Der Weltkrieg 1914–1917 und der “Zusammenbruch des Völkerrechts”: Band 1 [4., neubearb., stark verm. Aufl. Reprint 2018] 9783111420042, 9783111055664


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German Pages 560 Year 1917

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis des I. Bandes
Vorwort
1. Kapitel. Die völkerrechtliche Geltung der Abkommen der beiden Haager Friedenskonferenzen, insbesondere der sogenannten „Landkriegsordnung“ vom Jahre 1899 und 1907 für den jetzigen Krieg
2. Kapitel. Die Neutralität Belgiens
3. Kapitel. Die Mobilisierung und die Völkermoral
4. Kapitel. Feindselige Handlungen der Dreiverbandsstaaten vor der Kriegserklärung
5. Kapitel. Verletzung der Kongoakte. – Der Kolonialkrieg
6. Kapitel. Die Verwendung barbarischer Kriegsvölker im europäischen Kriege
7. Kapitel. Mißbrauch der Neutralität der Türkei
8. Kapitel. Die ägyptische Frage
9. Kapitel. Der Bruch der chinesischen Neutralität durch Japans und Englands Angriff auf Kiautschau
10. Kapitel. Die Verwendung von Dum-Dum-Geschossen und Ähnliches
11. Kapitel. Völkerrechtswidrige Behandlung diplomatischer Vertreter durch die Dreiverbandsstaaten. – Völkerrechtswidriges Benehmen diplomatischer Vertreter des Dreiverbandes
12. Kapitel
13. Kapitel. Franktireurkrieg und Mißhandlung Wehrloser vor und nach der Kriegserklärung (auch Gefangennahme von Zivilisten)
14. Kapitel. Aber Repressalien im allgemeinen und im Franktireurkrieg im besonderen. – Deutsche Gegenmaßregeln auf sanitärem Gebiete
15. Kapitel. Mißhandlung wehrloser Zivilisten vor und nach der Kriegserklärung
16. Kapitel. Gefangenenbehandlung: Völkerrechtswidrige Behandlung der Deutschen. Die Gefangennahme der Zivilisten insbesondere. Musterhafte Behandlung der feindlichen Gefangenen in Deutschland
17. Kapitel. Meuchlerische Tötung oder Verwundung von Verwundeten. Mißbrauch der weißen und der „Roten Kreuz-Flagge“ und Ähnliches
18. Kapitel. Niedermetzelung wehrloser Befangener insbesondere
19. Kapitel. Wegführung von Nichtkombattanten, Frauen und Kindern durch französische Soldaten aus Lothringen, durch Italiener aus den „befreiten, geplünderten Gegenden“
20. Kapitel. Plünderung und Zerstörung des deutschen Eigentums
21. Kapitel. Geiseln. – Nötigung zum Verrat. – Verletzung der Parlamentäre
22. Kapitel. Sonstige mannigfaltige Unmoralitäten der Kriegführung des Dreiverbandes (Prämien für Mord, für neutrale Spionage Verwendung von Zuchthäuslern usw. – „wilde Züge“; sonstiger Gebrauch unzulässiger Waffen; – Vorschicken von Zivilpersonen – Anwerbung deutscher Zivilgefangener in Frankreich für die Fremdenlegion; Praktiken zur Täuschung über die deutsche Staatsangehörigkeit eingestellter französischer Soldaten; – Bestechungen)
23. Kapitel. Die Russengreuel in Ostpreußen insbesondere. – Rußland und unsere Zukunft
24. Kapitel. Juden- und sonstige russische Greuel in Polen, Galizien, Bukowina, im Kaukasus usw. – Russischer Millionenmord als Ziel großrussischer Politik
25. Kapitel. Deutsche Verwaltung in Belgien und Polen: Vorwürfe wegen Hungersnot usw. – Der Abschub der Bevölkerung in Nordfrankreich
26. Kapitel. Privateigentum im Kriege nach völkerrechtlicher und deutscher Auffassung
27. Kapitel. Einige neutrale und feindliche Zeugnisse über das Verhalten deutscher Truppen. – Französische Rechtskomödien
28. Kapitel. Nochmals der „Geist“ der Dreiverbandstruppen: Disziplinlosigkeit, Grausamkeit, Plünderungen und Zerstörungen eigenen Gutes, Selbstverstümmelungen usw. – Urteile ihrer Offiziere über vielen völkerrechtsfeindlichen „Geist“ der Dreiverbandstruppen
29. Kapitel. Kriegslist? – Amtliche Lügen als Kampfmittel – Mißbrauch der deutschen Uniform
30. Kapitel. Kabelzerstörung und Ksbelmißbrauch
31. Kapitel. Nochmals die Lügen-Revanche der Dreiverbandsregierungen und ihrer Presse: ein völkerrechtswidriges Kampfmittel – Dreiverbands- „Kriegskunst“
32. Kapitel. Einige Bemerkungen über die französischen, englischen und belgischen „Greuelbücher“ und Ähnliches. – Allgemeines über die deutschen Untersuchungen der Greuel. – Englische Moralpredigten – englische Grausamkeiten insbesondere
33. Kapitel. Die amtliche deutsche Widerlegung der von der französischen und belgischen Regierung erhobenen Anschuldigungen. – Untersuchung der Verletzungen des Kriegsrechts durch deutsche Behörden
34. Kapitel. Kunst und Krieg. Der Fall der Kathedrale von Reims und ähnliches. Reims ein Schandfleck der französischen Geschichte. Nochmals Löwen
35. Kapitel. Die Beschießung und Einnahme von Antwerpen. – Verhalten unserer Feinde. (Beschießung von Ostende)
36. Kapitel. Das Herabwerfen von Sprengstoffen aus Flugzeugen auf Städte und Ortschaften. – Verwendung gasentwickelnder Geschosse
37. Kapitel. Spionage und „Verschwörung“ – Englische Schergendienste für Rußland
38. Kapitel. Die Verletzung der Schweizer Neutralität und der sonstigen neutralen Staaten durch den Dreiverband
39. Kapitel. Die Vergewaltigung Griechenlands durch die Ententemächte
40. Kapitel. Die englischen und südafrikanischen Greuel gegen Deutsche im Mai 1915 – ein Schandfleck Englands. – Russische Nachahmung Juni 1915
41. Kapitel. Italiens Verrat und Neutralitätsbruch
42. Kapitel. Rumäniens Verrat und Völkerrechtsbruch. – Rumänische Greuel
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Der Weltkrieg 1914–1917 und der “Zusammenbruch des Völkerrechts”: Band 1 [4., neubearb., stark verm. Aufl. Reprint 2018]
 9783111420042, 9783111055664

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Der

Weltkrieg »9)4-19)7 und der

„Zusammenbruch des Völkerrechts" Eine Nbwehr und Nt,klage von

Dr. Ernst Müller-Meiningen Mitglied des Deutschen Reichstags und der bayer. Abgeordnetenkammer

4. neubearbeitete, stark vermehrte Auflage

Band I

Berlin 1917 Verlag von Georg Reimer

Molto: Wir träumen nicht von raschem Lieg. Von leichten Nuhmesjügen. Lin Weltgericht ist dieser Krieg Und stark der Geist der Lügen. Doch der einst unsrer Väter Durg» Ge.rost, er führt auch uns hindurch l Vorwärts!

fm. Gelbel.

Hlle Red)le, insbesondere das der Überleitung in fremde Sprachen» vorbehalten.

Vem heldenmütigen deutschen Heere und seiner Waffenehre gewidmet

vom Verfasser

Inhaltsverzeichnis des I. Bandes. Seite

Politisches Vorwort. „Was ist uns dieser Krieg?"..................... Leitende Grundsätze zur 1. Auflage........................................................ Zur 2. Auflage..................................................................................... Zur 3. Auflage..................................................................................... Zur 4. Auflage..................................................................................... 1. Kapitel. Die völkerrechtliche Geltung der Abkommen der beiden Haager Friedenskonferenzen, insbesondere der sogenannten „Landkriegs­ ordnung" vom Jahre 1899 und 1907 für den jetzigen Krieg.

1 3 5 5 6 7

I. Teil. Landkriegsrecht. Dazu A. Die Enthüllungen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" vom 12. Oktober..................................................................... 53 B. Die Enthüllungen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" vom 24. November 1914........................................................ 58 C. Weitere Dokumente und Belege über den belgischen Verrat 62 3. Kapitel. Die Mobilisierung und die Völkermoral............................. 68 4. Kapitel. Feindselige Handlungen der Dreiverbandsstaaten vor der Kriegs­ erklärung .................................................................................. 73 5. Kapitel. Verletzung der Kongoakte. — Der Kolonialkrieg........................... 76 6. Kapitel. Die Verwendung barbarischer Kriegsvölker im europäischen Kriege.......................................................................................87 7. Kapitel. Mißbrauch der Neutralität der Türkei................................... 91 8. Kapitel. Die ägyptische Frage: a) Bruch der Neutralität Ägyptens................................................ 94 b) Verletzung der Neutralität des Suezkanals insbesondere ... 100 9. Kapitel. Der Bruch der chinesischen Neutralität durch Japans und Eng­ lands Angriff auf Kiautschau................................................... 105 10. Kapitel. Die Verwendung von Dum-Dum-Geschossen und ähnliches. . 112 11. Kapitel. Völkerrechtswidrige Behandlung diplomatischer Vertreter durch die Dreiverbandsstaaten. — Völkerrechtswidriges Benehmen diplomatischer Vertreter des Dreiverbandes............................. 125 12. Kapitel. A. Nichtbeachtung und Verletzung des Noten Kreuzes seitens der Dreiverbandstaaten ................................................................135 B. Rechtliche Betrachtung......................... 152

VI Setle

13.

14. 15.

16.

17. 18. 19. 20. 21. 22.

C. Ein Rechtsgutachten über die Führung des Roten Kreuz-Zeichens bei Transporten, insbesondere von „Liebesgaben", und die eng­ lische Praxis. . .................................................................... 159 D. Serbische Unmenschlichkeit.......................................................163 E. Einige neutrale Urteile über das Verhalten der Deutschen gegen verwundete und gefangene Feinde.......................................... 165 Kapitel. Franklireurtrieg und Mißhandlung Wehrloser vor und nach der Kriegserklärung (auch Gefangennahme von Zivilisten): A. Franttireurkrieg...................................................... 170 Der Ausstand in Löwen insbesondere....................... 172 Die „irischen Greuel" derEngländer........................................178 B. Das Wesen des Franltireurkrieges in rechtlicher Beziehung . . 182 Kapitel, über Repressalien im allgemeinen und im Franttireurkrieg im besonderen. — DeutscheGegenmaßregeln auf sanitärem Gebiete 192 Kapitel. Mißhandlung wehrloser Zivilisten vor und nach der Kriegsertlärung: I. Belgien................................................................................ 199 II. Frankreich ........................................................................ 204 III. England................................................................................ 208 Völkerrechtswidrige, unmenschliche Kriegführung durch die seindllchen Armeen und Regierungen des Dreiverbands und Belgiens.................................... 211 Kapitel. Gefangenenbehandlung: Völkerrechtswidrige Behandlung der Deutschen. Die Gefangennahme der Zivilisten insbesondere. Musterhafte Behandlung der feindlichen Gefangenen in Deutsch­ land .................................................................................... 211 B. über die Gefangennahme von Zivilisten und Ähnliches. . . 220 Rußland................................................................................ 221 England................................................................................ 225 Frankreich und die Kriegsgefangenen.......................................... 229 Nochmals Rußland............................................................... 233 C. Bemerkungen über deutsche Gefangenenbehandlung.....................238 Kapitel. Meuchlerische Tötung oder Verwundung von Verwundeten. Mißbrauch der weißen und der Roten Kreuz-Flagge und Ähnliches................................................................................ 246 Kapitel. Niedermetzelung wehrloser Gefangener insbesondere .... 255 Ein Seitenstück zum Baralong-Fall.......................................... 259 Kapitel. Wegführung von Nichtkombattanten, Frauen und Kindern durch französische Soldaten aus Lothringen, durch Italiener aus den „befreiten, geplünderten Gegenden".......................................... 261 Kapitel. Plünderung und Zerstörung des deutschen Eigentums .... 263 Kapitel. Geiseln ................................................................................ 268 Nötigung zum Verrat................................................... . 270 Verletzung der Parlamentäre................................................... 273 Kapitel. Sonstige mannigfaltige Unmoralitäten der Kriegführung des Dreiverbandes (Prämien für Mord, für neutrale Spionage —

VH Seite Verwendung von Zuchthäuslern usw. — „wilde Züge"; sonstiger Gebrauch unzulässiger Waffen; — Vorschicken von Zivilpersonen — Anwerbung deutscher Zivilgefangener in Frankreich für die Fremdenlegion; Praktiken für Täuschung über die deutsche Staatsangehörigkeit eingestellter französischer Soldaten; — Bestechungen).............................................................................................. 274 23. fapitcl. Die Russengreuel in Ostpreußen insbesondere. — Rußland und unsere Zukunft.............................................................................................. 284 Das politische Resümee gegen Rußland................................................. 302 Der Memeler Plünderungszug insbesondere...................................... 303 24. LVlpitel. Juden- und sonstige russische Greuel in Polen, Galizien, Buko­ wina, im Kaukasus usw. — Russischer Mittionenmord als Ziel großrussischer Politik................................................................................... 307 25. Krpitel. Deutsche Verwaltung in Belgien und Polen: Vorwürfe wegen Hungersnot usw. — Der Abschub der Bevölkerung in Nord­ frankreich (s. auch Kap. 70 Dd. 2)....................................................... 323 über das Begnadigungs- usw. Recht des abwesenden Königs im okkupierten Lande....................................................... 336 26. Kipitel. Privateigentum im Kriege nach völkerrechtlicher und deutscher Auffassung . .............................................................................................. 346 27. Kipitel. Einige neutrale und feindliche Zeugnisse über das Verhalten deutscher Truppen — Französische Rechtskomödien........................... 352 28. Kipitel. Nochmals der „Geist" der Dreiverbandstruppen: Disziplinlosig­ keit, Grausamkeit, Plünderungen und Zerstörungen eigenen Gutes, Selbstverstümmelungen usw. — Urteile ihrer Offiziere über diesen völkerrechtsseindlichen „Geist" der Dreiverbandstruppen: I. Freveltaten der französischen Soldateska............................................366 II. Rußland......................................................................................................... 377 III. England

......................................................................................................... 383

IV. Italien...............................................................................................................385 V. Rumänien

....................................................................................................385

29. Kipitel. Kriegslist? — Amtliche Lügen als Kampfmittel — Mißbrauch der deutschen Uniform................................................................................... 387 30. Kcpitel. Kabelzerstörung und Kabelmißbrauch................................................. 397 31. Kipitel. Nochmals die Lügen-Nevanche der Dreiverbandsregierungen und ihrer Presse: ein völkerrechtswidriges Kampfmittel — Dreiverbands-„Kriegskunst" .................................................................. 402 32. Kcpitel. Einige Bemerkungen über die französischen, englischen und belgischen „Greuelbücher" und Ähnliches. — Allgemeines über die deutschen Untersuchungen der Greuel. — Englische Moralpreoigten — englische Grausamkeiten insbesondere........................... 436 33. Kcpitel. Die amtliche deutsche Widerlegung der von der französischen und belgischen Regierung erhobenen Anschuldigungen — Unter­ suchung der Verletzungen des Kriegsrechts durch deutsche Be-

VIII Sette

34. Kapitel. Kunst und Krieg. Die Beschießung der Kathedrale von Reims und Ähnliches: Reims ein Schandfleck der französischen Ge­ schichte. Nochmals Löwen.......................................................458 35. Kapitel. Die Beschießung und Einnahme von Antwerpen. — Verhalten unserer Feinde. (Beschießung von Ostende)............................. 468 36. Kapitel. Das Herabwerfen von Sprengstoffen aus Flugzeugen auf Städte und Ortschaften. — Verwendung gasentwickelnder Geschosse . . 473 Fliegerangriff aus Karlsruhe.................................................. 477 Neue französische Fliegerangriffe auf offene deutsche Orte. . 479 37. Kapitel. Spionage und „Verschwörung". — Englische Schergendiensle für Rußland............................................................................ 484 38. Kapitel. Die Verletzung der Schweizer Neutralität und der sonstigen neutralen Staaten durch den Dreiverband............................. 494 Sonstige Neutralitätsmißachtungen seitens der Dreiverbands­ staaten (außer Griechenland).................................................. 501 39. Kapitel. Die Vergewaltigung Griechenlands durch die Ententemächte ([. auch unten Kap. 69)....................................................... 505 10. Kapitel. Die englischen und südafrikanischen Greuel gegen Deutsche im Mai 1915 — ein Schandfleck Englands. — Russische Nach­ ahmung 3uni 1915............................................................... 512 Die Ausschreitungen in Südafrika..........................................513 Russische Pogrome Juni 1915.............................................. 516 Der Standpunkt der Deutschen Regierung über die „Kündigung" des Dreibundvertrages........................................................... 527 Die Antwortnote des WienerKabinetts.................................... 529 Italiens Verhältnis zu Deutschland von Mai 1915 bis zur Kriegserklärung vom 26. August 1916.................................... 541 42. Kapitel. Rumäniens Verrat und Völkerrechtsbruch. — Rumänische Greuel.....................................................................................544

Vorwort. Was ist uns vieler krieg? Motto: Den Neid ganz Europas haben wir auf uns gezogen und alle Nachbarn rührig gemacht. Wenn aber die Ehre des Staates Euch zwingt zum Degen zu greifen, dann falle er auf Eure Feinde als der Blitz und der Donner in Einem. (Polit. Testament Friedrichs des Großen.)

Mit der Tat eines Unreifen und Fanatikers begann das Völker­ morden! Er gab den Austakt! Allrussischer Fanatismus, gewissen­ lose Korruption benutzten serbischen Größenwahn zur Entfachung des Weltenbrands! Dem Anstifter und jahrelangen Schürer England kam der Ausbruch freilich etwas zu bald! So gab er sich bis zuletzt das Ansehen des Friedensförderers, denn er wußte, daß die russische Heeresreorganisation noch unvollkommen und Frankreich militärisch nicht immer gut beraten war. Der Notwehreinzug deutscher Truppen in das tatsächlich längst nicht mehr neutrale Belgien, das englische Arglist zum Einfallstor für sich und den französischen Genossen erklügelt hatte, mußte ihm die äußere Folie geben, längst gegebene, aber der eigenen Volks­ vertretung abgeleugnete und verheimlichte Versprechungen, die es nur einhielt, da sie ihm Vorteile gegenüber der merkantilen Konkurrenz in Aussicht stellten, einzulösen. Auch Angst vor i n n e r e n Wirren trieb zum Kriege. Es ist eine Ironie der Weltgeschichte, daß der Staat, der am öftesten in der Geschichte vertragliche Gelöbnisse gebrochen und das Völkerrecht mißbraucht hat, sich auch hier wiederum als Vertreter des Völkerrechts aufspielte, das ihm nur da gilt, wo es seinen souverän herrschenden V o r t e i l in seiner Aufrechterhaltung erblickt, bas anzuerkennen er sich aber selbst da weigert, wo es die Einlösung der fundamentalsten Menschlichkeitsregeln bedeutet. So ist der ganze jetzige Weltkrieg von Anfang an auf praktische Völkerrechtsfragen abgestellt. Sein bisheriger Verlauf zeigt

die Unvollkommenheit unseres geltenden Völkerrechts wie die dringliche Notwendigkeit seiner weiteren Ausgestaltung, sobald der Krieg sein Ende gefunden hat. Die sogenannten „demokratischen Staaten" England und Frank­ reich, die in unnatürlichem Bunde mit der despotischsten aller Auto­ kratien und dem Iapanertum stehen, scheuen sich nicht, unter Hoch­ verrat an jedem Rassen- und Kulturgemeinschaftsgefühle die wilden Völker der ganzen Erde auf europäischem Boden wie in den Kolonien gegen Deutschland heranzuführen. Die Folge mutzte sein, daß solcher Barbarismus, der sich nicht schämt, mit Redewendungen von „Frei­ heit" und „Gerechtigkeit" zu operieren, in der Weltgeschichte noch nicht dagewesene Greuel der Kriegsführung hervorrief. Und sie sind da: im Osten und im Westen wird der Krieg mit Mitteln, die an die grausamsten Negerkämpfe in Afrika erinnern und die eine e w i g e S ch a n d e für die sogenannten Kulturnativnen bleiben werden, geführt. Roch mehr: um die eigenen Greuel zu beschönigen und abzuleugnen, hat ein unerhörter systematischer Lügenfeldzug eingesetzt, dem die völkerrechtswidrige Beseitigung der deutschen Kabel durch England von Anfang an galt: erzwungene Repressalien erhöhen die Mordgier. So droht der Krieg zum Grabe jeglicher Humanität und aller Gebräuche, die unter gesitteten Völkern bisher bestanden haben, zu werden. An Stelle des Ge­ wissens tritt die Vernichtungsmanie! Unsere Lage gleicht der des kleinen Preußens zu Beginn des Siebenjährigen Krieges von Monat zu Monat mehr! „Wahrlich bester wäre es, inmitten von Tigern und Leoparden zu leben, als in einem Zeitalter, das sich gesittet nennt, inmitten von Heuchlern, Räu­ bern und Treubrechern— Schwer ist die Arznei; allein große Übel heischen harte Kuren." Dieses Wort des großen Königs, das er auch gegen Rußland und Frankreich aussprach, gilt gegen unsere heutigen Gegner! Welche T o l l h e i t, der Welt erzählen zu wollen, daß ein Volk, das die besten Maschinen baute, das Wistenschasten und Künsten ein Hort war, das der inneren Kultivierung feines Landes die größte Aufmerksamkeit schenkte, deshalb, weil es auch die besten Offiziere und Kanonen besitzt, den Krieg suchen müßte. Rein, vom Kaiser bis zum ärmsten Taglöhner dachte kein Mensch an Krieg, haßte alles einen ungerechten Kampf, für den sich einzusetzen niemand gewagt hätte! Dem „preußischen M i l i t a r i s m u s", der „Unfreiheit" soll der Haß von dorther gelten! Wie töricht, sich ein freiheitliches, „demv-

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kratisches" Mäntelchen geben zu wollen, um die Schmach als zarische Vasallen zu verhüllen! Es gibt kein Deutschland von München oder Stuttgart, von Berlin oder Potsdam! Es gibt nur e i n e i n i g e s, kulturgleiches deutsches Volk! Hält man die 70 Millionen Deutsche, darunter ungezählte Millionen — vielleicht die Mehrheit —, die wahrhaft freiheitlich und „demokratisch" denken, für lauter Narren? Zu glauben, daß dies Volk sich jeder Freiheit des Denkens und eigener Meinung begäbe — ein Volk sokritischen Sinnes, von so wissenschastlicher Gründlichkeit wie das deutsche? Nein, das ganze deutsche Volk weiß heute, daß es sich um Sein oder Nichtsein, um dieFortdauer deutscher Kultur und die Aufrechterhaltung all dessen handelt, was unsere Väter und Großväter seit 100 Jahren politisch und auf dem Schlachtfelde errungen und erkämpft. Darum gibt es heute keine Parteien, sondern nur Deutsche, und so lange schweigt jeder Gegensatz, so lange sind wir nur eine Seele und ein Körper, bis der letzte Feind zu Boden liegt! Das schwören wir alle Tage.erneut in diesen gewaltig großen Tagen! Und wahrhaftig, dieses Volk hält seinen Schwur! Deutschland, das die große welthistorifcheAusgabe hat, ein Bollwerk für die Kultur, die Freiheit und Selbstbestimmung der Nationen Westeuropas gegen die größte Gefahr Europas, das russische Tartarentum, zu bilden, wird trotz französischen Rache­ durstes, englischer Gewisienlosigkeit, italienischen und rumänischen Verrats nicht unterliegen! Ein Volk von solch titanenhafter Kraft und Begeisterungsfähigkeit wird nicht nur siegen, sondern auch die ungeheuren Schädigungen an Kultur- und Völkerrechtswerten mit seiner Riesenorganisationsfähigkeit wieder gut machen! Dann sollen Völkerrecht und Völkerfteiheit an deutscher Kultur — an deutschem Wesen, voll genesen!

Leitende Grundlätze ?ur t. Anklage.

Das Tatsachenmaterial wurde bis Dezember 1914 verwertet. Der Verfasser hat sich vielfach nur auf Stichproben beschränkt, da das ganze veröffentlichte Material allein ein dickes Buch geben würde. Verlagstechnische Gründe beschränken den ursprünglich beabsichtigten Umfang der Arbeit wesentlich. Es muß zudem den beiden amti*

4 lichen Kommissionen für Belgien und Ostpreußen die Sammlung der einzelnen Fälle überlassen bleiben. Auch die gegnerischen An­ würfe gegen die deutsche Armee sind, wo diese in engem Zusammen­ hange mit den deutschen Anklagen stehen, widerlegt. So wurde denn diese Schrift nicht bloß zu einer völkerrechtlichen Anklage gegen die barbarische Kriegführung der Dreiverbandstaaten, sondern auch zu einer Ehrenrettung der deutschen Krieg­ führung gegen die Verleumdungen unserer Gegner. Sachlich ist das Material und seine juristische Behandlung wesentlich umgrenzt von dem Verhalten der drei großen Mächte Ruß­ land, Frankreich und England. Wegen des engen Zusammenhanges mußten natürlich die belgischen und japanischen Vorgänge in gleicher Weise mitbeleuchtet werden. Die Anklagen Österreich-Ungarns gegen Serbien und Montenegro mußten, da die Nachrichten darüber von hier aus zu schwer zu kontrollieren sind, ausgeschaltet werden. Öster­ reichische Klagen gegen russische Greuel konnten aus denselben Gründen nur ausnahmsweise Berücksichtigung finden. Was die Sammlung und Verwertung des Tatsachen­ materials anlangt, so mußte in erster Linie das in der In- und Auslandspresse veröffentlichte Material der juristischen, völkerrecht­ lichen Betrachtung zugrunde gelegt werden. Dabei hat der Verfasser durchaus nur das Material, für dessen Richtigkeit ein zuverlässiger Zeuge oder Gewährsmann genannt ist, oder das nach Quellen und näheren Umständen als zuverlässig gelten konnte, verwendet. Sehr erschwert wurde selbstverständlich das Quellenstudium durch die militärisch notwendige Verschweigung des in Betracht kommenden Truppenteils bei den meisten veröffentlichten Mitteilungen. Vom Inhalt anonymer Soldatenbriefe usw. wurde Abstand genommen, dagegen wurden die amtlichen Darstellungen des W. T. B. und der Nordd. Allg. Ztg. vielfach als durchaus zuverlässig benutzt. Die Systematik mußte bei der Gruppierung des Tatsachenmaterials praktischen Erwägungen weichen. Möge das Buch eine Waffe der Aufklärung für deutsche Sitte, deutsche Waffenehre und deutsche Rechtsliebe sein! München, 22. November 1914.

5

Zur

2. Anklage.

Die 2. Auflage ist eine unveränderte geblieben — aus praktischen Gründen, die in der politischen und militärischen Situation sowie in der Kürze der Zeit seit dem Erscheinen des Buches lagen. Ich freue mich, daß die Kritik durchweg den bescheidenen Versuch, die große Zeit vom völkerrechtlichen Standpunkte aus zu begleiten, so wohlwollend aufgenommen hat. München,?. Februar 1915.

Zur

3. Anklage.

Der Titel des Werkes stellte sich als zu unbestimmt und abstrakt heraus. Er wurde dieser Einsicht entsprechend abgeändert. Die Apostrophierung des „Zusammenbruchs des Völkerrechts" geschah, um den Charakter des Ausdrucks als eines Schlagwortes anzudeuten. Daß das Buch aus einem juristischen auch zu einem poli­ tischen wurde, liegt im Thema, sowie in der einzigartigen, gewaltigen Zeit. Die Geschichte der völkerrechtswidrigen Krkegsgreuel hat sich allmählich zu einer Betrachtung zahlreicher zusammenhängender Kriegsfragen überhaupt entwickelt, ist sohin eine Art von politischvölkerrechtlichem Lexikon des Weltkrieges gewor­ den, in dem leider, um das Werk nicht allzu sehr anschwellen zu lasten, manche interessante Frage nur gestreift werden konnte. Die Neuauflage mußte an sich, um vollkommen auf der Höhe der kriegerischen (Ereignisse zu stehen, in tatsächlicher und rechtlicher Richtung bedeutend erweitert werden. Der tatsächliche Stoff hat sich seit dem Anfang Dezember, der Zeit des Abschlustes der 1. Auflage bis zum Abschluß der 3. Auflage (15. Juni 1915), ungefähr ver­ doppelt. Der 2. Teil (Seerecht) ist nahezu eine neue Arbeit. Diese Zunahme des Stoffes hat in der Art der Kriegführung ihren Grund. Nicht bloß Munition, auch diploma­ tische und sonstige amtliche Kriegsarbeit zeitigt dieses titanenhafte Ringen der Großmächte und Völker in ungeahntem Umfange. Es mußte sonach, um die verlagstechnisch nachteilige Trennung in 2 Bände zu vermeiden, durch sorgfältige Sichtung, Kürzung und bessere Gruppierung teilweise Raum für den neuen Stoff geschaffen werden, zumal dem Verfaster erst jetzt das ganze amtliche Tatsachen­ material zugänglich gemacht werden konnte.

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Nur ausnahmsweise fand eine blohe Verweisung auf den abge­ änderten Inhalt der 1. Auflage statt. Im übrigen erfüllt es den Verfasser, dem ärztliches Machtwort den Dienst an der Front versagte, mit Genugtuung, daß die günstige Aufnahme des Buches ihm die Möglichkeit gibt, einen kleinen Teil seiner Dankbarkeit an das heldenmütige deutsche Heer zu Master und zu Lande und seine Waffenehre durch die Fortsetzung dieser lite­ rarischen Arbeit zur Aufklärung des In- und Auslandes abtragen zu dürfen. Möge dem Deutschen Reiche beim Abschluste der nächsten Auflage ein glorreicher Frieden beschert sein! München, 1. Juni 1915.

Zur

4. Auflage.

Der vorjährige Wunsch hat sich trotz aller -deutschen Erfolge zu Wasser und zu Lande nicht erfüllt. Zur Aufklärung des neutralen Auslandes ist eine englische Ausgabe des Buches unter dem Titel „Who are the huns?“ Ende 1915 erschienen. Lawinenartig ist der Stoff selbst gewachsen. Trotz wesentlicher Kürzungen war die Zerlegung in zwei umfangreiche Bände unver­ meidlich. Möge die nunmehr abgeschlostene Arbeit nicht bloß eine Anklage gegen die furchtbare Verirrung der Völker, nicht bloß eine Verteidi­ gung deutscher makelloser Waffenehre, sondern ein Beweis für die Notwendigkeit des Neuaufbaues unserer ganzen Rechts- und Macht­ verhältnisse sein, — sonst bleibt die „Freiheit der Meere" trotz aller papiernen Verträge ein leeres Schlagwort wie bisher. Videant consules!

Die Stoffsammlung geschah bis gegen Ende 1916. München, Dezember 1916. Der Verfasser.

1. Kapitel. Die völkerrechtliche Geltung der Abkommen der beiden Hasser Friedenskonferenzen, insbesondere der logenannten „TandKriegSordnung" vom Zähre 1899 und 1907 für den jetzigen Krieg.

I. über die Geltung der wichtigen Bestimmungen der Abkommen der ersten und sodann der zweiten Friedenskonferenz, insbesondere des wichtigsten IV. Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 (Urtext französisch, mit Über­ setzung abgedruckt im R.-G.-Bl. 1910 6. 107) mit Anhang „Ord­ nung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", kurzweg im fol­ genden „Landkriegsvrdnung" genannt, ist in letzter Zeit in der Öffent­ lichkeit eine lebhafte Diskusiivn entstanden, die hier vorweg behandelt werden mutz, obwohl sie, wie unter II und III nachgewiesen werden soll, materiell und praktischfür diese Erörterung weit weniger Bedeutung besitzt, als dies bei rein formaler Betrachtung erscheinen möchte. Und zwar, wie gleich hier festgestellt werden kann, wegen der materiellen Wichtigkeit des.vorausgehenden Abkommens über den gleichen Gegenstand auf der ersten Haager Friedenskonferenz von 1899. Die sogenannte Erste Friedenskonferenz trat bekanntlich am 18. Mai 1899 im Haag auf Veranlasiung des Kaisers von Ruß­ land zusammen. Sie war von 26 Staaten beschickt, darunter von sämtlichen zunächst kriegführenden Staaten. Auch Portugal und die Türkei, Rumänien, Italien wie Bulgarien als Kriegs­ teilnehmer der Folgezeit haben an der Konferenz teilgenommen. Der ursprünglich vorangestellte Abrüstungsgedanke trat während der Verhandlungen zurück und fand nur in einem „Wunsche" Be­ rücksichtigung. Das wichtige praktische Ergebnis aber war neben dem Abkommen zur friedlichen Beilegung internationaler ©tret-

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tigkeiten und dem Abkommen über die Anwendung der Genfer Konvention auf den Seekrieg das ungemein bedeutsame Abkommen über die „Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", von dem vornehm­ lich in dem ersten Teile dieser Schrift die Rede sein wird. Das Ab­ kommen ist von sämtlichen Konferenzstaaten unterzeichnet und rati­ fiziert worden. (Siehe für Deutschland R.-G.-Bl. Nr. 44 S. 393, insbesondere S. 423 ff.; dort ist unter dem 9. November 1901 das Abkommen publiziert.) Die Abkommen von 1899 haben ihreGültigkeitselbstfürdiejenigenStaaten,die sie ratifiziert, dem Abkommen der zweiten Frie­ denskonferenz von 1907 aber nicht beigetreten sind, vollinhaltlich behalten. Wichtig ist die Frage der Geltung der Beschlüsse der zweiten Haager Konferenz vor allem für diejenigen Abkommen, die erstmals im Jahre 1907 mit der soge­ nannten „Solidaritätsklausel" nach Art. 2 des IV. Ab­ kommens, wie wir sie einmal, wenn auch nicht ganz genau juristisch, nennen möchten, abgeschlosien wurden. Das sind die Abkommen auf dem Gebiete des Seerechts. Die erste Haager Friedenskonferenz hat außer den oben genannten zwei Abkommen, wie erwähnt, auf dem Gebiete des Seerechts nur das Abkommen über die Anwendung der Genfer Konvention auf den Seekrieg zustande gebracht. Außerdem freilich noch drei wichtige Erklärungen über die Beschränkungen der Kriegsmittel'). Die letztere Erklärung, die befristet war, hat nach Ablauf von fünf Jahren ihre Gültigkeit verloren, während die beiden anderen neben den Beschlüssen der zweiten Konferenz selbständig fort­ bestehen (s. Sartorius, Modernes Kriegsrecht, Sammlung, 1914, Beckscher Verlag S. X). Erst der zweiten Haager Konferenz gelang es, in acht verschie­ denen Abkommen die wichtigsten Materien des Seekriegsrechts einigermaßen zu ordnen (s. unten Kap. 28). Die Abkommen I über die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle, II betreffend die Be*) 2. Erklärung betreffend das Verbot der Verwendung von Eefchoffen mit erstickenden oder giftigen Gasen (f. Kap. 28 unten), 3. Erklärung betreffend das Verbot von Eefchoffen. die sich leicht im menschlichen Körper ausdehnen oder plattdrücken: sogenannten Dum-Dum-Eeschossen (f. Kap. 10), und endlich ein Ab­ kommen über das Abwerfen von Gefchvffen und Sprengstoffen aus Luftschiffen oder auf ähnlichen neueren Wegen, abgedruckt das erstere R.-G.-BI. 1901 S. 474, das zweite N.-G.-Bl. 1901 S. 478; f. über das dritte und die anderen tlllmann, Völkerrecht, 1908, S. 479; v. Liszt, Völkerrecht. 6. Aufl. S. 39, 298, Meurer, Haager Friedenskonferenz 1905, 1907 II S. 441 ff.; A. Zorn, Das Kriegsrechl zu Lande in seiner neuesten Gestalt, 1907, 6. 133 ff.



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schränkung der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von Ver­ tragsschulden interessieren hier wenig. Die Bestimmungen des III. Abkommens über den Beginn der Feindseligkeiten behandeln wir unten in Kap. 4. Besondere Wichtig­ keit für unsere Betrachtung hat das IV. Abkommen, das „Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", dem sich das Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs unmittelbar anschließt. Das Verhalten der 44 Konferenzstaaten zu den einzelnen Ab­ kommen war erklärlicherweise kein gleichmäßiges. Das IV. Abkommen wurde von sämtlichen Konferenzmächten außer China, Nikaragua und Spanien, also auch von Serbien und Montenegro, Bulgarien, Italien und Rumänien sowie Griechenland unterzeichnet; ratifi­ ziert wurde es aber von den jetzt im Kriege stehenden nur von Deutschland, Österreich-Ungarn, Großbritannien, Rußland, Belgien, Frankreich, Japan, Portugal, Rumänien. Nicht ratifiziert wurde es von Serbien und Montenegro, auch nicht von der Türkei, Bulgarien und Griechenland. Wiederholt fei aber festgestellt und daran erinnert, daß das Ab­ kommen über den gleichen Gegenstand bei der ersten Konferenz wie auch die drei oben erwähnten „Erklärungen" von den s ä m t l i ch e n neun Kriegsmächten, einschließlich Serbien und Montenegro, unter­ zeichnet und ratifiziert wurden. Run ist richtig, daß die meisten im Jahre 1907 im Haag geschlosse­ nen Konventionen, darunter insbesondere das oft zitierte IV. Abkom­ men, die ausdrückliche Bestimmung enthalten: „Diese Bestimmungen (der im Art. 1 angeführten Ordnung sowie des vorliegenden Ab­ kommens) finden nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung und nur dann, wenn die Kriegführenden sämtlich Vertrags­ parteien find" (kurz „Solidaritätsklausel", bei Zitelmann „All­ beteiligungsklausel" genannt). Die Klausel ist in den Abkommen 5, 6, 7—9, 11, 13 enthalten. Allein aus dem Umstande, daß Montenegros und Serbiens Herr­ scher die Ratifikation all dieser hochwichtigen Abkommen, insbesondere über das Seekriegsrecht, nicht für gut hielten, nun ableiten zu wollen, daß jetzt auch im Kampfe zwischen all den Großmächten der Welt Deutschland, Österreich, Rußland, Frankreich, England und Japan (außerdem u. a. Vereinigte Staaten, Belgien und Portugal) die zwischen diesen Staaten ratifizierten Abkommen über eine menschlichere Kriegführung nicht gelten sollen, dagegen sträubt sich Moral

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und Vernunft zu gleicher Zeit'). Die Bestimmung des Art. 2 des oben zitierten Abkommens kann nur den Sinn haben, daß, wenn eine kriegführende Macht, die das Abkommen unterzeichnet und ratifiziert hat (A) mit einer andern Macht, die das nicht getan hat (B), im Kriege, d. h. in kriegerischen Operationen, steht, auch die erstere (A) an diese Normen nicht gebunden ist. Man könnte höchstens an­ nehmen, daß, wenn die Macht B im Bunde und in tatsächlicher Kooperation mit einer kriegführenden Macht der Klasse A gegen eine andere Macht dieser Kategorie steht, die Normen des Abkommens praktisch nicht eingehalten werden können. Es mutz also jeden­ falls eine tatsächliche Kriegführung zwischen den beiderseitigen Mächten vorliegen. Also praktisch gesprochen: die Normen der Landkriegsvrdnung gemäß dem Abkommen von 1907 werden für die Kriegführung zwischen Österreich-Ungarn einerseits und Serbien und Montenegro andrerseits nicht angesprochen werden können. Es gelten für ihre Kämpfe nur die Bestimmungen des Abkommens von 1899. Sie würden auch für Rußland im Kampfe gegen ÖsterreichUngarn zwar gelten, aber schwerlich praktisch gehandhabt werden können, wenn Rußland mit serbischen und montenegrinischen Kräften gemeinsam gegen Deutschland und Österreich-Ungarn kämpfen würde. Aber die ganze völkerrechtliche Geltung aller Abkommen und ins­ besondere der Landkriegsordnung von 1907 für die Heere der Ratifikationsstaaten abhängig zu machen von Montenegro und Serbien, wäre geradezu eine Lächerlichmachung des ganzen Völkerrechts! Weil Montenegro nicht ratifizierte, sollen die teilweise auf dem ratifizierten Abkommen von 1899 basierenden, von den Großmächten unterzeichneten Humanitätssätze von 1907 im Kriege zu Land und z u W a s s e r zwischen Deutschland und England oder Frankreich und Deutschland keine Geltung haben? Daran hat sicherlich kein Mensch gedacht. Jede Macht hätte diesen Gedanken als praktisch unmöglich zurückgewiesen. Solcher Formalismus würde zum Unsinn! (S. die Zitate aus dem Konferenzprotokoll bei Strupp, Kommentar S. 160, 161.) Für diese Auffassung spricht auch die Wortfasiung: „Die Krieg­ führenden" sämtlich müssen Vertragsparteien sein. Deutschland, Serbien und Montenegro waren lange Zeit Kriegsparteien, aber sie *) Nöldeke kommt in der „Deutschen Iuristen-Zeitung" 1916 Nr. 5/6 S. 266 auf dem Wege des Begriffes der Verletzung der guten Sitten und der Arglist schließlich zu gleichem Resultate. Er konstatiert, datz das deutsche Oberprisengericht zu Berlin in einem Urteil vom 17. Dezember 1914 und das englische Prisengericht ähnlich, wie hier ausgeführt, entschieden haben.

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führten faktisch keinen Krieg miteinander, da sie räumlich dazu nicht in die Lage kamen. Als sie zur Kriegführung kamen, bestanden natürlich auch zwischen ihnen die Normen des Abkommens von 1907 nicht; es konnte aber nicht dadurch zu einer Aufhebung der Normen des Ab­ kommens für die anderweitige Kriegführung der Großmächte kommen. Stellt man sich auf einen andern Standpunkt, so kommt man zu dem geradezu grotesken Schlüße, daß die sämtlichen 27 Ratifikativnsstaaten, darunter sämtliche Großstaaten der Welt, ihre Kriegführung von Serbien und Montenegro e tutti quanti ab­ hängig machen. Will also ein Staat von den menschlicheren Sätzen der Kriegführung nach dem Abkommen von 1907 los­ kommen, so hat er, da die Kündigung des Abkommens nach Art. 8 Abf. 2 sehr erschwert ist (indem sie nur in Ansehung der Macht wirksam sein soll, die sie erklärt hat und erst ein Jahr, nachdem die Erklärung bei der Regierung Her Niederlande eingegangen ist), nur dafür zu sorgen, daß einer der beiden das europäische Kriegs­ recht wenigstens nach der negativen Seite souverän beherrschenden Staaten Serbien und Montenegro sich an dem Kriege beteilige. Das kann im Ernst nicht der Sinn jener Bestimmung sein. Wollte man das annehmen, so wären für alle Zukunft solche völkerrechtlichen Ab­ machungen diskreditiert. Auch die ganze Einleitung des Ab­ kommens (f. unten) spricht für diese Auslegung. Tatsächlich haben auch in ihren verschiedenen Protesten die krieg­ führenden Großmächte und ihre völkerrechtlichen Vertreter (s. die Telegramme des deutschen Kaisers an Präsident Wilson, die ver­ schiedenen Äußerungen des deutschen Reichskanzlers, der Protest der französischen Regierung wegen der Beschießung der Kathedrale von Reims und die Antwort darauf, die verschiedenen Teildenkschriften der deutschen Regierung s. unten Kapitel 12, 13, 14 ff. usw., sowie das deutsche Große Hauptquartier in zahlreichen Tagesberichten) an eine solche Auslegung nicht gedacht und sich direkt auf die Normen des Abkommens und der Anlage (Landkriegsordnung) von 1907, und nicht des Jahres 1899, bezogen (s. auch unten, wo nachgewiesen ist, daß sämtliche Kriegführenden de facto die Haager Abkommen aner­ kannten). Zu welchen merkwürdigen Konsequenzen die gegnerische Annahme führen würde, zeigt sich ganz besonders bei den verschiedenen See­ kriegsabkommen: denn der Hauptfortschritt zwischen dem inter­ nationalen Abkommen von 1899 und demjenigen von 1907 liegt, wie erwähnt, auf dem Gebiete des Seekriegsrechts, auf dem also auch Serbien und Montenegro, die großen „Seestaaten", dominieren sollen!

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Diese Abkommen sind in der Mehrzahl trotz der sogenannten Solidari­ tätsklausel nicht von Montenegro ratifiziert, teilweise von Serbien und Montenegro nicht einmal unterzeichnet. Soll etwa bei Ab­ kommen, die von allen seefahrenden Nationen unterzeichnet und rati­ fiziert wurden, wegen derselben unklaren Klausel, weil Montenegro nicht ratifizierte, der Zustand von 1856 erhalten bleiben? Irgendeiner der kleinen Naubstaaten würde dann jederzeit alle diese Verbesterungen und Milderungen des modernen Krieges für die ganze Welt zu verhüten wisten. Montenegro ist übrigens bis heute auch der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 noch nicht beigetreten. Die Scheinlogik der Abkommen von 1907 auf die Deklaration von 1856 übertragen, würde also den alten Kaperkrieg mit all seinen Grausamkeiten wieder aufflammen lasten. Daß die Deklaration von 1856 eine klarere Schlußbestimmung besitzt, wonach die Erklärung nur für diejenigen Mächte gilt, welche derselben beigetreten sind oder ihr beitreten werden, ist noch kein Be­ weis dafür, daß die unglückliche F a s s u n g der neuen Abkommen von 1907 zu einer ebenso unglücklichen Auslegung zwingt. Dagegen findet sich die merkwürdige Klausel z. B. auch bei dem (10.) Ab­ kommen (Art. 18) über die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg. Ist es nicht eine Ungeheuerlichkeit, zu denken, daß unter Umständen auch diese humanen Bestim­ mungen von der Ratifikation eines einzelnen kleinen Staates für alle 28 Staaten, die sie unterzeichnet und ratifiziert haben, abhängig sein sollen? Wir werden unten sehen, daß sich sogar Staaten, die sie nicht ratifizierten, doch auf sie berufen. Wir werden nachweisen können, daß, trotz des Mangels der Ratifizierung seitens einzelner kriegführender Staaten und trotz der sogenannten Solidaritätsklausel, Großmächte, auch insbesondere England, auf solche nicht ratifizierte Abkommen Bezug nehmen und ihre Anwendung verlangen: Ja daß sogar in Fällen, in denen Eng­ land selbst die Abkommen nicht ratifizierte, es sich auf sie beruft! Auch d i e Erwägung ist wohl zu berücksichtigen, daß doch ver­ nünftigerweise nur die Gegenpartei, d. h. in diesem Falle Deutschland und Österreich, die Nichtgeltung der völkerrecht­ lichen Normen von 1907 geltend zu machen hätte, da einer der ihnen feindlichen Staaten die Ratifikation unterlassen und auf die Rechte aus dem Abkommen verzichtet hat, nicht aber die mit Montenegro und Serbien verbündeten Staaten, die ihren Landheeren gemäß Art. 1 des IV. Abkommens Verhaltungsmaßregeln geben oder gegeben haben, die der „Landkriegsordnung" entsprechen und die ihrerseits

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von den gegnerischen Staaten Deutschland und Österreich die Wohl­ taten aus dem Abkommen von 1907 genießen. (Köhler teilt die hier vertretene Anschauung: D. I.-Z. 1914 Nr. 21/22 S. 1256, ebenso Karl Strupp, Zeitschr. für internal. Recht Bd. XXV S. 301 ff.. Wehberg, Neuberg, Schönborn u. a.) Anders Ernst Zitelmann im Archiv des öffentl. Rechts Bd. 35 Heft 1, der aber durch die sub III niedergelegten Gründe schließlich fast zum selben Resultat kommt (s. S. 26 dortselbst). Es ist charakteristisch, daß er durch Marokko, einen halbzivilisierten Staat, sich selbst von der „Allbeteiligungsklausel" los­ macht. Das ist bei den sonstigen Ausführungen Zitelmanns sicher­ lich nicht konsequent; aber auf solche Abwege kommt man durch die scheinbare Konsequenz (s. 1. c. S. 23/24), die zu ganz unmöglichen Haarspaltereien führt. II.

Für den Landkrieg kommt aber ein anderer materiell ent­ scheidender Grund für die Geltung der Bestimmungen über die „Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", wie sie in der Anlage der Abkommen von 1907 und 1899 niedergelegt sind, in Betracht. Er zeigt, daß tatsächlich den unter I erörterten schwierigen Auslegungs­ fragen bezüglich des Art. 2 des IV. Abkommens vom Jahre 1907 praktisch wenig Bedeutung für den Landkrieg zukommt. Die Hauptbestimmungen der Landkriegsordnung, um die es sich im folgenden in erster Linie handelt, sind auch materiell bereits bei der sogenannten ersten Friedenskonferenz beschlossen worden. Die „Gesetze und Gebräuche des Landkriegs" von 1899 sind neben den oben genannten drei Erklärungen über Beschränkun­ gen der Kriegsmittel, wie erwähnt, von sämtlichen Staa­ ten, die heute den Krieg führen (auch Per­ sien), unterzeichnet und ratifiziert worden") (R.-G.-Bl. 1899 S. 482). Die Abkommen von 1899 haben also, wie wiederholt betont sei, ihre Gültigkeit behalten selbst für diejenigen Staaten, die sie ratifizierten, dem Abkommen der zweiten Frie­ denskonferenz (1907) aber nicht beigetreten sind. Art. 4 des Abkommens von 1907 bestimmt, daß dieses nach seiner Ratifikation für die Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten an 1) 3n Betracht kommen also Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Frank­ reich, Großbritannien, (Griechenland), Italien, Japan, Montenegro, (Persien), Por­ tugal, Rumänien, Rußland, Serbien, Türkei und Bulgarien.

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die Stelle des Abkommens vom 29. Juli 1899 treten solle. „Dieses Abkommen bleibt aber in Kraft für die Beziehungen zwischen den Mächten, die es unterzeichnet haben, die aber das vorliegende Ab­ kommen nicht ratifizieren sollten')." Der Text von 1907 ist in der Hauptsache eine unwesentliche Abänderung des Textes von 1899. Sogar die Einleitung, die wir unten Kapitel 13 abdrucken, entspricht völlig dem Wortlaute der Fassung von 1899. Der maßgebende Art. 1 entspricht fast wörtlich dem Text von 1907. Die Unterschiede sind redaktioneller Art. Der wesentliche Unterschied besteht in Art. 3. Das Abkommen von 1899 bestimmte in Art. 2: „Die Vorschriften der im Art. 1 genannten Bestimmungen sind für die vertragschließenden Mächte nur bindend im Falle eines Krieges zwischen zwei oder mehreren von ihnen. Diese Bestimmungen hören mit dem Augen­ blick auf, verbindlich zu sein, wo in einem Kriege zwischen Vertrags­ mächten eine Nichtvertragsmacht sich einer der Kriegsparteien an­ schließt." Die Fassung unterscheidet sich also nicht wesentlich von der in Art. 2 des Abkommens von 1907 gewählten. Doch braucht auf die Unterschiede hier nicht näher eingegangen zu werden, da sich zunächst keine Nichtvertragsmacht von 1899 den kriegführenden Ver­ tragsmächten angeschlossen hatte. Da sämtliche ursprünglich kriegführenden Parteien, inklusive Türkei, Serbien und Montenegro, wie die später eintretenden Bul­ garien, Italien, Rumänien (ev. Griechenland), das Abkommen von 1899 ratifiziert haben, gilt dasselbe einschließlich der Landkriegsvrdnung als Minimum nach der aus­ drücklichen Weisung des Art. 4 des Abkommens von 1907 für den jetzigen Weltkrieg für sämt­ liche kriegführenden Staaten. Ein Vergleich der andern beiderseitigen Bestimmungen von 1899 und 1907 zeigt die fast völlige Übereinstimmung des Abkommens wie insbesondere des „Anhangs" („Landkriegsordnung") in den Be­ stimmungen der Art. 1—23, lit. a—g. In der Textierung des Abkommens von 1899 selbst fehlt der Art. 3, der ausdrücklich die Schadensersatzpflicht für die Verletzung der Ordnung feststellt: eine praktisch freilich meist recht problematische Bestimmung (s. auch unten sub III). Im „Anhange" ist die Bestimmung über das Verbot des Art. 23 lit. h neu (f. unten Kapitel 30 des näheren). Der Abs. 2 des Art. 23 ist etwas erweitert. Die Art. 24—56 stimmen wieder ') Ebenso Art. 25 des X. Abkommens und Art. 31 des neuen Genfer Abkommens von 1906.

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fast völlig in beiden Abkommen überein1).2 Nur Art. 54 über das Recht der Zerstörung unterirdischer Kabel ist neu. Die Übereinkunft von 1899 enthält endlich einen 4. Abschnitt, der im Jahre 1907 in das besondere (V.) Abkommen betreffend Rechte und Pflichten der Neutralen herübergenommen wurde. An der völkerrechtlichen Geltung der mate­ riellen Bestimmungen des Abkommens über die „Gesetze und Gebräuche des Landkrieges" mit deren Anhange, der sogenannten „Landkriegs­ ordnung", ist nach alledem für den jetzigen Krieg für die sämtlichen ursprünglichen Kriegführen­ den nicht zu zweifeln. Die Weigerung der Rati­ fizierung Serbiens und Montenegros gegen­ über dem Abkommen von 1907 — selbst wenn sie unrichtigerweise als allgemein vertragsver­ nichtend für die Abkommen von 1907 angesehen werden sollte — würde an der ausdrücklichen GültigkeitdesAbkommensvon 1899 nichtsändern. Der nachträgliche Eintritt der Türkei in den Krieg kann die Geltung der Haager Abkommen in keiner Weise beeinflussen. Die gegen­ teilige Annahme würde zu den unsinnigsten Verwicklungen rechtlicher und tatsächlicher Art führen. Die Türkei, die die Abkommen unter­ zeichnete, wird sich sicherlich ebenfalls an ihre Normen gebunden erachten1). Auch Italien und Bulgarien erklärten wiederholt unter Bezugnahme auf einzelne Bestimmungen der Haager Abkommen, daß auch sie diese anerkennen; Rumänien hat sie offiziell ratifiziert wie Portugal. Würde man also im Gegensatze zu den Aus­ führungen unter I annehmen, daß auf Grund des 1) Kleine sachliche Abweichungen, wie in Art. 2, dann 6, 15, 17 über die Gefangenenbehandlung usw., kommen hier zunächst nicht weiter in Betracht. Sie werden unten, soweit sie irgendwie wesentlich sind, berücksichtigt werden. Über Art. 44 (Zwang zu kriegerischen Handlungen gegenüber der Bevölkerung) haben sich Deutschland, Ssterreich-llngarn, Rußland und Japan Vorbehalte ausbedungen (R.-G.-M. 1910, S. 377, 380 ff., 1912 S. 169). Art. 25 hat den Zusatz erhalten: „mit welchen Mitteln es auch sei", um auch die Beschießung von unverteidigten Städten durch Luftschiffe zu verbieten. (Siehe auch das deutsche Weißbuch über die Ergebnisse der im Jahre 1907 im Haag abgehaltenen 2. internationalen Frie­ denskonferenz dort S. 6 und 7 u. ff. über die wesentlichen Änderungen der Be­ stimmungen von 1899 und 1907, die mit obigem übereinstimmen, sowie Alfred Fried, 2. Haager Konferenz S. 132 und 133.) 2) Die Türkei hat diesen Willen in zahlreichen offiziellen Veröffentlichungen in den ersten sechs Kriegsmonaten bekundet.



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Art. 2 das (IV.) Abkommen von 1907 nicht zustande gekommen und jetzt ungültig wäre, so müßtezum mindesten das für unsere Betrachtung im wesent­ lichen übereinstimmende Abkommen von 1899 als noch für alle ursprünglichen Kriegsmächte geltend angenommenwerden*) *). III. Selbst wenn man aber jene unsinnigen Konsequenzen unter I nicht scheuen und an dem unglücklichen Wortlaut des Art. 2 kleben würde, ja selbst wenn das Abkommen von 1899 nicht vorhanden wäre, fo würde doch zwischen den Vertragsstaaten, die die Abkommen von 1907 unterzeichnet oder ratifiziert haben, der Inhalt dieser Abkommen, insbesondere der Landkriegsordnung, als der Niederschlag der tatsächlich geltenden und von ihnen zu achtenden völkerrechtlichen Gewöhn*) S. Strupp, Kommentar und Jahrbuch des Völkerrechts Bb. II. 2) Die Unrichtigkeit des in einem Münchener Kriegsgerichtsurteile zum Aus­ drucke gekommenen Standpunktes der Ungültigkeit der Bestimmungen über die Ge­ fangenen (Art. 4 ff. der Landkriegsordnung) ergibt sich u. a. daraus, daß die Kriegführenden einhellig von der Verbindlichkeit des Haager Abkommens über den Landkrieg ausgehen, datz durch Vermittlung der Neutralen Rekriminationen wegen Verletzung des Abkommens über die Behandlung der Gefangenen usw. erhoben wurden und z. B. derzeit die beiderseitigen Gefangenenlager durch neutrale Ab­ gesandte daraufhin besichtigt werden, ob die Behandlung der Gefangenen dem Haager Abkommen von 1907 entspricht. Die Sonderdentschnft der Reichs­ regierung über die Gefangenenbehandlung nimmt direkt das Abkommen vom 18. Oktober 1907 als Grundlage an. Der hier vertretenen Anschauung hat sich teilweise scheinbar bas Kriegsgericht in Ulm in einem Urteil vom März 1915 an­ geschlossen. Jedenfalls aber ist sein Ausspruch, datz das Abkommen von 1899 gültig, das von 1907 ungültig sei, ebenso unrichtig wie das des Münchener Gerichts, wie die stete ausdrückliche Bezugnahme der kriegführenden Parteien auf die Abkommen vom 18. Oktober 1907 am aller­ besten zeigt. Es hat wenig praktischen Wert, sich den Kopf der Vertragsmächte zu zerbrechen, die gar keinen Versuch machen, sich der Wirkung und der Gewalt der Verträge, insbesondere des IV. Abkommens vom 18. Oktober 1907 und seiner An­ lage betr. Ordnung der Gebräuche und Gesetze des Landkriegs, zu entziehen und denen etwas leidenschaftliche Theoretiker absolut dartun wollen, datz „ e i g e n 1 l i ch" das Abkommen gar nicht gültig sei. Die vom Verfafler hier vertretene Meinung wird auch geteilt von Karl Strupp in seinem trefflichen „Landkriegs­ kommentar" (S. 161, 162), von Josef Köhler, Schönborn und Wehberg. Das Gegenteil lätzt sich angesichts der überein st immenden Haltung aller kriegführenden Mächte, voran Deutsch­ lands, wahrhaftig im Ern st e nicht mehr halten.

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heilen, d. h. des Völkergewohnheitskriegsrechts, gelten muffen (f. über dieses Liszt, Völkerrecht S. 11; Holtzendorff, Handb. des Völkerrechts Bd. I, S. 93; llllmann 1. c. S. 41). Die so wichtige Anlage zu dem Abkommen vom Jahre 1907 nennt sich wie diejenige von 1899 eine Ordnung „der Gesetze und Ge­ bräuche des Landkriegs". Sie will nach der Einleitung des ganzen IV. Abkommens nichts anderes sein als die „Feststellung und Regelung der bisherigen Gebräuche des Landkriegs", „damit die Bevölkerung und die Kriegführung unter dem Schutze und der Herr­ schaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben (!), wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern fest­ stehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens". Die sämtlichen unterzeichneten Mächte erklären (unterzeichnet haben auch Serbien und Mon­ tenegro, Türkei, Italien, Rumänien und Bulgarien, überhaupt alle 44 Konferenzmächte außer China, Nikaragua und Spanien), „daß namentlich die Art. 1 und 2, um die es sich hier handelt, in diesem Sinne zu verstehen sind". Das kann nur heißen, daß alle Mächte z u m m i n d e st e n, ob sie das Abkommen ratifizierten oder nicht, durch ihre Unterschrift deklarativ anerkennen, daß die verein­ barten Grundsätze Gesetze und Gebräuche des Kriegsrechts bereits sind, die als Gewohnheitsrecht bisher schon gegolten haben und nunmehr nur ausdrücklich kodifiziert werden sollten. Sie zu halten, besteht auch bei dieser Auffassung nicht bloß eine moralische Verpflichtung aller „gesitteten Völker", sondern auch eine rechtliche. Die Rechtsfolgen, die bei der ersten Betrach­ tung unter I zur Anerkennung des Art. 3 des IV. Abkommens ohne weiteres führten, wonach die verletzende Kriegspartei gegebenenfalls zum Schadensersatz für alle Verletzungen der Kriegsordnung verpflichtet ist, find nach der letzteren praktisch, wenn auch nicht rechtlich, ganz ähnliche. Die Verletzungen des Gewohnheitsrechts werden zum allermindesten bei der Friedensschlietzung von dem obsiegenden Teile in den Friedensbedingungen geltend gemacht werden. Auch im Wege des schiedsgerichtlichen Verfahrens sowie insbesondere im Wege der R e p r e s s a l i e und der Retorsion kann sich die verletzte Partei gegen den Rechtsbrecher wehren. Die Repressalie ist rechtmäßiger Rechtsbruch zum Zwecke des Rechts­ schutzes. Auch die Satzung, daß eine Kriegspartei für alle Hand­ lungen verantwortlich ist, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden, gehört längst der Übung und

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der Überzeugung der Völker an, da ohne sie überhaupt eine völker­ rechtliche Verantwortlichkeit für Kriegshandlungen ausgeschloffen wäre. Daß diese hier vertretene Anschauung auch von den Großmächten in praxi anerkannt ist, dafür ist unten vollgültiger Beweis zu erbringen, indem nachgewiesen wird, daß gerade England sich selbst auf alle Seeabkommen beruft und stützt, die es s e l b st n i ch t ratifiziert hat (!), die es freilich in echt englischer Logik an andern Stellen der Welt zu gleicher Zeit wieder verletzt, da bei ihm allein der Vor­ teil entscheidet, den es sich von solchen Normen verspricht (s. II. Teil über feekriegsrechtlicheFragen). Auch die „Einleitende Bestimmung zur Londoner Deklaration von 1909" sagt: „Die Signatarmächte sind einig in der Feststellung, daß diese Regeln im wesentlichen den allgemein anerkannten Grundsätzen des inter­ nationalen Rechts entsprechen." Zudem zwingt sie ja, wie immer wieder betont werden mutz, wenigstens für den Landkrieg die Ratifikation des Abkommens von 1899, alle diese Grundsätze als verbindlich anzuerkennen: Auch die Türkei hat den gewohnheitsrechtlichen Charakter der Landkriegs­ ordnung nicht bestritten, so wenig wie Italien und Bulgarien. In voller Übereinstimmung mit vorstehenden Ausführungen steht auch z. B. das in der schwedischen Zeitung „Dagens Ryheter" am 30. September 1914 veröffentlichte amtliche Rundschreiben der fran­ zösischen Gesandtschaft in Stockholm betreffend die deutschen Grau­ samkeiten. Es heitzt an der matzgebenden Stelle dort: „Die französische Regierung beehrt sich, die Mächte, welche die Haager Kon­ vention unterzeichnet haben, von nachstehenden Tatsachen in Kenntnis zu sehen, die darauf hinweisen, bah die deutschen militärischen Behörden gegen die Bestim­ mungen verstoßen haben, welche am 18. Oktober 1907 von der kaiserlich deutschen Regierung unterzeichnet worden sind."

Hiermit ist vollgültiger Beweis dafür erbracht, daß auch Frankreich nicht bloß das Abkommen von 1899, sondern auch das von 1907 als gültig ansieht und darauf seine Rechte — und natür­ lich auch Pflichten — begründet'), obwohl Montenegro, Türkei und Serbien das Abkommen nicht ratifiziert haben. *) Auf den materiellen Inhalt des Rundschreibens ist an dieser Stelle nicht näher einzugehen. (Siehe unten Kapitel 14 und Kapitel 19.) Frankreich hat außerdem ausdrücklich die Beschlüsse der Haager Kon­ ferenzen unter dem Reservat der Reziprozität fürsich im Kriege gegen Deutschland anerkannt (französisches Gelbbuch Nr. 157). Ebenso Österreich in der Kriegserklärung gegen Serbien (!) vom 28. Juli 1914 (s. auch Graubuch Nr. 44, wo Belgien dasselbe zusagt).

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Auch Österreich-Ungarn hat in seiner amtlichen Verbalnote an die Regierungen der neutralen Staaten vom 2. Oktober 1914 betrefsend die polnischen Legionen auf die Bedingungen als maßgebend Bezug genommen, „die im 1. Artikel des Reglements betreffend die Gesetze und Bräuche des Landkrieges vorgeschrieben sind""). Es hat also allgemein wohl auf beide Abkommen von 1899/1907 seine An­ schauung gestützt, daß diese polnischen Legionen einen Teil der öster­ reichisch-ungarischen Armee, mit der sie durch ein organisches Band verknüpft sind, bilden. Ferner in dem Notenwechsel mit der ameri­ kanischen Regierung über die amerikanischen Munitionslieferungen, besonders in der Note vom 24. September 1915, wo das 13. Ab­ kommen anerkannt wurde, Deutschland. Das Gleiche tat General v. Beseler bei der Beschießung von Antwerpen wiederholt, wie das deutsche Hauptquartier vor allem bei der Behandlung der Frage der Beschießung der Kathedrale von Reims und bei zahlreichen sonstigen Gelegenheiten, die unten bei den einzelnen Kapiteln im einzelnen zu behandeln sind. Dasselbe tat insbesondere die deutsche Reichs­ regierung in allen Spezialdenkschriften (z. B. über die Verletzung der Genfer Konvention s. unten Kap. 12, 13, ferner über Seeminen und die Neutralität sowie in den jetzt gedruckten zahlreichen, um­ fangreichen Denkschriften, die zunächst nur für den Dienstgebrauch bestimmt, sämtlich die Völkerrechtswidrigkeiten nach den Haager Beschlüsien von 1899 und 1907 beurteilen; ferner in dem Abverlangen der Erklärung seitens der Beamten auf Grund der Befchlüsie des 2. Haager Abkommens. Ja sogar England hat sich wiederholt auf die Haager Konvention in Fällen bezogen, in denen solche Bezug­ nahme außerordentlich merkwürdig war: So hat England in der Note vom 20. September 1914 sich auf das Abkommen über die Legung von Seeminen, Sir Edward Grey in seiner Unterhausrede vom 13. Januar 1916 sich auf das Abkommen bett. Anwendung des Genfer Abkommens über den Seekrieg, obwohl England dieses bisher nicht ratifiziert hat, bezogen.) So muß jeder Versuch, die völkerrechtlichen Errungen0 Siehe jeht auch den Protest Ssterreichs vom 31. Januar 1915 betreffend die rumänische Legion, die Rußland hängen will; der Protest führt aus: Die Mitglieder der rumänischen Legion haben den Fahneneid geleistet und tragen als Kennzeichen eine schwarzgelbe Armbinde. Gleich den polnischen Legionen ent­ sprechen auch die rumänischen nicht nur allen durch bas Haager Reglement für die Freiwilligenkorps vorgeschriebenen Bedingungen, sondern sie bilden einen Teil der Armee selbst. Die österreichisch-ungarische Regierung erhebt daher in aller Form Protest gegen die Haltung der russischen Regierung bezüglich der rumänischen Legionen.

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schäften der beiden Haager Friedenskonferenzen auszuschalten, als von Anfang an vergeblich und aussichtslos angesehen werden'). Und es scheut sich jede Macht, die llnverbindlichkekt durch die obige Klausel oder sonstwie geltend zu machen. Der Eindruck wäre zu übel. Auch Zitelmann, der Führer der Gegenmeinung, kommt im Archiv d. 6. Rechts Bd. 35 (1915), Heft 1, S. 26 zu dem Resultat: „Das bedeutet also, daß die Allbeteiligungsklausel schon heute tat­ sächlich nicht mehr als wirksames Recht behandelt wird." Zitelmann legt auch sehr richtig für dieses Gebiet zwei allgemeine Grundsätze an anderer Stelle („Der Krieg und das Völkerrecht" S. 633 und 667) fest: 1. Niemals kann daraus, daß ein Satz nicht in den Verein­ barungen liegt, gefolgert werden, er bestehe, er gelte nicht; 2. nie­ mals kann man daraus, daß ein Satz in einer formell nicht geltenden Vereinbarung steht, folgern, er gelte nicht. Auch Nöldeke, „D. 3.-3" 1916, S. 264 ff., kommt durch die Kon­ statierung der Zustimmung allerRegierungen zu dem gleichen Resultate wie der Verfasser.

IV. Gewiß, unsere Zeit ist nicht besonders geeignet, den Wert oder Unwert des Völkerrechts, insbesondere völkerrecht­ licher Abkommen, d. h. der Gesamtheit der zwischen den Staaten geschlossenen, ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarungen richtig einzuschätzen. Oberflächliche Kritik ist heute gewillt, billigen Hohn und Spott auf das völkerrechtlich Erreichte auszugießen, ohne zu be­ denken, daß bei einem Völkerkriege, bei dem fast die ganze Erde betei­ ligt ist, bei dem außerhalb Europa nur eine einzige wirkliche Groß­ macht, die nordamerikanifche Union, bisher neutral geblieben ist, wie Triepel im „Reuen Deutschland" sehr richtig bemerkt, „ein ganzer 1) Ich kann auch gegenüber den neuerlichen Veröffentlichungen meines Fraktionsfreundes v. Liszt in der „Leipziger Zeitschr." Nr. 3, 1905, S. 170, nichts an diesem Urteil ändern, konstatiere hier nur, daß auch nach Liszts Meinung die Geltung der Landkriegsordnung von 1899 nutzer allem Zweifel steht. Tatsächlich entscheidend ist aber, datz sich fortgesetzt, wie vorstehend im einzelnen wiederholt dargetan, die sämtlichen kriegführenden Staaten auf die Haager Abkommen feierlich berufen, sie zur Grundlage ihrer Kriegführung formell und materiell gemacht und sich dadurch zu der hier vertretenen Anschauung bekannt haben und dies noch tagtäglich in all ihren Denkschriften und Erlassen tun (s. auch „Z. f. Völkerrecht" 8, 546). Ferner über die Anwendbarkeit der Haager und Genfer Abkommen in diesem Kriege, dem Aufsatz von Ernst Zitelmann im „Archiv des öffentlichen Rechts" Bd. 35/1915, Heft 1.

