197 83 17MB
German Pages 268 Year 2019
Frauke Gewecke Der Wille zur Nation
*
Frauke Gewecke
Der Wille zur Nation Nationsbildung und Entwürfe nationaler Identität in der Dominikanischen Republik
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1996
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Gewecke, Frauke : D e r W i l l e zur N a t i o n : N a t i o n s b i l d u n g und E n t w ü r f e n a t i o n a l e r Identität in d e r D o m i n i k a n i s c h e n R e p u b l i k / F r a u k e G e w e c k e . - F r a n k f u r t a m M a i n : Vervuert, 1996 ISBN 3-89354-068-7 © Vervuert Verlag, F r a n k f u r t a m M a i n 1996 Alle Rechte vorbehalten G e d r u c k t auf s ä u r e f r e i e m , a l t e r u n g s b e s t ä n d i g e m P a p i e r Umschlaggestaltung: Michael Ackermann P r i n t e d in G e r m a n y : W e i h e r t - D r u c k
Inhaltsverzeichnis Einführung
7
Kapitel 1 Von Hispaniola zur Dominikanischen Republik: ein historischer Überblick [1492-1865] 1.1 La Primada de América: Aufstieg und Niedergang (16. Jhd.) 1.2 Stagnation, Isolation und Wiederaufschwung (17. und 18. Jhd.)
9 9 16
1.3
24
Auf Umwegen in die Unabhängigkeit (1795-1865)
Kapitel 2 Una nación abortada: das 19. Jahrhundert [1865-1899] 2.1 Liberalismus, Patriotismus und Fortschrittsglaube: Projekte einer modernen Staatsbürgernation 2.2 Rasse, Traditionen, violencia: Aspekte einer fragmentierten nacionalidad 2.3
Das Erbe von Siegern und Besiegten: Fiktion einer patriotischen Geschichtsdeutung
Kapitel 3 El Gran Pesimismo Dominicano: Pathogenese einer dominikanischen nación und nacionalidad [1899-1930] 3.1 Staat, Volk und Nation im Essay und politischen Journalismus 3.2 Nationale Identität und Erinnerung im historischen Roman
45 48 69 87
119 125 138
Kapitel 4 Mythos und Macht: die Era de Trujillo [1930-1961]
155
Kapitel 5 Das Modell in der Krise: die Gegenwart [1961-1995]
179
Exkurs Nation und Identität - ein heuristischer Bezugsrahmen 1 Nation, Ethnie. Kultur: Gruppen-und Identitätskonzepte
209 211
2 Projektion, Integration, Nationalismus: nationale Identität und Nationsbildung 3 Symbole, Mythen, rituelle Handlungen: repräsentative Kultur und Macht
217 227
Bibliographie 1 Primärwerke 2 Geschichte, Politik, Wirtschaft, Soziales 3 Literaturgeschichte, Literaturkritik 4 Nation, Identität
241 243 251 253
Zeittafel Namenregister
263 265
Einführung
"Eine Nation ist eine Gruppe von Menschen, die durch einen gemeinsamen Irrtum hinsichtlich ihrer Abstammung und eine gemeinsame Abneigung gegen ihre Nachbarn geeint ist": Diese dem (europäischen) 19. Jahrhundert entlehnte Sentenz benennt in ironisch distanzierter Formulierung zwei grundlegende Faktoren, die noch im 20. Jahrhundert nationales Bewußtsein fördern und nationale Identität - als Alterität - in ursächlichen Zusammenhängen bestimmen helfen. Beide Faktoren gelten ganz besonders für die Dominikanische Republik, wo die Auseinandersetzung mit Spanien und Haiti den Nationsbildungsprozeß wie die Herausbildung von Entwürfen nationaler Identität entscheidend beeinflußt haben. Dabei erwies sich das Verhältnis zur (ehemaligen) Metropole wie zum (seit 1804 unabhängigen) Nachbarn als überaus konfliktreich: ein Faktum, das die vom gesamtlateinamerikanischen Kontext abweichende historische Entwicklung der Dominikanischen Republik bedingt. Hispaniola, einst erstes überseeisches Zentrum der spanischen Expansionsbewegung, und Santo Domingo, die "ciudad Primada de América" und "Athen der Neuen Welt", erlebten nur eine kurze Blütezeit. Mit der Eroberung des an Edelmetallvorkommen weitaus reicheren amerikanischen Kontinents und der für den Seeverkehr strategisch höchst bedeutsamen Lage von Kuba und Puerto Rico geriet Hispaniola in eine Randposition, die sich in einer extremen Vernachlässigung durch die Metropole manifestierte. Die Folgen waren nicht nur Verarmung, Entvölkerung und Isolation, sondern auch eine extreme Verletzlichkeit gegenüber Expansionsbestrebungen anderer europäischer Großmächte, so daß auf Hispaniola ohne besonderen Widerstand von Seiten der Spanier die Franzosen eindringen und mit Saint-Domingue eine blühende Kolonie errichten konnten. Das unabhängige Haiti, als ethnisch-rassisch und kulturell different empfunden, erwies sich sehr bald als eine Gefährdung für die politische und kulturelle Eigenständigkeit der sich als Spanier fühlenden weißen Oberschicht. Und diese zögerte nicht, sich - ein in Lateinamerika einzigartiger Vorgang - nach der 1844 gegen Haiti erkämpften "Ersten Unabhängigkeit" und bis zur dann 1865 errungenen "Zweiten Unabhängigkeit" freiwillig erneut unter spanische Herrschaft zu stellen.
8 Der Wille zur Nation manifestierte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, auch wenn wiederholt a u f g r u n d effektiver oder vorgeblicher B e d r o h u n g durch den haitianischen Nachbarn Projekte einer erneuten A n n e x i o n an europäische Mächte und die U S A propagiert wurden. U n d Politiker wie Intellektuelle bemühten sich u m E n t w ü r f e einer nationalen Identität, die über die A b g r e n z u n g und A u s g r e n z u n g des mit Haiti identifizierten schwarzen bzw. afroamerikanischen Kulturelements das Konzept einer hispanischen Nation postulierten: ein "Projekt", das sich j e d o c h gleichermaßen als konfliktreich erwies, bedurfte es doch über den R ü c k b e z u g auf die
hispanidad
hinaus der Konstruktion und
Pflege einer Identifikationskette kollektiver Erfolgserlebnisse und Leitideen, die, im kulturellen G e d ä c h t n i s der G e m e i n s c h a f t gespeichert, den Nationsbildungsprozeß auch in A b g r e n z u n g zur ehemaligen Metropole fördern und untermauern halfen. Diesem Prozeß soll - nach einer E i n f ü h r u n g in die Geschichte des L a n d e s bis zur endgültigen Unabhängigkeit 1865 - über die Analyse essayistischer wie fiktionaler Zeugnisse bis in die Gegenwart n a c h g e g a n g e n werden. Gleichzeitig wird ein Einblick in die Entwicklung einer Nationalliteratur vermittelt, die aufgrund der im gesamtlateinamerikanischen Kontext auch heute noch herrschenden Isolation zu Unrecht weitgehend unbekannt ist. Auf eine u m f a s s e n d e Beg r i f f s b e s t i m m u n g von "Nation" und "nationaler Identität" wurde für die Einführung verzichtet; hier wird auf den Exkurs verwiesen, der sich im wesentlichen auf europäische und U S - a m e r i k a n i s c h e Forschung stützt und in d e m die theoretische und historische Fundierung von Nationsbildung und nationaler Identität nicht als Projekt einer H o m o g e n i s i e r u n g regionaler oder .schichtenspezifischer Identitäten - ganz im Sinne neuerer lateinamerikanischer Kulturtheorien als "unitas multiplex" (Carl F. G r a u m a n n ) gefaßt wird.
Kapitel 1
Von Hispaniola zur Dominikanischen Republik: ein historischer Überblick [1492-1865] 1.1 La Primada de
América:
Aufstieg und Niedergang (16. Jhd.) Als Christoph Kolumbus im Dezember 1492 auf seiner ersten "Indienfahrt" jene Insel entdeckte, die er ob ihrer vermeintlichen Ähnlichkeit mit Spanien die "Spanische Insel" - Española oder Hispaniola - taufte, vermerkte er in seinem Bordbuch, sie sei "la más hermosa cosa del mundo" 1 . Die Entscheidung, hier eine erste spanische Festung zu errichten, wurde gewiß durch den Zufall herbeigeführt: Eine seiner drei Karavellen war vor der Nordküste auf Grund gelaufen, so daß sich Kolumbus gezwungen sah, einen Teil der Besatzung zurückzulassen. Doch dieses "desastre", so die Erkenntnis des Kolumbus, erwies sich als "gran ventura". 2 Denn die Insel, die aufgrund der "grande amistad", welche er mit ihrem "Rey" geschlossen hatte, und aufgrund der Furchtsamkeit und unzureichenden Bewaffnung ihrer Bewohner von den Spaniern leicht zu beherrschen und zu verteidigen war, versprach - so Kolumbus in einem Brief, den er gleich nach seiner Rückkehr an seine Auftraggeber, die Spanischen Könige, sowie zahlreiche seiner Freunde und Gönner verschickte - aufgrund reicher Goldvorkommen nicht nur schnellen Profit; sie eignete sich auch als Stützpunkt "[para] todo trato así de la tierra firme de aquá como de aquella de allá del Gran Can" und schließlich, mochte sie doch als ein wahres Naturwunder gelten, "para plantar y sembrar, para criar ganados de todas suertes, para hedificios de villas e lugares". 3 Mit der 1493 angetretenen zweiten Reise des Kolumbus - er befehligte nunmehr 17 Schiffe mit über 1.500 Personen an Bord - erfolgte die Erschließung und politisch-militärische Sicherung vorrangig jener Regionen im Zentrum und Süden der Insel, in denen nach Angaben der Eingeborenen reiche Goldvorkommen zu finden waren. Hier konzentrierten sich die ersten spanischen Niederlassungen, die mit der Gründung von Santo Domingo an der Südküste ein strategisch günstig gelegenes administratives und kommerzielles Zentrum erhielten.
10 Damit begann der Aufstieg Hispaniolas und Santo Domingos als Primada de América zum ersten "indischen" Machtzentrum Spaniens und "Athen der Neuen Welt": Experimentierfeld für die staatlich-administrative Organisation und wirtschaftliche Nutzung des künftigen überseeischen Imperiums, Standort der ersten Kathedrale wie der ersten Universität Amerikas und Brückenkopf für weitere Erkundungs- und Eroberungszüge zunächst auf den karibischen Inseln, sodann nach Yukatan, Mittel- und Südamerika. Doch die Blütezeit der Insel währte nur kurze Zeit, denn die Faktoren, die ihren Aufstieg begründet hatten, bewirkten auch ihren Niedergang. Das Fundament Hispaniolas sollte nach der Vorstellung der Spanier die freiwillige Arbeitskraft der einheimischen Bevölkerung bilden: der indianos oder indios, wie Kolumbus sie in der Überzeugung, in Indien angelangt zu sein, benannte. Doch die "grande amistad", die Kolumbus mit dem vermeintlichen König der Insel geschlossen zu haben glaubte, hatte nicht einmal den ersten engeren Kontakt der Indios mit den knapp 40 zurückgelassenen Seeleuten überdauert; diese waren nach Übergriffen auf die Eingeborenen, motiviert durch die Gier nach Gold und Frauen, ausnahmslos getötet worden. Zudem bildete die Insel nicht, wie Kolumbus meinte, einen einheitlichen Herrschaftsbereich, sondern war unter zahlreiche caciques aufgeteilt, die den Spaniern unterschiedlich und nicht in jedem Fall mit der von Kolumbus apostrophierten Furchtsamkeit begegneten. 4 Nach mehreren sogenannten Strafexpeditionen gelang es Kolumbus - wie Bartolomé de Las Casas kommentierte: "haciendo guerra cruel a todos los reyes y pueblos que no le venían a obedecer" 5 - , die Arbeitskraft der Indios für die Versorgung und den Profit der Spanier in großem Umfang nutzbar zu machen: durch Tributzahlungen in Form von Naturalabgaben und ihre Arbeitsverpflichtung vorrangig in den Goldminen. Die Katholische Königin Isabella erklärte die indianos von Hispaniola zwar zu freien Untertanen der Krone, die als solche wohl zu Abgaben oder Dienstleistungen verpflichtet waren, deren Arbeit aber zeitlich geregelt und entlohnt werden mußte 6 , doch wurde dieser Maßgabe wenig Beachtung geschenkt, so daß die exzessiven Tributforderungen und der zumeist nur über Zwangsverpflichtung zu erreichende Arbeitseinsatz die faktische Versklavung der einheimischen Bevölkerung bewirkten. Geregelt wurde die Verfügungsgewalt über die Indios zunächst durch repartimientos: Eine bestimmte Zahl von Indios, bisweilen ganze Dörfer oder Kazikentümer, wurden dem Konquistador als Belohnung für der Krone geleistete Dienste, aber auch zwecks Verpflichtung zu militärischem Einsatz und zur Niederlassung zugeteilt und in encomienda übergeben. 7 Dem encomendero oder
11 Nutznießer einer solchen encomienda wurde damit - wiederum gegen die Verpflichtung, die ihm "anempfohlenen" Indios in der christlichen Religion zu unterweisen - das Recht verliehen, von ihnen in Vertretung der Krone die dieser zustehenden Tributleistungen einzutreiben und über ihre Arbeitskraft zu verfügen. Dieses Verfügungsrecht war aber in der Anfangsphase der spanischen Siedlungspolitik zeitlich begrenzt und zumeist an das Wohlwollen des jeweiligen Gouverneurs gebunden, was für den Fortgang Hispaniolas in zweifacher Hinsicht verheerende Folgen hatte. Zum einen sah sich der encomendero, um in kürzester Zeit maximalen Gewinn zu erzielen, veranlaßt, die Indios besonders in den Minen Arbeitsbedingungen zu unterwerfen, denen ihre physische und psychische Widerstandskraft nicht gewachsen war. 8 Zum andern wurde die encomienda - neben dem "repartimiento de tierras", der Verleihung von Besitztiteln an Grund und Boden, die zunächst nicht an eine encomienda geknüpft waren zum entscheidenden politischen Instrument, das es den jeweiligen Machthabem erlaubte, sich durch gezielte Neuvergabe einer Clique von Günstlingen zu versichern. 9 Die Verdienste des Christoph Kolumbus als Seefahrer und Almirante del Mar Océano gelten als unbestritten. Als Gouverneur und Vizekönig aber scheiterte er an seinem Unvermögen, die aus dem Vertrag mit der Königin abgeleiteten und folglich als legitim erachteten eigenen Ansprüche mit denen der Krone wie denen der anderen Kolonisten zu vereinbaren und der Unzufriedenheit derer, die bei der Vergabe von encomiendas leer ausgingen, anders als mit willkürlichen repressiven Maßnahmen zu begegnen. Im Jahre 1500 wurde Kolumbus abgelöst und in Ketten nach Spanien zurückgebracht. Zwar gelang ihm die Rehabilitierung, so daß er, bevor er 1506 in Valladolid starb, noch eine letzte "Indienfahrt" unternehmen konnte; die Anerkennung seiner den Interessen der Krone zuwiderlaufenden weitreichenden Machtbefugnisse als Vizekönig und Gouverneur aller Islas y Tierra Firme del Mar Océano "descubiertas y por descubrir", für deren Durchsetzung seine Erben schließlich vor Gericht zogen, erreichte er hingegen nicht. Kolumbus hatte Hispaniola in einem Zustand des Aufruhrs hinterlassen, und kaum mehr als 350 Spanier waren auf der Insel verblieben. Ein Neuanfang gelang 1502 mit der Ankunft des Gouverneurs Nicolás de Ovando, in dessen Gefolge von 2.500 Personen sich nun nicht mehr, wie noch zu Zeiten des Kolumbus, vorwiegend Abenteurer oder gar Kriminelle befanden. Die Auswahl war rigoroser erfolgt, und unter den neuen Kolonisten waren nun neben Frauen auch Angehörige des niederen Adels, so daß sich allmählich über die Neu- und Umverteilung von encomiendas und die Vergabe einträglicher administrativer Po-
12 sten eine lokale Aristokratie herausbildete. Den zusätzlichen Glanz höfischer Gesellschaft verlieh dieser Aristokratie in der Nachfolge Ovandos Don Diego, der (eheliche) Sohn des Christoph Kolumbus, der am königlichen Hof erzogen worden war und dem trotz des noch schwebenden Rechtsstreits - "sin perjuicio del derecho de ninguna de las partes", wie in einer königlichen Order festgestellt 10 und mit erheblicher Einschränkung seiner Befugnisse - das Amt des Gouverneurs übertragen worden war. Er wurde bei seinem Amtsantritt 1509 von seiner Frau Maria de Toledo, Nichte des am spanischen Hof überaus einflußreichen Herzogs von Alba, sowie einem Gefolge hochrangiger Adliger begleitet". Die Amtszeit Ovandos und Diego Colóns erlebte die Blütezeit Hispaniolas, und infolge der Kunde, so der die Insel Anfang des 18. Jahrhunderts bereisende französische Chronist Pierre-François-Xavier de Charlevoix, "qui se répandit en Espagne, qu'on faisoit en très peu de têms, & sans rien risquer des fortunes considérables dans cette Colonie", "il ne se trouva plus bientôt assés de Navires, pour y porter tous ceux, qui s'empressoient pour y aller partager tant de thrésors" 12 . Und Bartolomé de Las Casas berichtete, daß unter Ovando bis zu 12.000 Spanier auf der Insel gelebt hätten. 13 Ovando verstand es, den machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Krone wie der ortsansässigen Aristokratie gleichermaßen zu entsprechen und den von Christoph Kolumbus hinterlassenen Frondegeist unter den ersten Siedlern dadurch zu brechen, daß er sie nach Spanien deportierte oder über eine verstärkte soziale Kontrolle - und darunter fiel auch die Order, die einheimischen Frauen, mit denen sie zusammenlebten, zu ehelichen 14 - entsprechend ihrem Stand in die Gesellschaft Hispaniolas zu integrieren. Diego hingegen war genauso unfähig wie sein Vater, zwischen den verschiedenen Fraktionen zu vermitteln, und setzte sich wie dieser sehr schnell dem Verdacht aus, primär den eigenen monopolistischen Ansprüchen zu dienen und somit nicht als servidor, sondern als deservidor der Krone zu agieren. Als Diego 1515 nach Spanien zurückkehrte, um verlorengegangene Positionen, insbesondere das zwei Jahre zuvor eingebüßte Recht der Vergabe von repartimientos zurückzugewinnen, befand sich Hispaniola bereits in einer strukturellen Krise. Durch Strafexpeditionen gegen vermeintlich oder tatsächlich rebellierende Indios und die brutale Ausbeutung ihrer Arbeitskraft über das System der encomienda, durch von den Europäern eingeschleppte Infektionskrankheiten wie Influenza und Pocken und schließlich durch Formen des selbstzerstörerischen Widerstands wie Selbstzerstümmelung und kollektiver Selbstmord hatte der Rückgang der einheimischen Bevölkerung Ausmaße angenommen, die das koloniale System in seinem Fundament erschütterten. Bei Ankunft der Spanier hatten (nach vorsichtigen Schätzungen) auf der Insel zwischen
13 300.000 und 600.000 Menschen gelebt 15 , um 1510/11 wurden noch ca. 33.000 Indios gezählt. Die zur selben Zeit von seiten der Dominikaner einsetzenden Proteste und die 1512 zum Schutz der Indios erlassenen Leyes de Burgos blieben ohne Wirkung: Obgleich zwischen 1508 und 1513 von den Isias Lucayas (den heutigen Bahamas) etwa 40.000 Indios nach Hispaniola deportiert 16 und zunehmend schwarze Sklaven aus Spanien, von den Dominikanern zwecks Entlastung der Indios favorisiert, zur Arbeit in den Minen eingesetzt worden waren, hatten 1519 weniger als 4.000 und 1521 gerade noch etwa 500 Indios überlebt. Zur selben Zeit war auch der Anteil der spanischen Bevölkerung drastisch zurückgegangen, denn schnellen Reichtum gewann nur der, so der zitierte Chronist Charlevoix, "[qui] fût des amis du Gouverneur Général" 17 . Dieses Privileg, folglich auch die Verfügungsgewalt über indianische Arbeitskräfte, war jedoch nur einem auserwählten Kreis vorbehalten, so daß die Mehrheit der Goldsucher, die nicht über das notwendige Kapital verfügten, um schwarze Sklaven zu erwerben, nur die eigene Arbeitskraft einsetzen konnten. Dies aber widersprach in eklatanter Weise der Erwartung vom schnellen Reichtum und von dem damit erhofften sozialen Aufstieg, der nach der Vorstellung der zeitgenössischen Spanier mit manueller Tätigkeit unvereinbar war. Hinzu kam, daß die Preise für Arbeitsgerät und Nahrungsmittel geradezu exorbitante Höhen erreichten mit der Folge, so Bartolomé de Las Casas, "que todos los que se dieron a las minas, siempre vivían en nescesidad y aun por las cárceles, por deudas" 18 . Der bereits 1512 einsetzende Exodus zunächst nach Kuba bewirkte, daß um 1516 kaum mehr als 3.500 Spanier auf Hispaniola verblieben waren. 19 Als 1520 Diego, rehabilitiert und nunmehr Vizekönig, zurückkehrte 20 , war die Goldförderung zu einem unrentablen Geschäft geworden, da die meisten der bis dahin abgebauten Minen erschöpft waren. Zwar gab es reichlich Meldungen (oder Gerüchte) über das Vorhandensein weiterer reicher Edelmetallvorkommen, doch konnten diese mit den verfügbaren rudimentären Techniken nicht gewinnbringend erschlossen werden. Zudem waren die wenigen verbliebenen Indios kaum noch als Arbeitskräfte verfügbar, da sie sich in ihrer Mehrzahl dem Kaziken Enriquillo angeschlossen hatten, der sich 1519 gegen seinen encomendero erhob, in das Gebirgsland des Bahoruco im Südwesten floh und bis zum Friedensschluß 1533 den Spaniern einen erbitterten Guerillakrieg lieferte. 21 Um das Jahr 1528 lebten im Innern der Insel noch etwa 100 Spanier mit ihren Familien. Allein Santo Domingo und Azua im Süden blieben vom völligen Niedergang verschont, da sich hier zum Teil mit Hilfe von staatlichen Krediten und Steuererleichterungen eine rentable Zuckerindustrie entwickeln konnte. Damit stieg der Bedarf an schwarzen Sklaven, und obgleich ständig über unzu-
14 reichende Belieferung und hohe Preise Klage geführt wurde - Spanien war durch Vereinbarung mit Portugal der direkte Zugriff auf den afrikanischen Sklavenmarkt versagt und versorgte seine überseeischen Gebiete über den Verkauf von Lizenzen an nicht-spanische Sklavenhändler gelangten ab 1520 nach Hispaniola bis zu mehreren tausend Sklaven pro Jahr. 22 Viele konnten vom einheimischen Markt nicht absorbiert werden; sie wurden mit beträchtlichen Gewinnen nach Mittelamerika und auf den südamerikanischen Kontinent weiterverkauft, so daß Santo Domingo im Sklavengeschäft für mehrere Jahrzehnte zum Zentrum des amerikanischen Zwischenhandels wurde. Ein Großteil verblieb in Hispaniola selbst, so daß bereits um die Jahrhundertmitte ihre Zahl etwa 12.000 bis 20.000 - die der weißen Spanier - etwa 5.000 - weit überstieg. Doch bescherte die Sklaverei den Sklavenhaltern auf den großen Plantagen wie in der Administration erhebliche Probleme und finanzielle Belastungen dadurch, daß die Sklaven in großer Zahl flohen und sich in unwegsamen Regionen in festgefügten Gemeinwesen etablierten, die als Strafexpedition ausgesandten Truppen aber erst nach jahrelangen Anstrengungen diese cimarrones - zeitweise bis zu 7.000 - einfangen und, sofern sie nicht geköpft, gehängt oder gevierteilt wurden, wieder an ihre Besitzer überstellen konnten. In den 80er Jahren geriet die Zuckerindustrie in eine schwere Krise, hervorgerufen durch den Preisverfall in Spanien, die Unwägbarkeiten des Transports in der von Piraten heimgesuchten Karibischen See, die Unmöglichkeit, aufgrund des von Spanien beanspruchten Handelsmonopols neue Absatzmärkte etwa in den spanischen Besitzungen auf dem Festland zu erschließen, und die hohe Sterberate der Sklaven, deren Zahl aufgrund mehrerer Epidemien um die Hälfte zurückging. Von dem Zuckerboom profitiert hatte ohnehin nur eine Minderheit von (ehemaligen) encomenderos und Kolonialbeamten, und diese suchten nun verstärkt an einem Produktions- und Handelszweig zu partizipieren, der sich im Verlauf des Jahrhunderts gewissermaßen in spontaner Genese und außerhalb der Legalität entwickelt hatte: Viehwirtschaft und Schmuggel. Die von Kolumbus und Ovando eingeführten Rinder, Schweine und Pferde hatten sich insbesondere im klimatisch günstigeren und fruchtbaren Ostteil der Insel in einer Weise vermehrt, daß um 1540 mehrere hunderttausend Stück Vieh größtenteils wild, als ganado cimarrón, verfügbar waren. Ein Teil wurde von den Plantagenbesitzern als Zugtiere und für den Unterhalt ihrer bis zu 900 Sklaven vereinnahmt; und für die weniger privilegierten Kolonisten im Landesinnern, die mit zwei oder drei Sklaven auf kleinen Farmen, den hatos oder hatillos, weniger von der Zucht als von der Jagd oder dem Einfangen der Tiere, der montería, lebten, sicherte das ganado cimarrón das Überleben und ermög-
15 lichte schließlich über den Handel mit Tierhäuten sogar einen bescheidenen Gewinn. Als profitabel erwies sich dieser Handel nun aber vor allem dann, wenn er unter Mißachtung des spanischen Monopols und der Administration in Santo Domingo vorzugsweise über den Norden und mit Ausländern - vorwiegend Holländern, Engländern, Portugiesen und Franzosen - abgewickelt wurde. Denn zum einen wurden keine Steuern und Zölle gezahlt, zum andern konnte man sich zu annehmbaren Bedingungen mit Waren eindecken, die Spanien nur in unzureichender Menge und zu überhöhten Preisen lieferte: etwa eine Elle feinen Tuchs für vier Tierhäute, ein Faß Wein für 25 bis 30 oder ein "Stück" afrikanischer Sklave für 50 Tierhäute. 23 Die Behörden waren machtlos, den Schmuggel unter ihre Kontrolle zu bringen oder gar zu unterbinden, da Chargen der Verwaltung ebenso wie der cabildo, die Versammlung der vecinos oder Stadtbürger in Santo Domingo, daran teilhatten und die hateros aus dem Süden ihre Herden sogar in den Norden trieben mit der Folge, daß die Fleischversorgung von Santo Domingo nicht mehr gesichert werden konnte. Dies aber war nicht das einzige Problem der Stadt: Sie besaß zwar noch das Handelsmonopol und war administratives Zentrum Hispaniolas, doch der Aufstieg der nördlichen Häfen bewirkte den wirtschaftlichen Ruin von Santo Domingo, der einstigen "Wiege" Amerikas - ein Faktum, das 1586 mit der Einnahme und Plünderung der Stadt durch den englischen Freibeuter Francis Drake, welcher nicht nur die Geschütze der Festung, sondern selbst die Glocken der Kathedrale raubte, besiegelt wurde. Eine mögliche Lösung zumindest mit Blick auf die erheblich reduzierten Einnahmen von Staat und Kirche wäre gewesen, wie es 1601 der damalige Erzbischof von Santo Domingo, Agustín Dávila y Padilla, in einem Schreiben an den König erwog, für die Häfen im Norden den Handel mit den Ausländern zu legalisieren. Doch sah der Erzbischof gleichwohl voraus, daß eine solche Maßnahme von den Sevillaner Kaufleuten hintertrieben werden würde. 24 Außerdem war noch ein weiteres, gerade in den Augen der Kirche überaus schwer wiegendes Moment zu bedenken: Die Holländer und Engländer waren Protestanten, und der über Jahrzehnte andauernde Kontakt der Spanier mit diesen herejes mochte sich als ernste Gefahr für ihre Rechtgläubigkeit erweisen - eine (aus spanischer Perspektive) keinesfalls unbegründete Sorge, wurden doch 1594 von einem Abgesandten des Erzbischofs Nicolás de Ramos, wie dieser entsetzt dem König mitteilte, auf einer Inspektionsreise in den Norden 300 vornehmlich im Besitz von Spaniern befindliche protestantische Bibeln konfisziert. 25
16 Eine ganz andere Lösung ersann ein Kleriker und ehemaliger Kolonialbeamter, ein gewisser Baltasar López de Castro, der 1598 in zwei Eingaben an den zuständigen Consejo de Indias vorschlug, diesem "diabólico trato" und "pecado" 26 dadurch Einhalt zu gebieten, daß man sämtliche Niederlassungen im Norden zerstörte und die Bevölkerung der Städte wie des Hinterlandes - unter Mitnahme des Viehbestands - in der Nähe von Santo Domingo ansiedelte. König Philipp III. zögerte zunächst, einem so radikalen und, wie sich bestätigen sollte, durchaus gefährlichen Lösungsvorschlag zuzustimmen. Doch selbst die vehementen Proteste des cabildo in Santo Domingo wie der bewaffnete Widerstand insbesondere von Seiten im Norden angesiedelter ehemaliger Sklaven vermochte nicht zu verhindern, daß schließlich 1605/6 der Gouverneur Antonio de Osorio, flankiert von 150 eigens aus der Garnison von Puerto Rico entliehenen Soldaten, den gesamten Norden, aber auch Regionen im Westen und im Innern des Landes verwüstete und entvölkerte. Hispaniola hatte bereits seit langem aufgehört, eine blühende Kolonie zu sein, doch hatte man, dank des ganado cimarrón und der herejes immerhin überlebt. Die Krone hatte sich unfähig oder nicht willens gezeigt, zur Erholung der einheimischen Wirtschaft beizutragen. Und als sie schließlich aktiv wurde, verfiel sie auf ein Heilmittel, das eine zwar nicht beabsichtigte, wohl aber voraussehbare Wirkung zeigte: "Era como curar con la muerte a un sujeto afectado por larga enfermedad." 27
1.2 Stagnation, Isolation und Wiederaufschwung (17. und 18. Jhd.) Die unmittelbaren Folgen der von Osorio mit besonderer Akribie und einem gehörigen Maß an Übereifer durchgeführten devastaciones waren fatal: Die Ortschaften waren dem Erdboden gleichgemacht und die kleinen Farmen ebenso wie die großen Zuckerrohrplantagen niedergebrannt; neben dem ganado cimarrón war auch der Bestand an Zuchtvieh fast gänzlich verlorengegangen; zahlreiche Kolonisten hatten das Land an Bord der ausländischen Schiffe verlassen, und ein großer Teil der Sklaven war geflohen, um als alleinige Nutznießer des nunmehr um das Zuchtvieh erweiterten ganado cimarrón auch weiterhin die allerdings (zunächst) nur sporadisch anlandenden Ausländer mit Fleisch und Häuten zu versorgen. Der legale Siedlungsraum wurde auf etwa ein Drittel der Insel begrenzt, und mit Ausnahme gelegentlich organisierter, allerdings wenig erfolgreicher Expeditionen zwecks Jagd auf Vieh und Sklaven war es jedem Bewohner der Kolonie unter Androhung der Todesstrafe untersagt, diesen ein-
17 geschränkten Siedlungsraum zu verlassen. Die neuen Siedlungsgebiete erwiesen sich als unfruchtbar und gesundheitsgefährdend, so daß allein in der neugegründeten Stadt Bayaguana mehr als ein Drittel der Menschen an Hunger und Seuchen starb, bis die Überlebenden 1609 die Stadt niederbrannten, um (vergeblich) die Rückkehr in ihre früheren Siedlungsgebiete zu erzwingen. Als Osorio 1608 durch einen neuen Gouverneur abgelöst wurde, fiel der bei derlei Anlässen übliche Empfang per Akklamation in den Straßen von Santo Domingo zurückhaltend aus, hatten es doch viele vecinos vorgezogen, in Ermangelung repräsentativer Kleidung dem Ereignis fernzubleiben. Diese für die sich aristokratisch gebärdenden weißen Spanier gewiß demütigende Erfahrung stand jedoch nur am Anfang einer Entwicklung, die sie aufgrund des faktischen Zusammenbruchs von Plantagenwirtschaft und Außenhandel ihrer Existenzgrundlage beraubte, so daß sie sich, um den sozialen Niedergang zu verschleiern oder auch nur das eigene Überleben zu sichern, in das Hinterland zurückzogen, wo sie in mittleren oder kleinen estancias oder hatos, von einer nur geringen Zahl Sklaven unterstützt, zumeist selbst körperliche Arbeit leisten und, von jeder Form städtischer Kultur isoliert, aristokratischen Lebensformen entsagen mußten, um sich schließlich, sofern sie nicht emigrierten, in ihrem Lebensstil kaum noch vom común - und dazu gehörten auch ehemalige Sklaven, Schwarze wie Mulatten - zu unterscheiden. Der Rückzug und die erzwungene Isolation der einst angesehenen vecinos von Santo Domingo bewog in den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts Mitglieder der Real Audiencia, des Königlichen Gerichtshofs, um dessen Verlegung nach Venezuela nachzusuchen mit der Begründung, daß es unter den vecinos kaum noch Streitfälle zu schlichten gab. 28 Und 1728 sah sich der Gouverneur Francisco de la Rocha angesichts der wenigen noch in Santo Domingo ansässigen adligen Familien sogar außerstande, die vakanten Posten in der Verwaltung angemessen zu besetzen. 29 Während des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nachdem die estancias, wo noch in größerem Umfang Ackerbau betrieben wurde, größtenteils verschwunden waren, wurde die koloniale Gesellschaft durch die spezifische Produktionseinheit des hato geprägt, welche wiederum spezifische Besitzverhältnisse und Lebensformen entstehen ließ. Die Grundlage bildete wie schon im 16. Jahrhundert das Einfangen des mittlerweile wieder vermehrten Bestands an ganado cimarrón, die montería: eine Institution, die ohne Besitztitel jedem den Zugriff auf Vieh und dessen Verwertung gestattete. Die Weideflächen für das eingefangene Vieh wurden nun gleichermaßen Gemeinschaftsbesitz, tierras comuneras30, und selbst die Einrichtung eines conuco, auf dem für den Unterhalt der Familie und der Sklaven Nutzpflanzen angebaut wurden, war nicht an
18 Besitztitel gebunden, auch wenn sich der Grund und Boden ursprünglich, zumeist durch königliche Schenkung, in Privatbesitz befunden hatte, denn durch die Wechselfälle der kolonialen Geschichte, so ein einheimischer Historiker des beginnenden 19. Jahrhunderts, "llegö a perderse la memoria de los propietarios" 31 . Waren die hatos vor den devastaciones noch auf den (illegalen) Außenhandel ausgerichtet, dienten sie - zumindest bis in die 80er Jahre des 17. Jahrhunderts allein der Subsistenz, da Spanien, selbst in einer tiefen Krise befangen, keine Initiativen ergriff, um den Außenhandel neu zu beleben, und angesichts der geringen Besiedlung - um 1680 zählte die Real Audiencia für Santo Domingo nur etwa 7.500 Einwohner 32 - kaum ein Binnenmarkt entstehen konnte. Die Stagnation und Isolation blieben nicht ohne Folgen für die sozialen Beziehungen innerhalb der sociedad hatera. Die Zahl der Sklaven - Osorio hatte 1606 noch 9.648 gezählt 33 - hatte sich durch Epidemien, aber auch durch Freilassung so drastisch reduziert, daß sie kaum noch eine distinktive soziale Gruppe bildeten. Die Krone war nicht in der Lage, wie von den vecinos unablässig gefordert, Sklaven auf Kredit zu liefern, und kaum einer der vecinos verfügte über das notwendige Kapital, um sich auf dem freien Markt zu versorgen. 34 So gestalteten sich auch die Beziehungen zwischen Herren und Sklaven weit weniger konfliktreich, als dies auf den Zuckerrohrplantagen der Fall gewesen war, und neben einer weitgehenden biologischen Vermischung ergab sich auch eine kulturelle Assimilierung und Nivellierung, die - ob nun bei Freien oder Sklaven, bei Weißen, Schwarzen oder Mulatten - den spezifischen Typus des montero35 herausbildete. Die devastaciones des Osorio zeigten nun aber noch eine weitere, für den Bestand der Kolonie geradezu bedrohliche Wirkung. Die im Überseehandel engagierten aufstrebenden europäischen Mächte wie Holland, England und Frankreich versuchten ihrerseits, über direkte militärische Aktionen und die Aktivitäten der in Kriegszeiten durchaus legal operierenden Freibeuter am Reichtum der Neuen Welt zu partizipieren und den Spaniern zunächst in der Karibik strategisch günstige Vorposten abzujagen. Gefahr für Hispaniola drohte zum einen von Seiten der Piraten und Freibeuter: vornehmlich Engländer und Franzosen, die sich zuerst die Insel San Cristöbal (das heutige St. Kitts) teilten und sich nach ihrer Vertreibung durch die Spanier auf Tortuga, der nur etwa 7 km vor der Nordküste Hispaniolas gelegenen "Schildkröteninsel", niederließen. Die von Santo Domingo aus unternommenen Expeditionen gegen das so gefährliche Piratennest blieben erfolglos, und so konnte sich ab 1640, nachdem sich Franzosen gegen Engländer durchgesetzt hatten und die Verwaltung von einer durch Richelieu gegründeten Handelsgesellschaft übernommen worden war, trotz vor-
19 übergehender Rückeroberung durch die Spanier ein nun nicht mehr ausschließlich von Piraten dominiertes blühendes Gemeinwesen auf Tortuga entwickeln. 36 Damit erwuchs der spanischen Kolonie zusätzliche Gefahr nunmehr auf dem eigenen Territorium, denn für die Franzosen auf Tortuga lag es nahe, sich im unbewohnten und ungeschützten Norden und Westen Hispaniolas des reichen Bestands an ganado cimarrón zu bedienen. Bereits seit den 30er Jahren etablierten sich hier, zunächst an der Küste, dann zunehmend auch im Landesinnern, die boucaniers, so benannt nach der indianischen Bezeichnung für den Holzrost, auf dem sie das Fleisch der eingefangenen Tiere räucherten. Ihnen folgten die ersten Siedler, die auf noch kleinen Produktionseinheiten neben Nahrungsmitteln auch Tabak für den Export über Tortuga anbauten. Nach einem Bericht des Gouverneurs von Tortuga, D'Ogeron, lebten um 1670 auf Hispaniola bereits 2.000 Franzosen 37 , die systematische Besiedlung und intensive Nutzung setzte aber erst in den 70er Jahren ein, nachdem Colbert die überseeischen Besitzungen Frankreichs direkt der Krone unterstellt hatte mit der Folge, daß sich in einem Jahrzehnt die Zahl der Franzosen auf Hispaniola nahezu vervierfachte. 38 Spanien konzentrierte seine Bemühungen um die Abwehr der feindlichen Angriffe in der Karibik auf Kuba und Puerto Rico, da San Juan und ganz besonders Havanna für die Sicherung des in höchstem Maße gefährdeten Transports der Edelmetalle aus den amerikanischen Besitzungen von größerer strategischer Bedeutung waren als Santo Domingo. Abgesehen von gelegentlicher Hilfestellung durch die Entsendung eines Hilfstrupps aus der auf Puerto Rico stationierten Garnison, leistete die Metropole Hispaniola keinen militärischen Beistand; als Ausgleich erhielt man eine jährlich von Neu-Spanien (Mexiko) zu leistende Subvention, den situado, mit dem der administrative und militärische Apparat finanziert wurde und der bis weit in das 18. Jahrhundert für das Überleben der Kolonie unverzichtbar war. Angesichts der wachsenden Gefahr von Seiten der französischen Kolonisten und der beständig drohenden Möglichkeit eines Angriffs von Seiten englischer Flottenverbände waren nun aber militärische Anstrengungen geboten, für die der situado keinesfalls ausreichte. Überdies kam er unregelmäßig oder blieb sogar über mehrere Jahre aus, so daß sich die Administration, die kaum über andere Einnahmen verfügte, in einer permanenten Finanzkrise befand. Diese bewirkte wiederum eine innenpolitische Destabilisierung, welche die militärischen Kräfte, als Garanten für den Bestand Hispaniolas selbstverständlich auch bevorzugte Adressaten des situado, zu nutzen wußten mit der Folge, daß sich eine politisch, ökonomisch und gesellschaftlich tonangebende Elite von militärischen Rängen
20 etablierte: ein Faktum, dem die Metropole dadurch Rechnung trug, daß sie mit Beginn des 18. Jahrhunderts als Gouverneure nur noch Militärs entsandte. Im Friedensvertrag 1697 wurde die französische Präsenz im Westen Hispaniolas von Spanien als Faktum akzeptiert; und mit der Verleihung der spanischen Königswürde an den Bourbonen Philipp V., Enkel von Ludwig XIV., nach dem Tod des letzten Habsburgers auf dem spanischen Thron 1701 begann eine dynastische Allianz, die Frankreich und Spanien nach einem Jahrhundert der bewaffneten Konflikte nunmehr (nahezu) ein Jahrhundert der friedlichen Koexistenz und Kooperation bescheren sollte. Das Bemühen um eine friedliche Koexistenz mit den einst als Aggressoren bekämpften Franzosen, von der Metropole dekretiert, war fortan auch für die Spanier in Santo Domingo (so der mittlerweile eingebürgerte Name der Kolonie) oberstes Gebot, doch blieben diplomatische wie bewaffnete Konflikte nicht aus. Denn die Frage der Grenzen war offen geblieben, so daß die spanische Seite eiligst daran ging, nach den devastaciones verlorengegangenes Territorium durch Wiederbesiedlung vorzugsweise mit Einwanderern von den Kanarischen Inseln zurückzugewinnen, und die französische Seite ihrerseits nicht zögerte, mit wachsender Prosperität beständig zu expandieren. Der Streit um die Grenzen wurde erst 1777 mit dem Vertrag von Aranjuez vorläufig, wie sich zeigen sollte - beigelegt. 39 Dessenungeachtet hatte sich bereits seit nahezu einem Jahrhundert ein Handel etabliert, der, für beide Partner unverzichtbar, der spanischen Seite zu einem beträchtlichen, im Vergleich zur Nachbarkolonie allerdings gewiß nur bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung verhalf. Diese Kooperation basierte auf einer klaren Arbeitsteilung: Das französische Saint-Domingue betrieb eine auf den Export vornehmlich von Zucker in die Metropole ausgerichtete Plantagenwirtschaft, das spanische Santo Domingo hingegen weiterhin die traditionelle Viehwirtschaft, die den Nachbarn, dessen Bedarf im Verlauf des 18. Jahrhunderts beständig stieg, im Tausch mit europäischen Gebrauchsgütern mit Schlachtvieh und Zugtieren versorgte. Aufgrund des von Spanien beanspruchten Monopols war dieser Handel nun aber zunächst illegal und folglich im wesentlichen auf die Grenzregionen beschränkt. Im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert herrschte in den übrigen Regionen weiterhin eine so erdrückende Armut, waren folglich nicht nur die Einnahmen des Staates, sondern auch die der Kirche so unbedeutend, daß 1698 der Erzbischof von Santo Domingo - weil er nicht einmal Almosen zu geben imstande war, wie ein moderner dominikanischer Autor zu seiner Ehrenrettung betont 40 - sich durch Flucht von seinem so wenig einträglichen Posten verabschiedete. 41
21 Erst in den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts, als die spanische Krone für ihre über zwei Jahrhunderte so sträflich vernachlässigte Besitzung auf Hispaniola das für diese so unheilvolle Handelsmonopol lockerte und für eine breite Skala von Produkten den Austausch nicht nur mit dem Nachbarn, sondern auch mit anderen Partnern gestattete, setzte für Santo Domingo ein generelles, nun nicht mehr nur auf die Grenzregionen beschränktes Wirtschaftswachstum ein. Ein Fundament dieses für die meisten Menschen allerdings nur bescheidenen Aufschwungs war auch weiterhin die Viehwirtschaft, wie sie in den traditionellen hatos und hatillos betrieben wurde. Es entstanden aber auch neue Produktionszweige und Wirtschaftsformen: im Süden, insbesondere nahe der Hauptstadt, Hazienden und Plantagen, größtenteils im Besitz der administrativen Elite, die auf den Export von Zucker, Kaffee, Kakao und Baumwolle ausgerichtet waren und eine nun wieder wachsende Zahl von schwarzen Sklaven absorbierten; im mittleren Norden, dem Cibao, mit dem Zentrum Santiago de los Caballeros sowie zunehmend auch im Umfeld der anderen Städte kleine und mittlere Familienbetriebe, die Nahrungsmittel etweder nur für den eigenen Bedarf oder in bescheidenem Umfang für den einheimischen Markt produzierten, sich im Cibao allerdings auf den lukrativeren Produktionszweig des Tabakanbaus verlegten, welcher vornehmlich für den Export bestimmt war und der Stadt Santiago wie der gesamten Region im 19. Jahrhundert ihr. besonderes wirtschaftliches und politisches Gewicht verleihen sollte. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung ging ein nie gekanntes demographisches Wachstum einher. In einem Jahrhundert, von 1680 bis 1780, stieg die Einwohnerzahl der Kolonie von knapp 7.500 auf etwa 120.000 und in den darauffolgenden 15 Jahren, bis 1795, auf annähernd 180.000. 42 Der Anteil der Sklaven war im 17. Jahrhundert sehr gering gewesen; mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, besonders ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wuchs jedoch der Bedarf ebenso wie die Kaufkraft in der Kolonie, so daß für die 80er und 90er Jahre - die Schätzungen der Autoren sind hier sehr unterschiedlich 20.000 bis 30.000 Sklaven angenommen werden können. 43 Die Zahl der Importe afrikanischer Sklaven während des Jahrhunderts lag gewiß sehr viel höher, denn es gibt zahlreiche Hinweise darauf, daß es einer großen Zahl Sklaven gelang, auf dem einen oder anderen Wege die Freiheit zu erlangen. Einen möglichen Weg bot der Dienst in den Milizen etwa bei einer Bedrohung von außen oder zum Feldzug gegen entflohene Sklaven; sehr viel häufiger aber war der Freikauf mit ererbtem, zumeist jedoch selbst erwirtschaftetem Kapital. Eine solche Möglichkeit, die unabhängig von der Zustimmung seines Besitzers jedem Sklaven zu einem gerichtlich festgesetzten Preis
22 zugestanden wurde, mochte sich in der Regel dadurch ergeben, daß sich der Sklave von seinem Herrn oder seiner Herrin gegen regelmäßige Zahlung einer bestimmten Summe freistellen ließ 44 , um sich als Tagelöhner oder ganador zu verdingen, was ihm inbesondere dann, wenn er über spezielle Fähigkeiten etwa in handwerklichen Berufen verfügte, einen Lohn einbrachte, der die seinem Besitzer gezahlte Summe weit überstieg. Und schließlich mochte ein Sklave seine Freiheit erlangen "por un acto de piedad": "un principio de religión mal entendido", so der zeitgenössische Kleriker und Chronist Antonio Sánchez Valverde, [que deja] muchos parientes en la indigencia y unos libertos y libertas holgazanes, desarreglados y que han de subsistir casi necesariamente de la iniquidad, hecho que, muy lejos de ser piedad, es un escándalo notorio que debe estorbar la legislación civil y la Eclesiástica, porque la franqueza de dar estas libertades, multiplicando infinitamente los pecados, llena los Pueblos de ladrones, prostitutas y fautores de los vicios, quitándole las manos más útiles para el trabajo, cuyo desorden tocamos y experimentamos visiblemente en nuestra Isla 45 Sánchez Valverde, der mit seinem Werk ¡dea del valor de la Isla Española, y utilidades, que de ella puede sacar su Monarquía, 1785 in Madrid publiziert, den reformfreudigen König Karl III. für eine gezielte und massive Förderung der nach seiner Ansicht allzu lange vernachlässigten, jedoch überaus leistungsfähigen Kolonie erwärmen wollte, orientierte sich an dem Modell der Nachbarkolonie Saint-Domingue und propagierte folglich die Intensivierung der Sklavenarbeit im Agrarbereich und die Ausweitung der Zuckerindustrie. 46 Sein Werk, das vor seiner Veröffentlichung in Manuskriptform zirkulierte, inspirierte das 1784 in Santo Domingo erarbeitete Projekt eines Código Negro Carolino, der analog zum 1685 erlassenen Code Noir der Franzosen die Situation der Sklaven regeln und vor allem unterbinden sollte, daß Sklavenbesitzer besonders in der Hauptstadt "no contentos con defraudar a la sociedad de la ocupación útil de sus robustos miembros, tienen privada la agricultura del beneficio que recibiera del trabajo de sus esclavos a quienes emplean por un jornal diario", daß sich diese freikaufen und zum Schaden der Weißen wie der "gente de color medio" dem Handwerk widmen oder daß sie gar ihren Kindern die "carrera de las ciencias" eröffnen "que es el ingreso a las dignidades y empleos de la república"4?. An Versuchen, durch Verordnungen den Sklaven den Freikauf zu untersagen oder zu erschweren und den libertos die Bewegungsfreiheit ebenso wie die Freiheit der Berufswahl vorzuenthalten, hatte es in der Vergangenheit nicht gefehlt. 48 Dennoch hatte sich auf dem Lande, begünstigt durch das System der tierras comuneras, wie in den Städten, hier begünstigt durch die geringe Nei-
23 gung der weißen Spanier zu manueller Tätigkeit, eine zahlenmäßig nicht unbedeutende Schicht von libertos, Schwarzen und zunehmend Mulatten, etablieren können, denen es aber trotz einer gewissen sozialen Mobilität während des 18. Jahrhunderts nicht gelang, sich als ökonomisch und gesellschaftlich relevante Gruppe zu formieren. Und wäre es nach dem Willen der Verfasser des Código Negro Carolino gegangen, hätten sie die wenigen Freiräume, die ihnen zugestanden wurden, durch neuerliche Knechtschaft eingebüßt, denn dieser sah vor [que] todo vividor, esclavo o libre que no tuviere para la sazón y tiempo respectivos de cada especie de frutos competentes labranzas de él, cercadas y sembradas en la forma regular de la agricultura, será destinado por providencia a servir en alguna de las haciendas del mismo partido, por un jornal diario, obligado a salir a la plaza para este efecto. 49 Der Código Negro Carolino blieb Makulatur. Die Französische Revolution von 1789 veränderte nicht nur Europa, sondern auch die beiden Kolonien auf Hispaniola: Das französische Saint-Domingue führte sie in die Unabhängigkeit als "erste Negerrepublik" der Welt; das spanische Santo Domingo geriet zunächst bei Zusammenbrechen der Sklavenhaltergesellschaft in der Nachbarkolonie als wirtschaftlich abhängige "Subkolonie" 50 in eine tiefe Depression, um schließlich - nach dem mißglückten Versuch Spaniens, im ersten Koalitionskrieg gegen das republikanische Frankreich das Ancien Régime wiederherzustellen - im Friedensvertrag von Basel 1795 im Tausch gegen das von französischen Truppen besetzte spanische Territorium an Frankreich verschachert zu werden. Der erste Minister des spanischen Königs und favorito der Königin, Manuel Godoy, dem für diesen Friedensschluß der Titel eines Principe de la Paz verliehen wurde, mochte sich glücklich schätzen, dem Feind eine Kolonie angedient zu haben, an der dieser seiner Ansicht nach nur wenig Freude haben würde - "tierra ya de maldición para blancos, y verdadero cáncer agarrado a las entrañas de cualquiera que sería su dueño en adelante" 51 . Nach dominikanischem Verständnis aber war die Abtretung Santo Domingos an Frankreich die "coronación suprema" eines "desprecio" von Seiten der Madre Patria, die sich bereits seit langer Zeit von ihrer Besitzung, "cuyo valor económico, político, estratégico e inclusive moral [...] debieron haberla convertido en su joya predilecta", abgewendet hatte 52 : "Era el último acto del drama comenzado en 1605 con la destrucción de los puertos que ejercían el contrabando." 53
24
1.3 Auf Umwegen in die Unabhängigkeit ( 1795-1865) Mit der Abtretung Santo Domingos an Frankreich hatten, wie bis dahin Tradition, europäische Konstellationen über das Schicksal einer amerikanischen Kolonie verfügt, und auch in Saint-Domingue war der Auslöser der so folgenschweren Konflikte mit der Französischen Revolution ein europäisches Ereignis. Doch in Saint-Domingue sollte sich sehr bald eine Dynamik entwickeln, die zum ersten Mal in der Geschichte Lateinamerikas einer Eigengesetzlichkeit gehorchte und mit der Gründung der Republik Haiti 1804 eine (allerdings nicht dauerhaft) selbstbestimmte Politik ermöglichte. Initiiert wurde die Haitianische Revolution durch die freien Farbigen, die gens de couleur, die sich - anders als im benachbarten Santo Domingo - als wirtschaftlich bedeutender Faktor etablieren konnten und die entsprechend den von der Revolution im Mutterland propagierten Idealen von Gleichheit und Brüderlichkeit gegen die Vorrechte der weißen Oligarchie, der grands blancs, für sich, jedoch nicht für die schwarzen Sklaven, die politische und gesellschaftliche Gleichstellung forderten. Verbündete fanden sie zunächst in den besitzlosen und politisch marginalisierten petits blancs, die unter Berufung auf dieselben Prinzipien gleichermaßen gegenüber den grands blancs mehr Rechte einzuklagen suchten. Diese wiederum forderten von der Metropole die Einlösung des revolutionären Prinzips der Freiheit, und das bedeutete entsprechend ihren Interessen das Zugeständnis größerer politischer und wirtschaftlicher Autonomie. "Une colonie à esclaves", so die Einsicht eines in Saint-Domingue stationierten Brigadiers der Königlichen Französischen Armee am Vorabend der Revolution, "est une ville menacée d'assaut; on y marche sur des barils de poudre ..."54 Doch die Sklaven waren seit Ausbruch der Konflikte von der in ihrem Antagonismus und Egoismus befangenen freien Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt als Faktor in ihr politisches Kalkül miteinbezogen worden. Und als sich im August 1791 die Sklaven der Plantagen im Norden von Saint-Domingue erhoben, um sich ihrerseits ein Ideal der Revolution in Frankreich, das der Freiheit, zu erkämpfen, gewann der Aufstand eine gänzlich neue Dimension. Die freien Farbigen, die über ein Drittel der Ländereien und ein Viertel der Sklaven verfügten 55 , suchten nunmehr das Bündnis der grands blancs, von denen sie zwar diskriminiert wurden, mit denen sie aber doch gewichtige ökonomische Interessen verbanden. Diesem Bündnis der Besitzenden stellte sich das der Besitzlosen, der petits blancs und Sklaven, entgegen, doch sollten letztere - gegen wechselnde Allianzen in der Kolonie und wechselnde politische Konstellationen im Mutterland - in einem mörderischen, die Weißen größtenteils schlicht durch
25 Massaker eliminierenden Kampf der Revolution zu einem Ausgang verhelfen, der die Haitianer mit Stolz erfüllte. Denn schließlich hatten sie nicht nur, wie bereits vor ihnen die englischen Kolonien in Nordamerika, eine europäische Kolonialmacht in die Knie gezwungen; ihnen war weit mehr geglückt, denn, so der Kommentar eines Haitianers um 1900: "c'est là que le nègre s'est fait homme: c'est là qu'en brisant ses fers, il a condamné irrévocablement l'esclavage dans tout le Nouveau Monde" 56 . In den spanischen Kolonien des südamerikanischen Kontinents, die in den darauffolgenden Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit strebten, galt Haiti als beispielhaft. Doch waren sie von den Ereignissen dort nicht direkt betroffen, blieb überdies der soziale Aspekt der Haitianischen Revolution ohne Einfluß auf die politisch-gesellschaftliche Verfassung und Wirklichkeit der unabhängigen südamerikanischen Republiken. Für das benachbarte Santo Domingo hingegen wurde Haiti zu der Instanz, die über mehr als ein halbes Jahrhundert die politische und soziale Praxis ebenso wie das Selbstverständnis der Menschen prägen und lenken sollte. Während der ersten Jahre nach Ausbruch der Konflikte in der französischen Kolonie wahrte das offizielle Santo Domingo - zu diesem Zeitpunkt war die Kolonie noch in spanischem Besitz - zunächst abwartende Distanz. Daß aber absolute Neutralität unmöglich war, daß schließlich in der Bevölkerung die Konfrontationen und die Fraktionskämpfe in der Nachbarkolonie mit eindeutiger Parteinahme verfolgt wurden, zeigte sich spätestens Ende 1790. Eine Gruppe von Mulatten unter Vincent Ogé und Jean-Baptiste Chavannes hatte sich nach dem Scheitern eines bewaffneten Aufstands in Saint-Domingue, mit dem sie die politischen Forderungen der gens de couleur durchzusetzen suchten, gegen die Zusage, daß ihnen Asyl und Straffreiheit gewährt würde, und im Vertrauen auf die Tragfähigkeit einer seit über einem Jahrhundert geübten Tradition 57 in die Nachbarkolonie geflüchtet. Der spanische Gouverneur beschloß die Auslieferung und bewirkte damit Protest nicht nur von Seiten vieler Notabein und des Erzbischofs, sondern auch von seiten des común, wie derselbe Erzbischof in einem kritischen Brief vermerkte. 58 Und möglicherweise war es, wie ein moderner dominikanischer Autor 59 vermutet, dieser Widerstand in allen Teilen der Bevölkerung, der den Gouverneur bewog, in einer gewiß ungewöhnlichen öffentlichen Zeremonie vor dem Hauptaltar der Kathedrale in Santo Domingo dem Abgesandten aus Saint-Domingue den feierlichen Schwur abzunehmen, daß das Leben derer, die ihm überstellt wurden, verschont würde. 60 Als 1793 die Allianz zwischen Spanien und Frankreich, die fast ein Jahrhundert überdauert hatte, auseinanderbrach, bot sich für Santo Domingo über
26 eine andere, gewiß überraschende Allianz eine unerwartete Gelegenheit, verlorenes Territorium zurückzugewinnen. Die aufständischen Sklaven in Saint-Domingue, die im französischen König den fürsorglich waltenden und allein dem göttlichen Urteil unterworfenen Monarchen sahen, verweigerten sich nach der Hinrichtung von Ludwig XVI. der "gott- und königslosen" 61 Republik und traten - gegen das Versprechen, die Freiheit zu erlangen, die ihnen die Republik immer noch verwehrte - in den Dienst des spanischen Königs, um nunmehr unter spanischem Banner die Wiedereinsetzung der Monarchie in Frankreich zu erkämpfen. Dieser durch englische Seestreitkräfte noch verstärkten anti-republikanischen Koalition gelang es insbesondere aufgrund der Führungskräfte von Toussaint L'Ouverture, einem ehemaligen schwarzen Sklaven, in kürzester Zeit, weite Teile des Nordens für die spanische Krone zurückzuerobern. Doch Sonthonax, einer der vom Pariser Konvent entsandten Kommissare, landete einen wahren, für die Allianz der Spanier mit den negros auxiliares und neuen Untertanen des spanischen Königs fatalen Überraschungscoup: Im August 1793 verfügte er ohne Rückendeckung aus Paris die Abschaffung der Sklaverei. Aber erst nach der Ratifizierung dieses Dekrets durch den Pariser Konvent im Februar 1794 bekannte sich Toussaint zur Republik und stellte sich mit dem überwiegenden Teil der unter Waffen stehenden Schwarzen unter französische Autorität. Denn Toussaint hatte sehr wohl erkannt, wie er in einem Schreiben an den französischen Generalgouverneur äußerte, daß die Spanier die (vorgeblich) unter ihren Schutz genommenen und für sie streitenden "Afrikaner" nur für ihre eigenen Zwecke mißbrauchten und ihnen - "supercherie scélérate" dieser "perfides protecteurs" - die versprochene Freiheit vorenthalten würden. 62 Ebenso rasch wie Toussaint den Norden für die Spanier erobert hatte, warf er diese nun wieder hinter die alten Positionen zurück. Das war der letzte Versuch, den der Osten unternahm, um den Westen zurückzugewinnen und die ursprüngliche Einheit der Insel wiederherzustellen; Grenzüberschreitungen sollten künftig von Westen nach Osten erfolgen, inspiriert von demselben Ideal der "île une et indivisible". Eine in diesem Sinne oder auch nur als Rachefeldzug gegen die "perfiden" Spanier denkbare militärische Aktion aber erübrigte sich (zumindest vorerst), denn zu dem Zeitpunkt, da Toussaint Spanier wie Engländer aus SaintDomingue vertrieben und durch den Aufbau einer kampfstarken und disziplinierten Truppe das Fundament für seinen Aufstieg zum Generalgouverneur gelegt hatte, wurde Santo Domingo durch die im Friedensvertrag von Paris erfolgte spanische Verzichterklärung seinerseits französisch, wodurch - allerdings
27 nur nach dem Verständnis des Westens, nicht dem des Ostens - das politische Schicksal beider Teile der Insel künftig untrennbar verknüpft war. In Santo Domingo bewirkte die Nachricht von dem "abandono" der Madre Patria zunächst einen Sturm des Protests 63 und, da dieser nichts bewirkte, eine Welle der Emigration, die geradezu einem Aderlaß gleichkam. 64 Die Vereinbarung zwischen Frankreich und Spanien sah vor, daß innerhalb eines Jahres - die Frist wurde mehrfach verlängert - jeder Spanier unter Mitnahme seiner beweglichen Habe die Kolonie verlassen und sich mit Unterstützung von amtlicher Seite in den anderen spanischen Besitzungen niederlassen konnte. Diese Möglichkeit nutzten vorrangig die Kolonialbeamten sowie jene, die über Sklaven verfügten und fürchten mußten, diese nach der Abschaffung der Sklaverei in Saint-Domingue bei der offiziellen Übergabe Santo Domingos an Frankreich einzubüßen. So emigrierten neben vermögenden hateros und hacendados auch Angehörige der kleinen städtischen Mittelschicht und jener Kreis von Personen, der sich durch die Vermietung von ein oder zwei Sklaven ernährte: vorwiegend Weiße, die von ihren Sklaven, nach spanischem Gesetz Teil ihrer beweglichen Habe, freiwillig oder unter Zwang begleitet wurden. Die Frage der Sklaverei und eines möglichen Übergreifens der Ereignisse von der Nachbarkolonie hatte in Santo Domingo seit Ausbruch der Konflikte in allen Teilen der Bevölkerung zu erheblicher Unruhe geführt. Gleich nach dem Sklavenaufstand 1791 in Saint-Domingue hatte der spanische König dem Gouverneur aufgetragen, mit Hilfstruppen aus Venezuela, Kuba und Puerto Rico an der Grenze einen cordon sanitaire zu errichten, um zu verhindern, daß der revolutionäre Funke auf Santo Domingo übersprang. Diese Maßnahme hatte sich insofern als unwirksam erwiesen, als sie zwar das Einsickern aufrührerischer Elemente, nicht aber die Verbreitung von Nachrichten unterbinden konnte. Seit 1791 war es so, angefacht durch das Beispiel der Nachbarkolonie, auf zahlreichen Plantagen zu Aufständen gekommen, die allerdings sehr schnell niedergeschlagen worden waren und zu keinem Zeitpunkt die innere Ordnung in Santo Domingo gefährdet hatten. Doch die Nachricht von der Abschaffung der Sklaverei durch die Republik, die nach französischem Verständnis automatisch auch für den nun französischen Osten wirksam wurde, führte zu einem erheblichen Widerstand gegen die Deportation der Sklaven und provozierte schließlich die Intervention Toussaints, der die vom französischen Gouverneur in Port-auPrince stets hinausgezögerte Übernahme im Januar 1801 durch seinen Einmarsch in Santo Domingo faktisch vollzog. 65 Die wichtigste politische Entscheidung Toussaints war die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung, die sich aus je zwei Mitgliedern der drei
28 westlichen und zwei östlichen Departements zusammensetzte und - ohne Zustimmung Frankreichs - 1801 eine für das gesamte Territorium gültige Verfassung verabschiedete. Diese orientierte sich im wesentlichen an den Prinzipien der französischen Verfassung von 1789 und verfügte neben der Abschaffung der Sklaverei die Rechtsgleichheit aller, "quelle que soit sa couleur", mit der konkreten Maßgabe, daß somit auch der Zugang zu allen öffentlichen Ämtern jedem offen stand. 66 Mit der neuen Verfassung favorisierte Toussaint die soziale Integration der ehemaligen Sklaven ebenso wie der städtischen Mittelschicht. Er suchte aber auch die Allianz mit der Oligarchie, indem er durch die Abschaffung von Exportzöllen den Außenhandel wiederbelebte und - im Widerspruch zur Verfassung, welche die individuelle Freiheit garantierte - durch die Zwangsverpflichtung der ehemaligen Sklaven eine intensive Agrarwirtschaft förderte. Nach dem wirtschaftlichen Kollaps, den die massive Emigration gerade der produktivsten Kräfte der Kolonie nach der Abtretung an Frankreich, den devastaciones von 1605/6 durchaus vergleichbar 67 , bewirkt hatte, erlebte der Osten einen ungeahnten Aufschwung. 68 Doch der so vielversprechende Neuanfang wurde abrupt gestoppt, als (wieder einmal) europäische Interessen intervenierten: die Ambitionen Napoleons, für die Kolonien das Ancien Régime wiederherzustellen, was die Konfrontation mit Toussaint, der mit der Verfassung von 1801 eine weitgehende Autonomie und die eigene Herrschaft als Gouverneur auf Lebenszeit institutionalisiert hatte, unausweichlich machte. Das von Napoleon Ende 1801 auf den Weg geschickte etwa 43.000 Mann starke Expeditionskorps unter General Leclerc scheiterte kläglich. Diesem gelang zwar, die Rivalitäten unter den schwarzen Generälen zu nutzen und Toussaint zu entmachten; doch als er die Auflösung der Truppen verfügte, leisteten diese Widerstand und kämpften nunmehr für die Unabhängigkeit, die nach einem mörderischen Feldzug 69 und der Ende November 1803 erfolgten Kapitulation der Franzosen am 1. Januar 1804 proklamiert wurde. Für das ehemals spanische Santo Domingo hatte Napoleon die Inbesitznahme durch Toussaint für null und nichtig erklärt und die militärische Sicherung einem kleineren Truppenkontingent überantwortet, das nach der Kapitulation, nach napoleonischem Verständnis allein für den Westteil vollzogen, nunmehr im Ostteil unter dem Kommando des Generals Ferrand den Restbestand des französischen Saint-Domingue zu halten suchte. In seinen Instruktionen an Leclerc hatte Napoleon verfügt, daß im Ostteil - im Gegensatz zum Westteil - die Befreiung der Sklaven wieder rückgängig gemacht wurde, und so gewann Ferrand sehr schnell die Unterstützung der hateros und Plantagenbesitzer, die über eine
29 größere Zail von Sklaven verfügt hatten und diese 1802 wieder in ihren Besitz rückführen konnten. Diese Oligarchie von Großgrundbesitzern konzentrierte sich auf da südliche Departement Ozama mit seinem Zentrum Santo Domingo und setzte or allem auf den Überseehandel mit Edelhölzern, Kaffee und anderen "Kolonalwaren". Im Departement Cibao mit seinem Zentrum Santiago hingegen, wo kleine und mittlere Agrarbetriebe vorherrschten und die Sklaverei keine heraisragende Funktion besaß, wo überdies die Handelsinteressen sich gen Wester orientierten, konnte Ferrand zu keinem Zeitpunkt Fuß fassen. Hier etablierte sch eine vom Süden unabhängige lokale Administration, die entsprechend len anders gelagerten Traditionen und Interessen gegenüber dem nunmehr urabhängigen Nachbarn Haiti auch eine andere Politik betrieb. Jean-Jaaues Dessalines, der als einer der führenden Generäle zur Entmachtung loussaints beigetragen hatte und nach dem Sieg über die Franzosen von den eijenen Generälen zum ersten Staatschef Haitis ernannt worden war, verfügte wchl über die militärischen, nicht aber über die politischen Fähigkeiten Toussaints. Als kurz nach der Unabhängigkeitserklärung die vecinos von Santiago um dii Eingliederung des Cibao in die Republik ersuchten, forderte Dessalines die Zahlung einer hohen Kriegsabgabe und versäumte es, das dann doch nicht mehr ;o eingliederungswillige Departement administrativ und militärisch zu sichern. Jnd als er ein Jahr später mit einem Heer von über 20.000 Mann im Osten einmirschierte, um diesen wieder mit dem Westen zu vereinigen 70 , nach Sichtung eiier französischen Flotte, die nach seiner (irrtümlichen) Meinung Kurs auf Pot-au-Prince nahm, seine Truppen aber wieder abzog, um das eigene Territorium zu sichern, befahl er, nachdem er seinen Irrtum erkannt hatte, von Rassenhaß ind Rachsucht geblendet, den bereits abziehenden Truppen Plünderung und Missaker an einer Bevölkerung, die er in Verkennung der pro-haitianischen Tendeizen mit den verhaßten Franzosen gleichsetzte. Nach Desialines war die Angliederung an Haiti in Santo Domingo zunächst kaum noch eine mehrheitsfähige Alternative zur Herrschaft der Franzosen. Widerstand :rwuchs diesen aber aus dem Kreis der Oligarchie, die mit Haiti ebenso wie nit Frankreich kollaboriert hatte, sich aber weiterhin als Spanier definierte und 1808/9 - in Spanien tobte der Unabhängigkeitskrieg gegen die napoleonischer Besatzungstruppen - mit Unterstützung aus Puerto Rico sowie von England und Haiti unter der militärischen Führung von Juan Sánchez Ramírez, einem vermögenden hatero, Santo Domingo für Spanien zurückeroberte. Die Franzosen kipitulierten im Juli 1809; die Bedingungen wurden aber mit den anwesenden englischen Truppen ausgehandelt, und die Hauptstadt wurde nach fast einjährijer Belagerung an diese übergeben. Somit war Santo Domingo,
30 wenn auch nur in einem kurzen Zwischenspiel, von den Engländern besetzt, die an einer Übernahme der mittlerweile wieder ruinierten Kolonie jedoch kein Interesse zeigten und sich ihre Hilfeleistung lieber mit Handelsprivilegien entlohnen ließen. Die Reconquista, so die in der dominikanischen Geschichtsschreibung übliche Bezeichnung für ein Ereignis, das angemessener als Restauración zu bezeichnen wäre, brachte Spanien ungewollt und widerstrebend erneut in den Besitz einer Kolonie, die für die Metropole ohne jeden Wert war und die von dieser auch kaum mehr Förderung erwarten konnte, als ihr in der Vergangenheit zuteil geworden war. Diese Förderung erschöpfte sich während dieser von dominikanischen Historikern despektierlich als "España boba" apostrophierten Epoche in der Etablierung eines unfähigen und korrupten bürokratischen Apparats, der vornehmlich mit Europa-Spaniern oder peninsulares besetzt wurde und die einheimischen Kreolen aus ihren Posten verdrängte. Desillusion und Frustration machten sich breit unter denen, die der neuerlichen Angliederung an Spanien das Wort geredet hatten. Massiver und bewaffneter Widerstand aber kam von anderer Seite: von den wieder der Sklaverei unterworfenen Schwarzen auf den großen Plantagen und von den freien Farbigen, Schwarzen wie Mulatten, die der noch kleinen aufstrebenden Mittelschicht angehörten und denen selbst die liberale, 1812 von den Cortes in Cádiz verabschiedete Verfassung die Bürgerrechte vorenthielt. Diese die Mehrheit repräsentierenden Sektoren der Bevölkerung - und hier zeigte sich, daß die Erinnerung an Toussaint weit mächtiger war als die Erinnerung an Dessalines - befürworteten die Angliederung an das unabhängige Haiti, nach ihrer Einschätzung der einzig gangbare Weg, die rechtliche und soziale Diskriminierung zu überwinden. Mehrere zunächst noch lokal begrenzte Verschwörungen und Aufstände scheiterten, doch ab 1820 gewann die Bewegung an Breite und Durchsetzungskraft, unterstützt auch durch die geschickte Agitation der Haitianer selbst. Für diese erschien der Moment der neuerlichen Vereinigung überaus günstig: Die nach dem gewaltsamen Tod von Dessalines erfolgte Spaltung in das (spätere) Kaiserreich Haiti im Norden unter Henri Christophe und die Republik Haiti im Süden unter Alexandre Pétion wurde 1820 nach dem Tod von Henri Christophe überwunden; und Jean-Pierre Boyer, der Nachfolger Pétions, konnte nicht nur militärisches Prestige, sondern auch wirtschaftliche Potenz, insbesondere florierende Handelsbeziehungen mit England und den USA, in die Waagschale werfen. Im November des Jahres 1821 erklärten zunächst in den nördlichen Grenzregionen mehrere Städte ihren Anschluß an Haiti, und es war abzusehen, daß sich
31 die Bewegung ausweiten würde und das Ende der spanischen Herrschaft in Santo Domingo bevorstand. Letzteres zu verhindern, mochte denen, die ursprünglich die spanische Herrschaft favorisiert hatten, kaum möglich oder auch nur wünschenswert erscheinen; den Anschluß an Haiti aber galt es unter allen Umständen zu unterbinden. Und so wurde am 1. Dezember 1821 als einzig mögliche Alternative die Unabhängigkeit erklärt. Initiator dieses Unternehmens, das bei der Bevölkerung auf keinerlei Resonanz stieß und in die dominikanische Geschichte als Independencia efímera eingegangen ist, war ein führendes Mitglied der kolonialen Verwaltungselite: José Núñez de Cáceres, der mit der Unabhängigkeitsbewegung auf dem südamerikanischen Kontinent sympathisierte und den neu gegründeten Staat Spanisch-Haiti, "Estado Independiente de la Parte Española de Hayti", der Republik Groß-Kolumbien anzugliedern suchte. Diese hatte sich im Mai 1821 durch den Zusammenschluß von Venezuela, Neu-Granada (Kolumbien) und Quito (Ekuador) konstituiert, war aber noch zu sehr durch interne Konflikte absorbiert, als daß sie Núñez de Cáceres und seinem Ansinnen Beachtung schenken oder gar Unterstützung hätte gewähren können. 71 Der Plan, mit der Loslösung von Spanien die pro-haitianische Bewegung einzudämmen, schlug fehl. Von den Grenzstädten im Norden über den Cibao bis in den Osten und den Süden wuchs die Zahl der Kommunen, in denen als Zeichen eines eindeutigen kollektiven politischen Willens die haitianische Flagge gehißt wurde, und selbst in Santo Domingo mehrten sich vornehmlich innerhalb der Handelsbourgeoisie die Stimmen derer, die angesichts der zu erwartenden Ankurbelung des Außenhandels den Anschluß an Haiti befürworteten. Núñez de Cáceres blieb nur die Einsicht in das Scheitern seines Projekts. Und so sandte er, bevor Boyer mit einem Heer von 12.000 Mann - "no como conquistador" 72 , wie er unter Hinweis auf die ihm vorliegenden Anschlußerklärungen versicherte nach Santo Domingo zog, diesem ein Schreiben, in dem er erklärte, daß der Magistrat und die militärischen Befehlshaber einstimmig beschlossen hätten, "de se ranger sous les Lois de la République d'Haïti et d'en arborer le pavillon en cette ville, ne doutant point de trouver dans leur digne Président le frère, l'ami et le père qui offre de les embrasser tous en paix et de les rendre heureux" 73 . Als Boyer am 9. Februar 1822 in Santo Domingo einzog, wurde ihm in aller Form die Stadt übergeben: "comme pour signifier", wie es in dem von Boyer und Núñez de Cáceres unterzeichneten Protokoll heißt, "qu'elle se rangeait sous sa domination ainsi que le territoire dont elle est la capitale". Núñez de Cáceres hielt eine Rede "analogue aux circonstances", in der er Seiner Exzellenz, dem Präsidenten der Republik, das Wohl der "Haïtiens qui s'incorporaient à la Répu-
32 blique" ans Herz legte; dieser antwortete mit der Versicherung seines größten Wohlwollens gegenüber seinen "nouveaux concitoyens"; und nach den Beifallsbekundungen und Hochrufen der Anwesenden ging man gemeinsam in die Kathedrale, um einem Tedeum beizuwohnen "qui fut chanté solennellement en action de grâces pour l'heureux événement de cette journée". 74 Als "glückliches Ereignis" mochte Núñez de Cáceres, der kurz darauf mit seiner Familie emigrierte, die Übergabe Santo Domingos an Haiti gewiß nicht empfunden haben, doch entsprach sie einem mehrheitlichen politischen Willen und wurde in einer Form vollzogen, die einer "ocupación", wie die offizielle dominikanische Sprachregelung für dieses Ereignis behauptet, widerspricht. 75 So waren denn auch die Erwartungen an den neuen Status als haitianische Staatsbürger immens - Erwartungen, die aufgrund interner wie externer Faktoren nicht erfüllt werden konnten. Die ersten von Boyer verfügten, auf eine grundlegende Umgestaltung und Integration der Gesellschaft abzielenden Maßnahmen beinhalteten die politischrechtliche Gleichstellung des Ostens mit dem Westen, wodurch automatisch die von Núñez de Cáceres aufrechterhaltene Sklaverei abgeschafft und allen dieselben Bürgerrechte zuerkannt wurden. Mit der Angleichung an das französisch inspirierte haitianische Rechtssystem ergaben sich nun aber auch die ersten Konflikte besonders im Agrarbereich, da das haitianische Eigentumsrecht das in Santo Domingo vorherrschende Prinzip der tierras comuneras nicht vorsah. Der Staat verlangte nun den Nachweis von Besitztiteln, der in der Regel nicht erbracht werden konnte, und überführte als herrenlos deklariertes, ungenutztes oder konfisziertes Land - das der Emigranten und der Kirche - in Staatseigentum, um es dann neu zu vergeben. Nutznießer dieser Umverteilung sollten vor allem die ehemaligen Sklaven und landlosen Campesinos sein; aufgrund der weithin ungeklärten Besitzverhältnisse und der bürokratischen Prozedur verzögerte sich die Landvergabe jedoch erheblich, was den Campesinos, die mit dem so unkomplizierten System der tierras comuneras vertraut waren, nicht unbedingt als Fortschritt erscheinen mußte. Ein zusätzlicher Konflikt ergab sich aus dem Bemühen um wirtschaftlichen Aufschwung, der nur über eine Ausweitung der Agrarproduktion speziell für den Export erreicht werden konnte. Dies bedeutete eine Zurückdrängung der Viehund Subsistenzwirtschaft in den traditionellen hatos zugunsten einer intensiven Bodennutzung in größeren Betriebseinheiten, was wiederum Zwangsmaßnahmen wie die Verpflichtung auf den Anbau bestimmter Produkte und für die landlosen Campesinos die Arbeitsverpflichtung auf den Hazienden nach sich zog.
33 Es gelang zweifellos, ein bemerkenswertes Wachstum im produktiven Sektor und im Außenhandel zu erzielen, von dem vor allem die städtische Bevölkerung und nicht zuletzt die Oligarchie profitierten. Hier aber zeigte sich in besonders markanter Weise, wie schwer es fiel, die so unterschiedlichen kulturellen Traditionen miteinander zu versöhnen und eine Sprach- und Bildungspolitik durchzusetzen, die der französischen Sprache und der Assimilierung an die französisch geprägte haitianische (Elite-)Kultur absoluten Vorrang einräumte. Zu diesen internen Konfliktpunkten trat ein Faktor hinzu, der, von außen induziert, die haitianische Wirtschaft und Gesellschaft in eine Krise stürzte, welche im ehemals spanischen Teil den ohnehin wachsenden Unmut verstärkte und den Ablösungsprozeß beschleunigte. 1825 erklärte sich Frankreich nach langem Zögern bereit, die Unabhängigkeit Haitis völkerrechtlich anzuerkennen, dies jedoch nur gegen eine Entschädigungssumme für verloren gegangenes Eigentum französischer Staatsbürger in Höhe von 150 Millionen Francs, die in fünf jährlichen Raten zu zahlen waren. Eine solche Summe aber war aus eigenen Mitteln nicht aufzubringen, und so geriet die haitianische Regierung, die bereits bei der ersten Rate auf Kredite zurückgreifen mußte, dermaßen in Bedrängnis, daß beständig Steuern und Abgaben erhöht und auch die östlichen Departements verstärkt belastet werden mußten. Diese aber vermochten nicht einzusehen, warum sie für Verluste aufkommen sollten, die sie nicht verursacht hatten. 76 1838 erreichte die haitianische Regierung eine Herabsetzung der Entschädigungssumme auf 60 Millionen Francs, zahlbar in 30 Jahren. Doch zu diesem Zeitpunkt befand sich das Land bereits in einer schweren Wirtschaftskrise, die von einer politischen Krise begleitet wurde. Die Liberalen im Parlament verlangten gegenüber dem autokratisch regierenden Boyer das Mitspracherecht, welches ihnen die Verfassung garantierte, er ihnen aber verweigerte; und die Deputierten der östlichen Departements nutzten die "Reformbewegung", um ihrerseits die Anerkennung spezifischer Eigeninteressen durchzusetzen. In der "Revolution von 1843" wurde Boyer gestürzt, und das zunächst entstehende Machtvakuum begünstigte die Entwicklung im Osten, wo seit längerem separatistische Bestrebungen an Boden gewannen. Die Oligarchie plädierte für eine neuerliche Angliederung an eine europäische Großmacht: Spanien, England oder Frankreich, die Präferenzen waren hier nicht eindeutig festgelegt. Zum ersten Mal hatte sich aber auch eine Gruppe konstituiert, die entschieden für die Unabhängigkeit eintrat: junge Intellektuelle, die der städtischen Mittelschicht angehörten und sich, inspiriert vom europäischen Liberalismus, 1838 unter der Federführung von Juan Pablo Duarte in einer patriotischen Geheimgesellschaft, der "Sociedad de los Trinitarios", zusammengeschlossen hatten. Die Bewegung
34 war die einer weißen, zutiefst in der spanischen Tradition verwurzelten Minderheit; und wenn auch Rosa Duarte, die Schwester des Anführers der Bewegung, in ihrer den Bruder wie die Trinitaria verklärenden Chronik als "uno de los grandes principios fundamentales de nuestra asociación política" die "unidad de la raza" betont 77 , gibt es doch zeitgenössische Hinweise darauf, daß nicht wenige Mitglieder rassistischem Gedankengut verpflichtet waren und unter der Bevölkerungsmehrheit von Schwarzen und Mulatten viele der Bewegung mit Argwohn oder gar Ablehnung gegenüberstanden. 78 In Port-au-Prince war man noch überzeugt, durch eine militärische Intervention den separatistischen Bestrebungen entgegentreten zu können. Im März 1843 zog Rivière Hérard als Oberkommandierender der Streitkräfte mit einer Armee von 30.000 Mann gen Osten. Es gelang ihm zwar, zahlreiche Mitglieder der Trinitaria, unter ihnen Juan Pablo Duarte, zu verhaften und ins Exil zu schicken, doch angesichts der politischen Ereignisse im Westen zog er seine Armee zurück und begab sich eiligst nach Port-au-Prince, um seinen Anspruch auf die Nachfolge Boyers geltend zu machen. Mit Francisco del Rosario Sánchez, dem Nachfolger Duartes an der Spitze der Trinitaria, gelang es schließlich, die separatistischen Bestrebungen der Oligarchie zu kanalisieren und diese von der Tragfähigkeit des Projekts einer unabhängigen Republik - zumindest vorerst - zu überzeugen. Am 27. Februar 1844 erfolgte mit einem Staatsstreich die Gründung der "Dominikanischen Republik". Bereits sehr bald aber zeichnete sich ab, daß innerhalb der Junta, die zunächst die Regierungsgeschäfte übernahm, die liberalen Positionen zurückgedrängt wurden und selbst die Frage der Unabhängigkeit noch keinesfalls entschieden war, suchte man sich doch durch intensive Kontakte mit dem französischen Konsul die Möglichkeit eines französischen Protektorats gegen die Abtretung der Halbinsel Samaná offenzuhalten. 79 Duarte, Mitte März aus dem Exil zurückgekehrt, unternahm im Cibao, wo er sich durch Initiative von Matías Ramón Mella zum Staatspräsidenten ausrufen ließ, noch einen letzten Versuch, gegenüber der in Santo Domingo siegreichen Oligarchie für die trinitarios verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Die in San Cristóbal einberufene Verfassunggebende Versammlung aber ernannte als ersten Präsidenten der unabhängigen Republik Pedro Santana: als vermögender hatero aus dem Süden ein herausragender Vertreter dieser traditionellen Oligarchie und als siegreicher General, der eine neuerliche Invasion aus dem Westen abzuwehren vermochte, mit einem Prestige behaftet, das ihm erlauben sollte, die Geschicke des Landes über die nachfolgenden 20 Jahre wesentlich zu bestimmen.
