Nation building in der Ersten Republik und der Kanzlerdiktatur 1918 – 1938. Eine Untersuchung zur Beziehung zwischen österreichischer Schule und Nationalstaatsideologie [1. ed.] 9783781560857, 9783781526310


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German Pages 196 [198] Year 2024

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Nation building in der Ersten Republik und der Kanzlerdiktatur 1918 – 1938. Eine Untersuchung zur Beziehung zwischen österreichischer Schule und Nationalstaatsideologie [1. ed.]
 9783781560857, 9783781526310

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Nation building in der Ersten Republik und der Kanzlerdiktatur 1918 – 1938

Florian Gimpl

Florian Gimpl

Nation building in der Ersten Republik und der Kanzlerdiktatur 1918 – 1938 Eine Untersuchung zur Beziehung zwischen österreichischer Schule und Nationalstaatsideologie

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Gimpl

Nation building in der Ersten Republik und der Kanzlerdiktatur 1918 – 1938

Florian Gimpl

Nation building in der Ersten Republik und der Kanzlerdiktatur 1918 – 1938 Eine Untersuchung zur Beziehung zwischen österreichischer Schule und Nationalstaatsideologie

Verlag Julius Klinkhardt Bad Heilbrunn • 2024

Meiner Familie und meinen Freunden in großer Dankbarkeit gewidmet.

Diese vorliegende Arbeit wurde 2023 als Dissertation an der Universität Wien angenommen und für die vorliegende Ausgabe überarbeitet. Erstgutachterin: Prof. Dr. Sabine Reh Zweitgutachterin: Prof. Mette Buchardt, PhD Betreuer: Prof. Dr. Daniel Tröhler Tag der Defensio: 29. März 2023

Dieser Titel wurde in das Programm des Verlages mittels eines Editorial Review-Verfahrens aufgenommen. Für weitere Informationen siehe www.klinkhardt.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de. 2024 © Verlag Julius Klinkhardt. Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Bookstation GmbH, Anzing. Printed in Germany 2024. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier. ISBN 978-3-7815-6085-7 Digital ISBN 978-3-7815-2631-0 Print

|5 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit untersucht im Lichte der Erkenntnisse der internationalen Nationalismusforschung die Rolle der österreichischen Schule beim Aufbau und vor allem der Verbreitung einer nationalstaatlichen Österreichideologie zwischen 1918 und 1938. Dabei wird die bisher geltende These, dass besonders die staatlich organisierte Schule eine wichtige Rolle bei der Verbreitung und Festigung nationalstaatlicher Ideologien spielte, erstmals für das Gebiet der heutigen Republik Österreich einer eingehenden Prüfung unterzogen. Diese Untersuchung zu Entstehung und Verbreitung von Nationalismus im Rahmen der staatlichen Beschulung ist vor allem deshalb relevant, weil der Nationalismus als Ideologie in der Folge des Ende des Kalten Krieges bereits totgeglaubt war, nun aber zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut zu einem weltweit präsenten Phänomen wurde, wie aktuelle politische Ereignisse vor Augen führen. Anhand von Österreich 1918 bis 1938 kann nachgezeichnet werden, wie sich ein Staat ohne distinkte nationale Ideologie seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, als sich Europa in einen vorgeblich nationalstaatlich organisierten Kontinent verwandelte, zu einem Mitglied der Staatengemeinschaft entwickelte, dessen nationales Selbstbestimmungsrecht und Selbstverständnis heute kaum mehr hinterfragt werden. Die Anfänge dieser distinkten österreichischen Nationalideologie verortet die Arbeit zwischen 1918 und 1938 und untersucht dabei mittels historischer Quellen aus Schulen (Schuljahresberichte, behördliches Schriftgut, Schulbücher) einzelne Schulstandorte und deren Umsetzung gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen mit nationaler Akzentuierung. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass von 1918 bis zum Ende der 1920er und dem Beginn der 1930er Jahre von einer „Schule ohne Nation“ gesprochen werden kann, in der das Konzept der österreichischen Nation keine beziehungsweise nur eine untergeordnete Rolle spielte. Um 1930 wurde jedoch eine Veränderung merkbar: In Schulbüchern und anlässlich von Schulveranstaltungen spielten national-konnotierte Konzepte und Ideen eine zunehmend größere Rolle und nahmen während der Kanzler-Diktatur ab 1934 eine dominante Position ein, die in einem staatlich verordneten Österreich-Patriotismus gipfelte. Somit wurde bestätigt, dass Schule für den Aufbau und die Festigung einer nationalen Ideologie im staatlichen Rahmen sowohl historisch als auch in der Gegenwart eine wichtige Rolle spielt(e). Allerdings – auch das wurde im Laufe der Arbeit klar – kann Schule dies nur auf der Grundlage einer bereits existenten und populären nationalen Idee. Fehlt diese Grundlage, so ist auch Beschulung keine wirksame Institution zur „Oktroyierung“ einer nationalstaatlichen Ideologie, und zwar weder im Rahmen einer Demokratie (1918 bis 1933/34) noch einer Diktatur (1933/34 bis 1938).

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Abstract This thesis on nation and nationalism in the era of the so-called First Republic of Austria sheds light on the role of schooling for the development and popularization of an Austrian national identity between 1918 and 1938. Facing a comeback of nationalism all over the world in the beginning of the 21st century, questions on what nation and nationalism are, how national identities are constructed and what implications these processes have on politics and societies rise anew. By examining Austria between 1918 and 1938, this book allows to draw conclusions on the importance of state schooling for the formation of national societies, which eventually led to the predominance of the nation-state as widely accepted organizational model for modern societies. By taking a closer look at specific schools, foremost gymnasia, in Austria, I examined the importance of state schooling for the formation and perpetuation of an Austrian national identity between 1918 and 1938, keeping in mind the close ties between Germany and Austria that led to the annexation of Austria in March 1938. As a result, it can be said that schools seemed to be rather non-national places from 1918 until the beginning of the 1930s: Austrian nationality was not a central discourse. This phase of a rather non-national school was replaced in the beginning of the 1930s when nationality became a more popular and broadly discussed topic. Within a few months, schools were turned into places where patriotic-nationalistic festivities took place and students were ordered to wear badges of the single political party “Fatherland Front” that ruled Austria after it had been turned into a dictatorship in 1934. Based on yearbooks and archival sources I could examine how these changes influenced schooling and instruction on the level of individual schools. The thesis of the eminent importance of schooling for the formation of societies and nations also applies to Austria between 1918 and 1938. However, schools and instruction can only influence the formation of national societies based on an already existing national ideology. A genuine Austrian national idea was not widespread until the takeover of the “Austro-Fascist” regime under Dollfuß and Schuschnigg and consequently hardly matter of schooling. As the history of Austria shows, implementing a (national) ideology top down is not easy and takes time. Only in the 1970s and 1980s much of the Austrian population referred to themselves as members of the Austrian nation, leading to a nowadays widely unchallenged assumption of Austrian “nationness”.

|7 Inhalt Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Themenfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.2 Allgemeines und spezifisches Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.3 Thesen und Forschungsfragen, Forschungsstand und Forschungslücke . . . . . . . . 17 1.4 Theoretische und methodologische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.5 Methoden und Erkenntnisquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

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Schule und Staat: Die Erste Republik und ihre Schule 1918 – 1938 . . . . . . . . . . . 27 2.1 Der historische Kontext: Schlüsselmomente der österreichischen Geschichte von 1918 bis 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 – Ausrufung der Republik, Kriegsende und Friedensverhandlungen . . . . . . . . . . 30 – Innen- und Außenpolitik in den 1920er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 – Schattendorf und der Justizpalastbrand 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 – Der Pfrimer-Putsch 1931 und die Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 – Neue Verfassung und Putsch 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 – Das Juli-Abkommen von 1936, das Berchtesgadener Abkommen von 1938 und das Ende der Eigenstaatlichkeit Österreichs . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2 Entwicklung der österreichischen Schule 1918/19 – 1938: Eigenstaatlichkeit und Schulbildung in der Ersten Republik anhand von Gesetzestexten und Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2.1 Ausgangslage nach dem Ersten Weltkrieg – Grundlegendes zu Aufbau und Struktur der österreichischen Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2.2 1920 – Anfang und Ende der Reformphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.3 1927 – Reform als Kompromiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.2.4 1930/32 – Neue Lehrpläne für Volksschule und Lehrerinnen- und Lehrerbildungsanstalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.2.5 1933 – 1935: Neue Verfassung, neue Schule, neue Österreicher?. . . . . . . . . 64 2.2.6 Die vormilitärische Jugenderziehung und Hochschullager – Erziehung bis in das Erwachsenenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2.2.7 1936 – 1938. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.3 Zusammenfassung des 2. Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

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Schulen im Fokus – rekonstruktive Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.1 Schottengymnasium Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Zum Inhalt der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Der Lehrstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Die Reifeprüfungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.2 Bundes-Gymnasium und Oberrealschule in Baden bei Wien . . . . . . . . . . . . . . 103 Zum Inhalt der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Der Lehrstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Die Reifeprüfungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

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Inhalt 3.3 Stiftsgymnasium Melk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Zum Inhalt der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Der Lehrstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Die Reifeprüfungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.4 Bundes-Real- und Obergymnasium St. Pölten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Zum Inhalt der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Der Lehrstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Die Reifeprüfungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.5 Bundes-Realgymnasium Linz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Zum Inhalt der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Der Lehrstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Die Reifeprüfungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3.6 Bundesrealgymnasium Gmunden am Traunsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Zum Inhalt der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Der Lehrstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Die Reifeprüfungsangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.7 Bundes-Realgymnasium Fürstenfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Zum Inhalt der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Der Lehrstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Die Reifeprüfungsangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.8 Gymnasium der Franziskaner in Hall in Tirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Zum Inhalt der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Der Lehrstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Die Reifeprüfungsangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.9 Ergebnisse aus Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3.9.1 Schule und Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3.9.2 Schule und Nation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

4

Schule und Nation: Die österreichische Nation im Kontext der internationalen Nationalismusforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 – Österreich zwischen Österreichbewusstsein und Deutschnationalismus . . . . . . . . 169 – Grundfragen der Nationalismusforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 – Die Bedeutung von Schule und Bildung für Nation und Nationalismus . . . . . . . 172

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Konklusion und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

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Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6.1 Selbstständig erschienene Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6.2 Unselbstständig erschienene Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.3 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 6.3.1 Gesetzestexte und Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 6.3.2 Andere gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 6.3.3 Zeitungs- und Zeitschriftenartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 6.3.4 Schulbücher und Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 6.4 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6.4.1 Online-Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6.4.2 Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

|9 Vorwort Als ich das Vorwort zur Dissertation, auf der das nun vorliegende Werk größtenteils beruht, Ende 2022 verfasste, tobte bereits über ein halbes Jahr der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und damit erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 ein konventionell geführter Krieg zwischen zwei souveränen Staaten in Europa. Daran hat sich leider bis zum Verfassen des Vorwortes dieser Ausgabe Ende 2023 nichts geändert: Nach wie vor führt die Russische Föderation einen aus nationalistischen und imperialistischen Motiven gespeisten Angriffskrieg gegen die Ukraine. Leider ist das offene Aufbrechen nationalistischer Tendenzen nicht auf diesen Konflikt beschränkt – was bereits schlimm genug wäre – sondern steht paradigmatisch für das Wiedererstarken ethno-nationalistischer Politik und die dadurch ausgelösten Konflikte weltweit: Der nach dem Ende des Kalten Krieges bereits totgeglaubte Nationalismus erlebt derzeit eine Blüte, wie sie vor wenigen Jahren noch schwer vorstellbar war. Umso wichtiger ist es, sich mit dem dem Nationalismus zugrundeliegenden Konzept – der Nation – eingehend zu beschäftigen. Die Vielschichtigkeit dieses Phänomens macht eine ebenso differenzierte Herangehensweise erforderlich, denn diese war bisher stark von disziplinären, geografischen und auch sprachlichen Grenzen gekennzeichnet. Vergangene und aktuelle Ereignisse zeigen, dass Nationalismus kein Phänomen ist, das ausschließlich in der Domäne der Politik beheimatet ist: Die wichtige Rolle, die Bildungseinrichtungen und vor allem der staatlichen Schule bei der Schaffung und Erziehung nationalisierter Bürgerinnen und Bürger zukommt, ist historisch belegt und plausibel. Mit der Einrichtung staatlicher Bildungsinstitutionen ging seit dem 19. Jahrhundert der beinahe weltweite Siegeszug des Nationalismus‘ als grundlegender Rahmen für die Schaffung und den Aufbau von Gesellschaften im staatlichen Rahmen einher, was zur Einteilung beinahe der gesamten Welt in Nationalstaaten führte. Auf den folgenden Seiten wird nun aus bildungshistorischer Sicht näher auf einen Staat eingegangen, der an der Schwelle des Übergangs von prä-nationalstaatlicher Ordnung zur Welt der Nationalstaaten stand: Österreich 1918 bis 1938. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse tragen dazu bei, ein besseres Verständnis von Nation und Nationalismus zu erlangen – ein Anliegen, an dem die akademische Welt seit Ernest Renans berühmter Rede „Was ist eine Nation?“ im März 1882 forscht. Wie bereits 2022, so danke ich auch diesmal an erster Stelle Herrn Univ. Prof. Dr. Daniel Tröhler dafür, dass er wesentlich zur Konzeption der Arbeit und deren Umsetzung beitrug, jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stand, stets ein fürsorglicher und überaus hilfsbereiter Betreuer war und mich an den Klinkhardt-Verlag verwiesen und empfohlen hat. Ohne ihn und sein Engagement, seine Erfahrung und sein aufrichtiges Interesse am Thema und meinem Fortschritt würde der Text nicht vorliegen können. Herrn Andreas Klinkhardt und Herrn Thomas Tilsner vom Klinkhardt-Verlag danke ich aufrichtig für die hervorragende Unterstützung und Betreuung und ihr Interesse an meiner Arbeit. Wertvolle Auskünfte erteilten mir außerdem Doz. Dr. Bertrand Michael Buchmann und Univ. Prof. Mag. Dr. Thomas Hellmuth von der Universität Wien. Für stetes Entgegenkommen und Wohlwollen während der Recherche und des Schreibprozesses danke ich dem Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien und vor allem dessen nunmehr ehemaligen Leiter Herrn Univ. Prof. Dr. Manfred Prenzel. Dank gebührt auch dem Team der Universitätsbibliothek Wien, besonders den für die Schulbuchsammlung zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mir

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Vorwort

stets die Arbeit an diesem so wertvollen Quellenmaterial ermöglichten und bei Fragen und Wünschen kompetent und hilfsbereit zur Seite standen. Weiters gebührt auch vielen meiner Kolleginnen und Kollegen Anteil am Zustandekommen dieser Arbeit, denn ihre kritischen Fragen und Rückmeldungen, ihre Ideen und ihre Hilfe waren für mich stets Herausforderung und Antrieb zugleich. Alle Fehler und Ungenauigkeiten sind mir alleine zuzurechnen. Abschließend danke ich meiner Familie, meinen Freunden und an erster Stelle meiner Frau Julia. Ohne ihren Rückhalt und ihre stete Unterstützung wäre dieses Unterfangen unmöglich gewesen.

Der Verfasser Wien im Dezember 2023

| 11 1 Einleitung 1.1 Themenfeld Im Spätherbst des Jahres 1918 endete der Erste Weltkrieg, der ab dem Sommer 1914 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bis dahin ungekannten Ausmaßes auf allen Kontinenten geführt hatte. Mit der Einstellung der Kampfhandlungen im November 1918, den Waffenstillstandsverträgen und den daraus resultierenden Friedensverträgen verschwanden auch einige der teilnehmenden Akteure, die die Geschichte Europas und der Welt über viele Jahrhunderte geprägt hatten: Zu Beginn des Jahres 1917 schied zuerst das Russische Reich auf der Seite der Triple Entente aus dem Krieg aus, nachdem es im Februar 19171 von einer bürgerlichen und im Oktober 1917 von der bolschewistischen Revolution erschüttert worden war, die schließlich das Ende der zaristischen Monarchie mit sich brachten. Im Oktober 1918 bat dann zuerst das habsburgisch regierte Österreich-Ungarn um einen Separatfrieden, ehe auch das Deutsche Reich im November 1918 unfähig geworden war, die Kampfhandlungen fortzuführen. Das dritte Großreich auf Seiten der Achsenmächte, das Osmanische Reich beendete die Kampfhandlungen ebenfalls im Oktober 1918, überdauerte den Krieg jedoch für kurze Zeit und fand sein Ende schließlich 1922.2 Der Zerfall dieser Reiche ging einher mit der Proklamation neuer Nationalstaaten, wie sie im Verlauf des ‚langen 19. Jahrhunderts‘3 andernorts bereits entstanden waren. Zum ersten Mal seit den Napoleonischen Kriegen und dem folgenden Wiener Kongress rund 100 Jahre zuvor wurde die Landkarte Europas und der Welt 1918 massiv und dauerhaft umgestaltet – dieses Mal jedoch nicht nach dem Grundsatz der Legitimität der herrschenden Häuser, wie es noch beim Wiener Kongress 1814/15 der Fall gewesen war,4 sondern nach den Gesichtspunkten der politischen Opportunität für die Siegermächte, (teilweise) dem Prinzip der Nationalstaatlichkeit5 und vor allem des von US-Präsident Wilson Anfang 1918 proklamierten Selbstbestimmungsrechts der Völker.6 Auf den Territorien der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn entstand aufgrund dieser Logiken – nebst anderen Staaten – im Herbst 1918 die Republik Deutschösterreich7, indem diese von den Abgeordneten der deutschsprachigen Gebiete des 1911 letztmals gewählten Reichsrates8 am 12. November 1918 vor dem Parlamentsgebäude auf der Wiener Ringstraße 1 Nach Julianischem Kalender. 2 Beispielsweise als Übersichtswerk zu den Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges: Robert Gerwarth, Die Besiegten. Das blutige Erbe des Ersten Weltkriegs, München 2018. 3 Franz J. Bauer, Das „lange“ 19. Jahrhundert. (1789-1917): Profil einer Epoche (Reclam Sachbuch Nr. 18770), Ditzingen 2017. 4 Heinz Duchhardt, Der Wiener Kongress. Die Neugestaltung Europas 1814/15 (Beck‘sche Reihe C.-H.-BeckWissen 2778), München 2015, 8 – 15. 5 Bauer 2017, 63. 6 Margaret MacMillan, Die Friedensmacher. Wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte, Berlin 2018, 8 – 15. 7 Es existiert auch die alternative Schreibung Deutsch-Österreich. Hier und im Folgenden wird die Schreibweise Deutschösterreich für den Zeitraum von November 1918 bis Oktober 1919 bevorzugt; von 1919 bis 1934 hieß dieser Staat dann Republik Österreich, ab Mai 1934 Bundesstaat Österreich. Wird generell auf den Zeitraum zwischen 1918 und 1938 verwiesen, so findet auch die Schreibung (Deutsch-)Österreich Anwendung. 8 Der Reichsrat war das Parlament der Monarchie.

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Einleitung

ausgerufen wurde. Damit trennten sich von der formell weiterhin existierenden Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im Laufe des Oktobers und Novembers 1918 die deutschsprachigen Kerngebiete ab, was faktisch das Ende der Habsburgerherrschaft auch in den österreichischen Kernländern bedeutete. Der neu geschaffene Staat Deutschösterreich wollte aber nicht autonom sein, sondern strebte eine Vereinigung mit der neuen Deutschen Republik an, die am 9. November 1918 aus dem Deutschen Reich unter der Dynastie der Hohenzollern hervorgegangen war. Diesem Ansinnen nach Vereinigung schoben die Siegermächte der Entente jedoch einen Riegel vor und erlegten Deutschösterreich im im Jahr 1919 unterzeichneten Friedensvertrag von Saint-Germain ein Anschlussverbot auf:9 Deutschösterreich durfte sich ohne Zustimmung der Siegerstaaten keinem Staat anschließen, was freilich vor allem auf Deutschland gemünzt war. Darüber hinaus strichen die Sieger „deutsch“ aus der Staatsbezeichnung der neuen Republik, sodass der neue Staat auf dem überwiegend deutschsprachigen Kerngebiet der ehemaligen Monarchie ab Herbst 1919 schlicht ‚Republik Österreich‘ heißen musste.10 Diese Republik war nun ein autonomer Staat, der einerseits eine sprachlich und kulturell (im weiteren Sinne der Bedeutung dieses Wortes) vergleichsweise homogene deutschsprachige Bevölkerung besaß und im Wesentlichen dem westlichen Modell eines modernen Nationalstaates entsprechen sollte. Er sollte ein politisches Gebilde sein, das auf der Idee einer distinkten Nation beruhte, die in einem Staat institutionalisiert war, somit ein Nationalstaat. Deutschösterreich stand vor der Herausforderung, dass es ab Ende 1918 staatlich tatsächlich selbständig war, aber – und das ist die Hauptthese der folgenden Arbeit – zu diesem Zeitpunkt und in der unmittelbar folgenden Zeit über keine distinkte nationale Ideologie verfügte, die zur Etablierung und Legitimierung eines Nationalstaates nach westlichem Vorbild nötig gewesen wäre. Österreich war ein Staat, der ein Nationalstaat hätte sein sollen, in dem es aber in der breiten Bevölkerung keine Vorstellung einer eigenständigen österreichischen Nation in der damaligen Form gab – diese war also nicht fähig dazu und bereit dafür, einen gemeinsamen österreichischen Nationalstaat zu imaginieren und sich als Teil dieses Staates zu begreifen, um auf Benedict Andersons Konzept des Nationalstaates als „imagined community“11 zu verweisen. Die eben skizzierten Entwicklungen sind nicht zuletzt auch bildungshistorisch von Bedeutung, denn die Forschung macht seit einiger Zeit deutlich, dass die Schule(n) und allgemein gesprochen Bildungsinstitutionen eines Staates eine wichtige Rolle für die Verbreitung und Festigung nationaler Identität spielen,12 wobei dabei meist die Verstärkung und Tradierung solcher Identitäten in den Blick genommen wurden, aber nur selten die Entstehung einer 9

Thomas Olechowski, Das „Anschlussverbot“ im Vertrag von Saint Germain, in:  Zeitgeschichte 46 (2019) 3, 371 – 385; Thomas Angerer, Trauma und Geopolitik. Die deutsch-österreichische Anschlussfrage als französische Sicherheitsfrage 1918/19, in: Ulfried Burz (Hg.), Die Republik (Deutsch-)Österreich im ersten Nachkriegsjahrzehnt. Innen- und Außenperspektive (Austriaca), Wien 2020, 62 – 87. 10 Olechowski 2019, 381. 11 Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts (Campus-Bibliothek), Frankfurt/Main 2005; Christian Jansen/Henning Borggräfe, Nation - Nationalität - Nationalismus (Historische Einführungen Band 1), Frankfurt – New York 2020, 92 – 98. 12 Stephen L. Harp, Learning to be loyal. Primary schooling as nation building in Alsace and Lorraine, 1850 1940, DeKalb, Ill. 1998; Daniel Tröhler, Curriculum history or the educational construction of Europe in the long nineteenth century, in: European Educational Research Journal 15 (2016) 3, 279 – 297; Daniel Tröhler, Shaping the National Body: Physical Education and the Transformation of German Nationalism in the Long Nineteenth Century, in: Nordic Journal of Educational History 4 (2017) 2, 31 – 45; Daniel Tröhler, Menschen, Bürger und Nationen. Motive, Argumente und Organisationsprinzipien moderner Schulsysteme im Westeuropa des frühen 19. Jahrhunderts, in: Matias Gardin/Thomas Lenz (Hg.), Die Schule der Nation. Bildungsgeschichte und Identität in Luxemburg, Weinheim 2018, 33 – 54; Daniel Tröhler, National literacies, or modern education

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neuen nationalen Identität auf diesem Wege. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse bilden das Fundament dieser Arbeit, die untersucht, ob und wie Akteure der staatlichen Bildung und Erziehung13 vor allem beim Aufbau und in weiterer Folge der Festigung einer nationalstaatlichen Ideologie im Rahmen der Republik Österreich und des Bundesstaates Österreich zwischen der Entstehung 1918 und der Auflösung 1938 agierten. Die leitende Frage lautet dabei: Wollten und konnten die verantwortlichen politischen Akteure auf dem Wege der staatlichen Beschulung ab 1918/19 mit erkennbaren Strategien eine distinkte nationale Identität aufbauen und so dem von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs als Nationalstaat mitkonzipierten Österreich eine kulturelle Grundlage geben? Dieser Fragestellung wird im Hinblick auf allgemeines und spezifisches Erkenntnisinteresse nachgegangen, wie im Folgenden ausgeführt wird.

1.2 Allgemeines und spezifisches Erkenntnisinteresse Das allgemeine Erkenntnisinteresse, besteht darin, einen Beitrag zum Verständnis davon zu leisten, wie sich das aus der Synthese von Nation und Staat entstandene Konstrukt des Nationalstaates im Laufe des 20. Jahrhunderts auch auf dem Boden Österreichs nachhaltig durchsetzen konnte. Dies erfolgt mit besonderem Hinblick auf staatliche Bildung und Erziehung und deren Beitrag zur Etablierung des Nationalstaats(gedankens) als Synthese von Nation und Staat. Dabei soll ein Beitrag zu einem tieferen Verständnis von Nation und Nationalismus geleistet werden, was deshalb von Relevanz ist, weil die Welt des 21. Jahrhunderts großteils nach dem Prinzip der Nationalstaatlichkeit strukturiert ist und die nationale Zugehörigkeit eines einzelnen Menschen ein wichtiges identitätsstiftendes Merkmal der Persönlichkeit ist – trotz oder gerade wegen der Tatsache, dass Nationalität kein im Menschen (genetisch) veranlagtes Merkmal ist, sondern offensichtlich im Laufe des Lebens erworben wird. Die nationale Zugehörigkeit ist folglich ein auch durch Erziehung und Bildung erzeugtes Schema und daher Untersuchungsgegenstand von Bildungs- und Erziehungswissenschaft. Die Untersuchung reiht sich damit in eine international beachtliche Zahl an Untersuchungen zu Ursprung und Aufbau von Nation und Nationalismus in den letzten 200 Jahren ein. Dies ist nicht zuletzt aufgrund der Omnipräsenz nationalistischer Tendenzen auf der gesamten Erde ein auch gesellschaftlich relevanter Aspekt. Der renommierte Politikwissenschafter Carlo Masala spricht in diesem Zusammenhang von Nationalismus und Re-Nationalisierung auch in Europa, das bereits „seit Jahrzehnten als immun gegenüber Nationalismus“14 galt – ein Trugschluss, wie beispielsweise Wahlen in europäischen Staaten in jüngster Vergangenheit zeigen, bei denen prononciert nationalistische Parteien große Zugewinne verzeichnen konnten. Das spezifische Erkenntnisinteresse der Arbeit besteht darin, zu einem besseren Verständnis des konkreten Falles Österreich von 1918 bis 1938 (von der Ausrufung der Republik bis zur Eingliederung Österreichs in das nationalsozialistische Deutsche Reich) beizutragen und zu untersuchen, wie sich der spezifische Transformationsprozess der habsburgischen Kernländer, die sich bereits im Mittelalter als solche herausgebildet hatten,15 zu einem mitteleuroand the art of fabricating national minds, in: Journal of Curriculum Studies 2 (2020) 1, 1 – 16; Eugen Weber, Peasants into Frenchmen. The modernization of rural France, 1870 - 1914, London 1979, 303 – 338. 13 Private Bildung und Erziehung sind nicht Gegenstand der Untersuchung. 14 Carlo Masala, Weltunordnung. Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens (C.H. Beck Paperback 6249), München 2022, 109. 15 Karl Vocelka, Österreichische Geschichte (Beck‘sche Reihe C.-H.-Beck-Wissen 2369), München 2010, 13 – 17.

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päischen Nationalstaat, der mittlerweile seit vielen Jahrzehnten ein anerkanntes Mitglied der europäischen und weltweiten (National)-Staatengemeinschaft16 ist, gestaltete. Dabei wird das staatliche Schulwesen besonders genau in den Blick genommen, da dieses in der bisherigen Forschung für den untersuchten Zeitraum nur unzureichend untersucht wurde, wie im Anschluss noch näher erläutert wird. Die Darstellung beginnt bei der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, als im Jahr 1918 (zum Teil sogar in letzten Kriegshandlungen) auf dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie in Mittel- und Osteuropa neue Staaten entstanden,17 darunter eben die Republik Deutschösterreich, aus der 1919 die Republik Österreich hervorging, die 1934 von einem (pseudo-)faschistischen, autoritären Regime in den Bundesstaat Österreich umgewandelt wurde und 1938 mit dem ‚Anschluss‘ an das nationalsozialistische Deutsche Reich aufhörte, als eigenständiger Staat zu existieren. Deutschösterreich lag im politischen Zentrum der ehemaligen Habsburgermonarchie (das vor allem durch die Reichshauptstadt Wien geprägt war) und war in seinen endgültigen Grenzen fast ausschließlich von deutschsprachiger Bevölkerung bewohnt. Viele andere Sprachgruppen/Ethnien18 hatten die oftmals abwertend als „Völkerkäfig“19 bezeichnete Monarchie unter Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker bereits vor oder während der Endphase des Ersten Weltkrieges verlassen und eigene staatliche Gebilde proklamiert, so beispielsweise die Tschechoslowakei20, Ungarn und die südslawischen Völker im SHS-Staat (dem späteren Jugoslawien)21. Dabei fanden diese Völker die Zustimmung der Siegermächte des Ersten Weltkrieges, wurden aber recht unterschiedlich behandelt: Während die tschechoslowakischen Gebietsforderungen erfolgreich waren, erlitt Ungarn große territoriale Einbußen und verlor einen Großteil des vormaligen Staatsgebiets an Nachbarstaaten. Für das übrig gebliebene zentrale Gebiet der ehemaligen Monarchie wählten die politischen Vertreter der Bevölkerung (die provisorische Nationalversammlung, bestehend aus den Abgeordneten der deutschsprachigen Gebiete des k.u.k. Reichsrates, welcher 1911 zum letzten Mal von den männlichen Bürgern der Monarchie gewählt worden war) in Beratungen im Oktober und November 1919 die Bezeichnung ‚Deutschösterreich‘. Dabei umfasste dieser Staat seinem Anspruch nach nicht nur die räumlich geschlossenen Gebiete der Habsburgischen Kernländer, sondern ebenso die deutschsprachigen Gebiete der Süd-Steiermark (die später an Jugoslawien fielen), das im Süden Tirols gelegene Trentino (das an Italien angegliedert wurde), das im tschechisch-deutschen Grenzgebiet gelegene Sudetenland (dessen Bewohner später als Sudetendeutsche bezeichnet wurden und im Zusammenhang mit der aggressiven NS-Außenpolitik noch eine wichtige Rolle spielten) und einige deutschsprachige Enklaven im Umfeld von mehrheitlich deutschen Städten in der nunmehrigen Tschechoslowakei. Diese deutschösterreichische Vision (als solches ist Deutschösterreich zu bezeichnen, denn in der Realität konnten diese Gebietsansprüche nie durchgesetzt werden) eines eigenen Staates war jedoch von Beginn an eher Ausdruck von Wunschdenken 16 So ist Österreich nicht nur Mitglied der Vereinten Nationen, sondern verfügt in Wien auch über einen Sitz der UNO und ist Sitz vieler weiterer internationaler Organisationen wie zum Beispiel der Internationalen Atomenergiebehörde. 17 Von denen viele als Nationalstaaten proklamiert wurden. 18 Die Sprache ist ein wichtiges Merkmal, das zur Definition und Abgrenzung bestimmter Gruppen verwendet wurde und wird. 19 Walter Lukan, Die Habsburgermonarchie und die Slowenen im Ersten Weltkrieg. Aus dem „schwarzgelben Völkerkäfig“ in die „goldene Freiheit“? (Austriaca), Wien 2017. 20 Lukás Novotný, Die Tschechoslowakei und die Republik Deutschösterreich, in: Burz (Hg.) 2020, 49 – 61. 21 Lukan 2017.

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als Abbildung der realpolitischen Gegebenheiten.22 Allerdings war Deutschösterreich auch gar nicht als dauerhaft eigenständiger Staat vorgesehen, denn es sollte laut einem seiner ersten Gesetze vom 12.11.1918 – also dem Tag der Ausrufung – „ein Teil der Deutschen Republik“23 sein beziehungsweise werden. Die deutschösterreichische Bestrebung einer Vereinigung mit der Weimarer Republik stieß bei den Siegermächten wiederum auf Ablehnung. Allen voran Frankreich, aber auch Italien und Großbritannien stellten die Vertreter der Verliererstaaten und damit auch Deutschösterreichs im Laufe des Jahres 1919 vor vollendete Tatsachen in Bezug auf die Friedensverträge, ohne sie in die Verhandlungen in irgendeiner Form miteinzubeziehen. Den Delegationen wurden einfach die fertigen Verträge präsentiert, die sie zu unterzeichnen hatten.24 Dabei verlangten die Alliierten von Deutschösterreich sowohl die Aufgabe des Anschlusswunsches an die Deutsche Republik als auch die Entfernung der Bezeichnung ‚deutsch‘ aus dem Staatsnamen, woraufhin die Umbenennung Deutschösterreichs zu ‚Republik Österreich‘ erfolgen musste. Die Siegermächte machten diese Forderungen zur Bedingung für die Unterzeichnung des Friedensvertrags von Saint-Germain, den Politiker und Bevölkerung vor allem der Verliererstaaten herbeisehnten, da zu Beginn des Jahres 1919 noch immer offiziell nur ein Waffenstillstand herrschte, der jederzeit gekündigt werden konnte, was zu neuerlichen Kampfhandlungen geführt hätte. Ohne Umsetzung der alliierten Wünsche hinsichtlich der Autonomie und der Namensgebung hätte es gar keinen Friedensvertrag gegeben und eine dauerhafte militärische Besatzung der ehemaligen Mittelmächte wäre eine mögliche Folge gewesen. Die Forderung der Entente-Mächte nach Umbenennung Deutschösterreichs in Republik Österreich verweist darauf, welche grundsätzlichen staatspolitischen Vorstellungen die Siegermächte bezüglich dieses neuen Staates hatten: Sie wollten vor allem ausschließen, dass Ansprüche auf die Vereinigung Österreichs mit der Deutschen Republik, die mit der ethnisch motivierten Bezeichnung ‚deutsch‘ im Staatsnamen Österreichs durchaus denkbar war, gestellt werden konnten, wobei es weniger um die autonome Republik Österreich als solches als um die befürchtete Stärkung eines territorial vergrößerten Deutschlands ging – das Deutsche Reich sollte für den verlorenen Weltkrieg nicht mit dem Zuwachs von sechs Millionen Deutschösterreichern ‚belohnt‘ werden. Die sogenannte ‚Deutsche Frage‘ sollte nun endgültig ‚kleindeutsch‘ gelöst werden, also unter Ausschluss Österreichs, wie das in späteren Jahren mehrmals erneuerte Anschlussverbot bezeugt, aber ohne Mitbestimmungsmöglichkeit für die Betroffenen.25 Diese erzwungene Umbenennung macht konkret zweierlei deutlich: Erstens, dass die Alliierten des Ersten Weltkrieges ein staatliches Zusammengehen der beiden Verliererstaaten

22 Ulfried Burz, Von der Habsburgermonarchie zur Republik Österreich, in: Burz (Hg.) 2020, 7 – 22; Arnold Suppan, Vom Untergang des habsburgischen Imperiums zur Bildung neuer Nationalstaaten 1918/19, in: Burz (Hg.) 2020, 23 – 48. 23 Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats= und Regierungsform von Deutschösterreich, Art. 2, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1918, 1. Stück, 15.11.1918, 5. 24 Laura Rathmanner, Die Pariser Friedensverhandlungen und die deutschösterreichische Friedensdelegation, in: Zeitgeschichte 46 (2019) 3, 321 – 342, 325 – 326. Besonders im historischen Vergleich zum Wiener Kongress 100 Jahre davor war das ein schwerer Fehler, denn damals war Frankreich als Verlierer sehr wohl am Verhandlungstisch vertreten: Duchhardt 2015. 25 Olechowski 2019, 381 – 383.

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Deutschland und Deutschösterreich nicht dulden würden,26 und zweitens impliziert diese Forderung, dass es laut den Alliierten nicht nur einen von Deutschland unabhängigen österreichischen Staat geben sollte, sondern – so lautet die hier vertretene These – auch eine unabhängige österreichische Nation, die im Rahmen eines autonomen österreichischen Staates entsprechend ausgestaltet werden sollte. Die Alliierten befanden sich somit auf dem Standpunkt, dass Österreich ein von Deutschland unabhängiger Nationalstaat zu sein habe – analog zu den um Österreich herum als Nationalstaaten gegründeten Staaten wie Tschechoslowakei, Ungarn oder Jugoslawien – berücksichtigten dabei jedoch nur in unzureichendem Maß die Voraussetzungen für die Entstehung eines solchen Nationalstaates, die sie unter anderem ihrer eigenen Geschichte hätten entnehmen können. Der jungen Republik wurden nicht nur ihre Grenzverläufe und politischen Möglichkeiten im Pariser Vorort Saint-Germain, wo der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, diktiert, sondern auch die ideologische Daseinsberechtigung wurde in den Köpfen alliierter Politiker – und nicht in denen der betroffenen Bevölkerung oder deren Vertreter – erdacht. Sie wollten das multinationale Habsburgerreich nun in kleine, relativ schwache Nationalstaaten untergliedert sehen, von denen in naher Zukunft keine Kriegsgefahr mehr ausgehen würde.27 Diese Spannung zwischen einer teilweise neuen gesamtstaatlichen Struktur einerseits und dem eigentlich fremden, oktroyierten Nationsgedanken andererseits bestimmte die österreichische Geschichte der folgenden Jahrzehnte dauerhaft und war für die Beliebtheit der neuen Republik nicht unbedingt förderlich. Insofern ist Österreich I, wie die Erste Republik auch genannt wird, durchaus kein Spezifikum, sondern steht in einer gewissen Analogie zum Ende anderer multinationaler Imperien28 und dem Aufbau der nachfolgenden Nationalstaaten und ist damit ein repräsentativer Fall für das Ende prä-nationalstaatlicher Gebilde und den folgenden Übergang zu nationalstaatlichen Herrschaftsformen in Europa und der Welt im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts. Innerhalb dieses globalen Kontexts wurde bereits im Rahmen verschiedener Untersuchungen auf die Rolle und Bedeutung von Bildung und Erziehung hingewiesen, besonders auf jene von staatlich-öffentlich organisierter, durchgeführter und finanzierter Beschulung großer Teile der (heranwachsenden) Bevölkerung, die in eben dieser Zeit große Verbreitung erfuhr.29 Speziell beziehungsweise atypisch ist die Gründung Deutschösterreichs jedoch insofern, als die meisten Nationalstaatsgründungen vor dem Ende des Ersten Weltkrieges von innen heraus durch die Bevölkerung oder elitäre Bewegungen erfolgten, jedoch nicht auf eine äußere Veranlassung hin durch andere Staaten. Die nationale Einigung erfolgte zwar oftmals 26 Damit Deutschland nicht gestärkt aus einem verlorenen Weltkrieg herausgehen würde. Schließlich konnte es nicht im Sinne der Siegerstaaten sein, dass Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg trotz einer militärischen Niederlage durch ein staatliches Zusammengehen mit Deutsch-Österreich einen Zuwachs von sechs Millionen Bewohnern erleben würde: Angerer 2020, 64 – 80. 27 Nachdem sich auch dieses Konzept nach 1918 im Sinne einer dauerhaften Friedensordnung nicht bewährt hatte, kamen im Laufe des Zweiten Weltkrieges wiederum Überlegungen auf, Deutschland und Österreich als Strukturen aufzulösen und Teile davon im Rahmen einer Donauföderation zu vereinen, wie Winston Churchill in seinem Werk zum Zweiten Weltkrieg erläutert: Winston Churchill, Der Zweite Weltkrieg. Mit einem Epilog über die Nachkriegsjahre (Fischer 16113), Frankfurt am Main 2013, 859 – 861. 28 Dazu zählen etwa die 1917 durch die Februarrevolution beseitigte Herrschaft der Romanovs im zaristischen Russischen Reich und das Osmanische Reich mit seinen Besitzungen in Südwesteuropa und dem Nahen Osten im Nachgang des Ersten Weltkrieges. 29 Beispielsweise: Harp 1998; Weber 1979, 303 – 338; Andrea Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule. Geschichtspolitik im Niederen Schulwesen Preußens und des deutschsprachigen Österreich, 1866 bis 1933/38. Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2005 u.d.T.: Nationalismus zwischen Kanonisierung und Polyvalenz (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 38), Berlin 2009.

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im Kampf gegen einen äußeren Feind, wie die Beispiele des revolutionären Frankreichs im Ersten Koalitionskrieg am Ende des 18. Jahrhunderts, der italischen Staaten während der Zeit des Risorgimento und der Irredenta im 19. Jahrhundert und ganz prominent des Deutschen Reichs während des Krieges gegen Frankreich 1870/71, zeigen. Daneben gibt es aber auch noch andere, rezentere Beispiele für die Transformation bestehender politischer Strukturen zu Nationalstaaten und für die wichtige Rolle, die politisch und gesellschaftlich einflussreiche Teile der Bevölkerung dabei spielten. Im Zusammenhang mit dem Ende multinationaler Imperien können als Beispiele für solche Transformationsprozesse aus dem zeitlichen Umfeld der Staatswerdung Deutschösterreichs etwa Finnland nach dem Ende des Russischen Reiches 1917/18 oder die Türkei nach dem Untergang des Osmanischen Reiches 1922 genannt werden. Allen diesen Beispielen gemein ist, dass es mit der Proklamation eines Nationalstaates nicht getan war: Diese Idee eines nationalen Gesellschaftsmodells musste in weiterer Folge erst an die breite Masse der Bevölkerung vermittelt werden, wozu sich die staatliche Schule besonders eignete, da sie – zumindest dem eigenen Anspruch nach – alle Kinder und Jugendlichen in einem bestimmten Herrschaftsbereich erfasste und dem Staat zugänglich machte.30 Im Falle Österreichs jedoch sagten sich im Laufe des Jahres 1918 die nichtdeutschsprachigen Gebiete von der Monarchie los und ließen ein Territorium als Rumpf der Habsburgermonarchie zurück, welches sich dann als Deutschösterreich bezeichnete. Der dem französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau zugeschriebene Ausspruch ‚der Rest ist Österreich‘, der angeblich im Rahmen der Friedensverhandlungen 1919 gefallen sein soll, mag unbelegt sein,31 ist aber durchaus zutreffend. Der Ausspruch vermittelt wohl einen lebensnahen Eindruck der Auffassung von Bevölkerung und politischen Repräsentanten in Bezug auf ihr neu geschaffenes Heimatland, dass nämlich die Republik den übriggebliebenen Rest der von allen verlassenen Habsburger-Monarchie darstelle.

1.3 Thesen und Forschungsfragen, Forschungsstand und Forschungslücke In den vorigen Ausführungen wurde erläutert, von welcher Problemstellung dieses Buch ausgeht und worin sein Erkenntnisinteresse besteht. Im Folgenden wird nun gezeigt, welche konkreten Fragestellungen bearbeitet und beantwortet und welche Thesen auf ihr Zutreffen überprüft werden. Außerdem folgt ein Blick auf den bisherigen Forschungsstand, der offenbaren wird, welche Forschungslücke diese Arbeit schließt und warum dies nötig ist. Begonnen wird mit den Thesen: • Die erste zu belegende These lautet, dass das westliche, von den Siegermächten des Ersten Weltkrieg vertretene Modell des von ihnen – wenn auch unterschiedlich – verkörperten und interpretierten Nationalstaates als grundlegendes politisches Ordnungsprinzip auf diejenigen ehemals Habsburgischen Gebiete angewandt wurde, die während und nach dem Ersten Weltkrieg von einer deutschsprachigen Mehrheit bewohnt wurden, ohne dass deren Vertreter je die Absicht gehabt hätten, einen eigenständigen Nationalstaat zu begründen, und zwar weil ihnen das Konzept einer österreichischen Nation fremd 30 Lukas Boser Hofmann, Nation, Nationalism, Curriculum, and the Making of Citizens, in: Michael A. Peters (Hg.), Encyclopedia of Educational Philosophy and Theory, Singapore 2016, 1 – 6, hier 1 – 3. 31 Lothar Höbelt, Die Erste Republik Österreich (1918-1938). Das Provisorium (Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek Band 064), Göttingen 2018, 15.

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war. Diese westliche Idee des Nationalstaats fiel daher auf keinen fruchtbaren Boden und scheiterte konsequenterweise im Verlauf der folgenden Jahre. Die Beantwortung dieser Fragestellung erfolgt vornehmlich in Kapitel 2.1. • Daraus wird die zweite These abgeleitet, dass nämlich die Schule und das staatliche Bildungs- und Erziehungswesen zwar einen wesentlichen Beitrag zum nation-state building32 leisten können, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass bereits eine distinkte nationale Gesinnung existiert, die auf diesem Weg vermittelt werden kann. In Österreich konnte das Bildungssystem daher also nur einen begrenzten Beitrag leisten, denn die erforderliche distinkte Ideologie von Österreich als Nationalstaat war im Grunde nicht vorhanden (siehe Forschungsfrage 1). Diese Fragestellung wird hauptsächlich in den Kapiteln 2.2 und 3 bearbeitet. Ausgehend von diesen Thesen wird untersucht, welche kulturellen Vorstellungen und Ideologien in den Jahren 1918 bis 1938 auf dem Gebiet Österreichs dominant waren und diskutiert wurden, als das als Nation erst in Ansätzen existente, aber zum Nationalstaat vorgesehene Österreich mittels Verfassung, politischer Praxis, Schulgesetzen und Beschulung dem Wunsch der Siegermächte nach einem souveränen österreichischen Staat Rechnung tragen musste. Dabei wird vor allem untersucht, wie sich die zu Beginn kaum bis schwach ausgebildete (aber dennoch in Ansätzen vorhandene, aus diffusen Quellen gespeiste) österreichnationale Gesinnung in weiten Teilen der Bevölkerung zum offensiv zur Schau getragenen Österreich-Patriotismus während der Kanzlerdiktatur Dollfuß-Schuschnigg (1933-1938) entwickeln konnte. Der Fokus wird besonders daraufgelegt, wie im Rahmen von Beschulung und (Aus-)Bildung der Widerspruch zwischen Deutschsein und Österreichischsein behandelt wurde und welche Diskurse im Hinblick auf die Beantwortung der Frage nach der (eigenen) österreichischen Identität im schulischen Kontext geführt wurden. In weiterer Folge steht die Beantwortung folgender Forschungsfragen im Mittelpunkt der Arbeit: • Wie gingen die österreichische Schulgesetzgebung und -verwaltung mit dem Widerspruch zwischen einem real existierenden österreichischen Staat und der nicht existenten österreichischen Nation um unter Berücksichtigung der Aufgabe eines modernen Schulsystems, loyale Bürger zu erziehen? Worauf sollte sich diese Loyalität beziehen, wenn es keine Nation im Sinne einer kulturellen These von Zusammengehörigkeit, Unterscheidbarkeit und Identität gab? Diese Fragestellungen werden im Kapitel 2 aufgegriffen und in Kapitel 3 anhand authentischer Quellen bearbeitet. • Durch welche Entwicklungen kam es zu Beginn der 1930er Jahre (besonders in den Jahren 1933/34) zu einem so starken Umdenken in den politischen und gesellschaftlichen Eliten, dass die Förderung eines nationalen Österreich-Patriotismus‘ nun doch eine vorrangige Aufgabe der öffentlichen Erziehung wurde und wie sah diese aus? Diese Fragen stehen in den Kapiteln 2 und 3 im Zentrum des Interesses. Zur ersten Frage ist anzumerken, dass davon ausgegangen wird, dass die Nation als eine mögliche Form des menschlichen Zusammenlebens nicht ontologisch gegeben ist, sondern ein 32 Unter diesem Begriff werden subsumiert: Anstrengungen und Bestrebungen zur Etablierung und Perpetuierung eines als Symbiose von Nation und Staat konzipierten Nationalstaates in verschiedenen Bereichen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens.

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kulturell erzeugtes Schema ist, das selbst eine dauerhafte Tradition erzeugt hat:33 Ein Mensch kommt eben nicht mit einer nationalen Zugehörigkeit zur Welt, sondern erwirbt diese erst im Laufe des Lebens. Diese Fragestellung basiert außerdem auf der weitgehend anerkannten Prämisse, dass Schule auch zur Bildung loyaler Staatsbürger dient, und der moderne Staat ist seit der Französischen Revolution zunehmend eben ein Nationalstaat. Das Spannungsverhältnis für Österreich als Staat bestand darin, dass es ab 1918/19 ein Nationalstaat sein sollte, weil die Alliierten das für die Nachkriegsordnung so wünschten, es aber keine österreichische Nation gab, auf der dieser Staat hätte aufbauen können. Ein etwaiges Österreichbewusstsein34 war in den Jahren der Monarchie noch eng mit der Herrschaft der Familie Habsburg verwoben gewesen, mit dem Kaisertum und dem Großmachtstatus35 – nach 1918 war davon nichts mehr übrig, was diese Identität hätte stützen können:36 Die Habsburger waren ausgewiesen worden, der Kaiser samt Familie im Exil und das Reich in viele einzelne Bestandteile zerbrochen, die von sich behaupteten, souveräne Nationalstaaten zu sein. Daher mutet es durchaus paradox an, dass es in den frühen 1930er Jahren zu einem einigermaßen strengen Umdenken zumindest an der Spitze des Staates kam: Wo Schulkinder noch in den 1920er Jahren nicht einmal wussten, zu welcher Melodie und mit welchem Text die österreichische Bundeshymne gesungen werden sollte,37 wurden nun Jugendaufmärsche veranstaltet, auf denen die Schüler gleich militärischen Formationen in Marschabteilungen paradierten; Österreich-Fahnen mit Kruckenkreuz38 wurden geschwenkt, Schüler und Lehrer in jeweils eigene Organisationen mit Zwangsmitgliedschaft zusammengefasst, die außer dem Arbeitsleben auch noch die Freizeit einer strengen staatlichen Kontrolle unterwarfen. Eine vorläufige Antwort auf die zweite Frage lautet daher folgendermaßen: Diese Entwicklung zum offen gezeigten Nationalismus unter autoritär-faschistischen Vorzeichen kam ebenso wenig aus heiterem Himmel wie die ihr vorhergehende Abschaffung der parlamentarischen Demokratie 1933/34, sondern beruhte auf den Wünschen und Vorstellungen einer handlungsfähigen Elite, deren Überzeugungen, Motivationen und Visionen eine entscheidende Rolle spielten und folglich zu untersuchen sind. Es ist darzustellen, welche nationalen und nationalisierten Diskurse geführt wurden, um zu verstehen, was die Menschen dazu bewegt hat, mit Verspätung am Gedanken eines Nationalstaates Gefallen zu finden und 33 Damit reiht sich diese Arbeit infolge dieser Deutung von Nationalismus auch in der Nationalismusforschung in eine bestimmte Tradition ein: So werden ethno-symbolistische Ansätze und der sogenannte ‚primordialism‘ als wenig überzeugend angesehen und zugunsten eines Ansatzes verworfen, der am besten als Mischung zwischen ‚modernism‘ und ‚new approaches‘ charakterisiert werden kann: Umut Özkırımlı, Theories of nationalism. A critical introduction, Basingstoke 2010, 72 – 142, 169 – 198. 34 So die Bezeichnung in mehreren Studien, zum Beispiel: Gerald Stourzh, Vom Reich zur Republik. Studien zum Österreichbewußtsein im 20. Jahrhundert, Wien 1990. 35 Hier sei etwa Franz Grillparzers (1791 – 1872) berühmtes Gedicht für Feldmarschall Radetzky erwähnt, dessen erste Strophe die berühmte Phrase „in deinem Lager ist Österreich“ enthält: „Glück auf, mein Feldherr, führe den Streich! / Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer, / In deinem Lager ist Österreich, / Wir andern sind einzelne Trümmer.“ Franz Grillparzer, Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte. Herausgegeben von Peter Frank und Karl Pörnbacher, Band 1 München 1960 – 1965, 318 – 319. Derselbe Franz Grillparzer schrieb jedoch 1867 – nach Österreichs Niederlage gegen Preußen – die bemerkenswerten Worte: „Als Deutscher ward ich geboren. / Bin ich noch einer? / Nur, was ich Deutsches geschrieben, / Das nimmt mir keiner.“ (Grillparzers Sämmtliche Werke in zehn Bänden. Dritte Ausgabe. Erster Band Stuttgart 1878). 36 Olechowski 2019, 375. 37 So schreibt beispielsweise Eric Hobsbawm über seine Volksschulzeit in Österreich in den 1920er Jahren, dass die verschiedenen Hymnen nur wenig Anklang bei den Schulkindern fanden: Eric J. Hobsbawm, Nations and nationalism since 1780. Programme, myth, reality, Cambridge 2012, 92. 38 Das Kruckenkreuz war das Erkennungszeichen der ständestaatlich-austrofaschistischen Bewegung und ähnelt einem Hakenkreuz, dessen äußere Querbalken symmetrisch gespiegelt werden.

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diesen aktiv zu unterstützen, wobei nicht in Abrede gestellt werden soll, dass die Einheitspartei ‚Vaterländische Front‘ und deren Unterorganisationen in großen Teilen der Bevölkerung nur mäßig beliebt waren. Jedoch sollte die Bedeutung nationalistischer Politik für die Herausbildung und Bewahrung einer Gemeinschaft trotz eingeschränkter Wirkmächtigkeit nicht unterschätzt werden, denn laut dem renommierten Politikwissenschafter Carlo Masala zeige ein Blick in die Geschichte, „dass es kaum eine größere Kraft gibt als einen militanten Nationalismus.“39 Dabei spielen Eliten – besonders politische – eine maßgebliche Rolle,40 staatliche Schule und (Aus-)Bildung waren und sind ein gerne genutztes Instrument zur Erreichung dieser Ziele. Parallel zu den Ereignissen in Österreich sollte bedacht werden, dass im nationalsozialistischen Deutschen Reich ab 1933 ein System etabliert wurde, das manchen als Vorbild und anderen als Abschreckung diente, jedenfalls aber aufgrund der engen Verwobenheit Österreichs und Deutschlands in verschiedenen Bereichen rezipiert wurde. Um diese vorgestellten Thesen zu überprüfen und die Forschungsfragen zu beantworten, wird gezeigt, wie dieser Prozess der Nationswerdung (zu unterscheiden von der Staatswerdung, die zu Beginn der 1920er Jahre bereits weitgehend abgeschlossen war) in den 20 Jahren von 1918 bis 1938 in der österreichischen Schule Ausdruck fand, welche Akteure dafür verantwortlich zeichneten und welche Diskurse im schulischen Kontext wegweisend waren in der Frage, ob es eine österreichische Nation geben solle und wie diese zu verstehen und auszugestalten sei. Diesem Vorgang wird nachgespürt, indem aus den vorhandenen Quellen aus und zu Schulen und Unterricht national konnotierte Inhalte aufgespürt und zu den ab 1933/34 offen artikulierten, nationalistischen Aussagen in Relation gesetzt werden. Anhand dieser Vorgangsweise kann verdeutlicht werden, dass eine die Nationalisierung auf dem Wege der Beschulung betreffende Umbruchsphase in der österreichischen Schulgeschichte nicht auf in das politische Schicksalsjahr 1918 (Ende des Ersten Weltkrieges und Abschaffung der Monarchie) zu verorten ist, sondern im Laufe der 1920er Jahre festgemacht werden kann. Zum Forschungsstand ist festzuhalten, dass es bislang nur wenig internationale Literatur zur spezifisch österreichischen Nationswerdung in der Zeit von 1918 bis 1938 gibt (wenig im Vergleich zu Deutschland, Frankreich und den USA, deren Nationswerden Gegenstand vieler Publikationen war und ist) und dass die bisherige Forschung den Fall Österreich 1918 bis 1938 wenig in einen internationalen, transdisziplinären Kontext gestellt hat. Die bisherige Forschung wurde größtenteils von österreichischen Forscherinnen und Forschern betrieben; die wenige internationale, meist auf Englisch verfasste Literatur ist entweder nicht mehr ganz aktuell oder nicht in hinreichendem Maß in die aktuellen Diskussionen der Nationalismusforschung und historischen Bildungsforschung eingebettet. Das ist aber keine Besonderheit des hier gewählten Themas, denn insbesondere in jüngerer Vergangenheit taten sich immer wieder Forschungsdesiderate im Zusammenhang mit der Ersten Republik Österreich auf, die selbst das interessierte Publikum erstaunten: So konstatierte Linda Erker in ihrer jüngst erschienenen Studie zur Universität Wien – immerhin die älteste und größte Hochschule im deutschen Sprachraum – von 1933 bis 1938: Die Geschichte der Universität Wien in den Jahren von 1933 bis 1938 fand bis vor kurzem weder in universitätshistorischen Überblickswerken noch in Form von Einzelstudien eine angemessene Beachtung. Die austrofaschistische Diktatur und ihr Verhältnis zu den Universitäten blieb entweder Anhängsel der Forschung zur Zwischenkriegszeit oder eine Vorbemerkung zum NS-Regime in 39 Masala 2022, 38. 40 Ebd., 29.

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Österreich. Ähnlich ist es mit den Standardwerken zum Austrofaschismus: In diesen Büchern waren die Universitäten und Hochschulen bestenfalls ein Nebenschauplatz.41

Ähnlich verhält es sich mit den Schulen der Zeit, wenn auch in leicht abgewandelter Form: Im Zeitraum von 1918 bis 1938 sind vor allem die letzten fünf Jahre von 1933 bis 1938 aus historischer und bildungswissenschaftlicher Sicht gut erforscht, weil die Kanzlerdiktatur Dollfuß-Schuschnigg besonders im Kontext der Forschungen zu Nationalsozialismus und Faschismus von großem Interesse war. Die Jahre 1918 bis 1933 hingegen können abgesehen von Wien unter Stadtschulratspräsident Otto Glöckel als Forschungsdesiderat bezeichnet werden. Die vorliegende Arbeit geht daher näher auf jene Zeit ein, die bisher von der Forschung in einem unzureichenden Ausmaß berücksichtigt wurde, und spannt einen größeren Bogen bis 1938 und darüber hinaus. Dabei kann auf eine reichhaltige internationale Literatur zum imperialen Österreich vor 1918 zurückgegriffen werden.42 Was Linda Erker für die Universität Wien feststellte, gilt jedoch in ähnlichem Maße für die österreichische Geschichte nach 1918, denn auffallend ist, dass die Zäsur von 1918 – allen Kontinuitäten zum Trotz – sich in einem Rückgang von Forschungsarbeiten niederschlug: Die kleine Alpenrepublik Österreich mit ihren innenpolitischen Problemen und Streitereien schien für Forscher nicht so attraktiv zu sein wie die Habsburgermonarchie mit ihrer fast siebenhundertjährigen Geschichte oder die nationalsozialistische Diktatur von 1938 bis 1945. Besonders Schule und Bildung wurden in den – meist geschichtswissenschaftlichen – Abhandlungen zur Ersten Republik eher vernachlässigt und – wenn überhaupt – nur am Rande behandelt.43 Der Großteil der Forschung konzentrierte sich dabei vor allem auf die Jahre 1933 bis 1938, während 1918 bis 1933 meist deutlich weniger beachtet und eher als Auftakt zur autoritären Periode ab 1933 begriffen wurden. Und sogar diese fünf Jahre – folgt man Linda Erkers oben erwähntem Urteil – müssen als nicht ausreichend erforscht bewertet werden. Bedingt durch die schrecklichen Ereignisse während der NS-Diktatur 1933/38 bis 1945 begann die Wissenschaft erst spät mit der Erforschung der österreichischen Diktatur vor 1938. Frühe Erkenntnisse der geschichts- und bildungswissenschaftlichen Forschung verfestigten dabei ein Bild der erfolglosen Ersten Republik und der erfolglosen Kanzlerdiktatur

41 Linda Erker, Die Universität Wien im Austrofaschismus. Österreichische Hochschulpolitik 1933 bis 1938, ihre Vorbedingungen und langfristigen Nachwirkungen (Schriften des Archivs der Universität Wien 29), Wien 2021, 14. 42 Tara Zahra, Kidnapped souls. National indifference and the battle for children in the Bohemian Lands, 1900 1948, Ithaca, NY 2008; Marsha L. Rozenblit, Sustaining Austrian “National” Identity in Crisis. The Dilemma of the Jews in Habsburg Austria, 1914 – 1919, in: Pieter M. Judson (Hg.), Constructing nationalities in East Central Europe (Austrian and Habsburg studies 6), New York 2006, 178 – 191; Marsha L. Rozenblit, The Crisis of National Identity: Jews and the Collapse of the Habsburg Monarchy, in: Helga Embacher (Hg.), Vom Zerfall der Großreiche zur Europäischen Union. Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Sonderband 4 i.e. 5), Horn 2000, 41 – 56; Cynthia Paces/Nancy M. Wingfield, The Sacred and the Profane. Religion and Nationalism in the Bohemian Lands, 1880 – 1920, in: Judson (Hg.) 2006, 107 – 125; Lukan 2017; Pieter M. Judson, Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740-1918, Darmstadt 2017; Pieter M. Judson, Guardians of the nation. Activists on the language frontiers of imperial Austria, Cambridge, Mass. 2006. 43 In Lothar Höbelts rezentem Buch zur Ersten Republik beispielsweise kommt der Begriff Schule auf den über 350 Textseiten nur dreizehnmal vor, davon neunmal mit eigentlichem Bezug zum Schulwesen. Im von Ulfried Burz herausgegebenen Sammelband sind es 18 Nennungen desselben Begriffs auf 300 Seiten Text: Höbelt 2018; Burz (Hg.) 2020.

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Dollfuß/Schuschnigg – besonders im Hinblick auf deren Jugendarbeit.44 Dabei wurde in der Folge oft übersehen, dass die Umstände und Gründe dieser vermeintlich erfolglosen Beziehung zwischen politischer Führung und Jugend erst herausgearbeitet und analysiert werden müssen, um zu einem besseren Verständnis dieser und anderer totalitärer Strömungen und deren Jugendpolitik zu gelangen. Hierzu leistet die vorliegende Arbeit einen Beitrag, indem sie beleuchtet, inwiefern über die Institution Schule eine Idee der nationalen Gemeinschaft vermittelt wurde, und eine Einschätzung vornimmt, inwiefern diese Art der Beeinflussung auf dem Wege der Beschulung als nachhaltig bezeichnet werden kann. Eine Arbeit, die bereits ein ähnliches Anliegen verfolgte, ist Andrea Meissners umfangreiche Studie zur Nationalisierung der Volksschule Preußens und Österreichs von 1866 bis 1933/38.45 Zwar liegt der Fokus jener Arbeit auf der Zeit vor 1918, doch sie kann als Modell dienen, an dem sich das vorliegende Werk orientieren und messen lassen wird. Konsequenterweise könnte die hier vorliegende Arbeit als Fortsetzung verstanden werden, nämlich als Studie zur Nationalisierung der mittleren und höheren Schulen ab 1918 und deren Auswirkung auf die stattfindende Symbiose von Nation und Staat zu einem österreichischen Nationalstaat.

1.4 Theoretische und methodologische Überlegungen Die zentrale Prämisse der Arbeit ist die in der Forschung bereits anerkannte These, dass staatlich organisierte und durchgeführte Beschulung auch (und vor allem) der Erziehung zukünftiger Staatsbürger dient, die der jeweiligen nationalen Gesellschaft und den staatlichen Institutionen gegenüber loyal und verantwortungsbewusst eingestellt sind. Diese Ziele werden politisch durch Steuerungsprozesse zu erreichen versucht, die sich beispielsweise in Curricula und Lehrplänen materialisieren, die jeweils heruntergebrochen und auf Unterrichtsebene umgesetzt werden. Dabei muss natürlich bedacht werden, dass Curricula erst mit einiger Verzögerung umgesetzt werden. Weiters manifestieren sich diese Steuerungsabsichten real in Form von Gesetzen, Verordnungen, Erlässen, Schulbüchern und sonstigen Unterrichtsmaterialien, die als diskursiv erzeugt beziehungsweise Ausdruck eines bestimmten Diskurses über die Nation und den Staat verstanden werden. Da vor allem die eben genannten Quellengattungen bearbeitet werden, die Rückschlüsse auf bestimmte Diskurse zulassen, bildet ein diskursanalytischer Ansatz46 den Rahmen für die weitgehend auf zeitgenössischen Quellen und deren Auswertung basierende Forschungsarbeit. Zusätzlich zur eben ausgeführten Prämisse ist festzuhalten, dass die folgende Arbeit außerdem auf der grundlegenden Annahme basiert, dass ein das entsprechende Bewusstsein für eine selbständige österreichische Nation bei der österreichischen Bevölkerung kaum vorhanden war (zu den Gründen für diese Annahme siehe Kapitel 1.2 und 1.3). Ein dementsprechend als national zu identifizierender Diskurs kann daher qua Annahme nur in Ansätzen 44 Thomas Pammer, Austrofaschismus und Jugend: gescheiterte Beziehung und lohnendes Forschungsfeld?, in: Florian Wenninger/Lucile Dreidemy (Hg.), Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933 - 1938. Vermessung eines Forschungsfeldes; „Österreich 1933 - 1938“-Tagung, veranstaltet vom Institut für Zeitgeschichte und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Wien von 20. bis 21. und 24. bis 26. Jänner 2011, Wien 2013, 395 – 410, 395 – 398; Julie Thorpe, Education and the Austrofascist State, in: Wenninger/ Dreidemy (Hg.) 2013, 381 – 394. 45 Meissner 2009. 46 Zum Beispiel eine thematisch anders gelagerte Forschungsarbeit mit einem ähnlichen methodologischen Hintergrund: Ruth Wodak/Rudolf de Cillia, Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1349), Frankfurt am Main 1998, 40 – 47; Achim Landwehr, Historische Diskursanalyse (Historische Einführungen 4), 2. aktualisierte Auflage Frankfurt 2018.

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österreichnational gewesen sein, da eine mehrheitsfähige Konzeption der österreichischen Nation zwischen 1918 und 1938 nur in Ansätzen existierte. Es wird daher untersucht, aus welchen Quellen sich nationale Diskurse in der Ersten Republik allgemein speisten und welche Bezüge dabei zu tragen kamen. Das wird im analytischen Teil (hauptsächlich in Kapitel 3) anhand von Quellenmaterial geschehen, wobei aufgezeigt wird, welche Diskurse in der Schule selbst und deren weiteren Umfeld geführt wurden, wer daran beteiligt war und wie sie ausgestaltet waren und sich materialisierten. Von großer Bedeutung für diesen Schritt ist das Konzept des „banal nationalism“47, welches besagt, dass sich Nationalismus nicht nur explizit, sondern auch auf sehr banale – besser: einfache – Weise äußern kann. Eine vor einer Schule aufgehängt Flagge ist nicht weniger Ausdruck einer nationalistischen Grundüberzeugung als die bei einer politischen Kundgebung energisch geschwenkte Fahne, wie Billig treffend ausführt: „The unwaved flag, which is so forgettable, is at least as important as the memorable moments of flag waving.“48 Billigs Konzept der „unwaved flag“ wird erweitert um Ansätze aus der politischen Ideengeschichte der Prägung Quentin Skinners49 und John Pococks50 – kurz: der Cambridge School. In diesem Sinne werden nicht nur Flaggen analysiert – egal ob sie geschwenkt werden oder nicht, um bei Billigs Metapher zu bleiben – sondern auch sprachliche Äußerungen und Handlungen, die Ausdruck eines nationalistischen Diskurses sein können, zur Analyse herangezogen. Die österreichische Nation wird somit konkret als eine Idee verstanden, deren Entstehung und Verbreitung sich anhand historischer Quellen nachverfolgen lässt und analysiert werden kann, wie in Kapitel 1.5 noch näher erläutert wird.

1.5 Methoden und Erkenntnisquellen Aus den gewählten Methoden und aufgrund der zu untersuchenden Quellen ergibt sich eine zweigliedrige Struktur des Hauptteils der Arbeit (Kapitel 2 und 3). Dabei werden in der ersten Hälfte (Kapitel 2) die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten des gewählten Zeitraums näher behandelt, während die zweite Hälfte (Kapitel 3) die eigentliche, quellenbasierte Forschung umfasst und dementsprechend der umfangreichste Abschnitt der Arbeit ist. Dieser Aufteilung erfordert auch eine differenzierte Herangehensweise, die im Folgenden ausgeführt wird: Was die politischen und gesellschaftsgeschichtlichen Aspekte der vorliegenden Arbeit angeht, die hauptsächlich in Kapitel 2 behandelt werden, so wird sich die Argumentation vorwiegend auf Literaturrecherche stützen, während eigene Quellenrecherche nur zur Ergänzung dient. Als schriftliche Quellen gelten beispielsweise behördliches Schriftgut, Protokolle von Sitzungen politischer Gremien, Gesetze und Verordnungen, die einen Einblick in die diskursive Auseinandersetzung staatlich-politischer Akteure mit den nationalen Aspekten des Staates erlauben. Vorhandene Forschungsliteratur aus dem In- und Ausland wird hier intensiv in die Betrachtung miteinbezogen. Gerade die verstärkte Berücksichtigung internationaler (oftmals 47 Michael S. Billig, Banal nationalism, Los Angeles, CA 2010. 48 Ebd., 10. 49 Marion Heinz/Martin Ruehl (Hg.), Quentin Skinner. Visionen des Politischen (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1910), Frankfurt am Main 2009 Quentin Skinner, Visions of Politics. Volume 1: Regarding method (Visions of politics 1), New York 2002. 50 J. G. A. Pocock, The concept of a language and the metier d’historien: some considerations on practice, in: Anthony Pagden (Hg.), The languages of political theory in early-modern Europe (Ideas in context 4), Cambridge 2002, 19 – 38.

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englischsprachiger) Forschung stellt auf dem Gebiet der österreichischen Bildungsgeschichte von 1918 bis 1938 eine wesentliche Erweiterung des Spektrums im Vergleich zu den bereits vorhandenen Arbeiten dar, die sich großteils auf deutschsprachige Forschungsergebnisse beschränkten und den Blick über die (Sprach-)Grenzen nur in Ausnahmefällen wagten. Dabei ist es gerade der sich daraus ergebende komparative Ansatz, der für diese Arbeit wesentlichen Nutzen verspricht. In der zweiten Hälfte des Hauptteiles (Kapitel 3), in dem die hauptsächliche Forschungsarbeit geleistet wird, verhält es sich in Bezug auf die maßgeblichen Erkenntnisquellen umgekehrt: Hier bilden historische Quellen den Hauptbezugspunkt, während wissenschaftliche Literatur als Ergänzung dient und als Leitfaden herangezogen wird. In Hinblick auf den Bereich von Schule und Bildung kommen dabei als schriftliche Quellen besonders die Jahresberichte mittlerer und höherer Schulen (Sekundarstufe I und II) zwischen 1918 und 1938 in Frage. Über einen großen Bestand solcher Werke verfügt die Schulbuchsammlung der Universitätsbibliothek Wien, doch natürlich konnten in der vorliegenden Arbeit nicht alle Schulen untersucht werden, zu denen die Schulbuchsammlung Material hatte. Daher wird die Arbeit auf jene Schulstandorte beschränkt, deren hinterlassene Materialien folgende beiden Kriterien erfüllen: Erstens war eine möglichst lückenlose und aufschlussreiche Aktenlage für die Zeit von 1918 bis 1938 eine wichtige Voraussetzung für die Aufnahme in das Sample, die auch einen entsprechenden Umfang aufweist.51 Zweitens musste unter all jenen Schulstandorten, die dieses Kriterium wenigstens großteils erfüllten, eine Auswahl getroffen werden, die die Arbeit auf eine möglichst breite Basis stellt, also beispielsweise eine gewisse geographische Verteilung der Standorte auf mehrere Bundesländer. Lägen zum Beispiel alle behandelten Schulen in einem einzigen Bundesland, so würde dies die Gültigkeit der Forschungsergebnisse stark regional beschränken, da die Bildungsagenden bereits in der Ersten Republik stark föderal geprägt waren. Da der vorliegende Text den Anspruch stellt, eine überregionale Gültigkeit für Österreich zwischen 1918 und 1938 zu erlangen, werden Schulen aus verschiedenen Bundesländern in die Analyse miteingeschlossen, um eventuelle politische und personelle Eigenheiten auszugleichen. Dafür musste im Hinblick auf manche Schulen ein Kompromiss zwischen den beiden genannten Kriterien erreicht werden. Unterrichtsbehelfe und -inhalte, Schulbücher und Curricula werden nicht nur dahingehend untersucht, welche Interessen die Schulbehörden mithilfe der Lernunterlagen verfolgten, sondern auch als Kristallisationspunkt öffentlicher Auseinandersetzungen verstanden. Was in staatlich approbierten Lehrbüchern gedruckt wird, ist nicht nur Ausdruck dessen, was staatliche Stellen in der Bildungsverwaltung als richtig und der Tradierung wert erachten, sondern auch ein Hinweis auf Themen und Inhalte, die gesellschaftlich relevant sind, wie Oliver Timmer festhält: Er sieht „education not so much as a means to transmit certain ‘national’ messages but as a focal point for public debates in which ‘the nation’ formed a central concern.”52 Diesem Gedankengang Zimmers wird gefolgt, und so werden genannten Quellen in diesem Sinne als Kristallisationspunkt für öffentliche Debatten und Auseinandersetzungen verstanden. Die Produktion und Verbreitung von Schulbüchern erfolgt immer 51 Jahresberichte und Schulchroniken aus dieser Zeit können höchst unterschiedlich gestaltet sein: Von Broschüren mit einigen wenigen Seiten, die den Personal- und Schülerstand wiedergeben, bis zu umfangreich gestalteten, mit Vorwort und wissenschaftlichen Beiträgen versehenen Werken, die ausführlich vom Ablauf eines Schuljahres berichten. Eine komplett lückenlose Überlieferung aller Jahresberichte von 1918 bis 1938 liegt leider für keine der hier behandelten Schulen vor, es wurde aber nach Vollständigkeit getrachtet. Von dieser Erfordernis wurde abgewichen, wenn eine Schule beispielsweise besonders anschaulich für einen gewissen Aspekt war. 52 Oliver Zimmer, A contested nation. History, memory and nationalism in Switzerland, 1761 - 1891 (Past and present publications), Cambridge 2003, 179.

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erst mit einer gewissen Verzögerung zu politischen und gesellschaftlichen Prozessen, da sie konzipiert, verfasst und approbiert werden müssen, bevor sie zum Einsatz kommen können.53 Die oft ausführliche Aufzählung von zu erwerbenden Schulbüchern in den meisten Jahresberichten erlaubt es, die konkret verwendeten Bücher zu identifizieren und bei deren Vorhandensein einer inhaltlichen Analyse zugänglich zu machen. Schulbücher als Kristallisationspunkt staatlich und gesellschaftlich dominanter Vorstellungen und Haltungen geben somit wertvolle Auskunft über vergangene Lehrinhalte: In einem Geographiebuch beziehungsweise Atlas gibt die Darstellung eines bestimmten Staates – beispielsweise Österreich – nicht nur Aufschluss über die geographischen Gegebenheiten, sondern auch über politische Ansprüche und Anschauungen. Es ist auffällig, dass Karten und Atlanten für den Schulgebrauch meist jenen Staat in das Zentrum ihrer Karten stellen, in dem sie gebraucht werden.54 Je nach dem, wo eine Karte erstellt und dann gebraucht wird, kann ein und dasselbe Gebiet einmal diesem und einmal jenem Staat zugewiesen werden.55 In einer „vorgestellten Gemeinschaft“56 spielen auch visuelle Vorstellungen der eigenen Gemeinschaft eine wichtige Rolle zur Ab- und Ausgrenzung gegenüber anderen. Daneben sind damit real-politische Ansprüche verbunden, wie zum Beispiel die ursprünglich von der provisorischen Staatsregierung beanspruchten Gebiete der späteren Tschechoslowakei zeigen. Diese waren jedoch von so kurzer Dauer, dass sie kaum in einem Schulbuch festgehalten wurden. Aus den schulischen Jahresberichten, also den jedes Schuljahr erstellten Berichten, die meist unter der Führung der jeweiligen Direktionen entstehen, lässt sich unter anderem auch ableiten, wann und wie konkrete Feiertage begangen wurden und in welchem Rahmen sie auch in der Schule begangen wurden, woraus sich folgende Fragen ergeben: Fand ein gemeinsamer Gottesdienst oder eine gemeinsame Feier statt? Gab es eine Ansprache des Direktors oder eines politischen Amtsträgers oder sonstigen Würdenträgers? Ist diese vielleicht sogar abgedruckt und worum geht es darin? Was wird angesprochen, was nicht? Dienten diese Anlässe beispielsweise der kollektiven Erinnerung an nationale Mythen oder historische Figuren und somit der Identitätsstiftung? Ausgangspunkt solcher Überlegungen sind die in den Quellen oft zu findenden Gedenkveranstaltungen für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, derer bis weit in die 1920er Jahre hinein in einigen Jahresberichten an prominenter Stelle gedacht wurde. Das Trauma des Weltkrieges scheint ein ganz zentraler Erinnerungsort und ein wesentliches Identitätsmerkmal vieler Menschen nach 1918 gewesen zu sein. Auch die sogenannten Befreiungsfeiern anlässlich des Gedächtnisses der Befreiung Wiens von der osmanischen Belagerung 1683 sind ein solches Ereignis. Diese Anlässe waren nicht nur für die Gesellschaft bedeutend,57 sondern bekamen auch im schulischen Leben einen prominenten 53 Eingehend widmet sich dieser Problematik Meissner auf der Ebene der Volksschulen: Meissner 2009, 358 – 365. 54 Boser Hofmann 2016, 4. 55 Wie beispielsweise die im Schwarzen Meer gelegene Halbinsel Krim seit der rechtswidrigen Annexion durch die Russische Föderation 2014: Während die Krim mehrheitlich als ukrainisches Staatsgebiet angesehen und bildlich dargestellt wird, gehört sie gemäß russischer Auffassung zum russischen Staatsgebiet. In diesem Sinne könnte man danach fragen, welches geographische Bild von Österreich von 1918 bis 1938 vermittelt wurde. Wem wurden die zwangsweise abgetretenen Gebiete zugeschrieben? Was lernten die Schülerinnen und Schüler darüber? Und was machte das mit ihnen unter dem Gesichtspunkt, dass sie in der Schule zu loyalen Staatsbürgern erzogen werden sollten? 56 Anderson 2005. 57 Der Marsch der Vierzigtausend, Die Neue Zeitung, 15. 5. 1933, 1 – 2: Hier wird auf dem Titelblatt der Zeitung prominent über eine sogenannte Befreiungsfeier berichtet, die ganz offensichtlich auch dazu dienen sollte, den mittlerweile ohne Parlament und somit autoritär regierenden Bundeskanzler Dollfuß auch als Militär zu legitimieren, denn eine Zwischenüberschrift lautete „Dr. Dollfuß, der Kaiserschützen-Oberleutnant“.

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Platz zugewiesen. Davon ausgehend kann auf eine gewisse gesellschaftliche Relevanz dieser Ereignisse und deren Jubiläen geschlossen werden. Daraus ist wiederum abzuleiten, was das Verschwinden oder Aufkommen gewisser festlicher Anlässe im größeren Kontext bedeuten kann und welche Schlüsse in Bezug auf einen möglicherweise nationalen Diskurs folglich gezogen werden können: Gewisse Feiertage verschwinden aus den Jahresberichten, während andere entweder neu eingeführt werden oder eine wesentliche Aufwertung erfahren. Dabei sollen nicht nur die Ereignisse selbst dargestellt und in ihrem (historischen) Kontext analysiert werden, sondern auch für sich genommen und im Hinblick auf ihre Darstellung untersucht werden. Dabei liefert John Pococks Sprachkonzept,58 das über der Perzeption von Sprache als lautliche Artikulation hinausgeht, einen wichtigen Anhaltspunkt. Konkret werden Inhalte in Schulbüchern, Darstellungen in Jahresberichten oder auch schriftlich tradierte Ansprachen zu bestimmten Anlässen sprachlich und innerhalb eines ideologischen Rahmens – man könnte auch Diskurs dazu sagen – gesehen, dem auf diese Weise nachgespürt wird. Im Einzelnen geschieht dies durch die Arbeit an den Quellen, indem diese auf ihre (formalen) Eigenschaften hin untersucht und dann entsprechend im Hinblick auf den ideologischen nationalen Rahmen kontextualisiert und in ein Verhältnis zu diesem gesetzt werden. Mit Hilfe all dieser Zeugnisse und Dokumente werden folgende Forschungsfragen untersucht: • Ob und inwiefern kann im Umfeld von Schule und Bildung in Österreich zwischen 1918 und 1938 von einem nationalen Diskurs gesprochen werden? • Ob und wie wurde Schülerinnen und Schülern eine nationale Zugehörigkeit zu Österreich auf dem Wege der Beschulung vermittelt? • Welche Schlüsse können folglich im Vergleich zu anderen Fällen von nation-building gezogen und welche Erkenntnisse für die historische Bildungsforschung und die Nationalismusforschung gewonnen werden?

58 Pocock 2002.

| 27 2 Schule und Staat: Die Erste Republik und ihre Schule 1918 – 1938 In Kapitel 2 werden die Grundzüge erstens der österreichischen politischen Geschichte und zweitens der Schulgeschichte von 1918 bis 1938 dargestellt und mit dem Erkenntnisinteresse der Arbeit verknüpft. Das Hauptaugenmerk der Darstellung liegt darauf, durch einen Blick auf politische, wirtschaftliche und soziale Ereignisse und Entwicklungen ein grundlegendes Verständnis für den behandelten Zeitraum und damit die in den darauffolgenden Kapiteln analysierten Gegebenheiten zu schaffen. Dieser Rahmen ist für die weiteren Ausführungen unabdingbar, und es erscheint jedenfalls angemessen, Bildung und Schule in Zusammenhang mit Politik- und Sozialgeschichte zu denken und zu behandeln: Staatliche Bildungseinrichtungen waren und sind in staatliche Hierarchien eingebunden und dadurch notwendigerweise eng mit Gesellschaft und Politik eines Staates verknüpft. Schulen sind Orte, an denen der Staat auf heranwachsende Menschen einwirken und sie zu loyalen Bürgern und Bürgerinnen formen kann. Seit dem beginnenden 19. Jahrhundert ist staatliche Beschulung auch ein effizientes Instrument zur Heranbildung und Ertüchtigung national gesinnter, loyaler Staatsbürger und Staatsbürgerinnen.59 Wer jedoch mit der allgemeinen Geschichte der Ersten Republik Österreich bestens vertraut ist, kann den folgenden Überblick überspringen und direkt zu Kapitel 2.2 springen. Zur Ersten Republik wurden Monografien, Sammelbände und Zeitschriften in beinahe unüberschaubarer Fülle publiziert, was das Vorhaben, an dieser Stelle einen kompakten Überblick zu liefern, erschwerte. Daher wurde der Fokus bei der Erarbeitung des Forschungsstandes in erster Linie auf rezente Publikationen gelegt. Das vorliegende Buch hat im Rahmen dieses Kapitels nicht das Ziel, neue Forschungsergebnisse zur Geschichte der Ersten Republik beizusteuern, sondern betrachtet diese – basierend auf dem derzeitigen Forschungsstand – vom Standpunkt der Historischen Bildungs- und Nationalismusforschung aus mit dem in Kapitel 1.2 beschriebenen Erkenntnisinteresse. Selbst die Abhandlung nur der wichtigsten Ereignisse zwischen 1918 und 1938 würde den hier verfügbaren Platz bei Weitem übersteigen. Die Darstellung erfolgt daher anhand einiger als Schlüsselmomente bezeichneter Ereignisse, die sich besonders zur Veranschaulichung eignen und darüber hinaus teilweise auch in das kollektive Gedächtnis eingegangen sind: Die Ausrufung der Republik im Herbst 1918, die Friedenskonferenz in den Pariser Vororten 1919, die Schüsse im burgenländischen Schattendorf im Jänner 1927 und der auf den Freispruch der Schützen folgende Justizpalastbrand im Juli des Jahres, die Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie 1933 und die folgende Institutionalisierung eines autokratischen Systems 1934 sind ebenso bestimmende Momente der Geschichte der Ersten Republik, wie das Juli-Abkommen mit Hitler-Deutschland 1936, das Berchtesgadener Abkommen im Februar 1938 und der ‚Anschluss‘ im März 1938 Abgesänge auf die letztlich gescheiterte erste Republik auf österreichischem Boden waren. Natürlich ist die Konzentration auf einige wenige Schlüsselmomente problematisch und bis zu einem gewissen Grad subjektiv, doch erlaubt diese Vorgangsweise, sich auf die für diese Arbeit wesentlichen Aspekte zu beschränken und dennoch den nötigen Konnex zu den Vorgängen im Bildungswesen herzustellen. 59 Tröhler 2017; Tröhler 2018; Tröhler 2020.

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Schule und Staat: Die Erste Republik und ihre Schule 1918 – 1938

Der Ausgangspunkt dieser Erzählung ist eine kleine Republik in den Alpen, ein Nachfolgestaat des großen Habsburger-Reiches. Diese demokratische Republik haderte seit dem Beginn ihrer Existenz im Jahr 1918 mit ihrer neu gewonnenen Selbständigkeit, doch gab es an ihrem Ende 1938 noch einen verzweifelten Versuch, dieses Ende zu verhindern. Der Anschlusswunsch an Deutschland war unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg unter der Bevölkerung Deutschösterreichs und deren politischen Repräsentanten stark ausgeprägt, als dieser aber 1938 unter anderen Vorzeichen unmittelbar bevorstand, gab es viele Gegenstimmen und einen verzweifelten Versuch der politischen Führung Österreichs, diesen Anschluss doch noch abzuwenden. Hätte der Bundeskanzler und Diktator Kurt Schuschnigg die geplante Volksbefragung über Österreichs Souveränität im März 1938 aufgrund der militärischen Drohungen aus Berlin nicht kurz vor dem deutschen Einmarsch abgesagt, hätte die Befragung stattfinden können und hätten die Österreicherinnen und Österreicher für oder gegen Österreichs Unabhängigkeit votiert? Wäre die Befragung durchgeführt worden, so wäre ihr Ergebnis wohl sehr knapp ausgefallen: Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sah in Schuschnigg und der Einheitspartei ‚Vaterländische Front‘ das kleinere Übel im Vergleich zur nationalsozialistischen Diktatur im Deutschen Reich. Die österreichische Staatsspitze verfügte mit dem Bundesheer, der Polizei und den Heimwehren über einen wirksamen Unterdrückungsapparat nach innen, untersagte am Vorabend des Einmarsches der Deutschen Wehrmacht den Kampf nach außen jedoch.60 Diese kontrafaktischen Fragen können nicht eindeutig beantwortet werden. Dass der bewaffnete Widerstand wohl nicht sinnlos gewesen wäre, dass die Deutsche Wehrmacht noch nicht jene Armee war, die ab Herbst 1939 weite Teile Europas blitzartig überfallen und besiegen konnte, war damals nicht klar, sondern zeigte sich erst im Nachhinein: Die Besetzung Österreichs durch die 8. Armee der Wehrmacht verlief keineswegs reibungslos, nicht einmal alle deutschen Verbände erreichten überhaupt ihre Bereitstellungsräume; mehrere Hundert Fahrzeuge der Wehrmacht fielen während der vergleichsweise kurzen Aktion aus, allein bei Verkehrsunfällen kamen insgesamt 25 deutsche Soldaten ums Leben.61 Hätte die Wehrmacht ihre Feuertaufe im ‚Fall Otto‘62 erlebt, so hätte sich wohl ein gänzlich anderes Bild geboten als jenes, das der Nachwelt erhalten geblieben ist, und das die begeisterte österreichische Bevölkerung zeigte, die die deutschen Soldaten stürmisch begrüßte.63 Während all dieser Ereignisse gingen Kinder zur Schule, lernten für Schularbeiten, erledigten ihre Hausaufgaben und unterliefen einen Bildungsprozess bis zum jungen Erwachsenenalter. Der Schulunterricht fiel nur selten aus, was in den Jahresberichten auch jeweils gesondert penibel genau erwähnt wurde: während der Endphase des Ersten Weltkrieges, wenn es im Winter kein Heizmaterial gab, während der Grippe-Pandemie nach dem Ersten Weltkrieg64 oder während der Februarkämpfe 1934 und des ‚Anschlusses‘ 1938. Doch selbst dann wurde das tägliche Ritual des Schulbesuches wiederaufgenommen, sobald es möglich war. Das sagt 60 Um kein „deutsches Blut zu vergießen“ (so Schuschnigg in seiner Abschiedsrede am Abend des 11. März 1938, zit. nach Bertrand Michael Buchmann, Insel der Unseligen. Das autoritäre Österreich 1933-1938, Wien – Graz 2019, 239), womit natürlich in der damaligen Diktion auch die österreichischen Soldaten – und deren „deutsches Blut“ – gemeint waren. 61 Ebd., 246. 62 Die Benennung der militärischen Besetzung Österreichs erfolgte nach Otto Habsburg, dem Sohn des letzten Kaiser Karl, weil im Falle von Ottos Rückkehr nach Österreich der Einmarsch der Wehrmacht vorgesehen war. 63 Buchmann 2019, 243 – 247. 64 Bekannt als Spanische Grippe: Laura Spinney, 1918 - die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte, München 2018.