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Wall von Rücksichten, die bei einem bloßen Zweikampfe genommen werden würden, ohne weiteres in sich zusammenstürzt". Jeder Völkerrechtsbruch findet um so größere Verurteilung, je größer die Anzahl der Neutralen und vor allem der Gegner desjenigen sind, der ihn begeht. Sind die Gegner desien, gegen den der Rechts­ bruch sich richtet, d. h. die Rechtsverletzer, hier der Dreiverband und seine Bundesgenosien, in der numerischen Überlegenheit, be­ herrschen sie dabei in überlegener Weise das Hauptinstrument zur Bearbeitung der öffentlichen Meinung der Neutralen, die Presse des neutralen Auslands, so ist die Schwierigkeit um so größer, die objektive Anerkennung des Völkerrechts zu erhalten und zu garan­ tieren. Jedenfalls hat weder Deutschland noch Österreich-Ungarn Anlaß, getroffenen völkerrechtlichen Abkommen durch kleinliche for­ malistische Hintertürchen, wie sie leider der oft zitierte Art. 2 des IV. Abkommens von 1907 zu bieten scheint, auszuweichen und ihre Gültigkeit abzuleugnen. Deutsche Gerichte, so das Landgericht Leipzig in einem Beschluß vom 5. November 1914 sowie das Oberlandes­ gericht Dresden (Beschluß vom 14. November 1914, s. „D. I.-Z." 1915, S. 70 ff.) haben in einer Sache gegen Rußland erklärt: „Der Krieg hebt das Völkerrecht nicht auf. Er steht unter dem Völkerrecht. So wenig sonst dadurch, daß eine Partei das Recht grob verletzt, das Recht selbst aufgehoben wird, so wenig kann das beim Völkerrecht gelten. Nicht einmal die völkerrechtlichen Ver­ träge werden durch den Krieg aufgehoben, viel weniger sonstige völkerrechtliche Rechtssätze, die nicht auf Vertrag beruhen." Ein glänzendes Bekennen zum Völkerrecht, in der Zeit seiner höchsten Anfechtung! (Siehe auch R.G.-llrteil vom 28. Oktober 1914 I. 83/14 [unten], wo sich das Reichsgericht zu den gleichen Grundsätzen bekannte.) Das tiefe Rechtsgefühl des deutschen Volkes, das stets gegen Anmaßung einzelner für die Rechte der Neutralen eingetreten ist, wird heute nicht die große Arbeit, die auf völkerrechtlichem Gebiete unter wesentlicher Mitarbeit deutscher Gelehrter und Staatsmänner zustande kam, mißachten und ignorieren wollen: im Gegenteil. Der Verlauf des ganzen Krieges zeigt, daß die deutsche Heeresleitung bereit und willens ist, die völkerrechtlichen Satzungen ohne jeden Hintergedanken — gleichviel, ob sie in concreto nützlich oder schein­ bar schädlich sind — in loyalster Weise aufrechtzuerhalten und durch­ zuführen, selbst in Fällen, wo das Vorgehen der Gegner sie streng rechtlich von der Einhaltung solcher Satzungen entbinden würde. Der Umstand allein, daß kein Staat es wagt, die Existenz des

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Völkerrechts und die Verpflichtung, es zu halten, an sich zu leugnen, sondern nur es für seine Zwecke auszulegen oder zu gebrauchen, vielleicht auch manchmal zu mißbrauchen, zeigt die eminente Be­ deutung und Kraft des völkerrechtlichen Ge­ dankens in so furchtbaren, umwälzenden Zeiten wie den jetzigen und gibt trotz alledem Hoffnung für die Zukunft!') —Im übrigen entspricht, was die völkerrechtliche Haft u n g unserer Gegner anlangt, der von ihnen selbst gewählten und feierlich beschworenen Solidarität der Dreiverband­ staaten selbstverständlich auch ihre solidarifche H a f t u n g für die Folgen jeglichen Rechtsbruches. Politisch töricht ist es, die Verantwortlichkeit der einzelnen Groß­ mächte und ihre Haftung prozentual abwägen zu wollen. Eng­ land, Rußland und Frankreich sind als p o l i 1 i f ch e E i n h e i t den Mittelmächten gegenüber heute anzusehen. Solche Erörterungen sind irreführend und schwächen die Kraft des einheitlichen Willens zum Siege. Und noch ein anderes: Das Völkerrecht legt zunächst nur den Staaten, nicht dem Einzelnen Pflichten auf. Aber der Staat gibt die Gebote und Verbote weiter, und wenn der Einzelne sie übertritt, handelt der Staat durch ihn völkerrechtswidrig. — Eine allgemeine persönliche Bemerkung darf ich an dieser Stelle endlich noch machen. Trotz größter Gewissenhaftigkeit mußte ich damit rechnen, daß in dem einen oder anderen der unzähligen, in 1. oder 3. Auflage aufgeführten Fälle eine Täuschung oder ein Irr­ tum seitens der Gewährsmänner nachzuweisen wäre, und gern würde ich solchen Irrtum jetzt berichtigt haben. Eine andere Erfahrung habe ich gemacht: Eine große Anzahl von Tatsachen, die ich mich scheute, in das Buch aufzunehmen, da ich sie bei Menschen nicht als möglich ansah, wurde jetzt zeugeneidlich als wahr nachgewiesen. Die Vertierung durch diesen entsetzlichen Krieg ist noch größer, als wir dies für denkbar hielten. Wahrhaftig: Diese Schuld an der Menschheit, diese Zurückschraubung der allgemein menschlichen Qualitäten, die Er­ weckung der Bestie im Menschen ist fast noch größer als die entsetz­ liche Blutschuld, die die Urheber dieses Völkergemetzels auf sich ge­ nommen haben. 1) Siehe auch den Auflatz von Ernst gltelmann „Der Krieg und bas Völker­ recht" im Sammelwerk „Deutschland und der Weltkrieg" S. 644 ff. Dort ist mit Recht darauf verwiesen, datz es auch im Leben der Staaten sittliche Anforderungen (der Ehre, des Anstands) über das Recht hinaus gibt.

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I. Wtil.

Landkriegsrecht. 2. Kapitel.

Die Neutralität Nelgiens1)2)3)4). Motto: Wird man einen Wanderer anklagen, gegen den drei Straßenräuber sich mit ihren Helfers­ helfern verschworen haben und der im Winkel eines Forstes, durch den ihn sein Geschäft führte, hinter­ rücks überfallen wird? Friedrich der Große in der .Apologie meines politischen Verhaltens".

Gestehen wir es auch heute noch wiederholt und offen: wir alle, wir deutschen Rechtsfanatiker, erschraken, im ersten Momente, als der Angriff auf Lüttich und damit die Verletzung der belgischen Neutralität publiziert wurde. Und heute nach dem Gange der Dinge gibt es keinen einzigen, insbesondere auch keinen deutschen Juristen, der nicht erfüllt wäre von der heiligen Überzeugung: Ja, wir konnten nicht anders! Wir mutzten so handeln, wie es geschehen. Und wir hatten das Recht vor der Weltgeschichte, so zu handeln.

*) Die Behandlung Griechenlands als Antithese s. unter des. Kapitel. *) Siehe insbesondere auch „La Belgique Neutrc et VAllemagne d**apres les hommes d'Etat et les juristes beiges“ von F. Norden, „Avocat ä la Cour d’appel de Bruxelles“ und die dort angegebene reichhaltige Literatur. Das Buch ist erst nach Erscheinen der 3. Auflage in Deutschland bekannt geworden. Ferner dazu Eduard Senator in „Nord und Süd", Januarheft 1916, S. 53 ff. Besonders wertvoll bei Norden erscheint der Hinweis aus die Verschiedenheit der „Neutralität" und der „Unverletzlichkeit", die in dem Vertrage vom 18. No­ vember 1831 (24 Artikel) fallen gelüsten wurde. Ferner insbesondere auch der Hinweis auf den Vertrag von Aachen vom 15. November 1818, nach dem dem König von Preußen das Recht gegeben wurde, die Festungen Huy, Namur, Dinant, Charleroi, Marienbourg und Philippeville zu besetzen, (freilich auch England Ost­ ende, Nieuport und Bpern). 8) Der Nachweis, daß Belgien zum Schutze gegen Frankreich gegründet wurde, ist unter erschöpfendem Literaturmaterial erbracht in der ausgezeichneten spanischen Broschüre „Der Krieg und das Recht" von Eduard L. Llorens, deutsch von Strube, Hamburg 1916, Verlagsbuchhandlung Broschek. 4) Siehe im übrigen des Verfasters neues Werk „Weltkrieg und Diplomatie", Kap. 57 ffl.

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Ich kann mich wiederholter Verhandlungen der Budgetkommission des deutschen Reichstages über die Neutralität Belgiens erinnern, — insbesondere anläßlich der letzten großen Heeresvorlagen: das Re­ sultat dieser Verhandlungen war stets die Erklärung der deutschen Reichsregierung, daß es ihr nicht einfallen werde, die belgische Reutralität zu verletzen, — wenn ein anderer Staat sienicht seinerseits mißachten und das Reich zwingen werde,sie in Notwehr, aus militärischen Gründen, seinerseits zu verletzen*). Das war in geheimen Sitzungen des Parlaments der Standpunkt des Auswärtigen Amts, wie jetzt wohl mitgeteilt werden darf, seit langen Jahren. Und danach hat die Reichsregierung auch ge­ handelt, als über Nacht zur völligen Überraschung des ganzen deutschen Volkes — vom Kaiser bis zum ärmsten Taglöhner — der Krieg gegen uns vom Zaune gebrochen wurde. Da England zuletzt und zum Schein, d. h. zur Gewinnung der zögernden öffentlichen Meinung Englands, seine Kriegserklärung an Deutschland auf den Bruch der Neutralität Belgiens durch die deut­ schen Truppen gründete, soll diese völkerrechtliche Frage zunächst an dieser Stelle erörtert werden. — I. Der Wiener Kongreß hatte durch die Vereinigung der bel­ gischen Gebietsteile mit Holland in dem Königreich der Niederlande zwischen diesem und den alliierten vier Großmächten 1815 die Barriere gegen neue Expansionsbestrebungen des unruhigen Frankreich nach dem Norden geschaffen. Als sich Belgien infolge der Revolution von 1830 selbständig erklärte, wurde dieser Zustand von den Mächten an­ erkannt und das neu errichtete Königreich Belgien mit Rücksicht aus die gleichen politischen Zwecke, die für Holland maßgebend waren, durch die Verträge vom 15. November 1831 neutralisiert. Der Widerstand Hollands wurde durch die bewaffnete Intervention Frank­ reichs gebrochen und die neue Stellung Belgiens seitens Hollands durch den zu London am 19. April 1839 abgeschlossenen Vertrag anerkannt.' An diesem Tage kam zwischen beiden Ländern ein Abkommen zustande, in besten Art. 7 bestimmt war: „Belgien bildet . . . einen unabhängigen und dauernd neutralen Staat. Cs ist verpflichtet, die gleiche Neutralität gegen alle anderen Staaten zu beobachten"

An demselben Tage schlosten Frankreich, Österreich, Großbritan*) Siehe Sitzung der Budgetkommission des Reichstages am 29. April 1913, Erklärungen des Staatssekretärs von Iagow und des Kriegsministers von Heerin­ gen (s. auch belgisches Graubuch, Anlage zu Nr. 12). Der letztere sagte: „Die international gewährleistete Neutralität Belgiens wird Deutschland nicht aus den Augen verlieren."

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nien, Preußen und Rußland sowohl mit Belgien wie mit den Nieder­ landen Verträge ab, in die sie das Abkommen zwischen diesen beiden Staaten als integrierenden Bestandteil aufnahmen. Diese Verträge sind es, auf denen die Neutralität Belgiens beruht. Für Preußen ist das Deutsche Reich als Garantiestaat eingetreten. Ursprünglich war, wie schon oben angedeutet, Belgien von den andern Großmächten gegen Frankreich gegründet worden. Durch verschiedene Momente (Sprache, Abstammung usw.) lag die all­ mähliche Annäherung der wallonischen Teile Belgiens an Frankreich nahe. Wir Älteren können uns erinnern, daß schon im Jahre 1870 über deutschenhafferische Demonstrationen auf belgischem Boden stark geklagt wurde; Bismarck mußte einmal sogar, wie wir aus den „Er­ innerungen" wiffen, einen „kalten Wasserstrahl" nach Brüffel senden, um der Französelei dort ein Paroli zu bieten, die in Beleidigungen deutscher Flüchtlinge während des Krieges sich äußerte. Seit dem Frankfurter Frieden setzten die Treibereien von Paris und London aus verstärkt ein, um die Belgier aus ihrer neutralen Stellung her­ auszubringen. Daß diese unausgesetzten Wühlereien Erfolg hatten und daß man allmählich sich in das französisch-englische Fahrwaffer gegen Deutschland bringen ließ, dafür gibt es keinen klassischeren Be­ weis als die ganzen B r i a l m o n t fchen Festungsanlagen, deren Niederwerfung der deutschen Armee so glorreich gelang. Ein Blick auf die Befestigungen von Lüttich, Namur, insbesondere aber von Ant­ werpen zeigt, daß der ganze Brialmontsche Plan in erster Linie sich gegen Deutschland richtete. Ein Vergleich mit Holland, das man gern in diese ganze Schein-Neutralitätspolitik hineingezogen hätte, wenn seine Staatsmänner nicht größere Klugheit als die belgischen besessen hätten, schlägt ganz zuungunsten Belgiens aus. Die Ausgestaltung der Festungen Vlissingen und Terneuzen am Scheldeausfluß zeigt, daß es Holland mit seiner Neutralität, die sich hier vor allem in der Sicherung der politisch überaus wichtigen Sperrung der Schelde aus­ drückte, ernst war, während Belgien, wie wir jetzt wiffen, seit Dezennien zum Bruche der Neutralität bereit und vorbereitet war. Es wird jetzt mit Recht daran erinnert, daß seinerzeit Oberst Ducarme die Mit­ teilung machte, Frankreich beabsichtige die Annexion Belgiens, ge­ stützt auf die damalige Rede (1895) des französischen Kriegsministers Zurlinden. Belgien kannte die Absichten Frankreichs längste). *) 3n einer Broschüre Bismarck und Belgien weist Dr. Pius Dirr, Brüssel 1915, neuerlich darauf hin, dast Frankreich 1852 ständig damit umging, Belgien zu annektieren. Von Napoleon III. ist durch Bismarck dies direkt nachgewiesen (1866 und 1869).

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Die Brialmontsche Festungspolitik war bereits der sichtbare Aus­ druck derjenigen Politik Belgiens, die ihm nunmehr vielleicht die Existenz lostet1). Natürlich mutzte diese Annäherung an die zwei Weltgrotzmächte nach Ausschaltung des althistorischen Gegensatzes zwischen Frankreich und England und nach Abschluß der Entente zwischen den beiden Mächten im Jahre 1902 sich progressiv verdichten. Die „Einkreisungspolitik" König Eduards mutzte mit Belgien als Operationsbasis rechnen. Der alte König Leopold, ein kluger Kopf, setzte all diesen Plänen freilich einen gewisien passiven Wider­ stand entgegen. Er war zu klug, um nicht zu wisien, datz Belgien, das er auch durch den Kongostaat zu großem Reichtum gebracht, durch eine betrügerische Neutralitätspolitik nicht weniger als alles riskierte. Und trotzdem konnte er dem Banne Englands nicht entrinnen. Noch weniger Widerstand setzte aber all diesen Treibereien und llmschmeichelungen der junge König Albert entgegen (s. auch unten). So trieb die Entwicklung der Dinge den Staat unaufhaltsam auf der schiefen Bahn einer einseitig deutschfeindlichen Politik vorwärts'). *) In der Presse hat Frhr. v. Mackay kürzlich darauf hingewiesen, boß in den Entwürfen zu Festungsplänen, die Moltke vor 1870/71 niederschrieb, er sich aus­ führlich über das Verhältnis Preußens zu den neutralen Staaten, insbesondere die Schweiz, Holland und Belgien ausspricht und erklärt, daß für die deutsche Heeresleitung keinerlei Grund vorhanden sei, die vertragliche Unverletzlichkeit dieser Staaten anzurühren und den Krieg über die Front vom Oberelsaß bis zur Mosel auszudehnen. Um so merkwürdiger sei es, daß Brialmont bei seinem System der Befestigung Belgiens offenbar fast ausschließlich das Schreckgespenst der deut­ schen Einbruchsgefahr im Auge gehabt, an Frankreich und England nur nebenher gedacht habe. . . „Die Einseitigkeit dieser Taktik sei offenbar strategisch wie politisch gleich unklug; denn sie müsse notwendig wie ein Magnet wirken, der Deutschlands Feinde anlocke, Belgiens Neutralität ihrerseits zu mißbrauchen und das Land zu einer Falle für uns zu machen." Die Ereignisse dieser Tage haben auch hier dem großen Strategen restlos recht gegeben. Mit Recht weist Strupp a. a. O. S. 188 Nr. 2 darauf hin, daß eigentlich Belgien den Neutralitätsvertrag von 1839 (Art. XIV) an dem Tage gebrochen habe, als es die Befestigung Antwerpens begann. („Le port d’Anvers .... continuera d'etre uniquement un port de commerce.“)

2) Siehe insbesondere auch die im Jahre 1911 in Paris erschienene Schrift „La guerre qui vient« von Franoois Delaisi, die in geradezu prophetischer Weise

vorhersagte, in welcher Weise man von England die Neutralität Belgiens miß­ brauchen werde, um die Verantwortlichkeit Deutschland aufzubürden. Darin be­ findet sich u. a. die Wendung: „. . . Der Plan ist einfach; er steht bereits fest. Man kann täglich feine Verwirklichung verfolgen. 1. Zurzeit verhandelt man über eine Militärkonvention mit England. Im Falle eines Konfliktes mit Deutschland würde die britische Flotte unsere Kanalküste beschützen und unsere Truppen würden auf Antwerpen marschieren. Aber wenn

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II. Alles das war der deutschen Regierung seit langem bekannt'). Daher auch mit Recht obige von einem berechtigten Gefühle des Miß­ trauens diktierte Formel: „Wir achten die Neutralität, wenn sie von anderer Seite geachtet wird." Sie hätte auch lauten können: „Wir achten sie, wenn sie von Belgien selbst geachtet wird." Das alles muß man sich vergegenwärtigen, wenn man die Haltung Deutschlands in den ersten Augusttagen 1914 richtig beurteilen will **). Um so größere Anerkennung verdient die deutsche Regierung, wenn sie trotz der Kenntnis all dieser wichtigen Momente, die gegen Belgien sprachen, keinen Zweifel darüber ließ, daß sie das Einrücken es dem Auswärtigen Ami in London gefallen wird, den Kampf zu beginnen, fo werden es feine Diplomaten einzurichten verstehen, daß sie die Verantwortlichkeit dem Gegner aufbürden; und wir werden marschieren müssen, um kraft einer „Defensive"-Konven1ion dem König Georg V. zu helfen." Der Verfasser erwähnt den Ausspruch Lord Kitcheners: „Die Grenze des britischen Reiches in Europa ist nicht die Meerenge von Calais, es ist die Maaslinie." (6. deutsche Übersetzung im Verlag Mittler u. Sohn, 1915.) *) Mit Recht wurde in der Presse auch auf den belgischen Gesetzentwurf von 1905 betreffend die Erweiterung der Hafenanlagen und betreffend die Verteidigung der Stadt Antwerpen und seine Motive hingewiesen, um darzutun, datz feit min­ destens einem Jahrzehnt bas Spiel zwischen England und Belgien gegen Deutsch­ land völlig feststand. Dort heißt es wörtlich: „Antwerpen ist nicht nur die Metropole unseres Handels und unserer Schiffahrt, sondern es ist auch ausersehen worden, die Rolle der wichtigsten Festung des Landes zu spielen, die es niemals gefordert und um die keine andere Stadt des Landes es beneidet hat. Antwerpen ist es, bas im Falle eines Kriegs der letzte Schutzwall unserer Unabhängigkeit und die letzte Zufluchtsstätte unserer Nationalität sein muß." Die an der unteren Schelde geplanten Werke wurden nicht gebaut, da man „Antwerpen als englischen Brückenkopf ansah". England hat noch nach der Kriegserklärung alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Holland zu einem Bruche seiner Neutralität zu bewegen, um der englischen Armee den Einbruch über Antwerpen bzw. den Rückzug aus dieser Stadt zu sichern. *) In der Ausgabe der in München erscheinenden Wochenschrift „März" vom 10. Januar 1914 ist ein Artikel des bekannten belgischen sozialistischen Abgeordneten (nunmehrigen Ministers) Vandervelde erschienen über das Thema „Belgiens StellungzwischenDeutschland und Frankrei ch". In diesem Artikel befindet sich bei Besprechung der letzten belgischen Militärvorlage folgende Stelle: „Nach der Abstimmung über die deutsche Wehrvorlage vom 14. Juli 1912 legten verschiedene Mächte der belgischen Regierung nahe, daß man sie nicht mehr für fähig halte, im Notfälle eine Verletzung der belgischen Neutralität zu verhindern. Man gab ihr zu verstehen, daß infolge äußerer Machtlosigkeit die Deutschen, die an der belgischen Grenze wichtige Vorkehrungen getroffen haben, im Handumdrehen den größten Teil des Landes besetzen könnten, und man erklärte ihr, daß unter diesen Umständen aus Furcht vor den Folgen einer solchen Besetzung andere Mächte, etwa Frankreich oder England, es im Kriegsfall für angezeigt halten könnten, Deutschland zuvorzukommen. Auf dieses Argument sich stützend, setzte

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der deutschen Truppen in Belgien in der Nacht vom 3. auf 4. August nach dem damals bekannten Stande der Dinge objektiv als einen Bruch des zitierten Art. 7 des Abkommens von 1839 anerkannte und zugab, daß sie ein „Unrecht" tue, für das sie völligen Schadens­ ersatz, volle Genugtuung und Wiederherstellung des status quo ante versprach (s. unten auch das Kapitel 27 über die Beschießung und Einnahme von Antwerpen). Die Anerkennung mutz um so größer sein, als damals in Berlin die schändlichen Exzesse der belgischen Bevölkerung, vor allem in Antwerpen und Brüssel, gegen deutsche Flüchtlinge bereits bekannt waren, die sich dann — nach dem Bekanntwerden des Einzuges der deutschen Truppen auf belgisches Gebiet — freilich noch wesentlich verschärften. Die von uns angedeutete Äußerung des Reichskanzlers v. Bethmann Hvllweg in der Reichstagssitzung vom 4. August lautete nach dem Stenogramm wörtlich: „Meine Herren, wir sind jetzt in der Notwehr; und Not kennt kein Gebot! Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt, vielleicht schon belgisches Gebiet be­ treten. Meine Herren, das widerspricht den Geboten des Völkerrechts. Die fran­ zösische Regierung hat zwar in Brüssel erklärt, die Neutralität Belgiens respektieren zu wollen, solange der Gegner sie respektiere. Wir wußten aber, daß Frankreich zum Einfall bereit stand. Frankreich konnte warten, wir aber nicht! Ein fran­ zösischer Einfall in unsere Flanke am unteren Rhein hätte verhängnisvoll werden können. So waren wir gezwungen, uns über den berechtigten Protest der luxem­ burgischen und der belgischen Regierung hinwegzusetzen. Das Unrecht — ich spreche offen —, das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist. Wer bedroht ist wie wir und um fein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut!"**) M. de Droqueville trotz der antimilitaristischen Tendenzen der Mehrheit bei eben dieser Mehrheit es durch, datz die Kriegsstärke des Heeres etwa verdoppelt und das Heeresbudget um wenigstens 30 Millionen jährlich erhöht wurde." Cs kann als ausgeschlossen gelten, daß ein Mann von der Stellung, die Herr Vandervelbe im politischen Leben Belgiens einnahm, dieses geschrieben hätte, wenn Herr v. Droqueville vorstehende Erklärungen nicht wirklich abgegeben hätte. *) In feiner Rede im Deutschen Reichstag vom 2. Dezember 1914 (Stenogr. Bericht S. 17 ff.) berichtigte der Reichskanzler v. Bethmann Hottweg gewisser­ maßen feine Stellung vom 4. August und klärt sie näher auf, ergänzt sie im übrigen. Er sprach u. a. aus: „Die belgische Neutralität, die England zu schützen vorgab, ist eine Maske. Am 2. August, abends um 7 Uhr, teilten wir in Brüssel mit, die uns be­ kannten Kriegspläne Frankreichs zwängen uns, um unserer Selbsterhaltung willen durch Belgien zu marschieren. Aber schon am Nachmittage dieses 2. August, also bevor in London das Geringste von unserer Demarche in Brüssel bekannt war und bekannt sein konnte, hatte England Frankreich seine Unterstützung zugesagt, und zwar bedingungslos zugesagt für den Fall eines Angriffs der deutschen Flotte

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Der anhaltende brausende Beifall des ganzen Hauses zeigte, daß hinter diesen Worten die Vertretung des gesamten deutschen Volkes stand — ja das ganze deutsche Volk selbst! In den Worten des Reichskanzlers vom 4. August 1914 findet auf die französische Küste.

Von der belgischen Neutralität war dabei mit keinem

Worte die Rede. Diese Tatsache ist festgestellt durch die Erklärung, die Sir Edward Grey am 3. August im englischen Unterhaus abgab und die mir am 4. August infolge des erschwerten telegraphischen Verkehrs nicht in extenso bekannt war, und bestätigt durch das Blaubuch der englischen Regierung selbst. Wie hat da England be­ haupten können, es habe das Schwert gezogen, weil wir die belgische Neutralität verletzt hätten? (Lachen. — Rufe: Heuchelei!) Und wie konnten die englischen Staatsmänner, denen doch die Vergangenheit genau bekannt war, überhaupt von belgischer Neutralität sprechen? Als ich am 4. August von dem Unrecht sprach, das wir mit dem Einmarsch in Belgien begängen, stand noch nicht fest, ob sich die Brüsseler Regierung nicht in der Stunde der Not dazu entschließen würde, das Land zu schonen und sich unter Protest auf Antwerpen zurückzuziehen. Sie er­ innern sich, daß ich auf den Antrag unserer Heeresverwaltung nach der Einnahme von Lüttich eine erneute Aufforderung in diesem Sinne an die belgische Regierung gerichtet habe. Aus militärischen Gründen mußte die Möglichkeit zu einer solchen Entwicklung am 4. August unter allen Umständen offengehalten werden. Für die Schuld der belgischen Regierung lagen schon damals mannigfache Anzeichen vor. Positive schriftliche Beweise standen mir noch nicht zu Gebote, den englischen Staatsmännern aber waren diese Beweise ganz genau bekannt. Wenn jetzt durch die in Brüssel aufgefundenen, von mir der Öffentlichkeit übergebenen Aktenstücke festgestellt worden ist, wie und in welchem Grade Belgien seine Neutrali­ tät England gegenüber aufgegeben hatte, so ist nunmehr alle Welt über zwei Tat­ sachen im klaren: Als unsere Truppen in der Nacht vom 3. zum 4. August das bel­ gische Gebiet betraten, da befanden sie sich auf dem Boden eines Staates, der seine Neutralität selbst längst durchlöchert hatte. Und die weitere Tatsache: nicht um der belgischen Neutralität willen, die England selbst mit untergraben hatte, hat uns England den Krieg erklärt, sondern weil es glaubte, zusammen mit zwei großen Militärmächten des Festlandes unser Herr werden zu können. Schon seit dem 2. August, seit seinem Versprechen der Kriegsfolge an Frankreich, war England nicht mehr neutral, sondern tatsächlich im Kriegszustand mit uns. Die Moti­ vierung seiner Kriegserklärung vom 4. August mit der Ver­ letzung der belgischen Neutralität war nichts als ein Schau­ stück, geeignet, das eigene Land und das neutrale Ausland über die wahren Beweggründe zum Kriege irrezuführen. Jetzt, wo der bis in alle Einzelheiten ausgearbeitete englisch-belgische Kriegsplan enthüllt ist, ist die Politik der englischen Staatsmänner vor der Welt­ geschichte für alle Zeit gekennzeichnet. Die englische Diplomatie selbst hat ja auch noch ein übriges dazu getan. Auf ihren Ruf entreißt uns Japan das heldenmütige Kiautschou und verletzte dabei die chinesische Neutralität. Ist England gegen diesen Neutralitätsbruch eingeschritten? die neutralen Staaten gezeigt?"

Hat es da seine peinliche Fürsorge für

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sich streng juristisch ein gewisser Widerspruch. Er sagt mit Recht: „Wir sind jetzt in der Notwehr," d. h. in der Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angrisf aus unser Land, den wir nur durch den Gegenangriff parieren können, und erkennt trotzdem an, datz das Verhalten der Deutschen den Geboten des Völkerrechts widerspricht. Auch seine folgenden Ausführungen sind in sich nicht ganz folgerichtig. Er plädiert mit Recht bald aus „Notstand", bald auf „Notwehr" — und spricht offen von einem „Unrecht", das wir damit tun und das wir wieder gutzumachen suchen werden". Und der letzte Satz nimmt trotzdem wiederum die Einrede der Notwehr aus. Psychologisch und aus der konkreten Situation ist der Vorgang, sind die juristischen und logischen Widersprüche wohl zu verstehen. Der Reichskanzler hat nicht als Jurist, nicht als Professor des Völker­ rechts, sondern als P o l i t i k e r, als Vertreter des Deutschen Reichs gesprochen. Seine Absicht war es damals, dem Königreiche Belgien goldene Brücken zu bauen, ihm möglichst entgegenzukommen, um es von feindseligen Handlungen abzubringen oder abzuhalten. Der Reichskanzler wußte damals noch nicht genau, welche böse Rolle der angeblich neutrale Staat schon lange vorher gespielt hatte, wie des näheren unten ausgeführt ist. Er schied daher genau zwischen der Notwehr gegen Frankreich und den notwendigen Abwehrhand­ lungen — wie er sie nannte, „unrechten" — gegen Belgien. Frei­ lich deutele er durch die Worte: „Frankreich konnte warten, wir aber nicht" an, datz eine Kooperation anderer Mächte mit Frankreich un­ bedingt demnächst zu erwarten war. Er ließ aber offen, wer der Be­ teiligte, der Verbündete sei, ob Belgien selbst oder — England. Die Äußerung des Reichskanzlers am 4. August war also un­ zweifelhaft diktiert von der diplomatischen Courtoisie, die durch die Einräumung des v b j e k 1 i v e n Tatbestandes des Bruches der Neu­ tralität durch das Einrücken der deutschen Truppen die nach seiner Meinung noch zu beeinflusiende gute Stimmung der belgischen Re­ gierung und Bevölkerung besänftigen sollte und wollte: daher das Eingeständnis des „Unrechts, das wir damit tun und das wir wieder gutzumachen suchen werden". So sprach nicht der Jurist, sondern der verantwortliche Politiker, der Staatsmann: Die Frage, ob, wie vielfach behauptet, ein schwerer politischer F e h l e r in dem allzu rasch zugegebenen sog. „Unrecht" lag, wird die Zukunft zu beantworten haben. Sie ist als rein politische Frage hier nicht zu entscheiden. Die Wirkung im Auslande war jedenfalls eine geradezu verhängnisvolle.

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Nur wenige Tage genügten, um nachzuweisen, daß weder die bona fides noch der gute Wille der Neutralität, den der Reichskanzler voraussetzte, bei Belgien vorhanden war, noch die gute Wirkung, die der Reichskanzler durch sein Entgegenkommen be­ absichtigte, eintrat. Eher das Gegenteil! Die Entwicklung der Dinge in den nächsten Tagen (4.—7. August) zeigte aber auch, daß es reiner Wahnsinn gewesen wäre, von Deutsch­ land zu verlangen, daß es erst den Einmarsch der französischen oder englischen Truppen in Belgien und damit einen nur mit Strömen deutschen Soldatenblutes wieder einzubringenden Vorsprung unserer Gegner hätte abwarten müssen, um dann auf Notstand oder Not­ wehr, etwa vor einem Gerichte, zu plädieren, das von Anfang an parteiisch und feindselig war, d. h. in praxi vor dem Forum der englischen Regierung, die wohlgefällig geschwiegen und kein Wort über Neutralitätsbruch gesprochen hätte, — wenn Frankreich die Neu­ tralität noch offener gebrochen hätte, als es dies ohnedies bereits mit Billigung und nach Wunsch der englischen Regierung getan hatte. Oder vor welchem andern Gerichte sollte sich Deutschland beklagen? Etwa vor dem Haager? Wenn die Franzosen in Namur und Lüttich zu Hunderttausenden gestanden hätten, hätte solcher Spruch" — in Monaten gefällt — nur noch die Lust erschüttert! Deutfchlandhandelte inbewutztemNot stände und, wie die weitere Entwicklung der kriegerischen Ereignisse zeigte, inbesterNotwehr gegen Belgien, das die Neutralität selbst be­ reits gebrochen hatte, wie gegen Frankreich, das sich desselben Ver­ tragsbruches schuldig machte. Es ist von Miltner (Leipziger Zeitschrift für das deutsche Recht, Septemberheft 1914), Triepel in der Kölnischen Zeitung und von Liszt (Bvsiische Zeitung Nr. 407, 1914) und von der gesamten neueren völkerrechtlichen Dottrin und Praxis anerkannt, daß es km Völker­ rechte N o t st a n d in analoger Anwendung des kriminellen Begriffs (f. § 54 R.-Str.-G.-B.) und Notwehr gibt, und daß solcher Not­ stand die Verletzung der Bestimmungen des Völkerrechts, zuläßt und ihre Rechtswidrigkeit ausschließt'). Wenn sich ein Staat in einer Lage l) Siehe auch Frank, Münch. N. N. vom 20. August 1914 Nr. 424; Fleischmann, Völkerrechtsquellen 1905 S. 35; Niedner, Franks. Ztg. vom 1. September 1914, Nr. 242; Rassische Ztg. vom 6. August Nr. 394, Morgen­ ausgabe; ferner Ullmann, Völkerrecht S. 145, 461; Liszt, Das Völkerrecht, 6. Ausl. 1910, S. 169, 182; Fleischmann, Auslieferung nach deutschem Kvlonialrecht, 1906, S. 52; Heilbronn, System S. 289, 296 ff.; Strisower, in Grünhuts Ztschr. 16 S. 717; Hvlhendorff, Handbuch des Völkerrechts S. II, S. 54 ff. Ferner neuerdings Jos. Köhler in der Zeitschr. f. Völkerrecht Bb. 8 (Sonderheft) Heft 2 S. 33 ff..

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befindet, in der die Erhaltung seiner Existenz und Selbständigkeit der­ art in Frage gestellt ist, datz er die Gefahr nur durch Übertretung von Normen des Völkerrechts bzw. durch Verletzung von Vertrags­ pflichten beseitigen kann, so liegt eben der Fall des Notstandes vor, in welchem das Recht die Befolgung seiner Imperative nicht mehr fordein kann. Jedenfalls zessieren die mit solchen Handlungen sonst ver­ knüpften rechtlichen Folgen. Dieses Selbsterhaltungsrecht ist die Auf­ gabe, ja die Pflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern und gegenüber der rechtlichen Gemeinschaft, mit der der Staat den Ver­ trag abgeschlossen hat, die wiederum feine Existenz und feine Erhal­ tung vorausseht. Zum Selbstmord kann keine Rechtsordnung, — weder die einzelne Person noch gar einen Staat zwingen: Eine solche Norm wäre der Inbegriff aller llnsittlichkeit**)! insbesondere S. 35 und 36 (über Notwehr und Neutralität): „Der Neutralstaat hat nur dann Anspruch auf Immunität, wenn er nicht aggressiv wird; bas Handeln Belgiens gegen Deutschlands berechtigtes Tun war aggressiv." Jetzt insbesondere die Schrift des Holländers Dr. Labberton, eine glänzende wissenschaftliche Recht­ fertigung des deutschen Vorgehens (bei W. Versluys, Amsterdam). *) Die Berechtigung dieses Standpunktes legte P. Matthias Reich­ mann S. J. im vierten Heft der Feldausgabe der „Stimmen der Zeit", des Organs der deutschen Jesuiten, dar, und zwar vom Boden des christlichen Naturrechtes aus. Der Reichskanzler, so führt P. Reichmann aus, habe in der Sprache der heute tonangebenden Rechtsgelehrten geredet, die kein Naturrecht anerkennen wollen und das Wort „Recht" nur auf die von der mensch­ lichen Autorität festgestellten Abmachungen und Normen anwenden. „Nun ist nicht zu leugnen, datz Abmachungen über die Neutralität Belgiens bestanden. Nach der Lehre der modernen Rechtspositivisten haben solche Rechte so lange bindende Kraft, bis sie abgeändert ober widerrufen sind, auch wenn das von jenen Juristen abgelehnte Naturrecht etwas anderes fordert. So konnte der Reichskanzler von einem Unrecht, einer Rechtsverletzung sprechen, obwohl er im selben Atemzuge das höhere Recht der Notwehr anrief. Der Reichskanzler berief sich durchaus nicht auf das Recht der bloßen Gewalt, wollte vielmehr sagen, der geltende Vertrag aus der einen Seite und die vaterländische Pflicht der Notwehr bringe einen Konflikt der Pflichten hervor, in dem er das geringere Übel, eine Rechtsverletzung, wählen müfle, um Schwereres, Verrat am Vater­ lande, abzuwenden." P. Reichmann kommt auf Grund dieser naturrechtlichen Betrachtungsweise zu dem Ergebnis: „Die Tatsache der äußersten Not vorausgesetzt, hätte also ein Staatsmann der „naturrechtlich-christlichen Schule" bester gesagt: Der Vertrag ist zwar regelrecht geschloffen, aber über dem Recht dieses zufälligen Vertrages steht das natürliche, in den Sternen geschriebene Recht der Selbsterhaltung und Selbstverteidigung, auf das ich selbst dann nicht verzichten darf, wenn einem Unbeteiligten durch meine Abwehr Gefahr oder Schaden entsteht". (Siehe auch das Werk „Deutsche Kultur, Katholizismus und Weltkrieg", eine Abwehrschrift auf das Buch „La Guerre Allemande et le Catholicisme", Freiburg i. Br., Herdersche Verlagsbuchhandlung, Kapitel 5.)

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Die Erhaltung des Deutschen Reiches machte es angesichts der unten geschilderten Sachlage direkt notwendig, die Vertrags­ rechtpflichten über die Neutralität, die von Preußen auf das Deutsche Reich übergegangen waren, vorübergehend zu verletzen, selbst wenn Belgien nicht — (was unten des näheren dargelegt und bewiesen wer­ den wird) — die vertragsmäßige Neutralität gegen das Deutsche Reich seinerseits gebrochen hätte. Die Erhaltung der eigenen Existenz, Selbständigkeit, Unabhängigkeit und bisherigen Weltmachtstellung des Reiches machte die Geltendmachung des „Notstandes" in concreto notwendig. Es genügte auch bereits die bloße Duldung der Bedrohung der Existenz des Deutschen Reiches durch Frankreich seitens des neu­ tralen Belgien oder die Unterlassung derjenigen Handlungen, die notwendig waren, die Bedrohung der Existenz des Reiches von Frankreich her zu beseitigen, um dem Reiche das Recht zu den ent­ sprechenden Notstandshandlungen gegenüber Frankreich und Belgien selbst unter Verletzung der Vertragsrechte des letzteren zu gewähren. Belgien war bei solchem Notstände des Deutschen Reiches ebenso wie Luxemburg lediglich berechtigt, den vollen Schadensersatz für die Vornahme dieser Nvtstandshandlungen auf diesem Gebiete zu ver­ langen: ein Recht, das ja auch von Deutschland ausdrücklich und wiederholt anerkannt wurde und das es gegen Luxemburg prompt und pflichtmäßig erfüllte. Deutschland war beiGesahrimVerzug e nicht verpflichtet, erst durch Verhandlungen diese völker­ rechtliche Sachlage klarzustellen. Notstand und Notwehr erforderten Taten, nicht Worte. Sache späterer nachträglicher Verhandlun­ gen war die Wiedergutmachung der veranlaßten Schäden tatsächlicher und rechtlicher Natur gegenüber dem verletzten Neutralitätslande. Hätte Belgien nicht seit einer Generation sich in den Kamps­ gedanken mit Deutschland eingelebt und seine ganze Militär- und sonstige Politik diesem Gedanken gewidmet, so hätte es vollen Schadensersatz, eine Stärkung seiner finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Stellung aus der vorübergehenden Störung seiner Neu­ tralität ziehen können, statt der Vernichtung und des Ruins seiner Selbständigkeit. III. Daß Belgien selbst wußte, daß ein solcher Notstand mit seiner vertragsmäßigen Neutralität unbedingt aufräumen werde, geht u. a. aus folgendem hervor: Schon 1843 erschien in der Revue militaire beige ein Aufsatz, dessen Verfasser die Neutralität überhaupt nicht ernst nimmt und für ein leeres Wort erklärt (so Frank in den M. N. N. vom 20. August). Im Frieden könne

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man sie proklamieren, bei Ausbruch des Krieges aber falle sie von selbst weg, und Belgien stehe genau wie jeder andere Staat vor der Frage, für wen es Partei nehmen solle. Auch der belgische Schriftsteller Grandgagnage er° klärt, daß die Verhältnisse mächtiger seien als die Menschen und datz aller Verträge ungeachtet im Kriegsfall Belgien das Gebiet sein werde, auf dem sich die europäischen Streitigkeiten entscheiden. Wollte dem Belgien entgegen­ treten, so würde es voraussichtlich nicht nur Niederlagen riskieren, sondern viel­ leicht auch seine Unabhängigkeit aufs Spiel setzen. Die Pandectes beiges (68. Band) treten an einzelnen Stellen derartigen Auffaflungen zwar entgegen; sie erkennen aber zwei Fälle unbedingt an, bei denen die Neutralität Belgiens nicht beachtet zu werden brauche: die Kriegs­ erklärung sämtlicher fünf Garantiemächte und die Nichtbeachtung der Neutralität von seiten Belgiens selbst (s. über die belgischen Rechtsanschauungen übrigens auch die Anmerkung am Schluffe dieses Kapitels).

Diese belgische Anschauung muß unzweifelhaft als staats- und völkerrechtlich einwandfrei anerkannt werden. Beide Fälle sind, wie wir zeigen werden, gegeben. Zunächst sind die Verträge vom 15. November 1831 über die Neutralisierung des Königreichs Belgien zwischen England, Österreich, Frankreich, Preußen, Rußland und Belgien abgeschlossen. Für Preußen ist 1871 das Deutsche Reich in den Neutralitätsvertrag ein­ getreten. Also jetzt ist jedenfalls der Fall 1 gegeben, daß sämtliche Garantiemächte im Kriege stehen; Anfang August stand lediglich England formal und scheinbar außerhalb der Konfliktssphäre. Ganz besonders interessant ist aber, was der berühmte Brüsseler Professor Rivier in seinem Lehrbuche des Völkerrechts (2. Auflage, 1899 S. 184) über den Notstand sagt: „Ein Staat darf selbst dann die Souveränität eines dritten Staates verletzen, wenn dieser zu schwach ist, zu verhindern, daß sein Gebiet dem Angreifer zur Basis dient." Man möchte glauben, diese Worte seien im August 1914 niedergeschrieben! Also ein Staat darf dann einen Neutralitäts­ vertrag verletzen, wenn sein Kontrahent nicht die Kraft besitzt, um zu verhüten, daß der Feind des ersten Staates sein, d. h. des Neutralen, Land als Operationsbäfis wählt. Dieser Fall liegt hier vor. Gibt es einen Menschen, der leugnen würde, daß Belgien zu schwach war, sein Gebiet einem französischen Angriffe zu verwehren? Selbst wenn Belgien den guten Willen gehabt hätte — (der ihm freilich fehlte!) —, seine Souveränität und Neutralität zu behaupten, würde Frankreich es einfach über den Haufen gerannt haben. Diese Tatsache bildet ja moralisch eigentlich auch den einzigen Entschuldi­ gungsgrund für den Bruch der Neutralität durch Belgien selbst. Auf dieser Erwägung baute sich die Politik des Baron Lambermvnt auf, die unglückseligerweise König Albert verließ, Lambermvnt hielt es für

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nötig, daß die belgische Armee zur Wahrung der Neutralität die Grenzen bloh besetzte; er hielt es für unsinnig, den Kamps mit viel stärkeren Gegnern aufzunehmen. Diese neue „Iungblutsche Taktik", einseitige Stellung zu nehmen, war König Alberts Ruin"). Also — selbst belgische maßgebende Rechts­ schrift steiler haben anerkannt, daß Notstand die belgischeNeutralitätaufhebe, der auch dann gegeben ist, wenn Belgien in concreto zu schwach ist, um sie mit Erfolg zu ver­ teidigen. Freilich hat man dort damit gerechnet, daß auf N o t st a n d von seiten Frankreichs plädiert würde, und gegen diese Konse­ quenzen hätte weder England noch Belgien etwas einzuwenden gehabt, wie dies von einer Reihe einflußreicher englischer Politiker (Macdonald Ramsey, Ponsonby usw.) offen zugestanden und Sir Edward Grey und seinen Hintermännern Fr. Bertie und A. Nicolson sogar direkt vorgeworfen wurde. Was aber dem einen recht ist, ist selbstverständlich dem andern billig! Zumal wenn es sich, wie jetzt gegen Deutschland, um einen überraschenden, über Nacht gekommenen Angriff von zwei Fronten seitens der stärksten Weltmächte handelte. Ganz Deutschland hat — wir wiederholen dies aus bester Kenntnis der Verhältnisse auf das bestimmteste und verpfänden dafür, wie jeder Abgeordnete es tun kann, unser Wort — vor dem 31. Juli an keinen Krieg gedacht. Vor dem 1. August ist in Deutschland keinerlei Mvbilisierungshandlung erfylgt. Während Rußland und Frankreich, wie jetzt erwiesen, seit Monaten sich auf den großen Krieg, den England seit Jahren 1) In dem im Jahrbuch d. V.-R. I 1127 auszugsweise veröffentlichten Rapporte zu dem belgischen „Projet de loi sur la Milice” (das belgische Ministerium hatte nach den Wahlen vom Juni 1912 Pläne über eine Ver­ mehrung der Kriegsstärke bis auf 350 000 Mann vorgelegt) heißt es: „il ne saut pas oublier que la neutralitö de la Belgique a ete proclam€e non pas comme un bienfait pour la Belgique, mais exclusivement dans l'intMt de Väquilibre europSen . . .

Von geschichtlichem Interesse ist die in dem Rapport weiter angeführte Tatsache (a. a. O. I, 1129), daß im Jahre 1840 — also unmittelbar nach den Verträgen vom 19. April 1839 —, als die orientalische Frage schon einmal einen europäischen Krieg zu entflammen drohte, Frankreich der belgischen Re­ gierung mitteilte: Wenn diese ihr Gebiet und ihre Neutralität nicht zu ver­ teidigen in der Lage sei, so könnte Frankreich, zu seinem großen Bedauern, zur Besetzung Belgiens im Falle eines Konflikts mit Deutschland sich genötigt sehen. Diese Erklärung erinnert lebhaft an die durch die Veröffentlichung belgischer Aktenstücke in der Nordd. Allg. Ztg. bekannt gewordenen Äußerungen, die der englische Militärattache dem belgischen Generalstabschef gegenüber un­ vorsichtigerweise getan hat (s. unten).

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vorbereitete, rüsteten, dachte in Deutschland niemand an die Mög­ lichkeit solcher Verwicklungen, ja wiegte sich noch bis zum 1. August in der Hoffnung, daß ihm der Frieden erhalten bleibe. Als Beweis dafür, wie schwer auf Deutschland der „Notstand" lastete, der zum Bruche der Neutralität zwang, dient auch die erste Proklamation der deutschen Regierung, die ausdrücklich vollen Scha­ densersatz und Wiederherstellung der völligen Freiheit und Selb­ ständigkeit Belgiens zusagte, wenn der momentane militärische Not­ stand vorüber sei. Siehe die Note, die am 2. August 1914 der deutsche Gesandte von Below-Saleske dem belgischen Minister des Äußern Davignon überreichte [belgisches Graubuch Nr. 20 S. 26]. Mit Recht nimmt Strupp a. a. O. S. 192 an, daß diese Note kein Ultimatum i. S. des Art. 1 der II. Haager Konvention war. Deutschland hat am 4. August eine zweite Note an Belgien erlassen, in der es ankündigt, daß es au besoin par la force des armes die Sicherheitsmaßregeln treffen muß, die gegenüber den französischen Bedrohungen unumgäng­ lich notwendig [indispensable] sind. Belgien seinerseits hat alsdann ohne Kriegserklärung am 4. August nach Überschreitung der Grenzen durch die Deutschen dem deutschen Gesandten seine Pässe übersandt (Graubuch Nr. 31 und 44). Die Antwort Belgiens vom 3. August s. 1. c. Nr. 22. Am selben Tage hat König Albert von Belgien die diplomatische Intervention Englands erbeten (f. englisches Weißbuch Nr. 153 und Graubuch Nr. 25). Und auch die Note vom 9. August 1914 kann noch als wichtiges Beweismittel dafür angesprochen werden, indem sie folgendes aussprach: „... Die deutsche Regierung bedauert es aufs tiefste, daß es infolge der Stellungnahme der belgischen Regierung gegen Deutschland zu einem blutigen Zusammenstotz gekommen ist. Deutschland kommt nicht als Feind nach Belgien. Nur unter dem Zwange der Verhältnisse, angesichts der militärischen Maß­ nahmen Frankreichs hat es den schweren Entschluß fasten mästen, in Belgien einzurücken und Lüttich als Stützpunkt für die weiteren militärischen Operationen zu besetzen. Nachdem die belgische Armee in heldenmütigem Widerstand gegen unser großes und überlegenes Heer ihre Waffenehre gewahrt hat, bittet (sic!) die deutsche Regierung Seine Majestät den König von Belgien und die belgische Regierung, Belgien die weiteren Schrecken des Krieges zu ersparen. Die deutsche Regierung ist zu jedem Abkommen mit der bel­ gischen bereit (!), das sich irgendwie mit den Rücksichten auf ihre Auseinandersetzung mit Frankreich vereinigen lätzt. Deutschland versichert nochmals feierlich st, datz es nicht von der Absicht geleitet ist, sich belgisches Gebiet anzueignen, und datz ihm diese Absicht durchaus fern liegt. Deutschland ist noch immer bereit, das belgische König-

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unverzüglich

zu

räumen,

sobald

die

Kriegslage

es

g e st a t t e t."

Die darauf am 13. August eingegangene belgische Antwort war schnöde Ablehnung*) (s. belgisches Graubuch Nr. 60 und 65). Ist das die Sprache eines beutegierigen, machtlüsternen „Mili­ tarismus"? Hier „bitte t" die Regierung des siegreichen, militärgewaltigsten Staates der Welt die Regierung eines kleinen, ohn­ mächtigen Staates, den weiteren Schrecken des Krieges Einhalt zu tun! Hat man in der Weltgeschichte einen analogen Fall solchen bis an die Grenzen der Selbstachtung gehenden Entgegenkommens? Und obwohl man bereits am 12. August ziemlich genau wußte, was Belgien in Versetzung seiner Neutralität sich geleistet hatte! So spricht einerseits der Drang, jegliches, auch scheinbares Unrecht wieder gutzumachen, und andererseits der Notstand, in dem man Belgien gegenüber so handeln mußt e1 2). 1> Es ist charakteristisch für die von Anfang an feindselige Haltung der belgischen Regierung, daß diese außerordentlich wichtige Kundgebung gegenüber der belgischen Bevölkerung völlig unterschlagen wurde — ja, daß man durch öffentliche Anschläge, in der Presse und sonstwie verbreitete, Deutschland habe Belgien zwingen wollen, unter preußischem Kommando gegen Frankreich und England zu marschieren! Auch diese unwahrhaftige Haltung zeigt, daß man von Anfang an die ganze Politik darauf gerichtet hatte, mit dem Drei­ verbände als dem scheinbar stärkeren Faktor durch Dick und Dünn zu gehen. Auch später versündigte man sich seitens der Regierung durch beispiellose Unwahrhaftigkeit gegenüber dem eigenen Volke. 2) Wie heuchlerisch das ganze Gebaren Englands und Belgiens in dieser Reutralitätsfrage war, geht z. B. aus folgender charakteristischen belgischen Äußerung hervor: Im Brüsseler „XXe Siede“ vom 20. August 1914 wird an erster Stelle eine Vorlesung wiedergegeben, die AbbL de Lannoy im Oktober 1913, also zehn Monate vor Ausbruch des Krieges, in der FacultS de Philosophie et lettres de l’Institut St. Louis gehalten hat. Die Vorlesung hatte zum Gegenstand die Neutralität Belgiens. Nach einem Überblick über die Entstehungsgeschichte des neutralen Staates setzt AbbL de Lannoy auseinander, daß die Neutralität heute nur noch von Deutschland bedroht wäre. Die Neutralität war 1830 als Schutzwehr gegen Frankreich gedacht, dem England um keinen Preis Antwerpen überlassen hätte. Nunmehr seien die Rollen vertauscht. England würde Antwerpen gegen Deutschland verteidigen (!). Unter diesen veränderten Umständen habe Belgien selb st kein Interesse mehr, an seiner Neutralität fe st zuhalten. ... „In der Sprache der Diploma­ ten wird die belgische Neutralität noch lange eine Formel bleiben, auf die sich jeder nach seinen augenblicklichen Interessen berufen wird, die jeder nach Belieben aus­ beuten wird bis zum Tage, an dem tragische Ereignisse dartun, daß sie nur noch eine Formel war."... ... „Daraus geht hervor, daß England sich nicht mehr darauf beschränken

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IV. Wird die Frage der Ausschließung der Rechtswidrigkeit durch Notwehr und Notstand nach obigen Ausführungen theoretisch und im Prinzip für das Völkerrecht entschieden zu bejahen sein, so entscheidet für das konkrete Vorliegen desselben natürlichallein die verantwortliche Behörde desjenigen Staa­ tes,dersichaufdenNotstandoderaufdieNotw ehr b e r u f t, d. h. in dem vorliegenden Falle die deutsche Armeeleitung im Zusammenhange mit der Leitung der auswärtigen Politik des Deutschen Reiches. Eine andere Lösung ist undenkbar. Die An­ rufung eines unparteiischen Gerichts war unmöglich — aus recht­ lichen, insbesondere aus praktischen militärischen Gründen. Für Deutschland war der Notstand darin begründet, daß nach Ansicht der deutschen Heeresleitung, die durch die Ereignisse voll­ kommen bestätigt wurde, ein Einbruch der französischen Truppen durch Belgien nach deutschem Gebiet unmittelbar drohte und daß dieser Einbruch für das in einen Weltkrieg verwickelte Deutschland ver­ hängnisvoll gewesen wäre. Diese Tatsachei st von ent­ scheidender Bedeutung. Reichskanzler v. Bethmann Holl­ weg erklärte wiederholt: „Wir wußten, daß der französische Kriegsplan den Durchmarsch durch Belgien zum Angriff auf die unbeschützten Rheinlande vorsah!" Diese Tatsache ist es, die den Not­ stand schuf, kraft besten sich Deutschland über die Neutralitätsverträge von 1839 hinwegsetzen durfte; es kann sich Deutschland nicht nur gegenüber dem unmittelbar beteiligten Belgien, sondern auch den könnte, die Beschüheri'n unserer Unabhängigkeit zu sein. Wenn England uns noch verteidigt, dann wirb es nicht als Garantiemacht, sondern als kriegführende Macht auftreten." De Lannvy sieht demnach prophetisch voraus, daß England auf alle Fälle ln den Krieg eingreife und daß der Bruch der belgischen Neu­ tralität nur noch einen Scheingrund zum Kriege abgebe. Und so wie der bekannte Abbö, dachte ganz Belgien und — handelte auch danach! Ganz ähnlich drückt sich auf der andern Seite das Buch des Amerikaners Homer Lea, „The day of the Saxon“ aus, in dem erklärt wird, dag die Neutralität kleiner Staaten, die zwischen groben liegen, eine Anomalie sei. Holland und Belgien müßten England militärisch angegliedert werden. Dann wäre England nur von der Elbmünbung aus angreifbar und Deutschlands Ausdehnung am Meer unmöglich. Dazu bemerkt Silvio Pietro Rivetta sehr richtig: „Keine andere Nation habe neutralen Besitz so oft besetzt und seine Verpflichtungen so oft gebrochen wie England. Wenn ein kleiner neutraler Staat zwischen zwei groben liege, sei es höchst wichtig, sich schon zu Beginn des Krieges dieses Staates zu bemächtigen, damit er nicht in die Hände des Gegners fällt."

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Garantiemächten gegenüber, von denen freilich die eine, Frankreich, als solche von vornherein nicht mehr gelten konnte, auf Notstand be­ rufen. Wer nicht zugeben will, datz Deutschland unter diesen Um­ ständen im Notstände gehandelt hat, dem bleibt, wie Miltner a. a. O. mit Recht meint, nichts anderes übrig, als den ungeheuerlichen Satz auszustellen, daß Deutschland jenen Einbruch erst hätte abwarten sollen, um dann zu protestieren — oder was sonst zu tun? Solche Naivität Deutschland zuzumuten, sollten nicht einmal die „Daily Mail" und der „Temps" den Mut Habens. V. In den ersten Augusttagen hielt die deutsche Regierung nach außen noch, wie die oben zitierte Rede des Reichskanzlers vom 4. August anzeigt, an der Annahme fest, daß der belgischen Regie­ rung ein französischer Durchbruch durch Belgien nach Deutschland unerwünscht sei. In der Anweisung, die der Reichskanzler dem deutschen Gesandten in Brüste! am 2. August erteilte, spricht er die Besorgnis aus, daß Belgien trotz besten Willens nicht imstande sein werde, ohne Hilfe den französischen Vormarsch mit Erfolg abzu­ wehren. Deutschland muffe deshalb dem französischen Angriffe zu­ vorkommen. Nach dem jetzigen Stande der Dinge ist es offenbar, datz Belgien keineswegs „besten Willens" war. Der französische Durchbruch nach Deutschland war zwischen Frankreich und Belgien verabredet und durch beiderseitige militärische Matzregeln vorbereitet. Das Tatsachen-Beweismaterial in dieser Richtung wächst noch immer. Es wird einem späteren Zeitpunkte vorbehalten sein, das ganze amtliche Material gesammelt vorzulegen^). *) Die englische Auffassung über Notstand und Notwehr ergibt sich klastisch aus der berüchtigten Überrumpelung Kopenhagens im Jahre 1807. Diese geschah, weil man englischerseits besorgte (!), die dänische Macht könnte sich vielleicht (!) auf Napoleons Seite stellen, Wellington sprach damals die historischen Worte: „Great Britain had only put mto exercise

that law of selfpreservation, that needed no learned and intricate disquisitions to justify!“ Das genügte für England, um mitten im Frieden die dänische Hauptstadt in Brand zu schießen, 300 Häuser einzu­ äschern und die ganze dänische Flotte wegzuschleppen! Nur weil Dänemark nicht die Neutralität brach! Und heute dieser englische Neutralitätsfanatismus, obwohl der Grund für Deutschland gegen Belgien ein hundertfach stärkerer war! (Siehe unten auch den jetzigen Rechtsstandpunkt Englands sowie Seite 42 Anm. 1.) 2) Im Herbste (14. Oktober bis 28. November) 1914 wurde eine große Anzahl von gerichtlichen Protokollen der Amtsgerichte Emden, Recklinghausen, Düsseldorf, Köln, Bonn usw. publiziert mit Wahrnehmungen von Augen° zeugen über die militärischen Maßnahmen Englands und Frankreichs auf bel­ gischem Boden vor der Kriegserklärung. (Siehe auch unten die Greuelberichte

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Nicht blofj vom Standpunkte des N o t st a n d e s aus, sondern auch von dem andern Gesichtspunkte aus, den oben die Pandectes beiges vorsehen, ist das Vorgehen Deutschlands gegen Belgien völlig gerechtsertigt und völkerrechtlich einw a n d f r e i. Es ist in der oben zitierten Stelle der Pandectes beiges aus­ gesprochen, daß die eigene Verletzung der Neutralität durch Belgien diese vernichten würde. Das ist völlig einwandfrei. Belgien hat die von ihm nach Art. VII. des 1839er Vertrages Satz 2 besonders übernommene Verpflichtung, die gleiche Neutralität gegen alle ande­ ren Staaten zu beobachten, fchnöbestens verletzt. Es hat gemeinschaft­ lich mit Frankreich und England kriegerische Unternehmungen gegen andere Garantiemächte der Verträge von 1839, gegen Preußen und damit gegen das Deutsche Reich und das verbündete Österreich, vor­ bereitet. Damit war die Neutralität Belgiens vernichtet. Es hatte keinen Anspruch mehr auf die Vorteile seiner Neutralität. Militärische und politische Tatsachen bilden vollgültigen Beweis dafür. Belgien hat u. a. bereits vor dem 4. August als dem Tage des Einrückens der deutschen Truppen, d. h. in der Zeit vom 1.—3. August zahlreiche französische Militärautomobile durch Belgien gegen die deutsche Grenze fahren, französische Militärflieger über Belgien fliegen lasten, ohne diese Brüche der Neutralität zu verhin­ dern oder dies auch nur ernstlich zu versuchen. Es ist weiter durch eine große Anzahl von Zeugen bewiesen, daß bereits am 2. August nachmittags zahlreiche französische Offiziere dienstlich in Brüssel weilten. Das 45. französische Infanterieregiment wurde am 30. Juli in Lastautos nach Namur gebracht, wie von einwandfreien franzö­ sischen Zeugen bestätigt wird. Im belgischen Orte Erqueline standest am 2. August französische Truppen**). (Siehe Französisches Gelbbuch Nr. 146 und 147: Verletzungen der Grenzen Belgiens und Deutschlands durch französisches Militär am 3. August 1914 Kap. 13 B, die wertvolles Material auch für die Neutralitätsverletzungsfrage enthalten.) Sehr auffallend war auch bas belgische Ausfuhrverbot vom 30. Juli, von dem in erster Linie Getreidefendungen nach Deutschland betroffen wurden (f. engl. Blaubuch Nr. 122 und belg. Graubuch Nr. 79; Anlage). *) Die „Nordd. Allg. Ztg." vom 18. Januar bestätigt auf Grund zeugen­ eidlicher Aussagen, datz bereits am 24. Juli 1914 (!) etwa zwei Kompagnien französischer Infanterie in Erqueline ausftiegen, die von Paris kamen. Zahl­ reiche Eiche Zeugenaussagen über die belgischen und französischen Greuel gegen Zivilgesaogene bestätigen jetzt die hier vertretene Meinung, datz bereits im Juli alle Vorbereitungen zu einem gemeinsamen Kampfe gegen Deutschland von Belgien und Frankreich getroffen wurden. (Siehe unter Kap. 13.)

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konsatiert vom deutschen Botschafter in Paris; freilich mit Gegenprotst a. a. 0. Nr. 46, 148 und 149.) Nach eidlichen Aussagen zu Prookoll deutscher Gerichte waren inEharleroi Ende Juli starke sranösische Abteilungen. Nach der „Nordd. Allg. Ztg." bestätigte ein seuge, ein deutscher Gasmeister, daß Kerdavain, der Conseiller du (epartement du Nord amtlich gestand, daß in Maubeuge am 1. Argust 150000 Mann, in Givet ebensoviele waren, um durch Be gien in Deutschland einzufallen. (Onnaing am 1. Argust, abends 8 Uhr.) Die sorgfältige Bewaffnung des ganzen belgichen Volks mit Militärgewehren zu Franktireurs, die Vorbereituigen zum Widerstände vom ersten Grenzdorfe an zeigen vor allen, daß von langer Hand der ganze Widerstand vonoben herab gegen Deutschland organisiert und vorbereitet würd, genau wie in Frankreich, wo er seit Jahren offiziell propigiert wurde (f. unten Kap. 13). es ist auch aus den Aussagen französischer Gefangener weite bekannt geworden, daß schon Wochen vor Ausbruch des Kriegs französische Offiziere in Lüttich und Brüsiel amtlich tätig wäre,. An die belgischen Soldaten wurden vor der Kriegserklärung Bögrr mit Abbildungen der einzelnen französischen und englischen Trupengattungen offiziell verteilt, um die Soldaten zur richtigen llntefcheidung ihrer zukünftigen Bundesgenosien anzulernen. In Maweuge fand man ein Arsenal mit — englischer Munition, das längs- vor der Kriegserklärung angelegt war! Die Ableugnungen von erglischer Seite sind angesichts der Enthüllungen über die „Konventim" (f. unten) durchaus unglaubwürdig und durch nichts be­ wiese«. Frankreich und Belgien hatten schon vor dem Tage, an dem Sir (dward Grey die Garantierung der belgischen Neutralität offi­ ziell ds Trumpf gegen Deutschland ausspielen zu können glaubte (1. Algust), selbst diese Neutralität in aller Form gebrochen. Cs hat Belgien durch alle diese Handlungen, von denen von Tag zu Tq mehr der Öffentlichkeit mitgeteilt werden (s. auch im folgenden vor älem Z. VII), die Neutralität auf das schnödeste ge brooen und damit auch selbst den Vertrag von 1839 zunichte gemaot. M. Daß Belgien durch sein Verhalten die Stellung als neu­ trale Nacht verwirkt hatte, folgt nicht nur aus dem wiederholt zitierten Art. TII, sondern auch aus dem ersten Kapitel des Haager Abkommars vom 18. Oktober 1907 über die Rechte und Pflichten der neuträen Mächte im Fall eines Landkriegs (Art. 2 und Art. 5 und

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17)1), das Deutschland, Belgien und Frankreich ratifiziert haben und das nichts anderes ist als die Kodifikation eines der (tieften und unbestrittensten Grundsätze des Völkerrechts. Es kann sohin von NeutralitätsVerletzung durch Deutschland überhaupt leine Rede sein, und infolgedessen tritt die Frage, ob ein Notstand gegeben war, überhaupt erst in zweiter Linie: Deutschland Hm Neu­ tralität selbst mit Gewalt zurückweist, nicht angesehen werden kann (Art. 10 der Landkriegsordnung). Diese Bestimmung scht voraus, daß der neutrale Staat nicht selbst vorher die ihm vertragsmäßig oder sonst obliegende Neutralität gebrochen hat; auf sie kenn sich nur der Staat berufen, der streng an seinen Neutralitätspflickten bis zu­ letzt festgehalten hat, der auch mit Gewalt der NeutralitLsverletzung eines Dritten, also hier Frankreichs, gewehrt hat. Von alledem ist hier keine Rede. Im Gegenteil: hier hat die Neutralitctsverletzung in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit Frankreich (und wohl auch mit England) stattgefunden, so daß von einer berechtigten Notwehr zugunsten der eigenen Neutralität seitens Brlgien nicht mehr die Rede sein kann. Oder hat Belgien bisher auch nur den Nachweis versucht, daß es mit der völkerrechtlich notwendigen Kriegsgewalt Frankreich von den feindseligen Handlungen gegen Deutschland auf belgischem Boden abhielt? Davon wurde nie­ mals etwas bekannt! Es wäre auch nur bei einer Schcinaktion ge­ blieben. *) Art. 2 lautet: „Es ist den Kriegführenden untersagt, Truppen — durch das Gebiet einer neutralen Macht hindurchzuführen." Selbstverständlich fällt darunter auch das Durchlässen von Militärautos und Militärfliegern. Art. 5: Eine neutrale Macht darf auf ihrem Gebiet keine der in den Art.

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bezeichneten Handlungen dulden. Art. 17: Ein Neutraler kann sich auf seine Neutralität nicht berufen: a) wenn er feindliche Handlungen gegen den Kriegführenden begeht, b) wenn ei- Handlungen zugunsten eines Kriegführenden begeht,... Die beiden Eventualitäten sind im vorliegenden Falle gegeben.

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Es ist dabei lehrreich, festzustellen, wie die englische Re­ gierung selbst über die Frage der notwendigen Neutralitätsver­ letzung heute denkt. Die amtliche Ausgabe der Kriegsregeln, die im Aufträge der englischen Regierung (by order of His Majesty's Secretary of State for War) von Colonel Edmonds und Professor Oppenheim als Führer für die englischen Offiziere (for the guidance of officers of His Majesty’s Army) gearbeitet und amtlich verlegt ist, sagt in Art. 468 (6.101) Satz 3: „Sollte aber ein Kriegführender neutrales Gebiet dadurch verletzen, daß er Truppen durch dieses hin­ durchführt (by marching troops across .it) und die neutrale Macht nicht imstande oder nicht willens sein, die Verletzung abzuwehren, dann ist der andere Kriegführende berechtigt, den Feind auf diesem Gebiete anzugreifen." (S. v. Liszt in der „Voss. Ztg.") Auch der hervorragendste englische Völkerrechtslehrer Lawrence (principles of international laws 1910, S. 136) bezeichnete die Be­ setzung Ägyptens als durch „vitale Interesien Großbritanniens ge­ rechtfertigt". S. 609 sagt er (zitiert bei Strupp I. c. S. 189 Anm.): „extreme necessity will justify a temporary violation of neutral territory“. Ganz ähnlich die anderen englischen Völkerrechtslehrer

Hall, Edmonds, Oppenheim (s. die näheren Zitate dort)'). Großes Literaturmaterial zur Begründung des deutschen Rechts, des Reä)ts des Notstandes gegen Belgien, „das Opfer des höchst bedauerlichen Irrtums der belgischen Regierung", nämlich über seine angebliche Pflicht zum Widerstande bringt Llorens a. a. O. Er zitiert S. 58 und 70 ff. vor allem Rivier, Hall, Oppenheim, Mill, (Treaty obligations Fortnightly Review N. S. 1870, 715), end­ lich auch Merignhac (S. 63 ff.): Tratte de droit public inter­ national Paris 1905, I 133. Ferner zitiert er Präsident Cleveland, 1) In dem Buche „The Royal Navy, a History from the Earliest Time to the Present“ findet sich folgender Absatz: „Der (englische) Angriff auf Kopenhagenvon 1807 (s. oben) war zweifellos eine weife und jedenfalls notwendige Maßnahme. In Zeiten eines allgemeinen Krieges find schwache, kleine Nationen, die ihre Neutralität selbst nicht wahren und von einer der stärkeren Parteien, die am Krieg beteiligt sind, als Werkzeug gebraucht werden können, Gefahrquellen für die andere kriegführende Partei. Und es ist nur klug von dieser Gegenpartei, wenn sie sobald als möglich die Gelegenheit benutzt, diese Neutralen ihrer Waffen zu berauben (deprive!), die, obgleich in den Händen kleiner und unehrgeiziger Staaten verhältnismäßig harmlos, unter der An­ leitung großer und angriffslustiger furchtbar werden können." Der Mitherausgeber dieses Buches, Teddy Roofevelt, ist jetzt einer der wildesten „Neutralitäts"-Fanatiker.