35 Santani regierte als verfassungsmäßig abgesicherter Diktator 80 - ebenso wie Buenaveitura Báez, vermögender hatero aus dem Osten, der zunächst Santanas Gefolgsnann war und dann sein Rivale wurde. Von 1844 bis 1861 war mal der eine, mal der andere Präsident einer Republik, in der Gewalt gegen den politischen Gegner an der Tagesordnung war und sich demokratische Traditionen kaum heausbilden konnten. Santana stützte sich auf lokale Milizen und ein Heer von Offizieren - 1861 gab es allein 57 Generäle im aktiven Dienst 81 - , dem sämliche Schlüsselpositionen eingeräumt wurden; Báez hingegen suchte sich eine Kamarilla dadurch zu verpflichten, daß er sie durch ökonomische Privilegien d e r schlicht durch betrügerische Manipulationen wie etwa willkürliche Emissiontn von Papiergeld begünstigte. Im Zusimmenhang mit einem solchen großangelegten Schwindel, der 1857 im Cibaoden gesamten Tabakhandel ruinierte, kam es dort zu einem Aufstand und zur Bldung einer Gegenregierung, die eine liberale Verfassung verabschiedete, von Santana, gegen Báez zu Hilfe gerufen, aber sehr schnell wieder gestürzt wurie. Santana blieb gegenüber Báez im Vorteil. Nach der Abwehr neuerlicher Invisionen aus dem Westen 1849 und 1855 war sein militärisches Prestige ungebrochen, und er vermochte schließlich mit nicht geringem Rückhalt in der Bevölkerung das durchzusetzen, was als Alternative zur Unabhängigkeit diese seit Grindung der Republik beständig in Frage gestellt hatte: der Anschluß an eine anden Macht und damit die bewußte Aufgabe der Souveränität. Als Be6:'2f. 33 Cassá 1986-87:1,9$. 34 Etwa zur selben Z:it, um 1670, kam - nachdem lange keine Sklaven mehr geliefert worden waren - in Saito Domingo eine Schiffsladung mit 400 nur für Hispaniola bestimmten Sklaven an; doch leibst in den fünf Monaten, in denen das Schiff in Erwartung von Käufern im Hafen lag, konnten nur 140 verkauft werden. (Deive 1980:1,137). 35 Zum sozialen Typus des montero als Verkörperung der (ländlich geprägten) canidad vgl. Kap. 1.2.
domini-
36 Vgl. hierzu Peña Eatlle 1988b, der ausführlich aus zeitgenössischen Berichten zitiert. 37 Vaissière 1909:19. 38 Charlevoix 1730-31:11,128. Von den für 1681 genannten 7.848 Personen stand laut Charlevoix mehr as die Hälfte unter Waffen. 39 Die Grenze bildeten die Flüsse Dajabón (oder Masacre) im Nordeji und Pedernales im Süden, die Grenzziehung im Zentrum blieb jedoch ungeklärt. Das Territorium des französischen Teils umfaßte so etwa ein Drittel, das des spanischen Teils zwei Drittel der Gesamtfläche von Hispaniola. 40 Bosch 1988:11. 41 Derselbe Erzbischof, Fernando Carvajal y Rivera, benannte ein sprechendes Indiz für die von ihm so sehr beklagte Armut seiner Gemeinde, wenn er berichtete: "Celébranse los dias de precepto misas de noche, mucho antes de amanecer, porque de no ser así, se quedarán sin oiría las dos tercias partes de la gente de ambos sexos, por no tener vestidos decentes en la ciudad, donde todos son conocidos." (Brief vom 10.8.1690; zitiert nach Rodríguez Demorizi 1942-57:111,75) Dieses Faktum wird von Charlevoix (1730-31:1,482) bestätigt; und er fügt hinzu: "Telle était la situation, où se trouvoit la première, & la Mere de toutes les Colonies Espagnoles de l'Amérique [...]" 42 Moya Pons 1986:36f. und Tabellen. 43 Deive 1980:11,607f. 44 Diese Zahlungen waren bei Personen ohne Vermögen oder regelmäßiges Einkommen häufig die einzige Einnahmequelle; dies galt insbesondere für Witwen oder auch die minder bemittelten Orden. 45 Sánchez Valverde I988:253f. 46 Zum Wert der französischen Kolonie auf Hispaniola, "aquella menor e inferior porción de terreno", macht Sánchez Valverde detaillierte Angaben. Den Gesamtwert der regulären Exporte in das Mutterland beziffert er für das Jahr 1776 auf 12.783.887 pesos fuertes
40 (plus 1/5 oder 1/6 des Wertes über Schmuggelhandel). Noch eindrucksvoller ist die Bilanz der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Kolonie für das Mutterland nach Aussage eines von ihm zitierten französischen Autors: '"Esta poderosa Colonia en una Isla cuyos dos tercios ocupa la Nación Española, trae en continua fatiga las tres quartas partes de los Navios Mercantes de la Metrópoli, dá que hacer por lo menos a la quarta parte de nuestras Manufacturas, saca del Estrangero un numerario increíble y forma la mayor parte de la Marina Francesa.'" Und Sánchez Valverde beschließt seine Betrachtungen mit der (zutreffenden) Erkenntnis: "De todo lo quai concluye que la Nación Francesa, sin exageración alguna, se utiliza más de sus Colonias en aquella Isla, que la nuestra de todo el Continente." (1988:235-238). 47 Malagón 1974:184-86. 48 Vgl. hierzu Malagón 1974, Einführung. 49 Malagón 1974:177. 50 Mir 1981-83:1,197. 51 Manuel Godoy: Memorias', zitiert nach Rodríguez Demorizi 1955:13,Anm. 52 Mir 1981-83:1,224. 53 Troncoso Sánchez 1985:21. 54 Brief eines gewissen Rouvray vom Dezember 1783; zitiert nach Vaissière 1909:230. Zur explosiven Bevölkerungsstruktur in Saint-Domingue am Vorabend der Revolution finden sich bei zeitgenössischen Autoren relativ übereinstimmende Angaben. Moreau de Saint-Méry, dessen Description [...] de la partie française de l'Isle Saint-Domingue 179798 erschien, aber bereits 1789 abgeschlossen war, spricht von 40.000 Weißen, 28.000 affranchis oder gens de couleur und 452.000 Sklaven, was nach seiner Kalkulation folgende Relation ergibt: "onze esclaves trois dixièmes pour un blanc; dix blancs pour sept affranchis, et seize esclaves pour un affranchi." ( 1958:1,28f.) Vaissière ( 1909:153,Anm. 1,2) nennt unter Bezugnahme auf eine Erhebung von 1788 die folgenden Zahlen: 27.717 Weiße, 21.808 gens de couleur und 405.564 Sklaven. Da, wie er selbst annimmt, von den Sklavenhaltern aus steuerlichen Gründen unzureichende Angaben gemacht wurden, da überdies von 1788 bis 1789 die Bevölkerung wiederum beträchtlich anwuchs, bestätigt er indirekt die Zahlen von Moreau für das Jahr 1789. Neuere Autoren gehen von weit höheren Zahlen aus, etwa Madiou (1904:1,42), der von 46.000 (= 6%) Weißen, 56.666 (= 7%) libertos oder gens de couleur und 709.642 (= 87%) Sklaven spricht. 55 Etienne D. Charlier; nach Cordero Michel 1968:29. 56 Price 1900:VII. 57 Seit den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts flüchteten Sklaven aus dem Westteil in den Ostteil der Insel; allein während des Jahres 1720 waren es 1.000, und 1751 betrug ihre Zahl mindestens 3.000. (Vaissière 1909:235) Ein Teil floh in die Bergregion des Bahoruco, um sich dort als cimarrones niederzulassen, anderen wurde die Freiheit geschenkt und mit der Gründung der Stadt San Lorenzo de los Minas nahe Santo Domingo ein Siedlungsgebiet zugewiesen. Viele aber behielten ihren Status bei, um - allerdings unter erleichterten Arbeitsbedingungen - dem beständigen Mangel an Sklaven im Ostteil ohne finanzielle Belastung für ihre neuen Besitzer abzuhelfen. Zwar wurden während des 18. Jahrhunderts immer wieder neue Auslieferungsverträge ausgehandelt, bis die Frage im Vertrag von Aranjuez 1777 endgültig entschieden werden konnte, doch wurde von
41 spaniîscter Seite - gewiß nicht aus humanitären, sondern aus ökonomischen Gründen der Wepflichtung zur Auslieferung nur selten nachgekommen. (Vgl. hierzu Silié 1976::77f.). 58 Fernaind) Portillo y Torres an den spanischen König (in: Documentos 1957::II,j5 1 ).
para
Estudio
59 Mir 1'98-83:1,221. 60 Vgl. Hiiezu Deive 1980:1,198ff. - Ogé und Chavannes wurden trotz dieser formalen Zusage maci ihrer Auslieferung im Februar 1791 in Cap Français (Cap Haïtien) hingerichtet; dies üibedies in einer Form, die den gens de couleur zur Abschreckung dienen sollte, jedoch inui eine Radikalisierung ihrer Bewegung bewirkte: "Ils furent amenés en chemise, nu pieds la corde au cou, devant la principale porte de l'église paroissiale. On plaça ensuite lunt torche ardente de cire de deux livres dans les mains de chacun d'eux. Puis, à haute vox, on les obligea à confesser leurs crimes, à en demander pardon à Dieu, au Roi et à lia Jistice. Alors ils furent conduits sur la place d'armes où était dressé l'échafaud flanquié ce deux immenses roues. Chacune des victimes fut liée à une roue, face au soleil. Elles ireçirent chacune de nombreux coups de barres de fer jusqu'à ce que leurs os fussent rompuis a qu'ils rendissent le dernier soupir." (Price-Mars 1953:1,21). 61 James 1S84:143. 62 Toussain an Laveaux am 18.5.1794 (in: Schoelcher 1982:99). 63 Hierzui d:r Kommentar eines zeitgenössischen englischen Chronisten, William Walton: "In j u s t i c to the Dominican people it may be said, that none of the spanish settlements possess more of that amor patriae which ought to distinguish loyal subjects; they received the news as a thunder bolt, and the country presented an universal scence of lamentation." (1810: 188) Vgl. auch ein Schreiben des Erzbischofs von Santo Domingo, Fernando Portillo y Terres, vom 24. 10. 1795 (in: Documentos para Estudio 1957:I,53ff.) - Ein angesichts (des geringen Engagements, das die Metropole über Jahrhunderte für ihre Kolonie aufgebracht hatte, für diese überaus gewichtiges Argument, mit dem die Abtretung an Frankreici als nicht rechtsgültig zurückgewiesen wurde, war die Tatsache, daß sie selbst nicht gefragt worden war. Indem aber die vecinos von Santo Domingo nach der Einnahme der Stadt durch Francis Drake 1586 nicht nur ausgeplündert, sondern auch gezwungen worden waren, diese durch die Zahlung einer hohen Geldsumme zurückzukaufen, hitten sie auch den Anspruch erworben, gewissermaßen als Mitbesitzer in der Frage einer möglichen Veräußerung konsultiert zu werden. (Troncoso Sánchez 1985:22) Auch hierzu noch einmal der bereits zitierte William Walton: "[...] they argued the cession as illegal [...] for when it was captured, and in possession of Sir Francis Drake, they ransomed and purchased it back for 60,000 dollars, a fund raised by the aggregate jewels of their wives and daughters, and by them considered equal to the claim of discovery, on which alone the government in Europe founded their title, for the expenses incurred, had been fully repaid out of its own bowels." (1810:188f.)64 Über die Zahl der Auswanderer gibt es keine verläßlichen Angaben. Im Zusammenhang mit den Transportproblemen, die sich aus der massiven Abwanderung ergaben, und der daraus folgenden Notwendigkeit einer Verlängerung der gesetzten Frist äußerte der spanische Gouverneur, Joaquín García, am 14.7.1797 in einem Brief an Godoy, daß von der Gesamtbevölkerung "de mas de cien mil almas" möglicherweise ein Drittel emigrieren würde. (In: Rodríguez Demorizi 1958:219) Moderne dominikanische Autoren wie Cassá
42 ( 1986-87:155) halten derartige Angaben für zu hoch gegriffen. Moya Pons ( 1 9 8 6 : 3 8 ) hingegen kalkuliert, ausgehend von der Bevölkerungsentwicklung vor 1795 und der Erhebung von 1819, daß in diesem Zeitraum zwischen 35 und 5 0 % der Bevölkerung emigriert sein müssen. 65 Die Gründe für diese Verzögerung werden im wesentlichen darin gesehen, daß Port-auPrince kaum über (weiße) Soldaten aus der Metropole verfügte und Napoleon, seit 1799 Erster Konsul, Toussaint, seit 1797 Oberbefehlshaber der französischen Truppen in SaintDomingue, mit der Übernahme nicht betrauen mochte, da er dessen politischen Ambitionen - zu Recht, wie sich herausstellen sollte - mißtraute. 66 Die Verfassung ist abgedruckt in Janvier 1886:1; hier S.8. 67
So die Einschätzung von Mir (1981-83:1,22).
68 Das Wirken Toussaints während der gerade ein Jahr dauernden Existenz der "île une et indivisible" ebenso wie die Frage seines Rückhalts in der Bevölkerung wird von den dominikanischen Historikern unterschiedlich gewertet. Nach José Gabriel Garcia, dem Nestor der traditionell vorherrschenden anti-haitianischen Geschichtsschreibung, hätte selbst die Abschaffung der Sklaverei "ni aun entre los mismos favorecidos, con mui raras escepciones" Begeisterung hervorgerufen; und die administrativen Maßnahmen hätten schließlich nur dazu beigetragen "â aumentar el disgusto que existia en las masas con motivo del nuevo órden de cosas, la idea terrible para todos los dominicanos de quedar sometidos al gobierno de Toussant Louverture, haciendo causa comun con los haitianos, â • los que profesaban un odio tan inveterado" (1982:1,288 und 291). Andere Autoren, insbesondere Zeitgenossen, zeichnen ein gänzlich anderes Bild: etwa Antonio del Monte y Tejada, der sich Toussaint widersetzte und mit seiner Familie emigrierte, aber nicht umhin konnte, ihn ob seiner "probidad e integridad sin igual" sowie der "solidez de su juicio y el celo infatigable con que llenaba los deberes de General y Gobernador" zu bewundern, und der bescheinigte, daß man ihm überall nur mit Respekt und Bewunderung begegnete. (1952-53:111,191 und 190). 6 9 Nach den akribisch recherchierten Berechnungen eines am Feldzug beteiligten französischen Generals waren allein während der ersten neun Monate, bis zum Tod Leclercs im Oktober 1802, 62.481 Tote zu beklagen, davon etwa 3 7 . 0 0 0 Angehörige der französischen Armee. Das Gros der Truppen fiel nicht im Kampf, sondern starb wie Ledere am Gelbfieber - nach derselben Quelle über 2 5 . 0 0 0 Mann. (Price-Mars 1953:1,33). 7 0 Die Devise Toussaints von der "île une et indivisible" hatte Dessalines in der Verfassung von
1805 verankert, und nach seinem Verständnis hatten die Franzosen nach der
Kapitulation im Westteil auch jeden Anspruch auf den Ostteil verwirkt. Der direkte Anlaß für seine Intervention aber war ein von Ferrand erlassenes Dekret. Hierin autorisierte dieser die Bewohner der Grenzregionen und die dort stationierten Truppen - "[pour] anéantir la rébellion des noirs dans la colonie de Saint-Domingue, et considérant qu'une [des dispositions] les plus efficaces pour arriver à ce but est de diminuer la population et de les priver autant que possible des moyens de se recruter" - , auf dem Territorium der "révoltés" Kinder beiderlei Geschlechts unter 14 Jahren einzufangen und als Sklaven zu verkaufen: die jüngeren für den Einsatz in den "départements fidèles", die älteren für den Export. (Price-Mars 1953:1,60ff.). 71
Vgl. hierzu einführend Buisson/Schottelius 1980:82ff und Lucena Salmoral 1992.
72 Zitiert nach Rodriguez Demorizi 1971:23.
43 73 Zitiert nach Prce-vlars 1953:1,92f. 74 Zitiert nach Prix-vlars 1953:1,95. 75 In der anti-hàtiaiisch inspirierten dominikanischen Geschichtsschreibung
besonders
während der Tiujilo-Diktatur, etwa bei Troncoso de la Concha und Pefia Batlle, wird behauptet, Nliriez de Cäceres habe die Übergabe Santo Domingos nur aus Furcht vor den Truppen B o y e s uid somit nicht freiwillig vollzogen. Dabei werden, so die Kritik von haitianischer Seite, die zahlreichen an Boyer adressierten AnSchlußerklärungen außer acht gelassen oder gar als Erfindung der haitianischen Propaganda deklariert. Diese Anschlußerklärunjen waren von der haitianischen Regierung veröffentlicht worden, als 1830 Spanien tine Mission nach Port-au-Prince entsandte, um für den Ostteil der Insel Besitzanspruch: geltend zu machen. (Nachdruck in: Price-Mars 1953:I,82ff.). 76 Dieser Standpinki wurde dadurch bestärkt, daß Frankreich allein den Bewohnern der "partie f r a n ç a i s de Saint-Domingue", wie es im Vertrag hieß, die Unabhängigkeit "zugestand" uni auch nur von diesen die Zahlung der Entschädigungssumme verlangte. (Price-Mars 19.'3:1161). 77 Duarte 1970:145. 78 Vgl. hierzu Dei'e ]980:II,576f.; Franco 1984:146f. 79 Der französisch Generalkonsul in Port-au-Prince, Levasseur, hatte bereits seit 1843, wie aus seiner Kornspondenz hervorgeht (in: Price-Mars 1953:II,45ff.), in dieser Hinsicht besondere Aktivitit entfaltet. Von der haitianischen Regierung versuchte er, im Zusammenhang mit den Verhandlungen um einen A u f s c h u b der Entschädigungszahlungen die Abtretung von Môle Saint-Nicolas im Nordwesten und Samanâ im Nordosten zu erzwingen; und den "bpagnols haïtiens", deren Separationsbestrebungen ihm wohlbekannt waren, suggerierte ;r, daß sie nur dann Erfolg haben könnten, wenn sie sich unter den Schutz Frankreichs Stelen würden. Für die Haitianer war das Ansinnen Levasseurs unannehmbar, fürchteten se doch einen neuerlichen Versuch von seilen der ehemaligen Metropole, ihre so lukrative Kolonie zurückzuerobern. In Santo D o m i n g o hatte Levasseur dann aber bei der ersten legierungsjunta der nunmehr unabhängigen Dominikanischen Republik (über seinen dotigen Amtskollegen) sehr viel mehr Erfolg. Die Junta forderte von der französischen Regierung die Entsendung von 3.000 Soldaten und erklärte sich bereit, sich unter das Proteltorat Frankreichs zu stellen und die Halbinsel Samanâ an die Schutzmacht abzutretei. Der "Plan Levasseur" scheiterte am mangelnden Interesse der Regierung in Paris; d s Außenministerium drängte - ohne j e d e rechtliche Handhabe - vielmehr darauf, die Domnikaner auf eine Beteiligung an der Haiti abverlangten Entschädigungssumme zu verpachten. 80 Zu den verfassuigsrechtlichen Fragen vgl. Kap. 2.1. 81 Cassa 1986-87:1,48.
Kapitel 2
Una nación abortada: das 19. Jahrhundert [1865-1899] Als am 11. Juli 1865 die letzten spanischen Truppen die Insel verließen, galt es, nach zwei Jahrzehnten, in denen die gegen Haiti erkämpfte Unabhängigkeit zunächst von einigen wenigen an die einstige Kolonialmacht Spanien verspielt, sodann in einer kollektiven Anstrengung von dieser zurückgewonnen worden war, einen Neubeginn zu setzen, um der Zweiten Republik eine bessere - und sicherere - Zukunft zu bescheren, als sie der Ersten Republik zuteil geworden war. Doch in den ersten Jahrzehnten gelang es kaum, dieser Zukunft - nun nicht mehr gegen den äußeren, sondern gegen den inneren Feind - eine solide Grundlage zu verschaffen; denn, so klagte 1881 Pedro Francisco Bonó, einer der führenden zeitgenössischen Intellektuellen: La sociedad dominicana vista por el lado de sus manifestaciones periódicas convulsivas, deja en el espíritu un hondo sentimiento de pesar y de tristeza. El espectáculo de un pueblo turbulento, mal avenido siempre con el Gobierno que acaba de elegir, y el de este gobierno siempre descontento con la ley que lo ha creado; del primero, conspirando o en actitud de conspirar contra el segundo, y éste demoliendo o amagando demoler las leyes que protegen al ciudadano, bajo el falaz pretexto unos y otros, de encontrar por esos rumbos, el camino de la libertad, del reposo y del orden. 1 Die Klage Bonos gegen die Regierungen, die dem Gesetz wie den politischen Institutionen wenig Achtung entgegenbrachten, war berechtigt; nicht jedoch die Klage gegen das Volk, denn dieses hatte kaum eine Chance, sich in freien Wahlen zu artikulieren und einen eigenen politischen Willen zu entwickeln oder gar durchzusetzen. Die politischen Entscheidungen oblagen einer Minderheit: Caudillos, die sich über die Vergabe von Titeln und Pfründen in einem informellen System persönlicher Bindungen und Loyalitäten einer bedingungslos ergebenen Gefolgschaft und Klientel versicherten, auf die sie zwecks Durchsetzung politischer Ziele, zum Machterwerb oder Machterhalt, jederzeit zurückgreifen konnten.
46 Der "Restaurationskrieg" hatte eine Menge Caudillos hervorgebracht, etwa die Generäle Gregorio Luperón und Ulises Heureaux, die ihren sozialen Aufstieg militärischen Erfolgen verdankten und die das Geschick der Republik bis zum Ende des Jahrhunderts - der eine als Führer der Liberalen, der andere zunächst als dessen Ziehsohn, sodann als Diktator - entscheidend mitbestimmen sollten. Überdies bewirkten die unablässigen Verschwörungen und "Revolutionen" - bis 1880 erfolgten mehr als 50 solcher (zumeist erfolglosen) Aktionen eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft, die sich etwa darin manifestierte, daß, ohne die Gefahr einer Aggression von außen, weit über zwei Drittel des ohnehin bescheidenen Staatshaushalts für militärische Zwecke aufgewendet wurden und sich die Zahl der Generäle von etwa 100 nach Ende des Krieges bis 1880 auf mehr als 700 erhöhte. Bis zum Beginn der 80er Jahre vermochten diejenigen Kräfte, die in der liberalen Tradition des Cibao eine unabhängige, fortschrittliche Nation zu begründen suchten und der Restauration zum Sieg verholfen hatten, diesen Sieg nicht in eine tragfähige Machtbasis umzuwandeln, da die politischen Differenzen oder auch persönlichen Ambitionen der lokalen und regionalen Caudillos ein gemeinsames Vorgehen verhinderten. Nutznießer dieser Zersplitterung der liberalen Kräfte war Buenaventura Báez, der sich während der Ersten Republik als Gegenspieler von Pedro Santana durch geschickte Patronatspolitik eine Kamarilla aufgebaut hatte und sich nun, nach dem Tod von Santana im Süden und Osten ohne nennenswerte Konkurrenz, mit den bewährten Mitteln des politischen Terrors und der ökonomischen Vorteilsvergabe eine Machtbasis verschaffte, welche es ihm gestattete, sich immer wieder gegen die gelegentlich, in nur kurzen Zwischenspielen erfolgreiche liberale Oppositon und gegen Usurpatoren aus den eigenen Reihen durchzusetzen. Unter Báez wurden die Staatsfinanzen, aufgefüllt durch großzügige Emissionen von Papiergeld und inländische wie ausländische Kreditaufnahmen, zum persönlichen Eigentum des Präsidenten, der darauf bedacht sein mußte, seinen aufgeblähten bürokratischen Apparat zu finanzieren und seine zahlreiche Klientel zu bedienen, der aber auch nicht davor zurückschreckte, sich selbst großzügig zu bedenken. Und unter Báez sank schließlich auch der Kurs der Unabhängigkeit und Unveräußerlichkeit des nationalen Territoriums auf einen (neuerlichen) Nullpunkt. Nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, die im Nordosten gelegene Halbinsel Samaná mit der angrenzenden Bucht - gegen 1 Million US$ in Gold, 100.000 US$ in Waffen und Munition sowie den Schutz von drei Kriegsschiffen - den USA anzudienen, gelang ihm 1869 mit Präsident Ulysses Grant der Abschluß eines Annexionsvertrages, in dem die Dominikanische Republik als "parte integrante de la Unión" 2 den USA angegliedert wurde. Doch der Ver-
47 trag wurde nie ratifiziert: nicht etwa aufgrund nennenswerten Widerstands von Seiten der Dominikaner, denn die liberale Opposition mochte angesichts der Präsenz US-amerikanischer Kriegsschiffe (zumindest vorerst) Zurückhaltung für geboten erachten, und die Mehrheit der Campesinos insbesondere des Cibao, die ohnehin Báez favorisierte 3 , mochte für die in Aussicht gestellte Stabilität und Prosperität den Verlust ihrer - bis dahin nur wenig einträglichen - nacionalidad verschmerzen. 4 Massiver Widerstand kam von Seiten des US-amerikanischen Kongresses, der sich aus Opposition zu seinem (korrupten) Präsidenten dessen Plänen verweigerte. 5 Erfolgreich war Báez schließlich nur hinsichtlich der Halbinsel Samaná, die er 1873 gegen einen Spottpreis von 150.000 US$ für 99 Jahre an ein US-amerikanisches Privatunternehmen verpachtete: ein Vertrag, der bereits ein Jahr später, nach seinem Sturz, annulliert wurde. 6 Den Sturz von Báez 1874 bewirkte eine (vorübergehende) Allianz der Liberalen mit einigen ihres Führers überdrüssigen baecistas. Doch erst 1879, nach einer neuerlichen, allerdings nur knapp über ein Jahr andauernden Präsidentschaft des Buenaventura Báez, gelang es, die Reihen der Liberalen zu schließen und über mehrere stabile, einem "liberalismo autoritario" 7 verpflichtete Legislaturperioden die eigene Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen: dies in zweijährigem Rhythmus, der den Aspirationen einer Vielzahl von Präsidentschaftskandidaten entgegenkam und ein gewisses Gleichgewicht der verschiedenen Fraktionen garantierte. Die Eintracht währte nur wenige Jahre, solange die Autorität Gregorio Luperóns, seit den Tagen der Restauration der führende Mann der Liberalen, unangetastet blieb. In seinem Protégé Ulises Heureaux, "Lilis" genannt, fand Luperón jedoch einen Widersacher, der die sozioökonomischen Veränderungen und den Wandel im Kräfteverhältnis zwischen dem Cibao und dem Süden geschickt für das eigene Machtstreben zu nutzen verstand. Der Tabakanbau im Cibao war bereits seit Beginn der 80er Jahre in eine schwere Krise geraten und drohte aufgrund der schlechten Qualität der einheimischen Produktion den deutschen Absatzmarkt zu verlieren. Zur selben Zeit war im Süden und Osten, zunächst durch die Initiative kubanischer Exilierter, sodann massiv durch US-amerikanisches Kapital, die Zuckerproduktion in einem Maße intensiviert worden, daß Zucker als Exportartikel den Tabak und Santo Domingo als Wirtschaftszentrum den Cibao sehr bald überflügelten. Heureaux hatte es verstanden, sich im Gegensatz zu Luperón und anderen Liberalen, die sich vorrangig dem Cibao verpflichtet fühlten, beizeiten den neuen Gegebenheiten anzupassen und sich der Unterstützung von Großgrundbesitz und Handelsbourgeoisie im Süden und Osten zu versichern. Und so vermochte er, nachdem er sich in einer ersten Legislaturperiode 1882 - 1884 noch an die demokratischen Spielregeln gehalten hatte, ab 1887
48 eine Diktatur zu errichten, die mit den hinlänglich bekannten Mitteln des politischen Terrors und der Klientelwirtschaft jeglicher Opposition den Boden entzog. Heureaux gelang es, die regionalistischen Bestrebungen des Cibao endgültig zu unterbinden und eine nunmehr einseitig Santo Domingo favorisierende Politik der "nationalen Einheit" durchzusetzen. Gleichzeitig wurde durch staatliche Förderung der Agrarexporte - neben Zucker auch Kaffee und Kakao 8 - sowie eine Verbesserung der Infrastruktur ein gewisser wirtschaftlicher Aufschwung erreicht, der aber im wesentlichen nur einer mit dem US-amerikanischen Kapital assoziierten Minderheit zugute kam, während die Bevölkerungsmehrheit in Subsistenz und größter Armut marginalisiert blieb. 9 Als Heureaux am 26. Juli 1899 einem Attentat zum Opfer fiel, sollte sich erweisen, daß die durch ihn bewirkte Stabilität und (partielle) Prosperität nur Scheinerfolge waren: Die Prosperität war die Folge einer einseitigen Begünstigung ausländischen Kapitals, wodurch das Land - im Verein mit exzessiver und unkontrollierter, für die Patronatspolitik des Präsidenten unverzichtbarer Kreditaufnahme - in eine bis dahin unvorstellbare Verschuldungskrise und strukturelle Abhängigkeit geraten war; und die Stabilität war nicht die der politischen Institutionen, sondern allein die Stabilität eines an die Person Heureaux' gebundenen und mit seiner Person fallenden Autoritarismus, woraufhin das Land bis zum Einmarsch US-amerikanischer Truppen 1916 erneut im Chaos politischer Fraktionskämpfe versank. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war es nicht gelungen, in der politischen und sozialen Praxis den Staats- und Nationsbildungsprozeß in Bahnen zu lenken, die in einer nahen - und besseren - Zukunft der als Solidargemeinschaft begriffenen Nation den Weg zur ersehnten Stabilität und zum erhofften Fortschritt weisen würden. In der politischen und ideologischen Auseinandersetzung aber hat es ebenso wie in der literarischen Fiktion an Projekten einer modernen Staatsbürgernation und Projektionen nationaler Identität nicht gefehlt.
2.1 Liberalismus, Patriotismus und Fortschrittsglaube: Projekte einer modernen Staatsbürgernation Die Staatsgründung 1865 erfolgte als Restauración der 1844 geschaffenen Ersten Republik, und wenn diese auch kläglich gescheitert war, so erschien es doch hilfreich oder gar notwendig, für die Legitimierung des neuen Staates und die Erarbeitung einer neuen Verfassung auf vorgängige Erfahrungen zurückzugreifen. 10 Die Filiation dieser Grundlagentexte enthüllt jedoch nicht nur das Moment der Kontinuität; sie läßt auch erkennen, daß 1844 und 1865 entspre-
49 chend den jeweiligen historischen Bedingungen Staat und Nation unterschiedlich legitimiert und definiert werden mußten. Die erste Grundsatzerklärung von 1844, das Manifest de los Pueblos de la parte del Este de la Isla antes Española o Santo Domingo, sobre las causas de su separación de la República Haytiana, proklamiert am 16. Januar, verfügte laut der Devise "Separación, Dios, Patria y Libertad" - die Trennung von Haiti und Gründung eines "Estado libre y soberano", die Freiheit der Bürger "aboliendo para siempre la esclavitud", die Gleichheit der bürgerlichen und politischen Rechte "sin atender a las distinciones de origen ni de nacimiento" und die Freiheit der Religionsausübung bei gleichzeitiger Einsetzung der "religión Católica, Apostólica, y Romana" als Staatsreligion "[que] será protegida en todo su esplendor". 11 Begründet wurde der Unabhängigkeitsakt in der zentralen Argumentationslinie durch den Verweis darauf, daß Haiti, so die Verfasser, nach dem durch Santo Domingo freiwillig, "con el fin de lograr su protección", erfolgten Anschluß die getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten und sich somit des Vertragsbruchs schuldig gemacht hätte, woraus sich für den hintergangenen Teil der Vertragspartner, "libre de sus obligaciones", das Recht und sogar die Pflicht ergeben würde, "[para] su propia conservación y [...] su bienestar futuro" die Vereinbarung aufzukündigen (449). So präsentiert sich das Manifest im wesentlichen als memorial de agravios, als Beschwerdeschrift 12 ; und Klage wurde geführt über 22 Jahre "[de] la opresión más ignominiosa", "[del] yugo más pesado y degradante que el de su antigua metrópoli" (444), in denen die haitianische Regierung mit ihrer "infernal política" (446) - "una larga serie de injusticias, violaciones y vejámenes [que] denotan el designio de reducirlo todo al despotismo y a la más absurda tiranía" (443) - das weitergesteckte Ziel verfolgt hätte, den Ostteil der Insel und seine Menschen zu zerstören und zugrunde zu richten: "¡Destruirlo todo, arruinarlo! ¡Este era el objeto de su insaciable codicia!" (445) Und in diesem Zusammenhang wurde nun auch, allerdings nur in nachgeordneter Position, ein zweites Argument für die Unabhängigkeit benannt: die "diferencia de costumbres", die einer "perfecta unión" und "armonía" entgegenstehen würde (449) und die besonders in der Frage der Sprache und der Religion gravierend war, wurden doch Sprache und Religion (korrekter: die Kirche) unterdrückt, "privándonos contra el derecho natural hasta de lo único que nos quedaba de españoles" (447). Der Verweis auf das "Spaniertum" der Dominikaner mochte neben der apostrophierten kulturellen Differenz auch eine ethnisch-rassische Differenz beinhalten; doch zeigt ein Blick in die zahllosen, das "Problem" Haiti behandelnden zeitgenössischen Zeitungsartikel, Proklamationen und Flugschriften, daß der
50 manifeste Antihaitianismus, gewissermaßen eingefroren in die griffige Formel vom "ignominioso yugo" und von der "vergonzosa esclavitud", primär soziopolitisch motiviert war. 13 Von diesem Antihaitianismus waren auch diejenigen beseelt, die während der Monate September und Oktober in San Cristóbal die neue Verfassung berieten 14 , sich jedoch nicht scheuten, in weiten Teilen auf die so geschmähte (liberale) haitianische Verfassung von 1843 zurückzugreifen 15 - allerdings mit dem bezeichnenden Unterschied, daß die dominikanische Verfassung im Namen des Dreieinigen Gottes, "autor y supremo legislador del universo", und nicht, wie die haitianische Verfassung, im Namen des "Peuple souverain" erlassen wurde. 16 Nach Artikel 1 dieser am 6. November 1844 verkündeten Verfassung konstituierten sich die Dominikaner "en nación [= Estado] libre, independiente y soberana, bajo un gobierno esencialmente civil, republicano, popular, representativo, electivo y responsable" (162). Das Territorium, in den Grenzen von 179317, wurde in fünf Provinzen aufgeteilt, und Santo Domingo wurde als Hauptstadt und Regierungssitz bestätigt. Die dominikanische Staatsangehörigkeit konnte von jedem Ausländer erworben werden, der keiner feindlichen Nation angehörte und sich als Eigentümer, vorzugsweise im Agrarbereich, niederließ. 18 Für alle galt: Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz, Garantie fundamentaler Menschen- und Bürgerrechte wie Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit oder Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern, sowie Anspruch auf Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum gegen Willkürakte der Staatsgewalt. Die rechtliche Normierung von Zuständigkeit und Funktion der Staatsorgane basierte auf dem Prinzip der Gewaltenteilung; die Legislative bildete der aus zwei Kammern bestehende Congreso National, die Exekutive der Präsident, der nach eigener Wahl die Minister ernannte und dem in Fragen der Gesetzgebung ein Vetorecht eingeräumt wurde, der aber auch - bei Amtsmißbrauch - vom Kongreß unter Anklage gestellt und seines Amtes enthoben werden konnte. Gewählt wurden die Deputierten (für sechs Jahre) und der Präsident (für vier Jahre, ohne die Möglichkeit einer sofortigen Wiederwahl) nicht in allgemeinen, direkten Wahlen, sondern durch Wahlmännergremien, wobei das aktive ebenso wie das passive Wahlrecht als Zensuswahlrecht an bestimmte Anforderungen hinsichtlich Besitz und/oder berufliche Stellung gebunden war. Mit der Verfassung von San Cristóbal schuf sich der neue Staat eine Organisationsform, die fundamentalen liberalen Prinzipien entsprach und von der die Zeitgenossen mit Recht und Stolz behaupten konnten "[que] colocó [a la naciente República Dominicana] en el rango de las naciones civilizadas del nuevo y del viejo Mundo" 19 . Doch noch bevor die Verfassung überhaupt in Kraft treten konnte, wurde sie durch einen Zusatz gleichsam außer Kraft gesetzt:
51 jenen vom designierten Präsidenten und aktuellen Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Pedro Santana, erzwungenen Artikel 210, in dem - "durante la guerra y mientras no está firmada la paz" - dem Präsidenten zugestanden wurde "[que] puede libremente organizar el ejército y armada, movilizar las guardias nacionales y tomar todas las medidas que crea oportunas para la defensa y seguridad de la Nación; pudiendo en consecuencia, dar todas las órdenes, providencias v decretos que convengan, sin estar sujeto a responsabilidad alguna" (206). 20 Santana, dem von der Verfassung, gleichermaßen in einer Übergangsbestimmung, ohne die Notwendigkeit von Wahlen zwei Legislaturperioden zugesprochen wurden, regierte fortan (mit Unterbrechungen) als verfassungsmäßig abgesicherter Diktator: "para la salvación de la Patria, que es el genuino espíritu del artículo 210", wie einer seiner Minister verkündete. 2 ' Für andere Zeitgenossen hingegen war der Artikel 210 "el puñal que destrozó la República", auf jeden Fall aber sicheres Zeichen dafür, "que todas las instituciones son vanas teorías y que la única ley y deber es la fuerza". 22 In den nachfolgenden Jahren gab es immer wieder Versuche, die Übergangsbestimmung, die den Kongreß zu einem reinen Akklamationsorgan degradierte, außer Kraft zu setzen - was schließlich im Februar 1854 gelang. Doch nur 10 Monate später vermochte Santana erneut seine Vorstellungen von einer starken Exekutive durchzusetzen, nunmehr durch eine Verfassung, in der - neben der Einschränkung der Grundrechte, der Abschaffung des Zweikammersystems durch Einsetzen eines (in der Mitgliederzahl stark reduzierten) "Senado Permanente" und der Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten um weitere 12 Jahre - der Artikel 210 nicht mehr nur als Übergangsbestimmung, sondern als regulärer Passus integriert wurde. Unter Berufung auf die dem Präsidenten in ebendieser Verfassung zugestandenen außerordentlichen Vollmachten - und unter Verweis auf das eigene, im Dienst der Sicherung der Unabhängigkeit gegen haitianische Invasionstruppen beim Volk errungene Prestige - verfügte Santana am 18. März 1861 die Annexion an Spanien. 23 Als Begründung nannte er die eigene Verantwortung, angesichts des herrschenden politischen Chaos und angesichts der Gefahr einer neuerlichen Knechtschaft durch Fremdherrschaft das Glück des Volkes und dessen Recht auf eine bessere Zukunft "en un orden de cosas más estable y duradero" (398) zu sichern, indem er das Geschick des dominikanischen Volkes in gleichsam naturgegebene Verhältnisse zurückführte: in den Schoß der "madre patria", der die Dominikaner nicht nur ihre Herkunft, Sprache, Religion sowie Sitten und Gebräuche, sondern auch ihre "glorias nacionales" (400) verdankten und die, gleich einer "amorosa madre" (400), das dominikanische Volk als den verlorenen Sohn wieder in die Familie der spanischen Nation aufnahm, um zu verhin-
52 dem, daß ihm das gleiche Schicksal wiederfuhr wie den Brüdern auf dem Kontinent, die durch die Aufgabe der Familienbande in einem politischen Chaos gestrandet waren. Die von Santana für das gesamte dominikanische Volk aufgestellte Genealogie, besonders aber die emphatisch eingesetzte Familienmetapher vermochten jedoch diejenigen kaum zu überzeugen, die dem Versprechen, Spanien werde die Freiheit der Dominikaner respektieren und ihrem Wunsch nach wirtschaftlichem Aufschwung durch gezielte Fördermaßnahmen entgegenkommen, aufgrund vergangener Erfahrungen mißtrauten. Francisco del Rosario Sánchez, der als Wortführer der trinitarios (in Abwesenheit von Juan Pablo Duarte) die Ablösung von Haiti vollzogen hatte und sich bereits im Juni 1861 in einem bewaffneten Aufstand der Annexion widersetzte - was er mit dem Leben bezahlte - , sah in der dominikanischen Nation statt einer Tochter Spaniens eine "hija predilecta de los trópicos" und in der Annexion schlicht einen Ausverkauf der "nacionalidad": einen Akt des Vaterlandsverrats, vollzogen von einem Tyrannen und Kriminellen, der sich durch Aufgabe der nationalen Souveränität der Verantwortung für seine verbrecherischen Taten zu entziehen suchte. 24 In der von der Provisorischen Regierung in Santiago am 14. September 1863 abgegebenen Unabhängigkeitserklärung und (noch expliziter) in einem 10 Tage später an die spanische Königin Isabella II. entsandten Schreiben 25 wurden die von Francisco del Rosario Sánchez bereits angesprochenen Motive für den bewaffneten Aufstand und die Aufhebung des Annexionsvertrags noch vertieft und - ganz in der Tradition der Unabhängigkeitserklärung von 1844 - erweitert. Denn auch diese Dokumente sind Beschwerdeschriften. Klage geführt wurde zunächst für den Bereich der Finanz- und Wirtschaftspolitik über die "medidas odiosas y desacertadas" (417), "medidas bárbaras y tiránicas" (412), und für den Bereich der politischen Wirklichkeit über die "persecuciones infundadas", "patíbulos escandalosos e injustificables", "asesinatos a sangre fría de hombres rendidos e indefensos" (421). In diesem Zusammenhang erschienen selbst die Jahre unter haitianischer Herrschaft, mit dem bis dahin demonstrierten Antihaitianismus wenig vereinbar, in Assoziierung mit der Ersten Republik als überaus positive Erfahrung: Cuarenta (sie) años de libertad política y civil de que gozó este pueblo bajo el régimen republicano, la tolerancia en materias religiosas, acompañadas de un sinnúmero de otras ventajas entre las cuales no deben contarse por poco una Representación Nacional y la participación en los negocios públicos que indispensablemente trae consigo la DEMOCRACIA, debían avenirse mal con el régimen monárquico y peor aún con el colonial. (417)
53 Doch damit waren die Vorwürfe gegen die Spanier keineswegs erschöpft. Unter haitianischer Herrschaft fühlte sich die weiße Minderheit durch den exclusivismo der Schwarzen und Mulatten um die im Bewußtsein ihrer vermeintlichen Überlegenheit geforderte hegemoniale Position betrogen; nun aber wurden alle Dominikaner - wie der letzte spanische Gouverneur, José de La Gándara, eindrucksvoll bezeugte 26 - Gegenstand rassischer und kultureller Diskriminierung: Opfer von "escarnio", "desprecio" und "marcada arrogancia", wie es in der Unabhängigkeitserklärung (414) in diskreter, das rassische Moment aussparender Formulierung heißt - und dies obgleich doch, wie im Schreiben an die Königin betont, die Dominikaner mit den Spaniern nicht nur Freundschaft und Brüderlichkeit, sondern auch "los fuertes vínculos del origen, la religión, el carácter y el idioma" (422) verbinden würden. Die genannten Motive mochten ausreichen, den bewaffneten Widerstand als einen Akt der Verteidigung gegen tyrannische Herrschaft zu begründen; mit Blick auf die Rechtmäßigkeit der Erklärung der Unabhängigkeit aber trat ein anderes Motiv in den Vordergrund: die Unrechtmäßigkeit der Annexion, denn schließlich hätten sich die Dominikaner den Spaniern nicht (wie den Haitianern) aus freien Stücken angeschlossen. Hier sei die spanische Königin von Santana hinterlistig getäuscht worden; denn auch wenn das Volk aufgrund falscher Versprechungen und in Unkenntnis der möglichen Folgen zunächst stillgehalten hätte - "calló y esperó" (418): "nuestra anexión a la Corona no fue obra de nuestra espontánea voluntad, sino el querer fementido del general Pedro Santana y de sus secuaces" (412) und folglich weder gerecht noch dem Gesetz nach zu rechtfertigen. Die am 14. November 1865 verabschiedete neue Verfassung der Zweiten Republik war wie die der Ersten Republik ein Werk der Liberalen; und diese vermochten nun auf eine weitere Erfahrung zurückzugreifen: die geradezu vorbildliche Verfassung von Moca, die als Ergebnis der im Juli 1857 erfolgten Revolution des Cibao gegen Báez am 19. Februar 1858 verabschiedet worden war. Zum ersten Mal in der dominikanischen Verfassungsgeschichte waren durch die Verfassung von Moca nunmehr allgemeine und direkte Wahlen vorgesehen; und um autoritären Tendenzen der Exekutive entgegenzuwirken, sowie den regionalen Interessen den gewünschten Nachdruck zu verleihen, hatten die Verfassungsstifter, nachdem das von einigen Deputierten vertretene Projekt eines Bundesstaates gescheitert war 27 , durch die Schaffung von Gemeinderäten die Zentralgewalt erheblich eingeschränkt. 28 Die Verfassung von 1865 blieb in der liberalen Traditionslinie hinter der von Moca zurück; doch wurden die (leichter kontrollierbaren) Wahlmännergremien der voraufgehenden Verfassungen durch Di-
54 rektwahlen ersetzt, wurde der Katalog der Menschenrechte, u.a. durch das Verbot der Verbannung und der Todesstrafe für politische Vergehen, erweitert. Die Erfahrungen der Ersten Republik hatten gezeigt, daß eine liberale Verfassung allein - unter Pedro Santana wie unter Buenaventura Báez - noch kein Garant war für eine liberale Politik der Exekutive. Und so war die Rede von Fernando Arturo de Meriño, Präsident der Verfassunggebenden Versammlung, anläßlich der Vereidigung von Báez zum Staats- und Regierungschef am 8. Dezember 1865 eine Mahnung ebenso wie eine Provokation, wenn er dem "Bürger" Báez vorhielt: Gobernar un país, vos lo sabéis, ciudadano Presidente, es servir sus intereses con rectitud y fidelidad; hacer que la ley impere igualmente sobre todos los ciudadanos, no disimulando jamás la impunidad del crimen, ni consintiendo el ultraje de la virtud; infundir un respeto profundo á la propiedad, afianzando el amor al trabajo con todas las garantías posibles; favorecer la difusión de las ciencias para que el pueblo se ilustre, y conociendo sus deberes y derechos, no dé cabida á las perniciosas influencias de los enemigos del orden y de la prosperidad; cimentar en bases sólidas la paz interior y exterior para facilitar el ensanche del comercio, de la industria y de todos los elementos de público bienestar; esforzarse, en fin, en que la moralidad, que es la savia de vida de todas las instituciones, eche hondas raíces en el corazón de los ciudadanos, para que de este modo el progreso sea una verdad, y se ame la paz, y se respeten las leyes y las autoridades, y la libertad se mantenga en el orden. 29 Die Mahnung Meriños verhinderte nicht, was geradezu voraussehbar erscheinen mußte: So wie Santana, der die Verfassung von Moca aufgehoben hatte, noch bevor sie in die Praxis umgesetzt werden konnte, verfuhr auch Báez mit der Verfassung von 1865; zuvor aber schickte er Meriño (unter Verletzung der noch geltenden Verfassung) ins Exil. Bis zum Ende des Jahrhunderts wurden - im Dienst der jeweils siegreichen Caudillos und Fraktionen - etwa 20 Verfassungen entworfen und verabschiedet. 30 Auf die Verfassung vom Dezember 1854 rekurrierten Pedro Santana wie Buenaventura Báez, auf die von 1844 und 1865 die Liberalen; und während Báez wie Santana als Wortführer der konservativen Kräfte an der hierarchischautoritär strukturierten Gesellschaftsordnung der kolonialen Vergangenheit festhielten, ließen die Liberalen trotz der wenig ermutigenden Verfassungswirklichkeit nicht davon ab, dem zukunftsorientierten Ideal einer freiheitlichen, dem Prinzip der Volkssouveränität verpflichteten und dem Fortschritt der Nation aber auch den eigenen klassenspezifischen bzw. regionalen Interessen - förderlichen Staatsverfassung nachzustreben und das Konzept einer modernen Staats-
55 bürgernation zu entwerfen, über das die Loyalität der Bürger eingefordert und damit auch der neue Staat legitimiert werden konnte. Die Wortführer der liberalen Kräfte - etwa Ulises Francisco Espaillat, Fernando Arturo de Meriño, Gregorio Luperón und Pedro Francisco Bonó - , die sich gegen santanistas und baecistas (oder rojos) als azules in der Liberalen oder Nationalliberalen Partei (ohne feste Struktur und Statuten) zusammenschlössen, propagierten in zahllosen Schriften (mit allerdings unterschiedlicher Breitenwirkung) ein liberales und fortschrittliches Projekt, das in der politischen Praxis durchzusetzen zwar nicht durchgängig gelang, das aber auch Eingang fand in die politische Rhetorik jener, die, wie etwa Ulises "Lilis" Heureaux, in ihrem politischen Handeln diesem Projekt in eklatanter Weise widersprachen. Als oberstes Prinzip politischen Handelns galt, so etwa Luperón, das Gebot der Freiheit, "el instrumento del bien, del deber, de la justicia y de la civilización" 31 . Doch so wie die Freiheit die Gerechtigkeit erst erzeugt, wird die Gerechtigkeit - über die Instanz der autoridad - der Freiheit Grenzen setzen: Es una verdad evidente y positiva que la libertad y la autoridad no pueden existir separadas. La primera es la esencia del derecho, la segunda es la seguridad y garantía de éste. (111,285) Somit sind Macht und Herrschaft dann, wenn sie durch die Demokratie - vorzugsweise über das Instrument der allgemeinen und direkten Wahlen "que es la manifestación genuina de la soberanía nacional" (111,246) - , durch die Gesetze und die verfassungsmäßigen Institutionen legitimiert und kontrolliert werden, unverzichtbar; denn, so Luperón weiter: No hay libertad sin límites, así como no hay igualdad sin derechos, como no hay orden sin autoridad. La libertad no es la demagogia ni la anarquía, que son mil veces más insufribles que la tiranía de los déspotas. No, la libertad verdadera es el hecho de sacrificar un individuo parte de su derecho en favor de la comunidad política, para contenerse todos en el límite del derecho ajeno. Su origen nace del anhelo de la felicidad de todos, sin perjuicio para ninguno. Este es el Evangelio puesto en práctica. (111,285) Freiheit und (kontrollierte) Ausübung von Macht - und hierin lag für Luperón das entscheidende Prinzip politischen Handelns - sind komplementär: La libertad para los pueblos es una necesidad tan suprema y necesaria como el aire, como la luz, como la sal y el agua; pero sin la autoridad equitativa y liberal, que es el equilibrio entre la libertad y el derecho, la sociedad es un caos; los fuertes haciendo presa de los más débiles. Por eso es que la autoridad afianza la libertad [...] Ella es una necesidad como la verdad, porque es el alma, la fuerza y el espíritu de la justicia, sin la cual ninguna sociedad puede existir en paz ni seguridad. (III,285f.)
56 Und für Fernando Arturo de Meriño, von 1880 bis 1882 liberaler, zeitweilig mit Ausnahmegesetzen autoritär regierender Präsident der Republik (und späterer Erzbischof), lautete das politische Credo: "la independencia y estabilidad de un pueblo están basadas en el orden y la libertad, verdaderos elementos de la vida social, robustecidos por el principio de autoridad que el cristianismo santifica" 3 2 . Oberstes Ziel politischen oder sozialen Handelns ist stets, so die Liberalen, Glück und Fortschritt des einzelnen wie des Kollektivs; und um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es konkreter Maßnahmen: Förderung von Agrarwirtschaft, Industrie und Handel, Ausbau der Infrastruktur insbesondere zwecks Erschließung des Landesinneren sowie Schaffung eines Binnenmarktes. Der Staat mochte dort eingreifen, wo durch die Errichtung von Handels- und Finanzagenturen sowie eine stimulierende Finanz- und Zollpolitik der Warenaustausch mit dem Ausland gefördert und durch die Erleichterung der Einbürgerung sowie steuerliche Vorteile Immigranten und ausländisches Kapital angeworben werden konnten. Als entscheidendes Prinzip aber galt den Liberalen hier die durch die Verfassung garantierte Freiheit der Betätigung, vorzugsweise des "trabajo útil", "provechoso", über die Initiative des einzelnen, die jedem staatlichen Interventionismus vorgezogen wurde und an die allein man in letzter Instanz das Glück wie den Fortschritt von Individuum und Kollektiv gebunden sah. 33 Liberale Politik durchzusetzen, konnte nun aber nur dann gelingen, wenn die liberalen Kräfte geeint waren: ein Prinzip, das besonders Luperón am Herzen lag, da es schließlich an seine Autorität gebunden war. In der politischen Praxis war das (gewiß legitime) Bestreben Luperóns, für seine Partei die Macht zu erringen oder zu bewahren, in der politischen Propaganda hingegen plädierte er für die Einheit aller politischen Kräfte, die gleichermaßen an der Herrschaft beteiligt werden sollten: El gobierno no debe ser el de un partido, sino el de todos los dominicanos, y para una buena administración del Estado, todos los partidos tienen perfecto derecho a tomar parte en las funciones y puestos públicos. (111,249) Diese Forderung ist enthalten in einem Manifest Luperóns "A mis Conciudadanos", publiziert 1888, zu einem Zeitpunkt also, da Heureaux die Bewegung der Liberalen bereits zerschlagen und durch die "Partei" der lilisistas ersetzt hatte und Luperón selbst jeder Autorität entkleidet war. Luperóns Feldzug gegen den exclusivismo einer Partei und die damit verbundene Klientelwirtschaft, ein Topos seiner 1894 im Exil zusammengestellten Notas autobiográficas y apuntes históricos, erklärt sich aus der nachzeitigen, durch vehemente Ressentiments gegen Heureaux geprägten Perspektive, nicht aber aus einer selbstkritischen Distanz zu einer Zeit, da er selbst noch aktiv am politischen Geschehen beteiligt
57
war. Veitaus überzeugender war hier Pedro Francisco Bonó, der sich zwar dem liberaen Gedankengut verpflichtet fühlte, sich der Liberalen Partei als Präsidentschaftskandidat aber mehrfach verweigerte. So schrieb er 1884, als die Libenlen (wie so häufig) weniger um programmatische als um personelle Entscheicungen s tritten, in einer Artikelserie: [I-ay] dos partidos bien caracterizados en la República: el azul y el rojo, lo; cuales en épocas conocidas han sido vencidos y vencedores, y se han echado em cara los mismos errores, las mismas crueldades, las mismas fatas y respectivamente han pretendido significar el progreso, la paz, la juiticia, ell orden, la independencia. Diga la historia a su debido tiempo, dija el país desde hoy, puesto que ha experimentado sus actos, cuál de lo; dos d i j o la verdad, pero a mí se me alcanza que toda dominación exclusiva es favorable al dominador, perjudicial al dominado y pésima p a a la m a s a de la nación, se entiende, cuando no se trata de principios, sóo de personas. 3 4 Und ir einem (in der Presse veröffentlichten) Schreiben an Luperón, der Bonó zum s:lben Zeitpunkt und zum wiederholten Male zur Kandidatur überreden wollte entgegnete dieser nur lapidar: "Salgo [...] de los Partidos. Yo no quiero ser paitidario, quiero ser ciudadano dominicano." (328) Der "Eürger" Pedro Francisco Bonó hatte - als Deputierter und Journalist - erhebliclen Anteil an dem Entwurf des Projekts einer dominikanischen Staatsbürgenation, die auf der Basis einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und einer liberalen Wirtschaftspolitik Wohl und Fortschritt der dieser Nation angehörenden Menschen sichern wollte. Doch war ihm wie auch den anderen an der Enrbeitung dieses Projekts Beteiligten wohl bewußt, daß der politische Wille einiger weniger, überdies in der Praxis gescheiterter Vordenker der Nation nicht aasreichte, um bei der Mehrheit der Bürger eine Identifizierung und Solidarisieiung mit ebendieser Nation zu bewirken. Hier bedurfte es offensiver Stra:egen zur Durchsetzung einer "nationalen Idee", die in patriotischer (oder nationalistischer) Perspektive die nación im Sinne eines territorial-rechtlich definierten Staates in eine nación im Sinne einer Lebens- und Solidargemeinschaft verwandelte. Dis entscheidende Losungswort hieß hier "Patriotismus", zunächst in seiner primären Bedeutung als affektive Bindung an die patria, das Vaterland. Und so unterließ es kaum einer der führenden Intellektuellen, auf dessen naturgeographische Qualitäten, natürliche Ressourcen und - ganz besonders - die mit dem vorteilhaften Klima und der Fruchtbarkeit des Bodens verbundenen, den Fortschritt der Nation befördernden Entwicklungsmöglichkeiten hinzuweisen. So etwa rr.it besonderer Emphase, Gregorio Luperón:
58 En ningún punto del mundo se ha manifestado la Providencia más pródiga, ni ha desplegado su lujo, esplendor y lozanía como en Santo Domingo. [...] Abundan en las entrañas de las cordilleras, ricas y variadas minas, desde el oro hasta el carbón de piedra, interesantes aguas minerales, preciosas perlas y ricas piedras preciosas; pero nada es más admirable, en verdad, que su exhuberante fertilidad y su prodigiosa belleza. (1,26 und 28) Die Dominikanische Republik war für Luperón aber nicht nur "la tierra más bella y fecunda del mundo" (11,11); die Lage der Insel "en medio del Archipiélago de las Antillas, en el centro del mundo" (111,246) machte sie für andere Nationen auch zu einem bevorzugten Objekt der Begierde: nach Pedro Francisco Bono allerdings auch ein Privileg, beförderte sie die Nation doch in die äußerst günstige Position "de pretender con más fortuna que nadie, a la dirección, a la hegemonía en los altos destinos que le están reservados a la inevitable confederación Antillana, cuando suene la hora de verse independiente todo el archipiélago" (393) 35 . Doch nicht nur die Liebe zur patria und der Stolz auf ihre Schönheit und (zumindest potentielle) Überlegenheit mochten für die Propagierung einer "nationalen Idee" förderlich sein; ein wirkungsvolles Begründungspotential für die Existenz einer nationalen Schicksalsgemeinschaft bot auch die Geschichte, denn für sie konnte auf der Ebene der grande histoire eine Identifikationskette angeboten werden, die über alle Schranken von Rassen oder Kasten hinweg das Gefühl einer als Kollektiv erlebten nacionalidad wirksam werden lassen mochte. Die Bedeutung der Geschichte bzw. der Geschichtsschreibung als Lehrmeisterin der Nation war den Zeitgenossen wohl bewußt. Bonó sah in ihr ein Instrument der Erkenntnis: "hace conocer las costumbres, adelanto o atraso de una nación" (81). Und Luperón sah in ihr ein Moment der Identifizierung und Mobilisierung: Es de importancia capitalísima que una nación tenga tras de sí un gran pasado que contemplar. Ese modelo es el que ha dado tan vigoroso aliento y tanta fuerza y poderoso valor a los patriotas en el pasado y en el presente, para luchar con imponderable bravura por la patria y por sus instituciones. Es él que los eleva y los sostiene, los ilumina y los transporta por la sacrosanta memoria de los grandes hechos nacionales y por los nobles sufrimientos en las empresas gloriosas de sus antepasados. La vida de las naciones, como la de los hombres ilustres, es siempre un vasto tesoro de ejemplos y de experiencias, que bien aprovechados conducen al progreso social (...) (11,51)
59 Die Vergangenheit Santo Domingos, so referierte 1844 der Vorsitzende der Verfassunggebenden Versammlung in San Cristóbal in seiner Eröffnungsrede, war zunächst eine mehr als drei Jahrhunderte währende Leidensgeschichte: zuerst Ausbeutung, dann Indifferenz, Geringschätzung, Vernachlässigung und schließlich Aufgabe von seiten der spanischen Metropole, "la más completa orfandad", und von seiten des haitianischen Nachbarn "el horroroso cuadro de la vergonzosa servidumbre que sufrimos durante 22 años" - Jahre, über die der Redner lieber den Schleier des Vergessens gezogen wissen wollte, "porque no es justo enlutar con tan lúgubres recuerdos la solemne y plausible ceremonia que hoy nos reúne" 3 6 . Mit triumphierender Genugtuung und Stolz konnte hingegen darauf verwiesen werden, daß es in siegreichen Befreiungskriegen gegen übermächtige Feinde gelungen war, die Fremdherrschaft Haitis und Spaniens abzuschütteln, auch wenn Freiheit und Unabhängigkeit mit leidvoll erfahrenen Opfern bezahlt worden waren. Gerade aber das im Namen von Freiheit und Gerechtigkeit erfahrene Leid, so schmerzhaft es für die Betroffenen auch sein mochte, hatte nun, so Luperón, auch eine positive Komponente, würde es doch Menschen wie Nationen läutern und bestärken: Por eso es que los capítulos más gloriosos de la historia de nuestra patria son aquellos que refieren los sufrimientos y los dolores en medio de los cuales su carácter se ha desarrollado. El sentimiento patrio y el amor a la libertad pueden hacer mucho, pero la prueba y el sufrimiento noblemente soportados hacen más que todo. (11,52) So lieferten (wiederum nach Luperón) ein herausragendes Beispiel - und vorzüglich einsetzbares Identifikationsmodell - die im Widerstand gegen Unterdrückung erprobten Helden der Vergangenheit: "la memoria sublime de aquellos hombres que son la verdadera savia de la nación a que pertenecen", von Gott "en su sabiduría infinita" geschaffen, "para que la memoria de ellos sirva a los oprimidos de enseñanza de triunfo contra sus opresores"; und das hieß auch "para levantar el espíritu nacional, y reclutar el patriotismo" (I, 100, 101). An solchermaßen vorbildhaften Helden hatte es keineswegs gefehlt, war doch das dominikanische Volk, sprich: die Indios, "el primero en recibir los latigazos del conquistador" (1,29). Und so wurden - bei gleichzeitig proklamiertem Stolz auf Santo Domingo als die Primada de America, "la cuna y el punto de partida de la colonización" 37 - zusammen mit den Tätern auch die Opfer dieser Kolonisierung zu den Urvätern der patria und zu den ersten Verfechtern der "causa nacional" 38 , der dann durch die proceres des Unabhängigkeitskrieges gegen Haiti und des Restaurationskrieges gegen Spanien zum Sieg verholfen wurde. Gegenüber Haiti - weniger gegenüber Spanien - blieben Furcht und Haß lange lebendig. Der spanische Gouverneur La Gándara benannte gewiß eine zur
60 Zeit der Annexion weit verbreitete Gefühlslage, wenn er meinte: "El amor que nos profesaban los dominicanos era sólo un aspecto de su odio á Haití, de su temor á la república franconegra." 3 9 Und die Mitglieder der im Zusammenhang mit der von Báez anvisierten Annexion an die USA 1871 in die Dorrinikanische Republik entsandten Untersuchungskommission konstatierten bei hren Interviewpartnern zwar nicht mehr Furcht vor dem Nachbarn - "they [... point with pride to the long list of overwhelming defeats which they have infliced upon the Haytians" wohl aber "national dislike of Hayti", stellten aber gleichzeitig fest, daß Hunderte von Haitianern in friedvoller Nachbarschaft mit Dtminikanern lebten und ihren Geschäften nachgingen. 4 0 Die restauradores und Liberalen hatten nun aber bei ihrem Kimpf gegen Spanien wie gegen Buenaventura Báez von haitianischer Seite vielfache Hilfestellung erhalten: Haiti war für sie zu jener Zeit, so beteiligte Zeitzeugen, "nuestro arsenal" 41 , "atrincheramiento y retirada segura" 4 2 . Und nací dem Sturz von Faustin Soulouque 1859 war Haiti durch soziale Unruhen unc die andauernden Machtkämpfe zwischen der Elite der Schwarzen und der Eite der Mulatten (bis zum Ende des Jahrhunderts) derart geschwächt, daß eine Gefährdung der Dominikanischen Republik durch den Nachbarn - trotz gelegentlich, zumeist aufgrund lokaler innenpolitischer Querelen gezielt ausgestreuier Gerüchte einer neuerlich bevorstehenden Invasion - effektiv nicht mehr gegeben war. 1867 wurde zwischen beiden Staaten ein erster Friedens- und Freunischaftsvertrag abgeschlossen. Und auch wenn bei vielen, wie selbst Pedro Frarcisco Bonó, das Mißtrauen gegenüber dem "enemigo hereditario" und dem "mtagonismo perpetuo" beider Nationen (343) erhalten blieb, verflüchtigte sich doch allmählich in der politischen Propaganda die Beschwörung der "haitianischen Gefahr", denn spätestens mit der Erneuerung des Freundschaftsvertrages 1874 war Haiti, so derselbe Bonó, "dominador ayer, enemigo luego, aliado más t a d e y amigo hoy" 43 . Und schließlich wurde auch gegenüber Spanien - bei wachsender Einflußnahme durch die USA - der alte Groll ob der erlittenen Unbill 2u Grabe getragen, nach Luperón: "antiguas ofensas que muy desvanecidas están ya por la generosidad y nobleza de ambos países, y apagadas completarrente por el tiempo, que es el mejor conciliador de los enojos." (1,31) Im Kampf um die Unabhängigkeit beinhaltete Patriotismus (im Sinne eines Nationalismus) für die Zeitgenossen eine offensive, gegen den äußeren Feind gerichtete Haltung und Bereitschaft - Attribut einer "nación noble / valiente" 44 - , die Freiheit der Gemeinschaft auch um den Preis des eigenen Lebens zu verteidigen. Als aber eine äußere Bedrohung nicht mehr gegeben war, richtete sich Patriotismus gegen den inneren Feind. Denn nicht Spanien und nicht Haiti, so die Einsicht der Zeitgenossen, sondern Gewaltherrschaft und Egoismus
61 einheimischer Caudillos waren für das auch während der Zweiten Republik andauernde Leid des dominikanischen Volkes verantwortlich: "sufrimientos [que] iban a recrudecerse en el presente", so Luperón aus der Perspektive des ausgehenden Jahrhunderts, "víctima de horrenda tiranía" (1,100). Und so waren für Meriño (gegen Báez) "los buenos patriotas" jene "hombres de principios [que] están siempre dispuestos á prestar sus servicios á los gobiernos progresistas y liberales, á los gobiernos verdaderamente nacionales" 45 ; und für Luperón (gegen Heureaux) stand fest: "Los buenos patriotas deben luchar contra el tirano, si no quieren desaparecer del catálogo de las naciones independientes." (111,283) Wie aber konnte nun bei Individuum und Kollektiv patriotisches Bewußtsein wie patriotisches Handeln erreicht, wie das zum Wohl und Fortschritt der Gemeinschaft entworfene Projekt einer dominikanischen Staatsbürgernation dieser Gemeinschaft vermittelt werden? Dieser Aufgabe stellten sich die Liberalen durchaus, doch war ihnen auch bewußt, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren in einer Gesellschaft, in der "Öffentlichkeit" wie "öffentliche Meinung" nur von einigen wenigen Mitgliedern dieser Gesellschaft repräsentiert und artikuliert wurde. Das Bewußtsein einer "neuen Zeit", in der sich die Nation nach ihrer (ersten) Konstituierung als unabhängiger Staat erst entfalten konnte, schaffte die Erinnerung an die Stunde ihrer Geburt durch eine neue Zeitrechnung: So wurde in allen offiziellen Dokumenten und Proklamationen die Jahresangabe durch eine neue, auf das Jahr 1844 bezogene Zählung - als "año x de la Independencia" - ergänzt. 46 Und das Bewußtsein der neuen Qualität, die dem einzelnen als Mitglied der neuen Gemeinschaft zugesprochen wurde, stiftete die per Dekret verfügte Anrede "Ciudadano", die ohne Ansehen von Stand und Besitz die Gleichheit aller symbolisierte. 47 Der Titel eines Ciudadano mochte dem einzelnen eine - zeichenhaft vermittelte - Würde verleihen; die konkrete Bedeutung, welche Rechte (und Pflichten) ihm aus der Rolle eines Bürgers in einer unabhängigen Staatsbürgernation erwuchsen, bedurfte aber der Erläuterung und Vermittlung vorzugsweise über Kanäle wie etwa Schule und Presse: Kanäle, die nun allerdings erst geschaffen werden mußten. Nach einem von Pedro Francisco Bonó 1867 in seiner Funktion als Justizund Erziehungsminister vorgelegten Bericht besuchten zu diesem Zeitpunkt bei einer (angenommenen) Gesamtbevölkerung von 300.000 - im gesamten Territorium der Republik 1.500 Kinder eine öffentliche Primarschule; und da die meisten Schulen sich in den Städten befanden, hatte auf dem Land von etwa 2.000 Einwohnern nur ein Kind Zugang zu unentgeltlicher Bildung. 48 Mit Beginn der 80er Jahre wurden unter den liberalen Regierungen durch Gründung neuer Schulen verstärkte Anstrengungen unternommen "para que el país", so
62 Bono, "se cure de esa lepra asquerosa de ignorancia" (146). Gleichzeitig wurde über die Gründung der Escuela Normal 1880 durch Eugenio María de Hostos und des Instituto de Señoritas 1881 durch Salomé Ureña de Henrquez die Qualität der Lehrerausbildung erheblich verbessert. Ein gewisser E r f d g blieb nicht aus: So stieg die Zahl der Schüler in öffentlichen Primar- und Sekundärschulen bis zum Jahre 1883 auf 6.535; doch angesichts des erheblichen Bevölkerungszuwachses war dies nur ein relativer Erfolg, der überdies wiederum im wesentlichen auf die städtischen Zentren beschränkt blieb. 49 Wer nun lesen konnte, hatte durchaus Zugang zu vielfacher Information. Kurz nach der Annexion an Spanien hatte Santana (gegenüber einem spanischen Journalisten) noch - mit beträchtlichem Zynismus - behaupten können: "Os he hecho un regalo de un inmenso valor, os he dado un pueblo sin periodistas y sin leguleyos." , 0 Nach der Unabhängigkeit aber wurden unzählige, häifig allerdings nur kurzlebige und nur unregelmäßig erscheinende Publikationen gegründet, einige aber immerhin mit einer Auflagenhöhe von bis zu 1.000 Exemplaren und Namen, die - wie etwa El Liberal, El Patriota, La Reforma oder La Redención einen staatsbürgerlich-erzieherischen Impuls verraten. 51 Allerdings gilt zu bedenken, daß die Herausgeber wie die Mitarbeiter vieler dieser Pablikationen häufig schon aus Gründen der Existenzsicherung - mit den jeweils Herrschenden kollaborierten: ein Faktum, das wohl ihre Bereitschaft zur Kritik an von diesen zu verantwortenden Mißständen, nicht aber ihre Bereitschaft zur Propagierung von - möglicherweise auch diese Mißstände legitimierenden - "nationalen" Konzepten beeinträchtigen mochte. Und so war der Appell Meriños an den Stand der Journalisten in seiner Rede anläßlich seiner Amtseinführung als Präsident 1880 auch durchaus als Aufforderung zu systemstabilisierender "patriotischer" Mitarbeit gemeint, wenn es hieß: Pido [...] el valioso concurso del periodismo ilustrado, doctrinario, de recto criterio y de patriótica intención; del periodismo que enseña, que hace valer ideas, que corrige y que si pone el dedo en la llaga es para curarla, no para lastimarla ni para exasperar el dolor que ella causa; del periodismo, en fin, que muestra la vía del bien á gobernantes y gobernados.-« Einen nicht unerheblichen im Sinne einer staatsbürgerlichen Erziehung wirksamen Beitrag leisteten auch die Literaten, etwa mit den ersten herausragenden Romanen, sämtlich verfaßt von herausragenden politischen Akteuren: El montero (1856) von Pedro Francisco Bonó, Enriquillo Jesús Galván und Baní, o Engracia
y Antoñita
(1879/1882) von Manuel de
(1892) von Francisco Gregorio
Billini. 53 Weit wirksamer mochten nun aber - für eine Gesellschaft, in der selbst die Elite kaum eine Lesekultur (im modernen Sinne) entwickeln konnte - kür-
63 zere, vorzugsweise in Zeitungen veröffentlichte lyrische Texte sein, "una ocupación predilecta" der Zeitgenossen, wie Bono vermerkte 5 4 , in denen wirkungsvoller als etwa in einem staatspolitischen Traktat gerade patriotische Themen mit appellativem Impetus versehen werden konnten - die emotionale Bindung an das Vaterland, der Stolz auf eine ruhmreiche Vergangenheit und die Sorge um die in der Gegenwart genossene Freiheit, etwa in dem zu jener Zeit gleichsam als Nationalhymne gesungenen "Himno de la Restauración" von Manuel Rodríguez Objío: Ya el clarín belicoso resuena, Y a la lid nos impulsa el honor; Del oprobio al romper la cadena, Proscribamos por siempre al traidor! Vencedores heroicos de España De otro yugo la Patria salvad! Compatriotas; afrenta tamaña De traidores, con sangre borrad! 5 5 ; oder das Vertrauen in den auf eine nahe Zukunft projizierten Fortschritt, etwa in dem programmatischen Gedicht "La gloria del progreso" von Salomé Ureña de Henríquez: No basta a un pueblo libre la corona ceñirse de valiente; no importa, no, que cuente orgulloso mil páginas de gloria, ni que la lira del poeta vibre sus hechos pregonando y su victoria, cuando sobre sus lauros se adormece y al progreso no mira, e, insensible a los bienes que le ofrece, de sabio el nombre a merecer no aspira. [...] Lucha sublime, sí, donde se mira en héroe convertido al ciudadano ceñir triunfante la inmortal corona, desde el pobre artesano que en su taller humilde se aprisiona hasta el genio que escala al firmamento y fija al ígneo sol su inmoble asiento. [...] ¡Oh juventud, que de la Patria mía eres honor y orgullo y esperanza! Ella entusiasta su esplendor te fía, en pos de gloria al porvenir te lanza.
64 Haz que de ese profundo y letárgico sueño se levante, y, entre el aplauso inteligente, al mundo el gran hosanna del Progreso cante. 56 ; schließlich aber auch Trauer und Schmerz um politische Verfolgung, ganz besonders in der Form der Verbannung, vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung besungen etwa von José Joaquín Pérez in "Ráfagas": Auras marinas, sollozadores ecos que cruzan la soledad, aladas brisas de otras riberas, do mis amores ¡ay! me escuchasteis un día cantar; sobre esta roca, do meditando triste y proscrito me veis llorar; auras marinas decidme al menos que allá, esperando, hay quien lamente mi soledad. [...] Azules ondas que vais perennes cruzando abismos y a otro confín, entre arenosas, lejanas playas, ecos solemnes, besos de espuma dais al morir; ya tibio el rayo del sol os hiere, ya os ciñe parda niebla sutil; azules ondas como a mi alma que no os espere la muerte lejos de aquel confín. [...] 57 Für diejenigen unter den "Bürgern", die nun aber nicht lesen konnten und denen somit der direkte Zugang zum geschriebenen Wort verwehrt war - und das waren mit Sicherheit über 80% der Bevölkerung - , mußten andere Kanäle gefunden und genutzt werden: etwa die unzähligen tertulias und "patriotischen Gesellschaften" mit so klingenden Namen wie "Amigos del País", "La Republicana" oder "La Progresista", die - selbstverständlich nach dem gesellschaftlichen Rang oder auch der Hautfarbe getrennt - nicht nur der Elite und dem oberen Mittelstand, sondern auch den unteren Mittelschichten Gelegenheit gaben, sich über Themen von öffentlichem Interesse zu informieren und auszulassen; oder öffentliche Paraden anläßlich nationaler Gedenktage mit Fahneneid, Absingen der Nationalhymne und agitatorischen oder auch nur feierlichen Ansprachen, an denen sich auch der Klerus wortgewaltig beteiligte, denn schließlich war er nicht nur in geistlicher, sondern durchaus auch in weltlicher Mission um das Heil der Gemeinde - und die für die eigenen Privilegien so förderlichen
65 guten Beziehungen zu den Herrschenden - bemüht. Solcherlei Veranstaltungen gerieten besonders dann zu einem wirksam inszenierten Schauspiel patriotischer Apotheose (oder auch nur systemstabilisierender Selbstbespiegelung), wenn es einen herausragenden Helden zu feiern oder gar zu kreieren galt: wie im Fall des Juan Pablo Duarte, der die Unabhängigkeitsbewegung gegen Haiti ins Leben rief, sodann mit Unterstützung der einstigen Kampfgefährten von den konservativen Kräften um die Früchte seiner Mühen betrogen und noch im Jahr der Unabhängigkeit von Santana als "aufrührerisches Element" und "Vaterlandsverräter" ins Exil geschickt wurde; der zwei Jahrzehnte später zurückkehrte, um gegen Spanien erneut für die Unabhängigkeit zu kämpfen, von den restauradores aber, mit einer zwar ehrenvollen, doch wenig ruhmreichen diplomatischen Auslandsmission betraut, politisch neutralisiert wurde 58 ; der schließlich 1876, verarmt und vergessen, in Venezuela starb - bis er 1884, aus Anlaß der Rückführung seiner Gebeine und als "dignísima reparación", zum "Padre de la Patria" gekürt wurde. 59 Die genannten Möglichkeiten der Vermittlung von Information und Meinung waren nun aber in der Regel als Bestandteil städtischer Kultur den auf dem Lande Lebenden verwehrt. Hier waren es eher informelle Kanäle, über die Persönlichkeiten und Geschehnisse des öffentlichen Lebens kommentiert wurden und ein nationales Bewußtsein vermittelt und artikuliert werden mochte: Zusammenkünfte, veranlaßt zumeist durch Ereignisse der individuellen Existenz wie Geburt oder Tod, bei denen ein Mitglied der Gemeinschaft oder auch ein umherreisender professioneller Erzähler und Poet (unterhaltsame) Unterweisung bot. Diese oral vermittelten Texte, vorzugsweise décimas, die nur zu einem Teil erhalten sind, berichten über alltägliche Begebenheiten und lokalen Klatsch ebenso wie über Persönlichkeiten und Ereignisse von nationalem Rang und Interesse und lassen erkennen, daß hier durchaus eine von offiziellen Kanälen abweichende, kritische oder gar burlesk-satirische Informations- und Meinungspolitik betrieben werden mochte. Das Beispiel des berühmtesten und bei den unteren Bevölkerungsschichten überaus populären Verfassers von décimas, Juan Antonio Alix, zeigt aber auch die Fähigkeit des Systems, diese informellen und schwer zu überwachenden Kanäle für sich zu nutzen. Denn Alix, der - eher eine Ausnahmeerscheinung - mit seinen décimas seinen Lebensunterhalt zu bestreiten suchte, fühlte sich bemüßigt, sich den Herrschenden anzudienen, um an demselben System der Klientelwirtschaft teilzuhaben, das er - allerdings nur bei den Gegnern des jeweiligen Präsidenten oder von ihm favorisierten Präsidentschaftskandidaten - vielfach heftig attackierte; etwa unter dem Titel "Catorce candidatos y medio":
66 Buen negocio debe ser, Para el de poca conciencia, Empuñar la presidencia Y al momento enriquecer. El que ambiciona el Poder Y buscándolo se ve, No obra de buena fe Ni por puro patriotismo Todo es para sí mismo, Y para la Patria, añé! Para obtener la elección Hacen hoy miles ofertas, Las cuales serán cubiertas Cuando empuñen el bastón. Las rentas de la Nación Aitelele quedarán Porque si ofreciendo están Lo que pueden producir, El País se ha de hundir Y jamás irá anavan. 60 In den im Ausschnitt zitierten anläßlich der Präsidentschaftswahlen 1884 verfaßten décimas plädierte Alix - als selbsternannter Interpret eines nationalen Willens - für die (durch die Verfassung nicht zugelassene) Wiederwahl von Ulises Heureaux: El deseo de la Nación Es reelegir al presente, Pero este buen Presidente Se niega a la reelección; Pues con sobrada razón Ha dicho este general, Que el Pacto Fundamental Siempre será respetado, Ni jamás será tocado, Ni dará un ejemplar igual. 61 Gut zwei Jahre später errichtete Heureaux - unter Mißachtung desselben Grundgesetzes - eine Diktatur; und Juan Antonio Alix, vom Präsidenten großzügig entlohnt, wurde zum propagandistischen Sprachrohr von "Lilis" und dessen "nationalem Projekt": [...] De Dios no tiene perdón Todo el que se halle capaz De alterar la belleza paz
67 Que reina en nuestra Nación. Y que en grande proporción Al país ha mejorado, Y bastante ha progresado A la sombra tan bonita De esa paz santa y bendita Que Lilis ha conservado. Y por esa paz tan bella Gozamos de bienes miles, Pues varrios ferrocarriles Ya los tenemos por ella. También en nuestra Quisquella Hoy tenemos á millones De cacao las plantaciones. De guineo y de café, Y todo eso que se vé De la paz son bendiciones. [...] Nuestras grandes poblaciones Todas ya se comunican Por telégrafos que indican De comercio relaciones. Y con las demás naciones Del mundo civilizado, También se encuentra ligado Nuestro País apreciable Por un submarino cable Que la paz también ha dado. Nuestra Nación tiene ya Sin duda muy superiores, De guerra un par de vapores Y otro más que ya vendrá. Y cada vapor está Completamente artillado, Y lo más bien tripulado Por marinos competentes Y oficiales muy decentes Que lo son en sumo grado. [...] Es imposible citar Por medio de estas coplitas, Las mejoras infinitas Que se han podido alcanzar. Con la paz tan regular
68 Que ha gozado la Nación, Desde la revolución Del ochenta y seis acá; Y que progresando vá Como no hay comparación. [...]62 13 Jahre Diktatur unter Ulises Heureaux hatten in Fortsetzung der Diktaturen von Santana und Báez das liberale Projekt einer dominikanischen Staatsbürgernation zu Fall gebracht. Das Ergebnis war eine nación abortada, eine Früh- und Fehlgeburt, befruchtet mit dem progressivsten staatspolitischen Denken des 19. Jahrhunderts, jedoch ausgetragen in einer Zeit, in der die einheimischen sozioökonomischen Bedingungen eine Übernahme der in Europa und den USA vor dem Hintergrund einer ganz anders gestalteten Wirklichkeit entwickelten Modelle nicht zuließen. Die Schuld für das Scheitern ihres Projekts suchten die Liberalen nicht bei sich selbst; schuld waren (nach Luperón) Heureaux und andere seinesgleichen: "No han amado a la patria; la han querido como a una concubina y no como a una madre grave, severa y generosa." (111,287) Schuld war aber auch die Mehrheit oder das Volk: die "sociedad dominicana" und ihre "propensión moral" "a tolerar y consentir amo que la avasalle" (111,286); oder die "pasividad absoluta" und "inercia", die Bonó (219, 390) im "carácter nacional" der Dominikaner auszumachen meinte. Der Patriotismus der Dominikanischen Republik, so klagte derselbe Bonó (338), "sin color propio, aunque probado repetidas veces, no tiene el sello legítimo que da a una Nación la confianza de sí misma y las pruebas que ha podido y sabido dar en su constitución y arreglo interior". Und ein anderer Zeitgenosse äußerte in einem wenig vorteilhaften, überdies auf eine mögliche Gefährdung verweisenden Vergleich mit dem Nachbarland: "En política estamos más atrasados que los haitianos; a lo menos a éstos les sobra lo que nos falta a nosotros: patriotismo." 63 Eine nationale Integration und Mobilisierung der Bevölkerungsmehrheit für die "nationale Idee" war nicht gelungen; doch bleibt fraglich, ob die Schuldzuweisung an ebendiese mit jenen von Luperón und Bonó apostrophierten Defekten eines vorgeblichen "Nationalcharakters" zu begründen war oder ob nicht eher Juan Antonio Alix - hier einmal nicht im Sinne der herrschenden Minderheit, sondern der von dieser Herrschaft betroffenen Mehrheit - einen treffenderen Grund benannte: Qué le importa al labrador, Al comercio y al artesano, Qué le importa a un ciudadano Que triunfe Diego o Melchor?
69 Qué le importa a un ser viviente Que viva de su trabajo, Que dos queden por debajo Y otro suba a Presidente? Qué importa que un pretendiente A ese puesto sea acreedor, Y no salga triunfador En la urna electoral? Así, salgan bien o mal Qué le importa al labrador? [...] No quedemos desunidos Por los consejos de álguien Que los grandes quedan bien Y los chicos afligidos, Los Jefes grandes unidos, Quedarán que es un primor Y se pagan lo mejor Que ha gastado cada cual; Y así por eso es igual Que triunfe Diego o Melchor. 64
2.2 Rasse, Traditionen, violencia: Aspekte einer fragmentierten
nacionalidad
Die patria als Raum, in dem sich die dominikanische Nation eingrenzen und abgrenzen, entfalten und behaupten konnte, war gewiß ein Gut, das im Prinzip jeden Dominikaner, unabhängig von seiner Hautfarbe und gesellschaftlichen Position, mit patriotischem Stolz erfüllen mochte; und die Erinnerung an die Taten und Helden der Unabhängigkeitskriege ebenso wie die Hoffnung auf eine bessere, Frieden und Fortschritt bringende Zukunft mochte desgleichen im Prinzip jeden motivieren, der nationalen Idee seine Zustimmung und nationalistischen Mobilisierungsbestrebungen seine Unterstützung zu geben. Weitaus problematischer aber war die Erkundung und Propagierung einer kollektiven Identität dort, wo die spezifische Ausprägung einer nacionalidad im Sinne einer dominicanidad über ethnisch-kulturelle Faktoren zu bestimmen war. Wie weit man um 1800 von der Vorstellung einer nacionalidad entfernt war, bezeugen die nachfolgend zitierten in jener Zeit entstandenen und unter der ländlichen Bevölkerung überaus populären Verse eines Priesters aus Santiago:
70 Ayer español nací, a la tarde fui francés, a la noche etíope fui, hoy dicen que soy inglés: no sé que será de mí. 65 Der hier apostrophierten durch die politischen Wechselfalle hervorgerufenen Unsicherheit hinsichtlich der nacionalidad in staatsrechtlichem Sinne entsprach bei der Bevölkerungsmehrheit gewiß auch eine Unsicherheit hinsichtlich der nacionalidad im Sinne einer kollektiven Identität. Diese in Ablösung von und Abgrenzung zu Haiti zu bestimmen, mochte noch relativ konfliktfrei erscheinen dort, wo sie sich für die Weißen vorrangig über die Hautfarbe und die kulturelle Differenz - als Alterität - manifestierte. Doch diese Alterität war zur Zeit der Unabhängigkeit von Haiti noch keineswegs Ausdruck einer spezifischen dominicanidad\ und so heißt es in der von Félix María del Monte am Tag nach der Unabhängigkeitserklärung verfaßten und als erste Nationalhymne verbreiteten "Canción dominicana": ¡Guerra a muerte sin tregua, españoles! Si ser libres por siempre queremos, de la historia con sangre borremos cuatro lustros de llanto y dolor. Sepa el mundo que a nombres odiosos acreedores jamás nos hicimos, y que siempre que gloria quisimos, nuestro carro la Gloria arrastró. ¿Al arma, españoles! ¡Volad a la lid! ¡Tomad por divisa "Vencer o morir"!66 Für die Schwarzen und Mulatten war hingegen der Verweis auf ihr vorgebliches "Spaniertum" problematisch, beinhaltete diese Benennung doch nicht unbedingt eine kulturelle, wohl aber eine rassische Differenz und eine (zumindest implizite) Diskriminierung. Für sie hatte die Eingliederung des Ostens in den unabhängigen Staat Haiti immerhin die Abschaffung der Sklaverei und damit die rechtliche Gleichstellung der Farbigen mit den Weißen gebracht, und so mochte sich hier zumindest in Ansätzen ein Selbstverständnis wie ein Selbstbewußtsein entwickeln, das - wie die nachfolgend zitierten anonymen Verse belegen - eher einer afro-amerikanischen bzw. haitianischen denn einer spanischen Identität und Solidarität das Wort reden:
71 ¿So mercé no dice que yo soy fea? Pué yo me bá, y buque otra negra pa trabajá. Levántate negra a hacé café, levántese uté, que estos no son los tiempos de su mercé. Dios se lo pague a papá Boyé, que nos dió gratis la liberté. 67 Während der Kämpfe gegen die haitianischen Invasionstruppen bildete sich unter den (farbigen) Soldaten der Ersten Republik, wie die volkstümlichen Kampflieder bezeugen, das Bewußtsein heraus, als "Dominikaner" gegen "Haitianer" ein eigenes Territorium, bisweilen noch als "suelo español" 68 apostrophiert, zu verteidigen; und während des Restaurationskrieges verfestigte sich schließlich unter den mambises, wie die Farbigen unter dem Fußvolk genannt wurden, dieses Bewußtsein der dominicanidad, das, wie den zu jener Zeit weit verbreiteten anonym verfaßten Liedern zu entnehmen ist, nunmehr in Abgrenzung zu den Spaniern zwar keine ethnisch-kulturelle, wohl aber eine politischpatriotische Sinngebung erfuhr: Se van los españoles los españoles se van, abajo los adulones que ya más no adularán. Botaron a los españoles los que estaban oprimidos, del suelo que con honores palmo a palmo han defendido. ¡Que viva siempre la unión que reina entre los hermanos! No nos cause admiración el ser ya dominicanos. 69 Den Weg zu einer bewußt angenommenen und gelebten ethnisch-kulturellen Identität - gewiß ein Problem nur dann, wenn durch den Kontakt mit Weißen, sprich: durch rassische und kulturelle Diskriminierung, ein in der alltäglichen
72 Lebenswelt gewachsenes Selbstverständnis in Frage gestellt wurde - fand die farbige Bevölkerungsmehrheit zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Einzig die Bezeichnung "negro" wurde als Selbstcharakterisierung nach und nach verdrängt, um schließlich vorwiegend als Synonym für den Haitianer zitiert zu werden. Nicht gegenüber Haiti, wohl aber gegenüber Spanien wurde für die Weißen vornehmlich in der Hauptstadt die Begründung von Identität und Alterität ein schwerwiegendes Problem. Santana hatte die Annexion des "pueblo dominicano" an die "nación española" nicht nur mit der Familienähnlichkeit beider begründet; er hatte dem Kind (implizit) sogar abgesprochen, sich gegenüber der Mutter in irgendeiner Form emanzipiert und damit auch einen eigenen Entwicklungsweg eingeschlagen zu haben. "Religión, idioma, creencias y costumbres, todo aun conservamos con pureza", so behauptete er in der Proclamación de la Anexión a España10. Und im "Editorial" der ersten Nummer vom 21. März 1861 der Gaceta de Santo Domingo, offizielles Organ der Kolonialregierung, hieß es: Plegue a la Divina Providencia santificar esta espléndida unión en que se regocijan dos pueblos, y seamos de hoy más, como siempre hemos sido, verdaderos españoles, hijos de la noble nación que nos dió origen y cuyas glorias y virtudes nos pertenecen... 71 Der Verweis auf die spanische Herkunft und die von den Spaniern ererbte Sprache und Religion 7 2 zieht sich als Topos durch die gesamte Diskussion um nacionalidad und dominicanidad, und die Wortführer des españolismo in der vorwiegend von der weißen, den hierarchisch-autokratischen Prinzipien der Kolonialzeit nachtrauernden Elite bewohnten Hauptstadt sahen keinen Anlaß, ihrem als unverfälscht erachteten "Spaniertum" abzuschwören. Die nationale Perspektive aber forderte schließlich doch einen wahrlich differenzierteren Entwurf dominikanischer Identität. Den entscheidenden, allerdings noch unbestimmten Hinweis auf die Quelle einer distinktiven, sich von der Vorstellung vom reinen "Spaniertum" verabschiedenden dominicanidad lieferte Francisco del Rosario Sánchez; und die Apostrophierung Santo Domingos als "hija predilecta de los trópicos" bedeutete bei ihm, dem Mulatten einfacher Herkunft und Sohn eines ehemaligen Sklaven, gewiß auch ein Bekenntnis zu jener Rassenmischung, die für die trópicos, insbesondere die Karibik, als charakteristisch gelten konnte. Luperón, Bonó und andere griffen diesen Gedanken auf: Luperón nicht ohne eine gewisse Ambiguität, Bono hingegen mit eindeutig zukunftsweisender Perspektive, beide jedoch - und wie wäre dies angesichts der Autorität europäischer "Rassenlehren" auch anders möglich gewesen - mit eindeutiger Präferenz für die weiße gegenüber der schwarzen Rasse.