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viel über den Stellenwert von Schule für einzelne Individuen und eine Gesellschaft insgesamt aus: Beschulung wurde sowohl individuell als auch gesellschaftlich als wichtig wahrgenommen, als Teil der täglichen Routine und des persönlichen Werdeganges. Betrachtet man die Umbrüche, die sich während der 20 Jahre von 1918 bis 1938 ereigneten, so liegt die Annahme nahe, dass es schon alleine aufgrund der politischen Umbrüche grundlegende Veränderungen im Schulsystem selbst gegeben habe müsste: Das Ende der Monarchie und die Ausrufung der Republik Deutsch-Österreich im Herbst 1918, der Friedensvertrag und die Transformation Deutschösterreichs zu Österreich im Jahr 1919, die turbulenten innenpolitischen Auseinandersetzungen der 1920er Jahre und schließlich die Umwandlung Österreichs zu einem autoritär geführten Bundesstaat 1933/34 mussten ja unweigerlich Spuren in der Institution Schule hinterlassen, die doch so eng mit dem Staat verknüpft ist. Es ist einigermaßen überraschend, dass die österreichische Schule in dieser Zeit grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Wandels sowohl auf systemischer wie auch auf inhaltlicher Ebene nur vergleichsweise wenigen Veränderungen unterworfen war, wie im Fortgang dieses Buches gezeigt wird. Die möglichen Gründe dafür sind vielfältig: Die Forschung konnte schon in anderen Studien überzeugend darlegen, dass Schulsysteme zwar oftmals Ziel von (politischer) Intervention sind, aber meist nur sehr träge reagieren, was nicht zuletzt ihrer personellen und institutionellen Größe geschuldet ist.65 Schulreformen bringen nur selten die gewünschten Veränderungen in der angestrebten kurzen Zeit (in der Regel Amtsperioden bestimmter Regierungen) und werden deshalb oftmals als erfolglos angesehen.66 Es scheint beinahe schon offensichtlich, aber ist die explizite Feststellung dennoch wert: Lehrerinnen und Lehrer unterrichten nicht vom einen auf den anderen Tag anders, nur weil es einen neuen Lehrplan oder an der Spitze des Staates Veränderungen gibt. Die Schule – besonders die Pflichtschule – und das Bildungssystem insgesamt waren und sind dessen ungeachtet Adressaten politischer Interventionen. Dieses Phänomen ist als Pädagogisierung (‚educationalization‘) umfassender Lebensbereiche in der Forschung bekannt:67 Die Lösung verschiedenster Problemstellungen schien und scheint oftmals darin zu bestehen, die Schule damit zu betrauen: Gibt es ein Problem mit Jugendkriminalität, so sollen Schulen für die Lösung sorgen; zu vielen Toten im Verkehr soll durch Verkehrserziehung vorgebeugt werden; ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten werden zum Thema der Sexualerziehung; verliert man das Rennen ums Weltall, so sind der Schuldige und gleichzeitig die Lösung des Problems schnell ausgemacht: die Schule.68 Das Scheitern vieler auch schulischer Reformvorhaben in Österreich zwischen 1918 und 1938 war nicht zuletzt auf den Gegensatz zwischen den beiden größten politischen Lagern, den Sozialdemokraten einerseits und den Christlichsozialen andererseits, zurückzuführen. Den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie nach mussten oftmals Kompromisse gefunden werden, und wo dies nicht möglich war, herrschte eben weiterhin Stillstand.69

65 Weber 1979; Harp 1998. 66 David F. Labaree, The winning ways of a losing strategy: Educationalizing Social Problems in the United States, in: Educational Theory 58 (2008) 4, 447 – 460, hier 451 – 452. 67 Daniel Tröhler, Educationalization of Social Problems and the Educationalization of the Modern World, in: Peters (Hg.) 2016, 1 – 6. 68 Tröhler 2016b, 2. 69 Meissner 2009, 363, 377.

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2.1 Der historische Kontext: Schlüsselmomente der österreichischen Geschichte von 1918 bis 1938 Wie einleitend zu Kapitel 2 festgehalten wurde, werden im Rahmen dieser Darstellung einige bedeutende Ereignisse hervorgehoben und analysiert, die für die weitere Argumentation von großer Bedeutung sind. Die Auswahl dieser wichtigen Ereignisse und Momente erfolgte in Übereinstimmung mit der relevanten Forschungsliteratur zur Ersten Republik, bleibt aber bis zu einem gewissen Grad subjektiv geprägt. Folgende Schlüsselmomente sind Teil der Auswahl: • das Ende des Ersten Weltkrieges, die Abschaffung der Monarchie und die Ausrufung der Republik Deutschösterreich im Herbst 1918, darauf folgend die Friedenskonferenz in Paris und schließlich der Friedensvertrag von Saint-Germain 1919 und dessen Auswirkungen; • die ökonomische Krise der beginnenden 1920er Jahre und dadurch mitausgelöst die Radikalisierung von Politik und Gesellschaft nach dem Ende der sozialdemokratischen-christlichsozialen Koalition 1920; folglich die 1924 vorgenommene Währungsreform mit der ersten Anleihe beim Völkerbund, die mit einem erneuerten Anschlussverbot und der Einführung des Österreichischen Schillings einherging; • die Eskalation der innenpolitischen Auseinandersetzung im burgenländischen Schattendorf Anfang 1927 und der auf die Freisprüche der Täter folgende Justizpalastbrand im Juli 1927; • die Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er und Beginn der 1930er Jahre mit ihren verheerenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen; • die dauerhafte Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie im März 1933, angestoßen durch eine Geschäftsordnungskrise im Nationalrat; • der Aufstand von Teilen der Sozialdemokratie und deren bewaffneten Organisationen im Februar 1934 und die folgende Etablierung eines autoritären Systems, der sogenannten Kanzlerdiktatur, unter Engelbert Dollfuß; • die Einführung der Verfassung vom 1. Mai 1934 und die Ermordung des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß im Juli 1934 im Rahmen eines nationalsozialistischen Putschversuches; Nachfolger als Diktator wurde Kurt Schuschnigg; • im Jahr 1936 das Juli-Abkommen und im Februar 1938 das Berchtesgadener Abkommen mit dem Deutschen Reich; im März 1938 das Ende der Ersten Republik durch den Anschluss an NS-Deutschland. Ausrufung der Republik, Kriegsende und Friedensverhandlungen Die historische Darstellung beginnt mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, das gleichbedeutend war mit dem Ende der beinahe siebenhundertjährigen Herrschaft der Dynastie Habsburg 1918. Im Jahr darauf folgte die Pariser Friedenskonferenz, die das Ende der alten Ordnung endgültig besiegelte und folgendermaßen prägnant zusammengefasst werden kann: „Der Rest ist Österreich“. Auch wenn dieser Ausspruch so wahrscheinlich nie gefallen ist (zumindest ist der dem französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau zugeschriebene Ausspruch nicht schriftlich belegt70), charakterisiert er doch, was die Politiker der Welt in Paris und große Teile der österreichischen Bevölkerung nach dem Zerfall der Habsburger-Monarchie empfunden haben dürften: Von der europäischen Großmacht mit 70 Höbelt 2018, 15 – 16.

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über 50 Millionen Einwohnern war Österreich nun zum mitteleuropäischen Kleinstaat geworden (eigentlich: erst als ein solcher entstanden, denn die Staatsspitze der neuen Republik Deutschösterreich lehnte jegliche rechtliche Nachfolge der Habsburger-Monarchie ab), der noch dazu bis zu Beginn der 1920er Jahre in Gebietsstreitigkeiten um sein ohnehin schon stark verkleinertes Territorium verwickelt war. Die Ernährungssituation war 1918 nach über vier Jahren Krieg für große Teile der Bevölkerung äußerst kritisch: Es mangelte nahezu an allem, besonders an Lebensmitteln und Heizmaterial. Das Nebeneinander der alten monarchischen Strukturen und der neuen republikanischen, im Aufbau befindlichen Kräfte machte die Aufgabe nicht einfacher: Neben dem letzten kaiserlichen Kabinett unter Ministerpräsident Heinrich Lammasch (bis 11. November 1918 im Amt) existierten bereits seit dem 21. Oktober 1918 die Provisorische Nationalversammlung und der deutschösterreichische Staatsrat, der am 30./31. Oktober 1918 die Regierung Renner I ins Amt brachte. Offiziell lehnte Deutschösterreich die Rechtsnachfolge zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn ab, doch wurde dies von den Siegermächten nicht anerkannt, zumal es auch personelle Kontinuitäten gab:71 Ignaz Seipel beispielsweise bekleidete sowohl während der Monarchie als auch in der Republik Spitzenämter und wurde später sogar Bundeskanzler. Die entscheidende Rolle bei der Ausrufung der Republik Deutschösterreich spielten bereits im Vorfeld der Proklamation die drei großen politischen Strömungen und deren Vertreter: die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), die Christlichsoziale Partei (CSP) und die Deutschnationalen und Deutschliberalen Parteien. Letztere waren nach dem Ergebnis der Reichsratswahl von 1911 zunächst die stärkste Fraktion, büßten aber nach der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919 erheblich an Stärke ein und belegten mit 26 von 170 Mandaten den dritten Platz hinter der SDAP mit 72 und der CSP mit 69 Mandaten.72 Von entscheidender Bedeutung für die Proklamation der neuen Staatsform am 12. November 1918 war die Ausrufung der Republik in Deutschland am 9. November, also nur wenige Tage zuvor: Mit derselben Staatsform, so dachten die führenden Köpfe der Parteien, sei eine Vereinigung „des deutschen Volkes Österreichs“73 mit der Deutschen Republik etwa in Form eines Staatenbundes nach dem historischen Vorbild des Deutschen Bundes am ehesten umsetzbar.74 Das Geschehen in den übrigen Nachbarstaaten übte nachhaltigen Einfluss auf die österreichische Politik aus: Konkret zu nennen sind neben dem Deutschen Reich noch die ungarische Räterepublik unter Béla Kun von März bis August 1919 und die kurzlebige Münchner Räterepublik im April 1919, die als abschreckendes Beispiel für sozialrevolutionäre Umstürze galten. Das sogenannte ‚Rote Gespenst‘ war bis zum Ende der Republik ein oftmals heraufbeschworenes Angstmotiv vor allem der Bürgerlichen und Deutschnationalen.75 Unter diesen marxistischen Ambitionen litt zwischenzeitlich auch der Anschlusswunsch 71 Die Tschechoslowakei und die südslawischen Völker, die ebenfalls auf der Seite Österreich-Ungarns gekämpft hatten, wurden hingegen wie Sieger behandelt und saßen dementsprechend bei den Friedensverhandlung auf der anderen Seite des Tisches. 72 Buchmann 2019, 32. 73 Hanno Rebhan, Die politischen Parteien als Träger des Staatswerdungsprozesses. Monarchie oder Republik? Die Entscheidung zur Staatsformfrage innerhalb der Parteien, in: Maria Mesner/Robert Kriechbaumer/Helmut Wohnout/Michaela Maier (Hg.), Die junge Republik. Österreich 1918/19, Wien – Köln – Weimar 2018, 30. 74 Ebd., 23 – 35. Bestrebungen zur Gründung eines genuin österreichischen Staates waren nur sehr schwach ausgeprägt; am verlockendsten schien wohl eine Wiederbelebung des Deutschen Bundes des 19. Jahrhunderts. 75 Vielfach sichtbar war das ‚Rote Gespenst‘ als dämonisierte Darstellung der Sozialdemokratie auf Plakaten der konkurrierenden Parteien. Dass diese Angst nicht völlig unberechtigt war, zeigte bereits die Ausrufung der Republik: Aus der rot-weiß-roten Flagge rissen Kommunisten den weißen Streifen heraus und hissten die rote Flagge vor dem Reichsratsgebäude.

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an das Deutsche Reich, in dem es starke marxistische Tendenzen gab, wie der bereits erwähnte Ignaz Seipel Anfang 1919 einem Freund brieflich mitteilte:76 An ein sozialdemokratisches oder gar sozialistisches Deutsches Reich wollten sich die österreichischen Konservativen nicht anschließen. Welche Territorien diese Republik Deutschösterreich genau umfassen würde, war zum Zeitpunkt der Ausrufung im November 1918 noch nicht ganz klar: Der Provisorischen Nationalversammlung gehörten die 1911 zum Reichsrat gewählten Abgeordneten aller deutschsprachigen Wahlkreise an, darunter auch jener Wahlkreise, die bereits faktisch in anderen Staaten wie der Tschechoslowakei lagen. Wien nahm das nicht hin und versuchte, auch über diese Gebiete Herrschaft auszuüben. Aus dem Schulbereich liegen Vollzugsanweisungen des ‚Staatsamtes für Unterricht für Deutschböhmen und das Sudetenland‘ vom Herbst 1918 vor, die die Schulaufsicht in diesen Gebieten regeln sollten.77 Die deutschösterreichischen Behörden hatten aber keinen nachhaltigen Erfolg: Praktisch keiner einzigen Gebietsforderung Deutschösterreichs, die nach der Ausrufung der Republik 1918 gestellt worden war, wurde im Laufe der Verhandlungen 1919 entsprochen – im Gegenteil: Die neu proklamierte Republik verlor Teile ihrer ursprünglich beanspruchten Bevölkerung und ihres Territoriums wie beispielsweise Südtirol, welches trotz seiner großteils deutschsprachigen Bevölkerung Italien als Belohnung für den Kampf gegen die Achsenmächte zugesprochen wurde; das südliche Mähren und Böhmen kamen an die Tschechoslowakei; um die Beibehaltung Südkärntens – als ‚Abwehrkampf‘ gegen Truppen des SHS-Staates bis heute ein identitätsstiftendes Moment der Kärntner Landesgeschichte – wurde heftig gekämpft. Auf der Habenseite war lediglich der Anschluss des ehemaligen Deutsch-Westungarns – nun Burgenland genannt – an Österreich 1920/21 zu verbuchen, wobei die größte Stadt Ödenburg/Sopron und die umliegenden Gebiete an Ungarn gingen.78 Fakten wurden hier vor allem durch militärische Aktionen geschaffen, denn auf ein Entgegenkommen der Entente zu hoffen, erwies sich als vergeblich – die Verlierer hatten von den Siegermächten nach vier Jahren Weltkrieg kein Entgegenkommen zu erwarten.79 Angesichts von Deutschösterreichs andauernden Territorialstreitigkeiten und seinen schwachen Verhandlungsposition verwundert wenig, dass die Vereinigung mit Deutschland das Ziel aller drei politischen Gruppierungen war, die am Aufbau der Republik mitwirkten. Das gilt für die Sozialdemokraten ebenso wie für die Christlichsozialen und die deutschnationalen Fraktionen.80 Einen nachhaltigen Wandel dieser positiven Einstellung gegenüber einem Anschluss an Deutschland brachte neben etwaigen sozialistischen Machtambitionen erst der Amtsantritt Adolf Hitlers als Reichskanzler im Jänner 1933 mit sich.81 Bis dahin war die Vereinigung mit 76 Olechowski 2019, 375-376. 77 Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Unterricht vom 23. November 1918, betreffend die Regelung der Schulaufsicht in Deutschböhmen, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1918, 11. Stück, ausgegeben am 29.11.1918, 64; Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Unterricht vom 23. November 1918, betreffend die Regelung der Schulaufsicht im Sudetenlande, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1918, 11. Stück, ausgegeben am 29.11.1918, 64. 78 Das Burgenland kam aber nicht in vollem Umfang an Österreich, wie es eigentlich völkerrechtlich vorgesehen gewesen war, sodass sich tatsächlich keine der vier namensgebenden Burgen (Wieselburg/Moson, Ödenburg/ Sopron, Eisenburg/Vas und Pressburg/Bratislava) auf dem Gebiet des heutigen Burgenlands befindet. 79 Beispielsweise wurde das oftmals propagierte Selbstbestimmungsrecht der Völker nur jenen zugestanden, die auf der richtigen Seite – der der Gewinner – standen, den Verlierern wie beispielsweise Österreich hingegen untersagt. 80 Olechowski 2019, 374 – 379. 81 Für eine genauere Analyse: Friedrich Heer, Der Kampf um die österreichische Identität, Wien 2001, 321 – 405.

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Deutschland eines der grundlegenden Ziele vieler politischer Akteure gewesen, was sich auch entsprechend in Gesetzen und politischen Willensbekundungen materialisierte. Im „Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich“, das ungefähr einer vorläufigen Verfassung der Republik entsprach, hieß es dazu: „Deutschösterreich ist Bestandteil der Deutschen Republik.“82 Bereits 1919, während der Verhandlungen zu den Friedensverträgen in den Pariser Vororten, erlebte dieser Plan Deutschösterreichs jedoch einen entscheidenden Dämpfer, der die Einstellung der Entente gegenüber einer Vereinigung aller Deutschen in einem deutschen Staat charakterisierte: Die Siegermächte bestanden auf eine Umbenennung Deutschösterreichs, die legal mit dem „Gesetz vom 21. Oktober 1919 über die Staatsform“83 geregelt wurde: „Deutschösterreich in seiner durch den Staatsvertrag von St. Germain bestimmten Abgrenzung ist eine demokratische Republik unter dem Namen ‚Republik Österreich‘“84 und „[i]n Durchführung des Staatsvertrags von St. Germain wird die bisherige gesetzliche Bestimmung ‚Deutschösterreich ist ein Bestandteil des Deutschen Reiches‘ […] außer Kraft gesetzt.“85 Es ist auffällig, wie deutlich hier hervorgehoben wird, dass die Selbständigkeit und der Name Österreichs nicht auf dem Wunsch der Bevölkerung oder der politischen Repräsentanten beruhten, sondern durch den Staatsvertrag von St. Germain von den Siegermächten erzwungen wurden. Diese Formulierungen machen den Widerwillen, mit dem diese Gesetze – die alternativlos waren, weil Deutschösterreich militärisch schwach, wirtschaftlich ruiniert, deshalb von Hilfe abhängig und außenpolitisch isoliert war – formuliert und beschlossen wurden, deutlich. Innen- und Außenpolitik in den 1920er Jahren Während also die Anfangsphase der neu geschaffenen Republik mit Blick auf die Außenpolitik als durchaus turbulent bezeichnet werden kann, verschärfte sich im Laufe der 1920er-Jahre zunehmend auch die innenpolitische Lage, die vor allem von Auseinandersetzungen der beiden größten politischen Kräfte und deren bewaffneten paramilitärischen Verbänden (die zunächst vor allem als Ordnerdienste bei Parteiveranstaltungen eingesetzt wurden) geprägt war: Es waren dies einerseits die Christlichsoziale Partei (CSP) mit den Heimwehren und andererseits die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP) mit dem Republikanischen Schutzbund.86 Die SDAP schied im Juli 1920 nach einer mehrwöchigen Regierungskrise der Staatsregierung Renner III aus der Bundesregierung aus und war bis 1945 nicht mehr Teil einer österreichischen Bundesregierung: Die CSP regierte ab 1920 in wechselnden Koalitionen mit Großdeutschen/Deutschnationalen und dem sogenannten Bürgerblock und stellte zur Rettung der Mandatsmehrheit der Regierung später sogar eine Einheitsliste mit allen nichtlinken Parteien zur Wahl. Zu Beginn der 1920er-Jahre bestimmte vor allem die mit einer Hyperinflation einhergehende Währungskrise das Klima, denn noch war die bereits in der Monarchie benutzte und vom 82 Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1918, 1. Stück, ausgegeben am 15.11.1918, 1. 83 Gesetz vom 21. Oktober 1919 über die Staatsform, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1919, 174. Stück, ausgegeben am 23. Oktober 1919, 1153. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Gemeinsam mit den Deutschnationalen ergaben sich somit drei politische Hauptströmungen, was der Historiker Adam Wandruszka in den 1950ern in der sogenannten Lagertheorie in einer Theorie der drei Lager zusammenfasste: Höbelt 2018, 59.

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Krieg erschütterte Krone das allgemeine Zahlungsmittel. Der Währungskrise konnte erst mit der 1924 beschlossenen Währungsreform87 Einhalt geboten werden, die aber gleichzeitig den Beginn einer rigiden Hartwährungs-Politik bedeutete. Um diese Währungsreform umzusetzen und den Staatshaushalt nachhaltig auf solide Fundamente zu stellen, fehlten aber zuerst die dazu benötigten finanziellen Mittel. Daher war bereits 1922 durch die Genfer Protokolle die erste Anleihe (Genfer Anleihe) beim neugegründeten Völkerbund (League of Nations) für den von der Hyperinflation schwer getroffenen jungen Alpenstaat erfolgt.88 Mit der Gewährung des Kredits ging ein auf zwanzig Jahre angelegtes erneuertes Anschlussverbot89 Österreichs an die Weimarer Republik90 einher. Österreich musste diese Bedingungen – die innenpolitisch unpopulär waren – akzeptieren, denn der Kredit war dringend nötig und Geldgeber waren schwer zu finden, denn auch die Siegerstaaten litten zu Beginn der 1920er Jahre unter Geldnöten. Die Einschnitte in das staatliche Budget waren schmerzhaft und bedeuteten, dass Österreichs Budgethoheit zumindest einige Zeit lang durch die Einmischung eines Kommissars eingeschränkt war.91 Von allzu langer Dauer war die auf die Währungsreform folgende wirtschaftliche Besserung jedoch nicht: 1932 erfolgte bereits die zweite Anleihe beim Völkerbund (Lausanner Anleihe), die aufgrund der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und wegen des Zusammenbruchs des Bankensektors (angeführt vom Bankrott der größten Bank Österreichs, der ‚Creditanstalt‘, die vom Staat aufgefangen wurde) notwendig geworden war, um Österreich vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Auch dieses Mal war der Kredit an politischen Bedingungen geknüpft: Österreich musste dafür seine Pläne für eine Zollunion mit Deutschland aufgeben.92 Hier zeigt sich erneut, dass und wie sich die Siegermächte des Ersten Weltkrieges, die auch im Völkerbund bestimmend waren,93 selbst Jahre nach Abschluss des Friedensvertrages immer noch mit der ‚Deutschen Frage‘ und der Zukunft Österreichs und Deutschlands beschäftigten. Von den österreichischen Politikern sicherlich als Druckmittel lanciert, erwies sich der potenzielle Anschluss Österreichs an Deutschland als ein Schreckgespenst, welches zur Unterstützung Österreichs motivieren sollte. Als sich Deutschland und Österreich 1931 zur Errichtung einer Zollunion anschickten, war es wiederum besonders Frankreich, das diese Pläne argwöhnisch beobachtete. Nicht etwa der Entscheid des Ständigen Internationalen Gerichtshofes vom 5. September 1931, ob die Zollunion mit den gültigen Verträgen von Saint-Germain und Lausanne vereinbar sei, war für das Ende der Pläne einer Zollunion entscheidend, sondern Frankreichs politischer Druck und die Verknüpfung mit der Lausanner Anleihe, sodass der österreichische Bundeskanzler Johann Schober bereits am 3. September 1931 – also noch vor dem Gerichtsentscheid – die Pläne für die Zollunion zu den Akten legte.94

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Am 1. Jänner 1925 wurde der Österreichische Schilling eingeführt. Ebd., 165. Erneuert deswegen, weil es im Vertrag von Saint-Germain ursprünglich festgehalten worden war. Rechtlich gesehen wurde Österreich der Anschluss an jeden anderen Staat untersagt, faktisch war jedoch klar, dass damit nur Deutschland gemeint sein konnte. Wie aus der neueren Geschichte am Beispiel Griechenlands und der sogenannten Troika, die Griechenlands Haushalt im Auftrag der EU überwachten sollte, bekannt ist. Olechowski 2019, 382 – 383. Während die Verliererstaaten, aber auch die USA gar nicht Mitglieder waren und daher keine Mitbestimmungsmöglichkeit hatten. Olechowski 2019, 383.

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Schattendorf und der Justizpalastbrand 1927 Dem politischen Klima in Österreich ebenso wenig förderlich wie der außenpolitische Druck war die Tatsache, dass die Sozialdemokraten ab 1920 bis 1945 nicht mehr Anteil an einer Bundesregierung hatten und dadurch in die Rolle einer Oppositionspartei gedrängt wurden: Mit Ausnahme Wiens, wo die Sozialdemokraten den Bürgermeister/Landeshauptmann95 stellen konnten, befanden sich die einflussreichsten politischen Posten des Landes in den Händen deutschnationaler und christlichsozialer Politiker. Wie verhängnisvoll diese Konstellation war, zeigte sich in einem der Schicksalsjahre der Geschichte der Ersten Republik, dem Jahr 1927, mit dem die Begriffe Schattendorf und Justizpalastbrand untrennbar verbunden sind: Im burgenländischen Schattendorf erschossen im Jänner 1927 Mitglieder der Frontkämpfervereinigung ein Mitglied des Republikanischen Schutzbundes und einen unbeteiligten Burschen aus einem Gasthof heraus.96 Der anhängige Prozess gegen die drei des Mordes Angeklagten fand im Juli 1927 in Wien statt, da es im Burgenland (das ja erst zu Beginn der 1920er Jahre zu Österreich gekommen war) damals noch kein Landesgericht gab. Die Geschworenen stimmten zwar mit sieben zu fünf Stimmen für schuldig, erreichten damit aber nicht das für einen Schuldspruch notwendige Quorum von zwei Dritteln (also acht zu vier). Folglich mussten die Angeklagten freigesprochen werden; der Freispruch wurde am Abend des 14. Juli 1927 verkündet. Der Staatsanwalt legte kein Rechtsmittel ein und erhielt auch keine entsprechende Weisung durch den deutschnationalen Justizminister Franz Dinghofer. Friedrich Austerlitz, sozialdemokratischer Abgeordneter zum Nationalrat und Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung (der sozialdemokratischen Parteizeitung), verfasste daraufhin einen wutentbrannten Artikel in der AZ, in dem er die Geschworenen als eidbrüchige „Gesellen auf der Geschwornenbank [sic!]“97 und „ehrlose Gesetzbrecher“98 bezeichnete und offen mit Bürgerkrieg drohte. Der hetzerisch verfasste Artikel trug zur Eskalation des Folgetages nicht unwesentlich bei: Aufgebrachte Arbeiter zogen schon am Morgen des 15. Juli, einem Freitag, von den Außenbezirken ins Innere Wiens, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Es kam zu schweren Ausschreitungen: Am Ende des 15. Juli 1927 brannte der von der demonstrierenden Menge angezündete Justizpalast lichterloh, 89 Menschen (darunter 4 Polizisten) waren tot, über 600 Personen schwer und über 1.000 leicht verletzt.99 Der Brand des Justizpalastes gilt als eines der markantesten Symbole des aus dem Ruder laufenden politischen Konflikts. Der Sozialdemokratischen Partei war nach dem geradezu skandalösen Freispruch und dem Ausbleiben einer Beschwerde des Staatsanwaltes an den Obersten Gerichtshof – 95 Wien war ab 1920 zugleich Stadt und Bundesland. Der Wiener Bürgermeister ist daher auch Landeshauptmann, der Gemeinderat auch Landtag usw. Die tatsächliche Trennung erfolgte per 1. Jänner 1922 mit dem Trennungsgesetz vom 29. Dezember 1921: Verfassungsgesetz vom 29. Dezember 1921, womit ein selbständiges Land Wien gebildet wird (Trennungsgesetz), in: LGBl für Wien 1921, 75. Stück, ausgegeben am 29. Dezember 1921. 96 Der Schutzbund wiederum hatte sich aber nicht an die Abmachung mit der örtlichen Frontkämpfer-Vereinigung gehalten, die einen vierzehntägigen und somit wöchentlich wechselnden Rhythmus der Veranstaltungen der Frontkämpfer-Vereinigung und des Schutzbundes vorgesehen hatte. Bereits beim Anmarsch wurden die Frontkämpfer völlig unnötigerweise gestört und drangsaliert, sodass sie sich in einen Gasthof flüchteten, wo die Auseinandersetzung dann gewaltsam eskalierte. Im Detail hier und für die folgende Darstellung: Buchmann 2019, 42 – 43. 97 Die Mörder von Schattendorf freigesprochen, Arbeiter-Zeitung, 15. 7. 1927, 1. 98 Ebd. 99 Buchmann 2019, 47 – 51.

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also eines Versagens der Justiz – die Kontrolle über die eigene Basis entglitten: Demonstrierende hinderten nach der Brandstiftung die Wiener Feuerwehr an den Löscharbeiten, indem sie Wasserschläuche zerschnitten und Hydranten sabotierten. Die Nachwehen des Justizpalastbrandes waren Prozesse gegen hunderte Arbeiter, die vor allem von Bundeskanzler Prälat Ignaz Seipel vorangetrieben wurden und ihm den unrühmlichen Spitznamen ‚Prälat ohne Milde‘ einbrachten.100 Der Pfrimer-Putsch 1931 und die Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie 1933 Nach den Eskalationen von 1927 blieben bis zum Jahr 1931 größere Konfrontationen weitgehend aus. In diesem Jahr fand ein Ereignis statt, welches mittlerweile kaum noch bekannt ist, aber umso symptomatischer für das nahende Ende der parlamentarischen Demokratie ist: 1931 erfolgte der sogenannte Pfrimer-Putsch unter Führung des Steirischen Heimatschutz-Führers101 Walter Pfrimer, der nach Mussolinis Vorbild des ‚Marsches auf Rom‘ im Jahr 1922 den Heimwehren nun mit einem ‚Marsch auf Wien‘ auf aufrührerische Weise die Macht im Staat sichern und die parlamentarische Demokratie beseitigen wollte. Der Putsch wurde dilettantisch durchgeführt und scheiterte innerhalb kurzer Zeit völlig. Walter Pfrimer flüchtete aus Österreich, kehrte zurück und wurde später schlussendlich freigesprochen:102 Ein schockierendes Urteil für jemanden, der die parlamentarische Demokratie beseitigen und den autokratischen Heimwehren nach faschistischem Vorbild zur Macht im Staat verhelfen wollte, aber symptomatisch dafür, dass die österreichische Demokratie gegen ihre Gegner nur nachlässig verteidigt wurde. Der nächste Versuch zur Ausschaltung des Parlamentarismus‘ war jedoch erfolgreich: Im März 1933 nutzte der bis dahin wenig bekannte niederösterreichische Jurist und kurz zuvor zum Bundeskanzler ernannte Engelbert Dollfuß eine Geschäftsordnungskrise des Nationalrates, um dem bereits im ‚Korneuburger Eid‘ der Heimwehren von 1930 abgelehnten „westlichen, demokratischen Parlamentarismus und Parteienstaat“103 ein Ende zu bereiten und das Parlament als Machtfaktor auszuschalten:104 Im Verlaufe einer hitzigen Abstimmung und des Streits über die Auszählung der Stimmen der Abgeordneten traten am 4. März 1933 alle drei Präsidenten des Nationalrates zurück,105 wobei aber der dritte Präsident vor seinem Rücktritt die Sitzung nicht schloss, weil er ja mitstimmten wollte. Allerdings war der Nationalrat nun ohne Präsidenten, die die Sitzungen leiten sollten. Formal wurde die Sitzung nicht beendet, bevor die Abgeordneten in weiterer Folge ergebnislos auseinandergingen, doch Dollfuß ließ nicht zu, dass sich die Abgeordneten einige Tage später auf Straffners Initiative hin erneut

100 Ignaz Seipel war hoher Geistlicher. 101 Die Heimwehren schlossen sich im Laufe der 1920er-Jahre zum Heimatschutzverband zusammen und bildeten den paramilitärischen Flügel der Christlichsozialen. 102 Buchmann 2019, 69. 103 Richtung und Gesetz des Heimatschutzes. (Korneuburger Eid, 18. Mai 1930). Dieter Binder, 1930: Korneuburger Eid, online unter https://www.hdgoe.at/korneuburger-eid [zuletzt abgerufen am 14.10.2022]. 104 Von der später propagierten „Selbst-Ausschaltung“ des Parlaments kann freilich keine Rede sein. Vielmehr hinderte die Polizei auf Befehl des Bundeskanzlers die Parlamentarier am 15. März daran, sich wieder zu versammeln. 105 Der Sozialdemokrat Karl Renner trat zuerst zurück, dann folgten ihm der zweite und der dritte Präsident des Hauses, der Christlichsoziale Rudolf Ramek und der Deutschnationale Sepp Straffner.

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versammelten und ließ die versammelten Parlamentarier von der Polizei vertreiben.106 Da durch die Handlungsunfähigkeit des Präsidiums nun niemand mehr eine Sitzung einberufen und leiten konnte, waren der Nationalrat und damit auch das Parlament insgesamt handlungsunfähig geworden. Dass vielen Menschen anscheinend gar nicht bewusst war, was dies für das politische System Österreichs bedeutete, zeigt ein Blick in die Tagespresse unmittelbar nach den Geschehnissen: Dort war von einer „Präsidentenkrise im Nationalrat“107 die Rede, aber noch war nur wenigen klar, welche Auswirkungen diese Ereignisse letztlich haben sollten.108 Über einen genauen Plan verfügte aber wohl nicht einmal Bundeskanzler Dollfuß selbst, denn die Möglichkeit zur Ausschaltung der Demokratie war unerwartet und schnell gekommen.109 Möglich wurde diese aber nur durch die völlige Teilnahmslosigkeit des christlichsozialen Bundespräsidenten Wilhelm Miklas, der weder Neuwahlen anordnete noch die Regierung durch eine verfassungstreue ersetzte, was jedoch zweifellos das Gebot der Stunde und ihm in seiner seit der Verfassungsreform 1929 gestärkten Position möglich gewesen wäre.110 Ab dem Frühjahr 1933 regierte die Bundesregierung mit Hilfe von Notverordnungen auf Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 ohne Parlament in Scheinlegalität.111 Auf das Verbot der kommunistischen und nationalsozialistischen Partei und des Republikanischen Schutzbundes noch im Laufe des Jahres 1933 folgte im Februar 1934 in Folge repressiver Hausdurchsuchungen eine bewaffnete Erhebung von Teilen des Republikanischen Schutzbundes, welche von der regierungstreuen Polizei, dem ebenso loyalen Bundesheer und den christlichsozialen Heimwehrverbänden in wenigen Tagen unter massiver Gewaltanwendung niedergeschlagen wurde.112 Umgehend danach erfolgten das Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und die Ermordung oder Verhaftung ihrer führenden Mitglieder beziehungsweise deren Flucht ins Ausland. Im April 1934 trat der Nationalrat noch einmal zusammen, um unter Ausschluss der Angehörigen verbotener Parteien113 die neue Verfassung zu beschließen, die am 1. Mai 1934 in Kraft trat und aus der Republik Österreich den autoritär regierten Bundesstaat Österreich machte, dessen Recht laut Präambel von „Gott, dem Allmächtigen“114 ausging.

106 Buchmann 2019, 78 – 85. 107 Beispielsweise: Die Präsidentenkrise im Nationalrat, Neue Freie Presse, 7. 3. 1933, 4. Die Präsidentenkrise im Nationalrat, Arbeiter-Zeitung, 6. 3. 1933, 3. 108 Zudem beherrschten die Reichstagswahlen in Deutschland auch die österreichischen Medien. 109 Dass die Abgeordneten durch Waffengewalt an einer Versammlung behindert wurden, wurde später beiseitegelassen und die Geschäftsordnungskrise rasch in eine Selbstausschaltung des Parlaments verklärt, um den Ursprung der autoritären Diktatur zu verschleiern. So konnte argumentiert werden, die Demokratie sei an sich selbst zu Grunde gegangen und habe damit ihre Untragbarkeit selbst erwiesen. 110 Buchmann, 86 – 91. Engagement zeigte Miklas erst, als bereits alles verloren war: 1938 weigerte sich der Bundespräsident, auf deutschen Druck hin den Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart als Nachfolger des zurückgetretenen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg anzugeloben und gab erst auf Androhung militärischer Gewalt hin nach. 111 Dass einzelne Verordnungen, gestützt auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz, erlassen wurde, stellte keine Neuheit dar, wohl aber die Tatsache, dass dieses Gesetz nun zur dauerhaften Grundlage der Regierung wurde. 112 Kurt Bauer, Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen, Wien – Köln – Weimar 2019. 113 Folglich waren keine Sozialdemokraten anwesend. 114 Kundmachung der Bundesregierung vom 1. Mai 1934, womit die Verfassung 1934 verlautbart wird, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1934, 1. Stück, ausgegeben am 1. Mai 1934, 1.

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Neue Verfassung und Putsch 1934 Das autokratische System war nun formal eingerichtet und dem Schein nach legalisiert,115 doch blieb keine Zeit zur Etablierung von Dollfuß‘ Herrschaft, denn bereits im Juli 1934 ermordeten – seit dem 19. Juni 1933 illegale116 – Nationalsozialisten den Bundeskanzler im Zuge eines letztlich gescheiterten nationalsozialistischen Putschversuches in den Räumlichkeiten des Bundeskanzleramts. Obwohl der Umsturzversuch bereits im Vorfeld aufgeflogen war, wurden keine effektiven Gegenmaßnahmen ergriffen, sodass die Putschisten den Bundeskanzler, der nur knapp zuvor informiert worden war und seine Minister vom eben stattfindenden Ministerrat in ihre Ministerien geschickt hatte, schutzlos im Bundeskanzleramt vorfanden. Im Zuge eines Handgemenges – die genauen Umstände sind bis heute unklar – wurde Dollfuß durch zwei Schüsse tödlich verletzt und verstarb in weiterer Folge.117 Nach der Niederschlagung des Putsches, der auch in einigen Bundesländern ein bedeutendes Ausmaß erreichte, übernahm der bisherige Justizminister Kurt Schuschnigg das Amt des Bundeskanzlers und setzte den autoritären Kurs seines Vorgängers Dollfuß fort, obgleich der Tiroler Jurist und erklärte Legitimist als autoritärer Führer viel ungeeigneter als der kleingewachsene, aber durchaus charismatische, Dollfuß schien. Schuschnigg hatte jedoch eine starke Machtbasis innerhalb der ‚Vaterländischem Front‘ und konnte sich sogar nach dem Juli-Abkommen von 1936 und der von ihm selbst initiierten Ausschaltung der Heimwehrführung noch halten, bis ihn schließlich der Einmarsch deutscher Truppen im März 1938 von der Macht entfernte.118 Bereits in den Jahren 1934 bis 1938 stand die österreichische Regierung immer stärker unter dem Druck der Nationalsozialisten aus Deutschland, die in Österreich neben ihrer eingeschworenen und gewaltbereiten Klientel eine breite Anhängerschaft unter den unterdrückten Sozialdemokraten und den unzufriedenen Deutschnationalen gewinnen konnten. Hinzu kam, dass Italien, das noch während der Julikrise 1934 nach der Ermordung des österreichischen Kanzlers am Brenner die Armee aufmarschieren ließ, um Deutschland vor einem Einmarsch in Österreich zu warnen, immer mehr von Österreich abrückte und besonders nach Beginn seines Abessinien-Krieges 1935 zunehmend die Verständigung mit Adolf Hitlers Deutschem Reich suchte. 1936 ging daraus die ‚Achse Berlin-Rom‘ hervor, die Österreich seiner letzten Garantiemacht Italien beraubte. Das ehemals mit Deutschland verfeindete Italien würde nun wegen Österreichs Unabhängigkeit keinen bewaffneten Konflikt mit Deutschland riskieren. Von den Alliierten des Ersten Weltkriegs schien auch sonst niemand bereit, sich wegen Österreich auf einen bewaffneten Konflikt mit Hitler-Deutschland einzulassen. Dieses Schema – in Ansätzen vorexerziert bei der militärischen Besetzung des

115 Wenngleich sich die Stände des sogenannten ‚Ständestaates‘ nie vollständig konstituierten und es im Endeffekt auf eine Kanzlerdiktatur hinauslief. 116 Verordnung der Bundesregierung vom 19. Juni 1933, womit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (Hitlerbewegung) und dem Steirischen Heimatschutz (Führung Kammerhofer) jede Betätigung in Österreich verboten wird, in: BGBl für die Republik Österreich 1933, 74. Stück, ausgegeben am 20. Juni 1933, 569. Dies war eine unmittelbare Reaktion auf einen Handgranatenanschlag auf eine christliche Turnervereinigung in Krems an der Donau. 117 Kurt Bauer, Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934, St. Pölten 2014. Eine vorsätzliche Tötung kann wohl ausgeschlossen werden, da ein toter Bundeskanzler als Geisel für die Aufständischen nicht von Nutzen sein konnte. 118 Die nächsten 7 Jahre verbrachte Schuschnigg bis zu seiner Befreiung durch amerikanische Truppen im Frühjahr 1945 in Gestapo-Haft und verschiedenen KZs.

Der historische Kontext

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Rheinlandes 1935119 – wiederholte sich dann nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs im Herbst 1938 bei der Annexion des Sudetenlandes und der Besetzung der restlichen Tschechoslowakei im Frühjahr 1939. Ein warnendes Beispiel für jene, die meinen, mit revionistischen Großmächten, die vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken, diplomatische Lösungen finden zu können. Das Juli-Abkommen von 1936, das Berchtesgadener Abkommen von 1938 und das Ende der Eigenstaatlichkeit Österreichs In den Juli 1936 datiert das sogenannte Juli-Abkommen, das eigentlich eine Entspannung der politischen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich hätte bringen sollen: Der österreichische Tourismus litt stark unter der 1933 als Antwort auf das Verbot der NSDAP in Österreich eingeführten Tausend-Mark-Sperre, die alle Reichsdeutschen zur Zahlung von 1000 Mark verpflichtete, wenn sie nach Österreich ausreisten. Die Sperre wurde 1933 nach dem Verbot der NSDAP in Österreich von Hitler angeordnet und zeigte große Wirkung auf den Tourismus aus Deutschland. Im Gegenzug für die Aufhebung der Sperre und die Normalisierung der Handelsbeziehungen gab es 1936 umfangreiche Amnestien für österreichische Nationalsozialisten: Österreich musste sich außerdem in einem geheimen Zusatzprotokoll, welches im Gegensatz zum eigentlichen Juli-Abkommen120 nicht veröffentlicht wurde, verpflichten, den österreichischen Nationalsozialisten Anteil an den Regierungsgeschäften zuzugestehen.121 Daher wurden am Tag nach der Vertragsunterzeichnung die betont (Deutsch-)Nationalen Edmund Glaise-Horstenau und Guido Schmidt als Minister ohne Portefeuille beziehungsweise Staatssekretär für Äußeres Mitglieder der österreichischen Bundesregierung.122 Österreich bekannte sich damit gemäß dem Text des Abkommens als ‚deutscher Staat‘ und verpflichtete sich zu einer ‚deutschen Politik‘. Aber auch dieses Zugeständnis schuf auf Dauer keinen friedlichen Kompromiss, sodass sich die Lage in Anbetracht Hitlers aggressiver Außenpolitik weiter verschärfte. Folglich reiste Kurt Schuschnigg mit Staatssekretär Schmidt im Februar 1938 auf Hitlers Einladung unter strenger Geheimhaltung zum Reichskanzler nach Berchtesgaden in dessen Anwesen auf dem Obersalzberg unweit der österreichischen Grenze. Dort wurde Schuschnigg mithilfe einer militärische Drohkulisse (Hitler ließ sich von Generälen der Wehrmacht flankieren) vom Reichskanzler unter heftigen Druck gesetzt und mit allerlei Vorwürfen konfrontiert: Beispielsweise habe Österreich entgegen seinen Zusagen von 1936 keine ‚deutsche Politik‘ betrieben. Dabei nutzten Hitler und sein Umfeld Schuschniggs Schwächen gezielt aus: So konnte der kettenrauchende österreichische Bundeskanzler während der stundenlangen Unterredung mit dem strikten Nichtraucher (und Anti-Alkoholiker) Hitler nicht rauchen, was seine Nervosität noch mehr steigerte. Schließlich sah sich Schuschnigg am Ende des Treffens genötigt, dem von Hitler diktierten Abkommen zuzustimmen: Dieses umfasste im Wesentlichen eine vollständige Amnestie für die illegalen Nationalsozialisten in Österreich, die freie Betätigung der Nationalsozialisten im Rahmen der ‚Vaterländischen Front‘, die Wiederaufnahme entlassener und suspendierter nationalsozialistischer Beamte in den Dienst und die Ernennung des Nationalsozialisten (und später in Nürnberg zum Tode ver119 1935 ließ Adolf Hitler das gemäß internationalem Recht entmilitarisierte Rheinland von der Wehrmacht besetzen. 120 Normalisierung der Beziehungen Österreich-Deutschland, Wiener Zeitung, 12. 7. 1936, 2. 121 Manfred Jochum, Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern, Wien 1983, 204. 122 Buchmann 2019, 197 – 198.

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urteilten Verbrechers) Arthur Seyß-Inquart zum Innenminister, der damit den Sicherheitsapparat kontrollierte. Für die Umsetzung all dessen gab Hitler Schuschnigg drei Tage Zeit: Der Bundeskanzler tat, wie ihm vom deutschen Diktator geheißen worden war.123 Schuschnigg beging in einem gewissen Sinne denselben Fehler wie die Westmächte vor und nach ihm: Er glaubte daran, dass Hitler sein Wort halten würde und nun Frieden wäre, wenn Hitler bekam, was er wollte. Das Berchtesgadener Abkommen vom 12. Februar 1938 war – wie heute bekannt ist – der Auftakt zum endgültigen Ende des unabhängigen Österreichs: Schuschniggs folgender Appell in seiner Rede vor der Bundesversammlung am 24. Februar mit der berühmten Formulierung „bis in den Tod Rot-Weiß-Rot“124 und die folgenden Bemühungen für den Erhalt Österreichs kamen zu spät. Eine eilig angesetzte Volksbefragung zur österreichischen Unabhängigkeit Anfang März musste Schuschnigg wegen der Androhung militärischer Gewalt aus Deutschland ebenso schnell wieder absagen, wie er sie überraschend angekündigt hatte. Am Abend des 11. März 1938 zog sich die österreichische Staatsführung unter dem deutschen Druck zurück und überließ den Nationalsozialisten das Feld. Bundeskanzler Schuschnigg wandte sich am Abend des 11. März in einer Radioansprache an die Bevölkerung Österreichs und setzte diese vom bevorstehenden Einmarsch in Kenntnis. Den Verzicht auf Widerstand begründete Schuschnigg folgendermaßen: „Wir haben, weil wir um keinen Preis, auch in dieser ernsten Stunde nicht, deutsches Blut zu vergießen gesonnen sind, unserer Wehrmacht den Auftrag gegeben, […] ohne Widerstand sich zurückzuziehen“125. Zum Schluss der circa dreiminütigen Rede verabschiedete sich Schuschnigg folgendermaßen: „So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!“126 In den Morgenstunden des 12. März begann der Einmarsch bewaffneter deutscher Kräfte der 8. Armee ohne österreichische Gegenwehr, am 13. März wurde Hitler von Massen begeistert in Österreich begrüßt, während viele Menschen verzweifelt versuchten zu fliehen oder ihrem Leben ein Ende bereiteten. Der geflüchtete österreichische Sozialist Otto Leichter beschrieb den Moment später treffend mit dem Titel seines Buches: „Ein Staat stirbt“127.

123 Ebd., 217 – 225. 124 Nach Einschätzung mancher Zeitgenossen eine von Schuschniggs besten jemals gehaltenen Reden, in der der sonst stets betont kühl wirkende Tiroler Aristokrat Charisma und Leidenschaft zeigte. 125 Kurt Schuschnigg, Letzte Rundfunkansprache als Österreichischer Bundeskanzler von Kurt Schuschnigg am 11. März 1938. Rundfunkansprache des österreichischen Bundeskanzlers Schuschnigg mit Erklärung auf Gewaltverzicht im Falle eines deutschen Einmarsches 1938, online unter: https://www.mediathek.at/ atom/015C6FC2-2C9-0036F-00000D00-015B7F64 [zuletzt abgerufen am 31.01.2024]. Die Rede zeigt, dass es Schuschnigg bis zum Schluss schwer fiel, klare Worte zu finden und einfache Botschaften zu kommunizieren. 126 Ebd. 127 Otto Leichter/Béla Rásky, Ein Staat stirbt. Österreich 1934-38 (VWI Studienreihe), Wien 2018.

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2.2 Entwicklung der österreichischen Schule 1918/19 – 1938: Eigenstaatlichkeit und Schulbildung in der Ersten Republik anhand von Gesetzestexten und Lehrplänen Von der Ebene der politischen Geschichte wechselt die Perspektive nun und nimmt das Bildungs- und Schulsystem und dessen Entwicklung in den Fokus. Die Ereignisse in dieser Sphäre waren zwar in vielen Bereichen weniger dramatisch als die politische Geschichte der Ersten Republik, jedoch belegen sie eindrücklich die enge Verknüpfung zwischen Staat und Bildungssystem. In den folgenden Ausführungen wird der chronologische Ansatz beibehalten, um wichtige Ereignisse darzustellen, zu analysieren und sie in den Argumentationsverlauf einzuordnen. Der in Kapitel 2.1 geschilderte historische Kontext sollte also unbedingt beachtet werden. 2.2.1 Ausgangslage nach dem Ersten Weltkrieg – Grundlegendes zu Aufbau und Struktur der österreichischen Schule Die demokratische Republik Deutschösterreich – am 12. November 1918 ausgerufen und am 21. Oktober 1919 in Republik Österreich transformiert – trat auch im Bildungsbereich faktisch das Erbe der Habsburger Monarchie an.128 Auch dieser war von Kontinuität geprägt, obwohl das Ende der Monarchie ein abruptes gewesen war, wie Engelbrecht in seinem grundlegenden Werk zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens konstatiert: „Erziehung und Unterricht verharrten in der Ersten Republik […] zunächst in den zur Zeit der Monarchie festgelegten Strukturen und wehrten tiefgreifende Korrekturen ab“129. Das Bildungswesen sah folgendermaßen aus: Für alle Kinder von sechs bis vierzehn Jahren herrschte allgemeine Schulpflicht, die durch die öffentlichen Volksschulen mit Unter- und Oberstufe abgedeckt war.130 Die Volksschule war somit die Regelschule für die Erfüllung der achtjährigen Schulpflicht. Der Besuch einer weiterführenden mittleren oder gar höheren Schule, beispielsweise eines Gymnasiums, war nur jenen möglich, deren Eltern die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten hatten und wenn es am Wohnort eine solche Schule gab. Nicht selten mussten Kinder aus ärmeren Verhältnissen oder geographischen Randregionen für den Besuch einer weiterführenden Schule getrennt von den Eltern leben und nebenbei einer Erwerbstätigkeit nachgehen, beispielsweise mit Gelegenheitsjobs.131 Alternativ zur Oberstufe der Volksschulen existierten noch sogenannte Bürgerschulen: Dreiklassige Bürgerschulen mit Fachlehrern deckten die sechste bis achte Schulstufe ab und ergänzten in größeren Gemeinden das Angebot im Bereich der Sekundarstufe. Aus diesem Modell der Bürgerschulen ging in den 1920er Jahren in Wien die Hauptschule hervor, der die Idee der gemeinsamen Schule aller Kinder zu Grunde lag, die sich aber während der 128 Meissner 2009, 358 – 360. 129 Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens: Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5: Von 1918 bis zur Gegenwart (Geschichte des österreichischen Bildungswesens 5), Wien 1988, 5. 130 Wolfgang Sorgo, Autoritärer „Ständestaat“ und Schulpolitik 1933-1938, Dissertation, Wien 1978, 11. 131 Eine solche Vita hatte etwa Rudolf Kirchschläger (1915 – 2000), der spätere Bundespräsident Österreichs von 1974 bis 1986, der bei einem Friseur als Hilfsbursche arbeitete, um sich die Bahnfahrt aus dem niederösterreichischen Waldviertel, wo die Familie lebte, in die Bürgerschule im oberösterreichischen Steyr finanzieren zu können: Christian Reichhold, Rudolf Kirchschläger. Das Gewissen Österreichs (Baumeister der Republik) 2016, online unter: https://tvthek.orf.at/profile/Archiv/7648449/Baumeister-der-Republik-RudolfKirchschlaeger/12722370 [zuletzt abgerufen am 31.01.2024].

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Ersten Republik insgesamt nie zu der Regelschule entwickeln konnte, als die sie eigentlich vorgesehen war.132 Im Bereich der weiterführenden Schulen gab es neben der Bürgerschule noch ein Nebeneinander mehrerer Schultypen: Zwischen dem humanistischen Gymnasium und der eher praktisch orientierten Realschule existierten noch zwei Sonderformen des Gymnasiums, nämlich Realgymnasium und Reformrealgymnasium, deren Abschluss ebenfalls (jedoch mit fachlichen Einschränkungen) zum Hochschulstudium berechtigte. Mädchen gingen – sofern sie eine Mittelschule besuchten – entweder in ein Lyzeum oder in das Mädchenrealgymnasium.133 Den Regelfall stellte höhere Bildung für Mädchen jedoch eindeutig nicht dar, wie alleine schon die Angaben zu den Schülerzahlen in diversen Schulen belegen.134 Und selbst dort, wo jungen Frauen der Besuch einer höheren Schule möglich war, unterschieden sich ihre Unterrichtsinhalte von jenen der Burschen, wie das folgende Beispiel zeigt: Laut den Mittelschullehrplänen von 1928 wies die sogenannte Frauenoberschule in ihrem Lehrplan keinen Latein- und auch bedeutend weniger Sportunterricht als bei den Knaben auf, dafür aber Gegenstände wie ‚Kochen und Hauswirtschaftskunde‘, ‚Kinderpflege und Fürsorge‘ und ‚Handarbeit‘.135 Damit manifestierten sich die gesellschaftlichen Erwartungen bezüglich der Rolle von Frauen innerhalb dieser Gesellschaft in Form von Lehrplänen, die vorschrieben, was den Mädchen wie beizubringen sei, um sie auf diese Rollen vorzubereiten. Vor allem aber schränkte der Lehrplan einer Schulform die weiteren beruflichen Möglichkeiten stark ein, denn gewisse Studienrichtungen setzten den Abschluss einer bestimmten Schulform voraus. Ohne Lateinkenntnisse standen beispielsweise viele geistes- und kulturwissenschaftliche Studien nicht ohne Weiteres offen. Jungen Frauen war es daher in der Ersten Republik aufgrund dieser fehlenden Kenntnisse nicht möglich, gewisse Studienrichtungen ohne zusätzlichen Aufwand einzuschlagen. Ebenfalls der schulischen Ausbildung zuzurechnen war die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für das Pflichtschulwesen, die nach Absolvierung ihrer Schulpflicht Lehrerbildungsanstalten besuchten. Nur die meist männlichen Lehrkräfte an Gymnasien mussten über eine universitäre Ausbildung verfügen. Vorlesungen und Seminare aus dem Bereich der Pädagogik, wie sie die heutigen Curricula vorsehen, spielten im Zuge der akademischen Lehrerbildung an den Universitäten jedoch nur eine untergeordnete Rolle.136 Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Pädagogik in Österreich im Allgemeinen und an der Universität Wien im Speziellen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen noch relativ schwach institutionalisiert war. Erste Lehrende der Pädagogik an der Universität Wien waren zwar bereits im 19. Jahrhundert der damalige Hofkaplan und spätere Bischof Vinzenz Eduard Milde von 1806 bis 1810 und ab 1871 Theodor Vogt, in dessen Tätigkeitszeitraum auch die Gründung des pädagogischen Seminars an der Universität Wien 1877 fällt. Weitere Professuren in Österreich 132 Eva Maria Gober, Die Instrumentalisierungs- bzw. Sozialisierungsversuche und Erziehungsprinzipien im autoritären Ständestaat Österreichs 1933/34 – 1938. Ein Beitrag zur Schul- und Erziehungsgeschichte im „austrofaschistischen“ Österreich am Beispiel des burgenländischen Schul- und außerschulischen Pädagogikfeldes an Hand von Chroniken, Dokumenten, Jahresberichten, Erlässen und von Gesprächen mit Zeitzeugen, Diplomarbeit, Wien 2008, 34. 133 Sorgo 1978, 11. 134 Siehe Kap. 3. 135 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 1. Juni 1928, betreffend die Festsetzung der Lehrpläne für die Mittelschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 42. Stück, ausgegeben am 12. Juni 1928, 933 – 942. 136 Was sich aber ab 1935 – Stichwort Hochschulerziehungsgesetz – allmählich änderte.

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folgten in den Jahren danach: 1904/09 in Graz, 1930/60 in Innsbruck.137 Doch bis dahin galt die Pädagogik als Teilgebiet der praktischen Philosophie. Insofern verwundert es nicht, dass die Professuren oftmals mit ausgebildeten Philosophen besetzt wurden.138 Die Zahl der Hörer und – seit 1897 – Hörerinnen pädagogischer Lehrveranstaltungen nahm erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu, als 1911 durch den Minister für Kultus und Unterricht verordnet wurde, dass alle zukünftigen Mittelschullehrer auch eine philosophisch-pädagogische Bildung zu absolvieren hätten, „die jedem Lehrer unentbehrlich“139 sei. Besonders die zunehmende wirtschaftliche Schieflage infolge des Ersten Weltkrieges hatte negative Auswirkungen auf die akademische Etablierung der Pädagogik als eigene Disziplin. Die personelle Situation war im Vergleich zu heute sehr bescheiden.140 Die überwiegende Mehrzahl der Lehrerinnen und Lehrer wurde allerdings nicht an den Hochschulen ausgebildet, sondern an eigens eingerichteten Lehrerbildungsanstalten, die mit dem Reichsvolksschulgesetz von 1869 an die Stelle der Normalschulen141 getreten waren. Das Prinzip der Lehrerausbildung wurde von der Normalschule übernommen und beibehalten, sodass der praktische Aspekt der Ausbildung im Vordergrund stand. Besondere Bedeutung auch im Kontext der Schulreform kam hier dem Pädagogischen Institut der Stadt Wien zu, in welchem Lehrer für Volks- und Bürgerschulen aus- und Lehrer anderer Schulformen weitergebildet wurden.142 Das Institut ging aus einer Lehrerbildungsanstalt hervor und erlebte seinen Höhepunkt vor allem in der Zeit des ‚Roten Wien‘ in den 1920er Jahren. Von diesem durchaus auch international hohen Ansehen zeugt nicht zuletzt ein kleiner Auszug der am Institut tätigen Referenten, den Renate Seebauer zusammengestellt hat: Zu nennen sind unter anderem das berühmte Psychologenpaar Charlotte und Karl Bühler, der Individualpsychologe Alfred Adler, der Philosoph Wilhelm Jerusalem und der bedeutende Rechtswissenschafter und ‚Vater‘ der österreichischen Bundesverfassung von 1920, Hans Kelsen.143

137 Die jeweils erste Jahreszahl referiert auf die Einrichtung einer Professur für Philosophie mit Lehraufträgen für Pädagogik, die jeweils zweite auf die Einrichtung einer eigenständigen Professur für Pädagogik. 138 Christian Holle, Eine historiographische Darstellung des Faches Pädagogik in Österreich, Master’s Thesis, Wien 2016, 20 – 23; Wolfgang Brezinka, Pädagogik in Österreich. Die Geschichte des Faches an den Universitäten vom 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Einleitung: Schulwesen, Universitäten und Pädagogik im Habsburger-Reich und in der Republik (Pädagogik in Österreich 1), Wien 2000, 231-321. 139 Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 15. Juni 1911, betreffend die Erwerbung der Befähigung für das Lehramt an Mittelschulen (mit Einschluß der Mädchenlyzeen), in: RGBl für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1911, LI. Stück, ausgegeben und versendet am 23. Juni 1911, 405 – 417, hier 429. 140 Richard Meister kaufte teilweise aus seinen privaten Mitteln wichtige Zeitschriften, da die Universität Wien nicht ausreichend Budget dafür zur Verfügung stellen konnte, obwohl Meister an der Universität und im Bundesministerium für Unterricht als bestens vernetzt galt. 141 Normalschulen waren Oberstufen, deren Schülerinnen und Schüler selbst zur Schule gingen und daneben in einer angeschlossenen Schule erste praktische Unterrichtserfahrung sammeln konnten. Die Normalschule nahm ihren Ausgang im von Johann Ignaz Felbiger reformierten preußischen Schulsystem und ist bis heute noch als Typ der Lehrerbildung anzutreffen. Genauer: Jil Winandy, National and religious ideologies in the construction of educational historiography. The case of Felbiger and the normal method in nineteenth century teacher education (Studies in Curriculum Theory), New York 2022. 142 Renate Seebauer, Zwischen Reformbestrebungen und Konservativismus. Zur Geschichte der Lehrerbildung in Wien (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe B 38) 1993, 139 – 141. 143 Ebd., 145 – 146.

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2.2.2 1920 – Anfang und Ende der Reformphase Die Jahre 1918 und 1919 waren von den Wirren des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit geprägt. Folglich wäre zu vermuten, dass mit dem Beginn des neuen Jahrzehnts 1920 eine Erneuerungsphase eingesetzt hätte, die den geänderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung trug. Historische Vorbilder dafür gab es – besonders in Bezug auf das Schulwesen – nicht nur beispielsweise im (post)revolutionären Frankreich der 1790er Jahre, sondern auch auf österreichischem Boden: Das Reichsvolksschulgesetz von 1869 war wie das Staatsgrundgesetz von 1867 eine Folge der revolutionären Ereignisse der 1860er Jahre und sollte im Bildungsbereich eine dauerhafte Ordnung etablieren, die verschiedene Interessen berücksichtigte.144 Nach 1918 kam es jedoch anders: Das Reformbedürfnis auf Seiten der Sozialdemokraten war deutlich stärker ausgeprägt als bei den Christlichsozialen.145 In politischer Hinsicht war der schwere Anfang zu Beginn der 1920er Jahre146 geschafft: Österreich hatte einen Friedensvertrag bekommen, die unmittelbaren Nachwirkungen des Krieges ließen allmählich nach. Doch die politischen Umstände änderten sich 1920 entscheidend: die Große Koalition zwischen CSP und SDAP versank Mitte 1920 in Streit und zerbrach schließlich; Neuwahlen boten den einzigen Ausweg und führten nach dem Ende der Großen Koalition auf Bundesebene zu wechselnden Koalitionen der CSP mit Kräften rechts der politischen Mitte unter Ausschluss der SDAP. Der große gemeinsame Wurf des Jahres 1920, die Bundesverfassung, beinhaltete keine eindeutige Regelung bezüglich des Schulwesens, wie die Forschung bereits darlegen konnte: Insbesondere die Frage der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sowie die Regelung des Verhältnisses von Schule und Kirche waren zwischen den beiden großen politischen Lagern höchst umstritten und verhinderten Neuregelungen im Schulbereich. Der gefundene Kompromiss bestand schließlich darin, in diesem Politikfeld am verfassungsrechtlichen Status Quo der Monarchie festzuhalten und somit eine Kontinuität der schulischen Strukturen herbeizuführen.147

In Ermangelung eines neuen politischen Konsenses einigten sich die beiden Großparteien also darauf, erst einmal nichts zu verändern. Die Schule hatte bei der Vielzahl an zu verhandelnden Themen für eine neue Verfassung offenbar nicht oberste Priorität, sodass keine Partei geneigt war, zu Gunsten der eigenen Wünsche im Bildungswesen große Opfer in anderen Bereichen zu bringen. Somit gingen die Dinge erst einmal weiter ihren gewohnten Gang, wie es im Bildungsbereich oftmals der Fall ist. Es überrascht kaum, dass die Fortführung der bestehenden Verhältnisse für die Christlichsozialen, die einen starken legitimistisch-monarchistischen Flügel hatten, weit weniger problematisch war als für die Sozialdemokraten, war dies doch gleichbedeutend mit einer Beibehaltung der Praxis aus der Zeit der Monarchie, die besonders bei den Sozialdemokraten sehr unbeliebt war. Nach seinem Ausscheiden als Staatssekretär für Unterricht begann Otto Glöckel daher nach der Einrichtung des Stadtschulrates für Wien mit seiner Reformagenda im ‚Roten Wien‘, soweit es ihm in diesem Rahmen möglich war. Dabei gab es nicht selten Reibereien zwischen (sozialdemokratischem/‘rotem‘) Stadtschulrat und (christlich-sozialem/‚schwarzem‘) Unterrichtsministerium, war doch die

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Tröhler 2016a, 287. Meissner 2009, 358. Später als Goldene Zwanziger oder Roaring Twenties verklärt. Roman Pfefferle, Schule macht Politik. Schulbücher als Gegenstand politischer Kulturforschung am Beispiel politischer Erziehung im Österreich der Zwischenkriegszeit, Dissertation, Wien 2009, 89.

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Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht immer eindeutig geklärt.148 In der politischen Bildung engagierten sich die Sozialdemokraten jedoch nach der Gründung der Republik sehr stark und trotzten so dem christlichsozialen Widerstand: Beispielsweise wurden zur Verbesserung der politischen Bildung ab 1919 Ergänzungshefte für den Unterricht herausgebracht, da die Schulbücher selbst nicht rasch genug ersetzt werden konnten und so noch einige weitere Jahre verwendet werden mussten.149 Der Volksschullehrplan von 1926 Schließlich wurde aber auch in den Folgejahren immer deutlicher, dass ein Festhalten an den überkommenen Strukturen und Inhalten, die teilweise noch aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts stammten, nicht mehr zweckmäßig sei und eine Modernisierung oder zumindest Anpassung einiger Bestimmungen für das Schulwesen notwendig wäre. Den Anfang machte 1926 die Volksschule, deren erste bis fünfte Schulstufe nun einen neuen Lehrplan erhielt.150 Die große Herausforderung bestand vor allem darin, der Vielfältigkeit der Volksschule in Österreich in regulatorischer Hinsicht gerecht zu werden. Dass ein Schuljahr etwa im Herbst beginnt und bis zum Frühsommer dauert, wobei zwischen Ende des Schuljahres und Beginn des nächsten die Haupt- oder Ernteferien liegen, war in den 1920er Jahren keine ausgemachte Sache. So nannte der Lehrplan von 1926 explizit „allgemeine Volksschulen, die das Schuljahr im Frühjahr beginnen“151, woraus zu schließen ist, dass der Schulbeginn nicht unbedingt auf den Herbst datierte, sondern nach lokalen Anforderungen auch im Frühjahr liegen konnte. Das ist nur ein Beispiel für viele regionale Eigenheiten. Die Schwierigkeit bestand nun darin, ein zentral verfasstes Regelwerk zu erstellen, das den vielfältigen Anforderungen überall gerecht wurde. Unter Berufung auf das Reichsvolksschulgesetz von 1869, das nicht abgeschafft, sondern laufend novelliert wurde, sollte die Volksschule die „geistigen, sittlichen und körperlichen Kräfte“152 der Jugend ausbilden und diese „zu sicherem Können und Handeln im Geiste sozialer, staatsbürgerlicher, volkischer [sic!] und sittlich-religiöser Erziehung“153 anleiten. Der Grundsatz der Bodenständigkeit des Unterrichts betonte die Rolle der „engeren und weiteren Heimat“154 für den Unterricht und „die Pflege heimischen Volkstums in Arbeit, Sitte und Brauch“155. Folglich sollte der Gegenstand Sachunterricht als „heimatkundliche[r] Unterricht […] von der nächsten Umgebung des Kindes aus[gehen] und […] das Bild der engeren und weiteren Heimat […] mit der Behandlung des Heimatlandes ab[schließen]“156. „Heimatschutz [… und] Erziehung zur Heimatliebe […] im Dienste der Heimat und des Volkstums“157 waren die zentralen Begriffe. Laut diesem Lehrplan sollte der Gesamtunterricht in der vierten Klasse durch den Fachunterricht abgelöst werden, der auch in den höheren 148 Was man auch daran erkennen konnte, dass der Bund immer wieder Bundesschulgesetze für einzelne Länder beschloss, weil die Länder anscheinend nicht über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz verfügten. 149 Meissner 2009, 359 – 363. 150 Verordnung des Bundesministeriums für Unterricht vom 30. Juli 1926. betreffend den Lehrplan für die 1. bis 5. Schulstufe der allgemeinen Volksschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1926, 54. Stück, ausgegeben am 28. August 1926, 1115 – 1126. 151 Ebd., 1115. 152 Ebd., 1116. 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Ebd.. 156 Ebd., 1117. 157 Ebd., 1118.

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Schulstufen die Regel war. Allgemeine Lehrziele in den Gegenständen Erdkunde, Geschichte und Naturlehre waren Kenntnisse der „Stellung der Heimat innerhalb Österreichs und Österreichs innerhalb Europas“158, erste „Bekanntschaft mit den Schicksalen der Heimat, des Vaterlandes und des deutschen Volkes“159, die Weckung „der staatsbürgerlichen Gesinnung und der Liebe zu Heimat, Volk und Vaterland“160 sowie die „Liebe zum Schrifttum des deutschen Volkes“161. Im Vergleich zur Schulordnung von 1905 gibt es hier großteils Übereinstimmungen, denn auch in dieser wurden als Ziel der Volksschule die sittlich-religiöse Erziehung und „Liebe zum angestammten Volkstum und dem gemeinsamen Vaterlande“162 genannt. 1905 war das Vaterland freilich noch ein anderes gewesen, nämlich die Monarchie Österreich-Ungarn. Hier wird deutlich, dass die neuen Lehrpläne von 1926 in Bezug auf den Begriff Heimat wenig innovativ waren. Heimat und Volkstum wurden als Termini in einen engen Bezug zur direkten geographischen Umgebung gesetzt, die es zu lieben galt. Eine auf den Gesamtstaat bezogene inhaltliche oder sprachliche Klammer lässt sich im allgemeinen Teil nicht ausmachen, die regionale Begrenzung überwiegt. Die im Lehrplan auf den eben genannten allgemeinen Teil folgenden Abschnitte zu den einzelnen Gegenständen sind in Bezug auf Aussagen über die nationale Zugehörigkeit der Heranwachsenden und eine etwaige Vermittlung von nationaler Zugehörigkeit noch weniger aussagekräftig und beschränken sich zur Beschreibung der Lehrinhalte größtenteils auf Ausdrücke wie „Anschauungen […] der heimatlichen Landschaft“163 oder „heimatliche Sagen“164, „Volksmärchen“165 oder „Heimatschutz“166. In der fünften Klasse sollten im Gegenstand Erdkunde die „Landschaftsgebiete Österreichs und ihre kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ 167 sowie der „staatliche Aufbau Österreichs“168 und die „Lage Österreichs innerhalb Europas“169 im Zentrum stehen. Im Fach ‚Deutsche Sprache‘ sollte der Lesestoff „deutsche Volks- und Heldensagen […], Reiseschilderungen aus der heimischen Landschaft, aus dem weiteren deutschen Vaterland und […] Heimat- und Deutschkundliches“170 umfassen. Letzteres ist doch ziemlich bemerkenswert, da in keinem der anderen Gegenstände oder auf einer anderen Schulstufe der Volksschule die nationale (und geografische) Zugehörigkeit so prononciert thematisiert wurde. Der Begriff ‚Heimat‘ ist in diesem Zusammenhang – zumindest vermitteln die Quellen diesen Eindruck – in einem geographisch sehr eng begrenzten Sinne zu verstehen, der die Heimatgemeinde der Volksschulkinder und deren wichtigsten Gebäude (Schulhaus, Kirche, Gemeindezentrum, etc.) sowie die engere Nachbarschaft umfasste – die Lebenswelt eines sechs- bis elfjährigen Kindes eben. In diesem Sinne ist Heimat also durchaus 158 159 160 161 162

163 164 165 166 167 168 169 170

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Verordnung des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 29. September 1905, womit eine definitive Schul- und Unterrichtsordnung für die allgemeine [sic!] Volksschulen und für Bürgerschulen erlassen wird, in: RGBl für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1905, LXIV. Stück, ausgegeben und versendet am 14. Oktober 1905, 401 – 433, hier 410. Lehrplan für die 1. bis 5. Schulstufe der allgemeinen Volksschulen 1926, in: BGBl 1926, 1121. Ebd. Ebd., 1122. Ebd., 1122. Ebd., 1125. Ebd., 1125. Ebd., 1125. Ebd., 1125.

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nicht so lebensweltlich abstrakt zu verstehen, wie dies beispielsweise beim Begriff ‚Heimatstaat‘ geschieht, sondern sehr konkret auf die jeweilige unmittelbare Umgebung bezogen. Dieser Lehrplan von 1926 hatte jedoch nicht lange Bestand: Bereits 1930 folgte ein weiterer, sehr ausführlicher Lehrplan für die allgemeine Volksschule, der schon durch seinen Umfang die Komplexität und Vielfältigkeit des österreichischen Volksschulwesens der Zwischenkriegszeit andeutet.171 So nennt er in Abhängigkeit von der Klassenanzahl nicht weniger als sieben verschiedene Gattungen der Volksschule mit Aufteilung in Abteilungen und Gliederung nach Schulstufen. Auf diesen wird im Kapitel 2.2.4 noch genauer eingegangen. 2.2.3 1927 – Reform als Kompromiss Verfassungs- und Schulreform Im Jahr 1927 war das politische und gesellschaftliche Klima der Ersten Republik trotz der vergleichsweise günstigen wirtschaftlichen Entwicklung ein höchst schwieriges: Christlichsoziale und Sozialdemokraten standen einander geradezu feindselig gegenüber, wie die Ereignisse in Schattendorf und rund um den Brand des Justizpalastes in Wien deutlich zeigten. Dennoch mussten politische Kompromisse gefunden werden, denn keine der beiden Parteien war stark genug, um allein Verfassungsänderungen durchzusetzen, die eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erforderten.172 Die von der CSP geführten Koalitionen hatten zwar immer eine Mehrheit an Mandaten im Nationalrat, diese war jedoch meist nur sehr knapp, da die SDAP regelmäßig starke Wahlergebnisse erzielte und stärkste Partei wurde. Bei den Nationalratswahlen 1930 errang die SDAP als stimmenstärkste Fraktion mit 72 Mandaten sogar eine deutliche relative Mehrheit, hatte aber durch fehlende Koalitionspartner keine Möglichkeit, eine Regierung zu bilden.173 In das Ende der 1920er Jahre fielen zwei recht bemerkenswerte Kompromisse zwischen den als verfeindet geltenden Lagern: Einerseits die Schulreform von 1927, die im Folgenden behandelt wird, und andererseits die Verfassungsreform von 1929, die unter anderem die Stellung des Bundespräsidenten durch die direkte Volkswahl und erweiterte Kompetenzen enorm aufwertete. Die Verfassung wird hier angesprochen, weil sie als zentrales Grundgesetz eines Staates von großer Bedeutung auch für das Bildungswesen ist, denn darin werden Aufgaben und Ausgestaltung der Schule ebenso bestimmt wie die Zuständigkeiten für das Bildungssystem insgesamt geregelt werden. Die Novellierung der Bundesverfassung von 1929 bedeutete eine massive Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten, dessen Befugnisse im Vergleich zur Verfassung von 1920 stark erweitert wurden. Die umfassenden Befugnisse des Staatsoberhauptes vor allem im Hinblick auf seine Rolle bei der Ernennung und Entlassung der Regierung (geregelt in Artikel 70 der Bundes-Verfassung174) wurden bereits in den 1920er 171 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 16. Juni 1930, betreffend die Lehrpläne für die allgemeinen Volksschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1930, 55. Stück, ausgegeben am 28. Juni 1930, 985 – 1050. 172 Für Verfassungsrecht muss mindestens die Hälfte der Abgeordneten zum Nationalrat anwesend sein und mindestens zwei Drittel davon müssen zustimmen. 173 Buchmann 2019, 31 – 32. 174 „Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt. Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag nicht erforderlich“ Art. 70 (1) B-VG. Damit ist der Bundespräsident in seiner Entscheidung, eine Regierung zu bestellen oder zu entlassen, an keinerlei Vorgaben gebunden. Gelebte Praxis ist, dass der Bundespräsident den/die Vorsitzende/n der stimmenstärksten Partei nach einer Wahl mit der Regierungsbildung beauftragt. Er könnte aber auch jede andere beliebige Person mit passivem Wahlrecht zum Bundeskanzler ernennen, da ihm die Bundesverfassung diesbezüglich keine Vorschriften macht.

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Jahren kritisch gesehen und sind auch in neuerer Zeit immer wieder kritisiert worden. Mit dieser Novelle wurde auch die Volkswahl des Bundespräsidenten175 eingeführt, wobei die erste Volkswahl des Staatsoberhauptes erst in der Zweiten Republik, nämlich 1951, erfolgte. Das diktatorische Regime unter Dollfuß bemühte sich ab 1933/34 – sich der Bedeutung der Verfassung bewusst – umgehend um ein neues zentrales Regelwerk für den Staat: die pseudolegale Maiverfassung wurde am 1. Mai 1934 eingeführt, um den seit der Ausschaltung des Parlaments im Frühjahr 1933 notwendigen Umweg über das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917 weglassen zu können, welches ein Notverordnungsrecht der Bundesregierung vorsah. Eben wegen dieser inhaltlichen Differenzen in so vielen Bereichen ist der Kompromiss in der Schulgesetzgebung von 1927 umso bemerkenswerter, zumal besonders bezüglich des Schul- und Unterrichtswesens der Gegensatz zwischen dem bürgerlich-konservativen Bund einerseits und insbesondere dem ‚roten‘ Bundesland Wien unter der Federführung des Sozialdemokraten Otto Glöckel virulent war. Otto Glöckel war mit dem Ende der Koalitionsregierung zwischen CSP und SDAP 1920 als Staatssekretär für Unterricht aus der Regierung ausgeschieden, konnte sich aber dann der Arbeit im Wiener Stadtschulrat widmen und hier Akzente setzen. 1926 aber liefen einige seiner als Staatssekretär angeordneten Maßnahmen aus und wurden von seinen Nachfolgern auch nicht verlängert. Um eine Lösung wurde lange gestritten, und eine solche konnte erst nach der Nationalratswahl vom April 1927 gefunden werden, die genau zwischen den Schattendorf-Vorfällen im Jänner und dem Justizpalast-Brand im Juli abgehalten wurde. Mit diesem Wahlergebnis im Hintergrund176 wurden am 2. August 1927 das Mittelschulgesetz und das Hauptschulgesetz beschlossen, und das Reichsvolksschulgesetz von 1869 wurde in diesem Zuge adaptiert.177 Diese Maßnahmen von 1927 werden nun im Folgenden dargestellt. Mittel- und Hauptschulgesetz 1927 und vorläufige Lehrpläne Im Wesentlichen brachten die Gesetze von 1927 die Einführung der Hauptschule als Alternative zur Oberstufe der Volksschulen: Die Hauptschule wurde damit der Volksschule und anderen Schulformen auf der Ebene der Sekundarstufe 1 gleichgestellt. Die von den Sozialdemokraten angestrebte gemeinsame Schule bis zum Alter von 14 Jahren (vier Jahre Volksschule plus vier Jahre Hauptschule) wurde prinzipiell ermöglicht, allerdings nicht verbindlich umgesetzt: Lediglich in Wien wurde der Hauptschulbesuch zur Regel. Das Nebeneinander von Volksschuloberstufe und Hauptschule einerseits und Mittelschulen (Gymnasium 175 Dies setzte die SDAP gegenüber der CSP durch, welche an der Wahl des Bundespräsidenten durch die Vollversammlung (Nationalrat plus Bundesrat) festhalten wollte. Das Mehr an Befugnissen konnte so aber mit der direkten Wahl durch das Wahlvolk auch der sozialdemokratischen Klientel gut verkauft werden. 176 Die CSP trat gemeinsam mit den Deutschnationalen Parteien (DnP) als Einheitsliste an, erreichte 85 (73 CSP plus 12 DnP) von 165 Mandaten und bildete mit dem 9 Mandate starken Landbund eine Koalition, während die SDAP zwar mit einem Plus von 3 Mandaten von 68 auf 71 Mandate zulegte und somit nur 2 Mandate hinter der CSP lag, aber dennoch in der Oppositionsrolle verbleiben musste: Republik Österreich – Parlamentsdirektion, Zusammensetzung des Nationalrates von 1920 (1919) bis 1934, online unter: https:// www.parlament.gv.at/WWER/NR/MandateNR/ [zuletzt abgerufen am 14.10.2022]. 177 Bundesgesetz vom 2. August 1927, betreffend die Regelung des Mittelschulwesens (Mittelschulgesetz), in: BGBl für die Republik Österreich 1927, 61. Stück, ausgegeben am 8. August 1927, 1037 – 1038; Bundesgesetz vom 2. August 1927, womit einige Bestimmungen des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R. G. Bl. Nr. 62, in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1883, R. G. Bl. Nr. 53, abgeändert werden (Hauptschulgesetz), in: BGBl für die Republik Österreich 1927, 61. Stück, ausgegeben am 8. August 1927, 1039 – 1040.

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in verschiedenen Formen und Frauenoberschule) andererseits wurde nicht beseitigt, sondern prolongiert. Somit konnten beide Seiten zwar nicht vollauf zufrieden sein, aber dennoch Teile der eigenen Agenda umsetzen: Die Sozialdemokraten verbuchten die Einführung der Hauptschule für sich, die Christlichsozialen konnten ihr Gymnasium erhalten. An dieser Stelle einige Worte dazu, weshalb Lehrpläne wichtig für das Verständnis einer Gesellschaft und deren Schule sind: Ein Lehrplan ist Ausdruck einer dominanten Vorstellung von einer zukünftigen Gesellschaft und gibt Aufschluss darüber, welche Ziele mit der Beschulung junger Menschen erreicht werden sollen. Die hier behandelten Lehrpläne wurden nicht als Gesetze durch das Parlament beschlossen, sondern vom Bundesministerium für Unterricht ausgearbeitet, vom Bundesminister auf Grundlage der Mittel- und Hauptschulgesetze verordnet und anschließend im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, wie dies bei Lehrplänen bis heute üblich ist. Verordnungen sind aber nur in begrenztem Ausmaß einem demokratischen Diskurs ausgesetzt. Daher können Lehrpläne allgemein – und aufgrund der eben erläuterten politischen Umstände speziell die Curricula der Jahre 1927/28 – vor allem als Ausdruck der Vorstellung dominanter politischer Figuren und Gruppen gedeutet werden, wobei natürlich auch relevante Interessengruppen versuchten, darauf Einfluss zu nehmen. Da ab 1920 vor allem die CSP und Parteien aus dem Spektrum der Deutschnationalen und Bürgerlichen der Bundesregierung angehörten, kann wohl zu Recht davon ausgegangen werden, dass die von diesen Regierungen verordneten Lehrpläne vor allem deren Standpunkte und Wünsche berücksichtigten. Im Folgenden wird auf die Schulgesetze von 1927/28 und deren Auswirkungen eingegangen: Vorab sei angemerkt, dass Mittel- und Hauptschulgesetz im August 1927 beschlossen und veröffentlicht wurden und bis zum Sommer 1928, als die Lehrpläne veröffentlich wurden, noch im Prozess der Aus- und Umgestaltung waren. Gemäß dem „Bundesgesetz vom 2. August 1927, betreffend die Regelung des Mittelschulwesens“178 bestand das Ziel der Mittelschule („Gymnasien, Realgymnasien und Realschule, für Mädchen auch Frauenoberschulen“179) in der Vermittlung einen höheren Allgemeinbildung, „die sie [die Schüler; Anm.] zugleich zum Studium an den Hochschulen befähigt.“180 Dafür sollten „die geistigen, sittlichen und körperlichen Kräfte“181 der Jugend entwickelt werden und diese „in sozialem, staatsbürgerlichem, nationalem [!] und sittlich-religiösem Geiste“182 erzogen werden. Um eine Mittelschule zu besuchen, mussten zuvor mindestens vier Klassen der Volksschule absolviert worden sein und in weiterer Folge eine Aufnahmeprüfung bestanden werden. Paragraf 7 des Mittelschulgesetzes sah vor, dass auf die „Eigenart der weiblichen Jugend“183 Rücksicht zu nehmen sei, was sich „in der Auswahl und Verteilung des Bildungsgutes, im Lehrvorgang und in der Einführung entsprechender Freigegenstände“184 auswirken solle; an gemischten Schulen sollten Mädchen nach Möglichkeit in eigenen Klassen zusammengefasst werden. Zwei auffällige Sonderformen im Rahmen des neuen Mittelschulgesetzes waren die Arbeitermittelschulen und die Aufbauschulen. Aufbauschulen waren für jene gedacht, die nach 178 179 180 181 182 183 184

Mittelschulgesetz 1927, in: BGBl 1927, 1037. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 1038. Ebd.

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bereits absolvierter Schulpflicht ein Hochschulstudium anstrebten, und sollten „in einem besonders eingerichteten fünfjährigen Studiengang zum Bildungsziel der Mittelschule“185 (also zur Hochschulreife) führen. Arbeitermittelschulen hingegen sollten jene, die bereits berufstätig waren, diesem Bildungsziel in Form von Abendunterricht zuführen. Hinzu kamen einjährige Überleitungskurse für jene Schülerinnen und Schüler, die aus der Hauptschule in die Mittelschule wechseln wollten (der friktionslose Übergang zwischen Haupt- und Mittelschule war ein großes Anliegen der Sozialdemokraten, aber bis in die Gegenwart gilt das österreichische Bildungssystem als wenig durchlässig), aber die nötige Vorbildung nicht aufweisen konnten (insbesondere Fremdsprachenkenntnisse). Die Aufgabe der Hauptschule, geregelt in einem Gesetz mit den Namen „Bundesgesetz vom 2. August 1927, womit einige Bestimmungen des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R. G. Bl. [Reichsgesetzblatt; Anm.] Nr. 62, in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1883, R. G. Bl. Nr. 53, abgeändert werden (Hauptschulgesetz)“186 war es, „eine über das Lehrziel der allgemeinen Volksschule hinausreichende, abschließende [!] Bildung zu gewähren und ihre Schüler für den Eintritt in das praktische Leben oder Fachschulen vorzubereiten.“187 Dies sollte in zwei Klassenzügen geschehen, in die die Schülerinnen und Schüler nach ihrem jeweiligen Leistungsniveau eingeteilt wurden, jedoch sollte so viel Unterricht wie möglich gemeinsam und möglichst von denselben Lehrpersonen erteilt werden. Die Einteilung in die Klassenzüge konnte und sollte bei sich verändernder Leistung angepasst werden, was vor allem für den Übertritt in eine Mittelschule sehr wichtig war, denn dieser stand den Schülerinnen und Schülern des ersten Klassenzuges ohne Aufnahmeprüfung frei, wenn sie mindestens einen guten Erfolg in ihrem Jahreszeugnis erzielten und auch fremdsprachlichen Unterricht besucht hatten; für die Schüler des zweiten Klassenzuges gestaltete sich dieser Übertritt jedoch bedeutend schwieriger, weil er nur in Ausnahmefällen möglich war. Die Trennung der Geschlechter und die Rücksichtnahme auf die „Eigenart der weiblichen Jugend“188 finden sich hier im Hauptschulgesetz ebenso wie im Mittelschulgesetz, jedoch fehlen nähere Bestimmungen, nach welchen Gesichtspunkten diese Erziehung zu erfolgen habe: War im Mittelschulgesetz noch die Rede von Erziehung in „sozialem, staatsbürgerlichem, nationalem und sittlich-religiösem“189 Geist, so fehlte eine derartige Bestimmung im Hauptschulgesetz. Die Hauptschule war also – so kann aus diesem Umstand geschlossen werden – anscheinend nicht dazu vorgesehen, Inhalte im Geiste einer höheren Bestimmung zu vermitteln, die für die Mittelschulen in Anspruch genommen wurde. Für diese Perzeption spricht, dass die Hauptschule ja eine abschließende Bildung gewähren sollte, also nicht zu einer weiteren Bildungslaufbahn befähigen sollte. Die Aufbauschulen waren, da der „fünfjährige Studiengang der Aufbauschule […] realgymnasialer Art“190 sein sollte, der Vermittlung einer höheren Allgemeinbildung und der Entwicklung der „geistigen, sittlichen und körperlichen Kräfte der ihnen anvertrauten Jugend […] in sozialem, staatsbürgerlichen, nationalem und sittlich-religiösem Geiste“191 verpflichtet, wie in der Verordnung vom 24. Juli 1928 185 186 187 188 189 190

Ebd. Ebd., 1039. Ebd. Ebd. Ebd., 1037. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 24. Juli 1928, betreffend die versuchsweise Einrichtung einzelner Aufbauschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 58. Stück, ausgegeben am 14. August 1928, 1368 – 1369. 191 Einrichtung einzelner Aufbauschulen, in: BGBl 1928, 1368.

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ausgeführt wird. Nun ließe sich daraus ableiten, dass diese Erziehung im Geiste bestimmter Werte den gymnasialen Schultypen vorbehalten gewesen sei, aber genau das bestätigt sich nicht, denn in der Verordnung zu den Arbeitermittelschulen vom 25. August 1928192 war festgelegt, der „Studiengang der Arbeitermittelschule [… sei] realgymnasialer Art“193. Es fehlen aber trotz dieser realgymnasialen Art die Bestimmungen zur Erziehung in sozialem und staatsbürgerlichem Sinn, wie er für das Gymnasium vorgeschrieben war. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Arbeitermittelschulen vor allem für Arbeiter gedacht waren, die nach einem strengen Ausleseverfahren innerhalb von acht Semestern in Abendkursen zur Reifeprüfung geführt werden sollten, und der Erziehungsaspekt bei diesen Erwachsenen ohnehin in den Hintergrund trat. Da die Gesetze Anfang August 1927 im Parlament beschlossen wurden und bereits am 15. August in Kraft traten, die Vorbereitungszeit bis zum Beginn des Schuljahres 1927/28 im September jedoch recht kurz war und der Bundesminister Richard Schmitz erst entsprechende Lehrpläne per Verordnung festlegen musste, folgten am 10. August 1927 die entsprechenden Durchführungsverordnungen für Mittel- und Hauptschulgesetz inklusive vorläufigen Lehrplänen für die erste Klasse.194 Der Beilage A195 zu dieser Verordnung ist der vorläufige Lehrplan für die erste Klasse der Mittelschule zu entnehmen, der vor allem für den Gegenstand ‚Deutsche Sprache‘ und für ‚Geschichte und Geographie‘ ausführlich ist. Besonders im Hinblick auf die Erziehung in ‚nationalem Geiste‘ lassen sich in diesem Lehrplan jedoch einige Widersprüchlichkeiten ausmachen: So legte der Lehrplan fest, dass der Lesestoff neben „Volks- und Kunstmärchen, Sagen, Anekdoten, Fabeln, Tiergeschichten und Erzählungen“196 auch „Reiseschilderungen aus der heimischen Landschaft, aus dem weiteren deutschen Vaterlande [!] und aus der Ferne, [und] Heimat- und Deutschkundliches“197 umfassen solle. Die zu behandelnden Textgattungen (Märchen, Reiseschilderungen) erscheinen auf den ersten Blick unauffällig, aber umso interessanter sind die Ausführungen zu den inhaltlichen Aspekten, besonders die an dieser Stelle als lebensnahe bezeichneten Bereiche sind im Hinblick auf die Vermittlung eines national gerahmten Zugehörigkeitsgefühls bemerkenswert: Die „Reiseschilderungen aus der heimischen Landschaft“ erscheinen zunächst unverdächtig, aber der Zusatz „aus dem weiteren deutschen Vaterlande“198 erstaunt, zumal im daran anschließenden Lehrplan für

192 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 24. Juli 1928, betreffend die versuchsweise Einrichtung von mehrjährigen Kursen (Arbeitermittelschulen), in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 59. Stück, ausgegeben am 25. August 1928, 1371 – 1372. 193 Ebd., 1371. 194 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 8. August 1927 zur vorläufigen Durchführung des Gesetzes vom 2. August 1927, B. G. Gl. Nr. 244 (Mittelschulgesetz), in: BGBl für die Republik Österreich 1927, 63. Stück, ausgegeben am 10. August 1927, 1047 – 1050; Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 8. August 1927 zur vorläufigen Durchführung des Bundesgesetzes vom 2. August 1927, B. G. Gl. Nr. 245, womit einige Bestimmungen des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R. G. Bl. Nr. 62, in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 183, R. G. Bl. Nr. 53, abgeändert werden (Hauptschulgesetz), in: BGBl für die Republik Österreich 1927, 63. Stück, ausgegeben am 10. August 1927, 1050 – 1056. Lehrplanänderungen treten in der Regel aufsteigend mit dem ersten Jahrgang in Kraft, sodass bereits bestehende Jahrgänge auslaufend nach den alten Lehrplänen unterrichtet werden. 195 Beilage B umfasst einen leicht abgeänderten Stundenplan für Klassen, die an Schulversuchen teilnahmen. 196 Durchführungsverordnung Mittelschulgesetz 1927, in: BGBl 1927, 1048. 197 Ebd. 198 Durchführungsverordnung Mittelschulgesetz 1927, in: BGBl 1927, 1048.