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das russische Memorandum im Haag 1899, Gladstone (1870) sowie das Vorgehen Englands in Ägypten, gegenüber Griechenland; T. 3. Lawrence (The principles of international law, London 1910, 609), Bonucci, Zeitschr. für Völkerrecht IV, 466, Westlake (International law, Eambridge 1900, I, 315, Nagao Ariga (La guerre russo-, japonaise, Paris 1908, 52) über die Haltung der 3apaner gegen­ über Korea. Sobald also die Franzosen die belgische Grenze überschritten halten, war auch nach englischer Ansicht das Deutsche Reich Zweifellos berechtigt, seinerseits seine Truppen in Belgien einrücken zu lasten. Das geschah in concreto. Das Reich war gar nicht verpflichtet, diesen Augenblick abzuwarten. Es hat ihn aber trotzdem abgewartet. Als es in den ersten Augusttagen durch die Duldung der Neutralitäts­ verletzung durch Belgien selbst sah, daß den Fliegern, Automobilen, einzelnen Offizieren wie auch größeren Truppenabteilungen unmittel­ bar wohl die französischen Heere folgen würden, hat die deutsche Heeresleitung getan, wozu sie v e r p f l i ch t e 1 war. Sie hatte das Recht, die Verteidigung zu wählen, die nach ihrer Anschauung er­ forderlich war, um den unmittelbar bevorstehenden drohenden und bereits erfolgten rechtswidrigen Angriff Frankreichs abzuwenden. Sie hatte das Recht um so mehr, da die neutrale Macht Belgien er­ wiesenermaßen nicht „imstande und nicht willens war", den französischen Einfall und Neutralitätsbruch abzuwehren, sondern seine Neutralität selbst ausgab. Es war also Deutschland auch nach der An­ schauung englischer, belgischer') und französi­ scher Autoritäten völkerrechtlicher und militari*) In den bereits oben zitierten Pandectes Beiges 68 finde ich S. 104 Nr. 34 auch folgende bemerkenswerte Stelle über die belgische Neutralitätsanfchauung und über bas jetzige deutsche Vorgehen: On peut se demander si dans ces deux hypothfcses, la Belgique devrait attendre, Farme au bras, l'attaque de son adversaire; s’il ne lui serait pas permis de prendre 1 e devant et d’aller attaquer Vennemi chez lui, alors que les pr£paratifs faits par ce deruier, ne laissent aucun doute sur son Intention de nous envahir? Nous rlpondons, que cela lui serait permis, car dans le cas indiqu£, l’attaque n’est qu’unc forme de la legitime defense. Elle p r e vi e n t I'aggression imminente. C'est la force e m p 1 o y 6 e pour 6 v i t e r le pr 6 j u d i c e irreparable que produirait l'attente. — Ferner über Neutralite de la Belgique ebendort Nr. 20: „Au premier Signal de guerre tombe la neutralite" (©. 98); Nr. 23: „tous les engagements ne tarderaient"; Nr. 22: „conventions, qui ne deviennent definitivement obligatoires"; s. auch S. 90

Nr. 137.

45 scher Richtung vollberechtigt, so zu handeln, wie die deutsche Heeresleitung dies tat. VII. Für die hier vertretene Auffasiung des längst vorbereiteten Angriffs spricht noch gebieterisch eine ganze Reihe von Tatsachen, Zeugen und Urkunden *). Dokumentevon größter Wichtigkeit nicht bloß für die Unwahrheit der Behauptung, daß die Verletzung der Neutralität Belgiens durch Deutschland der Grund für die Kriegserklärung Eng­ lands fei, sondern auch für die Wahrheit der Behauptung, daß Eng­ land von Anfang an und seit Jahren auf Kooperation mit Frankreich und Belgien bedacht war und mit dieser rechnete, ja zu dieser entweder vertragsmäßig oder durch persönliche Exponierung des maß­ gebenden englischen Leiters der Auslandspvlitik bereits am 1. August verpflichtet war, sind folgende Tatsachen und Schriftstücke, die sich ergänzen und bestätigen. Zunächst enthüllte der Ministerpräsident in einer Ansprache zu Cardiff Anfang Oktober, daß England sich bereits 1912 geweigert hätte, seine Neutralität im Fall eines Krieges !) Ein höchst bemerkenswertes Eingeständnis der zwischen Belgien und dem Dreiverband bestehenden engen Beziehungen machte kurz vor Kriegsausbruch der belgische Sozialist L. de Broucköre in. der sozialistischen Monatsschrift „Die Neue Zeit" vom 31. Juli 1914. Indem er übet den Sieg der belgischen Klerikalen bei den Wahlen 1912 sich verbreitete und besten Folgen erörterte, fuhr er fort: „Unsere Feldarmee ist nach den Befehlen der Tripleentente, die sich zur Beschützerin unserer Befestigungen aufgeworfen hat, auf die Stärke von 150 000 Mann gebracht worden. Wenige Tage nach den Wahlen von 1912 gab man nämlich den dringenden Vorstellungen Frankreichs, Englands und zweifellos auch Rußlands nach und führte die allgemeine Wehrpflicht ein." Nachdem Brouckere dann darauf hinweist, daß die bisherige Dienstpflicht von 15 Monaten nach dem Urteil von Sachverständigen nicht genüge, schließt er vorahnend: „Morgen wird uns vielleicht England, bas nur bei sich den Militär­ dienst als lästig ansieht, zur Erfüllung unserer Verpflichtungen auffordern." Auffallend ist auch folgendes: Seit dem Frühjahr 1913 zogen fran­ zösische Agenten alles Metallgeld aus Belgien. Und die belgische Regierung gab Fünffrankenbanknoten aus, da­ tiert auf den 1. Juli 1914. Diese Tatsachen gibt Waxweiler zu, sie sind ihm aber zwei ganz harmlos auseinanderstehende Tatsachen, während wir allerdings ein wirtschaftliches Übereinkommen darin gesehen haben, daß die bel­ gische Regierung nichts getan hat, um den Auszug des Silbergeldes zu ver­ hindern, und den militärischen Vorbereitungen Frankreichs finanziell Vorschub zu leisten. Siehe auch die i. I. 1915 erschienene Broschüre von Dr. Rich. Graßhoff „Belgiens Schuld", zugleich eine Antwort an Prof. Dr. Waxweiler; Georg Reimer Berlin, insbesondere die Zeugenaussagen S. 14—20 (s. auch 3. Auflage S. 43 Anm. 1).

46 Deutschland gegenüber zu erklären. (Siehe auch die Enthüllungen des Reichskanzlers in der Sitzung des Deutschen Reichstags vom 19. August 1915 über die sog. Haldane-Mission 1912, des Verfassers neues Werk S. 372 ffl. Dazu nehme man die Depesche Sir Edward Greys an Botschafter Goschen vom 1. August 1914. Sie sagt: „Er (der deutsche Botschafter) fragte mich, ob wir uns verpflichten wollten, neutral zu bleiben, falls Deutschland die Zusage gebe, die Neutralität Belgiens zu respektieren. Ich antwortete, daß ich eine solche Zusage nicht geben könne. Wir wären noch frei und erwägten, was zu tun wäre. Unsere Haltung sei stark von der öffentlichen Meinung abhängig, und dieser läge die Neutrali­ tät Belgiens sehr am Herzen. Ich fügte hinzu, daß ich nicht glaubte, allein auf diese Zusage hin unsere Neutralität in Aussicht stellen zu können. Der Gesandte drang in mich, einen Vorschlag zu formu­ lieren, auf Grund dessen wir neutral bleiben wollen, er gab sogar zu verstehen, daß die Integrität von Frankreich und seiner Kolonien garantiert werden könnte. Ich erwiderte, daß ich verpflichtet sei, jede Neutralitätsversicherung zu verweigern (!) und daß wir freie Hand behalten müssen" (s. Nr. 106, Nr. 85, 87 Engl. Weiß. bzw. Blaubuch)'). Dazu nehme man die in der „Nvrdd. Allg. Ztg." vom 4. Sep­ tember 1914 wiedergegebene Darstellung des Botschafters Fürsten Lichnowsky über die Vorgänge vom 1. August, in der es u. a. heitzt: „Auf meine Frage, ob er unter der Bedingung, daß wir die belgische Neutralität wahrten, mir eine b e ft i nun t e Erklärung über die Neu­ tralität Großbritanniens abgeben könne, erwiderte der Minister, das sei ihm nichtmöglich (!)"’). Dazu kommt, daß Sir Edward Grey am 3. August im eng­ lischen llnterhause erklärte, er habe dem französischen Botschafter be­ reits am Nachmittage des 2. August die vollste Unterstützung der eng­ lischen Flotte für den Fall zugesichert, daß die deutsche Flotte gegen die französische Küste oder die französische Schiffahrt vorgehe. Erst in der Nacht vom 3. auf 4. August erfolgte die Verletzung der bel­ gischen Neutralität durch deutsche Truppen. *) Der größte rumänische Deutschenhasser Take Ionescu bestätigte, daß Fürst Lichnowsky wenigstens bis zum 27. Juli fest überzeugt gewesen sei, daß der Friede nicht gestört werden würde. Noch am 28. habe er ihm geraten, seine Kur in Aix-les-Dains fortzusetzen usw. s) Siehe die feierliche wiederholte Erklärung Deutschlands gegenüber England, daß Belgiens Gebiet unantastbar sei, wenn England neutral bleibe und Frankreich die Neutralität achte; vgl. Weißbuch Nr. 137, sowie über alle diese Dinge der Verfassers Werk „Weltkrieg und Diplomatie" Kap. 34 ffl.

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Die deutsche Regierung ging sohin bitz zur äußersten Grenze des Zulästigen, wie die Andeutung Greys an Goschen ersehen läßt, um die Neutralität Englands förmlich zu erkaufen. Alles war um­ sonst! Der beste Beweis dafür, daß der Plan einer Kooperation zwischen den drei Staaten gegen Deutschland offenbar l ä n g st gefaßt und vorbereitet war! (Siehe auch die unten abge­ druckten Enthüllungen der deutschen Regierung vom 12. Oktober und 24. November 1914.) VIII. Für die Richtigkeit dieser Auffasiung sprechen aber noch weitere zahlreiche Momente, die zugleich die Anschauung begründen, daß innere politische Schwierigkeiten, vor allem der drohende Bürger­ krieg wegen der Ulster-Frage, es wünschenswert erscheinen ließen, die innere englische Einigung durch Provokation eines großen äußeren Kriegs mit Gewalt herbeizuführen, wie dies in dem „Giornale d'Italia" in einem interessanten Interview mit dem Senator Grafen di San Martino offen bestätigt wurde. Sir Edward Grey handelte seinerseits aus altem Haste gegen Deutschland; seine Politik war der Ausfluß der fixen Idee, daß Deutschland das A und O aller Hinderniste für England sei. Lord Churchill war sein getreuer Helfer, das enfant terrible des jetzigen Ministeriums, besten Chef Mr. Asquith in Unanständigkeit des Kampftons nicht mehr übertroffen werden kann. In Tvurcoing bei Lille in Frankreich ist ein amtliches Aktenstück gefunden worden, ein Maueranschlag, unterzeichnet vom Bürger­ meister Gustave Drvn, Mitglied des französischen Senats, er trägt das Datum des 1. August 1914. Es ist eine an die Bevölkerung gerichtete Verkündigung anläßlich des Kriegsausbruchs. In diesem Maueranschlag findet sich folgender Satz: „England, unser Freund, denkt nicht daran, die Gewalt über die Meere und die Oberhand im Welthandel der deutschen Herrschaft abzutreten. Es ist entschlossen, dem Rüstungswahnsinn, der alle großen Nationen zugrunde richtet, ein Ende zu machen."

Diese Kundgebung ist für den Geschichtsschreiber wichtig, denn sie beweist, daß England nach französischer Anschauung schon vor dem 1. August entschlosten war, an der Seite Frankreichs und Rußlands am Kriege teilzunehmen. In der angesehenen amerikanischen, englandfreundlichen Wochen­ schrift „The Nation" finden wir einige interessante Mitteilungen ihres Londoner Berichterstatters I. Ranken Tvwse. Towse erzählt, daß man seit dem 1. August, also drei Tage vor der Kriegserklärung, fieberhafte militärische Vorbereitungen bemerkte.

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unablässige Truppentransporte zur Küste, Einziehung von Reservisten und Territorialsoldaten, Aushebung von Pferden, Lastwagen und Automobilen. Er schreibt weiter u. a.: „Nunmehr tritt aber zutage, daß die Vorbereitungen für den Krieg seit drei Monaten begonnen waren. Ich weiß bestimmt, daß mehrere Schisfsreserveoffiziere damals schon ihren Schiffen zugeteilt wurden, und es wird mir von einer Persönlichkeit, die ich als eine verantwortliche Autorität ansehe, ver­ sichert, daß Lord Kitchener vor einigen Wochen bereits heimlich nach Belgien gereist war, um mit dem belgischen Generalstab über unsere Expeditionsarmee zu verhandeln*)2)." ****7

IX. Wären die mit den Namen der Zeugen belegten Tatsachen richtig, so wäre das ganze Spiel, das Sir Edward Grey vom 1. bis 4. August mit den arglosen Vertretern der deutschen Regierung, dem ^Botschafter Lichnowsky und dem Reichskanzler Bethmann Hollweg, trieb, erwiesen: Ein Spiel mit Vertretern einer Großmacht, das wohl kaum in der Weltgeschichte ein Analogon in Mangel an Wahrhaftig­ keit findetl)! 1) In dem zur Aufklärung der Amerikaner berechneten Buche des K. und K. Konsuls Ernest Ladwig in Cleveland (Ohio) über „Austria-Hungary and the War" wird die angesehene amerikanische Zeitschrift „Saturday Evening Post" als Quelle dafür zitiert, daß schon am 31. Juli eine ganze Anzahl eng­ lischer Offiziere aus Garnisonen der pazifischen Küste von New Bork nach England reisten in Befolgung eines dringenden Befehls des englischen Kriegsministeriums. Sie mußten also bereits am 23. oder 24. Juli abreisen. Dasselbe Blatt meldete, daß am 30. Juli das Kaiserliche Telegraphenamt in Tientsin verlautbarte, die Kabel zwischen Schanghai und Tschifu seien außer Betrieb. Von diesem Tage an kamen keine Meldungen aus Berlin mehr an. Aus ostasiatischen Blättern geht hervor, daß England und Japan am 30. Juli kriegsbereit waren. Das englische Geschwader war in Weiheiwei am 26. Juli zusammengezogen, das französische am 1. August in Haiphong. — Siehe auch „Nordd. Allg. Ztg." vom 7. Mai 1915, die die englischen Briefsperren in Hongkong bereits in der 2. Hälfte Juli 1914 beweist. 2) Das Jahrbuch der „Daily Mail" für 1915 bestätigt wie Winston Churchill in allen Einzelheiten, daß England von allen Staaten (bereits am 27. Juli) mit seiner Flotte am ehesten und völlig kriegsbereit dastand, als man in Deutschland noch nicht an Krieg dachte und keinen Mann und kein Pferd gerüstet hatte (f. z. B „greif. Ztg.7 Nr. 2, 1915). Ähnlich eine Notiz des Abg. Erzberger über eine ihm von „absolut zuverläsiiger Seite" zugegangene Mitteilung, daß am 2. August bereits unter den Augen der Polizei ein deutscher Dampfer in Antwerpen demoliert und belgische Truppen auf deutsches Gebiet bei Aachen übergetreten feien (im „Tag" vom 7. Oktober 1914.) Jetzt (August 1916) insbesondere die Darlegungen Winston Churchills in dem neugegründeten Northcliffe-Blatt „Sunday Pictorial", daß England seit Jahren sich auf das sorgfältigste auf den Krieg vorbereitet und die Flotte am 27. Juli völlig kampfbereit hatte.

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Aber Herr Ssasonow und Herr Grey wollen uns ja lehren, daß die „Marinekonvention", die den allrussischen Kriegstreibern ganz den Kopf verdrehte, nur in der Idee des „Berliner Tageblatt und im Monde" vorhanden fei, obwohl die deutsche Regierung den Entwurf längst im Besitze hatte (s. darüber a. a. O. S. 380 ffl.) Nicht leugnen können sie aber, was aus obigen Urkunden in Übereinstimmung mit dem englischen Blaubuche hervorgeht, daß Grey innerhalb weniger Tage das eine Mal die Frage der belgischen Neutralität als nicht entscheidend erklärte, das andere Mal gegen das deutsche Versprechen der Achtung dieser Neutralität die englische Neutralität zuzusichern sich weigerte, bis es dann geraten erschien, nach dem Einrücken der Deutschen endgültig die Rolle des Rechtsbeschützers zu wählen: Zwei Tage vorher aber hatte Grey bereits die Kriegserklärung perfekt, da er die Bedrohung der französischen Küsten und der französischen Schiffahrt als casus belli erklärte. (Siehe englisches Weißbuch Nr. 123, 126, französisches Gelbbuch Nr. 144 und 143.) Wessen man den maßgebenden Leiter der englischen äußeren Politik übrigens in England selbst für fähig hält, geht ja aus dem Manifest der englischen Arbeiterschaft, der „Independent Labour Party", vom August 1914 hervor. Dort heißt es u. a.: „Nicht die serbische Frage oder die belgische Neu­ tralität hat England in diesen schrecklichen Krieg gestürzt. England kämpft nicht für unterdrückte Nationen oder für Belgiens Neutralität. Wenn Frankreich durch Belgien in Deutschland eingedrungen wäre, wer glaubt, daß Eng­ land dafür an Frankreich den Krieg erklärt hätte? Hinter dem Rücken von Parlament und Volk hat Sir Edward Grey Frankreich heimlich Zusagen gemacht. Aber er leugnete das Bestehen dieser Zusagen, als er danach gefragt wurde. Darum steht unser Land jetzt vor einem allgemeinen Ruin und vor der eisernen Notwendigkeit des Krieges. Verträge und Abkommen haben Frankreich gezwungen, sich von dem despotischen Rußland ins Schlepptau nehmen zu lasten, und England wird von Frankreich mitgezogen. Jetzt kommt das alles ans Licht! Die Männer, die die Verantwortlichkeit tragen, mästen jetzt zur Verantwortung gezogen werden. England hat sich jetzt in den Dienst Rußlands gestellt, Rußlands, der reaktio­ närsten, der korrumpiertesten und der despotischsten Macht Europas. Wenn man Rußland seine territorialen Wünsche befriedigen und seine Kosakenmacht aus­ breiten läßt, dann laufen Kultur und Demokratie die ernsteste Gefahr, und dafür hat England also das Schwert gezogen". Ähnlich Keir Hardie und Clifford Ellen in einer Flugschrift, in der er das Bekenntnis des deutschen Reichskanzlers: „Not kennt kein Gebot" für splendid erklärt und England alle Schuld zuweist („Daily Citizen“)1). 1) Siehe auch die Darlegungen Prof. Siepers im „Berl. Tagebl." (Januar 1915) über Asquith' Ausruf: „No war! No war“, die beweisen, daß Müller-Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht. 4. Aufl.

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X. Auch das ganze fanatische Eingreifen der belgischen Be­ völkerung in den Kampf, die wohlbewaffnet mit Militärgewehren und reichlich versehen mit Munition vom ersten Tage an, ja bereits vor der Kriegserklärung an Rußland und vor dem Kriegsbeginn mit Frankreich und 3—4 Tage vor dem Betreten belgischen Bodens durch deutsche Truppen, mit den feindseligsten Taten gegen deutsche Staatsangehörige begann (s. unten das Kapitel 13 über den Franklireurkrieg usw.), ist ein untrüglicher Beweis dafür, daß von langer Hand der Durchmarsch französischer und wohl auch englischer Truppen mit Belgien und damit die Preisgabe der Neutralität Belgiens ver­ einbart war, an die längst in Belgien niemand mehr glaubte, die die ganze Intelligenz des Landes, die völlig französisiert war, als einen wehrlosen „Fetzen Papier" ansah. XL Die unten berichteten schmählichen Greuel in Brüssel, Ant­ werpen und anderen Städten Belgiens, vor allem auch die Demo­ lierung der deutschen Schiffe, insbesondere des Lloyddampfers „Gneifenau" durch belgische Gendarmen usw. bereits am 3. August früh 9 Uhr hättenalleinvollkommengenügt,umden Einmarsch deutscher Truppen in Belgien vor der ganzen Welt zu rechtfertigen (s. das wertvolle Beweismaterial unten Ka­ pitel 13 B über die „Mißhandlung wehrloser Zivilisten vor und nach der Kriegserklärung" nach eidlichen gerichtlichen Aussagen). Bisdie Harmsworth-Presse, Sir Edward Grey und Churchill und die bekannten Botschafter-Hetzer (Sir Bertie, Cambon, Barrere und Gen.) die englische Nation, das Parlament und das Ministerium („These damned treaties have done it all“) in diesen Krieg gehetzt haben, über Winston Churchill schreibt derselbe genaue Kenner englischer Verhältnifle: Das Gebühren Winston Churchills ist deshalb so widerwärtig, weil es im schreienden Gegensatz zu dem früheren Tun und Reden dieses politischen Renegaten steht. Es war im Mai des Jahres 1906 bei Gelegenheit eines Empfanges in dem sogenannten Londoner Eighty-Club zu Ehren deutscher Gäste. Von den Trinksprüchen galt einer „den beiden Nationen" und Winston Churchill war der Redner. Er begann seinen Toast mit folgenden Worten: „Es gibt Leute, die umhergehen und behaupten, das deutsche und englische Volk haßten einander. Das Geschwätz dieser Leute — meist feuerfressende Redakteure, die ihre dienstpflichtigen Jahre hinter sich haben und ihren billigen Patriotismus im Daily Mail oder der Times feil­ halten — mag von verständigen Leuten belächelt werden, aber ihr täglich sich erneuerndes Gebell sollte verantwortungsvolle Männer doch mahnen, auf der Hut zu feilt." Der Redner kam dann auf die wirtschaftliche Rivalität beider Länder zu sprechen: „Hat es jemals einen Handelskrieg gegeben, der auf ein Pfund ein Zehnerl Dividende gebracht hat? Die ersten Tage nach der Mobil­ machung würden dem Handel eines Landes mehr Schaden zufügen, als selbst durch einen glücklichen Krieg gewonnen würde." Zum Schlüsse hieß es: „Mutter Erde hat Raum genug für uns alle." (!!)



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marck hat bei verhältnismäßig viel geringfügigeren Unfreundlichkeiten im Jahre 1870 in einem geharnischten Schreiben mit dem Einmärsche deutscher Truppen in Belgien gedroht. Er würde bei Kenntnis der Antwerpens Greuel vom 3. und 4. August keinen Moment gezögert haben, die äußersten Konsequenzen zu ziehen. Von einem „Unrecht" aus deutscher Seite kann auch von diesem Gesichtspunkte der Selbst­ achtung des Deutschen Reichs keine Rede sein! XII. Heute ’) weiß alle Welt, daß nicht Vertrags- und Neutrali­ tätstreue, sondern Eifersucht und Streben nach der Weltherrschaft das Motiv zur Kriegserklärung seitens der eng­ lischen Regierung gewesen isti).2 Für Freiheit und Recht einzutreten, dazu gäbe Ägypten, Indien, Südafrika, Irland und Persien dem bri­ tischen Volke viel Gelegenheit. Hier handelt es sich einfach um die beabsichtigte Zerstörung des deutschen Handels, der deutschen Industrie und der drohenden deutschen Seegeltung. Und Belgien? Es verdankt seinen Ruin der englischen Politik, die es blendete. Als diese Versuchung herantrat, hätte es entweder auf der strengen Einhaltung seiner Neutralität bestehen oder vor aller Welt seine natürliche Bewegungsfreiheit zurückfordern oder erklären muffen, daß es außerstande fei, gegenüber großen Mächten seine Neutralität durchzusetzen, daß es daher vom Vertrage von 1839 zurückzutreten gezwungen sei. Auf die eine oder andere Art eine klare Sachlage zu schaffen, wäre es sich selbst und den Ga­ rantiemächten schuldig gewesen. Belgien war nach dem Vertrage von 1831 und 1839 nicht verpflichtet, sondern bloß berechtigt, sich dem deutschen Einmärsche zu widersetzen. Belgien hat aber den ersten Weg, auf dem es dem glänzenden Beispiel der ihre Neutralität mit Würde und ganz aus eigener Kraft wahrenden schweizerischen Eidgenosienschast sowie Hollands, das sogar mit schweren Kriminalstrafen gegen jede Neutralitätsverletzung gegen seine Bürger vorging, hätte folgen können, nicht eingeschlagen, und es hat auch nicht versucht, von 1) Siehe die spanische Zeitung „El Debale" vom 4. Oktober, die Äuße­ rungen des Bischofs Dr. Nuelsen-Zürich in der „Augsburger Abendztg.", die Ausführungen Houston Stewart Chamberlains in der „Internat. Monatsschr." Iahrg. 9, Heft 1, Dr. Harris Aal im Christianiaer „Dagbladet" usw. 2) In der „National Labour Preß" sagt C. H. Normann (April 1915): „Die angebliche Ursache für Englands Kriegsteilnahme, die Verletzung der Neu­ tralität Belgiens, ist ein Scheingrund. Der wirkliche Grund war der Wunsch Englands, die deutschen Fortschritte zu vernichten---- Grey ist der Allein­ herrscher Großbritanniens__ Das Parlament hat keine Kontrolle gegenüber der von Kriegslust angesteckten Regierung ausgeübt---- Die Handlungen dieser werden eine furchtbare Vergeltung finden."

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den Verträgen von 1839 sich freizumachen. „Es hat den schlimmsten Weg gewählt und unter der Maske der Neutralität mit dem Drei­ verband gemeinsame Sache gemacht" (Miltner a. a. O.). Die sehr objektive Schrift des Spaniers Eduardo Llorens kommt mit vollem Rechte zu dem Schlüsse: „Die Frage der belgischen Neu­ tralität kann man wie folgt zusammenfassen: Deutschland hatte das Recht, den Bürgschastsvertrag aufzuheben. Seine außergewöhnliche Lage gab ihm das Recht, durch belgisches Gebiet hindurchzumarschie­ ren. Diesem Recht widersprach keine Pflicht seitens Belgiens. Die belgische Regierung hat wegen ihrer straffälligen Nachgiebigkeit Frankreich und England gegenüber — oder im günstigsten Falle wegen Mißbrauch ihres Hausrechts — die ungeheure Verantwort­ lichkeit für das unheilvolle Geschick, das ihr Volk heimsucht, zu tragen." (S. dort S. 44—78 den Nachweis vom neutralen Standpunkte aus.) Nur Unwissenheit oder Verleumdung kann nach alledem das deutsche Volk des Völkerrechts­ bruchs bezichtigen (f. auch „D. Iur.-Ztg." 1915 Nr. 5/6 S. 228). Deutsche Staatsmänner und deutsche Heerführer hätten vor der Geschichte der gröbsten Pflichtverletzung sich schuldig gemacht, wenn sie nicht den geschilderten Verhältnissen entsprechende Rechnung getragen hätten. Deutschland war aber auch, wie im vorstehenden klar bewiesen ist, durch den Bruch des Neutralitätsvertrags durch Belgien selbst völkerrechtlich berechtigt, Belgien zur Basis seiner kriege­ rischen Operationen zu wählen und das Land bei Widerstand selbst mit Krieg zu überziehen. Das Deutsche Reich hat endlich alles getan, um auch nach diesen völkerrechtlich gebotenen Zwangshandlungen die Unverletzlich­ keit der belgischen Souveränität und des belgischen Territoriums zu garantieren und wiederherzustellen, sobald der „Notstand" zu­ rücktrat. Hätte Belgien, wenn auch gezwungen, dieselbe Haltung wie das Großherzvgtum Luxemburg eingenommen*), so wären ihm die Schrecknisse des modernen Krieges erspart geblieben, und es hätte 9 Siehe über dieses: Engl. Weißbuch Nr. 129 (Ankündigung von Deutsch­ lands Besetzung), belg. Graubuch Nr. 18 u. 132 Gelbbuch. (Es ist charakteristisch, datz einer der gröhlen sozialdemokratischen Chauvinisten, der belgische Minister Dandervelbe, ganz offen die Annektion Luxemburgs proklamiert, wie die Herren Brkand, Sembat, Guesde usw die „Befreiung" von Elsah-Lothringen offiziell bei jeder Gelegenheit als selbstverständliches End­ ziel des Kriegs erklären (f. Rede Briands mit dem Vertrauensvotum von 657: 1 Stimme am 3. No». 1915).

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sich so wenig wie dieses über irgendwelche ernstliche Schädigungen oder angebliche weitere Völlerrechtswidrigkeiten zu beklagen gehabt. Das zeigt die strenge Schonung Hollands und der Schweiz durch Deutschland. (Siehe die Broschüre von Eduard Blocher, „Belgische und schweizerische Neutralität".) Da es aber in völliger Verkennung seiner völkerrechtlichen Stellung wvhlvorbereitet, einseitig und heim­ tückisch Partei zugunsten des Dreiverbands nahm, muß es alle Folgen seiner rechtswidrigen und törichten Stellungnahme tragen: Es hat sich dem Verlangen Englands entsprechend, um mit Lord Burleygs zu sprechen, zur „Kontereskarpe für Euerer Majestät Königreich" ge­ macht („Morning Post"), es muß als englischer Brückenkopf be­ handelt werden! Das Recht auf Sicherung gegen zukünftige ähn­ liche Überraschungen wird für die verantwortlichen deutschen Männer zur höchsten Pflicht gegenüber der Zukunft.

A. Die Enthüllungen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" vom 12. Oktober 1914. Die obigen Ausführungen, die in der Hauptsache schon in der 1. Auflage des Werkes enthalten waren, fanden in ihrer Gesamtheit eine geradezu klassische Bestätigung durch die Enthüllungen der deut­ schen Regierung über die Vorgeschichte des Bündnisses zwischen Bel­ gien, Frankreich und England, die die „Nordd. Allg. Ztg." am 12. Oktober veröffentlichte. Sie lauten wörtlich: Durch die eigenen Erklärungen Sir Edward Greys ist die Behauptung der englischen Regierung bereits als unhaltbar erwiesen, daß die Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland das Eingreifen Englands in den gegenwärtigen Krieg veranlaßt hat. Das Pathos sittlicher Entrüstung, mit dem der deutsche Einmarsch in Belgien von englischer Seite zur Stimmungsmache gegen Deutschland bei den Neutralen verwertet worden ist, findet eine neue und eigenartige Beleuchtung durch gewisse Dokumente, die die deutsche Heeresver­ waltung in den Archiven des belgischen Generalstabs in Brüssel aufgefunden hat. Aus dem Inhalt einer Mappe, welche die Aufschrift trägt: „Intervention anglaise en Belgique“, geht hervor, daß schon im Jahre 1906 die Entsendung eines englischen Expeditionskorps nach Belgien für den Fall eines deutsch­ französischen Krieges in Aussicht genommen ~ war. Nach einem vorgefundenen Schreiben an den belgischen Kriegsminister vom 10. April 1906 hat der Chef des belgischen Generalstabs mit dem damaligen englischen Militärattache in Brüssel Oberstleutnant Barnardiston auf dessen Anregung in wiederholten Be­ ratungen einen eingehenden Plan für gemeinsame Operationen eines englischen Expeditionskorps von 100 000 Mann mit der belgischen Armee gegen Deutsch­ land ausgearbeitet. Der Plan fand die Billigung des Chefs des englischen Generalstabs Generalmajors Grierson. Dem belgischen Generalstab wurden alle Angaben über Stärke und Gliederung der englischen Truppenteile, über die Zu-

54 sammensetzung des Expeditionskorps, die Ausschiffungspunkte, eine genaue Zeit­ berechnung für den Abtransport und dergleichen geliefert. Auf Grund dieser Nachrichten hat der belgische Generalstab den Transport der englischen Truppen in das belgische Aufmarschgebiet, ihre Unterbringung und Ernährung bort ein: gehend vorbereitet. Bis in alle Einzelheiten ist das Zusammenwirken sorgfältig ausgearbeitet worden. So sollten der englischen Armee eine grobe Anzahl Dolmetscher und belgische Gendarmen zur Verfügung gestellt und die nötigen Karten geliefert werden. Selbst an die Versorgung englischer Verwundeter war bereits gedacht worden. Dünkirchen, Calais und Boulogne waren als Ausschiffungspunkte für die englischen Truppen vorgesehen. Von hier aus sollten sie mit belgischem Eisen­ bahnmaterial in das Aufmarschgebiet gebracht werden. Die beabsichtigte Aus­ ladung in französischen Häfen und der Transport durch französisches Gebiet beweist, dab den englisch-belgischen Vereinbarungen solche mit dem französischen Generalstab vorausgegangen waren. Die drei Mächte haben die Pläne für ein Zusammenarbeiten der „verbündeten Armeen", wie es im Schriftstück heitzt, genau festgelegt. Dafür spricht auch, dab in den Geheimakten eine Karte des französischen Aufmarsches vorgefunden worden ist. Das erwähnte Schreiben enthält einige Bemerkungen von besonderem Interesie. Es heibt dort an einer.Stelle, Oberstleutnant Barnardiston habe bemerkt, dab man zurzeit auf die Unterstützung Hollands nicht rechnen könne. Er habe ferner vertraulich mitgeteilt, dab die englische Regierung die Absicht habe, die Basis für den englischen Verpflegungsnachschub nach Antwerpen zu verlegen, sobald die Nordsee von allen deutschen Kriegsschiffen gesäubert sei. Des weiteren regte der englische Militärattache die Einrichtung eines belgischen Spionagedienstes in der Nheinprovinz an. Das vorgefundene militärische Material erfährt eine wertvolle Ergänzung durch einen ebenfalls bei den Geheimpapieren befindlichen Bericht des langjährigen belgischen Gesandten in Berlin Baron Greindl an den belgischen Minister des Äutzern, in dem mit grobem Scharfsinn die dem englischen Angebot zugrunde liegenden Hintergedanken enthüllt werben, und in dem der Gesandte auf bas Be­ denkliche der Situation hinweist, in die sich Belgien durch eine einseitige Partei­ nahme zugunsten der Ententemächte begeben habe. In dem sehr ausführlichen Bericht, der vom 23. Dezember 1911 datiert ist und dessen vollständige Veröffent­ lichung vorbehalten bleibt, führt Baron Greindl aus, der ihm mitgeteilte Plan des belgischen Generalstabs für die Verteidigung der belgischen Neutralität in einem deutsch-französischen Kriege beschäftige sich nur mit der Frage, was für militärische Mahnahmen für den Fall zu ergreifen seien, dab Deutschland die belgische Neutralität verletze. Die Hypothese eines französischen Angriffs auf Deutschland durch Belgien habe aber gerade so viel Wahrscheinlichkeit für sich. Der Gesandte führt bann wörtlich folgendes aus: „Von der französischen Seite her droht die Gefahr nicht nur im Süden von Luxemburg. Sie bedroht uns auf unserer ganzen gemeinsamen Grenze. Für diese Behauptung sind wir nicht nur auf Mutmatzungen angewiesen. Wir haben dafür positive Anhaltspunkte. Der Gedanke einer llmfassungsbewegung von Norden her gehört zweifellos zu den Kombinationen der Entente cordiale. Wenn das nicht der Fall wäre, so hätte der Plan, Vlissingen zu befestigen, nicht ein solches Geschrei in Paris und

55 London hervorgerufen. Man hat dort den Grund gar nicht verheimlicht, aus dem man wünscht, dab die Schelde ohne Verteidigung bliebe. Man verfolgte dabei den Zweck, unbehindert eine englische Garnison nach Antwerpen übersühren -u können, also den Zweck, sich bei uns eine Operalionsbasis für eine Offensive in der Richtung auf den Niederrhein und Westfalen zu schaffen und uns dann mit fortzureiben, was nicht schwer gewesen wäre. Denn nach Preisgabe unseres nationalen Zufluchtsortes hätten wir durch unsere eigene Schuld uns jeder Möglichkeit begeben, den Forderungen unserer zweifelhaften Beschützer Widerstand zu leisten, nachdem wir so unklug gewesen wären, sie dort zuzulassen. Die ebenso perfiden wie naiven Eröffnungen des Obersten Barnardiston zur Zeit des Abschlusses der Entente cordiale haben uns deutlich gezeigt, um was es sich handelte. Als es sich heraus­ stellte, dab wir uns durch die angeblich drohende Gefahr einer Schiebung der Schelde nicht einschüchtern lieben, wurde -der Plan zwar nicht aufgegeben, aber dahin abgeändert, dab die englische Hilfsarmee nicht an der belgischen Küste, sondern in den Nächstliegenden französischen Häfen gelandet werden sollte. Hierfür zeugen auch die Enthüllungen des Kapitäns Faber, die ebensowenig dementiert worden sind wie die Nachrichten der Zeitungen, durch die sie bestätigt ober kn einzelnen Punkten ergänzt worden sind. Diese in Calais und Dünkirchen gelandete englische Armee würde nicht an unserer Grenze entlang nach Longwy marschieren, um Deutschland zu erreichen. Sie würde sofort bei uns von Nordwesten her ein­ dringen. Das würbe ihr den Vorteil verschaffen, sofort in Aktion treten zu können, die belgische Armee in einer Gegend zu treffen, in der wir uns auf keine Festung stützen können, falls wir eine Schlacht riskieren wollen. Es würde ihr ermöglichen, an Neffourcen aller Art reiche Provinzen zu besetzen, aus alle Fälle aber unsere Mobilmachung zu behindern oder sie nur zuzulassen, nachdem wir uns formell verpflichtet hätten, die Mobilmachung nur zum Vorteil Englands und seines Bundesgenossen durchzuführen. Es ist dringend geboten, im voraus einen Schlacht­ plan für diebelgische Armee auch für diese Eventualität aufzustellen. Das gebietet sowohl das Interesse an unserer militärischen Verteidigung als auch die Führung unserer auswärtigen Politik im Falle eines Kn'eges zwischen Deutschland und Frankreich." Diese Ausführungen von vorurteilsfreier Seite stellen in überzeugender Weife die Tatsache fest, dab dasselbe England, das sich jetzt als Schirmherr der belgischen Neutralität gebärdet, Belgien zu einer einseitigen Parteinahme zu­ gunsten der Ententemächte bestimmt und dab es zu einem Zeitpunkte sogar an eine Verletzung der holländischen Neutralität gedacht hat. Des weiteren erhellt daraus, dab die belgische Regierung, indem sie den englischen Einflüsterungen Gehör schenkte, sich eine schwere Verletzung der ihr als neutraler Macht obliegenden Pflichten hat zuschulden kommen lassen. Die Erfüllung tiefer Pflichten hätte es erheischt, dab die belgische Regierung in ihren Verteidigurgsplänen auch die Ver­ letzung der belgischen Neutralität durch Frankreich vorgesehen und dab sie für diesen Fall analoge Vereinbarungen mit Deutschland getroffen hätte, wie mit Frankreich und England. Die aufgefundenen Schriftstücke bilden einen dokumentarischen Beweis für die den matzgebenden deutschen Stellen large vor Kriegsausbruch bekannte Tatsache der belgischen Konnivenz mit den Ententemächten. Sie dienen als eine Rechtfertigung für unser militärisches Vorgehen und als eine Bestätigung der der deutschen Heeresleitung zugegangenen Informatknen über die französi­ schen Absichten. Sie mögen dem belgischen Volte die Aucen darüber öffnen, wem

56 es die Katastrophe zu verdanken hat, die jetzt über das unglückliche Land herein­ gebrochen ist1).

Leider halfen die Warnungen des Baron Greindl nichts! (Siehe übrigens auch den Bericht des Baron Greindl Nr. 17 v. 5. April 1906, wo es heißt: „Es besteht kein Zweifel mehr, daß es der König von England war, der unabhängig von seiner Regierung Herrn Delcasse in eine kriegerische Politik hineingetrieben hat und ihm das Versprechen gegeben hat, 100 000 englische Soldaten in Holstein zu landen... Könnten noch irgendwelche Zweifel bestehen, so würden sie durch die sonderbare Demarche des Obersten Barnardiston bei General Ducarme zerstreut worden sein.") Der junge König kam völlig in das Schlepptau des Dreiverbandes — und damit war fein und Belgiens Schicksal besiegelt! Die Vorbereitungen dazu waren ja freilich, wie man aus diesen Enthüllungen ersieht, bereits zu Lebzeiten seines Vorgängers bis aufs Kleinste getroffen. Ob dieser mit seiner welterfahrenen Klugheit zu­ letzt nicht doch eine abwartende Neutralitätsstellung eingenommen hätte? Und die Antwort Englands auf diese die ganze Welt verblüffenden Enthüllungen? Ein amtlicher englischer „Waschzettel" spricht außerordentlich verlegen von „akademischen Besprechungen über etwa erforderliche englische Hilfe für Belgien""). Bernard Shaw sagt, daß sich das mattgesetzte Foreign Office darauf be*) Einen köstlich naiven Streich als Antwort auf die obige „grotze Ent­ hüllung" leistete sich der „Temps", indem er entdeckte, datz Deutschland bereits den Feldzugsplan gegen die — Schweiz aufgestellt habe. Es ergab sich, daß es sich um einen beim Konflikt in der Neuenburger Frage im Jahre 1856 vom Prinzen Friedrich Karl ausgearbeiteten Operationsplan handelte, der längst im Anhange des I. Bandes von Wolfgang Försters Werk, betitelt „Prinz Friedrich Karl", im Jahre 1910. veröffentlicht worden war. 2) Die „Nordd. Allg. Ztg." brachte am 6. November 1914 ein Faksimile eines mit dem Stempel der englischen Gesandtschaft in Brüstet versehenen Formu­ lars, das folgenden Text hatte: E, M. de lfarm6e anglaise... je soussigne Dale Long, Attache ä I. E. M. requisitionne ... 1914.

Die „Nordd. Allg. Ztg." bemerkt dazu: Von dem oben abgedruckten Formular wurde ein ganzes Paket in der Schreibstube der englischen Spionagezentrale in Brüffel aufgefunden. Schon lange vor dem Kriege war bekannt geworden, datz ein gewisser Dale Long in Brüssel wohnte und Spionage gegen Deutschland und für England trieb. Es war auch gelungen, eine ganze Neihe feiner Agenten dem Richter zuzuführen. Indessen konnte nicht sicher festgestellt werden, daß Dale Long zum englischen Generalstab gehörte. Aus dem aufgefundenen Formular geht aber hervor, bah Dale Long im Kriegsfälle zum englischen Generalstab treten sollte, und datz er als Mitglied des englischen Heeres in Belgien berechtigt war, Requisitionen

57 schränkte, „einige Straßenjungen zu dingen, die dem Reichskanzler die Zunge herausstreckten". Dieser klägliche Versuch der Abschwächung der Wirkung der Enthüllungen vom 12. Oktober spricht für sich allein, um die unaufrichtige Politik Englands zu kennzeichnen. Akademische Rekriminationen kommen freilich jetzt zu spät, sind gegenüber englischer Politik auch weniger als wertlos. Nur die Tat kann und soll hier sprechen. Sie allein imponiert den übermütigen Herren und macht sie in ihrer Politik des nackten Egoismus zu jeder Handlung auch gegenüber ihren Bundesgenossen fähig. Den „Times" aber kann man dankbar sein, datz sie bereits am 12. Oktober ausführten, daß die Neutralität „ein verhängnisvolles Geschenk an Belgien war", und datz die englischen und belgischen Stäbe (NB. nicht nur 1906 und 1911, sondern 1914) „militärische Vorbereitungen nur unter Verletzung der belgischen Neutralität ver­ abreden konnten". Datz tatsächlich geheime Verhandlungen ge­ pflogen und Verabredungen getroffen wurden, und diese allein ent­ scheidend waren für die Begehung des schlietzlichen Neutralitäts­ bruchs Belgiens, glauben wir durch vorstehende Ausführungen ebenso bewiesen zu haben wie die Tatsache, datz Notstand und Notwehr zu gleicher Zeit das Deutsche Reich zwangen, so zu handeln, wie es vor Gott und seinem guten Rechte, auch gemäß dem Völkerrechte handeln konnte und handeln mußte**). zu stellen, daß diese Berechtigung durch die englische Gesandtschaft in Brüssel be­ scheinigt worden ist, wie der Stempel beweist. — Das Vorhandensein eines ganzen Stoßes unausgefüllter Formulare dieser Art beweist ferner völlig zweifelsfrei, daß es sich hier um eine Mobilmachungsmaßregel handelt, die ohne Zustimmung der belgischen Regierung gar nicht denkbar ist. Selbstverständlich stammen diese Formulare aus der Zeit vor Beginn der Feindseligkeiten und der Kriegserklärung Englands. Sie bilden also ein neues Beweisglied für die Behauptung, daß von langer Hand das Zusammenarbeiten der englischen und belgischen Truppen vorbereitet war. *) Wie England und seine große Presse über die Neutralität kleiner Staaten überhaupt denkt, d. h. mit welchem Mangel an Achtung die „perfida gens Bretonum“ diese Neutralität behandelt, dafür gab das holländische „Allgemeen Handelsblad" einen drastischen Beweis, indem es sich scharf gegen einen Artikel in der „Saturday Review" wandte, der vorschlägt, England solle Zeeland während des Krieges pachten oder kaufen und den Belgiern geben. Dies müsse die künftige Grenze Hollands sein, wenn wieder die Rede vom Frieden sei. Das „Handelsblad" lenkt die Aufmerksamkeit des britischen Gesandten im Haag auf die schändliche Beleidigung eines neutralen Landes, das ehrlich bemüht sei, seine Pflicht gegen alle Nachbarn zu tun, an seiner Neutralität zu eigenen großen Verlusten mit aller Macht fest hält und den britischen Schiffbrüchigen und Internierten sicher keinen Grund zu Klagen über Hollands Neutralität gibt.

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Das weitere jahrelange Verhalten Englands gegenüber sämtlichen „kleinen" und großen neutralen Staaten, die zur völligen Verhöhnung des Begriffes „Neutralität" sich auswuchs, — insbesondere gegen Griechenland, Holland, Schweden, Schweiz usw. — zeigte, daß Eng­ land von dem Rechte des Stärkeren brutalsten Gebrauch machte. B. Die Enthüllungen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" vom 24. November 1914. Noch viel drastischer als die Veröffentlichung vom 12. Oktober zeigt die gerade bei Abschluß der 1. Auflage dieses Buches von der deutschen Reichsregierung herausgegebene neue Enthüllung das ganze einseitige und falsche Spiel Englands und Belgiens, um das letztere als Operationsfeld gegen Deutschland zu verwenden. Die „Nordd. Allg. Ztg." vom 24. November 1914 schreibt nach einer Polemik gegen die Antworten der belgischen und englischen Re­ gierung auf die Veröffentlichung vom 12. Oktober und in näherer Ausführung dieser Erklärung u. a. folgendes: „Wie die vorstehend skizzierten Erklärungen erkennen lasten, hat die englische Regierung von vornherein darauf verzichtet, die Feststellungen der Kaiserlichen Regierung (vom 12. Oktober) zu bestreiten. Sie hat sich auf einen Versuch beschränkt, sie zu beschönigen. Sie mag sich wohl gesagt haben, daß bei der erdrückenden Fülle des vorhandenen Beweismaterials eine Ableugnung der Tat­ sachen zwecklos und bedenklich sein würde. Die 'inzwischen erfolgte Aufdeckung eines englisch-belgischen militärischen Nachrichtendienstes und das Auffinden der von den amtlichen englischen Stellen hergestellten Kriegskarten von Belgien erweisen erneut, eine wie eingehende militärische Vorbereitung der englisch-belgische Kriegsplan gegen Deutschland erfahren hatte. Es folgt im Faksimile der Wortlaut des im Konzept aufgefundenen Berichts des Generals DucarmL an den belgischen Kriegsminister vom 10. April 1906, der der belgischen Regierung schwerlich unbekannt sein kann, da der belgische Gesandte in Berlin, Baron Greindl, in seinem Berichte vom 23. Dezember 1911 auf seinen Inhalt ausdrücklich Bezug genommen hat. Sollte der belgischen Regierung aber die Er­ innerung daran geschwunden sein, so dürften ihre Zweifel über die in den Unter­ haltungen des Generals Ducarme mit dem Oberstleutnant Barnardiston behan­ delten Themata durch den nachstehenden Wortlaut des Berichts gehoben werden, der in einem Umschlag mit der Aufschrift „Convention anglo-belge“ im belgischen Kriegsministerium aufbewahrt wurde. Das Blatt wendet sich dann gegen die Stelle des Artikels der „Saturday Review", daß in Kriegszeiten das Recht dem Kriegsrecht weichen müsse, das das Recht des Stärkeren sei, und sagt: „Wenn Wochenschriften wie „Saturday Review" so als roheste Militaristen schreiben, ent­ steht die Besorgnis, daß die Achtung vor dem Völkerrecht bereits mehr als er­ schüttert ist."

59 Der Bericht des Generals DucarmL lautet in deutscher Übersetzung: „Brief an den Herrn Minister über die vertrau­ lichen Unterhaltungen." Der Bericht enthält u. a. folgende Sätze: Oberstleutnant Barnardiston machte mir Mitteilung von den Besorgnisien des Generalslabes seines Landes hinsichtlich der allgemeinen politischen Lage und wegen der Möglichkeit des alsbaldigen Kriegsausbruchs. Eine Truppensendung von im ganzen ungefähr 100 000 Mann sei für den Fall vorgesehen, daß Belgien angegriffen würde. Der Oberstleutnant fragte mich, wie eine solche Matzregel von uns ausgelegt werden würde. Ich antwortete, datz vom militärischen Gesichtspunkt es nur günstig sein könne, aber datz diese Interventionsfrage ebenso­ sehr die politischen Behörden angehe, und datz es meine Pflicht fei, davon alsbald dem Kriegsminister Mitteilung zu machen. Barnardiston fuhr fort: Die Landung der englischen Truppen würde an der französischen Küste stattfinden in der Gegend von Dünkirchen und Calais, und zwar würde die Truppenbewegung möglichst be­ schleunigt werden. Die Landung in Antwerpen würde viel mehr Zeit erfordern, weil man größere Transportschiffe brauche und anderseits die Sicherheit weniger groß sei. Nachdem man über diesen Punkt einig sei, blieben noch verschiedene andere Fragen zu regeln, nämlich die Eisenbahntransporte, die Frage der Requisition, die die englische Armee machen könnte, die Frage des Oberbefehls der verbündeten Streitkräfte. Er erkundigte sich, ob unsere Vorkehrungen genügten, um die Ver­ teidigung des Landes und während der Überfahrt die Transporte der englischen Truppen — eine Zeit, die er auf etwa 10 Tage schätzte — sicherzustellen. Ich antwortete, datz die Plätze Namur und Lüttich mit einem Handstreich nicht zu nehmen und unsere 100 000 Mann starke Feldarmee in 4 Tagen imstande sein würde, einzugreifen. Nachdem Barnardiston seine ausgesprochen hatte, betonte er:

volle

Genugtuung

über meine

Erklärungen

1. datz unser Abkommen absolut vertraulich sein sollte, 2. datz es seine Regierung nicht binden sollte, 3. datz sein Gesandter, der englische Generalstab, er und ich allein über die Angelegenheit unterrichtet ist, 4. er nicht wisse, ob man die Meinung seines Souveräns vorher eingeholt hat. In einer folgenden Unterredung kam Barnardiston auf die Frage der Effektivstärke unserer Feldarmee zurück und bestand darauf, datz man keine Detache­ ments nach Namur und Lüttich abzweigen sollte, denn die Plätze hätten genügende Garnisonen. Er bat mich, meine Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit zu richten, der englischen Armee zu gestatten, an den Vergünstigungen teilzuhaben, die das Reglement über die Kriegsleistungen vorsehe. Endlich bestand er auf der Frage des Oberbefehls. Bei einer anderen Unterhaltung prüften Oberstleutnant Barnardiston und ich die kombinierten Operationen für den Fall eines deutschen Angriffs auf Ant­ werpen und unter Annahme eines Durchmarsches durch unser Land, um die fran­ zösischen Ardennen zu erreichen. In der Frage erklärte mir der Oberst sein Ein­ verständnis mit dem Plane, den ich ihm vorlegte, und versicherte mich der Zu­ stimmung des Generals Graerson, des Chefs des englischen Generalstabs. Andere Fragen von untergeordneter Bedeutung wurden ebenfalls geregelt, besonders hin-

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sichtlich der Spezialoffiziere, der Dolmetscher, der Gendarmen, der Karten, der Uniformabbildungen, von ins Englische zu übersetzenden Sonderabzügen einiger belgischer Reglements, eines Reglements für Verzollungskosten und für englische Proviantsendungen, der Unterbringung der Verwundeten der verbündeten Heere usw. Es wurde nichts vereinbart über eine Einwirkung der Regierung oder der Militärbehörden auf die Presse. Im Laufe der Unterhaltung hatte ich Gelegenheit, den englischen Militär­ attache zu überzeugen, daß wir willens sind, soweit als möglich die Bewegungen des Feindes zu hemmen und uns nicht gleich von Anfang an nach Antwerpen zu flüchten. Seinerseits teilte mir Barnardiston mit, daß er zurzeit auf eine Unter* stützung oder Intervention Hollands wenig Hoffnung setze. Er teilte zugleich mit, daß seine Regierung beabsichtige, die englische Verpflegungsbasis von der fran­ zösischen Küste nach Antwerpen zu verlegen, sobald die Nordsee von allen deutschen Schiffen gesäubert fei. Bei allen unseren Unterhaltungen setzte mich der Oberst regelmäßig von den vertraulichen Nachrichten in Kenntnis, die er über die militärischen Verhältnisse bei unseren östlichen Nachbarn erhalten hatte (!). Gleichzeitig betonte er, datz für Belgien gebieterisch die Notwendigkeit vorliege, sich dauernd darüber unter­ richtet zu halten, was in dem uns benachbarten Rheinland nörgele1).

Diesem Bericht des belgischen Generalstabschefs ist folgende Notiz angehängt: Als ich den General Gierson während der Manöver 1906 traf, versicherte er mir, datz die Reorganisation der englischen Armee den Erfolg herbeiführe, datz nicht nur die Landung von 150 000 Mann gesichert sei, sondern daß hierdurch auch eine Aktion des Heeres in einer kürzeren Zeit gewährleistet werde, als im vorstehenden angenommen wurde. Auf dem Schriftstück findet sich noch der folgende Randvermerk: „L’entree des Anglais en Belgique ne se ferait qu'apres la violation de notre neutraliU par rAllemagne.“ Welche Bewandtnis es hiermit hatte, erhellt aus einer im

belgischen Ministerium des Äußern aufgefundenen Aufzeichnung über eine Unter­ redung des Nachfolgers des Oberstleutnants Barnardiston, des englischen Militär­ attaches in Brüssel, Oberstleutnants Bridge, mit dem belgischen Generalstabschef, General Iungbluth. Das Schriftstück, das vom 23. April datiert ist, und vermut­ lich aus dem Jahre 1912 stammt, ist von der Hand des Grafen van der Straaten, Direktor im belgischen Ministerium des Äußern, mit dem Vermerk „Confidentien versehen und lautet in der Übersetzung folgendermaßen: „Vertraulich! Der englische Militärattache hat den Wunsch ausgesprochen, den General Iungbluth zu sehen. Die Herren haben sich am 23. April getroffen. Der Oberstleutnant hat *) Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt unterm 21. April 1915 amtlich: Blätter­ meldungen zufolge behauptet die „New Pork World" auf Grund einer angeb­ lichen Äußerung des Königs Albert, dieser habe selbst von den bekannten Be­ sprechungen des Generals Ducarme mit Oberstleutnant Barnardiston aus dem Jahre 1906 den fremden Militärattaches in Brüstet Mitteilung machen lasten. Gegenüber dieser Angabe des Neuyorker Blattes stellen wir auf Grund amtlicher Ermittelung fest, daß keinem der seit 1905 in Brüstet tätig gewesenen deutschen Militärattaches eine solche Mitteilung gemacht worden ist.

6i dem General gesagt, daß England imstande sei, eine Armee auf den Kontinent zu schicken, die aus sechs Divisionen Infanterie und aus acht Brigaden Kavallerie, insgesamt aus 160 000 Mann, bestehe. England habe außerdem alles Notwendige, um sein Inselreich zu verteidigen. Alles sei bereit. Die englische Regierung hätte während der letzten Ereignisse un­ mittelbar eine Landung bei uns vorgenommen, selbst wenn wir keine Hilfe verlangt hätten (!). Der General hat eingewandt, daß dazu unsere Zustimmung notwendig sei. Der Militärattache hat geantwortet, daß er das wisse, aber da wir nicht imstande seien, die Deutschen abzuhalten, durch unser Land zu marschieren, so hätte England seine Truppen in Belgien auf jeden Fall gelandet. Was den Ort der Landung anlangt, so hat sich der Militärattache darüber nicht deutlich ausgesprochen, er hat gesagt, daß die Küste ziemlich lang sei, aber der General weiß, daß Herr Bridges während der Osterfeiertage von Ostende aus täglich Besuche in Zeebrügge gemacht hat. Der General hat hinzugefügt, daß wir übrigens vollkommen in der Lage feien, die Deutschen zu hindern, durch Belgien zu marschieren." Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" bemerkt hierzu: „Hier ist es direkt ausgesprochen, daß die englische Regierung die Absicht hatte, im Falle eines deutsch-französischen Krieges sofort mit ihren Truppen in Belgien einzurücken, also die belgische Neutralität zu verletzen und gerade das zu tun, was sie — als ihr Deutschland in berechtigter Notwehr darin zuvorkam — als Vorwand benutzt hat, um Deutschland den Krieg zu erklären. Mit einem beisplellosen Zynismus hat ferner die englische Regierung die Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland dazu verwertet, um in der ganzen Welt gegen uns Stimmung zu machen und sich als den Protektor der kleinen und schwachen Mächte aufzuspielen. Was aber die belgische Regierung be­ trifft, so wäre es ihre Pflicht gewesen, nicht nur mit der größten Entschiedenheit die englischen Insinuationen zurückzuweisen, sondern sie mußte auch die übrigen Signatarmächte des Londoner Protokolls von 1839, insbesondere aber die deutsche Regierung, auf die wiederholten englischen Versuche hinweisen, sie zu einer Ver­ letzung der ihr als neutralen Macht obliegenden Pflichten zu verleiten. Die belgische Regierung hat das nicht getan. Sie hat sich zwar berechtigt und verpflichtet ge­ halten, gegen die ihr angeblich bekannte Absicht eines deutschen Einmarsches in Belgien militärische Abwehrmaßnahmen im Einvernehmen mit dem englischen Generalstab zu treffen. Sie hat aber niemals auch nur den geringsten Versuch ge­ macht, im Einvernehmen mit der deutschen Regierung oder mit den zuständigen militärischen Stellen in Deutschland Vorkehrungen auch gegen die Eventualität eines französisch-englischen Einmarsches in Belgien zu treffen, trotzdem sie von den in dieser Hinsicht bestehenden Absichten der Ententemächte, wie das aufgefundene Material beweist, genau unterrichtet war. Die belgische Regierung war somit von vornherein entschlossen, sich den Feinden Deutschlands anzuschließen und mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Da es zu dem Verleumdungssystem unserer Gegner gehört, unbequeme Tat­ sachen einfach abzuleugnen, so hat die Kaiserliche Regierung die vorstehend er­ wähnten Schriftstücke faksimiliert der Öffentlichkeit übergeben und zur Kenntnis der Regierungen der neutralen Staaten bringen lassen *)." 1) Um dieses hochwichtige Aktenstück tobt noch heute der Kampf. Es ist England ungemein unbequem. Selbst Sir Edward Grey begibt sich aus feiner

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„Convention anglo-belge" steht mit schwunghafter Schrift aus den Akten. Es ist eine naive Einrede, daß dies alles nur für den Fall eines Einfalles Deutschlands geschehen sollte. Der Wortlaut, ins­ besondere die Bemerkung des englischen Militärattaches, widerlegt direkt diese Behauptung. Besonders wichtig sind die Äußerungen der belgischen Gesandten in den jetzt veröffentlichten Berichten, Baron Greindl, Beyens, Guillaume, Lalaing und Leghait, f. insbesondere 39, und auch den Bericht des Barons Beyens, Gesandten in Berlin, Nr. 113. Dort heißt es u. a.: „Wir hatten den Beweis, daß die Mitwirkung der englischen Armee und die Entsendung eines Expeditionskorps auf den Kontinent von den Militärbehörden beider Länder ins Auge gefaßt wurde. Würde es heute (24. 4. 1914) immer noch so sein, müßten wir befürchten, daß englische Soldaten in Belgien einmarschieren, um uns in der Verteidigung unserer Neutralität dadurch beizustehen, daß sie sich von vornherein kompromittieren?" usw. Köhler („D. Iur.-Ztg." 1915, S. 34) hat völlig recht: „Ein neutraler Staat kann und darf ohne Verrat solche Vereinbarungen heimlich niemals mit einem der Garantiestaaten gegen den andern abschließen. Verbindlichkeiten mit dem einen bedeuten Feindselig­ keiten mit dem andern, es widerspricht der fundamentalsten Vertrags­ treue und Loyalität, daß Belgien den feindseligen Schleppträger des einen Garanten gegen den andern spielte. Die „Kollektivgarantie" der Neutralität Belgiens war verraten" (f. Köhler „Z. f. Völker­ recht", Bd. 8, Heft 2, S. 36).

Weitere Dokumente und Belege über den belgischen Verrat häuften sich; in untrüglicher Weise schafften sie klassischen Beweis. 1. Am 1. Dezember 1914 veröffentlichte die „Nordd. Allg. Ztg." u. a. folgendes offiziös: „Es mehren sich die Belege dafür, daß England im Verein mit Belgien den Krieg gegen Deutschland nicht nur diplomatisch, sondern auch militärisch schon im Frieden aufs äußerste vorbereitet hat. Neuerdings erbeuteten unsere Truppen geheime militärische C.

stolzen Unnahbarkeit heraus: Das W. T. D. widerlegt unterm 28. Januar 1915 amtlich die Unwahrheiten der englischen Londoner Presse-Bureau-Dorstellung; s. „Nordd. Allg. Ztg." vom 28. Januar 1915, s. insbesondere auch engl. Weißbuch Nr. 105 mit drei Annexen, insbesondere den Briefwechsel Paul Cambons und Sir Edward Greys vom 22. und 23. November 1912. Das Nähere in des Verfassers neuem Werke „Weltkrieg und Diplomatie" Kap. 31 ff.

6z Handbücher über Belgiens Wege und Flüsse, die der englische Ge­ neralstab (Belgium road and river reports prepared by general staff war office) herausgegeben hat. Uns liegen vier Bände dieses Handbuchs vor, von denen Band I bereits 1912, Band II 1913, Band III (in zwei Teilen) und Band IV 1914 gedruckt wurden. Sie haben den Aufdruck „Vertraulich". Dies Buch ist Eigentum der britischen Regierung und ist bestimmt für die persönliche Information von..., der für die sichere Aufbewahrung des Buches selbst ver­ antwortlich ist. Der Inhalt ist nur berechtigten Personen zu eröffnen. Die Handbücher enthalten auf Grund militärischer Erkundungen die denkbar genauesten Geländebeschreibungen... So wird z. B. in Band I Seite 130 ff. die große Straße Nieuport-Dixmuiden-Bpres-Menin-Tourcoing-Tournai besprochen.. Wir finden die genauen Entfernungen sowie eingehende Angaben über bas ein­ schlägige Wegenetz in bezug auf Steigungen, Brücken, Kreuzungen, Telephon- und Telegraphenstellen, Eisenbahnstationen einschließlich Länge der Plattformen und Rampen, Kleinbahnen, Petroleumtankstellen usw. Stets wird mitgeteilt, ob die Bevölkerung ganz oder teilweise Französisch spricht. Als Beispiele werden die taktischen Bemerkungen über Dixmuiden auf Seite 151 dort wörtlich mitgeteilt: „Dixmuiden wird von Norden oder Süden schwer zu nehmen sein. Die beste Verteidigungsstellung gegen Süden wäre westlich der Straße und bis zur Straße der Bahndamm, östlich der Straße eine Reihe kleiner Hügel. Westlich der Straße ist das Schußfeld auf 1500 Aard gut, «östlich davon ist der Ausblick durch Bäume behindert. Zwei Bataillone würden für die Besetzung ausreichen. . . Nebenbei bemerkt, werden in der Regel die Kirch­ türme als gute Beobachtungsposten angegeben! In gleich eingehender Weise wird dann der ganze Scheldelauf beschrieben. So bilden die handlichen Bände für den Führer, Generalstabsoffizier und Unter­ führer jeden Grades einen vortrefflichen Wegweiser. Ihnen beigegeben sind 1. eine nach Gemeinden und Dörfern geordnete Einquartierungsübersicht, 2. eine Zu­ sammenstellung von wichtigen Fingerzeigen für Flugzeugführer. Dieses außer­ ordentlich sorgsam und übersichtlich abgefaßte Merkbuch wird durch eine Karte der Landungsplätze ergänzt, trägt die Aufschrift „Geheim" und stammt aus dem Juli 1914. Die militärgeographischen Handbücher sind nun nicht etwa erst kurz vor oder während des Krieges hergestellt. Das Material dafür wurde vielmehr, wie die Bemerkungen über die einzelnen Abschnitte besagen, seit 1909 durch Einzelerkun­ dungen gesammelt. Der erste Band wurde dann 1912 gedruckt. Die Leitfäden beweisen somit eine seit fünf Jahren betriebene eingehende Vorbereitung für einen Feldzug."

2. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt am 14. Dezember 1914 über Englands Spiel mit der Neutralität Belgiens: Für die englisch-belgische Komplizität haben sich neue, schwerwiegende Schuld­ beweise gefunden. Vor einiger Zeit wurde in Brüssel der englische Legalionsrat Grant-Watson festgenommen, der im englischen Gesandtschaftsgebäude verblieben war, nachdem die Gesandtschaft ihren Sitz nach Antwerpen und später nach Havre

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verlegt hatte. Der Genannte wurde nun kürzlich bei dem Versuch ertappt, Schrift­ stücke, die er bei seiner Festnahme unbemerkt aus der Gesandtschaft mitgeführt hatte, verschwinden zu lassen. Die Prüfung der Schriftstücke ergab, daß es sich um Aktenstücke mit Daten intimster Art über die belgische Mobilmachung und die Ver­ teidigung Antwerpens aus den Jahren 1913/14 handelte. Es befinden sich darunter Zirkularerlaffe an die höheren belgischen Kommandostellen mit der faksimilierten Unterschrift des belgischen Kriegsministers und des belgischen Generalstabschefs und noch eine Aufzeichnung über eine Sitzung der Kommission für die Verpflegungs­ basis Antwerpen vom 27. Mai 1913. Die Tatsache, daß sich diese Schriftstücke in der englischen Gesandtschaft be­ fanden, zeigt hinreichend, daß die belgische Regierung in militärischer Hinsicht keine Geheimniffe vor der englischen Regierung hatte, daß vielmehr beide Re­ gierungen dauernd im engsten militärischen Einvernehmen standen. Von besonde­ rem Interesse ist auch eine schriftliche Notiz, die bei den Papieren gefunden wurde, um deren Vernichtung der englische Sekretär besorgt war. Sie lautet (in deutscher Übersetzung) folgendermaßen: 1. Die französischen Offiziere haben Befehl erhallen, am 27. d. M. nachmittags bei ihren Truppenteilen sich einzufinden. 2. Am selben Tage hat der Bahnhofsvorstand von Feignies Befehl erhalten, alle verfügbaren gedeckten Wagen zum Zwecke von Truppentransporten in der Richtung auf Maubeuge abgehen zu laffen. Mitgeteilt durch die Gendarmerie-Brigade in Frameries. Hierzu ist zu bemerken, daß Feignies eine an der Eisenbahn Maubeuge-Mons, ca. 3 km von der belgischen Grenze gelegene Eisenbahnstation ist; Frameries ist an derselben Bahn in Belgien, 10 km von der belgischen Grenze entfernt. Aus dieser Notiz ist zu entnehmen, datz Frankreich bereits am 27. Juli seine ersten Mobilmachungsmaßnahmen ge­ troffen hat und daß die englische Gesandtschaft von dieser Tatsache belgischerseits sofort Kenntnis erhielt. Wenn es noch weiterer Beweise für die Beziehungen bedürfte, die zwischen England und Belgien bestanden, so bietet das aufgefundene Material in dieser Hinsicht eine wertvolle Ergänzung. Es zeigt erneut, daß Belgien sich seiner Neu­ tralität zugunsten der Entente begeben hatte und daß es ein tätiges Mitglied der Koalition geworden war, die sich zur Bekämpfung des Deutschen Reiches gebildet hatte. Für England aber bedeutete die belgische Neutralität tatsächlich nichts weiter als ein „scrap of paper”, auf das es sich berief, soweit dies seinen Inter­ essen entsprach, und über das es sich hinwegsetzte, sobald dies seinen Zwecken dien­ lich erschien. Es ist offensichtlich, daß die englische Regierung die Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland nur als Vorwand benutzte, um den Krieg gegen uns vor der Welt und vor dem englischen Volk als gerecht erscheinen zu lassen.

Eine „Neutralität", mit der England wirklich „zynisch" verfuhr! Wie die Benutzung Antwerpens in dem Plane zeigt, hätte auch die holländische Neutralität, wenn Deutschland nicht zuvorgekommen wäre, für England nichts bedeutet. Holland kann Deutschland dankbar sein, daß es nicht das Schicksal Belgiens teilte! Gründlicher wurde wohl die falsche Politik eines Landes noch niemals entlarvt als hier die englische und die belgische. Vollständiges gemeinsames Spionagesystem gegen Deutschland! Ohne förm-

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lichen Vertrags — englische Gewohnheit — eine „Konvention", wie sie intensiver nicht gedacht werden kann. Vor allem diese Publikation be­ stätigt alles, was über Notwehr und Notstand Deutschlands oben ausgeführt wurde, in gerade­ zu klassischer Weise! Will das neutrale Ausland auch an diesen Dokumenten, von denen Bernard Shaw sagt, daß sie das Londoner Auswärtige Amt völlig schachmatt setzten, zweifeln? Über die Haltung Englands und die wahren Ursachen seiner Kriegserklärung siehe auch unten Teil III; über den schließlichen Zwang des Eintretens in den Krieg und die wahre, von der belgischen Neutralität völlig unabhängige Verpflichtung Englands und feine Absicht schaffte das englische Weißbzw. Blaubuch Nr. 105 Anlage 1 mit dem grundlegenden Brief Sir Edward Greys vom 22. November 1912 und feine Beantwortung Paul Cambons gewisse Klarheit, ferner französisches Gelbbuch Nr. 63 und 66 und englisches Weißbuch Nr. 89, Bericht Greys über eine Unterredung mit Lichnowsky vom 29. Juli 1914; ferner der auf­ gefangene Bericht des belgischen Vertreters in Petersburg, Herrn de l'Escaille, vom 30. Juli 1914, der die aufreizende Wirkung der englischen Stellungnahme für die allrussischen Kreise bewies, endlich englisches Blaubuch Nr. 123; auch Staatssekretär Helfferichs Aufsatz „Die Entstehung des Weltkrieges im Lichte der Veröffentlichungen der Dreiverbandsmächte" und der dort wvhlgelungene Beweis, datz England bereits vor Aufwerfung der belgischen Frage fest entschlossen war, trotz der größten Konzessionen Deutschlands betr. Belgien und Frankreich in den Kampf einzugreifen. Ferner Bonar Laws Brief an Asquith vom 2. August 1914, der kein Wort von Belgien, sondern nur von „der Unterstützung Frankreichs und Rußlands" spricht: Der Brief ist vom selben Tage, an dem Sir Edward Grey Frankreich Zusagen machte, die unabhängig von der Frage der belgischen Neu­ tralität zum Kriege führen m u ß t e n (s. auch engl. Blaubuch Nr. 85 und 148 und franz. Gelbbuch Nr. 126; ferner den trefflichen Aufsatz über die Vorgeschichte und den Ausbruch des Krieges von 1914 von Dr. Carl ©trupp, „Zeitschrift für Völkerrecht" 8. Bd., Hest 2 *) Die merkwürdige Fälschung durch Streichung des richtigen Datums bei der Anlage 3 durch die englische und französische Regierung, eine der merkwürdig­ sten völkerrechtlichen Handlungen (s. den Aufsatz der „Deutschen Eiche" Januar 1915), zeigt, wie wenig ernst die Verteidigung Sir Edward Greys im englischen ^Parlamente (3. August 1914) zu nehmen ist.

