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German Pages 176 [188] Year 1998
Linguistische Arbeiten
383
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Deskriptive Grammatik und allgemeiner Sprachvergleich Herausgegeben von Dietmar Zaefferer
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Deskriptive Grammatik und allgemeiner Sprachvergleich / hrsg. von Dietmar Zaefferer. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Linguistische Arbeiten ; 383) ISBN 3-484-30383-2
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Dnick GmbH, Darmstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nädele, Nehren
Inhalt Vorwort Dietmar Zaefferer
vii Einleitung: Allgemeine Vergleichbarkeit als Herausforderung für die Sprachbeschreibung
1
Erster Teil:
Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken
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Bernard Comrie
Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken: Allgemeine Bemerkungen
7
William Croft
Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken: Die Beschreibung sprachlicher Formen
17
Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken: Die Beschreibung sprachlicher Funktionen
29
Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken: Anwendung des Beschreibungsmodells auf die nominale Possession im Yukatekischen
39
Dietmar Zaefferer
Christian Lehmann
Zweiter Teil:
Probleme der allgemein vergleichbaren Beschreibung sprachlicher Phänomene
53
Jürgen Bohnemeyer
Sententiale Topics im Yukatekischen
55
Stephanie Eschenlohr
Probleme der Nomen-Verb-Unterscheidung bei der Analyse chinesischer Komposita
87
Beatrice Primus
Dekomposition semantischer Rollen und gespaltene Intransitivität
105
Zur Interaktion von semasiologischer und onomasiologischer Grammatik: Der Veibkomplex im Jaminjung
149
Eva Schultze-Bemdt
Die Beiträger
177
Vorwort
Bücher haben ihre Schicksale, so auch dieses, dem aus den verschiedensten Gründen eine ungewöhnlich lange Entstehungszeit beschieden war. Seine Konzeption geht zurück auf eine von Christian Lehmann und Dietmar Zaefferer koordinierte Arbeitsgruppe mit der gleichen Benennung auf der 15. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, die vom 3. bis 5. März 1993 in Jena stattfand. Seine Inhalte decken sich aber nur mehr sehr partiell mit dem, was damals vorgetragen wurde, vielmehr wurde die Gelegenheit zur Aktualisierung, die die Verzögerungen boten, auch genutzt, so daß der Verweis auf die Entstehungsgeschichte nur der Ordnung halber hier angebracht wird. Im übrigen handelt es sich hier auch nicht um die kurzlebige Ware aktueller Theoriediskussion, sondern um den konzeptionellen Hintergrund für ein langfristig angelegtes Projekt, in dem eine Datenbank für Referenzgrammatiken entwickelt wird, die möglicherweise im nächsten Jahrtausend als Standardbasis für linguistische Theoriebildung herangezogen werden wird. Mögen die Beiträge zu diesem Band und die Reaktionen darauf den Fortschritt befördern, den die Informationstechnologie für die Sprachwissenschaft bei geschickter Nutzung bedeuten kann. München, im September 1997 Dietmar Zaefferer
Dietmar Zaefferer (Universität München)
Einleitung: Allgemeine Vergleichbarkeit als Herausforderung für die Sprachbeschreibung Manche Sprachtheoretiker neigen dazu, die Nase zu rümpfen über bloße Sprachbeschreibung. Das Streben nach Erklärungsadäquatheit hat die Bemühungen um gute Sprachbeschreibungen oft in den Hintergrund treten lassen. Zu Unrecht, denn wirklich gute deskriptive Grammatiken haben nach wie vor Seltenheitswert, zumal wenn sie einzelsprachliche Adäquatheit mit universaler Vergleichbarkeit zu verbinden versuchen, ohne daß dabei die eine auf Kosten der anderen ginge. Es werden immer noch einerseits Sprachbeschreibungen über den Leisten von an wenigen Sprachen gewonnenen Theorien geschlagen, wodurch Vergleichbarkeit auf Kosten der Adäquatheit erzwungen wird; andererseits werden Sprachbeschreibungen den Einzelsprachen so auf den Leib geschneidert, daß die allgemeine Vergleichbarkeit der Erfassung des einmaligen Sprachcharakters zum Opfer fällt. Dies ist ein für deskriptive wie fiir explanative Zielsetzungen gleichermaßen unbefriedigender Zustand. Der Nachteil für deskriptive Zielsetzungen liegt weniger klar auf der Hand, darum sei er als erster angesprochen. Die gern vertretene Ansicht, der Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit einer Einzelsprache könne nur dadurch voll Rechnung getragen werden, daß sie mit Mitteln beschrieben werde, die ganz im Hinblick auf sie verfeinert oder gar entwickelt wurden, beruht nämlich auf einem fundamentalen Fehlschluß. Statt die Spezifika der Objektsprache klar herauszuarbeiten und damit dem erklärten Ziel zu dienen, verdunkeln die Vertreter dieser Position den Unterschied zwischen allgemeinen und spezifischen Zügen ihres Gegenstandes. Sie vermitteln zwar einerseits den globalen Eindruck, daß in der beschriebenen Sprache alles irgendwie anders sei, machen es aber andererseits unmöglich, genau festzumachen, wo denn welche konkreten Unterschiede bestehen (und wo zum Beispiel Übersetzungprobleme vorherzusehen sind). Der Nachteil für explanative Zielsetzungen ist offensichtlicher. Von einem gesicherten, nichtspekulativen Verständnis des Phänomens menschliche Sprache, einem wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Menschen durch ihn selbst, sind wir gegenwärtig noch recht weit entfernt. Eine zunehmende Ersetzung von Spekulation durch Empirie bedarf aber eines immer zuverlässigeren Überblicks über die Fülle der zu beobachtenden Phänomene. Einen solchen sich zu verschaffen wird aber so lange eine unnötig schwierige Aufgabe sein, wie Sprachbeschreibungen erstellt werden, ohne daß das Kriterium der allgemeinen Vergleichbarkeit beachtet würde. Abgeholfen werden kann diesem unbefriedigenden Zustand nur durch verstärkte Interaktion und Kooperation von Grammatikographie (einschließlich Feldforschung), Sprachtypologie und Grammatiktheorie. Dabei sind Fragen zu klären wie die folgenden: • Gegeben die Einzigkeit jeder zu beschreibenden Sprache einerseits und die Gültigkeit absoluter und implikativer Universalien andererseits: Wie kann eine Grammatik den Erfordernissen der einzelsprachlichen Adäquatheit und der universellen Vergleichbarkeit gleichzeitig genügen? • In welcher Form können und sollen Erkenntnisse der vergleichenden Sprachwissenschaft, der Universalienforschung und der Typologie in deskriptive Grammatiken eingehen?
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Dietmar Zaefferer
• Welche Richtlinien für die Abfassung von deskriptiven Grammatiken sind aus den verschiedenen Grammatiktheorien abzuleiten? • Welche Erfahrungen und welche Anforderungen an den Aufbau einer deskriptiven Grammatik erwachsen aus der Feldforschungs- und Beschreibungspraxis? • Gegeben die multiple Zuordnung von Inhalten und Funktionen auf der einen Seite zu Ausdrücken und Strukturen auf der anderen: Wie ist eine Einzelgrammatik so aufzubauen, daß das Zusammengehörige zusammensteht, das Zentrale vom Peripheren unterschieden wird, Zusammenhänge deutlich werden, kurz die Sprache in ihren Bauprinzipien verständlich wird? Und wie lassen sich diese Ziele mit dem der allgemeinen Vergleichbarkeit vereinbaren? • Wodurch läßt sich die universale Anwendbarkeit von Beschreibungskategorien begründen: durch Definitionen, durch Prototypen oder auf welche andere Weise? Auf dem Weg zu einer Behebung des angesprochenen Defizit ist die Klärung solcher Fragen jedoch nur ein Schritt, dem ein weiterer folgen muß: der der praktischen Umsetzung. Der erste Teil des vorliegenden Bandes befaßt sich mit der Vorstellung eines Ansatzes für eine solche praktische Umsetzung, der im Zuge einer mal engeren, mal lockereren Kooperation von den vier Autoren dieses Teils erarbeitet worden ist und dessen elektronische Realisierung in den nächsten zwei Jahren vorliegen soll. Die elektronische Umsetzung in Form einer Datenbank macht einen wesentlichen Unterschied gegenüber dem Vorgängerunternehmen aus, das vor zwanzig Jahren in der Zeitschrift "Lingua" gestartet wurde mit der Veröffentlichung des Fragebogens der 'Lingua Descriptive Studies' (Comrie/Smith 1977), und das inzwischen zu mehr als zwanzig Grammatiken geführt hat, die dem Kriterium der allgemeinen Vergleichbarkeit genügen, weil alle nach dem Muster des gemeinsam zugrundeliegenden Fragebogens, der als eine Art Inhaltsverzeichnis dient, aufgebaut sind. Es ist erfreulich, daß Bernard Comrie parallel zu Weiterführung des ersten, buchorientierten Projekts auch an dessen rechnerbasierter Neukonzeption beteiligt ist, und es lag nahe, ihm den einführenden, allgemeinen Beitrag zum ersten Teil dieses Buches anzuvertrauen. Darin spricht er wichtige Aspekte des Übergangs von einem Medium zum anderen an und darin nennt er auch freimütig einige Unzulänglichkeiten des ersten Ansatzes, die in dem Nachfolgeprojekt vermieden werden sollen. Dazu gehört die mangelnde Trennung von formbezogener und funktionsbezogener Organisation von Daten. Wie diese Trennung im Rahmen der Neukonzeption sauber durchgeführt werden kann, wird schon aus der Gliederung des ersten Teils deutlich: Der Beschreibungsrahmen enthält zwei separate Teile, einen formbezogenen und einen inhaltsbezogenen, funktionalen. William Croft zeigt in seinem Umriß des ersteren, daß nur ein Teil der formalen Beschreibungskategorien in rein formalen Termini definierbar ist und daß die Mehrheit einer funktionalen Begründung bedarf. Und hier liegt nun eine der zentralen Herausforderungen des Kriteriums der allgemeinen Vergleichbarkeit für die Beschreibung einer Einzelsprache: Formale Kategorien sind häufig in einem gewissen Sinn unvergleichbar. So gibt es zum Beispiel in koreanischen Verbparadigmen das Phänomen der -fco-Formen. Es wäre sicher deskriptiv adäquat, sie als solche zu bezeichnen und dann in ihren Formen und Funktionen zu beschreiben, solange es nur um das Koreanische geht, im Hinblick auf den allgemeinen Sprachvergleich wäre ein solches Vorgehen katastrophal, denn eine lautbezogene Bezeichnung dieser Kategorie würde etwa den Vergleich mit slawischen Di-
Allgemeine Vergleichbarkeit als Herausforderung fiir die Sprachbeschreibung
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minutiven fördern, aber nicht den mit Gerundien. Die -fco-Formen werden aber üblicherweise als Gerundien bezeichnet, da zu ihren Funktionen die Bildung von Verlaufsformen (zusammen mit der Kopula) gehört. Zu ihren Funktionen gehören aber auch noch andere wie z.B. eine Art konjunktive Verknüpfung, was die Bezeichnung als Gerund wieder problematisch erscheinen lassen mag. Der Ausweg, den Croft vorschlägt, ist eine cum-grano-salis- Vergleichbarkeit aufgrund der Definition formaler Kategorien in Termini nicht ihres gesamten Funktionspotentials, sondern ihrer prototypischen Funktion. Im Beitrag von Dietmar Zaefferer wird dann das Inventar an funktionalen Deskriptoren vorgestellt, das bei Croft schon angesprochen wurde. Die Systematik, in der diese angesiedelt sind, beruht auf einer Reihe von funktionalen Universalienhypothesen, die ebenfalls vorgestellt werden, und von denen angenommen wird, daß sie relativ unkontrovers und somit für Linguisten verschiedener Schulen akzeptabel sind. Grundlegend sind hier die folgenden Annahmen: Erstens gibt es einen Unterschied zwischen sortaler und prädikativer Charakterisierung von Entitäten, wobei erstere von grammatischen Funktionsträgern (Grammemen) und letztere von lexikalischen Funktionsträgern (Lexemen) geleistet wird. Zweitens kann Charakterisierung prädizierend eingesetzt werden, nämlich bei der Konstitution von Propositionen, oder aber restringierend, nämlich in Referenzakten. Drittens sind für alle Formen sprachlichen Handelns die drei Akte Illokutionskonstitution, Propositionskonstitution und Referenz zentral. Viertens müssen bei den Referenzakten aufnehmende, einführende und virtuelle (quantifizierende) Arten des Referierens unterschieden werden. B e i der Referenzeinführung spielt die relationale Restriktion durch Bezugnahme auf einen bereits eingeführten Referenten eine wesentliche Rolle, und die wichtigste Relation in diesem Zusammenhang ist wohl die Possessionsrelation. Von dieser handelt der Beitrag von Christian Lehmann, der das Funktionieren des vorgestellten Strukturrahmens am Beispiel des Yukatekischen illustriert, indem er den Bereich der nominalen Possession einmal aus der formorientierten und einmal aus der funktionsorientierten Perspektive beleuchtet. Im zweiten Teil werden dann ausgewählte Probleme der Sprachbeschreibung diskutiert, und zwar im Hinblick auf den allgemeinen Sprachvergleich. Drei der vier Beiträge sind auf Einzelsprachen fokussiert, der vierte, von Primus, illustriert seine Thesen vornehmlich an vier weiteren Sprachen, so daß hier eine recht breit gestreute Sprachenstichprobe vertreten ist: V o m Kaukasus (Batsisch) über Nord- (Tlingit), Mittel- (Yukatekisch) und Südamerika (Guaraní), Kontinentalasien (Chinesisch), Indonesien (Atschechisch) bis Australien (Jaminjung) Jürgen Bohnemeyers Beitrag stellt die formale Kategorie des Topicsatzes in der Ausprägung vor, die sie im Yukatekischen findet, und untersucht das Spektrum an Funktionen, das damit in dieser Sprache verbunden ist. Darüber hinaus vergleicht es aber auch mit dem Funktionspotential der gleichen Kategorie in anderen Sprachen und zeigt so, wie eine Beschreibung eines Einzelphänomens einer Einzelsprache in dem Moment zugleich implizit eine typologische Einordnung in die Gesamtheit entsprechender Phänomene bedeutet, in dem es das Kriterium der allgemeinen Vergleichbarkeit erfüllt. Ein Argument dafür, daß der Sprachvergleich nur im funktionalen Bereich eine sichere Verankerung hat und daß Vergleiche aufgrund von formalen Kategorien immer mit dem Risiko behaftet sind, nur eingeschränkt gültig zu sein, läßt sich aus der Tatsache ableiten, daß die Dis-
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Dietmar Zaefferer
kussion um die Universalität der Nomen-Verb-Unterscheidung noch längst nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann.1 Die Arbeit von Stephanie Eschenlohr zur Problematik der NomenVerb-Distinktion im Chinesischen (bei der auch die Silbenzahl eine Rolle spielt) macht unter anderem deutlich, daß die Frage nach dem Grad der Ausgeprägtheit einer solchen Distinktion in einer Sprache jedenfalls fruchtbarer sein dürfte als die Frage nach ihrer An- oder Abwesenheit, und daß dieser Grad im Chinesischen sicher deutlich geringer ist als im Deutschen. Der Beitrag von Beatrice Primus gilt dem typologischen Raum der möglichen Zuordnungen von semantischen Rollen und den sie kodierenden formalen Mitteln wie Kasusmarkierung etc., bei dessen Diskussion Begriffe wie akkusativischer, ergativischer und aktivischer Sprachbau eine wichtige Rolle spielen. Sie zeigt, daß mit Hilfe einer verbesserten Version von Dowtys dekompositionaler Auffassung der semantischen Rollenbegriffe das definierende Merkmal des aktivischen Sprachbaus, das der gespaltenen Intransitivität, als weitgehend semantisch gesteuert nachwiesen werden kann, wobei dieses Phänomen auch in Sprachen anderen Typs zu beobachten ist, nur dort weniger massiv und auffällig. Dieser Beitrag macht besonders deutlich, wie sich aus der Bemühung um allgemeine Vergleichbarkeit Hypothesen für die Einzelsprachbeschreibung ableiten lassen, die deren Systematizität und Motiviertheit dramatisch erhöhen können. Eine besonders augenfällige Demonstration der Vorzüge einer auf allgemeine Vergleichbarkeit gerichteten bidirektionalen (form- und funktionsorientierten) Einzelsprachbeschreibung stellen schließlich die Ausführungen von Eva Schultze-Berndt zum Verbkomplex im Jaminjung dar, wo die genaue Bestimmung des Verhältnisses von flektierter Verbform und unflektiertem Begleiter, von Schultze-Berndt Koverb genannt, alles andere als leicht ist, da es zwar mit dem zwischen den Bestandteilen von Partikelverbkonstruktionen, Funktionsverbgefügen und Auxiliar-Infinitum-Komplexen vergleichbar, aber von allen genannten auch verschieden ist. Gemeinsam ist den Beiträgen zu diesem Buch die Zuversicht, daß die Idee der allgemeinen Vergleichbarkeit einen Katalysator bilden kann für eine fällige Intensivierung des wechselseitigen Ansporns zur Weiterentwicklung, den Sprachbeschreibung einerseits und linguistische Theoriebildung andererseits füreinander bedeuten sollten. Die Mittel der eletronischen Organisation großer Datenmengen können dazu beitragen, das empirisch-deskriptive Fundament der allgemeinen Sprachtheorie erheblich zu verbreitern und zu stärken. Voraussetzung hierfür ist freilich, daß für ihren Einsatz die Basis einer soliden Konzeption zur Verfügung steht. Dieses Buch hat seinen Zweck erfüllt, wenn es als Beitrag zur Entwicklung einer solchen aufgenommen wird und die entsprechenden Reaktionen, zustimmende oder ablehnende, hervorruft.
Literatur Broschart, Jürgen (1997): Why Tongan does it differently: Categorial distinctions in a language without nouns and verbs. - In: Linguistic Typology 1, 123-165. Comrie, Bernard, and Smith, Norval (1977): Lingua Descriptive Studies: questionnaire. - In: Lingua 42, 1-72.
So hat zum Beispiel Jürgen Broschart unlängst das Tonganische als Gegenbeispiel gegen diese Universalienhypothese dargestellt, vgl. Broschart 1997.
Erster Teil Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken
Bernard Comrie (University of Southern California)
Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken: Allgemeine Bemerkungen*
1. Die Motivation für deskriptive Grammatiken Die erste Frage, die sich bei der Betrachtung von deskriptiven Grammatiken erhebt, ist die nach der Funktion, die solche Grammatiken haben. In diesem Zusammenhang treten wenigstens die folgenden Gesichtspunkte ins Blickfeld. Erstens, gute Linguistik beruht auf guter Beschreibung, oder, etwas anders ausgedrückt, Linguistik kann immer nur so gut sein wie das deskriptive Material, auf dem sie beruht. Dieser Punkt ist vielleicht so offensichtlich, daß er kaum Erwähnung verdient - und in der Tat würde er kaum Erwähnung verdienen, wäre da nicht die Tatsache, daß die Wichtigkeit guter Beschreibung in bestimmten linguistischen Richtungen nicht erkannt zu werden scheint, oder daß ihr wenigstens nicht das Gewicht gegeben wird, das ihr zukommt. Auf der anderen Seite sollte diese Bemerkung nicht so verstanden werden, daß der wichtige Rückkopplungseffekt linguistischer Theorie für die deskriptive Linguistik verneint wird. Deskriptive und theoretische Linguistik entwickeln sich Hand in Hand, ein Faktor, dem eine gewisse Relevanz für den Aufbau eines strukturellen Rahmens für deskriptive Grammatiken in den Abschnitten 3 und 4 zukommt. Ein Beispiel für das Zusammenspiel von Theorie und Beschreibung kann man bei der kürzlich vorgeschlagenen radikalen Änderung der Analyse japanischer Relativsätze von Matsumoto (1988) beobachten. Das japanische Übersetzungsäquivalent von das Buch, das der Student kaufte hat die Struktur '[Student NOMINATIV kaufen-PRÄTERLTUM] Buch'. Während die meisten jüngeren Studien annahmen, daß der Relativsatz eine Lücke hat, die dem direkten Objekt entspricht, das mit dem Kopf der Relativsatzkonstruktion verbunden ist, argumentiert Matsumoto, daß eine insgesamt bessere Analyse erreicht werden kann, wenn man annimmt, daß die Konstruktion einfach ein nominaler Kopf ist, der von einem Attributsatz als Nominalphrase begleitet wird. Die spezielle Interpretation als Relativsatz folgt eher aus pragmatischen Gründen denn aus der grammatischen Struktur. Dies steht in Einklang mit der Tatsache, daß 'Student NOMINATIV kaufen-PRÄTERLTUM' ebenfalls ein wohlgeformter Satz im Japanischen ist, mit der Bedeutung 'der Student kaufte es', und mit der Tatsache, daß die Struktur die gleiche ist wie in '[Student NOMINATIV Buch AKKUSATIV kaufen-PRÄTERITUM] Tatsache', übersetzt die Tatsache, daß der Student das Buch kaufte, wobei es hier keine Möglichkeit für eine Lücke im Nebensatz gibt. Wenn man Matsumotos Analyse akzeptiert, dann hat das erhebliche Auswirkungen auf die deskriptive Grammatik des Japanischen (und zumindest eine Reihe weiterer ost- und südostasiatischer Sprachen), da diese dann die formale Kategorie "Relativsatz" nicht mehr benötigt, ja sogar nicht mehr zuläßt. *
Übersetzung von Christian Strömsdörfer und Dietmar Zaefferer.
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Bernard Comrie
Zweitens, Linguisten verschiedener Überzeugungen, von Typologen bis zu generativen Grammatikern, haben die Wichtigkeit sprachübergreifender Variation erkannt. Genauer gesagt ist es eines der Hauptziele der Linguistik, ein Sprachmodell zu entwerfen, das eingeschränkt genug ist, um interessant zu sein - und um zum Beispiel Sprache von anderen Kommunikationssystemen zu unterscheiden - und gleichzeitig flexibel genug, um die ganze Bandbreite sprachübergreifender Variation zuzulassen, die belegt ist, oder genauer: die möglich ist. Um jedoch sprachübergreifend vergleichen zu können, ist es angesichts der Tatsache, daß kein einzelner Linguist über ein hinreichend detailliertes Wissen über die Anzahl von Sprachen verfügen kann, die notwendig für einen angemessenen sprachübergreifenden Vergleich ist, von zentraler Bedeutung, daß verläßliches und vergleichbares Material für die Sprachen der Welt verfügbar ist. Ich werde in Abschnitt 2 auf die entscheidende Frage nach der sprachübergreifenden Vergleichbarkeit zurückkommen. Drittens ist es eine anerkannte Tatsache, daß ein beachtlicher Teil der Sprachen der Welt vielleicht 90% - bedroht sind und fast mit Sicherheit in den nächsten 100 bis 200 Jahren aussterben werden (Haie et al. 1992). Es ist nicht mein Ziel, in diesem Papier die sozialen Dimensionen dieses Problems zu untersuchen, insbesondere die Versuche, Sprachen vor dem Aussterben zu retten; aber selbst in den optimistischsten Vorhersagen über das Gelingen von Versuchen, bedrohte Sprachen zu erhalten, ist es klar, daß Linguisten in hundert oder zweihundert Jahren eine deutlich geringere Bandbreite von Sprachen zur Verfügung haben werden als heute. Bei jenen Sprachen, die in der nächsten Zukunft aussterben werden, ist es dringend notwendig, so viel wie möglich zu erhalten, sowohl zum Nutzen der Linguistik und auch selbstverständlich allgemeiner zum Nutzen des Verständnisses der Menschheit für sich selbst, als auch zum Vorteil von Mitgliedern von Gemeinschaften, deren Sprache ausgestorben ist. Das bedeutet, daß in den unmittelbar kommenden Jahrzehnten intensive Anstrengungen unternommen werden müssen, bedrohte Sprachen zu beschreiben - nicht nur ihre Grammatiken, obwohl dies der Schwerpunkt dieses Artikels ist, sondern auch ihr Wortschatz, mit Hilfe von Wörterbüchern und durch die Dokumentation von Texten verschiedener Textsorten in der Sprache. Wenn wir auch nur die geringste Hoffnung haben wollen, die Grammatiken bedrohter Sprachen adäquat zu beschreiben, so ist es angesichts der Notwendigkeit, Linguisten schnell und effizient für diese Art von Arbeit auszubilden, wichtig, einen so sorgfaltig wie möglich ausgearbeiteten Rahmen für grammatische Beschreibung zu haben. Auf diese Weise muß nicht jeder Feldforscher ganz von vorne beginnen, oder auf einem sehr elementaren Niveau, wenn er sich einen angemessenen Beschreibungsapparat ausdenkt, wie das in der Praxis linguistischer Feldforscher leider viel zu häufig der Fall ist.
2. Beschränkungen für gute deskriptive Grammatiken Die Beschränkungen für gute deskriptive Grammatiken, die im folgenden vorgestellt werden, sind nicht nach ihrer Wichtigkeit geordnet - alle diese Beschränkungen sind unabdingbar, wenn deskriptive Grammatiken ihren Zweck erfüllen sollen.
Allgemeine
Bemerkungen
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Eine Bedingung ist natürlich, daß die in Frage stehende Grammatik korrekt sein sollte, sowohl in der Darstellung der Daten als auch in ihrer Analyse. Dies ist wiederum eine Bedingung, die so offensichtlich zu sein scheint, daß sie nicht der Erwähnung bedürfe, aber in der Praxis ist es keineswegs einfach, das Adäquatheitsniveau, das diese Bedingung impliziert, auch tatsächlich zu erreichen. Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern, das aus einem speziellen Problembereich stammt. Bei der Beschreibung der Bedeutung einer bestimmten grammatischen Kategorie (ebenso, gelegentlich, von lexikalischen Einheiten) ist es wichtig, sorgfaltig zwischen der Semantik (Bedeutung, Sinn) dieser Kategorie und der Interpretation zu unterscheiden, die sie in bestimmten Kontexten erhält. Obwohl die meisten Linguisten dieser Unterscheidung im Prinzip zustimmen dürften, ist es in der Praxis doch sehr viel schwieriger, sie auch durchzufuhren. Zum Beispiel enthalten Darstellungen des englischen präteritalen Habituativs, wie in Bill used to live in Paris, häufig die Aussage, es gehöre zur Bedeutung dieser Kategorie, daß die beschriebene Situation nicht mehr besteht, das heißt in dem genannten Beispiel, daß Bill nicht mehr in Paris lebt. Und das ist sicherlich die Interpretation, die dieser Satz normalerweise erhält. Man kann jedoch, wenn man den Kontext ein wenig variiert, leicht zeigen, daß die Folgerung des NichtMehr-Bestehens der Situation nicht zur Bedeutung gehört. Zum Beispiel kann man diese Folgerung explizit aufheben, etwa in Bill used to live in Paris, and still does, oder in Bill used to live in Paris, and as far as I know he still does (zum Beispiel als Antwort auf die Frage Did Bill use to live in Paris?)·, die Folgerung ist also eher eine Implikatur als eine logische Folgerung. Ähnlich wird in einem großen Teil der neueren diskursorientierten Literatur zum Aspekt argumentiert, daß der perfektive Aspekt im Sinne einer Aufeinanderfolge von im Vordergrund stehenden Ereignissen definiert werden sollte, so daß in der russischen Version eines Satzes wie dem folgenden jede perfektive (PFV) Verbform interpretiert wird als Referenz auf ein Ereignis, das chronologisch dem Ereignis folgt, das von der vorhergehenden perfektiven Verbform beschrieben wird: Fred öffnete (PFV) die Tür, betrat (PFV) den Raum und begrüßte (PFV) die Gäste. Und tatsächlich macht die chronologische Ordnung in diesem besonderen Fall nahezu sicher einen Teil der Interpretation des Adressaten wie auch der Intention des Sprechers aus, vor allem, weil dies durch Wahrscheinlichkeiten der realen Welt verstärkt wird (z.B. öffnet man normalerweise zuerst eine Tür und betritt dann einen Raum, statt, zum Beispiel, zuerst durch ein Fenster den Raum zu betreten und dann die Tür zu öffnen). Man kann jedoch wiederum zeigen, daß dies eher eine Implikatur als eine logische Folgerung ist, wie in dem folgenden Beispiel: Der Sturm riß (PFV) das Dach vom Haus, warf (PFV) alle Abfalleimer um und wehte (PFV) die ganze Wäsche davon - wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Das Erreichen dieser Adäquatheitsebene bei der Beschreibung der Grammatik einer Sprache hängt natürlich von der Tiefe des Wissens des Forschers über die Sprache und ebenso von der analytischen Einsicht des Forschers ab - sogar Muttersprachler beharren oft darauf, daß eine Implikatur eine logische Folgerung sei, bis sie auf den (vielleicht ungewöhnlichen) Kontext, der das Gegenteil beweist, aufmerksam gemacht werden. Leider ist es nicht so, daß ein struktureller Rahmen für deskriptive Grammatiken Forscher davon abhalten wird, in Fallgruben dieser Art zu stürzen, obwohl natürlich die Vertrautheit mit einer Reihe guter deskriptiver Grammatiken (Beschreibungen bestimmter Phänomene eingeschlossen) dem Feldforscher helfen kann, sich der Arten von Pro-
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Bernard Comrie
blemen, die auftreten können, bewußt zu sein, sowie der Tests, die man zur Erhöhung der Korrektheit durchführen kann. Enger verbunden mit der Frage struktureller Rahmen für grammatische Beschreibung ist die Anforderung, daß das Material in einer zugänglichen Weise präsentiert wird, ebenso hinsichtlich der Zugänglichkeit der Daten für einen Benutzer, der sich für die spezielle Sprache interessiert, wie hinsichtlich der Zugänglichkeit der Daten für einen Benutzer, dessen primäres Interesse sprachübergreifender Vergleich ist, und der daher daran interessiert sein wird, nach gleichen oder ähnlichen Phänomenen in einer Menge deskriptiver Grammatiken zu suchen. Im einzelnen bedeutet dies unter anderem, daß die Terminologie einer deskriptiven Einzelgrammatik nicht idiosynkratisch sein sollte. Unglücklicherweise findet man gegenwärtig, hauptsächlich weil sich die grammatischen Traditionen verschiedener Sprachen und verschiedener Linguisten in zumindest teilweiser Isolation voneinander entwickelt haben, sowohl die Verwendung des gleichen Begriffs zur Beschreibung völlig unterschiedlicher Phänomene als auch die Beschreibung des gleichen Phänomens durch völlig unterschiedliche Begriffe. Ein gutes Beispiel, auf das uns Ekkehard König aufmerksam gemacht hat, ist der Begriff "Gerundiv". In der lateinischen Grammatik wird er benutzt, um ein Verbalnomen zu bezeichnen, wie in ars loquendi 'die Kunst des Sprechens'. Einen ähnlichen Gebrauch findet man in der englischen "Gerundivnominalisierung", wie in eating food quickly is bad for you. In der Grammatik der modernen romanischen Sprachen jedoch wird dieser Terminus für ein Verbaladverb verwendet, wie in Spanisch andando por la calle... 'während er die Straße hinabging'. Dieser gleiche Begriff, in der leicht abgewandelten Form "Gerund", wird auf verbale Adverbien in slawischen Sprachen angewandt, wie in Russisch perexodja Zerez ulicu... 'beim Überqueren der Straße...'. Um sprachübergreifenden Vergleich zu ermöglichen, sollten die gleichen Begriffe zur Bezugnahme auf das gleiche Phänomen verwendet werden, um auf das gleiche Phänomen zu verweisen, und umgekehrt. Im Fall der Verbaladverbien schlagen König und Haspelmath (1994) den Begriff "Konverb" vor. Als Erwiderung auf den vorhergehenden Absatz könnte man einwenden, daß es selten ist, grammatische Kategorien zu finden, die sich in zwei oder mehr Sprachen exakt entsprechen. So wird vom Russischen wie vom Deutschen gesagt, daß sie Genitive haben, aber diese werden verschieden gebraucht, so daß Russisch einen Genitiv in partitiven Ausdrücken wie kusok xleba verwendet, während das Deutsche in der Übersetzung ein Stück Brot keinen Genitiv verwendet. Es gibt jedoch, trotz der Existenz einiger Verwendungsunterschiede zwischen dem russischen und dem deutschen Genitiv einen großen Überlappungsbereich des Gebrauchs der traditionell gleichbenannten Kasus in den beiden Sprachen. Insbesondere ist der prototypische Gebrauch des Genitivs - einen Possessor im Verhältnis zu seinem Possessum zu markieren - der gleiche in beiden Sprachen. Erforderlich ist daher nicht die absolute Identität der Anwendungsbereiche gleichbenannter grammatischer Kategorien in den verschiedenen Sprachen, sondern vielmehr die Identität des prototypischen Gebrauchs. Die genaueren Ausführungen der Grammatik müssen natürlich die ganze Bandbreite der Fälle beschreiben, in denen sich nicht-prototypische Verwendungen grammatischer Kategorien finden. Die obigen Betrachtungen über die terminologische Vergleichbarkeit von Grammatiken verschiedener Sprachen lassen sich verallgemeinern: Deskriptive Grammatiken sollten in einer standardisierten Terminologie und einem einheitlichen strukturellen Rahmen geschrieben werden.
Aligemeine
Bemerkungen
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Der strukturelle Rahmen muß ausreichend beschränkt sein, um sprachübergreifenden Vergleich zu erleichtern. Auf der anderen Seite muß er ausreichend flexibel sein, um die Bandbreite sprachübergreifender Variation, die in menschlicher Sprache möglich ist, zu erfassen. Die Abschnitte 3 und 4 enthalten eine grobe Skizze von zwei Versuchen, einen solchen Strukturrahmen zu entwickeln. Eine detailliertere Diskussion und Illustration findet sich in den Beiträgen von W. Croft, C. Lehmann und D. Zaefferer zu diesem Band.
3. Eine erste Lösung: Der Lingua Descriptive Series Questionnaire Den ersten einigermaßen vollständigen Versuch eines Strukturrahmens für die Erstellung deskriptiver Grammatiken stellt Comrie und Smith (1977) dar; er hat die Form eines hierarchisch organisierten Fragebogens, wobei jedoch betont werden muß, daß die Fragen hier nicht wirkliche Fragen sind, für die man die Antwortfelder nur "auszufüllen" braucht, sondern vielmehr Überschriften, unter die der Verfasser der deskriptiven Grammatik bestimmte Datenmengen einordnen soll. Zum Beispiel fragt eine Frage, ob die Sprache einen Unterschied zwischen alienabler und inalienabler Possession macht (zum Beispiel 'mein Kopf bezogen auf einen Teil meines Körpers und 'mein Kopf bezogen auf eine Jagdtrophäe), und wenn ja, wie. Dies ist auch der erste Versuch, der zu einer beachtlichen Anzahl von Grammatiken führte, die in diesem strukturellen Rahmen geschrieben wurden: in den Reihen Lingua Descriptive Studies, danach Croom Helm Descriptive Grammars, und zuletzt Routledge Descriptive Grammars wurden über zwanzig Grammatiken, die sich an diesen Strukturrahmen halten, herausgegeben, mit einer genetischen und geographischen Bandbreite von Katalanisch und modernem Griechisch zu Hixkaryana (Südamerika) und Kobon (Neuguinea), von Baskisch zu Nkore-Kiga (Ostafrika), von Japanisch zu Mangarayi (Australien), von Tamil (Südindien) zu Rapanui (Osterinsel); eine Reihe weiterer Grammatiken sind in Vorbereitung. Die Reihe hat, in einem bestimmten Sinn, ihr Ziel erreicht: Ihr Gebrauch ist unter Typologen, und allgemeiner bei denen, die an sprachübergreifendem Vergleich interessiert sind, als Hilfsmittel für das Sammeln vergleichbarer Daten aus einer breiten Palette von Sprachen weit verbreitet. Zum Beispiel könnte ein Linguist, der sich für die Distribution der Unterscheidung von alienabler und inalienabler Possession in den Sprachen der Welt interessiert, leicht eine beachtliche Menge von Information sammeln, indem er sich die Abschnitte 2.1.1.4.6 (possessive Nominalformen) und 2.1.2.4 (Possessivpronomina) anschaut. Die Struktur des Fragebogens und der Grammatiken, die sich an den Fragebogen halten, haben nichtsdestoweniger eine Reihe von Nachteilen und ich werde in Abschnitt 4 einen Ansatz aufgreifen, der verspricht, diese Nachteile zu vermeiden. Die wichtigsten davon sind die folgenden. Da der Fragebogen und die Grammatiken nur in Buchform existieren, sind sie notwendigerweise auf eine lineare Präsentation der Grammatik der Sprache angewiesen, wenn auch mit einer gewissen hierarchischen Struktur, die sich durch die Einteilung in Kapitel, Abschnitte, Unterabschnitte usw. ergibt. Dies bedeutet, daß die Diskussion eines bestimmten Phänomens über verschiedene Teile der Grammatik verstreut sein muß, sobald dieses Phänomen mit einer im Strukturrahmen vorgegebenen Einteilung kreuzklassifiziert ist. Alienable versus inalienable Posses-
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Bernard Comrie
sion, die im vorhergehenden Absatz erwähnt wurde, ist ein gutes Beispiel dafür. Die Distinktion ist sowohl für Nomina als Possessoren als auch für Pronomina als Possessoren potentiell relevant. Da jedoch die Struktur des Fragebogens auf einer hohen Ebene eine Unterscheidung zwischen nominaler Morphosyntax und pronominaler Morphosyntax macht, wird die Beschreibung der Distinktion alienabel/inalienabel notwendigerweise auf zwei verschiedene Abschnitte aufgeteilt. Die Alternative, Possession als Phänomen einer höheren Ebene und die Distinktion zwischen Nomina und Pronomina als Phänomen einer niedrigeren Ebene zu behandeln, würde potentiell zu dem umgekehrten Problem führen: die Diskussion der Nomina und die der Pronomina würde auf mehrere Abschnitte verteilt werden. Es gibt mögliche ad hoc-Lösungen für dieses Problem - zum Beispiel ein umfassendes System von Querverweisen und/oder ein detaillierter Index -, aber diese beheben nicht das eigentliche Problem. Eine andere Folge des Buchformats ist es, daß der Fragebogen und die Grammatiken, die sich daran halten, im wesentlichen "unveränderlich" sind. Fortschritte in unserem Verständnis für sprachliche Phänomene können nur um den Preis in den strukturellen Rahmen aufgenommen werden, daß die Vergleichbarkeit zwischen Grammatiken einer älteren Version und Grammatiken einer neueren Version zerstört wird; und Vergleichbarkeit ist natürlich einer der Hauptreize des Ansatzes. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Die meisten früheren Diskussionen der inklusiv/exklusiv-Distinktion in Pronominalsystemen beschränkten diese Distinktion auf die erste Person nicht-singular, bei der das inklusive Pronomen "wir einschließlich des Adressaten" bedeutet, während das exklusive Pronomen "wir ohne den Adressaten" bedeutet und tatsächlich wird diese Unterscheidung in eine Reihe von Sprachen gemacht. Aber wie sieht es mit der zweiten Person aus? Kann es hier eine ähnliche Unterscheidung geben, die einen Unterschied zwischen zwei nicht-singularischenen Pronomina macht, die "ihr einschließlich Referenten der dritten Person" versus "ihr ohne Referenten der dritten Person" bedeuten, wobei letzteres zum Beispiel dann verwendet wird, wenn der Sprecher eine Gruppe ansprechen will und nur auf die Mitglieder dieser Gruppe referieren möchte. Zufälligerweise kannten die Autoren des Fragebogens der Lingua Descriptive Studies eine der wenigen Sprachen, die diese Unterscheidung machen, das Abchasische, so daß die inklusiv/exklusiv-Distinktion für die zweite Person explizit im entsprechenden Abschnitt (2.1.2.1.3) erwähnt wird, und der entsprechende Abschnitt ist so formuliert, daß er auch einige andere Kombinationen umfaßt, von denen man weiß, daß sie in einer Reihe von Sprachen vorkommen, wie etwa nicht-singularische Pronomina der ersten Person, die explizit sowohl den Adressaten als auch Teilnehmer der dritten Person in einigen afrikanischen Sprachen einschließen. Aber dies hing offensichtlich von dem zufälligen Wissen der Autoren hinsichtlich eines im Sprachvergleich eher seltenen Phänomens ab. Das zweite Beispiel zeigt die Zufälligkeit der Entscheidung, ob solche Phänomene einbezogen wurden oder nicht, da es sich auf eine Distinktion bezieht, die den Autoren zufälligerweise nicht bekannt war und die sie daher nicht einbezogen. Der Fragebogen enthält eine Anzahl von Fragen, die sich mit Lokalisierung befassen (Abschnitt 2.1.1.5), und die sorgfältig zwischen Lokalisierung in Ruhe, Bewegung auf etwas zu, Bewegung von etwas weg, und Bewegung an etwas vorbei unterscheiden. Er berücksichtigt aber nicht den Unterschied zwischen der Aussage, daß etwas sich an einem Ort befindet und der Aussage, daß eine Handlung an einem bestimmten Ort stattfindet, obwohl diese Unterscheidung in einigen Sprachen offenkundig ist, wie etwa im Japanischen,
Allgemeine Bemerkungen
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das die Postposition ni für statische Lokalisierung (z.B. 'Max sitzt im Raum'), jedoch de für die Lokalisierung einer Handlung (z.B. 'Max arbeitet im Zimmer') verwendet. Setzt man voraus, daß Fragebogen und Grammatiken ausschließlich in Buchform vorliegen und das war das höchste verfügbare Niveau einschlägiger Technologie in den späten siebziger Jahren -, so gibt es keine prinzipielle Lösung für das Problem der Unveränderlichkeit von Arbeiten in dieser Form. Wie in Abschnitt 4 gezeigt wird, hat die Computertechnologie eine prinzipielle Lösung für dieses Problem bereitgestellt. Der Ansatz, der vom Rahmen der Lingua Descriptive Studies verkörpert wird, hat einen weiteren Nachteil, der in geringerem Maß direkt mit der Buchform zusammenhängt, und das ist die Frage, ob die Grundstruktur der Grammatik von der Form zur Funktion oder von der Funktion zur Form hin orientiert ist. Um ein einfaches Beispiel zu nehmen: Eine Grammatik kann entweder eine bestimmte Form herausgreifen, etwa den Genitiv, und dann die verschiedenen Funktionen dieser Form beschreiben. Oder sie kann eine bestimmte Funktion herausgreifen, etwa Possession, und dann die verschiedenen Formen beschreiben, die in der in Frage stehenden Sprache verwendet werden, um diese Funktion auszudrücken. Im Idealfall müßten beide Arten von Information von einer Grammatik zur Verfügung gestellt werden, d.h. die Grammatik muß sowohl die Frage "was sind die Funktionen dieser bestimmten Form?" als auch die Frage "welche Formen werden verwendet, um diese Funktion auszudrücken?" beinhalten, aber die einzige Möglichkeit, beiden Fragen im linearen Format eines Buchs gerecht zu werden, besteht entweder darin, eine beachtliche Menge von Material zu wiederholen (z.B. das gleiche Material würde unter "Genitiv" und unter "Possession" präsentiert werden), oder ausführliche Querverweise einzufügen, wobei die zweite Option unbegründeterweise voraussetzen würde, daß entweder die Form oder die Funktion primär sei (z.B. indem von "Genitiv" auf Stellen verwiesen wird, die andere Aspekte von Possession beschreiben, oder indem von "Possession" auf Stellen verwiesen wird, an denen andere Verwendungsweisen des Genitivs diskutiert werden). Der strukturelle Rahmen der Lingua Descriptive Studies ist schlichtweg inkonsistent, indem er einmal eine formale Basis und ein andermal eine funktionale Basis für seine Organisation wählt. Ein besonders hervorstechendes Beispiel ist die Behandlung bestimmter semantischer Relationen zwischen Sätzen, die unter "Adverbialsätze" (Abschnitt 1.1.2.4), einem Unterabschnitt von Subordination (Abschnitt 1.1.2), zusammengefaßt sind. In vielen Sprachen werden jedoch zumindest einige dieser semantischen Relationen nicht mit Hilfe von Subordination ausgedrückt. In der PapuaSprache Haruai zum Beispiel lautet die wörtliche Übersetzung einer Konditionalkonstruktion wie wenn es regnet, bleibe ich zu Hause 'es wird-regnen (jenes), ich werde-bleiben zu Hause', d.h. die einfache Juxtaposition zweier Hauptsätze, mit einem optional an den ersten Satz angehängten Demonstrativum. Ein deskriptiver struktureller Rahmen muß daher flexibel genug sein, um zuzulassen, daß konditionale Relationen zwischen Sätzen mit anderen Mitteln als mit Subordination ausgedrückt werden.
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4. Eine zweite Lösung Dieser Abschnitt soll einige Charakteristika eines anderen Ansatzes zur Lösung des Problems der Erstellung eines strukturellen Rahmens für deskriptive Grammatiken umreißen, der derzeit von W. Croft, C. Lehmann, D. Zaefferer und mir entwickelt wird; weitere Einzelheiten finden sich in den Beiträgen der anderen Forscher. Dieser zweite Ansatz ist eine Computerimplementierung, wodurch die Hauptprobleme, die in Abschnitt 3 oben diskutiert wurden, vermieden werden können, insbesondere die Probleme der Linearität und der Unveränderlichkeit, sowie das Problem der gebührenden Beachtung sowohl der Form-zu-Funktion- als auch der Funktion-zuForm-Orientierung. Die derzeitige Entwicklung der Computertechnologie und die Entwicklungen, die sich in den nächsten Jahren abzeichnen, bedeuten, daß ein struktureller Rahmen in Form einer Computerimplementierung herstellbar ist, und zwar nicht nur im Prinzip, sondern auch in praktischer Hinsicht für den Feldforscher: Wegen des immer besser werdenden Verhältnisses von Leistung und Größe wird es für den Feldforscher bald schon möglich sein, einen Computer bei der Arbeit vor Ort einzusetzen, der die notwendigen Leistungsmerkmale hat, um darauf einen umfassenden grammatischen strukturellen Rahmen laufen zu lassen und die Grammatik zu speichern, die in diesem Rahmen geschrieben wird, ohne daß dabei inakzeptable Belastungen hinsichtlich der Tragbarkeit entstünden. Der besondere strukturelle Rahmen, an dem wir derzeit arbeiten, ist in der Hypercard-Umgebung für den Macintosh implementiert. Obwohl dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Mitte 1995) bedeutet, daß sein Gebrauch auf Macintosh-Computer beschränkt ist, bedeutet die Entwicklung von Computern, die neben dem Macintoshbetriebssystem auch andere Betriebssysteme unterstützen, daß selbst diese praktische Beschränkung bald überwunden sein sollte. Die Vorteile gegenüber etwa dem strukturellen Rahmen der Lingua Descriptive Studies sind die folgenden. Erstens ist der strukturelle Rahmen nicht unveränderbar. Neue Entwicklungen in der linguistischen Theorie und in unserem Verständnis sprachübergreifender Variation können jederzeit in den Rahmen eingebaut werden, und Veränderungen am Rahmen können durch entsprechende Veränderungen in den bereits existierenden Grammatiken, die nach dem strukturellen Rahmen entwickelt wurden, nachgebildet werden. Wir stellen uns vor, daß der strukturelle Rahmen selbst zentral verwaltet wird, um die fortwährende Vergleichbarkeit der Beschreibungen zu gewährleisten. Zweitens ist die Computerimplementierung nicht an einen linearen oder hierarchischen Aufbau gebunden, da Verbindungen zwischen relevanten Teilen des strukturellen Rahmens oder einer bestimmten grammatischen Beschreibung eingerichtet werden können, ohne daß arbiträre Entscheidungen gefällt oder schwerfällige Querverweise eingefügt werden müssen, wie das bei der Buchform der Fall ist. Drittens kann die Computerimplementierung sowohl Formen wie Funktionen gerecht werden, indem sie durch eine Menge von Abbildungen zwischen Formen und Funktionen strukturiert wird, so daß jederzeit Verbindungen zwischen den verschiedenen Formen, die eine bestimmte Funktion ausdrücken, und den verschiedenen Funktionen, die durch eine bestimmte Form ausgedrückt werden, eingerichtet und ausgelesen werden können. Zum Beispiel würde die Auswahl von "Possessivität" den Benutzer durch die verschiedenen Formen führen, die benutzt werden, um Possessivität in der speziellen Sprache auszudrücken, während umgekehrt die Auswahl von "Genitiv" den Benutzer durch die verschiedenen
Allgemeine Bemerkungen
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Funktionen des Genitivs in jener Sprache führen würde. Diese Implementierung behält also die Stärken des strukturellen Rahmens der Lingua Descriptive Studies bei, insbesondere das Ziel sprachübergreifender Vergleichbarkeit, während sie die Nachteile vermeidet, die den früheren strukturellen Rahmen beschränkten. Einige mögliche Mißverständnisse sollten ausgeräumt werden, bevor der Leser zu den detaillierteren Diskussionen meiner Forscherkollegen in diesem Projekt weitergeht. Erstens ist der strukturelle Rahmen in keiner Weise eine "Grammatik-Schreib-Maschine". Die Aufgabe der grammatischen Analyse wird, zumindest in absehbarer Zeit, einer Mechanisierung nicht zugänglich sein, sondern wird vielmehr weiterhin von der Einsicht des Analytikers abhängen, unterstützt durch eine fundierte Ausbildung. Die Leistung des Strukturrahmens wird darin bestehen, den Linguisten in den Stand zu versetzen, Einsichten über die grammatische Struktur der Sprache so zu strukturieren, daß sie jederzeit mit den Einsichten anderer Linguisten über andere Sprachen vergleichbar sind. Die Computerimplementierung kann jedoch viel dazu beitragen, die Aufgabe des Feldforschers zu erleichtern, indem zum Beispiel ein Online-Glossar technischer Termini und Online-Anregungen zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus bleibt, während der strukturelle Rahmen die Information organisiert, die grundlegende Präsentation der Information in klarer Prosa in der Verantwortung des Linguisten, der die Sprache beschreibt. In dieser Hinsicht kann man die Computerimplementierung vielleicht mit einem Buch mit losen Seiten vergleichen, in dem man jederzeit von einer Seite zu einer anderen blättern kann - mit dem Unterschied, daß in der Computerimplementierung das Bewegen von "Seite" zu "Seite" viel einfacher ist als mit richtigen Seiten. Zweitens blieben Grammatiken, die in dem strukturellen Rahmen geschrieben wurden, das geistige Eigentum ihrer Autoren, und die Entwicklung einer den strukturellen Rahmen füllenden Darstellung würde die Veröffentlichung einer Grammatik in Buchform nicht ausschließen, was für eine Übersichtsdarstellung der Struktur der Sprache nützlich wäre, während die Computerrepräsentation der Grammatik eher eine Art Forschungswerkzeug wäre.
Schlußfolgerungen Die Beschreibung der Sprachen der Welt ist eine wichtige und dringende Aufgabe. Das Reden über das Beschreiben sollte uns nicht von der Beschreibung selbst abhalten. Aber alles, was getan werden kann, um diese Aufgabe zu erleichtern, ohne die Zeit für ihre Durchführung hinauszuzögern, wird bei dieser Aufgabe von enormer Hilfe sein. Es ist die Überzeugung der Linguisten, die an diesem Projekt beteiligt sind, daß das Endprodukt unserer Bemühungen ein System sein wird, das sowohl die Beschreibung von Sprachen, die Darstellung ihrer Grammatiken unterstützt als auch die Möglichkeiten für wirklich komparative sprachübergreifende Forschung verbessert.
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Danksagung Diese Arbeit wurde zum Teil durch die National Science Foundation mit dem Zuschuß BNS9013318 unterstützt.
Literatur Comrie, Bernard, and Smith, Norval (1977): Lingua Descriptive Studies: questionnaire. - In: Lingua 42, 1-72. Hale, Kenneth et al. (1992): Endangered languages. - In. Language 68,1-42. König, Ekkehard, and Haspelmath, Martin (1994): Converbs (adverbial participles, gerunds) in cross-linguistic perspective. - Berlin: Mouton de Gruyter. Matsumoto, Yoshiko (1988): Semantics and pragmatics of noun-modifying constructions in Japanese. - In: Berkeley Linguistic Society 14, 166-175.
William Croft (University of Manchester)
Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken: Die Beschreibung sprachlicher Formen*
1. Überblick über den Aufbau des Systems Die kleinste Beschreibungseinheit in dem vorzustellenden Rahmen ist eine einzelne Verwendungweise eines Morphems oder einer Konstruktion der beschriebenen Sprache. Solche Beschreibungen können unter allgemeinere Morphem- oder Konstruktionskategorien eingeordnet werden. So kann eine Beschreibung des Englischen beispielsweise eine allgemeine Kategorie "Auxiliar" zusätzlich zu Beschreibungen der einzelnen Modalauxiliare und ihrer Verwendungen enthalten, und verschiedene Typen von Interrogativsätzen (Entscheidungsfragen, Ergänzungsfragen, Alternativfragen) können unter einen allgemeineren Konstruktionstyp "Fragesatz" subsumiert werden. Der Beschreiber muß auch die Bestandteile der Konstruktion in schematischer Form angeben. Mittels dieser Konstituentenbeschreibung können Verweise gesetzt werden zu Beschreibungen der Bestandteile der Konstruktion, z. B. ein Verweis von einem intransitiven Satz zu einer Subjekts-NP. Umgekehrt kann die betreffende Konstruktion mit noch größeren verbunden werden, von denen sie einen Bestandteil bildet. Die schematische Beschreibung repräsentiert nur die Konstituenz der Konstruktion, während Wortstellung, Dependenz und andere grammatische Informationen an anderer Stelle beschrieben werden. Das hauptsächliche Organisationsprinzip dieses Rahmens ist die strikte Trennung der Beschreibung sprachlicher Form von der Beschreibung sprachlicher Funktion. So ergeben sich zwei getrennte Beschreibungsrahmen, einer für Funktionen und einer für Formen. Jeder Rahmen ist durch eine Menge von Parametern gegliedert. Der Feldforscher kann für jeden einschlägigen Parameter und für jede Konstruktion die zutreffenden Werte auswählen. Die logische Struktur der Parameter ist die gleiche wie in Attribut-Wert- oder Merkmal-Wert-Beschreibungen. Der Zweck dieser Parameter ist es, die grammatische Beschreibung so zu organisieren, daß es möglich ist, die Beschreibung sowohl hinsichtlich der formalen als auch hinsichtlich der funktionalen Struktur ihres Gegenstandes zu analysieren.1 Die Zuordnung von Parameterwerten ist kein Ersatz für eine informelle Beschreibung der Form und der Verwendung einer Konstruktion. Die informelle Beschreibung bleibt in diesem System vorrangig.2 Wir werden eine beträchtliche Anzahl von Werten für die Parameter angeben. Diese Werte werden standardisierte Termini des Systems sein, für die Definitionen mit Beispielen zur Verfü* ' 2
Übersetzung von Andreas Dufter und Dietmar Zaefferer. Diese Organisation ist insbesondere praktisch für Feldforscher, die kein umfassendes Hintergrundwissen in linguistischer Analyse besitzen. Wir erwarten außerdem, daß jede Konstruktion durch ein Beispiel veranschaulicht wird. In zukünftigen Versionen werden die Beispiele Querverweise auf eine on-Zine-Sammlung von Texten enthalten. Wir haben Lehmanns (1982) Konventionen für interlineare Morphemglossen von Beispielen geringfügig modifiziert.
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gung gestellt werden. Die Termini lehnen sich ebenso wie ihre Definitionen soweit wie möglich an den Gebrauch an, wie er sich in der traditionellen Grammatik, der Typologie und den Beschreibungen der Feldforscher de facto herausgebildet hat. Wir mußten allerdings in einigen Fällen zwischen konkurrierenden Termini auswählen, inkonsistente Definitionen auflösen oder Termini disambiguieren. (Beispielsweise unterscheiden wir den englischen Terminus referential, d.h. spezifisch indefinit, von referentive, häufig ebenfalls als referential bezeichnet, der Bezeichnung der semantischen Rolle, die sich in Sätzen wie 'Wir sprachen über den Krieg' findet.) Obwohl die Termini, welche wir als Standardbezeichnungen angeben, ein möglichst breites Spektrum formaler und funktionaler Kategorien abdecken sollen, können wir nicht erwarten, damit jede Unterscheidung abzudecken, die in den Sprachen der Welt gefunden werden könnte. Aus diesem Grunde erlauben wir dem Feldforscher, eigene Werte für einen Parameter zu schaffen, falls die gewünschte Unterscheidung fehlen sollte. Jedoch können von einem Feldforscher keine neuen Parameter hinzugefügt werden, um die Gesamtorganisation des Beschreibungsrahmens zu erhalten. Das System läßt ebenfalls keine logisch inkonsistenten Wertekombinationen zu, wie etwa "willentlich" und "unbelebt". Diese Beschränkung gilt nur für den funktionalen Beschreibungsrahmen, da eine Sprache in einem einzelnen Morphem beliebige grammatische Werte kombinieren kann (z. B. 1. Person Subjekt und Modus Irrealis).3 Die Parameter sind nicht hierarchisch organisiert, was ein weiteres Mittel darstellt, die Flexibilität in der Organisation des Systems zu gewährleisten. Allenfalls kann das System dadurch zu flexibel in seiner Organisation werden, was eine Reaktion darstellt auf die übertriebene Strenge früherer Beschreibungsrahmen. Um dem entgegenzuwirken, werden "Inhaltsangaben" für den formalen und den funktionalen Beschreibungsrahmen zur Verfügung gestellt werden, sowie weitere Navigationshilfen für die Betrachtung der grammatischen Beschreibung.
2. Der formbezogene Beschreibungsrahmen In einem wesentlichen Punkte unterscheiden sich die formalen Parameter von den funktionalen: Sprachliche Form ist meist einzelsprachspezifisch, während wir sprachliche Funktion mehr oder weniger als universell ansehen oder zumindest als viel einfacher vergleichbar zwischen verschiedenen Sprachen. Die Angabe von Standardbezeichnungen oder von festen Termini für die Charakterisierung grammatischer Form verlangt einen gewissen Grad von Vergleichbarkeit zwischen den Sprachen, damit wir sicher sein können, daß die Verwendung des Terminus "Präsens" (Present Tense) oder "Adjektiv" übereinzelsprachlich kohärent ist.4 Unser Vorschlag zur Aufrechterhaltung eines gewissen Grades von terminologischer Standardisierung für übereinzelsprachliche formale Kategorien steht in der Tradition der typologischen Analyse: Ein Standardterminus kann für eine einzelsprachliche Form verwendet werden, wenn unter ihren Funktionen 3
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Wenn eine Konstruktion für einen bestimmten formalen Parameter indiziert ist, werden andere Parameter, von denen gezeigt wurde, daß sie typologisch mit ihm assoziiert sind, in zukünftigen Versionen dem Feldforscher angezeigt werden. Wir folgen der von Comrie 1976 und Bybee 1985 etablierten Konvention, Termini für formale Kategorien im Englischen großzuschreiben, Termini für funktionale Kategorien dagegen klein.
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eine "prototypische", vom System spezifizierte Funktion ist, d. h. falls eine solche Funktion ohne Schwierigkeiten angegeben werden kann. Beispielsweise kann der Terminus Präsens (Present Tense) nur fïir eine solche einzelsprachliche Form verwendet werden, deren Funktionen die der temporalen Referenz auf den Sprechzeitpunkt umfaßt, und der Terminus Adjective nur für eine Kategorie, unter deren Elementen wenigstens einige der von Dixon 1977 beschriebenen prototypischen Adjektive vorkommen - Konzepte von Eigenschaften, die Dimensionalität und Alter angeben - in ihrer Verwendung als Modifikatoren eines (prototypischen) Nomens. Wenn der Begriff Present Tense oder Adjective erst einmal gewählt wurde, um eine einzelsprachspezifische formale Kategorie zu beschreiben, dann kann dieser Begriff für die gleiche Kategorie in jeder Verwendungsweise gebraucht werden - z. B. die Verwendung des Present Tense im Russischen bei perfektiven Verbformen für futurische Zeitreferenz. Die Verwendung eines funktionalen Prototypen bedeutet nicht, daß die sprachspezifische Kategorie selbst funktional definiert ist. Sie ist immer noch auf die gewohnte distributionelle Art beschrieben. Der funktionale Prototyp kommt erst bei der Auswahl eines Begriffs für diese Kategorie zum Tragen. Selbstverständlich braucht der Feldforscher, wenn er der Meinung ist, eine Kategorie wie z.B. Adjective existiere in der betreffenden Sprache nicht, diesen Begriff nicht zu verwenden; ferner kann er, wenn er glaubt, daß eine grammatische Kategorie in ihr existiert, welche von keinem der Standardbegriffe bezeichnet wird, einen eigenen Terminus prägen, entweder als einen Wert eines geeigneten grammatischen Parameters oder als eine Beschreibungsoption für diese Kategorie. Generell haben wir nicht versucht, Standardtermini und Definitionen für jede uns bekannte grammatische Kategorie zu etablieren, sondern nur für solche, die über verschiedene Sprachgruppen hinweg vorhanden sind, oder in mehr als einer vorkommen könnten. Nichtsdestoweniger treffen unsere Parameter eine größere Anzahl von Unterscheidungen für jede einzelne grammatische Kategorie oder Konstruktion als die meisten natürlichen Sprachen. Ein Feldforscher darf nur die Werte auswählen, die für die betreffende Sprache von Belang sind; die anderen, vom System vorgegebenen Werte können einfach ignoriert werden. Meistens kann dies durch die Verwendung von generalisierenden Werten erreicht werden: einzelne Werte, welche mehrere andere, stärker spezifische umfassen. Beispielsweise hat der Parameter Verb Form unterschiedliche Werte für Partizipien, Infinitive und Konverben (infinite adverbiale Verbformen). Es gibt ferner einen infiniten Wert (Nonfinite value), der ein generalisierender Wert ist, und Partizipien, Infinitive und Konverben mitenthält. Wir haben eine Anzahl von generalisierenden Werten angegeben, welche in den Sprachen der Welt häufige Gruppierungen spezifischerer Werte darstellen; die Feldforscherin kann aber ihre generalisierenden Werte ebensogut selbst definieren. In anderen Fällen verlangen terminologische Konventionen eine Rangfolge von Werten auf einem Parameter. Betrachten wir hierzu noch einmal das Beispiel einer Sprache, von der behauptet wird, sie enthalte keine Adjektive, bzw. diese seien eigentlich Verben. Es gibt einen funktionalen Prototyp für Adjektive (ungefähr als attributiv verwendete Eigenschaftskonzepte definiert). Es gibt ebenfalls einen Prototyp für Verben (in etwa als prädikativ verwendete Handlungskonzepte zu präzisieren). In einer Sprache, in der "Adjektive Verben sind", fallen die funktionalen Prototypen von Adjektiv und Verb unter dieselbe Kategorie. Wie sollte nun diese
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Kategorie im FDG-System genannt werden, Adjective oder Verb! Der Konvention folgend, bestimmen wir letzeres. Dies bedeutet, daß in dem Falle, daß eine Sprache eine einzelne Kategorie aufweist, die beide Prototypen umfaßt, und kein generalisierender Werte vorgegeben ist, wird eine Bezeichnung als vorrangig gegenüber der anderen festgelegt, im Beispielfall Verb als vorrangig gegenüber Adjective. Da es eine Reihe verschiedener Möglichkeiten der Definition formaler Kategorien gibt, wird der Rest dieses Abschnittes der Erläuterung der Definitionen dieser Parameter gewidmet sein.
2.1. "Rein" formale Kategorien Es gibt drei Parameter für die Beschreibung "reiner" sprachlicher Form, also Parameter, die nicht sinnvoll unter Bezugnahme auf einen funktionalen Prototyp definierbar sind: Reihenfolge(Element 1, Element 2): Fest, Präferiert, Frei Obligatorik(Element): Obligatorisch, Optional Ausdrucksform(Element): Wurzel, Stamm, Partikel (morphologisch ungebundenes, nicht flektierendes [Nichtwurzel-]Element), Proklitikum, Enklitikum, Klitikum [= Proklitikum oder Enklitikum], Präfix, Suffix, Infix, Affix [= Präfix oder Suffix oder Infix], Reduplikation, Konsonantenaltemation, Ablaut (d. h. Vokalalternation), Tonwechsel, Akzentverlagerung [falls notwendig], Mutation [= Konsonantenaltemation oder Ablaut oder Tonwechsel oder Akzentverlagerung], Nichtstamm [= Partikel oder Klitikum oder Affix oder Reduplikation oder Mutation] Die ersten beiden Parameter beschreiben Eigenschaften sprachlicher Form, die durch bloße Beobachtung aus einem Textkorpus gewonnen werden können, für welchen nur die Segmentierung auf Wort- und Morphemebene vorgenommen wurde. Der Parameter "Reihenfolge" ist nicht dafür gedacht, eine vollständige Beschreibung der Serialisierungsmöglichkeiten der Elemente in einer Konstruktion zu leisten. Wie oben schon angeführt wurde, gibt die schematische Konstruktion ebenfalls nicht die Wortstellung an, da die Möglichkeiten und Beschränkungen (v. a. in einer Sprache mit "freier" Wortstellung) zu komplex für eine einfache Notation sind, und da erwartet wird, daß der Feldforscher die Wortstellung einer Konstruktion in der informellen Beschreibung erklärt. Dennoch haben wir einen Reihenfolgeparameter vorgesehen, da das Bedürfnis besteht, die Grammatik wenigstens auf eine einige elementare Wortstellungsfakten hin durchsuchen zu können. Der Parameter "Ausdrucksform" zeigt in morphonologischen Begriffen den Typ des Morphems an. Wir lassen die Werte hier Undefiniert bis auf allgemeine Präzisierungen, da der Teil
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des Projekts, der gegenwärtig gefördert wird, (morpho)phonologische Beschreibungen ausklammert. (Man beachte die Verwendung der generalisierenden Parameterwerte Klitikum, Affix, Mutation und Nichtstamm). Eine zukünftige Version des Systems wird ein Subsytem für phonologische und morphologische Beschreibung enthalten.