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Geschichte und Geographie das „Heimatland als Ganzes“199, die „Landschaftsgebiete Österreichs“200 und Karten „der Heimat sowie des näheren und weiteren Vaterlandes“201 zum Gegenstand gemacht werden. „[A]us dem weiteren [Hervorhebung F.G.] deutschen Vaterlande“ kann entweder in einem geographischen oder in einem wörtlich hinzufügenden Sinn verstanden werden: In ersterem Fall entspricht das weitere deutsche Vaterland also einfach den weiter entfernt liegenden Gebieten des Vaterlandes, das als deutsch bezeichnet wird, während in zweiterem Fall zum eigenen Vaterland (Österreich) noch ein weiteres, nämlich deutsches hinzukommt.202 Diese sprachliche Unterscheidung mag auf den ersten Blick haarspalterisch erscheinen, gewährt jedoch meiner Meinung nach einen wertvollen Einblick in dominante Überzeugungen, die in solche Lehrpläne einflossen und oft übersehen werde:. Auf Österreich wird in diesem Lehrplan nämlich durchgehend mit dem Terminus Heimatland verwiesen, während davon abweichend das Vaterland als deutsch bezeichnet wird. Das zeigt sich auch an dem Begriffspaar „Heimat- und Deutschkundliches“203: Daraus lässt sich ableiten, dass Österreich als Heimat bezeichnet wurde, während Deutschland als Vaterland bezeichnet wurde. Dröselt man also diese Formulierungen ein wenig auf, so zeigt sich deren Ambivalenz: Es entsteht der Eindruck, dass Österreich vorzugsweise als Synonym für die Heimat im rechtlichstaatsbürgerlichen Sinn dient, während die Bezeichnung Vaterland vor allem auf den Begriff ‚deutsch‘ und implizit Deutschland bezogen wird.204 Sowohl Heimat als auch Vaterland sind jedenfalls stark aufgeladene Begriffe, und deren Verwendung gibt Aufschluss über bestimmte Denkschemata im untersuchten Zeitraum. Es ist jedenfalls auffällig, dass die Trennung in Österreich als Heimat und Deutschland als Vaterland so konsequent beibehalten wird, sodass eine arbiträre Verwendung wohl ausgeschlossen werden kann. Die Verordnung zur vorläufigen Durchführung des Hauptschulgesetzes205 enthielt im Vergleich zum Hauptschulgesetz selbst wenig Neues, vom vorläufigen Lehrplan einmal abgesehen, sondern wiederholte vor allem Formales (zum Beispiel Umwandlung der Bürgerschule, Nebeneinander von Haupt- und Bürgerschule, Aufnahme in die Hauptschule, Einreihung in die Klassenzüge). Bemerkenswert waren jedoch die Bestimmungen der Paragrafen 8 und 15: Paragraf 8 schrieb vor, dass die Einteilung in ersten und zweiten Klassenzug keinesfalls die gleichmäßige zahlenmäßige Aufteilung der Schülerinnen und Schüler zum Ziel haben solle, sondern allein die zu erwartende Leistung sei ausschlaggebend. Paragraf 15 enthielt die Bestimmung, dass ein Wechsel in einen anderen Klassenzug in der ersten Klasse frühestens mit Ablauf des ersten Semesters erfolgen könne – die Kinder sollten also nicht zu früh versetzt werden, wenn die erbrachten Leistungen nicht den Erwartungen entsprachen. Paragraf 17 des Gesetzes zeigt, mit welcher Eile diese Gesetze und Verordnungen vorgenommen wurden: An den verwendeten Drucksorten (Zeugnisse, amtliches Papier etc.) waren „[n]otwendige Veränderungen […] handschriftlich vorzunehmen“206, neue Drucksorten konnten also noch

199 200 201 202 203 204

Ebd. Ebd. Ebd. Das würde aber die Frage aufwerfen, von welcher Art das eigene Vaterland ist. Durchführungsverordnung Mittelschulgesetz 1927, in: BGBl 1927, 1048. Zum Begriffspaar Vaterland und Heimat besonders für den deutschsprachigen Raum: Pauline Marie Langguth, Heimatkunde als Heilsversprechung. Die Etablierung des Heimatkundeunterrichts Ende des langen 19. Jahrhunderts in Österreich und Deutschland, Masterarbeit, Wien 2020, 108 – 110. 205 Durchführungsverordnung Hauptschulgesetz 1927, in: BGBl 1927, 1050 – 1056. 206 Ebd., 1052.

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nicht hergestellt und ausgeliefert werden beziehungsweise mussten die alten aus Kostengründen erst aufgebraucht werden. Die Stundentafel der Hauptschule unterschied sich – was ein wichtiges Ziel der Sozialdemokraten gewesen war – nur unmerklich von derjenigen der Mittelschulen,207 und die Lehrpläne (zumindest die vorläufigen) waren in einigen Bereichen sogar wortident. Lediglich der Lehrplan für den zweiten Klassenzug bestimmte gesondert, inwiefern vereinfacht werden solle, um der „Besonderheit seiner Schüler“208 gerecht zu werden. Fast zu übersehen ist eine Anmerkung ganz zum Schluss der Verordnung, die jedoch Auswirkungen auf große Teile der Schülerschaft hatte: In dieser Anmerkung wurde festgelegt, inwiefern an Hauptschulen für Mädchen besonders vorzugehen war. So war „bei der Auswahl des Lehrgutes im Deutschunterricht, in der Geschichte und Naturgeschichte, im Rechnen und in der Raumlehre, beim Gesang und bei den körperlichen Übungen […] auf die weibliche Eigenart und die besonderen Bildungsbedürfnisse der Mädchen Rücksicht zu nehmen.“209 Worin diese weibliche Eigenart bestand und weshalb Mädchen im Deutschunterricht etwas Anderes lernen sollten als Burschen, wurde jedoch nicht weiter ausgeführt und an dieser Stelle auch nicht sachlich begründet. Es ist wohl mit Recht anzunehmen, dass dafür weniger fachliche Gründe ausschlaggebend waren, sondern vielmehr dem Zeitgeist entsprechende Vorurteile und Halbwissen, die besonders im konservativen politischen Lager hochgehalten wurden und sich in späterer Zeit entsprechend stärker manifestieren konnten.210 Wie diese Unterscheidung zwischen Mädchen und Burschen in der Schule ausgestaltet wurde, wird mitunter in den folgenden Kapiteln thematisiert. Lehrpläne 1928: Allgemeiner Teil Interessante Einblicke liefern nicht nur die einzelnen nach Fächer aufgegliederten Lehrpläne für Mittel- und Hauptschule, die im Jahr 19 28 definitiv ausgearbeitet und ausgegeben wurden, sondern auch die allgemeinen Teile der Lehrpläne für Haupt-211 und Mittelschule212 1928. In Anlehnung an die im Jahr davor veröffentlichten provisorischen Lehrpläne definierte der allgemeine Teil des Lehrplans von 1928 die Aufgaben der Mittelschulen vor allem als Entwicklung der „geistigen, sittlichen und körperlichen Kräfte der ihnen anvertrauten Jugend […] in sozialem, staatsbürgerlichem, nationalem und sittlich-religiösem Geiste“213. Während im Sinne der staatsbürgerlichen Erziehung die Kinder zur Gesetzestreue und zu 207 Die Mittelschulen hatten in der ersten Klasse 30 Wochenstunden Unterricht, die Hauptschulen 29 (eine Stunde weniger Naturgeschichte: zwei statt drei). Die Stundentafel weist zwar 28 statt 30 Wochenstunde für die Mittelschule aus, allerdings nur weil der Handarbeitsunterricht gesondert angeführt wird. Hinzu kommt bei beiden Schulformen jeweils noch ein Freiluftnachmittag. Im Lehrplan für die Hauptschule wurden viele Gegenstände eingedeutscht: So heißt es „Geschichte und Erdkunde“ statt „Geschichte und Geographie“ und „Rechnen und Raumlehre“ statt „Mathematik“. 208 Durchführungsverordnung Hauptschulgesetz 1927, in: BGBl 1927, 1055. 209 Ebd., 1056. 210 Bis zur allgemeinen Koedukation von Mädchen und Burschen in der österreichischen Schule dauerte es noch einige Jahrzehnte bis in die 1970er Jahre. 211 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 1. Juni 1928, betreffend die Festsetzung der Lehrpläne für die Hauptschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 41. Stück, ausgegeben am 12. Juni 1928, 853 – 932. 212 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 1. Juni 1928, betreffend die Festsetzung der Lehrpläne für die Mittelschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 42. Stück, ausgegeben am 12. Juni 1928, 933 – 1156. 213 Lehrpläne Mittelschulen 1928, in: BGBl 1928, 934.

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„treue[n] und tüchtige[n] Bürger[n] der Republik Österreich“214 erzogen werden sollten, gingen die Ausführungen zur nationalen Erziehung und dem Gebrauch der deutschen Muttersprache in eine andere Richtung: So sollte der Einzelne „zum bewußten Gliede der Kulturgemeinschaft seines Volkes“215 ausgebildet werden. Welches Volk damit gemeint war, wird im Anschluss deutlich, denn der Unterricht sollte „die Schüler mit den großen Männern und Frauen Österreichs und des deutschen Volkes überhaupt und mit den Leistungen des deutschen Volkes […] bekannt machen“216. „Bewußtsein von der Größe und dem Wert ihres Volkes […,] nationale Gesinnung [… und] Verantwortung gegenüber dem Volksganzen“217 waren die Ziele, die der allgemeine Teil der Lehrpläne für die Mittelschulen unter dem Punkt nationale Erziehung nannte. Große Bedeutung kam auch dem „richtigen und gewandten Gebrauch [… der] deutschen Muttersprache“218 zu, die „Hand in Hand mit den ideellen Aufgaben einer wohlverstandenen nationalen Erziehung“219 ging, denn sie war „das erste und sichtbarste Kennzeichen des gebildeten Deutschen [… und] das erste und stärkste Bindemittel des großen deutschen Volkes“220 und die Aufgabe der Mittelschule war es ja, „gebildete Deutsche“221 zu erziehen. Die bereits eingangs in diesem Kapitel formulierte Feststellung, dass in den Lehrplänen eine Unterscheidung zwischen Österreich und Deutschland in Bezug auf Heimat- und Vaterland gemacht wurde, bestätigt sich auch hier: Während einerseits die Zugehörigkeit zu Österreich vor allem rechtlichem Sinn in Form der Staatsbürgerschaft betont wurde, zum Beispiel durch die eben zitierte Formulierung „treue und tüchtige Bürger der Republik Österreich“, wurden die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und zur deutschen Nation in den allgemeinen Grundsätzen der Lehrpläne deutlich stärker hervorgehoben. Die Verantwortung gegenüber dem und die Zugehörigkeit zum deutschen Volk (und Volksganzen) wurden in diesen Bestimmungen der Lehrpläne mehrfach betont, sodass kein Zweifel daran bestehen kann, dass die im allgemeinen Teil des Mittelschullehrplans formulierten Ideen und Überzeugungen der österreichischen Schülerinnen und Schüler als Bürger Österreichs und Angehörige des deutschen Volkes und (damit verbunden) der deutschen Nation als gesellschaftlich anschlussfähig galten. Insofern zeigt sich also eindrücklich, dass selbst 10 Jahre nach der Ausrufung der Republik zumindest in den Lehrplänen für die Sekundarstufe keine Hinweise auf Anstrengungen zum Aufbau einer genuin österreichischen Nationalidentität greifbar wurden. Sämtliche Aussagen, die als Teil eines nationalen Diskurses gedeutet werden können, zielen auf die österreichische Staatsbürgerschaft bei gleichzeitiger Zugehörigkeit der österreichischen Bürgerinnen und Bürger zum gesamtdeutschen Volk ab. Der allgemeine Teil des Hauptschullehrplans fiel bedeutend weniger umfangreich aus als jener im Mittelschullehrplan: Im Gegensatz zum provisorischen Hauptschullehrplan war hier jedoch sehr wohl die Rede davon, „die körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte der Schüler“222 auszubilden und „die Jugend in sozialem, staatsbürgerlichem, nationalem und

214 215 216 217 218 219 220 221 222

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 935. Ebd. Ebd.. Ebd. Lehrpläne Hauptschulen 1928, in: BGBl 1928, 854.

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sittlich-religiösem Geiste“223 zu erziehen. Ernstes „Pflichtbewußtsein, […] Hilfsbereitschaft und Opferfreude gegenüber den Mitmenschen und […] Einordnung in das Gemeinschaftsleben“224 waren hier oftmals wiederholte Schlagworte. Die einzelnen Gegenstände sollten durch die Einführung in das deutsche Schrifttum und […] die Beschäftigung mit der Geschichte des österreichischen Vaterlandes und des deutschen Volkes sowie durch das Vertrautmachen mit heimischer Sitte und heimischem Brauchtum die Liebe zu Heimat, Volk und Vaterland wecken, erhalten und festigen.225

Im Vordergrund stand jedoch die Vorbereitung der Schüler auf die „Erfordernisse des praktischen Lebens“226. Unter vier Überschriften wurden im Folgenden die Grundsätze des Hauptschulunterrichtes bestimmt: „1. Die Rücksicht auf das praktische Leben“227, „2. Die Wechselbeziehung zwischen den Lehrfächern“228, „3. Die Selbständigkeit der Schüler (Arbeitsunterricht)“229 und „4. Die Rücksicht auf die Eigenart der Schüler und auf ihre Entwicklungsstufe“230. Hinsichtlich des ersten Punkts wurde ausgeführt, dass die Schüler vor allem in Hinblick auf die Ergreifung eines praktischen Berufes auszubilden und auf diesen vorzubereiten wären. Der zweite Grundsatz betonte die Wichtigkeit der Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Gegenständen, um beispielsweise „ein lebendiges Gesamtbild des österreichischen Vaterlandes“231 zu vermitteln. Das Prinzip des Arbeitsunterrichtes bedeutete, dass die selbständige Arbeit der Schüler von großer Bedeutung für den Unterricht sei, und Rücksicht auf die Eigenart der Schüler sei vor allem im Hinblick auf die „besonderen Bildungsbedürfnisse […] der Mädchen“232 zu nehmen, die wie selbstverständlich von den Burschen getrennt und nach einem eigenen Lehrplan unterrichtet werden sollten. Daneben führte der letzte Punkt auch aus, inwiefern zwischen dem ersten und dem zweiten Klassenzug in der praktischen Unterrichtsarbeit zu differenzieren sei. Lehrpläne 1928: Gegenstandsspezifische Lehrplananalyse Im Folgenden wird genauer auf die Lehrpläne von 1927/28 in Hinblick auf spezifische Unterrichtsgegenstände eingegangen: Besonderes Augenmerk wird an dieser Stelle auf die drei Gegenstände Deutsch, Geschichte und Erdkunde (Geografie und Wirtschaftskunde) gelegt. Im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle verschiedener Gegenstände bei der Nationalisierung von Schule und Unterricht könnte der Fokus durchaus auch auf andere Fächer als die hier genannten gelegt werden.233 Ich habe mich aber für diese drei Schulfächer entschieden, denn sie weisen aufgrund ihres Inhalts Überschneidungen mit drei 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 855. Ebd., 856. Ebd. Ebd., 855. Ebd., 856. So zum Beispiel Lukas Boser für den Mathematikunterricht: Lukas Boser, Nations and Numbers: Elementary Mathematics Education as a Nationalizing Tool, in: Croatian Journal of Education - Hrvatski časopis za odgoj i obrazovanje 22 (2020), 47 – 63. An anderer Stelle verweist Boser aber darauf, dass klassischerweise Sprache, Geographie und Geschichte im Zentrum der Forschung stehen: Boser Hofmann 2016, 2-4.

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wesentlichen Aspekten von Nation und Nationalismus auf: Sprache, Geschichte und Territorium. Erstens spielte und spielt Sprache für Nationen und Nationalisten eine wichtige Rolle, weil sie eine (oftmals ethnische) Homogenität suggeriert, die den Nationalstaat als natürlich-organisch gewachsen erscheinen lässt und somit legitimiert.234 Deshalb ist das Fach Deutsch von großer Wichtigkeit im Rahmen der vorliegenden Arbeit, da sich die Bürgerinnen und Bürger Österreichs zu einem großen Teil als Deutsche fühlten und bezeichneten, wie die bisherigen Ausführungen zeigten, und die deutsche Sprache und deren Erlernen und Tradieren einen hohen Stellenwert in der schulischen Bildung besaßen, wie in diesem Unterkapitel bereits anhand der Lehrpläne von 1927/28 gezeigt wurde. Zweitens ist Geschichte235 als Unterrichtsfach (und als Forschungsgebiet) von großer Bedeutung für die Entstehung und Weitergabe einer nationalen Identität, da Nationen oftmals auf einer (meist erfundenen/imaginierten/postulierten) gemeinsamen Geschichte gründen, die als rückwirkende Legitimation der Nation betrieben und vermittelt wird.236 Österreichische Geschichte wird in den Lehrplänen des untersuchten Zeitraums vor allem dadurch konstituiert, dass sie sich auf dem Territorium des damaligen Österreichs ereignete oder unter maßgeblicher Beteiligung von Angehörigen der Familie Habsburg geschahen, die ja seit dem 13. Jahrhundert die Landesherren waren. Unter diesem Gesichtspunkt wundert es beispielsweise nicht, dass die Kriege gegen die italienische Unabhängigkeitsbewegungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Teil der österreichischen Geschichte gesehen und der Feldherr Radetzky als wichtige Symbolfigur für Österreich betrachtet wurde, obwohl die Auseinandersetzungen in einem aus der Perspektive der Zwischenkriegszeit fremden Land stattfanden. Drittens ist neben der gemeinsamen Sprache und Geschichte das gemeinsame Territorium eine wichtige Komponente vieler nationalen Ideologien und ein wichtiger Baustein einer gemeinsamen nationalen Identität. Das Wissen um und das Bewusstsein für dieses gemeinschaftliche Territorium erzeugt und vermittelt zu einem bedeutenden Teil der Geografie-Unterricht in der Schule, der die Heranwachsenden nicht bloß mit der Beschaffenheit der Erde vertraut macht, sondern diese auch unterteilt in ‚uns‘ und ‚die anderen‘, ‚unser Land‘ und ‚die anderen Länder‘, wobei der exklusive Charakter deutlich wird, denn so wird vermittelt, wer überhaupt ‚zu uns‘ gehört.237 Bereits anhand der Volksschullehrpläne wurde deutlich, dass von frühester Kindheit die eigene Lebenswelt im Zentrum des Unterrichts stand, während ferner gelegene Gebiete weniger beachtet wurden. Im Zuge der eingehenden Analyse werde ich jenen Abschnitten und Formulierungen der fächerspezifischen Lehrpläne besondere Beachtung schenken, die Aussagen über staatliche oder nationale Zugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler beinhalten. Ziel ist es dabei nicht, nach eigenem Gutdünken Phrasen oder Begriffe aus dem Zusammenhang zu reißen und in einen genehmen Kontext zu stellen, sondern vielmehr sollen jene Überzeugungen und Ideologien aufgezeigt werden, die den Aussagen implizit zugrunde liegen. Dazu bedarf es der genauen Analyse und Kontextualisierung des vorliegenden Materials und einer Ein-

234 235 236 237

Özkırımlı 2010, 23 – 25. Die von der Vergangenheit unbedingt unterschieden werden muss! Özkırımlı 2010, 2 – 3. Dragica Koljanin/Biljana Šimunović-Bešlin/Paulina Čović, The role of history and geography teaching in the building of national identity in interwar Vojvodina, in: European Review of History: Revue européenne d’histoire 27 (2020) 6, 785 – 808.

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ordnung desselben in den gesellschaftlichen und historischen Kontext, um nachvollziehbar zu machen, welche Ideologie einem konkreten Sprechakt zugrunde liegt. Der Hauptschullehrplan von 1928 Die allgemeinen Teile der Lehrpläne wurden bereits weiter oben in diesem Kapitel behandelt und analysiert, an dieser Stelle werde ich auf die Lehrpläne für einzelne Fächer eingehen. Als Besonderheit der Hauptschule und ihres Lehrplans ist zu beachten, dass innerhalb der Hauptschule in mehrfacher Hinsicht differenziert wurde: erstens in Hinblick auf das Geschlecht, denn Burschen und Mädchen wurden räumlich getrennt unterrichtet und erhielten auch jeweils eigene Lehrpläne für Knaben- beziehungsweise Mädchenhauptschulen. Zweitens wurde innerhalb der Klassen wiederum in einen ersten und einen zweiten Klassenzug geteilt, wobei der erste Zug die leistungsfähigeren Schülerinnen und Schüler, der zweite hingegen die schwächeren umfasste. Da sich die Lehrpläne des ersten und zweiten Klassenzuges jedoch nur marginal voneinander unterschieden, wobei für den zweiten Zug vor allem die Anforderungen niedriger waren, und auch zwischen Mädchen- und Knabenhauptschule (vor allem in den untersuchten Gegenständen) nur wenig Unterschied bestand, werden die Unterscheidungen nur dort thematisiert, wo sie deutlich ausgeprägt sind. Anzumerken ist noch, dass die erste Klasse der Hauptschule an die vierte Klasse der Volksschule anschloss, also mit der fünften Schulstufe gleichzusetzen ist, die zweite Klasse mit der sechsten Schulstufe und entsprechend weiter. Das Lehrziel des Gegenstandes ‚Deutsche Sprache‘ bestand laut Lehrplan darin, die „Liebe zur deutschen Sprache und zum deutschen Schrifttum“238 zu erwecken. Der Lehrstoff wurde im Lehrplan klassenweise untergliedert und jeweils in folgende Teilbereiche eingeteilt: ‚Sprachpflege (Sprechen und Schreiben)‘, ‚Schrifttum und Lesen‘, ‚Stilkunde und Denkübungen‘, ‚Sprachlehre‘ und zum Schluss ‚Rechtschreiben‘. Im Rahmen der ‚Sprachpflege‘ sollten vor allem „richtige Lautbildung und mundartfreie Sprache“239 geübt werden, in ‚Sprachlehre‘ und ‚Rechtschreiben‘ die Grundzüge von Satzbau und Orthografie. Unter dem Punkt ‚Schrifttum und Lesen‘ finden sich einige Formulierungen, die im Anschluss näher betrachtet werden: So stand nicht nur die „Pflege des lautrichtigen, sinngemäßen und ausdrucksvollen Lesens“240 für die erste und zweite Klasse im Lehrplan, sondern auch „Erzählungen aus dem Menschenleben und dem Volksleben der Heimat“241 waren ein wichtiger Bestandteil des Deutschlehrplans. Auch in der dritten Klasse sollte noch eine „Bevorzugung von Stoffen aus der Heimat“242 stattfinden, jedoch auch Stoffe „aus dem übrigen deutschen Sprachgebiet“243 und „bedeutende heimische Dichter und Schriftsteller“244 sollten behandelt werden. In der vierten Klasse waren nicht nur Werke „aus dem Arbeits- und Berufsleben […] und einfache dramatische Werke aus dem neueren deutschen Schrifttum“245 zu lesen, sondern auch „die bedeutendsten Entwicklungsabschnitte des deutschen Schrifttums mit besonderer Rücksicht auf Österreich“246 zu behandeln. 238 239 240 241 242 243 244 245 246

Lehrpläne Hauptschulen 1928, in: BGBl 1928, 861. Ebd., 862. Ebd. Ebd. Ebd., 863. Ebd. Ebd. Ebd., 864. Ebd.

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Das Lehrziel der Geschichte bestand in einem Gesamtüberblick und dem Verständnis für die Geschichte „mit besonderer Rücksicht auf die Geschichte der Heimat und des deutschen Volkes“247 sowie der „Weckung der Ehrfurcht vor großen Menschen und Taten und der Liebe zu Volk und Vaterland.“248 In weiterer Folge blieb der Lehrplan aber erstaunlich unpräzise und legte lediglich die zu behandelnden Zeitspannen grob umrissen fest. Nur die Ausführungen zur vierten Klasse waren insofern etwas ausführlicher, wie der Lehrplan bestimmte, dass in der vierten Klasse auch Bürgerkunde gelehrt werden sollte. Diese hatte die Aufgabe, die Kinder mit den „Einrichtungen unseres öffentlichen Lebens“249 vertraut zu machen und diese „an der Hand der österreichischen Verfassung“250zu erläutern. Als Lehrziel der Geografie galt die „Kenntnis Österreichs und der übrigen deutschen [!] Siedlungsgebiete in Europa“251. Dabei folgte der Lehrplan dem üblichen Schema und ging vom Bekannten zum Unbekannten, vom Nahen zum Fernen. So standen in der ersten Klasse die „Behandlung des Heimatlandes [damit ist das eigene Bundesland gemeint, nicht Österreich insgesamt; Anm.] und [ein] Überblick über die Republik Österreich“252 im Lehrplan. In der dritten Klasse stand „Länder- und Völkerkunde Europas“253 auf dem Plan, „jedoch mit Ausnahme von Österreich und dem Deutschen Reich“254, denn in der vierten Klasse waren die genauere „Länderkunde Österreichs und des Deutschen Reiches mit besonderer Berücksichtigung des Wirtschaftslebens“255 und das „Auslandsdeutschtum“256 zu behandeln. Dabei war „die Stellung Österreichs und des Deutschen Reiches im Weltverkehr und in der Weltwirtschaft“257 zu erläutern. Es ist bemerkenswert, dass bis zur dritten Klasse die Länder außerhalb Europas und der eigenen Heimat behandelt wurden, während die vierte Klasse für die Behandlung der eigenen Heimat reserviert war258 und dabei neben Österreich auch noch das Deutsche Reich behandelt werden sollte. Damit trat es gleichberechtigt neben Österreich. Hinzu kam noch das Auslandsdeutschtum, wodurch deutlich wird, dass das Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland und die Frage des Deutschtums einen prominenten Platz im Lehrplan der Hauptschule einnahmen. Der Lehrplan der Mädchenhauptschule unterschied sich vom Lehrplan für Knaben vor allem durch eine andere Verteilung der Stunden auf die einzelnen Gegenstände: Über alle vier Schulstufen der Hauptschule gerechnet hatten Mädchen neun Stunden Naturgeschichte, während die Burschen acht Wochenstunden hatten, sieben statt acht Stunden Naturlehre, nur siebzehn Stunden Mathematik statt zwanzig, acht statt neun Stunden Freihandzeichnen 247 248 249 250 251 252 253 254 255 256 257 258

Ebd., 865. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 866. Ebd., 866. Ebd., 867. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Diese Gliederung des Stoffes für Erdkunde/Geografie ist auch heute noch in Teilen erhalten. So ist in der dritten Klasse der AHS-Unterstufe der „Lebensraum Österreich“ ein Großthema: Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 14. November 1984 über die Lehrpläne der allgemeinbildenden höheren Schulen; Bekanntmachung der Lehrpläne für den Religionsunterricht an diesen Schulen, online unter: https://www.ris. bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008568 [zuletzt abgerufen am 31.01.2024].

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und zehn statt zwölf Stunden körperliche Übungen, dafür aber vierzehn statt acht Stunden Handarbeit.259 Außerdem standen den Burschen als unverbindliche Übungen Geigenspiel, Klavierspiel, Kurzschrift und Maschinenschreiben offen, den Mädchen zusätzlich noch Hauswirtschaft. An dieser Stelle zeigt sich, dass vorherrschende Geschlechterrollen eindeutig anhand der Verteilung von Stunden für die verschiedenen Gegenstände in den Lehrplänen abgebildet wurden: Mädchen sollten weniger rechnen und sich sportlich betätigen, dafür aber gut im Handarbeiten sein und sich im Gegenstand Hauswirtschaft auf ihr Leben als Hausfrauen und Mütter vorbereiten. Der Mittelschullehrplan von 1928 Wie bereits weiter oben ausgeführt wurde, gab es verschiedene Schultypen, die als Mittelschulen bezeichnet wurden. Im Wesentlichen lassen sich diese Schultypen ab 1928 aber in zwei Kategorien einteilen: Die Frauenoberschule einerseits und andererseits das Gymnasium in verschiedenen Subtypen. Zu den Varianten des Gymnasiums zählten das Realgymnasium und – bereits mit weniger Gemeinsamkeiten im Lehrplan – die Realschule. Gymnasium, Realgymnasium und Realschule konnten prinzipiell unabhängig vom Geschlecht besucht werden, während die Frauenoberschule ausschließlich Mädchen vorbehalten war. Dem Frauenbild entsprechend fanden sich daher im Gegensatz zum (Real)-Gymnasium und der Realschule Gegenstände wie ‚Kinderpflege und Fürsorge‘ oder ‚Kochen und Hauswirtschaftskunde‘ auf der Stundentafel der Frauenoberschule.260 Im Vergleich aller Mittelschultypen hatte die Frauenoberschule über acht Schuljahre gerechnet die höchste Stundenanzahl, nämlich 250 Wochenstunden, während Gymnasium, Realgymnasium (alle drei Formen) und Realschule auf jeweils 246 Stunden kamen. Ansonsten sind die Lehrpläne aller Mittelschultypen beinahe identisch, lediglich dem Gedanken der ‚Verschiedenheit der Geschlechter‘ wird durch die Differenzierung in Inhalte für Burschen und Mädchen Rechnung getragen. Auch hier wird besonderes Augenmerk auf drei Gegenstände gelegt: Deutsch, Geschichte und Geografie (in der Hauptschule hieß der Gegenstand Naturkunde). Alle Gegenstände wurden im Lehrplan gesondert nach Unter- und Oberstufe behandelt. Das Lehrziel im Gegenstand ‚Deutsche Sprache‘ bestand in der Unterstufe neben dem Ausbau der grundlegenden Fertigkeiten Lesen, Sprechen und Schreiben in der „Kenntnis der Grundzüge der deutschen Sprachlehre“261 einerseits und der „Liebe zur deutschen Sprache und zum deutschen Schrifttum“262 andererseits. Das Lesen sollte vor allem anhand des Lesebuches erfolgen, daneben fanden sich nur wenige konkrete Vorgaben zur Lektüre. Explizit genannt wurden „deutsche Götter- und Heldensagen“263 sowie Erzählungen aus „dem Volksleben der Heimat“264. Für die dritte Klasse wurde angeführt, es sollten Stoffe „aus der Heimat und aus dem übrigen deutschen Sprachgebiet“265 bevorzugt werden. In der Oberstufe traten noch weitere Lehrziele hinzu, nämlich ein „Überblick über den Entwicklungsgang des deutschen Schrifttums auf [sic!] dem Hintergrunde der deutschen und allgemeineuropäischen Geistesgeschichte“266, die „Erziehung zur Gewissenhaftigkeit und inneren Wahrhaftigkeit im 259 260 261 262 263 264 265 266

Lehrpläne Hauptschulen 1928, in: BGBl 1928, 858, 897. Lehrpläne Mittelschulen 1928, in: BGBl 1928, 1156. Ebd., 949. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 950. Ebd.

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Denken, Reden und Schreiben“267 sowie die „Erkenntnis der innigen Verbundenheit des einzelnen mit der Gemeinschaft des Volkes und der Mitverantwortlichkeit für die wertvolle Gestaltung seiner Kultur.“268 Dabei sollte insbesondere die „Bedeutung der lebendigen Gemeinsprache […] für die Gesamtheit der Nation“269 Thema des Unterrichts sein. An Lesestoffen wurden das Nibelungenlied, die Gedichte Walthers von der Vogelweide270, Volksbücher und Volkslieder, Schrifttum des 19. und 20. Jahrhunderts, der Romantik, des Realismus und das Naturalismus genannt. Namentlich explizit genannt wurden außerdem noch Klopstock, Wieland, Lessing, Goethe, Schiller und Shakespeare. Ansonsten wurde auf das Lesebuch verwiesen, ‚österreichische‘ Autoren innerhalb der Gemeinschaft der deutschsprachigen Autoren wurden hingegen nicht genannt: Die in späteren Jahren oftgenannten Autoren wie Franz Grillparzer wurden hier noch nicht explizit hervorgehoben. Der Unterricht in Geschichte sollte in der Unterstufe ein grundlegendes Interesse für geschichtliche Ereignisse mit „besonderer Rücksicht auf die Geschichte der Heimat und des deutschen Volkes“271 wecken. Auszugehen war dabei von der Umwelt der Schüler. Der Lehrstoff für die erste bis dritte Klasse wurde nur kursorisch anhand von Eckdaten näher spezifiziert, lediglich zur vierten Klasse gab es genauere Ausführungen: So war in dieser einerseits der Zeitraum vom Wiener Kongress bis zur Gegenwart zu behandeln, andererseits sollten die Schüler unter dem Aspekt der Bürgerkunde mit den „Einrichtungen unseres öffentlichen Lebens […] an der Hand [sic!] der österreichischen Verfassung“272 vertraut gemacht werden. In der Oberstufe war hingegen schon die Hervorhebung „der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Volkes und Österreichs“273 geboten, wobei die Schüler auch zu „verständnisvoller Anteilnahme am öffentlichen Leben und an den Schicksalen der Volksgemeinschaft“274 zu erziehen waren. Folglich wurde der Stoff wieder klassenweise anhand von Eckdaten angeführt, wobei wiederum die letzte Klasse etwas ausführlicher erläutert wurde. So seien die geschichtlichen Längsschnitte „vornehmlich aus der deutschen Geschichte“275 vorzunehmen und in Bürgerkunde die „Gliederung des Volkes nach Ständen und Berufen“276 zu erläutern. Außerdem sollten Verfassung und Verwaltung der Republik Österreich und des Deutschen Reiches Gegenstand des Unterrichts sein. Das Lehrziel in Geografie war die „Kenntnis Österreichs und der übrigen deutschen Siedlungsgebiete in Europa“277. Hierzu war die „Behandlung des Heimatlandes und [der] Überblick über die Republik Österreich“278 in der ersten Klasse anzustreben. In der vierten Klasse stand die „eingehendere Länderkunde Österreichs und des Deutschen Reiches“279 ebenso auf dem Lehrplan wie „das Auslandsdeutschtum“280 und „die Stellung Österreichs und des Deut267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277 278 279 280

Ebd. Ebd. Ebd. Geboren circa 1170, gestorben circa 1230. Bekannter Dichter des Hochmittelalters. Lehrpläne Mittelschulen 1928, in: BGBl 1928, 961. Ebd., 962. Ebd. Ebd. Ebd., 963. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 964. Ebd.

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schen Reiches im Weltverkehr und in der Weltwirtschaft.“281 Der Stoff der Oberstufe stellte im Wesentlichen eine Wiederholung des Unterstufenstoffes mit einigen Nuancierungen dar. Deutlich wird hier jedenfalls – besonders bei Betrachtung der Gegenstände Geschichte und Geografie – die angedachte starke inhaltliche Verschränkung der Gegenstände miteinander: Waren in Geschichte/Bürgerkunde Verfassung und Verwaltung Österreichs und des Deutschen Reiches zu erörtern, so war in derselben Klasse in Geografie auf die Länderkunde dieser beiden Staaten einzugehen. 2.2.4 1930/32 – Neue Lehrpläne für Volksschule und Lehrerinnen- und Lehrerbildungsanstalten. Mit den neuen Lehrplänen von 1927/28 brach die Phase der legislativen Veränderungen im österreichischen Schulwesen der Zwischenkriegszeit jedoch nicht ab: Vielmehr kann der Zeitraum von 1927 bis zum Beginn der 1930er Jahre insgesamt als innovativer Zeitraum betrachtet werden, in dem einiges an versäumten Entwicklungen nachgeholt wurde, denn 1930 folgten neue Lehrpläne für die allgemeine Volksschule und 1932 Lehrpläne für die Lehrerinnen- und Lehrerbildungsanstalten282, denen die Ausbildung der Volks- und Hauptschullehrer oblag. Der Volksschullehrplan von 1930 Die Lehrpläne für die allgemeinen Volksschulen wurden am 16. Juni 1930 vom Bundesminister für Unterricht Heinrich Srbik – Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien, entschiedener Verfechter der großdeutschen Lösung und Anhänger des Anschlusses283 – verordnet und am 28. Juni des Jahres im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.284 Der allgemein gehaltene Einleitungsteil legte die grundsätzlichen Aufgaben und Ziele des Unterrichts der allgemeinen Volksschule fest, nämlich die geistigen, sittlichen und körperlichen Kräfte [der Kinder; Anm.] auszubilden […] und sie schließlich zu sicherem Können und zum Handeln im Geiste sozialer, staatsbürgerlicher, volklicher und sittlich-religiöser Erziehung hinzuleiten, damit sie dereinst charakterfeste, tüchtige Menschen werden, die freudig ihre Pflicht erfüllen und sich […] zum Wohle von Volk und Vaterland [betätigen.]285

Durch bodenständigen Unterricht sollten von der „engeren und weiteren Heimat“286 ausgegangen und die „Pflege des heimischen Volkstums in Arbeit, Sitte und Brauch“287 sichergestellt werden. Generell wies die allgemeine Volksschule große Vielfalt in Hinsicht auf ihre organisatorische Ausgestaltung auf: Der Lehrplan nannte eine Vielzahl an Varianten der Volksschule, die vor allem mit deren Klassenanzahl zusammenhing. Allgemein war zu differenzieren einerseits zwischen Volksschulen, in denen jede Klasse einer Schulstufe entsprach (das heißt vier Klassen Unterstufe und vier Klassen Oberstufe), und andererseits jenen, in denen mehrere Schulstufen in einer Klasse zusammengefasst wurden. Die einzige allgemeinverbindliche im 281 Ebd. 282 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 7. Juli 1932, betreffend die Lehrpläne für Lehrer= und Lehrerinnenbildungsanstalten, in: BGBl für die Republik Österreich 1932, 55. Stück, ausgegeben am 22. Juli 1932, 623 – 651. 283 Meissner 2009, 355 – 356. 284 Lehrpläne Volksschulen 1930, in: BGBl 1930, 985 – 1050. 285 Ebd., 985-986. 286 Ebd., 986. 287 Ebd.

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Lehrplan enthaltene Empfehlung war jene, dass die erste Schulstufe jedenfalls in einer selbständigen Klasse geführt werden sollte.288 Aufgrund des schieren Umfanges des Volksschullehrplanes ist eine vollumfassende Analyse desselben hier nur schwer realisierbar. Stattdessen analysiere ich im Folgenden jene Passagen aus den Lehrplänen, die einerseits charakteristisch für die Gesamtaussage des Lehrplanes sind und andererseits zur weiteren Klärung der Forschungsfragen beitragen können. Sie stammen vorwiegend aus den Erläuterungen zu den Gegenständen Deutsch, Erdkunde und Geschichte, wie dies bereits bei der Analyse der Lehrpläne von Haupt- und Mittelschule von 1928 der Fall war. Grundsätzlich folgte auch der Volksschullehrplan von 1930 den Prinzipien von Bodenständigkeit und Heimatkunde, die besagten, dass der Unterricht vom Bekannten zum Unbekannten und vom Nahen zum Fernen gehen solle. Dementsprechend finden sich Schlagworte wie „heimatkundliche[r] Unterricht“289 und „Behandlung des Heimatlandes“290 an mehreren Stellen des Lehrplanes, unter anderem in jenem für Sachkunde. Dabei sollten „Überlieferungen und Denkmäler der Heimat; Heimatschutz [… und] Erziehung zur Heimatliebe, zur Pflichtwilligkeit im Dienste der Heimat und des Volkstums“291 einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Unterstufe der Volksschule leisten. In der Oberstufe (fünfte bis achte Klasse) traten noch „Kenntnis Österreichs und Deutschlands“292, die „Darbietung von Bildern aus der Geschichte der Heimat, des Vaterlandes und des deutschen Volkes“293 sowie „staatsbürgerliche Erziehung“294 hinzu. Darüber hinaus finden sich im Lehrplan verhältnismäßig wenige Verweise auf die Vermittlung einer nationalen Zugehörigkeit. Auffällig ist im Fach Erdkunde der Stoff für die sechste bis achte Schulstufe, der eine „Übersicht über die Völker und Länder Europas mit besonderer Rücksicht auf das Deutsche Reich und die anderen an Österreich grenzenden Länder“295 vorsah. Überdies ist bemerkenswert, dass von allen sieben Nachbarländern Österreichs296 nur das Deutsche Reich explizit genannt wurde. In der zweiten Folge des Unterrichts (aufgrund der Zusammenfassung oft mehrerer Jahrgänge war in sogenannten Folgen zu unterrichten, die sich wiederholten, sodass alle Kinder alle Themen hören konnten) waren „ausgehend vom Heimatland die Länder Österreichs und des Deutschen Reiches“297 sowie die „Stellung Österreichs und des Deutschen Reiches im Weltverkehr und Welthandel [und d]as Auslandsdeutschtum“298 zu behandeln. In Deutsch waren wiederum „die bedeutenden deutschen Dichter und Schriftsteller mit besonderer Rücksicht auf Österreich“299 zu behandeln. Zusammenfassend zum Lehrplan der Volksschulen von 1930 lässt sich festhalten, dass sich erstaunlich wenige Aussagen bezüglich der Vermittlung nationaler Zugehörigkeit finden 288 289 290 291 292 293 294 295 296

Ebd., 987. Ebd., 990. Ebd. Ebd. Ebd., 991. Ebd., 991. Ebd. Ebd., 999. 1930 waren das: Schweiz, Liechtenstein, Italien, Jugoslawien, Ungarn, Tschecho-Slowakei und Deutsches Reich. 297 Lehrpläne Volksschulen 1930, in: BGBl 1930, 999. 298 Ebd. 299 Ebd., 1001.

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lassen. Zum Großteil bestehen diese darin, die Heranwachsenden mit der Heimat im Sinne der engeren lebensweltlichen Umgebung und deren Geschichte vertraut zu machen. Eine national konnotierte Identitätsvermittlung fand hier nicht statt. Eher wurde im Lehrplan die enge Verbindung zwischen Österreich und dem Deutschen Reich betont, wie anhand einiger Beispiele aus den Gegenständen Sachkunde und Erdkunde gezeigt wurde. Erst in den Lehrplänen für die folgenden Schulstufen, also Haupt- und Mittelschulen, wird eine Vermittlung nationaler Elemente im Lehrplan greifbar. Damit folgt der Volksschullehrplan von 1930 in weiten Teilen dem von 1926, wo ebenfalls keine Nationalisierungstendenzen erkennbar waren. Lehrpläne für Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten 1932 Zwei Jahre nach den Volksschullehrplänen folgten Mitte 1932 neue Lehrpläne für die Anstalten der Lehrerbildung, die am 7. Juli 1932 von Bundesminister Anton Rintelen verordnet und am 22. Juli des Jahres im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurden.300 In diesen Anstalten wurden die Lehrkräfte für Volks- und Hauptschulen ausgebildet. Der Unterricht in den Lehrerbildungsanstalten erfolgte in Form eines vier- beziehungsweise fünfjährigen Lehrganges, wobei das erste Jahr auf die Vorbereitungsklasse entfiel und die restlichen vier Jahre auf die Klassen eins bis vier. Bis 1932 hatte es seit Kriegsende im Bereich der Lehrerbildungsanstalten wenig Neuerungen gegeben, wie auch anhand des Textes der Verordnung von 1932 zu sehen ist: So traten die neuen Bestimmungen an die Stelle von Gesetzen, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beschlossen wurden und seitdem die rechtliche Grundlage der Lehrerbildungsanstalten bildeten. Absatz 3 der Verordnung von 1932 nannte dabei explizit das 1886 erlassene Organisationsstatut der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten, das stufenweise bis 1936/37 außer Kraft treten sollte. Dass Regelungen im Bildungsbereich so lange Bestand haben, ist in einer Zeit, in der gefühlt im Jahrestakt eine Bildungsreform versprochen wird, zumindest auffällig. Bei der Betrachtung dieser Lehrpläne wird ähnlich vorgegangen wie bereits in den vorigen Kapiteln: Dementsprechend werden jene Passagen näher beleuchtet und analysiert, die einerseits für den zugrundeliegenden Text als typisch gelten können und andererseits für den Gang der Untersuchung nützlich sind. Zu beachten ist hierbei, dass die Lehrerbildungsanstalten einige Unterschiede zu anderen Schultypen aufwiesen. Zu diesen gehörte auch, dass es gemäß dem zukünftigen Berufsbild Lehrer/Lehrerin Gegenstände mit einer explizit pädagogischen Ausrichtung gab, wie zum Beispiel ‚Pädagogik mit praktischen Übungen‘, aber auch ‚Musiklehre und Gesang‘ oder ‚Landwirtschaftslehre‘ – diese Fächer gab es in anderen Schultypen nicht. Der Unterricht ging in vielen Bereichen über den eigentlichen fachlichen Bezug hinaus und befasste sich mit der richtigen Vermittlung desselben, die die Angehörigen der Lehrerbildungsanstalten im Rahmen von Didaktikeinheiten einüben sollten. ‚Pädagogik mit praktischen Übungen‘ wurde in der zweiten bis vierten Klasse unterrichtet und gliederte sich in Pädagogik einerseits und praktische Übungen andererseits mit jeweils eigenen Teilbereichen. Pädagogik wiederum setzte sich aus den folgenden Teilbereichen zusammen: ‚Philosophische Einführung‘, ‚Pädagogische Psychologie‘, ‚Erziehungs- und Unterrichtslehre‘, ‚Klassenkunde‘, ‚Geschichte der Erziehung‘ und ‚Schulkunde‘. Die praktischen Übungen gliederten sich in ‚Lehrbesuche‘, ‚Lehrübungen‘, ‚Lehrproben‘ und ‚Lehrbesprechungen‘. Im Gegenstand ‚Deutsche Sprache‘ sollte in den Lehrerbildungsanstalten ein „Überblick über den Werdegang der deutschen Sprache und ihres Schrifttums im Zusammenhang mit der 300 Lehrpläne für Lehrer= und Lehrerinnenbildungsanstalten 1932, in: BGBl 1932, 623 – 651.

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deutschen Geistesgeschichte“301 ebenso vermittelt werden wie die „Erkenntnis der inneren Verbundenheit des einzelnen mit der Gemeinschaft des Volkes“302. Bei der Behandlung der Literatur war eine ausreichende „Berücksichtigung der österreichischen Dichtung“303 ebenso anzustreben wie „die Pflege der Volkskunde“304. In Geografie wiederum gehörten genauere Kenntnisse „der politisch und wirtschaftlich wichtigsten Länder Europas, insbesondere Österreichs und des Deutschen Reiches“305 zu den explizit genannten Lehrzielen. Dementsprechend verwundert nicht, dass im zweiten Jahrgang eine „eingehendere Behandlung der Länder des Deutschen Reiches“306 auf dem Lehrplan stand. Dabei war laut Lehrplan durchaus eine Querverbindung zu anderen Gegenständen und deren Inhalten herzustellen, was ein Blick auf die Inhalte des Gegenstandes Geschichte und Bürgerkunde verdeutlicht: So hatte auch hier eine besondere „Berücksichtigung der Geschichte des deutschen Volkes, Österreichs und der engeren Heimat“307 zu erfolgen, wobei die Zöglinge zur Anteilnahme „an den Schicksalen der Volksgemeinschaft“308 erzogen und mit „Verfassung und Verwaltung der Republik Österreich und des Deutschen Reiches“309 bekannt gemacht werden sollten. Es ist – zumindest für einen modernen Beobachter, für den die nationalstaatliche Gliederung der Welt beinahe schon selbstverständlich ist – einigermaßen erstaunlich, dass in Ausbildung befindliche österreichische Volks- und Hauptschullehrerinnen und -lehrer nicht nur die geografischen und politischen Gegebenheiten Österreichs kennen mussten, sondern darüber hinaus im Rahmen ihrer Ausbildung auch fundierte Kenntnisse der reichsdeutschen Verhältnisse erwerben sollten, zumal das Deutsche Reich als einziges Land eine derartige Sonderstellung im österreichischen Lehrplan einnahm. Dadurch wird die prinzipielle inhaltlich und strukturell enge Verknüpfung zwischen Österreich und seinem Nachbarn Deutschland auch auf der Ebene der Lehrerinnenbildung sichtbar. Diese Kenntnisse sollten nicht zum Selbstzweck erworben werden, sondern um sie an die Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Ich möchte daher bezüglich meiner Schlussfolgerungen an das anschließen, was bereits weiter oben im Rahmen der Lehrplananalysen konstatiert wurde: Von einer eigenständigen österreichischen Identität ist in den Curricula wenig zu bemerken; vielmehr fällt die ständige Bezugnahme auf das Deutsche Reich beziehungsweise das deutsche Volk als Referenzpunkt für die in Österreich lebenden Menschen auf. 2.2.5 1933 – 1935: Neue Verfassung, neue Schule, neue Österreicher? 1933/34 – eine neue Verfassung und der Weg zur Schule nach faschistischem Vorbild? Wie bereits in Kapitel 2.1 ausgeführt wurde, waren die Jahre 1933 und 1934 entscheidend für die Geschichte der Ersten Republik: Österreich wandelte sich innerhalb von wenig mehr als einem Jahr von einer parlamentarischen Demokratie zu einem autoritären Pseudo-Ständestaat. Es begann im März 1933 mit einer Geschäftsordnungskrise des Nationalrates, worauf die gewaltsame Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie und die Errichtung ei301 302 303 304 305 306 307 308 309

Ebd., 626. Ebd., 627. Ebd., 628. Ebd. Ebd., 629. Ebd. Ebd., 630. Ebd. Ebd.

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ner autoritären Kanzlerdiktatur folgten sowie politische Repressionen seitens dieses Regimes und dadurch ausgelöste Unruhen, die im Februar 1934 im Aufstand von Teilen der sozialdemokratischen Bewegung kulminierten. Danach folgten im April/Mai 1934 die Pseudolegalisierung des Status quo durch die Einführung einer ständischen Verfassung und im Juli 1934 ein nationalsozialistischer Umsturzversuch samt Tötung des Kanzlers und Quasi-Diktators Engelbert Dollfuß. In weniger als eineinhalb Jahren hatte Österreich den Weg von einer halbwegs stabilen westlichen Demokratie, die freilich immer wieder mit offen zutage tretenden antidemokratischen Auswüchsen zu kämpfen hatte, zu einer offen autoritären Diktatur zurückgelegt. Dieser Wandel materialisierte sich auch und sogar besonders im Schul- und Bildungswesen: Er begann bereits im Herbst 1933, als sich der Bundesminister für Unterricht den Einfluss auf die Hochschulen besonders in Personalangelegenheiten per Verordnung sicherte, wodurch diese nun unmittelbar seinen Interventionen zugänglich waren.310 Der nächste Schritt erfolgte nach den Februarkämpfen von 1934 am 10. März des Jahres: Nun wurde die Aufsicht über das Lehrpersonal an den Schulen durch entsprechende Legistik engmaschiger gestaltet. Betätigte sich eine Lehrperson einer öffentlichen Schule „gegen die staatliche Ordnung oder die Unabhängigkeit des Staates“311, so drohte ihr Versetzung auf eine andere Dienststelle, […] Versetzung in den zeitlichen Ruhestand, […] Versetzung in den dauernden Ruhestand, […] Versetzung in den dauernden Ruhestand mit gemindertem Ruhegenuß und bei besonders erschwerenden Umständen […] Entlassung aus dem Schuldienste312.

Wer sich also gegen die staatliche Ordnung und damit gegen die Diktatur stellte, wurde aus dem Schuldienst entlassen und verlor in einer Zeit großer ökonomischer Not seine Verdienstmöglichkeit. Ein Verstoß gegen „die Pflicht zur sittlich-religiösen und staatstreuen Erziehung der Schuljugend“313 wiederum kam einer Verletzung der Dienstpflicht gleich, die nun von speziellen neu geschaffenen Disziplinarkommissionen zu ahnden war. Gegen den Beschluss dieser besonderen Disziplinarkommission sah das Gesetz nur die Berufung an den Bundesminister vor, sonst aber keine Rechtsmittel. Vom Zeitpunkt der Anzeige bis zur Entscheidung konnten Lehrpersonen aus dem aktiven Dienst entfernt werden, wenn die Schwere des zur Last gelegten Vergehens dies in den Augen der Bezirksschulbehörde oder der zuständigen Direktion erforderte. Zeitgleich erfolgten eine Abänderung der Lehrerdienstpragmatik314 und die Auflösung der aus den Anfangstagen der Republik stammenden Bundeserziehungsanstalt

310 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 28. September 1933, betreffend die Neufestsetzung der Lehrverpflichtung der Bundeslehrer an Hochschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1933, 137. Stück, ausgegeben am 30. September 1933, 1094 – 1095; Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 28. September 1933, betreffend Maßnahmen an Hochschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1933, 137. Stück, ausgegeben am 30. September 1933, 1095. 311 Verordnung des Bundesministers für Unterricht, wirksam für das Land Oberösterreich, betreffend die politische Betätigung der Lehrpersonen an öffentlichen Volks-, Haupt- und diesen gleichgestellten Schulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 44. Stück, ausgegeben am 10. März 1934, 315 – 316. 312 Ebd., 315. 313 Ebd. 314 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 5. März 1934, wirksam für das Land Oberösterreich, womit einzelne Bestimmungen des Gesetzes vom 30. April 1923, L. G. u. V. Bl. Nr. 67, betreffend das Dienstverhältnis von Lehrpersonen an allgemeinen öffentlichen Volks- und Bürgerschulen in Oberösterreich (Lehrerdienstpragmatik), abgeändert werden, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 44. Stück, ausgegeben am 10. März 1934, 317 – 326.

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Wiener Neustadt per 1. August 1934.315 Eine Woche später folgte die Verordnung vom 17. März 1934, die alle Lehrer in Disziplinarangelegenheiten der beim Bundeskanzleramt eingesetzten Disziplinarkommission unterstellte.316 Damit hatte der Regierungschef in Disziplinarangelegenheiten ein unmittelbares Durchgriffsrecht auf das Bundespersonal aller Schulen. Wiederum eine Woche später folgte die Verordnung zum Abbau verheirateter weiblicher Lehrpersonen, die aus Landesmitteln entlohnt wurden, sofern ihr Ehegatte über ein ausreichendes Einkommen verfügte und vom Bund, einem Bundesland, einer Gemeinde oder einer sonstigen öffentlichen Körperschaft entlohnt wurde.317 Verheiratete Lehrerinnen wurden damit de facto aus dem Lehrberuf vertrieben („Lehrerinnenzölibat“), was einen weiteren Schritt zur Homogenisierung der Lehrerschaft darstellte und Frauen aufgrund des Einkommensverlustes erheblich benachteiligte. Anfang April 1934 wurden Änderungen an den gesetzlichen Grundlagen von Haupt- und Mittelschule vorgenommen,318 die hier im Originalwortlaut wiedergegeben werden. Im Hauptschulgesetz von 1927 hieß es noch unter Paragraf 17: Die Hauptschule hat die Aufgabe, eine über das Lehrziel der allgemeinen Volksschule hinausreichende, abschließende Bildung zu gewähren und ihre Schüler für den Eintritt in das praktische Leben oder in Fachschulen vorzubereiten. Überdies soll sie fähigen Schülern nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes den Übertritt in die Mittelschule ermöglichen.319

Die Abänderung von 1934 schloss daran an und ergänzte: Als Stätte der Erziehung hat die Hauptschule im Rahmen der der Volksschule vorgezeichneten Erziehungsaufgaben eine Jugend heranzubilden, die religiös-sittlich, vaterländisch, sozial und volkstreu fühlt, denkt und handelt.320

Im neuen Gesetz findet sich also jene Formulierung der Erziehung in religiös-sittlichem, vaterländischem, sozialem und volkstreuem Geiste, die bereits in den gesetzlichen Grundlagen anderer Schulformen verwendet worden war. Der neue Paragraf 17a des Hauptschulgesetzes bestimmte darüber hinaus, dass in Mädchenhauptschulen vorwiegend weibliche Lehrkräfte 315 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 6. März 1934, betreffend die Auflassung der Bundeserziehungsanstalt in Wiener-Neustadt, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 44. Stück, ausgegeben am 10. März 1934, 326. 316 Verordnung der Bundesregierung vom 12. März 1934, mit der das Gesetz vom 28. Juli 1917, R. G. Bl. Nr. 319 (Lehrerdienstpragmatik), abgeändert wird, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 48. Stück, ausgegeben am 17. März 1934, 350. 317 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 19. März 1934, wirksam für das Burgenland, betreffend den Abbau verheirateter weiblicher, teilweise oder zur Gänze aus Landesmitteln entlohnter Lehrpersonen an den öffentlichen Unterrichtsanstalten und Kindergärten des Burgenlandes sowie andere dienstrechtliche Maßnahmen, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 52. Stück, ausgegeben am 24. März 1934, 359 – 361; Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 23. März 1934, wirksam für das Land Oberösterreich, betreffend den Abbau der verheirateten Lehrerinnen an Volks- und Hauptschulen Oberösterreichs, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 53. Stück, ausgegeben am 27. März 1934, 368. 318 Verordnung der Bundesregierung vom 23. März 1934, womit einige Bestimmungen des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R. G. Bl. Nr. 62, in der Fassung des Bundesgesetzes vom 2. August 1927, B. G. Bl. Nr. 245, abgeändert werden, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 60. Stück, ausgegeben am 4. April 1934, 387 – 388; Verordnung der Bundesregierung vom 23. März 1934, betreffend die Mittelschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 60. Stück, ausgegeben am 4. April 1934, 388 – 391. 319 Hauptschulgesetz 1927, in: BGBl. 1927, 1039. 320 Abänderung des Reichsvolksschulgesetzes 1934, in: BGBl 1934, 387.

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unterrichten sollten; Lehrkräfte also, deren Zahl durch den Abbau verheirateter Frauen eben erst erheblich gesenkt worden war. Der Paragraf 19a hatte ausgesagt, dass jeder Schüler nach vollendeter Schulpflicht in der Hauptschule ein Exemplar der Bundesverfassung erhalten sollte. Dieser Paragraf wurde gänzlich verändert und regelte nun, dass der Leiter einer Hauptschule den Titel Direktor führen solle. Auch die Mittelschulen wurden hinsichtlich ihrer Organisation verändert: So trat für Mädchen zu den Frauenoberschulen noch das Oberlyzeum als Schulform der Mittelschule. Außerdem erhielten die Zweckbestimmungen der Mittelschulen ebenso eine Erweiterung. 1927 hatte es zu den Mittelschulen noch geheißen: Als Bildungsanstalten sollen sie die geistigen, sittlichen und körperlichen Kräfte der ihnen anvertrauten Jugend entwickeln und die jungen Menschen in sozialem, staatsbürgerlichem, nationalem und sittlich-religiösem Geiste erziehen.321

Sieben Jahre später lautete die Bestimmung folgendermaßen: Die Mittelschulen sollen die sittlichen, geistigen und körperlichen Kräfte der ihnen anvertrauten Jugend entwickeln und die jungen Menschen zu sittlich-religiösem, vaterländischem und sozial-volkstreuem Fühlen, Denken und Handeln erziehen.322

Verändert wurde also die Reihenfolge der Kräfte der Jugend, die in der Schule entwickelt werden sollten, was auf eine veränderte Priorisierung hindeutet. An erster Stelle standen nun nicht mehr die geistigen Kräfte der Kinder, sondern die Ausbildung ihrer sittlichen Anlagen genoss nun oberste Priorität. Außerdem waren die jungen Menschen nun nicht mehr in einem bestimmten Geiste zu erziehen, sondern mit Hinblick auf sehr konkrete Dispositionen, denn sie sollten „sittlich-religiös“, „vaterländisch“ und „sozial-volkstreu“ fühlen, denken und handeln. Der Begriff sozial wurde nun zu sozial-volkstreu, staatsbürgerlich wurde durch vaterländisch ersetzt (was in einem gewissen Sinn wohl auch eine nationale Komponente beinhaltete, wenn berücksichtigt wird, dass bis dahin auf Deutschland als ‚Vaterland‘ verwiesen worden war) und sittlich-religiös wurde nun an den Anfang der Bestimmung gesetzt. Dass diese Wortwahl wohl überlegt und mit einer konkreten Agenda verbunden war, zeigen die Diskussionen innerhalb des Machtapparates, wie sie beispielsweise beim Ministerrat geführt wurden, wo genau solche scheinbar nebensächliche Entscheidungen diskutiert wurden.323 In diesem Gremium wurde Fragen wie der konkreten Benennung und der Reihenfolge von Unterrichtszielen einige Aufmerksamkeit geschenkt; auch wurde diskutiert, welche Implikationen mit Begriffen wie national oder volkstreu verbunden sein könnten. Wie Claudia Tancsits anhand der Ministerratsprotokolle nachzeichnete, wurde anlässlich der oben beschriebenen Neuerungen im Frühjahr 1934 sehr heftig diskutiert, welche Auswirkungen Formulierungen wie ‚volkstreu‘, ‚vaterländisch‘ oder ‚national‘ haben könnten.324 Dabei wurde die Ambivalenz und Uneindeutigkeit der österreichischen nationalen Identität selbst unter Spitzenvertretern des Staates greifbar. Schließlich wollte die politische Spitze der Dollfuß-Diktator nicht am Ende noch versehentlich Nationalsozialisten oder Sozialisten ermutigen.

321 Mittelschulgesetz 1927, in: BGBl 1927, 1037. 322 Verordnung Mittelschulen 1934, in: BGBl 1934, 388. 323 Claudia Tancsits, Manifestationen des Österreichbewußtseins im Schulwesen der Zwischenkriegszeit mit besonderer Berücksichtigung der Zeit von 1933 bis 1938, Dissertation, Wien 2002, 109 – 117. 324 Ebd., 111 – 113.

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Vorläufige Lehrpläne für Haupt- und Mittelschule 1934 Im Mai 1934 folgten vorläufige Lehrpläne für die ersten Klassen der Haupt- und Mittelschulen.325 In den Hauptschulen änderte sich an der Stundentafel insgesamt wenig: Die Knaben hatten jeweils eine Stunde weniger Gesang und Freihandzeichnen als im alten Lehrplan, dafür jeweils eine Stunde mehr Rechnen und Raumlehre und Naturgeschichte/Naturlehre als zuvor. Bei den Mädchen verhielt es sich ähnlich: So gab es jeweils eine Stunde weniger Gesang und Handarbeit, dafür jeweils eine Stunde mehr Rechnen und Raumlehre und Naturgeschichte/Naturlehre pro Woche. Insgesamt waren das also keine großen Veränderungen, sondern kleinere Korrekturen. In der Hauptschule sollte in Deutsch weiterhin hauptsächlich anhand des Lesebuches gearbeitet werden, und „deutsche Götter- und Heldensagen“326 sowie Erzählungen „besonders aus dem österreichischen Volksleben“327 bildeten das Grundgerüst des Leseunterrichtes. In Geschichte und Erdkunde gab es bei dieser Gelegenheit jedoch einige Änderungen: So waren nun „Bilder aus der Geschichte der Heimat und des Vaterlandes darzubieten“328, was mit Namen wie Andreas Hofer und Feldmarschall Radetzky untermauert wurde. In Erdkunde standen jetzt die „Behandlung des Heimatlandes und [der] Überblick über den Bundesstaat Österreich“329 im Vordergrund. Das ist ein bemerkenswert großer Umbruch innerhalb kurzer Zeit, wenn man bedenkt, dass der Innovationsdrang in den 1920er Jahren in der österreichischen Schulgesetzgebung eher überschaubar gewesen war. Es überrascht wenig, dass besonders im Geschichtsunterricht zur Vermittlung eines zur nunmehrigen Staatsideologie passenden Österreichbildes auf jene Persönlichkeiten zurückgegriffen wurde, die bereits in den Jahren und Jahrzehnten davor als prominente Figuren der österreichischen Monarchie gegolten hatten (so galt Feldmarschall Radetzky als der österreichische Feldherr schlechthin). Der bis dahin oft anzutreffende Verweis auf die Behandlung der jeweiligen Gegebenheiten im Deutschen Reich entfiel nun einfach. Angesichts der offen zu Tage tretenden Differenzen der österreichischen politischen Spitze mit der reichsdeutschen nationalsozialistischen Staatsführung ist dies jedoch wenig überraschend. Auch bei der Stundentafel des Gymnasiums gab es Anpassungen: Latein setzte nun bereits in der ersten Klasse mit sechs Stunden ein, wofür unter anderem bei Deutsch und Zeichnen Stunden eingespart wurden. Dennoch sank die Wochenstundenzahl der ersten Klasse von 30 laut dem Lehrplan von 1928 auf 29 Stunden nach dem Lehrplan von 1934. In Deutsch sollten wiederum wie in der Hauptschule „deutsche Götter- und Heldensagen“330 durchgenommen werden, jedoch auch Erzählungen „besonders aus dem österreichischen Volksleben“331. 325 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 18. Mai 1934, betreffend den vorläufigen Lehrplan für die erste Klasse der Hauptschule, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1934, 16. Stück, ausgegeben am 28. Mai 1934, 95 – 97; Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 18. Mai 1934, betreffend den vorläufigen Lehrplan für die erste Klasse der österreichischen Mittelschulen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1934, 16. Stück, ausgegeben am 28. Mai 1934, 98 – 100. Achtung: Mit der neuen Verfassung vom 1. Mai 1934 begann die Zählung der Gesetze, Verordnungen und Bundesgesetzblätter für 1934 von Neuem, weshalb einige Nummern des Bundesgesetzblattes für 1934 scheinbar doppelt existieren. Der Unterschied ist anhand der Benennung erkennbar: Vor dem 1. Mai hieß es Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, ab 1. Mai Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich. 326 Lehrplan Hauptschule 1934, in: BGBl 1934, 96. 327 Ebd. 328 Ebd. 329 Ebd. 330 Lehrplan Mittelschulen 1934, in: BGBl 1934, 98. 331 Ebd.

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Auch in den Mittelschulen waren in Geschichte „Bilder aus der Geschichte der Heimat und des Vaterlandes darzubieten“332, wobei wiederum Namen wie Andres Hofer, Feldmarschall Radetzky und Herzog Leopold V. (letzterer in Klammern mit dem Zusatz „rot-weiß-rot“333 in Anspielung auf die Entstehung des österreichischen Bundeswappens334) vorkommen. In Geschichte und Geografie standen nun die „Behandlung des Heimatlandes und [ein] Überblick über den Bundesstaat Österreich“335 auf dem Lehrplan. Wenig später wurde ähnliches für die Abschlussklassen der Volksschule verordnet, wobei es auch hier nur zu leichten Änderungen kam.336 In großen Teilen war dieser Lehrplan sogar wortident mit jenem für die Hauptschule. 1935 kamen noch einige neue Bestimmungen hinzu, die in ihrer Gesamtheit charakteristisch für die Neugestaltungstendenzen der Kanzlerdiktatur Schuschniggs waren: So wurde mittels Bundesgesetz beschlossen, die Bundeserziehungsanstalt Graz-Liebenau in eine Militärmittelschule umzuwandeln, die der Vorbereitung auf die Theresianische Militärakademie diente, die den Offiziersnachwuchs des Bundesheeres ausbildete.337 Der Lehrplan entsprach dem einer üblichen Mittelschule und wurde zusätzlich um militärische Fächer erweitert. Außerdem sollte die Schule spätestens am Ende des Schuljahres 1937/38 vom Bundesministerium für Landesverteidigung übernommen und damit zu einer militärischen Dienststelle werden. Zur gleichen Zeit wurde im Juni 1935 die Bestimmung eingeführt, dass für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst für alle männlichen österreichischen Staatsbürger eine vorangehende militärische Ausbildung in der „bewaffneten Macht“ Voraussetzung sein würde. 338 Damit wurde für Bundesbedienstete – und jene, die es werden wollten – de facto eine Wehrpflicht durch die Hintertür eingeführt, die laut den Bestimmungen des Friedensvertrages von Saint-Germain eigentlich verboten war.339 Die Universität Wien und der ‚Austrofaschismus‘340 Blickt man über den Tellerrand der Schule hinaus, so fällt der Blick unweigerlich auf die größte Bildungseinrichtung des Landes, an der auch Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet wurden: Die Universität Wien. Während der Ersten Republik waren die österreichischen Hochschulen noch keine unabhängigen Körperschaften mit weitgehender Autonomie gewesen, sondern dem Ministerium für Unterrichtswesen unterstellt, welches auch die Kontrolle über das staatliche Schulwesen ausübte. In weiterer Folge waren die Hochschulen in ähnlichem Ausmaß 332 Ebd. 333 Ebd., 99. 334 Einer populären Legende zufolge entstand das österreichische Wappen mit drei waagrechten Streifen in RotWeiß-Rot während eines Kreuzzuges, als Leopold V. nach einer Schlacht einen Teil seiner Kleidung abgelegt habe und darunter das Weiß seiner Kutte zum Vorschein gekommen sei und mit den von Blut durchtränkten oberen und unteren Teilen der Kleidung das berühmte rot-weiß-rote Banner gebildet haben soll. 335 Lehrplan Mittelschulen 1934, in: BGBl 1934, 99. 336 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 18. Juni 1934, betreffend den vorläufigen Lehrplan für die Abschlußklasse an der Volksschule im Schuljahr 1934/35, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1934, 33. Stück, ausgegeben am 27. Juni 1934, 178 – 182. 337 Bundesgesetz, betreffend die Umwandlung der Bundeserziehungsanstalt in Liebenau bei Graz in eine Militärmittelschule, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 65. Stück, ausgegeben am 18. Juni 1935, 871 – 872. 338 Bundesgesetz über das Erfordernis einer militärischen Ausbildung für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 65. Stück, ausgegeben am 18. Juni 1935, 872 – 873. 339 Helmut Wohnout, Das autoritäre Österreich 1933/34-1938, in: Stefan Karner (Hg.), Die umkämpfte Republik. Österreich von 1918-1938, Innsbruck – Wien – Bozen 2017, 49 – 64, 54. 340 Zur Universität Wien im Austrofaschismus erschien unlängst eine umfassende Monografie von Linda Erker: Erker 2021.

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wie die Schule Ziel politischer Interventionen, was sich besonders stark nach dem Ende der parlamentarischen Demokratie im Frühjahr 1933 zeigte. Viele maßgebliche Universitätsangehörige waren damals einer konservativen Denkrichtung verhaftet, oftmals getragen von stark antisemitischem und später nationalsozialistischem Geist, wie Klaus Taschwer in seiner als Standardwerk zu bezeichnenden Untersuchung zu antisemitischen Netzwerken in der Zwischenkriegszeit zeigen konnte.341 Ein Paradebeispiel für die Einmischung der austrofaschistischen Politik in das Bildungswesen ist der umfassende Stellenabbau, der zwischen 1934 und 1938 noch vor dem Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland an der Universität Wien vorgenommen wurde: 342 Diese verfügte per 1. November 1932 über 183 Professuren (davon 107 ordentliche und 79 außerordentliche), per Ende 1933 über 162 Professuren (99 zu 63), 1934 über 137 Professuren (87 zu 50) und Ende 1937 noch über 138 Professuren (davon 92 Ordinariate und 46 Extraordinariate). Das entspricht einem Rückgang von beinahe einem Viertel im Zeitraum von 1932 bis 1937. Während des nationalsozialistischen Regimes verringerte sich die Anzahl der Professuren an der Universität Wien ‚nur‘ um circa 10%, wenn man den Stand von 1944 mit jenem von 1937 vergleicht, nämlich auf insgesamt 124 (davon 92 ordentliche und 32 außerordentliche Professuren), wobei in dieser Zeit vor allem jüdische Wissenschafterinnen und Wissenschafter die Universität aufgrund der rassistischen Politik des NS-Staates verlassen mussten, während es sich 1932 bis 1937 vorwiegend um Einsparungen handelte, in deren Zuge oftmals politisch unliebsame Professoren in den Ruhestand geschickt wurden. Doch auch der selbsternannte Ständestaat ging mit missliebigen Universitätslehrern nicht zimperlich um: Allein 1934 erfolgten 13 politisch motivierte Pensionierungen an österreichischen Hochschulen. Zehn der Zwangspensionierten hatten eine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus, zwei waren Liberale und einer Sozialdemokrat.343 Auch als es nach dem Zweiten Weltkrieg Bemühungen gab, emigrierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter wieder zurück an die Universität Wien zu holen – wohlgemerkt aus pragmatischen Gründen, weil der Lehrkörper aufgrund der Entnazifizierung so stark dezimiert worden war, dass der Universitätsbetrieb dadurch stark eingeschränkt war – wurde nur jenen ein Angebot gemacht, die 1938 oder danach vertrieben wurden. Die Opfer der Kanzlerdiktatur wurden dabei nicht berücksichtigt.344 Dies wohl auch deshalb, weil die Täter im Gegensatz zu den Protagonisten des nationalsozialistischen Regimes 1945 wieder zurückgekehrt waren. Interessant ist jedenfalls, wie eng die organisatorische Verbindung von Universität und Schule nicht nur zu dieser Zeit war, sondern welche Kontinuitäten auch noch heute zwischen diesen beiden Institutionen bestehen. Wie Linda Erker in ihrer rezenten Untersuchung zur Universität Wien von 1933 bis 1938 festhält, wurde die Zeit von 1933 bis zum Anschluss an das nationalsozialistische Deutsche Reich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Forschung eher 341 Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015; Klaus Taschwer, Geheimsache Bärenhöhle. Wie eine antisemitische Professorenclique nach 1918 an der Universität Wien jüdische Forscherinnen und Forscher vertrieb, in: Regina Fritz/Grzegorz RossolińskiLiebe/Jana Starek (Hg.), Alma mater antisemitica. Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939 = Alma mater antisemitica; academic milieu, jews and antisemitism at European universities between 1918 and 1939 (Beiträge zur Holocaustforschung des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien (VWI) Band 3), Wien 2016, 221 – 242. Besonders traf die Zuschreibung zum deutschnationalen Milieu auf die Geschichtswissenschaft zu, die in Österreich auch nach 1918 dem großdeutschen Geschichtsbild verhaftet blieb: Meissner 2009, 355 – 357. 342 Taschwer 2015, 10, 178 – 180. 343 Ebd., 180 – 181. 344 Ebd., 249.

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stiefmütterlich behandelt.345 Dem Nationalsozialismus wurde dabei weit mehr Aufmerksamkeit zuteil als der Kanzlerdiktatur, sodass viele Themen noch der genaueren Bearbeitung harrten. 1935 – neue Lehrpläne für die Schule der Kanzlerdiktatur: „Neue Österreicher“346? Einen weiteren Schub an Veränderungen im Schulbereich gab es ab 1935, als sich das autoritäre System bereits politisch etabliert hatte. Da es keine demokratischen Instanzen mehr gab, die diese Bezeichnung auch tatsächlich verdient hätten, waren die eingeführten Änderungen weniger Ausdruck einer allgemeinen Willensbildung als Forderungen und Grundsätze, die vom herrschenden System diktiert wurden. Wie Tamara Ehs in ihren Aufsätze zu den studentischen Lagern der Jahre 1936 und 1937, mit denen das autoritäre System seine ideologischen Grundlagen im Rahmen sogenannter Hochschulerziehung verbreiten wollte, aufzeigen konnte, wollte das quasifaschistische Regime ab 1935/36 den Begriff und eine Interpretation des sogenannten ‚österreichischen Menschen‘ beziehungsweise des ‚neuen Österreichers‘ etablieren.347 Was hier in einem erzieherischen Zusammenhang und verknüpft mit einem erzieherischen Anspruch postuliert wurde, war aber meiner Meinung nach nicht der ‚neue Österreicher‘, sondern überhaupt erst ein Österreicher, der sich – so wurde es von Seiten der Kanzlerdiktatur offensiv nach außen vertreten – in verschiedenen Hinsichten vom Idealbild des Deutschen unterschied, dabei aber – und das ist wohl einer der Gründe dafür, dass diese Ideologie nie nachhaltig Anklang fand – dennoch auf eine merkwürdig unbestimmte Weise deutsch war. Ein genauer Blick auf die 1935 neu formulierten und veröffentlichten Lehrpläne und einige verwendete Schulbücher legt exakt diesen Schluss nahe, wie die folgenden Unterkapitel zeigen. Hauptschullehrplan 1935 Als erster Lehrplan der Rundumerneuerung von 1935 wurde am 21. Juni des Jahres der Lehrplan für die Hauptschulen veröffentlicht.348 Vieles wurde von den bereits existierenden Lehrplänen von 1927/28 übernommen, in das neue Curriculum integriert und teilweise umgestaltet. So war auch hier die Rede von der Jugend, „die religiös-sittlich, vaterländisch, sozial und volkstreu fühlt, denkt und handelt.“349 Besonders akzentuiert wurde die Rolle der Religion als feste Grundlage „sittlicher Lebensgestaltung“350. Daneben gehörte zu den Bildungsgütern der Hauptschule: die Einführung in das bodenständige Schrifttum, […] die Beschäftigung mit der Geschichte des österreichischen Vaterlandes und durch das Vertrautmachen mit heimischer Sitte und heimischem Brauchtum die [Weckung der] Liebe zu Heimat, Vaterland und österreichischem Volkstum[.]351

345 Erker 2021. 346 Tamara Ehs, Neue Österreicher. Die austrofaschistischen Hochschullager der Jahre 1936 und 1937, in: Christoph Jahr/Jens Thiel (Hg.), Lager vor Auschwitz. Gewalt und Integration im 20. Jahrhundert, Berlin 2013, 250 – 267; Tamara Ehs, Der „neue österreichische Mensch“. Erziehungsziele und studentische Lager in der Ära Schuschnigg 1934 bis 1938, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 62 (2014) 3, 377 – 396. 347 Ehs 2014, 377 – 378. 348 Verordnung des mit der Leitung des Bundesministeriums für Unterricht betrauten Bundeskanzlers, betreffend die Festsetzung des Lehrplanes für die Hauptschulen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 66. Stück, ausgegeben am 21. Juni 1935, 877 – 920. 349 Ebd, 878. 350 Ebd. 351 Ebd.

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Eine volkstreue Erziehung sollte durch die Behandlung des „Anteil[s] Österreichs an der Geschichte und an der Kultur des deutschen Volkes“352 erfolgen. Wie bereits in den vorhergehenden Lehrplänen sollte darüber hinaus nach den Grundsätzen des Nutzens für das praktische Leben und die Berufsorientierung, der Wechselwirkung zwischen den Gegenständen (um „ein lebendiges Gesamtbild des österreichischen Vaterlandes“353 zu gewinnen), der „Selbsttätigkeit der Schüler“354 und der „Rücksicht auf die Eigenart der Schüler und auf ihre Entwicklungsstufe“355 unterrichtet werden. Im Folgenden wird wieder anhand der bewährten Trias der drei Gegenstände Deutsch, Geschichte und Geografie/Erdkunde aufgezeigt, welche Veränderungen dieser neue Lehrplan brachte und welche Überzeugungen hinter diesen Änderungen standen: Das Lehrziel des Deutschunterrichts war die „Weckung […] der Liebe zur deutschen Sprache und zum deutschen, besonders zum österreichischen Schrifttum“356. Mit dem Lesebuch als Grundlage sollten in der ersten Klasse „insbesondere österreichische Volkssagen“357 sowie Erzählungen „besonders aus dem österreichischen Volksleben, Landschaftsschilderungen aus Österreich, Erzählungen aus der österreichischen Geschichte“358 behandelt werden. In der zweiten Klasse wurde dieser Lesestoff um „Stücke aus der antiken und aus der deutschen Götter- und Heldensage“359 sowie um „vaterländische Stoffe“360 erweitert. Auch in der dritten Klasse sollte es eine „Bevorzugung vaterländischer Stoffe“361 und einen Fokus auf „bedeutende, namentlich österreichische Dichter, vornehmlich im Zusammenhang mit dem Lehrstoff der Geschichte“362 geben. Abschließend standen im Bereich des Lesens in der vierten Klasse noch Erzählungen „mit Bevorzugung von Stoffen aus der Heimat und dem Vaterland“363 sowie die Darstellung der „bedeutendsten Entwicklungsabschnitte des deutschen Schrifttums mit besonderer Rücksicht auf Österreich“364 auf dem Plan. Auch in Geschichte wurde besondere „Rücksicht auf die Geschichte Österreichs [… und] die Einrichtungen unseres öffentlichen Lebens“365 verordnet, wobei besonders die „Liebe zum österreichischen Volk und Vaterland“366 geweckt werden sollte. In der ersten Klasse standen „Bilder aus der Geschichte der Heimat […] und des Vaterlandes“367 am Beginn des Unterrichts, also eine Art Schnellkurs in österreichischer Geschichte anhand ausgewählter Personen und Ereignisse. Konkret aufgezählt werden unter anderem Andreas Hofer, Feldmarschall Radetzky, ‚österreichische Heldentaten im Weltkrieg‘ und das ‚neue Österreich‘, also aus damaliger Perspektive ziemlich rezente Ereignisse. In der zweiten Klasse wurden Antike und frühes Mittelalter behandelt, in der dritten das restliche Mittelalter und die Neuzeit bis 352 353 354 355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365 366 367

Ebd. Ebd., 879. Ebd., 880. Ebd. Ebd., 888. Ebd. Ebd. Ebd., 889. Ebd. Ebd., 890. Ebd. Ebd., 891. Ebd. Ebd., 892. Ebd. Ebd.

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zum Regierungsantritt Maria Theresias 1740. In der vierten Klasse war die Neuzeit bis zur Gegenwart abzuhandeln, wobei auch hier wieder konkrete Geschichtsbilder vorgegeben wurden, wie zum Beispiel Andreas Hofer, das Musikleben in Österreich, Feldmarschall Radetzky, Österreichs Heerführer im Weltkrieg und zum Schluss das ‚neue Österreich‘ unter Seipel und Dollfuß. Anschließend sollten unter dem Aspekt der Bürgerkunde in der vierten Klasse die Verfassung Österreichs und die „Einrichtungen unseres öffentlichen Lebens“368 und das „Heerwesen Österreichs“369 behandelt werden. In den Anmerkungen wird konkretisiert, dass dabei besonders „die Gestalten größer Österreicher und ihr Wirken für das Vaterland“370 sowie „die Leistungen Österreichs für das deutsche Volk und für die deutsche Kultur“371 in den Mittelpunkt zu stellen seien. Abgesehen vom letzten Punkt fehlen aber Hinweise darauf, dass beispielsweise ein Vergleich mit dem Deutschen Reich stattfinden solle, wie es in früheren Lehrplänen noch der Fall gewesen war. Dieser Aspekt findet sich dafür im Fach Erdkunde. Das Lehrziel in Erdkunde war eine genauere „Kenntnis Österreichs und seiner erdkundlichen Beziehungen zu den Ländern im mitteleuropäischen Raum.“372 Dabei sollten die „Freude an den landschaftlichen Schönheiten Österreichs“373 und die „Wertschätzung der wirtschaftlichen Leistungen der österreichischen Bevölkerung“374 erweckt sowie die „Erziehung zur Hingabe an Heimat und Vaterland“375 angestrebt werden. In der ersten Klasse sollte dies durch die „Behandlung des Heimatlandes (Bundeslandes)“376 und einen „Überblick über den Bundesstaat Österreich […] und das Brauchtum seiner Bewohner“377 erfolgen. In der dritten Klasse stand wiederum die „Länder- und Völkerkunde Europas […] jedoch mit Ausnahme Österreichs, der Schweiz, des Deutschen Reiches, der Tschechoslowakei und Ungarns“378, welche später behandelt werden sollten, auf dem Plan. Die Kunde Österreichs und Deutschlands folgte nun ebenso in der vierten Klasse wie eine „Übersicht über die von Deutschen besiedelten Gebiete in Europa und den übrigen Erdteilen“379 und „Wanderungen und Lehrausgänge zur Vermehrung der Kenntnis von Heimat und Vaterland.“380 Wie diese Wanderungen und Lehrausgänge Mitte der 1930er Jahre aussahen, nämlich vermehrt wie militärische Veranstaltungen, wird anhand der Fallstudien im dritten Kapitel deutlich. Deutschland und Österreich wurden damit als Einheit behandelt, und dem Deutschen Reich wurde als größtem Nachbarstaat weiterhin große Aufmerksamkeit gewidmet. Jedoch ist im Vergleich zu den Lehrplänen von 1927/28 ein deutlicher Rückgang der dem Deutschen Reich zugemessenen Bedeutung im Lehrplan feststellbar: Erkennbar ist dies daran, dass nun im Gegensatz zum alten Lehrplan auch andere Nachbarländer Österreichs außer Deutschland im namentlich genannt werden und behandelt werden sollen. Darüber hinaus nehme ich an, dass die vierte Klasse großteils der Behandlung Österreichs und weniger der Deutsch368 369 370 371 372 373 374 375 376 377 378 379 380

Ebd., 893. Ebd. Ebd., 894. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 895. Ebd., 896. Ebd.

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lands gewidmet wurde, zumal die „Kenntnis von Heimat und Vaterland“ in der 4. Klasse gestärkt werden sollte, was im gegebenen Zusammenhang meiner Meinung nach auf Österreich als Heimat verweist. Zudem war in der 4. Klasse noch ein Überblick über die anderen Nachbarländer Österreichs zu geben; dass dieser in der Zeit der Kanzlerdiktatur auf Kosten der für Österreich aufgewandten Zeit erfolgte, scheint nur schwer vorstellbar. Vielmehr liegt nahe, dass dies zu Ungunsten der für Deutschland zu Verfügung stehenden Zeit ging, mit dem man sich ohnehin im Konflikt wähnte. Lehrplan für die Abschlussklassen der Volksschule 1935 wurden die Lehrpläne für die sogenannten Abschlussklassen festgesetzt, also für die Schulstufen fünf bis acht, die in drei Klassen zusammengefasst wurden.381 Insgesamt waren die Abschlussklassen demselben Bildungsziel verpflichtet wie die Volksschule generell, nämlich einer abschließenden Bildung auf basalem Niveau. Dementsprechend war auch der Stoff strukturiert: So sollten in Deutsch in der fünften Schulstufe „insbesondere österreichische Volkssagen“382, Erzählungen „besonders aus dem österreichischen Volksleben, Landschaftsschilderungen aus Österreich, Erzählungen aus der österreichischen Geschichte […] sowie Volkslieder“383 behandelt werden. Auch sonst war alles „mit Bevorzugung von Stoffen aus der Heimat und dem Vaterland“ zu beleuchten und beispielsweise sollten im „Anschluß an den Lesestoff einige bedeutende, namentlich österreichische Dichter“384 behandelt werden. Dementsprechend waren in Geschichte und Erdkunde prononciert österreichlastige Themen zu behandeln, beispielsweise „das neue Österreich“385 oder Einblicke „in den ländermäßigen und ständischen Aufbau des Bundesstaates Österreich“386. „Das Heimatland (Bundesland) […, der] Bundesstaat Österreich […] und das Brauchtum seiner Bewohner“387 standen folgerichtig auf dem Lehrplan. Im Singen wurden neben dem ausdrucksvollen „Singen ein- und mehrstimmiger Lieder […] bei entsprechender Berücksichtigung des vaterländischen Liedes“388 auch „das Schaffen und Wirken bedeutender – besonders österreichischer – Tondichter“389 thematisiert. Auch die vormilitärische Ausbildung im Rahmen des Turnunterrichts fand sich bereits im Lehrplan. In der sechsten Klasse wurden diese Kenntnisse vertieft, wobei in Erdkunde beispielsweise besonders die „Länder des österreichischen Bundesstaates“390 und „die Länder Europas mit besonderer Rücksicht auf die an Österreich grenzenden Staaten“391 behandelt wurden. Ähnlich verhielt es sich mit dem Lehrplan für die siebte Klasse. Eine explizite Behandlung des Deutschen Reiches schrieb der Lehrplan für die Abschlussklassen von 1935 aber – im Gegensatz zu früheren Lehrplänen – nicht mehr vor. Hier wird deutlich, was sich bereits beim Hauptschullehrplan andeutete, dass nämlich trotz des politischen Bekenntnisses 381 Verordnung des mit der Leitung des Bundesministeriums für Unterricht betrauten Bundeskanzlers, betreffend die Festsetzung des Lehrplanes für die Abschlußklassen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 76. Stück, ausgegeben am 9. Juli 1935, 987 – 1006. 382 Ebd., 993. 383 Ebd. 384 Ebd. 385 Ebd. 386 Ebd. 387 Ebd., 994. 388 Ebd. 389 Ebd. 390 Ebd., 1000. 391 Ebd.

