Sprachvergleich Deutsch-Französisch 9783111713342


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Table of contents :
EINLEITUNG
1. SYNTAX
1.1. Unterschiede im Satzbau
1.1.1. Erste These
1.1.2. Zweite These
1.1.3. Dritte These
1.1.4. Vierte These
1.1.5. Auszählungen
1.1.6. Aufgaben
1.2. Gleichordnung und Unterordnung
1.2.1. Unterschiedliche Hierarchisierung der Information
1.2.2. Quantitative Unterschiede
1.2.3. Aufgaben
1.3. Wortstellung, Mitteilungswert und Satzverflechtung
1.3.1. Grammatische Regularitäten
1.3.2. Kommunikative Regularitäten
1.3.3. Thematisierende Voranstellung und Satzverflechtung
1.3.4. Exkurs: c'est vs il est
1.3.5. Aufgaben
2. VERGLEICHE AUF ONOMASIOLOGISCHER UND SEMASIOLOGISCHER GRUNDLAGE
2.1. Zeit und Tempusvergleichs
2.1.1. Drei Ebenen des Tempusvergleichs
2.1.2. Dynamik vs Statik
2.1.3. Mitteilungswert
2.1.4. Leistungen
2.1.5. Exkurs: Zeitliche Deixis
2.1.6. Aufgaben
2.2. Raum
2.2.1. Vier Typen räumlicher Orientierung
2.2.2. Zum Stellenwert räumlicher Orientierung in beiden Sprachen
2.2.3. Raum in der Lexik
2.2.4. Aufgaben
2.3. Identität und Menge (Artikelwörter)
2.3.1. Ein Modell der Determinierung
2.3.2. Bestimmtheitsgrade
2.3.3. Kontraste
2.3.4. Aufgaben
3. PERSPEKTIVIERUNG UND ABTÖNUNG
3.1. Perspektivierung
3.2. Abtönung
3.3. Aufgaben
4. FRAGESTELLUNGEN DER VERGLEICHENDEN LEXIKOLOGIE
4.1. Einzelne Wörter
4.2. Zur Problematik von Wortfeldvergleichen
4.3. Umfassende Wortschatzvergleiche
4.4. Aufgaben
AUSBLICK
TEXTE UND ÜBERSETZUNGEN
BIBLIOGRAPHIE
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Sprachvergleich Deutsch-Französisch
 9783111713342

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Romanistische Arbeitshefte

29

Herausgegeben von Gustav Ineichen und Bernd Kielhöfer

Peter Blumenthal

Sprachvergleich Deutsch - Französisch

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Blumenthal, Peter : Sprachvergleich deutsch - französisch / Peter Blumenthal. Tübingen : Niemeyer, 1987. (Romanistische Arbeitshefte ; 29) NE: GT ISBN 3-484-54029-x

-

ISSN 0344-676-x

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck G m b H , Darmstadt.

FÜR CAROLINE

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

1

1. SYNTAX

9

1.1. Unterschiede im Satzbau 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.1.4. 1.1.5. 1.1.6.

Erste These Zweite These Dritte These Vierte These Auszählungen Aufgaben

1.2. Gleichordnung und Unterordnung 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3.

Unterschiedliche Hierarchisierung der Information Quantitative Unterschiede Aufgaben

1.3. Wortstellung, Mitteilungswert und Satzverflechtung 1.3.1. 1.3.1.1. 1.3.1.2. 1.3.2. 1.3.2.1. 1.3.2.2. 1.3.3. 1.3.4. 1.3.5.

Grammatische Regularitäten Leistungen der Wortstellung Stilistische Möglichkeiten und Grenzen des Französischen . Kommunikative Regularitäten Thema-Rhema-Gliederung Subjektiver Mitteilungswert Thematisierende Voranstellung und Satzverflechtung Exkurs: c 'est vs il est Aufgaben

2. VERGLEICHE AUF ONCMASIOLOGISCHER UND SEMASIOLOGISCHER GRUNDLAGE 2.1. Zeit und Tampusformen 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.1.5. 2.1.6.

Drei Ebenen des Tempusvergleichs Dynamik vs Statik Mitteilungswert Leistungen Exkurs: Zeitliche Deixis Aufgaben

2.2. Raum 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4.

9 11 13 15 19 23 27 28 30 32 35 35 36 38 41 42 43 44 46 53 54 57 57 58 62 66 69 71 73 74

Vier Typen räumlicher Orientierung Zum Stellenwert räumlicher Orientierung in beiden Sprachen Raum in der Lexik Aufgaben

75 78 82 84

VIII 2.3. Identität und Menge (Artikelvtörter) 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.3.1. 2.3.3.2. 2.3.3.3. 2.3.4.

Ein Modell der Determinierung Bestimmtheitsgrade Kontraste Verschiedene Einstufungen der Bestimmtheit Häufung indefiniter Substantive Zum Ausdruck des Generischen Aufgaben

85 86 88 92 92 96 97 101

3. PERSPEKTIVIERUNG UND ABTÖNUNG

103

3.1. Perspektivierung

103

3.2. Abtönung

105

3.3. Aufgaben

113

4. FRAGESTELLUNGEN DER VERGLEICHENDEN LEXIKOLOGIE

115

4.1. Einzelne Wörter

115

4.2. Zur Problematik von Wortfeldvergleichen

118

4.3. Umfassende Wortschatzvergleiche

120

4.4. Aufgaben

126

AUSBLICK

128

TEXTE UND ÜBERSETZUNGEN

130

BIBLIOGRAPHIE

131

EINLEITUNG

Auf die Gefahr hin, den im Äugenblick vielleicht noch geneigten Leser gleich zu Anfang durch einen Schuß Pedanterie zu vergrämen, könnte man das Buch mit einer syntaktischen Überlegung zum Titel Sprachvergleich Deutsch-Französisch beginnen lassen. Diese Konstruktionsweise ist zwar in Titeln völlig üblich, syntaktisch aber nicht leicht zu analysieren. Entspricht die Nachstellung des bestinmenden Elementes Deutsch-Französisch dem Modell von Whisky pur/Forelle blau, von Röslein rot oder von Der Fall Matteil Intuitiv scheint keine dieser Lösungen befriedigend. Und warum wäre im Französischen die Ubersetzung *Comparaison allemand-francais ganz ausgeschlossen? Die französischen Formulierungen solcher Buchtitel folgen meist dem Muster von Grarmaire aomparee de l'allemand et du frangais. Soll man sich nun mehr über die syntaktische Struktur des deutschen Titels oder über die Unmöglichkeit einer "wörtlichen" Übersetzung wundem? Wer sich wundert, findet etwas anormal - aber wo liegt der Maßstab für eine Nornalität, die für das Deutsche und Französische in gleicher Weise verbindlich wäre? Auf all diese Fragen möchte ich schon deshalb nicht antworten, weil mir nichts Schlagendes dazu einfällt. Sie sollten hier nur den Alptraum des Sprachvergleichs veranschaulichen: nicht zu wissen, auf welcher gemeinsamen Grundlage nan welche Strukturen womit vergleicht. Ich verspreche, daß dies im folgenden nicht mehr vorkamen soll (jedenfalls nicht allzu oft...). Als Vergleichsgrundlage (tertium comparationis) verwende ich für den ersten, der Syntax gewidmeten Teil des Buches ein noch genauer zu erläuterndes Gramratikmodell, das einige Kemgedanken der "Dependenzgrammatik" (oder "Valenzgraimatik") übeminmt; diese hat sich bisher schon in mehreren kontrastiven Untersuchungen bewährt (Engel 1981, 89f). Aber spätestens das letzte Kapitel des ersten Teils (Wortstellung) macht deutlich, daß man selbst innerhalb der Syntax nicht chne weitere Prinzipien auskcmmt. Der zweite und dritte Teil untersuchen - in kleinen Ausschnitten - den Umgang beider Sprachen mit den Kategorien Zeit, Raum und Identität sowie die Subjektivierung des Ausdrucks. Sie sind im Grenzbereich zwischen Syntax und Semantik angesiedelt und können bisweilen auf die zuvor entwickelten Vorstellungen zurückgreifen.

2 Im übrigen erweisen sich hier zusätzliche Vergleichsgrundlagen als unumgänglich, und zwar übereinzelsprachliche Definitionen, Konzepte aus Textlinguistik und Pragmatik und die Bezugnahme auf das Gemeinte, also die außersprachliche Wirklichkeit. Der letztere Ansatz bildet die wichtigste, aber eine nicht unproblematische Grundlage des abschließenden lexikologischen Teils: Beim zwischensprachlichen Vergleich von Wörtern oder Wortgruppen wird man zumindest stillschweigend zu der Prämisse gezwungen sein, daß diese sich auf eine gleiche oder ähnliche Wirklichkeit beziehen. Näheres ist innerhalb der einzelnen Kapitel zu erläutern. Zur Semantik des Buchtitels schulde ich dem Leser etwas klarere Auskünfte als zu dessen Syntax. Der Naire "Sprachvergleich" ist für das Vorhaben angemessener als der engere Begriff der "kontrastiven Analyse", der auf ausschließliche Anwendungsorientierung hindeuten würde. Zwar besäße dieses Buch kaum eine Daseinsberechtigung, wenn es nicht auch praktisch und unmittelbar verwertbare Einsichten in die Struktur der Fremdsprache vermittelte und so manchen Grammatik- oder Stilfehler in der Übersetzungsklausur zu vermeiden erlaubte; einige Abschnitte sind aber - nach den Maßstäben der Fremdsprachendidaktik - schlichtweg anwendungsfern. Grundsätzlich streben wir einen synchronen Vergleich des modernen Zustandes beider Sprachen an; bisweilen werden jedoch Texte vorgelegt, die sich weit von der heutigen Gebrauchsnorm oder "Standardsprache" - was auch immer das heißt - entfernen, so ein Gedicht von Trakl und ein syntaktisch bemerkenswerter Satz von Kant. Gerade an solchen Extremfällen der Sprachverwendung können schlagartig Möglichkeiten und Grenzen des Sprachsystems sichtbar werden, die man aus der Gebrauchsprosa nur mühsam zu rekonstruieren vermöchte. Eine bedauerliche Lücke innerhalb der untersuchten, sonst recht vielfältigen Sprachregister: Gesprochene Sprache kanmt nur in beschränktem Maße zur Geltung. Wer über Transkriptionen gearbeitet hat, weiß, daß man die direkte Rede in Raranen oder Wiedergaben von Patientengesprächen und angeblich authentische Aufzeichnungen von "Bekenntnissen" (vgl. unser Korpus) nur mit einem faustdicken gvanum salis als gesprochene Sprache bezeichnen kann. Die Gründe, aus denen gesprochene Sprache nicht in angemessener Weise berücksichtigt wird, liegen im Methodischen: Ein wichtiger Ansatzpunkt für unseren Vergleich sind Übersetzungen, die für wirklich gesprochene und spontane Sprache aber kaum existieren. Oder sollte nan Ciaire Bretechers Frustrierte hier in die Pflicht nehmen? Die methodischen Probleme dieser Arbeit verlangen noch einige grundsätzliche Überlegungen. Vor den Gefahren des Übersetzungsvergleiches als Weg zum Sprachvergleich ist sehen oft und bisweilen nicht ohne übertreibungen gewarnt worden.