2.2. Formale Kategorien, die direkt mittels funktionaler Prototypen definiert sind Alle noch verbleibenden Definitionen von Werten auf formalen Parametern beschreiben grammatische Kategorien und Relationen und bedingen somit die Verwendung funktionaler Prototypen. Die einfachsten Fälle der Definition funktionaler Prototypen sind in den meisten Flexionskategorien zu finden, die gewöhnlich einen einzigen korrespondierenden funktionalen Parameter besitzen. Ein Beispiel ist der Parameter "Numerus", der in enger Beziehung steht zum funktionalen Parameter "Kardinalität": NUMERUS Singular (SG) Entitätstyp = Objekt Kardinalität = 1 Dual (DU) Entitätstyp = Objekt Kardinalität = 2 Paukal (PAU) Entitätstyp = Objekt Kardinalität = wenige Plural (PL) Entitätstyp = Objekt Kardinalität = maximal Nichtsingular (NSG) = DU oder PL (Verwendung nur falls ein Plural >2 existiert) Nichtplural (NPL) = SG oder DU Singulativ (SGT) Stamm: Entitätstyp = Gruppe Resultat: Entitätstyp = Objekt Kollektiv (COLL) Stamm: Entitätstyp = Objekt Resultat: Entitätstyp = Gruppe Man beachte außerdem, daß einige Kategorien (Singulativ und Kollektiv) funktionale Prototypen sowohl für den Stamm als auch für die resultierende Form verlangen. Obwohl die Kategorie Numerus mit funktionalen Prototypen ohne Schwierigkeiten definierbar scheint, gibt es andere grammatische Kategorien, die von Sprache zu Sprache beträchtlich
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variieren, überdies treten grammatische Kategorien, die anscheinend recht unterschiedliche Funktionen haben, in Flexionsparadigmen gebündelt auf. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Verbflexion. Wir haben einen globalisierenden Ansatz für die Parameter von Flexionskategorien gewählt, so daß es beispielsweise nur drei Parameter für die Hauptanteile der Verbalflexion gibt: Tempus, Aspekt und Modus. Im Gegensatz dazu verfolgen die funktionalen Beschreibungen der Verwendungen dieser grammatischen Kategorien einen "differenzierenden" Ansatz, um alle verschiedenen Arten von ausgedrückten semantischen Distinktionen zu erfassen.
2.3. Formale Kategorien, die über andere formale Kategorien definiert sind Einige formale Werte sind auf der Grundlage anderer formaler Werte definiert, die ihrerseits durch funktionale Prototypen definiert sind. Im einfachsten Fall ist ein Wert definiert als Komplement seiner Alternative(n): OBVIATION Proximativ (PRX) Topikalität = hoch Referenzweit = gleich Obviativ (OBV) Komplement von PRX In anderen Fällen nimmt ein Prototyp Bezug auf andere formale Werte - d. h. funktionale Prototypen anderer formaler Werte. Das folgende Beispiel verdeutlicht die Konstraktform eines Nomens, prototypischerweise vorkommend als die Form des Kopfnomens in einer Genitiv- oder Possessivkonstruktion (häufig in den semitischen Sprachen): FORM DES NOMENS Status constructus (CONST) Ausdrucksform (CONST) = Nichtwurzel In einer Konstruktion mit: Ν Prototyp Kontrollierte Einheit: NP Prototyp Kasus = Genitiv Propositionaler Akt = Modifikation Alle formalen Werte sollten letztlich auf funktionalen Prototypen beruhen. Bei manchen grammatischen Kategorien ist es allerdings keineswegs klar, welcher funktionale Prototyp ihnen zugrundeliegt, wenn es denn einen solchen gibt. So sind zum Beispiel Kategorien wie Finite und Nonfinite Verb Forms sowohl funktional als auch unter Bezug auf andere formale Kategorien viel schwieriger zu definieren als die oben gennannten. Dies gilt insbesondere auch für die grundlegenden Parameter für syntaktische Kategorien und Konstruktionen (§3).
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2.4. Grammatische Relationen Die schwierigsten Definitionen sind diejenigen für syntaktische Kategorien und grammatische Relationen. Wiederum verwenden wir funktionale Kategorien. Für grammatische Relationen geben wir eine umrißhafte Charakterisierung eines vollständigen Situationstyps an, in dem es am wahrscheinlichtsten ist, daß die grammatische Relation dort vorkommt. Dies wird im folgenden mit einer Definition des obliquen Kasus "Komitativ" veranschaulicht, indem wir die Situation der Begleitung eines Agens bei einem Bewegung implizierenden Ereignis anführen: KASUS / GRAMMATISCHE RELATION Komitativ (COM) (abhängig vom Verb) semantische Rolle = Begleitung Kontrollierende Einheit: propositionaler Akt Domäne Entitätstyp Kontrollierte Einheit: propositionaler Akt Domäne Entitätstyp
= Referenz = Bewegung = Aktivität = Referenz = menschlich = Objekt
Beispiel: 'Hans ging mit Maria zum Markt.' Ebenso wie bei Tempus, Aspekt und Modus haben wir einen "alles-in-einen-Topf'-Ansatz für die Werte dieses Parameters gewählt, da wir die volle Bandbreite von Prädikat-Argument-Relationstypen zusammennehmen. Es gibt noch drei weitere Parameter, die mit grammatischen Relationen zu tun haben. Ein Parameter mit der Bezeichnung "Rolle(Element)" beschreibt die grammatische Rolle eines Elements in der Struktur der Konstruktion: Kopf, Komplement, Adjunkt etc. Über der Elementarsatzebene beschreibt der Parameter Nexus verschiedene Arten von Subordinatoren. Unterhalb dieser Ebene werden verschiedene Arten von possessiven Relationen (ζ. B. alienabel/inalienabel) auf dem Parameter Possessionstyp angegeben.
3. Syntaktische Kategorien und Konstruktionen und die Organisation des formbezogenen Beschreibungsrahmens Das Hauptproblem bei der Angabe von Parametern für syntaktische Kategorien und Konstruktionen liegt darin, deskriptive grammatische Eigenschaften so auszuwählen, daß (i) ihre Anzahl gering ist, (ii) sie eine motivierte Menge salienter grammatischer Eigenschaften darstellen, (iii) sie einen Rahmen liefern, der als "Inhaltsangabe für die formale Organisation" dienen kann, daß man (iv) ohne Mühe operationale Definitionen angeben kann, welche übereinzelsprachlich verwendbar sind, und daß (v) der Benutzer neue Werte hinzufügen kann, um einzelsprachliche syntaktische Kategorien und Konstruktionen zu beschreiben. In diesem Abschnitt werden wir
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die allgemeine Lösung des Problems, die wir gewählt haben, kurz darstellen (cf. ebenfalls Lehmann i. V.). Wir haben drei Parameter bestimmt, welche unserer Meinung nach die Anforderungen (i) (v) in größtmöglichem Maße erfüllen. Diese drei Parameter sind (grammatische) Ebene, (grammatische) Kategorie und (interne grammatische) Struktur. Diese drei Parameter können hierarchisiert werden, womit sie ein "formales Inhaltsverzeichnis" bilden. Das formale Inhaltsverzeichnis enthält "Ebene" als oberste, Kategorie als nächsthöhere und Struktur als dritthöchste Ebene. Der Parameter "Ebene" beschreibt die verschiedenen Ebenen der hierarchischen grammatischen Struktur, auf der syntaktische Einheiten von im wesentlichen gleichen Kategorien anzutreffen sind, z. B. Stamm, Wurzel, Wort, Phrase, Teilsatz, Satz. Im Inhaltsverzeichnis schafft dies eine Organisation in "Kapitel" durch die oben erwähnten Kategorien, welche sich an die meisten Standardinhaltsverzeichnisse für Referenzgrammatiken anlehnt. Es besteht die Möglichkeit für den Benutzer, diesem Parameter einen Wert hinzuzufügen ebenso wie bei jedem anderen Parameter. Falls z. B. jemand eine syntaktische Ebene zwischen Wort und Phrase beschreiben möchte, welche in etwa der X'-Ebene in vielen Versionen der X-Bar-Theorie entspricht, kann er dies tun durch Hinzufügung eines Wertes zum Parameter "Ebene". Diese neue Ebene wird automatisch in das Inhaltsverzeichnis eingefügt, falls der Benutzer dies wünscht. In seiner traditionellen Verwendungsweise ist der Terminus 'Satz' (sentence) im Grunde ambig: er kann zur Beschreibung eines "komplexen Satzes" verwendet werden, d. h. eines Satzes mit mehr als einem Teilsatz, oder eines "Satzes" im Sinne eines Wurzelknotens S, d. h. einer Einheit mit illokutiver Kraft, der häufigsten Form einer vollständigen Äußerung. Wir haben die letztere Interpretation gewählt. Ein komplexer Satz, ein Satz also mit einem beliebigen untergeordneten Satz, wird immer dann beschrieben, wo der untergeordnete Satz in der syntaktischen Struktur erscheint: als Modifikator (Relativsatz), an Stelle eines nominalen Komplements (Komplementsatz), oder als Adverbiale (Adverbialsatz). Der Wert "Satz" auf dem Parameter "Ebene" ist der Ort, an welchem Satztypen - deklarativ, interrogativ usw. - beschrieben werden, eine Vorgehensweise, die am besten der konventionellen Praxis bei der Strukturierung von Referenzgrammatiken für das mit "Satz" überschriebene Kapitel entspricht. Der Parameter "Kategorie" beschreibt syntaktische Einheiten hinsichtlich ähnlicher Distribution, z. B. Nomen, Verb, Adjektiv, Adverb, Adposition, Numerale, Quantor usw. Für diese Kategorien läßt sich oft ein funktionaler Prototyp angeben. Beispielsweise gründen einige lexikalische syntaktische Kategorien auf funktionalen Definitionen, welche wiederum auf der Domäne und dem Entitätstyp beruhen sowie auf dem dem propositionalen Akt, für den die lexikalische Kategorie prototypischerweise verwendet wird. Wir veranschaulichen dies hier anhand des Beispiels "Adjektiv", welches oben schon diskutiert wurde: Adjektiv (Adj) propositionaler Akt Domäne Entitätstyp Kopfkategorie
= Modifikation = Dimension/Alter = Qualität =N
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Rolle
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= Adjunkt
In Verbindung mit Werten auf dem Parameter "Ebene" liefern diese Kategorien die wichtigsten syntaktischen Typen. Beispielsweise ergibt die Kategorie = "Nomen" in Kombination mit Ebene = "Phrasale Kategorie" Nominale, d. h. phrasale Konstituenten mit einer Distribution ähnlich der von Nomina. Kategorie = "Nomen" in Verbindung mit Ebene = "Wort" liefert die lexikalische Kategorie "Nomen". Kategorie = "Nomen" zusammen mit Ebene = "Teilsatz" ergibt einen Komplementsatz. Die Satzebene verlangt eine andere Menge von Werten für den Kategorie-Parameter, da sie die Ebene darstellt, auf der Satztypen definiert sind. Die zum Parameter "Satz" passenden Werte sind u. a. Deklarativ, Interrogativ, Imperativ, Optativ usw. Dies sind Werte auf dem Parameter "Kategorie", da auch sie distributionell definiert sind, nämlich - über die Distribution von Äußerungen. Der Parameter "Struktur" beschreibt die interne grammatische Struktur von Einheiten, welche hinsichtlich ihrer Ebene und ihrer Kategorie bereits bestimmt sind. Es gibt also einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Definitionen der Parameter "Kategorie" und "Struktur". Der Strukturparameter beschreibt somit die internen grammatischen Eigenschaften einer syntaktischen Einheit, während der Parameter "Kategorie" die externen grammatischen (d. h. distributionellen) Besonderheiten dieser Einheit angibt. Der traditionellen Praxis der Referenzgrammatiken folgend, in denen verschiedene Typen von Nominalphrasen zusammen besprochen werden, stellt der Parameter "Kategorie" eine höhere Unterscheidungsebene im formalen Inhaltsverzeichnis dar als der Parameter "Struktur". Der Strukturparameter bietet eine "holistische" Beschreibung der Struktur der syntaktischen Einheit insgesamt; die grammatischen Relationen besonderer Elemente werden in dem Parameter "Grammatische Relation" beschrieben, der in § 2.4 erörtert wurde. Nachfolgend listen wir typische strukturelle Typen auf, welche bei Nominalphrasen, unserem zentralen Beispiel, auftreten: (a) Ausdrücke mit Kopf. Dies sind die NPs im engeren Sinn, Nominalphrasen mit einem Kopfnomen, welches zusammen mit Modifikatoren, Komplementen oder anderen abhängigen Elementen auftreten kann. (b) Ausdrücke ohne Kopf. Diese entsprechen bis auf den fehlenden Kopf den Ausdrücken unter (a). Ein Beispiel dafür wäre etwa im Spanischen la verde 'die Grüne', die englischen Entsprechungen haben ein expletives orte als Kopf. (c) Pro-Formen. Pronomina sind eine Klasse von Pro-Formen; es gibt außerdem Pro-Verben (do, do so), Pro-Adjektive (such), interrogative Pro-Formen (who, what, why), Pro-Adverbien (here, there) usw. (d) Koordinierte Ausdrücke. Koordinierte Nomen sind nur eine von vielen Arten von koordinierten Ausdrücken; es gibt noch viele weitere, da fast jede Kategorie koordiniert werden kann. (e) Ausdrücke mit Appositionen. Nominale wie my brother, the geophysicist sind appositive NPs (zwei NPs mit gleicher Referenz). Die klarsten Fälle von appositiven Ausdrücken sind Nominale, doch kommen auch andere Typen von appositiven Phrasen vor.
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(f) Teilsatzwertige Ausdrücke. Teilsätze können als Nominale fungieren (in diesem Falle als "Komplementsatz", engl, substantival clauses, noun clauses, complement clauses bezeichnet). Teilsätze können ferner in der Funktion von Modifikatoren (als Relativsätze) und Adverbien (Adverbialsätze) vorkommen. Dies sind nur einige exemplarische Werte auf dem Strukturparameter, angewandt auf Ebene = Phrase und Kategorie = Nomen. Derzeit stellen wir eine Liste zusammen für häufig anzutreffende grammatische Strukturen, für die eine standardisierte Terminologie (und somit StandardWerte auf diesem Parameter) angemessen erscheinen. Die Ebenen "Wort" und "Stamm" verlangen andere Arten von Weiten für den Struktur-Parameter. Ein Wort kann beschrieben werden als Simplex, Kompositum, Derivat, unflektiert, flektiert usw. Diese Begriffe beschreiben die interne Struktur des Wortes oder Stammes, und gehören somit dem Strukturparameter zugeordnet. Entsprechend werden verschiedene Arten von Strukturen auf der Satzebene anzutreffen sein, z. B. Neutral, Spaltsatz, Fokuskonstruktion, Topikalisierung usw. Diese beschreiben die interne Struktur von Sätzen, und werden somit ebenfall angemessen innerhalb des Strukturparameters behandelt. Ein großer Vorteil der Verwendung dreier allgemeiner, aber gut motivierter Parameter für die Beschreibung syntaktischer Einheiten ist die Möglichkeit der Kombination beliebiger Werte auf allen drei grammatischen Parametern. Wir brauchen nicht im voraus jede mögliche Kombination zu spezifizieren, und daher nicht die Existenz aller tatsächlich möglichen Kombinationen dieser Werte vorauszusehen. Somit ist ein Feldforscher in der Lage, auch "exotische" Kombinationen von Ebene, Kategorie und Struktur zu beschreiben, wie sie in nichteuropäischen Sprachen auftreten können. Darüberhinaus können durch die Behandlung dieser Eigenschaften von grammatischen Konstruktionen als Parameter, zu denen die Benutzer Werte hinzufügen dürfen, sprachspezifische Kategorien (z. B. statische Verben in Maya oder Possessiv-Klassifikatoren im Mikronesischen) oder sprachspezifische Strukturen (z. B. NPs mit izafet im Türkischen) ohne große Schwierigkeiten der grammatischen Beschreibung hinzugefügt werden. Einige Schwierigkeiten, deren wir uns bewußt sind, bleiben mit den drei Parametern für die Beschreibung syntaktischer Kategorien und Konstruktionen bestehen. Beispielsweise ist es möglich, daß eine morphologische und eine syntaktische Kategorie nicht zusammenfallen. Die Daten, welche einen autolexikalischen Ansatz für die Syntax erforderlich erscheinen lassen (Sadock 1990) sind nicht ohne weiteres einer Beschreibung mit einem einzigen morphosyntaktischen Parameter "Ebene" zugänglich. Auf dieses Problem werden wir bei der Hinzunahme einer morphonologischen Systemkomponente eingehen. Ebene und Struktur überlappen sich außerdem in gewissem Umfang. In den oben angeführten Beispielen nominaler Ausdrücke sind Komplementsätze definiert als Ebene = Teilsatz, Kategorie = Nomen, Struktur = Teilsatz. Diese Beschreibung steht zwar im Einklang mit unseren Definitionen der Parameter "Ebene" und "Struktur", zeigt jedoch, daß diese beiden Parameter nicht völlig voneinander unabhängig sind. Eine weitere verbleibende Schwierigkeit ist die Angabe operationaler Definitionen des Parameters "Ebene" und in geringerem Maße, des Strukturparameters. Die Strategie, einen funktionalen Prototypen zu benennen, ist am besten für den Parameter "Kategorie" geeignet, jedoch
Die Beschreibung sprachlicher Formen
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nicht ohne weiteres für die Parameter "Struktur" und "Ebene". Auf der anderen Seite sind sie nicht ausschließlich formbezogen, in dem Sinne, daß sie direkt aus der Beobachtung einer Kette von Einheiten ableitbar wären so wie Stellung und Obligatorik. Nichtsdestoweniger deuten die Nützlichkeit der Begriffe "syntaktische Ebene", "(distributionelle) Kategorie" und "(interne) Struktur" für die grammatische Beschreibung sowie die von den meisten Linguisten geteilten ziemlich klaren Intuitionen bezüglich ihrer übereinzelsprachlichen Anwendbarkeit darauf hin, daß sie auch weiterhin eine zentrale Rolle in der grammatischen Beschreibung spielen sollten.
4. Anhang Im folgenden wird eine auf die Bedürfnisse des Lesers ausgerichtete Zusammenfassung der Parameter des formalen Rahmens angegeben, wie er im März 1993 vereinbart wurde, mit den Modifikationen bei den syntaktischen Kategorien und Konstruktionen, die in §3 beschrieben wurden. Eine Auflistung der Werte mit den vorgeschlagenen Definitionen in Termini funktionaler Prototypen für diejenigen Werte, für die dies angemessen scheint, ist auf Anfrage von den Entwicklern von FDG erhältlich. I. Syntaktische/Morphologische Struktur Reihenfolge(Element 1, Element 2), Obligatorik(Element), Ausdrucksform(Element) II. Flexionskategorien A. Nominal/Pronominal Person, Deixis, Numerus, Genus, Definitheit, Obviation, Größe, Affekt, Typ des Pronomens, Form des Nomens B. Verbal Direktional, Diathese, Direktheit, Tempus, Aspekt, Modus, Polarität, Volitionalität, Transitivität, Logophorizität, Form des Verbs C. Adjektivisch/Numeralisch Grad, Intensivierung, Typ des Zahlwortes D. Kategorien auf Satzebene Referenzwechsel, Pragmatische Rolle, Emphase, Höflichkeit ΙΠ. Derivationelle Kategorien Nominalisierung, Verbalisierung IV. Syntaktische Kategorien und Konstruktionen Ebene, Kategorie, Struktur V. Grammatische Relationen Rolle(Element), Kasus/Grammatische Relation, Nexus, Possessionstyp
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Literatur Bybee, Joan (1985): Morphology. Amsterdam: John Benjamins. Comrie, Bernard (1976): Aspect. Cambridge: Cambridge University Press. Dixon, R. M. W. (1977): Where have all the adjectives gone? In: Studies in Language 1:19-80. Lehmann, Christian (In Vorbereitung): On the system of semasiological grammar. MS, Universität Bielefeld. Sadock, Jerrold M. (1990): Autolexical syntax. Chicago: University of Chicago Press.
Dietmar Zaefferer (Universität München)
Ein Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken: Die Beschreibung sprachlicher Funktionen
1. Die funktionsbezogenen Beschreibungskategorien und ihre Stellung im Gesamtbeschreibungsrahmen Jede deskriptive Grammatik hat Antwort zu geben auf die folgenden drei Fragen: 1. Wie sieht das phonologische System der Objektsprache aus und welches sind die zulässigen Lautgestalten (oder Gebärdengestalten) objektsprachlicher Ausdrücke? 2. Wie sieht das grammatische System der Objektsprache aus und welches sind die zulässigen grammatischen, d.h. morphologischen und syntaktischen, Strukturen oder Formen objektsprachlicher Ausdrücke? 3. Wie sieht das semanto-pragmatische System der Objektsprache aus und welches sind die zulässigen Bedeutungen oder Funktionen, die objektsprachlichen Ausdrücken mit gegebenen Lautgestalten und grammatischen Strukturen auf Grund der lexikalischen Bedeutungen zugeordnet werden können? Ein Gesamtbeschreibungsrahmen für deskriptive Grammatiken hat also Informationsstrukturen bereitzustellen, in denen jede Teilantwort auf jede der drei Hauptfragen ihren wohlbestimmten Platz hat. Die hier vorzustellende Skizze eines solchen Beschreibungsrahmens befaßt sich nur mit den Antworten auf die zweite und dritte Frage und klammert die Diskussion lautbezogener Beschreibungskategorien aus. Der funktionsbezogene Teil des Beschreibungsrahmens hat die Form einer strukturierten Auflistung der Funktionen oder Inhalte, die von sprachlichen Ausdruckseinheiten oder Formen kodiert werden können. Er wird hier als nächstes vorgestellt, da der im Beitrag von William Croft präsentierte Rahmen formbezogener Kategorien zum Teil darauf aufbaut und weil mit der Stimmigkeit des funktionalen Rahmens ein Bein des akrobatischen Spagatschritts, den das vorzustellende Projekt ja wagt, steht oder fallt: das Bein der übereinzelsprachlichen, ja universellen Anwendbarkeit. "Sprachen, vergleichbar und unvergleichlich", so lautet der pointiert formulierte Titel eines Buches von Mario Wandruszka (1969), und damit läßt sich auch eines der zentralen Probleme und eines der ehrgeizigsten Teilziele des Projekts gut auf den Punkt bringen: Gegeben die Einzigkeit jeder zu beschreibenden Sprache einerseits und die Gültigkeit absoluter und implikativer Universalien andererseits: Wie kann eine Grammatik den Erfordernissen der einzelsprachlichen Adäquatheit und der universellen Vergleichbarkeit gleichzeitig genügen? Eine Teilantwort auf diese Frage, die im Projekt erarbeitet wurde, soll im folgenden vorgestellt werden. Bernard Comrie hat in seinem einleitenden Beitrag auf die Tendenz vieler Grammatikschreiber hingewiesen, die Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit 'ihrer' Sprache durch Verwendung einer idiosynkratischen Terminologie zu unterstreichen. So ärgerlich dies für den vergleichenden
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Dietmar Zaefferer
Sprachforscher sein mag, vor allem dann, wenn er mehr als zwei Sprachen vergleichen will oder zwei typologisch (und damit meist auch genetisch und areal) weit entfernte Sprachen, und so sehr es sprachübergreifenden Generalisierungen im Wege steht, so verständlich ist es andererseits, wenn man bedenkt, welch heterogenes Gemisch aus morphologischen, syntaktischen, semantischen, pragmatischen und bisweilen auch phonologischen Kriterien hinter scheinbar so harmlosen und elementaren Beschreibungskategorien wie attributives Adjektiv, Prädikatsnomen, oder Inteijektion z.B. im Deutschen steht, ganz zu schweigen von notorischen Sorgenkindern wie Adverb, Quantor oder Modalpartikel. Die Intentionen solcher Linguisten sollen hier keineswegs diskreditiert werden, vielmehr sind alle Träger des genannten Unternehmens der Überzeugung, daß jede Sprache geradezu ein Anrecht darauf hat, in ihrer Einzigartigkeit beschrieben zu werden, sie glauben aber auch, daß gerade dies geleistet werden kann. Wenn nämlich Vergleichbarkeit nicht erzwungen, sondern auf systematische, nachvollziehbare Art hergestellt wird, dann werden, dies ist jedenfalls ein Desiderat des vorzustellenden Projekts, einzelsprachliche Spezifika und Idiosynkrasien nicht nur nicht unter den Tisch fallen, sondern in besonderer Deutlichkeit und Schärfe hervortreten. Scheinidiosynkrasien, wie sie durch ad-hoc-Terminologie aufgebaut werden können, werden sich freilich in Luft auflösen. Das Gegenstück zum Typ des einzelsprachverliebten Idiosynkratikers, den man auch den Unterschiedsübertreiber nennen könnte (und der bisweilen mit einer mehr oder minder ausgeprägten theorienfeindlichen Attitüde auftritt), ist der mindestens ebenso problematische Gemeinsamkeitsübertreiber. Er ist im allgemeinen sehr theorielastig und der festen Überzeugung, daß alle Sprachen hinter den scheinbar heterogenen Fassaden hochgradig homogene Hintergrundsstrukturen aufweisen. Neigt der Unterschiedsübertreiber dazu, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen, so erschreckt beim Gemeinsamkeitsübertreiber die prokrusteshafte Bereitwilligkeit, alle Sprachen über einen irgendwann einmal gefundenen Leisten zu schlagen. Wo aber die goldene Mitte zwischen Unterschiedsbetonung und Gemeinsamkeitsbetonung liegt, dürfte wohl keine a priori entscheidbare Frage zu sein, sondern eine Sache geduldiger Empirie. Daß alle Sprachen auf irgendeinem Abstraktionsniveau vergleichbar sind, ist unkontrovers, einen zuverlässigen Überblick über das tatsächlich vorliegende Ausmaß von Hetero- und Homogenität gibt es aber noch nicht. Man könnte dieses Nicht-Wissen natürlich ausgleichen durch ein Annehmen oder hypothetisches Setzen, kurz durch starke theoretische Vorannahmen. Aber soll man das tun? Dies leitet über zu der Frage nach der Theorienhaltigkeit des vorzustellenden Beschreibungsrahmens. Die Antwort läßt sich, zugegebenermaßen etwas paradox, in ihrer Grundidee so formulieren: Je uninteressanter der Beschreibungsrahmen unter dem theoretischen Gesichtspunkt ist, desto interessanter ist er. Wieso? Ganz einfach: Fragen, deren Entscheidung bereits in das Beschreibungsinstrumentarium eingebaut ist, können mit Hilfe der Beschreibung kaum noch (oder jedenfalls nur sehr schwer) beantwortet werden. Die in die Erstellung der Beschreibungskategorien eingehenden Grundannahmen sollten daher möglichst konsensfähig, unkontrovers, für Anhänger verschiedener Forschungsparadigmen akzeptabel und damit eben auch theoretisch in einem gewissen Sinne uninteressant sein. Idealiter sollte jeder Anhänger einer interessanten, starken und falsifizierbaren Theorie jede der in unserem Rahmen geschriebenen deskriptiven
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Grammatiken umformulieren können in eine mit seinen Voraussetzungen konforme theoretische Grammatik (oder vielleicht auch nicht jede, wenn seine Theorie wirklich falsifizierbar ist). Wie lassen sich nun solche schwachen theoretischen Vorannahmen eruieren? Um die Basis universeller Vergleichbarkeit deutlich in den Blick zu bekommen, muß man erst einmal von dem Gewimmel einzelsprachlicher Fakten Abstand gewinnen, gewissermaßen zurücktreten und sich überlegen, was denn allen natürlichen Sprachen mit Sicherheit gemeinsam ist, und eine solche Reflexion führt nicht zu formalen Kategorien wie Modalpartikel, oder Prädikatsnomen, sondern zu funktionalen Kategorien wie Fragen stellen, Auffordern, Referieren, Adressieren, Prädizieren oder Quantifizieren. Dies läßt sich mit Hilfe aller Sprachen tun, die Unterschiede liegen in der Antwort auf die Frage, mit welchen Mitteln es sich tun läßt. Man muß daher zunächst einen Konsens über grundlegende funktionale Kategorien suchen. Zuvor aber soll noch ein Adäquatheitskriterium festgehalten werden, das von fundamentaler Wichtigkeit ist: Das funktionale Beschreibungsinstrumentarium darf nur eine strikt funktionale Beschreibung dessen ermöglichen, was konventionsgemäß geschieht, wenn die zu beschreibende sprachliche Einheit unter normalen Umständen produziert wird. Jegliche Bezugnahme auf formale Kategorien, und seien es so elementare wie Nomen und Verb, oder sogar noch elementarere wie Nominalität und Verbalität ([+N] und [+V]) ist ausgeschlossen. Erst wenn dies gewährleistet ist, ist die universelle Ersetzbarkeit des Rahmens auch dann noch gesichert, wenn sich z.B. in der Diskussion um die Universalität der N-V-Distinktion eine negative Antwort ergeben sollte. Ich möchte daher nach der Vorstellung des Beschreibungsrahmens anhand von beispielhaften funktionalen Beschreibungen von Ausdrücken aus zwei Sprachen, einer mit ausgeprägter N-V-Distinktion und eine mit zweifelhafter, überprüfen, inwieweit die Formunabhängigkeit der funktionalen Kategorien tatsächlich gegeben ist. Bei der Erarbeitung hat sich übrigens die formale Prädikatenlogik als nützlich erwiesen, die eine solche Unterscheidung ja auch nicht kennt.1
2. Grundannahmen Von den folgenden sprachtheoretischen Grundannahmen wird angenommen, daß sie für einen breiten Konsens geeignet sind: 1. 2.
Alle Sprachen sind Systeme, die Mengen von Zeichen definieren, und Zeichen sind konventionelle Korrelationen zwischen wahrnehmbaren Gestalten und erschließbaren Gehalten. Bei allen natürlichsprachlichen Zeichen lassen sich bei den aus den wahrnehmbaren Gestalten erschließbaren Gehalten formale und funktionale Anteile unterscheiden. Die formalen Gehaltsanteile (grammatische oder Formkategorien) sind entweder rein formale oder funktional definierte Kategorien, die funktionalen Gehaltsanteile (semantische oder Funktionskategorien) sind Strukturbildungskategorien (Operationen) oder Inhaltskategorien.
Sie kennt natürlich die Prädikatssymbol-Term-Unterscheidung, aber Terme entsprechen gerade nicht den Nomina (Appellativa), sondern den Eigennamen und Pronomina.
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Die Interpretation der formalen und funktionalen Anteile der erschließbaren Gehalte sprachlicher Zeichen fuhrt schließlich zu den erschließbaren Inhalten. 4. Der enkodierende Sprachgebrauch (Sprachhandeln) besteht in der situierten Produktion wahrnehmbarer Gestalten und damit der situierten Konstruktion erschließbarer Inhalte. Aspekte der durch den Sprachgebrauch konstituierten Produktionssituation können wesentliche Bestandteile des jeweils produzierten Zeichens sein. 5. Der dekodierende Sprachgebrauch (Sprachverstehen) besteht in der situierten Interpretation wahrnehmbarer Gestalten und davon ausgehend der situierten Rekonstruktion erschließbarer Inhalte. Die Interpretationssituation kann für die Zeichenrelation nur insofern eine Rolle spielen, als sie dem Enkodierer antizipierbar ist. Die Produktionssituation und die Interpretationssituation heißen Metasituationen, Situationen, die in den Inhalten sprachlicher Zeichen charakterisiert werden, heißen Objektsituationen. 6. Eine vollständige Sprachhandlungseinheit liegt genau dann vor, wenn ihr erschließbarer Inhalt wenigstens auch eine Bestimmung der Rolle beinhaltet, die sie in der Interpretationssituation erfüllen soll (kommunikativer Zweck, illokutionäre Kraft). Eine solche vollständige Sprachhandlungseinheit heißt Illokution. 7. Eine Illokution umfaßt meist zusätzlich zur Kodierung der illokutionären Rolle einen propositionalen oder zumindest einen referentiellen Akt. 8. Jede natürliche Sprache verfügt über eine offene, beliebig vergrößerbare Klasse sprachlich gefaßter Konzepte, die Prädikate, denen bestimmte Entitäten als Instantiierungen oder Fälle insofern entsprechen, als sie unter den entsprechenden Begriff fallen. Entitäten, die durch ein sprachliches Zeichen einem Prädikat zugeordnet werden, heißen (durch dieses Zeichen) prädikativ charakterisiert. 9. Jede natürliche Sprache verfügt darüber hinaus über eine relativ kleine geschlossene Klasse sprachlich gefaßter Konzepte, die Sorten, denen ebenfalls bestimmte Entitäten als Instantiierungen oder Fälle entsprechen. Die Sorten sind meist viel allgemeiner und abstrakter als die Prädikate. Entitäten, die durch ein sprachliches Zeichen einer Sorte zugeordnet werden, heißen (durch dieses Zeichen) sortal charakterisiert oder sortiert. 10. Jede natürliche Sprache verfügt über Referenzmittel, Zeichen, die bei geeignet situierter Verwendung den Bezug zu gewissen vorgegebenen, einzuführenden oder nur virtuellen Entitäten herstellen. Solche referierend gebrauchten sprachlichen Zeichen charakterisieren die jeweils gemeinten Entitäten sortal und häufig auch prädikativ. Dies heiße restriktive Charakterisierung oder Restriktion. Die Frage der Korrektheit dieser Charakterisierung wird nicht aufgeworfen, sondern als positiv beantwortet unterstellt, eine Proposition wird somit nicht konstituiert. 11. Jede natürliche Sprache verfügt über Prädikationsmittel. Prädizierend gebrauchte sprachliche Zeichen charakterisieren ihr jeweiliges Relat prädikativ und im allgemeinen auch sortal. Dies heiße prädizierende Charakterisierung oder Prädikation. Wird die Frage der Korrektheit dieser Charakterisierung wird nicht als beantwortet unterstellt, sondern nur aufgeworfen, so liegt Propositionskonstituierung vor, ein Akt der Produktion eines propositionalen Gehaltes, m.a.W. einer Proposition. Ist die Charakterisierung korrekt, so heißt die Proposition wahr. Propositionen sind zu unterscheiden von den sie enthaltenden Illokutionen. In
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assortierenden Illokutionen wird der propositionale Gehalt behauptet, diese können daher ebenfalls als wahr oder falsch bezeichnet werden. 12. Ist der Gegenstand einer Prädikation bereits in den Diskurs eingeführt, so liegt eine referenzaufnehmende oder kategorische, andernfalls eine thetische Proposition vor. Thetische Propositionen können referenzeinführend oder rein quantifizierend, also nur virtuell referierend sein. Im Abschnitt vier unten wird davon die Rede sein, wie mit Hilfe dieser universellen Grundannahmen das System funktionaler Deskriptoren auf einzelsprachunabhängige Weise strukturiert wird, im Abschnitt fünf wird diese Unabhängigkeit demonstriert werden.
3. Die Struktur des funktionsbezogenen Beschreibungsrahmens Wenn Beschreibungen sprachlicher Fromen und Funktionen vergleichbar sein sollen, müssen sie in der gleichen Weise organisiert sein. Der Beschreibungsrahmen leistet dies, indem er eine Menge von Variationsdimensionen, Parameter genannt, bereitstellt. Für jeden Parameter, der auf die jeweils zu beschreibende Einheit anwendbar ist, muß vom Beschreiber ein Wert angegeben werden. Diese Parameter-Wert-Organisation semantisch-pragmatischer und grammatischer Information (auch bekannt unter der Bezeichnung Merkmal-Wert- oder Attribut-Wert-Repräsentation) ist nicht dazu gedacht, deskriptiv-grammatische Prosa zu ersetzen, sondern dazu, sie vielmehr zu stimulieren und zu strukturieren. Sie soll freilich die Kernfakten möglichst detailliert wiedergeben, so daß bei eiligen Konsultationen und vor allem beim Vergleich einer größeren Anzahl von Sprachen auch auf die Lektüre der textuellen Beschreibungen verzichtet werden kann. Bei der Auswahl der Parameter und der dazugehörigen Werte, ihrer Benennungen und Definitionen wurde versucht, so eng wie möglich an der de /acio-Tradition zu bleiben, um so eine möglichst leicht zu akzeptierende Standardisierung zu erreichen. Dennoch ist es denkbar, daß es nötig erscheint, Werte hinzuzufügen, die im Beschreibungsrahmen noch nicht vorkommen. Diese Möglichkeit wurde antizipiert und das System läßt diese Art von Erweiterung zu. Was es nicht zuläßt, ist die Hinzufügung neuer Parameter, denn dies würde die Vergleichbarkeit gefährden, eines der zentralen Desiderate des Systems. Deswegen haben wir uns bei der Wahl der Parameter besonders bemüht, exhaustiv zu sein. Wo dies nicht möglich ist, wie zum Beispiel beim propositionalen Teilakt der Klassifikation als Sortierung von Eigenschaften von Propositionskonstituenten, sind Erweiterungsmöglichkeiten vorgesehen. Um die Struktur und damit die Implementierung so einfach wie möglich zu halten, sind die Parameter nicht in einer hierarchischen, sondern in einer linearen Struktur angeordnet, so daß sie in der systeminternen Repräsentation alle auf der gleichen Ebene liegen, obwohl sie keineswegs alle logisch unabhängig sind: Die Anwendbarkeit eines Parameters kann mit der Anwendbarkeit eines anderen inkompatibel sein. Ist zum Beispiel die Funktion, d.h. das Denotat einer Einheit beschreibbar als etwas, wofür der Klassifikationsparameter "Geschlecht" definiert ist, dann ist der epistemische Evidentialitätsparameter nicht anwendbar und umgekehrt, da letzterer nur für
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Urteile, also Abstrakta, definiert ist, aber nur Lebewesen, also Konkreta, Geschlecht haben können. Inkonsistente Parameterkombinationen werden vom System nicht zugelassen. Um die Orientierung für den Benutzer zu erleichtern, wurde extern eine hierarchische Organisation auf vier Ebenen vorgenommen mit drei Gruppen auf der obersten Ebene, maximal vierfachen Unterteilungen auf der zweiten Ebene, maximal binärer Untergliederung auf der dritten Ebene und bis zu fünffacher Verzweigung auf der vierten. Bei den Parameterwerten ist ebenfalls eine Art inteme Ordnung vorgesehen, indem globale Werte zugelassen sind, die als Disjunktion ihrer Unterwerte aufzufassen sind. So gibt es zum Beispiel in der Menge der Werte für den Belebtheitsparameter eine binäre Opposition zwischen belebt und unbelebt, wobei Belebtheit ein Globalwert für Person, Tier oder Pflanze ist. Wem diese Organisation des Beschreibungsinstrumentariums zu restriktiv ist, wer sich nicht dem Zwang aussetzen will, funktionale Information in die Schubladen von fünfeinhalb Dutzend Regalen zu klemmen, sollte sich vor Augen halten, daß er den Inhalt mancher Schubladen erweitern kann. Das System ist entworfen worden auf dem Hintergrund von problematischen Erfahrungen mit weniger flexiblen Vorgängersystemen.
4. Das System der funktionalen Deskriptoren Im folgenden soll das System der funktionalen Beschreibungskategorien (Deskriptoren) und sein Zusammenhang mit den im vorangehenden Beitrag von William Croft vorgestellten formalen Beschreibungskategorien kurz umrissen werden. Das System der funktionalen Deskriptoren wird gebildet von einer Systematik funktionaler Aspekte sprachlichen Handelns, über die der Anhang dieses Kapitels einen Überblick verschafft. Für diese Systematik muß universelle Gültigkeit postuliert werden, denn die Funktionsdeskriptoren bilden den Dreh- und Angelpunkt des Projekts: So groß die Vergleichbarkeitsprobleme auf lautlicher und struktureller Ebene auch sein mögen, funktional müssen alle Sprachen auf Grund der oben angeführten Annahmen, auf denen die genannte Systematik beruht, direkt vergleichbar sein, während die funktional definierten formalen Kategorien nur eine indirekte Vergleichbarkeit gewährleisten und in ihrer jeweiligen einzelsprachlichen Ausprägung wegen der Flexibilität von Prototypendefinitionen nicht unerheblich voneinander abweichen können. Als Beispiel sei die formale Kategorie Plural genannt, die definiert ist über die maximale im jeweiligen grammatischen System sortal kodierbare Kardinalität (vgl. den vorangehenden Beitrag), also als größer als eins bei zweistufigen (Singular-Plural-)Systemen, größer als zwei bei dreistufigen (Singular-Dual-Plural-)Systemen etc. Hier steckt also schon in der Definition eine erste Relativierung der Vergleichbarkeit, die zum Beispiel beim über die Kardinalität eins definierten Singular nicht gegeben ist. Eine zweite Relativierung entsteht durch Abweichungen vom prototypischen Fall, wie sie etwa bei Pluraliatantum möglich sind, die zählbare Objekte denotieren. Vergleichen wir die beiden deutschen Substantivformen 'Hemden' und 'Shorts', so wird in beiden Fällen die formale Beschreibung die Information 'Numerus = PL1 umfassen, die funktionale Beschreibung wird hingegen nur bei ersterer die daraufhin auf Grund der Zweistufigkeit des deutschen Numerussystems erwartbare Information 'Kardinalität = größer als eins' enthal-
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ten, bei 'Shorts' hingegen muß 'Kardinalität = transnumeral' stehen, da diese Form als Pluraletantum keine Rückschlüsse auf die Kardinalität zuläßt. Die Systematik funktionaler Aspekte sprachlichen Handelns geht davon aus, daß diese in drei Gruppen einzuordnen sind. Nach den im zweiten Abschnitt aufgeführten Annahmen gehört zu einer vollständigen Sprachhandlungseinheit wenigstens ein Akt der Illokutionskonstituierung, dessen Inhalt im allgemeinen durch einen Akt der Propositionskonstituierung gebildet wird. Letzterer gehört zur Gruppe der propositionalen Akte, ersterer zu der der propositionsübergreifenden oder transpropositionalen Akte. Schließlich muß noch eine dritte Gruppe, die der Strukturbildungsakte oder funktionalen Operationen, angenommen werden, wozu etwa konjunktive und disjuntive Verknüpfungen zu rechnen sind. Naturgemäß bedarf die Gruppe propositionalen Akte der stärksten Differenzierung. Ist eine elementare Proposition erst einmal konstituiert, so kann sie mit ihren Bestandteilen auf vielfältige Weise charakterisiert werden, wobei den Annahmen gemäß zwischen sortaler (grammatischer) und prädikativer (lexikalischer) Charakterisierung unterschieden wird. Unter den fünf Gruppen eigenschaftsbasierter Sortierung, nämlich Referenzspezifikation, Existenz- und Quantitätsspezifikation, Klassifikation, Situierung und epistemische Einordnung, enthält eine, Klassifikation, einen offenen, für die Deskribenten durch Hinzufügung neuer Werte modifizierbaren Parameter, der hier Restklasse heißt. Er wurde als offen konzipiert, da damit zu rechnen ist, daß außer den bekannteren Klassifikationskriterien Geschlecht, Belebtheit, Größe, Bewertung, Begrenzung, Homogenität und Aggregatzustand und den weniger bekannten wie Schädlichkeit oder Nahrungsmittel bei der Beschreibung unterdokumentierter Sprachen weitere, bislang noch unbekannte klassifizierende Eigenschaften benötigt werden. Diese haben dann ihren wohldefinierten Platz in der Systematik, obwohl sie darin nicht von vornherein enthalten sind. Offen bleibt aus dem gleichen Grund auch die Liste der Relationstypen bei der relationalen Sortierung von Ereignissen als Propositionskonstituenten, denn es ist denkbar, daß außer den Werten Gleich-, Vor- und Nachzeitigkeit, Konditionalität, Kausalität, Permission und Konzession noch weitere Relationstypen grammatisch kodiert werden. Auch hier ist ein genauer Platz in der Systematik bereits reserviert. Weitere offene Parameter sind bei der prädikativen Charakterisierung der Propositionskonstituenten die konzeptuellen Bereiche und die Entitätstypen im Bereich der Umstände. Schließlich sind bei den transpropositionalen Akten die Parameter Textsortenmarkierung und Markierung illokutionärer Kraft als offen, also ergänzbar konzipiert. Die Leistungsfähigkeit des vorgeschlagenen Systems läßt sich vielleicht am besten anhand eines Beispiels verdeutlichen, in dem zwei Sätze funktional beschrieben werden, die in der Übersetzungsrelation zueinander stehen, die also grob funktional äquivalent sein müssen.
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5. Ein Beispiel funktionaler Beschreibung Das erste Beispiel ist ein Vier-Wort-Satz der irokesischen Sprache Cayuga (Sasse 1991: 84; die Nasalierungshäkchen wurden weggelassen), das zweite Beispiel ist eine Übersetzung dieses Satzes ins Deutsche. (1) (2)
a-hó-hto:' ho-tkwe't-a' ne:kyé h-okweh' Dieser Mann hat seine Brieftasche verloren.
Wer das erste Wort, genauer die erste Wortform von (1) äußert, tut damit unter normalen Umständen folgendes: Er vollzieht einen illokutionären Akt mit assertiver Kraft, positiver Polarität, unmarkierter Intensität und propositionalem Gehalt. Letzterer konstituiert sich aus der Benennung des Prädikats 'verlorengehen', seiner Aktivierung durch Bezug auf einen einzuführenden Referenten als unter den Begriff des Primäipartizipanten beim Prädikatsbegriff fallend und durch Situierung dieses Bezugs an einem dem Sprechzeitpunkt vorangehenden Zeitpunkt (Objektsituation vor Metasituation). Der Referent wird restringiert durch seine Sprechaktrolle 'dritte Person' (weder Sprecher- noch adressateninkludierend), seine Einzahl und seine Klassifikation als neutral. Das Prädikat 'verlorengehen' wird spezifiziert durch Bezug auf einen weiteren einzuführenden Referenten, der restringiert wird durch seine Sprechaktrolle 'dritte Person', seine Einzahl, seine Klassifikation als männlich sowie dadurch, daß er unter den Begriff des Sekundärpartizipanten beim Prädikatsbegriff fallt. Es wird also ausgesagt, daß da etwas verlorengegangen ist und daß ein männliches Wesen die nächstwichtige Rolle bei diesem Ereignis, die des Betroffenen, spielt. Wer die zweite Wortform von (1) äußert, vollzieht wegen des Nominalisierungssuffixes damit keinen eigenständigen illokutionären Akt, sondern reicht zur ersten Assertion einen Referenzakt nach, der den eingeführten Hauptreferenten weiter restringiert, diesmal allerdings nicht nur sortal, sondern prädikativ mit Hilfe des Begriffs 'Brieftasche', wobei dieses Prädikat wieder spezifiziert wird durch Bezug auf den zweiten eingeführten Referenten, der restringiert ist durch seine Sprechaktrolle 'dritte Person', seine Einzahl, seine Klassifikation als männlich sowie dadurch, daß er in possessiver Beziehung zu dem charakterisierten Objekt steht. Die vorher gemachte Aussage wird also dahingehend ergänzt, daß der verlorengegangene Gegenstand eine Brieftasche und die betroffene Person ihr Besitzer ist. Die Äußerung der dritten Wortform von (1) stellt einen deiktischen Referenzakt dar, der ebenfalls zur ersten Assertion zu rechnen ist und nun einen Referenten der Metasituation in die Objektsituation einbringt, der nur durch Einzahl, dritte Person und Sprechernähe restringiert ist. Die Äußerung der letzten Wortform von (1) schließlich läßt sich zwar im Prinzip als eigenständige Assertion interpretieren mit dem Inhalt, daß der deiktisch eingeführte Referent männlich und eine Person, also ein Mann sei, es liegt aber näher, hier wie im Fall der zweiten Wortform einen zur ersten Assertion nachgelieferten weiteren Referenzakt anzunehmen, der den eingeführten und deiktisch verankerten Nebenreferenten weiter restringiert, und zwar über die bekannten sortalen Charakteristika Einzahl, dritte Person und männlich hinaus prädikativ mit Hilfe des Begriffs 'Person'. (Der hier formal von der Form des Präfixes her zu erwartende Bezug auf einen
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neutralen zweiten Referenten kann funktional unberücksichtigt bleiben, da diese Komponente expletiv ist.) Die zweite Ergänzung der eingangs gemachten Aussage besteht also darin, daß der zweite, männliche Referent ein Mensch, also ein Mann ist. Eine Übersetzung, die den inkrementellen Aufbau des Inhalts von (1) besser wiedergibt, als (2), wäre also (3): (3)
Etwas ist jemandem verloren gegangen, etwas, was seine Brieftasche ist, diesem hier, der ein männlicher Mensch ist.
Eine funktionale Beschreibung von (2) ergibt dagegen einen ganz anderen Aufbau der Inhaltskomponenten, obwohl es sich hier nur um eine verglichen mit (3) weniger wörtliche Übersetzung von (1) handelt: Wer (2) äußert, vollzieht damit unter normalen Umständen einen illokutionären Akt mit assertiver Kraft, positiver Polarität, unmarkierter Intensität und propositionalem Gehalt. Letzterer konstituiert sich aus der Benennung des Prädikats 'verlieren', seiner Aktivierung durch Bezug auf einen einzuführenden Referenten, der unter den Begriff des Primärpartizipanten am Prädikatsbegriff fällt und durch Situierung dieses Bezugs an einem dem Sprechzeitpunkt vorangehenden Zeitpunkt (Objektsituation vor Metasituation). Der Referent wird sortal restringiert durch seine Sprechaktrolle 'dritte Person' (weder Sprecher- noch adressateninkludierend), seine Einzahl, seine Klassifikation als männlich und seine Präsenz in Objekt- und Metasituation, er wird prädikativ restringiert dadurch, daß er als Mann charakterisiert wird. Das Prädikat 'verlieren' wird spezifiziert durch Bezug auf einen weiteren einzuführenden Referenten, der unter den Begriff des Sekundärpartizipanten am Prädikatsbegriff fallt und der ebenfalls doppelt restringiert wird: sortal durch seine Sprechaktrolle 'dritte Person', seine Einzahl sowie dadurch, daß er in der Possessumrolle einer entsprechenden Relation zum anderen Referenten steht, prädikativ dadurch, daß er als Brieftasche charakterisiert wird. (Die formale Femininmarkierung kann nicht als Klassifikation durch das Merkmal 'weiblich' interpretiert werden, da dies mit dem Entitätstyp Gegenstand, dem der Prädikatsbegriff zugehört, unverträglich ist.) Die Beispiele sollten die Leistungsfähigkeit der funktionalen Deskriptoren deutlich machen, die einerseits generell genug sein müssen, um Sprachen beliebigen Typs beschreiben zu können, andererseits feinkörnig genug, um funktionale Unterschiede im Aufbau verschiedener sprachlicher Zeichen ebenso deutlich machen zu können wie funktionale Gemeinsamkeiten.
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Dietmar Zaefferer
6. Anhang: Übersicht über die Parameter des funktionalen Rahmens Funktionale Aspekte sprachlichen Handelns I. Propositionale Akte A. Propositionskonstituierung Β. Sortierung der Propositionskonstituenten 1. Sortierung der Propositionskonstituenten nach Eigenschaften a. Referenzspezifikation b. Spezifikation von Existenz und Quantität c. Klassifikation d. Situierung (in Raum, Zeit, auf Skalen) e. epistemische Einordnung 2. Relationale Sortierung der Propositionskonstituenten a. Relationen zwischen Konstituenten im allgemeinen b. Relationen zwischen Objekten c. Relationen zwischen Objekten und Sachverhalten d. Relationen zwischen Sachverhalten C. Prädikative Charakterisierung der Propositionskonstituenten 1. Konzeptuelle Bereiche 2. Konzepttypen II. Transpropositionale Akte A. Dlokutionskonstituierung Β. Soziale Situierung der Illokution C. Diskurssituierung der Illokution D. Besetzung der Sprechaktrollen ΙΠ. Strukturbildungsakte (funktionale Operationen)
Literatur Sasse, Hans-Jürgen (1991): Predication and Sentence Constitution in Universal Perspective. In: Dietmar Zaefferer (ed.), Semantic Universals and Universal Semantics. Berlin: Foris, 75-95. Wandruszka, Mario (1969): Sprachen, vergleichbar und unvergleichlich. München: Piper.
Christian Lehmann (Universität Bielefeld)
Ein Strakturrahmen für deskriptive Grammatiken: Anwendung des Beschreibungsmodells auf die nominale Possession im Yukatekischen 0. Einleitung Der Strukturrahmen für deskriptive Grammatiken gibt zwei Zugänge zur grammatischen Beschreibung vor. Die formale Perspektive geht von einem universalen System von Strukturmitteln aus und stellt die Funktionen dar, die diese in der gegebenen Sprache erfüllen. Die funktionale Perspektive geht von einem universalen System kognitiver und kommunikativer Funktionen der Sprache aus und stellt ihre Realisierung in der gegebenen Sprache dar. Als Beispiel einer Anwendung des Modells nehmen wir im folgenden das yukatekische Maya (YM) und betrachten einen Ausschnitt seines grammatischen Systems unter formalem und funktionalem Gesichtspunkt. Ich behandle im ersten Kapitel von den nominalen Strukturen diejenigen, die für Possession relevant sind, und im zweiten Kapitel Possession nur insoweit, als sie sich in nominalen Strukturen manifestiert. Es sollte klar sein, daß dies eine hybride Abgrenzung des Gegenstandsbereichs ist, die sich durch die illustrative Funktion dieses Beitrags rechtfertigt.1
1. Formaler Ansatz: einige grammatische Konstruktionen 1.1. Nominale Konstruktionen 1.1.1. Substantivstamm Nach dem Kriterium ihrer Einsetzbarkeit im einfachen possedierten Nominal (als Y in S2 unten) werden die Substantivstämme in drei grammatische Klassen eingeteilt: - Ein nicht-relationaler Substantivstamm kann nicht in S2 eingesetzt werden. - Ein relationaler Substantivstamm muß in S2 eingesetzt werden. - Ein neutraler Substantivstamm kann, muß aber nicht in S2 eingesetzt werden. Absolutivierung ist, morphologisch betrachtet, die Anfügung des Suffixes -tsil an einen Substantivstamm, wie in Β1. Es resultiert ein nicht-relationaler Substantivstamm. Bl.
a. mamah b. mamah-tsil
'Mutter(relational)' 'Mutter (nicht-relational)'
Einige relationale Substantivstämme sind auf diese Weise absolubel; andere wie ich 'Auge, Gesicht' sind inabsolubel. Eine ausführliche Darstellung der Grammatik der Possession im YM findet sich in Lehmann 1997.
40
Christian Lehmann
Relationalisierung ist, morphologisch betrachtet, die Anfügung des Suffixes -il an einen Substantivstamm, wie in B2. Es resultiert ein relationaler Substantivstamm. B2.
a. beh 'Weg (nicht-relational)' b. beh-il 'Weg (relational)'
Einige nicht-relationale Substantive sind auf diese Weise possedibel; andere wie báalam 'Gespenst' sind impossedibel. Die possessiven Klassen von Substantivstämmen sind in T1 zusammenfassend dargestellt. Tl.
Possessive Substantivklassen
Klasse
Subklasse
relational
nicht-relational
neutral
absoluter Gebrauch
possedierter Gebrauch
inabsolubel
-
Ν
absolubel
N-tsil
impossedibel
Ν
-
possedibel konvertibel
N-I7/-E/
klassifikabel
POSS.KL Ν Ν
N
1.1.2. Nominal Ein Substantiv besteht aus einem Substantivstamm und optional dem Pluralsuffix -o'b. Es erbt die Relationalität vom Substantivstamm. Es kann durch ein Attribut zu einem Nominal erweitert werden. Grosso modo stehen enge Attribute, insbesondere einfache Adjektivattribute pränominal, komplexere Attribute einschließlich Relativsätze postnominal. Hier interessiert nur die pränominale Attribution. Ein mit einem engen Attribut gebildetes Nominal hat die in S1 dargestellte Struktur.2 Es erbt die Relationalität vom Substantiv. B3 ist ein Beispiel.
Über einigen der syntaktischen Strukturen sind Linien zur Verdeutlichung der syntaktischen Relationen eingesetzt. Eine Linie mit Pfeilspitze zeigt Dependenz an und weist auf das abhängige Glied.
Anwendung
Sl.
des
41
Beschreibungsmodells
Nominal mit pränominalem Attribut
i [XAd
B3.
1 J nohoch
Yn ] N o m kah
groß
Dorf
'großes Dorf
Ein Nominal wird durch Voranstellung eines Possessivklitikums zum einfachen possedierten Nominal mit der Struktur von S2; B4 ist ein Beispiel. S 2.
Einfaches possediertes Nominal
i
I
[ Xposs.klit.
B4.
^ N o m Iposs.Nom
u kah-il POSS.3 Dorf-REL
'sein Dorf
An der Stelle von Y in S2 steht ein neutrales oder relationales Nominal. An der Stelle von X steht ein Possessivklitikum, d.i. ein Element aus dem Paradigma in T2. T2. Possessivklitika Numerus Singular Person \
Plural
Ν
k
Ν
1.
in
2.
a
(w-)N
a
(w-)N-e'x
3.
u
(y-)N
u
(y-)N-o'b
Ν in T2 steht für das Nominal, über dem die Morpheme operieren. Wenn Ν vokalisch anlautet, treten die in Klammern vermerkten Halbvokale auf, wie in BIO, B17.b, B18 (in den Glossen durch 0 wiedergegeben). Zwei Mitglieder des Paradigmas sind diskontinuierlich; ihr zweiter Teil wird der letzten Konstituente des einfachen possedierten Nomináis, also seinem Bezugsnomen, suffigiert, wie in B5. B5.
a
màamah-e'x
POSS.2 Mutter-2.PL
'eure Mutter'
42
Christian Lehmann
Der suffixale Teil des Klitikums der 3. Person Plural ist mit dem allgemeinen Pluralsuffix identisch. Wenn die beiden syntagmatisch kookkurrieren, gibt es Haplologie. Das führt dazu, daß Ausdrücke wie die in B9.b in der angegebenen Weise mehrdeutig sind. Ein Nominal kann durch enge Apposition erweitert werden. Dies ist in S3 schematisiert und durch B6 illustriert. S 3.
Nominal mit enger Apposition
[ Χνοιώ Β6.
ΥΝΟΠΙ
dóon Hwàan Don Juan
ΙΝΟΠΙ
'Don Juan'
An der Position von X in S3 kann ein einfaches, nicht jedoch ein erweitertes possediertes Nominal stehen. Wenn X ein einfaches possediertes Nominal ist, ist auch das Resultat ein einfaches possediertes Nominal. An der Position von Y kann ein Substantiv, vielleicht auch ein attributiv erweitertes Nominal stehen. Die semantische Relation zwischen X und Y ist derart, daß Y die Referenz von X einschränkt. Die syntaktische Relation ist die der (engen) Apposition. Ein erweitertes possediertes Nominal besteht aus einem einfachen possedierten Nominal und einem davon abhängigen optionalen folgenden NS, genannt Possessor-NS. Das Possessivklitikum kongruiert mit dem Possessor-NS in Person und Numerus. Dies ist in S4 schematisiert und in B7 illustriert. S 4.
Erweitertes possediertes Nominal
[ [ Xposs.klit. Person:
B7.
u kah-il POSS.3 Dorf-REL
Ya'xley Yaxley
'das Dorf Yaxley'
Angenommen, Nomj ist ein durch enge Apposition erweitertes Nominal gemäß S3 mit einem possedierten Nominal in der Position von X, und Nom2 ist ein erweitertes possediertes Nominal gemäß S4. Der konstruktionelle Unterschied zwischen Nomi und Nom2 besteht in der syntaktischen und semantischen Relation zwischen X und Y, die sich im Auftreten von Kongruenz in Noni2, nicht jedoch in Nomi manifestiert. Femer ist Nomi ein einfaches possediertes Nominal,
43
Anwendung des Beschreibungsmodells
Nom2 jedoch ein nicht-relationales Nominal. Die Bildung eines erweiterten possedierten Nomináis leistet also auf syntaktischer Ebene dasselbe wie die Absolutivierung durch -tsil auf morphologischer Ebene. Ein nicht-relationales Nominal kann noch durch ein vorangestelltes Zahlwort erweitert werden, was hier außer Betracht bleibt. Ein Nominalsyntagma (NS) wird gebildet aus einem nichtrelationalen Nominal und dem optionalen vorangestellten definiten Artikel, der seinerseits am Ende des umfassenden Syntagmas ein deiktisches Klitikum auslöst, so wie in S5 schematisiert und in B8 illustriert. S 5. Nominalsyntagma [ [(le) Nom ] N S ... ] x (-Deikt.klit.) B8.
le DEF
nohoch groß
kah-o' Dorf-D2
'das große Dorf da'
2. Funktionaler Ansatz: Possession Possession3 ist eine asymmetrische Relation zwischen zwei Entitäten, die prototypisch wie folgt zu charakterisieren ist: Das eine der Glieder, der Possessor, ist hoch auf der Belebtheitshierarchie. Eine etwaige Relationalität seines Begriffs spielt keine Rolle. Das andere Glied, das Possessum, ist relational. Seine Belebtheit spielt keine Rolle. Die Relation selbst hat keine Intension. Da sie dem Possessum inhäriert, hängt ihre Interpretation von dessen Natur ab. Da prototypische Possessoren hoch auf der Belebtheitshierarchie rangieren, gehören prototypische Possessa zur biokulturellen Sphäre des Menschen. Die wichtigsten relationalen Begriffe in diesem Bereich sind die von Verwandten und Körperteilen. Relationen, die diese Bedingungen nur zum Teil erfüllen, können auch noch mehr oder weniger marginal possessiv sein. Possession ist systematisch auf die beiden konstitutiven propositionalen Operationen, die Referenz und die Prädikation, bezogen. Man kann einen Gegenstand spezifizieren und somit zur Referenz auf ihn beitragen dadurch, daß man einen anderen Referenten angibt, zu dem er in possessiver Beziehung steht. Oder man kann die possessive Beziehung zu einem anderen Referenten prädizieren. Die possessive Prädikation führt notwendigerweise aus der nominalen Grammatik hinaus. Daher beschränken wir uns hier auf die Possession in der Referenz. Grundsätzlich kann eine Entität für die Referenz spezifiziert werden entweder dadurch, daß sie von einer anderen Entität besessen wird (§2.1) oder dadurch, daß sie eine andere Entität besitzt (§2.2). Wegen der Asymmetrie der Beziehung ist der erstere Fall, in dem der Possessor als Modifikator oder Determinator fungiert, der viel wichtigere.
Die hier vorausgesetzte Theorie sprachlicher Possession ist in Seiler 1983 dargestellt. Zur Possession in einer nahe verwandten Mayasprache, dem Itzá, s. Höfling 1990.
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Christian Lehmann
2.1. Possessor als Modifikator/Determinator 2.1.1. Eigenschaften der Glieder 2.1.1.1. Eigenschaften des Possessors Da der wichtigste Parameter für Possessoren die Belebtheitshierachie ist und diese sich grammatisch in erster Linie in dem Gegensatz von Personalpronomina und Substantiven äußert, ist zunächst dieser zu beschreiben.
2.1.1.1.1. Grammatischer Status des Possessors Ist der Possessor ein Sprechaktteilnehmer (einschließlich der grammatischen dritten Person), so ist er hinreichend in einem Possessivklitikum aus T2 repräsentiert. Es wird ein einfaches possediertes Nominal nach S2, wie in B9, gebildet. B9.
a. b.
a
k'àan
POSS.i.SG
Hängematte
u
y-àabil-o'b
POSS.3
O-Enkel-PL
'deine Hängematte' 'ihr Enkel/seine/ihre (PI.) Enkel'
Wenn der Possessor entweder lexikalisch oder durch ein Personalpronomen, also jedenfalls in einem NS repräsentiert ist, so wird ein erweitertes possediertes Nominal nach S4, mit dem Possessor-NS in der Position von Y, wie in BIO, gebildet. BIO. a. a POSS.2
b. u POSS.3
w-àabil-e'x
te'x
Enkei-2.PL
du.PL
'éuer Enkel'
y-àabil
le
ko'lel-a'
O-Enkei
DEF
Frau-D!
