Zahl von Wappen drängt sich daher der Schluß auf, daß schließlich in alle alten Wappengeschlechter außer blutsmäßig verwandten Mitgliedern auch fremde Elemente Eingang fanden und der einzige Unterschied zwischen ihnen insofern nur in den Proportionen ihrer Zusammensetzung lag. Überwogen bei den einen, vorwiegend unattraktiven Stämmen des einflußlosen kleinen und mittleren Adels blutsverwandte Elemente, so bestanden andere, etwa durch die Anziehungskraft mächtiger magnatischer Mitglieder, aus ganz heterogenen Gruppen, die alle das Wappen des einflußreichen Sippenkerns angenommen hatten252 • Zernicki, Geschichte, S. 19. Ebd., S . l7; Bardach, S. 229; vor allem: Dworzaczek, S.l7. 2so Ebd., S . 51. Ein weiterer Beweis dafür sind die Wappenadoptionen der Union von Horodlo. 251 Vgl. Bardach, S. 229, Anm. 12. 252 Dworzac:i'Jek, S. 16 f. 248

249

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Die Gebiets- oder genealogischen Geschlechter (rod gniazdowy bzw. rod genealogiczny) hatten sich zum sozialen Schmelztiegel von sogenannten heraldischen Stämmen (rod heraldyczny) mit großer Mitgliederzahl umgestaltet253 • Diese überindividuelle Geschlechtergemeinschaft der Wappen erhellt sich anschaulich aus dem Wappenhandbuch von Chrzanski250• Von 1238 dort zitierten Wappen der gesamten Szlachta werden hiernach 749 von nur einer Familie geführt (dabei handelt es sich z. B. um ausländische Familien, denen das lndigenat erteilt worden war), während die übrigen 489 das Gesamtgut der ganzen restlichen Szlachta bildeten. Das bedeutet, anders ausgedrückt, daß rund 22 000 Szlachtafamilien sich dieser 489 Wappen bedienten254 • Die Tatsache, dem festen Kreis eines dieser piastischen Wappenstämme anzugehören und damit seinen Wappennamen zu führen, wurde zum Kriterium dessen, was man in Deutschland mit dem Wort "Uradel" ausdrückte255. C. Familienname

Die ritterschaftliehe Geschlechterordnung (rody rycerskie) verlor ihre eigentliche Bedeutung im Laufe des 15. Jh., als sich die Szlachta in einen völlig abgeschlossenen Geburtsstand verfestigte und nunmehr hauptsächlich von ihren Besitzungen ihre eigentlichen Familiennamen annahm; vereinzelt in Großpolen sogar schon im 14. Jh256 . Der oben erwähnte Wandlungsprozeß hinsichtlich der Namen vollzog sich ohne eigentliche Rechtsgrundlage, fand indessen seinen deutlichen Niederschlag in der Sprache selbst, für die seit dem Ende des 15. Jh. die Worte "Familie" (rodzina) und "Geschlecht" (rod) zu Synonymen wurden, deren zweites man fortan lediglich verwendete, wenn man Nachdruck auf die sozial hervorragende gegenwärtige Position oder das Alter des Geschlechts zu legen trachtete257 • Bei diesen Familien im engeren Sinne handelt es sich um Zweige der mittelalterlichen ritterschaftliehen Geschlechter. Als äußeres Zeichen seiner adligen Herkunft behält man Wappen bzw. Wappennamen bei und fügt seit dem 15. Jh. zur Unterscheidung von den anderen Verzweigungen des Geschlechts den engeren Familiennamen hinzu 258 • Dabei gilt es, bei der Einordnung der sich nunmehr herausbildenden häufig253 254 255 258

Bardach, S. 226, 229, 421; Dworzaczek, 8. 17. Konarski, Heraldik, S. 8 f. Roos, Ständewesen; Konarski, Heraldik, S. 23. Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 159; Rhode, S. 98; Konarski, Heral-

dik, s. 15. 257 Dworzaczek, S. 17 f. 258 Ebd., S. 17 f. 8 Mlkliss

114

IV Adel und Adelsbezeichnung in Polen

sten Familiennamen259 eine grobe Dreiteilung260 vorzunehmen. Man kann unterscheiden: 1. Familien, gebildet aus einem charakterisierenden Beiuamen261 , z. B. Kot= Katze; Zaba = Frosch; Kielbasa = Wurst oder der in der polnischen Geschichte sehr berühmte Name Kostka = Knöchelchen262 • (Diese Namen der einzelnen Familien sind zu unterscheiden von den Wappenzeichen der W appengeschlechter.) 2. Familiennamen, entstanden aus dem Vornamen eines berühmten Vorfahren, daher von der polnischen Forschung "patronymische Familiennamen" genannt 263 - die man am leichtesten mit skandinavischen Namen wie Erikson, Gustavson etc. vergleichen könnte. Dieser Gruppe kann man etwa folgende Namen zuzählen: Adamowicz, Krzystofowicz, Tyszkiewicz. Zur gleichen Gruppe gehört aber auch die verkürzte Form, wie z. B. Sanguszko anstelle von Sanguszkowicz und Radziwill anstelle von Radziwillowicz, Narbutt anstelle von Narbuttowicz. Diese Namen mit zweifacher Konsonantenendung sind noch aus anderem Grunde interessant: sie zeigen, wie sehr in Osteuropa die Bildung der adligen Familiennamen bis in die jüngste Zeit in Fluß blieb, z. T. durch Modeströmungen beeinflußt: die Mode des zweiten Konsonanten führten die Radziwills ein, die als erste ihrem Namen ein zweites "1" hinzufügten und aus Radziwil Radziwill machten. Bald fanden sich Nachahmer: Boufal wandelte sich zu Boufall, Jundzil zu Jundzill usw. Die Mikliss, eine aus Ungarn über Böhmen nach Polen eingewanderte Familie264, die in Polen das Wappen Dolega führen und sich eigentlich Mikes, im Böhmischen auch Miklich nannten265 , tauchen nach diesem Vorbild erstmals in Urkunden des 19. Jh. in der modischen Schreibweise als Mikliss auf. 259 Ergänzend: Bystron, J. S., Nazwiska polskie (Polnische Familiennamen), 2. Aufl., Lwow-Warszawa 1936; ders., Nazwiska szlacheckie (Familiennamen der Szlachta), Krakow 1926. 260 Vgl. dazu Konarski, Heraldik, S. 15 ff. 261 Konarski, Heraldik, S. 18. 262 Zur Familie Kostka, der auch der kanonisierte Stanislaus Kostka entstammt, vgl. Dworzaczek, S. 151 sowie die im Ergänzungsband zur "Genealogie" veröffentlichte Stammtafel; vgl. auch Konarski, Armorial, S. 27. 263 Konarski, Heraldik, S. 18. 264 Zur Herkunft der Familie siehe Vorwort von K. Mikes "Törökorszagi levelek", Pest 1831, deutsch z. T. bei Masar, Ilhami, Das wahre Gesicht der Türkei, Instanbul 1967, S. 73 ff. 265 Vgl. Kneschke, E. H., Deutsches Adels-Lexikon, Leipzig 1865, S. 290.