3 Ja, natürlich gibt es gute und schlechte Übersetzungen; auch besitzt jeder Übersetzer seine persönlichen stilistischen Vorlieben, und die vorgeschlagene Formulierung bildet niemals die einzig mögliche. Aber es wird doch kein Linguist ernsthaft erwägen, einen Sprachvergleich auf nur einer Übersetzung aufzubauen. Schon der gesunde Menschenverstand läßt hier eine möglichst große Varietät als ratsam erscheinen: Ubersetzungen vieler Bücher, die zu verschiedenen Textgruppen gehören (Literatur, Fachsprache, journalistische Texte, Erlebnisberichte usw.); wctröglich mehrere Ubersetzungen des gleichen Buches; Ubersetzungen in beide Richtungen. Nur so lassen sich die Zufälligkeiten des Individual- oder Gruppenstils einigermaßen ausgleichen. Im übrigen gilt, daß ein paar Beispiele für eine sprachliche Erscheinung noch keine "Tendenz" ausmachen. Sie sind zumindest im Verhältnis zu den - so gut wie imrter auffindbaren - Gegenbeispielen zu gewichten. Berücksichtigt man diese selbstverständlichen Vorsichtsmaßregeln, so ist nicht einzusehen, warum die Arbeit mit Ubersetzungen nicht zu ausgewogenen Ergebnissen führen sollte. Mit Vor- und Nachteilen, die zu offensichtlich sind, als daß man sie näher ausführen rnüßte, kann man den Übersetzungsvergleich auch durch die Arbeit an Texten ersetzen, die ähnliche Themen auf ähnlichem Stilniveau behandeln, also ζ. B. an Artikeln aus Le Monde und der FAZ. Die so gewonnenen Beispiele stellen das Rohmaterial dar, das einer Frage von grundlegender Bedeutung zu unterwerfen ist: Liegen die beobachteten Kontraste auf der Ebene des Sprachsystems oder aber auf der des Stils bzw. des Sprachgebrauchs (individuelle Vorlieben, Norm der jeweiligen Textsorte, Gebrauchsnorm)? Im ersten Falle verfügen beide Sprachen nicht über die gleichen Möglichkeiten, die Unterschiede sind essentiell; im zweiten unterscheiden sich die Sprachen nur durch die Ublichkeitsgrade oder stilistischen Werte von im Prinzip sprachrichtigen Ausdrucksweisen. Die Differenzierung zwischen den beiden Fallgruppen ist umso leichter durchzuführen, je eindeutiger die jeweilige Vergleichsgrundlage definiert ist. Eine ebenso wichtige Quelle des Sprachvergleichs sind Grammatiken beider Sprachen. Wenn sie vcm gleichen Sprachmodell ausgehen, erleichtert dies zvreifellos die weitere Arbeit. Für das Gesamtergebnis ist die Qualität der jeweiligen Granmatiken aber entscheidender. Für das Deutsche habe ich mich mit Vorliebe an Helbig/Buscha (1986) gehalten, eine Grammatik, der man die Konzeption für den Ausländerunterricht wchltuend anmerkt. Für das Französische finden sich ausgezeichnete grammatische Beschreibungen und Zusammenfassungen der Forschungsdiskussion in den linguistischen Rahmenartikeln des Vförterbuchs Grand Larousse de la langue franaatse; sie stammen größtenteils aus der Feder

4 von Η. Bonnard. Vcn großem Nutzen sind auch deutsche Schulgrammatiken des Französischen und französische Schulgrarrrratiken des Deutschen, da sie oft aus kontrastiver Sicht auf die speziellen Schwierigkeiten der Fremdsprache eingehen. Einige weitere hier benutzte Quellen brauchen nur kurz genannt zu werden: - auf Interferenz (störendem Einfluß eines Sprachsystems auf die Leistungen in einer anderen Sprache) beruhende Fehler zweisprachig aufwachsender Kinder in beiden Sprachen; - Sinnfehler in gedruckten UberSetzungen; - Fehler in Klausuren (Staatsexamen, gymnasiale Oberstufe); - Beobachtungen von in Deutschland arbeitenden Französischlehrern und Lektoren französischer Herkunft. Die beiden letzten Quellen deuten schon darauf hin, daß dieser Sprachvergleich nicht ganz richtungsneutral ist: Bei der Materialbeschaffung und auch bei der Anlage der Übungen genießt die Perspektive Deutsch •*• Französisch ein leichtes Ubergewicht. Eine Informationsquelle hohen Rangs bieten schließlich die bereits vorhandenen deutsch-französischen Sprachvergleiche. Sie sind als sachlicher und psychologischer Ausgangspunkt für die Arbeit in diesem Bereich ganz unverzichtbar. Wer über Sprachvergleich schreibt, ist seinerseits im sprachpraktischen Teil seines Studiums durch eine umfangreiche Literatur zu diesem Thema mitgeprägt worden, und nicht zuletzt durch die klassische, wenn auch in vielen angreifbare Darstellung von Malblanc (1968). Fast zu jedem Kapitel des vorliegenden Buches konnte mit Gewinn eine aus der Schule M. Wandruszkas hervorgegangene Untersuchung konsultiert werden. Am meisten verdanke ich erheblich älteren Werken: Strahmeyer (1924) und Bally (19321; 19654) - ohne daß ich sicher wäre, den Gedankenreichtum des großartigen Buches von Bally wirklich ausgeschöpft zu haben. Wenig Nutzen habe ich dagegen aus dem jüngsten und umfangreichsten Sprachvergleich ziehen können (Zemb 1978/1984, insgesamt fast 1900 Seiten). Die Logik, der zufolge das Nebeneinander einer deutsch geschriebenen Grammatik des Französischen und einer französisch geschriebenen Grarrmatik des Deutschen zu einer "vergleichenden Grammatik" führt, leuchtet mir zumindest solange nicht ein, wie der Sinn als Ubergeordnetes und Gemeinsames nicht deutlicher herausgearbeitet wird; zwei in ihrem Tenor unterschiedliche Besprechungen können dem Leser eine eigene Meinungsbildung erleichtern (Hausmann 1981; Fuchs 1983) . Interessantes Anschauunganaterial liefern allerdings die Ubersetzungsvergleiche am Ende des 2. Bandes (807ff). Von den methodischen Voraussetzungen und Quellen des Sprachvergleichs nun zu den möglichen Ergebnissen und zu seiner "Ideologie". Ein noch vor wenigen

5 Jahren oft zur Gretchenfrage hochstilisiertes Problem lautete: "Wie hältst Du es mit der Weltbildthese?" Unter Weltbildthese versteht man die Auffassung, daß unsere Erfahrungsweisen der Wirklichkeit durch die Struktur der Mutter^ spräche (mit-) bestimmt werden. Was diese These - die heute nicht gerade hoch im Kurs steht, aber Moden können sich ändern - für das Deutsche und das Französische bedeuten könnte, hat Luther (1970, 135-155) aus der Sicht des Anhängers zusammengefaßt. Le style, a'est la nation - mit diesem aus dem 19. Jh. staunenden Tcpos, einer Abwandlung von Buffons bekanntem Wort, läßt sich Luthers Uberzeugung pointiert umschreiben. Es wäre unangebracht, solche Meinungen mit einer blasierten Handbewegung beiseite zu schieben; daß die forschungsgeschichtlich Späteren bisweilen sogar in den Geisteswissenschaften nuanciertere Einsichten als ihre Vorgänger haben, ist nicht unbedingt ihr Verdienst. Wer hätte es übrigens vor kurzem noch für möglich gehalten, daß das von jedem anständigen Linguisten belächelte Weltbildthema in jüngster Zeit wieder mit Macht in die Feuilletons drängt, wenn auch in neuem Gewände: Es geht um die Zwänge und Möglichkeiten der Programmiersprachen. "Acheter un ordinateur", so schreibt ein Pariser Professor in Le Monde van 23.4.1986, "ce n'est pas acheter un objet ordinaire; c'est acheter des procedures de pensee, un mode d'apprehension du monde." Hier soll aber doch vor einer für die ältere Forschung typischen Verirrung gewarnt werden: der Neigung, Sprachstruktur, kulturelle Eigenarten und die Leistungen der Geistesgrößen des jeweiligen Landes in einen Topf zu vrerfen und zwischen diesen Gegebenheiten tiefschürfende Gemeinsamkeiten und gegenseitige Abhängigkeiten zu entdecken. Da derartige Probleme im folgenden mehrmals anklingen, möchte ich in wenigen Sätzen meine Auffassung erläutern. Aus der Perspektive einer nicht dem europäischen Kulturkreis zugehörigen Sprache erscheinen mögliche wsltbildrelevante Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Französischen als so gut wie inexistent. Und trotzdem stellt sich bei einer nuancierten Untersuchung beider modernen Sprachen heraus, daß die Zwänge des Sprachsystems sowie gewisse Stiltraditionen die Aufmerksamkeit, die der Sprecher für die Sachverhalte aufwendet, bisweilen in verschiedener Weise steuern und fixieren (vgl. Abel 1981 , 484-486). Ich denke dabei \ireniger an offensichtliche, aber nur an Einzelfälle gebundene Divergenzen im Wortschatz als an unterschiedliche Gewohnheiten in der Strukturierung von Raum, Zeit und Subjektivität (s.u.). Allerdings handelt es sich oft um graduelle Unterschiede; die großen Antithesen von Schlage statisch vs dynamisch, abstrakt vs konkret, analytisch vs synthetisch, auf die man vor nicht allzu langer Zeit - nicht ganz ohne Mitschuld von Bally - die Gegensätzlichkeit des Deutschen und Französischen reduzieren zu können hoffte,

6

sind zwar bei sorgfältiger Definition in Teilbereichen nicht nutzlos, dürfen aber nicht als bequeme Totalerklärungen mißbraucht werden. Deutlicher ausgeprägt als die granmatisch und lexikalisch beschreibbaren Gegensätze zwischen den Sprachen ist auf einer Reihe von Gebieten der Unterschied im pragmatischen Gebrauch, den beide Kulturgemeinschaften von ihrer Sprache machen. Die Pragmatik als Teildisziplin der Linguistik interessiert sich für die Gründe, Begleitumstände (einschließlich Vorwissen und Erwartungen der Gesprächspartner) und Ziele des Sprechens - oder auch des Schweigens. Wie aufschlußreich vergleichende pragmatische Untersuchungen sein müßten, wird des öfteren in Artikeln und Handbüchern behauptet, aber leider allzu selten in wissenschaftlich überzeugender Form bewiesen. Dabei ist die Fragestellung so alt wie der deutsch-französische Sprachvergleich: Man kann zu diesem Thema die Lektüre zweier Kapitel eines 1810 erschienenen Buches kaum genug empfehlen, nämlich "De 1'esprit de conversation" und "De la langue allerrande dans ses rapports avec 1'esprit de conversation" in Mme de Staels De l'Allemagne·, ihre Beschreibung der in beiden Ländern unterschiedlichen psychologischen und sozialen Funktion der Unterhaltung dürfte auch heute nicht ihre Gültigkeit verloren haben. Gerade aus vergleichender pragmatischer Sicht sollte man aber nicht nur vom Sprechen reden, sondern auch vcm Schweigen: Gewiß variiert die Toleranz gegenüber dem Schweigen (etwa beim Mittagessen) in jedem Land von Familie zu Familie; daß es darüber hinaus aber auch kulturspezifische Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich gibt, bleibt oft schon dem Austauschschüler im anderen Land nicht verborgen. Konkrete (!) pragmalinguistische Untersuchungen vergleichender Art kann man jedoch an den Fingern einer Hand abzählen (z.B. Wylie 1981, Bertaux/Laroche-Bouvy 1982) . Noch kaum untersucht sind so wichtige Themen wie der unterschiedliche Stellenwert politischer Rhetorik in beiden Ländern oder sprachliche Kontraste in der kanmerziellen Werbung. Aufgrund des Forschungsstandes scheint mir eine gesonderte Darstellung der vergleichenden Pragmalinguistik im Rahmen dieses Buches noch nicht möglich. Irrnierhin soll in mehreren Kapiteln der pragmatische Aspekt bestimmter sprachlicher Erscheinungen nachdrücklich neben dem syntaktischen und dem semantischen herausgearbeitet werden. Und noch ein weiterer großer Themenkanplex kann nicht so zur Geltung katirren, wie es seiner Bedeutung für den Sprachvergleich entspräche: die Modalität. Die zu ihrer Zeit verdienstvolle, oncmasiologisch ausgerichtete Grartmatik von Brunot (1922, 507ff) vermittelt einen eindrucksvollen tiberblick über die Fülle der hier zu berücksichtigenden Ausdrucksmittel, die von der Intonation über

7 Wortstellung und Tempusgebrauch bis zu in dieser Bedeutung spezialisierten Wörtern und Konstruktionen reichen. In seinem linguistischen Wörterbuch definiert Lewandowski (1975) Modalität als e i n e den M o d u s e i n s c h l i e ß e n d e ü b e r g r e i f e n d e r e m o r p h o s y n t a k t i s c h e u n d s e m a n t i s c h - p r a g m a t i s c h e (kommunikative) K a t e g o r i e , die d a s V e r h ä l t n i s d e s S p r e c h e r s z u r A u s s a g e u n d d a s d e r A u s s a g e z u r R e a l i t ä t b z w . zur R e a l i s i e r u n g e i n e s G e g e b e n e n z u m A u s d r u c k b r i n g t (...)·