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S. 111 ff.1). Endlich jetzt die ungemein wichtigen Berichte drr bel­ gischen Gesandten in Berlin, London und Paris an den belgischen Minister des Äußeren über die Zeit von 1904—1913, die die fried­ liebende deutsche auswärtige Politik und zugleich die raffinierte eng­ lische Einkreisungspolitik objektiv und klar beweisen (s. auch de; Ver­ fassers Werk über die Entstehung des Weltkrieges, „Weltkrieg und Diplomatie", Kap. 31, Verlag Georg Reimer). über die deutschen Anstrengungen, trotz alledem den Frichen zu erhalten, f. die Rede des Reichskanzlers v. Bethmann Hollwcg vom 19. August 1915 und die „Rordd. Allg. Ztg." vom 18. Juli 1915 über die sog. „Haldanesche Mission" 1912 u. a. a. O. Kap. 35 ffl., S. 368 ffl. Die belgischen Gesandten Baron Greindl, Lalaing und Leghait berichten einmütig, datz der Kaiser Wilhelm nur e i n e n Wunsch habe, den Frieden zu erhalten: sie sprechen von der langmütigen deutschen *) Die Behauptung Winston Churchills, bafo England feit fünf Jahren mit Munition für den Krieg vorbereitet fei, und die Tatsache, dab England am frühesten von allen Staaten die Flotte kriegsfertig zusammen hatte, während bis 26. Juli die deutsche Flotte und Kaiser Wilhelm in nordischen Gewässern abwesend war, beweisen, dab die belgische Frage nur ein S ch e i n g r u n b war, und dab England die Benutzung Belgiens als Operalionsbasis für den lange vorbereiteten Krieg ansah: dies gesteht allmählich unter dem Drucke der öffentlichen Meinung auch die mabgebende Presse Englands zu (f. die Artikel der „Times", „Morning-Post" zum Geburtstage des Königs Albert vom April 1915 usw.). Die „Times" schreibt: Die Haupturfachen, warum England die Neutralität Belgiens garantierte und in den Dreiverband eintrat, waren die praktischen Erwägungen der Selbsterhaltung. Wir sagten unseren Feinden bereits, dab, wenn sie ein Eingeständ­ nis verlangen, dab die Erhaltung des Kräftegleichgewichts eine der Ursachen war, warum wir den Krieg begannen, sie es haben können. Noch ehrlicher schreibt der Sozialistenführer Newbold: „England griff in den Krieg ein, weil die ausländische Konkurrenz auf dem Weltmarkt immer stärker geworden war. Die Kontinental­ mächte, die vor dem Abgrund stehen, werden von uns unterstützt und mit Ver­ sprechungen in den Krieg gelockt. Nach dem Krieg werden viele Länder uns gegen­ über stark verschuldet fein oder Kapital zur Wiederauferstehung ihrer Industrien er­ bitten. Belgien wird uns fluchen. Wir verteidigen Belgien, weil es die Rheinund Scheldemündung bewacht. Wo sind aber unsere Sorgen für Finnland, die kleinen Balkanstaaten, Persien, Ägypten, die Buren?" Auch Lord Haldane hat bekanntlich zugestanden, dab auch bei der Respektierung der Neutralität Belgiens durch Deutschland er nicht sicher fei, ob England hätte neutral bleiben können (Ende März 1915). H. Chamberlain sagt in feinen Kriegsauffätzen über fein Vaterland: „England hat den Krieg gewollt, ist von Anfang an die treibende Macht gewesen. England hat die Entfremdung Rutzlands von Deutschland bewirkt, England hat Frankreich unablässig aufgehetzt. Eine Handvoll Männer war es, die bei kaltem Blute zur Förderung materieller Interesien vor etlichen Jahren dies befchlosien, die treibende Kraft war König Eduard VII., die geistige Kapazität ein seelenloser, verschlagener Diplomat, der dem alten englischen Grundsatz huldigte, in Staatsgefchäften feien Heuchelei und Lüge die besten Waffen."

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Politik, auf der anderen Seite schildern sie das unselige Wirken der englischen Hetzpresse, der Tätigkeit Delcasses, Iswolskis und Poincares in deutschfeindlichem Sinn und der russischen Großfürsten­ partei (s. insbes. folgende Aktenstücke: Nr. 1, 2, 8, 12, 14, 15, 17 [Bericht Greindls über die sonderbare Demarche des Obersten Barnardistons, 19, 26, 30 [übet die englische Hetzpresses, 39 [scharfe Kritik Frankreichs durch Baron Greindls, 72, 85, 92, 94 und 102 [übet die panslawistische Gefahr), 96, 99 [Poincares, 104, 107, 110 [Pvincare u. Gen. als europäische Gefahr!); s. auch des Verfassers neues Werk S. 269—347). Baron Greindl schrieb z. B. einmal anläßlich der Marokko-Krisis in höchster Besorgnis: England suche die Lage in jeder Weise zu ver­ giften. England wurde dabei von Rußland sekundiert, da der russische Botschafter in Paris (Iswolski) es möglich fand, gegen allen diplo­ matischen Brauch, die für Deutschland ungünstigen Instruktionen der russischen Delegierten für die Konferenz zu veröffentlichen. Im April 1911 berichtet Baron Greindl rückblickend, daß die englische Presse alles getan habe, um einen günstigen Ausgang der Konferenz zu verhindern, und der englische Delegierte nichts, um eine für Frankreich und Deutschland gleich annehmbare Lösung zu finden. Eduard VII. habe, wie feststehe, über den Kops der englischen Regierung hinweg DelcassL im Jahre 1905 100000 Mann für eine Landung in Holstein versprochen. Daran knüpft er die Bemerkung: „Könnten noch irgendwelche Zweifel bestehen, so würden auch sie durch die sonderbare Demarche des (englischen) Obersten Barnardiston bei (dem belgischen Stabs­ chef) General Ducarme zerstreut worden sein" (s. oben unter B in diesem Kapitel). Am 16. Januar 1914 hat der Gesandte Baron Guillaume seiner Regierung einen Bericht erstattet, in dem sich folgende Stelle befindet: „J'ai dejä eu l'honneur de vous dire que ce sont M. M. Poincare, Delcasse, Millerand et leurs amis qui ont invente et poursuivi la politique nationaliste, cocardiere et chauvine dont nous avons constate la renaissance. C'est un danger pour l'Europe — et la Belgique.“ („Ich hatte schon die Ehre,

Ihnen zu berichten, daß es die Herren Poincarö, Delcasse, Mille­ rand und ihre Freunde gewesen sind, die die nationalistische, mili­ taristische, chauvinistische Politik erfunden und befolgt haben, deren Wiedererstehen wir festgestellt haben. Sie bildet eine Ge­ fahr für Europa — und für Belgien.")

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Es ist, als ob Baron Guillaume die Ereignisse vorausgeahnt hätte, die nur ein halbes Jahr später eintraten und in so verhäng­ nisvoller Weise in die Geschicke Belgiens eingegriffen haben. Alles in allem: Man vergaß des prophetischen Wortes des belgischen Ministers Woeste: „Uns zu Verbündeten eines unserer Nachbarn zu machen, uns in seinem Gefolge in ein kriegerisches Abenteuer einzulassen, das hieße Belgien in ein Schlachtfeld ver­ wandeln, das hieße uns dem Lose eines Besiegten aussetzen und vielleicht uns verurteilen, von dem Sieger verzehrt zu werden!" Das englische Parlamentmitglied Denman sagt in einer Broschüre „Auf dem Wege zum Frieden": „Noch niemals hat unser „gewaltigstes Reich der Erde" einer kleinen Nation (Belgien), die uns um ein Stückchen Brot bat, statt besten einen schwereren und größeren Stein gereicht." Und weiter: „Von allen Redensarten unseres sog. hei­ ligen Krieges ist keine erstaunlicher, als die übliche gangbare Phrase „Recht gegen Macht"... ich weiß, daß die Mehrheit der Geistlichen die Verletzung (der Neutralität Belgiens) bei uns gutgeheißen hätte, die gesamte konservative Partei, die meisten Liberalen und die ganze örtliche Preste hätten sich angeschlossen; ich selbst hätte dazu geraten! Welche Predigten hätten wir zu hören bekommen über die Ver-, antwortlichkeit, die die Nation Gott schuldet, Predigten über salus populi suprema lex1)." Und ganz ähnlich eine ganze Reihe anderer angesehener englischer Schriftsteller (z. B. Bernard Shaw) und Zeitungen. 3. K a p i t e l. Die Mobilttierung und die Völkermoral.

Ich kann über die letzte Vorgeschichte des Kriegs auf das Weiß­ buch (Vorläufige Denkschrift und Aktenstücke zum Kriegsausbruch, Drucks, d. Reichstags, 13. Legislaturperiode, II. Session 1914, Nr. 19 vom 3. August 1914) sowie die weiteren Veröffentlichungen der „Nordd. Allg. Ztg." (insbesondere die Berichte vom 16. Oktober 1914) ohne weiteres verweisen sowie auf mein neues Werk „Weltkrieg ‘) S. über die Erneuerung der Viewerbandsgarantien die Erklärung der diplo­ matischen Vertreter Frankreichs, Englands und Rußlands gegerüber dem Minister Baron Deyens vom 13. 2. 1916 („Nordd. Allg. Ztg." v. 16. 2. 1916 nach der „Agence Havas") und die Garantieerklärung bezüglich des Kolorkalbesihes Belgiens im April 1916. Beides unzweifelhafte völkerrechtliche Akte, die auf eine starke Friedensströmung in den Kreisen der belgischen Regierung (ober Bevölkerung) Hinweisen: Scrap of paper?

6y und Diplomatie", wo die Geschichte der Mobilisierung, insbesondere der russischen, auf Grund der diplomatischen Akten eingehend dar­ gelegt ist. Das Recht der Mobilisierung zu der Zeit, die dem Staat als die notwendige und nützliche erscheint, hat selbst­ verständlich jeder souveräne Staat. Natürlich hat der Nachbar das Recht, Mobilisierungshandlungen durch gleiche zu erwidern. Die politische und völkerrechtliche Verantwortung für die Folgen trägt derjenige, der mit den Mobilisierungshandlungen beginnt und den andern zur Verteidigung und zu Notwehrhandlungen zwingt. Die formale Kriegserklärung zeigt nicht den Angreifer. Der An­ laß zu einem Kriege ist höchst selten der wirkliche Grund. Der scheinbare Angreifer befindet sich ebensooft in Wahrheit in der Ver­ teidigung. Deshalb hat auch das moderne Völkerrecht die von Grotius u. a. betriebene Untersuchung des jus ad bellum auf­ gegeben*). Jeder Staat hat natürlich auch das Recht, Auf­ klärung über die drohenden Mobilisierungshandlungen des andern zu verlangen. Erhält er diese nicht, so wird ihm nichts übrig bleiben als Kriegserklärung oder Zulassung einer demütigenden fortgesetzten Bedrohung des eigenen Landes, die zuletzt doch den Krieg bringt. Die Mobilisierung, die Rußland ohne jeden Rechtsgrund gegen Deutschland begann — über das Wann besteht Streit, da die einen schon von Mai, ja Frühjahr CPrvbemvbilmachung), die andern von Ende Juli sprechen'), war durch die näheren Umstände moralisch unanständig, heim­ tückisch und ehrlos. Am 27. Juli 1914 hat nach den un­ widerleglichen Nachrichten des deutschen Weißbuchs der russische 1) Auch die Setzung einer völkerrechtlichen formalen Frist, wie sie Lammasch vorschlägt, würde daran nichts ändern. Auch hier könnte der Provozierende so­ weit sich vorausrüsten, daß er trotz Einhaltung der Frist der Frevler ist. — Und wenn er die Frist nicht einhält? Werden die andern sich jeder Erörterung der Gründe enthalten? Werden sie ihre Pflicht solidarisch gegen den Störer erfüllen? Wer soll prüfen? Wer entscheiden? 2) Wie Rußland den Krieg vorbereitete, zeigten (s. „Nordd. Allg. Ztg." vom 20. 7. 15) die berüchtigten Artikel des russischen Kriegsministers Suchomlinow in den „Birschewyja Wjedomosti" im März und Juli 1914, in denen auseinandergesetzt war, daß die jetzigen Reserven Rußlands alles Dagewesene übertreffen: Jährliche Vermehrung der Armee um 130 000 Mann, neues Retz strategischer Eisenbahnen, sowie den Artikel Hedemanns im „Matin" vom 18. 7. 15 „un effort militaire sans pr6c6dent“, {. des Verfassers Buch „Weltkrieg und Diplomatie" über die Entstehung des Weltkriegs das Nähere, ferner Rohrbach „Woher kam der Krieg usw?" und die dort zitierten Reutermeldungen über die russische Heeresbereitschaft 1914.

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Kriegsminister dem deutschen Militärattache das Ehrenwort ge­ geben, daß noch keine Mobilmachungsorder ergangen sei, „es ist noch kein Reservist eingezogen und kein Pferd ausgehoben". Eine Reihe von Tatsachen bezeugt die vorgefaßte Absicht des Kriegs: Der aus Rußland zurückgekehrte Unteroffizier des 2. Rekrutendepols, 2. Ersatz­ bataillon 108, Wilhelm Schreiber aus Dresden-R. hat z. B. über feine Erfahrun­ gen zu Kriegsbeginn in Rußland folgendes unter Eid bekundet: „Die Bemannung unserer Handelsmarine, die in russischen Häfen lag, wurde 4 Tage vor der erfolgten Kriegserklärung verhaftet und sofort ohne Mitnahme ihrer Sachen Ln Gefängnisse gebracht und später interniert. Offiziere wurden weit ins Innere Rußlands verschickt, wohingegen ein großer Teil der Matrosen nach Wologda kam. Die Matrosen unserer Handelsmarine wurden 3—4 Tage vor Kriegsbeginn von der Arbeit weg in den Sachen, wie sie waren, von der Gendarmerie abgeführt und waren gezwungen, wie ich Ln Wologda selbst sah, um Kleidung und Nahrung zu betteln." Die Maßregel der Verhaftung der Seeleute 4 Tage vor Kriegs­ beginn läßt sich nur daraus erklären, daß Rußland schon zu dieser Zeit fest entschlossen war, den Krieg herbeizuführen. Aus absolut zuverlässiger Quelle teilt die weißrussische Zeitung „Homon" mit, daß General Rennenkampf unter Befehl Nr. 13 482 vom 26. Juli 1914 auf Befehl des Zaren die Festung Kowno Ln Kriegszustand versetzt habe (s. im Übrigen des Verfassers Werk „Weltkrieg und Diplomatie", Kap. 23, 25, 26, 40, 42—44, 47).

Am 29. Juli gab der Generalstabschef der russischen Armee in der feierlichsten Form sein Ehrenwort, daß nirgends eine Mobil­ machung bis zur Stunde erfolgt fei; alle entgegengesetzten Nachrichten seien falsch. Am 30. Juli aber gab der Zar an den Deutschen Kaiser zu, daß die in Kraft tretenden militärischen Maßnahmen schon vor 5 Tagen, d. h. spätestens am 25. Juli beschloßen worden seien (D. Weißbuch Anlage 23 a). Der Zar stellte sich, als wenn er den Frieden wolle, und gab noch am 31. Juli mittags 12 Uhr sein feierliches Wort, daß, solange die Verhandlungen mit Öster­ reich dauern, die auf Vermittlung des Deutschen Kaisers geschehen, die russischen Truppen keine herausfordernde Aktion unternehmen: Die Vermittlung war ja auch vom Zaren erbeten! Trotzdem ordnete derselbe Zar bereits Stunden vorher die Mobilisierung der ganzen russischen Armee an. Am 1. August, d. h. vor Ablauf des deutschen Ultimatums und vor der Kriegserklärung, be­ ginnen die Rußen bereits die Feindseligkeiten, nachdem sie bereits am 30. Juli teilweise ihre Grenzkasernen in Brand gesteckt halten. Da hat Köhler („D. Iur.-Ztg." 1914 S. 1014) völlig recht, wenn er, an diese Tatsachen erinnernd, ausruft: „Diese Handlungsweise ist nicht die eines zivilisierten Volkes, sondern barbarische Niedertracht."

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So handelte der „Friedenszar". Es gibt nicht bloß ein Völkerrecht, sondern auch eine Völker moral, die die Grundlage des Völkerrechts ist. Alle jene schwülstigen Redewendungen über „Hu­ manität", „Menschlichkeit", „öffentliches Gewissen" usw. sind leere Phrasen, wenn die primitivsten Sätze menschlicher Sittlichkeit, Red­ lichkeit, Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit mit Fützen getreten werden, wie dies seitens des Zaren und seiner Regierung als den Entfachern dieses Weltkrieges, den Begünstigern des Sarajevoer Mordes und völkerrechtlichen Frevels geschah. Ein solcher Kriegsbeginn bedeutete an sich die Negation jeglicher zwischen gesitteten Völkern geltenden Moral und jeglichen Völker­ rechts. Der oberste Kriegsherr Deutschlands wartete seinerseits noch nach Ablauf der Frist des Ultimatums mit der Mobilisierung — immer in der Hoffnung auf eine beruhigende Erklärung über die verlangte russische Demobilisierung. Er wartete des Friedens wegen so lange, daß Rußland den Vorsprung, den es ohnedies seit Wochen, ja seit Monaten hatte, noch weiter zum Einfall in Ostpreußen mißbrauchen konnte. Er wartete bis zur äußersten Grenze der Pflichterfüllung gegen das eigene Land! Wir wissen, welch' schwere Vorwürfe man dem Reichskanzler — und noch höheren Personen — im deutschen Volke teilweise macht, da sie zu spät zur Mobilmachung geschritten wären! — Diesem hinterlistigen, feigen Vorgehen Rußlands entsprach die unehrliche Art des Verhaltens der französischen Regie­ rung, die sich weigerte, dem deutschen Botschafter offen zu er­ klären, daß man sich als mit Deutschland im Kriegszustand befindlich betrachte, und mit vagen Ausflüchten Zeit zu gewinnen trachtete, ob­ wohl Frankreich längst in der Mobilisierung sich befand (f. oben Kap. 2, wo vom 27. Juli bereits Mobilmachungshandlungen mitgeteilt sind)'). *) Die „Köln. Zeitung" ist in den Stand gesetzt worden, die nachstehenden beiden französischen Aktenstücke zu veröffentlichen, deren Abdruck genau nach dem Original erfolgt ist. Pr6fecture Pas-de-Calais. Französische Republik. Arras, 19. Juli 1914. Der Präfekt von Pas-de-Calais an den Herrn Kommissar LiLvin. Ich habe die Ehre, Ihnen beigeschlossen zu übersenden: 1. den Abdruck eines Anschlages, betr. die Polizeimatzregeln, die aus dem Belagerungszustand folgen; 2. den Abdruck der geheimen Weisung vom Oktober 1913, betreffend die

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Diesem Verhalten Frankreichs, das „tun wolle, was seine Interessen geböten", entsprach die hinterlistige Haltung Belgiens, das, wie vorstehend dargetan, alles vorbereitet hatte, um mit Frankreich und England ohne Ankündigung in kriegerische Aktionen gegen das Deutsche Reich einzutreten. England allein von allen unseren Feinden hat am 4. August abends förmlich an Deutschland den Krieg erklärt. Ja es hat sogar an Österreich am 12. August, wie Köhler a. a. O. darlegt, m i l rückwirkender Kraft (!) den Krieg erklärt: ein völkerrechtliches Unikum, das sich England leisten kann und das für die Zukunst als Präjudiz die köstlichsten Konsequenzen verspricht, um das Piratentum, insbesondere auch in zivilrechtlicher Richtung, aus­ zuüben. Wahrhaftig eine „Selbstbankerotterklärung gegenüber dem Völkerrechte" und allen ehrlichen Bestrebungen desselben! Diese Form der Kriegserklärung ist freilich zugleich die einzige offene und ehrliche Handlung Englands, das durch sein weiteres Benehmen in politischer Richtung seiner etwa zwölfjährigen Ein­ kreisungspolitik gegenüber Deutschland den würdigsten Abschluß gab. Wenn heute der Hatz des deutschen Volkes in erster Linie dem Ausübung der Polizeibefugnisse durch die Militärbehörde in den unter betn Be­ lagerungszustand stehenden Gebieten. Sie werden mir gütigst eine Empfangsbescheinigung dieser Aktenstücke, die streng vertraulich sind, übersenden. Die Aktenstücke haben Sie Ihrem Nachfolger nur gegen Empfangsbescheinigung zu übergeben. Von der Empfangsbescheinigung haben Sie, sobald Sie Ihren Posten verlasien, eine Abschrift einzusenden. Sie werden die allergenauesten Vorsichtsmaßnahmen treffen müssen, damit die Aktenstücke, die Ihrer Verantwortlichkeit anvertraut sind, unangerührt bleiben und nicht zur Kenntnis des Publikums kommen. Sie allein dürfen davon Kenntnis haben, um sich schon jetzt mit den Pflichten vertraut zu machen, die Ihnen im Falle der Mobilmachung auferlegt sind. Der Präfekt. llnterpräfektur BLthune.

BLthune, 31. Juli 1914.

An die Herren Polizeikommissare des Bezirks. Im Verfolg meiner früheren Weisungen verständige ich Sie dahin, daß Sie die in Ihrem Verwaltungsbezirk veranstalteten Versammlungen für die Auf­ rechterhaltung des Friedens insoweit gestatten dürfen, als sie nicht einzig als Vorwand zu Stratzenunruhen und Störungen der Mobilmachung dienen. Jedes Meeting, das zum Zweck hat, den teilweisen oder gänzlichen Arbeiterausstand zu fördern, ist untersagt. Sobald Sie von solchen Kundgebungen Kenntnis erhalten, haben Sie mir darüber zu berichten. Ich rechne auf Ihre Tatkraft und Ihren Scharfblick. Der llnterpräfekt. Diese Schriftstücke sind neue Beweise für die sehr zeitigen Vorbereitungen Frankreichs für den Krieg, an dessen Verhinderung England und Frankreich fo eifrig gewirkt haben sollen!

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stamm- und kulturverwandten Lande gilt, so haben Sir Edward Grey, Asquith und Genossen durch ihr politisches und völkerrechts­ widriges Verhalten, durch die unerhörten Kampfmittel und Kampf­ ziele sowie den in der Geschichte der Diplomatie einzig dastehenden ruppigen Ton des Kampfes den Weg gefunden, Kulturwerte zu ver­ nichten, die vielleicht in Generationen nicht wieder herzustellen sind. Die Würfel sind gefallen: statt nebeneinander zu arbeiten, wie wir es so sehnlich gerade mit E n g l a n d wünschten, hat nunmehr ein Kampf eingesetzt, der nur mit der völligen Vernichtung der einen Macht zu enden und die Hoffnungen auf den großen west­ europäischen Kulturbund, der allein spätere Geschlechter vor dem Allrussentum bewahren kann, für unabsehbare Zeiten zu zertrümmern scheint *). Der russische Angriff ist es, der diesem Weltkrieg seinen eigenen Charakter aufprägt. Frankreich, Belgien, Italien sind die Traban­ ten, sind Mitschuldige des riesig st e n Attentats, das die Weltgeschichte kennt, gegen den Fortschritt der Menschheit, der unter dem schreckensvollen moskowitischen Joche für Jahrhunderte zusammenbrechen würde. Dieses Gebaren immer wieder an den Pranger zu stellen, ist und bleibt ebenso unsere Pflicht wie die Anstifter- und Hetzerrolle der englischen Regierung zu unterstreichen.

4. Kapitel. JFetnMeUge Handlungen der DreiberkandSltaaten bor der Kriegserklärung. Nach den Erklärungen des Reichskanzlers im Reichstage vom 4. August 1914 wie nach den jetzt in Händen der deutschen Heeresleitung befindlichen Beweisen haben Frankreich und Rußland die Feindseligkeiten bereits vor der Kriegs­ erklärung und vor Ablauf der in. dem deutschen Ultimatum vom 31. Juli gestellten Frist tatsächlich begonnen. Die allgemeine russische Mobilisierung geschah am 29. und 30. Juli, die angebliche Teilmobilisierung gegen Österreich am 24. und 25. Juli. Am 31. verlangte Deutschland die Demobilisierung der russischen Armee. *) Siehe über das russisch-englische Vorspiel und seine verderbliche Wirkung auf Rußland und besten Kriegserklärung u. a. auch den Artikel Brantschaninows vom 11. Juli 1914 in der „Rowoe Zweno" („Wiener Allg. Ztg." vom 10. Oktober 1914) und die bekannte Äußerung des früheren Dumapräsidenten Gutschkow über die „Nähe des paneuropäischen Kriegs"; s. auch die Äußerung Ramsay Mac° donalds: „Ein Krieg der Diplomaten, gemacht von einem halben Dutzend."

74 Antwort erfolgte nicht. Russische Truppen überschritten bereits am 1. August früh die ostpreutzische Grenze und lieferten kleinere Gefechte. Die Feindseligkeiten sind also von den Russen eröffnet worden, ohne batz das deutsche Ultimatum vom 31. Juli beantwortet wurde. Erst abends 5—6 Uhr erfolgte darauf die Mobilisie­ rung der deutschen Armee. Die französischen Truppen überschritten bereits am 1. August bei Altmünsterol die deutsche Grenze; französische Flieger warfen Bomben, deutsche Posten wurden bereits am 1. August beim Schluchtpasse, wie amtlich festgestellt wurde, von französischer Seite beschossen. Während noch kein deutscher Soldat französischen Boden betrat, besetzten die Franzosen die Ortschaften Gottestal, Metzeral, Markirch und überschritten bei Reppe die elsässisch-deutsche Grenze. Dies alles geschah am 1. und 2. August. Der Reichskanzler äutzerte sich am 4. August über diesen Bruch des Völker­ rechts wie folgt: „Zugleich mutzten wir uns versichern, wie sich Frankreich stellen würde. Auf unsere Frage, ob es bei einem deutsch-russischen Kriege neutral bleibe, hat es uns geantwortet, es werde tun, was ihm feine Interessen gebieten. Das war ein Aus­ weichen auf unsere Frage, wenn nicht ihre Verneinung. Trotzdem gab der Kaiser den Befehl, datz die französische Grenze unbedingt zu respektieren sei. Dieser Be­ fehl wurde aufs strengste befolgt, bis auf eine winzige Ausnahme. Frankreich hat zu derselben Stunde wie wir mobil gemacht (?) und erklärt, es werde eine Zone von 10 Kilometern an der Grenze respektieren. Und was geschah? Bombenwerfende Flieger in Bayern, Kavalleriepatrvuillen auf reichsländischem Gebiet, das Einbrechen einer Kompagnie, damit hat Frankreich, obwohl es in den Kriegszustand nicht eingetreten war, den Frieden gebrochen und uns tat­ sächlich angegriffen. Was den einzigen Fall betrifft, so habe ich vom Generalstabschef erfahren: Von den französischen Beschwerden über Grenzverletzungen unsererseits ist nur eine einzige zugegeben. Gegen den ausdrücklichen Befehl hat eine anscheinend von einem Offizier geführte Patrouille des 14. Armeekorps am 2. die Grenze über­ schritten. Sie ist scheinbar abgeschossen worden, nur ein einziger Mann ist zurück­ gekehrt. Während sich also das auf einen Fall beschränkt, überschritten französische Flieger die Grenzen und warfen Bomben und griffen französische Truppen unsere Grenzschutztruppen an." (NB. Dies war am 2. August.) „Unsere Truppen haben sich dem Befehle gemätz auf die Abwehr beschränkt. Das ist die Wahrheit." Franzosen und Russen *) haben sohin das Abkommen über den Beginn der Feindseligkeiten vom 18. Oktober 1907, das von fast sämtlichen Regierungen der ganzen Erde, darunter auch von Rutzland, Frankreich und Grotzbritannien, unterx) Auch aus der Schrift „Meine Verschickung nach Sibirien", Erinnerungen eines Rigaschen Buchhändlers, von G. Ionck geht hervor, datz nicht nur am 27. Juli 1914 schon die Einfahrt zur Düna bereits mit Minen gesperrt war, sondern datz Tausende deutscher Militärpflichtigen bereits am 27. und 28. Juli in Rutzland festgehalten wurden, sogar auf neutralen Schiffen, die nach Deutschland abreisen wollten. Siehe im übrigen über die Exzesse gegen deutsche und österreichische Staats­ angehörige vor der Kriegserklärung unten Kap. 13.

75 zeichnet und ratifiziert wurde, in Art. 1 verletzt. Dieser sagt, daß die Vertrags­ mächte anerkennen, daß die Feindseligkeiten unter ihnen nicht beginnen dürfen, ohne eine vorausgehende unzweideutige Benachrichtigung, die entweder die Form einer mit Gründen versehenen Kriegserklärung oder die eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung haben mutz. Auch England hat vor der von ihm am Abend (7 Uhr) des 4. August erfolgten Kriegserklärung eine Reihe „feindseliger Akte" gegen deutsche Staatsangehörige begangen, die unzweifelhaft gegen das Abkommen vom 18. Oktober 1907 verstoßen (f. unten das Nähere III. Teil Seekriegsrecht)1). Nach Art. 2 des genannten Abkommens ist der Kriegszustand den neutra­ len Mächten unverzüglich anzuzeigen und wird für sie erst nach Eingang einer Anzeige wirksam, die auch auf telegraphischem Wege erfolgen kann. Jedoch können sich die neutralen Mächte auf das Ausbleiben der Anzeige nicht berufen, wenn un­ zweifelhaft feststeht, daß sie den Kriegszustand tatsächlich gekannt haben. Dieser Sah gilt unzweifelhaft auch für das Königreich Belgien, das bereits vor dem tatsächlichen Kriegsbeginn zwischen Frankreich und Deutschland, der nach der Proklamation des französischen Kriegsministers am 2. August eintrat, wie oben dargetan, feine Neutralität aufgegeben und für Frankreich tatsächlich Partei er­ griffen hatte: Bereits am 2. August kommen bombenwerfende französische Flieger über belgisches Gebiet in die Rheinprovinz und versuchen die deutschen Bahnen zu zerstören, worauf in der Nacht vom 3. bis.4. August deutsche Truppen in Belgien einrücken. Da Belgien sofort die Kriegshandlungen begann, war natürlich eine weitere Benachrichtigung, ein Ultimatum ober eine besondere Kriegserklärung un­ nötig. Die spätere „Bitte" der deutschen Regierung auf Einstellung der Feind­ seligkeiten vom 12. August (s. oben den Wortlaut) wurde unter Berufung auf bas angebliche Neutralitätsrecht abgelehnt (s. im übrigen das vorausgehende 3. Kapitel)2). Auch gegenüber der Türkei handelte der Dreiverband gleich völkerrechts­ widrig. Rußland legte am Ausgang des Bosporus Minen, um die türkische Flotte zu vernichten. Die türkische Flotte trat in Notwehr gegen diesen krasien Bruch der Neutralität in Aktion. Die Pforte behandelte trotz dieses casus belli ausdrück­ lich die Vorgänge im Schwarzen Meer als „Grenzzwischenfälle" zwischen der *) Hierher gehört auch, was die „Nordd. Allg. Ztg." unterm 5. Oktober meldet: „Ein großes Hamburger Haus hat vor kurzem von feiner Zweigniederlasiung in Niederländisch-Indien die briefliche Mitteilung erhalten, daß die englische Kabelgesellschaft eine am 28. Juli nach Hamburg aufgegebene Depesche „Drahtet Zustand" nicht befördert habe, ein Beweis dafür, daß die Abschneidung vom Kabel­ dienst schon Ende Juli angewandt wurde, während die englische Kriegserklärung am 4. August erfolgte." Siehe oben über die englische Briefsperre in Hongkong usw. 2) Auch in den Kolonien scheint man sich beeilt zu haben, die Kongoakte bereits vor der Kriegserklärung zu brechen: Aus dem kürzlich veröffentlichten Bericht des derzeitigen Residenten von Garua, Hauptmanns Freiherrn von Crailsheim, an das Gouvernement von Kamerun geht hervor, daß das britische Gouvernement von Nigerien bereits eine bis zwei Wochen vor der Kriegs­ erklärung Englands, die bekanntlich erst am 4. August abends erfolgte, den Kriegszustand als gegeben annahm, den am 23. Juli aus Garua abgegangenen Briefsack in Bola öffnete und die Briefpost am 30. Äuli lose an den Vertreter der Nigerkompagnie in Garua, nicht an die Residentur, zurücksandte, ferner deutsche Boote und deutsche Eingeborene anhielt usw. (s. nächstes Kapitel).

76 Türkei und Rußland. Dieses begann unmittelbar an der türkisch-kaukasischen Grenze mit Angriffen (1. November). Im Mittelmeere eröffneten nach dem in der „Agence Ottomane" veröffentlichten CommuniquL vom 2. November englische Kreuzer das Feuer ohne jegliche Kriegserklärung und ohne jedes Ulti­ matum, indem sie einen türkischen Handelsdampfer (Kinali Aga) und ein Kanonenboot (Beirut) angegriffen. Verschärft wird diese Völkerrechtswidrigkeit noch dadurch, daß sie ein Schiff angriffen, das ausdrücklich als neutral anerkannt war, da es im Roten Meer ausgesandt war, um im internationalen Intereffe Bojen zu legen; es hat also wisienschaftlichen Zwecken gebient1).

5. Kapitel.

Verletzung der Kongoakte. — Der Kolonialkrieg. Kap. III der Kongoakte vom 26. Februar 1885 (Generalakte der Berliner Konferenz), die u. a. von Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, England und Rußland unterzeichnet wurde, spricht von der Neutralität der in dem konventionellen Kongobecken einbegriffenen Gebiete. Diese sind in Art. 1 genau bestimmt: Zu ihnen gehört ganz Ostafrika und andere Teile des deutschen Kolonialbesitzes (ein Drittel von Kamerun, insbesondere von Neu-Kamerun), von England: Britisch-Ostafrika, das Uganda-Protektorat, ein kleiner Teil von Nord­ rhodesien (s. im übrigen die Denkschrift der deutschen Reichsregierung vom März 1915 über die Verhandlungen betr. die Neutralisierung des konventionellen Kvngvbeckens, in der der Nachweis erbracht ist, daß die deutsche Regierung alles aufbot, um die afrikanischen Kolonien vor dem Kriege zu bewahren). Sie hat mit Hilfe der amerikanischen Regierung, die im Jahre 1884/85 der Frage der Neutralisierung der in der Freihandelszone gelegenen Kolonien besondere Aufmerksamkeit schenkte, ersucht, die Neutralisierung durchzusetzen. Ihre Bemühungen scheiterten an dem Widerstände der Dreiverbandsstaaten England, Frankreich und Belgien ’). Art. 10 sagt, daß, um dem Handel und der Industrie eine neue Bürgschaft der Sicherheit zu geben und durch Ausrechterhaltung des Friedens die Entwicklung der Zivilisation 9 Siehe Art. 4 des 11. Abkommens zur 2. Friedenskonferenz über gewisse Beschränkungen in der Ausübung des Beuterechts in Seekriegen vom 18. Oktober 1907, R.-G.-M. 1907, S. 316. 2) Siehe auch des Verfassers Artikel über „Englands Schuld am Kolonial­ kriege", „Franks. Ztg." 1. Morgenblatt vom 21. März 1915.

77 in den betreffenden Ländern zu sichern, sich die Vertragsmächte ver­ pflichten, die Neutralität zu achten, „solange die Mächte, welche Souveränitäts- oder Protektoratsrechte über diese Gebiete ausüben, von dem Rechte, sich für neutral zu erklären, Gebrauch machen und den durch die Neutralität bedingten Pflichten nachkommen". Dieser rein theoretischen Neutralitätserklärung folgt dann in Art. 11 und 12 die praktische Ausführung. Falls eine Macht der in Art. 10 erwähnten Art in einen Krieg verwickelt werden sollte, verpflichten sich die Ver­ tragsteile, ihre guten Dien st e zu leihen, damit die dieser Macht gehörigen und in der konventionellen Freihandels­ zone einbegriffenen Gebiete im gemeinsamen Einverständniste dieser Macht und des andern oder der andern der kriegführenden Teile für die Dauer des Kriegs den Gesetzen der Neutralität unterstellt und so betrachtet werden, als ob sie einem nicht-kriegführenden Staate angehörten. Die kriegführenden Teile würden von dem Zeitpunkte an darauf Verzicht zu leisten haben, ihre Feindseligkeiten auf die also neutrali­ sierten Gebiete zu erstrecken oder dieselben als Basis für kriegerische Operationen zu benutzen. Bei ernsten Meinungsverschiedenheiten verpflichten sich die Mächte, bevor sie zur Waffengewalt schreiten, die Vermittlung einer oder mehrerer der befreundeten Mächte in An­ spruch zu nehmen. Schiedsrichterliches Verfahren ist vorgesehen. Der Zweck dieser Bestimmungen der Kongoakte ist zweifellos, den eventuellen Krieg der Großmächte aus naheliegenden Gründen nicht auf das „Kongvgebiet" t. S. der Kongoakte zu übertragen. Als Mächte, die die guten Dienste zu leihen hatten, kamen natür­ lich die nicht in den Krieg verwickelten Vertragsstaaten, also Däne­ mark, Spanien, die Vereinigten Staaten von Nordamerika, Italien, Niederlande, Schweden und Norwegen in Betracht. Die Schuld, daß der Kongoakte nicht nachgekommen wurde, liegt nicht bei diesen neutralen Staaten, sondern bei denjenigen, die nach raschen Ruhmes­ taten auf afrikanischem Gebiete lechzten und unter Bruch der in det Kongoakte eingegangenen Verpflichtungen im neutralisierten Lande sofort die Feindseligkeiten begannen, d. h. England und Belgien,' die „im Namen des Allmächtigen Gottes" die Akte unterzeichnet haben! England hat in Ostafrika den Kampf gegen Deutschland, wie bewiesen werden kann, sofort aggressiv geführt und trägt daher die furchtbare Verantwortung für all' die völkerrechtlichen Konsequenzen, die die unterjochten Völker aus dieser Handlung einer

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sogenannten zivilisierten Großmacht ziehen werden'). Bereits am 7. August 1914 stiftete der englische Staatssekretär der Kolonien Botha an (s. „Nordd. Allg. Ztg." vom 18. August 1915), Lüderitzbucht anzugreifen und dadurch den Krieg in Südaftika zu eröffnen. Für diese Behauptung der 1. Ausl., daß England die schmäh­ lichste Blutschuld und der Rasienverrat allein trifft, ist jetzt der vollgültige Beweis durch das belgische Graubuch und die im Jahre 1915 erschienene amtliche deutsche Denkschrift erbracht. In Nr. 57 ff. (belg. Graubuch) spricht Belgien den Wunsch aus, daß der Krieg nicht auf Zentralafrika ausgedehnt werde. Frank­ reich scheint zuerst damit einverstanden (1. c. Nr. 59 u. 61). Frank­ reich ersucht Spanien, einen Antrag gemäß der Kongoakte auf Neu­ tralisierung zu stellen (Eraubuch Nr. 61). Da erklärte England, daß es damit nicht einverstanden sein könne (f. Nr. 75), ihm schließt sich natürlich dann auch Frankreich an (Nr. 74 und 75), das seinen Antrag an Spanien zurückzieht, das seinerseits ohne England nichts zu tun wagte. Staatssekretär Sols hatte also völlig recht, wenn er in einem Interview aussprach, daß England, Frankreich und Bel­ gien allein den Kriegsbrand in Afrika entfacht haben. (S. jetzt die Denkschrift der deutschen Regierung betr. die Verhandlungen über die Neutralisierung des konventionellen Kongo­ beckens, größtenteils abgedruckt in dem Werke des Verfasiers „Welt­ krieg und Diplomatie", Georg Reimer 1917.) Charakteristisch für die Heuchelei Greys ist Folgendes: Am 22. September 1915 antwortete im englischen Unterhause Sir Edward Grey auf eine Frage: Die Bestimmungen des Berliner Vertrages von 1885 über das Kongobecken feien ebenso rechtskräftig wie vor dem Krieg. Er sehe aber keine Aussicht, jetzt das notwendige Einverständnis der Kriegführenden zu sichern, um die Neutralitäts­ klausel des Vertrages anzuwenden. Anfangs August 1914, wenige Tage nach Kriegsbeginn am Kon­ tinent und kurz nach der Kriegserklärung Englands, brachten Pariser Blätter eine aus London stammende Nachricht, deren ausdrucksvoller Stil den amtlichen Ursprung deutlich verriet. „Die britische Regie*) Siehe auch die Ausführungen des Vertreters der Vereinigten Staaten von Nordamerika Kasion am 15. Dezember 1885, der prophetisch die Folgen des Bruches der Neutralisierung des Kongos schildert, s. „Kol. Rundschau 1914, S. 454, sowie die Äußerungen Dr. Morels, August-Nr. der „African Mail", in denen er vor den unseligen Folgen der Übertragung des Krieges warnt; abgedruckt im Schweizer „Katholik" Nr. 37. — Siehe auch die Briefe des Staatssekretärs Solf „Nordd. Allg. Ztg." vom 25. September 1914.

79 rung", so lautete die Londoner Mitteilung, „werde durch die Art der erfolgten Verständigung mit Japan den Beweis erbringen, daß sie Deutschland auch in kolonialer Beziehung tödlich zu treffen entschlossen und im stände se i." Diese Erklärung verrät offen das Leitmotiv der eng­ lischen Politik, die Niederwerfung des wirtschaftlichen Kon­ kurrenten und Rivalen zur See — um jeden Preis, auch den des Verrats an allen Rasten- und Kulturgefühlen^). Das jeder vernünftigen, staatsmännifchen Erwägung hohn­ sprechende Verhalten der englischen Regierung gegenüber den deut­ schen Schutzgebieten bedeutet nach vorstehendem für Deutsch-Ostafrika und Teile von Kamerun zugleich einen schweren Verstoß gegen die internationale Generalakte, die Kongoakte. Im Vertrauen auf Art. 11 der Kongoakte und um auch den Schein einer Bedrohung der angrenzenden fremdherrlichen Gebiete zu vermeiden, hat Deutschland seine militärischen Machtmittel in Deutsch-Ostaftika stets nur so hoch bemesten, als zur Aufrechterhaltung seiner Autorität in den Schutzgebieten notwendig erschien. Dieses Vertrauen ist getäuscht worden, indem England seine ungeheure Übermacht in den anliegenden britischen Protektoraten geltend macht und das in der Freihandelszone liegende Deutsch-Ostaftika zuerst mit Krieg überzog. Dies ist jetzt in einwandfreier Weife durch die erwähnte Denkschrift der deutschen Reichsregierung eingehend nach­ gewiesen. Ich erinnere an den Überfall des Dampfers Hermann von Wißmann durch den englischen Regierungsdampfer Gwendolin auf dem Ryasta-See am 25. August, die Beschießung Dar-es-Salam und ähnliche Heldentaten! Eine Folge davon war natürlich, daß Deutschland die kriegerischen Operationen, zunächst defensiv, ebenfalls beginnen mußte. 1) Prof. Adolf Harnack veröffentlichte in der „Tägl. Rundschau" kürzlich die Übersetzung eines Artikels vom 3. August 1912 aus der in einer Million Exemplaren verbreiteten englischen Zeitschrift „John Bull". In diesem Artikel wird nachzuweisen versucht, daß der Krieg mit Deutschland unvermeidlich sei und je eher je bester angefangen werden müste. Der Artikel gipfelt in folgenden sechs Sätzen: 1. Sollen wir warten, bis die Einkommensteuer 1 Schilling 6 Pence auf das Pfund beträgt? 2. Sollen wir warten, bis die schwelende industrielle Revolution, die alle unsere Streiks warnend ankündigen, in Flammen ausgebrochen ist? 3. Man binde die Kriegshunde los! 4. Die Herrschaft über die Meere gehört immer uns. Keine andere Nation soll sich erdreisten, unsere Oberherr­ schaft herauszufordern. 5. Der Mensch ist ein wildes Tier, und unter den gegen­ wärtigen Umständen ist für Zahme kein Platz. 6. Der Kampf mit Deutschland ist viel wichtiger, als der Krieg zwischen dem gelben und weißen Mann sein wird.

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Und mit welchen brutalen und würdelosen Mitteln dieser vernunst- und moralwidrige Kolonialkrieg von England und Frank­ reich geführt wird, ergibt eine Fülle zuverlässiger und unparteiischer, teilweise auch neutraler Berichte, die zugleich bestätigen, daß die Feindseligkeiten von dort begonnen wurden. Deutsches Privateigen­ tum wurde nicht geachtet, die weiße Zivilbevölkerung in den Kolonien, Männer, Frauen und Kinder, werden als Kriegsgefangene weg­ geschleppt, unter dem Hohnlachen einer aufgehetzten schwarzen Be­ völkerung schimpflich behandelt und schließlich in Gegenden gefangen gehalten, die klimatisch für die Gesundheit dieser armen Opfer furcht­ bare Gefahren bergen. Der Tag wird kommen, an dem wir auch über diese Dinge von den Schuldigen Rechenschaft fordern werden, von den Schuldigen, die uns Deutsche als „Hunnen und Barbaren" beschimpfen und dabei in Afrika ein System der Kriegführung ein­ geführt haben, das eine Schmach ist für jeden Menschen mit weißer Hautfarbe, wie Dr. Sols richtig bemerkt. In Nigeria hat die englische Regierung bereits Ende Juli die Feindseligkeiten gegen die Kamerun-Verwaltung begonnen, wie der amtliche Bericht des Gouverneurs von Kamerun beweist. Aus den Berichten der Angehörigen neutraler Staaten, die das Reichs­ kolonialamt im Januar 1915 veröffentlichte, geht hervor, datz die Engländer in Lüderitzbucht schamlos gehaust haben. Die gesamte Zivilbevölkerung wurde getrennt und als kriegsgefangen in die be­ rüchtigten Konzentrationslager in der Kapkolvnie verschleppt. Alles wurde geplündert. Sogar des britischen Konsuls Müller Privat­ wohnung mit Bibliothek ist vernichtet worden. Völkerrechtsbrüche haben sich die Engländer in Deutsch-Ostafrkka zuschulden kommen lasten, indem sie den Stabsarzt Dr. Schuhmacher beim Verwundetentransport überfielen und trotz Zeigens der Genfer Flagge niederschosten. (Bericht des Gouverneurs vom 7. und 8. Ok­ tober.) Ganz besonders gemein führten sich die Engländer (s. z. B. „Freis. Ztg." Nr. 31/1915) in Kamerun und insbesondere in Duala auf nach den Berichten von Angehörigen der Baptistenmission in Kamerun. Ihr Bericht faßt die Erfahrungen wie folgt zusammen: Die Engländer wollen die Kolonie auf jede Art und Weise wirtschaftlich ruinieren. Sie sind in erdrückender Übermacht darüber hergefallen, haben sie von jeder Verbindung mit der Außenwelt abgeschnitten; fangen mit Gewalt, List und Lügen alle Weißen, Soldaten, Regierungsbeamte, Pflanzer, Missionare, selbst die Angehörigen neutraler Staaten; schassen sie, auch die Frauen und Kinder, aus dem Lande fort und schicken sie, von fast allem entblößt, in die Kriegsgefangen­ schaft. Ja, das reiche England schämt sich nicht, allen alles Geld bis auf, im günstig­ sten Falle, 100 M. für die Person abzunehmen. Manchem wurde gar nichts ge-

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lassen, und viele, die von der Straße weggefangen wurden, hatten nicht einmal das Nötigste. Jede Arbeit ruht, die Entwicklung für die Zukunft ist untergraben. Der Respekt vor dem Weißen ist dahin, die Neger haben sie bekriegen und ihnen be­ fehlen dürfen, man hat uns als Gefangene gesehen. Unsere Gemeinden sind ohne Missionare in den Händen von schwarzen Gehilfen und werden es schwer haben durchzukommen, denn nicht einmal die Missionsarbeit hat das christliche England geschont!

Nach Überfall und Plünderung der Station Nyamtang suchten die Engländer einen Missionar, noch dazu einen solchen neutraler Nationalität (namens Wolf), zur Abgabe falscher Aussagen über an­ gebliche deutsche Greueltaten zu bewegen. „Nachdem wir in Duala angekommen waren, wurde ich vor das Oberkom­ mando geladen und aufgefordert, etwas über die „Grausamkeiten" der Deutschen niederzuschreiben. Ich weigerte mich und wurde entlasten. Bald erfolgte eine zweite Vorladung. Wieder kam dieselbe Zumutung. Nachdem ich mich bereit er­ klärt hatte, zu schreiben, was ich gesehen habe, konnte ich wieder gehen. Der In­ halt meiner Niederschrift, die ich dann einreichte, handelte von der schamlosen Behandlung, welche uns und anderen Missionaren zuteil geworden war. Hierauf wurde ich wieder vorgeladen und scharf verwarnt, denn meine Aufzeichnungen seien eine Anklage der englischen und französischen Soldaten und eine Verdächtigung des gesamten Kommandos. Man hatte aber den traurigen Mut, noch einen Schritt weiter zu gehen und mir in Aussicht zu stellen, am nächsten Tage aus der Ge­ fangenschaft entlasten zu werden, wenn ich ihren Wunsch erfüllte und einen Bericht über „Grausamkeiten, verübt von den deutschen Truppen" ihnen zusenden würde! Selbstverständlich konnte ich das nicht tun. Unter der Beschuldigung, ich hätte als amerikanischer Bürger die Neutralität verletzt und die deutsche Regierung in ihren Zielen unterstützt, sind dann meine Frau und ich als Kriegsgefangene nach England gebracht worden. Selbst noch dort begründete man ein Festhalten durch Neutralitätsverletzung."

Von solchen erpreßten und erschwindelten Greuelberichten lebte dann die öffentliche Meinung in Amerika. Ganz Ähnliches erzählen andere amerikanische Missionare. Ebenso auch die Berichte der Basler Mission; in der Iqnuarnummer des „Evangelischen Heidenboten" (1915) sind die schweren Schäden geschildert, die England dem ganzen Missivnswerk durch die rück­ sichtslose Internierung der Missionare in Indien und Kamerun ver­ ursacht hat (s. „Nvrdd. Allg. Ztg." Nr. 62/1915.) Der Kameruner Gouverneur Ebermaier hat dem Oberbefehls­ haber der vereinigten englisch-französischen Streitkräfte in Kamerun „eine kleine Auslese der zahllosen Rechtsbrüche" zugehen lassen, die sich England und Frankreich fortgesetzt bei der Kriegführung in der Kolonie zuschulden haben kommen lasten. Die Juni-Nummer 1915 des „Deutschen Kolonialblattes" berichtet darüber folgendermaßen: 1. In Viktoria hat am 3. Oktober 1914 der Kapitän Hughes der „Ivy" in der Woermann-Faktorei eigenhändig verschlostene Behälter erbrochen und Müller-Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht. 4. Stuft.

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daraus Zigarren, Zigaretten und Schaumwein ohne Bezahlung entnommen. Der erste Offizier der „Ivy" hat zur selben Zeit aus Privatwohnungen Uhren und silberne Becher mitgenommen. 2. Das Privatvermögen der Katholischen Mission in D e i d o ist Mitte Oktober 1914 beschlagnahmt worden. Den Vätern und Brüdern dieser Mission wurde an Bord der „Kamerun" ihr persönliches Eigentum weggenommen. 3. Bei der Besetzung Cdeas haben die Truppen der Verbündeten ver­ schlossene Koffer und Schränke aufgebrochen und ihres Inhaltes beraubt. Nicht einmal das Eigentum der Kultusgemeinschaften wurde geschont: so wurden in der Kirche der Katholischen Mission die Tabernakeltüren und die Mariische zer­ schlagen, die Marmorstatuen zerbrochen und seidene Tücher zerschnitten. Die Oberin der Katholischen Misiion wurde von einem farbigen Soldaten in Gegen­ wart eines weitzen Vorgesetzten, der lachend zusah, in rohester Weise am Schleier gerissen und mit dem Messer bedroht. 4. Der bei Nsanakang in Kriegsgefangenschaft geratene Leutnant Stretton hat während der vorübergehenden englischen Besetzung Nsanakangs zwei in einem verschlossenen Koffer verwahrte goldene Ringe des Zollbeamten Steiner von Nsanakang an sich genommen, hat sie getragen und hat sie nach seinem eigenen Eingeständnis noch heute in seinem Besitz, obschon der Eigen­ tümer nach dem Gefecht von Stretton die Herausgabe der Ringe verlangte. 5. Am 21. Oktober 1914 setzten die Engländer bei Iadibo am linken Ufer des Kwakwakrieks unter einem Offizier etwa 25 farbige Soldaten und ebenso viele Dualas an Land. Soldaten und Dualas plünderten die Faktorei von John Holt und steckten sie in Brand. 6. Am 30. Dezember 1914 landeten Truppen der verbündeten Streit­ kräfte in Longji, erbrachen und plünderten die Faktoreien und schifften sich nach kurzem Feuergefecht unter Mitnahme der aus den Faktoreien entnommenen Gegenstände wieder ein, um nach Kribi zurückzukehren. Bezahlung ist nicht erfolgt, auch nicht angeboten. Der Kenntnis der europäischen Führer kann dieses Vor­ gehen nicht entgangen sein. 7. In der Nacht vom 29. auf 30. September wurden die friedlichen Europäer in Bojongo durch farbige englische Soldaten ohne Europäersührung gefangen weggeholt. Ihr schutzlos zurückgebliebenes Eigentum wurde von den mit den englischen Soldaten gekommenen Dualaleuten geplündert. 8. In Me an ja wurden in der Nacht vom 14. auf den 15. November diefriedlichen Pflanzer Schulz und Wilhelm von farbigen Soldaten aus den Betten geholt und gebunden abgeführt, ohne datz ihnen Zeit zum Ankleiden gelassen wäre. Als Schulz, der nur einen Schlafanzug trug, nach seinen Kleidern rief, und fein Koch ihm die Kleider bringen wollte, schlugen die Sol­ daten den Koch und nahmen die Kleider weg. 9. Anfang Oktober wurden Dualaleute mit Booten betroffen, die mit geplünderten, aus Dualafaktoreien stammenden Waren angefüllt waren. 10. Auf Anordnung des französischen Befehlshabers in Edea sind die Waren der deutschen Faktoreien in Edea an Häuptlinge und andere Eingeborene verteilt, um sie auf seine Seite zu ziehen. 11. Vor der Räumung von D s ch a n g haben die englischen Truppen den Ort systematisch verwüstet und ausgebrannt und die Mission geplündert. Im Wohnhause des Bezirksamtmannes wurde selbst der Nachlaß des bei Nsanakang gefallenen Hauptmanns Rausch, der am 2. Januar, als deutscherseits Dschang

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geräumt wurde, in einem besonderen Zimmer des Bezirksamtmannes unter­ gebracht, äußerlich deutlich gekennzeichnet und dem Schutze des englischen Be­ fehlshabers besonders empfohlen war, trotzdem von den englischen Truppen ge­ plündert und verbrannt. 12. Missionar Loewe der amerikanischen Mistion in Groß-Batanga wurde am 22. Dezember 1914 auf eine völlig haltlose Beschuldigung Eingeborener hin vom Kommandanten eines französischen Schiffes im Aufträge des französischen Befehlshabers in Kribi mit Festnahme bedroht und ihm bei Todesstrafe das Verlasten des Mistionsgrundstückes verboten. 13. Am 22. Oktober 1914 wurde der Posten Bonepupa vom Gegner mit bewaffneten Dualas angegriffen. Das Weib des deutschen farbigen Ser­ geanten Susa wurde dabei durch Haumester schwer verletzt. 14. Am 26. Oktober verstümmelten französische Soldaten vor ihrem Ab­ züge aus Putu die Leiche eines im Kampfe gefallenen deutschen Soldaten in schändlicher Weise. 15. Der Leiche eines am 5. Januar vor Kribi gefallenen deutschen Soldaten wurde von französischen Soldaten ein Ohr abgeschnitten. 16. Nach dem Gefecht bei Nsanakang am 6. September 1914 wurden in den englischen Verteidigungsstellungen und bei den verbündeten englischen Soldaten zahlreiche Dumdumgeschosse gefunden, die sich zum Teil noch in der ursprünglichen Verpackung befanden. Die Patronen sind fabrikmäßig an der Spitze abgeschnitten, so daß der Bleikern nicht völlig vom Stahlmantel umhüllt wird. Der dünne Mantel enthält vier fabrikmäßig hergestellte Längsschlitze. Ebenso in dem Gefecht bei Garua am 29. und 30. August 1914. Die den Ardo Hanana von Mugulbu gegebenen Patronen sind an der Spitze ausgehöhlt gewesen (s. „Koloniale Rundschau" 1915, S. 383 ff.).

In dem offiziellen amtlichen Bericht vom August 1915 heißt es u. a.: „Nichts war dem anscheinend aller Skrupeln baren Gegner bislang heilig. Nicht die Stille christlicher Kirchen, die nun Senegalesen unter den Augen ihrer europäischen Vorgesetzten zerstörten, deren heilige Geräte sie verschleppten. Nicht die Frömmigkeit ehrwürdiger Schwestern, denen rohe Neugier die Schleier zu zerren trachtete. Nicht der Frieden der Mistionen, den einschlagende feindliche Granaten verscheuchten. Engländer, Offiziere wie Unteroffiziere, wetteiferten mit­ unter mit ihren schwarzen Söldnern in Beutemachen und Stehlen. Nicht von Lebensmitteln, deren Beschlagnahme oft militärische Notwendigkeit erheischt, son­ dern von Wertgegenständen, erbrochenen Behältern entnommen. In französische Hände gefallene deutsche Verwundete wurden von Senegalesen hingemetzelt, in einem Falle sogar auf Befehl eines französischen Offiziers, wie ein namentlich bezeichneter englischer Offizier mit Entrüstung erzählte. Deutsche sollen nachts auf einer Pflanzung von Senegalesen unter Führung eines Offiziers überrascht und abgeschlachtet worden sein. Auf Veranlastung unserer Feinde veranstalteten Eingeborene der Küste Jagd auf die im Lande zerstreut wohnenden Deutschen wie man Raubtiere jagt, auf deren Köpfe Preise gesetzt sind. Konnten die Deutschen nicht lebend vor ihre Feinde geschleppt werden, wurden Glieder der Getöteten überbracht. Grausam, unwürdig war die Behandlung der Gefangenen, gleichgültig welchen Alters oder Geschlechts. Auch sie zeugte von dem vor nichts zurückschreckenden Haste unserer Feinde gegen alles Deutsche. In enge, heiße,

84 überfüllte Räume wurden die Unglücklichen eingepfercht. Dem Hohn grinsender Schwarzen wurden sie ausgesetzt. Ständig lastete auf ihnen demütigende schwarze Bewachung. Die Verpflegung war völlig unzureichend und häufig verdorben. Die einfachsten, dem Europäer in den Tropen aber so dn'ngend gebotenen gesundheitlichen Regeln wurden den Gefangenen gegenüber nutzer acht gelassen. So wurde ihnen die Gelegenheit zum Baden, nachdem sie zeitweilig geboten war, wieder entzogen. Moskitonetze waren selten; selbst Kinder mutzten ohne ihren Schutz schlafen. Den Gefangenen, die Ende April auf den Dampfer „Hans Woermann" übergeführt wurden, wurden Moskitonetze nicht verabfolgt, obwohl die Moskitoplage auf dem Kamerunflutz geradezu gefährlich war. Die Folge einer derartigen, jeder Menschlichkeit Hohn sprechenden Behandlung der Gefangenen war, datz bösartige Fieberanfälle und andere Krankheiten auftraten. Den körperlichen gesellten sich die seelischen Leiden zu. Sie durch Lügennachrichten zu vergröbern, war häufig Bestreben der feindlichen Wärter." (Amtlicher Bericht August 1915.) Dieses Benehmen der Engländer reiht sich würdig den englischen Scheutzlichkeiten von Kertsch im Krimkriege, von Südafrika, von Ägypten, von Indien, von Ondurrhaman an, von denen sogar ein Mann wie Winston Churchill als Berichterstatter der „Morning Post" (The River War, London 1899) sagt, datz es eine „verruchte Tat war, der gegenüber der wahre Christ wie auch der Philosoph seinen Abscheu ausdrücken mutz." Ein offenbares Vergehen gegen das indische Strafgesetzbuch usw.: Alles gegen den Spietzgefellen Lord Kitchener!

Die „Köln. Volks-Ztg." teilte über „Englische B e st i a l i tät in Ostasrika" Ende Oktober 1915 folgendes mit: Die Verkündigung des Heiligen Krieges hatte auch unter den englischen Askaris mohammedanischen Glaubens Eingang gefunden, was zur Folge hatte, datz sich eine Anzahl dieser beharrlich weigerte, gegen die Deutsch-Ostafrikaner und die deutschen Askaris zu kämpfen. Infolgedessen wurden die „Aufrührer, 112 an der Zahl, gefesselt, furchtbar verprügelt und bann nach Nairobi über­ führt, wo sie vom dortigen Kriegsgericht ohne Ausnahme zum Tode durch Er­ hängen verurteilt wurden. Als die Hinrichtung einige Tage nach Fällen des Urteils stattfinden sollte, besann man sich aber eines „bessern" und traf eine „Ver­ fügung", wonach die Verurteilten als lebende Zielscheiben für Scharsschietzübungen englischer farbiger Rekruten dienen sollten! Und wahrhaftig, diese scheutzliche Tat wurde auch ausgeführt! Eines Morgens, noch bei Dunkelheit, im Novem­ ber v. I., wurden zehn der armen Todeskandidaten mittels Autos viele Kilo­ meter südlich von Nairobi in die Steppe gebracht, wo eine gröbere Anzahl englischer Askaris Lager bezogen hatte; die Mannschaft bestand zum größten Teil aus Rekruten, die hier ausgebildet wurden. Der Schießplatz war natürlich streng abgesperrt. Die Verurteilten mutzten nun unter gröbster Mitzhandlung von seiten der weitzen Engländer eine grotze Grube schaufeln — die ihr eigenes Grab werden sollte. Nachdem dies geschehen, fesselte man sie an Händen und Fützen, steckte ihnen einen Knebel in den Mund, um sie am Schreien zu ver­ hindern, und dann wurden sie im hohen Grase, im Busch oder auf Bäumen so postiert, datz nur ein kleines Stück von ihrem Körper sichtbar war. Dann nahm der „Scharfschietzunterricht" der farbigen Rekruten unter Leitung englischer Offiziere und Unteroffiziere seinen Anfang! In einem Abstand von 100 bis 300 Schritten feuerten die Rekruten aus Gewehren und Maschinengewehren den

85 ganzen Vormittag und Nachmittag heftig auf die Menfchenziele. Das Ergebnis am Abend war, daß von den „Zielen" zwei tot und acht schwer verwundet waren, welche vollends getötet wurden. Die Leichnahme der schwarzen Geschöpfe warf man ln die Grube und schüttele sie zu. Dann bezog man wieder das Lager. Während der folgenden Tage wurde der barbarische Hinrichtungsakt und der „Schießunterricht" fortgesetzt, bis man sich der Verurteilten erledigt hatte— Solche Bestien stellen sich dann hin und eifern gegen die „Hunnen".

In Duala haben die Franzosen und Engländer sich an den wüsten Plünderungen durch die Eingeborenen direkt beteiligt. Die Deutschen (Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder) wurden unter militärischer Bedeckung durch die belebtesten Straßen unter Hohn, Beschimpfungen und Bedrohungen der Neger nach dem Hafen gebracht. Die Ausrüstung aus den großen Schiffsreisen war kläglich. Alle mußten furchtbar leiden. Ganz be­ sonders schimpflich und brutal behandeln die Franzosen die Zivilgefangenen in Dahomey: sie wurden von Negern mit Gewehrkolben angetrieben. Die Erniedrigung vor den farbigen Soldaten und Ein­ geborenen schreit zum Himmel! (über die Beschießung von Viktoria s. auch unten.) Auch gemeine Völkerrechts- und Wortbrüche scheute man bei diesem mörderischen Krieg nicht, wie bei der Beschießung von Dar-esSalam, das ganz unverteidigt war, durch die englischen Kreuzer, wie Gouverneur Schnee dies am 13. Februar 1915 eingehend schildert. Auch aus T v g o wird gemeldet, daß, wo die Franzosen hingekommen sind, schauderhast geplündert wurde. „Alle Pflanzungen östlich der Atakyamabahn wurden ausgeraubt." (Über die Mißhandlung der Deutschen in Westastika f. auch „Kol. Rundschau", 1915, Heft 2, S. 115.) Die Offensive gegen deutsche Kolonien seitens der Engländer und Franzosen ist, wie jeder Kenner der Verhältnisse weiß, politisch äußerst töricht und natürlich völlig überflüssig, da, wie die Engländer und Franzosen genau wissen, dieser Krieg nicht in Südwestastika, in Kamerun oder Ostastika, sondern aus den Schlachtfeldern in Frankreich und Rußland entschieden wird. Aus jenen gegen uns aufgehetzten Gurkhas, Basutos, Koffern und Hereros werden aber, wie aus den Japanern, unsere einstigen Rächer erstehen! ‘)s) 9 Mir haben in der 1. Auflage bas Schreiben General Beyers' abgedruckt, womit er (ein Abdanken als Oberstkommandierender begründet (s. bort). Hier folgt Dewets und Beyers' Proklamation vom 28. Oktober 1914: „Hiermit wirb allen Bürgern der Union bekanntgemacht, daß, nachdem die Regierung der Union beschlossen hat, Deutsch-Südwest zu erobern, und der

86 Aus der oben zitierten amtlichen deutschen Darstellung geht hervor, daß England bei Beginn des Krieges schon fest entschlossen war, diesen auch in unseren Kolonien zu entfesseln. Ja, schon Mitte Juli, also noch im tiefsten Frieden, bereiteten die Engländer ihre kriegerischen Operationen gegen Togo vor, indem sie große Mengen von Patronen und Geld in das Hinterland der Eoldküste schaffen ließen mit der Begründung, ihre Grenzen wären durch zwei auf­ rührerische Häuptlinge in Togo gefährdet! Tatsächlich handelte es sich Beschluß auf Grund unrichtiger Berichte und Behauptungen von den Parlaments­ mitgliedern der südafrikanischen Partei bestätigt wurde, und nachdem gegrn den gottlosen Angriff auf Deutsch-Südwest und gegen ein Volk, das uns nie Böses tat, sondern uns alle Zeit gut gesinnt war, und nachdem die Regierung das Recht des Publikums, den Protest fortzusetzen, durch die Proklamation des Krieesrechts verhinderte, wir mit den Waffen in der Hand gegen ein so gefährliches Prinzip protestieren, das die Regierung gegen die Absicht und den Willen des Volkes aus­ führen will. Da wir überzeugt sind, daß unser Volk in das größte Unglück und Elend gestürzt wird, und daß wir uns Gottes Fluch zuziehen werden, und da unser Protest nicht darauf ausgeht, Bruderblut zu vergießen, sondern vielmehr solches möglichst zu vermeiden und keinesfalls angreifend aufzutreten, so rufen wir alle Bürger auf, alle Kraft anzuspannen und ihren Einfluß zu brauchen gegen die Eroberung von Deutsch-Südwest und sich gleichzeitig zu weigern, sich von der Regierung mißbrauchen zu lasten, um mit den Waffen zu kämpfen, gez. Dewet, Beyers, Generale der protestierenden Bürger, Steenbokfontein, 28. Oktober." Ebenso charakteristisch ist eine Stelle aus den interestanten Verhandlungen des südafrikanischen Parlaments über die Frage des Kriegs mit Deutschland. Dort wies ein Redner (Fichardt) näher auf eine echt englische Fälschung hin. Er sagte: „Die Deutschen sollen den Krieg eröffnet haben durch einen Angriff aus Rakob in der Kapkolonie. Dieser Punkt stand früher auf keiner englischen Karte. Jetzt liegt er nach der im Parlament vorgelegten neuen Eisenbahnkarte auf eng­ lischem Gebiet." Fichardt behauptete, wenn man die Karte gegen das Licht hebe, sehe man deutlich, baß der Name erst auf der deutschen Seite gestanden habe und dort ausradiert worden sei (!). S. auch die „Nordd. Allg. Ztg." vom 18. August 1915. Dort wird Botha als ein Verleumder niedriger Art entlarvt, der Deutsöhland als Anstifter zum Ausstand bezichtigte, um seine eigene Fälschungs- und Intriguengeschichte zu verdecken. Dort ist festgestellt, baß in den MobilmachungsVorschriften der Schutztruppen in Deutsch-Südwest ausdrücklich befohlen war, die Grenze der Südafrikanischen Union unter keinen Umständen zu überschreiten und sich jeden angrisfsweisen Vorgehens gegenüber der Union zu enthalten. Dort ist aber weiter bewiesen, baß am 7. August 1914 bereits der englische Staatssekretär der Kolonien zur Besetzung von Lüderitzbucht und Swakopmund anstiftete und damit das Signal zum Krieg gab. 8) Siehe des Engländers Conan Doyle vernichtende Schrift über das „Kongo-Verbrechen" Belgiens, erschienen 1909: England hat aus rein politischen Gründen seine Kongo-Liga und ihre Agitation eingestellt, um mit Belgien zu­ sammenzuarbeiten (s. „Koloniale Rundschau" 1915, Heft 1, S. 5 ff.), und Conan Doyle ist einer der fanatischsten Deutschenhasser geworden.

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ober um die Vorbereitung eines Angriffes auf Togo von Westen her. Und am 23. Juli wurde nach einem Bericht des Kaiserlichen Residenten in Garua (Nord-Kamerun) der deutsche Postsack in Bola (Britisch-Nigerien) geöffnet und die Briefschaft lose an den Ver­ treter der britischen Nigerkompagnie in Garua zurückgeschickt! Das alles läßt deutlich erkennen, dost schon lange vor Ausbruch des Krieges in Europa in den britischen Kolonien Westafrikas Vorbereitungen für einen allgemeinen Kolonialkrieg getroffen wurden'). 6. Kapitel. Die Verwendung dardarilcher Kriegsvölker im europäilchen Kriege.

