Der Weltkrieg 1914–1915 und der “Zusammenbruch des Völkerrechts”: Eine Abwehr- und Anklageschrift gegen die Kriegführung des Dreiverbandes [In völliger Neubearb. 3. Aufl. Reprint 2018] 9783111638218, 9783111255644


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German Pages 626 [628] Year 1915

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Inhaltsverzeichnis
Politisches Vorwort
1. Kapitel. Dir völkerrechtliche Geltung der Abkommen der beiden Haager Friedenskonferenzen, insbesondere der sogenannten „Landkriegsordnung" vom Jahre 1899 und 1907 für den jetzigen Krieg
I. Teil. Landkriegsrech
2. Kapitel. Die Neutralität Belgiens
3. Kapitel. Die Mobilisierung und die Völkermoral
4. Kapitel. Feindselige Handlungen der Dreiverbandsfloaten vor der Uriegserklärung
5. Kapitel. Verletzung der Kongoukte. – Der Kolonialkrieg
6. Kapitel. Die Verwendung barbarischer Kriegsvölker im europäischen Kriege
7. Kapitel. Mißbrauch der Neutralität der Türkei
8. Kapitel. Die ägyptische Frage
9. Kapitel. Der Bruch der chinesischen Neutralität durch Japans und Eng, lands Angriff auf Kiautfchau
10. Kapitel. Die Verwendung von Dum-Dum-Geschossen und ähnliches..
11. Kapitel. Völkerrechtswidrige Behandlung diplomatischer Vertreter durch die Dreiverbaodsstaaten. – Völkerrechtswidriges Benehmen diplomatischer Vertreter des Dreiverbandes
12. Kapitel. A. Nichtbeachtung und Verletzung des „Roten Kreuzes“ seitens der Dreiverbandstaate
13. Kapitel. Franktireurkrieg und Mißhandlung Wehrloser vor und nach der Kriegserklärung (auch Gefangennahme von Zivllisten)
14. Kapitel. Völkerrechtswidrige, unmenschliche Kriegführung durch die feindlichen Armeen und Regierungen des Dreiverbands und Belgien
15. Kapitel. Die Russengreuel in Ostpreußen insbesondere. – Rußland und unsere Zukunft
16. Kapitel. Juden- und sonstige russische Greuel in Polen, Galizien, im Kaukasus usw
17. Kapitel. Deutsche Verwaltung in Belgien: Vorwürfe wegen Hungersnot usw
18. Kapitel. „Privateigentum im Kriege" nach deutscher und internationaler völkerrechtlicher Auffassung
19. Kapitel. Einige neutrale und feindliche Zeugnisse über das Verhalten deutscher Truppen
20. Kapitel. Der „Geist" der Dreiverbandstruppen. Plünderungen und Zerstsrungen eigenen Gates. – Selbstverstümmelungen. – Urteile ihrer Offiziere über den „Geist“ der Dreiverbaadstrappen
21. Kapitel. Kriegslist? – Amtliche Lügen als Kampfmittel. – Mißbrauch verdeutschen Uniform
22. Kapitel. Kabelzerstörung und Kabelmißbrauch
23. Kapitel. Nochmals Lügenrevanche der Dreiverbanbsregierungen und ihrer Presse – ein völkerrechtswidriges Kampfmittel. – Dreiverbands-„ Kriegskunst“
24. Kapitel. Einige Bemerkungen über die stanröflscheo und belgischen „Greuelbücher"" und ähnliches. – Allgemeines über die deutschen Untersuchungen der Greuel
25. Kapitel. Die amtliche deutsche Widerlegung der von der frantöstschen und belgischen Regierung erhobenen Anschnlbiguogea. – Untersuchungen der Verletzungen des Kriegsrechts durch deutsche Behörden
26. Kapitel. Kunst und Krieg. Der Fall der Kathedrale Reims und ähnliches. Nochmals Löwen
27. Kapitel. Die Beschießung und Einnahme von Antwerpen. – Verhalte» unserer Feinde? (Beschießung von Ostende
28. Kapitel. Das Herabwerfen von Sprengstoffen aus Flugzeugen auf Städte und Ortschaften. – Verwendung gaseatwtckelnder Geschosse
29. Kapitel. Spionage und „Verschwörung“
30. Kapitel. Englische Geschäfts- und Schuldnermoral. – Deutsche Rechtloflgkeit in Rußland und Frankreich
31. Kapitel. A. Die Verletzung der Schweizer Neutralität und der sonstigen neutralen Staaten durch den Dreiverband
II. Teil. Seekriegsrechtliche Kragen
32. Kapitel. Allgemeines: England – das Äeekriegsrecht und mir! – Die Aushungerung des Gegners
33. Kapitel. Die Legung von Seeminen
34. Kapitel. Verletzungen der Neutralität durch England und die anderen Dreioerbandstaaten zur See. – Kriegstronterbande. – Blockaden usw.
35. Kapitel. Amerikanische „Neutralität“
36. Kapitel. Erklärung der Nordsee als Kriegsgebiet (sog. „Unterseeboot- Blockade") und ihre Folgen
37. Kapitel. Verschiedene andere seerechtliche Fragen
38. Kapitel. „Flaggenbetrug" – Kriegslist? – Mißbrauch von Handelsschiffen ;n kriegerischen Unternehmungen
39. Kapitel. Beschießung der englischen Küsten durch Kriegsschiffe und Luftschiffe
40. Kapitel. Behandlung der gefangenen Besatzungen der deutschen Unterseeboote in England
41. Kapitel. Die Zuspitzung der deutsch-amerikanischen Geziehungen: Der Fall der „Lusitania“
Nachtragskapitel
42. Kapitel. Mit englischen und südafrikanischen Greuel gegen Deutsche im Mai 1915 – ein Schandfleck Englands. – Russische Nachahmung Juni 1915
43. Kapitel. Italiens Verrat und Neutralitätsbruch
44. Kapitel. politische Schlußbetrachtung
A. Nachträge
B. Anlagen
Sachregister
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Der Weltkrieg 1914–1915 und der “Zusammenbruch des Völkerrechts”: Eine Abwehr- und Anklageschrift gegen die Kriegführung des Dreiverbandes [In völliger Neubearb. 3. Aufl. Reprint 2018]
 9783111638218, 9783111255644

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Der Weltkrieg 19)4-15 und der „Zusammenbruch des Völkerrechts" Eine Nbwehr- und Anklageschrift gegen die Kriegführung des Dreiverbandes

Dr. Ernst Müller-Meiningen 731 d. X und der bayr. Nbg.-K., Oberlandesgerlchlsrat

On völliger Neubearbeitung -ritte Auflage von „Weltkrieg unü Völkerrecht".

Berlin 1915 Druck und Verlag von Georg Reimer

Motto: Wir träumen nicht von raschem Sieg, Von leichten Ruhmes^ügen, Lin Weltgericht ist dieser Krieg Und start der Geist der Lügen. Doch der einst unsrer Väter Burg, Gettost, er führt auch uns hindurch! Vorwärts! Cm. Gelbei »Wehe dem Staatsmanne, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde )um Kriege umsieht, der auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist.' (pol. Reden Vlomarcks)

Me «echte, insbesondere daS der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.

Dem heldenmütigen deutschen Heere und seiner Waffenehre gewidmet

vom Verfasser

Inhaltsverzeichnis eelft Politisches Vorwort.........................................................................................

i

Was ist uaS dieser Krieg?.................................................................................... Leitende Grnodsätze jut i. Auflage................................................................... Zur 2. Auflage ................................................................................................... Zur g. Auflage ................................................................................................... i. Kapitel. Die völkerrechtliche Geltung der Abkommen der beide» Haager FriedenSkonferenten, insbesondere der sogenannte» „Land, kriegSordnung" vom Jahre 1899 und 1907 für de» jetzigen Krieg

i 3 5 5

1. Teil.

22

Landkriegsrecht.........................................................................

7

2. Kapitel. Die NeutralitätBelgiens................................................................. 22 A. Die Enthüllungen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" vom i2. Oktober........................................................................... 51 B. Die Enthüllungen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" vom 24. November 1914............................................................. 56 c. Die Dokumente und Belege über den belgischenVerrat.......... 60 3. Kapitel. Die Mobilisierung und di« Dölkermoral................................... 64 4. Kapitel. Feindselige Handlungen der Dreiverbanbsstaatea vor der Kriegs, erklärung......................................................................................... 67 ;. Kapitel. Verletzung der Kongoakte.—Der Kolonialkrieg.......................... 71 6. Kapitel. Die Verwendung barbarischer Kriegsvölker im europäischen Kriege ............................................................................................. 78 7. Kapitel. Mißbrauch der Neutralität der Türkei....................................... 82 8. Kapitel. Oie ägyptische Frage ................................................................... 86 a) Bruch der Neutralität Ägyptens.................................................. 86 b) Verletzung der Neutralität beS Suejkanals insbesondere .... 91 9. Kapitel. Der Bruch der chinesischen Neutralität durch Japans und Eng, landS Angriff auf Kiautfchau.............................................. 96 10. Kapitel. Die Verwendung von Dum,Dum,Geschossen undähnliches.. 104 11. Kapitel. Völkerrechtswidrige Behandlung diplomatischer Vertreter dnrch die Dreiverbaodsstaaten. — Völkerrechtswidriges Benehmen diplomatischer Vertreter des Dreiverbandes ............................. 114 12. Kapitel. A. Nichtbeachtung und Verletzung des „Roten Äreu;es" seitens der Dreiverbandstaate»................................................................. 123 Rechtliche Betrachtung .................................................................. 137 Ein Rechtsgutachten über die Führung des Roten Kreujieicheos bei Transporten, insbesondere von „Liebesgaben", und die englische Praxis.............................................................................. 143

VI Veite

Einige neutrale Urteile über bas Verhalte« der Deutschengegen verwundet« »ob gefangene Feinde............................... 145 Kapitel. Franktireurkrieg und Mißhandlung Wehrloser vorund nach der Kriegserklärung (auch Gefangennahme von Zivllisten) .. 148 A. Franktireurkrieg.........................................................148 B. Mißhandlung wehrloser Zivilisten vor «ab nach der Kriegs­ erklärung................................................................ 167 I. Belgien.................................................................. 170 II. Frankreich............................... 175 III. England................................................................. 178 Kapitel. Völkerrechtswidrige, unmenschliche Kriegführung durch die feindlichen Armeen und Regierungen des Dreiverbands und Belgiens................................................................. 181 I. Gefangenenbehandlung: Völkerrechtswidrige Behandlung der Deutschen. Musterhafte Behandlung der Gefangenen in Deutschland. A. ............................................................ 182 B. über die Gefangennahme von Zivllisten................... 191 C. Einige kurze Bemerkungen über deutsche Gefangenenbehand­ lung............................................. 201 II. Meuchlerische Tötung oder Verwundung von Verwundeten. Mißbrauch der weißen und der „Roten Kreuz",Flagge und ähnliches.................................................................. 207 III. Mebermetzelung «ehrloser Gefangener insbesondere .......... 213 IV. Wegführung von Mchtkombattante«, Frauen und Kindern durch französische Soldaten auS Lothringen................... 215 V. Plünderung und Zerstörung des deutschen Eigentums........ 217 VI. Geiseln................................................................... 221 VII. Nötigung zum Verrat ................................................. 223 VIII. Verletzung der Parlamentäre................................... . 225 IX. Sonstige mannigfaltige Unmoralitäten der Kriegführung des Dreiverbandes (Prämien für Mord, für aeutrale Spionage — Verwendung von Zuchthäuslern usw. — „wllde Züge" — Vor­ schicken von Zivllpersonen — Anwerbung deutscher Zivllgefangener in Frankreich für die Fremdenlegion — sonstiger Gebrauch unzulässiger Waffen)....................................................... 226 Kapitel. Die Russengreuel in Ostpreußen insbesondere. — Rußland und unsere Zukunft............................................................ 233 Der Memeler PlüoberungSzug insbesondere........................ 246 Kapitel. Juden- und sonstige russische Greuel in Polen, Galizien, im Kaukasus usw................................................................ 249 Kapitel. Deutsche Verwaltung in Belgien: Vorwürfe «egen Hungersnot usw...............................................................................254 Kapitel. „Privateigentum im Kriege" nach deutscher und internationaler völkerrechtlicher Auffassung............................................. 261 Kapitel. Einige neutrale und feindliche Zeugnisse über daS Verhalten deutscher Truppen............................................................ 267 Französische Rechtskomöbien........................................... 273 B.

13.

14.

15. 16. 17. 18. 19.

VII Stile

20. Kapitel. Der „Geist" der Dreiverbandstruppen. Plünderungen »ad ZerstSrvngen eigenen Gates. — Selbstverstümmelungen. — Urteile ihrer Offiziere über den „Geist" der Dreiverbaadstrappen 277 21. Kapitel. Kriegslist? — Amtliche Lügen als Kampfmittel. — Mißbrauch verdeutschen Uniform........................................................ 288 22. Kapitel. Kabelzerstörung und Kabelmißbrauch ................................... 294 23. Kapitel. Nochmals Lügenrevanche der DretverbanbSregierungen und ihrer Presse — ein völkerrechtswidriges Kampfmittel. — DreiverbandS-„Kriegsk«»si" .................................................... 297 24. Kapitel. Einige Bemerkungen über die stanröflscheo und belgischen „Greuelbücher"" und ähnliches. — Allgemeines über die deut­ schen Untersuchungen der Greuel..........................................321 25. Kapitel. Die amtliche deutsche Widerlegung der von der frantöstschen und belgischen Regierung erhobenen Anschnlbiguogea. — Unter­ suchungen der Verletzungen des KriegsrechtS durch deutsche Be­ hörden ............................................................................ 331 26. Kapitel. Kunst und Krieg. Der Fall der Kathedrale Reims und ähnliches. Nochmals Löwen............................................................. 339 27. Kapitel. Die Beschießung und Einnahme von Antwerpen. — Verhalte» unserer Feinde? (Beschießung von Ostende).............................347 28. Kapitel. Das Herabwerfen von Sprengstoffen aus Flugzeugen auf Städte und Ortschaften. — Verwendung gaseatwtckelnder Geschosse......................................................................... 352 29. Kapitel. Spionage und „Verschwörung"............................................ 398 30. Kapitel. Englische Geschäfts- und Schuldnermoral. — Deutsche Rechtloflgkeit in Rußland und Frankreich .................................. 363 A. England ......................................................................... 363 Wirtschaftskriegführung in den englischen Kronkolonien........ 375 B. Frankreich......................................................................... 377 C. Rußland.......................................................................... 380 31. Kapitel. A. Die Verletzung der Schweizer Neutralität und der sonstigen nevtkalen Staaten durch den Dreiverband.......................... 394 B. Sonstige Neutralitätsmißachtungen seitens der Dreiverbands­ staaten ........................................................................... 398 C. Ein kurzes Wort zu Italiens „Neutralität"...........................399 II. Teil. Seekriegsrechtliche Fragen.............................................. 401 32. Kapitel. Allgemeines: England — das Seekriegsrecht und wir! — Die Aushungerung des Gegners....................................... 401 IV. Die Aushungerung als völkerrechtliche Waffe..................... 411 33. Kapitel. Die Legung von Seemioen.............................................. 413 34. Kapitel. Verletzungen der Neutralität durch England und die anderen Dreiverbanbsstaaten zur See. — Kriegskonterbande. — Blokkaden usw.......................................................................... 419 V. Die Erklärung der Nordsee als Kriegsgebiet ........................443 VI. Der „Highflyer"-Fall insbesondere............................ 447 VII. Verletzungen der Postrechte der Neutralen........................... 450



VIII



6tllt Amerikanlsche„Neutralität". (I—III. „Unfaire" Munitlousliefe, rnng anten Dreiverband.—Lebensmitteljufuhr nach Deutschland und ihre Verhinderung. — Sonstige NeutralitLtSverletznngen.) 452 IV. Die Amerikaner und wir............................................................ 471 V. Zur Monroedoktrin und Neutralität im allgemeinen ...........473 Kapitel. Erklärung der Nordsee als KriegSgebiet (sog. „Unterseeboot, Blockade") und ihre Folgen .......................................................... 476 Kapitel. Verschiedene andere seerechtliche Fragen........................................ 506 I. Oie Wegnahme und Beschädigung deutscher Schiffe, insbe, sondere der „Gneisenan" inAntwerpen....................................... 506 II. Der Verkauf der „GSben" und „BreSlau" an die Türkei .... 507 III. Beschlagnahme des LatarettschiffeS „Ophelia"............................ 510 Kapitel. „Flaggenbettug" — Kriegslist? — Mißbrauch von Handels, schiffen in kriegerischen Unternehmungen ................................. 514 Kriegslist deutscher Schiffe. — Führungder Flagge................ 514 Kapitel. Beschießung der englischen Küsten durch Kriegsschiffe und Lust, schiffe............................................................................................... 522 Kapitel. Behandlung bet gefangenen Besatzungen der deutschen Unter, seeboote in England...................................................................... 526 Kapitel. Die Zuspitzung der deutsch,amerikanischen Detiehungen: der Fall der „Lnfltania"...................................................................... 531

35. Kapitel.

36. 37.

38.

39. 40. 41.

Nachtragskapitel.......................................................................................... 554 42. Kapitel.

Die englischen und südafrikanischen Greuel gegen Deutsche im Mai 1915 — ein Schandfleck Englands. — Russische Nach, ahmung Juni 1915 ...................................................................... Oie Ausschreitungen in Südafrika............................................. 43. Kapitel. Italiens Verrat und NeutralttätSbrnch...................................... 44. Kapitel. Politische Schlußbettachtung .......................................................

554 555 558 579

A. Nachträge................................................................................................. 584 I. Nachtrag zu Kapitel 14: Uber die Behandlung der deutschen Ge, fangenen in den afrikanischen Kolonien Frankreichs S. 584. — II. Nachtrag tu Kapitel 15: (Ostpreußengreuel) S. 591. — III. Nach, trag t» Kapitel 23: „kügeufeldzug" des Dreiverbandes S. 592. — IV. Nachtrag (u Kap. 28: (Herabwerfen von Sprengstoffen auf Städte usw.) S. 595.

B. Anlagen..................... ................................................................ 597 Anlage I. Denkschrift der Deutschen Reichsregierung über bentsche Retorflonsmaßnahmeu gegen feindliche Länder vom 10. November 1914 E. 597. — Anlage II S. 599. — Anlage III. Zu S. 426 S. 600. — Anlage IV. Zu S. 426 ff. S. 600. — Anlage V S. 601.

Nachtrag zur LusttaniaMngelegenheit.

41. Kapitel, Seite 553. 603

Register.................................................................................................. ............. 607

politisches Vorwort. Was ist uns dieser Urieg? Motto: Den Meid ganz Europa- haben wir auf unS gezogen und alle Nachbarn rührig gemacht. Wen« aber die Ehre de- Staate- Euch zwingt zum Degen zu greifen, dann falle er auf Eure Feinde als der Blitz und der Donner in Einem. (Poltt. Testament Friedrich de- Großen.)

Mit der Tat eines Unreifen und Fanatikers begann das Völker­ morden! Er gab den Auftakt! Allrussischer Fanatismus, ge­ wissenlose Korruption benutzten serbischen Größenwahn zur Entfachung des Weltenbrands! Dem Anstifter und jahrelangen Schürer Eng­ land kam der Ausbruch fteUich etwas jv bald! So gab er sich bis zuletzt das Ansehen des Friedensförderers, denn er wußte, daß die russische Heeresreorganisation noch unvollkommen und Frankreich militärisch übel beraten war. Der Notwehreinzug deutscher Truppen in das tatsächlich längst nicht mehr neutrale Belgien, das englische Arglist zum Einfallstor für sich und den ftanzösischen Genossen erklügelt hatte, mußte ihm die äußere Folie geben, längst gegebene, aber der eigenen Volksvertretung abgeleugnete und verheimlichte Versprechungen, die es nur einhielt, da sie ihm Vorteile gegenüber der merkantilen Konkurrenz in Aussicht stellten, einzulösen. Auch Angst vor inneren Wirren trieb zum Kriege. Es ist eine Ironie der Weltgeschichte, daß der Staat, der am öftesten in der Geschichte vertragliche Gelöbnisse gebrochen und das Völkerrecht mißbraucht hat, sich auch hier wiederum als Vertreter des Völker­ rechts aufspielte, das ihm nur da gilt, wo es seinen souverän herr­ schenden Vorteil in seiner Aufrechterhaltung erblickt, das anzuer­ kennen er sich aber selbst da weigert, wo es die Einlösung der funda­ mentalsten Menschlichkeitsregela bedeutet. So ist der ganze jetzige Weltkrieg von Anfang an auf praktische Müller,Meiningen, Wettkrieg und Völkerrecht. 3. Aufl.

Völkerrechtsfragen abgestellt. Sein bisheriger Verlauf zeigt die Unvollkommenheit unseres geltenden Völkerrechts wie die dring­ liche Notwendigkeit seiner weiteren Ausgestaltung, sobald der Krieg sein Ende gefunden hat. Die sogenannten „demokratischen Staaten" England und Frank­ reich, die in unnatürlichem Bunde mit der despotischsten aller Autokratien und dem Japanertum stehen, scheuen sich nicht, unter Hochverrat an jedem Rassen- und Kulturgemeinschastsgefühle die wilden Völker der ganzen Erde auf europäischem Boden wie in den Kolonien gegen Deutschland heranzuführen. Die Folge mußte sein, daß solcher Bar­ barismus, der sich nicht schämt, mit Redewendungen von „Freiheit" und „Gerechtigkeit" zu operieren, in der Weltgeschichte noch nicht dagewesene Greuel der Kriegsführung hervorrief. Und sie sind da: im Osten und im Westen wird der Krieg mit Mitteln, die an die grausamsten Negerkämpfe in Afrika erinnern und die eine ewige Schande für die sogenannten Kulturnationen bleiben werden, geführt. Noch mehr: um die eigene» Greuel zu beschö­ nigen und abzuleugnen, hat ein unerhörter systematischer Lüzeafeldzug eingesetzt, dem die völkerrechtswidrige Beseitigung der deutschen Kabel durch England von Anfang an galt: erzwungene Repressalien erhöhen die Morbgier. So droht der Krieg zum Grabe jeglicher Humanität und aller Gebräuche, die unter gesitteten Völkern bisher bestanden haben, zu werden. An Stelle des Gewissens tritt die Vernichtungsmanie! Unsere Lage gleicht der des kleinen Preußens zu Beginn des Sieben­ jährigen Krieges! „Wahrlich besser wäre es, inmitten von Tigern und Leoparden zu leben, als in einem Zeitalter, das sich gesittet nennt, in­ mitten von Heuchlern, Räubern und Treubrechern.... Schwer ist die Arznei; allein große Übel heischen harte Kuren." Dieses Wort des großen Königs, das er auch gegen Rußland und Frankreich aussprach, gilt gegen unsere heutigen Gegner! Welche Tollheit, der Welt erzählen zu wollen, daß ein Volk, das die besten Maschinen baute, das Wissenschaften und Künsten ein Hort war, das der inneren Kultivierung seines Landes die größte Aufmerksamkeit schenkte, deshalb, weil es auch die besten Offiziere und Kanonen besitzt, den Krieg suchen müßte. Nein, vom Kaiser bis zum ärmsten Taglöhner dachte kein Mensch an Krieg, haßte alles einen ungerechten Kampf, für den sich ein­ zusetzen niemand gewagt hätte.

3 Dem „preußischen Militarismus", der „Unsteiheit" soll der Haß von dorther gelten! Wie töricht, sich ein freiheitliches, „demo­ kratisches" Mäntelchen geben ju wollen, um die Schmach als jarische Vasallen zu verhüllen! Es gibt kein Deutschland von München oder Stuttgart, von Berlin oder Potsdam! Es gibt nur ein einiges, kulturgleiches deutsches Volk! Hält man die 70 Millionen Deutsche, darunter ungezählte Millionen — vielleicht die Mehrheit —, die wahrhaft freiheitlich und „demokratisch" denken, für lauter Narren? Zu glauben, daß dies Volk sich jeder Freiheit des Denkens und eigener Meinung begäbe — ein Volk so kritischen Sinnes, von so wissen­ schaftlicher Gründlichkeit wie das deutsche? Nein, das ganze deutsche Volk weiß heute, daß es sich um Sein oder Nichtsein, um die Fortdauer deutscher Kultur und die Aufrechterhaltung all dessen handelt, was unsere Väter und Großväter seit 100 Jahren politisch und auf dem Schlachtfelde er­ rungen und erkämpft. Darum gibt es heute keine Parteien, sondern nur Deutsche, und so lange schweigt jeder Gegensatz, so lange sind wir nur eine Seele und ein Körper, bis der letzte Feind zu Boden liegt! Das schwören wir alle Tage erneut in diesen gewaltig großen Tagen! Und wahrhaftig, dieses Volk hält seinen Schwur! Deutschland, das die große welthistorische Aufgabe hat, ein Bollwerk für die Kultur, die Freiheit und Selbstbestimmung der Nationen Westeuropas gegen die größte Gefahr Europas, das russische Tatarentum, zu blldeu, wird trotz stanzösischen Rache­ durstes und englischer Gewissenlosigkeit, nicht unterliegen! Ein Volk von solch titanenhafter Kraft und Begeisterungsfähigkeit wird nicht nur siegen, sondern auch die ungeheuren Schädigungen an Kulturund Dölkerrechtswerten mit seiner Riesenorganisationsfähigkeit wieder gut machen! Dann sollen Völkerrecht und Dölkerftetheit an deutscher Kultur — an deutschem Wesen, voll genesen!

Leitende Grundsätze zur 1. Auflage. Das Tatsachenmaterial wurde bis Dezember 1914 verwertet. Der Verfasser hat sich vielfach nur auf Stichproben beschränkt, da bas ganze veröffentlichte Material allein ein dickes Buch geben würde. Verlagstechnische Gründe beschränken den ursprünglich beabsichtigte» i*

4 Umfang der Arbeit wesentlich. Es muß zudem den beiden amtlichen Kommissionen für Belgien und Ostpreußen die Sammlung der ein* zelven Fälle überlassen bleiben. Auch die gegnerischen Anwürfe gegen die deutsche Armee sind, wo diese in engem Zusammenhange mit den deutschen Anüagen stehen, widerlegt. So wurde denn diese Schrift nicht bloß zu einer völkerrechtlichen Anklage gegen die barbarische Kriegführung der Dreiverbanbsiaaten, sondern auch zu einer Ehrenrettung der deutschen Kriegführung gegen die Verleumdungen unserer Gegner. Sachlich ist das Material und seine juristische Behandlung wesentlich umgrenzt von dem Verhalten der drei großen Mächte Ruß-land, Frankreich und England. Wegen des engen Zusammenhanges mußten natürlich die belgischen und japanischen Vorgänge in gleicher Weise mitbeleuchtet werden. Die Anüagen Österreich-Ungarns gegen Serbien und Montenegro mußten, da die Nachrichten darüber von hier aus zu schwer zu kontrollieren sind, ausgeschaltet werden. Öster­ reichische Klagen gegen russische Greuel konnten aus denselben Gründen nur ausnahmsweise Berücksichtigung finden. Was die Sammlung und Verwertung des Tatsachenma­ terials anlangt, so mußte in erster Linie das in der In- und Aus­ landspreise veröffentlichte Material der juristischen, völkerrechtlichen Betrachtung zugrunde gelegt werden. Dabei hat der Verfasser durch­ aus nur das Material, für dessen Richtigkeit ein zuverlässiger Zeuge oder Gewährsmann genannt ist, oder das nach Quellen und näheren Umständen als zuverlässig gelten konnte, verwendet. Sehr erschwert wurde selbstverständlich das Quellenstudium durch die militärisch notwendige Verschweigung des in Betracht kommenden Truppentells bei den meisten veröffentlichten Mittellungen. Vom Inhalt ano­ nymer Soldatenbriefe usw. wurde Abstand genommen, dagegen wurden die amtlichen Darstellungen des W. T. B. und der Nordd. Allg. Ztg. vielfach als durchaus zuverlässig benutzt. Die Systematik mußte bei der Gruppierung des Tatsachenmaterials praktischen Erwägungen weichen. Möge das Buch eine Waffe der Aufklärung für deutsche Sitte, deutsche Waffenehre und deutsche Rechtsliebe sein! München, 22. November 1914.

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Zur 2. Aufläge. Die 2. Auflage ist eine unveränderte geblieben — aus prak­ tischen Gründen, die in der politischen und militärischen Situation sowie in der Kürze der Zeit seit dem Erscheinen des Buches lagen. Ich steue mich, daß die Kritik durchweg den bescheidenen Versuch, die große Zeit vom völkerrechtliche« Standpunkte aus zu begleite«, so wohlwollend aufgenommen hat. München, 7. Februar 1915.

Zur 3. Auflage. Der Titel des Werkes stellte stch als zu unbestimmt und abstrakt heraus. Er wurde dieser Einsicht entsprechend abgeändert. Die Apostrophierung des „Zusammenbruchs des Völkerrechts" geschah, um den Charakter des Ausdrucks als eines Schlagwortes anzudeuten. Daß das Buch aus einem juristischen auch zu einem politischen wurde, liegt im Thema, sowie in der einzigartigen, gewaltigen Zeit. Die Geschichte der völkerrechtswidrigen Kriegsgreuel hat stch allmählich zu einer Betrachtung zahlreicher zusammenhängender Kriegsftagen überhaupt entwickelt, ist sohin eine Art von politisch-völker­ rechtlichem Lexikon des Weltkrieges geworden, in dem leider, um das Werk nicht allzu sehr anschwellen zu lassen, manche interessante Frage nur gestreift werden konnte. Die Neuauflage mußte an sich, um vollkommen auf der Höhe der kriegerischen Ereignisse zu stehen, in tatsächlicher und recht­ licher Richtung bedeutend erweitert werden. Der tatsächliche Stoff hat stch seit dem Anfang Dezember, der Zeit des Abschlusses -er 1. Auflage bis zum Abschluß der z. Auflage (15. Juni 1915), ungefähr verdoppelt. Der 2. Teil (Seerecht) ist nahezu eine neue Arbeit. Diese Zunahme des Stoffes hat in der Art der Kriegführung ihren Grund. Nicht bloß Munition, auch diplomatische und sonstige amtliche Kriegsarbeit zeitigt dieses titanenhafte Ringen der Großmächte und Völker in ungeahntem Umfange.