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zu Österreich als einem ‚deutschen Staat‘ und zu einer ‚deutschen Politik‘392eine deutliche Distanz zum seit 1933 nationalsozialistischen Deutschen Reich nachweisbar ist. Dies manifestierte sich nun auch im Bildungsbereich, indem die Bedeutung des Deutschen Reiches zurückgeschraubt wurde, während Österreich und seine (vermeintliche) Geschichte einen prominenteren Platz zugewiesen bekamen. Die Entwicklung der Volksschulcurricula ist somit analog zu den neuen Hauptschullehrplänen zu sehen. Mittelschullehrplan 1935 Die Lehrpläne für die Mittelschulen von 1935 waren ähnlich umfangreich wie diejenigen von 1927 und enthielten einen allgemeinen Teil, der zu Lehrzielen und Prinzipien des Mittelschulunterrichts Auskunft erteilte, und jeweils schultypspezifische Teile mit konkreten Vorgaben für jeden Gegenstand.393 Im Folgenden wird nun der allgemeine Teile einer genaueren Analyse unterzogen, danach werden Teile des Gymnasiallehrplans exemplarisch untersucht und in Verhältnis zu den vorhergehenden Lehrplänen für das Gymnasium und den Lehrplänen von 1935 für die anderen Schultypen gesetzt. Der allgemeine Teil des Curriculums von 1935 konkretisierte im Wesentlichen das Ziel der Mittelschule, nämlich die Heranführung der Kinder zur Hochschulreife und die Erziehung der „jungen Menschen zu sittlich-religiösem, vaterländischem und sozial-volkstreuem Fühlen, Denken und Handeln“394. Im Folgenden wurden diese Prinzipien weiter ausgeführt, besonders die sogenannten vaterländischen und die sozial-volkstreuen Aspekte der Erziehung sollen hier näher betrachtet werden. Diese sollten „in den Schülern die Liebe zu ihrem Vaterland Österreich wecken und sie zur willigen und pflichtgetreuen Einordnung in die staatliche Gemeinschaft“395 anleiten. Auf dem Wege der vormilitärischen Erziehung sollten die jungen Menschen „für die Verteidigung des Vaterlandes sittlich, geistig und körperlich“396 vorbereitet werden. Die sozial-volkstreue Erziehung sollte zur Eingliederung in die Kulturgemeinschaft des Volkes führen und die Jugend „den Anteil Österreichs an der Geschichte und an der Kultur des deutschen Volkes kennen und würdigen lehren.“397 Durch die Verbindung dieser beiden Ansätze sollten die Jugendlichen in der Mittelschule „die wertvolle Eigenart [des] österreichischen Wesens als“398 eine besondere „Ausprägung des deutschen“399 Wesens kennenlernen und „sich so als bewußte Österreicher zu fühlen und zu bewähren“400 lernen. Selbstredend war auch dabei „in der Auswahl und Verteilung des Bildungsgutes“401 auf die „Eigenart der weiblichen Jugend“402 Rücksicht zu nehmen. Der Gymnasiallehrplan für Deutsch konkretisierte diese Gedanken weiter und formulierte die Lehrziele für diesen Gegenstand in der Unterstufe in nüchterner Sprache folgendermaßen: „Kenntnis der Grundzüge der deutschen Sprachlehre. Weckung der Freude an guten 392 Siehe zum Juli-Abkommen 1936 Kapitel 2.1 beziehungsweise 2.2.7. 393 Verordnung des mit der Leitung des Bundesministeriums für Unterricht betrauten Bundeskanzlers, betreffend die Festsetzung der Lehrpläne für die Mittelschulen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 78. Stück, ausgegeben am 11. Juli 1935, 1009 – 1332. 394 Ebd., 1010. 395 Ebd. 396 Ebd. 397 Ebd., 1011. 398 Ebd. 399 Ebd. 400 Ebd. 401 Ebd, 1017. 402 Ebd.

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Büchern und der Liebe zur deutschen Sprache und zum deutschen, besonders zum österreichischen Schrifttum.“403 Der Leseunterricht sollte wieder anhand des Lesebuches erfolgen und in der ersten Klasse „deutsche Götter- und Heldensagen und Sagen der Heimat […] und Erzählungen aus dem Volksleben und aus der Geschichte Österreichs und der engeren Heimat“404 behandeln. Der Lesestoff für die zweite Klasse war recht ähnlich, und in der dritten und vierten Klasse sollten darüber hinaus „Volks- und Heimatkunde, […] die Stände und ihr Schaffen […] alles mit Bevorzugung von Stoffen und Persönlichkeiten aus der österreichischen Heimat“405 sowie eine „Auswahl aus dem deutschen Schrifttum mit Berücksichtigung der österreichischen Dichtung [… sowie] deutsches Schaffen im Auslande“406 Gegenstand des Unterrichts sein. In der Oberstufe gab es nun einen stärkeren Fokus auf österreichisches Schrifttum. Folglich bestand das Lehrziel des Unterrichtes im „Erfassen der Eigenart des deutschen Geistes […] sowie des hervorragenden Anteils, den österreichisches Wesen an seiner [des deutschen Geistes, Anm.] Gestaltung hat.407 In der siebten Klasse sollte die Beschreibung „der Entwicklung des deutschen Schrifttums […] mit besonderer Berücksichtigung des österreichischen Schrifttums [… und der] Stellung Wiens als Kulturzentrum“408 fortgesetzt werden. In der achten Klasse sollte zusätzlich noch ein „zusammenfassender Überblick über das österreichische Schrifttum“409 gegeben werden. Als zu behandelnde Schriftsteller wurden namentlich genannt: Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Klopstock, Lessing, Wieland, Herder, Goethe, Schiller, Shakespeare und Grillparzer. In den Bemerkungen wurde hinzugefügt, dass „der Deutschunterricht der Pflege und der Förderung des vaterländischen Bewußtseins und der vaterländischen Gesinnung“410 dienen solle und dies auch „in der Auswahl des Lesestoffes und der Wahl der Aufsatzthemen“411 zu berücksichtigen sei. Um die „Erziehung zu sozial-volkstreuem Fühlen, Denken und Handeln“412 zu gewährleisten, sei besonders auf „die österreichische Kulturentwicklung“413 hinzuweisen, „auch wenn sie nicht in dichterischen Leistungen liegen“414 würde. So war „z. B. gegenüber der dichterischen Kultur Weimars auf die musikalische [Kultur] Wiens zur selben Zeit“415 hinzuweisen. Was bereits oben angesprochen wurde, dass nämlich Österreich in manchen Bereichen bereits auf merkliche Distanz zum Deutschen Reich ging, wird an diesem Beispiel deutlich: So dienten die deutsche und österreichische Geschichte einander nun nicht mehr als Ergänzung, sondern standen in einer Konfliktstellung zueinander; galt die Weimarer Klassik als Maß der Dinge in der Literatur, so war dementsprechend auf Wiens Stellung als Hauptstadt der Musik hinzuweisen, um dem kulturellen deutschen Vormachtanspruch etwas entgegenzustellen. In gewisser Weise kann diese Akzentuierung als Erneuerung der alten Rivalität zwischen Öster403 404 405 406 407 408 409 410 411 412 413 414 415

Ebd., 1027. Ebd., 1028. Ebd., 1029. Ebd. Ebd., 1030. Ebd., 1032. Ebd. Ebd. Ebd. Diese Auswirkungen wurden zum Beispiel in Form von Angaben zu Reifeprüfungen oder Hausarbeiten auch in der schulischen Praxis sichtbar. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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reich und den deutschen Staaten im 19. Jahrhundert gesehen werden, als vor allem Preußen und Österreich um die Hegemonie in Deutschland konkurrierten. In Geschichte sollte in der Unterstufe die „Einführung in die Kenntnis vergangener Zeiten mit besonderer Rücksicht auf die Geschichte Österreichs“416 erfolgen, wobei die „Weckung der Ehrfurcht vor großen Menschen und Taten und besonders der Liebe zum österreichischen Volk und Vaterland“417 ein wichtiges Lehrziel war. Dementsprechend wurde in der ersten Klasse mit „Bilder[n] aus der Geschichte der Heimat […] und des Vaterlandes“418 begonnen, beispielsweise wurden die Römer in Österreich, Österreich im Mittelalter, Kaiser Maximilian, aber auch Andreas Hofer, die Schlacht bei Aspern, Feldmarschall Radetzky, österreichische Heldentaten im Weltkrieg und zum Schluss das ‚neue Österreich‘ behandelt. Diese Themen wurden in den folgenden Jahren konzentrisch umkreist und genauer behandelt, wobei in der vierten Klasse in den letzten Monaten des Schuljahres Bürgerkunde hinzukam, im deren Rahmen die Kinder unter anderem mit der Verfassung und dem Heerwesen Österreichs vertraut gemacht werden sollten. Bei alledem – so ist in den Anmerkungen zu lesen – sei „die Liebe zum Vaterland zu wecken und zu fördern“419, „die Gestalten großer Österreicher und ihr Wirken für das Vaterland in den Mittelpunkt der erzählenden Darstellung zu rücken“420 sowie allgemein österreichische Geschichte „in den Mittelpunkt der Stoffdarbietung zu rücken“421. Die „Leistungen Österreichs für das deutsche Volk und für die deutsche Kultur“ waren unter anderem „an der Hand von Beispielen österreichischer Kunstschöpfungen“422 aufzuzeigen. Im sehr kursorisch gestalteten Lehrplan für die Oberstufe war insbesondere „den religiös-sittlichen, vaterländischen und volklichen“423 Werten „die gebührende Bedeutung beizumessen“424. Die „Einführung in die Geistesgeschichte der großen Kulturvölker […,] vor allem des deutschen Volkes mit besonderer Berücksichtigung des Anteiles Österreichs“425 war ein weiteres Lehrziel des Unterrichts. In dieser Hinsicht ist also wieder etwas einzugrenzen, was oben als Rivalität zwischen dem Deutschen Reich und Österreich beschrieben wurde: In Bezug auf die Geschichte des deutschen Volkes betonte der österreichische Mittelschullehrplan immer noch das Volksganze, komplettierte diese Deutung aber durch den besonderen Anteil, den Österreich an der Entwicklung des deutschen Volkes gehabt habe. In Geografie war das oberste Ziel die „Kenntnis Österreichs und seiner erdkundlichen Beziehungen zu den Ländern im mitteleuropäischen Raum“426, daneben natürlich auch die „Erziehung zur Hingabe an Heimat und Vaterland.“427 In der ersten Klasse waren dementsprechend das Heimatbundesland eingehender und der Bundesstaat Österreich überblicksmäßig zu behandeln. Wanderungen und Lehrausgänge sollten zu „Vermehrung der heimatkundlichen

416 417 418 419 420 421 422 423 424 425 426 427

Ebd., 1054. Ebd. Ebd. Ebd., 1056. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Kenntnisse“428 beitragen. In der dritten Klasse wurde wieder Länder- und Völkerkunde Europas betrieben, „jedoch mit Ausnahme Österreichs, der Schweiz, des Deutschen Reiches, der Tschechoslowakei und Ungarns“429 – also der Nachbarländer Österreichs – , die in der vierten Klasse behandelt wurden. In dieser erfolgte auch eine „Übersicht über die von Deutschen besiedelten Gebiete in Europa und in den übrigen Erdteilen.“430 Geografie wurde in der Oberstufe noch in der fünften und sechsten Klasse unterrichtet, in der diese Kenntnisse vertieft werden sollten, und dann von Vaterlandskunde abgelöst, die „Geschichte, Geographie und Bürgerkunde Österreichs“431 umfasste. Die Lehrziele dieses Gegenstanden waren ein „Verständnis für die natürliche Beschaffenheit und die kulturelle Eigenart Österreichs“432, genaue „Kenntnis der Grundlagen des neuen Österreich“433 und die „Erziehung zur Hingabe an ein christliches, deutsches, freies Österreich“434. Besonders auffallend in diesem Lehrplan sind Themen wie das „Ringen um die großdeutsche Idee“435, „Österreichs aufopfernder Kampf im Weltkriege“436 und „die politische und kulturelle Aufgabe des neuen Österreich“437. Dabei sollte – so die Anmerkungen – ein Verständnis dafür, „wie das heutige Österreich in seiner Eigenart geworden ist“438 und „für das geographische und geschichtliche Werden von Österreichs Wesen“439 erreicht werden. Durch die daraus resultierende „Bindung von Boden und Mensch“440 sollte „eine wichtige Grundlage des österreichischen Wesens zum Bewußtsein gebracht und die Heimat- und Vaterlandsliebe im jungen Menschen gefestigt“441 werden. Die Rolle Deutschlands nimmt sich in diesem Zusammenhang – ungeachtet der Tatsache, dass es sich dabei um das größte Nachbarland Österreichs handelte – fast schon bescheiden aus und wird im Lehrplan deutlich weniger betont als dies in den früheren Lehrplänen der Fall gewesen war. Stattdessen wurden Österreich und andere Nachbarländer in Mitteleuropa im Lehrplan aufgewertet und bekamen mehr Umfang zugewiesen. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass die Gesetzesänderungen im Schulbereich, vor allem in disziplinären Angelegenheiten, und die Lehrpläne der Jahre 1934 und 1935 eine Zäsur darstellten. Das zuvor oftmals als gleichwertig dargestellte und im Unterricht ausführlich zu behandelnde Deutsche Reich trat in seiner Bedeutung in den Lehrplänen insgesamt zurück, was als Auswirkung eines Meinungswechsel auch und vor allem jener Stellen zu interpretieren ist, die für diese Lehrpläne verantwortlich zeichneten. Es waren die der Bundeskanzler, aber vor allem natürlich der Unterrichtsminister und der diesem unterstehende Apparat, der politische Überzeugungen in konkrete Vorgaben anhand von Schulcurricula transformierte.

428 429 430 431 432 433 434 435 436 437 438 439 440 441

Ebd., 1058. Ebd. Ebd. Ebd., 1060. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 1061. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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2.2.6 Die vormilitärische Jugenderziehung und Hochschullager – Erziehung bis in das Erwachsenenalter Da nicht nur das Schulwesen, sondern auch die Hochschulen unter direktem ministeriellem Einfluss standen, wie bereits weiter oben in Kapitel 2.2.5 dargestellt wurde, ergab sich für das Regime die Möglichkeit, diesen Einfluss für eigene Ambitionen bezüglich der bereits erwachsenen Lernenden nutzbar zu machen. Dabei wurde durchaus auf jenes Muster gesetzt, das aus dem nationalsozialistischen Deutschland bereits damals bekannt war: Die jungen Menschen sollten vom Moment ihres Eintritts in die Gesellschaft bis zu ihrem Lebensende, besonders aber während der Jugend in staatliche Organisationen eingebunden sein, die dem Staat die Möglichkeit zur Indoktrination gaben.442 Neben der Mitgliedschaft im ‚Österreichischen Jungvolk‘ setzte das pseudo-faschistische Regime unter Dollfuß und Schuschnigg dabei zunehmend auf Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Bildungsbereich, sodass in den Schulen die vormilitärische Jugenderziehung etabliert und an den Hochschulen einerseits weltanschauliche Lehrveranstaltungen implementiert und andererseits sogenannte Hochschullager eingerichtet wurden. Die vormilitärische Jugenderziehung und die Hochschullager werden im Folgenden näher dargestellt: Im Bereich der sogenannten vormilitärischen Jugenderziehung gab es zwei zeitgenössische Publikationen, die als grundlegend für die Ausgestaltung der Jugenderziehung bezeichnet werden können: Das Werk „Vormilitärische Jugenderziehung an den Schulen. Behelf für die vormilitärische Ausbildung im Rahmen des Turnunterrichtes, an Wandertagen und an Freiluftnachmittagen“ aus dem Jahr 1936443 wurde von Karl Koske, Oberstleutnant des Generalstabes des Bundesheeres, verfasst. Koske spielte im Bereich der vormilitärischen Erziehung an Schulen auf dem gesamten Bundesgebiet eine beachtenswerte Rolle, nicht zuletzt durch diese Publikation: Der von ihm zusammengestellte Behelf liest sich auf den ersten Blick eher wie eine Dienstvorschrift für Heeresausbilder, denn wie ein Lehrbehelf für Pädagoginnen und Pädagogen. Die Bezeichnungen „Lehrer“ und „Kommandant“ werden regelrecht synonym gebraucht, auf den 104 Seiten werden die Lehrkräfte in die Vermittlung grundlegender Fertigkeiten im Exerzieren bis hinauf zum Kompanierahmen, in Leistungsübungen, Bewegung im Gelände, Meldung, Morseschrift, Armzeichen sowie Trompeten- und Trommelsignale eingeführt. Würde die Bezeichnung Schüler durch das Wort Soldat ersetzt, hielte ein beliebiger Leser das Werk wohl umstandslos für eine Ausbildungsvorschrift des Bundesheeres, so heißt es zum Beispiel zum militärischen Gruß, der eigentlich nur zwischen Soldaten zu leisten ist: „Zu jedem militärischen Gruß hat der Schüler die vorgeschriebene Stellung oder Haltung einzunehmen“444. 442 Paradigmatisch für diesen Erziehungsansatz ist ein Auszug aus einer Rede Adolf Hitlers vom 2. Dezember 1938, in der er die totale Vereinnahmung der Jugend in den nationalsozialistischen Apparat darlegt und diesen Vorgang mit einem berühmt gewordenen Ausspruch zusammenfasst: „Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben. Und sie sind glücklich dabei.“ Zitiert nach: Michael Buddrus, Totale Erziehung für den totalen Krieg. Hitlerjugend und nationalsozialistische Jugendpolitik (Texte und Materialien zur Zeitgeschichte), München 2003, XXIX. 443 Die zweite Auflage erschien bereits 1937, da, so der Autor im Vorwort, „die indessen erfolgten Änderungen in der einschlägigen Ausbildungsvorschrift des Bundesheeres und die Erweiterung der vormilitärischen Ausbildung im Rahmen des Turnunterrichtes durch die Schießausbildung für die beiden letzten Klassen aller mittleren Lehranstalten zu berücksichtigen waren.“ Karl Koske, Vormilitärische Jugenderziehung an den Schulen. Behelf für die vormilitärische Ausbildung im Rahmen des Turnunterrichtes, an Wandertagen und an Freiluftnachmittagen 1. Teil, Wien 1937, 3. 444 Ebd., 25.

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Diesem Werk Koskes durchaus ähnlich ist das von Eduard Wolfgang Burger und Hans Groll verfasste „Handbuch der vormilitärischen Erziehung“445. Der Sportwissenschafter Groll wurde später einer der wichtigsten Sportpädagogen der Zweiten Republik.446 Dieses Handbuch ist umfangreicher als Koskes Werk und als praktische Anleitung für den Gebrauch durch Lehrer gedacht. Zu jedem der behandelten Themen wie etwa „Leibesübungen im Dienste der vormilitärischen Jugenderziehung“, „Orientierung mit Karte, Bussole447 und Höhenmesser“, „Beobachtung“, „Erkundung“, „Aufklärung“, „Tarnung und Verschleierung“, „Sicherung“, „Verbindungswesen und Meldung“, „Märsche und Bewegungen im ungebahnten Gelände“, „Marschmusik“, „Kriegsspiele“, „Lager“ und „Wandertagsbeispiele“ finden sich allgemeine Ausführungen und auch praktische Beispiele und Anweisungen für die konkrete Umsetzung im Unterricht. Die prinzipiell enge Verknüpfung von schulischer Erziehung und militärischer Ausbildung ist verglichen mit den demokratischen Staaten Europas der damaligen Zeit für das ‚austrofaschistische‘ Bildungssystem möglicherweise charakteristisch, aber ein Novum stellt sie keinesfalls dar.448 Der erzieherische Anspruch des Staates auf seine Einwohnerinnen und Einwohner endete nicht mit dem Ende der Schulpflicht beziehungsweise mit der Absolvierung einer höheren Schule im jungen Erwachsenenalter.449 Das ‚austrofaschistische‘ Regime erhob ähnlich wie andere autoritäre Staaten einen umfassenderen und vor allem länger andauernden Anspruch auf Erziehung der nachkommenden Generationen. So verwundert es nicht, dass im Zuge des Hochschulerziehungsgesetzes sogenannte Hochschullager eingerichtet wurden, die in den Jahren 1936 und 1937 tatsächlich in jeweils zwei Durchgängen stattfanden. Im Hochschulerziehungsgesetz vom 1. Juli 1935 heißt es dazu in Paragraf 1: „Den wissenschaftlichen Hochschulen obliegt außer der Pflege der Forschung und Lehre auch die Erziehung der Studierenden zu sittlichen Persönlichkeiten im Geiste vaterländischer Gemeinschaft.“450 Dies beinhaltete außer den bereits erwähnten Lagern zusätzlich noch den Besuch von Vorlesungen zur „weltanschaulichen und staatsbürgerlichen Erziehung und über die ideellen und geschichtlichen Grundlagen des österreichischen Staates.“451 1936 waren es noch zwei Standorte, an denen relativ kurzfristig die Lager organisiert wurden, 1937 fanden die Hochschullager bereits an drei Standorten statt: in Rotholz bei Jenbach in Tirol, im Stift Ossiach in 445 Eduard Wolfgang Burger/Hans Groll, Handbuch der vormilitärischen Erziehung, Wien – Leipzig 1936. 446 Zu seinem Gedenken wurde beispielsweise die Hans-Groll-Plakette gestiftet. Interessanterweise wird auf diese gemeinsame Publikation mit Eduard Wolfgang Burger weder im Wikipedia-Eintrag noch in anderen OnlineBiografien verwiesen. 447 Eine Art Kompass. 448 Bereits für die antiken Demokratien Griechenlands war es eine Selbstverständlichkeit, dass nur jene an politischen Entscheidungen partizipieren durften, die die Gemeinschaft im Kriegsfall auch verteidigen konnten. Im System der Agoge in Sparta (das die meiste Zeit über zwar keine Demokratie war, aber hier nur als Beispiel für eine griechische Polis dienen soll) haben wir es sogar mit einer – für die Antike sehr seltenen – staatlich gelenkten Erziehung der heranwachsenden Generation zu tun – freilich beschränkt auf die männliche Nachkommenschaft der Vollbürger, die die nächste Generation der Soldaten zu stellen hatten. Dafür war diese aber sehr stark militärisch geprägt und diente fast ausschließlich der Vermittlung klassisch spartanischer Tugenden und der Vorbereitung auf das Leben als Spartiat: Jean Ducat, Spartan Education. Youth and Society in the Classical Period, Swansea 2006. 449 Bildung jedoch wird im Zuge von lebenslangem Lernen vermehrt als Prozess begriffen, der mitnichten mit dem Erreichen des Erwachsenenalters abgeschlossen ist. 450 Bundesgesetz, betreffend die Erziehungsaufgaben der Hochschulen (Hochschulerziehungsgesetz), in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 71. Stück, ausgegeben am 1. Juli 1935, 966 – 968. 451 Ebd., 967.

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Kärnten und zusätzlich noch in Kreuzberg am Weißensee, ebenfalls in Kärnten. Der Andrang auf die Lager war groß, weil ohne die entsprechende Bestätigung der Absolvierung oder einer Untauglichkeitsbescheinigung keine Studienabschlüsse mehr vergeben wurden beziehungsweise eine Zulassung zu den Abschlussprüfungen nicht erfolgen durfte. Um Überzeugung zu belohnen und regimetreue Studenten zu bevorzugen, kamen zuerst jene zum Zug, die sich freiwillig gemeldet hatten. Studentinnen waren zur Teilnahme nicht nur nicht verpflichtet, sondern durften gar nicht teilnehmen. Das hätte nicht zur ‚austrofaschistischen‘ Ideologie gepasst, die Frauen beinahe ausnahmslos die Rollen der Ehefrau und Mutter zuschrieb. Es ist also plausibel, in diesem Zusammenhang von einer „Remaskulinisierung der Gesellschaft“452 zu sprechen. Der Durchführung der Hochschullager im Sommer 1938 kam dann der Anschluss an das Deutsche Reich im März/April 1938 zuvor. Im Vergleich zu den Nachbarstaaten Österreichs fallen vor allem die Ähnlichkeiten mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich, wo etwa mittels Dozentenlager auf die Hochschulen Einfluss genommen wurde, und mit den faschistischen Jugendorganisationen Italiens auf. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus waren der italienische Faschismus und auch die ‚austrofaschistische‘ Ständeideologie jedoch nicht primär rassisch-biologisch orientiert. So kam es, dass auch jüdische Hochschüler an den Hochschullagern von 1936 und 1937 teilnahmen. Die Teilnehmerübersicht für 1936 weist etwa 23 von insgesamt 384 Teilnehmern als Juden aus (gegenüber 342 Katholiken und 18 Protestanten).453 Das soll aber nicht heißen, dass es keine antisemitischen Ressentiments gegeben habe, denn diese waren sehr wohl vorhanden: Im Inspektionsbericht der Hochschullager 1936 heißt es unter Punkt „9.) Die Judenfrage“, es seien „in den I. Turnus Rotholz versuchsweise 15, in allen übrigen Turnussen beider Lager aber nur je 2-3 Juden“ eingeteilt gewesen. Das Ergebnis war, dass „sich die jüdischen Lagerteilnehmer in keiner Weise aus der Lagergemeinschaft herausgehoben oder bezüglich Gemeinsinn und Kameradschaft zu Klagen Anlaß gegeben“ hätten. Daher brauche „künftig bei der Einteilung der Hochschüler in die einzelnen Lager auf die Aufteilung der Juden keine besondere Rücksicht genommen werden.“454 2.2.7 1936 – 1938 Anfang 1936 wurde per Bundesverfassungsgesetz eine allgemeine Bundesdienstpflicht für männliche Bundesbürger erlassen.455 Das klang unkonkret in Bezug darauf, was während dieses verpflichtenden Dienstes zu geschehen habe („zu zeitlich begrenzten Diensten mit oder ohne Waffe für öffentliche Zwecke“456), faktisch kam dieser Schritt jedoch einer Wiedereinführung der eigentlich durch den Staatsvertrag von Saint-Germain verbotenen Wehrpflicht gleich und war auch als eine solche gedacht. Auch bezüglich der Hochschullager wurde 1936 legistisch noch einiges präzisiert: So war die Teilnahme an den Lagern nur für jene verpflichtend, die im Wintersemester 1935/36 oder 452 Ehs 2014, 390. 453 Hochschullager 1936 – Gesamtübersicht über die Aufteilung der Lagerteilnehmer, ÖStA, AVA, U-Allg., Hochschullager 1936, Karton 375, 24.769-I/1. Eine Person gab entweder kein Religionsbekenntnis an oder war nicht Mitglied einer anerkannten Religionsgemeinschaft. 454 Hochschullager 1936 – Bericht über Besichtigung, ÖStA, AVA, U-Allg., Hochschullager 1936, Karton 375, 29.032-I/1. 455 Bundesverfassungsgesetz über eine allgemeine Dienstpflicht für öffentliche Zwecke (Bundesdienstpflichtgesetz), in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 21. Stück, ausgegeben am 1. April 1936, 121. 456 Ebd.

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später ihr Hochschulstudium begannen.457 Außerdem wurde nun definitiv fixiert, dass die Hochschullager im Sommer 1936 zum ersten Mal stattfinden würden. Welche Richtung politisch opportun war, gab die Regierung ganz klar vor: So wurde im Mai 1936 eine Grundordnung der Einheitspartei ‚Vaterländische Front‘ geschaffen, die deren organisatorischen und inhaltlichen Leitlinien festsetzte.458 Der Paragraf 2 spezifiziert die Bedingungen für die Aufnahme in die ‚Vaterländische Front‘ und zeigt sehr treffend die Ausrichtung der politischen Spitze: „Bundesbürger, die sich zum selbständigen, christlichen, deutschen, berufsständisch geordneten Bundesstaat Österreich bekennen, können in die Vaterländische Front aufgenommen werden.“459 Im August 1936 folgte ein Gesetz über die „Vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule“460. Der Staat unternahm nun also den Versuch, die heranwachsende Generation auch außerhalb der Schule in seinen Einflussbereich zu bekommen. Alle Vereine und Vereinigungen, die ausschließlich der „Erziehung und Ertüchtigung Jugendlicher außerhalb der Schule“461 gewidmet waren, mussten sich eine Genehmigung des Bundesministeriums für Unterricht einholen oder waren aufzulösen. Außerdem konnte eine bereits erteilte Erlaubnis jederzeit widerrufen werden. Ausgenommen von der Auflösung waren explizit religiöse – vor allem katholische – Jugendgruppen, die von den Religionsgemeinschaften offiziell betrieben wurden. Zusätzlich zur Registrierung oder Auflösung solcher Vereine mussten im Rahmen einer vaterländischen Erziehung die ungestörte Religionsausübung der Jugendlichen in würdiger Weise gewährleistet sein und „ihre Erziehung in religiös-sittlichem Sinne nach den Grundsätzen ihrer Kirche“462 erfolgen. Zudem konnte der Unterrichtsminister Jugendliche zu „Übungen, Vorträgen, vaterländischen Feiern und sonstigen Veranstaltungen“463 heranziehen, also faktisch zwangsrekrutieren. Wie in einer späteren Konkretisierung noch ausgeführt wurde, konnten die Landesschulbehörden weitere Auflagen für solche Vereine machen, zum Beispiel „daß die Jugendlichen dem Österreichischen Jungvolk angehören.“464 Das Lehrerbildungsgesetz 1937 Bisher wurde ausschließlich dargestellt, welche Änderungen es im Bereich der Curricula gab, die ja die Schülerinnen und Schüler adressierten, doch auch Lehrerinnen und Lehrer waren nun Adressaten bildungspolitischer Maßnahmen: 1937 wurden neue Leitlinien für die Lehrerbildung für die Volksschule beschlossen.465 Die Ausbildung der Volksschulkräfte sollte von da an in sogenannten Lehrerakademien erfolgen. Diese hatten „die Aufgabe, für einen 457 Verordnung des mit der Leitung des Bundesministeriums für Unterricht betrauten Bundeskanzlers und des Bundesministers für Handel und Verkehr über die Hochschullager, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 32. Stück, ausgegeben am 14. Mai 1936, 219 – 220. 458 Bundesgesetz über die „Vaterländische Front“, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 36. Stück, ausgegeben am 20. Mai 1936, 237 – 240. 459 Ebd., 237. 460 Bundesgesetz über die vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 72. Stück, ausgegeben am 29. August 1936, 755 – 756. 461 Ebd., 755. 462 Ebd., 756. 463 Ebd. 464 Bundesgesetz, womit einige Bestimmungen des Bundesgesetzes über die vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule, B. G. Bl. Nr. 293/1936, abgeändert werden, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 107. Stück, ausgegeben am 29. Dezember 1936, 1377 – 1378. 465 Bundesgesetz, womit Bestimmungen über die Lehrerbildungsanstalten getroffen werden (Lehrerbildungsgesetz), in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1937, 10. Stück, ausgegeben am 2. Februar 1937, 241 – 243.

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Lehrernachwuchs zu sorgen, der religiös-sittlich, vaterländisch, sozial und volkstreu denkt, fühlt und handelt und der die Fähigkeit und den Willen besitzt, die Jugend in diesem Geiste zu erziehen.“466 Die Ausbildung dauerte sechs Jahre und sollte nach Geschlechtern getrennt geführt werden. Außerdem war an jede Lehrerakademie eine Übungsschule anzubinden, die der Ausbildung des Lehrernachwuchses dienen sollte. Die Aufnahme in die Lehrerakademie war nach zurückgelegter achter Schulstufe und erfolgreicher Aufnahmeprüfung möglich. Zudem bedurfte es dazu noch „körperlicher Eignung, sittlicher Unbescholtenheit und vaterländischer Einstellung“467. Unterrichtet wurden nicht nur die allgemein verbreiteten und üblichen Gegenstände wie Deutsch und Geschichte, sondern auch ‚Allgemeine Theorie und Geschichte der Pädagogik‘, ‚Schulpraxis und Volksschulmethodik‘ und Einführung in die Philosophie; pädagogische Psychologie und Jugendkunde; Schulhygiene, Schulrechtskunde‘. In den beiden abschließenden Jahren waren Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Physik und Chemie zum vaterländischen Unterricht zusammenzufassen, „der Heimat- und Vaterlandsgeschichte, ferner Staatsbürgerkunde und schließlich Natur- und Kulturkunde der Heimat und des Vaterlandes umfaßt.“468 Das Lehramt an Mittelschulen Nachdem die Ausbildung der Volksschullehrer neu geregelt worden war, wurden auch für das Mittelschullehramt neue Vorgaben vom Bundesminister für Unterricht Anfang August 1937 verordnet.469 Hier wurden jedoch weniger konkrete Vorgaben zur Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer gemacht, als vielmehr die Prüfungen und die Bedingungen zur Zulassung zu derselben geregelt wurden. Auf dem Weg zum Mittelschullehramt mussten gemäß diesen Vorgaben zwei Hürden genommen werden: Erstens musste die Lehramtsprüfung erfolgreich abgelegt und zweitens die Einführung in das praktische Lehramt im Zuge eines Probejahres absolviert werden. Erst dann besaß man eine vollständige Ausbildung zum Mittelschullehrer. Das Hochschulstudium selbst dauerte acht Semester und war in zwei Abschnitte zu je vier Semestern untergliedert. Der erste Abschnitt wurde mit der Vorprüfung abgeschlossen, und nach frühestens drei weiteren Semestern konnte der Lehramtsanwärter die Zulassung zur Lehramtsprüfung beantragen. Der Inhalt des Lehramtsstudiums hing klarerweise von der gewählten Fächerkombination ab (es war aus Fächergruppen zu wählen und in Haupt- und Nebenfach zu unterscheiden), aber es gab auch Vorschriften, die für alle Anwärterinnen und Anwärter galten: So war mindestens eine dreistündige Vorlesung über Theorie und Geschichte der Pädagogik zu hören, zwei Vorlesungen aus Philosophie und Psychologie, eine Vorlesung zu hygienischer Pädagogik (körperliche Erziehung und Schulhygiene) sowie eine Vorlesung zur deutschen Sprache. Die Lehramtsprüfung selbst war recht aufwändig und bestand aus vier Teilen: erstens waren Hausarbeiten (je eine pro Haupt- und Nebenfach) zu schreiben; zweitens waren Klausurarbeiten zu absolvieren; drittens gab es für jedes Fach eine mündliche Prüfung und viertens die pädagogische Prüfung. Über die Inhalte dieser Prüfungen machte die vorliegende Prüfungsvorschrift für das Mittelschullehramt ziemlich genaue Vorgaben: So waren anlässlich 466 467 468 469

Ebd., 241. Ebd., 242. Ebd., 241. Verordnung des Bundesministers für Unterricht über die Erwerbung der Befähigung für das Lehramt an Mittelschulen (Prüfungsvorschrift für das Lehramt an Mittelschulen), in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1937, 66. Stück, ausgegeben am 6. August 1937, 1197 – 1217.

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der pädagogischen Prüfung Kenntnisse aus der Allgemeinen Pädagogik sowie aus Psychologie und Jugendkunde nachzuweisen. Zu Ersterem zählte etwa auch Wissen über den „Aufbau des Bildungswesens Österreichs und des Deutschen Reiches [!] im Umriß“470. In Deutsch waren nicht nur Kenntnisse gotischer sowie alt- und mittelhochdeutscher Texte nachzuweisen, sondern auch die „Geschichte der neueren deutschen Literatur bis auf die Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung der klassischen Periode und der österreichischen Dichtung“471 musste beherrscht werden. In Geschichte war eine „chronologisch sichere Übersicht über die Weltgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte des deutschen Volkes [!]“472 vonnöten. Darunter verstanden sich Kenntnisse der Geschichte Österreichs ebenso wie der Hauptwerke „des vaterländischen Denkmalbestandes sowie der Heimatkunde und der heimatlichen Volkskunde“473. Mittelschulordnung 1937 1937 folgte noch eine neue allgemeine Schulordnung für die Mittelschulen, die von Unterrichtsminister Pernter am 27. August verordnet wurde.474 Diese Schulordnung ersetzte damit die alte, 1905 erlassene Schul- und Unterrichtsordnung.475 Im Wesentlichen war sie Ausdruck der allgemeinen Leitlinien der Politik in Österreich und bot inhaltlich wenig Neues: Die allgemeinen Ziele der Mittelschule (höhere Allgemeinbildung und Hochschulreife) fanden ebenso Erwähnung wie die Erziehung der Jugend „zu sittlich-religiösem, vaterländischem und sozial-volkstreuem Fühlen, Denken und Handeln“476. Neu hinzu kam – dem militaristischen Zeitgeist entsprechend – die Aufforderung, „seinen Mitschülern ein guter, verträglicher und hilfsbereiter Kamerad“477 zu sein; eine derartige Diktion würde man eher in Zusammenhang mit der Armee erwarten als in einer Schulordnung für Zehn- bis Achtzehnjährige. Paragraf 28 des Gesetzes bestimmte, dass den Schülern das Bilden von und die Zugehörigkeit zu Vereinen untersagt sei, ausgenommen waren nur die Jugendorganisation der ‚Vaterländischen Front‘, das ‚Österreichische Jungvolk‘, und anerkannte katholische Jugendorganisationen (und andere Vereine „zur Pflege österreichisch-vaterländischer Gesinnung“478). Darüber hinaus werden die Schüler in den Paragrafen 29 und 30 zum Tragen des vaterländischen Schülerabzeichens in der Schule und bei öffentlichen Schulveranstaltungen und Feiern angehalten, um „ihrer Verbundenheit mit dem österreichischen Vaterlande sichtbaren Ausdruck zu verleihen.“479 Der größere Teil der restlichen Schulordnung ist der Beschreibung von Sanktionen bei Vergehen der Schülerinnen und Schüler gewidmet: Verwarnung, Rüge und einfache Schulhaft bis zu zwei Stunden bei leichteren Vergehen, Rüge, Freiheitsentzug im Karzer bis zu 16 Stunden und der Schulausschluss bei schweren Vergehen inklusive Kollektivstrafen für ganze Klassen. 470 471 472 473 474 475 476 477 478 479

Ebd., 1203. Ebd., 1203. Ebd., 1205. Ebd., 1206. Verordnung des Bundesministers für Unterricht, betreffend die Festsetzung einer Allgemeinen Schulordnung für die Mittelschulen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1937, 71. Stück, ausgegeben am 27. August 1937, 1272 – 1276. Definitive Schul- und Unterrichtsordnung 1905, in: RGBl 1905, 401 – 433. Verordnung Allgemeine Schulordnung 1937, in: BGBl 1937, 1272. Ebd., 1272. Ebd., 1275. Ebd., 1275.

Zusammenfassung des 2. Kapitels

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2.3 Zusammenfassung des 2. Kapitels Im zweiten Kapitel wurde die Geschichte der Republik Österreich vom Ende des Ersten Weltkriegs 1918 bis zum Ende der staatlichen Selbständigkeit 1938 zusammengefasst und in ihren wesentlichen Punkten dargestellt (siehe 2.1). Anschließend wurde die Entwicklung der Schule auf dem Territorium Österreichs von 1918 bis 1938 thematisiert und mit der zuvor dargestellten politischen Geschichte verknüpft (siehe 2.2). Dabei wurde besonderes Augenmerk auf jene Ereignisse und Entwicklungen gelegt, die im Hinblick auf die forschungsleitenden Fragen der Gesamtarbeit von Interesse waren. Dies betraf in erster Linie die Untersuchung von wichtigen Dokumenten der Schulgeschichte im Hinblick auf das in diesen vermittelten und geförderten Bild des österreichischen (National)-Staates und österreichischen Bürgers. Dabei ging es vorerst nicht darum, diese Leitlinien, die durchaus als Forderung jener zu verstehen sind, die über die politische Macht zur Formulierung dieser Vorgaben besaßen, auf ihre Umsetzung in der Realität zu untersuchen; dies wird erst im nun folgenden Kapitel 3 passieren. In Kapitel 2 wurde weiters dargestellt und analysiert, wie die österreichische Schule bis zum Ende der 1920er und Beginn der 1930er Jahre noch stark dem Erbe der Monarchie verhaftet war und es erst nach dieser Zeit zu einer Umstrukturierung und inhaltlichen Anpassung kam. Diese Veränderungstendenz nahm mit Fortschreiten der politischen Umwälzung 1933/34 und in den Jahren danach zunehmend an Fahrt auf und gelangte während der Kanzlerdiktatur Dollfuß/Schuschnigg 1933/34 bis 1938 zu einem Höhepunkt. Im Verlauf dieser Darstellung in Kapitel 2 wurde klar, wie eng verwoben Schule als staatliche Bildungs- und Erziehungsinstitution mit dominanten gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen auch in der Ersten Republik war. Zu Beginn der Republik manifestierte sich dies vor allem ein einer Reserviertheit gegenüber einem eigenständigen Österreich und einer starken Ausrichtung auf das Deutsche Reich, den dominanten Staat im deutschen Sprachund Kulturraum. Im weiteren Verlauf kristallisierte sich zunehmend heraus, dass die österreichische Schule vermehrt der Vermittlung einer zuerst politischen Vision eines selbständigen Nationalstaates und eines nationalen österreichischen Selbstverständnisses verpflichtet wurde. Dabei konnte die Schule den Widerspruch zwischen ‚Deutschtum‘ und ‚Österreichtum‘, der aus der politisch formulierten Devise des ‚deutschen Österreichtums‘ resultierte, nicht auflösen. Wie der österreichische Bürger und die österreichische Bürgerin imaginiert wurden und daher durch staatlich organisierte Beschulung erzogen werden sollten, war in den 20 Jahren zwischen 1918 und 1938 einem den politischen Rahmenbedingungen folgenden Wechsel unterworfen und steuerte, soweit dies aus den hier untersuchten Quellen abgeleitet werden kann, in den 1930er Jahren auf einen beinahe chauvinistischen Österreichpatriotismus zu. Dabei wurde durch Inszenierung und Zwang (z. B. verpflichtendes Tragen des Schülerabzeichens) versucht, das Fehlen einer populären nationalen Idee zu verbergen. Im folgenden Kapitel 3 wird nun gezeigt, wie diese abstrakten politischen Vorgaben auf der Ebene einzelner Schulen beziehungsweise Schulstandorte umgesetzt wurden – soweit sich das auf Grundlage des vorhandenen Quellenmaterials rekonstruieren lässt. In diesem Rahmen werden die am Ende von Kapitel 2 gezogenen Schlüsse in Fallstudien überprüft und gegebenenfalls zu bestätigt beziehungsweise eingegrenzt oder adaptiert.

| 87 3 Schulen im Fokus – rekonstruktive Fallstudien Nachdem im zweiten Kapitel bereits die relevanten geschichtlichen und (schul-)politischen Ereignisse dargestellt und die Vorgaben und Leitlinien der Politik für Schule und Unterricht erörtert und analysiert wurden, folgt nun ein genauer Blick auf die Ebene von Einzelschulen in Form von Fallstudien einzelner Schulstandorte. Konkret ist die Beantwortung der Frage, ob und inwiefern die bundesstaatlichen Vorgaben in Form von Lehrplänen und Verordnungen auf die unteren Ebenen des Bildungswesens wirkten, die Leitfrage dieses Kapitels. Zeitzeugenbefragungen/-interviews und Unterrichtsbeobachtungen sind dabei aus nachvollziehbaren Gründen keine Option. Auch Egodokumente, die einen Einblick in den erlebten Schulalltag bieten könnten, werden hier ausgespart. Die folgenden Erörterungen stützen sich hauptsächlich auf zwei Quellengattungen, die sich bereits in vielen bildungshistorischen Forschungen als ergiebige Quellen erwiesen haben, nämlich vornehmlich Jahresberichte und auch Schulbücher. Schulbücher sind ein elementarer Bestandteil des Schulunterrichtes und aus diesem nur schwer wegzudenken: Allen Tendenzen zu Digitalisierung und papierlosem Klassenzimmer zum Trotz sind sie immer noch wesentlicher Bestandteil des Unterrichts. Die herausragende Bedeutung, die Schulbüchern beigemessen wird, lässt sich anhand der besonderen Voraussetzungen für deren Zulassung und Gebrauch in der Schule verdeutlichen: Nicht jedes Buch ist – von didaktischen Kriterien einmal abgesehen – als Schulbuch geeignet. Die Eignung muss erst offiziell festgestellt, das Buch für den Unterrichtsgebrauch durch eine eigene Kommission approbiert werden. Erfüllt ein Buch diese Voraussetzung nicht, ist es auch kein Schulbuch und darf nicht als solches bezeichnet oder verwendet werden. Was auf den ersten Blick wenig erstaunlich klingt, erweist sich auf den zweiten als effektiver Mechanismus, um die Umsetzung der in den Lehrplänen vorgegebenen Inhalte effektiv zu steuern.480 So ist das entsprechende Bildungs- beziehungsweise Unterrichtsministerium nicht nur für die Ausarbeitung des Lehrplans zuständig, sondern urteilt auch noch darüber, welche Bücher diesen Lehrplan auf eine adäquate Weise um- und für Schülerinnen und Schüler in deren Sprache übersetzen. Aus den vorliegenden Jahresberichten wird in Einzelfällen rekonstruiert, welche Schulbücher wann und wo verwendet wurden. Im Rahmen des in dieser Arbeit gewählten qualitativen Ansatzes geht es vornehmlich darum, anhand ausgewählter Beispiele anschaulich herauszuarbeiten, in welcher Beziehung die Schulbücher zu den zu vermittelnden Inhalten standen. Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit sind Schulbücher, die in der Zeit zwischen 1918 und 1938 zugelassen waren beziehungsweise wurden. Die Universität Wien verfügt mit ihrer Schulbuchsammlung481 über einen großen Bestand an Schulbüchern und Schuljahresberichten ab dem 19. Jahrhundert bis herauf in die Gegenwart, sodass sowohl Schulbücher

480 Für aktuelle Übersichtswerke beispielsweise: Michael W. Apple/Linda K. Christian-Smith (Hg.), The Politics of the Textbook, New York 2016; Heather Hickman/Brad J. Porfilio (Hg.), The new politics of the textbook. Critical analysis in the core content areas (Constructing Knowledge 2), Rotterdam 2012. Konkrete Fallstudien sind beispielsweise: Jernej Kosi, The textbook myth: Slovene peasants as heroes of the glorious past, in: Sprawy Narodowościowe (2018) 50, 1 – 12; Machteld Venken, Narrating the Time of Troubles in Polish School History Textbooks (1918-1989), in: Cahiers du monde russe 57 (2016) 4, 879 – 902. 481 Universitätsbibliothek Wien, Homepage Zeitschriftensaal Teinfaltstraße, online unter https://bibliothek. univie.ac.at/hauptbibliothek/teinfaltstrasse.html [zuletzt abgerufen am 18.10.2022].

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als auch Jahresberichte in einem ausreichenden Ausmaß für die Forschung zur Verfügung stehen. Auf diesem Wege wurden auch die Quellen für die folgenden Analysen gewonnen. Nach einer ersten Durchsicht der vorhandenen Bestände wurden in einem nächsten Schritt die Berichte jener Schulstandorte ausgewählt, die einerseits eine möglichst dichte Überlieferung bieten und andererseits zu einer geographischen Breite der Untersuchung beitragen können. Das österreichische Schulsystem ist bis heute analog zum Gesamtstaat föderal organisiert, sodass jedes Bundesland über eigene Schulbehörden verfügt, die dann wiederum dem Bundesministerium unterstehen.482 Jahresberichte sind hingegen ein Erzeugnis einer einzelnen Schule (in Ausnahmefällen auch mehrerer Schulen an einem Standort), das mehreren Zwecken dient: Erstens können mittels eines Jahresberichtes Absolventen, die ihrer Schule auch nach dem Abschluss verbunden bleiben möchten, und anderes interessiertes Publikum auf dem Laufenden gehalten werden und durch den Erwerb des Jahresberichtes die Schule finanziell unterstützen. Somit stellt ein Jahresbericht auch ein wichtiges Mittel zur Kommunikation mit der Außenwelt und für die Selbstdarstellung eines Schulstandortes dar. Zweitens legt sich eine Schule dadurch auch gewissermaßen selbst und den übergeordneten Stellen Rechenschaft über ihre Tätigkeiten ab. Nicht zuletzt werden über den Jahresbericht auch Informationen nach außen getragen, die für einen relevanten Personenkreis sehr wichtig sind: die Eltern. Das betrifft beispielsweise nähere Angaben zum Ablauf eines Schuljahres und dem Aufnahmeverfahren des nächsten Unterrichtsjahres. Alle Jahresberichte, die Gegenstand dieser Untersuchung sind, enthalten Informationen zum Datum des Unterrichtsbeginns und zum Prozedere für die Aufnahme in eine bestimmte Schule im jeweils folgenden Schuljahr. Darüber hinaus werden auch oftmals die benötigten Schulbücher aufgelistet, die für die jeweilige Klasse zu besorgen sind. Mittels dieser Auflistungen verwendeter Schulbücher sind Rückschlüsse auf Unterrichtsinhalte möglich, wenn nämlich diese Schulbücher einer Analyse unterzogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht möglich ist, den Inhalt eines bestimmten Lehrbuches mit dem Inhalt des Unterrichtes gleichzusetzen: Lehrbücher erlauben ebenso wenig wie Curricula exakte Rückschlüsse darauf, was an einer spezifischen Schule in einer spezifischen Klasse von einem bestimmten Lehrer oder einer bestimmten Lehrerin wie unterrichtet wurde. Dennoch sind sie ein wichtiges Hilfsmittel für den Unterricht und stellen für die Schülerinnen und Schüler eine Stütze bei der Erarbeitung des Stoffes dar.483 William Schubert unterscheidet im Hinblick auf die Unterscheidung von vorgegebenen, vermeintlich umgesetzten und wahrgenommenen Unterrichtsinhalten in seinem richtungsweisenden Aufsatz zur Curriculumforschung zwischen beabsichtigtem („intended“), gelehrtem („taught“) und erlebtem („experienced“) Curriculum, und trägt auf dieser Weise dem Umstand Rechnung, dass Curricula mit einer oft politischen Intention verbunden sind, auf eine bestimmte Weise gelehrt und wiederum von Schülerinnen und Schülern erlebt werden. Die Aussagekraft von Quellen wie Jahresberichten ist also auch mit Einschränkungen verbunden, beispielsweise politischen Interventionen, um ein recht anschauliches Beispiel zu wählen: Aufgrund des ‚Anschlusses‘ Ös482 Früher hießen diese Landesbehörden Landesschulräte (beziehungsweise in Wien Stadtschulrat), seit 2017/18 heißen sie Bildungsdirektionen: Armin Andergassen, Schulrecht 2021/22. Ein systematischer Überblick. Stand: 1. September 2021, Wien 2021, 53. 483 William H. Schubert, Curriculum Inquiry, in: F. Michael Connelly (Hg.), The SAGE handbook of curriculum and instruction, Los Angeles, Calif. 2008, 399 – 419, hier 408-409. Zu Schulprogrammen siehe auch: Ächtler, N. (Hrsg.). (2021). Schulprogramme höherer Lehranstalten: Interdisziplinäre Perspektiven auf eine wiederentdeckte bildungs- und kulturwissenschaftliche Quellengattung (1. Auflage). Wehrhahn Verlag.

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terreichs an das Deutsche Reich im März/April 1938 waren zum Beispiel die Jahresberichte des Schuljahres 1937/38 starker politischer Einflussnahme durch die NS-Diktatur ausgesetzt und wurden nur am Rande berücksichtigt, denn sie sind durch die unmittelbare nationalsozialistische Beeinflussung nach dem ‚Anschluss‘ größtenteils so verfremdet worden, dass sich daraus für die vorliegende Untersuchung keine Aussagen ableiten lassen. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie Schulen eng mit den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verwoben sind und diese widerspiegeln. Wie im Gang der folgenden Analysen deutlich werden wird, weisen die Jahresberichte große Abweichungen in Form und Inhalt auf: Manchmal gab es gar keine Jahresberichte, weil sich etwa niemand um eine Publikation kümmerte oder kein Geld für den Druck vorhanden war. Oftmals weisen sie wiederum große Ähnlichkeiten auf. Die Unterschiedlichkeiten werden im Laufe der folgenden Analysen deutlich hervortreten, als Belege für Ähnlichkeiten führe ich vorab zwei Beispiele an: Bei den in der Schulbuchsammlung vorhandenen Jahresberichten zeigte sich sehr deutlich der Trend, einen oder mehrere Aufsätze an den Beginn des Jahresberichtes zu stellen, die von Lehrern beziehungsweise Lehrerinnen der jeweiligen Schule verfasst wurden. Diese standen selten in direktem Zusammenhang mit dem Jahresbericht oder der Schule selbst (beispielsweise ein historischer Aufsatz anlässlich eines lokalen Jubiläums), sondern sollten wohl den hervorragenden Ausbildungsstand und die wissenschaftliche Qualität der Lehrerinnen und Lehrer nach außen hin demonstrieren. Auch kam es gelegentlich vor, dass gelungene Schüleraufsätze abgedruckt wurden.484 Das zweite Beispiel für Ähnlichkeiten von Jahresberichten über Schultypen und verschiedene Orte hinweg ist die sichtbare Annäherung an offizielle politische Doktrinen und Ideologien in der Folge des Sturzes der Demokratie 1933 und der Etablierung der Kanzlerdiktatur Dollfuß/Schuschnigg. So findet sich beispielsweise in vielen Jahresberichten des Schuljahres 1934/35 ein Nachruf auf den im Juli 1934 getöteten Bundeskanzler/Diktator Engelbert Dollfuß. Der Personenkult um den charismatischen „Kurzzeitdiktator“ Dollfuß nahm nach dessen Tod nicht nur nicht ab, sondern gewann erheblich an Bedeutung, was nicht zuletzt daran lag, dass Dollfuß von seinem Nachfolger als Märtyrer im Kampf gegen die Nationalsozialisten und für Österreich gedeutet wurde. Ihm wurden im ganzen Land Denkmäler errichtet und Kirchen geweiht. Daher wundert es auch nicht, dass in einem Jahresbricht sogar davon berichtet wurde, dass nach Dollfuß‘ Ermordung mitten in den Sommerferien das Schulhaus mit schwarzer Flagge versehen und ein Trauergottesdienst mit Angehörigen der Schule abgehalten wurden.485 Äußerungen wie diese können leicht als politischer Opportunismus abgetan werden, doch sollte dabei nicht übersehen werden, dass Dollfuß im katholischen Milieu, dem damals ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung angehörte, tatsächlich verehrt wurde und großes Ansehen genoss. Daher können solche Schilderungen als authentische Zeugnisse echten Engagements im Sinne Dollfuß‘ verstanden werden. Wie in Kapitel 2 bereits dargestellt wurde, unterlag die Schule Österreichs von 1918 bis 1938 einerseits einem stetigen Wandel, war aber andererseits auch stark von Kontinuitäten geprägt. Insgesamt ergibt sich aus der Gemengelage von Kontinuitäten und Neuerungen die Annahme, für die Zeit nach 1918 von einer österreichischen Schule zu sprechen, die losgelöst 484 Vor allem in der Mitte der 1930er Jahre war es anlässlich diverser ‚vaterländischer‘ Schreibwettbewerbe gerne gesehen, wenn prämierte Aufsätze im Jahresbericht abgedruckt wurden. Dass diese Vorgangsweise aus politischen Erwägungen gewünscht werde, wurde über die Landesschulräte recht offen kommuniziert. 485 Franz Rauch, 11. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Fürstenfeld. Veröffentlicht im Juli 1935, Fürstenfeld 1935, 22 – 23.

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von einem eigenständigen österreichischen Nationskonzept existierte; es handelte sich hierbei also um eine Phase der ‚Schule ohne Nation‘, die um 1930 von einer Schule abgelöst wird, in der Nation und nationalisiertes Denken eine zunehmend größere Rolle spielen, die in den vorliegenden, hier untersuchten Quellen nachweisbar ist. Ausgelöst wurden diese Veränderungen – so wie dies oftmals im Schulbereich der Fall ist – von politischen Ereignissen und geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, denen politisch Rechnung getragen wurde. Diese These von der Rolle der österreichischen Nation in der Schule wird aus den vorhandenen Quellen jener Zeit abgeleitet, in denen sichtbar wird, dass in den 1930er Jahren eine Verschiebung in Richtung eines zunehmend österreichprononcierten nationalistischen Diskurses stattfand und dieser auch auf die Schule übergriff. Insgesamt ist also die wichtigste Umbruchszeit im Schulbereich nicht auf das Jahr 1918 zu datieren, sondern auf das Ende der 1920er und den Beginn der 1930er Jahre. In diesem Kapitel wird gezeigt, dass dieser Umbruch auch in den Schulbüchern und im Unterricht stattfand, wobei es an der Schnittstelle von gesellschaftlichem Umdenken und schulischem Unterricht erhebliche Verzögerungen gab, die zum Teil durch aufwändige Ausverhandlungsprozesse im Bereich der politischen Eliten verursacht wurden. Ein aus historischer Sicht positiver Aspekt ist die dadurch verursachte Entstehung von Verwaltungsschriftgut auf verschiedenen Ebenen des Schulapparates. Beispielsweise kann so rekonstruiert werden, dass Lehrkräfte angehalten wurden, durch Hinzufügung oder Auslassung gewisser Themen und Aspekte das einstweilige Fehlen geeigneter Lehrbücher zu kompensieren. Anhand dieser Quellen wird ebenfalls deutlich, auf welche Bereiche die politisch und administrativ Verantwortlichen Wert legten und welche nicht mehr dem von der Politik verordneten Zeitgeist entsprachen. Insgesamt betrachtet kann unter Rekurs auf Benedict Andersons Konzept der Nation als „vorgestellte Gemeinschaft“486 danach gefragt werden, wo in den Quellen Ansätze der Vorstellung einer österreichischen Gemeinschaft/Nation sichtbar werden. Eine derartige Ansicht ist naturgemäß schwierig zu rekonstruieren, denn einzelne Hinweise müssen verdichtet und um die vor allem in Kapitel 2.2 gewonnenen Erkenntnisse erweitert werden. Dabei wird im Kapitel 3 der Fokus von den politisch-gesellschaftlichen Vorgängen hin zu konkreten Einzelstudien verschoben. Um erneut auf William Schubert zu verweisen: Das beabsichtigte Curriculum, welches in Kapitel 2.2 noch im Vordergrund gestanden war, tritt nun in den Hintergrund zugunsten des „taught curriculum“487 und – soweit dies möglich ist – des „experienced curriculum“. Klar ist, dass die vorhandenen und hier behandelten Quellen großteils die Perspektiven der Lehrerinnen und Lehrer wiedergeben, also einen Blick auf das „taught curriculum“ erlauben, während die Perspektive von Schülerinnen und Schülern – die eine Analyse des „experienced curriculum“ erlauben würden – nur ausnahmsweise Eingang finden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Großteil des erhaltenen und zugänglichen Quellenmaterials per se aus der Feder jener stammte, die im Bildungssystem insgesamt den Ton angaben.488 486 Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts (CampusBibliothek), Frankfurt/Main 2005. (Besonders deutlich wird das schon am Titel des englischen Originals: Benedict Anderson, Imagined communities. Reflections on the origin and spread of nationalism, London – New York 2006.) 487 Schubert 2008, 408. 488 Michael Billig, Education, nationalism and internationalism: gap-filling and gap-creating, in: Daniel Tröhler (Hg.), Education, Curriculum and Nation-Building. Contributions of Comparative Education to the Understanding of Nations and Nationalism (Oxford Studies in Comparative Education) 2023.

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Im Folgenden werden Materialien sortiert nach dem jeweiligen Schulstandort angeführt, analysiert und eingeordnet, sodass insgesamt ein authentischer Eindruck davon entsteht, welche Rolle der österreichischen Nation zwischen 1918 und 1938 in der österreichischen Schule zukam.

3.1 Schottengymnasium Wien Das Schottengymnasium (offizielle Bezeichnung: Öffentliches Schottengymnasium der Benediktiner in Wien) ist seit seiner Gründung im ausgehenden Mittelalter bis zur Gegenwart eine von Angehörigen des Benediktinerordens erhaltene und geführte Schule.489 Dieser Umstand ist bei Betrachtung der nachfolgenden Ausführungen zu beachten, denn die Schule hatte damit eine Sonderstellung innerhalb des eigentlich staatlichen Bildungswesens, bildete aber keineswegs eine Ausnahme, denn von privaten/kirchlichen Organisationen geführte Schulen waren im untersuchten Zeitraum keine Seltenheit. Die österreichische Rechtslage erlaubte die Einrichtung und Erhaltung von Schulen prinzipiell auch Privatpersonen beziehungsweise Vereinigungen. Das Schottengymnasium steht folglich nicht unbedingt beispielhaft für die Gesamtheit aller höheren Schulen Österreichs zwischen 1918 und 1938, da diese mehrheitlich öffentliche, nichtkirchliche Einrichtungen waren, sondern ist eher ein Beispiel für eine von Geistlichen geführte Schule, die durch die geografische Lage im Zentrum Wiens auch enge Verbindungen zur politischen und gesellschaftlichen Elite pflegte.490 Da es bis in die jüngere Vergangenheit einige von Glaubensgemeinschaften geführte Schulen in Österreich gab (und auch noch gibt), ist das Schottengymnasium ein lohnender Untersuchungsgegenstand. Außerdem gab es an diesem Gymnasium bis in die jüngste Vergangenheit keine Koedukation, sie stand also nur männlichen Schülern offen. Die Quellenlage bezüglich der Jahresberichte ist vergleichsweise gut: Zwischen 1918/19 und 1936/37 liegen neun Jahresberichte vor, ab 1931/32 sogar durchgehend. Was die Größe der Schule angeht, so unterlag die Schülerzahl im Untersuchungszeitraum einigen Schwankungen: Der Jahresbericht 1918/19 gibt zum Ende des Schuljahres eine Anzahl von 329 (davon 71 Privatisten491) und 19 Lehrern an.492 Die Schülerzahl blieb in den nächsten Jahren ungefähr konstant,493 erhöhte sich gegen Ende der 1920er und Beginn der 1930er Jahre auf

489 Maximilian Alexander Trofaier, Geschichte des Schottengymnasiums, online unter: https://www.schotten. wien/schottengymnasium/schulgeschichte/ [zuletzt abgerufen am 31.01.2024]. 490 Auf der Schulhomepage heißt es dazu: „Besonderes Ansehen genießt das Schottengymnasium nicht zuletzt aufgrund der großen Zahl ehemaliger Schüler und Absolventen, die sich in Politik, Kultur, Wissenschaft und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens hervorgetan haben. Kaiser Karl I. war ebenso Schottenschüler wie drei Generationen der regierenden Fürsten von Liechtenstein. Zu den Absolventen zählen ein österreichischer, ein ungarischer und vier cisleithanische Ministerpräsidenten, ein österreichischer Bundeskanzler, zehn cisleithanische bzw. österreichische Minister sowie zahlreiche Abgeordnete auf Staats- und Landesebene.“ Trofaier, Geschichte des Schottengymnasiums. 491 Privatisten besuchten nicht den regulären Unterricht, sondern wurden zuhause unterrichtet und kamen nur für die Prüfungen zur Schule. 492 Anton Sauer, Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Am Schlusse des Schuljahres 1918/19, Wien 1919, 41-42, 62. 493 Albert Hübl, Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Am Schlusse des Schuljahres 1919/20, Wien 1920, 17.

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fast 400494 und sank in der Folge wieder auf 340-350.495 Die Schule war damit von nicht ungewöhnlicher Größe und lag – um einen Vergleich aus dem Sample zu nehmen – in etwa in derselben Größenordnung wie das St. Pöltner Gymnasium (siehe 3.4). Auffallend an den Jahresberichten des Schottengymnasiums ist, dass sich an ihnen im Laufe der Anfangsjahre der Republik formal wenig änderte: So erfolgte beispielsweise unter dem Punkt „Zahlenübersicht für das Schuljahr“ eine detaillierte Aufschlüsselung der Schüler der Anstalt anhand verschiedener Kriterien wie Vaterland (Geburtsort), Muttersprache, Religionsbekenntnis, Alter, Wohnort der Eltern und Studienerfolg – all diese Kriterien wurden ohne Änderungen auch nach 1918 weiter verwendet. Allerdings änderten sich Kleinigkeiten: In den Jahresberichten von 1918/19 und 1919/20 lauten die ersten drei Kategorien „1. Zahl der Schüler, 2. Vaterland (Geburtsort), 3. Muttersprache“. Ab dem Jahresbericht 1927/28 kommt jedoch die Muttersprache erst an vierter Stelle, da als dritter Punkt „Staatszugehörigkeit“ eingeschoben wurde. Diese Ordnung wurde bis zum letzten vorliegenden Jahresbericht aus dem untersuchten Zeitraum (1936/37) beibehalten. Außerdem änderte sich 1927/28 im Vergleich zu 1919/20 auch die Benennung einiger „Vaterländer“:496 Die Bezeichnungen der ehemaligen Kronländer wurden durch die Namen der nunmehrigen Staaten ersetzt. So wurde aus ‚Krain, Küstenland und Dalmatien‘ nun ‚Jugoslawien‘, aus ‚Böhmen und Mähren‘ die ‚Tschechoslowakei‘. Ebenso finden sich die Bezeichnungen ‚Schlesien‘, ‚Galizien‘ und ‚Bukowina‘ nicht mehr; die betreffenden Länder hießen nun ‚Polen‘ und ‚Rumänien‘.497 In diesem Zusammenhang und mit Hinblick auf die These von der ‚Schule ohne Nation‘ ist es also spannend, Überlegungen dazu anzustellen, weshalb ab dem Schuljahr 1927/28 erstmals zwischen Vaterland und Staatsangehörigkeit unterschieden wurde. Prinzipiell nicht verwunderlich ist die Verknüpfung von Vaterland und Staatsangehörigkeit durch die räumliche Nähe dieser beiden Begriffe in den Jahresberichten: So bildete ‚Vaterland‘ die zweite angeführte Kategorie, ‚Staatsangehörigkeit‘ die dritte. Zieht man nun in Betracht, dass in den Mittelschullehrplänen von 1927 – also in derselben Zeit – ‚Vaterland‘ meist als Synonym für Deutschland verwendet wird, während auf die geographische Heimat Österreich meist als ‚Heimatland‘ referiert wird, ergibt sich ein ambivalentes Bild. In der Kategorie ‚Vaterland‘ scheint Österreich nämlich gar nicht auf: Die einzelnen Bundesländer werden angeführt, der Gesamtstaat jedoch nicht. Das würde insofern zum Gesamtbild passen, als ‚Vaterland‘ – zumindest in den Lehrplänen von 1927 – als auf die Nationalität abzielender Terminus gebraucht wurde.498 Da Österreich damals von großen Teilen der österreichischen Bevölkerung nicht als eigene Nation angesehen wurde, die Bindung an das jeweilige Heimatbundesland aber durchaus stark ausgeprägt war, würde diese Zuschreibung passen. Gegen diese Interpretation spricht aber, dass diese Kategorisierung auch in den Folgejahren beibehalten wurde, als vor allem die Bundesschulen ab 1933/34 Adressaten und Agenten eines staatlich verordne-

494 Vinzenz Blaha, 125. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Am Schlusse des Schuljahres 1931/32, Wien 1932, 67; Vinzenz Blaha, 126. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1932/33, Wien 1933, 45. 495 Vinzenz Blaha, 129. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1935/36, Wien 1936, 31; Vinzenz Blaha, 130. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1936/37, Wien 1937, 35. 496 Albert Hübl, Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Am Schlusse des Schuljahres 1927/28, Wien 1928, 47 – 48. 497 Ebd., 47. 498 Siehe Kap. 2.2.3.

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ten Österreichnationalismus waren.499 Konsequenterweise hätte die ursprüngliche Kategorie ‚Vaterland‘ (mit dem Zusatz ‚Geburtsort‘) daher zu ‚Geburts-‘ oder ‚Heimatland‘ werden müssen, während ‚Vaterland‘ (im Sinne der Verwendung des Wortes mit Stand 1927) auf die nationale Zugehörigkeit abzielen hätte müssen und somit ‚Österreich‘ als nun verordnete nationale Zugehörigkeit aufscheinen hätte müssen – dies war aber nicht der Fall. Somit ergibt sich ein diffuses Bild des uneinheitlichen Gebrauches von ‚Vaterland‘ und ‚Heimatland‘, wobei nicht eindeutig klar ist, ob damit auf die nationale oder die staatliche Zugehörigkeit abgezielt wurde. Denn die Staatszugehörigkeit bildete während des gesamten Zeitraumes eine eigene Kategorie. Ganz ähnlich verhielt es sich damit aber auch an anderen Schulen im selben Zeitraum: Die Jahresberichte des St. Pöltner Gymnasiums (siehe 3.4) enthalten eine ähnliche Einteilung der Schüler und Schülerinnen nach Geburtsort/-land, Staatsbürgerschaft und Muttersprache.500 Im Falle der Schule in St. Pölten stellt sich die Frage nach dem Gegensatz von Vaterland und Heimatland jedoch nicht, da keiner der beiden Ausdrücke gebraucht wurde. Hier wurde einfach auf den Geburtsort abgestellt, wobei weiter entfernte Geburtsorte dann einfach unter der jeweiligen Länderbezeichnung zusammengefasst wurden.501 Zum Inhalt der Jahresberichte Der erste hier behandelte Jahresbericht stammt aus dem Schuljahr 1918/19, zu Beginn des Schuljahres existierte die Monarchie also noch, während am Ende des Schuljahres bereits die Republik Deutschösterreich seit über einem halben Jahr existierte und bereits bald darauf im Zuge einer weiteren Transformation zur Republik Österreich wurde (siehe Kapitel 2.1). Diese politischen Umbrüche spiegelten sich auch in der Schule und entsprechend im Jahresbericht wider. Unter Punkt G werden im Jahresbericht „die wichtigsten Erlässe der Schulbehörden“ (angeführt werden drei) genannt: Neben den Erlässen bezüglich Erleichterungen bei der Reifeprüfung und Einführung des 1. Mai als Feiertag ist besonders der Erlass des deutschösterreichischen „Staatsamt[es] für Unterricht vom 15. November 1918“ interessant. Darin heißt es: Die Schüler sind in einer ihrem Fassungsvermögen entsprechender Form darauf aufmerksam zu machen, daß die österreichisch-ungarische Monarchie zu bestehen aufgehört hat und daß die Schüler nunmehr Angehörige des neuen Staatswesens Deutschösterreich sind.502

Zu diesem Zeitpunkt Mitte November 1918 war die republikanische deutschösterreichische Regierung erst wenige Wochen im Amt, und die letzte kaiserliche Regierung unter Ministerpräsident Heinrich Lammasch war erst vier Tage zuvor, am 11. November 1918, ihres Amtes enthoben worden. Umso bemerkenswerter ist also dieser Erlass, der die Schülerinnen und Schüler unmittelbar mit der neuen politischen Realität konfrontieren sollte. Die im Laufe des Schuljahres verfasste Schulchronik verzeichnet für 12. November 1918, also einen Tag nach Kaiser Karls Thronverzicht, folgenden Eintrag: „Am 12. November wurde aus den deutschen 499 siehe Kap. 3.9. 500 Klaudius Chitil, 66. Jahresbericht des Bundes=Real= und Ober=Realgymnasiums und der damit verbundenen Bundes=Handelsschule in St. Pölten. Veröffentlicht am Schlusse des Schuljahres 1928-1929, St. Pölten 1929, 39 – 40. Siehe Kap. 3.4. 501 Die erste Kategorie war St. Pölten und Umgebung, die zweite Niederösterreich, ab der dritten dann Bundesländer und ab der achten dann Länder (Deutschland, Schweiz, etc.). 502 Sauer 1919, 58.

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Kronländern des ehemaligen Kaiserstaates Österreich die Republik ‚Deutschösterreich‘ gebildet.“503 Hier wird durch die tagesaktuelle Auflistung wichtiger Ereignisse deutlich, dass sich dieses Gymnasium nahe am politischen Zentrum befand und entsprechende politische Ereignisse direkt auf die Schule, die Lehrer und Schüler einwirkten und verschriftlicht wurden. Abgesehen von diesen Geschehnissen im Herbst 1918 wurden im Jahresbericht aber keine weiteren politischen Ereignisse genannt. Die große Not der Bevölkerung infolge des Krieges wird zwischen den Zeilen thematisiert. Der Jahresbericht 1919/20 ging hingegen gar nicht auf Ereignisse außerhalb der Schule ein. Dieses Muster wurde während der unmittelbar folgenden Jahresberichte – die hier nicht vorliegen – wahrscheinlich beibehalten. Erst 1927/28 verzeichnet die Schulchronik ein eigentlich außerschulisches Ereignis für den 12. November 1927: „Am 12. November wurde der Nationalfeiertag festlich begangen. Chöre und Musikstücke umrahmten die Festrede, die Professor Dr. Hermann Peichl hielt.“504 Auch für die späteren Jahre finden sich entsprechende Einträge anlässlich des Proklamationstages der Republik Deutschösterreich. So heißt es im Jahresbericht 1931/32: „Die Festfeier des Nationalfeiertages wurde am 11. November abgehalten.“505 Es gab eine Festrede und eine Aufführung des Schulorchesters anlässlich dieses Feiertages. Allerdings war ein solcher Aufwand keineswegs etwas Ungewöhnliches: So verzeichnet die Chronik des Schuljahres 1931/32 für den April 1932 die Abhaltung von Feiern für Johann Wolfgang von Goethe (gestorben im März 1832, also zum 100. Todestag) und Joseph Haydn (geboren im April 1732, also zum 200. Geburtstag). Auch hier gab es Festreden, Lieder und Gedichte, Szenen aus Goethes Werken wurden vorgetragen beziehungsweise Ausschnitte aus Haydns Symphonien aufgeführt. Der Bericht schließt mit dem Satz: „Den Abschluß der schönen Feier bildete die Bundeshymne.“506 Welche Hymne genau hier gesungen wurde, ist zwar nicht klar, aber eine Überlegung wert, stammt doch just von Joseph Haydn die Kaiserhymne ‚Gott erhalte Franz den Kaiser‘, die nach 1918 in Österreich abgeschafft wurde. Die Melodie war jedoch auch nach dem Ende der Monarchie in Österreich überaus populär – weit populärer als die Hymnen danach, deren Texte viele Schulkinder nicht einmal kannten.507 Zieht man in Betracht, dass gemeinsame Rituale wie das Absingen einer Hymne identitätsstiftende Momente sein können, verdeutlicht diese Unklarheit bezüglich der Bundeshymne die Problematik der österreichischen Nationsbildung in der Ersten Republik. Auch im folgenden Schuljahr, im Herbst 1932, gab es an der Schule wieder Feierlichkeiten anlässlich des Jubiläums der Ausrufung der Republik am 12. November mit Festrede und Aufführung des Schulorchesters, und auch diese Veranstaltung wurde wieder mit der Bundeshymne geschlossen, wie der Bericht vermerkt.508 So banal es klingen mag: Die Hymne des ‚Vaterlandes‘ stellt ein wichtiges einigendes Element dar. So ist zu beobachten, dass die meisten Menschen beim Singen eine andächtige Haltung einnehmen und den Text mit Ernst und Leidenschaft vortragen. Ungebührliches Verhalten oder Störungen werden als unangebracht 503 504 505 506 507

Ebd., 55. Hübl 1928, 37. Blaha 1932, 56. Ebd., 59. So erinnerte sich ein Volksschüler der 1920er Jahre viele Jahre später daran, dass ab der Mitte der 1920er Jahre die Bundeshymne eine wichtige Rolle im Schulleben spielen sollte und vermehrt dargeboten wurde, wobei aber nur wenige den Text überhaupt auswendig kannten und noch weniger emotional von ihr berührt wurden. Der Name dieses Schülers war Eric Hobsbawm: Hobsbawm 2012, 92. 508 Blaha 1933, 36.

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wahrgenommen. Ähnlich verhält es sich mit anderen Staatssymbolen, wie zum Beispiel Flaggen:509 So gilt das Verbrennen oder Beschmutzen einer Flagge als Ausdruck der Missachtung und Demütigung desjenigen Staates, den sie repräsentiert. Das gemeinsame Absingen einer Hymne kann als gemeinschaftsstiftendes Ritual gesehen werden, dem trotz seiner Banalität ein hoher Stellenwert zukommt. Von daher sind anekdotenhafte Erzählungen wie jene von Eric Hobsbawm, dass viele Kinder nicht einmal wussten, welche Hymne gesungen werden sollte und wie deren Text lautete,510 zumindest als Indizien dafür zu sehen, dass die affektivemotionale Zugehörigkeit zu Österreich eher schwach ausgeprägt ist. Wie der Jahresbericht 1933/34 festhält, war die Schule Austragungsort einiger größerer Veranstaltungen: Am 7. Oktober 1933 wurde in Anwesenheit des Bundesministers für Unterricht, Kurt Schuschnigg, eine Feier anlässlich der sogenannten ‚Türkenbefreiung‘511 abgehalten. Die Chronik hält dazu fest: Der Herr Minister hatte die Güte, seine Zufriedenheit über die Feier zu äußern und Worte der Anerkennung und Aufforderung zu patriotischer Gesinnung an die Schüler zu richten. Bei dieser Gelegenheit besuchten die Schüler das Grab Starhembergs in der Schottengruft.512

Auch die Februarunruhen von 1934 werden thematisiert und als „Revolte“ bezeichnet. Unmittelbar danach fand sich erneut Kurt Schuschnigg als hoher Vertreter der Regierung in der Schule ein, nämlich am 19. Februar bei der Messe für die bei der „Revolte“ Gefallenen, also die Angehörigen der Exekutive, die bei der Niederschlagung der aufständischen Sozialdemokraten ums Leben gekommen waren. Kurz darauf, am 6. März, wurden Vorträge zum Luftschutz samt praktischer Übungen dazu gehalten. Anlässlich der Feier zum 1. Mai 1934 (Einführung einer neuen Verfassung, um Dollfuß‘ Diktatur zu legalisieren; siehe Kap. 2.1) entsandte die Anstalt 90 Schüler, also immerhin fast ein Drittel der Gesamtschülerzahl, zu Dollfuß‘ Rede im Praterstadion, wie der Jahresbericht vermerkt. Ende Mai gab es gar eine „vaterländische Schulfeier“: Am 26. Mai wurde im Prälatensaale die vaterländische Schulfeier abgehalten, in der Herr Prof. Dr. P.[ater] Wilibald [sic!] Berger in einer formvollendeten und gehaltvollen Rede der Jugend die Bedeutung unseres Vaterlandes Österreich und seine deutsch-christliche Sendung klarlegte.513

Zwar werden Vorträge und Darbietungen des Schulorchesters erwähnt, von der Bundeshymne ist aber beispielsweise keine Rede. Dafür nahmen am Tag darauf, am 27. Mai 1934, Gymnasiasten des Schottengymnasiums an „der Treuekundgebung auf dem Burgplatz anläßlich des Tages der Jugend“514 samt ihrem neu geweihten Wappen und der Schulfahne teil. Ähnlich ausgerüstet waren sie bei der Gedächtnisfeier für den verstorbenen Kanzler Dollfuß im Schulhaus am 5. Oktober 1934, an der die Schüler zum ersten Mal in Uniform teilnahmen. Mit Hans Pernter, dem Staatssekretär für Unterricht, nahm wieder ein hoher Vertreter 509 510 511 512

Billig 2010, 39. Siehe Anm. 507. Ende der Belagerung Wiens durch die Osmanen im Herbst 1683. Vinzenz Blaha, 127. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1933/34, Wien 1934, 3. Gemeint ist Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg, der 1683 Festungskommandant im belagerten Wien war. 513 Ebd., 5. 514 Ebd.

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des Staates und sogar der Bundesregierung an einer Feier in der Einrichtung teil. Pernters Besuch war nach Schuschniggs Besuchen im Oktober 1933 und Februar 1934 bereits der dritte Besuch eines Unterrichtsministers innerhalb eines Jahres – eine durchaus ungewöhnliche Häufigkeit. Schülerorchester und Schülerchor traten auf, Gedenkreden zur Würdigung des Verstorbenen wurden gehalten. Geschlossen wurde die Veranstaltung mit der Bundeshymne.515 Auch in diesem Schuljahr wurden noch weitere Feierlichkeiten begangen: So fand anlässlich Friedrich Schillers 175. Geburtstag am 10. November eine Schillerfeier mit verschiedenen Aufführungen statt, am 20. Februar eine Andreas-Hofer-Feier, bei der dessen Wirken gewürdigt wurde. Außerdem forderten die Professoren bei dieser Gelegenheit „die Schüler zu gleichem Gottvertrauen und zu gleicher Heimatliebe“516 (wie sie der als ‚Märtyrer‘ für Österreich gedeutete ‚Freiheitskämpfer‘ Andreas Hofer angeblich gehabt habe), bevor die Veranstaltung mit dem Abspielen der Bundeshymne endete. Auch außerhalb der Schule sollten die Schüler auf einen „österreichischen Weg“ gebracht werden. So besuchten sie zum Beispiel im März 1935 die Ausstellung „Wirtschaft im Aufbau, Österreich über alles, wenn es nur will“517. Am 10. April gab im Rahmen einer „vaterländischen Stunde“ einen Diavortrag mit dem Titel „Heimaterde wunderhold“. Wer den Vortrag nicht besuchen konnte, erhielt am 13. April als Nachtrag „vaterländische Stunden“. Ähnliche Veranstaltungen gab es auch in den folgenden Jahren: Wie der Jahresbericht 1935/36 festhält, beging das Stift am 26. Oktober 1935 eine Heldengedenkfeier, wobei die Schüler auch der Parade der Wiener Garnison auf der Ringstraße beiwohnten.518 Der militärische Eindruck, den der Jahresbericht vermittelt, wird noch dadurch verstärkt, dass es im November 1935 im Rahmen der vaterländischen und vormilitärischen Erziehung eine Filmvorführung über den Weltkrieg von 1914 bis 1918 durch einen Offizier des Bundesheeres gab. Im Dezember 1935 wurde die vormilitärische Erziehung der Schüler im Rahmen einer Inspektion durch einen Bundesheeroffizier und einen Regierungsrat überprüft, wobei es viel Lob gab, besonders für „die stramme Haltung der Schüler“519. Am 19. April 1936 wiederum „erbaute sich ein Teil der Obergymnasiasten an dem herrlichen Schauspiel, das die Parade der österreichischen Truppen auf dem Ringe520 bot.“521 Kurz darauf gab es eine Feier für den Prinzen Eugen von Savoyen, im Rahmen derer der Schülerchor das ‚Prinz-Eugen-Lied‘ und ‚O du mein Österreich‘ darbot. Auch diese Feier schloss mit dem Absingen der Bundeshymne. Die Maturafeier im Juni 1936 wird folgendermaßen geschildert: Nach Absingung des Dollfuß-Liedes hielt der Direktor eine flammende Ansprache, in der die jungen Leute zu eifriger Pflichterfüllung dem Vaterlande gegenüber aufgefordert wurden. Drei Schüler, deren Reifezeugnisse lauter ‚sehr gut‘ auswiesen, erhielten je ein Prämium. Zum Abschluß der Feier wurde die Bundeshymne gesungen.522 515 Vinzenz Blaha, 128. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1934/35, Wien 1935, 10 – 11. 516 Ebd., 12. 517 Ebd. Der Titel der Ausstellung war wohl eine Anspielung auf das Werk des Ökonomen Philip Wilhelm von Hornick, der im Angesicht der überstandenen Belagerung Wiens 1683 sein Hauptwerk ‚Oesterreich über alles wann es nur will‘ verfasste. 518 Blaha 1936, 22. 519 Ebd. 520 Gemeint ist damit die Wiener Ringstraße, ein Prachtboulevard um den 1. Bezirk der Stadt, auf dem sich etliche Ministerien, das Rathaus, das Burgtheater, die Universität und prunkvolle Palais befinden. 521 Blaha 1936, 23. 522 Ebd., 24.

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Auch im Schuljahr 1936/37 wurden die Schüler wieder sprichwörtlich auf Trab gehalten: Anlässlich Ferdinand Raimunds 100. Todestages gab es Ende Oktober eine Feier, bei der die Schüler den Marsch ‚Aller Ehren ist Österreich voll‘ und anderes darboten. Die Festrede wurde sogar im Jahresbericht abgedruckt. Was den Schülern im Rahmen dieser Feier vermittelt werden sollte, fasst der folgende Ausschnitt aus der Rede prägnant zusammen: Nach den gärenden Jahren der geistig-politischen Umbruchszeit [gemeint ist damit das ‚Zwischenspiel‘ der parlamentarischen Demokratie; Anm.] ist unserem Vaterland von gläubig-starker Hand ein neuer Weg gewiesen worden. Nach einem Zurückfinden zum alten österreichischen Wesen soll [sic!] Volk und Land nach christlichen und sozialen Grundsätzen weitergeführt werden in eine glücklichere Zukunft. Wer kann uns aber besser österreichische Art zeigen, wer kann uns tiefer Fühlen und Denken unserer Väter verstehen und lieben lehren, wenn nicht die großen Toten unseres Volkes! Und zu diesen zählt Ferdinand Raimund.523

Am Samstag, dem 31. Oktober 1936, „wurde die vorgeschriebene Heldengedenkfeier gehalten“524. Weiters wurde auch des Heiligen Leopolds (Landespatron Wiens und Niederösterreichs) gedacht, und im Rahmen von Ausflügen wurde auch die vormilitärische Erziehung nicht außer Acht gelassen, wie der Jahresbericht betont. Auch nahmen Abordnungen der Schuljugend an der Kundgebung der Vaterländischen Front auf der Ringstraße am 1. Mai 1937 und am 2. Mai an der Jugendfeier im Stadion teil, beteiligten sich also aktiv an der auf Veranlassung Dollfuß‘ bereits 1934 initiierten Umdeutung des ersten Mai vom sozialistischen Tag der Arbeit zum ‚austrofaschistischen‘ Feiertag der neuen Verfassung, mit der der Staatsstreich legitimiert werden sollte. Aus dem eben Beschriebenen lässt sich nun zusammenfassend das Folgende im Hinblick auf die Forschungsfragen und die forschungsleitenden Thesen ableiten: Der Widerspruch zwischen staatlicher und nationaler Zugehörigkeit wird anhand der Jahresberichte des Schottengymnasiums aus der Zeit von 1918 bis 1938 sichtbar. So können nicht nur terminologische Widersprüche beispielsweise anhand des Begriffspaares ‚Vaterland‘ und ‚Heimatland‘ nachgewiesen werden, auch deren Interpretation wirkt retrospektiv mehrdeutig. Das im Jahresbericht 1918/19 geäußerte und folglich den Schülern vermittelte Verständnis, dass die neu geschaffene Republik ein deutscher Staat sei, blieb in den Folgejahren zumindest im Schulbereich anscheinend unwidersprochen. Eine deutliche Änderung ist erst für den Beginn der 1930er Jahre zu konstatieren (wobei bereits Ende der 1920er Jahre Anzeichen merkbar waren), besonders ab 1933. Hierbei ist zu bedenken, dass auch Schulen im Verlauf der Kanzlerdiktatur großes Interesse hatten, besonders in den Jahresberichten ihre Übereinstimmung mit der Regierungslinie zu demonstrieren. Dennoch spricht auch die Anzahl der im Jahresbericht erwähnten Besuche hoher Regierungspolitiker dafür, dass das Schottengymnasium, seine Lehrer und nicht zuletzt seine Schüler zumindest nach außen hin den staatlich verordneten Österreichpatriotismus unterstützten und lebten. Somit kann auch die These von der Nationalisierung der Schulen ab 1930 für diesen Fall als bestätigt angesehen werden. Die vielen ‚vaterländischen‘ Veranstaltungen und deren Themen sowie die inner- und außerhalb der Schule abgehaltenen Feiern belegen eindrücklich, dass die nationalen Aspirationen des Regimes bis in die Räumlichkeiten der Schule durchzudringen vermochten; dies wird sich auch in den folgenden Abschnitten zeigen, die den behandelten Lehrstoff und die Reifeprüfungen zum Gegenstand haben. 523 Blaha 1937, 22. 524 Ebd., 26.

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Der Lehrstoff Über den behandelten Lehrstoff geben die Jahresberichte des Schottengymnasiums leider nur in begrenztem Maße Auskunft. Der Bericht von 1918/19 verweist eingangs darauf, dass der behandelte Stoff dem Lehrplan entspreche und nur zu Deutsch, Griechisch und Latein nähere Auskünfte erfolgten.525 Dementsprechend werden hier der Lesestoff, die Redeübungen und die Aufsätze (inklusive Schularbeiten) aus Deutsch (in der genannten Reihenfolge) behandelt. Gelesen wurde 1918/19 vornehmlich aus dem Lesebuch, also aus einem bereits vorgefertigten Kanon:526 In der sechsten Klasse etwa Lessings ‚Minna von Barnhelm‘, Goethes ‚Götz von Berlichingen‘, Schillers ‚Kabale und Liebe‘ und Shakespeares ‚Macbeth‘. Auch in der siebten Klasse war Goethe zu lesen (‚Iphigenie auf Tauris‘, ‚Hermann und Dorothea‘), aber auch einiges von Schiller (‚Don Carlos‘, ‚Wallenstein‘, ‚Jungfrau von Orleans‘) und Grillparzer (‚Sappho‘, ‚König Ottokars Glück und Ende‘) stand auf dem Plan. In der achten Klasse ging es ähnlich weiter, wenn im Lesebuch Grillparzers ‚Ein Bruderzwist in Habsburg‘, ‚Der Traum ein Leben‘ und ‚Ein treuer Diener seines Herrn‘ gelesen wurden. Die Redeübungen der Schüler standen oft in einem engen Zusammenhang mit der gelesenen Literatur, weshalb sich in der siebten Klasse Redethemen finden wie „Der Bund zwischen Goethe und Schiller“, „Wilhelm Meisters Jugend“, „Die Vorgeschichte der Iphigenie“ und „Die Monologe der Iphigenie“. In der achten Klasse waren die Themen deutlich umfangreicher. Hier waren Themen solcher Art zu behandeln wie „Entwicklung der deutschen Tragödie“, „Entwicklung des deutschen Romans“, „Die Dichtung in Österreich“, „Einflüsse fremder Literaturen auf die deutsche Geschichte der politischen Lyrik“, „Die Philosophen und die deutsche Sprache“, „Die Frauen in Goethes Leben“, „Das Wiener Gaswerk“, „Das Unterseebot“ und „Der Tabakbau“. Aufsätze527 (Haus- und Schularbeiten) waren zu schreiben zu Themen wie „Der heurige Winter“ oder „Siegfrieds ergreifendes Ende“ in der fünften Klasse. In der sechsten Klasse waren es „Unser jetziges Vaterland“, „Der Segen der Arbeit“, „Charakter des Götz“ oder „Die seelischen Wirkungen des Krieges“. In der siebten Klasse gab es wieder literarische Themen wie „Wallensteins letzter Lebenstag“ oder „Das Unrecht gegen Maria Stuart“, ebenso in der achten Klasse: „Der griechische Dramenstil in ‚Sappho‘“, „Was lehrt uns der Weltkrieg?“, „Klassizismus und Romantik im ‚goldenen Vlies‘“ und „Religion und Kunst“. Von den Autoren, die bereits im Untersuchungszeitraum und auch bis heute als „österreichisch“ galten, wurde besonders Franz Grillparzer528 augenscheinlich sehr intensiv gelesen. Das hat wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass Grillparzer, der im 19. Jahrhundert die Revolutionen von 1848/49 und den Konflikt um die Lösung der sogenannten ‚Deutschen Frage‘ hautnah miterlebte, diesen österreichisch-deutschen Konflikt intensiv literarisch bearbeitete. Dieser Umstand sei im Folgenden anhand eines kleinen Exkurses in Grillparzers Schaffen verdeutlicht: In Grillparzers Gedicht ‚Mein Vaterland‘ vom März 1848529 schrieb Grillparzer voller patriotischer Gefühle: „Sei mir gegrüßt, mein Oesterreich! / Auf deinen neuen

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Sauer 1919, 43. Ebd., 43 – 45. Ebd., 47 – 48. Gerhart Baumann, Grillparzer, Franz, in: Bayerische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Neue Deutsche Biographie, 69 – 75. 529 Hier und im Folgenden sollte man im Hinterkopf behalten, dass im Jahr 1848 einige Revolutionen und kriegerische Auseinandersetzungen in vielen Teilen Europas stattfanden.