73 Für Luperón galt die höchste Priorität der Frage des rassisch-biologischen Ursprungs, und so unterschied er die Gesamtbevölkerung der Insel in "dos razas [...] distintas por su origen y semblante", wobei er die "dominikanische Rasse" als europäischen bzw. spanischen Ursprungs und die "haitianische Rasse" als afrikanischen Ursprungs bestimmte, für Haiti wie für die Dominikanische Republik aber auch die Existenz einer anderen Rasse, einer "raza mixta", hervorhob, "[que] representa ya un papel muy importante, para el porvenir de esas dos Repúblicas" 73 . Bono war in seiner Einschätzung hinsichtlich der rassischen Komponente der Nation und ihrer künftigen Bedeutung sehr viel expliziter, wenn er feststellte, daß die dominikanische Nation als "civilización incipiente" zwar bereit wäre, sich europäischen und amerikanischen Einflüssen zu öffnen 74 und (im Gegensatz zum exclusivismo der Haitianer) im Zeichen eines Weltbürgertums die "expansión de todas las razas en su suelo" zu fördern (394), daß man aber mit Blick auf die gesamte Nation "fast" sagen könnte "que es toda mulata" (234). Gerade in diesem Faktum der "dominikanischen Rasse" als einer "raza nueva en el mundo" (393) sah Bonó die große Chance, Rassenschranken und rassische Diskriminierung in ganz Amerika zu überwinden, und so schrieb er am 30. Dezember 1887 an Luperón, der gerade für die neuerlich anstehenden Präsidentschaftswahlen (gegen Heureaux) seine (dann doch wieder zurückgezogene) Kandidatur angemeldet hatte: Bueno es que el Gobierno que nos rija sacuda un poco las vetustas aunque modificadas ideas del coloniaje español, que tanto campea en los consejos de Gobierno [...], y se ponga a pensar con seriedad en los destinos que la Providencia reserva a los negros y mulatos en la América. Estos destinos desde ahora son manifiestos, dado el número actual de esta raza; y la Isla de Santo Domingo creo está llamada a ser el núcleo, el modelo del engrandecimiento y personalidad de ella en este Hemisferio. Y quién mejor que Ud. podrá empezar a poner las primeras piedras, a sentar las bases de esta grandeza? Quién, mejor que Ud., puede conocer cuán necesaria es la raza blanca para conseguirlo, pero al mismo tiempo conocer la superioridad de las combinaciones de esta raza tan superior? y, quién mejor que Ud. podrá fundir, amalgamar y formar un todo homogéneo de la sabiduría y de la ignorancia de una y otra familia para que, modelo de tolerancia y de contención, podamos atraer hacia nosotros desde hoy las benévolas miradas del Universo y colocarnos, robustos y desembarazados, en una posición envidiable? Ea! Con que sea en buena hora su Presidencia... (40) In seinem Antwortschreiben versprach Luperón, "con mayor fundamento" darüber nachzudenken, wie man jene von Bonó so enthusiastisch beschworene "misión histórica" erfüllen könnte, die der Dominikanischen Republik "[por] la
74 perfectibilidad incontestable de la raza privilegiada que la habita" zustehen würde. 7 5 Doch erscheint fraglich, ob Luperón tatsächlich an eine solche Mission geglaubt haben mochte, gelang ihm doch, diese "raza privilegiada" über eine simple, pseudowissenschaftliche, Argumentation gewissermaßen aus der Welt zu schaffen, indem er erklärte, die aus der Verbindung von Europäern und Afrikanern hervorgegangene "raza mixta" "tiende por la ley de los climas a volver a la raza primitiva de la isla" 76 , das heißt: Der Mulatte mutiert zum Indio. Mit dieser ingeniösen Auslegung der "Klimalehre" befreite Luperón den Mulatten - wenn auch nur in der Diktion der politischen Propaganda - zwar nicht von sozialer, wohl aber von rassischer Diskriminierung, denn dem (toten) Indio galt als "erstem Dominikaner", der nach heroischem Widerstand gegen die (bösen) Spanier sein Leben ließ, allergrößte Sympathie 7 7 . Und so förderte er eine Entwicklung, die wohl das Selbstwertgefühl der Farbigen heben mochte, letztlich aber einer Entfremdung - und Diskriminierung der Farbigen - gleichkam, wenn diese in der Selbstcharakterisierung die Bezeichnung "negro" oder "mulato" auf wiederum ingeniöse Weise ersetzten: etwa, zwecks Abgrenzung gegenüber dem Haitianer, durch "negro blanco" oder, als Kontrapunkt zum Weißen der Hauptstadt, durch "blanco de la tierra" oder schließlich, zwecks Differenzierung einer helleren Hautfarbe, durch "indio" bzw. "indio quemado", "indio canela", "indio lavado", "indio claro", etc. 78 Die Bestimmung der dominicanidad über die rassische Komponente geriet selbst dort, wo die Vorstellung von einer spanischen Abstammungsgemeinschaft aufgegeben und die Rassenmischung zum distinktiven Merkmal einer historisch gewachsenen "dominikanischen Rasse" erklärt wurde, in Konflikt mit der sozialen Wirklichkeit. Denn selbst ein Bono, der in dieser Rassenmischung ein einzigartiges Entwicklungspotential erblickte, betonte für die Dominikanische Republik die "predilección" für die weiße Rasse, "de quien cree y espera recibir más fuerza" (394), weshalb schließlich im öffentlichen Bereich die Einwanderung von (weißen) Europäern gefördert und im privaten Bereich zwecks ersehntem blanqueamiento die (eheliche oder nicht-eheliche) Verbindung von Schwarzen mit Mulatten und von Mulatten mit Weißen gesucht wurde. Als nationales Identifikationsmerkmai mochte die Vorstellung von einer mestizischen oder mulattischen "dominikanischen Rasse" weder für die Weißen noch für die Mehrheit der Farbigen attraktiv sein - wie in einer der berühmtesten décimas von Juan Antonio Alix, "El negro tras de la oreja", aus volkstümlicher Perspektive und in kritisch-burlesker Intention dokumentiert: Como hoy la preocupación A más de una gente abruma, Emplearé mi débil pluma
75 Para darle una lección; Pues esto en nuestra Nación Ni buen resultado deja, Eso era en la España vieja Según desde chico escucho, Pero hoy abunda mucho "El negro tras de la oreja". Todo aquel que es blanco fino Jamás se fija en blancura, Y el que no es de sangre pura Por ser blanco pierde el tino. Si hay baile en algún CASINO Alguno siempre se queja, Pues a la blanca aconseja Que no baile con negrillo, Teniendo, aunque es amarillo, "El negro tras de la oreja". [...] El blanco que tuvo abuela Tan prieta como el carbón, Nunca de ella hace mención Aunque le peguen candela. Y a la tía Doña Habichuela, Como que era blanca vieja De mentarla nunca deja Para dar a comprender, Que nunca puede tener "El negro tras de la oreja". 79 Ein wirkungsvolleres Begründungspotential für die Existenz einer spezifischen dominicanidad lieferte da der Verweis auf kulturell und mentalitätsgeschichtlich wirksame Traditionen: Anliegen des seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts intensiv gepflegten costumbrismo in seiner genuin amerikanischen Ausprägung des criollismo. Die in Zeitungen, Zeitschriften oder auch als Flugschriften zahlreich publizierten, in Versen oder in Prosa verfaßten Skizzen, Genrebilder, Anekdoten und Legenden dokumentieren, mit besonderer Vorliebe für pittoreske, das Lokalkolorit unterstreichende Details und eine zumindest in Ansätzen volkstümliche Sprachgestaltung, Sitten und Gebräuche, tradierte Werte und Glaubensinhalte, Landschaft, Ambiente und soziale Typen vorzugsweise der ländlichen Regionen. Das Anliegen der Verfasser ist die wirklichkeitsgetreue Beschreibung der alltäglichen Lebenswelt in ihrer materiellen wie ideellen Gestaltung und die Bestandsaufnahme habitueller Äußerungsformen, die als genuiner Ausdruck einer
76 nationalen (oder auch nur regionalen) Boden- und Eigenständigkeit begriffen werden können, wobei viele Texte eine offenkundige, jedoch nicht immer eindeutige erzieherische Intention verraten: nostalgische Verklärung einer als (noch) ursprünglich und unverdorben begriffenen ländlichen Idylle und/oder Kritik an Verhaltensweisen und Erscheinungsformen, die es als Relikte einer rückständigen, fortschrittsfeindlichen "Barbarei" auszumerzen gilt. Das bedeutendste Werk des frühen dominikanischen costumbrismo ist der Kurzroman El montero. Novela de costumbres von Pedro Francisco Bonó, verfaßt 1851 und erschienen 1856 in dem in Paris publizierten, jedoch auch in Santo Domingo gelesenen Correo de Ultramar. Der Titel verweist auf den sozialen Typus des montero, jenen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in der sociedad hatera dominierenden, mit dem Einfangen des ganado cimarrón betrauten Landarbeiters 80 , dessen Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten hier, wie der Untertitel bereits suggeriert, skizziert werden. Die Handlung des Romans, angesiedelt in einem aus nur wenigen Hütten bestehenden entlegenen Küstenort im Nordosten und in den vierziger Jahren des Jahrhunderts, ist denkbar einfach. Der montero Manuel liebt Maria, Tochter des auch Viehzucht betreibenden, keinesfalls in Armut lebenden criador (oder hatero) Tomás; beide heiraten, doch auf dem Hochzeitsfest wird der Vater der Braut von einem Rivalen Manuels, dem montero Juan, getötet; dieser kann zunächst fliehen, wird aber Jahre später, nach dem Versuch, Maria Gewalt anzutun, seinerseits von Manuel getötet. Der nur skizzenhaft und ohne größere Verwicklungen präsentierte Konflikt ist schlicht Vorwand für die Aneinanderreihung diverser cuadros de costumbre, in denen die verschiedensten Aspekte ländlicher Lebenswelt vorgestellt werden: die Bauweise und Ausstattung der Hütten, die Alltags- und Festtagskleidung, die in der unwirtlichen Natur beschwerliche und gefahrvolle, keineswegs immer erfolgreiche Jagd auf das wilde Vieh, familiäre Szenen wie das abendliche Gebet oder die einem festgeschriebenen Ritual unterworfene Liebeswerbung, schließlich Tänze, Gesänge und Trinkgelage, die regelmäßig in ein blutig ausgetragenes Handgemenge entarten. Die Handlungspersonen sind stark typisiert und ohne jede individualisierende psychologische Vertiefung ihrer Handlungsmotive gezeichnet. Die Männer sind furchtlos und stark, rauflustig und trinkfest, gelegentlich eitel und großsprecherisch, auf ihre Mannesehre und ihren guten Ruf bedacht, immer bereit, bei der geringsten Provokation, insbesondere wenn ihre Mannhaftigkeit in Zweifel gezogen wird, diese mit der stets griffbereiten Machete unter Beweis zu stellen. Die Frauen sind umsichtig und fleißig, natürlich und tugendhaft, ohne jede Koketterie und Verstellung, und sorgen in dem Manne dienender Position innerhalb des Hauses für Glück und Harmonie. Das soziale Leben ruht in der Keimzelle
77
der Familie, durch die Ehe legitimiert, und in der Institution des compadrazgo, jener Gevatternschaft, die als informelles Beziehungs- und Solidarsystem dem einzelnen über die Familie hinaus emotionale und soziale Absicherung beschert. Geschildert wird eine in sich ruhende und sich selbst genügende, in ihrer Einfachheit und Bedürfnislosigkeit zum Wohl aller funktionierende Lebenswelt, die weder rassische noch soziale Diskriminierung kennt. Rassische Merkmale werden bei der (ohnehin knappen und wenig differenzierenden) äußeren Charakterisierung der Handlungspersonen nur sehr diskret und absolut wertneutral ins Spiel gebracht; und die Beziehungen zwischen dem montero und seinem patrón, der als solcher einzig durch die Anrede "señor" gekennzeichnet ist, sind familiärer Natur, wobei dem Älteren als Familienoberhaupt und patriarchalischer Figur das Privileg zugestanden wird, dem Müßiggang zu frönen. Einen Einbruch erfährt diese Lebenswelt, "esa quietud patriarcal que proporciona la vida del campo a las personas acomodadas" 8 1 , auf der Handlungsebene durch Juan, den Typus des villano oder Schurken, der als einzige Handlungsfigur absolut negativ gezeichnet ist. Und im Zusammenhang mit der von ihm verübten Tat erfolgt von seiten des Autors bzw. auktorialen Erzählers, der seine (fiktionale) Welt seinem Leser durchweg mit Sympathie präsentiert, massive Kritik: Kritik an der ständigen Bereitschaft, zu kämpfen und zu töten. Die Ursachen für diesen Hang zur violencia, die in einer "disertación político-filosófica" ausführlich diskutiert werden, sieht der Autor nicht in der "naturaleza pendenciera" des montero oder gar einem angeborenen "instinto feroz de destrucción", sondern einzig in Faktoren, die nicht in seiner Natur, wohl aber in seinen Gewohnheiten gründen: der Tradition "[que] es la espuela que anima al joven a empeñar una pelea general por cualquier niñada", dem Alkohol und der ständigen Verfügbarkeit der Machete. (90) Zwecks tiefergehender Ursachenforschung bemüht der Autor - gewiß auch mit Blick auf seine europäischen Leser - jenen in Lateinamerika so erfolgreichen Topos, der eine Antithese von städtischer gleich europäischer "Zivilisation" und ländlicher gleich lateinamerikanischer "Barbarei" postuliert: Si la civilización ha dulcificado las costumbres del hombre de Europa, los de estos campos sin semejante modificador, están aún en los primitivos tiempos del descubrimiento de la América, y dígasenos, ¿no era la fuerza brutal lo que campeaba más en los siglos pasados y se enseñoreaba sobre todo? (91) Doch bei aller Kritik an dem Fehlen eines "zivilisatorischen" Impetus und der Ineffizienz der zur Eindämmung der violencia eingesetzten Polizeigewalt kann der Autor nicht umhin, den im Prinzip angestrebten Fortschritt der zivilisierten Welt seinerseits kritisch zu beleuchten, und so fährt er fort:
78 El talento con su resplandeciente y pacífica aureola: el oro, poderoso señor, rey y emperador de todas las cosas en este siglo diez y nueve, se inclinaban entonces ante la fuerza y eran hollados por ella. En pos del oro corren desolados hoy los hombres, en pos de la fuerza corrían antes, hasta que la pólvora equilibrando la debilidad y aquella con la combinación del plomo y del salpetro, la hizo casi inútil y le sustituyó la destreza. (91) Der montero strebt nicht nach Geld und Reichtum, er bedient sich beim Kampf nicht des Schießpulvers, sondern der Machete, die weitaus mehr Kraft und Geschicklichkeit erfordert und dem "dominicano" schließlich (willkommene) Überlegenheit verleiht, "cuando hace uso de él en la guerra" (92); und das weibliche Geschlecht, aufgewachsen "en esta vida semisalvaje", "sin el menor asomo moral, justo o injusto" (57), wahrt voreheliche Unschuld und eheliche Beständigkeit aus einem natürlichen Impuls heraus, "pues sabido es que la educación no es la que engendra la constancia, ni son las ciudades las que poseen pechos de sentimientos delicados y duraderos" (58). Zivilisation und Barbarei besitzen wie alle "objetos físicos y morales" zwei Seiten: "una gloriosa, brillante, hermosa; otra fea y repugnante" (92). So überwiegt beim Autor - bei aller Kritik an Gewaltbereitschaft und Selbstjustiz - die fundamentale Sympathie für die Lebensweise "seiner" monteros; und so läßt er am Ende des Romans den Bösewicht nicht durch die Justiz, sondern durch Manuel richten, der - in einer wenig glaubwürdigen tour de forte - an den Schauplatz des Geschehens eilt und Juan mit einem "furioso machetazo" niederstreckt, woraufhin ihm die Gattin in die Arme sinkt, "con el sentimiento que debe experimentar el náufrago que arriba a una playa conocida, después de la borrasca en que ha estado a pique de perder la vida" (114). Pedro Francisco Bonó verfaßte seinen Roman mit 23 Jahren, am Beginn seiner brillanten Karriere als Staatsmann und einer der scharfsinnigsten Analytiker der zeitgenössischen politischen und sozioökonomischen Realität seines Landes. Es mag müßig erscheinen, darüber nachzusinnen, wie der Roman ausgefallen wäre, hätte Bonó ihn drei oder vier Jahrzehnte später verfaßt; doch darf vermutet werden, daß er dann als prominenter Vertreter des politischen und ökonomischen Liberalismus der Cibao-Fraktion - auch ohne auf die noch um die Jahrhundertwende beliebten cuadros de costumbre zu verzichten - das die reale Lebenswirklichkeit der monteros beherrschende materielle Elend und soziale Konfliktpotential stärker beleuchtet und möglicherweise sogar zugunsten einer im Sinne des liberalen Projekts als notwendig erachteten Förderung der Agrarwirtschaft gegen die sociedad hatera und die Wirtschaftsform der montería argumentiert hätte. Desgleichen könnte man vermuten, daß Bonó bei der Darstel-
79 lung des montero, für ihn zweifellos Repräsentant einer (rückständigen oder auch nur originären) kollektiven, spezifisch dominikanischen Mentalität, die politisch-nationale Dimension nicht ausgespart hätte - der Leser des Montero erfährt nicht einmal, ob sich die geschilderte Handlung vor oder nach der Unabhängigkeit von Haiti ereignet - und gleichzeitig die politisch-historische Perspektive mit einbezogen hätte, um bei der Ursachenforschung den dieser Mentalität inhärenten Hang zur violencia nicht ausschließlich auf die (privaten) Lebensumstände und Traditionen des montero zurückzuführen. 82 Die von Bono ausgesparten Aspekte und Perspektiven finden sich in dem zweiten bedeutenden dominikanischen kostumbristischen Roman, der - bezeichnenderweise - vier Jahrzehnte später verfaßt und publiziert wurde: Baní o Engracia y Antoñita (1892) von Francisco Gregorio Billini, auch er ein herausragender liberaler Staatsmann, der seinen Roman aber gegen Ende seines Lebens schrieb, nachdem er wenige Jahre zuvor, ob der herrschenden politischen Querelen und Intrigen resignierend, vom Amt des Staatspräsidenten, das er 1884/85 nicht einmal ein Jahr innegehabt hatte, zurückgetreten war, um sich fortan nur noch der journalistischen und literarischen Produktion sowie der Erziehung zu widmen. 83 Dem Roman vorangestellt ist ein Prolog in Form eines vom Autor verfaßten Briefes, in dem dieser vorgibt, nicht selbst der Urheber des Romans zu sein und nur ein paar unwesentliche Korrekturen vorgenommen zu haben. Der eigentliche Verfasser - und aus nachzeitiger Perspektive berichtende allwissende, sich immer wieder in Kommentaren und Erörterungen zu Wort meldende Ich-Erzähler - sei ein Freund, der die geschilderten Ereignisse entweder selbst erlebt oder vor Ort genauestens recherchiert habe: Ereignisse also, die auf Tatsachen beruhten und deren Bericht, nach Änderung der Namen der beteiligten Personen, in absoluter Übereinstimmung mit der Wahrheit von einer noch lebenden Zeitzeugin bestätigt worden sei. Das Ziel des vorgeblichen Verfassers - und gleichzeitig auch des realen Verfassers Billini - ist "escribir fotografiando"; dies mit eindeutig erzieherischer Intention, wie ein dem Roman als Motto vorangestelltes Zitat Rousseaus, in dem dieser auf den möglichen positiven Einfluß von Romanen auf das Bewußtsein der Völker verweist, dokumentiert. Ganz im Sinne des klassischen Bescheidenheitstopos warnt der (vorgebliche) Verfasser seinen Leser, daß es ihm gewiß nur ungenügend gelungen sei, die Protagonisten "abzubilden"; doch ein Verdienst sei ihm sicher zuzuschreiben: "el que pueda darle el reflejo de la naturaleza y costumbres de Baní" 84 . Und so steht zunächst der Ort Baní, etwa 60 km westlich von Santo Domingo gelegen, mit seiner unmittelbaren Umgebung, dem Tal von Peravia, im Zentrum des Romans, vom Erzähler, der sich als banilejo zu erkennen gibt, in überaus
80 emphatischer, romantisierend poetischer Diktion beschrieben: die atemberaubende Schönheit der in Licht und Farben oszillierenden Landschaft, "anfiteatro en donde la naturaleza enamorada derramó sus primores" (36), das stets angenehme Klima, "[que] tanto en lo físico como en lo moral, resucita del enfermo las fuerzas decaídas" (42), die üppige tropische Vegetation - schlicht ein Paradies und Arkadien, "lugar favorito de la tierra" (38). Die Menschen in dem Städtchen, das seinen ursprünglich dörflichen Charakter weitgehend bewahrt hat, zeichnen sich aus durch die Einfachheit ihrer Sitten und Gebräuche, ihre Gastlichkeit und einen engen Zusammenhalt: "todos se tratan como si fueran parte de una misma familia" (20). Zurückgeführt werden Charakter der Menschen und ihre Sitten auf ihren unverfälschten spanischen Ursprung; das farbige Bevölkerungselement bleibt als nicht zugehörig zur "distinguida sociedad" (126) ausgegrenzt. 85 Das öffentliche Leben in Bani ist durchweg eher trist und monoton, doch ändert sich dies schlagartig, wenn religiöse Feste anstehen, vom Verfasser in großer Ausführlichkeit und mit besonderer Vorliebe für das Lokalkolorit unterstreichende Wendungen und Details dokumentiert. Dann erwacht der Ort zu einer ungeahnten Vitalität und stürzt sich mit einer alle mitreißenden Fröhlichkeit in gemeinschaftlich erlebte Freuden: Prozessionen, Umzüge, Turniere, literarische Wettbewerbe, Musik, Gesang und Tanzveranstaltungen, "puros e inocentes placeres de una sociedad pura e inocente" (59), die besonders dem "schönen Geschlecht" Gelegenheit bieten, auch mit Blick auf die zahlreich aus der Hauptstadt anreisenden jungen Männer und in der Perspektive einer möglichen Heirat die eigenen Vorzüge ins rechte Licht zu rücken. Und die Frauen und jungen Mädchen sind in der Tat das besondere Juwel Banís: "mujeres bellas, sin afeites artificiales, de sencillas costumbres, de afable trato, que como madres y como esposas son dechado de virtudes, y como hijas semejan al ángel bueno del hogar" (42). Zwei dieser jungen Mädchen, die Titelfiguren Engracia und Antoñita, stehen denn auch im Mittelpunkt der um 1867/68 angesiedelten Romanhandlung, einer historia sentimental oder Liebesintrige von nur bedingter Originalität. Beide, Freundinnen und einander wie Schwestern verbunden, verlieben sich in denselben jungen Mann, den schmucken und eleganten, jedoch wankelmütigen und heuchlerischen Enrique, Prototyp des Dandy aus der Hauptstadt, der sich ihrer Liebe nicht würdig erweist, woraufhin sich beide, in ihren reinen Gefühlen verletzt und unfähig, diesen zu entsagen, aus der Welt zurückziehen. Ihre unterschiedliche psychische Verfaßtheit wird durchaus beleuchtet, im Vordergrund aber stehen beide als Prototypen spezifischer, gegensätzlicher, Frauenbilder, die vom Verfasser in pädagogischer Absicht - und mit eindeutiger Präferenz - stilisiert und bewertet werden.
81 Engracia und Antoñita, 18 und 17 Jahre alt, sind beide Halbwaisen und leben jeweils mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern als geachteter Teil der Gemeinschaft, jedoch in ärmlichen Verhältnissen. Während aber Engracia, durchaus mit natürlicher Vernunft und Urteilskraft begabt, aufgrund der größeren Armut auf Bildung verzichtet, um von Kindheit an durch häusliche Tätigkeit und Handarbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, vermag sich Antoñita, als jüngste Tochter überdies bevorzugt, derlei hausfraulichen Tätigkeiten weitgehend zu entziehen und, da sie außerordentliche intellektuelle Fähigkeiten besitzt und mit außergewöhnlicher Leichtigkeit lesen und schreiben lernte, ihrer bevorzugten Beschäftigung zu widmen: der Lektüre von romantischen Versen und Romanen wie etwa Atala von Chateaubriand. So ergibt sich zwischen den beiden ein erster Gegensatz: La una con el afán de su lectura creía enriquecer su inteligencia y fortalecer su espíritu, privando en el ejercicio de la memoria como cultivo de su entendimiento; y la otra, sin hacer mérito de ello, cumplía una alta misión moral con el trabajo de sus manos que ayudaba a la subsistencia de su familia. (30) In ihrer Schönheit scheinen sie einander zunächst nicht nachzustehen: "bellas y hermosas ambas como las flores que al relucir del alba despiertan adornadas de rocío" (22). Doch bei näherer Betrachtung ergeben sich auch hier - signifikante - Unterschiede: [...] retozando en el jardín de sus mejillas el sonrosado pudor; con sus ojos verdes como las yerbitas que nacen a la orilla del arroyuelo de Peravia, o como las esperanzas que sonreían a su alma; con sus facciones finas y agraciadas; con su cabellera casi rubia y abundante, aunque un poco tostada; con sus lindísimas manos, no obstante el trabjo cotidiano a que se encontraban acostumbradas; con sus graciosos labios rojos, decidores elocuentes de la modestia de su ser, se mantenía candorosa y llena de juventud Engracia. (23) Ganz anders ist das Erscheinungsbild Antoñitas, das bereits auch auf das so andere Temperament verweist: Aquella cabeza erguida y poblada de cabellos negros que tan a menudo usaba en dos largas trenzas tendidas a las espaldas; aquella frente despejada donde cualquiera podía leer las impresiones de su corazón; aquellos ojos tan expresivos, con su mirada inteligente a la vez que tierna; el suave perfil de su pequeña nariz, y más que todo, su boca que no economizaba aquellas risas sinceras, donde parecía anidar la franqueza y la complacencia, daban a Antoñita ese no sé qué que inspira la simpatía.
82 Und während der Reiz Engracias allein durch ihre Präsenz, gewissermaßen ohne Inszenierung ihrer Vorzüge, offenkundig wird, muß sich Antoñita, "[que] no era de esas bellezas encantadoras que seducen a primera vista", das Wohlgefallen ihrer Mitmenschen erobern: [...] en su trato, en su conversación viva y siempre acompañada de esa acción que da brío a las palabras y que insinúa más las ideas, revelaba que era mujer espiritual y capaz de sentir y comprender las cosas dignas de las almas levantadas. Por eso Antoñita se conquistaba el agrado de cuantos la trataban. (24) Unbestritten ist beider Ehrbarkeit und Tugendhaftigkeit; doch beweisen sie hinsichtlich ihrer herausragenden Charaktereigenschaften wie ihrer Hoffnungen und Wünsche wiederum eine bezeichnende Gegensätzlichkeit. Engracia ist sanft und nachgiebig, zurückhaltend und bescheiden, zumeist besonnen und ausgeglichen; Antoñita dagegen ist ungestüm und heftig, kapriziös und eigensinnig, stolz und selbstbewußt, willensstark und entschlußfreudig, bisweilen ungeduldig und unnachgiebig und in ihrer überspannten, von einem zutiefst romantischen Lebensgefühl infizierten Sensibilität ein leichtes Opfer von Melancholie und Verzweiflung 86 . Antoñita, höchst unzufrieden mit dem als beengend empfundenen Lebensraum ihrer Heimat, "daba vuelos a su imaginación y traspasaba los horizontes": "ella aspiraba a otro espacio, quería otra vida, deseaba otra residencia". Engracia hingegen gibt sich zufrieden mit der Zukunftsperspektive, die ihr die heimische Lebenswelt bietet: "apenas si tendía la vista para colorearlo más allá de las verdes lomas que rodean su valle". (27) Die Charakterzeichnung Antoñitas ist weitaus komplexer und besonders in der Schilderung ihrer widersprüchlichen Gemütsbewegungen psychologisch überzeugender als die Engracias. Diese gewinnt hinsichtlich ihrer Gefühlslagen kaum Konturen und bleibt in ihrer Reaktion auf die Liebesenttäuschung diffus. Für den Erzähler (und Verfasser), der hier aus der historischen Distanz und in der durchweg nostalgisch-kritischen Opposition von "alter" und "neuer" Zeit seine Figuren beurteilt, ist Antoñita "la imagen de sus paisanas de hoy", die alte Traditionen mißachten, Engracia hingegen noch Sinnbild "[del] tipo moral de sus paisanas de otros tiempos" (27f.) und das Modell jener Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen, die den guten Ruf der banileja einst begründeten und denen nachzustreben dem weiblichen Leser eindeutig empfohlen wird. 87 Die in Enttäuschung und Entsagung mündende, ob der moralischen Integrität der beiden Titelheldinnen aber auch erbauliche Liebesgeschichte entfaltet der Erzähler - und hierin liegt der herausragende, über das rein kostumbristische Genrebild hinausweisende Beitrag Billinis - im Kontext der zeitgenössischen politischen Ereignisse: der im Anschluß an Restaurationskrieg und Unabhängig-
83 keit erfolgten "Revolutionen" oder Bürgerkriege zwischen Liberalen und baecistas, die 1868 zugunsten der letzteren entschieden wurden und Buenaventura Báez (für 6 Jahre) zu einer neuerlichen Präsidentschaft verhalfen. 88 Dieser politische Kontext ist nun Anlaß für den Autor, mit der politischen (Un-)Kultur seines Landes harsch ins Gericht zu gehen, wobei er die eigene Fraktion der Liberalen keinesfalls verschont. Als Grundübel - "que tantos daños ha causado a nuestra pobre República" (12) - benennt er den personalismo, den politischen Ehrgeiz der Mächtigen, die ohne Skrupel die demokratischen Prinzipien dem eigenen Machterwerb oder Machterhalt opfern, und den Opportunismus ihrer Gefolgschaft, die, statt für eine gerechte Sache zu kämpfen, blind einem Führer folgt, von dem sie sich die Teilhabe an der Macht oder auch nur materielle Belohnung verspricht. Der personalismo, "ese monstruo que lo contagia todo, que destruye las más caras afecciones y que es capaz, como Saturno, de devorar sus propios hijos" (61), ist verantwortlich für Bürgerkriege und Anarchie ebenso wie für Willkürherrschaft und Tyrannei, ausgeübt von der einen wie von der anderen Seite: El chismoteo del partidario, la denuncia solapada, los rencores mezquinos, los odios injustificables habían encendido por todas partes el espíritu de intolerancia. Los mandatarios de alta categoría, los jefes militares, todas las autoridades, en fin, no respiraban en otra atmósfera; y las cárceles estaban llenas de ciudadanos engrillados o en infames ruedas; el ostracismo y los confinamientos llegaron a ser penas leves, ¡y el patíbulo levantaba por doquiera sus espectáculos de horror! [...] pues las leyes llegaron a ser un mito, y la justicia existía intransigente y severa cuando daba su fallo en contra del personalismo caído; pero generosa, conciliadora, benigna, compasiva, contradictoria, en fin, cuando por algún caso grave había que aplicar la ley en contra del personalismo reinante. (145f.) Die vehemente Kritik Billinis am personalismo auch der eigenen Partei, vorzugsweise plaziert in von der Handlung abgelösten Exkursen, bedeutet nun aber keine generelle Absage an das von ihm zeit seines Lebens vertretene liberale Projekt oder gar eine absolute Gleichsetzung der Liberalen mit den politischen Gegnern von einst, denn in der fiktionalen Präsentation der Ereignisse setzt er durchaus entscheidende Akzente. So werden die baecistas oder "Revolutionäre" bei ihrem Einfall in die so friedliche Idylle Banis schlicht als Bande von Kriminellen geschildert: als "horda de forajidos" (214), "facinerosos, que infundían el terror por donde quiera que asentaban las huellas de sus soletas" (221), die wie "perros rabiosos" (214) über die Menschen herfallen, rauben, plündern, morden und in ihrer Perversion sogar Frauen Finger und Ohren abschneiden, um ihnen die Ringe und Ohrringe abzunehmen, "que por su mal usaban" (243). Baní
84 "parecía una tierra conquistada en los tiempos de los bárbaros"; und Barbarei wird schließlich auch mit der Hautfarbe assoziiert, denn die drei einzigen aus dem Kreis der "bandoleros" namentlich benannten und sich durch besondere Grausamkeit und Perversion auszeichnenden "Revolutionäre" sind Farbige: "color indio" oder "prieto", einer sogar, mit Namen Musié, "rayano de las líneas de Haití, hombre sin principio de gente y otras cosas por el estilo" (224). Die Gegenseite der Liberalen repräsentiert Don Postumo, in Bani Militärbefehlshaber und damit oberste Autorität. Sein Regiment ist - bis zum Einfall der baecistas - Garant der öffentlichen Ordnung, jedoch gerecht, tolerant und auf den Ausgleich der verschiedenen Fraktionen bedacht, getreu der Devise "[que] la autoridad mejor de un pueblo, es aquella que menos haga sentir su peso" (132). Für ihn, der als Soldat und Offizier im Restaurationskrieg auf der Seite der Patrioten kämpfte, ist die Verteidigung der Freiheit - "que es, y ha sido siempre, base del progreso" (93) - und der fundamentalen demokratischen Prinzipien gleichermaßen oberste patriotische Pflicht. Und so zögert er auch nicht, gegenüber Vertretern der (weißen) "distinguida sociedad del pueblo", die Farbigen die Nutzung eines öffentlichen Ballsaals verwehren wollen, für die Farbigen und damit für die prinzipielle Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz einzutreten: La República es una, la democracia no tiene distinciones, y el derecho es igual para unos como para otros, lo mismo que la libertad; ellos no pertenecen a un solo grupo, a una sola fracción, a un solo partido: el derecho y la libertad son de todos los ciudadanos. De aquí el que todos tengamos las mismas prerrogativas, en casos como el presente tanto el pobre como el rico, el jornalero como el industrial, el negro como el blanco, el fuerte como el débil [...] (128) Don Postumo ist zweifelsohne ein überzeugter und überzeugender Demokrat - und Sprachrohr des Autors; doch sind auf der Ebene des politischen Diskurses der Figur hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft und auf der Ebene der fiktionalen Handlung der liberalen Praxis hinsichtlich ihrer Wirksamkeit Grenzen gesetzt. Denn der Autor stattet Don Postumo mit menschlichen Schwächen aus, die ihn zwar sympathisch erscheinen lassen, die aber - beim Leser wie bei den Handlungspersonen - gelegentlich Zweifel darüber aufkommen lassen, ob er denn gar so ernst zu nehmen ist. So ist er selbstgefällig, bisweilen gar überheblich und durch Schmeicheleien leicht zu gewinnen, mal liberal und tolerant, dann wieder schulmeisterlich, halsstarrig und auf die Anerkennung seiner Autorität höchst peinlich bedacht, generell beredt und wortgewaltig, jedoch auch hochtrabend und geschwätzig, in seinem Urteil bisweilen ein Phantast und in seiner Handlungsweise nicht immer konsequent. Stets aber bleibt er sich selber treu, auch als er, nachdem in Bani - "ejemplo raro en aquella época" (336) - unter den neuen
85 Machthabern die politische Verfolgung ausgeblieben ist, nunmehr als Privatmann und im Freundeskreis seine nun nicht mehr auf die Gegenwart, sondern auf die Zukunft gerichteten "Wahrheiten" von sich gibt: Señores, cordura, cordura, hay que adoptar otros medios que no sean los empleados hasta hoy. Dadas las condiciones morales del país, no se conseguirá nunca nada, en bien de la patria, si queremos obtenerlo todo de una vez: es necesario ir poco a poco arrancando derechos y libertades. No nos fijemos en el presente; busquemos el porvenir. (337) Das Heil in der Zukunft sieht Don Postumo in Arbeit und Bildung für alle: "será lo único que salve a la República" (337). Denn, so argumentiert er (unter Rekurs auf anerkannte Autoritäten wie etwa Victor Hugo): "Cada vez que un ciudadano guarda una moneda para librar a su familia de la miseria, rescata al mismo tiempo a la patria de la servidumbre. La independencia de situación, afianza la independencia de carácter. El despotismo necesita un pueblo mendigo. Que éste deje de pedir y el déspota no podrá sostenerse." [...] "¿Qué es lo que se necesita en las sociedades para desvanecer y disipar sus larvas? Luz. Raudales y torrentes de luz. Ni un solo murciélago resiste a los resplandores del alba." "Iluminad la sociedad en las regiones inferiores." Y — habréis salvado el país. (337f.) Das von Don Postumo - zweifellos wiederum als Sprachrohr des Autors aufgestellte Programm ist in seiner Gegenwart - wie in der Billinis - noch weit von seiner praktischen Umsetzung entfernt, und so bricht sich die in eine noch ferne Zukunft projizierte Vision einer von politischer Gewalt und Tyrannei befreiten Nation an der historischen Wirklichkeit - für den Romanhelden Don Postumo die Diktatur Buenaventura Báez' und für den zeitgenössischen Leser die Diktatur Ulises Heureaux': La intransigencia política seguía en el país, y el personalismo reinante no daba acceso a ninguna clase de conciliación. Las revoluciones se sucedían; las unas fracasando al nacer, a causa de las traiciones, y las otras, sin encontrar eco en las masas, obtenían el triste resultado de la derrota, dando a los vencedores nuevos motivos para abatir al patriotismo, ora en las cárceles, ya en el destierro o ya también en el patíbulo. Se derramaron más lágrimas y hubo más sangre en esas contiendas civiles que en la guerra de Independencia. Así es como los tiranos cuestan más a los pueblos que su misma autonomía. El vicio inmola más víctimas que la virtud y por la servidumbre hacen los hombres más sacrificios que por la libertad. (337) Von der zeitgenössischen Kritik wurde der Roman Billinis mit enthusiastischem Beifall aufgenommen. Gelobt wurde die, trotz gelegentlicher romantisie-
86 render Passagen, insgesamt gelungene realistische Darstellungsweise: die "pasmosa fidelidad fotográfica" 8 9 und "completa ilusión de la verdad" 9 0 ; und gelobt wurde der erzieherische, patriotische Impuls des Dargestellten: "lecciones de moral política" 91 und "reflejo de nuestras costumbres y de los sentimientos que distinguen a la familia dominicana" 9 2 . Mit der Einbeziehung einer politischhistorischen, nationalen, Perspektive ging Billini in seinem Bemühen um die Begründung eines vorrangig ethnisch-kulturell fundierten kollektiven Identitätskonzepts weit über Bono hinaus, doch präsentierte auch er das Bild einer fragmentierten nacionalidad. Die dargestellte Lebenswelt Banis steht für ein ausschließlich durch das weiße Bevölkerungselement und spanische Traditionen geprägtes, überdies in einem nur lokalen Ausschnitt präsentiertes Identitätskonzept, das, mit romantisierendem Pathos nostalgisch verklärt, eine fundamental dualistische und ethisch-moralisch konservative Perspektive verrät. Während Santo Domingo als lärmende Großstadt, als Ort der politischen Intrigen und des moralischen Verfalls den Menschen in seiner Integrität bedroht, moralisch und sozial entwurzelt und jede Solidarität vermissen läßt, ist Bani mit seiner dörflich-ländlichen, von sozialen Konflikten 9 3 unberührten Lebensweise noch der Hort, an dem sich das Individuum in natürlich-christlicher Lebensführung harmonisch entfalten kann und in der Solidargemeinschaft Sicherheit, aber auch soziale Kontrolle erfährt, "esa sanción moral que necesitan las sociedades no sólo para conservar la pureza de sus costumbres sino para dar ejemplo, castigando la licencia y el mal proceder" (54). Eine Opposition postuliert Billini aber nicht nur zwischen städtischer und ländlicher Identität und Lebensweise; denn Bani ist nicht mehr, wie der Erzähler bedauernd konstatiert, das (verlorene) Paradies seiner Kindheit - "lugar de mis ensueños de poeta" - , sondern recht eigentlich nur ein Fluchtpunkt, eine therapeutisch wirksame (regressive) Utopie: el oásis donde mi espíritu recobra aliento y descarga las fatigas de sus pesadumbres, el confesionario donde mi alma habla con Dios y pide perdón de sus debilidades y ofrece la enmienda; el templo donde levanto mi oración; la piscina sagrada donde se purifica mi pensamiento; el arca de paz donde se reconcilia el corazón con la fé y la esperanza; el altar donde comulga mi amor a todo lo bueno para volver con fuerzas a luchar la vida de la virtud! (43)
87
2.3 Das Erbe von Siegern und Besiegten: Fiktion einer patriotischen Geschichtsdeutung Die Geschichte als Lehrmeisterin der Nation, als Urgrund nationaler Identität und Ursprung eines nationalen Bewußtseins, das patriotisches Handeln ermöglicht und befördert, war für Gregorio Luperón (u.a.) jene Kraft, die es im Dienst seines Projekts einer modernen Staatsbürgernation zu aktualisieren und zu mobilisieren galt: "la sacrosanta memoria de los grandes hechos nacionales y [de] los nobles sufrimientos en las empresas gloriosas de sus antepasados" 94 . Wer aber waren nun jene "antepasados", mit denen man sich zu Ehren der Nation identifizieren und solidarisieren konnte? Gegen Ende des Jahrhunderts mochte ein Francisco Gregorio Billini das Modell einer dem biologischen und kulturellen Erbe Spaniens verpflichteten Gemeinschaft zum Hort und Fluchtpunkt einer als genuin dominikanisch erachteten Identität und Lebenswirklichkeit stilisieren; 1865 aber, nach Beendigung des Restaurationskrieges gegen Spanien, wäre ein solches Modell unvereinbar gewesen mit jenem anti-spanischen Patriotismus (oder Nationalismus), der schließlich die restauradores und das Gros der Truppen in ihrem siegreichen Kampf beflügelt hatte. Überdies boten Präsenz und Wirken der Spanier während der Conquista und der Kolonialzeit keinen Stoff für ihre Stilisierung als Opfer und Märtyrer - eine "Qualität", die nun aber dem anderen, dem afrikanischen, Bevölkerungselement durchaus zugesprochen werden konnte. Das Leid der Afrikaner als Verschleppte und Sklaven ebenso wie ihr Widerstand auf den Plantagen und ihr Überlebenskampf als cimarrones hätte hinreichend Stoff für die Begründung jener Kontinuität liefern können, die für die historische Fundierung von nación und nacionalidad unabdingbar war. Doch der Afrikaner war im Bewußtsein der vorwiegend weißen Elite unter dem Einfluß europäischer Rassenlehren und unter dem Eindruck der noch rezenten Bedrohung durch den mit diesem gleichgesetzten haitianischen Nachbarn als kulturloser Barbar stigmatisiert, und so konnte er zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht als Subjekt der Geschichte begriffen werden, mit dem sich zu identifizieren und sich zu solidarisieren der Nation zur Ehre gereichen würde. So verfiel man, beflügelt durch die europäische Romantik und das Beispiel anderer lateinamerikanischer Nationen, auf den Indio, der als Opfer und Held der Conquista über die Kontinuität von Leid und Widerstand zum ersten "Dominikaner" gekürt wurde. Einen direkten Zusammenhang zwischen Conquista und Annexion etabliert die von Nicolás Ureña de Mendoza 1872 verfaßte "Oda a mi Patria", in der die indianischen Opfer der Conquista, als Schatten ihren Gräbern entstiegen und in der Erinnerung an die eigene leidvolle Erfahrung, Klage führen gegen Pedro Santana und Spanien, das dem Land erneut die Freiheit geraubt:
88
Cruzaban los caciques en figuras de sombras los espacios; buscaban sus behiques, sus zemís y sus frágiles palacios, y aún de sangre teñidos daban, furiosos, lúgubres gemidos. [...] Y al ver sus opresores dueños de nuevo de su fértil tierra, alzaban sus clamores, recordaban su raza, la atroz guerra, las horcas, las torturas, las hogueras ardiendo en las llanuras. Y en su vuelo errabundo maldecían al infame que vendiera la prez del Nuevo Mundo, por vil temor, a la nación ibera; ¡la tierra que Dios hizo para de libertad ser paraíso! 95 Ein solches Verfahren der expliziten Parallelisierung war jedoch eher die Ausnahme und erübrigte sich dort, wo die indianische Lebenswelt und spanische Eroberungspraxis, mit eindeutiger Sympathie und eindeutiger Schuldzuweisung inszeniert, eine auch auf die jüngere Vergangenheit (und Gegenwart) projizierte patriotisch wirksame Interpretation nachgerade suggerierten: in der romantisch verklärenden Schilderung der Natur und der Menschen, die, von einer unbändigen Freiheitsliebe beseelt, für ihr Land und ihre Unabhängigkeit zu größten Opfern bereit, gegen Unrecht und Grausamkeit der Invasoren einen zwar aussichtslosen, aber heroischen Kampf führen. Und so wurde "Quisqueya", (vorgeblich) einer der indianischen Namen der Insel 96 - in Opposition zu dem bereits vom Nachbarn im Westen vereinnahmten (authentischen) Namen "Haiti" - zur gängigen poetischen, in historisch-nationaler Perspektive bewußt in Anspruch genommenen Bezeichnung für die neue Nation, als "Quisqueya, la indómita y brava" sanktioniert durch Emilio Prud'homme in der von ihm 1883 verfaßten, bis heute gültigen Nationalhymne 9 7 . Das erste herausragende Beispiel des frühen, primär anti-spanisch motivierten indigenismo - oder indianismo98 - ist das in Versen verfaßte Theaterstück Iguaniona von Francisco Javier Angulo Guridi 99 , das 1867 zum ersten Mal aufgeführt, jedoch erst 1881 publiziert wurde. Die Titelheldin, eine indianische Prinzessin, verkörpert hier den heroischen Widerstand ihres Volkes gegen die grausame Unterwerfung der "infelice patria" 1 0 0 durch die Spanier. Gleichzeitig ist sie das Idealbild der tugendhaften Jungfrau, die, erprobt in Liebesglück und
89 Liebesleid, vom ebenso machthungrigen wie lasziven Konquistador bedrängt, ihre Ehre und Freiheit verteidigt, indem sie - mit den Worten "¡La tumba antes que sierva!" (111) - den Freitod wählt. Die Invektiven gegen die Spanier - von denen allein Bartolomé Colón als Befürworter einer conquista pacífica ausgeschlossen ist - weisen deutlich über den historischen Moment der Conquista hinaus, wenn Iguaniona ihren (gerechten) Haß gegen die Konquistadoren auf das System überträgt, das diese repräsentieren: Yo aborrezco al mortal que se propone Al bueno y libre domeñar, tirano; Al que huella el pudor de las mujeres; Al que es cobarde y vil. Y aunque profundo Es mi odio hacia él, inextinguible, Quisiera que le odiasen cuantos seres Laten y giran en redor del mundo. (81f.) Wie viele Aufführungen das Stück erlebte, ist nicht belegt; bekannt war es aber zweifellos jenen, die - wie José Joaquín Pérez, der für die Ausgabe von 1881 ein Vorwort schrieb - vorrangig über lyrisch-dramatische Gedichte dem bei Angulo Guridi bereits in seinen Grundzügen entworfenen indigenistischen Programm zu außerordentlicher Popularität verhalfen. José Joaquín Pérez publizierte seine Gedichtsammlung Fantasías indíjenas. Episodios i leyendas de la Epoca del Descubrimiento, la Conquista y la Colonización de Quisqueya, bereits 1875 verfaßt, im Jahr 1877. Der Titel verweist auf die der europäischen Romantik so teure poetische Rückgewinnung der Ursprünge eines originären Volkscharakters, wie sie sich in volkstümlichen Traditionen und Legenden offenbaren. Bei der zweifellos nostalgisch verklärten Darstellung der indianischen Lebenswelt, ihrer Glaubensinhalte und religiösen Zeremonien wie ihrer areitos "cantares que obsequiaban a sus dioses, conservaban la memoria de las acciones guerreras, celebraban sus amores y enterraban los muertos", wie es in einer Fußnote heißt' 01 - erhebt Pérez aber auch den Anspruch auf Historizität, die er durch die Benennung seiner Quellen in Mottos und unzähligen Fußnoten unterstreicht 102 , in denen er auch die zahlreich übernommenen, das Bemühen um Authentizität dokumentierenden indianischen (oder vorgeblich indianischen) Ausdrücke und Wendungen erklärt. Eröffnet wird die Sammlung durch ein Gedicht, das bereits auf den programmatischen Anspruch und auf die vorherrschende Perspektive verweist; der Titel lautet "Igi aya bongbé (Primero muerto que esclavo)", vorgeblich die einzige erhaltene Zeile einer Kriegshymne der Ciguayos, wie der Autor in einer Fußnote erläutert. 103 Vorgestellt werden zunächst die bei Ankunft der Spanier mächtigsten (historischen) caciques Hispaniolas: Bohechio mit seiner Schwester Anacaona 104 aus dem cacicazgo Jaragua, Caonabo (oder Caonabó) aus Ma-
90 guana, Guacanagarí aus Marién, Guarionex aus Maguá und Cayacoa aus Higüey - sämtlich tugendhaft und gerecht, unbeugsam und unerschrocken. Ihnen zur Seite stehen die ihnen tributpflichtigen nitainos oder "caciques subalternos", gleichermaßen heldenhaft und kühn, ausdauernd und im Kampf erprobt, denn: "Quisqueya, en su alta gloria, / también lega a la historia / mil nombres con honor" (37). Sie alle leben in Einklang mit der Natur, "felices" und "sin temor", bis plötzlich in Gestalt der "arijunas", der Fremden, das Unheil über sie hereinbricht: "pues turba advenediza / de allende el mar Caribe / perder ya les prescribe / su bien, su libertad." (38) Und in der Konfrontation mit dem "siempre aleve falaz conquistador" stimmen sie ihre Kriegshymne an, auf die der Titel verweist: "¡Oíd, tribus ciguayas! Yo voy en son de guerra a defender la tierra que Louquo 1 0 5 protegió, y audaz el arijuna - que en fragua trae el trueno y rayos en su seno aleve profanó. "Yo voy a herirlos todos con mi azagaya aguda; caciques, dadme ayuda, ¡volad a combatir! Templadme el arco rudo del ínclito guerrero: ¡morir antes prefiero que no esclavo vivir! [...] "Yo mataré al cacique de la horda sanguinaria... Si acaso me es contraria la suerte al combatir, llorad sobre mi tumba, pues noble y altanero, ¡morir antes prefiero que no esclavo morir! (39f.) Die hier im ersten Gesang, offenbar durch erste Zusammenstöße mit den Fremden motivierte moralische Aufrüstung zeugt noch von einem tiefen Vertrauen in die eigene Kampfesstärke und die Möglichkeit, die Eindringlinge zu vertreiben und, wie in mehreren Gesängen ausführlich geschildert, bei Gefangennahme kannibalistischen Praktiken zu unterwerfen. In den nachfolgenden Gedichten
91 aber erfahren die Indios die Eroberungspraxis der Invasoren in einer Härte, die den für sie fatalen Ausgang unausweichlich erscheinen läßt. Die Konquistadoren, "horda de aventureros hijos de Iberia" (128), sind ehrlos, niederträchtig und heimtückisch: "ruda soldadesca" (93), "ebrios de sangre, dignos de horror" (131), "de lujuria y oro vil sediento" (51), denn: Nada había entonces que fuese para la española raza más atrayente que el oro que su codicia buscaba. (124) Mit Raub, Plünderung und Mord, "sangriento fatal festín" (129), unterwerfen und zerstören sie die indianische Welt 1 0 6 - "paraíso quisqueyano" (50), "índico edén" (120) - , doch gelingt ihnen dies allein durch Hinterhältigkeit sowie effizientere Bewaffnung, die sie stets in kompakter Masse, jedoch nie im Einzelkampf einzusetzen wissen. Die eigentlichen, sich durch persönlichen Mut und Tapferkeit auszeichnenden Helden in diesem ungleichen Kampf sind die Indios "aquel soberbio titán indiano" (115), "aquella raza indomable" (56) - , doch vermögen sie nicht zu verhindern, daß sie schließlich, "desheredados, de su tierra natal, su patrio edén" (86), "por defender sus derechos" (81) ais "raza que mártir sucumbía" (91) auch die Freiheit und das Leben verlieren, während sich Spanien, "la cruel España" (69), rühmen kann, "[que] ya Quisqueya, conquistada, brilla / cual joya de la ibérica corona" (45). Die im Geist der leyenda negra entworfene, die (nicht als Quelle genannten) Schriften des Bartolomé de las Casas noch übertreffende Schilderung spanischer Grausamkeit und Perfidie wird nun allerdings dort abgefedert und abgemildert, wo die Missionare und die conquista espiritual ins Blickfeld rücken, dies jedoch nicht ohne eine gewisse Ambivalenz. Der Konquistador, der in der Masse als Fremder für die Indios keine Individualität gewinnt - allein Nicolás de Ovando, der für den Verrat an Anacaona und ihren infamen Tod am Galgen verantwortlich war, wird als besonders niederträchtig geschildert - , beruft sich auf den Beistand seines Gottes und das Gebot der Christianisierung, doch: "en el nombre de Dios amor mentía" (75), und "oculto tras la cruz que reverencia, / lanza doquier su corruptor aliento" (51). Dem Gebot der christlichen Nächstenliebe gehorchen nun aber die Missionare: "apóstoles fervientes / de caridad cristiana, / - trayendo por enseña / la Cruz, y en vez de armas / la luz del Evangelio, / la unción de la palabra" (50). Ihnen gelingt, angesichts der andernorts evozierten, mit der natürlichen Lebensweise der Indios harmonisierenden Hingabe an die eigenen Götter wenig glaubhaft, eine schnelle Bekehrung, die für die Haltung der Indios gegenüber den Fremden natürlich nicht ohne Folgen bleiben kann:
92 Sencilla y candorosa la grey de Maguá, en calma escucha esa doctrina de paz y de esperanza; y el Dios de los cristianos recibe en las cabañas del indio agreste el culto que en breve se propaga. Abjúranse los ídolos, y del bautismo el agua cayendo va en las frentes, regenerando el alma. Guaicavanú, el primero con su familia abraza la ley que en el Calvario al universo salva; y hasta el cacique intrépido, a quien la luz exalta de aquella fe bendita, - comienza a confesarla; pues ya - desde su trono donde las flores lanzan al aire sus aromas cuando aparece el alba rodeado de su esposa y de su prole, ensaya los cánticos fervientes de la oración cristiana. (50f.) Das hier gezeichnete Bild des vom Wort Gottes erleuchteten und im trauten Kreis der Familie sich dem frommen Gebet hingebenden "intrépido cacique" entspricht geradezu einer Mutation, bedeutet doch die Übernahme dieser "doctrina de paz y de esperanza" auch die Aufgabe des bis dahin geleisteten Widerstands, denn die Missionierung stand schließlich im Dienst eines Systems, das den von José Joaquín Pérez an den Indios so sehr gelobten Freiheitsdrang und Patriotismus unterband. Noch ambivalenter gerät die Haltung des Autors im Zusammenhang mit Christoph Kolumbus. Im zweiten Gedicht der Sammlung, "El junco verde", inspiriert durch eine von Kolumbus im Bordbuch der ersten Reise geschilderte Episode, evoziert der Autoreinen Moment der Krise im Bewußtsein des "inmortal Colón", der, verzweifelt ob der Ungewißheit, ob er j e Land erreichen wird, und gefährdet durch die drohende Meuterei der Schiffsbesatzung, in den Meeresfluten plötzlich ein grünes Schilfrohr entdeckt und - "trémulo, agitado, / con la emoción del
93 que, temiendo, espera, / y ve en el porvenir ya realizado / lo que un sueño falaz tan sólo era" (42) - aus dem Wasser fischt: "reliquia de amor que la ígnea zona / ofreciera al intrépido marino; / rico florón de la primer corona / que sonriendo le ciñe ya el destino." (43) Doch Kolumbus, "noble coloso" und "genio inmortal que un mundo crea" (43), wird selbst zum Opfer, "cuando la ingratitud le dio el martirio" (46); und in seinem Unglück begleitet ihn nun jenes grüne Schilfrohr, "el/iaf fecundo, poderoso y vario:/ la esperanza inmortal de la luz" (43): En la prisión, en el fatal camino de su infortunio, lo llevó a sus labios; con él lloró su singular destino: la gloria que a la envidia causó agravios. Y cuando aquella frente victoriosa, donde un mundo encerró la Omnipotencia, al rudo peso de la calumnia odiosa, sobre un lecho de mísera indigencia, el reposo encontró que nunca hallara en el seno radiante de su gloria, fue su tumba del junco verde el ara donde el mundo hoy venera su memoria. (46) Die Erinnerung an Kolumbus als genialen Entdecker, der für Hispaniola zudem eine besondere Zuneigung offenbart hatte, blieb im Bewußtsein der meisten Dominikaner stets unberührt von seinem (wenig rühmlichen) Wirken als Kolonisator, als der er sich derselben Methoden bediente wie nach ihm ein Nicolás de Ovando. Und so wird er, wie der Rest seiner in die Conquista und frühe Kolonialzeit involvierten Familie, von den dominikanischen Indigenisten ausnahmslos von persönlicher Schuld freigesprochen. Dennoch: Kolumbus war schließlich Befehlshaber jener "horda de aventureros hijos de Iberia", die den Untergang der Indios bewirkten; und dies bereits, wie im Gedicht auch angesprochen, auf der ersten von Kolumbus entdeckten Insel Guanahaní, "[que] fue la primera do la ruda planta / estampó esa falanje triunfadora / que - al dulce amparo de la fe levanta / suplicio vil junto a la cruz que adora" (45). 107 José Joaquín Pérez war durchgängig bemüht, die Binnenperspektive, die der Opfer, zu reproduzieren. Und so erscheinen die Spanier als die Fremden und Eindringlinge in eine gewissermaßen vor dem Sündenfall angesiedelte paradiesische Welt, deren Eroberung (und Zerstörung) auch durch missionarische Erfolge nicht zu rechtfertigen ist. Verloren ist ein Paradies, verloren auch die Unschuld der Spanier, deren Verbrechen "los años y los siglos que pasan [nunca] borrarán" (94). Für die Zeitgenossen aber, "otra raza [...] que es libre y no soporta
94 ya el yugo de un señor" (94), mag die Vergangenheit zur Lehre gereichen; und so sieht sich der Dichter als Mahner [...] que en constante y fervoroso afán, de la indígena raza infortunada quisiera la memoria, vindicada, en los siglos futuros perpetuar [...] (105) Dieselbe Intention einer patriotisch motivierten Anklage und die Trauer um ein verlorenes Paradies bewegten auch Salomé Ureña de Henríquez bei der Abfassung des 1880 publizierten episch-dramatischen Poems "Anacaona" 108 , das mit seinen 39 Gesängen und etwa 2.500 Versen den Fantasías indígenas hinsichtlich der dichterischen Ambitionen durchaus vergleichbar ist. Auch Ureña de Henriquez will "tristísima esa historia / presente a la memoria / con lágrimas traer" (179): eine "historia", die, linear strukturiert, den individuellen Leidensweg Anacaonas von der Ankunft der Spanier bis zu ihrem Tod auf dem Schafott nachzeichnet, dabei aber auch die allgemeine Situation der Indios reflektiert. Niedertracht, Grausamkeit, Geldgier und Laszivität sind auch hier die herausragenden Eigenschaften der spanischen Konquistadoren, aus der Perspektive der Eingeborenen "arijunas", "seres extraños", "invasor tirano", wobei wiederum die Christianisierung (diskret) als positiver Nebeneffekt ins Bild rückt und Kolumbus als großmütig Handelnder, von seinen Neidern und Verleumdern allerdings in seinem Bemühen, dem Unrecht Einhalt zu gebieten, behindert, unter den Konquistadoren die (rühmliche) Ausnahme bildet. Und so ist die Geschichte der Conquista eine - bisweilen mit rhetorischem Pathos besungene - Geschichte unendlicher Schrecken und Greueltaten: ¡Todo es muerte, horror y llanto! El indígena indefenso de sudor y sangre inunda las campiñas de su suelo, y cava la dura tierra y allá en su profundo centro arranca el oro que busca para el feroz extranjero, y rendido de fatiga se postra y expira luego. ¡Todo es ruina y servidumbre! ¡Todo, exterminio siniestro! (239f.) Oder, im Zusammenhang mit dem 1503 von Ovando befohlenen Gemetzel in Jaragua:
95 Pavoroso clamor cunde en los aires; frenética la turba furibunda acuchilla al indígena indefenso, y un mar de sangre la campiña inunda. Exánime la virgen acá expira hollada entre los pies de los corceles; la madre más allá junto al infante la vida exhala entre congojas crueles; y el vigoroso joven y el anciano confunden sus miradas de agonía, que de la horda brutal endurecida no conoce piedad la furia impía. ¡Cuánta sed de crueldad inextinguible! ¡Qué embriaguez de matanza y de exterminio! Huye la vida de aquel campo donde la muerte extiende su fatal dominio. (243) Ein besonderer Schwerpunkt - und besonderer Reiz - der Darstellung liegt im Bereich der privat-intimen Gefühle und Erlebnisse: die Liebe Anacaonas zu ihem Mann Caonabo, der Schmerz um seinen durch Verrat herbeigeführten Tod, iie liebevolle Sorge um die ihr verbliebene Tochter Higuenamota, die Liebe Hi'uenamotas zu dem Spanier Hernando de Guevara, die durch die Intrigen eines inderen Spaniers zerstört wird, schließlich Anacaonas schmachvoller Tod, der, ils öffentliches Ereignis inszeniert, am Ende des Poems noch einmal die an die »panier gerichtete - kollektive - Schuldzuweisung unterstreicht: Es ella la que avanza, la que a morir camina del sanguinario ibero para saciar la sed; es ella a quien aguarda de aquel suplicio bárbaro la ignominiosa red. Es ella, la cantora del pueblo quisqueyano que ayer con sus areitos los ámbitos llenó, y la epopeya indígena, con inspirado acento glorioso levantó. De la espaciosa plaza donde a morir la guían ya tocan los esbirros el término fatal: la multitud se apiña por ver cómo sucumbe la víctima real. Entonces cual ansiando gozar Anacaona la paz en otra vida que su alma vislumbró, el cuello delicado de formas peregrinas al lazo presentó.
96 Tristísima una nube cruzó la azul esfera cubriendo con sus velos la luz del nuevo sol; después... a sus destellos cumplida celebraba su hazaña el español. (246) Im Gefolge von José Joaquín Pérez und Salomé Ureña de Henríquez erschienen im Bereich der Lyrik zahlreiche indigenistische Zeugnisse einer dezidiert antispanischen Parteinahme für den Indio, der, in seinem Kampf für Freiheit und Vaterland als erster dominikanischer Patriot stilisiert, den Zeitgenossen zum Vorbild gereichen mochte. 109 Der ohne Zweifel bedeutendste und berühmteste allerdings nicht mehr dieser dezidiert anti-spanischen Perspektive verpflichtete Beitrag zum dominikanischen (und amerikanischen) indigenismo oder indianismo ist nun aber der 1879 mit einem ersten Teil, 1882 dann in seiner vollständigen Fassung (mit einem Vorwort von José Joaquín Pérez) publizierte Roman Enriquillo. Leyenda histórica dominicana (1503-1533) von Manuel de Jesús Galván, noch heute gefeiert als "Principe de las Letras Nacionales" 110 . Der Titel verweist auf eine historische Gestalt: einen indianischen cacique, getauft auf den Namen Enrique, genannt auch Enriquillo, der als Kind dem Massaker von Jaragua entkam und von Franziskanern erzogen wurde. Als Reaktion auf erniedrigende Übergriffe von Seiten seines encomendero - so soll dieser mehrfach seine indianische Frau sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt haben - floh er 1519 mit etwa 30 der ihm unterstehenden Indios in die Sierra del Bahoruco, zu jener Zeit bevorzugtes Rückzugsgebiet und Zufluchtsort einer großen Zahl von gleich ihm der encomienda entflohenen Indios und den ingenios entlaufenen negros cimarrones. Als 1523 die Kolonialregierung den Aufständischen, unter denen insbesondere die schwarzen Sklaven für die aufstrebende Zuckerindustrie unverzichtbar waren, offiziell den Krieg erklärte, brach ein Guerillakrieg aus, in dem die Indios und negros cimarrones aufgrund der besseren Kenntnis des unwegsamen Territoriums und aufgrund der geringen Truppenstärke ihrer Verfolger - diese mußten durch Sondersteuern der hacendados und hateros der Region unterhalten werden - im Vorteil waren. Erst 1533 gelang über Verhandlungen ein Friedensschluß mit den aufständischen Indios, der von Enriquillo unterzeichnet wurde. Hierin wurde ihm per königlichem Dekret die Begnadigung sowie der Titel eines "Don" zugesprochen und zugestanden, sich in Einklang mit den mittlerweile erlassenen Reformgesetzen außerhalb der Sierra del Bahoruco mit den ihm unterstehenden Indios in einem selbstverwalteten Gemeinwesen anzusiedeln. Als Gegenleistung erbot sich Enriquillo, noch flüchtige Indios sowie negros cimarrones mit seinen Leuten aufzuspüren und gegen eine Belohnung den Behörden zu überstellen - woraufhin letztere nur wenige Jahre später, nach dem Tod Enriquillos, unter dem legen-
97 dären cimarrón Lembá als Vergeltungsmaßnahme die Siedlung niederbrannten und den größten Teil seiner Bewohner töteten. 111 Der Untertitel "Leyenda histórica dominicana" suggeriert, ähnlich wie die von José Joaquín Pérez für seine Gedichtsammlung gewählte Gattungsbezeichnung der "fantasía", die romantische Hypostasierung der volkstümlichen Ursprünge nationaler Identität und widerspricht nicht dem manifesten Anliegen des Verfassers, in romanesker Form einen Beitrag zur Historiographie seines Landes zu leisten. So läßt der auktoriale, sich unablässig in Form von Erläuterungen und Kommentaren einbringende Erzähler kaum eine Gelegenheit aus, durch Quellenangaben und Zitate aus ebendiesen Quellen in Fußnoten oder im Text die Historizität des Dargestellten zu betonen, welche vom Autor schließlich noch einmal dadurch untermauert wird, daß er zu bestimmten historischen Ereignissen in einem Anhang längere Quellenauszüge abdruckt. Seine wichtigsten Quellen sind neben Biographien zu Las Casas die Historia General y Natural de las Indias von Gonzalo Fernández de Oviedo, die Décadas oder Historia General de los hechos de los castellanos en las islas y tierra firme del mar océano von Antonio de Herrera y Tordesillas, die Elegías de varones ilustres de Indias von Juan de Castellanos und - vor allem - die Historia de las Indias von Bartolomé de Las Casas, der in dem Roman überdies als Protagonist und Integrationsfigur, als Zensor und moralisches Gewissen seiner Zeit, schließlich als Sprachrohr, Spiegelbild und Stellvertreter des Autors eine zentrale Position einnimmt. Der in drei Teile und insgesamt 125 Kapitel gegliederte Roman entfaltet zunächst ein breit angelegtes Szenario, in dem nun nicht mehr - wie noch bei Pérez und Ureña - aus vorrangig indianischer Perspektive während der ersten Phase der Conquista die Indios als Protagonisten und Opfer von Widerstand und Verfolgung in das (mit diesen sympathisierende) Bewußtsein des Lesers gerückt werden. Die Handlung setzt vielmehr zu einem Zeitpunkt ein, da die eigentliche Conquista Hispaniolas bereits abgeschlossen ist - markiert durch das Massaker von Jaragua 1503, Höhepunkt der auf die Zerschlagung noch tragfähiger politischer und sozialer Strukturen indianischer Gemeinwesen gerichteten "Befriedungsaktionen" Ovandos - , und umspannt die Blütezeit Santo Domingos als "la ciudad primada de las Indias" 112 , als erste spanische Niederlassung in der Neuen Welt und Sprungbrett für die weitere Expansion in der Karibik und auf dem mittel- und südamerikanischen Kontinent. Ein Zentrum der von Ehrgeiz, Habgier, Mißgunst und Intrigen unter den Spaniern vergifteten politischen Auseinandersetzungen und Machtkämpfe ist der Hof Don Diegos und Doña María de Toledos, in seiner Prachtentfaltung, wenn auch nicht in seiner Machtfülle, dem spanischen Hof durchaus vergleichbar. Und in der turbulenten, durch Nachrichten oder auch nur Gerüchte über unermeßliche Reichtümer in nahen oder fernen Re-
98 gionen aufgeheizten Stadt defilieren auf spanischer Seite - neben Cristóbal Colón, der auf der Rückreise von seiner vierten und letzten Fahrt einen (allerdings nur kurzen) Zwischenaufenthalt einlegt - nahezu alle bedeutenden an künftigen Expeditionen beteiligten Konquistadoren: neben Diego Velázquez und Juan de Grijalva, die während der ersten Amtszeit Diego Colons Kuba erobern werden, Hernán Cortés, Francisco Pizarro, Vasco Núñez de Balboa, Ponce de León, Ojeda, Nicuesa und viele mehr. Die Rebellion der Titelfigur rückt erst im dritten Teil des Romans in den Mittelpunkt; ihr Ende und die Begnadigung Enriquillos bilden den - versöhnlichen - Abschluß und - optimistischen - Ausblick auf das zukünftige Wirken Spaniens in der Neuen Welt. Neben den historischen Ereignissen von öffentlichem Rang und Interesse bietet der Roman überdies eine Fülle romantisch stilisierter privat-intimer Begebenheiten und amouröser Beziehungen und Intrigen, die sich teils in turbulenten Szenen der sich als hidalgos gerierenden männlichen Protagonisten, teils in unschuldig-tugendhaften Herzensergüssen oder tränenreich-melancholischer Entsagung der weiblichen Protagonisten entäußern: die erbauliche Liebe zwischen Don Diego und Maria de Toledo, die diesem seinen Aufstieg zum Gouverneur und späteren Vizekönig ermöglicht; die unerfüllte Liebe zwischen Juan de Grijalva und Maria de Cuellar, einer Hofdame Maria de Toledos, die, aus Gründen der Staatsraison zur Heirat mit Diego Velázquez gezwungen, in der Hochzeitsnacht an Herzeleid stirbt; schließlich die erst nach mancherlei Hindernissen und Verwicklungen in die Ehe mündende keusche Liebe zwischen Enriquillo und Mencia, Tochter von Doña Ana de Guevara alias Higuemota (für Higuenamota) und damit Enkelin Anacaonas. Die Personen der Handlung, in der Regel typisiert und ohne psychologische Tiefenschärfe gezeichnet, ordnen sich entlang den Koordinaten von Gut und Böse, wobei jede Figur zu einer (oder mehreren) anderen Figur(en) in scharf markierter Opposition steht. Die Fülle der agierenden Personen diesem Koordinatensystem zuzuordnen und näher zu charakterisieren, erscheint in der hier zur Diskussion stehenden Perspektive einer "nationalen" Geschichtsdeutung verzichtbar. 113 So seien ausschließlich jene Personen beleuchtet, die zunächst auf spanischer, sodann auf indianischer Seite (im Sinne des Autors) als handelnde Subjekte "Geschichte machen" und in ihrer (impliziten oder expliziten) Bewertung durch den Autor dessen spezifische Geschichtsdeutung offenbaren. Unter den spanischen Protagonisten der Entdeckung und Eroberung Hispaniolas steht auf der Seite des Guten zunächst Cristóbal Colón, Almirante de las Indias und "Gran Descubridor", dem dank seiner Genialität und einer ihm eigenen "imaginación soñadora y poética" (376) das unermeßliche Verdienst zukommt, "[haber] desgarrado triunfalmente el velo que ocultaba la existencia del
99 Nuevo Mundo" (102). Als edler und großherziger Mensch verteidigt er - in Übereinstimmung und unter dem Schutz der gleichermaßen edel und großmütig denkenden und handelnden Königin Isabel, "soberana grande y célebre en la Historia" (103) - zum Wohl der Indios "la práctica de los principios de humanidad y de justicia" (97). Doch seinem diesbezüglichen Wirken sind dadurch Grenzen gesetzt, daß er als Opfer von Intrigen und Verleumdung in Ungnade fällt und nach dem Tod Isabels bei deren Gemahl Fernando - "que a fuer de político calculador y egoísta, interesado además por sistema en la extensión del poder real, veía con celos el engrandecimiento de la familia del Descubridor" (102f.) - die Anerkennung seiner "legítimos derechos" und damit Gerechtigkeit nicht durchzusetzen vermag. Gleichermaßen auf der Seite des Guten steht Don Diego, "digno hijo de su padre" (202), der von diesem aber nun nicht nur die moralischen Qualitäten, sondern auch Neid und Mißgunst seiner Feinde erbt, verbunden mit dem Rechtsstreit, den Diego zwecks Rehabilitierung seines Vaters, aber auch zwecks Anerkennung der eigenen "legítimos fueros hereditarios" (319) gegen die Krone führt. Sein Kampf um Gerechtigkeit erbringt zunächst einen Teilerfolg; doch obgleich er als Gouverneur auf Hispaniola in seinem Urteil gerecht, in seinem Handeln umsichtig und im Namen der Staatsraison auch durchaus zu Kompromissen bereit ist, wird von den alten und neuen Feinden des Hauses Colón alles daran gesetzt, seine Autorität zu untergraben und die ihm zustehenden Rechte und Privilegien, etwa die repartimientos und die Exploration weiterer Regionen der Indias, zu entreißen. Und so vermag Diego als Gouverneur nur wenig zum Wohl Hispaniolas und zum Wohl der Indios auszurichten, auch wenn es ihm an Bereitschaft und Hingabe nicht mangelt. Auf seiten der Familie Colón als Repräsentanten des Guten stehen neben Vater und Sohn sowie einigen Freunden auch Bartolomé, als bereits altersschwacher, aber immer noch kämpferischer Geist "digno hermano del heroico Descubridor" (371), und Diegos Gattin, María de Toledo, Idealbild der liebenden und züchtigen Hausfrau, jedoch ohne Funktion und Einfluß im öffentlichen Leben: eine eher kleine Gruppe mit beschränktem Wirkungskreis angesichts der Übermacht, derer sich die Kräfte des Bösen erfreuen. Das Böse verkörpert zunächst als Gegenpol zu Cristóbal Colón dessen Nachfolger im Amt, Frey Nicolás de Ovando, als Mitglied des mächtigen militärischreligiösen Ordens von Alcántara mit dem Titel des Comendador de Lares ausgezeichnet: ein Mann von unerbittlicher Härte und Strenge gegen sich selbst wie gegen andere, unbeirrbar, hochmütig, anmaßend, ehrgeizig, mißgünstig und von geradezu perverser Grausamkeit, dessen "despiadada política" die rasche Ausrottung der Indios und schließlich auch die eigene Ablösung zur Folge hat - ein
100 Mann, dessen Eigenschaften und Wirken (in einer für die Zeit Galváns gewiß nicht gängigen Argumentation und kritischen Perspektive) auf eine durch das Zölibat verursachte "deformidad moral" zurückgeführt wird, "que la naturaleza tiene en reserva para vengarse cuando siente violentados y comprimidos, por ideas convencionales, los afectos más generosos y espontáneos del alma" (28). Von Ovando instruiert, sind die Feinde Diegos sodann die königlichen Verwaltungsbeamten, die im Auftrag des Königs Fernando - "Monarca egoísta [para quien] los descubrimientos no tenían más valor que el de las ventajas materiales que pudieran producir a la corona" (405) - zum Nachteil der Familie Colón für eine rasche Auffüllung der königlichen Schatzkammer zu sorgen haben, diesem Auftrag aber bewußt zuwiderhandeln. Denn, "arrogándose hipócritamente el título de servidores del Rey, [llamando] deservidores al Almirante y sus amigos" (317), erweisen sie sich sämtlich, allen voran der tesorero real Miguel de Pasamonte, als die eigentlichen deservidores des Königs: "bribones, que usaban de la autoridad de sus oficios para vejar y oprimir; nunca para amparar y hacer justicia" (360). Die Schilderung und Bewertung des spanischen Vorgehens während der Conquista verrät ein gewisses Maß an Ambivalenz, hervorgerufen durch das (durchaus glaubwürdige) Bemühen des Autors, die - ganz im Sinne von Las Casas zensierten - Greueltaten zu verstehen und zu erklären, dies jedoch aus der spanischen Perspektive, die den Indios - bei Pérez und Ureña noch die Protagonisten und Interpreten ihrer Geschichte - weder Handlungsspielräume zugesteht, noch eine (glaubhafte) Stimme leiht. Die Masse der Indios erscheint als furchtsam und feige, angesichts der gut bewaffneten Spanier beseelt von jener "temerosa superstición del salvaje, tan favorable al desenvolvimiento de esa prodigiosa conquista de América, en que entraron por mitad el valor fabuloso de los vencedores, y la fabulosa timidez de los vencidos" (534). Die eigentlichen Helden sind die kühnen und ausdauernden Konquistadoren: "hombres de voluntad férrea y corazón de diamante, que dieron a la conquista el carácter de una grandiosa epopeya" (232). Doch bedauerlicherweise, so heißt es weiter, hätten andere Konquistadoren, "capaces de igual esfuerzo", das grandiose Werk durch grausame Taten entehrt: "cruentas iniquidades" (258), "crueles excesos de la codicia" (262), "los devastadores abusos y las inhumanidades que afearon la conquista" (263). Bei dem Versuch, für die Grausamkeit der Konquistadoren eine Erklärung zu finden, wird auf ein zeitbedingtes Phänomen verwiesen: "las falsas ideas religiosas y políticas [del] tiempo" (70). Diese bewirken etwa bei Diego Velázquez (unter dem Kommando Ovandos), "[que] seguía el impulso fatal que movía a todos los conquistadores, queriendo someter a fuego y sangre los cuerpos y las almas de los desgraciados indios" (70f.), überdies in der Überzeugung, daß die
101 Spanier angesichts der zahlenmäßigen Unterlegenheit ihre Herrschaft nur untermauern konnten "por un prestigio que cualquier acto de clemencia intempestiva había de comprometer" (78). Verantwortlich für die Propagierung und Durchsetzung dieser "doctrina del saludable terror" (78) - "fanatismo servido por eso que impropiamente se llama razón de Estado" (26) - auf Hispaniola, verantwortlich somit auch für die Folgen ist allein Nicolás de Ovando. Und so ist es auch dessen alter Widersacher, Cristóbal Colón, der, sich selbst von jeder Schuld freisprechend, ein die negative Bilanz der Conquista allein Ovando anlastendes Fazit zieht: Colón vertió lágrimas [...] sobre la suerte de la isla que era objeto de su predilección. Horrorizado de cuantos testimonios se acumulaban a sus ojos para convencerle del carácter feroz y sanguinario que fatalmente había asumido la conquista, llegó a arrepentirse de su gloria, y a acusarse, como de un desmesurado crimen contra la Naturaleza, de haber arrebatado sus secretos al Océano; sacrilega hazaña que había abierto tan anchos espacios al infernal espíritu de destrucción y de rapiña. (100) Bis zur Ablösung Ovandos durch Diego Colón hat sich das koloniale Ausbeutungssystem stabilisiert; und die Indios, welche die Conquista überlebten Galván nennt in einer Fußnote unter Berufung auf Las Casas für diesen Zeitpunkt (1509) die Zahl von 60.000 (318) - , erleiden in den Minen und encomiendas Zwangsarbeit und Unterdrückung von Seiten der colonos, "que se habían acostumbrado a considerar el Nuevo Mundo como una presa, y a sus naturales como bestias domesticables y de explotación usual, ni más ni menos que el asno o el buey " (86). Hier nun tritt der Orden der Dominikaner auf den Plan 114 , vor allem Las Casas, der hier - ohne je (wie der historische Las Casas) selbst als colono und encomendador vom System profitiert zu haben - zunächst als mit den Dominikanern sympathisierender "aprendiz de fraile" an deren frühen Erfolgen partizipiert und sodann, nach seiner Priesterweihe, als "protector de los indios" einen glorreichen Weg geht: "alma compasiva y pura" (258), "noble" und "generoso" (213), "extraordinario modelo de caridad e inteligencia" (374) und in seinem Einsatz für die Indios "intrépido atleta" (375), "ágil y poderoso león" (403). So hat die Geschichte der frühen Kolonialzeit neben der negativen auch eine positive Bilanz aufzuweisen. Die 1512 zum Schutz der Indios erlassenen Gesetze von Burgos sind "una página de oro en la historia de aquellos tiempos de iniquidad y oscurantismo" (288), die "colosal empresa" des Las Casas "una de las más nobles causas que se han inscrito en el libro de oro de la Historia" (406), schließlich er selbst "la gloria más pura de España" (525). Daß die in der Metro-
102 pole erlassenen Gesetze, so auch die von Las Casas nach dem Tod Fernandos erreichte Abschaffung der encomienda, nicht befolgt wurden, ist nicht dem Gesetzgeber selbst anzulasten, sondern dem Egoismus der colonos und der Komplizenschaft der korrupten kolonialen Verwaltung. Gegen dieses manifeste Unrecht - und gegen die unsittlichen Übergriffe seines encomendero gegen seine Frau Mencia - setzt sich Enriquillo zur Wehr: dies zunächst auf legalem Wege durch Eingaben bei den zuständigen Behörden - "se obstinaba en conservar su fe sencilla en la eficacia de la justicia y de las leyes" (487) - , nach seinem (vorhersehbaren) Scheitern sodann durch die Flucht in die Sierra del Bahoruco, wo er mit seinen Leuten und den ihm zahlreich aus anderen Regionen zuströmenden entflohenen Indios ein der christlichen Lebensführung verpflichtetes Gemeinwesen errichtet. Die Rebellion Enriquillos ist, wie Las Casas persönlich den Autoritäten in Santo Domingo vor Augen führt, nicht nur verständlich, sondern als "defensión natural" gerecht, denn: "dondequiera que falta justicia, se la puede hacer a sí mismo el opreso y agraviado" (523f.). Und sie ist ausschließlich defensiv, denn Enriquillo ist streng darauf bedacht, keine aggressive Kriegsführung zuzulassen und das Leben der angreifenden Spanier, wo immer möglich, zu schonen. Der Friedensschluß, herbeigeführt durch einen von Carlos V, "bondadoso Monarca", persönlich entsandten militärischen Berater, bestätigt Enriquillo in seinem Recht. Und er bestätigt "que los mejores soldados españoles eran humanos y benévolos; y [...] que los potentados cristianos verdaderamente grandes, eran verdaderamente buenos" (551). Mit diesem versöhnlichen und erbaulichen Ausgang der Rebellion Enriquillos endet für Hispaniola auch die Zeit der politischen Wirren wie die Zeit des Leidens für die (nur noch in einem Restbestand überlebenden) Indios: "Prevaleció entonces verdaderamente en la colonia la sana política del gobierno de España, y las voluntades del gran Carlos V tuvieron cumplido efecto." (552) Die Conquista und frühe Kolonialzeit hatte Irrtümer und Unrecht bewirkt, und Galván bezeugt dies - ganz im Sinne des historischen wie auch seines Las Casas - "a la posteridad" (95). Die Berechtigung von Eroberung und Unterwerfung wird aber zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt, und die spanische Herrschaft auf Hispaniola (wie in der gesamten Neuen Welt) wird durch die Überlegenheit spanischchristlicher Zivilisation sanktioniert. Schuldzuweisung richtet sich folglich nicht gegen das System und die Legitimität kolonialer Herrschaft; Schuld reduziert sich hier auf ein ethisch-moralisches, auf einzelne Personen projiziertes Problem, auf den Kampf um Gerechtigkeit - ein im übrigen universelles Problem, wie der Autor durch ein dem Roman als Motto vorangestelltes Zitat des Spaniers Manuel José Quintana verdeutlicht: "Demos siquiera en los libros algún lugar a
103 la justicia, ya que por desgracia suele dejársele tan poco en los negocios del mundo." In der Perspektive einer "nationalen" Geschichtsdeutung war es Galván somit gelungen, die Kolonialmacht Spanien zu rehabilitieren und den Zeitgenossen einen dem patriotischen Stolz förderlichen Blick auf die vergangene Größe der Primada de América (wieder) zu eröffnen. Damit hatte sich Galván dezidiert gegen den anti-spanischen Patriotismus des indigenismo etwa eines José Joaquín Pérez gestellt; und folgerichtig vollzog er denn auch eine Abkehr von dem indigenistischen Programm einer "nationalen" Stilisierung von indianischer Lebenswelt und indianischem Patriotismus, dies allerdings nur zögerlich. Der Beginn des Romans liest sich zunächst wie eine in Prosa gefaßte, gleichwohl poetische Paraphrase der Verspoesie der Indigenisten: El nombre de Jaragua brilla en las primeras páginas de la historia de América con el mismo prestigio que en las edades antiguas y en las narraciones mitológicas tuvieron la inocente Arcadia, la dorada Hesperia, el bellísimo valle de Tempé, y algunas otras comarcas privilegiadas del globo, dotadas por la Naturaleza con todos los encantos que pueden seducir la imaginación y poblarla de quimeras deslumbradoras. Como ellas, el reino indio de Jaragua aparece, ante los modernos argonautas que iban a conquistarlo, bajo el aspecto de una región maravillosa, rica y feliz. Regido por una soberana hermosa y amable; habitada por una raza benigna, de entendimiento despejado, de gentiles formas físicas; su civilización rudimentaria, por la inocencia de las costumbres, por el buen gusto de sus sencillos atavíos, por la graciosa disposición de sus fiestas y ceremonias, y, más que todo, por la expansión generosa de su hospitalidad, bien podría compararse ventajosamente con esa otra civilización que los conquistadores, cubiertos de hierro, llevaban en las puntas de sus lanzas, en los cascos de sus caballos, y en los colmillos de sus perros de presa. (25) Auch dem den Indigenisten so teuren Topos vom heroischen indianischen Widerstand wird in den ersten Kapiteln des Romans in der Gestalt des "Rebellen" Guaroa noch Tribut gezollt: Wie die Iguaniona Angulo Guridis entzieht auch er sich der Unterwerfung durch die Spanier - mit den Worten "¡Muero libre!" auf den Lippen - durch den Freitod. Die Freiheitsliebe seines Helden veranlaßt den Autor sogar, auch anderen, von den Indigenisten besungenen caciques seine Reverenz zu erweisen: "Bien es verdad que los sentimientos heroicos eran cosa muy común en los indios de la sojuzgada Quisqueya, raza que se distinguió entre todas las del Nuevo Mundo por sus nobles cualidades, como lo atestiguan Colón y los primitivos historiadores de la conquista; y como lo probaron
104 Caonabó, Guarionex, Mayobanex, Hatuey y otros más, cuyos nombres recogió cuidadosamente la adusta Clío." (75) Gleichzeitig aber hält es Galván für geboten, dem beim Leser möglicherweise aufkommenden Eindruck, er halte es mit den Indigenisten, entschieden entgegenzuwirken, und so heißt es an dieser Stelle im Text in einer Fußnote: "Suplicamos al lector que no nos crea atacados de la manía indiófila. No pasaremos nunca los límites de la justa compasión de una raza tan completamente extirpada por la cruel política de los colonos europeos, que apenas hay rastro de ella entre los moradores actuales de la isla." (75) Die anfänglichen "indiophilen" Regungen des Autors erschöpfen sich schnell, denn mit der gewaltsamen Zerstörung der Idylle, "paraíso de mansedumbre y de candor" (26), wandelt sich nun auch "aquella raza infeliz": "en fuerza de la terrible opresión" "degeneraba rápidamente, y se hacía en ella ley común la hipocresía, la mentira, el robo y la perfidia". Und das Ergebnis dieses Wandlungsprozesses: "Cuando los cuerpos se rendían a la fatiga y los malos tratamientos, ya las almas habían caído en la más repugnante abyección." (57f.) Hier mochte denn auch gar nicht erst der Gedanke aufkommen, bei den Opfern könnte es sich um Märtyrer handeln, und auch der Gedanke an heldenhaften Widerstand mochte bei den nun nicht mehr als sanftmütig, sondern als feige geschilderten Indios eher abwegig erscheinen. Auf die Rebellion Guaroas ist nun aber noch unter einem anderen, weitaus bedeutsameren Aspekt als dem der - anfänglichen, eher konventionellen und schließlich ja auch in Abrede gestellten - "Indiophilie" des Autors zurückzukommen: Sie dient als Präfiguration wie als Kontrastfolie der Rebellion Enriquillos. Guaroa, Onkel Enriquillos, flieht, wie dieser nach ihm, in die Sierra del Bahoruco und bedient sich in der Konfrontation mit seinen spanischen Verfolgern, wie dies auch Enriquillo tun wird, ausschließlich defensiver Guerillataktiken. Doch Guaroas Rebellion ist, wie ihm (der überall präsente) Las Casas erklärt, durch nichts zu rechtfertigen, denn zum einen würde sie gegen bestehendes Recht verstoßen, zum anderen richte sie sich - und hier gerät Las Casas in seiner Ansprache an die Indios schlicht in Widerspruch zu sich selbst - "contra los que sólo quieren haceros conocer al verdadero Dios" (76). Guaroa ist "hombre de buen juicio", aber "a medio civilizar"; und er ist - "no por culpa mía", wie er betont - ungetauft (35). Enriquillo hingegen hat bei den Franziskanern eine im europäisch-christlichen Sinne mustergültige Erziehung erhalten, die ihn im Verein mit seiner vorzüglichen moralischen Disposition zu einem tiefgläubigen und praktizierenden Christen werden läßt. Und wenn ihn gelegentlich, angesichts seiner ambivalenten Position als "infante indio" und "cacique encomendado" ein Anflug von Ungeduld oder gar Hochmut befällt, so
105 ist er durchaus willens, wenn auch nicht immer fähig, dem ihm von Las Casas gewiesenen Weg christlicher Demut und Resignation zu folgen. Mit der Stilisierung Enriquillos als akkulturierter Indio, der wie ein (guter) Spanier denkt, argumentiert und handelt und der seine "pequeña República" in Arbeit und frommem Gebet zu einem "zivilisierten" 115 , christlichen 116 Gemeinwesen formt, leistete Galván keinen Beitrag zum originären dominikanischen indigenismo. Allein in seinem Kampf für Gerechtigkeit - "imponente, altivo, terrible" (506) - weist Enriquillo schließlich doch noch jene Qualitäten auf, die den (nicht akkulturierten) Indio als Held und Patriot aus dem Blickwinkel der Indigenisten für die historische Fundierung von nación und nacionalidad so wertvoll machten. Manuel de Jesús Galván hatte zum Zeitpunkt der Publikation seines Enriquillo als Politiker und Journalist bereits eine brillante, wenn auch in ihrer ideologischen Ausrichtung nicht unbedingt geradlinige Karriere hinter sich. Als persönlicher Sekretär Pedro Santanas hatte er zunächst dessen Annexionspolitik vehement befürwortet, und nach dem Vollzug der Annexion hatte er als Mitglied der spanischen Kolonialregierung und Herausgeber der von ihm als Sprachrohr der Regierung gegründeten Publikation La Razón wortgewaltig seine fundamentale Überzeugung propagiert, "[que] la dominación española es el áncora de salud de todos los principios sociales, contra los elementos deletéreos que amenazan a Santo Domingo" 117 . Nach dem Sieg der restauradores 1865 ging er mit den spanischen Truppen nach Puerto Rico, wo er für die dortige spanische Kolonialregierung in bedeutenden Funktionen tätig war; doch nur drei Jahre später - sei es aus Opportunismus, sei es aufgrund eines fundamentalen Wandels seiner Überzeugungen - suchte er den Kontakt zu Gregorio Luperón, der ihm aufgrund seines Prestiges denn auch die ehrenvolle Rückkehr in seine Heimat - und die Beteiligung in höchsten Positionen an diversen liberalen Regierungen - vermittelte. Fortan vertrat auch Galván das Projekt einer unabhängigen Nation, kämpfte gegen Despotismus und Korruption, vertrat aber auch einen zutiefst christlich-dogmatischen, an traditionellen spanischen Werten orientierten Konservatismus, der ihm (im 20. Jahrhundert) den Verdacht eintrug, sein Enriquillo sei nicht nur der Versuch einer Rehabilitierung der spanischen Kolonialpolitik, sondern auch Zeugnis einer späten Rechtfertigung der von ihm vor und während der Annexion vertretenen pro-spanischen Positionen. Die Zeitgenossen Galváns waren in ihrem Urteil jedoch sehr viel versöhnlicher, denn schließlich hatte man sich in den 80er Jahren - auch unter dem Eindruck der nur mühsam abgewehrten Gefahr einer Annexion an die USA - längst mit der ehemaligen Kolonialmacht Spanien ausgesöhnt 118 , waren "Hispanophilie" und "Indiophilie", wie die literarischen Zeugnisse der Indigenisten belegen, durchaus kompatibel. José Joaquín Pérez machte in seinem Vorwort zur Aus-
106 gäbe des Enriquillo von 1882 deutlich, wie selbst er, dessen Fantasías indígenas den bei Galván neutralisierten anti-spanischen Patriotismus und die vom Autor ausdrücklich zensierte "Indiophilie" so eindrucksvoll in Szene setzten, den Roman sehr gut mit den eigenen Positionen zu harmonisieren wußte. So sah er im Enriquillo - in Abstraktion von der konkreten historischen Situation und mit Blick auf die Aktualität - den Ausdruck eines universellen Kampfes um Freiheit sowie Gerechtigkeit und die Forderung a amar más la libertad por los sufrimientos que acarrea la servidumbre, a perseverar en la obra santa de quitar a tantos millares de seres que gimen aún en las ergástulas la argolla vil que destroza su cuello, a proclamar el imperio de los derechos del hombre, a ver al prójimo, cual que sea su origen y condición, de la manera que conviene para que el mundo avance, para que la obra de Dios llegue a su perfección. 119 So war die Figur des Enriquillo für ihn "el símbolo perfecto de los oprimidos de cuantas generaciones han venido batallando trabajosamente contra ese inmenso océano de tempestades que se llama la vida" (570), und die Lehre, die er mit seinem Handeln den nachfolgenden Generationen erteilte, diejenige, "que todos los hombres en todos los tiempos han nacido para ser iguales como hijos de una misma fuerza creadora" (571). Die "nationale" Perspektive des Romans wurde von den Zeitgenossen nicht in Frage gestellt; und ein José Martí, dem sein immenses Prestige als kubanischer und amerikanischer Dichter und Freiheitskämpfer besondere Autorität verlieh, lobte den Roman (in einem Brief an den Autor) als "cosa de toda nuestra América" und "novísima y encantadora manera de escribir nuestra historia americana" 120 . Der Enriquillo ist bis heute Pflichtlektüre an allen dominikanischen Schulen und wurde als einziger dominikanischer Roman ins Englische und Französische (in der Reihe "Collections Universelles" der UNESCO) übersetzt. Doch der Roman löste Jahrzehnte nach seiner Publikation eine heftige Polemik aus: hinsichtlich der Frage der Historizität der dargestellten Ereignisse und Personen und - in der Perspektive der historischen Fundierung der nación und nacionalidad ein weitaus schwerer wiegender Vorwurf - hinsichtlich der Tatsache, daß durch den Ausschluß der negros cimarrones und ihres Widerstands gegen Unrecht und Unfreiheit der historische (und ethnisch-kulturelle) Beitrag von Schwarzen und Mulatten zur dominicanidad negiert wurde. Dem dominikanischen Indigenismus in der Ausgestaltung durch seine herausragenden Figuren, José Joaquín Pérez und Manuel de Jesús Galván, gelang gewissermaßen eine Synthese: Rückbesinnung auf die indianischen wie auf die christlich-spanischen Wurzeln in den Ursprüngen der dominikanischen Geschichte und Rückgewinnung von Identifikationsfiguren auf seiten der Opfer
107 wie auf seiten der Sieger, die gleichermaßen - in allerdings unterschiedlich wertiger Perspektive - einem aktuell zu nutzenden Patriotismus förderlich waren. Doch Kolumbus, den ja selbst die "indiophilen" Indigenisten von jeder Kritik verschont hatten, von Pérez (in seinem Prolog zum Enriquillo) zum "semidiós" und "ser más grande de todos los siglos" (570) stilisiert, geriet unter den angebotenen Identifikationsfiguren zum Favoriten. Denn er stand schließlich für jene Grundsteinlegung, die Santo Domingo als Primada de las Indias zu jener (allerdings nur vorübergehenden) Größe verholfen hatte, auf die man sich mit Stolz und einer gewissen Nostalgie besann; wie etwa Salome Ureña de Henriquez in ihrem bis heute am häufigsten in Anthologien abgedruckten Gedicht "Ruinas": Memorias venerandas de otros días, soberbios monumentos, del pasado esplendor reliquias frías, donde el arte vertió sus fantasías, donde el alma expresó sus pensamientos: al veros ¡ay! con rapidez que pasma por la angustiada mente que sueña con la gloria y se entusiasma, discurre como alígero fantasma la bella historia de otra edad luciente. ¡Oh Quisqueya! Las ciencias agrupadas te alzaron en sus hombros del mundo a las atónitas miradas; y hoy nos cuenta tus glorias olvidadas la brisa que solloza en tus escombros. Ayer, cuando las artes florecientes su imperio aquí fijaron, y tuviste creaciones eminentes, fuiste pasmo y asombro de las gentes, y la Atenas moderna te llamaron. [...] Lucha, insiste, tus títulos reclama: que el fuego de tu zona preste a tu genio su potente llama, y entre el aplauso que te dé la fama vuelve a ceñirte la triunfal corona. Que mientras sueño para ti una palma, y al porvenir caminas, no más se oprimirá de angustia el alma cuando contemple en la callada calma la majestad solemne de tus ruinas. 121
108
Anmerkungen 1
Bonó 1980:190f.