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Es mußte sonach, um die verlagstechnisch nachteilige Trennung in 2 Bände ju vermeiden, durch sorgfältige Sichtung, Kürzung und bessere Gruppierung teilweise Raum für den neuen Stoff ge­ schaffen «erden, zumal dem Verfasser erst jetzt das ganze amtliche Tatsachenmaterial zugänglich gemacht werden konnte. Rur ausnahmsweise fand eine bloße Verweisung auf den ab­ geänderten Inhalt der i. Auflage statt. Im übrigen erfüllt es den Verfasser, dem ärztliches Macht­ wort den Dienst an der Front versagte, mit Genugtuung, daß die günstige Aufnahme des Buches ihm die Möglichkeit gibt, einen kleinen Tell seiner Dankbarkeit an das heldenmütige deutsche Heer zu Wasser und zu Lande und seine Waffenehre durch die Fortsetzung dieser literarischen Arbeit zur Aufklärung des Ja- und Aus­ landes abtragen zu dürfen. Möge dem Deutschen Reiche beim Ab­ schlüsse der nächsten Auflage ein glorreicher Frieden beschert sein! München, i. Juni iyi?. Der Verfasser.

i. Kapitel. Dir völkerrechtliche Geltung der Abkommen der beiden Haager Friedenskonferenzen, insbesondere der sogenannten „Landkriegsordnung" vom Jahre 1899 und 1907 für den jetzigen Krieg. JtuUuc ist nicht bat überfeine, der Phrasenschwall der Grande nation, — und nicht das ttämerfatte Lächeln des beutegierigen Albion, — Kultur ist Menschlichkeit Im Kriege, und Achtung vor dem Völkerrecht."

i.

Über die Geltung der wichtigen Bestimmungen der Abkommen der ersten und sodann der jweiten Friedenskonferenj, insbesondere des wichtigsten IV. Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom i8. Oktober 1907 (Urtext ftanzösisch, mit Über­ setzung abgedruckt im R.-G^Bl. 1910 S. 107) mit Anhang „Ord­ nung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", kurzweg im folgen­ den „Landkriegsordnung" genannt, ist in letzter Zeit in der Öffentlich­ keit eine lebhafte Diskussion entstanden, die hier vorweg behandelt werden muß, obwohl sie, wie unter II und III nachgewiesen werden soll, materiell und praktisch für diese Erörterung weit weniger Be­ deutung besitzt, als dies bei rein formaler Betrachtung erscheinen möchte. Und zwar, wie gleich hier festgestellt werden kann, wegen der materiellen Wichtigkeit des vorausgehenden Abkommens über den gleichen Gegenstand auf der ersten Haager Friedenskonferenz von 1899. Die sogenannte Erste Friedenskonferenz trat bekanntlich am 18. Mai 1899 im Haag auf Veraulassung des Kaisers von Rußland zusammen. Sie war von 26 Staaten beschickt, darunter von sämt­ lichen neun jetzt kriegführenden Staaten. Auch Portugal und die Türkei als Kriegsteilnehmer der Folgezeit haben an der Konferenz tellgenommen. Der ursprünglich vorangestellte Abrüstungsgedanke

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trat während der Verhandlungen jurück und fand nur in einem „Wunsche" Berücksichtigung. Das wichtige praktische Ergebnis aber war neben dem Abkommen zur friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten und dem Abkommen über die Anwendung der Genfer Konvention auf den Seekrieg das ungemein bedeutsame Abkommen über die „Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", von dem vornehmlich in dem ersten Telle dieser Schrift die Rede sein wird. Das Abkommen ist von sämtlichen Konferevzsiaaten unterzeichnet und rati­ fiziert worden. (Siehe für Deutschland R.-G.-Bl. Nr. 44 S. 393, insbesondere S. 423 ff.; dort ist unter dem 9. November 1901 das Abkommen publiziert.) Die Abkommen von 1899 haben ihre Gültigkeit selbst für diejenigen Staaten, die sie ratifi­ ziert, dem Abkommen der zweiten Friedenskonferenz von 1907 aber nicht beigetreten sind, vollinhaltlich behalten. Wichtig ist die Frage der Geltung der Beschlüsse der zweiten Haager Konferenz vor allem für diejenigen Abkommen, die erstmals im Jahre 1907 mit der sogenannten „Solidaritätsklausel" nach Art. 2 des IV. Abkommens, wie wir sie einmal, wenn auch nicht ganz genau juristisch, nennen möchten, abgeschlossen wurden. Das sind die Ab­ kommen auf dem Gebiete des Seerechts. Die erste Haager Friedens­ konferenz hat außer den oben genannten zwei Abkommen, wie erwähnt, auf dem Gebiete des Seerechts nur das Abkommen über die Anwen­ dung der Genfer Konvention auf den Seekrieg zustande gebracht. Außerdem freilich noch drei wichtige Erklärungen über die Beschrän­ kungen der Kriegsmittel *). Die letztere Erklärung, die befristet war, hat nach Ablauf von fünf Jahren ihre Gültigkeit verloren, während die beiden andern neben den Beschlüssen der zweiten Konferenz selbständig fortbestehen (f. Sartorius, Modernes Kriegsrecht, Sammlung, 1914, Beckscher Verlag S. X). Erst der zweiten Haager Konferenz gelang es, in acht verschiedenen *) 2. Erklärung betreffend das Verbot der Verwendung von Geschossen mit erstickenden oder giftigen Gasen (s. Kap. 28 unten), 3. Erklärung betreffend das Verbot von Geschossen, die sich leicht im menschlichen KSrper ausdehne» ober plattdrücken: sogenannten Dum-Dum-Geschossen (f. Kap. 10), und endlich ein Abkommen über das Abwerfe» von Geschossen und Sprengstoffe» aus Luftschiffen oder auf ähnlichen neueren Wegen, abgedruckt das erstere R.-G.--BI. 1901 @. 474, das zweite R.-G.-Dl. 1901 S. 478; s. über das dritte und die ander» Ullmann, Völkerrecht, 1908, S. 479; v. Liszt, Völkerrecht, 6. Aust. S. 39,298, Meurer, Haager Friedenskonferenz 1905,1907 kl 6.441 ff.; A. Zorn, Das Kriegs­ recht zu Lande in seiner aeuesten Gestalt, 1907, S. 133 ff.

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Abkommen die wichtigsten Materien des Seekriegsrechts einiger­ maßen ju ordnen (s. unten Kap. 28). Die Abkommen I über die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle, II betreffend die Beschränkung der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von Vertragsschulden interessieren hier wenig. Die Bestimmungen des in. Abkommens über den Beginn der Feindseligkeiten behandeln wir unten in Kap. 4. Besondere Wichtigkeit für unsere Betrachtung hat das IV. Abkommen, das „Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", dem sich das Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs unmittelbar anschließt. Das Verhalten der 44 Konferenjstaaten zu den einzelnen Ab­ kommen war erllärlicherweise kein gleichmäßiges. Das IV. Abkommen wurde von sämtlichen Konferenzmächten außer China, Nikaragua und Spanien, also auch von Serbien und Montenegro, unterzeichnet; ratifiziert wurde es aber von den jetzt im Kriege stehenden nur von Deutschland, Österreich-Ungarn, Großbritannien, Rußland, Belgien, Frankreich, Japan. Nicht ratifiziert wurde es also von Serbien und Montenegro, auch nicht von der Türkei. Wiederholt sei aber festgestellt und daran erinnert, daß das Ab­ kommen über den gleichen Gegenstand bei der ersten Konferenz wie auch die drei oben erwähnten „Erklärungen" von den sämtlichen neun Kriegsmächten, einschließlich Serbien und Montenegro, unter­ zeichnet und ratifiziert wurden. Nun ist richtig, daß die meisten im Jahre 1907 im Haag geschlosse­ nen Konventionen, darunter insbesondere das oft zitierte IV. Abkom­ men, die ausdrückliche Bestimmung enthalten: „Diese Bestimmungen (der im Art. 1 angeführten Ordnung sowie des vorliegenden Ab­ kommens) finden nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung und nur dann, wenn die Kriegführenden sämtlich Vertragsparteien sind" (kurz „Solidaritätsklausel" in folgendem genannt). Die Klausel ist in den Abkommen 5, 6, 7—9, 11, 13 enthalten. Allein aus dem Umstande, daß Montenegros und Serbiens Herr­ scher die Ratifikation all dieser hochwichtigen Abkommen, insbesondere über das Seekriegsrecht, nicht für gut hielten, nun ableiten zu wollen, daß jetzt auch im Kampfe zwischen all den Großmächten der Welt Deutschland, Österreich, Rußland, Frankreich, England und Japan (außerdem u.a. Vereinigte Staaten, Belgien und Portugal) die zwischen diesen Staaten ratifizierten Abkommen über eine menschlichere

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Kriegführung nicht gelten sollen, dagegen sträubt sich Moral und Vernunft zu gleicher Zeit. Die Bestimmung des Art. 2 des oben zitierten Abkommens kann nur den Sinn haben, daß, wenn eine kriegführende Macht, die das Abkommen unterzeichnet und rati­ fiziert hat (A), mit einer andern Macht, die das nicht getan hat (B), im Kriege, d. h. in kriegerischen Operationen, steht, auch die erstere (A) an diese Normen nicht gebunden ist. Man könnte höchstens an­ nehmen, daß, wenn die Macht B im Bunde und in tatsächlicher Kooperation mit einer kriegführenden Macht der Klasse A gegen eine andere Macht dieser Kategorie steht, die Normen des Ab­ kommens praktisch nicht eingehalten werden können. Es muß also jedenfalls eine tatsächliche Kriegführung zwischen den beiderseitigen Mächten vorliegen. Also praktisch gesprochen: die Normen der Landkriegsordnung gemäß dem Abkommen von 1907 werden für die Kriegführung zwischen Österreich-Ungarn einerseits und Serbien und Montenegro andrerseits nicht angesprochen werden können. Es gelten für ihre Kämpfe nur die Bestimmungen des Abkommens von 1899. Sie würden auch für Rußland im Kampfe gegen ÖsterreichUngarn zwar gelten, aber schwerlich praktisch gehandhabt werden können, wenn Rußland mit serbischen und montenegrinischen Kräften gemeinsam gegen Deutschland und Österreich-Ungarn kämpfen würde. Aber die ganze völkerrechtliche Geltung aller Abkommen und insbe­ sondere der Landkriegsordnung von 1907 für die Heere der Rati­ fikationsstaaten abhängig zu machen von Montenegro und Serbien, wäre geradezu eine Lächerlichmachung des ganzen Völker­ rechts! Weil Montenegro nicht ratifizierte, sollen die tellweise auf dem ratifizierten Abkommen von 1899 basierenden, von den Groß­ mächten unterzeichneten Humanitätssätze von 1907 im Kriege zu Land und zu Wasser zwischen Deutschland und England oder Frankreich und Deutschland keine Geltung haben? Daran hat sicherlich kein Mensch gedacht. Jede Macht hätte diesen Gedanken als praktisch un­ möglich zurückgewiesen. Solcher Formalismus würde zum Unsinn! Für diese Auffassung spricht auch die Wortfassung: „Die Krieg­ führenden" sämtlich müssen Vertragsparteien sein. Deutschland, Serbien und Montenegro sind Kriegsparteien, aber fie führen faktisch keinen Krieg miteinander, da sie räumlich dazu nicht in die Lage kommen. Würden sie zur Kriegführung kommen, wie die Mann­ schaften von Durazzo, so würden natürlich auch zwischen ihnen die Normen des Abkommens von 1907 nicht bestehen, es könnte aber

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nicht dadurch ju einer Aufhebung der Normen des Abkommens für die anderweitige Kriegführung der Großmächte kommen. Stellt man sich auf einen andern Standpunkt, so kommt man zu dem geradezu grotesken Schluffe, daß die sämtlichen 27 Ratifikationssiaaten, darunter sämtliche Großstaaten der Welt, ihre Kriegführung von Serbien und Montenegro abhängig machen. Will also ein Staat von den menschlicheren Sätzen der Kriegführung nach dem Abkommen von 1907 loskommen, so hat er, da die Kündigung des Abkommens nach Art. 8 Abs. 2 sehr erschwert ist (indem sie nur in Ansehung der Macht wirksam sein soll, die sie erklärt hat und erst ein Jahr, nachdem die Er­ klärung bei der Regierung der Niederlande eingegangen ist), nur dafür zu sorgen, daß einer der beiden das europäische Kriegsrecht wenigstens nach der negativen Seite souverän beherrschenden Staaten Serbien und Montenegro sich an dem Kriege beteilige. Das kann im Ernst nicht der Sinn jener Bestimmung sein. Wollte man das annehmen, so wären für alle Zukunft solche völkerrechtlichen Abmachungen dis­ kreditiert. Auch die ganze Einleitung des Abkommens (s. unten) spricht für diese Auslegung. Tatsächlich haben auch in ihren verschiedenen Protesten die krieg­ führenden Großmächte und ihre völkerrechtlichen Vertreter (f. die Telegramme des deutschen Kaisers an Präsident Wilson, die verschiede­ nen Äußerungen des deutschen Reichskanzlers, der Protest der ftanzösischen Regierung wegen der Beschießung der Kathedrale von Reims und die Antwort darauf, die verschiedenen Teildenkschriften der deut­ schen Regierung s. unten Kapitel 12,13,14,26,27 und 32 ff. usw., sowie das deutsche Große Hauptquartier in zahlreichen Tagesberichten) an eine solche Auslegung nicht gedacht und sich direkt auf die Normen des Abkommens und der Anlage (Landkriegsordnung) von 1907, und nicht des Jahres 1899, bezogen. Zu welchen merkwürdigen Konsequenzen die gegnerische Annahme führen würde, zeigt sich ganz besonders bei den verschiedenen Seekriegsabkommen; denn der Hauptfortschritt zwischen dem inter­ nationalen Abkommen von 1899 und demjenigen von 1907 liegt, wie erwähnt, auf dem Gebiete des Seekriegsrechts, auf dem also auch Serbien und Montenegro, die großen „Seestaaten", dominieren sollen! Diese Abkommen sind in der Mehrzahl trotz der sogenannten Solidaritätsklausel nicht von Montenegro ratifiziert, teilweise von Serbien und Montenegro nicht einmal unterzeichnet. Soll etwa bei Abkommen, die von allen seefahrenden Nationen unterzeichnet und ratifiziert



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wurden, wegen derselben unklaren Klausel, weil Montenegro nicht ratifijierte, der Zustand von 1856 erhalten bleiben? Irgendeiner der kleinen Raubstaaten würbe dann jeberjeit alle diese Derbesserungen und Milderungen des modernen Krieges für die ganze Welt zu verhüten wissen. Montenegro ist übrigens bis heute auch der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 noch nicht beigetreten. Die Scheinlogik der Abkommen von 1907 auf die Deklaration von 1856 übertragen, würde also den alten Kaperkrieg mit all seinen Grau­ samkeiten wieder aufflammen lassen. Daß die Deklaration von 1856 eine klarere Schlußbestimmung besitzt, wonach die Erklärung nur für diejenigen Mächte gilt, welche derselben beigetreten sind oder ihr beitreten werden, ist noch kein Be­ weis dafür, daß die unglückliche Fassung der neuen Abkommen von 1907 zu einer ebenso unglücklichen Auslegung zwingt. Dagegen findet sich die merkwürdige Klausel z. B. auch bei dem (10.) Abkommen (Art. 18) über die Anwendung der Grundsätze deS Genfer Abkommens auf den Seekrieg. Ist es nicht eine Ungeheuerlichkeit, zu denken, daß unter Umständen auch diese humanen Bestimmungen von der Ratifikation eines einzelnen kleinen Staates für alle 28 Staaten, die sie unterzeichnet und ratifiziert haben, abhängig sein sollen? Wir werden unten sehen, daß sich sogar Staaten, die sie nicht ratifizierten, doch auf sie berufen. Wir werden nachweisen können, daß, trotz des Mangels der Rati­ fizierung seitens einzelner kriegführender Staaten und trotz der sogenannten Solidaritätsklausel, Großmächte, auch insbesondere England, auf solche nicht ratifizierte Abkommen Bezug nehmen und ihre Anwendung verlangen: Ja daß sogar in Fällen, in denen England selbst die Abkommen nicht ratifizierte, es sich auf sie beruft! Auch die Erwägung ist wohl zu berücksichtigen, daß doch ver­ nünftigerweise nur die Gegenpartei, d. h. in diesem Falle Deutsch­ land und Österreich, die Nichtgeltung der völkerrechtlichen Normen von 1907 geltend zu machen hätte, da einer der ihnen feindlichen Staaten die Ratifikation unterlassen und auf die Rechte aus dem Abkommen ver­ zichtet hat, nicht aber die mit Montenegro und Serbien verbündeten Staate», die ihren Landheeren gemäß Art. 1 deS IV. Abkommens Ver­ haltungsmaßregeln geben oder gegeben haben, die der „Landkriegs­ ordnung" entsprechen und die ihrerseits von den gegnerischen Staate« Deutschland und Österreich die Wohltaten aus dem Abkommen von

1907 genieße«. (Köhler teilt die hier vertretene Anschauung: D. J.,Z. 1914 Nr. 21/22 S. 1256, ebenso Karl Strupp, Wehberg u. a.). II. Für deu Landkrieg kommt aber ein anderer materiell ent, scheidender Grund für die Geltung der Bestimmungen über die „Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", wie sie in der Anlage der Abkommen von 1907 und 1899 niedergelegt sind, in Betracht. Er zeigt, daß tatsächlich den unter I erörterten schwierigen Auslegungs, ftagen bezüglich des Art. 2 des IV. Abkommens vom Jahre 1907 praktisch wenig Bedeutung für den Landkrieg zukommt. Die Hauptbestimmungen der Laudkriegsordnung, um die es sich im folgenden in erster Linie handelt, sind auch materiell be, reits bei der sogenannten ersten Friedenskonferenz beschlossen worden. Die „Gesetze und Gebräuche des Landkriegs" sind neben den oben genannten drei Erklärungen über Beschränkungen der Kriegsmittel, wie erwähnt, von sämtlichen Staaten, die heute den Krieg führen, unterzeichnet und ratifiziert worden*)(R.,G.,Bl. 1899 S. 482). Die Abkommen von 1899 haben also, wie wiederholt betont sei, ihre Gültigkeit behalten selbst für diejenigen Staaten, die sie ratifizierten, dem Abkom, men der zweiten Friedenskonferenz (1907) aber nicht bei, getreten sind. Art. 4 des Abkommens von 1907 bestimmt, daß dieses nach seiner Ratifikation für die Beziehungen zwischen den Ver­ tragsstaaten an die Stelle des Abkommens vom 29. Juli 1899 treten solle. „Dieses Abkommen bleibt aber in Kraft für die Beziehungen zwischen den Mächten, die es unterzeichnet haben, die aber das vor, liegende Abkommen nicht ratifizieren sollten." Der Text von 1907 ist in der Hauptsache eine unwesentliche Abänderung des Textes von 1899. Sogar die Einleitung, die wir unten Kapitel 13 abdrucken, entspricht völlig dem Wortlaute der Fassung von 1899. Der maßgebende Art. i entspricht fast wörtlich dem Text von 1907. Die Unterschiede sind redaktioneller Art. Der wesentliche Unterschied besteht in Art. 3. Das Abkommen von 1899 bestimmte in Art. 2: „Die Vorschriften der im Art. i genannten Bestimmungen sind für die vertragschließenden Mächte nur bindend im Falle eines Krieges zwischen zwei oder mehreren von ihnen. Diese Bestimmungen hören mit dem Augenblick auf, verbindlich zu sein, wo in einem Kriege zwischen Vertragsmächtea eine Nichtvertragsmacht sich einer der Kriegsparteien anschließt."

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Die Fassung unterscheidet sich also nicht wesentlich von der in Art. 2 des Abkommens von 1907 gewählten. Doch braucht auf die Unter­ schiede hier nicht näher eingegangen ju werden, da sich junächst keine Nichtvertragsmacht von 1899 den kriegführenden Vertragsmächten angeschlossen hatte. Da sämtliche ursprünglich kriegführenden Parteien, inklusive Serbien und Montenegro, das Abkommen von 1899 ratifiziert haben, gilt dasselbe einschließlich der Landkriegsordnung als Minimum nach der ausdrücklichen Weisung des Art. 4 des Abkommens von 1907 für den jetzigen Weltkrieg für sämtliche kriegführenden Staaten. Ein Vergleich der andern beiderseitigen Bestimmungen von 1899 und 1907 zeigt die fast völlige Übereinstimmung des Abkommens wie insbesondere des „Anhangs" („Landkriegsordnung") in den Be­ stimmungen der Art. 1—23, litt, a—g. In der Textierung des Abkommens von 1899 selbst fehlt der Art. 3, der ausdrücklich die Schadensersatzpflicht für die Verletzung der Ordnung feststellt: eine praktisch freilich meist recht problematische Bestimmung (s. auch unten sub III). Im „Anhange" ist die Bestimmung über das Verbot des Art. 23 litt, h neu (s. unten Kapitel 30 des näheren). Der Abs. 2 des Art. 23 ist «was erweitert. Die Art. 24—56 stimmen wieder fast völlig in beiden Abkommen überein'). Nur Art. 54 über das Recht der Zerstörung unterseeischer Kabel ist neu. Die Übereinkunft von 1899 enthält endlich einen 4. Abschnitt, der im Jahre 1907 in das besondere (V.) Abkommen betreffend Rechte und Pflichten der Neu­ tralen herübergenommen wurde. An der völkerrechtlichen Geltung der materiellen Be­ stimmungen des Abkommens über die „Gesetze und Ge*) Kleine sachliche Abweichungen, wie in Art. 2, dann 6,15,17 über die Gefaogenenbehandlung usw., kommen hier zunächst nicht weiter in Betracht. Sie «erden unten, soweit sie irgendwie wesentlich sind, berücksichtigt werde«. Über Art. 44 (Zwang zu kriegerischen Handlungen gegenüber der Bevölkerung) haben sich Deutschland, Österreich,Ungarn, Rußland «ab Japan Vorbehalte ausbedungeu (R.-G.-Bl. 1910, S. 377, 380 ff., 1912 S. 169). Art. 25 hat den Zusatz erhalten: „mit welchen Mitteln es auch sei", um auch die Beschießung von unverteidigte« Städten durch Luftschiffe zu »erbieten. (Siehe auch das deutsche Weißbuch über die Ergebnisse der im Jahre 1907 im Haag abgehaltenen 2. internationalen Frte, deaskovferenz bort S. 6 und 7 u. ff. über die wesentlichen Änderungen ber Be­ stimmungen von 1899 und 1907, die mit obigem übereinstimmen, sowie Alfred Fried, 2. Haager Konferenz S. 132 und 133.)

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brauche des Landkrieges" mit deren Anhange, der soge­ nannten „Landkriegsordnung", ist nach alledem für den jetzigen Krieg für die sämtlichen ursprünglichen Krieg­ führenden nicht zu zweifeln. Die Weigerung der Rati­ fizierung Serbiens und Montenegros gegenüber dem Ab­ kommen von 1907 — selbst wenn sie unrichtigerweise als allgemein vertragsvernichtend für die Abkommen von 1907 angesehen werden sollte — würde an der ausdrück­ lichen Gültigkeit des Abkommens von 1899 nichts ändern. Oer nachträgliche Eintritt der Türkei in den Krieg kann die Geltung der Haager Abkommen in keiner Weise beeinflussen. Die gegenteilige Annahme würde zu den unsinnigsten Verwicklungen rechtlicher und tatsächlicher Art führen. Die Türkei, die die Abkommen unter­ zeichnete, wird sich sicherlich ebenfalls an ihre Normen gebunden erachten 1). Würde man also im Gegensatze zu den Ausführungen sub I annehmen, daß auf Grund des Art. 2 das (IV.) Abkommen von 1907 nicht zustande gekommen und jetzt ungültig wäre, so müßte zum mindesten das für unsere Betrachtung im wesentlichen übereinstimmende Abkommen von 1899 als noch für alle ursprünglichen Kriegsmächte geltend angenommen werden^)'). >) Die Türket hat diesen Willen in zahlreichen offiziellen Deröffentlichuagea in den ersten sechs Kriegsmonaten bekundet. *) Eine genaue Zusammenstellung der Uaterteichnungen der einzelne» Abkommen der 2. Haager Konferenz gibt Josef Köhler in der Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht III. Band (1909) S. 72. *) Oie Unrichtigkeit des in einem Münchener Kriegsgerichtsurtelle zum Aus­ drucke gekommenen Standpunktes der Ungültigkeit der Bestimmungen über die Ge, fangeoen (Art. 4 ff. der Landkriegsordnung) ergibt fich u. a. daraus, baß die Kriegführenden einhellig von der Verbindlichkeit des Haager Abkommens über den Landkrieg ausgehen, daß durch Vermittlung der Neutralen Rekriminationen wegen Verletzung des Abkommens über die Behandlung der Gefangenen «sw. erhoben «urdea und z. B. derzeit di« beiderseitigen Gefangenenlager durch neutrale Ab­ gesandte daraufhin befichtigt werben, ob dt« Behandlung der Gefangenen dem Haager Abkommen von 1907 entspricht. Oie jüngst« Soaberdeokschrist der Reichsregteruog über die Gefangenenbehanblung nimmt direkt bas Abkommen vom 18. Oktober 1907 als Grundlage an. Der hier vertretene» Anschauung hat fich teilweise scheinbar das Kriegsgericht in Ulm in einem Urteil vom März 1915 an­ geschlossen. Jedenfalls aber ist sein Ausspruch, daß das Abkommen von 1899 gültig, baS von 1907 ungültig sei, ebenso unrichtig wie das des Münchener Gerichts,

— i6 — III.

Selbst wenn man aber jene unsinnigen Konsequenten unter I nicht scheuen und an dem unglücklichen Wortlaut des Art. 2 sieben würde, ja selbst wenn das Abkommen von 1899 nicht vorhanden wäre, so würde doch zwischen den Vertragsstaaten, die die Abkommen von 1907 unter­ zeichnet oder ratifiziert haben, der Inhalt dieser Abkommen, insbesondere der Landkrtegsordnung, als der Niederschlag der tat­ sächlich geltenden und von ihnen zu achtenden völkerrecht­ lichen Gewohnheiten, d. h. des Dölkergewohnheitskriegsrechts, gelten müssen (s. über dieses Liszt, Völkerrecht S. n; Holtzendorff, Handb. des Völkerrechts Bd. I, S. 93; Ullmann 1. c. S. 41). Die so wichtige Anlage zu dem Abkommen vom Jahre 1907 nennt sich wie diejenige von 1899 eine Ordnung „der Gesetze und Ge­ bräuche des Landkriegs". Sie will nach der Einleitung des ganzen IV. Abkommens nichts anderes sein als die „Feststellung und Regelung der bisherigen Gebräuche des Landkriegs", „damit die Bevölkerung und die Kriegführung unter dem Schutze und der Herr­ schaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben (!), wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehende» Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens". Die sämtlichen unterzeichneten Mächte erklären (unterzeichnet haben auch Serbien und Montenegro), „daß namentlich die Art. 1 und 2, um die es sich hier handelt, in diesem Sinne zu verstehen sind". Das kann nur heißen, daß alle Mächte zum mindesten, ob sie das Ab­ kommen ratifizierten oder nicht, durch ihre Unterschrift deüarativ anerkenne«, daß die vereinbarten Grundsätze Gesetze und Ge­ bräuche des Kriegsrechts bereits sind, die als Gewohnheitsrecht wie die stete ausdrückliche Bezugnahme der krtegführeaden Par, teien auf die Abkommen vom 18. Oktober 1907 am allerbesten reizt. Es hat wenig praktischen Wert, sich den Kopf der DertragSmächte zu zerbrechen, die gar keinen Versuch mache«, sich der Wirkung und der Gewalt der Verträge, insbesondere des IV. Abkommens vom 18. Oktober 1907 und seiner Anlage betr. Ordnung der Gebräuche und Gesetze des Landkriegs, ju entziehen und denen etwas leidenschaftliche Theoretiker absolut dartun wollen, baß „eigentlich" (wegen Montenegros!) bas Abkommen gar nicht gültig sei. Die vom Verfasser hier vertretene Meinung wirb auch geteilt von Karl ©trupp in seinem treffliche» „Laadkriegskommentar" (S. 161, 162), von Josef Köhler, Schönborn und Weh, berg. Das Gegentell läßt sich angesichts der übereinstimmenden Haltung aller kriegführenden Mächte, voran Deutschlands, nicht mehr halten.

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bisher schon gegolten haben und nunmehr nur ausdrücklich kodifijiert werden sollten. Sie jv halten, besieht auch bei dieser Auffassung nicht bloß eine moralische Verpflichtung aller „gesitteten Völker", sondern auch eine rechtliche. Die Rechtsfolgen, die bei der ersten Betrachtung unter I zur Anerkennung des Art. z des IV. Abkommens ohne weiteres führten, wonach die verletzende Kriegspartei gegebenen­ falls jum Schadensersatz für alle Verletzungen der Kriegsordnuug verpflichtet ist, sind nach der letzteren praktisch, wenn auch nicht rechtlich, ganj ähnliche. Die Verletzungen des Gewohnheitsrechts werden jum allermindesien bei -er Friedensschließung von dem obsiegenden Teile in den Friedensbedingungen geltend gemacht werden. Auch im Wege des schiedsgerichtlichen Verfahrens sowie insbesondere im Wege der Repressalie und der Retorsion kann sich die verletzte Partei gegen den Rechtsbrecher wehren. Auch die Satzung, daß eine Kriegs­ partei für alle Handlungen verantwortlich ist, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden, gehört längst der Übung und der Überzeugung der Völker an, da ohne sie überhaupt eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit für Kriegshand­ lungen ausgeschlossen wäre. Daß diese hier vertretene Anschauung auch von den Großmächten in praxi anerkannt ist, dafür ist unten vollgültiger Beweis zu er­ bringen, indem nachgewiesen wird, daß gerade England sich selbst auf alle Seeabkommen beruft und stützt, die es selbst nicht ratifiziert hat (!), die es freilich in echt englischer Logik an andern Stellen der Welt zu gleicher Zeit wieder verletzt, da bei ihm allein der Vorteil entscheidet, den es sich von solchen Normen verspricht (f. II. Teil über seekriegsrechtliche Fragen). Zudem zwingt sie ja, wie immer wieder betont werden muß, wenigstens für den Landkrieg die Ratifikation des Abkommens von 1899, alle diese Grundsätze als verbindlich anzuerkennen: Auch die Türkei wird sicherlich den gewohnheitsrechtlichen Charakter der LandKriegsordnung nicht bestreiten. In voller Übereinstimmung mit vorstehenden Ausführungen steht auch z. B. das in der schwedischen Zeitung „Dagets Nyheter" am 30. September 1914 veröffentlichte amtliche Rundschreiben der franzö­ sischen Gesandtschaft in Stockholm betreffend die deutschen Grausam­ keiten. Es heißt an der maßgebenden Stelle dort: „Die französische Regierung beehrt sich, die Möchte, welche die Haager So## »rotten unterzeichnet haben, von nachstehenden Tatsachen in Kenntnis zu setzen, Müller,Meiningen, Weltkrieg nnv Völkerrecht. 3. Musi.