'der Enkel dieser Frau'
2.1.1.1.2. Belebtheit des Possessors Unabhängig vom Vorhandensein eines Possessor-NSs macht die Belebtheit des Possessors einen Unterschied für neutrale und relationale Substantive, also diejenigen, welche ohne weitere Markierung Nukleus eines einfachen possedierten Nomináis sein können. Ist der Possessor unbelebt oder niedriger auf der Belebtheitshierarchie als das Possessum, wird der Stamm des possedierten Substantivs mittels des Suffixes -il relationalisiert, wie in Β11. Β11. a. in k'ab poss.i.sG Hand b. u k'ab-il POSS.3 Hand-REL
le DEF
'meine Hand' nòok'-a' Kleid-Di
'der Ärmel dieses Kleids'
45
Anwendung des Beschreibungsmodells
2.1.2. Eigenschaften des Possessums 2.1.2.1. Grammatischer Status des Possessums Gleich ob das Possessum lexikalisch repräsentiert ist oder nicht, jedenfalls wird ein einfaches oder erweitertes possediertes Nominal gebildet, wie in B9-B11 zu sehen war. Ein pronominales Possessum tritt u.a. in der Anapher und in der Zugehörigkeitsprädikation auf. Es wird durch das relationale Substantiv ti'a'l 'Besitz; bestimmt für' repräsentiert, wie in B12. Β12. Lel-a' PRÄSV
in
x-chonob.
POSS.l.SG
F-Korb
-
Ma'
a
ti'a'l-i'.
NEG
POSS.2
Besitz-NEGF
,Dies ist mein Korb. - Es ist nicht deiner.'
2.1.2.2. Relationalität Die Relationalität eines Begriffs wird grammatisch durch die Zugehörigkeit des Substantivs zu einer der possessiven Klassen von T1 manifestiert. Relationale Begriffe erscheinen als relationale Substantivstämme. Begriffe, die normalerweise nicht-relational gedacht werden, erscheinen als nicht-relationale Substantivstämme. Begriffe, die gleichermaßen in Relation zu einem Possessor oder nicht-relational gedacht werden können, erscheinen als neutrale Substantivstämme. In den paarigen Beispielen der folgenden Abschnitte wird das grammatische Verhalten dieser Substantive in absolutem und possessivem Gebrauch, d.h. außerhalb und innerhalb eines possedierten Nomináis nach S2, verglichen.
2.1.2.2.1. Inhärente Possession Ist das Possessum einer possessiven Konstruktion relational, so inhäriert ihm die Possession. Die Natur der Relation zum Possessor ergibt sich dann aus der Bedeutung des Possessums. Deshalb lassen sich relationale Substantive ziemlich restfrei in semantische Klassen einteilen. Die Relationalität eines Substantivstamms manifestiert sich morphologisch in zwei Tatsachen: 1. das Substantiv hat kein morphologisches Kennzeichen, wenn possediert; 2. absoluter Gebrauch ist entweder unmöglich oder morphologisch markiert.
2.1.2.2.1.1. Klassen relationaler Substantive Die Alternative, in der absoluten Konstruktion entweder unmöglich oder markiert zu sein, ergibt zwei Teilklassen relationaler Substantive, nämlich inabsoluble und absoluble, die in T3 dargestellt und in B13f illustriert sind.
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Christian Lehmann
T3.
Klassen relationaler Substantive Gebrauch
Klasse
possediert
absolut
\
Beispiele
inabsolubel
-
Ν
báh ,selbst', k'áat .Wunsch'
absolubel
N-tsil
Ν
tàatah ,Vater', kìik .ältere Schwester', íicham ,Gatte', láak' ,Freund, anderer'
Β13. Β14.
inw-ich
'mein Gesicht'
a. le áabil-tsil-o'
'der Enkel'
b. inw-àabil
'mein Enkel'
Die wichtigsten semantischen Klassen relationaler Substantive sind Verwandtschaftstermini und Körperteiltermini, die auch in Β 13f repräsentiert sind. Allerdings verhalten sich die Körperteiltermini grammatisch nicht homogen, so daß ihnen ein eigener Abschnitt (§2.1.2.2.4) zu widmen ist. Relationale Substantive können gebildet werden durch die in §1.1.1 beschriebene und durch B2 und Β16 illustrierte Operation der Relationalisierung (s. auch §2.1.2.2.2.1).
2.1.2.2.2. Etablierte Possession Ist das Possessum einer possessiven Konstruktion nicht-relational, so reichen die Bedeutungen von Possessum und Possessor nicht hin, um die Natur der Beziehung zu bestimmen. Wenn Possession unter solchen Voraussetzungen überhaupt möglich ist, muß sie etabliert werden; d.h. es ist ein Relator einzuschalten. Die Nicht-Relationalität eines Substantivstamms manifestiert sich morphologisch in zwei Tatsachen: 1. das Substantiv trägt kein morphologisches Kennzeichen, wenn absolut gebraucht; 2. possedierter Gebrauch ist entweder unmöglich oder morphologisch markiert.
2.1.2.2.2.1. Klassen nicht-relationaler Substantive Die Alternative, in der possessiven Konstruktion entweder ausgeschlossen oder morphologisch markiert zu sein, ergibt zwei Teilklassen nicht-relationaler Substantive, nämlich und possedible, die in T4 dargestellt und in Β 15f illustriert sind.
impossedible
Anwendung des Beschreibungsmodells
T4.
Al
Klassen nicht-relationaler Substantive
Gebrauch Klasse \
absolut
impossedibel
Ν
-
possedibel
Ν
N-iZ
Β15 Β16.
possediert Beispiele
learux-o' a. lebeh-o' b. inbeh-il
máak 'Person', ko'lei 'Frau' nah 'Haus', kahtal 'Weg', ha'b Jahr'
'Dorf
beh
'der Kobold' 'der Weg' 'mein Weg'
Impossedible Substantive sind insbesondere Bezeichnungen für Lebewesen, die normalerweise keine possessive Beziehung eingehen und für die die Grammatik daher keine possessive Konstruktion vorsieht. Die Teilklasse der possediblen Substantive ist selbst in zwei Teilklassen gespalten nach dem Kriterium, wie ein menschlicher Possessor angeschlossen wird. Die konvertible Klasse behandelt Possessoren jeglichen Belebtheitsgrades gleich und trägt in possessiven Konstruktionen das relationalisierende Suffix -il, wie in Β16 illustriert (vgl. §1.1.1). Das Suffix leistet nichts mehr, als das Substantiv relational zu machen. Die Natur der Beziehung ist aus der jeweiligen lexikalischen Konstellation von Possessor und Possessum sowie dem Kontext zu erschließen. Die klassifikable Klasse possedibler Substantive hat in possessiven Konstruktionen bei nicht-menschlichem Possessor das -//-Suffix (vgl. §2.1.1.1.2), bei menschlichem Possessor wird das Possessum mit einem Possessivklassifikator versehen. Klassifikable Substantive bezeichnen überwiegend Gegenstände, zu denen Menschen diverse kulturgebundene Beziehungen eingehen. Der Possessivklassifikator etabliert die Possession dadurch, daß er die Art dieser Beziehung explizit macht. Β17 illustriert den absoluten vs. possedierten Gebrauch klassifikabler Substantive. Die Konstruktion ist wie in S6. Β17.
a. le pùut-o' b. in w-o'ch pùut
S 6.
Erweitertes possediertes Nominal mit Possessivklassifikator
[[[
Wposs.klit.
'die Papaya' 'meine Papaya'
XNOITJPOSS.NOITI
1
^NOMLPOSS.NOM
2
^NSLPOSS.NOM
3
In S6 ist das einfache possedierte Nominal 1 durch enge Apposition mit dem Nominal Y verbunden. Es resultiert das einfache possedierte Nominal 2, das seinerseits mit dem Possessor-NS Z, mit welchem W kongruiert, zu dem erweiterten possedierten Nominal 3 verbunden ist. Β18 illustriert die Konstruktion.
48
Christian Lehmann
Β18. u
y-àalak'
P0SS.3 O-KL.Haustier
k'e'k'en
Hwàan
Schwein
Hans
'Hans' Schwein(e)'
An der Stelle von X in S6 steht ein Mitglied aus dem offenen Paradigma der Possessivklassifikatoren. Seine zentralen Mitglieder sind o'ch für Nahrungsmittel und àalak' für Haustiere, wie in B17f illustriert, sowie pàak'al für Gepflanztes und mehen für Hergestelltes. Weitere Possessivklassifikatoren können abgeleitet werden aus transitiven Verben mit menschlichem Agens und unbelebtem Patiens, z.B. kòol von kóol 'ziehen', pàay von pay 'schöpfen' und ch'àak von ch'ak 'schneiden, hauen', wie in B19 - B21. B19. a POSS.2
Β 20. a POSS.2
B21. a POSS.2
kòol
áak'
KL.gezogen
Liane
pàay
ha'
KL.geschöpft
Wasser
ch'àak
che'
KL.gehauen
Holz
'deine Liane/von dir gezogene Liane' 'dein Wasser/von dir geschöpftes Wasser' 'deine Latte/von dir zugeschnittene Latte'
Die Zuordnung zwischen Substantiven und Possessivklassifikatoren ist multipel. Für ein gegebenes Possessum kann man also je nach der Art der Relation zum Possessor verschiedene Possessivklassifikatoren wählen,4 z.B. a mehen/man/kon/sìih chamal 'von dir gedrehte/gekaufte/ verkaufte/verschenkte Zigarette'. Nicht-relationale Substantive können gebildet werden durch die in §1.1.1 beschriebene und durch Β1 und Β14 illustrierte Operation der Absolutivierung (s. auch §2.1.2.2.l.l). 5 B22.
káa
h
k'uch
le
suku'n-tsil-e',
DEF
älter.Bruder-ABSOL-D3
KONJ
PRÄT
ankomm(PRÄT.ABS.3.SG)
u
nohoch
suku'n
POSS.3
groß
älter.Bruder
'als der ältere Bruder kam, sein großer Bruder.' (HIJO 142) Die Operation ist nur auf Substantive anwendbar, die soziale Rollen, insbesondere Verwandte bezeichnen. Alle anderen relationalen Substantive sind inabsolubel.
2.1.2.2.3. Neutrale Substantivstämme Die Klasse der neutralen Substantive ist morphologisch insensitiv auf die Alternative 'possediert/ absolut'. Sie ist in T5 dargestellt und in B23 illustriert.
Der mittlerweile in der allgemeinen Linguistik einigermaßen gebräuchliche Terminus 'Possessivklassifikator' ist deshalb unangemessen. Die Funktion des Elements ist nicht, das Possessum zu klassifizieren, sondern die possessive Relation zu spezifizieren. Vgl. Andrade 1955, §3.45,4.71 ; Barrera Vásquez 1944:237 scheint hierin zu irren.
Anwendung des Beschreibungsmodells
Klasse der neutralen Substantive Gebrauch absolut possediert Klasse \
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T5.
neutral
Ν
B23. a. b.
le k'àan-o' ink'àan
Ν
Beispiele hòoch 'Ernte', kib 'Kerze', kòol 'Milpa', k'àan 'Hängematte'
'die Hängematte' 'meine Hängematte'
2.1.2.2.4. Körperteile Körperteile werden hier zusammen behandelt, weil sie ein lexikalisches Feld bilden, das für die Grammatik der Possession in allen Sprachen zentral ist. Im Yukatekischen allerdings teilen sie sich auf alle drei possessiven Substantivklassen auf. Einige sind in T6 zusammengestellt und in B24f illustriert. T6.
Klassen von Körperteilsubstantiven possediert Gebrauch absolut Klasse \
Beispiele
relational
?N
Ν
chi' 'Mund', ho'l 'Kopf, ich 'Gesicht', kàal 'Hals', k'ab 'Hand', nak' 'Bauch', ni' 'Nase', nèeh 'Schwanz', pàach, pu'ch 'Rücken', piix 'Knie', táan 'Stirn', xikin 'Ohr'
nichtrelational
Ν
Ν-el
bàak 'Knochen', bak' 'Fleisch', bóox 'Lippe', chòoch 'Eingeweide', k'i'k' 'Blut', dot' 'Haut', si'η 'Wirbelsäule', táaman 'Leber', tso'ts 'Haar', ts'o'm 'Hirn'
neutral
Ν
Ν
ch'ala't 'Rippe', mäay 'Huf, koh 'Zahn', he' 'Ei'
Β24. a. b. B25. a. b. B26. a. b.
tlechi'o' in chi' letáamno' in tàamnel le ch'ala'to' inch'ala't
'der Mund' 'mein Mund' 'die Leber' 'meine Leber' 'die Rippe' 'meine Rippe'
50
Christian Lehmann
Es gibt also drei Klassen von Körperteilsubstantiven, relationale, die in die inabsoluble Teilklasse von T3 gehören, nicht-relationale, die zu einer morphologischen Variante der konvertiblen Klasse von T4 gehören, und neutrale. Die bloße Existenz der zweiten Teilklasse wird durch keine Theorie vorhergesagt und ist schwer zu erklären. Es gibt zwischen den beiden Hauptklassen einen semantischen, allerdings prototypischen Unterschied: Die Klasse der relationalen Körperteile umfaßt solche Körperteile, die hervorstechende räumliche Eigenschaften haben, den Körper gliedern und Gestalt machen. Die Klasse der nicht-relationalen Körperteilsubstantive umfaßt solche Körperteile, die derartige Eigenschaften nicht haben. Daher sind die meisten äußeren Körperteile in der relationalen Klasse, während die meisten Eingeweide in der nicht-relationalen Klasse sind. Zudem sind alle Substantive, die Raumregionen und Teile im allgemeinen bezeichnen (nak' 'halbe Höhe', pàach 'Rücken', táan 'Stirn, Vorderseite'), und alle, die einen standardisierten metaphorischen Gebrauch haben (ho'l ' K o p f , chi' 'Mund', k'ab 'Hand, Arm', kàal 'Hals', ni' 'Nase' u.a.), Mitglieder der relationalen Klasse. Man kann daher sagen, daß die relationalen Körperteilsubstantive die wichtigste, in einem intuitiven Sinne elementare Teilklasse sind. Es sollte aber klar sein, daß es zu dem erwähnten semantischen Unterschied einige Ausnahmen gibt. Z.B. sollte puksi'k'al (rei.) 'Herz, Magen' in der nicht-relationalen Klasse sein, während bóox (nicht-rel.) 'Lippe' in der relationalen sein sollte. Allerdings gibt es eine Teilklasse von nicht-relationalen Körperteilsubstantiven, darunter bóox, die keinen belebten Possessor haben können, sondern nur als Teile von Körperteilen behandelt werden. "Meine Lippe" heißt daher nur u bòoxel in chi', "die Lippe meines Mundes". Die Ausstattung mit einem Allomorph des Relationalitätssuffixes folgt also in solchen Fällen der Regel aus §2.1.1.1.2. Ferner gibt es ein paar Körperteilsubstantive, die in keine dieser Klassen passen und hier übergangen werden.
2.1.2.3. Eigenschaften der possessiven Beziehung Possessive Beziehungen werden in den Grammatiken mancher Sprachen danach spezifiziert, ob sie temporär oder permanent, oder ob sie gegenwärtig vs. vergangen sind. Beides ist im Yukatekischen im nominalen Bereich nicht möglich.
2.1.2.4. Eigenschaften der possessiven Konstruktion: Definitheit Die Verankerung am Possessor kann das Possessum so weit semantisch-pragmatisch spezifizieren, daß durch das possedierte Nominal ein bestimmter im Redeuniversum eingeführter Referent identifiziert wird. Daher sind possedierte Nominalien in mehreren Sprachen, darunter Englisch und Deutsch, nicht nur semantisch, sondern sogar grammatisch définit. Im Yukatekischen wird ein possediertes Nominal pragmatisch häufig mit definiter Referenz verstanden werden. Grammatisch ist jedoch ein possediertes Nominal wie B27.a weder définit noch indefinit. Es kann mit einem Zahlwort versehen werden, wie in B27.b. Darüberhinaus kann es, analog zu B8, durch Zugabe eines Demonstrativums in ein definites NS wie B27.c überführt werden.
51
Anwendung des Beschreibungsmodells
B27.
a.
inpàal
b . ka'túul c.
itipàal
le ka 'túul in pàalo '
'mein Kind/Kind von mir' 'meine zwei Kinder/zwei meiner Kinder' 'meine beiden Kinder da'
2.2. Possessum als Modifikator/Determinator Man kann einen Gegenstand dadurch spezifizieren, daß er Possessor eines anderen ist. Allerdings besitzt das Yukatekische kaum sprachliche Mittel, die spezifisch dem Possessum als Modifikator oder Determinator gewidmet sind, so daß die folgende Darstellung summarisch bleiben kann. Sprachlich relevant ist hier wieder, ob das Possessum relational ist.
2.2.1. Nicht-relationales Possessum Es stehen eine Reihe allgemeinerer Verfahren zur Verfügung, die diesen Fall abdecken. Wenn es sich um ein gewöhnliches Besitzverhältnis handelt, kann man das grammatische Possessum durch das Substantiv yúum 'Besitzer' ausdrücken und das, was er besitzt, als possessives Attribut anschließen, wie in B28. Β 28. u
yùum-il
POSS.3 HeiT-REL
le
nah-a'
DEF
Haus-Di
'der Besitzer dieses Hauses'
Die Besonderheit dieser Konstruktion ist lediglich, daß infolge der Bedeutung von yúum die syntaktischen und realweltlichen possessiven Verhältnisse entgegengesetzt sind. Ist das Possessum indefinit, wird man eher eine Besitzzuschreibung formulieren und diese, in Form eines Relativsatzes, dem Bezugsnominal als Attribut beigeben, nach der Art von "der Mann, der ein Haus hat". Charakterisiert das Possessum den Possessor begrifflich, so kann man das Substantiv mithilfe des -//-Suffixes 6 adjektivieren und das Resultat als enges Attribut nach Art von S1 mit dem Bezugsnomen verbinden, wie in B29. B29. pak'-il
nah
Mauer-REL Haus
'Steinhaus'
Diese Konstruktion liegt allerdings an der Peripherie des funktionalen Bereichs der Possession.
Es hat hier dieselbe Bedeutung und Relationalität wie in §2.1.2.2.2.1, nur die Kombinatorik ist verschieden: es geht eine enge Verbindung mit seinem Rektum ein und erst gemeinsam mit diesem eine lose mit dem Modifikatum.
52
Christian Lehmann
2.2.2. Relationales Possessum Ein relationales Possessum kann seinen Possessor nicht für sich charakterisieren oder spezifizieren, da er ihm ja inhäriert. Im Yukatekischen machen Ausdrücke wie "das Kind mit dem Kopf' ebenso wenig Sinn wie im Deutschen. Geläufig ist dagegen die Charakterisierung eines Wesens dadurch, daß sein relationales Possessum besondere Eigenschaften hat. Das allgemeine, diesen Fall abdeckende Verfahren ist wieder der Relativsatz: die Eigenschaft wird als Prädikat mit dem Possessumnominal als Subjekt verbunden, und das Resultat wird dem Possessor als Attribut beigegeben, nach der Art von "Kind, dessen Kopf groß ist". Daneben besteht allerdings auch die Möglichkeit - ganz wie in germanischen Sprachen -, die Eigenschaft in Form eines Adjektivattributs dem Possessumsubstantiv beizugeben und das resultierende Nominal wieder als pränominales Attribut mit dem Possessorsubstantiv zu verbinden, wie in B30.a. B30. a.
nohoch
ho'l
xi'pàal
groß
Kopf
Junge
b. nohoch
ho'l
'großköpfiger Junge'
'Großkopf
Ein solches Attribut läßt sich auch substantivieren, wie in B30.b.
3. Schlußbemerkung Die Anwendung des Modells für deskriptive Grammatiken auf die nominale Grammatik und die Possession im YM hat gezeigt, daß der formale und der funktionale Ansatz in der Tat voneinander völlig unabhängige Systematiken haben. Die Frage, wie ein Ausdruck der Struktur von B4 zu interpretieren ist, beantwortet nur die formale Grammatik, während die Frage, wie der Besitzer von Körperteilen angegeben wird, nur die funktionale Grammatik beantwortet. Da das Beschreibungsmodell keinerlei Vorannahmen über Assoziationen von Form und Struktur in grammatischen Kategorien vorausetzt, ist es auch auf die in diesem Bereich verhältnismäßig komplexen Verhältnisse des YM zwanglos anwendbar.
4. Literatur Andrade, Manuel J. (1955): A grammar of Modern Yucatec. - Chicago: University of Chicago Library (Microfilm Collection of Manuscripts on Middle Americal Cultual Anthropology No. 41). Barrera Vásquez, Alfredo (1944): La lengua maya de Yucatán. - Enciclopedia Yucatanense 6. Höfling, Charles A. (1990): Possession and ergativity in Itzá Maya - In: International Journal of American Linguistics 56. Lehmann, Christian (1997): Possession in Yucatec Maya. - Unterschleißheim: Lincom Europa. Seiler, Hansjakob (1983): POSSESSION as an operational dimension of language. - Tübingen: Narr.
Zweiter Teil Probleme der allgemein vergleichbaren Beschreibung sprachlicher Phänomene
Jürgen Bohnemeyer (Universität Tilburg)
Sententiale Topics im Yukatekischen* 1. Einleitung: Sätze als Topics Daß Topic-Konstruktionen als Mittel der Satzverknüpfung in den Sprachen der Welt eine Rolle spielen, ist seit langem bekannt. Das bekannteste Beispiel dürfte das folgende, von Haiman (1979) beschriebene Phänomen im Hua (East-Central-Familie des East-New-Guinea-Highlands-Stocks (ENGH)) sein: B1
a.
HUA
fu-mo
ebgi-e,
Schwein-TOP
(OBJ.3.SG)töt-SBJ.3.SG
'Er tötete das Schwein.' b. dgai ( - m o ) - v e ich-TOP-INT
bai-gu-e. bleib-FUT-SBJ.l.SG
'Was mich betrifft: ich werde bleiben.' C. e - s i - v e komm-FUT.3 .SG-INT1 ./3.SG/2./3.PL
bai-gu-e. bleib-FUT-SBJ. 1 .SG
'Wird er kommen? Ich werde bleiben'; ,Wenn er kommt, werde ich bleiben.' d.
e-si-ma-mo komm-FUT:SBJ.3.SG-l ./3.SG/2./3.PL-TOP
bai-gu-e. bleib-FUT-SBJ. 1 .SG
'(Selbst) wenn er kommt, werde ich bleiben.' Blc und d illustrieren zwei Verfahren des Hua, Konditionale zu bilden. In Blc ist die Protasis formal als Satzfrage konstruiert (erkennbar an einer interrogativen medialen Verbform auf -ve), in Β Id - zumindest historisch gesehen - als Relativsatz (RS) ohne Bezugsnomen (erkennbar an der speziellen .medialen' Verbform auf -ma, die nur in RSen auftritt).1 Der in Β Id exemplifizierte Typ involviert obligatorisch den Topicmarkierer -mo, dessen Funktion in der Bildung
1
Teile dieses Aufsatzes habe ich aus dem Arbeitspapier Bohnemeyer (1994) übernommen. Das Datenmaterial entstammt überwiegend dem Sprachkurs Blair & Vermont-Salas (1965-7) und dem Korpus des Forschungsprojekts "Beschreibung des Yukatekischen" an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Lehmann. Für Anregungen und Kommentare danke ich insbesondere Christian Lehmann, Yong-Min Shin und Eva Schultze-Berndt. In eingebetteten RSen in satzfinaler Position tritt ein glottaler Verschluß zu -ma\ vgl. Haiman (1980: 294). -ve und -ma stehen jeweils für dreigliedrige Paradigmen der Struktur 1 ./3.SG/2./3.PL vs. 2.SG/1 .PL vs. DU. Solchermaßen differenzierte Endungsparadigmen weisen sowohl mediale Verben auf (bei Subjektverschiedenheit; bei Subjektidentität ist das mediale Verb nicht für Kongruenz markiert) als auch Verben in selbständigen Sätzen (.finale Verben'), wobei die Wahl des Paradigmas bei letzteren modale und illokutive Funktionen unterscheidet. -ve repräsentiert eines der Paradigmen der finalen Verben, -ma teilt mit den medialen Endungsparadigmen die ,antizipatorische Kongruenz' mit dem Subjekt der folgenden Klause (die jedoch in der konditionalen Konstruktion entfallt, offenbar als Folge einer Nominalisierung), ist aber im Gegensatz zu diesen nicht für Subjektidentität sensitiv. Haiman (1980: 187ff.) grenzt-ma-markierte Verben als .subordinate mediáis' von den Medialen i.e.S. ab, die er .coordinate mediáis' nennt.
56
Jürgen Bohnemeyer
nicht-sententialer Topics Bla illustriert. Aber auch die Fragepartikel -ve, die desweiteren als Subordinator der indirekten Satzfrage fungiert und offenbar mit der oben exemplifizierten interrogativen Personalendung -ve verwandt ist, wird zur Kennzeichnung von Topics verwendet, wie Beispiel Β lb zeigt, in dem -mo optional ist. Haiman charakterisiert den Unterschied zwischen Bla und b als .potential' oder .resumptive' (-mo) vs. .actual' oder .contrastive topic' (-ve)
.
Einen übersichtlicheren Fall beschreibt Marchese (1977) im Godié (Kru, Elfenbeinküste). Die Relativkonstruktion (B2a), Temporalsätze (B2b) und die Protasis des Konditionalsatzgefüges (B2c) werden jeweils dem Hauptsatz vorangestellt, wobei die abhängigen Sätze vollständig finit konstruiert und durch einen Subordinator η λ abgeschlossen werden, der zumindest in einigen Dialekten auch als Topicmarkierer für nicht-sententiale Nominalsyntagmen fungiert (B2d): B2 GOD
a. ί ε ε ί ε έ erst ε
j.eli-e
o pXX
πα,
Pfeil-DEF
er
TOP
mttj
ε
es geh:KOMPL
werf:KOMPL
qi
mo,
es ankomm:KOMPL
D2
'Der erste Pfeil, den er abschoß: er ging ab und kam dort an.' (Marchese 1977: 162) b. λ tX nò kààj Ich suchiKOMPL
er:OBL
η4
o
λ yi
KONN ich POT
er
lange
ni. seh
λ nf
o nAj
n4
o y i-π"
kώ
6« lu
ich seh.KOMPL
er TOP
und
er POT-OBJ.l.SG
mit
nehm
(,,,)
'Ich suchte ihn, bis ich ihn gefunden hatte. Nachdem ich ihn gefunden hatte, nahm er mich mit (...)'. (loc. cit. 159) c. ( . , , ) a 1 AkA yi piti sa, du VOL
a
k«
yi
du KOND jetzt
η4
sttkaa
KONN Reis-DEF
jetzt
Unkraut
rauszieh
piti
sX-li
Unkraut
rauszieh-NMLSR
1 λkλ VOL
yi jetzt
biA
πα,
beend
TOP
gAX, trag
'Du solltest jetzt das Unkraut jäten. Wenn Du jetzt schon das Unkraut gejätet hast, wird der Reis reifen', (loc. cit. 160f.) d. z o z i l πλ o yXmX guú c4-c«-c«, Jesus
TOP
er heil
Krankheit
RED-RED-Art
'Jesus, er heilte alle Arten von Krankheiten', (loc. cit. 163) Die konditionale Protasis in B2c ist an dem irrealen Auxiliar ka erkennbar. Die Beispiele b und c illustrieren die resumptive Funktion der sententialen Topic-Konstruktionen. Weitere Beispiele für topikalisierte Sätze diskutieren Bickel 1991:45ff. (Usan (Numugenan-Familie des MadangAdelbert-Range-Subphylums des Trans-New-Guinea-Highlands-Stocks), Fore (East-Central-Familie des TNGP)), Bickel 1993 (Belhare (Tibeto-Burmanisch)), Givón 1990: 870f.
57
Sententiale Topics im Yukatekischen
(Chuave (Centrai-Familie des ENGH)) und Thompson & Longacre 1985: 229ff. (Chinesisch, Isthmus-Zapotekisch). Im folgenden wird ein abhängiger Satz S j in einer Sprache L als Topic des übergeordneten Satzes SH angesprochen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Dl.
(1) (2)
(3)
S t wird unmittelbar dominiert von S h (und nicht von irgendeiner Konstituente von S H ) S t erfüllt innerhalb von S h die pragmatische Funktion der Exposition oder des "spatial, temporal, or individual frameworks whithin which the main predication holds"2 falls Topics in L formal markiert werden, wird auch ST formal als Topic gekennzeichnet.
Bedingung (1) besagt, daß S t S angeschlossen (oder .adjoined' (Hale 1976) oder .detached' (Rappaport 1984)) ist, d.h. zwar Konstituente von S ist, aber keine syntaktische Funktion innerhalb von S hat.3 SH
ST
SH
Bedingung (2) trägt dem Umstand Rechnung, daß ,Anschluß' kein hinreichendes Kriterium für Topikalisierung darstellt, wenn er im wesentlichen negativ definiert wird, nämlich als nicht-einbettende Subordination. Abhängige Sätze, die Bedingung (1) erfüllen, ohne als Topics zu fungieren, können beispielsweise durch die schon mehrfach erwähnten medialen Verben in Klausenverkettungs-Verhältnissen konstituiert werden. Während das Hua topikalische und nichttopikalische Mediale formal kontrastiert, interagiert die Topicmarkierung mit der ,Subjektverkettung' (,switch-reference'; vgl. Müller-Bardey 1988) in dem folgenden Beispiel aus dem Kewa (West-Central-Familie des ENGH) und belegt damit die Indifferenz des medialen Verbs für die Unterscheidung von Vordergrund- vs. Hintergrundinformation.
2
3
Chafe (1976: 51). Andere bekannte Charakterisierungen sind .setting' (Firbas 1964: 268), .Situationskulisse' (Sgall 1974: 69), .scene' (Friedman 1976: 142) und .peg on which the message is hung' (Halliday 1970: 161). Nach der Terminologie in Lehmann (1984: 48f.) ist ein angeschlossener Satz vorangestellt, nachgestellt oder umstellbar. Auf nachgestellte Konstruktionen wird im folgenden als .Afterthoughts' referiert, einer Anregung aus Chafe (1988) folgend. Dabei liegt jedoch die Vorstellung zugrunde, daß es sich nicht um beliebige Nachträge handelt, sondern um eine der Exposition vergleichbare Funktion, die den referentiellen Rahmen für die Hauptprädikation nachträglich und mithin einschränkend setzt. Die inadäquate Terminologie spiegelt den unbefriedigenden Forschungsstand in bezug auf diese Zusammenhänge wider. Die weitere Diskussion wird sich deshalb im Wesentlichen auf den initialen Anschluß beschränken. Ein illustratives Beispiel für einen Afterthought ist immerhin B27 unten.
58
Jürgen Bohnemeyer
B3.
aa
meda n i p u
mena
sekere
ora
na-1 sa ,
KEW
Mann
gewiß
Schwein
Schale
wirklich
NEG-hab:3.SG.REM
er
na-su-a-re
go-rej
nipu-na
ai-na
ada
page
NEG-hab-SS.SEQ-TOP
D3-TOP
er-GEN
Cousin-GEN
Haus
auch
auja
baani -na
Verwandter Geschwister-GEN pu-a-re
ada
pisa;
Haus
geh:3.SG.REM
go-re.
geh-SS.SEQ-TOP D3-TOP
mena
sekere
Schwein
rome-lo
Schale
handel-DES
misaj
mu-a
go-me
rome p i s a ;
bekomm:3.SG.REM
bekomm-SS.SEQ
D3-INSTR handel
(...)
geh:3.SG.REM
'Ein gewisser Mann hatte weder Schweine noch Muschelschalen. Also ging er zu den Häusern seiner Cousins und Brüder. Dann ging er, um ein Schwein und eine Muschelschale zu erstehen; (...)' (Franklin 1983: 44). Das Beispiel illustriert zugleich die resumptive Funktion der Topics. Andererseits muß ein subordinierter Satz ebensowenig angeschlossen sein, um im Hauptsatz expositorische Funktionen zu erfüllen, wie Expositionen nicht notwendigerweise sentential sind. B4
a. Also gestern, ich komme aus der Uni: die Stadt war wie ausgestorben! b. Als ich gestern aus der Uni kam, war die Stadt wie ausgestorben!
Der Temporalsatz in B4b kann offenbar ebenso als .Situationskulisse' fungieren wie die Exposition in B4a, ist aber aufgrund der invertierten Wortstellung des Matrixsatzes eindeutig als eingebettet identifizierbar. Die obige Definition zielt daher auf Topikalisierung als ein Verfahren zur Umsetzung bestimmter Funktionen in der Satzverknüpfung.4 Die vorliegende Arbeit bemüht sich zu zeigen, daß das Yukatekische Topikalisierung in diesem Sinne als Verfahren in der Satzverknüpfung einsetzt, und das funktionale Spektrum dieses Verfahrens typologisch einzuordnen. Das Raster der relevanten typologischen Zusammenhänge wird dabei durch die soeben geltend gemachte Inkongruenz zwischen dem formalen Kriterium des Anschlusses und dem funktionalen der Exposition aufgespannt. Die Aufgabe der §§3 und 4 wird es sein, diese Kriterien in ihren je eigenen, funktionalen bzw. formalen Zusammenhang zu rücken. Der folgende Abschnitt diskutiert die einschlägigen Phänomene des Yukatekischen.
'Topikalisierung' sei hier als Konstruktion von (einfachen oder sententialen) Topics verstanden; Linksversetzung ist dann ein Spezialfall von Topikalisierung, bei dem das Topic durch ein resumptives Element im Hauptsatz vertreten ist. Vgl. §3.
Sementiate Topics im Yukatekischen
59
2. Topicsätze im Yukatekischen 2.1. Einführung Das Yukatekische ist der nach Sprecherzahlen bedeutendste Repräsentant des yukatekischen Zweiges der Maya-Familie; Yukatekisch wird auf der Halbinsel Yukatan und in angrenzenden Gebieten Guatemalas von insgesamt etwa einer halben Millionen Menschen gesprochen.5 Im folgenden gehe ich auf einige Strukturmerkmale ein, die für die Beschreibung der komplexen Syntax des Yukatekischen relevant sind. Das Yukatekische kennt keinen Kasus; syntaktische Funktionen werden fast ausschließlich nach dem konzentrischen (oder ,head-markierenden') Prinzip markiert.6 B5
a.
YUK
he'
-in
χ i m b a t-1 k - e c h - e ' ,
DEF.FUT/
SBJ.l.SG
besuch-TR.INKOMPL-ABS.2.SG\-D3
'Ich werde Dich auf jeden Fall besuchen.' b. u POSS.3
y-àanal
le
che'-o'
O-unter
DEF
Baum-D2
'unter jenem Baum' c. υ POSS.3
báat
le
máak-e'
Axt
DEF
Mann-D3
'die Axt des Mannes' Ein Paradigma klitischer Pronomina markiert das Subjekt des transitiven Verbs (B5a), das Komplement der Adposition (B5b) und den Possessor (B5c); ein weiteres Paradigma suffixaler Pronomina markiert das direkte Objekt (B5a).7 Diese Pronomina referieren anaphorisch und stehen in Apposition zu etwaigen koreferenten NSen in derselben Klause, ihre Funktion ist also die der ,cross-reference'. Dadurch werden auch durch Rektion konstituierte Sytagmen - und insbesondere die Klause - im weiteren Sinne endozentrisch, insofern sie in koreferente Konstituenten zerfallen, deren eine, das Komplement, syntaktisch optional ist (also etwa in B5b u yàanal .unter ihm', .darunter' und in B5c u báat,seine Axt'). Solche Strukturen sind verschiedentlich als "flache Syntax" bezeichnet worden.8
5 6
7
8
Enzyklopädische Informationen zum Yukatekischen bietet Lehmann (1990). Zur Typologie des exzentrischen vs. konzentrischen Sprachbaus bzw. zum ,head' vs. .dependent marking' vgl. Lehmann (1983), Milewski (1951) bzw. Nichols (1986). Der Absolutiv markiert außerdem nominale Prädikatoren für ihr Subjekt und ebenso den einzigen Aktanten intransitiver Verben im Präteritum und Subjunktiv. Nominalsyntagmen (NS) in der Rolle eines Benefaktivs, Experiences oder Rezipienten werden durch die unspezifisch lokale Präposition ti' angeschlossen; es gibt kein strukturelles Indiz dafür, daß sie unter die Rektion des Verbs fallen. Die Konstruktion der Präposition mit ihrem Komplement fallt diachron mit der possessiven zusammen, da sich die Präpositionen aus relationalen Substantiven entwickeln. - Der Begriff des .Komplements' läßt sich m.E. auch auf konzentrische Strukturen in eindeutiger Weise anwenden; nur bezieht es sich dort eben nicht auf ein Rektum, sondern auf das mit einem .crossreference'-Pronomen koreferente Syntagma (sofern dieses Konstituente der Konstruktion ist, die den Träger des pronominalen Index unmittelbar dominiert). Vgl. etwa Craig (1977: Kap. 9.2.1) und Van Valin (1987: 380).
60
Jürgen Bohnemeyer
B5b und c illustrieren die zirkumfigierende Determination des Nominalsyntagmas; deren zweiter Bestandteil ist eine deiktische Partikel {-a' proximal, -o' distal, -e' neutral, textdeiktisch), die an die absolute rechte Klausengrenze klitisiert. Alles, was der Klause, die den Hauptprädikator enthält, vorangeht und potentiell durch eine solche Partikel von ihr getrennt ist, ist Topic (und alles, was auf die Position dieser Partikel am Ende des Hauptsatzes folgt und noch zum selben Satz gehört, ist Afterthought). 9 B6
a. t o ' n - e '
YUK
wir-TOP
estados
unidos
Vereinigte Staaten
k
taal ,
IMPF:SBJ.1.PL
komm
'Was uns betrifft: aus den Vereinigten Staaten kommen wir.' (BVS 2.1.10) b. e n t ò o n s e s s á a m a l - e ' yan a tóok-e'x te'x? dann
morgen-TOP
DEB
SBJ.2
brenn-2.PL
ihr
'Also morgen, da müßt/werdet ihr brandroden?' (BVS 4.1.23) Topikalisierung innerhalb des Hintergrundes einer Fokusstruktur (einschließlich Satzspaltung) erfolgt nicht. Der Topic bleibt außerhalb des assertorischen und illokutiven Skopus des Hauptsatzes. Insbesondere ist er der in B26a unten exemplifizierten Fragepartikel wáah, die optional dem Fokus der Satzfrage folgt, und dem satzinitialen Negator ma' (vgl. z.B. BlOc, B13, B23), sofern dieser sich auf den Hauptsatz bezieht, unzugänglich.10 Das strukturelle Phänomen, daß die deiktische Partikel mit der Klause kombiniert, stimmt mit dem funktionalen zusammen, daß Lokalisierung im Yukatekischen nur in Verbindung mit einer Prädikation möglich ist. Es ist also nicht möglich, einen Aktanten durch ein einfaches lokales Adverbial zu modifizieren; anstelle von das Buch auf dem Tisch finden sich allenfalls Konstruktionen wie das Buch, das auf dem Tisch liegt bzw. das Buch, das ich auf den Tisch gelegt habe u.ä. (vgl. Goldap 1991: 115; Lehmann 1992: §4.3.2). n Die TAM-Markierung erfolgt analytisch durch Kombination eines unpersönlichen grammatischen Verbs mit einem Verbkomplex, der die Struktur eines Komplementsatzes hat und dessen Nukleus das suffixal flektierte Verb bildet. Das Hilfsverb formt zusammen mit dem Subjektklitikum des untergeordneten Verbs ein Auxiliar und bestimmt die am untergeordneten Verb flexivisch markierte Kategorie (vgl. Lehmann 1993). Die weitere Gliederung folgt den funktionalen Bereichen, in denen innerhalb der Satzverknüpfung Topikalisierung auftritt. Es sind dies neben den Propositionsverb- und den Relativkonstruktionen insbesondere finale, kausale, temporale und konditionale Relationen zwischen Propositionen.
9 10
11
Die Sprache ist jedoch subjekt-prominent im Sinne der Typologie von Li & Thompson (1976). Der Topic bildet also einen .opaken Bereich' im Sinne von Bickel (1991: 43ff.). Sein Referent kann aber natürlich anaphorisch in den assertorischen bzw. illokutiven Akt des Hauptsatzes hineingenommen werden. Nur so ist vermutlich das Problem zu lösen, einen Nebensatz, der nur als Topic konstruiert werden kann, z.B. in den Fokus einer Frage zu setzen; dafür habe ich allerdings keine Beispiele gefunden. Darüberhinaus unterstützt die Tatsache, daß außer dem Hauptsatz nur der Topic durch eine deiktische Partikel abgeschlossen wird, eindrucksvoll Bickels (1991: 49; 1993: 50) These, daß auch vermeintlich nicht-sententiale Topics durch eine Art thetischer Prädikationen konstituiert werden.
Sementiate Topics im Yukatekischen
61
2.2. Propositionsprädikatoren Propositionsprädikatoren sind prädikative Ausdrücke, die einen propositionalen Partizipanten involvieren. Wie alle Aktanten im Yukatekischen sind auch sententiale Argumente durch gebundene Pronomina am übergeordneten Prädikator vertreten. Ob ein Komplementsatz demnach auf einer tieferen syntaktischen Ebene steht als der Matrixprädikator oder auf der gleichen - ob er mithin also allenfalls auf Satzebene eingebettet ist - ist empirisch nicht ohne weiteres zu entscheiden. Ein Indiz für Einbettung auf Satzebene ist immerhin die Tatsache, daß der Komplementsatz unabhängig von seiner syntaktischen Funktion in Satzendstellung eingebettet wird. Das gleiche gilt für alle eingebetteten Nebensätze des Yuaketkischen. 12 B7
a. k á a
YUK
t-u
y-il-ah
KONN PRT-SBJ.3
O-seh-TR.KOMPL
u
hc5ok'-ol
u
SBJ.3
herausgeh-INTR.INKOMPL
POSS.3
y-atan, O-Ehefrau
'Und er sah seine Frau weggehen.' (Tozzer 1921: 119) b. t è e n - e ' i n ui-il-ik-e'¡ ich-TOP
SBJ.l.SG
O-seh-TR.INKOMPL-TOP
túun
peor-chah-al.
PROG:SBJ.3
schlechter-PROZ-INTR.INKOMPL
'Was mich betrifft, so wie ich das sehe: es geht ihm noch schlechter. ' (BVS 13.1.5) B8
a. h
YUK
tàal-en
in
w-a'l
PRT
komm-ABS.l.SG
SBJ.l.SG
O-sag
du
tèechj
káa
tàal-ak-ech
a
ω-il
im
papàah.
SR
komm-SUBJ-ABS.2.SG
SBJ.2
O-seh
POSS.l.SG
Vater
'Ich bin gekommen, um Dir zu sagen, daß Du nach meinem Vater sehen kommst.' (BVS 13.1.2) b. p è e r o h t y-a'l-ah to'n-e'j aber
PRT
O-sag-TR.KOMPL wir-TOP
táan u
tukul-ik
u
PROG SBJ.3
denk-TR.INKOMPL
SBJ.3
tàal. komm
'Aber sie sagte uns, daß sie zu kommen gedenkt.' (BVS 9.1.26) Die minimale Desententialisierung des Komplementsatzes ist die Tilgung des Tempus-AspektModus(TAM)-Auxiliars bei gleichzeitiger Restriktion der synthetischen Komponente der T A M Flexion auf den Inkompletiv. Das ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß die beiden Propositionen auf eine gemeinsame Situation referieren; insbesondere, daß sie .dependent time reference (DTR)' aufweisen. 13 Dies stimmt damit zusammen, daß die Grenze der Einbettung durch 12 13
Die Hauptkonstituentenstellung ist dagegen rigide Verb-Objekt-Subjekt (s. Lehmann 1990). S. Noonan (1985: 92ff.); vgl. außerdem die Bemerkungen zu 'event integration' und 'co-temporality' vs. 'temporal separation' in Givón 1990: 520ff.
62
Jürgen
Bohnemeyer
die deiktischen Partikeln gekennzeichnet ist (die ja die Topic- bzw. Afterthought-Position abgrenzen), von denen oben gesagt wurde, daß sie sich auf die - wie sich jetzt zeigt, potentiell, wenn auch "flach", komplexe - Prädikation als ganze insofern ikonisch beziehen, als nur diese der Situierung fähig ist. 14 Die Beispiele illustrieren die Bedeutungsverengung, die mit der Festlegung auf DTR einhergeht: das Wahrnehmungsverb in B7a ist auf unmittelbare sinnliche Wahrnehmung beschränkt, das Verbum dicendi in Β 8a drückt indirekte Manipulation aus (bei der dem Subjekt der subordinierten Klause gegenüber dem Matrixprädikator nicht die Rolle eines Patiens zukommt, sondern die eines Experiencers). Wird das Wahrnehmungsverb zum Ausdruck eines Urteils verwendet, bezieht sich der Äußerungsprädikator tatsächlich auf die Wiedergabe einer Äußerung (b-Beispiele), so werden die korrelierten Sachverhalte auf unabhängige Situationen bezogen. Die sie ausdrückenden Klausen sind nicht eingebettet, sondern nachgestellt. In den Beispielen fungiert dabei die gleiche textdeiktische Partikel, die in B6 die Topics anschließt. Der gemeinsame Nenner beider Kontexte läßt sich durch ein Kontinuum zwischen Exposition und Thema im Sinne eines .kommunikativen Dynamismus' (s. Firbas 1974) beschreiben: - e ' kündigt in jedem Falle den rhematischeren Teil der Äußerung an. Die Klause, die den Propositionsprädikator enthält, kann nach Maßgabe ihrer Desententialisierung als Topic interpretiert werden. Das ist in B7b der Fall, wo das Wahrnehmungsverb aspektlos - und insofern nominalisiert - als Operator der proposi tionalen Einstellung des Sprechers konstruiert ist. 15 Stärker nominalisierte Substantivsätze kommen vor. ,Faktive' Prädikatoren (s. Kiparsky & Kiparsky 1970) nehmen ein eingebettetes sententiales Komplement der oben beschriebenen Struktur bei Subjektidentität, bei Subjektverschiedenheit jedoch ein subjunktivisches mit dem allgemeinen Subordinated B9
a. u t s
YUK
gut
kàa.16
t-in
t'àan
in
ts'uts'-ik
chamal,
LOK-POSS.l.SG
Rede
SBJ.l.SG
rauch-TR.INKOMPL
Zigarette
'Es gefiel mir, Zigaretten zu rauchen.' (HIJO 34)
14
D i e Funktion der deiktischen Partikeln erstreckt sich auch auf die temporale Metaphorik (vgl. z.B. le D E F S t u n d e : l e t z t e - D 2 .damals', walkil-a'
òora'k-o'
.ungefähr um diese Zeit'). Darüberhinaus treten sie in Kontexten
auf, in denen weder eine räumliche noch eine zeitliche Interpretation naheliegt; ihre Funktion in diesen K o n texten bleibt zu untersuchen. 15
Optional leitet in diesen Kontexten zusätzlich das dem Spanischen entlehnte (dèe)keh
die korrelierte Proposi-
tion ein (vgl. z.B. B22b). 16
V o n "Subjektidentität" vs. "Verschiedenheit" ist hier in Anführungsstrichen zu sprechen. D i e Kodierung v o n Gemütszuständen durch possedierte Körperteile (uts tin wichlxikinlchi'
,gut in meinem Auge/Ohr/Mund - e s
gefällt mir / hört sich gut an / schmeckt mir', tòoh in wóol .meine S e e l e ist gerade - ich freue mich',
ki'mak
in wóol . m e i n e S e e l e ist froh - ich freue mich') u.a., bzw. der Mangel an Verben, die emotionale Zustände bezeichnen, scheint ein Charakteristikum des Yukatekischen und evtl. auch weiterer benachbarter Sprachen zu sein (vgl. S t o l z & Stolz 1993). Tatsächlich verhält sich aber der Possessor in dieser Konstruktion w i e das Subjekt eines entsprechenden Verbs, insofern die Konstruktion für seine Koreferenz mit dem untergeordneten Subjekt sensitiv ist. - Die Struktur, die sich bei "Subjektverschiedenheit" zeigt, tritt auch bei unpersönlichem Hauptprädikatoren auf, z.B. háalib káa xi'ko'n
,es ist wohl besser, daß wir gehen'.
Sententiale Topics im Yukatekischen
b. u t s
63
t-k
t'aarij
gut
LOK-POSS. 1 .PL
Rede
káa
t'àan-ak-ech
k
u'y-eh,
SR
sprech-SUBJ-ABS.2.SG
SB J. 1.PL
fühl-TR.SUBJ
'Wir begrüßen es, daß Du zu uns sprichst.' (FCP 25) Dieselbe Verteilung zeigt sich bei desiderativen Prädikatoren, nur daß hier zusätzlich der subjektidentische Fall nach der Valenz des untergeordneten Verbs differenziert ist: ist das untergeordnete Verb transitiv, so steht es im Subjunktiv, ist es intransitiv, so wird es im Inkompletiv, aber unter .Subjektkontrolle' (s. Comrie 1984) des Matrixprädikators konstruiert. BIO
a.
YUK
a
k'áat
káa
xi'k-en
in
ch'a'
POSS.2
Wunsch
SR
geh.SUBJ.ABS.I.SG
SBJ.I.SG
nehm
ts'àak? Medizin
'Möchtest Du, daß ich Medizin holen gehe?' (BVS 13.1.27) b.
tèen-e'j
in
k'áat-e':
ich-TOP
POSS.l.SG
Wunsch-TOP
káa
tàas-e'x
a
màantel.
SR:SBJ.2
bring-2.PL
POSS.2
Tischtuch
'Was mich betrifft: mein Wunsch: daß Ihr Euer Tischtuch bringt.' (MUUCH 305) C. ma' NEG
in
k'áat
in
man 1 7
le
ba'l-o'b-o'.
POSS.l.SG
Wunsch
SBJ.I.SG
kauf
DEF
Sache-PL-D2
'Ich möchte diese Sachen nicht kaufen.' (BVS 7.1.6) d. a POSS.2
k'áat
uk'-ul?
Wunsch
trink-INTR.INKOMPL
'Möchtest Du trinken?' (BVS 7.1.22) Β 10b zeigt, daß der durch káa subordinierte Satz, der bei Subjektverschiedenheit auftritt und mithin charakteristischerweise unabhängige Zeitreferenz (ITR) aufweist, wiederum nicht eingebettet sein muß. Da k'áat, der weitaus häufigste desiderative Prädikator des Yukatekischen, ohnehin ohne aspektuelle Spezifikationen konstruiert wird bzw., wie in der Morphemanalyse angedeutet, u.U. als Substantiv zu analysieren ist, läßt sich diese Konstruktion wiederum als Topic interpretieren. Insgesamt läßt sich die Konstruktion von Propositionsverben im Yukatekischen wie in T1 beschreiben:18
17 18
Der Subjunktiv der transitiven Verben wird nur in klausenfinaler Position overt markiert. Zum Begriff der .implikativen' Prädikate s. Karttunen 1971.
64
Jürgen Bohnemeyer
T l . Konstruktionstypen der Propositionsprädikate Korrelierte Proposition ist Temporale Referenz ist
abhängig (DTR)
Subjekt
Objekt
Klasse:
I
m
Beispiele:
SS-Faktiva; ProzeBphasen; deontische Modalität; emotionale Hinstellung (z.B. Desiderativa) / SS; epistemischer Status
Wahrnehmung; Können; Implikativa; direkte Manipulation
Infinite Hinbettung unter Restriktion auf den Inkompletiv (emotionale Einstellung: intransitives Verb unter Subjektkontrolle, transitives im Subjunktiv). Ausnahme: deontische Modalität teils wie 11
Infinite Einbettung unter Restriktion auf den Inkompletiv
Klasse:
Π
IV
Beispiele:
DS-Faktiva; emotionale Einstellung (z.B. Desiderativa) / DS
Wissen, Erfahrung; propositionale Einstellung; indirekte Manipulation und transitive Desiderativa; Sprechakte
Konstruktion:
unabhängig (ITR) Konstruktion:
Infinite Nachstellung mit dem generellen Subordinator káa unter Restriktion auf den Subjunktiv
Finite Nachstellung mit der textdeiktischen Partikel -e' (und optional dem spanischen Subordinator dèekeh). Ausnahme: indirekte Manipulation und transitive Desiderativa wie II
In den Klassen II und IV kommen Topikalisierungen vor; die Bedingung für Topikalisierung ist dabei jeweils die Aspektlosigkeit des Propositionsprädikats. Auffällig ist, daß nicht auch Subjektsätze topikalisiert werden. Zwar kann über die Exposition selbst nicht prädiziert werden, doch sind ja Verben stets durch gebundene Pronomina für ihr Subjekt markiert, und Nomina konstituieren für sich bereits eine Prädikation. So bringt Givón (1990: 871) ein Beispiel für die Konstruktion einer thematischen Proposition durch ein .Topicmedial' im Chuave. Dies bleibt zu klären.
2 . 3 . K a u s a l e und f i n a l e Relationen Bll YUK
a. h e ' l PRSV/
hun-p'íit eins-bißchen
ts'aak-a' Medizin\-Dl
u
ti'a'l
a
nak'-a'.
POSS.3
Eigentum
POSS.2
Magen-Dl
'Hier ist etwas Medizin, für Deinen Magen.' (BVS 16.1.26)
65
Sementiate Topics im Yukatekischen
b.
(...) k - u
puk'-ik
IMPF-SBJ.3
máak
anmisch-TR.INKOMPL
ich
ha'
Person in
Wasser
u
ti'a'l
u
chan
máan-s-ik
POSS.3
Eigentum
SBJ.3
klein
passier-KAUS-TR.INKOMPL
u
uui ' h - i 1 ,
POSS.3
hungrig-ABSTR
'(...) man rührt es ins Wasser, um seinen Hunger zu bewältigen.' (BVS 17.1.19) c,
u
ti'a'l
POSS.3
Eigentum
k
k
bèet-ik
le
ch'a'cháak-o'
SBJ.l.PL
tu-TR:INKOMPL
DEF
Ch'a'chaak-D2
huntar-t-ik-baah
IMPF:SBJ. 1 .PL
versammel-TRR-TR.INKOMPL-REFL
dyèes
uuáah d ò o s e ' - o ' n
zehn
ALT
(...).
zwölf-ABS.l.PL
,Um die Ch'a'chaak-Zeremonie zu vollziehen, treffen wir uns zu zehnt oder zu zwölft (...).' (CHAAK lf.) Die Bedeutung der Präposition POSS ti'a 7 in Β11 reicht von der Zugehörigkeitsprädikation {in ti'a'l le naha' .dieses Haus gehört mir') bis zur Finalität. Die Beispiele zeigen, daß sie ebensogut mit einem sententialen wie mit einem nicht-sententialen Komplement konstruiert werden kann. Der mit u ti'a'l gebildete Finalsatz ist stets infinit und kann ebensowohl als Modifikator des Prädikats oder als finaler RS eingebettet als auch als Topic oder Afterthought angeschlossen werden.19 Der finale RS stellt dabei das Bindeglied zwischen der Konstruktion mit dem nominalen und der mit dem sententialen Komplement dar: B12.
k-u
ts'o'k-ol-e'
k-u
nòombrar-t-ik
YUK
IMPf-SBJ.3
end-INTR.INKOMPL-TOP MPF-SBJ.3
name-TRR-TR.INKOMPL
siinkoh
máak-o'b
u
ti'a'l-o'b
séerbir
fünf
Person-PL
POSS.3
Eigentum-PL
dien
cháak-il. Chaak-ADVR
.Danach ernennt er fünf Leute, deren Aufgabe es ist, Chaaks zu spielen [seil, in der Chachaak-Zeremonie]'. (CHAAK 52f.) Die Prädikativität von POSS ti'a'l, die sich in der Verwendung als Zugehörigkeitsprädikator niederschlägt, kommt hier ebenso zum Tragen wie das anaphorische Potential des PossessorKlitikums. Beides zusammen ermöglicht erst die Topikalisierung, die für einen syntaktisch relationalen und mithin nicht-referentiellen Ausdruck unerreichbar ist.20 Entsprechend wäre der finale Topic in B1 lc präziser zu paraphrasieren mit "(Situation:) Es ist angesagt, daß wir die Ch'a'chaak-Zeremonie vollziehen:...".
19
20
Topikalisierte Finalsätze machen nur etwa 10% aller Vorkommen von Finalsätzen aus. Die Funktionen sind ähnlich wie in Thomspon (1985) für das Englische beschrieben (vgl. §4): expositorische Finalsätze finden sich insbesondere in deskriptiven Texten und insbesondere in der Einleitung neuer thematischer Abschnitte. Ähnlich Bickel (1993: 41) und Marchese (1977: 162f.).
66
Jürgen Bohnemeyer
B13.
ih
asi
YUK
und
deshalb
es
keh
tèen-e'j
t-y-o'lal
le
k'oha'n-il
yàan
ich-TOP
LOK-O-Grund
DEF
krank-ABSTR
EXIST
tèen-a'j
ma'
u
páahtal
in
seen
meyah,
ich-Dl
NEG
SBJ.3
möglich
SBJ.l.SG
sehr
arbeit
,Und deshalb, wegen der Krankheit, die ich habe, kann ich nicht viel arbeiten.* ( B V S 17.1.21) B14.
hàalib-e'j
YUK
wohl-TOP
pos
kòomoh
ts'-in
t'àan
xib-en-e';
nun.ja
weil
TERM-SBJ.l.SG
Sprech
Mann-ABS.l.SG-TOP
pos
pul
a
báah
nun.ja
werf
POSS.2
Selbst
,Also gut; nun, da ich als Mann gesprochen habe, nun, spring herab!' (MUUCH 76f.) Β13 zeigt einen nicht-sententialen, kausalen Topic mit der komplexen Präposition tyo'lal ,wegen'. In Β14 ist ein topikalisierter Kausalsatz mit der dem Spanischen entlehnten Konjunktion kòomoh ,wie' zu sehen. B15 YUK
a.
pwèes
yan
u
xo'k-ol
nun.ja
DEB
SBJ.3
les:PASS-INTR.INKOMPL
turneen
u
1 áak'
KAUSL
POSS.3
ander
ti' LOK
máak, Person
,Nun, er [seil, ein Brief] muß ihr von jemand anderem vorgelesen ween.' (BVS
11.1.8)
b. k a n á a n - t wach-TRR
a
báah-e'x
ti'-le
ayik'al-o'b-o'
POSS.2
Selbst-2.PL
LOK-DEF reich-PL-D2
turneen
tuun
tu'-tuus-i k-o'n-o'b,
KAUSL
PROG:SBJ.3
RED-lüg-TR.INKOMPL-ABS.3.PL-3.PL
,Hütet Euch vor den Reichen! Denn sie belügen uns.' (FCP 96) Das kausale íuméen schließt in Β 15a den Agensausdruck im Passiv an. Wenn es mit einem Satz konstruiert wird, kommt es weder eingebettet noch angeschlossen vor, sondern ausschließlich in der nebenordnenden Verwendung der anaphorischen Begründung, die Β 15b illustriert. Umgekehrt wird kòomoh wie in Β14 praktisch ausschließlich in der Einleitung von Topics verwendet. Diese Verteilung ist umso signifikanter, als der mit tuméen eingeleitete Satz auch als Antwort auf eine mit ba 'xten (< ba 'x tuméen)2ì , warum' gebildete Frage fungieren kann. B16.
ba'xten
tàak
a
kan-ik
YUK
warum
es.gelüstet
SBJ.2
lern-TR.INKOMPL Maya
21
màaya'?
tuméen
uts
t-in
xikin
le
màasewal
KAUSL
gut
LOK-POSS.l.SG
Ohr
DEF
Indianer
nach Andrade (1955: 4.1.31).
t'àan-a', Rede-Dl
Sententiale Topics im Yukatekischen
67
, Warum willst Du Maya lernen? - Weil mir diese Indianersprache gefallt (sich gut anhört für mich; lit. ,gut ist in meinem Ohr')'. (BVS 8.1.19f.) kòomoh ist also ausschließlich auf den für Topikalisierung einschlägigen Fall des präsupponierten Grundes spezialisiert entlehnt worden.22 Mit Hilfe des in §2.5 zu beschreibenden Verfahrens der Kondensierung von Topicsätzen werden auch konsekutive Konjunktionen gebildet. Das Verb des reduzierten topikalisierten Satzes ist dabei ein manipulatives vom Typ ,tun, machen'. B17.
le
YUK
deshalb
bèeti'ke'
tak
behe'la'-e'
sogar
heute-D3
he'
υ
bèet-ik
le
DEF.FUT
SBJ.3
tu-TR.INKOMPL
DEF
ts'ùul-o'b-o', Herr-PL-D2
.Deshalb werden es die Herren/Fremden bis heute so machen.' (FCP 307)
2.4.
Relativkonstruktionen
B18.
bix
u
k'áat-a'l
YUK
wie
SBJ.3
frag-PASS.INKOMPL eins-KLF.INAN
hun-p'éel
tiimbreh Briefmarke
ti'
le
máak
k-u
kòon-ol-o'?
LOK
DEF
Person
IMPF-SBJ.3
verkauf:INTROV-INTR.INKOMPL-D2
, Wie erbittet man eine Briefmarke von dem Verkäufer (lit. ,dem Mann, der verkauft')? (BVS 11.1.22) B19.
señor
YUK
Heir
gobernadoorj 1 e Gouverneur
chàan
DEF klein
peek'
ω-a'l-ik-o'23
a
Hund
SBJ.2
0-sag-TR.INKOMPL-D2
kìinseh
diiyah-s
k-u
P'il
u
fünfzehn
Tag-PL
IMPF-SBJ.3
öffiie
POSS.3
y-ich, O-Auge
.Herr Gouverneur, der Welpe, von dem Du sprichst: nach fünfzehn Tagen öffnet er seine Augen.' (FCP 37f.) B20.
yàan
YUK
EXIST was
ba'n
k-u
tséek-t-a'l
ma'lóob
IMPF-SBJ.3
predig-TRR-PASS.INCOMPL
gut
turneen
le
k-u
tàal-o'b
tak
mexico,
KAUSL
DEF
IMPF-SBJ.3
komm-3.PL
bis
Mexiko
,Da gibt es Sachen, die werden gut gepredigt von denen, die sogar aus Mexiko kommen.' (FCP 256f.) 22
23
Vgl. Fugier (1989) zur analogen Verteilung hinsichtlich der Präsupposition von quod und quia im Latein, quod und quia können allerdings beide zur Beantwortung einer Begründungsfrage verwendet werden, während es im Deutschen unmöglich ist, eine Frage mit den strikt anaphorisch-definiten denn oder da zu beantworten. Dies hängt wohl mit dem jeweiligen Ursprung der Konjunktionen zusammen. Bemerkenswert ist jedoch, daß der kausalen Verwendung von quod historisch ein angeschlossener RS zugrundeliegt, der ihre Festlegung auf die präsupponierende Funktion (abgesehen vom Antwortfokus) motiviert. Die deiktischen Partikeln werden nicht gereiht, -a' und -o' verdrängen das unmarkierte -e'.
68
Jürgen Bohnemeyer
Der restriktive RS, wie ihn Β18 zeigt, ist (nahezu) der einzige finit eingebettete Satz. Der Nukleus der Relativkonstruktion ist im RS bereits durch die gebundenen Pronomina repräsentiert, die auch seine syntaktische Funktion tragen, so daß ein besonderes Resumptivum überflüssig ist. Ein Subordinator kommt nur in gewissen markierten TAM-Kategorien vor; sonst ist nicht zu entscheiden, ob das Bezugsnomen Konstituente anstatt Kokonstituente des RSes ist, ob es sich also im Sinne von Lehmann (1984: 48f., 109ff., 177ff.) um einen - bloß implizit attributiven - RS mit .internem Nukleus' handelt. Die gleiche systematische Ambiguität besteht in extraponierten Konstruktionen, wie sie Β19 exemplifiziert - die Struktur ist indifferent zwischen einer topikalisierten Relativkonstruktion und einem angeschlossenen RS. 24 Semantisch gesehen schwankt der RS entsprechend zwischen Ausrichtung auf eine Leerstelle und bloßer Fokussierung des internen Nukleus. Der Begriff der .Ausrichtung' spielt im folgenden noch eine gewisse Rolle; wir wollen ihn hier im Anschluß an Lehmann (1984: 152, 179) definieren als die Funktion der Umwandlung einer Proposition in einen ihrer komponentiellen Referenten. Der prädikative Ausdruck referiert also nicht mehr auf eine Proposition, sondern im Falle des RSes auf einen der beteiligten Partizipanten, im Falle eines Adverbialsatzes aber auch - so soll dieses Konzept hier ausgeweitet werden - auf einen Ort oder ein Zeitintervall oder die Geltung der Proposition einschließlich ihres modalen Status. Ausrichtung ist das funktionale Pendant der Operation der Leerstellenbildung (bzw. Nukleusbildung, im Falle eines RSes mit internem Nukleus). B20 demonstriert die beiden Verfahren zur Konstruktion von RSen ohne Bezugsnomen: Der äußere RS hat ein substantiviertes Pronomen als internen Nukleus, der innere RS ist selbst substantiviert, d.h. er wird nichtmodifizierend und mithin ohne Nukleus verwendet. Der funktionale Unterschied dieser beiden Strategien liegt in erster Linie darin begründet, daß das indefinite Pronomen zur Einführung neuer Referenten bzw. zur Bildung unspezifisch referierender Begriffe (B21b) prädisponiert ist, während der substantivierte RS bereits im Redeuniversum etablierte oder etwa deiktisch verfügbare Referenten (B21a) aufnimmt. 25 B21 YUK
a. l e DEF
k-ίη
ts'a'-ik
IMPF-SBJ.l.SG
stell-TR.INKOMPL
u
k'áaba'-e':
kàabal
POSS.3
Name-TOP
Längsträger
he'l-a'j PRSV-Dl
pàach
nah,
,Der, den ich hier hinstelle, heißt "Längsträger".' (NAH 4) b. máax kun xok-ik-e'j wer
SR.FUT:SBJ.3
les-TR.INKOMPL-TOP
k-u
na' t - i k-e'
(,,,).