2
Der Vertrag ist abgedruckt in: Tolentino Dipp 1977:450-456; hier S. 451 und 452. - Die USA verpflichteten sich zur Zahlung einer Summe von 1.500.000 Pesos in Gold, die für die Begleichung der dominikanischen Staatsschulden aufgewendet werden sollte.
3
Die kleineren und mittleren Tabakpflanzer des Cibao empfanden keine besonderen Sympathien für die Bewegung der Liberalen, da diese - zu Recht - vornehmlich mit den Interessen des am Zwischen- und Außenhandel beteiligten städtischen Kleinbürgertums identifiziert wurden. Überdies war man - allerdings zu Unrecht - davon überzeugt, daß der 1857 von Báez inszenierte Finanzschwindel, der den Handel ruiniert hatte, die Campesinos favorisieren sollte. Hinzu kam, daß während der vierten Amtszeit von Báez, dem aufgrund des ausgeübten Staatsterrors innenpolitisch relativ stabilen sexenio (1868-1874), die Tabakproduktion erheblich angekurbelt werden konnte.
4
Vgl. hierzu die mannigfachen Zeugnisse, enthalten in dem Bericht der US-amerikanischen Untersuchungskommission, die auf Beschluß des Kongresses von Januar bis März 1871 zwei Monate das Land bereiste, um die Vor- und Nachteile einer Annexion sowie die Haltung der Bevölkerung zu dieser Frage zu erkunden. Manche Zeugnisse mögen unter politischem Druck geäußert worden sein; auch ist nicht anzunehmen, daß die Kommission, die schließlich die Annexion vehement befürwortete, in jedem Fall objektiv zu urteilen befähigt war. Doch erscheint ihr Urteil in diesem Zusammenhang überzeugend, wenn sie feststellt, ein Großteil der Bevölkerung würde die Annexion befürworten in der Hoffnung, diese "would at once end the efforts and hopes of every seditious revolutionary leader, and establish law, order, and prosperity" (Report 1871:11). Diese Einschätzung von seiten der US-Amerikaner wird auf dominikanischer Seite, auch wenn der Bericht offiziell scharf zurückgewiesen wurde, durch private Äußerungen mehrerer Zeitzeugen bestätigt (auszugsweise in: Pérez Cabral 1967:68,Anm.22).
5
Die USA hatten bereits seit Mitte des Jahrhunderts versucht, ihre Doktrin von der Manifest Destiny durch territorialen Zugewinn auch in der Karibik zu bekräftigen, und Präsident Grant befand sich durchaus im mainstream US-amerikanischer Außenpolitik, als er gegenüber dem Kongreß versicherte, die Annexion der Dominikanischen Republik "será un gran paso hacia la posición de hegemonía que la inteligencia, la industria y el espíritu emprendedor de nuestros ciudadanos reclaman para este país en el concierto de las naciones" (zitiert nach Welles 1986-87: 1,372). Grants größter Widersacher war der Senator Charles Sumner, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Senat, der einen Profit der Transaktion allein für die Finanzen des Präsidenten auszumachen wußte; und selbst der Bericht der Untersuchungskommission vermochte den Kongreß nicht zu überzeugen. Vgl. hierzu die kenntnisreiche Darstellung des Enkels von Charles Sumner, Sumner Welles (1986-87, Bd. I), der in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in der USamerikanischen Administration als Karibik-Experte eine einflußreiche Rolle spielte, sowie die Einleitung von Emilio Rodríguez Demorizi zur spanischen Ausgabe des Berichts der Kommission (Informe 1960).
6
Die strategisch überaus günstig gelegene Halbinsel Samaná mit ihrer geschützten weitläufigen Bucht, laut Pedro Francisco Bonó (1980:100) "el diamante oculto de la nación", deren Besitz - so Báez gegenüber den US-amerikanischen Unterhändlern - sogar von der preußischen Regierung (zwecks späterer Annexion des gesamten dominikanischen Ter-
109 ritoriums) angestrebt würde (Welles: 1986-87:1, 382), war in den Folgejahren mehrfach, so noch 1898, Gegenstand von Verkaufsverhandlungen mit den USA; nunmehr jedoch zu einem Zeitpunkt, da angesichts der Vereinnahmung von Kuba und Puerto Rico und angesichts der ohnehin gesicherten finanziellen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der Dominikanischen Republik von den USA für einen Stützpunkt auf der Insel kein Bedarf mehr bestand. 7 Mejía-Ricart G., in: Mejfa-Ricart G. 1982:224. 8 Der Kakaoanbau wurde vorrangig im Cibao - zum Teil über Zwangsmaßnahmen oder über Anreize wie etwa die Freistellung vom obligatorischen Militärdienst - als Ersatz für den Tabakanbau gefördert. Welche Auswirkungen dies für die Campesinos haben mußte, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß Tabak nur einer relativ kurzen Reifezeit bedarf und auch für kleine Betriebseinheiten rentabel ist, Kakaobäume hingegen mehrere Jahre der intensiven Pflege bedürfen, bevor sie Früchte tragen, und überdies nur in großen Betriebseinheiten Gewinn abwerfen; oder, wie es der bereits zitierte Pedro Francisco Bonó (1980:363) pointiert formulierte: "Si fuese dable calificar a ambos productos diría que el cacao es oligarca y que el tabaco es demócrata." 9 Besonders gravierende Folgen zeitigte die Ausweitung des Zuckerrohranbaus im Süden und vor allem im Osten für die Kleinbauern, die von den tierras comuneras verdrängt und in die Abhängigkeit von (schlecht bezahlten) Zuckerrohrarbeitern gezwungen wurden. Indem sie nun nicht mehr, wenn auch in bescheidenem Maße, für den lokalen Markt produzierten, geriet zudem die Nahrungsmittelversorgung in eine schwere Krise mit der Folge, daß bereits gegen Ende des Jahrhunderts - bei gleichzeitiger Steigerung des Agrarexports - Nahrungsmittel importiert werden mußten. 10 Daher erscheint auch hier, obgleich das Kapitel der Zweiten Republik gewidmet ist, ein Rückgriff auf verfassungsgeschichtlich relevante Texte der Zeit zwischen 1844 und 1865 unabdingbar. 11 Zitiert hier und im folgenden nach dem Abdruck in: Rodríguez Demorizi 1980:443-452; hier S. 450. 12 Hier orientierten sich die Verfasser an der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika (1776); zu den teilweise wörtlichen Übernahmen vgl. Rodríguez Demorizi 1980:429f. 13 Vgl. hierzu die bei Rodríguez Demorizi (1980) abgedruckten Dokumente, insbes. S. 259287 und 387ff. 14 Vgl. hierzu die Sitzungsberichte, abgedruckt bei Rodríguez Demorizi (1980:127ff.). 15 Als weitere Vorlagen dienten die US-amerikanische Verfassung von 1787 und die 1812 von den spanischen Cortes in Cádiz verabschiedete Verfassung. 16 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die in den Verfassungen verfügte Gestaltung des jeweiligen Staatswappens: für die Haitianische Republik eine Zwergpalme mit Waffenschmuck, Jakobinermütze und der Devise "L'union fait la force"; für die Dominikanische Republik ein Kreuz mit Waffenschmuck, Freiheitsemblem, geöffnetem Evangelienbuch und der Devise "Dios, Patria, y Libertad". - Für den Text der dominikanischen Verfassung wird auf Rodríguez Demorizi (1980:161ff.), den der haitianischen Verfassung auf Moise (1988-90:1,277ff.) verwiesen. 17 Damit wurden auch jene Gebiete einbezogen, die während der haitianischen Revolution 1793 von den Spaniern (u.a. mit Hilfe von Toussaint) zurückerobert, 1795, zum Zeitpunkt
110 des Vertrags von Basel, aber bereits wieder verloren worden waren - eine für die Haitianer unanehmbare Grenzziehung, die in der Folgezeit zu mancherlei Konflikten führte. Vgl. hierzu Peña Batlle 1988a:129f. 18 Die Möglichkeit des Erwerbs der dominikanischen Staatsangehörigkeit, gekoppelt an den Erwerb von Grundbesitz, durch (vorzugsweise) europäische Ausländer war den Verfassungsstiftern ein besonderes Anliegen, das sich gegen den "exclusivismo" der Haitianer richtete. Die haitianische Verfassung von 1843 hatte wie die vorherigen Verfassungen von 1805 und 1816 Staatsangehörigkeit und Grundbesitz für jeden Weißen ausgeschlossen; dies gegen den vehementen Widerspruch der in der Verfassunggebenden Versammlung anwesenden Deputierten des Ostens, denn schließlich kam eine solche Verfügung einer für den weißen Bevölkerungsteil unerträglichen Diskriminierung gleich und verhinderte überdies den als dringend erforderlich erachteten Zufluß ausländischer Immigranten und ausländischen Kapitals. Vgl. hierzu die besonders harsche Kritik in der 1845 ohne Angabe des Verfassers erschienenen Artikelserie "Reflexiones políticas sobre la cuestión de Haití" (in: Rodríguez Demorizi 1980:259ff.). 19 Zitiert nach Rodríguez Demorizi 1980:340. 20 Hervorhebung durch F.G. - Das Zugeständnis von Ausnahmebefugnissen an die Exekutive zwecks Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Kriegsfall war in der Verfassung (Art. 94, Abs. 15) durchaus vorgesehen; doch war eine solche Initiative an die Zustimmung des Kongresses gebunden und unterlag überdies einer zeitlichen Beschränkung. Santana hatte bereits vor seiner Designierung deutlich gemacht, daß er nicht willens war, eine Einschränkung seiner Machtbefugnisse durch die Verfassung bzw. den Kongreß hinzunehmen (Rodríguez Demorizi 1980, S. 56 und S. 60, Anm. 27). Als sich die Verfassungsstifter nun aber widerspenstig zeigten, erschien er zu seiner Vereidigung in San Cristóbal mit seinem gesamten Generalstab und einem massiven Aufgebot an Kavallerie, um so zumindest noch die im letzten Moment als Kompromißlösung ausgehandelte Übergangsbestimmung durchzusetzen. 21 Zitiert nach Rodríguez Demorizi 1980:75. 22 Zitiert nach Rodríguez Demorizi 1980, S. 82 und S.54, Anm. 19. 23 Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf einem Schreiben Santanas an die spanische Königin Isabella II. vom April 1860, der Proklamation der Annexion vom 18. März 1861 und der Mitteilung an die Königin über den Vollzug der Annexion, gleichfalls vom 18. März 1861 (zitiert im folgenden nach dem Abdruck in: Tolentino Dipp 1977:397403). 24 Manifest vom 28.1.1861 (in: Tolentino Dipp 1977:406-408). 25 Zitiert im folgenden nach dem Abdruck in: Tolentino Dipp 1977:412-423. 26 La Gándara 1975. Die Diskriminierung der farbigen Bevölkerung Santo Domingos wurde insbesondere dadurch verschärft, daß ein Großteil der (weißen) Verwaltungsbeamten aus Kuba und Puerto Rico kam, wo die Sklaverei noch nicht abgeschafft war und rassische Diskriminierung weitaus stärker als in Santo Domingo betrieben wurde. 27 Zur überaus aufschlußreichen Diskussion um das Projekt eines föderativen Zusammenschlusses von Cibao einerseits und Süden plus Osten andererseits vgl. den Sitzungsbericht vom 21.12.1857 (in: Bonó 1980:104ff). 28 Die Schaffung von Munizipien hatte bereits Juan Pablo Duarte in seinem kurz nach der Unabhängigkeit 1844 begonnenen, jedoch nicht fertiggestellten Verfassungsentwurf vor-
111 gesehen (in: Duarte 1970:212ff). Und während des gesamten 19. Jahrhunderts wurde immer wieder die Forderung erhoben, das Munizipium zu einem effizienten Verwaltungsorgan zu machen; denn, so Gregorio Luperón (1939:111,72): "contiene en sí el principio generador de la democracia, porque, depositario de una porción de la soberanía, es propiamente el gobierno del pueblo por el pueblo y para el pueblo". 29 Meriño 1960:50. In seinem Affront gegen Báez, der während des Restaurationskrieges in Spanien weilte und sich von der spanischen Königin den Titel eines Feldmarschalls verleihen ließ, ging Meriño sogar noch weiter, indem er in naiv-sarkastischer Diktion über die Zeitläufte sinnierte, die Báez - und damit keinem restaurador und wahren Patrioten die Präsidentschaft übertragen hatten: "¡Profundos é inescrutables secretos de la providencia...! Mientras vagábais por playas extranjeras, extraño á los grandes acontecimientos verificados en vuestra patria; cuando parecía que estábais más alejado del solio y que el poder supremo sería confiado á la diestra victoriosa de alguno de los adalides de la independencia... tienen lugar en este país sucesos extraordinarios...! Vuestra estrella se levanta sobre los horizontes de la República y se os llama á ocupar la silla de la primera magistratura. Tan inesperado acontecimiento tiene aún atónitos á muchos que lo contemplan...! Empero, yo, que sólo debo hablaros el lenguaje franco de la verdad; que he sido como vos aleccionado en la escuela del infortunio, en la que se estudian con provecho las raras vicisitudes de la vida, no prescindiré de deciros, que no os alucinéis por ello; que en pueblos como el nuestro, valiéndome de la expresión de un ilustre orador americano, 'tan fácil es pasar del destierro al solio, como del solio á la barra del senado'." (49) 30 Vgl. die Übersicht bei Rodríguez Demorizi (I980:453ff.), der auch wichtige Verfassungsänderungen notiert, sowie die Kritik bei Welles (1986-87:II,353f.). 31 Zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe von 1939; hier Bd. III, S. 283. 32 In einer am 27. Februar 1867 in der Kathedrale von Santo Domingo gehaltenen Predigt (Meriño 1960:56). 33 Luperón 1939:111,283 und 11,403. 34 Zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe von 1980; hier S. 274. 35 Die Idee einer Antillanischen Konföderation zwecks Solidarisierung der Dominikaner mit Kuba und Puerto Rico, zu jener Zeit noch spanische Kolonien, wurde zunächst von den kubanischen und puertorikanischen Exilierten (Ramón E. Betances, Eugenio Maria de Hostos u.a.) propagiert, die insbesondere in Puerto Plata politisch tätig waren und von Luperón, solange dieser nicht selber im Exil war, geschützt und gefördert wurden. 36 Manuel Maria Valencia, in: Rodríguez Demorizi 1980:130. 37 Luperón 1939:1,29. 38 García 1982:1,33. 39 La Gándara 1975:1,70. 40 Report 1871:132 und 134. 41 Rodríguez Objío 1951:65. 42 Báez in einem Dekret vom 8. 9. 1873 (zitiert nach Luperón 1939:11,193). 43 In einem nach 1880 publizierten Artikel (Bonó 1980:248). Daß die Haltung gegenüber Haiti - auch aufgrund der ungeklärten Grenzfrage und der langsam aber beständig vorrückenden "invasión pacífica" haitianischer Kleinbauern auf von den Dominikanern beanspruchtes Territorium - durchaus ambivalent war, ist auch für andere Zeitgenossen be-
112
legt; so auch für Luperón, der trotz demonstrativer Achtungs- und Freundschaftsbekundungen gegenüber Haiti in seinen 1895-96 publizierten Notas autobiográficas den Unabhängigkeitskampf von 1844 noch folgendermaßen bewertet "El pueblo dominicano defendía más que su independencia; defendía su idioma, la honra de sus familias, la libertad de su comercio, la moralidad del matrimonio, el odio a la poligamia, mejor destino para su raza [...] Era la lucha solemne de costumbres y de principios diametralmente opuestos, de la barbarie contra la civilización, de la luz contra las tinieblas, del bien contra el mal." (1939:1,34f.) Und die Tyrannei Heureaux' erklärt er schließlich als bewußt gegen die Dominikanische Republik gerichtete Vernichtungspolitik "pira cumplir su deseo de bárbara venganza, como descendiente que es de Haití" (35) - wobei er unterschlägt, daß auch er, der seinen ursprünglichen Namen Dupéron - es war der Name seiner Mutter - in Luperón umwandelte, auf haitianische Vorfahren zurückblicken konnte. 44 So in einem bei Luperón (1939:1,225) abgedruckten Manifest von 1863. 45 Meriño 1960:51. 46 Diese Form der Erinnerung an sinnstiftende, das Gemeinwesen (oder auch nur die eigenen politischen Positionen) begründende Ereignisse trieb mancherlei Blüten; etwa, wenn unter Buenaventura Báez - unter Verweis auch auf die gerade aktuelle, entsprechend den Usancen mit einem klingenden Namen versehene politische Bewegung oder Herrschaftsperiode - ein Dekret des Kongresses von 1868 folgendermaßen datiert wurde: "año 25° de la Independencia, 5 o de la Restauración y I o de la Regeneración" (zitiert nach Luperón 1939:11,98). 47 Verfügt während des Restaurationskrieges von der Provisorischen Regierung in Santiago am 18. Oktober 1864 mit dem Ziel, so der an der Regierung beteiligte Manuel Rodríguez Objío (1951:89f.), "[de] popularizar, o mejor dicho democratizar la revolución; y cambiarle radicalmente de faz, a fin de renovarla y hacerle cobrar nuevos brios por todos los medios imaginables"; oder konkreter: um die bis dahin eher noch indifferente Bevölkerungsmehrheit für den Restaurationskrieg zu mobilisieren. Neu war das Dekret, nicht aber die Praxis der Anrede, die bereits von Juan Pablo Duarte (u.a.) - unter dem Einfluß der haitianischen Reformbewegung von 1843 - geübt wurde. 48 Bonó 1980:148. Vgl. hierzu auch Landolfi 1981:123ff. und Hoetink 1985:191ff. 49 Hoetink 1985:193. 50 Zitiert nach Welles 1986-87:1,217. 51 Während der 90er Jahre wurden in den größeren Städten insgesamt knapp 70 Zeitungen wenn auch häufig nur während eines kurzen Zeitraums - publiziert; in Santo Domingo allein existierten während des Jahres 1893 12 Zeitungen (Hoetink 1985:204). 52 Meriño 1960:65. 53 Vgl. hierzu die beiden nachfolgenden Unterkapitel. 54 Bonó 1980:292. 55 In: Mejia 1954:1,201 (bekannt auch unter dem Titel "Himno a Capotillo", benannt nach jenem Hügel, jenseits der Nordwestgrenze, auf dem am 16. August 1863 zum Zeichen des Aufstands gegen die spanische Herrschaft die dominikanische Flagge gehißt wurde; die hier zitierten Verse bilden den Refrain). Rodríguez Objío verfaßte das Gedicht 1871; im selben Jahr wurde er aufgrund seines bewaffneten Widerstands gegen die Annexionspläne von Buenaventura Báez standrechtlich erschossen. 56 Ureña de Henriquez 1989:76ff.
113
57 Pérez 1989:201 f. 58 Duarte, der sich im Restaurationskrieg gewiß eine andere Rolle versprach - vor seiner Rückkehr im März 1864 stellte er sich als "Decano de los Fundadores de la República y Primer General en Jefe de sus ejércitos" einen eigenen Generalstab zusammen (Duarte 1970:126ff.) - , lehnte die Mission zunächst ab; daß er sie dann schließlich doch annahm, stand in Zusammenhang mit einem Artikel des in Havanna erscheinenden Diario de la Marina, in dem er selbst heftig angegriffen und die Ansicht geäußert wurde, die führenden Generäle unter den "rebeldes" "no querrán ceder la preeminencia que hoy tienen entre los suyos, y verán de reojos al recién venido, a quien considerarán como a un zángano perezoso que viene a libar la miel elaborada por ellos". Und weiter hieß es: "La llegada de Duarte entre esa clase de gente, puede asegurarse, por consiguiente, como una nueva causa de complicación y disolución que surge entre los rebeldes, ya profundamente desmoralizados por sus propios desórdenes." (Zitiert nach Duarte 1970:112,Anm.) Als Reaktion und unter Bezugnahme auf diesen Artikel begründete Duarte dann in einem Schreiben an die Provisorische Regierung die Annahme der Auslandsmission wie folgt: "pues si he vuelto a mi patria después de tantos años de ausencia ha sido a servirla con alma, vida y corazón, siendo cual siempre fui motivo de amor entre todos los verdaderos dominicanos, y jamás piedra de escándalo, ni manzana de la discordia." (Zitiert nach Duarte 1970:112f.). 59 Fernando Arturo de Meriño in seiner "Oración pronunciada en la Catedral en la apoteósis de Juan Pablo Duarte" (1960:98,99). 60 Alix 1977:23f. 61 Alix 1977:23. 62 "De interés general", versehen mit folgender Widmung: "Para todos los dominicanos amantes del bienestar y progreso de la Nación. Al Presidente de la República Gral Ulises Heureaux" (Alix 1977:54ff.). Bereits kurz nach dem gewaltsamen Tod Heureaux' stellte Alix unter Beweis, daß er sich auf plötzlichen Wandel in der politischen Konjunktur vorzüglich einzustellen wußte; so heißt es in den décimas mit dem Titel "Lilis en la puerta de la Iglesia Mayor. Donde fué sepultado y en donde dicen sale penando": "En la puerta de la Iglesia / Dicen que sale Lilis, / Preguntándole al que pasa / Cómo se encuentra el País. // Y una vieja que lo vió / Le dijo a ese condenado, / 'El país que tú has mandado / Y en tus manos se arruinó, / Un buen gobierno encontró / Que la gente buena aprecia, / Pero nunca lo desprecia, / Como a tu maldito mando, / Que por eso estás penando / En la puerta de la Iglesia. // Ahora no hay bancarrota / Ni mamerum sempiterno, / Porque hoy figura un gobierno / Honrado, noble y patriota. [...]"' (Alix 1977:77). 63 Carlos Nouel in einem Brief vom 8.3.1893 (zitiert nach Hoetink 1985:183). 64 "La Conformidad" (Alix 1977:131f.). 65 In: Rodríguez Demorizi 1973:17 ("etíope" meint hier: Haitianer = Afrikaner). 66 In: Llorens 1984:44f. In einer späteren Version änderte der Verf. "españoles" in "patriotas". 67 In: Rodríguez Demorizi 1973:52f. 68 Zitiert nach Rodríguez Demorizi 1973:73. 69 In: Rodríguez Demorizi 1973:90. 70 In: Tolentino Dipp 1977:400.
114 71 Zitiert nach Welles 1986-87:1,206. 72 Auf die Bedeutung der Sprache als distinktives Merkmal der Dominikaner gegenüber den Haitianern und die Probleme, die sich aus der Verschiedenheit der Sprachen für die "transmutación de diferentes pueblos en uno solo" ergeben, verwies bereits Núftez de Cáceres, der 1822 gegenüber Boyer erklärte: "La palabra es el instrumento natural de comunicación entre los hombres: Si no se entienden por medio de la voz, no hay comunicación, y he ahí ya un muro de separación tan natural como invencible; como puede serlo la interposición material de los Alpes y de los Pirineos." (In: Rodríguez Demorizi 1971:95,96) Auch der Verweis auf die Religion zielte gewiß auf Unterschiede: weniger innerhalb der Eliten, die auf beiden Seiten der römisch-katholischen Kirche angehörten, als in den Unter- und Mittelschichten, die in Haiti, nicht aber (mit Ausnahme der Grenzregionen) in der Dominikanischen Republik die synkretistische Religion des Vodu praktizierten. Weit wichtiger aber war die unterschiedliche Haltung gegenüber der Amtskirche und die Tatsache, daß die dominikanischen Priester während der "Ocupación" in ihrer Amtsführung überwacht und zahlreicher Privilegien beraubt worden waren, in der unabhängigen Republik aber als Staatskirche wieder besonderen Schutz und damit auch besondere Privilegien genossen. 73 Luperón 1939:1,27. 74 Zitiert hier und im folgenden nach Bono 1980; hier S. 338. 75 In: Bonó 1980:41. 76 Luperón 1939:1,27. 77 Vgl. hierzu Kap. 2.3. 78 Vgl. hierzu Fennema/Loewenthal 1987:28f. (mit weiterführender Bibliographie). 79 In: Femández-Rocha/de los Santos 1977:20f. 80 Der Typus des montero wurde seit dem frühen 18. Jhd. aus spanischer wie aus französischer Perspektive vielfach beschrieben, allerdings - entsprechend den unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungsperspektiven der beiden Kolonien auf Hispaniola - unterschiedlich bewertet. Bei französischen Autoren (etwa Charlevoix) werden die monteros unterschiedslos als zwar genügsam, aber ausgesprochen faul geschildert, die ihre Lagerstatt oder Hängematte nur verlassen, wenn sie der Hunger zur Arbeit zwingt. Antonio Sánchez Valverde, der zwar zwecks Entwicklungsförderung der spanischen Kolonie im Rahmen der Viehwirtschaft gegen die montería für die crianza argumentierte, rehabilitierte dennoch den montero, indem er besonders die harten Arbeitsbedingungen hervorhob: "Sale el Montero descalzo y a pie por lo regular, con una lanza y sus Perros. Si va a caballo, tiene que dexarle a la entrada del bosque o montaña, porque son impenetrables si no es a pie. Aun así ha de hacer mil contorsiones con su cuerpo para entrar y poder seguir la caza. [...] Tiénese por feliz si encuentra un buen Toro o un Berraco grande (especie de Jabalí) que le embiste con furia y con el que lidia hasta matarle. [...] Esta es la vida verdaderamente aparreada de nuestros Monteros, que llaman Pastores holgazanes." (1988:283f.) Der Roman Bonós liefert - in einem fiktionalen Rahmen - die Illustrierung der von Sánchez Valverde gelieferten Beschreibung und Bewertung. 81 Zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe von 1989; hier S. 97. 82 In diese Richtung weist der von Bonó 1895 verfaßte imaginäre Sitzungsbericht eines "Congreso extraparlamentario" (1980:352-398), in dem die Debatten über die politische und soziale Situation des Landes mit kostumbristischen Genrebildern - in allerdings
115 strukturell wenig überzeugender Weise - versetzt sind. Eine ähnliche Verfahrensweise plante Bonó für einen Roman über den Restaurationskrieg, von dem nur ein Entwurf überliefert ist (in: Bono 1989:18f.). 83 Billini war einer der wenigen Präsidenten der Republik, der sich nicht kraft seines Amtes bereicherte. Die Publikation seines Romans, der längere Zeit unveröffentlicht blieb, vermochte er nicht - wie in jener Zeit unabdingbar - aus eigenen Mitteln zu finanzieren; sie gelang schließlich durch eine Kampagne, durch die Subskribenden gewonnen werden konnten. Den Erlös verwendete er auf den Unterhalt des von ihm ab 1890 geleiteten Colegio "San Luis Gonzaga", der in jener Zeit bedeutendsten Sekundärschule in Santo Domingo. 84 Zitiert hier und im folgenden nach der o.J. in Santo Domingo publizierten Ausgabe der Central de Libros; hier S. 13. 85 Bani war 1764 mit Unterstützung einiger ortsansässiger hateros von Einwanderern der Kanarischen Inseln gegründet worden und war berühmt für seine "limpia hispanidad" (Rodríguez Demorizi 1964:8). 86 Die Figur der Antoñita spiegelt sich hinsichtlich ihrer herausragenden Fähigkeiten und Eigenschaften in einer weiteren weiblichen Figur: Eugenia Maria, gleich Antoñita Opfer ihrer unerfüllten Liebe zu Enrique. Doch ist Eugenia Maria (warnendes) Beispiel für die Exzesse, in die eine romantische (weibliche) Seele, gespeist durch die Lektüre romantischer Liebesgeschichten, verfallen kann: Sie verliert den Kontakt zur Realität und damit auch die Fähigkeit, Enrique und ihre Beziehung angemessen einzuschätzen: "En el romanticismo de su espíritu, en ese ahinco que tenía de leer libros y filosofar sobre lo sublime, la muy simplona creía que su ideal estaba realizado y que para sostenerlo no necesitaba sino el fuego de su pasión." (165) 87 Gleich im Anschluß an die zitierte Reflexion folgt eine ausführliche Erörterung der negativen sozialen und vor allem moralischen Auswirkungen der Lebensweise in der Hauptstadt auf Frauen, "las banilejas de hoy [que] por lo común desestiman a su pueblo" (28) und emigrieren, verbunden mit der emphatischen Aufforderung: "No desdeñéis, pues, niñas de Baní, el tesoro que os dió Naturaleza; vuestro orgullo debe de ser Baní." (29) 88 Francisco Gregorio Billini war selbst am Restaurationskrieg und an den nachfolgenden Fraktionskämpfen auf Seiten der Liberalen beteiligt. Nach dem Sieg der baecistas 1868 mußte er ins Exil - ein Moment, das von dem Erzähler und vorgeblichen Verfasser des Romans, dem dasselbe Schicksal wiederfuhr, in romantischer Verklärung ins Spiel gebracht wird. 89 Gastón F. Deligne, in: Rodríguez Demorizi 1964:201. 90 Federico García Godoy, in: Rodríguez Demorizi 1964:209. 91 José María Nouel, in: Rodríguez Demorizi 1964:235. 92 Anonym, in: Rodríguez Demorizi 1964:215,Anm. 93 Nur einmal wird in dem Roman der Blick auf mögliche sozioökonomische Konflikte eröffnet: dies im Zusammenhang mit einem Streit zwischen Kaffeebauern und dem Großhändler Don Antonio Díaz, der von den Bauern - zu Recht, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt - des Wuchers bezichtigt wird. Während des weiteren Verlaufs der Romanhandlung treten die Kleinbauern nicht wieder in Erscheinung, wohl aber Don Antonio: als ehrenwertes und von Don Postumo, immerhin Sympathieträger im Roman, besonders geschätztes Mitglied der Gemeinschaft. Weitreichende Konflikte - etwa die
116 emotionalen Engracias und Antoñitas oder die politischen Don Postumos und seiner Parteigänger - werden durch Zugereiste und Eindringlinge herbeigeführt, die am Ende, zwecks Wiederherstellung der Harmonie, als Fremde und Fremdkörper wieder ausgegrenzt werden. 94 Luperón 1939:11,51. 95 Zitiert nach Henríquez Ureña 1965-66:11,283f. 96 Der Name geht auf eine irrige Information in den Dekaden über die Neue Weit von Pedro Martyr de Anghiera zurück, die von Antonio Sánchez Valverde in seinem 1785 publizierten Band Idea del valor de la Isla Española kolportiert und nach Beendigung des Restaurationskrieges popularisiert wurde. (Vicioso 1983:29l,Anm.). 97 In: Llorens 1984:183. 98 Für diese gesamtlateinamerikanische Bewegung des 19. Jahrhunderts, die auf eine idealisierende Verklärung der indianischen Kulturen und Akteure vor und im Zusammenhang der Conquista und Kolonialzeit abzielte, hat sich in der europäischen wie in der lateinamerikanischen Literaturgeschichtsschreibung der Begriff des indianismo durchgesetzt, während unter indigenismo allein jene im 20. Jahrhundert (in Ländern mit einem hohen Anteil an indianischer bzw. mestizischer Bevölkerung) publizierten Werke gefaßt werden, in denen die aktuelle Situation der Indios in vorrangig sozialkritischer, bisweilen auch (partei-)politischer Perspektive geschildert wird. In der Dominikanischen Republik, wo das indianische Bevölkerungselement nicht überlebte und eine (im obigen Sinne) indigenistische Bewegung nicht entstehen konnte, sah man keinen Anlaß zu einer solchen Differenzierung, so daß der indianismo des 19. Jahrhunderts, der sich überdies im 20. Jahrhundert fortsetzte - auch zwecks Hervorhebung der zweifellos gegebenen politisch-patriotisch motivierten Perspektive und Intention - durchgängig als indigenismo apostrophiert wird. Diesem dominikanischen Selbstverständnis wird hier durch die Beibehaltung des Begriffs indigenismo für indianismo Rechnung getragen. 99 Indigenistische bzw. indianistische Themen behandelte Francisco Javier Angulo Guridi bereits in seinen Ensayos poéticos, die in Kuba, wohin die Familie 1822 emigriert war, entstanden und 1843 publiziert wurden. Im selben Jahr veröffentlichte sein jüngerer Bruder, Alejandro, ebenfalls in Kuba den Kurzroman Los amores de los indios, der jedoch nicht von Hispaniola, sondern von Kuba handelt und daher von der dominikanischen Literaturgeschichtsschreibung nicht als "dominikanischer" Roman gewertet wird. Das literarische Ambiente in Kuba, weitaus lebendiger und aufgeschlossener als das Santo Domingos, verlieh über den direkten Einfluß der beiden Brüder, die 1861 - Francisco Javier kämpfte als Oberst in den Reihen der restauradores - bzw. 1865 - Alejandro hatte für die Sache der Patrioten im Ausland als Journalist gekämpft - nach Santo Domingo zurückkehrten, dem dominikanischen Indigenismus entscheidende Impulse. 100 Zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe von 1953; hier S. 44. Für eine ausführliche Analyse wird auf Vicioso 1983:306-313 verwiesen. 101 Zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe der "Biblioteca de Clásicos Dominicanos" (Bd. VI) von 1989; hier S. 35. 102 Zu den Quellen gehören neben dominikanischen Historikern die Histoire des d'Hai'ñ von Emile Nau und die Kolumbus-Biographie von Washington Irving.
caciques
103 Emile Nau gibt hingegen eine andere, plausiblere, Erklärung: "Les lettrés de la cour du roi Henri Christophe, pour complaire au désir qui prit un jour leur souverain de savoir ce
117 qu'était son homonyme le cacique Henri [= Enriquillo], se mirent en train de faire le panégyrique de ce dernier et héroïque défenseur de la liberté indienne. Ils prétendirent alors avoir recueilli dans des traditions orales qui s'étaient perpétuées sur ce sol le refrain d'un vieux chant de guerre perdu. Ce refrain ne consisterait qu'en ces deux mots: AYA BOMBE, et si court qu'il soit, il a été pourtant chanté à la table royale sur un air évidemment rythmé à l'européenne. Des traducteurs veulent que ces mots signifient quelque chose comme 'Mourir plutôt que d'être asservis!' [...] Il est plus difficile de se rendre compte comment les panégyristes du cacique Henri ont recueilli ce refrain de la 'Marseillaise Haïtienne' que de croire qu'ils l'ont imaginé." (1963:11,67f.) 104 Die historische Anacaona, die als Priesterin sowie Frau des Caonabó und Schwester des Bohechio eine herausragende Position innehatte, wurde insbesondere aufgrund ihrer Dichtkunst und Musikalität - sie verfaßte zahlreiche, allerdings nicht überlieferte areitos - gelobt. José Joaquín Pérez hat sie in dieser Traditionslinie vielfach beschrieben, etwa in den Versen: "la linda Anacaona, / que ciñe la corona, / también pulsa el laúd; / y encanto de su corte, / donde a la par fulgura / riqueza y hermosura, / valor, genio y virtud." (36) Zu den bekanntesten Gedichten der Fantasías indígenas gehört "El adiós de Anacaona" (99-103): ihre letzte pathetische Anklage gegen die Spanier, vorgetragen als "areito", bevor sie (historisch verbürgt) vom Gouverneur Nicolás de Ovando öffentlich gehenkt wurde. Diese wie auch andere Gedichte könnten von Pérez als Vorarbeiten für sein geplantes, jedoch nicht publiziertes und vermutlich auch nicht vollendetes Drama Anacaona verfaßt worden sein. 105 "El Gran Ser, Dios" - Anm. des Autors. 106 Eine besonders eindrückliche Schildung dieses Aspekts findet sich in dem Gedicht "El ultimo cacique" (85-94). 107 Eine besondere Stilisierung erfährt Kolumbus in der einzigen in rhythmisierter Prosa verfaßten fantasía, "Flor de Palma", einer turbulenten, in Eifersuchtsdramen und Meuchelmord gipfelnden Liebesgeschichte zwischen Anaibelca alias Flor de Palma, Tochter des "Königs" von Borinquen (= Puerto Rico) und einer Weißen, und dem cacique Guacanagarí, der sich bei der Ankunft des Kolumbus mit diesem verbündet hatte. Hier ist er der weitblickende, das Los der Indios mitleidsvoll beweinende Humanist '"Mi corazón te compadece y compadece a tu raza, que de hoy más será objeto de mi predilección'" (144), so Kolumbus zu einem cacique-, und besondere Greueltaten an den Indios geschehen stets dann, wenn er nicht anwesend ist und sie folglich nicht verhindern kann. 108 "Anacaona" erschien mit anderen Verstexten unter dem Titel Poesías; zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe der "Biblioteca de Clásicos Dominicanos" (Bd. VII) von 1990. 109 Einen herausragenden, gerade die ambivalente Haltung der Zeitgenossen im Zusammenhang mit der Conquista dokumentierenden Beitrag leistete hier auch die Geschichtsschreibung, insbesondere das von José Gabriel Garcia 1867 in einer ersten und 18931900 in dritter, verbesserter und erweiterter Auflage publizierte Compendio de la Historia de Santo Domingo, vom Verfasser zu Recht mit Stolz als "primer [obra] de su género que se há publicado en el pais" (1982:1,9) bezeichnet. Aus der Perspektive der Spanier wird bei Garcia die Unterwerfung und Christianisierung der Indios gerechtfertigt, wobei ihre inhumane Behandlung und Ausrottung der Goldgier und Grausamkeit der Konquistadoren, nicht aber dem System angelastet werden und Kolumbus schließlich nicht nur
118 als vorbildlicher Administrator, sondern gar als Heilsbringer stilisiert wird. Die Indios sind bemitleidenswerte Opfer, aber auch heldenhafte Krieger - die benannten caciques sind durchweg "decidido", "intrépido", "valeroso", "resuelto", "invencible", "indomable", "heroico", "leal", "incorruptible", "tesonero" oder "impertérrito" (1,21) - , die den Eindringlingen in einer "heroica guerra de independencia" als überzeugte "patriotas" entgegentreten (1,32). 110 ContínAybar 1982-86:11,162. 111 Die beiden wichtigsten zeitgenössischen Quellen sind die Historia general y natural de las Indias (Buch V, Kap. 4-9 und 11) von Gonzalo Fernández de Oviedo und die Historia de las Indias (Buch III, Kap. 125-127) von Bartolomé de Las Casas; vgl. hierzu Cassá 1986-87:1,60ff. und Deive 1980:11,442ff. 112 Zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe der "Biblioteca de Clásicos Dominicanos" (Bd. VIII) von 1990; hier S. 98. 113 Hierzu wird verwiesen auf die zahlreich verfügbare Sekundärliteratur, insbes. Meléndez 1970:123ff.; Anderson Imbert 1960:57ff.; Hernández de Norman 1977:73ff.; Sommer 1983:51 ff.; Piña Contreras 1985; Pimentel 1986:9ff.; Conde 1978. 114 Die Rede des Fray Antonio Montesino, im Text in Auszügen wörtlich nach Las Casas zitiert, sowie der nachfolgende Konflikt mit den vecinos von Santo Domingo wird (unter Schonung Diego Colons) ausführlich in Teil II, Kap. 31-33 behandelt. 115 So hat die europäische Zivilisation gleichsam auch einen wiedergutmachenden Effekt: "La civilización europea, que había arrebatado aquellos infelices a su nativa inocencia, los devolvía a las selvas con nociones que los hacían aptos para la libertad, por el trabajo y la industria." (533) 116 Auf den Aspekt der christlichen Lebensführung im Gemeinwesen Enriquillos wird mit besonderem Nachdruck verwiesen. So heißt es etwa in einer Textpassage: "Por la noche, el cacique congregó ante la puerta de su habitación a todos los circunstantes, y rezó el rosario de la Virgen; costumbre que desde entonces quedó rigurosamente establecida, ya que jamás permitió Enriquillo que nadie faltara nunca." Und in einer Fußnote dazu der folgende Kommentar: "Histórico. No queremos alterar el tipo de nuestro héroe, suprimiendo este detalle, que acaso no armonice con la estética; pero que nos parece de gran valor característico." (501) 117 Zitiert nach Martínez 1971:187. 118 So konnte schließlich, indem die Geburtsstunde der Nation auf das Jahr 1844 und den Kampf gegen Haiti fixiert und der Restaurationskrieg gegen Spanien nahezu ausgeblendet wurde, auch Pedro Santana in den Kreis der prohombres der Republik erhoben werden. Denn, so ein zeitgenössischer Historiker: "Fué Santana el soldado de nuestra independencia, el vigoroso brazo que contuvo la reaccionaria invasión haitiana, el gran carácter de aquel momento histórico, la férrea voluntad que necesitó el incipiente patriotismo de los dominicanos para oponer enérgica resistencia á la tenacidad de nuestros vecinos de Occidente." (Abreu Licairac 1973:114). 119 Zitiert hier und im folgenden nach dem Abdruck in Galván 1990; hier S. 573. 120 In: Galván 1990:577. 121 Urefia de Henriquez 1989:107ff.
Kapitel 3
El Gran Pesimismo Dominicano: Pathogenese einer dominikanischen nación und nacionalidad [1899-1930] Der gewaltsame Tod von Ulises "Lilis" Heureaux am 26. Juli 1899 bewirkte das rasche Ende der Diktatur, gefolgt von der Rückkehr der Exilierten und einer Euphorie unter der Bevölkerung, die mit der Sammlung aller demokratischen Kräfte eine Garantie dafür gegeben sah, daß fortan eine integre, den Wohlstand aller fördernde Administration - wieder einmal - den Neubeginn für eine freiheitliche, die demokratischen Institutionen des Landes stärkende Entwicklung setzen würde. Dieser Hoffnung entsprach zunächst die im November ins Amt berufene erste Regierung der "nationalen Einheit" mit Juan Isidro Jimenes, Vertreter der Handelsbourgeoisie, der ein Jahr zuvor aus dem Exil eine bewaffnete Expedition gegen Heureaux unternommen hatte, als Präsidenten und Horacio Vásquez, militärischer Anführer der "Revolución del 26 de Julio", als Vizepräsidenten, der - in der politischen Geschichte des Landes eine Ausnahmeerscheinung - die eigenen Aspirationen auf das Präsidentenamt (vorerst) zurückgestellt und Jimenes vorgeschlagen hatte. Jimenistas ("bolos") und horacistas ("coludos" 1 ) waren fortan die entscheidenden politischen Fraktionen: die jimenistas, die über einen besonderen Rückhalt unter der ländlichen Bevölkerungsmehrheit verfügten 2 , als Repräsentanten der traditionellen, stark vom Katholizismus geprägten Weltsicht, die horacistas, deren Parteigänger sich vorwiegend aus einer kleinbürgerlichen intellektuellen Minderheit in den großen Städten rekrutierten, als Repräsentanten liberaler Tendenzen und eines weitgehenden Modernisierungsprojekts. Doch das anfängliche Einvernehmen währte nur kurze Zeit. Intrigen der um das eigene politische Überleben besorgten ehemaligen lilisistas, insbesondere aber die persönlichen Ambitionen der führenden Köpfe beider Fraktionen stürzten das Land erneut in ein innenpolitisches Chaos, in dem sich die wechselnden Allianzen und blutig ausgetragenen Machtkämpfe nicht so sehr an programmatischen Vorgaben als vielmehr dem schlichten Drang zum persönlichen Machterwerb oder Machterhalt orientierten.
120 Nach vier nur kurze Zeit amtierenden Übergangsregierungen waren von der Amtsübernahme Jimenes' bis zur Einsetzung eines US-amerikanischen Militärgouverneurs im November 1916 14 Regierungen im Amt, die in verlustreichen Bürgerkriegen bekämpft und in der Regel durch eine "Revolution" installiert und durch eine neuerliche "Revolution" vorzeitig wieder abgelöst wurden. Vorübergehende Stabilität brachte allein die von horacistas getragene, einem "despotismo ilustrado" 3 verpflichtete Regierungszeit von Ramón Cáceres (1905-1911), der mit schärfsten Repressionsmaßnahmen und über die Stärkung einer professionalisierten Armee die regionalen und lokalen Caudillos auszuschalten wußte und mit seinem paternalistischen, jede Form der Korruption unterbindenden Regierungsstil über die gezielte Förderung landwirtschaftlicher Programme und Investitionen im Bereich der Infrastruktur sowie des Erziehungs- und Gesundheitswesens dem Land einen gewissen Aufschwung bescherte. Cáceres setzte wie schon vor ihm Heureaux auf die Anwerbung ausländischen, vorwiegend US-amerikanischen Kapitals und betrieb die Ausweitung der Anbauflächen für Kakao, Kaffee und vor allem Zucker, um so in den Genuß steigender Weltmarktpreise zu gelangen. Entscheidend für den ihm gelungenen, nach seiner Ermordung 1911 wieder zunichte gemachten Entwicklungsschub war aber zweifellos die Lösung des Verschuldungsproblems, auch dies ein Erbe der Heureaux-Diktatur, die ihm von Seiten zahlreicher dominikanischer Historiker den Vorwurf des "entreguismo" einbrachte 4 . Im Jahre 1900 betrug die gesamte Staatsschuld über 34 Millionen US$, und da sich die Zolleinnahmen, Haupteinnahmequelle des Staates, gerade einmal auf etwa 2 Millionen US$ jährlich beliefen 5 , diese zudem teilweise verpfändet waren, konnte eine geregelte Tilgung nicht geleistet werden. Die Folge waren immer wieder Versuche von Seiten europäischer Regierungen, die Interessen ihrer Staatsbürger, die über dominikanische Anleihen verfügten, durch diplomatischen Druck und Interventionsdrohungen geltend zu machen, wobei etwa Deutschland 1903 nicht zögerte, durch die Entsendung eines Kriegsschiffes den Reklamationen seiner Staatsbürger - erfolgreich - Nachdruck zu verleihen. 6 Dieser permanenten Einmischung durch die Europäer suchten die Vereinigten Staaten nunmehr im Geist der durch Theodore Roosevelt um ein Interventionsgebot ergänzten Monroe-Doktrin entschieden entgegenzutreten. Und so schlössen sie 1907 mit der Dominikanischen Republik die sog. "Convención Dominico-Americana", die einen bereits zwei Jahre zuvor vereinbarten "Modus vivendi" formalisierte 7 : Die mittlerweile aufgrund der zahlreichen "Revolutionen" und Bürgerkriege auf über 40 Millionen US$ gestiegene Staatsschuld wurde durch Verhandlungen mit den Gläubigern, denen die sofortige Tilgung in Aussicht gestellt wurde, auf 17 Millionen reduziert; diese Tilgung erfolgte über
121
die Aufnahme einer neuen Anleihe in Höhe von 20 Millionen US$, für die sich die US-Regierung verbürgte; im Gegenzug verpflichtete sich die dominikanische Regierung, die Verwaltung und Kontrolle der gesamten Zolleinnahmen einem vom US-amerikanischen Präsidenten ernannten Receptor General de Aduanas zu überlassen und weder eine Erhöhung der Staatsschuld noch eine Änderung der Zolltarife ohne vorherige Zustimmung des US-amerikanischen Präsidenten vorzunehmen. Die Convención von 1907 erbrachte für das Verschuldungsproblem, auch wenn die ausländischen Gläubiger gegenüber den inländischen bevorzugt bedient wurden, eine durchaus rationale Lösung, und für die dominikanische Regierung bedeuteten die effizientere Arbeit der Zollbehörde und die Übereinkunft, daß neben 50% für den Schuldendienst und 5% für die Verwaltungskosten - 45% der Einnahmen dem Staatshaushalt zuflössen, ein geregeltes Einkommen in einer Höhe, über die bis dahin keine Regierung hatte verfügen können. Doch die USA verfügten ihrerseits über ein Instrument der finanziellen Kontrolle, das sehr bald auch zur politischen Kontrolle genutzt wurde und schließlich für die militärische Intervention die (fadenscheinige) Rechtfertigung bot. Zentrales Anliegen der USA war - zwecks Eindämmung der nach der Ermordung von Ramón Cáceres wieder aufgeflammten Bürgerkriege - eine stärkere Kontrolle der Staatsfinanzen durch die Erweiterung der Kompetenzen des Receptor General de Aduanas, dem als "consejero" oder "experto financiero" die Kontrolle über den gesamten Staatshaushalt übertragen werden sollte, sowie die Auflösung der Streitkräfte, die durch ein von US-amerikanischen Offizieren befehligtes Gendarmeriekorps ersetzt werden sollten. Als schließlich Desiderio Arias, der als mächtigster Caudillo der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts selbst die Repression unter Cäceres überstand und erst von Trujillo endgültig ausgeschaltet wurde, im April 1916 gegen die amtierende Regierung putschte, sahen sich die USA veranlaßt, ihre beständigen Drohungen wahrzumachen und militärisch einzugreifen: zum Schutz der US-amerikanischen Staatsbürger und Interessen, wie es hieß, jedoch auch um mit Blick auf den in Europa tobenden Krieg zu verhindern, daß in der Dominikanischen Republik die Deutschen favorisierende Kräfte wie Arias und andere jimenistas die Macht übernahmen. Mitte Mai besetzten marines die Hauptstadt Santo Domingo, bis Ende Juli kontrollierten sie, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, den überwiegenden Teil des dominikanischen Territoriums. Entgegen den Erwartungen der US-Regierung war der vom Kongreß neu gewählte Präsident Francisco Henriquez y Carvajal jedoch auch unter dem Druck der Finanznot - die Zahlungen der Receptoría General de Aduanas wurden schlicht eingestellt - nicht bereit, die zwecks Erweiterung der Convención von 1907 gestellten Bedingungen anzu-
122 nehmen und, wie ein Jahr zuvor in Haiti geschehen, den USA eine kooperationswillige Marionettenregierung zu stellen. So dekretierte Woodrow Wilson am 29. November unter Berufung auf die vorgebliche Verletzung der Convención durch die dominikanische Regierung den "estado de ocupación militar" der Republik 8 . Und als wenig später Henríquez y Carvajal das Präsidentenamt niederlegte - die Abgeordneten und Senatoren blieben bis Anfang 1917 im Amt wurde eine Militärregierung installiert, die direkt der US-amerikanischen Marine unterstellt war. Die entwicklungsfördernden Maßnahmen der Militärregierung waren durchaus von Erfolg gekrönt. Es gelang eine Reorganisierung der öffentlichen Verwaltung, deren Effizienz erheblich gesteigert werden konnte, die Verbesserung des Schul- und Gesundheitswesens und der Ausbau der Infrastruktur, insbesondere des Straßennetzes, wodurch die Jahrhunderte währende Isolation einzelner Regionen überwunden und eine administrative (wie auch militärische) Durchdringung des nationalen Territoriums begünstigt wurde. Der Prozeß der Modernisierung und Urbanisierung insbesondere neuer Zentren wie San Pedro de Macoris und La Romana im Südosten war jedoch keineswegs das Produkt gezielter US-amerikanischer "Entwicklungshilfe". Finanziert wurden die öffentlichen Bauten zunächst durch Geldmittel, die von der Receptoría General de Aduanas zurückbehalten worden waren, sodann durch Neuverschuldung, wodurch eine endgültige Lösung der Schuldenfrage und damit die Möglichkeit einer Aufkündigung der Convención von 1907 durch die Dominikaner in eine noch fernere Zukunft rückte. Entscheidend für den Entwicklungsschub aber war der durch den Krieg in Europa bedingte schwindelerregende Preisanstieg für Zucker und andere Exportprodukte - für Zucker etwa von durchschnittlich 5,5 Cent/Kilo in den Jahren 1905 bis 1915 auf 28,5 Cent/Kilo für 19209: die Danza de los Millones, die 1919-20 ihren Höhepunkt erreichte und der dominikanischen Wirtschaft auch in anderen Sektoren einen einzigartigen Boom bescherte. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der US-amerikanischen Militärregierung sowie die Danza de los Millones verstärkten aber auch negative Tendenzen, die sich bereits unter Heureaux und ganz besonders unter Cáceres gezeigt hatten. Dadurch daß bei Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 der Handel mit Deutschland verboten wurde und darüber hinaus die Zölle für Importe aus den USA erheblich gesenkt oder sogar abgeschafft wurden, geriet der Außenhandel in eine totale Abhängigkeit von den USA, wurden überdies Zweige der einheimischen Manufaktur durch Billigimporte aus den USA ruiniert. Die Zuckerindustrie, durch Steuer- und Zollvergünstigungen gefördert und nahezu ausschließlich in US-amerikanischer Hand, bildete eine Wirtschaftsenklave, in der braceros aus Haiti und der anglophonen Karibik (die sog. "cocolos") als Sai-
123 sonarbeiter zu Billigstlöhnen schwerste Arbeit verrichteten und sämtliche kommerziellen Aktivitäten monopolisiert waren. Die Leidtragenden des Zuckerbooms waren vor allem die Campesinos im Osten, die von den expandierenden US-Gesellschaften von ihrem Land verdrängt wurden; dies zum Teil durch Nötigung oder Betrug, zum Teil aber auch durchaus auf legalem Wege, denn die Militärregierung verfügte mit der Ley de Registro de la Propiedad Territorial die Aufteilung der terrenos comuneros, die (vom Eigentümer zu bezahlende) katasteramtliche Vermessung von Grundbesitz und die Zahlung einer Grundsteuer: Leistungen, die von den Campesinos in der Regel nicht erbracht werden konnten. Die Danza de los Millones, an der breite Sektoren der städtischen Bevölkerung partizipierten, neutralisierte in gewisser Weise (bis 1920) die Aversion gegen die Besatzungsmacht. Bewaffneter Widerstand - ohnehin schwierig, da gleich nach dem Einmarsch der US-Truppen sämtliche Waffen und Munition konfisziert sowie die existierenden Truppeneinheiten aufgelöst und durch die Guardia Nacional als einheimische Hilfstruppe unter US-amerikanischem Befehl ersetzt worden waren - kam allein von den Campesinos im Osten, wo die sog. "gavilleros" den marines, die hinsichtlich der Bewaffnung weit überlegen waren, einen mehrere Jahre währenden, von den Besatzungstruppen teils mit ausgesprochener Brutalität bekämpften Guerillakrieg lieferten. 10 Widerstand von seiten der Intellektuellen manifestierte sich, angesichts der herrschenden scharfen Zensur verständlich, zunächst nur im Ausland, in den USA und in den lateinamerikanischen Ländern, wo namhafte Intellektuelle und Politiker wie Francisco Henríquez y Carvajal und Max Henríquez Ureña einen wahren Propagandafeldzug gegen die US-Besatzung unternahmen. 11 Derlei Aktivitäten blieben nicht ohne Widerhall. Im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1920 trat Warren Harding (gegen Wilson) vehement für den Rückzug der USA aus Haiti und der Dominikanischen Republik ein; und nach seiner Wahl präsentierte Harding folgerichtig einen Plan, der für die Dominikanische Republik unter bestimmten Bedingungen Neuwahlen und den Rückzug der US-Truppen vorsah. Doch diese Bedingungen, vor allem die von den USA stets angestrebte Ausweitung der Convención von 1907 durch die Einsetzung eines US-amerikanischen Finanzexperten und die Aufrechterhaltung der Kontrolle der Gendarmerie durch US-amerikanische Offiziere, waren für die dominikanischen Unterhändler unannehmbar, insbesondere seitdem die nationalistische Agitation im Lande selbst durch die 1920 gegründete Unión Nacional Dominicana mit ihrer Forderung der "desocupación pura y simple" - nach Aufhebung der Zensur - bei der Bevölkerung auf wachsende Sympathie stieß. Im September 1922 wurde schließlich der nach seinen Unterhändlern so benannte "Plan Hughes-Peynado" als Grundlage für die dann 1924 den endgülti-
124 gen Truppenabzug besiegelnde Convención unterzeichnet. Die entscheidenden Punkte sahen vor: Einsetzung einer Übergangsregierung und Vorbereitung von Wahlen; Ratifizierung der von der US-amerikanischen Militärregierung erlassenen Gesetze und Verordnungen (u.a. auch hinsichtlich der Zollvorteile für den Handel mit den USA); und Aufrechterhaltung der Convención von 1907 (ohne die von den USA angestrebte Erweiterung). Die Wahlen im März 1924 brachten ein überwältigendes Ergebnis für den Partido Nacionalista, Nachfolgeorganisation der Unión Nacional Dominicana, und ihren Präsidentschaftskandidaten Horacio Vásquez, der als Veteran der "Revolutionen" vor 1916 bei der Bevölkerung über ein ungeheures Prestige verfügte. Am 12. Juli, offizielles Ende der USamerikanischen Besatzung, trat Vásquez sein Amt an, und bereits wenige Wochen später hatte der letzte marine das dominikanische Territorium verlassen. Vásquez war zunächst bemüht, in einem Klima von Freiheit und Stabilität die von den US-Amerikanern initiierten Förderungsprogramme fortzuführen. Doch war die Zeit der Danza de los Millones längst vorüber, waren angesichts der stark gefallenen Preise für die traditionellen Exportgüter und damit auch der stark geminderten Staatseinnahmen neue Anleihen notwendig, wurde schließlich die soziale Unruhe durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 verstärkt. Auch die politische Instabilität wuchs, nachdem Vásquez, gegen den Willen der Verfassung, sein Mandat von vier auf sechs Jahre verlängert und die Absicht bekundet hatte, trotz schwerer Krankheit für die Wahlen 1930 seine Wiederwahl zu betreiben. Während im Gerangel um die mögliche Nachfolge von Horacio Vásquez seine Parteigänger sich gegenseitig bekämpften und erneut personalistisch orientierte Politik betrieben, erwuchs dem gesamten demokratischen Spektrum Gefahr von völlig unerwarteter Seite. Rafael Leonidas Trujillo, seit 1925 Oberbefehlshaber der Policía Nacional - vordem Guardia Nacional, ab 1928 Ejército Nacional - , hatte sich, nach außen hin loyal gegenüber Horacio Vásquez, von der Tagespolitik ferngehalten, um insgeheim den eigenen politischen Aufstieg zu betreiben. In dem angesehenen liberal-nationalistischen Anwalt Rafael Estrella Ureña fand er das für seine Zwecke geeignete Werkzeug. Am 23. Februar 1930 putschte Estrella Ureña in Santiago mit dem stillen Einverständnis Trujillos, der seine Truppen zurückhielt, gegen die Regierung Vásquez, und am 3. März wurde Estrella Ureña nach Vásquez' Rücktritt zum Übergangspräsidenten ernannt. Für die anstehenden Wahlen aber meldete Trujillo, nunmehr in offener Demonstration seiner seit langem gehegten Ambitionen, im Namen einer Koalition aus kleineren Parteien die eigene Kandidatur an, und nach einem Wahlkampf, der von beispielloser Gewalt geprägt war und aus dem sich eine Woche vor der Wahl die traditionellen größeren Parteien zurückzogen, wurde er
125 im Mai zum Präsidenten gewählt und am 16. August 1930 als solcher vereidigt. Damit begann die Era de Trujillo, die erst 31 Jahre später - wiederum mit einem Akt der Gewalt - ihr Ende finden sollte.
3.1 Staat, Volk und Nation im Essay und politischen Journalismus Der Blick zurück auf das vergangene Jahrhundert war zu Beginn des neuen Jahrhunderts für die kritischen Intellektuellen ein Blick zurück in Bitterkeit und der frustrierenden Erkenntnis, daß die so mühsam errrungene Unabhängigkeit weder Freiheit noch Fortschritt erbracht hatte. Das zukunftsorientierte Projekt einer modernen Staatsbürgernation, die auf der Basis einer demokratischen Grundordnung, dem Prinzip der Volkssouveränität verpflichtet, dem Land Stabilität und Wohlstand bescheren sollte, war gescheitert an einer politischen und sozialen Praxis, die, beherrscht vom Egoismus und Machtstreben einzelner, die Mehrheit in autoritäre Herrschaft und Bürgerkriege gestürzt und über Klientelwirtschaft und Korruption einen gerechten Nutzen der wirtschaftlichen Ressourcen verhindert hatte. Das Ende der Diktatur des Ulises Heureaux eröffnete den Blick auf einen möglichen Neubeginn, doch wurden derlei Hoffnungen wiederum enttäuscht, denn die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts reproduzierten im wesentlichen die Fehler und Fehlentwicklungen des 19. Jahrhunderts. Die Einsicht in das Scheitern des Staats- und Nationsbildungsprojekts bewirkte eine breite Diskussion, die im politischen Journalismus und in zahlreichen sozialwissenschaftlichen Essays ihren Niederschlag fand. Die politische Instabilität mit ihren "Revolutionen" und Bürgerkriegen, die trotz eines vorübergehenden (von außen induzierten) wirtschaftlichen Aufschwungs auch weiterhin bestehende Unterentwicklung und Marginalisierung der Bevölkerungsmehrheit, die finanzielle und politische Abhängigkeit vom Ausland, welche schließlich erneut den (vorübergehenden) Verlust der Souveränität bewirkte: all dies, so die Ansicht der kritischen Intellektuellen, waren nun aber nur Symptome eines generellen Krankheitsbildes, dessen tieferliegende Ursachen es zu ergründen galt. Fundamentale Kritik richtete sich zunächst gegen die Organisationsform des Staates, nach dem Urteil von Federico García Godoy ein "organismo político" "bastardeado", "corrompido", "depauperado" 12 . "Durante más de setenta años", so derselbe Autor in seinem 1916 verfaßten Essay El derrumbe, "hemos estado jugando a república sin haberlo sido nunca realmente." (83) Die Erste wie die Zweite Republik hatte sich mit den Verfassungen von 1844 und 1865 eine liberale, überaus fortschrittliche Organisationsform gegeben. Doch die Verfassung
126 von 1844 war, noch bevor sie überhaupt Gesetzeskraft erlangen konnte, von Pedro Santana durch die im Artikel 210 enthaltenen Ausnahmebefugnisse defacto außer Kraft gesetzt und schließlich durch die konservative, autoritäre Tendenzen der Exekutive fördernde Verfassung vom Dezember 1854 ersetzt worden; und die Verfassung von 1865 war von Buenaventura Báez gleichermaßen sehr schnell durch eine neue Verfassung abgelöst worden, die eine im Geist der Verfassung vom Dezember 1854 hierarchisch-autoritär strukturierte Gesellschaftsordnung stützte. Der febrerismo der Gründungsväter des unabhängigen Staates, der sich mit der Verfassung von 1844 eine liberale Plattform geschaffen hatte, erwies sich, so der zitierte García Godoy, als "utópico ideal de un régimen de libertad y derecho", "una rápida fulguración bienhechora en el alba de nuestra vida nacional", denn ihre Repräsentanten, "mancebos de ingente y generoso espíritu", "resultaron en absoluto inadaptables al ambiente" (88). Die überwiegende Zahl der Verfassungen, so derselbe Garcia Godoy, "de tipo centralista, monárquico pudiera decirse, no han servido sino para consagrar la dictadura, robustecer la acción ejecutiva hasta un punto apenas creíble" (81). Der aus der Verfassungsgeschichte resultierende Mißstand war eine übermäßige Stärkung der Exekutive und eine verhängnisvolle Schwächung der rechtsstaatlichen Institutionen, nach Garcia Godoy "caducas y por completo insuficientes para prácticas y procedimientos de la democracia representativa entendida en su más radical y benéfica acepción" (84). Das Fazit, so José Ramón López: "En el estado actual no hay más sociedad que la del Poder Ejecutivo. La del pueblo no es sociedad, sino un grupo gregario, desprovisto de todos los medios de acción acaparados por el Ejecutivo." 13 In der übermäßigen Machtfülle der Exekutive lag ein weiterer Mißstand begründet, der personalismo, gegen den die kritischen Autoren mit besonderer Vehemenz zu Felde zogen. Im Prinzip war die "idea personalista" (nach López) "la que preside la formación de partidos sin programa positivo; pero con un hombre al cual idolatran sus compañeros porque le creen capaz de producir todos los bienes individuales y todos los bienes públicos" (147). Für García Godoy war der personalismo, "monstruo multiforme" (82), für nahezu alle politischen, einschließlich der finanz- und wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen verantwortlich: Er ist gebunden an "mezquinos intereses del momento" (48), verhindert "una asimilación lo más completa posible de modalidades de genuina fuerza civilizadora" (71) und ist, im Verein mit dem continuismo personal, "siempre absorbente y tiránico", "necesariamente funesto por tender de continuo al menoscabo y falseamiento de las instituciones republicanas" (122). 14
127 So war es nur folgerichtig, daß die Reformbestrebungen auf eine grundlegende Verfassungsänderung abzielten - nach García Godoy "el punto cardinal adonde afluyeron, impetuosos y desbordantes, los más radicales anhelos de mejoramiento político del pueblo dominicano" (80) - , die im wesentlichen auf eine Dezentralisierung - wiederum nach Godoy, "la verdadera fórmula de toda agrupación nacional que aspire a una organización de derecho verdaderamente democrática" (83) - hinwirken sollte. Die Forderung nach Direktwahlen, die zwar nicht in der Verfassung von 1844, wohl aber in der von 1865 festgeschrieben, in der Folgezeit aber nur in wenigen der zahlreichen Verfassungen verankert waren, wurde nur von einigen der liberalen Intellektuellen in ihren Reformkatalog aufgenommen. Die notwendigen Initiativen zur Gesundung der staatlichen Organisation konnten, nach López, nur von wenigen - "unos pocos, poquísimos en quienes resplandecen, junto a la ilustración las virtudes fuertes" (179) - erwartet werden: "hombres selectos, llamados a ser, en su día, directores de su pueblo" (180). José Ramón López befürwortete im Prinzip das allgemeine Wahlrecht; doch wollte er es seinen Landsleuten, denen er in ihrer überwältigenden Mehrheit hinsichtlich ihrer politischen Urteilskraft mißtraute, solange vorenthalten, bis über eine staatspolitische Erziehung und zuvor einzuleitende Reformen das erreicht war, was er für ein verantwortbares Wahlrecht als unabdingbar betrachtete: "una cosa útil que no existe: el voto popular consciente y sincero" (159). Und Américo Lugo ging sogar so weit, allgemeine direkte Wahlen gänzlich abzulehnen mit der - unhaltbaren, weil nicht der Verwassungswirklichkeit entsprechenden - Behauptung: "La causa de nuestro perpetuo fracaso político como nación se debe principalmente al derecho de sufragio acordado a masas de campesinos desdichados e ignorantes, ayunos de la más ligera noción del Estado." 15 Wer aber war nun das "Volk"? Gab es eine spezifisch dominikanische kollektive Persönlichkeit, Psyche, Mentalität oder Identität? Die im 19. Jahrhundert entworfenen Projektionen einer kollektiven Identität im Sinne einer bewußt angenommenen und gelebten dominicanidad mochten dem Selbstverständnis der gesellschaftlichen Elite oder regionalen Traditionen entsprechen: etwa dort, wo über die rassische und kulturelle Abgrenzung gegenüber Haiti und einen aggressiven Antihaitianismus das "Spaniertum" der Dominikaner postuliert oder über die Verklärung einer vorwiegend ländlichen Lebenswelt und sozialer Typen eine dominikanische "Mentalität" begründet wurde. Konfliktfrei war ein solchermaßen entworfenes Begründungspotential aber nicht, wurde doch die Wirklichkeit der farbigen Bevölkerungsmehrheit verdrängt und ein nur fragmentiertes Identitätskonzept geliefert, das sich, im Blick auf Europa an einer als fundamental
128 erachteten Dichotomie von "Zivilisation" und "Barbarei" gemessen, überdies als "barbarisch" erweisen mußte. Der im gesamtlateinamerikanischen Schrifttum so überaus erfolgreiche Topos von "Zivilisation" vs. "Barbarei" durchzieht auch die dominikanische Diskussion der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Er wird ergänzt und gestützt durch den gleichermaßen in zahlreichen lateinamerikanischen Ländern erfolgreichen, in der Dominikanischen Republik von den Positivisten im Gefolge von Eugenio María de Hostos propagierten Topos vom "pueblo enfermo": Pathogenese einer kranken nación und nacionalidad. Der erste - und unter den dominikanischen Intellektuellen (zum Teil bis heute) am stärksten rezipierte Vertreter dieser These war José Ramón López, der seit Beginn der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts als streitbarer Journalist zunächst für liberales Gedankengut eingetreten und ins Exil gegangen war, sich aber nach seiner Rückkehr 1897 als persönlicher Sekretär von Ulises Heureaux mit der Diktatur versöhnte, nachdem er ein Jahr zuvor in Santiago de Cuba den Essay La alimentación y las razas veröffentlicht hatte. Ausgehend von der zentralen These, daß die Ernährung für die physische und moralische Verfaßtheit von Menschen und Nationen von fundamentaler Bedeutung ist, teilt López die Menschheit zunächst in zwei Kategorien: die "zivilisierten" Nationen - "los pueblos del Norte, tanto de Europa como de América" - , die gute und reichliche Nahrung zu sich nehmen, "haciendo capaz, al mayor número, de vigorosos esfuerzos mentales y musculares" 16 , und jene Nationen "tipo del semibarbarismo" - praktisch der Rest der Welt, einschließlich Lateinamerika - , "sobrias en ese sentido de no comer lo suficiente, ni hacerlo con la regularidad que conviene" (11), die aufgrund ihrer defizienten physischen und mentalen Konstitution einem zivilisierten Leben verschlossen bleiben. Zur zweiten Kategorie gehört nun "especialmente" die dominikanische "Rasse" - gemeint ist: das dominikanische Volk - , "raza de ayunadores" (17): "causa más poderosa de la degeneración física y del apocamiento moral, en que vivimos" (12). Das Bild, das López sodann vom Dominikaner entwirft, ist vor dem Hintergrund seiner Ausgangshypothese nur konsequent. Die extreme "Genügsamkeit" bei der Nahrungsaufnahme führt in den Städten, und hier sind die besser gestellten Familien keinesfalls ausgespart, zunächst zu einer extremen Schwächung des Organismus, die den Körper anfällig macht für jede Art von Krankheit: tantas caras pálidas, tanta anemia, tantos cuerpos débiles y raquíticos, tantos seres degenerados, tristes retoños del godo y del etíope, razas vigorosas que bien alimentadas dan a la humanidad los ejemplares más fuertes y más desarrollados. (14)
129 Geradezu niederschmetternd ist nun aber die Situation auf dem Land unter den Campesinos: hundidos en las tinieblas de su miseria física y moral, aproximándose más cada día a la animalidad, naciendo toda generación con menos vigor mental que su predecesora, reducida ya casi al instinto y no siempre al instinto bueno. (17) Denn ihr mentaler Verfall geht einher mit der Herausbildung eines spezifischen (kollektiven) Charakters, dessen hervorragende Merkmale sind: "la imprevisión, la violencia y la doblez" (33). Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit resultiert aus dem Mangel an Einsicht in fundamentale Lebenszusammenhänge wie dem Mangel an Voraussicht, da jegliche Zielsetzung fehlt, und manifestiert sich in Faulheit und dem unwiderstehlichen Hang zum Glücksspiel; Gewalttätigkeit resultiert aus dem Fehlen einer genauen Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit, "atributo de la civilización" (35), und manifestiert sich in der ständigen Bereitschaft, jeden Konflikt mit der Waffe eigenmächtig zu lösen und, besonders unter Alkoholeinfluß, zum Totschläger oder Mörder zu werden; und Falschheit resultiert aus dem Mißtrauen, das eigene Schwäche und Unterlegenheit hervorruft, und manifestiert sich in dem beständigen Bemühen, diese Schwäche und Unterlegenheit durch Täuschung und Betrug zu kompensieren. Von solchermaßen konditionierten Menschen auch nur im Ansatz einen auf höher gesteckte Ziele oder gar das Gemeinwohl gerichteten Impetus zu erwarten, erscheint dem Autor nachgerade unvorstellbar: En las guerras civiles nunca han tenido ideal de libertad, de reformas, ni siquiera de interés agrario, o pecuario. Se han lanzado a los peligros vitoreando al jefe tal o cual, en cuyo nombre se les hicieron promesas que rara vez se cumplen, sin que ello, por desgracia, llegue a escarmentarlos. (36) Die Verantwortung für diesen unhaltbaren Zustand ist nun, nach Ansicht des Verfassers, allein dem Campesino selbst zuzuschreiben: Entweder arbeitet er zu wenig - "quiere una vida dulce y fácil, y opta por el sosiego de los irracionales montaraces [...] antes que lanzarse a una perenne agitación laboriosa" (21) - , oder er arbeitet überhaupt nicht, "compartiendo el tiempo entre la hamaca y los fandangos" (19). Und selbst wenn er sich als Tagelöhner verdingt, verbessert er bei dem geringen Lohn, den er erhält - "tal paga, es preciso confesarlo, no da para comidas suculentas" (29) - , seine Lage kaum; doch ist er auch hierfür selbst verantwortlich, da er, statt das Heer der Arbeitsuchenden zu vergrößern und den Arbeitgebern damit den gerechten Grund für niedrige Löhne zu liefern, selbst Ackerbau betreiben könnte:
130 Dispone de tierras laborales, fértilísimas, y si se decidiera a trabajarlas constantemente, si tuviera la iniciativa y la laboriosidad mediocre de que debe estar dotada la mayoría de la gente, dejaría de ser jornalero, peón de oficio, para abrazar la profesión de agricultor y ser de una vez dueño y empresario. (31) Der Campesino, "un haragán empobrecido y tal vez delincuente" (27), ist ein "suicida inconsciente" (42): "no quiere comprender aún ese negocio excelente de convertir comidas suculentas en ideas lucrativas" (14). Doch selbst wenn er begreifen wollte, wäre er unfähig, aus eigener Kraft zu einem "zivilisierten" Leben zu finden, denn: La fuerza intelectual creadora se le ha atrofiado a medida del empobrecimiento físico y no encuentra en su cerebro, ni aun en los días más sombríos, la idea que ha de ponerle en el camino de la regeneración, redimiéndolo de tantas miserias. (30) Nun repräsentiert der Campesino aber die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung 17 , und so stellt sich der Verfasser besorgt die Frage: "¿Qué ideal de nacionalidad, qué ideal de raza podrá servir de faro en lo sucesivo a esa abrumadora mayoría rural que en cada generación abdica de un capítulo de la vida del espíritu?" (17) Damit wird das Problem des Campesino zu einem "nationalen Problem", denn: Ningún pueblo tiene derecho a apoderarse de un pedazo de la tierra y esterilizarlo para la civilización, para el progreso, para lo fuerte, lo bello y lo bueno. [...] La ola del progreso, violenta contra lo que pretenda amurallarse a su frente, pasa sobre él, deshace las fronteras, y borra las divisiones políticas que no llenaron los requerimientos de su creación. (55) Und um dieser drohenden Gefahr eines "naufragio cercano" (18) entgegenzuwirken, schlägt López als konkrete Maßnahmen für die "Regenerierung" des Campesino die Gründung von Landwirtschaftsschulen vor, in denen dieser in modernen Anbautechniken wie in gesunder Lebensführung unterwiesen wird. Entscheidend - und zwar für die gesamte Nation - aber ist als sozialpolitische Grundsatzerklärung: Necesitamos un apóstol de la comida que venga a enseñar a comer a las gentes, y les predique que la civilización no la adquieren ni la conservan sino los pueblos que tienen una buena cocina. (12) La alimentación y las razas erschien in Kuba, wurde jedoch sehr schnell auch in der Dominikanischen Republik rezipiert. Dies bezeugt eine ausführliche Rezension (oder auch Replik), die ein Jahr nach Veröffentlichung des Essays in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift Ciencias, Artes y Letras publiziert
131 wurde, verfaßt von dem angesehenen Journalisten Rafael Justino Castillo. Hinsichtlich des generellen Befundes eines die Nation in ihrer Existenz bedrohenden "estado patológico" stimmt Castillo mit López überein, doch widerspricht er vehement den von López diagnostizierten Ursachen. Gewiß, so Castillo, sei festzustellen, daß der dominikanische Campesino schlecht ernährt, unwissend und möglicherweise auch lasterhaft ist, doch sei genauso festzustellen, "que no hay una moralidad especial, propia de la gente mal alimentada" 18 , und unzureichende Ernährung "no es [...] aquí, como en cualquiera otra parte del mundo, la única causa de debilidad intelectual y de atonía moral" (380). Für sein Verdikt der "degeneración" bliebe López den endgültigen Beweis schuldig; überdies sei er höchst ungerecht "con los pobres campesinos dominicanos, que son más bien dignos de compasión por lo desventurados que de reprobación por lo malévolos" (389). Denn der Campesino, von den Mächtigen ausgebeutet und unterdrückt, bewußt in Unwissenheit gehalten und einem falschen Pflichtbewußtsein assimiliert "para que ninguna noción de derecho germine en él" (391), "es hoy lo que han hecho de él: es un producto de nuestra civilización" (391). Die bei Castillo vorherrschende Perspektive, die dem bei López diagnostizierten "estado patológico" wohl in der Schärfe, nicht aber im Grundsatz widersprach, den Campesino jedoch als Opfer politischer und sozialer Mißstände von Eigenverantwortung freisprach, übernahm López in einem zweiten, 1915 publizierten längeren Essay, La paz en la República Dominicana (Contribución al estudio de la sociología nacional), mit dem er nun aber zu seinem ersten Werk in eklatanten Widerspruch geriet. Beschworen wird auch hier das Elend und die konstitutionelle Schwäche des Campesino, seine Unwissenheit, das Fehlen substantieller körperlicher und geistiger Nahrung. Doch behauptet López nicht mehr einen mit der physischen Degenerierung einhergehenden Verfall von intellektuellen Fähigkeiten, Sitten und Charakter, wobei er sich besonders vehement der Meinung - "leyenda calumniosa" 19 - widersetzt, der dominikanische Campesino sei ein Faulenzer und Tagedieb. Der Campesino bzw. das dominikanische Volk ist nun nicht mehr als "suicida inconsciente" schuldig, sondern unschuldiges Opfer einer "suicida organización social" (167), die ihn, wie bereits von Castillo herausgestellt, bewußt in Elend und Unwissenheit beläßt, um ihn so der Möglichkeit zu berauben, sich aus eigenen Kräften Gerechtigkeit zu verschaffen. Und so ersteht hier vom Dominikaner ein ganz anderes Bild, wenn der Verfasser in einem fiktiven Dialog seine Stimme der Volkesstimme leiht: Yo quiero la paz, yo quiero el orden. Yo quiero que mis días se deslicen tranquilos al sol de mi trabajo, a la sombra de mi hogar, al amparo de mi derecho. Pero diles a los usurpadores, a los explotadores, a los tiranos
132 inconscientes por tradición y a los tiranos conscientes por soberbia y por codicia, que no abusen de mí, que no me maltraten, que no me exaccionen, que respeten mi vida, mis bienes, mi honor y el de mi familia, que reconozcan que no soy un siervo de la gleba sino un ciudadano igual a ellos. (133f.) In La paz en la República Dominicana kritisierte José Ramón López die Fehlentwicklungen des dominikanischen Staats- und Nationsbildungsprozesses, die den Campesino bzw. das Volk von (biologisch determinierter) Verantwortung entlasteten, und mit dem enthaltenen Programm einer kooperativen Organisation der Landwirtschaft propagierte er in überaus optimistischer Perspektive die Regenerierung des erkrankten sozialen Organismus. Als sein bekanntestes Werk aber galt - und gilt - der Essay La alimentación y las razas, herausragendes Zeugnis jenes Gran Pesimismo Dominicano20, der über eine biologisch fundierte Stereotypisierung den (vorgeblichen) Primitivismus des Campesino stigmatisierte: dies im Namen des für die Nation ersehnten (an europäischen Maßstäben orientierten) Fortschritts, gewiß aber auch - als Konstrukt der intellektuellen Elite - im Dienst einer Entlastung von eigener Verantwortung. Eine fundamental pessimistische Sicht der kollektiven "Psyche" oder "Mentalität" der Dominikaner vermittelte auch Federico García Godoy, doch sah er die Ursache ihrer "deficiencias" nicht in einem biologisch-evolutionistisch fundierten Determinismus, sondern in der historisch bedingten Verfestigung spezifischer kollektiver Erfahrungen und Verhaltensweisen, die der "hybride" ethnische Ursprung der Dominikaner favorisierte. So ist für ihn die in der kollektiven Psyche angesiedelte extreme Gewaltbereitschaft ein Erbe der Conquista, konkret: jener "impulsión primitiva caracterizada por el culto a la violencia" 21 , ist die gleichermaßen für die dominikanische Mentalität als konstitutiv erachtete Unterwürfigkeit ein Erbe von Sklaverei und Kolonialzeit, "[donde] florece un sentimiento de incondicional obediencia a la autoridad", verschärft durch eine Reihe von Folgeerscheinungen wie: "cierta extremada pasividad en la obediencia, carencia de iniciativas fecundas, falta completa de valor moral, relajamientos e inercias de la voluntad incapaz de cristalizar en empeños de saludable trascendencia" (57). Hinzu kommt aufgrund tiefgreifender sozialer Gegensätze ein ausgeprägter Individualismus, "rabioso, torpe y disolvente", "[que] determina de continuo una especie de anarquía en que naufragan irremisiblemente los más nobles esfuerzos y las más altas apiraciones" (60). Und da die Erziehung, "extraviada y rutinaria" (62), eine Überwindung der angestammten Sicht- und Verhaltensweisen nicht zu bewirken vermochte, herrscht bei der überwiegenden Zahl der Dominikaner auch weiterhin ein "rutinarismo mental, producto directo del estado de desconsoladora ignorancia" (63), der schließlich
133 die soziale Praxis - "esa eterna repetición de maldades" (64) - bestimmt und rechtfertigt. Federico García Godoy, der sich selbst als Liberaler und Nationalist bezeichnete und für sein gesamtes Werk in Anspruch nahm, von einem "criterio de irreductible dominicanismo" geleitet zu sein 22 , zeichnete von der kollektiven Psyche des Dominikaners ein perfektes Negativstereotyp, verwahrte sich aber gleichzeitig, ohne eine Optimismus verratende Perspektive zur Überwindung des konstatierten Übels aufzuzeigen, vehement gegen den Vorwurf des Pessimismus. Bereits 1911 protestierte er "indignado" gegen jene "heraldos de un pesimismo negro y desesperante", die angesichts des wachsenden Einflusses der USA auf die innenpolitische Situation des Landes - "el metòdico e irresistible avance del yankismo" - den Untergang der Dominikanischen Republik prognostizierten 23 : "indignado" deshalb, weil für ihn Pessimismus mit einer destruktiven Haltung der Hoffnungslosigkeit und Selbstaufgabe gleichzusetzen war - eine Haltung, die letztlich jenen Recht gab, die meinten "que somos incapaces de salvarnos por nosotros mismos, por el bien encaminado empleo de nuestras propias energías dormidas o extraviadas, y que la organización de nuestro organismo nacional tiene que venir de fuera, de donde menos nos conviene". 24 Die dringliche Frage der Überlebensfähigkeit einer unabhängigen Dominikanischen Republik berührte auch die gleichermaßen dringliche Frage der Existenz einer dominikanischen Nation, denn nur die nationale Einheit und ein ausgeprägtes Nationalbewußtsein boten nach Ansicht der Zeitgenossen die Gewähr dafür, daß der drohenden Gefahr eines neuerlichen Verlusts der Souveränität erfolgreich entgegengetreten werden konnte. Im 19. Jahrhundert war es unter Heureaux gelungen, über eine weitgehende administrative (und militärische) Durchdringung des Staatsgebiets regionalistische Tendenzen zurückzudrängen; die Durchsetzung einer "nationalen Idee", die bei der Mehrheit der Bevölkerung eine Identifizierung und Solidarisierung mit einer den Staat repräsentierenden Nation bewirkt hätte, scheiterte jedoch an der extremen Marginalisierung ebenjener Mehrheit: Ihr blieb die Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen oder auch nur der Zugang zu öffentlicher Meinung und öffentlichem Leben verwehrt. José Ramón López sah eine Möglichkeit der Integration und Mobilisierung des Kollektivs im Namen einer "nationalen Idee" über zwei Momente gegeben: über den Kampf gegen Tyrannei als "legítima defensa individual" und über die Abwehr einer bewaffneten Aggression von außen. 25 Der Restaurationskrieg gegen Spanien war zweifellos ein Befreiungskrieg, der in nationaler Perspektive von der Bevölkerungsmehrheit getragen worden war; doch hatten weder die
134 Gewaltherrschaft eines Báez oder Heureaux noch die diversen Annexionsversuche an die USA im 19. Jahrhundert, weder die Repression unter Cáceres noch die politischen oder gar militärischen Interventionsanstrengungen der USA im 20. Jahrhundert einen nationalen Integrations- und Solidarisierungseffekt bewirkt. So waren sich die meisten kritischen Intellektuellen hinsichtlich der Bewertung des Nationsbildungsprozesses einig. Für José Ramón López war das dominikanische Kollektiv eine "agrupación gregaria", keine "sociedad" im Sinne einer Gemeinschaft, sondern nur ein "cuerpo colectivo" "compuesto de átomos disgregados, de seres sin suficiente solidaridad, sin nexos bastante estrechos para constituir sociedad". 26 Américo Lugo war in seinem Urteil noch expliziter: La falta de cultura política del pueblo no le ha permitido hasta hoy transformarse en nación. Esta supone un pueblo que tiene conciencia de su comunidad y unidad: es el pueblo organizado y unificado. El Estado Dominicano, fundado sobre un pueblo y no sobre una nación, no ha podido subsistir sino en condición de farsa o parodia de los Estados verdaderos, o de comedia política ya ridicula, ya trágica, según las circunstancias. Und mit Blick auf die Zeitläufte fuhr er - in seinem am Vorabend der US-amerikanischen Besetzung verfaßten und nach der Landung der ersten marines veröffentlichten Brief an Horacio Vásquez - fort: Nos falta despertar en el pueblo la conciencia de la unidad, unificar su voluntad para hacerla pública y personificar en el Estado esa conciencia y esa voluntad. El hombre de Estado que consiga eso, habrá creado la nación. 27 Federico García Godoy schließlich reagierte mit seinem in den Sommermonaten 1916 verfaßten Essay El derrumbe28 direkt auf die Invasion und enthielt sich nicht (wie noch Américo Lugo) der Kritik an den einheimischen Eliten, denen er immerhin - im Gegensatz zur Bevölkerungsmehrheit - als "minoría reflexiva y culta" ein nationales Bewußtsein zusprechen mochte, der er aber vorwarf, einen nur vordergründigen Patriotismus zur Schau zu stellen, um in feiger Untätigkeit zu verharren oder gar mit den Invasoren zu paktieren: En mis observaciones tomé por un verdadero pueblo lo que en realidad era sólo una muchedumbre sin cohesión, sin solidaridad, disgregada, fraccionada, regida por caudillos sin más ideal que el acaparamiento del poder supremo fuera como fuese. Todas esas explosiones de patriotismo condensadas en discursos pomposos en ocasiones de aniversarios o de actos de cívica resonancia, no fueron, en gran parte de los casos, sino ruido pasajero y monótono, vago y tonto derroche de falso y deslumbrante lirismo. Words, words, words. (163)
135 Federico García Godoy und Américo Lugo gehörten nach Aufhebung der Zensur und Gründung der Unión Nacional Dominicana 1920 - neben den Brüdern Federico und Francisco Henríquez y Carvajal sowie Fabio Fiallo, der für einen gegen die Okkupation gerichteten Artikel eine hohe Geld- und Gefängnisstrafe erhielt 29 - zu den kompromißlosesten Gegnern einer Verhandlungslösung und forderten stattdessen mit der Formel "Pura y Simple" den sofortigen und bedingungslosen Abzug der Invasionstruppen; nicht jedoch José Ramón López, der die Invasion zwar nicht befürwortete, sie vor dem Hintergrund der für ihn einsichtigen US-amerikanischen Interessen aber als konsequent - und von den Dominikanern selbstverschuldet - erachtete und für eine Verhandlungslösung eintrat. 30 Mit der Annahme des Plan Hughes-Peynado 1922 durch die führenden Köpfe der politischen Fraktionen, unter ihnen Horacio Vásquez, siegten die "nacionalistas prácticos" über die "nacionalistas idealistas" oder "románticos" 31 . Damit wurde der Abzug der Besatzungstruppen besiegelt, doch waren weder die Umstände, unter denen die (verhandelte) Unabhängigkeit des Landes wiederhergestellt wurde, noch die Bedingungen, an die sie geknüpft war, noch die dann nur zögerliche, nahezu zwei Jahre währende praktische Umsetzung der Verhandlungsergebnisse dazu angetan, die Menschen - wie noch zu Zeiten der im Restaurationskrieg gegen Spanien erkämpften Unabhängigkeit - mit einer dem Nationsbildungsprozeß förderlichen Begeisterung und Genugtuung zu erfüllen. Die Regierungszeit von Horacio Vásquez charakterisierte ein Wiederaufleben personalistisch orientierter Politik, und so mochte ein Zeitzeuge zu Recht behaupten: He dicho, y lo repito, que aquí no hay conciencia nacional. No hay ciudadanos, hay habitantes. Hombres que viven sobre un territorio consumiendo lo indispensable para la conservación de la vida, sin concepto alguno de su verdadera función político-social. 32 Der zitierte Autor, der Arzt und Romancier Francisco Eugenio Moscoso Puello, vermittelte in seinen zwischen 1913 und 1935 in verschiedenen Zeitungen publizierten (fingierten) Cartas a Evelina ein überaus lebendiges, liebevollironisch, bisweilen auch sarkastisch gezeichnetes und überzeichnetes Bild von der dominikanischen Wirklichkeit während der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts: Eindrücke ländlicher und städtischer Lebenswelt, Traditionen und Lebensläufe, kritische Anmerkungen zur politischen (Un-)Kultur und wirtschaftlichen (Fehl-)Entwicklung. Dabei reproduzierte er in ironisch-kritischer Distanz - als Summe seiner (pseudo-)wissenschaftlichen Lektüre - jenes Negativstereotyp vom faulen und sorglosen, streitsüchtigen und betrügerischen, zwar intelligenten, aber unwissenden Dominikaner, der in seinem tropischen Paradies
136
in der Hängematte ruht und das Arbeiten den Ausländern überläßt, der sich bei Hahnenkampf und Tanz vergnügt, statt sich um die Mehrung seines Besitzes zu mühen, und der, Machete und Revolver stets griffbereit, sich für jede "Revolution" begeistern läßt. 33 Moscoso Puello, der als "dominicano cien por cien" in einer ironischen Wendung sich die solchermaßen gefaßte kollektive Identität (oder "Mentalität") zu eigen machte und damit ad absurdum führte, leistete aber auch einen positiven Beitrag zur Bestimmung einer möglichen kollektiven Identität, indem er vor dem Hintergrund der eigenen Biographie - seine Mutter war Mulattin - den Beitrag der Schwarzen, "[que] no tienen historia [...] porque el orgullo de los blancos no tiene límites" 34 , zur Herausbildung des dominikanischen Volkes, "pueblo de mulatos" 35 , angemessen bewertete. Die Frage einer wesentlich mulattisch oder spanisch geprägten dominicanidad wurde von den Zeitgenossen durchaus unterschiedlich beurteilt. Der als konkrete Bedrohung erlebte Imperialismus der Vereinigten Staaten und der in ganz Lateinamerika geradezu als Heilslehre gefeierte arielismo - benannt nach dem 1900 publizierten kulturpolitischen Essay Ariel des Uruguayers José Enrique Rodó - , welcher der als materialistisch und utilitaristisch begriffenen US-amerikanischen Lebensweise die als idealistisch begriffene, ausschließlich auf das griechisch-lateinische Kulturerbe zurückgeführte eigene Lebensweise entgegenstellte, bewirkten eine wieder verstärkte Hinwendung zu Spanien. Beschworen wurde die Gemeinsamkeit von Sprache und Religion ebenso wie die Ubereinstimmung im "espíritu de la raza" oder "solidaridad étnica" und "espiritual" 36 ; dies mit besonderer Vehemenz von Américo Lugo, wenn er mit Blick auf das mestizaje für ganz Hispanoamerika behauptete: Mezcláronse las tres razas [...] con el paso de los siglos, siendo naturalmente las excelencias de la raza blanca las que al fin preponderaron sobre las virtudes menos fuertes del negro y del indio. Un solo pueblo, pueblo español por la raza, el idioma, la historia, la religión, el carácter, las costumbres, se formó en todo el Nuevo Mundo hispano. 37 Beschworen wurde auch "nuestra gloria de haber estado asociados a nuestra progenitora insigne en el descubrimiento y colonización de la tierra firme del Nuevo Mundo, hasta el punto de que la posteridad agradecida haya bautizado nuestra adorada Isla con el nombre de la Cuna de América" 38 . Und schließlich wurde selbst die ansonsten bitter beklagte Vernachlässigung durch die Metropole während der Kolonialzeit als "dulce Gobierno" gerühmt 39 . Doch es gab auch andere Stimmen, etwa die von José Ramón López, der den spanischen Beitrag zur Conquista und Kolonisierung und damit auch zur Herausbildung der dominicanidad keinesfalls so positiv sah:
137 Elespañol que vino a Santo Domingo [...] principalmente era, salvo las hoirosísimas excepciones que registra la Historia, el soldado ignorante y el /icioso holgazán licenciado de presidio. Gobierno, para él, era orden arlitraria a la cual había de obedecer ciegamente. La riqueza se obtenía peeando y conquistando, que eso del trabajo era para el siervo [...] Después que esos habían impreso su carácter a la Colonia empezaron a llegar españoles trabajadores e industriales: la clase despreciable entonce.. Pero ya el medio creado en el país era adverso a su moralidad. [...] FIE, pues, el blanco, en Santo Domingo, un elemento poco eficaz socidógica y económicamente considerado. 40 Oder Fafael Justino Castillo, der neben dem "afrikanischen Erbe" auch den - für das "spanische Erbe" nicht unbedingt schmeichelhaften - Aspekt von Verschlepiung und Versklavung der Afrikaner benannte: La gran mayoría de los actuales campesinos dominicanos son descendeicia de aquellos africanos que la raza superior conquistadora de la isli arrancó a sus hogares y a su patria, para sustituir con ellos a los indics en el trabajo esclavo que necesitaba para enseñorearse de la tierra recién adquirida, y vivir en ella opulentamente. 41 Und schließlich gab es die Erkenntnisse, die der erste Censo Nacional 1920 gezeitigt íatte: Demnach waren etwa 25% der Dominikaner Weiße, 25% Schwarze und 5(% Mulatten. 42 Wie aber war die Wirklichkeit zu vereinbaren mit einer offiziel verordneten Selbsteinschätzung, die seit dem vergangenen Jahrhundert den D>minikaner als zivilisierten "Spanier" dem Haitianer als sprach- und kulturlisem "Afrikaner" gegenüberstellte? Moscoso Puello, der den Censo von 1920 -in satirischer Absicht fehlerhaft - zitierte, faßte dieses Dilemma in einem seiner 7artas a Evelina so: Cono usted no ignorará, los habitantes de la República Dominicana, sonos en su mayoría mulatos, mulatos tropicales, que es un tipo singukr de la especie humana. [...] Como los frutos del trópico, el agiacate, el zapote, el plátano y la piña, se produce en gran abundancia y pra conocerlo bien hay que venir a verlo aquí. PeD debo advertirle, señora, que los dominicanos somos constitucionalnente blancos, porque ha sido a título de tales que hemos establecido est República, que usted no debe confundir con la de Haity, donde los honbres comen gente, hablan francés patoi y abundan los papaluases. ¡Ef bueno que los extranjeros, en particular los yanquis, tengan en cuenti estos pormenores! 43
138
3.2 Nationale Identität und Erinnerung im historischen Roman Die Frage nach den Versäumnissen und Fehlentwicklungen im Staats- und Nationsbildungsprozeß wie die Frage nach der Beschaffenheit einer kollektiven Psyche oder Mentalität des dominikanischen Volkes beherrschte während der ersten drei Jahrzehnte die Diskussion im Essay und politischen Journalismus. Die fiktionale Literatur griff diese Fragen auf und versuchte zunächst, im Anschluß an die im 19. Jahrhundert begründeten Traditionen einen der Gegenwart angepaßten Beitrag zu leisten: in der politischen Lyrik etwa durch Gastón Fernando Deligne, der in seinem Gedicht "¡Ololoi!" von 1907 mit der Diktatur von Heureaux und allen Diktaturen dieser Welt ins Gericht ging, oder Fabio Fiallo, der mit seinem auf den 27. Februar 1924 datierten Poem "Canto a la bandera" Klage führte ob der (noch) verlorenen Unabhängigkeit. Noch beliebter waren die einem dominikanischen criollismo verpflichteten kostumbristischen Genrebilder und Traditionen, in der Linie des Montero von Pedro Francisco Bonó eher harmonisierend und idealisierend, in der Linie der Cosas añejas von César Nicolás Pensón 44 eher mit einer Vorliebe für Gewalt und spektakuläre Verbrechen. Bereits die Titel der Werke verraten ein Programm: etwa die in Versform verfaßten Criollas (1907) von Arturo Bautista Pellerano Castro, das auf Pellerano Castro zurückgreifende Theaterstück Alma criolla (1916) von Rafael Damirón oder die Kurzprosa in Al amor del bohío (1917/1929) von Ramón Emilio Jiménez, den Escenas criollas (1929/1942) von Miguel Angel Monclús und den (stärker einem ästhetischen Gestaltungswillen unterworfenen) Cuentos puertoplateños (1904) von José Ramón López. Einen bedeutenden Beitrag zum kostumbristischen und historischen Roman leistete Tulio Manuel Cestero mit Ciudad romántica (1911) und La sangre. Una vida bajo la tiranía (1914). 45 Ciudad romántica ist ein Kurzroman, dessen Handlung sich bündig resümieren läßt: Während der Diktatur von Heureaux ereignet sich in Santo Domingo ein Mord; der Mörder stellt sich der Polizei, wartet auf seinen Prozeß und wird schließlich am Ende des Romans hingerichtet. Diese unerhörte Begebenheit, kein politischer Mord, sondern fataler Ausgang eines Eifersuchtsdramas, gibt Anlaß zu mancherlei Klatsch - der Ermordete war der Geliebte der Ehefrau des Täters - und Spekulationen insbesondere hinsichtlich der Frage, ob man den Mörder, als "hombre del General" unter dem besonderen Schutz des Regimes, bestrafen wird oder nicht. Die psychologischen Hintergründe der Tat werden nicht ausgeleuchtet; die Tat selbst ist nur Anlaß und Vorwand für die Schilderung des politischen Klimas, die Erörterung verschiedener programmatischer
139 Standpunkte und die Beschreibung der Hauptstadt, die damit, wie bereits der Titel suggeriert, zum eigentlichen Protagonisten wird. Das politische Klima ist geprägt durch Angst, Bespitzelung und Gewalt, der jeder zum Opfer fallen kann und die jeder - "estimado el valor como mérito social y político y el revolver de precisión Smith and Wesson legítimo, un complemento necesario á los pantalones" 46 - auszuüben bereit ist. Der "General" Lilis wird geschildert als imposante Erscheinung, nicht ohne Anziehungskraft auf Frauen, jedoch mit häßlichen, seine haitianische Herkunft verratenden Gesichtszügen, als unermüdlicher Arbeiter, jedoch hinterhältiger und gewissenloser Tyrann, "castigando con la muerte al osado que ambicione su cargo ó sus hembras" (75). Seine Herrschaft ist unwidersprochen: Posee la mayor cantidad de poder que jefe alguno haya podido acumular sobre la tierra; su voluntad es única, se sirve del crimen y de la virtud según convenga á su interés; la vida nacional se rige como peta á su ignorancia, y entre cadalsos, asesinatos, peculados y fiestas rumbosas discurren sus años de gobierno. (75) Die politische Diskussion im Kreis dreier Freunde, Wortführer abstrakter Positionen, dreht sich um die Frage, wie in einer "sociedad en fermentación, en crisol", und als solche stelle sich die dominikanische Gesellschaft nun einmal dar, die Unabhängigkeit gesichert und eine "personalidad" entwickelt werden könne. Zwei Freunde (Arturo Aybar und Fabio Franco) fordern als Grundvoraussetzung die praktische Ausübung der Freiheit, welche die Verfassung garantiert, die Diktatur aber verweigert, und optieren folgerichtig für die Revolution, der eine unter Befürwortung, der andere unter Ablehnung von Gewalt. Der dritte der Freunde (Enrique Alfau) - und ihm wird vom Autor nicht nur mehr Raum in der Diskussion, sondern auch größere Beredsamkeit zugestanden - plädiert hingegen für die Beibehaltung der Diktatur, die allein über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung den von allen herbeigesehnten Fortschritt bringen könne. Und er bemüht schließlich, von seinen Freunden unwidersprochen, den Vergleich mit Cesare Borgia und dem italienischen Quattrocento, "de cuyas entrañas sangrientas nació el Renacimiento" (58). Während ihrer Diskussionen durchstreifen die drei Freunde die Stadt Santo Domingo auf der Suche nach dem "color local" - fündig werden sie in einem schmutzigen Restaurant, "[donde] está la pobreza en relación con la de la ciudad" (53) - und auf der Suche nach den Spuren vergangener Größe: la "ciudad primada", wie sie sich ihnen in romantisch-verklärter Sicht in den kolonialen Bauten und Ruinen offenbart. Raumaneignung wird hier, ebenso wie in dem anschließenden, einem Reiseführer nachempfundenen Kapitel, über die Erinnerung vollzogen; und diese gerät unweigerlich in Konflikt mit der Gegenwart und den
140 vertretenen politischen Positionen, wenn der festgestellte (städtebauliche) Fortschritt bedauert wird, da er schließlich die Erinnerung an die nur als archaischpittoreskes Relikt empfundene Stadt zerstört. In Ciudad romántica ist die fiktionale Handlung nur unzureichend mit den kostumbristischen und diskursiven Einlagen verknüpft. In dem drei Jahre später veröffentlichten Roman La sangre. Una vida bajo la tiranía findet sich hingegen ein Gleichgewicht zwischen den Beschreibungen des politischen Ambiente, kostumbristischen Szenen und Handlungselementen, die überdies, auf einen zentralen Protagonisten fixiert, weitaus vielschichtiger gestaltet und in den politisch-diskursiven Teil integriert sind. Auch hier wird in einem ersten, etwa die Hälfte des Romans einnehmenden Teil der Erinnerung breiter Raum gewährt. In einem Verlies der Torre del Homenaje, dem berüchtigsten Gefängnis von Santo Domingo, rekonstruiert und analysiert der Protagonist Antonio Portocarrero, ein oppositioneller Journalist und Lehrer, der wegen subversiver Artikel zum wiederholten Male inhaftiert ist, Episoden seiner privaten Existenz - die Kindheit in Bani, der Schulbesuch in der Hauptstadt, die Gründung einer Familie - sowie Episoden des öffentlichen Lebens, von den (gefälschten) Wahlen 1886 über die Festigung der Heureaux'schen Diktatur bis hin zur Gegenwart: zum 26. Juli 1899, dem Tag, an dem Heureaux einem Attentat zum Opfer fällt. Das Fazit der Reise Portocarreros in die Vergangenheit ist desillusionierend. Seine eigenen intellektuellen und politischen Ambitionen gereichten ihm nur zu mittelmäßigen Positionen; und die (in ihren Machtmitteln und Auswirkungen ausführlich beschriebene) Diktatur war so effizient, daß auch nach dem Tod des Diktators, wie sich herausstellen wird, eine Regeneration unmöglich sein wird: "como a su sombra maléfica no se ha creado ni una oligarquía vigorosa ni una conciencia nacional, tornamos a las andadas, a los pronunciamientos, a los golpes de estado, a los gobiernos estériles." 47 Oder, wie es sich aus der Sicht von Antonios Kerkermeister, einem Mann mit durchaus wachem Verstand, als Sprachrohr des Volkes darstellt: "Lili ha sido un padre pa nosotros, y a este país no va a haber quien lo gobierne." (104) Wie im zweiten Teil des Romans dargestellt, treten die Voraussagen ein. In dem nach dem Sturz der Diktatur einsetzenden Taumel der Machtkämpfe und Revolutionen ist Antonio verzweifelt bemüht, der materiellen Not durch einen einträglichen Posten zu entkommen, wobei er sich sogar, allerdings vergeblich, für einen Ministerposten empfiehlt. "El país necesita", so sein politisches Credo, "administración, mucha administración honrada, y nacionalismo: sí, nacionalismo, para salvar la independencia amenazada." (137) Doch keine Fraktion will sich seiner Dienste versichern, gilt er doch als jener Typ des Intellektuellen, der als unversöhnlicher Nonkonformist und "impenitente enemigo del orden" (97)
141 gänzlich untauglich scheint für eine unter den Bedingungen der neuen Zeit geforderte praxisorientierte, auf positive Ergebnisse abzielende Politik. Antonio bleibt ein Träumer, der in einer pessimistischen und sterilen Haltung dem der Aktualität fernen Ideal der trinitarios nachtrauert, so das vernichtende Urteil seines Freundes Arturo Aybar - desselben Aybar, der in Ciudad romántica noch die Diktatur gewaltsam stürzen wollte, der sich aber dann als "Praktiker" mit der Diktatur arrangierte und der Antonio, ohne daß dieser selbst gewichtige Argumente einzubringen weiß, ein ganzes "zivilisatorisches" Programm erstellt: Herstellung der öffentlichen Ordnung "[que] será el fruto de la transigencia" (110); infrastrukturelle Erschließung des Landes und wirtschaftspolitische Entwicklung, denn "[las revoluciones] las matarán ferrocarriles, carreteras, y la riqueza" (209); staatsbürgerliche Erziehung für das Volk "[que] baila al son que le toquen" (111); Anpassung an die europäische und US-amerikanische Zivilisation, u.a. durch die Übernahme des Baseballspiels "[que] da músculos y enseña a los jóvenes a pensar y ejecutar con ardimiento" (208); und schließlich das Studium der nationalen Geschichte, "mas no como a cosa muerta sino como a ser vivo, en incesante comunión con nosotros" (208). Ciudad romántica und La sangre stehen in der Tradition des Romans Baní o Engracia y Antoñita von Francisco Gregorio Billini, in dem gleichermaßen Kostumbrismus und Kritik an politischer Unkultur in realistischer, gelegentlich aber auch romantisierender Perspektive miteinander verknüpft werden; und selbst die nostalgische Verklärung Banis als "Arcadia" (9) und "pueblo de bucólica" (12) fehlt bei Cestero (in La sangre) nicht. Doch wird insbesondere in La sangre den (männlichen) Protagonisten in ihren divergierenden politischen Positionen und psychologischen Motivationen in der Darstellung mehr Raum gewährt 48 , auch wenn sich nur schwer eine - angesichts der Breite der politischen Diskussion durchaus zu erwartende - in sich stimmige "Botschaft" ausmachen läßt. So wird auf der einen Seite die Diktatur als Mensch und Umwelt zerstörende Perversion gebrandmarkt; doch auf der anderen Seite steht Heureaux, der "Pacificador", als Garant für eben jene öffentliche Ordnung, die den ersehnten Fortschritt erst ermöglicht. Arturo Aybar, der Kollaborateur, ist nicht nur redegewandter und in seiner Argumentationslinie überzeugender, sondern er ist auch Realist und in seinem politischen Handeln konsequent. Antonio Portocarrero, der "Gerechte", schwankt hingegen zwischen steriler Opposition und opportunistischer Karrieresucht und verdankt seinen (zeitweiligen) journalistischen Erfolg mehr seiner bombastischen Rhetorik als alternativen Konzepten. Und schließlich muß er erkennen, daß sein Charakter und sein Handeln nicht Produkt seines Willens, sondern Produkt einer ererbten Krankheit sind.