über dieses Thema schreibt in Nr. 272 der „Münch.-Augsb. Ab.-Ztg." Universitätsprofessor Dr. Karl v. Stengel u. a. folgendes: „Als im italienischen Kriege vom Jahre 1859 Frankreich „Turkos", eine aus algerischen Eingeborenen (Kabylen und Negern) bestehende Truppe verwendete, erregte dies allgemeines Aussehen und gab zu vielen Erörterungen darüber Anlaß, ob die Verwendung derartiger barbarischer Kriegsvölker nicht als ein völkerrechts­ widriges Mittel zu betrachten sei. Auch Rybert v. Mohl hat unmittelbar nach dem Kriege in dem Werke „Staatsrecht, .Völkerrecht und Politik" (1860) Bd. 1, 6.770 ff. die Frage untersucht. Er führt dabei aus, daß gegen die Verwendung von bar­ barischen Truppen nicht deshalb Einspruch erhoben werden könne, weil ihre Kampfesweise eine fremdartige und den Gewohnheiten europäischer Heere unan­ gemessen sei, da der Feind kein Recht habe, nur in derjenigen Art angegriffen zu werden, auf welche er gefaßt war. ... Es könne auch von einer kriegführenden Macht nicht erwartet werden, daß sie Hilfsmittel unbenutzt laste, bloß weil sie dem Gegner besonders unangenehm sind. . . .*). *) S. auch die Erklärung des Staatssekretärs Sols vom 21. Dezember 1915 auf die kurze Anfrage des Abg. Bastermann. Dort ist festgesetzt, daß mit Maritz keine Verhandlungen stattgefunden haben. Solf erzählt dort folgende für Botha charakteristische Äußerung: „Er kam auf die Eingeborenen in Sübwest zu sprechen und über eine mögliche Wiederholung des Aufstandes. Als ich in diesem Zusammenhang auf die von einem Teil unserer Volksvertretung gewünschte Verminderung der Schutztruppe kam, riet er mir dringend ab, im Intereste der Aufrechterhaltung der Ordnung unter die Zahl von 2000 als Stärke der Schutztruppe herunterzugehen. Auch fei er der Meinung, daß man Eingeborenen niemals trauen könne und immer auf der Hut sein müsse." Solf bestätigt dort die ganze Kartenfälschungsgeschichte von Nakab-Süd und legt die geänderten, d. h. die gefälschten Karlen dem Reichs­ tage vor. 2) Ich erinnerte in der 1. Auflage an eine Rede Pitts, jetzt wird an einer anderen Stelle an die Rede im englischen Unterhaus^ die der greise Pitt hielt (1878), gemahnt: „Solche verabscheuungswerten Grundsätze widerstreiten in

Die Franzosen verwendeten in dem Kriege im Jahre 1870/71 wieder Turkoregimenter, ohne daß der kriegerische Erfolg, den die Franzosen von der Ver­ wendung dieser Wilden hofften, den Erwartungen entsprochen hätte (NB. wie heute wieder. Der Verf.). Ls ist ziemlich allgemein anerkannt, datz die Turkos die ärgsten Grausamkeiten begangen und sich als für eine zivilisierte Kriegführung nicht geeignete Barbaren gezeigt haben. Namentlich ist in dem berühmten Zir­ kulare des Fürsten Bismarck vom 9. Januar 1871 bas an Verwundeten vor­ genommene Abschneiden von Köpfen, Ohren und Nasen usw. auf Rechnung der Turkos gesetzt. (Vgl. Lueder in Holtzendorsfs Handbuch des Völkerrechts Bd.4, 6.396 ff.; f. auch unten.) Unter diesen Umständen hätte man erwarten sollen, datz bei der im Jahre 1899 bzw. 1907 erfolgten Kodifikation des Kriegsrechts, die ja hauptsächlich den Zweck hatte, eine tunlichste Humanisierung der Kriegführung zu erzielen, auch die Frage der Verwendung barbarischer Völker bei Kriegen zivilisierter Staaten ge­ regelt worden wäre. Das ist aber keineswegs der Fall. Das (lbereinkommen betr. die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 sagt vielmehr in dem vom Begriffe der Kriegführenden handelnden Art. 1, datz die Gesetze, die Rechte und die Pflichten des Krieges nicht nur für das Heer, sondern auch für die Milizen und Freiwilligenkorps gelten, wenn diese gewisie Voraus­ setzungen, wie Tragen erkennbarer Abzeichen, offenes Führen von Waffen usw., erfüllen. . . . Einen strengeren Matzstab als bei Rutzland mutz man England und Frankreich gegenüber anlegen, da beide Völker bisher wenigstens zu den zivilisierten gerechnet wurden und sich sogar einbilden, die erste Stelle unter den gleichem Matze der Religion wie der Menschlichkeit. Ich rufe eure Ehre an, datz ihr die Würde eurer Vorfahren wahret. Ich rufe den Geist und die Menschlich­ keit meines Vaterlandes auf, ich beschwöre den Genius unserer Verfassung. . . . Die erbarmungslosen Kannibalen losgelassen, die da dürsten nach dem Blute des Mannes, des Weibes, des Kindes! . . . Diese furchtbaren Höllenhunde der Wildnis! Höllenhunde, sage ich. Spanien lietz seine Bluthunde los, um die un­ glücklichen Völkerschaften Amerikas zu vernichten, und wir übertreffen noch das Beispiel spanischer Grausamkeit! . . . Mylords! Ich bin alt und schwach und jetzt nicht imstande, weiter zu sprechen; aber mein Gefühl und mein Unwille waren zu stark, als datz ich weniger hätte sagen können. Ich hätte diese Nacht keine Ruhe finden können ln meinem Bette, hätte mein Haupt nicht auf mein Kissen niederlegen können, wenn ich nicht meinem Abscheu gegen so ausgeartete, so un­ geheuerliche Grundsätze Luft gemacht hätte!" Von dieser Rede berichtet Eduard Engel in seiner „Geschichte der englischen Literatur", datz sie „in allen englischen Lesebüchern zu finden ist". Die heutigen angstschlotternden Epigonen mit grotzem Munde & la Churchill vergaben auch das berühmte Sendschreiben Eduard Durkes an die britischen Kolonien aus dem Jahre 1777: „Ihr werdet nicht glauben, datz wir daran gedacht haben, auf euch jene Stämme von Wilden und Kannibalen loszulassen, in denen die Spuren menschlicher Kultur durch Unwissenheit und Barbarei aus­ gelöscht sind. Wir halten nicht dafür, datz im Kriege alles berechtigt fei." Heute fechten die Epigonen mit Scharen zusammen, gegen die die alten Indianer Ehrenmänner waren, und sie halten alles, selbst gemeinsten Meuchel­ mord, für anständig!

8Y zivilisierten Völkern einzunehmen. Wenn diese Völker es für notwendig halten, thre regulären Truppen durch derartige wilde Völkerschaften zu verstärken, so liegt darin ein Zeichen erbärmlicher Schwäche. Sie geben damit zu erkennen, bah sie nicht in der Lage sind, durch lediglich aus Volksangehörigen gebildete Truppen ihre europäischen Kriege zu fuhren und den vaterländischen Boden zu verteidigen. . . . Es zeugt bei beiden Völkern von einem unglaublichen Tiefstand moralischen Empfindens, wenn Franzosen und Engländer Wollust bei dem Gedanken emp­ finden, welche Grausamkeiten diese Turkos, Marokkaner, Gurkhas usw. an den­ jenigen verüben würden, auf die sie losgetaffen werden. Das also ist die an der Spitze der Zivilisation marschierende französische Nation, deren tigerartigen Charakter freilich schon Voltaire gekennzeichnet hat, das sind die frommen Engländer, die in der ganzen Welt Bibeln verteilen, fortwährend von Humanität sprechen und über die in Bulgarien und Armenien ver­ übten Grausamkeiten und die „Kongogreuel" nicht laut genug ihren Abscheu aus­ sprechen konnten!"

Soweit v. Stengel a. a. O. Leider findet sich kein aus­ drückliches Verbot der Verwendung dieser wilden Horden in der Landkriegsvrdnung! Aber ein indirektes ist unzweifelhaft vorhanden. Es find nicht bloß äußere Kennzeichen in Art. 1 1. c. für die Kriegführenden und ihre Freiwilligen gegeben, sondern auch innere Pflichten. Die wichtigste ist die Pflicht, bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges zu beobachten. Jedermann weiß nach den Er­ fahrungen der letzten 100 Jahre, daß alle diese Völker, Turkos, Gurkhas, Neger aller Art, sich niemals an die Gesetze und Regeln der Genfer Konvention gehalten haben, noch viel weniger werden sie sich kümmern um die Beschlüsse der Haager Friedenskonferenz von 1899 und 1907! Schon jetzt ist durch unzählige Fälle bewiesen, daß alle Verbote des Art. 23 der Landkriegsordnung (meuchlerische Tötung oder Verwundung, Tötung wehrloser Feinde, Verweigerung des Pardons, Mißbrauch von militärischen Abzeichen, Uniformen, Plünderung, Diebstahl usw.) von dem Gesindel ignoriert werden (s. auch unten Kap. 14, Z. III). Hier liegt also nur eine schein­ bare Lücke des Völkerrechts vor. In Wirklichkeit ist die Ver­ wendung von wilden Hilfsvölkern, von denen man nach ihren Kulturbegriffen weiß, daß sie die ältesten Gebräuche und die auf Ab­ kommen beruhenden Gesetze der Kriegführung zwischen zivilisierten Völkern ignorieren und verachten, ein roher Bruch der Abmachungen von 1899 und 1907! Aber was kümmern sich heute England, das Land der „Vertragstreue", und Frankreich, „die große Nation", um das Völkerrecht? Hoffentlich steckt man dieses Gesindel als Gefangene auch

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mit den Engländern und Franzosen zusammen! Als diese Forde­ rung zur Abkühlung der englischen und französischen Begeisterung in Deutschland gestellt wurde, da entrüstete man sich von neuem über den „Barbarismus" der Deutschen. Diese Völkerschaften sind gut genug dazu, um für englische Herrschaften auf ehrliche, deutsche Truppen losgelassen zu werden und die furchtbarsten Grausamkeiten wie 1870 zu begehen. Die „Kampfgenossen", die die französischen Weiber verhätscheln und die englische und französische Presse als „furchtbar" umschmeicheln, aber zu L a g e r g e n v s s e n in der Ge­ fangenschaft zu haben, — das ist den Kulturpionieren von der Themse wie von der Seine zu „barbarisch". Wer den Kampfruhm gegen uns teilen will, soll auch die unfreiwillige Rast teilen! Gleiche Brüder, gleiche Kappen!') *) Ein interessantes Dokument über die Behandlung der Inder im englischen Heere ist in deutsche Hände gesallen. Es lautet in der Übersetzung: Vertraulich. Nr. 3/3 (A). Hauptquartier, Indisches Armeekorps. Datiert, 22. Oktober 1914. Memorandum für das Verhalten der Offiziere des Indischen Armeekorps. 1. Nach den Bestimmungen des Indischen Armeegesetzes § 45 a kann auf körperliche Züchtigung von einem Kriegsgericht zu Recht erkannt werden bei jedem Verstoß, der von einer diesem Gesetz unterstehenden Militärperson vom Felbwebelleutnant abwärts im aktiven Dienst verübt worden ist. Aus Grund der Befehlssammkung des Indischen Armeekorps dürfen jedoch solche Urteile nur gegen solche Personen gefällt werden, die schuldig befunden wurden:

a) grober Verstöße gegen Person oder Eigentum von Bewohnern des Lan­ des, nach § 41 des Indischen Armeegesetzes:

b) Einbruchs in ein Haus zwecks Plünderung, oder Plündern, sei es nach (a) oder nach § 25 (j) desselben Gesetzes;

c) Plünderns als Posten oder auf Wache usw., nach § 26 (c) des Indischen Armeegesetzes; d) unehrenhaften Betragens, nach § 31 des Indischen Armeegesetzes;

2.... 3. Körperliche Züchtigung auf Grund des § 24 (2) des Indischen Armeegesetzes soll auf die Fälle beschränkt bleiben, in welchen sich Personen Vergehen laut oben erwähntem Absatz (1) zuschulden kommen ließen. 4. Körperliche Züchtigung darf nicht in Gegenwart von britischen oder anderen europäischen Truppen oder Zivilisten vollzogen werden. 5. Nach der Ansicht des Armeekorpskommandanten sollte Raub in diesem Lande sehr streng bestraft werden; die verhängte Strafe sollte deshalb nicht unter der Höchststrafe bleiben. 6. Ein Exemplar dieses Befehls soll im Besitze jedes britischen Offiziers der Artillerie und der indischen Formationen im Indischen Armeekorps fein. Ein

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Exemplar soll bei jedem Kriegsgericht, das unter indischem Militärgesetz in dem Armeekorps abgehalten wird, vorhanden sein. W. C. O'Leary, Oberst, Stellvertretender Generaladjutant, Indisches Armeekorps. Übereinstimmend haben nicht nur die Berichte und Meldungen deutscher Truppen, sondern auch viele von uns erbeuteten Aktenstücke des Feindes festgestellt, welch grausamen Plünderungen französische Ortschaften durch Angehörige der ver­ bündeten Armeen ausgesetzt waren. Daß es an solchen Ausschreitungen nicht fehlt, baß Fälle von Raub und Plünderung vorgekommen sind, ja, daß Posten und Wachmannschaften daran beteiligt waren, erweist das vorstehende vertrauliche Memorandum für die Offiziere des Indischen Armeekorps. Die Ausschreitungen müssen schwer gewesen sein, wenn die hier getroffenen Maßnahmen einigermaßen begreiflich erscheinen sollen.

Ein ziemlich franzvsenfreundliches schweizerisches Blatt spricht von einem „Herzschuß gegen das Europäertum", ja einem „frevel­ haften Selbstmordversuch", gegen den sich das „Menschheitsgewisien" der Schweiz aufbäume!') Und die Herren Hobler, Karl Spitteler und Jacques Dalcroze schweigen zu alledem? 7. Kapitel. Mihbrauch der «Neutralität der Türkei.

Englands Politik lebt feit langer Zeit von der Gut­ mütigkeit und Schwäche des türkischen Reichs und der islamitischen Völker. Marokko verschenkte-König Eduard, um Frankreichs Freundschaft zu erwerben. Persien gab das großmütige England, soweit es nicht selbst es okkupierte, an Rußland. In Reval wurde die Teilung der Türkei beschlvsten. Die verteilten Länder bildeten die Morgengabe zu einer politischen Ehe früherer Todfeinde, die sich in dem Nimmersatten Raube fremden Eigentums zusammenfanden; damit aber England nicht zu kurz kam, ließ es sich von den beiden Raubgenvsien ein anderes mohamme­ danisches Land, nämlich Ägypten, zusprechen und zerriß damit die alte Freundschaft des englischen Volkes mit der Türkei. Es war von jeher englische Sitte: je mehr es selbst die Rechte anderer Staaten wie die Normen des Völkerrechts brach, desto mehr über Vertragsuntreue und Völkerrechtsbruch anderer zu zetern. Diese den hervorstechendsten Charakterzug englischer Politik bildende *) Eine der größten ethnologischen Autoritäten, Sven Hedin, bezeichnet a. a. O. (S. 185 ff.) bie Verwendung der Inder als „Verbrechen an Kultur, Zivili­ sation und Christentum", als „den Gipfel der Grausamkeit".

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Heuchelei durchzieht auch die Handlungsweise des modernen Großbritannien feit Ende Juli l. 3. wie ein roter Faden. Obwohl es in dem von sämtlichen Kulturstaaten der Welt mit Ausnahme von England ratifizierten 5. Abkommen der zweiten Friedenskonferenz betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Staaten im Falle eines Landkriegs (Art. 3) ausdrücklich heißt, daß es den Kriegführen­ den gleichermaßen untersagt ist, auf dem Gebiete einer neutralen Macht eine funkentelegraphische Station einzurichten oder sonst irgend­ eine Anlage, die bestimmt ist, einen Verkehr mit den kriegführenden Land- und Seestreitkräften zu vermitteln, und obwohl dieser Satz nichts anderes als die Modernisierung und Kodifizierung des längst bestehenden und anerkannten völkerrechtlichen allgemeinen Reutralitätsrechts ist, schlug es den entrüstetsten Lärm über die angebliche feind­ selige Haltung der Türkei, als diese die englische funkentelegraphische Station von der Botschaft in Kvnstantinopel zu beseitigen verlangte und in richtiger Auslegung ihrer Verpflichtungen als neutraler Staat schließlich selbst beseitigte. England, das ohne weitere Skrupel der Türkei zwei ihr zu Eigentum gehörige Dreadnoughts Anfang August einfach stahl und ihr ein großes fouzeränes Land wie Ägypten raubte, sohin die völker­ rechtlich verwerflichsten Handlungen, die ein Staat gegenüber einem andern begehen kann, leichten Herzens beging, entrüstete sich deshalb, weil dieser selbe Staat ihm zuliebe nicht kurz darauf die Neutralität preisgibt und nicht duldet, daß England von Konstantinopel draht­ los feine Verrätereien nach London weitergibt! Oder sollte die Türkei die so fest von ihr behauptete und nirgends widerlegte Sabotage der englischen, „Marine-Kommission" auch noch belohnen? Auch sonst hat sich England gegenüber der Türkei einer Reihe bemerkenswerter Neutralitätsverletzungen schuldig gemacht. Es hat unbefugt türkischen Torpedobooten ohne jede Kriegserklärung, sohin im Frieden, verboten, in türkischen Gewässern außerhalb der Darda­ nellen zu fahren, sich auch sonst bereits im September geriert, als wenn eine Blockade der türkischen Küste bestände. Es hat tür­ kischen Schissen ohne jede Berechtigung im Friedenszustande befohlen, ihre Einrichtungen zur drahtlosen Telegraphie zu beseitigen usw. Besonders charakteristisch ist folgender Vorgang: Der frühere deutsche kleine Kreuzer, der an die Türkei verkauft wurde, „Breslau", jetzt „Midilli", hatte in Begleitung mehrerer Tor­ pedoboote eine Kreuzfahrt in den türkischen Gewäsiern des Schwarzen Meeres unternommen und war wieder ins Marmarameer zurück­ gekehrt. Der englische Botschafter Mallet hat dies als feindselige

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Demonstration (!) erklärt und die Warnung ausgesprochen, daß die „(Soeben" und „Breslau" auch jetzt noch von England als deutsche Kriegsschiffe betrachtet und beim Verlassen der Dardanellen von der englischen Flotte vernichtet werden würden. Darauf antwortete die Pforte mit der Sperrung der Dardanellen. Über das Ungerechte und Völkerrechtswidrige dieses Vorgehens gegenüber den jetzigen türkischen Schiffen s. unten bei den seekriegs­ rechtlichen Erörterungen Kap. 30. (3m übrigen f. auch Kapitel 8.) Diese festgestellten Schikanen gegen die Türkei, die Drohung der Engländer und Russen, daß sie die zwei rechtmäßig erworbenen, früher deutschen Kriegsschiffe ohne weiteres angreifen und wegnehmen würden, endlich die Legung von Minen-durch russische Kreuzer am Ausgange des Bosporus, um die türkische Schwarzmeerslvtte zu ver­ nichten, führten endlich seitens der Türkei in den ersten November­ tagen 1914 zur Eröffnung der Feindseligkeiten, die der Dreiverband monatelang provoziert hatte (s. auch 4. Kapitel oben). Zu alledem wurde amtlich ous London unter dem 5. November (W.T.B.) mitgeteilt, daß England Zypern annek­ tiert hat. Die Annexion von Zyperns, der großen, dem Suez­ kanal gegenüberliegenden 3nsel, die von England seit 36 3ahren auf Grund eines Vertrages mit der Pforte okkupiert ist, war natürlich im Falle des Kriegsausbruchs ebenso zu erwarten wie die Annexion Ägyptens. Aber diese Gewalttat stellt sich unter einem ganz befonders eigentümlichen Lichte dar, wenn man sich den Vertrag vom 4. 3uni 1878 näher ansieht, auf Grund besten die Pforte der 3nfel durch England zustimmte. Der Vertrag war ein englisch-türkischer Bündnisvertrag gegen Rußland! (Siehe auch von Liszt, Völker­ recht S. 172; Fleischmann S. 174; llllmann, Völkerrecht S. 200 und 297; Strupp a. a. O. S. 481 und die dort zitierte Literatur.) Zypern war das Unterpfand dieses Bündnistes. Der Sultan gestattete Eng­ land die Besetzung und Verwaltung der 3nsel gegen das Versprechen, daß England ihm den Besitz seines asiatischen Gebiets gegen Ruß­ land garantiere. „3n dem Falle," heißt es wörtlich in dem ersten Artikel des Vertrags, „wo Datum, Ardahan, Kars (seither alle russisch!) von Rußland zurückbehalten werden sollten oder irgendwann von Rußland ein Versuch gemacht werden sollte, sich irgendeines *) Siehe über Englands Angebot der Abtretung Zyperns im Lichte des Völker­ rechts von Karl Strupp, Zeitschr. f. Völkerrecht Bd. 9, Heft 4, S. 481 ff.

94 andern Teiles der Gebiete des Sultans in Asien zu bemächtigen, wie sie der endgültige Friedensvertrag sestsetzt, verpflichtet sich Eng­ land, sich mit dem Sultan zur Verteidigung des in Rede stehenden Gebietes durch Waffengewalt zu vereinigen." Der Großwesir Gafwet, der seinen Namen unter dieses Schriftstück setzte, hat gewiß nicht erwartet, daß England eines Tages im Bunde mit Rußland die Türkei bekriegen werde, um sie ihrer asiatischen und anderen Besitzungen zu berauben, und daß an eben dem Tage, wo der Garantievertrag die seltsame Verkehrung ins Gegenteil erfährt, England sich des Unterpfandes Zypern durch einen Gewaltakt be­ mächtigen werde. Der Vertrag war also abgeschloffen, unter der Resolutivbedin­ gung, daß, wenn Rußland angreifen oder überhaupt türkischen Be­ sitz gefährden würde, England beistehen müsse1). 'Statt dessen hat es sich sogar mit dem Feinde der Türkei verbündet. Die Zurück­ weisung des Angebots der Abtretung Zyperns durch den König von Griechenland (1915) war absolut korrekt. England hatte kein Recht, fremdes Gebiet an eine andere Macht abzutreten. Freilich eng­ lischer wie russischer Machtübermut gefällt sich gern im Kleide des Großmütigen auf Kosten anderer! (s. jetzt Italien und Rumänien).

8. Kapitel.

Die ägxptilche Fräse. „Ägypten ist das wichtigste Land der Erde." Napoleon I.

a) Bruch der Neutralität Ägyptens. Ganz besonders war es aber die Behandlung Ägyptens, die die Türkei zwang, der englischen Gewalttätigkeit mit der Tat ent­ gegenzutreten. 1) Dieser althistorische Gegensatz zwischen der russischen und englischen Politik betreffs Konstantinopels und der Dardanellen ist bis heute noch nicht überbrückt. Dieser Verrat an der westeuropäischen Kultur wird wie der ostasiatische Weltschwabenstreich der jetzigen englischen „Staatsmänner" in Bälde als der größte Fehler seiner Diplomatie vom englischen Volke selbst verflucht werden. Er bedeutet eine völlige Lossage von der traditionellen englischen Politik. Pitt erklärte im Parlament, daß er es vorziehen würde, Konstantinopel auf den Meeresgrund zu versenken, als es den Rüsten zu überlasten. Und Palmerfton sprach: „Rußland will Konstantinvpel erobern, um die Welt im Norden von der Ostsee aus, im Süden von Konstantinopel aus zu umklammern. Wenn das gelänge, würde der europäische Kontinent der Sklave Rußlands und England eine Macht dritten Ranges werden."

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Die Stellung Ägyptens zum türkischen Reiche bietet Doktor­ fragen en masse, die ott dieser Stelle natürlich nicht behandelt werden können. Jedenfalls hat England im Jahre 1882 mit Ge­ walt und ohne den Schein eines Rechtstitels dieses Land eigen­ mächtig besetzt. Sein Ziel war, aus Ägypten ein britisches Protektionsland, aus diesem eine englische Kolonie zu machen. Mit seinem Hauptgegner in Ägypten, Frankreich, hat sich Eng­ land nach Abschluß der entente cordiale durch Vertrag vom 8. April 1904 geeinigt. Ägypten und Marokko wurden liebevoll gegenein­ ander abgeteilt, wogegen Frankreich dem Suezvertrag von 1888 un­ bedingt beittot: Jetzt macht England offen aus dem Provisorium der Okkupation ein Definitivum. Schon die Bestimmungen der höchst merkwürdigen Verordnung vom 5. August 1914, die offenbar der sogenannten ägyptischen Regierung vom englischen Gebieter in die Feder diktiert wurden (s. auch den interessanten Aufsatz von Geh. Rat Dr. Triepel in der „Köln. Ztg." vom 22. September 1914), zeigten dies deutlich genug. Der Khedive ist nach wie vor Vasall des Sultans und kann als solcher nur dieselbe auswärtige Politik treiben, wie die Hohe Pforte in Konstantinopel. Der Firman von 1892, der bei der Thron­ besteigung des jetzigen Khedive ertasten wurde, also 10 Jahre nach der englischen Besetzung, verbietet diesem, bei internationalen Ab­ machungen den politischen Traktaten des türkischen Reichs und seiner Souveränität über Ägypten zu nahe zu treten, Teile des ägyptischen Gebiets oder seiner Privilegien an Dritte abzutreten, begrenzt ferner den Friedensstand der ägyptischen Armee und erklärt, daß die ägyp­ tischen Streitkräfte zu Master und zu Lande auch zum Dienste der kaiserlichen Regierung bestimmt seien, folglich in einem Kriege der Türkei entsprechend vermehrt werden können (f. auch Strupp, Aus­ gewählte diplom. Aktenstücke zur oriental. Frage, 1916, S. 216 ff., dort auch das ägyptisch-englische Sudanabkommen, das ohne Zustim­ mung der Türkei rechtsungültig ist fS. 227 ff.], und Meyer, Die völkerrechtliche Stellung Ägyptens fVerlag Kern, Breslaus). Die ägyptische Regierung ist also in einem Kriege der Pforte zur Kriegshilfe für dieselbe verpflichtet. Sie ist zur Neutralität ver­ pflichtet, wenn die Türkei neutral bleibt. Triepel weist a. a. O. nach, daß Ägypten diese Pflichten bis zum tripolitanischen Kriege erfüllt hat, also auch noch lange während der englischen Besetzung. Damals wurde der englische Einfluß so groß, daß Ägypten zum ersten Male versagte (s. a. a. O.).

96 Vollkommen entsprechend ist nun das Verhalten der ägyptischen Regierung seit Ausbruch des gegenwärtigen Krieges. Der Minister­ rat unter dem Vorsitze des Regenten, der den abwesenden Khedive vertritt, hat am 5. August eine „Dezision" erlösten, die, wie Triepel a. a. O. sagt, für alle Zeiten zu den merkwürdigsten Akten­ stücken des internationalen Rechts gehören wird. Die ägyptische Be­ hörde hat eine ihr vom englischen Kommissar zugegangene Vorlage in die Sprache des Landes und ins Französische übersetzt. „So genau, daß der geschraubte und schwülstige englische Urtext in jedem Satze durchschimmert." Die Einleitung stellt fest, daß zwischen England und Deutschland Krieg ausgebrochen sei, daß die Anwesenheit der britischen Truppen die Gefahr eines Angriffs durch die Feinde Sr. Britischen Majestät nahelege, und daß man dagegen Vor­ kehrungen treffen muffe. Und nun kommt eine Reihe von Be­ stimmungen in der Form, wie sie in England selbst und wahrschein­ lich gleichzeitig in jeder britischen Kolonie in dem gleichen Wortlaute erlasten worden sind. Jedem Einwohner des Landes und jedem, der sich dort vorübergehend aufhält, wird der Abschluß von Verträgen mit der feindlichen Regierung, die Beteiligung an einer Anleihe des Feindes, das Eingehen von Versicherungsverträgen mit Bewohnern des Feindeslandes, die Leistung von Zahlungen auf Grund solcher Verträge für Kriegsverluste, der Abschluß aller Handels- oder sonstigen Geschäfte mit Personen in Feindesland, der Schiffsverkehr mit diesem verboten. Untersagt ist die Ausfuhr von Waren nach einem deutschen Bestimmungsorte, die Einfuhr deutscher Waren in Ägypten usw. Kurz, ein Handelsverbot in der denkbar schärfsten Form, ein Verbot, das jeden trifft, der in Ägypten sich aufhält, also nicht etwa nur Ägypter und Engländer, sondern auch die zahlreichen Kaufleute neu­ traler Staaten. Jedes neutrale Handelsschiff, das nach englischer Ausfastung Kriegskonterbande ist oder führt, darf in jedem ägyptischen Hafen zurückgehalten, jedes neutrale Schiff, das Konterbande in ägyptischen Häfen an Bord nimmt, beschlagnahmt werden. Und vor allem: die britischen Streitkräfte zu Master und zu Lande haben die Befugnis, jedes Kriegsrecht in ägyptischen Häfen und Gebietsteilen, also auch in ägyptischen Küstengewästern, auszuüben; die dort von ihnen gekaperten Schiffe und Waren werden von britischen Prisen­ gerichten abgeurteilt. Also mit andern Worten: hier wurde Ägypten vollständig als englische Provinz behandelt! Englische Rechtsgepflvgenheiten aus früheren Jahrhunderten wurden hier mit einem Federstrich auf fremdem, neutralem, rechtlich trotz alledem „türkischem Boden" will-

97 kürlich und gewaltsam eingeführt. Brutaler hat man kaum noch die Freiheit eines Landes vergewaltigt, das jetzt einfach dem britischen Weltreiche einverleibt werden sollte, obwohl es ein vasallitischer, tributpflichtiger türkischer Staat ist mit weitgehenden Rechten in bezug auf Gesetzgebung, auf die Abschließung völkerrechtlicher Verträge, Fremdenrecht, innere Verwaltung laut dem Londoner Vertrage vom 15. Juli 1840. Unter völliger Ignorierung aller völkerrechtlichen Bestimmungen (Art. 1, 2 ff., 9 des 5. Abkommens vom 18. Oktober 1897) hat Eng­ land Ägypten mehr und mehr als fein eigenes Land behandelt. Es hat auf dem laut Art. 1 1. c. als unverletzlich geltenden, bis dahin neutralen Staatsgebiete, das einem andern Souverän unterstand, alle Rechte dieses Souveräns widerrechtlich okkupiert, dem Khedive Abbas Pascha wurde die Rückkehr nach Ägypten untersagt, ihm Vorschriften über seinen Aufenthalt gegeben, Anleihen ohne Zustimmung des Khedive erhoben, ein Betrag von 15 000 Pfund, der in ägyptischen Staatsschuldenkasten lag, von den Engländern weggenommen, die Gehälter der Beamten wurden herabgesetzt und Tausende von Be­ amten entlasten. Wichtige Dokumente wurden aus dem Palaste des Khedive einfach weggenommen, die Konake der ägyptischen Prinzen durchsucht und Eingriffe in ihre persönliche Freiheit unternommen. Der größte Teil der ägyptischen Offiziere und Truppen wurde nach dem Sudan gebracht und Ägypten mit englischen Kvlonialtruppen besetzt. Viele eingeborene Offiziere wurden gefangen gesetzt, die deutschen und österreichischen Staatsangehörigen interniert oder ausgewiesen usw. (s. alles Nähere „Die Welt des Islams", Zeitschr. Bd.3, H. 1,6.60 ff.). Es gehört die englische Skrupellosigkeit und politische Heuchelei dazu, um auch in diesem Zusammenhange von der „Freiheit und den Rechten Ägyptens", die England verteidige, zu sprechen (s. Rifats Broschüre „Belastende Dokumente für englische Heuchelei"; Verlag Karl Curtius, Berlin, und des Verfasters neues Werk über die Ent­ stehung des Weltkrieges, „Weltkrieg und Diplomatie", Georg Reimer 1917, Kap. 1, sowie das Kapitel über das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg). Am 19. Dezember 1914 erklärte England die Annexion Ägyptens, Abbas II. Hilmi wurde des Landes verwiesen und Prinz Hustein, ein Onkel des Khediven, zum Scheinsultan erklärt. Dies alles trotz der Beteuerungen Lord Dufferins vom 25. Juli 1882, Gladstones im August 1882 und 1883, Sir Eldane Gvrsts vom 24. Oktober 1908. Alle „diese heiligsten Gelöbniste" — echt englische Vertragstreue! — find heute nur Schall und Rauch!

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Nur eine Konsequenz dieser völkerrechtswidrigen Usurpierung des Landes war das Vorgehen gegen fremde diplomatische Vertreter durch England bei und nach Ausbruch des Krieges. Eine halbamtliche Mitteilung berichtete darüber Mitte Septem­ ber 1914: An Syrakus ist am Mittwoch, den 16. September, auf dem Dampfer „Ca­ tania" das gesamte seither in Ägypten fungierende deutsche und österreichische Kon­ sularkorps eingetroffen, um teils über Neapel, teils über Genua die Heimreise fortzusetzen. Der deutsche Geschäftsträger v. Pannwitz und der österreichische Ge­ sandte Graf SzLchLnyi haben einem Berichterstatter in Syrakus folgende Einzel­ heiten mitgeteilt: „Die Regierung des Khedive hat sofort beim Kriegsausbruch ihre Neutrali­ tät erklärt und die sofortige Räumung Ägyptens durch die englischen Okkupationstruppen verlangt. Doch hat der ägyptische Ministerrat trotzdem kurz darauf den Kriegszustand gegenüber Deutschland und Ssterreich-Ungarn erklärt. Nach der Beschlagnahme vieler deutscher, in ägyptischen Häfen liegender Schiffe wurden viele Deutsche als Spione verhaftet und ihre Wohnungen durchsucht. Die Gesandten haben natürlich sofort gegen den englischen Gewaltakt protestiert, weil Ägypten der Oberhoheit der Pforte untersteht. Weil ihnen aber die Benutzung jeder Post- und Telegraphenverbindung untersagt war und daher ihre Proteste unnütz waren, mutzten sie sich unter amerikanischen Schutz begeben. Als sie General Byng am 2. September aufforderte, bis spätestens 10. September Ägypten zu verlassen, ver­ weigerten sie die Annahme des Briefes des Generals unter dem Hinweis, datz sie die englische Okkupationsarmee nichts anginge und sie bei der Pforte allein be­ glaubigt seien. Sie beschwerten sich beim ägyptischen Minister des Äutzern, der erwiderte, die ägyptische Regierung ignoriere die Ausweisungsbefehle."

Der Bericht des Grafen SzLchenyi beweist, daß sich auch hier England eines doppelten Völkerrechtsbruches schuldig gemacht hat, auf der einen Seite gegenüber der Türkei, auf der andern gegenüber Deutschland und Österreich-Ungarn. Einer wiegt so schwer wie der andere. Auch sonst benahm sich England (f. d. nächsten Abschnitt), als wenn Ägypten erobertes englisches Territorium wäre. Nicht bloß keine Rede von Rückgabe des freien Ägyptens, sondern Säbel­ regiment im fremden Lande; völlige Niederdrückung des einheimischen Volks, Versetzung der einheimischen Offiziere, Erteilung von 100 Stockhieben an ägyptische Studenten der Universität Kairo, die Deutschland ihre Sympathie ausdrückten, und ähnliche Heldentaten. Immer wieder erkennt man, daß keine Macht sündlicher mit der Freiheit der Völker und mit Verträgen umgeht als Großbritannien, dem Verträge nur heilig sind, wenn sie ihm das Sprungbrett zur Er­ weiterung der britischen Machtsphäre bilden können. Es war nur die Konsequenz aus dieser ganzen völkerrechts­ widrigen Behandlung des Landes, daß zu Beginn des Krieges mit der Türkei (am 3. November) die Engländer Ägypten auch der Form

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nach annektierten. Sie ernannten den Onkel des Khediven, den Prinzen Hussein Kiamil Pascha, zum Khediven und englischen General­ gouverneur, seinen Sohn, den Prinzen Kemal Eddin Pascha, zum Oberkommandierenden und Kriegsminister der neuen okkupierten eng­ lischen Kronkolonie. Der britische General Maxwell übernahm „die militärische Kontrolle" des Landes. Es wurde gleichzeitig das Kriegs­ recht erklärt. An dem staatsrechtlichen Charakter und der Völkerrechtlichen Beurteilung der Usurpation des Landes wird durch diese neuen völkerrechtswidrigen Handlungen selbstverständlich gar nichts geändert; im Gegenteil: England krönt durch diese Handlungen sein unerhörtes Beginnen. Abbas II., der bisherige Khedive, hat als richtige Antwort auf diese englische Anmaßung seinerseits das Land als im Kriegs­ zustand mit England erklärt. Es tritt also die völkerrechtlich hübsche, fast singuläre Situation ein, daß Ägypten gewissermaßen mit sich selbst Krieg führt, da es von zwei kriegführenden Staaten in den Kriegszustand versetzt wurde. Wo der rechtmäßige Herr des Landes, der allein über Krieg und Frieden zu entscheiden hat, sitzt, geht aus obigem von selbst hervor. Es war die höchste Zeit, daß der türkische Oberherr durch die Kriegserklärung an England dem staatsrechtlich und völkerrechtlich unhaltbaren Zustande in Ägypten ein Ende machte. Hoffentlich siegt auch hier dasRecht! Wie notwendig der Erfolg des Rechts über die Macht auch im internationalen und neutralen Interesse ist und wie sehr die Türkei als negotiorum gestor der ganzen neutralen Welt in Ägypten handelt, ergibt sich aus einer kurzen Behandlung der wichtigen Frage des Suezkanals. Im Oktober 1914 bereits hat die unter dem Drucke der eng­ lischen Okkupationsmacht stehende ägyptische Regierung die deutschen und österreichisch-ungarischen Mitglieder der internationalen Staatsfchuldenkommission sowie der internationalen Gerichtshöfe in Ägypten an der weiteren Ausübung ihrer Ämter gewaltsam verhindert. Zwei der fünf Herren des Gerichtshofes bekleideten überdies feit langem und bis zuletzt die durch die Wahl ihrer Kollegen ihnen übertragenen Vertrauensposten des Präsidenten des Appellhofes zu Alexandrien, der höchsten auch mit legislativen Kompetenzen ausgestatteten inter­ nationalen Instanz des Landes, und des Präsidenten des Tribunals erster Instanz zu Kairo. Es sind dies Deutsche. Alle erwähnten Herren befanden sich zur Zeit des Kriegs in Urlaub. Ein Herr wollte unter allen Umständen seinen Dienst im Oktober 1914 antreten.

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Es wurde ihm verboten — unter der Androhung von Gewalt (Ver­ haftung), ägyptischen Boden zu betreten. Auch hierin liegt ein klarer völkerrechtlicher Bruch sämtlicher internationaler Abmachungen über die Staatsschuldenverwaltung und die internationalen Gerichtshöfe in Ägypten (f. das Nähere bei v. Liszt a. a. £>.). Die englische Regierung hatte kein Recht, einseitig in die internationalen Pflichten und Rechte der betreffenden Rechtsbeamten, die zufällig Deutsche sind, einzugreifen — auch im Kriege nicht, der an diesen Rechten nichts änderte'). b) Verletzung der Neutralität des Suezkanals insbesondere'). Aus Hamburger Schiffahrtskreisen wurde unterm 26. August mitgeteilt, daß der am Eingang des Suezkanals gelegene ägyptische Hafen Port Said sofort nach der ägyptischen Kriegserklärung von englischen Truppen besetzt wurde. Diese machten sich dann gleich daran, die in Port Said liegenden deutschen Dampfer durch Heraus­ nehmen von Maschinenteilen fahrtunfähig zu machen. Besonders der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Derfslinger" wurde von diesem Schicksal betroffen. Hierzu bemerkt die „Nordd. Allg. Ztg.": „Wundern tut uns dieses Verfahren natürlich nicht. Es ist echt englisch. Immerhin verdient es die Beachtung der ganzen Welt, daß Großbritannien die feierlich geschloffenen und unzähligemal bekräftigten inter­ nationalen Suezkanalverträge kaltlächelnd in den Papierkorb steckt, sobald sie ihm unbequem

werden." Wir fügen dem hinzu, daß gleichzeitig das dem deutschen Kohlen­ depot in Hamburg gehörige Kohlenlager gesperrt wurde, damit deutsche Schiffe keine Kohle mehr einnehmen können: Kriegsakte, wie sie feind­ seliger nicht gedacht werden können! Noch krasser, wenn auch fteilich erst lange nach der Kriegs­ erklärung, ist das Vorgehen gegen die beiden Hapagdampfer „Istria" und „Südmark". Von dem Rechtsvertreter der Hapag erfuhr ich darüber, Alexandrien, 22. Oktober 1914, u. a. folgendes: „Ich habe inzwischen erfahren, daß die in Port Said und Suez ') aber „Gemischte Gerichtshöfe in Ägypten" f. v. Liszt, Völkerrecht, 9. Ausl. S. 132, 149, 151, auch Fleischmann, „Völkerrechtsquellen" in Auswahl 1905 S. 138; ferner R.-G.-BI. 1874 S. 23 und 1875 S. 381; Strupp (IM. zur Geschichte des Völkerrechts, 2 Bände 1911 (mit Nachtrag 1912), Bb. I S. 385 Note 1. s) S. bas Suezkanalabkommen vom 29. 10. 1888 bei Strupp, Diplom. Akten­ stücke zur orient. Frage 1916, S. 210 ss.

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gelegenen Dampfer auf folgende originelle Art „regelrecht" gekapert worden sind. Am 13. d. sind an Bord aller deutschen untr öster­ reichischen Dampfer in Port Said und Suez Abteilungen ägyp­ tischer Polizei unter dem Kommando eines Offiziers erschienen, der den Kapitänen erklärte, daß niemand die Schiffe verlasien dürfte und daß die Schiffe den Hafen zu verlasien haben. Die Kapitäne haben sich selbstredend geweigert, worauf die ägyptischen Hafen­ behörden durch dazu herbeigeschafftes Personal die Maschinen instand fetzen, neue Mannschaft an Bord bringen ließen, die Dampfer mit Kohlen und Proviant für 7 Tage versorgten, und so sind die Schiffe am 15. bzw. am 16. d. unter deutscher Flagge ausgelaufen. Einige Meilen von Port Said entfernt wartete der englische Kreuzer „Warrior", und es ist selbstverständlich, daß der Kapitän, als er die Menge feindlicher Schiffe entdeckte, sich beeilt hat, sie „regelrecht zu kapern" und nach Alexandrien zu bringen. Alle For­ malitäten sind mit der peinlichsten Genauigkeit von dem Kapitän des Kreuzers „Warrior" vorgenommen worden, der bei Ankunft ln Alexandrien die Dampfer dem Marshal des Prisengerichts übergab. 8n berechtigtem Ingrimm über dieses völkerrechtliche Posienfpiel fügt der Rechtsvertreter der Hapag hinzu: „Der oben angeführte Tat­ bestand würde wohl zum Kinderspiel genügen, meinetwegen auch zu einem Lustspiel frei nach Nestrvy, zur Begründung von Rechten jedoch ist diese lachhafte Inszenierung durchaus ungenügend." Es geht nichts über englische „Korrektheit", die Mücken seiht und Kamele verschluckt! Hier handelt es sich um die Verletzung des Vertrages vom 29. Oktober 1888 für den im Jahre 1869 eröffneten Suezkanal (f. die Literatur in v. Liszts Völkerrecht S. 209 ff.). Der Vertrag wurde auf Grund der Verhandlungen der Konferenz zu Paris 1885 von den sämtlichen Großmächten, der Türkei, Spanien und den Niederlanden abgeschlosien. Darnach soll der maritime Suezkanal (ursprünglich eine private Aktienunternehmung) stets, im Kriege wie im Frieden, jedem Handels- und jedem Kriegsschiffe ohne Unterschied der Flagge offen- und freistehen. Die Mächte verpflichten sich dar­ nach, die freie Benutzung des Kanals auch im Kriege nicht zu be­ einträchtigen. Es darf also weder das Blockaderecht ausgeübt noch sonst eine feindselige Handlung gegen ein dort liegendes Schiff begangen werden (f. Art. 1 und 3, 4 des Vertrags; f. auch Liszt 1. c. K. 210; llllmann, Völkerrecht S. 342 ff., und Dedreux, „Der Suezkanal", Verlag Mohr, Tübingen). In Kriegszeiten dürfen die Kriegführenden in dem Kanal und seinen

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Eingangshäfen weder Truppen noch Munition noch sonstiges Kriegs­ material ausschiffen. Kriegführende dürfen in die Häfen von Suez und Port Said überhaupt keine Schiffe senden (Art. 7). Aber nicht bloß das vorgeschilderte Vorgehen gegen deutsche Schiffe, sondern das ganze jetzige Vorgehen der englischen Truppen bedeutet, wie die „Nordd. Allg. Ztg." mit Recht sagt, einen „echt englischen Vertragsbruch"! England sieht trotz der klaren Bestimmungen der Art. 4 und 5 des Vertrags vom 29. Oktober 1888 den Suezkanal mit all seinen Einrichtungen jetzt einfach als eng­ lisches Dominium an, indem es ihn stark befestigte und als Basis seiner kriegerischen Operaüon nimmt. Allerdings hat, wie Triepel a. a. O. feststellt, England den Ver­ trag zunächst nur mit dem höchst dehnbaren Vorbehalt unterzeichnet gehabt, es könne den Vertrag nur insoweit annehmen, als er mit dem „vorübergehenden Ausnahmezustand Ägyp­ tens" (!) verträglich sei und die englische Aktionsfreiheit während der Okkupation Ägyptens durch britische Truppen nicht hindere. 3ndessen im Vertrage mit Frankreich vom 8. April 1904 hat England seinen Beitritt zur Suezkanal-Konventivn in allen wesentlichen Punkten förmlich erklärt, hat also jenen Vorbehalt fallen lasten, unb diese Erklärung gilt nicht nur Frankreich gegenüber. So nimmt denn auch die ägyptische Kriegsverordnung auf den Suezkanal ausdrücklich Bezug. Schiffe jeder Nationalität und Ladung sollen das Recht haben, die Zugangshäfen anzulaufen und zu verlosten und den Kanal zu durch­ fahren, ohne Beschlagnahme oder Zurückhaltung befürchten zu mästen, vorausgesetzt, daß sich die Fahrt in gewöhnlicher Weise und ohne ungerechtfertigten Aufenthalt vollzieht. Alle Schiffe dürfen Bunkerkohle und andern Schiffsbedarf, soweit es für ihre Reife notwendig ist, aufnehmen usw. Schließlich heißt es: Der Art. 13 (der den britischen Streitkräften Vornahme von Kriegshandlungen in ägyp­ tischem Gebiete erlaubt) sei in Gemäßheit der Suezkanal-Konvention auszulegen. Wenn das einen Sinn haben soll, so kann es, wie Triepel a. a. O. mit Recht feststellt, nur bedeuten: es darf im Kanal und seinen Einfahrtshäfen sowie im Umkreise von drei Seemeilen vor diesen Häfen überhaupt kein Akt der Feindseligkeit ausgeübt werden, da eben dies in der Konvention ausdrücklich verboten ist. Nicht einmal die „Times" werden leugnen können, daß die Handlungen, die das „vertragsheilige" England hier gegenüber den deutschen Dampfern begangen hat, feindselig sind; England hat durch die gegen feindliche Schiffe gewohnheitsmäßig angewendete Heraus­ nahme von Maschinenteilen und durch die Sperrung der Kohlen-

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depots die wichtigsten Bestimmungen der Suezakte tatsächlich ge­ brochen und muh alle Konsequenzen aus dieser Haltung ziehen lasten. Freilich ist die Internationale Kommission, welche die Ausführung des Suezkanalvertrags vom 29. Oktober 1888 zu überwachen hatte, durch Art. 6 des II. englisch-französischen Abkommens vom 8. April 1904 beseitigt worden, so daß England dort an Stelle des Rechts die Macht und Gewalt zu setzen vermochte. (Siehe im übrigen v. Liszt, Völker­ recht, 6. Ausl. 1910, S. 209 ff.). Aber an dem hier in Betracht kommenden Rechte der Staaten auf Schutz ihrer Schiffe im Suez­ kanal und den Eingangshäfen ist durch den Fortfall der Internatio­ nalen Kommission nichts geändert worden. (Anders Strupp, Diplom. Urkunden a. a. O.) England hat jetzt nicht bloß Ägypten, wo es wie ein souveräner Herr trotz des Protestes des Khediven die Mobilisierung anordnet, die ägyptischen Offiziere und Truppen beseitigt usw., als Dominium behandelt, sondern auch den neutralen Kanal von Suez als Basis seiner ganzen kriegerischen Unternehmungen benutzt und sämtliche Bestimmungen des Suezkanalvertrags einfach in den Papierkorb geworfen. Die britische Regierung hat alle von der sogenannten „ägyp­ tischen Regierung" getroffenen Maßregeln ausdrücklich gebilligt, ins­ besondere auch, daß sie „feindlichen Schiffen, welche sich lange genug in den Häfen des Kanals aushielten und zeigten, daß sie nicht ab­ reisen wollten, um zu vermeiden, als Prise genommen zu werden", den Befehl erteilte, den Suezkanal sofort zu verlosten, mit der Be­ gründung, der Kanal sei nicht zu diesem Zwecke erbaut. Es ging so weit, daß sie die deutsche Post auf einem italienischen Schiffe, die für Ostasien bestimmt war, beschlagnahmte und im Hafen von Suez verbrannte, um die Wahrheit über den Kriegszustand zu unter­ drücken. Dieses ganze Vorgehen verletzt alle Normen der Suezakte von 1888 und vernichtet die Neutralität und Internationalität des Kanals. Und dabei behauptet König Georg von England in einer Proklamation vom 10. September: „Großbritannien und mein ganzes Reich betrachten die absolute Respektierung des einmal gegebenen Wortes in Verträgen als ein gemeinsames Erbteils!" A) Treffend hat der Reichskanzler in sarkastischen Worten gesagt, daß das­ selbe England, welches durch brutale Gewalt und rücksichtslosen Egoismus sein ungeheures Kolonialreich errafft habe, die Freiheit der Welt gegen uns Deutsche zu schützen sich anstelle. „3m Namen der Freiheit hat Grotzbritannien die Selbständigkeit der Buren st aalen um die Jahr­ hundertwende erwürgt: im Namen der Freiheit wurde von

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Selbstverständlich ist damit der ganze internationale Suezkanal-Ver­ trag in allen seinen Teilen sür a l l e Mächte zerrissen. Keine Macht braucht sich nach diesem Vertragsbrüche Englands um die nicht mehr bestehende Neutralitätserklärung des Suezkanals zu kümmern. Wir hoffen, daß dieses Vorgchen dem englischen Reiche an seiner verwundbarsten Stelle noch recht teuer zu stehen kommt. Jeden­ falls ist dieser Frevel gegen die Suezakte geradezu ein Schulbeispiel für den Wert von internationalen Verträgen mit England, das für Deutschland beim Friedensschluß unter keinen Umständen vergessen werden darf. Sache der weiteren Kriegführung und der zukünftigen Entscheidung muß es für Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei sein, für welch letztere die Bedingungen des Vertrags von 1888 überhaupt nicht gelten, wenn sie für die Verteidigung ihrer Besitzungen am Roten Meere einzutreten hat, des Urteils des großen Bonaparte von der Wende des 19. Jahrhunderts über die Wichtig­ keit des Landes zu gedenken, das für die englische Weltmacht auch heute noch gilt. England weiß genau, daß die heikelste Stelle seines Weltreiches in Ägypten liegtr Damit ist die Haltung aller Staaten, die der englischen Weltmacht ein Ende machen wollen und müssen, wenn anders der Weltfriede dauernd gesichert und Europa vor den Intrigen dieses gefährlichsten Friedensstörers gewahrt werden soll, von selbst gegeben. Macht Ägypten frei von englischer Zwangsherrfchaft und ihr habt den Schlüssel zum indischen Reiche! Eine der vielen Errungenschaften dieses Krieges muß die unbedingte Sicherung der Neutrali­ tät des Suezkanals fein. Da England im Völkerrechte nur eine unbequeme Handschelle sieht, die man sofort ab st reifen müsse, kann man internationales wirksames Recht nur gegen England und nur nach Niederwerfung Englands schaffen')! ihm Ägypten hinterhältig unter schnödestem Wvrtbruch in Ketten gelegt. Und im gleichen Namen raubt England den noch halbwegs selbständigen Malayenstaaten Hinterinbiens einem nachdemandern bas Recht auf Existenz um ihrer selbst w i l l e n; wie endlich auch der Freiheit der Welt zuliebe die Engländer die deutschen Kabel durchschnitten haben und so die Wahrheit über den Krieg dem größten Teile des Erdrunds unterschlagen." Er hätte auch von Irland, von Persien usw. sprechen können. *) Mein verehrter Freund v. Liszt hat mich an dieser Stelle, deren Richtigkeit er anerkennt, zu einer Äußerung über den„mitteleuropäischenStaatenverband" veranlaßt. Sie wird von mir an anderer Stelle gegeben werden. Nur

los

9. Kapitel.

Ver Nruch der chinekilchen Meutralitat durch Japans und Englands Angritt aut Aiautkchou. Der japanische Geschäftsträger in Berlin hat am 19. August 1914 im Auftrage seiner Regierung dem Auswärtigen Amte eine Note übermittelt, worin unter Berufung auf das englisch-japanische Bündnis die sofortige Zurückziehung der deutschen Kriegsschiffe aus den japanischen und chinesischen Gewässern oder die Abrüstung dieser Schiffe, ferner bis zum 15. September die bedingungslose Übergabe des gesamten Pachtgebietes Kiautschou an die japanischen Behörden und die unbedingte Annahme dieser Forderungen bis zum 23. August verlangt wird. Deutschland gab auf diese völkerrechtlich einzig dastehende Keck­ heit die richtige — nämlich keine Antwort, worauf Japan und Eng­ land die kriegerischen Operationen gegen das deutsche Pachtgebiet alsbald begannen. Zu dieser „Politik des Aasgeiers" (denn Japan sah das kleine Kiautschou von Anfang an als verlorene Beute an)1) hatte dies aus dem englisch-japanischen Bündnisie keinerlei Grund: im Gegenteil; die ganze Schmählichkeit des japanischen Verhaltens — der Schlange, die wir an unserem Busen so lange und unter Aufbietung einer unglaublichen Dosis von Leichtsinn genährt — geht aus dem Wort­ laute des Vertrags hervor. In der Einleitung des englisch­ kurz bas: Ich bin ein begeisterter Anhänger der Idee eines solchen Bundes vom Nordkap bis Tripolis, von Vlisstngen bis Kleinasien — aber ich bin Pessimist, ob wir den grandiosen Staatsmann besitzen, der neben dem Martyrium des Riesenfriedensschlufles auch noch dieses gigantische Werk schafft. Wer jenen Bund schließt, wird als einer der Größten in der europäischen Geschichte für alle Zeiten gepriesen sein! Aber zum Bündnisschließen gehören immer wenig­ stens zwei! Im Übrigen scheint mir das Hineinwerfen eines Schlagwortes, das falsche Hoffnungen erweckt und den Gegner zum vermehrten Widerstand in wirt­ schaftlicher Richtung zusammenschweißt, gerade jetzt nicht ungefährlich. *) Die japanische Zeitung „Pomiuri" u. a. bezeichneten es als „mit den Ge­ boten des alten japanischen Ehrenkodex unvereinbar, daß Japan an das in Kriegs­ not befindliche Deutschland solche Forderungen stelle, es widerspreche den Ehrbegriffen der japanischen Ritterschaft und sei doppelt unwürdig, da es sich um den eigenen Lehrer handle, dem man nach konfuzianischem Gesetz Ehrfurcht und Dankbarkeit schulde". Rur ein „Finanzbündnis" konnte die schweren Bedenken eines Teils der japanischen Minister gegen das bereits am 7. August ^gestellte Verlangen Englands überwinden.

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japanischen Bündnisvertrags") wird als Ziel des Bündnisses das folgende angegeben: „1. Die Konsolidierung und Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens in den Gegenden Ostasiens und Indiens. 2. Die Wahrung der gemeinsamen Inter­ essen aller Mächte in China durch Sicherung der Unabhängigkeit und der Integrität des chinesischen Reiches und des Prinzips der gleichen Zugänglichkeit zu Handel und In­ dustrie für alle Nationen in China (!). 3. Die Aufrechterhaltung der territorialen Rechte der hohen kontrahierenden Parteien in den Gegenden von Ostasien und Indien und die Verteidigung ihrer speziellen Interesien in den besagten Regionen. Die wichtigsten Artikel des Bündnisvertrages besagen im einzelnen: Art. 1. Man kommt überein, daß, wann immer nach der Meinung Japans oder Großbritanniens eins der früher erwähnten Rechte und Interesten im Spiele stehe, die beiden Regierungen voll und frei einander Mitteilungen machen und gemeinsam die Maß­ regeln beraten werden, die zur Wahrung ihrer bedrohten Rechte oder Interesten zu unternehmen sind. Art. 2. Wenn auf Grund eines nicht provo­ zierten Angriffs oder einer nicht aggressiven Aktion, wo immer sie auftaucht, seitens irgend­ einer Macht einer der hohen Kontrahenten in einen Krieg verwickelt wird, welcher der Ver­ teidigung seiner territorialen Rechte oder seiner oben erwähnten speziellen Interessen dient, so muß der andere hohe Kontrahent sofort seinem Alliierten zu Hilfe kommen, den Krieg gemeinsam mit ihm führen und im gegenseitigen Einvernehmen mit ihm Frieden

schließen." Also der Bündnisfall war nur gegeben für den Fall der Ge*) Einer der genauesten Kenner Indiens und einer der berühmtesten engli­ schen Juristen Henry Lanner Milne sagte im Hinblick auf die Gefahren der Japanpolitik Englands für Indien: „Jede europäische Macht, die mit gelben Völkern ein Bündnis gegen *eine europäische Macht eingeht, treibt Verrat gegen das ganze Menschengeschlecht."

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fährdung der territorialen Rechte, hier Englands infolge einer aggressiven Aktion Deutschlands oder im Fall der Ge­ fährdung der Unabhängigkeit und Integrität des chinesischen Reiches und des Prinzips der offenen Tür in China. All dies ist natürlich in diesem Falle, in dem England aggressiv Deutsch­ land den Krieg erklärte, nicht gegeben. Deutschland hat von An­ fang an keinen Zweifel darüber gelaffen, — und Japan konnte davon in feierlichster Weise in kurzer Zeit unterrichtet werden, wenn es eine solche Mitteilung gewünscht hätte, — daß Deutschland keinerlei aggressive Absicht hatte, weder gegen China noch gegen Eng­ land, am letzten natürlich gegen Japan selbst. Ls wurde dem japa­ nischen Geschäftsträger sofort erklärt, daß im Fall japanischer Neu­ tralität das deutsche Geschwader in Ostasien sich feindseliger Hand­ lungen in den dortigen Gewässern enthalten werde. Das Merk­ würdigste war aber die Unterschiebung, daß Deutschland die Un­ abhängigkeit und Integrität des chinesischen Reiches und des Prinzips der offenen Tür und damit die Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens Ostasiens und der territorialen Rechte in Ostasien bedrohe: Japan und England gleichen sich in ihrer Politik und in ihrer Ge­ schicklichkeit auf ein Haar, die größten Gemeinheiten in eine ethisch unanfechtbare, ja edle Handlung umzufrisieren! Man überlege und wäge die beiderseitigen Krästeverhältniffe in Ostasien, um das — sagen wir ruhig — Schamlose dieses ganzen völkerrechtlichen Spiels seitens Japans richtig zu ermeffen, das ge­ radezu wie eine Verhöhnung Deutschlands und der ganzen Welt klingt. Und Deutschland hat nie daran gedacht — und hätte dies jederzeit erklärt —, die territorialen Rechte der Kontrahenten in den Gegenden von Ostasien oder Indien zu mißachten'). Aber England hat Deutschland, wie es offiziös erklärte, „auch in kolonialer Be­ ziehung tödlich" treffen wollen. Das ist allein die Wahrheit, nicht *) Mil vollem Rechte hebt jetzt in einem flammenden Aufrufe ein hervor­ ragender chinesischer Journalist, Dr. Carson Chany, hervor, datz die jetzige "Politik Japans mit ihren 20 Forderungen an China ein in der Weltgeschichte unerhörter Akt der Vergewaltigung gegen ein mit Japan in vollem Frieden lebendes Land fei. Cr hat recht, wenn er sagt: „Obgleich die japanischen Forderungen sich zunächst gegen China richten, ist ihr Inhalt doch derart, daß durch ihre Verwirklichung alle anderen Staaten in Mitleidenschaft gezogen werden. Bisher waren für deren Politik in Ostasien die Prinzipien Integrität und Unabhängigkeit Chinas und das der offenen Tür. Dies war ausdrücklich festgelegt in der Übereinkunft zwischen Japan und Frankreich vom Juli 1907, in den Roten zwischen den Vereinigten Staaten und Japan vom November 1908 und in dem revidierten Bündnisvertrag zwischen England und Japan vom Juli 1911."



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der erfundene Grund, daß Deutschland die Handelsbeziehungen in Ostasien zu bedrohen imstande sei. Von Notwehr oder Notstand Japans, von Zwang zum Neu­ tralitätsbruche keine Spur! Die reine Eroberungspolitik des Korsaren! Kiautschou wurde wie Wei-hai-wei an England und Port Arthur an Rußland im Jahre 1898 seitens China an Deutschland verpachtet. Eine Anzahl von Konsequenzen, welche in dem Wesen des Pachtvertrags enthalten sind, mästen auch für die Be­ urteilung des staats- und völkerrechtlichen Verhältnisses der be­ teiligten Mächte bezüglich dieses Territoriums zueinander berück­ sichtigt werden. Der von Deutschland verfolgte kolonisato­ rische Zweck und die konkurrierenden Machtintereflen der be­ teiligten Mächte dürfen dabei nicht aus dem Auge gelassen werden. Jedenfalls ist Kiautschou (s. auch llllmann, Völkerrecht 298; Nehm, Staatslehre 82; Iellinek, „D. I.-Ztg." 1898, S. 253 und 305) nicht in deutschen Eigenbesitz übergegangen. Nach Art. 2 des Vertrags vom 6. März 1898 überläßt China jene Gebietsteile an Deutschland „nur pachtweise, vorläufig auf 99 Jahre", und nach Art. 3 „übt die chinesische Regierung während der Pacht­ dauer im verpachteten Gebiete nur die Hoheitsrechte nicht selbst aus, sondern überläßt sie an Deutschland". Die Eingeborenen sind nicht deutsche Untertanen geworden. Sollte Deutschland einmal den Wunsch äußern, die Bucht von Kiautschou vor Ablauf der Pachtzeit an China zurückzugeben, so verpflichtet sich China, Deutschland einen bester geeigneten Platz zu gewähren (Art. 5). Es ist kein Abhängig­ keitsverhältnis Chinas gegenüber dem Deutschen Reiche geschossen, da China nur die Ausübung der deutschen Gewalt auf chine­ sischem Boden durch Einräumung einer allgemeinen Vertretungs­ befugnis gestattete. Mit Recht hebt Dr. Hatschek in einem Auf­ sätze („D. I.-Ztg." 1915, S. 366ff.) hervor, daß die englische Form der Pacht (lease) analog dem Pachtvertrags zwischen Eng­ land und China über Wei-hai-wei hier vorliege. Diese Form wurde zur Schonung der chinesischen Empfindlichkeit gewählt. Der Pächter hat darnach ein mitgeschütztes Pachtrecht, so daß er jede Störung in dem Pachtbesitze gegen den Verpächter wie gegen den Dritten durch eine Klage verteidigen kann. Seit Heinrich VIII. findet diese Klage auch dann Anwendung, wenn der Verpächter ohne oder gegen den Willen des Pächters vor Ablauf der Pachtzeit die Pacht an einen Dritten weiter überträgt. Dieser Fall ist für Deutschland gegen China auf Grund des Art. 5 gegeben. Nur Deutschland ist berechtigt, vor der Zeit von 99 Jahren von dem Pachtverträge zu-

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rückzutreten, nicht aber China. Dieses begeht mit der jetzigen Über­ tragung von Kiautschou einen Vertragsbruch. China mutz erst die Friedensverhandlungen zwischen Deutschland und Japan abwarten, ehe es Kiautschou an Japan übertragen sann. China darf erst nach Friedensschluß seine Zustimmung zu dem Assignement geben, wenn Deutschland an Japan wirklich die Kiautschoupacht abtritt. Hatsche! verweist auf ein sehr interestantes Präzedenz im Friedensvertrage von Portsmouth, wo in Art. 5 genau so und korrekt bei der Über­ tragung von Port Arthur an Japan vorgegangen wurde. Also: der Pachtvertrag zwischen Deutschland und China besteht noch fort, und China haftet aus ihm als aus einem dinglichen Rechtsverhältnisse völkerrechtlich und privatrechtlich. China hat über die vertragsmäßige Ausübung seiner Rechte durch Deutschland niemals geklagt und weder direkt noch indirekt die Intervention einer andern Macht wegen Verletzung dieser Vertrags­ rechte verlangt. Im Gegenteil! llnd nun kommt Japan und maßt sich fremdes, neutrales chinesisches Territorium an — angeblich nur, um das Gebiet China zurückzugeben! Japan, das alle hier in Betracht kommenden Haager Abkommen, so z. B. das 3. über den Beginn der Feindseligkeiten, das 5. be­ treffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Fall des Landkriegs und das 13. über dieselben Rechte im See­ krieg unterzeichnet und ratifiziert hat, setzt sich über alle diese Verträge mit einer Leichtfertigkeit hinweg, die nur zeigt, was die Zukunft von dieser ostasiatifchen Großmacht zu erwarten hat. Daß England zu all diesen Vertragsbrüchen als Anstifter Japans auftritt, vollendet düs Bild eines völligen moralischen Bankerotts der weißen Raffe gegenüber der gelben und der schwarzen, wie des scheinbaren Bankerotts des Völkerrechts überhaupt. Was weiterhin in Ostasien geschieht, ist ein ununter­ brochener Völkerrechtsbruch, kn gleicher Weise begangen von England wie von Japan nicht bloß gegen Deutschland, sondern auch gegenüber China, das heute noch Eigentümer des Landes und Inhaber aller jener souveränen Rechte ist, die es nicht vertrags­ mäßig auf Deutschland als seinen Mandatar übertragen hat und die es lediglich nach diesem Vertrage von Deutschland und gegen Deutschland anzusprechen hat. Freilich hätte China nach Art. 5 des Haager 5. Abkommens, dem auch China 1910 beigetreten ist, die Pflicht gehabt, Japan und England von dieser Neutralitätsverletzung gewaltsam abzuhalten.

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Aber die beiden die Unverletzlichkeit des chinesischen Gebiets ver­ letzenden Grotzmächte kannten die jetzige Ohnmacht des chinesischen Reiches genau und fetzten daher an die Stelle des Rechts die rohe Gewalt. Es ist ein Hohn auf jegliches Recht und auf jeden völkerrechtlichen Verkehr überhaupt, dah eine Großmacht es wagt, der Welt vorzutäuschen, daß sie gegen den Willen eines Landes dessen eigenes Terri­ torium einem andern Staate, dem das Territorium vertragsmäßig überlasten ist, wegnimmt — angeblich um es diesem Vertragslande wiederzugeben —, in Wirklichkeit, um es ihm im Frieden wegzu­ nehmen. Und das stärkste Stück ist es, daß eine andere zivilisierte Großmacht, der Verträge angeblich „h e i l i g" sind und die angeb­ lich nur wegen dieser Heiligkeit der Verträge den Krieg gegen Deutsch­ land begann, wie dies König Georg von England Anfang August feierlich aussprach, in solcher Weise Völkerrecht und Vertragsrecht mit Füßen tritt. Die in der 1. Auflage ausgesprochene Voraussage, daß Japan seine Zeit gekommen sieht, das ganze chinesische Problem, ohne die jetzt in Torheit versunkenen Hauptinterestenten fragen zu mästen, zu seinen Gunsten zu lösen, ist rascher, als der Verfaster selbst glaubte, in Erfüllung gegangen. Japan geht jetzt aufs Ganze: Graf Okuma hat nach der Jap. Kolonialzeitung (No-chih) in Tokio die Katze aus dem Sacke gelasten, indem er erklärte: „Japan will nicht allein den ehrgeizigen Plänen Rußlands und Deutschlands ein Ende machen, es will auch England und die Vereinigten Staaten davon ab­ halten, die Finger in den chinesischen Kuchen zu stecken------ Das Bürbnis mit England beschränkt Japans Einfluß auf Nordchina; mit ihm wollte ?apan die Unversehrtheit Chinas gewährleisten. Das kann aber nur geschehen, wern Japan seinen Einfluß auch in Südchina ausbreitet. Wie die Dinge liegen, wird Japan gezwungen sein, seine freundschaftlichen Beziehungen zu einer gewissen Nacht ab­ zubrechen. Es scheut nicht davor zurück, mit einer oder zwei der stärksten euro­ päischen Nationen Krieg zu führen."

Nach einer Meldung der „Nvwoje Wremja" hat Graf Okuma in der Zeitung „Kokumin" folgendes erklärt (Januar 1915): „Japan hat gröbere Aufgaben, als über das Schicksal der unbedeutenden deutschen Kolonien zu verfügen. Seine Aufgabe besteht darin, Europa lie Augen über die wirkliche Bedeutung Japans zu öffnen. Der Stille Ozean lege schon im Bereiche des japanischen Einflusses. Die Japaner könnten jetzt dar Prestige ihres Reiches zu einem hohen Aufschwung bringen. Ein unbewassnebr Friede sei kein wahrer Friede."*) *) Das wahre Wesen der j a p a n i s ch e n F r e u n d s ch a f t für der V ierverband und die letzten Gründe für seinen Kampf gegen Deutschland hat der japanische Ministerpräsident Graf Okuma mit bemerkenswerter Deutlichkeit in euer Rebe kundgegeben, die er auf der Jahresversammlung der japanisch-indischen vesellschast

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Und diesem Neuerwachen des japanischen Imperialismus, um nicht zu sagen: Größenwahns, entsprechen seine Forderungen an China. Daß das nunmehr ausgesprochene Protektorat Japans über Tsingtau und Schantung die völlige Okkupation bedeutet, ist einem Blinden klar. Es ist lustig zu lesen, daß die russische Preste (z. B. „Rußkija Wjedomosti") von einer „Agyptisierung Chinas" durch Japan in giftiger Weise schreibt, die diesem Staate genaues Vor­ bild sei. (Siehe jetzt den Koreanischen Vertrag zwischen Rußland und Japan, der zeigt, daß Japan mit verblüffender Schnelligkeit auf dem ostasiatischen Kontinent seine Herrschaft auf Kosten Rußlands und Englands ausdehnt, in des Verfassers Werke „Weltkrieg und Diplomatie".) Wir haben uns hier nur in zweiter Linie mit der politischen Wirkung dieses in der Weltgeschichte einzig dastehenden Verrats an jedem Rasten- und Kultur-Verantwortlichkeits-Bewußtsein seitens Großbritanniens zu beschäftigen. Die politische Wirkung wird für England und viel­ leicht auch für die Vereinigten Staaten, die leider ihre Neutralität auch in dieser Richtung völlig verkennen und zur unbegreiflichen, ge­ fährlichen Schwächlichkeit und verderblichen Passivität auswachsen ließen1), eine furchtbare werden. England handelt gegenwärtig gegenüber Japan wie ein hysterischer Vabanquespieler: Nicht bloß sein chinesischer Einfluß, sondern auch seine indische Stellung werden in Tokio (Juli 1915) gehalten hat. Danach sind die Verbündeten nichts anderes als die Schrittmacher der gelben Rasse, für deren Herrschaft im fernen Osten das goldene Zeitalter nach der Niederlage von Deutschland anbrechen soll. Nach Berichten amerikanischer Blätter erklärte Graf Okuma, daß Deutschland ebenso wie Napoleon vor 100 Jahren völlig verbannt werden müsse; dann würden für die Völker des Ostens außerordentliche Möglichkeiten auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens entstehen, und die Gelegenheit würde da sein, den Westen im Wettlauf um den Fortschritt zu besiegen. Er empfahl der Gesell­ schaft, weiter an ihren Zielen, der Pflege der japanisch-indischen Handelsbeziehun­ gen (!), zu arbeiten. Nach der Zerschmetterung des deutschen Militarismus winke den Millionen der indischen Bevölkerung Freiheit und Wohl st and mit Hilfe derjapanischenPioniereauf dem Gebiet des Handels und der Industrie. *) Siehe das kräftige Urteil eines amerikanischen Richters in 1. Auflage S. 90 Anm. 1 über die Stellungnahme der Vereinigten Staaten. — Jedenfalls müflen wir von der Phrase der „gelben Gefahr" und ähnlichen Sentimentalitäten, die uns in der Vergangenheit so sehr geschadet haben, uns losmachen. Wir müflen in China nicht den Feind des Europäertums unter allen Umständen sehen, sondern unter den kommenden Ereignissen unseren Freund. Wir haben keinen Grund, den europäischen und ostasiatischen „Engländer" in der Austragung ihrer Gegensätze zu stören oder gar eine Partei zu unterstützen (s. auch „Kol. Rundschau" 1915, S. 73 ff.).