IMPF-SBJ.3
versteh-TR.INKOMPL-D3
,Wer es liest, der versteht es (...)'. (FCP 313) 24
25
Die .Relativkonstruktion' ist dasjenige Nominalsyntagma, das entweder das Bezugsnomen oder, im Falle bezugsnomenloser RSe, den RS selbst als unmittelbare Konstituente hat (s. Lehmann 1984: 44). In angeschlossenen RSen ist diese Unterscheidung im Prinzip irrelevant, da mangels der externen Syntax ohnehin nicht zu entscheiden ist, ob der RS Attribut des Nukleus ist oder diesen enthält. Präziser formuliert, begünstigt also die vage syntaktische Stellung des Nukleus im Yukatekischen die Extraposition der Relativkonstruktion. Entsprechend fungiert der substantivierte RS in Spaltsätzen, der RS mit pronominalem Bezugsnomen dagegen in Pseudospaltsätzen.
Sententiale Topics im Yukatekischen
C.
tu'x
h
wo PRT
69
tàal-o'b
àamm
in
komm-ABS.3.PL
selig
POSS.I.SG
taat-ih, Herr-KFP
t-u
tsikbal-t-ah
uuay
campeche
u
PRT-SBJ.3
erzähl-TRR-TR.KOMPL
hier
Campeche
SBJ.3
tàal-o'b komm-3.PL
.Woher meine Vorfahren selig kamen: man erzählte sich hier, aus Campeche kamen sie.' (Smailus 1975:18) d.
le
k-u
tàas-a'1-e'
DEF
IMPF-SBJ.3
komm:KAUS-PASS.INKOMPL-TOP
k-u
bo'l - t - a ' l .
IMPF-SBJ.3
zahl-TRR-PASS.INKOMPL
,Wenn es gebracht wird, wird es bezahlt' (BVS 11.1.25) B21c zeigt einen angeschlossenen lokalen RS. Die lokale Funktion kann fakultativ durch ein lokales Pronominaladverb tu'x ,wo(hin/her)' angezeigt werden, das sonst als Fragewort auftritt und das hier als interner Nukleus fungiert; sie kann aber auch unbezeichnet bleiben.26
2.5.
Temporale Relationen
In B21 sind abhängige Sätze zu sehen, die in B21a und d durch den Artikel le als substantiviert gekennzeichnet und dem jeweiligen Hauptsatz voran- oder nachgestellt sind.27 Der angeschlossene RS in B21a hat die Funktion der Exposition; er wird durch das Pronomen u wiederaufgenommen in einem zweiten Topic, dem der "rhematischste" Teil des Satzes folgt. Der topikalisierte Satz in B21d leistet temporale Exposition, fungiert also wie ein Temporalsatz in anderen Sprachen. Das geht jedoch nur aus dem Kontext hervor; B21d kann auch bedeuten ,Was gebracht wird, wird bezahlt'. B22 YUK
a.
puueesj
káa
t-u
mach
u
nun.ja
KONN
PRT-SBJ.3
berühr(ABS.3.SG)
POSS.3
bèeh-el
le
χίί bpàal-o'j
káa
Weg-REL
DEF
Junge-D2
KONN PRT
y-eetel
u
y-a'l-a'l
peek'-o'b-o',
POSS.3
O-sag-PASS .INKOMPL
Hund-PL-D2
káa
27
bin geh(ABS.3.SG)
0-mit h
KONN PRT
26
h
k'uch
t-u
ankomm(ABS.3.SG)
LOK-POSS.3
hum-p'ée 1
kàah
eins-KLF.INAN
Dorf
hòol Öffnung
( ,,, )
Der lokale RS kommt - wie alle RSe des Yukatekischen - auch eingebettet vor und kann dann auch mit einem Bezugsnomen konstruiert werden. Diese Struktur ist aber natürlich als attributiv einzustufen in eben dem Maße, in dem dies für den RS mit Bezugsnomen schlechthin gilt. Ebenso wie die Definitheitsmarkierung dürfte auch das Verfahren der impliziten Substantivierung von Sätzen, angezeigt durch ihre Determination, auf den EinfluB des Spanischen zurückzuführen sein.
70
Jürgen Bohnemeyer
,Nun, und der Junge machte sich auf den Weg, und er ging mit seinen vermeintlichen Hunden. Und er kam an den Eingang eines Ortes (...)' (Smailus 1975: 173) b. l e káa h náats'-nah-e'j DEF
KONN
káa
t-u
PRT
KONN PRT-SBJ.3
nah-INTR.KOMPL(ABS.3.SG)-TOP
hach
k'ahóol-t-ah
wirklich
kenn-TRR-TR.INKOMPL
dèekeh
u
pàa1,
SR
POSS.3
Kind
, Als er (seil, der verlorene Sohn) näher kam, erkannte er (seil, der Vater) wirklich, daß es sein Kind war.' (HIJO 116) Das Yukatekische kennt praktisch keine temporale Konjunktionen; im wesentlichen wird das zeitliche Verhältnis zwischen Sätzen, also die Taxis,28 durch Aspektmorpheme ausgedrückt. Das auf das (zumindest im Wesentlichen perfektive) Präteritum beschränkte káa bezeichnet sequenzielle Taxis in B22a und inzidentelle in B22b. Dieser Unterschied ist lediglich dem Umstand geschuldet, daß der erste Satz in Β22b topikalisiert ist und damit den referentiellen Hintergrund für das Folgende abgibt. Im Sinne der Einführung dieses Begriffs oben kann man also sagen, daß der Temporalsatz des Yukatekischen - sofern sich überhaupt von einem solchen sprechen läßt nicht ausgerichtet ist. Das zeigt sich besonders deutlich daran, daß nachzeitige Referenz überhaupt nur unter Involvierung von Negation möglich ist. B23.
t-in
w-il-ah
YUK
PRT-SBJ.l.SG
O-seh-TR.KOMPL eins-Mal
hun-téerij
ma'-ili'
tàal-ak-en
uuay-e'.
NEG-IDENT
komm-SUBJ.INKOMPL-ABS.l.SG
hier-D3
B24.
,Ich traf ihn einmal, gerade bevor ich hierherkam (lit. ,ich war gerade noch nicht hierhergekommen') k-a ts'a'-ik u báaloh-il túun,
YUK
IMPF-SBJ.2
setz-TR.INKOMPL POSS.3
k-u
ts'o'k-ol
a
IMPF-SBJ.3
end-INTR.INKOMPL
SBJ.2
u
báa 1 o h - i 1
POSS.3
Querträger-REL dann
k-a
ts'a'-ik
setz-TR.INKOMPL POSS.3
IMPF-SBJ.3
28
dann
ts'a'-ik setz-TR.INKOMPL
túurij
IMPF-SBJ.2
( ,. , ) k - u
Querträger-REL
u
kàabal
pàach
nah-il,
Längsträger-REL
ts'o'k-ol -e' end-INTR.INKOMPL-TOP
Vgl. Jakobson (1957). .Taxis' bezeichnet das temporale Verhältnis zwischen Situationen: sie können einander überlappen (.simultane' Taxis) oder aufeinander folgen (.sequenzielle' Taxis). .Inzidentelle' Taxis ist eine Inklusionsbeziehung zwischen zwei Situationen.
71
Sententiale Topics im Yukatekischen
k-a
na'k-s-ik
u
ho'l
nah
IMPF-SBJ.2
steig-KAUS-TR.INKOMPL
POSS.3
Firstbalken
che1.
,Dann bringst du die Querträger an. Wenn du dann die Querträger angebracht hast, bringst du die Längsträger an. (...) Danach tust du den Firstbalken drauf.' (K'AXBIL 18ff.) B24 zeigt die Funktion topikalisierter Sätze als resumptive Topics (vgl. Miiller-Bardey 1988:74).29 Die Struktur ist grob A. Nachdem Α-TOP: B. Nachdem B-TOP: C. Die Sequenzialisierung wird dabei, neben dem Adverb túun ,dann', von dem Phasen verb ts'o'k , enden' geleistet, das in der Grammatikalisierung zur Anteriorität bzw. zum Perfekt, und vermutlich weiter zum Perfektiv, begriffen ist. Das anaphorische resumptive Topic ku ts'o'kole' ,wenn das zuende ist' erodiert häufig bis zu ts'o'le' und gewinnt dann den Status einer nebenordnenden temporalen Konjunktion .danach'. Topikalisierung ist das weitaus wichtigste Verfahren des Yukatekischen, eine untergeordnete Proposition als temporalen Bezugspunkt zu setzen; und die Häufigkeit resumptiver Referenzakte ist dabei, zumindest von den Verhältnissen europäischer Sprachen aus beurteilt, signifikant. Umgekehrt ist temporale Situierung auch die bei weitem wichtigste Funktion topikalisierter Sätze im Yukatekischen.
2.6.
Konditionale Relationen
Ein angeschlossener Satz mit inaktueller oder irrealer Referenz kann zur Kodierung einer propositionalen Bedingung verwendet werden. B25 YUK
a. l e DEF
keen
u
y-a'l-e'
le
keen
a
w-u'y-e'x.
SR.FUT
SBJ.3
O-sag-TOP
DEF
SR.FUT
SBJ.2
0-fiihl-2.PL
'Was immer er sagt, ihr werdet es befolgen.' (MUUCH 352) b. p e r o le keen in uj-a'l tèech aber
1 e 1-o' DEM-D2
DEF
SR.FUT
SBJ.l.SG
0-sag
du
"bèeynteh"-e' zwanzig-TOP
ma'. NEG
,Aber wenn ich Dir "zwanzig" sage, ist das (eigentlich) nicht so.' (NAH 182) In diesen Beispielen wird die erforderliche Referenz durch die hier als ,Futur' glossierte modale Kategorie hergestellt. B25a hat generische Bedeutung; der erste Gliedsatz hat die Funktion eines .indifferenten' RSes (s. Lehmann 1984: 338ff). Dieselbe Struktur in B25b wird, dem Kontext angemessen, konditional interpretiert. Ein weiteres Beispiel ist B27 unten; diese Fälle sind allesamt nicht-hypothetisch. Die Einordnung solcher Sätze zwischen einer konditionalen und einer temporalen Analyse ist notorisch schwierig. B25b könnte im Deutschen weder mit .Falls...' 29
Vgl. Müller-Bardey 1988: 158ff„ der die Grammatikalisierung von Konjunktionen, die finale Klausen verbinden, aus solchen resumptiven Topics in verkettenden Sprachen beschreibt.
72
Jürgen Bohnemeyer
oder .Unter der Bedingung, daß...' noch mit ,Zu dem Zeitpunkt, da...' umschrieben werden. Im Hua werden sie mit der in B1 exemplifizierten Kombination -ma-mo gebildet; Haiman (1979: 581ff.) subsumiert sie unter,given conditionals', um seine Gleichsetzung von Konditionaler Protasis und Exposition zu rechtfertigen. Es scheint mir jedoch gerade angesichts der Beispiele im Hua und im Yukatekischen angemessener, sie als unspezifische Topicsätze, als ,Εχροsitionalsätze' anzusprechen. Im Allgemeinen verwendet das Yukatekische spezifischere Mittel zum Ausdruck von Bedingungsrelationen. B26
a.
YUK
hach
wáah hàah b a ' x
k-a
ω-a'l-ikj
ì i höh;
wirklich
ALT
IMPF-SBJ.2
O-sag-TR.INKOMPL
Sohn,
wahr
was
ujáah c h é e n
táan
ALT
PROG:SBJ.2
nur
tuus-ik-en? lüg-TR.INKOMPL-ABS.l.SG
,Ist es wirklich wahr, was Du sagst, Sohn, oder belügst Du mich bloß?' (MUUCH 156ff.) b.
uuáah a
k'áat
uts-tal-e'j
ALT
POSS.2
Wunsch
gut-PROZ.INKOMPL-TOP
yan
u
tohol-t-ik
DEB
SBJ.3
Preis-TRR-TR.INKOMPL du.
tèech,
,Wenn Du genesen willst, mußt Du es Dich was kosten lassen.' (BVS 13.1.24) Der Konditionalsatz in B26b wird durch die Konjunktion wáah eingeleitet, die in B26a eine alternative Relation ausdrückt und zudem innerhalb des ersten der beiden nebengeordneten Sätze als Fragepartikel auftritt. Außerdem subordiniert dieses Morphem noch abhängige Satzfragen; wir können seine Grundbedeutung analysieren als Eröffnung einer Alternative zwischen zwei Propositionen bzw. zwischen einer Proposition und ihrer Kontradiktion.30 Letzteres klammert die Geltung der Proposition gleichsam ein. Die konditionale Bedeutung ergibt sich dann durch Topikalisierung eines Satzes mit solchermaßen eingeklammerter Proposition. Die konditionale Protasis hat also die Struktur einer topikalisierten (indirekten) Satzfrage, ebenso wie in Blc für das Hua gezeigt.-" Konditionalsätze kommen auschließlich angeschlossen vor, und sie werden nahezu immer topikalisiert. Das seltene B27 demonstriert jedoch anschaulich die einschränkende Funktion des .Afterthoughts'. B27.
te'x-e'
keen
kul-ak-e'x
haan-al-e'
YUK
ihr-TOP
SR.FUT
setz-INTR.SUBJ-2.PL
ess-INTR.INKOMPL-TOP
chéen
bu'l,
uuáah
yàanu
nur
Bohne
ALT
EXIST POSS.3
bu'l-ilj Bohne-REL
,Ihr dagegen, wenn ihr euch zum Essen setzt, (seil, gibt es) nur Bohnen, - falls es 30
31
Zur Vergleichbarkeit von polaren Fragen und Konditionalsätzen hinsichtlich ihrer .disjunktiven Presupposition' vgl. Lehmann (1974: 86ff.). Vgl. Haiman (1978) zu Hua -ve.
73
Sententiale Topics im Yukatekischen
überhaupt Bohnen gibt!' (FCP 102f.) Das folgende Beispiel demonstriert adversative Nebenordnung mithilfe des oben beschriebenen Verfahrens der reduzierten Topicsätze (hier mit einem nominalen Prädikat ,die Sache ist (nur)'). Innerhalb des Skopus der Topikalisierung habe ich jedoch keine Beispiele für adversative oder konzessive Relationen gefunden. B28.
kexi'-e'j
YUK
wolle.Gott-TOP
in
k'áat
POSS.l.SG
Wunsch
p'áat-al, bleib-EMTR.INKOMPL
ba'l-e':
ma'
t-u
páahtalj
yan
in
Sache-TOP
NEG
IMPF:NEG-SBJ.3
möglich
DEB
SBJ.l.SG
bin. geh
.Eigentlich würde ich gerne bleiben. Aber es ist nicht möglich; ich muß gehen.' (BVS 8.1.27)
2.7.
Zusammenfassung
Das Yukatekische setzt die Topikalisierung in allen Bereichen der unterordnenden Satzverknüpfung ein. Propositionsverben nehmen eingebettete Substantivsätze in Subjektfunktion; in Objektfunktion dagegen nur dann, wenn die Referenz der übergeordneten und der untergeordneten Proposition voneinander abhängt (DTR). Rhematische Propositionen mit unabhängiger Referenz werden mithilfe der textdeiktischen Partikel -e die als Topicmarkierer fungiert, an Propositionsprädikatoren angeschlossen. Unter Desententialisierung des Propositionsprädikats fungiert dieses dann als Topic des übergeordneten Satzes; das ist der Fall bei Prädikaten der propositionalen oder emotionalen Einstellung. RSe verhalten sich strukturell weitgehend indifferent zwischen Leerstellenbildung und bloßer Fokussierung eines internen Nukleus. Unter Extraposition entsteht entsprechend eine Struktur, die zwischen dem Anschluß des RSes und der Links- oder Rechtsversetzung der gesamten Relativkonstruktion schwankt. Daneben kommen angeschlossene bezugsnomenlose RSe vor sowie angeschlossene lokale und appositive RSe. Temporalsätze werden überwiegend topikalisiert. Sie haben die Struktur von substantivierten RSen; die temporale Funktion bleibt unausgedrückt, und die Sätze verhalten sich semantisch nicht-ausgerichtet. Temporale Situierung ist die wichtigste Funktion sententialer Topic-Konstruktion. Präsupponierte Kausalsätze werden durch eine spezielle Topic-Konstruktion realisiert, während finale Relationen mithilfe einer konzentrischen (also anaphorisch referenzfähigen) Präposition ausgedrückt werden, die prädikatives Potential hat und dadurch sowohl adsententiale und adnominale als auch angeschlossene Finalsätze bildet. Konditionalsätze kommen ausschließlich angeschlossen und fast ausschließlich topikalisiert vor; sie haben die Gestalt topikalisierter abhängiger Satzfragen.
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Jürgen Bohnemeyer
3. Das strukturelle Umfeld der Topikalisierung 3.1. Die Stellung des Anschlusses zwischen Hypotaxe und Nebenordnung Um den Rahmen zu schaffen für eine typologische Charakterisierung der Rolle, die die Topikalisierung als Verfahren innerhalb der yukatekischen Satzverknüpfung spielt, soll die Stellung der Topikalisierung innerhalb der Strukturen und Funktionen der Satzverknüpfung untersucht werden. Dieser und der folgende Abschnitt befassen sich in zwei Schritten mit den ausdrucksseitigen Aspekten der Topikalisierung. Zunächst wird der Anschluß als äußere Bedingung der Topikalisierung diskutiert und daraufhin dann die Frage nach der Eigenständigkeit der Topikalisierung gegenüber dem Anschluß sonst eingebetteter Nebensätze erörtert. Den Hintergrund für das Folgende bildet die Hypothese, daß sich die Ausdrucksmittel der Satzverknüpfung durch ein Kontinuum zwischen syntaktischen und anaphorischen Relationen beschreiben lassen. Einige Beispiele sollen das illustrieren. B29
B30
a. b. c. d. a. b. c. d. e. f.
After finishing their lunch they went out for a walk. When they had finished their lunch, they went out for a walk. They finished their lunch, and then they went out for a walk. They finished their lunch. Then / Next / After that / they went out for a walk. Fred zu belügen war nicht sehr fair von Dir. / Es war nicht sehr fair von Dir, Fred zu belügen. Daß Du Fred belogen hast, war nicht sehr fair von Dir. / Es war nicht sehr fair von Dir, daß Du Fred belogen hast. Daß Du Fred belogen hast, das war nicht sehr fair von Dir. / Das war nicht sehr fair von Dir, daß Du Fred belogen hast. Du hast Fred belogen, und das war nicht sehr fair von Dir. Du hast Fred belogen; das war nicht sehr fair von Dir. / Das war nicht sehr fair von Dir: Du hast Fred belogen. Du hast Fred belogen. Das war nicht sehr fair von Dir.
Einbettung ist die Konstruktion eines abhängigen Satzes (d.i. eines Ausdrucks mit Propositionsreferenz, der mithin mindestens eine Prädikation umfaßt) als Träger einer syntaktischen Funktion, oder, was dasselbe sagen soll, als Relatum einer syntaktischen Relation. Als syntaktische Relationen im engeren Sinne sind die Dependenzrelationen zu verstehen (Apposition, da sie Koreferenz der Relata voraussetzt, kann als Mischfall zwischen syntaktischer und anaphorischer Kodierung betrachtet werden); Einbettung ist also im prototypischen Falle die Konstruktion eines subordinierten Satzes als Rektum oder Modifikator. Hypotaxe charakterisiert einbettende Strukturen.32 32
Die Analyse der Einbettung als prototypisches Konzept und die Charakterisierung ihrer fokalen Instanz durch Dependenzverhältnisse entnehme ich Lehmann (1988), der auch strukturelle Parameter der prototypischen Variation untersucht. Diese Parameter beschreiben, neben der Einbettung selbst und der Subordination bzw. Nominalisierung des abhängigen Satzes, auch die Explizitheit der Markierung der Relation zwischen den Sätzen. Dabei ergibt sich eben jener Übergang zu anaphorischen Ausdrucksmitteln, der mich zu der Hypothese veran-
Sententiale Topics im Yukatekischen
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In den a - und b-Beispielen wird Hypotaxe exemplifiziert, und zwar in B29 die Einbettung eines Satzes, der in einer temporalen Relation zum Hauptsatz steht, als Satzadverbial, in B30 die hypotaktische Konstruktion eines Sachverhaltskomplexes durch Einbettung eines Substantivsatzes als Subjekt einer adjektivischen Prädikation. Die a-Beispiele zeigen subordinierte Sätze mit nicht-finiten, die b-Beispiele solche mit finiten Prädikatoren und Subordinator bzw. subordinierender Konjunktion. Diese abhängigen Sätze sind umstellbar, kommen also auch nachgestellt vor, wobei sie in B30 durch ein expletives Pronomen in initialer Stellung vertreten werden müssen, das ihre syntaktische Funktion übernimmt. In B30c ist der abhängige Satz extraponiert, nämlich rechts bzw. linksversetzt und dabei durch eine Anapher im Hauptsatz vertreten. B29c und B30d zeigen Nebenordnungen. In B30d wird der erste Teilsatz im zweiten anaphorisch aufgenommen, B29c enthält ein Temporaladverb, das sich anaphorisch auf den ersten Teilsatz bezieht. In B29d und B30f ist die Relation zwischen den beiden Sätzen ausschließlich anaphorischer Natur; ihre Reihenfolge ist nicht mehr umkehrbar, da sie die Reihenfolge der Handlungen ikonisch abbildet. In B30e ist die Umstellung möglich: hier haben die beiden sonst unabhängigen Sätze eine gemeinsame Funktionale Satzperspektive (FSP), die sich im jeweiligen Intonationsverlauf spiegelt. Die hypotaktische Konstuktion eines Satzes als Konstituente eines anderen Satzes korreliert mehr oder weniger lose mit gewissen semantischen Eigenschaften des abhängigen Satzes. Die Subjektsätze in B30a und b repräsentieren Information, die gegenüber dem als Prädikat konstruierten Kommentar des Sprechers im Hintergrund steht und darüberhinaus als gegeben betrachtet wird, derart daß die Frage nach der Geltung der untergeordneten Proposition zugunsten der nach der Geltung der übergeordneten gleichsam aufgegeben wird, m.a.W. die untergeordnete Proposition ist präsupponiert (Objektsätze dagegen gehören in der Regel zum Rhema und sind charakteristischerweise in der Regel nicht präsupponiert). Ähnliches gilt für die sententialen Adverbialien in B29af.: auch sie repräsentieren Hintergrundinformation und sind präsupponiert. Damit verbunden sind sie in dem in §3.3 eingeführten Sinne ausgerichtet, d.h. sie referieren nicht auf die Proposition, die sie machen - die ist eben nur mehr präsupponiert (oder vollständig in einen einfachen Begriff übergegangen wie in dem nominalisierten B29a) - sondern im Beispiel auf die linke Grenze des Zeitintervalls, in dem der Hauptsatz referiert. Die Ausrichtung läßt sich ihrerseits als Reflex der Leerstellenbildung interpretieren, die diese Sätze in Modifikatoren wandelt und durch die sie ihre Fähigkeit zu selbstständiger Referenz verlieren. Solche Faktoren wie die Unterscheidung von Vordergrund- und Hintergrundinformation, propositionaler und ausgerichteter Referenz und der Proposition als Gegenstand eines illokutiven Aktes vs. als präsupponiert oder nichtpolar bestimmen die stilistische Wahl zwischen hypotaktischer und parataktischer S atz Verknüpfung in solchen Sprachen, die diese Alternative zur Verfügung stellen. Die Domäne des Anschlusses wird durch die Fälle B30c und e begrenzt. Der abhängige Satz erfüllt keine syntaktische Funktion im Hauptsatz, sondern ist ihm angeschlossen. Er kann aber laßt hat, daß die Kodierung der interpropositionalen Relationen in den Sprachen der Welt durch ein Kontinuum zwischen syntaktischen und anaphorischen Strategien beschreibbar ist. - Der weithin gebräuchlichen Subsumption von - mehr oder minder anaphorisch vermittelten - Nebenordnungen unter .Koordination' schließe ich mich nicht an.
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pronominal im Hauptsatz vertreten sein; dann ist er links- bzw. rechtsversetzt. Bei Nachstellung ergibt sich dann kataphorische Repräsentation, für die der komplexe Satz (einschließlich Topic und Afterthought) bereits - vermutlich universell - die maximale Reichweite darstellt. Umgekehrt impliziert Voranstellung wohl stets, zumindest textuell, einen schwach kataphorischen Bezug zum Hauptsatz. Die Funktion der textdeiktischen Partikel -e ' als Topicmarkierer im Yukatekischen ist in dieser Hinsicht signifikant. Der Zwang des freien Diskurses zur ikonischen Kodierung, der sich aus den pragmatischen Erfordernissen der Nachvollziehbarkeit im Sinne allgemeiner Maximen der Kommunikation (vgl. §4) ergibt, besteht noch nicht.33 Die Illokution des angeschlossenen Satzes ist suspendiert; die Integration in eine pragmatische Redeeinheit läßt sich sowohl bei Voranstellung als auch bei Nachstellung an je charakteristischen Intonationsverläufen ablesen. Der Anschluß nimmt eine mittlere Position ein zwischen den syntaktischen Relationen des Satzes und den anaphorischen des Diskurses. Seine Vergleichbarkeit mit der hypotaktischen Satzverknüpfung schlägt sich jedoch eindrucksvoll darin nieder, daß Topicsätze, wie oben an Beispielen aus dem Yukatekischen belegt, wie eingebettete Nebensätze als Quelle zur Grammatikalisierung anaphorischer nebenordnender Konjunktionen dienen.
3.2.
Die Identität der Topikalisierung als Verfahren
Topikalisierung ist ein Verfahren innerhalb der strukturellen Domäne des Anschlusses. Sprachen wie Godié oder Yukatekisch, die über grammatische Mittel zur Kodierung des Topics verfügen, markieren vorangestellte Sätze obligatorisch als Topics. Sprachen, die nicht über solche Mittel verfügen, tendieren dazu, den angeschlossenen Satz pronominal im Hauptsatz zu vertreten; dadurch, daß die Anapher die syntaktische Funktion übernimmt, "isoliert [sie die angeschlossene Konstruktion]... vom Hauptsatz und besiegelt ihre Etablierung als Exposition" (Lehmann 1984: 350). Ein berühmtes Beispiel ist der ,adjungierte RS' australischer Sprachen (Haie 1976), etwa des Warlpiri (Pama-njunganisch; Tanamiwüste (NT)). B31 WAL
a. y ank ι r i - 1 i
kutja-lpa
Qapa
Emu-ERG
SR-PRT(SBJ.3.SG)(OBJ.3.SG) Wasser
Qatjulu-lu
na
pantu-nu,
ich-ERG
SBJ. 1 .SG(OBJ.3.SG)
spieß-PRT
rja-nuj trink-PRT
,Der Emu, der Wasser trank, ich spießte ihn auf. / Als der Emu Wasser trank, spießte ich ihn auf.'
33
Vgl. Haiman (1983: 120f.) zur ikonischen Abbildung von Handlungsketten in .koordinierten', aber nicht in .subordinierten' (seil, topikalischen, s. Fn. 2) Medialen. - Die Notwendigkeit zu ikonischer Kodierung kann natürlich mithilfe anaphorischer Mittel aufgehoben werden (vgl. z.B. dt. zuvor als nebenordnende Konjunktion).
Sententiale Topics im Yukatekischen
b.
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y a n k i r i - l i
k u t j a - l p a
Emu-ERG
SR-PRT(SBJ.3.SG)(OBJ.3.SG) Wasser
qapa
qa-nuj
trink-PRT
q u i a
na
p a n t u - n u
Q a t j u l u - l u ,
es
SBJ. 1 .SG(OBJ.3.SG)
spieß-PRT
ich-ERG
,Der Emu, der Wasser trank, eben den spießte ich auf / Als der Emu Wasser trank, da spießte ich ihn auf.' C.
m a l i k i - l i
k a t j i - r j k i
y a l k i - n i
Hund-ERG
SR-(SBJ.3.SG)OBJ.2.SG
beiß-NONPRT du
Q a t j u l u - l u
k a p i - n a
ich-ERG
FUT-SBJ.l.SG
n j u n t u j
luuua-ni.
schiefr-NONPRT
, Wenn/falls der Hund Dich beißt, werde ich ihn erschießen / der Hund, der dich beißt/beißen wird, ich werde ihn erschießen.' (Haie 1976: 78ff.) In B31a ist die Relativkonstruktion vorangestellt. Die alternative Konstruktion ist die Finalstellung des RSes, der dann nach Haie (der die Intonation als Evidenz heranzieht) als eingebettet interpretiert werden kann. 34 B31b zeigt eine explizit korrelative Variante zu B31a; die Relativkonstruktion wird hier durch ein freies Anaphorikum im Hauptsatz wiederaufgenommen. Diese Konstruktion wird gegenüber der reinen Voranstellung tendenziell bevorzugt. Wie die Übersetzung andeutet, weisen beide Konstruktionen eine alternative, simultane bzw. inzidentelle Interpretation auf, wo diese von der temporalen Referenz der Gliedsätze her möglich ist. Wo die Referenz der Gliedsätze - in Abhängigkeit von den spezifizierten TAM-Kategorien, die sich auch in der Form des Subordinators spiegeln - irreal oder inaktuell (,uninstantiated* - Haie 1976: 80) wird, ist auch eine konditionale Interpretation möglich (B31c; vgl. das yukatekische Beispiel B25 oben). Darüberhinaus werden nach dem selben Muster Kausal- und Finalsätze gebildet mithilfe anderer subordinierender Konjunktionen. In allen Sprachen, die bisher zur Exemplifizierung von sententialen Topic-Konstruktionen herangezogen wurden, weisen diese eine hohe strukturelle Affinität zu RSen auf. Die ,TopicMediale' des Hua werden mit einem Paradigma von Personalendungen gebildet, das mindestens in diachroner Sicht dasjenige der Verben in RSen ist. Im Godié, im Warlpiri und im Yukatekischen besteht systematische Ambiguität zwischen angeschlossenen Relativ- und Temporalsätzen; im Godié und im Warlpiri wird dieselbe Satzverbindung darüberhinaus konditional interpretiert, wenn der expositorische Satz in einem irrealen Modus steht (was im Yukatekischen eine marginale Rolle spielt, da es hier einen speziellen Typ von Topicsätzen gibt, die als konditionale Protasis fungieren). 35 Andererseits hebt Lehmann (1984: 348ff.) Exposition als die Grundfunktion angeschlossener RSe hervor. 36 Funktional erklärt sich dieser Zusammenhang zunächst dadurch, daß RSe Re34
36
Lehmann (1984: 236) analysiert ihn dagegen als nachgestellt (also final angeschlossen). Vgl. §2.5 zu den unspezifischen expositorischen Medialverbkonstruktionen des Hua, deren Bedeutung zwischen temporalen und konditionalen Relationen liegt, die Haiman (1979) jedoch als eine besondere Klasse konditionaler Relationen (,given conditionals') auffaßt, aufgrund eines sehr weit ausgedehnten Begriffes von Presupposition (nach der ein Satz bereits dann präsupponiert ist, wenn er seine illokutive Kraft verloren hat). So beschreibt er Topikalisierung als "eine der Hauptfunktionen des lateinischen RSes" schlechthin (loc. cit. 350).
78
Jürgen Bohnemeyer
ferenten einführen oder wiederaufnehmen (und dann weiter spezifizieren), einschließlich temporaler oder lokaler Referenten im Falle von RSen, deren Nukleus eine temporale oder lokale Bestimmung ist. Mithin ist die Funktion von RSen der Exposition in jedem Falle zumindest kohyponym. Strukturell gründet der Zusammenhang offenbar in der Tatsache, daß die syntaktische Relationierung auch attributiver RSe lediglich durch Ausrichtung auf einen (in allen Fällen zumindest im weiteren Sinne anaphorischen) Repräsentanten des Bezugsnomens geschieht. Dadurch sind nicht-attributive Relativkonstruktionen im Gegensatz zu den .offenen Sätzen' (d.s. Adverbial- und Attributivsätze) selbstständig referenzfähig, während sie gleichzeitig im Gegensatz zu den Substantivsätzen - die, wie B30e zeigt, ebenfalls topikalisiert werden können - nicht an Propositionsprädikatoren gebunden sind. Somit verfügen sie über das für Expositionen erforderliche Potential der freien Bildung von ,Sachverhaltsbegriffen' (vgl. Lehmann loc. cit. 353). Mit diesem Potential einher geht jedoch das Phänomen der semantischen Unterspezifizierung verglichen insbesondere mit den Adverbialsatzkonstruktionen innerhalb der Hypotaxe. In diesem Sinne ist die Bildung freier Sachverhaltsbegriffe nur eine alternative Formulierung für die in §2.4f. festgestellte mangelnde referentielle Ausrichtung in angeschlossenen Sätzen. In dem Maße, in dem bei gegebener struktureller Homogenität der angeschlossenen Sätze die Funktion der Einführung oder Aufnahme von Partizipantenreferenten nur mehr ein Spezialfall ist und das funktionale Gewicht der angeschlossenen Sätze das der attributiven übertrifft - falls solche in vergleichbarer Form überhaupt vorhandenen sind - , ist statt von angeschlossenen RSen eher von einem eigenständigen Typ von Nebensätzen, dem "Topicsatz", zu sprechen. Dies ist z.B. im Warlpiri der Fall (vgl. Lehmann 1984: 136ff.).
4. Das funktionale Umfeld der Topikalisierung "In a functional framework, clause linkage may be viewed as either representing two states of affairs so tightly interconnected that they form one complex state of affairs (compression), or on the contrary analyzing one state of affairs as composed of two (elaboration...). In either case the cognitive relatedness of the two states of affairs is mirrored in the way they are linked in language." (Lehmann 1988: 217f.)
In diesem statement werden zwei verschiedene Sichtweisen auf die Funktionen der Satzverknüpfung eröffnet. In der ,elaborativen' Sicht erscheint eine Proposition konstituiert durch ein hierarchisch strukturiertes Netzwerk von begrifflichen Relationen, die zwischen Referenten etabliert werden. Ein solcher Referent kann ein intrinsisch unstrukturiertes Ding sein, das z.B. als Agens oder Patiens, als Possessor oder Possessum, als zu Lokalisierendes oder als lokaler Bezugspunkt in die Proposition involviert ist. Er kann aber auch selbst eine Proposition sein, und ist dann z.B. als Gegenstand einer kognitiven oder emotionalen Einstellung in ein Propositionsprädikat involviert, oder hilft, die Referenz eines Aktanten einzuschränken, oder konstituiert einen temporalen Bezugspunkt oder eine propositionale Bedingung für eine andere Proposition. Solche begrifflichen Relationen zwischen einer Proposition oder einem ihrer kompositionalen Referenten und einer anderen Proposition nenne ich mit Müller-Bardey (1988) und Bickel ( 1991 ) interpropositionale Relationen (IRen).
Sententiale
Topics im
Yukatekischen
79
Die elaborative Funktion der Satzverknüpfung liegt also in der Kodierung von IRen. Die ,kompressive' Sicht dagegen setzt eine Menge von Propositionen im Diskurs voraus, die gemäß den kommunikativen Intentionen von Sprecher und Adressat zu strukturieren ist. Ein einfaches Beispiel, aus einem Manuskript des Autors: B32. Der inhaltliche Rahmen ist Givón-nah (ohne einer bestimmten Schule verpflichtet zu sein). Entsprechend ist die Gliederung semanto-syntaktisch, aber in Givóns Sinne,... ohne einer bestimmten Schule verpflichtet zu sein fungiert als präzisierende Einschränkung zu der inhaltliche Rahmen...; eine einfache Reihung der beiden Propositionen (mit oder ohne und) könnte als Kontradiktion interpretiert werden. Die Einschränkung ist in dem schriftlichen Diskurs, dem das Beispiel entstammt, eingeklammert, weil sich die konsekutive Fortsetzung Entsprechend ist die Gliederung... lediglich auf den Hauptsatz Der inhaltliche Rahmen... bezieht. Im mündlichen Diskurs könnte die parenthetische Konstruktion durch Voranstellung der Einschränkung ersetzt (Ohne einer bestimmten Schule verpflichtet zu sein, ist der inhaltliche Rahmen...) oder mit einer adversativen Beziehung paraphrasiert werden wie etwa Der inhaltliche Rahmen ist zwar keiner bestimmten Schule verpflichtet, aber (doch) Givón-nah. Entsprechend... Satzverknüpfung fungiert in diesem Sinne als ein Mittel der Diskursstrukturierung, d.h. insbesondere der Erfüllung der in Grice (1975: 45ff.) formulierten ,Koversationsmaximen'. In dieser Funktion wird sie u.a. in Chafe (1984), Givón (1990: Kap. 19), Matthiessen & Thompson (1988), Thompson (1985) und Tomlin (1985) thematisiert. Wie ordnet sich nun die Topikalisierung als ein Verfahren innerhalb der Satzverknüpfung in die beiden so etablierten funktionalen Perspektiven ein? Innerhalb der Diskursstrukturierung ist der Topikalisierung relativ eindeutig eine Funktion zugeordnet, nämlich die der Exposition. Ich schließe mich hier der in Lehmann (1984: 345ff.) vorgeschlagenen Terminologie an, die innerhalb der FSP zwischen einer Exposition-Eventum-Struktur, einer Fokus-Hintergrund-Struktur und einer Thema-Rhema-Struktur unterscheidet, dabei aber einen graduellen Übergang zwischen Exposition und Thema einräumt. Die Exposition ist Hintergrundinformation im Sinne von Givón (1984: 284ff.). Sie kann deiktisch verfügbar sein in der Sprechsituation oder "generic background knowledge, shared by the speaker and hearer more or less permanently as a result of living in the same universe, partaking in the same culture/community, speaking the same language and commanding the same lexicon" (Givón loc. cit. 242 passim.). Oder sie ist "established by previous context" oder aber "established as givens by agreement" - so erläutert Haiman 1979: 584 die o.a. Unterscheidung zwischen ,resumptiven' und kontrastiven' Expositionen - , in letzterem Fall gilt: "the speaker must solicit this agreement from his listener" (ebda.). Die Exposition ist also nicht notwendigerweise alte Information; noch ist sie, im Falle von nicht-propositionalen Referenten, notwendigerweise définit, wie so häufig behauptet wird. Sie ist aber in jedem Falle referentiell, und sei es, daß sie einen Referenten allererst etabliert (es war einmal ein armes Kind, das hatte...), und sei es, daß sie den Referenten nur gleichsam eingeklammert, nur für die Behauptung der Hauptprädikation etabliert, ohne das Redeuniversum dauerhaft zu verändern, wie dies für die konditionale Protasis gilt. Gleichzeitig ist sie, um die Hauptprädikation in einen referentiellen Rahmen einbetten zu können, arhematisch und nicht-illokutiv.
80
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Nun scheint es selbstverständlich, daß die Funktionen der Bildung von Begriffen und ihrer Verknüpfung zu Propositionen einerseits und der Verknüpfung von Äußerungen zu einem kohärenten und transparenten Diskurs andererseits in beliebigen Sprechereignissen simultan zu erfüllen sind. Es liegt also nahe, anzunehmen, daß die ausgezeichneten Funktionen der Topikalisierung innerhalb der S atz Verknüpfung dort zu suchen sind, wo die Etablierung einer IR gleichzeitig expositorische Funktion für den Satz hat, innerhalb dessen sie enkodiert wird. Bei den Propositionsprädikaten ergibt sich eine potentielle Exposition-Eventum-Struktur zwanglos entlang der Thema-Rhema-Gliederung: thematische Propositionen (in akkusativischen Sprachen: Subjektsätze) können expositorische Funktionen erfüllen (vgl. B30e), rhematischen Propositionen kann die sie involvierende Proposition selbst exponiert werden (vgl. B7b aus dem Yukatekischen). Angeschlossene RSe können je nach der Beschaffenheit ihres Nukleus Referenten aufnehmen oder einführen, dies zeigen die yukatekischen Beispiele in B21. Temporale Relationen sind zweifellos die für die Strukturierung des Diskurses mit Abstand wichtigsten IRen, zumindest in den meisten Textgattungen. In argumentativen Diskursen so wie diesem Text hier treten offenbar insbesondere kausale Relationen an ihre Stelle. Im allgemeinen aber zeichnen sich die .taktischen' Relationen universell durch die größte Applikationsbreite unter den IRen aus (sequenzielle Taxis stellt gleichsam das unmarkierte Verhältnis zwischen zwei Propositionen dar). Sie unterliegen keinerlei Einschränkung durch die beteiligten Konzepte und affizieren ihrerseits nicht die Geltung der Propositionen, erfassen aber im Gegensatz zu lokalen Relationen jederzeit die Propositionen als Ganze. Die expositorischen Funktionen von initialen im Gegensatz zu endständigen Finalsätzen in geschriebenem Englisch untersucht Thompson (1985). Sie kommt zu dem Schluß, daß solche einleitenden Finalsätze v.a. neue Aufgaben oder Probleme etablieren, deren Lösung der Hauptsatz beschreibt. Dadurch wird der Gesamtsatz vom vorangehenden Diskurs abgehoben und der Übergang zu einem neuen thematischen Schwerpunkt motiviert. In einer geringeren Zahl von Fällen geht das neue Problem bereits aus dem vorausgehenden Text hervor; dann nimmt der einleitende Finalsatz resumptiven Charakter an. Die größte Affinität zu expositorischen Funktionen weisen schließlich konditionale Relationen auf. Haiman (1979) argumentiert, daß die konditionale Protasis per se expositiorische Funktionen hat: A conditional clause is (perhaps only hypothetically) a part of the knowledge shared by the speaker and his listener. As such, it constitutes the framework which has been selected for the following discourse. (...) The topic represents an entity whose existence is agreed upon by the speaker and his audience. As such, it constitutes the framework which has been selected for the following discourse. (...) In defining presupposition as knowledge shared by speaker and hearer, if only provisionally (since a supposition, or hypothetical conditional, is a provisional presupposition), I am arguing that topics, like conditional clauses, are presuppositions of their sentences. (Haiman 1979: 583ff.)
Dieser extremen Position liegt die Subsumption semantisch unspezifischer Expositionen zugrunde, darauf wurde oben bereits hingewiesen. Es verwundert jedoch nicht, daß konditionale
Sententiale Topics im Yukatekischen
81
Relationen nur mit einigem Aufwand nebenordnend ausdrückbar sind (etwa: Nimm an, daß... Unter dieser Bedingung...).31 Die Kodierung einer dieser IRen k a n n gleichzeitig expositorische Funktion haben. Damit ergibt sich aber auch, daß Expositionen in Abhängigkeit von der jeweiligen Beschaffenheit des Kontextes, des Redeuniversums und der Sprechsituation die Interpretation aller genannten IRen zulassen. Wenn nun die in §3.2 formulierte Hypothese zutrifft, daß Topikalisierung als satzverknüpfendes Verfahren dort am reinsten verwirklicht ist, wo sie sich hinsichtlich der semantischen Interpretation einer konkreten IR, wie sie durch hypotaktische Strukturen ausgedrückt wird, völlig indifferent verhält, so läßt sich auf dieser Grundlage eine zweite Hypothese gewinnen, die eine gewisse funktionale Komplementarität zwischen hypotaktischer und topikalisierender Satzverknüpfung voraussagt. Demnach sollte das hyptaktische Verfahren dort am reinsten realisiert sein, wo sich die Struktur des eingebetteten Satzes hinsichtlich des pragmatischen Status der untergeordneten Proposition völlig indifferent verhält. Nun versteht es sich, daß beide Extreme kaum realisierbar sind. Daß eine Sprache beispielsweise zwischen einem präsupponierten Grund, einer hypothetischen oder gar kontrafaktischen Bedingung und einer noch zu bewältigenden Aufgabenstellung strukturell nicht unterscheidet, ist hochgradig unwahrscheinlich. Andererseits ist eine Proposition immerhin schon dadurch pragmatisch prädisponiert, daß sie gegenüber der Kodierung innerhalb des "online'-Informationsflusses des Diskurses durch Subordination in den Hintergrund versetzt ist - sofern diese Alternative frei wählbar ist, was aber überall der Fall zu sein scheint. Innerhalb des unspezifischen Hintergrundstatus eingebetteter Sätze präsentiert sich aber insbesondere deren positionelle Variabilität als ein Maß für die Wählbarkeit eines expositorischen Ausdrucks. Dies lehrt z.B. die erwähnte Diskussion der Stellung von englischen Finalsätzen in Thompson (1985). Ist dagegen die Position eines eingebetteten Satzes fixiert, wie dies für die Subjektsätze des Yukatekischen gilt, so besteht trivialerweise keine Möglichkeit, eine expositorische Verwendung von einer nicht-expositorischen zu unterscheiden.
5. Fazit Satzverknüpfung ist eine sprachliche Operation, die zwei prinzipiell unabhängige Funktionen erfüllt, nämlich die der Diskursstrukturierung und die der Kodierung interpropositionaler Relationen. Exposition als Funktion innerhalb der Domäne der Diskursstruktierung kann durch den Bezug auf eine andere Proposition realisiert werden. In diesem Bereich der Koinzidenz der Funktionen präsentiert sich die Topikalisierung als ein alternatives Verfahren zur Hypotaxe, bei dem die Unterscheidung spezifischer IRen gegenüber der dominierenden Funktion der Etablierung einer Exposition zurücktritt. Das Yukatekische weist Topikalisierung als eigenständiges Verfahren auf. Die temporale und konditionale Bezugname auf Propositionen wird durch dieses Verfahren geleistet bzw. beruht 37
Bisher noch nicht exemplifiziert worden sind adversative und konzessive Relationen. Auch sie können durch Topikalisierungen ausgedrückt werden. Ein Beispiel aus dem Warlpiri kommentiert Lehmann (1984: 137).
82
Jürgen Bohnemeyer
jedenfalls darauf. Relativsätze sind jederzeit extraponierbar; ihre Struktur fällt dann mit der der allgemeinen Topikalisierung zusammen. Finalsätze kommen eingebettet vor, aber auch angeschlossen auf der Grundlage einer Interpretation als finale Relativsätze. Es gibt auf Topikalisierung spezialisierte Formen von Kausalsätzen und von Propositionsprädikatoren der propositionalen und emotionalen Einstellung. Wie die Adverbialsätze anderer Sprachen dienen die Topicsätze des Yukatekischen als Quelle für die Grammatikalisierung anaphorischer nebenordnender Konjunktionen.
Abkürzungen in den Morphemglossen ABS
-
Absolutiv
LOK
-
Lokativ
ABSTR
-
Abstrakt
NEG
-
Negator
ALT
-
Alternativ
NONPRT
-
Nonpräteritum
DEB
-
Debitativ
OBJ
-
Objekt
DEF
-
Définit
OBL
-
Oblique
DES
-
Desiderativ
PASS
-
Passiv
DIR
-
Direktional
PERF
-
Perfekt
Dl
-
Proximale Deixis
PL
-
Plural
D2
-
Distale Deixis
POSS
-
Possessiv
D3
-
Neutrale Deixis
PRF
-
Perfektiv
EXIST
-
Existenz
PROG
-
Progressiv
FAKT
-
Faktitiv
PROZ
-
Inchoativ
FUT
-
Futur
PRS
-
Präsens
GEN
-
Genitiv
PRSV
-
Präsentativ Präteritum
HAB
-
Habituell
PRT
-
IMPF
-
Imperfektiv
RED
-
Reduplikation
INAN
-
Unbelebt
REL
-
Relational
INKOMPL
-
Inkompletiv
SBJ
-
Subjekt
INSTR
-
Instrumental
SG
-
Singular
INT
-
Interrogativ
SR
-
Subordinator
INTR
-
Intransitiv
SUBJ
-
Subjunktiv
INTROV
-
Introversiv
TERM
-
Terminativ
KAUS
-
Kausativ
TOP
-
Topic
KAUSL
-
Kausal
TR
-
Transitiv
KFP
-
Klausenfinale Partikel
TRR
-
KLF
-
Klassifikator
1
KOMPL
-
Kompletiv
2
-
Adressat
KONN
-
Konnektor
3
-
Besprochenes
Extroversiv Sprecher
Sementiate Topics im Yukatekischen
83
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Sententiale Topics im
Yukatekischen
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Ich habe aus folgenden unveröffentlichten Texten des Forschungsprojektes der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld zur Beschreibung des Yukatekischen Maya zitiert: [CHAAK] The Ch'a'chaak Ceremony. Andrade, Manuel J. & Vermont-Salas, Refugio 1971, Yucatec Maya Texts. Preliminary transcription and translation. Recorded by M.J.A. Transcribed and translated by. R.V.-S. Chicago: University of Chicago Library (Microfilm Collection of Manuscripts on Cult. Anthr., Series XIX, Nr. 108). Text Nr. 35 auf S. 211-215 (Phonemische Transskription und Morphemanalyse von Peter Kraege, Bielefeld). [FCP] U tsikbalil u kuxtal Don Felipe Carrillo Puerto. Erzählt von Gregório Vivas Cámara, Yaxley, Mexiko. Aufgenommen und transskribiert von Christian Lehmann (Bielefeld) im Sommer 1989 mit der Hilfe von Ramón May Cupul (Yaxley, Mexiko). Morphemanalyse und Übersetzung von Christel Stolz (Nijmegen). [HIJO] El hijo prodigo. Erzählt von Gregório Vivas Cámara (Yaxley, Mexiko). Aufgenommen und transskribiert von Christian Lehmann (Bielefeld) im September 1988 mit der Hilfe von Julio Ek' May (Yaxley, Mexiko). [K'AXBIL] Bix u meta'l hump'éel k'axbil nah. Erzählt von José May Ek' (Yaxley, Mexiko). Aufgenommen von Christian Lehmann (Bielefeld) im September 1989. Transskribiert von Jürgen Bohnemeyer und Frank Muschke (Bielefeld) im Oktober 1991 mit der Hilfe von Vicente May Cupul (Yaxley, Mexiko). [MUUCH] Xuunaan muuch. Erzählt von José May Ek' (Yaxley, Mexiko). Aufgenommen und transskribiert von Christian Lehmann (Bielefeld) im Sommer 1989. Morphemanalyse und Übersetzung von Christel Stolz (Nijmegen). [NAH] Bix ku meta'l hump'el nah mayah. Erzählt von Esteban P'ool K'aaw (Yaxley, Mexiko). Aufgenommen und transskribiert von Christian Lehmann (Bielefeld) im Sommer 1989. Morphemanalyse und Übersetzung von Christel Stolz (Nijmegen).
Stefanie Eschenlohr (Technische Universität Berlin)
Probleme der Nomen-Verb-Unterscheidung bei der Analyse chinesischer Komposita* 1. Einleitung Die Kategoriennamen "Nomen" (i.e. Substantiv) und "Verb" sind Bestandteil einer am Altgriechischen entwickelten Grammatiktheorie, deren Begriffsinventar sich seitdem für die Beschreibung einer großen Anzahl europäischer und außereuropäischer Sprachen als nützlich erwiesen hat. Wenn die Termini Nomen und Verb als universale Beschreibungsbegriffe auch definierbar sein mögen (vgl. Lehmann 1992; Coseriu 1974), so bleibt doch umstritten, ob dieser Unterscheidung der Status eines sprachlichen Universale zukommen soll (vgl. Sasse 1993). De facto manifestiert sich ihre allgemein supponierte Universalität dadurch, daß sie fester Bestandteil aller gängigen Grammatikmodelle sind, wobei die Kategorien Nomen und Verb bzw. die Merkmale ± N/V in der Regel als theoretische Primitive postuliert werden - der Versuch, Nomen und Verb bzw. + N/V übereinzelsprachlich zu definieren, wird gar nicht erst gemacht. Es ist bekannt, daß die Definition der Wortarten1 in einigen Sprachen erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Im modernen Chinesisch gibt es aufgrund seiner Zugehörigkeit zum isolierenden Sprachtyp keineflexionsmorphologischeBasis für eine Wortartunterscheidung. Dennoch werden die Begriffe Nomen und Verb2 bei der Beschreibung sowohl syntaktischer als auch morphologischer Phänomene verwendet, wobei die Zuordnung einzelner Wortformen zur einen oder anderen Kategorie oftmals willkürlich erscheint. Dieser Beitrag verfolgt zwei Ziele: Erstens soll untersucht werden, wie prosodische, semantische und wortstrukturelle Faktoren bei der Nomen-Verb-Unterscheidung im Chinesischen interagieren. Zweitens wird gezeigt, daß wortsyntaktische Ansätze, die mit einem positionell definierten Kopf-Begriff operieren, den sprachlichen Fakten des Chinesischen nicht gerecht werden können. Dabei werde ich folgendermaßen vorgehen: In einem ersten Schritt (Abschnitt 2) wird erläutert, wie prosodische Bedingungen das System der chinesischen Wortbildung prägen. Abschnitt 3 beschäftigt sich mit der Frage, inwie*
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Für Kommentare und Anregungen zu den Vorfassungen dieses Papiers danke ich Nanna Fuhrhop, Martin Haspelmath und Robin Sackmann. Die endgültige Fassung hat sehr von den zahlreichen Verbesserungsvorschlägen von Matthias Butt profitiert. Ich verwende hier und im folgenden meist den im deutschen Sprachraum eingebürgerten Terminus "Wortart", obwohl ich mir darüber im klaren bin, daß "Wortart" meist nicht in dem hier verwendeten Sinne, nämlich als Klasse von Wortformen, die gemeinsame syntaktische Eigenschaften haben, aufgefaßt wird. Der strukturalistische Terminus "Wortklasse (word class)", der zutreffender wäre, hat sich im deutschen Sprachraum nicht durchgesetzt. Darüberhinaus finden sich in der Literatur auch die Termini "grammatische Kategorien" (Plank 1984), "syntaktische Kategorien" (Croft 1991), "lexikalische Kategorien" (Sasse 1993), die teilweise für voneinander abweichende Kategorienkonzeptionen stehen, teilweise aber auch synonym verwendet werden. Eine eingehende Diskussion der Terminologie auf diesem Gebiet kann hier nicht geleistet werden. Die chinesischen Adjektive werden in der Literatur meist als stative Verben aufgefaßt. Ich lasse die Einordnung der Adjektive in dieser Arbeit ausgeklammert.
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weit im Chinesischen Nomen und Verben nach formalen, diskurspragmatischen und semantischen Kriterien unterschieden werden können. In Abschnitt 4 werde ich zeigen, daß es im modernen Chinesisch zumindest in prototypischen Fällen eine deutliche Korrelation zwischen Wortartzugehörigkeit (Nomen vs. Verb), prosodischen (Einsilbigkeit vs. Zweisilbigkeit) und semantischen Eigenschaften gibt. In Abschnitt 5 argumentiere ich gegen einen positionell festgelegten Kopfbegriff, wie er z.B. von Packard (1990) angenommen wird. Abschnitt 6 bietet eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Abschnitt 7 einen Ausblick auf die mögliche Entwicklung der Wortartunterscheidung im modernen Chinesisch.
2. Silben, Morpheme, Wörter Zunächst sind einige Vorbemerkungen zum Verhältnis zwischen Wortform, Silbe und Morphem im modernen Chinesisch nötig. Das klassische Chinesisch kann mit gutem Recht als isolierende, monosyllabisch-monomorphemische Sprache bezeichnet werden. Im modernen Chinesisch sind dagegen Wortformen in der Mehrheit zweisilbig. Da es keine nichtsilbischen3 und nur wenige zwei- oder mehrsilbigen Morpheme gibt (d.h. die überwältigende Mehrheit der chinesischen Morpheme ist einsilbig), ist die Anzahl der Silben und der Morpheme einer Wortform in der Regel identisch. Klassifiziert man die Morpheme nach dem Kriterium "frei vs. gebunden", so enthält die Menge der gebundenen Morpheme einige (wenige) Affixe und eine große Anzahl gebundener Stämme, welche nur als Bestandteile von Komposita bzw. (seltener) zusammen mit Derivationsaffixen auftreten können. Die meisten im modernen Chinesisch gebundenen Stämme waren im klassischen Chinesisch noch frei, d.h. sie konnten als selbständige Wortformen vorkommen. Im Laufe der Zeit verloren etliche der ehemals freien Morpheme ihre syntaktische Selbständigkeit. Die Zahl der phonotaktisch wohlgeformten Silben (ohne Berücksichtigung der Töne) hatte sich aufgrund phonologischen Wandels auf etwa 400 reduziert, was bei weitgehend monomorphemisch-monosyllabischer Wortstruktur zu einer großen Zahl von homonymen Lexemen geführt hätte. Die Zunahme zweisilbiger Wortformen im modernen Chinesisch wird in der sinologischen Literatur deshalb meist als Strategie zur Homonymenyvermeidung erklärt (Norman 1988:86). Darüberhinaus gibt es auch außersprachliche Gründe für die Zunahme zwei- und mehrsilbiger Wortformen. Komposition und Derivation sind besonders geeignete Wortbildungsmittel, um sprachliche Ausdrücke zur Benennung einer immer komplexer werdenden Umwelt bereitzustellen (z.B.feiji fliegen-Maschine = 'Flugzeug', dianhua Elektro-Sprache = 'Telefon' aus dem Bereich der Technik).4 Ferner integriert das Chinesische seit dem Eindringen der westlichen Zivilisation und ihrer materiellen Kultur in zunehmenden Maße Lehnwörter (meist aus dem EngliDas einzige nichtsilbische Morphem ist das retroflexe Suffix -er. Es ist allerdings nur im Peking-Dialekt fest verankert. In der überregionalen Standardsprache (putonghua) ist -er weit weniger häufig und es ist fraglich, ob es dort überhaupt als Suffix gelten kann (vgl. Li & Thompson 1981:39). Sämtliche Beispiele werden in der offiziellen Pwyin-Umschrift ohne Angabe der diakritischen Zeichen wiedergegeben, da für meine Argumentation die in phonetischer Umschrift und diakritischen Tonzeichen enthaltenen segmentalen und suprasegmentalen Informationen keine Rolle spielen.
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Probleme der Nomen-Verb-Unterscheidung
sehen) in seinen Wortschatz. Sie sind im Gegensatz zum Kernwortschatz oft mehrsilbig und monomorphemisch (z.B. qiaokeli 'chocolate', leida 'radar'). Die Tendenz zur Zweisilbigkeit ist im modernen Chinesisch so dominant, daß Ross ihr den Status eines Präferenzgesetzes (Bisyllabic Preference Principle) einräumt, das sie folgendermaßen formuliert: Words and phrases in Mandarin ideally consist of two syllables or sets of categorically parallel two syllable phrases. (Ross 1985:17)
Die meisten Morpheme - auch die potentiell freien - streben danach, sich mit einer weiteren Silbe zu verbinden. Dafür stehen Komposition, Reduplikation und ferner Derivation als Wortbildungsmittel zur Verfügung. Wie wir sehen werden, muß das Zweisilbigkeitsprinzip von Ross jedoch modifiziert werden - es trifft für Nomina und Verben in unterschiedlichem Maße zu. Die phonologische Bedingung der Zweisilbigkeit prägt das morphologische System: Im Chinesischen besteht die Aufgabe der Wortbildungsmorphologie in erster Linie darin, zweisilbige Wortformen bereitzustellen, was mit 'Begriffsbildung' verbunden sein kann, aber nicht muß. Dies läßt sich an den Komposita (1) a-c zeigen: (1)
a. Koordinativkomposita P' Haut
fu Haut
'Haut'
bo pi abziehen Haut
'häuten'
fu
'Gesichtsfarbe'
Haut yi Kleidung
fu Kleidung
'Kleidung'
b. Determinativkomposita zui Mund
chun Lippen
'Lippen'
huang gelb
jin Gold
'Gold'
se Farbe
shui yi schlafen Kleidung
'Schlafanzug'
fu zhuang Kleidung Tracht
'Kleidung, Kostüm'
b'.
jin Gold
c. Determinativkomposita (appositionell)
c'.
jing Wal
yu Fisch
'Walfisch'
Um blau
song Kiefer
shu Baum
'Kiefer'
song Kiefer
se Farbe
jing Wal zhi Fett, Talg
'goldfarben; golden'
'Blauwal' 'Kiefernharz*
Der geringe semantische Beitrag der ersten bzw. zweiten Konstituenten in (l)a-c läßt darauf schließen, daß diese Komposita allein aufgrund des Zweisilbigkeitsprinzips, also aufgrund einer wortprosodischen Bedingung gebildet wurden. In (l)a sind die beiden Konstituenten synonym bzw. quasi-synonym. In (l)b und c wird die Bedeutung des Kompositums bereits durch eine
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Stephanie Eschenlohr
der beiden Konstituenten festgelegt, die jeweils andere ist semantisch redundant. In anderen Komposita, wie z.B. in denen unter la'-c', wird die gesamte Bedeutung eines solchen 'Redundanzkompositums' von einer der beiden Komponenten allein repräsentiert, so daß die resultierende Form ebenfalls zweisilbig ist: Pifu 'Haut' kann sowohl die Konstituente pi als auch die Konstituente fu 'verlieren', wie z.B. in fiise Haut-Farbe = 'Gesichtsfarbe' oder bopi abziehenHaut = 'häuten'; huangjin 'Gold' wird in jinse Gold-Farbe = 'golden' um die semantisch redundante Konstituente huang 'gelb' verkürzt; jingyu 'Wal' und songshu 'Kiefer' benötigen in den Komposita lanjing 'Blauwal' und songzhi 'Kiefernharz' ihre appositioneilen Zweitkonstituenten yu 'Fisch' und shu 'Baum' nicht mehr. Zusammengefaßt stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Einerseits verbindet sich jedes der monosyllabischen Morpheme (fu, pi, jin, jing etc.) mit einem semantisch redundanten, silbischen Partnermorphem, so daß die resultierende Wortform zweisilbig ist (i.e. pifu, huangjin, jingyu etc.), andererseits kann die semantisch redundante Konstituente auch wieder 'abgeworfen werden', wenn ein neues Kompositum gebildet wird, so daß die Zweisilbigkeit der resultierenden Wortform in beiden Fällen gewährleistet ist. Die Rolle, die phonologische, insbesondere prosodische Faktoren bei der Wortartklassifikation spielen, wurde allgemein bisher kaum beachtet.5 Wie wir sehen werden, kann im Chinesischen die Silbenzahl als prosodisches Merkmal zur Nomen-VerbUnterscheidung herangezogen werden; es korreliert mit semantischen Kriterien, die die Charakterisierung prototypischer Nomina und Verben erlauben.
3. Die Nomen-Verb-Unterscheidung im Chinesischen Zur Definition von Wortklassen werden üblicherweise formale, d.h. morphologische und syntaktisch-distributionelle, diskurspragmatische und semantische Kriterien herangezogen (vgl. Sasse 1993). Im folgenden wird untersucht, inwieweit sich chinesische Wortformen und Stämme nach diesen Kriterien den Kategorien Nomen und Verb zuordnen lassen. Es wird sich zeigen, daß man Nomina und Verben im Chinesischen in erster Linie aufgrund distributioneller Kriterien unterscheiden kann.
3.1. Formiile Kriterien 3.1.1. Wortformen Die interne Struktur chinesischer Wortformen bietet kaum formale Anhaltspunkte, die die Zuordnung zu Wortarten ermöglichen. Im Chinesischen ist keine der drei sogenannten Hauptwortklassen Nomen, Adjektiv, Verb durch ein charakteristisches Flexionsmuster markiert. Die derivationelle Morphologie ist erst im Entstehen begriffen - es gibt eine relativ große Zahl reihenbildender Kompositionsglieder, die sich in einem Grammatikalisierungsprozeß (Verlust des Volltons 5
Eine Ausnahme ist Plank (1984). Er bezieht phonologische Kriterien ausdrücklich mit ein. Als Beispiel erwähnt er regelhafte phonologische Klassendifferenzierung im Ngbaka und im Englischen.