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— i8 — Mc darauf hinweisen, daß die deutschen militärischen Behörden gegen die Bestim­ mungen verstoßen haben, welche am 18. Oktober 1907 von der kaiserlich deutschen Regierung «nterjeichoet worden sind."

Hiermit ist vollgültiger Beweis dafür erbracht, daß auch Frank­ reich nicht bloß das Abkommen von 1899, sondern auch das von 1907 als gültig ansieht und darauf seine Rechte — und natürlich auch Pflichten — begründet **), obwohl Montenegro und Serbien das Ab­ kommen nicht ratifiziert haben. Auch Österreich-Ungarn hat in seiner amtlichen Verbalnote an die Regierungen der neutralen Staaten vom 2. Oktober 1914 betreffend die polnischen Legionen auf die Bedingungen als maßgebend Bezug genommen, „die im i. Artikel des Reglements betreffend die Gesetze und Bräuche des Landkrieges vorgeschrieben 2). Es hat also allgemein wohl auf beide Abkommen von 1899/1907 seine An­ schauung gestützt, daß diese polnischen Legionen einen Teil der öster­ reichisch-ungarischen Armee, mit der sie durch ein organisches Baad verknüpft sind, bilden. Das Gleiche tat General v. Beseler bei der Beschießung von Antwerpen wiederholt, wie das deutsche Haupt­ quartier vor allem bei der Behandlung der Frage der Beschießung der Kathedrale von Reims und bei zahlreichen sonstigen Gelegenheiten, die unten bei den einzelnen Kapiteln im einzelnen zu behandeln sind. Dasselbe tat insbesondere die deutsche Reichsregierung in allen Spezialdenkschristen (z. B. über die Verletzung der Genfer Kon­ vention s. unten Kap. 12, 13, ferner über Seeminen und die Neu­ tralität Kap. 3Z und 34 sowie den jetzt gedruckten zahlreichen, umfang*) Auf den materiellen Inhalt des Rundschreibens ist an dieser Stell« nicht näher eiojugehen. (Siehe unten Kapitel 14 und Kapitel 19.) Frankreich hat außerdem ausdrücklich die Beschlüsse der Haager Konferenten unter dem Reservat der Reziprozität für sich im Kriege gegen Deutschland anerkannt (frantöstscheS Gelbbuch Nr. 157). Ebenso Österreich in der Kriegs­ erklärung gegen Serbien (!) vom 28. Juli 1914 (f. auch Graubuch Nr. 44, wo Belgien dasselbe tusagt). *) Siehe jetzt auch den Protest Österreichs vom 31. Januar 19x5 betreffend die rumänische Legion, die Rußland hängen will; der Protest führt aus: Die Mitglieder der rumänischen Legion haben den Fahneneid geleistet und tragen als Kennieichen eine schwarzgelbe Armbinde. Gleich den polnische» Legionen ent, sprechen auch die rumänischen nicht nur allen durch das Haager Reglement für die Freiwilligenkorps vorgeschriebenen Bedingungen, sondern sie bilden einen Tell der Armee selbst. Die österreichisch-ungarische Regierung erhebt daher in aller Form Protest gegen die Haltung der russischen Regierung bezüglich der rumänischen Legionen.

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reiche» Denkschriften, die zunächst nur für de« Dienstgebrauch bestimmt sinL, sämtlich die Völkerrechtswidrigkeilen nach den Haager Be­ schlüssen von 1899 und 1907 beurteilen). So muß jeder Versuch, die völkerrechtlichen Errungenschaften der leiden Haager Friedenskonferenzen auszuschalten, als von Anfamg an vergeblich und aussichtslos angesehen werdenx). IV. Gewiß, unsere Zeit ist nicht besonders geeignet, den Wert oder Unwert des Völkerrechts, insbesondere völkerrechtlicher Ab­ kommen, d. h. der Gesamtheit der zwischen den Staaten geschlossenen, ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarungen richtig einzu­ schätzen. Oberflächliche Kritik ist heute gewillt, billigen Hohn und Spott auf das völkerrechtlich Erreichte auszugießen, ohne zu bedenken, daß bei einem Völkerkriege, bei dem fast die ganze Erde beteiligt ist, bei dem außerhalb Europa nur eine einzige wirkliche Großmacht, die nord­ amerikanische Union, bisher neutral geblieben ist, wie Triepel im „Neuen Deutschland" sehr richtig bemerkt, „ein ganzer Wall von Rücksichten, die bei einem bloßen Zweikampfe genommen werden würden, ohne weiteres in sich zusammenstürzt. Jeder Dölkerrechtsbruch findet um so größere DerurteUung, je größer die Anzahl der Neutralen und vor allem der Gegner desjenigen find, der ihn begeht. Sind die Gegner dessen, gegen den der Rechtsbruch sich richtet, d. h. die Rechtsverletzer, hier der Dreiverband und seine Bundesgenossen, in der numerischen Überlegenheit, beherrschen sie dabei in überlegener Weise das Hauptinstrument zur Bearbeitung der öffentlichen Meinung der Neutralen, die Presse des neutralen Auslands, so ist die Schwierigkeit um so größer, die objektive Anerkennung des Völkerrechts zu erhalten und zu garan­ tieren. Jedenfalls hat weder Deutschland noch Österreich-Ungar» Anlaß, getroffene« völkerrechtlichen Abkommen durch Üeinliche formalistische Hintertürchen, wie sie leider der oft zitierte Art. 2 des IV. M’) Ich kann auch gegenüber den neuerlichen DerSffentlichnnge« meines Fraktionsfreundes v. Lifjl io der „Leipziger Zeirschr." Nr. 3,1915, S. 170, nichts an diesem Urteile ändern, konstatiere hier nur, baß auch nach LisztS Meinung die Geltung der LandkriegSordouog von 1899 außer allem Zweifel steht. Tatsächlich entscheidend ist aber, daß fich fortgesetzt, wie vorstehend im einzelnen wiederholt bargetan, die sämtliche»

kriegführenden

Staaten auf die Haager Ab­

kommen feierlich berufen, sie zur Grundlage ihrer Kriegführung formell und materiell gemacht und sich dadurch zu der hier vertretenen Anschauung bekannt haben und dies noch tagtäglich in all ihren Denkschriften und Erlassen tun (s. auch «Z. f. Völkerrecht" 8, 546).

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kommens von 1907 zu bieten scheint, auszuweichen und ihre Gültig­ keit abzuleugnen. Deutsche Gerichte, so das Landgericht Leipzig in einem Beschluß vom 5. November 1914 sowie das Oberlandesgericht Dresden (Beschluß vom 14. November 1914, s. „D. J.-Z." 1915, S. 70 ff.) haben in einer Sache gegen Rußland erklärt: „Der Krieg hebt das Völkerrecht nicht auf. Er sieht unter dem Völkerrecht. So wenig sonst dadurch, daß eine Partei das Recht grob verletzt, das Recht selbst aufgehoben wird, so wenig kann das beim Völkerrecht gelten. Nicht einmal die völkerrechtlichen Verträge werden durch den Krieg aufgehoben, viel weniger sonstige völkerrechrliche Rechtssätze, die nicht auf Vertrag beruhen." Ein glänzendes Bekennen zum Völker­ recht in der Zeit seiner höchsten Anfechtung! (Siehe auch R.G.-Urteil vom 28. Oktober 1914 i. 83/14 (unten), wo sich das Reichsgericht zu den gleichen Grundsätzen bekannte.) Das tiefe Rechtsgefühl des deutschen Volkes, das stets gegen Anmaßung einzelner für die Rechte der Neutralen eingetreten ist, wird heute nicht die große Arbeit, die auf völkerrechtlichem Gebiete unter wesentlicher Mitarbeit deutscher Gelehrter und Staatsmänner zustande kam, mißachten und ignorieren wollen: im Gegenteil. Der Verlauf des ganzen Krieges zeigt, daß die deutsche Heeresleitung bereit und willens ist, die völkerrechtlichen Satzungen ohne jeden Hintergedanken — gleichviel, ob sie in concreto nützlich oder scheinbar schädlich sind — in loyalster Weise aufrechtzuerhalten und durchzu­ führen, selbst in Fällen, wo das Vorgehen der Gegner sie streng recht­ lich von der Einhaltung solcher Satzungen entbinden würde. Der Umstand allein, daß kein Staat es wagt, die Existenz des Völkerrechts und die Verpflichtung, es zu halten, an sich zu leugnen, sondern nur es für seine Zwecke auszulegen oder zu gebrauchen, viel­ leicht auch manchmal zu mißbrauchen, zeigt die eminente Be­ deutung und Kraft des völkerrechtlichen Gedankens in so furchtbaren, umwälzenden Zeiten wie den jetzigen und gibt trotz alledem Hoffnung für die Zukunft! — Im übrigen entspricht, was die völkerrechtliche Haftung unserer Gegner anlangt, der von ihnen selbst gewählten und feierlich beschworenenSolidarität der Dreiverbandstaaten selbstverständlich auch ihre solidarische Haftung für die Folgen jeglichen Rechtsbruches *). Politisch töricht ist es, die Verantwortlichkeit der einzelnen *) Diese Solidaritätserklärung ist allein das Werk Englands, das die Völker deS Festlandes verbluten lassen will. Nach einer Meldung des „Journal de Genöve"

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Großmächte und ihre Haftung prozentual abwägen zu wollen. England, Rußland und Frankreich sind als politische Einheit an­ zusehen. Solche Erörterungen sind irreführend und schwächen die Kraft des einheitlichen Willens zum Siege. — Eine allgemeine persönliche Bemerkung darf ich an dieser Stelle endlich noch machen. Trotz größter Gewissenhaftigkeit mußte ich damit rechnen, daß in dem einen oder anderen der unzähligen, in i. Auflage aufgeführten Fälle eine Täuschung oder ein Irrtum seitens der Gewährs­ männer nachzuweisen wäre, und gern würde ich solchen Irrtum jetzt berich­ tigt haben. Eine andere Erfahrung habe ich gemacht: Eine große Anzahl von Tatsachen, die ich mich scheute, in das Buch aufzunehmen, da ich sie bei Menschen nicht als möglich ansah, wurde jetzt zeugeneidlich als wahr nachgewiesen. Die Vertierung durch diesen entsetzlichen Krieg ist noch größer, als wir dies für denkbar hielten. Wahrhaftig: Diese Schuld an der Menschheit, diese Zurückschraubung der allgemein menschlichen Qualitäten, die Er­ weckung der Bestie im Menschen ist fast noch größer als die entsetzliche Blutschuld, die die Urheber dieses Völkergemetzels auf sich genommen haben. stellte im April 1915 im ständigen französischen Kammerausschusse ei» Abgeordneter die Frage »ach dem Fortbestehen dieses Solidaritätsvertrages vom 6. September 1914. Delcaffä antwortete merkwürdig verlegen und ausweichend. — Einer der Hauptrufer im Streit ist jetzt der ehemalige französische Minister der auswärtigen Angelegenheiten Hanotaux. In seiner Geschichte des zeitgenössische» Frankreich lesen wirr „Ja seiner Auflehnung gegen ganz Europa glaubte Napoleon III. in einer Verbindung mit England einen Stützpunkt zu finden. England, bas ganz in seinen kommerziellen Interessen aufging, unterstützte ihn anfänglich in allen seinen Abenteuern, um ihn zu verlassen, wenn er einmal recht engagiert war. CS verstand flch im rechten Augenblick zurückzuziehen und ihm bei Gelegenheit die Frucht feines Sieges zu entreißen. So war eS in der Krim, in China, in Italien, in Mexiko. Und als endlich der Deutsch,Französische Krieg baS Geschick Europas in Frage stellte, ließ es ihn auch im Stiche." Ob Herr Hanotaux nicht noch einmal durch traurige Erfahrungen mit der „Perfidte Albions", die früher die französische Presse und Geschichte so trefflich bewies und verfocht, zu seiner früheren Anschauung zurückkehren wird? Freilich, „die Franzosen sind unsere Söldlinge", hat in seinem bekannten Bericht von 1860 Lord Elgin an die chinesische Regierung geschrieben l Heute mehr als 18601

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I. Teil.

Lan-kriegsrecht. 2. Kapitel.

Die Neutralität Belgiens. Motto: Wird man etaea Wanderer anklagen, gegen den drei StraßenrLubee sich mit ihren Helfers, Helfern verschworen haben und der Im Winkel eines Forstes, durch den ihn fein Geschäft führte, hinter, rückS überfallen wird? Friedrich der Große in der „Apologie meines politischen Verhaltens".

Gestehen wir es heute offen: wir alle, wir deutschen Rechtsfanati­ ker, erschraken, im ersten Momente, als der Angriff auf Lüttich und damit die Verletzung der belgischen Neutralität publijiert wurde. Und heute nach dem Gange der Dinge gibt es keinen einjigen, insbesondere auch keinen deutschen Juristen, der nicht erfüllt wäre von der heiligen Überzeugung: Ja, wir konnten nicht anders! Wir mußten so handeln, wie es geschehen. Und wir hatten das Recht vor der Welt­ geschichte, so zu handeln. Ich kann mich wiederholter Verhandlungen der Budgetkommission des deutschen Reichstags über die Neutralität Belgiens erinnern, — insbesondere anläßlich der letzten großen HeereSvorlagev: das Re­ sultat dieser Verhandlungen war stets die Erklärung der deutsche» Reichsregierung, daß es ihr nicht einfallen werde, die belgische Neu­ tralität zu verletzen, — wenn ein anderer Staat sie nicht seinerseits mißachten und das Reich zwingen werde, sie in Not­ wehr, aus mllitärischen Gründen seinerseits zu verletzen1). Das war in geheimen Sitzungen des Parlaments der Stand­ punkt des Auswärtigen Amts, wie jetzt wohl mitgeteilt werden darf, seit langen Jahren. Und danach hat die Reichsregierung auch ge­ handelt, als über Nacht zur völligen Überraschung des ganzen deutschen Volks — vom Kaiser bis zum ärmsten Taglöhner — der Krieg gegen uns vom Zaune gebrochen wurde. l) Siehe Sitzung der Budgetkommission des Reichstag- am 29. April 1913, Erklärungen des Staatssekretärs von Jagow und des Kriegsministers von Heeriugeu (s. auch belgisches Graubuch, Anlage i« Nr. 12).

Der letztere sagte: „Die

international gewährleistete Neutralität Belgiens wird Deutschland nicht aus den Augen verlieren."

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Da England seine Kriegserklärung an Deutschland wesentlich auf den Bruch der Neutralität Belgiens durch die deutschen Truppen gründete, soll diese völkerrechtliche Frage zunächst an dieser Stelle erörtert werden. — I. Der Wiener Kongreß hatte durch die Vereinigung der belgischen Gebietstelle mit Holland in dem Königreich der Niederlande zwischen diesem und den alliierten vier Großmächten 1815 die Barriere gegen neue Expansionsbestrebungen des unruhigen Frankreich nach dem Norden geschaffen. Als sich Belgien infolge der Revolution von 1830 selbständig erklärte, wurde dieser Zustand von den Mächten anerkannt und das neu errichtete Königreich Belgien mit Rücksicht auf die gleichen politischen Zwecke, die für Holland maßgebend waren, durch die Ver­ träge vom 15. November 1831 neutralisiert. Der Widerstand Hollands wurde durch die bewaffnete Intervention Frankreichs ge­ brochen und die neue Stellung Belgiens seitens Hollands durch den zu London am 19. April 1839 abgeschlossenen Vertrag anerkannt. An diesem Tage kam zwischen beiden Ländern ein Abkommen zu­ stande, in dessen Art. 7 bestimmt war: „Belgien bildet ... einen unabhängigen und dauernd neutralen Staat. Es ist verpflichtet, die gleiche Neutralität gegen alle anderen Staa­ ten t» beobachten."

An demselben Tage schlossen Frankreich, Österreich, Großbritan­ nien, Preußen und Rußland sowohl mit Belgien wie mit den Nieder­ landen Verträge ab, in die sie das Abkommen zwischen diesen beiden Staaten als integrierenden Bestandteil aufnahmen. Diese Verträge sind es, auf denen die Neutralität Belgiens beruht. Für Preußen ist das Deutsche Reich als Garantiestaat eingetreten. Ursprünglich war, wie schon oben angedeutet, Belgien von den andern Großmächten gegen Frankreich gegründet worden. Durch verschiedene Momente (Sprache, Abstammung usw.) lag die all­ mähliche Annäherung der wallonischen Teile Belgiens an Frankreich nahe. Wir Älteren können uns erinnern, daß schon im Jahre 1870 über deutschenhasserische Demonstrationen auf belgischem Boden stark geklagt wurde; Bismarck mußte einmal sogar, wie wir aus den „Erinnerungen" wissen, einen „kalten Wasserstrahl" nach Brüssel senden, um der Französelei dort ein Paroli zu bieten, die in Beleidi­ gungen deutscher Flüchtlinge während des Krieges sich äußerte. Seit dem Frankfurter Frieden setzten die Treibereien von Paris und London aus verstärkt ein, um die Belgier aus ihrer neutralen Stellung her-

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auszubringen. Daß Liese unausgesetzten Wühlereien Erfolg latten und daß man allmählich sich in das französisch-englische Fahrvasser gegen Deutschland bringen ließ, dafür gibt es keinen klassischerer Be­ weis als die ganzen Brialmontschen Festungsanlagen, deren Red erwerfung der deutschen Armee so glorreich gelang. Ein Blick arf die Befestigungen von Lüttich, Namur, insbesondere aber von Antwerpen zeigt, daß der ganze Brialmontsche Plan in erster Linie sich zegen Deutschland richtete. Ein Vergleich mit Holland, das man gern in diese ganze Schein-Neutralitätspolitik heineingezogen hätte, wenn seine Staatsmänner nicht größere Klugheit als die belgischen besessen hätte», schlägt ganz zuungunsten Belgiens aus. Die Ausgestcltung der Festungen Vlissingen und Terneuzen am Scheldeausfluß zeigt, daß es Holland mit seiner Neutralität, die sich hier vor allem in der Sicherung der politisch überaus wichtigen Sperrung der Schelde aus­ drückte, ernst war, während Belgien, wie wir jetzt wissen, seit Dezennien zum Bruche der Neutralität bereit und vorbereitet war. Es wird jetzt mit Recht daran erinnert, daß seinerzeit Oberst Ducarme die Mit­ teilung machte, Frankreich beabsichtige die Annexion Belgiens, ge­ stützt auf die damalige Rede (1895) des französischen Kriegsministers Zurlinden. Belgien kannte die Absichten Frankreichs längst'-). Die Brialmontsche Festungspolitik war bereits der sichtbare Ausdruck derjenigen Politik Belgiens, die ihm nunmehr vielleicht die Existenz kostet x). Natürlich mußte diese Annäherung an die zwei

1) Ja einer Broschüre Bismarck und Belgien weist Dr. Pius ©irr, Brüssel 1915, neuerlich darauf hin, daß Frankreich 1852 ständig damit umging, Belgien zu annektieren. Von Napoleon III. ist durch Bismarck dies direkt nachgewiesen (1866 und 1869). 2) In der Presse hat Frh. v. Mackay kürzlich darauf hingewiesen, baß in den Entwürfen tu Festungsplänen, die Moltke vor 1870/71 niederschrieb, er sich aus­ führlich über das Verhältnis Preußens zu den neutralen Staaten, insbesondere die Schweiz, Holland und Belgien ausspricht und erklärt, daß für die deutsche Heeres­ leitung keinerlei Grund vorhanden sei, die vertragliche Unverletzlichkeit dieser Staaten anzurühren und den Krieg über die Front vom Oberelsaß bis zur Mosel auszudehnen. Um so merkwürdiger sei es, daß Brialmont bei seinem System der Befestigung Belgiens offenbar fast ausschließlich das Schreckgespenst der beut, schen Einbruchsgefahr im Auge gehabt, an Frankreich und England nur nebenher gedacht habe.... „Die Einseitigkeit dieser Taktik sei offenbar strategisch wie politisch gleich unklug; denn sie müsse notwendig wie ein Magnet wirken, der Deutschlands Feinde anlocke, Belgiens Neutralität ihrerseits zu mißbrauchen und das Land zu einer Falle für uns zu machen." Die Ereignisse dieser Tage haben auch hier dem großen Strategen restlos recht gegeben.

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Weltxroßmächte nach Ausschaltung des althistorischen Gegensatzes zwischen Frankreich und England und nach Abschluß der Entente zwischen den beiden Mächten im Jahre 1902 sich progressiv verdichten. Die,Einkreisungspolitik" König Eduards mußte mit Belgien als Operationsbasis rechnen. Der alte König Leopold, ein kluger Kopf, setzte all diesen Plänen frellich einen gewissen passiven Widerstand entgegen. Er war zu klug, um nicht j« wissen, daß Belgien, das er auch durch den Kongostaat zu großem Reichtum gebracht, durch eine be­ trügerische Neutralitätspolitik nicht weniger als alles riskierte. Und trotzdem konnte er dem Banne Englands nicht entrinnen. Noch weniger Widerstand setzte aber all diesen Treibereien und Umschmeicheluvgen der junge König Albert entgegen (s. auch unten). So trieb die Ent­ wicklung der Dinge den Staat unaufhaltsam auf der schiefen Bahn einer einseitig deutschfeindlichen Politik vorwärts *). II. Alles das war der deutschen Regierung seit langem bekannt2).

Mit Recht weist Strupp a. a. O. S. 188 Nr. 2 darauf hin, daß eigentlich Belgien den NeutralitätSvertrag von 1839 (Art. XIV) an dem Tage gebrochen habe, als es die Befestigung Antwerpens begann. („Le port d’Anvers .... continuera d'etre uniquement un port de commerce.“) l) Siehe insbesondere auch die im Jahre 1911 erschienene Schrift „La guerre qui vient“ von Fransvis Delaiste, die in geradezu prophetischer Weise vorher­

sagte, in welcher Weise man von England die Neutralität Belgiens mißbrauche« werde, um die Verantwortlichkeit Deutschland aufzubürden. Dari» befindet flch «. a. die Wendung: «... Der Plan ist einfach; er steht bereits fest. Man kann täglich seine Ver­ wirklichung verfolgen. 1. Zurzeit verhandelt man über eine Militärkooventioo mit England. Im Falle eines Konfliktes mit Deutschland würde die britische Flotte unsere Kanalküste beschützen und unsere Truppen würden auf Antwerpen marschieren. Aber wen» es dem Auswärtigen Amt in London gefallen wird, den Kampf zu beginnen, so «erben es seine Diplomaten einzurichten verstehen, daß fie die Verantwortlichkeit dem Gegner aufbürden; und wir werben marschieren müssen, um kraft einer «Defenflve"-Koovention dem König Georg V. zu helfen." Oer Verfasser erwähnt den Ausspruch Lord KitchenerS: «Die Grenze des britischen Reiches in Europa ist nicht die Meerenge von Calais, eS ist die Maasltnte." ') Mit Recht wurde in der Presse auch auf den belgischen Gesetzentwurf von 1905 betreffend ble Erweiterung der Hafenaolage» und betreffend die Verteidigung der Stadt Antwerpen und seine Motive hingewiesen, um darzutun, daß seit min­ destens einem Jahrzehnt das Spiel zwischen England und Belgien gegen Deutschland völlig feststand. Dort heißt es «örtlich: «Antwerpen ist nicht nur die Metropole unseres Handels und unserer Schiffahrt, s-odera es ist auch auSersehen worden, die Rolle der wichtigsten Festung des Landes zu spielen, die eS niemals gefordert «ad

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Daher auch mit Recht obige von einem berechtigten Gefühle des Miß­ trauens diktierte Formel: „Wir achten die Neutralität, wenn sie von anderer Seite geachtet wird." Sie hätte auch lauten können: „Wir achten sie, wenn sie von Belgien selbst geachtet wird." Das alles muß man sich vergegenwärtigen, wenn man die Haltung Deutschlands in den ersten Augusttagen 1914 richtig beurteilen will. Um so größere Anerkennung verdient die deutsche Regierung, wenn sie trotz der Kenntnis all dieser wichtigen Momente, die gegen Belgien sprachen, keinen Zweifel darüber ließ, daß sie das Einrücken der deutschen Truppen in Belgien in der Nacht vom 3. auf 4. August nach dem damals bekannten Stande der Dinge objektiv als einen Bruch des zitierten Art. 7 des Abkommens von 1839 anerkannte und zugab, daß sie ein „Unrecht" tue, für das sie völligen Schadensersatz, volle Ge­ nugtuung und Wiederherstellung des Status quo ante versprach (s. unten auch das Kapitel 27 über die Beschießung und Einnahme von Antwerpen). Die Anerkennung muß um so größer sein, als damals in Berlin die schändlichen Exzesse der belgischen Bevölkerung, vor allem in Antwerpen und Brüssel, gegen deutsche Flüchtlinge bereits bekannt waren, die sich dann — nach dem Bekanntwerden des Einzuges der deutschen Truppen auf belgisches Gebiet — freilich noch wesentlich verschärften. Die von uns angedeutete Äußerung des Reichskanzlers v. Bethmavn Hollweg in der Reichstagssitzung vom 4. August lautete nach dem Stenogramm wörtlich: „Meine Herren, «ir sind jetzt in der Notwehr; «nd Not kennt kein Gebot! Unsere Truppen haben Lnxemburg besetzt, vielleicht schon belgisches Gebiet be­ treten. Meine Herren, bas widerspricht den Geboten des Völkerrechts. Oie frantösische Regiernng hat »war in Brüssel erklärt, die Neatralität Belgiens respektieren zu wollen, solange der Gegner sie respektiere. Wir wußten aber, daß Frankreich zum Einfall bereit stand. Frankreich konnte warten, wir aber nicht l Ein französischer Einfall in unsere Flanke am unteren Rhein hätte verhängnisvoll werden können. So waren wir gezwungen, «ns über den berechtigten Protest der luxemburgischen und der belgischen Regierung hinwegzusetzen. Das Unrecht — ich spreche offen —, um die keine andere Stadt des Landes es beneidet hat. Antwerpen ist es, das im Falle eines Kriegs der letzte Schutzwall unserer Unabhängigkeit und die letzte Zu­ fluchtsstätte unserer Nationalität sein muß." Die an der unteren Schelde geplanten Werke wurden nicht gebaut, da man „Antwerpen als englischen Brückenkopf ansah". England hat noch nach der Kriegserklärung alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Holland zu einem Bruche seiner Neutralität zu bewegen, um der englischen Armee den Einbruch über Antwerpen bzw. den Rückzug aus dieser Stabt zu sichern.

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Las Umecht, das «ir damit tun, werden wir wieder gutjumache» suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist. Wer so bedroht ist wie wir und um fein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich burchhaut!"l) *) In seiner Rede im Deutsche» Reichstag vom 2. Dezember 1914 (Steaogr. Bericht S. 17 ff.) berichtigte der ReichSkanjler v. Bethmann Hollweg gewissermaßen seine Stellung vom 4. August und klärt fle näher auf, ergänzt sie im übrigen. Er sprach u. a. aus: „Die belgische Neutralität, die England zu schützen vorgab, ist eine Maske. Am 2. August, abends um 7 Uhr, teilte» wir in Brüssel mit, die uns be­ kannten Kriegspläne Frankreichs zwängen «nS, um unserer Selbsterhaltung willen durch Belgien zu marschieren. Aber schon am Nachmittage dieses 2. August, also bevor in London bas Geringste von unserer Demarche in Brüssel bekannt war und bekannt sein konnte, halte England Frankreich seine Unterstützung zugesagt, und zwar bedingungslos zugesagt für den Fall eines Angriffs der deutschen Flotte auf die französische Küste. Don der belgischen Neutralität war dabei mit keinem Worte di« Rede. Diese Tatsache ist festgestellt durch die Erklärung, die Sir Edward Grey am 3. August im englischen Unterhaus abgab und die mir am 4. August infolge des erschwerten telegraphischen Verkehrs nicht in extenso bekannt war, and bestätigt durch das Blaubuch der englischen Regierung selbst. Wie hat da England behaupten können, es habe das Schwert gezogen, well wir die belgische Neutralität verletzt hätten? (Lachen. — Rufe: Heuchelei!) Und wie konnten die englische» Staats­ männer, denen doch die Vergangenheit genau bekannt war, überhaupt von belgi­ scher Neutralität sprechen? Als ich am 4. August von dem Unrecht sprach, das «ir mit dem Einmarsch in Belgien begängen, stand »och nicht fest, ob sich die Brüsseler Regierung nicht in der Stunde der Not dazu entschließen würde, das Land zu schonen und sich unter Protest auf Antwerpen zurückzuziehen. Sie erinnern sich, daß ich auf den Antrag unserer Heeresverwaltung nach der Einnahme von Lüttich eine erneute Aufforderung in diesem Sinne an die belgische Regierung gerichtet habe. Aus militärischen Gründen mußte die Möglichkeit zu einer solchen Ent­ wicklung am 4. August unter allen Umständen offengehalten werde«. Für die Schuld der belgischen Regierung lagen schon damals mannigfache Anzeichen vor. Positive schriftliche Beweise standen mir noch nicht zu Gebote, den englischen Staatsmänner« aber waren diese Beweise ganz genau bekannt. Wenn jetzt durch die in Brüssel aufgefundenen, von mir der Öffentlichkeit übergebenen Aktenstücke festgestellt worden ist, wie und in welchem Grade Belgien seine Neutralität England gegenüber aufgegeben hatte, so ist nunmehr alle Welt über zwei Tatsache» im klaren: Als unsere Truppen io der Nacht vom 3. zum 4. August bas belgische Gebiet betraten, da befanden sie sich auf dem Boden eines Staates, der seine Neutralität selbst längst durchlöchert hatte. Und die weitere Tatsache: nicht um der belgischen Neutralität willen, die England selbst mit untergraben hatte, hat uns England den Krieg erklärt, sondern «eil es glaubte, zusammen mit zwei großen Militärmächten des Festlandes unser Herr werden zu können. Schon seit dem 2. August, seit seinem Versprechen der Krtegsfolge an Frankreich, war England nicht mehr neutral, sondern tatsächlich im Kriegsjustand mit uns. Die Motivierung seiner Kriegserklärung vom

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Der anhaltende brausende Beifall des ganjen Hauses zeigte daß hinter diesen Worten die Vertretung des gesamten deutschen Volks stand — ja das ganze deutsche Volk selbst! In den Worten des Reichskanzlers findet stch streng juristisch ein gewisser Widerspruch. Er sagt mit Recht: „Wir sind jctzt in der Notwehr", d. h. in der Verteidigung gegen einen gegenwäüigen rechtswidrigen Angriff auf unser Land, den wir nur durch den Gegen­ angriff parieren können, und erkennt trotzdem an, daß das Versalien der Deutschen den Geboten des Völkerrechts widerspricht. Auch seine folgenden Ausführungen sind in sich nicht ganz folgerichtig. Er plädiert mit Recht bald auf „Notstand", bald auf „Notwehr" — und spricht offen von einem „Unrechte, das wir damit tun und dar wir wieder gutzumachen suchen werden". Und der letzte Satz nimmt trotzdem wiederum die Gnrede der Notwehr auf. Psychologisch und aus der konkreten Situation ist der Vorzang, sind die juristischen und logischen Widersprüche wohl zu verstehen. Der Reichskanzler hat nicht als Jurist, nicht als Professor des Völker­ rechts, sondern als Politiker, als Vertreter des Deutschen Reichs gesprochen. Seine Absicht war eS damals, dem Königreiche Belgien gol­ dene Brücken zu bauen, ihm möglichst entgegenzukommen, um es von feindseligen Handlungen abzubringen oder abzuhalten. Der Reichs­ kanzler wußte damals noch nicht genau, welche böse Rolle der angeblich neutrale Staat schon lange vorher gespielt hatte, wie des näheren unten ausgeführt ist. Er schied daher genau zwischen der Notwehr gegen Frankreich und den notwendigen Abwehrhandlungen — wie er sie nannte, „unrechten" — gegen Belgien. Frellich deutete er durch die Worte: „Frankreich konnte warten, wir aber nicht" an, daß eine Kooperation anderer Mächte mit Frankreich unbedingt dem­ nächst zu erwarten war. Er ließ aber offen, wer der Beteiligte, der Verbündete sei, ob Belgien selbst oder — England. 4. August mit der Verletzung der belgische» Neutralität war nichts als ein Schaustück, geeignet, das eigene Land und das neutrale Ausland über die wahre» Beweggründe jum Kriege irrezuführen. Jetzt, wo der bis in alle Einzelheiten ausgearbeitete englisch-belgische Kriegsplan enthüllt ist, ist die Politik der englischen Staatsmänner vor der Weltgeschichte für alle Zeit gekennzeichnet. Die englische Diplomatie selbst hat ja auch noch ei» übriges dazu getan. Auf ihren Ruf entreißt «ns Japan das heldenmütige Kiautscha» und verletzte dabei die chinesische Neutralität. Ist England gegen diesen Neotralltätsbruch eingeschritten? Hat es da seine peinliche Fürsorge für di« ve«, trale» Staaten gezeigt?"