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Wegen; / Es schlägt mein Herz, wie immer, gleich / Auch heute dir entgegen.“530 Anfang Juni 1848, nach den Schlachten von Santa Lucia und Vicenza im Rahmen der österreichischen Militäroperationen in Italien, schrieb Grillparzer ein Lobgedicht mit dem Titel ‚Feldmarschall Radetzky‘ auf den österreichischen Befehlshaber in Italien, den Feldmarschall Josef Wenzel Radetzky von Radetz: „Glück auf, mein Feldherr, führe den Streich! / Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer, / In deinem Lager ist Oesterreich, / Wir Andern sind einzelne Trümmer.“531 1867 stimmte das Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund durch die militärische Niederlage gegen Preußen den Literaten Grillparzer jedoch nachdenklich, und eines seiner Gedichte versinnbildlicht den Zwiespalt zwischen ‚Deutschsein‘ und ‚Österreichischsein‘: „Als Deutscher ward ich geboren / Bin ich noch Einer? / Nur, was ich Deutsches geschrieben, / Nimmt mir keiner.“532 Die sogenannte ‚Deutsche Frage‘ um die Vorherrschaft im deutschsprachigen Raum beschäftigte nicht nur Akteure des 19. Jahrhunderts, sondern war auch im 20. Jahrhundert noch durchaus aktuell. Eine endgültige Lösung erfuhr sie erst durch den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich 1938, dessen Niederlage und die Errichtung eines souveränen Österreich 1945. Die Auszüge aus Grillparzers Gedichten belegen eindrücklich, dass auch er zwischen Österreichtum und Deutschtum schwankte. Oft wurde Grillparzer nicht zuletzt aufgrund seiner patriotischen Werke von der Nachwelt als überzeugter Österreicher gedeutet und genoss deshalb besonders in der österreichischen Schule besondere Popularität. Für die folgenden Schuljahre wäre eine derartige Aufzählung und Analyse der behandelten Literatur sicherlich aufschlussreich und wünschenswert, doch findet sich eine derartige Aufstellung leider in keinem der folgenden Jahresberichte bis zum Ende der Ersten Republik 1938. Ein Vergleich ist daher für diesen spezifischen Schulstandort leider nicht möglich, nur Spekulation darüber, was gelesen wurde. Es ist anzunehmen, dass hier eine ähnliche Entwicklung stattfand, wie sie im Rahmen der folgenden Fallstudien detaillierter beschrieben wird. Die Reifeprüfungsaufgaben Neben der behandelten Literatur bieten aber auch die Reifeprüfungsangaben wichtige Einblicke in das Schulleben. Zu einem gewissen Grad erlauben diese nämlich, den Unterricht in der Oberstufe zu rekonstruieren, denn die Matura ist eine Prüfung über die in der Oberstufe behandelten Stoffgebiete. Damit kann das im vorigen Unterpunkt angesprochene Problem der fehlenden Überlieferung teilweise kompensiert und die Untersuchung verdichtet werden. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen im Folgenden – in Abhängigkeit von und Übereinstimmung mit dem durch Überlieferung vorhandenen Material – vor allem die Klausuren aus Deutsch, aber auch die Hausarbeitsthemen aus den anderen Gegenständen. Dabei ist zu beachten, dass nur die Angaben für die Haupt- also Sommertermine erhalten sind. Ein ähnlicher Aufwand wurde für die Nebentermine im Herbst, Winter und Frühjahr nicht betrieben. Die Reifeprüfungsthemen in Deutsch für den Sommertermin 1919 sind angesichts der zuvor erläuterten politischen und gesellschaftlichen Umstände aufschlussreich und besonders die dritte Aufgabenstellung „c“ zeugte von einiger Aktualität: „a) Was man ist, das bleibt man anderen schuldig. Gewählt von 15 Prüflingen. b) Die Frauengestalten in Goethes Werken. Gewählt von 5 Prüflingen. c) Welche Rolle spielte der Nationalitätsgedanke in der Vergangen530 Grillparzer 1878, 145. 531 Ebd., 147. „In deinem Lager ist Österreich“ wurde später zu einem vielfach zitierten Satz. 532 Ebd., 164.

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heit? Gewählt von 10 Prüflingen.“533 Zur ersten Themenstellung war wohl eine Erörterung zu schreiben, während die zweite eindeutig auf die Kenntnis der gelesenen Schullektüre abzielte. In der dritten Themenstellung wurde der Nationalitätenkonflikt aufgegriffen und sollte von den Schülern in einer historischen Darstellung erörtert werden. Angesichts der Tatsache, dass der Staat, in dem diese Schüler ihre Prüfung im Frühsommer 1919 ablegten, immer noch Deutschösterreich hieß und sich somit zur deutschen Nation bekannte und dieser zugehörig sein wollte, war dies eine auch gesellschaftspolitisch aktuelle Fragestellung, die entsprechend von zehn Prüflingen (also einem Drittel aller Kandidaten) gewählt wurde. Die als Nationalitätenkonflikt bezeichneten Auseinandersetzungen verschiedener Volks- und Sprachgruppen innerhalb der Monarchie waren seit Jahrzehnten ein wichtiges Thema gewesen.534 Arnold Suppan bezeichnet den Nationalitätenkonflikt sogar als „das schwierigste innenpolitische Problem des Habsburgerstaates.“535 Insofern ist nicht verwunderlich, dass es von einem Drittel der Prüflinge gewählt wurde. Der Jahresbericht von 1919/20 nennt leider keine Reifeprüfungsthemen, weshalb an dieser Stelle kein Vergleich möglich ist, aber im Jahresbericht 1927/28 werden wieder die Themen der Haus- und Klausurarbeiten genannt: Nur ein Schüler entschied sich dafür, eine Hausarbeit in Deutsch zu verfassen, nämlich eine vergleichende Arbeit mit dem Titel „Schillers Jungfrau von Orleans und die heilige Johanna von Bernhard Shaw.“536 In Geschichte wurden folgende Hausarbeiten verfasst: „Die Beziehungen zwischen Österreich und Preußen“537, „Der Kampf um Elsaß-Lothringen“, „Geschichte der Deutschen in Böhmen“ sowie noch zwei Texte zu Wallenstein und jeweils einer zu Adam Smith und der englischen Weltmacht. Bei der Klausur standen in Deutsch zu Auswahl: „a) Goethes Dichtung im Spiegel seines Lebens; b) Der Kampf der Menschen gegen Raum und Zeit; c) Die Wunder des Instinktes.“538 Gerade die erstgenannten Titel der Hausarbeiten verdeutlichen, welch zentralen Stellenwert Deutschland und seine Geschichte im Österreich der 1920er Jahre immer noch einnahmen. 1932 gab es Hausarbeiten aus Latein, Griechisch und Geschichte, wobei in Geschichte zwei Hausarbeiten verfasst wurden mit den Titeln „Die Geschichte der Steiermark“ und „Österreich-Ungarn im Zeichen des Dualismus. Der Ausgleich des Jahres 1867 und seine Bedeutung für die Monarchie.“539 Bei der Deutschklausur konnte gewählt werden aus den folgenden Themen „a) Frauen als Regentinnen. b) Die erziehliche Wirkung der Schaubühne. c) Wissen ist Macht.“540 Für 1933 nennt der Jahresbericht Hausarbeitsthemen aus Latein, Griechisch und Naturgeschichte, die an dieser Stelle nicht weiter von Interesse sind, und die Klausurthemen der schriftlichen Reifeprüfung. Diese waren in Deutsch: „a) Schillers Ideenwelt. b) Die Nachwirkungen des Weltkrieges. c) Nur der Starke wird das Schicksal erzwingen.“541 Vor allem 533 Sauer 1919, 61. 534 Arnold Suppan, Die Nationalitäten Österreich-Ungarns und ihre Selbstbestimmung im 20. Jahrhundert, in: Embacher (Hg.), 75 – 87, hier 75 – 79. 535 Ebd., 75. 536 Hübl 1928, 45. 537 Ebd. 538 Ebd., 46. 539 Blaha 1932, 65. 540 Ebd. 541 Blaha 1933, 44.

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das letzte Thema ist bemerkenswert, hatte doch nur wenige Monate zuvor der Bundeskanzler Dollfuß das Parlament als Machtfaktor ausgeschalten und so die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie erzwungen, was in konservativ-katholischen Kreisen als Notwendigkeit des Schicksals gesehen wurde. Leider liegt keine der Klausurarbeiten vor, doch ist nicht auszuschließen, dass diese massive politische Umgestaltung in entsprechender Weise schriftlich verarbeitet wurde. Klar ist, dass Maturathemen nicht leichtfertig oder unüberlegt festgelegt wurden, sondern wohlüberlegt waren – nicht zuletzt auch deshalb, weil sie in den Jahresberichten veröffentlicht wurden und somit öffentlich einsehbar waren. 1934 wird als Hausarbeitsthema für Geschichte „Ungarn 1848/49“542 genannt; daneben wurden noch Hausarbeiten aus den alten Sprachen Latein und Griechisch und aus Naturgeschichte eingereicht. Die Klausurarbeiten aus Deutsch hatten zum Thema: „a) Große Taten sind gar oft Verbrechen. b) Goethe als Dramatiker. c) Die Bildungsmittel der Gegenwart.“543 Hier setzte sich das Muster der Vorjahre fort, dass zumindest ein Thema bei der Klausur einen Literaturbezug hatte. 1935 wurden in Geschichte Hausarbeiten zum „diplomatische[n] Werdegang der Einigung Italiens“544 und in Geografie zum „Kaffeegewinn auf der Erde“ und zur „geographische[n] Lage Wiens“ verfasst. Die Klausurarbeit in Deutsch sah folgende Themen vor: „a) Wien als Kulturträgerin (gewählt von 31 Schülern). b) Welche Bestrebungen zur Hebung der deutschen Literatur machten sich im 18. Jahrhundert geltend und welche Erfolge hatten sie? (6) c) Ein tiefer Sinn wohnt in den alten Bräuchen. (4)“545. 1936 wurden Hausarbeiten zu den folgenden Themen geschrieben: Aus Deutsch zu „Die Jungfrau von Orleans in der Weltliteratur“ und in Geschichte zu „Die Entwicklung der Waffen und ihr Einfluß auf die Taktik. – Österreichs Beziehungen zu Frankreich.“546 Zur Klausur aus Deutsch war zu wählen aus „Athen, Rom und Jerusalem – die Lehrmeister der Menschheit (gewählt von 9 Schülern)“, „Goethes Werke“ (1) und „Welchen Einfluß übt das Radio auf das moderne Leben aus? (34)“547. Abgesehen von der großen Anzahl an Kandidaten – 44 – fällt auf, dass eigentlich alle Themen stark apolitisch waren und keinerlei Verbindung zu Politik aufweisen. Dies ist deshalb so bemerkenswert, weil die Situation im Jahr davor und im Jahr danach gegensätzlich gelagert war. 1937 lautete das Thema der einzigen Hausarbeit in Geschichte „Die Politik der Großmächte Europas in den Jahren 1890 – 1914 im Hinblick auf die Kriegsschuldfrage.“548 Das war zweifellos ein aktuelles Thema, auch wenn der Krieg bereits einige Jahre vorbei gewesen war, denn die Kriegsschuldfrage blieb lange aktuell. Bei der Klausur standen in Deutsch folgende Themen zu Wahl: „a) Der Erlösungsgedanke in Richard Wagners Werken (gewählt von 6 Schülern). b) ‚Mein Vaterland, mein Österreich, du Land an Kraft und Ehren reich, wie schloß ich tief ins Herz dich ein, wie bin ich stolz, dein Sohn zu sein!‘ (Joh. Wurth) (9) c) Der Nutzen der Naturwissenschaften für das Leben des Menschen. (18)“549. Hier wird sehr 542 543 544 545 546 547 548 549

Blaha 1934, 11. Ebd. Blaha 1935, 19. Ebd. Blaha 1936, 30. Ebd. Blaha 1937, 34. Ebd.

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deutlich, dass das Fach Deutsch die Möglichkeit bot, über rein literarische Themen hinauszugehen und auch gesellschaftspolitische Themen anzusprechen. Bei dem gewählten Zitat Johann Wurths550 handelte es sich schließlich um ein Gedicht, das ein prononciert positives Bild Österreichs zeichnet. Betrachtet man diese Themenstellung beispielsweise mit einer des Jahres 1935 („Wien als Kulturträgerin“), so ist doch auffällig, dass sich diese beiden Themen von denen der Vorjahre durch einen betont nationalistischen Aspekt unterscheiden. „Wien als Kulturträgerin“ referiert auf die Erzählung Österreichs als ‚christliche Ostmark‘, die das kulturell überlegene christliche Europa gegen die Bedrohungen aus dem Osten beschützt habe. Hier ist bereits in Ansätzen ein Teil jenes Narratives von Österreich als ‚Kulturnation‘ zu sehen, welches nach dem Zweiten Weltkrieg an Wirkmächtigkeit gewinnen sollte. Ähnlich wirkte auch Johann Wurths Gedicht, das aus der modernen Perspektive wie plumper Nationalismus anmutet. Zusammenfassend zu den Reifeprüfungen am Schottengymnasium kann also gesagt werden, dass es Kontinuitäten und auch Neuerungen gab. Zu den Kontinuitäten zählte die Tatsache, dass immer eine Aufgabenstellung der Reifeprüfung nah an der gelesenen Schullektüre orientiert war: Entweder war zu einem Autor Stellung zu beziehen, ein Prosatext zu untersuchen oder ein Gedicht zu interpretieren. Wie gezeigt wurde, gestalteten sich die Reifeprüfungsaufgaben im Verlauf der 1930er Jahre inhaltlich gesehen tendenziell anders: Sie wurden im Hinblick auf Geschichte und Literatur immer stärker ‚national‘ eingefärbt; sei es durch die Auswahl oder die Formulierung der Themenstellungen. Gegeben wurden nun nicht mehr Impulse wie „Wissen ist Macht“ (1932), sondern Vorgaben wie „Wien als Kulturträgerin“ (1935) oder „Mein Vaterland, mein Österreich“ (1937). Das unterstreicht wiederum die in der Einleitung formulierte These, dass im Verlauf der 1930er Jahre ein zunehmend prononciertes Österreichbewusstsein Eingang in Schule und Unterricht fand. Damit einher ging eine auch außerschulisch radikal betriebene Eingliederung der Jugend in Parteiorganisationen, die der Verbreitung der staatlichen Propaganda dienten. Jugendliche und Kinder wurden in großer Zahl zur Mitgliedschaft im ‚Österreichischen Jungvolk‘ aufgefordert. Der Erfolg dieser Maßnahmen wie Zwangsmitgliedschaft dürfte zwar insgesamt überschaubar gewesen sein,551 jedoch wäre es im Vergleich mit den durchaus nachhaltigen Indoktrinationsversuchen im nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien sehr verwunderlich, hätte sich diese Bestrebungen gar nicht ausgewirkt. Von daher ist sicherlich anzunehmen, dass die Kinder und Jugendlichen in ihre Texte und ihren Schulalltag auch diese Erfahrungen mit einfließen ließen, so wie umgekehrt die Schule insgesamt und der jeweils spezifische Unterricht Einfluss auf das außerschulische Leben der Heranwachsenden hatten.

550 Des Lehrers, Komponisten und Dichters Johann Wurth (1828 – 1870): Christian Fastl, Wurth, Johann, online unter: https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_W/Wurth_Johann.xml [zuletzt abgerufen am 31.01.2024]. 551 Pammer 2013, 395 – 410.

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3.2 Bundes-Gymnasium und Oberrealschule in Baden bei Wien Das Bundes-Gymnasium in Baden bei Wien, nicht weit vom Schauplatz der ersten Fallstudie, dem Schottengymnasium, entfernt gelegen, war eine recht große Institution, denn es vereinte mehrere Schultypen unter einem Dach: 1863 war das Gymnasium gegründet worden, 1910 kam eine Oberrealschule hinzu und 1924 noch eine zweiklassige städtische Handelsschule, in der aufgrund des akuten Platzmangels – drei Schulen in einem Gebäude – nur nachmittags unterrichtet werden konnte, während das Gymnasium und die Oberrealschule vormittags Unterricht hatten.552 Mit einem Personalstand von 30 Lehrern im Schuljahr 1925/26553 gehörte die Schule zu den größeren Anstalten im Sample. Die Anzahl an Lehrpersonen stieg im Verlauf des Beobachtungszeitraumes sogar noch weiter an, sodass 1935/36 bereits 37 Lehrer und drei Probelehrer tätig waren,554 also mit insgesamt 40 Lehrern eine Steigerung des Personals um ein Drittel im Vergleich zu 1925/26. In ähnlichem Ausmaß stieg die Zahl der Schülerinnen und Schüler von 339 am Ende des Schuljahres 1925/26555 auf 492 am Ende des Schuljahres 1936/37,556 also auch um circa 30%. Zum Inhalt der Jahresberichte Die Jahresberichte, welche gemeinsam für alle drei Schultypen herausgegeben wurden, schenken vor allem personellen Angelegenheiten viel Raum, vorzugsweise im Falle von Pensionierungen oder Abgängen lange tätiger Lehrer, aber auch Neuzugänge im Personalbereich werden erwähnt. Darüber hinaus finden auch Kontrollen durch die Schulinspektoren oder Besuche bedeutender Persönlichkeiten Erwähnung. Über die von Schülern durchgeführten Veranstaltungen wird ebenso berichtet wie über besondere Feiern im Rahmen der Schulgemeinschaft: 1925/26 waren dies beispielsweise eine Johann-Strauß-Feier, eine Hans-SachsFeier557 und ein Fest anlässlich des Muttertages, bei denen das Schülerorchester und der Schülerchor auftraten.558 Weihnachts- und Osterfeierlichkeiten werden im Jahresbericht zwar nicht erwähnt, doch scheint es sehr unwahrscheinlich, dass darauf verzichtet wurde, denn schließlich sind für die anderen Schulen im Sample derartige Bräuche überliefert. Im Rahmen der Schulgemeinschaft solch bedeutende Fest gemeinsam zu feiern, war wohl so selbstverständlich, dass dies keiner genaueren Erläuterung bedurfte. Der Jahresbericht 1929/30 vermeldet zu Beginn einige bedauerliche Todesfälle von Angehörigen der Anstalt, die Gründung eines Abiturientenverbandes und dessen erste Tätigkeiten.559 Inspektionen und der Besuch des – heute eher mäßig bekannten – Schriftstellers Josef August Lux waren ebenso erwähnenswerte Ereignisse des Schuljahres wie eine Feier zum dreißigsten Jubiläum der Errichtung des Schulgebäudes mitsamt Feier, der Tag des Buches und die Siebenhundertjahrfeier für den mittelalterlichen Dichter Walther von der Vogelweide. Zum Muttertag 1930 gab es erneut eine Feier samt Festrede in der Schule. Daneben fanden 552 553 554 555 556 557

Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1929/30, Baden bei Wien 1930, 1. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1925/26, Baden bei Wien 1926, 6 – 7. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1935/36, Baden bei Wien 1936, 11 – 13. Sulzenbacher 1926, 11. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1936/37, Baden bei Wien 1937, 15. Hans Sachs, 1494-1576, war ein Dramatiker und Dichter. Der Jahresbericht geht darauf nicht näher ein, doch könnte sein 350. Todestag Anlass für die erwähnte Feier von 1926 sein. 558 Sulzenbacher 1926, 4 – 5. 559 Sulzenbacher 1930, 2 – 3.

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noch Zuwächse in der Lehrmittelsammlung und die Ergebnisse sportlicher Wettkämpfe mit anderen Schulen Erwähnung im Jahresbericht.560 In der Einleitung zum Jahresbericht 1931/32 finden sich in Folge der Weltwirtschaftskrise einige Worte anlässlich der materiellen Not, wobei besonders den örtlichen Unterstützern für deren Hilfe gedankt und die Bedeutung des hiesigen Gymnasiums als „eine der ersten Bildungsstätten unseres Heimatlandes“ betont wird.561 Nach den ‚üblichen‘ Todesmeldungen findet sich ein Bericht über die Tätigkeiten des Abiturientenverbandes, der an der Planung eines Denkmals für die im Weltkrieg gefallenen Angehörigen der Anstalt arbeitete, welches im Herbst 1933 zum siebzigsten Jubiläum der Anstalt fertiggestellt werden sollte.562 Von den Festveranstaltungen hebt der Jahresbericht 1931/32 zwei ganz besonders hervor: Einerseits eine Konzertakademie am 4. Februar, die „nicht nur ein großer finanzieller, sondern auch ein künstlerischer Erfolg, der der Anstalt Ehre machte“563, war, und andererseits fand anlässlich des Goethe-Jahres 1932 (Todesjahr 1832) eine Festvorstellung im Stadttheater statt, an der sich Schulorchester, Schulchor und Abiturienten beteiligten – wiederum mit großem Erfolg.564 Anlässlich des Goethe-Haydn-Jahres565 bekamen die Schüler bei einer Feier eine Festrede zu hören und Aufführungen aus dem Werk des Künstlers zu sehen und sahen darüber hinaus den Film „Kreuz und quer durch Deutschland im Goethe-Jahr 1932“566. Trotz der schwierigen finanziellen Lage konnten Lehrmittelsammlung und Lehrerbücherei vergrößert und eine Rundfunkanlage für den vom Bundesministerium initiierten Schul-Rundfunk angeschafft werden.567 Das Schuljahr 1932/33 stand ganz im Zeichen der Feierlichkeiten anlässlich des siebzigsten Jahrestages der Gründung der Schule im Jahr 1863. Auf den ersten vier Seiten wird aus der Anstaltsgeschichte berichtet und diese in Zusammenhang mit dem allgemeinen Gang der politischen Geschichte gebracht. So wird der ruhmvolle Kampf von Mitgliedern der Anstalt im Weltkrieg „Schulter an Schulter mit dem Deutschen Reich“568 lobend erwähnt, während im Gegensatz dazu der Weltkrieg und der folgende Umsturz (gemeint sind die Abschaffung der Monarchie und die Ausrufung der Republik im Herbst 1918) „das alte Oesterreich zertrümmert und über alle Völker unsagbares Leid gebracht“569 hätten. Die Schulgesetze von 1927 wurden sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen, denn „sie bedeuteten das Ende der fast zehnjährigen Periode vielfach recht wenig glücklicher Experimente einer sogenannten ‚Schulreform‘“570. In dieser Schilderung schwingt ebenso Verachtung für die – größtenteils von den Sozialdemokraten initiierten – Reformen mit, wie in einer Darstellung davor Stolz darauf deutlich wird, dass die Schüler der Anstalt auf die Bildung von „Schülerräten“ (wahrscheinlich analog zu Soldatenräten unmittelbar nach dem Krieg) verzichtet hätten. Alles in 560 561 562 563 564 565 566 567 568 569

Ebd., 3 – 4. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1931/32, Baden bei Wien 1932, 1. Ebd., 3 – 4. Ebd., 4. Ebd., 4 – 5. Geburtsjahr Joseph Haydns war 1732. Sulzenbacher 1932, 5. Ebd., 6. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1932/33, Baden bei Wien 1933, 2. Ebd. Die bis 1918 von den Deutschen und Ungarn der Monarchie unterdrückten anderssprachigen Minderheiten sahen dies wohl etwas anders. 570 Ebd., 3.

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allem, so das Resümee, sei „der gute alte Geist der Pflichterfüllung und Arbeitsfreude“ ungeschmälert erhalten geblieben, sodass die Badener Mittelschule im Dienst „für die geliebte österreichische Heimat“ auch in Zukunft „den Ehrenkranz behaupten [wird], den frühere Jahrzehnte ihr erwarben!“571 Neben den obligatorischen Inspektionen wird im Jahresbericht 1932/33 zum ersten Mal eine Feierlichkeit anlässlich der Ausrufung der Republik am 12. November erwähnt:572 So lauschten die Schüler am 11. November via Rundfunk der Feier und der Ansprache von Bundespräsident Wilhelm Miklas. Um einen Überblick zu bekommen und derartige Veranstaltungen nach ihrer Relevanz für die handelnden Akteure einordnen zu können, lohnt der vergleichende Blick darauf, welchen Stellenwert diese Feierlichkeit im Vergleich zu anderen gleichartigen Veranstaltungen bezüglich Umfang und Vielfalt des Rahmenprogrammes am Schulstandort einnahm. Der Tag der Musikpflege beispielsweise wurde aufwändiger als der Feiertag anlässlich der Republiksgründung begangen, nämlich mit einer Rede und etlichen Konzerten, doch durfte auch hier der Bundespräsident zu Wort kommen: Seine Rede anlässlich dieses Tages wurde auch per Schulrundfunk übertragen.573 Von diesen drei Anlässen ausgehend, ergibt sich also gewissermaßen eine Rangordnung feierlicher Anlässe: Die meisten davon beinhalten Darbietungen der Schülerinnen und Schüler und eine Rede beziehungsweise Ansprache des Direktors oder eines Lehrers. Bei den höchsten Feierlichkeiten kam auch der Bundespräsident via Rundfunk zu Wort und wertete die Veranstaltung dadurch auf. Der Jahresbericht 1933/34 stand ebenso wie der vorhergehende unter dem Eindruck des siebzigsten Jubiläums der Gründung der Anstalt im Jahr 1863: Auf nicht weniger als 8 Seiten wird im Jahresbericht über die dreitägigen Festlichkeiten berichtet, und dem Bericht ist ein Farbdruck des speziell für diesen Anlass entworfenen und verwirklichten Kriegerdenkmals im Stiegenhaus der Anstalt vorangestellt.574 Den Ehrenschutz übernahmen – so der Jahresbericht – mit Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg, Minister a. D. Emmerich Czermak und Bürgermeister Kollmann höchste Würdenträger der Bundespolitik, was zweifellos für die Bedeutung der Anstalt spricht. Vereint vor dem Heldendenkmal, dessen Einweihung Teil der Feierlichkeiten war, so schildert der Bericht, sei es gewesen, als ob „einer dem andern das Gelöbnis leistete, treu und gewissenhaft, ehrlich und ausdauernd im Dienst des Ewigen für die österreichische Heimat und damit für das deutsche Volk zu arbeiten.“575 Der Dualismus zwischen österreichischer Heimat und deutschem Volk, auf den später im Laufe dieser Fallstudie noch eingegangen wird, verdient an dieser Stelle eine besondere Hervorhebung, standen diese beiden Begriffe doch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung Anfang 1933 in einem zunehmenden Gegensatz zueinander. Aufschlussreich sind in weiterer Folge auch die Worte des Badener Vizebürgermeisters, der am zweiten Tag der mehrtägigen Feier

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Ebd., 4. Am Schottengymnasium war dies bereits im Jahresbericht 1927/28 der Fall, siehe Kapitel 3.1. Ebd., 4 – 5. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1933/34, Baden bei Wien 1934, 2 – 10. Dabei handelte es sich um eine Glasmalerei, auf der rechts ein trauerndes Paar aus Mann und Frau und links ein mit gebeugtem Kopf dastehender Soldat abgebildet sind. Die drei stehen vor einem Denkmal mit der Inschrift: „Den für Heimat und Volk im Weltkrieg 1914-1918 gefallenen Schülern.“ Am Fuße des Denkmals ist ein Kranz niedergelegt, an dem Rot-weiß-rote Schleifen angebracht sind. 575 Ebd., 3.

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zu den versammelten Schülern sprach und dabei in seiner Rede die Metapher der 300 Spartiaten bei den Thermopylen576 aufgriff: Wenn ihr später diese Hallen verlaßt und ins Leben hinaustretet, dann meldet euren Mitbürgern draußen, daß in dieser Anstalt einst Schüler geweilt haben, die ihrem Vaterland Oesterreich treu gedient und diesem Vaterland ihr Leben zum Opfer gebracht haben […] zum Heldentum für ihr geliebtes Oesterreich!577

Auch Minister a. D. Czermak rief die Schüler in seiner folgenden Rede auf, „dem Vaterland und der Pflicht zu dienen, getreu bis in den Tod!“578 Nach den Worten von Unterrichtsminister Schuschnigg – der sich verspätet hatte – kam auch noch der Direktor zu Wort, der schwor, die Jungen der Anstalt „zu tüchtigen Männern und braven Oesterreichern zu erziehen“579, die drei Begriffe in ihrem Herzen tragen sollten: „Gott, Vaterland, Ehre!“580 Bürgermeister Kollmann nutzte die Gelegenheit, um die Tüchtigkeit der Absolventen zu betonen, denn „bei entsprechender Vorbildung [ist] gerade der Oesterreicher ein tüchtiger und rechter Mann […], der keinem andern in der Welt irgendwie nachsteht.“581 Direktor Sulzenbacher schloss dann die Vorträge „mit einem von der ganzen Versammlung begeistert aufgenommenen Hoch auf das österreichische Vaterland“582 unter den Klängen der Bundeshymne. Am dritten und letzten Tag der Feierlichkeiten marschierten (wahrscheinlich im wörtlichen Sinn) die Schüler mit ihren Professoren durch das nahe Baden gelegene Helenental zur Krainerhütte, um sich bei allerlei sportlichen Wettkämpfen zu messen, und durften nach dem Empfang durch eine Musikkapelle beim Rückmarsch im Zentrum Badens vor dem Direktor defilieren, was das Ende der dreitägigen Feier bedeutete.583 Auch abseits dieser Feierlichkeiten scheint im Spiegel des Jahresberichtes das Schuljahr 1933/34 eines der aufregendsten des Untersuchungszeitraumes gewesen zu sein. So stattete der rechtskonservative und einflussreiche Kardinal Theodor Innitzer, der sich unter der Kanzlerdiktatur profilieren und dann 1938 den Anschluss öffentlich unterstützen sollte, der Anstalt einen Besuch ab, um den Religionsunterricht zu inspizieren, wobei er aufwändig begrüßt und – nachdem er die Schüler zu „Gottesfurcht, Pflichterfüllung und Vaterlandsliebe“584 ermahnt hatte – mit einem bis auf die Straße reichenden Spalier der Schüler verabschiedet wurde. Auch kommen die religiös-sittliche und die vaterländische Erziehung hier erstmals explizit vor: Den religiösen Grundsätzen wurde durch die geschlossene Teilnahme aller Schüler an diversen katholischen Prozessionen nachgekommen, dem vaterländischen 576 Zur Zeit der Perserkriege im 5. Jahrhundert v. Chr. kämpfte ein spartanisches Heer unter König Leonidas gegen die zahlenmäßig weit überlegen Armee des persischen Großkönigs Xerxes, um deren Vormarsch auf Griechenland zu verzögern, wobei alle Spartiaten und der König fielen. Durch die antiken Überlieferungen durch Herodot und Diodor, aber auch durch M. Tullius Ciceros ‚Tusculanae deputationes‘ und Friedrich Schillers Gedicht ‚Der Spaziergang‘ von 1795 gelangte die Erzählung des heldenhaften Kampfes bis in den modernen klassischen Kanon und wurde zu einem Synonym für aufopfernden Kampf im Angesicht des Todes. 577 Sulzenbacher 1934, 4 – 5. Diese Passage verstehe ich als eine Anspielung auf das erwähnte Gedicht Schillers ‚Der Spaziergang‘, in dem es heißt: „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.“ 578 Ebd., 6. 579 Ebd., 7. 580 Ebd. 581 Ebd. 582 Ebd., 8. 583 Ebd., 9 – 10. 584 Ebd., 11.

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Prinzip beispielsweise im Rahmen der opulenten ‚Türkenbefreiungsfeier‘ im Oktober 1933 Folge geleistet. Die Schule beteiligte sich einerseits an der offiziellen Befreiungsfeier der Stadt Baden und andererseits wurde auch eine eigene Schulfeier abgehalten, bei der es eine Festrede sowie einstudierte Deklamationen gab. Um den Schülern „den Vaterlandsgedanken näher zu bringen“585, gab es zwei Vorträge im Rahmen der „Vaterländischen Weihestunden“: Den ersten hielt der Direktor der Anstalt persönlich „über Oesterreichs deutsche und welthistorische Sendung“586 am 9. Februar 1934, den zweiten Studienrat Kraupp am 10. März über „Oesterreich in der Ostmarkzeit der Babenberger“587. Ein bereits angesetzter, dritter Vortrag musste gestrichen werden, um die Schüler nicht zu überfordern, konnte aber zumindest teilweise durch die Übertragung von Unterrichtsminister Schuschniggs Rede „An Oesterreichs Jugend“ im Schulfunk kompensiert werden. Im Rahmen des Tages der Jugend wurde im Angesicht des frisch eingeweihten Heldendenkmales, dessen Einweihung Teil der oben beschriebenen aufwändigen Feiern war, zum ersten Mal in der Nachkriegszeit die – nun umgestaltete588 – Schulfahne entrollt und feierlich gehisst. Dann wurde die Fahne eingeholt und die Schüler marschierten geschlossen – erstmals in neuen, einheitlichen Mützen – zur Kirche und dann zum Sportplatz, wo sie sich in Wettkämpfen miteinander maßen.589 Der Jahresbericht 1934/35 begann – wie so viele Jahresberichte der Zeit – mit einem Nachruf auf den im Juli 1934 von nationalsozialistischen Aufständischen getöteten Kanzler und Diktator Dollfuß und schilderte die zu dessen Andenken organisierten Veranstaltungen zu Schuljahresbeginn. Am Ende der geschilderten Gedenkveranstaltung, so der Bericht, „ertönt[e] Haydns Hymne als Schlußakkord einer wirklich erhebenden Trauerkundgebung“590. Zur religiös-sittlichen Erziehung im Laufe des Jahres wusste der Direktor zu berichten, dass alle ortsansässigen Schüler591 den Gottesdienst regelmäßig – unter Aufsicht der Schule beziehungsweise der Lehrer – besuchten und dass die Anstalt sich auch an den religiösen Feiern beteiligte, insbesondere an der Fronleichnamsprozession. Der Unterricht sollte entsprechend auf die vaterländische Erziehung ausgerichtet sein, was dem Berichterstatter beinahe überflüssig zu erwähnen schien, denn „[v]aterländische Gesinnung zu pflegen, ist selbstverständliche Aufgabe des Gesamtunterrichts.“592 Darüber hinaus konnten (beziehungsweise mussten) die Schüler an mehreren Veranstaltungen teilnehmen, die von der ‚Vaterländischen Front‘, der ab 1934 einzigen erlaubten politischen Partei in Österreich, durchgeführt wurden. Dazu zählten zwei Vorträge mit den Titeln „Oesterreichs Schicksalsweg“, gehalten am 10. Jänner vom Benediktinermönch und Grazer Universitätsprofessor für Geschichte Hugo Hantsch, und „Oesterreich und das Auslandsdeutschtum“, gehalten am 20. März vom christlichsozialen Politiker Josef Tzöbl. Hinzu kam eine Gedenkfeier für den zum Freiheitskämpfer stilisierten Andreas Hofer (1767-1810) am 20. Februar, bei der ein Lehrer der Anstalt „den Schülern 585 586 587 588 589 590 591 592

Ebd. Ebd. Ebd. Zur Umgestaltung gibt es folgende Erläuterung: „den neuen staatsrechtlichen Verhältnissen gemäß“ (ebd. 1112). Anzunehmen ist wohl, dass Symbole des nun propagierten Austrofaschismus übernommen wurden, wie beispielsweise das sogenannte Kruckenkreuz. Sulzenbacher 1934, 11 – 12. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1934/35, Baden bei Wien 1935, 4. Auch die evangelischen und jüdischen in ihren jeweiligen Glaubensgemeinschaften. Sulzenbacher 1935, 6.

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die ganze schlichte Größe des Tiroler Freiheitshelden“593 deutlich machte. Der Aufmarsch am 1. Mai konnte nicht stattfinden (der Bericht gibt dafür keinen Grund an, aber es könnte am Wetter gelegen haben), dafür hörten die Schüler nach dem Gottesdienst die Rede des Bundeskanzlers Schuschnigg im Radio. Die Maturaklassen kamen am Tag darauf wieder in der Schule zusammen, um Schuschniggs Appell anzuhören und „seinen zündenden Aufruf zur Mitarbeit am neuen Oesterreich zu vernehmen.“594 In eine ähnliche Richtung gingen die Aufsatzwettbewerbe der niederösterreichischen Landesregierung und des Bundesministeriums für Unterricht, in denen sich „die vaterländische Haltung der Schüler“595 zeigen sollte. Die Schule beteiligte sich ebenso an der Muttertagsfeier der ‚Vaterländischen Front‘ und der Sonnwendfeier und nahm auch an der Badener Luftschutzübung im März 1935 teil. Vorbereitet wurden die Schüler (und wohl auch die Lehrer) der Anstalt durch den Besuch des Kinofilms „Luftgefahr und Luftschutz“ sowie einen entsprechenden Vortrag am 31. Jänner 1935. Wegen des fünfundzwanzigsten Jubiläums der Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes596 an die Schule wurde zu Beginn des Jahresberichtes 1935/36 eine Rückschau auf diesen Zeitraum gegeben, der interessanterweise vornehmlich dazu genutzt wurde, die (angeblich) negativen Auswirkungen der sozialdemokratischen Schulreform und -politik zu beleuchten. Zusammengefasst lautete das Urteil der Schulleitung folgendermaßen: „Die Zeiten des Verfalls der österreichischen Realschule sind nunmehr nach dem völligen Zusammenbruch der sozialistischen Schulpolitik glücklich überwunden.“597 Danach finden sich neben den üblichen Veranstaltungen, die der religiös-sittlichen Erziehung dienen sollten, noch Schilderungen der ‚Vaterländischen Erziehung‘: Am 26. Oktober wurde die Heldengedenkfeier mit einem Festgottesdienst und einer Festrede vor dem kurz zuvor eingeweihten Kriegerdenkmal begangen. Der 200. Todestag des berühmten Feldherrn der Habsburger Prinz Eugen von Savoyen (1663-1736) am 21. April 1936 gab Anlass zu österreichweiten Feierlichkeiten für den berühmten österreichischen Befehlshaber, und eine solche Feier erfolgte auch an der Badener Anstalt nach dem bekannten Muster: Festgottesdienst, Festrede und Aufführungen der Schüler. Ähnlich wie diese Feier lief auch der 1. Mai ab, der „Tag des neuen Österreich“, doch hörten die Schüler am 1. Mai statt eines Vortrags vor Ort die Rede des Bundeskanzlers Schuschnigg aus dem Wiener Stadion per Rundfunk. In diesem Schuljahr traten die Vorgaben zur ‚Vormilitärischen Jugenderziehung‘ in Kraft, zu der sich auch ein eigener Artikel im Jahresbericht findet, der die Grundlagen und Aufgaben der ‚Vormilitärischen Erziehung und Ausbildung‘ erläutert.598 Besonders betont er die Wichtigkeit einer wehrhaften Jugend für die Zukunft des Staates und die Notwendigkeit von Ein- und Unterordnung. Den Höhepunkt der ‚Vormilitärischen Jugenderziehung‘ bildete – neben einem Gepäcksmarsch über 16km für die Oberstufenschüler im April – ein Schulmanöver, das etwas außerhalb der Stadt abgehalten wurde. Dabei wurden die Schüler in zwei Teams (rot und blau) aufgeteilt und mussten 593 Ebd. Dass ein großer Teil der Tiroler Bevölkerung 1918/19 Österreich gerne den Rücken gekehrt und sich Deutschland angeschlossen hätte, war wohl ziemlich sicher nicht Bestandteil des Vortrages im Zeichen des neuen österreichischen Patriotismus‘. 594 Ebd. 595 Ebd. 596 Mit der Zuerkennung des Öffentlichkeitsrechts werden die Zeugnisse von Privatschulen jenen der öffentlichen Schulen rechtlich gleichgestellt. 597 Sulzenbacher 1936, 5. 598 Ebd., 8 – 10.

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im Rahmen eines Kampfspiels farbige Bänder des Gegnerteams erobern. Dazu wurden die Schüler innerhalb der Teams in militärische Formationen (Gruppen und Züge) eingeteilt, die mittels Fernmeldeeinrichtungen miteinander Kontakt halten sollten. Den Abschluss des Wettkampfes bildete die Defilierung vor dem Mahnmal der Schule. Die zunehmend militärische Ausrichtung der Mittelschulen – vor allem der Oberstufen – wird an dieser Stelle deutlich sichtbar. Auch 1936/37 sollte ein ähnliches Manöver abgehalten werden, doch fiel dieses den ungünstigen Witterungsbedingungen zum Opfer. Darüber hinaus wird im Jahresbericht betont, dass die körperliche Ausbildung der Schüler schon weit fortgeschritten sei und auf „strammes Auftreten der Schüler bei Märschen und Ausrückungen […] besonderes Gewicht gelegt“599 werde. Großes Augenmerk wurde auch darauf gerichtet, auf die Schüler bei „jeder im Unterricht sich bietenden Gelegenheit“600 im Sinne der religiös-sittlichen Erziehung einzuwirken. Wie in den vorangegangenen Jahren, so wurde auch 1936 im Oktober eine Heldengedenkfeier abgehalten, bei dem wieder das nur wenige Jahre zuvor feierlich eingeweihte Denkmal im Schulgebäude eine besondere Rolle spielte. Auch am 1. Mai 1937 wurde die Jugend wieder in der Schule versammelt, um den ‚Tag des neuen Österreich‘ festlich zu begehen – eine allgemeine Feier in Baden gab es in diesem Jahr nicht. Erneut wurden diverse Vorträge angeboten, die die Schuljugend erbauen sollten. 1936 war auch das Raimund-Gedenkjahr (100. Jahrestag seines Todestages), welches die Gelegenheit bot, Ferdinand Raimunds Dichtung und die ‚Vaterländische Jugenderziehung‘ miteinander zu verknüpfen, wie es am Badener Gymnasium auch geschah. Als besonders nützlich für die ‚Vaterländische Erziehung‘ nennt der Jahresbericht noch die Schülerabonnements für die Staatstheater, die umfassend in Anspruch genommen wurden.601 Die Schülerinnen und Schüler hatten auf diesem Wege die Möglichkeit, an günstige Eintrittskarten für Theatervorstellungen zu kommen. Der Lehrstoff Über den an der Anstalt gelehrten Stoff geben die vorliegenden Jahresberichte aus Baden kaum Aufschluss. Lediglich die Ergebnisse der körperlichen Ausbildung werden gesondert genannt, und zum Stand der ‚Vormilitärischen Jugenderziehung‘ wird Auskunft erteilt, sobald dieser Gegenstand in der Mitte der 1930er Jahre eingeführt worden war. Daher kann hier keine Analyse erfolgen, jedoch erlauben die im Folgenden behandelten Reifeprüfungsaufgaben zumindest Rückschlüsse auf den Lehrstoff der Oberstufe. Die Reifeprüfungsaufgaben Wie bereits im vorhergehenden Kapitel werden die zur Reifeprüfung gestellten Themen und Aufgaben einer eingehenderen Analyse unterzogen, beginnend mit den Angaben aus dem Schuljahr 1925/26. Da neben den Hausarbeitsthemen auch die Themen der Klausuren für Gymnasium und Realschule angegeben wurden, sind diese beiden Schultypen ebenfalls Teil der Analyse. Bei der Reifeprüfung 1926 verfassten die Kandidaten Hausarbeiten unter anderem zu folgenden Themen:602 „Die österreichischen Hauptverkehrswege“, „Das Wesen Grillparzers im 599 600 601 602

Sulzenbacher 1937, 7. Ebd., 4. Ebd., 4 – 6. Sulzenbacher 1926, 14.

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Spiegel seiner dichterischen Gestalten“, „Shakespeare und sein Einfluß auf Deutschland“, „Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland“, „Franz Grillparzer, der Dichter und Mensch als Kind seiner Zeit“. Mit „Beiträge zur Geschichte von Vöslau“ gab es auch eine lokalgeschichtliche Arbeit, jedoch nichts von politischer Aktualität. Bei der schriftlichen Reifeprüfung standen im Gymnasium im Fach Deutsch folgende Themen zur Auswahl: „a) Nicht das Wissen von der Natur beglückt, sondern das Naturgefühl. Eine weltanschauliche Betrachtung b) Gegensätze berühren sich. Nachzuweisen an den Literaturströmungen des 18. und 19. Jahrhunderts c) Hinein denn ins Boot, was die Fahrt mir auch droht [,] Und zum Kampfe hinaus in das Wogengebraus, Ob ich heim wiederkehr‘ oder schei‘tre im Meer, Kann nicht bleiben zurück, muß versuchen mein Glück.“603 An der Realschule standen zur Auswahl: „a) Der Werdegang der deutschen Kultur im Spiegel deutscher Dichtung b) Gut verloren, wenig verloren, Mut verloren, alles verloren! (Den Österreichern ins Stammbuch!) c) Der Gebildete und die Zeitung.“604 Hier ist zu festzuhalten, dass es sich um Themen handelte, die stark an der im Unterricht behandelten Literatur orientiert waren. Die gelesenen Werke standen im Vordergrund, während es keine Aufgabenstellung gab, deren Formulierung auf die Auseinandersetzung mit einer österreichischen Identität hindeuten würde. Dies änderte sich jedoch in den nächsten Jahren, wie im weiteren Verlauf ausgeführt wird. Auch zum Haupt-/Sommertermin 1930 wurden wieder Hausarbeiten eingereicht. Darunter fanden sich Titel wie „Der vaterländische Gedanke in Schillers ‚Wilhelm Tell‘ und in Kleists ‚Hermannschlacht‘“, „Baden als Heimstätte deutscher Musik“, „Die Idee der Kriegsverdammnis in Remarques Roman ‚Im Westen nichts Neues‘“, „Die bürgerlichen Trachten Deutschlands“ und „Die russische Revolution 1917/18“605. Bei der schriftlichen Klausur wählten die Gymnasiasten aus den Themen „1. Dichten ist ein tiefes Erleben. An dem Leben und Schaffen eines bedeutenderen deutschen Dichters (nach freier Wahl) aufgezeigt. 2. Ohne Wasser ist kein Heil. Goethe, Faust II. (Anleitung: Das Wasser als Baustoff der Erde, als Daseinsbedingung aller Lebewesen, als Kulturfaktor). 3. Der Humanitätsgedanke in der deutschen Dichtung seit dem 18. Jahrhundert.“606 Die Realschüler wählten aus folgenden Themen: „1. Der Zwiespalt von Wunsch und Wirklichkeit bei Grillparzer (Als Erlebnis und dichterisches Motiv). 2. Die wirtschaftlichen Kräfte unseres Vaterlandes. 3. Der soziale Gedanke in der deutschen Dichtung seit dem 18. Jahrhundert.“607 Der Jahresbericht 1931/32 macht zu den Hausarbeitsthemen keine Angaben mehr, was in den folgenden Jahren beibehalten wurde. Somit bleibt für die Folgejahre verborgen, womit die Schüler sich vorbereitend auf die Reifeprüfung beschäftigten. Es ist aber auch möglich, dass keine Hausarbeiten mehr verfasst wurden, da diese mit der neuen Reifeprüfungsverordnung nicht mehr verpflichtend waren. Beim Sommertermin 1932 wählten die Gymnasiasten in Deutsch aus „1. Was fordert das Leben von uns? 2. Brauchen wir die Kunst im Alltag? 3. Wie spiegelt die deutsche Dichtung der neueren Zeit die sozialen Kämpfe wider?“608 Die Realschüler wählten aus folgenden Themen: „1. Pfadfinder auf dem Gebiete des deutschen Schrifttums. 2. Die Bedeutung der modernen Verkehrs- und Verständigungsmittel für das 603 604 605 606 607 608

Ebd. Ebd., 11. Sulzenbacher 1930, 12 – 13. Ebd., 13. Ebd. Sulzenbacher 1932, 16.

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geistige und wirtschaftliche Leben der Gegenwart. 3. Was ich für meine Lebensaufgabe halte.“609 Während die Realschüler also vorwiegend praktisch orientierte Themenstellungen zu bearbeiten hatten, lag der Fokus bei der Reifeprüfung der Gymnasiasten erneut auf dem Gebiet der Literatur. 1932/33 wurden den Gymnasiasten folgende Themen zur Auswahl gestellt: „1. Wie entwickeln sich die bedeutendsten Richtungen der deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts auseinander heraus und welche Bedeutung kommt ihnen zu? 2. Die Donau als Kulturträgerin in alter und neuer Zeit. 3. Die welt- und kulturgeschichtliche Bedeutung Alt-Athens.“610 In der Realschule wurde folgendes zur Auswahl gestellt: „1. Nicht gut, nicht schlecht ist, was die Götter geben und der Empfänger macht erst das Geschenk. (Grillparzer.) 2. Was fesselt mich in der heutigen Zeit und was stößt mich ab? 3. Welchen kulturellen Wert messe ich dem Radio bei?“611 Der für das Vorjahr geäußerte Befund bestätigt sich hier. Anders sollte es jedoch ab dem Folgejahr kommen: 1934 wählten die Gymnasiasten für die Reifeprüfung in Deutsch aus den folgenden Themen aus: „1. Die Einwirkung großer Persönlichkeiten auf ihre Mit- und Nachwelt. (Darzutun an Beispielen der Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart.) 2. Was hat unser Vaterland Oesterreich für das deutsche Schrifttum geleistet? 3. Mein Kompaß für die Lebensfahrt und welchen Kurs ich steuern will.“612 Für die Realschule gab es diesmal keine gesonderten Themen, woraus geschlossen werden kann, dass die Reifeprüfung für Gymnasium und Realschule zusammen abgehalten wurde. Hier wird mit Thema Nr. 2 erstmals eine Aufgabenstellung sichtbar, die im Zusammenhang mit der Politik und Ideologie der Kanzlerdiktatur gesehen werden kann: Vor dem zeitlichen Horizont des Frühjahres 1934 – während dessen sich zuerst die Sozialdemokratie gegen die Diktatur erhob und verboten wurde und Dollfuß seine semilegale Diktatur durch die neue Verfassung vom 1. Mai 1934 scheinlegalisierte – waren die Schüler nun gefordert, die Bedeutung ihres „Vaterland[es] [!] Österreich für das deutsche Schrifttum“ zu erörtern. In diesem Zusammenhang ist daran zu denken, dass der Begriff ‚Vaterland‘ bis dahin vornehmlich für Deutschland benutzt wurde, während Österreich als Heimatland bezeichnet wurde, wie bereits in Kapitel 2.2.3 anlässlich der Lehrplanreformen von 1927 ausgeführt wurde. Die Angaben der Folgejahren folgten einem ähnlichen Muster: 1935 fand die Reifeprüfung wieder getrennt nach Gymnasium und Realschule statt: Die Gymnasiasten wählten in Deutsch aus den folgenden Vorschlägen: „1. Literarische Strömungen von Goethe bis Gerhart Hauptmann. 2. Oesterreichs Ostmarksendung. 3. Die Wandlung des physikalischen Weltbildes im Laufe der Zeiten.“613 Die Realschüler bekamen folgende Themen vorgeschlagen: „1.) Oesterreichs Anteil an der Entwicklung des neueren deutschen Schrifttums. (19. und 20. Jahrhundert.) 2.) Kino und Rundfunk – zwei Bildungsmittel unserer Zeit 3.) Die Elektrizität im Leben des Alltags.“614 War nun beim Sommertermin 1935 die Themenstellung bereits eindeutig politisch gefärbt („Oesterreichs Ostmarksendung“), so war dies ein Jahr später ebenso der Fall, wie die Themenauswahl für den Sommertermin 1936 zeigt: „1. Das echte Neue keimt nur in dem Alten; Vergangenheit muß unsre Zukunft 609 610 611 612 613 614

Ebd., 17. Sulzenbacher 1933, 16. Ebd., 17. Sulzenbacher 1934, 23. Sulzenbacher 1935, 18. Ebd., 19.

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gründen (Wilhelm Schlegel). Durchzuführen im Hinblick auf unser Vaterland. 2. Blicke in die Ruhmeshallte österreichischer Dichtung. 3. Die Großmacht Funk und ihre Bedeutung für die Kultur.“615 Bei den Realschülern sahen die Themen wiederum etwas unverfänglicher aus: „1. Wirtschaftskräfte Oesterreichs. 2. Das Leben ein Dreiklang aus: Arbeit, Ruhe, Erholung. 3. Aufgaben der Technik in der Gegenwart.“616 Österreich wird erneut – und im Einklang mit der prononciert nationalistischen Regierungslinie – als Vaterland bezeichnet, nicht ‚bloß‘ als Heimatland. Auch Thema Nummer 2 der gymnasialen Reifeprüfung scheint durchaus dazu geeignet, der nun vorherrschenden Österreichideologie zu entsprechen. Bei den Realschülern war diese Akzentuierung etwas schwächer, denn nur eines der drei Themen hatte einen expliziten Österreichbezug. Auch im folgenden Jahr 1937 wurden die Kandidaten mit ähnlichen Themen konfrontiert: „1. Oesterreich, eine Großmacht im Reiche der Dichtkunst. 2. Ueber die fortdauernde Macht großer geschichtlicher Leistungen und Ueberlieferungen. 3. Gedanken und Gefühle beim Abschied von der Mittelschule.“617 Die Realschüler hatten auszuwählen aus: „1. Oesterreich, ein Fels im Sturm der Geschichte. – 2. Lokomotive, Automobil, Flugzeug und Radio, vier moderne Großmächte. – 3. Was ist nach meiner Meinung das beste Rezept, um glücklich zu werden?“618 In jeder der beiden Schulformen stand mindestens ein Thema zur Auswahl, das einen expliziten Österreichbezug hatte, der noch dazu geeignet war, das dominante, nationalistische Narrativ von Österreich als Kulturmacht zu verfestigen. Zusammengefasst kann zu den Reifeprüfungen am Gymnasium und der Realschule Baden folgendes festgehalten werden: Wie bereits im Falle des im Kapitel 3.1 untersuchten Schottengymnasiums wurde auch am Badener Gymnasium der Literatur ein hoher Stellenwert im Rahmen der Reifeprüfungen beigemessen. Da die Reifeprüfungsaufgaben in einem direkten Zusammenhang mit dem in der Oberstufe durchgenommenen Stoff stehen, kann dadurch auf die Bedeutung und den Inhalt des Unterrichts zumindest ansatzweise geschlossen werden. Auf dieser Basis kann ab Beginn der 1930er Jahre eine Verschiebung der Schwerpunkte bei der Aufgabenstellung festgestellt werden. Insbesondere ab dem Jahr 1934 wurde eigentlich jedes Jahr eine schriftliche Aufgabe zur Rolle Österreichs/des österreichischen Vaterlandes im Rahmen des deutschen Schrifttums (1934 – 37) oder im Kontext von Geschichte und Politik (1935 und 1937) gestellt. Dabei trat die Literatur nicht völlig zur Seite, büßte aber einiges an Stellenwert ein, weil sie in vielen Aufgabenstellungen lediglich einen Schreibanlass darstellte. Inhaltlich gefragt war von den Kandidatinnen und Kandidaten im Laufe der 1930er Jahre vielmehr ein Bekenntnis zu Österreich und dessen Errungenschaften und Leistungen auch aber nicht nur auf dem Gebiet der Literatur. Dabei wurde deutlich, dass die Ende der 1920er Jahre noch zutreffende Unterscheidung von Deutschland als Vaterland und Österreich als Heimatland zunehmend umgedeutet wurde: Österreich sollte nun nicht mehr nur als geografische Heimat aufgefasst werden, sondern als Vaterland, das eine eigene nationale Komponente beinhaltet. Dieser Befund wird am Beispiel weiterer Schulstandorte im Folgenden erhärtet.

615 616 617 618

Sulzenbacher 1936, 20. Ebd., 21. Sulzenbacher 1937, 17. Ebd., 18.

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3.3 Stiftsgymnasium Melk Aus dem Stiftsgymnasium Melk liegen für die vorliegende Untersuchung nur die beiden Jahresberichte aus den Schuljahren 1918/19 und 1936/37 vor. Die Überlieferung ist damit unglücklicherweise nicht so umfangreich wie bei den meisten anderen Schulstandorten in dieser Auswahl, erlaubt aber dennoch einige vergleichende Schlüsse. Durch den großen zeitlichen Abstand treten gewisse Entwicklungen noch deutlicher zutage, da der Kontrast stärker hervortritt. Zur Schule selbst ist zu sagen, dass das von den örtlichen Benediktinern betriebene Stiftsgymnasium per Ende des Schuljahres 1918/19 eine Zahl von 255 Schülern und 19 Lehrern (inklusive Supplenten und Nebenlehrern) aufwies.619 1936/37 waren an der Anstalt insgesamt 19 Lehrer (inklusive Hilfslehrer) tätig und unterrichteten mit Stand Ende des Schuljahres 282 Schüler.620 Die Schule wuchs also in diesen 20 Jahren nicht in einem so starken Ausmaß, wie dies beispielsweise beim Gymnasium in Baden der Fall war (siehe 3.2), sondern blieb in etwa gleich groß. Zum Inhalt der Jahresberichte Abgesehen von einigen Todesfällen und dem Auftreten der Spanischen Grippe vermeldet der Jahresbericht für 1918/19, dass gemäß der Erlässe des deutsch-österreichischen Staatsamtes für Unterricht vom 15. November 1918 und des niederösterreichischen Landesschulrates vom 27. November die Schüler von ihren Klassenvorständen in einer ihrem Fassungsvermögen entsprechenden würdigen Form darauf aufmerksam gemacht [werden sollen], daß die österreichisch-ungarische Monarchie zu bestehen aufgehört hat und daß sie nunmehr Angehörige eines neuen Staatswesens Deutsch-Österreich sind, das im allgemeinen die deutschen Gebiete des früheren österreichischen Staates umfaßt.621

Der politische Umbruch wurde damit an dieser Schule genauso gehandhabt wie beispielsweise am Wiener Schottengymnasium (siehe 3.1): Auch an diesem vermerkte der Jahresbericht, dass die Schüler noch Mitte November 1918 – also sehr zeitnah – durch die Lehrer über die politischen Umbrüche unterrichtet wurden.622 Der Jahresbericht 1936/37623 ist recht umfangreich und beschreibt detailliert die Ereignisse im Laufe des Schuljahres. Für die Heldengedenkfeier am 7. November 1936, eine der zentralen Feiern im Festkalender der Kanzlerdiktatur, ist sogar der Ablauf der Veranstaltung festgehalten: Zuerst wurde das Volkslied ‚Prinz Eugenius, der edle Ritter‘624 in allen vier Strophen gesungen; es folgten Worte des Gedenkens, nach denen ‚Ich hatt‘ einen Kameraden‘ gespielt wurde; dann wurde durch den Festredner ein Kranz am Denkmal der Weltkriegstoten niedergelegt; es folgte ein Gedichtvortrag durch einen Schüler der achten Klasse, dann kamen noch zwei Lieder: Eine Strophe der Bundeshymne von Kernstock und das ‚Lied der Jugend‘ (auch

619 Rudolf Schachinger, Neunundsechzigster Jahresbericht des Stiftsgymnasiums der Benediktiner zu Melk, Melk an der Donau 1919, 3-5, 18. 620 Andreas Pühringer, 87. Jahresbericht des Öffentl. Stiftsgymnasiums der Benediktiner zu Melk a.D., Melk an der Donau 1937, 1-2, 8. 621 Schachinger 1919, 29. 622 Siehe Kap. 3.1. 623 Pühringer 1937. 624 Gewidmet ist dieses Lied natürlich dem Habsburger Feldherrn Prinz Eugen von Savoyen.

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‚Dollfuß-Lied‘625 genannt) bildeten den Abschluss der Feierlichkeit. Am 30. November 1936 wurden die Schüler klassenweise zu einer Ausstellung über Luftschutz geführt. Ein weiterer Höhepunkt des Schuljahres fand um den 1. Mai 1937 herum statt, der als ‚Tag des neuen Österreich‘ den alten sozialistischen ‚Tag der Arbeit‘ abgelöst hatte (beziehungsweise laut offizieller Regierungsdoktrin ablösen sollte): Bereits am Vorabend, dem 30. April, nahmen die Schüler der Anstalt an einem Fackelzug teil, den die ‚Vaterländische Front‘ und das örtliche Pionier-Bataillon des Bundesheeres organisierten und durchführten. Am Feiertag selbst fand eine Feldmesse statt, dann erfolgte die „Huldigung der Jugend“, und zum Schluss wurde am Denkmal in der Schule ein Kranz niedergelegt. Am 23. Mai wurde für das Stiftsgymnasium in Melk eine eigene Ortsgruppe des ‚Österreichischen Jungvolkes‘ ins Leben gerufen, die sich bei den in der darauffolgenden Woche stattfinden Bezirksmeisterschaften bewähren konnte.626 Vergleicht man das Stiftsgymnasium Melk beispielsweise mit dem Schottengymnasium, das ebenfalls von Ordensangehörigen betrieben wurde, so zeigen sich in Melk einige Ähnlichkeiten: Ganz ähnlich zum Schottengymnasium wurde auch im Melker Stiftsgymnasium die neue Österreichideologie sehr prononciert vertreten und durch entsprechende Veranstaltungen während des Schuljahres begleitet, wie der Jahresbericht von 1937 belegt. Ebenso ist hier auch die enge Verzahnung mit Politik und Militär sichtbar, wie wir sie bereits vom Beispiel des Schottengymnasiums kennen. Sowohl die Schottengymnasiasten als auch die Melker Stiftsgymnasiasten nahmen an Veranstaltungen des Bundesheeres und pseudomilitärischen Wettkämpfen und Veranstaltungen teil. Der Kontrast zwischen 1919 und 1937 wird auch daran deutlich, welche Ereignisse für die Nachwelt festgehalten wurden: 1918/19 waren es vor allem Vorkommen innerhalb der Schule selbst, 1936/37 trat die Schule bereits deutlich selbstbewusster nach außen auf und nahm an den vom diktatorischen Regime initiierten Veranstaltungen mit großem Aufwand teil. Somit ergibt sich im Vergleich ein konträres Bild. Der Lehrstoff Bei der Analyse des Lehrstoffes wird wie zuvor chronologisch vorgegangen und daher mit dem Schuljahr 1918/19 begonnen. Zum behandelten Lehrstoff finden sich im Vergleich zu anderen Jahresberichten wenige Informationen, denn nur zum Gegenstand Deutsch wurden spezifische Angaben gemacht, wobei zu beachten ist, dass hier der Deutschstoff (Angaben zur Schul- und Privatlektüre), die Aufsatzthemen (Haus- und Schularbeiten) und die Redeübungen alle unter dem Punkt Deutsch zusammengefasst wurden. Zu lesen waren in diesem Schuljahr im Rahmen der Klassenlektüre beispielsweise ‚Minna von Barnhelm‘, ‚Kabale und Liebe‘, ‚Iphigenie‘, einige Werke Grillparzers und Goethes ‚Faust‘. Privatlektüre waren unter anderem ‚Die Räuber‘, ‚Jungfrau von Orleans‘, und ‚Der zerbrochene Krug‘. Die Aufsatzthemen waren – zumindest den Titeln nach zu urteilen – größtenteils heimatund literaturgeschichtlich orientiert, aber es gab auch durchaus Themenstellungen, die zumindest der Bezeichnung nach einem aktuellen politischen Diskurs zugeordnet werden können, wie im Folgenden gezeigt wird. Schul- und Hausarbeiten waren in der fünften und sechsten Klasse beispielsweise zu folgenden Themen zu verfassen:627 „Meine Heimat“, „Er625 „Ihr Jungen, schließt die Reihen gut, / Ein Toter führt uns an. / Er gab für Österreich sein Blut, / Ein wahrer deutscher Mann.“ Das Lied ist deutlicher Ausdruck der beinahe sakralen Verehrung des 1934 getöteten, zum ‚verewigten Heldenkanzler Dr. Dollfuß‘ verklärten Diktators, der – so die offizielle Erzählung – im Kampf für Österreich ruhmreich gefallen sei. 626 Pühringer, 10 – 13. 627 Schachinger 1919, 9 – 10.

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innerungen aus meiner Kindheit“, „Fliegeralarm“, „Die bedeutendsten deutschen Dichter im XVII. Jahrhundert“, „Wird dieser Krieg der letzte sein?“, „Die Ausnützung unserer Wasserkräfte, eine Lebensfrage für Deutschösterreich“ und „Eine Fahrt durch die Wachau“. Die Themenstellungen der siebten und achten Klasse waren beinahe ausschließlich literarischer Natur, oftmals Zitate aus einem Werk der Schulliteratur, die Ausgangspunkt für eine literarische Abhandlung sein sollten. Auch für die Redeübungen sind die Angaben der fünften bis achten Klasse erhalten. Ebenso wie die Themen der schriftlichen Arbeiten waren die Redeübungen eng mit der gelesenen Lektüre und den im Deutschunterricht behandelten Themen verknüpft. Diese waren in der fünften Klasse beispielsweise „Die Freundschaft“, „Die Religion der Römer“ oder „Die mittelalterlichen Zünfte“. In der sechsten Klasse wurde zu folgenden Themen vorgetragen: „Das vierte Gebot“, „Der Ring der Nibelungen“ und „Die Zauberflöte“. Die Themen der siebten und achten Klasse waren demgegenüber schon etwas elaborierter (und selbstgewählt, wie der Jahresbericht vermerkt): „Der Kampf Österreichs und Preußens um die deutsche Vorherrschaft nach dem Wiener Kongreß“, „Die dramatische Theorie der Renaissance“ und „Rudolf von Habsburg in Grillparzers ‚König Ottokars Glück und Ende‘“. Angaben zum behandelten Lehrstoff finden sich im Jahresbericht 1936/37 unter dem Punkt Lehrverfassung, sind jedoch nur kursorisch. Der Jahresbericht betont beispielsweise auch in denjenigen Klassen, die noch nach dem alten Lehrplan von 1927/28 geführt wurden (1935 wurden aufsteigend mit den neuen Klassen neue Lehrpläne eingeführt), die Prinzipien der neuen Lehrpläne „bezüglich der sittlich-religiösen und der vaterländischen Erziehung der Schüler; ebenso wurde die vormilitärische Ausbildung der Schüler […] in allen Klassen wie bereits im Vorjahr eifrigst betrieben.“628 Zu dieser militärischen Ausbildung der Jugendlichen hält der Jahresbericht auch fest, dass jene durch Leutnante und Unteroffiziere des örtlichen Bataillons durchgeführt wurde, wofür diesen Dank ausgesprochen wurde. Trotz der Knappheit des zur Verfügung stehenden Materials soll auch an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, die dargestellten Inhalte einzuordnen und zu deuten: Auch am Melker Stiftsgymnasium ist im Vergleich der unmittelbaren Nachkriegszeit mit den 1930er Jahren eine starke Militarisierung des Schulalltags feststellbar, und zwar sowohl bezüglich der Inhalte des Unterrichts als auch hinsichtlich der Form von Unterricht und Schulleben, trotz der Tatsache, dass das Stiftsgymnasium in einer engen Verbindung mit der katholischen Kirche stand. Wie bereits in den Kapiteln 2.1 und 2.2.5 gezeigt wurde, war ab 1933/34 die Deutung von Österreich als deutschem, aber besonders als katholischem Staat die von staatlicher Seite bevorzugte und verordnete Interpretation der österreichischen Staatlichkeit. Dabei wurde der weit verbreitete katholische Glaube als ideologischer Unterbau für die Einzigartigkeit Österreichs vor allem in Abgrenzung vom nationalsozialistischen Deutschen Reich unter Adolf Hitler gebraucht. Die Reifeprüfungsaufgaben Zu den Reifeprüfungen finden sich in den Jahresberichten des Stiftsgymnasiums keine genauen Informationen. Es werden lediglich die Ergebnisse der Klausuren zusammengefasst, jedoch keine Angaben zu den Aufgaben gemacht. Daher muss die Analyse dieser Aufgaben an dieser Stelle entfallen.

628 Pühringer 1937, 3.

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3.4 Bundes-Real- und Obergymnasium St. Pölten Für die Untersuchung des Gymnasiums St. Pölten liegen hier die Jahresberichte der Schuljahre 1928/29, 1932/33 und 1933/34 vor. Das St. Pöltner Gymnasium (mit Handelsschule) war in diesem Zeitraum mit circa 350 Schülern und einigen wenigen Schülerinnen629 und über 20 Lehrkräften630 eine mittelgroße Lehranstalt. Die Jahresberichte der Schule fallen mit einem Umfang von jeweils über 70 Seiten recht umfassend aus und belegen somit, dass sie für die Schulleitung einen großen Stellenwert besaßen. Dementsprechend ermöglichen sie glücklicherweise eine umfangreiche Analyse der Vorgänge an diesem Schulstandort, obwohl der zeitliche Umfang der Überlieferung eher eingegrenzt ist. Zum Inhalt der Jahresberichte Die Statistik zu den Schülerinnen und Schülern nimmt in den Jahresberichten jeweils viel Platz ein und gibt Auskunft über verschiedene Kriterien, die abgefragt und klassenweise aufgelistet wurden: Zahl der Schüler(innen)631, Geburtsort, Staatsbürgerschaft, Muttersprache, Religion, Lebensalter, Wohnort der Eltern, Erfolg des Schulbesuches und Besuch von Freigegenständen. Von besonderem Interesse ist hierbei, in welche Kategorien die Jugendlichen eingeteilt wurden: Dass Mädchen und Burschen bei der Aufstellung getrennt geführt wurden, überrascht wenig, war dies doch gängige Praxis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Von besonderem Interesse ist aber, wie welche Kategorien weiter spezifiziert wurden. Beim Geburtsort/-land wurde in folgende Kategorien unterschieden: St. Pölten (und Umgebung), restliches Niederösterreich, Wien und die anderen Bundesländer, und dann kamen schon Nachbarstaaten wie die Tschechoslowakei und Deutschland. Selbst zehn Jahre nach dem Ende der Monarchie gab es noch einige Kinder, die (aus der Perspektive von 1928) im Ausland geboren worden waren, aber dennoch österreichische Staatsbürger waren und nun in Österreich zur Schule gingen: So gab es 1928/29 in Gymnasium und Handelsschule zwar 36 Kinder, die in der Tschechoslowakei geboren worden waren, aber zugleich gab es nur drei tschechoslowakische Staatsbürger an der Schule.632 Ausnahmslos alle Angehörigen der Anstalt gaben als ihre Muttersprache Deutsch an – in der entsprechenden Zeile der Tabelle wird gar keine andere Möglichkeit angeführt. Selbst die tschechoslowakischen Schüler scheinen also der deutschen Sprachgruppe angehört zu haben. Bezüglich des Wohnortes der Eltern wurde nur zwischen Ortsansässigen und Auswärtigen unterschieden, wobei dieses Verhältnis ungefähr 60% Ortsansässige zu 40% Auswärtige betrug. 633 Anhand dieser Unterscheidungen wird deutlich, dass in erster Linie zwischen unmittelbar am Schulort wohnenden Personen und anderen unterschieden wurde – der Grad der Entfernung spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. 629 Klaudius Chitil, 66. Jahresbericht des Bundes=Real= und Ober=Realgymnasiums und der damit verbundenen Bundes=Handelsschule in St. Pölten. Veröffentlicht am Schlusse des Schuljahres 1928-1929, St. Pölten 1929, 39. 630 Ebd., 15 – 19. 631 Schülerinnen waren an dieser Anstalt eine sehr kleine Minderheit: Auf über 300 Schüler kamen nur wenige Schülerinnen, die oftmals auch Privatistinnen waren. Die folgenden Aussagen müssen unter diesem Aspekt betrachtet werden und können daher nur eingeschränkt für Burschen und Mädchen gleichermaßen gelten. 632 Hier wäre natürlich zu überlegen, ob Kinder, die noch während der österreichisch-ungarischen Monarchie in Böhmen zu Welt kamen, ihr Geburtsland mit Österreich oder als Tschechoslowakei angaben. Hier wird die zweitere Auffassung vertreten, da die Tschechoslowakei vor 1918 ja noch gar nicht existiert hatte. 633 Chitil 1929, 39 – 40.

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Nun zu den Ereignissen des Schuljahres 1928/29, das als erstes anhand eines Berichts konkretisiert werden kann: Der Jahresbericht über dieses Unterrichtsjahr gibt Auskunft über verschiedenste Feierlichkeiten und Ereignisse im Schulleben. Am 12. November 1928 (dem 10. Jubiläum der Ausrufung der Republik Deutschösterreich 1918) fand eine Schulfeier statt, bei der von den Schülern Gedichte und Lieder vorgetragen wurden. Darunter befanden sich Franz Grillparzers ‚Lob Oesterreichs‘, eine Festrede eines Lehrers der Anstalt und Ernst Moritz Arndts Lied ‚Des Deutschen Vaterland‘, das der ‚Deutschen Frage‘ gewidmet ist und 1813 während des Kampfes gegen Napoleon verfasst wurde. Grillparzers und Arndts Werke verdienen an dieser Stelle eine nähere Betrachtung: Bei dem ‚Lob Oesterreichs‘ genannten Auszug aus Grillparzers Trauerspiel ‚König Ottokars Glück und Ende‘ handelt es sich nämlich um eine oft rezitierte Passage, in der Österreich durch den mittelalterlichen Historiker Ottokar von Hornek gegenüber dem aus der heutigen Schweiz stammenden Habsburger Landesherrn Rudolf von Habsburg634 gelobt wird.635 Dieser Lobpreisung der österreichischen Länder inhaltlich diametral gegenüber steht Arndts Lied, in dem das gesamte (!) deutsche Vaterland besungen wird: „Das ganze Deutschland soll es sein! / O Gott vom Himmel sieh darein / Und gib uns rechten deutschen Mut, / Daß wir es lieben treu und gut. / Das soll es sein! / Das ganze Deutschland soll es sein!“636 In diesem Lied wird also explizit besungen, dass Deutschland vereinigt sein solle und alle deutschen Länder (darunter auch Österreich) Teil dieses vereinigten Deutschlands sein sollten. Aus heutiger Perspektive scheint es widersinnig, auf einer Schulfeier zum zehnten Jahrestag der Republik Österreich zuerst Österreich zu besingen und dann ein Loblied auf die Vereinigung Deutschlands zu singen, die unweigerlich das Ende des souveränen Österreichs bedeuten würde. Betrachtet man jedoch die damals vorherrschende Meinung zur Nationalitätenfrage, dass ‚Deutschsein‘ und ‚Österreichischsein‘ einander nicht a priori ausschlossen, sondern dass ein großer Teil der Österreicherinnen und Österreicher sich nach zehn Jahren der staatlichen Eigenständigkeit Österreichs immer noch als Teil des deutschen Volkes sah, wird diese scheinbare Widersprüchlichkeit plausibler. Insofern kristallisiert sich besonders anschaulich an Anlässen wie diesen heraus, dass selbst 1928 noch die Idee einer Vereinigung der Deutschen der untergegangenen Monarchie mit den Deutschen im Deutschen Reich nach wie vor präsent war, denn die Österreicherinnen und Österreicher sahen sich prinzipiell als Deutsche der ehemaligen Habsburger-Monarchie. Solche Details scheinen zwar auf den ersten Blick wenig bedeutsam, geben aber bei näherer Analyse Aufschluss über Grundstimmungen und Ideen; der eben beschriebene Fall nimmt die Diskussion über das ‚österreichische Wesen‘ zu Beginn und Mitte der 1930er Jahre bereits etwas vorweg, im Zuge derer immer wieder über das Deutsche am österreichischen Wesen diskutiert wurde.

634 In dem Werk Grillparzers kommt der Habsburger Rudolf nach Österreich, um die Erbschaft der ausgestorbenen Babenberger anzutreten, muss sich aber später gegen den böhmischen König Ottokar behaupten; Rudolf setzt sich schließlich durch und wird König Rudolf II. des Heiligen Römischen Reiches und begründet außerdem die bis 1918 dauernde Herrschaft der Habsburger in Österreich. 635 Außerdem stammt daher auch der berühmt gewordene Reim: „Da tritt der Österreicher hin vor jeden, / Denkt sich sein Teil und läßt die andern reden!“ Franz Grillparzer: König Ottokars Glück und Ende. Trauerspiel in fünf Aufzügen, Stuttgart/Berlin 1903, Kapitel 10, V. 346-354, online unter: https://www.projekt-gutenberg. org/grillprz/ottokar/ [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. 636 Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedchte, Berlin u. a. 1912, S. 126-127, online unter: http://www.zeno.org/ nid/20004459318 [zuletzt abgerufen am 18.10.2022].

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Eine Woche nach dieser Veranstaltung aus Anlass des 10. Jahrestages der Gründung der Republik Deutschösterreich folgte im November 1928 noch eine Feier für den Komponisten Franz Schubert, dessen Todestag sich am 19. November 1928 zum hundertsten Mal jährte; allerdings geht der Jahresbericht nicht näher auf den Inhalt und den Ablauf der Feier ein. Der weitere Verlauf des Schuljahres 1928/29 war vergleichsweise unaufgeregt: Der Unterricht der Schule wurde einige Male inspiziert, und im Februar 1929 musste die Schule wegen Kohlennot für eine Woche schließen. Der Schuljahresbericht 1932/33 erwähnt keine der eben genannten Feierlichkeiten: Keine anlässlich des Gründungstages der Republik, keine Feier für einen Dichter oder Literaten. Das Fehlen einer Feier am 12. November scheint angesichts der schwindenden Begeisterung für die Republik wenig überraschend, obwohl die Vermutung naheliegt, dass einfach gar keine Festlichkeiten dieses Schuljahres für die Nachwelt im Jahresbericht festgehalten wurden, obwohl sie stattgefunden hatten.637 Da am Ende des Schuljahres 1932/33 die parlamentarische Demokratie durch die Ausschaltung des Parlaments durch Bundeskanzler Dollfuß bereits faktisch aufgehört hatte zu existieren, konnte es aber auch aus diesem Grund als nicht opportun erscheinen, solche Anlässe noch im Jahresbericht hervorzuheben. Lediglich die Besuche im Wiener Burgtheater werden gesondert erwähnt, wobei besonderer Wert auf die Feststellung gelegt wurde, dass zum Abschluss des Schuljahres jeder Oberstufenschüler mindestens eine Vorstellung im Burgtheater, dem renommiertesten Theater Österreichs, besucht habe.638 Der Bericht von 1933/34 erwähnt für das erste Halbjahr neben einer Inspektion durch den Landesschulinspektor nur die ‚Türkenbefreiungsfeier‘ vom 7. Oktober 1933, die – wie bereits anhand des Schottengymnasiums und des Badener Gymnasiums gezeigt wurde – auch an vielen anderen Schulen im Bundesgebiet begangen wurde. Für den 24. Februar 1934 verzeichnete der Bericht einen Trauergottesdienst für die während der Februar-Unruhen gefallenen Angehörigen der Exekutive. Darüber hinaus fanden auch im zweiten Halbjahr einige Inspektionen durch die Schulaufsicht statt. Der Mai 1934 war wiederum ziemlich ereignisreich: Am 16. Mai nahmen die Schüler an einer Vorführung des Luftschutztrupps teil, am 23. Mai sahen sie einen Luftschutzlehrfilm, und am 26. und 27. Mai wurde der Tag der Jugend festlich begangen, wobei zu diesem Anlass auch sportliche Wettkämpfe veranstaltet wurden.639 Nach der endgültigen Ausschaltung aller demokratischen und oppositionellen Institutionen manifestierte sich der Einfluss des herrschenden Systems auf die Schule noch deutlicher, und die Ereignisse an den Schulen nahmen einen zunehmend militärischen Charakter in sportlichem Gewand an, der zur vorgegebenen Regierungsideologie passte. Auffällig ist jedenfalls, wie schnell sich dieser Wandel im Schulleben manifestierte und diesem eine eigene Dynamik gab. Alle vorliegenden Jahresberichte der Schule verzeichneten darüber hinaus noch die „Bildungstätigkeit des Lehrkörpers außerhalb der Schule“640. Dabei handelte es sich vornehmlich um Vorträge und Kurse, die Lehrer der Anstalt an der örtlichen Volkshochschule oder am 637 Zumal an anderen Schulen das Goethe-Haydn-Jahr sehr intensiv festlich begangen wurde. 638 Klaudius Chitil, 70. Jahresbericht des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums (Form A) und der damit verbundenen Bundeshandelsschule in St. Pölten. Jubiläums-Ausgabe, St. Pölten 1933, 67 – 68. 639 Klaudius Chitil, 71. Jahresbericht des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums (Form A) und der damit verbundenen Bundeshandelsschule in St. Pölten, St. Pölten 1934, 59. 640 Chitil 1929, 60.

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Landes- und Bundes-Lehrerseminar St. Pölten hielten, aber auch Kurse in Einheitskurzschrift für Angehörige der örtlichen Bundesheergarnison finden sich in der Aufzählung. Ein in dieser Hinsicht besonders produktives Mitglied des Lehrkörpers war der Religionslehrer und Priester Prof. Dr. Johann Triebl, der – wie der entsprechende Jahresbericht des Jahres 1933 lobend erwähnte – im Juli 1933 von Bundespräsident Wilhelm Miklas den Titel Studienrat verliehen bekam:641 Er hielt etwa Vorträge über „Die weltgeschichtliche Bedeutung des Jahres 1683“642 vor dem Katholischen Volksbund und dem Christlich-Deutschen Turnverein im April 1933 und über „Richard Wagner. Zur Feier seines 50. Todestages“643 vor der katholisch-deutschen Mittelschulverbindung Nibelungia im Mai 1933; hinzu kamen noch einige Rezensionen in der christlich-konservativen Zeitung ‚Reichspost‘. Triebl war auch im folgenden Schuljahr 1933/34 außerhalb der Schule recht produktiv: Der Jahresbericht verzeichnete etwa einen Vortrag über „Nationalistische Enge und universalistische Weite“644 und einen weiteren zum Thema „P. Marco d’Aviano, der Held des Jahres 1683“. Andere Angehörige des Lehrkörpers sprachen wie beispielsweise Rudolf Schwertner vor den Ostmärkischen Sturmscharen zum Thema „Oesterreich und die Reichsidee (1848)“. Studienrat Prof. Schopf hielt beim katholischen Volksbund folgende Vorträge: „Der Niedergang des Marxismus“645, „Die Arbeiterschaft im neuen Staate“, „Oesterreich und seine wirtschaftlichen Verhältnisse“ und „Die Neuordnung des Schulwesens“. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Schuljahr 1933/34 die parlamentarische Demokratie bereits in einer schweren Krise, das Parlament handlungsunfähig und politische Oppositionsarbeit fast unmöglich waren. Und nach dem Februar und besonders dem Frühjahr 1934 mit der neuen Verfassung vom 1. Mai 1934 war die pseudofaschistische Diktatur bereits gefestigt und scheinlegalisiert. Unter diesem Blickwinkel sind also Vorträge zum Niedergang des Marxismus und die Bezugnahme auf das „neue Österreich“ zu verstehen – die konservativen Kräfte wähnten sich bereits als Sieger in der Konfrontation mit den Sozialdemokraten. Dass mit Triebl ein katholischer Priester und Religionslehrer bereits deutlich vor dem Februar 1934 vor einem prononciert konservativen Publikum (Turnverein, Volksbund) mit seinen Vorträgen und Thesen auftrat, passt sehr gut zum Bild einer mehrheitlich konservativ bis deutschnational eingestellten Lehrerschaft an den Gymnasien, die als Heimat vor allem des deutschen Bildungsideales galten. Die Auszüge aus den Tätigkeiten der Lehrer außerhalb der Anstalt zeigen in hervorragender Weise, dass das Gymnasium St. Pölten so wie die meisten Schulen kein von Gesellschaft losgelöstes Gebilde, sondern mit dem sozialen und politischen Umfeld stark verwoben war. Einerseits wurde von außen auf die Schule eingewirkt, andererseits wirkten die Schule und ihre Angehörigen auch über die Schule hinaus. Insofern ist auch begreiflich, dass die Vermittlung eines nationalen Österreichpatriotismus ab 1933/34 im Rahmen der Beschulung pädagogisiert wurde, womit der Schule eine zentrale Rolle bei diesem Vorhaben zugewiesen wurde. Der Lehrstoff Die Jahresberichte verzeichneten sowohl den Lesestoff als auch die Rede- und Aufsatzübungen des Faches Deutsch für die Oberstufe. Begonnen wird hier mit der Analyse des Lesestoffes: Auffallend ist im Schuljahr 1928/29, dass in der fünften bis siebten Klasse zwar verschie641 642 643 644 645

Chitil 1934, 24. Chitil 1933, 82. Ebd., 82 – 83. Chitil 1934, 73. Ebd.

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dene Autoren gelesen wurden, diese aber alle der Epoche der Klassik zuzurechnen sind. In der achten Klasse jedoch wurden ausschließlich Autoren gelesen, die insofern als ‚österreichisch‘ verstanden werden können, als ihr Leben und Wirken großteils in jenen Gebieten stattfand, die ab 1918 die Republik bildeten: Es waren dies Franz Grillparzer, Ferdinand Raimund und Ludwig Anzengruber. Nicht zuletzt können sie auch deshalb als ‚österreichische‘ Autoren verstanden werden, weil ab Beginn der 1930er Jahre, als die staatlich verordnete Österreichideologie in den Schulen auf dem Vormarsch war, Jubiläen ihrer Todes- oder Geburtstage aufwendig gefeiert wurden. Wenige Jahre später, im Schuljahr 1932/33, war die Auswahl des Lesestoffes deutlich abwechslungsreicher: Zwar wurden immer noch zu einem großen Teil Klassiker wie Goethe und Schiller und auch Grillparzer und Anzengruber gelesen, doch auch weniger bekannte Werke der deutschsprachigen Literatur wurden studiert. Dieser Trend ist auch für das darauffolgende Schuljahr 1933/34 zu konstatieren: Von einer Zunahme der Lektüre als „österreichisch“ gelesener Autoren ist aber nichts zu bemerken, vielmehr wurde der Lesestoff insgesamt umfangreicher, aber dafür standen beispielsweise auch William Shakespeare und Richard Wagner auf der Lektüreliste. Einschränkend zu dieser Stichprobe muss aber gesagt werden, dass der Deutschunterricht in allen Klassen der Oberstufe nur von wenigen Lehrern gehalten wurde, meist waren es nur zwei oder drei verschiedene, von denen jeder eindeutig über eigene Vorlieben bezüglich des Lesestoffes verfügte, die sich über die Schulstufen und Jahre hinweg abbildeten. Dies manifestierte sich daher entsprechend in den erhaltenen Lektürelisten. Daraus abzuleiten, dass die bereits in den vorhergehenden Fallstudien konstatierte Tendenz zur Zunahme österreichbezogener Werke und Themenstellungen im Deutschunterricht im Laufe der 1930er Jahre insgesamt nicht so stark gewesen sei, wäre daher unzulässig: Vielmehr zeigt sich, dass einzelne Schulen und Lehrpersonen durchaus individuellen Handlungsspielraum hatten, der von der allgemeinen Tendenz und Vorgaben nicht gänzlich verändert wurde. Die Aufsätze und Redeübungen der fünften Klasse standen 1928/29 in engem Zusammenhang mit der gelesenen Lektüre und waren hauptsächlich den Sagen und der älteren deutschen Literatur entnommen, so zum Beispiel dem Nibelungenlied. Ähnlich standen die Dinge in der sechsten Klasse: Hier gab es Themen wie „Der deutsche Geist“646 oder „Götz – ein Selbsthelfer in wilder, anarchischer Zeit“. In der siebten Klasse finden sich einige auffallende Unterschiede: So gab es etwa Aufsatzthemen wie „Geduld! Es kommt der Tag, da wird gespannt ein einzig Zelt ob allem deutschen Land“ oder „Die Freiheitssänger um 1813“, während Redeübungen zu Themen wie „Der Untergang der öst.-ung. Monarchie und die Zukunft des Deutschtums“ stattfanden. In der achten Klasse waren die Themen in politischer Hinsicht wieder vergleichsweise unverfänglich, sogar selbst gewählte Themen konnten behandelt werden. Das passt insofern ins Bild, als fünfte, sechste und achte Klasse vom selben Lehrer unterrichtet wurden, während die siebte Klasse einen anderen Deutschlehrer hatte. Wie schon beim Lesestoff wird auch hier deutlich, dass persönliche Vorlieben der Lehrer einen starken Einfluss darauf hatten, worüber die Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Redeübungen und Schularbeiten sprechen und schreiben konnten, da die Themenstellungen von den Lehrkräften vorgegeben wurden. Bei der Analyse der entsprechenden Themenstellungen im Schuljahr 1932/33 ergeben sich nur wenige Differenzen zu den Vorjahren. Auffallend ist erst einmal, dass es nun pro Jahrgang 646 Chitil 1929, 26.