Probleme der Nomen-Verb-Unterscheidung
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und der syntaktischen Selbständigkeit; Desemantisierung) befinden und meist als 'Halbaffixe' betrachtet werden. Für die Wortartbestimmung ist somit auch die Derivationsmorphologie wenig ergiebig, da es nur wenige 'echte' Derivationsaffixe6 gibt, die die Wortart einer Form festlegen und für eine bestimmte Kategorie subkategorisieren. Derivationsaffixe, die Verben7 ableiten, gibt es nicht. Die am häufigsten angeführten Suffixe -zi und -tou bilden zweisilbige Nomenformen, die meist der Bezeichnung von Gegenständen oder Personen dienen. Nur ein kleiner Teil der Stämme kann sich mit einem dieser Affixe verbinden. yi Stuhl
zi
shu
zi
kämmen,
SUFF
'Stuhl'
SUFF 'Kamm'
Kamm g"
tou
Knochen
SUFF
shi
tou
Stein
SUFF
'Knochen' 'Stein'
Diese Affixe sind nicht produktiv (Li &Thompson 1981:42f) und haben, wie aus den Glossen ersichtlich wird, keine eindeutige semantische bzw. umkategorisierende Funktion. Das Vorkommen von -zi und -tou ist in erster Linie durch das Zweisilbigkeitsprinzip motiviert. Komposition ist hingegen für alle drei Hauptwortklassen überaus produktiv. Deshalb läßt sich am bloßen Vorliegen eines Kompositums ebenfalls nichts über die Wortart des Kompositums oder seiner Bestandteile erschließen. Allerdings sind die einzelnen Kompositionstypen (Determinativ, Koordinativ- und Rektionskomposita) bei Nomina und Verben unterschiedlich häufig (näheres in Abschnitt 5). In Grammatiken des Chinesischen werden Wortarten üblicherweise anhand distributioneller Kriterien definiert (vgl. z.B. Chao 1968). So sind Nomenformen Formen, die u.a. in der Umgebung nach "Numerale + Klassifikator" auftreten können, Verbformen sind Formen, an die Aspektmarker treten können usw. Ta mai
le
Er kaufen ASP
yi eins
Hang
chezi
KL
Auto
wo chi
guo
Riben
fan
Ich essen
ASP
Japan
Essen
'Er hat ein Auto gekauft.' 'Ich habe schon einmal japanisch gegessen.'
Die Frage, wieviele Derivationsaffixe es im heutigen Chinesischen gibt, ist nicht leicht zu beantworten. Zhang (1987:115) untersucht im Hinblick auf diese Frage zehn verschiedene Grammatiken, die zwischen 2 und 50 (!) Affixen nennen. Zhang begründet diese erstaunliche Variationsbreite damit, daß einige Autoren bestrebt sind, möglichst viele Affixe ausfindig zu machen, da sie eine affixlose Sprache für 'primitiv' (yuanshi) und 'rückständig' (luohuo) halten. Ich muß hier bereits - informell - von chinesischen "Verben" und "Nomina" sprechen, obwohl erst weiter unten klar wird, wie sich diese Klassen etablieren lassen.
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Chezi 'Auto' in (3)a kann als Nomen identifiziert werden, weil es nach der Numerale + Klassifikator - Umgebung yi liang auftreten kann; eine Verbindung mit den Aspektpartikeln wie z.B. guo und le, die einen typisch verbalen Rahmen kostituieren, ist dagegen ausgeschlossen. Das folgende Beispiel (4) zeigt jedoch, daß es Formen gibt, die in beiden Klassen enthalten sind (jueding 'entscheiden', 'Entscheidung'). Die beiden Klassen, die man bei Anwendung distributioneller Kriterien erhält, sind demnach nicht disjunkt. ( 4 ) .yi xiang eins KL
hen hao
de
jueding!
sehr gut
PRT
Entscheidung
Ni jueding
le
du entscheiden ASP
mei_you?
'Eine sehr gute Entscheidung!' 'Hast Du dich schon entschieden?'
QUEST
Es bleibt festzuhalten, daß morphologische und syntaktische, d.h. formale Kriterien, nicht ausreichen, um die betreffenden Wortformen eindeutig als Nomen oder als Verben zu klassifizieren.
3.1.2. Stämme Noch schwieriger ist es, wortinterne Konstituenten aufgrund formaler Kriterien einer Wortart zuzuordnen. Wie Beispiel (2) zeigt, läßt sich aus dem Auftreten bestimmter Derivationsaffixe in der Regel nicht auf die Kategorie der Stammformen schließen. Einige Linguisten vertreten deshalb die Auffassung, daß es überhaupt unmöglich sei, die chinesischen Stämme nach Wortarten zu klassifizieren (z.B. Kupfer 1980). Dennoch beruhen alle Analysen der chinesischen Wortbildung auf kategorisierten Stammformen. In Yin (1984) - einer der wenigen Arbeiten, die sich überhaupt dieser Fragestellung widmet - wird versucht, die Kategorien von Stämmen rein formal ohne Rückgriff auf semantische Kriterien zu bestimmen. Was die (potentiell) freien Stammformen anbelangt (etwa 50% der einsilbigen Morpheme des modernen Chinesisch), so kann Yin die oben beschriebenen syntaktischen Verfahren heranziehen: Eine potentiell freie Stammform gehört derselben Wortart an wie die entsprechende syntaktische Wortform. Diese läßt sich im Fall der hier gegebenen mono-morphemischen Wortformen fast immer eindeutig bestimmen, denn bei den morphologisch einfachen (meist einsilbigen) Wortformen sind die Distributionsklassen für Nomina und Verben praktisch disjunkt. Dies läßt sich darauf zurückführen, daß Einsilbigkeit im modernen Chinesisch das für Verben charakteristische prosodische Muster darstellt. Einsilbige Nomina sind dagegen relativ selten (s.u. Kapitel 4). Problematisch sind jedoch die gebundenen Morpheme, bei denen ein Rückgriff auf die Syntax nicht möglich ist. 8 Yin zieht in seiner Untersuchung deshalb die klassische chinesische Schriftsprache heran, die monomorphemisch-monosyllabische Wortformen besaß, die den heutigen Stämmen (genauer gesagt den jeweiligen Schriftzeichen) entsprechen. Dieses Verfahren ist
Im DSC verzichtet man deshalb konsequenterweise auf die Angabe der Wortart und kategorisiert diese Stämme nur als BOUND.
Probleme der Nomen-Verb-Unterscheidung
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nur aufgrund des konservierenden Charakters der chinesischen Schrift, die Kontinuität und Identität durch alle Sprachstadien hindurch suggeriert, überhaupt möglich. Das syntaktische Verhalten dieser Wortformen in einem etwa 2500 Jahre zurückliegenden Sprachstadium dient somit als Kriterium für die synchrone Kategorisierung der Stammformen. Die Wortformen des klassischen Chinesisch besaßen jedoch eine weitaus größere Flexibilität hinsichtlich ihrer syntaktischen Funktionen im Satz, wie das folgende Beispiel zeigt. ( 5 ) a . Zi
yue:
fu
Meistersprechb . cai PNAME
zm
Vater leb-
guan
9 beacht- sein
zhi
'Der Meister sprach: Solange (dein) Vater
Willen lebt, beachte seinen Willen.'
hou
yin
er
bu
fu
'Der Graf von Cai war lasterhaft und er-
Graf
lasterhaft
KONJ
NEG
Vater
füllte nicht seine Pflichten als Vater.' ('vaterte nicht')
fu 'Vater', ein im heutigen Chinesisch gebundenes Morphem, kann in der klassischen Schriftsprache sowohl in nominalen Positionen (vgl. (5)a) als auch in typisch verbalen Rahmen (vgl. (5)b nach der Negationspartikel bu) auftreten. Nach strikt distributioneilen Kriterien ist fu sowohl der Kategorie Verb als auch der Kategorie Nomen zuzuordnen, die beiden Klassen sind also auch in der klassischen Schriftsprache nicht disjunkt. Anders als im modernen Chinesisch fällt im klassischen sogar die überwältigende Mehrheit der infrage kommenden Wortformen in die Schnittmenge der beiden Distributionsklassen. Somit ist das Verfahren nicht nur methodologisch fragwürdig, sondern es verschiebt das Problem der Kategorisierung der gebundenen Stämme lediglich auf ein früheres Sprachstadium, in dem es jedoch allein aufgrund formaler Kriterien auch nicht gelöst werden kann.
3.2.
Diskurspragmatische Kriterien
Was diskurspragmatische Kriterien betrifft, kann ich es hier mit einigen kurzen Bemerkungen bewenden lassen: Zum einen bezieht sich die Fähigkeit zu Referenz, Prädikation oder Modifikation auf die Äußerungsebene, während es mir um die Kategorisierung von Wortformen als morphologische Einheiten geht. Darüberhinaus würde die Anwendung diskurspragmatischer Kriterien zu denselben Ergebnissen führen wie syntaktisch-distributionelle: Es gibt eine große Zahl von Wortformen, die sowohl die Fähigkeit zur Referenz als auch zur Prädikation haben. Es bleibt nun zu überprüfen, ob das Heranziehen ontologisch-semantischer Kriterien weiterhilft.
3.3.
Ontologisch-semantische Kriterien
Traditionellerweise werden Wörter und Stämme aufgrund ihrer Denotation ontologischen Kategorien, z.B. Gegenständen, Eigenschaften, Handlungen etc. zugeordnet. Zumindest in den europäischen Sprachen werden Individuenkonzepte, Materienkonzepte und abstrakte Sachverhalte i.a. von Nomina, Handlungen, Prozesse und Ereignisse normalerweise von Verben bezeichnet.
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Stephanie Eschenlohr
Es ist jedoch unbestritten, daß solche ontologisch-semantischen Kriterien allein nicht zur Definition von Wortarten als grammatische Kategorien genügen. Von Interesse ist ja nicht eine Einteilung des Wortschatzes in Bedeutungsklassen per se, sondern "das Verhältnis der semantischpragmatisch zu den phonomorphosyntaktisch definierten Klassen" (Plank 1984:491). Die kognitive Grundlage für die Zuordnung von sprachlichen Kategorien und außersprachlichen Konzepten könnte der Parameter der Zeitstabilität bilden (Givon 1984; Lehmann 1992). Konkrete Gegenstände und Ereignisse unterscheiden sich in unserer Perzeption und Vorstellung wesentlich dadurch, daß sie unterschiedlich konstant gegenüber dem Verlauf der Zeit bleiben. Bildet man sprachliche Kategorien und außersprachliche Konzepte auf eine Skala abnehmender Zeitstabilität ab, dann liegen Gegenstände und agensbezogene Handlungen auf entgegengesetzten Polen; die typischsten Nomina bezeichnen also zeitkonstante Entitäten, während die typischsten Verben Situationen mit der höchsten Dynamizität denotieren (vgl. Lehmann 1992). Anhand semantischer Kriterien können lediglich prototypische Kernbereiche der Wortartklassen definiert werden. Diese Einschränkung wird von Typologen, die mit den Konzepten der Prototypikalität und Markiertheit arbeiten, durchaus gesehen: The use of the term prototypical implies that the definitions of objects, properties and actions provided here do not exhaustively classify the lexicon. (Croft 1991:65)
Die begrenzte Anwendbarkeit semantischer Kriterien ist jedoch nicht unbedingt ein Einwand gegen Versuche, übereinzelsprachlich verwendbare Kategorien auf einem prototypischen Kern basierend zu konstruieren. Es darf dann allerdings nicht erwartet werden, daß diese Kriterien auf eine beliebige Einzelsprache angewandt zur Lösung des Klassifizierungsproblems beitragen können. Interessant und weitgehend unbeachtet bleibt jedoch die Frage, was die nicht-prototypischen Verbal- und Nominalkonzepte gemeinsam haben. Nach Lyons' (1977) Ontologie sind es Entitäten zweiter und dritter Ordnung, die von nicht-prototypischen Nomen und Verben bezeichnet werden. Darunter versteht er Ereignisse, Prozesse, Sachverhalte in der Zeit und nicht-raumzeitliche abstrakte Propositionen9. Entitäten zweiter und dritter Ordnung würde man traditionellerweise als 'abstrakt' bezeichnen. Sie werden typischerweise durch morphologisch komplexe Wortformen, also Derivata oder Komposita, bezeichnet (Lyons 1977; Croft 1991). Im nächsten Abschnitt werde ich zeigen, wie im Chinesischen eine auf semantischen Kriterien beruhende Einteilung in prototypische Verben und Nomina mit prosodischen Merkmalen der entsprechenden Wortformen korreliert.
4. Zur Interaktion von Wortart, Wortsemantik und Wortprosodie Laut Yin (1984:342) gibt es unter den potentiell freien Morphemen (die anhand syntaktisch-distributioneller Kriterien eindeutig kategorisierbar sind, s.o.) fast doppelt so viele Verben (61%) wie Nomina (34%). Letztere sind vor allem zum Erbwortschatz gehörige Lexeme (z.B. gou "By second-order entities we shall mean events, processes, states-of-affairs etc. which are located in time and which, in English, are said to occur or take place, rather than to exist; and by third-order entities we shall mean such abstract entities as propositions, which are outside space and time." (Lyons 1977:443)
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Probleme der Nomen-Verb-Unterscheidung
'Hund', ren 'Mensch', shu 'Baum') - ansonsten tendieren die Nomina deutlich zur Mehrsilbigkeit, insbesondere zur Zweisilbigkeit. Die folgenden Beispiele zeigen, daß die Tendenz zur prosodischen Differenzierung von Nomina und Verben ist im heutigen Chinesisch bereits deutlich funktionalisiert ist: lian lieben
ai lieben
'Liebe'
ai
'lieben'
jiao lehren
xue studieren
'Lehre'
jiao
'lehren'
si denken
xiang denken
'Gedanke, Idee'
xiang
'denken'
Die Komposita in (6) bestehen jeweils aus zwei (quasi)-synonymen Konstituenten, wobei jeweils eine der Konstituenten ein 'freier' und die andere ein 'gebundener' Stamm ist. Während zweisilbige Komposita prinzipiell sowohl in nominalen als auch verbalen Umgebungen auftreten können, ist die Distribution der Komposita in (6) auf nominale Umgebungen beschränkt, während in typisch verbalen Positionen nur die einsilbige Form stehen kann. In einigen Sprachen (z.B. im Englischen und im klassischen Chinesisch) können Wortformen, die zum semantischen Kernbereich der Kategorie Nomen gehören, auch in typisch verbalen Positionen vorkommen. In der Regel nimmt man in solchen Fällen an, daß die Verben durch den morphologischen Prozess der Konversion von den semantisch 'primären' Nomina abgeleitet sind. Solche Umkategorisierungen prototypischer Nomina sind im modernen Chinesisch nicht möglich. Die chinesischen Übersetzungsäquivalente von englischen denominalen Verben sind Komposita oder syntaktische Phrasen: engl.: Nomen/Verb
chin.: Nomen
chin.: Verb
skin/to skin
Ρ' Haut
β Haut
bo abziehen
pi Haut
towel/to towel
mao Haar
jin Tuch
yong maojin ca gan mit Handtuch wischen trocken
whip/to whip
bian peitschen
zi SUFF
bian peitschen
phone/to phone
diati elektro
hua Gespräch
da dian hua schlagen elektro Gespräch
da schlagen
Einigen 'instrumentalen' Nomen-Verb-Ableitungen im Deutschen entsprechen im modernen Chinesisch jedoch Wortpaare aus monomorphemischen, einsilbigen Verben und zweisilbigen Nomina. Letztere sind in der Regel semantisch redundante Komposita oder Derivata: (8)
a. shu
kämmen, (Kamm)
shu
zi
kämmen/Kamm
ÄFF
'Kamm'
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Stephanie Eschenlohr
b . cuo
feilen, (Feile)
C. chui
hämmern, (Hammer)
cuo
dao
'Feile'
Feile/feilen
Messer
chiù
zi
hämmern/Hammer
ÄFF
'
'Hammer'
Geht man nach der formalen Komplexität, dann müssen bei diesen 'Instrument'-Paaren die Nomina als abgeleitet gelten. Die 'semantische' Ableitungsrichtung ist weniger leicht bestimmbar. Intuitiv würde man wahrscheinlich eher die umgekehrte Ableitungsrichtung ansetzen, da bei den obigen Beispielen vermutlich das Instrument als 'Voraussetzung' für die Durchführung der jeweiligen Tätigkeit zu betrachten ist10. In der vormodernen Schriftsprache konnten die einsilbigen Wortformen in (8) shu, cuo, chui sowohl in nominalen als auch in verbalen Positionen vorkommen. Im modernen Chinesisch sind sie nur noch als Verben gebräuchlich, die entsprechenden Nomina sind aufgrund prosodischer Bedingungen zweisilbig. Prinzipiell könnten die einsilbigen Verbformen durch Konversion von den nominalen Stämmen abgeleitet sein. Da jedoch die Umkategorisierung semantisch prototypischer Nomina synchron nicht mehr produktiv ist (wie aus den Beispielen in (7) hervorgeht), sind die Verben in (8) als Relikte aus der vormodernen Schriftsprache zu betrachten. Leider ist die Korrelation zwischen Silbenzahl und Wortart kein zuverlässiger Indikator für die Kategorie einer Wortform. Die Situation im modernen Chinesisch läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Nomina sind präferiert zweisilbig; die relativ wenigen einsilbigen Nomina stammen aus dem Erbwortschatz und gehören in der Regel zu dem für Nomina prototypischen semantischen Bereich. Die Umkategorisierung von prototypischen Nomina ist im modernen Chinesisch nicht möglich. Wenn eine Form, die raumzeitlich konkrete Entitäten bezeichnet, in einer verbalen Position (d.h. als selbständige Wortform) auftritt, dann muß sie einsilbig sein, d.h. das für Verben charakteristische prosodische Merkmal aufweisen. Zwar sind viele Verben 0
Nach Marchand besteht eine semantische Ableitungsbeziehung zwischen Konversionspartnern dann, wenn die Bedeutung des einen Wortes von der des zweiten Wortes anhängig ist. "The word that for its analysis is dependent on the content of the other pair member is necessarily the derivative." (1964:244). Bei den nomina instrumenti ist jedoch in den meisten Fällen schwer zu entscheiden, ob ein Instrument für eine bestimmte Tätigkeit vorausgesetzt werden muß oder ob die Ausführung einer Tätigkeit Voraussetzung für die Existenz des entsprechenden Instruments ist. Letzteres nimmt man normalerweise immer dann an, wenn ein Nomen zweifelsfrei als deverbal identifizierbar ist (Bohrer, Kocher, Rechner etc.), d.h. ein formales Kriterium, nämlich das Vorliegen eines verbalen Derivationssuffixes, legt normalerweise die semantische Ableitungsrichtung fest. In den Fällen, in denen kein eindeutiges formales Kriterium zur Hand ist, wird die Ableitungsrichtung meist mehr oder weniger intuitiv festgelegt oder man führt Argumente wie die folgenden ins Feld: Wenn eine Tätigkeit auch mit einem anderen Instrument als mit dem durch die potentielle Ableitungsbasis bezeichneten durchgeführt werden kann (kämmen kann man sich nicht nur mit einem Kamm, sondern auch mit den Fingem, während die Tätigkeit des knöpfen dasVorhandensein von Knöpfen vermutlich voraussetzt), dann ist das Instrument auch nicht Vorausetzung für die Durchführung der Tätigkeit; ergo handelt es sich nicht um ein denominales Verb, sondern um ein deverbales Nomen. Es scheint mir jedoch sehr fraglich, ob ein solcher Schluß folgerichtig ist. Warum sollte uns die Tatsache, daß eine Tätigkeit auch mit einem anderen als dem dafür typischerweise vorgesehenen Instrument durchgeführt werden kann, Rückschlüsse über die derivationelle Beziehung zwischen Wörtern erlauben? Meines Erachtens sollte man bei Nomen-Verb-Paaren wie denen unter (8) ungerichtete Ableitungsbeziehungen zulassen, zumal die komplexere Struktur der Nomina in diesem Falle auch nicht als Ausdruck einer derivationellen Beziehung gewertet werden kann, sondern prosodischen Wohlgeformtheitsbedingungen geschuldet ist.
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Probleme der Nomen-Verb-Unterscheidung
einsilbig, es gibt jedoch auch eine große Anzahl zweisilbiger Verbkomposita. Da die in der verbalen Komposition besonders produktiven V-N-Rektionskomposita und Resultativkomposita normalerweise trennbar sind11, treten Verben in Sätzen meist als einsilbige Wortformen auf. Dadurch stabilisieren sich die unterschiedlichen prosodischen Muster: (Vorkommen von) Verben tendieren zur Einsilbigkeit, Nomina sind zwei- oder mehrsilbig. Außerdem gibt es zweisilbige Wortformen, die sowohl Nomina als auch Verben sein können. Solche Wortformen werden in Wörterbüchern zunächst einer 'primären' Wortart zugeordnet, die jeweils andere Kategorie gilt als abgeleitet. Aufgrund des Mangels an affigierender Derivationsmorphologie und der Häufigkeit des Phänomens scheint es mir jedoch unangemessen, eine Konversionsbeziehung anzunehmen. Eine Überprüfung einiger dieser Zwitter-Komposita in verschiedenen Wörterbüchern zeigt, daß bezüglich der 'primären' Wortart-Zuordnung große Unsicherheit besteht12. (9)
CD zhu yan
(N) leading role (in a play or a
ming ling
(Ν) order, command
NCDW film)
(V) (in einem Theaterstück o. Film) die Hauptrolle spielen (V,N) befehlen, kommandieren; Befehl; Kom mando
bao β
(Ν) reprisal, retaliation
(V,N) sich revanchieren, Vergeltung üben
bao an
(V) ensure public security
(Ν) öffentliche Sicherheit
zhi yuan
(N,V) support, aid
(V) unterstützen
Die Liste derartiger Fälle ließe sich mühelos fortsetzen. Im folgenden Abschnitt wende ich mich der Frage zu, welche Rolle diese Komposita in morphologischen Theorien spielen, in denen der kategorielle Kopf eines Wortes positioneil festgelegt wird.
5. Das Problem des morphologischen Heads bei der Analyse chinesischer Komposita In neueren morphologischen Theorien gibt es zahlreiche Versuche, die Prinzipien der X-BarTheorie auf die Morphologie zu übertragen (Lieber 1981, Selkirk 1982). Ein wichtiges Konzept dieser Wortsyntax-Modelle ist der Head (Kopf)-Begriff, dessen Brauchbarkeit für morphologische Einheiten trotz der Modifikationen, die er im Laufe der Zeit erfahren hat (z.B. Di Sciullo & Williams 1987, Olsen 1990), immer wieder angezweifelt wird (vgl. Zwicky 1985, Bauer 1990).
11
12
Ihr Wortstatus ist aufgrund der Trennbarkeit in vielen Fällen umstritten (Kriterien zur Abgrenzung von Komposita und syntaktischen Phrasen diskutiert Chi (1984)). Im NCDW sind die Wortarten nicht explizit angegeben, sondern ergeben sich indirekt aus den deutschen Glossen. Ich gehe davon aus, daß die Wortart der zuerst angeführten Glosse als 'primär' betrachtet wird.
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Packard (1990) wendet das Head-Konzept im Rahmen der Lexikalischen Morphologie auf die chinesische Wortbildung an. Er formuliert folgende zentrale Thesen: All mandarin words have heads. (S. 22) Canonical Head Rule (Mandarin) In a word-internal configuration: for all [[x] [y]] v , χ is the head of V [.·•] for all [[x] [y]] N , y is the head of Ν (S. 22) A word is considered exocentric if its form class does not match the form class of the morpheme in canonically-defined head-position. (S. 23)
Nach der Canonical Head Rule (CHR) ist der Kopf eines chinesischen Kompositums wortartabhängig positionell festgelegt: Bei den Verben steht er links, bei den Nomina rechts. Diese Regel trägt der unterschiedlichen Verteilung der Kompositionstypen auf Nomina und Verben Rechnung: Während bei den Nomina Determinativkomposita der Struktur Determinans - Determinatum (z.B. he ma Fluß-Pferd = 'Flußpferd') besonders häufig sind, dominieren bei den Verben Resultativkomposita (z.B. da si schlagen-tot = 'totschlagen') und V(erb)-N(omen)-Rektionskomposita (hua zhuang wechseln-Kleidung = 'kostümieren'). Letztere sind (allerdings in geringerem Ausmaß), auch in der nominalen Komposition produktiv (hua shi wandeln-Stein = 'Fossil'). Koordinativkomposita, insbesondere Synonymkomposita, sind sowohl bei Nomina als auch bei Verben sehr häufig. Für V-N-Rektionskomposita bzw. ganz allgemein für Komposita der Form [[V] [N]] a macht Packards Theorie bezüglich der Wortart keine eindeutige Vorhersage. Sowohl [[V] [N]]y als auch [[V] [N]] N sind mit der CHR kompatibel. Leider wird dieser Fall von Packard überhaupt nicht diskutiert und bleibt in seinen Daten ausgeklammert. Wie wir sehen werden, gibt es aber gerade fiir diesen Fall eine Reihe von Beispielen, die Packards Kopfbegriff unterhöhlen. Exozentrizität wird von Packard als Abweichen von der CHR aufgefaßt. Exozentrische Komposita werden der tiefsten Ebene des Lexikons zugeordnet, wo die am wenigsten produktiven Wortbildungsprozesse stattfinden. Ansonsten bleibt der Status der exozentrischen Komposita ungeklärt, insbesondere wird nichts über die Kopfzuweisung bei diesen Bildungen gesagt 13 . Wortformen, die nach der CHR als exozentrisch gelten müßten, sind aber geradezu charakteristisch für das moderne Chinesisch. Es gibt nämlich einige hochproduktive Kompositionstypen, die Zwitter-Wortformen mit gleichzeitig nominaler und verbaler 'Lesart' erzeugen, wobei in jeweils einer der beiden Lesarten die durch die CHR festgelegte Kopfkonstituente entweder als kategorieller oder als semantischer Kopf des Kompositums nicht in Frage kommt 14 . Exozen'3
14
Unter exozentrische Komposita fallen auch die sogenannten Bahuvrihis, die von Packard nicht behandelt werden. In der neueren Literatur gelten Bahuvrihis meist als endozentrische Konstruktionen, die lediglich semantisch abweichend sind. Strukturell exozentrische Komposita werden in der Literatur kaum behandelt, vermutlich deshalb, weil sie in den Sprachen, für die die morphologischen Kopf-Theorien entwickelt wurden (vor allem im Englischen und im Deutschen) selten sind. In Packards Theorie wird die Beziehung zwischen dem 'semantischen' und dem 'strukturellen' Kopf eines Kompositums völlig vernachlässigt. Wenn wir jedoch daran festhalten, daß die Struktur eines Kompositums in irgendeiner Weise auch die Basis für dessen semantische Interpretation liefern soll, gerät Packards Ansatz in erhebliche Schwierigkeiten.
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trische Komposita sind für Packard also in zweifacher Hinsicht problematisch: Erstens widersprechen sie der Annahme, daß alle chinesischen Wörter Köpfe haben. Zweitens spricht die Tatsache, daß exozentrische Komposita gerade unter den Neubildungen besonders häufig sind, dagegen, sie der tiefsten Ebene des Lexikons zuzuordnen, wo keine produktiven Wortbildungsprozesse stattfinden können. Betrachten wir zunächst einige Rektionskomposita im Detail: a. shou
ye
bewachen
'Nachtwache halten; Nachtwächter'
Nacht
b. chuan
dao
verbreiten
'missionieren; Missionar'
Lehre
c. sai
ma
Wettrennen lassen
'Pferde rennen lassen; Pferderennen; Rennpferd'
Pferd
Die Komposita unter (10) haben jeweils eine verbale und eine nominale Lesart. Für die verbalen Varianten macht die CHR die richtigen Vorhersagen: Die linksstehende Konstituente ist ein Verb und dürfte nach den üblichen semantischen Kriterien wohl eindeutig als Kopf des Kompositums angesehen werden. Fragwürdig wird die CHR bei den nominalen Pendants: Zwar stimmt die Wortart der jeweils rechten Konstituente tatsächlich mit der Wortart der gesamten Wortform überein, es ist jedoch offensichtlich, daß keinerlei Zusammenhang zwischen dem positioneil festgelegten Kopf und dem semantischen Kopf der Wortform besteht (außer bei saima 'Rennpferd', siehe unten). Dieser Kritik könnte man mit dem Einwand begegnen, daß die nominalen Varianten keine wirklichen nominalen Komposita sind, sondern als Nominalisierungen der entsprechenden verbalen Komposita betrachtet werden müssen (vgl. Ross 1985). Angesichts der Tatsache, daß nominale V-N-Rektionskomposita universalistischen Wortstrukturtheorien zum Trotz 15 im heutigen Chinesisch produktiv sind (vgl. Beispiel (11)), scheint mir die Ad-hoc-Erklärung dieser Fälle als Konversion jedoch wenig attraktiv. Zudem zeigt das Beispiel sai ma in (10)c, daß ein und dieselbe Wortform nicht nur als V-N-Rektionskompositum mit gleichzeitig verbaler und nominaler Lesart analysiert werden kann ('Pferde rennen lassen'; 'Pferderennen'), sondern darüberhinaus auch noch die Struktur eines endozentrischen Determinativkompositums ('Rennpferd') mit rechtsstehender Kopfkonstituente besitzen kann.
15
wei
bo
umwickeln
Hals
ding
zhen
stoßen
Nadel
'Schal'
'Fingerhut'
Wunderlich (1986:240) fordert in seinem 'Harmonieprinzip', "daß alle Komposita einer Sprache hinsichtlich der Stellung ihres Kopfes harmonieren müssen." Zu den chinesischen V-N-Komposita, die diesem Prinzip widersprechen, merkt er an: "Alle anderen im Chinesischen produktiven Fälle einer vermeintlichen V-Komposition sollten als lexikalisierte verbale Syntagmen angesehen werden." Daß diese Auffassung nicht haltbar ist, zeigt u.a. Chi (1984:171).
100
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dao
hang
lenken
Schiff
'Navigation'
Problematisch sind für Packards CHR auch V-V-Koordinativkomposita, da diese häufig neben der verbalen auch eine nominale Lesart haben (vgl. (12)a). Sie dienen besonders häufig der Bezeichnung von Vorgängen/Ereignissen und der entsprechenden Sachverhaltsabstrakta (nach Lyons' Ontologie also Entitäten zweiter und dritter Art, s.o.). bang
zhu
helfen
helfen
zhi
liao
heilen
heilen
zhi
jiao
zeigen lehren
'helfen, Hilfe'
b. maß
mafi
'Handel, Geschäft*16
kaufen verkaufen 'behandeln, Behandlung'
xuan
ji
auswählen
sammeln
'belehren, Belehrung'
xue
shi
studieren
wissen
'Anthologie' 'Wissen, Kenntnisse'
Die verbale Lesart der V-V-Komposita in (12)a ist mit der CHR verträglich, wobei es allerdings kaum semantische Faktoren geben dürfte, die die Zuweisung der Kopffunktion zur linken Konstiuente klar substantiieren. Die nominale Lesart widerspricht hingegen der CHR und müßte demnach als exozentrisch betrachtet werden. Die Nominalisierungs-Hypothese stellt wiederum keinen Ausweg dar, weil es, wie (12)b zeigt, auch solche V-V-Koordinativkomposita gibt, die ausschließlich nominal sind. Angesichts der Häufigkeit solcher Fälle kann diesen kaum der für exozentrische Konstruktionen anzunehmende Ausnahmestatus zugebilligt werden. Mit Packards Theorie verträglich scheint der größte Teil der chinesischen N-N-Komposita. Diese sind in der Tat meist eindeutig Nomina, wobei der semantische Kopf (bei Determinativkomposita das Determinatum) rechts steht (z.B. he ma Fluß-Pferd = 'Flußpferd'). Die wenigen Fälle von Komposita der Form [NN]y scheinen durchweg lexikalisiert, also nicht aufgrund einer synchron produktiven Regel gebildet zu sein (yu rou Fisch-Fleisch = 'schinden, tyrannisieren'). N-V-Komposita, die nach Packards Theorie ja in jedem Fall exozentrisch sein müßten, sind im Chinesischen recht selten und ebenfalls meist deutlich lexikalisiert (jing tun Wal-schlukken = 'einverleiben, annektieren'). Die vorangehenden Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, daß ein positionsbezogener Head-begriff - jedenfalls in der von Packard vorgeschlagenen Form - den empirischen Fakten des modernen Chinesisch nicht gerecht werden kann. Um überhaupt eine generelle Aussage über die Position des Kopfes in chinesischen Komposita machen zu können, müßten alle infrage kommenden produktiven Kompositionstypen ([[N] [N]] n , [[V] [V]] v> [[V] [V]] N> [[V] [N]]v> [[V] [N]]n mit ihren jeweiligen Untertypen) betrachtet werden. Weiterhin müßte ein klares Kriterium für das Vorliegen einer V-» Ν Konversion angegeben werden, so daß nicht immer, wenn die Position des Kopfes bzw. die Wortart des Kompositums der angegebenen Regel widerspricht, einfach ein zusätzlicher Konversionsschritt angesetzt werden kann (womit die 16
Die hochgestellten Ziffern dienen hier zur Angabe der Töne, die deutlich machen sollen, daß es sich nicht um homophone Stammformen handelt. Dabei steht nach der üblichen Notationskonvention "3" für den "dritten Ton", i.e. einen fallend-steigenden Konturton, und "4" für den "vierten Ton", i.e. einen fallenden Ton.
Probleme der Nomen-Verb-Unterscheidung
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Theorie gegen fast jeden empirischen Einwand immunisiert und somit empirisch entleert wird). Hinsichtlich der Frage, ob eine solche gründliche Analyse im Ergebnis wesentlich über die am Anfang dieses Abschnitts erwähnten Präferenzbeziehungen zwischen Wortart und Kompositionstyp hinausgehen würde, scheint mir allerdings einige Skepsis angebracht. Schließlich müßte etwas über den Status der exozentrischen Komposita (sind diese grundsätzlich lexikalisiert?) und über das Verhältnis von semantischer und formal/positionell bestimmter Kopfkonstituente (sind diese immer identisch bzw. unter welchen Umständen nicht?) gesagt werden. Darüberhinaus muß man sich im darüber klaren sein, daß die Tragweite jeder generellen Aussage, die man über den Zusammenhang zwischen der Wortart eines Kompositums, der Position der Kopfkonstituente und der Wortart derselben machen kann, im Chinesischen von vornherein begrenzt ist, da (wie in Abschnitt 3 gezeigt wurde) ein großer Teil der infrage kommenden Konstituenten (Stämme) nicht eindeutig einer Wortart zugeordnet werden kann. Dieser Einwand richtet sich nicht speziell gegen Packards Theorie, sondern dürfte bei der Anwendung von Wortsyntax-Modellen auf das Chinesische ganz allgemein zutreffen. Ich illustriere die Problematik zum Abschluß noch einmal an folgenden nominalen Komposita: (13)
cun
xue
Dorf
lernen?
'Dorfschule'
Lehre? Schule? xin
Ii
xue
Herz
innen
lernen?
'Psychologie'
Lehre? si
chao
denken?
Strömung
'Gedankenströmung'
Gedanken? shu
zi
Kamm?
SUFF
'Kamm'
kämmen?
Sollte man in (13) die Konstituente xue 'studieren', die als freie Wortform in verbaler Position vorkommt, als umkategorisierten Stamm xue 'Lehre bzw. Schule' auffassen oder sollte eher das Kompositum als Nominalisierung analysiert werden? Ist der gebundene Stamm si in sixiang nominal oder verbal zu analysieren? Ist shuzi 'Kamm' eine deverbale Ableitung oder ist das Auftreten des Suffixes zi besser durch das Zweisilbigkeitsprinzip zu erklären? Eine Entscheidung kann in vielen solchen Fällen, wenn überhaupt, nur intuitiv getroffen werden, objektive formale oder semantische Kriterien für die Kategorisierung dieser Stämme als Nomen oder Verben gibt es hier meines Erachtens nicht. Einer empirischen Überprüfung der CHR oder vergleichbarer Aussagen ist damit in solchen Fällen der Boden entzogen.
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6. Fazit Die Nomen-Verb-Unterscheidung im Chinesischen beruht auf einem komplexen Zusammenspiel von Prosodie, Wortsemantik und Kompositionstyp. Auch bei Anwendung sämtlicher relevanter Kriterien bleibt jedoch für einen Teil der zweisilbigen Wortformen die Nomen-Verb-Distinktion vage. Die wichtigsten Punkte seien hier noch einmal zusammengefaßt: 1. Das Zweisilbigkeitsprinzip von Ross (1985) (Bisyllabic Preference Principle, vgl. Abschnitt 2) muß modifiziert werden. Die Tendenz zur Zwei- oder Mehrsilbigkeit trifft nur auf Nomina in vollem Maße zu. Bei den Verben scheint sich dagegen Einsilbigkeit als charakteristisches prosodisches Muster zu etablieren. Einsilbige Nomina sind in der Regel Erbwörter und bezeichnen nomentypische Denotate (zeitkonstante Entitäten, etc.). Anders formuliert: Wenn ein Nomen das Zweisilbigkeitsprinzip verletzt, dann muß es zumindest semantisch zum prototypischen Kernbereich gehören. Umgekehrt gilt auch: Wenn ein semantisch prototypisches Nomen in verbaler Position auftritt, dann muß es einsilbig sein. Und schließlich: Wenn ein Stamm sowohl frei als auch in einem semantisch redundanten Kompositum (Synonymkomposita, appositioneile Determinativkomposita) auftritt, dann steht das Kompositum in nominaler, der einfache Stamm dagegen in verbaler Position. Nicht-prototypische Verben und Nomina ('Abstrakta') sind meist zwei- oder mehrsilbig; nur in einigen Fällen korreliert die Nomen-Verb-Distinktion hier mit der Silbenzahl. 2. Eine große Anzahl der Wortformen, deren Denotate im nicht-prototypischen Bereich liegen, können jedoch ohnehin kaum einer der beiden Kategorien N/V zugeordnet werden und sollten vermutlich am besten in der Schnittmenge dieser Kategorien angesiedelt werden. Diese Schnittmenge ist folglich nicht leer, so daß es sich im Chinesischen nicht um 'echte Kategorien' handelt. 3. Aus semantisch prototypischen zweisilbigen Nomina können im heutigen Chinesisch keine denominalen Verben durch Konversion abgeleitet werden. Bei den zweisilbigen Wortformen, die sowohl Nomina als auch Verben sein können, gibt es m.E. keine zwingenden Gründe, eine Konversionsbeziehung mit einer bestimmten Ableitungsrichtung anzunehmen. 4. Das Konzept einer positioneil festgelegten Kopfkonstituente, die hinsichtlich der Wortart mit dem Kompositum übereinstimmt, ist im Chinesischen unbrauchbar. Erstens kann Packards Canonical Head Rule den Zusammenhang zwischen dem formalen und dem semantischen Kopf eines Wortes nicht erfassen. Zweitens wird die Wortart der Kopfkonstituente einer großen Zahl von Komposita (und zwar auch von solchen, die nach synchron produktiven Mustern gebildet sind) nicht korrekt vorausgesagt. Diese Konstruktionen müßten also als exozentrisch gelten, was im Hinblick auf die hohe Produktivität der entsprechenden Wortbildungstypen nicht plausibel ist. Drittens muß das Konzept eines kategoriell definierten Kopfes im Chinesischen schon deshalb zu Schwierigkeiten führen, weil die wortinternen Konstituenten in vielen Fällen nicht eindeutig kategorisierbar sind.
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103
7. Ausblick Das Chinesische hat im 20. Jahrhundert nicht nur seinen Wortschatz durch Entlehnung bereichert, sondern auch in seinen grammatischen Strukturen Veränderungen erfahren. Eine Studie von Chan (1985,1987) zeigt, daß das Wortartensystem des Chinesischen in einem Reorganisationsprozeß begriffen ist, bei dem zweisilbige Verben von Sprecher als Nomen reanalysiert werden. Die komplementäre Verteilung ein- und zweisilbiger Wortformen auf die Kategorien Verb und Nomen scheint auch im Zusammenhang mit der Zunahme von Funktionsverbgefügen zu stehen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts ins Chinesische dringen. Da die Position nach Funktionsverben (zuo 'machen; durchführen', baochi, 'festhalten' jiayi 'hinzufügen', shou 'erhalten, erfahren' etc.) die des direkten Objekts ist, wird jede in diesem slot auftretende Wortform nominal 'interpretiert'. Zweisilbige Wortformen, die 'primär' vielleicht als Verben aufgefaßt werden (z.B. yanjiu 'forschen'), müssen in dieser Position als Nomen (zuo yanjiu 'Forschung machen') analysiert werden. Die Zweisilbigkeit, die ja für Substantive charakteristisch ist, ist der entscheidende Faktor dafür, daß sich ein 'urprüngliches' Verb als Nomen etablieren kann ("...disyllabicity is necessary to a nouny outlook", Chan 1985:186). Möglicherweise verschiebt sich die Distribution zweisilbiger Wortformen allmählich in Umgebungen, die nur noch Nomen zulassen. Die sich abzeichnenden Entstehung eines nominalen Derivationsaffixsystems dürfte weiter dazu beitragen, daß sich die Wortartunterscheidung etabliert. Für das gegenwärtige Chinesisch gilt jedoch noch, daß ein großer Teil des Wortschatzes hinsichlich der Nomen-VerbDistinktion unspezifiziert ist.
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Stephanie Eschenlohr
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Beatrice Primus (Universität Stuttgart)
Dekomposition semantischer Rollen und gespaltene Intransitivität
0. Einleitung Der folgende Beitrag 1 setzt sich aus zwei Teilen zusammen. In einem ersten Teil (Abschnitt 1 und 2) wird in Anlehnung an Dowty (1991) eine theoretische Weiterentwicklung dekompositionaler Ansätze zur Behandlung semantischer Rollen vorgeschlagen. Im zweiten Teil (Abschnitt 3) werden wichtige Aspekte dieses Vorschlags anhand der Argumentkodierung bei intransitiven Verben in aktivischen Sprachen überprüft. Auf der Grundlage der im Abschnitt 2 entwickelten Rollenkonzeption kann nachgewiesen werden, daß die semantische Motivation verschiedener morphosyntaktischer Kodierungssysteme (z.B. nominativisch, ergativisch, aktivisch) sowohl für transitive als auch intransitive Verben durch ein einziges einfaches Argumentkodierungsprinzip erfaßt werden kann. Der Nachweis einer semantischen Motivation für ein morphosyntaktisches Phänomen gewinnt an Plausibilität und Erklärungskraft, wenn die verwendeten semantischen Begriffe unabhängig von ihrer syntaktischen Kodierung begründet und präzisiert werden können. Aus diesem Grund werden im folgenden Beitrag die semantischen Rollen unabhängig von den Ergebnissen der empirischen Analysen im Abschnitt 3 und ausführlicher als für diese Analysen unbedingt notwendig diskutiert. Semantische Rollen wurden in der neueren Linguistik u.a. von Gruber (1965) und Fillmore (1968) systematisch behandelt und sind auch unter Bezeichnungen wie Tiefenkasus, thematische Relationen, semantische Relationen oder Thetarollen bekannt. Sie benennen die Rolle eines Mitspielers in der von einem Prädikatsausdruck bezeichneten Situation. Die Einmütigkeit über diese Konzepte endet aber schon mit dieser globalen Aussage. Obwohl die Zahl und der semantische Inhalt dieser Konzepte ein ständig neu aufgegriffenes und kontroverses Thema sind, kann man dennoch zwei dominante Forschungsrichtungen ausmachen, die von den schon genannten 'Pionieren' moderner Rollenforschung geprägt wurden. Grubers Vorschlag geht von einer sehr kleinen Zahl von räumlichen, konkreten Relationen aus, die typischerweise bei Bewegungs- und Positionsverben zu finden sind. Es handelt sich um solche Relationen wie Ziel oder Ursprung einer Bewegung, die auf abstraktere Verbbedeutungen übertragen werden. So wird zum Beispiel der intentional Handelnde (das Agens) wie in Peter liest, der Träger eines physischen oder psychischen Zustands (der Experiencer) wie in Peter friert und der Ursprung einer Bewegung wie in startet vom Hauptbahnhof unter einer gemeinsamen semantischen Rolle des Ursprungs zusammengefaßt. Diese Auffassung bezeichnet man oft als 'Iokalistisch', wobei die Reduktion des Rolleninventars auf einige wenige konkrete Rollen unterschiedlich begründet wird. Solche Ansätze sind zum Beispiel Anderson (1971, 1977), Jackendoff (1972, 1987), Rauh (1988) und Lutzeier (1991).
Für Hinweise und kritische Kommentare bei der Entstehung dieser Arbeit danke ich Dietmar Zaefferer.
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Fillmores Ansatz (1968, 1977) hingegen arbeitet mit einer größeren Anzahl von Rollen und die wichtigsten von ihnen sind nicht-lokaler Natur: Agentiv (später Agens), Dativ (später Rezipient und Benefaktiv), Objektiv (später Patiens), Instrumental, und erst zum Schluß Lokativ. Starostas Lexicase Modell (1978) sowie die Funktionalen Grammatiken von Dik (1978, 1989), von Givón (1984) und Foley/Van Valin (1984, Van Valin 1990) entwickeln Fillmores Tradition weiter. Dowtys Ansatz sowie dessen Weiterentwicklung im vorliegenden Beitrag sind ebenfalls Fillmores Anschauung verpflichtet: Sie sind insoweit nicht-lokalistisch, als sie eine Vielzahl von semantischen Grundrelationen einführen. Die Affinität zwischen bestimmten semantischen Rollen wie Agens und Experiencer wird in diesem Modell ebenfalls erfaßt, aber auf eine andere Weise als in lokalistischen Ansätzen. Es gibt einige mehrheitlich akzeptierte Prinzipien, die semantische Rollen betreffen. Ein erstes Prinzip bestimmt, daß jede semantische Rolle in der Domäne eines Prädikats (im unmarkierten Fall innerhalb eines vollständigen einfachen Satzes) nur einmal vorkommt (cf. Fillmore 1968 und Starosta 1978 als Ein-Pro-Satz-Prinzip). Ein zweites Prinzip besagt, daß jeder semantischen Rolle genau ein syntaktisches Argument entsprechen muß und umgekehrt jedem syntaktischen Argument genau eine semantische Rolle (cf. Chomsky 1981 als Thetakriterium). Die zweite Richtung dieses Prinzips wird vielen Ansätzen explizit oder implizit zugrundegelegt. So zum Beispiel dürfen den Argumentknoten in den Tiefenstrukturen Fillmores (1968) nicht zwei Tiefenkasus zugeordnet werden. Eine solche Restriktion muß auch von solchen Ansätzen angenommen werden, die versuchen, eine eins-zu-eins-Relation zwischen semantischen Rollen und syntaktischen Relationen zu etablieren oder syntaktische Relationen von semantischen Rollen abzuleiten. Solche Prinzipien setzen voraus, daß semantische Rollen diskrete Einheiten sind, deren primäre Funktion es ist, Argumente rollensemantisch eindeutig zu identifizieren. Dowty nennt diese Konzeption die argumentindizierende Auffassung. Dowty bricht mit dieser Tradition in zweierlei Hinsicht. Zum einen faßt er semantische Rollen nicht notwendigerweise als diskrete Einheiten auf, sondern läßt zu, daß ein Argument rollensemantische Eigenschaften besitzt, die in anderen Ansätzen zwei verschiedene semantische Rollen charakterisieren. Zum anderen läßt er zu, daß ein Prädikat zwei Argumenten dieselben rollensemantischen Eigenschaften zuweist. Dowty gelingt es trotzdem, ein Argumentselektionsprinzip zu formulieren, das anderen Vorschlägen weit überlegen ist, sowohl was die empirische Beschreibungsadäquatheit als auch was die theoretische Einfachheit der Behandlung betrifft. Darüberhinaus bietet er eine dekompositionale Analyse semantischer Rollen, die semantisch gut und autonom begründet ist. Der Vorteil eines solchen Verfahrens für die Erfassung der Argumentselektion ist, daß die semantischen Begriffe unabhängig von den syntaktischen Eigenschaften der Argumente charakterisiert werden. Da der folgende Beitrag Dowtys Vorschlag weiterentwickelt, empfiehlt sich eine kurze Darstellung seines Ansatzes.
Dekomposition semantischer Rollen
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1. D o w t y s V o r s c h l a g Dowty rekonstruiert eine semantische Rolle als eine Menge von Implikationen (entailments), die eine Klasse von Prädikaten bezüglich eines ihrer Argumente determiniert. Nehmen wir zum Beispiel die ersten Argumente der englischen Verben χ murders y, χ nominates y, und χ interrogates y. Vier Implikationen, die diese Klasse von Prädikaten bezüglich ihres ersten Arguments charakterisieren, sind, daß χ eine willkürliche Handlung vollzieht, daß χ dieses Geschehen als die vom Verb bezeichnete Handlung beabsichtigt, daß χ ein Geschehen verursacht, in welchem y involviert ist (y stirbt, y erhält eine Nominierung, y beantwortet oder hört Fragen) und daß χ sich bewegt bzw. am vom Verb bezeichneten Geschehen aktiv beteiligt ist. Verben wie kill und convince fehlen die ersten beiden Implikationen bezüglich des ersten Arguments. Die Bedeutung dieser Verben im Englischen Iäßt es nämlich zu, daß man jemanden unabsichtlich überzeugt oder tötet. Ein Sachverhalt, der mit Hilfe des Verbs look at und understand beschrieben wird, impliziert nicht, daß er vom ersten Partizipanten verursacht wurde. Im Falle von understand wird auch nicht impliziert, daß der erste Partizipant aktiv beteiligt ist. Die Mengen von Implikationen, die den ersten Partizipanten dieser Verben betreffen, sind unterschiedlich. Trotzdem lassen sich die ersten Partizipanten aller Verben außer understand durch mindestens eine gemeinsame Implikation charakterisieren. Die Annahme von Dowty, daß die fraglichen Konzepte semantische Implikationen (entailments) sind, ist nicht unproblematisch. Dowty bemerkt selbst, daß es sich um Präsuppositionen handeln könnte, ohne seinen Verdacht näher zu begründen (1991: 552). Man kann aber diesen Verdacht leicht erhärten. Wie Präsuppositionen und konventionelle Implikaturen haben Dowtys 'Implikationen' die Eigenschaft, von der semantischen Satznegation nicht betroffen zu sein: sowohl in Peter arbeitet als auch in Peter arbeitet nicht selegiert das Verb ein Agens. Ein weiterer Grund, anzunehmen, daß es ungeschickt ist, sich auf Implikationen im engeren Sinn festzulegen, ist die Tatsache, daß es Fälle gibt, in denen Argumentkodierung von kontextuell gegebener rollensemantischer Information abhängt, mit anderen Worten von der Interpretation der nominalen Argumente oder des gesamten Satzes in einer bestimmten Situation. So hat Holisky (1987) für das Batsische festgestellt, daß bei intransitiven Verben die Kasusselektion wechselt, und das geschieht in vielen Fällen in Abhängigkeit von der kontextuell plausibelsten Lesart des betreffenden Satzes. Dieser Kodierungswechsel wird im Abschnitt 3 weiter unten näher besprochen. Für das Batsische müßte man somit rollensemantische Eigenschaften als Bestandteil konversationeller Implikaturen zulassen. Da es sich beim Batsischen um einen Kodierungswechsel handelt, der in anderen Sprachen mit ähnlicher semantischer Motivation lexikalisch festgelegt ist, führt Dowtys Einschränkung auf lexemdeterminierte und kontextinvariante rollensemantische Eigenschaften zu unnötigen Komplikationen. Man muß somit festhalten, daß die hier diskutierten rollensemantischen Eigenschaften Bestandteil unterschiedlicher Folgerungsbegriffe sein können (vgl. zu den wichtigsten Typen Grice 1979, Levinson 1983). Dowtys Implikationen formulieren die Grundbausteine seiner semantischen Rollen, ähnlich wie es die rollensemantischen Merkmale anderer dekompositionaler Theorien tun. Ich werde sie im Folgenden auch als rollensemantische Eigenschaften oder semantische Grundrelationen bezeichnen, und in verkürzter Redeweise behaupten, daß bestimmte rollensemantische Eigenschaf-
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ten oder Relationen andere semantische Eigenschaften oder Relationen implizieren. Das ist eine verkürzte Formulierung für die Tatsache, daß eine Aussage, die eine bestimmte semantische Grundrelation enthält, ein Aussage, die eine andere semantische Grundrelation enthält, impliziert. Implikationen oder Implikaturen zwischen rollensemantischen Eigenschaften hat Dowty nur am Rande vermerkt. Einer weiteren terminologischen Klärung bedarf die semantische Repräsentation eines syntaktischen Verbarguments. Ich werde sie als Partizipant bezeichnen, um klarzustellen, daß ich nicht die syntaktische Argumentstelle meine. Eine zentrale Annahme des Ansatzes von Dowty ist, daß die von ihm eingeführten semantischen Rollen Proptotypenbegriffe sind (vgl. Rosch/Mervis 1975 und mit Anwendung auf semantische Rollen Lakoff 1977, Dahl 1987). Dies läßt zu, daß Rollenzuordnung graduierbar sein kann: die Rolle eines Partizipanten kann agentivischer sein als die Rolle eines anderen Partizipanten. Die verschiedenen Grade der Rollenzugehörigkeit werden quantitativ durch die Anzahl der agentivischen Grundrelationen eines Partizipanten erfaßt. Das Prototypenkonzept ermöglicht es Dowty, mit nur zwei prototypischen Rollen auszukommen. Die erste Rolle nennt Dowty Proto-Agens, die zweite Proto-Patiens. In Dowtys Ansatz muß man die Protorolle Agens von der spezifischeren Rolle Agens auseinanderhalten. In den obigen Beispielen haben die Subjektpartizipanten aller Verben eine semantische Rolle, die unter Proto-Agens fällt, aber nur die Verben murder, nominate und interrogate selegieren alle Proto-Agenseigenschaften und somit ein Agens im engeren Sinn. Dowtys Protorollen haben mit den Makrorollen Actor und Undergoer der Rollen- und Referenz-Grammatik von Foley und Van Valin eine gewisse Ähnlichkeit (vgl. Foley/Van Valin 1984, Van Valin 1990). Sowohl Protorollen als auch Makrorollen sind allgemeiner als die spezifischen Rollen Agens, Experiencer und Patiens, die Makro- und Mikrorollen gehören jedoch verschiedenen semantischen Repräsentationsebenen (tiers) an. Zusätzliche Zuordnungsprinzipien werden benötigt, um das Verhältnis zwischen Makrorollen und Mikrorollen zu regeln. Holisky (1987) wendet dieses Modell für die Erfassung der aktivischen Kodierung im Batsischen an. Dieser Vorschlag wird im Abschnitt 3 kurz referiert, wobei sich herausstellen wird, daß dem Konzept der Makrorolle kein einheitlicher semantischer Inhalt entspricht und daß eine Makrorolle nicht einfach als allgemeinere semantische Rolle aufgefaßt werden kann. Multistratal ist auch der dekompositionale Ansatz von Jackendoff (1987). Im Gegensatz dazu gestaltet sich die Beziehung zwischen Protorolle und spezifischerer semantischer Rolle im Ansatz von Dowty denkbar einfach: sowohl eine Proto-Rolle als auch eine spezifischere semantische Rolle sind Entitäten desselben Typs, die man als Menge von rollensemantischen Grundrelationen auffassen kann. Die Menge von rollensemantischen Implikationen, die das Proto-Agens charakterisiert, wird in der englischen Originalfassung in (1) wiedergegeben (Dowty 1991: 572): (1)
Contributing properties for the Agent Proto-Role: (a) volitional involvement in the event or state (b) sentience (and/or perception)2 (c) causing an event or change of state in another participant
'with respect to the event or state denoted by the verb' wird von Dowty später hinzugefügt ( 1991: 573).
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(d) movement (relative to the position of another participant) (e) exists independently of the event named by the verb Jede der eingeführten rollensemantischen Eigenschaften ist relevant, obwohl die meisten Verben im Englischen und sicherlich auch in anderen Sprachen mehrere rollensemantische Eigenschaften für ein Argument determinieren. Dowty (op. cit.) illustriert die semantische Unabhängigkeit dieser Komponenten mit den Sätzen in (2). Die Prädikate in (2) determinieren seiner Meinung nach nur eine der angegebenen rollensemantischen Eigenschaften für das satzinitiale Argument. (2)
(a) (b) (c) (d) (e)
Volition alone: John is being polite to Bill, John is ignoring Mary. Sentience/perception alone: John knows/believes/is disappointed at the statement, John sees/fears Mary. Causation alone: His loneliness causes his unhappiness. Movement alone: The rolling tumbleweed passed the rock. Water filled the boat. He accidentally fell. Independent existence: John needs a car.
Einige Bemerkungen zu den Proto-Agenseigenschaften von Dowty sind nötig. Als erstes muß man festhalten, daß Dowty diese Prädikate nicht definiert, sondern lediglich durch Beispiele und Umschreibungen etwas präzisiert. Volitionalität bezüglich eines Partizipanten χ umschreibt er wie folgt: "that χ does a volitional act, that χ moreover intends this to be the kind of act named by the verb" (1991: 552). Wahrnehmung impliziert für Dowty nicht notwendigerweise Bewußtheit. Jede emotionale oder sensorische Reaktion soll unter diesen Begriff fallen. Kausalität wird von Dowty nicht näher erläutert, aber das gewählte Beispiel sowie vereinzelte Bemerkungen lassen gewisse Rückschlüsse über den verwendeten Kausalbegriff zu (vgl. Abschnitt 2.2). Die rollensemantische Eigenschaft der Bewegung muß näher eingegrenzt werden, da sie auch ein Patiens, das bewegt wird, charakterisiert (vgl. Peter warf den Ball). Dowty fügt später hinzu, daß Bewegung nur dann ein Agensmerkmal ist, wenn sie nicht durch einen anderen Partizipanten verursacht wird. Bewegung in Dowtys Sinn trifft auf jede Art von Aktivität von Seiten des fraglichen Partizipanten zu, also auch auf die satzinitialen Argumente von interrogate oder nominate, was vielleicht geeigneter durch Termini wie Aktivität oder Dynamizität (vgl. Dik 1978) erfaßt wird. Unabhängige Existenz ist in der Charakterisierung von Dowty ein Sammelbegriff, weil darunter so Disparates wie de re Lesart, statt de dicto Lesart, aber auch unabhängige Existenz im wörtlichen Sinn fällt. Dowty will damit aus der Agensliste die Tatsache ausschließen, daß die Existenz eines Partizipanten betroffen wird ("coming into or going out of existence"). Dowty zögert, unabhängige Existenz in die Agensliste aufzunehmen, da er nicht sicher ist, ob sie nicht Teil der Definition des universellen Subjektbegriffs im Sinne Keenans (1976) ist. Damit bestünde die Gefahr, daß das Argumentselektionsprinzip (s. (11) weiter unten), das die Zuordnung der syntaktischen Funktion eines Partizipanten in Abhängigkeit von seinen rollensemantischen Eigenschaften steuert, zirkulär ist. Diese Gefahr entsteht allerdings nicht nur durch die rollensemantische Eigenschaft (le), sondern durch den Agensbegriff selbst, der für Keenan
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ebenfalls Teil der Subjektdefinition ist. Das Problem ist die Verwendung grammatischer Relationen wie Subjekt und Objekt bei der Formulierung des Argumentselektionsprinzips und nicht die Auswahl der rollensemantischen Eigenschaften. Ein Argumentselektionsprinzip ohne grammatische Relationen wird im Abschnitt 3 dieser Albeit (vgl. (39)) vorgeschlagen. Bestimmte Teilmengen der Menge (1) tragen traditionelle Namen: so wird Experiencer für die Teilmenge eingeführt, die aus Wahrnehmung unter Ausschluß von Kontrolle und Kausation besteht. Agens wird üblicherweise durch Volitionalität als notwendige Bedingung charakterisiert. In einigen Ansätzen kommt Aktivität bzw. Dynamizität (Dik 1978,1989) oder Kausation hinzu (Fillmore 1968, Huddieston 1970). Begriffe wie Urheber und Instrument lassen sich durch Kausation erfassen. Der Possessor ist eine relativ unterdeterminierte Proto-Agens-Rolle, die sich lediglich durch unabhängige Existenz als solche ausweist. Wenden wir uns nun dem Proto-Patiens zu (s. Dowty 1991: 572): (3)
Contributing properties for the Patient Proto-Role: (a) undergoes change of state (b) incremental theme (c) causally affected by another participant (d) stationary relative to movement of another participant (e) does not exist independently of the event, or not at all
Wie Dowty selbst feststellt, ist die Relevanz der einzelnen Proto-Patienseigenschaften schwerer nachzuweisen. Die zweiten Argumente der Verben in (4) illustrieren die Patienseigenschaften in (3) und sind mit Dowtys Kommentaren versehen (1991: 573): (4)
(a)
(b) (c) (d) (e)
Change of state: John made a mistake (coming into being, therefore also (e) below), John moved the rock, (indefinite change of position), John erased the error (ceasing to exist). Incremental Theme: John crossed the driveway/filled the glass with water (also stationary relative to other arguments). Causally affected: Smoking causes cancer. Stationary relative to another participant: The bullet entered the target/overtook the arrow. Existence not independent of event: John built a house/erased an error (coming into and out of existence; not independent of (a)), This situation constitutes a major dilemma for us, John needs a car/seeks a unicomñacks enough money to buy it (de dicto objects: no existence).
Zustandsveränderung inkludiert für Dowty sowohl bestimmte als auch unbestimmte Zustandsveränderungen sowie Existenzveränderungen ("coming into existence, going out of existence"). Dowty übernimmt (3b) von Krifka (1989), der diese Grundrelation als Subtyp des Patiens (sukzessiv affiziertes Patiens) einführt. Krifkas Vorschlag geht von der bekannten Tatsache aus,
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daß die Aspektkategorie telischer 3 Verben von der Referenzweise einer bestimmten Klasse von Partizipanten abhängt. Die Aspektveränderung dieser Klasse von Verben in Abhängigkeit von der Referenzweise eines Arguments spiegelt sich in der Selektion durativer Adverbiale wieder. Telische Prädikate selegieren Durative des Typs in einer Stunde (Engl, in an hour), atelische Prädikate selegieren Durative des Typs eine Stunde lang (Engl, for an hour). Man beachte folgende Beispielpaare in der hier relevanten Lesart des Zeitadverbials als Bezeichnung fur die Zeitspanne, in der das vom Verb denotierte Geschehen stattfindet. (5) (6)
(a) (b) (a) (b)
John crossed the driveway in an hour/^for an hour. 4 John crossed driveways for an hour/#in an hour. John filled the glass with water in an hour/#for an hour, John filled glasses with water for an hour/#in an hour.
Patiens-Rollen, denen die aspektdeterminierende Affiziertheit fehlt, werden in (7) und (8) vorgestellt. (7) (8)
(a) (b) (a) (b)
John pushed the cart for an hour/^in an hour, John pushed carts for an hour/ # in an hour. John dimmed the lights for an hour/^in an hour, John dimmed lights for an hour/^in an hour.
Krifkas Leistung zeichnet sich dadurch aus, daß er die Interaktion zwischen der Aspektkategorie des Satzes und der Referenzweise eines sukzessiv affizierten Partizipanten im Rahmen einer modelltheoretischen Semantik als Homomorphismus zwischen temporaler und nominaler Referenzweise formal erfaßt. Verben, die ein sukzessiv affiziertes Patiens selegieren, zeichnen sich dadurch aus, daß ihre temporale Referenzweise im Sinne von telisch/ atelisch mit der nominalen Referenzweise des betreffenden Patiensarguments wechselt: bei individuierten und quantifizierten Partizipanten (ein/das Glas Wasser trinken) entsteht die telische Lesart, bei nicht individuierten und nicht quantifizierten Partizipanten (Wasser trinken) entsteht die atelische Lesart. Der Homomorphismus zeigt sich auch darin, daß der Vollzug des Geschehens Schritt für Schritt parallel verläuft mit dem fortschreitenden Erfassen des betreffenden Partizipanten. So bemerkt Krifka (1989: 158f.): "Charakteristisch für die semantische Relation von trinken ist offenbar, daß das Objekt dem Verbereignis nach und nach unterzogen wird... Dabei ist das Verschwinden des Objekts nicht so sehr von Interesse, sondern vielmehr die Art, wie das Ereignis das Objekt erfaßt." Weitere Beispiele für Verben mit dieser Eigenschaft sind: ein Haus bauen, einen Brief schreiben, einen Apfel essen, ein Buch lesen, ein Haus malen, einen Schuh reparieren, einen Brief kopieren, ein Gedicht auswendig lernen. Die weiter oben zitierten Bemerkungen von Krifka sowie die letzten drei Beispiele zeigen, daß diese Patiensrolle nicht identisch ist mit dem
Telische Verben werden oft als perfektive Verben bezeichnet. Das Doppelkreuz notiert Ausdrücke, die in der intendierten Lesart semantisch anomal sind.