§ 2 Adelsbezeichnung des polnischen Adels

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3. Die in Polen am weitesten verbreitete Namensgruppe nach dem Herkunftsort oder Familienbesitz mit der adjektivierenden Schlußsilbe auf -ski oder -cki26&. Da letztgenannte Gruppe von Namen- wie gesagt- die häufigste ist, aber darüber hinaus in der außerpolnischen Judikatur und Literatur zum Thema polnische Adelsnamen auch die häufigsten Mißverständnisse bewirkt hat, ist dieser Namenstyp eingehender zu betrachten. Er entsteht relativ spät; denn noch im Laufe des 13. Jh. trifft man auf Personen der Zeitgeschichte, wie z. B. den Bischof Wojciech ( = Adalbert) Jastrzebiec267 , die ohne den eigentlichen Familiennamen erscheinen. Der Übergang vom bloßen Wappennamen Jastrzebiec, der ja vom gesamten Geschlecht geteilt wird, zu der Vielzahl der Familiennamen der einzelnen Verzweigungen vollzieht sich nun wie folgt: In der Regelleiten sich die auf "-ski" oder "-cki" lautenden Familiennamen vom Namen des Ortes ab, an dem die Familie ihre Besitzungen hatte268 • Dem Wappennamen wird der Name der Besitzung durch das lateinische de oder das polnische "z" (aus, von) verbunden. So bezeichnet sich Jan des Wappens Jastrzebiec de Byki oder z Bykow (Genitiv). Seine Umwelt charakterisiert ihn daneben auch durch den in ein Eigenschaftswort verwandelten Ortsnamen, der der deutschen Ableitung "-er" (der Bodensteiner, der Toggenburger) entspricht, als den bykower Herrn-pan bykowski und schließlich ganz einfach als Bykowski (also etwa den Bykower) - ein Name, der sich auf die Nachkommenschaft forterbt, sofern der namensbegründende Vorfahre seßhaft bleibt und nicht nach weiteren neu übernommenen Orten neue Namen annimmt 269 • Das gewählte Beispiel erfuhr allerdings einige beachtliche Varianten: a) Für bestimmte Gegenden Polens, namentlich Masowiens, das Kolonisationsgebiet von Masuren, für Podlachien, das kleinpolnische Land Lukow, später etwa auch für Samogitien und Mittel-Litauen wurde der Typ des Kleinadel-Dorfes charakteristisch270 • Sei es durch die Massennobilitierungen großer Scharen von Kriegern, die in den vielen Verteidigungskriegen der Adelsrepublik ihre Privilegien errungen hatten, sei es durch die gemeinsame Kolonisation oder aber die weitverbreitete Sitte der Real-Erbteilung, waren jene "EdelWeiler" kleinbäuerlichen Zuschnitts entstanden (zascianki, okolice), in denen häufig mehrere nicht blutsverwandte Adelsfamilien, die ihre 268 267

268 269 21o

Konarski, Heraldik, S. 16, 18; Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 159. Bischof von Krakau, vgl. Reddaway, Bd. 1, S. 395. Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 159; Dworzaczek, S. 33. Konarski, Heraldik, S. 16; Zernicki, Geschichte, S. 21. Vgl. dazu die Fülle der Hinweise bei Roos, Ständewesen, S. 333 ff.

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IV Adel und Adelsbezeichnung in Polen