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jeweils eine A- und eine B-Klasse gab, die Anzahl der Schüler also gewachsen war und somit einige Jahrgänge parallel geführt wurden, wodurch es auch thematisch zu Dopplungen kam. Die meisten Themen der Aufsätze und schriftlichen Arbeiten wiesen einen engen Bezug zum behandelten Lesestoff auf oder waren stark an der unmittelbaren Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler orientiert: Neben Goethe und Schiller als Vertreter der Literatur waren etwa auch die „Briefmarkenausstellung in St. Pölten“, „Ignaz Seipel“ oder die „Burg Kreuzenstein“ Gegenstand der schriftlichen und mündlichen Ausführungen. In der 6. Klasse berichteten die Schüler in den schriftlichen Arbeiten entweder von einem Besuch des Burgtheaters, erzählten eine gesehene Oper nach oder erörterten Charaktere aus Goethes ‚Iphigenie auf Tauris‘. Daneben gab es aber – wie auch bei den Redeübungen – eine große Anzahl an Themen, die einen sehr starken Deutschlandbezug aufwiesen. Beispiele hierfür sind etwa „Der deutsche Wald im Wandel der Jahreszeiten“647, „Die deutsche Stadt im Mittelalter“, „Das Schicksal der deutschen Flotte“ oder „Ernst Udet“648. Das Thema „Oesterreichisches Volkstum“ mutete dabei schon fast wie eine Ausnahme an, da es als einziges einen offenkundigen Österreichbezug aufwies. Die Themen der siebten Klassen waren offenbar von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Einerseits ist der Lesestoff der siebten Klassen zu nennen, andererseits finden sich auch Themen, deren eigentlicher Ursprung eindeutig außerhalb der Schule lag: So sind zum Beispiel mit „Der Gaskrieg“649 und „Moderner Gasschutz“ zwei Themen vertreten, die – wie andere Stellen der Jahresberichte zeigen – eindeutig relevant waren, aber von außen an die Schule herangetragen wurden, ebenso wie dies beim Luftschutz der Fall war. Ähnlich gelagert war die Situation in der achten Klasse. Die Bedeutung militärischer Fragen wurde anhand der beiden Themen Luftschutz und Gasschutz deutlich, denn immerhin wurden diese Themen nicht nur im Unterricht besprochen und bei Aus- und Fortbildungen geübt, sondern waren auch Gegenstand schriftlicher Arbeiten der Schülerinnen und Schüler. Im folgenden Schuljahr 1933/34 sind erneut sehr aufschlussreiche Themenstellungen zu finden. Die Themen der fünften Klassen waren wieder von einer großen Ambivalenz geprägt: So finden sich im Jahresbericht Themen wie „Der Wald im Herbst“650, „Vom Briefmarkensammeln“ oder „Auf der Reisalpe“651, die einigermaßen harmlos erscheinen, aber auch Themen wie „Die Kaiserjäger im Weltkriege“, „Die Ostmark“, „Schwere Tage in St. Pölten“, „Der Tag der Jugend“, „Fliegerabwehr“ und „Länderkampf Österreich – Ungarn“, welche eindeutig anderweitig konnotiert sind. Worauf die „schweren Tage in St. Pölten“ verweisen, ist zwar nicht eindeutig angegeben, bedenkt man jedoch, dass es im Februar 1934 im Zuge der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen auch in St. Pölten zu schweren Kämpfen zwischen Sozialdemokraten und Regierungstreuen kam und dass das Thema als sechstes von neun zeitlich durchaus am Beginn des zweiten Semesters (also Februar/März) verortet werden kann, liegt ein Bezug zu den Februarkämpfen eigentlich auf der Hand. Somit verwundert kaum, dass die Themenvorgaben desselben Lehrers, der auch die fünfte Klasse unterrichtete, in der sechsten Klasse recht ähnlich waren: Der Jahrestag der Befreiung 647 Chitil 1933, 47. 648 Ernst Udet war ein bekannter Jagdflieger des Ersten Weltkrieges und in den 1920er Jahren vor allem als Kunstflieger und durch Filmauftritte bekannt. Später machte er während der NS-Diktatur in der Luftwaffe Karriere und beging 1941 Selbstmord. 649 Chitil 1933, 48. 650 Chitil 1934, 37. 651 Die Reisalpe ist ein Berg und beliebtes Ausflugsziel nicht weit südlich von St. Pölten.

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Wiens 1683 kam in doppelter Ausführung vor, nämlich einmal als „Die Befreiung Wiens von den Türken“652 und einmal als „Unsere Türkenbefreiungsfeier“. Hinzu kamen „Der Tag der Jugend“, „Die Luftschutzübung“, „Der Gaskrieg“ und – etwas kurios, doch offenbar war der Lehrer Fußballfan – „Rapid, der Herbstmeister des Jahres 1933“. Die Themen der siebten Klasse waren wiederum stark von der Lektüre geprägt und konzentrierten sich sehr stark auf diese, wobei es einige wenige Ausnahmen gab. So wurden in der A- und der B-Klasse Themen mit klarem Bezug zu Österreichs Rolle als christliche Ostmark gestellt: einmal als „Österreichs Wacht im Osten“653 und einmal als „Oesterreich als Bollwerk im Osten“654. Die Redeübungen waren ebenfalls zu politisch aktuellen Themen zu halten: „Der Ständestaat“655 und „Der Friede zu Versailles“ waren hier beispielsweise Gegenstand der Erörterungen. An dieser Stelle ist es überaus aufschlussreich zu bemerken, dass die Siebtklässler nicht über den Friedensvertrag für Deutschösterreich (Saint-Germain), sondern über jenen für das Deutsche Reich (Versailles) zu sprechen hatten. Die Aufgabenstellungen der achten Klasse waren verglichen damit unverfänglich, wobei doch auffällt, dass von den drei Themen für die Redeübungen zwei einen starken Deutschlandbezug hatten („Nürnberg“656 und „Der Rhein“), aber nur eines mit Österreich zu tun hatte („Melk im Wandel der Zeiten“). Insgesamt waren aber alle drei genannten Themen stark landschaftsbezogen und zielten nicht auf eine politisch-geschichtliche Erörterung ab, wie dies beispielsweise in der siebten Klasse der Fall war, in der Ständestaat und Versailler Friedensvertrag erörtert werden sollten. In der Gesamtschau ergibt sich im Laufe der Zeit folgendes Bild für den Lehrstoff, den die Jahresberichte des St. Pöltner Gymnasiums für Deutsch nennen: Stärker als etwaige politische Umschwünge und Ereignisse beeinflussten die jeweiligen Lehrpersonen die Themenauswahl. Zwar wird deutlich, dass die Themen insgesamt immer stärker österreichprononciert und durchaus auch militaristisch („Wacht im Osten“, „Bollwerk im Osten“) wurden, aber es wurde ebenfalls deutlich, dass Lehrpersonen individuell von diesem Trend abweichen konnten. Die Kanzlerdiktatur stellte zwar mit den Jahren einen fortschreitend totalen Anspruch an Schüler und Lehrer, konnte diesen jedoch nicht vollständig in die Realität umsetzen. Auf den untersten Ebenen des Schulsystems – dem Unterricht – bestanden trotz der politischen Umstände noch gewisse Gestaltungsspielräume. Die Reifeprüfungsaufgaben Nun folgt ein Vergleich der Aufgaben zu den Reifeprüfungen in den Schuljahren 1928/29, 1932/33 und 1933/34. Diese spiegeln wie die Themen von Hausarbeiten, Schularbeiten und Redeübungen wieder, welchen Themen im Unterricht große Bedeutung zugemessen wurde. Die Reifeprüfung war der krönende Abschluss der Schullaufbahn der Schülerinnen und Schüler, weshalb davon auszugehen ist, dass die Lehrerinnen und Lehrer vornehmlich solche Themen für die Aufgabenstellungen auswählten, die für die Kandidaten besonders interessant waren oder als gesellschaftlich oder politisch wichtig erachtet wurden.

652 653 654 655 656

Chitil 1934, 38. Ebd., 39. Die Themen waren also quasi identisch, lediglich die abweichende Schreibung von Österreich fällt auf. Chitil 1934, 40. Ebd.

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Zum Sommertermin 1928/29 wurden schriftliche Hausarbeiten eingereicht, die in vielen Fällen lokale Themen wie die benachbarte Stadt Herzogenburg, das Waldviertel (eines der vier Viertel des Bundeslands Niederösterreich), die Bischöfe St. Pöltens oder umfassendere Themen wie „Die deutsche Frau, dargestellt in den ‚Bildern aus deutscher Vergangenheit‘ von Gustav Freytag“657 behandelten. Bei der Klausur war in Deutsch zu wählen aus einem Zitat Franz Grillparzers (von fünf Kandidaten gewählt), einem Zitat Marie von Ebner-Eschenbachs (drei) und dem Thema „Die geschichtliche Bedeutung Oesterreichs“658 (von 15 Personen gewählt). Das dritte Thema mochte wohl all jenen, die sich nicht besonders für Literatur erwärmen konnten, als eine willkommene Alternative erscheinen und wurde vielleicht deshalb vergleichsweise häufig gewählt. Andererseits deutet seine Popularität auch darauf hin, dass die Kandidatinnen und Kandidaten mit dem Österreich-Begriff etwas anfangen und sich dementsprechend dazu mitteilen konnten. Hier ist auch ein Konnex mit der gelesenen Literatur herzustellen, da der Lesestoff vornehmlich von Autoren stammte, die in der Zeit und später als ‚österreichisch‘ bezeichnet wurden, wie im Unterpunkt zum Lehrstoff festgehalten wurde. Beim Haupttermin 1933 verfassten die meisten Kandidaten Hausarbeiten zu chemischen und philologischen Themen (zum Beispiel ein Vergleich zwischen Vergil und Homer oder zu bestimmten Farbstoffen) – ein interessanter Gegensatz zu den 1929 gewählten Hausarbeitsthemen, die vorwiegend Lokalcharakter hatten.659 Bei der Klausur aus Deutsch wählten die Kandidaten aus den folgenden drei Aufgabenstellungen: „a) Die Romantik als Gegenwirkung gegen die Aufklärung. b) Die Donaustraße in Sage und Geschichte. c) Es ist nicht genug, zu wissen, man muß es auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muß es auch tun (Goethe).“660 Die Themen wurden jeweils von einem, 22 und zehn Schülern gewählt. Auch hier entsteht der Eindruck, dass das lebensnahe und etwas unspezifische Thema mit Lokalbezug (die Donau verläuft nur einige Kilometer nordwestlich von St. Pölten) am beliebtesten war, während der Literatur(geschichte) entnommene Themen nicht sehr gerne bearbeitet wurden. Ein betont nationales Thema kann bei diesem Termin jedoch nicht ausgemacht werden. 1934 wurden keine Hausarbeiten verfasst, doch bei den schriftlichen Klausuren konnte wie gehabt wieder aus drei Themen gewählt werden, wobei alle Schülerinnen und Schüler das dritte wählten: „a) Die geistigen Strömungen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. b) Laß nicht von Menschenfurcht in deinem Tun dich leiten, Frag: was ist recht und gut – und also sollst du schreiten. c) Unsere Berge – unsere Freude, unser Reichtum, unser Stolz.“661 Die Tendenz der vorigen Reifeprüfungstermine setzte sich hier insofern fort, als erneut jenes Thema am beliebtesten war, das einen starken Heimat- und Lebensbezug hatte. Gegenüber den Jahren davor ist hier aber eine neue Qualität zu konstatieren, da das Thema „Unsere Berge“ in mehrerlei Hinsicht interessant ist: Zuerst einmal fällt auf, dass durch die Verwendung des Possessivpronomens „unsere“ schon rein sprachlich und in weiterer Folge auch emotional eine Nähe zum Gegenstand der Arbeit geschaffen wird. Nicht fremde Berge, sondern „unsere Berge“ sind Gegenstand des zu verfassenden Aufsatzes. Die Berge können hier als Synonym 657 658 659 660 661

Chitil 1929, 34. Ebd., 35. Chitil 1933, 55. Ebd. Chitil 1934, 47.

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für die österreichische Heimat gelesen werden, denn Österreich – oftmals auch als Alpenrepublik bezeichnet – wurde und wird sehr stark mit den Alpen assoziiert, die einen Großteil des Staatsgebietes einnehmen. Nicht nur lautet die erste Strophe der nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführten Bundeshymne „Land der Berge, Land am Strome“, auch in der vom ersten Staatskanzler Renner gedichteten – jedoch wenig populären – Hymne „Deutschösterreich, du herrliches Land“ wird das Bild der bergigen Heimat tradiert: „Deutschösterreich, du herrliches Land, wir lieben dich! / Hoch von der Alm unterm Gletscherdom / Stürzen die Wasser zum Donaustrom“662. St. Pölten liegt zwar nicht in den Bergen, aber an den Ausläufern des Alpenvorlandes und hat noch dazu historisch ein großes Einzugsgebiet, weshalb auch Schülerinnen und Schüler aus den südlich gelegenen bergigen Regionen in St. Pölten zur Schule gehen konnten. Diese Umstände verstärken daher noch einmal die Wirkung, die ein mit Emotionen beladenes Thema wie „Unsere Berge“ hatte. Insgesamt zeigt sich anhand der Reifeprüfungsaufgaben am Gymnasium St. Pölten zwar nicht so deutlich wie in den bisher behandelten Schulen eine österreichlastige Tendenz mit nationalem Unterton, das schränkt aber die These der sich zunehmend nationalisierenden österreichischen Schule der 1930er Jahre nur bedingt ein. Denn erstens ist gut vorstellbar, dass dieser Trend sich auch in St. Pölten manifestierte, jedoch in etwas späterer Zeit, aus der hier leider keine Jahresberichte vorliegen, und zweitens bestätigt dieser Umstand auch, dass staatlich verordnete Schulpolitik nicht sofort auf allen Ebenen greift. Bis gesellschaftliche und politische (und auch andere wie zum Beispiel didaktische) Änderungen auf der unterrichtlichen Ebene ankommen, braucht es Zeit.

3.5 Bundes-Realgymnasium Linz Die Quellenlage der Jahresberichte des Staats-/Bundes-Realgymnasiums in Linz ist vergleichsweise gut: So liegen neben dem Bericht von 1918/19 noch sechs Jahresberichte für den Zeitraum 1924/25 bis 1936/37 vor, die damit eine gut fundierte Analyse erlauben. Anzumerken ist dabei noch, dass der Jahresbericht von 1924/25 eine zusammenfassende Darstellung der Jahre 1921/22 bis 1923/24 enthält, da die Schule infolge der bescheidenen materiellen Verhältnisse zu Beginn der 1920er Jahre keine gedruckten Jahresberichte vorlegen konnte. Stattdessen wurden die wichtigsten Punkte handschriftlich aufgezeichnet und für eine spätere Veröffentlichung hinterlegt, die erst 1925 erfolgen konnte.663 Damit kommen zu den bereits erwähnten sechs Jahresberichten noch drei weitere hinzu, was eine deutliche Verbesserung der Quellenlage darstellt und somit insgesamt die Zeit von 1918 bis 1937 abdeckt. Die Anstalt ist während des untersuchten Zeitraumes als einigermaßen große Schule zu sehen: Im Schuljahr 1918/19 waren circa 25 Lehrer an der Schule tätig und unterrichteten ungefähr 350 Schüler.664 Die räumliche Situation war schon während des Ersten Weltkrieges und besonders unmittelbar danach eine große Herausforderung für die Schule: Nicht nur waren die elf Klassen im Schuljahr 1918/19 auf verschiedene Standorte aufgeteilt, auch musste der Unterricht gestaffelt vormittags und nachmittags erteilt werden, da nicht genügend Räume 662 Nachzuhören in der österreichischen Mediathek: Karl Renner, Wilhelm Kienzl, Deutschösterreich, du herrliches Land. Hymne der Republik, online unter: https://www.mediathek.at/atom/135E603D-05A00061-000004A4-135DCBB9 [zuletzt abgerufen am 31.01.2024]. 663 Eduard Huemer, Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz über das vierzehnte Schuljahr (1924/25). Schulnachrichten vom Direktor der Anstalt, Linz 1925, 1. 664 Eduard Huemer, Jahres-Bericht des Staats-Realgymnasiums in Linz über das achte Schuljahr (1918/19). Schulnachrichten vom Direktor der Anstalt, Linz 1919, 53.

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zur Verfügung standen, um alle Klassen gleichzeitig zu unterrichten. Vorübergehend konnte dadurch Abhilfe geschaffen werden, dass die Allgemeine Sparkasse der Stadt Linz Räume zur Verfügung stellte, nachdem die Schule die von der Stadt zur Verfügung gestellten Liegenschaft 1919 verlassen und so Platz für vier Klassen hatte finden müssen.665 Mitte der 1920er Jahre kam es aber infolge eines Neubaus zu einer wesentlichen Erleichterung der angespannten Platzsituation, sodass zu Beginn der 1930er Jahre alle Klassen bereits zweizügig geführt werden konnten.666 Die Schülerzahl stieg dementsprechend zeitweise auf knapp über 600 an, wie zum Beispiel im Schuljahr 1933/34,667 und pendelte sich in den Folgejahren bei ungefähr 550 Schülern ein. Bedenkt man, dass der Besuch eines Gymnasiums bis Ende des 20. Jahrhunderts in Österreich eher die Ausnahme als die Regel war – schließlich war der Zugang einigermaßen restriktiv geregelt – ist die Größe der Anstalt bemerkenswert. Zum Inhalt der Jahresberichte Wie prekär die Gesamtlage nach dem Ende des Ersten Weltkrieges noch Anfang 1919 war, zeigt nicht zuletzt eine Schilderung des Turnlehrers der Anstalt, der im Jahresbericht davon berichtete, dass wegen „der Stundeneinteilung, aber auch wegen der ungünstigen Ernährungsverhältnisse und des Mangels an ordentlicher Fußbekleidung […] von den sonst üblichen Turnermärschen, Wanderungen und Geländespielen ganz abgesehen werden“668 musste – zudem verfügte die Schule damals nicht einmal über einen Schularzt.669 Ungewöhnlich deutliche Worte fand der Direktor der Anstalt für die allgemeine – auch politische – Lage im Jahresbericht 1918/19: Sei man noch vor und während des Krieges von der Gerechtigkeit der eigenen Sache erfüllt und überzeugt gewesen, so befinde man sich nun in einer schier trostlosen Lage, ausgelöst durch eine furchtbare Enttäuschung (gemeint ist die militärische Niederlage der Mittelmächte) und dadurch, dass sich die Hoffnung, „die gerechte Sache des deutschen Volkes und seiner Stammesbrüder in unserem enger[e]n Vaterlande müsse siegen“670, nicht bewahrheitete. Das Verhältnis des alten Patriotismus zur „neuen Auffassung von Vaterlandsliebe“671 verglich der Direktor mit dem gegensätzlichen Verhältnis von Wasser zu Feuer und verwies dabei auf die Schwierigkeiten, die die Lehrer der Anstalt nun haben würden.672 Gleichzeitig plädierte er für Treue „zu diesem meinem Volke“673, und meinte „als Bürger des neuen Staates habe ich die wahrhaft patriotische Pflicht zu erfüllen, diesem Staate zu geben, was ihm gebührt, und der Obrigkeit zu gehorchen – wie es auch die Religion verlangt“674. Bei diesen Formulierungen wird deutlich, dass die enge Verknüpfung von katholischer Religion und Staat aus der Zeit der Monarchie prolongiert wurde, wobei die Religion dem Direktor zufolge als moralische Leitlinie die Liebe zum Staat gebiete. Den

665 Ebd., 23 – 27. 666 Alois Wolfersberger, XXV. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1935/36, Linz 1936, 10 – 11. 667 Alois Wolfersberger, XXIII. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1933/34, Linz 1934, 24. 668 Huemer 1919, 28. 669 Ebd., 30. 670 Ebd. 671 Ebd. 672 Ebd., 31. 673 Ebd., 32. 674 Ebd.

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allgemeinen Teil des Jahresberichts schloss der Schulleiter dann noch mit einem direkten Aufruf an die Jugendlichen: Nicht mit begeisterten Versammlungen und nicht mit noch so schönen Reden wirst du dem deutschen Vaterlande dienen, sondern nur mit ernster, zielbewußter und rastloser Arbeit. […] [V]ergesset nicht auf eure Arbeit, auf das Studium! Dann werdet ihr Männer werden, wie der neue deutschösterreichische Staat sie braucht.675

Diese Aussage steht in ihrer Deutlichkeit im Gesamtkontext der untersuchten Schulstandorte ziemlich isoliert: Eine derart stark ausgeprägte positive (wenn auch vor allem zweckoptimistische) Einstellung gegenüber der neuen Republik konnte an anderer Stelle nicht gefunden werden. Vielmehr zeigen die meisten Berichte der unmittelbaren Nachkriegszeit deutlich, dass viele dem alten Österreich-Ungarn nachtrauerten und sich mit dem neuen (deutsch-) österreichischen Kleinstaat nur schwer abfinden konnten. Optimismus war in den entsprechenden Dokumenten selten zu finden, meist herrschte Resignation vor. Wie die Aufzählung wichtiger Erlässe vorgesetzter Dienststellen im Jahresbericht zeigt, wurden die Schüler der Anstalt Ende November 1918 von ihren Lehrern über die politischen Umwälzungen informiert: Am 23. November 1918 wurde „der Auftrag erteilt, die Schuljugend über den eingetretenen Wandel der Dinge, das neue Staatswesen und die neue Regierungsform entsprechend zu belehren.“676 Insofern ist erstaunlich, dass im Jahresbericht an späterer Stelle vermerkt wurde, dass die Lehrer der Anstalt dem Direktor gegenüber bereits am 13. November „dem neuen deutschösterreichischen Staat das Treue-Gelöbnis“677 leisteten, also überhaupt nur einen Tag nach dessen Ausrufung der Republik vor dem Parlament in Wien. Ansonsten verzeichnete die Chronik der Anstalt wenige Ereignisse des Schullebens, die außerhalb der Schule stattfanden, wie dies beispielsweise oft bei Feiern und Aufführungen der Fall ist, die bereits in vorigen Fallstudien erwähnt wurden. Eine vergleichsweise detaillierte Schilderung findet sich aber zum 1. Mai 1919, der in den Räumlichkeiten des Kaufmännischen Vereinshauses festlich begangen und von einer Abordnung der Schule besucht wurde. Besondere Erwähnung findet die Rede des Direktors des Linzer Staatsgymnasiums, „welche, von nationaler Begeisterung getragen, die Jugend zur Arbeit aufrief und zur werktätigen Mithilfe an dem Wiederaufbau unseres Heimatlandes“678 ermunterte. Diese Beschreibung erinnert sehr stark an den im Jahresbericht abgedruckten Aufruf des Direktors, der weiter oben einleitend zu Kapitel 3.5 zitiert wurde. Der nächste Jahresbericht, der aus dem Schuljahr 1924/25 stammt, beinhaltet auch Zusammenfassungen der berichtslosen Schuljahre 1921/22 bis 1923/24. Als erwähnenswerte Ereignisse der Vorjahre vermerkte der Direktor beispielsweise eine Gedenkveranstaltung zum 50. Todestag des Dichters Franz Grillparzer, dessen am 21. Jänner 1922 mit einer Festrede gedacht wurde.679 Für das folgende Schuljahr 1922/23 ist auch erstmals eine Republikfeier anlässlich des Gründungstages der Republik Deutschösterreich vermerkt – sie fand am 10. November statt und wurde mit einer Festrede begangen. Die Schubertfeier im Monat darauf 675 Ebd., 35. 676 Ebd., 37. 677 Ebd., 43. Ein Gelöbnis auf die Republik ist auch heute noch in Österreich Bestandteil der Aufnahme in den Lehrberuf, kann aber mittlerweile in schriftlicher Form erfolgen. 678 Ebd., 47. 679 Huemer 1925, 11.

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wurde gemeinsam mit den anderen Linzer Mittelschulen durchgeführt.680 Ähnliche Veranstaltungen fanden im Folgejahr anscheinend nicht statt – zumindest werden sie im Jahresbericht nicht erwähnt. 1923/24 wurden lediglich gegen Ende des Schuljahres einige festliche Aktivitäten durchgeführt, von denen auch Berichte erhalten sind: Am 11. April 1924 gab es einen Familienabend im Volksgartensaal der Stadt, am 30. April besuchte der Unterrichtsminister anlässlich des Domweihfestes die Anstalt und am 3. Juli wurde der 50. Todestag des oberösterreichischen Dichters Franz Stelzhamer mit Aufführungen, Gedichtvorträgen und Chorgesängen festlich begangen.681 Ein wichtiges Thema während all dieser Jahre war der dringend benötigte und herbeigesehnte Bau eines eigenen Anstaltsgebäudes, wie etwa der ausführliche Bericht über eine Elternversammlung vom 27. September 1924 zeigt, deren einziger Gegenstand die Besprechung des Neubaus war. Eine Republikfeier wird 1924 wiederum nicht erwähnt, dafür gab es am 19. November 1924 eine zweite Stelzhamerfeier und noch eine Veranstaltung zu Ehren des Komponisten Anton Bruckner. Der weitere Verlauf des Schuljahres war im Hinblick auf eventuelle Feierlichkeiten recht ereignisarm, vielmehr wird im Jahresbericht anhand von Schilderungen zahlloser Elternabende und Versammlungen deutlich, dass die Frage des Neubaus für die Schule das wichtigste Thema der Zeit war. Als letztes größeres Ereignis wurde noch ein großes Turnfest der oberösterreichischen Mittelschulen Ende Juni 1925 erwähnt.682 Das Schuljahr 1930/31 starte Mitte September, und Anfang Oktober gab es eine groß angelegte Feier im Festsaal der Anstalt, die dem sogenannten Kärntner Abwehrkampf von 1918/19 gewidmet war. Warum eine oberösterreichische Schule den Kampf der Kärntner gegen eindringende Truppen des SHS-Staates nach dem Ersten Weltkrieg feierte, dazu macht der Jahresbericht keine Angabe. Ähnliche Feiern aus diesem Anlass werden von nur von einer weiteren Schule im Sample erwähnt, nämlich dem Fürstenfelder Gymnasium (siehe 3.7), das aber geografisch deutlich näher an den Orten der damaligen Ereignisse liegt. Nach Vortrag und Schülerchor schloß sich die Festrede des Professors Gustav Dürr an, welcher den Schülern in eindrucksvollen Worten den Verlauf und die Bedeutung dieser Kämpfe für Oesterreich und das Deutschtum im allgemeinen [sic] klar zu machen verstand. Die von den Schülern und Lehrern gesungene Bundeshymne beendete die erhebende Feier.683

Anlässlich des Jahrestages der Republiksgründung gab es in der Schule selbst keine Veranstaltung, lediglich der Direktor nahm am 12. November 1930 an einer „Paradeausrückung der Garnison Linz“684 teil. Am 10. Jänner 1931 nahm er außerdem in Begleitung eines Professors der Anstalt an einer Veranstaltung zu Ehren der Dichterin Enrica Handel-Mazzetti im Landhaus teil. Das Schuljahr 1933/34 war im Vergleich zu den vorhergehenden in Bezug auf Veranstaltungen und schulische Aktivitäten außerhalb des Unterrichts deutlich dichter gestaltet. Schon bald nach der Aufnahme des regulären Unterrichts Mitte September 1933 folgte Anfang 680 681 682 683

Ebd., 12. Ebd., 14 – 15 Der Text der oberösterreichischen Landeshymne stammt vom Dichter Franz Stelzhamer. Ebd., 30 – 37. Alois Wolfersberger, XX. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1930/31, Linz 1931, 7. 684 Ebd., 8.

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Oktober ein Ereignis, das österreichweit mit großem Aufwand an vielen Schulen begangen und auch schon einige Male erwähnt wurde: „Am 7. Oktober fand für die Bundesmittelschulen in Linz anläßlich der 250. Wiederkehr des Tages der Befreiung Wiens von der Türkenbelagerung in der Südbahnhalle eine gemeinsame Gedenkfeier statt.“685 Der Feier, in deren Rahmen es Vorträge, eine Festrede und Musikstücke gab, wohnte außer den Mittelschülern auch der Landeshauptmann bei; er hielt „eine begeisternde Ansprache und brachte ein Hoch auf Oesterreich und seinen Bundeskanzler Dr. Dollfuß aus. Mit der Bundeshymne fand die Feier ihr Ende.“686 Ende Oktober stand die Heldengedenkfeier auf dem Programm, an der eine Abordnung von Lehrern und Schülern unter Leitung des Direktors teilnahm. Das Beispiel der Heldengedenkfeier ist das erste Ereignis dieser Untersuchung, das an allen Schulen einigermaßen aufeinander abgestimmt begangen wurde. Damit zeigt sich, dass die Feiern an manchen Gelegenheiten dadurch einen überregionalen Charakter annahmen, während bis zu diesem Zeitpunkt vornehmlich lokale Anlässe festlich begangen wurden, die selten über das eigene Heimatbundesland hinausgingen. Die Vorstellungswelt der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrerinnen und Lehrer schien sich nicht zuletzt durch zentral gesteuerte Feste wie die ‚Türkenbefreiungsfeier‘ zunehmend auf den Rahmen des Gesamtstaates zu erweitern. Eine – oder die – „imagined community“ im Sinne Benedict Andersons nahm nun Gestalt in Form einer österreichischen Gesellschaft an, deren Mitglieder sich nun auch über den regionalen Rahmen hinaus verstärkt zueinander in Beziehung setzten. Dabei dienten historische Ereignisse, die nun auf den Gesamtstaat projiziert wurden, als einigendes Band, das Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrerinnen und Lehrer und die restliche Bevölkerung durch die gemeinsame Begehung des Festtages enger aneinander binden sollte. Die Schüler der Anstalt konnten außerdem eigene Schülervorstellungen am Landestheater besuchen. 1933 waren dies Schillers ‚Kabale und Liebe‘, Goethes ‚Egmont‘ und Grillparzers ‚König Ottokars Glück und Ende‘. Das nächste nennenswerte Ereignis waren die Unruhen des Februar 1934, die in Linz ihren Ausgang hatten und in deren Folge der Unterricht für eine Woche ausfallen musste. Nach dem Ende der Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden unterrichtsfreien Zeit gab es eine Trauerfeier für die gefallenen Angehörigen der Exekutive und des Bundesheeres, „an der sämtliche Mittelschulen teilnahmen.“687 Zwei Wochen später, am 4. März 1934, nahmen der Direktor und zwei Professoren stellvertretend für die Anstalt an einer Festkundgebung der ‚Vaterländischen Front‘ anlässlich des ersten Jahrestages „des Beginnes der autoritären Regierung unter dem Bundeskanzler Dr. Dollfuß“688 teil. Am 30. April, dem Vorabend der Verkündigung der neuen Verfassung, stellte die Schule 100 Schüler als Fackelträger für einen Fackelzug zur Verfügung. Am 1. Mai, dem Festtag selbst, nahm wieder eine Delegation der Schule unter dem Direktor an den Festlichkeiten teil, diesmal jedoch mitsamt einer Abordnung der Schülerschaft. Kurt Schuschniggs Vortrag „Der neue Staat“ am 3. Mai besuchten Lehrer aller Schultypen in großer Anzahl. Im Vorfeld des Tages der Jugend am 27. Mai, nämlich am 26. Mai, versammelten sich die Schüler und Lehrer im Festsaal und hörten Vorträge des Direktors und eines Lehrers, die ihnen „das Verständnis für Oesterreich und die Liebe zu Volk und Heimatland nahebrachte[n]“689. Am Festtag selbst marschierten die Schüler und Lehrer mit Fahne ins Zentrum, um gemeinsam 685 686 687 688 689

Wolfersberger 1934, 11. Ebd. Ebd., 12. Ebd. Ebd., 13.

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mit den anderen Schülern von Linz die Reden einiger Politiker zu hören. „Der Sprechchor ‚Heimatscholle, Vaterland‘, ein Treuebekenntnis zum Vaterlande, und die Bundeshymne beendeten die erhebende Feier.“690 Am 6. Juli gab es noch eine Feier anlässlich Stelzhamers Todestag, und am 7. Juli endete das Schuljahr. Auf den ersten Seiten des Jahresberichtes 1934/35 befinden sich noch vor den Schulnachrichten und sonstigen Meldungen ein seitenfüllendes Porträt von Engelbert Dollfuß und ein einseitiger Nachruf auf den im Juli 1934 getöteten Kanzler. Der Jahresbericht des Realgymnasiums Linz war in dieser Hinsicht ähnlich wie die Jahresberichte anderer Schulen gestaltet. Aus Anlass der Ermordung Dollfuß‘ fand bald nach Beginn des Schuljahres 1934, das Mitte September begonnen hatte, am 3. Oktober eine Trauerfeier für den Verstorbenen statt: Nach dem Trauergottesdienst ging es in den Festsaal, wo mit musikalischer Begleitung eine Rede des Direktors und der Nachruf auf Dollfuß durch einen Professor der Schule folgten. Zum Abschluss der Trauerfeier trug ein Schüler der achten Klasse das Gedicht ‚Daß Oesterreich lebe, hat er gelebt‘ vor, bevor die Bundeshymne als Schlussakt abgesungen wurde.691 Am 20. Oktober gab es wieder eine Feier zum Andenken an Franz Stelzhamer, die vom Landesschulrat für Oberösterreich ausgerichtet wurde und „an der sich eine Abordnung des Lehrkörpers und der Schüler mit der Schulfahne beteiligte.“692 Eine ähnlich zusammengesetzte Abordnung nahm auch am 31. Oktober an der Heldengedenkfeier der Linzer Schulen auf dem Heldenfriedhof teil. Im Rahmen der ersten Schülervorstellung der Saison gab es Ende Oktober im Landestheater Ferdinand Raimunds ‚Der Verschwender‘ zu sehen. Bei der zweiten Aufführung wurden zwei Teile von Schillers Wallenstein-Trilogie gezeigt: ‚Wallensteins Lager‘ und ‚Die Piccolomini‘. Auch kurz darauf stand Schiller im Zentrum des Schullebens, denn sein Geburtstag jährte sich zum 175. Mal693, weshalb die Schule eine große Feier veranstaltete: Einleitend führten Schüler die Ouvertüre aus Rossinis ‚Wilhelm Tell‘694 auf, dann folgten von den Schülern vorgetragene Gedichte Schillers und eine Gedenkrede durch einen der Lehrer, der in seinen Ausführungen besonders Schillers „Bereitschaft zur Hingabe an eine Idee“695 betonte. Am 17. November sahen alle (zumindest behauptet das der Autor des Jahresberichts) Schüler einen Film über das Leben und Wirken des verstorbenen Bundeskanzlers Dollfuß. Die Weihnachtsfeier des Unterstützungsvereines besuchte sogar der Landeshauptmann Heinrich Gleißner, der die Gelegenheit nutzte, um die Jugend zur Pflichttreue zu ermahnen „nicht nur der Schule, sondern auch dem Vaterlande gegenüber, da ja die Jugend Hoffnung und Zukunft für Oesterreich bedeute.“696 Die dritte Schülervorführung des Jahres am 23. Jänner 1935 beendete mit ‚Wallensteins Tod‘ Schillers Trilogie über den Feldherrn. Vom 2. bis 8. Februar nahmen fünf Lehrer der Anstalt an Luftschutzkursen des Bundesheeres teil. Am 20. März wurde ‚Der Kaufmann von Venedig‘ als vierte Schülervorstellung aufgeführt. Am 7. April nahmen die Schüler der Anstalt an der Frühjahrsparade der Linzer Garnison des Bundesheeres teil. 690 Ebd. 691 Alois Wolfersberger, XXIV. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1934/35, Linz 1935, 12. 692 Ebd., 13. 693 Der Jahresbericht nennt fälschlicherweise die 150. Wiederkehr seines Geburtstages als Anlass. Schiller wurde allerdings 1759 geboren – sein Geburtstag jährte sich 1934 somit zum 175. Mal, nicht zum 150. Mal. 694 Nach dem gleichnamigen Drama von Friedrich Schiller. 695 Wolfersberger 1935, 13. 696 Ebd., 14.

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Auf einen Erlass des Unterrichtsministeriums hin wurde am 27. April 1935 der Tag der Musikpflege begangen, bei der es wiederum eine Festrede gab, in der der Redner die „Bedeutung der Kunst, vor allem der Musik im Leben des Menschen [… und] besonders im Leben des deutschen [!] Volkes“697 betonte. Auch die „großen Meister der österreichischen Musik“698 fanden in der Rede Erwähnung. Auf Erlass des Landesschulrates wurde am 30. April eine große Feier aus Anlass des ersten Jahrestages der Verkündung der neuen Verfassung vom 1. Mai 1934 organisiert, wobei in der Festrede die „Aufrichtung der autoritären Regierung auf christlicher, deutscher [!] und sozialer Grundlage“699 den Schülern gegenüber erörtert wurde. Auch der politische Ehrengast des Tages, der oberösterreichische Sicherheitsdirektor Peter Revertera-Salandra, betonte die „Pflichten jedes Oesterreichers und besonders des österreichischen Schülers […] als wahre Oesterreicher und Deutsche [!]“700. Anschließend wurde die Bundeshymne abgesungen, und am Abend nahmen die Schüler der vierten bis achten Klasse an einem Fackelzug zum Linzer Hauptplatz teil. Am 2. Mai bekamen die Achtklässler die Ansprache Bundeskanzler Schuschniggs an die Maturanten zu hören, am 8. Mai nahmen die Oberstufenschüler an einem vom Bundesministerium ausgeschriebenen Aufsatzwettbewerb über ein vaterländisches Thema teil und am 11. Mai sahen sie einen Luftschutzfilm des Brigadekommandos.701 Wenige Tage darauf, am 15. Mai, nahmen Schüler der Anstalt als Mitwirkende und Zuschauer an der Luftschutzübung am Hauptplatz teil. Der Beginn des Schuljahres 1935/36 war im Vergleich zum Vorjahr weniger ereignisreich: Am 31. Oktober nahm wieder eine Abordnung der Schule an der Heldengedenkfeier am städtischen Friedhof teil, und am 3. November nahmen Schüler und Lehrer an der Übergabe und Weihe der Feldzeichen an die in Linz stationierten Einheiten des Heeres teil. Die erste Schülervorführung des Jahres war am 6. November Hermann von Schmids ‚Der Kanzler von Tirol‘, die zweite Shakespeares ‚Romeo und Julia‘ am 4. Dezember. Ende November wurden die Schüler an zwei Tagen über den Luftschutz belehrt. An der Weihnachtsfeier am 20. Dezember 1935 beteiligten sich gleichsam Lehrer und Schüler. Am 15. Jänner 1936 besuchten die Schüler die dritte Vorstellung im Landestheater und sahen ‚Die erste Legion‘. Die vierte und letzte Vorführung folgte am 18. März mit Otto Grohs Lustspiel ‚Baron Trenk [sic], der Pandur‘ über die historische Figur Franz Freiherr von Trenck. Der Folgetag wurde für einen Wandertag inklusive Geländeübungen genutzt. Am 31. März war der Generalstabsoffizier Karl Koske702 an der Schule, um die Vormilitärische Jugenderziehung zu inspizieren. Am 2. April gab es wieder einen Fackelzug zum Hauptplatz, jedoch diesmal aus Anlass der Einführung der Bundesdienstpflicht, also der faktischen Wehrpflicht. Passend dazu sahen die Schüler am 7. April eine Exerziervorführung der ‚Linzer Freiwilligenkompagnie‘. Am 19. April 1936 rückten die Linzer Bundesheereinheiten zur Frühjahrsparade aus und begingen damit zugleich den 200. Todestag des Prinzen Eugen von Savoyen (1663 – 1736), der sich als Feldherr der Habsburger großen Ruhm im 17. und 18. Jahrhundert erworben hatte.703 Die Schü-

697 698 699 700 701 702

Ebd., 15. Ebd. Ebd., 16. Ebd. Ebd. Er verfasste das Handbuch der Vormilitärischen Jugenderziehung, das bereits in Kapitel 2.2.6 thematisiert wurde: Koske 1937. 703 Wolfersberger 1936, 30.

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ler der Anstalt nahmen „in militärischer Ordnung an dieser Feier“704 teil. Am Tag darauf, dem 21. April und eigentlichen Todestag Prinz Eugens, wurde in der Schule eine Prinz-Eugen-Feier veranstaltet und mit Musik und Reden festlich umrahmt. Am 29. April wurde ein Wandertag abgehalten, der wiederum mit Geländeübungen verknüpft wurde. Am 18. Mai konnten die Schüler bei einer Vorführung des Bundesheeres auf dem Linzer Hauptplatz sogar Kampfwagen – Panzer, die Österreich gemäß den Bestimmungen von Saint-Germain eigentlich nicht besitzen durfte – bestaunen.705 Am 10. Juni feierte die Schule ihr 25-jähriges Bestehen und zugleich den Abschied des Direktors, der im August 1936 in den Ruhestand trat. Am 21. Juni kamen die Linzer Mittelschüler im Linzer Stadion zusammen, um ein Sport- und Turnfest miteinander zu feiern und zugleich eine „vaterländische Veranstaltung“706 anlässlich der Sonnenwende zu begehen. Mit einem Gottesdienst und der Zeugnisverteilung endete das Schuljahr 1935/36 am 4. Juli 1936. Aufgrund des Wechsels in der Direktion der Schule und einiger Versetzungen und Krankenstände begann das neue Schuljahr 1936/37 ziemlich turbulent, wie der Jahresbericht verzeichnete.707 Die Schüleraufführungen im Landestheater wurden aber auch in diesem Schuljahr beibehalten, und die Schüler sahen am 7. Oktober Ferdinand Raimunds ‚Alpenkönig und Menschenfeind‘. Raimund zu Ehren wurden am 23. und 24. Oktober Feiern jeweils für die Unter- und Oberstufe abgehalten, bei der in festlichem Rahmen des Autors gedacht wurde. Zuvor hatten die Schüler am 22. und 23. Oktober eine Luftschutzausstellung besucht. Am 29. Oktober fand eine Heldengedenkfeier in der Schule statt, die der neu ernannte Direktor für eine Ansprache nutzte, am 30. Oktober nahm wieder eine aus Lehrern und Schülern bestehende Abordnung der Schule am Weltkriegsgedenken auf dem städtischen Friedhof teil. Am 1. und am 14. November wurden im Landestheater jeweils Schillers ‚Maria Stuart‘ und Nestroys ‚Einen Jux will er sich machen‘ für die Schüler aufgeführt. Am 24. Februar 1937 fand die vierte Aufführung für Schüler im Landestheater statt, wobei diesmal Grillparzers ‚Der Traum ein Leben‘ gezeigt wurde. Die Frühjahrsparade der Linzer Garnison wurde in diesem Schuljahr am 18. März von der gesamten Schule besucht. Am 15. April sahen die Schüler den Film ‚Heimat im Meer‘, am 19. April eine Buchausstellung; beides wurde vom V.F.-Werk ‚Neues Leben‘708 organisiert. Der Wandertag am 29. April war wieder zu einem großen Teil der ‚Vormilitärischen Ausbildung‘ gewidmet, während der Wandertag am 25. Mai die Jugend „mit verschiedenen Schönheiten unserer gesegneten Heimat vertraut machte.“709 Am 30. Mai waren die Schüler wieder außerhalb der Schule und nahmen an der Enthüllung eines Denkmals für Kaiser Franz Joseph teil. Im Juni gab es wenige außergewöhnliche Ereignisse: Erwähnt wird neben den üblichen Anlässen (Klassifikationskonferenz, Aufnahmsprüfung) lediglich die Begrüßung des Bundespräsidenten an einer Schiffsanlegestelle durch Schüler der unteren Klassen am 19. Juni. Das Schuljahr endete am 3. Juli 1937

704 Ebd. 705 Über die das Bundesheer gemäß dem Friedensvertrag von Saint-Germain eigentlich gar nicht hätte verfügen dürfen. 706 Wolfersberger 1936, 31. 707 Hans Commenda, XXVI. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1936/37, Linz 1937, 6. 708 Also einer Unterorganisation der Einheitspartei Vaterländische Front. 709 Commenda 1937, 8.

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mit einem Gottesdienst, einer Schlussfeier, die mit der Bundeshymne und dem ‚DollfußLied‘ schloss, und der anschließenden Zeugnisausgabe durch die Klassenvorstände.710 Aus den überlieferten Ereignissen ergibt sich insgesamt eine Veranstaltungsdichte, die zu Beginn der 1930er Jahre zunahm und im weiteren Verlauf dazu führte, dass die Schüler von den vielen ‚vaterländischen‘ Veranstaltungen, Gottesdiensten, Theaterbesuchen und dergleichen beinahe schon überfordert waren und die schulischen Leistungen in den Hintergrund zu geraten drohten. Im Vergleich mit den anderen Schulen des Samples zeigte sich außerdem, dass zunehmend Veranstaltungen zeitgleich an mehreren Standorten über das Bundesgebiet hinweg stattfanden, allen voran natürlich die Feier anlässlich des 250. Jahrestages der Befreiung Wiens 1683, welche offenbar dazu instrumentalisiert werden sollte, unter den Beteiligten einen gemeinsamen Erinnerungsort zu schaffen, der den Vorstellungen der autoritären staatlichen Erinnerungskultur entsprach. Diese Vorgehensweise war also sicher durch Bundesstellen akkordiert und sollte zur Entstehung und Festigung des von der Regierung gewünschten Österreichpatriotismus beitragen. Der Lehrstoff Im Gegensatz zu anderen Jahresberichten werden in den vorliegenden Berichten des Linzer Realgymnasiums die Themen der Schul- und Hausarbeiten und Redeübungen für Deutsch in der Oberstufe nicht angeführt – lediglich der erste vorliegende Jahresbericht von 1918/19 bildet hier eine Ausnahme. Zu den Redeübungen kann gesagt werden, dass in den meisten Fällen die Themenstellungen in engem Zusammenhang mit der jeweiligen Lektüre der Klasse standen, die im Jahresbericht ebenfalls erwähnt wird, wobei nur die zusätzlich zum Lesebuch gelesenen Werke angeführt werden. In den restlichen Jahresberichten gibt es keine Ausführungen zum unterrichteten Lehrstoff, dafür werden für jedes Schuljahr die verwendeten Lehrbücher angegeben. So findet sich beispielsweise bei den Aufsatzthemen der fünften Klasse 1918/19 neben durchaus trivialen Themen wie „Licht- und Schattenseiten des Stadtlebens“711 oder „Die Bedeutung der Alpenvereine“ eine Themenstellung wie „Auszug und Heimkehr unserer Truppen“, womit der Einsatz der österreichischen Armee im Ersten Weltkrieg gemeint ist, oder die Redeübungen „Deutsche Jagd“ und „Der deutsche Wald“. Warum spezifisch auf die deutsche Jagd beziehungsweise den deutschen Wald Bezug zu nehmen war, erschließt sich nur bedingt. Überhaupt lässt sich auch für die sechste Klasse ein starker Bezug zu Deutschland in den Themen der Haus- und Schularbeiten feststellen. Folgendes Zitat Ernst Moritz Arndts, der bereits im Kapitel zum Gymnasium St. Pölten im Zusammenhang mit seiner deutschnationalen Dichtung erwähnt wurde, war eines der Themen für die zweite Schularbeit: „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze.“712 Damit wurde auf die sogenannte Rheinfrage Bezug genommen, die zu diesem Zeitpunkt der Gegenstand weltpolitischer Verhandlungen war: Sollte Deutschland seine linksrheinischen Gebiete an Frankreich verlieren und damit sein Angriffspotenzial Richtung Westen einbüßen oder hatte es auch Anspruch auf die Gebiete links davon, was aber wiederum für Frankreich gefährlich werden könnte? Andere Themen der sechsten Klasse waren aber beispielsweise „Gedanken eines Mittelschülers über die Zukunft unseres Vaterlandes“713 und die erste Strophe der ober710 711 712 713

Ebd. Huemer 1919, 11. Ebd., 13. Ebd.

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österreichischen Landeshymne aus der Feder von Franz Stelzhamer. Die Themen der siebten Klasse sowohl für Haus- und Schularbeiten als auch für die Redeübungen waren entweder Zitate aus gelesenen Werken oder Aufgabenstellungen zum Vergleich oder zur Stellungnahme zu einem Text. Daraus ist zu schlussfolgern, dass der Fokus des Lehrers in der betreffenden Klasse sehr stark auf Literatur und weniger auf alltäglich-politischen Themen lag. Ähnlich war es auch in der achten Klasse, die von Direktor Huemer selbst unterrichtet wurde, wobei sich hier einige Angaben finden, die von Interesse sind. Eines der Hausarbeitsthemen lautete beispielsweise „Historia magistra vitae – Ist die Geschichte wirklich Lehrerin der Menschheit?“714 Auch bei den Redeübungen findet sich Bemerkenswertes: So berichtete einer der Schüler von einer Schlacht im Juni 1918, wobei sich in Klammern der Zusatz „Selbsterlebtes“ findet. Da der betreffende Schüler bei der Aufzählung aller Schüler im hinteren Teil des Jahresberichts als Kriegsdienstleistender vermerkt wurde, ist also durchaus wahrscheinlich, dass der junge Mann als authentischer Zeuge der Schlacht auftrat und von ihr berichtete. Andere Themen waren „Das Verhältniswahlrecht und die Wahlen in die Nationalversammlung“715 – angesichts der Wahlen im Februar 1919 ein hochaktuelles Thema – und „Deutschösterreich und Großdeutschland“ – angesichts des Anfang 1919 nach wie vor unklaren Verhältnisses Deutschösterreichs zu Deutschland ebenfalls ein brisanter Vortrag. Die Reifeprüfungsaufgaben Nun werden die Reifeprüfungsaufgaben am Staats- beziehungsweise Bundesrealgymnasium Linz aus den Jahren 1919 bis 1937 einer eingehenden Analyse unterzogen. Die Themen der schriftlichen Hausarbeiten, die von den Schülern als Teil der Reifeprüfung zu verfassen waren, blieben in den Jahresberichten leider unerwähnt. Der Jahresbericht 1918/19 gibt die Aufgaben der schriftlichen Reifeprüfung für Deutsch, Englisch und Latein wieder, wobei in Englisch ein Aufsatz über einen „Spaziergang im Frühling“716 zu verfassen war, in Latein war eine Stelle von Livius zu übersetzen.717 In Deutsch standen folgende Aufgaben (eher Textausschnitte) zur Wahl: zwei Verse aus Goethes ‚Faust‘, ein Ausschnitt des Gedichtes ‚Erinnerung und Hoffnung‘ von Karl August Förster718 und eine Strophe aus Max von Schenkendorfs Gedicht ‚Wenn alle untreu werden‘ von 1814: Ihr Sterne, seid uns Zeugen, die ruhig niederschau’n; Wenn alle Brüder schweigen und falschen Götzen trau’n: Wir wollen das Wort nicht brechen, nicht Buben werden gleich, Wollen predigen und sprechen vom Heiligen Deutschen Reich719.

Der Jahresbericht 1924/25, der auch eine Zusammenfassung der Schuljahre 1920/21 bis 1923/24 enthielt, beschränkte sich hinsichtlich der Reifeprüfungen in dieser Zeit auf die Wiedergabe der Ergebnisse, ohne auf die Themenstellungen näher einzugehen. Für den Haupttermin 1925 sind die Aufgaben jedoch wieder erhalten: In Latein war aus Ciceros ‚De officiis‘ zu übersetzen, in Englisch ein Aufsatz („Which is preferable, Town or Country life?“720) zu 714 715 716 717 718 719 720

Ebd., 15. Ebd. Ebd., 17. Ebd. Im Jahresbericht fälschlicherweise „Erinnerung und Hoffen“ genannt. Huemer 1925, 17. Ebd., 22.

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verfassen. In Deutsch wurden wiederum einfach zwei Zitate und ein allgemein-geschichtlich orientiertes Thema angeführt, zu denen Stellung zu nehmen war. Die Zitate waren aus Goethes ‚Zahme Xenien‘ respektive aus Friedrich Wilhelm Webers Epos ‚Dreizehnlinden‘, während das dritte Thema „Licht- und Schattenseiten der industriellen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten“721 hieß. Die nächsten überlieferten Angaben stammen aus dem Schuljahr 1930/31. Die Angaben zum Sommertermin 1931 sind etwas umfangreicher als die der Vorjahre. So standen zum Beispiel nun auch in Englisch mehrere Themen zur Auswahl (eines davon war beispielsweise „How can the Young Generation contribute to the Reconciliation of Nations?“722) und auch Französisch war nun schriftlicher Prüfungsgegenstand. In Deutsch wurden wieder zwei Zitate aus der Literatur (eines davon von Franz Grillparzer) und ein allgemein gehaltenes mit starkem Deutschlandbezug („Oesterreichs Anteil am deutschen Geistesbesitz“723) vorgegeben. Der Jahresbericht 1933/34 nennt neben den Klausurthemen auch die Titel der Hausarbeiten, welche beispielsweise lauteten „Der siebenjährige Krieg“724, „Die Eisenbereitung“ oder „Die Bierbrauerei“. Zur Klausur kam in Deutsch wieder das Thema „Oesterreichs Anteil am deutschen Geistesbesitz“, außerdem „Gibt es Pflichten des Reichtums, Rechte der Armut?“ und „Du sollst Deiner lieben Heimat nicht untreu werden, damit Du kein Flüchtling werdest auf Erden. (Richard Dehmel.)“ Auch für den Sommertermin 1935 wurden wieder die Themen der eingereichten Hausarbeiten genannt, wobei beinahe alle aus dem altphilologischen-historischen Bereich stammten und kaum Bezug zu aktuellen Geschehnissen hatten. Zur Deutschklausur kam neben den beiden literarischen Themen (Goethe und Ebner-Eschenbach) auch ein Thema von einiger politischer Relevanz: „Oesterreich als Erbe der Vergangenheit und Kämpfer für die Zukunft“725. In Latein war Cicero zu übersetzen, in Englisch jedoch gab es nun eine Aufgabenstellung (von insgesamt drei), die durchaus in einem politisch-nationalen Sinn gesehen werden kann: „How would you bring home Austria’s culture to an Englishman?“. Waren bis dahin die Deutschaufgaben hauptsächlich literaturgeschichtlich bestimmt, so stehen die Aufgaben des Haupttermins 1936 für eine bemerkenswerte Zäsur, denn die Literatur trat zugunsten der Österreich-Thematik in den Hintergrund. So lauteten die Angaben in Deutsch 1936 folgendermaßen: „1. Wendepunkte österreichischer Geschichte. 2. Das Oesterreichische in den Dramen Grillparzers. 3. Die moderne Technik und ihr Einfluß auf das soziale Leben (Das ‚laufende Band‘)“726. Mit dem Thema „Austria’s Economical Resources“727 war auch in Englisch ein österreichbezogenes Thema Teil der Aufgabenstellung. Das vierte Beispiel der Mathematikklausur bestand interessanterweise darin, anhand einer mathematischen Gleichung die Stellung eines feindlichen Geschützes zu bestimmen und ein eigenes Geschütz darauf auszurichten.728 721 722 723 724 725 726 727 728

Ebd. Wolfersberger 1931, 12. Ebd. Wolfersberger 1934, 15. Wolfersberger 1935, 19. Wolfersberger 1936, 32. Ebd., 33. Ebd.

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Eine ähnlich gelagerte mathematische Aufgabe findet sich in den Angaben zur Reifeprüfung 1937 zwar nicht, dafür ist eine mit dem Vorjahr ähnliche Ausrichtung der Deutsch- und Englischaufgaben wie im Jahr 1936 zu erkennen. In Englisch lautete die erste Aufgabe beispielsweise „Our Austria is a beautiful country. How are her beauties made known abroad?“729 Die Deutschaufgaben schlugen in eine ähnliche Kerbe: „1. Die Eigentümlichkeiten des österreichischen Charakters, erkannt an der Art österreichischer Dichtung und an dichterischen Gestalten. 2. Niemand kommt zu sich selbst, ohne sich als Glied eines großen Ganzen zu finden. Er gibt kein persönliches Leben ohne Gemeinschaftsleben (Johannes Müller). 3. Vorund Nachteile des modernen Aufschwunges der Technik.“ Somit kann konstatiert werden, dass der bereits bei den vorigen Schulen festgestellte Trend zu einer zunehmenden Betonung der Österreich-Thematik auch am Linzer Realgymnasium feststellbar ist. Eine deutliche Zunahme dieser Tendenz liegt ab der Mitte der 1930er Jahre vor, in denen auch das politische System sich radikalisierte und zunehmend autoritäre Züge zeigte. Hinzu kam noch die Militarisierung der Gesellschaft, deren deutlichster Ausdruck wohl die Wiedereinführung der Wehrpflicht war und die auch vor der Schule nicht haltmachte, wie die Teilnahmen an militärischen Veranstaltungen durch Schüler und Lehrer des Linzer Gymnasiums zeigten.

3.6 Bundesrealgymnasium Gmunden am Traunsee Die Überlieferung für das Gmundener Gymnasium ist mit Ausnahme des Beginns der 1920er Jahre einigermaßen dicht: Der erste vorliegende Jahresbericht stammt aus dem Schuljahr 1918/19 und erlaubt Einblicke in die Umbruchszeit zwischen Monarchie und Republik.730 Der nächste verfügbare Bericht stammt erst aus dem Schuljahr 1926/27, da in den sechs Schuljahren nach 1918/19 von 1919 bis 1925 kein Programm der Schule erscheinen konnte. Es war dies ein Ausdruck der großen materiellen und möglicherweise auch personellen Not zu Beginn der 1920er Jahre, wie sie beispielsweise auch am Linzer Bundesrealgymnasium herrschte, wie in Kapitel 3.5 dargestellt wurde. So war das Gmundener Gymnasium selbst für den Druck einer Festschrift anlässlich des Jubiläums des Bestehens der Anstalt auf private Spenden für den Papieraufwand angewiesen.731 Aus den 1930er Jahren wiederum liegen beinahe alle Jahresberichte vor, sodass insgesamt für die Zeit von 1926/27 bis 1936/37 von einer recht dichten Quellenlage gesprochen werden kann. Die Schule selbst wies am Ende des Schuljahres 1918/19 230 Schüler auf, die in acht Klassen unterrichtet wurden; Mädchen waren an der Anstalt damals noch nicht zugelassen.732 Die folgenden Jahre der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stagnation in der jungen Republik spiegeln sich auch in den Schülerzahlen wider: Trotz der widrigen Umstände während des Krieges und unmittelbar danach verfügte die Anstalt zum Ende 1926/27 über noch weniger Schüler als 1918/19, nämlich nur noch 207, wovon 38 Mädchen waren – ohne

729 Commenda 1937, 9. 730 Karl Schuh, XXIII. Jahres-Bericht des d.-ö. Staats-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee, Gmunden 1919. 731 Gustav Löffler, XXIV. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee, Gmunden 1927, 25. 732 Schuh 1919, 19.

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diese wäre die Schülerzahl also noch deutlich geringer gewesen.733 Anzunehmen ist nicht nur eine Abnahme der schulpflichtigen Kinder allgemein (man berücksichtige die Kinder, die während des Ersten Weltkrieges aufgrund der Abwesenheit der Männer nicht gezeugt wurden), auch spielten die hohen finanziellen Kosten eines Mittelschulbesuchs eine gravierende Rolle. Erschwerend kam hinzu, dass das Stipendienwesen der Schule, das über Stiftungen die Möglichkeit bot, bedürftige Schülerinnen und Schüler zu fördern, entweder durch die Zeichnung von Kriegsanleihen und deren völlige Entwertung nach der Kriegsniederlage oder spätestens die folgende Währungskrise Anfang der 1920er Jahre völlig zusammenbrach.734 Es war der Schule und dem Unterstützungsverein dementsprechend nicht mehr möglich, ärmeren Kindern den Besuch des Gymnasiums finanziell zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen, und die angespannte wirtschaftliche Lage in den 1920er und 1930er Jahren erleichterte den Aufbau eines neuen Stipendienwesens auch nicht. Zu Beginn und Mitte der 1930er Jahre stieg die Schülerzahl jedoch deutlich und schwankte zwischen 346 am Ende des Jahres 1934/35735 und 317 zwei Jahre später736 – nun wurden auch einige Jahrgänge in zwei Klassenzügen geführt. Zum Inhalt der Jahresberichte Der Beginn des Schuljahres 1918/19 war noch sehr stark von den Ereignissen des Ersten Weltkrieges geprägt: Die Schüler der Anstalt führten beispielsweise Sammlungen zugunsten der Soldaten und versehrten Veteranen durch und bekamen die Ereignisse durch Heimkehrer geschildert.737 Auch das Gmundener Gymnasium blieb von der Grippeepidemie („Spanische Grippe“) nicht verschont, sodass die Schüler vom 18. Oktober bis inklusive 11. November keinen Unterricht hatten, also erst am Tag der Ausrufung der Republik Deutschösterreich am 12. November 1918 wieder in die Schule zurückkehrten.738 Für den 16. Oktober erwähnte der Jahresbericht das Völkermanifest Kaiser Karls und bemerkte, dass die „Deutschen zur Bildung eines Staates ‚Deutschösterreich‘ schreiten“739 mussten, „der in Folge als ‚demokratische Republik‘ erklärt wurde.“740 In weiterer Folge nahm die Dichte der Berichterstattung im Jahresbericht immer weiter ab und ging über die wichtigsten Eckdaten nicht mehr hinaus. Das einzig erwähnenswerte Ereignis des zweiten Semesters – außer dem Schulschluss am 5. Juli – war der Tod von Anton Graf Prokesch von Osten, der einer der größten Förderer der Schule gewesen war.741 Der Tod des Grafen erwies sich in weiterer Folge auch als großes Unglück für die finanzielle Situation und das Stipendienwesen der Schule, wie bereits einleitend bemerkt wurde. 733 Löffler 1927, 25 Der Tiefststand wurde 1922/23 mit genau 200 Schülern inklusive Mädchen und Privatisten erreicht. 734 Ebd., 15 – 16. Bezahlten die 244 Schüler der Anstalt 1919/20 noch etwa 10.000 Kronen Schulgeld, leisteten die Schüler aufgrund der hohen Inflation 1923/24 Zahlungen in der Höhe von circa 36.5 Millionen Kronen! 735 Hans Gumpoltsberger, 32. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee. Oberösterreich, Gmunden 1935, 13. 736 Hans Gumpoltsberger, 34. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Gmunden am Traunsee, O.-Ö., Gmunden 1937, 19. 737 Schuh 1919, 16 – 17. 738 Ebd., 17 Der Jahresbericht vermerkt sogar die genaue Uhrzeit, zu der die Schule am 18. Oktober behördlich geschlossen wurde, nämlich „11 Uhr vormittags“. 739 Ebd. 740 Ebd. 741 Ebd., 18.

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Einen großen Teil des nächsten Jahresberichtes aus dem Schuljahr 1926/27 nahmen die Ausführungen des Direktors anlässlich der bevorstehenden Mittelschulreform ein. In diesem mehrseitigen Aufsatz742 erörterte Direktor Gustav Löffler das Verhältnis von Schule und Politik und lobte das Realgymnasium als guten Kompromiss zwischen antiken und modernen Bildungsidealen. Wohl in Erwartung einer Umwandlung der Realgymnasien in Realschulen beziehungsweise (Deutsche) Mittelschulen743 liegt dem Jahresbericht auch eine Resolution der Elternvereinigung des Realgymnasiums Gmunden bei, in der die Beibehaltung des Realgymnasiums vehement eingefordert wird. Der folgende kursorische Überblick über die Jahre zwischen dem letzten erschienenen Jahresbericht und dem von 1926/27 geht vor allem auf personelle Veränderungen ein und enthält außerdem einen umfangreichen Nachruf auf den langjährigen ersten Direktor der Anstalt, Karl Schuh. Eine eigentliche Chronik der Ereignisse, wie es sie beim letzten erhaltenen Jahresbericht 1918/19 noch gegeben hatte, liegt nicht vor, stattdessen finden sich Themenblöcke, zu denen berichtet wird, zum Beispiel „Gesundheitspflege“744, „Wandertage“ und „Zusammenwirken von Schule und Haus“. Geprägt sind all diese Schilderungen von großer materieller Not, die nur durch private Spenden und das Entgegenkommen öffentlicher Stellen einigermaßen gelindert werden konnte, sodass beispielsweise Kulturfahrten nach Wien möglich waren – was umso bemerkenswerter ist, als das Stipendienwesen der Schule nach dem Ersten Weltkrieg durch die Inflation und das Versiegen privater Geldquellen schwer getroffen worden war. Außerdem gab es in den Sommermonaten 1925 und 1926 eine Austauschaktion mit dem Deutschen Reich, welche einigen Schülern einen Ostseeaufenthalt ermöglichte und durch Zuwendungen des ‚Vereines für das Deutschtum im Auslande‘ unterstützt wurde. Der ‚Verein der Sudetendeutschen‘ wiederum ermöglichte zu Pfingsten 1927 eine viertägige Reise bis Krumau.745 Im Bericht über das Zusammenwirken von Schule und Elternhaus erfährt die Leserschaft, dass dieses Zusammenwirken in verschiedenen Bereichen der Schule stattfand und sich nicht nur auf den üblichen Austausch zwischen Erziehungsberechtigten und Lehrern beschränkte: So konnte sich die Elternschaft beispielsweise auch bei den Feierlichkeiten anlässlich des 12. Novembers einbringen. Für die Folgejahre ist die Schulchronik im Vergleich zu anderen Anstalten nur sehr spärlich. Deshalb gibt sie nur wenig Auskunft darüber, was während des Schuljahres in der Schule passierte. Lediglich der körperlichen Erziehung wurden in jedem Bericht einige Seiten gewidmet. Im Schuljahr 1935/36 konnten die Schülerinnen und Schüler ihr Können bei einigen Wettkämpfen außerhalb der Schule demonstrieren und Preise erringen, wie einer der Turnlehrer in seinem Bericht lobend erwähnt. Die nun obligatorische ‚Vormilitärische Jugenderziehung‘ wurde im Rahmen des Turnunterrichts in Turnstunden und an den Freiluftnachmittagen in Form von Exerzierübungen umgesetzt, die auch für eine größere Disziplin bei öffentlichen Auftritten der Schüler sorgten.746 Der Bericht des Folgejahres 1936/37 742 Löffler 1927, 3 – 9. 743 Für die der Direktor zwar auch Lob hat („Wie der Namen [sic] ‚Deutsche Mittelschule‘ besagt, will sie das Deutsche zum Mittelpunkt machen [… und] die Schule von der Vergangenheit, besonders von der Antike [… losmachen], um so zu einer wirklich deutschen Schule und Kultur zu gelangen.“), deren Leistungsfähigkeit er aber niedriger ansiedelt als die des Realgymnasiums. 744 Löffler 1927, 16. 745 Ebd., 19. Český Krumlov in Südböhmen; damals Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik. 746 Hans Gumpoltsberger, 33. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee. Oberösterreich, Gmunden 1936, 13 – 14.

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zur ‚Vormilitärischen Jugenderziehung‘ nimmt sich im Vergleich schon fast bescheiden aus, umfasst er doch gerade einmal eine halbe Seite. Auch an dieser Stelle wird wieder über den Stand der ‚Vormilitärischen Ausbildung‘ berichtet, und die Leser erfahren hier auch, dass eine Mannschaft der Schule bei einem Wettbewerb im Patrouillenlauf den ersten Platz erringen und somit den vom Divisionskommando des Bundesheeres gestifteten Preis erhalten konnte. Wie anhand dieser Stiftung deutlich wird, hatte also auch das Bundesheer großes Interesse daran, die Schülerinnen und (besonders) Schüler zu sportlichen Höchstleistungen zu ermutigen, und tat dies auch. Der Lehrstoff Im Realgymnasium wurde 1918/19 noch nach dem 1908 eingeführten Lehrplan unterrichtet (der erst Anfang der 1930er Jahre vollständig durch die Lehrpläne von 1927/28 ersetzt wurde), und mit dem Verweis auf diesen wird begründet, warum keine genaueren Angaben zum durchgenommenen Lehrinhalt gemacht werden. Nichtsdestoweniger werden nachfolgend die Haus- und Schularbeitsthemen der fünften bis achten Klasse angeführt. Großteils sind sie wieder an die behandelte Literatur angelehnt, vor allem antike und deutschsprachige Autoren, aber auch eher allgemein gehaltene Themen sind zu finden. Unter diesem Gesichtspunkt spannend erscheint das Thema einer Hausarbeit der fünften Klasse mit dem Titel „Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht.“747 Da es sich dabei um die zweite von vier Hausarbeiten handelte, ist durchaus wahrscheinlich, dass das Thema in der Umbruchsphase von Monarchie auf Republik Ende 1918 gestellt wurde. Implizit sollte den Schülern damit wohl vermittelt werden, dass es nun geboten sei, Ruhe zu bewahren – angesichts der geradezu dramatischen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche dürfte aber zu bezweifeln sein, dass ein Schulaufsatzthema nachhaltig zum Erhalt der Ruhe beitragen konnte. Für die folgenden Jahre fehlen die entsprechenden Angaben zum Lehrstoff leider, denn der Jahresbericht 1926/27 macht diesbezüglich weder für das laufende noch die vorherigen Schuljahre Angaben, sodass erst wieder für das Schuljahr 1932/33 eine ähnliche Analyse möglich ist, die nun klassenweise durchgeführt wird. In der fünften Klasse lautete das Thema der fünften Schularbeit „Der Oesterreicher liebt sein Vaterland und hat auch Ursach‘, es zu lieben.“748 Ähnliche Themenstellungen finden sich auf bei den Redeübungen, die Schüler beispielsweise zu folgenden Themen hielten:749 „Weltkrieg und Weltkriegspolitik“, „Ferienreise durch Oesterreichs schönste Gebiete“, „Deutschlands Aufschwung 1871“ und „Folgen des Weltkrieges“. In den sechsten Klassen (die 10. Schulstufe wurde in VIa und VIb zweizügig geführt) gaben die Deutschlehrer zur Schularbeit Themen wie „Warum wir österreichische Vasen kaufen sollten“750 oder „Oesterreich heißt das Land – Da er’s mit gnädiger Hand [,] Schuf und so reich begabt, Gott hat es lieb gehabt. (Wildgans)“. Redeübungen hielten die Schüler zu „Der deutsche Mensch“, „Die politische Kräfteverteilung in Europa vor Ausbruch des Weltkrieges“ oder aber auch zu literarischen Themen wie „Walther von der Vogelweide“. Den thematischen Schwerpunkt der Schularbeiten der siebten Klasse bildeten die gelesenen Werke der deutschsprachigen Literatur wie zum Beispiel von Schiller oder Kleist, daneben 747 Schuh 1919, 8 – 9. 748 Hans Gumpoltsberger, XXX. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee, Gmunden 1933, 10. 749 Ebd., 11. 750 Ebd., 12.

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gab es noch lebensweltlich orientierte Aufgabenstellungen wie beispielsweise „Heimatliebe und Wanderlust“. Von den Hausarbeitsthemen ist besonders das Thema der „Befreiung Wiens von den Türken“ von Interesse, das auch der siebten Klasse aufgegeben wurde.751 Die Schularbeiten der achten Klasse hatten eher lebensweltliche Themen zum Gegenstand, beispielsweise Vor- und Nachteile der Großstadt oder die eigene Berufswahl, während die Hausarbeiten stark geschichtlich konnotiert waren, wie die beiden folgenden Themenstellungen zeigen: „Deutschland zwischen zwei Kriegen (1871 – 1914)“752 und „Die politische und kulturelle Bedeutung der Befreiung Wiens im Jahre 1683“. Letzteres ist gerade unter dem Aspekt von Bedeutung, dass im Herbst 1933 große Feierlichkeiten anlässlich des 250. Jahrestages der Entsatzschlacht veranstaltet wurden – schon stark beeinflusst von der autoritären Kanzlerdiktatur unter Engelbert Dollfuß. Die bisher schon offenkundig gewordene Entwicklungsrichtung des Unterrichts hin zu einer stärker werdenden Österreichakzentuierung, die sich in den Aufgabenstellungen widerspiegelt, setzte sich in den folgenden Schuljahren weiter fort, wie anhand der Angaben für 1934/35 gezeigt werden kann: In den Schul- und Hausarbeiten verschob sich der Fokus von der Literatur weg zu Themen eher politischer Natur, wie beispielsweise die Aufgabe für eine fünfte Klasse zeigt: „3. a) Was ist unschuldig, heilig, menschlich, gut, wenn es der Kampf nicht ist ums Vaterland? b) Kann uns zum Vaterland die Fremde werden? […] c) Der Korpsgeist in der Schule.“753 Die Schüler der fünften Klasse sprachen bei den Redeübungen unter anderem zu folgenden Themen, die alle einen starken militärischen Fokus besaßen: „Die leichten Maschinenwaffen der Infanterie“754, „Moderne Kampfmittel“, „Fliegende Festungen“ und „Die Fremdenlegion“. Die Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse verfassten ihre schriftlichen Arbeiten zu bereits bekannten Themen wie „Warum wir österreichische Waren kaufen sollten“ oder auch neuartigen, durchaus anspruchsvollen Themenstellungen wie „Inwiefern ist ‚König Ottokars Glück und Ende‘ ein vaterländisches Drama?“ Die Redeübungen hielten beinahe alle Schüler zu literarischen Werken ab. Die erste Schularbeit war zum Thema „Götz, das Ideal des deutschen Ritters“ zu schreiben, bei der zweiten war zu erörtern „Wie kommt es, daß große Männer erst nach ihrem Tode die verdiente Anerkennung finden?“. Angesichts der Tatsache, dass Engelbert Dollfuß erst wenige Monate zuvor von Putschisten getötet worden war und im ‚Dollfuß-Lied‘ (‚Lied der Jugend‘) als „wahrer deutscher Mann“ besungen und überhöht wurde, ist diese Formulierung der Schularbeitsaufgaben auffällig. Die Siebtklässler sprachen im Unterricht unter anderem zu folgenden Themen: „Der Weg zum Sieg“, „Oesterreichs Sendung“, „Moderner Luftschutz“ und „Jugend im Staat“. Die Achtklässler schrieben ihre Schul- und Hausarbeiten zu den Themen „Wahres und falsches Heldentum“, „Ein deutscher Held“ und „Oesterreich, Preußen und die deutsche Reichsidee.“ Die eben konstatierte Tendenz verstärkte sich im folgenden Jahr 1935/36 noch einmal deutlich. Bereits mit der fünften Klasse beginnend beschäftigten sich die Schüler in ihren Aufsätzen mit unter anderem folgenden österreichlastigen Themenstellungen: 755 „Kein Land ist dir an Schönheit gleich, du mein geliebtes Österreich!“, „Wie können wir Schüler unter den unser Vaterland besuchenden Fremden für Österreich wirken?“, „Treue Liebe bis zum 751 752 753 754 755

Beide Klassen unterrichtete derselbe Lehrer, nämlich Adolf Kowarz. Gumpoltsberger 1933, 13. Gumpoltsberger 1935, 10. Ebd. Gumpoltsberger 1936, 10 – 12.

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Grabe – Schwör‘ ich dir mit Herz und Hand – Was ich bin und was ich habe, – Dank ich dir mein Vaterland“, „Spartanische Erziehung und Vaterlandsliebe“, „Welche kulturellen Leistungen Österreichs machen auf mich besonderen Eindruck?“, „Wien – der musikalische Mittelpunkt Europas“, „Österreich, das Land der Alpenseen“, „Österreichs Jugend und die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht“, „Bemühungen und Erfolge im österreichischen Fremdenverkehr“, „Wien – immer ein Bollwerk abendländischer Gesittung [sic]“, „Österreich – seit Jahrhunderten eine Großmacht des Geistes“, „Reiseland Österreich“, „Verkörperung des Österreichertums in Grillparzers Werken“ (!), „Wohl preist man laut den schönen Rhein – Die Donau kann ihm Schwester sein“ und „Die vaterländischen, sittlichen und sozialen Pflichten des Gebildeten“. Außerdem sprachen sie im Rahmen der Redeübungen zu folgenden Themen:756 „Österreichs große Musiker“, „Die Glocknerstraße“757, „Als Nachrichtenoffizier an der Ostfront“, „Österreich als Reiseland“, „Österreichs Überlebensfähigkeit im Vergleich zur Schweiz“ und „Österreichs Wehrhaftmachung“. Von den anderen, meist literarisch inspirierten, Redethemen war eine große Zahl österreichischen Autoren wie Franz Grillparzer gewidmet. Bereits die schiere Menge der Themen zeigt deutlich eine Verschiebung des Fokus zumindest in der Darstellung nach außen durch den Jahresbericht, wohl aber auch innerhalb der Schule und des Unterrichts. Abschließend soll hier noch das Jahr 1936/37 betrachtet werden. Der Jahresbericht unterscheidet sich schon rein optisch von den vorhergehenden, denn der Einband ist in den Farben Rot-Weiß-Rot gehalten – den Farben der österreichischen Bundesfahne, die im ‚Austrofaschismus‘ oftmals mit einem Kruckenkreuz versehen wurde. Folgende Themen der Haus- und Schularbeiten stehen symptomatisch für den Einfluss der staatlich verordneten Österreichideologie in den Schulen:758 „Wenn alle treu zusammenhalten, wenn keiner je vom Posten weicht, dann kann das Land nie untergehn, – durch Einigkeit wird Schwerstes leicht“, „Allerseelen auf einem Heldenfriedhof“, „Kameradschaft und Gemeinsinn in unserem Staate“, „Österreich im Weltkrieg“, „Österreichische Heldengestalten“, „Der Anteil Österreichs an der Kultur des Mittelalters“, „Der Österreicher, verglichen mit anderen deutschen Stämmen. (Versuch einer Charakterisierung)“, „Boden, Blut und Gott“, „Unsere neue Briefmarkenreihe – eine Ruhmestafel der österreichischen Technik“, „Österreicher als Pioniere des Seilbahnbaus“, „Österreichs Verdienste um das Gesamtdeutschtum“, „Was bezweckt unsere Staatsführung mit der Errichtung der Österreichischen Länderbühne?“, „Österreichische Feldherrngestalten“, „Die Aufgabe der einzelnen Stände im Staat“ und „Rudolf von Habsburg – Franz Josef und Kaiser Karl: Der Begründer und die letzten Träger einer ruhmreichen Reichsidee“. Vor ihren jeweiligen Klassen sprachen die Schülerinnen und Schüler zu folgenden Themen:759 „Das österreichische Bundesheer“, „Der Kampf des I.[nfanterie]-R.[egiments] 14 am Monte San Gabriele“ oder „Raimund als Dramatiker“. Die literarischen beziehungsweise von der politischen und gesellschaftlichen Situation wenig bis gar nicht beeinflussten Themen waren bei den Redeübungen in der deutlichen Mehrzahl. In der siebten und achten Klasse sprachen fast alle Schülerinnen und Schüler zu einem gewählten Buch oder Dichter.

756 757 758 759

Ebd. Eines der großen Straßenbauprojekte der Kanzlerdiktatur über den Großglockner, Österreichs höchsten Berg. Gumpoltsberger 1937, 14 – 16. Ebd.

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Insgesamt ergibt die Betrachtung des überlieferten Lehrstoffes, dass auch am Gmundener Bundesrealgymnasium der politische Einfluss in Form von zunehmend österreichlastigen und nationalistischen Aufsatz-, Rede- und Schularbeitsthemen ab dem Beginn der 1930er Jahre stark zunahm. Darüber hinaus wird noch deutlich, dass mit dieser Entwicklung eine Tendenz zur Militarisierung einherging, die sich mitunter auf sehr direktem Wege äußerte, wenn etwa österreichische ‚Weltkriegshelden‘ geehrt wurden oder einzelne Schlachten und natürlich der Heroismus der beteiligten Österreicher Gegenstand von Redeübungen waren. Daneben spielten auch immer wieder christliche Motive in das Schulleben hinein, besonders der Topos von Österreich als ‚Ostmark‘ und christliches ‚Bollwerk‘ gegen Osten, was auf seine besondere ‚Sendung‘ zurückging. Die Untersuchung der Reifeprüfungsthemen im Laufe der Zeit wird diesen Befund im Folgenden erhärten: Die Reifeprüfungsangaben Die Reifeprüfungen 1918/19 standen noch unter dem Einfluss der Kriegshandlungen, die die Möglichkeit vorgezogener und vereinfachter Reifeprüfungen bot.760 Dementsprechend traten zum eigentlichen Haupttermin im Sommer 1919 nur acht Schüler an. Die Themen der Deutsch-Klausur waren ein Zitat von Goethe, zweitens „Einfluß des Morgenlandes auf das Abendland“761 und „Der poetische Realismus im Rahmen der Literatur des 19. Jahrhunderts.“ Der Jahresbericht 1926/27 nennt auch die Hausarbeitsthemen der Vorjahre, wobei eine große Bandbreite an Themen zu bemerken ist, die von Religion über Geographie bis Mathematik reicht. Vereinzelt sind auch Arbeiten zu finden, deren Titel vermuten lässt, dass sie sich mit dem Verhältnis Österreichs zu Deutschland auseinandersetzen, so zum Beispiel die Hausarbeit „Oesterreichs wirtschaftliche Verhältnisse nach dem Weltkrieg mit besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Deutschland“762, die 1926/27 eingereicht wurde. Die schriftlichen Klausuren fanden in Mathematik, Deutsch, Latein und Französisch statt, wobei in Deutsch wiederum aus drei Themen zu wählen war: „a) Die wirtschaftliche und politische Bedeutung des Meeres für die Staaten; b) Quellen der Bildung; c) Grundzüge der Entwicklung des deutschen Dramas“, die jeweils von vierzehn, vier beziehungsweise keinem Schüler gewählt wurden. 1932/33 waren die Hausarbeiten bereits nicht mehr verpflichtend; dementsprechend wurden an der Anstalt nur zwei vorgelegt, die beide aus Deutsch waren und jeweils einen Schriftsteller beziehungsweise ein Werk zum Gegenstand hatten. Die Aufgabenstellungen der schriftlichen Deutschklausur lauteten folgendermaßen: „1. ‚Woher ich kam, wohin ich gehe, weiß ich nicht; Nur dies: von Gott zu Gott ist meine Zuversicht.‘ 2. Oesterreichs geschichtliche Rolle als Brücke von Orient zu Okzident. 3. Rom – von jeher Ziel der verschiedensten Pilger.“763

760 Tatsächlich lief die sogenannte Kriegsmatura erst mit dem Schuljahr 1923/24 aus und wurde 1924/25 durch eine neue Reifeprüfungsordnung ersetzt, die eine dreiteilige Matura vorsah, bestehend aus erstens einer schriftlichen Hausarbeit, zweitens vier schriftlichen Klausuren und drittens einer mündlichen Prüfung aus zwei beziehungsweise mehr Gegenständen, wenn eine oder mehrere der Klausuren negativ waren: Löffler 1927, 21. 761 Schuh 1919, 11. 762 Löffler 1927, 22. 763 Gumpoltsberger 1933, 7.

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Auch 1934/35 wurden wieder Hausarbeiten eingereicht, die aber thematisch enger beieinanderlagen als in den Vorjahren. Deutlich wird einerseits die Konzentration auf Dichter und Autoren des deutschen Sprachraums, andererseits auf Themen mit Österreichbezug, wie etwa das Beispiel einer Hausarbeit mit dem folgenden Titel zeigt: „Österreichs Geist in Österreichs Dichtern. Ein Beitrag zum Seelenleben des Österreichers.“764 Passend dazu lauteten die Aufgabenstellungen der Deutschmatura so: „1. Österreichs deutsche Sendung. 2. Die Wahrheit zu nennen – ist Spiel, Die Wahrheit erkennen – ist viel, Die Wahrheit zu sagen – ist schwer, Die Wahrheit ertragen – ist mehr. 3. Alle echte Kunst entspringt dem Volk. (Nietzsche.)“ Sowohl das erwähnte Hausarbeitsthema als auch das erste Thema der Klausur reflektieren eindeutig die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Machtverhältnisse der Jahre 1934 und 1935. Dies war auch bei der Mathematikklausur der Fall: War in den Vorjahren noch die Entfernung zwischen Gebäuden und Geländepunkten zu errechnen, so war 1935 in der Angabe von einer (Geschütz-)Batterie und dem Maßstab auf der Generalstabskarte die Rede, mit der die Entfernung zu einem Punkt B (eine angedeutete feindliche Stellung, die beschossen werden sollte) zu errechnen war.765 Ähnlich war die Aufgabenstellung des Folgejahres 1935/36, bei der die maximale Schussweite eines Geschützes unter bestimmten Parametern errechnet werden sollte.766 Vergleichbar pathetisch wie im Vorjahr war die Angabe zur Deutschklausur: „1. Uns treibt das Herz, die Sendung zu verstehen, Die ruhmreich unsere Geschichte spricht, Und unbeirrt den harten Weg zu gehen, Den uns gebieten Treue, Ehr‘ und Pflicht. […] 2. Jeder strebt nach seinem Gral, Jeder Mensch ist Parzival. […] 3. Vom Nomadenzelt zum Wolkenkratzer. (Gedanken zur Wohnkultur.)“ Ein ähnlich prononciert militaristisches mathematisches Beispiel findet sich zwar bei den Angaben von 1937 nicht, dafür könnten die Aufgaben der Deutschklausur wohl nicht einseitiger gestaltet sein: 1. Wohin ein Geschick auch den Reifen gesellt, Ihm soll ein leuchtend Gestirn vorschweben: Begnadetes Vorrecht, für tausend zu leben – Ein Lehrer, ein Priester, ein Arzt der Welt. 2. Aller Ehren ist Österreich voll – aus dem reichen Geschehen eines Jahrtausends gedeutet. 3. Zu welchen Zeiten hat Österreich am gesamtdeutschen Schrifttum hervorragenden Anteil genommen?767

Die Aufsatzthemen zwei und drei erwecken zwar augenscheinlich den Eindruck, einen historischen beziehungsweise literaturhistorischen Kontext zu haben, allerdings zeigt eine etwas nähere Betrachtung sehr deutlich, dass es sich dabei um Themen handelt, die der herrschenden Staatsideologie folgten. Günstig auf diese Beeinflussung wirkte sich wohl auch aus, dass mit Hans Gumpoltsberger ein Lokalpolitiker (Vizebürgermeister Gmundens) langjähriger Lehrer und ab 1932 Direktor der Anstalt war.768 Jene Themen, ein betont starker Österreichbezug zu konstatieren ist, weisen einige interessante Gemeinsamkeiten auf: Einerseits sind sie stark historisierend. Ihre Formulierung soll den Eindruck einer möglichst lange andauernden und kontinuierlichen österreichischen Geschichte vermitteln, die dadurch beeindruckend wirken 764 765 766 767 768

Gumpoltsberger 1935, 6. Ebd., 7. Gumpoltsberger 1936, 7. Gumpoltsberger 1937, 10. Gumpoltsberger 1933, 3.

Bundes-Realgymnasium Fürstenfeld

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soll. Ein Beispiel für diese quantitative „Aufblähung“ ist das zweite Beispiel der Deutschklausur von 1937 zum „reichen Geschehen eines Jahrtausends“. Andererseits – das zeigt das dritte Beispiel derselben Klausur – wurde Österreichs Bedeutung auch qualitativ zu untermauern versucht, indem Österreich eine besonders bedeutungsvolle Rolle zugewiesen wurde: Im angesprochenen Fall ist das etwa die angeblich bedeutende Rolle Österreichs für die deutsche Literatur. Schon die Themenformulierung impliziert, dass gar nicht hinterfragt wurde, ob Österreich hier bedeutend gewirkt habe, sondern dies vorausgesetzt war und nur erörtert werden sollte, wann seine Rolle besonders bedeutend gewesen sei. Die Schülerinnen und Schüler wurden bei der Klausur also nur scheinbar vor eine neutrale Aufgabe gestellt, denn in Wahrheit ging es vornehmlich darum, das bereits bestehende Urteil von Österreichs Großartigkeit möglichst umfassend zu belegen.

3.7 Bundes-Realgymnasium Fürstenfeld Für das Bundes-Realgymnasium Fürstenfeld liegen ab dem Schuljahr 1930/31 fünf Jahresberichte vor, von 1933/34 bis 1936/37 durchgehend alle.769 Die Überlieferung ist also für die 1930er Jahre sehr dicht, was vor allem deshalb bedeutend ist, da es sich hierbei um jenen Zeitraum handelt, in dem sich meiner These zufolge latente Manifestationen national konnotierter Inhalte in auch öffentlich offen zur Schau gestellten Österreichnationalismus wandelten, wie bereits einleitend zu Kapitel 3 und im Zuge der Fallstudien festgehalten wurde. Die Fürstenfelder Schule wurde im Schuljahr 1909/10 eröffnet und 1926 in ein Realgymnasium umgewandelt.770 Im Jahr 1930/31 besuchten 224 Schülerinnen und Schüler in koedukativen Klassen, also Mädchen und Burschen gemeinsam, das Gymnasium.771 Das Fürstenfelder Gymnasium war somit kleiner als die meisten anderen Schulen im Sample. Auffallend ist die große Schwankungsbreite bei den Klassengrößen: Während die 5. Klasse 1930/31 gerade einmal 17 Schülerinnen und Schüler hatte, waren es in der 1. Klasse stolze 49, die gemeinsam unterrichtet wurden.772 Dies dürfte wahrscheinlich auch an der Knappheit der zur Verfügung stehenden Räume gelegen haben, welche in den Jahresberichten auch der Folgejahre immer wieder zur Sprache kam. Anscheinend gab es nicht ausreichend Platz für zwei Klassenzüge. In den Folgejahren nach 1930/31 bewegten sich die Gesamtschülerzahlen immer im Bereich zwischen 230 und 250; die Schule wuchs also im Gegensatz zu anderen Schulen kaum mehr, sondern behielt ihre Schülerzahl bei.773 Rein optisch fällt an den Jahresberichten auf, dass ab dem Jahr 1933/34 im Haupttext nicht mehr die lateinische Schrift (Antiqua) verwendet wurde, sondern die sogenannte ‚deutsche Schrift‘ (Fraktur), die sich auch im Deutschen Reich immer mehr durchsetzte.774 769 Ein Jahresbericht von 1915/16 liegt zwar auch vor, wird aber für diese Untersuchung nicht näher herangezogen. 770 Max Hoffer, Siebenter Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums (der Bundes-Realschule) in Fürstenfeld. Veröffentlicht im Juli 1931, Fürstenfeld 1931. 771 Ebd., 16, 20-22. 772 Ebd., 20 – 21. 773 Oskar Lorenzoni, 13. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Fürstenfeld über das Schuljahr 1936/37, Fürstenfeld 1937, 25. 774 Dass solche Wechsel der Schrift nicht zufällig geschehen, sondern Ergebnis von Ausverhandlungen sind und Machtverhältnisse repräsentieren, zeigen Boser und Hofmann in einem Aufsatz zur Entwicklung der Schrift in der Schweiz des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: Lukas Boser/Michèle Hofmann, Fraktur or Antiqua in primary schools? The struggle for a unified typeface in German-speaking Switzerland between the midnineteenth and early twentieth centuries, in: Paedagogica Historica 55 (2019) 6, 792 – 811.