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effizierten (d.h. existentiell veränderten) Patiens. Etwas treffender ist die Bezeichnung holistisches Thema, das im Zusammenhang mit lexikalischen Dubletten wie die Wand mit Farbe beschmieren vs. die Farbe an die Wand schmieren eingeführt wurde. Wie Dowty detailliert zeigt (1991: 587f.), ist das Akkusativargument dieser Verben ein sukzessiv affiziertes Patiens. Im Beispielpaar ist das die Wand bei beschmieren und die Farbe bei schmieren. Die holistische Lesart des Akkusativarguments folgt aus der telischen Lesart, die wiederum genau bei individuierten Akkusativargumenten entsteht. Man beachte, daß Wände mit Farbe beschmieren atelisch ist und somit nicht holistisch, d.h. die ganze Wand oder die ganze Farbe betreffend, interpretiert werden muß. Dadurch, daß Krifka und Dowty die hier diskutierte spezifische Eigenschaft eines sukzessiv affizierten Patiens als rollensemantische Eigenschaft ausweisen, wird eine Brücke zwischen Aspektkategorisierung und rollensemantischer Kategorisierung geschlagen. Die drei Patienseigenschaften (3c), (3d) und (3e) sind nach Dowtys Auffassung (1991: 574) die Konversen der Agenseigenschaften (lc), (ld) bzw. (le). Wenn ein Verb zum Beispiel kausale Affiziertheit für ein Argument selegiert, so muß es notwendigerweise ein anderes Argument als Verursacher haben. Das ist eine drastische Restriktion für die Anwendung dieser rollensemantischen Eigenschaften, die von Dowty nicht näher motiviert wird. Wir werden darauf im Abschnitt 2.8 zurückkommen. Für einige Teilmengen der Menge der Proto-Patienseigenschaften in (3) gibt es tradierte Namen. So wird holistisches Thema, Faktitiv und Patiens durch (3a) und (3b) charakterisiert. Der Name 'Thema' wird sehr uneinheitlich für verschiedene Teilmengen von Proto-Patienseigenschaften gebraucht. Ein großer Vorzug des Prototypenbegriffs ist, daß er Kategorienüberlappung zuläßt. Und tatsächlich gibt es Argumente, deren semantische Rolle sowohl Agenseigenschaften als auch Patienseigenschaften vereinigt. Dowtys Modell erlaubt die Behandlung solcher Rollen auf einer Repräsentationsebene, während andere Ansätze dafür entweder zwei rollensemantische Repräsentationsebenen brauchen oder einem Argument zwei verschiedene semantische Rollen zuweisen müssen. Solche Fälle illustriert Dowty (1991: 570f., 579) in (9): (9)
(a) (b)
Wahrnehmendes, kausal affiziertes Objekt: X surprises John, X strikes Mary as Ζ, X pleases Mary Aktives, sukzessiv affiziertes Subjekt: John entered the icy water very slowly. She crossed the desert in a week.
Wie Dowty korrekt bemerkt, denotiert in (9b) nicht nur das Objekt, sondern auch das Subjekt eine sukzessiv affizierte Entität. Dowtys Modell kann auch absolut symmetrische Prädikate erfassen, die zwei Argumenten dieselbe Menge von rollensemantischen Eigenschaften zuordnen. (10) illustriert solche Fälle (Dowty 1991: 556): (10)
This is similar/equal to that. This is near that. This resembles that. This weighs as much as that.
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Dowty motiviert seine Rollenkonzeption in erster Linie durch die Selektion der grammatischen Relation für ein Argument in Abhängigkeit von seinen rollensemantischen Grundrelationen. Dowty schlägt das Argumentselektionsprinzip in (11) vor, das wie angegeben zwei Korollare hat (1991: 576): (11)
Argument Selection Principle: In predicates with grammatical subject and [direct] object, the argument for which the predicate entails the greatest number of Proto-Agent properties will be lexicalized as the subject of the predicate; the argument having the greatest number of Proto-Patient entailments will be lexicalized as the direct object. Corollary I: If two arguments of a relation have (approximately) equal numbers of entailed Proto-Agent and Proto-Patient properties, then either or both may be lexicalized as the subject (and similarly for objects). Corollary II: With a three-place predicate, the nonsubject argument having the greater number of entailed Proto-Patient properties will be lexicalized as the direct object and the nonsubject argument having fewer entailed Proto-Patient properties will be lexicalized as an oblique or prepositional object (and if two nonsubject arguments have approximately equal number of entailed Proto-Patient properties, either or both may be lexicalized as direct object).
Die in eckigen Klammern hinzugefügte Einschränkung auf direkte Objekte geht auf Dowtys Nachtrag zurück (Fn. 17, S. 576). Damit wird die Vorhersage des Prinzips auf Verben mit Subjekt und direktem Objekt beschränkt, eine Einschränkung die nicht gerechtfertigt ist, wie wir weiter unten im Abschnitt 3 sehen werden. Dowty behandelt dieses Prinzip nicht als Derivationsprinzip, das verschiedene Ebenen der Repräsentation verbinden soll. Vielmehr soll es als Beschränkung über die möglichen Verblexeme einer Sprache dienen. Es ist auch evident, daß ein solches Prinzip keine allzu enge Relation zwischen syntaktischen Einheiten und semantischen Rollen postuliert. Das Argumentselektionsprinzip sagt voraus, daß Verben wie bauen, schreiben, ermorden, essen, waschen in ihrer wörtlichen Bedeutung die stabilste Argumentkodierung aufweisen. Das erfaßt die vielfach getroffene Beobachtung, daß für Belange der Argumentselektion solche Verben als primär transitiv (vgl. Andrews 1985) bzw. als prototypisch ('hoch') transitive Verben einzustufen sind (vgl. Hopper/Thompson 1980). Im Gegensatz dazu sind Experiencer-StimulusVerben weniger konstant in ihrer Argumentkodierung, sowohl innerhalb einer Sprache als auch im Sprachvergleich. Dies zeigt Dowty (1991: 579) an den englischen Beispielen in (12), die ich durch deutsche Beispiele in (13) ergänzt habe. (12)
Experiencer (jc) als Subjekt χ likes y χ fears y χ regards y as Ρ χ is surprised at y χ is disturbed at y
Stimulus (y) als Subjekt y pleases χ y frightens χ y strikes xas Ρ y surprises χ y disturbs χ
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Experiencer (x) im Nominativ Stimulus (y) im Nominativ χ mag y y gefällt χ χ fürchtet y y erschreckt χ y erscheint χ + Adjektiv χ findet y + Adjektiv y fällt χ als Ρ auf χ betrachtet y als Ρ
Dowty kann auch den systematischen Kontrast, der möglicherweise bei solchen Alternanten entsteht, erklären. So macht er für das Englische glaubhaft, daß die Subjektexperiencer in (12) in der linken Spalte keine Patienseigenschaften und die Objektstimuli keine Agenseigenschaften aufweisen. In der rechten Spalte hingegen trifft man auf Objektexperiencer, die durch eine inchoative Interpretation des Verbs eine Zustandsveränderung erfahren und auf Subjektstimuli, die als Verursacher interpretiert werden können. Die Alternation kann man im Modell von Dowty somit als semantisch motiviert betrachten. Man beachte, daß den deutschen Alternanten in (13) mit Ausnahme von χ fürchtet y/y erschreckt χ diese semantische Motivation fehlt. Semantisch motiviert ist auch die weiter oben besprochene Alternation im Falle von die Wand mit Farbe beschmieren vs. die Farbe auf die Wand schmieren. Beide Argumente haben Patienseigenschaften, allerdings wird jeweils das sukzessiv affizierte Patiens, wie durch (11) vorhergesagt, als Akkusativobjekt kodiert, während das rollensemantisch unterspezifizierte Patiens als obliques Argument kodiert wird. Andere Kodierungsalternationen, die Dowty vorhersagt, betreffen affirmative und negative Besitzverben (vgl. ich habe etwas/mir gehört etwas; ich brauche etwas/mir fehlt etwas) oder symmetrische Prädikate wie in (10). Dowty bespricht auch andere interessante Fälle, die die prinzipiellen Vorteile seiner Rollenkonzeption und seines Argumentselektionsprinzips belegen (vgl. 1991: 583f.). Sie werden hier aus Platzmangel nicht näher besprochen. Dowty formuliert sein Argumentselektionsprinzip zwar nicht explizit als statistische Aussage, die nur für unmarkierte Lexikalisierungen gelten soll, aber intendiert es als solche. Er bespricht markierte Lexikalisierungen wie erhalten, bekommen, kriegen, engl, undergo, sowie die Lexikalisierung der primär transitiven Verben in ergativen Sprachen (1991: 581). Für ergative Sprachen zieht er eine Umkehrung der Werte des Argumentselektionsprinzips in Erwägung. In ergativen Sprachen wird ein Argument eines transitiven Verbs um so eher als "Subjekt" in Ergativsprachen (= Absolutivargument) kodiert, je mehr Proto-Patienseigenschaften es aufweist, und dementsprechend wird ein Argument eines transitiven Verbs um so eher als "Objekt" in Ergativsprachen (= Ergativargument) kodiert, je mehr Proto-Agenseigenschaften es ausweist. Das Problem ist, daß die Begriffe 'Subjekt' und 'Objekt' auf Ergativsprachen nicht anwendbar sind (vgl. Van Valin 1977, Sasse 1978, Dixon 1979) und deswegen habe ich die üblichen Kasusbezeichnungen in Klammern hinzugefügt. Ein alternativer Vorschlag, der sowohl für Nominativsprachen als auch für Ergativsprachen ohne grammatische Relationen auskommt, wird weiter unten im Abschnitt 3 (vgl. (39)) präsentiert.
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2. Eine Weiterentwicklung des Ansatzes von Dowty Die obigen Ausführungen machen deutlich, daß es sich bei Dowtys Vorschlag um eine sehr flexible, aber dennoch leistungsstarke Rollenkonzeption handelt. Trotzdem ist der Ansatz in einigen Punkten verbesserungsbedürftig. Die Probleme werden hier zunächst aufgelistet und dann in den folgenden Abschnitten einem Verbesserungsvorschlag unterworfen: (i) die Wahl oder die Interpretation einiger Eigenschaften ist nicht überzeugend (z.B. (unabhängig existent, stationär); (ii) die Proto-Rollen werden bloß durch Aufzählung rollensemantischer Eigenschaften definiert, was den explanativen Wert des Modells mindert; (iii) semantische Zusammenhänge, die zwischen den rollensemantischen Eigenschaften im unmarkierten Fall oder notwendigerweise gelten, werden nicht erwähnt oder nur am Rande vermerkt; (iii) das Argumentselektionsprinzip nimmt auf grammatische Relationen Bezug; (iv) das Argumentselektionsprinzip macht für intransitive Verben keine Vorhersagen.
2.1. Kontrolle, Intention, Volitionalität Bei der Präzisierung der rollensemantischen Eigenschaften muß man zunächst einige Vorkehrungen treffen, um eventuelle Mißverständnisse zu vermeiden. In der Semantik sowie auch in anderen Teiltheorien der Linguistik ist es nützlich, von idealen Sprachbenutzern auszugehen. Für die folgenden Ausführungen bedeutet das, daß sie nur für rational denkende und handelnde Sprachbenutzer und nur in der wörtlichen, normalsprachlichen (z.B. nicht-literarischen) Lesart der beschriebenen Konzepte und Beispiele gelten. Auf die Notwendigkeit der ersten Idealisierung haben zum Beispiel Stegmüller (1983) und Meggle (1977) aufmerksam gemacht. Viele der folgenden Beobachtungen verdanken wir philosophischen Handlungstheorien, im Rahmen derer der Agensbegriff für die Bestimmung des Handlungskonzepts eine wichtige Rolle spielt. Sie haben für uns den Vorteil, daß sie nicht im Hinblick auf die Erfassung grammatischer Phänomene mittels semantischer Rollen erarbeitet wurden und somit als unabhängige Evidenz für die hier vorgeschlagenen semantischen Analysen besonders wertvoll sind. Wir beginnen unsere Diskussion mit dem Volitionalitätsbegriff, d.h. mit der rollensemantischen Eigenschaft, die Dowty in (la) einführt. Die Relevanz dieser Eigenschaft für den Agensbegriff braucht hier nicht hervorgehoben zu werden. Es gibt meines Wissens keine Charakterisierung des Agensbegriffs, die nicht auf Volitionalität oder auf einen verwandten Begriff rekurriert. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Volitionalität die beste Wahl unter den verwandten Begriffen darstellt. Ein Grund, Volitionalität für die Definition des Agensbegriffs nicht zu verwenden, ist die Tatsache, daß der Terminus ambig bzw. vage ist. Er erlaubt sowohl die Intentionslesart (z.B. ich will jetzt gehen) als auch eine Interpretation, die man in etwa mit 'würde gerne' paraphrasieren könnte und die ohne Intentionskomponente verwendet werden kann (z.B. ich will viel Geld haben). Diese Vagheit bzw. Ambiguität des Begriffs hat in der linguistischen Forschung zu Mißverständnissen geführt. So bemerkt Mithun (1991), daß Engl, to be on a lucky
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streak eine volitionale Situation beschreibt, was nicht der hier intendierten, agensspezifischen Interpretation des Volitionalitätsbegriffs entspricht. Termini wie Intention oder Kontrolle (z.B. Dik 1978) sind etwas geeigneter. Dem Kontrollbegriff kann man den Vorzug geben, weil er in einem hier nützlichen Sinn umfassender ist als der Intentionsbegriff. Eine Täterschaft umfaßt auf der mental-psychischen Seite weit mehr als die Intention zur Handlung. Dazu gehören u.a. Entscheidungen, Fähigkeiten, Anstrengungen und Verantwortung von Seiten des Handelnden (vgl. z.B. Rayfield 1977: 787f.). Eines der charakteristischen Merkmale eines Handelnden ist zum Beispiel seine Fähigkeit, die Handlung selbständig einzuleiten oder abzubrechen sowie die Fähigkeit sie selbständig durchzuführen (vgl. Thalberg 1972: 51). Dowtys Formulierung 'x intends this to be the kind of action denoted by the verb' (1991: 552) sowie die Formulierung in (la) ist ungenau bezüglich des Objekts der Intention. Die Präsenz oder Absenz der Intention von Seiten des Handelnden hängt nicht nur vom Verblexem ab {ermorden vs. töten), sondern auch von anderen Partizipanten und begleitenden Umständen (zusammenrechnen vs. falsch zusammenrechnen), vgl. auch Mittelstraß (1984: 33). Ungenauigkeiten bei der Bestimmung des Handlungstyps und somit bei der Formulierung des Objekts der Intention findet man auch bei namhaften Handlungstheoretikern, so z.B. in Davidsons Bemerkungen über Intention (1977: 284): "dieses Merkmal ist nicht brauchbar, denn obwohl das Vorliegen einer Absicht ein Handeln impliziert, gilt das Umgekehrte nicht.... Wenn ich z.B. absichtlich den Inhalt meiner Tasse verschütte und dabei fälschlicherweise glaube, es sei Tee, es in Wirklichkeit aber Kaffee ist, dann ist das Verschütten des Kaffees eine Handlung von mir, obwohl ich es nicht absichtlich tue". Davidsons Ungenauigkeit entsteht durch die Vernachlässigung des Handlungsobjekts Kaffee vs. Tee. Genauer betrachtet intendiert der Handelnde in seinem Beispiel den Vorgang, Tee auszuschütten. M.a.W. ist Tee-Ausschütten das Objekt der Intention. Dieses führt er nicht aus. Stattdessen schüttet er Kaffee aus. Dieser Vorgang deckt sich jedoch nicht mit dem Objekt der Intention und kann somit nicht als die Handlung des Partizipanten in der illustrierten Situation aufgefaßt werden. Der Fehler von Davidson liegt bei genauerer Betrachtung darin, daß er bei der Analyse der Handlungsintention das Handlungsobjekt (Tee) mitberücksichtigt, bei der Analyse des tatsächlich durchgeführten Vorgangs nicht (für Davidson ist die durchgeführte Handlung lediglich Ausschütten). Ähnlich ungenau verfährt er bei der Analyse von Vorgängen des Mißlingens, wie falsch zusammenrechnen, mißverstehen, sich verschätzen. Nach Davidson handelt es sich beim Falsch-Zusammenrechnen zum Beispiel um eine Handlung, weil der Partizipant seiner Auffassung nach Zusammenrechnen intendiert. Thalberg (1972: 69f.) kritisiert dieses Ergebnis von Davidson, ohne jedoch die Fehlerursache genau zu lokalisieren. Sie liegt in Davidsons Beispiel darin, daß der Vorgangssubtyp 'falsch zusammenrechnen' mit dem Vorgangstyp 'zusammenrechnen' nicht identisch ist. Intendiert wird im Beispiel 'zusammenrechnen', durchgeführt wird 'falsch zusammenrechnen'. Da sich das Objekt der Intention auch in diesem Beispiel von Davidson nicht mit dem tatsächlich durchgeführten Vorgang deckt, handelt es sich bei falsch zusammenrechnen nicht um eine Handlung. Thalberg (op. cit.) bemerkt zutreffend, daß ein Mißlingen im allgemeinen nicht-intentional ist (unter der eingangs getroffenen Idealisierung, daß der vorliegende Ansatz für rational Handelnde konzipiert ist). Dieses letzte Beispiel zeigt, daß nicht nur Handlungsobjekte, sondern auch begleitende
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Umstände wie 'falsch' oder 'beinahe' relevant sind für die (Sub)kategorisierung einer Handlung. Das zeigt deutlich, daß man sich bei der Angabe der semantischen Relation der Kontrolle nicht auf die Semantik des Verblexems beschränken darf.
2.2. Kausalität Das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung, Antworten auf Warum-Fragen und andere kausale Begriffe und Relationen werden für recht unterschiedliche Zwecke in vielen wissenschaftlichen Disziplinen verwendet. Dementsprechend heterogen ist die Begriffsbestimmung für Kausalität. Für unsere Zwecke relevant ist der sprachliche Begriff, der in die Semantik kausaler Verben wie verursachen, hervorbringen, hervorrufen, zu etwas führen u.a. eingeht und der für den Agensbegriff nach Auffassung Dowtys und anderer Linguisten eine Rolle spielt. Im nächsten Abschnitt werden auch einige Ergebnisse analytisch-philosophischer Handlungstheorien diskutiert, die sich ebenfalls mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Agentivität und Kausalität beschäftigt haben. Um die in der analytischen Philosophie mehrheitlich vertretene Kritik gegen die Verwendung des Kausalbegriffs bei der Präzisierung des Agensbegriffs beurteilen zu können, ist ein Exkurs über den in der analytischen Philosophie mehrheitlich verwendeten Kausalbegriff nötig. In der analytischen Philosophie ist es üblich, Kausalbegriffe mit Hilfe von Bedingungsrelationen zu rekonstruieren (z.B. Stegmüller 1983: 506f., von Wright 1974:45f.). Als erste Annäherung für einen allgemeinen, theoretisch bereinigten Ursachenbegriff schlägt Stegmüller (1983: 506) folgendes vor: "Als Ursachen eines Ereignisses müßten sämtliche relevanten Bedingungen eines Ereignisses angesehen werden". Dabei müssen notwendige und hinreichende Bedingungen unterschieden werden. Für unsere Zwecke ist folgende Bestimmung von Wright (1974: 45) eine gute Annäherung: Eine Situation (Ereignis, Zustand) ρ ist eine hinreichende Bedingung für q gdw. immer wenn p, dann auch q vorliegt. Die Situation ρ ist eine notwendige Bedingung für q, gdw. immer wenn q, dann auch ρ vorliegt. Der Kausalbegriff, der in Handlungstheorien herangezogen wird, ist von David Hume geprägt worden. Nach dieser Auffasung 5 ist die Kausalrelation eine Relation zwischen zwei Ereignissen, so daß aus empirischen Gesetzen folgt, daß das eine Ereignis eine hinreichende Bedingung für das andere Ereignis ist. Vgl. folgende Bestimmung in Mittelstraß (1984: 376):
David Hume hat auch eine andere 'kontrafaktische' Variante eingeführt (vgl. Lewis 1981), die im folgenden nicht näher diskutiert wird, weil sie in den hier diskutierten handlungstheoretischen Ansätzen, die sich mit dem Problem der Agens-Kausalität auseinandersetzen, nicht herangezogen wurde.
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Bezeichnet man mit C bzw. E die Proposition, daß das Ereignis c bzw. e geschieht6, so ergibt sich folgende logische Präzisierung: Ereignis c verursacht Ereignis e genau dann, wenn (a) C und E wahr sind, (b) für eine nicht-leere Menge G von Gesetzen und eine Menge S von wahren singularen Aussagen gilt: G u S 1= C E, GuSI/E, S I* G E. Nach dieser Auffassung hat eine Kausalrelation mindestens folgende wesentliche Merkmale: die Ursache ist eine hinreichende Bedingung für die Wirkung, wobei dies aus Gesetzesaussagen und wahren singularen Aussagen folgt. Umstritten ist die Frage, ob zwischen dem Ursache-Ereignis und dem Wirkungs-Ereignis eine temporale Sukzessivität anzunehmen ist. Da diese Frage für unsere Diskussion nicht unmittelbar relevant ist, wird sie hier nicht weiter verfolgt. (14)
Die sprachliche Kausalrelation, so wie sie z.B. durch das Verb verursachen oder durch die Konjunktion weil ausgedrückt wird, ist gegenüber dem analytisch-philosophischen Begriff Humescher Prägung in mehreren Hinsichten vage, d.h. unspezifiziert. Dieser Unterschied erklärt auch die Bedenken der Philosophen, den Kausalbegriff Humescher Prägung für die Bestimmung des Handlungsbegriffs und somit des Handelnden heranzuziehen. Man kann auch leicht nachweisen, daß der Kausalbegriff Humescher Prägung für die Rekonstruktion der natursprachlichen Kausalausdrücke wenig nützlich ist.7 Zum ersten sind natursprachliche Kausalausdrücke bezüglich der Unterscheidung zwischen hinreichender und notwendiger Bedingung vage. Welche Bedingungsart vorliegt, wird durch den Verwendungskontext determiniert. Die folgenden Beispiele aus Stegmüller (1983: 508f.) illustrieren eine notwendige Bedingung, vgl. (15a), und eine hinreichende Bedingung, vgl. (15b). (15)
(a) Diese gefährliche Krankheit wird durch Viren verursacht, (b) Der Brand wurde durch einen Kurzschluß verursacht.
(15b) enthält eine hinreichende Bedingung bei Vorliegen aller relevanten notwendigen Bedingungen wie z.B. genügend Sauerstoff in der Luft u.a. Wie Stegmüller (1983: 510) bemerkt, beruht die Redeweise von "A ist Ursache von E" auch in der Wissenschaftstheorie auf einer Idealisierung: "A muß die Totalität aller Bedingungen bilden, die zusammen mit geeigneten Gesetzen für einen logischen Schluß auf E hinreichend sind. In fast keinem der Fälle, wo der Alltagsmensch oder auch Fachleute von dgr Ursache sprechen, ist diese ideale Voraussetzung erfüllt" (vgl. auch Davidson 1967).
Dieser Umweg über die Proposition 'das Ereignis c geschieht' ist wichtig, weil Ereignisse keine Propositionen sind und somit nicht als wahr/falsch gelten. Ereignisse können somit auch nicht mit aussagenlogischen Junktoren verbunden werden. Jedem Ereignis e kann allerdings eine Proposition, daß e geschieht, zugeordnet werden. Vgl. Lewis (1981: 112). Darauf weist schon Dowty hin (1972: 126), ohne jedoch den Unterschied anzugeben.
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Zum zweiten sind natursprachliche Kausalausdrücke bezüglich der Stärke der Gesetzesannahme vage. Die Beipiele in (15) lassen eine Interpretation im Sinne der Bedingung in (14b) zu, nicht jedoch Beispiel (16) aus Stegmüller (1983: 516): ( 16)
Der Wutanfall von Herrn X wurde dadurch verursacht, daß er beim Kartenspiel verlor.
Die in (16) ausgedrückte Kausalrelation gilt, auch wenn sie nicht aus einem entsprechenden regulären Verhalten von Herrn X oder von Kartenspielern im allgemeinen abgeleitet werden kann. Man beachte, daß auch Dowtys Beispiel (2c) ähnlich gelagert ist, was darauf schließen läßt, daß Dowty den natursprachlichen Begriff und nicht den philosophischen Begriff Humescher Prägung für die Agensbestimmung herangezogen hat (vgl. explizit in Dowty 1972: 126). Diese Vorgehensweise ist berechtigt, weil der Agensbegriff als natursprachlicher Begriff untersucht werden soll. Zum dritten ist der natursprachliche Kausalbegriff bezüglich der Art der zugrundeliegenden Gesetze vage und somit verschieden vom Kausalbegriff Humescher Prägung. In der analytischen Philosophie wird die Relation zwischen Ursache und Wirkung von der Relation der Folgerung strikt unterschieden. Die erste Relation hat es mit Tatsachen zu tun und ist empirisch, die zweite Relation ist begrifflich und logisch (von Wright 1974: 42, Mittelstraß 1984: 373f., Spaemann 1989: 161 f.). Die in diesem Sinn stärkste Hypothese ist, daß zwischen Ursache und Wirkung keine begrifflich-logische Beziehung bestehen darf (vgl. von Wright 1974: 91, Davidson 1977: 295f., Thalberg 1972: 41, 50). Diese polarisierende Annahme wird von Stegmüller (1983) auch für die Belange der Wissenschaftstheorie für unhaltbar erachtet. Das Beispiel (17) von Thalberg (1972: 46) zeigt deutlich, daß die Konjunktion weil einen begrifflichen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zuläßt: χ wurde gewählt steht in einem sehr engen begrifflichen Zusammenhang zu mehr Leute stimmten für χ als für andere Kandidaten: ( 17)
Mike wurde gewählt, weil mehr Leute für ihn stimmten als für die anderen Kandidaten.
Ein weniger gravierender Unterschied zwischen dem natursprachlichen Kausalausdruck verursachen und der oben diskutierten analytisch philosophischen Kausalrelation ist, daß der natursprachliche Ausdruck nicht nur für Ereignissausdrücke subkategorisiert ist. Gerade an der Subjektstelle, die die Ursache verbalisiert, kann verursachen Individúenteme nehmen (Hans verursachte einen Verkehrschaos). Zusammenfassend kann man festhalten, daß der natursprachliche Kausalbegriff mit dem Kausalbegriff Humescher Prägung einiges gemeinsam hat: zwischen Ursache und Wirkung besteht eine Bedingungsrelation, wobei dies im Normalfall aus gesetzesähnlichen Annahmen 'folgt'. Im Unterschied zum Begriff Humescher Prägung ist der natursprachliche Begriff bezüglich einer hinreichenden oder notwendigen Bedingung und der Art und Stärke der Gesetzesannahmen nicht spezifiziert.
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2.3. Das Verhältnis zwischen Kontrolle und Kausalität Nun soll der Frage nachgegangen werden, ob die Intention eines Partizipanten, ein Geschehen auszuführen, als allererste Ursache für dieses Geschehen aufzufassen sei. Die meisten linguistischen Ansätze setzen den intentional Agierenden zugleich als Verursacher der Handlung bzw. mancher Aspekte der Handlung an. Auf die enge Beziehung zwischen Intention und Verursachen deutet schon Filimores Umschreibung für das Agens als "charakteristischerweise belebten verantwortlichen Urheber der Tätigkeit oder Handlung 8 , die vom Verb beschrieben wird" (1968, dt. 1971: 34). Auch Dowty (1972, 1991) geht davon aus, daß der Partizipant, der das vom Verb denotierte Geschehen intendiert, einen Aspekt dieses Geschehens verursachen kann. Das verdeutlichen folgende Bemerkungen (1991:552) "For example, consider the subject argument of the two-place predicates χ murders y, χ nominates y and χ interrogates y: entailments they all share include that χ does a volitional act, that χ moreover intends this to be the kind of act namend by the verb, that χ causes some event to take place involving y (y dies, y acquires a nomination, y answers questions - or at least hears them)." Weder Fillmore noch Dowty diskutieren die begriffliche Beziehung zwischen Intention und Kausalität und das liegt sicherlich auch daran, daß sie nicht versucht haben, den Begriff des Verantwortlichen bzw. des volitionalen Partizipanten zu präzisieren. Ganz anders verhält es sich in philosophischen Handlungstheorien, die auf der Suche nach einer Begriffsbestimmung für die Intention eines Partizipanten, ein Ereignis zu vollziehen, auf den Kausalbegriff stoßen. Stellvertretend für diesen Standpunkt sollen folgende Bemerkungen von Chisholm (1977: 359) dienen: "Wir dürfen nicht sagen, daß jedes in einem Akt involvierte Ereignis durch ein anderes Ereignis verursacht ist, und wir dürfen nicht sagen, daß die Handlung etwas ist, was überhaupt nicht verursacht ist. Was bleibt, ist daher folgende Möglichkeit: Wir sollten sagen, daß mindestens eines der in die Handlung involvierten Ereignisse nicht durch irgendwelche Ereignisse, sondern statt dessen durch etwas Anderes verursacht wurde. Und dieses Andere kann nur der Handelnde sein". Die Richtigkeit der Annahme einer Agens-Kausalität hängt vom verwendeten Kausalbegriff ab. Wie schon im Abschnitt 2.2 dargestellt, wurde der philosophische Kausalbegriff entscheidend von David Humes Auffassung geprägt. Danach hat eine Kausalrelation mindestens folgende Merkmale: zwischen Ursache und Wirkung besteht kein begrifflich-logischer Zusammenhang und die Ursache ist eine hinreichende Bedingung für die Wirkung, wobei dies aus empirischen (d.h. nicht logisch-begrifflichen) Gesetzen und wahren singularen Aussagen folgt. Die Mehrheitsmeinung neuerer handlungstheoretischer Ansätze ist, daß das Agens nicht als Verursacher eines begrifflichen Aspekts der Handlung aufgefaßt werden kann, wenn man dabei vom Kausalbegriff Humescher Prägung ausgeht. Die griffigsten Einwände betreffen die Tatsache, daß jeder Aspekt, den man sinnvollerweise als agentivische Ursache, und jeder Aspekt, den man sinnvollerweise als die Wirkung des Agens betrachten kann, logisch-begrifflich miteinander verknüpft sind (vgl. von Wright 1974: 83f„ Davidson 1977: 293f„ Thalberg 1972: 42f.).
An dieser Stelle von Handlung zu sprechen, ist zirkulär, da der Handlungsbegriff durch den Agensbegriff definiert wird (vgl. Bemerkungen zu den Handlungstheorien im Abschnitt 2.1).
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Nehmen wir zum ersten das Verhältnis zwischen Agens und Ergebnis der Handlung, das nach Dowtys weiter oben zitierten Auffassung kausal sei. Nach Dowty verursacht bei Verben wie y ermorden, y nominieren und y befragen die Entität, die die Handlung intendiert, zugleich das Ergebnis der Handlung, nämlich daß y stirbt, y nominiert ist und y befragt ist. Nun unterscheidet man in philosophischen Handlungstheorien bei Handlungszielen solche, die begrifflich-logisch (d.h. semantisch) mit der Handlung verknüpft sind, und solche, die durch eine empirische, im Humeschen Sinn kausale Relation mit der Handlung verbunden sind (Mittelstraß 1984: 33, von Wright 1974: 69, 1979: 50f). Es ist klar, daß die von Dowty illustrierten Wirkungen von der begrifflichen Art und somit im Humeschen Sinn nicht kausal sind (vgl. Davidson 1977: 293f., von Wright 1974: 70, 1979: 50f„ Thalberg 1972: 50). Von Wright (1974: 87) geht davon aus, daß das, was die Phasen einer Handlung verbindet, nicht eine kausale Relation im Humeschen Sinn sei, sondern die Subsumption unter die gleiche Intention. Der Einwand der logisch-begrifflichen Verknüpfung betrifft natürlich erst recht die Annahme, daß das Agens die Handlung selbst und somit auch alle mit ihr begrifflich verbundenden Teilsapekte verursacht. Diese Einwände wurden zum Teil schon im Rahmen handlungstheoretischer Ansätze entschärft. Vielversprechend für den Linguisten sind die Vorschläge Chisholms, Thalbergs und von Wrights. So unterscheidet Chisholm (1977: 360) zwei Kausalbegriffe. Den einen Begriff nennt er "transeunte Verursachung" und reserviert ihn für Kausalrelationen Humescher Prägung. Den anderen Begriff nennt er "immanente Verursachung" und reserviert ihn für die hier zur Diskussion stehende Verursachung (eines Aspekts) der Handlung durch die handelnde Person. Thalberg (1972: 73f.) spricht von "essentieller Bedingung" im Zusammenhang mit der Rekonstruktion der Agens-Kausalität. Auch von Wright (1974: 114f.) präzisiert seine Definition von Handlung auf der Basis der Intention des fraglichen Partizipanten mittels eines spezifischen Kausalbegriffs, den er "teleologische Erklärung" nennt. Als Merkmale, die diesen Kausalbegriff vom Humeschen Begriff trennen, nennt von Wright (1974: 83) die Tatsache, daß die Gültigkeit einer teleologischen Erklärung nicht von der Gültigkeit der in ihr involvierten Gesetzesannahmen abhängt und daß sie normalerweise eine notwendige Bedingung der Wirkung angibt. Es geht von Wright, etwas präziser ausgedrückt, um die Rekonstruktion des 'Folgerungs'begriffs in der folgenden Aussage, die als Grundlage der Definition des Handlungsbegriffs (und somit auch des Agensbegriffs) dienen soll (1974: 114f.): Aus χ beabsichtigt, Ρ zu tun, 'folgt', daß * Ρ tut. Diesen Folgerungsbegriff rekonstruiert von Wright als "teleologischen" Kausalbegriff. Ohne auf die technischen Details der Ansätze von Wrights oder Chisholms einzugehen, genügt es festzuhalten, daß beide Autoren einen Kausalbegriff in die Definition des Intentionsbegriffs aufnehmen. Wichtig ist auch, daß der verwendete Kausalbegriff dem natursprachlichen Begriff näher steht als dem Kausalbegriff Humescher Prägung (vgl. Abschnitt 2.2). Man kann zusammenfassend festhalten, daß die Begriffe der Handlung, des Agens und der Intention in handlungstheoretischen Ansätzen mit Hilfe von Kausalbegriffen präzisiert werden. Für unsere Zwecke reicht die Annahme, daß aus der Tatsache, daß ein Partizipant ein Geschehen intendiert, folgt, daß er mindestens einen Aspekt dieses Geschehens verursacht, vgl. (18). Insoweit brauchen wir keinen spezifischeren, agenstypischen Kausalbegriff. Der in 2.2 illustrierte allgemeine natursprachliche Kausalbegriff reicht für (18) aus. Die Umkehrung der
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Folgerungsbeziehung gilt natürlich nicht, wie die Bedeutung der Verben verursachen und herbeiführen, die keinen belebten kontrollierenden ersten Partizipanten fordern, zeigen. (18)
χ kontrolliert P[x] —» χ verursacht P[x].
Der Ausdruck 'P' repräsentiert nicht nur den Prädikatsausdruck, sondern auch alle Partizipanten dieses Prädikatsausdrucks sowie alle Modifikatoren, die rollensemantisch relevant sind. Dies wurde im Abschnitt 2.1 weiter oben im Zusammenhang mit dem Intentionsbegriff begründet, χ ist die rollensemantische Repräsentation eines Partizipanten von P[x], wobei P[x] anzeigt, daß χ in Ρ enthalten sein muß. 'x kontrolliert P[x]' ist nicht als logisch-semantische Repräsentation eines Satzes, in welchem ein Agens vorkommt, oder als Teil einer dekompositionalen Verbanalyse zu interpretieren. Der Ausdruck dient lediglich der Veranschaulichung der Tatsache, daß eine semantische Grundrelation wie 'kontrolliert' wie üblich als Relation zwischen einem Partizipanten χ und dem Sachverhalt ist, an dem χ partizipiert, 'x kontrolliert P[x]' ist somit eine Aussage, die eine semantische Grundrelation enthält. Sie kann, aber muß nicht als Implikation einer Aussage, die als Verbbedeutungsrepräsentation dient, im Sinne Dowtys interpretiert werden. Sie wird von jeder Aussage impliziert, die einen Sachverhalt denotiert, an dem ein Agens beteiligt ist. In einigen Sprachen, darunter das Batsische, determiniert 'x kontrolliert P[x]' als konversationeile Implikatur in einigen Fällen den Kasus des Arguments, den χ rollensemantisch repräsentiert (vgl. (23) weiter unten). Die Verursacherrelation in (18) gilt ebenfalls für den gesamten Sachverhalt P[x]. Dowty faßt sie enger. Ich erinnere daran, daß (lc) weiter oben eine Zustandsveränderung bei einem anderen Partizipanten im Nachberreich der Verursacherrelation formuliert. Auch bei Dowtys Analyse von χ murders/nominates/interrogates y wird dies deutlich (1991: 552): "λ1 causes some event to take place involving y (y dies, y acquires a nomination, y answers questions - or at least hears them)". Dowty motiviert seine Einschränkung in der Arbeit von 1991 nicht, sie findet sich aber schon in seiner Dissertation (1972: 12 lf.). Hier bezieht er sich explizit auf von Wrights Ansatz (1979). Von Wright beobachtet (1979: 52), daß es einen Unterschied gibt zwischen volitionalen Ereignissen, die einen Vollzug implizieren wie ein Fenster schließen oder jemanden töten, und Prozessen, die bei intransitiver Verwendung der entsprechenden Verblexeme keinen Vollzug implizieren wie rauchen, laufen oder lesen. Erstere nennt er Akte bzw. Handlungen und beschränkt die agenstypische Kausation auf diese; letztere nennt er Aktivitäten bzw. Tätigkeiten. Von Wright ist sicherlich zuzustimmen, daß diese Unterscheidung wichtig ist. Allerdings ist sie nicht für den Agens- und Kausalbegriff relevant, sondern für die Aspektkategorien telisch vs. atelisch, die wiederum mit unterschiedlichen Patienseigenschaften korrelieren, wie die Bemerkungen zum sukzessiv affizierten Patiens im Abschnitt 1 dieser Arbeit klarstellen. Die Diskussion in diesem Abschnitt hat ergeben, daß Kausalität im hier relevanten Sinn ein notwendiger Bestandteil des Kontroll- bzw. Intentionsbegriffs ist und daß sie alle Handlungsverben unabhängig von ihrer Valenz und Aktionsart charakterisiert.
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Es ist sicherlich nötig, auf der begrifflichen Ebene mehrere Arten der Wahrnehmung zu unterscheiden. Die wichtigsten sind perzeptuell-sensorische Wahrnehmung und Bewußtheit, die wiederum verschiedene Aspekte und Grade der Bewußtheit und des Wissens subsumieren. Es ist möglich, daß diese Unterschiede für die Grammatik und insbesondere für die syntaktische Kodierung der Argumente mancher Sprachen relevant sind. Für die empirischen Untersuchungen der vorliegenden Arbeit haben sie sich jedoch als nicht unmittelbar relevant erwiesen und werden deshalb im folgenden vernachlässigt. In seinem Bemühen, die Autonomie der semantischen Eigenschaften, die er für die Bestimmung der zwei Proto-Rollen heranzieht, hervorzuheben, notiert Dowty offensichtliche Zusammenhänge zwischen semantischen Eigenschaften nur am Rand. So stellt er im Zusammenhang mit einer bestimmten Klasse von intransitiven Verben folgendes fest: "volition necessarilly involves sentience" (1991: 607). Unklar bleibt dabei natürlich, ob das eine allgemeine Aussage ist oder ob sie auf eine bestimmte Klasse von intransitiven Verben einzuschränken ist, die Dowty im Zusammenhang mit dieser Aussage diskutiert. Expliziter äußern sich darüber Handlungstheoretiker. In philosophischen Handlungstheorien betrachtet man die Wahrnehmung der Handlung durch den Handelnden als wesentliche Komponente des Begriffs der Handlung bzw. der Agentivität (vgl. Thalberg 1972: 186f„ Mittelstraß 1984: 34f„ Lenk 1989: 120). Stellvertretend für solche Ansätze und für die hier vertretene Implikationsbeziehung zwischen Kontrolle und Wahrnehmung in (19) soll Thalberg (1972: 66) zitiert werden "Normally, the episodes we count as a person's intentional actions, and hence as being under his control, are also events of which he is aware - often without observation ... A man may be ignorant of some details of what he is doing, but he must have an idea of what type of action he is performing; otherwise his action is not under his control". (19)
χ kontrolliert P[x] —» χ nimmt P[x] wahr.
Implikationsrelationen wie die in (18) und (19) widerlegen keineswegs die Annahme Dowtys, daß alle semantischen Grundrelationen, die unter den Proto-Agensbegriff fallen, relevant sind. Es handelt sich um unilaterale Implikationen, die weder Intentionalität bzw. Kontrolle noch Wahrnehmung überflüssig machen.
2.5. Aktivität ( B e w e g u n g ) Bewegung in Dowtys Sinn trifft auf jede Art von Aktivität von Seiten des fraglichen Partizipanten zu, also auch auf die ersten Argumente von interrogate oder nominate, was vielleicht geeigneter durch Termini wie Aktivität oder Dynamizität (vgl. Dik 1978) erfaßt wird. Probleme bei der Zuordnung dieser rollensemantischen Eigenschaft ergeben sich dadurch, daß der linguistische Begriff der Bewegung selbst ein Prototypenbegriff ist, der unscharfe Ränder hat. In den Begriffkern fällt die Positionsveränderung eines ganzen Körpers, die Verben wie springen, lau-
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fen und fallen denotieren. Solche Positionsveränderungen sind perzeptuell leicht als Bewegung zu erfassen. Je schwerer die Positionsveränderung perzipiert werden kann, um so schwieriger fallt die Einordnung des Verbdenotats unter Bewegung. Weniger gut erkennbar ist eine Bewegung beim Hinschauen oder Hinhören, so daß sich hier die Meinung der Linguisten über die Kategorisierung der Verben, die diese Situationen denotieren, als aktivisch oder statisch zu teilen beginnt. Ich erinnere daran, daß Dowty (1991: 552) look at als Verb analysiert, deren erster Partizipant sich bewegt bzw. äußerlich verändert. Erst recht problematisch sind Sitzen, Liegen oder Stehen, da die hier involvierten Muskelanspannungen kaum wahrnehmbar sind. Dementsprechend unterschiedlich fallt die Analyse der Verben, die solche Situationen denotieren, unter dem Gesichtspunkt der Bewegung in der Literatur aus. Talmy (1985: 573) und einige Handlungstheoretiker (von Wright 1979, Davidson 1977) zögern nicht, sie als Bewegungsereignisse einzustufen. Dowty (1991: 560) und Dik (1978: 32f.) hingegen stufen Verben wie lie, hang und lean als statisch ein. Es stellt sich weiterhin die Frage, ob Verben, die eine Zustandsveränderung suggerieren wie erröten, blaß werden, altern, sterben, verwelken in jeder Sprache zu den aktivischen Verben zu zählen sind. Die Veränderungs- bzw. Vorgangskomponente kann nämlich in der Verbbedeutung fehlen, so daß sich das Denotat auf den Resultatszustand beschränkt. So ist es durchaus plausibel anzunehmen, daß in einigen Sprachen sterben 'nicht mehr lebendig sein' und blaß werden bzw. erblassen 'immer blasser sein' bedeuten. Eine solche Analyse scheint insbesondere für Sprachen wie das Guarani an Plausibilität zu gewinnen, in denen Adjektivkonzepte als Verben kategorisiert werden. Einige Beispiele werden im Abschnitt 3 weiter unten diskutiert (vgl. zum Kategorisierungsproblem solcher Verben auch Levin/Rappaport Hovav 1992). Dadurch, daß Aktivität als rollensemantische Eigenschaft behandelt wird (vgl. schon Dik 1978), kann eine Brücke zur Aspekt- bzw. Aktionsartunterscheidung in statisch vs. dynamisch (bzw. aktivisch) geschlagen werden. Dynamische Verben kann man als Verben definieren, die die rollensemantische Eigenschaft der Aktivität einem Partizipanten zuweisen, statische Verben wären dementsprechend Verben, die keinem Partizipanten diese rollensemantische Eigenschaft zuordnen. Diese Auffassung erlaubt eine adäquatere Behandlung aktivischer Argumentkodierung. Wie wir im Abschnitt 3 sehen werden, sind in den meisten hier untersuchten aktivischen Sprachen alle agentivischen Eigenschaften und somit auch die Opposition statisch-aktivisch relevant. Wir können alle Faktoren als rollensemantisch ausweisen, diese Erkenntnis fehlt jedoch in den Beiträgen über aktivische Kodierung von Van Valin (1990) und Mithun (1991), wo statisch vs. aktivisch als Aspektkategorie aufgefaßt wird. Bei der Proto-Agenseigenschaft der Bewegung kann man Implikationsrelationen zu anderen Proto-Agenseigenschaften aufdecken, die bei Dowty unberücksichtigt geblieben sind. Die erste Implikation betrifft das Zusammenspiel von Kontrolle und Bewegung bzw. Aktivität. Schon Fillmore (1968), Gruber (1965) und Jackendoff (1976) notierten eine Beschränkung des Agens auf dynamische Verben. Auch in philosophischen Handlungstheorien betrachtet man eine Aktivität von seiten des kontrollierenden Partizipanten als wesentlichen Aspekt einer Handlung. So sprechen von Wright (1974: 85f.) und Rescher (1977: 6) von einem inneren und einem äußeren Aspekt einer Handlung. Der innere Aspekt umschreibt die Handlungsintention und die daran ge-
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koppelte Wahrnehmung der Handlung durch den Handelnden. Die äußere Komponente bezieht sich auf die hier diskutierte Aktivität. Es scheint tatsächlich so zu sein, daß ein Verblexem, das Kontrolle bezüglich eines Partizipanten impliziert, diesem Partizipanten im prototypischen Fall auch Aktivität zuweist. Diese Annahme formuliert (20): (20)
χ p-kontrolliert P[x]
χ ist in P[x] aktiv.
(20) weist den Kontrollbegriff als Prototypenbegriff aus, was mit dem Präfix 'p-' in (20) notiert wurde. M.a.W. drückt (20) aus, daß in der prototypischen kontrollierten Situation der kontrollierende Partizipant auch aktiv an der Situation beteiligt ist. Verblexeme, die (20) genügen, kann man deshalb auch als unmarkierte Lexikalisierungen betrachten. Unmarkierte Lexikalisierungen im Sinne von (20) sind befragen, waschen, reden, schreiben, markierte Lexikalisierungen sind z.B. Verben, die Unterlassungen denotieren. Eine Unterlassung ist nicht einfaches Nicht-Tun. Um eine Unterlassung im hier relevanten Sinn handelt es sich nur, wenn ein Partizipant einen Akt zwar tun kann, sich jedoch dazu entscheidet, ihn in der fraglichen Situation nicht zu tun (vgl. von Wright 1979: 56f.). Es handelt sich bei Unterlassungen somit um kontrolliertes NichtTun. Dowtys Beispiele in (2a), die Volitionalität bzw. Intention isoliert vorzeigen sollen, denotieren in der relevanten Lesart Unterlassungen. Eine nähere Analyse von χ is being polite to y findet man in Dowty (1972: 65f). Dieser Ausdruck impliziert im Normalfall eine Aktivität von Seiten des ersten Partizipanten, kann jedoch auch eine Situation beschreiben, in welcher man aus Höflichkeit eine Handlung unterläßt. In der volitionalen Lesart von χ is ignoring y ist die Interpretation als Unterlassung sogar unmarkiert. Auch Ausdrücke wie das Rauchen unterlassen, vom Rauchen Abstand nehmen, sich das Rauchen verkneifen, sich vom Rauchen zurückhalten denotieren Unterlassungen. Der handlungstheoretisch markierte Status von Unterlassungen erkennt man daran, daß sie sehr selten als einfache Verblexeme lexikalisiert sind. Um markierte Lexikalisierungen bezüglich (20) handelt es sich auch bei den wenigen Verben, die den Kontrollbegriff oder einen mit ihm verwandten Begriff in Isolation denotieren wie sich entscheiden, versuchen (zu tun), sich entschließen, beabsichtigen. Die Zahl der Verben, die Kontrolle ohne Aktivität denotieren, ist im Lexikon einer Sprache sehr gering, was durch die Lexikonanalysen im Abschnitt 3 dieses Beitrags bestätigt wird. Die Lexikonanalysen werden zeigen, daß so gut wie alle Verben, die Kontrolle denotieren, auch alle weiteren Proto-Agenseigenschaften implizieren. Genau das wird von den hier angenommen Beziehungen zwischen den Proto-Agenseigenschaften vorhergesagt (vgl. (18), (19), (20), (21) und (26)). Die zweite Implikation, die die Proto-Agenseigenschaft der Aktivität betrifft, erfaßt Dowtys weiter oben erwähnte Bemerkung (1991: 574), daß Bewegung als Agensmerkmal nicht durch einen anderen Partizipanten verursacht werden darf: (21)
χ ist als Proto-Agens aktiv (in Bewegung) in P[x] - » es gibt keinen anderen Partizipanten y in P[x], der die Aktivität (Bewegung) von χ verursacht.
(21) erfaßt die Intuition, daß ein Partizipant sich selbständig, d.h. aus eigener Initiative bewegen muß, wenn dies als Agensmerkmal zählen soll. Im Abschnitt 2.7 kann gezeigt werden, daß (21)
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unter die Definition der rollensemantischen Unabhängigkeit fällt. M.a.W. besagt (21), daß agentivische Aktivität als rollensemantisch unabhängige Aktivität aufzufassen ist. Man kann zusammenfassend festhalten, daß die sprachlichen Begriffe der Bewegung und Kontrolle, die ein Proto-Agens definieren, selbst Prototypenbegriffe sind. Bei dieser Auffassung zeigt sich, daß Aktivität (Bewegung) als Proto-Agenseigenschaft im prototypischen Kontrollbegriff enthalten ist und rollensemantisch unabhängig von der Grundrelation eines anderen Partizipanten zugewiesen werden muß.
2.6. Belebtheit Dowty und viele andere Forscher haben darauf verzichtet, Belebtheit als Proto-Agenseigenschaft zu erwähnen, obwohl sie sehr oft als solche behandelt wird. Man findet sie als rollensemantisch relevante Eigenschaft bei Fillmore (in der Arbeit von 1968, nicht aber in der von 1977), der sie zur Unterscheidung zwischen Agentiv und Instrumental einerseits und Dativ (später Rezipient) und Objektiv (später Patiens) anderseits heranzieht. Tomlin (1986) geht sogar so weit zu behaupten, daß Belebtheit die zugrundeliegende Eigenschaft des Agensbegriffs ist. Wir wollen deshalb auf die Relevanz der Belebtheit für den Agensbegriff kurz eingehen. Es steht außer Zweifel, daß Kontrolle und Wahrnehmung im prototypischen Fall nur höheren Lebewesen zugeordnet werden können. Die Beziehung zwischen diesen Begriffen wird in (22a, b) erfaßt: (22)
(a) χ p-kontrolliert P[x] —» χ ist ein höheres Lebewesen, (b) χ nimmt P[x] wahr —» χ ist ein höheres Lebewesen.
Es gibt gute Gründe anzunehmen, daß (22a) nur den prototypischen Fall von Kontrolle charakterisiert. Ein Grund ist zum Beispiel die Annahme übernatürlicher Handelnder (vgl. von Wright 1979: 49). Es gibt auch eine weitere Klasse abstrakter Handelnder. Dies sind sogenannte juristische Personen wie z.B. eine Gesellschaft, ein Gericht, eine Versammlung, die Kirche und andere Institutionen. In einem gewissen Sinn ist auch das Handeln nicht-personaler Handelnder ein menschliches Handeln, dem man Kontrolle zuschreiben kann. Insbesondere läßt sich nichtpersonales Handeln auf personales Handeln zurückführen, was man schon daran erkennt, daß Personen für die Handlungen von Institutionen haftbar gemacht werden können. Problematisch für die Anwendung des Kontrollbegriffs sind auch Automaten und Maschinen. Die meisten Teilaspekte ihrer Tätigkeit, Wäsche zu waschen, kontrolliert eine Waschmaschine selbst, aber sie benötigt einen menschlichen Verursacher, um diese Tätigkeit in Gang zu setzen. Insoweit sind Maschinen und Automaten nicht prototypische kontrolliert Handelnde, so daß sie nicht unter (22a) fallen. Die Umkehrungen von (22a,b) gelten nicht, und aus diesem Grund sind Versuche wie Tomlins (1986), Agentivität aus Belebtheit abzuleiten wenig überzeugend. Es gibt eine Implikatur in die andere Richtung, aber im Antezedens dieser Implikatur muß Belebtheit durch Kausation näher spezifiziert werden. Holisky (1987: 119) formuliert den Zusammenhang wie folgt: "You
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127
may interpret effectors which are human as agents". Ein Effector wird von Holisky als Verursacher aufgefaßt. Diese Implikatur spielt für die Kasusselektion im Batsischen eine wichtige Rolle und wird im Abschnitt 3 weiter unten wiederaufgegriffen. Die Annahme von Holisky wird hier wie in (23) rekonstruiert: (23)
χ verursacht P[x] und χ ist ein höheres Lebewesen +> χ kontrolliert P[x]
'+>' findet man als Zeichen einer konversationellen Implikatur bei Levinson (1983). Bei der Suche nach einer Erklärung für (23) muß man beachten, daß (23) die Umkehrung von (18) und (22a) ist. Levinson (1983, Kap.3) zeigt, daß die Verstärkung einer Implikation, d.h. das Hinzufügen der Umkehrung einer Implikation, zur Verstärkung der Informativität der Äußerung dient und eine konversationelle Standardimplikatur ist. So z.B. hat eine Aussage wie in (24a) die konversationelle Standardimplikatur (24b), die man auch daran erkennt, daß (24c) als Reaktion auf (24a) vorkommen kann. (24)
(a) Wenn es regnet, dann nimmt Hans den Schirm mit. (b) +> Wenn Hans den Schirm mitnimmt, dann regnet es. (c) Warum nimmt Hans den Schirm mit? Es regnet doch nicht!
Die Diskussion in diesem Abschnitt hat ergeben, daß mit Hilfe der Belebtheit der Agensbegriff bzw. dessen Bestandteile zwar nicht definiert werden können, daß es aber unilaterale Implikationen und Implikaturen zwischen Belebtheit und einigen Proto-Agenseigenschaften gibt. Im Abschnitt 3 wird sich herausstellen, daß eine solche Implikatur für die Argumentkodierung relevant werden kann.
2.7.
Unabhängigkeit
In der Auffassung über die Relevanz und den semantischen Inhalt der rollensemantischen Eigenschaft der Unabhängigkeit bzw. Abhängigkeit unterscheidet sich der vorliegende Ansatz wesentlich von Dowtys Vorschlag. Dowty erwähnt nur unabhängige bzw. abhängige Existenz. Daß der Begriff allgemeiner aufgefaßt werden muß, zeigt sich schon darin, daß in der Charakterisierung von Dowty darunter so Disparates wie de re Lesart, statt de dicto Lesart, aber auch unabhängige Existenz im wörtlichen Sinn fällt. Dowty will mit existentieller Unabhängigkeit im wörtlichen Sinn bei der Definition des Proto-Agens die Tatsache ausschließen, daß die Existenz eines Partizipanten betroffen wird ("coming into or going out of existence"). Des weiteren bemerkt Dowty zutreffend, daß diese Eigenschaft in allen anderen Proto-Agenseigenschaften inkludiert ist (1991: 573): Wenn χ P[x] kontrolliert, verursacht, wahrnimmt, oder daran aktiv beteiligt ist, dann existiert χ unabhängig von P[x]. Diese Implikation genügt jedoch nicht, um das im Abschnitt 2.4 angesprochene Bewegungsproblem zu lösen. Ich erinnere an Dowtys Vorschlag, der besagt, daß Bewegung als Proto-Agenseigenschaft nicht von einem anderen Partizipanten verursacht werden darf (vgl. (21)). Es handelt sich bei diesem Kriterium,
128
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das die funktionale Mehrdeutigkeit von Bewegung als Agens- und Patienseigenschaft auflöst, um einen Begriff, der weiter zu fassen ist als Dowtys existentielle Unabhängigkeit. Man findet weitere ähnlich gelagerte Fälle. Dowty (Fn. 16, S. 572) diskutiert das Verb awaken, das im Gegensatz zu slap im Englischen Wahrnehmung des Objektpartizipanten impliziert. Trotzdem würde man zögern, diesen Partizipanten als Experiencer einzustufen oder die Wahrnehmung dieses Partizipanten als rollensemantisch relevant zu erachten. Das kann man erklären, wenn man davon ausgeht, daß Wahrnehmung nur dann einen Experiencer charakterisiert, wenn sie unabhängig von einem anderen Partizipanten zugeordnet wird. Das ist eine Form von rollensemantischer Unabhängigkeit, die mit Dowtys existentieller Unabhängigkeit ebenfalls nicht erfaßt werden kann. Ein allgemeinerer Begriff von rollensemantischer Unabhängigkeit wird in dieser Arbeit in (25) vorgeschlagen: (25)
χ ist rollensemantisch unabhängig in P[x] gdw. die semantischen Grundrelationen von χ in P[x] unabhängig von den semantischen Grundrelationen eines anderen Partizipanten in P[x] zugeordnet werden, sonst ist χ rollensemantisch abhängig in P[x].
Man kann soweit gehen und die Hypothese in (26) aufstellen: (26)
Eine semantische Grundrelation eines Partizipanten χ in P[x] fällt unter Proto-Agens gdw. sie rollensemantisch unabhängig von den semantischen Grundrelationen eines anderen Partizipanten in P[x] zugeordnet wird.
Man beachte, daß rollensemantische Unabhängigkeit eine notwendige und hinreichende Bedingung für die Bestimmung eines Partizipanten als Proto-Agens ist. Der Parameter der rollensemantischen (Un)abhängigkeit erweist sich nicht nur für die Charakterisierung des Proto-Agens, sondern auch für die Präzisierung des Patiensbegriffs von größter Wichtigkeit.
2.8. Proto-Patiens-Relationen Die Patienseigenschaften werden hier nur kurz diskutiert, weil sie sich bei der Argumentkodierung intransitiver Verben in aktivischen Sprachen als nicht unmittelbar relevant erwiesen haben. Wie Dowty selbst feststellt, ist die Eigenständigkeit der einzelnen Proto-Patienseigenschaften schwerer nachzuweisen. Auch hier wird sich zeigen, daß über bestimmte Implikationen zwischen semantischen Relationen wichtige Erkentnisse gewonnen werden können. Dabei ist für die Proto-Patienseigenschaften charakteristisch, daß diese Implikationen auf die semantische Grundrelation eines anderen Partizipanten zurückgreifen. So sind nach Dowtys Auffassung die drei rollensemantischen Eigenschaften 'causally affected by another participant', 'stationary relative to movement of another participant' und 'does not exist independently of the event or not at all' die Konversen der Proto-Agenseigenschaften 'causing an event or change of state in another participant', 'movement relative to the position of another participant' bzw. 'exists independently of the event named by the verb'. Wenn ein Verb zum Beispiel kausale Affiziertheit für
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ein Argument selegiert, so muß es notwendigerweise ein anderes Argument als Verursacher haben. Das ist eine Restriktion für die Anwendung dieser rollensemantischen Eigenschaften, die von Dowty (1991: 574) nur am Rande erwähnt und nicht eingehender diskutiert wird. Solche Implikationen zwischen einer Patienseigenschaft und einer entsprechenden Agenseigenschaft treffen den Kern des Affiziertheitsbegriffs und tragen somit entscheidend zur Explikation des Proto-Patiensbegriffs bei. Das Problem bei Dowtys obigem Vorschlag ist jedoch, daß er nicht allgemein genug ist und auf wesentliche Patienseigenschaften wie Bewegt- bzw. Verändert-Werden oder Krifkas sukzessiver Affiziertheit nicht greift. Erklärungsadäquater ist daher die allgemeinere Bestimmung in (27): (27)
Eine semantische Grundrelation eines Partizipanten χ in P[x] fällt unter Proto-Patiens gdw. sie rollensemantisch abhängig von den semantischen Grundrelationen eines anderen Partizipanten in P[x] zugeordnet wird.
Man kann (27) beispielhaft auf kausale Affiziertheit anwenden. Vgl. (28): (28)
χ ist kausal affiziert in P[x], d.h. als Patiens kausal involviert in P[x], gdw. ein anderer Partizipant in P[x] die Existenz von χ bzw. eine semantische Grundrelation von χ verursacht.
Auch Benefaktive, Rezipienten und Adressaten, die Dowty (1991) vernachlässigt, können auf diese Weise näher charakterisiert werden (vgl. auch Primus (1994, Kap. 3.3.3)). Wie schon seit Fillmore (1968) und Dik (1978) bekannt ist, impliziert ein Benefaktiv wie in arbeitet für Maria einen anderen Partizipanten als kontrollierenden Verursacher. Das gilt auch für Rezipienten und Adressaten (z.B. gibt Maria etwas, sagt Maria etwas), die nur mit Bezug zur Aktivität des Agens als Geber oder Sprecher identifiziert werden können. Auch ein Stimulus kann nur über den Experiencer, als diejenige Rolle ausgewiesen werden, die Wahrnehmung bei einem anderen Partizipanten impliziert. Man beachte, daß (27) Selbstaffiziertheit oder eine nicht durch Fremdeinwirkung verursachte Zustandsveränderung als prototypische Patienseigenschaft ausschließt, was in der vorliegenden Arbeit rein empirisch motiviert wird und bei Bedarf revidiert werden kann. Daß Selbstaffiziertheit oder eine nicht durch Fremdeinwirkung verursachte Zustandsveränderung markiert ist, erkennt man an mehreren Fakten. Erstens sind Verblexeme, die diese semantischen Eigenschaften haben, relativ selten (vgl. die Verben in (9b)). Zweitens erhalten solche Verben in einigen Sprachen eine besondere Kennzeichnung durch eine markierte Auxiliarselektion wie im Deutschen (z.B. χ ist gestorben, χ ist verwelkt) oder durch das Medium wie im Altgriechischen. Oft findet man auch ein expletives zweites Argument in Form eines Reflexivums (z.B. χ bewegt sich). Abschließend soll am Rande bemerkt werden, daß im Gegensatz zu Dowty Stationär-Sein aus mehreren Gründen nicht als rollensemantisch relevante Eigenschaft betrachtet wird, obwohl sie bei Dowty relativ zu einem anderen Partizipanten eingeführt wird ('stationary relative to movement of another participant') und somit laut (27) auch der hier präsentierten, alternativen Patienskonzeption entsprechen würde. Stationär-Sein ist ein unplausibler Vorschlag, weil eine von einem anderen Partizipanten verursachte Zustandsveränderung Bewegt-Werden inkludiert.
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Damit enthielte die Menge der Proto-Patienseigenschaften widersprüchliche Merkmale. Stationär erweist sich bei näherer Betrachtung auch als überflüssig. Die Objektpartizipanten, die für Dowty diese Eigenschaft in Isolation illustrieren, sind nicht prototypische Patiens-Rollen und müssen somit nicht durch die positive Spezifikation einer Eigenschaft wie Stationär-Sein erfaßt werden: The bullet entered the target/overtook the arrow.
2.9. Zusammenfassung Im zweiten Abschnitt dieser Arbeit wurden Vorschläge erarbeitet, die zur Lösung einiger problematischer Aspekte des Ansatzes von Dowty beitragen. Das betrifft insbesondere das Verhältnis bestimmter semantischer Grundrelationen zueinander. Darauf aufbauend konnten Vorschläge für die Einordnung einiger semantischer Relationen wie Bewegung oder (Un)abhängigkeit erarbeitet werden. Festzuhalten ist auch das Ergebnis, daß die hier diskutierten Implikationen und Standardimplikaturen bestimmte Klassen von semantischen Grundrelationen charakterisieren, die genau Dowtys Proto-Rollen entsprechen. Folgende Grundrelationen, die in verkürzter Redeweise als Substantive formuliert werden, sind durch Implikationen oder Implikaturen miteinander zu einer Proto-Rolle verbunden: Kontrolle, Kausation, Aktivität, Wahrnehmung, rollensemantische Unabhängigkeit und Belebtheit. Diese Implikationsreihe charakterisiert das Proto-Agenskonzept. Dabei erweist sich rollensemantische Unabhängigkeit als zentrales Element, weil sie von allen anderen Elementen der Klasse impliziert wird. Auch Kontrolle erweist sich als agenstypisch, weil sie alle anderen Eigenschaften impliziert. Eine zweite Implikationsreihe weist diejenige Grundrelationen als Proto-Patiens-Relationen aus, die rollensemantische Abhängigkeit von der Grundrelation eines anderen Partizipanten implizieren. Solche Grundrelationen sind in verkürzter Formulierung u.a. kausal affiziert, bewegt, zustandsverändert, wahrgenommen (d.h. Stimulus) oder benefaktiv affiziert (d.h. Benefaktiv). Es ist wichtig festzuhalten, daß man wie bei Dowty auch im vorliegenden Ansatz die semantische Rolle eines Arguments als Menge von semantischen Grundrelationen auffassen kann. Weder bei Dowty noch im vorliegenden Ansatz muß diese Menge unter genau eine Proto-Rolle fallen. Die Liste der rollensemantischen Grundrelationen wurde beim Proto-Patiens um einige weitere Vorschläge erweitert, die zur Rekonstruktion von Rollen wie Benefaktiv, Rezipient, Adressat oder Stimulus beitragen. Trotz dieser Erweiterungen gegenüber Dowtys Vorschlag ist auch die hier vorgeschlagene Liste von rollensemantischen Begriffen nicht als endgültig und exhaustiv zu betrachten.