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Oie Äußerung des Reichskanzlers am 4. August war also um zweiflhaft diktiert von der diplomatischen Courtoisie, die durch die Einräumung des objektiven Tatbestandes des Bruches der Rem tralitit durch das Einrücken der deutschen Truppen die nach seiner Metmng noch zu beeinflussende gute Stimmung der belgischen 9te* gierurg und Bevölkerung besänftigen sollte und wollte: daher das Eingeständnis des „Unrechts, das wir damit tun und das wir wieder gutzmrachen suchen werden". So sprach nicht der Jurist, sondern der verantwortliche Politiker, der Staatsmann. Äur wenige Tage genügten freilich, um nachzuweisen, daß weder die bcna fides noch der gute Wille der Neutralität, den der Reichs­ kanzle: voraussetzte, bei Belgien vorhanden war, noch die gute Wir­ kung, die der Reichskanzler durch sein Entgegenkommen beabsichtigte, eintrat. Eher das Gegenteil! Die Entwicklung der Dinge in den nächsten Tagen (4.-7. August) zeigte aber auch, daß es reiner Wahnsinn gewesen wäre, von Deutsch­ land jtt verlangen, daß es erst den Einmarsch der französischen oder englischen Truppen in Belgien und damit einen nur mit Strömen deutschen Soldatenblutes wieder einzubringenden Vorsprung unserer Gegner hätte abwarten müssen, um dann auf Notstand oder Notwehr, etwa vor einem Gerichte, zu plädieren, das von Anfang an parteiisch und feindselig war, d. h. in praxi vor dem Forum der englischen Regierung, die wohlgefällig geschwiegen und kein Wort über Neutrali­ tätsbruch gesprochen hätte, — wenn Frankreich die Neutralität noch offener gebrochen hätte, als es dies ohnedies bereits mit Billigung und nach Wunsch der englischen Regierung getan hatte. Oder vor welchem andern Gerichte sollte sich Deutschland beklagen? Etwa vor dem Haager? Wenn die Franzosen in Namur und Lüttich zu Hundert­ tausenden gestanden hätten, hätte solcher Spruch — in Monaten gefällt — nur noch die Luft erschüttert! Deutschland handelte in bewußtem Notstände und, wie die weitere Entwicklung der kriegerischen Ereignisse zeigte, in bester Notwehr gegen Belgien, das die Neutralität selbst bereits gebrochen hatte, wie gegen Frankreich, das sich desselben Vertragsbruches schuldig machte. Es ist von Miltner (Leipziger Zeitschrift für das deutsche Recht, Septemberheft 1914), Triepel in der Kölnischen Zeitung und von Liszt (Dosstsche Zeitung Nr. 407, 1914) und von der gesamten neueren völkerrechtlichen Doktrin und Praxis anerkannt, daß es im Völker-

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rechte Notstand in analoger Anwendung des kriminellen Begriffs (s. § 54 R^Str.-G.-B.) und Notwehr gibt, und daß solcher Not­ stand die Verletzung der Bestimmungen des Völkerrechts juläßt und ihre Rechtswidrigkeit ausschließt ‘). Wenn sich ein Staat in einer Lage befindet, in der die Erhaltung seiner Existenz und Selbständigkeit derart in Frage gestellt ist, daß er die Gefahr nur durch Übertretung von Normen des Völkerrechts bzw. durch Verletzung von Vertragspflichten beseitigen kann, so liegt eben der Fall des Notstandes vor, in welchem das Recht die Befolgung seiner Imperative nicht mehr fordern kann. Jedenfalls zessieren die mit solchen Handlungen sonst verknüpften rechtlichen Folgen. Dieses Selbsterhaltungsrecht ist die Aufgabe, ja die Pflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern und gegenüber der rechtlichen Gemeinschaft, mit der der Staat den Vertrag abgeschlossen hat, die wiederum seine Existenz und seine Erhaltung voraussetzt. Die Erhaltung des Deutschen Reiches machte es angesichts der unten geschllderten Sachlage direkt notwendig, die Vertragsrecht­ pflichten über die Neutralität, die von Preußen auf das Deutsche Reich übergegangen waren, vorübergehend zu verletzen, selbst wenn Belgien nicht — (was unten des näheren dargelegt und bewiesen werden wird)—die vertragsmäßige Neutralität gegen das Deutsche Reich seiner­ seits gebrochen hätte. Die Erhaltung der eigenen Existenz, Selbstän­ digkeit, Unabhängigkeit und bisherigen Weltmachtstelluvg des Reiches machte die Geltendmachung des „Notstandes" in concreto notwendig. Es genügte auch bereits die bloße Duldung der Bedrohung der Existenz des Deutschen Reiches durch Frankreich seitens des neu­ tralen Belgien oder die Unterlassung derjenigen Handlungen, die notwendig waren, die Bedrohung der Existenz des Reiches von Frank-

*) Siehe auch Frank, Münch. N. 91. vom 20. August 1914 Nr. 424; Fleischmann, Dölkerrechtsquellen 1905 S. 35; Niedner, Franks. Ztg. vom 1. September 1914, Nr. 242; Dossische Ztg. vom 6. August Nr. 394, Morgenausgabe; ferner Ullmaon, Völkerrecht S. 145,461; Liszt, Das Völkerrecht, 6. Ausl. 1910, S. 169, 182; Fleischmaan, Auslieferung nach deutschem Kolonialrecht, 1906, S. 52; Heil, born, System S. 289, 296 ff.; Slrisower, in Grünhuts Ztschr. 16 S. 717; Holtzeo, dorff, Handbuch des Völkerrechts S. II, S. 54 ff. Ferner neuerdings Jos. Köhler in der Zeitschr. f. Völkerrecht Bd. 8 (Sonderheft) Heft 2 S. 33 ff., insbesondere S. 35 und 36 (über Notwehr und Neutralität): „Der Neutralstaat hat nur dann Anspruch auf Immunität, wenn er nicht aggressiv wird; das Handeln Belgiens gegen Deutschlands berechtigeS Tun war aggressiv." Jetzt insbesondere die Schrift des Holländers Dr. Labberton, eine glänzende wissenschaftliche Recht­ fertigung des deutschen Vorgehens (bei W. Versluys, Amsterdam).

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reich her zu beseitigen, um dem Reiche das Recht zu den entsprechenden Notstrndshandlungen gegenüber Frankreich und Belgien selbst unter Verletzung der Vertragsrechte des letzteren ju gewähren. Belgien war bei solchem Notstände des Deutschen Reiches ebenso wie Luxemburg lediglich berechtigt, den vollen Schadensersatz für die Vornahme dieser Notstandshandlungen auf diesem Gebiete zu ver­ langen: ein Recht, das ja auch von Deutschland ausdrücklich und wiederholt anerkannt wurde und das es gegen Luxemburg prompt und pflichtmäßig erfüllte. Deutschland war bei Gefahr im Verzüge nicht verpflichtet, erst durch Verhandlungen diese völkerrechtliche Sachlage klarzustellen. Notstand und Norwehr erfordern Taten, nicht Worte. Sache späterer nachträglicher Verhandlungen war die Wiedergutmachung der veranlaßten Schäden tatsächlicher und recht­ licher Natur gegenüber dem verletzten Neutralitätslande. Hätte Belgien nicht seit einer Generation sich in den Kampf­ gedanken mit Deutschland eingelebt und seine ganze Mllitär- und sonstige Politik diesem Gedanken gewidmet, so hätte es vollen Schadens­ ersatz, eine Stärkung seiner finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Stellung aus der vorübergehenden Störung seiner Neutralität ziehen können, statt der Vernichtung und des Ruins seiner Selbständigkeit. in. Daß Belgien selbst wußte, daß ein solcher Notstand mit seiner vertragsmäßigen Neutralität unbedingt auftäumen werde, geht u. a. aus folgendem hervor: Scho» 1843 erschien in der Revue militaire beige ein Anfsatz, dessen Verfasser die Neutralität überhaupt nicht ernst nimmt und für ein leeres Wort erklärt (so Frank in den M. N. N. vom sc». August). Im Frieden könne man sie proklamiere«, bei AuSbruch des Krieges aber falle sie von selbst weg, und Belgien stehe genau wie jeder andere Staat vor der Frage, für wen es Partei nehmen solle. Auch der belgische Schriftsteller Grandgagnage erklärt, daß die Verhältnisse mächtiger seien als die Menschen und baß aller Verträge «»geachtet im Kriegsfall Belgien daS Gebiet sein werde, auf dem sich die europäischen Streitigkeiten entscheide». Wollt« dem Belgien entgegentreten, so würde es voraussichtlich nicht nur Niederlagen riskieren, sondern vielleicht auch seine Unabhängigkeit aufs Spiel setzen. Die Pandectes beiges (68. Band) treten an einzelnen Stellen derartigen Auf» fassnnge« zwar entgegen; sie erkennen aber zwei Fälle unbedingt an, bei denen die Neutralität Belgiens nicht beachtet zu werde» brauche: die Kriegserklärung sämt­ licher fünf Garaniiemächte und die Nichtbeachtung der Neutralität von seiten Belgiens selbst (s. über die belgischen Rechtsanschauungen übrigens auch die An­ merkung am Schlüsse dieses Kapitels).

Diese belgische Anschauung muß unzweifelhaft als staats- und völkerrechtlich einwandfrei anerkannt werden.

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Beide Fälle sind, wie wir reigen werden, gegeben. Zunächst sind die Verträge vom 15. November 1831 über die Neutralisierung des Königreichs Belgien zwischen England, Österreich, Frankreich, Preußen, Rußland und Belgien abgeschlossen. Für Preußen ist 1871 das Deutsche Reich eingetreten. Also jetzt ist jedenfalls der Fall 1 gegeben, daß sämtliche Garantiemächte im Kriege stehen; Anfang August stand lediglich England formal und scheinbar außer­ halb der Konfliktssphäre. Ganz besonders interessant ist aber, was der berühmte Brüsseler Professor Rivier in seinem Lehrbuche des Völkerrechts (2. Auflage, 1899 S. 184) über den Notstand sagt: „Ein Staat darf selbst dann die Souveränität eines dritten Staates verletzen, wenn dieser zu schwach ist, zu verhindern, daß sein Gebiet dem Angreifer zur Basis dient." Man möchte glauben, diese Worte seien im August 1914 niedergeschrieben! Also ein Staat darf dann einen Neutralitäts­ vertrag verletzen, wenn sein Kontrahent nicht die Kraft besitzt, um zu verhüten, daß der Feind des ersten Staates sein, d. h. des Neutralen, Land als Operationsbafls wählt. Dieser Fall liegt hier vor. Gibt es einen Menschen, der leugnen würde, daß Belgien zu schwach war, sein Gebiet einem französischen Angriffe zu verwehren? Selbst wenn Belgien den guten Willen gehabt hätte — (der ihm freilich fehlte!) —, seine Souveränität und Neutralität zu behaupten, würde Frankreich es einfach über den Haufen gerannt haben. Diese Tatsache bildet ja mo­ ralisch eigentlich auch den einzigen Eutschuldigungsgrund für den Bruch der Neutralität durch Belgien selbst. Auf dieser Erwägung baute sich die Politik des Baron Lambermont auf, die unglückseligerweise König Albert verließ, Lambermont hielt es für nötig, daß die belgische Armee zur Wahrung der Neutralität die Grenzen bloß besetzte; er hielt es für unsinnig, den Kampf mit viel stärkeren Gegnern aufzunehmen. Diese neue „Jungblutsche Taktik", einseitige Stellung zu nehmen, war König Alberts Ruin1). *) In dem im Jahrbuch d. D.-R. 11127 auszugsweise veröffentlichte» Rapporte zu dem belgischen „Projet de loi sur la Milice“ (bas belgische Ministerium hatte nach de» Wahlen vom Juni 1912 Pläne über eine Vermehrung der Kriegsstärke bis auf 350000 Mann vorgelegt) heißt es: „II ne saut pas oublier que la neutralitt de la Belgique a 6t6 proclam6e non pas comme un bienfait pour la Belgique, mais exclusivement dans l’intlret de l’6quilibre europLen... Don geschichtlichem Interesse ist die in dem Rapport weiter angeführte Tat­ sache (a. a. Oe I, 1129), daß im Jahre 1840 — also unmittelbar nach den Ver­ trägen vom 19. April 1839 —/ als die orientalische Frage schon einmal einen

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Also — selbst belgische maßgebende Rechtsschriftsteller haben anerkannt, daß Notstand die belgische Neutrali­ tät aufhebe, der auch daun gegeben ist, wenn Belgien in concreto ju schwach ist, um sie mit Erfolg ju verteidigen. FreUich hat man dort damit gerechnet, daß auf Notstand von seiten Frankreichs plädiert würde, und gegen diese Konsequenzen hätte weder England noch Belgien etwas einzuwenden gehabt, wie dies von einer Reihe einflußreicher englischer Politiker (Macdonald Ramsay, Ponsonby usw.), offen zugestanden und Sir Edward Grey und seinen Hintermännern Fr. Bertie und A. Nicolson sogar direkt vorgeworfen wurde. Was aber dem einen recht ist, ist selbstverständlich dem andern billig! Zumal wenn es sich, wie jetzt gegen Deutschland, um einen überraschenden, über Nacht gekommenen Angriff von zwei Fronten seitens der stärksten Weltmächte handelte. Ganz Deutschland hat — wir wiederholen dies aus bester Kenntnis der Verhältnisse auf das bestimmteste und verpfänden dafür, wie jeder Abgeordnete es tun kann, unser Wort — vor dem 31. Juli an keinen Krieg gedacht. Vor dem i. August ist in Deutschland keinerlei Mobilisierungshand­ lung erfolgt. Während Rußland und Frankreich, wie jetzt erwiesen, seit Monaten sich auf den großen Krieg, den England seit Jahren vorbereitete, rüsteten, dachte in Deutschland niemand an die Mög­ lichkeit solcher Verwicklungen, ja wiegte sich noch bis zum 1. August in der Hoffnung, daß ihm der Frieden erhalten bleibe. Als Beweis dafür, wie schwer auf Deutschland der „Notstand" lastete, der zum Bruche der Neutralität zwang, dient auch die erste Proklamation der deutschen Regierung, die ausdrücklich vollen Scha­ densersatz und Wiederherstellung der völligen Freiheit und Selb­ ständigkeit Belgiens zusagte, wenn der momentane mllitärische Not­ stand vorüber sei. Siehe die Note, die am 2. August 1914 der deutsche Ge­ sandte von Below-Saleske dem belgischen Minister des Äußern Davignon überreichte (belgisches Graubuch Nr. 20 S. 26]. Mit Recht nimmt Strupp a. a. O. S. 192 an, daß diese Note kein Ultimatum i. S. des Art. i der II. Haager Konvention war. Deutschland hat am europäischen Krieg zu entflammen drohte, Frankreich der belgischen Regierung mitlellte: Wenn diese ihr Gebiet und ihre Neutralität nicht 10 verteidigen kn der Lage sei, so könnte Frankreich, zu seinem großen Bebauern, zur Besetzung Belgiens im Fall eines Konflikts mit Deutschland sich genötigt sehen. Diese Erklärung «rinuert lebhaft an die durch die Veröffentlichung belgischer Aktenstücke in der Nordb. Allg. Ztg. bekannt gewordenen Äußerungen, die der englische Militärattache dem belgischen Generalstabschef gegenüber unvorflchttgerweise getan hat (s. unten). Müller,Me in in gen, Weltkrieg und Völkerrecht. 3. Must. 3

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4. August eine jweite Note an Belgien erlassen, in der es ankündigt, baß es au besoin par la force des armes die Sicherheitsmaßregeln treffen muß, die gegenüber den französischen Bedrohungen unumgäng­ lich notwendig [indispensables] sind. Belgien seinerseits hat alsdann ohne Kriegserklärung am 4. August nach Überschreitung der Grenzen durch die Deutschen dem deutschen Gesandten seine Pässe übersandt (Graubuch Nr. 31 und 44). Die Antwort Belgiens vom 3. August s. l. c. Nr. 22. Am selben Tage hat König Albert von Belgien die diplomatische Intervention Englands erbeten (s. englisches Weißbuch Nr. 153 und Graubuch Nr. 25). Und auch die Note vom 9. August 1914 kann noch als wich­ tiges Beweismittel dafür angesprochen werden, indem sie folgendes aussprach: „... Oie deutsche Regierung bedauert eö aufs tiefste, daß es infolge der Stellungnahme der belgischen Regierung gegen Deutschland zu einem blutigen Zusammenstoß gekommen ist.

Deutschland kommt nicht als Feind nach Belgien.

Nur unter dem Zwang der Verhältnisse, angesichts der militärischen Maßnahmen Frankreichs hat es den schweren Entschluß fassen müssen, in Belgien einzurücken und Lüttich als Stützpunkt für die weiteren militärischen Operationen zu besetzen. Nachdem die belgische Armee in heldenmütigem Widerstand gegen unser großes und überlegenes Heer ihre Waffenehre gewahrt hat, bittet (sic!) die deutsche Re­ gierung Seine Majestät den König von Belgien und die belgische Regierung, Belgien die weiteren Schrecken des Krieges zu ersparen. Die deutsche Re­ gierung ist zu jedem Abkommen mit der belgischen bereit (!), das sich irgendwie mit den Rücksichten auf ihre Auseinandersetzung mit Frankreich vereinigen läßt. Deutschland versichert nochmals feier­ lichst, daß es nicht von der Absicht geleitet ist, sich belgisches Gebiet anzueignen, und daß ihm diese Absicht durchaus fern liegt. Deutsch­ land ist noch immer bereit, das belgische Königreich unverzüglich zu räumen, sobald die Kriegslage es gestattet."

Die darauf am 13. August eingegangene belgische Antwort war schnöde Ablehnung *) (s. belgisches Graubuch Nr. 60 und 65). *) Es ist charakteristisch für die von Anfang an feindselige Haltung der belgischen Regierung, daß diese außerordentlich wichtige Kundgebung gegenüber der belgischen Bevölkerung völlig unterschlagen wurde — ja, daß man durch öffent­ liche Anschläge, in der Presse und sonstwie verbreitete, Deutschland habe Belgien zwingen wollen, unter preußischem Kommando gegen Frankreich und England zu marschieren! Auch diese unwahrhaftige Haltung zeigt, daß man von Anfang an die ganze Politik darauf eingerichtet hatte, mit dem Dreiverbände als dem scheinbar stärkeren Faktor durch Dick und Dünn zu gehen. Auch später versündigte man sich seitens der Regierung durch beispiellose Unwahrhaftigkeit gegenüber dem eigenen Volke.

35 Ist das die Sprache eines beutegierigen, machtlüsternen „Mili­ tarismus"? Hier „bittet" die Regierung des siegreichen, militär­ gewaltigsten Staates der Welt die Regierung eines kleinen, ohn­ mächtigen Staates, den weiteren Schrecken des Krieges Einhalt ju tun! Hat man in der Weltgeschichte einen analogen Fall solchen bis an die Grenzen der Selbstachtung gehenden Entgegenkommens? Und obwohl man bereits am 12. August ziemlich genau wußte, was Belgien in Verletzung seiner Neutralität sich geleistet hatte! So spricht einerseits der Drang, jegliches, auch scheinbares Unrecht wieder gutzumachen, und andrerseits der Notstand, in dem man Belgien gegenüber so handeln mußte. Freilich, wenn die Enthüllungen der „Franks. Ztg." von Anfang Oktober über die persönliche Haltung König Alberts zum Dreiverbände, die übrigens völlig übereinstimmen mit der hier vertretenen Anschauung und sie vollinhaltlich bestätigen, richtig sind, so ist jenes weitere schnöde und hochfahrende Verhalten der belgischen Regierung nur eine Konsequenz dieser Haltung des Königs, der nach diesen Nachrichten schon im Frühjahr 1914 mit Frankreich und England eine Art Militärkonveation abschloß und als Vertreter der Tripleentente einen Bund der neutralen Europastaaten zu gründen unternahm, um Deutschland vollständig zu isolieren. Am Widerstande Hollands ist dieser Plan gescheitert. Hinter dem Rücken des belgischen Ministeriums hat der König darauf eine verein­ barte Depesche an den englischen König mit der Bitte gesandt, die Neutralität Belgiens zu schützen. Die Zukunst wird wohl größere Klarheit über die persönliche Teilnahme König Alberts schaffen! Die unten behandelte Veröffentlichung der „Nordd. Allg. Ztg." vom i2. Oktober 1914 bahnt diese Klärung an. (Siehe die sehr merk­ würdigen verbreitenden Proteste im belgischen Graubuche Nr. 2 und 3 sowie dort Nr. 8, wonach bereits am 29. Juli die Armee auf verstärkten Friedensfuß gesetzt wurde.) Sei dem, wie ihm wolle: jedenfalls ist soviel sicher: wenn jemals, so konnte hier von einem Garantiestaate der belgischen Neutralität der Anspruch auf „Notstand" erhoben werden! Wie heuchlerisch das ganze Gebaren Englands und Belgiens in dieser Neutralitätsfrage war, geht z. B. aus folgender charakteristischen belgischen Äußerung hervor:

Im Brüsseler „XXe Si6cle“ vom 20. August 1914 wird an erster Stelle eine Vorlesung wiedergegeben, die 91666 de Laonoy im Oktober 1913, also zehn Monate 3*

36 vor Ausbruch des Krieges, in der Faculti de Philosophie et lettres de VInstitut St. Louis gehalten hat. Die Vorlesung hatte r»m Gegenstand die Neutralität Belgiens. Nach einem Überblick über die Entstehungsgeschichte des neutralen Staates setzt Abbö de Lannoy auseinander, daß die Neutralität heute not «och von Deutschland bedroht wäre. Die Neutralität war 1830 als Schuhwehr gegen Frankreich gedacht, dem England um keinen Preis Antwerpen überlassen hätte. Nun­ mehr seien die Rollen vertauscht. England würde Antwerpen -egen Deutschland verteidige» (!). Unter diese» veränderten Umständen habe Bel­ gien selbst kein Interesse mehr, an seiner Neutralität festtuhalten. ... der Sprache der Diplomaten wirb die belgische Neutralität noch lange eine Zormel bleiben, ans bie sich jeder nach seinen augenblicklichen Interessen berufen wirb, bie jeder nach Belieben ausbeuten wirb bi« zum Tage, an dem tragische Ereignisse bartun, baß sie nur noch eine Zormel war."... ... „Daraus geht hervor, baß England sich nicht mehr darauf beschränken könnte, die Beschützerin unserer Unabhängigkeit t« sein. Wenn England «ns noch verteidigt, bann wird es nicht als Garantiemacht, sondern als kriegführende Macht auftreten."

De Lannoy sieht demnach prophetisch voraus, baß England auf alle Fälle in den Krieg eingreife und daß der Bruch der belgischen Neutralität nur noch einen Scheingrund zum Kriege abgebe. Und so wie der bekannte Abbö, dachte ganz Belgien und — handelte auch danach! Ganz ähnlich drückt sich auf der andern Seite das Buch des Engländers Homer Lea, „The day of the Saxon“ aus, in dem erklärt wird, daß die Neutralität kleiner Staaten, die zwischen großen liegen, eine Anomalie sei. Holland und Belgien müßten England mili­ tärisch angegliedert werden. Dann wäre England nur von der Elb­ mündung aus angreifbar und Deutschlands Ausdehnung am Meer unmöglich. Dazu bemerkt Silvio Pietro Rivetta sehr richtig: „Keine andere Nation habe neutralen Besitz so oft besetzt und seine Ver­ pflichtungen so oft gebrochen wie England. Wenn ein kleiner neutraler Staat zwischen zwei großen liege, sei es höchst wichtig, sich schon zu Beginn des Krieges dieses Staates zu bemächtigen, damit er nicht in die Hände des Gegners fällt." IV. Wird die Frage der Ausschließung der Rechtswidrigkeit durch Notwehr und Notstand nach obigen Ausführungen theo­ retisch und im Prinzip für das Völkerrecht entschieden zu bejahen sein, so entscheidet für das konkrete Vorliegen desselben natür­ lich allein die verantwortliche Behörde desjenigen Staa­ tes, der sich auf den Notstand oder auf die Notwehr beruft.

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d. H. in dem vorliegenden Falle die deutsche Armeeleitnng im Zu­ sammenhange mit der Leitung der auswärtigen Politik des Deutschen Reiches. Eine andere Lösung ist undenkbar. Die Anrufung eines unparteiischen Gerichts war unmöglich — aus rechtlichen, insbesondere aus praktischen mllitärischen Gründen. Für Deutschland war der Notstand darin begründet, daß nach Ansicht der deutschen Heeresleitung, die durch die Ereignisse voll­ kommen bestätigt wurde, ein Einbruch der ftaujösischeu Truppen durch Belgien nach deutschem Gebiet unmittelbar drohte und daß dieser Einbruch für das in einen Weltkrieg verwickelte Deutschland ver­ hängnisvoll gewesen wäre. Diese Tatsache ist von entscheiden­ der Bedeutung. Reichskanjler v. Bethmann Hollweg erklärte wiederholt: „Wir wußten, daß der französische Kriegsplan den Durchmarsch durch Belgien zum Angriff auf die unbeschützten Rhein­ lande vorsah!" Diese Tatsache ist es, die den Notstand schuf, kraft dessen sich Deutschland über die Neuttalitätsverträge von 1839 hinweg­ setzen durste; es kann sich Deutschland nicht nur gegenüber dem un­ mittelbar beteiligten Belgien, sondern auch den Garantiemächten gegenüber, von denen ftellich die eine, Frankreich, als solche von vorn­ herein nicht mehr gelten konnte, auf Notstand berufen. Wer nicht zu­ geben will, daß Deutschland unter diesen Umständen im Notstände gehandelt hat, dem bleibt, wie Miltner a. a. O. mit Recht meint, nichts anderes übrig, als den ungeheuerlichen Satz aufzustellen, daß Deutsch­ land jenen Einbruch erst hätte abwarten sollen, um dann zu pro­ testieren — oder was sonst zu tun? Solche Naivität Deutschland zuzumuten, sollten nicht einmal die „Daily Mail" und der „Temps" den Mut Habens! V. In den ersten Augusitagen hielt die deutsche Regierung nach außen noch, wie die oben zitierte Rede des Reichskanzlers vom *) Die englische Auffassung über Notstand und Notwehr ergibt flch klassisch ans der berüchtigten Überrumpelung Kopenhagens im Jahre 1807. Diese geschah, weil man englischerseits besorgte (!), die dänische Macht könnte flch vielleicht (1) auf Napoleons Seite stellen, Wellington sprach damals die historischen Wort«: „Great Britain had only put into exercise that law of selfpreservation, that needed no learned and intricate disquisitions to justifyl“ Das genügte für

England, um mitten im Frieden die dänische Hauptstadt in Brand zu schießen, 300 Häuser einzuäschern und die ganze dänische Flotte wegzuschleppen! Nur weil Dänemark nicht die Neutralität brach! Und heute dieser englische Neutralitäts, fanatisrnus, obwohl der Grund für Deutschland gegen Belgien ein hundertfach stärkerer war! (Siehe unten auch den jetzigen Rechtsstandpunkt Englands sowie Seite 42 Anm. i.)