142 Die kostumbristischen Romane Tulio Manuel Cesteros sind, auch wenn sie keine ferne, sondern eine nahe Vergangenheit thematisieren, gleichzeitig auch historische Romane insofern, als sich hier, ganz allgemein, über den Vorgang des Erinnerns historisches Geschehen artikuliert. Doch wird die Zeiterfahrung bei Cestero nicht in der Weise genutzt, daß sich (individuelle oder kollektive) Identität konstituiert. Diese Leistung vollbrachte Federico García Godoy, der in signifikanter Abwandlung des von Manuel de Jesús Galván mit seinem Enriquillo vertretenen Konzepts - den dominikanischen historischen Roman des 20. Jahrhunderts begründete. Die zwischen 1908 und 1914 publizierte "trilogía poética" - Rufinito, Alma dominicana und Guanuma - "se inspira[n]", so Garcia Godoy im Vorwort zu Guanuma, "en el ideal de fecundo nacionalismo que sustento con fe de convencido sin desalentarme concediendo exagerada importancia a aspectos en extremo desconsoladores de la realidad circunstante" 49 . Dieser Wirklichkeit, konkret: dem US-amerikanischen Imperialismus wie dem dominikanischen Pessimismus, galt es entgegenzuwirken durch eine gezielte Kampagne zur Stärkung des Nationalbewußtseins - "fraccionario e incompleto" (236), "decaído y maltrecho" (237) - über einen nach außen wie nach innen gerichteten aggressiven, jedoch keinesfalls diskriminatorischen Nationalismus: "nacionalismo sereno, amplio, comprensivo, exento por entero de esa estrechez de miras que para por lo general en un exclusivismo siempre deprimente" (236). Das Ziel war, so García Godoy im Vorwort zu Alma dominicana: "formar dominicanos" (116); und das bedeutete auch die Behauptung einer nationalen Identität, ohne die eine Nation weder vorzustellen noch zu bewahren ist. Wo sich nun nach Garcia Godoy - und hier vermochte er durchaus auf Vordenker des 19. Jahrhunderts wie Luperón und andere zurückzugreifen - nationale Identität am augenscheinlichsten kristallisiert und manifestiert, ist das historische Bewußtsein eines Volkes: Un pueblo vive, debe vivir, merece vivir, mientras tiene conciencia de su historia, de lo que es, de lo que puede ser. Importa poco lo reducido de su territorio, lo escaso de su población, su situación geográfica, los accidentes exteriores que le dan mayor o menor importancia, su misma vecindad con naciones más poderosas, si en la urdimbre íntima de ese pueblo, en lo que constituye su psicología, en la innegable fuerza interior que unifica y cohesiona su personalidad nacional, vive robustamente el espíritu que dio orientación permanente a sus empeños de toda especie en las diversas fases de su actuación secular. [...] Lo urgente y necesario es que por ningún concepto decaiga ese espíritu que es la esencia permanente y vivificante de toda personalidad nacional. (115) 50
143 Um historisches Bewußtsein zu stärken und am Leben zu erhalten, bedarf es der Erinnerung: "recuerdo de los hechos de verdadero valor e importancia" (115); Erinnerung nun nicht mehr an Conquista und Kolonialzeit, sondern an kritische Momente der jüngeren Geschichte, "los trágicos períodos de formación y de consolidación de nuestra nacionalidad" "como suprema condensación de puro patriotismo" (238), konkret: an den Machtkampf zwischen den trinitarios und Santana unmittelbar nach der Erklärung der Unabhängigkeit 1844 sowie den Restaurationskrieg gegen Spanien von 1863 bis 1865. In dem 1908 publizierten Roman Rufinito umfaßt die historische Zeit nur wenige Monate von März, unmittelbar folgend auf den 27. Februar, bis September 1844: der Aufstieg Pedro Santanas im Kampf gegen die haitianischen Invasionstruppen; die Auseinandersetzungen innerhalb der ersten Regierungsjunta zwischen trinitarios oder febreristas und den Kräften der Reaktion; die von Ramón Mella im Cibao betriebene Proklamation Juan Pablo Duartes zum Präsidenten der Republik; schließlich, nach der Besetzung Santo Domingos durch die Truppen Santanas, dessen Ernennung zum Präsidenten der neu gebildeten Regierungsjunta sowie die Verfolgung und Verbannung der trinitarios. Die fiktionale Handlung mit dem Schauplatz La Vega im Cibao ist dem historischen Geschehen nachgeordnet und von nur geringem Interesse: Nachdem die dones, die Notabein des Ortes, mit den Plänen Mellas sympathisiert haben, werden sie vom Triumph Santanas eingeholt; durch einen Zufall bringt sich Rufinito, ein Campesino und santanista, in den Besitz eines die dones kompromittierenden Briefes; doch bevor dieser das Dokument in Santo Domingo Santana übergeben kann, wird er von den dones in einer geheimen und nie ganz aufgeklärten Aktion ermordet. Die zentrale Argumentationslinie im Roman bewegt sich auf der rein historischen, nationalen Ebene, vom Erzähler (und Verfasser) aus nachzeitiger Perspektive, mit engagierten Kommentaren versehen, im wesentlichen als historischer Essay dargeboten. Und hier wiederum erweist sich als zentraler Angelpunkt der unüberwindbare Antagonismus zwischen Pedro Santana und den febreristas, die ohne Zwischentöne die Kräfte des Bösen und die des Guten verkörpern. Pedro Santana, "general improvisado surgido al mágico conjuro del ideal revolucionario" (36), ist siegreich gegen die haitianischen Truppen, "el Atila haitiano" (36). Doch er ist nicht nur intelligent und willensstark, ausdauernd und kühn; er ist auch jähzornig und gewalttätig, hinterhältig und ohne moralische Skrupel, selbstherrlich und anmaßend und verkörpert als "novel caudillo" (37) die Reaktion. Und diese Reaktion manifestiert sich im personalismo - "el propósito de identificar el orden público con la personalidad del supremo impe-
144 rante" (42) im caudillismo - "un autoritarismo recio e intolerante a que todo debe plegarse y subordinarse" (40), verknüpft mit dem "concepto de la fuerza, de la violencia, de la imposición, como único resorte propicio para hacer sentir y respetar la autoridad" (41) - sowie in einer vaterlandslosen Gesinnung, "sin fe ninguna en la viabilidad de la entidad nacional recién surgida" (46). Schuld trifft Santana gewiß nicht allein; schuld ist auch "la deficiente y rudimentaria mentalidad de la inmensa mayoría de la sociedad dominicana en aquel entonces" (46). Doch hilft diese Einsicht nicht, ihn von persönlicher Verantwortung freizusprechen, und so ist das Urteil des Erzählers (und Verfassers) über Santana eindeutig: "[fue] tan útil en dos o tres momentos de su carrera pública y tan funesto en todos los demás" (39) - bis zur anexión, "abismo pavoroso en que van a hundirse para siempre su nombre y su prestigio..." (42). Santanas Gegenspieler sind die febreristas. Sie verfolgten mit der Unabhängigkeit von Haiti "el propósito de establecer una república fundamentada en la libertad y el derecho, sin restricciones menguadas, sin personalismos aviesos, sin sombra de intervención o protectorado de ninguna potencia extranjera" (45). Die Unabhängigkeit gelang dank ihrer "propaganda redentora" (46), doch es folgt ihre "via crucis", ihre Ausschaltung, diskriminiert als "soñadores, visionarios, locos..." (47). Ein gewisses Eigenverschulden ist jedoch auch ihnen nicht abzusprechen. So fehlt ihnen (nach Garcia Godoy) Entschlossenheit, "la audacia de asestar rápidamente duro golpe al adversario sin pararse en escrúpulos ni contemplaciones" (48). Denn: "Cuando se tiene delante un hombre de la talla de Santana, los titubeos, las indecisiones, las resoluciones a medias y tardías [...] pierden sin remedio... Había que pegarle fuerte en la cabeza o resignarse de antemano a la inevitable derrota." (48) García Godoy hält den febreristas ihre Skrupel zwar durchaus zugute, nennt diese aber gleichzeitig "pueril e ilusorio"; denn: "Como en la lucha biológica, los más fuertes, los mejor constituidos, los más adaptables al medio, obtuvieron prontamente la victoria." (48) Ramón Mella wird von dieser Kritik weitgehend ausgenommen. Er ist keinesfalls zögerlich, sondern entschlossen und weitsichtig genug, um gegen Santana, der ihn als einzigen seiner Gegner eben wegen seiner Entschlossenheit anerkennt, einen Staatsstreich durchzuführen. Nicht ausgenommen von Kritik bleibt hingegen Juan Pablo Duarte. Er ist zwar, als Gegenbild zu Santana konzipiert, gelassen und ausgeglichen, gewissenhaft und uneigennützig, ein beispielhafter Demokrat und Patriot; angesichts der Illegalität des von Mella angezettelten Staatsstreichs aber kann er seine Skrupel nicht überwinden, akzeptiert die Lösung nur halbherzig und beschwört damit eine unhaltbare Situation herauf: "una situación indecisa, sin contornos precisos, inestable, preñada de peligros, siempre funesta en política" (77).
145 Auf der fiktionalen, lokalen Ebene, deren Konflikte vom Verfasser vorwiegend in personaler Perspektive inszeniert werden, wiederholt sich der Antagonismus in der Konfrontation zwischen den Notabein und Rufinito in La Vega. Der Ort, dessen natürliche Schönheit - ganz in der Tradition Billinis und seiner Schilderung von Bani - ebenso gelobt wird wie die Einfachheit der Sitten in einer ohne größere Emotionen und Skandale verlaufenden, nur gelegentlich durch Feste eine gewisse Abwechslung bietenden Existenz 51 , kennt zwar eine klassenspezifische Differenzierung; doch ist das Wirken der dones, deren Überlegenheit und Autorität allseits anerkannt wird, auf Ausgleich bedacht, so daß soziale Konflikte gar nicht erst entstehen. Diese dones sind darüber hinaus wahre Patrioten und unterstützen den Plan Mellas, ohne daß sie jedoch aktiv in Erscheinung treten, und als die Reaktion Terrain gewinnt, übermannt sie die Furcht, die sie schließlich - aus rein persönlichen Motiven - zu dem Mord an Rufinito bewegt. Der Titelheld Rufinito ist nun in jeder Hinsicht ein Antiheld: Er ist untersetzt, mit vulgären, vom übermäßigen Alkoholgenuß aufgedunsenen Gesichtszügen, überdies "mulato oscuro", dem als dümmlich wirkendem Campesino trotz einer gewissen, allerdings nur oberflächlich imponierenden Redegewandtheit allein beim niederen Volk eine gewisse Anerkennung zuteil wird. Jedoch ist Rufinito nicht ganz so schwerfällig und unbedarft, wie es zunächst scheint, denn aufgrund seiner unersättlichen Neugier und seiner Kunst der Verstellung gelingt es ihm, alles und jeden im Ort auszukundschaften mit dem Ziel, seine kompromittierenden Kenntnisse bei passender Gelegenheit zum eigenen Vorteil zu nutzen. Eine im Roman positiv gewertete Eigenschaft ist seine unversöhnliche Haltung gegenüber den Haitianern, "echando pestes contra los malditos mañeses a quienes detestaba con todas las fuerzas de su alma" (69). Und aus dieser Haltung heraus resultiert auch seine bedingungslose Ergebenheit gegenüber Santana, "el hombre que su fe sencilla le hacía ver como el escogido por la dicha Providencia, era su frase favorita, para librar al país de los odiados enemigos de Occidente" (69). Rufinito ist der Prototyp des santanista, gleich seinem Idol fanatisch, intolerant und grausam; und er erliegt wie die große analphabetische Masse des Volkes einer willkommenen Verführung: [El nombre de Santana] se pronuncia con simpatía resuena como el de un guerrero invicto, único capaz, por la pujanza de su brazo y la indoblegable fortaleza de su espíritu, de servir de insuperable valladar a las invasiones haitianas. Su energía y su valor se loan incesantemente. Se cuentan de él cosas propias de un héroe de epopeya. Ya muchos lo consideran como el hombre providencial que a veces surge en las horas críticas de la historia de un pueblo. Alrededor de su naciente gloria principia a tejerse la leyenda; leyenda áurea formada de conversaciones de cuartel, de hechos y dichos del personaje ensalzado, falsos la mayor
146 parte, pero que la ciega credulidad popular acepta como verdaderos artículos de fe. (52) Der Mord an Rufinito durch die dones wird denn auch im letzten Kapitel des Romans ("Moraleja") vollends rechtfertigt als "acto de imprescindible defensa personal, que justifican cumplidamente las graves circunstancias del momento" (105). Und der Erzähler (und Autor) fügt hinzu: "Nadie, en lo íntimo de su conciencia, los condenaría. Todos, o casi todos, y yo con ellos, sin restricciones mentales, extenderían las manos en gesto de absolución completa..." (106) 52 Die Intention García Godoys war "educar dominicanos", und so ist denn auch weit wichtiger als die "moraleja" der auf privater Ebene vollzogenen Aburteilung die Benennung der Schuldigen auf der öffentlichen, nationalen Ebene mit Blick auf die aktuelle Situation und zum Wohl und Nutzen der eigenen Zeitgenossen: El febrerismo, esto es, la constitución de un gobierno libre fundamentado en el derecho, sin caciquismos ni ciertas limitaciones vergonzosas de soberanía, ha reaparecido, brevemente, en dos o tres ocasiones de nuestra vida nacional; ha sido como brillante meteoro que ha cruzado ante nuestros ojos deslumhrados para hundirse presto en las insondables negruras del espacio... En cambio, el santanismo, es decir, el autoritarismo personal, rígido y asfixiante, que caracteriza toda la política absorbente de Santana, practicada después de él por casi todos nuestros gobernantes, atenuado en unos y exacerbado en otros, parece tener raigambre inextricable y profunda en nuestro organismo nacional. Ha sido la ninfa Egeria de todos nuestros caudillos de escaso caletre, fuerte brazo y larga tizona. Ayudado poderosamente por la favorable disposición del medio, el santanismo ha creado una atmósfera mefítica en la cual respiramos todavía. (48) Rufinito behandelte den unmittelbar nach der Unabhängigkeit von Haiti und für den Fortgang der Ersten Republik entscheidenden Machtkampf zwischen den trinitarios und Santana. Für den zweiten und dritten Roman der Trilogie, Alma dominicana (1911) und Guanuma (1914), wählte Garcia Godoy als historisches Material die Annexion an Spanien und den Weg in die Zweite Republik über den Restaurationskrieg: in Alma dominicana von der Proklamation der Annexion am 18. März 1861 bis kurz nach dem offiziellen Beginn des Krieges am 16. August 1863, in Guanuma die entscheidende Phase der Kämpfe bis zum Rückzug der spanischen Truppen im März 1865. Auch hier geht es dem Verfasser wesentlich um die Darlegung und Interpretation der historischen Ereignisse und Hintergründe, wobei hinsichtlich fundamentaler Fehlentwicklungen und Mißstände in der dominikanischen Geschichte von Rufinito über Alma dominicana hin zu Guanuma - und zur Gegenwart des
147 Autors - gewisse Konstanten herausgearbeitet werden. Als Gründe für die Annexion, "monstruoso error político" (277), nennt Garcia Godoy zwei Faktoren: zum einen die Überzeugung der herrschenden Elite, daß das Land aufgrund der bedrohlichen Nachbarschaft Haitis, der geringen Bevölkerungszahl, der Armut und der mangelnden politischen Reife als unabhängiger Staat nicht lebensfähig ist, zum andern den Egoismus und Machthunger der Herrschenden, "bastardas ambiciones personalistas" (153), die nur über den Schutz einer fremden Macht den eigenen Machterhalt garantiert sehen. Personalismo und caciquismo sind denn auch während des Krieges selbst die unvermeidlich scheinenden Attribute der politischen und militärischen Anführer unter den restauradores, die, statt gemeinsam der nationalen Sache zu dienen, aus Egoismus und Selbstüberschätzung sich eine eigene Kamarilla aufzubauen und mögliche Rivalen im Streit um die Macht auszuschalten suchen. Santana, im ersten Roman der Trilogie noch die absolute Verkörperung des personalismo, erfährt nun, da er (in Guanuma) mit der Politik der spanischen Machthaber selbst in Konflikt gerät, eine differenziertere Darstellung. Er ist zwar verantwortlich für die Annexion, "de haber clavado el puñal asesino en el corazón de la patria, desencadenando sobre ella la guerra, el incendio, el saqueo, la devastación, toda una legión de furias monstruosas escapada de no sé qué pavorosos abismos infernales" (291); doch wird ihm zugestanden, angesichts der Bedrohung durch Haiti und in der Hoffnung auf eine bessere Behandlung seiner Landsleute durch die Spanier guten Glaubens gehandelt zu haben. Und so erscheint Santana am Ende als körperlich und moralisch gebrochener Mann, der sein Handeln als profunden Irrtum erkennt: "ante el juicio sereno de la posteridad, sin apelación posible, [...] irremisiblemente condenado" (295), jedoch selbst "principal víctima de la obra en que empeñó sus mayores energías" (294) und etwas überraschend für den Leser - "siempre dominicano hasta la médula, hasta el último instante de su asendereada existencia" (293). In Rufinito und Guanuma wird das Schicksal der im Entstehen begriffenen Nation unter den Mächtigen ausgehandelt, in Alma dominicana hingegen wird das Volk zum Subjekt der Geschichte. Zwar ist auch hier die Masse ungebildet und ohne politische Formation, "cerebros de rudimentaria mentalidad" (148); doch handelt sie impulsiv, mit jener "espontaneidad aún no comprimida por ciertos convencionalismos sociales" (148), die sie, welche schließlich nichts zu verlieren hat, als erste den Kampf gegen die fremde Macht aufnehmen läßt: Del alma de ese pueblo, del alma de esa muchedumbre inculta y desheredada, surgió, como de oculto volcán, el torrente de hirviente lava que como mar de fuego iba a extenderse hasta los últimos rincones del territorio dominicano... (121)
148 Stellvertretend für das Volk stehen auf der fiktionalen Ebene des Geschehens der Campesino Perico Antúnez und sein Vater Juan. Für den Älteren, der noch für die Unabhängigkeit gegen Haiti kämpfte, gründet sich der Patriotismus, "[que] no tenía ni podía tener las condiciones de un concepto reflexivo, de una creación mental bien definida, sino [que] era algo de espontáneo y de instintivo" (133), auf seinen unversöhnlichen Haß gegen die mañeses, "sentimiento que [...] parecía como condensar todo su ideal de patria libre" (132). 53 Der Jüngere bleibt von dem Haß des Vaters unbeeindruckt und folgt zunächst statt patriotischen Gedanken nur dem ausgeprägten Drang nach Tanz, weiblicher Gesellschaft und Raufereien. Doch mit der Zeit beginnt der durch den Vater vorgelebte Patriotismus ebenso wie der Wandel im öffentlichen Leben Wirkung zu zeigen, und so wird aus der anfänglichen Irritation Pericos in einer "crisis psicológica" ein ausgeprägter Widerwille, "aversión hacia los blancos que se habían colado en el país con aires de dueños de la casa..." (176). 54 Perico schließt sich den Aufständischen an, und innerhalb kurzer Zeit wird er, ob seiner Willens- und Führungskraft von den Generälen geschätzt und den Soldaten verehrt, zum Coronel mit der Perspektive, bald zum General befördert zu werden. Damit aber begibt er sich auf einen gefährlichen Weg, denn die Qualitäten, die ihn zum Führer - und möglicherweise zum Helden - machen, können, "como sucedió con casi todos sus compañeros", gleichermaßen entarten: "en fermentos de un caudillaje desapoderado y estulto que iba a entorpecer grande y peligrosamente el gradual desenvolvimiento de las instituciones republicanas..." (198). Doch Perico stirbt, bevor er diesen "fuerzas atávicas" erliegt, als Held; und so endet der Roman mit der Apotheose eines noch im Tod machtvollen Patriotismus: Bajo la paz inmensa de la tarde que se extingue, el coronel Perico, herido mortalmente, en las ansias de la agonía, reúne en un supremo esfuerzo el resto de vida que le queda, medio se incorpora para ver a los españoles que se alejan, y envuelto en un chorro de sangre que mana de su boca lanza en el instante de expirar este grito supremo: ¡Viva la República! (230) Nach dem im Vorwort geäußerten Willen des Autors verkörpert Perico Antúnez die Haltung und den Willen des dominikanischen Volkes. Und so sieht Garcia Godoy - allerdings nur in Alma dominicana - im Volk jene positive Kraft, die in der Vergangenheit im Kampf gegen Spanien und in der Gegenwart im Kampf gegen die Skeptiker im eigenen Land Freiheit und Unabhängigkeit zu sichern vermag: Hoy como ayer, en esa masa, en esa gente del pueblo aún no contagiada por destructores escepticismos, vibra robusto un sentimiento de que se
149 encamine a lesionar nuestra autonomía... En esa clase, lo mismo o más que hace cincuenta años, palpita potente el sentimiento salvador y viril que ha producido y producirá los Perico Antúnez dispuestos en todo instante a correr al sacrificio heroico para conservar en toda su prístina integridad la República gloriosa del 27 de febrero y del 16 de agosto. (123) Federico García Godoy, der sich nach eigenem Bekunden bei der Abfassung seiner Romane von einem "acendrado amor patrio" (242) leiten ließ, jedoch auch um eine "serena imparcialidad" (117) bemüht war, verstand sich vorrangig als Erzieher und Historiker, nicht jedoch als Literat. Und so sind die Romane, die er in Selbstbescheidung "narraciones novelescas" nannte, unter literarästhetischen Gesichtspunkten dort zu kritisieren, wo die historischen und fiktionalen Elemente unverbunden nebeneinander stehen und versäumt wird, über die Perspektive des Protagonisten als "mittlerem Helden" das historische Geschehen in die fiktionale Geschichte zu integrieren. 55 Sein erzieherisches Programm beinhaltete die Stärkung eines Nationalbewußtseins über die Erinnerung an die glorreichen Taten der Vergangenheit und über die Errichtung einer historischen Kontinuität die Formulierung einer nationalen Identität; die Romanform wählte er, damit seine "propaganda nacionalista" "pueda llegar más fácilmente al alma del pueblo" (238). Letzteres konnte ihm kaum gelingen, da der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung der Zugang zum Buch auch weiterhin versperrt blieb. 56 Was ihm - wie auch den Vertretern des costumbrismo oder criollismo allerdings gelang, war die Fundierung einer Nationalliteratur (für die intellektuellen Eliten), so wie er sie im Vorwort von Rufinito programmatisch entwarf: neben der "nota autóctona, indígena, de característico relieve nacional o local, de pronunciado sabor del terruño" vor allem "el aroma fuerte e imperecedero del espíritu nacional" (30). Die geeignetsten Mittel waren hier zweifellos die Geschichte und der historische Roman, denn: En [la historia], en su asiduo cultivo, en el exacto conocimiento de los hechos que la integran, hay asuntos propios para toda clase de exteriorizaciones artísticas; y en la fecunda enseñanza que de ella se desprende hay también los elementos necesarios para fortificar la conciencia nacional, creando una atmósfera fuertemente refractaria a cuanto tienda a arrebatar a estos pueblos jirones de su independencia conquistada en días trágicos pródigos en heroísmos y sacrificios... (32)
150 Anmerkungen 1 Die Bezeichnungen "bolos" und "coludos" verweisen auf zwei Typen von Kampfhähnen, die bei den überaus beliebten Hahnenkämpfen zum Einsatz kamen. 2 Die ungeheure Popularität, die Jimenes insbesondere bei der ländlichen Bevölkerung genoß, beruhte nach Sumner Welles auf der Tatsache, daß er sich vor seinem Bruch mit Heureaux ein immenses Vermögen angeeignet hatte, und der - irrigen - Überzeugung, daß er dieses über sein Exil hinweg hatte retten können. Und: "Se creía corrientemente que al ser elegido Presidente, el dinero que se le suponía, sería repartido y desaparecería el estado de pobreza en que gemía el pueblo." (1986-87: II, 20). 3 Mejía-Ricart G„ in: ders. 1982:183. 4 Etwa Roberto Cassá (1986-87:11,199, 205ff.). 5 Moya Pons 1984:430. 6 Welles 1986-87:11,71. 7 Vgl. hierzu (u.a.) Moya Pons 1984:443ff. sowie Welles 1986-87:11,92ff. und 1 lOff. (Abdruck der "Convención" p. 115ff.). 8 Die Proklamation ist abgedruckt bei Welles ( 1986-87:11,252ff.). 9 Del Castillo/Cordero, in: Mejía-Ricart G. 1982:110. 10 Vgl. hierzu von US-amerikanischer Seite etwa Welles ( 1986-87:11,264ff.). Der Name "gavillero" steht für Bandit und Straßenräuber; und als solche wurden sie von den Zeitgenossen betrachtet. Eine "Aufwertung" als Patrioten erfuhren sie erst nach dem Ende ihres Kampfes, der sicher primär einem sozialen Konflikt entsprang, dann aber zunehmend eine "nationalistische" Dimension gewann, da diejenigen, die sie ihrer Existenzgrundlage beraubt hatten, mit den US-amerikanischen Gesellschaften und damit auch mit der USamerikanischen Besatzungsmacht identifiziert wurden. 11 Vgl. hierzu Henríquez i Carvajal 1986. 12 El derrumbe (1916); zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe von 1975; hier S. 52 und 77. 13 La paz en la República Dominicana (Contribución al estudio de la sociología nacional) (1915); zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe López 1991 ; hier S. 158. 14 Vgl. auch die bitterböse Kritik Garcia Godoys am "vapor mefítico del personalismo" in der Einführung ("Página preliminar") zu seinem 1911 erschienenen Roman Alma dominicana (García Godoy 1982), mit dem sich das nachfolgende Unterkapitel ausführlich beschäftigen wird. 15 In einem Artikel von 1926 (Lugo 1976-77:333). 16 Zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe der "Biblioteca de Clásicos Dominicanos" (Bd. X) von 1991; hier S. 12. 17 In seinem 1915 publizierten Werk La paz en la República Dominicana nennt José Ramón López die Zahl von 600.000 Campesinos bei einer Gesamtbevölkerung von 700.000 (López 1991:168). Nach dem ersten Censo Nacional von 1920 betrug der Anteil der ländlichen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung von knapp 895.000 Einwohnern 83,4%; doch ist diese Zahl in Wirklichkeit noch höher anzusetzen, wenn man bedenkt, daß von den 30 als städtische Zentren gewerteten Ortschaften 17 weniger als 2.000 Einwohner hatten. (Gómez Pérez in: Mejía-Ricart G. 1982:125).
151
18 Die Rezension erschien in den N u m m e r n 17, 19 und 20, Juni-Juli 1897 und ist abgedruckt in: López 1991:377-398; h i e r S . 389. 19 Zitiert hier und im folgenden nach López 1991; h i e r S . 167. 20 So der Obertitel der 1975 von der Universidad Católica Madre y Maestra in Santiago publizierten Ausgabe beider Essays. 21 El derrumbe,
zitiert hier und im folgenden nach der Ausgabe von 1975; hier S. 56.
22 El derrumbe
(1975:53 und 35).
23 Vorwort zu Alma dominicana, 24 El derrumbe
in: Garcia Godoy 1982:114.
(1975:82).
25 La paz. en la República
Dominicana,
in: López 1991:141.
26 La paz en la República
Dominicana,
in: López 1991:149 und 141.
27 Brief an Horacio Vásquez vom 20. Januar 1916, publiziert in La Bandera
am 14. Juni
1916; in: Lugo 1976-77:11,126 und 127. 28 Der Essay ist auf den 16. August 1916 datiert; die Drucklegung, von Garcia Godoy (wie in jener Zeit üblich) selbst finanziert, erfolgte nach Erlaß der scharfen Zensurbestimmungen, so daß der Verfasser, wie er selbst betont, mit einem Vertrieb seines Buches in der Dominikanischen Republik nicht rechnen konnte, diesen auch gar nicht bezweckte. Dennoch wurde die gesamte Auflage, f ü r die Verschiffung in das spanischsprachige Ausland bestimmt, konfisziert und bis auf wenige erhaltene Exemplare verbrannt. Vgl. hierzu die von Garcia Godoy Jahre später gegebene Erklärung ("Historia de un libro"), publiziert in: Garcia Godoy 1975:31ff. 29 Fabio Fiallo, der im diplomatischen Dienst seines Landes und als Journalist tätig war, seinen Nachruhm aber vor allem seiner (romantischen) Lyrik und seinen (modernistischen) Erzählungen verdankt, war mit seiner Kritik an den Invasoren keineswegs zurückhaltend. So werden die U S A apostrophiert als "cruelísima civilización que bayoneta en ristre se nos entró por el traspatio en una oscura noche de engaño, sorpresa y cobardía, y que tanta sangre y tantas lágrimas nos cuesta, y tantos hogares en ceniza y también tantos huérfanos sin pan" ("Oídme todos", 14. 7. 1920; in: Fiallo 1980:111,122). 30 Vgl. hierzu (u.a.) die im Mai 1916 im Listín Diario ción" und den in Pluma y Espada
publizierte Artikelserie "La Situa-
1921 publizierten Artikel "Responsables y pagadores"
(in: López 1991:254ff. und 333ff.). 31 Mateo 1993:71. 32 Moscoso Puello o.J.:96. 33 Vgl. hierzu insbes. die Briefe Nr. 8, 10, 11 und 12. 34 Moscoso Puello o.J.:87. 35 Moscoso Puello o.J.:217. 36 Garcia Godoy im Vorwort zu Alma dominicana,
in: Garcia Godoy 1982:118 und 119.
37 Lugo 1976-77:1,116. 38 Lugo 1976-77:1,73. 39 Lugo 1976-77;I,116 1976:116. Américo Lugo vertrat vehement das "Spaniertum" der Dominikaner, propagierte aber keinen Antihaitianismus. Denn der haitianische Staat war zu schwach, als daß er - wie noch im 19. Jahrhundert - als Bedrohung der Unabhängigkeit empfunden werden mochte; und die Zuwanderung haitianischer Saisonarbeiter ver-
152 lief noch im wesentlichen kontrolliert, so daß diese nicht - wie dies unter Trujillo geschehen sollte - als Bedrohung der nacionalidad
angesehen bzw. stigmatisiert werden moch-
ten. So suggerierte Lugo 1913 angesichts der wachsenden Einflußnahme von Seiten der U S A eine Allianz mit dem haitianischen Nachbarn: "¿Por qué no llama [la República Dominicana] a Haití, su hermana de más edad y cordura, y la abraza y le dice: quiero unirme a ti que has sido hasta ahora el único paladión de la soberanía de esta isla, en estrecha confederación que la garantice perpetuamente? [...] ¿Por qué no comprende que la confederación dominico-haitiana, en una palabra, es la única fórmula que puede salvar, junto con la soberanía de la isla, la nacionalidad patria?" ("Protesta", in: Lugo 197677:11,262). 40 La paz en la República
Dominicana,
in: López 1991:138.
41 In: López 1991:390. 42 Sagawe 1993:Fig. 16. 43 Moscoso Puello o.J.:9f. Der Brief wurde 1913 verfaßt, wodurch sich die Anspielung auf die Amerikaner erklärt; "papaluases" ist die spanische Version für das haitianische "papaloas", Bezeichnung f ü r Priester bzw. hier Zauberer. 44 Pensón publizierte seine zuvor in Zeitschriften erschienenen vorwiegend kolonialzeitlichen Anekdoten und Legenden, Cosas añejas. Tradiciones y episodios de Sanio Domingo, in einem Band 1891. Seinen ursprünglichen Plan, drei bis vier Bände solcher Traditionen zu veröffentlichen, verwirklichte er nicht. 45 Beide Werke wurden in Europa verfaßt und publiziert, wo Cestero, nachdem er zunächst auf Seiten von Horacio Vásquez an den Kämpfen zwischen horacistas
und jimenistas
genommen hatte, über viele Jahre auf diplomatischen Posten lebte. La sangre
teil-
erschien
überdies in Fortsetzungen in der Zeitung Listín Diario in Santo Domingo. 46 Zitiert hier und im folgenden nach der einzigen verfügbaren, ohne Datum, Ort und Verlagsangabe erschienenen Ausgabe; hier S. 40. 47 Zitiert hier und im folgenden nach der einzigen verfügbaren, ohne Datum, Ort und Verlagsangabe erschienenen Ausgabe; hier S. 116. 48 Für eine ausführlichere, hier nicht zu leistende Analyse von La sangre, insbes. der Psychologie der Protagonisten, vgl. Pimentel 1986:93ff. sowie Cruz 1986:263ff., die Antonio Portocarrero Symbolcharakter zuspricht. 49 Zitiert werden alle drei Romane nach der Ausgabe der Sociedad Dominicana de Bibliófilos 1982; h i e r S . 237. 50 Vgl. hierzu auch Américo Lugo: "[...] no es posible que llegue a formarse en ningún país conciencia nacional sin que se haya creado previamente una conciencia histórica. La cátedra de historia patria es el laboratorio del carácter nacional." (1976-77:11,190). 51 Einen Einbruch in ihre friedliche Existenz erlebte die Stadt allerdings durch die Invasionen unter Henri Christophe und Dessalines im Jahre 1805, und in diesem Zusammenhang bezeugt auch Garcia Godoy einen - zumindest auf diesen historischen Zeitpunkt projizierten - vehementen Antihaitianismus. So heißt es im Z u s a m m e n h a n g mit dem Durchzug der haitianischen Truppen durch La Vega: "Por sus calles pasó, huracán de sangre, ola negra y monstruosa, representación viviente y macábrica de horrores apocalípticos, la horda feroz que rota y maltrecha ante los muros de la Capital, en su vergonzosa retirada, exasperada por la derrota, se vengaba pillando e incendiando poblaciones inermes, sin medios ningunos de defensa. Casi todos sus moradores fueron arrastrados por la ola de-
153 vastadora, y en horrible mezcolanza con cerdos y animales de cargas, llevados a las gemonías haitianas, o a servir de esclavos a Cristóbal, el cruel y grotesco rey de melodrama..." (56) 52 Am Ende des Romans wirft der Verfasser in einigen Anmerkungen hinsichtlich der möglicherweise realen Existenz des Rufinito einige Fragen auf, die den historischen Charakter der Gestalt wie der dargestellten Episode untermauern sollen. Inwieweit dies der historischen Wirklichkeit entspricht, konnte nicht ermittelt werden. 53 Garcia Godoy mag auch hier nicht auf die Reproduktion gängiger Argumente des Antihaitianismus verzichten. So evoziert er die Jahre der "dominación haitiana" als eine Zeit, "cuando los mañeses gobernaban el país como verdaderos señores de horca y cuchillo" (140), und die Invasionen, "las razzias haitianas", als Schreckensvision und Beweis für die "africana crueldad" eines wilden Henri Christophe, "Atila etiope", der mit seinen Horden, "millares de negros desalmados", das Land heimsucht "como un huracán de sangre y de exterminio" (189). 54 Daß García Godoy mit seinem Roman keine anti-spanische Propaganda betreiben wollte, machte er in seinem Vorwort (über-)deutlich. Dort heißt es u.a.: "Entre España y las actuales repúblicas que durante siglos fueron parte integrante de su inmenso imperio colonial existen lazos indestructibles cada vez más estrechos. Ya no hay ni puede haber espacio para los odios. [...] En todo Hispanoamérica predominan, en esta hora de fructuosos acercamientos, ideas de solidaridad étnica, de gradual comunidad de aspiraciones y de intereses, cada vez más precisas y definidas como la manera más adecuada de realizar determinadas finalidades de común adelanto y alzar pujante valladar a la marcha invasora del imperialismo norteamericano esencialmente agresivo y absorbente." (118; vgl. auch Kap. 4.1, S. 26) So wurde denn auch im Roman selbst nur gegen die spanische Bürokratie Klage erhoben, nicht aber gegen die Masse der kämpfenden Soldaten, "impertérritos, resueltos y heroicos, [...] descendientes de los arrojados conquistadores que en épocas de resonancia épica engarzaran con sus victoriosas espadas, como perla de riquísimo valor, esta tierra hermosa, la riente Española, en la refulgente corona de los poderosos monarcas ibéricos..." (218f.). 55 Dies gelang allein im dritten Roman, Guanuma, in dem die Auseinandersetzungen innerhalb der in Santiago etablierten Übergangsregierung der restauradores ebenso wie die Situation der Spanier in ihrem Feldlager Guanuma sowie in der Hauptstadt vorwiegend aus der Perspektive des fiktionalen Protagonisten Fonso Ortiz geschildert werden, der als Parteigänger der restauradores und Spion in deren Diensten das Geschehen in beiden Lagern beobachtet und reflektiert. 56 Immerhin wurde Rufinito nach der Erstauflage 1908 im Jahre 1912 in einer zweiten Ausgabe publiziert; Guanuma wurde 1963 wiederaufgelegt; eine erste Gesamtausgabe der Trilogie erschien erst 1982.
Kapitel 4
Mythos und Macht: die Era de Trujillo [1930-1961] Rafael Leonidas Trujillo Molina 1 , geboren 1891 in dem unbedeutenden Provinzstädtchen San Cristóbal nahe Santo Domingo, entstammte einer kleinbürgerlichen Familie mit haitianischen Vorfahren. Sein familiärer Hintergrund und sein soziales Umfeld wie auch die nur oberflächliche Schulbildung, die er in San Cristóbal erhielt, prädestinierten ihn für eine eher bescheidene und obskure Existenz, und so arbeitete er zunächst als Telegrafist, dann als Wachmann auf einer der großen Zuckerrohrplantagen, während er gleichzeitig als Mitglied einer Bande Jugendlicher aufgrund kleiner Gaunereien mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geriet. 1918 - mit 27 Jahren - faßte Trujillo den für sein weiteres Fortkommen entscheidenden Entschluß: Er bewarb sich um die Aufnahme in die Guardia Nacional, für einen Mann seiner Herkunft der einzige Weg zum ersehnten sozialen Aufstieg. Dieser gelang noch während der US-amerikanischen Besatzung mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit, denn Trujillo besaß außerordentliche, gerade für eine militärische Karriere besonders gefragte Eigenschaften und Fähigkeiten. So verfügte er über eine außergewöhnliche körperliche und mentale Leistungsfähigkeit und Dynamik ebenso wie über Disziplin und Selbstkontrolle, demonstrierte Willens- und Entschlußkraft, Mut und Einsatzbereitschaft ebenso wie administratives und organisatorisches Talent und bewies gegenüber seinen Vorgesetzten absoluten Gehorsam wie im Umgang mit seinen Untergebenen leutselige Kameraderie, wodurch ihm allseits Anerkennung und Achtung entgegengebracht wurden. Hilfreich waren schließlich auch ein starkes Selbstwertgefühl, Ehrgeiz und ein ausgeprägter Machtinstinkt im Verein mit einem überaus entwickelten Geschäftssinn und der Überzeugung, daß materielle Vorteilsvergabe Macht schafft und Macht erhält. Da sich Trujillo nach Abzug der US-Truppen den horacistas annäherte, jedoch keinerlei politische Ambitionen offenbarte, gewann er das besondere Vertrauen des Präsidenten Horacio Vásquez, der ihn 1924 zum Oberstleutnant und Regimentsstabschef beförderte und 1927 schließlich zum Brigadegeneral und Oberkommandierenden der Streitkräfte ernannte. Um 1928 war Trujillos Füh-
156 rungsposition innerhalb der Armee, als Erbe der Ocupación die einzige stabile und weitgehend unabhängige Institution im Staat, unbestritten. Gleichzeitig erwarb er sich durch teils betrügerische Transaktionen vor allem über die Versorgung der Sicherheitskräfte ein beträchtliches Vermögen, tatkräftig unterstützt von seiner gleichermaßen ehrgeizigen und geschäftstüchtigen Geliebten María Martínez, der Mutter seines 1929 geborenen, von ihm abgöttisch geliebten Sohnes Rafael Leonidas "Ramfis" und späteren dritten Ehefrau 2 . Und schließlich wußte Trujillo bereits ab 1926 das Mittel einer vorrangig auf die eigene Person bezogenen Propaganda einzusetzen, indem er sich von herausragenden Intellektuellen im Glanz militärischer Pracht- und Machtentfaltung als "jefe innato" feiern ließ.3 Bereits während seiner ersten Präsidentschaft von 1930 bis 1934 legte Trujillo, seit 1932 vom Parlament mit dem offiziellen Titel des "Benefactor de la Patria" belegt, jedoch im täglichen Umgang durchweg als "Jefe" apostrophiert, das Fundament für seine autoritäre Herrschaft, die über drei Jahrzehnte, zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet, andauern sollte. Die politischen Gegner ebenso wie die Weggefährten jener Parteienkoalition, die ihm zur Macht verholfen hatte, wurden, sofern sie nicht einem Mordanschlag zum Opfer fielen, durch gezielten politischen Terror ins Exil gezwungen oder durch geschickte Vergabe von materiellen Vorteilen und einflußreichen Posten an seine Person gebunden, so daß er ernstzunehmende Widerstände im eigenen Land kaum zu fürchten hatte. Für die angestrebte Zentralisierung und Personalisierung der Macht, die, charismatisch legitimiert, stets formal-demokratisch an politische Institutionen gebunden blieb, schuf er als entscheidendes Instrument der Kontrolle und Mobilisierung die Einheitspartei Partido Dominicano, die allein auf seine Person zugeschnitten war. Die Partei konzedierte Trujillo als ihrem Parteiführer, alle Positionen der Parteigremien eigenverantwortlich zu besetzen, bei anstehenden Wahlen sämtliche Kandidaten zu benennen und gegen jegliche Entscheidung ein Vetorecht geltend zu machen. Die Mitgliedschaft war obligatorisch für jeden, der ein öffentliches Amt anstrebte - der Mitgliedsbeitrag in Höhe von 10% des Lohns oder Gehalts wurde direkt an die Parteikasse abgeführt und ratsam für jeden, der sich öffentlich betätigte, sei es als Mitglied der freien Berufe oder als Kaufmann und Händler, da bei Eingaben an die Verwaltung auf dem entsprechenden Formular nach der Mitgliedschaft im Partido Dominicano gefragt und entsprechend der Antwort entschieden wurde. Grundlegend für die Autorität Trujillos aber war zweifellos die in den Statuten der Partei verankerte Klausel, daß alle Mitglieder, so auch die gewählten Volksvertreter, vor Übernahme ihres Amtes dem Parteichef eine von diesem jederzeit verwendbare undatierte Rücktrittserklärung zuzuleiten hatten.
157 Neben der politischen Fundierung seiner Autorität betrieb Trujillo mit derselben Energie und nicht immer legalen Mitteln den Aufbau eines Wirtschaftsimperiums, das ihn im Verbund mit seinem Familienclan und unter Ausschaltung der traditionellen Oligarchie bereits gegen Ende seiner ersten Amtsperiode zum reichsten Mann des Landes machte. Das probateste Mittel war die Monopolisierung ganzer Produktionszweige: von der Salz- und Salpetergewinnung und der Versorgung der Hauptstadt mit Milchprodukten und Fleisch über traditionelle Industriezweige wie Möbel, Textilien und Schuhe (insbes. für die Streitkräfte) oder neuere Industriezweige wie Speiseöl, Bier, Schokolade, Farben und Zement bis hin zum Im- und Export sowie Zeitungen und Dienstleistungen wie Banken, Versicherungen, Transportgesellschaften, Hotels und sogar Prostitution. Und mit der Ausweitung des Außenhandels nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sowie der Steigerung der Zuckerproduktion erweiterte Trujillo nach Auszahlung der nahezu gesamten US-amerikanischen Konkurrenz sein Monopol auch in diese Richtung mit der Folge, daß er gemeinsam mit seinem Familienclan gegen Ende der 50er Jahre etwa 80% der industriellen Produktion kontrollierte, ein Jahreseinkommen bezog, das dem Gesamtbudget der Ministerien für Erziehung, Gesundheit, Arbeit, Soziales und öffentliche Bauten entsprach, und als einer der damals reichsten Männer der Welt über ein - zum Teil im Ausland angelegtes Vermögen von etwa 800 Millionen US$ verfügte. 4 Das von Trujillo ersonnene System autoritärer personaler Herrschaft funktionierte zunächst mit Hilfe der ihm bedingungslos ergebenen Sicherheitskräfte, die, professionalisiert und modern ausgerüstet, zwecks Überwachung und Einschüchterung der Bevölkerung allgegenwärtig waren. Gleichzeitig war er bemüht, demokratische Formen zu wahren und durch die regelmäßige Abhaltung von Wahlen ebenso wie durch die Aufrechterhaltung des Parlaments seinem Regime den Anschein der Verfassungsmäßigkeit zu verleihen. Doch die Wahlen, bei denen neben dem Partido Dominicano in der Regel keine oppositionellen Parteien als Alternative zugelassen waren und die Einheitslisten (nach offiziellen Angaben) bei nur geringer Stimmenthaltung eine 100%ige Zustimmung erhielten, waren schlicht eine Farce. Und das Parlament, über dessen Zusammensetzung Trujillo mit dem Mittel der vorab unterschriebenen Rücktrittserklärungen nach eigenem Gutdünken entschied, verkam zu einem reinen Akklamationsorgan, in dem die von der Exekutive erarbeiteten Gesetzesvorlagen ohne jede Diskussion in öffentlicher Abstimmung und stets einmütig angenommen wurden. Entscheidend aber war die allgegenwärtige Präsenz Trujillos, der in dem zentralistisch strukturierten administrativen Apparat sämtliche Funktionen überwachte, der nach eigenem Befinden belohnte und bestrafte, wobei selbst die eigene Familie wie auch andere herausragende Mitglieder seiner Kamarilla nicht
158 davor geschützt waren, etwa bei einem Anflug von Profilierungssucht oder auch aus gänzlich nichtigem Anlaß in Ungnade zu fallen und ihren einträglichen Posten zu verlieren, um möglicherweise Monate oder Jahre später, für sie selbst zumeist gänzlich überraschend, wieder rehabilitiert zu werden. Der aus dem System der absoluten persönlichen Abhängigkeit resultierenden existentiellen Unsicherheit, einer die absolute Machtposition Trujillos gefährdenden Cliquenbildung überaus abträglich, versuchten die meisten Amtsträger dadurch entgegenzuwirken, daß sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit in einer Geste der totalen Unterwerfung öffentlich ihre bedingungslose Gefolgschaft proklamierten - eine Geste, die der mit Größenwahn assoziierten Eitelkeit Trujillos schmeichelte, jedoch nicht in jedem Fall zum Erfolg verhalf. Existentielle Unsicherheit beherrschte aber nicht nur die von Trujillo in der einen oder anderen Form an der Macht beteiligten Favoriten, sondern auch die im öffentlichen Dienst oder in irgendeinem vom Trujillo-Clan kontrollierten Betrieb Beschäftigten - etwa 50% der gesamten Arbeitskräfte 5 - , so daß es für die Mehrheit der Bevölkerung keine Möglichkeit gab, als "desafectos" des Regimes zu überleben. 6 Die Wahl Trujillos für eine zweite Amtsperiode 1934, vom Partido Dominicano als genuiner Ausdruck des Volkswillens deklariert, war wie die Wahl !930 wiederum eine Farce, und es wurden bereits Stimmen laut, die forderten, den "Benefactor de la Patria" zum Präsidenten auf Lebenszeit zu ernennen. Die Wahl zu einer dritten Amtsperiode 1938 verhinderte hingegen ein Ereignis, das Trujillo wissentlich herbeigeführt, dessen internationale Implikationen er aber zu keinem Zeitpunkt vorhergesehen hatte: das im Oktober 1937 befohlene Massaker an den vorwiegend in der nördlichen Grenzregion lebenden Haitianern, dem (nach vorsichtigen Schätzungen) mindestens 12.000 Menschen zum Opfer fielen. 7 Auf dominikanischer Seite versuchte man zunächst, die Ereignisse als einen der üblichen Grenzkonflikte, hervorgerufen durch Übergriffe von Haitianern auf dominikanisches Territorium, zu bagatellisieren und die Zahl der Cpfer herunterzuspielen. Doch die haitianische Seite ersuchte die Präsidenten der USA, Mexikos und Kubas um Vermittlung mit der Folge, daß eine Internatbnalisierung des Konflikts, die Trujillo unbedingt hatte vermeiden wollen, ehtrat und er angesichts der internationalen Meldungen, die hinsichtlich der Ausnaße des Massakers wie hinsichtlich der Schuldzuweisung an ihn eindeutig wtren, vermutlich unter dem Druck der USA für die anstehenden Präsidentschaftsvahlen auf eine neuerliche Kandidatur verzichtete, um sich (für eine Amtsperbde) durch einen Strohmann vertreten zu lassen. Beim Amtsantritt Jacinto B. Peynados, eines angesehenen Rechtsanwalts der auf eine drei Jahrzehnte währende politische Erfahrung in führenden Positionen zurückblicken konnte und Trujillo seit 1930 gedient hatte, wurde sehr scknell
159 deutlich, daß Trujillo selbst, dem per Gesetzesdekret gleich Peynado alle Privilegien eines Staatschefs zugesprochen wurden, auch weiterhin die Staatsgeschäfte leiten würde. Und daß sich nichts Grundlegendes ändern würde, betonte Peynado in seiner Antrittsrede, in der er - nach den üblichen Lobeshymnen auf das Werk Trujillos - die gebotene Kontinuität beschwor: "El iluminador se retira del poder dejando a su sucesor, que él mismo señaló al pueblo, la fulgurante estela de su inmensa obra, cuya preservación será el primer deber de la Administración que hoy se inicia." 8 Kontinuität wahrte gleichermaßen Manuel de Jesús Troncoso de la Concha, der als Vizepräsident beim Tod Peynados 1940 diesem im Amt des Präsidenten folgte, und auch er beeilte sich, bei seinem Amtsantritt nach dem Eid auf die Verfassung dem Parlament - und Trujillo - zu versichern: "Yo quiero jurar también, Señores, que seré un continuador fiel de la obra política iniciada en 1930 por el Jefe Supremo [...] y que sólo en él buscaré inspiración y apoyo para continuar esta obra que es suya y a la cual debe la Nación la felicidad de su presente y el aseguramiento de su porvenir." 9 So wurde denn das "Werk" Trujillos von seinen Statthaltern getreu seinem politischen Willen fortgesetzt, so daß ihm selbst Muße blieb, sich auf verschiedenen Reisen in die USA in diplomatischer Mission auf internationalem Parkett zu bewegen; dies nicht ohne Erfolg, denn mit dem 1940 mit den USA - nicht zuletzt begünstigt durch die von Franklin D. Roosevelt eingeleitete "Politik der Guten Nachbarschaft" ausgehandelten Tratado Trujillo-Hull erlangte er die nationale Kontrolle über die seit der Convención von 1907 von den USA verwalteten Zolleinnahmen, woraufhin er, wiederum durch Beschluß des Parlaments, mit dem Titel des "Restaurador de la Independencia Financiera" belohnt wurde. Für die mittlerweile durch Verfassungsänderung auf fünf Jahre verlängerten Amtsperioden 1942-1947 und 1947-1952 übernahm Trujillo wieder offiziell die Amtsgeschäfte des Präsidenten der Republik, konnte jedoch nicht umhin, aufgrund interner wie externer Faktoren eine - allerdings nur simulierte - kurzfristige demokratische Öffnung seines Regimes zuzulassen. Opposition im Innern manifestierte sich ab 1943 zum einen mit der Gründung von zwei zunächst im Untergrund operierenden politischen Organisationen, dem sozialistisch ausgerichteten Partido Democrático Revolucionario Dominicano (PDRD) und der vornehmlich von Studenten getragenen Juventud Democrática10, zum anderen mit dem wachsenden Einfluß der Gewerkschaftsbewegung, die 1946 in einen allerdings nicht politisch motivierten, sondern einzig auf Lohnerhöhungen abzielenden, jedoch massiv befolgten Streik mündete. Gleichzeitig formierte sich die Opposition im Exil mit dem 1939 (u.a.) von Juan Bosch in Kuba gegründeten Partido Revolucionario Dominicano (PRD) an der Spitze, und es gelang, für das Projekt einer bewaffneten Expedition die Unterstützung der Präsidenten von
160 Venezuela und Guatemala, Rómulo Betancourt und Juan José Arévalo, sowie einiger kubanischer Regierungsmitglieder einzuwerben, wobei den Exilierten mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die international wirksame Diskreditierung autoritärer Regime zu Hilfe kam. Trujillo reagierte prompt: Der PDRD und die Juventud Democrática wurden, als sie mit Aktionen an die Öffentlichkeit traten, durch brutale Repression zerschlagen. An die Opposition im Exil aber richtete er 1946 die Aufforderung zur Rückkehr und zur Zusammenarbeit mit dem Regime - eine Aufforderung, der allein der kommunistische Partido Socialista Popular (PSP) folgte, wodurch sich dieser, von Trujillo mißbraucht und wenig später zerschlagen, in den Augen der Opposition diskreditierte und schlicht unterging. Für die Wahlen 1947, als Zeichen der demokratischen Öffnung inszeniert, wurden sodann neben dem Partido Dominicano erstmals auch andere Parteien zugelassen. Doch auch dieses Zugeständnis mündete in eine Farce, denn den zwei zur Wahl angetretenen unbedeutenden Gruppierungen wurde im Vorfeld der Wahlen je ein Mandat zugesprochen, ohne daß sie bemüht waren - oder ihnen die Chance gegeben war - , einen wirksamen Wahlkampf zu führen. Eine tatsächliche Demokratisierung fand somit nicht statt, und sie sollte sich angesichts der internationalen Polarisierung auch kaum mehr als notwendig erweisen. Denn mit der 1947 einsetzenden Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion und dem Beginn des Kalten Krieges initiierten die USA ihre Politik der bedingungslosen Unterstützung diktatorialer Regime als Bollwerk gegen den Kommunismus, wodurch Trujillo als selbsternannter "Campeón del Anticomunismo en América" zu einem willkommenen Verbündeten wurde. Den ersten Erfolg dieser neuerlichen Allianz konnte Trujillo dadurch verbuchen, daß die auf der Insel Cayo Confites vor Kuba von Exilierten für den Sommer 1947 vorbereitete Expedition durch US-amerikanische Intervention von kubanischer Seite vereitelt wurde und die Abwehr des zwei Jahre später (mit Unterstützung der Regierungen von Guatemala und Costa Rica) unternommenen, jedoch kläglich gescheiterten Invasionsversuchs einer weiteren Gruppe Exilierter in der Bucht von Luperón als Feldzug gegen den Kommunismus propagandistisch genutzt werden konnte. Die Hoffnungen auf eine demokratische Öffnung des Regimes wurden enttäuscht. Überzeugende Erfolge erzielte Trujillo hingegen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet: verstärkte Förderung und Modernisierung der Agranvirtschaft, flankiert von einer bescheidenen Agrarreform; Stützung der einheimischen Industrie und Schaffung neuer Industriezweige, begünstigt durch eine protektionistische Zollpolitik; weitgehender Ausbau der Infrastruktur und massive Förderung öffentlicher Bauten vor allem in der Hauptstadt; schließlich
161 Schaffung einer Arbeits- und Sozialgesetzgebung, Verbesserung der Gesundheitsfürsorge und Ausbau des Schulwesens. So erlebte die nationale Wirtschaft in den 40er Jahren, begünstigt durch den kriegsbedingten Preisanstieg ihrer traditionellen Exportgüter und die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelungene Ausweitung des internationalen Handels, einen enormen Wachstumsschub, der von einem Prozeß des sozialen Wandels begleitet wurde. Diese Entwicklung setzte sich zunächst fort, nachdem 1952 wiederum ein Strohmann, der jüngste Bruder Trujillos, Héctor Bienvenido, nach dem (durchaus zutreffenden) Urteil seines Mentors "un señalado y férvido discípulo de mis enseñanzas" 11 , das Präsidentenamt übernommen hatte und Trujillo selbst sich als eider statesman auf internationalem diplomatischen Parkett bewegte. So gerieten die Feierlichkeiten zum 25jährigen Bestehen des Regimes im Jahre 1955, vom Parlament zum "Año del Benefactor" gekürt, zu einer wahren Apotheose politischer Machtentfaltung und Selbstbespiegelung des nunmehr auch mit dem Titel des "Padre de la Patria Nueva" belegten Trujillo, und mit der unter großen finanziellen Anstrengungen aufgebauten internationalen "Feria de la Paz y Confraternidad del Mundo Libre" wurde der Welt eindrucksvoll vorgeführt, daß das Land beachtliche Fortschritte in Richtung auf eine kapitalistische Entwicklung und zumindest partielle Modernisierung erzielt hatte. Doch in den nachfolgenden Jahren wurde überdeutlich, daß mit dem wirtschaftlichen Wachstum, der zweifellos gelungenen Steigerung administrativer Leistungsfähigkeit, der Stärkung eines vorrangig aus öffentlichen Bediensteten bestehenden Kleinbürgertums und den (allerdings nur beschränkt wirksamen) entwicklungsstrategischen Investitionen des Staates 12 die sozialen Probleme strukturell nicht zu lösen waren. Die Leidtragenden waren vor allem die Campesinos, die aufgrund der Monopolstellung des Trujilloclans für ihre Produkte nur niedrige Preise erzielten oder durch die Ausweitung der Anbaugebiete für Zuckerrohr und die Konzentration des Landbesitzes in Händen Trujillos und seiner Kamarilla von ihrer Parzelle vertrieben wurden. Sie stellten das Heer des städtischen Proletariats, dem trotz steigender Löhne kaum das Existenzminimum verblieb, da aufgrund unverhältnismäßig steigender Preise und Steuern ihre Kaufkraft beständig sank. Mit der gegen Ende der 50er Jahre einsetzenden Verschlechterung der terms of trade geriet die dominikanische Wirtschaft in eine Krise, die jedoch in der Bevölkerungsmehrheit kein politisches Protestpotential oder gar ein Reservoir für aktiven Widerstand hervorrief. Denn zum einen besaß das sich paternalistisch und nationalistisch gelierende System mit seiner prachtvollen bis spektakulären Machtentfaltung für die Massen zweifellos eine erhebliche Anziehungskraft; zum anderen zeigten nahezu drei Jahrzehnte der Kontrolle und Manipula-
162 tion durch die Sicherheitskräfte und die Partei sowie die gleichgeschaltete Presse und die doktrinäre Schulerziehung Wirkung mit der Folge, daß mögliche Unzufriedenheit sich in Anpassung oder Resignation erschöpfte. Widerstand und Protest kamen zunächst von außen. Am 14. Juni 1959 unternahm eine Gruppe von Exilierten in Constanza einen ersten Invasionsversuch, dem knapp eine Woche später in Maimón und Estero Hondo zwei weitere folgten. Die Expeditionen endeten in einem Blutbad, bewirkten aber das Entstehen einer nunmehr aktiven inneren Opposition, die sich in dem "Movimiento 14 de Junio" formierte. Trujillo antwortete mit einer Welle des Terrors, die das innenpolitische Klima auf allen Ebenen vergiftete und schließlich auch die bis dahin kooperative Kirche auf den Plan rief. Sie weigerte sich, was den Zorn Trujillos bewirkte, ihm den angestrebten Titel eines "Benefactor de la Iglesia" zuzusprechen. Ein nicht unerhebliches Indiz für den Niedergang des Regimes war auch der seit Mitte der 50er Jahre rapide wachsende internationale Protest. Bereits die 1956 von Trujillos zahlreich im Ausland wirkenden Agenten inszenierte Entführung und Ermordung des Spaniers Jesús de Galindez, der 1939 als republikanischer Exilierter in die Dominikanische Republik gekommen war und sich zunächst systemkonform verhalten hatte, 1946 aber nach New York ging und eine überaus kritische Dissertation über das Trujillo-Regime veröffentlichte, bewirkte in den USA einen Sturm der Entrüstung. 13 Doch konkrete diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen von Seiten der Organisation Amerikanischer Staaten erfolgten erst nach dem gleichfalls von Trujillos Agenten bewerkstelligten Attentat auf den venezolanischen Präsidenten Betancourt 1960 mit der Folge, daß die Dominikanische Republik in der gesamten amerikanischen Welt isoliert wurde. Angesichts der offensichtlichen Krise war Trujillo zunächst um Schadensbegrenzung bemüht: Er verkündete seinen Rücktritt als Vorsitzender des Partido Dominicano und ersetzte seinen seit 1952 als Präsident amtierenden Bruder Héctor durch den Vizepräsidenten Joaquín Balaguer, der ihm seit seiner ersten Wahlkampagne treu gedient hatte 14 , jedoch als integer galt und über eine gewisse Popularität verfügte. Doch die Ankündigung einer "demokratischen Öffnung" seines Regimes kam zu spät. Der Widerstand wuchs nunmehr auch unter den eigenen Freunden und engen Vertrauten und insbesondere unter denen, die in Ungnade gefallen waren. Und so kam aus ihren Reihen jene Gruppe von Verschwörern, die in der Nacht des 30. Mai 1961 auf einer Ausfallstraße von Santo Domingo Trujillos Wagen stoppten und ihn, der ohne Eskorte war, erschossen.
163 Der Tod des Rafael Leonidas Trujillo brachte das Ende einer über drei Jahrzehnte währenden autoritären Herrschaft, in der es - unter dem Vorzeichen repressiver Machtausübung und weitgehender Ideologisierung des öffentlichen und privaten Lebens - zum ersten Mal in der Geschichte der Dominikanischen Republik gelang, wichtige Aufgaben des Staats- und Nationsbildungsprozesses in der politischen Praxis umzusetzen: die Schaffung eines effizient organisierten territorialen Verwaltungsstaates, in dem über die Ausschaltung regionaler Interessen und Eliten das Zentrum gestärkt und über infrastrukturelle Maßnahmen sowie die Gründung von Massenorganisationen die Einbeziehung der Bevölkerung in das öffentliche Leben gefördert wurde, ebenso wie die Durchsetzung des Konzepts einer dominikanischen Staats- und Kulturnation durch die Schaffung und Institutionalisierung identitätsstiftender national gebundener Mythen, Symbole und Rituale. Doch die zweifellos geförderte Partizipation der Bevölkerung erfolgte allein über kontrollierte Kanäle wie den Partido Dominicano mit seinen zahlreichen Unterorganisationen und erlaubte aufgrund der nur formal-demokratischen Legitimierung des Regimes wie auch des repressiven Apparats, der politische Alternativen oder auch nur politische Abstinenz nicht zuließ, keine authentische politische Willensbildung oder gar Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen. Und das Konzept einer Staats- und Kultumation, in der sich nationale Identität darstellen und entfalten mochte, diente - als Ideologie des trujillismo - allein der Legitimierung personalistischer Herrschaft und der Selbstbespiegelung eines Mannes, der die eigenen Obsessionen und Ambitionen zur Staatsdoktrin erhob und in seinem Größenwahn nación und nacionalidad oder dominicanidad mit der eigenen Person identifizierte. Als Ideologen des trujillismo, als Exegeten einer vom "Jefe" selbst in ihren Grundlinien vorgegebenen Doktrin, diente die überwiegende Mehrheit der Intellektuellen der Zeit, die Trujillo stets für sich zu gewinnen und zu verpflichten verstand, indem er sie in den diplomatischen Dienst und sogar auf Ministerposten berief oder sie durch anderweitige lukrative Angebote korrumpierte und, sofern sie nicht ins Exil gingen oder im Lande selbst darauf beharrten, die eigene Integrität als "desafectos" des Regimes zu bewahren, schlicht durch den Einsatz repressiver Mittel zur Zusammenarbeit zwang. Zusammenarbeit aber bedeutete bedingungslose Unterwerfung und die allzeit zu demonstrierende Bereitschaft, im Dienst der Verherrlichung und Verklärung des "Benefactor de la Patria" und "Padre de la Patria Nueva" Mythen zu propagieren, die als unverbrüchlich geltende Wahrheiten Sinnzusammenhänge und Werte begründen und über ihre kommunikative und pragmatische Funktion die Annahme von Identitätsbausteinen und damit den Nationsbildungsprozeß fördern und beglaubigen.