Abkunft aus versc.hiedenen Wappengeschlechtern herleiteten, siedelten. Sie alle nannten sich nach demselben Orte, wodurch gleichnamige nichtverwandte adlige Familien entstanden, die sich nur durch ihr Wappen unterschieden. Sie alle trugen also den gleichen Herkunftsnamen- bei verschiedenen Wappen271. Roos272 führt als Beispiel eines derartigen Edelweilers (zascianek) die heutige Stadt Lapy in der Nähe von Bialystok an, die, um 1400 als einsamer Edelhof von dem aus Masowien eingewanderten Kleinadligen Lapa gegründet, im Jahre 1676 bereits in 14 Höfe unterteilt ist. Im Jahre 1961 zählt die Stadt Lapy 7704 Einwohner, die in der Überzahl immer noch den Namen Lapinski führen. b) Eine weitere Variante zum Eingangsbeispiel beim Entstehen der Adelsnamen ergab sich daraus, daß auch an gleichnamigen, aber verschiedenen Orten gleiche Familiennamen entstanden273 • In einem Staatswesen, dessen gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben weit mehr als in Westeuropa durch seine Agrarverfassung geprägt wurde, war es nur natürlich, daß auch die Ortsnamen häufig auf Begriffe der ländlichen Fauna und Flora, wie z. B. Pferde (konie Konarski), Rinder (byki- Bykowski) usw. zurückgingen. Als Eigentümer dieser verstreuten, gleichnamigen Dörfer kamen Mitglieder der verschiedensten Wappengeschlechter in Frage. Und so entsprach etwa einem Bykowski des Wappens Jastrzebiec irgendwo in Polen ein Namensvetter des Wappens Dolega; einem Konarski des Wappens Gryf ein Konarski des Wappens Habdank; den vielen Leszczynskis, Grabowskis, Naczenskis usw. erging es nicht anders. Sie alle führten zufällig gleichlautende Herkunftsnamen, waren jedoch durch ihre verschiedene Wappenzugehörigkeit nicht miteinander verwandt. So zählt die polnische Heraldik z. B. an die zwanzig Familien Zakrzewski mit unterschiedlichen Wappen274• c) Doch auch der umgekehrte Fall bedarf der Erwähnung. War es oben zufällige Namensgleichheit, aber verschiedene Wappengeschlechtsabkunft, so führen ebenso oft die unterschiedlichsten adjektivischen Zunamen gleiche Wappen (namen), was ursprünglich darin begründet liegt, daß infolge des Erbteilungsprinzips häufig Brüder verschiedene Güter besaßen und sich demnach verschieden nannten. Die Familien Tarnowski, Jaroslawski und Rzeszowski etwa, lassen sich genealogisch auf drei dem Wappengeschlecht Leliwa ent211 272 273 274

Zernicki, Geschichte, S. 21. Roos, Ständewesen, S. 333, Anm. 58. Zernicki, Geschichte, S. 21 ; Konarski, Heraldik, S. 17. Vgl. Zernicki, Der poln. Adel.

§ 2 Adelsbezeichnung des polnischen Adels

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stammende Brüder zurückführen, die ihre Namen von den ererbten Gütern Tarnow, Jaroslaw und Reszow annahmen275• Auf diese Art verzweigten sich einzelne Wappenstämme in oft zahlreiche Linien mit unterschiedlichen Familiennamen. Das Wappen Lubicz z. B. führen 284 Familien und in das Wappen Jastrzebiec gar teilen sich nahezu 500 Familien276• Damit stößt man auf eine Eigentümlichkeit, wie sie nur beim polnischen Adel zu finden ist, indem man es einerseits mit Familien zu tun hat, die alle zum gleichen Wappengeschlecht gehören, theoretisch also von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, jedoch verschiedene Familiennamen führen. Andererseits aber stößt man auf Namensgleichheiten, die wiederum nicht Verwandtschaft bedeuten, da das Wappengeschlecht verschieden ist277• Die Korrarskis des Wappens Jastrzebiec sind also theoretisch Verwandte der Bykowskis des Wappens Jastrzebiec, nicht aber der Korrarskis der Wappen Gryf oder Habdank. d) Die Verwirrung für den Ausländer wird noch größer, wenn man abschließend feststellt, daß der Familienname kein Adelsname ist, d. h. nichts über die Standeszugehörigkeit seiner Träger aussagt, daß man also aufgrund des Familiennamens nicht sagen kann, ob man es mit einer bürgerlichen, bäuerlichen oder adligen Familie zu tun hat. Obgleich nämlich die Mehrzahl bäuerlicher und bürgerlicher Namen keine Entsprechung in gleichlautenden Adelsnamen findet 278, trifft man umgekehrt umso häufiger Namen adliger Familien, die auch von bäuerlicher und- seltener- bürgerlicher Bevölkerung getragen werden. Die Erklärung hierfür liegt darin, daß die Dienstleute von ihrer Umgebung offensichtlich mit der gleichen adjektivierten Herkunftsbezeichnung charakterisiert wurden, wie ihre Herrschaft: so hießen die Dienstleute der Bykower - Bykowskis für diejenigen der Ostrower - Ostrowskis, wie die Herrschaft ebenfalls, Bykower - Bykowskis und umgekehrt279 • So können in 49 Fällen nach den polnischen Teilungen gegrafte Senatorenfamilien auf bürgerliche bzw. bäuerliche Namensvettern verweisen 280 • Schon aus diesem Grunde kann der Rechtsprechung und Literatur nicht gefolgt werden, die feststellen, daß die Schlußsilbe -ski auf die Kutrzeba, Verfassungsgeschichte, S. 159. Zernicki, Geschichte, S. 22; Konarski, Heraldik, S. 16. m Ebd., S. 17 f. 278 Vgl. dazu Bystron, Familiennamen der Szlachta. 210 Konarski, Heraldik, S. 23. 280 Vgl. dazu die Angaben bei Konarski, Armorial.

21s

276

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IV Adel und Adelsbezeichnung in Polen