Dieser umfassenden Definitial wird Brinkmann (1971, 357-402) in Ansätzen gerecht; er behandelt Modus, Modalverb, Modaladverb und den modalen Infinitiv. Für das Französische fehlen ähnliche Untersuchungen, und es fehlt vor allein eine tragfähige zwischensprachliche Vergleichsgrundlage. Der Vergleich ist umso problematischer, als bestimmte, formal parallele Ausdrucksformen der Modalität - wie die Modi Konjunktiv und Subjonctif - semantisch kaum etwas gemeinsam haben. In der Hoffnung auf bessere linguistische Zeiten (allerdings warnten schon die Scholastiker: "de modal ibus non gustabit asinus") habe ich hier einstweilen manche Bereiche der Modalität gar nicht behandelt (die Modi) und andere auf verschiedene Kapitel verteilt (vgl. Blumenthal 1976) . Zum Schluß noch eine Bemerkung in (nicht nur) eigener Sache und einige daran anknüpfende Überlegungen. Mir war irtmer etwas unwohl, vrenn ich in dieser Arbeit reichlich unscharf formulierte, eine Sprache habe eine "Tendenz" oder "neige" zu dieser oder jener Ausdrucksweise. In älteren Arbeiten liest man bisweilen in diesem Sinne, "der Geist des Sprechenden" oder "die Sprache" liebe z.B. das Aktiv oder den unpersönlichen Ausdruck (vgl. Strohmeyer 1924, 267). Solche leicht animistischen und metaphorisehen Wendungen sind beim Sprachvergleich fast unvermeidlich und können wohl auch keinen großen Schaden anrichten. Aber wer oder was liebt eigentlich, wenn eine bestimmte Konstruktion geliebt wird? Wollte man die Frage angemessen in moderne Terminologie übertragen, käme man wahrscheinlich nicht chne das Wort "Norm" aus - Norm als Inbegriff der in einer Sprachgemeinschaft üblichen Ausdrucksweise, die anderen, vom System her ebenfalls möglichen Formen vorgezogen wird. Zu sagen, daß sich die Norm historisch herausbildet, wäre eine Banalität. Die diachrone Herleitung des Tatbestandes erklärt noch nicht das synchrone Wirkungsprinzip der Norm: Aufgrund welcher Kräfte tendiert der Sprecher eher zu einer Ausdrucksform als zu einer anderen? Zu diesen Problem gibt es möglicherweise Neues - nicht im Sinne der endlich erreichten Patentlösung, sondern einer umfassenderen Fragestellung, die aus einer Wiederbelebung der Gestalttheorie in der heutigen Sprachpsychologie resultiert. Die Gestaltpsychologie ist zunächst eine Theorie der Wahrnehmung; sie beschreibt u.a., nach welchen Ge-

8 setzen wir spontan bei der Erfahrung von Wirklichkeit deutliche und leicht behaltbare, also "prägnante" Formen zu erfassen versuchen. Unter "Prägnanztendenzen" versteht man unsere Neigung, Gegenstände der Wahrnehmung in Richtung auf prägnante Gestalten zu verbessern, z.B. fast parallele Figuren parallel zu sehen und Lücken zu ergänzen. Prägnante Formen sowohl der Wahrnehmung als auch höherer geistiger Vorgänge wie Problemlösung und Sprechen können aber auch gelernt werden. Prägnanzen finden sich, so heißt es in einer modernen Darstellung zur Gestaltpsychologie, "in vielen semantischen und syntaktischen Merkmalen und im Sprachstil" (Ertel 1981, 114) . Auf sprachlichem Gebiet entspricht die Prägnanztendenz dem Bemühen, die Informationsübermittlung durch bevorzugte Vervendung häufiger, erwartbarer und scmit redundanter Ausdrucksformen zu erleichtern. Eben diese könnten diejenigen sprachlichen Strukturen sein, so lautet die hier anzudeutende Hypothese, die von der vergleichenden Sprachstilistik als die normtypischen ausgemacht werden. Eine solche Hypothese verschiebt das oben gestellte Problem nur ("was liebt?"), sagt der Skeptiker. Ja, hoffentlich in die richtige Richtung! Von Unbehagen war im letzten Abschnitt die Rede. Ganz zum Schluß möchte ich aber auch von Behagen sprechen, oder besser von Vergnügen. Wenn einmal der Blick für die unterschiedlichen granmatischen Notwendigkeiten und stilistischen Möglichkeiten zweier Sprachen geschärft ist, kann es ein Vergnügen werden, selbst zu übersetzen oder gelungene Ubersetzungen mit ihrem Original zu vergleichen. Man sieht klarer die Techniken oder den Pfiff, mit denen bestimmte Probleme gemeistert wurden. Man gewinnt aber auch Maßstäbe, mit deren Hilfe man nachweisen kann, daß eine Übersetzung allzu ängstlich an der Form des Originals kleben geblieben ist. Für ihre aufmerksame Lektüre meines Manuskripts und für wertvolle Verbesserungsvorschläge danke ich Bernd Kielhöfer, Martin Dürr, Ulrike Oswald, Jutta Rösner und Achim Stein herzlich. Meinem Erlanger Kollegen Heinz Haberzettl schulde ich großen Dank dafür, daß er mir seine aus Staatsexamensklausuren gewonnene Fehlersaimilung (ca. 7500 Fehlerbeispiele zur Verfügung gestellt hat. HINWEIS ZUR SCHREIBUNG: Innerhalb von Beispielsätzen erscheinen Wörter, auf die die Aufmerksamkeit des Lesers gelenkt werden soll, in Kursivschrift. Ist im fortlaufenden Text das ganze Beispiel kursiv, erfolgt die Hervorhebung ausnahmsweise durch Unterstreichung. Von ausdrücklich genannten Fällen abgesehen, werden grairmatisch falsche Sätze durch einen vorangestellten Asterisk (*) gekennzeichnet. Die Abkürzung vs (für lat. versus) zeigt eine Gegensatzbeziehung zwischen zwei Begriffen an.

1.

SYNTAX

1.1.

Unterschiede im Satzbau

Dieses Kapitel soll mehr Klarheit in eine Materie bringen, die in ihren Bestandteilen seit langem wohlbekannt ist, aber bisher noch kaum eine systematische Beschreibung gefunden hat: die unterschiedlichen Vorlieben des Deutschen und Französischen bei der Konstruktion des einfachen Satzes. Die vier zu diskutierenden Tendenzen, die kontrastierend dem Deutschen und dem Französischen zugeschrieben werden, können sich gegenseitig verstärken, treten bisweilen aber auch in Konflikt zueinander. Ihr Zusanmenspiel bestimmt typische Ausprägungen des Satzbaus beider Sprachen. In den folgenden Abschnitten schöpfe ich zunächst ungeniert aus dem reichen Beispielmaterial der bisherigen Sprachvergleiche, das natürlich stets die jeweils zu illustrierende Tendenz bestätigt. .. Das Problem besteht bei einem solchen Vorgehen nicht in den meist wenig ins Gewicht fallenden Gegenbeispielen, sondern in der mangelnden Repräsentativ! tät des Materials. In zusammenhängenden Übersetzungen erweisen sich nämlich normalerweise - je nach Textart in 80% bis 95% der Fälle - identische Strukturierungen der deutschen und französischen Sätze als grairmatisch möglich und stilistisch angemessen. Statistisch gesehen bildet also die von der vergleichenden Stilistik so ungeliebte "wörtliche" Ubersetzung durchaus die Regel. Man schmälert keineswegs die Wichtigkeit der kontrastiven deutschfranzösischen Analyse, v o m man sie als die Lehre von den Randzonen versteht, in denen Unterschiede zwischen zwei im übrigen ähnlich strukturierten Sprachen auftreten. Denn eben diese Nischen bilden den Prüfstein für die fremdsprachliche Kompetenz. Solche relativierenden Erkenntnisse ergeben sich allerdings nicht aus den vergleichenden Stilistiken, die meist vor lauter Gegensätzen den Blick für die Gemeinsamkeit verlieren, sondern aus statistischen Untersuchungen ähnlicher Texte beider Sprachen (s.u. 1.1.5.) . Da diese Auszählungen ohnehin der Gefahr einer polarisierenden Betrachtungsweise entgegenwirken werden, möchte ich zunächst die tatsächlich vorhandenen Kontraste an einigen seit etwa 80 Jahren immer wieder genannten Beispieltypen möglichst pointiert herausarbeiten. Die entsprechenden Erklärungsvorschläge führe ich als

10

Thesen ein, damit sie dem Leser nicht als endgültige Forschungsergebnisse erscheinen. Zuvor müssen aber einige Begriffe geklärt werden, wenn auch der Raum für die Diskussion des zugrundeliegenden Syntaxmodells - der Dependenz- oder Valenzgrammatik - fehlt. Im folgenden geht es ganz allgemein um tische

B e z i e h u n g e n

große Beziehungstypen sind vorab zu unterscheiden: (Koordination) und

U n t e r o r d n u n g

bedeutet g e g e n s e i t i g e

syntak-

zwischen Wörtern und Wortgruppen. Zwei G l e i c h o r d n u n g

(Subordination). Gleichordnung

U n a b h ä n g i g k e i t

der betreffen-

den Wörter; beispielsweise kann in Ich habe Fritz und Otto gesehen jeder einzelne der gleichgeordneten Namen wegfallen, ohne daß der Satz grammatisch falsch würde. Anders liegen die Verhältnisse bei der Unterordnung. Hier besteht A b h ä n g i g k e i t

(Dependenz) : In Sie ißt sehr schnell hängt sehr

syntaktisch von schnell ab (nan kann sagen Sie ißt schnell, aber nicht *Sie ißt sehr) , und die Gruppe sehr schnell aufgrund des gleichen Kriteriums von Sie ißt. Diese Art der Dependenz ist e i n s e i t i g schnell ab, aber nicht umgekehrt. keit

: sehr hängt von

G e g e n s e i t i g e

A b h ä n g i g -

(Interdependenz) findet sich dagegen innerhalb des Satzkerns Sie ißt,

denn beide Wörter sind syntaktisch aufeinander angewiesen. Je nach Verb - vcn ihm pflegt die Dependenzgrammatik bei der Satzanalyse auszugehen - kann die Zahl der durch gegenseitige Abhängigkeit verbundenen Satzteile neben Subjekt und Prädikat auch Objekte und adverbiale Bestimmungen umfassen. Beispiel: Wenn man in (Er) (legt) (das Buch) (auf den Tisch) auch nur eine der umklammerten Einheiten wegließe, würde der Satz ungrammatisch. Satzteile, die durch solche gegenseitige Abhängigkeit mit dem Verb verbunden sind, nennt man g ä n z u n g e n

Er-

(auch Aktanten oder Mitspieler). Steht dagegen ein Satz-

teil nur in einseitiger Abhängigkeit zum Verb, handelt es sich um eine (freie) A n g a b e

; dies gilt für die adverbiale Bestürmung sehr schnell in Sie ißt

sehr schnell. Nun ist es bisher trotz scharfsinniger Bemühungen nicht recht gelungen, klare Kriterien für die Unterscheidimg vcn Ergänzungen und Angaben zu entdecken. Wie soll nan etwa beim Objekt von Er ißt Eis verfahren? Grammatisch ist es zwar weglaßbar; aber irgendeine Art von Objekt wird bei essen doch irtmer mitverstanden. Insofern ist sein Status ein anderer als der von sehr schnell (s.o.). Deshalb vertreten die meisten Dependenzgrairmatiker die Auffassung, Objekte wie das genannte seien ebenfalls zu den Ergänzungen zu rechnen, allerdings zu den "fakultativen". Man maß aber deutlich sagen, daß so das oben verwendete syntaktische Kriterium der Interdependenz durch das letztlich psychologische und vagere Kriterium der Erwartbarkeit erweitert wird: Ein Satzteil

11

ist dann Ergänzung, wenn sein Vorkannen im Satz in Anbetracht der syntaktischen und seman tischen Eigenschaften des Verbs grundsätzlich zu erwarten steht. Im Gegensatz zur Ja-Nein-Entscheidung zwischen einseitiger und gegenseitiger Abhängigkeit ist diese Erwartbarkeit gradueller Natur: Sie erreicht ihr Maximum in bezug auf das Subjekt (fast kein Prädikat chne Subjekt!), eine hohe bis mittlere Größe bei den Objekten und ihr Minimum bei den freien Angaben. Die Fähigkeit des Verbs, Ergänzungen bestimmter Zahl und Art zu fordern, nennt man seine V a l e n z

; Beispiel: schlafen verlangt nur eine Ergän-

zung, das Subjekt (Valenz 1, "einwertig"); geben erfordert nonralerweise neben dem Subjekt zwei Objekte (Valenz 3, "dreiwertig"). Die Ergänzungen, so werden wir im folgenden sagen, sind valenzgebunden, die Angaben dagegen valenzfrei.