164 Als Ursprungsmythos oder "mito fundacional" mag der Amtsantritt Trujillos im Jahre 1930 gelten. Denn dieses Jahr markierte eine Zeitenwende, den Beginn einer neuen Zeit, der "Era", die 1940 per Gesetz für alle offiziellen Dokumente mit dem Zusatz "Jahr x der Era de Trujillo" eine neue Zeitenrechnung begründete. Dazu Trujillo selbst: "La historia de la República debe dividirse en dos grandes períodos, el que corrió hasta 1930 y el que se inició en aquella fecha." 15 Im Licht und im Dienst dieser "neuen Zeit" wurde die Vergangenheit in ganz spezifischer Weise erfahren und gedeutet: die Geschichte der Republik als eine Chaos und Anarchie hervorrufende unablässige Abfolge steriler und blutiger Revolutionen und Bürgerkriege, angezettelt und geschürt - nach Trujillo "en una desenfrenada orgía de pasiones y de ambiciones bastardas" 16 - von machthungrigen und korrupten, sprich: vaterlandslosen caudillos. Auf einen Rückbezug des im Bewußtsein der Öffentlichkeit sakralisierten Werkes der "Padres de la Patria" Duarte, Sánchez und Mella mochte auch Trujillo als "Padre de la Patria Nueva" nicht verzichten, "para que sea herencia preciosa que traspasemos a nuestros hijos con la misma inmaculada pureza con que ellos nos la legaron" 17 ; doch das Vaterland "que soñara Duarte, y que pudo apenas vislumbrar en los delirios de su fantasía atormentada" 18 war eine Utopie und die Realität eine verpaßte Chance. "Afirmo [...] que hasta 1930", so Trujillo in einer vor dem Nationalkongreß gehaltenen und unter dem Titel "El Nuevo Estado Dominicano" publizierten Rede, vivimos hermanados con el fracaso, porque [...] después de ochenta y seis años de independencia, nuestro país tenía pendientes todos sus problemas vitales y no había logrado sacudir el marasmo de una existencia solamente vegetativa, condicionada por el negativo coeficiente de su propia incapacidad de progreso. 19 Und noch prägnanter äußerte sich Manuel Arturo Peña Batlle, der fähigste unter den ideologischen Stellvertretern Trujillos, in einer auf einer Massenveranstaltung gehaltenen und in seinem Band Política de Trujillo veröffentlichten Rede: Del pasado no esperéis otra enseñanza que la de sus caídas, otra advertencia que la de sus errores, ni otra guía que la de sus debilidades. Es preciso realizar un supremo esfuerzo de desviación para olvidar y enterrar en lo más íntimo de nuestras conciencias el presionante influjo de aquella escuela de negaciones. 20 Dem solchermaßen selektiv stilisierten und stigmatisierten düsteren Geschichtsbild wurde die Vision einer lichten Gegenwart entgegengestellt, geschaffen allein durch das Werk Trujillos, der - in der von diesem hochgeschätzten
165 metaphernreichen, hyperbolischen Sprache eines Zeitgenossen - gleich einem Kulturheros der dunklen Vergangenheit entstieg: [...] apareció un día, como resultante del dorado despertar que dio su beso de felicidad y amor a la nueva aurora, hecha sol de claridades ininterceptables, la figura gallarda, vertical y prometedora del egregio predestinado y apóstol, que habría de dar a la Patria Nueva en el evangelio de su doctrina fraternizadora, con fundamentos de una civilización curada de errores [...]21 Trujillo selbst mochte eine solche Diktion nur unwesentlich unterbieten, wenn er den Anbruch der "neuen Zeit" - "la aurora que nace sobre las viejas desolaciones" - und die Inititative der eigenen Person wie die der ersten Weggenossen - "las legiones del Bien" - mit den Worten rühmte: Ellos, como yo, vislumbraron entre las densas brumas de tormentosos días un rayo de sol; ellos, como yo, dieron forma viva a un ensueño querido y tuvieron la visión de la Patria redimida y feliz; ellos, como yo, juraron dedicar todos los empeños de sus vidas a la reconstrucción de la República dignificada, esclarecida y regenerada. 22 Die nationale "reconstrucción", "rehabilitación", "regeneración" und "redención" waren die von Trujillo immer wieder beschworenen Ziele seiner Politik; oder, auf eine griffigere Formel gebracht: "emprender y realizar un programa de gobierno que se contenía en esta sola palabra: ¡construir!"2* Dieser programmatische Grundsatz verweist auf eine Reihe von Erfolgsmythen, die ohne Zweifel die beabsichtigte integrierende und stabilisierende Wirkung nicht verfehlten: etwa der Wiederaufbau der 1930, kurz nach Trujillos Amtsantritt, durch einen Wirbelsturm in weiten Teilen zerstörten Hauptstadt und ihre Umgestaltung in ein modernes urbanes Zentrum, Symbol für die Überwindung ländlicher "Barbarei" durch ein städtisches, den Fortschritt markierendes Zivilisationsmodell und wenige Jahre später Vorwand für die Trujillo schmeichelnde Umbenennung von Santo Domingo in Ciudad Trujillo; oder die 1940 mit den USA ausgehandelte "Independencia Financiera", nach den Worten des amtierenden Präsidenten Troncoso de la Concha für die Dominikanische Republik "la última etapa de su liberación definitiva" 24 ; schließlich der 1935 mit Haiti ausgehandelte Grenzvertrag und die dominicanización der an das Nachbarland angrenzenden Regionen durch (zum Teil zwangsweise) Besiedlung als Schutzwall gegen das unkontrollierte Vordringen haitianischer Kleinbauern und als "barrera de cultura y civilización", "reconquista moral, cultural y espiritual" 25 . Doch derlei Erfolge allein mochten noch nicht ausreichen, dem Regime die erforderliche Legitimation zu bescheren. Hier bedurfte es eines Rahmenmodells, in dem sich die Aufgaben von Staats- und Nationsbildung gleichermaßen er-
166 füllten. Und dieser Entwurf, gegenwärtige Realität ebenso wie zukunftsweisende Vision, war der Entwurf der "Patria Nueva", unwiederbringlich mit dem Namen Trujillos als "Padre de la Patria Nueva" verknüpft. In konsequenter Ausgren.zu.ig der "ideología de los caudillos de otros tiempos" 26 und in der Perspektive des ersehnten Fortschritts - aber auch in Ansehung der von ihm für die "idiosincracia del pueblo dominicano" als charakteristisch erachteten "factores de disolución 27 - proklamierte Trujillo als Grundsatzprogramm Ordnung und innere Sicherheit, Arbeit und kollektive Hingabe an die nationalen Ziele. In einer 1935 gehaltenen und unter dem Titel "Paz, Orden y Trabajo: Lema de la Nueva Patria Dominicana" publizierten Rede führte er aus: Los proceres escribieron en nuestro escudo tres palabras que para ellos vinculaban la esencia del patriotismo: Dios, Patria y Libertad. Nosotros las conservamos porque también amamos devotamente lo que ellos amaron. Pero junto al ilustre y viejo lema quiero escribir otro, que no es por otra parte sino expresión fiel y exacta del pensamiento y del sentimiento de nuestros abuelos: Paz, Orden y Trabajo. Paz es Dios. No es posible concebir un corazón generoso que sea nido de rencores y pasiones. Orden es Patria: la anarquía y el libertinaje son los peores enemigos del patriotismo. Trabajo es Libertad: porque al ser condenado el hombre a ganar el pan con el sudor de su frente, fué libertado. Dios, Patria y Libertad: Paz, Orden y Trabajo. He aquí nuestro evangelio. 28 Die hier vorgetragene Argumentation mochte nicht jeden der Zuhörer oder Leser überzeugen. Insbesondere das Prinzip der Freiheit, in der politischen Praxis inexistent, bedurfte als Grundsatz einer jeden Demokratie weiterer Begründung, und so waren Trujillo wie auch seine Stellvertreter stets bemüht, dem Regime seine demokratische Legitimation zu verschaffen. Für Trujillo war die (Einheits-)Partei der Ort, an dem sich Demokratie erfüllte: nicht nur "agente de cultura y civilización", sondern "expresión de la soberanía popular" mit der Folge, "[que] Gobierno y Partido han sido factores de una misma virtud e instrumentos de una misma acción" 29 . Oder, an anderer Stelle: El Partido Dominicano, fiel al nombre con que fué designado al surgir a la palestra pública, representa el pensamiento y la conciencia de la colectividad nacional. En sus filas se agrupan todos los hombres y todas las mujeres que aman a la patria y rinden culto a sus destinos inmortales. Sólo permanecen fuera de sus cuadros de honor los que han traicionado a la República o los que son indiferentes a la gloria sintetizada en su tricolor sacrosanto. [...] Para ser miembro de esta agrupación es condición indispensable la de ser dominicano auténtico: así como el mar repele hacia las playas los desperdicios que depositan en su seno las corrientes
167 terrestres, así el Partido Dominicano rechaza la traición y expulsa inexorablemente de sus filas las escorias humanas. 30 Joaquín Balaguer, neben Peña Batlle der zweite bedeutende Exeget des trujillismo, folgte einer gänzlich anderen Argumentationslinie. "La democracia dominicana", so seine Einschränkung, "debe ser una democracia suigéneris. Y ello así, porque la democracia, como la entienden y la ejecutan algunos países, es lujo que no podemos gastarnos nosotros." 31 Er verwies durchaus auf antidemokratische Praktiken: "tales como la del continuismo en el ejercicio del mando y la de la personalización del poder político, que pueden parecer más propias de una dictadura que de un gobierno representativo"; und schließlich stütze Trujillo, wie Balaguer gleichermaßen einräumte, sein Regime auf die Bajonette der Soldaten. Doch seien, so Balaguer, die inkriminierten Praktiken für eine Übergangszeit bestimmt, und Trujillo stütze sein Regime gleichermaßen auf eine zivilisatorische Erziehung, die schließlich dazu geführt habe, daß sich die überwältigende Bevölkerungsmehrheit mit ihm und seinem Werk identifiziere. Diese Tatsache, so Balaguer weiter, puede considerarse como un argumento decisivo contra los que sostienen que el país vive bajo el imperio de un régimen de fisonomía antidemocrática. Si así fuera, sería éste el primer caso en la historia en que un déspota riega la luz en torno suyo a sabiendas de que la. luz es el peor enemigo de las tiranías que, a semejanza de ciertas plantas, huyen del sol y sólo prosperan en la sombra. 32 Für Peña Batlle hingegen war allein entscheidend: No estamos en presencia de un Estado nuevo que sustituye en sus funciones a un Estado anterior. Trujillo creó, simple y llanamente, el Estado dominicano, el que desearon los precursores y no comenzó a hacerse verdad hasta el año 1930.33 Doch folgt man Peña Batlle, dann war Trujillo nicht nur der Urheber des dominikanischen Staates, sondern auch der Schöpfer der dominikanischen Nation, die Peña Batlle definierte als "un principio espiritual, un conjunto armónico y noble de esfuerzos, dolores, regocijos y recuerdos vividos por una comunidad consciente" 34 . So enthüllte sich die "Patria Nueva" als ein neues Bewußtsein, Nation zu sein "[en] la manera de vivir, la manera de pensar y la manera de sentir la colectividad como expresión nacional" 35 , und als ein neues Bewußtsein der nacionalidad im Sinne nationaler Identität, auch dies ein Werk Trujillos, denn er allein verstand es, "darle unidad, relieve y homogeneidad a la dispersa y confusa característica de nuestra nacionalidad" 36 . Als Basis und Brennpunkt dominikanischer nationaler Identität galt - und hier vermochte man auf eine im Bewußtsein der Intellektuellen tief verwurzelte Tra-
168 dition zurückzugreifen - der hispanismo, verknüpft mit dem catolicismo als unveräußerlicher Substanz spanischer und damit auch dominikanischer Wesensart. Trujillo, der sich von seinen Biographen eine ausschließlich spanische und französische Genealogie verfertigen ließ und sich im Rahmen der stets überaus sorgfältigen Pflege seines Äußeren aufhellender Puder und Pomaden bediente, nannte sich selbst - in einer anläßlich seines Staatsbesuchs in Spanien 1954 vor Franco gehaltenen Rede - einen "ciudadano de América, es decir, [...] un español de allende el mar": La lengua que hablamos, la religión bajo cuyo amparo hemos nacido, el tronco común que nos cobija con sus glorias seculares, la cultura que nos vincula indisolublemente a España, todo eso es lo que nos escuda frente al destino, y lo que hace que nuestro país aparezca grande y confiado frente al mundo. ¡Misteriosos designios, señores, los de la providencia: el destino de la República Dominicana quedó sellado para siempre hasta en el mismo nombre con que surgió por primera vez en la historia: La Española! 37 Die Eroberung und Christianisierung des amerikanischen Kontinents durch die Initialzündung Hispaniolas wurde denn von Trujillo auch andernorts, so etwa 1950 anläßlich eines offiziellen Besuchs des US-amerikanischen Vertreters der Vereinten Nationen, zwecks Begründung der dominikanischen (und gesamthispanoamerikanischen) hispanidad und catolicidad angeführt: La República Dominicana, primera capital cristiana y europea del Nuevo Mundo, según lo recordáis, conserva el privilegio de ser, entre sus hermanas de América, la más antigua expresión de la civilización occidental en el Continente. La conciencia de nuestra nacionalidad se remonta a los orígenes mismos de la empresa americana y está íntimamente relacionada con las ideas y los sentimientos que empujaron aquella magna empresa y le dieron contornos de humana realidad. [...] Las más hondas raíces de nuestro espíritu colectivo están prendidas de la epopeya inicial, en la que la cruz y la espada ganaron para siempre nuestro mundo a los diuturnos principios del Sermón de la Montaña y a la fe de una misión espiritual trascendente e inmarcesible. 38 Unter diesem Vorzeichen enthüllte sich die Zielsetzung der Unabhängigkeitsbewegung gegen Haiti folgerichtig als ein Überlebenskampf nicht nur politischer, sondern auch kultureller Dimension: "la de defender los valores espirituales de la cultura hispana [...] - lucha que constituye el eje espiritual de nuestra propia historia" 39 . Peña Batlle verknüpfte die staatstragende Ideologie der "Patria Nueva" ebenso wie Balaguer mit einem nun nicht mehr - wie noch von Américo Lugo vertretenen - gegen die USA gerichteten Antiimperialismus, sondern mit einem überaus
169 aggressiv vertretenen Antihaitianismus, der, gleichermaßen ein Erbe des 19. Jahrhunderts, primär in seiner kulturellen, jedoch auch in seiner rassisch-biologischen Dimension beschworen wurde. Peña Batlle sah durchaus, daß die Reinheit der dominikanischen "Nation" nicht mehr ganz den nostalgisch erinnerten Anfängen der frühen Kolonialzeit entsprach. So erklärte er in einer vielzitierten, 1942 in der nördlichen Grenzstadt Elias Piña gehaltenen Rede: No olvidemos que esta nación española, cristiana y católica que somos los dominicanos, surgió pura y homogénea en la unidad geográfica de la isla y que así se hubiera conservado hasta hoy a no ser por el injerto que desde los fines del siglo XVII se acopló en el tronco prístino para inficionar su savia con la de agentes profunda y fatalmente distintos de los que en el principio crecieron en La Española. 40 Die historische Wurzel der "Infizierung" dominikanischer kollektiver Identität lag nach Peña Batlle in der "fatalidad geográfica e histórica del dualismo en que se reparte la isla, que una e indivisa halló y una e indivisa debió transmitimos España" 41 : eine Dualität, die daher rührte, daß Dominikaner und Haitianer aufgrund ihrer rassisch-kulturellen Merkmale ebenso wie aufgrund ihrer materiellen Kultur und des Grads der erreichten Zivilisation entgegengesetzte Pole bildeten. Und dies betraf nun ganz besonders die Situation an der dominikanisch-haitianischen Grenze, wo sich, wie man im Bemühen um die dominicanización de la frontera vermeinte, ganz besonders die "fuerzas negativas" der benachbarten Nation akkumulierten: El Generalísimo Trujillo ha sabido ver las taras ancestrales, el primitivismo, sin evolución posible que mantiene en estado prístino, inalterable, las viejas y negativas costumbres de un gran núcleo de nuestros vecinos, precisamente aquel que más en contacto se mantiene, por sus necesidades, con nuestros centros fronterizos. [...] Ese tipo es francamente indeseable. De raza netamente africana, no puede representar para nosotros, incentivo étnico ninguno. [...] Hombre mal alimentado y peor vestido, es débil, aunque muy prolífico por lo bajo de su nivel de vida. Por esa misma razón el haitiano que se nos adentra vive inficionado de vicios numerosos y capitales y necesariamente tarado por enfermedades y deficiencias fisiológicas endémicas en los bajos fondos de aquella sociedad. 42 Somit war das Programm der dominicanización de la frontera in der Perspektive von Nationsbildungsprozeß und Festschreibung nationaler Identität ein die Nation in ihren Grundfesten stützendes Projekt, das über Maßnahmen der Besiedlung und infrastrukturellen Verbesserung in den betroffenen Grenzregionen weit hinausging. Denn schließlich ging es ganz allgemein darum, einen Angriff auf den noch immer intakten "Stamm" von hispanidad und catolicidad - "su recio
170 espíritu hispánico [...] más duro y resistente que todos los elementos corrosivos que un hado enemigo ha puesto en su camino", wie es an anderer Stelle heißt 43 erfolgreich abzuwehren; und dies, so Peña Batlle, "con dureza y sin miramientos sentimentales" 44 : eine Anmerkung, in der man auch eine zumindest indirekte Rechtfertigung des Massakers von 1937 erblicken konnte. Joaquín Balaguer, der gleich Peña Batlle die dominikanische Nation als "nación de origen hispánico, de puro abolengo español, de tradición cristiana" 45 charakterisierte und die dominicanización de la frontera, "hazaña equivalente a la de fijar los rasgos de la nacionalidad", ais "cumbre del patriotismo dominicano" 46 herausstellte, ging in seiner Argumentation noch einen Schritt weiter. In einem Brief, den er 1945 als Botschafter in Bogotá anläßlich der Gründung eines Komitees zur Verhinderung der neuerlichen "Wiederwahl" Trujillos an etwa 50 kolumbianische Intellektuelle verschickte, wurde die vermeintliche Bedrohung der dominikanischen nacionalidad durch den haitianischen Nachbarn zum zentralen Rechtfertigungsgrund politischer Herrschaft, wobei insbesondere der religiöse Aspekt, die Verteidigung des christlichen Glaubens gegenüber dem Vodu, "la religión nacional haitiana, especie de animismo africano de la peor extracción 47 , betont wurde. Somit erschien Trujillo als "necesidad ineludible porque garantiza nuestra supervivencia como nación católica y cristiana"; und sein Werk, "obra eminentemente patriótica", "puede compararse, guardadas desde luego las distancias, con la que realizó Isabel la Católica para extirpar de España a la morisma y para mantener la pureza de la religión con el memorable edicto de 1492"48. Staat und Nation waren für die Exegeten des trujillismo - und ein jeder, der sich öffentlich zu Wort meldete, beeilte sich, dies angemessen zu betonen - das alleinige Werk Trujillos. Doch bedurfte es, um dessen zu Größenwahn neigendem Selbstwertgefühl zu entsprechen, einer weiteren Überhöhung, die seine Person zum Gegenstand einer geradezu hymnischen Verehrung machte. Ein Aspekt waren die Titel, die ihm per Gesetz verliehen wurden: neben "Benefactor de la Patria", "Padre de la Patria Nueva" und "Reconstructor de la Independencia Financiera" (u.a.) Generalissimus, Dr. honoris causa, Professor für Ökonomie, "Máximo Protector de la Clase Trabajadora Dominicana", "Principal Protector de la Cultura Dominicana", "Leal y Noble Campeón de la Paz Mundial", "El Primero y más Grande de los Jefes de Estado Dominicanos" 49 . Ein weiterer Aspekt war - neben den unzähligen, stets in feierlicher Zeremonie verliehenen Orden und Medaillen 50 - die Errichtung und Anbringung zahlloser Monumente und Gedenktafeln sowie die Benennung von Straßen, Plätzen, Brücken oder gar Städten und Provinzen nach Trujillo oder einem anderen Mitglied seiner Familie. Und schließlich durfte bei keiner Versammlung oder Tagung, auch wenn
171 diese keinen politischen Charakter besaß, ein Redner es unterlassen, an den physisch abwesenden, in den Köpfen der Menschen jedoch allseits präsenten "Padre de la Patria Nueva" eine angemessene Grußadresse zu richten. 51 In den Dienst der Verherrlichung und Verklärung Trujillos stellten sich auch unzählige Biographen 52 , denen die Aufgabe übertragen wurde, nicht allein dem Staatsmann, sondern auch, für einen Volkstribun unverzichtbar, dem Menschen Trujillo zu huldigen. Der (unkommentierte) Abdruck einiger Zitate mag diesen Aspekt illustrieren, beschränkt auf den erfolgreichsten Biographen Trujillos, Abelardo R. Nanita, und sein 1951 in 5. Auflage publiziertes Buch Trujillo. Der Einstieg in die Lebensgeschichte des illustren Helden: El entronque genealógico de Trujillo es bien conocido: un militar español y un marqués de Francia. Dos conquistadores que llegaron a tierras de América con capa, espada y penacho, y en el pecho una cruz. (73) Sein Erscheinungsbild: Sobre los labios, más bien finos que gruesos, debajo de la nariz voluntariosa y bien hecha, su bigote recortado, entremezclado de hebras de plata, pone una nota gris, que al igual que sus cabellos, desde hace tiempo canos, constrasta con la frescura juvenil de su rostro. Las cejas enarcadas reflejan orgullo, altivez, obstinación y energía. La frente, nido de tan altos pensamientos, despejada, amplia, serena, es signo inequívoco de su elevación de miras, de su nobleza de propósitos y de su constructiva y creadora mentalidad. [...] Bien parecido y apuesto, gallardo sin amaneramientos, no es necesario agregar que su enorme popularidad con el bello sexo se debe a algo más que a la política. A su paso por entre frenéticas multitudes que lo aplauden, muchos suspiros y muchas miradas tiernas de mujeres van dirigidas tanto al hombre como al procer. (88f.) Seine Menschlichkeit: No se puede hablar de las principales cualidades del Generalísimo Trujillo sin hacer resaltar, como una de las más claras luces en esa ardiente llama de espiritualidad que es su corazón, la caballeresca generosidad de su espíritu, tan humano, tan profunda y sinceramente humano. Las obras de filantropía silenciosa; las obras privadas de estímulo y alentadora ayuda hechas sin ostentación, con espontaneidad y nobleza, sin que la mano derecha sepa lo que hace la izquierda, son innumerables y constantes. [...] Dádivas generosas realizadas sin cálculos ni artificio, sin teatralidad política, obedeciendo tan sólo a la natural inclinación de su temperamento, a su hidalgo desprendimiento y a su noble desinterés. Todo el que ha vivido cerca de él sabe que cuando el Generalísimo Trujillo extiende su mano pródiga y amiga, nunca espera otra recompensa que la satisfacción y fruición íntimas que proporciona a todo espíritu
172
altruista saber que ha contribuido a aliviar el sufrimiento ajeno o procurado el bienestar de sus semejantes. (lOOf.) Das Los des Unverstandenen: Las personas superficiales, de mentalidad frivola, acostumbradas a no ahondar en el sentido de las cosas, generalmente le atribuyen a las acciones del Generalísimo Trujillo, una intención o un propósito casi siempre equivocado. [...] Incapaces de sacrificarse por un motivo espiritual, digno y noble, no conciben, no pueden concebir que exista nadie que consagre su vida entera, con obstinado afán y oblación de espíritu, a la consecución de un ideal patriótico. (108) Und schließlich das Geheimnis seines Erfolgs: Lo que se ha dado en llamar suerte o estrella, en los grandes hombres, consiste, principal y casi únicamente, en la adaptación y adecuación del escenario en que han de desarrollar sus innatas cualidades para lograr sus objetivos esenciales y en la sagacidad y resolución para aprovechar el momento oportuno y decisivo; pero las facultades o habilidades de todo genio verdadero son congénitas: es un don divino que sólo Dios puede negar o conceder. (111) Nanita wurde unerschöpflicher Quell für zahllose Epigonen, die dem von ihm gesetzten Bezugsrahmen nichts Neues hinzufügten und einzig darauf bedacht waren, ihn hinsichtlich der metaphorischen und hyperbolischen Sprachgestaltung zu übertreffen. Allein der im letzten Zitat berührte Aspekt der göttlichen Vorsehung erfuhr - durch Peña Batlle, Balaguer und Trujillo selbst - erwähnenswerte Variationen, die Trujillo und seinem Werk die letztgültige Bedeutung verliehen. Hierzu Peña Batlle: Siempre he visto en la personalidad de Trujillo y en el sentido de su obra la acumulación de fuerzas trascendentales, casi cósmicas, destinadas a satisfacer mandatos ineluctables de la conciencia nacional: Trujillo nació para cumplir un destino inmanente, imponderable, fuera de toda previsión sentimental. Su obra y su personalidad han llegado a confundirse con las mismas raíces del país en su significación histórica y social" Und Balaguer: Napoleón creyó que el Código Civil que lleva su nombre lo vindicaría ante la posteridad de toda la sangre que derramó para satisfacer su aspiración de dominar al mundo. Pero ser creador de muchas obras igualmente imperecederas, haber dado vida a una multitud de cosas, de las cuales bastaría una sola para eternizar el nombre de su autor, es rebasar los límites de lo humano para invadir el dominio superior en que la historia confina con la fábula y en que el hombre avanza un grado más ha-
173 cia Dios para imitar a la Providencia en la multiplicidad increíble de su grandeza creadora. Así es Trujillo, que no crea, como los hombres, una obra tras otra, sino como la Naturaleza, que engendra en masas los milagros de su actividad portentosa. 54 Und schließlich Trujillo selbst (im Jahre 1955): El los últimos cinco lustros la Providencia no ha dejado de iluminar un sólo día el camino de nuestro pueblo. [...] Si a los hombres públicos les fuera dable escoger el campo en que han de realizar sus proezas, como los soldados que eligen el sitio más estratégico para cada acción de armas, yo no hubiera escogido jamás sino el mismo que me ha sido señalado por las irrevocables predestinaciones de la historia. 55 So wurde der epische Held zum Kulturheroen und Messias, der als Werkzeug Gottes agierte und als Schöpfer einging nicht nur in die Geschichte der Menschheit, sondern auch in den ewigen Schöpfungsplan Gottes. Die somit vollzogene Sakralisierung Trujillos bot einen letzten Rechtfertigungsgrund für seine Herrschaft, und sie bot den Menschen die Illusion, gleichermaßen teilzuhaben an einem Schöpfungsplan, der ihrer prekären Existenz transzendentale Bedeutung verlieh. Die Medien, angepaßt und seit Beginn der 40er Jahre ohnehin nahezu ausschließlich im Besitz Trujillos und seiner Familie, beeilten sich, die von den Vordenkern oder Epigonen des trujillismo erprobten und variierten Legitimationsmuster zu verbreiten. Ein übriges leisteten die zu allen nur erdenklichen Anlässen zumeist vom Partido Dominicano anberaumten Aufmärsche und Demonstrationen, denen sich kaum jemand entziehen konnte, sowie die staatspolitische Erziehung in den Schulen, die mit dem in erheblichem Umfang gelungenen Ausbau des Schulwesens weite Teile der Jugend erreichte 56 . Und schließlich blieb selbst die Privatsphäre von der allzeitigen Gegenwart Trujillos nicht verschont, da für jeden Haushalt die Anbringung einer Plakette mit dem Foto Trujillos und der Aufschrift "Generalísimo doctor Rafael Leonidas Trujillo Molina, PADRE DE LA PATRIA NUEVA" obligatorisch war. 57 Einer der herausragenden Intellektuellen der Zeit, Arturo Logroño, Anwalt, Journalist, Universitätsprofessor und seit den Anfängen der Era enger Mitarbeiter Trujillos, schrieb 1934: Todos mis esfuerzos, toda mi modesta capacidad intelectual, mis cortas fuerzas, mi lealtad, mi devoción personal y política, mi cálido afecto personal, el propio ritmo de mi vida, pertenecen al presidente Trujillo y a su ingente tarea de gobierno. A él debo mi presente político, y no concibo el futuro sino bajo su magnánima y patricia sombra. 58
174
Die Zukunft der Dominikanischen Republik sollte über drei Jahrzehnte im Schatten dieses Mannes stehen, der praktisch den gesamten Lebensbereich jedes einzelnen beherrschte. Die Intellektuellen hatten, sofern sie nicht ins Exil gingen, keine Chance, die politische und kulturelle Praxis kritisch zu hinterfragen; doch bewiesen sie dort, wo sie sich zu propagandistischen Zwecken instrumentalisieren ließen, in der Regel auch wenig schöpferische Energie. Der Diskurs des trujillismo - oder die "Jerga", wie der dominikanische Sozialwissenschaftler Andrés L. Mateo 59 die Mehrzahl der Texte charakterisiert - steht unter dem Zeichen der Wiederholung, der Gleichförmigkeit, der Disziplin und bezeugt eine geistige wie moralische Erniedrigung, die (nach dem Urteil desselben Mateo) schließlich bewirkte "que la vida espiritual de la 'Era' se convirtiera en un gigantesco escenario de abyección" 60 . Hierzu ein letztes Zitat, Fragment eines Gedichts - nach Mateo "refugio predilecto de la 'Jerga'" - , verfaßt von einem der herausragenden dominikanischen Lyriker des 20. Jahrhunderts, Franklin Mieses Burgos: ¡Loor a ti, forjador de nuestra Patria Nueva! ¡Loor a ti, que llegaste blandiendo el estandarte de la paz y el trabajo, junto a la cruz de Cristo! ¡Loor a ti, forjador, que al oso de la estepa un valladar pusiste con la excelsa presencia de la palabra: Dios! 61
175 Anmerkungen 1 Zur Biographie und zur Bewertung der Persönlichkeit Trujillos wird auf das klassische Werk von Crassweller (o.J.) verwiesen. 2 Eine in seiner Jugend geschlossene Ehe wurde in den offiziellen Biographien weitgehend verschwiegen; die aus dieser Verbindung hervorgegangene Tochter Flor de Oro, in erster Ehe verheiratet mit dem später international zu Ruhm gelangten Playboy Porfirio Rubirosa, wurde jedoch in den Familienclan integriert. Eine zweite, 1927 geschlossene Ehe wurde, da sie kinderlos blieb, nach fünf Jahren geschieden, so daß die Verbindung mit María Martínez erst Jahre nach der Geburt ihres ersten Sohnes legalisiert werden konnte. Dessenungeachtet unterhielt Trujillo - in aller Öffentlichkeit als Teil seiner Imagepflege - vielfältige amouröse Beziehungen, so auch mit seiner geschiedenen zweiten Frau, die ihm dann doch noch - außerehelich - den ersehnten Nachwuchs schenkte. 3 Vgl. hierzu Mateo 1993:33ff. 4 Zu den wirtschaftlichen Transaktionen Trujillos vgl. etwa Galíndez 1958:184ff; Crassweller o.J.:139ff; Cassá 1986-87:II,284ff.; Franco 1992:62f„ 87ff„ 96ff. 5 Moya Pons 1984:518. 6 Da bei dem geringsten Verdacht mangelnder Ergebenheit gegenüber dem "Jefe" oder mangelnder Einsatzbereitschaft für die Partei jeder Arbeitnehmer fristlos entlassen werden konnte, wurde mit dem "banquito" eine Institution geschaffen, bei der man sich - angesichts der Gefahr, daß das Arbeitsverhältnis jederzeit aufgekündigt und der Lohn am Monatsende nicht mehr ausgezahlt werden mochte - diesen zu Beginn des Monats gegen einen Abschlag von 5% im voraus ausbezahlen lassen konnte. Verschiedene Autoren, so Franco (1992:62), behaupten, daß hinter dem "banquito" die Ehefrau Trujillos, Maria Martínez, stand. 7 Zu Verlauf und Hintergründen des Massakers vgl. Gewecke 1993 (mit weiterführender Bibliographie). 8 Zitiert nach Galíndez 1958:43. 9 Zitiert nach Galíndez 1958:47. 10 Zu den Aktivitäten der Juventud Democrática und den Repressionsmethoden des Regimes vgl. die 1989 erschienenen autobiographischen Notizen des Schriftstellers Virgilio Díaz Grullón, Antinostalgia de una Era. 11 Trujillo 1957:221. 12 Der Staatshaushalt stieg von 1930 bis 1956 von ca. 7 Millionen US$ auf ca. 120 Millionen US$ bzw. Pesos, seit 1947 die dem US-Dollar gleichgestellte nationale Währung (Crassweller o.J.:297). Wie sich die Staatsausgaben verteilten, sei hier nur für das Jahr 1952 vermerkt: 38,5% für die Streitkräfte und 7,5% für das Ressort Innenpolitik und Polizei, dagegen nur 9% für Öffentliche Bauten, je 7% für Erziehung und Gesundheitswesen sowie 3,5% für die Ressorts Landwirtschaft, Handel und Arbeit (Galíndez 1958:229). 13 Die Umstände der Entführung und Ermordung von Galíndez wurden nie ganz geklärt; vgl. hierzu die "Spurensuche" des Spaniers Manuel Vázquez Montalbán in seinem 1990 veröffentlichten Roman Galíndez. 14 Vgl. hierzu die 1988 von Balaguer publizierten Memorias de un cortesano de la "Era de Trujillo".
176 15 Trujillo 1955:234. 16 Trujillo 1955:81. 17 Trujillo 1955:59. 18 Trujillo 1957:171. 19 Trujillo 1955:241. 20 Peña Batlle 1954:37. 21 Horacio Ortiz Alvarez, zit. nach Mateo 1993:101. 22 Trujillo 1955:62. 23 Trujillo 1955:179. 24 Zitiert nach Mateo 1993:125. 25 Marrero Aristy 1949:70, 72. 26 Trujillo 1955:81. 27 Trujillo 1955:50. 28 Trujillo 1955:64. 29 Trujillo 1957:218f. 30 Trujillo 1957:216. 31 Zitiert nach Franco o.J. : 114f. 32 Balaguer 1957:222ff. 33 Peña Batlle 1954:197f. 34 Peña Batlle 1954:25. 35 Peña Batlle 1954:107. 36 Peña Batlle 1954:36. 37 Trujillo 1955:261 f. 38 Trujillo 1955:159f. 39 Trujillo 1955:99. 40 Peña Batlle 1954:66. 41 Ebenda. 42 Peña Batlle 1954:65ff. 43 Peña Batlle 1954:94. 44 Peña Batlle 1954:69. 45 Balaguer, in: Cuello H. 1985:504. 46 Balaguer 1957:33. 47 Balaguer, in: Cuello H. 1985:504. 48 Balaguer, in: Cuello H. 1985:505. In der 1947 publizierten Monographie La realidad dominicana. Semblanza de un país y de un régimen, in der Balaguer in großer Ausführlichkeit Trujillos Politik der dominicanización de la frontera dem haitianischen "Imperialismus" entgegenstellt (Kap. "El problema territorial"), wird der Vergleich mit der von der Katholischen Königin Isabella verfügten Ausweisung von (nicht konvertierwilligen) Juden und Mauren wörtlich wiederholt und durch den Verweis auf das gleichfalls als lobenswert erachtete Wirken der Inquisition "para depurar la raza" ergänzt (1947:91).
177 49 Zitiert nach Franco 1992:86. Von solcherlei Ehren war der engere Familienkreis keineswegs ausgeschlossen. So erhielt Trujillos Ehefrau María Martínez (u.a.) den Titel "Primera Mujer de las Américas en la República Dominicana"; und der Sohn "Ramfis", mit 3 Jahren zum Coronel und mit 9 Jahren zum Brigadegeneral befördert, wurde zum "Protector de los Niños Pobres" gekürt. 50 Entsprechend einer Anfang 1947 vom Kongreß aufgestellten Liste waren Trujillo (neben sämtlichen einheimischen Orden) 32 ausländische Orden verliehen worden (Galindez 1958:183). Nach Crassweller (o.J.:294ff.) belief sich die Gesamtzahl auf ca. 65. 51 Welche Folgen die Unterlassung dieser Pflicht haben konnte, erlebten 1955 in Santiago die Redner, zwei Universitätsprofessoren, auf einem Bankett zu Ehren eines verdienstvollen Rechtsanwalts: Sie wurden neben weiteren Anwesenden ihres Amtes enthoben. Doch damit nicht genug: In der Presse erhob sich (vorzugsweise per Leserbrief) ein Sturm der Entrüstung; die beiden Kammern des Nationalkongresses verabschiedeten eine Protesterklärung; und in der Hauptstadt wie in Santiago kam es zu "Sühne"-Kundgebungen, an denen nach offizieller Darstellung bis zu 50.000 Menschen teilnahmen. (Galindez 1958:95). 52 Mateo (1993:99) zählte 42 Biographien, von denen einige auch ins Englische übersetzt wurden; die Zahl erweitert sich aber erheblich durch jene Werke, die zwar vorgeben, eine Gesamtdarstellung der Epoche zu liefern, sich jedoch auf biographische Notizen beschränken. 53 Peña Batlle 1954:32. 54 Balaguer 1957:165. 55 Trujillo 1957:165. 56 Für die staatspolitische Unterweisung verfaßte Trujillo selbst eine Cartilla Cívica para el Pueblo Dominicano, die ab 1932 im ganzen Land verteilt und in den Schulen zur Pflichtlektüre gemacht wurde. (Abdruck in: Trujillo 1955:373ff.). 57 Mateo 1993:108, Anm. 5. 58 Zitiert nach Crassweller o.J.: 123. 59 Mateo 1993, Kap. IV: "Deslinde del pensamiento trujillista: 'Jerga' y 'Discurso"'. 60 Mateo 1993:100. Vgl. hierzu auch das (nachzeitige) Urteil Joaquín Balaguers; so spricht auch er in seinen Memorias von einer "sociedad moralmente des vertebrada", einer "claudicación colectiva" und "castración moral que llenó entonces con sus lacras todos los estratos sociales" (1989:90). 61 In: Album simbólico 1957:44. Die Lyrikanthologie, an der sich 103 Autoren beteiligten, wurde aus Anlaß des 25jährigen Bestehens der Era zusammengestellt "en el propósito común de exaltar las bodas de plata de Trujillo con el poder" (Mateo 1993:189).
Kapitel 5
Das Modell in der Krise: die Gegenwart [1961-1995] Auf den gewaltsamen Tod Trujillos am 30. Mai 1961 folgte von Seiten der Sicherheitskräfte und des bürokratischen Apparats der verzweifelte Versuch, unter dem Sohn Rafael Leonidas "Ramfis" Trujillo als Oberkommandierendem der Streitkräfte und Joaquin Balaguer als Chef der Exekutive die Kontinuität des Regimes zu sichern; dies zum einen durch eine Welle des Terrors, der nahezu alle Verschwörer samt ihren Familien zum Opfer fielen, zum andern durch auf die Masse der Bevölkerung abzielende Beschwichtigungsmaßnahmen wie ein Amnestiegesetz als Vorbote einer vorsichtigen demokratischen Öffnung und Preissenkungen der Grundnahrungsmittel sowie Abschaffung der Importsteuern für Konsumgüter. Doch mit der Rückkehr der Exilierten, der Legalisierung des bis dahin im Untergrund operierenden Widerstands und der Gründung zahlloser neuer politischer Gruppierungen formierte sich eine breite Oppositionsbewegung, deren vorrangiges Ziel es war, die Ausweisung der Familie sowie der engsten Mitarbeiter Trujillos und die Konfiszierung ihres Besitzes zu erreichen. Nach einer bis dahin beispiellosen Mobilisierung der Bevölkerung insbesondere der Hauptstadt, die sich in zahllosen Demonstrationen, Streiks und blutigen Straßenkämpfen manifestierte, zwangen rebellierende Militärs schließlich im November die Trujillos ins Exil; und bis zum Ende des Jahres waren durch die Zerstörung der unzähligen Denkmäler wie durch die Umbenennung der dem Trujilloclan gewidmeten Straßen, Plätze, Provinzen und der Hauptstadt die sichtbaren, symbolträchtigen Spuren des Regimes getilgt. Die Regierungsgeschäfte übernahm als interimistische Lösung ein siebenköpfiger, von bürgerlich-konservativen Kräften getragener und zunächst von Balaguer geleiteter Staatsrat: eine von den USA favorisierte Lösung, da man hoffte, so eine Radikalisierung in Richtung auf ein "zweites Kuba" verhindern zu können. Doch nach einem von Balaguer inspirierten Putschversuch einiger Militärs mußte dieser unter dem Druck der Straße auf sein Amt verzichten und den Weg ins Exil antreten. Während des Jahres 1962 sollte sich im Vorfeld der auf den 20. Dezember anberaumten Wahlen das Gewicht der politischen Kräfte grundlegend verlagern. Die im Kampf um eine radikale Ausmerzung des trujillismo führende Kraft war
180 die Unión Cívica Nacional (UCN) unter Viriato Fiallo: eine Bewegung, die wesentlich von der traditionellen, durch Trujillo ausgeschalteten Oligarchie getragen wurde und die nicht zögerte, im Kampf gegen die Restbestände des trujillismo sogar mit dem Movimiento Revolucionario 14 de Junio (MR 1J4) von Manuel A. Tavárez Justo, das einer linksextremen, an der Kubanischen Revolution orientierten Lösung zuneigte, eine (allerdings nur kurzlebige) Allianz einzugehen. Doch während sich die UCN durch ihre Teilhabe an der Übergangsregierung, die dann doch nur wenig unternahm, um innerhalb der Sicherheitskräfte wie innerhalb des administrativen Apparats die ehemaligen Gefolgsleute Trujillos auszuschalten, in den Augen vieler Wähler diskreditierte, erwuchs ihr ein übermächtiger Rivale im Partido Revolucionario Dominicano (PRD), dessen nunmehr aus dem Exil zurückgekehrter Präsidentschaftskandidat Juan Bosch es verstand, mit dem Versprechen tiefgreifender wirtschaftlicher und sozialer Reformen, aber auch mit dem Vorsatz, unter dem Motto "borrón y cuenta nueva" einen Schlußstrich unter die Vergangenheit der Trujillo-Diktatur zu ziehen, weite Teile der Mittel- und Unterschicht für sein Programm zu gewinnen. In den fairsten und saubersten Wahlen der dominikanischen Geschichte erzielte der PRD - bei einer Wahlbeteiligung von über 90% - mit knapp 60% der abgegebenen Stimmen gegenüber 30% für die UCN einen überwältigenden Sieg. Und nur zwei Monate nach seinem Amtsantritt am 27. Februar 1963 ließ Juan Bosch eine neue Verfassung verabschieden, die als die liberalste und fortschrittlichste der dominikanischen Geschichte gelten kann: Sie verfügte neben dem Recht auf Arbeit, dem Recht auf Streiks und dem Recht auf eine Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer das Verbot von privatem Latifundienbesitz, ausländischem Landbesitz und Handelsmonopolen sowie Religionsfreiheit und die Legalisierung der Scheidung. Doch als Plattform der politischen Auseinandersetzung sollte sich die neue Verfassung für den inneren Frieden wie auch für den Bestand der Regierung als äußerst gefährlich erweisen, beschwor sie doch den Widerstand aller einflußreichen Sektoren der Bevölkerung herauf. Als besonders folgenschwer zeigte sich der Widerstand der Katholischen Kirche, die bereits während des Wahlkampfes vehement gegen Bosch Stellung bezogen und zu seiner feierlichen Amtseinführung - im dominikanischen Kontext geradezu ein Affront - keinen Vertreter entsandt hatte und die nun im Verlauf des Sommers 1963 in einer breit angelegten, insbesondere bei der Masse der Campesinos auf Widerhall stoßenden Kampagne der "reafirmación cristiana" gegen die vorgeblich kommunistische Regierung des "Atheisten" Bosch zu Felde zog. Zur Destabilisierung trugen auch die immer wieder lancierten Gerüchte eines bevorstehenden Militärputsches sowie die offensichtliche Irritation der USA bei, doch sind auch Juan Bosch selbst Fehler und Fehleinschätzungen anzulasten, da er es
181 versäumte, sich durch eine gewisse Flexibilität die für sein Projekt notwendige politische und gesellschaftliche Basis zu verschaffen. Noch bevor die im Mai initiierte Agrarreform oder andere Reformmaßnahmen greifen konnten, wurde Juan Bosch nach einem von Unternehmerverbänden organisierten Generalstreik am 25. September 1963, nur sieben Monate nach seinem Amtsantritt, durch einen Militärputsch gestürzt. Die Übergangsregierung übernahm wiederum ein von der traditionellen Bourgeoisie gestütztes Triumvirat, das die Verfassung sogleich außer Kraft setzte und den Präsidenten ins Exil schickte. Das ab Dezember 1963 von Donald Reid Cabrai, einem der UCN nahestehenden führenden Automobilimporteur, geleitete Triumvirat betrieb mit Unterstützung der USA, der Katholischen Kirche und der hohen Ränge der Militärs, die man sich durch ertragreiche Privilegien und Pfründe zu verpflichten verstand, eine überaus unpopuläre Politik, die zum Schaden der einheimischen Produktion die Kompradorenbourgeoisie begünstigte und bei gleichzeitigem Einfrieren der Löhne und Gehälter nichts unternahm, um der steigenden Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Während sich die Unzufriedenheit im Land in zahllosen, von den Sicherheitskräften massiv unterdrückten Streiks und Demonstrationen entlud, formierte sich um Joaquin Balaguer in seinem New Yorker Exil mit der Gründung des Partido Reformista (PR) eine neue Oppositionsbewegung, in der sich vornehmlich jene wiederfanden, die einst im Partido Dominicano Trujillo treu gedient und 1961/62 im Gefolge der destrujillización das Land verlassen hatten. Entscheidend für den Sturz des Triumvirats aber war die Spaltung innerhalb der Streitkräfte, in denen die jüngeren Offiziere eine Überwindung der alten Strukturen und eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung von 1963 befürworteten. Am 24. April 1965 wurde eine Verschwörung dieser Kreise, noch bevor sie sich materialisieren konnte, durch den Generalsekretär des PRD, José Francisco Pena Gómez, über Rundfunk und Fernsehen publik gemacht. Gleichzeitig wurde die Bevölkerung der Hauptstadt zum Widerstand gegen die Regierung aufgerufen und von den aufständischen Militärs und den Parteien mit Waffen versorgt, während sich die in der Provinz stationierten Truppen neutral und passiv verhielten. Drei Tage lang lieferten sich die für eine sofortige Rückkehr Juan Boschs eintretenden "Konstitutionalisten" unter dem Kommando des Obersten Francisco A. Caamano Denó gegen die "Loyalisten" unter dem ultrakonservativen General Elias Wessin y Wessin in Santo Domingo verlustreiche Kämpfe, wobei sich ein Sieg der "Konstitutionalisten" abzeichnete. Durch die massive Intervention US-amerikanischer Truppen, von Lyndon B. Johnson aus Furcht vor einer "Kubanisierung" der Dominikanischen Republik in Marsch gesetzt und offiziell als Interamerikanische Friedenstruppe deklariert, wurden die zunächst siegrei-
182 chen "Konstitutionalisten" jedoch auf das koloniale Zentrum Santo Domingos und einige angrenzende Stadtteile zurückgedrängt. Nach monatelangen Verhandlungen kam es Anfang September schließlich zu einem "Akt der Versöhnung" und der Einsetzung einer provisorischen Regierung unter Héctor García Godoy, einem der Vizepräsidenten des Partido Reformista, dem es oblag, für den 1. Juni 1966 allgemeine Wahlen vorzubereiten. Der Wahlkampf verlief in einem aufgeheizten Klima der politischen Agitation, das unter den mittlerweile aus dem Exil zurückgekehrten Hauptkontrahenten Bosch und Balaguer unter den Augen des noch anwesenden US-amerikanischen Truppenkontingents Balaguer eindeutig begünstigte. Die "Konstitutionalisten" sowie andere linke Aktivisten wurden massiv verfolgt, und der Partido Revolucionario Dominicano wurde in seinen Aktivitäten derart behindert, daß Juan Bosch - auch aus Furcht vor Anschlägen - seine Kampagne im wesentlichen aus seinem Hauptquartier in Santo Domingo über Rundfunk und Fernsehen führte. Joaquín Balaguer indes bereiste das ganze Land und verstand es, sich insbesondere den Campesinos, aber auch den städtischen Unterschichten, die einen neuerlichen Bürgerkrieg fürchteten, als Kandidat des Friedens und der Versöhnung zu präsentieren, denn schließlich war der PRD, nicht aber seine Partei in die Guerra de Abril von 1965 involviert gewesen. Gleichzeitig gelang es ihm, das Vertrauen der traditionellen Bourgeoisie, die ihren vehementen Widerstand der Jahre 1961/62 gegen Balaguer und alle Restbestände des trujillismo schlicht vergaß, zurückzugewinnen. So war das Ergebnis der Wahlen nicht überraschend: Für Joaquín Balaguer stimmten über 56%, für Juan Bosch hingegen nur knapp 37% der Wähler. Von 1966 bis 1978, über drei Amtsperioden, führte Balaguer mit Hilfe eines zentralistisch organisierten administrativen Apparats und der durch das bewährte Mittel der Vorteilsvergabe an seine Person gebundenen Sicherheitskräfte eine autoritäre, personalistische Herrschaft, die den Dominikanern hinsichtlich der Machtstrukturen wie hinsichtlich der Machtinstrumente eine - wenn auch gemäßigte - Fortsetzung der Trujillo-Ära bescherte. Insbesondere während der ersten beiden Amtsperioden wurde die Opposition, vorrangig die extreme Linke und die gewerkschaftlich organisierten Sektoren der Arbeiterschaft, systematisch verfolgt, wurden aufkeimende ländliche und städtische Guerillabewegungen mit aller Härte ausgemerzt. Wirtschaftlich gelang mit Beginn der 70er Jahre ein immenser Aufschwung, begünstigt durch die massive Wirtschaftshilfe der USA, den Anstieg der Weltmarktpreise für die traditionellen Agrarexporte, die zunehmende Bedeutung staatlicher Investitionstätigkeit, die sich vornehmlich auf den Bausektor konzentrierte, und die Anwerbung ausländischer Investoren, die in den Zonas Francas Industriales den Vorteil von Billiglöhnen und Steuer- wie
183 Zollvergünstigungen genossen. Wer von diesem Boom profitierte, war die traditionelle Bourgeoisie ebenso wie eine wachsende städtische Mittelschicht, nicht jedoch die Masse der Arbeitnehmer, deren Einkommen - bei steigenden Preisen - eingefroren wurde, und auch nicht die Campesinos, die trotz einer werbewirksam initiierten, jedoch nur schleppend und wenig effektiv durchgeführten Agrarreform weiter verarmten und in die Städte, aber auch ins Ausland, in die USA, nach Puerto Rico oder nach Venezuela, emigrierten. Die Opposition hatte kaum eine Chance, sich in freien und kompetitiven Wahlen zu artikulieren, so daß sich der Partido Revolucionario Dominicano als führende oppositionelle Kraft folgerichtig auch nicht an den Wahlen von 1970 und 1974 beteiligte. Nach 1974 und im Vorfeld der Wahlen von 1978 sollte sich die Situation jedoch grundlegend ändern, denn Joaquín Balaguer geriet aufgrund der einsetzenden Rezession, Folge der sinkenden Exporterlöse, des Ölschocks und der Schuldenkrise, aber auch aufgrund der von seiten der gewachsenen und selbstbewußter gewordenen Mittelschicht zunehmend artikulierten Forderungen nach politischer Freiheit und Partizipation unter innenpolitischen Druck. Zudem mehrten sich die kritischen Stimmen im Ausland, insbesondere seitdem sich der Partido Revolucionario Dominicano zu einer international akzeptablen Alternative entwickelt hatte. Denn Juan Bosch, der sich zwischenzeitlich marxistische Positionen zu eigen gemacht hatte und das Projekt einer "dictadura con respaldo popular" propagierte, hatte im November 1973 den PRD verlassen und mit dem Partido de la Liberación Dominicana (PLD) eine eigene Partei gegründet. Der PRD hingegen vertrat nunmehr sozialdemokratische Positionen und fand mit dem Beitritt zur Sozialistischen Internationale 1976 in Europa und Lateinamerika weitgehende Unterstützung. So sah sich Balaguer zu einer politischen Öffnung und Liberalisierung gezwungen mit der Folge, daß die Opposition im Wahlkampf nicht behindert wurde und die Wahlen am 16. Juni 1978 relativ ruhig und korrekt vonstatten gingen. Doch als sich in der Nacht des 17. Juni, wie von Demoskopen vorhergesagt, ein Wahlsieg des PRD-Kandidaten Silvestre Antonio Guzmán Fernández abzeichnete, wurde die Auszählung auf Geheiß Balaguers, der seine Niederlage nicht zu akzeptieren bereit war, durch Militärs unterbrochen. Erst nach wochenlangem Gerangel - und aufgrund massiver Einflußnahme des US-amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, der im Rahmen seiner Menschenrechtspolitik auch einen Wandel in der US-amerikanischen Außenpolitik bewirkte - sah sich Balaguer schließlich zum Nachgeben gezwungen. Zwar gelang es, dem Partido Reformista gegen das Wahlergebnis eine Mehrheit im Senat zu verschaffen; doch sein eigentliches Ziel des persönlichen Machterhalts erreichte Balaguer,
184 dem gegen Antonio Guzmán mit knapp 52% der Stimmen nur 42% zugesprochen wurden, nicht. Antonio Guzmán begann seine Präsidentschaft am 16. August 1978 auf einer Woge der Popularität: Reaktion auf das als schändlich erachtete Betrugsmanöver Balaguers, aber auch Ausdruck der Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel, den der PRD und sein Kandidat zum zentralen Thema ihres Wahlkampfes stilisiert hatten. Doch sehr bald stellten sich in weiten Teilen der Bevölkerung Enttäuschung und Ernüchterung ein. Zwar gelang es Guzmán, die noch unter Trujillo aufgestiegenen und an die Person Balaguers gebundenen hohen Ränge des Militärs auszuschalten und ein besonders die gewerkschaftliche Organisation begünstigendes Klima der politischen Freiheit zu schaffen, doch wurde auch sehr bald deutlich, daß es ihm vorrangig darum ging, sich durch eine exklusive Begünstigung von Familienangehörigen und engen Vertrauten wie durch eine extreme Erhöhung der Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst 1 eine ihm auch mit Blick auf eine mögliche neuerliche Kandidatur 1982 - ergebene Kamarilla und Klientel zu sichern. Zwar förderte er die von Balaguer vernachlässigte Entwicklung im Agrarbereich, doch blieb angesichts der hohen Kosten für den aufgeblähten administrativen Apparat kein Spielraum mehr für die von Balaguer getätigten Investitionen im Bausektor und in der Industrie. Die versprochenen, auf eine Demokratisierung des politischen Systems und eine Modernisierung der Wirtschaft abzielenden Reformen blieben aus; und dem sich angesichts von Preissteigerungen und einer Zunahme der Arbeitslosigkeit in Streiks entladenden Unmut breiter Sektoren der Bevölkerung wußte Guzmán nur mit repressiven Maßnahmen zu begegnen. Massiven Widerstand erfuhr Guzmán auch von seiten seiner Partei bzw. jener Fraktion, die, angeführt von dem auf die eigene Kandidatur hoffenden Anwalt Salvador Jorge Blanco und dem Generalsekretär José Francisco Peña Gómez, auf ein Reformprogramm drängte, aber auch den eigenen Führungsanspruch durchzusetzen suchte und aus dem Kongreß heraus eine weitaus wirksamere Obstruktionspolitik betrieb als der Partido Reformista aus dem von ihm beherrschten Senat. Eine Zuspitzung des Konflikts ergab sich über der Frage der no-reelección, einem der zentralen Wahlversprechen des PRD. "La prohibición de la reelección presidencial", so hatte Peña Gómez 1977 erklärt, "es la medida democrática por excelencia si queremos de verdad institucionalizar el país, pues la experiencia histórica demuestra que donde hay reelecciones no hay democracia." 2 Guzmán aber verweigerte die Durchsetzung dieses Prinzips, dies offensichtlich in der Absicht, sich selbst erneut zur Wahl zu stellen, mußte aber erkennen, daß seine neuerliche Kandidatur in der Partei keine Chancen hatte, so daß er seinen Vizepräsidenten Jacobo Majluta favorisierte. Doch die Partei ent-
185 schied sich für Salvador Jorge Blanco, der sich in der Vergangenheit als Anwalt im Einsatz für die Menschenrechte ein liberales Image hatte verschaffen können und allgemein als rechtschaffen und integer galt und dem allein man zutraute, das durch Guzmáns personalistische, eine in ihren Ausmaßen schier unglaubliche Korruption fördernde Politik verspielte Vertrauen der Wähler in die politischen Institutionen und in den PRD zurückzugewinnen. So konnte der Partido Revolucionario Dominicano am 16. Mai 1982 die Wahlen mit knapp 47% der abgegebenen Stimmen gegen Balaguers Partido Reformista mit knapp 37% erneut für sich entscheiden; doch verlor er im Vergleich zu den Wahlen von 1978 einen Stimmenanteil von 5%, von dem Juan Bosch profitierte, der einen vorrangig gegen die offensichtliche Unfähigkeit und Korruption der Guzmán-Administration gerichteten aggressiven Wahlkampf geführt hatte und sich - nach nur 1% Stimmenanteil 1978 - mit immerhin fast 10% nunmehr als dritte politische Kraft profilieren konnte. Der Amtsantritt Salvador Jorge Blancos am 16. August 19823 wurde wie der Antonio Guzmáns von vielen Hoffnungen begleitet; doch auch seine Präsidentschaft prägten Klientelismus, Mißwirtschaft und Korruption. Und auch ihm gelang es nicht, die innere Zerrissenheit der Partei zu überwinden, so daß sich auch er, nunmehr von seiten des Senatspräsidenten Jacobo Majluta, einer vehementen Obstruktionspolitik gegenüber sah. Verschärft wurde die Situation durch eine Zuspitzung der wirtschaftlichen Krise im Agrarbereich wie in der Industrie, insbesondere dem durch ein beständiges Mißmanagement herabgewirtschafteten staatlich gelenkten Sektor, der immense Subventionen verschlang, sich aber stets am Rande des Bankrotts bewegte. Das chronische Zahlungsbilanzdefizit und die immens hohe Auslandsverschuldung, zum Teil ein Erbe des unter Balaguer bewirkten "Wirtschaftswunders", zwangen Jorge Blanco zu Umschuldungsverhandlungen und zur Aufnahme neuer Kredite. Dies aber bedeutete die Annahme des vom Internationalen Währungsfonds diktierten Stabilisierungsprogramms, und das hieß konkret eine drastische Senkung der öffentlichen Ausgaben durch Entlassungen und Streichung von Subventionen etwa für Grundnahrungsmittel, wovon vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten betroffen waren. So kam es im April 1984 nach drastischen Preiserhöhungen für Nahrungsmittel, Brennstoffe und Dienstleistungen im ganzen Land zu spontan organisierten "Hungerunruhen", den größten Massenprotesten seit 1965, die von den Sicherheitskräften mit höchster Brutalität unterdrückt wurden und deutlich machten, daß auch Jorge Blanco, der mit dem Slogan der "wirtschaftlichen Demokratisierung" eine gerechtere Verteilung der nationalen Ressourcen versprochen hatte, gescheitert war.
186 Die Ausgangsposition für die Wahlen am 16. Mai 1986 waren somit für den Partido Revolucionario Dominicano nicht besonders günstig, zumal anläßlich der Nominierung der Kandidaten die Hauptkontrahenten Majluta und Peña Gómez sich gar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen hatten hinreißen lassen und der als Präsidentschaftskandidat schließlich siegreiche Majluta sich mittlerweile weit von sozialdemokratischen Positionen entfernt und die ihn stützende Parteifraktion La Estructura als eigenständigen Block der Liberalen Internationale angeschlossen hatte. Von der über acht Jahre medienwirksam ausgetragenen Dauerkrise des PRD profitierte der sich erneut zur Wahl stellende, nunmehr fast 80jährige, nahezu erblindete Joaquín Balaguer, der mit dem Slogan "Balaguer prometió y dió" auf vergangene wirtschaftliche Erfolge verwies, seine Partei mit dem kleinen Partido Revolucionario Social Cristiano zusammenschloß, um ihr als Partido Reformista Social Cristiano (PRSC) die Unterstützung der Internationalen Christdemokratie zu sichern, und mit ca. 41% der abgegebenen Stimmen gegen nur 39% für den PRD die Wahl für sich entschied. Profitieren konnte aber auch Juan Bosch mit seinem Partido de la Liberación Dominicana, der sich mittlerweile von seinen marxistischen Positionen distanziert und wieder denen des PRD angenähert hatte und der unter Anspielung auf die Korruption unter Guzmán wie Jorge Blanco und die Menschenrechtsverletzungen Balaguers mit dem Slogan "Bosch ni robó ni mató" mit mehr als 18% der Stimmen seinen vier Jahre zuvor erzielten Anteil nahezu verdoppeln konnte. Ab 1986 - und bis zur Gegenwart - erlebte die Dominikanische Republik eine Neuauflage des balaguerismo4: Zwar wurde die Opposition nur wenig behindert, wurde in einem Klima der Meinungs- und Pressefreiheit die politische Diskussion offen ausgetragen; doch ergab sich keine Modernisierung und Festigung der demokratischen Strukturen, da politische Macht, gespeist durch das bewährte System des Klientelismus und eine auf allen Ebenen verbreitete Korruption, nicht an die politischen Institutionen, sondern allein an die Person Balaguers als "déspota ilustrado" 5 gebunden war. Doch die Stabilität des Regimes litt an einem Mangel an Legitimität durch Wahlen, die durch eine hohe Stimmenthaltung und eine von nationalen wie internationalen Beobachtern festgestellte schier unglaubliche Manipulation und Fälschung gekennzeichnet waren. 1990 wurde dem Hauptkontrahenten Balaguers, Juan Bosch, der sich nunmehr eher konservativen Positionen angenähert hatte und mit dem Projekt der Privatisierung der Staatsbetriebe sogar einen Teil der Unternehmerverbände für sich einnehmen konnte, bei (offiziell) knapp 34% Stimmenanteil gegen 35% für Balaguer durch Wahlmanipulation der Sieg genommen. Der große Verlierer der Wahl war der Partido Revolucionario Dominicano mit nur 23% der abgegebenen Stimmen, nachdem sich Peña Gómez
187 erstmals als Präsidentschaftskandidat hatte durchsetzen können und Majluta sich mit seiner Fraktion abgespaltet und eine neue Partei, den Partido Revolucionario Independiente (PRI), gegründet hatte. 1994 hingegen war, nachdem sich Juan Bosch - für seine einstigen Anhänger nunmehr gänzlich unnachvollziehbar - dezidiert neoliberalen Positionen zugewandt und damit jede Wettbewerbschance eingebüßt hatte, der wiederum für den PRD antretende Peña Gómez gegen Balaguer der aussichtsreichste Kandidat. Doch wurde auch ihm, dem offiziell 41,3% der abgegebenen Stimmen gegen 42,2% für Balaguer zuerkannt wurden, durch massiven Wahlbetrug der Sieg streitig gemacht. Wirtschaftspolitisch setzte Balaguer primär auf die verarbeitende Industrie in den Zonas Francas Industriales und den steigenden Tourismus, der schon bald die in eine Krise geratenen traditionellen Agrarexporte, neuerdings ergänzt durch tropische Früchte, als wichtigste Devisenbringer ersetzte. Doch wird in beiden von ausländischem Kapital beherrschten Sektoren ein Großteil der Gewinne ohne Nutzen für die dominikanische Volkswirtschaft abgezogen, bieten die zweifellos geschaffenen zusätzlichen, arbeitsrechtlich jedoch nicht abgesicherten Arbeitsplätze ein nur niedriges Lohnniveau. Zusätzlich verfügte Balaguer eine Wiederauflage seines Programms öffentlicher Bauten; dies jedoch weniger mit Blick auf einen Nutzen für die Gesamtbevölkerung als mit Blick auf die willkommenen Touristen, die insbesondere im Vorfeld der Feierlichkeiten zum Quinto Centenario 1992 mit der kostenintensiven Restaurierung der Altstadt von Santo Domingo und Prestigebauten wie dem "Faro a Colón", dem Zehntausende von Slumbewohnern weichen mußten, angelockt werden sollten. Die dringlichsten Probleme zu lösen, gelang nicht: weder die Schuldenfrage noch die Abhängigkeit vom ausländischen Kapital; weder die katastrophalen Engpässe in der Energieversorgung, die bis zu 20 Stunden währende Stromausfälle bewirken und breite Sektoren der unteren Mittelschichten der Existenzgrundlage beraubten, noch die Lebensmittelknappheit, die durch steigende Importe ausgeglichen werden muß; weder die endemische Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung noch die gänzliche Marginalisierung wachsender Bevölkerungsschichten, die, sofern sie nicht durch Geldüberweisungen emigrierter Familienangehöriger überleben können, selbst - ebenso wie weite Teile der Mittelschicht - legal oder illegal nach Puerto Rico oder in die USA zu gelangen suchen mit der Folge, daß gegenwärtig etwa 1 Million Dominikaner, und das sind schätzungsweise knapp 15% der Gesamtbevölkerung, im Ausland leben. Die weitere Entwicklung scheint offen, doch zeichnet sich für das Jahr 1996 zumindest ein politischer Wandel ab. Nachdem anläßlich der Wahlen 1994 selbst die USA, der bislang verläßlichste Handels- und Bündnispartner Balaguers, nicht gewillt waren, das Wahlergebnis anzuerkennen, und auf Neuwahlen
188
drängten, fand sich Balaguer zum Einlenken bereit und vereinbarte mit den wichtigsten Oppositionsparteien eine Verkürzung seines Mandats auf zwei Jahre und Präsidentschaftsneuwahlen für den 16. Mai 1996, an denen er sich selbst, mittlerweile fast 90jährig und gesundheitlich stark beeinträchtigt, nicht nehr beteiligen wird. Ob allerdings der Partido Revolucionario Dominicano mit losé Francisco Peña Gómez als aussichtsreichstem Präsidentschaftskandidaten, sollte er denn - gegen seinen gefährlichsten Kontrahenten, den nach dem Rückzug von Juan Bosch zum Präsidentschaftskandidaten des wieder aufstrebenden Partido de la Liberación Dominicana gekürten Leonel Fernández - die Wahl gewinnen, nach den mißlichen Erfahrungen der Vergangenheit seine Regierungsfähigkeit und Reformbereitschaft unter Beweis stellen und in der politischen Praxis umsetzen kann, bleibt abzuwarten. Mit dem Tod Trujillos und der in den Jahren 1961-62 in allen Sphären der Gesellschaft einsetzenden destrujillización fielen auch die ideologischen Grandmauern der Patria Nueva, die zu ersetzen nun aber keineswegs leicht fallen konnte, waren doch drei Viertel der Bevölkerung unter dem Trujillo-Regime geboren. Den Intellektuellen stellte sich zunächst die dringliche Aufgabe, in einer wissenschaftlich, ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre vorrangig marxistisch fundierten Diskussion die nationale Geschichte neu zu überdenken und zu bewerten und für die Gegenwart in ihrer soziopolitischen wie ethnisch-kulturellen Dimension neue Interpretationsmodelle zu entwickeln, wobei man sich allerdings auf Einzelfragen beschränkte und weder den Nationsbildungsprozeß noch die Frage nationaler Identität in den aktuellen Bezügen global zu erfassen suchte. 6 Den wichtigsten Beitrag lieferten die Autoren des 1981 publizierten Bandes Ensayos sobre Cultura Dominicana, die in historisch-kritischer Perspektive den Beitrag der einzelnen ethnisch-kulturellen Traditionen für die Formulierung einer nationalen Identität zu bestimmen suchten. Bernardo Vega, in seinem Aufsatz "La herencia indígena en la cultura dominicana de hoy", behandelt - "dentro de una dimensión justa y apropiada" 7 - das sich im wesentlichen in der materiellen Kultur manifestierende Resterbe de: Indios. Sein besonderes Verdienst gründet sich auf eben jene perspektivische Verengung, die "dimensión justa y apropiada", die ihn dazu führt, "evitar el errcr de algunos que, movidos por un romanticismo bien intencionado pero poco científico, exageran dicha influencia como un modo, talvez inconsciente, de hacer justicia a la raza aniquilada o, peor aún, como un medio para subestimar la influencia africana, por razones de prejuicio" (12). Und er schließt mit dem Verdikt: La mayor y más frecuente presencia de nuestro indio, en nuestra cultura contemporánea, es su presencia donde no existe. Nuestro curioso sis-
189 tema de valores culturales nos ha obligado a crearnos, a conveniencia propia, un espejismo, a utilizar un sofisma, para tratar de ocultar un prejuicio nacional. Una gran proporción de nuestra población exige que se le tipifique como "indios" o "indias", en vez de mulatos, o mulatas, cuando de genes indios no tienen nada. (53) In seinem Beitrag zur "Herencia española en la cultura dominicana de hoy" verweist auch Carlos Dobal eingangs auf den von Vega apostrophierten "espejismo": "somos un pueblo mestizo de español y africano, con alguna gota de sangre indígena como distintivo particular de nuestra raza"; und er zitiert den Historiker Frank Moya Pons mit den Worten: "El sentimiento de hispanidad en el dominicano ha sido más fuerte que la percepción real de la raza" (63). Hinsichtlich des Kulturerbes aber sieht er eine eindeutige Dominanz des spanischen Einflusses; und auch hier zitiert er mit Juan Bosch eine anerkannte Autorität: "España nos transmitió todo lo que tenía: su lengua, su arquitectura, su religión, su manera de vestir y de comer, su arte militar y sus instituciones jurídicas y civiles; los ganados y hasta los perros y las gallinas." (65) 8 Diese Dominanz des spanischen Kulturerbes, belegt auch in Bereichen der cultura popular, entspricht gewiß der historischen und aktuellen Wirklichkeit. Doch erscheint Dobal dort weniger überzeugend, wo er als Spezifika einer aktuellen dominikanischen Mentalität "la básica estructura de nuestro temperamento y de nuestro modo de ser" (103) Faktoren benennt, die er ohne Ansehen eines möglichen historischen Wandels auf (vorgebliche) Eigenschaften der Konquistadoren des 16. Jahrhunderts zurückführt: Individualismus, den er mit Egoismus, Machtstreben, Korruption und Machismus assoziiert; Ehrgeiz, der nach sozialem Aufstieg strebt und, "siendo, como somos, un país de mestizos", die "tendencia a 'blanquearnos'" erklärt (100); schließlich der "pesimismo ancestral" des Dominikaners mit der Konsequenz "que nace su desidia, su decisión a entregarse al esfuerzo, al trabajo y a la acción solamente cuando le place" (102). Die Problematik der "Herencia africana en la cultura dominicana actual" wird von Carlos Esteban Deive mit besonderer Schärfe herausgestellt. "El negro", so seine eingangs gemachte Feststellung, "carece en Santo Domingo - o, mejor dicho, careció hasta ahora - de apologistas porque su color recuerda, con harta molestia, ingratos atavismos y fenotipos que es preferible relegar al desván del olvido." (107) Er wendet sich aber auch gegen die "africanólogos de capa y espada", die in ihrem (gerechten) Bemühen um eine Neubewertung des afrikanischen Erbes apodiktisch behaupten "que Santo Domingo es un mero calco del Africa negra, mientras lo hispánico que pueda haber en nuestra cultura sólo ha de verse como algo periférico y en modo alguno constitutivo" (107). Die Mechanismen der Dekulturation, denen die Sklaven unterworfen waren, bewirkten,
190 daß die originäre "cultura africana" nicht überlebte; durch Anpassung an die neue politische und sozioökonomische Realität gelang jedoch, insbesondere in den Bereichen von Musik und Tanz, Glaubensinhalten und Riten 9 sowie der familiären Struktur, eine authentische "cultura negra" zu entwickeln und insbesondere in den ländlichen Regionen am Leben zu erhalten. Doch blieb, wie Deive in Opposition zur traditionell vermittelten "imagen idílica de la esclavitud" (116) in Santo Domingo nachweist, die von den Weißen betriebene und von den Schwarzen wie Mulatten verinnerlichte Diskriminierung des farbigen Bevölkerungs- und Kulturelements eine Konstante, die sich bis in die Gegenwart fortsetzte. 10 Rassische und kulturelle Diskriminierung des moreno, wie der Schwarze in der Dominikanischen Republik zwecks Abgrenzung zum haitianischen negro genannt wird, und des indio, sprich: Mulatten, geht einher mit dem in allen Sektoren der Bevölkerung offen oder verdeckt vertretenen Antihaitianismus", der in der politischen Diskussion ein noch immer machtvolles Instrument darstellt, auch wenn viele dominikanische Autoren diesem über die (bisweilen stereotypisierte) Figur des "haitiano compadecido" oder die (stärker differenzierte) Figur des "haitiano integrado" 12 entgegenzuwirken suchten. Daß aber diesem Bemühen ein durchschlagender Erfolg beschieden sein mochte, bezweifelte zumindest Joaquín Balaguer, der Anfang der 80er Jahre über die (neuerliche) Beschwörung einer imminent drohenden Gefahr der "desnacionalización" durch den haitianischen "imperialismo biológico" (sie) sein politisches Comeback zu betreiben suchte. Der 1983 von Balaguer veröffentlichte Band La isla al revés. Haití y el destino dominicano13 reproduziert in Teilen - in einer allerdings markant zugespitzten Synthese - bereits während der Trujillo-Ära publizierte Schriften, ohne daß dies dem Leser offenbart wird. Der Verfasser präsentiert sich als Demokrat und verantwortungsbewußter Staatsmann, objektiv und unparteiisch, bar jeden Rassenvorurteils und allein der historischen Wahrheit verpflichtet. Gewidmet ist das Buch (u.a.) dem haitianischen Historiker Jean Price-Mars "por lo que representa su obra de investigador como un noble esfuerzo para situar, en un plano rigurosamente científico, los estudios históricos relacionados con Haití y la República Dominicana"; und Price-Mars wird auch ausführlich zitiert, obgleich dessen Darstellung historischer Ereignisse und Zusammenhänge, insbesondere für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, der nationalistisch orientierten dominikanischen Geschichtsschreibung widerspricht. Da aber Balaguer dieser Tradition keineswegs abschwört, sie sogar durch vorgeblich neue Forschungsergebnisse zu stützen sucht, ergeben sich Widersprüche, Ungereimtheiten und Konfusionen dergestalt, daß der kritische oder auch nur unvoreingenommene Leser nicht nur
191 an der Objektivität, dem historischen Bewußtsein und der wissenschaftlichen Redlichkeit des Verfassers zweifeln mag, sondern sich ihm auch die Frage stellt, ob hier nicht gar schlicht den intellektuellen Fähigkeiten des Autors - oder des intendierten Lesers? - ein Armutszeugnis ausgestellt wird. 14 Alle bekannten Topoi werden noch einmal - in bisweilen allerdings ausgesprochen origineller Variation - evoziert: die Invasionen und "actos vandálicos", die Haiti seit 1625 (sie) gegen die Dominikanische Republik geführt hat 15 ; die "ocupación" 1822, "cuando la barbarie haitiana [...] implantó una era de terror en todo el territorio dominicano" (144); schließlich die "segunda era" der Invasionen, "[cuando] el imperialismo haitiano cambió de táctica" "[que] consistió entonces en favorecer la penetración pacífica del territorio dominicano" (31) mit dem Ergebnis der rassisch-biologischen "desnacionalización" - "corrupción" der "fisonomía étnica" (41), "verdadero peligro para la Eugenesia" (55) des dominikanischen Volkes, "pueblo hispánico" (45) - ebenso wie der moralisch-kulturellen "desnacionalización" - "desintegración moral" und "corrupción" der "costumbres patriarcales" (50) wie des "sentimiento de la solidaridad nacional" (48). Den Maßnahmen, mit denen unter Trujillo der "obra maquiavélica" (32) dieser durch imperialistische Gelüste gesteuerten "invasión pacífica" erfolgreich entgegengewirkt wurde, widmet Balaguer in seiner Darstellung großen Raum. Dabei betont er als selbstverständlich, daß eine solche "labor patriótica, dictada por un instinto de conservación nacional" (77) gelegentlich auch drastische Maßnahmen erfordere (94) und nicht ohne Blutvergießen zu bewerkstelligen sei (76). In diesem Zusammenhang wird denn auch (zweimal) auf das Massaker von 1937 verwiesen - nur beiläufig und in einer Argumentationskette, die den Schaden relativiert und "neutralisiert" (98), indem eine weitaus schwerwiegendere Klage gegen den politischen Gegner geführt wird: den Gegner von einst, "muchos dominicanos [que], por razones de orden político, ofrecieron su apoyo al gobierno haitiano, hecho incalificable que demuestra hasta qué punto el comercio con nuestros vecinos ha corrompido la fibra sagrada de la dominicanidad" (48), und den Gegner in der politischen Aktualität, "los nuevos dirigentes del país", die mit der Öffnung der Grenzen "graves consecuencias" heraufbeschworen, "[que] al olfato de cualquier estadista genuino y al de cualquier dominicano con buen sentido común, no podían escapar" (98). Hilfreich für die Wiederwahl Joaquín Balaguers 1986, und das meinten nicht nur seine politischen Gegner, war gewiß das in seinem Buch La isla al revés und andernorts entwickelte Projekt einer "nación limpia" (99), sprich: "hispana", sowie die (während der Wahlkampagne werbewirksam ins Spiel gebrachte) Tatsache, daß sein damaliger Kontrahent, José Francisco Peña Gómez vom PRD, schwarz und haitianischer Abstammung ist. Seitdem hat sich Balaguer in offi-
192 ziellen Verlautbarungen eines aggressiven Antihaitianismus weitgehend enthalten, was ihn jedoch nicht hinderte, in regelmäßigen Abständen Massen von illegal in der Dominikanischen Republik lebenden Haitianern ebenso wie die (legal eingereisten) braceros nach Beendigung der zafra mit Hilfe von Polizei und Militär unter Anwendung brutaler Gewalt deportieren zu lassen. 16 Nach der Guerra de Abril, die während des Sommers 1965 in der Hauptstadt auch eine kulturelle, sich außerhalb der offiziellen Institutionen in der Literatur wie in der Malerei manifestierende Bewegung hervorgebracht hatte, entwickelten auch die Literaten eine gesteigerte Aktivität, die insbesondere im Bereich der Erzählung und des Romans, gefördert durch eine Vielzahl von Zeitschriften und Wettbewerben, nachgerade einen publizistischen Boom bewirkte. Stimulierende Einflüsse kamen, nachdem die Jahrzehnte währende Isolation überwunden war, von außen; doch stellte sich den jungen Literaten auch die Frage, welche der während der Trujillo-Zeit im Lande selbst oder von dominikanischen Autoren im Exil publizierten Werke für die Erstellung einer von ideologischen Verwirrungen freien literarischen Kontinuität dienstbar gemacht werden konnten. In der Lyrik hatte sich in den 40er Jahren im Lande selbst die Gruppe der "Poesía Sorprendida" um Franklin Mieses Burgos unter dem Einfluß europäischer Avantgardebewegungen, aber auch in einer Art Selbstzensur, dem Konzept einer im wesentlichen "zweckfreien", auf eine starke Ästhetisierung und Hermetisierung abzielenden Sprachkunst zugewandt. Eine sozialkritische Intention verfolgten dagegen die sogenannten "Independientes", die sich allerdings nicht als homogene Gruppe konstituierten und dann von der Zensur unbehelligt publizieren konnten, wenn sie - wie Héctor Incháustegui Cabral oder Tomás Hernández Franco - Trujillo in herausragenden Positionen verpflichtet waren. Hier wurde nun auch - etwa in den Doce poemas negros (1935) von Manuel del Cabral - die armselige und entwürdigende Lebenswelt der Schwarzen zum Gegenstand einer realistischen Bestandsaufnahme, wurde - etwa in dem lyrischen Epos Yelidá von Tomás Hernández Franco - auch den afrikanischen Wurzeln nationaler bzw. karibischer Identität nachgespürt. Doch bezeichnenderweise sind es nicht die dominikanischen, sondern die haitianischen (oder antillanischen) Schwarzen, die hier besungen werden, auch wenn Hernández Franco mit seiner Allegorie des rassischen (und kulturellen) Synkretismus der Region implizit auch für die Dominikanische Republik keine - wie von der staatstragenden Ideologie verschrieben - europäische, sondern eine mulattische Identität postulierte. Yelidá, 1942 in San Salvador erschienen, wurde 1968 in Santo Domingo wiederaufgelegt; bereits 1962 erschien in einer ersten dominikanischen Ausgabe das ursprünglich 1949 im kubanischen Exil publizierte Gedicht Hay un país en el mundo von Pedro Mir: eine im Stil eines politischen Manifests verfaßte Chro-
193 nik der dominikanischen Realität, in der insbesondere die ungerechte Bodenverteilung und die Ausbeutung der Campesinos wie der Zuckerrohrarbeiter einer vehementen Kritik unterzogen werden und durch die sich der Verfasser eine auch über den engen Zirkel der Literaten hinausreichende Popularität als "poeta nacional" 17 verschaffen konnte. Im Bereich der fiktionalen Prosa dominierte während der Trujillo-Zeit die Thematisierung der ländlichen Welt, in der Kurzprosa vorwiegend in kostumbristischen Erzählungen wie etwa den Cuentos del Sur (1940) von Sócrates Nolasco, dem zweiten Band der Escenas criollas (1942) von Miguel Angel Monclús (der erste Band war 1929 erschienen) oder den Narraciones dominicanas (1946) von Manuel de Jesús Troncoso de la Concha. Die dem rein Anekdotischen verhafteten, zumeist ohne jede künstlerische Intention verfaßten cuadros de costumbres mochten nach 1961 - auch mit Blick auf die nunmehr rezipierte Entwicklung des lateinamerikanischen cuento - kaum noch als Vorbild dienen; anders hingegen die von Juan Bosch vor 1961 verfaßten, aber erst 1962 bzw. 1964 in Santo Domingo publizierten Cuentos escritos en el exilio und Más cuentos escritos en el exilio, die in einer dezidiert sozialkritischen Perspektive gleichermaßen die Lebensbedingungen der Campesinos in der Dominikanischen Republik, aber auch in der gesamten hispanoamerikanischen Welt zum Thema haben und die ein klares, von ihm selbst in den Apuntes sobre el arte de escribir cuentos18 dargelegtes ästhetisches Konzept verraten. Juan Bosch galt nicht nur aufgrund seiner cuentos als herausragender Schriftsteller, sondern auch aufgrund seines 1936 vor seinem Exil in Santo Domingo veröffentlichten und 1963 wiederaufgelegten Romans La Mañosa. Novela de las Revoluciones-, eine vor autobiographischem Hintergrund aus der Perspektive eines kleinen Jungen skizzierte Rekonstruktion der "Revolutionen" genannten Bürgerkriege in den ersten beiden Jahrzehnten des Jahrhunderts, in der die für das Individuum wie für das Kollektiv katastrophalen Folgen von Gewalt, Anarchie und Zerstörung - ohne jede tiefergehende Reflexion der politischen und ökonomischen Ursachen 19 - beschrieben werden. Der Roman erschien unter der Schirmherrschaft von Trujillos Einheitspartei, dem Partido Dominicano; dies gewiß nicht zufällig, entsprach er in seiner zentralen Aussage doch genau dem offiziell verordneten Geschichtsbild, nach dem die nationale Wirklichkeit vor Anbruch der "neuen Zeit" 1930 als von ehrgeizigen und vaterlandslosen Caudillos in Chaos und Anarchie gestürzte, nunmehr jedoch überwundene düstere und fortschrittsfeindliche Vergangenheit stigmatisiert wurde. Daß der Roman kurz nach seinem Erscheinen dann doch noch an seiner Verbreitung behindert wurde, lag einzig an der Tatsache, daß sein Verfasser dem Regime seine Gefolgschaft verweigerte und kurz darauf ins Exil ging. 20
194 Die Popularität von Juan Bosch wie die von Pedro Mir stand gewiß auch im Zusammenhang mit ihrem im Exil dezidiert vertretenen antitrujillismo und ihrem nach der Rückkehr demonstrierten politischen Profil. Dies galt hingegen nicht für Ramón Marrero Aristy, der als Historiker, Biograph und politisch Aktiver Trujillo treu ergeben war - bis er gegen Ende des Regimes in Ungnade fiel und ermordet wurde. Doch sein 1940 in erster Auflage publizierter und 1963 wiederaufgelegter Roman Over hielt auch nach 1961 dem kritischen Urteil stand: dies aufgrund der bitterbösen Kritik an den unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen auf den in US-amerikanischem Besitz befindlichen Zuckerrohrplantagen im Osten des Landes und der von den nordamerikanischen Kapitaleignern gegenüber den dominikanischen Vorarbeitern - jedoch nicht von diesen gegenüber den haitianischen Zuckerrohrschneidern - geübten rassischen und kulturellen Diskriminierung. Die in eindeutig nationalistischer Perspektive gegen die US-amerikanische Monopolstellung gerichtete Anklage mochte Trujillo, der in den 40er Jahren noch kein Interesse am Zuckergeschäft manifestierte, kaum tangieren und sollte sich sogar als äußerst nützlich erweisen in dem Moment, da er (in den 50er Jahren) selbst massiv durch Enteignung der US-amerikanischen ingenios in das Zuckergeschäft einstieg. 21 Juan Boschs La Mañosa und Marrero Aristys Over mochten als Beweis dafür gelten, daß die Trujillo-Ära trotz literarischer Mittelmäßigkeit und moralischer wie geistiger Verarmung Werke hervorgebracht hatte, die (wie La Mañosa) aus ästhetischen oder (wie Over) aus politisch-ideologischen Gründen als literarisches Erbe Bestand hatten. Hinsichtlich ihrer Thematik aber mochten sie den jungen Autoren insbesondere ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre kaum wegweisend erscheinen, galt es doch - im Bereich der Prosa, der Lyrik und (allerdings nur mit Einschränkungen) des Theaters - im Licht der Gegenwart die jüngste Vergangenheit aufzuarbeiten. So war denn der nach 1965 einsetzende Boom eine im wesentlichen höchst streitbare Literatur: zornige, gelegentlich als testimonio vorgebrachte Anklage gegen die Verbrechen der Trujillo-Diktatur und leidenschaftlicher, gelegentlich auch von Ernüchterung und Frustration begleiteter Protest gegen den posttrujillismo der 60er Jahre, den zu überwinden durch das Scheitern der Guerra de Abril nicht gelang. Gleichzeitig entdeckten vorrangig die cuentistas (unter dem Einfluß der phantastischen Literatur insbesondere des Argentiniers Julio Cortázar) die Stadt als Medium und Protagonisten 22 : die existentielle Not der Menschen, ihre Vereinzelung und Entfremdung, der sie durch Lüge, Verstellung oder Flucht in den Wahnsinn zu entkommen suchen. Den zunächst wichtigsten, auch in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommenen Beitrag zur Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit - konkret: des von Trujillo im Oktober 1937 befohlenen Massakers an mindestens 12.000 Haitia-
195 nern23 - leistete Freddy Prestol Castillo mit seinem Werk El Masacre se pasa a pie, das 1973 erschien und - für dominikanische Verhältnisse überaus ungewöhnlich - in mehr als 30.000 Exemplaren verkauft wurde24. Der Verfasser war einer jener Richter, die kurz nach den Ereignissen in die Grenzregion geschickt wurden, um über gefälschte, erpreßte oder gegen die Zusage finanzieller oder anderer Vorteile erlangte Aussagen und Geständnisse die Verurteilung einiger (sehr bald wieder freigelassener) Privatpersonen zu inszenieren, wodurch die von amtlicher Seite vertretene Version der Geschehnisse, es habe sich um durchaus übliche Grenzkonflikte gehandelt, gerichtlich bestätigt werden sollte. Prestol hatte somit, auch wenn er sich als Ermittler in Dajabön an die Spielregeln hielt, vor Ort Gelegenheit, den wahren Sachverhalt aufzuklären; und so verfaßte er, wie aus dem Vorwort des Buches hervorgeht, noch am Ort seines Wirkens gewissermaßen eine Gegendarstellung, die er aber, wie in demselben Vorwort vermerkt, aus Furcht vor politischer Verfolgung versteckte und lange Zeit verloren glaubte. El Masacre se pasa a pie, als "Roman" veröffentlicht, ist in erster Linie ein testimonio25: Erlebnisbericht, Zeugenaussage und Chronik, verfaßt mit dem Anspruch auf Objektivität und Authentizität. Im Vordergrund der geschilderten Ereignisse steht zunächst das Massaker selbst: "festin homicida" (26), "vendimia roja" (27), "horrenda siega de cabezas" (67). Wer die Verantwortung trägt, erscheint eindeutig: "el General" und "Superior Comando" (46), "el jefe grandote" (53), "un senor todopoderoso en la capital", der befahl, "Mueran todos los haitianos!" (84) Als Gruppen oder Einzelschicksale werden die involvierten - leidenden, handelnden oder nur schweigenden - Personen vorgestellt: die Opfer, die zunächst versuchen, sich freizukaufen oder als Dominikaner auszuweisen, sich dann aber ohne jeden Widerstand, "mansos, en filas largas" (26), abführen und abschlachten lassen; die Täter, Offiziere, einfache Soldaten oder auch Tagelöhner und Sträflinge als "reservistas", die sich, motiviert durch die Aussicht, sich am Eigentum der getöteten Haitianer bereichern oder auch nur den eigenen Hunger mildern zu können, als "obreros del crimen" (43) einsetzen lassen, gänzlich pervertiert werden oder aber, sofern sie beim Versuch zu desertieren nicht erschossen werden, dem Wahnsinn anheimfallen; schließlich als "cömplices" die Großgrundbesitzer und Notabein des Ortes, die sich zwar im Einzelfall für einen verfolgten Haitianer einsetzen und die "pobres negros" bedauern mochten, die aber aus feiger Angst schweigen und allein die Tatsache beklagen, daß sie nun ohne Arbeitskräfte - "trabajaban barato" (39) - dem Ruin ausgeliefert sind. Erzählt wird das zentrale Geschehen nicht als chronologisch geordneter, durchgehender Bericht, sondern in zeitlich versetzten Sequenzen - kurzen Szenen, Bildern, Impressionen - , wodurch das Dargestellte direkt als Ergebnis der
196 Ermittlertätigkeit des Erzählers und Berichterstatters präsentiert wird. Dieser greift bisweilen kommentierend ein; das Unfaßbare faßbar zu machen, gel hg t jedoch vor allem dann, wenn der Erzähler hinter die Personen der Handlung zurücktritt und sich dem Leser die psychische Verfaßtheit von Opfern und Tätern aus der personalen Erzählperspektive enthüllt. Die Schilderung einzelner Episoden ist nicht frei von (bisweilen allzu deklamatorischem) Pathos und (vardergründig agierender) Rhetorik; doch gelingt es Prestol, die Komplexität der Beziehungen zwischen Dominikanern und Haitianern ebenso wie die spezifische Ausprägung der frontera als Lebensraum aufzuzeigen und im nationalen Kontext angemessen zu bewerten, wobei gerade die aufscheinenden Widersprüche, provoziert durch das Anliegen einer Aufrechnung kollektiver und individueller und das heißt auch: der eigenen - Schuld, die Authentizität des Buches erhöhen. Die frontera wird zunächst aus der Perspektive der Hauptstadt evoziert: "esos pueblos, allá" "con una historia heroica y amarilla de años" (16), "contornos del desierto", wohin sich der Erzähler, aufgrund finanzieller Nöte ohne jede Zukunft, als "excedente de la pleamar burocrática" (21) verschlagen sieht. Was er antrifft, sind Großgrundbesitzer und Notabein, die, ohne jede Bindung an die dominikanische Nation, allein am Handel (oder Schmuggel) mit Haiti interessiert sind; in materieller Not und Unwissenheit dahinvegetierende Tagelöhr.er, "sin zapatos y sin conciencia" (21); und schließlich die Masse der Haitianer, die der Hunger über die Grenze trieb und die das zuvor öde und brachliegende Land fruchtbar machten und bebauten. Der Haitianer wird ausgebeutet und verachtet "aún por los dominicanos negros, que lo consideran inferior y cobarde" (71); doch durch das Zusammenleben und familiäre Bindungen haben sich Dominikaner und Haitianer gegenseitig akkulturiert. Der Grenzfluß Masacre "se pasi a pie", er bildet eine nur nominell gesetzte Barriere; und an beiden Ufern erleiden die Menschen dasselbe Schicksal: "dos pueblos, dos entidades diferentes" (60), aber "sendos pueblos azotados por el hambre y por los látigos de los que mandan" (49). Damit werden die Täter, die "obreros del crimen", selbst zu Opfern: "víctimas y victimarios" (101), "tan mártir[es] como los mismos haitianos" (46); wird der Schauplatz des Geschehens zum Inferno für Haitianer wie für Dominikaner gleichermaßen: "Aquí nadie puede fugarse. Este es un campo de expiación. ¡Para todos!..." (46) Bleibt als allein Verantwortlicher "el General": "amo de la República Dominicana" (27). Eine gewisse Schuld wird aber auch jenen zugewiesen, die aus Furcht, selbst Opfer der Tyrannei zu werden, schweigen oder aus der Notwendigkeit heraus, für sich und ihre Familie den Lebensunterhalt zu verdienen, kollaborieren. Doch auch sie sind - wie die "tristes jueces de cartón", "jueces fabulistas"
197 ( 1 1 6 ) - Opfer eines Systems, das jeden einzelnen degradiert und pervertiert: Opfer, so der Kommentar des Erzählers/Autors, "de la miseria de mi país" (117). Damit wird vom Autor auch der Versuch unternommen, die eigene Mitwirkung und mögliche Mitschuld zu rechtfertigen und zu bewältigen. Der Protagonist agiert im Roman nicht als einer jener "jueces de cartón", die die richterliche Untersuchung zu einer Farce und damit sich selbst zu Handlangern des Regimes degradieren; und den aufkeimenden Gedanken, daß er auch als bloßer Mitwisser Schuld auf sich laden könnte, weist er ab mit dem Argument, daß er ja das Verbrechen protokolliere "para denunciarlo" (116). Doch die "denuncia" bleibt reiner Vorsatz, der selbsternannte Zeuge "un testigo mudo" und damit auch "un testigo cómplice" (131). Und selbst nachdem er seinen Posten verlassen hat, um auf der Flucht vor der Geheimpolizei im Hafenviertel der Hauptstadt dahinzuvegetieren, bringt der Protagonist und Erzähler nicht die Willenskraft auf, die ihm gebotenen Möglichkeiten zur Flucht ins Ausland zu nutzen, bis er schließlich verhaftet und als "Kommunist" - zu Unrecht, wie er betont - zu fünf Jahren Haft verurteilt wird. Das Ende des Romans überzeugt ebensowenig wie der Argumentationsgang dort, wo der Autor versucht, die eigene Biographie wie die seiner Generation, "penitenciada a la esterilidad" (7), zu rechtfertigen. Aus diesem Anliegen resultiert nun auch der eklatante Widerspruch in der Einstellung des Erzählers gegenüber Haiti und den Haitianern - eine Einstellung, die trotz Verurteilung des Massakers und Mitleid mit den Opfern alle wesentlichen Elemente des traditionellen Antihaitianismus reproduziert. Der Haitianer ist Angehöriger einer "raza primitiva" (75), rekurriert auf Magie und Hexerei und spricht eine unverständliche Sprache, "una parla que es puro alarido animal" (77). Entscheidend aber ist die Vergangenheit: "[los] crímenes del siglo pasado" (10), die als lebendiger Inhalt des kollektiven Gedächtnisses beständig evoziert werden. So von einem der Notabein in Dajabón: "Estamos cobrándoles! Es una deuda vieja! Hace un siglo estos mismos negros desangraron al pueblo dominicano, degollando hasta en las iglesias! ... ¡Estamos cobrándoles!" (84) Der Erzähler distanziert sich hier noch von seinem Gesprächspartner; doch indem er verzweifelt dem eigenen Schuldeingeständnis entgegenzuwirken sucht, entfaltet er selbst - über die Fiktion eines Fiebertraums - die geradezu blutrünstige Vision einer danse macabre historischer Gestalten, die neben aristokratischem Dünkel beiläufig auch die rassistische Komponente des Antihaitianismus reproduziert: - "Soy Santos Louverture ... Toussaint! ... Fui esclavo y cochero. Mira mis manos: Destilan sangre ... Cobré a los blancos la injusticia, con la moneda de los oprimidos: La injusticia. [...] Esta tierra es mía ... He pisoteado los blancos franceses ... I ahora, pisotearé a los blancos españo-
198 les de Santo Domingo. Los degollaré. Mataré sus mujeres, sus niños bonitos y sus altares, aunque yo soy cristiano. Morirán todos en la parte de Santo Domingo que gobiernan españoles todavía... La Isla, una e indivisible ... Haití sólo tiene por límites el mar ..." - "Soy Dominga Núñez, española de Santo Domingo. ¡Negro insolente! ¡Cuidado si me tocas con tu bastón, en esta plaza donde has reunido al pueblo todo, para degollarlo! Para españolas, otros modales aprende! Mata, degüella, presto, si deseas... ¡pero te despreciamos!" - "Yo soy Jean Philippe Daut! ... ¡Quiero beber sangre! ¡Sangre! ¡Más sangre! ... La deseo beber con 'tafia'. Sangre de blancos españoles! ... ¡Matad, mis soldados! Matad a todos estos españoles que no nos quieren porque somos negros y ellos son esclavistas ... Dadme sangre, deseo lavar mi rostro con sangre, en honra de los dioses negros de Haití [...]." [...] - "Dominicanos ... Soy Dessalines, el amo de Haití! ... Sólo os queda un camino: la muerte por el hierro y el incendio de vuestras haciendas ... Arrearé hacia Haití todas vuestras bestias y ganados. Mi paso lo marcará el incendio. Donde no hay campos, no hay ciudades. Vuestro destino es morir bajo las botas de las tropas de Haití... No escapareis ni ancianos, niños, ni mujeres! ... Esta tierra no la pisará un solo blanco. Haití ... tierra únicamente para los negros!" (137ff.) 26 Der hier evozierte hispanismo und antihaitianismo, Säulen der Ideologie des trujillismo wie des balaguerismo, waren für die Revision des Konzepts einer nationalen Identität gewiß nicht förderlich. Doch indem Prestol Castillo, für viele Dominikaner zweifellos neu und schockierend, Ereignisse enthüllte, die unter Trujillo beharrlich verschwiegen und selbst nach dessen Tod zunächst nur in Fachpublikationen aufgeklärt worden waren, leistete er einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung einer Vergangenheit, die zu entlarven für eine bessere Zukunft unverzichtbar war. "El momento de nuestro despertar", so der bedeutendste zeitgenössische dominikanische Erzähler und Romancier Marcio Veloz Maggiolo mit Blick auf die 60er Jahre und in der Perspektive der gesamthispanoamerikanischen Literatur, "coincide con una profunda lucha por la consecución de cambios radicales en nuestros países." Daher die logische Konsequenz: "Ahora el escritor es un rebelde." 27 Doch war demselben Veloz Maggiolo auch bewußt, daß die bekannten ästhetischen Mittel der komplexen Wirklichkeit und Wirkabsicht nicht mehr entsprechen konnten. "El proceso de fotografiar la realidad ensayado por Marrero y Bosch [...]," so heißt es in demselben Kontext, "ha pasado." Und so orientierte man sich an nordamerikanischen wie hispanoamerikanischen Autoren hinsichtlich neuer narrativer Techniken - von der abrupten Überblendung oder Diskontinuität zeitlicher und räumlicher Ebenen, der Multiplizierung und Diversifizierung der Erzählperspektive, der Einblendung
199 von erlebter Rede und innerem Monolog, der Collage verschiedener Textsorten bis hin zur Auflösung syntaktisch kohärenter Sequenzen, zu graphischen Experimenten und dem gänzlichen Verzicht auf Interpunktion. Wegweisend für den Umgang mit neueren narrativen Techniken wurde der 1970 in einer ersten, 1975 in einer zweiten, verbesserten, Auflage erschienene Roman Escalera para Electra von Aída Cartagena Portalatin. Das Werk, gekennzeichnet als "romanhafte Biographie" oder "biographische Fiktion", erzählt eine authentische Geschichte, die sich in der Kindheit der Erzählerin/Autorin in ihrem Heimatort Moca zugetragen hatte: die inzestuöse Beziehung einer gewissen Swain zu ihrem Vater, der Mord am Vater, verübt von der Mutter, und der verbissen geführte, mörderische Kampf der beiden Frauen gegeneinander. Die Erinnerung an die einst tabuisierten, für die Erzählerin zur Obsession gewordenen Ereignisse versucht diese nun dadurch zu bewältigen, daß sie die Lebensgeschichte Swains, einer modernen "kreolischen Elektra", aufzeichnet; und dieser als Katharsis intendierte Akt wird auf drei, mit der Biographie Swains verwobenen Ebenen reflektiert: auf der (textimmanent) real-gegenwärtigen Ebene einer Reise der Erzählerin/Autorin nach Griechenland (mit Kommentaren zur griechischen und dominikanischen Gegenwart von politischer Unterdrückung und Gewalt), auf der literarisch-fiktionalen Ebene der Elektra von Eurípides und auf der Metaebene romantheoretischer Erörterungen. Die durch den Abdruck von Brieffragmenten, Telegrammen und Glossen ergänzte "Collage ä la Fellini" ist Verdichtung von Geschichte(n) zu Fiktion ebenso wie eine poetische Hommage von symbolisch-allegorischer Dimension. Der Roman Escalera para Electra wurde hinsichtlich der ästhetischen Gestaltung zum (durchaus kritisch reflektierten) Maßstab für all jene, die in der Folgezeit einen auch dem Anspruch der hispanoamerikanischen "nueva novela" genügenden Beitrag zum dominikanischen Romanschaffen leisten wollten. Und so ist es kein Zufall, daß Marcio Veloz Maggiolo in seinem ersten Versuch in diese Richtung, dem 1975 publizierten Werk De abril en adelante (Protonovela), in durchsichtig verfremdeter Weise auf Aída Cartagena Portalatin Bezug nahm. De abril en adelante, durch den Untertitel als Experiment ausgewiesen, erzählt zunächst, vorrangig aus der Perspektive des Protagonisten Paco, die Geschichte eines Literaten, der sich, nachdem ihm durch die Veröffentlichung einiger Erzählungen und journalistischer Artikel der Zugang zum dominierenden literarischen Zirkel gewährt wurde, der schier unlösbar scheinenden Aufgabe unterzieht, einen Roman zu verfassen. Seine primäre Motivation ist die Anerkennung in ebendiesem Zirkel, "ronda de literatos de suplemento dominical" 28 . Denn, so seine selbstkritische - und von Ambitionen zeugende - Einsicht: "Yo jamás he escrito nada de importancia, pero cumplidos los treinta y dos años no
200 se puede hacer de intelectual y quedarse a borde del camino comiendo yerbas y viendo pasar a los demás." (11) Der ersehnte Erfolg erscheint ihm um so dringlicher, als Zinia, das einzige weibliche Mitglied des Literatenzirkels, leicht zu identifizieren als Aída Cartagena Portalatin, mit ihrer ersten novela, kritisiert als "híbrida, fuera de lugar, desajustada al medio" (55), internationale Anerkennung fand. Und hinter Zinia zurückzubleiben, sie nicht zu übertreffen, erscheint ihm nachgerade beschämend, "cuestión casi de honor" (12). Die fiktionale Gegenwart des Protagonisten, rekonstruierbar als das Jahr 1969, wird beherrscht von der geschlossenen Welt seines "grupillo", einer Reihe von sich als links gelierenden, nach dem Scheitern der Guerra de Abril in ihrer Frustration gefangenen Intellektuellen, die in fruchtlosen Diskussionen nur sich selbst bespiegeln und das Gefühl von politischer Richtungslosigkeit und Impotenz mit endlosen Trinkgelagen und zügelloser sexueller Betätigung zu betäuben suchen. Selbstverständlich beruft sich ein jeder (nicht selten zu Unrecht) auf seine aktive Teilnahme an den Kämpfen von 1965; und selbstverständlich verweist ein jeder auf seine (nicht bewiesene) literarische Kompetenz: "Todos dizque teníamos obras inéditas. Eramos genios sin descubrir. En el fondo lo que había era un juego snob que no nos permitía concentrarnos. La literatura es una especie de masturbación encerrada en títulos que no existen y en capítulos que jamás aparecerán [...]." (25) Der Protagonist ist bestrebt, sich dem Einfluß dieses als stickig und steril empfundenen Milieus zu entziehen; dies insbesondere deshalb, weil ihm nicht die erhoffte Ermunterung und Anerkennung zuteil wird. Dennoch bleibt er in seiner existentiellen Unsicherheit angewiesen auf seine Zugehörigkeit zum Zirkel - "grupos de los que necesitas para afianzar tu personalidad, destrozada por la desesperación y el miedo" (93) - und verfolgt geradezu zwanghaft jede Gelegenheit, mit einzelnen Mitgliedern sein Romanprojekt zu diskutieren. Dieses Romanprojekt ist nun ausgesprochen ambitioniert. Ausgehend von der Realität, "material [que] fuera puramente criollo" (25), sollen drei parallel geschaltete historische Ereignisse in signifikanten Ausschnitten thematisiert werden: die Invasion der US-Truppen am 28. April 1965, eine Episode der Guerra de Restauración vom 28. April 1865 und eine Episode der devastaciones vom 28. April 1605, konkret: der Widerstand des Volkshelden Hernando Montoro gegen die Verfügungen der spanischen Krone als "primera rebelión clasista de América" - "tres capítulos de una misma tragedia: la intervención armada en Santo Domingo, la violencia, la represión contra los débiles, su aplastamiento, porque afectan el poderío de los malvados de dentro y de fuera." (63) Nach dem Urteil seines (einzig wohlmeinenden und kompeteten) Freundes Persio hat die
201 von Paco entworfene Thematik durchaus Bestand; und Persio entwickelt eine signifikante Erweiterung und Präzisierung des Projekts: Yo ampliaría el radio de acción. Hablaría también de las primeras rebeliones de esclavos en la Isla Española. Y de la rebelión de Enriquillo y de la Colonia. Buscaría una especie de personaje único con la misma función subversiva en todos los períodos históricos del país. (174f.) Doch Paco gelingen im Rahmen seines ursprünglichen Projekts nur einige wenige, isoliert nebeneinander stehende Fragmente, denn seine Obsession, sich als Romanschriftsteller zu profilieren, wird überlagert und zeitweise verdrängt durch eine zweite Obsession: die Rekonstruktion der eigenen Geschichte und der seines Vaters, des Obersten Aguirre, enger Vertrauter Trujillos und "perro de presa de la Dictadura durante más de veinte años" (12), und damit auch die Rechtfertigung gegenüber den linken Intellektuellen "[que] no me perdonan haber llegado a la izquierda desde el seno de la derecha" (14). So erweist sich der Roman auf einer zweiten Ebene im historischen Kontext der letzten, von Repression und moralischer Perversion geprägten Jahre der Trujillo-Ära, der von Hoffnungen auf einen radikalen Wandel getragenen Guerra de Abril und der vom neotrujillismo geprägten Gegenwart Ende der 60er Jahre als Zeugnis einer Spuren- und Identitätssuche, die jedoch zu keinem verläßlichen Ergebnis führt. Realität und Fiktion - oder Phantasie und Lüge - sind auf der Romanebene nicht mehr klar voneinander abgegrenzte Kategorien; Ereignisse und Personen, widersprüchlich rekonstruiert in "Capítulos" und "Anticapítulos", werden austauschbar. Und so wird der Roman zum Zeugnis der durch das Scheitern der Guerra de Abril provozierten profunden Identitätskrise des Protagonisten wie seiner Generation; oder, wie einer der Mitglieder des Zirkels es formuliert: Comprendes entonces que todos somos uno. La guerra nos ha hecho uña y carne; se ha producido un acto de cicatrización colectiva [...] La guerra nos ha herido uno a uno, pero el cicatrizarnos nos dejó unidos, siameses para siempre. [...] ¿Cómo separarnos?, ¿cómo restablecer nuestra vieja e individual constitución arruinada para siempre? (215) Der Roman, den Paco schließlich vollendet, bezeugt auch sein Scheitern mit Blick auf seine ursprüngliche Intention. Denn es gelingt ihm nicht, wie beabsichtigt, in der Perspektive einer politisch-historischen nationalen Identität Geschichte als identitätsstiftende Ereigniskette zu rekonstruieren. Er befolgt den Rat eines weiteren Mitglieds seines Literatenzirkels: "Has perdido el rumbo y no sabes dónde empieza la verdad y donde la mentira. Deberías escribir una novela con ese material [...]." (204). Und so entwickelt er den folgenden Plan - zugleich (überflüssige) Interpretationshilfe für den Leser:
202 Sonó el conocido cañoneo. Por debajo de los puentes de madera crujieron las raíces de una primavera sorda... [= Beginn des ersten historischen Fragments zum 28. April 1965]. Comenzar así. Luego, ir estableciendo que esto no será jamás un argumento. Que no escribirás realmente nada sobre los temas que no son sino principios, puntos de partida, inspiración; que es preferible narrar todo cuanto pasa alrededor de ti sin dar ninguna rigidez a los personajes, confundiéndolos. Ir haciendo de todos y de cada uno el mismo y otros muchos, personajes difuminados y concentrados a un tiempo, que revelen más que un modo de ser la atmósfera de hoy, lo que sucede, lo que te golpea, el medio a tu alrededor, el ambiente que te inmoviliza. Nada de inventarte un mundo de más interés y acaso hasta de mayor profundidad, pero que no puede narrar por falta de pruebas... (23lf.) Bleibt durchaus die anfänglich geäußerte Absicht, das Material für seinen Roman an die Wirklichkeit zu binden, "material [que] fuera puramente criollo"; doch diese Wirklichkeit ist im wesentlichen beschränkt auf die Lebenswirklichkeit des Protagonisten - und des Autors wie seiner Generation: "ese mundo nuestro, quebrado, dividido en 1965 por el grito de abril" (277). Aída Cartagena Portalatíns Escalera para Electro und Marcio Veloz Maggiolos De abril en adelante, von der Kritik allerdings keineswegs einhellig gelobt, stehen am Beginn einer Erneuerung des dominikanischen Romans; die nachfolgend publizierten herausragenden Beiträge zur dominikanischen "nueva novela" - und auf sie sind mit Blick auf die zentrale Themenstellung im Bereich der fiktionalen Literatur die Ausführungen in diesem abschließenden Kapitel beschränkt 29 - seien nur kurz benannt: neben Cartagena Portalatíns zweitem Roman, La tarde en que murió Estefanía (1983), einer poetisch überhöhten Chronik der Trujillo-Ära und der ersten Jahre nach dem Tod des Diktators, und Veloz Maggiolos zweitem ambitionierten Roman, La biografía difusa de Sombra Castañeda (1980), in dem nunmehr, gleichermaßen aus der Perspektive der TrujilloÄra, Geschichte als Prozeß eines kontinuierlichen Werteverlusts entlarvt wird, Cuando amaban las tierras comuneras (1977) von Pedro Mir, Parallelisierung der Invasionen durch US-amerikanische Truppen 1916 und 1965; Sólo cenizas hallarás (Bolero) (1980) von Pedro Vergés, kritische Bestandsaufnahme der auf den Tod Trujillos folgenden Monate bis zum Wahlsieg Juan Boschs; schließlich Curriculum (El síndrome de la visa) (1982) von Efraim Castillo - ein Roman, der Veloz Maggiolos De abril en adelante in mehrfacher Hinsicht verwandt ist, aber mit der Thematisierung der Emigration in die USA ein Element einbezieht, das die Dominikanische Republik in ihrer alltäglichen Wirklichkeit wie in der Projektion nationaler Identität in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend geprägt hat.