Zugehörigkeit zum polnischen Adel verweise und dem deutschen Vorwort "von" gleichwertig sei2 B1• Mögen die oben erwähnten Gründe, daß nämlich die Schlußsilbe "-ski" deshalb keinen Hinweis auf die Adelszugehörigkeit gestatte, weil neben den Herkunftsnamen auf "-ski" in der Szlachta u. a. auch noch die "charakterisierenden" (z. B. Kot- Katze), bzw. die patronymischen Familiennamen (z. B. Janowicz) vorgekommen seien, und alle diese Namen gleichermaßen im bäuerlichen und bürgerlichen Bereich auftraten, noch zu vordergründig erscheinen, so dürfte eine andere Erklärung wesentlicher sein: Das Vorwort "von", das - trotz des scheinadligen282 "von" - im Westen der Adel immer mehr als ein Spezialrecht für sich beanspruchte, war eigentlich nur in der Verbindung mit einem Ortsnamen sinnvoll283 • Mit dem Ortsnamen aber war die sachenrechtliche Grundlage des Namens hervorgehoben und auf die ursprüngliche Verbindung des Namensträgers mit einem adligen Herrschaftsraum hingewiesen284 • Dahinter stand - überspitzt formuliert - der Gedanke, daß nicht das "von" den Namen adelte, sondern nur seine Verbindung mit einem durch seinen Ursprung adligen Herrschaftsnamen285 • Die damit gleichzeitig zum Ausdruck gebrachte Absetzung von den Gebieten der anderen Stände war in Polen, dem Land der ausschließlichen Herrschaft des Adels, sinnlos. Bis zur Verfassung von 1791 war der Szlachta dort auch der gesamte Grund und Boden, bis hin zu den Städten vorbehalten (den Städten wurde getreu dieser Rechtsauffassung eine korporative Nobilitierung zuteil286• Vor allem aber war hier das entscheidende Kriterium des Adelserwerbes und seiner Inhaberschaft die Zugehörigkeit zu einem Wappen - erst dann war dem Einzelnen adelige Herrschaft überhaupt möglich. So z. B. Brintzinger, S. 137 oder OVG Münster StAZ 163, 14. Es kam vor, daß Familien ein "von" (holl. van) führten, das nicht Adelsbezeichnung, sondern Teil des bürgerlichen Familiennamens war. Dieser sog. Scheinadel kam vor allem in Norddeutschland, Sachsen, aber auch in der Schweiz vor. Aufgrund einer Allerh. Kab.O. mußte in der pr. Militärrangliste das bürgerliche "von" ausgeschrieben, das adelige mit "v." abgekürzt werden. Vgl. dazu Rensch, S. 7 f. 283 Beweise für dieses Sprachgefühl fanden sich noch bis in die Anfänge dieses Jahrhunderts in Österreich, wo bei Nobilitierungen dem Namen des Neugeadelten neue fiktive Ortsnamen durch das "von" verbunden wurden, vgl. Heintze, Die Deutschen Familiennamen, S. 60. 284 Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht, S. 154. 285 Wendland, S. 46. 286 Vgl. Roos, Ständewesen, S. 348. 281

2s2

§ 2 Adelsbezeichnung des

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Die obenerwähnte Ansicht in deutscher Literatur und Rechtssprechung bedarf also folgender Korrektur, die, positiv, zugleich aussagt, was polnische Adelsbezeichnung ist: Weder die Namensschlußsilbe "-ski" noch irgendein bestimmter Familienname deuten auf die Szlachtazugehörigkeit hin, sondern einzig die Zugehörigkeit zu einem Wappen, die sich wiederum in einem Wappennamen ausdrückt. Die Beifügung dieses Wappen- bzw. Geschlechternamens zum Familiennamen muß als der einzige Hinweis des Namens auf eine adlige Abstammung angesehen werden287. Dessen waren sich auch regelmäßig die Fälscher bewußt, die ihre Usurpierungen in der Regel nicht durch Manipulationen am eigentlichen Familiennamen, sondern das Einschmuggeln von Wappennamen in die beweiskräftige Urkunde glaubten erreichen zu können. Dworzaczek288 liefert hierzu einschlägige Beispiele, wenn etwa in einer zeitgenössischen Urkunde über eine Geldtransaktion von einem "Lukowski stemmatis Szeliga" die Rede ist oder im Taufregister ein "Dzierzanowski stemmatis Gozdawa" auftaucht. Dem Forscher ist es in solchen Fällen ziemlich leicht, Fälschungen zu enthüllen, da diese feierliche Art, die Wappenzugehörigkeit hervorzuheben, nur ganz bestimmten Verzeichnissen wie etwa Ahnenproben für adlige Stifter oder Ritterorden vorbehalten war. Die gebräuchliche Form des polnischen Szlachtanamens bildete sich daher in der Form, daß dem Familiennamen schlicht der Wappenname hinzugefügt wurde oder umgekehrt. Jan Brzozowski des Wappens Korah schriebe sich also Jan Brzozowski-Korab oder Jan Korab-Brzozowski28u. Diese auch heute noch gebräuchliche Form (die manchmal von Emigrantenfamilien ohne Rechtsgrundlage in die Form Brzozowski de Korah oder Brzozowski v. Korah umgewandelt wird) wird allerdings auch oft zugunsten des reinen Familiennamens aufgegeben, der dann eben keinen Hinweis auf eine adlige Abstammung enthält290. Man kann sogar feststellen, daß, im Gegenteil, der Gebrauch dieses reinen Familiennamens (also ohne Hinweis auf eine adlige Abstammung) bereits vor den Verfassungsänderungen unseres Jahrhunderts die am stärksten verbreitete Form der Namensführung war und es bis heute geblieben ist. 287 Dworzaczek, S. 18; Konarski, Heraldik, S. 18 f. 288 Dworzaczek, S. 35. 289 Vgl. Konarski, Heraldik, der sich auch insoweit auf Dworzaczek beruft. 290 Für Vorstehendes vgl. die zahlreichen Angaben bei Konarski, Heraldik, s. 21 ff.