1.1.1. Erste These Im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht der Begriff des Satzbauplans, der sich unmittelbar aus dem soeben Gesagten herleiten läßt. Unter Satzbauplänen verstehen wir die durch die Verbvalenz festgelegten syntaktischen Grundstrukturen, bestehend aus dem Prädikat und seinen Ergänzungen. Einen Überblick über 37 Satzbaupläne des Deutschen bietet die Duden-Grairmatik (1984, 635; für das Französische vgl. die Einleitung von Busse/Dubost, 1983). Beispiele: "Subjekt + Prädikat" (Die Rosen blühen); "Subjekt" + Prädikat + Pertinenzdativ + Akkusativobjekt + Raumergänzung {Er legt ihm die Hand auf die Schulter) . Das Französische neigt dazu, so lautet unsere These, Informationen innerhalb des Satzbauplans aufzuführen, die im Deutschen außerhalb des Satzbauplans erscheinen. Anders gesagt: Im französischen Satz sind relativ mehr Wörter valenzgebunden als im deutschen. Auf der Ebene der Konstruktionen bedeutet dies, daß das französische Verb in stärkerem Maße von Objekten umgeben ist, das deutsche Verb mehr von Adverbien und Umstandsangaben. Ein schlichtes Beispiel veranschaulicht das Gemeinte (Truffaut 1983, 279): (1) Unvergessen bei vielen ausländisehen Beobachtern ist auch die von primitivem Nationalismus triefende Schlagzeile der Bild-Zeitung ...

Beaucoup d'observateurs etrangers n'ont pas oublie non plus un gros titre du journal "Bild", oü s'epanche un nationalisme primitif ...

Die Umstandsangabe bei vielen ausländischen Beobachtern gehört nicht zum Satzbauplan - im Gegensatz zu ihrer semantischen Entsprechung beaucoup d'observateurs etrangers, die als Subjekt des transitiven Verbs oublier nicht vreglaßbar ist. Nach dem gleichen Schema läßt sich ein beträchtlicher Teil der üblicherweise angeführten syntaktischen Kontraste interpretieren. Hier noch einige Beispiele:

12 (2) Im Weltgeschehen haben unerwartete und zuweilen bedrohliche Strukturveränderungen stattgefunden, die zu neuen Belastungen der internationalen Beziehungen führten.

Le cours des affaires mondiales a pris une orientation inattendue et parfois dangereuse, creant de nouvelles tensions dans les relations internationales. (Truffaut 1983, 280).

(3) Bei allen Beteiligten ist die ständige Bereitschaft zum Dialog erforderlich.

Toutes les parties concernees doivent faire preuve d'une disposition constante au dialogue, (ebd.)

(4) Wegen brennender Sonne und fehlenden Wassers mußten wir unsere Expedition unterbrechen.

L'ardeur du soleil et le manque d'eau nous obligerent ä interrompre notre expedition.

(5) Über dem Spielen hatte er Zeit, Scham und Erregung hinunterzuwürgen.

Le jeu lui donna le loisir d1avaler sa honte et son indignation.

Das folgende Zitat (Malblanc 1968, 215) ist zwar poetisch getönt, syntaktisch aber unauffällig; der deutschen Umstandsangabe entspricht im Französischen ein Objekt, das von der infiniten Verbform fixant abhängt: (6) Le mobile sur la hagard

jeune homme gisait, imet impassible, fixant mer lointaine un regard et vide.

Der Jüngling lag und starrte mit stierem, gedankenlosem Blick ohne Regung und Bewegung in das Meer.

Ein sprachlich moderneres, bei genauerem Hinsehen ähnlich strukturiertes Beispiel stammt aus einer französischen Werbebroschüre für den Renault-Typ R 9 und ihrer recht freien, ebenfalls weniger verbalen deutschen Übertragung: (7) Ses concepteurs peuvent ainsi optimiser tous les elements constitutifs du futur modöle, et reduire son poids, favorisant ainsi les economies d'energie, sans nuire a la securite.

So lassen sich alle Elemente leicht ändern und optimal aufeinander abstimmen (...). Für die Sicherheit, den Fahrkomfort und die Wirtschaftlichkeit kommt man zu idealen Ergebnissen.

Die Informationen, die im letzten Teil des französischen Textes als vom Partizip favorisant und vcm Infinitiv nuire abhängige Objekte auftreten, erscheinen im Deutschen als freie Angaben. Mit Hilfe des Begriffspaares valenzgebunden/valenzfrei lassen sich auch einige anders geartete Gegensatztypen beschreiben, die der Schulgranmatik ebenfalls seit langem vertraut sind und im Ubersetzungsvergleich schon ausführlich dargestellt wurden (Bausch 1963, 207-277; Malblanc 1968, 162f): (8) (9) (10) (11)

Er wäre beinahe gefallen. Er schwatzt unaufhörlich. Es regnet immer noch. Peter trinkt gern Wein.

II a failli II ne cesse II continue Pierre aime

tomber. de bavarder. ä pleuvoir. le vin.

Hier gibt im Französischen ein Prädikat den Inhalt wieder, der im Deutschen in einem syntaktisch weglaßbaren Adverb enthalten ist.

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(Zur größeren "Adverbfreudigkeit" des Deutschen vgl. Pelz 1963, 104). Adverbialer ist das Deutsche auch bei Beispielen van Typ il mangeait: er aß gerade, il va arriver : er kommt gleich, il vient d'arriver : er ist gerade gekommen (vgl. Kap. "Zeit und Tempus") und bei einigen Wendungen in Frageform: (12) Wie gefällt dir das? (13) Wie sind Sie mit Ihrem Auto zufrieden?

Est-ce que cela te plait? Etes-vous content de votre voiture?

Syntaktisch sind im Deutschen mit einer gewissen Bedeutungsverschiebung auch die Entscheidungsfragen "Gefällt dir das?" und "Sind Sie mit Ihrem Auto zufrieden?" möglich, während im Französischen umgekehrt eine Wortfrage ungramrtatisch wäre: •Comment etes-vous content de votre voiture?

Daß der Satzbauplan im Französischen häufig einen höheren Anteil der im Satz vorkeimenden Wörter erfaßt als im Deutschen, ließe sich noch an zahlreichen Beispielen demonstrieren. Der Erkenntniswert dieser recht allgemeinen Becöachtung bleibt aber gering, solange wir nicht das Ausmaß der Erscheinung und die daran beteiligten semantischen Faktoren beschreiben können. Zu einer solchen nuancierteren Darstellung des Problems sollen die folgenden Unterkapitel beitragen.

1.1.2. Zweite These Hier geht es um verschiedene inhaltliche Ausfüllungen von quantitativ gleichen Satzbauplänen. Die aus kontrastiver Sicht formulierte These lautet: Das Deutsche vermeidet die Benennung von Umständen in Subjektposition, das Französische neigt zu solchen Konstruktionen. Der hier durchaus umgangssprachlich verwendete Umstandsbegriff bezieht sich auf die außersprachliche Welt und meint Ort, Zeit, Grund, Instrument, Zweck usw. eines Zustands oder Geschehens. Beispiel (Truffaut 1983, 279): (14) Auf Zeitungsinseraten prangt ein fahles Porträt. Text: "Keiner kennt sein Gesicht".

Les pages publicitaires des journaux montrent un portrait blafard accompagn?· de la legende suivante: "Personne ne connalt son visage".

Die nicht weglaßbare Ortsangabe auf Zeitungsinseraten gehört wie Porträt zur Valenz von prangen; zweiwertig wird auch das - allerdings transitive - Verb montrer im Zitat realisiert, das nun aber den Gegenstand oder Ort als Subjekt einführt. Diese im Französischen beliebte Formulierung svreise wird bisweilen als "Animismis" bezeichnet (Malblanc 234ff), da sie von sonst vorherrschenden

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semantischen Komb irationsbe sehrärikungen des Verbs absieht und dessen Sachsubjekt gleichsam als belebt unterstellt. Ein möglicher "Anti-Animismus" im Deutschen braucht hier nicht diskutiert zu werden; entscheidend ist vielmehr, daß beide Sprachen zu verschiedenen sprachlichen Analysen des gleichen Sachverhalts tendieren: Besitzt ein am Geschehen beteiligtes Element den sachlichen Charakter eines Umstandes, erscheint es im deutschen Satz meist auch syntaktisch explizit als Umstand, d.h. es wird als adverbiale Bestimmung durch eine Präposition eingeführt. Die im Französischen bevorzugte Ausdrucksweise enthält aufgrund ihrer morphosyntaktischen Struktur weniger spezifische semantische Information, da die Konstruktion Subjekt-Verb-Objekt alle möglichen Arten von Sachverhalten abbilden kann und insofern abstrakter ist. Hier weitere Beispiele (Truffaut 1983, 280f): (15) Aus einer Reihe nach wie vor ungelöster Auseinandersetzungen erwächst weiterhin Gewalt und Frustration. (16) Immer noch an einem toten Punkt befinden sich alle Bemühungen um Namibia, was sowohl für das namibische Volk als auch für den Frieden äußerst schädlich ist.

Plusieurs differends cruciaux qui η 'ont toujours pas ete resolus sont une source de violence et de frustration. L'impasse oü reste la question de la Namibie est extremement noeive pour les interets du peuple namibien ainsi que pour la paix.

Der gemeinsame Nenner dieser Kcnstrukticnen und der im ersten Teil von 1.1.1. zitierten liegt im Deutschen darin, daß eine Umstandsbezeichnung in Subjektposition vermieden wird - ob der umstand im Ergebnis nun außerhalb oder innerhalb des Satzbauplans zu stehen katmt. Wo sich die Übersetzung nicht einer eng verstandenen Treue zum Original verpflichtet fühlt - also z.B. in der Übertragung von Werbetexten

treten als Konsequenz der hier diskutierten

Tendenzen bisweilen weitere Änderungen zwischen der deutschen und französischen Satzstruktur auf. Der Übersetzer kann nämlich versucht sein, ein im französischen Original nicht genanntes und vom Kontext keineswegs gefordertes menschliches Subjekt in den deutschen Satz einzuführen. Hier zwei Beispiele aus der bereits zitierten Renault-Reklame für den R 9: (17) L'ordinateur peut alors restituer n'importe quel element constitutif du vehicule, sous quelque perspective que ce soit. (18) Les recherches en soufflerie visent ä abaisser en permanence le "Cx", (...)

Auf dem Bildschirm kann der Konstrukteur jedes beliebige Einzelteil in den benötigten Größen und Perspektiven darstellen. Im Windkanal arbeiten die Ingenieure an einem möglichst niedrigen Cw-Wert.

Bei dieser Ubersetzungsmethode ist grundsätzlich die Beibehaltung des transitiven Verbs möglich (vgl. 17). Ein weiteres im Deutschen beliebtes Verfahren, mit dem sich bei der Ubersetzung aus dem Französischen bestimmte semantische

15 Subjekttypen vermeiden lassen, ist die Passivierung; das folgende Beispiel stammt aus einer zunächst französisch verfaßten BG-Veröffentlichung (L 'Action de la Communaute 1980, 6): (19) L'Eglise devient ainsi heritiere de ceux qui l'ont persecutee ä ses debuts et c'est eile qui assure 1'assimilation du dernier Clement constitutif de 1'Europe: les Germains avec leur conscience de la communaute et, surtout, leur sens de 1'action.