38 4« August anzeigt, an der Annahme fest, daß der belgischen Regierung ein französischer Durchbruch durch Belgien nach Deutschland uner­ wünscht sei. In der Anweisung, die der Reichskanzler dem deutschen Gesandten in Brüssel am 2. August erteilte, spricht er die Besorgnis aus, daß Belgien trotz besten Willens nicht imstande sein werde, ohne Hilfe den französischen Vormarsch mit Erfolg abzuwehren. Deutschland müsse deshalb dem französischen Angriffe zuvorkommen. Nach -em jetzigen Stande der Dinge ist es offenbar, daß Belgien keineswegs »besten Willens" war. Der französische Durchbruch nach Deutschland war zwischen Krankreich und Belgien verabredet und durch beidersei­ tige militärische Maßregeln vorbereitet. Das Tatsachen-Beweismaterial in dieser Richtung wächst noch immer. Es wird einem späteren Zeitpunkte vorbehalten sein, das ganze amtliche Material gesammelt vorzulegen*). Nicht bloß vom Standpunkte des Notstandes aus, sondern auch von dem andern Gesichtspunkte aus, den oben die Pandectes beiges vorsehen, ist das Vorgehen Deutschlands gegen Belgien völlig gerechtfertigt und völkerrechtlich einwandfrei. Es ist in der oben zitierten Stelle der Pandectes beiges ausge­ sprochen, daß die eigene Verletzung der Neutralität durch Belgien diese vernichten würde. Das ist völlig einwandftei. Belgien hat die von ihm nach Jlrt VII. des 1839er Vertrages Sah 2 beson­ ders übernommene Verpflichtung, die gleiche Neutralität gegen alle anderen Staaten zu beobachten, schnödestens verletzt. Es hat gemeinschaftlich mit Frankreich und England kriegerische Unterneh­ mungen gegen andere Garantiemächte der Verträge von 1839, gegen Preußen und damit gegen das Deutsche Reich und das ver­ bündete Österreich, vorbereitet. Damit war die Neutralität Belgiens vernichtet. Es hatte keinen Anspruch mehr auf die Vorteile seiner Neutralität. Militärische und politische Tatsachen bilden vollgültigen Beweis da>) Im Herbste (14. Oktober bis 28. November) 1914 wurde eine große Anjahl von gerichtliche« Protokollen der Amtsgerichte Emden, Recklinghausen, Düsseldorf, Köln, Bonn usw. publiziert mit Wahrnehmungen von Augenzeugen über die militärischen Maßnahmen Englands und Frankreichs auf belgischem Boden vor der Kriegserklärung. (Siehe auch unten die Greuelberichte Kap. 13 B, die wertvolles Material auch für die Neutralitätsverletzungsfrage enthalten.) Sehr auffallend war auch bas belgische Ausfuhrverbot vom 30. Juli, von dem in erster

riaie

Getreidesendungen nach Deutschland betroffen wurden (s. engl. Blaubuch

Nr. 122 und belg. Graubuch Nr. 79; Anlage).

39 für. Belgien hat u. a. bereits vor dem 4. August als dem Tage des Ein­ rückers der deutschen Truppen, d. h. in der Zeit vom i.—3. August zahl­ reiche französische MUitärautomoblle durch Belgien gegen die deutsche Grerze fahren, französische Militärflieger über Belgien fliegen lassen, ohne diese Brüche der Neutralität zu verhindern oder dies auch nur ernssich zu versuchen. Es ist weiter durch eine große Anzahl von Zeugen bewirsen, daß bereits am 2. August nachmittags zahlreiche französische Offiziere dienstlich in Brüssel wellten. Das 45. französische In­ fanterieregiment wurde am 30. Juli in Lastautos nach Namur ge­ braßt, wie von einwandfteien französischen Zeugen bestätigt wird. Im belgischen Orte Erqueline standen am 2. August französische Truspen1). (Siehe Französisches Gelbbuch Nr. 146 und 147: Verletzurgen der Grenzen Belgiens und Deutschlands durch französisches Militär am 3. August 1914, konstatiert vom deutschen Botschafter in Piris; fteilich mit Gegenprotest a. a. O. Nr. 146,148 und 149.) Nach eidlichen Aussagen zu Protokoll* deutscher Gerichte waren in Chacleroi Ende Juli starke französische Abteilungen. Nach der „Nordd. Allg. Ztg." bestätigte ein Zeuge, ein deutscher Gasmeister, daß Kerdavain, der Conseiller du departement du Nord amtlich gestand, daß in Maubeuge am I. August 150000 Mann, in Givet ebensoviele waren, um durch Belgien in Deutschland einzufallen. (Onnaing am 1. August, abends 8 Uhr.) Die sorgfältige Bewaffnung des ganzen belgischen Volks mit Militärgewehren zu Franktireurs, die Vorbereitungen zum Widerstände vom ersten Grenzdorfe an zeigen vor allem, daß von langer Hand der ganze Widerstand von oben herab gegen Deutschland organisiert und vorbereitet wurde, gellav wie in Frankreich, wo er seit Jahren offiziell propagiert wurde (s. unten Kap. 13). Es ist auch aus den Aussagen französischer Gefangener weiter bekannt geworden, daß schon Wochen vor Ausbruch des Krieges französische Offiziere in Lüttich und Brüssel amtlich tätig waren. An die belgischen Soldaten wurden vor der Kriegserklärung Bögen mit *) Die „Nord. Allg. Ztg." vom 18. Januar bestätigt auf Grund zeugeneidlicher Aussagen, daß bereits am 24. Juli 1914 (1) etwa )»ei Kompanien franzö­ sischer Infanterie in Erqueline ausstiegen, die von Paris kamen. Zahlreiche eidliche Zeugenaussagen über die belgischen und frantöstsche» Greuel gegen Zivilgefangene bestätigen jetzt die hier vertretene Meinung, daß bereits im Juli alle Dorberei, tungen zu einem gemeinsamen Kampfe gegen Deutschland von Belgien und Frankreich getroffen wurden.

(Siehe unten Kap. 13.)

40 Abbildungen der einzelnen französischen und englischen Truppengat, tungen offiziell verteilt, um die Soldaten zur richtigen Unterscheidung ihrer zukünftigen Bundesgenossen anzulernen. In Maubeuge fand man ein Arsenal mit — englischer Munition, das längst vor der Kriegserklärung angelegt war! Die Ableugnungen von englischer Seite sind angesichts der Enthüllungen über die „Konvention" (f. unten) durchaus unglaubwürdig und durch nichts bewiesen. Frankreich und Belgien hatten schon vor dem Tage, an dem Sir Edward Grey die Garantierung der belgischen Neutralität offiziell als Trumpf gegen Deutschland ausspielen zu können glaubte (i. August) selbst diese Neutralität in aller Form gebrochen. Es hat Belgien durch alle diese Handlungen, von denen von Tag zu Tag mehr der Öffentlichkeit mitgeteilt werden (s. auch im folgenden vor allem Z. VH), die Neutralität auf das schnödeste ge, brochen und damit auch selbst den Vertrag von 1839 zunichte gemacht. VI. Daß Belgien durch sein Verhalten die Stellung als neutrale Macht verwirft hatte, folgt nicht nur aus dem wiederholt zitierten Art. VII, sondern auch aus dem ersten Kapitel des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907 über die Rechte und Pflichten der neuttalen Mächte im Fall eines Landkrieges (Art. 2 und Art. 5 und 17)x), das Deutschland, Belgien und Franfteich ratifiziert haben und das nichts anderes ist als die Kodifikation eines der ältesten und unbestrittensten Grundsätze des Völkerrechts. Es kann sohin von Neutralitätsver, letzung durch Deutschland überhaupt keine Rede sein, und infolge, dessen tritt die Frage, ob ein Notstand gegeben war, überhaupt erst in zweite Linie: Deutschland hat in berechtigter Notwehr gehandelt. Um den unmittelbar bevorstehenden Einbruch feind, licher Truppen in deutsches Land abzuwenden, hatte es kein anderes Derteidigungsmittel als den Gegenstoß und die Besetzung von bel, gischem Gebiet. Gegen den — nach der berechtigten Anschauung der deutschen l) Art. 2 lautet: „Es ist den Kriegführenden untersagt, Truppen .... durch das Gebiet einer neutralen Macht hindurchzuführen." Selbstverständlich fällt darunter auch das Durchlässen von Mllitärautos und Militärfliegern. Art. 5: Eine neutrale Macht darf auf ihrem Gebiet keine der in deo Art. 2—4 bezeichneten Handlungen dulden. Art. 17: Ei» Neutraler kann flch aufseine Neutralität nicht berufen: a) wenn er feindliche Handlungen gegen den Kriegführenden begeht, b) wenn er Handlungen zugunsten eines Kriegführenden begeht, ... Die beiden Eventualitäten find im vorliegenden Falle gegeben.

4i Heeresverwaltung unjweifelhaft vorliegenden — drohenden Einbruch Frankreichs in das neutrale Belgien zumal nach der erfolgten eigenen Neutralitätsverletzung kann natürlich auch nicht die Einwendung erhoben werden, daß als eine feindselige Handlung an sich die Tat­ sache, daß eine neutrale Macht eine Verletzung ihrer Neutralität selbst mit Gewalt zurückweist, nicht angesehen werden kann (Art. io der Landkriegsordnung). Diese Bestimmung setzt voraus, daß der neu­ trale Staat nicht selbst vorher die ihm vertragsmäßig oder sonst ob­ liegende Neutralität gebrochen hat; auf sie kann sich nur der Staat berufen, der streng an seinen Neutralitätspfiichten bis zuletzt fest­ gehalten hat, der auch mit Gewalt die Neturalitätsverletzung eines Dritten, also hier Frankreichs, gewehrt hat. Don alledem ist hier keine Rede. Im Gegenteil: hier hat die Neutralitätsverletzung in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit Frankreich (und wohl auch mit England) stattgefunden, so daß von einer berechtigten Notwehr zu­ gunsten der eigenen Neutralität seitens Belgiens nicht mehr die Rede sein kann. Oder hat Belgien bisher auch nur den Nachweis versucht, daß es mit der völkerrechtlich notwendigen Kriegsgewalt Frank­ reich von den feindseligen Handlungen gegen Deutschland auf belgi­ schem Boden abhielt? Davon wurde niemals etwas bekannt! Es wäre auch nur bei einer Scheinaktion geblieben. Es ist dabei lehrreich, festzustellen, wie die englische Regierung selbst über die Frage der notwendigen Neutralitätsverletzung heute denkt. Die amtliche Ausgabe der Kriegsregeln, die im Auftrage der englischen Regierung (by Order of His Majesty’s Secretary of State for War) von Monel Edmonds und Professor Oppenheim als Führer für die englischen Offiziere (for the guidance of officers of His Ma­ jesty’s Army) gearbeitet und amtlich verlegt ist, sagt in Art. 468 (S. 101) Satz 3: „Sollte aber ein Kriegführender neutrales Gebiet dadurch verletzen, daß er Truppen durch dieses hindurchführt (by marching troops across it) und die neutrale Macht nicht imstande oder nicht willens sein, die Verletzung abzuwehren, dann ist der andere Kriegführende berechtigt, den Feind auf diesem Gebiet anzu­ greifen." (S. v. Liszt in der „Voss. Ztg.") Auch der hervorragendste englische Völkerrechtslehrer Lawrence (prindples of international laws 1910, S. 136) bezeichnete die Besetzung Ägyptens als durch „vitale Interessen Großbritanniens gerechtfertigt". S. 609 sagt er (zitiert bei Strupp 1. c. S. 189 Anm. „extreme necessity will justify a temporary violation of neutral territory“. Ganz ähnlich die anderen

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englischen Dölkerrechtslehrer Hall, Edmonds, Oppenheim (s. die nähern Zitate dort).**) Sobald also die Franzosen die belgische Grenze überschritten hatten, war auch nach englischer Ansicht das Deutsche Reich zweifel­ los berechtigt, seinerseits seine Truppen in Belgien einrücken zu lassen. Das geschah in concreto. Das Reich war gar nicht verpflichtet, diesen Augenblick abzuwarten. Es hat ihn aber trotzdem abgewartet. Als es in den ersten Augusitagen durch die Duldung der Neutralitäts­ verletzung durch Belgien selbst sah, daß den Fliegern, Automobilen, einzelnen Offizieren wie auch größeren Truppenabteilungen un­ mittelbar wohl die französischen Heere folgen würden, hat die deutsche Heeresleitung getan, wozu sie verpflichtet war. Sie hatte das Recht, die Verteidigung zu wählen, die nach ihrer Anschauung erforderlich war, um den unmittelbar bevorstehen­ den drohenden und bereits erfolgten rechtswidrigen Angriff Frank­ reichs abzuwenden. Sie hatte das Recht um so mehr, da die neu­ trale Macht Belgien erwiesenermaßen nicht „imstande und nicht willens war", den ftanzösischen Einfall und Neutralitätsbruch abzu­ wehren, sondern seine Neutralität selbst aufgab. Es war also Deutschland auch nach derAnschauung eng­ lischer, belgischer^) und französischer Autoritäten Völker*) In dem Buche „The Royal Navy, a History from the Earliest Time to the Present“ findet sich folgender Absatz: „Der (englische) Angriff auf Kopenhagen von

1807 (s. oben)

war zweifellos eine weise und jedenfalls notwendige Maßnahme. In Zeiten eines allgemeinen Krieges find schwache, kleine Nationen, die ihre Neu­ tralität selbst nicht wahren und von einer der stärkeren Parteien, die am Krieg betelligt find, als Werkzeug gebraucht werden können, Gefahrquellen für die andere kriegführende Partei.

Und es ist nur klug von dieser Gegenpartei, wenn

fle so bald als möglich die Gelegenheit benutzt, diese Neutralen ihrer Waffen zu berauben (deprivel), die, obgleich in den Händen kleiner und unehrgetziger Staaten verhältnismäßig harmlos, unter der Anleitung großer und angrtffslustiger furcht­ bar werden können." Der Mitherausgeber dieses Buches, Theddy Roosevelt, ist jetzt einer der wildesten „Neutralitäts"-Fanatiker. *) In den bereits oben zitierten Pandectes Beiges 68 finde ich S. 104 Nr. 34 auch folgende bemerkenswerte Stelle über die belgische Neutralitätsanschauung und über das jetzige deutsche Vorgehen: On peut se demander si dans ces deux hypotheses, la Belgique devrait attendre, Parme au bras, Pattaque de son adversaire; s’il ne lui serait pas permis de prendre le devant et d’aller attaquer Pennemi chez lui, alors que les pr6paratifs faits par ce dernier, ne laissent aucun doute sur son intention de nous envahir?

Nous räpondons, que cela lui serait

43

rechtlicher und militärischer Richtung vollberechtigt, so zu handeln, wie die deutsche Heeresleitung dies tat. VII. Für die hier vertretene Auffassung des längst vorbereiteten Angriffs spricht noch gebieterisch eine ganze Reihe von Tatsachen, von denen wir außer den schon erwähnten nur diejenigen hier an­ führen, die von zuverlässigen Zeugen öffentlich und persönlich ver­ treten werden1). permis, car dans le cas indique, l’attaque n’est qu’une forme de la legitime defense. Elle pr£vient l’aggression imminente. C’est la force employ6e pour 6viter le prtjudice irreparable que produirait l’attente. — Ferner über Keutralite de la Belgique ebendort Nr. 20: „Au premier signal de guerre tombe la neutralite“ (S. 98); Nr. 23: „tous les engagements ne tarderaient“; Nr. 22: „conventions, qui ne deviennent d6finitivement obligatoires“; s. auch S. 90 Nr. 137.

*) Dafür spricht u. a. auch die Mitteilung, die wir in der „Deutschen Tages­ zeitung" (Mitte September) 1914 lesen, in der ein Theodor Eduard Zander, der seit 18 Jahren in Merxem ausäsflg war, ein Geflügelzüchter aus Bialla,7'außerordentlich interessante Mitteilungen über das Verlegen von Tausenden von Flatter­ minen — anfangs Juli 1914 — in den Befestigungen von Antwerpen aus eigener Wahrnehmung mitteilt. Aus ihnen geht hervor, daß man zu jener Zeit sich auf den Krieg dort rüstete. Bestätigt wird dies auch durch das Schreiben des Direktors Dr. B. Gaster der deutschen Schule in Antwerpen, der mitteilt, daß schon Mitte Juni alle^ Vor­ kehrungen getroffen wurden, um die Antwerpener Schulen zu Kasernen umzu­ wandeln („Nordd. Mg. Ztg." vom 21. September). Außerordentlich merkwürdig ist der Bericht des Abg. Jouhaux über die Zusammenkunft der Gewerkschaftler Frankreichs, Belgiens und Deutschlands am 25. Juli in Brüssel, wo Jouhaux die Frage stellte: „Was gedenkt Ihr zu tun, um den Krieg zu verhindern, der im Anzuge ist?" Am 25. Juli! Am 1. August abends erfolgte die deutsche Mobilisierung; am 4. August erst das deutsche Ein­ rücken in Belgien. Ein höchst bemerkenswertes Eingeständnis der zwischen Belgien und dem Dreiverband bestehenden engen Beziehungen machte kurz vor Kriegsausbruch der belgische Sozialist L. de Brouckere in der sozialistischen Monatsschrift „Oie Neue Zeit" vom 31. Juli 1914. Indem er über den Sieg der belgischen Klerikalen bei den Wahlen 1912 sich verbreitete und dessen Folgen erörterte, fuhr er fort: „Unsere Feldarmee ist nach den Befehlen der Tripleentente, die sich zur Beschützerin unserer Befestigungen aufgeworfen hat, auf die Stärke von 150 000 Mann gebracht worden. Wenige Tage nach den Wahlen von 1912 gab man nämlich den dringenden Vor­ stellungen Frankreichs, Englands und zweifellos auch Rußlands nach und führte die allgemeine Wehrpflicht ein." Nachdem Brouckere dann darauf hinweist, daß die bisherige Dienstpflicht von 15 Monaten nach dem Urteil von Sachverständigen nicht genüge, schließt er vorahnend: „Morgen wird uns vielleicht England, das nur bei sich den Militärdienst als lästig ansieht, zur Erfüllung unserer Verpflich­ tungen auffordern."

44 Dokumente von größter Wichtigkeit nicht bloß für die Un­ wahrheit der Behauptung, daß die Verletzung der Neutralität Belgiens durch Deutschland der Grund für die Kriegserklärung Englands fei, sondern auch für die Wahrheit der Behauptung, daß England von An­ fang an und seit Jahren auf Kooperation mit Frankreich und Belgien bedacht war und mit dieser rechnete, ja zu dieser entweder vertrags­ mäßig oder durch persönliche Exponierung des maßgebenden englischen Leiters der Auslandspolitik bereits am i. August verpflichtet war, sind folgende Tatsachen und Schriftstücke, die sich ergänjen und bestätigen. Zunächst enthüllte der Ministerpräsident in einer Ansprache ju Cardiff Anfang Oktober, daß England sich bereits 1912 geweigert hätte, seine Neutralität im Fall eines Krieges Deutschland gegenüber zu erllären. Dazu nehme man erstlich die Depesche Sir Edward Greys an Botschafter Goschen vom 1. August 1914. Sie sagt: „Er (der deutsche Botschafter) fragte mich, ob wir uns ver­ pflichten wollten, neutral zu bleiben, falls Deutschland die Zusage gebe, die Neutralität Belgiens zu respettieren. Ich antwortete, daß ich eine solche Zusage nicht geben könne. Wir wären noch frei und erwägten, was zu tun wäre. Unsere Haltung sei stark von der öffent­ lichen Meinung abhängig, und dieser läge die Neutralität Belgiens sehr am Herzen. Ich fügte hinzu, daß ich nicht glaubte, allein auf diese Zusage hin unsere Neutralität in Aussicht stellen zu können. Der Gesandte drang in mich, einen Vorschlag zu formulieren, auf Grund dessen wir neutral bleiben wollen, er gab sogar zu verstehen, daß die Integrität von Frankreich und seiner Kolonien garantiert werden könnte. Ich erwiderte, daß ich verpflichtet sei, jede Neutralitätsverstcherung zu verweigern (!) und daß wir freie Hand behalten müssen" (s. Nr. 106, Nr. 85, 87 Engl. Weiß- bzw. Blaubuch) **). Dazu nehme man die in der „Nordd. Allg. Ztg." vom 4. September 1914 wiedergegebene Darstellung des Botschafters Fürsten Lichnowsky über die Vorgänge vom 1. August, in der es u. a. heißt: „Auf meine Frage, ob er unter der Bedingung, daß wir die belgische Neutralität wahrten, mir eine bestimmte Erklärung über die Neutralität Groß-

Siehe auch die soeben erschienene Broschüre von Dr. RIch. Graßhoff „Belgiens Schuld", zugleich eine Antwort an Prof. Dr. Waxweiler; Georg Reimer Berlin, insbesondere die Zeugenaussage» S. 14—20. *) Der größte rumänische Deutschenhasser Take Zoneseu bestätigte, daß Fürst Lichnowsky wenigstens bis zum 27. Juli fest überzeugt gewesen sei, daß der Friede nicht gestört «erden würde. Noch am 28. habe er ihm geraten, seine Kur in Aixles,Bains fortzusetzen usw.

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britanniens abgeben könne, erwiderte der Minister, das sei ihm nicht möglich (!)"*). Dazu kommt als drittes, daß Sir Edward Grey am 3. August im englischen Unterhause erklärte, er habe dem ftanzösischen Botschafter bereits am Nachmittage des 2. August die vollste Unterstützung der englischen Flotte für den Fall zugesichert, daß die deutsche Flotte gegen die französische Küste oder die französische Schiffahrt vorgehe. Erst in der Nacht vom 3. auf 4. August erfolgte die Verletzung der belgischen Neutralität durch deutsche Truppen. Die deutsche Regierung ging sohin bis zur äußersten Grenze des Zulässigen, wie die Andeutung Greys an Goschen ersehen läßt, um die Neutralität Englands förmlich zu erkaufen. Alles war umsonst! Der beste Beweis dafür, daß der Plan einer Kooperation zwischen den drei Staaten gegen Deutschland offenbar längst gefaßt und vorbereitet war! (Siehe die unten abgedruckten Enthüllungen der deutschen Regierung vom 12. Ottober und 24. November 1914.) VIII. Für die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen aber noch weitere zahlreiche Momente, die zugleich die Anschauung begründen, daß innere politische Schwierigkeiten, vor allem der drohende Bürger­ krieg wegen der Ulster-Frage, es wünschenswert erscheinen ließen, die innere englische Einigung durch Provokation eines großen äußeren Kriegs mit Gewalt herbeizuführen, wie dies in dem „Giornale d'Jtalia" in einem interessanten Interview mit dem Senator Grafen di San Martino offen bestätigt wurde. Sir Edward Grey handelte seinerseits so aus altem Hasse gegen Deutschland; denn seine Politik war stets der Ausfluß der fixen Idee, daß Deutschland das A und o aller Hindernisse für England sei. Lord Churchill war sein getreuer Helfer, das enfant terrible des jetzigen unseligen Ministeriums. In Tourcoing bei Lille in Frankreich ist ein amtliches Aktenstück gefunden worden, ein Maueranschlag, unterzeichnet vom Bürger­ meister Gustave Dron, Mitglied des französischen Senats, er trägt das Datum des i. August 1914. Es ist eine an die Bevölkerung gerichtete Verkündigung anläßlich des Kriegsausbruchs. In diesem Maueranschlag findet sich folgender Satz: „England, unser Freund, denkt nicht daran, die Gewalt Über die Meere und die Oberhand im Welthandel der deutschen Herrschaft abzutreten. Es ist i) Siehe die feierliche wiederholte Erklärung Deutschlands gegenüber Eng, land, daß Belgiens Gebiet unantastbar sei, wenn England neutral bleibe und Frankreich die Neutralität achte; vgl. Weißbuch Nr. 137.

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entschlossen, dem Rüstungswahnfion, der alle großen Nationen zugrunde richtet, ein Ende zu machen."

Diese Kundmachung ist für den Geschichtschreiber wichtig, denn sie beweist, daß England schon vor dem i. August entschlossen war, an der Seite Frankreichs und Rußlands am Kriege teilzunehmen. In der angesehenen amerikanischen, englandfreundlichen Wochen­ schrift „The Nation" finden wir einige interessante Mitteilungen ihres Londoner Berichterstatters I. Ranken Towse. Towse erzählt, daß man seit dem i. August, also drei Tage vor der Kriegserklärung, fieberhafte militärische Vorbereitungen bemerkte, unablässige Truppentransporte zur Küste, Einziehung von Reservisten und Territorialsoldaten, Aushebung von Pferden, Lastwagen und Automobilen. Er schreibt weiter u. a.: „Nunmehr tritt aber zutage, daß die Vorbereitungen für den Krieg seit drei Monaten begonnen waren. Ich weiß bestimmt, daß mehrere Schiffsreserveoffiziere damals schon ihren Schiffen zugetellt wurden, und es wird mir von einer Per­ sönlichkeit, die ich als eine verantwortliche Autorität ansehe, verfichert, daß Lord Kitchener vor einigen Wochen bereits heimlich nach Belgien gereist war, um mit dem belgischen Generalstab über unsere Expeditionsarmee zu verhandeln *) *)." ') Eine Bestätigung dieser jetzt massenhaft zutage kommenden Beweise für die von langer Hand vorbereitete englische Mobtliflerung gibt auch die folgende Mitteilung der „Nordd.Allg. Ztg." vom 28. September: „Das englische Bankhaus Royal Bank of Canada in Antilla auf Kuba hat unter dem 28. Juli (!) an einen seiner kubanischen Geschäftsfreunde ein Schreiben gerichtet, das folgende Stelle enthält: Bezüglich des Umwechselns in Markwährung, um welches Sie uns ersuchen, teilen wir Ihnen mit, daß es uns augenblicklich unmöglich ist. Ihnen Papiergeld in Markwährung zu geben, da wir heute telegraphisch eine Order erhalten haben, auf Grund deren uns die Ausgabe von Giros verboten wird, und zwar ist dies verursacht durch die ungünstige politische Lage in diesen Ländern." In dem zur Aufklärung der Amerikaner berechneten Buche des K. und K. Konsuls Ernest Ladwig in Cleveland (Ohio) über „Austria-Hungary and the War“ wird die angesehene amerikanische Zeitschrift „Saturday Evening Post" als Quelle dafür zitiert, daß schon am 31. Juli eine ganze Anzahl englischer Offiziere aus Garnisonen der pazifischen Küste von New Pork nach England reisten in Befolgung eines dringenden Befehls des englischen Kriegsministeriums. Sie mußten also bereits am 23. oder 24. Juli abreisen. Dasselbe Blatt meldete, daß am 30. Juli das Kaiserliche Telegraphenamt in Tientstn verlautbarte, die Kabel zwischen Schanghai und Tschifu seien außer Betrieb. Don diesem Tage an kamen keine Meldungen aus Berlin mehr an. Aus ostafiatischen Blättern geht hervor, daß England und Japan am 30. Juli kriegsbereit waren. Das englische Geschwader war in Weiheiwei am 26. Juli zusammengezogen, das franzöfische am 1. August in Haiphong. — Siehe auch „Nordd. Allg. Ztg." vom 7.5.15, die die englischen Briefsperren in Honkong bereits in der 2. Hälfte Juli 1914 beweist. 2) Das Jahrbuch der „Daily Mail" für 1915 bestätigt in allen Einzelheiten,

47 IX. Wären die mit den Namen der Zeugen belegten Tatsachen richtig, so wäre das ganze schmähliche Spiel, das Sir Edward Grey vom i. bis 4. August mit den arglosen Vertretern der deutschen Re­ gierung, dem Botschafter Lichnowsky und dem Reichskanzler Bethmann Hollweg, trieb, sonnenllar erwiesen: Ein Spiel mit Vertretern einer Großmacht, das wohl kaum in der Weltgeschichte ein Analogon in Mangel an Wahrhaftigkeit findet **)! Aber Herr Ssasonow und Herr Grey wollen uns ja lehren, daß die „Marinekonvention", die den allrussischen Kriegstreibern ganz den Kopf verdrehte, nur in der Idee des „Berliner Tageblatt und im Monde" vorhanden sei! Nicht leugnen können fie aber, was aus obigen Urkunden') in Übereinstimmung mit dem englischen Blau­ buche hervorgeht, daß Grey innerhalb weniger Tage das eine Mal die Frage der belgischen Neutralität als nicht entscheidend erklärte, das andere Mal gegen das deutsche Versprechen der Achtung dieser Neutralität die englische Neutralität zuzusichern sich weigerte, bis es dann geraten erschien, nach dem Einrücken der Deutschen end­ gültig die Rolle des Rechtsbeschützers zu wählen: Zwei Tage vorher aber hatte Grey bereits die Kriegserklärung perfekt, da er die Bedrohung der französischen Küsten und der französischen Schiff­ fahrt als casus belli erklärte. Ein Schulbeispiel englischer Doppel­ züngigkeit! (Siehe englisches Weißbuch Nr. 123, 126, ftanzösisches Gelbbuch Nr. 144 und 143.)

daß England von allen Staaten (bereits am 27. Juli) mit seiner Flotte am ehesten und völlig kriegsbereit dastand, als man in Deutschland noch nicht an Krieg dachte und keinen Mann und kein Pferd gerüstet hatte (s. z. B. „Freis. Ztg." Nr. 2,1915). Ähnlich eine Notiz des Abg. Erzberger über eine ihm von „absolut zuverlässiger Seite" zugegangene Mitteilung, baß am 2. August bereits unter den Augen der Polizei ein deutscher Dampfer in Antwerpen demoliert und belgische Truppen auf deutsches Gebiet bei Aachen übergetreten seien (im „Tag" vom 7. Oktober 1914.) *) Der letzte am 31. Juli in Antwerpen ausgegebene Wollbericht ist nach verschiedenen Seiten sehr interessant. Ihm ist der Bericht über die Wollbörse in Brisbane (Australien) angeschlossen mit dem Datum vom 21. und 22. Juli. Aus dem Bericht ist die eine Tatsache von besonderem Interesse: „Angesichts der beunruhigenden politischen Gestaltung fehlte es an Kauforbers, während auf der andern Seite Verkäufer nicht zu größeren Konzesflonen geneigt waren. Daher wurde die Hälfte des Angebotes zurückgezogen. Don ausgestellten 11000 Ballen fanden nur 5500 Ballen Abnehmer." Aus diesem Bericht ist zu ersehen, baß man am 22. Juli in Australien bereits Wind von den kommenden Ereignissen hatte. England hatte also seine Hanbelswelt schon von dem bevorstehenden Kriege zu dieser Zeit in Kenntnis gesetzt.