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IV Adel und Adelsbezeichnung in Polen

Als mit Art. 96 der (inzwischen abgelösten) polnischen Verfassung vom 17. März 192!291 die entscheidende Nachkriegsregelung der Titelfrage erfolgte, führte diese Vorschrift bei westlichen Autoren zu erheblicher Verwirrung292 • Sie beruht im wesentlichen auf der Unkenntnis des in dieser Arbeit behandelten Geschlechtersystems und des darauf beruhenden Namenssystems, insbesondere des Wappennamens. Die Unsicherheiten beginnen bereits bei der Übersetzung. Die deutsche Übersetzung in JÖR XII293 lautet: "Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich. Die öffentlichen Ämter sind zu den gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen im gleichen Maße allen zugänglich. Die polnische Republik erkennt Geburts- oder Standesprivilegien nicht an, ebensowenig Wappen, Geburtstitel und andere mit Ausnahme von wissenschaftlichen, Amts- oder Berufstiteln. Die Bürger der Republik dürfen ohne Genehmigung des Präsidenten der Republik fremdländische Titel und Orden nicht annehmen." Geilke bringt in StAZ 1959, 189 folgende Übersetzung der einschlägigen Stelle: "Die Republik Polen anerkennt weder erbliche (RODOWE kann auch mit ,geschlechtliche' oder ,familiäre' übersetzt werden) noch ständische Privilegien, ferner keine Wappen, keine erblichen und sonstigen Titel mit Ausnahme von wissenschaftlichen, amtlichen und beruflichen Titeln. Einem Bürger der Republik ist es nicht gestattet, ohne Genehmigung des Präsidenten der Republik ausländische Titel und Orden anzunehmen." Die französischen Übersetzungen der polnischen Märzverfassung sprechen an der einschlägigen Stelle von (titres nobiliaires) bzw. (les titres de noblesse) 294 • Die Bedrängnis, in welche die Übersetzung den Ausländer bringt, setzt sich bei der Diskussion der materiellen Probleme von Art. 96 der polnischen Märzverfassung fort: Für polnische Autoren295 bildete den einzigen Punkt einer kurzen literarischen Diskussion die Bedeutung des Begriffs der "NichtanerkenDz U 1921, Nr. 44, Pos. 267. Vgl. Brintzinger, S. 134, Anm. 271. 293 JÖR XII (1923/24), S. 300 ff. 204 Constitution de la Republique de Pologne, Paris 1926. 2os Komarnicki, N., Polskie Prawo Polityczne, Geneza i System (Polnisches Staatsrecht. Genese und System), Warszawa 1922, S. 542 f .; Cybichowski, N., Encyklopedja Podreczna Prawa Publicznego (Handwörterbuch des öffentlichen Rechts), Bd. 1, Warszawa o. J., S. 238 f.; Pazkudzki, N., Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej z dnia 1'7. marca 1921 (Die Verfassung der Republik Polen vom 17. März 1921), Warszawa 1927. 291

292

§ 2 Adelsbezeichnung des polnischen Adels

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nung". Dabei wurde die Frage gestellt, ob dadurch nur die öffentliche Gewalt gebunden, im übrigen der Gebrauch entsprechender Bezeichnungen - etwa im Privatrechtsverkehr - aber frei sei296 . Die Rechtsprechung des polnischen Obersten Verwaltungsgerichts hatte sich mit der Frage der Beseitigung von Adelsbezeichnungen sogar überhaupt nicht zu befassen297. Auf deutscher Seite dagegen zeigen sich bei der Auslegung dieser polnischen Verfassungsbestimmung gravierende Meinungsverschiedenheiten298. Man sucht nach einer Problemstellung, wie sie ähnlich durch die in Deutschland bzw. Österreich getroffenen Regelungen entstanden ist. Man zeigt sich allerdings irritiert durch die Tatsache, daß der polnische Verfassungsgeber trotz Kenntnis der deutschen und Österreichischen Lösung und eines eingehenden vorausgegangenen Studiums ausländischer Verfassungsnormen einen anderen Weg gegangen ist299 und glaubt nicht ohne milden Vorwurf an die Adresse der polnischen verfassungsrechtlichen Literatur auskommen zu können, sie schwiege zumeist zu der durch Art. 96 aufgeworfenen Frage300• Ob, abgesehen von der oben erwähnten Frage des Geltungsbereiches, für die polnische Literatur und Rechtsprechung tatsächlich noch andere Problemstellungen dazukommen und wie man zu einem sachgerechten Verständnis der fraglichen polnischen Verfassungsbestimmung gelangen könnte, dürften folgende Überlegungen erhellen: Die entscheidenden Worte, die in der Übertragung in JÖR XII mit "Geburtsprivilegien" bzw. "Geburtstitel" übersetzt werden, lauten in der polnischen Originalfassung "przywilej rodowy" sowie "tytul rodowy". "Rodowy" ist die Adjektivierung des Substantivs "rod", Mehrzahl "rody": Geschlecht, Adjektiv: "rodowy". Dementsprechend erkennt GeilDie Diskussion auf polnischer Seite ist kurz von Brintzinger, S. 135 ff. wiedergegeben. 296 Die Fra·ge ist ganz überwiegend dahingehend beantwortet worden, daß die Titelführung lediglich im amtlichen Verkehr verboten sei, nicht dagegen im Privatrechtsverkehr (s. Zusammenstellung bei Brintzinger, S. 134 ff.). Die polnische Regelung entspricht- worauf Geilke und Brintzinger ausdrücklich hinweisen - nicht der österreichischen, wo die Führung adliger Namen generell verboten wurde und dem sogar mit Strafbestimmungen Nachdruck verliehen wurde (zu Österreich vgl. Brintzinger, S. 191 ff.). 201 Geilke, G., Ist durch Art. 96 II 1 der polnischen Verfassung von 1921 auch das Adelsprädikat von abgeschafft worden? Gutachten 36/8 b in: Praktische Fragen des Staatsangehörigkeits-, Entschädigungs- und Völkerrechts (Gesammelte Gutachten, Nr. 36 der hektographierten Veröffentlichungen der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht (FVRaöR), Harnburg 1960, S. 189-204. 2os Vgl. Brintzingers Zusammenfassung. 2oo Brintzinger, S. 134 f ., der auf Geilke, Gutachten 36/8 b, S. 193 verweist. aoo Brintzinger, S. 135; vgl. dort auch Anm. 276.