203 Auch in Curriculum (El síndrome de la visa) ist der Protagonist, Alberto "Beto" Pérez, ein Literat, der sich mit gelegentlichen journalistischen Arbeiten über Wasser hält und einen Roman verfaßt. Doch im Gegensatz zum Protagonisten des Romans von Veloz Maggiolo bewegt er sich außerhalb der literarischen Zirkel: ein kleinbürgerlicher Individualist, der zwar in der Vergangenheit als Mitglied des Movimiento 14 de Junio militierte, sich aber in der (fiktionalen) Gegenwart - die Jahre 1975 bis 1980 - von jeder politischen Aktivität fern hält. Arbeitslos und bemüht, die finanzielle Misere seiner Familie zu verdrängen, durchstreift er das koloniale Zentrum Santo Domingos und rekonstruiert oder reflektiert - auf ständig wechselnden Zeitebenen - die eigene wie die nationale Vergangenheit und Gegenwart: die politische Verfolgung während der TrujilloÄra sowie nach dem Putsch gegen Juan Bosch die Straßenkämpfe während der Guerra de Abril - "la catarsis, la evacuación del alma, el vómito incoloro que unieron todos los traumas, las lagunas, los lodos, los sinsabores de nuestra historia" 30 - , die darauf folgenden 12 Jahre von neotrujillismo und Korruption unter Joaquín Balaguer und die erste Regierungsperiode des PRD, der für die Sozialdemokratie die einstigen linken Positionen verriet. Mit zahlreichen sexuellen Abenteuern, in denen er sich als "Super-Macho" bestätigt, sucht er der Desillusionierung und inneren Leere entgegenzuwirken: "Al menos saldría del temor de perder la vida, de la sensación de soledad, de abandono, de pérdida total de su identidad revolucionaria." (90) Doch vermag ihm dies auf Dauer nicht zu gelingen, und so beschließt er, das Land zu verlassen, um in die USA zu emigrieren. Bei seinen wenigen Freunden stößt dieser Entschluß auf Unverständnis. "¡Nada más y nada menos", so eine seiner Geliebten, "que el señor comunista deseando irse a yanquilandia!" (23) Doch Beto Pérez selbst ist um eine Rechtfertigung nicht verlegen - eine Rechtfertigung, die er mit der ökonomischen und kulturellen Durchdringung seines Landes durch die USA begründet. Über die kulturelle Durchdringung, vermittelt über Musik, Comics, Film, Fernsehen und Werbung - "el arma de penetración más importante que tienen los yanquis" (89) - , werden die Dominikaner, so Beto Pérez, zu Abtrünnigen und Überläufern: imitación hacia lo gringo, [...] maldición hacia nuestros patrimonios culturales e históricos, que cuando venimos a damos cuenta estamos aprendiendo inglés y vistiendo a lo yanqui, caminando y comiendo a lo Marlon Brando, hablando con el dejo melancólico de un Bogaert en las sombras de la muerte. Son dosis, cecés imperceptibles, con la multinacionalidad de un chicle con coca-cola, de una Manhattan con Levi's, de un screwdriver con gingerale. De ahí [...] a que nuestro subconsciente se rellene como un hot dog con catchup y mostaza, con claros deseos aflorando al consciente que nos indican cuál rumbo tomar con sus paradas y altibajos: New York [...] (230)
204 Doch New York, so weiß Beto Pérez, ist "ciudad-oasis", "ciudad-visión" ebenso wie "ciudad-trampa" (36); die dort lebenden Dominikaner werden wirtschaftlich ausgebeutet und rassisch diskriminiert; und was sie suchen, ist "una imitación de la vida; una lucha sórdida en un país que nos vende sueños; [...] en un país con el Dios carro con el Dios consumo con el Dios moda" (276). Bleibt immerhin so etwas wie eine Revanche, denn arbeiten in den USA, so erklärt er dem US-amerikanischen Konsul, ist auch ein Akt der recuperación: "enviar hacia acá parte de lo que se llevan ustedes, reembolsar, como despojos, el azúcar, el cacao, la bauxita, el oro, el níquel, el humus de la tierra" (36). Fünf Jahre lang ist Beto Pérez, der gesellschaftlichen Wirklichkeit seines Landes entfremdet, von der Manie, dem síndrome, besessen, ein Visum in die USA zu erhalten; und um der immer wieder erneuerten Forderung von seiten der Botschaft, einen zufriedenstellenden und das heißt auch: ihn vom Verdacht des Kommunismus befreienden Lebenslauf - "La carrera de mi vida: desde lo fetal." (13) - einzureichen, begab er sich auf eine Identitäts- und Spurensuche, die ihn schließlich in die Sackgasse - und zum Mord am US-amerikanischen Konsul und Selbstmord - führt. Die selbstgebastelte Rechtfertigung erwies sich als nicht tragfähig; alleiniges Motiv für sein Syndrom ist "la reacción bioquímica de querer ser y estar y aquilatar y traicionarme retroaccionándome" (277). Das Ergebnis der Spurensuche mag für den Ausgang verantwortlich sein: Estaba buceando en su interior: hasta el útero; hasta la pregunta primaria del placer paterno: el semen desalojado y el viaje hacia las trompas: el avistamiento del óvulo y el enganche de dos culturas. Ayer, hoy. Mañana; antes del ayer: la nada y después del mañana la nada. Nada antes y nada después. (330) Bleibt als Zeugnis der Spurensuche von Beto Pérez (und seiner Generation) sein Roman, den er - wie Efraim Castillo seinen Roman - in 34 Kapiteln niederschrieb: "una novela sobre un zambullidor que buceaba constantemente y nunca encontraba nada" (348). Curriculum (El síndrome de la visa) von Efraim Castillo ist - wie Veloz Maggiolos De abril en adelante und die anderen herausragenden Romane der letzten Jahrzehnte - Zeugnis einer "literatura de derrotados" 31 , verfaßt zumeist aus der Perspektive sozialrevolutionärer Positionen, die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit umzusetzen nach der verpaßten Chance der Guerra de Abril nicht gelang. Die Aufarbeitung und kritische Bestandsaufnahme der Vergangenheit und Gegenwart von trujillismo und neotrujillismo oder balaguerismo erscheint wie eine Obsession, von der sich die Autoren nicht befreien können, bezeugt von den (vorerst) letzten herausragenden Romanen: Marcio Veloz Maggiolos Matería prima (Protonovela) (1988) und Los que falsificaron la firma de Dios
205 von Viriato Sención, ein Schlüsselroman der Trujillo- und Balaguer-Ära, der sogleich nach seinem Erscheinen zu einem Bestseller wurde 32 . So gilt zumindest für die Romanautoren noch immer, was Aída Cartagena Portalatin in La tarde en que murió Estefanía zum thematischen Schwerpunkt und Grundsatz erhob: recuerdos / que / generalmente / no agradan / pero que deben escribirse [-.] testimonios de cosas vistas o contadas por los que las repiten / los llamados testigos oculares / personas / casos / hechos que no deben pasar de borrón a cuenta nueva [...]33 Die Aufarbeitung der rezenten Vergangenheit bleibt somit weiterhin aktuell, ohne daß es gelang, wie von Veloz Maggiolo in seinem Roman De abril en adelante eindrucksvoll belegt, in historischer Perspektive jene Identifikationskette identitätsstiftender Figuren und Ereignisse zu erstellen, die für den Nationsbildungsprozeß unabdingbar ist. Und der Einfluß der US-amerikanischen oder multinational gesteuerten Massenmedien ebenso wie der Lebenswelt der "dominicanos ausentes" führt, wie von Efraim Castillo in seinem Roman demonstriert, zu einer Identitätsverwirrung, die Individuum wie Kollektiv gleichermaßen tangiert. Fragen der Nationsbildung und nationalen Identität wurden von den Literaten - angesichts der enttäuschten Hoffnungen auf einen grundlegenden politischen und sozialen Wandel - seit dem Ende der Trujillo-Ära allein mit dem Zeichen der Opposition und Negation versehen: eine auch unter dem Aspekt der Durchsetzbarkeit diesbezüglicher Entwürfe und Projektionen konsequente Haltung, da sich für die Mehrheit der Bevölkerung aufgrund der immer noch hohen Analphabetenquote wie der Unmöglichkeit einer effektiven Teilhabe an demokratisch legitimierten Entscheidungsprozessen "Nation" nicht als Kommunikationsgemeinschaft enthüllt und "nationale Identität" nicht als historisch-kulturell begründetes Entwicklungskonzept darstellt, zu dem beizutragen ihr von der Elite, der allein "Kulturfähigkeit" zugesprochen wird, verwehrt bleibt.
206 Anmerkungen 1 Während in den Jahren 1970 bis 1978 unter Balaguer die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um knapp 30.000 wuchs, stieg sie während der Präsidentschaft Guzmáns von 1978 bis 1982, ohne daß dadurch der öffentliche Dienst effektiver gestaltet wurde, um mehr als das Doppelte: von 129.161 auf 201.301. (Espinal 1987:175). 2 Rede vom 24. 5. 1977; zitiert nach Espinal 1987:154. 3 Überschattet wurde das Ereignis vom Selbstmord des scheidenden Präsidenten Guzmán, der sich am 4. Juli durch einen Kopfschuß das Leben nahm: aufgrund von Depressionen, wie offiziell verlautete, vermutlich aber aus Furcht vor Enthüllungen über einen Korruptionsskandal größeren Ausmaßes, in den sein engerer Familienkreis verwickelt gewesen sein soll. 4 Daß Balaguer gewillt schien, auch über die neuerlich errungene Präsidentschaft hinaus die Kontinuität der Macht möglicherweise auf Lebenszeit zu sichern, wird als Motiv dafür angesehen, daß er sofort nach dem Abtreten Jorge Blancos, trotz dessen Mißerfolge der aussichtsreichste Kandidat des PRD für nachfolgende Präsidentschaftswahlen, diesen in einer beispiellosen Kampagne diskreditierte und unter dem Vorwurf (u.a.) der Bestechlichkeit und persönlichen Bereicherung im Amt unter Anklage stellte (vgl. hierzu die Einschätzung von Moya Pons 1995:423ff.). Die dann folgenden Ereignisse glichen einem Possenspiel: Jorge Blanco ersuchte Venezuela um politisches Asyl; als ihm dies verweigert wurde, reiste er mit der Begründung einer Herzerkrankung (und mit der persönlichen Genehmigung Balaguers) zur medizinischen Behandlung in die USA; in einem ersten Prozeß wurde er sodann in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt; bei seiner (freiwilligen) Rückkehr nach Santo Domingo wurde er nach kurzer Untersuchungshaft gegen Kaution freigelassen und in einem neuerlichen Prozeß wiederum zu 20 Jahren Haft verurteilt. Gegenwärtig befindet er sich - bis zu der seit langem verschleppten Berufungsverhandlung und der Entscheidung über eine mögliche Amnestie - auf freiem Fuß, als Anwalt erfolgreich tätig, als Politiker jedoch ohne jede Chance eines Comeback. 5 Corten 1993:203. 6 So ist bezeichnend, daß die jüngste zur Frage der nationalen dominikanischen Identität publizierte Monographie (Záiter 1995) nur bis zur Trujillo-Diktatur führt und auf den neueren Diskussionsstand nicht eingeht. 7 Zitiert hier und im folgenden nach der 2. Auflage von 1988; hier S. 12. 8 Das Zitat ist unvollständig; vgl. Bosch 1986:11. 9 Derselbe Autor hat andernorts (Deive 1988) aufgrund empirischer Untersuchungen nachgewiesen, daß mythisch-magische Praktiken afrikanischen Ursprungs, zum Teil unter dem Einfluß des haitianischen Vodu, aber auch über eine Sakralisierung indianischer historischer Figuren, vorrangig unter der ländlichen Bevölkerung lebendig geblieben sind. 10 Die drei wichtigsten hier resümierten Aufsätze des besprochenen Sammelbandes werden ergänzt durch die Beiträge von Rubén Silié ("El hato y el conuco: Contexto para el surgimiento de la cultura criolla"), José del Castillo ("Las inmigraciones y su aporte a la Cultura Dominicana") und Frank Moya Pons ("Modernización y cambios en la República Dominicana"); vgl. auch die Beiträge in Ciencia y Sociedad X (1), 1985. 11 Vgl. hierzu die 1986 von der Tageszeitung Hoy veranstaltete Umfrage, derzufolge zwischen 51 und 66% der Dominikaner die Ansicht vertreten, die Haitianer in der Dominika-
207 nischen Republik bedeuteten für das Land ein "Problem", würden den Einheimischen auch außerhalb der zafra Arbeitsplätze nehmen und sollten des Landes verwiesen werden. 6 9 % der Befragten waren sogar der Meinung, die Dominikaner seien intelligenter als die Haitianer; und 52% äußerten die Überzeugung, die Dominikanische Republik sei rassistisch. Dieser Teil der U m f r a g e , die auch andere Problembereiche erfaßte, wurde nicht veröffentlicht. (Brea 1995:227). 12 Marcio Veloz Maggiolo: "Tipología del tema haitiano en la literatura dominicana", in: ders. (o.J.):107ff. 13 Zugrunde gelegt wurde hier die 5. Auflage von 1989. 14 15 16
Zur
diesbezüglichen
Kritik
vgl.
insbesondere
Dore
Cabial
1985
und
Fen-
nema/Loewenthal 1987:34ff. Aufgelistet in Anhang I, S. 233ff.; vgl. auch S. 76. Die Zahl 1625 bezieht sich auf die ersten Überfälle von Piraten, die sich auf der Insel Tortuga niedergelassen hatten. Unter den zahlreichen Veröffentlichungen zur Problematik der haitianischen Migration in die Dominikanische Republik sei hier nur auf die neuesten Publikationen verwiesen: Chemins critiques
1992; Lozano 1992; M u ñ o z 1995.
17 Dieser offizielle Titel wurde Mir 1982 durch Beschluß des Parlaments zuerkannt. 18 Abgedruckt in der vom Verlag Alfa y O m e g a besorgten Ausgabe der Cuentos escritos el exilio-, zu ergänzen durch den Band Textos culturales y literarios von 1988.
en
19 Diesbezügliche Ursachenforschung betrieb Juan Bosch erst in seinen nach 1963 zahlreich veröffentlichten Essaybänden, insbesondere in dem 1970 publizierten Band Composición
social dominicana. Historia e interpretación. 20 Juan Boschs La Mañosa begründete in der Romanproduktion der Trujillo-Ära den sogenannten "Ciclo de las Revoluciones", zu dem (u.a.) Rafael Damirón mit Revolución (1942) und La cacica (1944) einen lesenswerten Beitrag leistete. Doch beide Romane wurden nach 1961 der Vergessenheit anheimgegeben, dies vermutlich aufgrund der Tatsache, daß ihr Verfasser sich seit der ersten Wahlkampagne Trujillos als dessen Zögling allzu sehr exponiert hatte. Eine Fortsetzung fand der "Ciclo de las Revoluciones" auch in der Lyrik: in dem episch-lyrischen Gedicht Compadre Mon (1943) von Manuel del Cabral und in der poesía popular um den volkstümlichen Prototypen des regionalen Caudillo Concho Primo. 21 Marrero Aristys Roman Over gehört seinerseits zu dem sogenannten "Ciclo de la Caña", als dessen herausragende Vertreter Francisco Moscoso Puello mit Cañas y bueyes und Pedro Andrés Pérez Cabral mit Jengibre.
Novela dominicana
(1939)
(1940) gehören.
22 Der erste dominikanische, noch 1960 publizierte Stadtroman, Juan, mientras crecía von Carlos Federico Pérez, blieb weitgehend unbeachtet.
la
ciudad
23 Zur überaus vielfältigen literarischen Rezeption dieses Ereignisses auf dominikanischer wie haitianischer Seite vgl. Fleischmann 1993 und G e w e c k e 1993. 24 Laut Auskunft des Verlags (Taller) wurden bis zur 10. Auflage 1991 34.000 Exemplare auf den Markt gebracht. Die Ausgabe, auf die sich die nachfolgenden Zitate beziehen, ist die 7. Auflage von 1987. 25 In einem 1979 gegebenen Interview mochte sich Prestol selbst - angesichts der Äußerungen zahlreicher Kritiker, die seinem Buch wohl den (dokumentarischen) Wert eines testimonio,
nicht aber den (ästhetischen) Wert eines R o m a n s zusprechen mochten - hin-
208 sichtlich der gattungsmäßigen Zuordnung nicht mehr festlegen. Vgl. zu dieser Diskussion Sommer 1983:161 ff. 26 Die aufschlußreiche Passage konnte nur sehr verkürzt wiedergegeben werden; besonders bemerkenswert ist, daß die Umstände des Massakers von 1937 hier, nunmehr als Verbrechen der Haitianer, bis ins Detail reproduziert werden. 27 Veloz Maggiolo(o.J.): 160. 28 Zitiert hier und im folgenden nach der zweiten Auflage von 1984; hier S . U . 29 Für die Lyrik wird allgemein auf die in der Bibliographie angegebenen Werke insbesondere von Bruno Rosario Candelier und Diogenes Céspedes, für den cuento Pedro Peix zusammengestellte vorzügliche Anthologie La narrativa
auf die von
yugulada
( 2 1987)
verwiesen. 30 Zitiert hier und im folgenden nach der Erstausgabe von 1982; hier S. 177. 31 Fernández Olmos 1988:73f. (nach Angel Rama). 32 Allein zwischen Juli 1992 und Oktober 1993 wurden in vier Auflagen insgesamt 32.000 Exemplare gedruckt. 33 In der Ausgabe von 1983 S. 84.
Exkurs
Nation und Identität - ein heuristischer Bezugsrahmen Es gibt kaum eine Abhandlung über den Komplex von Nation, Nationsbildung und Nationalismus, die nicht mit einer Klage beginnt: der Klage über undifferenzierten, unstimmigen, widersprüchlichen oder schlicht falschen Gebrauch der genannten Begriffe und unsachgemäße Behandlung der durch sie bezeichneten Phänomene, welche sich - so die bisweilen vertretene Auffassung - einer präzisen Definition oder gar der wissenschaftlichen Analyse entziehen. Die Ursachen für den beklagten Mißstand sind vielschichtig. Er resultiert aus der bisweilen allzu begrenzten Fachperspektive einzelner Forscher und im Zusammenhang mit der Erscheinung des Nationalismus aus dem Unbehagen, das angesichts der leidvollen Erfahrung von Rassismus und Chauvinismus in diesem Jahrhundert manchen Autor dazu bewog, Nationalismus als generelles Phänomen unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten der Zensur zu unterziehen und in unzulässiger, weil eindimensionaler Betrachtung mit aggressiver Irrationalität und Intoleranz gleichzusetzen oder gar als "moral insanity" 1 zu verwerfen. Entscheidend aber ist zweifellos die bis in die 70er Jahre in der Forschung vorherrschende historische und auf die europäische Entwicklung fixierte Perspektive, die für die Bestimmung und Bewertung von "Nation" und "Nationalismus" spezifische, im europäischen Kontext herausgebildete Erscheinungsformen zu allgemein gültigen Parametern erhob. Gewiß: die Nation ist eine genuin europäische Erfindung. Für die Neuzeit gilt sie als das "eigentliche Strukturprinzip Europas" 2 , und seit der Französischen Revolution hat sich der Nationalismus im Dienst nationalstaatlicher Prinzipien bei der Herausbildung und Festigung der europäischen Staatenwelt weitgehend durchgesetzt. Doch für die Beschreibung und Bewertung außereuropäischer Staats- und Nationsbildung, insbesondere in den traditionalen Gesellschaften der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen "neuen" Nationen, erweist sich die europäisch perspektivierte begriffliche Fundierung als nicht tragfähig. Besonders schwer wiegt hier - neben der Gleichsetzung von Staat und Nation - die funktionsspezifische Hypostasierung des europäischen Nationalstaats, die dem
210 historischen Grundbegriff der Nation den "Geburtsfehler einer politischen Absicht" 3 verleiht. So wird die in Europa weitgehend verwirklichte "Staatsnation" als vorbildliche und erstrebenswerte Gesellschaftsordnung - "the most powerful form of social Organization yet devised" 4 - dem Rest der Welt anempfohlen, werden schließlich die außerhalb Europas sich vollziehenden Nationsbildungsprozesse an den durch europäische Entwicklungen gesetzten Standards gemessen: an der im Gefolge der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1789 mit dem Konzept der Nation vielfach verknüpften Idee der Volkssouveränität ebenso wie mit den im Zusammenhang entwicklungsstrategischer Überlegungen als Forderungen an den "modernen" Staat aufgestellten Prinzipien von Modernisierung und sozialem Wandel. Für den Begriff der "Identität" wird gleichermaßen Klage geführt. Erik H. Erikson, Nestor der soziologisch orientierten Identitätsforschung, meinte noch Ende der 60er Jahre: "Je mehr man über diesen Gegenstand schreibt, desto mehr wird das Wort zu einem Ausdruck für etwas, das ebenso unergründlich als allgegenwärtig ist. Man kann ihn nur untersuchen, indem man seine Unentbehrlichkeit in verschiedenen Zusammenhängen feststellt." 5 Zur wissenschaftlichen Fundierung des Identitätsbegriffs haben neben Erikson selbst zahlreiche Psychologen, Soziologen und Kulturanthropologen beigetragen, so daß Klagen nicht mit einer mangelnden Konzeptualisierung von "Identität" zu begründen und folglich auch nicht gegen die geforderten Disziplinen zu richten sind. Verantwortlich für das Unbehagen, das die - nicht enden wollende - Rede von "Identität" hervorruft, sind benachbarte Disziplinen, darunter auch die Literaturwissenschaft, sowie die Publizistik, denn hier wurde Erikson, der noch glaubte, der "Unentbehrlichkeit" des Identitätskonzepts das Wort reden zu müssen, allzu sehr beim Wort genommen. So wurde "Identität" seit den 70er Jahren zum "Erfolgswort", das als "Zauberformel" für eine "ontologische Marktlücke" ausgesprochen Karriere machte 6 , schließlich zum Schlagwort, zur Leerformel, zum Allerweltsbegriff, der im heutigen Bildungsjargon unverzichtbar scheint und einen "Wert" benennt, "der sich leichter proklamieren als klar bestimmen läßt" 7 . Als besonders inflationär erweist sich hier weltweit der Begriff der "nationalen Identität", der wie Gerold Schmidt in einer überaus aufschlußreichen Zeitungsanalyse nachgewiesen hat - jenen politischen Schlagworten zuzurechnen ist, "die intellektuellrational einen nur geringen Sinn haben, dafür aber um so mehr mit unbestimmtem emotionalem Gehalt beladen sind" 8 . Die Teilnehmer einer 1985 an der Indiana University in Bloomington veranstalteten interdisziplinären Tagung zu Fragen nationaler Identität verzichteten
211
"aus Einsicht in die Fruchtlosigkeit eines derartigen Unternehmens" auf den Versuch, "eine jedem Anspruch genügende Definition des Begriffs" zu formulieren. 9 Grundlegend für diese Selbstbescheidung war die Feststellung, daß sich sowohl die Entstehungsbedingungen als auch die Inhalte oder Vorstellungen von nationaler Identität von Nation zu Nation unterscheiden. Diesem Faktum wird hier gewiß Rechnung getragen; doch wird auch die Möglichkeit - und Notwendigkeit - behauptet, für die Analyse spezifischer nationaler Identität und Identitätsbildung von allgemeinen Konzepten auszugehen, die hier unter Bezugnahme auf vorwiegend sozialpsychologische und kulturanthropologische Ansätze in ein heuristisches Analysemodell gefaßt werden sollen.
1 Nation, Ethnie, Kultur: Gruppen- und Identitätskonzepte "Nation", so lautet zunächst die hier zugrunde gelegte Begriffsbestimmung, bezeichnet eine distinktive soziale Gruppe oder Gesellschaft, die sich im Bewußtsein und Willen ihrer Mitglieder als Identität stiftende und Loyalität fordernde Gemeinschaft manifestiert. Danach ist die Nation - im Gegensatz zum Staat als einer rechtlich-territorial definierten Größe - ein psychologisches Phänomen, ein Projekt und Postulat. Objektiv faßbare Faktoren wie territoriale Einheit, Gemeinsamkeit der Sprache, Kultur oder Geschichte mögen in je spezifischen Nationsbildungsprozessen relevant sein; dies jedoch nur in der - allein subjektiv faßbaren - Weise, wie sie im Bewußtsein der Menschen als identitätsstiftend und handlungsorientierend wirksam werden. Eine solchermaßen entworfene Definition folgt der subjektivistischen und voluntaristischen Traditionslinie, in der im Anschluß an Ernest Renans berühmte Formel von der Nation als "plébiscite de tous les jours" 10 diese als "a body of people who feel that they are a nation" 11 oder als "Produkt des Willens, Nation zu sein" 12 begriffen wird. Wenn aber diese Definition für die Darstellung von Nationsbildungsprozessen operativen Nutzen haben soll, bedarf sie einer Ausdifferenzierung, die es gleichzeitig ermöglicht, Nationen von anderen sozialen Gruppen und Solidargemeinschaften abzugrenzen. Eine Möglichkeit bietet die Entfaltung spezifischer Gruppen- und Identitätskonzepte: ein Bezugsrahmen, in dem zunächst "Ethnie" (als wichtigste Vergleichsgröße zu "Nation") und "Kultur" sowie "kollektive Identität" und "kulturelle Identität" näher bestimmt sein sollen. "Ethnie" (auch "Stamm" und "Volk") bezeichnet eine soziale Gruppe, die sich von anderen vergleichbaren Gruppen aufgrund ihr eigener objektiv faßbarer und beschreibbarer Merkmale unterscheidet. Als wichtigstes Kriterium galt lange
212 Zeit das der Blutsverwandtschaft, Rasse oder Abstammungsgemeinschaft, doch ist aufgrund der weltweiten Rassenmischung, insbesondere aber infolge rassistischer Ideologien das Prinzip einer biologisch-genetischen Differenzierung von Ethnien zumindest unter Anthropologen, Ethnologen und Soziologen in Mißkredit geraten. Das Selbstbild einer Ethnie oder ethnischen Gruppe mag auch weiterhin von der Vorstellung einer Abstammungsgemeinschaft als einer primordialen, die Gemeinsamkeit kultureller Fakten begründenden "Wahrheit" geprägt sein, doch wird dann in der wissenschaftlichen Diskussion das (subjektiv erlebte) Kriterium der gemeinsamen Herkunft nur als "angenommenes" oder "geglaubtes" Faktum angeführt. 1 3 Ethnien unterscheiden sich objektiv meßbar nicht durch ererbte, sondern durch historisch gewachsene und entwickelte Phänomene, die unter den allerdings vielschichtigen und vieldiskutierten, mittlerweile "fast beliebig" 14 einsetzbaren Begriff "Kultur" gefaßt werden. Die kaum überschaubare Vielfalt der Begriffsbestimmungen von "Kultur" spiegelt gewiß die unendliche Variation kultureller Erscheinungsformen; sie reflektiert aber auch die unterschiedlichen Perspektiven und Akzentuierungen der Disziplinen ebenso wie die unterschiedlichen nationalen akademischen Traditionen. 15 Der britische Ethnologe Edward B. Tylor lieferte im Rahmen der von ihm begründeten Kulturanthropologie die älteste, auch heute noch meistzitierte Definition: "Cultur oder Civilisation im weitesten ethnographischen Sinne ist jener Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und allen übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten, welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat." 16 Diese globale Definition von "Kultur", die allein die reine Natur ausschließt, orientiert sich an den Kulturtatsachen oder kulturellen Objektivationen als vom Menschen geschaffenen Phänomenen, die entweder dem Bereich der materiellen oder dem der immateriellen (oder ideellen) Kultur zugeordnet werden können. Eine Differenzierung entsprechend den Handlungsbereichen kultureller Tätigkeit entwarfen Kroeber und Kluckhohn mit den Kategorien der materiellen, sozialen und geistigen Kultur 1 7 , die in der von Meister vorgenommenen Unterteilung in "Werkzeugkultur", "Sozialkultur" und "Symbolkultur" 1 8 eine Entsprechung findet. In jedem Fall umfaßt "Kultur" als die einer sozialen Gruppe oder Gesellschaft "gemeinsamen Formen und Prozesse des Lebensvollzugs" 1 9 sämtliche Mittel und Organisationsformen, die vom Menschen geschaffen wurden und als System, Struktur oder Kulturmuster - bei historisch bedingter Variation von Einzelphänomenen - dauerhafte Gültigkeit beanspruchen. 2 0 So gesehen, ermöglicht Kultur dem Menschen Umweltorientierung und Bedürfnisbefriedigung in allen Handlungsbereichen: die materielle Lebenssicherung im Verhältnis zur
213 Umwelt, die soziale Lebensordnung und Interaktion im Gestaltungsbereich der zwischenmenschlichen Beziehungen und die Wertorientierung als Sinnstiftung für das Individuum in seinem Verhältnis zur natürlichen und sozialen Umwelt wie zu seinem eigenen Lebensentwurf und Lebensvollzug. Die hier entfaltete Bestimmung von "Kultur" unterscheidet nicht zwischen "Kultur" und "Gesellschaft"; beide Begriffe werden häufig synonym gesetzt oder - wie bei den von Kroeber/Kluckhohn und Meister aufgeschlüsselten Kategorien - dadurch in Beziehung gesetzt, daß "Gesellschaft" als Subsystem von "Kultur" begriffen wird. Eine Differenzierung und damit Abgrenzung ihres speziellen Arbeitsfeldes unternahm die Soziologie in der (v.a. deutschen) Tradition der Kuturphilosophie des 19. Jahrhunderts, indem sie Kultur und Sozialstruktur neben Persönlichkeit (oder Verhalten) als "unterscheidbare ontologische Wesenheiten" und "analytische Dimensionen menschlichen Handelns" 2 1 bestimmte und damit Kulturals "Subsystemdes menschlichen Handelns" 2 2 oder Teilbereich "gesellschaftlich konstruierter Wirklichkeit" 23 auf eine - wenn auch grundlegende Komponente der sozialen Ordnung reduzierte. Dieses Subsystem wird in Anlehnung an die von Emile Dürkheim so benannten "représentations collectives" unter den Begriff der "repräsentativen Kultur" gefaßt und umschließt all jene in einer sozialen Gruppe oder Gesellschaft als fundamental erachteten Vorstellungen und Überzeugungen, die als "value orientations" 24 , als ."umfassende Ordnung" und "grundlegende Deutung der Wirklichkeit" 2 5 Handeln ermöglichen, bedingen und als Ethos mit einem für das jeweilige Kollektiv verbindlich gesetzten Sinnzusammenhang ausstatten. Kultur ist unbestritten eine gesellschaftliche (und historische) Tatsache; doch sind alle sozialen Erscheinungen, wie der Soziologe Friedrich Tenbruck betont, ihrerseits kulturell bedingt, existiert eine Gesellschaft als "komplexes Netz sinnvoller Handlungen" nicht wie ein eigenständiges Objekt "vor oder außerhalb der Kultur" 26 . Kultur und Gesellschaft sind somit nicht - und Tenbruck argumentiert hier gezielt mit Blick auf jene Tradition der deutschen Soziologie, die den Kulturbegriff auszuschalten suchte und Gesellschaften als "selbstgenügsame soziale Systeme" begriff 2 7 - "zwei distinktive Aspekte" oder "real getrennte Bereiche" der Wirklichkeit, sondern "verschiedene Aspekte der gleichen Erscheinungen" 2 8 , deren Differenzierung auch von Tenbruck letztlich mit der Komplexität moderner Gesellschaften und der - von ihm allerdings als zwingend erachteten - Notwendigkeit fachspezifischer Arbeitsteilung begründet wird. 2 9 "Kultur" meint somit für die Sozialwissenschaft "eine Gesellschaft in der Totalität ihrer individuellen Kultur"-' 0 oder, wie gleichermaßen von ethnologischer Seite formuliert, den "umfassenden Zusammenhang menschlichen Verhaltens" 3 1 .
214 Eine solche Bestimmung von "Kultur" setzt nun ein wiederum spezifisches Konzept des Menschen als "Kulturwesen" voraus; d.h., das allein dem Menschen als Fähigkeit und Leistung eignende "kulturelle Handeln" besteht (nach Tenbruck) darin, "der Wirklichkeit mit sinnhaftem Tun gegenüberzutreten" und "über die Sinneseindrücke hinaus eine Welt von Bedeutungen zu schaffen" 32 . Diese Fähigkeit ist aber auch Notwendigkeit und Reflex der (kulturellen) Bedingtheit menschlicher Wahrnehmung und menschlichen Verhaltens, so daß Wirklichkeit als Objekt der Erkenntnis für den Menschen keine "Sammlung von Tatsachen" ist, sondern stets "Interpretation von Tatsachen", "gedeutete Wirklichkeit" 33 oder (nach Habermas) "symbolisch vorstrukturierte Wirklichkeit" 34 . Kultur wird sodann zu einem Sinnsystem und Verweisungszusammenhang, zu einem "Bedeutungsgewebe" 35 und kommunikatives Handeln ermöglichenden Sinnreservoir, das sich dem Menschen als symbolisch elaboriertes System, als "Set expressiver Symbole eines Ethos" 36 nur im Rahmen von Verhandlungsoder Verständigungsprozessen über Bedeutungszuweisung und Interpretation erschließt - ein Konzept, das sich in Verbindung mit dem der "repräsentativen Kultur" für die Erforschung und Darstellung von Nationsbildungsprozessen als fundamental erweisen wird. 37 Kulturelles Handeln, so wurde gesagt, offenbart sich als menschliche Leistung und menschliches Handicap zugleich - ein vieldiskutiertes Dilemma, das sich, vereinfacht formuliert, in die Frage kleiden läßt: Ist der Mensch Schöpfer oder Geschöpf seiner Kultur? Tylor verwies beständig auf die "Überlieferungen" und "Gebräuche", die jede Kultur in einen Traditionszusammenhang stellen; er sah aber auch eine Gestaltungskraft wirksam werden, die er als "Resultante vieler individuellen Leistungen" 38 bestimmte. Historische Ansätze der Kulturwissenschaften betonen in der Regel die Prägekraft des "kulturellen Erbes", und auch Melville J. Herskovits, der "Kultur" als Ansammlung institutionalisierter Verhaltensweisen begriff, betonte ihre normative und regulative Funktion. 39 Kultur konditioniert über den Prozeß der Enkulturation bzw. Sozialisation menschliches Handeln und ist als Konstrollinstanz stets gegenwärtig; gleichzeitig fördert sie gruppenkonformes Verhalten und erfüllt damit eine integrative Funktion, der - gegenüber Außenstehenden - eine segregative Funktion entspricht. Der Mensch also ein Gefangener und Opfer seiner Kultur? Eine Antwort gibt der Literaturwissenschaftler Henning Luther, der die Kunst vor der Kultur zu "retten" sucht, mit der griffigen, im Rahmen der hier aufgezeigten Argumentationslinie jedoch nur als (bedenkenswerte) Provokation anzusehenden Formel "Kultur ist das, was man uns antut, Kunst ist das, was wir
215 tun." 40 Doch Kultur - und dies gilt nicht nur für den ästhetisch-künstlerischen Handlungsbereich - erlaubt gleichermaßen, wenn auch in den Grenzen eines vorgegebenen Systems, Kreativität. So gesehen, ist Kultur ein Potential und Reservoir an Ressourcen, das der Mensch dann gestaltend zu nutzen weiß, wenn er seiner Kultmabhängigkeit seine Kulturfähigkeit als individuell entwickelte "Sprach- und Handlungskompetenz" (Habermas) oder "Kompetenz der Gestaltung" (Greverus) entgegensetzt: eine Chance, deren Verwirklichung allerdings von den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen abhängig ist 41 . Wie nun Individuum und Kollektiv als Schöpfer und Geschöpf von Kultur diese in ihrer je eigenen Biographie und Geschichte erleben und gestalten, enthüllt sich im Konzept der (kulturellen) Identität als Daseinsform spezifischer Lebensgestaltung. Der Begriff der "Identität", von den Sozialwissenschaften der Philosophie entlehnt, enthält drei wesentliche Komponenten: das Prinzip der Gleichheit, Einheit und Gesondertheit; das Prinzip der Dauer und Beständigkeit; und das Prinzip der Erkennbarkeit des selben 42 . Für eine Person wie für eine soziale Gruppe bedeutet dies: Sie besitzt Identität, wenn sie ein geordnetes Bündel an Merkmalen herausgebildet hat, das in seinem Kern oder seinem Grundmuster unwandelbar ist und die jeweilige Person/Gruppe von anderen Personen/Gruppen unterscheidet, und wenn diese als einheitliche, mit sich selbst identische, Wesenheit in ihrer Einzigartigkeit sich selbst erkennt und von anderen erkannt und anerkannt - wird 43 . Identität ist stets das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, in dem zunächst Selbstbild und Fremdbild oder Selbstzuschreibung und Fremdzuschreibung in wechselseitiger Spiegelung aufeinandertreffen. Erst in einer zweiten Phase vollzieht sich in einem selbstreflexiven Prozeß die eigentliche Leistung der Identitätsbildung: die Synthese und Integration relevanter Bausteine oder "Identitätsfragmente" (Erikson) über die bewußte Annahme von - oder das Sich-Identifizieren mit - bestimmten Bezugsgrößen, auch Bezugspersonen oder Bezugsgruppen. Gelungene Identitätsarbeit als Identitätsgewißheit und Identitätsanerkennung bietet dem Individuum wie dem Kollektiv jene Orientierungs- und Motivationsgrundlage, die ihm in kognitiven wie affektiven, bewußt oder unbewußt gesteuerten Selbstverständigungs- und Weltaneignungsprozessen Selbstvertrauen und Sicherheit wie Respekt und Anerkennung verleiht. Sie ermöglicht Selbstdeutung und Selbstvergewisserung ebenso wie Selbstdarstellung und Selbstbehauptung und fördert - in einem allerdings schwierigen "Balanceakt" (Krappmann) - weitgehend eigenbestimmtes Handeln gegenüber fremdbestimmten Rollenzuschreibungen und Rollenerwartungen.
216 Da nun aber die Geschichte des Individuums wie die des Kollektivs fortgeschrieben wird, solange das sie erlebende und gestaltende Subjekt existiert, ist Identität als "nicht abschließbare und stets neu zu erbringende Leistung" 4 4 auch Wandel unterworfen. So wie für das Grundmuster von Identität das Gebot der Konstanz angesichts der Fülle situationsspezifischer Anforderungen und Identifikationsangebote ein hohes Maß an Flexibilität erfordert, zwingt das Gebot der Kontinuität bei biographisch bedingtem Wandel zu einem "Identitätsmanagement", das - gegen die Gefahr der Identitätsverwirrung und des Identitätsverlusts - auch über Identitätskrisen zu neuerlicher Identitätsbehauptung zu gelangen vermag. Gleichheit und Beständigkeit in Raum und Zeit implizieren auch ein bewußtes und aktives Inbeziehungsetzen von Gegenwart und Vergangenheit ebenso wie die Entwicklung von - möglicherweise utopischen - Zukunftsperspektiven. So gesehen, ist individuelle wie kollektive Identität stets eingebettet in historisch-kulturelle Zusammenhänge, die in der gesellschaftlichen Interaktion die je spezifische Lebensgestaltung ermöglichen. Erik H. Erikson bestimmte die Identität des Individuums als "definiertes Ich innerhalb einer sozialen Realität" oder "erfolgreiche Variante einer GruppenIdentität" 45 und Identitätsbildung als einen Prozeß, "der im Kern des Individuums 'lokalisiert' ist und doch auch im Kern seiner gemeinschaftlichen Kultur"4b. Nun ist das Individuum aber in gleichzeitiger wie nachzeitiger Perspektive in eine Vielzahl sozialer Gruppen eingebunden, die alle Identifikationsangebote wie Rollenerwartungen und -Verpflichtungen an das Individuum herantragen: Gruppen, deren jeweilige Identität sich vorrangig auf geschlechts-, alters-, berufs- oder klassenspezifische Faktoren, auf familiäre oder nachbarschaftliche Bindungen, auf religiöse oder politische Überzeugungen gründen mag. Einige dieser Gruppenbindungen mögen, etwa durch die altersmäßige Entwicklung, durch Umstrukturierung der Interessen oder durch soziale Mobilität, aufgegeben werden; dennoch hat das Individuum stets teil an mehreren Gruppenidentitäten, besitzt also als "unitas multiplex" 4 7 eine multiple Identität. Wenn nun, in Anlehnung an das hier formulierte Konzept von "Kultur" als "umfassender Zusammenhang menschlichen Verhaltens", jede Gruppe als soziale Einheit oder System eine distinktive kulturelle Identität besitzt oder zu besitzen erstrebt ist, dann ist auch für jede gruppenübergreifende Gesellschaft als "unitas multiplex" kulturelle Identität stets im Plural zu denken. 4 8 Das Konzept einer gesamtgesellschaftlichen oder nationalen Identität muß somit gewissermaßen in Konkurrenz zu lokalen oder regionalen wie schichtenspezifischen Ausformungen kultureller Identität entwickelt werden; und dies mag geschehen durch Assimilierung bzw. Ausgrenzung und Stigmatisierung von "Minderheiten" und
217 "Subkulturen" oder durch die bewußte Annahme eines kulturellen Pluralismus, der ohne jede Diskriminierung eine Vielfalt kultureller Identitäten in ein übergreifendes Konzept "nationaler" Identität zu integrieren sucht. In jedem Fall ist für die Herausbildung nationaler Identität - wie für die Herausbildung einer jeden Gruppenidentität - ein Mindestmaß an Kommunikation und Interaktion erforderlich: ein zentraler Aspekt, der Karl W. Deutsch in seinem kommunikationssoziologischen Ansatz dazu führte, die Nation als eine Gemeinschaft zu definieren, die sich durch komplementäre Kommunikationsgewohnheiten konstituiert 49 . "Nation", so lautet die nunmehr erweiterte Begriffsbestimmung, bezeichnet eine spezifische Vergemeinschaftungsform, in der sich die Mitglieder als "definiertes Wir" über die bewußte Annahme "nationaler" Identifikationsangebote und Hingabe an "nationale" Ziele - nicht notwendig über die Aufgabe, wohl aber über die Rückstellung partikularer Identitäten und Loyalitäten - mit der Gemeinschaft als höchster Sinngebungs- und Rechtfertigungsinstanz und damit als höchstem säkularen Wert identifizieren. Nationale Identität - oder "Nationalität" 50 - enthüllt sich in der kulturellen Tätigkeit der Gruppe, substantialisiert in der "repräsentativen Kultur"; doch bedarf es der motivationsspezifischen und handlungsorientierten Teilnahme an der Kommunikationsgemeinschaft, in der sich das Individuum - über das "Nationalbewußtsein" oder "Nationalgefühl" - als Teil der Gemeinschaft erkennt und erlebt. Nun sind aber Nationen keine "urwüchsigen" Gebilde, die, wie Herder meinte, gewissermaßen in spontaner Zeugung dem "Volksgeist" entspringen, sondern Ergebnis eines historischen Prozesses, in dem Vorstellungen oder Entwürfe einer "nationalen" kulturellen Identität auf eine Gruppe projiziert und dieser zur Annahme angeboten - oder verordnet - werden; inwieweit dieses Angebot angenommen - oder durchgesetzt - werden mag, ist abhängig von Bedingungen, die dem Nationsbildungsprozeß zugrunde liegen.
2 Projektion, Integration, Nationalismus: nationale Identität und Nationsbildung "Eine Nation ist eine Gruppe von Menschen, die durch einen gemeinsamen Irrtum hinsichtlich ihrer Abstammung und eine gemeinsame Abneigung gegen ihre Nachbarn geeint ist!" Diese von Karl W. Deutsch 51 zitierte "europäische Sentenz" benennt in ironisch distanzierter Formulierung zwei grundlegende Fakto-
218 ren, die nationales Bewußtsein entstehen lassen und nationale Identität in ursächlichen Zusammenhängen bestimmen helfen. Die Vorstellung von einer blutsmäßigen Verwandtschaft, die bereits in der römischen Antike mit dem Begriff der Nation verknüpft war, liefert den gleichsam "natürlichen" Grund für die Existenz, die Eigenart und den Fortbestand einer Nation. Denn eine Gruppe, die sich - wie Familie und Sippe - über biologische Kriterien definiert, versichert sich ihrer selbst ohne die Notwendigkeit der Zustimmung durch ihre Mitglieder, und Traditionszusammenhänge können aufgrund ihres Status als quasi genetisch vermitteltes Erbgut nicht hinterfragt oder gar abgelehnt werden. Diese Vorstellung verweist denn auch auf den naturwissenschaftlichen Ordnungsbegriff der "Rasse", der bis in das 20. Jahrhundert als Synonym für "Nation" verwendet wurde und Menschengruppen über biologische Merkmale bestimmte und klassifizierte. Die Ergebnisse - und implizierten Diskriminierungen - der "Rassenkunde" oder biologischen Anthropologie mochten sich als fragwürdig erweisen, und die im Einzelfall postulierte gemeinsame Abstammung mag sich in der Erinnerung an eine prähistorische Vergangenheit verlieren: der Rückbezug auf die vielleicht nicht mehr beweisbaren, dann aber auch nicht mehr des Beweises bedürftigen, möglicherweise sogar sakralisierten Ursprünge gilt auch heute noch für viele Nationen als unverzichtbar, zumal sich so die Vorstellung von einer unauflöslichen "Schicksalsgemeinschaft" gewissermaßen von selbst einstellt. Gewiß verfügen nicht alle Nationen - weder in Europa und Nordamerika noch in Asien und Afrika - über ein solchermaßen geschaffenes Begründungspotential. In Lateinamerika, wo die Existenz mehrerer "Rassen" als in Vergangenheit und Gegenwart wirksame Kräfte gleichermaßen der Vorstellung von einer Abstammungsgemeinschaft entgegenstand, versuchte man schließlich über die Konzeptualisierung einer durch Rassenmischung entstandenen "neuen Rasse" die biologisch-genetische Fundierung nationaler bzw. lateinamerikanischer Identität doch noch in das Gesamtkonzept hinüberzuretten. Der Verband der Familie oder Sippe als primäre soziale Gruppe mag sich über die noch unmittelbar wahrgenommene Verwandtschaftsbeziehung definieren und erleben; größere Gruppen wie Nationen hingegen vermögen eine solche (angenommene) Filiation nicht mehr in ihren aktuellen Bezügen umzusetzen. Hier wirken als prägende Kräfte vorrangig jene Faktoren, die im Konzept der "kulturellen Identität" zusammengefaßt wurden. Derlei Faktoren - und hierauf gründet sich das zweite in der von Deutsch zitierten Sentenz benannte Prinzip wirken aber nur dann identitätsstiftend und damit nationsbildend, wenn sie als
219 Merkmale begriffen werden, die eine Gruppe oder Nation von anderen Gruppen/Nationen unterscheiden. Die Identität eines Individuums oder Kollektivs formiert sich, so wurde betont, in der Konfrontation und wechselseitigen Spiegelung von Selbstbild und Fremdbild, so daß die Vorstellung von der Eigenart der jeweils erlangten Identität eine Vorstellung von der Andersartigkeit oder Fremdheit anderer Identitäten) impliziert. So gesehen, bedeutet die Herausbildung von Identität stets auch eine Abgrenzung und damit Ausgrenzung des jeweils Anderen und Fremden: ein kognitiver Vorgang, dem auf der Ebene der Einstellung und des Verhaltens dadurch entsprochen werden mag, daß das Fremde bzw. die Fremdgruppe stigmatisiert und abgelehnt, möglicherweise sogar zum Feindbild stilisiert und bekämpft wird. Fremdbilder - im Zusammenhang mit nationalen Vorurteilen oder Stereotypen auch Heterostereotype genannt - sind für die Herausbildung von Selbstbildern - oder Autostereotypen - unverzichtbar. Sie wirken überdies integrierend und stabilisierend, mögen aber auch dazu verführen, über eine bipolare Konfrontation die eigene Identität als Gegen-Identität oder Alterität zu konzipieren. 52 Zu den Faktoren, die - in je spezifischer Auswahl und Kombination - gewissermaßen als Substanz der kulturellen Identität einer Gruppe erachtet oder als deren Projektion formuliert werden mögen, zählen neben der globalen Wertorientierung und Normsetzung Sprache und Religion, aber auch habituelle Äußerungsformen der Alltagswelt wie Wohnung, Kleidung, Essen und Trinken. 53 Essentiell für jede Projektion "nationaler Identität" ist die je spezifische Gestaltung von Raum und Zeit als fundamentalen Strukturprinzipien menschlicher Existenz. Zeitbewußtsein und Zeiterfahrung sind stets an die gesellschaftlich vermittelte Wirklichkeit konkreter sozialer Systeme gebunden. Somit besitzt jedes soziale System eine ihm eigene "soziale" Zeit, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als untrennbare Dimensionen der Zeit in gleichermaßen gesellschaftlich vermittelter, kulturspezifischer Perspektive aufeinander bezogen sind. Vergangenheit, in der individuellen wie kollektiven Lebenszeit erinnert und erfahren vor dem Hintergrund der je eigenen lebensweltlichen Gegenwart und damit in Funktion auch zur Zukunft, die als gedachte - gewünschte oder gefürchtete - Gegenwart in die Lebenswelt einbezogen ist, speichert das kollektive historische oder kulturelle Gedächtnis 54 einer Gruppe als den ihr eigenen Wissensvorrat, der es ihr ermöglicht, Identität zu reproduzieren und zu garantieren. Geschichte als vergangenes Geschehen enthüllt sich der Gegenwart jedoch nie als reines Abbild gewesener Wirklichkeit, sondern nur als Rekonstruktion und
220 Interpretation historischer Ereignisse, Lebensläufe und Prozesse, die selektiv aus dem Bestand des historischen Gedächtnisses abgerufen und durch Um- und Neustrukturierung aktualisiert werden. "L'Histoire", so der französische Historiker Raymond Aron, "est la reconstruction, par et pour les vivants, de la vie des morts. Elle naît donc de l'intérêt actuel que des hommes pensant, souffrant, agissant, trouvent à explorer le passé." 5 5 So entstehen Geschichtsbilder als vorgestellte und stilisierte, als "erfundene" Geschichte: Deutungs- und Begründungsmuster, die im Dienst gegenwärtiger oder zukünftiger Bedürfnisse und Interessen - etwa zwecks Legitimierung und Stabilisierung von Herrschaft oder Mobilisierung und Solidarisierung der Gruppe - "brauchbare" von "unbrauchbarer" 5 6 Vergangenheit trennen. Für die Absicherung nationaler Identität wie für die Begründung und den Fortbestand einer Nation erscheint eine "nationale" Geschichte - als "Lehrmeisterin" der Nation - nachgerade unverzichtbar. "Un passé héroïque, des grands hommes, de la gloire (j'entends de la véritable)", so Ernest Renan, "voilà le capital social sur lequel on assied une idée nationale." 57 Und noch expliziter John Stuart Mill: "The strongest cause of the feeling of nationality [...] is identity of politicai antecedents; the possession of a national history, and a conséquent community of recollections; collective pride and humiliation, pleasure and regret, connected with the same incident in the past." 58 Den Grundbestand liefern Siege und Niederlagen, Helden und Märtyrer gleichermaßen; als vorrangig aber gilt - und dies ist die Aufgabe "nationaler" Geschichtsschreibung - die Konstruktion und Pflege einer Identifikationskette von kollektiven Erfolgserlebnissen und heroischen Leitfiguren, die nationale Würde und Selbstbehauptung begründen und verewigen. Zeiterfahrung als historische Komponente individueller und kollektiver Identitätsbildung ist stets an Räume gebunden: Lebensräume, in denen der Mensch spezifische Formen der Raumaneignung und Raumorientierung erprobt und über lebensgeschichtliche Zusammenhänge seine eigene emotional besetzte Raumordnung erstellt. Die natürliche Umwelt als Habitat einer Gruppe setzt zunächst Bedingungen für Umweltaneignung und Kommunikation. So mögen die geographischen oder topographischen wie die klimatischen Bedingungen - etwa Gebirgszüge, Wüsten, tropische Regenwälder oder auch die Insellage eines Territoriums - Umweltaneignung erschweren und die Kommunikation innerhalb der Gruppe und/oder mit der Außenwelt in Form natürlicher Barrieren behindern. Durch Raumaneignung und Raumorientierung wird natürliche Umwelt in je kulturspezifischer Formung gestaltet; so entsteht eine Kulturlandschaft, in der
221 sich eine Gruppe erkennt und in der sie sich über ihr topographisch organisiertes kulturelles Gedächtnis erinnert. Es gibt kein kollektives Gedächtnis, so Maurice Halbwachs, "das sich nicht innerhalb eines räumlichen Rahmens bewegt". 5 9 Somit schafft Raumorientierung - vornehmlich über das Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit, stilisiert im Ort der "Heimat", aber auch über das Abstecken profaner und sakraler Orte, lokalisiert in einer "religiösen Topographie" 6 0 - Identifikationsmuster und Identitätsgewißheit, denn, so Halbwachs weiter, "allein das Bild des Raumes" gibt uns "infolge seiner Beständigkeit die Illusion [...], zu allen Zeiten unverändert zu sein und die Vergangenheit in der Gegenwart wiederzufinden" 6 1 . Aus der lebensweltlichen und lebensgeschichtlichen Bindung einer Gruppe an den von ihr abgesteckten und gestalteten Raum erwächst die Tendenz, sich als territoriale Einheit zu begreifen, sowie das Bedürfnis, die erlangte Territorialität durch das Setzen von Grenzen zu markieren und das so definierte Siedlungsgebiet als territorialen Besitz nach außen zu sichern. Aus diesem Bedürfnis wird für die sich als Nation begreifende Gruppe gemeinhin der Wunsch abgeleitet, sich als souveräner Staat zu konstituieren, dem die zentrale Aufgabe übertragen wird, das Territorium gegen mögliche Angriffe von außen militärisch abzusichern. Eine solchermaßen erfolgte Staatsgründung setzt die Existenz einer Nation voraus; doch gilt diese Konstellation weder für Europa, wo die Nation "erfunden" und im Nationalstaat zu einer politischen Größe stilisiert wurde, noch für die außereuropäische Welt, wo sich in den (ehemaligen) Kolonialgebieten die Staatsgründung an europäischen Modellvorgaben orientierte, als Regelfall. Um den Zusammenhang von Nation und Staat sowie die verschiedenen Konzepte nationalstaatlicher Verfaßtheit in den zeitlich wie regional ausdifferenzierten Entwicklungslinien zu begreifen, bedarf es hier eines kurzen Rückblicks auf die europäische Geschichte, in der seit dem 19. Jahrhundert die Vorstellung von der Nation als höchstem säkularen Gemeinschaftswert in der Durchsetzung des Nationalstaatsprinzips ihren Niederschlag fand. Die "nationale Idee" galt bereits seit dem Spätmittelalter als politisch wirksame Kraft, die es ermöglichte, politische Herrschaft, traditionell legitimiert durch die dem Herrscherhaus geschuldete Loyalität, durch Rückbezug auf die nationale Gemeinschaft neu zu begründen. Als Träger der Nation galten jedoch ausschließlich die politischen Führungsschichten, nicht aber das gemeine Volk, das erst mit dem Gedankengut der Aufklärung und infolge der Französischen
222 Revolution zum Protagonisten einer sich neu konstituierenden Staatsbürgernation erklärt wurde. Die im 19. Jahrhundert unter Berufung auf die nationalstaatliche Idee erfolgte Neuordnung der europäischen Staatenwelt verlief im wesentlichen in zwei Entwicklungslinien. Die eine Linie führte - vornehmlich in Westeuropa - bereits bestehende Territorialstaaten durch eine innerstaatliche Revolution zur modernen "Staatsnation", die sich auf demokratische Prinzipien und den politischen Willen aller Staatsbürger gründete und sich als Modell einer neuen Gesellschaftsordung, als "Gemeinschaft der mündig gewordenen Bürger" 62 , begriff. Die andere Linie führte von der Vorstellung oder Gewißheit einer vornehmlich durch sprachlich-kulturelle Eigenart geprägten "Kulturnation" oder "Nationalität" im Sinne einer "Nation ohne Staat" zur Gründung neuer Staaten: in Deutschland und Italien als nationale Einigungsbewegungen, die bis dahin als Partikularstaaten getrennte Teile der Kulturnation in einem Staatsgebilde zusammenfaßten; in Osteuropa als nationale Befreiungsbewegungen, die bis dahin in supranationalen Staatsverbänden zusammengefaßten "Nationalitäten" eine eigenstaatliche Existenz bescherten. 63 Die Geburt der Nation aus dem Staat oder die Geburt des Staates aus der Nation: Hier liegen die wesentlichen Unterschiede in der europäischen Nationalstaatsbildung. Die Differenzierung von zwei Grundtypen nationaler Gemeinschaft - die subjektiv-politisch konstituierte "Staatsnation" und die objektivkulturell determinierte "Kulturnation" 64 - erscheint hingegen problematisch. Die - vornehmlich deutsche - Idee einer "Kulturnation", so der Historiker Wolfgang Frühwald, "welche inmitten von Kleinstaaterei und politischem Opportunismus eine die Staatsgrenzen überschreitende Einheit der besten Geister der Nation behauptete", entstand als "ein den Gebildeten bewußtes Surrogat für die deutsche Staatsnation" 65 . Und die Zugehörigkeit zur deutschen "Kulturnation", die treffender eine "Kulturgesellschaft" genannt wird, war, so der Historiker Otto Dann, "letztlich abhängig von der wirklichen Teilhabe des einzelnen an der deutschen Hochkultur" 66 . Für alle europäischen Nationalstaaten galt, sich als "weltliche Machtorganisation der Nation" 67 zu präsentieren; d.h., als ein staatliches Gebilde, "das seine politische und sogar rechtliche Legitimität daraus nimmt, auf den Willen einer Nation gegründet zu sein" 68 . Um diesen Anspruch zu verwirklichen, bedurfte es jedoch allerorten eines politischen Programms, das es der Bevölkerungsmehrheit als Repräsentanten der Nation und Trägern des Staates ermöglichte, einen eigenen politischen Willen zu entfalten, zu artikulieren und zur Geltung zu bringen.
223 Außerhalb Europas, in den (ehemaligen) Kolonialgebieten, erfolgte die Staatsgründung in der Regel als Ergebnis einer politischen Befreiungsbewegung. Das "Nationalitäten"-Prinzip blieb zumeist irrelevant, zumal sich die Grenzziehung weitgehend an kolonialen Verwaltungseinheiten orientierte. Da aber die staatstragenden Eliten vorrangig europäischem Gedankengut verpflichtet waren, vertraten auch sie das Ideal einer nationalstaatlichen Gemeinschaft, dessen Realisierung sich angesichts der so anders gelagerten Vorbedingungen und Entwicklungschancen jedoch als überaus problematisch erweisen sollte. Die europäische Entwicklung führte weltweit in der politischen Propaganda wie in der Forschung zu einer weitgehenden Identifizierung von Staat und Nation, die international auch in der Rechtsterminologie ihren Ausdruck fand: etwa in der Bezeichnung "Vereinte Nationen" (frz. "Nations Unies", engl. "United Nations") für die Internationale Staatenorganisation, Nachfolgerin des "Völkerbundes" (frz. "Société des Nations", engl. "League of Nations") oder der Verwendung des Begriffs "Nationalität" für Staatsangehörigkeit. Gewiß ist dort, wo der Anspruch, eine Nation zu begründen, als politisches Programm formuliert und das Konzept der Nationwerdung durch einen Nationsbildungsprozeß eingeleitet wurde, dieser Prozeß an die Initiative eines (vornationalen) Staates gebunden; doch gilt bis heute - aufgrund noch näher zu benennender Faktoren - für Lateinamerika wie für die "neuen" Staaten in Asien und Afrika nach Eigen- wie nach Fremdeinschätzung weitgehend die "Ungleichzeitigkeit von Staat und Nation" 69 . Die Phasen des Nationsbildungsprozesses und die Kriterien von Erfolg oder Mißerfolg werden häufig mit den im Rahmen von (nicht unwidersprochenen) Modernisierungskonzepten entwickelten "Krisenmodell" 70 analysiert. Dieser systemtheoretische Ansatz formuliert sechs "Entwicklungskrisen", die ein politisches System im Prozeß institutionalisierten sozialen Wandels von traditionalen zu modernen Gesellschaftsformen zu bewältigen hat. Diese Krisen präsentieren sich als Entwicklungsaufgaben des Staates bzw. der ihn tragenden Eliten und verweisen - bei Bewältigung der Aufgaben - auf die Symptome der im Rahmen eines Nationalstaats gelungenen Nationsbildung. Als Aufgaben der Staatsbildung und als Voraussetzung für die Nationsbildung gilt zunächst zweierlei: die Herausbildung und Stabilisierung eines territorialen Verwaltungsstaates durch die militärische, judikative und administrative Durchdringung des Staatsgebiets ("Penetrationskrise") sowie die Einbeziehung der Bevölkerung in das öffentliche Leben ("Integrationskrise") durch infrastrukturelle, Kommunikation und soziale Mobilität fördernde Maßnahmen und die Schaffung von Institutionen, die vornehmlich in den Bereichen Sprache, Religion und Bildung eine weitgehende Homogenisierung bewirken. Als Ziel gilt
224 die soziale Einheit, d.h. die Überwindung bzw. Ausschaltung schichten- oder klassenspezifischer und lokaler oder regionaler Unterschiede und Interessen und damit die Herausbildung eines starken Zentrums, das sich als Ort politischer, wirtschaftlicher und kultureller Integration gegen die an der Peripherie angesiedelten Regionalkulturen und Eliten durchzusetzen weiß. Als wesentliche Aufgaben der Nationsbildung gelten sodann: die Formulierung und Durchsetzung eines Konzepts nationaler Identität ("Identitätskrise") durch die Schaffung und Institutionalisierung identitätstiftender und -stabilisierender national gebundener Symbole, Bilder und Rituale sowie die Legitimierung der politischen Herrschaft ("Legitimitätskrise") durch die Erreichung eines nationalen Konsens hinsichtlich der von Staat und Eliten repräsentierten politischen Werte, Organisationsformen und Zielvorstellungen und damit weitgehender Loyalität der Bürger gegenüber Staat und Nation. In diesem Zusammenhang erfüllt der Nationalismus als "Integrationsideologie" 71 wesentliche, für den Nationsbildungsprozeß nachgerade vitale Funktionen. Die Erscheinungsformen von Nationalismus sind überaus variabel und gebunden an die je spezifischen Entstehungsbedingungen, die ihn propagierenden Schichten und die ihm übertragene politische und soziale Funktion. Dennoch ist er als einheitliches Phänomen zu begreifen, das sich vom Nationalbewußtsein wie vom Patriotismus in signifikanter Weise unterscheidet. Während Nationalbewußtsein die (kognitive und affektive) Identifizierung des Individuums mit einer sich als Nation begreifenden Kollektivität beinhaltet, ist Nationalismus ein Instrument - Ideologie im Sinne einer interessegeleiteten, manipulativ eingesetzten Vorstellung - , das die Umsetzung der "nationalen Idee" in politisches Handeln und damit die Integration und Mobilisierung der mit "Nation" identifizierten oder als "Nation" vorgestellten Kollektivität bezweckt. Patriotismus bezeichnet die Bindung an das angestammte Territorium einer Gruppe, das Land als "Vaterland", und impliziert keine "nationale Idee" 7 2 ; Nationalismus hingegen setzt zwar nicht in jedem Fall die Existenz, wohl aber die Vorstellung von "Nation" als Bezugsgröße voraus. Und das heißt auch: Nationalismus ist nicht a priori eine mehrheitlich getragene Ideologie. Er mag zunächst auf bestimmte Trägerschichten beschränkt sein, um sich dann über die Integration und Mobilisierung der Bevölkerungsmehrheit als "nationale Bewegung" durchzusetzen. Nationalismus äußert sich stets offensiv: nach innen gegen gesellschaftliche Kräfte, die national indifferenten traditionalen Loyalitäten verpflichtet sind und dem Nationsbildungsprozeß entgegenstehen, nach außen gegen fremdnationale Gruppen als Abwehr oder aber als Ausübung von Aggression. Die Ziele und Auswirkungen oder Erscheinungsformen nationalistischer Propaganda und Poli-
225 tik lassen sich - und hier erscheint eine Bewertung unvermeidbar - entlang zweier Grundlinien politischen Handelns unterscheiden. Als liberal-emanzipatorisch gelten: Befreiung von Fremdherrschaft, Herausbildung und Stabilisierung nationaler Identität und nationaler Einheit, Förderung der aktiven Teilnahme der Bevölkerungsmehrheit am nationalen Geschehen, Förderung auch einer unabhängigen, autozentrierten politischen und wirtschaftlichen Entwicklung; als autoritär-regressiv gelten hingegen: Rechtfertigung und Stabilisierung bestehender Machtverhältnisse und ökonomischer Privilegien, Verschleierung spezifischer Gruppeninteressen, Beschwichtigung und Abwehr oder Ablenkung von Klassengegensätzen und internen Konflikten, Legitimierung von expansionistischen und imperialistischen Bestrebungen, Unterdrückung von Minderheiten. 73 Für Nationsbildungsprozesse, so wurde bereits betont, ist Nationalismus als "Instrument zur politischen Solidarisierung und Aktivierung" 74 unverzichtbar. Er fördert die Integration und stützt die Loyalität der Bürger gegenüber den staatstragenden Eliten, wodurch gleichzeitig Entwürfen nationaler Identität zu weitgehender Akzeptanz verholfen wird. Im Rahmen des "Krisenmodells" wird die liberal-emanzipatorische Komponente des Nationalismus mit der Forderung an den Staat verknüpft, einem größeren Bevölkerungskreis politische Willensbildung und Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen ("Partizipationskrise") - vorzugsweise über die Schaffung und Stabilisierung demokratischer Institutionen - zu ermöglichen und Maßnahmen zu ergreifen, die auf eine gerechte Verteilung der gesamtgesellschaftlichen Güter und Ressourcen abzielen ("Distributionskrise"). Doch die Frage politischer Beteiligung und sozialer Gerechtigkeit kann nicht Maßstab für Nationsbildung sein; beide Prinzipien sind allenfalls mögliche Zielvorstellungen oder Kriterien, an denen die Attraktivität - nicht aber die bloße Existenz - einer nationalen Gemeinschaft gemessen werden kann. Hier zeigt sich - mit Blick auf Nationsbildungsprozesse in Lateinamerika wie in Asien und Afrika - die Problematik eines an europäischen Entwicklungen und Standards orientierten Konzepts, das Nationsbildung als Korrelat von Modernisierung und sozialem Wandel nur im Rahmen bürgerlich-demokratischer Institutionen und industrieller Entwicklung zulassen möchte. 75 Diese Strategie hat im Rahmen der gültigen Weltwirtschaftsordnung in den Ländern der "Dritten Welt" allein zu außeninduzierter Entwicklung geführt, so daß Peter Waldmann - angesichts der "Fiktion der Gegenseitigkeit und Gleichberechtigung" in den internationalen Beziehungen - das "Krisenmodell" um eine weitere Dimension, die "Dependenzkrise", erweiterte. 76 Doch nicht nur ökonomische Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen lassen die Modemisierungskonzepte wie das "Krisenmodell" fragwürdig erschei-
226 nen. Das Prinzip der innerstaatlichen Integration ist zwar für Nationsbildung unverzichtbar, doch wurde dieses Prinzip im Sinne einer auf "Assimilierungsfortschritt" 77 abzielenden Binnenkolonisation in der Regel so verstanden, daß für die Akzeptanz eines kulturellen Pluralismus kein Raum war und der Fortbestand traditionaler Werte und Strukturen als "archaische", mit einer "modernen" Nation nicht zu vereinbarende Entwicklungshindernisse gewertet wurden. Angesichts der hohen Kosten solcher Entwicklungsstrategien wurden im Rahmen der Dependenztheorie als Alternativen Konzepte autozentrierter, auf die Abdeckung sogenannter Grundbedürfnisse ausgerichteter Entwicklung erarbeitet 78 . Und angesichts des durch Integration und Akkulturation bewirkten Kulturverlusts wurde für ausgegrenzte und stigmatisierte "archaische" oder regionale Kulturen die Forderung nach ihrer Anerkennung und Autonomie im Rahmen eines pluralen nationalen Identitätskonzepts erhoben. "Nationale Identität" darf folglich nicht verstanden werden als Anpassungskonzept, das die Aufgabe partikularer Identitäten impliziert und den Menschen seiner Kulturfähigkeit beraubt. Kollektive Identität, so Jürgen Habermas mit Blick auf die komplexen Gesellschaften der modernen Welt, "ist heute nur noch in reflexiver Gestalt denkbar, nämlich so, daß sie im Bewußtsein allgemeiner und gleicher Chancen der Teilnahme an solchen Kommunikationsprozessen begründet ist, in denen Identitätsbildung als kontinuierlicher Lernprozeß stattfindet."19 Und, so Habermas weiter: "wenn in komplexen Gesellschaften eine kollektive Identität sich bilden würde, hätte sie die Gestalt einer inhaltlich kaum präjudiziellen, von bestimmten Organisationen unabhängigen Identität einer Gemeinschaft derer, die ihr identitätsbezogenes Wissen über konkurrierende Identitätsprojektionen, also: in kritischer Erinnerung der Tradition oder angeregt durch Wissenschaft, Philosophie und Kunst diskursiv und experimentell ausbilden." 80 Für die Staaten der "Dritten Welt" ist die von Habermas eingeforderte kulturelle Kompetenz aller eine in ferner Zukunft angesiedelte Utopie. Doch wird - in dem hier gegebenen Zusammenhang - zu prüfen sein, inwiefern es denen, die über die Chance kultureller Kompetenz verfüg(t)en, gelang und gelingt, eine "vernünftige" - und das heißt nach Habermas: die Einheit des kollektiven Lebenszusammenhangs ohne Zwang aufrechterhaltende - nationale Identität zu projizieren.
227
3 Symbole, Mythen, rituelle Handlungen: repräsentative Kultur und Macht Die Nation ist (wie die Region) eine Kollektivität, so der französische Soziologe Fernand Dumont, "dont la nature est de s'interpréter". Interpretation wird begriffen als "phénomène social total" und wird wirksam "là où la société se construit elle-même en des ensembles, là où elle se confesse et tente de surmonter ses contradictions, là où elle se dit et se fait tout à la fois" 81 . Interpretation als sinnstiftende Handlung und Bedeutungszuweisung, so wurde bereits ausgeführt, liegt als fundamentale Kategorie menschlicher Wahrnehmung und menschlichen Verhaltens jedem (kulturellen) Handeln zugrunde, in dem sich dem Menschen Wirklichkeit stets schon als interpretierte Wirklichkeit und Kultur als Interpretationsrahmen offenbaren. Der Zugriff auf die Kultur als "Bedeutungsgewebe" (Geertz) und "Sinnreservoir" (Habermas) - und damit auch die Projektion und Präsentation kultureller Identität - geschieht durch das Setzen und die Annahme von Symbolen, die, im Gesamtkonzept der "repräsentativen Kultur" organisiert, als "Set expressiver Symbole eines Ethos" (Eisenstadt) in der gesellschaftlichen Praxis über symbolische Interaktion einer Kollektivität als Identitätsbausteine angeboten und - bei Annahme der präsentierten kollektiven Identität - von dieser verinnerlicht werden. Die "représentations collectives", so der bereits zitierte Dumont, "ne survolent pas la réalité sociale pour nous la cacher, mais [...] sont, sur cette réalité, l'incessant travail par lequel les collectivités tout à la fois se constituent et se rendent compte de leur existence" 82 . "Alles was geschieht ist Symbol, und, indem es vollkommen sich selbst darstellt, deutet es auf das übrige." 83 So faßte Goethe die eigene symbolische Weltsicht. Symbole besitzen also Verweisungs- oder Zeichencharakter. Sie verhüllen und enfhüllen Bedeutungen, die das Zeichen als kulturell indifferente, natürliche oder physikalische Wirklichkeit transzendieren, die aber stets nur im Rahmen einer je kulturspezifisch ausgeformten Symbolik als Verweisungszusammenhang Sinnbezüge erhalten. 84 Symboliken sind elaborierte Systeme, die aufgrund der dem Symbol eigenen Zeichenhaftigkeit eine Vielfalt an Bedeutungen generieren und so dem Individuum einen gewissen Interpretationsspielraum gewähren. Desgleichen sind Symboliken historisch bedingtem Wandel unterworfen, etwa durch Abnutzung und Trivialisierung einzelner Symbole oder durch eine Umorientierung im Bereich der repräsentativen Kultur. Sollen aber Symbole und Symbolsysteme oder Symbolwelten für die Behauptung kultureller Identität wirksam sein, dann gilt - zumindest für die Systemstruktur und die in ihrem Kern angesiedelten "großen
228 Traditionen" als kodifizierten, möglicherweise sogar sakralisierten symbolischen Rahmenwerken - das Gebot von Eindeutigkeit, Verbindlichkeit und Kontinuität. Als Zeichen mit einem definierten symbolischen Verweischarakter können die verschiedensten Objekte oder Phänomene gesetzt werden: Objekte au; der natürlichen und sozialen Umwelt, etwa Landschaften, Städte oder Straßen ebenso wie Gebäude und Denkmäler oder Fahnen, Wappen und Orden; sprachlich und/oder musikalisch vermittelte Zeichen wie Namen, Losungen, Texte, Hymnen oder Märsche; schließlich historische Personen, Ereignisse, Epochen. In all diesen Zeichen verdichten sich die unter den Begriff der "repräsentativen Kultur" gefaßten, von einer Kollektivität als fundamental erachteten Wertorientierungen zu einem sinnlich schaubaren und in der Regel affektiv besetzten Er nnerungswert oder Kristallisationspunkt, in dem sich erlernte und im kulturellen Gedächtnis gespeicherte Sinnzusammenhänge in aktuellen Lebensbezügen aktivieren lassen. Symbole verweisen auf Mythen, die sich im Symbol zum sinnhaften Zeichen verdichten, sowie auf die mythische Rede oder Erzählung, in der Mythos und Symbol ihre Exegese und narrative Begründung erfahren. "Mythos" 85 wird gemeinhin - in ausschließlicher und daher unzulässiger Weise - als Manifestation des sog. "mythischen Denkens" gefaßt, das, archaischen Kulturen zugeordnet, wenn nicht als prälogisch oder irrational, so doch als magisch-religiös und empiriefeindlich gekennzeichnet wird. Das "mythische Bewußtsein", so die weithin vertretene Ansicht, wurde in unserem säkularisierten technischen Zeitalter ibgelöst durch das "aufgeklärte Bewußtsein" des rational denkenden und handelnden Menschen. Mythen wären demzufolge als Residuen einer überwundenen Geisteshaltung zu belächeln oder als gefährliche Ideologisierungen zu bekämpfen. "Mythos" wird auch gefaßt - entsprechend der umgangssprachlichen Vervendung des Begriffs - als Synonym für "Fabel" und "Fiktion", folglich als eine erfundene oder gar erlogene und damit unwahre Behauptung oder Erzähung. Doch der Gegensatz von Mythos auf der einen und Wahrheit oder Wirklicikeit bzw. Geschichte auf der anderen Seite wurde und wird stets von jenen postuliert, die bestimmte Grundannahmen einer Kultur oder Gemeinschaft, in der ein Mythos entstand und gepflegt wird, nicht teilen. Eine solchermaßen vorgenomnene Begriffsbestimmung ist schlicht Ausdruck einer außenorientierten Perspektive, die bei aller notwendigen Distanz gegenüber möglicher ideologischer Instrumentalisierung von Mythen der Binnenperspektive nachgeordnet bleiben nuß. So sei hier eine Definition gegeben, die dieser Binnenperspektive (keinesfalls unkritisch) Rechnung trägt und - überdies in direktem Bezug zu der hier £ege-
229 benen Problematik von Identitäts- und Nationsbildung - den Mythos in seinem spezifischen kulturellen Kontext nach seiner Funktion und Leistung befragt. "Mythische Rede", so Manfred Frank im ersten Teil seiner Vorlesungen über die Neue Mythologie, ist "Begründungs-Rede", die sich durch "Rückführung auf ein sozial Unverbrüchliches" oder "Heiliges" legitimiert. 86 Das heißt: der Mythos begründet Sinnzusammenhänge von existentieller Bedeutung als absolute Wahrheiten und setzt oberste, als unverbrüchlich geltende Werte. Der Mythos leistet aber noch ein übriges: Er beglaubigt, in Anlehnung an ebendiese "heiligen" Wahrheiten und Werte, Sachbezüge wie Institutionen und legitimiert oder sanktioniert hierarchische Strukturen ebenso wie ausgeübte Herrschaft. Des weiteren orientiert er auf die Gegenwart und die Zukunft gerichtete Wünsche und Projektionen, motiviert und lenkt Handeln bei Individuum und Kollektiv. "Mythos" wird somit begriffen als Annahme oder Überzeugung, deren Wahrheitsgehalt in einem spezifischen kulturellen Kontext außer Frage steht und deren Aktualisierung als zumeist affektiv besetzte gelebte Erfahrung allein im kollektiven Bewußtsein tragfähig und reproduzierbar ist. Die wichtigsten Funktionen des Mythos sind seine kommunikative und seine pragmatische Funktion: Kommunikativ wirkt er, indem er die Integration des Individuums in die Gemeinschaft und innerhalb der Gemeinschaft Interaktion, Identitätsbildung und Solidarisierung fördert; pragmatisch wirkt er, indem er durch Bereitstellung und Perpetuierung von (abstrakten) Leit- und Modellvorstellungen und/oder (konkreten) Beispielen modellhaften Handelns das Individuum zu einem für die soziale Praxis als förderlich erachteten und das heißt auch gruppenkonformen Verhalten zu bewegen vermag. Das Fundament einer jeden nationalen Mythologie, die als organisch gefügtes System von Einzelmythen eine nationale Gemeinschaft begründet und beglaubigt, sind die Ursprungsmythen. Sie berichten von den Taten und Schöpfungsakten jener Heroen, die in eintr "heiligen Zeit" - möglicherweise nach der Befreiung von Fremdherrschaft - Grund und Ordnung des Gemeinwesens gestiftet haben, und bieten dem Gesamtsystem den notwendigen sakralen Rückbezug ebenso wie die gleichermaßen notwendige Vergewisserung von Dauer und Beständigkeit. Einzelne Mythen können in ihrem Ursprung und ihrer Funktion auch mit ganz konkreten Konflikten und Atfgaben oder Erfolgen verknüpft sein: beispielsweise die Verteidigung des Gemeinwesens gegen äußere oder innere Feinde oder seine revolutionäre Umgestaltung, die dann den Beginn einer neuen, jedoch stets auch den sakralen Ursprüngen verpflichteten Zeit markiert; schließlich vorbildhafte Gestalten, insbesondere Märtyrer, die als Verkörperung des Idealen
230 und Absoluten Attribute des Göttlichen besitzen und denen das eigene heilbringende Wirken, zumal wenn mit dem Tode bezahlt, Unsterblichkeit verleiht. Damit der Mythos - wie das Symbol - wirksam wird oder bleibt, bedarf es nun aber der beständigen Reaktivierung und Erinnerung durch die verschiedensten Medien der Präsentation kollektiver Identität. Dies können sein: Reden, Proklamationen und Programme; Lieder und Hymnen; Essays, Reiseberichte und Tagebücher; schließlich fiktionale Literatur ebenso wie Literaturkritik. Besondere Wirksamkeit besitzen programmatische Reden oder Essays von herausragenden Staatsmännern, speziell den Gründungsvätern der Nation, oder anderen Personen des öffentlichen Lebens, die gewissermaßen als "Heilige Schriften' des Gemeinwesens nicht mehr der Interpretation bedürfen, einer solchen sogar entzogen sind, sowie die Geschichtsschreibung, der die Aufgabe übertragen is\ die pragmatische Festlegung von Symbolwelten mit Hilfe einer "nationalen Beweisführung" 87 zu begründen. Private Lektüre einschlägiger Texte mag im Bewußtsein des einzelnen Identitätsgewißheit bewirken. Weit effektiver für die soziale Praxis - und dies gilt nicht nur für Länder, in denen aufgrund einer hohen Analphabetenrate und ökonomischer Zwänge der Zugang zur Schriftkultur erschwert oder einem Teil der Bevölkerung gar gänzlich verwehrt wird - ist jedoch in der Regel das kollektive Erlebnis einer sinnlich-emotional vermittelten und erfahrenen Identifikation durch rituelle Praktiken als öffentliche Demonstration und Inszenierung kollektiver Identität. Rituelle Handlungen - etwa das Begehen "heiliger" Stätten, Ansprachen, Aufmärsche und Paraden im Rahmen öffentlicher Feiern insbesordere anläßlich nationaler Gedenktage - sind Medien institutionalisierter kollektiver Identitätsarbeit, bei der identitätsstiftende Personen und Ereignisse unmittelbar vergegenwärtigt und in ihrer fundamentalen Bedeutung für das Gemeinwesen gleichsam reaktualisiert werden. 88 Nach dem Selbstverständnis jeder "modernen" Nation - oder des "modernen" Staates, der sich "auf dem Weg zur Nation" befindet - mögen Mythen als residuale Kategorien eines als längst überwunden erachteten archaischen Denkens aus der eigenen Welt- und Geschichtsdeutung verbannt sein, meint man coch, den eigenen Weg zu sozialem Wandel und Fortschritt selbstverantwortlich und planvoll zu gestalten. Doch sei hier in Anlehnung an die gegebene Mythen-Definition festgestellt: "Aufgeklärtes" und "geschichtsbewußtes" Denken ist mit Mythen ebenso vereinbar, wie im politischen Diskurs Mythen - und in de: sozialen Praxis deren rituelle Inszenierung - unverzichtbar sind; unverzichtbar für die sich hier eher "abgeklärt" gebenden bürgerlichen Gesellschaften der "Ersten Welt", besonders aber für die Staaten der "Dritten Welt", für die der Nationsbil-
231 dungsprozeß noch nicht abgeschlossen und die nationale Unabhängigkeit keineswegs gesichert ist. Unverzichtbar ist aber auch eine ideologiekritische Überprüfung, konkret: die Frage nach Qualität und Leistung einzelner Mythen im Zusammenhang von nationaler Identität und je aktueller politischer Praxis. Mythen können sein: Widerstands- und Verteidigungsmythen als Appell an die Gemeinschaft, diese gegen innere oder äußere Feinde zu verteidigen; Erfolgsmythen als Appell, sich mit bestimmten nationalen Errungenschaften zu identifizieren; Kompensations- und Durchhaltemythen als Appell, notwendige Mängel und Opfer bereitwillig hinzunehmen. Im Prinzip wirken Mythen motivierend und legitimierend, integrierend und stabilisierend. Wo sie aber im wesentlichen kompensatorische Funktion erfüllen müssen, mögen sie erheblich an Vitalität einbüßen, und wo der Staat sich einer Legitimationskrise gegenübersieht, mögen sie in die Nähe von Ideologien rücken; und zwar konkret in der Weise, daß sie von einer partikularen Gruppe, etwa der herrschenden Elite, mißbräuchlich instrumentalisiert werden, um Eigeninteressen, etwa den puren Machterhalt, zu verschleiern. Mythen sind Manifestationen der "repräsentativen Kultur", und als solche werden sie gesetzt, angeboten, verordnet. Damit stellt sich die Frage nach dem Ursprung kollektiver Vorstellungen und kollektiver Identität als einer "verfertigten Identität" 89 , die - wie jede Manifestation von Kultur - night im herrschaftsfreien Raum entsteht und zu ihrer Durchsetzung einer institutionell abgesicherten Öffentlichkeit wie auch entsprechender Machtmittel und -instanzen bedarf. Die Fähigkeiten und Möglichkeiten, "repräsentative Kultur" als "grundlegende Deutung der Wirklichkeit" (Tenbruck) zu schaffen und in einem Kollektiv als verbindliche Weltsicht durchzusetzen, ist gemeinhin Attribut der Eliten, die jedoch nicht als homogene soziale Gruppe zu begreifen sind. "Machteliten" konstituieren sich primär über die Indikatoren Macht, Wissen, Prestige und Geld. 90 Sie stellen in einem gegebenen Herrschaftssystem jene Personen und Gruppen, die in politischen und ökonomischen Entscheidungsprozessen über jene "Chancen" verfügen, die nach der klassischen Definition von Max Weber "Macht" beinhalten: "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." 91 Dabei ist im Einzelfall unerheblich, ob der Inhaber von Machtpositionen diese Macht über aktive politische Teilhabe effektiv ausübt, da bereits die Möglichkeit der Machtausübung Macht verleiht. 92 Desgleichen zählen zu "Elite" nicht allein die im jeweils herrschenden System Machtpositionen innehabenden Personen und Gruppen, sondern auch solche, die sich in der Opposition als "Gegenelite" formiert haben.