Decomposition semantischer Rollen
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3. Gespaltene Intransitivität Ich möchte nun an einer Fallstudie den deskriptiven Wert und die Erklärungskraft der hier vorgestellten Rollenkonzeption demonstrieren. Es handelt sich um die Kodierung semantischer Relationen bei intransitiven Verben in aktivischen Sprachen wie Guarani, Batsisch, Tlingit und Atschechisch.9 Auf diesen Kodierungstyp haben schon die Beiträge in Boas (1911) aufmerksam gemacht, das Forschungsinteresse dafür stieg jedoch erheblich seit Klimov (1974). Eine Charakterisierung dieses Kodierungstyps wird mit geringfügigen Abweichungen vielerorts wie in (29) angeboten (vgl. Dixon 1979, Bossong 1980, Mallinson/Blake 1981): (29)
Ein Kodierungstyp ist aktivisch gdw. er das einzige Argument einer Klasse von intransitiven Verben wie das Agens transitiver Verben und das einzige Argument einer anderen Klasse von intransitiven Verben wie das Patiens transitiver Verben behandelt.
Grammatische Relationen wurden in (29) ganz bewußt ausgeklammert, weil den aktivischen Sprachen eine definitorische Subjekteigenschaft fehlt, nämlich die, über intransitive Verben generalisiert zu werden. Außerdem sind einige der hier diskutierten aktivischen Sprachen ergativ und für ergative Sprachen bieten grammatische Relationen ein notorisches Problem (vgl. z.B. Van Valin 1977, Sasse 1978, Dixon 1979). Außerdem entspricht es der Meinung der Autorin, daß grammatische Relationen auch für Nominativsprachen problematisch sind (vgl. Primus 1987, 1993). Die in (29) charakterisierte Kodierungsart spaltet die intransitiven Verben einer Sprache in zwei Gruppen, so daß sie seit Dixon (1979) auch als gespaltene Intransitivität bezeichnet wird (vgl. Merlan 1985, Van Valin 1990). Im vorliegenden Abschnitt konzentriere ich mich auf morphologische Kodierung, d.h. genauer auf morphosyntaktische Kasus wie Nominativ, Ergativ oder Akkusativ und auf Verbkongruenzmarker, die in einer gewissen, zur Diskussion stehenden Abhängigkeit von den semantischen Relationen der Veibargumente zugewiesen werden. Eine typisch aktivische Sprache ist das Guarani. Das Guarani kodiert die semantischen Relationen eines Partizipanten, der als direktes syntaktisches Argument eines Verbs realisiert wird, durch pronominale Präfixe am Verb. Diese Präfixe bilden zwei Paradigmen, die ich arbiträr APräfixe und B-Präfixe nenne. (30) illustriert die Grundallomorphe dieser Präfixe im Singular.
l.Sg 2. Sg 3. Sg
A Präfixe are-
o-
B Präfixe nei-
Nomina und freie Pronomina haben keine Kasusflexion, aber definite und/ oder belebte Patiens sowie andere patiensähnliche Rollen wie Benefaktiv, Rezipient etc. werden durch PostpositioAtschechisch wird häufig Achinesisch genannt. Letzteres entspricht weder dem im Deutschen üblichen Landschaftsnamen (Aceh [-tí-]), noch Duries Vorschlag (1985) Engl. Acehnese.
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nen gekennzeichnet. (31) zeigt einige Beispiele in englischer Übersetzung. Ich habe die englischen Übersetzungen sowie die Transkription (ohne Akzentzeichen) aus Gregores/Suárez (1967), auf die ich mich im wesentlichen stütze, übernommen. (31)
(a) (b) (c) (d)
a-ma.apo lSG,A-work ÌSe-manu?a lSG,B-remember ai-pete lSG,A-hit ìie-pete lSG,B-hit
Ί work' Ί remember' Ί hit him' 'he hits me'
Das Α-Präfix in (31a) kodiert in einer allomorphischen Variante auch das Agens des transitiven Verbs in (31c). Das B-Präfix in (31b) kennzeichnet auch das Patiens des transitiven Verbs in (31d). Die Präfixselektion bei transitiven Verben wird auch von der Personenhierarchie (1 < 2 < 3) mitbestimmt, sie ist jedoch für unsere Diskussion nicht von unmittelbarer Relevanz. Die folgenden Bemerkungen beziehen sich auf intransitive Verben, wobei darunter auch einige semantisch zweistellige Verben fallen, die ein postpositionales nicht-kongruierendes zweites Argument haben, wie z.B. manu?a in (31b), das einen postpositionalen Stimulus selegiert. Für den vorliegenden Beitrag wurden so gut wie alle ca. 370 intransitiven Verben im Lexikon von Gregores/Suárez (1967) analysiert. Bei mehrdeutigen Verben wurden die Lesarten gezählt. Dieses Lexikon eignet sich besonders gut für solche Untersuchungen, weil es sich weitgehend auf morphologisch nicht abgeleitete Verblexeme beschränkt und nur idiomatisierte abgeleitete Verben aufführt. Zweifelsfälle wurden im Lexikon von Guasch (1961) überprüft, so daß gelegentlich spanische Übersetzungen bei den Beispielen hinzukommen. Diese Wörterbücher sind recht einfach und enthalten nur eine oder zwei Interpretationen für ein Verblexem. Es ist somit fraglich, ob die rollensemantischen Eigenschaften, die ich für die Argumente dieser Verben angesetzt habe, lexikalische semantische Eigenschaften der Verben sind oder ob es sich um Eigenschaften unmarkierter Lesarten handelt. Die Frage läßt sich kaum zuverlässig klären, da es sehr schwierig ist, eine kontextinvariante Bedeutungskomponente von einer kontextuell unmarkierten Bedeutungskomponente zu trennen. Außerdem wird sich beim Batsischen, einer anderen Sprache mit aktivischer Kodierung, zeigen, daß die Kasusselektion auch durch die kontextabhängige Interpretation eines Verblexems mitbestimmt wird. Insoweit sollte man sich bei solchen Untersuchungen nicht von vornherein auf kontextinvariante Verbbedeutungen beschränken. Die im folgenden formulierten semantischen Generalisierungen nehmen deshalb auf die unmarkierte Lesart und nicht auf die Bedeutung eines Verbs Bezug. Aufgrund der rollensemantischen Merkmale, die sie für ihren Partizipanten in der unmarkierten Lesart bestimmen, lassen sich die intransitiven Verben in Guarani und in den anderen hier untersuchten Sprachen in vier semantische Klassen unterteilen.
Dekomposition semantischer Rollen
133
Eine erste Gruppe von Verben zeichnet sich dadurch aus, daß diese Verben adjektivische Eigenschaften denotieren und somit ihre Argumente lediglich durch die rollensemantische Unabhängigkeit charakterisieren. Andere Proto-Agenseigenschaften sind ausgeschlossen. Es gibt im Guarani, Tlingit und Atschechisch keine Adjektivstämme und somit ist diese Gruppe von Verben in diesen Sprachen sehr umfangreich. Bei dieser Gruppe von Verben wurde die Unterscheidung zwischen inhärenten, zeitstabilen Eigenschaften und temporären Eigenschaften überprüft, weil sie eine Kasusvariation bei einigen wenigen Verben auslöst und in einigen Sprachen bei der Kategorisierung von Lexemen in Adjektive oder Verben und bei anderen Phänomenen eine Rolle spielt (vgl. Lehmann 1992). So zum Beispiel bedeutet im Guarani ka?u mit einem B-Präfix 'be a drunkard'; mit einem A-Präfix bedeutet derselbe Verbstamm 'get/be drunk'. Eine solche Kasusalternation ist im Guarani sporadisch, so daß die Berücksichtigung dieser semantischen Unterscheidung die gewonnenen Lexemklassen erhöht hätte, ohne zur Aufdeckung der Regularität der Kasusselektion beizutragen. Ein semantisches Kategorisierungsproblem entstand auch bei einigen Eigenschaftsverben, die eine inchoative Lesart suggerieren und die somit möglicherweise eine Zustandsveränderung denotieren. Dazu zählen folgende Verben, die ein B-Präfix selegieren: aso 'get wormy', at 'be or become gray-haired', kaigwe 'be or become bored, become disheartened'. Der Unterschied zwischen der rein statischen und der inchoativen Lesart scheint bei der Präfixwahl im Guarani und in den anderen hier untersuchten Sprachen keine systematische Rolle zu spielen, so daß man davon ausgehen kann, daß bei diesen Verben nur der Resultatszustand, nicht jedoch die Zustandsveränderung bedeutungstragend ist. Es ist auch plausibel anzunehmen, daß solche Eigenschaftsveränderungen komparativ interpretiert werden, weil für Eigenschaftskomparation im Guarani nur Verbstämme zur Verfügung stehen. So zum Beispiel könnte man für atí in dieser Lesart 'grauhaariger sein' als Bedeutung ansetzen. Wahrnehmungsverben bilden eine zweite Gruppe von Verben, die ihrem Partizipanten neben rollen semantischer Unabhängigkeit auch Wahrnehmung, aber keine weiteren agentivischen Merkmale zuweisen. Eine dritte Gruppe von Verben haben einen aktiven Partizipanten, dessen Aktivität unabhängig ist von der rollensemantischen Eigenschaft eines anderen Partizipanten. Die Aktivität ist in einigen Fällen kaum wahrnehmbar (z.B. im Guarani bei opevi 'doze' mit Β-Präfix oder bei hesape 'shine' mit Α-Präfix). Die Probleme bei der Zuordnung von Aktivität bzw. Bewegung wurden im Abschnitt 2.5. weiter oben besprochen. Manche Prozesse werden von ihren belebten Partizipanten normalerweise wahrgenommen, allerdings verändert diese Tatsache die rollensemantische Interpretation der Verben nicht (vgl. z.B. im Guarani amu 'pant' mit B-Präfix, statt, wie man bei Hinzufügen von Belebtheit als relevanten Faktor erwartet, mit A-Präfix). Man kann bei allen Verben dieser Gruppe davon ausgehen, daß sie weder Wahrnehmung noch Kontrolle für ihre Partizipanten positiv spezifizieren. Andere semantische Grundrelationen, insbesondere Proto-Patiens-Relationen, scheinen für die gespaltene Intransitivität im Guarani und in den anderen hier untersuchten Sprachen keine Rolle zu spielen. Ich habe gerade bei der Klasse der Vorgänge besonders genau überprüft, welche dieser Verben Zustandsveränderungen denotieren und unter Berücksichtigung dieses Faktors keine Verbesserung der Prognosen erreichen können, d.h. keine lexikalische Default-Regel
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formulieren können. So wählen im Guarani kurusu 'shrink' und oki 'sprout, bud' ein B-Präfix, aber ahoga 'drown', gwe 'disappear, go out' und kakwaa 'grow, grow up' selegieren ein APräfix. Auch die Berücksichtigung der Belebtheit hat die Ergebnisse für Vorgangsverben nicht verbessern können. Eine vierte Gruppe bilden Handlungsverben, bei denen der Partizipant das vom Verb denotierte Geschehen verursacht und im unmarkierten Fall auch kontrolliert, obwohl die lexikalisch positive Spezifikation von Kontrolle nicht überprüft werden konnte (vgl. töten vs. ermorden im Deutschen). Wie von der Implikationsreihe für Proto-Agenseigenschaften im Abschnitt 2 vorhergesagt wird, ordnen so gut wie alle Verben dieser Gruppe in der Lesart als kontrollierte Handlungen ihrem Partizipanten auch Kausation, Aktivität bzw. Bewegung, Wahrnehmung und Unabhängigkeit zu. Da Kontrolle und die von Kontrolle implizierte Wahrnehmung bei manchen Handlungsverben stets mögliche, aber nicht obligatorische semantische Merkmale sind, wurden diese semantischen Grundrelationen in (32), (34), (36) und (38) in Klammern gesetzt. Die Ergebnisse der Untersuchung der intransitiven Verben im Guarani sind in (32) zusammengefaßt: (32)
Guarani: Selektion pronominaler Verbpräfixe bei intransitiven Verben (Gregores/Suárez 1967)
Semantische Grundrelation
Anzahl Lesarten
Α-Präfix
B-Präfix
Unabhängigkeit
198
22(11%)
176(89%)
Unabhängigkeit, Wahrnehmung
29
6(21%)
23(79%)
Unabhängigkeit, Aktivität
53
30(57%)
23(43%)
Unabhängigkeit, (Wahrnehmung), Aktivität, Kausation, (Kontrolle)
92
89 (97%)
3 (3%)
89% der Eigenschaftsverben bzw. Lexemvarianten mit eigener Lesart selegieren ein B-Präfix (z.B. porä 'be beautiful, right', marete 'be powerful, strong'). 11% selegieren ein A-Präfix und darunter zählen einige spanische Entlehnungen (z.B. afilia 'to be politically affiliated') aber auch native Eigenschaftsverben (z.B. ikoe 'be different', kuru 'be a brooder', kuSu 'be loose, slack', kotevë 'be in need, need', imë 'be at, exist', gwapi 'be sitting', Span, 'estar sentado'). Eigenschaftsverben mit A-Präfix haben eine unterschiedliche sekundäre Motivation, wobei mindestens folgende Faktoren eine Rolle spielen: Zeitinstabilität, Entlehnung aus dem Spani-
Dekomposition semantischer Rollen
135
sehen, Bedeutung und Kategorie der Wortbildungsbasis. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, daß die Berücksichtigung einer solchen sekundären Motivation die Präfixselektion nicht besser erklärt, d.h. mindestens genauso viele Abweichungen hat, wie die hier zur Diskussion stehende rollensemantische Motivation. Bei den Wahrnehmungsverben selegieren 79% ein B-Präfix (z.B. akäga?u 'be dizzy, confused', akäraku 'be enthusiastic, exalted', agata 'be anxious, grieved', aga?u 'be downhearted', apa 'have a cramp', asi 'be sick, feel pain', esarai 'forget', manu?a 'remember', uhei 'be thirsty'). 21% der Wahrnehmungsverben selegieren ein A-Präfix. Das sind folgende 6 Verben: yeyanu 'know, feel', avüfi 'to be bored', kihiye 'be afraid, fear', tí 'be ashamed, bashful', vi?a 'be glad, rejoice', yehii 'ache, hurt'. Vorgangsverben selegieren zu 43% ein B-Präfix und darunter zählen: ahi? opa? ä 'choke', amu 'pant1, i? ai 'sweat', kerai 'talk in one's sleep', kurusu 'shrink', oki 'sprout, bud', opevi 'doze'. A-Präfixe selegieren 57% der Vorgangsverben und darunter befinden sich: ahoga 'drown', gwe 'disappear, go out', hesape 'shine', kakwaa 'grow, grow up', kapu 'float', siri 'flow' soro 'burst, explode', ?a 'fall'. Von den 7 Wetterprozeßverben wählen 5 Α-Präfixe und 2 B-Präfixe (aiviru?i 'drizzle', apisë 'show, (sun) rises'). Fast alle Handlungsverben wählen Α-Präfixe, aber auch hier gibt es drei, die B-Präfixe selegieren: agwara 'woo, court, flatter', yapu 'lie', Deutsch 'lügen', mit 'to be a liar' als zweite Bedeutung und ¡51ahe 'complain' Span, 'suspirar'. Drei weitere Verben, die nicht in die Statistik aufgenommen wurden, gehören möglicherweise auch dazu: ati 'gather', agë 'hurry' und akäywapi 'settle down'. Die Distribution dieser Präfixe hat über die gesamten Klassen verteilt eine gute semantische Motivation. Trotzdem kann man für keine einzige Klasse eine ausnahmslose deskriptive Regel aufstellen: es gibt in jeder Gruppe Ausnahmen in kleinerer oder größerer Zahl. Die sicherste Prognose erreicht man bei Handlungen. Die schlechteste bei Vorgängen. Wenn man die Situation in (32) genauer betrachtet, so kann man lexikalische Default-Regeln für die B-Präfigierung bei Eigenschaftsverben und für die A-Präfigierung bei Handlungsverben aufstellen. Es ist somit klar, daß die Verben im Guarani ihre Präfixkategorie im Lexikon determinieren, was auch der lexikologischen Praxis entspricht. Das ist eine recht bemerkenswerte Tatsache, weil Verbkongruenz in sehr vielen Sprachen eine syntaktische Regel ist, die vom Kasus oder der strukturellen Relation eines Arguments gesteuert ist und keine lexikalischen Ausnahmen hat. Die rollensemantische Motivation, die aus den Daten in (32) gewonnen werden konnte, wird in (33) formuliert. (33) (a)
(b)
Für intransitive Verben (bzw. Sätze) mit morphologischer Argumentkodierung in aktivischen Sprachen gilt: Je mehr Proto-Agens-Grundrelationen einem Partizipanten aufgrund der unmarkierten Lesart eines Verbs (bzw. Satzes) zugewiesen werden, um so eher erhält dieser Partizipant eine Kodierung, die im Defaultfall für das Agens transitiver Verben verwendet wird. Je weniger Proto-Agens-Grundrelationen einem Partizipanten aufgrund der unmarkierten Lesart eines Verbs (bzw. Satzes) zugewiesen werden, um so eher erhält dieser Partizi-
136
Beatrice Primus
pant eine Kodierung, die im Defaultfall für das Patiens transitiver Verben verwendet wird. In (33) werden Agens und Patiens als diejenigen semantischen Rollen aufgefaßt, die alle Grundrelationen der jeweiligen Proto-Rolle akkumulieren. Die Aussage in (33) arbeitet mit semantischen Grundrelationen rein quantitativ, die Befunde in den hier untersuchten aktivischen Sprachen zeigen jedoch, daß die hier relevanten Verblexemklassen aufgrund der hier vorgestellten Implikationen und Implikaturen gebildet werden. So wurden z.B. keine relevanten Klassen gefunden, die Kausation und Wahnehmung unter Ausschluß der anderen agentivischen Grundrelationen selegieren. Ebenfalls nicht attestiert sind Unterlassungsverben, d.h. Verblexeme, die Kontrolle und Unabhängigkeit unter Ausschluß von Aktivität selegieren. Es ist wichtig festzuhalten, daß (33) keine lexikalische Default-Regel ist, sondern ein Prinzip, das u.a. lexikalische Default-Regeln erklärt. Man beachte, daß das Prinzip bei einer mittelmäßigen Zahl von Proto-Agenseigenschaften, die z.B. bei Wahrnehmungsverben und Vorgangsverben gegeben ist, eine größere Kodierungsvariation vorhersagt als z.B. bei Handlungsverben, und gerade deshalb ist bei Wahrnehmungsverben und Vorgangsverben nicht mit einem lexikalischen Default zu rechnen. Es gibt alternative Vorschläge, die auf die semantische Motivation der Präfixselektion im Guarani eingehen. So nimmt Mithun (1991), die sich ebenfalls auf Gregorez/Suárez (1967) stützt, an, daß die Opposition statisch vs. aktivisch die gesuchte semantische Motivation bietet. Das ist auch die traditionelle Meinung, die man z.B. auch bei Guasch (1978) finden kann. Für Mithun wie auch für Van Valin (1990) gehört diese semantische Opposition zur Aspektkategorisierung der Verben. Die hier präsentierten Daten geben Mithun partiell recht, weil sich Aktivität als relevant erwiesen hat. Dennoch ist Mithuns Vorschlag deskriptiv ungenau und bietet keine befriedigende Erklärung des Phänomens. Die deskriptiven Probleme entstehen durch die Vernachlässigung weiterer Faktoren. Mithun berücksichtigt weitere Faktoren für andere Sprachen, sie kann sie jedoch nicht als Proto-Agenseigenschaften ausweisen und somit als einheitliches semantisches Phänomen erklären. Andere Ansätze wie z.B. Bossong (1980) gehen von einer Opposition zwischen einer sehr allgemeinen agentivischen Rolle Ausgang und einer allgemeinen patiensähnlichen Rolle Ziel aus, wobei aktivische Kodierung traditionell ähnlich wie in (29) motiviert wird. Das Problem bei einer solchen Charakterisierung ist, daß sie bezüglich der semantischen Motivation des Phänomens eine falsche Prognose trifft. (29) suggeriert, daß in Aktivsprachen im allgemeinen und im Guarani im besonderen die Selektion von Proto-Patiensrelationen die Argumentkodierung beeinflußt. Das ist nicht nur für Guarani unzutreffend, sondern auch für die weiteren aktivischen Sprachen, die hier diskutiert werden. Gespaltene Intransitivität findet man in den meisten anderen Tupi-Guarani Sprachen wie z.B. Asurini, Guajajara, Guarayu, Kamaiura, Kayabi, Parintintin, Tapirape, Tupinamba (vgl. Jensen 1990). Jensen (1990) charakterisiert die semantische Motivation sehr pauschalierend als agentiv vs. non-agentiv, während Seki (1990) für Kamaiura etwas vorsichtiger verfährt, die lexikalische Determination der Präfixselektion anerkennt und Kontrolle als einen der motivierenden Faktoren
Dekomposition semantischer Rollen
137
nennt. Die Beispiele von Seki aus dem Kamaiura verdeutlichen, daß es sich um eine ähnliche Motivation wie im Guarani handelt. Wenden wir uns nun dem Batsischen (Tsova-Tuschischen) zu, einer kaukasischen Ergativsprache, deren gespaltene Intransitivität immer wieder zitiert (vgl. Dixon 1979: 80, Nichols 1990: 99) und von Holisky (1987) näher untersucht wurde. In transitiven Sätzen wird der markierte Kasus, der Ergativ, für den agentivischeren Partizipanten und der unmarkierte Kasus, der Nominativ (auch Absolutiv genannt), für den patiensähnlichsten Partizipanten gewählt. Wie von Dowtys Argumentselektionsprinzip (11) zugelassen, werden Experiencer anders kodiert, nämlich bevorzugt durch den Dativ, während der Stimulus, falls einer vorhanden ist, im Nominativ erscheint. 33 intransitiven Verben, die den Dativ dem Experiencer zuweisen, erscheinen in Holiskys Appendix. Die gespaltene Intransitivität zeigt sich im Batsischen nur bei Argumenten der 1. und 2. Person. Holisky unterteilt die intransitiven 10 Verben in drei Klassen: solche die nur den Nominativ zuweisen, solche, die nur den Ergativ zuweisen und solche, die den Nominativ oder Ergativ zuweisen. Die letzte Klasse zerfällt ihrerseits in 3 Unterklassen, je nachdem, ob der Nominativ, der Ergativ, oder beide Kasus die Default-Selektion darstellen. Bei der letzten Subklasse von Verben, die eine absolut freie Kasusalternation haben, wird von den Sprechern der Ergativ bei mehr Proto-Agenseigenschaften und der Nominativ bei weniger Proto-Agenseigenschaften verwendet. Holiskys Appendix listet 61 solcher Verben auf und darunter zählen: q'iul dal'ar 'lose weight', dah" daxar 'get drunk', k'urïdalar 'go by rolling, roll', çopdalar mit Nominativ 'come to be hidden, out of sight' und mit Ergativ 'hide'. Der Faktor der Belebtheit spielt dabei eine Rolle und wurde von Holisky (1987: 119) durch das folgende pragmatische Prinzip erfaßt: "You may interpret effectors and effector-themes which are human as agents (in the absence of any information to the contrary)". Eine Rekonstruktion dieser Annahme von Holisky als konversationelle Strandardimplikatur erfolgte in (23) weiter oben. Bei Holisky wird das Agens durch das Merkmal der Volitionalität und Kontrolle und der Effector durch Kausation und Aktivität (vgl. the cane hit the wall) im Rahmen der Rollen- und Referenzgrammatik von Foley und Van Valin (1984) aufgefaßt. Die Verwendung der Kasus bei Verben, die sowohl den Ergativ als auch den Nominativ als Default-Kasus selegieren, kann somit aufgrund der Angaben von Holisky durch das Prinzip (33) semantisch gut motiviert werden. Auch die Lexikalisierung eines Kasus als Default oder als einziger Kasus folgt dem Prinzip (33). Um dies zu zeigen, wurden alle Verben aus Holiskys Appendix, die den Ergativ als einzigen oder als Default-Kasus selegieren, denjenigen Verben gegenübergestellt, die den Nominativ als einzigen oder als Default-Kasus selegieren. Diese Klassifizierung ergab semantisch das einheitlichste Ergebnis, das in (34) tabellarisch zusammengefaßt ist.
0 Ähnlich wie für das Guarani sind nicht alle hier berücksichtigten intransitiven Verben semantisch einstellig. Es werden auch zweistellige Verben berücksichtigt, deren zweites Argument nicht durch Nominativ oder Ergativ, sondern durch einen obliquen Kasus kodiert wird.
138
Beatrice Primus
(34)
Batsisch: Kasusselektion bei intransitiven Verben für Argumente der 1. und 2. Person (Daten aus Holisky 1987, Appendix)
Semantische Grundrelation
Anzahl Lesarten
ERG (Nom)
NOM (Erg)
Unabhängigkeit
28
2 (8%)
26 (92%)
Unabhängigkeit, Wahrnehmung
22
4(19%)
18(81%)
Unabhängigkeit, Aktivität
26
8(31%)
18(69%)
Unabhängigkeit, (Wahrnehmung), Aktivität, Kausation, (Kontrolle)
107
107(100%)
0(0%)
ERG (Nom) notiert die Tatsache, daß der Ergativ der einzige oder der Default-Kasus ist. Entsprechendes gilt für NOM (Erg). Man kann hier einige lexikalische Default-Aussagen treffen, die denen für das Guarani sehr nahe kommen: NOM für Eigenschaftsverben, ERG für Handlungsverben. Der hohe Prozentsatz der Wahrnehmungsverben mit Nominativ sinkt in Relation zu den 33 Wahrnehmungsverben mit Dativ aus Holiskys Appendix, die in (34) nicht erscheinen. Andere Eigenschaften, insbesondere Patienseigenschaften wie Zustandsveränderung, haben sich für die Kasusselektion bei intransitiven Verben als irrelevant erwiesen. So haben einige Verbstämme mit dem Nominativ als einziger Option neben einer rein statischen (qerl'ar 'be afraid') auch eine inchoative Verwendung (qerl'ä dolar "become afraid'), ohne daß sich dies auf die Kasusselektion auswirkt. Holisky (1987) versucht die semantische Motivation der gespaltenen Intransitivität im Batsischen im Rahmen der Rollen- und Referenz-Grammatik Foleys und Van Valins (1984) zu erfassen. Dieses Modell faßt ähnlich wie der hier vorgeschlagene Ansatz mehrere Mikrorollen (Agens, Effector) unter einer Makrorolle Actor zusammen und setzt ebenfalls nur zwei Makrorollen an: Actor und Undergoer. Holiskys Kasuszuweisungsregeln lauten wie folgt (1987: 119): 1. 2. 3.
Actors are marked with ergative and undergoers with nominative. In the third person the single core argument of an intransitive verb is marked as an undergoer. In the first and second persons the single argument of an intransitive verb is marked according to its semantic role: roles from agent to locative (going down the actor hierarchy) are treated as actors and roles from patient to theme (going up the undergoer hierarchy) are treated as undergoers.
Dekomposition semantischer Rollen
4.
139
Effectors and effector-themes which are not agents may be optionally marked as undergoes.
Die Probleme des Modells von Foley und Van Valin werden anhand solcher Regeln besonders deutlich. Erstens können Holiskys Regeln die in (34) präsentierten Daten nicht exakt genug beschreiben. Zweitens qualifizieren sich aufgrund solcher Aussagen Actor und Undergoer nicht mehr als Begriffe mit einer einheitlichen semantischen Interpretation. Man beachte, daß nicht bei allen intransitiven Verben mit einem Argument der 3. Person dieses Argument semantisch als Undergoer interpretiert werden kann. Das verlangt jedoch Holiskys zweite Regel. Auch die dritte Regel zeigt, was in der Arbeit Van Valins (1990) noch deutlicher wird: Makrorollen können sprachspezifisch und möglicherweise sogar konstruktionsspezifisch unterschiedliche Mikrorollen aufnehmen, womit sie ihren einheitlichen semantischen Inhalt einbüßen. Wenn jedoch die Makrorollenkonzepte semantisch nicht interpretierbar sind, so bieten die obigen Regeln streng genommen keine semantische Motivation für die variable Kasusselektion im Batsischen an. Um das Bild aktivischer Sprachen abzurunden, wurden auch die Beispiele für gespaltene Intransitivität im Atschechischen, einer austronesischen Sprache, aus Durie (1985: 62f.) herangezogen und nach den semantischen Relationen, die die betreffenden Verben implizieren, klassifiziert. Aktivische Kodierung manifestiert sich im Atschechischen ähnlich wie im Guarani durch die verschiedenen pronominalen Formen, die an das Prädikat klitisiert werden und als Verbkongruenzmarker im weitesten Sinn aufgefaßt werden können. Die proklitischen Formen werden im lexikalischen Defaultfall für das Agens transitiver Verben verwendet, die enklitischen Pronomina für das Patiens transitiver Verben. Folgende Beispiele dienen zur Illustration der pronominalen Marker im Atschechischen (vgl. Durie 1985: 55f.): (35)
(a)
(b)
(c)
Ion teungöh-lön-jak I middle-1-go Ί am going/walking' gopnyan galak-geuh that he happy-3 very 'he is very happy' gopnyan na-lôn-timbak-geuh he BE-l-shoot-3 Ί shot him'
Die Ergebnisse der Analyse der atschechischen intransitiven Verben sind in (36) zusammengefaßt.
140
(36)
Beatrice Primus
Atschechisch: Argumentkodierung bei intransitiven Verben (Durie 1985: 62f.)
Semantische Grundrelation
Anzahl Lesarten
Proklitikon
Enklitikon
Unabhängigkeit
28
1 (4%)
27 (96%)
Unabhängigkeit, Wahrnehmung
30
14 (47%)
16 (53%)
Unabhängigkeit, Aktivität
10
3 (30%)
7 (70%)
Unabhängigkeit, (Wahrnehmung), Aktivität, Kausation, (Kontrolle)
14
14 (100%)
- (0%)
Die Zahl der berücksichtigten Lexeme in (36) ist relativ gering, die Ergebnisse liefern jedoch keinen Anhaltspunkt, die Hypothese (33) oder die Annahme zu revidieren, daß es sich um eine lexikalisch gesteuerte Selektion handelt. Duries Vorschlag geht von Kontrolle bzw. Volitionalität als relevanten Faktor für die Klitikselektion aus, genauere Prognosen erzielt man jedoch mit der hier vorgeschlagenen Rollenkonzeption und mit dem Prinzip (33). Na-Dene Sprachen wurden vielerorts als aktivische Sprachen klassifiziert. Genauere Angaben anhand des Lexikons von Story/Naish (1973) kann man zum Tlingit machen. Verblexeme, die Story und Naish als intransitiv klassifizieren, können nur ein 'Subjekt'-Präfix (S) selegieren (vgl. (37a)), solche die als statisch klassifiziert werden, können nur ein 'Objekt'-Pronomen (O) selegieren (vgl. (37b)). Transitive Verben illustriert (37c). Die erste Spalte nennt die Verbform, die die Autorinnen als 'verb theme' analysieren. Vgl. Story/Naish (1973: 366): (a)
(b)
(c)
ya-goot x'a-di-taan ya-kee li-teesh ya-naa lu-ya-gook ya-ya-dlaak si-.ee
xwaagòot x'axwditàan tookéen xat woolitèesh xat googanáa haa loowagòok kuyawtoowadlàak at xasa.ée
Ί went' (xa- lSg, S) Ί spoke' (xa- lSg, S) 'we're sitting' (too- 1P1, S) 'I'm lonesome' (xat lSg, O) 'I'm going to die' (xat lSg, O) 'we ran' (haa 1P1, O) 'we beat them' (ku 3P1, O; too- 1P1, S) 'I'm cooking something' (at 3Sg, O; xa- lSg, S)
Die Ergebnisse einer partiellen Lexikonanalyse für Tlingit faßt (38) zusammen:
Dekomposition semantischer Rollen
(38)
141
Tlingit: Selektion pronominaler Präfixe bzw. Proklitika bei intransitiven Verben (Story/Naish 1973: 265-301)
Semantische Grundrelation
Anzahl Lesarten
S-Präfix
O-Proklitikon
Unabhängigkeit
108
8(7%)
100(93%)
Unabhängigkeit, Wahrnehmung
34
12 (35%)
22 (65%)
Unabhängigkeit, Aktivität
53
7? (13%)
46(87%)
Unabhängigkeit, (Wahrnehmung), Aktivität, Kausation, (Kontrolle)
109
97(89%)
12(11%)
Einige Ergebnisse sind tentativ. So kann man bei 6 der 7 Vorgangsverben mit S-Präfix davon ausgehen, daß sie kontrollierbare Vorgänge denotieren, weil sie auf menschliche Partizipanten beschränkt sind und in einigen Fällen eine zweite Lesart haben, die Kontrolle impliziert: ku-ya.00 'live at, dwell permanently', a-ya-di-taa 'turn over, roll in one's sleep', a-li-tsaa 'belch, burp', di-saa 'breathe', a-dli-ts'ixaa 'sneeze', ka-di-sèigakw 'regain breath'. Unter den 97 Handlungsverben mit S-Präfix befinden sich einige, die einen kontrollierbaren mentalen Vorgang denotieren, wie z.B. si-.aax 'listen to', tu-li-.aat 'decide, make up one's mind', oder einige, die kontrollierbare Positionen bezeichnen, wie ya-.aa 'sit'. Bei solchen Verben ist die Zuordnung von Aktivität problematisch, wie die Diskussion im Abschnitt 2.5 weiter oben gezeigt hat. Wichtig ist allerdings, daß alle 12 Handlungsverben mit O-Proklitikon bis auf k'a-dli-.oosh 'sulk, refuse to talk' alle Proto-Agens-Relationen selegieren. Zusammenfassend kann man festhalten, daß die Generalisierung (33) auch für das Tlingit gute Dienste leistet. Die hier präsentierten Lexikonanalysen haben ergeben, daß für den aktivischen Kodierungstyp mit Hilfe der hier vertretenen Rollenkonzeption eine einheitliche rollensemantische Motivation gefunden werden konnte. Die Motivation war jedoch in keiner der hier präsentierten Sprachen derart, daß man absolut gültige Regeln hätte aufstellen können. Man muß somit die hier behandelte Kodierung im Lexikon der jeweiligen Sprachen aufführen, wobei für bestimmte Verbklassen lexikalische Default-Regeln formuliert werden können. Wie (33) vorhersagt, sind solche Defaults für Eigenschaftsverben und Handlungsverben, die jeweils die geringste bzw. die höchste Zahl von Proto-Agens-Relationen selegieren, am zuverlässigsten. Die Lexikonanalysen ergaben auch, daß nicht jede theoretisch mögliche Kombination von semantischen Grundrelationen mit gleicher Häufigkeit lexikalisiert ist. Es überwiegen bei weitem solche Lexikalisierungen, die durch die im Abschnitt 2 vorgestellten Implikationen vorhergesagt werden.
142
Beatrice Primus
Wenn man nun das Kodierungsprinzip (33) für aktivische Sprachen mit dem allgemeinen Argumentselektionsprinzip von Dowty in (11) weiter oben vergleicht, ergeben sich Parallelen, die nur durch die aus unabhängigen Gründen kritisierte Verwendung grammatischer Relationen verdunkelt werden. Wenn man Dowtys Prinzip von der Einschränkung auf syntaktisch transitive Verben befreit und den Bezug auf grammatische Relationen eliminiert, so erhält man folgende Formulierung: (39)
Für eine beliebige Sprache S, für beliebige distinkte primäre morphologische Kodierungskategorien Α, Β und für eine beliebige sekundäre morphologische Kodierungskategorie C: (a) Je mehr Proto-Agens-Grundrelationen einem Partizipanten aufgrund der unmarkierten Lesart eines Verbs (bzw. Satzes) zugewiesen werden, um so eher erhält dieser Partizipant Kodierung A, und (b) Je mehr Proto-Patiens-Grundrelationen einem Partizipanten aufgrund der unmarkierten Lesart eines Verbs (bzw. Satzes) zugewiesen werden, um so eher erhält dieser Partizipant Kodierung B. Korollar von (a): Je weniger Proto-Agens-Grundrelationen einem Partizipanten aufgrund der unmarkierten Lesart eines Verbs (bzw. Satzes) zugewiesen werden, um so eher erhält dieser Partizipant eine von A verschiedene Kodierung (B oder C). Korollar von (b): Je weniger Proto-Patiens-Grundrelationen einem Partizipanten aufgrund der unmarkierten Lesart eines Verbs (bzw. Satzes) zugewiesen werden, um so eher erhält dieser Partizipant eine von Β verschiedene Kodierung (A oder C).
Für (39) relevante Kodierungskategorien sind Kasus und Verbkongruenzmarker, die im Lexikon zugewiesen werden. Unter den Kasus sind Nominativ, Akkusativ und Ergativ die primären Kasus eines Systems und Dativ und andere oblique Kasus periphere, sekundäre Kategorien. Ein Ergativparameter spezifiziert die Werte von A und Β für den Nominativ- und Ergativkodierungstyp. A ist beim Nominativkodierungstyp der Nominativ und beim Ergativkodierungstyp der Ergativ. Β ist beim Nominativkodierungstyp der Akkusativ und beim Ergativkodierungstyp der Absolutiv, der auch Nominativ genannt wird.11 Daß (39) sehr gute Prognosen für kanonische transitive Sätze macht, wurde im Abschnitt 1 anhand von Beispielen aus Nominativsprachen belegt. Was im Abschnitt 3 gezeigt werden konnte, ist, daß auch der aktivische Kodierungstyp, der in (33) charakterisiert wurde, von (39a) und dessen Korollar korrekt erfaßt wird. (39a) und sein Korollar erklären auch, warum ein Zustandsträger (z.B. Experiencer oder Possessor), der relativ wenige Proto-Agenseigenschaften akkumuliert, in einer Nominativsprache oft nicht durch den Nominativ und in einer Ergativsprache oft nicht durch den Ergativ kodiert wird (vgl. Tsunoda
11
Vgl. Primus (1995, 1994, Kap. 2 und 4) für die Einführung und Motivation primärer vs. sekundärer Kodierungskategorien auf der Basis einer universellen Kasushierarchie sowie für eine eingehendere Diskussion des Ergativparameters.
Dekomposition semantischer Rollen
143
1981, Bechert 1982, Verma/Mohanan 1991). Damit wird die schon von Klimov (1974: 15) beobachtete Affinität zwischen aktivischer Kodierung und der universell weit verbreiteten nichtkanonischen Kodierung von Zustandsträgern theoretisch einfach erfaßt (vgl. auch Lazard 1986: 97). Die Beispiele in (40) illustrieren nicht-nominativische Zustandsträger in Nominativsprachen und die in (41) nicht-ergativische Zustandsträger in Ergativsprachen: (40)
(a) (b)
(c)
(d)
(41)
(a)
(b)
Deutsch: Rumänisch:
Mich friert (es). Mie îmi este frig. ich(DAT) CL-DAT ist kalt 'Mir ist kalt' Finnisch (Vilkuna 1989:45): minun on sääli häntä ich(GEN) ist Mitleid sie(PAR) 'Ich bemitleide sie' Quechua (Cole 1982: 108): Juzi-ta rupa-n. José-AKK heiß-3SG '(Dem) José ist (es) heiß' Lasisch (Dumézil 1967: 22) k'ap'lan-epe-s aSkurn-es Tiger-PL-DAT fürcht-AOR,3PL 'Die Tiger fürchteten sich.' Tonganisch (Chung 1978: 217) 'oku sio ki tahi 'a e PROG seh auf Ozean NOM DEF 'Jener Mann schaute auf den Ozean'
sianá na Mann jener
Ansätze, die im Rahmen traditioneller Rollentheorien die Kodierung von Zustandsträgern zu erklären versuchen, stoßen auf erhebliche Probleme. Stellvertretend soll die Beurteilung von Mohanan/Mohanan (1991:41) zitiert werden: "the semantic domains which have been observed to be associated with dative logical subjects include the notions experiencer, non-agentivity, non-volitionality, absence of conscious choice, stativity, physical ability, permission and possession ... Within traditional theta theory such list is dissatisfying ... unless we identify the semantic generalization that characterizes this list". Die Beispiele in (40) und (41) sollen darauf hinweisen, daß gespaltene Intransitivität in sehr vielen Sprachen anzutreffen ist. Was die aktivischen Sprachen wie Guarani, Atschechisch und Tlingit auszeichnet, ist die Quantität der Spaltung. Das hat zwei Gründe. Zum einen haben die meisten aktivischen Sprachen keine Adjektivstämme und verfügen somit über eine viel größere Zahl von Eigenschaftsverben und Zustandsverben. Zum anderen kodieren so gut wie alle bekannten aktivischen Sprachen mit einer quantitativ ausgeprägten Spaltung die hier relevante rollensemantische Information mittels Verbkongruenzmarker (vgl. Nichols 1990, 1992). Im Batsi-
144
Beatrice Primus
sehen, einer kausmarkierenden ergativischen Sprache, ist die gespaltene Intransitivität, wie schon erwähnt, auf Pronomina der 1. und 2. Person eingeschränkt. Verbkongruenzmarker, die im Lexikon zugewiesen werden, unterscheiden sich in einem wesentlichen Aspekt von Kasussystemen. Sie weisen keine unterschiedliche Allomorphiekomplexität auf, wie man z.B. in (31) sieht. Daraus erklärt sich, daß die Verbkongruenzkategorien keine formale hierarchische Relation eingehen, wie sie zwischen Nominativ vs. Akkusativ einerseits und Absolutiv vs. Ergativ andererseits besteht. Diese formale Asymmetrie bildet die Grundlage für das Prinzip, das die Generalisierung der einfacheren Form (d.h. des Nominativs bzw. Absolutivs) für intransitive Verben voraussagt (vgl. eingehender Primus (1994, Kap. 2.3 und 4.3)). Weitere Merkmale, die für Klimov (1974) den aktivischen Sprachtyp charakterisieren wie z.B. die Abwesenheit der Numeruskategorie bei Nomina, die inklusiv-exklusiv Opposition bei Pronomina oder die Absenz von Diathesen wie Passiv, haben sich als irrelevant erwiesen (vgl. Lazard 1986, Nichols 1990).
4. Zusammenfassung Im ersten Teil des vorliegenden Beitrags (Kapitel 1 und 2) wurde auf der Grundlage eines Vorschlags von Dowty ein Ansatz zur Behandlung semantischer Rollen vorgeschlagen, der sich durch folgende Merkmale charakterisieren läßt: (a) spezifische semantische Rollen wie Agens, Verursacher, Experiencer, Possessor, Patiens, Thema, Stimulus, Rezipient oder Benefaktiv lassen sich auf zwei Prototypenbegriffe, Proto-Agens und Proto-Patiens, zurückführen, die durch zwei verschiedene Mengen von semantischen Grundrelationen definiert werden; (b) zwischen den semantischen Grundrelationen, die eine Proto-Rolle definieren, bestehen semantische Implikationen oder konversationeile Implikaturen. Folgende Grundrelationen, die in verkürzter Formulierung als Substantive erscheinen, sind durch Implikationen oder Implikaturen miteinander verbunden und charakterisieren den ProtoAgensbegriff: Kontrolle, Kausation, Aktivität, Wahrnehmung, rollensemantische Unabhängigkeit und Belebtheit. Dabei erweist sich rollensemantische Unabhängigkeit als zentrales Element in dieser Reihe, weil sie von allen anderen Elementen der Reihe impliziert wird. Rollensemantische Unabhängigkeit erfaßt die Intuition, daß agentivische Grundrelationen unabhängig von der Grundrelation eines anderen Partizipanten interpretiert werden. Auch Kontrolle spielt für den Proto-Agensbegriff eine prominente Rolle, weil sie alle anderen Eigenschaften impliziert. Eine zweite Implikationsreihe weist diejenige Grundrelationen als Proto-Patiens-Relationen aus, die rollensemantische Abhängigkeit von der Grundrelation eines anderen Partizipanten implizieren. Solche Grundrelationen sind zum Beispiel kausal affiziert, bewegt, zustandsverändert, wahrgenommen (d.h. Stimulus) oder benefaktiv affiziert (d.h. Benefaktiv). Solche Implikationsreihen weisen darauf hin, daß nicht jede theoretisch mögliche Kombination von semantischen Grundrelationen, die eine Proto-Rolle definieren, mit gleicher Häufigkeit lexikalisiert ist. Es überwiegen bei weitem solche Lexikalisierungen, die durch die im Abschnitt 2 diskutierten und hier kurz zusammengefaßten Implikationen vorhergesagt werden. Durch das Merkmal in (b) und durch die
Dekomposition semantìscher Rollen
145
daraus resultierenden Erkenntnisse hebt sich der vorliegende Ansatz vom Vorschlag Dowtys deutlich ab. Im zweiten Teil des vorliegenden Beitrags (Kapitel 3) wurde an einer Fallstudie der deskriptive Wert und die Erklärungskraft der in den Kapiteln 1 und 2 vorgestellten Rollenkonzeption demonstriert. Es handelt sich um die Kodierung semantischer Relationen bei intransitiven Verben in aktivischen Sprachen wie Guarani, Batsisch, Tlingit und Atschechisch. Für diesen Zweck wurden relativ umfangreiche Lexikonanalysen für diese Sprachen angeboten. Die präsentierten Lexikonanalysen haben ergeben, daß für den aktivischen Kodierungstyp mit Hilfe der hier vertretenen Rollenkonzeption eine einheitliche rollensemantische Motivation gefunden werden konnte, die auch bei der Kodierung von Zustandsträgern in Nominativ- und Ergativsprachen sichtbar wird. Diese Motivation wurde durch ein universelles Präferenzgesetz erklärt, das die morphologische Argumentkodierung in verschiedenen Systemen (nominativisch, ergativisch, aktivisch) sowohl bei einstelligen als auch bei mehrstelligen Verben erfaßt. Es wurde darauf hingewiesen, daß morphologische gespaltene Intransitivität in einer quantitativ weniger ausgeprägten Form als im Guarani, Atschechisch oder Tlingit in sehr vielen Sprachen der Welt vorkommt und daß sie in allen Sprachen durch das oben erwähnte Präferenzgesetz für morphologische Argumentkodierung semantisch einheitlich motiviert werden kann. Die charakteristische Eigenschaft aktivischer Sprachen wie Guarani, Tlingit und Atschechisch ist die Quantität der gespaltenen Intransitivität und diese hat andere Ursachen als das hier diskutierte Argumentkodierungsprinzip. Eine der Ursachen ist die Absenz von Adjektiven und die große Zahl von Zustandsverben. Die andere Ursache ist die Markierung der hier diskutierten rollensemantischen Information mittels Verbkongruenz. Dieses Ergebnis zeigt, daß die aktivische Kodierung weder funktional noch formal einen eigenen Kodierungstyp bildet. Alternative Ansätze, die sich mit der semantischen Motivation gespaltener Intransitivität und verwandter Phänomene wie der nicht-kanonischen Kodierung von Zustandsträgern beschäftigt haben, konnten dieses Phänomen nicht adäquat erfassen. Am weitesten davon entfernt, die rollensemantische Motivation des Phänomens durch ein Prinzip korrekt und vollständig zu erfassen, sind Ansätze, die mit semantischen Rollen als monolithische, nicht zusammengesetzte Begriffe arbeiten. Bessere deskriptive Ergebnisse erzielen Ansätze, die mehrere semantische Begriffe wie Volitionalität, Telizität oder Stativität berücksichtigen. Unbefriedigend bleibt in diesen Ansätzen, daß kein Zusammenhang zwischen den Begriffen gesucht bzw. gefunden wird. Der hier präsentierte Ansatz konnte nicht nur empirisch vollständigere und genauere Analysen, sondern auch eine einheitlichere und einfachere Erklärung für diesen Datenbereich anbieten.
146
Beatrice Primus
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Eva Schultze-Berndt
(Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, Nijmegen)
Zur Interaktion von semasiologischer und onomasiologischer Grammatik: Der Verbkomplex im Jaminjung*
1. Einleitung Dieser Beitrag ist ein Versuch, die Interaktion von semasiologischem und onomasiologischem Zugang bei der Sprachbeschreibung an einem Fallbeispiel zu skizzieren. Es soll gezeigt werden, daß eine zweiteilige Grammatik ein fruchtbarer Ansatz für eine Sprachbeschreibung sein kann, wobei "Beschreibung" sowohl in der statischen Lesart (die in Form einer Grammatik festgehaltene Beschreibung) als auch in der dynamischen Lesart zu verstehen ist, nämlich als Prozeß der Sprachbeschreibung beispielsweise in der Feldforschungssituation. Das komplexe Verb im Jaminjung, einer australischen Sprache, wird dabei zunächst in seinen strukturellen Eigenschaften (Kap. 2) und daraufhin in seinen Funktionen (Kap. 3) untersucht. Dabei wird jeweils auf die Querverbindungen hingewiesen. Zuvor (in Abschnitt 1.1.) wird der zweiteilige Ansatz in der Sprachbeschreibung kurz skizziert. Einen Überblick über die soziolinguistischen und typologischen Charakteristika des Jaminjung gibt Abschnitt 1.2.
1.1. Semasiologische und onomasiologische Grammatik Die Grundzüge einer zweigliedrigen Grammatik, bei der formale und funktionale Aspekte einer Sprache zwei zunächst voneinander unabhängige Darstellungsperspektiven sind und die somit aus einem nach (übereinzelsprachlichen) Funktionen gegliederten onomasiologischen Teil und einem nach formalen Kriterien gegliederten semasiologischen Teil besteht, werden unter anderem von Lehmann (1989) dargestellt. Auch mehrere Beiträge in diesem Band beziehen sich auf diese Konzeption bzw. eine in der Ausarbeitung begriffene Umsetzung als computergestützter Beschreibungsrahmen. Die meisten existierenden deskriptiven Grammatiken sind nach einem - mehr oder weniger stringent durchgehaltenen - semasiologischen Prinzip aufgebaut, da zu Recht davon ausgegangen wird, daß nur so dem Funktionieren einer Einzelsprache Rechnung getragen werden kann. Dies erschwert jedoch typologische Untersuchungen, da oft nicht voraussehbar ist, welche Funktionen durch welche sprachlichen Mittel erfüllt werden. Der onomasiologische Zugang *
Die Sprachdaten für diese Arbeit stammen teilweise aus der Beschreibung des Jaminjung von Cleverly (1968) und größtenteils aus einer sechsmonatigen eigenen Feldforschung, die durch ein Stipendium des DAAD ermöglicht wurde. Meinen Lehrerinnen und Lehrern, insbesondere Dolly Bardbarriya, Lena Dalmarrang, Eileen, Nancy und Josie Roberts und Laune und Doris Roberts, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Danken möchte ich auch Denise Angelo, Frances Kofod und Patrick McConvell und ihren Familien für ihre Unterstützung während der Feldforschung und zahlreiche Anregungen. Jürgen Bohnemeyer und Christian Lehmann danke ich für viele hilfreiche Anmerkungen zu vorhergehenden Fassungen dieses Artikels.
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Eva
Schultze-Bemdt
würde daher vor allem typologische Fragestellungen aufgreifen und nach der Verwirklichung beispielsweise von Partizipantenanbindung, Referenzfestlegung, Kausation, Quantifikation oder räumlicher und zeitlicher Orientierung fragen. Es geht also nicht in erster Linie darum, eine übereinzelsprachlich absolut gültige Gliederung sprachlicher Funktionen zu unternehmen, sondern darum, möglichst viele typologisch sinnvolle Fragestellungen zu berücksichtigen. Eine solche Trennung von formaler und funktionaler Perspektive hat beispielsweise den Vorteil, daß das Lexikon nicht aus der Sprachbeschreibung ausgeklammert wird: Geht man als Arbeitshypothese davon aus, daß eine bestimmte kommunikative Funktion von jeder Sprache erfüllt werden muß, es aber in einer gegebenen Einzelsprache keine grammatischen (morphosyntaktischen) Mittel dafür gibt, dann bleibt immer noch die Möglichkeit, daß der Ausdruck dieser Funktionen lexikalisiert ist (s. z.B. Talmy 1985). Dies könnte und müßte im onomasiologischen Teil einer Sprachbeschreibung berücksichtigt werden. Als Beispiel soll daher auch ein Phänomen dienen, das an der Schnittstelle von Lexikon und Grammatik anzusiedeln ist und als "Verbkomplex" oder "komplexes Verb" bezeichnet werden kann, je nachdem, als wie stark lexikalisiert man die Verbindung ihrer Bestandteile ansieht. Diese unter semasiologischem Aspekt mehr oder weniger einheitliche Konstruktion kann sehr unterschiedlichen Funktionen zugeordnet werden, wobei die Kombination einer generischen und einer spezifischen Komponente teilweise dem Ausdruck eines einfachen oder komplexen Sachverhalts dient, teilweise aber auch produktive Schemata mit "grammatischen" Funktionen erkennen läßt.
1.2. Z u m Jaminjung Der Beschreibung des Verbkomplexes im Jaminjung seien einige allgemeine Informationen über diese Sprache vorangestellt. Sie gehört zur jaminjunganischen (auch: Yirram-) Sprachfamilie der australischen Sprachen und wird als nicht-pama-nyunganische Sprache angesehen. Heute wird Jaminjung noch von etwa 30 meist älteren Sprechern gesprochen, die in mehreren Siedlungen im Victoria River District (Northern Territory) leben. Weitere Mitglieder dieser Sprachfamilie sind das mit dem Jaminjung sehr eng verwandte Ngaliwurru, mit etwa gleicher Sprecherzahl, und das Nungali, mit nur noch einem Sprecher; vereinzelt werden auch Beispiele aus diesen Sprachen herangezogen. Sie sind bisher dokumentiert in den grammatischen Skizzen von Cleverly 1968 (Jaminjung) und von Bolt et al. 1971 (Ngaliwurru und Nungali). Beispiele ohne Literaturangabe sind Daten aus meiner eigenen Feldforschung. Typologisch kann das Jaminjung durch seine freie Wortstellung charakterisiert werden. Die Partizipanten werden sowohl konzentrisch am Verb als auch exzentrisch durch Kasus markiert. Das Kasussystem ist ergativisch; die konzentrische Markierung funktioniert dagegen akkusativisch. Der morphologische Typus ist agglutinierend bis flektierend.
151
Der Verbkomplex im Jaminjung
2. Semasiologie des Verbkomplexes Die Struktur des im folgenden behandelten Verbkomplexes ist ein areales Merkmal, das sich über einen weiten Bereich im Norden Australiens erstreckt. Ihm sind eine Reihe der Beiträge unter "Topic E: Simple and compound verbs" des Sammelbandes "Grammatical Categories in Australian Languages" (Dixon 1976) gewidmet; allerdings gibt es noch andere Arten von Verbkomplexen in australischen Sprachen. Das hier beschriebene Phänomen teilt Jaminjung nicht nur mit mehreren benachbarten nicht-pama-nyunganischen Sprachen, z.B. im Westen Gooniyandi (McGregor 1990), Miriwoong und Gajirrawoong (Kofod 1976), und im Osten Wakiman (Cook 1988) und Wardaman (Merlan 1994), sondern auch mit einigen der im gleichen Gebiet gesprochenen pama-nyunganischen Sprachen der Ngumpin-Gruppe, z.B. Ngarinyman und Bilinara (Nordlinger 1990). Ähnliche Phänomene gibt es unter anderem auch im Mangarrayi (Merlan 1982), in den Daly River-Sprachen, z.B. Malak-Malak (Birk 1976, Tryon 1976) und in verschiedenen Sprachen im nordöstlichen Arnhem Land (Heath 1976); s. a. 2.3. Der Verbkomplex des Jaminjung besteht aus dem finiten Verb und einem unflektierten Koverb, das typischerweise dem Verb unmittelbar vorausgeht, ihm aber auch folgen kann. Das finite Verb kann jedoch auch für sich alleine bzw. mit nominalen Argumenten, aber jedenfalls ohne Koverb, einen einfachen Satz konstituieren, wie Beispiele 1 und 2a im Vergleich mit 2b zeigen. 1.
gana-ngu 3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-NEHM.PRT
"er/sie hat es gefangen" (z.B. einen Fisch) 2 . a . mayi-ni gana-rra-ny malayi Mann-ERG
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-TU-PRT
Frau
binka-bina
gugu-wu
Fluß-ALL
Wasser-DAT
"der Mann schickte die Frau zum Fluß um Wasser" b . mangarra dalag gani-wa-rra Nahrung
senden
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-FUT-TU
"er/sie wird Essen schicken" Der Wortartenstatus und die morphosyntaktischen Charakteristika von Verb und Koverb werden in den Abschnitten 2.1. und 2.2. behandelt, die semasiologische Seite ihrer Kombination im Verbkomplex im Abschn. 2.3.
2.1. Das finite Verb Das Verb flektiert im Jaminjung für Person und Numerus des Subjekts, im Falle von transitiven Verben auch für die des Objekts. Die Verbstämme sind inhärent transitiv oder intransitiv, was durch das jeweils verwendete Paradigma dieser präfigierten gebundenen Pronomina eindeutig angezeigt wird. Obligatorisch ist weiterhin die Flexion für Tempus/ Modus, teilweise in Form
152
Eva Schultze-Bemdt
von Präfixen, teilweise in Form von Suffixen. Im folgenden wird die Form der 3. Person Singular Präsens als Zitierform verwendet. Diese flektierbaren Verben bilden eine sehr kleine lexikalische Klasse. Hoddinott & Kofod 1976 listen 22 Verben auf (davon sind 18 transitiv und nur 4 intransitiv); möglicherweise gibt es noch einige mehr. Von diesen werden jedoch nur etwa ein Dutzend häufig verwendet. Ihrer geringen Anzahl entsprechend haben sie sehr generelle Bedeutungen, die sich natürlich in einer Übersetzung nur schwer wiedergeben lassen. Spezifische Lesarten ergeben sich aus der Kombination von Koverb und Verb (s. Abschn. 2.3.), bei Verwendung eines Verbs ohne Koverb aber auch aus dem Kontext. Though the specific meanings of the simple verbs are difficult to ascertain (especially where in some cases the verbs do not occur without a particle) generalized notions of e.g. gathering, grasping, movement towards or away from the person, may be seen to underlie the verbs and their more specific compound forms. (Bolt et al. Ngaliwurru: 42f.)
Die semantische Flexibilität der in Bsp. 2 schon mit "schicken" übersetzten Verbwurzel -rrazeigt sich an den Kombinationen jarr ganarram "hinlegen", muri ganarram "rösten", jubard ganarram "verschließen" und gurrij ganarram "graben"; diese Liste stellt nur einen kleinen Ausschnitt der Möglichkeiten dar. Als Grundbedeutung dieses Verbs wäre etwa 'die Veränderung eines Zustands herbeiführen' anzunehmen; es wird hier mit ' - T U - ' glossiert (s. dazu auch Abschn. 3.2.). Ein noch verblüffenderes Beispiel ist die Verbwurzel -(y)unggu- , die unter anderem mit "sagen, sprechen" (3), "ausstoßen" (4), "werfen" (5) oder mit "sich fortbewegen1" übersetzt werden muß (6). 3.
yina-mulu-wu DIST-ALLE-DAT
4.
6.
reden
l.SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS 2 -PRS
burrag 3.PL.DAT
"diesen allen, ich sage ihnen (...)" ngujulb ganu-nggu-m husten
5.
jarragab nga-yunggu-m
1 ,SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
"er/sie hustet" diwu nga-yu
nu
fliegen l.SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS:PRT
3.SG.DAT
"ich warf es ihr/ihm zu" jungulug malayi yugung
ganu-nggu-m
ein
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
Frau
rennen
"eine Frau rennt" Die Formulierung einer "Grundbedeutung" für das Verb ganunggum steht noch aus. Als erste Annäherung könnte man annehmen, daß die zugrundeliegende Vorstellung das Anstoßen bzw. ganunggum tritt nur mit Koverben der Bedeutung "laufen" oder "klettern" auf, während die Bedeutung "gehen" und andere Fortbewegungsaiten wie "schwimmen" durch das Verb gangga "gehen" abgedeckt werden. Die Wahl der Glosse (hier '-STOSS-') für diese und andere Verbstämme hat somit notwendigerweise nur Annäherungs-Charakter. Durch die Großschreibung der Glossen soll verdeutlicht werden, daß viele der Verbstämme so stark desemantisiert sind, daß sie in die Nähe eines Grammems rücken (s.a. Abschn. 2.3.).
Der Verbkomplex im Jaminjung
153
Geben eines Impulses ist, aufgrund dessen ein bestimmter Vorgang - der Flug eines Objektes auf einer Bahn oder die Fortplanzung von Schallwellen - ohne weitere Energiezufiihrung seinen (typischerweise zeitlich begrenzten) Verlauf nimmt. Daß die Konzepte des 'Werfens' und des 'Mitteilens' semantisch nicht so unvereinbar sind, wie es auf den ersten Blick scheint, zeigen schon metaphorische Ausdrücke im Deutschen wie etwas einwerfen, jemandem Flüche entgegenschleudern oder einen Laut ausstoßen.
2.2. Das Koverb Das Koverb des Jaminjung ist unflektiert. Cleverly (1968: 67ff.) und Bolt, Hoddinott & Kofod (Boit et al. Ngaliwurru: 42) sprechen einfach von Partikeln ('verbal particles') oder Präverben. Die letztere Bezeichnung ist jedoch irreführend, da das Koverb dem finiten Verb vorausgehen oder folgen kann und nicht notwendigerweise adjazent zu diesem steht. Daher wird hier die Bezeichnung "Koverb" verwendet; die Koverben im Jaminjung sind jedoch zu unterscheiden von den grammatikalisierten seriellen Verben z.B. des Chinesischen, für die oft der gleiche Terminus verwendet wird. Weitere mögliche Bezeichnungen für diese Wortart sind "Partizip" (Cook 1988) bzw. "Gerundium" (Capell 1976) aufgrund ihrer funktionalen Ähnlichkeit mit diesen Wortformen in europäischen Sprachen; dadurch wird aber verschleiert, daß es sich (mindestens aus synchroner Perspektive) nicht um aus Verben abgeleitete Formen handelt. Koverben können zwar Derivationsmorphologie aufweisen, dabei handelt es sich aber meist um Ableitung aus einem Koverb durch Reduplikation (7) oder verschiedene Suffixe (s. unten Bsp. 9). Vereinzelt kommen auch aus einem Nomen derivierte Formen vor (8). 7.
gubgub
nga-ngga-m
yulgi
heraus:RDP
1 ,SG.SBJ:3.SG.OBJ-NEHM-PRS
Egel
8.
"Ich ziehe den Egel (aus dem Bein) heraus/(vom Bein) ab" jarragab "reden, sich unterhalten" < jarra "Mund"
Reduplikation kann Intensität (wie oben im Bsp. 7), aber auch Pluralität des Subjekts (s. dazu Abschn. 3.4.) und möglicherweise auch Durativität (wie im folgenden Bsp. 9b) anzeigen. Auch das Suffix -ma(n) 3 , das oft mit einer reduplizierten Form auftritt, signalisiert möglicherweise Durativität (s. a. 3.3.) 9 a.
gad
gani-ma-m
schneiden
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-SCHLAG-PRS
"er/sie schneidet es" Im Wakiman (Cook 1988: 70) weisen alle Koverben eine 'continuative'-Form mit der Endung 'ma/-Ca und eine 'punctual'-Form ohne dieses Suffix auf. Die Wurzel -ma- (wahrscheinlich aus *mara "Hand", vgl. Capell 1976: 618) tritt in sehr vielen australischen Sprachen in unterschiedlichen Funktionen auf, aus denen sich die Grundbedeutung "tun" rekonstruieren läBt; vgl. auch im Jaminjung die Verbwurzel -ma- "SCHLAG-" in Bsp. 9.
154 9b.
Eva Schultze-Berndt gadgadman
ga-yu
schneiden:RDP:DUR
3 .SG.SB J-SEI.PRS
"er/sie schneidet/'ist am Schneiden'" (vgl. Bsp. 45) Sofern sie nicht abgeleitet sind, weisen Koverben die phonologische Besonderheit auf, meist entweder zwei- oder einsilbig zu sein; sie sind damit die einzigen freien Formen im Jaminjung, die einsilbig sein können. Dabei handelt es sich natürlich nur um ein hinreichendes, nicht um ein notwendiges Kriterium für die Wortartenbestimmung. Zudem lauten überdurchschnittlich viele Koverben auf die Konsonantenkombinationen /rrg/ und /rrb/ aus, was auf fossilisierte Derivationsmorphologie schließen läßt (vgl. a. Nordlinger 1990: 99f. für das Bilinara). Nicht von allen Autoren werden Koverben als eigene Wortart angesehen. So schreiben beispielsweise Hoddinot & Kofod (1976a: 702): The particle may come from one of a number of word classes, though adjectives and adverbs make up the majority of them.