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IV Adel und Adelsbezeichnung in Polen

ke301 in einer späteren Übersetzung zu Recht, daß die Übersetzung "Geburtsprivilegien" bzw. - hier besonders interessierend - "Geburtstitel" unzutreffend sei und verbessert dahingehend : " ... Die Republik Polen anerkennt weder Geschlechter- noch Standesprivilegien, ferner keine Wappen, keine Geschlechter- und sonstigen Titel ... " Die volle Tragweite des Begriffs "rod" im Sinne der hier besprochenen Ritter- und Wappengeschlechter, zugleich aber auch in dem Doppelsinn, den der Begriff im 15. Jh. i. S. der engeren Familie hinzugewann, beachtet jedoch auch er nicht ausreichend. Berücksichtigt man nämlich die in dieser Arbeit getroffene Feststellung, daß konstitutives Merkmal der Szlachtazugehörigkeit die Zugehörigkeit zu einem der Wappengeschlechter war, was sich wiederum in dem Namen des Wappengeschlechtes ausdrückte, dann besteht zwischen den Begriffen "Wappen" und "Geschlechtertitel" eine Beziehung dergestalt, daß unter "Geschlechtertitel" der Name des Wappengeschlechts zu verstehen istso2 • Zugleich beinhaltet "Geschlechtertitel" -Geschlecht im engeren Sinne von Familie - sodann die Titel, welche die einzelnen Familien führten. Das aber waren die höheren Adelstitel der Union von Lublin sowie die nichtpolnischen Titel, welche die Teilungsmächte an einzelne polnische Familien nach den Teilungen vergaben 303• Der Begriff "sonstige Titel", deren Verbot Art. 96 schließlich auch noch ausspricht, zielt endlich darauf, was Geilke304 in seiner zweiten Stellungnahme besonders herausstellt, nämlich die Prädikate, welche die polnische Sprache ebenfalls kennt und im Übermaß gebrauchte305• Die Verfassung von 1921 306 stellte in Polen auf dem Gebiet des Adelsnamensrechts also weder einen Rechtszustand her, der dem deutschen 301

Geilke, Gutachten 36/8 b, S. 191.

so2 Brintzinger, S. 135; vgl. dort auch Anm. 276. so3 In den Augen der Teilungsmächte waren das nach den Teilungen -

samt den "übergeleiteten" Titeln von Lublin - die einzig legitimen Titel. Man übersah allerdings die z. T. weitergeführten Wappennamen. so4 Genaue Parallelen zu den deutschen Prädikaten wie etwa Erlaucht, Durchlaucht, Hoheit, die ja der deutschen Titelhierarchie entsprachen, konnte es in Polen natürlich nicht geben. Dort richtete sich die Stufung der Prädikate nach den Ämtern. Vom Adelsplebejer bis zum Senator in folgender Einteilung: nobilis, generosus, magnificus, illustrissimus ac magnificus. Vgl. dazu Dworzaczek, S. 29 f.; Lodzinski, S. 144. sos Dworzaczek, S. 29 f. so6 Diese p olnische Verfassung vom 17. März 1921 (Märzverfassung) wurde mit Ausnahme einiger, den Minderheitenschutz betreff,ender Bestimmungen, aber einschließlich ihres Art. 96 durch Art. 81 II der polnischen Verfassung vom 23. April 1935 (Aprilverfassung) aufgehoben (s. bei Brintzinger, S. 143; OVG Münster StAZ 1963, 13 ; Konarski, Armorial, S. 62).

§ 2 Adelsbezeichnung des polnischen Adels

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Recht entsprach, noch erneuerte sie insoweit die schon vor den Teilungen Polens bestandene Rechtslage, sondern gab jeglichem Hinweis auf adlige Abstammung eine Absage. Im Kapitel V soll untersucht werden, ob und welche Konsequenzen diese Regelung für die Namensführung der in Deutschland lebenden polnischen Staatsbürger adliger Herkunft beinhaltet.

Zwar galt von da an kein polnischer Rechtssatz mehr, der den Verlust von Adelstiteln zur Folge gehabt hätte, doch bedeutete das lediglich, daß auf polnische Staatsbürger, die erst unter der Aprilverfassung die polnische Staatsangehörigkeit erlangt hatten, vorher nach ihrem Heimatrecht aber berechtigt waren, einen Adelstitel zu führen, Art. 96 der Märzverfassung keine Anwendung mehr fand. Für polnische Saatsbürger, die oder deren männl. Vorfahren dagegen unter die Märzverfassung fielen, trat keine Änderung der hier dargestellten Rechtslage ·ein (vgl. auch Brintzinger, S. 143).

V. Vergleich und Ergebnis Als Vergleich und Ergebnis gilt folgendes: Für den polnischen Adelsbegriff im Vergleich zum deutschen: In Deutschland verbergen sich hinter dem einen Begriff "Adel" zwei rechtlich unterschiedene Stände, in Polen dagegen ein sozial unterschiedener Stand. In Deutschland beläuft sich der gesamte Adel zahlenmäßig auf Bruchteile von Prozenten der Gesamtbevölkerung, in Polen dagegen mit rund 10 Ofo der Gesamtbevölkerung ist er unvergleichlich höher. Für die Unterschiede im Herkommen gilt: In Deutschland stammt der Hochadel aus edelfreier Schicht, der Niedere Adel im Kern aus unfreiem Ministerialentum, in Polen dagegen entstammt die Szlachta einer freien Kriegerschicht. Für die Unterschiede im Aufstieg der jeweiligen Adelsgesellschaften gilt: Rechtsgrundlage in Deutschland ist das Lehnsrecht, in Polen dagegen das ius militare. In Deutschland führt das Lehnswesen beim Hochadel zur Erblichkeit der Lehen in Form von Grundbesitz und hoher Ämter, so daß er die obersten Ränge der Lehnspyramide einnehmen und behaupten kann, einen eigenen hochadeligen Rechtskreis bildet und allein unmittelbare Vollrechtsbeziehungen zum Herrscher unterhält. Der Niedere Adel, der sich nach Beitritt von schöffenbar Freien und Gruppen von Edelfreien über Lehnswesen und Rittertum gebildet hat, kann nur untere Ränge der Lehnspyramide besetzen. Er bildet einen eigenen Zwischenrechtskreis, angesiedelt und abgeschlossen zwischen Hochadel und Bürger- bzw. Bauerntum. Er ist in seinen Rechtsbeziehungen zur Spitze mediatisiert und reicht allein bis zum unmittelbaren Lehnsherrn. In Polen dagegen erwirbt der gesamte Adel allodialen Grundbesitz. Die Ämtererblichkeit wird verhindert. Unmittelbare Rechtsbeziehungen ohne Abstufungen knüpfen sich zwischen jedem Einzelnen und dem Herrscher. Ein einziger Rechtskreis umfaßt den gesamten Adel. Alle unterhalten Vollrechtsbeziehungen zur Spitze.