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vernichtet, Australien wird wie Kanada und Neuseeland durch die Konzessionen an Japan vor die schwersten Schicksalsfragen gestellt. Auch Rußland wird, wie England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika, einstmals die „Staatsmänner" verfluchen, die diesen sublimen Streich in unbegreiflicher Verblendung begangen und Japan zum Erben westeuropäischer Kultur eingesetzt haben. Australien und andere englische Kolonien, die noch nicht The bürden of the white man des Herrn Rudyard Kipling als eine der vielen konventionellen englischen Lügen betrachten, werden neben Japan die Vergeltung für diesen Hochverrat seitens des Mutterreiches einstmals Üben. Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor! Hoffentlich auch gegenüber den Vereinigten Staaten! „Und auch Thina wird sich darüber ganz im klaren sein müssen, daß es vor „einem Kampf auf Leben und Tod", der für das große Reich nicht mehr länger aufzuschieben ist, gegen Japan, Rußland und England steht. Möge es den günstigen Zeitpunkt nicht versäumen!" So hatten wir in der 1. Auslage geschrieben: Die Zeit hat sich eher erfüllt als wir selbst glaubten: Der Rächer an amerikanischer Ge­ winnsucht und Kurzsichtigkeit, englischer Gemeinheit und Tücke naht schon heute in der Gestalt Japans! Freilich, Ehina wird unter seiner militärischen Ohnmacht ungeheuer leiden, wie die jetzige fortgesetzte Vergewaltigung des großen Reiches durch Japan bereits zeigt. Vor nebelhaften Rassenthevrien und ihrer Übertragung auf das politische Gebiet kann gerade Deutschland nicht genug für die Zukunft gewarnt werden (Ehina, Türkei). Wir wollen die Völker nach diesem Bankrott europäischer Gemelnschaftsk u l t u r nur nach ihrem politischen und sittlichen Werte einschätzen! 10. Kapitel. Die Verwendung bon Dum-Dum-Gekchotten und Ähnliches. I. Ende August erschien folgende amtliche Mitteilung: „Unsere Armeen nahmen gefangenen Franzosen und Engländern Tausende Infanteriepatronen mit vorn tief ausgehöhlten Geschoßspitzen ab. Die Patronen befinden sich zum Teil noch in der mit Fabrikstempel versehenen Packung. Die maschinenmäßige Anfertigung der Geschosse ist durch die Zahl und die Art unzweifelhaft festgestellt. Im Fort Longwy wurde eine derartige Maschine vorgefunden. Die Patronen wurden also von der Heeresverwaltung den Truppen in dieser Form geliefert. Gefangene englische Offiziere versichern aus Ehrenwort, daß ihnen die Munition für die Pistolen ebenfalls in der-

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artigen Geschossen geliefert worden sei. Die Verwundungen unserer Krieger zeigen die verheerende Wirkung dieser Dum-DumGeschosse. Während Frankreich und England in grober Verletzung der Genfer Konvention Geschosse zulassen, deren Verwendung ein Merkmal der barbarischen Kriegführung ist, beobachtet Deutschland die völkerrechtlichen Bestimmungen genau. Im ganzen deutschen Heere wird kein Dum-Dum-Geschoß verwendet." Zu gleicher Zeit wurde auch festgestellt, daß sowohl die Russen wie die Serben fortgesetzt Dum-Dum-Geschosse benutzten. So wurden bei der Revision den am 30. August in einem Truppenübungsplätze in Schlesien eingetroffenen 62 russischen Offizieren und 6378 Mann­ schaften (nach der „Schlesischen Zeitung") noch zahlreiche derartige Geschosse abgenommen. Die Österreicher meldeten am 26. September amtlich: „Unter der von den russischen Truppen auf dem Schlachtfelde von Krasnik zu­ rückgelassenen Gewehrmunition befinden sich auch Geschosse, deren harter Mantel an der Spitze den Bleikern frei läßt (Dum-DumGeschosse). Das österreichisch-ungarische Ministerium des Äußern hat diese Verletzung der dritten Haager Deklaration von 1899 den Re­ gierungen der verbündeten und neutralen Mächte mit dem Beifügen bekanntgegeben, daß das österreichisch-ungarische Armeeoberkommando derzeit nicht daran denke, mit Repressalien vorzugehen." Die Österreicher berichten ferner, daß die bei den S e r b e n vor­ gefundenen Dum-Dum-Geschosse französisches Fabrikmaterial waren, versehen mit ähnlichen Stempeln wie die von unseren Truppen in Belgien und Frankreich vorgefundenen Geschosse. Die Geschosse wurden in der französischen und englischen Original­ verpackung in großen Mengen nach Deutschland gesandt und sind gegenwärtig (September) in den Auslagen der Redaktionen großer deutscher Zeitungen (z. B. der „Münch. N. N.") zu sehen. An der Echtheit und an der Verwendung ist daher vernünftigerweise nicht zu zweifeln'). Ärztliche Urteile geben die furchtbare barbarische Wirkung dieser Kampfart angeblicher „Kulturnationen" wieder (s. unten). *) über bas Vorgehen der DelgLer berichtet ausführlich der Kriegsbericht­ erstatter der „Kölnischen Volkszeitung" Einzelheiten, aus denen hervorgeht, daß man bei den Gefangenen damals (Ende August) eine Menge Dum-Dum-Geschosse fand, „bereit Arbeit die Merkmale des Großbetriebs an sich hatte". „Wer sich geweigert habe, diese Geschosse anzunehmen und zu verwenden, sei entwaffnet oder standrechtlich von den Belgiern abgeurteilt worden. Cs wurden technische Mani­ pulationen verschiedener Art dort entwickelt und dargetan, baß die „Kerben Ln zahl­ reichen Fällen mittels Schweinfurter Grüns" vergiftet wurden" (!). übrigens hat llniversitätsprofessor Geheimrat Payr vor kurzem in einer Rede Müller-Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht. 4. Aufl.

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II. Der Unfug nahm allmählich solche Dimensionen an, daß der Kaiser sich genötigt sah, in einem völkerrechtlich interesianten Tele­ gramm vom 8. September an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika Wilson sich mit einem Proteste zu wenden. Es heißt dort: „Ich betrachte es als meine Pflicht, Herr Präsident, Sie, als den hervor­ ragendsten Vertreter der Grundsätze der Menschlichkeit, zu benachrichtigen, daß nach der Einnahme der französischen Festung Longwy meine Truppen dort Tausende von Dum-Dum-Geschossen entdeckt haben, die durch eine besondere Regierungs­ werkstätte hergestellt waren. Ebensolche Geschosse wurden bei getöteten und ver­ wundeten Gefangenen, auch britischer Truppen, gesunden. Sie wissen, welche schrecklichen Wunden und Leiden diese Kugeln verursachen, und daß ihre Anwen­ dung durch die anerkannten Grundsätze des internationalen Rechts streng verboten ist. Ich richte daher an Sie einen feierlichen Protest gegen diese Art der Krieg­ führung, welche dank den Methoden unserer Gegner eine der barbarischsten gewor­ den ist, die man in der Geschichte kenntx)." vor deutschen Militärärzten im Felde (Nordfrankreich) auf Grund von Röntgen­ photographien genau die Lage der einzelnen Teile des im Körper zersprungenen Geschosses angegeben und festgestellt, daß es sich dort um eine besondere Art englischer Dum-Dum-Geschosse handelt, mit denen die Engländer bei Lille schossen. Es sieht wie eine gewöhnliche Patrone aus. Das Geschoß hat wie die andern einen Mantel, unter diesem befindet sich eine Aluminiumspitze und dann kommt ein besonderer Bleikern; dieser zersplittert beim Anprall auf einen Knochen, zerreißt die Gesäße und erzeugt furchtbare Wunden (nach dem Kriegsberichterstatter Dr. Oskar Bongard). *) Vom bayrischen Armee-Museum wurde über die Natur dieser Geschosse u. a. folgendes geschrieben: „Das wirkliche Dum-Dum-Geschoß ist englischen Ursprungs; es erhielt feinen Namen nach der gleichnamigen Patronenfabrik bei Kalkutta und wurde in Indien zuerst verwendet. Der Mantel reichte nur bis zum Beginn der eiförmigen Spitze und ist zum Teil mit mehreren Längsschlitzen versehen. Diese erste Art befriedigte nicht; daher ging man zu dem Hohlspitzengeschoß über, das einen dünneren Mantel erhielt und nur am Boden der vorderen Höhlung mit Kupfernickelblech bekleidet war; Anwendung in der Schlacht bei Omdurman (Sudanfeldzug 1898). Das öfter auftretende Ausströmen des Dleikerns aus dem in den Zügen steckenbleibenden Mantel führte bann zur Annahme eines härteren Dleikerns (mit größerem Antimon­ gehalt M/95). Von diesem Dum-Dum-Geschoß weicht das in diesem Feldzüge von den Franzosen gebrauchte, nachträglich ausgehöhlte Geschoß wesentlich ab. Es wurden dazu die älteren Munitionen M/ 98 und M/03 mit Mantel aus Nickelkupferlegierung und Hartbleikern benutzt; von denselben wurden mittels Maschinen, und wie die rohe Arbeit einzelner vorliegender Stücke vermuten läßt, teilweise mit Handarbeit die Gefchoßspitzen entfernt und das Geschoß in einer Tiefe von 6 mm und einer oberen Breite von 5 mm ausgebohrt. Diese Änderung führt natürlich eine bedeu» lende Herabminderung der ballistischen Leistung und der Durchschlagskraft herbei, erzielt jedoch im Gegensatz zu dem modernen französischen, schlanken und glatt durchschlagenden Kupferspitzgeschoß Verletzungen, die allen modernen Anschauungen

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Die volle Bestätigung des kaiserlichen Vorwurfs zeigt folgende Nachricht: Zwei in deutscher Kriegsgefangenschaft weilende englische Offiziere haben sich bei einer amtlichen Vernehmung über Verwendung von Dum-Dum-Geschofsen in der englischen Armee geäußert; die Vernommenen sind der Oberkommandierende Gordon der Gordon-Highlander-Regimenter, Adjutant des Königs von England, und Oberst Reish vom 1. Gordon-HLghlander-Regiment *). Hohn sprechen. Daß dieses völkerrechtswidrige Verfahren vollkommen dienstlichen Charakter trägt, zeigt die Ln Händen des Münchener Armee-Museums befindliche Packung mit den Stempeln: ETUIS MEL BW MEL POUDRE BF AM MEL

A. VIS 1914 8 CARTOUCHES DE STAND MLE 1906 LOT 121

*) Die beiden Protokolle lauten in deutscher Übersetzung wörtlich: I. „Was die Revolvermunition anbetrifft, so war das gelieferte Geschoß vorne abgeplattet. Ich habe zum ersten Male dieses Geschoß während dieses Sommers bei den jährlichen Gefechtsübungen gesehen. Aus Veranlassung des Frhrn. v. Lersner gebe ich obenstehende summarische Antwort schriftlich auf die mündliche Frage, welche er mir vorgelegt hat. Torgau, 19. September 1914. F. H. Reish Lt. Col. 1. Gordon Highlanders. II. „Bei meiner Gefangennahme am 27. August in Bertrir (?) um 3 Uhr morgens hatte ich nur drei spitze Revolverpatronen im Besitz. Ich hatte mir die­ selben von einem anderen Offizier geborgt. Ich besaß keine anderen vorne abge­ platteten Patronen als die mir ausgehändigten, welche ich vergraben hatte. Ich kann mich nicht erinnern, wo ich die Patronen vergrub, aber es war sicherlich einige Tage vor dem Beginn der Schlacht bei Mons am 23. August. Torgau, 19. September 1914. F. H. Reish Lt. Col. 1. Gordon Highlanders. III. „9n Plymouth erhielt ich die Revolvermunition. Sie war vorne abge­ plattet. Da ich im Zweifel war, ob die Munition völkerrechtlich einwandfrei war und keinen bestimmten Aufschluß von meiner vorgesetzten Behörde hierüber er­ halten konnte, vergrub ich meine Revolvermunition. Vier Tage vor der Schlacht bei Mons, woselbst ich zum ersten Male mit der deutschen Armee zusammenstieß, verstaute ich meinen Revolver bei meiner schweren Bagage und habe ihn niemals wieder getragen. Die Revolvermunition war dieselbe, wie sie mir und ben andern



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III. Mitte Oktober trat im „Berl. T." ein bekannter Kriegsbericht­ erstatter den Beweis an, daß sogar die englischen Maschinen­ gewehre mit Dum-Dum-Geschosien feuerten. Die Engländer haben also an Völkerrechtsbruch sogar die Russen in dieser Richtung überboten. Diese Nachrichten machten natürlich in der ganzen Welt ge­ waltiges Aufsehen, zumal offenbar von Amtswegen die Ausstattung mit diesen völkerrechtswidrigen Geschossen geschah. Herr Poincare hat ohne den Schatten eines Beweises die Tat­ sachen einfach umgekehrt und behauptet, die Deutschen hätten DumDum-Geschosie. Die alte Russenspionenpraxis! Der Umgang lehrt solche „Hunnenpraktiken" der „grande nation"1)! Das englische Infanteriegeschoß gleicht äußerlich dem deutschen Infanteriegeschoß, nur ist es um 4,5 mm länger. Das deutsche Ge­ schoß besteht aus einer vernickelten Stahlhülse, in die ein Bleikern eingepreßt ist. Das englische Geschoß ist in der Spitze auf eine Länge von 10,5 mm mit Aluminium ausgefüllt und ein Bleikern aufgepreßt. Es ist 32,5 mm lang, der Aluminiumkern ist 10,5 mm, der Bleikern 22 mm lang. Durch diese Einrichtung ist der Schwerpunkt des Ge­ schosses so weit nach hinten verlegt, daß es sich beim geringsten AufOffizieren des Gordon-Highlander-Regiments im letzten Juni zur Erledigung des jährlichen Revolver-Übungsschießens ausgehändigt worden war. 19. 9. 14.

W. E. Gordon, Colonel, Gordon Highlanders A. D. C. to the King. *) In einer Reihe von Fällen wurde die Verwendung unter ganz naiven Er­ klärungen offen zugestanden. Ein hoher französischer Offizier hat z. B. dem Pariser Korrespondenten der „Tijd", des holländischen Blattes, folgende Mitteilung gemacht. Er sagte, „das Gerede über die Verwendung von Dum-Dum-Kugeln fei vermutlich dadurch ent­ standen, daß ein Stabsoffizier in der Festung Longwy sich mit Studien über die Anfertigung neuer Patronen beschäftigte. Es hätten sich auch in einer Rumpel­ kammer aus der Festung noch einige Kisten ausgehöhlter Kugeln befunden, die aus der Zeit stammten, als diese noch nicht durch die Haager Friedenskonferenz ver­ boten waren (!) und die man später durch maschinelle llmfeilung brauchbar zu machen versucht habe. Es sei möglich, daß einige Schachteln verbotener Pa­ tronen unabsichtlich (!) an die französischen Soldaten verteilt worden seien." Jetzt ist die Ansicht über das französische Geschoß auch eine völlig veränderte. Es betont Professor Kirschner in der „Münchner Medizinischen Wochenschrift", daß das n e u e französische Infanteriegeschoß ein Mantelgeschoß ist und also durch Abkneifen der Spitze sehr wohl zu einem dum-dum-artigen Geschoß gemacht werden kann. Reichstagskollegen von der Front legten mir Serien von englischen DumDum-Geschosien vor, die zeigen, wie die Herstellung der Dum-Dum-Geschosie ge­ wohnheitsmäßig im Masienbetriebe geschieht.

treffen überschlagen muß, wodurch Dum-Dum-Wirkung erzielt wird. Damit ist der Beweis erbracht, daß jedes englische Infanteriegeschvß Dum-Dum-Wirkung hat. Dazu kommt folgendes: Das englische Gewehr hat eine Feder, die, wie der englische Soldat höhnisch erklärt, als „Zigarren­ abschneider" dient. Mit dieser, der Öffnung einer solchen ähnlichen Vorrichtung knipst er die Spitze des Geschosses so ab, daß der Bleikern nach vorn freiliegt. Eine Bekanntmachung des bayerischen Generals v. Hellingrath vom 30. Oktober 1914 schildert diese unerhörte Her­ stellung dieser grausamsten Geschoste sehr anschaulich. Er sagt: „Das ist die roheste Art der Kriegführung; dieses Geschoß ist gegen die Bestien Asiens und Afrikas geschaffen; die Anwendung zeigt, auf welcher tiefen Stufe das „Kulturvolk" der Engländer steht." Diese Herstellung geschieht seitens der Engländer in Masten. Nicht ganz so kindlich und naiv wie die Erklärung in der „Tijd" lautet die Ausrede eines Engländers, die in der deutschen Presse halbamtlich am 17. September wiedergegeben wurde: Unterm 17. September wurde mitgeteilt, daß einem gefangenen englischen Stabsoffizier — es war der englische Major Ch. Alice Date, der später entfloh und sich selbst tötete — einige der bei einem englischen Soldaten gefundenen Dum-Dum-Geschoste gezeigt wurden. Er bestritt nicht, daß derartige Geschoste in der englischen Armee gebraucht würden. Er setzte aber hinzu: „Man müste eben mit den Patronen schießen, die man von der Regierung erhalte"! Quod erat demonstrandum! (Siehe auch die interestanten Mitteilungen des Münchener Bürgermeisters Merkt, „Münchener N. N." vom 8. No­ vember 1914.) IV. In der Folge hat die französische und englische Infanterie noch grausamere Methoden angewendet. So wurden Geschoste gefunden, die an der Spitze eine Ausbohrung von 5 mm Tiefe und M mm Durchmesser haben. Diese Vertiefung ist mit weißem Phosphor gefüllt und dann nach außen mit Paraffin abgeschlossen. In anderen Fällen sind am spitzen Ende der Geschoste zwei Drähte angelötet, die heruntergebogen sind. Die Verwundungen sind natür­ lich entsetzliche). *) über die angebliche Verwendung von Dum-Dum-Geschossen durch deutsche Offiziere s. „Nordd. Allg. Ztg." vom 8. Dezember 1914 (1. Ausl. S. 364). Es ist alte englisch-französisch-belgische Taktik, ohne weitere Beweise den Spieß herumzudrehen und aus Einzelfällen, die durch die Maflenverwendung seitens der Drei­ verbands-Armee provoziert waren, eine Gegenanklage allgemeiner Art zu konstruieren.

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V. Nach längerer Pause hörte man in den Aprilkämpfen 1915 von neuem im Osten und Westen von der Verwendung von Dum-DumGeschossen seitens der Engländer und Rüsten. Deshalb sagt die „Nordd. Allg. Ztg." vom 3. Mai 1915 in der offiziösen Erklärung gegen die Anwürfe des Lord Kitchener: „Wer seine Truppen von Amts wegen mit einer Munition versieht, die so grausame Wunden reiht, wie die englischen Infanteriegeschosse Marke VII, der sollte jeder Erörterung über das Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 |o weit wie möglich aus dem Wege gehen."

Im August 1915 wurde auf Grund amtlicher Mitteilungen folgendes bekanntgemacht: Am 8. Juni 1915 wurden von unseren Truppen mehrere russische Soldaten gesangen genommen und in deren Gewehren unabgeschossene Patronen mit ab gekniffener Geschohspitze gesunden. Bei der Vernehmung über den Besitz dieser völkerrechtswidrigen Munition bezeugten die Soldaten Andrej Arosinow, Theodor Schpanow und Peter Schdanow der 10. Kompagnie des 5. sibirischen Infanterieregiments eidlich das folgende: Ihr Kompagnieführer Leutnant Schorkunow habe seinen Leuten befohlen, dab sie bei allen Patronen, die sie beim Gefecht verwendeten, die Spitzen abkneifen sollten, damit gröbere Wunden entständen. Die gewöhnlichen Patronen machten zu leichte Ver­ letzungen, so datz die verwundeten Deutschen zu schnell wieder gesund würden. Die Patronen, die sie in den Patronentaschen hätten, sollten sie nicht abkneifen, dagegen alle, die im Schützengraben in Blechkästen aufbewahrt würden. In der Kompagnie waren 16 Korporalschasten zu je 15 Mann. Auf jede Korporalschaft wären drei Blechkästen zu 300 Patronen gekommen. Sie hätten auf Befehl ihres Offiziers die ln diesen Kästen befindlichen Patronen mit Scheren, die sonst zum Zerschneiden von Drahtverhauen dienten, abgekniffen und damit tagelang die Deutschen beschosien. Auch andere Kompagnien hätten mit solchen Patronen, deren Spitzen entfernt waren, geschossen, dagegen hätten sie mit den Patronen, die sie in den Taschen bei sich führten, nicht geschossen. Datz das von den genannten Soldaten eidlich bezeugte ungeheuerliche Verhalten russischer Offiziere und Mannschaften nicht eine Ausnahme bildet, beweist die Aussage eines anderen russischen Kriegsgefangenen, des Gardisten Iwan Nowitzki vom Regiment Preobrashenski. Er sagte bei seiner Vernehmung am 18. Juni wörtlich folgendes aus: Ich sah, datz ein Offizier meiner Rotte, Oberleutnant Wansowitsch, von 15 Patronen die Spitze abschnitt und diese selbst verschob- Auch befahl er den Soldaten, das gleiche zu tun. Den Befehl des Offiziers an die Soldaten habe ich selber gehört, und darauf sah ich, bafe zwei Leute die Spitzen abgeschnitten haben. Dies kann ich beschwören. Die russischen Offiziere und Soldaten waren sich bei ihrem Vorgehen nicht im Unklaren darüber, dab sie eine vom Völkerrecht verbotene Handlung begingen; das beweist die von den Soldaten befolgte Anordnung, dab sie für den Fall der Gefangennahme nur unverfängliche Patronen in ihren Patronentaschen mit sich führten und nicht diese, wohl aber die abgekniffenen Geschosse verwendeten. Es handelt sich um ein im höchsten Grade raffiniertes Verbrechen gegen das Kriegsrecht, um eine unmenschliche Handlung, die vielen deutschen Soldaten unsägliche Qualen und Leiden bereitete: denn die Wirkung derartig zubereiteter Geschosse, die beim

Anprall aus Stnocfcen oder Fleisch zersplittern und ungeheure Wunden ver­ ursachen, ist fürchterlich. Diese Wirkung haben jene Unmenschen, die ihren Unter­ gebenen derartige Befehle gaben, und jene Soldaten, die solche Befehle ausführten, beabsichtigt und vorausgesehen.

VI. Und natürlich nicht besser, sondern viel schlechter als die Russen ihre Lehrmeister in der Dum-Dum-Gemeinheit, die Engländer. Die „Nordd. Allg. Ztg." schrieb am 2. Juli 1915 darüber neuer­ dings gegenüber Angriffen des „Daily Telegraph", als wenn die Türken am Suezkanal deutsche Dum-Dum-Geschosse verwendeten: Die sofort angestellten amtlichenCrmittlungen haben folgendes E r g e b n i s gehabt: Die in Betracht kommenden Patronen stammen von den Deutschen Wasfenunb Munitionsfabriken in Karlsruhe; sie sind nach der Erklärung dieser Firma an die Firma 9t. B. Rodda & Co. in Birmingham in Friebenszeiten für Iagdzrvecke geliefert worden und von Karlsruhe meistens direkt durch Vermittlung der Deutschen Hansa-Linie in Hamburg als Ausfuhrgut nach Kalkutta ver­ laden worden. So sind z. B. kurz vor Ausbruch des Krieges vier Kisten mit solcher Munition mit dem Hansadampfer „Bärenfels" für die Firma 9t. B. Rodda & Co. nach Kalkutta abgegangen. Die nach Kalkutta gelangten Pakete sind dort mit einem Etikett versehen worden, welches die Initialen der Firma 9t. B. Rodda & Co. — und zwar R. B. 9t. — trägt. Die Buchstaben I. D. bedeuten wahrscheinlich eine Abkürzung von „Indian Department". Beide Zeichen sind von den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken nicht angebracht worden. Auch hat diese Firma nach ihrer Erklärung gleiche Patronen niemals nach der Türkei geliefert. Es handelt sich also um Munition, welche von englischer Seite nach Kalkutta und weiter geliefert worden ist und einzig und allein von den indischen Truppen verwendet worden sein kann. Dieser Fall beweist aufs neue, mit welcher unverfrorenen Entstel lung der Tatsachen die ausländischen Zeitungen gegen Deutschland arbeiten.

S. übrigens über das englische Infanteriegeschob als „DumDum-Geschotz" die genauen Untersuchungen des Dr. Heusner (Gießen) und Staatsanwalt Knorr (Hamburg) mit 10 Abbildungen: „Prometheus" Nr. 1342 vom Juli 1915, S. 659 ff. Dort ist aus der röntgenisierten Zweiteilung des Kerns sowie der Geschoßspitze einwandfrei nachgewiesen, daß alle englischen Geschoste die grausame Wirkung von Dum-Dum-Geschosien haben *). *) Die amerikanische Fachzeitschrift „American Machinist" vom 6. Mai 1915 enthält aus Seite 27 eine große Anzeige der „Eleveland Automatic Machine Eo." in Ohio. In dieser Anzeige preist die genannte Gesellschaft neue Geschoste an. Die Besonderheit dieser Geschoste besteht, wie schon früher berichtet wurde, darin, daß sie zwei Exploslonssäuren enthalten, deren Zusammensetzung nicht angegeben wird. Die Erplosion dieser Geschoste soll infolge der Säuren schrecklicher sein, als bei irgendeinem bekannten Geschoß. Die Bruchstücke werden bei der Explosion mit diesen Säuren getränkt und die durch die giftigen Säuren verursachten Wunden

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VII. Nach einer Meldung der Bulgarischen Telegraphenagentur hat die Regierung den Vertretern der verbündeten und der neutralen Staaten nachstehende Note überreicht: Im Laufe der Kampfhandlungen, die sich auf der Südfront Mazedoniens abgewickelt haben, ist wiederholt in einer gänzlich unbestreitbaren Weife festgestellt worden, daß entgegen den Kriegsgebräuchen und entgegen den entschiedenen Vor­ schriften der Haager Abkommen, sowie ungeachtet der wiederholten Einsprüche der bulgarischen Regierung die englischen und französischen Truppen von sogenannten Dum-Dum-Kugeln und einer anderen Art von Geschossen mit doppeltem Mantel Gebrauch machen, die beim Aufschlagen auf das Ziel platzen. Die Berichte der maßgebenden Königlichen Behörden stellen nämlich fest, daß die Kugeln, indem sie buchstäblich das Fleisch zerreißen, die Knochen in Stücke zersplittern und furchtbare Wunden hervorrufen, die sehr leicht infizieren und deren Heilung durch die gewöhnlichen Methoden fast unmöglich ist, so daß in der Mehrzahl der Fälle, wo es sich um Verwundungen von Gliedmaßen handelt, zur Amputation geschritten werden muß, wenn man das Leben des Verwundeten retten will. Die Krankenhäuser von Mazedonien, insbesondere jene in Skoplje (llesküb) sind auf diese Weise mit ^Verwundeten überfüllt, die wahrhaft unaussprech­ liche Grausamkeiten und die quälendsten Leiden aufweisen. Diese Art, wie die englischen und französischen Truppen den Krieg führen, erweckt den Abscheu jedermanns, der die Opfer zu sehen bekommt. Im Namen der heiligen Pflicht, die ihr die Gefühle der Menschlichkeit auferlegen, erhebt die Königliche Regierung zum dritten Male seit Beginn des Feldzuges entrüsteten Einspruch gegen diese barbarischen Mittel, die die Zivilisation aus der Welt geschafft zu haben glaubte. Die Regierung erklärt ferner, daß sie, da sie weder die Mittel noch den Wunsch hat, zu einem Vorgehen gleicher Art zu greifen, genötigt sein wird, gegen die englischen und französi­ schen Kriegsgefangenen und Staatsangehörigen die strengführen innerhalb vier Stunden den Tod des Getroffenen unter schreck­ lichen Schmerzen herbei, falls nicht sofort bei der Verletzung ärztliche Hilfe zur Stelle war. Die Wunden müßten nämlich unverzüglich ausgebrannt und, soweit Knochen getroffen werden, müßten diese amputiert werden. Die Anzeige hebt schließlich hervor, daß nach Kenntnis der anzeigenden Firma ärztliche Hilfe in den Schützengräben niemals schnell genug zur Hand sein werde. Die Anzeige trägt in Reklamelettern die Überschrift: „Worth Knowing“, auf Deutsch: „Wissenswert". Auch wir halten diese Anzeige für „wissenswert" und wollen sie hiermit niedriger hängen. Ganz abgesehen von der namenlosen Verrohung des Geschäftssinnes, der aus dieser Anzeige spricht, und von der Barbarei einer solchen Kriegführung, würde die Verwendung derartiger Granaten auch in doppelter Beziehung ein schwerer Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung von 1907 bedeuten. Artikel 23 a dieser Landkriegsordnung verbietet die Verwendung vergifteter Waffen; Artikel 23 e untersagt den Gebrauch von Waffen, Geschoflen oder Stoffen, die geeignet sind, unnötige Leiden zu verursachen. Wir können wohl überzeugt sein, daß die deutscheRegierung durch ihre amtlichen Organe in den Vereinigten Staaten von dieser unglaublichen Anpreisung vergifteter Granaten unterrichtet worden ist, und daß sie ihrerseits Anlaß nehmen wird, die Angelegenheit bei der ameri­ kanischen Regierung zur Sprache zu bringen.

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ften Vergeltungsmaßnahmen anzuwenden in der Hoffnung, die­ jenigen, die die Truppen des Vierverbcmdes in Mazedonien befehligen, zur Achtung der Kriegsgebräuche der von ihren Regierungen unterzeichneten Abkommen zu be­ stimmen. Rechtliche Beurteilung. Diese Anwendung von Hohl- und Bleispitzengeschossen und ähnlichen Geschossen ist nach der dritten Erklärung der Haager Friedenskonferenz, betreffend das Verbot von Geschossen, die sich leicht im menschlichen Körper ausdehnen oder plattdrücken, vom 29. Juli 1899 strengstens verboten. Die Konvention, die von dem Gedanken geleitet war, der in der Deklaration von St. Petersburg vom ^°-^^"^^1868 Ausdruck li. Dezember gefunden hat, besagt, daß die vertragschließenden Mächte sich gegen­ seitig dem Verbot unterwerfen, Geschosse zu verwenden, die sich leicht im menschlichen Körper ausdehnen oder plattdrücken, derart, wie die Geschosse mit hartem Mantel, der den Kern nicht ganz umhüllt oder mit Einschnitten versehen ist. Diese (3.) Erklärung der Haager Friedenskonferenz von 1899 ist zuerst unterzeichnet worden von allen Konferenzstaaten außer Groß­ britannien (!), Vereinigte Staaten und Portugal. Großbritannien und Portugal traten aber im Jahre 1907 bei und ratifizierten auch ihrerseits das Übereinkommen'), gegen das England jetzt freventlich und erwiesenermaßen offiziell sündigt. In Übereinstimmung mit dieser Erklärung sagt Art. 23 e des 4. Abkommens der Haager Kon­ ferenz vom 18. Oktober 1899/1907: „Untersagt ist der Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet sind, unnötige Leiden zu verursachen". Es zeigt die ganze deutsche Gutmütigkeit, daß trotz der Schändlichkeit dieser Kriegführung noch kein ernstlicher Vorschlag gemacht wurde, Repressalien durch gleiche Mittel zu nehmen oder l) v. Liszt weist in der „Vossischen Zeitung" vom 20. September 1914 ein­ gehend nach (was vernünftigerweise gar nicht bestritten werden kann und, soviel ich sehe, auch nicht von englischer Seite bestritten wird), daß England durch Rati­ fizierung des Abkommens und Benachrichtigung davon an die niederländische Re­ gierung vom 20. August 1907 demselben rechtsgültig beigetreten und völkerrechtlich dadurch gebunden ist, obwohl es charakteristischerweise bei der ersten Haager Friedenskonferenz 1899 den lebhaftesten Widerspruch gegen das Verbot der (wie erwähnt nach dem englischen Arsenal bei Kalkutta benannten) Dum-Dum-Geschoffe erhoben hatte. Übrigens gilt Art. 23 e des Haager Abkommens von 1899/1907 auch für England, so daß Liszt mit Recht von einer „idealen Verbrechenskonkurrenz" auf seiten Englands a. a. O. sprechen kann.

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die gefangenen Truppenführer solcher Abteilungen kriegsrechtlich zu erschießen, wozu die deutsche Heeresleitung unzweifelhaft berechtigt wäre. Der Völterrechtsbruch kann auch nicht etwa damit bekämpft werden, was hier eingeschaltet sein möge, daß Deutschland seinerseits das Werfen von Geschossen und Sprengstoffen aus Luftschiffen oder auf ähnlichen Wegen treibe, wie das in der Auslandspresse angedeutet wurde. Diese 1. Deklaration zur Haager Friedenskonferenz von 1899, die zunächst auf 5 Jahre abgeschlossen wurde, wurde zwar 1907 auf der Haager 2. Konferenz erneuert, allein Deutschland hat derselben nur unter der Bedingung zugestimmt, daß die anderen großen Militär­ mächte denselben Standpunkt einnehmen. Da jedoch einige dieser Mächte, darunter auch Frankreich, die Erneuerung abgelehnt haben, konnte auch Deutschland ihr nicht von neuem beitreten. (Siehe auch Ullmann, Völkerrecht S. 479; Zorn, Das Kriegsrecht 1900 133 ff. und Meurer, Die Haager Friedenskonferenz 1907 II. S. 441 ff.) Das Abwerfen von Sprengstoffen seitens Deutschlands geschah zudem erst, nachdem bereits am 1. und 2. August, d. h. am Tage nach der Kriegserklärung, von seiten französischer Flieger mit Bomben geworfen worden war. Ein Vorwurf aus der Haltung der deutschen Heeresleitung in dieser Frage kann daher vom völkerrechtlichen Standpunkte aus nicht gemacht werden. Der beste Beweis, daß keiner der großen Militärstaaten sich irgendwie gebunden hielt durch die Erklärung von 1899/1907,. ist der Umstand, daß England wie Frankreich, Rußland und Japan in ihren Staatshaushaltsetats große Summen für den Ausbau ihrer Flugzeuge (Luftschiffe und Flieger) auswerfen, von welchen das Herabwerfen von Sprengstoffen seit Jahren offiziell geübt wurde. (Siehe unten das besondere Kapitel.) — Doch zurück zu dem Thema der Dum-Dum-Geschosse! Ich glaube, daß durch obiges Material, das durch die besten Zeugen noch ums Vielfache vermehrt werden kann (f. Gutachten des Prof. Dr. Feßler „M. N. 9t." 577/14, ferner das Zeugnis eines bayerischen Hauptmanns, daß bei der ersten Erstürmung von Wytschaete am 1. November bei den englischen Gefangenen Masten solcher Geschoste gefunden wurden [1. c. Nr. 601]), vollgültiger Beweis für den klaren Völkerrechtsbruch durch Rußland, Frankreich und ins­ besondere England und Belgien gegen Deutschland erbracht wurdet. *) Von hohem Werte ist der objektive Bericht, den der bekannte schwedische Arzt Engren über seine weitgehenden Beobachtungen in deutschen Lazaretten in

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Gegen eine solche Beweisfülle kann man nur durch einfache, durch keinerlei Tatsachen begründete Ableugnung und Umkehrung des Tat­ bestandes gegen die Deutschen nicht aufkommen, Warum hat Herr Poincare den Vorschlag nicht angenommen, das Material einer unparteiischen internationalen 'Kommission zur Untersuchung zu übergeben? Das schlechte Gewissen lätzt wohl all­ gemeine Redensarten zu, nicht aber eine objektive Prüfung der greifbaren Tatsachen durch ein objektives neutrales Gericht, das Deutschland angeboten, Frankreich aber abgelehnt hat. Nachdem endlich sogar die englische („Times") und französische Presse („Journal" usw.) die Verwendung von Dum-Dum-Eeschossen angesichts der Massen der gefundenen Vorräte zugestehen mutzten, lietz sich die französische Regierung, die zuerst alles geleugnet und die deutschen Soldaten falsch angeschuldigt hatte, zu folgender amtlichen Erklärung unterm 26. September bewegen: „Die in Longwy gefundenen Patronen seien ausschlietzlich für Scheibenschietzübungen von Vereinigungen für militärische Vorberei­ tung bestimmt gewesen, wie schon aus der Aufschrift „Cartouche de Stand“ hervorgehe. Da diese Vereinigungen zumeist nur notdürftig ausgebaute Schietzstände besähen, so hätten ihnen die an der Spitze ausgehöhlten Patronen zur Verfügung gestellt werden müssen, damit die Anfangsgeschwindigkeit gemindert und verhindert werde, datz das Geschotz am Ziel die allzu dünne Sicherung durchschlage. Solche Patronen würden in der Armee nicht einmal zu Schietzübungen verwandt. Man habe niemals daran gedacht, sie im Kriege zu verwenden, da sie die Ausnutzung der ballistischen Eigenschaften des französischen Gewehrs unmöglich machten." Soweit die amtliche Erklärung! Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Angaben richtig sind. Sie entbehren jedenfalls jeder inneren Logik und wirken in ihrer Ab­ schiebung der Schuld auf Privatvereine unehrliä) und verlegen. Freilich in einzelnen Fällen gab man die Dum-Dum-Geschvsse an Franktireure ab. Aber selbst wenn sie zutreffen sollten, können sie die der Presse gemacht hat. Er sagt u. a.: Er sah eine Menge Wunden, von denen man sagen mutz, „datz man mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit annehmen kann, es seien in diesen Fällen stumpf gemachte und sogar ausgehöhlte Projektile oder so­ genannte Dum-Dum-Geschosse verwendet worden". Er schil­ dert die „unerschütterliche Ehrlichkeit" und „bestechende Glaubwürdigkeit" deutscher Verwundeter, die ihm die entsetzlichsten Greuel der Franzosen und Belgier als Augenzeugen mitteilten („ausgestochene Augen", „abgeschnittene nutzere Genitalien" aus Neufchateau in Belgien usw.).

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schweren Vorwürfe, die mit Recht gegen die französische Armee er­ hoben worden sind, in keiner Weise entkräften. Die Frage, ob die Dum-Dum-Patronen unserer Feinde etwa ursprünglich für einen harmlosen Zweck bestimmt waren, kommt gar nicht in Betracht gegen­ über der erwiesenen Tatsache, daß sie zu vielen Tausenden auf den Schlachtfeldern gefunden und im Kampf gegen uns verwendet wurden. An diese Tatsache allein haben wir uns zu halten, und von ihr mutz jedermann ausgehen, der sich in unbefangener Weise ein Urteil bilden will, ob die Kriegführung unserer Gegner den Geboten der Menschlich­ keit und den ausdrücklichen Bestimmungen des Abkommens vom Jahre 1899 entspricht. Der beste Beweis für die Menschlichkeit der deutschen Kriegs­ führung ist ein Vergleich der Geschosse der drei Armeen, der deutschen, französischen und englischen. Die Untersuchung ergibt, daß das deutsche das kleinste und härteste, das bei weitem humanste ist. Das französische und englische ist viel größer und weicher. Das französische wie das englische reißt größere und gefährlichere Wunden als das deutsche — auch bei normaler Beschaffenheit *). *) Die amerikanischen Fabriken lieferten (s. unten das Nähere in Teil III) grotze Massen von Dum-Dum-Geschossen. Die „New Yorker Staatszeitung" vom 16. Dezember 1915 schreibt u. a.: „Die schon verschiedentlich laut gewordene Behauptung, dab amerikanische Fabriken nicht nur gewöhnliche Munition, sondern auch die in ihrer Wirkung barbarisch grausamen Dum. Dum - und „M u s h r o v m" - G e s ch o s s e in un­ geheuren Mengen an die Feinde Deutschlands liefern, spielt eine Hauptrolle in beschworenen Aussagen, die dem Bundesdistriktsgericht gestern von Anwalt Benno Loewy im Interesse von Dr. Herbert Kienzle und Engelbert Bronkhorst vorgelegt wurden, die der Teilnahme an „Verschwörungen" zur Vernichtung von Munition beschuldigt stnd. Dr. Kienzle erklärt, seine ganze Tätigkeit im deutschen Interesse habe sich darauf beschränkt, die Versendung derDum-Dum - undMufhroomKugeln zu unterbinden, und hat seinen Aussagen Photographin deutscher Soldaten beigefügt, die durch solche Geschosse entsetzliche Verwundungen erlitten haben, und diese Geschosse sind, wie Dr. Kienzle beeidet, von der Union Metallic Cartridge Co., Bridgeport, Conn., nach Europa verschickt worben. Kienzle erwähnt, er habe festgestellt, dab am 20. Oktober 1914, also während des Krieges, dieameritanischeRegierung unter Nr. 1114 356 einem Frank O. Hoagland Ln Bribgeport, Conn., für die „Union Metallic Cartridge Co." in Bridgeport ein Patent aus Herstellung von „Mushroom"-Kugeln bew i l l L g t und dab die Gesellschaft die Kugeln fabriziert undinauberordentlich groben Mengen an die Engländer geliefert habe. Durch solche Kugeln bei deutschen Soldaten hervorgebrachten Wunden befinden sich unter den Photographien.

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11. Kapitel. Völkerrechtswidrige Behandlung diplomatilcher Vertreter durch die Vreiverbandsltaaten. — Völkerrechtswidriges Benehmen diplomatilcher Vertreter des Dreiverbandes I. Von Wien wurde unterm 14. August gemeldet: „Durch die amerikanische Botschaft wurde dem Ministerium des Auswärtigen folgende Tatsache zur Kenntnis gebracht: Am 13. August wurde der österreichischungarische Vizekonsul Hossinger, der von dem österreichisch-ungarischen Botschafter zum Schutz des diplomatischen Archivs in Petersburg zurückgelassen worden war und für dessen Sicherheit bas russische Auswärtige Amt ausdrücklich garantiert hatte, als Kriegsgefangener verhaftet. Der Protest, den die amerikanische Botschaft, die bekanntlich in Russland den Schutz der österreichisch-ungarischen Interessen für die Dauer des Krieges übernommen hat, gegen diesen eklatanten Bruch des Völker­ rechts einlegte, blieb ohne Erfolg. Die österreichisch-ungarische Regierung sah sich veranlasst, diesen russischen Gewaltakt, dem übrigens bereits die willkürliche Ver­ haftung des Botschaftskanzleibeamten Loster vorangegangen war, mit der völker­ rechtlichen Waffe der Repressalie zu bekämpfen, und hat daher noch heute die Gefangennahme des russischen Kanzleibeamten Stolkowsky, dem die diplomatischen Archive der hiesigen Botschaft anvertraut waren, und des russischen Botschafts­ geistlichen verfügt."

Vertragsbruch, Ehrenwortbruch, Völkerrechtsverletzung, Ver­ letzungen des gemeinen Strafrechts! Diese Waffen und Gepflogen­ heiten haben das bißchen Kulturfirnis vom ersten Tage des Krieges an und schon vor der Kriegserklärung weggewischt. Der mongolische oder tatarische Standpunkt hat die sämtlichen Verträge von Haag von 1899 und 1907, die auf Veranlassung des „Friedenszaren", d. h. auf eine plötzliche Laune dieses von unkontrollierbaren Faktoren ab­ hängigen Monarchen (in Ausführung einer Idee des Königs Humbert?) geschloffen wurden, an einem Tage weggeweht! Und nicht nur das: die fundamentalen Grundsätze des ungeschriebenen, stets für heilig erachteten Völkerrechts, die Unverletzlichkeit der aner­ kannten Vertreter einer kriegführenden Macht hat Rußland mit Fützen getreten1). *) Am 3. Mai 1915 erschien als Sonderbeilage der „Nordd. 9111g. Ztg." eine Denkschrift über die Behandlung brr deutschen Konsuln in Rußland und die Zer­ störung der deutschen Botschaft in Petersburg, die nicht bloß alles bestätigt, was wir in 1. Auflage hier niederlegten, sondern die ein erschütterndes Bild von den Völkerrechtssreveln des tatarisch-astatischen Staats gegenüber den deutschen Kon­ suln gibt. Die Beamten wurden „vollständig als gemeine Verbrecher behandelt". Mit Ausnahme der Beamten des Petersburger und Warschauer Generalkonsulats und des Konsuls von Wladiwostock wurden alle anderen Konsulatsbeamten ver­ haftet und wie gemeine Zuchthäusler behandelt. Roch setzt stnd z. B. der Konsul

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Ich spreche hier nicht von der Verhaftung des deutschen Konsuls und seiner Familie in Abo und zahlreichen ähnlichen kleineren Ver­ letzungen dieser ungeschriebenen Satzungen, sondern von der v ö l k e r rechtlichen Schandtat, die unter den Augen der russischen Behörden erfolgte, der Zerstörung der deutschen Bot­ schaft in Petersburg am 4. August, bei welcher der greise deutsche Dragoman Kattner vom Pöbel niedergestochen wurde! Mit Recht nennt die unten erwähnte Denkschrift die Tat einen „ungeheuer­ lichen, seit dem Rastatter Gesandtenmord einzig dastehenden Völker­ rechtsbruch". Ich lasse ganz kurz zwei Augenzeugen sprechen, deren Aussagen nicht widerlegt werden können und auch nicht widerlegt wurden, die über die Vorbereitungen zu dieser Greueltat sich auslasten. Ein Augenzeuge der Zerstörung der deutschen Botschaft in Petersburg sandte der „Kölnischen Zeitung" u. a. folgende Schilderung: „Ich traf Donnerstag, 30. Juli, aus dem Innern Rußlands in Petersburg ein, konnte jedoch wegen der damals schon im Gange befindlichen Mobilmachung die Stadt nicht verlassen. Der deutsche Botschafter hatte am 2. August frühmorgens Petersburg verlassen, und ich stand in dieser Zeit in fortwährendem Kontakt mit der österreichisch-ungarischen und amerikanischen Botschaft. Am Dienstag, 4. August, nahm die Zahl der Kundgeber eine bisher unge­ legene Größe an. Als ich den Zug auf dem Platz vor der Isaak-Kirche, an dem die deutsche Botschaft liegt, ankommen sah, bemerkte ich, daß sich in seiner Mitte etwa 100 Leute befanden, von denen ein Teil mit Äxten, Brecheisen und andern Werkzeugen versehen war. Rach einer kurzen Ansprache wurde die Parole aus­ gegeben, die deutsche Botschaft zu zerstören. Ich hatte das Gefühl, daß alles vorher arrangiert und im Einverständnis mit der Polizei durchgeführt wurde........." Es folgt dann die nähere Beschreibung des Vorgangs des Mordes. Frhr. v. Lerchenfeld in Kowno und der Vizekonsul Anders in Tiflis im Gefängnis bzw. Zuchthaus, wo sie aus das empörendste behandelt werden. Die russische Re­ gierung hat sich in den „Austauschverhandlungen" genau so perfid und vertrags­ brüchig bewiesen, wie bei Beginn des Kriegs und in dessen ganzem Verlauf (s. dort das Nähere). Besonders ergreifend ist die Schilderung der grausamen Behandlung des Konsuls Schönstedt in Saratow usw. Nicht besser war das Benehmen gegen die Frauen. Hier ist bezeichnend die furchtbare Erzählung der Selma Meyer. Ein Aktuar wurde zum Steinklopsen und sonstigen schwersten Arbeiten verwendet. In der Denkschrift ist auch zu gleicher Zeit die Dreistigkeit ins richtige Licht gefetzt, mit der die Russen über schlechte Behandlung ihrer Funktionäre in Deutschland klagten. Es ist in klarer Weife bewiesen, daß es sich dort um verleumderische, „heuchlerische Phrasen" handelt: Klagen über Internierung von ein paar Stunden (!), die von den Betreffenden selbst als „un tres bon Souvenir" bezeichnet wurden! Besonders hervorgehoben muß werden, baß man den Konsulatsbeamten wie allen deutschen Gefangenen alles Geld ohne Quittung abnahm, d. h. stahl, wäh­ rend die vielfach als russische Spione offiziell funktionierenden russischen Konsuln ausgezeichnet behandelt wurden.

127 Und ein anderer Zeuge erzählt sachlich ganz übereinstimmend: „Die Zerstörung der deutschen Botschaft sei ein planmäßig vorbereiteter Roheitsatt bestellter Banden und nicht das Augenblickswerk betrunkener Pöbelmasten gewesen. Während berittene Gendarmen und Polizei für die Ordnung aus dem Platze, an dem die Botschaft gelegen ist, gesorgt hätten, seien ganze Kohorten Bewaffneter und mit dem erforderlichen Rüstzeug an Leitern, Beilen, Messern und Scheren versehene Trupps unbehindert in das Botschafterpalais eingedrungen und hätten vor den Augen von Militär und Volk ihr Zerstörungswerk vollendet. Und während in den Botschaftsräumen die Banden hausten, den greisen Dragoman Kattner niedermetzelten, Mobiliar, Kunstgegenstände, Archiv usw. demolierten, das Gebäude in Brand steckten — eine Arbeit, die eine Reihe von Stunden beanspruchte — hielten die Gendarmen des Zaren auf dem Platz Wache und sorgten für die Aufrechterhaltung des Verkehrs vor den Fenste.rn der Botschaft! Keinem von ihnen ist es in den Sinn gekommen, in das Gebäude selbst einzudringen und den Mordbuben, dienachHundertenzählten,ihrblutigesHandwerkzu legen. Selbst auch dann nicht, als man das lebensgroße Bild unseres Kaisers auf die Straße schleppte und es der Zerstörungswut des hier harrenden Pöbels preisgab."

Diese in der deutschen Presse wiedergegebene Schilderung wird durch die soeben erschienene amtliche Denkschrift völlig bestätigt. Alle herrlichen Kunstschätze der Botschaft wurden teils vernichtet, teils gestohlen. Warum rühren sich hier die Herren Ferdinand Hodler und Konsorten nicht? Die Denkschrift meldet als besonders interessante Einzelheiten noch folgendes: Die auf dem Platze aufgestellte Polizei verhielt sich völlig passiv, ebenso der Stadthauptmann. . . . Der greise Hofrat Kattner konnte nicht schnell genug laufen und wurde auf die scheußlichste Weise ermordet. Ein anderer Herr, der schon unter einem mit einem Messer bewaffneten Hooligan lag, wurde auf wunderbare Weise dadurch gerettet, daß gerade in dem Augenblick die elektrische Beleuchtung im ganzen Hause erlosch, worauf die Menge, von panischem Schrecken ergriffen, plötz­ lich floh. . . . Kurz vor 12 Uhr drangen neue Horben ein und setzten das 8erstörungswerk fort. Um 1% Uhr fetzte der Ansturm mit erneuter Kraft ein. Um 2% Uhr versuchte die Menge die Botschaft in Brand zu sehen, was die Polizei, die offenbar für die umliegenden Häuser fürchtete, endlich bewog, einzuschreiten. Aus der Leichtigkeit, mit der es gelang, in wenigen Augenblicken die Botschaft und den Platz zu säubern, geht die verbrecherische Mit­ schuld der Regierung klar hervor. Deutsche Beamte sprachen schon um 11 Uhr mit dem amerikanischen Geschäftsträger, welcher erklärte, daß er bereits das Auswärtige Amt um Schutz gebeten habe. Der österreichische Botschafter machte um 1 Uhr Herrn Ssasonow aus die unerhörten Vorgänge aufmerksam, er­ hielt aber von ihm die unglaubliche Antwort: „Ils ont casse quelques vitres.“ Diese frivole Räuberäußerung findet ihre Beleuchtung in dem Befund der ame­ rikanischen Botschaft: „The German embassy was completely wrecked by the mob, not a single atticle of furniture being lest undestroyed." Man kann diese Großtat der russischen Regierung am besten mit den berühmten Worten

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Roman Dmowskys kennzeichnen: „Das russische Volk hat manche guten Eigen­ schaften, aber die Regierung ist eine asiatische."

Es bedarf keiner langen theoretischen Auseinandersetzung, datz hier ein den Völkern geheiligtes, Jahrtausende altes Recht, das Recht der Unverletzlichkeit der völkerrechtlichen Ver­ tretung eines Staates in der empörendsten Weise verletzt worden ist. Die gesandtschaftlichen Privilegien und Exemtionen gelten nach allgemeiner Rechtsansicht (s. z. B. llllmann, a. a. O. S. 191; Liszt u. a.) auch für die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft, insbesondere für die Sekretäre, Dragomane usw. Die völkerrechtlich garantierte Unverletzlichkeit bezieht sich auch auf die Gebäude der Gesandtschaft, insbesondere auch auf das Archiv der betreffenden diplomatischen Mission — selbst für die Zeit des Krieges. Sind doch sogar Kon­ sulatsgebäude und die Archive des Konsulats unverletzbar (s. Ullmann a. a. O. S. 225 und S. 223). Die Zerstörung der Botschaft, die Ermordung des einen Be­ amten, die Verhaftung des andern sind also nicht nur schwere Ver­ brechen nach gemeinem Strafrecht, sondern völkerrechtliche Missetaten ärgsterArt, deren Sühne geradezu zum Himmel schreit und die an jeder Möglichkeit der Wiederherstellung der Achtung vor dem Völkerrecht überhaupt beinahe verzweifeln lasten. Mit solchen Handlungen sinken „zivilisierte" Großmächte, „allerchristlichste" Staaten unter das Niveau von Negerrepubliken und afrikanischen Negerstaaten herab. Der Ausbruch des Krieges zwischen dem Absendestaat und dem Empfangsstaat führt zwar zur Einstellung der diplomatischen Beziehungen, allein Eigentum und Person bleiben nach wie vor un­ verletzlich. Es braucht natürlich kein kriegführender Staat die Missionen des andern auf seinem Gebiete zu dulden, er kann die Ab­ reise auch des Personals verlangen; aber eine sofortige Gefangennahme von Personen, die zum Schutze der völkerrechtlich garantierten Un­ verletzlichkeit des Archivs aufgestellt sind, ist unerlaubt. Der Empfangsstaat hat für die Erhaltung der Gesandtschastsräume inklusive des Archivs auch während des Krieges unbedingt zu haften und bei Plünderung und Verletzung des Eigentums der auswärtigen Ver­ tretungen auf das strengste solche Frevel zu ahnden. Der völlige Schadensersatz und die Entschuldigung wegen solcher Verbrechen ist eine Selbstverständlichkeit. Was geschah in Rußland gegen diese Frevel, die unter den Augen der Polizei und mit deren stillschweigender Genehmigung geschahen?

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Wie die „Nowoje Wremja" unterm 20. September meldete, wurde das Gesindel, das bei der Plünderung der deutschen Botschast verhaftet war, wieder auf freien Fuß gesetzt. Der Untersuchungsrichter hat nach dieser Quelle festgestellt, datz die Leute nicht aus Plünderungs­ sucht, sondern aus „edlen patriotischen Beweggründen" gehandelt haben! Auch vom deutschen Konsulat in Moskau sollen nur noch die Mauern stehen. Das Konsulat wurde wie sämtliche deutsche Geschäfte zerstört. Schutzleute und Militärs sahen nach den Aussagen von Augenzeugen („Berliner Tagebl.") vergnügt zu und feuerten zu diesen gemeinen Verbrechen noch an! II. Und wie die Russen, so ihre Bundesgenossen und -brüder. Die Art der Ausweisung des deutschen und österreichischen Geschäfts­ trägers in Tanger ist nicht nur vom allgemeinen staatsrechtlichen Standpunkt aus überaus bedenklich, sondern bildet nach Ansicht der beiden Regierungen auch die Verletzung spezieller völkerrechtlicher Stipulationen. Die marokkanische Regierung hat dem deutschen kaiserlichen Ge­ schäftsträger in Tanger am 19. August nicht bloß die Pässe ohne jede vorherige Verständigung zugestellt, sondern ihn auch mit dem ge­ samten Personale der Gesandtschaft gewaltsam an Bord des französischen Kreuzers „Cassandra" geschafft, um ihn nach Palermo zu transportieren. Ebenso erfolgte die Wegschaffung des österreichischen Geschäfts­ trägers Wagner ohne jede vorherige Verständigung. Ein Pikett französischer Soldaten erschien im Gesandtschaftsgebäude und eskor­ tierte die Mitglieder der Gesandtschaft nach dem Hafen. Ja sogar das Ersuchen des Geschäftsträgers, seine Habseligkeiten abzuholen, wurde schroff abgelehnt. Erst nach der Abreise des Dampfers erfuhr das Personal der Gesandtschaft, daß Sizilien das Reiseziel sei. Also nicht mit der Achtung und den Rechten der diplomatischen Vertretung, sondern nach Art der Abschiebung von Verbrechern wurde gegen die diplomatischen Vertreter Deutschlands und Österreichs von der fran­ zösischen Regierung und der marokkanischen Scheinregierung vor­ gegangen. Dieser Überfall in der Hauptstadt der internationalen Zone Marokkos, in der die diplomatischen Vertreter der Signatarmächte der Algecirasakte noch jetzt eigentlich die Kontrolle der Regierung auszuüben haben, bedeutet unzweifelhaft einen unerhörten Bruch des Vertrags- wie des allgemeinen Völkerrechts. Daß ihn das Land

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der „Heiligkeit" des Vertrags, England, ausdrücklich billigte, kann wohl einem vernünftigen Zweifel nicht unterliegen. In Art. 1 und 2 der Algecirasakte (f. R.-G.-Bl. 1906, Nr. 46, S. 867 ff.) heißt es, daß die Polizei „unter der souveränen Gewalt Seiner Majestät des Sultans" stehe. Die marokkanische Kriegs­ erklärung an Deutschland ist nur eine völkerrechtliche Posse; die Schellfische Majestät wäre froh, wenn ein deutsches Armeekorps sie von dem lieben Protektor so rasch als möglich befreien würde. Aber die Rechte der Großmächte sind durch einen allgemeinen internatio­ nalen Akt in der Algecirasakte von 1906 niedergelegt. Die Algeciras­ akte sieht in einer ganzen Reihe von Fällen ein gemeinsames Vor­ gehen des diplomatischen Korps in Tanger vor'). Es ist klar, daß durch die einfache Beseitigung des deutschen und österreichischen Ver­ treters durch die Schein-Scherifische-Majestät — in Wirklichkeit durch Frankreich — alle diese vertragsmäßigen, auf der Neutralisierung und Internationalität Marokkos basierenden Rechte hier ohne jeden weiteren Grund gebrochen worden sind. Selbstverständlich wird auch die ganze international garantierte deutsche Konsulargerichtsbarkeit in Tanger durch dieses unerhörte Vorgehen vernichtet, wie das in Art. 51 der Deutschen Reichsbank garantierte Recht der Ernennung eines Zensors bei der Staatsbank in Marokko, dem weitgehende Rechte in Art. 52 der Algecirasakte eingeräumt sind. Hier sind durch Frankreich die von 13 Staaten, darunter von den meisten der jetzt kriegführenden, unterzeichneten und ratisizierten internationalen Verträge ohne weiteres beseitigt worben2). III. Wie in Rußland und in Marokko, ging es den diplomati­ schen Vertretern von Deutschland und Österreich in allen andern 1) Siehe z. B. Art. 9, 29, 45 betreffs des Svndergerichts für die marok­ kanischen Banken, Art. 65, 75 ff., 97 ff. über das Zollkomitee, Art. 117 über die Wahl eines Schiedsrichters bei Enteignungen; auch die Liste für diese Schieds­ richter soll durch das diplomatische Korps ausgestellt werden usw. 2) Die Literatur über die Algecirasakte f. „La Conference d'Algeciras“ {Bibliothcque d'histoire contemporaine) von Andre Tardleu, Histoire diplo­ matique de la crise Marocaine (15. Januar bis 7. April 1906), Paris 1907, insbesondere auch die Appendices. Diercks, Gustav, Die Marokkofrage und die Konferenz von Algeciras. Berlin, Georg Reimer, 1906; f. auch das deutsche Weißbuch über Marokko (September 1900 bis April 1908), insbesondere 119 ff. Die völkerrechtswidrige Behandlung der Deutschen im allgemeinen fand ihren Höhepunkt in der Behandlung der deutschen Kaufleute in Casablanca, die man gefangen fetzte und in unerhörtem Scheinverfahren wegen Spionage verurteilte; der Postafsistent Seyffert wurde kriegsrechtlich erschossen (5. November). Aus englischen veröffentlichten Briefen geht hervor, daß jede Spur eines Beweises fehlte (f. auch Kap. 29).

feindlichen Ländern (f. z. B. über die unerhörten Leiden der öster­ reichischen Konsulatsmitglieder in Odessa die Berichte der „Neuen Freien Presse" Mitte Januar 1915). Der österreichische Konsul in Kiew, Baron Hein, soll nach derselben Quelle bereits 2 Tage vor der Kriegserklärung gefangen und in das Innere geschleppt worden sein. Die türkischen Konsuln in Rostow am Don und Kertsch erzählen entsetzliche Dinge über die schlechte Behandlung, die man in Ruß­ land ihnen und allen österreichisch-ungarischen und deutschen Kon­ sulatsbeamten angedeihen liefe. Letztere wurden nach Sibirien ver­ bannt. Kiamil Bey, der bis zum Ausbruch des Krieges türkischer Generalkonsul in Odessa war, erzählt, er sei, weil er seiner Regie­ rung über die die Türkei interessierenden Fragen Bericht erstattet hatte, der Spionage beschuldigt und auf roheste Art ins Gefängnis geworfen worden. In einem kleinen steinernen, unterirdischen Käfig, der nur durch eine Luke von oben Licht und Lust erhielt und den er selbst reinigen mufete, wurde er 24 Tage festgehalten. Täglich brachte man ihn eine Viertelstunde in den Gefängnishof. Bei einem dieser Spaziergänge sah er den österreichisch-ungarischen General­ konsul Baumgartner und den Vizekonsul Fillinger, die schon seit drei Monaten im Kerker schmachteten und sich noch jetzt dort be­ finden. Fillinger hatte, um den Qualen zu entgehen, einen Selbst­ mordversuch unternommen, indem er versuchte, sich mit Glasscherben den Hals zu durchschneiden; er wurde durch den Blutverlust ohn­ mächtig, konnte aber noch gerettet werden. Bei wiederholten Inter­ ventionen des italienischen Botschafters in Petersburg wurde diesem im Auswärtigen Amt in Petersburg bedeutet, Kiamil habe Odessa bereits verlassen, während er tatsächlich noch im Kerker saß. (Siehe jetzt insbesondere das im April 1915 erschienene österreichische Rot­ buch, das die gegen die diplomatischen Vertreter begangenen Frevel eingehend schildert.) Besonders originell ist der Verlauf der Dinge in Persien. Das W. T. B. meldete am 12. November 1914: „Die deutsche Kolonie in Täbris, die sich auf dem Wege nach Teheran befand, wurde von russischen Streitkräften angegriffen und mit Frauen und Kindern ge­ fangen genommen, um nach Rußland in Gefangenschaft verschleppt zu werden." Russische Truppen haben zwar seit ein paar Jahren Täbris und andere wichtige Orte in Persiens bester Provinz Aferbeidfchan unter dem Vorwand besetzt, dort Ruhe zu stiften. Persiens volle Souveränität über die Provinz besteht aber selbst­ verständlich noch heute, und die Gefangennahme der auf dem Wege nach Teheran befindlichen Täbriser deutschen Kolonie ist nichts anderes als ein räuberischer Überfall auf dem unbestrittenen Gebiete eines fremden Staates. Der deutsche Konsul wurde mit dem Archiv durch das rechtzeitige Eingreifen der amerikanischen Gesandtschaft vor den Russen gerettet.

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Auch hier handelt es sich nicht blojj um einen allgemeinen Völkerrechtsfrevel, sondern um den Bruch der Unverletzlichkeit eines neutralen Landes, das, wenn es auch dem Haager Abkommen nicht beigetreten ist, den allgemeinen Anspruch darauf hat, datz auf seinem friedlichen Gebiete nicht grobe völkerrechtliche Frevel zuungunsten eines dritten Staates begangen werden, mit dem jener Staat in friedlichen Beziehungen lebt. Eine köstliche Illustrierung zu dem Vorgehen der russischen Ge­ walt ist die undementierte Mitteilung aus Konstantinopel vom 22. September, die folgendermaßen lautet: Den Höhepunkt der Panik, die das Vordringen des türkischen Heeres in Aserbeidschan verursachte, bildete bas Gesuch des russischen Generalkonsuls in Täbris an das deutsche Konsulat um Schütz und um die Überlassung einer deut­ schen Fahne.

Es geht doch wahrhaftig nichts über russische Naivität und — deutsche Gutmütigkeit! (S. auch die Sammlung von Nachrichten für die Verletzung des Völkerrechts, herausgegeben vom K. u. K. Minister des Äußeren, „Nordd. Allg. Ztg." vom 2. August 1915.) IV. Das Höchste an völkerrechtswidrigem Benehmen eines Diplomaten ist die Anstiftung des Dieners des nunmehr schändlich hingerichteten Irenführers Sir Roger Eafement (Januar 1915) zum Meuchelmord bzw. zur Auslieferung seines Herrn und Wohltäters an die englische Regierung auf neutralem Boden und unter Miß­ brauch seiner Exterritorialität, die so weit ging, daß er dem gedungenen Mörder außer dem Lohn von 5000 Pfund Sterling persönliche Straffreiheit (Adler Christensen is also to enjoy personal immunity) und Flucht nach Amerika versprechen konnte. Dieses gemeine Verbrechen des englischen Ge­ sandten M. C. de Findlay ist zugleich die dreisteste Völkerrechts­ verletzung und der höchste Mißbrauch der völkerrechtlichen Mission und Exterritorialität, die die Neuzeit erlebte. Wir müssen hier auf die zum Teil klassischen öffentlichen Briese Sir Rogers an Sir Edward Grey verweisen, die das Verbrechen der englischen Regierung klar beweisen und zeigen, was sich englischer Übermut und Macht­ dünkel auf neutralem Boden leisten konnte. Die deutsche Reichs­ regierung hat in einer offiziellen Bestätigung (Februar 1915) dar­ getan, daß ihr die Originale Sir Easements vorgelegt worden feien, an ihrer Echtheit ist also nicht zu zweifeln'). *) Auch die in diesen Tagen bekannt gewordene Verschwörung gegen die türkische Regierung scheint eine Fundgrube englischer und französischer gemeiner Verbrechen zu bilden.

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V. England hat die völkerrechtliche Eigenschaft, daß es sich in seinen Brüchen des Völkerrechts immer noch selbst übertrifft. Frankreich tut, was England angibt. Nach einer großen Anzahl brutaler Vergewaltigungen der griechischen Neutralität und seiner Territorialrechte (s. unten das besondere Kap.) erreichten diese ihren Höhepunkt in der Verhaftung der bei Griechenland akkreditierten diplomatischen Vertreter der Zentralmächte und ihrer Verbündeten in Saloniki durch die Soldateska des Vierverbandes. Die „Agence Havas" meldet aus Saloniki vom 30. Dezember: Infolge des Angriffes feindlicher Flugzeuge haben die Militärbehörden der Entente die Ausweisung der Konsuln des Deutschen Reiches, Österreich-Ungarns, der Türkei und Bulgariens beschlossen. Die Konsulate wurden von Truppen um­ zingelt und die Konsuln erhielten Beseht, unverzüglich abzureisen. Rach einer späteren Havasmeldung wurden die verhafteten Konsuln Deutschlands, Österreich-Ungarns, der Türkei und Bulgariens auf das französische Grotzlinienschisf „Paine" gebracht. Saloniki ist auch nach der Besetzung durch das englisch-französische Ex­ peditionskorps griechische Stadt geblieben. Griechenland war ein neutraler Staat, besten Hoheitsrechte — dazu gehört das passive Gesandtschastsrecht — durch die militärische Okkupation der Stadt nicht verkümmert werden können. Das Völker­ recht erfordert, datz ein Staat die bei ihm beglaubigten diplomatischen und kon­ sularischen Vertreter eines fremden Landes gegen jede Beeinträchtigung ihrer Rechte und ihrer Freiheit schützt.

Griechenland verlangte sofort (1. Januar 1916) die Freigabe der Verhafteten und protestierte energisch gegen die unerhörte Kränkung seiner Souveränitätsrechte. Selbstverständlich war der Luftangriff auf griechisches Gebiet, der nur gegen französische und englische militärische Werke gerichtet war, nur eine leere Ausrede. Er hatte mit der Verletzung der völkerrechtlich garantierten Exterritorialität nicht das Mindeste zu tun. Auf der Insel Mytilene sind die Militärbehörden der Entente, die diese griechische Insel besetzt hat, dem in Saloniki gegebenen Bei­ spiele gefolgt und haben die dortigen deutschen, österreichischen und türkischen Konsularvertreter verhaftet. Die Agence Havas meldete darüber unterm 9. Januar 1916 aus Mytilene: Eine Abteilung von Truppen des Vierverbandes hat den dortigen deutschen Bizekonsul Courtgis, der griechischer Untertan ist, und seinen Sohn, den Dragoman des Konsulats, festgenommen; ebenso wurde der österreichisch-ungarische Konsularagent Bartzili, ein osmanischer Würdenträger, der deutsche Agent Hotfner und mehrere andere Personen, die verdächtig erschienen, verhaftet.

über die Verhaftung des österreichisch-ungarischen Konsuls in Saloniki berichtete ein Augenzeuge: Der französische Kapitän sagte jum Konsul: „Im Austrage des Generalkommandierenden Earrail erkläre ich Sie für verhaftet." Der Konsul erwiderte:

„Sie verletzen, mein Herr, die souveränen Rechte eines neutralen Staates, bei dem ich akkreditiert bin." Der Kapitän antwortete wörtlich: „Sie haben die Neu­ tralität noch mehr verletzt, indem Sie Bomben auf neutrales Gebiet warfen." Nochmals protestierte der Konsul und erklärte, er gebe sich nicht gesungen, worauf er umringt und in brutaler Weise hinausgeschleppt wurde. Drautzen harrte ein Lastenautomobil mit dem Zeichen des Roten Kreuzes. Der Konsul wurde barsch aufgefordert, aufzusteigen, er fragte aber in französischer Sprache: „Ist dieser Wagen für einen Generalkonsul?" Er wurde förmlich hinaus­ geworfen, woraus der französische Kapitän zum Chauffeur sagte: „Vorwärts! Schütteln Sie mir diese famose Gesellschaft recht fest, fahren Sie in jedes tiefe Loch, das Sie von weitem sehen, fahren Sie zum Hafen." Der Chausseur erwiderte: „Überlasten Sie bas mir, mein Kapitän, ich will so fahren, dast dieser Gesellschaft alle Flöhe vom Körper fallen."