In der Tat kann man Subklassen von Koverben bzw. multiple Wortartenzugehörigkeit aufgrund der Kompatibilität mit verschiedenen syntaktischen Positionen herausarbeiten. So können einige Koverben wie budharl "traurig" und digirrij "tot" auch attributiv verwendet werden wie im folgenden Beispiel, das allerdings den Charakter einer unnatürlichen elizitierten Äußerung hat (vgl. dazu die Verwendungen als Koverb in Bsp. 50 und in Abschn. 3.3.). 10.
gujarding budharl
jalig-yulu
digirrij
ngilija ga-yu
Mutter
Kind-INAL
tot
weinen 3.SG.SBJ-SEI.PRS
traurig
"die traurige Mutter des toten Kindes weint" (Cleverly 1968: 115) Andere Koverben, die in etwa die Funktion unserer abgeleiteten nomina actionis erfüllen, können, versehen mit den Dativ- und Allativ-Suffixen (also nominaler Morphologie), als Adjunkt in finaler/purposiver Bedeutung mit Bewegungsverben stehen: 11.
12.
yindhu-bina buru
nga-rum-any
ngunggu
jarragab-gu
PROX-ALL
1 .SG.SBJ-KOMM-PRT
2.SG:DAT
Reden-DAT
zurück
"ich bin hierher zurückgekommen zu dir zum Reden" nga-wi-jga mugurn-bina l.SG.SBJ-FUT-GEH
Schlafen-ALL
"ich will schlafen gehen" Am schwierigsten ist die Abgrenzung der Koverben von Adverbien; diese sind ebenfalls unflektiert, so daß hier vorwiegend semantische Kriterien zum Tragen kommen, wie sie Merlan für das Mangarrayi anwendet: Most particles [d.h. Koverben, ESB] have a complex lexical meaning which does not merely qualify or modify the meaning of the inflecting verb; the particles express most of the lexical meaning of the verb construction (Merlan 1982: 124).
Ein syntaktisches Kriterium für eine solche Abgrenzung wäre die Kombinierbarkeit von Koverben mit Adverbien, aber nicht mit anderen Koverben. Tatsächlich ist es aber überhaupt nur sei-
Der Verbkomplex im Jaminjung
155
ten der Fall, daß zwei "Partikeln" - die als Koverben oder Adverbien zu identifizieren wären mit einem finiten Verb kombiniert werden. Im Korpus fanden sich nur wenige Beispiele der Struktur in Bsp. 13, am ehesten noch bei lokalen Ausdrücken (s. Abschn. 3.1.). Viel häufiger wird dagegen das Verb wiederholt, wenn ein weiteres Koverb (bzw. "Adverb") zur Spezifikation nötig ist (14). 13.
14.
warrb yurru-yu
yurrg murag-gi
sitzen
reden
12.PL.SB J-SEI.PRS
Schatten-LOK
"wir sitzen zusammen und reden im Schatten"/ "wir sitzen redend zusammen im Schatten" yina-ngunyi wib gani-ngawu DIST-ABL
buru
schauen
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-SEH.PRT
gani-ngawu
zurück 3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-SEH.PRT
"von dort sah er zurück" (Cleverly 1968: 129) Als echte Adverbien sind möglicherweise nur einige wenige Lexeme anzusehen, die eine Art und Weise bezeichnen wie gabadag "schnell" und miyarra "langsam" oder räumliche Regionen wie dhangga "oben" und dhamirri "unten" (s. Abschn. 3.1.). Eine umfassende Untersuchung der Adverbien im Jaminjung und ihre Abgrenzung von Koverben steht noch aus. Aufgrund der bisher vorliegenden Evidenz gehe ich jedoch davon aus, daß es sich bei den Koverben um eine eigene Wortart handelt, was nicht ausschließt, daß eine Reihe von Koverben auch gleichzeitig den Adjektiven bzw. Adverbien angehören.
2.3. Der Verbkomplex So problematisch wie die Bestimmung der Wortart im Falle der Koverben ist auch die Frage nach dem syntaktischen Status der Konstruktion, die hier als "Verbkomplex" bezeichnet wird. Die verschiedenartigen Funktionen des Verbkomplexes, die für das Wakiman von Cook (1988) beschrieben werden, aber ähnlich im Jaminjung vorliegen, lassen eine einheitliche strukturelle Analyse schwierig erscheinen. The relationship between particular finite verbs and participles is not fixed: different participles can occur with various different finite verbs, to express a variety of meanings. This gives rise to a verbal system of great subtlety, with changes of finite verb or participle for a particular action expressing changes in transitivity or the speaker's perception of how the action was performed. However, some participles are associated almost exclusively with a particular finite verb, while others may ocur with virtually any finite verb; this is due to the semantics of particular lexical items. (Cook 1988: 74)
Für die Analyse existieren eine ganze Reihe von Ansätzen, die ein jeweils unterschiedliches Verhältnis von Koverb und Verb postulieren; das Phänomen des Verbkomplexes wird je nachdem als "analytische Flexion", "komplexer Satz", "Komposition" oder "verbale Klassifikation" bezeichnet. Diese Ansätze werden im folgenden kurz vorgestellt und diskutiert; dabei soll gezeigt
156
Eva Schultze-Berndt
werden, daß alle diese Beschreibungsansätze sinnvoll sind, aber keiner dem Phänomen voll gerecht werden kann, da durch die verwendete Terminologie strukturelle und funktionale Aspekte nicht auseinandergehalten werden. Dies spricht also für die Trennung von semasiologischer und onomasiologischer Perspektive, da nur so Bündelungen von Form und Funktion vermieden werden können, die einer gegebenen Einzelsprache nicht gerecht werden.
2.3.1. Analyse 1: "Verb und Auxiliar" Die in grammatischen Beschreibungen dieser Sprachen bislang am häufigsten verwendete Analyse ist die der analytischen Flexion oder 'conjugation by auxiliaries' (s. v.a. die Beiträge in Dixon 1976), der sich auch Bolt, Hoddinott & Kofod in ihrer Beschreibung für das Jaminjung/Ngaliwurru anschließen: Structurally the verb exists as a simple verb on its own, or combined with a proposed particle to which the simple verb serves as an auxiliary (Bolt et al. Ngaliwuiru: 42)
Diese Analyse beruht auf der Beobachtung, daß die Verben ("Auxiliare") Träger der grammatischen Kategorien und, wie oben beschrieben, semantisch vage sind, während der größte Teil der lexikalischen Bedeutung von den Koverben beigesteuert wird. Sie hat jedoch den Nachteil, daß - wie von den Autoren im obigen Zitat oder auch bei Merlan 1982 - die gleichen Lexeme einmal als Auxiliare und einmal als Verben bezeichnet werden müssen, da sie alle, wie schon oben erwähnt, auch ohne Koverb auftreten können. Weiterhin ist einzuwenden, daß die Verben mehr zur lexikalischen Bedeutung des Verbkomplexes beitragen, als man traditionellerweise von Auxiliaren erwarten würde. Die subtile Lesartenmodulation durch Verwendung zweier Verben mit dem gleichen Koverb soll anhand eines "syntaktischen Minimalpaars" verdeutlicht werden (die beiden Äußerungen in 15a und 15b fielen unmittelbar aufeinanderfolgend im gleichen Kontext). 15a.
b.
dum
gani-mindiya
ngayin
voll
3.SG.SBJ-.3.SG.OBJ-ESS.PRS Fleisch
"er (der Kakadu) frißt sich voll mit Fleisch" dum gani-mili-ny ngayin voll
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-NEHM-PRT
Fleisch
etwa: "er (der Kakadu) schlug sich voll mit Fleisch" Neben solchen rein semantischen Differenzierungen durch die Verwendung unterschiedlicher Verben mit dem gleichen Koverb lassen sich auch systematische Alternationen von Verben beobachten, die die Transitivität oder Aktionsart verändern und somit "grammatische" Funktionen übernehmen (dies wird vor allem in den Abschnitten 3.2. und 3.3. behandelt). Für diese Fälle, wie auch für die ΤΑΜ- und personalflektierten Wurzeln anderer Sprachen (z.B. Malak-Malak, Birk 1976), die eine wesentlich kleinere Klasse bilden und zudem stärker erodiert sind als die des Jaminjung, scheint die Analyse "Verb und Auxiliar" eher gerechtfertigt.
157
Der Verbkomplex im Jaminjung
2.3.2. Analyse 2: "Komplexer Satz" Eine Analyse, die zwar das Verb höher gewichtet, aber ebenfalls wesentliche Schwächen aufweist, ist die, den Verbkomplex als komplexen Satz anzusehen, in dem das Koverb dem Verb subordiniert ist (vgl. Cook 1988: 84ff.). Dagegen spricht nicht nur, daß Koverben und Verben schon lexikalisch auf die angeblich "subordinierte" bzw. "subordinierende" Position festgelegt sind, sondern auch daß Koverb und Verb nur gemeinsam negiert werden können und bei ihrer Kombination im Verbkomplex keine voneinander unabhängige Argumentstruktur haben können. Dies unterscheidet diese Art von Verbkomplex auch von der Verbserialisierung beispielsweise in einigen Papua-Sprachen, wo durch Serialisierung mehrerer generischer Verben ein - aus europäischer Sicht - einziger komplexer Sachverhalt als Sequenz von einfachen Sachverhalten ausgedrückt wird (vgl. Müller-Bardey 1988: 103ff. u. 134f.). Im Jaminjung kommen einem "komplexen Satz" noch am nächsten solche Konstruktionen, in denen das Koverb (oder das Verb) koprädikativ interpretiert wird, wie im folgenden Beispiel: 16.
judbung 4 -mij
birang
yugung
ganuga-nyi
hinten
rennen
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ:HOL-PRT Topf-ΚΟΜΓΓ
"hinter ihm rannte sie mit dem Topf weg"/ "sie nahm den Topf rennend" (Cleverly 1968: 137) Allerdings kann in einigen Fällen ein Koverb allein eine Prädikation bilden, zu erkennen an der eigenen Intonationskontur, so etwa burrb im Sinne von "fertig, Schluß": 17.
garla-garla
burru-yu
spielen-RDP
3 .PL. SB J-SEI.PRS
alibala5-ngunyi
warug
guji
burra-ngga...
ftiih-ABL
mittag
erst
3.PL.SBJ-GEH.PRS
[Pause]
burrb fertig
"sie spielen (Karten) von früh bis mittags - (dann ist) Schluß" Verwendungsweisen eines Koverbs wie die in Bsp. 17 oben werfen möglicherweise ein Licht auf die Entstehung des Verbkomplexes. Heath berichtet von vergleichbaren Konstruktionen in der Yulngu-Sprache Ritharngu und auch im Nunggubuyu, in denen die Ergänzung eines Verbs um einen unflektierten Verbstamm oder "suppletiven" Stamm in einer markierten Konstruktion resultiert: These suppletive root forms are often used as adjuncts to the inflected verbs, and serve mainly to add an expressive flavour [...] The nuance [...] can sometimes be expressed in translation by an expression such as 'all of a sudden' or even an inteijection like 'Pow!' or 'Bang!'. However, the Ritharngu elements are more clearly related to verbal notions. (Heath 1976: 736ff.)
Die expressive Funktion, von der Heath hier spricht, erinnert an die Verwendung von Verbstämmen in Comics (aber auch umgangssprachlich) im Deutschen, z.B. Keuch! Schwitz!. judbung < Engl.: "saucepan" alibala (Kriol) < Engl, "early" + "fellow", aber adverbial gebraucht
158
Eva Schultze-Berndt
Es ist durchaus vorstellbar, daß die Verwendung von Stämmen zusätzlich zu den Vollverben zunächst eine solche expressive Verstärkung darstellte, die dann mit zunehmender Integration in den einfachen Satz zum Abbau des Systems der flektierenden Verben führte. Im Jaminjung ist das Koverb vollständig ins Sprachsystem eingebunden und hat normalerweise keine besonders expressive Funktion.
2.3.3. Analyse 3: "Komplexes Verb" Wie aus den bisher angeführten Beispielen deutlich wurde, bilden Koverb und Verb in den meisten Fällen eine konzeptuelle Einheit, innerhalb derer generische und spezifische Anteile sich gegenseitig modifizieren. Es liegt daher nahe, statt der Analyse des Verbkomplexes als Verb und Auxiliar oder als komplexen Satz hier Komposition anzunehmen. Dagegen läßt sich natürlich einwenden, daß die Position des Koverbs nicht fixiert ist und daß zwischen den Stämmen des Koverbs und des Verbs Flexionsmorphologie (in Form der Personalpräfixe bzw. Tempussuffixe des finiten Verbs) steht. Im Sprachvergleich zeigt sich jedoch, daß die Übergänge fließend sind und ebenfalls eine mögliche diachrone Entwicklungslinie darstellen: Im Mangarrayi ist das Koverb auf die präverbale Position festgelegt, und teilweise existieren freie neben gebundenen Formen des Koverbs; im letzteren Fall wird es also zwischen die verbalen Präfixe und die Verbwurzel aufgenommen (Merlan 1982: 123ff.). In anderen Sprachen wie Jawoyn und Nunggubuyu überwiegt sogar diese "inkorporierte" Konstruktion. Auch in den Jaminjungan-Dialekten Ngaliwurru und Nungali (s. Abschn. 1.2.) gibt es vereinzelt komplexe Verbstämme wie Ngaliwurru -maling+ma"machen" oder Nungali -mala+ngawu- "hören" (< ngawu- "sehen") (vgl. Hoddinott & Kofod 1976: 699), die durch "Inkorporation" eines ursprünglichen freien Koverbs entstanden sein könnten. Es spricht also einiges dafür, den Verbkomplex des Jaminjung in die Nähe der Komposition zu rücken, statt ihn als Verbstamm mit Auxiliar oder als "komplexen Satz" zu analysieren. Auch in Sprachen wie dem Deutschen gibt es ja trennbare Komposita wie z.B. radfahren. Allerdings erfaßt diese Analyse die eher grammatischen Verwendungsweisen von finiten Verben nicht.
2.3.4. Analyse 4: "Verbale Klassifikation" Dem typologisch gesehen eigenständigen Charakter des Verbkomplexes im Jaminjung und anderen australischen Sprachen kommt möglicherweise eine Analyse am nächsten, die die generischen finiten Verben als Klassifikatoren für die Koverben betrachtet. Dies wird z.B. von Silverstein (1986) für das Worora, von McGregor (1990) für das Gooniyandi und von Ian Green (pers. Mittig.) für die Daly-River-Sprachen vertreten. Dabei wird von der Beobachtung ausgegangen, daß das finite Verb das Koverb nach wesentlichen semantischen Merkmalen, wie z.B. Dynamizität, Aktionsart und Partizipantenstruktur, klassifiziert. ... [A]s we would predict, auxiliaries/classifiers have a quantificational or "mensural" characteristic, in giving the aspectual classification (the topology of interval characteristics presupposed for the extensiona-
Der Verbkomplex im Jaminjung
159
lity of predicate denotation) of the various classes of verbs. And they have a qualitative, "characterizing", or "sortal" characteristic, in giving the argument-structure classification ... and the predicate-perspective classification... Note that the auxiliaries in Worora code values along both dimensions of classification simultaneously, since each auxiliary root has a paradigm of inflectional possibilities, and each lexical verb occurs with from one to two or three different auxiliaries that jointly exhaust its total paradigm along these dimensions, particularly that of the "sortal" or aspectual sort." (Silverstein 1986: 51 If.)
Daß die hier gemachten Beobachtungen bezüglich der "Dimensionen der Klassifikation" auch auf das Jaminjung zutreffen, wird in Abschn. 3 gezeigt. Die Analyse des Verbkomplexes in Analogie zur nominalen Klassifikation weist jedoch ebenfalls Schwachpunkte auf. In grammatikalisierten Klassifikator-Konstruktionen ist die Klasse dem Klassifizierten inhärent. Da die Koverben des Jaminjung und der anderen hier erwähnten Sprachen aber oft gerade mit mehreren "klassifikatorischen" Verben kombiniert werden können, kann höchstens von einer Fokussierung auf unterschiedliche dem Koverb inhärente Lesarten durch das finite Verb gesprochen werden. (Solche Phänomene sind auch bei weniger grammatikalisierten Konstruktionen im Bereich der nominalen Klassifikation zu beobachten.) Richtiger wäre es aber, festzustellen, daß sich die Bedeutung/Lesart eines Verbkomplexes erst aus der Kombination von Koverb und finitem Verb ergibt.
2.3.5. Diskussion Es wurde gezeigt, daß alle beschriebenen Analyseansätze das Phänomen "Verbkomplex" nicht vollständig erfassen. Syntaktisch und damit semasiologisch gesehen handelt es sich beim Verbkomplex einfach um ein Verbalsyntagma, in dem das finite Verb Nukleus und das Koverb Modifikator ist, weshalb er für das Wakiman von Cook (1988: 89ff.) als adverbiale Konstruktion angesehen wird. Von ihren Funktionen her schwankt diese Konstruktion, je nach den im Einzelfall verwendeten lexikalischen Komponenten, zwischen (vollständig lexikalisierter) "Komposition" und (vollständig grammatischer, produktiver) "Auxiliar-Konstruktion". Der von einer verbalen Klassifikation ausgehende Ansatz bezieht sich hauptsächlich auf die beobachtete Asymmetrie in der Semantik der Komponenten. Weitere Analysen in Analogie zu Konstruktionen in anderen Sprachen sind denkbar. Beispielsweise bestehen große Ähnlichkeiten zwischen dem Verbalkomplex im Jaminjung und dem Funktionsverbgefüge im Deutschen vom Typ zur Anwendung kommen/bringen. Auch hier werden einige wenige Verben in desemantisierter Funktion verwendet, während der Hauptanteil an der Bedeutung der Gesamtkonstruktion vom Verbalnomen beigesteuert wird. Die beiden Konstruktionen unterscheiden sich jedoch in ihrer Markiertheit im Gesamtsystem und darin, daß im Jaminjung zumindest in synchroner Sicht kein Verbalnomen, sondern eine eigene Wortart "Koverb" vorliegt. Einige der diversen Funktionen des Verbkomplexes sollen nun aus der onomasiologischen Perspektive näher untersucht werden.
160
Eva Schultze-Berndt
3. Onomasiologische Zugänge zum Verbkomplex Für den onomasiologischen Teil wird in dieser Arbeit keine umfassende Gliederung - wie sie etwa in Lehmann 1992b vorliegt - vorausgesetzt, da lediglich Ausschnitte, nämlich die den Verbkomplex betreffenden Bereiche, zur Sprache kommen. Diese Bereiche sind die Lokalisation (3.1.), Kausation (3.2.), (grenzbezogene) Sachverhaltsklassifikation (3.3.) und Qualifikation (3.4.).
3.1. Lokalisation Ein Bereich, in dem der onomasiologische Zugang sich bereits als besonders fruchtbar erwiesen hat, ist die Versprachlichung räumlicher Verhältnisse, da hier sehr deutlich wird, daß in verschiedenen Sprachen völlig unterschiedliche Strukturmittel funktional Äquivalentes leisten (vgl. z.B. Lehmann 1992a, Goldap 1991). Im Zentrum von Lokalisationsausdrücken steht eine lokalisierte Entität, deren räumliche Position relativ zu einem Referenzpunkt bestimmt wird. Der Referenzpunkt kann ein weiteres Objekt oder z.B. eine Himmelsrichtung oder ein topographisches Merkmal, aber auch das deiktische Zentrum sein. Das deiktische Zentrum fällt im prototypischen Fall zusammen mit dem Ort des Sprechers (Sprechaktdeixis); der Sprecher kann jedoch auch gleichsam die Perspektive eines - typischerweise topikalen - Partizipanten einnehmen, der damit innerhalb eines Textes (oder Textteils) zum deiktischen Zentrum wird (vgl. z.B. Serzisko 1993). Typischerweise ist das lokalisierte Objekt in einen Sachverhalt involviert, der statisch (Ortsruhe) oder dynamisch (Bewegung oder Transfer) sein kann. Im Falle von dynamischen Sachverhalten kann sich das lokale Verhältnis von lokalisiertem Objekt und Referenzobjekt verändern (muß dies aber nicht; vgl. dt. im Wasser umherschwimmen u.ä.), so daß auch die Bewegungsrichtung relativ zum Referenzobjekt relevant wird. In diesem Fall spricht man von lativischen, andernfalls von essivischen Relationen. Ist der Referenzpunkt eine konkrete Entität, so können zur genaueren Lokalisierung deren räumliche Regionen herangezogen werden. Diese wiederum zerfallen in topologische (Nähe, Kontakt, Umschließung etc.) und in dimensionale (Vorderseite/ Rückseite, Oberseite/Unterseite, etc.) Regionen. Die Zuweisung der dimensionalen Regionen kann aufgrund inhärenter Eigenschaften des Referenzobjekts erfolgen (typischerweise z.B. bei dt. vor vs. hinter dem Haus), in Abwesenheit solcher Eigenschaften aber auch unter Bezugnahme auf das deiktische Zentrum (z.B. bei dt. vor vs. hinter dem Baum)\ ob Referenzobjekten wie Bäumen oder Bergen inhärente Dimensionen zugesprochen werden, ist dabei sprach- und kulturspezifisch. Auch dem deiktischen Zentrum können räumliche Regionen zugeordnet werden, wobei das deiktische Zentrum selbst meist implizit gelassen wird (z.B. dt. oben/unten). Weiterhin können die räumlichen Regionen und die Gestalt (breit, schmal) und Disposition (aufrecht, liegend) des lokalisierten Objekts in Lokalisationsausdrücke aufgenommen werden.
Der Verbkomplex im Jaminjung
161
3.1.1. Deiktische Lokalisation Wie in den meisten Sprachen sind auch im Jaminjung eine Reihe von Strukturmitteln an der Lokalisation beteiligt. Dazu zählen lexikalische Mittel wie die nach dreistufiger Deixis differenzierten Demonstrativa, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, oder - wie im Deutschen - Verben mit lexikalisierter Deixis. Im Jaminjung sind dies insbesondere die BewegungsverbPaare gangga "(hin/weg)gehen" und garam "(herkommen" und - offenbar stringenter als im Deutschen - auch die Transferverb-Paare ganarram "(hin/weg)tun" (23a, 25; s.a. Abschn. 3.2.) und gananggam "(her)nehmen" (1,7) (Ngaliwurru: ganimilim, 15b), und die TransportverbPaare ganuga "(weg)tragen" (16, 28,29c) und ganandham "(her)bringen".
3.1.2. Essivische und lativische Relationen Mit Nomina, die Referenzpunkte bezeichnen, werden essivisches, allativisches und ablativisches Verhältnis durch ein einfaches Lokalkasus-System unterschieden (Lokativ -ni/-gi (18), Allativ -bina (19), Ablativ -ngunyi (20)). Die lokalen Verhältnisse können ohne Bezugnahme auf die Regionen des Referenzpunkts ausgedrückt werden wie in den Bspp. 19 u. 20. Dies ist also anders als in verschiedenen Sprachen mit Lokalkasus-Serien, durch die sowohl essivische bzw. lativische Relationen als auch die jeweilige räumliche Region immer ausgedrückt werden, oder auch als im Deutschen, wo in den Übersetzungen der Beispiele unten lokale Präpositionen die topologische Region (in) anzeigen und die Unterscheidung von Essiv vs. Lativ durch die Verwendung von Dativ bzw. Akkusativ getroffen wird. 18.
gugu jalag-gi
ga-yu
yag
Wasser gut-LOK
3.SG.SBJ-SEI.PRS
Fisch
"der Fisch lebt im Süßwasser" gurany ya-nji-jga gugu-bina
19.
NEG
IRR-2.SG.SBJ-GEH
Wasser-ALL
"(ein Krokodil könnte dich beißen) du sollst nicht ins Wasser gehen" wangguwala luba ga-ra-m buya6-ngunyi
20.
Salzwasser
groß
3.SG.SBJ-KOMM-PRS
Flußabbwäits-ABL
"eine große Flut kommt von flußabwärts"
3.1.3.
Topologische und dimensionale Regionen
Ein Nomen mawu "Seite" dient zum Ausdruck der lateralen dimensionalen Region; in Komposita bezeichnet es oft die gesamte einen Referenzpunkt umgebende Region, typischerweise als Habitat: 6
Als unspezifische Referenzpunkte werden sehr häufig die geographischen Angaben manamba "Flußaufwärts" und buya "Flußabwärts" verwendet, die sich in dieser Gegend auf den Lauf des Victoria River beziehen. Hierbei handelt es sich um inhärent lokale Nomina, die nur für die ablativische Relation spezifiziert werden müssen.
162 21.
Eva Schultze-Berndt binka-mawu warnda Fluß-Seite
Gras
"Gras, das am Fluß wächst" (vgl. Engl, riverside) Werden zwei Objekte durch ihre laterale Position zueinander lokalisiert, kann dies einfach mit dem Zahlwort für "zwei" geschehen: 22.
jirrama
bundhu-yu
zwei
3.DU.SBJ-SEI.PRS
"die beiden sind zwei'V'die beiden sind nebeneinander"
Alle weiteren Komponenten der Lokalisation werden im Jaminjung von den Koverben übernommen. Dies betrifft sowohl topologische und dimensionale Regionen des Referenzpunkts als auch die Gestalt der lokalisierten Entität (s. Abschn. 3.1.4.). Allerdings ist, wie schon unter 2.2. erwähnt, die Abgrenzung der Koverben von den Adverbien schwierig. So können dhamirri "unten" und dhangga "oben" in den nun folgenden Beispielen als Adverbien angesehen werden; dafür spricht, daß sie häufiger als andere Koverben zusammen mit Koverben auftreten (23,24) und daß die entsprechenden Formen im Ngaliwurru, jamurrugu und janggagu, ein fossilisiertes Dativ-Suffix aufweisen. Andererseits sind diese Lexeme wie die Koverben unflektiert und verhalten sich auch positioneil wie diese, d.h. sie können vor (23a, 25, 26) oder nach (24, 27, 28) dem finiten Verb stehen. Ein seltener Fall von gleichzeitiger Spezifizierung von topologischer und dimensionaler Region ist Bsp. 23a; diese Äußerung bezog sich auf einen Gegenstand, der unter eine Decke gelegt werden sollte und damit tatsächlich sowohl an der Unterseite als auch umschlossen war. 23 a. dhamirri ba-rra unten
IMP-TU
waljub innen
"leg es darunter" b . waljub ga-yu innen
3.SG.SBJ-SEI.PRS
"es ist darin" Der Referenzpunkt kann angegeben werden oder implizit sein wie in den folgenden Beispielen. In den Beispielen 23-25 ist der Referenzpunkt ein mitverstandenes konkretes Objekt, in Bsp. 26 das deiktische Zentrum. 24.
25.
warrb
burru-yu
mayi
dhangga
sitzen.PL
3.PL.SBJ-SEI.PRS
Mann
oben
"es sitzen Menschen/Männer oben" dhangga nga-wa-rra oben
l.SG.SBJ:3.SG.OBJ-FUT-TU.PRS
"ich werde es oben hinlegen"
Der Verbkomplex im Jaminjung
26.
163
wurlngan dhangga
ga-yu
Sonne
3.SG.SBJ-SEI.PRS
oben
"die Sonne ist oben" (= "es ist Mittag") Wird ein Referenzobjekt angegeben, so werden dennoch die Bezeichnungen für die räumlichen Regionen nicht direkt darauf bezogen, eröffnen also keine Leerstelle wie in anderen Sprachen Adpositionen ( a u f X ) oder Possessivkonstruktionen (Oberseite von X). Das Referenzobjekt trägt lediglich den für den Ausdruck der entsprechenden essivischen oder lativischen Relation angemessenen Lokalkasus. Der Bezug der räumlichen Region auf ein mitverstandenes (s.o.) oder erwähntes Objekt (27, 28) muß also im Jaminjung genau wie der Bezug auf das deiktische Zentrum aus dem Kontext erschlossen werden (vgl. a. für das Mangarayi Merlan 1982: 80ff.) 27.
28.
wagurra-ni
burdij minda-ngga...
wagurra-ni
janggagu
Stein-LOK
rauf
Stein-LOK
oben
12.DU.SBJ-GEH.PRS
"laß uns oben auf den Felsen hinaufgehen" (Ngaliwurru) winbil-bina yirr ganuga dhangga Ufer-ALL
ziehen 3.SG.SBJ:3.SG.OBJ:HOL.PRT oben
"es zog ihn oben auf das Ufer" (Beschreibung eines Kampfes zwischen einem Büffel und einem Krokodil; Cleverly 1968: 128) Die obigen Beispiele wie auch der Vergleich von 29a-c zeigen, daß bestimmte Koverben ausschließlich eine räumliche Region bezeichnen, unabhängig davon, ob es sich um essivische oder lativische Verhältnisse handelt. 29 a. gumard Weg
walig
ga-yu
herum
3.SG.SBJ-SEI.PRS
"die Straße ist/führt herum (= macht einen Bogen)" b . walig ga-ram hemm
3.SG.SBJ-KOMM.PRS
"(der Bus) kommt herum" c . ba-wuga walig IMP-HOL herum
"hol es (das Kind) herum" (= um die Ecke nach drinnen) Andere Koverben mit räumlicher Bedeutung haben auch eine direktionale Bedeutungskomponente, ähnlich wie die direktionalen Präverben des Deutschen, z.B. burdij "(hin/her)auf' in Bsp. 27 oben und sein Antonym jid (30) sowie gub "heraus" (7), marraj "vorbei", walyang "voran" (31) oder birang "hinterher" (31). 30.
jid
yirra-ngga
runter
13.PL.SBJ-GEH.PRS
"wir (exkl.) gehen runter"
164 31.
Eva Schultze-Berndt walyang
ba-jga,
birang
nga-ram
voran
IMP-GEH
hinterher
1 .SG.SBJ-KOMM.PRS
"geh voran, ich komme hinterher" Obwohl die Funktion der Koverben im Jaminjung in diesen Fällen tatsächlich verblüffende Parallelen zu den Präverben des Deutschen oder Englischen aufweist, können sie nicht wie diese als "Satelliten" im Sinne von Talmy (1985) bezeichnet werden, da seine Definition die Zugehörigkeit zu einer geschlossenen Klasse voraussetzt. Im Jaminjung bilden dagegen, wie in Abschnitt 2 beschrieben, gerade die Verben eine geschlossene, die Koverben aber eine offene Klasse, deren Vertreter eben nicht nur auf lokale Funktionen beschränkt sind, sondern dem Ausdruck jeglicher Sachverhalte dienen. So ist es nicht verwunderlich, daß Lokalisation und Ausdruck des "eigentlichen" Sachverhalts in der Bedeutung von Koverben oft kaum voneinander zu trennen sind. Dies wird zum Beispiel an der Kriol-Übersetzung des Satzes in 31 deutlich - you go lead, I come after - aber immer auch dann, wenn der Ausdruck auf bestimmte Arten von lokalisierten Objekten beschränkt ist, wie etwa Haar im Falle von jab gangga "ausfallen" (32), Sonne oder Mond im Falle von darug gangga "untergehen", lan ganimam "aufgehen" (33), oder wenn eine bestimmte Art der Bewegung mitbezeichnet wird wie bei liwu gangga "hinüberschwimmen". 32.
33.
marring
wirib, jab
schlecht
Hund
ga-ngga
wirra
ausfall 3.SG.SBJ-GEH.PRS
Haar
"ein kranker Hund, ihm fallt das Haar aus" lany gani-ma-ny
wurlngan
aufgehen
Sonne
3.SG.SBJ: 3.SG.OBJ-SCHLAG-PRT
"die Sonne ist aufgegangen"
3.1.4. Körperpositionen Am deutlichsten wird die konzeptuelle Nähe von Lokalisation und "Sachverhaltskern" (z.B. Zustand, Prozeß, Handlung oder Ereignis), wenn die Disposition - z.B. Körperposition - der lokalisierten Entität mitbezeichnet wird, wie oft beim Ausdruck der Ortsruhe. Da es nur ein intransitives statisches Verb, das Seinsverb gayu, gibt, werden auch Körperpositionen durch Koverben bezeichnet; Beispiele dafür sind neben 34 unten auch 13 und 37. Insbesondere läßt sich der graduelle Übergang von Lokalisationsausdrücken zu reinen Sachverhaltsausdrücken bei dem polysemen Koverb mugurn feststellen, das nicht nur "Liegen" (34), sondern auch "Schlafen" bedeutet (s. Bsp. 12 oben). 34.
mugum
ga-yu
gulban-gi
liegen/schlafen
3.SG.SBJ-SEI.PRS
Boden-LOK
"er liegt am Boden" Auch anderen Sachverhaltsbezeichnungen kann man neben dem Ausdruck der Art und Weise eines Vorgangs eine lokale Komponente zusprechen, z.B. dum "voll" in Bsp. 15 oben. Ein ähnli-
Der Verbkomplex im Jaminjung
165
eher Gedanke liegt der These Talmys (1985: 104) zugrunde, daß in englischen Konstruktionen mit einem Verb und den "Adverbien" free (front), stuck (to), full (of) etc. letztere genau wie in, o f f , away etc. zu den "path satellites" - also Ausdrücken mit lokaler Funktion - zu zählen sind. Die Klasse der Koverben im Jaminjung umfaßt so eine Reihe von Lexemen, die (scheinbar) sehr unterschiedliche Funktionen im Zusammenhang mit der Lokalisation erfüllen. Dazu zählen Bezeichnungen für die Disposition (Körperposition) eines lokalisierten Objekts, für dimensionale und topologische Regionen des Referenzpunkts (wobei hier die Abgrenzung von den Adverbien schwierig ist), für Bewegungsrichtungen, und solche Bezeichnungen, die sowohl die Bewegungsrichtung als auch die Art der Bewegung in sich vereinen. Lokalisiertes Objekt und Sachverhaltskern gehen somit sprachlich eine engere Beziehung ein als lokalisiertes Objekt und Referenzpunkt. Dies erklärt auch, daß die Bezeichungen für räumliche Regionen keine Leerstellen für den Referenzpunkt eröffnen. Der Beitrag der Verben zur Lokalisation besteht in der Unterscheidung von Ortsruhe, Bewegung, Transfer und Transport sowie in lexikalischer Deixis; im Falle von gadam "fallen" ist auch die Bewegungsrichung (nach unten) Bestandteil der Bedeutung.
3.2. Kausation Unter "Kausation" versteht man sowohl die direkte Einwirkung auf einen Aktanten ('causee') durch einen Kausator als auch die bloße Veranlassung des 'causee' zur Ausführung einer Handlung. Der erstere Fall wird als unmittelbare, der letztere - in dem der Veranlaßte typischerweise einen gewissen Grad der Kontrolle über die Ausführung der Handlung hat - als mittelbare Kausation bezeichnet (Comrie 1985). Aus verschiedenen Sprachen sind für den Ausdruck von Kausation sehr unterschiedliche Strukturmittel bekannt, die lexikalisch, morphologisch oder analytisch sein können; nicht in allen Sprachen wird dabei zwischen mittelbarer und unmittelbarer Kausation unterschieden. Die Versprachlichung von Kausation wird hier in einem isolierten Abschnitt beschrieben, sollte aber in einer onomasiologischen Grammatik im Zusammenhang mit anderen Altemationen im Partizipantenrahmen - um hier die Bezeichnung "Valenzveränderung", die sich auf semasiologische Verhältnisse bezieht, zu vermeiden - behandelt werden (s. z.B. Lehmann 1991).
3.2.1. Mittelbare Kausation Im Jaminjung ist es nicht möglich, eine mittelbare Einwirkung auf einen Aktanten durch einen Veranlasser in einem einfachen Satz auszudrücken. Für den prototypischen Fall, daß die Veranlassung auf verbalem Wege stattfindet, kann stattdessen ein komplexer Satz mit dem Äußerungsverb ganunggum verwendet werden ("jemandem sagen, etwas zu tun") wie in Bsp. 35 (vgl. a. Merlan 1982: 134 für das Mangarrayi). Eine weitere denkbare Möglichkeit wäre der explizite Ausdruck von Gewaltanwendung, etwa "jemanden zwingen, etwas zu tun"; ich habe dafür jedoch keine Beispiele.
166 35.
Eva Schultze-Bemdt ba-yu
nu
IMP-STOSS
3.SG.DAT 13.PL.DAT
yirrag
ga-wu-rum 3.SG.SBJ-FUT-KOMM
"sag ihr, sie soll zu uns kommen"/ "laß sie zu uns kommen"
3.2.2. Unmittelbare Kausation Im Gegensatz zur mittelbaren Kausation wird Kausation durch unmittelbare Einwirkung im Jaminjung dadurch angezeigt, daß ein intransitives Verb - meist das Existenzverb gayu - das zusammen mit einem Koverb einen andauernden Zustand oder Vorgang bezeichnet, durch das transitive Verb ganarram - annäherungsweise mit "tun, machen" zu übersetzen - ersetzt wird, und zwar bei gleichem Koverb 7 . Der Veranlasser wird durch das Subjekt von ganarram bezeichnet. Beispiele sind Koverben der Körperposition (s. dazu auch Abschn. 3.1.4.), die mit gayu Ortsruhe und mit ganarram eine durch Einwirkung von außen veranlaßte Positionsveränderung bezeichnen. 36 a. mugurn
ga-yu
gulban-gi
liegen/schlafen 3.SG.SBJ-SEI.PRS
Boden-LOK
"er liegt/schläft am Boden" b . mugurn burra-rra-ny liegen/schlafen
(= 34)
3.PL.SBJ:3.SG.OBJ-TU-PRT
maluga
marring wirib-mulu
malyju
Alter.Mann
schlecht
männlich
Hund-ALLE
"die bösen Männer haben alle männlichen Hunde betäubt/einschlafen lassen" 37 a. malayi jungulug gurdij ga-yu Frau
ein
stehen
"eine Frau steht (auf)" b . ngandhanug gurdij warum
stehen
3.SG.SBJ-SEI.PRS
ngandha-rra-m 2.SG.SBJ:3.SG.OBJ-TU-PRS
"warum stellst du ihn hin?" (Verwandte zur jungen Mutter eines Säuglings) Hier stellt sich die Frage, wie ohne Einwirkung auftretende Veränderungen der Körperposition ausgedrückt werden. Es fand sich bisher nur ein Beispiel, in dem es sich eindeutig um eine dynamische Situation handelt. Die Äußerung in Bsp. 38 bezieht sich auf eine Mutter, die auf das Weinen ihres Kindes reagiert und nach ihm sieht. Die spontane Kriol-Übersetzung der Sprecherin entspricht der von mir im Deutschen gegebenen und lautet im stand up langa im. Demnach wird hierfür ebenfalls die Kombination von Koverb und gayu verwendet, so daß die statische oder dynamische Lesart aus dem Kontext erschlossen werden muß: 38.
yinamba
ga-yu
nu
DIST
3.SG.SBJ-SEI.PRS
3.SG.DAT stehen
gurdij
"diese steht für ihn auf' oder "diese ist für ihn aufgestanden"
Anders als im Miriwung (Frances Kofod, pers. Mittig.) gibt es im Jaminjung keine Derivationsmorphologie zur Ableitung eines kausativen Koverbs.
Der Verbkomplex im Jaminjung
167
Auch in anderen, aus europäischer Sicht semantisch weniger leicht nachvollziehbaren Fällen finden sich Alternationen von gayu und ganarram bei gleichem Koverb (in 39a hat die Kombination aus Koverb und gayu wie in 38 keine statische, sondern eine dynamische (hier: durative) Lesart (s. dazu auch Abschn. 3.3.). 39 a. gugu-ni
dhawu
Wasser-INSTR wässern
ga-yu 3.SG.SBJ-SEI.PRS
"(das Kind) spritzt mit Wasser" b. d h a w u wässern
gana-rra-m
-bina
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-TU-PRS
Tee-ALL
"sie weicht es (das Brot) in Tee ein" Einige Fälle von Alternationen gibt es auch zwischen anderen transitiven Verben, die kausative Bedeutung haben können, und intransitiven Verben, z.B. digirrij ganimam "tot-schlagen" vs. digirrij gangga "sterben" (wörtl. "tot gehen"), oder bag gananggam "abbrechen (tr.)" (wörtl. "brechend nehmen") vs. bag gadam "abbrechen (itr.)" (wörtl. "brechend fallen"). Auch wenn ihnen keine intransitive Variante gegenübersteht, kann fast allen Kombinationen aus einem Koverb und dem Vollverb ganarram (dessen Grundbedeutung ja die des Transfers ist, s. 2.1.) eine kausative Komponente zugesprochen werden. Beispiele sind jarr ganarram "hinlegen", yudurrb ganarram "mahlen", muri ganarram "rösten" und dalag ganarram "schicken". Man könnte somit sagen, daß das Jaminjung einen analytischen Kausativ aufweist, nämlich die Konstruktion mit dem "kausativen" Verb ganarram, das in etwa analog zum kausativen make im Englischen verwendet wird. Allerdings stößt man im Jaminjung auf das Phänomen, daß ja die nicht-kausative Variante gleichermaßen "analytisch" gebildet wird insofern, als immer ein finîtes Verb und ein Koverb beteiligt sind. Die Komplexität der Konstruktion nimmt also im kausativen gegenüber dem nicht-kausativen Ausdruck nicht zu; keiner der beiden ist formal markiert gegenüber dem anderen8 (vgl. Merlan 1994: 206f. zum Wardaman). Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß von transitiven Verben keine Kausativ-Bildung (außer der mit "sagen" wie in Bsp. 35) mehr möglich ist: da die Einführung eines Kausators jeweils die Stelligkeit des Sachverhaltsausdrucks erhöht, aber nur intransitive und transitive Verben in Kombination mit Koverben zur Verfügung stehen, kann die Stelligkeit, zumindest innerhalb des einfachen Satzes, nur einmal, durch Verwendung eines transitiven statt eines intransitiven Verbs, erhöht werden. Eine Ausnahme bildet das transitive Verb ganaya "(ver)brennen" (als solches eindeutig zu identifizieren sowohl durch die Form der Personalpräfixe als auch durch die Verwendung des Ergativs in Bsp. 40) das (beim Koverb burd) ebenfalls mit ganarram alterniert:
Auch hierin besteht eine Parallele zum Funktionsverbgefiige im Deutschen, wie in Abschn. 2.3.5. angedeutet.
168
Eva Schultze-Berndt
40 a. warnda Gras
burd
gana-ya
guyug-di
brennen
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-BRENN.PRS
Feuer-ERG
"das Gras wird vom Feuer verbrannt" b . guyug burd gana-rra-ny Feuer
brennen
3.SG.SBJ:3.SG:OBJ-TU-PRT
"er (jemand) hat ein Feuer angezündet" Dies kann dadurch erklärt werden, daß guyug "Feuer" zwar in 40a, aber nicht in 40b als "Agens" in Erscheinung tritt; insofern wurde die Stelligkeit nicht eigentlich erhöht. Diese Interpretation wird noch dadurch erhärtet, daß sich das formal transitive Verb ganaya auch in intransitiver Verwendung - mit guyug "Feuer" im Absolutiv statt im Ergativ - findet (41); dies ist deshalb nachvollziehbar, weil ein Feuer eben kein prototypischer (nämlich belebter und volitionaler) Agens ist. 41.
guyug
gana-ya
lubayi
Feuer
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-BRENN.PRS
viele
"viele Feuer brennen" Nur in einem Fall treten tatsächlich ein "Veranlasser" und ein "Veranlasster" im selben einfachen Satz auf (42). Dies ist aber nur deshalb möglich, weil das "Objekt" der Zustandsveränderung mit einem purposiv gebrauchten Dativ angeschlossen werden kann und insofern ebenfalls nur ein zweistelliges Verb erforderlich ist. 42.
mayi-ni
gana-rra-ny
malayi
binka-bina
gugu-wu
Mann-ERG
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-TU-PRT
Frau
Fluß-ALL
Wasser-DAT
"der Mann schickte die Frau zum Fluß um Wasser" / "der Mann ließ die Frau zum Fluß gehen, um Wasser zu holen"
3.3. Sachverhaltsklassifikation Mit "Sachverhaltsklassifikation" ist hier gemeint, daß Sachverhalte nach ihrem zeitlichen Verlauf bzw. nach der Phase des zeitlichen Verlaufs, die in ihrem Ausdruck hervorgehoben ist, klassifiziert werden können; die Verwendung dieses Begriffs erfolgt in Anlehnung an die Aspektheorie von Breu und Sasse. Nach Sasse (1991) können fünf grundlegende Sachverhaltstypen nach ihrem Grenzverhalten unterschieden werden: 'Total stative" Sachverhalte sind ohne Begrenzungen konzipiert, inchoativ-stative als Eintritt in eine Situation und die nachfolgende bestehende Situation. "Aktions'-Sachverhalte haben eine wahrscheinliche "linke" und "rechte" Grenze, und "terminative" Sachverhalte eine inhärente rechte Grenze, wobei das Stadium vor Erreichen der Grenze einbezogen sein kann (graduell-terminativ) oder nicht (total terminativ). In Sprachen mit einem Aspektsystem werden durch die Aspektmarkierung inhärente Grenzen hervorgehoben oder unterdrückt, wobei sich je nach Sachverhaltsklasse unterschiedliche Lesarten ergeben.
Der Verbkomplex im Jaminjung
169
Darüber hinaus kann ein Sachverhalt aber zusätzlich durch Bezug auf einen anderen - der meist einer anderen Sachverhaltsklasse angehört - charakterisiert werden. So ergibt sich eine "resultative" Lesart dadurch, daß ein stativer Sachverhalt in Bezug auf den (in der Regel terminativen) Sachverhalt charakterisiert wird, dessen Resultat er ist. Umgekehrt ist ein Prozeß (graduell-terminativer Sachverhalt) "inchoativ", wenn er zum Erreichen eines nachfolgenden Zustands führt, und ein total terminatives Ereignis "ingressiv", wenn es einen Zustand oder Vorgang einleitet. Im Jaminjung leisten die finiten Verben u.a. den Bezug auf den zeitlichen Verlauf des Sachverhalts. Sie werden zur Erzeugung von Lesarten eingesetzt, für die man sonst eher einen "grammatischen" Ausdruck erwartet, denn ein großer Teil ihrer - unspezifischen - Bedeutung liegt gerade in der Charakterisierung des zeitlichen Verlaufs eines Sachverhalts, während viele Koverben in dieser Beziehung neutral sind (dies ist in Abschn. 2.3.4. mit "Klassifikation" durch die finiten Verben gemeint). Natürlich bestimmt die Semantik der Koverben wiederum ihre Kombinationsmöglichkeiten mit finiten Verben. Es werden drei Sachverhaltsklassen - durativ, inchoativ und ingressiv - herausgegriffen, in denen ein finîtes Verb jeweils eine quasi-grammatische Funktion übernimmt, die in seiner Grundbedeutung angelegt ist, aber diese erweitert.
3.3.1. Durativität Eine durative Lesart liegt bei der Darstellung von Sachverhalten ohne Berücksichtigung ihrer Begrenzung vor; dies setzt voraus, daß der betreffende Sachverhalt inhärente Begrenzungen hat. Einige der finiten Verben des Jaminjung gehören sowohl der Klasse der "Aktions-" als auch der der "terminativen" Sachverhalte an. Eine solches Schwanken ist übereinzelsprachlich häufig zu beobachten, da sich die spezifische Lesart jeweils aus dem Kontext, z.B. aus dem Vorhandensein eines Arguments, ergibt (vgl. Sasse 1992: 21f.). Dies gilt z.B. für gangga "GEHEN" oder gananggam "NEHMEN, etwas mit den Händen tun". Die meisten Verben scheinen terminativ zu sein, wie ganimam "SCHLAGEN", ganunggum "STOSSEN (sagen, werfen,...)" oder ganarram "TUN". (Es wurden bisher noch keine systematischen Tests unternommen, so daß hier nur einige beobachtete Regelmäßigkeiten erfaßt sind). Es gibt nun eine ganze Reihe von Koverben, die sowohl mit einem dieser dynamischen Verben als auch mit dem (einzigen) Stativen Verb gayu "sein, sich befinden" kombiniert werden können. Im ersten Fall ergibt sich eine delimitative ("telische", die Grenzen einbeziehende), im zweiten Fall eine durative Lesart (eine Ausnahme ist die in Abschn. 3.2. behandelte Alternation von gayu und ganarram "tun, legen"; in diesen Fällen hat die Konstruktion mit gayu eine stative Interpretation). So gibt es zu Konstruktionen mit intransitiven Bewegungsverben (am häufigsten gangga "kommen") in manchen Fällen Alternativkonstruktionen mit gayu, allerdings nur, wenn das Koverb keine lokale Komponente hat (s. 3.1.), sondern ausschließlich die Art und Weise der Fortbewegung bezeichnet, z.B. bei garla-garla "spielen", ngabulgja "schwimmen, baden", ngajija "tanzen".
170
Eva Schultze-Berndt
Ist das dynamische Verb transitiv, so fallt auf, daß die alternativen Konstruktionen mit gleichem Koverb und dem Verb gayu ein Objekt nehmen können (43b, 45b); die Bezeichnung des "Actors" steht aber in diesem Fall wie die des "Undergoers" im Absolutiv, nicht im Ergativ (45b). Dies zeigt, daß der Ausdruck von Durativität - nicht etwa die Intransitivierung - die wesentliche Funktion der Verwendung des intransitiven gayu anstelle eines transitiven Verbs ist. Gleichzeitig wird daran der hohe Grammatikalisierungsgrad dieser Konstruktion deutlich, die in etwa dem englischen Progressiv vergleichbar ist. 43 a. langin mung Baum
bunya-ngayu
sehen
3.DU.SBJ:3.SG.OBJ-SEH.PRT
"die beiden sahen den Baum" b . mung-biya ga-yu sehen-dann
ngarri
3.SG.SBJ-SEI.PRS
3.SG
"er schaut sie jetzt an" Die Alternation zwischen ganunggum, hier in der Bedeutung "äußern", und gayu, die in 44 am Beispiel des Koverbs waya "rufen" illustriert wird, gibt es auch mit jarragab "reden". 44 a. ngandhanug waya warum
gundhu-nggu-m
rufen
2.DU.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
"warum ruft ihr beiden?" b . jalig gugu-ni waya Kind
Wasser-LOK
nifen
burru-yu
burrag
3.PL.SBJ-SEI.PRS
3.PL.DAT flußaufwärts
manamba
"die Kinder am Wasser, sie rufen flußaufwärts nach ihnen" Wie im Fall der Kausation ist hier formal keine Ableitungsrichtung zwischen "delimitativer" und "durativer" Konstruktion auszumachen. Das einzige Argument dafür, die durative Konstruktion als aus der delimitativen abgeleitet anzusehen, ist, daß die Unterschiede zwischen den in den delimitativen Konstruktionen verwendeten Verben in der durativen Konstruktion - in der immer nur gayu als Verb verwendet wird - neutralisiert sind. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen das Koverb in der durativen Konstruktion eine zusätzliche Markierung erhält, wie in 45b; hier wird nicht nur das transitive terminative Verb ganimam (45a) durch gayu ersetzt, sondern außerdem das Koverb mit Reduplikation - dem ikonischen Ausdruck für einen durativen oder iterativen Sachverhalt - und dem Derivationssuffix -man (s. dazu Abschn. 2.2.) versehen. 45 a. gad schneiden
gani-ma-m 3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-SCHLAG-PRS
"er/sie schneidet es" b . malayi jungulug gadgadman Frau
ein
schneiden:RDP:DUR
ga-yu
ngayin
3.SG.SBJ-SEI.PRS
Fleisch
"eine Frau ist dabei, Fleisch zu schneiden" (vgl. Bsp. 9b)
Der Verbkomplex im Jaminjung
171
Daß ein Existenzverb, hier gayu, zum Ausdruck von Durativität genutzt wird, ist nicht weiter verwunderlich und kommt in vielen Sprachen vor; auf die Ähnlichkeit mit dem englischen Progressiv wurde schon hingewiesen. Interessant ist aber im Jaminjung, daß der gleiche Mechanismus - die Verwendung eines bestimmten finiten Verbs, das mit verschiedenen Koverben eine bestimmte Interpretation herbeiführt - auch zum Ausdruck von Inchoativität und Ingressivität verwendet wird. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, daß die verwendeten finiten Verben daneben durchaus eine eigenständige Bedeutung haben, so daß daraus Schlüsse auf die Konzeptualisierung einer Sachverhaltsklasse gezogen werden können.
3.3.2. Inchoativität Als inchoativ werden Sachverhalte bezeichnet, die das Erreichen eines Zustands darstellen. Sie sind damit notwendigerweise terminativ; da der Prozeß, der zu einem Zustand fuhrt, über diesen definiert wird, muß der Zustand auch erreicht werden (vgl. Lehmann 1991: 198f.). Bei nur leicht verändertem Blickwinkel ergibt sich eine resultative Lesart, wenn ein Zustand nämlich als das Resultat des zu ihm führenden Prozesses charakterisiert wird. Im Jaminjung werden inchoative oder resultative Interpretationen erzielt durch Kombination eines Koverbs mit dem Verb ganunggum "STOSSEN". 46.
47.
gugu marring
ganu-nggu-m
Wasser schlecht
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
"der Wasserhahn ist kaputt" (-'ist schlecht geworden") gururu gani-yu müde
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS.PRT
"er wurde müde" (Cleverly 1968: 128) Dies fügt der ohnehin schon beachtlichen Liste verschiedener Verwendungsweisen dieses Verbs in den Bedeutungen "werfen", "äußern", "laufen", "erblicken" etc. (s. Abschn. 2.1.) eine weitere hinzu. In 2.1. wurde als Grundbedeutung von ganunggum schon tentativ formuliert, daß dieses Verb das Anstossen bzw. Geben eines Impulses bezeichnet, aufgrunddessen ein bestimmter Vorgang ohne weitere Energiezuführung seinen inhärent begrenzten Verlauf nimmt. Dies stimmt zusammen mit der Verwendung zur Bezeichnung eines terminativen Vorgangs, der seinen Endpunkt im Erreichen eines Zustand hat. Dennoch ist bemerkenswert, daß das verwendete Verb transitiv ist, auch wo kein Agens bekannt oder erwähnt ist wie in 46 und 47, und insbesondere, daß der von einem Zustand betroffene Partizipant als Subjekt konstruiert werden kann (48,49). Dies läßt den Schluß zu, daß der Zustand als von diesem Partizipanten selbst erzeugt charakterisiert wird. Im Fall eines betroffenen Körperteils ist der Possessor das Subjekt (49). Ausdrücke für emotionale Zustände werden durchgehend mit ganunggum konstruiert (also "traurig geworden sein" statt "traurig sein", Bsp. 50), da diese wohl immer als Resultat einer Einwirkung angesehen werden.
172 48.
49.
Eva Schultze-Bemdt dum 9 nga-wu-yu
mangana
voll
pflanzl. Nahrung
l.SG.SBJ:3.SG.OBJ-FUT-STOSS
"ich werde mit Nahrung voll werden" (= "mich sattessen") dingarri darrarr nga-yunggu-m Knie
50.
steif
l.SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
"meine Knie sind steif geworden" yagbali-wu budharl ganu-nggu-m Land-DAT
traurig
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
"sie hat Heimweh" Verwendungen eines Verbs mit einer Bedeutung "(weg)werfen" als Funktionsverb zum Ausdruck von Resultativität oder (stärker grammatikalisiert) auch Perfekt sind auch aus anderen Sprachen wie z.B. dem Koreanischen bekannt (Bybee & Dahl 1989 u. Myung-Chul Koo, pers. Mittig.), so daß das Jaminjung in dieser Hinsicht weniger exotisch ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Erklärt werden kann diese Verwendung mit einer allgemeinen Tendenz, Zustande Veränderungen metaphorisch wie Ortsveränderungen zu beschreiben (s. z.B. Goldberg 1991; Hsiao 1991). Sie liegt auch der im folgenden Abschnitt behandelten ingressiven Konstruktion zugrunde.
3.1.3. Ingressivität Bei einer anderen Konstruktion wird - im Gegensatz zur inchoativen Konstruktion - nicht der Prozeß, der zum Erreichen eines Zustande führt, sondern der Eintritt in den Zustand selbst (also die Überschreitung einer Grenze) bezeichnet. Dafür wird hier der Terminus Ingressivität verwendet. Hierzu wird ein Koverb mit dem Verb gadam kombiniert, das in seiner konkreten Bedeutung eine schnelle (volitionale oder nicht-volitionale) Bewegung nach unten bezeichnet. Diese Grundbedeutung ("fallen") ist ersichtlich aus Zusammensetzungen wie jid gadam "herunterfallen" (vgl.jid gangga "heruntergehen"), bag gadam "abbrechen" und dibard gadam "herunterspringen". Auch in dieser konkreten Bedeutung bezeichnet gadam also einen punktuellen Sachverhalt, ein Ereignis mit vernachlässigbarer zeitlicher Ausdehnung. Eine ingressive Lesart vergleichbar mit englischen Kollokationen wie fall asleep und fall ill - ergibt sich bei den Kombinationen digirrij gadam "tot umfallen" (vs. digirrij gangga "sterben") und balaya gadam "zur Welt kommen, geboren werden", sowie in den folgenden Beispielen. 51.
52.
narrng
ga-dbany
ngarrgu
mununggu
stecken
3.SG.SBJ-FALL:PRT
1.SG.DAT Schnur
"die Angelschnur ist mir steckengeblieben" jirrib ga-dba-ny jalang verheiratet
3.SG.SBJ-FALL-PRT heute
"sie hat heute geheiratet" Vgl. die weiteren mit dum kombinierbaren Verben in Bsp. 15.
Der Verbkomplex im Jaminjung
173
Die hier beschriebenen Verwendungsweisen eines finiten Verbs mit "grammatischer" Funktion, das ein anderes finîtes Verb bei gleichem Koverb ersetzt, sind ganz analog zu der in Abschn. 3.2. behandelten kausativischen Konstruktion zu sehen. Das Grundprinzip der "verbalen Klassifikation" durch ein generisches Verb wird in diesen Fällen ausgeweitet, so daß nur noch die wesentlichen Merkmale des zeitlichen Verlaufs bzw. der Partizipanten-Konfiguration für die Klassifikation maßgeblich sind.
3.4. Quantifikation Eine weitere, wenn auch gegenüber den bisher behandelten eher marginale Funktion des Verbkomplexes ist sein Beitrag zur Quantifikation. Es gibt im Jaminjung keine obligatorische Numerusmarkierung an Nomina, sondern nur am Verb im Zusammenhang mit der Personenmarkierung. Nur vereinzelt und fakultativ wird Pluralität für Nomina, die Menschen bezeichnen, durch Reduplikation oder Teilreduplikation angezeigt wie in mala-malayi "RDP-Frau", oder durch das Suffix -mulu "ALLE" (vgl. Bsp. 3, 36b). Darüber hinaus weist das Jaminjung (und auch die benachbarte Sprache Miriwoong; Kofod 1976: 651) aber das Phänomen des "verbalen Numerus" (Durie 1986) auf: In einigen Fällen werden Quantitätsunterscheidungen bei Aktanten im Koverb angezeigt, entweder durch Reduplikation (53) oder auch durch Suppletion (54, 55). Die alternative, auch von Durie favorisierte Interpretation ist die, daß bestimmte (Ko)verben ihre Argumente nach Numerus auswählen. Dafür spricht auch, daß die Numerusunterscheidung nicht wie bei der Kongruenzmarkierung am finiten Verb eine von Singular/Dual/Plural ist, sondern daß hier zwischen Plural und Nicht-Plural unterschieden wird, wie aus Bsp. 53a deutlich wird. 53 a. jirrama zwei
mayi
wib
bunyu-nggu-m 10
Mann
schauen
3.DU.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
"zwei Männer schauen ('werfen einen Blick')" b . lubayi wibib burru-nggu-m viele
RDP:schauen
3.PL.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
mayi Mann
"viele Männer schauen ('werfen Blicke')" 54 a. waga ga-yu jalig sitzen.SG
3.SG.SBJ-SEI.PRS
"ein Kind sitzt" b . lubayi mayi warrb viele
Mann
sitzen.PL
Kind
burru-yu 3.PL.SBJ-SEI.PRS
"viele Menschen sitzen (zusammen)"
0 Die Verwendung des Verbs ganunggum mit einem Koverb der visuellen Perception ergänzt noch die schon unter 2.1. und 3.3.2. beschriebenen ungewöhnlichen Kombinationsmöglichkeiten dieses Lexems. Das gleiche Koverb wib kann aber auch mit dem Perzeptionsverb ganingayim "sehen" stehen wie im Bsp. 14 oben.
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Eva Schultze-Berndt
55 a. jungulug malayi ein
Frau
"eine Frau rennt" b . lubayi yawal viele
rennen.PL
yugung ganu-nggu-m rennen.SG
3.SG.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
burru-nggu-ni 3.PL.SBJ:3.SG.OBJ-STOSS-PRS
"viele Menschen rennen"
4. Schlußbemerkungen In dieser Arbeit sollte gezeigt werden, daß es sinnvoll sein kann, sich dem Phänomen des Verbkomplexes im Jaminjung von zwei Seiten, der strukturellen und der funktionalen, zu nähern. Es stellte sich heraus, daß die semasiologische Einordnung dieses Konstruktionstyps vor allem deshalb schwierig ist, weil die zur Verfügung stehenden traditionellen Beschreibungsbegriffe immer auch teilweise funktional verstanden werden. Unter rein strukturellem Gesichtspunkt müßte das unflektierte Koverb des Jaminjung als Modifikator des flektierten Verbs angesehen werden, da es sich beim Verbkomplex um eine endozentrische Konstruktion handelt. Dies erscheint deshalb ungewöhnlich, weil die flektierten Verben dieser Sprache eine geschlossene Klasse von Lexemen mit sehr unspezifischer Semantik darstellen; daher werden sie in der Literatur oft in die Nähe von Grammemen gerückt. Bei einer onomasiologischen Betrachtungsweise stellt sich in der Tat heraus, daß die flektierten Verben teilweise Funktionen übernehmen, für die man einen "grammatischen" Ausdruck erwarten würde. Dies kann auf eine generellere Funktion der Verben zurückgeführt werden, nämlich die der Klassifikation semantisch spezifischerer Koverben unter anderem nach Dynamizität, Grenzverhalten, Partizipantenstruktur und Bewegungsrichtung. Prinzipiell ist die Zuordnung des gleichen Koverbs zu verschiedenen Verben möglich, wobei einige der flektierten Verben, zumindest in einer ihrer Lesarten, in ihren Kombinationsmöglichkeiten relativ frei und damit "grammatischer" sind, während andere Kombinationen stark lexikalisiert erscheinen. Der Verbkomplex im Jaminjung ist somit eine Konstruktion, die auf sehr ökonomische Weise sowohl der Begriffsbildung dient als auch die Fokussierung auf bestimmte Aspekte eines Begriffs ermöglicht. Das wirft allerdings die Frage auf, ob eine a pnorj-Unterscheidung dieser beiden Fälle etwa aufgrund von formalen Gegebenheiten in einer verwendeten Metasprache - überhaupt sinnvoll ist.
Der Verbkomplex im Jaminjung
Abkürzungen in den Morphemglossen 1 12 13 2 3 ABL ALL DAT DIST DU EMPH ERG FUT IMP IRR ΚΟΜΓΓ LOK NEG OBJ PL PRTV PROX PRS PRT REFL RDP SBJ SG
1. Person 1.+2. Person ("1. Person inklusiv") 1.+3. Person ("1. Person exklusiv") 2. Person 3. Person Ablativ Allativ Dativ distale Deixis Dual Emphase Ergativ Futur Imperativ Irrealis Komitativ Lokativ Negation Objekt Plural Privativ proximale Deixis Präsens Präteritum Reflexiv/Reziprok Reduplikation Subjekt Singular
176
Eva
Schultze-Bemdt
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Die Beiträger Jürgen Bohnemeyer
Katholieke Universiteit Brabant, Fakulteit der Letteren Werkverband Tekstwetenschap Postbus 90153 NL-5000 LE Tilburg
Bernard Comrie
Department of Linguistics GFS-301 University of Southern California Los Angeles, CA 90089-1693, USA
William Croft
Department of Linguistics University of Manchester Oxford Rd Manchester M13 9PL, UK
Stephanie Eschenlohr Technische Universität Berlin FB 1, Institut für Linguistik Sekr. TEL 6, Fachgebiet: Allgemeine Linguistik Ernst-Reuter-Platz 7 D-10587 Berlin Christian Lehmann
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Postfach 10 01 31 Universität Bielefeld D-33501 Bielefeld
Beatrice Primus
Institut für Linguistik/Germanistik Universität Stuttgart Postfach 10 60 37 D-70049 Stuttgart
Eva Schultze-Berndt
Cognitive Anthropology Research Group Max Planck Institute for Psycholinguistics Postbus 310 NL-6500 AH Nijmegen
Dietmar Zaefferer
Institut für Deutsche Philologie Ludwig-Maximilians-Universität Schellingstr. 3 D-80799 München