V Vergleich und Ergebnis

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In Deutschland ist demzufolge der Hochadel alleiniger Teilhaber an der Reichsverfassung. Allerdings gelten dazu auch noch für ihn rechtliche Abstufungen, die etwa die Kurfürsten besonders herausheben. Weitere Abstufungen des Hochadels folgen später durch Mediatisierung und Depossedierung. Für den Niederen Adel gilt in diesem Zusammenhang eine Differenzierung: Die Reichsritterschaft ist teilweise an der Reichsverfassung beteiligt, der landsässige Adel gar nicht. Für Polen gilt dagegen, daß die ganze Szlachta an der Verfassung und allen ihren Rechten teilhat, sie entwickelt sich zum Souverän. Untereinander herrschen keine Rechtsabstufungen, sondern der Grundsatz der aequalitas. Für den Genossenschaftsgedanken gilt: In Deutschland stehen Einzelner und Korporation in einem natürlichen Spannungsverhältnis: ohne den Versuch einer künstlichen Rechtskonstruktion von Verwandtschaft, schließt sich der Einzelne aus seiner Einzelstellung heraus zu Genossenschaften zusammen, die er dann als Mittel und Werkzeug zur Erringung bzw. Behauptung einer Rechtsstellung eher punktuell je nach Bedarf einsetzt. Dieser stark beruflich und dienstrechtlich akzentuierte Korporationsgedanke ist insofern also eher eine Frage des formal-methodischen "Wie". In Polen dagegen tritt der Einzelne erst gar nicht aus der Genossenschaft, die eine solche des - bei Bedarf sogar künstlich erweiterten Geschlechts ist, heraus. Nicht nur dieses einzelne Geschlecht, sondern in immer höheren konzentrischen Kreisen der gesamte Adel ist als ein großes Geschlecht, nämlich im wörtlichen Sinne als Szlachta unter gleichem Recht zusammengeschlossen. Dieser permanent vorhandene korporative Gedanke ist in Polen folglich eine Frage des "Wer", also der Identität. Zur Rechtsnatur der Korporation gilt: Ihre Rechtsnatur wechselt in Deutschland: bis zum Lehnszeitalter beim gesamten Adel herrschaftliche Genossenschaft, genauer: eine Anzahl rechtsunterschiedlicher Genossenschaften in jedem Herrschaftsverband, ist sie nach dessen Verfall freie Genossenschaft, bis hin zum Reich selbst als gewillkürter Genossenschaft der Stände. Nach dem Scheitern der freien Einungen bestehen Unterschiede bei Hochadel und Niederem Adel: der Hochadel bewahrt den Rechtscharakter freier genossenschaftlicher Einungen, das Reich selbst

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V Vergleich und Ergebnis

bleibt eine freie Einung der Stände durch den ewigen Landfrieden (1495). Beim Niederen Adel verbleibt die Genossenschaft bei den Reichsrittern freie Einung, während der landsässige Adel nunmehr in herrschaftlichen Genossenschaften zusammengeschlossen ist. In Polen dagegen ist es eine einzige sich ausfaltende freie Genossenschaft von Standesgenossen unter einem Recht. Der Staat ist die freie Einung der Adelsnation, bei der kein einziger Gutsbesitzer, geschweige denn eine Provinz bei der Bildung des communis consensusübergangen werden darf. In Deutschland ist es innerhalb der zwei großen Rechtskreise des Reiches bzw. der Landesstaaten jeweils ein Ständestaat, d. h. eine Korporation verschiedener Stände - in den Landesstaaten im Absolutismus allerdings z. T. ausgeschaltet. In Polen dagegen ist es die einheitliche Korporation eines monistischen Adelsstaates. Für die Struktur gilt: In Deutschland ist es eine Rangstruktur mit rechtlich verschiedenen Adelsstufen, eingeteilt zunächst in die beiden großen Rechtskreise von Hochadel und Niederem Adel, sodann noch einmal mit hierarchischen Differenzierungen innerhalb dieser Gruppen. Beim Hochadel: von der gemeinsamen Basis des Ebenbürtigkeitsrechts ausgehend, ist dieser Hochadel in einzelnen autonomen Häusern rechtlich abgeschlossen und verfassungsrechtlich nochmals durch verschiedene Ränge (vgl. die Bänke des Reichstags), später auch in Mediatisierte und Depossedierte unterteilt. Beim Niederen Adel findet sich die rechtliche Differenzierung von Reichsritterschaft und landsässigem Adel sowie innerhalb des letzteren nochmals eine Rangordnung. In Polen dagegen steht die Szlachta unter dem Verfassungsprinzip der aequalitas. Häuserbildung und Ebenbürtigkeitsrecht gibt es nicht. Anstelle einer Rechtsstruktur besteht eine soziale Struktur von großer materieller Spannweite. Für die Rechtsstellung gilt: In Deutschland bestehen in dieser Hinsicht zwischen Hochadel und Niederem Adel fundamentale Unterschiede. Beim gesamten Hochadel ist die Rechtsstellung zunächst eine umfassende, nach dem Ende des Reiches haben sich auch bei Mediatisierten und Depossedierten Rudimente dieser ehedem umfassenden Rechtsstellung erhalten. Allerdings bleibt bei ihm nochmals eine besondere Grup-