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Wessen man den maßgebenden Leiter der englischen äußeren Politik übrigens in England selbst für fähig hält, geht ja aus dem Manifest der englischen Arbeiterschaft, der „Independent Labour Party“, vom August 1914 hervor. Dort heißt es nach einer un­ widersprochenen Pressewittellung u. a.: „Nicht die serbische Frage oder die belgische Neutralität hat England in diesen schrecklichen Krieg gestürzt. England kämpft nicht für unterdrückte Nationen oder für Belgiens Neutralität. Wenn Frankreich durch Belgien in Deutschland eingedrungen wäre, wer glaubt, daß England dafür an Frankreich den Krieg erklärt hätte? Hinter dem Rücken von Parlament und Volk hat Sir Edward Grey Frank­ reich heimlich Zusagen gemacht. Aber er leugnete das Bestehen dieser Zusagen, als er danach gefragt wurde. Darum steht unser Land jetzt vor einem allgemeinen Ruin und vor der eisernen Notwendigkeit des Krieges. Verträge und Abkommen haben Frankreich gezwungen, sich von dem despoti­ schen Rußland ins Schlepptau nehmen zu lassen, und England wird von Frankreich mitgezogen. Jetzt kommt bas alles ans Licht! Die Männer, die die Verant­ wortlichkeit tragen, müssen jetzt zur Verantwortung gezogen werden. England hat sich jetzt in den Dienst Rußlands gestellt, Rußlands, der reaktionärsten, her korrumpiertesten und der despotischsten Macht Europas. Wenn man Rußland seine territorialen Wünsche befriedigen und seine Kosakenmacht ausbreiten läßt, daun laufen Kultur und Demokratie die ernsteste Gefahr, und dafür hat England also das Schwert gezogen". Ähnlich Keir Hardie und Clifforb Ellen in einer Flug­ schrift, in der er das Bekenntnis des deutschen Reichskanzlers: „Not kennt kein Gebot" für splendid erklärt und England alle Schuld zuweist („Daily Citizen“) *). l) Siehe auch die Darlegungen Prof. Siepers im „Berl. Tagebl." (Januar 1915) über Asquith, Ausruf: „ No war! No war“, die beweisen, daß die Harmsworth-

Presse, Sir Edward Grey und Churchill und die bekannten Botschafter-Hetzer (Sir Bertie, Cambon, BarrLre und Gen.) die englische Nation, das Parlament und das Ministerium(„71ie8e damned treaties have done it all“) in diesen Krieg gehetzt haben. Über Winston Churchill schreibt derselbe genaue Kenner englischer Verhältnisse: Das Gebaren Winston Churchills ist deshalb so widerwärtig, well es im schreienden Gegensatze zu dem früheren Tun und Reden dieses politischen Renegaten steht. Cs war im Mai des Jahres 1906 bei Gelegenheit eines Empfanges in dem so­ genannten Londoner Eighty-Club zu Ehren deutscher Gäste. Don den Trink­ sprüchen galt einer „den beiden Nationen" und Winston Churchill war der Redner. Er begann seinen Toast mit folgenden Worten: „Es gibt Leute, die umhergehen und behaupten, das deutsche und englische Volk haßten einander. Das Geschwätz dieser Leute — meist feuerfressende Redakteure, die ihre dienstpflichtigen Jahre hinter sich haben und ihren billigen Patriotismus im Dally Mall oder der Times fellhalten —- mag von verständigen Leuten belächelt werden, aber ihr täglich sich erneuerndes Gebell sollte verantwortungsvolle Männer doch mahnen, auf der Hut zu sein." Der Redner kam dann auf die wirtschaftliche Rivalität beider Länder zu sprechen: „Hat es jemals einen Handelskrieg gegeben, der auf ein Pfund

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X Auch das ganze fanatische Eingreifen der belgischen Be­ völkerung in den Kampf, die wohlbewaffnet mit Militärgewehren und reichlich versehen mit Munition vom ersten Tage an, ja bereits vor der Kriegserklärung an Rußland und vor dem Kriegsbeginn mit Frankreich und 3—4 Tage vor dem Betreten belgischen Bodens durch deutsche Truppen, mit den feindseligsten Taten gegen deutsche Staatsangehörige begann (s. unten das Kapitel 13 über den Frank­ tireurkrieg usw.), ist ein untrüglicher Beweis dafür, daß von langer Hand der Durchmarsch ftanzösischer und wohl auch englischer Truppen mit Belgien und damit die Preisgabe der Neutralität Belgiens ver­ einbart war. Die unten berichteten schmählichen Greuel in Brüssel, Ant­ werpen und andern Städten Belgiens, vor allem auch die Demo­ lierung der deutschen Schiffe, insbesondere des Lloyddampfers „Gneisenau" durch belgische Gendarmen usw. bereits am 3. August früh 9 Uhr hätten allein vollkommen genügt, um den Einmarsch deutscher Truppen in Belgien vor der ganzen Welt zu rechtfertigen (s. das neue wertvolle Material unten Kapitel 13 B nach eidlichen Aussagen). Bismarck hat bei verhältnismäßig viel geringfügigeren Unfreundlichkeiten im Jahre 1870 in einem geharnischten Schreiben mit dem Einmärsche deutscher Truppen in Belgien gedroht. Er würde bei Kenntnis der Antwerpener Greuel vom 3. und 4. August keinen Moment gezögert haben, die äußersten Konsequenzen zu ziehen. Von einem „Unrecht" auf deutscher Seite kann auch von diesem Gesichtspunkte der Selbstachtung des Deutschen Reichs keine Rede sein! Heute **) weiß alle Welt, daß nicht Vertrags- und Neutralitäts­ treue, sondern Eifersucht und Streben nach der Weltherr­ schaft das Motiv zur Kriegserllärung seitens der englischen Regierung gewesen ist2). Für Freiheit und Recht einzutreten, dazu gäbe Ägypten, ein Zehnerl Dividende gebracht hat? Die erste« Tage «ach der Mobilmachung würden dem Handel eines Landes mehr Schaden zufügen, als selbst durch einen glücklichen Krieg gewonnen würde." Zum Schlüsse hieß es: „Mutter Erde hat Raum genug für «ns alle."(ll) ') Siehe die spanische Zeitung „El Debate" vom 4. Oktober, die Äußerungen des Bischofs Dr. Nuelsen-Zürich in der „Augsburger Abendjtg.", die Ausführungen Houston Stewart Chamberlains in der „Internat. Monatsschr." Jahrg. 9 Heft 1, Dr. Harris Aal im Christianiaer „Dagbladet" usw. *) In der „National Labour Preß" sagt C. H. Norman« (April 1915): Die angebliche Ursache für Englands Kriegsteilnahme, die Verletzung der NentraMüller,Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht, z. Arrfl.

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Indien, Südafrika, Irland und Persien dem britischen Volke viel Ge­ legenheit. Hier handelt es sich einfach um die beabsichtigte Zerstörung des deutschen Handels, der deutschen Industrie und der drohenden deutschen Seegeltung. Und Belgien? Es verdankt seinen Ruin der englischen Politik, die es blendete. Als diese Versuchung herantrat, hätte es entweder auf der strengen Einhaltung seiner Neutralität bestehen oder, vor aller Welt seine natürliche Bewegungsfreiheit zurückfordern oder erklären müssen, daß es außerstande sei, gegenüber großen Mächten seine Neu­ tralität durchzusetzen, daß es daher vom Vertrage von 1839 zurückzu­ treten gezwungen sei. Auf die eine oder andere Art eine klare Sachlage zu schaffen, wäre es sich selbst und den Garantiemächten schuldig ge­ wesen. Belgien hat aber den ersten Weg, auf dem es dem glänzenden Beispiel der ihre Neutralität mit Würde und ganz aus eigener Kraft wahrenden schweizerischen Eidgenossenschaft sowie Hollands, das sogar mit schweren Kriminalstrafen gegen jede Neutralitätsverletzung gegen seine Bürger vorging, hätte folgen können, nicht eingeschlagen, und es hat auch nicht versucht, von den Verträgen von 1839 sich freizumachen. „Es hat den schlimmsten Weg gewählt und unter der Maske der Neu­ tralität mit dem Dreiverband gemeinsame Sache gemacht" (Mltner a» a» 0.). Nur Unwissenheit oder Verleumdung kann nach alle­ dem das deutsche Volk des Völkerrechtsbruchs bezichtigen (s. auch ,,©. Jur.-Ztg." 1915 Nr. 5/6 S. 228). Deutsche Staats­ männer und deutsche Heerführer hätten vor der Geschichte der gröbsten Pflichtverletzung sich schuldig gemacht, wenn sie nicht den geschilderten Verhältnissen entsprechende Rechnung getragen hätten. Deutschland war aber auch, wie im vorstehenden klar bewiesen ist, durch den Bruch des Neutralitätsvertrags durch Belgien selbst völker­ rechtlich berechtigt, Belgien zur Basis seiner kriegerischen Opera­ tionen zu wählen und das Land bei Widerstand selbst mit Krieg zu überziehen. Das Deutsche Reich hat endlich alles getan, um auch nach diesen völkerrechtlich gebotenen Zwangshandlungen die Unverletzlichkeit lität Belgiens, ist ein Scheingruod. Der wirkliche Grund war der Wunsch Englands, die deutschen Fortschritt« tu vernichten.... Grey ist der Alleinherrscher Großbritan­ niens.... Das Parlament hat keine Kontrolle gegenüber der von Kriegslust an­ gesteckten Regierung ausgeübt.... Die Handlungen dieser werden eine furchtbare Vergeltung finden."

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der belgischen Souveränität und des belgischen Territoriums ju garan­ tieren und wiederherzustellen, sobald der „Notstand" zurücktrat. Hätte Belgien, wenn auch gezwungen, dieselbe Haltung wie das Großherzogtum Luxemburg eingenommen *), so wären ihm die Schrecknisse des modernen Krieges erspart geblieben, und es hätte sich so wenig wie dieses über irgendwelche ernstliche Schädigungen oder angebliche weitere Dölkerrechtswidrigkeiten zu beklagen gehabt. Das zeigt die strenge Schonung Hollands durch Deutschland. Da es aber in völliger Verkennung seiner völkerrechtlichen Stellung wohlvor­ bereitet, einseitig und heimtückisch Partei zugunsten des Dreiver­ bands nahm, muß es alle Folgen seiner rechtswidrigen und törichten Stellungnahme tragen: Es hat sich dem Verlangen Englands ent­ sprechend, um mit Lord Durleygs zu sprechen, zur „Kontereskarpe für Euerer Majestät Königreich" gemacht („Morning Post"), es muß als englischer Brückenkopf behandelt werden! A. Die Enthüllungen der „Norddeutschen Allgemeinen Fettung" vom 12. Oktober.

Die obigen Ausführungen fanden in ihrer Gesamtheit eine geradezu klassische Bestätigung durch die Enthüllungen der deutschen Regierung über die Vorgeschichte des Bündnisses zwischen Belgien, Frankreich und England, die die „Nordd. Allg. Ztg." am 12. Oktober veröffentlichte. Sie lauten wörtlich: Durch Me eigene» Erklärungen Sir Edward Greys ist die Behauptung der englischen Regierung bereits als unhaltbar erwiesen, daß die Verletzung der folgt* schen Neutralität durch Deutschland da- Eingreifen Englands in den gegenwärtigen Krieg veranlaßt hat. Das Pathos sittlicher Entrüstung, mit dem der deutsche Ein, marsch in Belgien von englischer Seite zur Stimmungsmache gegen Deutschland bei den Neutralen verwertet worden ist, findet eine neue und eigenartige Be, leuchtung durch gewisse Dokumente, die die deutsche Heeresverwaltung in den Archiven des belgischen Generalstabs in Brüssel aufgefunden hat. Aus dem Inhalt einer Mappe, welche die Ausschrift trägt: „Intervention anglaise en Belgique“, geht hervor, daß schon im Jahre 1906 die Entsendung eines englischen Expeditionskorps nach Belgien für den Fall eines deutsch,fran, tösischen Krieges in Aussicht genommen war. Nach einem vorgefundenen Schreiben an den belgischen Kriegsminister vom 10. April 1906 hat der Chef des belgischen *) Siehe über dieses: Engl. Weißbuch Nr. 129 (Ankündigung von Deutsch, lands Besetzung), folg. Graubuch Nr. 18 u. 132 Gelbbuch. Es ist charakteristisch, daß einer der größten sozialdemokratischen Chauvinisten, der belgische Minister Dan der Velde, ganz offen die Annektion Luxemburgs pro, klamiert.

52 Generalstabs mit dem damaligen englischen Militärattache in Brüssel Oberst, leutnant Barnardiston auf dessen Anregung in wiederholten Beratungen einen eingehenden Plan für gemeinsame Operationen eines englischen Expeditions­ korps von iooooo Mann mit der belgischen Armee gegen Deutschland ausgearbeitet. Der Plan fand die Billigung des Chefs des englischen Generalstabs General­ majors Grterson. Dem belgischen Generalstab wurden alle Angaben über Stärke und Gliederung der englischen TruppenteUe, über die Zusammensetzung des Ex­ peditionskorps, die Ausschiffungspunkte, eine genaue Zeitberechnung für den Ab­ transport und dergleichen geliefert. Auf Grund dieser Nachrichten hat der belgische Generalstab den Transport der englischen Truppen in das belgische Aufmarsch­ gebiet, ihre Unterbringung und Ernährung dort eingehend vorbereitet. Bis in alle Einzelheiten ist daö Zusammenwirken sorgfältig ausgearbeitet worden. So sollten der englischen Armee eine große Anzahl Dolmetscher und belgische Gendarmen zur Verfügung gestellt und die nötigen Karten geliefert werden.

Selbst an die Ver­

sorgung englischer Verwundeter war bereits gedacht worben. Dünkirchen, Calais und Boulogne waren als Ausschiffungspunkte für die englischen Truppen vorgesehen. Von hier aus sollten sie mit belgischem Eisenbahn­ material in das Aufmarschgebiet gebracht werden.

Die beabsichtigte Ausladung

in französischen Häfen und der Transport durch französisches Gebiet beweist, daß den englisch-belgischen Vereinbarungen solche mit dem französischen Generalstab vorausgegangen waren. Die drei Mächte haben die Pläne für ein Zusammen­ arbeiten der „verbündeten Armeen", wie es im Schriftstück heißt, genau festgelegt. Dafür spricht auch, daß in den Geheimakten eine Karte des französischen Aufmarsches vorgefunden worden ist. Das erwähnte Schreiben enthält einige Bemerkungen von besonderem Inter­ esse. Es heißt dort an einer Stelle, Oberstleutnant Barnardiston habe bemerkt, daß man zurzeit auf die Unterstützung Hollands nicht rechnen könne. Er habe ferner vertraulich mitgeteilt, daß die englische Regierung die Absicht habe, die Basis für den englischen Verpflegungsnachschub nach Antwerpen zu verlegen, sobald die Nordsee von allen deutschen Kriegsschiffen gesäubert sei. Des weiteren regte der englische Militärattache die Einrichtung eines belgischen Spionagedienstes in der Rhetnprovinz an. Das vorgefundene mllitärische Material erfährt eine wertvolle Ergänzung durch einen ebenfalls bei den Geheimpapieren befindlichen Bericht des langjährigen belgischen Gesandten in Berlin Baron Greindl an den belgischen Minister des Äußern, in dem mit großem Scharfsinn die dem englischen Angebot zugrunde liegenden Hintergedanken enthüllt werden und in dem der Gesandte auf das Be­ denkliche der Situation hinweist, in die sich Belgien durch eine einseitige Partei­ nahme zugunsten der Ententemächte begeben habe.

In dem sehr ausführlichen

Bericht, der vom 23. Dezember 1911 datiert ist und dessen vollständige Veröffent­ lichung vorbehalten bleibt, führt Baron Greindl aus, der ihm mitgeteilte Plan des belgischen Generalstabs für die Verteidigung der belgischen Neutralität in einem deutsch-französischen Kriege beschäftige sich nur mit der Frage, was für mllitärische Maßnahmen für den Fall zu ergreifen seien, daß Deutschland die belgische Neutralität verletze.

Die Hypothese eines französischen Angriffs auf

Deutschland durch Belgien habe aber gerade so viel Wahrscheinlichkeit für sich. Der Gesandte führt dann wörtlich folgendes aus:

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„Von der französischen Seite her droht die Gefahr nicht nur im Süden von Luxemburg. Sie bedroht uns auf unserer ganzen gemeinsamen Grenze. Für diese Behauptung sind wir nicht nur auf Mutmaßungen angewiesen. Wir haben dafür positive Anhaltspunkte. Der Gedanke einer Umfassungsbewegung von Norden her gehört zweifellos zu den Kombinationen der Entente cordiale. Wenn das nicht der Fall wäre, so hätte der Plan, Vlisflngen zu befestigen, nicht ein solches Geschrei in Paris und London hervorgerufen. Man hat dort den Grund gar nicht verheimlicht, aus dem man wünscht, daß die Schelde ohne Verteidigung bliebe. Man verfolgte dabei den Zweck, unbehindert eine englische Garnison nach Antwerpen überführen zu können, also den Zweck, sich bei uns eine Operationsbasis für eine Offensive in der Richtung auf den Niederrhetn und Westfalen zu schaffen und uns dann mit fort, zureißen, was nicht schwer gewesen wäre. Denn nach Preisgabe unseres nationalen Zufluchtsortes hätten wir durch unsere eigene Schuld uns jeder Möglichkeit begeben, den Forderungen unserer zweifelhaften Beschützer Widerstand zu leisten, nachdem wir so unklug gewesen wären, sie dort zuzulassen. Die ebenso perfiden wie naiven Er­ öffnungen des Obersten Barnardiston zur Zeit des Abschlusses der Entente cordiale haben uns deutlich gezeigt, um was es sich handelte. Als es sich herausstellte, daß wir uns durch die angeblich drohende Gefahr einer Schließung der Schelde nicht einschüchtern ließen, wurde der Plan zwar nicht aufgegeben, aber dahin abgeändert, daß die englische Hilfsarmee nicht an der belgischen Küste, sondern in den Nächst­ liegenden französischen Häfen gelandet werden sollte. Hierfür zeugen auch die Ent­ hüllungen des Kapitäns Faber, die ebensowenig dementiert worden sind wie die Nachrichten der Zeitungen, durch die sie bestätigt oder in einzelnen Punkten ergänzt worden sind. Diese in Calais und Dünkirchen gelandete englische Armee würde nicht an unserer Grenze entlang nach Longwy marschieren, um Deutschland zu er­ reichen. Sie würde sofort bei uns von Nordwesten her eindringen. Das würde ihr den Vorteil verschaffen, sofort in Aktion treten zu können, die belgische Armee in einer Gegend zu treffen, in der wir uns auf keine Festung stützen können, falls wir eine Schlacht riskieren wollen. Es würde ihr ermöglichen, an Ressourcen aller Art reiche Provinzen zu besetzen, auf alle Fälle aber unsere Mobilmachung zu be­ hindern oder sie nur zuzulassen, nachdem wir uns formell verpflichtet hätten, die Mobilmachung nur zum Vorteil Englands und seines Bundesgenossen durchzu­ führen. Es ist dringend geboten, im voraus einen Schlachtplan für die belgische Armee auch für diese Eventualität aufzustellen. Das gebietet sowohl das Interesse an unserer militärischen Verteidigung als auch die Führung unserer auswärtigen Politik im Falle eines Krieges zwischen Deutschland und Frankreich." Diese Ausführungen von vorurtellsfreier Seite stellen in überzeugender Weise die Tatsache fest, daß dasselbe England, das sich jetzt als Schirmherr der belgischen Neutralität gebärdet, Belgien zu einer einseitigen Parteinahme zu­ gunsten der Ententemächte bestimmt und daß es zu einem Zeitpunkte sogar au eine Verletzung der holländischen Neutralität gedacht hat. Des weiteren erhellt daraus, daß die belgische Regierung, indem sie den englischen Einflüsterungen Gehör schenkte, sich eine schwere Verletzung der ihr als neutraler Macht obliegenden Pflichten hat zuschulden kommen lassen. Die Erfüllung dieser Pflichten hätte eS

54 erheischt, baß die belgische Regierung in ihren Derteidigungsplänen auch die Der, letzung der belgischen Neutralität durch Frankreich vorgesehen und daß sie für diesen Fall analoge Vereinbarungen mit Dentschlaab getroffen hätte, wie mit Frankreich «nd England. Die aufgefundenen Schriftstücke bllden einen dokumentarische« Beweis für die de» maßgebenden deutschen Stellen lange vor Kriegsausbruch bekannte Tatsache der belgischen Konnivenz mit den Ententemächten. Sie biene» als eine Rechtfertigung für unser militärisches Vorgehen und als eine Bestätigung der der deutsche» Heeresleitung i«gegange»en Informationen über die franjösi, schen Absichten. Sie mögen dem belgischen Volke die Augen darüber öffnen, teern es die Katastrophe zu verdanken hat, die jetzt über das unglückliche Land herein, gebrochen iß1). Leider halfen die Warnungen des Baron Greindl nichts! Der junge König kam völlig in das Schlepptau des Dreiverbandes — und damit war sein und Belgiens Schicksal besiegelt! Die Vorbereitungen dazu waren ja frellich, wie man aus diesen Enthüllungen ersieht, bereits zu Lebzeiten seines Vorgängers bis aufs Kleinste getroffen. Ob dieser mit seiner welterfahrenen Klugheit zuletzt nicht doch eine abwartende Neutralitätsstellung eingenommen hätte? Und die Antwort Englands auf diese die ganze Welt ver, blüffenden Enthüllungen? Ein amtlicher englischer „Waschzettel" spricht außerordentlich verlegen von „akademischen Besprechungen über etwa erforderliche englische Hilfe für Belgien"2). Bernhard Shaw sagt, daß *) Einen köstlich naive« Streich als Antwort auf die obige „große Ent, hüllung" leistete sich der „Temps", indem er entdeckte, baß Deutschland bereits den Felbzugsplan gegen die — Schweiz aufgestellt habe. Es ergab sich, daß e- sich um eine» beim Konflikt in der Neuenburger Frage im Jahre 1856 vom Prinzen Friedrich Karl ausgearbeitete» Vperationsplan handelte, der längst im Anhange des I. Bandes von Wolfgang Försters Werk, betitelt „Prinz Friedrich Karl", im Jahre 1910 veröffentlicht worden war. *) Die „Nordd. Allg. Zig." brachte am 6. November 1914 ein Faksimile «Ines mit dem Stempel der englischen Gesandtschaft in Brüssel versehenen Form«, lars, das folgenden Text hatte: E. M. de Varm6e anglaise,.. je soussign6 Dale Long, Attache ä I. E. M. röquisitionne ... 1914.

Die „Nordd. Allg. Ztg." bemerkt dazu: Don dem oben abgedruckten Formular wurde ein ganzes Paket in der Schreibstube der englischen Spionagezentrale in Brüssel aufgefunden. Scho« lange vor dem Kriege war bekannt geworben, daß «ln gewisser Dale Long in Brüssel wohnte und Spionage gegen Deutschland und für England trieb. Es war auch gelungen, eine ganze Reihe seiner Agenten dem Richter zuzuführen. Indessen konnte nicht sicher festgestellt «erde», baß Dale Long zum englischen Generalstab gehörte. Aus dem aufgefundenen Formular geht aber hervor, baß Dale Long im Kriegsfalle zum englischen Generalstab treten sollte, und daß er als Mitglied des englischen Heeres in Belgien berechtigt war, Requisitionen zu stelle», daß diese Berechtigung durch di« englische Gesandtschaft in Brüssel be,

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sich das mattgesetzte Foreign Office darauf beschränkte, „einige Straßen­ jungen zu dingen, die dem Reichskanzler die Zunge herausstreckten". Dieser klägliche Versuch der Abschwächung der Wirkung der Enthül­ lungen vom i2. Oktober spricht für sich allein, um die unaufrichtige Politik Englands zu kennzeichnen x). Akademische Rekriminationen kommen freilich jetzt zu spät, sind gegenüber englischer Politik auch weniger als wertlos. Nur die Tat kann und soll hier sprechen. Sie allein imponiert den über­ mütigen Herren und macht sie in ihrer Politik des nackten Egoismus zu jeder Handlung auch gegenüber ihren Bundesgenossen fähig. Den „Times" .aber kann man dankbar sein, daß sie bereits am i2. Oktober ausführten, daß die Neutralität „ein verhängnisvolles Geschenk an Belgien war", und daß die englischen und belgischen Stäbe (NB. nicht nur 1906 und 1911, sondern 1914) „militärische Vorberei­ tungen nur unter Verletzung der belgischen Neutralität verabreden konnten". Daß tatsächlich geheime Verhandlungen gepflogen und Verabredungen getroffen wurden, und diese allein entscheidend waren für die Begehung des schließlichen Neutralitätsbruchs Belgiens, glauben wir durch vorstehende Ausführungen ebenso bewiesen zu haben wie die Tatsache, daß Notstand und Notwehr zu gleicher Zeit das Deutsche Reich zwangen, sso zu handeln, wie es vor Gott und seinem guten Rechte, auch gemäß dem internationalen Völkerrechte handeln konnte und handeln mußte2). scheinigt worden ist, wie der Stempel beweist. — Das Vorhandensein eines ganzen Stoßes «nansgefüllter Formolare dieser Art beweist ferner völlig iweifelsfret, daß es sich hier um eine Mobilmachungsmaßregel handelt, die ohne Zustimmung der belgischen Regierung gar nicht denkbar ist. Selbstverständlich stammen diese Formulare aus der Zeit vor Beginn der Feindseligkeiten und der Kriegserklärung Englands. Sie bllden also ein neues Beweisglied für die Behauptung, daß von langer Hand das Zusammenarbeiten der englischen und belgischen Truppen vorbereitet war. *) Oie Wirkung der Veröffentlichung der deutschen Regierung war nicht unbedeutend, wie Äußerungen der auswärtigen Presse bewiesen. Ich verweise hier u. a. auf einen Artikel des „Nieuwe Courant" von Ende Oktober und «inen besonders interessanten Artikel der „Neuen Züricher Nachrichten" aus derselben Zeit, „Belgiens Abfall von der Neutralität", der ausspricht und beweist, daß „die Neutralität Belgiens 1906 von einem Komplott stranguliert worbe» sei" und von einem „Ekel vor englischer Slaatskunst" spricht, „die sich junt Ritter der Neutralität aufgeworfen habe". Den Beweis erbrachte der Neutralitätsbruch englischer Flieger am 21. November 1914. s) Wie England und seine große Presse über die Neutralität kleiner Staaten überhaupt denkt, d. h. mit welchem Mangel an Achtung die „perfida gens Bri-

56 B. Die Enthüllungen üer „Nor-üeutschen Allgemeinen Zeitung" vom 24. November 1914.

Noch viel drastischer als die Veröffentlichung vom 12. Oktober zeigt die gerade bei Abschluß der 1. Auflage dieses Buches von der deutschen Reichsregierung herausgegebene neue Enthüllung das ganze einseitige und falsche Spiel Englands und Belgiens, um das letztere als Operationsfeld gegen Deutschland zu verwenden. Die „Nordd. Allg. Ztg." vom 24. November 1914 schreibt nach einer Polemik gegen die Antworten der belgischen und englischen Re­ gierung auf die Veröffentlichung vom 12. Oktober und in näherer Ausführung dieser Erklärung u. a. folgendes: • „wie die vorstehend skizzierten Erklärungen erkennen lassen, hat die englische Regierung von vornherein daraus verzichtet, die Feststellungen der Kaiserlichen Regierung (vom 12. Oktober) zu bestreiten. Sie hat stch aus einen versuch beschränkt, ste zu beschönigen. Sie mag stch wohl gesagt haben, daß bei der erdrückenden Fülle des vorhandenen Veweismaterials eine )1bleugnung der Tat­ sachen zwecklos und bedenklich sein würde. Die inzwischen erfolgte Aufdeckung eines englisch-belgischen militärischen Nachrichtendienstes und das Auffinden der von den amtlichen englischen Stellen hergestellten Kriegskarten von Belgien erweisen erneut, eine wie eingehende militärische Vorbereitung der englisch-belgische Kriegsplan gegen Deutschland erfahren hatte. Cs folgt im Faksimile der Wortlaut des im Konzept aufgefundenen Berichts des Generals Ducarmd an den belgischen Kriegsminister vom io. April 1906, der der belgischen Regierung schwerlich unbekannt sein kann, da der belgische Gesandte in Berlin, Baron Gretnbl, in seinem Berichte vom 23. Dezember 1911 auf seinen Inhalt ausdrücklich Bezug genommen hat. Sollte der belgischen Regierung aber die Cr-

tonum" diese Neutralität behandelt, dafür gab das holländische „Allgemeen Handelsblad" einen drastischen Beweis, indem es fich scharf gegen einen Artikel in der „Saturday Review" wandte, der vorschlägt, England solle Zeeland während des Krieges pachten oder kaufen und den Belgiern geben. Dies müsse die künftige Grenze Hollands sein, wenn wieder die Rede vom Frieden sei. Das Handelsblad lenkt die Aufmerksamkeit des britischen Gesandten im Haag auf die schändliche Beleidigung eines neutralen Landes, das ehrlich bemüht sei, seine Pflicht gegen alle Nachbarn zu tun, an seiner Neutralität zu eigenen großen Verlusten mit aller Macht festhält und den britischen Schiffbrüchigen und Inter­ nierten ficher keinen Grund zu Klagen über Hollands Neutralität gibt. Das Blatt wendet sich dann gegen die Stelle des Artikels der „Saturday Review", daß in Kriegszeiten das Recht dem Kriegsrecht weichen müsse, das das Recht des Stärkeren sei, und sagt: „Wenn Wochenschriften wie „Saturday Review" so als roheste Mllitaristen schreiben, entsteht die Besorgnis, daß die Achtung vor dem Völkerrecht bereits mehr als erschüttert ist."