Die Kirche wird so zur Nachfolgerin derer, die sie zuvor verfolgt haben, und sie ist es, durch die das letzte noch fehlende Element Europas assimiliert wird: die Germanen mit ihrem Gemeinschaftsethos und ihrem Tatsinn,

Die bisherigen Beobachtungen dieses Abschnitts sind konstatierend, aber nicht erklärend. Ich möchte deshalb auf einen Erklärungsansatz hinweisen, der in einem größeren theoretischen Zusanmenhang verankert ist. Bei der Diskussion von deutsch-englischen Entsprechungen des Typs (20) Money can't buy everything.

Mit Geld kann man nicht alles kaufen.

(21) The crash injured many people.

Bei dem Unfall wurden viele Menschen verletzt.

argumentiert König (1973, 31-37) wie folgt: Semantisch gesehen verweisen money und crash (etwa als "Tiefenkasus" Instrument) auf Umstände. Wollte man diese Funktion mit Hilfe einer Präposition explizit machen, wie dies im Deutschen geschieht (mit Geld), wäre es im Englischen schwierig, die Stellung an der Satzspitze beizubehalten. Eben diese Wortstellung ist aber im betreffenden Satz wichtig, da sie den "thematischen" Charakter (s.u. 1.3.) von money/ crash unterstreicht. Auch im Französischen sind für rtenche Präpositicnalphrasen die Möglichkeiten der Voranstellung beschränkt (Blinkenberg 1928, 211 ff). Die thematische Spitzenstellung der Umstandsbezeichnungen in den oben zitierten deutschen Sätzen erscheint dagegen als völlig normal. Bei den Ursachen für die in diesem Abschnitt beobachteten Kontraste trifft also möglicherweise zweierlei zusanmen: setrantische Restriktionen für das Subjekt im Deutschen und syntaktische Beschränkungen in der französischen Wortstellung. Wie die Beispiele zeigen, besteht bei der Übersetzung die eleganteste Lösung dieses Widerstreits zwischen beiden Sprachen in einer Änderung des Satzbauplans.

1.1.3. Dritte These Der Gegenstand dieses Abschnitts überschneidet sich mit dem Geltungsbereich der in 1.1.1. dargelegten These. Oben haben wir Entsprechungen vom Typ Ηνη«; aime le vin und Peter trinkt gern Hein unter dem Gesichtspunkt des Satzbauplans

16 kontrastiert. Ergänzend dazu soll nun die für das Deutsche charakteristische Konstrukticnsweise - hier der Gebrauch einer adverbialen Bestimmung (gern) in ihren weiteren sprachlogischen Zusammenhang gestellt werden: die Tendenz zur Spezifizierung, d.h. zur Hervorhebung des Besonderen, Gattungstypischen an einan Gegenstand, einem Geschehen oder einer Eigenschaft (im Französischen "caracterisation"; vgl. diesen linguistischen Begriff im GLLF). In den hier zu besprechenden Fällen verzichtet das Französische entweder auf die durch die deutsche Spezifizierung erbrachte Information oder gibt sie relational wieder: Das unspezifizierte Prädikat stellt eine Relation zwischen zwei Nomina her (Pierre/aimer/vin; vgl. "Relationsurteil" in Lewandowski 1975) und drückt so einen Zusaitmenhang zwischen zwei Gegenständen aus. Unsere zusammenfassende These lautet also: Das Deutsche neigt zu spezifizierender, das Französische zu relationaler Ausdrucksweise. Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Schon Kainz (1965, 287) spricht vctn deutschen "Speziellsehertum", das sich als "Begriffseinengung durch Umfangsbeschränkung mit Hilfe näherer Bestimmungen" kennzeichnen lasse. Anmerkung Der deutsche Hang zur Spezifizierung nimmt bisweilen Formen an, die auf Franzosen verwunderlich wirken. Zahlreiche Beispiele bietet die Nahrungsmittelbranche, die bei der Etikettierung und durch ihre intensive Werbung in enger Wechselwirkung mit der Umgangssprache steht. In Bäckereien und auf Verpackungen kann man lesen, das Gebäck sei mit guter Butter hergestellt - eine Formulierung, die die Existenz von "schlechter Butter" (Margarine?) unterstellt. Zur Unterscheidung von Kaffee-Ersatz war in der Nachkriegszeit viel von gutem Bohnenkaffee die Rede. Bienenhonig ist wohl im Gegensatz zu älterem Kunsthonig (moderne Bezeichnung Invertzuckercreme) geprägt worden. In ländlichen Gegenden werden von fahrenden Kleinhändlern frische Eier und frische Erdbeeren an der Tür angeboten, als ob auch nicht frische grundsätzlich in Frage kämen. Zwar sind frisch (für Eier) und die spezifizierende Wortbildung Trinkmilch (im Gegensatz zu Milchprodukten) nahrungsmittelgesetzlich definiert und haben anders als gute Butter u.a. ihren terminologischen Sinn (vgl. Kennwort Lebensmittel 1985); die uns interessierenden deutsch-französischen Kontraste liegen aber nicht auf terminologischer Ebene, sondern in der Alltagssprache: Im Deutschen sind hier bei den Nahrungsmitteln Bezeichnungen und Wendungen allgegenwärtig, die ein Art-Gattungs-Verhältnis voraussetzen; im Französischen begnügt man sich meist mit der Angabe der Art. Mit der Neigung zur Spezifizierung verbindet sich das Streben nach semantischer Motivation in "verdeutlichenden Zusammensetzungen" vom Typ Speiserestaurant, Programmfolge und Arbeitskollege (vgl. Fleischer 1975, 18, lOlf; s.u. 4.3.). Gehen wir nun vcn derartigen Randerscheinungen zu zentralen Bereichen der Sprache über, zeichnen sich weitere Entsprechungstypen ab. Bei einer großen Fallgruppe wird die durch Wortbildung erzielte deutsche Spezifizierung im Französischen üblicherweise durch relationale Ausdrücke wiedergegeben. Dies

17 gilt vor allem für deutsche präfigierte bzw. zusammengesetzte Verben. Die Kontraste zwischen beiden Sprachen sind hier so offensichtlich, daß wir uns mit einigen gängigen Beispielen für Ubersetzungsäquivalenzen begnügen können: aufblicken : lever les yeux; hinunterschauen : baisser les yeux; anstoßen : heurter le sol; umkehren : rebrousser chemin; einkaufen: faire des courses. Aber auch ein deutsches Simplex kann eine relationale Übersetzung erfordern; vgl. Er wollte mit ihr feiern : Ii voulait cel&brer l'evenement aveo eile und lexikalisierte Fälle wie stürzen : faire une akute, streiken : faire greve. Die bisher dargestellten Entsprechungen zwischen beiden Sprachen, die häufiger und typischer als die ebenfalls auffindbaren Gegenbeispiele sein dürften, lassen sich im Schema wie folgt darstellen: D E U T S C H -;

Spezifi

F R A N Z Ö S I S C H Relation

Zum Äquivalenztyp Spezifizierung vs Relation gehören auch Fälle wie leiser sprechen : baisser la voix, während der Typ Spezifizierung vs Simplex noch durch gelegentliche Entsprechungen von der Art verwundert fragen : s 'etonner, leise antworten : ahuohoter illustriert wird (vgl. Hilty 1974, 279). Trotz des angeführten Materials braucht wohl kaum ein Wort darüber verloren zu werden, daß im Regelfall einer deutschen Spezifizierung eine französische und einer französischen Relation eine deutsche entspricht. Hier ging es nur darum, die typische Entsprechungsrichtung der Ausnahmen zu skizzieren. Eine der Beziehungen des vorstehenden Schemas, die zwischen deutscher Spezifizierung und französischem Sinplex, kanmt recht häufig in den übersetzungsäquivalenzen deutscher Modalverben zur Geltung. An einem Beispiel - das nun allerdings mit der ersten These (1.1.1.) nichts mehr zu tun hat läßt sich das Gemeinte sogleich veranschaulichen: (22) Je vous avoue meme que je n'y ai pas pense. (Simenon 26)

Ich muB Ihnen sogar gestehen, daß ich noch nicht daran gedacht habe (19).

Betrachtet man die zitierte deutsche Ubersetzung aus der Perspective des Originals, erscheint das Modalverb muß nur als Hervorhebung eines besonderen Merkmals der vom Verb ausgedrückten Handlung und damit als Spezifizierung; daß auch Informationen nodaler Art zur Spezifizierung beitragen können, hat schon Bally (1965, 91) gesehen. Im Französischen würde eine Modalisierung

18 anstelle der finiten Form des Vollverbs in diesem und in zahlreichen anderen Fällen als störende Uberspezifizierung empfunden. Die vergleichenden Stilistiken zitieren zu diesem Problem ein umfangreiches Material, z.B.: (23) Rien ne remplace le vin.

Nichts kann

den Wein ersetzen.'

(24) On admirait sa reflexion sobre.

Man mußte die Nüchternheit Denkens bewundern.

seines

Der folgende Beispieltyp stellt einen Scnderfall innerhalb der hier diskutierten deutsch-französischen Entsprechungen dar: (25) Das Mädchen lächelte zweideutig.

La fille a eu un sourire ambigu.

Das Französische ersetzt ein intransitives Verb (lächeln) durch eine relationale Konstruktion (avoir un sourire) und überträgt die Spezifizierung (zweideutig) van Verb auf das Objekt. Dieser Typ bildet eines der Lieblingsthemen des deutsch-französischen Sprachvergleichs; vgl.: (26) Der Kaffee roch fremd. (27) Er wohnt bürgerlich.

Le cafe degageait une odeur bizarre. II a une demeure bourgeoise.

Besitzt das spezifizierte deutsche Verb bereits eine Ergänzung (in den folgenden Beispielen lähmte ihn und sahlug gegen die Wand) , ist es also zweiwertig im Sinne der Valenztheorie, so muß es im Französischen bisweilen durch ein dreiwertiges Verb (hier mettre und donner) ersetzt werden, wenn die Spezifizierung van Verb auf eine Ergänzung übertragen werden soll (H. Boll, zitiert nach Grünbeck 1983, 62): (28) hier war es: Schönheit und Größe und rassische Vollendung, verbunden mit etwas, das ihn vollkommen lähmte: Glauben.

et voici qu'il l'avait devant lui: la beaute, la grandeur, la perfection raciale, ä quoi s'ajoutait une chose qui le mettait dans un etat de totale paralysie: la foi.

(29) ... er schlug ein paarmal heftig gegen die Wand

... et donna quelques coups energiques sur la paroi

Auf mehreren Ebenen der Sprache haben wir die Neigung zur Spezifizierung als eine typische Eigenschaft des Deutschen beschreiben können. Hebt sich umgekehrt das Französische durch das logische Gegenteil, die Neigung zur Generalisierung, von Deutschen ab? Für einen begrenzten Bereich (Apposition, SatzVerknüpfung) trifft dies zu; vgl. das folgende Beispiel, den ersten Satz der deutschen und französischen Fassung einer von der EG herausgegebenen Broschüre (Die Frauen in der Europäischen Gemeinschaft, Luxemburg 1984) : (30) Die Stellung der Frau in der Gesellschaft hat stets und überall in den sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Erörterungen eine wichtige Rolle gespielt.

Le probleme du role des femmes dans la soci&tfe a toujours et partout occupe une place importante dans les d&bats sociaux, politiques, culturels et religieux.

19 Der appositiven Konstruktion le probleme du rdle des ferrmes liegt ein Satz von der Art le role des femmes est un probleme zugrunde, dessen Subjektgruppe dam Oberbegriff probleme zugeordnet wird. Solche im cbigen Zitat zum Ausdruck kommenden Generalisierungen sind, wie Lüdtke (1984, 196ff) dies im Übersetzungsvergleich nachgewiesen hat, für das Französische recht typisch - auch im Vergleich zu anderen romanischen Sprachen. Weitere französische Beispiele: le mois de mai, l'idee de "frontiere naturelle", l'etat de dependance (in der Übersetzung nur: die Abhängigkeit). Auch bei der Satzverknüpfung führt das Französische bisweilen rückverweisende Oberbegriffe ein, wo das Deutsche beim gleichen Begriff bleibt oder ein anaphorisches Proncmen verwendet; vgl. zahlreiche Beispiele bei Lüdtke (z.B. "das alles haben unsere Leute den Lassalleanern zu Gefallen getan": "Voila le bilan de toutes les concessions que nos gens ont eu la complaisance de faire aux lassalliens", 90).