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pe durch das Elektionsrecht hervorgehoben und behält diese herausgehobene Stellung bis zum Untergang des Reiches. Beim Niederen Adel sind es stets nur Teilbereiche, in denen er Vorrechte, schließlich bloße Ehrenrechte innehat, wiederum rechtlich differenziert zwischen Reichsritterschaft und landsässigem Adel. In Polen dagegen ist die "goldene Freiheit" die Zusammenfassung umfassender Rechte, die dem Einzelnen und der Gemeinschaft zustehen. Für die Adelsbezeichnungen gilt: In Deutschland spiegeln die Adelsbezeichnungen die Entwicklung des Rechtssystems wieder. Die erblich gewordenen Ämter und Ränge dieser Ämter werden durch das Namenssystem in der Form der Amtstitel wiedergegeben. Das Wappen hat keine unmittelbare Verbindung zum Namen. In Polen dagegen drückt sich das Verfassungsprinzip der aequalitas insofern in den Adelsbezeichnungen aus, als es keine erblich gewordenen Ämter- und Rangbezeichnungen gibt. Das Geschlechterwappen hat einen eigenen Namen, der neben dem Familiennamen existiert und neben ihm als Adelszeichen geführt werden kann. Der bloße Familienname, der auch ohne Wappennamen geführt werden kann, beinhaltet keinerlei Hinweis auf die Zugehörigkeit zum Adel. Als Ergebnis ist festzuhalten: Eine Anpassung polnischer an deutsche Adelsbezeichnungen scheidet aus folgenden Gründen aus: Voraussetzung für eine Übertragung bzw. Anpassung wäre ein auf beiden Seiten gleicher Adelsbegriff. Das ist nicht gegeben. Schon der Adelsbegriff Deutschlands deckt sich nicht mit dem Adelsbegriff Polens. Vollrechtsinhaber in Deutschland waren lediglich die Kurfürsten, Vollrechtsinhaber in Polen alle Adligen. Diese unterschiedlichen Adelsbegriffe spiegeln sich auch in den Adelsbezeichnungen wider, so daß die Bezeichnungen des einen Landes im System der Adelsbezeichnungen des anderen Landes keine Entsprechungen finden können. Das gilt vor allem für die Hierarchie im Titelwesen Deutschlands, die sich in Polen nie durchsetzen konnte. Doch auch im übrigen sind die Systeme der Adelsbezeichnung in Deutschland und Polen nicht kommensurabel: Wollte man mit Müller dem Adel den Familiennamen ganz absprechen und ihm lediglich einen das Gemeinschaftsprinzip stärker betonenden Geschlechternamen zubilligen, so wäre in Polen auf dieser Ebene des Gemeinschaftsprinzips evtl. der Wappenname anzusiedeln.

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Dann bliebe allerdings immer noch der Familienname übrig, den, wie gesagt, die Szlachta ebenfalls führte. Sieht man mit Rensch im "von" und den höheren Adelstiteln Adelszeichen, die gesondert neben dem Familiennamen stehen, so müßte man auf dieser Ebene für Polen den Wappennamen als solch ein Adelszeichen betrachten. Dieses Adelszeichen stünde dann aber nicht obligatorisch neben dem Familiennamen, wie es das Adelszeichen des deutschen Adels tut. Schließlich verbietet sich eine Überleitung der Adelsbezeichnung für die in Deutschland lebenden Polen, die oder deren Vorfahren der Märzverfassung von 1921 unterlagen, noch aus folgenden Gründen: Ihr Name gehört zu den Persönlichkeitsrechten, die als Teil des Personalstatuts nach den Regeln des deutschen Internationalen Privatrechts (IPR) gemäß allgemein herrschender Auffassung dem Heimatrecht folgen 1 . Da dieses Heimatrecht in der Märzverfassung jeglichen Hinweis auf adlige Abstammung verneint, kann dieser Personenkreis auch in Deutschland keinerlei Adelsbezeichnung führen. Auch auf einen durch die Novelle zum Namensänderungsgesetz vom 29. August 1961 in § 3 a NÄG2 konkretisierten wichtigen Grund für eine Namensänderung im Sinne einer einzuführenden Adelsbezeichnung könnte sich dieser Personenkreis nicht berufen. Zum einen richtet sich diese Vorschrift nur an deutsche Staatsangehörige, zum anderen läge auch bei Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit kein wichtiger Grund zur Namensänderung vor. Der Gesetzgeber sieht nämlich den wichtigen Grund darin, daß der Antragsteller selbst oder seine männlichen Vorfahren durch ein Gesetz oder eine Verwaltungsmaßnahme des früheren Heimatstaates, die überwiegend Angehörige einer deutschen Minderheit getroffen hat, daran gehindert ist, den früheren Familiennamen (Adelsbezeichnung) zu führen. Das trifft z. B. auf die deutschstämmige Ritterschaft der ehern. baltischen Staaten zu. Insofern die Märzverfassung von 1921 polnische Adelsbezeichnungen nicht anerkennt, war dadurch aber keine deutsche Minderheit betroffen. Eine Namensänderung aufgrund des Gesetzes über die Änderung von Familien- und Vornamen scheidet daher ebenfalls aus. Die deutsche Rechtsordnung bietet also Mitgliedern polnischer Adelsfamilien keine Möglichkeit, in ihrem Namen einen Hinweis auf die adlige Abstammung zu führen. 1 RGZ 117, 218; KG JW 32, 2818, OVG Münster StAZ 1961, 191; 1963, 12; 1965, 132. 2 BGBl I, 1621.

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