Wie die Verhaftung des deutschen Konsuls Walter erfolgte, ist unbekannt. Der bulgarische Konsul Redkow, der seine Fa­ milie in Voraussicht der kommenden Dinge schon längst nach Sofia geschickt hatte, war abends eingeladen. Als er bei feinen Bekannten eintreten wollte, verwehrten ihm zwei französische Soldaten mit auf­ gepflanztem Bajonett den Eintritt und erklärten ihn für verhaftet. Der Konsul protestierte heftig, es half aber nichts. Er wurde um­ zingelt, grob behandelt und weggeführt. Jetzt wurde (September 1916) der bulgarische Gesandte in Bu­ karest widerrechtlich festgehalten und mißhandelt. über den Anschlag auf den österreichisch-ungarischen Gesandtschaftssekretär in Athen meldet am 5. September 1916 der „Daily Telegraph": Der österreichisch-ungarische Gesandtschaslssekretär in Athen unternahm am Sonntag mit zwei Beamten eine Autofahrt nach Eleusis. Plötzlich bemerkten sie, daß sie von einem Automobil der Alliierten verfolgt wurden. Das letztere forderte sie auf, zu stoppen. Das österreichische Auto tat es nicht, worauf bas andere Fahrzeug, das sich als ein englisches entpuppte, Schüsse aus den verfolgten Wagen abgab. Der österreichische Kraftwagen hielt und seine Insasten wurden für gefangen erklärt. Kavas, der Gesandtschaftssekretär, ist verwundet. Wie dem Secolo aus Athen am 5. September 1916 gedrahtet wird, sind dort die Beamten der deutschen Gesandtschaft Hofsmann und Hipp verhaftet worden, ebenso der Grieche Caractidi. Der österreichische Legationssekretär Eckl versuchte im Automobil zu entfliehen. Der Kraftwagen wurde durch Schüste zum Stehen gebracht und der Legationssekretär verhaftet. Dem deutschen, unbeamteten Agenten Baron Schenk soll es gelungen sein, zu entfliehen und Florina zu er­ reichen. Der rumänische Militärattache wurde, weil er mit dem deutschen Gesandtschastsbeamten Hossmann befreundet ist, ebenfalls verhaftet, später aber wieder freigelasten.

VI. über die völkerrechtswidrige Beschlagnahme des öster­ reichisch-ungarischen Botschaftspalais in Rom, Palazzo Venezia, sagt die offizielle Protestnote folgendes:

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Das österreichisch-ungarische Ministerium des Äutzern hat unter dem 30. Aug. die kgl. spanische Botschaft am Quirinal bitten lasten, im Namen der österreichischungarischen Regierung beim Kabinett in Rom wegen der Konfiskation des Palastes der österreichisch-ungarischen Botschaft beim Heili­ ge n S t u h l einen Protest zu überreichen, der in deutscher Übersetzung folgender­ maßen lautet: „Mit italienischem Dekret vom 25. August wurde der unter dem Namen Palazzo di Venezia bekannte Palast der österreichisch-ungarischen Botschaft beim Heiligen Stuhl für italienisches Staatseigentum erklärt und die österreichisch­ ungarische Regierung unter Festsetzung einer Frist aufgefordert, den Palast zu räumen. Obwohl Italien schon hinlänglich Beweise gab, batz es vor keinem noch so schweren Rechtsbruch zurückscheut, wenn es gilt, seine Begehrlichkeit zu be­ friedigen, so kann die österreichisch-ungarische Regierung doch nicht umhin, gegen den neuerlichen Gewaltakt, dessen sich die italienische Regierung schuldig gemacht hat, aufs entschiedenste Verwahrung einzulegen. Die österreichisch-ungarische Re­ gierung hält es unter ihrer Würde, auf die teils lügenhaften, teils lächerlichen Vorwände einzugehen, mit denen Italien jene Freveltat zu bemänteln sucht. Sie beschränkt sich darauf, festzustellen, datz die italienische Regierung vor demagogischen Umtrieben auch dann nicht zurückweicht, wenn sie damit den feierlich verbrieften Verpflichtungen ins Gesicht schlägt. Im Friedensvertrag vom 30. Oktober 1866 anerkannte Italien das Eigentumsrecht Österreichs am Palazzo Venezia aus­ drücklich, nachdem schon in der Konvention mit Frankreich vom 24. August 1866 die Unantastbarkeit dieses Rechts ausgesprochen worden war. Das italienische Dekret vom 25. August 1916 widerspricht aber nicht weniger den italienischen Ge­ setzen selbst, die den zum Heiligen Stuhl entsandten Vertretern der Mächte alle Privilegien zuerkennen, wie sie den beim italienischen Hofe beglaubigten Diplo­ maten zustehen. Die Vertreibung der österreichisch-ungarischen Botschaft beim Heiligen Stuhl aus dem Palast, wo sie ihren Sitz hatte, verletzt in gleicher Weise die Prärogativen Seiner Heiligkeit des Papstes wie das Recht Österreich-Ungarns. Indem die österreichisch-ungarische Regierung erklärt, daß sie das Dekret vom 25. August als null und nichtig betrachtet, behält sie sich vor, alle ihr in dieser Angelegenheit geeignet erscheinenden Maßnahmen zu treffen."

12. Kapitel.

A. Mchtdeachtung und Verletzung des Loten kreuze« leitens der Vreiverbandttaaten. I. Auf beiden Kriegsschauplätzen ist eine Fülle von Freveltaten gegen das Völkerrecht, gegen deutsche Ärzte und Verwundete sowie gegen ganze Lazarette und das ganze Sanitätspersonal begangen worden, die gegen die Genfer Konvention verstoßen. Aus der Maste von tatsächlichem Material greife ich zunächst ein­ zelne Fälle als Stichproben heraus, in denen die Zeugen genannt find und eine Nachkontrolle leicht möglich ist, die durch die angestellten

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Recherchen zu einer Bestätigung der Behauptungen führte, oder Fälle, in denen mir persönlich die Zeugen als zuverlässig bekannt sind: 1. Westlich von Metz war in einem Orte ein großes Lazarett errichtet worden, auf dem die Flagge des Roten Kreuzes weithin sichtbar wehte. Der Leiter dieses Hospitals war der Chirurg und Professor Dr. Geiser, welcher von Erlangen seine wertvollen Instrumente mitgebracht hatte. In dem Lazarett waren Hunderte von Verwundeten, darunter sehr viele Schwerverwundete, untergebracht. Als die Franzosen gegen den Ort vorrückten, eröffneten sie auch ein erbarmungsloses Feuer gegen das Hospital, trotz der Roten-Kreuz-Flagge (28. August 1914). , . . Die Franzosen nahmen von dem Ort Besitz, und als sie nach einigen Tagen zurück­ gedrängt wurden, bot sich den Ärzten und dem Pflegepersonal ein grauenhafter Anblick. Das ganze Hospital war ein Schutt- und Trümmerhaufen, in welchem alle Schwerverwundeten hilflos ihren Tod fanden und die gesamte Einrichtung vernichtet war. („Frank, k") 2. Das „Berliner Tageblatt" meldet aus Straßburg i. Elf. vom 25. August 1914: Im Metzer Krankenhause gaben die Landwehrleute Christosl, Gefreiter Hain und Bruno Lehmann zu Protokoll, baß am 25. August abends französische Soldaten in ein deutsches Feldlazarett eindrangen und den Stabsarzt niederstachen. Viele Verwundete suchten mit Hilfe des Sanitätspersonals zu entfliehen, wurden aber von den Franzosen verfolgt und zusammen mit den Sanitätsleuten niedergemacht. Das Lazarett ging in Flammen auf. 3. Amtlich wurde folgendes über Tatsachen aus dem Herbst 1914 ver­ öffentlicht: Bethencourt, 10. September 1914. Am 8. September wurden zwei Automobile mit Verwundeten, die die Genfer Flagge führten, im Forst Domaniale von einer französischen Radfahrerabteilung unter Führung eines Offiziers überfallen. Verwundete und Führer wurden ermordert und beraubt. Rur zwei Mann entkamen verwundet. Sie machten diese Angaben dem Stabsarzt ihres Bataillons, der sie der Sanitätskompagnie in Condreville am 9. September übergab. 4. In der Sitzung des badischen Roten Kreuzes vom 5. Oktober teilte der Vorsitzende General Limburger mit, daß es sich bei dem in der Nähe von Valenciennes im September überfallenen Krankentransport um eine siebenköpfige badische Depottruppe des Roten Kreuzes handelte. Die Samariter seien nicht nur getötet, sondern in der fürchterlichsten Weise mißhandelt worden. Aus dem Tagebuch eines Greifswalder Sanitätssoldaten, der zu einem pommerschen Kriegslazarett gehörte, werden Tatsachen der „Franks. Ztg." (Nr. 314) mitgeteilt, die ganz den amtlichen Darstellungen in anderen Fällen entsprechen, doch begnügen wir uns hier mit einigen bestätigten Stichproben. 5. Auf Grund der Berichte eines Landwehr-Infanterie-Regiments an seine vorgesetzte Behörde wurde über den Überfall des Hospitals in Aelbecke, 8 km nord­ östlich von Tourcoing, folgendes amtlich bekannt: Am Sonntag, den 11. Oktober, zwischen 1—2 Uhr nachmittags, erschienen in Aelbecke 18 bis 20 belgische Radfahrer unter Führung eines Offiziers. Sie drangen in das als Feldlazarett eingerichtete Hospital ein, welches durch eine Genfer Fahne gekennzeichnet war. In die beiden Säle, in welchen gegen 40 Schwerverwundete, darunter auch einige Leichtverwundete, lagen, wurden von ihnen mehrere Schüsse, etwa 5—6, abgegeben, ohne zu treffen. Den in einem Saale befindlichen Sanitätsfeldwebel zogen sie aus dem Fenster und erschollen ihn auf der Straße, obwohl er eine Genfer Armbinde trug. Mit den Radfahrern

137 war ein Panzerautomobil angekommen. Einwohner haben sich an dem Überfall nicht beteiligt. Diese Angaben sind mir soeben durch die Vizewachtmeister Grallinger und Engel vom 2. schweren Reiterregiment, sowie durch die Ulanen Pfeiffer und Schneider vom 2. bayerischen Ulanen-Regiment gemacht worden, welche leichtver­ wundet sind und nach Dunkelwerden aus dem Lazarett aufbrachen, um die Hilfe deutscher Truppen herbeizuholen. 6. Anfang September erschien in der Presse folgende Mitteilung: Bei den Kämpfen im Oberelsaß ist in der Nacht vom 27. auf 28. August in der Nähe von Markirch im Anschluß an eine Munitionskolonne ein 50 Mann starker La­ zarettzug, dem fast ausschließlich Münchener angehörten, überfallen und eingeschlosien worden." Es gelang, nach Mitteilung einiger Sanitätsbeamten, die sich zu retten ver­ mochten, der nachrückenden Infanterie, einen oder zwei Wagen des Zuges frei­ zubekommen. Die Mehrzahl der Sanitätssoldaten und Arzte wurde von den Franzosen gefangen genommen (f. weitere Fälle unten).

Über diesen Fall des gefangen genommenen Münchener Lazarettpersonals habe ich spezielle, zuverlässige Privatnachrichten aus Mitteilungen und Briefen der Meistbeteiligten, vor allem des prak­ tischen Arztes Dr. Dax, eingesehen, die so typisch und charakte­ ristisch für den Fanatismus des französischen Volkes wie für das Benehmen der Behörden sind, daß ich von den ungemein ruhig und objektiv gehaltenen Schilderungen wenigstens einiges hier wiedergeben möchte. Nach der Gefangennahme des Lazarettzuges, den sein Rotes Kreuz nicht schützte, hatten die Ärzte und das Personal überall die schändlichsten Beleidigungen durch den Pöbel zu erdulden. Über GLrardmer schreibt Dr. Dax: „Die Fahrt war gräßlich. Die Bevöl­ kerung war rasend, namentlich die Weiber. Was sie alles schrien! „Hunde", „Schweine", „Mörder" und andere Liebkosungen betäubten unsere Ohren" . . . An anderer Stelle: „Die Eisenbahnfahrt war wieder entsetzlich. Auf allen Bahn­ höfen drängte sich der Pöbel an unsere Wagen und schrie und beschimpfte uns wie die gemeinsten Verbrecher. Wir mußten überall die Fenster schließen, da diese Bestien uns in den Wagen spuckten und allen möglichen Schmutz hereinwarfen. Zum Glück halten wir starke Bedeckung, sonst wären wir zerrissen worden. Auch bessere Leute scheuten sich nicht, uns zu beschimpfen und vor allem unseren Kaiser als alleinigen Urheber des Krieges und als Mörder zu bezeichnen. — Nur mit Mühe gelang es uns während der Fahrt, außer verschimmeltem Brot etwas Lebensmittel zu erhalten. Unsere Ration, die wir von GLrardmer mitnahmen, bestand ja nur in einem Schinkenbrot und etwas Wein. — Der Einzug in Montbrisont war entsetzlich. Man kann es kaum glauben, daß es solche Bestien in Menschengestalt gibt. Wir waren (8 Herren) in einen Krankenwagen gesetzt, während die übrigen zu Fuß gehen mußten. Wiederum fürchterliches Gejohle, Flüche, Steinwürfe, ein altes Weib verletzte einen Soldaten mit einem langen Messer am Auge. Helme und Mützen wurden vom Kopfe gerissen usw. Vor einem Schulhause machten wir Halt, als plötzlich unter einem lauten Krach hinter uns ein Stein durch das Fenster des Wagens flog und Dr. May die Scherben ins Genick flogen. Ich saß neben ihm. Den begleitenden französischen

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Mannschaften war es kaum möglich, Ordnung -u machen, auch hatten sie gar nicht recht Lust dazu, was man deutlich merkte, denn sie freuten sich, wenn wieder ein Geschoß fein Ziel erreichte. . . . Unsere Vorstellungen, baß wir Ärzte nach Vereinbarung der Genfer Konvention nicht als Kriegsgefangene behandelt werden dürsten, wurden mit einem Achselzucken und dem ewigen Spruch: „C‘est la guerref“ beantwortet. Man zwang uns sogar, unsere Armbinden abzunehmen. Wir machten nun eine Eingabe an das XIII. französische Armeekorps und legten Protest gegen unsere Gefangennahme ein unter Hinweis auf die Bestimmungen der Genfer Konvention. Wir hörten lange nichts mehr. Man glaubte uns nicht, datz wir Ärzte feien, da wir mit der Munitionstolonne zusammen ergriffen wurden, und sagte uns, datz die deutschen Offiziere alle solche Binden bei sich trügen und vor ihrer Gefangennahme schnell anziehen würden, um dadurch heimzukommen (!!). Trotzdem mutzten wir aber unsere deutschen Kranken behandeln. (Es war furcht­ bar; wir bekamen fast nichts zur Behandlung. Wir hatten mehrere schwere Darm­ blutungen, für die wir nicht einmal gegen Bezahlung eigene Kost erhielten. Der französische Arzt, ein ebenso eingebildeter wie unwissender Kerl, fand es nicht für nötig. Einen Mann mit schwerer Lungenentzündung hielt er für unbedeutend krank und sagte, datz das keine Lungenentzündung fei, sondern nur ein Katarrh. Bin­ den zu Verbänden waren unmöglich zu erhalten usw." — Oberarzt Dr. Dax war bis 19. September in französischer Gefangenschaft, bis er dann wieder, gemäß der Genfer Konvention, entlassen wurde. Die erschütternde Szene, die ein anderes Mitglied des Lazaretts mitteilt, bringen wir an anderer Stelle (|. 14. Kapitel unten; f. auch die Schilderung des ganzen Vorgangs und der nachfolgenden Gefangenschaft seitens des Gefährten des Oberarztes Dr. Dax, des Stabsarztes Dr. May, in den „Münchener 91. 91." vom 13. Oktober 1914, Morgenblatt). 7. Auch aus dem Interview („Augsb.-Münch. A. Z." vom 13. Oktober) des verwundeten Prinzen Franz von Bayern, der in seinen Erzählungen fast ängstlich objektiv ist, geht hervor, datz am 29. August bei Saarburg schwere französische Artillerie den Verbandsplatz der Bayern in einem Schlosse, das sie als Lazarett kannten, da sie es am Tage vorher schonten, beschossen und völlig vernichteten. Die betressende Stelle der Erzählung des Prinzen ist für die gegenseitige Auf­ fassung sehr interessant und widerlegt die Schauermärchen der Franzosen von dem Barbarismus der Deutschen so gründlich, datz ich hier die betreffende Stelle dev Interviews des Prinzen Franz folgen lasse: „Ich ritt zur Brandstätte. Ununterbrochen zogen die Gruppen der Ver­ wundeten an mir vorüber, Bilder des Jammers und menschlichen Elends. Ich sah. wie Männer mit Beinschüssen zu dritt und zu viert sich gegenseitig festhielten und stützten und sich unter Ausbietung ihrer letzten Kräfte vorwärts schleppten. Manche krochen buchstäblich auf allen vieren. Zum Lobe meiner Sanitätsoffiziere mutz ich ausdrücklich erwähnen, datz sie trotz des ununterbrochenen schweren feindlichen Artillerieseuers alle Verwundeten aus den rauchenden, brennenden Trümmern ge­ rettet haben, unterstützt von Freiwilligen des nebenan ruhenden Bataillons. Alle, auch die verwundeten Franzosen. Als ich bann zu den verwundeten Franzosen ritt, da fand ich sie überwältigt von Dankbarkeit gegen die deutschen hilfsbereiten Sani­ täter. Ein verwundeter französischer Leutnant hat aus freien Stücken eine Be­ scheinigung ausgestellt, datz die Franzosen das Schloß mit den Verwundeten trotz des Genfer Kreuzes zusammengeschossen haben. Wie die Sanitätsossiziere, so hat auch die Sanitätskolonne den Abtransport der Verwundeten mitten im feindlichen Granatfeuer heldenhaft bewerkstelligt."

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Das war bei Chateauville am 29. August 1914. Uns ist trotz aller Nachforschung ein ähnliches edles Rettungs­ werk unserer Feinde gegenüber verwundeten Deutschen nicht bekannt — doch wir sind und bleiben „Barbaren", die Kinder und Greise morden, Verwundete ins Feuer werfen usw., wie uns die bom­ bastischen Phrasenproteste der sogenannten Untersuchungskommissionen vorwerfen. Wie zahlreich die Fälle der Nichtachtung der Genfer Konvention waren, insbesondere der Gefangennahme deutscher Ärzte und des ganzen Sanitätspersonals, das zeigen die stereotypen Mitteilungen der Schweizer Blätter über das Eintreffen deutscher Ärzte auf der Rückkehr aus der französischen Gefangenschaft. So heißt es vom 13. Oktober, daß in Basel eine aus 70 Personen bestehende Sanitäts­ kolonne, darunter 18 Militärärzte, aus französischer Gefangenschaft zurückkehrten, einige Tage darauf 160 Mann'). Also es handelt sich nicht um Einzelerscheinungen, sondern um eine ausfallende und ge­ fährliche Häufung der Fälle. Daß man später das Sanitätspersonal wieder freiläßt, ist kein besonderes Verdienst, da man natürlich Re­ pressalien auf deutscher Seite zu gewärtigen hätte. Aber die früher so geheiligten Grundsätze der Genfer Konvention gegenüber den Ärzten werden, jedenfalls mindestens in einer so fahrlässigen Weise, daß sie an dolus streift, systematisch von französischer Seite mißachtet (s. auch unten Kapitel 14 ffl.). II. 3m Oktober 1914 sah sich die deutsche Reichsregierung veran­ laßt, infolge der von Tag zu Tag sich steigernden völkerrechtswidrigen Schändlichkeiten eine förmliche Denkschrift über die Verletzung der Genfer Konvention durch französische Truppen und Freischärler unterm 20. Oktober 1914 zu veröffentlichen, die wir, obwohl einige Fälle bereits l) Wenige Tage daraus berichtet aus Basel ein schweizerischer Arzt: „Ein böses Kapitel bilden die in den letzten Tagen hier durchkommenden Transporte von deutschen und französischen Sanitätssoldaten und Offizieren. -ich habe soeben in dieser Minute wieder einen Trupp deutscher Unteroffiziere ge­ sprochen, alle beklagten sich bitter über die miserabel schlechte Behandlung in Frankreich. Sie wurden in allen Städten Frankreichs herumspediert und durch alle Straßen geführt und dem Publikum zur Schau gestellt. So kamen sie auf ihren Irrfahrten zunächst nach Paris, dann Orleans, Bordeaux, Marseille, Lyon. In allen Städten insultiert, von Weibern angespuckt, Helme heruntergeschlagen, mit Füßen getreten, die Helme wurden Hunden aufgesetzt, alles Gepäck bzw. Tornister wurden ihnen genommen, viele waren ganz ohne Kopfbedeckung. Mantel hatte niemand mehr, zu essen haben sie ln der Feit nur Brot und Wasser bekommen, nie einen Schluck warmen Kaffee oder Suppe. Sie sahen alle sehr elend aus."

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kurz an anderer Stelle in diesem Kapitel oder in Kapitel 13 erwähnt wurden, doch als wichtiges zeitgenössisches Dokument ihrem ganzen Wortlaut nach, soweit er im „Reichsanzeiger" erschien, an dieser Stelle inhaltlich kurz wiedergeben müssen. Es heißt dort: „Die kaiserliche Regierung lietz nachstehende Denkschrift über die Verletzung der Genfer Konvention vom 6. Juli 1906 durch französische Truppen und Frei­ schärler, worin gegen deren völkerrechtswidriges Verhalten scharfer Protest erhoben wird, der französischen Regierung sowie den Regierungen der neutralen Mächte zugehen. In dem gegenwärtigen Kriege haben französische Truppen und Freischärler die zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken bei im Felde stehen­ den Heeren getroffenen Bestimmungen der Genfer Konvention vom 6, Juli 1906. die von Deutschland und Frankreich ratifiziert worden ist, in flagrantester Weise verletzt. Aus der großen Zahl bekannt gewordener Fälle werden in den Anlagen diejenigen aufgeführt, die bereits durch gerichtliche Vernehmungen oder dienstliche Meldungen einwandfrei festgestellt wurden. An der Spitze der Genfer Konvention steht einer der ersten Grundsätze der Kriegsrechte, daß nämlich die Verwundeten und Kranken des feindlichen Heeres ebenso wie die Verwundeten und Kranken des eigenen Heeres geachtet und ver­ sorgt werden sollen (Art. 1 Abs. 1). Diesem Grundsatz haben die französischen Truppen und Freischärler ins Gesicht geschlagen, indem sie deutsche Verwundete, die in ihre Hände gefallen sind, nicht nur roh behandelt haben, sondern auch be­ raubt, ja sogar teilweise in bestialischer Weise verstümmelt und ermordet haben (An­ lage 1 bis 8). Für die beweglichen Sanitätsformalionen sehen Art. 6 und 14 der Genfer Konvention einen besonderen Schutz vor. Diesen Bestimmungen zuwider haben französische Truppen deutsche Auto­ mobile mit Verwundeten angegriffen (Anlage 6) und Sanitätswagen beschossen (Anlage 11 und 14), obwohl das Rote Kreuz deutlich erkennbar war. Auch wurden deutsche Lazarette überfallen und Personal und Ausrüstung beraubt (Anlage 7). In der Anlage 1 sagt der Grenadier Hänseler der 2. Kompagnie des 2. Ba­ taillons der Garde-Ersatzbrigade über die Vorgänge am 5. September 1914 an der Eisenbahnbrücke über die Meurthe nördlich Rehainviller aus: Die Franzosen traten die liegen gebliebenen Leute unseres Zuges mit den Füben, und als sie Lebenszeichen durch Schreien oder Stöhnen gaben, hörte ich Schüsse. Auch ich erhielt einen Fußtritt, verhielt mich aber völlig ruhig. Bei eintretender Dunkelheit sah ich mich nach den verwundeten Kameraden um und stellte fest, daß sie nach ihrer Lage tot sein mußten, während sie am Morgen nur leicht verwundet waren. Anlage 2. Franz Mevisen der 4. Eskadron des Jägerregiments z. Pf. Nr. 7 sah am 7. September südwestlich von Arlons auf belgischem Gebiet aus dem Ver­ steck, wie Franzosen in einer Hellen Nacht auf dem Gefechtsfelde umhergingen und verwundete deutsche Jäger mit Lanzen erstachen. Anlage 3. Der Musketier Theodor Mündel der 9. Kompagnie des Inf.-Reg. Nr. 138 wurde am 25. August bei Luneville verwundet. Ein Franzose, der einen Revolver und einen Degen trug, fragte einen neben Mündel liegenden Gefreiten in gebrochenem Deutsch, wo er verwundet sei. Der Gefreite antwortete: am Fuß.

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Darauf schob der Franzose den Gefreiten mit dem Revolver durch den Kopf. Bei der Rückkehr des Franzosen erhielt Mündel selbst mit dem Bajonettkolben einen Schlag gegen die rechte Schläfe und über die linke Schulter, obwohl bereits die erlittene Verwundung an dem starken Austritt des Blutes durch die Uniform deut­ lich bemerkbar war. Anlage 4. Der Musketier Kämpen der 8. Kompagnie des Inf.-Reg. Nr. 78 sah am 29. August in der Nähe von Guise bei St. Quentin, wo ungefähr 50 fran­ zösische Soldaten unter Führung mehrerer Offiziere im Zickzack über das Schlacht­ feld gingen und mit dem Bajonett auf Verwundete einstachen, so auf einen Ver­ wundeten, der 10 Schritt von Kämpen entfernt lag. Als er um Hilfe rief, schob ihm ein französischer Offizier mit der Pistole in den Mund. Kämpen selbst, der sich tot stellte, erhielt neun leichte Verletzungen mit dem Bajonett. Anlage 5 enthält den Bericht der Oberärzte Neumann und Grünfelder eines bayerischen Pionierregiments über die Beraubung und Verstümmelung deutscher Soldaten des 35. Landwehrregiments bei Orchies. Aufgefundene Leichname waren der Schuhe und Strümpfe und sämtlicher Erkennungszeichen beraubt. Ein Mann war rückwärts niedergefchosien. Er lag auf dem Rücken. Mund und Nasenlöcher waren mit Sägemehl vollgepfropft. Einem andern war das linke Ohr glatt abgeschnitten, das Gesicht blaurot infolge Erstickungstodes. Mund, Nase und Augen waren mit Sägespänen vollgestopft. Am Halse waren Würge­ zeichen. Einem andern war der Goldfinger glatt am Knöchel abgeschnitten. In der Bauchwand saben vier Schußlöcher von Pulverrauch eingefaßt, ein Zeichen, daß die Schüsse aus unmittelbarer Nähe abgegeben worden waren. Fünf andere Erschlagene zeigten nur Verletzungen durch stumpfe Gewalt. Einem waren die Augen ausgestochen. Aus den festgestellten Tatsachen ergab sich, daß ein großer Teil der Leute unverwundet in die Hände der Feinde gefallen war. Anlage 6 betrifft den Überfall von Verwundeten-Automobilen, die die Genfer Flagge führten, bei Bethencourt am 8. September. Verwundete und Führer wurden ermordet und beraubt. Anlage 7 enthält Meldungen des Armeearztes der 2. Armee, wonach das Kriegslazarett des 2. Armeekorps in Peronne von Franzosen allen Personals und des Materials beraubt worden war. In der Anlage 8 berichtet der katholische Feldgeistliche, der Redemptoristen­ pater Bernh. Brinkmann, der am 7. September nach dem Gefecht bei Esternay bei Trefols von Gendarmen abgeführt, in ein schmutziges Gefängnis ohne Fenster gebracht und ohne Nahrung gesoffen wurde. Am andern Tage wurde er durch eine Kette mit gefesselten französischen Zivilverbrechern zusammengeschlossen und mit diesen mehrere Tage unter dem Hohn und dem Spott der Bevölkerung durch viele Dörfer transportiert. Auf der Gendarmerie wurden ihm Uhr, Geld, Hosen­ träger und die Rote-Kreuz-Binde abgenommen, obwohl er Papiere besaß. Am 11. September erfolgte die Vernehmung durch das Kriegsgericht in Chateau-Thierry. Obgleich am andern Morgen die schriftliche Freilassung verfügt wurde, wurde ihm das betreffende Schreiben verheimlicht und er noch volle drei Tage auf dem Bahnhof zurückgehalten. Dort waren Gefangene — fast nur Ver­ wundete oder Kranke. Einrückende Franzosen untersuchten die Kleiber der Derwundeten und nahmen für sich, was ihnen beliebte, insbesondere Geld und Uhren. Verwundete lagen Tag und Nacht auf dem Steinboden in einem offenen Schuppen bei Regen und Sturm. Die Wundpflege der Gefangenen wurde voll-

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ständig vernachlässigt. Brinkmann erzählt noch einige Fälle empörender Roheit in der Behandlung der hungernden Gefangenen. Nach der Anlage 10 wurde der Oberarzt Dr. Stahmer von dem Ulanen­ regiment Nr. 19 bei Millers la Montagne von französischen Schützen aus nächster Nähe erschossen, obwohl sie die Rote-Kreuz-Binde unbedingt sehen mutzten. Nach der Anlage 11 erhielt am 19. August bei Günzbach ein mit einer grotzen Roten-Kreuz-Flagge versehener Sanitätswagen des 2. Bataillons des LandwehrInf.-Regt. Nr. 123 bei der Abfahrt Schnellfeuer, obwohl das Rote Kreuz bei dem klaren Wetter weithin kenntlich sein mutzte und der Feind in etwa 400 Meter Entfernung lag. In Anlage 12 berichtet die 6. Infanterie-Division an das Generalkommando des 3. bayerischen Armeekorps, datz am 26. August bei Maixe Krankenträger­ patrouillen der Sanitätskompagnie bei dem Absuchen des Gefechtsfeldes nach Verwundeten von französischer Infanterie ohne Rücksicht auf das Rote Kreuz be­ schoffen wurden. In der Anlage 13 berichtete Etappendelegierter Graf Reichenbach aus Valenciennes, datz er in sonst sicherer Gegend mit einer Krankentransportabteilung und auch 13 Mann Freiwilligen der Krankenpflege beim Heranfchaffen von Verwun­ deten trotz deutlicher Rote-Kreuz-Abzeichen durch die Bevölkerung überfallen wurde. 6 Mann wurden getötet und einer verletzt. Nach der Anlage 14 wurden am 2. September Krankenträger und Kranken­ wagen der 2. Sanitätskompagnie der 10. Infanterie-Division bei St. Remy von den Franzosen auf etwa 50 m unter heftiges Feuer genommen. Einige Franzosen liefen direkt auf die Krankenwagen zu, erschossen in einem derselben drei bereits eingelieferte Verwundete, den Wagen-Gefreiten, den Fahrer und die beiden Pferde. Die Kompagnie hatte 8 Tote und 9 Schwerverletzte. Nach der Anlage 15 wurden 5 Krankenträger, die in Baccarat zur Pflege der deutschen und französischen Schwerverwundeten zurückgelaffen worden waren, am 14. September von französischen Militärbehörden nach Rambervillers gebracht und dort gleich Gefangenen behandelt. Ein französischer Gendarm nahm ihnen die Neutralitätsbinde weg. Der meldende Oberarzt Dr. Stark wurde am 18. Sep­ tember von Rambervillers nach der Schweiz geführt, die 5 Krankenträger jedoch trotz der Bitten des Arztes zurückgehalten mit der Bemerkung: Ce ne sont plus vos hommes.

Die Kaiserliche Regierung bringt mit Entrüstung diese dem Völkerrecht und der Menschlichkeit hohnsprechende Behandlung deutscher Verwundeter, deutscher Sanitätsformationen und des deutschen Sanitätspersonals zur öffentlichen Kennt­ nis und legt hiermit feierlich Verwahrung gegen die unerhörten Verletzungen des von allen Kulturstaaten geschloffenen Weltvertrages ein."

Ich habe hier nur einen abgelürzten Auszug aus der 79 große Druckseiten umfassenden deutschen Originaldenkschrift gegeben. Es sind kriegsgerichtliche Protokolle, insbesondere von deutschen Ärzten und Sanitätssoldaten, die erdrückendes Beweismaterial dafür bieten, daß die französischen Truppen systemalisch das in ihre Hände geratene deutsche Sanitätspersonal unter Verletzung der Genfer Konvention vom 6. Juli 1906 (insbesondere Art. 6, 14, 9)

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mißhandelten: Hier sei nur die Einleitung abgedruckt, um anzudeuten, um welche Fülle von einzelnen Fällen es sich handelt: Zunächst sind diejenigen Fälle erwähnt, in welchen Lazarette, Verband­ plätze, Sänitätswagen und Sanitätspersonen von Infanterie, Artillerie und selbst mit Maschinengewehren beschoflen worden sind, obwohl sie durch Flaggen und sonstige im Völkerrecht anerkannte Abzeichen weithin und deutlich als unter dem Schutze der Genfer Konvention stehend so kenntlich gemacht waren, daß ein Irrtum, eine Verwechslung oder ein Übersehen als gänzlich ausgeschlossen bezeichnet werden mutz (Anl. 1, 2, 6, 8, 10, 17, 19, 24, 25 dortselbst). Die Fälle enthalten zum Teil den Tatbestand eines mit planmätziger Über­ legung und bestialischer Roheit ausgeführten Mordes. So wurde ein durch die Armbinde mit dem Genfer Kreuz weithin kenntlicher deutscher Stabsarzt auf nur 20 Schritte von französischen Infanteristen vom Pferde geschossen, ermordet und seiner Augen durch Stütze und Stiche mit dem Bajonett beraubt (Anl. 23). In einem anderen ebenso schwer liegenden Falle wurde eine Sanitätskolonne auf 40 bis 50 Schritt von französischer Infanterie beschossen, obgleich nach der äusseren Kennzeichnung der Kolonne nicht der geringste Zweifel darüber bestehen konnte, datz sie unter dem Schutze des „Roten Kreuzes" stand. Die französischen Infante­ risten untersuchten alsdann die Sanitätswagen und erschossen als feige Mörder die in den Wagen liegenden wehrlosen Verwundeten aus eine Entfernung von 2 bis 3 Schritten (Anl. 24, 25). In keinem einzigen dieser Fälle kann die französische Heeresleitung sich damit entschuldigen, datz die Beschietzung durch einen zwingenden Gesechtszweck veranlatzt worden sei, wie es z. B. in dem Fall der Anl. 1 für die deutsche Artillerie geboten war, um die in unmittelbarer Nähe eines Hauptverbandplatzes aufgefahrenen französischen Batterien unter Feuer zu nehmen. Im Gegenteil tritt verschiedentlich das Bestreben der französischen Heeresleitung zutage, die unter b e nt Schutz des „Roten Kreuzes" stehenden Personen und Örtlich­ keiten planmätzig zu vernichten (Anl. 1, 2, 5, 6, 8, 17, 19, 24, 25). Bei der Btzitznahme von deutschen Lazaretten oder Verbandsplätzen galt es ganz allgemein als Regel, das gesamte Personal der dort tätigen Sanitätsforma­ lionen als kriegsgefangen lange Zeit festzuhalten und zu behandeln (Anl. 1, 3, 4, 6, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 18, 22, 26). Aus den Berichten und eidlichen Bekundungen der gefangen gewesenen deutschen Sanitätspersonen geht sogar mit unzweideutiger Sicherheit hervor, datz die ihnen zuteil gewordene Behandlung noch bei weitem bas Matz dessen überstieg, was bei gesetzmätziger Kriegsgefangenschaft erlaubt und zulässig ist. Die Behandlung artete planmätzig in eine Kette von wüsten Beschimpfungen, Be­ drohungen, Beraubungen und selbst tätlichen Mitzhandlungen aus. Schon bei dem Abtransport der Sanitätsmannschaften mutzten diese die entwürdigendsten Beleidigungen und die schamlosesten Mitzhandlungen über sich ergehen lassen; sie wurden bedroht, geschlagen, beschimpft und bespien, ohne datz die Begleitmannschaft hindernd einschritt (Anl. 1, 3, 6, 9, 10, 11, 12, 13, 15, 17, 18, 22, 26). Die Helme wurden ihnen vom Kopfe gerissen (Anl. 3), ein höherer Sanitätsoffizier wurde roh ins Gesicht geschlagen (Anl. 15), und die Verwundeten wurden in bewutzter Roheit gerade auf diejenigen Körperstellen gestotzen und geschlagen, an denen sie int Kampfe Verletzungen erlitten hatten und die sie ihren Peinigern halten kenntlich machen müssen (Anl. 11). Solch schamloses Verhalten

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wurde nicht nur von dem Pöbel der Zivilbevölkerung, sondern auch von Militärpersonen, jo sogar von Ossi-ieren verübt. Das Eigentum der Sanitätsmannschaften und Sanitätsosfiziere wurde ent' gegen den klaren und allgemein bekannten Bestimmungen der Konvention nicht geachtet. Fast die gesamte Habe des Sanitätspersonals wurde gewaltsam geraubt, Versprechungen auf spätere Rückgabe nicht gehalten. So blitzten die unter dem Schutze des „Roten Kreuzes" stehenden Personen nicht nur einen grotzen Teil ihrer Montierungsstücke (Anl. 3, 4, 6, 7, 9, 10, 11, 17, 22, 26), sondern auch persönliche Gebrauchsgegenstände ein, wie Etzbestecks, Zigarrenabschneider, Man­ schettenknöpfe, Geld (Anl. 2, 22), Familienbilder, Waschzeug, Orden (Anl. 6), Uhren, Taschenmesser (Anl. 27), Ferngläser, elektrische Lampen und Armbinden mit dem Genfer Kreuz (Anl. 10). Den Sanitätsoffizieren wurden sogar die Pferde mit der gesamten Ausrüstung fortgenommen, ihre Koffer wurden durchsucht und geplündert (Anl. 6, 11, 17, 18, 26). Zur Schande der französischen Nation be­ teiligten sich an diesen Raubzügen vielfach auch französische Offiziere (Anl. 6, 9, 11, 16, 26). Als unerhört, allen Regeln des Kriegsrechts und jedem Gefühl menschlichen Empfindens widersprechend, mutz ferner die Art und Weise bezeichnet werden, in welcher das Sanitätspersonal auf den Eisenbahntransporten und in französischen Ortschaften untergebracht, verpflegt und behandelt worden ist. Auf der Eisenbahn wurde es in schmutzigen Viehwagen zu 40 und 50 Mann zusammengepfercht und mutzte dort tagelang bei schlechter Lüftung, mangelhafter Ernährung und unge­ nügender Pflege verbleiben. Die Wagen wurden fest verschlossen und mit Plomben versehen, so datz Aufenthalt in ihnen einer schweren Einkerkerung glich. Die so Gefangenen konnten die Wagen nicht einmal zur Reinigung ihrer Wunden und zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse verlassen (Anl. 6 und 11). In den französischen Ortschaften mutzte das Sanitätspersonal tagelang unter den schwersten Entbehrungen in Stätten, Scheunen und anderen Wind und Regen durchlassenden Räumen aushalten, ohne datz die Proteste und die Berufung auf die Genfer Konvention Beachtung gefunden hätten (Anl. 1, 3, 6, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 26). Essen und Trinken wurde nur in geringer Menge und teilweife in ungenietzbarem, ekelerregendem Zustande gereicht. Gelegenheit zum Waschen wurde fast gar nicht geboten, die Räumlichkeiten wurden ungenügend gereinigt und die Gelegenheit zum Ergehen in frischer Lust auf das denkbar geringste Matz herabgesetzt. Zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse wurden den Gefangengehaltenen Örtlichkeiten angewiesen, welche derart ungesund und ekelerregend waren, datz die Verbreitung ansteckender Krankheiten und die Verschlimmerung der Wunden ge­ fördert wurden (Anl. 3, 6, 11, 22). Teilweise waren Klosettanlagen überhaupt nicht vorhanden und die Bedürfnisse konnten nur unter den Augen des Publikums oder unter Bewachung von militärischen Posten befriedigt werden (Anl. 11). In geradezu planmätzig verbrecherischer Weise hat sich die französische Heeres­ leitung in einem Falle dazu hinreitzen lassen, deutsches Sanitätspersonal und die von ihm gepflegten deutschen Verwundeten in der Kathedrale von Reims mit der ausgesprochenen Absicht unterzubringen, datz die Deutschen, wenn sie auf dke Kathedrale feuerten, ihre eigenen Leute treffen sollten (Anl. 5). Als ganz besonders der französischen Nation unwürdig und aus ihre viel» gerühmte Ritterlichkeit ein grelles Schlaglicht werfend, mutz die Art und Weise gegeitzelt werden, in welcher freiwillige Krankenschwestern behandelt worden sind. Obgleich bei ihnen nicht der geringste Zweifel darüber obwalten konnte, datz sie nur

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im Interesse der Verwundeten und Kranken tätig waren und obgleich sie deshalb von jedem auch nur einigermaßen ritterlich und vornehm denkenden Volke einen erhöhten Schutz zu beanspruchen gehabt hätten, sind sie in Frankreich denselben Beschimpfungen, Bedrohungen und Mißhandlungen ausgesetzt worden wie das männliche deutsche Sanitätspersonal. Ihre Koffer wurden erbrochen, durchwühlt und beraubt, und selbst ihre weibliche Ehre wurde so gering geachtet, daß man sie in ihren Schlaf- und Ankleideräumen von militärischen Posten bewachen ließ. Auch ihnen mutete man zu, ihre Bedürfnisse in der breiten Öffentlichkeit oder in Anwesenheit eines militärischen Postens zu befriedigen (Anl. 5 und 6). So stellt sich für jeden unparteiisch und gerecht Prüfenden die ganze Art der Behandlung von deutschem Sanitätspersonal in Frankreich als eine einzige fortlaufende bewußte Zuwiderhandlung gegen die Bestim­ mungen der Genfer Konvention dar, die bei jedem anständig Denkenden nur das eine Gefühl, das der Empörung, aus­ lösen kann.

Soweit die Einleitung der Denkschrift! Am 7. März 1916 sind nach beschworenen Protokollen noch eine Reihe krasser Fälle von Mißhandlungen deutschen Sanitätspersonals mitgeteilt worden. Hier soll nur ein Fall herausgegriffen werden: Am 9. September 1914 dringt französische Infanterie in ein Haus, in denl Stabsarzt Dr. W. Verwundete pflegte. Ein Offizier befiehlt den Unseren, mehr Rote-Kreuz-Flaggen als die beiden schon wohnenden auf das Dach zu bringen und läßt dann in Erwartung eines deutschen Angriffs das Haus zur Verteidi­ gung einrichten! Das Sanitätspersonal muß für 48 Stunden im heftigsten Artilleriefeuer ausharren und wirb ausgeplündert. Auf Beschwerden antwortet ein französischer Offizier, das Regiment ergänze sich in Korsika und der Korse stehle wie ein Rabe. Die Geschichte Bonapartes mag seinen Ausspruch bestätigen. Der Abtransport von Cette währt fünf Tage bei Master und Brot. Wie gewöhnlich werden Sanitätspersonal und Verwundete bespuckt, beschimpft, geschlagen. Im Fort Richelieu finden unsere Sanitätsoffiziere etwa 70 verwundete deutsche Offiziere. Einem ist der Ellbogen zerschmettert, aber der Arm noch nicht amputiert und so schlecht verbunden, daß Eiter den Verband durchtränkt und an der Hand herabläuft. Vergeblich bitten zehn deutsche Sanitätsoffiziere, den ohne Pflege in der Krankenstube Liegenden behandeln zu dürfen. Er stirbt nach zwei Tagen. Ein preußischer Hauptmann und seine Kameraden erzählen, daß er mit Bauchschuß die Reise nach Cette, an den Händen gefesselt, auf dem harten nackten Boden eines Viehwagens machen mußte. Ein anderer Verwundeter erzählt aus dem Lazarett in Castelnaudary bei Toulouse, daß die dort liegenden 250 verwundeten Deutschen nicht ans Fenster treten durften. Die Posten hatten Befehl, auf jeden hinter den Scheiben erblickten Kopf zu schießen. Der Berichtende hatte fast für acht Wochen den Himmel nicht gesehen und erlebt, daß ein höherer französischer Militärarzt einen verwundeten Deutschen ins Gesicht schlug.

III. Ähnliche Nachrichten kamen in der Folgezeit vom Osten und Westen. *) Am 21. November 1914 wurde z. B. in Brzeziny bei Lodz eine Sanitätskolonne, bestehend aus 45 Mann unter Führung des Chefarztes überMüller-Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht. 4. Aufl.

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Überall gleiche Rohheit des ganzen Volkes, insbesondere der Weiber, sogar der Frauen vom Roten Kreuz; Mißhandlung Ver­ letzter, Herabreißen der Verbände, Ausrauben Verwundeter sogar durch Ossiziere. Kurzum bestialische Aufführung eines entmenschten, bis zum Wahnsinn gereizten Pöbels in und ohne Uniform! Erneut mußte Ende August 1916 die deutsche Reichsregierung sich gegen die rohe Behandlung der deutschen Verwundeten und Ge­ fangenen in Ost und West, in Frankreich und Rußland, in geharnisch­ ten Protesten wenden, die zeigten, daß dort keine Besserung der Ver­ hältnisse eingetreten ist, — im Gegenteil, gerade in Rußland scheinen die Verhältnisse von Monat zu Monat schlechter zu werden. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt am 10. August 1915 über die Leiden unserer Schwerverwundeten in Frankreich: Ein ausgetauschter deutscher Schwerverwundeier, Reservegefreiter des Kaifer-Alexander-Grenadier-Regiments, Wilhelm Oelbüttel, schildert seine Erlebnisse in Frankreich unter Eid wie folgt: Er wurde am 8. Sep­ tember 1914 bei Eh alons durch einen Granatsplitter am Unterarm so schwer verwundet, daß ihm der Arm am folgenden Tage in einem deutschen Feldlazarett abgenommen werden mutzte. Drei Tage später nahmen die Franzosen das ganze Lazarett gefangen. Oelbüttel wurde mit elf anderen Schwerverwundeten nach Ile-de-Rö transportiert... Die 12 hilf­ losen schwerverletzten Leute hatten furchtbareLeiden auszustehen. Das Abteil dritter Klaffe hatte nur acht Sitzplätze, so datz immer vier der Unglücklichen stehen mutzten. Weder ein Arzt noch ein Krankenpfleger war zugegen. Die Nahrung bestand aus ein wenig trockenem BrotundWaffer, das im ganzen zweimal gereicht wurde. Mehrere der stark fiebernden Schwer­ verwundeten wurden in Zwischenstationen ausgeladen, zwei der übrigen starben hilflos im Abteil. Am 14. September kam der Transport nach Ile-de-Rö. Nun setzte sich das begonnene Leiden in grauenhafter Weife fort. Kalte, zugige Unterkunftsräume, ungenügende Beklei­ dung, schlechtes Essen und mangelhafte ärztliche Behand­ lung, das waren die Segnungen der französischen Kultur. In den ersten drei Wochen wurde ihnen morgens überhaupt keine Nahrung gereicht, auch in der Folgezeit war sie völlig unzureichend. Bohnensuppe wechselte mit Kar­ toffelsuppe ab. Die Würze bestand aus zähem Rindfleisch, das die Zähne kaum fallen und gefangen genommen. Die drei Oberärzte konnten sich, da sie beritten waren, retten; die übrigen gerieten in Gefangenschaft. Zu den Gefangenen gehören der Oberapotheker Dr. Hans Mayen aus Adlershof bei Berlin, der Inspektor Georg Haafe, Beamter aus Berlin, und der Inspektor Walter Ritter, Lehrer in Königswusterhaufen. Nach Mitteilungen, die diese 42 am 6. Dezember 1914 aus Ufa (Ural) an ihre hiesigen Angehörigen sandten, befinden sie sich auf dem Wege nach Sibirien. Im Januar wurde aus Hamburg gemeldet, datz der praktische Arzt Dr. A. Henneberg gefangen und nach Sibirien verschickt worden sei, wo man ihm seine Barschaft abnahm.

M7 -rrreißen konnten, und aus Maden, die Ln der Suppe herumschwammen. Die Dohnen waren hart und ungenießbar. Löffel und Teller wurden erst nach mehr as sechs Wochen zur Verfügung gestellt, bis dahin mußte eine alte Konservenbuchse aushelsen, die auf dem Kasernenhofe aufgefunden wurde. Die ersten vier Dochen dursten sich die Gefangenen nicht einmal waschen, obgleich in un­ mittelbarer Nähe ein Brunnen stand. Eine französische Krankenschwester, die ent­ gegen dem Verbote von dort einmal Master für die Verwundeten holte, wurde streng verwarnt und nicht wieder zu ihnen gelasten. Am unerhörtesten war die sogenannte ärztliche Behandlung. In den ersten vier Tagen war überhaupt kein Arzt vorhanden. Die Wunden eiterten und wurden nicht verbunden. Die bedauernswerten Opfer französischer Rachsucht mußten sich selbst die Maden aus den Wunden herausziehen, um nicht'bei lebendigem Leibe zerfressen zu werden. Eine bösartige Verschlimmerung der Wunden war die unaus­ bleibliche Folge. Aber die Verhältniste besserten sich auch kaum, als endlich einige Ärzte eintrafen. Sie bemühten sich nicht zu den Kranken, sondern ließen diese trotz der schweren Verwundung im Kasernenhofe antreten und warten. Mancher der Verwundeten wurde ohne jede Untersuchung wieder fortge­ schickt , andere wurden nur o b e r s l ä ch l i ch b e s i ch t i g t. Die R o h e i t und Unfähigkeit machte sich geltend. Ein Mann, der einen Fußschuß hatte und um Behandlung bat, wurde von einem französischen Marinearzt mitdemFuße getreten und aus dem Verbandszimmer mit Stößen hinausgeworfen. Ein anderer hatte einen Armbruch und klagte dies den Ärzten, die aber bei der Untersuchung angeblich nichts feststellen konnten. Er wurde erst später von einem Krankenpfleger geschient. Für besonders schwer verwundete Leute diente ein besonderer Raum als Unterkunft, ein Pferdestall, in dem es von Ratten wimmelte, und ein unerträglicher Gestank herrschte. Die französischen Ärzte hielten sich die Nase zu, wenn sie den Raum betraten, und eilten wieder schleunigst hinaus. Alles dies ereignete sich trotz des Vorhandenseins reichlicher Mengen von Verbandsmaterial. Auch sechs hilfsbereite deutsche Sanitätspersonen waren im Lager; aber sie durften sich um die Kranken nach den ausdrück­ lichen Anordnungen der französischen Ärzte nicht kümmern und auch nicht ihr Verbandszeug zur Verfügung stellen. Es war eben nichts anderes als niedrige Rachsucht und kleinliche menschenunwürdige Gemeinheit, die den Grundzug für die Behandlung der Verwundeten gab. Bestätigt wird die Aussage durch gleichlautende eidliche Bekundun­ gen anderer Gefangener, die im gleichen Lager in ebenso schamloser Weise be­ handelt wurden. Wenngleich diese empörende Behandlung unserer verwundeten Kriegsgefangenen Vergeltungsmaßregeln nahelegt, wird die deutsche Regierung doch darauf verzichten, für diese Verhöhnung der allgemeinen Menschenrechte an den französischen Kriegsgefangenen in Deutschland Vergeltung - u üben.

Wie an anderer Stelle betont, so wiederholen wir hier: Wir wollen nicht verallgemeinern. Es gibt natürlich auch bei unsern Gegnern — teils mehr, teils weniger — ritterliche Männer, die hvsfentlich ebenso wie wir dieses Vorgehen bedauern und verwünschen. Aber diese Greuelfälle sind doch so zahlreich, daß man von blohen Ausnahmen auch nicht mehr zu sprechen vermag, datz vielmehr konstatiert werden mufe, datz eine unglaubliche Verrohung IC*

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weiter Schichten in der Bevölkerung und bei den Truppen des Dreiverbands be steht, die die schärfsten Gegenmatzregeln zur gebiete­ rischen Pflicht macht. Sie beweist vor allem, daß die hohen Stellen ihre Pflicht vollständig versäumen. Gewist, Krieg ist Krieg! In den voraufgeführten Fällen handelt es sich aber nicht um unabsichtliche, vielleicht nicht einmal immer fahrlässige Beschießungen von Lazaretten, Krankenhäusern, Sanitätspersonal, Ärzten usw., die im Kriege aus Zwang oder aus Versehen vorkommen können, sondern um absichtliche und geflisientliche, wissentliche Vergehen gegen die Fundamentalsätze moderner Kriegführung und Humanität und um eine niederträchtige Behandlung der deutschen Ärzte, die zuletzt zum S y st e m e wurde und ihren Höhepunkt in den schmach­ vollen Urteilen gegen deutsche Ärzte und das deutsche Sanitätspersonal wegen Plünderung usw. erreichte (s. unten). Die Hauptschuld trägt die gewisienlose Verhetzung und Verleumdung der deutschen Kriegführung. Man hatte offiziell von der französischen und englischen Heeresleitung (s. auch „Nordd. Allg. Ztg." vom 3. Mai 1915) ausgesprengt, bajj die Deutschen die Verwundeten und Gefangenen allgemein grausam umbringen. Der Fluch trifft daher nicht diese armen Fanatiker, sondern sene skrupel­ losen Hetzer. IV. Grausamkeit gegen das Rote Kreuz und gegen Ge­ fangene steht freilich auf demselben Konto. So sind folgende Nach­ richten in diesem Zusammenhange charakteristisch: 1. Der Bezirksarzt Dr. Stengel in Lahr in Baden, der am 19. August bei dem Gefecht von Mülhausen während der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit gefangen genommen und trotz der Be­ rufung auf die Genfer Konvention erst am 7. September wieder freigelassen worden ist, ist Mitte September über die Schweiz heim­ gekehrt. Er schildert empört die unwürdige Behandlung der gefangenen deutschen Offiziere und Mannschaften. Die fanatisierte Bevölkerung verübte die wüstesten Beschimpfungen gegen die schutzlosen deutschen Soldaten. 2. Der als Kriegsgefangener in Toul internierte österreichische Oberingenieur Christen erzählt u. a.: „Die Krankenwagen brachten Verwundete in grotzer Menge, darunter 16 schwerverletzte Deutsche. Die Bevölkerung und die Sol­ daten benahmen sich gegen diese armen Schwerverletzten in der schmachvollsten Weise, überschütteten sie mit Schmähungen und ließen

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sie 3 Stunden in der heißesten Sonnenglut liegen. Als ich den Armen mit dem Taschentuch Kühlung verschaffen wollte, wurde ich von einem Offizier mit dem Säbel zurückgestoßen (!)." Eine jetzt als Krankenschwester tätige deutsche Dame, die in den ersten Kriegsmonaten in Frankreich lebte, schilderte als Zeugin unter Lid einen von ihr selbst beobachteten Vorfall, der sich in dem Vor­ ort Le Bourget bei Paris abspielte. Dort wurde aus einem Kranken­ zuge ein schwerverwundeter deutscher Infanterist ausgeladen und in den Wartesaal gebracht. Man sah ihm an, daß er bald sterben würde. Die Zeugin begab sich zu ihm, um ihn nach seinem letzten Wunsche zu fragen. Er bat um einen Geist­ lichen, der auch bald erschien. Der Bahnhof war nicht abgesperrt und eine große Anzahl der Einwohner von Le Bourget hatte sich eingefunden, um sich an dem Schauspiel der verwundeten Kriegs­ gefangenen zu ergötzen. Als der Schwerverwundete vom Wagen gehoben wurde, begann ein ungeheures Johlen und Schimpfen der Menge. Zahlreiche Steine, darunter solche von Eigröße, wurden gegen den wehrlosen Mann geworfen und trafen ihn mehrfach. Selbst als der Geistliche ihm die letzten Trostworte zusprach, hörte das Schimpfen und das Werfen mit Steinen nicht auf. Die Bitten des Geistlichen und der Zeugin, die letzten Minuten des Schwerverwundeten zu achten, wurden mit Spott und Hohn beantwortet. Die zahlreich anwesenden französischen Soldaten, die die Vorgänge ebenfalls beobachteten, machten keine Miene, den Bedauernswerten irgendwie vor der Volkswut zu schützen. So hauchte der Mann, der in Aus­ übung der höchsten Pflicht für sein Vaterland geblutet hatte, unter Schmähungen und Mißhandlungen des „ersten Kulturvolkes der Welt" sein Leben aus. (Amtliche Mitteilung vom 12. Juli 1915.) Wie kann das alles anders sein, wenn die folgende Nachricht richtig ist, deren Inhalt den Gipfel der Gefühlsroheit bildet und ahnen läßt, wie weniger sublime Personen als der alte „Tiger" Clemenceau darüber denken! Danach wirft Clemenceau (Mitte Sep­ tember 1914) im „Hvmme Libre" die Frage auf, ob die in Frankreich gefangen gehaltenen deutschen Verwundeten dieselbe Pflege erhalten sollen wie die französischen Verwundeten. Er wirft dem Komman­ deur des 18. Armeekorps in Bordeaux Oulart vor, Damen des Roten Kreuzes, welche sich weigerten, deutsche Verletzte zu pflegen, gesagt zu haben, daß sie sich durch ein solches Verhalten entehrten. Um den Beweis antreten zu können, daß die deutschen Verwundeten nicht desselben Mitgefühls würdig seien wie die andern, führt Clemenceau

eine Reihe angeblicher deutscher Grausamkeiten an, ohne jedoch irgend­ eine Beglaubigung dafür beizubringen. Die Ableugnung Clemenceaus bildete die außerordentlich ungenügende Ausrede, daß er miß­ verstanden worden sei. Dieser niedrigen Auffassung von Humanität entspricht auch die Nachricht, daß in Bordeaux angelangte Verwundete nach Algier und Marokko gebracht worden sein sollen, um jede Kontrolle der Behand­ lung zu vermeiden oder sie wenigstens sehr zu erschweren. Selbstverständlich haben so schändlich, wie dies in vorstehenden Beispielen geschildert wurde, nicht alle französischen Truppen gehaust! Aber auch von' „Einzelfällen" kann man bei aller Objektivität und aller Vermeidung von Verallgemeinerung leider, wie oben be­ tont, nicht sprechen. Der Klagen über schlechte Behandlung der Verwundeten sind Legion; die über Vergehen gegen das Sani­ tätspersonal immerhin noch zahlreich genug, um behaupten zu können, daß die französischen Oberbefehlshaber ihre moralische und völker­ rechtliche humanitäre Pflicht auf Grund der Genfer Konvention von 1864/1906 (Art. 25) im allgemeinen ungenügend und schlecht aus­ geübt haben und sich einer schweren Schuld durch mangelnde Auf­ klärung, Fürsorge und Anweisung an die Untergebenen zeihen lassen müssen. Das bestätigt auch ein außerordentlich objektiver Beob­ achter, der französische Mitarbeiter des Kopenhagener „Poli­ tiken" aus eigener Anschauung, da er selbst wiederholt französische Militärlazarette besuchte. »Freis. Ztg."):

Er erzählt u. a. (wiedergegeben nach der

. . . Die Franzosen werden beschuldigt, die Verwundeten zu töten und, was die Pflege verwundeter Gefangener betrisst, die gröbste Nachlässigkeit zu zeigen. Weshalb wäre sonst auch die Regierung genötigt gewesen, eine Kundgebung zu erlassen, die daran erinnert, daß man den verwundeten Feinden dieselbe mensch­ liche Behandlung schulde wie den Söhnen des eigenen Landes? . . . Nach einem der erbitterten Kämpfe zwischen der deutschen Garde und den berüchtigten Turkos hatte einer der letzteren den Befehl erhalten, das Zelt zu bewachen, wohin die verwundeten deutschen Soldaten gebracht wurden. Als die Ärzte ihre Runde machten und zu dem von dem Turko bewachten Zelte kamen, winkte er ab und sagte beruhigend in seiner halbsranzösischen Sprache: „Pe-malad-ici!" (Keine Kranken frier!") Ein französischer Arzt stellte fest, datz der Turko in seiner blinden Wut mit kaltem Blut allen deutschen Verwundeten, die seiner Obhut anvertraut waren, — die Kehle durchgeschnitten hatte! Oder glaubt etwa jemand im Ernst, datz ein Neger die internationalen Abkommen des Roten Kreuzes achtete 7 Während eines meiner Besuche in den Militärlazaretten sprach ich selbst mit einem farbigen Soldaten, der am Eingang einer Baracke stand, wo verwundete Deutsche unter­ gebracht waren. Es war ein Mann aus Senegal mit breiter, tierischer Nase. „Es wäre viel besser, sie alle totzuschlagen", sagte er, indem er eine bezeichnende Geste am eigenen Hals machte, „anstatt sie hier zu pflegen und ihnen Essen zu geben. Sie

sind ja Barbaren!" Unleugbar war dies eine überraschende Bemerkung von einem Halbwilden! . . . Sogar angesehene französische Pretzorgane haben allen Ernstes die Regierung aufgefordert, deutsche Gefangene inhuman zu behandeln. . . . Dieser furchtbare Zu st and und das Auberachtlassen allge­ meiner menschlicher Rücksichten gegenüber Verwundeten sowie die groben Mängel, worunter die Organisation des Roten Kreuzes in Frankreich leidet, sind unter anderem von angesehenen Franzosen, wie Albert de Mun, Gustavs HervL und Clemenceau bestätigt worden, die in ihren Zei­ tungen eine auf unwiderlegliche Beweise ausgebaute hef­ tige Kritik veröffentlicht haben."

Dieser Bericht eines völlig Unparteiischen ist deshalb besonders wertvoll, weil er zeigt, welcher dolus eventualis bei der Verwen­ dung des schwarzen Turkogesindels von Ansang an bei der fran­ zösischen Regierung besteht. Sie weiß, daß alle diese wilden Horden sich den Teufel um Genfer Konvention und „Landkriegsordnung" kümmern, sondern morden und brennen — je feiger und hinter­ listiger, desto lieber. Aus dem obigen Bericht würde andrerseits erhellen, was wir zu seiner Ehrenrettung hier konstatieren wollen, daß Herr Clemenceau sich infolge der gegen ihn gerichteten Vorwürfe bemüßigt gesehen hat, etwas Wasser in seinen Wein zu gießen. Aber nicht bloß die Turkos benehmen sich so unmenschlich, sondern weite Kreise in Volk und Heer. Eine der erschütterndsten Szenen findet sich aus der „Daily Mail" (!) im „Chicago Evening", wo ein dem Roten Kreuze dienender französischer Abbe, also gewiß ein unverdächtiger Zeuge, unter anderem über die Behandlung der deutschen Gefangenen bei der Beschießung der Reimser Kathedrale folgendes erzählt: „Faust- und Stockschläge hagelten auf die verwundeten Deutschen. Der rasende Haufen wogte um uns her wie eine empörte See, ich habe niemals etwas Schrecklicheres gesehen. Wutverzerrte Ge­ sichter starrten in meines. Ein Verwundeter, den die Kraft verließ, wurde weggezerrt und aufs Pflaster geworfen. Gleich fiel der wahn­ sinnige Pöbel mit Fußtritten über ihn her; einige sprangen ihm auf den Leib. Ich drängte mich durch die Menge und es gelang mir, den Deutschen herauszureißen. Er konnte nicht mehr sprechen, er dankte mir nur mit den Augen. „Können Sie mir nicht beistehen?" schrie ich einem französischen Offizier zu. Er blickte mich kalt an. Dann überschaute er den wimmelnden Pöbelhaufen und sagte achselzuckend: „Sie werden nie das Stadthaus erreichen." Unter Lebensgefahr rettete der wackere Priester die Verwundeten. Hierher gehört auch die fortgesetzte Beschießung des Kriegs­ lazaretts Görz im September 1915 durch die Italiener, die auch sonst

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oftmals gegen die Genfer Konvention frevelten. Das Ministerium des Äußern richtete z. B. am 24. September an die diplomatischen Vertretungen der verbündeten und neutralen Mächte nachstehende Verbalnote: Am 18. Juli wurde der italienische Kreuzer „Guiseppe Garibaldi" von einem österreichisch-ungarifchen Unterseeboot torpediert und versenkt. Wie aus der Mel­ dung des österreichisch-ungarischen 5. Divisionskommandos hervorgeht, hitzten einige der italienischen Torpedofahrzeuge, die sich näherten, um die überlebenden zu bergen, die Genfer Flagge und griffen das Unterseeboot, als es neuerlich auftauchte, an. Die österreichisch-ungarische Regierung protestierte energisch gegen dieses Vorgehen der italienischen Marine, das eine offenkundige Ver­ letzung der grundlegenden Bestimmungen der zehnten Haager Konvention von 1907 darstellt. Die Botschaft (Gesandtschaft) wird gebeten, das Vorstehende zur Kenntnis ihrer Regierung bringen zu wollen.

Bilder von großer Roheit in Frankreich und Rußland entrollten die deutschen Proteste von Ende August 1916. Besonders charakte­ ristisch ist ein Bericht in der ganzen deutschen Presse zu dieser Zeit mit Zeugenaussagen über die Roheit einer französischen Lazarettschwester Pierre, die unter den rohesten Ausdrücken den deutschen Verwundeten die Verbände abriß, sie schlug und in unmenschlichster Weise rein sadistische Brutalitäten ohne Hinderung durch die Ärzte beging.

B. Rechtliche Betrachtung. Die Berührung der beiderseitigen Sanitätspersvnale und ins­ besondere der Ärzte ist eine sehr nahe, die ganz besondere Aufmerksamkeit der Heeresleitungen unbedingt notwendig macht. Die Genfer Konvention schreibt in Abs. 2 des Art. 1 ausdrücklich vor, daß die Kriegspartei, die gezwungen ist. Kranke oder Verwundete dem Gegner zu überlasten, soweit es die Kriegslage gestattet, einen Teil ihres Sanitätspersonals und ihrer Sanitätsausrüstung zurücklassen soll, um zu deren Versorgung beizutragen. Natürlich dürfen diese Sanitäts­ personen nicht als Gefangene behandelt werden. Sie müsten Hand in Hand mit dem jenseitigen Sanitätspersonal die eigenen, nun­ mehr gefangenen Verwundeten und Kranken pflegen; diese Pflicht ist zugleich ein Recht, das gewährt werden muß, wenn nicht ganz besondere Gründe der Kriegführung ein solches Zusammenarbeiten unmöglich machen. Natürlich würde ein Arzt, der dabei Spionage treibt, seine Immunität verlieren. Solche Handlungen sind in con-

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creto völlig ausgeschlossen. Ganz abgesehen von allen andern Gründen, bürgt der Geist unseres deutschen Ärztekorps dafür, bafo er keinen Mißbrauch seiner hohen neutralen Stellung zuläßt. Gegen­ teilige Beweise sind in keinem einzigen Falle erbracht. Trotzdem sind, wie aus den obigen Darstellungen und vielen Mitteilungen erhellt, in vielen Fällen deutsche Ärzte gefangen genommen und schmäh­ lich als Spione mißhandelt worden. Um eine Ausrede für diese Mißachtung der Genfer Konvention zu haben, beschuldigte man die deutschen Ärzte ganz allgemein, daß sie verkappte Offiziere seien, daß sie das Rote Kreuz nur zu Spivnagezwecken anzogen und ähn­ lichen Unsinn. Hier würde eine neutrale, objektive Unter« suchungskommission seitens der Genfer Zentrale dringend notwendig sein, um diesem schmählichsten internationalen Vertrags­ bruch seitens der französisch-englischen und russischen Soldateska für alle Zukunft ein Ende zu machen. Die wissenschaftliche, ärztliche Solidarität, die im besten Sinne des Wortes international und all­ gemein menschlich sein muß und auch ist, müßte hier Wandel schaffen, um die Ehre der deutschen Ärzte zu sichern. Die Bestimmungen des Genfer Abkommens zur Verbesierung des Loses der Verwundeten und Kranken bei den im Felde stehenden Heeren, das die ursprünglichen Bestimmungen der Genfer Konvention vom 22. August 1864 vervollkommnen und ergänzen soll und dem sämtliche kriegführenden Staaten mit einer Ausnahme in dem neuen Abkommen vom 6. Juli 1906 beitraten, sagt in seinen maßgebenden, hier fortgesetzt gröblich verletzten Bestimmungen (Art. 1 ff., 6 und 9) u. a. folgendes'): „Militärpersonen und andere den Heeren dienstlich beigegebene Personen, die verwundet oder krank sind, sollen ohne Unterschied der Staatsangehörigkeit von der Kriegspartei, in deren Händen sie sich befinden, geachtet und versorgt werden", obwohl sie nach der Be­ stimmung des Art. 2, wenn sie in die Hände des andern Kriegsteils gefallen sind, als Kriegsgefangene anzusehen sind. Nach jedem Kampfe soll die das Schlachtfeld behauptende Partei Maßnahmen treffen, um die Verwundeten aufzusuchen und sie wie *) Charakteristisch ist, bafc unter 44 Konserenzstaaten nur Montenegro bis heute dieses 2. Genfer Abkommen noch nicht ratifizierte! Montenegro, der Bundes­ genosse des „Staates der höchsten Humanität und Edelsinns": England! Obwohl Montenegro das 1. Genfer Abkommen unterzeichnet hatte, mißachtete es jede Humanität, es beschoß systematisch die Sanitäteambulanzen und Verband­ plätze, so daß die österreichisch-ungarische Regierung am 12. Oktober einen feier­ lichen Protest gegen diese Mißachtung der Genfer Konvention seitens Montenegros erheben mußte.

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die Gefallenen*) gegen Beraubung und schlechte Behandlung zu schützen. Die beweglichen Sanitätsformationen (d. h. solche, die zur Begleitung des Heeres im Felde bestimmt sind) und stehenden An­ stalten des Sanitätsdienstes sollen von den Kriegsparteien geachtet und geschützt werden. Art. 8 sichert den Ärzten und dem sonstigen Ärztepersonal auch den genügenden Selbstschutz durch den Besitz von Waffen und Munition. Art. 9 bestimmt: „Das ausschließlich zur Bergung, zur Be­ förderung und zur Behandlung von Verwundeten und Kranken sowie zur Verwaltung von Sanitätsformationen und -anstalten bestimmte Personal und die den Heeren beigegebenen Feldprediger sollen unter allen Umständen geachtet -und geschützt werden; wenn sie in die Hände des Feindes fallen, dürfen sie nicht als Kriegsgefangene behandelt werden." Gegen diese Bestimmung des Art. 9 haben die Truppen des Dreiverbands in unzähligen Fällen auf das schwerste verstoßen. Immer und immer wieder kommt der schwere Vorwurf, daß man den deutschen Ärzten das Rote Kreuz heruntergeristen und sie fälsch­ lich beschuldigt habe, daß es sich gar nicht um Ärzte handle, daß die Ärzte deutsche Offiziere seien, die das Rote Kreuz nur zum Scheine anlegen! Eine solche schmachvolle Verdächtigung, die in den Augen jedes Deutschen als untilgbare Schande erscheinen würde, wenn sie wahr wäre, kann nur ein Mensch erheben, der deutsche Denkart niemals kennen lernte und der solche Dinge selbst tut. Ich behaupte, daß jener Vorwurf, der zu Mißhandlungen und zur Ge­ fangennahme vieler deutscher Ärzte führte, nicht in einem einzigen Fall bewiesen werden kann. Wohl aber wurde das Rote Kreuz in zahlreichen Fällen von unseren Gegnern geschändet und mißachtet durch eine derartige Mißhandlung der *) Die Bestimmungen des Genfer Abkommens in Art. 3 und 4 zeigen auch eine eigentlich selbstverständliche Pietät gegen die gefallenen Feinde. Nie dachte man daran, daß eine bisziplin- und ruchlose Soldateska die gefallenen Kameraden so schmählich behandeln könnte, wie dies seit Beginn des Krieges die Franzosen tun, die mit Absicht ihre Toten in Masten vor ihren Schützengräben liegen lasten oder sie sogar, wie bas Große Hauptquartier konstatierte, erst hin­ warfen. Der „fromme" russische Soldat ist freilich an solche Pietätlosigkeit ge­ wöhnt: Seltsam mutet folgende Stelle der russischen Gefechtsvorschrist an: „3m ebenen Terrain mutz jeder Mann, der in einer Stellung zuerst anlangt, für den Nachfolger eine Deckung ausheben: es ist hierfür alles Vorgefundene, selbst die Leichen der Kameraden zu benutzen." Auch als Lelchenfchänber sind die wackeren „Kulturvölker" einander ebenbürtig.