1.1.4. Vierte These Die These besagt, daß der französische Satz in vielen für beide Sprachen typischen Konstruktionen einen höheren "Aktivitätsgrad" ausdrückt als der deutsche. Sie schließt an Strchmeyers Beobachtung an, daß "das Französische in zahllosen Fällen eine deutsche Aussage über einen Vorgang, zuweilen auch einen Zustand, durch eine Aussage über einen Akt ersetzt" (1950, 5). Anmerkung Informell und unter Vernachlässigung aller Feinheiten lassen sich die sprachlichen Voraussetzungen für Aktivität im hier gemeinten Sinne wie folgt kennzeichnen: Die im Satz ausgedrückte Aktivität ist umso höher, je mehr die Formulierung den Eindruck erweckt, daß ein Geschehen von einem Wesen ausgeht und auf andere Wesen oder Gegenstände übergeht (in der Fachterminologie: Agens - Actio - Patiens - Schema; Beispiel: Fritz schlägt Otto). Dementsprechend besitzen auf der Ebene der Sachverhalte die Handlungen (willensbestimmte Geschehnisse, die durch Mit welcher Absicht...? erfragt werden können) den höchsten Aktivitätsgrad, gefolgt von den Vorgängen und den Zuständen; Kennzeichen der Zustände: Sie lassen sich nicht durch Was geschieht? erfragen, implizieren also keine Änderung in der Zeit. Gemäß der obigen Definition betrachten wir Sätze, deren Subjekt den Träger des Geschehens nennt, als die aktiveren ("aktiv" im Sinne von "Aktivität ausdrückend"): Die Blätter rauschen vs Es rauscht in den Blättern. Weitere Kriterien für die Feinbestimmung von Aktivitätsgraden ergeben sich aus Grammatiken (Dik 1978, 32ff) und semantischen Verbanalysen (Dictionnaire semantique ... 1983, Ballmer/Brennenstuhl 1986, 105-111). Mit der Verbvalenz besteht insofern ein Zusammenhang, als zwei- und dreiwertige Verben oft Handlungen mit hohem Aktivitätsgrad bezeichnen, während nullwertige Verben (regnen) auf Vorgänge niederer Aktivitätsstufe verweisen. Die einwertigen Verben (z.B. blühen/arbeiten) bilden in dieser Hinsicht wohl die am wenigsten einheitliche Gruppe. Als Charakteristikum der deutschen Satzstruktur läßt sich die Neigung zum

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Ausdruck vergleichsweise geringerer Aktivität an mehreren syntaktischen Erscheinungen nachweisen. Aus Raumgründen konzentriere ich mich in diesan Abschnitt auf die Rolle des Vtörtchens es als Subjekt unpersönlicher (bzw. unpersönlich gebrauchter) Verben. Die betreffenden Konstruktionen sind im. Deutschen merklich häufiger als im Französischen. Aus der Sicht des Sprachvergleichs sollten vor allem zwei Verwendungsweisen vcn es in Subjektfunktion unterschieden werden. In den folgenden Beispielen spielt es die Rolle eines nur formalen, inhaltlosen Subjekts ("Scheinsubjekts"); der Träger der Handlung oder des Vorgangs wird im Satz nicht genannt. Neben Gemeinsamkeiten bei den Witterungsverben (es regnet : il pleut) zeigen sich bei einigen zum Teil recht häufigen Wendungen unterschiedliche Formulierungstypen. Die einschlägigen Hand- und Übungsbücher enthalten lange Beispiellisten: (31) (32) (33) (34) (35) (36) (37)

Es Es Es Es Es Es So

klopft. schlägt acht Uhr. ist kühl. dämmerte kaum. tröpfelt von den Dächern. wird getanzt. geht es in der Welt.

On frappe. Huit heures sonnent. L'air est frais. Le crepuscule naissait ä peine Les toits degouttent. On danse. Ainsi va le monde.

Im Gegensatz zu es verweist on auf die handelnden Personen, auch wenn diese unbekannt bleiben. Vor allem in erzählenden, also nicht an die Sprechsituation gebundenen Texten wird im Französischen häufig ein wahrnehmendes Subjekt eingeführt, das die im Satz insgesamt ausgedrückte Aktivität weiter steigert: (38) Es klopfte.

On entendit frapper.

Die folgende Übersetzungsäquivalenz treibt die in beiden Sprachen angelegten Formulierungstendenzen auf die Spitze: (39) Flüchtig an den Fährmann sich erinnernd, blieb K. stehen, irgendwo hüstelte es im Dunkeln, das war er. (Kafka 22)

Se souvenant subitement du voiturier, il s'arreta; il 1'entendit tousser quelque part, dans le noir. (1938/1984, 31)

Unpersönlich eingeführtes hüsteln besitzt im deutschen Text als Vorgang eine minimale Aktivität, während tousser in zweifacher Weise an personale Vorgangsträger gebunden ist: durch die proncminalen Verweise auf die hustende Person und auf das wahrnehmende Subjekt (s.u. 3.1.) . Bei einer zweiten Gruppe von im Deutschen unpersönlich eingeführten Wendungen wird der Träger des Geschehens zwar genannt, aber er erscheint anders als im Französischen nicht in Subjektpositian; nach den eben genannten Kriterien besteht auch hier ein zwischensprachlicher Unterschied der Aktivitäts-

21 grade, der allerdings geringer als bei den zuvor aufgeführten Beispielen ausfällt: (40) Es gefällt uns hier. (41) Es schwindelt mir. (42) Es zieht mich nach Hause.

Nous nous plaisons ici. J'ai le vertige. La maison m'appelle.

Ähnlich liegen hinsichtlich unserer Fragestellung diejenigen Fälle, in denen es nicht inhaltleeres Subjekt ist, sondern als Platzhalter auf andere Satzteile verweist: (43) Es gelingt mir, etwas zu tun. (es : etwas zu tun)

Je reussis ä faire quelque chose,

(44) Es liegt mir daran, etwas zu tun.

Je tiens ä faire quelque chose,

Bei all diesen Aasdrücken erweckt das Französische anders als das Deutsche den Eindruck, daß das (meist personale) Subject Träger oder Ausgangspunkt des Geschehens ist. Dies gilt auch für die Fragen: (45) Was ist aus ihm geworden? (46) Wie geht es Ihnen?

Qu'est-ce qu'il est devenu? Comment allez-vous?

Das Prinzip unpersönlicher Formulierung bei gleichzeitiger Nennung des Geschehensträgers beschränkt sich im Deutschen nicht auf feste Wendungen der zitierten Art. Es findet sich auch im Zusammenhang mit dem bereits zitierten unpersönlichen Passiv: Bei der Bundesbahn werde davon ausgegangen, daß von jetzt an mit einer nennenswerten Ermäßigung der Kosten für die Neubahnstrecken nicht mehr zu rechnen sei. (FAZ, 7.7.1984)

Das Pronomen es schwindet hier wegen der Voranstellung der Umstandsangabe. Ein pragiratischer Vorteil dieser Ausdrucksweise liegt aus der Sicht des Deutschen darin, daß sie die genaue Identifizierung des Subjekts erspart (wer geht bei der Bundesbahn davon aus?). Das syntaktisch-semantische Pendant zu diesem Vorteil liegt in der Vermeidung möglicher Katbinationsbeschränkungen: Die prädikative Verbindung des Institutianennamens Bundesbahn mit einem Verb des Denkens (die Bundesbahn gehe davon aus) könnte als unangemessene Personifizierung, als "animistisch" enpfunden werden. Wir treffen hier erneut auf ein für den Sprachvergleich wichtiges Problem, zu dem allerdings, wenn ich recht sehe, noch keine soliden Untersuchungen vorliegen: Bestehen zwischen dem Deutschen und dem Französischen typische Unterschiede in den semantischen Kombinationsnöglichkeiten des Verbs (s.o. 1.1.2.)? In bestimmten Grenzbereichen der Sprachverwendung wie Poesie und Psychotherapie können die hier nur kurz dargestellten Neigungen beider Sprachen zu

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unterschiedlichen Aktivitätsgraden beträchtliche Bedeutung erlangen. Linguistisch interessierte Besucher von Kursen für autogenes Training werden sich zumindest anfänglich über die Beliebtheit des Wörtchens es in den autosuggestiven Formeln wundern (z.B. Es atmet mich/in mir) . Deren erklärter Sinn liegt im Zurückdrängen der bewußten Verhaltenssteuerung und in der Entfaltung von nicht dem Willen unterworfenen Kräften (ähnlich Duden 1984, 556f). Auch bei Formeln wie Oer reehte Arm strömt warm legt man ohne weiteres ein Interpretaticnsschema an, welches das Subjekt nicht als handlungstragendes Element deutet, scaidem nur als Ort eines Geschehens. Wie die korrmerziell sehr erfolgreiche, aber streckenweise mühsame französische Übersetzung eines wichtigen deutschen Lehrbuches des autogenen Trainings zeigt, entfernen uns diese Überlegungen keineswegs vom Iherra des Sprachvergleichs. Bezeichnend ist folgende Passage aus der Übertragung (Schultz 1982, 37): Le rythme respiratoire peut acquerir un tel degre d 1 evidence interieure qu'on pourra dire: "Je suis toute respiration."

Die "adaptateurs" des Textes fügen dieser Formel folgende Bemerkung bei: Cette traduction n'est qu'une faible approximation de l'expression allemande es atmet mich, litteralement "(ja me respire."

Im praktischen Beiheft (Manuel pratique, XVII) werden weitere Formulierungen vorgeschlagen: Pour ^carter toute ingerence de la volonte, on peut adopter une formule de concentration passive: "Tout mon etre respire", ou "9a respire".

Es kann aber kein Zweifel daran sein, daß die Möglichkeiten des deutschen Satzbaus eine bessere Grundlage für die angestrebte "suggestive Umschaltung" bieten als das Französische. Wögen seines ausgeprägt umgangssprachlichen Beigeschnacks scheint aa als Äquivalent von es wenig geeignet. Aus dem gleichen Grunde muß auch die französische Ubersetzung von Freuds Es durch qa Notbehelf bleiben. Eine sprachgeschichtliche Anmerkung erhellt wichtige Gründe für den hier beobachteten Kontrast zwischen beiden Sprachen: Seit mittelalterlicher Zeit sind im Französischen die Möglichkeiten zu unpersönlichen, also geringere Aktivität ausdrückenden Konstruktionen deutlich stärker abgebaut worden als im Deutschen (vgl. Seefranz-Mantag 1983, 250f). Wir haben uns bisher auf die Schlüsselrolle von einleitendem es bei der Däirpfung der im Satz ausgedrückten Aktivität beschränkt. Diese Konstruktion stellt aber nur einen kleinen Ausschnitt aus dem syntaktisch-semantischen Ge-

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samtbild dar, das den schwächeren Aktivitätsausdruck eines deutschen Textes in graduellen Gegensatz zu den für französische Texte typischen Forirulierungsgewchnheiten stellt. Zum Gesamtbild gehört auch die im allgerteinen höhere - allerdings vom Text abhängige - Passivfrequenz des Deutschen (Karasch 1982, 399), denn im Passivsatz kann die Agensfunktion, ein wesentlicher Faktor der Aktivität, ganz entfallen. Einen weiteren Aspekt dieser Erscheinung bildet die im Französischen beliebte transitive Darstellung vcn KausalVerhältnissen, der im Deutschen üblicherweise eine geringere Aktivität ausdrückende Wendung entspricht (vgl. Henschelirann 1977, 60) : (47) Les graves incidents ont fait deux morts.

Bei den blutigen Zusammenstößen gab es zwei Tote.