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Zum Inhalt der Jahresberichte Der Jahresbericht 1930/31 gibt einen guten Einblick in das Schulleben, da darin verschiedenste Aspekte aus der Schulgemeinschaft aufgegriffen werden: Der Direktor nutzte den Bericht beispielsweise, um die Eltern zu ermuntern, von den Sprechstundenangeboten der Lehrer häufiger Gebrauch zu machen, denn „manches Mißverständnis könnte in offener Aussprache geklärt, mancher schwierige Fall einer günstigen Lösung zugeführt werden, wenn eben rechtzeitig die Fühlungnahme zwischen Elternhaus und Professoren hergestellt würde.“775 Im Großen und Ganzen war der Direktor aber mit der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule wohl zufrieden, wovon folgende interessante Begebenheit zeugt: So leiteten Professoren der Schule ab dem Sommersemester 1930 sogenannte „volkstümliche Kurse“776 beispielsweise zu Kakteenzucht, Einheitskurzschrift oder Englisch, wobei nicht ausgeführt wird, an wen diese Kurse gerichtet waren. Da sie aber unter dem Punkt „Elternhaus und Schule“ angeführt werden, ist davon auszugehen, dass diese Kurse für die Eltern der Schüler gedacht waren und von diesen besucht werden konnten. Die volkstümlichen Kurse kann man sich also als eine Art Volkshochschule vorstellen, die von den Lehrern abgehalten wurde. Der Punkt „Unterstützungswesen“ enthält einen Bericht darüber, dass weniger begüterte Schüler nicht nur im Studentenheim preiswert essen konnten, sondern dass auch einzelne Bürger der Stadt Fürstenfeld Schüler mittags zum Essen bei sich aufnahmen. Der Direktor äußerte an dieser Stelle den Wunsch, diese Angebote noch auszubauen, damit „kein Schüler mehr auf das Gasthaus angewiesen wäre.“777 Hier wird die Not der Zeit in Folge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 deutlich, in der ein (warmes) Mittagessen für einige Schülerinnen und Schüler keine Selbstverständlichkeit war und diese auf die Gastfreundschaft städtischer Familien angewiesen waren, zumal vor allem mittlere und höhere Schulen einen relativ großen Einzugsbereich hatten, also Schüler weit entfernt wohnten und nicht eben schnell zuhause essen konnten. Das Schuljahr 1930/31 begann mit den Nachtrags- und Wiederholungsprüfungen Mitte September 1930, und nach dem Eröffnungsgottesdienst startete am 20. September der Unterricht.778 Für den Oktober 1930 vermerkt der Jahresbericht eine entsprechende Würdigung der Volksabstimmung in Kärnten zum zehnten Jahrestag, besonders aber eine unter Mitwirkung der Schüler durchgeführte „Kärntner Abstimmungsfeier“779 am 18. Oktober in Erinnerung an den ‚Kärntner Abwehrkampf‘ beziehungsweise die Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920, bei der über die Zugehörigkeit zu Österreich abgestimmt wurde. Eine Feier zum Jahrestag der Republik am 12. November wird nicht erwähnt, dafür aber eine „Keplerfeier“ am 20. November 1930, bei der mit einem neuen Dia-Apparat Bilder aus Johannes Keplers780 Leben gezeigt wurden und „in gehaltvoller Rede die große Bedeutung dieses deutschen Denkers für die Entwicklung der Wissenschaft überhaupt“781 betont wurde. Im weiteren Verlauf war das Schuljahr eher ereignisarm, der Jahresbericht erwähnt vor allem 775 776 777 778 779

Hoffer 1931, 16. Ebd., 17. Ebd. Ebd., 19. Ebd. Zur Erinnerung: Das südliche Kärnten gehörte in der Folge von 1918 zum zwischen Jugoslawien und Österreich umkämpften Gebiet und blieb erst durch eine Volksabstimmung 1920 und die militärische Abwehr jugoslawischer Truppen endgültig bei Österreich. 780 Johannes Kepler (1571 – 1630) war ein frühneuzeitlicher Astronom und Physiker. 781 Hoffer 1931, 19. Johannes Keplers Todestag jährte sich 1930 zum 300. Mal.

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Inspektionen der Schulaufsicht, den Besuch einer Schülervorstellung im Grazer Stadttheater und die Wandertage im Juni 1931. Der Schulschluss folgte einem aus anderen Schulen und der Zeit bekannten Schema mit Beichte und Kommunion in den letzten Schultagen sowie Schlussgottesdienst und Zeugnisverteilung am letzten Schultag im Juli 1931.782 Das Schuljahr 1933/34, welches hier als nächstes untersucht wird, war für das Fürstenfelder Gymnasium insofern ein besonderes, als dieses sein 25-jähriges Bestehen feierte und dies auch im Jahresbericht in Form eines über 20 Seiten langen Berichts zur Sprache brachte.783 In diesem Rahmen wurde auch die Bedeutung von Schulfeierlichkeiten für die Schulgemeinschaft explizit erwähnt, was die Annahme bestärkt, dass diesen eine wichtige Rolle im Schulleben zukam. So führte der Direktor aus: „Es ist begreiflich, daß feierliche Momente des Schullebens vielfach mehr in der Erinnerung haften bleiben als das regelmäßige Arbeiten, der normale Schulbetrieb.“784 Für die Zeit der Monarchie erwähnt die retrospektive, nun folgende Aufzählung wichtiger Festtage beispielsweise den Namenstag des Kaisers Franz Joseph am 4. Oktober und das Gedächtnis an die Kaiserin am 19. November, aber auch der „Dichterfürst Schiller“, Andreas Hofer („als leuchtendes Beispiel inniger Vaterlandsliebe und unwandelbarer Treue zum angestammten Herrscherhaus“785) und die Pragmatische Sanktion786 boten Anlässe zu Aufführungen und Konzerten im Laufe der fünfundzwanzigjährigen Schulgeschichte.787 Ernste Reden, so der Beitragsschreiber, galten nach dem Ende der Monarchie weniger freudigen Anlässen, beispielsweise „dem Gewaltfrieden von St. Germain“788 im Juni 1919, „dem Gründungstag der Republik“ im November 1919 und „dem Abstimmungsergebnis in Kärnten“ im Oktober 1920, aber auch „der 50. Wiederkehr des Todestages Franz Grillparzers“ im Jänner 1922, mit welcher „eine Reihe von Gedenkfeiern an deutsche Geistesgrößen, Dichter und Musiker“ begann. Dieses Grundschema wurde in den Folgejahren eingehalten, wie die Beethovenfeier 1927, die Gedächtnisfeier für den Dichter Peter Rosegger (1843 – 1918) im Juni 1928, die Schubertfeier im November desselben Jahres, die bereits oben erwähnte Keplerfeier im November 1930, die Mozartfeier im Dezember 1931 und eine Goethe-Feier im Juni 1932 belegen.789 Darüber hinaus gab es aber auch noch andere Anlässe, den Schulalltag zu durchbrechen: Dazu zählen beispielsweise eine Feier zum zehnjährigen Bestehen der Republik im November 1928, der ‚Tag des Buches‘ im März 1930 und die Schulfeier zum ‚Tag des Musikpflege‘ im April 1933.790 Das Schuljahr 1933/34 lief im Wesentlichen nach dem bereits bekannten Muster ab, das in den Grundzügen jenem des oben geschilderten Schuljahres an der Schule glich – daher werde ich im Folgenden vorzugsweise auf die Abweichungen eingehen. Eine solche stellte die am 6. Oktober bundesweit durchgeführte „Türkenbefreiungsfeier“ dar, welcher am Fürstenfelder Gymnasium außer Lehrern und Schülern auch diverse Ehrengäste beiwohnten, zu deren Identität der Bericht aber keine genaueren Informationen gibt.791 In einer festlichen Rede 782 Ebd., 20. 783 Franz Rauch, 10. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Fürstenfeld. Veröffentlicht im Juli 1934, Fürstenfeld 1934, 3 – 26. 784 Ebd., 20. 785 Ebd. 786 Regelwerk zur Erbfolge Karls VI. in Österreich. 787 Rauch 1934, 20. 788 Ebd., 21. 789 Ebd., 22 – 23. 790 Ebd. 791 Ebd.

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betonte einer der Professoren die Bedeutung der Befreiung Wiens 1683 und machte damit, so der Bericht, „auf alle Zuhörer starken Eindruck“792. Zum Abschluss dieses festlichen Anlasses wurde abschließend die Bundeshymne gesungen, der nächste Tag war schulfrei. Wie an vielen anderen Schulen auch, so wurde in Fürstenfeld der Unterricht während des bewaffneten Aufstandes von Teilen der Sozialdemokratie gegen das autoritäre Regime Mitte Februar 1934 ausgesetzt; am 23. Februar fand dann ein Trauergottesdienst für die Opfer statt, an dem die katholischen Lehrer, Schülerinnen und Schüler teilnahmen.793 Der Staatsfeiertag am 1. Mai wurde ebenfalls mit einem Gottesdienst für Lehrer und Schüler begangen. In weiterer Folge fand am 5. Mai an der Schule über Auftrag des Verteidigungsministeriums ein Vortrag eines Marineingenieurs über das moderne Panzerschiff statt, und am 26. Mai fand sich zu einer „vaterländischen Feier“ neben Schülern und Lehrern auch noch Franz Schragen, Regierungskommissär der Stadt Fürstenfeld (also nicht der gewählte, sondern der eingesetzte Bürgermeister und selbst Absolvent der Anstalt), in der Schule ein, um sich an die Jugend zu wenden, „die ihr schönes Vaterland über alles lieben und hochhalten müsse.“794 Von den Schülern dargebotene Heimatlieder und das Absingen der Landes- und der Bundeshymne bildeten den Schluss der Veranstaltung. Ganz ähnlich lief der „Tag der Jugend“ am 27. Mai ab: die Schüler marschierten zum Kriegerdenkmal der Stadt, legten dort feierlich einen Kranz nieder und wurden in einer Rede vom Direktor der Hauptschule aufgefordert, „sich ihrer Väter wert zu erweisen und die in sie gesetzten Hoffnungen – sie sind ja die Zukunft des Vaterlandes wie des Volkes – zu erfüllen.“795 Dann hörte man gemeinsam die Ansprache von Unterrichtsminister Schuschnigg im Rundfunk. Der nächste Tag war schulfrei. Der Schulschluss verlief wieder nach dem bereits bekannten Muster, wobei es im Juni 1934 noch zu einer bemerkenswerten Wendung kam: So hält der Jahresbericht fest, dass der Direktor und zwei Lehrer der Anstalt am 8. Juni ihren Dienst abbrechen mussten, gibt aber keine Gründe dafür an. Dass gegen Ende des Schuljahres der Direktor und zwei Lehrer die Schule so unerwartet verließen, ist als außergewöhnlich zu bezeichnen und könnte wohl in Zusammenhang mit politischen Erwägungen stehen; so trat bereits im Februar 1934, direkt nach den Februarkämpfen, der Bürgermeister Fürstenfelds, Florian Wiesler, zurück.796 Dass ihm nun im Juni 1934 neben Direktor Dr. Max Hoffer auch noch die Professoren Karl Nemetschek und Dr. Harald Biber mit Rücktritten folgten, ist insofern überraschend, als Nemetschek im Oktober 1933 bei der ‚Türkenbefreiungsfeier‘ und im Mai 1934 bei der ‚vaterländischen Feier‘ die Festreden hielt, also politisch als zuverlässig gegolten haben dürfte, da man ihm diese Aufgaben sonst kaum übertragen hätte.797 Jedenfalls steht fest, dass alle drei den Schuldienst abrupt verließen, denn von – üblicherweise dezidiert erwähnten – Versetzungen ist keine Rede. Somit scheidet der Wechsel an eine andere Schule als Grund für den Dienstabbruch aus. Der Jahresbericht 1934/35 beginnt mit einigen Schüleraufsätzen, die beim „Vaterländischen Landes-Jugend-Preisausschreiben 1935“ prämiert wurden. Dieses Preisausschreiben wurde per Erlass des steiermärkischen Landesschulrates initiiert und sah vor, dass die Schüler

792 793 794 795 796

Ebd., 40. Ebd., 41. Ebd., 42. Ebd., 42, Allerdings taucht Wiesler in späteren Jahresberichten als Altbürgermeister wieder auf, was es unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass er politisch in Ungnade gefallen war: Lorenzoni 1937, 41. 797 Rauch 1934, 40, 42.

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aller Klassen […] in der Schule eine schriftliche Arbeit zu verfertigen [haben], die die Stellung des einzelnen Schülers zur österreichischen Heimat unter dem Motto ‚Heimaterde – wunderhold!‘ in dem seiner Schulstufe angemessenen Gedankenkreise zum Ausdruck bringen soll.798

Darin wurde auch vorgeschrieben, die Namen der Preisträgerinnen und Preisträger im gedruckten Jahresbericht der Schule zu nennen und nach Möglichkeit einige Aufsätze abzudrucken. Die im vorliegenden Bericht gedruckten Arbeiten trugen folgende Überschriften: „Ein Blick vom Freikreuzberg“, „Heimweh“, „Industrie der Heimat“ und „Segen der Heimat“. Außerdem gab es noch einen zweiten Aufsatzwettbewerb, der aber direkt vom Bundesministerium veranstaltet wurde. Hier gab das Ministerium vier „vaterländische“ Themen vor, die die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe im Rahmen einer zweistündigen Schularbeit bearbeiten sollten. Die vom Lehrer ausgewählten drei besten Arbeiten jeder Schulstufe wurden kurz beschrieben und mit dieser Beschreibung gemeinsam an den Landesschulrat weitergeleitet. Die vier Themen reflektieren in hervorragender Weise die von der Bundesregierung vorgegebene österreichnationale Grundhaltung und lauteten folgendermaßen: 1. Österreichische Heldenzeitalter; 2. Großtaten österreichischer Kulturarbeit; 3. Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft! 4. Der Österreicher hat ein Vaterland, Und liebt’s und hat auch Ursach‘, es zu lieben.799

Die chronologische Darstellung der Ereignisse im Schuljahr 1934/35 beginnt wie viele andere Jahresberichte mit einem Nachruf auf den im Juli 1934 getöteten Engelbert Dollfuß.800 Außerdem, so der Bericht weiter, wurde im August 1934 der Besitz des nunmehr verbotenen und aufgelösten Deutschen Turnvereins Fürstenfeld, vor allem die im Turnsaal der Schule befindlichen Geräte desselben, beschlagnahmt und für Direktionskanzlei, Konferenzzimmer und Sprechzimmer neue Kruzifixe angeschafft, die „den c h r i s t l i c h e n [Hervorhebung im Original, Anm.] Staat versymbolisieren und einen Schmuck dieser Amtsräume bedeuten.“801 Bald nach Beginn des Schuljahres führte ein Bundesheer-Major außer Dienst auf Anordnung des Landesschulrats ‚vaterländische Filmvorführungen‘ im städtischen Kino für die Schüler durch, und am 5. Oktober fand die Dollfuß-Schulgedenkfeier statt, die mit einem Gedenkgottesdienst begann, dem alle katholischen Schüler und Lehrer beiwohnten.802 Hier wurde des im Juli 1934 ermordeten Bundeskanzlers aufwändig gedacht. Weiter ging es an diesem Tag der staatlich verordneten Trauer im Schulhaus mit einer Gesangsaufführung und einer Trauerrede; den Abschluss bildete das gemeinsame Absingen der Bundeshymne. Am 9. November folgte noch der Besuch der Vorführung des „vaterländischen Tonfilms ‚Dr. Dollfuß‘“803. Am Vormittag des 10. November, eines Samstags, gestalteten Schüler die Schillerfeier an der Schule. Am 4. Dezember hielt ein Referent des österreichischen Luftschutz798 799 800 801 802

Rauch 1935, 3. Ebd., 7. Ebd., 22. Ebd., 23. Ebd.: Die protestantischen Schüler und Lehrer feierten am nächsten Tag, dem 6. Oktober, einen eigenen Gottesdienst. 803 Ebd., 24.

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verbands einen Vortrag und begleitete diesen mit Diabildern. Kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember, hörten im Rahmen der ‚Vaterländischen Stunde‘ die Unterstufenschüler einen Vortrag zum Thema „Österreich in der deutschen Literatur“, die Oberstufenschüler zum Thema „Österreichische berühmte Männer“. Im Februar 1935 wurde der Besuch des Grazer Bischofs Ferdinand Pawlikovsky zelebriert und der Bischof mit Darbietungen empfangen. Im Februar und März 1935 wurden gleich zwei Feiern zu Ehren Andreas Hofers veranstaltet, wobei die erste an der Schule stattfand und vom bewährten Programm aus Liedern und Festrede umrahmt wurde, während die zweite in der Stadt Fürstenfeld abgehalten wurde. Im März 1935 fand wieder eine militärische Unterweisung statt, diesmal zum Thema ‚Marine‘. Im Folgemonat bildeten zwei Vorträge von Professoren der Anstalt den Rahmen sogenannter ‚Vaterländischer Stunden‘. Kurz darauf, am 9. April, wurden sämtliche Mitglieder der Schule im Luftschutz unterwiesen. Es folgten am 27. April der Tag der Musikpflege und am 1. Mai der „Tag des neuen Österreich“, der aufwändig begangen wurde: Nach dem üblichen Gottesdienst durfte eine Schülerin ein ‚vaterländisches Gedicht‘ vortragen, worauf der Direktor mit einer Rede folgte, in der er „die Pflege der religiösen Gesinnung und des vaterländischen Gedankens“804 als Kern von Unterricht und Erziehung hervorhob. Er betonte außerdem, dass die Jugend patriotisch und religiös erzogen werden müsse, um Österreich in Zukunft Glück zu bringen. Die letzten ‚Vaterländischen Stunden‘ des Schuljahres fanden am 22. Juni statt; ihr Gegenstand waren Mozart und der berühmte Botaniker Richard Wettstein (1862-1931). Analog zu einer ähnlichen Feier in Graz wurden am 28. Juni die ‚Helden‘ des Weltkrieges mit einer entsprechenden Feierlichkeit gewürdigt, wobei diese dem bekannten Muster entsprechend ablief. Schon am nächsten Tag, dem 29. Juni, fand das Turn- und Spielfest der Schule statt, dessen Eröffnung wieder von Ehrengästen besucht wurden, die eine Rede über den bedeutenden Zusammenhang von Körper und Geist hörten, in der die Bedeutung der Erziehung im Geiste des Christentums besonders akzentuiert wurde. Am 3. Juli wurden die Preise und Urkunden an die Gewinnerinnen und Gewinner der Schreibwettbewerbe überreicht. Ein Schüler wurde sogar im Rahmen des Landesbewerbs ausgezeichnet und zu einem Mittagessen mit dem Landeshauptmann im Landhaus in Graz eingeladen.805 Beichte, Kommunion und Abschlussgottesdienst bildeten den Rahmen für das Ende des Schuljahres, welches mit der Verteilung der Jahreszeugnisse am 6. Juli endete. Mit dem Schuljahr 1935/36 übernahm ein neuer Direktor die Leitung der Anstalt von Franz Rauch, der nach Max Hoffers Abgang im Juni 1934 die Schule interimistisch geleitet hatte: Der bisher am Horner Gymnasium in Niederösterreich tätige Oskar Lorenzoni wurde mit 1. September 1935 von Bundespräsident Miklas mit der Leitung der Anstalt betraut.806 Lorenzoni war darüber hinaus Mitglied des Fürstenfelder Gemeindetages und Dienststellenleiter der ‚Vaterländischen Front‘ im Ort, also politisch und innerhalb der Einheitspartei bestens vernetzt.807 Für die umsichtige interimistische Leitung sprach der steirische Landeshauptmann dem interimistischen Direktor Rauch Dank und Anerkennung aus – dieser dürfte seine Aufgaben nach dem Abgang von Direktor Dr. Max Hoffer also zur Zufriedenheit der vorgesetzten Stellen erledigt haben.808 804 Ebd., 27. 805 Ebd., 29. 806 Oskar Lorenzoni, 12. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Fürstenfeld über das Schuljahr 1935/36, Fürstenfeld 1936, 11. 807 Ebd., 13. 808 Ebd.

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Nach dem Unterrichtsbeginn im September 1935 fand am 17. Oktober der erste Wandertag statt, der bereits im Zeichen der in eben diesem Schuljahr eingeführten „Vormilitärischen Jugenderziehung“ stand.809 Am 8. November folgte die Heldengedenkfeier zu Ehren der im Weltkrieg Gefallenen, deren Ablauf im Großen und Ganzen dem der Vorjahre entsprach. Bemerkenswert scheint, dass die Bundeshymne sowohl den Auftakt als auch den Abschluss der Veranstaltung bildete, also gleich zweimal gesungen wurde.810 Die Enthüllung eines Denkmals für Admiral Wilhelm von Tegetthoff (1827 – 1871) bot am 6. Dezember Anlass für eine ‚Vaterländische Gedenkstunde‘ über Leben und Wirken des bekannten Marinekommandeurs. Nach den Weihnachtsferien nahmen die Lehrer der Schule im Jänner 1936 an der „vaterländischen Tagung der steirischen Mittelschullehrer“ teil. Am 21. April war ein weiterer Feldherr der österreichischen Geschichte Gegenstand einer Gedenkfeier, nämlich Prinz Eugen von Savoyen, der mit einem der üblichen Praxis entsprechenden Festakt geehrt werden sollte. Dem ‚Tag des neuen Österreich‘ am 1. Mai war 1936 wetterbedingt kein großer Erfolg beschieden: So musste die allgemeine Feier auf dem Dr.-Dollfußplatz wegen einsetzenden Regens abgebrochen werden.811 Am 2. Mai war wieder der Grazer Bischof zu Besuch, am 5. Mai fand der zweite Wandertag statt und am 9. Mai hielt ein Marineingenieur einen Vortrag über „Das neuzeitige [sic!] Unterseebot“. Eine Besonderheit der steirischen Mittelschulen war die sogenannte „Steiermärkische Landeskunde“, die von Dezember bis Mai des Schuljahres zusätzlich zum Regelunterricht erteilt wurde und eine Möglichkeit zur Profilierung in den Augen der vorgesetzten Stellen bot.812 Der Jahresbericht gibt Auskunft über den Abschluss dieses Kurses auf dem Wege einer Prüfung: So bestand die Prüfungskommission aus dem Lehrer für ‚Steiermärkische Landeskunde‘, dem Direktor der Schule als Vorsitz, dem Klassenvorstand, einem zweiten Lehrer für Geographie und Geschichte und dem Dienststellenleiter der Vaterländischen Front. Die drei besten Schüler sollten namentlich dem Landesschulrat genannt werden und wurden zur Preisverleihung durch den Landeshauptmann nach Graz eingeladen, wo sie „in guter heimischer Tracht zu erscheinen“813 hatten. Die ‚Steiermärkische Landeskunde‘ ist also ein weiteres Beispiel dafür, wie die Politik nicht nur Schule und Unterricht ihrem Inhalt nach zur Vermittlung erwünschter Inhalte benutzte, sondern den institutionellen Rahmen auch nutzte, um ein Parallelangebot aufzubauen und sich direkt einzumischen; diese Intervention erfolgte dabei nicht durch ein demokratisch legitimiertes Organ, sondern durch den Dienststellenleiter der örtlichen Abteilung der ‚Vaterländischen Front‘, der der Prüfungskommission ebenso angehörte. Am 11. Juni fand wie im Vorjahr ein Turn- und Spielfest statt, in dessen Rahmen verschiedenste Wettkämpfe ausgetragen wurden. Am 23. Juni gestaltete die Volkstanzgruppe der Schule die Feier zu Ehren Erzherzog Johanns mit, die mit anderen Schulen gemeinsam ausgerichtet wurde. Am 2. Juli fand der dritte Wandertag statt, der besonders der vormilitärischen Ausbildung gewidmet war, am 4. Juli war Schulschluss.814

809 810 811 812 813 814

Ebd., 19 – 20. Ebd., 31. Ebd., 33. Ebd. Ebd. Ebd., 35.

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Wie der Jahresbericht 1936/37 eingangs mitteilt, musste der Schulbeginn wegen auftretenden Fällen von Kinderlähmung von Mitte September auf Anfang Oktober verschoben werden. In der zweiten Oktoberhälfte beteiligte sich die Schule mit Beiträgen an der Ausstellung „Die steirische Schule im Dienste der Heimat“ in Graz. Durch eine Filmvorführung am 23. Oktober sollten die Schülerinnen und Schüler zum Kauf österreichischer Waren angeregt werden.815 Am 28. November fand die Heldengedenkfeier für die Gefallenen des Weltkrieges statt, die in Ablauf und Inhalt den Heldengedenkfeiern der Vorjahre ähnelte. Im Jänner 1937 wurden sowohl Lehrer als auch Schüler der Oberstufe über die Verwendung eines neuen Kompasses in Schule und Militär unterrichtet. Am 1. beziehungsweise 3. Mai fanden wieder der ‚Tag des neuen Österreich‘ und die Preisprüfung aus der ‚Steiermärkischen Landeskunde‘ statt. Am 23. Mai nahm eine Abordnung der Schülerschaft am 1. Bezirksjugendtreffen des ‚Österreichischen Jungvolks‘, also der Nachwuchsorganisation der Einheitspartei ‚Vaterländische Front‘, teil. Am 28. Mai konnte die Mannschaft der Schule den 1. Platz im ‚volkstümlichen Achtkampf‘ bei den Mittelschulwettkämpfen in der Steiermark erreichen. Der Staffellaufbewerb beim ‚Österreichischen Spiel- und Turnfest‘ fiel leider ebenso einem überraschend auftretenden Regenschauer zum Opfer wie die Ansprache des Unterrichtsministers Hans Pernter, der dafür extra nach Graz gekommen war.816 Am 29. Juni rückten die Angehörigen der Schule zur Einweihung des Denkmals für Engelbert Dollfuß in Fürstenfeld aus. Am 3. Juli 1937 wurde das Schuljahr 1936/37, das chronologisch letzte dieser Betrachtung, geschlossen. Aus den Schilderungen ergibt sich ein Bild, das sich in insgesamt folgendermaßen in das bisher gewonnene Gesamtbild österreichischer Mittelschulen in der Zwischenkriegszeit einfügt: Im Laufe der 1930er Jahre wurde das Fürstenfelder Gymnasium zunehmend stärker Schauplatz offener politischer Interventionen, doch war dieses Potenzial bereits vorher in der Schule angelegt gewesen, denn die personelle Fluktuation war trotz einer prominenter Abgänge insgesamt überschaubar. Bereits 1930 wurde dem sogenannten ‚Kärntner Abwehrkampf‘ ein ehrendes Andenken gesetzt, Kepler und Autoren wie Goethe wurden Feiern gewidmet. Dabei wurde im Jahresbericht wiederholt dargelegt, dass deutsche Denker und Dichter für ihr Genie geehrt würden. Diese Anlässe, die es in einer ähnlichen Form in vielen anderen Schulen auch gab, wurden in der Folge vor allem ab 1933/34 zunehmend umgedeutet und entsprachen mehr und mehr der staatlich vorgegebenen Ideologie der Kanzlerdiktatur. Die ‚Ehrung deutscher Genies‘ wurde zunehmend durch die Betonung auf Vaterlandsliebe verdrängt, die nun auf das österreichische Vaterland bezogen wurde. Dies geschah auf zweierlei Weise: Erstens wurden bereits bestehende Veranstaltungen umgedeutet, wie zum Beispiel der 1. Mai oder Gedenkfeiern für Schriftsteller, und zweitens wurden neue Anlässe geschaffen, um die Schülerinnen und Schüler in der Schule zu versammeln und sie ihm Rahmen dieser Schulgemeinschaft zu formen. Hier sind als Beispiele die ‚Vaterländischen Stunden‘ und diverse Schreibwettbewerbe sowie Sport- und Turnwettkämpfe zu nennen. Auffällig ist auch, dass Veranstaltungen ohne erkennbare Notwendigkeit mit dem Zusatz ‚vaterländisch/volkstümlich‘ versehen wurden, wie beispielsweise der oben erwähnte ‚volkstümliche Achtkampf‘. Außerdem wurden nicht nur historische Persönlichkeiten in den Festtagskalender miteinbezogen, sondern mit dem Botaniker Richard Wettstein auch eine zeitgenössische Persönlichkeit, die über viel Ansehen verfügte und als Vorbild für heranwachsende österreichische 815 Lorenzoni 1937, 40. 816 Ebd., 43.

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Bürgerinnen und Bürger gelten konnte. Gleichzeitig wird eine zunehmend parteipolitisch motivierte Einflussnahme auf die Schule sichtbar: Deutlichster Ausdruck dieser Tendenz ist die Zusammensetzung der Prüfungskommission für „Steiermärkische Landeskunde“, in der ein örtlicher Vertreter der ‚Vaterländischen Front‘ zu sitzen hatte. Der ‚vaterländischen‘ Gesinnung im Rahmen einer klerikal-semifaschistischen Diktatur wurde auch insofern Rechnung getragen, als religiöse Würdenträger gern gesehene Gäste an der Schule waren und mit großem Aufwand empfangen wurden. Die engen Verbindungen zwischen Einparteiendiktatur und katholischer Kirche manifestierten sich also auch auf der Ebene einzelner Schulstandorte. Der Lehrstoff Leider wird in den meisten Jahresberichten des Fürstenfelder Gymnasiums keine Angabe zum behandelten Lehrstoff gemacht – im Gegensatz zu vielen anderen Schulen in der Studie. Eine Ausnahme bilden hier lediglich die Jahresberichte 1935/36 und 1936/37, wobei auch diese Angaben eher spärlich sind: Der Bericht nennt lediglich die Themen der Schul- und Hausarbeiten aus Deutsch. Trotz dieser sehr spärlichen Quellenlage können einige Schlüsse gezogen werden. Auf die Unterscheidung von Haus- und Schularbeiten wird im Gang der Analyse nicht Rücksicht genommen, da diese nur vom schulischen Standpunkt aus relevant ist, nicht jedoch für den prinzipiellen Charakter des anzufertigenden Textes. Die Analyse der Lehrstoffangaben beginnt mit dem Jahr 1935/36, in welchem die Kanzlerdiktatur Schuschniggs bereits gefestigt war und auf das Bildungs- und Schulsystem ebenso durchschlug, wie es durch die Versammlung der Jugend in einer staatlichen Jugendorganisation auf die jungen Menschen auch außerhalb der Schule zugriff. In der 5. Klasse waren schriftliche Arbeiten in Deutsch etwa zum Totengedenken anlässlich der Heldengedenkfeier 1935 oder über Dollfuß‘ berühmte Rede auf dem Wiener Trabrennplatz vom September 1933 zu verfassen.817 Außerdem waren noch „Prinz Eugenius, der edle Ritter“ und das „neuzeitige [sic!] U-Boot“818 Gegenstand der Schülerarbeiten in der von Direktor Dr. Lorenzoni unterrichteten 5. Klasse. Hier wird erkennbar, dass einerseits Prinz Eugen als österreichische Heldenfigur aufgegriffen wurde, andererseits auch die ‚Vaterländischen Stunden‘ und Vorträge über militärische Themen im Unterricht thematisiert wurden. Die Klassen 6 bis 8 unterrichtete Dr. Reithoffer, der zwar ebenfalls vaterländische Themen aufgriff, dies aber weniger prononciert tat als Direktor Lorenzoni. „Vorschläge für eine Prinz-Eugen-Feier“819 war zwar nah am vom Direktor in der 8. Klasse vorgegebenen Thema, aber ansonsten besaßen die Themen der 6. Klasse meist Lokalkolorit oder waren auf die Klassenlektüre ausgerichtet. „Die Jugend im neuen Österreich“ und der „Bauer im Ständestaat“ in der 7. Klasse orientierten sich zwar ebenfalls an der austrofaschistischen Ideologie, „Die Jugend des Dichters“, „Gefährliche Berufe“ oder „Vom Auto und seiner Entwicklung“ und die meisten anderen Themen der Klasse lassen sich nur schwerlich mit Politik in Verbindung bringen. Die Themen der 8. Klasse waren ausschließlich mit der Klassenlektüre in Verbindung zu bringen, wobei Anton Wildgans‘820 „Rede über Österreich“ einen durchaus aktuellen politischen Bezug aufwies. Ähnlich verhielt es sich im Folgejahr 1936/37, in dem die Klassen 5, 7 und 8 von Reithoffer, die 6. Klasse jedoch von Direktor Lorenzoni unterrichtet wurden. Reithoffer ließ die Kin817 818 819 820

Lorenzoni 1936, 20. Ebd. Ebd., 21. Anton Wildgans (1881-1932) war ein österreichischer Schriftsteller.

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der in der 5. Klasse über verschiedenste Themen schreiben: Rundfunk, Segelflugsport, den mittelalterlichen Menschen.821 Damit wich er von den im Vorjahr von Direktor Lorenzoni gestellten Aufgaben merklich ab, obwohl sich der Lehrplan nicht geändert hatte. Dieser ließ in der 6. Klasse über „Gedanken an Heldengräbern“, die „Vertreter des Soldatenstandes in ‚Minna von Barnhelm‘“ und „Gedanken zum ‚Tag des neuen Österreichs‘, 1. Mai“ schreiben. Reithoffers 7. Klasse setzte sich in den Schul- und Hausarbeiten wieder hauptsächlich mit Literatur auseinander, daneben auch mit der „Hygiene des täglichen Lebens“ und den „Schönheiten der österreichischen Alpen“. Ähnlich hielt Reithoffer es auch in der 8. Klasse und bemühte sich anscheinend, ‚vaterländische‘ Themen zu umgehen; lediglich bei der letzten Schularbeit stand neben der „Frau in der Dichtung“ und „Freizeitgestaltung“ auch „Die Ostmark“ zur Auswahl. Die Reifeprüfungsangaben Für das Schuljahr 1930/31 liegen umfangreiche Angaben zur Reifeprüfung vor. So werden für den Haupttermin im Sommer 1931 sogar alle Themen der eingereichten Hausarbeiten, die nach der neuen Reifeprüfungsordnung nun nicht mehr verpflichtend zu verfassen waren, genannt.822 Die Themen der von den Schülerinnen und Schülern eingereichten Arbeiten wiesen eine große thematische Bandbreite auf und reichten von „Die geographischen Grundlagen der Wirtschaft in Oesterreich“ bis zu „Bismarck als Innenpolitiker“823. Bei der schriftlichen Klausur aus Deutsch war zu wählen aus 1. „Deutsche Romantik, Eichendorff ‚Es schienen so golden die Sterne‘. […] – [2.] Freudlose Arbeit, (Der Mensch und die Maschine) – [3.] Wie ich meinem Vaterlande dienen werde.“824 Im thematischen Kontext der vorliegenden Arbeit ist vor allem das dritte Thema von Interesse: Zwar ist es für diesen Schulstandort nicht genau zu belegen, doch stützt eine solche Aufgabenstellung, in der explizit das Vaterland zur Sprache kommt, die eingangs formulierte These einer Schule ohne Nation, die sich Anfang der 1930er Jahre wandelte und einen zunehmend nationalistischen Aspekt annahm. Vaterlandsbezogene Themen (ob nun wörtlich oder indirekt formuliert) finden sich demnach vor 1930 eher selten, ab dann jedoch häufiger, wie diese Aufgabenstellung zur Deutschmatura 1931 zeigt. Zum Herbsttermin 1934 traten fünf Schüler an, die „zur Strafe wegen einer verbotenen politischen Demonstration im Sommertermin die mündliche Reifeprüfung nicht ablegen durften“825. Damit zeigt sich, dass politische Repression auch in der Schule eine gegenwärtige Erscheinung war. Politisch missliebigen oder sich nicht den Erwartungen entsprechend verhaltenden Schülerinnen und Schülern drohten Konsequenzen wie beispielsweise ein Ausschluss von der Reifeprüfung. Dies hatte auch Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg, denn durch die Zurückstellung auf den nächsten oder übernächsten Termin konnte beispielsweise ein Studium nicht oder erst mit Verspätung begonnen werden. Zum Herbsttermin 1935 wurden in Deutsch folgende Themen vorgegeben: „1. Meine Lieblingsgestalt in der österreichischen Dichtung. 2. Aufgaben des Flugzeuges. 3. Schau‘ ich in die fernste Tiefe meiner Kindheit hinab.“826 In Englisch lauteten die Themen: „1. Why do I 821 822 823 824 825 826

Lorenzoni 1937, 23 – 24. Hoffer 1931, 14 – 15. Ebd. Ebd., 15. Rauch 1935, 18. Lorenzoni 1936, 21.

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Like my Native Country. 2. Out of Work. 3. What England and Austria can Learn from one another.”827 Beim Februartermin 1936 waren die Themen wieder ganz ähnlich, in Deutsch nämlich: „1. Österreichisches Wesen in österreichischer Dichtung. 2. Die Großglocknerstraße (ihre geographische und volkswirtschaftliche Bedeutung). 3. Naturbeobachtungen.“828 In Englisch: „1. Wintersport in Austria. 2. Do I Hate or Love Loneliness? 3. The Life of a Famous Austrian.“829 Dieses Schema setzt sich beim Haupttermin im Sommer 1936 fort, wie an folgenden Angaben für Deutsch ersichtlich wird: „1. Darin besteht das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form verfügt. Schiller. 2. Sinn und Bedeutung der Feiern [sic!] großer Männer unserer Geschichte. 3. Persönlichkeit und Berufswahl.“830 Die Angaben für Englisch wichen ebenfalls nicht stark vom bekannten Muster ab: „1. The Glocknerstreet. 2. Streetscenes. 3. I Discover My Native Country.“831 Bei diesen Terminen wird ersichtlich, dass es in Deutsch mindestens jeweils ein Thema gab, das einen starken Österreichbezug aufwies; dies gilt jedoch auch für Englisch: So sollte beispielsweise über die Liebe zur Heimat oder vom Leben eines berühmten Österreichers erzählt werden. In ähnlicher Art und Weise ging es bei den folgenden Terminen weiter, ja die namentliche Erwähnung von Österreich und der thematische Bezug verdichteten sich weiter: Im Herbst 1936 unterzogen sich sieben Prüflinge der schriftlichen Reifeprüfung, bei der aus Deutsch folgende Themen zur Auswahl standen: „1. Das österreichische Bauerndrama. 2. Österreichische Kunststraßen. 3. Gewaltiger als das Schicksal ist der Mut, es zu ertragen.“832 In Englisch war ebenfalls wieder aus drei Themenvorschlägen zu wählen: „1. Glorious Events in Austrian History. 2. Man and Animal. 3. A [sic!] Evening at Home.“833 Zum Termin im Februar 1937 traten sechs Prüflinge an und schrieben über: „1. Der Wald in der Dichtung. 2. Verkehrswege Österreichs in alter und neuer Zeit. 3. Man hat nur dann ein Herz, wenn man es hat für andre (Hebbel).“834 In Englisch war zu wählen aus: „1. An Evening with Radio Graz. 2. Town and Country. 3. Sport in Austria all the Year Round.“835 Zum Sommertermin 1937 wurden auch wieder Hausarbeiten eingereicht, von denen einige spannende Titel hatten wie „Des frühmittelalterliche Kampf gegen die Slawen um den deutschen Osten“ und „Erzherzog Johann und sein kulturelles Wirken in der Steiermark“.836 Bei der Deutschklausur war wie üblich aus drei Themen zu wählen, die da lauteten: „1. Held und Heldin in der Dichtung (Mann und Weib als Sinnbild und Gestalt). 2. Grenzen und Zeiten (Oesterreich im Wandel der Geschichte). 3. In die Welt hinaus. Goethe.“837 In Englisch lauteten die Themen: „1. An Interesting Country. 2. My Native Town. 3. Games and Pastimes.“838 827 Ebd., 22. [Rechtschreibung im Original.] 828 Ebd., 23 Die Großglockner-Hochalpenstraße führt über den höchsten Berg Österreichs, den Großglockner, und war eines der größten Bauprojekte der Ersten Republik. Baustart war 1930, die Eröffnung folgte mit großer Feier 1935. 829 Ebd. 830 Ebd., 24. 831 Ebd. 832 Lorenzoni, 29. 833 Ebd. 834 Ebd., 30. Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863) war ein deutscher Dramatiker und Dichter. 835 Ebd. 836 Ebd., 31. Erzherzog Johann von Österreich (1782 – 1859) war der jüngere Bruder von Kaiser Franz II/I und gilt als wichtige Figur der steirischen Landesgeschichte. 837 Ebd. 838 Ebd., 32.

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Der Gegenstand Mathematik blieb hinsichtlich der Reifeprüfungsthemen mit Absicht unerwähnt, da dessen Analyse für die hier angestrebte Untersuchung keine nennenswerten Ergebnisse liefern konnte. Aufgaben mit militärischem Charakter, wie beispielsweise das Errechnen von Geschossbahnen oder feindlichen Stellungen, wurden in den Jahresberichten dieser Schule nicht erwähnt. Lediglich ein Beispiel ging in diese Richtung, und zwar beim Herbsttermin 1935: Dabei sollte mithilfe von gegebenen Koordinaten die Höhe eines Luftschiffes über dem Erdboden bestimmt werden.839 Abgesehen davon schien der Mathematikunterricht – soweit dies durch die Reifeprüfungsangaben rekonstruierbar sein – am Fürstenfelder Gymnasium weniger stark politisch durchdrungen gewesen sein als an anderen Schulen.

3.8 Gymnasium der Franziskaner in Hall in Tirol Die Quellenlage für das Gymnasium der Franziskaner in Hall ist als hervorragend zu bezeichnen: So liegen für die 20 Jahre von 1917/18 bis 1937/38 neun Jahresberichte vor, was eine dichte Quellenlage darstellt und somit eine gute Rekonstruktion gestattet. Damit bildet diese Schule einen guten Untersuchungsgegenstand für die abschließende Fallstudie im Rahmen dieser Arbeit. Die Jahresberichte erlauben wie auch bei den anderen Schulen einige Rückschlüsse auf die Schule selbst und deren Umfeld: Im Schuljahr 1918/19 unterrichteten 13 Lehrer, 2 Supplenten und 5 Hilfslehrer (also insgesamt 20 Personen)840 die 253 Schüler der Anstalt.841 Die Schülerzahl blieb in den unmittelbaren Folgejahren ziemlich konstant (1926/27: 258 Schüler842) und stieg danach stark an, sodass sich die Schülerzahlen ab 1932/32 zwischen 336843 und 350844 bewegten. Die Schule blieb bis 1938 eine reine Knabenschule – Mädchen wurden an der Anstalt nicht unterrichtet.845 Konsequenterweise wird daher im Folgenden nur von Schülern die Rede sein, nicht von Schülerinnen. Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass die Schule gemessen an der Schülerzahl stark wuchs, obwohl Mädchen nicht aufgenommen wurden; damit ist sie ein Gegenbeispiel zum Gymnasium in Gmunden am Traunsee (Kapitel 3.6), dessen Schülerzahl in den 1920er Jahren schrumpfte, obwohl Mädchen aufgenommen wurden. Zum Inhalt der Jahresberichte Der Jahresbericht 1918/19 bietet leider keine Informationen über den Ablauf des Schuljahres. Vielmehr beschränken sich die Ausführungen darauf, dass aufgrund von „Ernährungsschwierigkeiten“846 der Schulbeginn etwas verspätet erfolgte und die Osterferien ein wenig 839 Lorenzoni 1936, 22. 840 Franz Gorfer, Jahresbericht des Gymnasiums der Franziskaner zu Hall i. T. am Schluss des Schuljahres 19181919, Hall 1919, 1 – 3. 841 Ebd., 13. 842 Franz Gorfer, Jahresbericht des Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1926/27, Hall 1927, 11. 843 Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Öffentlichen Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol am Schlusse des Schuljahres 1931/32, Hall 1932, 26. 844 Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Öffentlichen Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1936/37, Hall 1937, 18. 845 Mädchen wurden am Gymnasium der Franziskaner, das heute noch besteht, erst im Schuljahr 1970/71 zugelassen: Alfons Penz, Geschichte. Öff. Gymnasium der Franziskaner Hall in Tirol, online unter: https:// www.franziskanergymhall.tsn.at/geschichte [zuletzt abgerufen am 31.01.2024]. 846 Gorfer 1919, 7.

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verlängert wurden. Von den turbulenten politischen Ereignissen zwischen Herbst 1918 und Sommer 1919, die auch in Tirol ihre Spuren hinterließen, wird im Jahresbericht keines erwähnt. Jedoch wird ganz zu Beginn ein Beschluss des Tiroler Nationalrates847 (!) zitiert, laut dem das Führen von Benennungen nach Mitgliedern des Kaiserhauses nun verboten sei, weshalb das „K. k. Franz Josef-Gymnasium“ nun einfach in „Gymnasium der Franziskaner in Hall“ umbenannt wurde.848 Anders gestaltet sich die Überlieferungssituation im folgenden Jahresbericht aus dem Schuljahr 1926/27, der auf knapp eineinhalb Seiten die wichtigsten Ereignisse des Schuljahres zusammenfasst. Dieses begann im September 1926 mit den Aufnahme- und Wiederholungsprüfungen, wobei der reguläre Schulbetrieb am 20. September mit einem feierlichen Gottesdienst aufgenommen wurde. Der 12. November, der Jahrestag der Ausrufung der Republik Deutschösterreich, war schulfrei – eine der seltenen Erwähnungen dieses Datums in einem Schuljahresbericht.849 Die Weihnachtsferien wurden auf Kosten der Semesterferien um einige Tage verlängert, und Anfang Februar fand ein Wandertag statt, der die Schüler in die „nähere und weitere Umgebung der Stadt“850 führte. Im März beteiligten sich die Schüler mit diversen Aufführungen an den Feierlichkeiten zum Gedenken an den Heiligen Franz von Assisi851, dessen Todestag sich zum 700. Mal jährte – im Jahresbericht bezeichnet als „700-Jahrfeier seines Geburtstages für den Himmel.“852 Außerdem jährte sich im März 1927 Ludwig van Beethovens Todestag zum 100. Mal, weshalb auch dieser mit einer Feier gewürdigt wurde. Am 2. Mai unternahmen die Schüler wieder einen Wandertag, und am 25. Juni musste das Schuljahr bereits verfrüht geschlossen werden, da im Gebäude Umbauarbeiten durchgeführt werden mussten. Nur die Maturanten blieben in der Schule und legten von 11. bis 13. Juli ihre mündlichen Prüfungen ab. Das Schuljahr 1927/28 begann mit der Schilderung eines traurigen Ereignisses, denn im August 1927 verunfallte Direktor Franz Gorfer und verstarb wenige Tage danach. Dem für ihn ersatzweise als Direktor fungierenden, bereits emeritierten Direktor, Justinian Lener war aber auch keine lange Tätigkeit an der Schule vergönnt: Er starb bereits wenig später am 31. Dezember 1927, wodurch im Februar 1928 Epiphan Redhammer als Direktor der Schule zum Zug kam. Der Schuljahresbeginn 1927 war wie gewohnt Mitte September. Am 4. Oktober, dem Namenstag des katholischen heiligen Franz von Assisi, jährte sich auch der Eintrittstag des Interimsdirektors Justinian Lener in den Orden der Franziskaner zum 50. Mal, weshalb die Schüler – abgesehen von einer festlichen Ansprache zu Ehren Leners – an diesem Tag schulfrei hatten.853 Auch der 12. November, der Republiksgründungstag, war wieder schulfrei, am 28. November fand der ganztägige Wandertag statt und von 24. Dezember bis 6. Jänner waren wieder verlängerte Weihnachtsferien. Anfang Februar führten die Schüler im neugebauten Saal vier Tage hintereinander Friedrich Schillers ‚Turandot‘ auf, am 27. des 847 In den Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit verselbstständigten sich Kronländer/Bundesländer und bildeten eigene politische Gremien. In Tirol wurde noch darüber hinaus über eine mögliche Selbstständigkeit spekuliert, um die Abtrennung Südtirols und dessen Anschließung an Italien zu verhindern. 848 Ebd. 849 Gorfer 1927, 9. 850 Ebd. 851 Christlicher Heiliger aus dem heutigen Italien. Lebte von 1181/82 bis 1226. 852 Gorfer 1927, 9. 853 Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1927/28, Hall 1928, 20.

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Monats folgte der zweite Wandertag des Schuljahres bei „herrlichem Wetter“854. Nach den vom 4. bis zum 10. April dauernden Osterferien wurde die Schule einer eingehenden, von 16. April bis 5. Mai dauernden, Inspektion durch den Landesschulinspektor unterzogen. Über das Ergebnis dieser Inspektion wurde im Jahresbericht nichts vermerkt. Am 2. Mai fand der Maiausflug statt, am 1. Juni eine Albrecht-Dürer-Feier mit Vortrag mit Lichtbildern, die vom Bundesministerium für Unterricht zur Verfügung gestellt wurden. Ende Mai traten 28 Regelschüler und 3 Externisten zur schriftlichen Matura an, Mitte Juni folgte dann noch die mündliche Reifeprüfung, bevor das Schuljahr am 28. Juni beendet wurde.855 Im Schuljahr 1929/30 war der Schuljahresbeginn deutlich früher angesetzt, nämlich bereits Anfang September. Außer dem Staatsfeiertag am 12. November war nun auch der 10. Oktober als „Landestrauertag“856 schulfrei. Nach den von 21. Dezember bis 7. Jänner dauernden Weihnachtsferien sahen die Schüler einen Film über Andreas Hofer, der während der Zeit der bayrischen Besatzung Tirols unter Napoleons Ägide zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Aufständischer hingerichtet worden war. Folglich fand dann am 20. Februar, Hofers Todestag, eine Gedenkfeier zu seinen Ehren statt. Am 30. April hörten die Schüler dann noch einen heimatkundlichen Vortrag mit Lichtbildern von Universitätsprofessor Hermann Wopfner. Der 1. Mai war wiederum frei, und am 7. Mai folgte der Maiwandertag. Auch im Schuljahr 1929/30 wurde die Schule wieder von vorgesetzten Organen inspiziert, und zwar vom 24. April bis zum 16. Mai. Am 5. Juli wurden die Schüler in die Sommerferien entlassen.857 Das Schuljahr 1931/32 begann später als im Vorjahr, der reguläre Unterricht begann erst am 20. September. Wie der Jahresbericht vermerkt, wurden in diesem Jahr auch einheitliche Studentenmützen für die Schüler eingeführt, nämlich eine „dunkelrote Samtmütze mit Silberborte für UG. [Untergymnasium] und mit Goldborte für OG. [Obergymnasium]“858. Der Landestrauertag für die „Gefallenen des Landes“ wurde wie bereits zwei Jahre zuvor am 10. Oktober festlich begangen, wobei hier eine Ansprache an die Schüler und anschließend ein Requiem abgehalten wurden. Der 12. November war wiederum als ‚Staatsfeiertag‘ schulfrei. Nach den Weihnachtsferien, die erneut vom 24. Dezember bis zum 6. Jänner dauerten, hörten die Schüler gestaffelt die ersten Schulfunksendungen und dabei besonders die Worte des Bundespräsidenten, „der zu Gottesfurcht, Pflichttreue und Einigkeit ermunterte.“859 Anfang Februar führten wieder einige Schüler ein Stück auf, diesmal eine bearbeitete Version von Goethes ‚Faust‘, und am 20. Februar wurde der Andreas-Hofer-Gedenktag mit einer Feier begangen. Mit einem „gut ausgewählte[n] und dargebotene[n] Programm“860 wurde am 16. März Joseph Haydns 200. Geburtstags und Johann Goethes 100. Todestags gedacht. Drei Tage darauf, am 19. März, besuchte Bundesminister Emmerich Czermak die Anstalt und

854 Ebd. 855 Ebd., 21. 856 Am 10. Oktober 1920 wurde Südtirol völkerrechtlich wirksam von Italien annektiert, nachdem es bereits im Vertrag von London von 1915 Italien als Beute bei einem alliierten Sieg über die Mittelmächte versprochen und 1918 besetzt worden war. Dass jedes Jahr an diesem Datum des Verlustes gedacht wurde, belegt eindrücklich die Bedeutung, der diesem Gebietsverlust von der Tiroler Bevölkerung beigemessen wurde. 857 Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Öffentl. Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1929/30, Hall 1930, 17 – 18. 858 Redhammer 1932, 23. 859 Ebd., 24. 860 Ebd.

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inspizierte sie, wobei er bei dieser Gelegenheit „mahnende und ermunternde Worte“861 an die Schüler richtete. Dabei wurde aus diesem Anlass auch die Bundeshymne im Rahmen der Feier abgespielt, was bisher für keine Festlichkeit an dieser Schule gesondert vermerkt wurde. 1932 wurde die Schule zudem von 18. bis 29. April durch den Landesschulinspektor inspiziert. Ende Mai wurden von der Anstalt und den Schülern sogar Aufnahmen für einen Film des katholischen Schulvereins gemacht. Am 5. Juni unternahmen die Schüler eine Wallfahrt in eine nahe gelegene Basilika, am 12. Juni veranstalteten sie anlässlich des Namenstages des heiligen Antonius von Padua am 13. Juni, der schulfrei gegeben wurde, eine Aufführung mit „Gedichten, Vorträgen und Musik.“862 Weiters beteiligte sich eine Abordnung der Schule am 12. Juni an einem örtlichen Turnfest und gewann sogar den Staffellauf. Am 9. Juli wurden die Zeugnisse verteilt und die Schüler in die Ferien entlassen. Im Schuljahr 1932/33 trat mit Rupert Dullnig eine neue Person die Stelle als Direktor an, da der bisherige Direktor Epiphan Redhammer zum Provinzial (Ordensvorsteher) der Franziskaner in Tirol gewählt worden war und somit nicht mehr die Funktion des Direktors ausüben konnte.863 Der reguläre Unterricht begann nach den diversen Aufnahme- und Wiederholungsprüfungen und dem Eröffnungsgottesdienst am 20. September 1932. Der 10. Oktober („Gedenkfeier für die Todesopfer des Landes Tirol im Weltkrieg“864) und der 12. November („Staatsfeiertag“) waren wieder schulfrei. Die Weihnachtsferien dauerten nur vom 24. Dezember bis zum 2. Jänner, da die zuvor gewährte Ferienverlängerung laut Jahresbericht vom Bundesministerium aufgehoben wurde. Einige Schüler beteiligten sich am 21. Jänner am 2. Tiroler Jugend-Skitag, der vom Deutschen und Österreichischen Alpenverein ausgerichtet wurde.865 Bereits vom 13. bis zum 20. Februar gedachten die Schüler mit Aufführungen und Musikstücken der Befreiung Wiens von den Türken 1683 anlässlich des Jubiläumsjahres 1933. Dies ist insofern bemerkenswert, als die meisten sogenannten ‚Türkenbefreiungsfeiern‘ erst im Herbst 1933 abgehalten wurden.866 Zwischen den Osterferien von 12. bis 18. April und dem Staatsfeiertag am 1. Mai fand am 24. April noch ein Wandertag statt. Die Teilnehmer der Schule an den Wettkämpfen des christlich-deutschen Turnvereins am 7. Mai waren mit einem Dreifachsieg im Staffellauf überaus erfolgreich. Am 26. Mai erhielt die Schule hohen Besuch, denn der Bundespräsident Wilhelm Miklas besuchte in Begleitung des Landeshauptmannes und anderer Amtsträger die Schule. Nach den Worten des Jahresberichtes gab der Chor mit „Mein Vaterland, mein Österreich“ der „ganzen Feier den eigenartigen Grundton.“867 Nach der Begrüßungsrede des Direktors wandte sich Bundespräsident Miklas an die Schüler und sprach seine Überzeugung aus, „daß einzig auf echt österreichischer Gesinnung und kerniger Religiosität ein neues Glück unseres Volkes“868 aufgebaut werden könne. Die Bundeshymne wurde, so der Bericht, mit Begeisterung gesungen, und

861 Ebd., 26. 862 Ebd. 863 Redhammer wurde später wieder Direktor des Gymnasiums, doch die genaueren Umstände sind nicht bekannt. 864 Rupert Dullnig, Jahresbericht des Öffentl. Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1932/33, Hall 1933, 22. 865 Ebd., 23. 866 Die Belagerung Wiens selbst dauerte von Juli bis September 1683. 867 Dullnig 1933, 24. 868 Ebd.

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die Darstellung im Jahresbericht schließt mit den Worten „Gott mit dir, mein Österreich!“869 Ende Mai nützten die Schüler eine Ausstellung in der städtischen Mädchenschule, um sich mit Heimatkunst und -pflege vertraut zu machen. Im Juni gab es noch einige Lehrausgänge und einen halbtägigen Wandertag, bevor am 1. Juli Schulschluss war. Im Schuljahr 1936/37 erreichte die Anzahl der Schüler mit 368 einen neuen Höchststand per Schuljahresbeginn am 18. September. Am 1. Oktober machten Lehrer und Schüler der Anstalt den „Kaiserlichen Exzellenzen Erzherzog Eugen und Erzherzogin Adelheit“ bei einem Empfang im Rathaus und auf dem Stadtplatz ihre Aufwartung.870 Am 9. Oktober hörten die Schüler den Lichtbildvortrag eines Kapitäns über seine Zeit als U-Bootkommandant. Am 28. Oktober wurde die erste Klasse von einem Major des Bundesheeres beim ‚vormilitärischen Unterricht‘ inspiziert. Am 3. November wurden die Einnahmen einer Sammlung der Schüler für den Aufbau einer österreichischen Luftwaffe dem Ortskommando übergeben. Am 4. November hielt ein Marineingenieur vor den Schülern einen Vortrag über das moderne Kriegsschiff. Die Lehrer des Gymnasiums und anderer Schulen in Hall nahmen am 25. und 26. November an einem Luftschutzkurs teil, während die Schüler schulfrei hatten. Zu Beginn des neuen Jahres folgte am 8. Jänner ein Lichtbildvortrag „über den Heldenkanzler Dollfuß als Kameraden im Felde.“871 In den folgenden Tagen fand die übliche Gesamtinspektion der Anstalt durch den Landesschulinspektor statt. Am 15. Februar nahmen die Schüler an Skiwettkämpfen teil. Die übliche Schüleraufführung im Februar war 1937 dem Dichter Ferdinand Raimund gewidmet und erntete großen Beifall. Am 20. Februar wurde nicht nur die übliche Andreas-Hofer-Feier abgehalten, es wurde auch eine ‚Jungvolk‘-Ortsgruppe (also eine Ortsgruppe der Jugendorganisation der Einheitspartei ‚Vaterländische Front‘) gegründet, die sich jedoch bald wieder auflöste, da die meisten Schüler bereits Mitglieder der katholischen Vereinigungen vor Ort waren. Am 9. März bekamen die Schüler den Film „Österreichs Kaiser im Weltkrieg“ gezeigt. Einen Monat später folgte ein Vortrag über den Dichter Ottokar Kernstock, der den Text zur österreichischen Bundeshymne gedichtet hatte. Nach dem zweiten Wandertag am 3. Mai fand am 9. Mai eine ‚vaterländische Feier‘ statt, bei der ‚vaterländische Lieder und Szenen‘ aufgeführt wurden. Den Schluss des im weiteren Verlauf ereignisarmen Schuljahres bildete der Schlussgottesdienst am 3. Juli.872 Die Chronik des Schuljahres 1937/38 ist vergleichsweise kurz gehalten, vermutlich auch deshalb, weil sie nach dem Anschluss im März/April 1938 entsprechend modifiziert wurde. Das Schuljahr begann wie üblich Mitte September, genau am 20. September, mit dem Eröffnungsgottesdienst. Für das erste Semester werden außer einem Besuch eines Ordensoberen und dem Tod des langjährigen Schulwarts keine wesentlichen Ereignisse genannt. Im zweiten Semester nahmen Mannschaften der Unter- und Oberstufe an Skiwettbewerben teil, am 20. Februar wurde die jährliche Andreas-Hofer-Feier abgehalten, von 21. bis 24. Februar fanden die Schüleraufführungen statt. Am 16. März nahmen die Schüler an einer Feier zur Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich teil, am 25. März wurden die Lehrer im Riesensaal der Innsbrucker Hofburg auf das neue System, also die nationalsozialistische 869 Ebd. Mit ähnlichen Worten („Gott schütze Österreich“) verabschiedete sich der aus Tirol stammende österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg im März 1938 vor dem Einmarsch der Wehrmacht per Rundfunk von der Bevölkerung Österreichs. 870 Redhammer 1937, 15. 871 Ebd. 872 Ebd., 17.

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Diktatur, vereidigt. Zu Hitlers Geburtstag am 20. April gab es eine Filmvorführung und einen Vortrag des Reichserziehungsministers Rust per Rundfunk. Am 6. Mai inspizierte der neue kommissarische Landesschulinspektor die Schule, am 2. Juli 1938 wurde das Schuljahr beendet.873 Der Lehrstoff Die Jahresberichte des Gymnasiums der Franziskaner machen über die Jahre hinweg ausschließlich Angaben zum unterrichteten Stoff aus Latein, Griechisch und Deutsch, weshalb im Folgenden vorzugsweise der letztgenannte Gegenstand behandelt wird: In der 5. Klasse des Jahres 1918/19 waren vor allem Themen aus der gelesenen Literatur Gegenstand schriftlicher Arbeiten der Schüler. Aber auch der Herbst oder das Weihnachtsfest boten einen Schreibanlass zu Schul- oder Hausarbeiten.874 Ganz ähnlich verhielt es sich in der 6. Klasse. In der 7. Klasse wandte man sich nun offenbar den Autoren der deutschen Klassik zu, allen voran Goethe und Schiller. Außerdem war eine Hausarbeit über die Entwicklung des Flugwesens nach einem Vortrag zu schreiben, der aber im Jahresbericht gar nicht erwähnt wurde, wie dies bei Vorträgen vor allem externer Personen eigentlich üblich gewesen wäre. Auch die 8. Klasse beschäftigte sich vornehmlich mit literarischen Fragestellungen, politische Ereignisse wurden gänzlich ausgespart. Zum Abschluss durfte sie noch über die „Aufgaben der Reifeprüfung“875 schreiben, bevor diese dann wirklich abgelegt wurde. Im Schuljahr 1926/27, also noch vor der Lehrplanreform von 1927/28, waren die Themen des Deutschunterrichtes im Wesentlichen im Vergleich zu den Vorjahren gleich geblieben: Lediglich im Literaturbereich gab es nun vereinzelt Themen, die nicht mehr auf Inhalte abzielten, sondern auf einer Metaebene angesiedelt waren, wie beispielsweise „Romanische Einflüsse auf die deutsche Literatur bis 1790“ oder „Stoffgebiete des deutschen Dramas bis 1800“876 in der 7. Klasse. Derselbe Befund ergibt sich für das unmittelbar folgende Schuljahr 1927/28, wobei ein Thema etwas auffällt, nämlich „Charakteristik eines großen Österreichers“877 in der 8. Klasse. Dies ist das erste in den Jahresberichten zu findende Thema, welches sich mit dem Konzept ‚Österreich/Österreicher‘ auseinandersetzt. Im Schuljahr 1929/30 finden sich dabei schon zwei Themen, bei denen eine ähnliche Tendenz zu erkennen ist. In der 6. Klasse war dies einerseits „Wer von Herzen redet deutsch, wird der beste Deutsche sein“878, in der 8. Klasse lautete das Thema der ersten Schularbeit „Über Grillparzers Persönlichkeit und seine Bedeutung für Österreich.“ Hier ist anzumerken, dass solche Formulierungen insgesamt im Vergleich zu anderen Schulen und deren Aufgabenstellungen während der 1920er Jahre ungewöhnlich waren. An dieser Stelle wurde eigentlich schon 1927/28 vorweggenommen, was ab 1933 im Zeichen der Kanzlerdiktatur auch an vielen anderen Schulen charakteristisch war, nämlich eine Zentrierung auf ‚österreichische‘ Themen/Autoren und die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen deutscher und österreichischer Identität. Dies bestätigt die eingangs formulierte These, dass der Beginn eines österreichnationalen Diskurses nicht

873 Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Öffentlichen Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1937/38, Hall 1938, 16 – 17. 874 Gorfer 1919, 5. 875 Ebd., 6. 876 Gorfer 1919, 5. 877 Redhammer 1927, 13. 878 Redhammer 1930, 9.

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erst auf die Jahre der Kanzlerdiktatur Dollfuß/Schuschnigg ab 1933/34 zu verorten ist, sondern Ansätze dafür bereits in den Jahren davor sichtbar werden. Im Bericht 1931/32 wird deutlich, dass auch außerschulische Themen Einzug in die Klassenzimmer hielten: So schrieb die 5. Klasse etwa eine Hausarbeit darüber, wie die Jugend sparen könne.879 Die Einführung der Studentenmützen in eben diesem Schuljahr (wie oben beschrieben) fand Eingang in eine Hausarbeit des 2. Semesters der 5. Klasse: „Jeder Student soll seine Standesmütze in Ehren halten.“880 Im Stoff der 6. bis 8. Klasse ist auffällig, dass in jedem Jahr Franz Grillparzer zumindest einmal vertreten war: In der 6. Klasse war ein Zitat von ihm Thema der ersten Schularbeit, in der 7. Klasse sollte zum Abschluss des Schuljahres Goethes und Grillparzers Jugend miteinander verglichen werden und in der 8. Klasse wurde Grillparzers ‚Goldenes Vlies‘ behandelt.881 Im Schuljahr 1932/33 standen neben den obligatorischen literarischen Themen auch noch andere auf dem Lehrplan: So lautete der Titel der ersten Schularbeit der 5. Klasse „Am Grabe eines Lehrers.“882 Pikanterweise verstarben zu Schuljahresbeginn gleich zwei Lehrer der Anstalt, ein dritter wurde Anfang November ins Krankenhaus gebracht. Die dritte Schularbeit der 5. Klasse hatte den Titel „Warum sollen wir unsere Muttersprache pflegen?“ In der 7. Klasse gab es zum Abschluss des Schuljahres wieder ein Thema, das als eher ungewöhnlich zu bezeichnen ist, zur Hausarbeit: „Die deutsch-österreichische Dichtung bis Grillparzer. (Eine Übersicht.)“883 Die Achtklässler ergründeten in einer Hausarbeit des zweiten Semesters den „Anteil Wiens am deutschen Schrifttume.“884 Bei beiden Themen fällt auf, dass Deutschland und Österreich gedanklich verbunden wurden: Im einen Fall in Person des Literaten Franz Grillparzer, im anderen am Beispiels Wien als Stadt, die zwischen Deutschtum und Österreichtum angesiedelt war. Damit wurden Entwicklungen vorweggenommen, die später im Laufe der 1930er Jahre deutlicher zu Tage treten sollten. Im Schuljahr 1936/37 war entgegen der allgemeinen politischen Strömung und auch der Schilderungen im Chronikteil des Jahresberichts im Deutschstoff wenig von Veränderung zu bemerken. Lediglich der Schulfunk zieht sich als gemeinsames Thema durch die 5. bis 7. Klasse. In der 8. Klasse jedoch wird die politische Gemengelage anhand der Schularbeitsthemen greifbar: So sind die beiden Themen „Erinnerungsstätten an den Heldenkanzler in der Kurstadt Hall“885 und „Gottesfurcht und Liebe zum Vaterlande sind zwei Hauptstützen der Gesellschaft“ eindeutig mit der offiziellen politischen Ideologie in Verbindung zu bringen. Der Jahresbericht 1937/38 sei hier aufgrund der Umfärbung durch nationalsozialistisch gefärbte Autoren nur ausnahmsweise und an relevanten Stellen zur Hand genommen. Auffällig, aber wenig überraschend, ist, dass die Themen des Deutschunterrichts im 2. Halbjahr sofort auf Linie mit der nationalsozialistischen Ideologie waren. Die Klassen 5 bis 8 schrieben alle eine Haus- oder Schularbeit zu den Themen „Ein Blick ins grosse Deutschland“ und „Ich freue mich, ein Deutscher zu sein!“886 Davon abgesehen fällt aber auch auf, dass die 879 880 881 882 883 884 885 886

Redhammer 1932, 16. Ebd., 17. Ebd. Dullnig 1933, 15. Ebd., 16. Ebd., 17. Redhammer 1937, 7. Redhammer 1938, 8.

Gymnasium der Franziskaner in Hall in Tirol

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am Austrofaschismus orientierten Themen des ersten Halbjahres nicht verfremdet oder aus dem Jahresbericht gestrichen wurden. So finden sich Aufgabenstellungen wie „Wie ehrt der christliche Staat seine Toten?“ und „Ein aufrichtiger Katholik, ein treuer Untertan“ in der 7. Klasse, und auch Grillparzer, der ‚österreichische‘ Paradedichter, verblieb in der Liste der behandelten Autoren der 8. Klasse.887 Die Reifeprüfungsangaben Leider war der Jahresbericht 1918/19 nicht nur in chronologischer Hinsicht beschränkt, sondern auch in anderen Aspekten nicht sehr umfangreich, sodass bezüglich der Reifeprüfungen nur Angaben zum Erfolg der Kandidaten gemacht wurde, nicht jedoch zu den gestellten Aufgaben.888 Die ersten Angaben zu Reifeprüfungsaufgaben aus dem Gymnasium liegen aus dem Jahr 1927 vor und umfassen die Gegenstände Deutsch, Latein, Griechisch und Mathematik, wobei die Angaben für Latein und Griechisch nur Verweise auf Textstellen bei antiken Autoren sind. In Mathematik wurden die üblichen Teilbereiche (zum Beispiel Algebra und Trigonometrie) abgeprüft, in Deutsch vier Zeilen eines Gedichtes von Theodor Fontane sowie zwei weitere Themen: „1. Laß von Mutter Natur dich lehren, wie eigentlich nur das Kleine Großes wirkt. 2. Der Verstand ist mein Kapital, mein Schatz das Wissen.“889 Zum Sommertermin 1928 bearbeiteten die Kandidaten außer Mathematik, Ovid in Latein und Demosthenes in Griechisch noch eine von drei Deutschaufgaben: 1. Sein bestes Selbst und Leben Verlangt vom Mann die Zeit. Er soll dem Volk sich geben Und stehn mit ihm und streben In jedem Kampf und Streit. 2. Viel Schönes ist in der Welt – das Schönste ist die Heimat. 3. Gewohnheit, gut oder bös, ist wie eine zweite Natur.890

Der Jahresbericht 1929/30 nennt nun erstmals nicht nur die Klausuraufgaben, sondern auch die Themen der von den Schülern verfassten Hausarbeiten.891 Die insgesamt 29 Arbeiten – in der 8. Klasse waren genau 29 Schüler, also verfasste folglich jeder eine Hausarbeit – wurden im Jahresbericht den verschiedenen Gegenständen zugeordnet, konkret Religion, Deutsch, Latein, Griechisch, Geschichte, Italienisch, Naturgeschichte und Mathematik. Die Schüler bearbeiteten dabei Themen wie „Die religiöse Haltung der deutschen Schulbewegung“, „Sitten und Gebräuche der alten Germanen. Nach Tacitus“, „Griechische Gastfreundschaft zur Zeit Homers“, „Der Artikel VII des Dreibundvertrages“ und „Der Kreis in der Analytik.“892 Zur Klausur aus Deutsch waren wieder aus einem Gedicht und zwei eher allgemein gehaltenen Themen zu wählen. 887 Ebd., 8. 888 Der Jahresbericht 1918/19 war insgesamt relativ sparsam gestaltet und umfasste mit 16 Seiten gerade einmal die Hälfte des Umfangs späterer Jahresberichte der Anstalt, die üblicherweise circa 30 Seiten stark waren. 889 Gorfer 1919, 8. 890 Redhammer 1928, 17. 891 Redhammer 1930, 14. 892 Ebd.

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Im folgenden Jahresbericht 1931/32 fehlen die Angaben zu den Hausarbeiten wiederum, sodass nur die Angaben zur schriftlichen Reifeprüfung vorliegen. Sämtliche Themen aus Deutsch waren nach Goethe, was wohl in Zusammenhang mit dem Goethejahr 1932 gesehen werden kann, das – wie oben geschildert – auch an dieser Schule festlich begangen wurde. Das erste Thema behandelte das Verhältnis Goethes zu Schiller, das zweite lautete: „Willst du lustig leben, – Geh mit zwei Säcken: Einen zum Geben – Einen, um einzustecken.“893 Und das dritte Thema hieß „Es gibt zwei friedliche Gewalten: das Recht und die Schicklichkeit.“ Tacitus und Thukydides waren in Latein beziehungsweise Griechisch zu bearbeiten. Zum Sommertermin 1933 war in Deutsch entweder zu einem Zitat Horaz‘ Stellung zu nehmen („Nil mortalibus ardui est: Wie zeigt die Geschichte die Wahrheit dieses Wortes?“894), ein Zitat Schillers zu bearbeiten oder zum Verhältnis von Künstler und Menschheit Stellung zu beziehen.895 Die Angaben zum Sommertermin 1937 unterschieden sich im Vergleich sehr deutlich von den Aufgaben der Vorjahre: Das erste Thema der Deutschklausur war ein Zitat des Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg: „Wer keine Opfer bringen kann, ist kein echter Österreicher.“896 Das zweite Thema war der Glaslinse im Schulunterricht gewidmet, während das dritte wiederum in einer offensichtlichen Beziehung zum ‚Ständestaat‘ stand: „Des Bauern und des Gelehrten Anteil an der Kultur.“ Die Mathematikbeispiele waren nun keine reinen Rechenübungen mehr, sondern in den größeren Kontext einer sich militarisierenden Gesellschaft eingebunden, wie Beispiel 3 zeigt, in dem Flughöhe und -geschwindigkeit eines Flugzeuges gegeben waren und Bahn und Aufprallort einer abgeworfenen Bombe berechnet werden sollten.897 Welch großer Einschnitt der Anschluss 1938 war, zeigte sich nicht nur aber auch an den Klausurthemen der Reifeprüfung zum Sommertermin 1938: Das erste Thema aus Deutsch war nun nicht mehr ein Zitat des Bundeskanzlers, der an die Opferbereitschaft der Österreicher appellierte, sondern lautete „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen.“898 Auch an diesem Beispiel wird die enge Verknüpfung von Schule, Politik und Gesellschaft deutlich. Man könnte fragen, ob denn das nationalsozialistische Regime keine anderen Sorgen hatte als die Aufgabenstellungen in höheren Schulen, aber im Gegenteil erkannten die Nationalsozialisten sehr rasch die Bedeutung der Jugend als prägende Zeit für das restliche Leben. Folglich bemühte sich das Regime darum, die Jugendlichen so früh und umfangreich wie möglich unter Kontrolle zu bringen, wozu auch solche Schulaufgaben zählten.

893 894 895 896 897 898

Redhammer 1932, 21. Dullnig 1933, 20. Ebd., 20 – 21. Redhammer 1937, 12. Ebd., 13. Redhammer 1938, 14. Dabei handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem 1861 verfassten Gedicht ‚Deutschlands Beruf‘ von Emanuel Geibel (1815 – 1884).

Ergebnisse aus Kapitel 3

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3.9 Ergebnisse aus Kapitel 3 Im Zentrum des dritten Kapitels stand die Arbeit an archivalischen Materialien, die Einblicke in die Abläufe ausgewählter österreichischer Schulen zwischen 1918 und 1938 erlauben. Dabei wurde unter Anwendung entsprechender Quellenkritik rekonstruktiv vorgegangen: Die vorhandenen Darstellungen wurden dabei zugänglich gemacht, die beschriebenen Ereignisse wiedergegeben, kontextualisiert und in Zusammenhang mit dem Erkenntnisinteresse auf die Forschungsfragen bezogen bearbeitet. An dieser Stelle werden nun die zentralen Erkenntnisse aus dem dritten Kapitel in Form einer Synthese dargeboten, in der Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten der untersuchten Schulen aufgezeigt, systematisiert und veranschaulicht werden. Dies erfolgt mit Hinblick auf die in der Einleitung (Kapitel 1) formulierten Forschungsfragen und Hypothesen. Eines zeigte sich bereits gleich zu Beginn der Untersuchung: Die größte Gemeinsamkeit aller untersuchten Schulen aus den Fallstudien ist ihre Verschiedenheit. Es ist unzureichend, Gesetze und Verordnungen, die zweifellos wichtige bildungspolitische Vorgaben darstellen, isoliert zu betrachten und von ihnen ausgehend Schlüsse auf die Geschehnisse im ganzen Schulsystem zu ziehen, ohne auf die Ebene von Einzelschulen zu gehen und durch genaue Beobachtungen die Auswirkungen politischer und gesellschaftlicher Einwirkung auf Schule und Bildung zu untersuchen. Historische Forschung soll sich im Sinne einer Geschichte von unten nicht nur an den großen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungslinien orientieren. Rezente Bildungsreformbestrebungen zeigen deutlich, dass es mit der Einführung neuer Vorgaben im Bildungsbereich nicht getan ist; vielmehr reagieren Schulsysteme nur sehr träge auf Einwirkungen von außen – zur Unzufriedenheit ambitionierter Bildungspolitiker und deren Wählerinnen und Wählern, denen immer neue Bildungsreformen versprochen werden, die schulische und vor allem gesellschaftliche Probleme lösen sollen.899 Gerade im vorliegenden Fall der Schule (Deutsch-)Österreichs von 1918 bis 1938 lagen bereits einige Überblicksarbeiten vor, in deren Rahmen aber kaum Einzelfallstudien für Schulen durchgeführt wurden und deren Ergebnis im Prinzip bereits feststand: Misserfolg.900 Dies passte hervorragend in das vorherrschende Bild der Ersten Republik als missratener Vorläuferin der Zweiten Republik, doch neuere Betrachtungsweisen sind differenzierter und sehen die Erste Republik als „ein Provisorium, das den Charakter des unfertig-behelfsmäßigen nie ganz hinter sich ließ“901, nicht bloß als einen misslungenen ersten Versuch einer demokratischen Republik auf österreichischem Boden. Auch deshalb war es einen Versuch wert, auf die Schulund Bildungsgeschichte der Ersten Republik einen neuen Blick zu werfen, der detaillierter als frühere Arbeiten Einzelschulen und -personen in den Blick nimmt. Im Folgenden werden einzelne Beispiele aus den untersuchten Quellen herausgegriffen und im Hinblick auf zwei wichtige Aspekte einem Vergleich zugeführt: Im Unterkapitel 3.9.1 steht das Verhältnis der Schulen zur Republik im Mittelpunkt, soweit vorhandene Quellen Schlüsse zulassen. Im Unterkapitel 3.9.2 wird auf die Einstellung gegenüber dem österreichischen Nationskonzept und deren Entwicklung im Untersuchungszeitraum fokussiert, wobei vor allem die enge Wechselwirkung zwischen Politik und Schulsystem genauer betrachtet wird. Dabei wird die eingangs formulierte These der ‚Schule ohne Nation‘ bis circa 1930 und

899 Labaree 2008, 451 – 452. 900 Pammer 2013, 397 – 398. 901 Höbelt 2018, 11.

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der ‚Nationalisierung der Schule‘ in den 1930er Jahren auf ihr Zutreffen untersucht und gegebenenfalls verworfen oder bestätigt. 3.9.1 Schule und Republik Zunächst ist im Hinblick auf die Einstellung zur Republik (Deutsch-)Österreich zwischen zwei Arten von Schulen zu unterscheiden: Einerseits denen, die in den überlieferten Zeugnissen auf den Regimewechsel von 1918 kaum bis gar nicht eingingen, und andererseits jenen, die diesen als Epochenwechsel wahrgenommenen Einschnitt explizit und prominent thematisierten. Bei den Schulen der zweiten Kategorie kann noch einmal in zwei Unterkategorien unterschieden werden, nämlich erstens in jene Minderheit mit einem prinzipiell positiven Verhältnis zur neuen Staatsform und den neuen politischen Verhältnissen und zweitens jene Mehrheit, die der demokratischen Republik und Politik eher reserviert bis ablehnend gegenüberstand. Diese beiden Unterkategorien verschwammen aber spätestens in den 1930er Jahren miteinander, als die Demokratie – der offiziellen Staatsideologie folgend – als gescheitertes Experiment abgelehnt wurde. Stattdessen sollte nun der Spagat zwischen dem altösterreichischen Großmachtsdenken und dem österreichnationalen ‚Ständestaat‘ geschafft werden. Zur ersten Kategorie von Schulen, die Politik in ihren Aufzeichnungen praktisch gänzlich vermieden, gehört aus dem Sample nur das Gymnasium der Franziskaner in Hall in Tirol, in dessen Jahresberichte die politischen Umgestaltungen 1918/19 mit keinem Wort erwähnt werden. Es wird lediglich auf die angespannte Ernährungssituation verwiesen und erklärt, dass die Schule nun nicht mehr den Namen des verstorbenen Kaisers Franz Josef führen dürfe.902 Damit steht dieses Gymnasium aber diesbezüglich in geradezu scharfem Gegensatz zu den beiden anderen kirchlichen Gymnasien aus der Stichprobe, die der zweiten Kategorie zuzurechnen sind. Daraus lässt sich ableiten, dass die Zugehörigkeit zur Sphäre der katholischen Kirche nicht ausschlaggebend für das Eingehen auf politische Ereignisse gewesen sein dürfte. Die beiden von Geistlichen geführten Gymnasien in Wien und Melk gehören zu jenen, die in ihren Jahresberichten von 1918/19 das Ende der Monarchie und die Ausrufung der Republik explizit thematisierten: Die Schulchronik des Schottengymnasiums verzeichnete nicht nur für den 12. November 1918 die Ausrufung der Republik, sondern zitierte auch den Erlass der vorgesetzten Behörde, wonach die Schüler im Rahmen des Unterrichts über diesen Regimewechsel und ihre nunmehrige Zugehörigkeit zu Deutschösterreich zu informieren seien.903 Ganz ähnlich war es im Fall des Melker Stiftsgymnasiums, das denselben Erlass des Unterrichtsministeriums zitierte und die Schüler in ganz ähnlicher Weise über die Vorgänge informierte.904 Warum der Regierungswechsel in diesen drei geistlichen Gymnasien auf zweierlei Weise gehandhabt wurde (aktives Thematisieren versus Verschweigen), lässt sich nicht eindeutig klären. Vielleicht ging der entsprechende Erlass des Ministeriums aus Wien nicht nach Tirol durch, möglicherweise verzichtete die Direktion einfach darauf, im Jahresbericht auf ihn einzugehen, oder vielleicht hielt sie es einfach für opportun, sich in Zeiten des Umbruchs so wenig wie möglich mit politischen Themen zu befassen. Zum Entstehungszeitpunkt des Jahresberichts im Sommer 1919 waren die Verhältnisse noch nicht eindeutig, die Friedensverhandlungen waren noch in Gange und deren Ausgang ungewiss. Der Direktor des Linzer Gymnasiums beispielsweise war jedoch in seinen Ausführungen weit weniger 902 Gorfer 1919, 7. 903 Sauer 1919, 58. 904 Schachinger 1919, 29.

Ergebnisse aus Kapitel 3

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zurückhaltend und fand sehr deutliche Worte der Enttäuschung über den verlorenen Krieg und den verlorenen Großmachtstatus, aber auch Worte der Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft.905 Dieses ambivalente Bild wird noch dadurch verdichtet, dass im Jahresbericht geschildert wird, dass nicht nur die Schülerinnen und Schüler im November 1918 über ihren neuen Heimatstaat unterrichtet wurde, sondern die Lehrer der Anstalt bereits am Tag nach der Ausrufung der Republik ein Treuegelöbnis auf den neuen Staat leisteten.906 Ein derartiger Vorgang ist in den hier betrachteten Schulen einmalig und wurde nur an dieser spezifischen Einzelschule verzeichnet. Im Verlauf der weiteren Ausführungen im Linzer Jahresbericht wird sichtbar, dass diese Zeit des Umbruchs nicht nur als Epoche des Verlusts gesehen wurde, sondern dass auch Hoffnungen für die Zukunft formuliert und artikuliert wurden, wie es für die Zukunftsgerichtetheit pädagogischen Handels typisch ist. In diesem Sinne forderte der Direktor in einem Appell an gleicher Stelle die Jugendlichen der Schule auf, sich aktiv und produktiv in den neuen Heimatstaat einzubringen und zum Wohle des Volkes am Aufbau des neuen Staates mitzuarbeiten.907 Dabei handelte es sich zunächst einmal um Momentaufnahmen aus den Jahren 1918 und 1919. Wie im Laufe der Untersuchung deutlich wurde, so änderte sich die Einstellung gegenüber der Republik im Laufe der Jahre – in ein kritisches bis negatives Verhältnis. Wann konkret sich die Einstellung zur Republik in eine überwiegend negative verwandelte, ist im Einzelfall schwer nachweisbar, kann aber anhand von Äußerungen in beispielsweise Jahresberichten nachverfolgt werden. Jedoch überrascht nicht, dass am Schottengymnasium, das 1918/19 noch eine zumindest neutrale Einstellung gegenüber der demokratischen Republik gehabt hatte, ab Beginn der 1930er Jahre vehement gegen die Demokratie Stellung bezogen wurde: Das demokratische Österreich wurde nun als Episode während der „gärenden Jahre der geistig-politischen Umbruchszeit“908 abgetan, als Experiment, das nun glücklicherweise vorbei sei. Dieser Meinungsumschwung der Leitung des Schottengymnasiums ist sicherlich teils durch personelle Veränderungen, vor allem aber durch geänderte politische Rahmenbedingungen zu erklären, der sich eine Schule im Zentrum Wiens und in Gehdistanz zu den Zentren der politischen Macht nur schwerlich entziehen konnte – zumal in einer autoritären, pseudofaschistischen Diktatur des Modells Dollfuß/Schuschnigg. Eben deshalb ist es von großer Bedeutung, auch andere Beispiele heranzuziehen, um zu einer schlüssigen Bestimmung einflussreicher Faktoren zu kommen. Das bereits erwähnte Linzer Gymnasium führte das vom Direktor als patriotische Pflicht bezeichnete Engagement für das neue Vaterland auch in den 1920er Jahren durchaus mit einiger Anstrengung weiter. So wurden in Jahresberichten aus den 1920er Jahren Feiern anlässlich der Republiksgründung am 12. November erwähnt – was in Jahresberichten anderer Schulen eher selten der Fall war – und trotz der materiell schwierigen Lage im Laufe der Weltwirtschaftskrise wurden als heimisch interpretierte Dichter und Komponisten mit Feiern geehrt; zu einer Zeit also, als selbst grundlegende Ressourcen wie Papier oder Heizmaterial knapp waren. Im Laufe der 1930er Jahre erfuhr dieses starke Engagement für die österreichische Heimat auch am Linzer Gymnasium eine zunehmende Umdeutung: Die Feiern zum Gründungstag der Republik verschwanden – zumindest in der Darstellung – völlig aus der Schule, während ideologisch aufgeladene Veranstaltungen zunehmend Einzug hielten, wie beispielsweise die 905 906 907 908

Huemer 1919, 31 – 32. Ebd., 43. Ebd., 30 – 32. Blaha 1937, 22.

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Schulen im Fokus – rekonstruktive Fallstudien

praktisch in ganz Österreich begangene ‚Türkenbefreiungsfeier‘ im Herbst 1933. Bei dieser und ähnlichen Gelegenheiten wurden die bereits zuvor eingeübten Abläufe verfeinert: Beinhaltete die Republikfeier von 1922 etwa eine Festrede, so kamen nun ab 1933/34 Fackelzüge und militärische Aufmärsche hinzu – der festliche Charakter bekam nun einen zunehmend militaristischen Beigeschmack. Dieser wurde umso stärker, als sich das System der Kanzlerdiktatur auf eine starke Exekutive stützte und eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft betrieb, wofür die Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935909 und die Einführung vormilitärischer Ausbildung in den höheren Schulen zur selben Zeit eindeutige Belege sind. 3.9.2 Schule und Nation Ambivalenter als die Auseinandersetzung mit der neuen Republik war die Beziehung zur österreichischen Nation gestaltet. Wie bereits dargestellt wurde (siehe Kapitel 2), war Österreich nach 1918 nicht als eigenständiger Nationalstaat konzipiert worden – zumindest nicht von den eigenen Politikern und der Bevölkerung. Die Republik Deutschösterreich war vornehmlich zu dem Zweck gegründet worden, die Deutschsprachigen der ehemaligen Habsburgermonarchie in einem Staat zu versammeln und mit dem Deutschen Reich zu vereinigen – was aber aus den bekannten Gründen (Kapitel 2.1) scheiterte. Der 1919 in ‚Republik Österreich‘ umbenannte Staat schien nun kaum geeigneter als das kurzlebige Deutschösterreich, ein Nationalstaat zu sein. Stattdessen stellte er wohl – wie andere Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches – eine verkleinerte Form der ehemaligen Monarchie dar, ein heterogenes Mini-Reich, das im Laufe der Jahre zunehmend nationalisiert wurde.910 Rogers Brubaker sprach im Kontext des post-sowjetischen Raums von „nationalizing states“911 – ein Konzept, das in Teilen durchaus zur Republik Österreich zwischen 1919 und 1938 passt. Die ursprüngliche Bezeichnung ‚Deutschösterreich‘ sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staat weder sprachlich noch kulturell jemals vollständig homogen war – die Behauptung einer solchen Homogenität gehört zu den wichtigsten Bestandteilen nationalistischer Ideologien, ist aber Fiktion.912 Beim Verhältnis der österreichischen höheren Schule zur österreichischen Nation auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Quellen ausgewählter Schulstandorte ist zu beachten, dass diese Beziehung nur mit gewissen Einschränkungen rekonstruierbar ist (genauer dazu siehe Einleitung Kapitel 1.4 und 1.5). Von wenigen Ausnahmen abgesehen finden sich in den untersuchten Quellen der 1920er Jahre wenige Äußerungen, die mit der österreichischen Nation in Zusammenhang zu bringen sind. Unmittelbar nach dem Ende des 1. Weltkrieges wird an einigen Stellen greifbar, dass die nun deutschösterreichischen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer sich mit ihrer eigenen nationalen Zugehörigkeit auseinandersetzten und ob der nun stattfindenden Trennung in Deutsche und Österreicher verunsichert waren: So schrieben die Maturanten des Schottengymnasiums beispielsweise bei der Deutsch909 Wohnout 2017, 54. 910 Nicht einmal die Deutschsprachigen der Monarchie können als Einheit gesehen werden, wenn man die separatistischen Bestrebungen betrachtet, die von den Bundesländern Vorarlberg (Anschluss an die Schweiz), Tirol und Salzburg (an Deutschland) ausgingen. 911 Rogers Brubaker, Nationalizing states revisited: projects and processes of nationalization in post-Soviet states, in: Ethnic and Racial Studies 34 (2011) 11, 1785 – 1814; Rogers Brubaker, Nationalism reframed. Nationhood and the national question in the New Europe, Cambridge 2009. 912 Hans-Ulrich Wehler, Nationalismus. Geschichte - Formen - Folgen, München, 2015, 110; Özkırımlı 2010, 110.