155 deutschen Ärzte! Aus solcher allgemeinen Mißachtung quillt jene Gesinnung, die die deutsche Ärzteschaft des Diebstahls und der Plünderung bezichtigt. Alle diese Staaten, die jetzt das internationale Humanitätsrecht mit Füßen treten lassen, ohne ernstlich oder wirksam dagegen zu protestieren — wo bleiben die Herren Sembat und Guesde? —, haben feierlich die Unterdrückung von Mißbräuchen und Zuwider­ handlungen gelobt (s. Art. 27 ff. des Abkommens). Jene politischen Cliquen und ihre demagogischen Führer, die diesen Weltbrand ent­ zündet, hasten auch für die Äußerungen dieses teilweise tierischen Hasses, der gegen die Hand, die ihm Heilung und Hilfe bringt, heim­ tückisch den Mordstahl schwingt. Die Bestätigung der vorstehenden Ausführungen finde ich in der Note des französischen Kriegsministers von Mitte September 1914 in der er anordnet, der Pflege der deutschen Verwundeten Sorgfalt angedeihen zu lassen. „Es sei dies eine gebieterische Pflicht, die durch die internationale Gesetzgebung, die Bestimmungen der Genfer Konvention und insbesondere durch das Gefühl der Menschlichkeit festgesetzt sei. Man müsie im Interesse der in Deutschlanö gefan­ genen Franzosen wünschen, daß dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhe. Der Minister erklärt, überzeugt zu sein, daß Ärzte und Sanitätspersonal den deutschen Verwundeten gegenüber ihre Pflicht mit wünschenswerter Hingebung erfüllen, und er werde unverzüglich diejenigen ihres Dienstes entheben, die Verwundeten und Gefangenen gegenüber gegen die von der Genfer Konvention festgesetzten Regeln der Menschlichkeit verstießen." Mit Recht hat die ganze deutsche Presie in diesem eigentlich Selbstverständlichkeiten enthaltenden Erlaße des französischen Kriegs­ ministers das Eingeständnis erblickt, daß bis dorthin das nicht geschah, was hier als Ausfluß der Menschlichkeit bezeichnet ist, daß vielmehr in der oben beschriebenen Weise gegtn die Genfer Kon­ vention auch von den französischen Soldaten und Offizieren gesündigt worden war. Die deutsche Heeresverwaltung hatte es nicht not­ wendig, die Satzungen der Konvention, noch dazu in so drohender Form, in die Erinnerung zurückzurufen! Wenn sich daher das österreichische Rote Kreuz an das Inter­ nationale Genfer Komitee mit der dringlichen Bitte wandte, diesem Treiben entgegenzutreten und dieses sich an alle Regierungen der kriegführenden Mächte mit der Bitte wandte, vor allem den Art. 25 nicht zu vergessen, der den Oberbefehlshabern die Pflicht auferlegt, die Ausführung des Genfer Abkommens zu überwachen.

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so war dies für die deutsche Heeresverwaltung völlig über­ flüssig, da sie schon bisher mit einem Riesenaufgebot von Ärzten alles tat, was ihr die Genfer Konvention auferlegt. Dem deutschen Soldaten ist die Achtung vor dem Genfer Roten Kreuz in Fleisch und Blut übergegangen, so datz jeder Exzeh gegen dasselbe un­ denkbar ist. — Wir erkennen gern an, da wir uns möglichster Objektivität besleitzigen möchten, daß uns beweisbare Mitteilungen über Pflichtverletzungen französischer Ärzte nicht in erheblicher Zahl zu­ gegangen finb1), daß- vielmehr, soweit bisher bekannt, die franzö­ sischen Ärzte im allgemeinen mit den deutschen in Pflichttreue und Humanität zu wetteifern scheinen. Ausnahmen davon soll man nicht verallgemeinern. Die Aufnahme in den Lazaretten ist *) Ein dienstlicher Bericht des Chefarztes bei einer Sanitätskompagnie wirft auf die Hilfsbereitschaft der Franzosen bei der Pflege Verwundeter kein gutes Schlaglicht. Der Arzt berichtet wie folgt: (Januar 1915 in einer Reihe deutscher Zeitungen z. B. „greif. Ztg." 17. Januar 1915): Am 28. August, abends, erhielt der erste Zug der Refervefanitätskompagnie . . . (— der zweite war bei CpLhy eingesetzt und noch nicht wieder frei —) den Befehl zur Errichtung des Hauptverbandplatzes bei Rocquigny. Außer mehreren Hundert toten Franzosen und etwa 20 toten Deutschen lagen dort etwa 250 ver­ wundete Franzosen und zwei verwundete Deutsche. Der Zug begann abends gegen 7 Uhr seine Arbeit, sammelte die verwundeten Franzosen und transportierte sie in das etwa 2 Kilometer entfernt gelegene Dorf Rocquigny. Da andere ge­ eignete Räume nicht vorhanden waren, wurden sie in der Kirche niedergelegt. Dazu bedurfte es aber erst energischen Auftretens gegenüber dem Ortspfarrer, der die Kirche zunächst nicht hergeben wollte. Die Pflege der verwundeten Franzosen in der Kirche wurde drei am Orte anwesenden französischen Militärärzten in Uniform übergeben, die sich aber eben­ falls zunächst dagegen sträubten, mit der Behauptung, datz wir als die Sieger zur Versorgung aller Verwundeten verpflichtet seien. Am anderen Morgen stellte cs sich heraus, datz nicht weniger als sieben französische Militärärzte im Orte an­ wesend waren. Vier von ihnen, unter diesen der Älteste in Stabsofsizierrang, hatten sich während der Nacht nicht sehen lasten, ebensowenig wie Neunzehntel der französischen Sanitätsmannschaften, die am anderen Morgen in der ungefähren Zahl von zwanzig plötzlich auftauchten. Der Ortssarrer, der in der Nacht aufgefordert wurde, mit Hilfe der Orts­ einwohner etwas zur Stärkung der französischen Verwundeten, und zwar wenigstens Kaffee, zubereiten zu lasten, stellte zunächst die Frage, wer dies denn bezahlen würde, nud mutzte erst durch energische Vorstellung zur Erfüllung dieser schon für jeden anderen Menschen selbstverständlichen und für ihn als Pfarrer im Interesse seiner verwundeten Landsleute hundertfach gebotenen Pflicht genötigt werden. Gegen die schreienden Mitzstände im französischen Sanitätswesen sind, wie erinnerlich, auch in der französischen Preste, besonders von Gustave Herve, schwere Anklagen erhoben worden, für die der obige Bericht eine Bestätigung bildet.

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ganz verschieden: das persönliche Moment spielen hier natürlich eine große Nolle.

und

der

lokale Geist

Dagegen muß mit aller Energie der Verleumdung ent­ gegengetreten werden, als wenn deutsche Ärzte, Soldaten und die deutsche Heeresführung die Genfer Konvention verletzten'). Ich habe folgendes System befolgt. Ich verdanke neutraler (schweize­ rischer) Liebenswürdigkeit die Zusendung von Stößen aller möglichen französischen und englischen Zeitungen. Sobald ich auf einen be­ sonders krassen Fall gestoßen bin, habe ich der deutschen Heeres­ verwaltung, insbesondere auch dem Chef des Feldsanitätswesens, die betreffende Nummer angestrichen mit der Bitte um Aufklärung zu­ gesandt, die ich bald früher, bald später anstandslos erhielt. So bin ich z. B. furchtbaren Schilderungen im „Echo de Paris" über deutsche Feldlazarette nachgegangen (Oktober 1914), die u. a. das Lazarett in Ram-l'Etape angingen. Die deutsche Regierung hat auf das gewissenhafteste die Fälle untersucht. Das ganze Material *) Wie solche Verleumdung entsteht und wie sie endet, zeigt drastisch folgende Geschichte, die die „M.-A.-A.-Z." meldet: Die „Gazette de Lausanne" des Obersten und Nationalrates Secretan hatte kürzlich eine Korrespondenz veröffentlicht, in der über den Transport einer Gruppe französischer Sanitätssoldaten an die französische Grenze berichtet wurde. Diese Soldaten, die mit den Kriegsgefangenen nach Deutschland gebracht wurden, von Deutschland aber, dem internationalen Gesetze entsprechend, wieder freigelassen worden waren, wurden in Leopoldshöhe bei Basel den schweizerischen Grenzbesetzungs­ truppen zum Weitertransport nach ihrer Heimat übergeben. In der „Gazette de Lausanne" hieb es: „Die Ärzte dieser französischen Rote-Kreuz-Abteilung erklärten, die Deutschen hätten ihnen alles abgenommen, ihre Instrumente, ihre tlhren, ihre Ringe und die Barschaft." Gegenüber dieser von einem schweizerischen Blatte verbreiteten schweren Ver­ leumdung veröffentlicht der schweizerische Generalstabschef den amtlichen Ben'cht des Platzkommanbos Basel über den Durchmarsch dieser französischen Ambulanz­ gruppe. Der Bericht lautet: „Die Offiziere trugen ihre Dekorationen, bas Kreuz der Ehrenlegion, ihre Uhren, ihre Portefeuilles und waren reichlich mit Geld ver­ sehen. Ich sah welche, die ganze Bündel von 100 Fr.-Noten bei sich trugen, und ich selber habe mehreren von ihnen aus Gefälligkeit 50 Fr.-Noten gewechselt. Auch die Dienste des Wechselbureaus am Bahnhof wurden in Anspruch genommen. Der beste Beweis, bah die französischen Offiziere nicht, wie man behauptet hat, von den Deutschen ausgeplündert wurden, liegt darin, datz verschiedene von ihnen Champagner von hervorragenden Marken zu ihrem persönlichen Imbib im Bahn­ hofsrestaurants bestellten, wie ich persönlich habe konstatieren können." Also genau bas Gegenteil von dem, was zuerst behauptet wurde. So ungefähr enden alle Be­ schuldigungen, die aus dem Kreise allgemeiner Phrase heraustreten, gegen unsere deutschen Soldaten. Jedenfalls wahrte die deutsche Heeresleitung die Normen der Genfer Konvention auf das gewisienhafteste (f. auch das besondere Kapitel unten).

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liegt mir vor. Seine Veröffentlichung würde weit über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Ich kann mit voller Gewissenhaftigkeit nur sagen: Die gehässigen Anklagen gegen die deutschen Ärzte sind nicht in einem einzigen Punkte bestätigt worden. Die deutschen Ärzte waren es vielmehr, die unglaubliche französische Zustände aus­ misten mußten. Auch darüber liegt das Material in meinen Händen. Ebenso niedrig sind die Verleumdungen der Damen der deut­ schen Roten Kreuzes. Dazu folgendes: Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes in Genf gibt am 12. Juli 1915 bekannt: Das Internatio­ nale Komitee des Roten Kreuzes erfuhr zu seinem lebhaften Be­ dauern aus Zeitungsberichten über den Prozeß in Neufchatel, daß von gewisien Zeugen beleidigende Äußerungen gegen die Damen des deutschen Roten Kreuzes getan wurden. Dem Internationalen Komitee liegt daran, zu erklären, daß es seit Kriegsausbruch sowohl durch Vermittlung mehrerer seiner Mitglieder und Delegierten als aus Erzählungen aus dem Munde durch die Schweiz heimkehrender kriegsinvalider Franzosen die bewun­ dernswerte Tätigkeit dieser Damen des deutschen Roten Kreuzes und die Würde und Hingebung feststellen konnte, womit sie ihre Pflicht den Verwundeten aller kriegführenden Armeen an­ gedeihen ließen. Die Zeichen von Erkenntlichkeit, welche diese Damen von zahlreichen verwundeten Franzosen, Engländern, Belgiern und Russen erhielten, gestatteten ihnen, solche Beleidigungen zu verachten, wie die­ jenigen, welche gegen ihre Genossinnen von zwei Zeugen kn Neuf­ chatel vorgebracht wurden. Aber es ist Pflicht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, diese Äußerungen nicht hingehen zu lasten, ohne zu bekräftigen, daß sie im völligen Widerspruch mit allem stehen, was es von der Tätigkeit dieser Damen des deutschen Roten Kreuzes weiß. gez. Im Namen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes: Gustave A d o r. (Die Erklärung des Komitees bezieht sich auf eine Äußerung zweier Zeugen, welche erklärten, den Verwundeten und Gefangenen würde von Damen des deutschen Roten Kreuzes verdorbene Arznei und Gift beigebracht, und daß Damen versuchten, die Gefangenen mit ansteckenden Krankheiten zu infizieren.) über die sonstigen Verleumdungen gegen deutsche Krieg­ führung siehe unten die besonderen Kapitel. Über EnglandsVerhaltenim Seekriege s. unten Teil III. England hat durch seine Blockade- und Bannwarenpolitik alle Grund­ sätze von Menschlichkeit, so auch die Genfer Konvention beseitigt. Eine

159 Illustration dazu ist das Folgende: Der „Times" wird aus Washington vom 12. Mai 1916 gemeldet: Taft hat als Vorsitzender des amerikanischen Roten Kreuzes das Staats­ departement aufgefordert, dagegen zu protestieren, daß England Medizinal« a r t i k e l nicht nach Deutschland gehen läßt, weil damit England die Genfer Konvention von 1906 verletzt. Taft sagt in dem Briefe: „Die Behörden des amerikanischen Roten Kreuzes find der Ansicht, daß ge» matz der Genfer Konvention, welche die Vereinigten Staaten und alle krieg­ führenden Mächte unterzeichnet haben, die Vereinigten Staaten ein vertragliches Recht haben, darauf zu bestehen, baß Artikel, die ausschließlich Kranken und Verwundeten dienen und in der Form von Medizinal­ artikeln vom amerikanischen Roten Kreuz an das Rote Kreuz der Mittelmächte verschickt werden, nicht als Bannware erklärt werden, sondern ihnen die sichere Überführung an ihren Bestimmungsort gestattet wird." (S. unten den Ophelia-Fall und ähnliche Vorkommnisie.)

C. 95 einkerkerten, und deutsche Offiziere und Mannschaften, die erbärmlich der Kriegsgerichtskomödie in französischen Zuchthäusern schmachteten, wie man gefangene französische aus reicheren Familien ebenfalls ins Zuchthaus abführte. Immer folgte die Befreiung unserer deutschen Märtyrer, die keine diplomatische Note zu erreichen vermochte, auf dem Fuße. Um ein letztes Beispiel für die Wirksamkeit der deutschen Re­ pressalien anzuführen: Trotz des Protests der Schweizer Delegierten hatte der marokkanische Resident General Lyautey die angeblich zur Kontrolle nötige Öffnung der aus Deutschland für deutsche Kriegs­ gefangene eingetroffenen Konservenbüchsen an eine Zentralstelle be­ fohlen und sie in völlig verdorbenem Zustande aushändigen lasten. Kurzerhand wurde in Deutschland tags darauf befohlen, alle für französische Gefangene bestimmten Konservenbüchsen anzubohren. Mit überraschender Geschwindigkeit verstand sich nun Lyautey dazu, in Marokko in den einzelnen Lagern die Büchsen prüfen zu lasten, worauf auch in Deutschland die Maßregel wieder rückgängig gemacht wurde. Das Genfer Komitee wird also zuerst an anderen Stellen anklopfen müssen, ehe die Repressalien tatsächlich überflüssig werden. III. Eine deutsche Gegenmahregel. Wie die „Nordd. Allg. Ztg." mitteilt, hat die deutsche Regierung den Regie­ rungen der neutralen Mächte folgendes Dokument übermittelt: Denkschrift der Kaiserlich deutschen Regierung über die Behandlung von Gegenständen und Stoffen der Krankenpflege durch die See st reitkräfte der kriegführenden Staaten. „Durch eine hochherzige Anregung Seiner Majestät des Königs von Spanien find die Regierungen der kriegführenden Staaten zu einer Erörterung der Frage veranlaßt worden, ob nicht die der Kran­ kenpflege dienenden Gegenstände und Stoffe nach Maßgabe einer zwischen ihnen festzustellenden Liste unbedingt als Freigut zu be­ handeln seien. Eine gleiche Anregung ist von der Regierung der Ber­ einigten Staaten von Amerika ausgegangen. Die deutsche Regierung hat sich daraufhin sowohl der spanischen wie der amerikanischen Regierung gegenüber grundsätzlich bereit er­ klärt, die ausschließlich zur Pflege von Kranken und Verwundeten dienenden Gegenstände und Stoffe, wie sie in der von der spanischen Regierung vorgeschlagenen Liste enthalten sind, als unter die Freiliste der Londoner Seekriegsrechtserklärung fallend zu behandeln und dem­ zufolge ihre freie Beförderung zur See zu gewährleisten. Sie hat

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weiter erklärt, dab bereits vor dem Kriege die auf solche Gegenstände und Stoffe sich beziehenden Bestimmungen des Artikels 29 Nr. 1 der Londoner Erklärung in die deutsche Prisenordnung vom 30. Sep­ tember 1909 (Reichs-Gesehbl. 1914 S. 275) unter Ziffer 28 Nr. 1 aufgenommen worden sind; auch hat sie von der in der Londoner Er­ klärung vorgesehenen Befugnis, Gegenstände und Stoffe der Kranken­ pflege im Falle eigenen militärischen Bedarfs anzufordern, bisher niemals Gebrauch gemacht. Die deutsche Regierung hat aber zugleich hervorgehoben, daß sie eine solche Verpflichtung nur unter dem Vor­ behalt der Gegenseitigkeit übernehmen könne und sich daher nicht mehr für gebunden halten würde, wenn England die Beförderung der er­ wähnten Gegenstände und Stoffe von einem neutralen Lande nach Deutschland verhindern sollte. Inzwischen ist allgemein bekannt geworden, daß die britische Re­ gierung, die nach Mitteilung der spanischen und der amerikanischen Regierung ursprünglich die Vorschläge der beiden Negierungen an­ genommen hatte, sich gleichwohl mit ihnen in vollen Widerspruch ge­ setzt hat. So hat sie selbst dem amerikanischen Roten Kreuz die Ver­ sendung von Gegenständen und Stoffen der Krankenpflege an das deutsche Rote Kreuz untersagt. Vergeblich hat der frühere Präsident der Vereinigten Staaten, Herr Taft, gegen die Haltung der britischen Regierung Protest erhoben; nach englischen Meldungen ist auch dieser Protest ablehnend beantwortet worden. Unter diesen Umständen ist Deutschland nicht mehr in der Lage, Gegenstände und Stoffe der Krankenpflege, die in den Bereich der deutschen Seestreitkräfte gelangen, wie bisher ohne weiteres frei passieren zu lasten. Die deutschen Seestreitkräfte werden vielmehr die Weisung erhalten, in Zukunft von dem ihnen zustehenden Rechte auf Anforderung der in der spanischen Liste aufgeführten Gegenstände und Stoffe im Falle eigenen militärischen Bedarfs Gebrauch zu machen. Berlin, den 28. Juli 1916. 15. Kapitel. Wihhandlung wehrloser ZtMi'sten bor und nach der Kriegs­ erklärung.

Keine der Voraussetzungen der Art. 1 und 2 der Landkriegs­ ordnung liegt nach obigem auch für die Mörderbanden vor, die zu den unmenschlichen Mißhandlungen von Verwundeten und Wehr-

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losen geschritten sind, vor denen bereits vor der Kriegserklärung weder Weib noch Kind noch Greis sicher waren. Es handelt sich hier teilweise um dieselben Elemente, die ihre Heldentaten noch vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien begingen. Das Wort des ftüheren französischen Kriegsministers Messimy: „Alle Franzosen muffen sich vereinigen ... im Hasse gegen den Gegner", ist von Anfang an das Leitmotiv des belgischen und französischen Pöbels gewesen. Die Polizei hat in vielen Fällen nicht einmal den Versuch eines Einschreitens gemacht. Das Tatsachenmaterial über diese Greuel — sowohl gegen Frankreich und Belgien wie gegen Rußland — wird, wie erwähnt, in Fülle durch die von der Reichsregierung beim Reichsamte des Innern eingesetzten zwei Sonderkommissionen untersucht und wohl später auch der Öffentlichkeit unterbreitet werden. Es kann also hier auf eine Aufzählung dieser völkerrechtswidrigen Greuel verzichtet werden, mit denen die Bevölkerung der genannten Länder sich eigentlich von Anfang an des Rechtes beraubt hat, über Völ­ kerrechtsbruch auf deutscher Seite zu klagen, ja sich überhaupt noch auf das Völkerrecht berufen zu können. Wir bringen hier als typische Beispiele nur noch einige Schilderungen von Augenzeugen. (Siehe die Kapitel 32 und 33 über die amtlichen Denkschriften unten.) Vorausgeschickt sei die Bemerkung, daß der Staat, in dessen Gebiete sich fremde Staatsangehörige befinden, wie zu Friedens­ zeiten, so erst recht zu Kriegszeiten das Recht hat, diese Fremd­ linge auszuweisen. Natürlich muß bei Ausbruch des Krieges den Fremden entsprechend Zeit zum Verlassen des Gebietes gegeben werden. Sonst haftet der Staat ebenfalls für allen Schaden aus der rigorosen Vertreibung. Ein Fundamentalsatz des Völkerrechts aber gibt den Fremden, solange sie sich nicht gegen die Gesetze des Staates, auf dessen Territorium sie weilen, verfehlen, unbe­ dingten Schutz von Person und Eigentum gegen rechtswidrige, den Strafgesetzen des betreffenden Staates unterliegende Handlungen seitens seiner Staatsangehörigen. Eine solche Gleich st ellung des Schutzes von Fremden und Einheimischen bildet geradezu die Grundlage des ganzen Verkehrs zivilisierter Völker und Staaten. Mord, Körperverletzung, Raub, Diebstahl, Gräber-

198 schändung, Sachbeschädigung usw. sind Delikte, die in jedem modernen, zivilisierten Staate mit schwerer Strafe bedroht sind, ob sich die Handlung gegen Ausländer oder Inländer wendet, — vor allem, wenn sie im Inlande begangen ist. Solche Normen haben selbst­ verständlich auch Belgien, Frankreich, Rußland und England. Auch für den Fall des Krieges bleibt dieser Schutz der Person und des Eigentums des Ausländers unbedingt be­ stehen, gleichviel, ob die betreffende verletzte Person vielleicht später noch Mitglied eines kämpfenden feindlichen Heeres wird oder nicht! Jedenfalls stehen Frauen und Kinder sowie Wehrunfähige unbedingt und unbestritten unter diesem Schutz. Aber auch Wehr­ pflichtige, die der feindlichen Armee noch nicht angehören, dürfen nicht außerhalb des Kriegsbereichs und außerhalb der kriegerischen Unternehmungen, insbesondere nicht vor Beginn des Krieges (infolge Kriegserklärung, bedingten Ultimatums oder tatsäch­ lichen Kriegszustandes) an Leben, Gesundheit oder Freiheit weder von der Wehrmacht noch von Privaten, d. h. der feindlichen Armee nicht angehörigen Personen, verletzt werden. Völkerrechtlicher Hauptgrundsatz bleibt, daß der Krieg von den regulären Heeren, nicht von Zivilpersonen ausgekochten wird. Der Krieg hebt die Anwendung der kriminellen Schuhgesetze nur in ganz beschränktem Maße auf. Diese allgemeinen völkerrechtlichen Grundregeln sind noch ausdrücklich durch die oben betrachteten Art. 1 bis 3 der Anlage zu dem Haager Abkommen von 1899 und 1907 bestätigt (s. oben Kap. 13) ‘). Alle diese Schuhpflichten haben Frankreich, England, Belgien und Rußland schmählich in den ersten Tagen des August, sowohl vor als nach Kriegsbeginn, verletzt bzw. verletzen lassen, indem die unteren Behörden in ihrer Schutzpflicht versagten und die staatlichen oberen Stellen nicht die nötige Energie anwandten, um solche völker*) Siehe den Aufsah von Geh. Rai Ziielmann-Bonn, „D. 3.-3" 1915, Nr. 1/2 über den Schadensersatz für Gewalttätigkeiten gegen Ausländsdeutsche im Kriege, der mit Recht die Ansicht vertritt, bah die Schädigung der Angehörigen eines Staates durch völkerrechtliches Delikt eines fremden Staates zugleich Schädi­ gung des Heimatstaates selbst ist. Der Anspruch des geschädigten Staates geht daher auch aus Ersatz der Schadens, den unmittelbar der einzelne durch die völkerrechtswidrige Schädigung erlitten hat. (über Haftung der Gemeinde bei Pöbelausschreitungen nach englischem, belgischem und französischem Rechte s. bort.) Die Haftung des Staates erfolgt sowohl aus den Pöbelausschreitungen gegen Deutsche, wie wegen der ungerechtfertigten Ausweisung, sowie der unberechtigten Festhaltung Deutscher in den Drriverbanbsstaaten. — Siehe auch Labands Auflatz ,,D. 3.-8." 1915 Nr. 9/10 @.441.

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rechtswidrigen Greuel in Petersburg, in Antwerpen, Brüssel, Lyon usw. zu verhindern. Die deutschen Zivilgesangenen, vor allem in Rußland und Frankreich, sind die Ärmsten der Armen, sie sind der Hölle der Verzweiflung, des Zweifels und des Elends ausgesetzt, ohne an der Größe der Zeit und ihrer Erhebung teilzunehmen. Ihrer muß sich das Reich später besonders annehmen! Ihre ganze Schuld besteht darin, daß sie Deutsche sind! Die Staaten haften für alle Verletzungen von Leben, Gesundheit und Eigentum der Deutschen, gleichviel ob diese ausgewiesen waren oder nicht (Art. 1 des Abkommens vom 29. Juli 1899), ob sie von Militär oder Zivilpersonen oder gegen solche verübt worden sind. (Siehe über den Umfang des Schadensersatzes aus den belgischen Greueln auch den Aufsatz Hamms in der „D. I.-Z." 1914 S. 1285 ff. sowie für Belgien das Gesetz vom 12. Oktober 1795 (10. Vendemiaire) und die V.-O. betr. die Einsetzung von Schiedsgerichten (Ges.- u. V.-Bl. für die okkupierten Gebiete Belgiens, Februar 1915): Haftung der Gemeinde.) I. Belgien. Um den Aussagen über belgische Gewalttaten gegen Deutsche eine unbedingte Glaubwürdigkeit und Gewähr zu geben, läßt der mit der Untersuchung beauftragte Reichskommissar, soweit urkundliche Beweise nicht vorgelegt werden können, alle behaupteten Tatsachen durch eidliche Vernehmung feststellen. Ei^e große Anzahl derartiger amtlicher Protokolle liegt mir in amtlicher Abschrift vor. Ich gebe aus denselben hier nur eine kurze Auslese, da sie allein einen umfangreichen Band ausmachen, und wähle nur die zuver­ lässigsten, beeidigten Aussagen aus dem ungeheuren Material, (über die anderen Antwerpener Fälle siehe S. 150 der I. Auflage.) Die Fälle sind auch für die Frage der Neutralität Belgiens von größter Bedeutung, da sie teilweise vor dem 4. August 1914 geschahen. Besonders schwer belastet ist in Belgien Mons, Brüssel und Antwerpen. 1. Zeuge August St. erzählt: „Bei uns besand sich eine jung verheiratete deutsche Frau, die vor zwei Tagen niedergekommen war. Sie war ganz erschöpft, weinte und rief fortwährend nach ihrem Manne. Sie war nur durstig angezogen, da sie direkt aus dem Bette herausgetrieben war (!). . . 2. Dorothea Melbo, led. Gouvernante, (beeidigt) erzählt u. a. über Brüssel folgendes: „Cs wurde ein Mann, nach meiner Schätzung 40—45 Jahre alt, hereingeführt; gleichzeitig entstand ein Geschrei, es wurden Gendarmen geholt und der betr. Mann gefesselt abgeführt. Während er hinausgeführt wurde, sah ich, daß ihm

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das Blut vom Kopf über den Hals herunterlief, wie ich vermute infolge eines Schlages, den er von einem Gendarmen mit einem „Totschläger", den ich In der Hand des Gendarmen genau und bestimmt gesehen habe, erhallen hat. Wir sahen -dann durch ein Fenster des Zimmers, in welchem wir festgehalten wurden, wie der gefesselte Mann an eine Mauer gestellt wurde und wie er gleich darauf von Ku­ geln getroffen zusammen st ür-te, wobei die auf dem Bahnhof befind­ liche belgische Menge in lauten Jubel ausbrach. Auf unsere Frage nach dem Grund der Füsilierung sagte uns ein Bahnbeamter, daß der betreffende Deutsche einen Revolver bei sich getragen habe; es seien im Laufe des Vormittags bereits fünf oder sechs weitere Deutsche im Bahnhof füsiliert worden." 3. Braumeister Otto Emil Richard Sch. (beeidigt) erzählt über furchtbare Mißhandlungen in Mons u. a.: „Reben zahlreichen unbedeutenden Wunden auf dem Kopf und geschwollenen, blutunterlaufenen Stellen am Körper hatte ich be­ sonders einen Schlag auf das linke Auge und Nasenbein erhalten, durch den die Sehkraft des linken Auges — wahrscheinlich für immer —- beeinträchtigt ist, und ferner einen schweren, gefährlichen Tritt gegen den Leib." Sein Martyrium sehte sich in Brüssel fort. Er erzählt u. a.: „Der Polizei­ kommissar behauptete, ich fei ein Spion, und schlug mich mit einem Gummischlauch, in dem ein Bleirohr steckte, mehrmals derart über den Hinterkopf, daß der Schlauch in Stücke fuhr und ich einige stark blutende Wunden erhielt mit den Worten:

„Maintenant je vais vous montrer, comme il saut traiter un Allemand en Belgique." Reben mir standen währenddessen zwei Polizisten mit dem Revolver in der Hand und ein Garde civique mit aufgepflanztem Seitengewehr. Ich hielt den Schlägen gegenüber still und sagte nur „Pfui!", woraus der Kommissar äußerte:

„Ce jnalin est bien dur.H Hierauf führte man mich, an beiden Händen gefesselt, im Auto zur Gevdarmeriekaserne „Porte de Hal". Beim Ein- und Aussteigen bekam ich von dem Pöbel Stöße und Schläge und wurde angefpien. In der Kaserne wurde nochmals die Untersuchung mit mir vorgenommen, wie am Bahnhof. Ein dicker Wachtmeister schlug mich mit der Faust mehrmals unter die Rase, andere Beamte zwangen mich, mein Blut vom Boden aufzuwischen. Dann mußte ich 2H Stunden mit dem Ge­ sicht nach der Wand still stehen." (Zeuge war bis 2. September in Gefangenschaft.) 4. Margarethe Johanna, Frau des R. (beeidigt): Ich sah in der Rue Creterie (in Lüttich) am 5. August früh morgens, daß ein Kind von kaum 2 Jahren auf der Erde lag und von belgischen Soldaten getreten wurde. Sie sagten dabei in französischer Sprache: „Der Preuße soll kaput ge­ macht werden." Das Kind schrie; ob es an den Mißhandlungen gestorben ist, weiß ich nicht, weil wir weiter gingen. Wie umherstehenbe Personen erzählten, war das Kind aus einem Haufe aus dem Fenster geworfen worden." 5. Ehefrau des Oberkellners Albert Sch. (beeidigt), nach wiederholter ein­ gehendster gerichtlicher Vernehmung und Vorhalt des Unglaublichen. Sie beharrt dabei: „Ich habe am 6. August gesehen, daß Schutzleute einen Deutschen auf dem Trottoir vor der Börse in Brüssel hin- und herrissen und ihm schließlich den Kopf abschlugen: den Schädel haben sie dann auf ihrer Säbelfpltze herumgetragen, wobei ihnen das Volk zujubelte." Bei der wiederholten Vernehmung schildert sie den Vorgang näher. 6. Friedrich Sch. (eidesstattliche Versicherung): „Im deutschen Cafä „Hansa" 56 Canal des Brasseurs (Antwerpen) hat der Pöbel die Türen und Fenster ein-

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geschlagen, ^amtliches Mobiliar auf die Straße geworfen und zertrümmert. In demselben Haufe im zweiten Stock wohnte ein deutscher Kapitän, der zwei Schüsse in die Luft abgab, um durch die Polizei Hilfe zu bekommen. Hierauf ist der Pöbel ins Haus eingedrungen, hat einen 5 Jahre alten Knaben vom zweiten Stock auf die Straße geworfen, drei Frauenzimmer aus dem­ selben Hause, nur mit Hemd bekleidet, an den Haaren auf die Straße gezerrt und geschlagen. Gleich daraus hat das Volk mit einem Tischfuße bei mir ein großes Fenster, ca. 3 m hoch und 2 m breit, zer­ trümmert." Zeuge erzählt von der Plünderung eines deutschen Zigarrenladens: „Die Polizei sah dem Treiben des Pöbels zu, ja, ich habe gesehen, daß Polizisten von den auf die Straße geworfenen Zigarren sich welche aneigneten . . . Auf dem Wege -um Bahnhof sah ich, daß ein Mann, der als Deutscher erkannt wurde, vom Pöbel niedergestochen wurde." 7. Wilhelm K., Kapitän des Dampfers A. ber Hamburg-Amerika-Linie„Am 3. August 1914 morgens (!!) wurde mir erklärt, daß ich die belgischen Ge­ wässer nicht mehr verlassen dürfe, andernfalls mein Schiff in den Grund gebohrt würde. Diese Anweisung erhielt ich durch einen belgischen Major." — „Bei Ankunft in Antwerpen wurde mir meine drahtlose Station durch Überbordwersen der Hauptteile der Apparate durch einen Genieoffizier mit beigegebenen Gendarmen vernichtet." . . . Am 4. August abends sah der Zeuge, wie große Menschenmasten unter ungeheurem Tumult in allen deutschen Häusern am Hafen Fenster, Türen. Möbel demolierten und die Inhaber dieser Wirtschaften in rohester Weise miß­ handelten. Wir sahen durch unsere Gläser von Bord aus, daß die deutschen Mädchen aus den Wirtschaften, nachdem ihnen die Kleider vom Leibe gerissen, an den Haaren auf das Trottoir geschleift wurden. Das Angst- und Schmerzensgefchrei der Frauen und Mädchen dauerte mindestens VA Stunde, ohne baß die Polizei eingriff. Erst nach Mitternacht erschienen zwei Schutzleute, die auch nicht eingriffen, sondern nur zuschauten. Am 6. August wurden noch die Reste der Telegrapheneinrichtungen an Bord unter starken Beleidigungen („Deutsche Hunde haben kein Ehrenwort", „Lump") mit einem Hammer zertrümmert." 8. Kaufmann Sch.: „Ich habe gesehen, daß der Pöbel die Häuser der Deut­ schen ausraubte und alles zertrümmerte, während die garde civique untätig zu­ sah und sich selbst am Zerstörungswerk und den Mißhandlungen beteiligte. Ich sah, daß die garde civique mit Bajonetten nach einem jungen Mann stach, ber später schwer verletzt vom Roten Kreuz weggesahren wurde." 9. Zeuge Kaufmann L. . . .: „Am 3. August mußte ich geschästshalber nach Gent. Ich wurde schon in Brüssel als Spion behandelt, da ich einmal einem Brüsseler Polizeikommissar gegenüber die Frage stellte, was denn die ftanzösifchen Offiziere hier machten, die schon beinahe 4 Wochen (!) hier in Brüssel waren. In Gent wurde ich mit Steinen geworfen und erhielt einen Streifschuß am Bein. Der Polizeibeamte schlug mich ins Gesicht, als ich feine Nummer feststellen wollte. . . . Als wir am Abend etwa 3—400 Personen in einem Zirkus untergebracht wurden, stellte ich fest, daß mir alle G o l d s a ch e n entwendet wurden. Dies kann nur auf ber Polizeiwache von den Beamten geschehen sein (1 Trauring, 3 Siegel­ ringe, 1 goldenes Armband, 1 goldene Halskette und 1 Brosche). sah, daß eine Frau, die beim Einpacken war, von vier Männern aus dem Hause auf die Straße geworfen und mit Füßen getreten wurde."

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10. Eisendreher Kr.: „Ich sah am 2. August (!) aus dem Boulevard Anspach folgendes: Es wurde vom Publikum ausgefchrien, bafo 10 000 Deutsche gefangen genommen worden seien. Daraufhin wehrte ein Mann dem Volte mit der Äuße­ rung, es solle eine derartige Nachricht nicht glauben, und nun hieß es, das ist ein deutscher Spion, schlagt ihn tot. Das Volk stürzte sich dann so­ fort auf den gut französisch sprechenden Mann und zer­ trat ihn förmlich zu Brei.... Jedes Geschäft, wo stand: „Man spricht deutsch!" wurde demoliert." Der Zeuge nennt 6 Firmen. Die folgenden Mitteilun­ gen sind für die Neutralitätsfrage wichtig: Sonntag, den 26. Juli, befand sich der Lord-Mayor von London in Brüffel: es wurde aus diesem Anlaß in Etterbeek große Revue über das Militär abge­ halten. (!) Ein Regiment marschierte dabei in staubgrauer Uniform auf. (!) Mittwoch, den 29. Juli, also vor der Mobilmachung, sah ich persönlich auf einem Automobil einen französischen Offizier mit einem Zivilisten und zwei Mann an der Börse. Der französische Offizier hielt vom Automobil aus bei der Börse eine Ansprache an die Menge, worauf er aus dem Wagen gehoben und auf den Schultern von anderen getragen wurde. Dabei wurde „Vive la France” gerufen. 11. Brutale Mißhandlung durch belgische Polizisten berichtete der Kaufmann Wilhelm L. (Kais. Gouvernementsgericht vom 3. Dezember 1914/4. Januar 1915) in Antwerpen, der auf Eid bestätigt, daß bereits am 2. August 1914 (!) ein Pöbelhaufen deutsche CasLs plünderte und zerstörte, und der mit eigenen Augen sah, daß dabei deutsche Mädchen an den Haaren die Straßen entlang geschleift wurden. Er bestätigt auch, daß bereits im Juli französische Genieoffiziere in Begleitung belgischer Offiziere die Forts besuchten. Er erzählte die Ermordung mehrerer deutscher Matrosen und Frauen. Über die Roheit eines belgischen Majors, der u. a. den Deutschen das Rauchen verbot, (. die Aussage des Schriftstellers Franz O. (Amts­ gericht Eberswalde 20. Oktober 1914). Zeugin Elisabeths R. (Amtsgericht Schwerin 13. Januar 1915) erzählte auf Eid grausige Mißhandlungen in Antwerpen. 12. Eugen Sch. glaubt die Hauptschuld an der Erbitterung gegen die Deutschen und an deren Belästigung dem Bürgermeister de Dos beimeffen zu muffen. Dieser erließ, als noch alles ruhig war, am 3. August eine öffentliche Bekanntmachung, die Deutschen hätten ihr Wort gebrochen und seien in Limburg einmarschiert. Gleichzeitig ließ er Sturm blasen, um die Bürgerwache zu alarmieren. Die Be­ kanntmachung enthielt zwar keine direkte Aufforderung zu Gewalttaten gegen die Deutschen, aber einige Redewendungen wie: „Die Vaterstadt ist kn Gefahr" usw., verursachten doch große Erregung gegen die Deutschen. Als Direktor Sch. am 3. August vormittags sich in sein Bureau begab, sah er, wie 6 bis 8 Flamländer einen deutschen Matrosen mit Gummiknütteln und Eisenstücken halb tot schlugen und liegen ließen. Kurz darauf sah er, wie ein deutscher Hafenarbeiter von einem Belgier in einer Wirtschaft niedergestochen wurde. Dicht daneben befand sich eine Polizeiwache. Die Polizisten ließen sich aber nicht sehen. 13. Katharina H., beheimatet in Anzing, sagt aus: Am 2. August (!) d. I. wurde abends in den deutschen Wirtschaften „Hamburger Buffet", „Adlershos", „Kaiserhof", „Deutscher Kaiser", „Berliner Rangen", „Stadt Dortmund", „Bremer Küche" und „Imperial" alles kurz und klein geschlagen. Die in der Nähe des Bahnhofs gelegenen deutschen Hotels Braun, Weber und Germania wurden vom Pöbel gestürmt und ausgeplündert. . . . Auf dem Wege zum Bahnhof bemerkte die Zeugin, daß ein Mädchen im Alter von 10 bis 12 Jahren von einem oberen Stockwerk eines Hauses an der Hauptstraße, die am Bahnhof in die Stadt hinein-

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führt, auf die Ctratze heruntergeworfen wurde. Das Kind fiel in nächster Nähe von ihr auf den Gehsteig. Die Polizei und das Militär schritten gegen die Aus­ schreitungen des Pöbels nicht ein. 14. Fräulein B. bekundet: Mein Vater, Otto B., über 25 Jahre lang Mit­ arbeiter am „Berliner Tageblatt" und ein nicht nur in Deutschland, sondern auch int Auslande bekannter Schriftsteller, war feit 2 Jahren in Brüssel domiziliert. Auf Grund des Spionageverdachts und seiner Beziehungen zum „Berliner Tage­ blatt" wurden beide im Gefängnis interniert. Hier wurden ihnen sämtliche Wert­ sachen abgenommen: „Was mit meinem Vater angestellt wurde, weih ich nicht." . . . Sle schilderte das Wiedersehen im Gefängnisse ergreifend: „Er war unkenntlich, hager, in dünnen leinenen Hosen, ohne Socken, mit nur Schlappen an den Führn, schlotternd vor Kälte. Sein Gesicht zeigte deutliche Spuren erst kürzlich erhaltener grausamster Mißhandlungen. Die ganze linke Seite, Gesicht und Nase waren grün und blau unterlaufen von Schlägen oder Stotzen. Über dem Auge und auf der Stirn waren grotze Hautabschürfungen. Er war ungewaschen, im Zustande entsetzlicher Vernachlässigung und Erschöpfung. Er erkannte mich, fragte nach Verwandten und sing bitterlich zu weinen an. Er klagte wie ein kleines Kind. Ich teilte dem amerikanischen Konsul bas Resultat meines Besuches mit. E r antwortete, es sei das schon der 4. oder 5. Fall. Es schiene, als ob sie dieGefangenen absichtlich durchMitzHandlungen irrsinnig machen wollten (!). Trotz des schwerkranken Zustandes meines Vaters wurde mein Vater aber weiter in der Zelle behalten, und ich erfuhr noch von der Behörde, datz er wohl schon seit acht Tagen nichts gegesien habe und auch, datz man ihn schon in eine wattierte Zelle ge­ sperrt habe. Vor G Wochen noch ein gesunder, geistig frischer Mann, ist mein Vater heute gebrochen an Leib und Seele, schwer geistig gestört, mit nur wenigen und kurzen lichten Augenblicken." (Siehe die Einzelheiten dieses Falles 1. Auflage S. 151.)

Aus all ben unzähligen Berichten der deutschen Zeitungen geht in völliger Übereinstimmung mit den amtlichen Berichten hervor, datz die Polizei in Antwerpen sich höchstens — passiv verhielt. Zeugen erwähnen, daß in nächster Nähe Polizeibeamte standen, die „eine ver­ gnügte Miene zeigten, ohne einzugreifen". Bei den Greueln auf der „Gneisenau" im Hafen war eine Anzahl von belgischen Gendarmen direkt beteiligt. Der juristische Berater einer großen deutschen Firma in Ant­ werpen, besten Person und Name der „Kölnischen Zeitung" bekannt ist, schildert dort Gräberschändungen, so daß man ihm glauben kann, wenn er sagt, „das Herz kämpfte sich zusammen". Und auch hier schreibt er über die Greuel, Mißhandlungen, Plünde­ rungen, Morde: „Und die Polizei, die Bürgergarde, die zum Schutz bestimmt war? Die beteiligte sich zum Teil selb st an den Räubereien; die Wachtleute sah^n wir oben aus den Wandel-

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gangen, wie sie interessiert, als ob ihnen das ganz und gar unbekannt wäre, das Treiben und Spielen der Möwen beobachteten. Hier wollte man nichts sehen." Damals schrieb der Rotterdamer „Maasbote" u. a.: „Läßt man es so wie bisher weitergehen, dann ist binnen 2 Tagen kein Bürger in Antwerpen mehr sicher in seinem Haus. Gestern und heute nacht wurden rund um die Stadt die Villen von vertriebenen Deutschen geplündert und in Brand gesteckt. Morgen werden es die Villen von Belgiern sein, die nach der Stadt geflüchtet oder zum Heere gestvtzen sind." Ich habe hier speziell zahlreichere Falle aus Antwerpens Schandtagen aufgeführt, um zum Vergleich mit betn Verhalten der Deutschen nach der Eroberung Antwerpens anzuregen*). II.

Frankreich.

In Frankreich ging es nicht bester zu. Der Münchener Schausteller Max Stehbeck, der die StadteAusstellung in Lyon beschickt hatte, erzählt in den „M. N. N." u. a. folgendes; er erklärt, daß er dies alles als Zeuge beeidigen könne: . . Die Ausgewiesenen nahmen im Hotel Bordeaux Wohnung, sie konnten aber nicht an Ruhe denken da vor dem Hause eine wütende Volksmenge fort­ gesetzt nach den Deutschen schrie. Andern Tags drang der Hotelbesitzer darauf, daß die Deutschen sofort sein Haus verlaffen, weil er fürchtete, daß man es in Brand setze............. Der Hippodrombesitzer Eder wurde, als er don deutschen Hilfsverein verließ, blutig geschlagen. Noch schlimmer kam ein junger Tanzmeister davon, der zu Boden geworfen und mit Füßen getreten wurde, so daß ihm der Brustkorb ein­ gedrückt wurde; er ist vermutlich tot. . . . Die Fahrt ging im Viehwagen nach Thiers in der Nähe von Clermont Ferrand. .. . Am ärgsten ging es in St. Etienne zu, wo Weiber mit Besenstielen und Mesiern auf die Wagen losstürzten. In Thiers sperrte man die Gefangenen, unter denen sich auch Österreicher befanden, in eine große Markthalle, in der sich vorher Schweine befunden hatten; dort waren etwa 800 Deutsche und Österreicher zusammengepfercht. ... Da man die Abgabe von Milch für die kleinen Kinder verweigerte, starben mehrere während der elftägigen Haft im Gymnasium. Einen neuen Erdenbürger begrüßte der ge­ fühlsrohe Arzt mit den Worten: „Noch so ein Dreckdeutscher mehr!" Das Kind starb am nächsten Tage."

Noch entsetzlichere Leiden als Stehbeck schildert in einem Proto*) Siehe unten: Die Beschießung und Eroberung von Antwerpen, Kap. 35; siehe über die belgischen Greuel auch die Broschüre „Die Wahrheit über den Krieg", insbesondere S. 91 die Erzählungen des Kaplans Drosiert und des däni schen Arztes Dr. Hindhede S. 92.

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soll, das der Verein für das Deutschtum Im Auslande aufnahm und am 21. September 1914 in den „M. N. N." veröffentlichte, eine Frau Gertrud Serito, eine Oberkellnersfrau, über Roheiten auf der Fahrt von Paris nach Brüssel, dortselbst und auf der Fahrt von Brüssel zur deutschen Grenze. Aus den zahlreichen amtlichen Vernehmungen über Frankreich, die mir vorliegen, greife ich als „Stichproben" folgende heraus (f. im übrigen Kapitel 12 bis 15 oben): Krankenwärter I. . . erklärt, vorschriftsmäßig beeidigt: . . . Auf dem Wege zum Bahnhof St. Lazare (3. August) war ich Zeuge, wie ein französischer Infanterist einem Deutschen von etwa 45 Jahren, der anscheinend der französischen Sprache nicht genügend mächtig war und den Soldaten um Auskunft angegangen hatte, einen Stich mit dem Bajonett in das Auge versetzte, so daß dieses auslief und der Verletzte in eine nahe gelegene Apotheke verbracht werden mußte. Am 4. August begab ich mich an den Nordbahnhof (gare du nord). Der Bahnhof war militärisch abgesperrt. Die Vorhallen und Räume waren mit Deutschen gefüllt, die in die Heimat wollten. Durch die Hallen tönten die Rufe: A bas les Allemands! ä Berlin! Wer als Deutscher zu erkennen war, wurde mit Knüppeln behandelt, auf den Boden geworfen und mit Füßen getreten. ... Ich ging in Mons nach dem Bahnhof, in meiner Begleitung der Kapell­ meister einer deutschen Kapelle in Ostende. Der Kapellmeister war in Mons bekannt und wurde von einer Anzahl (15-—20) halbwüchsiger Burschen überfallen, auf den Boden geworfen, mit den Füßen in das Gesicht, auf den Rücken, kurz überall hingetreten, bis sich mehrere Offiziere feiner erbarmten. Seine Geige, die er im Kasten trug und die einen Wert von 1200 M. nach seiner Angabe hatte, wurde von dem Pöbel vollständig zertrümmert. Am Bahnhof halten sich eine größere Anzahl Deutsche zusammengefunden, die zum Teil ebenfalls mißhandelt worden waren und am Gesicht, an den Ohren usw. bluteten. . . . ... In dem Gefängnis in Brügge befanden sich etwa 2000 Zivilgefangene, die größtenteils Verletzungen am Kopfe, an den Rippen, aber auch an allen mög­ lichen sonstigen Körperstellen zeigten und über Schmerzen klagten. . . .

Grausige Roheiten der Franzosen gegen schwerkranke Frauen und Gebärende erzählt auf ihren Eid beim Amtsgericht Oberkirch am 2. Januar 1915 eine Zeugin Berta W.; über furchtbaren Nah­ rungsmangel u. a. eine Französin, Eheftau eines Deutschen, Amts­ gericht Elberfeld vom 19. Januar 1915; über das Wüten des Pöbels eine Zeugin beim Amtsgericht Wiesbaden am 4. Dezember 1914. Der Obermälzer Johann f>. (Amtsgericht Mülhausen i. E. am 2. Dezember 1914) erzählt übereinstimmend mit unzähligen anderen Zeugen eingehend die brutale und schikanöse Art der Behandlung der Zivilgefangenen Ende August, als die Franzosen Mülhausen einge­ nommen hatten, über die Zusammenstellung der Zivilgefangenen mit Syphilitikern ärgster Form und die Schikane und Mißhandlung Wehrloser sagt eine beeidigte Frau am 12. Dezember 1914 beim Amtsgericht Berlin Mitte, Abteilung 92, aus.

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Osten und Westen, Norden und Süden Frankreichs waren in gleicher Weise der Schauplatz der Roheiten. Dirnen sind Aufsichts­ personen; Typhus und Brechdurchfälle waren die Folge der völlig unzureichenden und ekelhaften Ernährung; Filzläuse und andere ähnliche Beigaben waren die Folgen der Unterbringung in den schändlichsten Löchern, schlechter als die schlechtesten deutschen Zucht­ häuser (s. die interessante Aussage des Dr. Lic. P. K., Universitäts­ professor, zu Protokoll des Amtsgerichts Gießen vom 15. Januar 1915). Mangel jeglichen Systems war der Grund da, wo nicht verbrecherischer Wille vorlag. Allenthalben stahl die sranzösische Gendarmerie den Zivilgefangenen das Geld. Die Zeugen bestätigen auch oftmals, daß die Begleitmannschaften die Mißhandlungen, Steinwürfe usw. ruhig geschehen ließen, ja sichtlich ihre Freude daran hatten (s. z. B. Amtsgericht Memmingen vom 31. Dezember 1914). Dort auch die grausigen Schilderungen über das Konzentrationslager Camp d'Avrille, das danach wohl noch ärger als das berüchtigte Burenkonzentrationslager war, und in Mongazon, das nicht bester war. Drei Zeugen bestätigen auf Eid die roheste Art der Behand­ lung eines an Blinddarmentzündung operierten 3'A jährigen Kindes, das infolge der furchtbaren Behandlung starb; der Leichnam in Pack­ papier eingewickelt und von einem Hundekarren fortgefahren, den Eltern wurde bei der Einscharrung die Anwesenheit verweigert. Eine ergreifende, wenn auch noch ungenügende Schilderung gibt der „Moniteur du Puy de Dome“ vom 20. August 1914 (f. „Franks. Ztg." vom 12. März 1916 Nr. 71), wo die armen deutschen Zivil­ gefangenen nach französischen Mitteilungen von der Masse erschlagen wurden. „Einer fällt mit gespaltenem Schädel zusammen," berichtet der Augenzeuge. Ewiger Schandfleck dieses sog. Kulturlandes! Der betreffende Zeuge ergänzt den Bericht dahin, daß auch viele Soldaten mit Gewehren und Säbeln einhieben und schwere Verwundungen beibrachten. Die Werbung von Fremdenlegionären') unter den Ge­ quälten wird eidlich von den meisten Zeugen bestätigt. Die Anwer­ bung geschah wohl meist, da sie die Flucht vor diesen schändlichen Brutstätten schwerster Krankheiten bedeutete (f. unten darüber Näheres). Über lebensgefährliche Verletzungen — einer der Mißhandelten (Kaufmann Julius Bock aus Hamburg) starb — durch den von den Soldaten aufgestachelten Pöbel in Oran berichtet vor dem Amtsgericht *) Siehe auch „Die französische Fremdenlegion im Lichte des Völkerrechts" r-on Hans Ledmann.

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Ludwigslust am 7. Januar 1915 eine Zeugin, die über das Gefange­ nenlager in Sebdou ähnliche Dinge erzählt wie die anderen Zeugen von den französischen; ähnliche Erzählungen ein Zeuge M., Amts­ gericht Bremen vom 17. Dezember 1914. Über das Konzentrationslager in Rvdez und die ebenso traurigen Verhältnisse sagt die Lehrerin Anna W. beim Amtsgericht Karlsruhe am 8. Januar 1915 aus. (Der Präfekt erklärte: „Wenn einige sterben würden, mache es nichts aus; es seien noch genug da.") Direkte Vergewaltigungen durch französische Soldaten unter Vorhalten eines Revolvers bestätigt die Erzieherin M. B., Amts­ gericht Würzburg vom 13. Januar 1915, mit erschütternden Erzählungen über die Plünderungen und die Zuchtlosigkeiten französischer Soldaten. In Frankreich sind die Verhältnisie, wie die Schilderungen über die Aufnahme der ärmsten deutschen Schwerverwundelen zeigen, auch heute noch nicht viel besser. Der vertierte Pöbel ist dort zu herab­ gekommen, um sich wieder von seiner Hysterie zu erholen. Ein Schweizer Geistlicher, Zimmerst, der von den Neutralen beauftragt war, die französischen Gefangenenlager und Lazarette anzusehen, schreibt (1915) u. a. folgendes über die dortige Stimmung: „Die gleiche Disziplinlosigkeit zeigte sich im französischen Geistesleben, wo der seit Jahrzehnten in die Kindesseelen eingepflanzte Hatz gegen alles Deutsche hoch aufloderte. Noch im Dezember konnte ich bei einem Anlaß in Paris das wilde Geheul der Menge hören, das ausklang in die Worte: „boches, boches“, ein Wort, besten Ausdeutung in Vorstellungen liegt, an die ein anständiger, rein­ licher Mensch überhaupt nicht einmal denken mag. Durch einwandfreie Zeugen ist festgestellt, daß es vielfach nicht bei diesem hysterischen Geschrei blieb, sondern daß die aus Frankreich flüchtenden Deutschen und Österreicher den rohesten Be­ leidigungen und Belästigungen ausgesetzt waren, ja, daß einzelne direkte Miß­ handlungen, die zum Tode führten, vorgekommen sind. Die aus Frankreich zurück­ gekehrten Zivilgefangenen haben beeidete Einzelheiten angegeben, die einen tief­ traurigen Einblick in die Zügellosigkeit und Gemeingefährlichkeit des französischen Ehauvinismus geben. Völlige Vernichtung des Deutschtums in ganz Europa war aller Wunsch und Ziel! Wohl wußte man in Frankreich durch einen vom „Malin" nach Deutschland geschickten Berichterstatter von der Gutmütigkeit der Deutschen den Franzosen gegenüber. Aber der „Matin" benutzte diese Tatsache nur zu neuem blutigen Spott und Hohn und verbat sich im Namen der Franzosen jedes Bedauern und Mitleid in diesem Krieg. „Diese Deutschen sind zu dumm!" — in diesen Worten ist der französische Spott auf die deutsche Gutmütigkeit am besten aus­ gedrückt. Ein Franzose aber sagte mir: „W enn wir dieAffen aus dem Urwald holen müßten, das deutsche Verbrechergesindel muß verschwinden aus Europa!"

Damit vergleiche man die Ruhe, die Würde, das tiefe Mitgefühl des ganzen deutschen Volkes mit den verwundeten Feinden!

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III. England. Datz die Verhältnisse in England in den ersten Tagen nach der Kriegserklärung nicht viel besser als die französischen und belgischen waren, was bei der ganzen Kriegssituation für England eine doppelte Schande bildet, kommt erst jetzt durch die eingehenden deutschen Untersuchungen zum Vorschein. Als Beweis das folgende: Bei den Ermittlungen des Reichskvmmisiars über Gewalttätig­ keiten gegen Deutsche im Ausland ist vor einem Berliner Gericht eine in London ansässige Deutsche über die Ermordung eines Deutschen durch den Pöbel eidlich vernommen worden. In dem gerichtlichen Protokoll findet sich über den Vorfall folgende Darstellung: Am 5. August, abends gegen 11 Uhr, ging ich allein durch die Piccadillystraste und sah dort in der Nähe des deutschen Geschäfts von Appenrodt zwei deutschsprechende, besser geneidete Herren stehen, welche sich voneinander ver­ abschiedeten. Es waren zwei jüngere Herren, nach meiner Schätzung im Alter von 25 bis 20 Jahren. In der Stratze standen Hunderte von Menschen, die auf beiden Seiten Spalier bildeten und auf die nach dem Theater in großer Menge durch die Straßen fahrenden Autos warteten. Es hatte sich nämlich unter dem Publikum ln den Tagen nach Kriegsausbruch die Gewohnheit herausgebildet, die durch die nach Theaterschluß sehr belebte Piccadillystraße fahrenden Autos anzuhalten und die Insassen nach ihrer Nationalität zu befragen. Sobald jemand keine Flagge am Auto hatte oder kein Nationalitätszeichen trug, schlugen die Leute mit Stöcken auf die Insassen, die meistens den besser gestellten Gesellschaftskreisen angehörten, ein. Es herrschte also gerade in der Piccadillystraße, in der sich der Vorfall ab­ spielte, abends eine sehr erregte Stimmung unter der Menge. Als sich die beiden oben bezeichneten deutschen Herren voneinander verabschiedeten, wurden einige in der Nähe stehende Personen auf sie aufmerksam und erkannten sie als Deutsche. Unter den Rufen: „That is German peoplel", „down with the Germans!", „kill the Germans!“ (Das sind Deutsche, nieder mit den Deutschen, tötet die Deutschen!) stürzte sich eine Menge Menschen aus die beiden Deutschen. Einer der beiden rettete sich unter die Menge, der andere wurde zu Boden geriffen und mit Führn getreten. Es herrschte ein derartiges Gedränge, daß es nach meiner Meinung unmöglich war, zu schlagen, da niemand die Hand hochheben konnte. Der junge Mann wurde einfach zu Boden geriffen und von den nächststehenden Personen getreten. Diese Mißhandlung setzten die Leute so lange fort, bis der Deutsche eine leblose Maffe war. Bei dem ganzen Vorfall stand, wie ich bestimmt weih, höchstens 3 m entfernt ein Schutzmann, der die Mißhandlung ruhig mit ansah und erst, als der Deutsche sich nicht mehr rührte, zu den nächststehenden Personen sagte, sie sollten ihn aufheben und wegtragen. Mehrere Leute hoben nun den leb­ losen Körper auf und trugen ihn weg, wohin, weih ich nicht. Einige Engländer, denen der Deutsche leid tat, hatten versucht, dem Treiben der Menge Einhalt zu tun. Die grosze Menge machte aber gegen sie Front und es wurden sogar, wie ich selbst gesehen habe, auch einige dieser Engländer von der wütenden Volksmenge ge­ schlagen.

Wir erkennen gern an, datz nach den ersten Exzessen in England die Deutschen dort anscheinend bis Oktober 1915 ziemlich unbehelligt

blieben, soweit die wahnsinnige Zeppelin- und Spionagefurcht der Engländer dies zuließ. Mitte Oktober 1915 begannen dort freilich „Pogrome" gegen arme deutsche Kellner und sonstige Deutsche, die sogar nach der Darstellung der anständigen englischen Presie eine Schande für die ganze Nation sind. (Siehe Kapitel „Spionage" und „Verschwörung" über diese Ereignisse und in den folgenden Kapiteln über die englische Gefangenenbehandlung.) IV. über die besonders schlimmen Verhältnisse in Rußland siehe unten die besondere Darstellung im Kapitel 23 ff. V. Die Verantwortung und Haftung für alle diese Greuel und Schäden trifft die französischen, englischen und belgischen Behörden; sie geschahen großenteils mit Wissen und oft mit Willen der Polizei. Zum allermindesten hat diese durch Unterlassung jeglicher genügenden Schutzmaßregeln gegenüber den wehrlosen Deutschen die volle Verantwor­ tung für alle Nachteile derselben zu tragen. Es wird bei der Friedens­ schließung und bei Festsetzung der Bedingungen voller Schadenersatz für alle diese Schandtaten in den ersten 8 bis 10 Tagen und in der Zeit nachher gefordert werden müssen. Mit solchen bestialischen Freveln vergleiche man einmal die Lärm­ szenen vor der Kriegserklärung in Berlin und München, bei welch letzteren z. B., was ich bebaute, in einem Cafe einige Fenster ein­ geworfen wurden und einige Ausländer unter polizeilichen Schutz sich begeben mußten, ohne die geringste Verletzung erhalten zu haben. Diese Ausschreitungen der Menge, die die ganze deutsche Presse scharf mißbilligte, sind Kindereien Harmlo fest er Art im Vergleiche zu vorstehenden Greueln, während sie die ausländische Presse zu großen grausamen Exzessen stempelte. Wir haben sie teilweise miterlebt und können das eben Gesagte auf das gewissenhafteste aufrechterhalten. Zahlreiche Zeugen stehen dafür zu Gebote. Da die ganze öffentliche Meinung in Deutschland gegen diese leidenschaftliche Erregung der Menge sich wandte, war vom Tage der Kriegserklärung an in Deutschland jeder Exzeß verschwunden. Der ganze würdige Ernst der Bevölkerung Deutschlands sicherte auch die Angehörigen gegnerischer Staaten vor jeder Beleidigung. Ich erinnere als Beweis nur daran, daß eine größere Anzahl (45) britischer Staatsangehöriger Berlin erst Ende September verließ. Sie sandten der „Voss. Ztg." folgendes Schreiben:

310 „(Erlauben Eie uns hiermit den Btations- und ^olisctbcamtcn den herz­ lichsten Dank auszusprechen für die Mühe, der sie sich unsertwegen unterziehen mutzten, und für die freundliche und ritterliche Behandlung, die sie uns zuteil werden liehen. Wir möchten noch hinzufügen, datz die Freude, heim-ukehren. einigermatzen durch den Gedanken an die vielen lieben und guten Freunde getrübt wird, die wir verlassen müssen. Lassen Sie uns ferner versichern, datz wir unser Äusserstes tun werden, um die Wahrheit über den Stand der Dinge in England zu verbreiten*).

Von allen Neutralen, Skandinaviern, Rumänen, Amerikanern wie von den Pressevertretern der ganzen Welt in Berlin usw. liegen zahlreiche feierliche Bekundungen vor, die die Lügen der Pariser und Londoner Presse und ihrer Gehilsen in Rom, Turin, New Port bestätigen, freilich erst, nachdem die Stimmung gegen Deutschland bereits künstlich gemacht war (f. im übrigen über die deutsche Haltung Kap. 26, insbes. 27 und 32, 33). *) Wie die „Frankfurter Zeitung" schreibt, veröffentlichte das Komitee der entlassenen 600 russischen Staatsangehörigen, die erst im Oktober aus Leipzig in ihre Heimat zurückkehrten, eine Danksagung, in der es heisst: Sämtliche BeHörden sind uns jederzeit mit dem feinsten Verständnis für unsere Lage entgegen­ gekommen, so dass wir aufs neue den entschiedensten Eindruck von der Höhe deutscher Kultur empfangen haben. Wir werden es uns angelegen fein lassen, dem Ausland davon Kenntnis zu geben, in wie grossherziger Weife wir auf deutschem Boden behandelt und befördert worden sind.

Völkerrechtswidrige, unmenschliche Kriegführung durch die teindlichen Armeen und Legierungen des Drei­ verbands und Belgiens. 16. Kapitel. Getansenenbehandluns): Völkerrechtswidrige Behandlung der Deutschen. Die Gefangennahme der Livilikten inSbelondere. Multerhakte Behandlung der teindlichen Ge­ fangenen in Deuttchlsnd. Motto: „Und mit solch-. ni lÄesindel muß ich mich herumschlagen." Friedrich der (Srogc am 25. August 175&

A. Die Behandlung der deutschen Gefangenen durch Belgier und Franzosen ist schon im vorstehenden Kapitel gestreift worden. Nach Art. 4 des oft zitierten Abkommens vom Jahre 1907, mit dem das Abkommen von 1899 völlig übereinstimmt, das also für alle Staaten, die am Kriege beteiligt sind, rechtsgültig ist, unterstehen die Kriegs­ gefangenen der Gewalt der feindlichen Regierung, aber nicht der Gewalt der Personen oder der Abteilungen, die sie gefangen genommen haben. „Sie sollen mit Menschlichkeit behandelt werden." Alles, was ihnen persönlich gehört, verbleibt ihr Eigentum mit Ausnahme von Waffen, Pferden und Schriftstücken militärischen Inhalts. Ihre Einschließung ist nur statt­ hast aus unerläßlichen Sicherungsmaßregeln und nur während der Dauer der diese Maßregel notwendig machenden Umstände (Art. 4) — also nur vorübergehend. Die Gefangenen sollen nach Art. 7 in Beziehung auf Nahrung, Unterkunft und Kleidung so be­ handelt werden wie die eigenen Truppen(!). Der Staat ist befugt, die Kriegsgefangenen mit Ausnahme der Offiziere nach ihren Fähigkeiten und nach ihrem Dienstgrade entsprechend als Arbeiter zu verwenden. Die Arbeiten der Gefangenen dürfen nicht übermäßig sein und in keiner Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stehen. Auch dürfen sie bei besonderer Genehmigung für eigene l)

Siehe auch Laband in der „D. I.-Z " 1915 Nr. 1/2 6. 3 ff.

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Rechnung oder für Private Arbeiten gegen entsprechenden Lohn aus­ führen (f. Art. 6 ff.). Die Regierung hat auch für entsprechenden Unterhalt zu sorgen. Alle diese humanen Bestimmungen, die, wie wir aus einiger Kenntnis der Dinge wissen, auf das gewissenhafteste in Deutschland beobachtet werden, wurden in Frankreich mißachtet und ignoriert. Rach den übereinstimmenden Mitteilungen aus Belgien, Eng­ land, Frankreich und Rußland wurden die Gefangenen, ja sogar die völkerrechtswidrig gefangen genommenen, nicht wehrfähigen Deutschen inklusive der Frauen und Kinder vielfach außerordentlich schlecht behandelt. Ausnahmen bestätigen auch hier nur die Regel. Eine Denkschrift der deutschen Reichsregierung mit 56 großen Druckseiten, deren Original mir vorliegt, enthält eine Fülle des vorläufig gesam­ melten Materials über die der Genfer Konvention vom 6. Juli 1906 und der Haager Konferenz vom 18. Oktober 1907 zuwiderlaufende Behandlung der in französische Hände geratenen Kriegsgefangenen. In der Einleitung zu dieser Denkschrift, die wegen des Umfangs leider allein hier Platz finden kann, heißt es: „An der Spitze der Genfer Konvention vom 6. Juli 1906 steht als einer der höchsten Grundsätze des Kriegsrechts die Bestimmung, daß die Verwundeten und Kranken des feindlichen Heeres in derselben Weise geachtet und versorgt werden sollen, wie die Verwundeten und Kranken des eigenen Heeres (Art. 1, Abs. 1) In gleicher Weise spricht das Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 den Grund­ satz aus, daß die in die Gewalt der feindlichen Regierung geratenen Kriegsgefan­ genen mit Menschlichkeit behandelt werden sollen und daß alles, was ihnen persön­ lich gehört, mit Ausnahme von Waffen, Pferden und Schriftstücken militärischen Inhalts, ihr Eigentum verbleibt (Art. 4). Gegen diese auch aus dem Gesichtspunkte der Menschlichkeit sich ergebenden Grundsätze des Kriegsrechts haben in dem gegenwärtigen Kriege französische Truppen in unwürdiger Weise verstoßen. Aus der großen Zahl der bekannt ge­ wordenen Fälle werden in den Anlagen diejenigen aufgeführt, die durch gerichtliche eidliche Vernehmungen oder durch dienstliche Meldungen höherer Offiziere oder Sanitätsoffiziere schon jetzt einwandfrei festgestellt sind. Dabei muß hervorgehoben werden, daß die Feststellungen über kriegsrechts widrige Behandlung von Kriegsgefangenen erhebliche Schwierigkeiten darin finden, daß diejenigen Personen, an welchen solche Behandlung geübt worden ist, sich in französischen Gefangenenlagern befinden und deshalb nicht vernommen werden können, daß ihre Heimatsbriefe einer scharfen Kontrolle unterliegen und zu­ rückbehalten werden, falls sich aus ihnen für die französische Regierung ungünstiges Material ergibt. Die Feststellungen konnten daher im wesentlichen nur durch die eidliche Vernehmung solcher Personen getroffen werden, welche entweder aus der Gefangenschaft entwichen oder welche als neutral (Sanitätspersonal) von der fran­ zösischen Regierung wieder entlasten worden sind. Trotz dieser in der Natur der Dinge liegenden Beschränkung der tatsächlichen Feststellungsmöglichkeit ist das bisher gesammelte amtliche Material überaus groß.

213 Entgegen dem im Haager Abkommen ausgesprochenen Grundsätze der Frei­ heit des persönlichen Eigentums sind den Kriegsgefangenen in fast allen bekannt­ gewordenen Fällen persönliche CigenLumsstücke gewaltsam fortgenommen worden; es handelt sich dabei nicht nur um Montierungsstücke (Helm, Achselklappen, Porte' pee, Gamaschen, Sporen), sondern auch um Geld, Taschenmesser, Eßbestecks, Brustbeutel, Manscheltenknöpfe und anderes mehr (Anl. 1 bis 8, 11, 13 dortselbst).