Nach diesem Überblick soll nicht verschwiegen werden, daß der deutsche Satz in bestimnten Fällen höhere Aktivität aufweist als seine französische Entsprechung, und zwar aufgrund eines überwiegend semantischen Faktors. Wo der Übersetzer zur Vermeidung eines Umstandes in Subjeiktfunktian einen menschlichen, willensbestimnten Handlungsträger einführt, kann der deutsche Satz nach den eben definierten Kriterien "aktiver" sein. Denn er erlaubt - anders als manche französischen Äquivalenzen - chne Zweifel die Erfragung durch Mit welcher Absicht ...? Zur Veranschaulichung sei auf das eben in 1.1.2. zitierte Beispiel (16) verwiesen. 1.1.5. Auszählungen In diesem Abschnitt möchte ich mit Hilfe einiger Zahlen glaubhaft nachen, daß es sich bei dem bisher angeführten Beispielnaterial weder um ungewöhnliche Ausnahmefälle handelt noch um Illustrationen vcn tiefgreifenden, den "Geist" der Sprache prägenden Gegensätzen. Allerdings sollten die folgenden Zahlen in ihrer Aussagekraft nicht überschätzt werden. Ihre Relativität geht sehen daraus hervor, daß die Häufigkeit bestimmter Satzbatpläne je nach Texttyp in beiden Sprachen erheblich schwankt: Bei manchen vergleichbaren Texten des Deutschen und Französischen könnt es zu beträchtlichen Unterschieden, bei anderen zu weitgehender Ähnlichkeit. Trotzdem kann man einige Tatsachen herausstellen, die Natur und Grenzen der Oppositionen zwischen beiden Sprachen verdeutlichen. Zwei Kemthesen der vorangehenden Überlegungen waren: - der größere Geltungsbereich von Satzbauplänen im französischen Text (Folgen der höheren Frequenz solcher Verben, die relativ viele Satzglieder an sich binden, oder der größeren Häufigkeit von Verbformen schlechthin);

24 - die stärkere Neigung zu präpositionalen Umstandsbezeichnungen (valenzgebundenen Ergänzungen oder freien Angaben) im Deutschen. Geht man von einer Typologie der Satzbaupläne aus, so bieten sich zur Überprüfung dieser Thesen zvrei Methoden an: Man zählt die Realisierungen bestimmter Satzbaupläne in Original und Übersetzung aus und bezieht die gewonnenen Zahlen unmittelbar aufeinander; oder man ermittelt für vergleichbare, aber nicht übersetzte Texte in jeder einzelnen Sprache die Prozentanteile der verschiedenen Satzbaupläne an der Gesamtzahl der verwendeten Verbkonstruktionen und vergleicht diese Anteile miteinander. Vorteil des ersten Verfahrens: Man kann feststellen, welche Regelmäßigkeiten in der Umgestaltung der Satzbaupläne beim Übergang von der einen Sprache in die andere bestehen. Vorteil des zweiten Verfahrens: Die Ergebnisse können nicht durch den übersetzungsbedingten Einfluß der Satzstrukturen einer Sprache auf die der anderen verfälscht werden. Nachteil beider Verfahren: Valenzfreie Satzglieder werden nicht erfaßt; es wird also nicht genau ermittelt, welcher Anteil der Information in beiden Sprachen außerhalb des Satzbauplans bleibt. Dieser Nachteil kann durch zusätzliche Berechnungen ausgeglichen werden. Anmerkung Beim ersten Verfahren (Übersetzungsvergleich) ergibt sich für manche Textsorten, vor allem für Zeitungsartikel wirtschaftlichen oder politischen Inhalts, ein erheblicher Verbüberschuß im Französischen. Hier liegt die Zahl der Verben in einem größeren pressesprachlichen Korpus um etwa 20% über der des deutschen Originals (Henneck 1986) ; bei französischdeutscher Übertragungsrichtung fällt der französische Verbüberschuß durchweg geringer aus, da die Übersetzer aus falsch verstandener Gewissenhaftigkeit oft den Text nicht "kürzen" möchten. Die Gründe für diese Erscheinung lassen sich überwiegend auf den Nenner "deutscher (textspezifischer) Nominalstil" vs "französischer Verbalstil" bringen. Beispiele: die Notwendigkeit verstärkter Anstrengungen : la necessite de deployer des efforts accrus; für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa : pour assurer la poursuite du developpement en Europe. Dem Genitiv oder der Präposition im Deutschen entspricht in diesen Fällen eine verbale, meist infinite französische Wendung (vgl. Truffaut 1980, 89ff). In neuester Zeit hat in bestimmten Stilregistern des Deutschen die Tendenz zu präpositional gebundenen Substantivgruppen - die oft eine deverbale Nominalisierung umfassen - anscheinend stark zugenommen (Sommerfeldt/Schreiber 1977, 5) ; ähnliche Bestrebungen im Französischen stoßen wegen der beschränkteren nominalen Kombinationsmöglichkeiten auf engere Grenzen (vgl. Werner 1987). Um sich von der unterschiedlichen Toleranz beider Sprachen gegenüber derartigen Konstruktionen zu überzeugen, versuche man einmal, Wendungen des Typs die Gewährung von Leistungszulagen an die Beschäftigten durch die Betriebsleitung (Sommerfeldt/Schreiber 27) ins Französische zu übersetzen. Wie die Auswertung der zentralen bayerischen Staatsexamensklausuren zeigt, empfinden französische Korrektoren die Vernachlässigung verbaler Bindeglieder zwischen Substantiven als eine der typischen Ungeschicklichkeiten deutscher Studenten (Beispiel: y avait trois candidats avec des chances reelles statt ... ayant des chances reelles) . Aus der vergleichsweise ge-

25 ringeren Kombinationsfähigkeit französischer Substantive erklären sich auch die in Klausuren nicht seltenen Fehler der Art *la question si statt la question de savoir si. Einen wesentlich geringeren Einfluß auf die Zahl der Verben und die Häufigkeit bestimmter Satzbaupläne besitzt die Fähigkeit des Deutschen, ein Verb präpositional mit mehreren räumlichen Informationen zu verbinden (Frauendienst 1935) : (48) Auf einmal kommt ein Haufen von jungen Herrn und Damen vom Schloß über die Wiese auf mich zu.

Voilä qu'une troupe de jeunes seigneurs et de jeunes dames venant du chateau traversa la prairie et vint droit ä moi.

Für den Frequenzvergleich von Satzbauplänen stehen verschiedene Quellen zur Verfügung: Duden 1984, 634; Corbeil 1968, 71ff, 135; Happ 1978, 126 und übersetzungsvergleichende Analysen im Rahmen einer Magisterarbeit (Henneck 1986) . Die untersuchten Textsorten, die der Auszählung zugrundeliegenden Definitionen und die berücksichtigten Größen sind mitunter recht verschieden. Der folgende Iberblick beschränkt sich deshalb auf diejenigen Teilergebnisse, deren Vergleichbarkeit gewährleistet ist: - der Satzbauplan Subjekt - Verb - direktes Objekt (bzw. Akkusativobjekt; Er liebt sie) ist in beiden Sprachen in allen Korpustypen mit Abstand der häufigste. Im Französischen macht er etwa ein Drittel aller Satzbaupläne aus, im Deutschen 4% bis 8% weniger; - bei dem ebenfalls häufigen Satzbauplan Subjekt - Verb (Peter singt) liegt das Deutsche zwischen 11% und 13%, das Französische um etwa 3% darunter; - ein besonderes Problem bietet der Satzbauplan Subjekt - Verb - Raumergänzung (Das Buch liegt auf dem Tisch), da seine Häufigkeit stark von der Textsorte abhängt; laut Duden schwankt sie z.B. zwischen 17% in Thotras Manns Buddenbrooks und 8,1% in den Leitartikeln einer Tageszeitung. Im Französischen liegen die Zahlen in literarischer Prosa um etwa 5% unter den vergleichbaren deutschen. Die genannten Prozentsätze betreffen nur drei - wenn auch häufige - von einigen Dutzend Satzbauplänen, die normalerweise unterschieden werden. Von einem vollständigen Überblick sind wir also noch weit entfernt. Inmerhin befinden sich die Zahlen auf der Linie der seit langen behaupteten Sprachkontraste. Nach Lektüre der üblichen Beispiellisten in den vergleichenden Stilistiken mag man sich aber darüber wundern, daß die Unterschiede nicht größer ausfallen. Bei weniger häufigen Satzbauplänen können die Ergebnisse für beide Sprachen sogar identisch sein. So liegt der Anteil der Struktur Subjekt - Verb - direktes Objekt - indirektes Objekt (evtl. in einer anderen Reihenfolge; Er sohenkt ihn ein Buch) im Deutschen und im Französischen ungefähr bei 3%.

26 In manchen fachsprachlichen Texten treten die zwischensprachlichen Unterschiede allerdings erheblich deutlicher zutage. So macht in einem von mir untersuchten französischen Lehrbuch der Neurqphysiologie der Satzbauplan Subjekt - Verb - direktes Objekt 45% aus, in einem vergleichbaren deutschen Lehrwerk dagegen nur 19% (Blumenthal 1983). Diese Divergenzen hängen mit der großen Häufigkeit von Kausalbezeichnungen in beiden Texten zusamnen, die im Französischen meist als Subjekt eines aktiven und transitiven Verbs erscheinen, im Deutschen dagegen als llnstandsangaben zu einem intransitiven Verb (s.o. 1.1.2. und (47)). Bezogen auf das Textvolumen insgesamt, liegt im Französischen Buch der Anteil der valenzgebundenen Wörter um etwa 50% höher als im Deutschen, während das deutsche Buch entschieden mehr freie Angaben enthält. Die untersuchten naturwissenschaftlichen Texte enthüllen jedoch keinen grundsätzlich neuen Aspekt im Sprachvergleich, sondern weisen nur quantitative Verstärkungen bestinnrter stilistischer Vorlieben auf, die sich auch in der literarischen Prosa und in der Gebrauchssprache beobachten lassen. Ist nun in der dargelegten antithetischen Polarisierung ein syntaktischer Wesenszug von deutscher und französischer Fachsprache schlechthin zu sehen? Vfohl kaum, denn der Vergleich zweier juristischer Lehrbücher erbrachte keinerlei spektakuläre Ergebnisse (ebd.). Dort lag im französischen Text der Anteil des häufigsten Satzbauplans (Subjekt - Verb - direktes Objekt) nur um 5% höher als im Deutschen - eine Zahl also, die auch in literarischer Prosa zu erwarten wäre. Abgesehen von der in ihren Auswirkungen schwer einzuschätzenden Stiltradition der jeweiligen Fachsprachen und etwaigen individualstilistischen Besonderheiten der Autoren dürften sich die großen syntaktischen Unterschiede zwischen den naturwissenschaftlichen Büchern und die relative Ähnlichkeit zwischen den juristischen Werken vor allem aus der Art des dargestellten Gegenstandsbereiches erklären: Treten in ihm zahlreiche Faktoren auf, die den Charakter von (z.B. kausalen) Umständen besitzen, so führt dies leicht zu einer gegenläufigen Polarisierung im Deutschen und Französischen. Dies gilt wähl überwiegend für naturwissenschaftliche Texte, weniger dagegen für weite Bereiche juristischer und erzählender Textgruppen, die stärker von menschlichen Handlungsträgern bestimmt werden. Daß die Neigung zu diesen oder jenen Satzbauplänen auch eine textlinguistische Dimension besitzt, also mit bestimmten Tendenzen in der Satzverknüpfung und der gesamten Textstrukturierung zusammenhängt, kann hier nur andeutungsweise vermerkt wsrden (s.u. 1.3.3.). Desgleichen möchte ich zumindest erwähnen, daß auch die Vorlieben für bestürmte Satzmuster dan historischen Wandel unterworfen sind (vgl. Braun 1979, 42ff) und daß die hier beobachteten Kontraste zwischen dem Deutschen und dem Französischen scmit keineswegs Ewigkeitswert besitzen.

27 1.1.6. Aufgaben 1. Kommentieren Sie (kritisch!) die folgende französische Übersetzung der deutschen Gebrauchsanweisung eines Fotoapparates (Revue 35 XE von Foto-Quelle) Es ist nur die Entfernung am Entfernungsring einzustellen. Mit dem Entfernungsring ist eine Entfernungssymbolanzeige am unteren Teil des Suchers gekoppelt. Damit stellt man - auch ohne die Kamera vom Auge zu nehmen - problemlos die zum Motiv passende Entfernung ein.