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innerung daran geschwunden fei», so dürsten ihre Zweifel über die in den Unser# Haltungen des Generals Ducarme mit dem Oberstleutnant Barnardiston 6e# handelten Themata durch den nachstehenden Wortlaut des Berichts gehoben werden, der in einem Umschlag mit der Aufschrift „Convention anglo-belge“ im belgischen Kriegsministerium aufbewahrt wurde. Der Bericht des General« durarmt lautet in deutscher Übersetzung: „Brief an den Herrn Minister über die vertrau# lichen Unterhaltungen." Der Bericht enthält u. a. folgende Sätze: Oberstleutnant Barnardiston machte mir Mitteilung von den Besorgnissen des Generalstabs seines Landes hinsichtlich der allgemeinen politischen Lage und «egen der Möglichkeit des alsbaldigen Kriegsausbruchs. Eine Truppensendung von im ganzen ungefähr xoo ooo Mann sei für den Fall vorgesehen, daß Belgien angegriffen würde. Der Oberstleutnant fragte mich, wie eine solche Maßregel von uns ausgelegt werben würde. Ich antwortete, daß vom mllitärischen Gesichtspunkt es nur günstig sein könpe, aber baß diese Jnterventionsstage ebensosehr die politi# scheu Behörden angehe und daß es meine Pflicht sei, davon alsbald dem Kriegs# minister Mittellung zu machen. Barnardiston fuhr fort: Die Landung der eng# lischen Truppen würde an der französischen Küste stattfinden in der Gegend von Dünkirchen und Calais, und zwar würbe die Truppenbewegung möglichst be# schleunigt «erden. Die Landung in Antwerpen würbe viel mehr Zeit erfordern, well man größere Transportschiffe brauche und anderseits die Sicherheit weniger groß fei. Nachdem man über diesen Punkt einig sei, blieben noch verschiedene andere Fragen zu regeln, nämlich die Eisenbahntransporte, die Frage der Requisitionen, die die englische Armee machen könnte, die Frage des Oberbefehls der verbündeten Streitkräste. Er erkundigte sich, ob unsere Vorkehrungen genügten, um die Der# teidigung des Landes und «ährend der Überfahrt die Transporte der englischen Truppen — eine Zeit, die er auf etwa io Tage schätzte — sicherzustellen. Ich ant# «ortete, daß die Plätze Namur und Lüttich mit einem Handstreich nicht zu nehmen und unsere xoo ooo Mann starke Feldarmee in 4 Tagen imstande sein würde, einzugreifen. Nachdem Barnardiston seine volle Genugtuung über meine Erklärungen ausgesprochen hatte, betonte er: 1. daß unser Abkommen absolut vertraulich sein sollte; 2. daß es seine Regierung nicht binden sollte; 3. daß sein Gesandter, der englische Generalstab, er und ich allein über die Angelegenheit unterrichtet ist; 4. er nicht wisse, ob man die Meinung seines Souveräns vorher eingeholt hat. In einer folgenden Unterredung kam Barnardiston auf die Frage der Ef# fektivstärke unserer Feldarmee zurück und bestand darauf, daß mau keine Detache# ments nach Namur und Lüttich abzweigen sollte, denn diese Plätze hätten genügende Garnisonen. Er bat mich, meine Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit zu richten, der englischen Armee zu gestatten, an den Vergünstigungen teilzuhaben, die das Reglement über die Kriegsleistungen vorsehe. Endlich bestand er auf der Frage des Oberbefehls.

58 Bei einer andern Unterhaltung prüften Oberstleutnant Barnardiston und ich die kombinierten Operationen für den Fall eines deutschen Angriffs auf Ant­ werpen und unter Annahme eines Durchmarsches durch unser Land, um die fran­ zösischen Ardennen zu erreichen. In der Frage erklärte mir der Oberst sein Ein­ verständnis mit dem Plane, den ich ihm vorlegte, und versicherte mich der Zu­ stimmung des Generals Graerson, des Chefs des englischen Generalstabs. Andere Fragen von untergeordneter Bedeutung wurden ebenfalls geregelt, besonders hin­ sichtlich der Spezialoffiziere, der Dolmetscher, der Gendarmen, der Karten, der Uniformabbildungen, von ins Englische zu übersetzenden Sonderabzügen einiger belgischer Reglements, eines Reglements für Verzollungskosten und für englische Proviantsendungen, der Unterbringung der Verwundeten der verbündeten Heere usw. Es wurde nichts vereinbart über eine Einwirkung der Regierung oder der Mllitärbehörden auf die Presse. Im Laufe der Unterhaltung hatte ich Gelegenheit, den englischen Militär­ attache zu überzeugen, daß wir willens sind, soweit als möglich die Bewegungen des Feindes zu hemmen und uns nicht gleich von Anfang an nach Antwerpen zu flüchten. Seinerseits teilte mir Barnardiston mit, daß er. zurzeit auf eine Unter­ stützung oder Intervention Hollands wenig Hoffnung setze. Er teilte zugleich mit, daß seine Regierung beabsichtige, die englische Derpflegungsbafls von der fran­ zösischen Küste nach Antwerpen zu verlegen, sobald die Nordsee von allen deutschen Schiffen gesäubert sei. Bei allen unseren Unterhaltungen sehte mich der Oberst regelmäßig von den vertraulichen Nachrichten in Kenntnis, die er über die militärischen Ver­ hältnisse bei unseren östlichen Nachbarn erhalten hatte (!). Gleichzeitig betonte er, daß für Belgien gebieterisch die Notwendigkeit vorliege, sich dauernd darüber unter­ richtet zu halten, waS in dem uns benachbarten Rheinland vorgehe. x) Diesem Bericht deS belgischen Generalstabschefs ist folgende Notiz angehängt: Als ich den General Gierson während der Manöver 1906 traf, versicherte er mir, daß die Reorganisation der englischen Armee den Erfolg herbeiführe, daß nicht nur die Landung von 150 000 Mann gesichert sei, sondern daß hierdurch auch eine Aktion des Heeres in einer kürzeren Zeit gewährleistet werde, als im vorstehenden angenommen wurde. Auf dem Schriftstück findet sich noch der folgende Randvermerk: „Ventile des Anglais en Belgique ne se ferait qu’apres la violation de notre neutralste par rAilemagne.“ Welche Bewandtnis es hiermit hatte, erhellt aus einer im

belgischen Ministerium des Äußern aufgefundenen Aufzeichnung über eine Unter­ redung des Nachfolgers des Oberstleutnants Barnardiston, des englischen Militär­ attaches in Brüssel, Oberstleutnants Bridge, mit dem belgischen Generalstabschef, *) Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt unterm 21. April 1915 amtlich: Blätter­ meldungen zufolge behauptet die „New §)orf World" auf Grund einer angeb­ lichen Äußerung des Königs Albert, dieser habe selbst von den bekannten Besprechun­ gen des Generals Ducarme mit Oberstleutnant. Barnardiston aus dem Jahre 1906 den fremden Militärattaches in Brüssel Mitteilung machen lassen. Gegen­ über dieser Angabe des Neuyorker Blattes stellen wir auf Grund amtlicher Ermittelung fest, daß keinem der seit 1905 in Brüssel tätig gewesenen deutschen Militärattaches eine solche Mitteilung gemacht worden ist.

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General Jungbluth. DaS Schriftstück, das vom 23. April datiert ist, und vermut­ lich aus dem Jahre 1912 stammt, ist von dre Hand des Grafen van der Straaten, Direktor im belgischen Ministerium des Äußern, mit dem Vermerk „Confidentiel“ versehen und lautet in der Übersetzung folgendermaßen: „Vertraulich! Der englische Militärattache hat den Wunsch ausgesprochen, den General Jungbluth zu sehen. Die Herren haben sich am 23. stpril getroffen. Der Oberstleutnant hat dem General gesagt, daß England imstande sei, eine strmee aus den Kontinent zu schicken, die au- sechs Divisionen Infanterie und aus acht Brigaden Kavallerie, insgesamt aus 160000 Mann, bestehe. England habe außerdem alles Not­ wendige, um sein llnselreich zu verteidigen. stlles sei bereit. Die englische Regierung hätte während der letzten Ereignisse unmittelbar eine Landung bei uns vorgenommen, selbst wenn wir keine Hilfe verlangt hätten (!). Der General hat eingewandt, daß dazu unsere Zustimmung notwendig sei. Der Militärattache hat geantwortet, daß er das wisse, aber da wir nicht imstande seien, die Deutschen abzuhalten, durch unser Land zu marschieren, so hätte England seine Gruppen in Belgien aus jeden Zall gelandet. Was den Ort der Landung anlangt, so hat sich der Militärattache darüber nicht deut­ lich ausgesprochen, er hat gesagt, daß die Küste ziemlich lang sei, aber der General weiß, daß Herr Bridges während der Osterfeiertage von Ostende aus täglich Besuche in Zeebrügge gemacht hat. Der General hat hinzugefügt, daß wir übrigens vollkommen in der Lage seien, die Deutschen zu hindern, durch Belgien zu marschieren." Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" bemerkt hierzu: „hier ist es direkt ausgesprochen, daß die englische Regierung die stbsicht hatte, im Solle eines deutsch-französischen Krieges sofort mit ihren Gruppen in Belgien einzurücken, also die belgische Neutralität zu verletzen und gerade da­ zu tun, was sie - als ihr Deutschland in berechtigter Notwehr darin zuvorkam als Vorwand benutzt hat, um Deutschland den Krieg zu erklären. Mit einem beispiellosen Zynismus hat ferner die englische Regierung die Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland dazu verwertet, um in der ganzen Welt gegen uns Stimmung zu machen und sich als den Protektor der kleinen u nd schwachen Mächte aufzuspielen. Was aber die belgische Regierung be­ trifft, so wäre es ihre Pflicht gewesen, nicht nur mit der größten Entschiedenheit die englischen Insinuationen zurückzuweisen, sondern sie mußte auch die übrigen Signatarmächte des Londoner Protokolls von 1839, insbesondere aber die deutsche Regierung, auf die wiederholten englischen Versuche hinweisen, sie zu einer Ver­ letzung der ihr als neutralen Macht obliegenden Pflichten zu verleiten. Die belgische Regierung hat das nicht getan. Sie hat sich zwar berechtigt und verpflichtet gehalten, gegen die ihr angeblich bekannte Absicht eines deutschen Einmarsches in Belgien militärische Abwehrmaßnahmen im Einvernehmen mit dem englischen Generalstab zu treffem. Sie hat aber niemals auch nur den geringsten Versuch gemacht, im Einvernehmen mit der deutschen Regierung oder mit den zuständigen mllitärischen Stellen iin Deutschland Vorkehrungen auch gegen die Eventualität eines französisch-encgltschen Einmarsches in Belgien zu treffen, trotzdem sie von den in dieser Hinsicht bestehenden Absichten der Ententemächte, wie das aufgefundene Material beweist, (genau unterrichtet war.

6o vir belgische Regierung war somit von vornherein entschlossen, sich den Leinten veutschlant« anzuschließen und mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, da e» zu tem verleumöungsspstem unserer Gegner gehört, unbequeme Tat­ sachen einsach abzuleugnen, so hat tie kaiserliche Regierung tie vorstehend er­ wähnten Schriftstücke sakstmiliert der Öffentlichkeit fibergeben und zur Kenntnis der Regierungen der neutralen Staaten bringen lassen.' *) „Convention anglo-belge“ steht mit schwunghafter Schrift auf den Akten. Es ist eine naive Einrede, daß dies alles nur für den Fall eines Einfalles Deutschlands geschehen sollte. Der Wortlaut, ins­ besondere die Bemerkung desenglischen.Militärattaches, widerlegt direkt diese Behauptung. Aber Köhler (,,D. Jur.-Ztg." 1915 S. 34) hat völlig recht: „Ein neutraler Staat kann und darf ohne Verrat solche Vereinbarungen heimlich niemals mit einem der Garantiestaaten gegen den andern abschließen. Verbindlichkeiten mit dem einen bedeuten Feindseligkeiten mit dem andern, es widerspricht der fundamentalsten Vertragstreue und Loyalität, daß Belgien den feindseligen Schleppträger des einen Garanten gegen den andern spielt. Die „Kollektivgarantie" der Neu­ tralität Belgiens war verraten" (s. Köhler „Z. f. Völkerrecht" Bd. 8 Heft 2 S. 36).

C. Die Dokumente und Belege über den belgischen verrat häufen sich; in untrüglicher Weise schaffen sie klassischen Beweis. 1. Am 1. Dezember 1914 veröffentlichte die „Nordd. Allg. Ztg." u. a. folgendes offiziös: „Es mehren sich die Belege dafür, daß England im Verein mit Belgien den Krieg gegen Deutschland nicht nur diplomatisch, sondern auch mllitärisch schon im Frieden aufs äußerste vorbereitet hat. Neuer­ dings erbeuteten unsere Truppen geheime militärische Handbücher über Belgiens Wege und Flüsse, die der englische Generalstab (Belgium road and river reports prepared by general staff war office) heraus­ gegeben hat. Uns liegen vier Bände dieses Handbuchs vor, von denen Band I bereits 1912, Band II 1913, Band in (in zwei Teilen) und Band IV 1914 gedruckt wurden. Sie haben den Aufdruck „Ver-

*) Um dieses hochwichtige Aktenstück tobt noch heute der Kampf. ES ist England ungemein unbequem. Selbst Sir Edward Grey begibt sich ans seiner stolzen Unnahbarkeit heraus: Das W.T.B. widerlegt unterm 28. Januar amtlich die Unwahrheiten der englischen Londoner Presse-Bnrean-Darstellung; s. „Nordd. Allg. Ztg." vom 28. Januar 1915, s. insbesondere auch engl. Weißbuch Nr. 105 mit drei Annexen, insbesondere den Briefwechsel Paul Cambons und Sir Edward Greys vom 22. und 23. November 1912.

6i traulich".

Dies Buch ist Eigentum der britischen Regierung und ist

bestimmt für die perflnliche Information von..., der für die sichere Aufbewahrung des Buches selbst verantwortlich ist. Der Inhalt ist nur berechtigten Personen zu eröffnen. Oie Handbücher enthalten auf Grund militärischer Erkundungen die denkbar genauesten Geländebeschreibungen....So wird z. B. in Band I Seite 130ff. die große Straße Nieuport-Dixmutden-Apres-Menin-Tourcoing-Tournai besprochen.. Wir finden die genauen Entfernungen sowie eingehende Angaben über das ein­ schlägige Wegenetz in bezug auf Steigungen, Brücken, Kreuzungen, Telephon- und Telegraphenstellen, Eisenbahnstationen einschließlich Länge der Plattformen und Rampen, Kleinbahnen, Petroleumtankstellen usw.

Stets wird mitgeteilt, ob die

Bevölkerung ganz oder teilweise Französisch spricht. Als Beispiele werden die taktischen Bemerkungen über Dixmuiden aufSeiteizi dort wörtlich mitgetellt: „Dixmuiden wird von Norden oder Süden schwer zu nehmen sein. Die beste Verteidigungsstellung gegen Süden wäre westlich der Straße und bis zur Straße der Bahndamm, östlich der Straße eine Reihe kleiner Hügel. Westlich der Straße ist das Schußfeld auf 1500 Uard gut, östlich davon ist der Ausblick durch Bäume behindert. Zwei Bataillone würden für die Besetzung aus­ reichen. ..."

Nebenbei bemerkt, werden in der Regel die Kirchtürme als gute

Beobachtungsposten angegeben! In gleich eingehender Weise wird dann der ganze Scheldelauf beschrieben. So bllden die handlichen Bände für den Führer, Generalstabsoffizier und Unter­ führer jeden Grades einen vortrefflichen Wegweiser. Ihnen beigegeben sind 1. eine nach Gemeinden und Dörfern geordnete Einquartierungsübersicht, 2. eine Zu­ sammenstellung von wichtigen Fingerzeigen für Flugzeugführer. Dieses außer­ ordentlich sorgsam und übersichtlich abgefaßte Merkbuch wird durch eine Karte der Landungsplätze ergänzt, trägt die Aufschrift „Geheim" und stammt aus dem Juli 1914. Die militärgeographtschen Handbücher sind nun nicht etwa erst kurz vor oder während des Krieges hergestellt. Das Material dafür wurde vielmehr, wie die Bemerkungen über die einzelnen Abschnitte besagen, seit 1909 durch Einzel­ erkundungen gesammelt.

Oer erste Band wurde dann 1912 gedruckt.

Die Leitfaden beweisen somit eine seit fünf Zähren betriebene eingehende Vorbereitung für einen Zeldzug."

2. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt am 14. Dezember 1914 über Englands Spiel mit der Neutralität Belgiens: Für die englisch-belgische Komplizität haben sich neue, schwerwiegende Schuldbeweise gefunden.

Vor einiger Zeit wurde in Brüssel der englische Legationsrat

Grant-Watson festgenommen, der im englischen Gesandtschaftsgebäude verblieben war, nachdem die Gesandtschaft ihren Sitz nach Antwerpen und später nach Havre verlegt hatte. Oer Genannte wurde nun kürzlich bei dem Versuch ertappt, Schrift­ stücke, die er bei seiner Festnahme unbemerkt aus der Gesandtschaft mitgeführt hatte, verschwinden zu lassen. Oie Prüfung der Schriftstücke ergab, daß es sich um Aktenstücke mit Daten intimster Art über die belgische Mobllmachung und die Ver­ teidigung Antwerpens aus den Jahren 1913/14 handelte. Es befinden sich darunter

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Zirkularerlaffe an die höheren belgischen Kommandostellen mit der fakfimilierten Unterschrift des belgischen Kriegsministers und des belgischen Generalstabschefs und noch eine Aufzeichnung über eine Sitzung der Kommisston für die Derpflegungsbasis Antwerpen vom 27. Mai 1913. Oie Tatsache, daß sich diese Schriftstücke in der englischen Gesandtschaft Btt fanden, zeigt hinreichend, daß die belgische Regierung in mllitärischer Hinsicht keine Geheimnisse vor der englischen Regierung hatte, daß vielmehr beide Re­ gierungen dauernd im engsten mllitärischen Einvernehmen standen. Don besonde­ rem Interesse ist auch eine schriftliche Notiz, die bei den Papieren gefunden wurde, um deren Vernichtung der englische Sekretär besorgt war. Sie lautet (in deutscher Übersetzung) folgendermaßen: 1. Die französischen Offiziere haben Befehl erhalten, am 27. d. M. nachmittags bei ihren Truppentellen sich einzufinden. 2. Am selben Tage hat der Bahnhofsvorstand von Feignies Befehl erhalten, alle verfügbaren gedeckten Wagen zum Zwecke von Truppentransporten in der Richtung auf Mau­ beuge abgehen zu lassen. Mitgeteilt durch die Gendarmerie-Brigade in Frameries. Hierzu ist zu bemerken, daß Feignies eine an der Eisenbahn Maubeuge-Mons, ca. 3 km von der belgischen Grenze gelegene Eisenbahnstation ist; Frameries ist an derselben Bahn in Belgien, 10 km von der belgischen Grenze entfernt. Aus dieser Notiz ist zu entnehmen, daß Frankreich bereits am 27. Juli seine ersten Mobilmachungsmaßnahmen getroffen hat und daß die englische Gesandtschaft von dieser Tatsache belgischerseits sofort Kenntnis erhielt. Wenn es noch weiterer Beweise für die Beziehungen bedürfte, die zwischen England und Belgien bestanden, so bietet das aufgefundene Material in dieser Hinflcht eine wertvolle Ergänzung. Es zeigt erneut, daß Belgien stch seiner Neu­ tralität zugunsten der Entente begeben hatte und daß es ein tätiges Mitglied der Koalition geworden war, die stch zur Bekämpfung des Deutschen Reiches geblldet hatte. Für England aber bedeutete die belgische Neutralität tatsächlich nichts weiter als ein „scrap of Paper“, auf das es stch berief, soweit dies seinen Inter­ essen entsprach, und über das es stch hinwegsetzte, sobald dies seinen Zwecken dienlich erschien. Es ist offenflchtlich, daß die englische Regierung die Verletzung der belgi­ schen Neutralität durch Deutschland nur als Vorwand benutzte, um den Krieg gegen uns vor der Welt und vor dem englischen Volk als gerecht erscheinen zu lassen. Eine „Neutralität", mit der England wirklich „zynisch" verfuhr l Wie die Benutzung Antwerpens in dem Plane zeigt, hätte auch die holländische Neutralität, wenn Deutschland nicht 'zuvorgekommen wäre, für England nichts bedeutet. Holland kann Deutschland dank­ bar sein, daß es nicht das Schicksal Belgiens teilte! Gründlicher wurde wohl die falsche Politik eines Landes noch niemals entlarvt als hier die englische und die belgische. Vollständiges gemeinsames Spionagesystem gegen Deutschland! Ohne förmlichen Vertrags— englische Gewohnheit — eine „Konvention", l) Die merkwürdige Fälschung durch Streichung des richtigen Datums bet der Anlage 3 durch die englische und französische Regierung, eine der merkwürdigsten völkerrechtlichen Handlungen (s. deu Aufsatz der „Deutschen Eiche" Januar 1915),

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wie sie intensiver nicht gedacht werden kann. Vor allem diese Publikation bestätigt alles, was über Notwehr nnd Notstand Deutschlands oben ansgeführt wurde, in gerade­ zu klassischer Weise! Will das neutrale Ausland auch an diesen Dokumenten, von denen Bernard Shaw sagt, daß sie das Londoner Auswärtige Amt völlig schachmatt sehten, zweifeln? Über die Haltung Englands und die wahren Ursachen seiner Kriegserklärung siehe auch unten Kapitel 32; über den schließlichen Zwang des Eintretens in den Krieg und die wahre, von der belgischen Neutralität völlig unabhängige Verpflichtung Eng­ lands und seine Absicht schaffte das englische Weiß- bzw. Dlaubuch Nr. 105 Anlage 1 mit dem grundlegenden Brief Sir Edward Greys vom 22. November 1912 und seine Beantwortung Paul Cambons gewisse Klarheit, ferner ftanzösisches Gelbbuch Nr. 63 und 66 und englisches Weißbuch Nr. 89, Bericht Greys über eine Unterredung mit Lichnowsky vom 29. Juli 1914; ferner der aufgefangene Bericht des belgischen Vertreters in Petersburg, Herrn de l^Escaille, vom 30. Juli 1914, der die aufreizende Wirkung der englischen Stellung­ nahme für die allrussischen Kreise bewies, endlich englisches Blaubuch Nr. 123; auch Staatssekretär Helfferichs Aussatz „Die Entstehung des Weltkrieges im Lichte der Veröffentlichungen der Dreiverbandsmächte" und der dort wohlgelungene Beweis, daß England bereits vor Auf­ werfung der belgischen Frage fest entschlossen war, trotz der größten Konzessionen Deutschlands betr. Belgien und Frankreich in den Kampf einzugreifen. Ferner Bonar Laws Brief an Asquith vom 2. August 1914, der kein Wort von Belgien, sondern nur von „der Unterstützung Frankreichs und Rußlands" spricht: Der Brief ist vom selben Tage, an dem Sir Edward Grey Frankreich Zusagen machte, die unab­ hängig von der Frage der belgischen Neutralität zum Kriege führen mußten (s. auch engl. Blaubuch Nr. 85 u. 148 und franz. Gelbbuch Nr. 126; ferner den trefflichen Aussatz über die Vorgeschichte und de» Ausbruch des Krieges von 1914 von Dr. Carl Strupp, „Zeitschr. f. Völkerrecht" 8. Bd. Heft 2 S. ui ff.1). zeigt, wie wenig ernst die Verteidigung Sir Edward Greys im englischen Par­ lamente (3. August 1914) zu nehmen ist. ‘) Die Behauptung Winston Churchills, baß England seit fünf Jahren mit Munition für benKrieg vorbereitet fei, und die Tatsache, daß England am frühesten von allen Staaten die Flotte kriegsfertig zusammen hatte, während bis 26. Juli die deutsche Flotte und Kaiser Wilhelm in nordischen Gewässern abwesend war.

64 z. Kapitel.

Die Mobilisierung und die Völkermoral. Ich kann über die letzte Vorgeschichte des Kriegs auf das Weißbuch (Vorläufige Denkschrift und Aktenstücke jum Kriegsausbruch, Drucks, d. Reichstags, 13. Legislaturperiode, II. Session 1914, Nr. 19 vom 3. August 1914) sowie die weiteren Veröffentlichungen der „Nordd. Allg. 3*0." (insbesondere die Berichte vom 16. Oktober 1914) ohne weiteres verweisen. Das Recht der Mobilisierung ju der Zeit, die dem Staat als die notwendige und nützliche erscheint, hat selbstverständlich jeder souveräne Staat. Natürlich hat der Nachbar das Recht, Mobilisie­ rungshandlungen durch gleiche ju erwidern. Die politische und völkerrechtliche Verantwortung für die Folgen trägt derjenige, der mit den Mobilisierungshandlungen beginnt und den andern jur VerBetoelfen, daß die belgische Frage nur eia Scheingrund war, «ad daß England die Benutzung Belgiens als Operatloasbasis für den lange vorbereiteten Krieg ansah: dies gesteht allmählich unter dem Drucke der öffentlichen Meinung auch die maßgebende Presse Englands t« (f. die Artikel der „Times", „Morning-Post" zum Geburtstage des Königs Albert vom AprU 1915 usw.). Die „Times" schreibt: Die Hauptursachen, warum England die Neutralität Belgiens garantierte und in den Dreiverband eintrat, waren die praktischen Erwägungen der Selbsterhal­ tung. Wir sagten unseren Feinden bereits, daß, wenn sie ein Eingeständnis verlan­ gen, daß die Erhaltung des Kräftegleichgewichts eine der Ursachen war, warum wir den Krieg begannen, sie es haben können. Noch ehrlicher schreibt der Sozialisten, führe» Newbold: „England griff in den Krieg ein, «eil die ausländische Konkurrenz auf dem Weltmarkt immer stärker geworden war. Die Kontinentalmächte, die vor dem Abgrund stehen, werden von uns unterstützt und mit Versprechungen in den Krieg gelockt. Nach dem Krieg werden viele Länder uns gegenüber stark verschuldet sein ober Kapital zur Wiederauferstehung ihrer Industrien erbitten. Belgien wird unS fluchen. Wir verteidigen Belgien, well es die Rhein- und Scheibemündung bewacht. Wo sind aber unsere Sorgen für Finnland, die kleinen Balkanstaaten, Persien, Ägypten, die Buren?" Auch Lord Haldane hat bekanntlich zu­ gestanden, daß auch bet der Respektierung der Neutralität Belgiens durch Oeutsch, land er nicht sicher sei, ob England hätte neutral bleiben können (Ende März 1915). H. Chamberlain sagt in seinen Kriegsaufsätzen über sein Vaterland: „Eng, land hat den Krieg gewollt, ist von Anfang an die treibende Macht gewesen. Eng­ land hat die Entfremdung Rußland- von Deutschland bewirkt, England hat Frankreich unablässig aufgehetzt. Eine Handvoll Männer war es, die bei kaltem Blute zur Förderung materieller Interesse» vor etlichen Jahren dies beschlossen, die treibende Kraft war König Eduard Vll., die geistige Kapazität eia seelenloser, verschlagener Diplomat, der dem alten englischen Grundsatz huldigte, in Staats, geschäften seien Heuchelei und Lüge die besten Waffen."

65

teidigung und zu Notwehrhandlungen jwingt. Die formale Kriegserfiärung zeigt nicht den Angreifer. Der Anlaß zu einem Kriege ist höchst selten der wirkliche Grund. Der scheinbare Angreifer befindet sich ebensooft in Wahrheit in der Verteidigung. Deshalb hat auch das moderne Völkerrecht die von Grotius u. a. betriebene Unter­ suchung des jus ad bellum aufgegeben l). Jeder Staat hat natürlich auch das Recht, Aufklärung über die drohenden Mobilifierungshandlungen des andern zu verlangen. Erhält er diese nicht, so wird ihm nichts übrig bleiben als Kriegserklärung oder Zulassung einer demütigenden fortgesetzten Bedrohung des eigenen Landes, die zu­ letzt doch den Krieg bringt. Die Mobilisierung, die Rußland ohne jeden Rechtsgrund gegen Deutschland begann — über das Wann besteht Streit, da die einen schon von Mai, die andern von Ende Juli sprechen *)—, war durch die näheren Umstände völkerrechtlich und moralisch unanständig, heimtückisch und ehrlos. Am 27. Juli 1914 hat nach den unwiderleglichen Nachrichten des deutschen Weißbuchs der russische Kriegsminister dem deutschen Militärattache das Ehrenwort gegeben, daß noch keine Mobilmachungsorder er­ gangen sei, „es ist noch kein Reservist eingezogen und kein Pferd aus­ gehoben". Am 29. Juli gab der Generalstabschef der russischen Armee in der feierlichsten Form sein Ehrenwort, baß nirgends eine Mobilmachung bis zur Stunde erfolgt sei; alle entgegengesetzten Nachrichten seien falsch. Am 30. Juli aber gab der Zar an den deutschen Kaiser zu, daß die in Kraft tretenden mllitärischen Maßnahmen schon vor 5 Tagen, d. h. spätestens am 25. Juli beschlossen worden seien (D. Weißbuch Anlage 23 a). Der Zar stellte sich, als wenn er den Frieden wolle, und gab noch am 31. Juli mittags 12 Uhr sein feierliches Wort, daß, so lange die Verhandlungen mit Österreich dauern, die auf Vermittlung des deutschen Kaisers geschehen, die russischen Truppen keine herausfordernde Aktion unternehmen: Die Ver­ mittlung war ja auch vom Zaren erbeten! Trotzdem ordnete der*) Auch die Setzung einer völkerrechtlichen formalen Frist, wie sie Lammasch vorschlägt, würbe daran nichts ändern. Auch hier könnte der Provozierende so­ weit sich vorausrüsten, daß er trotz Einhaltung der Frist der Frevler ist. — Und wenn er die Frist nicht einhält? Werben dje ander« sich jeder Erörterung der Gründe enthalten? Werden sie ihre Pflicht solidarisch gegen den Störer erfüllen? Wer soll prüfen? Wer entscheiden? Müller,Metutngev, Weltkrieg und Völkerrecht.