Ergebnisse aus Kapitel 3

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klausur im Haupttermin 1919 eine Abhandlung über die Bedeutung des Nationalitätsgedanken in der Vergangenheit.913 Über die 1920er Jahre hinweg blieb die Auseinandersetzung mit Deutschland nicht zuletzt ob der großen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung des größten Nachbarstaates Österreichs vielerorts ein Dauerthema, jedoch praktisch nie in Zusammenhang mit der nationalen Zugehörigkeit – das eigene ‚Deutschsein‘ stand nicht einmal wirklich zur Diskussion. Das änderte sich erst, als in den 1930er Jahren die Schule österreichweit zunehmend nationalisiert und die Nation pädagogisiert wurden: Nun war an vielen Stellen der Lehrpläne, der Jahresberichte und Chroniken, der Schul- und Hausarbeiten plötzlich die Rede vom ‚österreichischen Vaterland‘ und dessen besonderer christlichen Mission – die Jugend sollte nun in ‚vaterländischem Sinne‘ erzogen werden. Die Bezeichnung ‚vaterländisch‘ wurde beinahe inflationär gebraucht: Es gab ‚vaterländische Stunden‘, ‚vaterländische Erziehung‘, ‚vaterländische Schulfeiern‘ und ‚vaterländische Schreibwettbewerbe‘ – propagiert von Vertretern der Ein-Parteien-Diktatur der ‚Vaterländischen Front‘. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie schnell diese Vorgaben von Einzelschulen umgesetzt wurden beziehungsweise deren Umsetzung behauptet wurde – und zwar in großen Teilen des Bundesgebietes (im Sample befinden sich ja Schulen aus Wien, Nieder- und Oberösterreich, Tirol und der Steiermark). Damit ist freilich noch wenig über die Effektivität dieser Maßnahmen gesagt und in welchem Ausmaß diese wie bei den Schülerinnen und Schülern ankamen, doch einige Jahresberichte legen nahe, dass besonders während der Kanzler-Diktatur die Schulaufsicht sehr engmaschig gestaltet wurde (zum Beispiel wurde das Gymnasium der Franziskaner jedes Schuljahr für knapp zwei Wochen inspiziert; siehe Kapitel 3.8). Die Direktionen und die Lehrerinnen und Lehrer hatten zwar eigenen Gestaltungspielraum, doch das autoritäre Regime schränkte diesen zunehmend ein. Somit ist Gehmachers Einschätzung der austrofaschistischen Jugendpolitik als gescheitertes Unterfangen914 insofern einzuschränken, als die Schulpolitik angesichts der eben ausgeführten Umstände als einigermaßen erfolgreich im Sinne des Regimes gesehen werden kann. Dass die Möglichkeiten zur Beeinflussung Jugendlicher auf dem Wege der Beschulung begrenzt waren, zeigt nicht zuletzt das Beispiel des nationalsozialistischen Deutschlands, in dem ein Großteil der Indoktrination mit nationalsozialistischem Gedankengut eben nicht in der Schule, sondern in der Hitlerjugend und dem BDM geschah. Wie in Österreich das Jungvolk so standen im nationalsozialistischen Deutschen Reich Hitlerjugend und BDM in einem Konfliktverhältnis zum überkommenen Schulsystem, das im Gegensatz zu den neu aus dem Boden gestampften Jugendorganisationen eine über viele Jahre gewachsene Institution mit eigenen Regeln und Logiken war.915

913 Sauer 1919, 61. 914 Pammer 2013, 397. 915 Buddrus 2003, 852.

| 169 4 Schule und Nation: Die österreichische Nation im Kontext der internationalen Nationalismusforschung Österreich zwischen Österreichbewusstsein und Deutschnationalismus Während Deutschland aufgrund seiner vergleichsweise späten Konstituierung als Nationalstaat 1870/71 als „verspätete Nation“916 (beziehungsweise Nationalstaat) gilt, könnte ein Befund für Österreich ganz ähnlich lauten: Österreich ist die noch spätere Nation, da sich ihre ideologische Basis erst aus der deutschen Nationalidee herauskristallisierte. Die genuin österreichische Nationsidee blieb im Laufe ihrer Geschichte jedoch nicht unwidersprochen. Verschiedene Akteure fanden sie im Laufe ihrer Existenz nicht überzeugend, doch selten wurde das Konstrukt der österreichischen Nation nach 1945 so prominent kritisiert wie durch den österreichischen Politiker Jörg Haider, der 1988 in einem Interview die österreichische Nation als „ideologische Missgeburt“917 bezeichnete. Haider argumentierte, dass zwischen der Staatszugehörigkeit und der (nationalen) Volkszugehörigkeit zu trennen sei.918 Dies sagte er vor dem Hintergrund, dass sich erst ab den 1970er bis 1980er Jahren die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung als Österreicher bezeichnete (nicht mehr als Deutsche).919 Somit wird deutlich, dass die Etablierung eines österreichischen Nationalbewusstseins mehrere Jahrzehnte gezielter Bemühungen in Anspruch nahm, obwohl dieses nationalstaatliche Konzept nach 1945 eine im Vergleich zur Ausgangssituation nach dem Ersten Weltkrieg starke Unterstützung durch die politischen Eliten erfuhr. Diese Entwicklungen während der Ersten Republik wurden in den vorhergehenden Kapiteln am Beispiel des (deutsch-)österreichischen Bildungswesens verdeutlicht: Der Einfluss des ‚großen Bruders‘ Deutschland auf die junge Erste Republik war dabei in beinahe allen Phasen der Republik von großer Bedeutung und manifestierte sich in erster Linie im politischen Bereich, doch – um aus Engelbrechts bedeutender Geschichte des österreichischen Bildungswesens zu zitieren – der Wunsch nach einer Bindung an Deutschland fand auch im Schulbereich einen Niederschlag. Die österreichischen Bildungspolitiker orientierten sich in den ersten Jahren der jungen Republik nicht nur stark an den deutschen pädagogischen Diskussionen und dem dabei verwendeten Vokabular, sondern auch an den deutschen institutionellen Einrichtungen für Unterricht und Erziehung. Man war um ein eigenes Profil gar nicht bemüht, sondern suchte durch weitgehende Anpassung die möglichen Übergangsschwierigkeiten bei dem trotz allem erwarteten ‚Anschluß‘ auf ein Mindestmaß herabzusetzen.920

916 Helmuth Plessner, Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft 66), Frankfurt am Main 2001. 917 DÖW: FPÖ-Zitatsammlung. Auswahl rechtsextremer, antisemitischer, rassistischer und europafeindlicher Äußerungen von FPÖ-SpitzenpolitikerInnen und -Medien, 2.3.2001, online unter: https://web.archive. org/web/20060902080940/http://www.doew.at/projekte/rechts/fpoe/fpoezitate.html [zuletzt abgerufen am 31.01.2024]. Originalwortlaut: „Das wissen Sie ja so gut wie ich, dass die österreichische Nation eine Missgeburt gewesen ist, eine ideologische Missgeburt. Denn die Volkszugehörigkeit ist eine Sache, und die Staatszugehörigkeit ist die andere Sache.“ 918 Konkret ging es ihm darum, dass sich analog zu den kroatischen und slowenischen Österreichern (Burgenlandkroaten und Kärntner Slowenen) deutsche Österreicher als solche bezeichnen dürfen sollten. 919 Stourzh 1990, 101 – 103. 920 Engelbrecht 1988, 11.

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Der Anschluss, also die großdeutsche Lösung der sogenannten ‚Deutschen Frage‘ des 19. Jahrhunderts, war gemäß den Grundsatzprogrammen aller bestimmenden politischen Parteien921 der Ersten Republik ein erklärtes Ziel. Während Deutschland seine territoriale Integrität von der Hohenzollern-Monarchie in die Republik großteils hinüberretten konnte, bildeten die deutschsprachigen Gebiete der ehemaligen Habsburger-Monarchie unter Führung ihrer zuletzt 1911 gewählten Mandatare erstmals einen eigenen Staat, nämlich die Republik Deutsch-Österreich. Die politischen Repräsentanten verliehen damit zwar in erster Linie ihren eigenen Überzeugungen Ausdruck, doch stimmten diese wohl großteils mit den Überzeugungen der Bevölkerung überein: Diese fühlte sich zum Großteil deutsch und stand der Bevölkerung des Deutschen Reiches sprachlich und kulturell sehr nahe, denn schließlich war ihr ‚Deutschtum‘ ja der bestimmende Faktor für die ursprüngliche Vereinigung in einem deutschösterreichischen Staat gewesen. Allerdings scheiterte bereits die Vereinigung aller Deutschsprachigen beziehungsweisen Deutschen der ehemaligen Habsburgermonarchie, denn die Deutschsprecherinnen und -sprecher im Norden und Süden des untergegangenen Reiches wurden anderen Staaten zuerkannt (der Tschechoslowakei beziehungsweise dem SHS-Staat/Jugoslawien). Selbst in der austrofaschistischen Diktatur von 1933/34 bis 1938 wurden das ‚Deutschtum‘ der Bevölkerung und das Zugehörigkeitsgefühl zum deutschen Kulturkreis betont, während auf dieser Grundlage der „österreichische Mensch“922 eine ideologische Ausgestaltung als „besonderer Deutscher“ erfahren sollte. Ein eigenständiges österreichisches Nationalstaatsbewusstsein ist ein Produkt der Bemühungen der Nachkriegszeit nach 1945 – hat seine Wurzeln aber zumindest in den 1920er Jahren, wie hier argumentiert wurde. Das verstärkte Bemühen wurde auch im schulischen Bereich sichtbar: Ein österreichisches Wörterbuch923, welches von Unterrichtsminister Felix Hurdes in Auftrag gegeben wurde, erschien erstmals 1951 – in den Schulen und Hochschulen wurde folglich österreichisches Deutsch gelehrt. Dies belegt erneut die wichtige Rolle, welche Sprache im Kontext von Nation(alität) und Nationalismus zugeschrieben wird. Auf die sprachliche Komponente bei der Konfigurierung einer nationalen österreichischen Identität in der Zweiten Republik (ab 1945) zielen einige Untersuchungen ab, die unter Beteiligung der Sprachwissenschafterin Ruth Wodak durchgeführt wurden.924 Die Nationswerdung einer Gesellschaft im Rahmen eines Staates (bis zur Etablierung als Nationalstaat) ist somit kein rein politisch-geschichtliches Phänomen, sondern weist Aspekte auf, die aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln betrachtet werden können und auch sollten.925 Der hier verfolgte bildungshistorische Ansatz trägt zu einer Erweiterung dieses disziplinären Spektrums bei. 921 In erster Linie der Parteien der Christlichsozialen, der Sozialdemokraten und der Deutschnationalen. 922 Ehs 2014. 923 Ein eigenes Wörterbuch beziehungsweise eine kodifizierte Norm ist eine der grundlegenden Anforderungen, die an eine Standardsprache gestellt werden. Die Sprachwissenschaft stellt – unabhängig von der jeweiligen Einzelsprache oder Sprachfamilie – vier Voraussetzungen für eine Klassifikation als Standardsprache: Polyvalenz, eine kodifizierte Norm, allgemeine Verbindlichkeit und stilistische Varianz: Werner Lehfeldt, Einführung in die Sprachwissenschaft für Slavisten (Slavistische Beiträge Studienhilfen 3), München 1996, 32. 924 Rudolf de Cillia/Ruth Wodak/Markus Rheindorf/Sabine Lehner, Österreichische Identitäten im Wandel, Wiesbaden 2020; Wodak/Cillia 1998; Ruth Wodak/Rudolf de Cillia/Martin Reisigl/Karin Liebhart/Angelika Hirsch/Richard Mitten/J. W. Unger, The discursive construction of national identity (Critical discourse analysis), Edinburgh 2009. 925 Ein weiteres Beispiel für moderne Untersuchungen zur österreichischen Nation ist: Max Haller (Hg.), Identität und Nationalstolz der Österreicher. Gesellschaftliche Ursachen und Funktionen. Herausbildung und Transformation seit 1945. Internationaler Vergleich, Köln 2017.

Grundfragen der Nationalismusforschung

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Grundfragen der Nationalismusforschung Wie reihen sich folglich Untersuchungen zur österreichischen Nation und diese Studie zur Entstehung eines österreichischen Nationalstaatsbewusstseins im Rahmen der staatlichen Beschulung zwischen 1918 und 1938 in die Forschung zu Nation und Nationalismus insgesamt ein? Die Phänomene Nation und Nationalismus in ihrem modernen Verständnis926 haben eine ungefähr zweihundertdreißigjährige Geschichte, die im Umfeld der Französischen Revolution 1789 ihren Ausgang nahm.927 Ihre akademische Erforschung weist jedoch eine wesentlich kürzere Geschichte auf, deren Beginn mit Ernest Renans berühmtem Vortrag an der Pariser Sorbonne 1882 angesetzt werden kann.928 Seitdem haben sich Forscherinnen und Forscher mit vielfältigen persönlichen und disziplinären Hintergründen (Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie und Sozialpsychologie und andere)929 mit einer der erfolgreichsten und nachhaltigsten Ideen der jüngeren Geschichte befasst: der Synthese von Nation und Staat zum Nationalstaat unter dem Einfluss des Nationalismus‘. Auch nach über 100 Jahren der Forschung steht die Forschungsgemeinschaft vor der Aufgabe, Fragen zu behandeln, die auf den ersten Blick trivial erscheinen mögen: Wieso glauben Menschen daran, Teil einer Gemeinschaft namens Nation zu sein? Wieso töten Menschen im Namen dieser Nation und sterben930 für sie? Was macht eine Nation überhaupt aus? Vor dem Hintergrund des verbrecherischen militärischen Angriffs der Russischen Föderation auf die Ukraine im Frühjahr 2022 wurde deutlich, welche (Macht-)Ansprüche mit nationalen Aspirationen verbunden sind: So sprach Vladimir Putin in einer seiner Reden zu Beginn des Angriffes (und im weiteren Verlauf wiederholte er diese Behauptungen) der Ukraine eine eigenständige nationale Identität und folglich das Recht auf eine eigenständige Existenz ab; er und andere Vertreter des Regimes bezeichneten die Einwohner der Ukraine als Teil der russischen Nation, auf die die Russische Föderation als Träger des russischen Nationalstaates931 einen quasi naturrechtlichen Anspruch habe. Diese Vorgangsweise ist bezeichnend für die

926 Hierbei wird die Auffassung der sogenannten Modernisten vertreten, die – im Gegensatz zu Primordialisten und Ethnosymbolisten – Nationalismus und Nation als modernes Phänomen verstehen: Özkırımlı 2010, 72. 927 Der Nationsbegriff selbst ist zwar deutlich älteren Ursprungs, erfuhr jedoch im Umfeld und in der Folge der zur Epochengrenze gewordenen Französischen Revolution eine Umdeutung, die die Synthese von Nation und Staat zum Nationalstaat vorbereitete. 928 Ernest Renan, What Is a Nation? and Other Political Writings (Columbia Studies in Political Thought / Political History), New York 2018. In diesem Vortrag erwähnt Renan interessanterweise explizit Österreich, das für ihn ein Staat, aber keine Nation sei. 929 Daniel Tröhler, Understanding nationalism through the lens of education, in: Daniel Tröhler (Hg.), Education, Curriculum and Nation-Building. Contributions of Comparative Education to the Understanding of Nations and Nationalism (Oxford Studies in Comparative Education) 2023, 2. 930 Widersinnigerweise ist in vielen nationalistischen bis patriotischen Parolen die Rede davon, für das Vaterland zu sterben, nicht dafür zu töten. Als Vorbild für diese Haltung diente dabei unter Rückbesinnung auf die Antike die von Horaz überlieferten Verse „dulce et decorum est pro patria mori – süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben.“ 931 Nach dem Grundsatz: ein eigener Staat für jede Nation. V. Putin argumentierte in dem unter seinem Namen veröffentlichen Aufsatz „Über die historische Einheit der Russen und Ukrainer“, dass Belarussen, Russen und Ukrainer einer Nation angehörten, als deren einzig legitimen Vertreter er die Russische Föderation sah. Vladimir Putin (2021, 12. Juli). Ob iztoriceskom edinstve russkich und ukraincev: Об историческом единстве русских и украинцев. http://kremlin.ru/events/president/news/66181 [zuletzt abgerufen am 31.01.2024].

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Machtansprüche, die mit der Deutungshoheit darüber, wer eine Nation ist und wer nicht,932 verbunden sind. Ähnlich argumentierten auch Anschlussbefürworter vor und nach 1938: Auf der Grundlage der Idee „ein Staat, eine Nation“ sollten die Deutschen Österreichs in den deutschen Nationalstaat einverleibt werden – das sei eine natürliche Entwicklung.

Die Bedeutung von Schule und Bildung für Nation und Nationalismus Wie die Nationalismusforschung bereits früh erkannte, spielen staatliche Schulen und Bildung eine wichtige Rolle dabei, nationale Bürger zu kreieren.933 Nicht zufällig stehen das Zeitalter des Nationalismus‘ und der Ausbau staatlicher Bildungssysteme in einem zeitlichen Zusammenhang im 19. Jahrhundert. In ihrer Rolle dabei, Kinder und Jugendliche zu erziehen und für eine zukünftige Gesellschaft passend zu machen, erzieht Schule nicht ‚nur‘, sondern sie erzieht in einem nationalen Sinn, ohne dass dies notwendigerweise explizit zur Sprache gebracht wird oder überhaupt intendiert ist. Unter dem Begriff ‚hidden curriculum‘ subsumiert die Forschung jene Inhalte und Verhaltensweisen, die sich nicht aus dem geschriebenen Lehrplan ergeben, sondern implizit – sozusagen versteckt – vermittelt werden. In der Schule lernen die Kinder nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern sie lernen auch, wie sie sich in der Gemeinschaft mit anderen zu verhalten zu haben, wie man Konflikte miteinander löst und wer miteinander wie umgehen soll – dabei werden Hierarchien und Rollen eingeübt und mitunter auch tradiert. Im Zuge der feministischen Forschung wurde die Frage des Geschlechts beispielsweise auf ihre Performativität hin untersucht, was zum Ausdruck von „doing gender“ führte.934 Die Schule erzieht nicht nur Buben und Mädchen, sondern hilft auf diese Weise dabei mit, diese erst zu schaffen. Dies passiert auf curricularer Ebene ebenso wie auf individuell-unterrichtlicher.935 So lässt sich in Analogie dazu argumentieren, dass beispielsweise die österreichische Schule936 nicht einfach Kinder und Jugendliche erzieht, sondern österreichische Kinder und Jugendliche erzieht. In Fortführung dieses Vergleichs könnte man in Bezug auf die Erschaffung und Perpetuierung nationalisierter Indivi932 In diesem Zusammenhang sei – stellvertretend für viele andere – etwa an die kurdische Volksgruppe gedacht, der nach politischer Gesinnung von verschiedenen Seiten zu- oder abgesprochen wird, eine eigenständige Nation zu repräsentieren. 933 Harp 1998; Weber 1979; Machteld Venken, Borderland Studies Meets Child Studies. A European Encounter, in: Machteld Venken (Hg.), Borderland Studies Meets Child Studies. A European Encounter (Warsaw Studies in Contemporary History 6), Frankfurt am Main 2018, 11 – 42; Machteld Venken/Virpi Kaisto/Chiara Brambilla, Children, Young People and Borders: A Multidisciplinary Outlook, in:  Journal of Borderlands Studies 36 (2021) 2, 149 – 158; Tröhler 2020, 10 – 11. 934 Regine Gildemeister, Soziale Konstruktion von Geschlecht: „Doing gender“, in: Sylvia Marlene Wilz (Hg.), Geschlechterdifferenzen — Geschlechterdifferenzierungen. Ein Überblick über gesellschaftliche Entwicklungen und theoretische Positionen (SpringerLink Bücher), Wiesbaden 2008, 167 – 198. 935 Welche Geschlechterrollen werden beispielsweise in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien vermittelt? Welche Stereotype werden zum Beispiel von individuellen Lehrpersonen tradiert, indem gewissen Gruppen in bestimmten Fächern gute Leistungen attestiert werden, anderen jedoch nicht? 936 Deren Aufgaben werden ganz grundsätzlich im § 2 des österreichischen Schulorganisationsgesetzes geregelt. Diese ist in erster Linie, „an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken“ und „die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.“ Bundesgesetz vom 25. Juli 1962 über die Schulorganisation (Schulorganisationsgesetz), Fassung vom 13.10.2022, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung. wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009265 [zuletzt abgerufen am 31.01.2024].

Die Bedeutung von Schule und Bildung für Nation und Nationalismus

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duen auf dem Weg von Beschulung und Ausbildung von „doing nation“ sprechen.937 Staatliche Schulen und Bildungssystem arbeiten an der Schaffung nationalisierter junger Menschen mit und perpetuieren auf diese Weise ihre eigene Grundlage – den Nationalstaat – indem sie diesen auf die heranwachsenden Generationen projizieren. Sie sind damit Teil eines größeren Prozesses, der als nation building beschrieben werden kann. In Geschichtswissenschaft und Nationalismusforschung ist die wichtige Rolle schulischer Bildung für nachhaltige Beeinflussung kommender Generationen seit langem bekannt. Eines der ersten und bis heute wegweisenden Werke war Eugen Webers Monografie über die Modernisierung des ländlichen Frankreich von 1870 bis 1914 aus dem Jahr 1979, in dem Weber eindringlich die Bedeutung der Schule für den Modernisierungsprozess Frankreichs betont.938 Ähnlich, aber mit einem stärkeren Fokus auf Schule, bearbeitete knapp 20 Jahre später Stephen L. Harp das Primarschulwesen in Elsass-Lothringen von 1850 bis 1940.939 Umso erstaunlicher ist angesichts solcher Werke jedoch, dass diese Korrelation zwischen Bildung/Schule einerseits und Nationsbildung/nation building andererseits bisher noch nicht zu einer vertieften Auseinandersetzung von Akteuren der Nationalismusforschung mit bildungswissenschaftlichen Konzepten und Methoden (und vice versa) geführt hat, wie Veronika Maricic und Daniel Tröhler in einer rezenten Untersuchung zeigen konnten.940 Zwar sind in vielen geschichtswissenschaftlichen Publikationen Schlagworte wie ‚Schule‘, ‚Lehrer‘, ‚Bildung‘ und ähnliche mit dem Bildungswesen konnotierte Begriffe zu finden, doch blickt man hinter diese quantitativ relativ einfach festzustellende Verwendung solcher Begriffe, lässt eine qualitative Analyse den Schluss zu, dass Schule für die meisten Nationalismus- und Geschichtsforscher eher Nebensache als Gegenstand vertiefter Analyse ist. An der Beseitigung dieses „shortcoming in the study of nationalism”941, der fehlenden vertieften Auseinandersetzung von Bildungswissenschaft, Geschichtswissenschaft und speziell Nationalismusforschung mit Erkenntnissen und Konzepten der jeweils anderen Disziplinen, mitzuwirken, ist eines der Ziele der vorliegenden Arbeit. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass Schule als ein Ort des gemeinsamen Lebens und Erlebens einen Stellenwert innerhalb der Gesellschaften besitzt, der schwerlich zu hoch einzuschätzen ist. Er ist umso höher zu bewerten, als im hier beobachteten Zeitraum noch einige Spezifika hinzukommen: In (Deutsch-)Österreich war die Schule der einzige Ort, an dem Menschen verschiedener Gesellschaftsschichten miteinander in Berührung kamen und den Umgang miteinander erlernen und einüben konnten, und auch das traf eigentlich nur auf die Volksschule/Primarstufe zu, denn es gab weder einen verpflichtenden Kindergartenbesuch (wie dies heute in Österreich der Fall ist), noch eine gemeinsame Sekundarstufe (die es in Österreich immer noch nicht gibt). Theoretisch konnten also – um es plakativ zu formulieren – Kinder reicher und armer Eltern einander kaum begegnen,942 wenn sie nicht zufällig befreundet waren, denn die schulische Laufbahn 937 Kevser Muratovic/Florian Gimpl, Doing Nation in Empires: The Emergence of Turkey and Austria, in: Croatian Journal of Education - Hrvatski časopis za odgoj i obrazovanje 22 (2020), 151 – 169. 938 Weber 1979. 939 Harp 1998. 940 Daniel Tröhler/Veronika Maricic, Education and the Nation: Educational Knowledge in the Dominant Theories of Nationalism, in: Daniel Tröhler (Hg.), Education, Curriculum and Nation-Building. Contributions of Comparative Education to the Understanding of Nations and Nationalism (Oxford Studies in Comparative Education) 2023; Tröhler 2023, 5 – 7. 941 Ebd., 6. 942 Wie die Möglichkeit des Privatunterrichts zeigte, war es auch in der Primarstufe nicht die Regel, dass Kinder armer und reicher Eltern gemeinsam zu Schule gingen. Sogenannte Privatisten wurden zuhause unterrichtet

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war vor allem in Dauer und Höhe stark von den sozioökonomischen Möglichkeiten einer Familie determiniert. Zudem gab es keine Wehrpflicht, in der die ab der Sekundarstufe voneinander getrennten Schichten und Milieus einander wieder hätten treffen können, da das Österreichische Bundesheer aufgrund der Bestimmungen des Vertrags von Saint-Germain ein auf 30.000 Mann beschränktes Berufsheer war. Erst Mitte der 1930er Jahre wurde unter Umgehung des entsprechenden Verbotes die sogenannte Bundesdienstpflicht eingeführt, die in Wahrheit einer Wehrpflicht für die männliche Bevölkerung gleichkam. Es ist kein Zufall, dass diese Dienstpflicht ausgerechnet von jener Regierung und in jenem Zeitraum eingeführt wurde, in dem der Verbreitung einer genuin österreichischen nationalen Identität hohe politische Priorität eingeräumt wurde und dieser mit fast allen Mitteln zugearbeitet wurde. Eine Wehrpflichtigenarmee sollte nicht nur einerseits die Schlagkraft des Heeres erhöhen, um das ‚Vaterland‘ gegen Feinde von außen beschützen zu können und somit die Nationalsozialisten – die einzige reale äußere Bedrohung in den 1930er Jahren – von einem Angriff abhalten, sondern andererseits durch die räumliche Nähe von Menschen aller Gesellschaftsschichten ein Wir-Gefühl erzeugen. Dieser Grundgedanke war nicht auf das Bundesheer beschränkt, doch stellte die staatliche Wehrpflicht ein Instrument dar, die gesamte männliche Bevölkerung organisatorisch zu erfassen und zeitlich beschränkt in einer Gemeinschaft leben zu lassen. Ähnliche Ansätze gab es auch für die Angehörigen der österreichischen Hochschulen, für die 1936 verpflichtende Hochschullager eingeführt wurden, die praktisch militärisch organisiert waren.943 Diese Hochschullager waren aber nur Miniaturversionen dessen, was im nationalsozialistischen Deutschland unternommen wurde, um die Jugend in Massenorganisationen einzubinden; und da die Hochschulen von vornherein eine Domäne der Mittel- und Oberschicht waren, war der Austausch auf Mitglieder dieser Gesellschaftsschichten beschränkt. Dennoch schienen diese nicht ungeeignet, ein Gemeinschaftsgefühl unter den Studenten zu stiften,944 ohne dabei rassistische Motive zu verfolgen wie ähnliche Lager in NS-Deutschland.945 Damit blieb neben der Schule als Treffpunkt verschiedener Schichten (mit den eben beschriebenen Einschränkungen) noch die Einheitspartei ‚Vaterländische Front‘ mit ihren verschiedenen Abteilungen (genannt ‚Werke‘) wie dem ‚Österreichischen Jungvolk‘ (ÖJV). Doch die vorhandenen Zeugnisse legen nahe, dass die Vaterländische Front und ihre Teilorganisationen von vielen Menschen eher als ein notwendiges Übel denn als Betätigungsfeld überzeugter Anhänger gesehen wurde, zumal der militärische Charakter der Organisation eindeutig im Vordergrund stand und nicht allen gefiel.946 Hinzu kam, dass viele Jugendliche und Kinder bereits in anderen (meist katholischen) Gruppen aktiv eingebunden waren und dadurch ein Konkurrenzverhältnis entstand, das das dem ‚austrofaschistischen‘ Apparat nicht nur Sympathien einbrachte.947 Die katholische Kirche war nicht bereit, sich im selben Ausmaß wie im Deutschen Reich in ihre Jugendorganisationen dreinreden zu lassen. Der mangelnden Popularität der ‚Vaterländischen Front‘ und des ‚Österreichischen Jungvolkes‘ sollte dadurch beigekommen werden, dass beide personell und organisatorisch eng mit

943 944 945 946 947

und kamen nur für die Prüfungen in die Schule. Wer es sich leisten konnte, konnte seine Kinder also zuhause von Privatlehrern unterrichten lassen. Ehs 2013; Ehs 2014. Ehs 2014, 262. Ehs 2014, 254. Thomas Pammer, V.F.-Werk „Österreichisches Jungvolk“. Geschichte und Aspekte der staatlichen Organisierung der Jugend im Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933-1938, Diplomarbeit, Wien 2011, 87 – 89. Ebd., 132 – 143.

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der Schule verknüpft wurden. Lehrer (wie andere öffentlich Bedienstete) waren praktisch zur Mitgliedschaft in der Partei gezwungen, weshalb sie als Funktionäre natürlich auch über die Mitgliedschaft ihrer Schüler und deren Eltern Bescheid wussten. Der berühmte ‚Glöckel-Erlass‘ von 1919, der jeden Zwang zur Teilnahme an religiösen Veranstaltungen untersagte, wurde auf den Tag genau 15 Jahre später von den Vertretern der Kanzlerdiktatur wieder aufgehoben – nun kontrollierten die Lehrer wieder, ob ihre Schüler den Gottesdienst besuchten. Der prononcierte Katholizismus war der Ideologie des Regimes zufolge das wichtigste Merkmal des „neuen Österreichers“, der die christliche Mission der historischen Ostmark ernst nahm, die nun wie in einer Art translatio imperii von der Habsburgermonarchie auf das ‚ständestaatliche‘ Österreich übergegangen sei. Nach außen wurden die Schüler durch das Tragen des Schülerabzeichens948 zur Konformität mit dem Regime aufgefordert und waren daher leicht zu erkennen. Organisationen wie das ÖJV sollten jedoch nur als Ergänzung zur Schule gesehen werden, denn die ‚Vaterländische Front‘ konnte sich insgesamt nie zu einer so wirkmächtigen Partei entwickeln, wie es beispielsweise die NSDAP in Deutschland war. Dabei zeigte sich auch in praktischen, kleinen Dingen das Ungeschick der entscheidenden Stellen, wo der nationalsozialistische Apparat besser funktionierte: Als die Schüler angehalten wurden, als Zeichen ihrer ‚vaterländischen Gesinnung‘ das sogenannte Schülerabzeichen zu tragen, war dieses mit einem Preis von 10 Groschen (100 Groschen entsprachen einem Österreichischen Schilling) recht teuer und daher nicht weit verbreitet. Auch eine billigere Version konnte die Anzahl der Träger nicht wesentlich erhöhen, da sie recht schnell kaputtging (die Spange zur Befestigung brach sehr leicht, sodass das ganze Abzeichen unbemerkt verloren gehen konnte) und bereits der Kauf eines Abzeichens viele Eltern vor finanzielle Probleme stellte, vor allem bei mehreren Kindern im schulpflichtigen Alter, für die noch dazu pro Semester Schulgeld zu bezahlen war. Ein ständiger Neukauf, der aufgrund mangelhaft ausgeführter Abzeichen notwendig werden konnte, war damit faktisch unmöglich. Somit sahen sich Schulbehörden stellenweise gezwungen, auf das verpflichtende Tragen des Abzeichens aufmerksam zu machen und dieses einzufordern. Von Seiten der Geschichtswissenschaft wurde oft die Frage gestellt, warum die Erste Republik im Vergleich zur Zweiten keine Erfolgsgeschichte gewesen und wie ihr Scheitern zu erklären sei. Die Ausgangslage war nach dem Ersten Weltkrieg zwar nicht rosig, doch vergleichsweise gut: Es gab auf dem Staatsgebiet keine Kampfhandlungen während des Krieges und das Land wurde nicht von fremden Armeen besetzt – anders als 1945. Dennoch – so wird im Nachhinein gerne gesagt, indem die Geschichte von ihrem Ende her gedacht wird – sei das Scheitern der Ersten Republik absehbar gewesen: die wirtschaftliche Not nach dem Ende des Großmachtstatus sei zu groß gewesen; zu wenig habe die Menschen geeint, zu viel sie getrennt; der Graben zwischen dem christlichsozialen und dem sozialdemokratischen Lager sei zu tief gewesen, um ein erfolgreiches Zusammenleben zu ermöglichen; es habe diese Erfahrung des Scheiterns gebraucht, um nach dem Ende des Nationalsozialismus beide Seiten zur Zusammenarbeit zu bewegen. Damit wird die Erste Republik in einen auffälligen Kontrast zur Zweiten Republik gestellt, die aus der Sicht der Erzähler eine Erfolgsgeschichte sei – daher ist nur allzu verständlich, dass diese Geschichte umso aufregender klingt, je erfolgloser die Vorgängerin der Zweiten Republik dargestellt wird. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Erfolg der Zweiten Republik keineswegs eine ausgemachte Sache war; vielmehr war

948 Blechplakette in Rot-Weiß-Rot mit Eichenblatt und dem Spruch „seid einig“.

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er das Ergebnis der speziellen Lage, in der sich Österreich nach 1945 zwischen den beiden dominierenden Machtblöcken befand.949 Wie das Scheitern der Ersten Republik nicht im Vorhinein feststand, waren auch die deutsch-österreichische und ‚austrofaschistische‘ Schul- und Erziehungspolitik nicht a priori ein Misserfolg. Letztere wurde in ersten Arbeiten in den 1980er und 1990er Jahren als gescheitert beurteilt, was in den folgenden Jahren nicht zu einer vertieften, differenzierten Auseinandersetzung mit ihr führte, sondern zum Gegenteil, wie Thomas Pammer in seinem Aufsatz zum Forschungsfeld Austrofaschismus und Jugend ausführt.950 Ein solches Urteil kann – ungeachtet seiner Richtigkeit – dazu führen, dass den Gründen des Scheiterns gar nicht mehr nachgespürt wird. Eine genaue, auf Quellenmaterial basierende Analyse historischer Vorgänge ist aber unerlässlich, um bisherige Erkenntnisse kritisch zu prüfen und zu bestätigen oder aber zu verwerfen. Als besondere Herausforderung gestaltet sich die Darstellung der österreichischen Schul- und Bildungsgeschichte im Hinblick auf die Vermittlung eines österreichischen Nationalbewusstseins zwischen 1918 und 1938 auch deshalb, weil das Ende der Geschichte heute bereits bekannt ist: Als im März 1938 Truppen der Deutschen Wehrmacht die Grenzen Österreichs überschritten, gingen die Österreicherinnen und Österreicher nicht auf die Straße, um gegen die einrückende Wehrmacht zu protestieren.951 Auch wenn die abschließende Volksabstimmung über den Anschluss im April 1938 verfälscht wurde und bereits viele Gegner des Nationalsozialismus‘ geflüchtet oder verhaftet waren und daher gar nicht abstimmen konnten, so muss doch davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung einem Anschluss positiv gegenüberstand. Der Glaube an die Existenz und Stärke der eigenen österreichischen Nation war bis 1938 nur in gewissen Gruppen und auch dort nur in Ansätzen ausgeprägt und daher als ideologische Quelle für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus wenig geeignet. So erklärt sich auch, dass es während der NS-Diktatur auf dem Boden Österreichs kaum national(istisch)en Widerstand gegen den Nationalsozialismus gab, sondern dieser vornehmlich aus dem katholischen und kommunistischen Milieu gespeist wurde. Im Zentrum der Forschung über Nation und Nationalismus steht – wenn auch oftmals unausgesprochen – die Frage: „Why Some Countries Come Together While Others Fall Apart“952 – wieso funktionieren manche staatliche Gebilde und werden zu Nationalstaaten, während andere diesen Schritt nicht schaffen und zu „failed states“ werden?953 Wieso glauben Menschen daran, Teil einer Gemeinschaft namens Nation zu sein, und sind bereit, im Namen dieser Nation größte Anstrengungen zu vollbringen und unter Umständen sogar schlimme Verbrechen zu begehen? Es existieren verschiedenste Antworten auf diese Fragen, die sich wiederum in verschiedene Forschungsrichtungen beziehungsweise Schulen gliedern lassen, die meist im englischen

949 Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2010 (Haymon-Taschenbuch 67), Innsbruck – Wien 2011. 950 Pammer 2013. 951 Wie es als Gegenbeispiel viele Ukrainerinnen und Ukrainer im Zuge des russischen Angriffskrieges taten. 952 Andreas Wimmer, Nation Building. Why Some Countries Come Together While Others Fall Apart (Princeton Studies in Global and Comparative Sociology), Princeton, NJ 2018. 953 Kenan Engin, ‚Nation-Building‘ - theoretische Betrachtung und Fallbeispiel: Irak. Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 2013 (Nomos Universitätsschriften Politik 188), Baden-Baden 2013.

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Original folgendermaßen genannt werden: Primordialism954, Modernism955 und Ethnosymbolism956. Daneben gibt es noch weitere Ansätze, von denen einige unter dem Begriff der New Approaches957 zusammengefasst werden. Benedict Anderson, der dem modernistischen Forschungsparadigma zugerechnet wird, widmete große Teile seiner berühmten Untersuchung „Imagined Communities“958 von 1983 der Argumentation, dass Nationen auf nationalisierten Gesellschaften aufbauen, die auf die Vorstellung vertrauen, Teil einer einzigen Gemeinschaft zu sein – der Nation. Dieses Konzept wurde in weiterer Folge von großen Teilen der Forschungsgemeinschaft übernommen und eignet sich als Erklärungsmuster für die praktische Forschung recht gut, denn es erlaubt interessante Analogien, etwa zu Religionsgemeinschaften oder Familien.959 Michael Billigs erstmals Mitte der 1990er Jahre erschienene Studie „Banal Nationalism“ wird am ehesten den „New Approaches“ zugerechnet. Billig baut auf Andersons vorgestellten Gemeinschaften auf und wirft einen kritischen Blick auf alltägliche Manifestationen von Nation und Nationalismus, die er als „unwaved flags“960 bezeichnet. Billig zufolge manifestiere sich Nationalismus nicht nur in Form des offensichtlichen, offensiv zur Schau gestellten Schwenken von Fahnen, sondern auch auf subtilere Art und Weise im alltäglichen Leben, womit er auf Renans Idee des „täglichen Plebiszits“961 verweist. Beide Ansätze sind maßgeblich für die vorliegende Arbeit zu österreichischer Nation und österreichischen Nationalismus von 1918 bis 1938, denn sie erlauben, den vorliegenden Sachverhalt im Spiegel der neuesten Erkenntnisse der Nationalismusforschung zu untersuchen. Grundlegend dafür waren Renans Idee des „täglichen Plebiszits“, von der Billig ausgeht, und vor allem Andersons Verständnis von Nation als „vorgestellter Gemeinschaft“, deren Mitglieder einander persönlich nicht kennen und auch nie kennen lernen, sich aber dennoch miteinander verbunden fühlen und somit Träger einer einigenden – nationalen – Idee sind. Billigs Verständnis davon, dass sich Nationalismus auf sehr subtile, beinahe schon alltägliche – banale – Weise äußern und manifestieren kann, erlaubte es im Verlauf der Arbeit, von den großen Inszenierungen, die aus dem Zeitalter des Nationalismus962 bekannt sind, abzusehen und einen genauen Blick auf die alltäglichen Manifestationen von „nationhood“, um bei Billigs Terminus zu bleiben, zu lenken. Das ist insofern passend, als davon ausgegangen wird, dass die im Staat Österreich lebenden Menschen ab 1918 bis zum Beginn der 1930er Jahre eben nicht von einem österreich-nationalen Zusammengehörigkeitsgefühl beseelt waren. Entsprechende Manifestationen einer nationalistischen Ideologie konnten daher nur auf einer sehr latenten Ebene zum Vorschein kommen, was sich erst mit dem Aufkommen der „austrofaschistischen“ Kanzlerdiktatur unter Dollfuß und Schuschnigg 1933/34 änderte. In dieser Phase wurde die ‚Schule ohne Nation‘ (beziehungsweise sogar der ‚Staat ohne Nation‘) zu einer Schule mit zunehmend pädagogisierter Nationsidee, die in staatliche Dienste gestellt wurde. Die österreichische Nation wurde nun vermehrt nicht nur eine gesellschaftliche Angelegenheit, sondern auch eine der Schule – und damit in einem an Daniel Tröhler 954 955 956 957 958 959 960 961 962

Özkırımlı 2010, 49 – 71. Ebd., 72 – 142. Ebd., 143 – 168. Ebd., 169 – 198. Deutsche Übersetzung: Anderson 2005. Özkırımlı 2010, 105 – 113. Billig 1995, 10. Renan 2018, 261 – 262. Das – wie rezente Ereignisse zeigen – eindeutig nicht der Vergangenheit angehört, sondern noch andauert.

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angelehnten Sinne pädagogisiert.963 Zu dieser Argumentation passt der Umstand, dass mit der Verbreitung der österreichischen Nationsidee auch weitreichende Ansprüche an Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Schülerinnen und Schüler verbunden waren, die eine starke Zukunftsgerichtetheit aufwiesen. Damit soll auf die Zusammenfassung und den Ausblick übergegangen werden.

963 Tröhler 2016b.

| 179 5 Konklusion und Ausblick An dieser Stelle werden die in der Einleitung formulierten Thesen und Forschungsfragen aufgegriffen und einer abschließenden Behandlung zugeführt, in deren Nachgang ein Ausblick gewagt wird. Zu Beginn dieses Resümees werden die im ersten Kapitel formulierten Thesen wiedergegeben; anschließend folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse basierend auf den im analytischen Teil gewonnen Erkenntnissen. Beide Thesen werden hier gemeinsam behandelt, da sie eng miteinander verknüpft sind und eine gemeinsame Beantwortung daher inhaltlich sinnvoll ist: • These 1 lautete: Das westliche, von den Siegermächten des Ersten Weltkrieg vertretene Modell des von ihnen – wenn auch unterschiedlich – verkörperten und interpretierten Nationalstaates als grundlegendes politisches Ordnungsprinzip wurde auf diejenigen ehemals Habsburgischen Gebiete angewandt, die während und nach dem Ersten Weltkrieg von einer deutschsprachigen Mehrheit bewohnt wurden, ohne dass deren Vertreter je die Absicht gehabt hätten, einen eigenständigen Nationalstaat zu begründen, und zwar weil ihnen das Konzept der österreichischen Nation fremd war. Diese westliche Idee des Nationalstaats fiel daher auf keinen fruchtbaren Boden und scheiterte konsequenterweise im Verlauf der folgenden Jahre. • These 2 war: Die Schule und das staatliche Bildungs- und Erziehungswesen können zwar einen wesentlichen Beitrag zum nation-state building leisten, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass bereits eine distinkte nationale Gesinnung existiert, die auf diesem Weg vermittelt werden kann. In (Deutsch-)Österreich konnte das Bildungssystem daher also nur einen begrenzten Beitrag leisten, denn die erforderliche distinkte Ideologie von Österreich als Nationalstaat war im Grunde nicht vorhanden. Wie gezeigt wurde, war der politische Umsturz des Herbsts 1918 ein Schock für viele Menschen und manifestierte sich auch im Schulbereich entsprechend. Dort, wo diese Umwälzung in den Schulen explizit thematisiert wurde, war die Enttäuschung darüber, dass der Krieg verloren wurde und Deutschösterreich sich in weiter Folge nicht mit dem Deutschen Reich vereinigen durfte, auf Jahre hinaus groß. Dies ist als starkes Indiz dafür zu werten, dass einerseits die österreichische Eigenstaatlichkeit prinzipiell kritisch gesehen wurde und andererseits der Wunsch nach dieser aufgrund einer fehlenden nationalen Ideologie nur sehr schwach ausgeprägt war: Das Verlangen nach einem eigenständigen österreichischen Nationalstaat war auf Seite der lokalen Bevölkerung allenfalls rudimentär vorhanden. Zudem konnte die deutschösterreichische Bevölkerung nicht auf einer eigenständigen Bewegung zur Gründung eines eigenen Nationalstaates aufbauen, die ein einigendes Momentum hätten stiften können: Vielmehr war Deutschösterreich als Vereinigung der Deutschsprachigen der Monarchie mit dem Ziel gegründet worden, diesen sich aus den zentralen Resten des zerbröckelnden Reiches zusammengesetzten Staat in den bereits bestehenden deutschen Nationalstaat, das sich ebenfalls zur Republik transformierende Deutsche Reich, einzubringen. Die Erzählung einer österreichischen Revolution von 1918, als die man das Ende der Monarchie und die Ausrufung der Republik bezeichnen könnte, wurde zu keiner Zeit ähnlich wirkmächtig im Sinne eines national identitätsstiftenden Moments wie beispielsweise die Französische Revolution von 1789 oder die Bolschewistische Oktoberrevolution von 1917, die als Eckdaten das ‚Lange 19. Jahrhundert‘ umrahmen und somit zu epochemachenden Ereignissen wurden.

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Wesentliche Impulse zur Umgestaltung gingen vor allem von den deutschnationalen Abgeordneten zum Reichsrat aus, die vor den ersten allgemeinen Wahlen in Deutschösterreich Anfang 1919 die stärkste Fraktion gewesen waren. Im Vergleich zu anderen europäischen Nationalstaatsgründungen im zeitlichen und örtlichen Umfeld der deutschösterreichischen Staatswerdung von 1918 zeigt sich, dass die Vermittlung einer nationalstaatlichen Ideologie mittels Beschulung nur dann erfolgreich sein konnte, wenn es bereits eine zumindest in Ansätzen ausformulierte, distinkte nationale Ideologie gab. Was an dieser Stelle offensichtlich scheint, war 1918/19 wohl nur wenigen explizit bewusst, denn anders ist die Erschaffung des österreichischen Staates ohne einigende nationale Ideologie durch die Entente-Mächte mitten im nun vorgeblich nationalstaatlich organisierten Mitteleuropa kaum zu erklären. Die Gründe für das Scheitern der Ersten Republik wurden oft in ihrer wirtschaftlichen Schwäche gesucht, selten jedoch machte man sich Gedanken, was denn diesen Staat, diese Gesellschaft ideologisch einen sollte: Weshalb – um mit Verweis auf Benedict Andersons „imagined community“964 zu sprechen – sollten Schulkinder im nordöstlichen Niederösterreich daran glauben, dass sie Teil derselben Gemeinschaft seien wie Kinder, die im südlichen Kärnten oder im westlichsten Bundesland Vorarlberg die Schulbank drückten? Meine beiden Thesen wurden daher im Laufe der Untersuchung bestätigt: Das westeuropäische Nationalstaatsmodell war auf die Kernländer der ehemaligen Monarchie nicht ohne weiteres anwendbar, weshalb die Schaffung eines österreichischen Nationalstaates in der Folge vor einige Probleme gestellt wurde. Daraus ergab sich dann weiters, dass eine grundlegende Aufgabe moderner Schule, nämlich das Ausbilden und Erziehen loyaler Staatsbürger, im konkreten Fall in Bezug auf einen österreichischen Nationalstaat somit nicht erfüllt werden konnte. Das (deutsch-)österreichische Modell vollzog also noch nicht die Synthese zwischen Nation und Staat zum Nationalstaat, weshalb die durch staatliche Schulbildung betriebene Herausbildung von Bürgerinnen und Bürgern in erster Linie auf den Staat bezogen war, nicht auf die Nation. An verschiedenen Stellen in Kapitel 3 konnte dies beispielsweise anhand des Gebrauchs der Termini ‚Vaterland‘ und ‚Heimat(land)‘ gezeigt werden. Während diese Wörter mancherorts synonym gebraucht wurden, wies in anderen Fällen ‚Heimat‘ eine vornehmlich geographische Konnotation auf, während ‚Vaterland‘ auf ein nationales Verständnis abzielte. Nun zu den eingangs aufgeworfenen Forschungsfragen und deren Beantwortung, soweit dies letztlich im Rahmen der Arbeit möglich war: • Wollten und konnten die verantwortlichen politischen Akteure auf dem Wege der staatlichen Beschulung ab 1918/19 mit erkennbaren Strategien eine distinkte nationale Identität aufbauen und so dem als Nationalstaat konzipierten (Deutsch-)Österreich eine kulturelle Grundlage geben? • Wie gingen die österreichische Schulgesetzgebung und -verwaltung mit dem Widerspruch zwischen einem real existierenden österreichischen Staat und der nicht existenten österreichischen Nation um unter Berücksichtigung der Aufgabe eines modernen Schulsystems, loyale Bürger zu erziehen? Worauf sollte sich diese Loyalität beziehen, wenn es keine Nation im Sinne einer kulturellen These von Zusammengehörigkeit, Unterscheidbarkeit und Identität gab?

964 Anderson 2005.

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• Durch welche Entwicklungen kam es zu Beginn der 1930er Jahre (besonders in den Jahren 1933/34) zu einem so starken Umdenken in den politischen und gesellschaftlichen Eliten kam, dass die Förderung eines nationalen Österreich-Patriotismus‘ nun doch eine vorrangige Aufgabe der öffentlichen Erziehung wurde und wie sah diese in ihren Grundzügen aus? Auch diese drei Fragen bauen aufeinander auf, sodass sie nacheinander behandelt werden. Die erste Frage bezüglich des Aufbaus einer distinkten österreichnationalen Staatsidee lässt sich in erster Linie durch Verweis auf Vorgänge außerhalb des unmittelbaren Schulbereichs beantworten, während die Umsetzung unmittelbar Schule und Unterricht tangierte. Von lokalen Ausnahmen abgesehen, konnte in der Auswahl ab der Gründung der Republik und die 1920er Jahre hindurch kaum eine Schule gefunden werden, in der die Vermittlung einer genuin österreichischen Nationalidentität eindeutig geworden wäre. Hier bestätigten Ausnahmen eher die Regel und decken sich gut mit Momentaufnahmen wie der Erinnerung Eric Hobsbawms, der sich später daran erinnerte, dass Volkschulkinder sich sogar beim Text der Bundeshymne unsicher waren.965 Bei der Bevölkerung besonders beliebt waren weder Deutschösterreich noch ab 1919 Österreich, wovon der Umstand zeugt, dass sich in den Jahresberichten eigentlich kaum Zeugnisse über Schulfeiern zu Ehren der Republiksgründung oder ähnlichen Anlässen finden, während andere, objektiv gesehen weniger wichtige, Anlässe sehr wohl feierlich begangen wurden. Dieser Befund deckt sich mit bisherigen Arbeiten, unter anderem etwas Andrea Meissners Studie zur Nationalisierung der Volksschule in Preußen und Österreich: In dieser verweist die Autorin darauf, dass zwar der Gründungstag der Ersten Republik Deutschösterreich offiziell ein Feiertag und an den Schulen auf Weisung der Schulbehörden entsprechend zu begehen gewesen sei, in der Praxis jedoch verschiedentlich umgesetzt worden sei; mancherorts wurde er einfach nicht gefeiert, andernorts durch die Durchführung von Wallfahrten oder anderen Feiern boykottiert oder umgedeutet.966 Eine merkbare Strategieänderung bezüglich der der Schule zugeschriebenen Rolle im Staatswesen im Hinblick auf die Nationalstaatsbildung ist erst ab den 1930er Jahren wirklich greifbar, und hier besonders ab 1933, denn ab diesem Jahr wurden die Schulen zunehmend auch ideologisch in den Dienst des Staates gestellt, wie die Schilderungen in vielen Jahresberichten zeigen. Eigentlich alle Schulen der Stichprobe folgten zumindest nach außen hin den von der Politik vorgegebenen Leitlinien und übernahmen die von der Regierung vorgegebene Ideologie, die sich besonders im Hinblick auf die Österreich-Ideologie stark von den Vorjahren unterschied. Dazu trug wohl nicht unwesentlich der Umstand bei, dass mit Kurt Schuschnigg ein Mann Unterrichtsminister war, der einerseits als Justizminister rigoros gegen Systemgegner vorgegangen war und andererseits nach Dollfuß‘ Ermordung dessen Nachfolger als Kanzler/Diktator wurde. Auch dieser Befund passt recht gut zu dem, was Meissner für die Volksschulen der Zeit herausfand, dass es nämlich mit Beginn der Kanzlerdiktatur Dollfuß/Schuschnigg „zu einer Inflation politischer Feierlichkeiten [kam], in welche die Schülerschaft eingebunden wurde.“967 Hier ist nun eigentlich der Zeitpunkt zu 965 Hobsbawm 2012, 92. Die jeweilige Landes- und die Bundeshymne sind mittlerweile wichtige Unterrichtsinhalte und können zumindest in der ersten Strophe von beinahe jedermann gesungen werden. Gleichzeitig sind Hymnen auch ein Politikum, wie Diskussionen um die Änderung einer Zeile der österreichischen Bundeshymne 2012 zeigte, als die Stelle „Heimat bist du großer Söhne“ zu „Heimat großer Töchter und Söhne“ geändert wurde. 966 Meissner 2009, 417 – 419. 967 Ebd., 437.

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verorten, an dem die Synthese von Nation und Staat zum Nationalstaat und von der Schule zur ‚nationalen Schule‘ begann. Angelegt waren diese Entwicklungen aber bereits vorher, wie anhand von Beispielen aus dem praktischen Schulleben gezeigt werden konnte. Dementsprechend ambivalent gestaltete sich auch die Wechselbeziehung zwischen Staat und Schule, wie die zweite Forschungsfrage bereits vorwegnimmt: Im Vordergrund des Unterrichts stand meist nicht der Staat, sondern die engere Heimat, gewissermaßen also eine Lokalidentität statt einer gesamtstaatlichen. So waren oftmals lokale Dichter und Schriftsteller, Ereignisse und Landschaften Gegenstand von Haus- und Schularbeiten, lokale Feiertage fanden in der Rückschau mehr Beachtung als etwaige gesamtstaatliche. Die „imagined community“968 hatte also noch nicht die staatliche Dimension erreicht, sondern war noch sehr eng lokal begrenzt. Wie das Beispiel des Bundeslandes Tirol eindrücklich zeigt, war in erster Linie das als Heimat vermittelte und empfundene Heimatbundesland Ziel emotionaler Bindungen, weniger der österreichische Gesamtstaat:969 Tiroler empfanden sich in erster Linie als Tiroler, Salzburger als Salzburger und erst in zweiter Linie als Österreicher oder sogar als in Österreich lebende Deutsche. Die bis heute sehr starken Lokalidentitäten haben eine lange Vorgeschichte und sind insofern verständlich, als die Landeswerdung der heutigen Bundesländer auf das Hochmittelalter zurückgeht. Die für einen Wechsel in der Schulpolitik und -praxis verantwortlichen Umbrüche zu Beginn der 1930er Jahre waren in erster Linie politischer und in weiterer Folge gesellschaftlicher Natur. Nach dem Scheitern der Zollunion zwischen Deutschland und Österreich im Herbst 1932, das als Schlusspunkt der Anschlussbestrebungen sei 1918 gesehen werden kann, stellte sich wohl Resignation im Hinblick auf die weitere gemeinsame Zukunft ein, sodass umso deutlicher wurde, dass Österreich seinen eigenen Weg würde finden müssen. Weiters kam mit Adolf Hitler 1933 ein deutscher Kanzler an die Macht, der für die starke österreichische Sozialdemokratie (und viele Christlichsozialen) keine rosige Zukunft bedeuten konnte, wie sich in den folgenden Monaten und Jahren anhand der gewaltsamen Unterdrückung großer Bevölkerungsgruppen in Deutschland zeigte. Diese beiden großen politischen Lager Österreichs konnten also defacto kaum anders, als von einem Anschluss zumindest temporär Abstand zu nehmen. Als dritter Faktor kam die Ausschaltung des österreichischen Parlamentarismus‘ hinzu, wobei die Geschäftsordnungskrise des Nationalrats im März 1933 dafür eine willkommene Gelegenheit für die christlichsoziale Bürgerblockregierung darstellte, die parlamentarische Demokratie auf das Abstellgleis zu schieben. In dieser Gemengelage entschlossen sich die politischen und gesellschaftlichen Eliten des Landes970 zur nachhaltigen Umgestaltung Österreichs, wofür sie sich unter anderem in einem viel stärkeren Ausmaß als früher der Schule als Instrument zur Verbreitung ihrer politischen Ideologie bedienten. Die Berichte aus den Schulen belegen dies eindeutig. Nun kamen auch deutlich mehr Initiativen aus dem Unterrichtsministerium, als dies in den Vorjahren der Fall war: Während das Ministerium einerseits bei der Schulaufsicht und im Disziplinarrecht gegenüber den Lehrern die Zügel straffer zu halten begann und sie großem Druck aussetzte, in die Einheitspartei ‚Vaterländische Front‘ einzutreten,971 wurden andererseits auch die Schüler vermehrt zu Objekten disziplinärer Vorschriften und vor allem staatlicher Initiativen. Ab 1936 kam dann das 968 Anderson 2005. 969 Meissner 2009, 392. 970 Außer Wien wurden alle Landesregierungen der Bundesländer von CSP- oder Landbund-Politikern geführt, die Bundesregierung war ab 1920 ohnehin von der CSP dominiert. 971 Meissner 2009, 433.

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‚Österreichische Jungvolk‘ als beabsichtigter gemeinsamer Sammelplatz und als wichtige Disziplinierungsinstanz hinzu beziehungsweise hätte diese Aufgaben übernehmen sollen, denn in der Realität hatte das ‚Jungvolk‘ eine weit weniger gewichtige Rolle als die diversen katholischen Jugendorganisationen, die eine bedeutend größere Anzahl Jugendlicher vereinten.972 Dass die ‚Vaterländische Front‘ auch bei den Schulbüchern mitreden wollte, wie Meissner aus Archivmaterial des Unterrichtsministeriums rekonstruieren konnte, passt gut zum Bild einer semifaschistischen, pseudonationalen Diktatur, die ihre Ideologie mittels staatlicher Strukturen verbreiten wollte.973 Abschließend kann festgehalten werden, dass die mittleren und höheren Schulen Deutsch-Österreichs zwischen 1918 und 1938 der oftmals als konstitutiv für Schule beschriebenen Aufgabe, zur Verfestigung und Perpetuierung des nationalstaatlichen Rahmens beizutragen, nicht nachkamen beziehungsweise nicht nachkommen konnten. Das lag einerseits daran, dass sich die politischen Entscheidungsträger und Vertreter über die Ausgestaltung einer derartigen nationalen österreichischen Identität noch gar nicht einig waren und dementsprechend eine solche nicht in das Bildungswesen implementieren konnten, und andererseits zeigte sich, dass Schule Zeit benötigt, um politische Vorgaben umzusetzen und gesellschaftlichem und politischem Wandel Rechnung zu tragen. Dementsprechend schleppend war auch die Umsetzung der neuen Ideologie ab 1933/34, die wiederum nicht frei von Widersprüchen und somit für große Teile der Bevölkerung nur wenig attraktiv war. Im Rahmen dieser Arbeit wurde gezeigt, dass die enge Verflechtung von Schule, Politik und Gesellschaft weder ein neues noch ein überwundenes Phänomen ist. Vor allem zeigt der Text auch, dass in der Schule nicht alles so ankommt, umgesetzt wird und dann auch von den Schülerinnen und Schülern angenommen wird, wie dies politisch und gesellschaftlich gewünscht wird. Prinzipiell bestätigt wurde auch die Relevanz von staatlicher Beschulung für die Vermittlung von Werthaltungen, Einstellungen und Überzeugungen an junge Menschen. Dabei wurde jedoch klar, dass sich diese nicht einfach auf eine heranwachsende Generation überstülpen lassen, wie dies oftmals gewünscht wird. Auch unser Zeitalter der zunehmenden „Pädagogisierung sozialer Probleme“974 muss zur Kenntnis nehmen, dass die Leistungsfähigkeit des Systems Schule begrenzt ist: Weder lässt sich mit Hilfe der Schule ein Nationalstaat von heute auf morgen begründen, noch können damit gesellschaftliche Probleme wie Armut, ungerechte Verteilung von Vermögen und Aufstiegschancen, Rassismus oder Sexismus beseitigt werden. Schule kann ein Teil der Problemlösung sein – entgegen anderslautenden Versprechungen jedoch nicht der alleinige Schlüssel. Nationalismus ist als Ideologie beinahe wieder omnipräsent. Wie er sich auf den weiteren Verlauf der Geschichte auswirken wird, ist noch nicht klar. Dass dies im von Aleida Assmann beschriebenen, positiven Sinne gelingen könnte,975 ist zu hoffen – eine Gewissheit ist es nicht.

972 973 974 975

Ebd. Ebd., 440. Tröhler 2016b. Aleida Assmann, Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen (C.H.Beck Paperback 6421), München 2020.

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Daniel Tröhler, National literacies, or modern education and the art of fabricating national minds, in: Journal of Curriculum Studies 2 (2020) 1, 1 – 16. Daniel Tröhler, Understanding nationalism through the lens of education, in: Daniel Tröhler (Hg.), Education, Curriculum and Nation-Building. Contributions of Comparative Education to the Understanding of Nations and Nationalism (Oxford Studies in Comparative Education) 2023. Abingdon, Oxon–New York, NY 2023, 1–6. Daniel Tröhler/Veronika Maricic, Education and the Nation: Educational Knowledge in the Dominant Theories of Nationalism, in: Daniel Tröhler (Hg.), Education, Curriculum and Nation-Building. Contributions of Comparative Education to the Understanding of Nations and Nationalism (Oxford Studies in Comparative Education) 2023. Abingdon, Oxon–New York, NY 2023, 7–33. Machteld Venken, Narrating the Time of Troubles in Polish School History Textbooks (1918-1989), in: Cahiers du monde russe 57 (2016) 4, 879 – 902. Machteld Venken, Borderland Studies Meets Child Studies. A European Encounter, in: Machteld Venken (Hg.), Borderland Studies Meets Child Studies. A European Encounter (Warsaw Studies in Contemporary History 6), Frankfurt am Main 2018, 11 – 42. Helmut Wohnout, Das autoritäre Österreich 1933/34-1938, in: Stefan Karner (Hg.), Die umkämpfte Republik. Österreich von 1918-1938, Innsbruck – Wien – Bozen 2017, 49 – 64.

Gedruckte Quellen

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6.3 Gedruckte Quellen 6.3.1 Gesetzestexte und Verordnungen976 Verordnung des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 29. September 1905, womit eine definitive Schulund Unterrichtsordnung für die allgemeine [sic!] Volksschulen und für Bürgerschulen erlassen wird, in: RGBl für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1905, LXIV. Stück, ausgegeben und versendet am 14. Oktober 1905, 401 – 433. Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 15. Juni 1911, betreffend die Erwerbung der Befähigung für das Lehramt an Mittelschulen (mit Einschluß der Mädchenlyzeen), in: RGBl für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1911, LI. Stück, ausgegeben und versendet am 23. Juni 1911, 405 – 417. Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1918, 1. Stück, ausgegeben am 15.11.1918, 1. Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats= und Regierungsform von Deutschösterreich, Art. 2, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1918, 1. Stück, ausgegeben am 15.11.1918, 5. Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Unterricht vom 23. November 1918, betreffend die Regelung der Schulaufsicht in Deutschböhmen, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1918, 11. Stück, ausgegeben am 29.11.1918, 64. Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Unterricht vom 23. November 1918, betreffend die Regelung der Schulaufsicht im Sudetenlande, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1918, 11. Stück, ausgegeben am 29.11.1918, 64. Gesetz vom 21. Oktober 1919 über die Staatsform, in: StGBl für den Staat Deutschösterreich 1919, 174. Stück, ausgegeben am 23. Oktober 1919, 1153. Verfassungsgesetz vom 29. Dezember 1921, womit ein selbständiges Land Wien gebildet wird (Trennungsgesetz), in: LGBl für Wien 1921, 75. Stück, ausgegeben am 29. Dezember 1921. Verordnung des Bundesministeriums für Unterricht vom 30. Juli 1926. betreffend den Lehrplan für die 1. bis 5. Schulstufe der allgemeinen Volksschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1926, 54. Stück, ausgegeben am 28. August 1926, 1115 – 1126. Bundesgesetz vom 2. August 1927, betreffend die Regelung des Mittelschulwesens (Mittelschulgesetz), in: BGBl für die Republik Österreich 1927, 61. Stück, ausgegeben am 8. August 1927, 1037 – 1038. Bundesgesetz vom 2. August 1927, womit einige Bestimmungen des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R. G. Bl. Nr. 62, in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1883, R. G. Bl. Nr. 53, abgeändert werden (Hauptschulgesetz), in: BGBl für die Republik Österreich 1927, 61. Stück, ausgegeben am 8. August 1927, 1039 – 1040. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 8. August 1927 zur vorläufigen Durchführung des Gesetzes vom 2. August 1927, B. G. Gl. Nr. 244 (Mittelschulgesetz), in: BGBl für die Republik Österreich 1927, 63. Stück, ausgegeben am 10. August 1927, 1047 – 1050. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 8. August 1927 zur vorläufigen Durchführung des Bundesgesetzes vom 2. August 1927, B. G. Gl. Nr. 245, womit einige Bestimmungen des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R. G. Bl. Nr. 62, in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 183, R. G. Bl. Nr. 53, abgeändert werden (Hauptschulgesetz), in: BGBl für die Republik Österreich 1927, 63. Stück, ausgegeben am 10. August 1927, 1050 – 1056. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 1. Juni 1928, betreffend die Festsetzung der Lehrpläne für die Hauptschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 41. Stück, ausgegeben am 12. Juni 1928, 853 – 932. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 1. Juni 1928, betreffend die Festsetzung der Lehrpläne für die Mittelschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 42. Stück, ausgegeben am 12. Juni 1928, 933 – 1156. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 24. Juli 1928, betreffend die versuchsweise Einrichtung einzelner Aufbauschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 58. Stück, ausgegeben am 14. August 1928, 1368 – 1369. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 24. Juli 1928, betreffend die versuchsweise Einrichtung von mehrjährigen Kursen (Arbeitermittelschulen), in: BGBl für die Republik Österreich 1928, 59. Stück, ausgegeben am 25. August 1928, 1371 – 1372. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 16. Juni 1930, betreffend die Lehrpläne für die allgemeinen Volksschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1930, 55. Stück, ausgegeben am 28. Juni 1930, 985 – 1050.

976 In chronologischer Reihenfolge.

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Literatur- und Quellenverzeichnis

Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 7. Juli 1932, betreffend die Lehrpläne für Lehrer= und Lehrerinnenbildungsanstalten, in: BGBl für die Republik Österreich 1932, 55. Stück, ausgegeben am 22. Juli 1932, 623 – 651. Verordnung der Bundesregierung vom 19. Juni 1933, womit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (Hitlerbewegung) und dem Steirischen Heimatschutz (Führung Kammerhofer) jede Betätigung in Österreich verboten wird, in: BGBl für die Republik Österreich 1933, 74. Stück, ausgegeben am 20. Juni 1933, 569. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 28. September 1933, betreffend die Neufestsetzung der Lehrverpflichtung der Bundeslehrer an Hochschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1933, 137. Stück, ausgegeben am 30. September 1933, 1094 – 1095. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 28. September 1933, betreffend Maßnahmen an Hochschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1933, 137. Stück, ausgegeben am 30. September 1933, 1095. Verordnung des Bundesministers für Unterricht, wirksam für das Land Oberösterreich, betreffend die politische Betätigung der Lehrpersonen an öffentlichen Volks-, Haupt- und diesen gleichgestellten Schulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 44. Stück, ausgegeben am 10. März 1934, 315 – 316. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 5. März 1934, wirksam für das Land Oberösterreich, womit einzelne Bestimmungen des Gesetzes vom 30. April 1923, L. G. u. V. Bl. Nr. 67, betreffend das Dienstverhältnis von Lehrpersonen an allgemeinen öffentlichen Volks- und Bürgerschulen in Oberösterreich (Lehrerdienstpragmatik), abgeändert werden, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 44. Stück, ausgegeben am 10. März 1934, 317 – 326. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 6. März 1934, betreffend die Auflassung der Bundeserziehungsanstalt in Wiener-Neustadt, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 44. Stück, ausgegeben am 10. März 1934, 326. Verordnung der Bundesregierung vom 12. März 1934, mit der das Gesetz vom 28. Juli 1917, R. G. Bl. Nr. 319 (Lehrerdienstpragmatik), abgeändert wird, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 48. Stück, ausgegeben am 17. März 1934, 350. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 19. März 1934, wirksam für das Burgenland, betreffend den Abbau verheirateter weiblicher, teilweise oder zur Gänze aus Landesmitteln entlohnter Lehrpersonen an den öffentlichen Unterrichtsanstalten und Kindergärten des Burgenlandes sowie andere dienstrechtliche Maßnahmen, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 52. Stück, ausgegeben am 24. März 1934, 359 – 361. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 23. März 1934, wirksam für das Land Oberösterreich, betreffend den Abbau der verheirateten Lehrerinnen an Volks- und Hauptschulen Oberösterreichs, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 53. Stück, ausgegeben am 27. März 1934, 368. Verordnung der Bundesregierung vom 23. März 1934, womit einige Bestimmungen des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, R. G. Bl. Nr. 62, in der Fassung des Bundesgesetzes vom 2. August 1927, B. G. Bl. Nr. 245, abgeändert werden, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 60. Stück, ausgegeben am 4. April 1934, 387 – 388. Verordnung der Bundesregierung vom 23. März 1934, betreffend die Mittelschulen, in: BGBl für die Republik Österreich 1934, 60. Stück, ausgegeben am 4. April 1934, 388 – 391. Kundmachung der Bundesregierung vom 1. Mai 1934, womit die Verfassung 1934 verlautbart wird, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1934, 1. Stück, ausgegeben am 1. Mai 1934, 1. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 18. Mai 1934, betreffend den vorläufigen Lehrplan für die erste Klasse der Hauptschule, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1934, 16. Stück, ausgegeben am 28. Mai 1934, 95 – 97. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 18. Mai 1934, betreffend den vorläufigen Lehrplan für die erste Klasse der österreichischen Mittelschulen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1934, 16. Stück, ausgegeben am 28. Mai 1934, 98 – 100. Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 18. Juni 1934, betreffend den vorläufigen Lehrplan für die Abschlußklasse an der Volksschule im Schuljahr 1934/35, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1934, 33. Stück, ausgegeben am 27. Juni 1934, 178 – 182. Bundesgesetz, betreffend die Umwandlung der Bundeserziehungsanstalt in Liebenau bei Graz in eine Militärmittelschule, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 65. Stück, ausgegeben am 18. Juni 1935, 871 – 872. Bundesgesetz über das Erfordernis einer militärischen Ausbildung für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 65. Stück, ausgegeben am 18. Juni 1935, 872 – 873. Verordnung des mit der Leitung des Bundesministeriums für Unterricht betrauten Bundeskanzlers, betreffend die Festsetzung des Lehrplanes für die Hauptschulen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 66. Stück, ausgegeben am 21. Juni 1935, 877 – 920. Bundesgesetz, betreffend die Erziehungsaufgaben der Hochschulen (Hochschulerziehungsgesetz), in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 71. Stück, ausgegeben am 1. Juli 1935, 966 – 968.

Gedruckte Quellen

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Verordnung des mit der Leitung des Bundesministeriums für Unterricht betrauten Bundeskanzlers, betreffend die Festsetzung des Lehrplanes für die Abschlußklassen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 76. Stück, ausgegeben am 9. Juli 1935, 987 – 1006. Verordnung des mit der Leitung des Bundesministeriums für Unterricht betrauten Bundeskanzlers, betreffend die Festsetzung der Lehrpläne für die Mittelschulen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1935, 78. Stück, ausgegeben am 11. Juli 1935, 1009 – 1332. Bundesverfassungsgesetz über eine allgemeine Dienstpflicht für öffentliche Zwecke (Bundesdienstpflichtgesetz), in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 21. Stück, ausgegeben am 1. April 1936, 121. Verordnung des mit der Leitung des Bundesministeriums für Unterricht betrauten Bundeskanzlers und des Bundesministers für Handel und Verkehr über die Hochschullager, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 32. Stück, ausgegeben am 14. Mai 1936, 219 – 220. Bundesgesetz über die „Vaterländische Front“, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 36. Stück, ausgegeben am 20. Mai 1936, 237 – 240. Bundesgesetz über die vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 72. Stück, ausgegeben am 29. August 1936, 755 – 756. Bundesgesetz, womit einige Bestimmungen des Bundesgesetzes über die vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule, B. G. Bl. Nr. 293/1936, abgeändert werden, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1936, 107. Stück, ausgegeben am 29. Dezember 1936, 1377 – 1378. Bundesgesetz, womit Bestimmungen über die Lehrerbildungsanstalten getroffen werden (Lehrerbildungsgesetz), in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1937, 10. Stück, ausgegeben am 2. Februar 1937, 241 – 243. Verordnung des Bundesministers für Unterricht über die Erwerbung der Befähigung für das Lehramt an Mittelschulen (Prüfungsvorschrift für das Lehramt an Mittelschulen), in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1937, 66. Stück, ausgegeben am 6. August 1937, 1197 – 1217. Verordnung des Bundesministers für Unterricht, betreffend die Festsetzung einer Allgemeinen Schulordnung für die Mittelschulen, in: BGBl für den Bundesstaat Österreich 1937, 71. Stück, ausgegeben am 27. August 1937, 1272 – 1276. Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 14. November 1984 über die Lehrpläne der allgemeinbildenden höheren Schulen; Bekanntmachung der Lehrpläne für den Religionsunterricht an diesen Schulen, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008568 [zuletzt abgerufen am 14.10.2022]. Bundesgesetz vom 25. Juli 1962 über die Schulorganisation (Schulorganisationsgesetz), Fassung vom 13.10.2022, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009265 [zuletzt abgerufen am 13.10.2022].

6.3.2 Andere gedruckte Quellen Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u. a. 1912, S. 126-127, online unter: http://www.zeno.org/ nid/20004459318 [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. Eduard Wolfgang Burger/Hans Groll, Handbuch der vormilitärischen Erziehung, Wien – Leipzig 1936. Franz Grillparzer, Grillparzers sämmtliche Werke in zehn Bänden. Dritte Ausgabe. Erster Band, Stuttgart 1878. Franz Grillparzer: König Ottokars Glück und Ende. Trauerspiel in fünf Aufzügen, Stuttgart/Berlin 1903, Kapitel 10, V. 346-354, online unter: https://www.projekt-gutenberg.org/grillprz/ottokar/ [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. Franz Grillparzer, Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte. Herausgegeben von Peter Frank und Karl Pörnbacher, Band 1 München 1960 – 1965, 318 – 319. Karl Koske, Vormilitärische Jugenderziehung an den Schulen. Behelf für die vormilitärische Ausbildung im Rahmen des Turnunterrichtes, an Wandertagen und an Freiluftnachmittagen 1. Teil, Wien 1937. Republik Österreich – Parlamentsdirektion, Zusammensetzung des Nationalrates von 1920 (1919) bis 1934, online unter: https://www.parlament.gv.at/WWER/NR/MandateNR/ [zuletzt abgerufen am 14.10.2022].

6.3.3 Zeitungs- und Zeitschriftenartikel Die Mörder von Schattendorf freigesprochen, Arbeiter-Zeitung, 15. 7. 1927. Die Präsidentenkrise im Nationalrat, Arbeiter-Zeitung, 6. 3. 1933. Die Präsidentenkrise im Nationalrat, Neue Freie Presse, 7. 3. 1933. Der Marsch der Vierzigtausend, Die Neue Zeitung, 15. 5. 1933. Normalisierung der Beziehungen Österreich-Deutschland, Wiener Zeitung, 12. 7. 1936.

192 |

Literatur- und Quellenverzeichnis

6.3.4 Schulbücher und Jahresberichte977 Schottengymnasium Wien

Vinzenz Blaha, 125. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Am Schlusse des Schuljahres 1931/32, Wien 1932. Vinzenz Blaha, 126. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1932/33, Wien 1933. Vinzenz Blaha, 127. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1933/34, Wien 1934. Vinzenz Blaha, 128. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1934/35, Wien 1935. Vinzenz Blaha, 129. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1935/36, Wien 1936. Vinzenz Blaha, 130. Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Ausgegeben am Schlusse des Schuljahres 1936/37, Wien 1937. Albert Hübl, Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Am Schlusse des Schuljahres 1919/20, Wien 1920. Albert Hübl, Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Am Schlusse des Schuljahres 1927/28, Wien 1928. Anton Sauer, Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien. Am Schlusse des Schuljahres 1918/19, Wien 1919.

Bundes-Gymnasium Baden

Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1925/26, Baden bei Wien 1926. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1929/30, Baden bei Wien 1930. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1931/32, Baden bei Wien 1932. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1932/33, Baden bei Wien 1933. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1933/34, Baden bei Wien 1934. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1934/35, Baden bei Wien 1935. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1935/36, Baden bei Wien 1936. Otto Sulzenbacher, Jahresbericht über das Schuljahr 1936/37, Baden bei Wien 1937.

Stiftsgymnasium Melk

Andreas Pühringer, 87. Jahresbericht des Öffentl. Stiftsgymnasiums der Benediktiner zu Melk a.D., Melk an der Donau 1937. Rudolf Schachinger, Neunundsechzigster Jahresbericht des Stiftsgymnasiums der Benediktiner zu Melk, Melk an der Donau 1919.

Gymnasium St. Pölten

Klaudius Chitil, 66. Jahresbericht des Bundes=Real= und Ober=Realgymnasiums und der damit verbundenen Bundes=Handelsschule in St. Pölten. Veröffentlicht am Schlusse des Schuljahres 1928-1929, St. Pölten 1929. Klaudius Chitil, 70. Jahresbericht des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums (Form A) und der damit verbundenen Bundeshandelsschule in St. Pölten. Jubiläums-Ausgabe, St. Pölten 1933. Klaudius Chitil, 71. Jahresbericht des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums (Form A) und der damit verbundenen Bundeshandelsschule in St. Pölten, St. Pölten 1934.

Realgymnasium Linz

Hans Commenda, XXVI. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1936/37, Linz 1937. Eduard Huemer, Jahres-Bericht des Staats-Realgymnasiums in Linz über das achte Schuljahr (1918/19). Schulnachrichten vom Direktor der Anstalt, Linz 1919. Eduard Huemer, Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz über das vierzehnte Schuljahr (1924/25). Schulnachrichten vom Direktor der Anstalt, Linz 1925. Alois Wolfersberger, XX. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1930/31, Linz 1931. Alois Wolfersberger, XXIII. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1933/34, Linz 1934. Alois Wolfersberger, XXIV. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1934/35, Linz 1935. Alois Wolfersberger, XXV. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Linz a. D. Schuljahr 1935/36, Linz 1936.

977 Zwecks Übersichtlichkeit werden die Jahresberichte getrennt nach Schulstandort angeführt.

Ungedruckte Quellen

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Bundes-Realgymnasium Gmunden

Karl Schuh, XXIII. Jahres-Bericht des d.-ö. Staats-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee, Gmunden 1919. Gustav Löffler, XXIV. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee, Gmunden 1927. Hans Gumpoltsberger, XXX. Jahres-Bericht des Bundes-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee, Gmunden 1933. Hans Gumpoltsberger, 32. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee. Oberösterreich, Gmunden 1935. Hans Gumpoltsberger, 33. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Gmunden am Traunsee. Oberösterreich, Gmunden 1936. Hans Gumpoltsberger, 34. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Gmunden am Traunsee, O.-Ö., Gmunden 1937.

Bundes-Realgymnasium Fürstenfeld

Max Hoffer, Siebenter Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums (der Bundes-Realschule) in Fürstenfeld. Veröffentlicht im Juli 1931, Fürstenfeld 1931. Oskar Lorenzoni, 12. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Fürstenfeld über das Schuljahr 1935/36, Fürstenfeld 1936. Oskar Lorenzoni, 13. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Fürstenfeld über das Schuljahr 1936/37, Fürstenfeld 1937. Franz Rauch, 10. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Fürstenfeld. Veröffentlicht im Juli 1934, Fürstenfeld 1934. Franz Rauch, 11. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums in Fürstenfeld. Veröffentlicht im Juli 1935, Fürstenfeld 1935.

Gymnasium der Franziskaner in Hall in Tirol

Rupert Dullnig, Jahresbericht des Öffentl. Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1932/33, Hall 1933. Franz Gorfer, Jahresbericht des Gymnasiums der Franziskaner zu Hall i. T. am Schluss des Schuljahres 1918-1919, Hall 1919. Franz Gorfer, Jahresbericht des Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1926/27, Hall 1927. Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1927/28, Hall 1928. Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Öffentl. Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1929/30, Hall 1930. Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Öffentlichen Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol am Schlusse des Schuljahres 1931/32, Hall 1932. Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Öffentlichen Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1936/37, Hall 1937. Epiphan Redhammer, Jahresbericht des Öffentlichen Gymnasiums der Franziskaner zu Hall in Tirol. Am Schlusse des Schuljahres 1937/38, Hall 1938.

6.4 Ungedruckte Quellen 6.4.1 Online-Ressourcen Dieter Binder, o.J., 1930: Korneuburger Eid, online unter: https://www.hdgoe.at/korneuburger-eid [zuletzt abgerufen am 14.10.2022]. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW): FPÖ-Zitatsammlung. Auswahl rechtsextremer, antisemitischer, rassistischer und europafeindlicher Äußerungen von FPÖ-SpitzenpolitikerInnen und -Medien, 2.3.2001, online unter: https://web.archive.org/web/20060902080940/http://www.doew.at/projekte/rechts/ fpoe/fpoezitate.html [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. Christian Fastl, Wurth, Johann, online unter: https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_W/Wurth_Johann.xml [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. Alfons Penz, Geschichte. Öff. Gymnasium der Franziskaner Hall in Tirol, online unter: https://www.franziskanergymhall.tsn.at/geschichte [zuletzt abgerufen am 18.10.2022].

194 |

Literatur- und Quellenverzeichnis

Vladimir Putin (2021, 12. Juli). Ob iztoriceskom edinstve russkich und ukraincev: Об историческом единстве русских и украинцев, online unter: http://kremlin.ru/events/president/news/66181 [zuletzt abgerufen am 31.01.2024]. Christian Reichhold, Rudolf Kirchschläger. Das Gewissen Österreichs (Baumeister der Republik) 2016, online unter: https://tvthek.orf.at/profile/Archiv/7648449/Baumeister-der-Republik-Rudolf-Kirchschlaeger/12722370/ [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. Karl Renner, Wilhelm Kienzl, Deutschösterreich, du herrliches Land. Hymne der Republik, online unter: https:// www.mediathek.at/atom/135E603D-05A-00061-000004A4-135DCBB9 [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. Kurt Schuschnigg, Letzte Rundfunkansprache als Österreichischer Bundeskanzler von Kurt Schuschnigg am 11. März 1938. Rundfunkansprache des österreichischen Bundeskanzlers Schuschnigg mit Erklärung auf Gewaltverzicht im Falle eines deutschen Einmarsches 1938, online unter: https://www.mediathek.at/atom/015C6FC22C9-0036F-00000D00-015B7F64 [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. Maximilian Alexander Trofaier, Geschichte des Schottengymnasiums, online unter: https://www.schotten.wien/ schottengymnasium/schulgeschichte/ [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. Universitätsbibliothek Wien, Homepage Zeitschriftensaal Teinfaltstraße, online unter: https://bibliothek.univie. ac.at/hauptbibliothek/teinfaltstrasse.html [zuletzt abgerufen am 18.10.2022].

6.4.2 Archivalische Quellen Hochschullager 1936 – Gesamtübersicht über die Aufteilung der Lagerteilnehmer, ÖStA, AVA, U-Allg., Hochschullager 1936, Karton 375, 24.769-I/1. Hochschullager 1936 – Bericht über Besichtigung, ÖStA, AVA, U-Allg., Hochschullager 1936, Karton 375, 29.032-I/1.

| 195 7 Personenregister Adler, Alfred: 43

Haydn, Joseph: 94, 104, 107, 118, 156

Anderson, Benedict: 12, 90, 128, 177, 180

Hitler, Adolf: 27, 32, 38, 39, 40, 79, 115, 159, 167, 182

Anzengruber, Ludwig: 120 Arndt, Ernst Moritz: 117, 132 Assmann, Aleida: 183 Austerlitz, Friedrich: 35 Billig, Michael: 23, 175, 177 Brubaker, Rogers: 166 Bruckner, Anton: 127 Bühler, Charlotte: 43 Bühler, Karl: 43 Burger, Eduard Wolfgang: 80 Clemenceau, Georges: 17, 30 Czermak, Emmerich: 105, 106, 156 Dinghofer, Franz: 35 Dollfuß, Engelbert: 6, 18, 21, 22, 30, 36, 37, 38, 48, 65, 67, 73, 79, 85, 89, 95, 96, 97, 101, 107, 111, 114, 118, 128, 129, 132, 139, 147, 149, 150, 151, 158, 160, 165, 177, 181 Dürer, Albrecht: 156 Glaise-Horstenau, Edmund: 39 Glöckel, Otto: 21, 44, 48, 175 Goethe, Johann Wolfgang von: 60, 76, 94, 98, 101, 104, 110, 111, 120, 121, 123, 134, 141, 145, 150, 153, 159, 162 Grillparzer, Franz: 60, 76, 98, 99, 109, 110, 111, 114, 115, 117, 120, 123, 126, 128, 131, 134, 140, 145, 159, 160, 161 Groll, Hans: 80

Hofer, Andreas: 68, 69, 72, 73, 77, 96, 107, 145, 148, 156, 158 Hoffer, Max: 146, 148 Hornek, Ottokar von: 117 Innitzer, Theodor: 106 Jerusalem, Wilhelm: 43 Kelsen, Hans: 43 Koske, Karl: 79, 80, 130 Kun, Béla: 31 Lammasch, Heinrich: 31, 93 Lorenzoni, Oskar: 148, 151, 152 Lux, Josef August: 103 Miklas, Wilhelm: 37, 105, 119, 148, 157 Milde, Vinzenz Eduard: 42 Osten, Anton Graf Prokesch von: 136 Pammer, Thomas: 176 Pawlikovsky, Ferdinand: 148 Peichl, Hermann: 94 Pernter, Hans: 84, 95, 96, 150 Pfrimer, Walter: 36 Pocock, John: 23, 26 Putin, Vladimir: 171 Radetz, Josef Wenzel Radetzky von: 56, 68, 69, 72, 73, 77, 99

Gumpoltsberger, Hans: 142

Raimund, Ferdinand: 97, 109, 120, 129, 131, 140, 158

Haider, Jörg: 169

Renan, Ernest: 9, 171, 177

Handel-Mazzetti, Enrica: 127

Renner, Karl: 31, 33, 124

Hantsch, Hugo: 107

Revertera-Salandra, Peter: 130

Harp, Stephen L.: 173

Rosegger, Peter: 145

196 |

Personenregister

Sachs, Hans: 103 Savoyen, Prinz Eugen von: 96, 108, 113, 130, 131, 149, 151, 158 Schiller, Friedrich: 60, 76, 96, 98, 100, 110, 120, 121, 128, 129, 131, 138, 145, 147, 153, 155, 159, 162 Schmidt, Guido: 39 Schober, Johann: 34 Schubert, Franz: 118, 126, 145 Schuschnigg, Kurt: 6, 18, 21, 22, 28, 30, 38, 39, 40, 69, 79, 85, 89, 95, 96, 105, 106, 107, 108, 128, 130, 146, 151, 160, 162, 165, 177, 181 Seipel, Ignaz: 31, 32, 36, 73, 121 Seyß-Inquart, Arthur: 40 Shakespeare, William: 60, 76, 98, 110, 120, 130 Skinner, Quentin: 23 Stelzhamer, Franz: 127, 129, 133 Straffner, Sepp: 36 Strauß, Johann: 103 Tegetthoff, Wilhelm von: 149 Triebl, Johann: 119 Tröhler, Daniel: 173, 177 Tzöbl, Josef: 107 Vogt, Theodor: 42 Wagner, Richard: 101, 119, 120 Weber, Eugen: 173 Wettstein, Richard: 148, 150 Wiesler, Florian: 146 Wilson, Woodrow: 11 Wodak, Ruth: 170 Wopfner, Hermann: 156 Wurth, Johann: 101, 102

forschung Der wiederaufkeimende Nationalismus rund um den Globus stellt die Wissenschaft erneut vor jene grundlegende Frage, mit der Ernest Renan in seiner Vorlesung von 1882 die moderne Nationalismusforschung begründete: Was ist eine Nation? Zweifellos benötigt eine Nation, die Benedict Anderson als „vorgestellte Gemeinschaft“ bezeichnete, eine gemeinsame Vorstellung der eigenen Gemeinschaft, für deren Aufbau oftmals die staatliche Schule eine wichtige Rolle

staatsideologie zwischen 1918 und 1938 beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass viele Aspekte der zeitgenössischen österreichischen Nationalstaatsidee bereits in der Zeit zwischen den Weltkriegen vorweggenommen wurde.

Der Autor Florian Gimpl (*1993) studierte von 2012 bis 2017 in Wien und Moskau das Lehramt für Russisch und Geschichte, bevor er 2018 das Doktoratsstudium der Bildungswissenschaft in Wien aufnahm, welches er 2022 abschloss und 2023 promoviert wurde. Von 2018 bis 2022 war er als Assistent am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien in Forschung und Lehre tätig. Er lebt in Wien, wo er als AHS-Lehrer tätig ist und sich mit der europäischen und österreichischen Geschichte und Zeitgeschichte auseinandersetzt. 978-3-7815-2631-0

9 783781 526310

Florian Gimpl

für den Aufbau und die Festigung einer österreichischen National-

Nation building in der Ersten Republik

spielt. In dieser Untersuchung wird die Rolle der staatlichen Bildung