Seule la distance est ä mettre au point sur la bague ä distance. Un affichage de Symbole de distance est commande par celle-ci et on 1'observe dans la partie inferieure du viseur ä deux axes. Ceci regie aussi facilement la distance ideale pour le sujet sans quitter l'appareil de l'oeil.

2. Vergleichen Sie die folgenden Satzstrukturen, die aus den ersten Seiten einer von der EWG herausgegebenen Broschüre stammen (L 'Action de la Communaute, 1980; Original französisch). a) Rome fournit, de surcrolt, une dimension universelle ä un autre element essentiel, celui du ehristianisme.

Durch Rom erhält auch ein anderes wesentliches Element, das Christentum, eine universelle Dimension.

b) La guerre de Cent Ans marque la fin du Moyen Age dans un climat d'inquietude.

Mit dem Hundertjährigen Krieg endet das Mittelalter im Zeichen der Unruhe.

c) Et quand s'ecroule enfin l'empire napoleonien, l'Europe a choisi la meme danse ä trois temps: la valse.

Und als schließlich das napoleonische Kaiserreich zusammenbricht, tanzt ganz Europa im Dreivierteltakt.

3. Wenden Sie die im letzten Kapitel erarbeiteten Kriterien auf einige Sätze des folgenden Textes an (Heisenberg 1955, 28f; französisch 1962, 46f): Die Plancksche Theorie hatte sich seit den Arbeiten von EINSTEIN, BOHR und SOMMERFELD als der Schlüssel erwiesen, mit dem man das Tor zu dem Gesamtgebiet der Atomphysik öffnen kann. Mit Hilfe des Rutherford-Bohrschen Atommodells hat man die chemischen Vorgänge erklären können, und seit dieser Zeit sind Chemie, Physik und Astrophysik zu einer Einheit verschmolzen. Bei der mathematischen Formulierung der quantentheoretischen Gesetze hat man sich aber gezwungen gesehen, vom reinen Determinismus abzugehen. Da ich von diesen mathematischen Ansätzen hier nicht sprechen kann, will ich nur verschiedene Formulierungen angeben, in denen man die merkwürdige Situation ausgedrückt hat, vor die der Physiker sich in der Atomphysik gestellt sah. Einmal kann man die Abweichung von der früheren Physik in den sogenannten Unbestimmtheitsrelationen ausdrücken. Man

Depuis les travaux d'Einstein, de Bohr et de Sommerfeld, la theorie de Planck s'est revfelee la cle qui donne acces au domaine entier de la physique atomique. A l'aide du modele de l'atome cree par Rutherford et Bohr, on a pu expliquer les processus chimiques; depuis, la chimie, la physique et 1'astrophysique se sont fondues en un tout. Cependant, en ce qui concerne la formulation mathematique des lois selon la theorie des quanta, on s'est vu force d'abandonner le determinisme pur. Comme je ne peux fenoncer ici ces equations mathematiques, je me bornerai ä indiquer certaines formules exprimant la situation singuliere du physicien dans la physique atomique. En premier lieu, on peut exprimer la divergence entre la physique contemporaine et la physique d'autrefois par ce qu'on appelle la

28 stellte fest, daß es nicht möglich ist, den Ort und die Geschwindigkeit eines atomaren Teilchens gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit anzugeben. Man kann entweder den Ort sehr genau messen, dann verwischt sich dabei durch den Eingriff des Beobachtungsinstruments die Kenntnis der Geschwindigkeit bis zu einem gewissen Grad; umgekehrt verwischt sich die Ortskenntnis durch eine genaue Geschwindigkeitsmessung, so daß für das Produkt der beiden Ungenauigkeiten durch die Plancksche Konstante eine untere Grenze gegeben wird. Diese Formulierung macht jedenfalls klar, daß man mit den Begriffen der Newtonschen Mechanik nicht sehr viel weiter kommen kann; denn für die Berechnung eines mechanischen Ablaufs muß man gerade Ort und Geschwindigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig genau kennen; aber eben dies soll nach der Quantentheorie unmöglich sein.

relation d'indetermination. On a etabli qu'il est impossible d'indiquer simultanement, ä volonte et exactement, la position et la vitesse d'une particule atomique. On peut mesurer exactement la position, mais alors 11 intervention de 1'instrument d'observation interdit jusqu'ä un certain point de connaltre la vitesse; dans le cas contraire, la connaissance de la position devient imprecise lorsqu'on mesure la vitesse, si bien que la constante de Planck a constitue une limite inferieure d'approximation du produit de ces deux imprecisions. Cette formulation montre en tout cas la raison pour laquelle les concepts de la m&canique newtonienne ne peuvent desormais nous conduire beaucoup plus loin, car pour calculer un processus mecanique, il faudrait connaltre simultanement la position et la vitesse du corpuscule ä un moment determine et c'est precisement ce que la theorie des quanta estime impossible.

4. Vergleichen Sie die folgenden Übersetzungen eines Verses von Baudelaire (1. Zeile des Sonetts Α UNE PASSANTE); stützen Sie sich dabei insbesondere auf die Abschnitte 1.1.2. und 1.1.4.: La rue assourdissante autour de moi hurlait. Es tost betäubend in der Strassen räum (St. George) Geheul der Straße dröhnte rings im Raum. (W. Benjamin) Betäubend heulte mir die Straße kreuz und quer. (W. Hausenstein) Betäubend heulte die Straße um mich. (F. Kemp)

1.2.

Gleichordnung und Unterordnung

In diesem Kapitel soll ein van Sprachvergleich seit jeher viel diskutiertes Problem behandelt werden, dessen Tragweite sich ohne weiteres auch dem linguistischen Laien verdeutlichen läßt. Es geht um das Verhältnis von Hauptsätzen und Nebensätzen in beiden Sprachen, genauer gesagt um die Frage, ob eine der Sprachen vielleicht mehr zur Gleichordnung (= "Koordination", "Parataxe") von Hauptsätzen neigt, die andere mehr zur Unterordnung (= "Subordination", "Hypotaxe") von graitmatisch unselbständigen Sätzen. Betrachten wir Gleich- und Unterordnung unter dan Gesichtspunkt des bisher verwendeten Syntaxmodells (s.o. 1.1.), ergeben sich folgende Feststellungen: - Nebensätze können Subjekt- oder Objektfunktion übernehmen, also in Valenz-

29

beziehung zum Verb des "Hauptsatzes" stehen (zu dem hier nicht unumstrittenen Begriff vgl. Duden 1984, 666, Eisenberg 1986, 65): Daß sie immer noch nicht da ist, beunruhigt mich. Ich erwarte, daß du um 10 Uhr zurück bist. Diese daß-Sätze sowie einige vre itere Nebensatztypen (vgl. Wer wagt, gewinnt) heißen auch "Ergänzungssätze". - Nebensätze können in einseitiger syntaktischer Abhängigkeit zum Hauptsatz stehen: Ich habe mich gefreut, als sie harn. Ihre Tochter, die oft krank ist, konnte nicht kommen. Zu diesen valenzfreien Nebensätzen gehören die Adverbialsätze (auch "Angabesätze") und die Relativsätze in attributiver Funktion ("Attributsätze"). - Die Gleichordnung von Sätzen (auch von Nebensätzen unter sich) bildet einen Fall der eben definierten gegenseitigen Unabhängigkeit. Wir betrachten aufeinanderfolgende Hauptsätze eines Textes als gleichgeordnet, cö sie durch "gleichordnende" Konjunktionen verbunden sind oder nicht. Die im letzten Kapitel opponierten Beziehungen der einseitigen und der gegenseitigen Abhängigkeit werden nun also gemeinsam der dritten Beziehung, der gegenseitigen Unabhängigkeit, gegenübergestellt. "Satz" ist im folgenden Oberbegriff für Hauptsatz und Nebensatz, "Satzgefüge" bezeichnet deren Verbindung, und unter "Nebensätzen" verstehen wir neben denjenigen im üblichen Sinne (Ergänzungs-, Attribut- und Adverbialsätze) auch nebensatzvrertige Konstruktionen mit einer infiniten Verbform (Infinitiv, Partizip, Gerundium). Beispiele für Nebensätze: Er tut dies, weil er Geld verdienen möchte. Er tut dies, um Geld zu verdienen. II exige que ses enfants le servent. II exige d'etre servi par ses enfants.

Anmerkung Die Frage, welche Infinitivkonstruktionen "nebensatzwertig" sind und welche nicht, hat quantitativ zu große Konsequenzen, als daß man sie hier schweigend übergehen könnte; andererseits ist sie für eine angemessene Behandlung an dieser Stelle zu komplex. Zunächst zu den unproblematischen Fällen: in Er kann kommen ist der Infinitiv nicht (neben-) satzwertig, wohl aber in Er hat mir versprochen zu kommen (= Er hat mir versprochen, daß er kommt / Er hat es mir versprochen. Er kommt.). Viel schwerer fällt die Entscheidung etwa bei Karl fährt Milch holen und Karl fährt, um Milch zu holen. Ich bin mit Eisenberg (1986, 362) der Ansicht, daß nur im letzteren Satz zwei voneinander getrennte Sachverhalte vorliegen; dies werte ich als Argument gegen die Satzwertigkeit von Milch holen im ersten Satz. Einfache und allgemeingültige Kriterien existieren aber nicht, so daß man viele Beispiele unter verschiedenen semantischen und syntaktischen Gesichtspunkten prüfen muß. Ich stütze mich bei der Unterklassifizierung von Infinitivkonstruktionen auf Eisenberg (1986, 362-385), für französische Sonderprobleme auf die Artikel "Auxiliaire"

30 und "Infinitif" im GLLF. Zur Satzwertigkeit des Partizips, die vom mehr verbalen oder mehr adjektivischen Charakter der Verwendung abhängt, siehe im GLLF unter "Participe".

Gleichordnung und Unterordnung bilden durchweg stilistische Alternativen. In den meisten Kontexten wird sich eine (a)-Formulierung durch eine (b)-Formulierung ersetzen lassen, und umgekehrt: (a) Es ist schlechtes Wetter. Wir bleiben (deshalb) zuhause. Wir bleiben zuhause. (Denn) es ist/Es ist nämlich schlechtes Wetter.

(b) Weil schlechtes Wetter ist, bleiben wir zuhause. Wir bleiben zuhause, weil schlechtes Wetter ist. Es ist so schlechtes Wetter, daß wir zuhause bleiben.

Das gleiche gilt selbstverständlich für das Französische. Gehen wir nun von den Möglichkeiten beider Sprachsysteme zu den tatsächlich realisierten Satztypen über, erscheint der quantitative Unterschied zwischen beiden Sprachen hinsichtlich der Vervrendung von Nebensätzen mit finitem Verb recht gering. So ermittelte Strohmeyer (1924, 250) in einem umfangreichen Korpus literarischer und historischer Originaltexte, daß die Hauptsätze im Deutschen 65% und im Französischen 71% der Sätze ausmachen. Bei einer analog angelegten Auszählung zu jeweils drei Nunmem der Tageszeitungen Le Monde und FAZ (Mai 1985) bin ich nicht zu wesentlich anderen Ergebnissen gelangt: Der Anteil der Hauptsätze lag in beiden Sprachen in der Nähe von 70%. Die deutsch-französischen Gemeinsamkeiten sind auf diesem Gebiet also unübersehbar.

1.2.1. Unterschiedliche Hierarchisierung der Information Wieso das Problem von Gleich- und Unterordnung aus sprachvergleichender Sicht dennoch Interesse verdient, möchte ich zunächst an der Übersetzung einiger Zeilen aus dem 9. Kapitel von Stendhals Le Rouge et le Noir zeigen. Das französische Original enthält nur vier "Hauptverben" (finite Verbformen von Hauptsätzen) , die Übersetzung dagegen acht. Danentsprechend geht die Zahl der untergeordneten Verbformen im deutschen Text zurück, und zwar von sechs auf drei (Hauptverben kursiv): (48) Le soleil en baissant, et rapprochant le moment decisif, fit battre le coeur de Julien d'une fa