232 Eliten wird nun traditionell die Aufgabe übertragen, als "Wertelite" der Gemeinschaft "eine Lebensform symbolisch so [zu] repräsentieren und anerkannte Prinzipien so auf neue Konstellationen an[zu]wenden, daß andere als sie selbst sich darin wieder erkennen können" 93 . Der Anspruch auf Anerkennung als "Referenzmodell" wird jedoch nur dann eingelöst, wenn die "nationale Perspektive" initiativ und glaubwürdig durch verantwortungsbewußtes Handeln vertreten wird. Verfolgen die Eliten hingegen ausschließlich partikulare oder gruppenspezifische Interessen, und nutzen sie das ihnen zur Verfügung stehende Machtpotential ausschließlich manipulativ zwecks Machtsicherung und sozialer Kontrolle, können sie ihr Prestige und ihre Legitimität verlieren, um schließlich nicht mehr als "Elite", sondern als "Oligarchie", und damit nicht mehr als vorbildhafte Führungsschicht, sondern als "Feind" der anderen gesellschaftlichen Kräfte betrachtet zu werden. 94 Als Kontrollinstanz mögen hier, noch bevor eine Bevölkerungsmehrheit den traditionellen Eliten Legitimität abspricht, die Intellektuellen wirksam werden, die nicht selten das "Gewissen der Nation" genannt werden. Angehörige der Intelligenz, zu der man - in einer allerdings unscharfen Begriffsbestimmung - die Vertreter aller geistigen Berufe zählt, mögen in staatliche Institutionen eingebunden sein und in gehobener Position den Machteliten angehören. Dem Intellektuellen wird jedoch gemeinhin kritische Distanz zur Macht zugeschrieben oder abverlangt. Und ihm wird schließlich die Neigung unterstellt - oder die Aufgabe zugeteilt - , die aktuellen Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen ebenso wie die soziale Praxis permanent zu hinterfragen und als "prädestinierte[r] Anwalt der geistigen Interessen des Ganzen" 95 den Wertebestand der Nation kulturkritisch und kulturschöpferisch den jeweils aktuellen Erfordernissen gesellschaftlicher Entwicklung anzupassen. "Intellektuelle", so Lewis Coser, "sind Menschen, die sich niemals mit den Dingen, wie sie nun sind, zufriedengeben und sich auf Gewohnheit und Brauch verweisen lassen. Sie steiler, die Wahrheit des Augenblicks vom Standpunkt einer höheren und über die Grenzen hinausgehenden Wahrheit in Frage; sie kontern Berufungen auf die Tatsächlichkeit, indem sie die unpraktische Ziffer Null beschwören." 96 Und Crane Brinton: "Intellektuelle sind in hohem Maße ihrer Funktion verpflichtet, eine kritische Haltung gegenüber der täglichen Routine menschlicher Angelegenheiten einzunehmen... Ein Intellektueller, der sowohl mit der Welt wie auch mit sich selbst zufrieden ist, oder zumindest mit seinen Ideen und Idealen, wäre ganz eirfach kein Intellektueller." 97 Ein solches Konzept intellektueller Tätigkeit setzt nun aber ein hohes Maß an Autonomie voraus, auf die Intellektuelle denn auch traditionell Anspruch erhe-
233 ben - oder zu erheben vorgeben. Doch ist jeder einzelne Intellektuelle Teil eines strukturierten "intellektuellen Kräftefelds", das, so Pierre Bourdieu, "als geschichtliches Produkt nicht von den historischen und sozialen Bedingungen seiner Entstehung zu trennen ist" 98 , und überdies, will er Macht oder zumindest Autorität erlangen, auf Institutionen angewiesen, die ihm den Zugang zu einer (wie auch immer gearteten) Öffentlichkeit und damit "kulturelle Sanktionierung und Legitimität" 99 verschaffen. Als die Institutionen, die neben Zeitungen und Zeitschriften, Verlagen, Theatern, Rundfunk und Fernsehen gewissermaßen das Monopol kultureller Sanktionierung und Legitimierung besitzen, gelten traditionell Schule und Universität als etablierte Bildungsstätten: die Universität mit dem - nicht immer eingelösten - Anspruch, neben der Tradierung kanonischen Bildungsguts auch innovatorische Impulse zu geben, die Schule mit der - bei allen emanzipatorischen Bestrebungen auch weiterhin bindenden - Verpflichtung, etablierte Bildung zu bewahren und zu verteidigen. Diesen Institutionen als "Wächtern" und "Priestern" der Orthodoxie, so der bereits zitierte Bourdieu, mag sich der "Häretiker", "Zauberer" und "Prophet" einer neuen Lehre entgegenstellen. Doch auch er wird gezwungen sein, sich auf die Spielregeln und Institutionen des "kulturellen Kräftefelds" einzulassen, will er seinen (legitimen) "Anspruch auf kulturelle Auszeichnung" 100 durchsetzen und seinen kulturkritischen und kulturschöpferischen Impulsen - etwa im Kontext nationaler Identitätsentwürfe und nationaler Zukunftsperspektiven - Geltung verschaffen.
234 Anmerkungen 1 Erich Fromm (nach Mommsen 1971:625). 2 Lemberg 1950:9. 3 Werner Kägi (nach Sulzbach 1962:141). 4 Silvert 1963:XI. 5 Erikson 1981:7. 6 Marquard 1979:360 und 362. 7 Bausinger 1982:1. 8 Schmidt 1976:343. 9 Boerner 1986:26. 10 "Une nation est une âme, un principe spirituel. Deux choses qui, à vrai dire, n'en font qu'une, constituent cette âme, ce principe spirituel. L'une est dans le passé, l'autre dans le présent. L'une est la possession en commun d'un riche legs de souvenirs; l'autre est le consentement actuel, le désir de vivre ensemble, la volonté de continuer à faire valoir l'héritage qu'on a reçu indivis. [...] Une nation est donc une grande solidarité, constituée par le sentiment des sacrifices qu'on a faits et de ceux qu'on est disposé à faire encore. Elle suppose un passé; elle se résume pourtant dans le présent par un fait tangible: le consentement, le désir clairement exprimé de continuer la vie commune. L'existence d'une nation est [...] un plébiscite de tous les jours, comme l'existence de l'individu est une affirmation perpétuelle de vie." (Renan 1882:306ff.). 11 Emerson 1962:102. 12 Carlo Schmidt (nach Blumenwitz 1985:270). Zu den verschiedenen Definitionsansätzen vgl. Mommsen 1971; Connor 1978; Gebhardt 1985; König 1988, Kap. I. 13 Vgl. etwa Max Weber 1964:1,305ff.; insbes. S. 307. 14 Tenbruck 1990:21. 15 Eine Systematisierung und Kategorisierung versuchten Kroeber/Kluckhohn (1952; mit einer Auflistung von über 150 Definitionen) sowie Bidney (1967), die jedoch vornehmlich die angloamerikanische Tradition berücksichtigen und aufgrund neuerer Ansätze, besonders in der Ethnologie, ergänzungsbedürftig sind. Vgl. hierzu auch Greverus 1978:85ff. 16 Primitive Culture (1871); zitiert nach der in Auszügen bei Schmitz (1963) abgedruckten, bereits 1873 unter dem Titel Die Anfänge der Cultur erschienenen deutschen Übersetzung; hier S. 33. - Zur Dichotomie von "Kultur" und "Zivilisation" vgl. einführend Greverus 1978:53ff. Norbert Elias, der Unterschiede wie Gemeinsamkeiten im englischen, französischen und deutschen Sprachgebrauch herausarbeitete, verwies auf die eurozentrische Dimension des Begriffs "Zivilisation", dessen Funktion darin bestand, "einer ständigen Ausbreitungstendenz kolonisierender Gruppen und Nationen Ausdruck zu geben" (1978:1,4): "Er faßt alles zusammen, was die abendländische Gesellschaft der letzten zwei oder drei Jahrhunderte vor früheren oder vor 'primitiveren' zeitgenössischen Gesellschaften voraus zu haben glaubt. Durch ihn sucht die abendländische Gesellschaft zu charakterisieren, was ihre Eigenart ausmacht, und worauf sie stolz ist: den Stand ihrer Technik,
235 die Art ihrer Manieren, die Entwicklung ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis oder ihrer Weltanschauung und vieles andere mehr." (1978:1,lf.) Vgl. auch Thum 1979:430ff. 17 Kroeber/Kluckhohn 1952. 18 Meister 1951:188ff. 19 Greverus 1978:92. 20 Oder nach Bausinger (1982:7): "Kultur wird [...] verstanden als Organisation, als Struktur von Wertvorstellungen, als Strategie der Lebensbewältigung, als Grundlage von Attitüden, als formendes Prinzip der Lebensweise." 21 Eisenstadt 1990:11 und 12. 22 Parsons 1975. 23 Berger/Luckmann 1971. 24 N.R.White (1978:142f.) im Anschluß an Talcott Parsons. 25 Tenbruck 1990:32. 26 Tenbruck 1990:52 und 27. 27 Tenbruck 1990:28. 28 Tenbruck 1990:23 und 28. 29 Vgl. dagegen Schluchter 1980. 30 Tenbruck 1990:28. Zur Begründung einer "Kultursoziologie", die sich die "Wiederentdeckung der Gesellschaft als Kultur" zur Aufgabe macht, vgl. auch Tenbruck 1979; ZitatS. 417f. 31 Malinowski 1975:47. 32 Tenbruck 1990:26. 33 Tenbruck 1990:52 und 31. 34 Habermas 1981:159. 35 Geertz 1987:9. 36 Eisenstadt 1990:9. 37 Zur symbolischen Anthropologie vgl. L.A.White 1973; Turner 1974; Cohen 1985; Geertz 1987; Auernheimer 1989. 38 In: Schmitz 1963:43. 39 Etwa in Herskovits 1972. 40 Zitiert nach Greverus 1978:35. 41 Zur Diskussion um Kulturabhängigkeit und Kulturfähigkeit des Menschen vgl. auch Lepenies 1971 und Lepenies/Nolte 1972. 42 NachBenoist 1980. 43 Zu den verschiedenen Ansätzen der Identitätsforschung im Zusammenhang von individueller und kollektiver Identität oder Ich-Identität und Gruppen-Identität kann hier nur kurz auf die wichtigsten Autoren verwiesen werden: neben Erikson (u.a. 1981, 1989) als herausragendem Vertreter einer psychoanalytisch orientierten Forschungsrichtung insbesondere George H. Mead (1988), Erving Goffman (1976), Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1971) als Repräsentanten der angloamerikanischen Schule des Interaktionismus, die in der deutschsprachigen Forschung u.a. von Jürgen Habermas (u.a. 1976) sowie
236 Lothar Krappmann (1978) vertreten wird. Für einführende Darstellungen vgl. de Levita (1971) und McCall/Simmons
(1974). -
Im Zusammenhang
von
kollektiver
bzw.
nationaler Identität ist auf verwandte Konzepte und Forschungsansätze zu verweisen: zum geistesgeschichtlich geprägten Begriff des "Volks-" oder "Nationalcharakters" vgl. M. Mead 1961, Hertz 1966:37ff„ Snyder 1972:162ff. und Greverus 1978:234ff.; zur komparatistischen Imagologie vgl. Fischer 1981 und Dyserinck/Syndram
1988; zum
kulturell bestimmten Begriff der "Modalpersönlichkeit" vgl. Hofstätter 1973:108ff.; zur sozialgeschichtlich orientierten "Mentalitätsforschung" vgl. Reichaidt 1978 und Jockel 1987. 44 Huber/Krainz 1981:475. 45 Erikson 1989:17. 46 Erikson 1981:18. 47 Graumann 1983. 48 Zum Konzept des kulturellen Pluralismus oder der "plural society" vgl. Graumann 1983:315ff; Greverus 1978:227ff.; Bausinger 1982:23ff.; sowie die Diskussion im Zusammenhang mit dem Ethnizitätskonzept (Anm. 50). 49 Deutsch 1953; vgl. hierzu M o m m s e n 1971:644ff. und Fröhlich 1970:18ff. 50 Der Begriff "Nationalität" wird vielfach auch für "Nationen ohne Staat" bzw. "nationale Minderheiten" verwendet. So heißt es etwa in Art. 2 der spanischen Verfassung von 1987: "Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation (nación española), gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier, und sie anerkennt und garantiert das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen (nacionalidades y regiones), die sie (Anm.: die spanische Nation) bilden, und die Solidarität zwischen allen" (zit. nach Pietschmann 1986:56, A n m . 5). Unter dem Einfluß angloamerikanischen Schrifttums wurde "Nationalität" für "Volk" oder "Ethnie" sowie deren spezifische, kulturelle, Identität vielfach durch den Begriff der "Ethnizität" (ethnicity) ersetzt, mit dem unter Hypostasierung der (vermeintlichen) Ursprünge oder "roots" nicht nur die Anerkennung der kulturellen Eigenständigkeit von Minderheiten, sondern auch die soziopolitische Gleichberechtigung marginalisierter Gruppen eingefordert wird. (Vgl. hierzu Glazer/Moynihan 1975; Royce 1982; sowie Bd. I der Zeitschrift Ethnic and Racial Studien, 1978; kritisch dazu Epstein 1978:91ff„ Connor 1978:386ff., Cohen 1985:104ff. und Auernheimer 1989:381 ff.). 51 Deutsch 1972:9. 52 Vgl. hierzu einführend Hofstätter 1973:364ff.; Bergius 1976:154ff.; Gewecke 1992a:273ff. ("Exkurs: Begegnung mit dem Fremden. Zur sozialpsychologischen Grundlegung ethnischer Stereotype"). 53 Den Ansatz einer ökologisch orientierten Kulturanthropologie oder "praxisbezogenen Forschung über den Menschen in seiner Kultur und Alltagswelt" vertritt die hier bereits mehrfach zititerte Ina-Maria Greverus (1978; Zitat S. 51). Ihr Programm, verstanden auch als kulturpolitische Forderung, resümiert sie folgendermaßen: "Die von Kulturanthropologen in relativ autonomen und isolierten Gesellschaften entdeckte Vielfalt der Kulturen als identitätsbildende schöpferische menschliche Leistung, die Suche jugendlicher Subkulturen in unserer eigenen Gesellschaft nach Identitätsmerkmalen, die sie in ihrer Alltagswelt von einer zu konsumierenden Einheitskultur abgrenzen, und der Kampf in ihrer
237 Identität marginalisierter und stigmatisierter sozialer und ethnischer Gruppen in unseren Nationalstaaten, die Autonomiebestrebungen der Gemeinden gegen eine kulturenteignende Zentralisierung müssen uns ein Zeichen dafür sein, daß den Menschen als Kulturwesen die Chance zur Kompetenzentfaltung ihrer Kulturfähigkeit erhalten bleiben muß. Kulturfähigkeit aber bedeutet, sich als Schöpfer und Geschöpf einer spezifischen Kultur zu erkennen, erkannt und anerkannt zu werden - und das heißt: Identität in einer Alltagswelt zu besitzen, in der 'Kultur' nicht das abgetrennte Segment des Kunstgenusses oder der Warenästhetik darstellt, nicht nur nostalgisches Versatzstück ist, sondern die Totalität einer sinnvollen Alltagswelt umfaßt, in die der einzelne sich als 'definiertes Ich' einer Gruppenidentität integrieren kann. Das aber bedeutet die Forderung eines kulturellen Pluralismus als Autonomie, als eigenständige Kulturmöglichkeiten sozialer Gruppen." (1978:278). 54 Zum Begriff des "kulturellen Gedächtnisses" vgl. Assmann (1988), der sich auf die grundlegenden Arbeiten von Maurice Halbwachs (1985a und b) stützt. 55 Dimensione de la conscience historique (1961); zitiert nach Jeismann 1979:42. 56 Rothermund 1978:193. 57 Renan 1882:306. 58 Representative
Government (1861); zitiert nach Masur 1966:3.
59 Halbwachs 1985b: 142. 60 Halbwachs 1985b: 159. 61 Halbwachs 1985b: 162f. Vgl. auch Greverus 1978:266ff. 62 Schieder 1964:18. 63 Zur europäischen Nationalstaatsbildung (in Verbindung mit "Nation" und "Nationalismus") vgl. - neben den "klassischen" Arbeiten von Ziegler (1931), Hayes (1968), Lemberg (1950; 1964, Bd. I) und Kohn (1976) - insbesondere Schieder 1964 und 1991; Seton-Watson 1977; Bendix 1980; Dann 1986; Dann 1991; sowie die summarische Darstellung in Burian/Mommsen (1971). 64 Die Begründung von "Staatsnation" und "Kulturnation" als zwei - allerdings "nicht streng und säuberlich" voneinander unterscheidbare - historisch bedingte Typen lieferte als erster Friedrich Meinecke (1928; Zitat S. 2); nach ihm sind Kulturnationen "solche, die vorzugsweise auf einem irgendwelchen gemeinsam erlebten Kulturbesitz beruhen", und Staatsnationen "solche, die vorzugsweise auf der vereinigenden Kraft einer gemeinsamen politischen Geschichte und Verfassung beruhen" (3). Andere Autoren - etwa Hayes, Lemberg und Kohn - unterscheiden zwischen einem "subjektiven" (westeuropäischen) und einem "objektiven" (mittel- und osteuropäischen) Prinzip der Nationsbildung, wobei als subjektive Merkmale "nationaler Zugehörigkeit" der "Wille des Einzelnen" und als objektive Merkmale (etwa) "gemeinsame Abstammung und Sprache, gemeinsame Geschichte und Kultur" genannt werden (Lemberg 1934:3). 65 Frühwald 1986:131. 66 Dann 1991:68. 67 Weber 1958:14. 68 Schieder 1964:14. 69 König 1979:20.
238 70 Zum "Krisenmodell" vgl. Crises and Sequences 1971; sowie die Überblicksdarstellung in Rokkan (1970) und die Zusammenfassungen etwa in Waldmann 1974:27ff.; Dann 1978:12f.; König 1988:15f. 71 Ziegler 1931. 72 Die begriffliche Trennung von "Patriotismus" und "Nationalismus" ist nicht für alle Epochen und nicht für alle (europäischen) Sprachen eindeutig vorzunehmen. So wurde etwa im spanischen Sprachraum "patriotismo" während des 19. Jahrhunderts weitgehend synonym für "nacionalismo" verwendet. 73 Zum Nationalismus allgemein vgl. (neben der in Anm. 63 genannten Literatur) insbesondere Mommsen 1971; Snyder 1972; Winkler 1978; Dann 1978; Alter 1985; Gebhardt 1985; sowie im Zusammenhang der "Dritten Welt" Emerson 1960 und 1962. Zur Typologie (und Bewertung) von "Nationalismus" vgl. u.a. Hayes (insbes. 1968), der "humanitären", "jakobinischen", "traditionalen", "liberalen" und "integralen" Nationalismus unterscheidet. 74 König 1988:13. 75 Zur Kritik an Modernisierungskonzepten und dem "Krisenmodell" vgl. (u.a.) Silva Michelena 1973; Mols 1975; Rothermund 1978; Illy 1982; Nuscheier 1982. 76 Waldmann 1974; Zitat S. 46. 77 Deutsch 1972:30. 78 Etwa in Senghaas 1977; Preiswerk 1980; sowie einführend die Beiträge von Nuscheier, Senghaas und Matthies in Nohlen/Nuscheler 1982. 79 Habermas 1990:116. 80 Habermas 1990:121. 81 Dumont 1979:14. 82 Dumont 1979:17. 83 Goethe an Karl Ernst Schubarth am 2. 4. 1818 (1951:286). 84 Es sollte hier keine umfassende Definition von "Symbol" gegeben werden (vgl. den Überblick bei Kobbe 1984); für die hier entwickelte Begriffsbestimmung vgl. Cohen 1985, Kap. 1; Frank 1982:107ff. 85 Für "Mythos" wird hier auf eine von der Verf. bereits an anderer Stelle entwickelte Begriffs- und Funktionsbestimmung zurückgegriffen (Gewecke 1992b). 86 Frank 1982:109 und 188. 87 Graus 1986:45. 88 Zu Riten vgl. im Rahmen der hier bereits zitierten Literatur Greverus 1978:257ff.; Cohen 1985:50ff. 89 Gumbrecht 1979. 90 Rüegg 1982:13. 91 Weber 1964:1,38.' 92 Vgl. hierzu Lasswell 1975:341ff. 93 Zöller 1982:230 im Anschluß an Klaus Murmann. 94 Waldmann 1974:42f.
239 95 Karl Mannheim, zitiert nach v. Beyme 1969:190. 96 Zitiert nach Lipset 1982:121. 97 Zitiert nach Lipset 1982:121. 98 Bourdieu 1974:85. 99 Bourdieu 1974:103. 100 Bourdieu 1974:113.
Bibliographie 1 Primärwerke Album Simbòlico. Homenaje de los poetas dominicanos al Generalísimo Dr. Rafael L. Trujillo Molina, Padre de la Patria Nueva (1957). Ciudad Trujillo (Ateneo Dominicano) Alcántara Almánzar, José (Hrsg.) (1972): Antología de la literatura dominicana. Santo Domingo: Ed. Cultural Dominicana Alix, Juan Antonio (1977): Décimas políticas. Santo Domingo: Ed. de Santo Domingo Alix, Juan Antonio ( 2 1982): Décimas inéditas. Santo Domingo: Galaxia Alix, Juan Antonio/Antonio Zacarías Reyes L./José R. Heredia P. (1986): Décimas dominicanas de ayer y de hoy. Santo Domingo: Pubi. América Afngulo] Guridi, [Francisco] Javier ( 2 1953): Iguaniona. Drama histórico en verso y en tres actos - 1867 -. Ciudad Trujillo: Montalvo Balaguer, Joaquín (1947): La realidad dominicana. Semblanza de un país y de un régimen. Buenos Aires: Impr. Ferrari Hermanos Balaguer, Joaquín (1957): Discursos. Panegíricos, Política y Educación, Política internacional. Madrid: Acies Balaguer, Joaquín ( 5 1989): La isla al revés. Haití y el destino dominicano. Santo Domingo: Fundación José Antonio Caro/Corripio Bazil, Darío (Hrsg.) (1978): Poetas y prosistas dominicanos. Santo Domingo: Cosmos Billini, Francisco Gregorio (o.J.): Baní o Engracia y Antoñita. Santo Domingo: Central de Libros [Bonó, Pedro Franciso] ( 2 1980), in: Emilio Rodríguez Demorizi: Papeles de Pedro F. Bonó. Para la historia de las ideas políticas en Santo Domingo. Barcelona: Gráficas M. Pareja Bonó, Pedro Francisco (1989): El montero. Novela de costumbres. San Francisco de Macorís: Comisión Organizadora Permanente de la Feria Nacional del Libro Bosch, Juan ( 15 1987): La Mañosa. Santo Domingo: Alfa y Omega Cartagena Portalatin, Aída ( 2 1980): Escalera para Electro. Santo Domingo: Taller Cartagena Portalatin, Aída (1983): La tarde en que murió Estefanía. Santo Domingo: Taller
242 Castillo, Efraim (1982): Curriculum (El síndrome de la visa). Santo Doirngo: Taller Cestero, Tulio (o.J.): Ciudad romántica. [Santo Domingo] Cestero, Tulio M. (o.J.): La sangre. Una vida bajo la tiranía. [Santo Domir>o] Deligne, Gastón Ffemando] (1946): Galaripsos. Ciudad Trujillo: Montalvo Fernández-Rocha, Carlos/Danilo de los Santos (Hrsg.) (1977): Lecturas lominicanas. Madrid: Playor Fiallo, Fabio (1980): Obras completas. 4 Bde. Santo Domingo: Ed. de anto Domingo Galván, Manuel de Jesús (1990): Enriquillo. Leyenda histórica domin:ana (1503-1533). Santo Domingo: Ed. de la Fundación Corripio (Bibliotea de Clásicos Dominicanos, VIII) García Godoy, Federico (1975): El derrumbe. Santo Domingo: Ed. de la Uiversidad Autónoma de Santo Domingo García Godoy, Federico (1982): Trilogía patriótica. Rufinito. Alma Dominiana. Guanuma. Santo Domingo: Ed. de Santo Domingo Henríquez i Carvajal, Fed[erico] (1986): Nacionalismo. Santo Domingc Biblioteca Nacional Hernández Franco, Tomás (1985): Yelidá. Santo Domingo: Taller López, José Ramón (1991): Ensayos y artículos. Santo Domingo: Ed. de laFundación Corripio (Biblioteca de Clásicos Dominicanos, X) Lugo, Américo (1949): Antología. Selección, Introducción y Notas de V til io Alfau Durán. Ciudad Trujillo: Librería Dominicana [Lugo, Américo] (1976-77), in: Julio Jaime Julia: Antología de Américo ugo. Santo Domingo: Taller 2 Bde. Luperón, Gral. Gregorio (21939): Notas autobiográficas y apuntes históicos. 3 Bde. Santiago: El Diario. Llorens, Vicente (Hrsg.) (21984): Antología de la poesía dominicana 3441944. Santo Domingo: Sociedad Dominicana de Bibliófilos Llorens, Vicente (Hrsg.) (21987): Antología de la prosa dominicana 1844-944. Santo Domingo: Sociedad Dominicana de Bibliófilos Marrero Aristy, Ramón (1949): Trujillo. Síntesis de su vida y de su obra. Cidad Trujillo: Impr. Dominicana Marrero Aristy, Ramón (1993): Balsié. - Over. Santo Domingo: Ed. de lanimdación Corripio (Biblioteca de Clásicos Dominicanos, XVII) Mejía, Gustavo Adolfo (1954): Antología de poetas dominicanos. Bd. I. Cidad Trujillo: La Palabra de Santo Domingo Mermo, Fernando Arturo de (1960): Obras. Ciudad Trujillo: La Nación Moscoso Puello, Francisco] E[ugenio] (o.J.): Cartas a Evelina. [Sante Domingo]
243 Nanita, Abelardo R. ( 5 1951): Trujillo. Ciudad Trujillo: Impr. Dominicana Peix, Pedro (Hrsg.) ( 2 1987): La narrativa yugulada. Santo Domingo: Taller Pensón, César Nicolás (1986): Cosas añejas. Santo Domingo: Taller Peña Batlle, Manuel Arturo (1954): Política de Trujillo. Ciudad Trujillo: Impr. Dominicana Pérez, José Joaquín (1989): Fantasías indígenas y otros poemas. Santo Domingo: Ed. de la Fundación Corripio (Biblioteca de Clásicos Dominicanos, (VI) Prestol Castillo, Freddy ( 7 1987): El Masacre se pasa a pie. Santo Domingo: Taller Rodríguez Demorizi, Emilio (Hrsg.) ( 2 1973): Poesía popular dominicana. Santiago: Universidad Católica Madre y Maestra Rodríguez Objío, Manuel (1951): Relaciones. Ciudad Trujillo: Montalvo Santos, Danilo de los s. Fernández-Rocha, Carlos [Trujillo, Rafael Leonidas] (1955): Pensamiento vivo de Trujillo (Antología). Selección, Prólogo y Notas de Joaquín Balaguer. Ciudad Trujillo: Impr. Dominicana Trujillo, Rafael Lfeonidas] (1957): Discursos, mensajes y proclamas. Madrid: Acies Ureña de Henríquez, Salomé (1989): Poesías completas. Santo Domingo: Ed. de la Fundación Corripio (Biblioteca de Clásicos Dominicanos, VII) Vallejo de Paredes, Margarita (Hrsg.) (1981): Antología literaria dominicana. 5 Bde. Santo Domingo: Instituto Tecnológico de Santo Domingo Veloz Maggiolo, Marcio ( 2 1984): De abril en adelante (Protonovela). Santo Domingo: Taller Veloz Maggiolo, Marcio ( 2 1984): La biografía difusa de Sombra Castañeda. Santo Domingo: Taller
2 Geschichte, Politik, Wirtschaft, Soziales Abreu Licairac, Rafael ( 2 1973): Consideraciones acerca de nuestra independencia y sus prohombres. Santo Domingo: Bona Rivera & Asociados Avelino, Francisco Antonio (1966): Las ideas políticas en Santo Domingo. Santo Domingo: Arte y Cine Balaguer, Joaquín ( l0 1989): Memorias de un cortesano de la "Era de Trujillo". Santo Domingo: Sierra Barrios, Harald/Jan Suter ( 3 1992): "Dominikanische Republik", in: Dieter Nohlen/Franz Nuscheier (Hrsg.): Handbuch der Dritten Welt. Bd. 3: Mittelamerika und Karibik, S. 373-396
244 Baud, Michiel (1986): "Ideología y campesinado: el pensamiento social de José Ramón López", in: Estudios sociales 19 (64), S. 63-81 Bernecker, Walther L. u.a. (Hrsg.) (1992): Handbuch der Geschichte Lateinamerikas. Bd. 2: Lateinamerika von 1760 bis 1900. Stuttgart: Klett-Cotta Bonetti, Mario (1977): "El estado dominicano, 1844-1974 (Elementos tétricos para su estudio)", in: Lateinamerika-Studien 3, S. 154-182 Bosch, Juan ( 15 1986): Composición social dominicana. Historia e interpretación. Santo Domingo: Alfa y Omega Bosch, Juan (1988): Las dictaduras dominicanas. Santo Domingo: A f a y Omega Brea, Ramonina (1987): "El autoritarismo y el proceso de democratización en la República Dominicana", in: Ciencia y Sociedad 12 (2), S. 180-209 Buisson, Inge/Herbert Schottelius (1980): Die Unabhängigkeitsbewegungm in Lateinamerika. 1788-1826. Stuttgart: Klett-Cotta Campillo Pérez, Julio G. ( 4 1986): Historia electoral dominicana 1848-.986. Santo Domingo: Junta Central Electoral Cassá, Roberto (1974): Los Tainos de La Española. Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autónoma de Santo Domingo Cassá, Roberto (1976): "El racismo en la ideología de la clase dominante cominicana", en: Ciencia 3 (1), S. 61-85 Cassá, Roberto (1986): Los doce años: Contrarrevolución y desarrollismo. Bd. I. Santo Domingo: Alfa y Omega Cassá, Roberto ('1987, 8 1986): Historia social y económica de la República Dominicana. 2 Bde. Santo Domingo: Alfa y Omega Castillo, José del/Walter Cordero (1982): "La economía dominicana durarte el primer cuarto del siglo XX", in: Mejía-Ricart G., S. 87-124 Castillo, José del/Christopher Mitchel (Hrsg.) (1987): La inmigración dominicana en los Estados Unidos. Santo Domingo: Universidad APEC Castor, Suzy (1987): Migración y relaciones internacionales (El caso hait,anodominicano). Santo Domingo: Ed. Universitaria/Universidad Autónorra de Santo Domingo Charlevoix, Pierre-Fran?ois-Xavier de (1730-31): Histoire de l'lsle espagnde ou de S. Domingue. 2 Bde. Paris: Guerin Chemins critiques (1992), 2 (4) Colón, Cristóbal (1982): Textos y documentos completos. Relaciones de viajes, cartas y memoriales. Madrid: Alianza Cordero, Walter s. José del Castillo Cordero Michel, Emilio (1968): La revolución haitiana y Santo Domingo. Santo Domingo: Ed. Nacional
245 Cordero Michel, José R. (1975): Análisis de la Era de Trujillo (Informe sobre la República Dominicana 1959). Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autònoma de Santo Domingo Corten, André (1993): El estado débil. Haití y la República Dominicana. Santo Domingo: Taller Crassweller, Robert D. (o.J.): Trujillo. La trágica aventura del poder [Santo Domingo]
personal.
Cross Beras, Julio A. (1984): Sociedad y desarrollo en República Dominicana. 1844-1899. Santo Domingo: Instituto Tecnológico de Santo Domingo Cuello H., José Israel (Hrsg.) (1985): Documentos del conflicto dominicohaitiano de 1937. Santo Domingo: Taller Deive, Carlos Esteban (1980): La esclavitud del negro de Santo Domingo (14921844). 2 Bde. Santo Domingo: Museo del Hombre Dominicano Deive, Carlos Esteban (1988): Vodú y magia en Santo Domingo. Santo Domingo: Fundación Cultural Dominicana Díaz Grullón, Virgilio (1989): Antinostalgia de una Era. Santo Domingo: Fundación Cultural Dominicana Dobal, Carlos (1984): "Hispanidad y dominicanidad", in: eme eme 12 (72), S. 89-97 Documentos para Estudio. Marco de la época y problemas del tratado de Basilea de 1795, en la Parte Española de Santo Domingo. (Colección de J. Marino Incháustegui) (1957). 2 Bde. Buenos Aires (Academia Dominicana de la Historia) Dore Cabrai, Carlos (1985): "La inmigración haitiana y el componente racista de la cultura dominicana (Apuntes para una crítica a 'La isla al revés'", in: Ciencia y Sociedad 10(1), S. 61-69 [Duarte, Rosa] (1970): Apuntes de Rosa Duarte. Archivo y versos de Juan Pablo Duarte. Santo Domingo: Ed. del Caribe Ensayos sobre cultura dominicana (Bernardo Vega u.a.) ( 2 1988). Santo Domingo: Fundación Cultural Dominicana/Museo del Hombre Dominicano Espinal, Rosario (1987): Autoritarismo y democracia en la política dominicana. San José (Costa Rica): Ed. CAPEL Estado de situación de la democracia dominicana (1978-1992) (Ramonina Brea u.a.) (1995). Santo Domingo: Pontificia Universidad Católica Madre y Maestra Fennema, Meindert/Troetje Loewenthal (1987): La construcción de raza y nación en la República Dominicana. Santo Domingo: Ed. Universitaria/Universidad Autónoma de Santo Domingo Ferguson, James (1993): Dominikanische Republik. Zwischen Slums und Touristendörfern. Frankfurt/M.: dipa
246 Franco, Franklyn J. ( 7 1984): Los negros, los mulatos y la nación dominicana. Santo Domingo: Ed. Nacional Franco, Franklin J. (1992): La Era de Trujillo. Santo Domingo: Fundación Cultural Dominicana Franco, Franklin J. (o.J.): Historia de las ideas políticas en la República Dominicana (Contribución a su estudio). Santo Domingo: Ed. Nacional Galíndez, Jesús de (1958): La Era de Trujillo. Un estudio casuístico de dictadura hispanoamericana. Buenos Aires: Ed. Americana García, José Gabriel ( 5 1982): Compendio de la Historia de Santo Domingo. 4 Bde. Santo Domingo: Central de Libros Geffroy, John/Margaret Vásquez Geffroy (1975): "Influencia del sistema del hato en la organización familiar del campesino dominicano", in: eme eme 3 (18), S. 107-136. Gewecke, Frauke ( 2 1988): Die Karibik. Zur Geschichte, Politik und Kultur einer Region. Frankfurt/M.: Vervuert Gómez Pérez, Luis (1982): "La comunidad dominicana en los años veinte", in: Mejía-Ricart G., S. 125-136 Hartlyn, Jonathan (1993): "The Dominican Republic: Contemporary problems and challenges", in: Jorge I. Domínguez/Robert A. Pastor/R. DeLisle Worrell (Hrsg.): Democracy in the Caribbean. Politicai, Economic, and Social Perspectives. Baltimore-London: The Johns Hopkins University Press Hoetink, H[arry] ( 3 1985): El Pueblo Dominicano: 1850-1900. Apuntes para su sociología histórica. Santiago: Universidad Católica Madre y Maestra Hoetink, Harry (1994): Santo Domingo y el Caribe. Ensayos sobre Historia y Sociedad. Santo Domingo: Fundación Cultural Dominicana Informe de la Comisión de investigación de los E.V.A. en Santo Domingo en 1871 (1960). Ciudad Trujillo: Ed. Montalvo James, C.L.R. (1984): Die schwarzen Jakobiner. Toussaint L'Ouverture und die Unabhängigkeitsrevolution
in Haiti. Köln: Pahl-Rugenstein
Janvier, Louis Joseph (1886): Les constitutions d'Haiti (1801-1885). Bd. I. Paris: Marpon et Flammarion Jimenes Grullón, Juan I[sidro] ( 4 1982): Sociología política dominicana
1844-
1966. Bd. I. Santo Domingo: Alfa y Omega Jimenes-Grullón, Juan Isidro ( '1982): El mito de los padres de la patria. Santo Domingo: Alfa y Omega Knight, Melvin M. (1939): Los americanos en Santo Domingo. Estudios de imperialismo americano. Ciudad Trujillo: Imprenta "Listín Diario" Knippers Black, Jan (1993): "Democracy and disillusionment in the Dominican Republic", in: Anthony Payne/Paul Sutton (Hrsg.): Modern Caribbean Politics. Baltimore-London: The Johns Hopkins University Press
247 La Gándara, Gral. José de (1975): Anexión y Guerra de Santo Domingo. 2 Bde. Santo Domingo: Sociedad Dominicana de Bibliófilos Larrazábal Blanco, Carlos (1975): Los negros y la esclavitud en Santo Domingo. Santo Domingo: Postigo e hijos Las Casas, Bartolomé de (1957): Historia de las Indias. 2 Bde. Madrid: Atlas (Biblioteca de Autores Españoles) Loewenthal, Troetje s. Meindert Fennema Lozano, Wilfredo (Hrsg.) (1993): La cuestión haitiana en Santo Domingo. Migración internacional, desarrollo y relaciones inter-estatales entre Haití y República Dominicana. Santo Domingo: FLACSO-Centro Norte-Sur de la Universidad de Miami Lucena Salmoral, Manuel (1992): "Neu-Granada/Großkolumbien", in: Bernecker, S. 208-248 Madiou, Thomas (1904): Histoire d'Haïti 1834-1846. 3 Bde. Port-au-Prince: Verrollot Malagón Barceló, Javier (Hrsg.) (1974): Código Negro Carolino (1784). Santo Domingo: Taller Marinez, Pablo A. (1986): Relaciones dominico-haitianas y raíces histórico culturales africanas en la República Dominicana. Bibliografía básica. Santo Domingo: Ed. Universitaria/Universidad Autónoma de Santo Domingo Martin, Michel L./François Vellas/Alain Yacou (Hrsg.) (1992): La République Dominicaine, La Guadeloupe et la Caraïbe. Paris: Economica Martínez, Rufino (1971): Diccionario biográfico-histórico dominicano. 18211930. Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autónoma de Santo Domingo Martínez Almánzar, Juan Francisco (1986): Enriquillo, ídolo de barro. Santo Domingo o.V. Martyr von Anghiera, Peter (1972-75): Acht Dekaden über die Neue Welt. 2 Bde. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Mejia-Ricart, Tirso (Hrsg.) (1977): La sociedad dominicana durante la Primera República. 1844-1861 (Curso monográfico). Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autónoma de Santo Domingo Mejía-Ricart G., Tirso (Hrsg.) (1982): La sociedad dominicana durante la Segunda República. 1865-1924. Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autónoma de Santo Domingo Mir, Pedro (1981-83): La noción de período en la historia dominicana. 3 Bde. Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autónoma de Santo Domingo Mir, Pedro ( 3 1984): Tres leyendas de colores. Ensayo de interpretación de las tres primeras revoluciones del Nuevo Mundo. Santo Domingo: Taller Mitchel, Christopher s. José del Castillo Moïse, Claude (1988-90): Constitutions et luttes de pouvoir en Haïti 1987). 2 Bde. Montréal: Eds. du CIDIHCA
(1804-
248 Monclús, Miguel Angel ( 4 1983): El caudillismo en la República Dominicana. Santo Domingo: Ed. Educativa Dominicana/Publicaciones CETEC Monte y Tejada, Antonio del ( 3 1952-53): Historia de Santo Domingo. 3 Bde. Ciudad Trujillo (Biblioteca Dominicana) Moreau de Saint-Méry, [Médéric-Louis-Elie] (1958): Description topographique, physique, civile, politique et historique de la partie française de l'Isle Saint-Domingue. 3 Bde. Paris: Société de l'Histoire des Colonies Françaises/ Librairie Larose Moya Pons, Frank ( 2 1973): La Española en el siglo XVI. 1493-1520. Trabajo, sociedad y política en la economía del oro. Santiago: Universidad Católica Madre y Maestra Moya Pons, Frank (1974): "Notas sobre la primera abolición de la esclavitud en Santo Domingo", in: eme eme 3(13), S. 3-25 Moya Pons, Frank ( 2 1976): Historia colonial de Santo Domingo. Santiago: Universidad Católica Madre y Maestra Moya Pons, Frank ( 8 1984): Manual de Historia Dominicana. Santiago: Universidad Católica Madre y Maestra Moya Pons, Frank (1986): El pasado dominicano. Santo Domingo: Fundación J. A. Caro Alvarez Moya Pons, Frank (1991): "The Haitian Revolution in Santo Domingo (17891809)", in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 28, S. 125-162 Moya Pons, Frank ( 9 1992): Separata del Manual de Historia Dominicana. Santo Domingo: Caribbean Publishers Moya Pons, Frank (1995): The Dominican Republic. A National History. New Rochelle, New York: Hispaniola Books Corporation Munro, Dana G. (1964): Intervention and Dollar Diplomacy in the Caribbean. 1900-1921. Princeton: Princeton University Press Muñoz, María Elena (1995): Las relaciones dominico-haitianas:
geopolítica y
migración. Santo Domingo: Alfa y Omega Nau, Le Baron Emile ( 2 1963): Histoire des caciques d'Haïti. 2 Bde. Port-auPrince: Eds. Panorama Nicolas, Airich (1995): "Demokraten, Caudillisten & Co. Wahlfälschung und Transformation des Parteiensystems in der Dominikanischen Republik" (Manuskript; erscheint in Lateinamerika. Analysen und Berichte) Oostindie, Gert J. (1992): "Die Karibik 1820-1900", in: Bernecker, S. 729-766 Oviedo, José (1985): "Cultura y nación: la búsqueda de la identidad", in: Ciencia y Sociedad 10(1), S. 33-44 Oviedo, José (1987): "La tradición autoritaria", in: Ciencia y Sociedad 12 (2), S. 210-231
249 Peguero, Valentina/Danilo de los Santos ( l0 1986): Visión general de la historia dominicana. Santiago-Santo Domingo: Universidad Católica Madre y Maestra Peña Batlle, Manuel Arturo (1970): La rebelión del Bahoruco. Santo Domingo: Librería Hispaniola Peña Batlle, Manuel Arturo ( 2 1988a): Historia de la cuestión fronteriza dominico-haitiana. Santo Domingo: Sociedad Dominicana de Bibliófilos Peña Batlle, Manuel Arturo ( 3 1988b): La Isla de la Tortuga. Plaza de armas, refugio y seminario de los enemigos de España en Indias. Santo Domingo: Taller Peña Batlle, Manuel Arturo (1989): Ensayos históricos. Santo Domingo: Fundación Peña Batlle/Taller Pérez Cabrai, Pedro Andrés (1967): La comunidad mulata. El caso socio-político de la República Dominicana. Caracas: Gráfica Americana Peukert, Detlev Julio K. (1986): "Anhelo de dependencia. Las ofertas de anexión de la República Dominicana a los Estados Unidos en el siglo XIX", in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 23, S. 305-330 Pierre-Charles, Gérard (Hrsg.) (1974): Política y sociología en Haití y la República Dominicana. Coloquio dominico-haitiano de Ciencias Sociales. México, julio de 1971. México: Universidad Nacional Autónoma de México Pierre-Charles, Gérard u.a. (Hrsg.) (1973): Problemas dominico-haitianos y del Caribe. México: Universidad Nacional Autónoma de México Pietschmann, Horst (1980): Die staatliche Organisation des kolonialen Iberoamerika. Stuttgart: Klett-Cotta Price, Hannibal (1900): De la réhabilitation de la race noire par la République d'Haïti. Port-au-Prince: Verrollot Price-Mars, Jean (1953): La République d'Haïti et la République Dominicaine. Les aspects divers d'un problème d'histoire, de géographie et d'ethnologie. 2 Bde. Port-au-Prince: Collection du Tricinquantenaire de l'Indépendance d'Haïti Report ofthe Commission of Inquiry to Santo Domingo [...] (1871) Washington: Government Printing Office Rodríguez Demorizi, Emilio (1942, 1945, 1957): Relaciones históricas de Santo Domingo. 3 Bde. Ciudad Trujillo: Ed. Montalvo Rodríguez Demorizi, Emilio (1955): La Era de Francia en Santo Domingo. Contribución a su estudio. Ciudad Trujillo: Ed. del Caribe Rodríguez Demorizi, Emilio (1958): Cesión de Santo Domingo a Francia. Correspondencia de Godoy, García, Roume, Hedouville, Louverture, Rigaud y otros, 1795-1802. Ciudad Trujillo: Impr. Dominicana
250 Rodríguez Demorizi, Emilio (1971): Santo Domingo y la Gran Colombia Bolívar y Núñez de Cáceres. Santo Domingo: Ed. del Caribe Rodríguez Demorizi, Emilio (1976): En torno a Duarte. Santo Domingo: Taller Rodríguez Demorizi, Emilio (1980): La Constitución de San Cristóbal 18441854. Santo Domingo: Ed. del Caribe Rudel, Christian (1989): La République Dominicaine. Paris: Karthala Sagawe, Thorsten (1993): Geografía, población e historia en R.D. al través de los siglos. Santo Domingo: Universidad Autónoma de Santo Domingo-Publicaciones del Instituto de Investigaciones Socioeconómicas Sánchez Valverde, Antonio (1988): Ensayos. Santo Domingo: Ed. de la Fundación Corripio (Biblioteca de Clásicos Dominicanos, V) Santos, Danilo de los (1980): "Referencias sobre la identidad nacional y cultural de los dominicanos", in: eme eme 8 (47), S. 3-16 Santos, Danilo de los s. Valentina Peguero Schoelcher, Victor (1982): Vie de Toussaint Louverture. Paris: Karthala Schottelius, Herbert s. Inge Buisson Silié, Rubén (1976): Economía, esclavitud y población. Ensayos de interpretación histórica del Santo Domingo español en el siglo XVI11. Santo Domingo o. V. Suter, Jan s. Harald Barrios Tolentino, Hugo (1974): Raza e historia en Santo Domingo. Bd. I: Los orígenes del prejuicio racial en América. Santo Domingo: Ed de la Universidad Autónoma de Santo Domingo Tolentino Dipp, Hugo (1977): Gregorio Luperón. Biografía política. Santo Domingo: Alfa y Omega Troncoso Sánchez, Pedro (1985): "Discurso de orden pronunciado por el Dr. ... en la sesión inaugural del Segundo Congreso Dominicano de Historia", in: eme eme 13(78), S. 13-31 Utrera, Fray Cipriano (1973): Polémica de Enriquillo. Santo Domingo: Ed. del Caribe Vaissière, Pierre de ( 2 1909): Saint-Domingue. l'Ancien Régime (1629-1789). Paris: Perrin
La société et la vie créoles sous
Vásquez Geffroy, Margaret s. John Geffroy Vellas, François s. Michel L. Martin Walton, William (1810): Present State of the Spanish Colonies; Inclucing a Particular Report of Hispañola, or the Spanish Part of Santo Domingo [...]. Bd. I. London: Longman etc. Welles, Sumner ( 5 1986-87): La Viña de Naboth (Naboth's Vineyard). La República Dominicana. 1844-1924. 2 Bde. Santo Domingo: Taller
251 Wiarda, Howard J. (1975): Dictatorship, Development and Desintegration. Politics and Social Change in the Dominican Republic. Ann Arbor, Michigan: Xerox University Microfilms Yacou, Alain s. Michel L. Martin ZáiterMejía, Alba Josefina (1995): "La identidad social y nacional en Dominicana: un análisis psico-social", in: Anuario de la Academia de Ciencias de R. Dominicana 12, S. 1-264
3 Literaturgeschichte, Literaturkritik Alcántara Almánzar, José (1979): Estudios de poesía dominicana. Santo Domingo: Alfa y Omega Alcántara Almánzar, José (1984): Narrativa y sociedad en Hispanoamérica. Santo Domingo: Instituto Tecnológico de Santo Domingo Alcántara Almánzar, José (1989-90): "Sobre literatura dominicana 1965-1985", in: Homines 13 (2) - 14 (1), S. 325-332 Alcántara Almánzar, José (1990): Los escritores dominicanos y la cultura. Santo Domingo: Instituto Tecnológico de Santo Domingo Alvarez, Soledad s. Diogenes Céspedes Anderson Imbert, Enrique (1960): "El telar de una novela histórica: Enriquillo de Galván", in: ders., Crítica interna. Madrid: Taurus, S. 57-72 Balaguer, Joaquín (61986): Historia de la literatura dominicana. Santo Domingo: Corripio Céspedes, Diogenes (1983): Estudios sobre literatura, cultura e ideologías. Estudios poéticos. Estudios sobre narrativa. Cultura, ideología y análisis de discursos. San Pedro de Macorís: Universidad Central del Este Céspedes, Diogenes (1985): Lenguaje y poesía en Santo Domingo en el siglo XX. Santo Domingo: Ed. Universitaria/Universidad Autónoma de Santo Domingo Céspedes, Diógenes/Soledad Alvarez/Pedro Vergés (Hrsg.) (1994): Ponencias del Congreso Crítico de Literatura Dominicana. Santo Domingo o.V. Collado, Miguel (1993): Apuntes bibliográficos sobre la literatura dominicana. Bd. 1. Santo Domingo: Biblioteca Nacional Conde, Pedro (1978): Notas sobre el Enriquillo. Santo Domingo: Taller Contín Aybar, Néstor (1982-86): Historia de la literatura dominicana. 4 Bde. San Pedro de Macorís: Universidad Central del Este Cruz, Josefina de la (1986): La sociedad dominicana defínales de siglo a través de la novela. Santo Domingo: Ed. Universitaria/Universidad Autónoma de Santo Domingo
252 Fernández Olmos, Margarita (1988): "La narrativa dominicana contemporánea: en busca de una salida", in: Revista Iberoamericana. Número especial sobre la literatura dominicana en el siglo XX 54 (142), S. 73-87 Fleischmann, Ulrich (1993): "Haiti und die Dominikanische Republik: die erzählte Begegnung", in: Neue Romania 14, S. 109-132 Gewecke, Frauke (1993): '"El Corte' oder 'Les Vèpres Dominicaines': Trjjillos dominicanización de la frontera und ihr Reflex in der dominikanischen und haitianischen Literatur", in: IBEROAMERICANA 50, S. 38-62 Henríquez Ureña, Max ( 2 1965-66): Panorama histórico de la literatura dominicana. 2 Bde. Santo Domingo: Librería Dominicana Hernández de Norman, Isabel (1977): La novela criolla en las Antillas. New York: Plus Ultra Educational Publishers Kozak Rovero, Gisela (1993): Rebelión en el Caribe Hispánico: Urbes e historias más allá del boom y la postmodernidad. Caracas: La Casa de Bello Landolfi, Ciriaco (1977): Introducción al estudio de la historia de la cultura dominicana. Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autónoma de Santo Domingo Landolfi, Ciriaco (1981): Evolución cultural dominicana. 1844-1899. Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autónoma de Santo Domingo Larson, Neil (1988): "¿Cómo narrar el trujillato?", in: Revista Iberoamericana. Número especial sobre la literatura dominicana en el siglo XX 54 (142), S. 89-98 Lebrón Saviñón, Mariano (1981-82): Historia de la cultura dominicana. 5 Bde. Santo Domingo: Universidad Nacional Pedro Henríquez Ureña Mateo, Andrés L. (1993): Mito y cultura en la Era de Trujillo. Santo Domingo: Librería La Trinitaria/Instituto del Libro Meléndez, Concha ( 3 1970): La novela indianista en Hispanoamérica (18321889). San Juan de Puerto Rico: Ed. Cordillera. Modesto, Tomás (1987): ¿Es popular la poesía de Juan Antonio Alix? Santo Domingo: Biblioteca Nacional Pérez, Carlos Federico ( 2 1987): Evolución poética dominicana. Santo Domingo: Taller Pimentel, Miguel (1986): Ideología de la novela criolla (1880-1944). Santo Domingo: Ed. Universitaria/Universidad Autónoma de Santo Domingo Piña Contreras, Guillermo (1985): Enriquillo: el texto y la historia. La RomanaSanto Domingo: Museo Arqueológico Regional de Altos de Chavón/Alfa y Omega Rodríguez Demorizi, Emilio (1964): Baní y la novela de Billini. Santo Domingo: Ed. del Caribe Rosario Candelier, Bruno (1974): "Los valores negros en la poesía dominicana", en: eme eme 3(15), S. 29-66
253 Rosario Candelier, Bruno (1977): Lo popular y lo culto en la poesía dominicana. Santiago: Universidad Católica Madre y Maestra Rosario Candelier, Bruno (1984): La imaginación insular (Mitos, leyendas, utopías y fantasmas en la narrativa dominicana). Santo Domingo: Taller Rosario Candelier, Bruno (1989): La creación mitopoética. Símbolos y arquetipos en la lírica dominicana. Santiago: Pontificia Universidad Católica Madre y Maestra Sommer, Doris (1983): One Master for Another. Populism as Patriarchal Rhetoric in Dominican Novéis. Lanham-New York-London: University Press of America Sommer, Doris (1991): Foundational Fictions. The National Romances ofLatin America. Berkeley-Los Angeles-London: University of California Press Veloz Maggiolo, Marcio (1980): Sobre cultura y política cultural en la República Dominicana. Santo Domingo: Alfa y Omega Veloz Maggiolo, Marcio (o. J.): Sobre cultura dominicana... y otras culturas (Ensayos). [Santo Domingo] Vergés, Pedro s. Diógenes Céspedes Vicioso, Abelardo (1983): El freno hatero en la literatura dominicana. Santo Domingo: Ed. de la Universidad Autónoma de Santo Domingo
4 Nation, Identität Alter, Peter (1985): Nationalismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp Anderson, Benedict ( 2 1993): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt/M.-New York: Campus Assmann, Aleida/Dietrich Harth (Hrsg.) ( 2 1993): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt/M.: Fischer Assmann, Jan (1988): "Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität", in: Jan Assmann/Tonio Hölscher (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 9-19 Auernheimer, Georg (1989): "Kulturelle Identität - ein gegenaufklärerischer Mythos?", in: Das Argument 31 (175), S. 381-394 Autonomes Zentrum Marbach a.N. (1993): Zur Kritik von Nationalismus, Nation, (National-)Staat und nationaler Identität. Ergebnisse eines Seminars in Pesina/Giardino Futuro - 30.8. - 5.9.1992. Tübingen: Jung Balibar, Etienne/Immanuel Wallerstein (1990): Rasse - Klasse - Nation: ambivalente Identitäten. Hamburg-Berlin: Argument Bausinger, Hermann (1982): Kulturelle Identität. Tübingen o.V. Bendix, Reinhard (1980): Könige oder Volk. Machtausübung und Herrschaftsmandat. 2 Bde. Frankfurt/M.: Suhrkamp
254 Benoist, Jean-Marie (1980): "Facetten der Identität", in: ders. (Hrsg.): Identität. Ein interdisziplinäres Seminar unter Leitung von Claude Lévi-Strauss. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 11-21 Berding, Helmut (1994): Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2. Frankfurt/M.: Suhrkamp Berger, Peter L./Thomas Luckmann ( 2 1971 ): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/M.: S. Fischer Bergius, Rudolf (1976): Sozialpsychologie. Hamburg: Hoffmann und Campe Beyme, Klaus von (1969): "Intellektuelle, Intelligenz", in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie. Freiburg-Basel-Wien: Herder, Bd. III, S. 185-207 Bhabha, Homi K. ( 2 1993): Nation and Narration. London-New York: Routledge Bidney, David ( 2 1967): Theoretical Anthropology. New York: Schocken Blumenwitz, Dieter (1985): "Der Nationenbegriff und die Deutsche Frage", in: Zeitschrift für Politik 32 (3), S. 268-278 Boemer, Peter (Hrsg.) (1986): Concepts of National Identity. An Interdisciplinary Dialogue. Interdisziplinäre Betrachtungen zur Frage der nationalen Identität. Baden-Baden: Nomos Bourdieu, Pierre (1974): Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt/M.: Suhrkamp Burian, Peter/Hans Mommsen (1971): "Nationalstaat", in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie. Freiburg-Basel-Wien: Herder, Bd. IV, S. 713-740 Cohen, Afnthony] P. (1985): The Symbolic Construction of Community. Chichester-London-New York: Ellis Horwood-Tavistock Connor, Walker (1978): "A nation is a nation, is a state, is an ethnic group is a...", in: Ethnic and Racial Studies 1 (4), S. 377-400 Crises and Sequences in Political Development (Leonard Binder u.a.) (1971). Princeton: Princeton University Press Dann, Otto (1991): "Begriffe und Typen des Nationalen in der frühen Neuzeit", in: Giesen, S. 56-73 Dann, Otto (Hrsg.) (1978): Nationalismus und sozialer Wandel. Hamburg: Hoffmann und Campe Dann, Otto (Hrsg.) (1986): Nationalismus in vorindustrieller Zeit. München: Oldenbourg Deutsch, Karl W. (1953): Nationalism and Social Communication. An Inquiry into the Foundations of Nationality. Cambridge, Massachusetts: The M.I.T. Press
255 Deutsch, Karl W. (1972): Der Nationalismus und seine Alternativen. Piper
München:
Dumont, Fernand (1979): "Mouvements nationaux et régionaux d'aujourd'hui", in: Cahiers Internationaux de Sociologie N.S. 26(66), S. 5-17 Dyserinck, Hugo/Karl Ulrich Syndram (Hrsg.) (1988): Europa und das nationale Selbstverständnis. Imagologische Probleme in Literatur, Kunst und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts. Bonn: Bouvier Eisenstadt, Shmuel N. (1990): "Kultur und Sozialstruktur in der neueren soziologischen Analyse", in: Haferkamp, S. 7-19 Elias, Norbert ( 5 1978): Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde. Frankfurt/M.: Suhrkamp Emerson, Rupert (1960): "Nationalism and political development", in: The Journal of Politics 22 (1), S. 3-28 Emerson, Rupert ( 2 1962): From Empire to Nation. The Rise to Self-Assertion of Asian and African Peoples. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press Epstein, A. L. (1978): Ethos and Identity. Three Studies in Ethnicity. LondonChicago: Tavistock-Aldine Erikson, Erik H. (1981): Jugend und Krise. Die Psychodynamik im sozialen Wandel. Frankfurt/M.-Berlin-Wien: Ullstein Erikson, Erik H. (' 1 1989): Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze. Frankfurt/M.: Suhrkamp Ethnic and Racial Studies 1 (1978) Fischer, Manfred S. (1981): Nationale Images als Gegenstand Vergleichender Literaturgeschichte. Untersuchungen zur Entstehung der komparatistischen Imagologie. Bonn: Bouvier Frank, Martin (1982): Der kommende Gott. Vorlesungen Uber die Neue Mythologie. 1. Teil. Frankfurt/M.: Suhrkamp Fröhlich, Dieter (1970): Nationalismus und Nationalstaat in Entwicklungsländern. Probleme der Intergration ethnischer Gruppen in Afghanistan. Meisenheim a. Glan: Hain Frühwald, Wolfgang (1986): "Die Idee kultureller Nationbildung und die Entstehung der Literatursprache in Deutschland", in: Dann, S. 129-141 Gebhardt, Jürgen (1985): "Nationale Identität und nationale Ideologie. Anmerkungen zum Problem des Nationalismus", in: Zeitschrift für Politik 32 (3), S. 237-250 Geertz, Clifford (1987): Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt/M.: Suhrkamp Gewecke, Frauke ( 2 1992a): Wie die neue Welt in die alte kam. München: dtv
256 Gewecke, Frauke (1992b): "Mythen als Begründungs- und Beglaubigungsrede: das Beispiel der Kubanischen Revolution", in: Dietrich Harth/Jan Assmann (Hrsg.): Revolution und Mythos. Frankfurt/M.: Fischer, S. 266-288 Giesen, Bernhard (Hrsg.) (1991): Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp Glazer, Nathan/Daniel P. Moynihan (Hrsg.) (1975): Ethnicity. Theory and Experience. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press Goethe, Johann Wolfgang (1951): Briefe der Jahre 1814 - 1832 (Bd. 21 der Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche). Zürich: Artemis Goffman, Erving ( 3 1976): Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper Graumann, Carl F. (1983): "On multiple identities", in: International Social Science Journal 35 (2), S. 309-321 Graus, Frantisek (1986): "Nationale Deutungsmuster der Vergangenheit in spätmittelalterlichen Chroniken", in: Dann, S. 35-53 Greverus, Ina-Maria (1978): Kultur und Alltagswelt. Eine Einführung in Fragen der Kulturanthropologie. München: Beck Gumbrecht, Hans Ulrich (1979): "Über die allmähliche Verfertigung von Identitäten in politischen Reden", in: Marquard/Stierle, S. 107-131 Habermas, Jürgen ( 2 1976): Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp Habermas, Jürgen ( 6 1977): Kultur und Kritik. Verstreute Aufsätze. Frankfurt/M.: Suhrkamp Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bde. Frankfurt/M.: Suhrkamp Haferkamp, Hans (Hrsg.) (1990): Sozialstruktur Suhrkamp
und Kultur.
Frankfurt/M.:
Halbwachs, Maurice (1985a): Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp Halbwachs, Maurice (1985b): Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt/M.: Fischer Harth, Dietrich s. Aleida Assmann Hayes, Carlton J. H. ( 2 1968): The Historical Evolution of Modern Nationclism. New York: Russell & Russell Herskovits, Melville J. (1972): Cultural Relativism. Perspectives in Cultural Pluralism. New York: Random House Hertz, Frederick ( 5 1966): Nationality in History and Politics. A Psychology and Sociology of National Sentiment and Nationalism. London: Routledge & Kegan Paul Hobsbawm, E. J. ( 2 1992): Nations and Nationalism since 1780. Programme, Myth, Reality. Cambridge: Cambridge University Press
257 Hofstätter, Peter R. ( 5 1973): Einführung Kröner
in die Sozialpsychologie.
Stuttgart:
Huber, Jakob/Ewald E. Krainz (1981): "Identität", in: Günter Rexelius/Siegfried Grubitzsch (Hrsg.): Handbuch psychologischer Grundbegriffe. Mensch und Gesellschaft in der Psychologie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 474-478 Uly, Hans F. (1982): "Nation und Nationalismus in Afrika. Die Verlockungen eines Vorbildes und die Folgen seiner eindimensionalen Imitation", in: Winkler, S. 177-207 Jeismann, Karl-Ernst (1979): "Geschichtsbewußtsein", in: Klaus Bergmann u.a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Bd. I. Düsseldorf: Schwann , S. 42-45 Jockel, Sabine (1987): "Die 'histoire des mentalités': Baustein einer historischsoziologischen Literaturwissenschaft", in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte/Cahiers d'Histoire des Littératures Romanes 11 (1/2), S. 146173 Kluckhohn, Clyde s. Alfred L. Kroeber Kobbe, Peter ( 2 1984): "Symbol", in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte Bd. 4, hrsg. v. Klaus Kanzog/Achim Masser. Berlin-New York: Gruyter, S. 308-333 Kohn, Hans (1955): Nationalism. Its Meaning and History. Princeton etc.: Van Nostrand Kohn, Hans ( 2 1976): The Age of Nationalism. The First Era of Global History. Westport, Connecticut: Greenwood König, Hans-Joachim (1979): "Theoretische und methodische Überlegungen zur Erforschung von Nationalismus in Lateinamerika", in: Canadian Review of Studies in Nationalism 6 (1), S. 13-32 König, Hans-Joachim (1988): Auf dem Wege zur Nation. Nationalismus im Prozeß der Staats- und Nationbildung Neu-Granadas 1750 bis 1856. Stuttgart: Steiner Krainz, Ewald E. s. Jakob Huber Krappmann, Lothar ( 5 1978): Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen. Stuttgart: Klett-Cotta Kroeber, Alfred L./Clyde Kluckhohn (1952): Culture. A Critical Review of Concepts and Definitions. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press Lasswell, Harold D. (1975): "Machteliten", in: Wilfried Röhrich (Hrsg.): 'Demokratische' Elitenherrschaft. Traditionsbestände eines sozialwissenschaftlichen Problems. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Lemberg, Eugen (1934): Wege und Wandlungen des Nationalbewußtseins. Studien zur Geschichte der Volkwerdung in den Niederlanden und in Böhmen. Münster i.W.: Aschendorff
258 Lemberg, Eugen (1950): Geschichte des Nationalismus in Europa. Stuttgart: Schwab Lemberg, Eugen (1964): Nationalismus. 2 Bde. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Lepenies, Wolf (1971): Soziologische Anthropologie. Materialien. München: Hanser Lepenies, Wolf/Helmut Nolte ( 2 1972): Kritik der Anthropologie. Marx und Freud. Gehlen und Habermas. Über Aggression. München: Hanser Levita, David J. de (1971): Der Begriff der Identität. Frankfurt/M.: Suhrkamp Lipset, Seymour Martin (1982): "Das intellektuelle Grundprinzip", in: Wolfgang Bergsdorf (Hrsg.): Die Intellektuellen. Geist und Macht. Pfullingen: Neske, S. 115-129 Luckmann, Thomas s. Peter L. Berger Malinowski, Bronislaw (1975): Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur. Und andere Aufsätze. Frankfurt/M.: Suhrkamp Marquard, Odo (1979): "Identität: Schwundtelos und Mini-Essenz - Bemerkungen zur Genealogie einer aktuellen Diskussion", in: Marquard/Stierle, S. 347369 Marquard, Odo/Karlheinz Stierle (Hrsg.) (1979): Identität. München: Fink (Poetik und Hermeneutik 8) Masur, Gerhard (1966): Nationalism in Latin America. Diversity and Unity. New York-London: MacMillan Matthies, Volker ( 2 1982): "Kollektive Self-Reliance", in: Nohlen/Nuscheler, S. 380-394 McCall, Georges J./J. L. Simmons (1974): Identität und Interaktion. Untersuchungen über zwischenmenschliche Beziehungen im Alltagsleben. Düsseldorf: Schwann Mead, George Herbert ( 7 1988): Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp Mead, Margaret (1961): "National character and the science of anthropology", in: Seymour Martin Lipset/Leo Lowenthal (Hrsg.): Culture and Social Character. The Work of David Riesman Reviewed. New York: The Free Press of Glencoe, S. 15-26 Meinecke, Friedrich ( 7 1928): Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaates. München-Berlin: Oldenbourg Meister, Richard (1951): "Die Zonengliederung der Kultur", in: Wiener Zeitschrift für Philosophie, Psychologie, Pädagogik 3 (3), S. 164-202 Mols, Manfred (1975): "Zum Problem des westlichen Vorbilds in der neueren Diskussion zur politischen Entwicklung", in: Verfassung und Recht in Übersee 1, S. 22
259 Mommsen, Hans (1971): "Nationalismus, Nationalitätenfrage" (mit Albrecht Martiny), in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie. Freiburg-Basel-Wien: Herder, Bd. IV, S. 623-695 Mommsen, Hans s. Peter Burian Moynihan, Daniel P. s. Nathan Glazer Nohlen, Dieter/Franz Nuscheier (Hrsg.) ( 2 1982): Handbuch der Dritten Welt. Bd. 1 : Unterentwicklung und Entwicklung: Theorien - Strategien - Indikatoren. Hamburg: Hoffmann und Campe Nohlen, Dieter/Franz Nuscheier (Hrsg.) ( 3 1993): Handbuch der Dritten Welt. Bd. 1 : Grundprobleme - Theorien - Strategien. Bonn: Dietz Nolte, Helmut s. Wolf Lepenies Nuscheier, Franz ( 2 1982): '"Befriedigung der Grundbedürfnisse' als neue entwicklungspolitische Lösungsformel", in: Nohlen/Nuscheler, S. 332-358 Nuscheier, Franz s. Dieter Nohlen Parsons, Talcott (1975): Gesellschaften. Evolutionäre und komparative Perspektiven. Frankfurt/M.: Suhrkamp Pietschmann, Horst (1986): "Zum Problem eines frühneuzeitlichen Nationalismus in Spanien. Der Widerstand Kastiliens gegen Kaiser Karl V.", in: Dann, S. 55-71 Preiswerk, Roy (1980): "Kulturelle Identität, Self-Reliance und Grundbedürfnisse", in: Das Argument 20 (120), S. 167-178 Reck, Siegfried (1981): Identität, Rationalität und Verantwortung. Grundbegriffe und Grundzüge einer soziologischen Identitätstheorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp Reichardt, Rolf (1978): '"Histoire des Mentalités'. Eine neue Dimension der Sozialgeschichte am Beispiel des französischen Ancien Régime", in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 3, S. 130-166 Renan, Ernest [1882]: Qu'est-ce qu'une Nation? Conférence faite en Sorbonne le 11 mars 1882. Paris: Calmann-Lévy Robbins, Richard H. (1973): "Identity, culture, and behavior", in: John H. Honigmann (Hrsg.): Handbook of Social and Cultural Anthropology. Chicago: Rand McNally, S. 1199-1222 Rokkan, Stein ( 2 1970): "Die vergleichende Analyse der Staaten- und Nationenbildung: Modelle und Methoden", in: Wolfgang Zapf (Hrsg.): Theorien des sozialen Wandels. Köln-Berlin: Kiepenheuer & Witsch, S. 228-252 Rothermund, Dietmar (1978): "Nationalismus und sozialer Wandel in der Dritten Welt: zwölf Thesen", in: Dann, S. 187-208 Royce, Anya Peterson (1982): Ethnie Identity. Strategies of Diversity. Bloomington: Indiana University Press Rüegg, Walter (1982): "Eliten in der Demokratie. Reform und Repräsentanz", in: Elite. Zukunftsorientierung in der Demokratie. Köln: Bachem, S. 9-28
260 Schieder, Theodor (1964): Der Nationalstaat in Europa als historisches Phänomen. Köln-Opladen: Westdeutscher Verlag Schieder, Theodor (1991): Nationalismus und Nationalstaat. Studien zum nationalen Problem im modernen Europa. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Schluchter, Wolfgang (1980): "Gesellschaft und Kultur. Überlegungen zu einer Theorie institutioneller Differenzierung", in: ders. (Hrsg.): Verhalten, Handeln und System. Talcott Parsons' Beitrag zur Entwicklung der Sozialwissenschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 106-149 Schmidt, Gerold (1976): "Identität. Gebrauch und Geschichte eines modernen Begriffs", in: Muttersprache 86, S. 333-354 Schmitz, Carl August (Hrsg.) (1963): Kultur. Frankfurt/M.: Akademische Verlagsgesellschaft Senghaas, Dieter (1977): Weltwirtschaftsordnung und Entwicklungspolitik. Plädoyer für Dissoziation. Frankfurt/M.: Suhrkamp Senghaas, Dieter ( 2 1982): "Autozentrierte Entwicklung", in: Nohlen/Nuscheler, S. 359-379 Seton-Watson, Hugh (1977): Nations and States. An Enquiry into the Origins of Nations and the Politics of Nationalism. London: Methuen Silva Michelena, José A. (1973): "Diversities among dependent nations: an overview of Latin American developments", in: Shmuel N. Eisenstadt/Stein Rokkan (Hrsg.): Building States and Nations. Bd. 2: Analysis by Regions. Beverly Hills-London: Sage, S. 232-248 Silvert, Kfalman] H. (Hrsg.) (1963): Expectant Peoples. Nationalism and Development. New York: Vintage Books Simmons, J. L. s. Georges J. McCall Snyder, Louis L. ( 3 1972): The Meaning of Nationalism. Westport, Connecticut: Greenwood Stierle, Karlheinz s. Odo Marquard Sulzbach, Walter (1962): "Zur Definition und Psychologie von 'Nation' und Nationalbewußtsein", in: Politische Vierteljahresschrift 3, S. 139-158 Syndram, Karl Ulrich s. Hugo Dyserinck Tenbruck, Friedrich H. (1979): "Die Aufgaben der Kultursoziologie", in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 31, S. 399-421 Tenbruck, Friedrich H. (1990): "Repräsentative Kultur", in: Haferkamp, S. 2053 Thum, Hans Peter (1979): "Kultursoziologie - Zur Begriffsgeschichte der Disziplin", in: KölnerZeitschriftfür Soziologie und Sozialpsychologie 31, S. 424-449 Turner, Victor (1974): Dramas, Fields, and Metaphers. Symbolic Action in Human Society. Ithaca, New York-London: Cornell University Press Vogt, Hannah (1967): Nationalismus gestern und heute. Texte und Dokumente. Opladen: Leske
261 Waldmann, Peter (1974): Der Peronismus 1943-1955. Hamburg: Hoffmann und Campe Wallerstein, Immanuel s. Etienne Balibar Weber, Max ( 2 1958): Gesammelte Politische Schriften. Tübingen: Mohr Weber, Max (1964): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 2 Bde. Köln-Berlin: Kiepenheuer & Witsch White, Leslie A. (1973): The Concept of Culture. Minneapolis, Minnesota: Burgess White, Naomi Rosh (1978): "Ethnicity, culture and cultural pluralism", in: Ethnic and Racial Studies 1 (2), S. 139-153 Winkler, Heinrich August (1978): "Der Nationalismus und seine Funktionen", in: ders. (Hrsg.): Nationalismus. Königstein/Ts.: Verlagsgruppe Athenäum, Hain, Scriptor, Hanstein, S. 5-46 Winkler, Heinrich August (Hrsg.) (1982): Nationalismus in der Welt von heute. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Ziegler, Heinz O. (1931): Die moderne Nation. Ein Beitrag zur politischen Soziologie. Tübingen: Mohr Zöller, Michael (1982): "Voraussetzungen und Hindernisse für die Entstehung von Eliten", in: Elite. Zukunftsorientierung in der Demokratie. Köln: Bachem, S. 221-230
Zeittafel Basisdaten zur Geschichte der Dominikanischen Republik 1492 1605/6 1697 1777 1795 1801 1801 -09 1809 1809-22 1821 1822-44 1844 1844-61 1861 1865 1868-74 1879-87 1887-99 1916-24 1930-61 1963/4 1965 1966-78 1978-82 1982-86 1986-
Entdeckung "Hispaniolas" für Spanien durch Christoph Kolumbus Verwüstung des Nordens und Westens ("devastaciones") Friedensvertrag von Rijswijk: Abtretung des Westens an Frankreich Grenzregelung im Vertrag von Aranjuez Friedensvertrag von Basel: Abtretung des Ostens ("Santo Domingo") an Frankreich Effektive Inbesitznahme durch Toussaint L'Ouverture "La era de Francia" Rückeroberung für Spanien durch Juan Sánchez Ramírez ("Guerra de la Reconquista") "La España boba" Unabhängigkeitserklärung durch José Núñez de Cáceres ("Independencia efímera"); Angliederung an Haiti (seit 1804 unabhängig) "La dominación haitiana" Unabhängigkeitserklärung und Gründung der "Dominikanischen Republik" ("Primera Independencia") "Primera República" Wiederangliederung an Spanien Nach Befreiungskrieg ("Guerra de la Restauración") "Segunda Independencia" Unter Buenaventura Báez ("sexenio") Versuche der Veräußerung/ Annexion an die USA Wechsel liberaler Regierungen Diktatur von Ulises Heureaux US-amerikanische Besetzung Diktatur von Rafael Leonidas Trujillo Präsidentschaft von Juan Bosch Bürgerkrieg ("Guerra de Abril") und Intervention der USA Präsidentschaft von Joaquín Balaguer Präsidentschaft von Antonio Guzmán Präsidentschaft von Salvador Jorge Blanco Präsidentschaft von Joaquín Balaguer
Namenregister
Alix, Juan Antonio 65ff., 74f. Anacaona 8 9 , 9 1 , 9 4 , 9 8 , 117
Cartagena Portalatín, Aída 199, 200, 202, 205
Angulo Guridi, Alejandro 11
Carter, Jimmy
Angulo Guridi, Francisco Javier 88f., 103,
Carvajal y Rivera, Fernando 20, 39
116
183
Castellanos, Juan de 97
Aré vaio, Juan José 160
Castillo, Efraim 202ff., 205
Arias, Desiderio 121
Castillo, Rafael Justino
Aron, Raymond 220
Cayacoa 89
131,137
Cestero, Tulio Manuel 138ff„ 152 Báez, Buenaventura 35, 46f., 53, 54, 60, 6 1 , 6 8 , 83, 85, 108, 111, 112, 126, 134 Balaguer, Joaquín 162, 167, 168, 170,
Charlevoix, Pierre-François-Xavier de 12, 13, 114 Chateaubriand, François René de 81
172f„ 176, 177, 179, 181ff., 185, 186ff„
Chavannes, Jean-Baptiste 2 5 , 4 1
190ff., 203, 206
Colbert, Jean-Baptiste 19
Bausinger, Hermann 235
Colón, Bartolomé 89, 99
Berger, Peter L. 235
Colón, Cristóbal 9f., 11, 12, 37, 9 2 f „ 94,
Betances, Ramón E.
Ili
Betancourt, Rómulo
160,162
Billini, Francisco Gregorio 62, 79ff., 87, 115f., 141, 145
98f„ 107, 117f. Colón, Diego 12, 13, 37, 38, 97, 98, 9 9 f „ 101, 118 Cortázar, Julio 194
Bobadilla, Franciso de 37
Cortés, Hernán 98
Bohechio 89, 117
Coser, Lewis 232
Bonó, Pedro Francisco 45, 55, 57, 58, 60, 61f„ 63, 68, 7 0 f f „ 7 6 f f „ 86, 108, 109,
Damirón, Rafael
114f., 138
Dann, Otto 222
Bosch, Juan 159, 180f„ 182, 183, 185,
138,207
Dávila y Padilla, Agustín 15
186f., 188, 189, 193, 194, 198,202,
Deive, Carlos Esteban
203, 207
Deligne, Gastón Fernando 138
Bourdieu, Pierre 233 Boyer, Jean-Pierre 30, 3 1 f f „ 34, 43, 71, 114
189f.
Dessalines, Jean-Jacques 2 9 , 3 0 , 4 2 , 152, 198 Deutsch, Karl W. 2 1 7 , 2 1 8 Díaz Grullón, Virgilio 175
Brinton, Crane 232
Dobal, Carlos 189 Caamaflo Deñó, Francisco A. 181
Drake, Francis
Cabrai, Manuel del
Duarte, Juan Pablo 33f„ 52, 65, 110f.,
Cáceres, Ramón
192,207
120,121,122,134
Caonabó 8 9 , 9 5 , 104, 117
15,41
112, 113, 143f„ 164 Duarte, Rosa 34
266 Dumont, Fernand 227
Hatuey
Durkheim, Emile 213
Hayes, Carlton J. H. 237, 238
104
Henri Christophe 30, 116f„ 152, 153 Eisenstadt, Shmuel N. 227
Henríquez y Carvajal, Federico 135
Elias, Norbert 234f.
Henríquez y Carvajal, Francisco 121 f.,
Enriquillo 13, 38, 96f., 98, 102, 104f„ 106, 116f., 118
123,135 Henríquez Ureña, Max
123
Erikson, Erik H. 2 1 0 , 2 1 5 , 2 1 6 , 2 3 5
Hérard, Rivière 34
Espaillat, Ulises Francisco 55
Herder, Johann Gottfried von 217
Estrella Ureña, Rafael 124
Hernández Franco, T o m á s 192 Herrera y Tordesillas, Antonio de 97
Ferdinand V. (Fernando) 37, 99, 100, 102
Herskovits, Melville J. 214
Fernández, Leonel 188
Heureaux, Ulises 46, 47f., 55, 56, 61,
Fernández de Oviedo, Gonzalo 97, 118 Ferrand, Marie Louis 28f., 42
66ff., 73, 85, 112, 113, 119, 120, 122, 125, 128, 133, 134, 138f„ 140, 141, 150
Fiallo, Fabio 135, 138, 151
Higuenamota 95, 98
Fiallo, Viriato 180
Hostos, Eugenio María de 62, 111, 128
Franco, Francisco 168
Hugo, Victor 85
Frank, Manfred 229 Frühwald, Wolfgang 222
Incháustegui Cabrai, Héctor 192 Irving, Washington
Galíndez, Jesús de
162,175
Galván, Manuel de Jesús 62, 96ff., 142
116
Isabella I. (Isabel) 10, 1 1 , 3 7 , 9 9 , 170, 176 Isabella II. 5 2 , 5 3
García, Joaquín 41 García, José Gabriel 42, 117f.
Jimenes, Juan Isidro 119f., 150
García Godoy, Federico 125ff., 132f.,
Jiménez, Ramón Emilio 138
134f„ 142ff., 150, 151, 152f. García Godoy, Héctor 182
Johnson, Lyndon B. 181 Jorge Blanco, Salvador 184f„ 186, 206
Geertz, Clifford 227 Godoy, Manuel 2 3 , 4 1
Karl I. bzw. V. (Carlos) 38, 102
Goethe, Johann Wolfgang von 227
Karl III. 22
G o f f m a n , Erving 235
Kluckhohn, Clyde 2 1 2 , 2 1 3
Grant, Ulysses 4 6 f „ 108
Kohn, Hans 237
Graumann, Carl F. 8
Kolumbus, Christoph s. Colón, Cristóbal
Greverus, Ina-Maria 215, 236f.
Krappmann, Lothar 215, 235f.
Grijalva, Juan de 98, 100
Kroeber, Alfred L. 2 1 2 , 2 1 3
Guacanagari 89, 117 Guarionex 89, 104
L a Gándara, José de 53, 59f.
Guevara, Hernando de 95
Las Casas, Bartolomé de
Guzmán Fernández, Silvestre Antonio 183ff„ 186, 206
L e d e r e , Charles Victor-Emmanuel 28, 42 Lembá 97
Habermas, Jürgen 214, 215, 226, 227, 235
Lemberg, Eugen 237
Halbwachs, Maurice 221
Levasseur (Konsul) 4 3
Harding, Warren
Logroño, Arturo 173
123
10,12,13,91,
97, 100, 101f„ 104, 105, 118
267 López, José Ramón 126f., 128ff., 133f., 135, 136f„ 138, 150 López de Castro, Baltasar 16 L'Ouverture, Toussaint 26, 27f., 29, 30, 42, 109, 197f. Luckmann, Thomas 235 Ludwig XIV. 20 Ludwig XVI. 26 Lugo, Américo 127, 134, 135, 136, 15lf. Luperón, Gregorio 46, 47, 55, 56ff., 59. 60, 61, 68, 72ff„ 87, 105, 111,112, 142 Luther, Henning 214f. Majluta, Jacobo 184f„ 186, 187 Marrero Aristy, Ramón 194, 198, 207 Martí, José 106 Martínez, María 156,175,177 Martyr de Anghiera, Pedro 116 Mateo, Andrés L. 174 Mayobanex 104 Mead, George H. 235 Meinecke, Friedrich 237 Meister, Richard 212,213 Mella, Matías Ramón 34, 143f. 145, 164 Merino, Fernando Arturo de 54, 55, 56, 61,62, 111 Mieses Burgos, Franklin 174, 192 Mili, John Stuart 220 Mir, Pedro 192f„ 194, 202, 207 Monclús, Miguel Angel 138,193 Monte, Félix María del 70 Monte y Tejada, Antonio dei 42 Montesino, Antonio 118 Moscoso Puello, Francisco Eugenio 135f., 137, 207 Moya Pons, Frank 189 Nanita, Abelardo R. 17lf. Napoleon I. 28, 42 Ñau, Emile 98, 116f. Nicuesa, Diego de 98 Nolasco, Sócrates 193 Núñez de Balboa, Vasco 98 Núñez de Cáceres, José 3lf., 43, 114
Ogé, Vincent 25,41 Ogeron, Bertrand d' 19 Ojeda, Alonso de 98 Osorio, Antonio de 16f. 18 Ovando, Nicolás de 1 lf., 38, 91, 93, 94, 97, 99f„ lOOf., 117 Pasamonte, Miguel de 100 Pellerano Castro, Arturo Bautista 138 Pensón, César Nicolás 138,152 Peña Batlle, Manuel Arturo 43, 164, 167, 168ff„ 172 Peña Gómez, José Francisco 181, 184, 186f„ 188, 191 Pérez, Carlos Federico 207 Pérez, José Joaquín 64, 89ff., 96, 97, 100, 103, 105f., 107, 117 Pérez Cabrai, Pedro Andrés 207 Pétion, Alexandre 30 Peynado, Jacinto B. 158f. Philipp III. 16 Philipp V. 20 Pizarro, Francisco 98 Ponce de León, Juan 98 Prestol Castillo, Freddy 194ff. 207f. Price-Mars, Jean 190 Prud'homme, Emilio 88 Quintana, Manuel José 102f. Ramos, Nicolás de 15 Reid Cabrai, Donald 181 Renan, Ernest 211, 220, 234 Richelieu, Cardinal de 18 Rocha, Francisco de la 17 Rodó, José Enrique 136 Rodríguez Objio, Manuel 63,112 Roosevelt, Franklin D. 159 Roosevelt, Theodore 120 Rousseau, Jean-Jacques 79 Rubirosa, Porfirio 175 Sánchez, Francisco del Rosario 34, 52, 72, 164 Sánchez Ramírez, Juan 29
268 Sánchez Valverde, Antonio 22, 39f., 114, 116 Santana, Pedro 3 4 f f „ 46, 5 1 f „ 53, 54, 62, 6 5 , 6 8 , 72, 87f„ 105, 110, 118, 126, 143f„ 145f„ 147 Schmidt, Gerold 210 Sonthonax, Léger Félicité 26 Soulouque, Faustin 60 Sumner, Charles 108 Tavárez Justo, Manuel A. 180 Tenbruck, Friedrich Toledo, María de
213,214,231
12,97,98,99
Troncoso de la Concha, Manuel de Jesús 43, 159, 165, 193 Trujillo, Flor de Oro 175 Trujillo, Héctor Bienvenido
161,162
Trujillo, Rafael Leónidas 43, 121, 124f„ 152, 155ff„ 179, 180, 181, 184, 188, 191, 192, 193, 194, 198, 201, 202, 203 Trujillo, Rafael Leónidas "Ramfis" 156, 177, 179 Tylor, Edward B. 2 1 2 , 2 1 4 Ureña de Henríquez, Salomé 62, 63f., 9 3 f f „ 97, 100, 107 Ureña de Mendoza, Nicolás 87f. Vásquez, Horacio 119, 124, 134, 135, 152, 155 Vega, Bernardo 188f. Velázquez, Diego 98, lOOf. Veloz Maggiolo, Marcio 198, 199ff„ 203, 204, 205 Vergés, Pedro 202 Waldmann, Peter 225 Weber, Max 231 Welles, Sumner 108 Wessin y Wessin, Elias 181 Wilson, Woodrow
122,123