3. Aufl.

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66 selbe Zar bereits Stunden vorher die Mobilisierung der genjen russischen Armee an. Am i. August, d. h. vor Ablauf des deut-scheu Ultimatums und vor der Kriegserklärung, beginnen die Russen bereits die Feindseligkeiten, nachdem sie bereits am 30. Juli teilweise ihre Grenzkasernen in Brand gesteckt hatten. Da hat Köhler (,,D. Jur.-Ztg." 1914 S. 1014) völlig recht, wenn er, an diese Tat­ sachen erinnernd, ausruft: „Diese Handlungsweise ist nicht die eines zivilisierten Volkes, sondern barbarische Niedertracht". So handelte der „Friedenszar". Es gibt nicht bloß ein Völker­ recht, sondern auch eine Völkermoral, die die Grundlage des Völkerrechts ist. Alle jene schwülstigen Redewendungen über „Hu­ manität", „Menschlichkeit", „öffentliches Gewissen" usw. sind leere Phrasen, wenn die primitivsten Sätze menschlicher Sittlichkeit, Redlich­ keit, Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit mit Füßen getreten werden, wie dies seitens des Zaren und seiner Regierung als den Entfachern dieses Weltkriegs, den Begünstigern des Serajewoer Mordes und völkerrechtlichen Frevels geschah. Ein solcher Kriegsbeginn bedeutete an sich die Negation jeglicher zwischen gesitteten Völkern geltenden Moral und jeglichen Völker­ rechts. Der oberste Kriegsherr Deutschlands wartete seinerseits noch nach Ablauf der Frist des Ultimatums mit der Mobilisierung — immer in der Hoffnung auf eine beruhigende Erklärung über die russische Demo­ bilisierung. Er wartete des Friedens wegen so lange, daß Rußland den Vorsprung, den es ohnedies seit Wochen, ja seit Monaten hatte, noch weiter zum Einfall in Ostpreußen mißbrauchen sonnte. Er wartete bis zur äußersten Grenze der Pflichterfüllung gegen das eigene Land! Diesem hinterlistigen, feigen Vorgehen entsprach die unehrliche Art des Verhaltens der französischen Regierung, die sich weigerte, dem deutschen Botschafter offen zu erklären, daß man sich als mit Deutschland im Kriegszustände befindlich betrachte, und mit vagen Ausflüchten Zeit zu gewinnen trachtete, obwohl Frankreich längst in der Mobilisierung sich befand (s. oben Kap. 2). Diesem Verhalten Frankreichs, das „tun wolle, was seine Interessen geböten", emsprach die hinterlistige Haltung Belgiens, das, wie vorstehend dargetan, alles vorbereitet hatte, um mit Frankreich und England ohne An­ kündigung in kriegerische Aktionen gdgen das Deutsche Reich einzutreten. England allein von allen unseren Feinden hat am 4. August

67 abends förmlich an Deutschland den Krieg erklärt. Ja es hat sogar an Österreich am 12. August, wie Köhler a.a. O. darlegt, mit rück­ wirkender Kraft (!) den Krieg erklärt: ein völkerrechtliches Unikum, das sich nur England leisten kann und das für die Zukunft als Präjudiz die köstlichsten Konsequenzen verspricht, um das Piratentum, insbesondere auch in zivilrechtlicher Richtung, auszuüben. Wahr­ haftig eine „Selbstbankerotterklärung gegenüber dem Völkerrechte" und allen ehrlichen Bestrebungen desselben! Diese Form der Kriegserklärung ist fteilich zugleich die einzige offene und ehrliche Handlung Englands, das durch sein weiteres Be­ nehmen in politischer Richtung seiner etwa zwölftährigen Einkreisungs­ politik gegenüber Deutschland den würdigsten Abschluß gab. Wenn heute der Haß des deutschen Volkes in erster Linie dem stamm- und kultur­ verwandten Lande gllt, so haben Sir Edward Grey und Genossen durch ihr politisches und völkerrechtswidriges Verhalten, durch die unerhörten Kampfmittel und Kampfziele den Weg gefunden, Kulturwerte zu ver­ nichten, die vielleicht in Generationen nicht wieder herzustellen sind. Die Würfel sind gefallen: statt nebeneinander zuarbeiten, wie wir es so sehnlich gerade mit England wünschten, hat nunmehr ein Kampf eingesetzt, der nur mit der völligen Vernichtung der einen Macht zu enden und die Hoffnungen auf den großen westeuropäischen Kulturbund, der allein spätere Geschlechter vor dem Allrussemum bewahren kann, für unabsehbare Zeiten zu zertrümmern scheintx).

4. Kapitel. Feindselige Handlungen der Dreioerbandsfloaten vor der Uriegserklärung. Nach den Erklärungen des Reichskanzlers im Reichstage vom 4. August 1914 wie nach den jetzt in Händen der deutschen Heeres») Siehe über das russisch-englische Vorspiel und seine verderbliche Wirkung auf Rußland und dessen Kriegserklärung u. a. auch den Artikel Trantschaoinows vom 11. Juli 1914 in der „Nowoe Zweno" .). Die englische Regierung hatte kein Recht, einseitig in die internationalen Pflichten und Rechte der betteffenden Rechtsbeamten, die zufällig Deutsche sind, einzugreifen — auch im Kriege nicht, der an diesen Rechten nichts änderte'). b) Verletzung der Neutralität ües Suezkanals insbesondere. Aus Hamburger Schiffahrtskreisen wurde unterm 26. August mitgeteilt, daß der am Eingang des Suezkanals gelegene ägyptische Hafen Port Said sofort nach der ägyptischen Kriegserüärung von englischen Truppen besetzt wurde. Diese machten sich dann gleich daran, die in Port Said liegenden deutschen Dampfer durch Heraus­ nehmen von Maschinenteilen fahrtunfähig zu machen. Besonders der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Derfflinger" wurde von diesem Schicksal betroffen. Hierzu bemerk die „Nordd. Allg. Ztg.": „Wundern tut uns dieses Verfahren natürlich nicht. Es ist echt englisch. Immerhin ver­ dient es die Beachtung der ganzen Welt, daß Großbritannien die feier­ lich geschloffenen und unzähligemal bekräftigten internationalen Suezkanalverträge kaltlächelnd in den Papierkorb steckt, sobald sie ihm unbequem werden." Wir fügen dem hinzu, daß gleichzeitig das dem deutschen Kohlen­ depot in Hamburg gehörige Kohlenlager gesperrt wurde, damit deutsche Schiffe keine Kohle mehr einnehmen können: Kriegsakte, wie sie feind­ seliger nicht gedacht werden können! Noch krasser, wenn auch freilich erst lange nach der Kriegserüärung, ist das Vorgehen gegen die beiden Hapagdampfer „Jstria" und „Süd­ mark". Von dem Rechtsvertreter der Hapag erfuhr ich darüber, Alexandrien, 22. Oktober 1914, u. a. folgendes: „Ich habe inzwischen erfahren, daß die in Port Said und Suez gelegenen Dampfer auf folgende originelle Art „regelrecht" gekaperr worden sind. Am 13. d. sind an Bord aller deutschen und österreichi­ schen Dampfer in Port Said und Suez Abteilungen ägyptischer Polizei unter dem Kommando eines Offiziers erschienen, der den Kapix) Über „Gemischte Gerichtshöfe in Ägypten" s. v. Liszt, Völkerrecht, 9. Stuft. S. 132,149,151, auch Fleischmann, „Dölkerrechtsquellen" in Auswahl 1905 S. 138; ferner R.-G.-DI. 1874 S. 23 und 1875 S. 381; ©trupp (Urk. zur Geschichte beS Völkerrechts, 2 Bände 1911 (mit Nachtrag 1912), Bd. I ©. 385 Note 1.

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tänen erklärte, daß niemand die Schiffe verlassen dürste und daß die Schiffe den Hafen ju verlassen haben. Die Kapitäne haben sich selbst­ redend geweigert, worauf die ägyptischen Hafenbehörden durch dazu herbeigeschafftes Personal die Maschinen instand setzen, neue Mann­ schaft an Bord bringen ließen, die Dampfer mit Kohlen und Pro­ viant für 7 Tage versorgten, und so sind die Schiffe am 15. bzw. am 16. d. unter deutscher Flagge ausgelaufen. Einige Meilen von Port Said entfernt wartete der englische Kreuzer „Warrior", und es ist selbstverständlich, daß der Kapitän, als er die Menge feindlicher Schiffe entdeckte, sich beeilt hat, sie „regelrecht zu kapern" und nach Alexandrien zu bringen. Alle Formalitäten sind mit der peinlichsten Genauigkeit von dem Kapitän des Kreuzers „Warrior" vorgenommen worden, der bei Ankunft in Alexandrien die Dampfer dem Marshal des Prisengerichts übergab. In berechtig­ tem Ingrimm über dieses völkerrechtliche Possenspiel fügt der Rechts­ vertreter der Hapag hinzu: „Der oben angeführte Tatbestand würde wohl zum Kinderspiel genügen, meinetwegen auch zu einem Lustspiel frei nach Nesiroy, zur Begründung von Rechten jedoch ist diese lach­ hafte Inszenierung durchaus ungenügend." Es geht nichts über englische „Korrektheit", die Mücken seiht und Kamele verschluckt! Hier handelt es sich um die Verletzung des Vertrages vom 29. Oktober 1888 für den im Jahre 1869 eröffneten Suezkanal (s. die Literatur in v. Liszts Völkerrecht S. 209 ff.). Der Vertrag wurde auf Grund der Verhandlungen der Konferenz zu Paris 1885 von den sämtlichen Großmächten, der Türkei, Spanien und den Nieder­ landen abgeschlossen. Darnach soll der maritime Suezkanal (ursprüng­ lich eine private Aktienunternehmung) stets, im Kriege wie im Frieden, jedem Handels- und jedem Kriegsschiffe ohne Unterschied der Flagge offen- und freistehen. Die Mächte verpflichten sich darnach, die freie Be­ nutzung des Kanals auch im Kriege nicht zu beeinträchtigen. Es darf also weder das Blockaderecht ausgeübt noch sonst eine feindselige Handlung gegen ein dort liegendes Schiff begangen werden (s. Art. i und 3, 4 des Vertrags; s. auch Liszt 1. c. S. 210; Ullmann, Völkerrecht S. 342 ff.). In Kriegszeiten dürfen die Krieg­ führenden in dem Kanal und seinen Eingangshäfen weder Truppen noch Munition noch sonstiges Kriegsmaterial ausschiffen. Kriegführende dürfen in die Häfen von Suez und Port Said überhaupt keine Schiffe senden (Art. 7).

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Über nicht bloß das vorgeschilderte Vorgehen gegen deutsche Schiff:, sondern das ganze jetzige Vorgehen der englischen Truppen bedeutet, wie die „Nordd. Allg. Ztg." mit Recht sagt, einen „echt englischen Vertragsbruch"! England sieht trotz der klaren Bestim­ mungen der Art. 4 und 5 des Vertrags vom 29. Oktober 1888 den Suezkanal mit all seinen Einrichtungen jetzt einfach als englisches Domi­ nium an, indem es ihn stark befestigte und als Basis seiner kriegerischen Operation nimmt. Allerdings hat, wie Triepel a. a. O. feststellt, England den Vertrag zunächst nur mit dem höchst dehnbaren Vorbehalt unterzeichnet ge­ habt, es könne den Vertrag nur insoweit annehmen, als er mit dem „vorübergehenden Ausnahmezustand Ägyptens" (!) ver­ träglich sei und die englische Aktionssteiheit während der Okkupation Ägyptens durch britische Truppen nicht hindere. Indessen im Vertrage mit Frankreich vom 8. April 1904 hat England seinen Beitritt zur Suezkanal-Konvention in allen wesentlichen Punkten förmlich erklärt, hat also jenen Vorbehalt fallen lassen, und diese Erklärung gilt nicht nur etwa Frankreich, sondern auch den andern Mächten gegenüber, da diesen der anglo-französtsche Vertrag mitgeteilt worden ist. So nimmt denn auch die ägyptische Kriegsverordnung auf den Suezkanal aus­ drücklich Bezug. Schiffe jeder Nationalität und Ladung sollen das Recht haben, die Zugangshäfen anzulaufen und zu verlassen und den Kanal zu durchfahren, ohne Beschlagnahme oder Zurückhaltung be­ fürchten zu müssen, vorausgesetzt, daß sich die Fahrt in gewöhnlicher Weise und ohne ungerechtfertigten Aufenthalt vollzieht. Alle Schiffe dürfen Bunkerkohle und andern Schiffsbedarf, soweit es für ihre Reise notwendig ist, aufnehmen usw. Schließlich heißt es: Der Art. 13 (der den britischen Streitkräften Vornahme von Kriegshandlungen in ägyptischem Gebiete erlaubt) sei in Gemäßheit der SuezkanalKonvention auszulegen. Wenn das einen Sinn haben soll, so kann es, wie Triepel a. a. O. mit Recht feststellt, nur bedeuten: es darf im Kanal und seinen Einfahrtshäfen sowie im Umkreise von drei Seemeilen vor diesen Häfen überhaupt kein Akt der Feindseligkeit ausgeübt werden, da eben dies in der Konvention ausdrücklich verboten ist. Nicht einmal die „Times" werden leugnen können, daß die Hand­ lungen, die das „vertragsheilige" England hier gegenüber den deut­ schen Dampfern begangen hat, feindselig sind; England hat durch die gegen feindliche Schiffe gewohnheitsmäßig angewendete Herausnahme von Maschinenteilen und durch die Sperrung der Kohlendepots die wich-

94

tigsien Bestimmungen der Suejakte tatsächlich gebrochen und muß alle Konsequenten aus dieser Haltung ziehen lassen. Freilich ist die Inter­ nationale Kommisston, welche die Ausführung des Suetkanalvertrags vom 29. Oktober 1888 zu überwachen hatte, durch Art. 6 des II. englisch-französischen Abkommens vom 8. April 1904 beseitigt worden, so daß England dort an Stelle des Rechts die Macht und Gewalt zu setzen vermochte. (Siehe im übrigen v.Liszt, Völkerrecht, 6. Aust. 1910, S. 209 ff.). Aber an dem hier in Betracht kommenden Rechte der Staaten auf Schutz ihrer Schiffe im Suezkanal und den Eingangs­ häfen ist durch den Fortfall der Internationalen Kommission nichts geändert worden. England hat jetzt nicht bloß Ägypten, wo es wie ein souveräner Herr trotz des Protestes des Khedive die Mobilisierung anordnet, die ägyptischen Offiziere und Truppen beseitigt usw., als Dominium behandelt, sondern auch den neutralen Kanal von Suej als Basis seiner ganjen kriegerischen Unternehmungen benutzt und sämtliche Bestim­ mungen des Suejkanalvertrags einfach in den Papierkorb geworfen. Die britische Regierung hat alle von der sogenannten „ägypti­ schen Regierung" getroffenen Maßregeln ausdrücklich gebilligt, ins­ besondere auch, daß sie „feindlichen Schiffen, welche sich lange genug in den Häfen des Kanals aufhielten und zeigten, daß sie nicht abreisen wollte», um ju vermeiden, als Prise genommen zu werden", den Befehl erteilte, den Suezkanal sofort zu verlassen, mit der Begründung, der Kanal sei nicht zu diesem Zwecke erbaut. Es ging so weit, daß es die deutsche Post auf einem italienischen Schiffe, die für Ostasien bestimmt war, beschlagnahmte und im Hafen von Suez verbrannte, um die Wahrheit über den Kriegszustand zu unterdrücken. Dieses ganze Vor­ gehen verletzt alle Normen der Suezakte von 1888 und vernichtet die Neutralität und Jnternationalität -es Kanals. Und dabei behauptet König Georg von England in einer Proklamation vom io. September: „Großbritannien und mein ganzes Reich betrachten die absolute Respektierung des einmal gegebenen Wortes in Verträgen als ein gemeinsames Erbteils!" Selbstverständlich ist damit der ganze *) Treffend hat der Reichskanzler in sarkastischen Worten gesagt, daß das­ selbe England, welches durch brutale Gewalt und rückflchtslosen Egoismus sein ungeheures Kolonialreich errafft habe, die Freiheit der Welt gegen uns Deutsche tu schützen sich anstelle. „Im Name» der Freiheit hat Großbritannien di« Selbständigkeit der Burenstaaten um die Jahrhundertwende erwürgt; im Namen der Freiheit wurde von ihm Ägypten hinter,

95 internationale Suejkanal,Vertrag in allen seinen Tellen für alle Mächte zerrissen. Keine Macht braucht sich nach diesem Vertrags­ brüche Englands an die nicht mehr bestehende Neutralitätserklärung des Suezkanals zu kümmern. Wir hoffen, daß dieses Vorgehen dem englischen Reiche an seiner verwundbarsten Stelle noch recht teuer zu stehen kommt. Jedenfalls ist dieser Frevel gegen die Suezakte geradezu ein Schulbeispiel für den Wert von internationalen Verträgen mit England, das für Deutschland beim Friedensschluß unter keinen Umständen vergessen werden darf. Sache der weiteren Kriegführung und der zukünftigen Entscheidung muß es für Deutschland, Hsterreich-Ungarn und die Türkei sein, für welche letztere die Bedingungen des Vertrags von 1888 überhaupt nicht gelten, wenn sie für die Verteidigung ihrer Besitzungen am Roten Meere einzutreten hat, des Urtelles des großen Bonaparte von der Wende des 19. Jahrhunderts über die Wichtigkeit des Landes zu gedenken, das für die englische Weltmacht auch heute noch gilt. Eng­ land weiß genau, daß die heikelste Stelle seines Weltreiches in Ägypten liegt. Damit ist die Haltung aller Staaten, die der englischen Weltmacht ein Ende machen wollen und müssen, wenn anders der Weltfriede dauernd gesichert und Europa von den Intrigen dieses gefährlichsten Friedensstörers gewahrt werden soll, von selbst gegeben. Macht Ägypten frei von englischer Zwangsherrschast und ihr habt den Schlüssel zum indischen Reiche! Eine der vielen Errungen­ schaften dieses Krieges muß die unbedingte Sicherung der Neutralität des Suezkanals sein. Da England im Völkerrechte nur eine unbequeme Handschelle sieht, die man sofort abstreifen müsse, kann man internationales wirksames Recht nur gegen England und nur nach Nieder­ werfung Englands schaffen!*) haltig

unter

gleichen

schnödestem

Namen raubt

Wortbruch

in

Ketten

gelegt.

Und

im

England den noch halbwegs selbständigen

Malayenstaaten Hinterindiens einem nach dem andern das Recht auf Existent um ihrer selbst willen; wie endlich auch der Freiheit der Welt tuliebe die Engländer die deutsche« Kabel durchschnitten haben und so die Wahr­ heit über den Krieg dem größten Teile des Erdrunds unterschlagen."

Er hätte

auch von Irland, von Persien usw. sprechen können. x) Mein verehrter Freund v. Lisjt hat mich an dieser Stell«, deren Richtigkeit er anerkennt, ju einer Äußerung über den »mitteleuropäischen Staatenverbanö" veranlaßt.

Sie wird von mir an

anderer Stelle

gegeben werden.

Nur

kur; daö: Ich bin ein begeisterter Anhänger der Idee eines solchen Bundes

96

y. Kapitel.

Der Gruch der chinesischen Neutralität durch Japans und Englands Ängriff auf Nantfchau. ,Hrleg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie, nicht zu trennen."

Der japanische Geschäftsträger in Berlin hat am 19. August 1914 im Aufträge seiner Regierung dem Auswärtigen Amte eine Note über­ mittelt, worin unter Berufung auf das englisch-japanische Bündnis die sofortige Zurückziehung der deutschen Kriegsschiffe aus den japani­ schen und chinesischen Gewässern oder die Abrüstung dieser Schiffe, ferner bis jum 15. September die bedingungslose Übergabe des ge­ samten Pachtgebietes von Kiautschau an die japanischen Behörden und die unbedingte Annahme dieser Forderungen bis jum 23. August verlangt wird. Deutschland gab auf diese völkerrechtlich einzig dastehende Keckheit die richtige — nämlich keine Antwort, worauf Japan und England die kriegerischen Operationen gegen das deutsche Pachtgebiet alsbald begannen. Zu dieser „Politik des Aasgeiers" (denn Japan sah das kleine Kiautschau von Anfang an als verlorene Beute an *)) hatte dies aus dem englisch-japanischen Bündnisse keinerlei Grund: im Gegenteil; die ganze Schmählichkeit des japanischen Verhaltens — der Schlange, die wir an unserem Busen so lange und unter Aufbietung einer un­ glaublichen Dosis von Leichtsinn genährt — geht aus dem Wortlaute des Vertrags hervor. In der Einleitung des englisch-japanischen vom Norbkap bis Tripolis, von Dlissingen bis Kleinasien — aber ich bin Pessimist, ob wir den grandiose» Staatsmann besitzen, der neben dem Martyrium des Riesenfrledensschlusses auch noch dieses gigantische Werk schafft. Wer jenen Bund schließt, wird als einer der Größten in der europäische» Geschichte für alle Zeilen gepriesen sein! Aber |um Düodnisschlleßen gehören immer wenig­ stens zwei! ») Die japanische Zeitung „Uomiuri" u. a. bezeichneten es als „mit den Ge­ bote» des alten japanischen Ehrenkobex unvereinbar, baß Japan an das in KrtegSnot befindliche Deutschland solche Forderungen stelle, es widerspreche den Ehr­ begriffen der japanischen Ritterschaft und sei doppelt unwürdig, da es sich um de» eigene» Lehrer handle, dem mau nach konfuzianischem Gesetz Ehrfurcht und Dankbarkeit schulde". Nur ein „Ftnanzbündnts" konnte die schwere« Bedenken eines Zette der japanischen Minister gegen das bereit« am 7. August gestellte Ver­ langen Englands überwinden.



97



Bündnisvertragsx) wird als Ziel des Bündnisses das folgende an­ gegeben: „i. Die Konsolidierung und Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens in den Gegenden Ostasiens und Indiens. 2. Die Wahrung der gemeinsamen Interessen aller Mächte in China durch Sicherung der Unabhängigkeit und der Integrität des chinesischen Reiches und des Prin­ zips der gleichen Zugänglichkeit zu Handel und Industrie für alle Nationen in China (!). 3. Die Aufrechterhaltung der territorialen Rechte der hohen kontrahierenden Parteien in den Gegenden von Ostasten und Indien und die Verteidigung ihrer speziellen Interessen in den besagten Re­ gionen. Die wichtigsten Artikel des Bündnisvertrages besagen im ein­ zelnen: Art. 1. Man kommt überein, daß, wann immer nach der Meinung Japans oder Großbritanniens eins der ftüher erwähnten Rechte und Interessen im Spiele stehe, die beiden Regierungen voll und frei ein­ ander Mitteilungen machen und gemeinsam die Maßregeln beraten werden, die zur Wahrung ihrer bedrohten Rechte oder Interessen zu unternehmen sind. Art. 2. Wenn auf Grund eines nicht provozierten An­ griffs oder einer nicht aggressive« Aktion, wo immer sie aufraucht, seitens irgendeiner Macht einer der hohen Kontrahenten in einen Krieg verwickelt wird, welcher der Verteidigung seiner territorialen Rechte oder seiner oben erwähnten speziellen Interessen dient, so muß der andere hohe Kontrahent sofort seinem Alliierten zu Hilfe kom­ men, den Krieg gemeinsam mit ihm führen und im gegen­ seitigen Einvernehmen mit ihm Frieden schließen." Also der Bündnisfall war nur gegeben für den Fall der Ge­ fährdung der territorialen Rechte, hier Englands infolge einer aggressiven Aktion Deutschlands oder im Fall der Gefährdung der Unabhängigkeit und Integrität des chinesischen Reiches und des *) Einer der genauesten Kenner Indiens und einer der berühmteste» englischen Juristen Henry Lanner Milne sagte im Hinblick auf die Gefahren der Japan­ politik Englands für Indien: „Jede europäische Macht, die mit gelben Völker» ein Bündnis gegen eine europäische Macht eingeht, treibt Verrat gegen das ganze Menschengeschlecht." Mütter,Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht. 3. Aufl.

7

98 Prinzips der offenen Tür in China. All dies ist natürlich in diesem Falle, in dem England aggressiv Deutschland den Krieg erllärte, nicht gegeben. Deutschland hat von Anfang an keinen Zweifel darüber gelassen, — und Japan konnte davon in feierlichster Weise in kurjer Zeit unterrichtet werden, wenn es eine solche Mitteilung gewünscht hätte, —daß Deutschland keinerlei aggressive Absicht hatte, weder gegen China noch gegen England, am letzten natürlich gegen Japan selbst. Es wurde dem japanischen Geschäftsträger sofort erklärt, daß im Fall japanischer Neutralität das deutsche Geschwader in Ostasien sich feind­ seliger Handlungen in den dortigen Gewässern enthalten werde. Das Merkwürdigste war aber die Unterschiebung, daß Deutschland die Unabhängigkeit und Integrität des chinesischen Reiches und des Prinzips der offenen Tür und damit die Aufrechterhaltung des allge­ meinen Friedens Ostasiens und der territorialen Rechte in Ostasien bedrohe: Japan und England gleichen sich in ihrer Politik und in ihrer Geschicklichkeit auf ein Haar, die größten Gemeinheiten in eine ethisch unanfechtbare, ja edle Handlung umzufrisieren! Man überlege und wäge die beiderseitigen Kräfteverhältnisse in Ostasten, um das — sagen wir ruhig — Schamlose dieses ganzen völkerrechtlichen Spiels seitens Japans richtig zu ermessen, das geradezu wie eine Verhöhnung Deutschlands und der ganzen Welt üingt. Und Deutschland hat nie daran gedacht — und hätte dies jederzeit erklärt, — die territorialen Rechte der Kontrahenten in den Gegenden von Ostasien oder Indien zu mißachten1). Aber England hat Deutschland, wie es offiziös erllärte, „auch in kolonialer Beziehung tödlich" treffen wollen. Das ist allein die Wahrheit, nicht der erfundene Grund, daß Deutschland die Handelsbeziehungen in Ostasten zu bedrohen im­ stande sei. *) Mit vollem Rechte hebt jetzt in einem flammende» Aufrufe ein hervor­ ragender chinesischer Journalist, Dr. Carso» Chany, hervor, daß die jetzige Politik Japans mit ihre» 20 Forderungen an China eia in der Weltgeschichte unerhörter Akt der Vergewaltigung gegen eia mit Japan io vollem Frieden lebendes -and sei. Er hat recht, wenn er sagt: „Obgleich die japanische» Forderungen sich zunächst gegen China richten, ist ihr Inhalt doch derart, daß durch ihre Verwirk­ lichung alle andere« Staaten in Mitleidenschaft gezogen werden. Bisher waren für deren Politik in Ostafleo die Prinzipien Integrität und Unabhängigkeit Chinas und das der offenen Tür. Dies war ausdrücklich festgelegt in der Übereinkunft zwischen Japan und Frankreich vom Juli 1907, io den Noten zwischen den Ver­ einigten Staaten und Japan vom November 1908 und in dem revidierten Bündnis­ vertrag zwischen England und Japan vom Juli 1911."

99 Ton Notwehr oder Notstand Japans, von Zwang zum NeutralitLsbruche keine Spur! Die reine Eroberungspolitik des Korsaren! Kaurschau wurde wie Wei-Hai-Wei an England und Port Arthur an Rußland im Jahre 1898 seitens China an Deutschland ver­ pachtet. Eine Anzahl von Konsequenzen, welche in dem Wesen des Pachtvertrags enthalten sind, müssen auch für die Beurteilung des staats- und völkerrechtlichen Verhältnisses der beteiligten Mächte be­ züglich dieses Territoriums zueinander berücksichtigt werden. Der von Deutschland verfolgte kolonisatorische Zweck und die konkurrie­ renden Machtinteressen der beteiligten Mächte dürfen dabei nicht aus dem Auge gelassen werden. Jedenfalls ist Kiautschau (s. auch Ullmann, Völkerrecht 298; Nehm, Staatslehre 82; Jellinek, D. J.-Ztg. 1898 S. 253 und 305) nicht in deutschen Eigenbesitz überge­ gangen. Nach Art. 2 des Vertrags vom 6. März 1898 überläßt China jene Gebietsteile an Deutschland „nur pachtweise, vorläufig auf 99 Jahre", und nach Art. 3 „übt die chinesische Regierung während der Pachtdauer im verpachteten Gebiete nur die Hoheitsrechte nicht selbst aus, sondern überläßt sie an Deutschland". Die Eingeborenen sind nicht deutsche Untertanen geworden. Sollte Deutschland einmal den Wunsch äußern, die Bucht von Kiautschau vor Ablauf der Pachtzeit an China zurückzugeben, so verpflichtet sich China, Deutschland einen besser geeigneten Platz zu gewähren (Art. 5). Es ist kein Abhängigkeits­ verhältnis Chinas gegenüber dem Deutschen Reiche geschaffen, da China nur die Ausübung der deutschen Gewalt auf chinesischem Boden durch Einräumung einer allgemeinen Vertretungsbefugnis gestattetes. Mt Recht hebt Dr. Hatschek in einem Aufsatze (,,D. J.-Ztg." 1915 S. 366 ff.) hervor, daß die englische Form der Pacht (lease) analog dem Pachtverträge zwischen England und China über Wei-Hai-Wei hier vorliege. Der Pächter hat darnach ein mitgeschütztes Pacht­ recht, so daß er jede Störung in dem Pachtbesitze gegen den Verpächter wie gegen den Dritten durch eine Klage verteidigen kann. Seit Hein­ rich VIII. findet diese Klage auch dann Anwendung, wenn der Ver­ pächter ohne oder gegen den Willen des Pächters vor Ablauf der Pachtzeit die Pacht an einen Dritten weiter überträgt. Dieser Fall ist für Deutschland gegen China auf Grund des Art. 5 gegeben. Nur Deutschland ist berechtigt, vor der Zeit von 99 Jahren von dem Pachtverträge zurückzutreten, nicht aber China. Dieses begeht mit der jetzigen Übertragung von Kiautschau einen Vertragsbruch. China muß erst die Friedensverhandlungen zwischen Deutschland und Japan 7*

100

abwarten, ehe es Kiautschau an Japan übertragen kann. China darrf erst nach, Friedensschluß seine Zustimmung ju dem Asstgnement geben, wenn Deutschland an Japan wirklich die Kiautschaupacht aktrrtt. Hatschek verweist auf ein sehr interessantes Präzedenj im Friedems­ vertrage von Portsmouth, wo in Art. 5 genau so und korrekt Lei der Übertragung von Port Arthur an Japan vorgegangen wurLe. Also: der Pachtvertrag zwischen Deutschland und China besteht noch fort, und China hastet aus ihm als aus einem dinglichen Rechts­ verhältnisse völkerrechtlich und privatrechtlich. China hat über die vertragsmäßige Ausübung seiner Rechte durch Deutschland niemals geklagt und weder direkt noch indirekt die Intervention einer andern Macht wegen Verletzung dieser Vertrags­ rechte verlangt. Im Gegenteil! Und nun kommt Japan und maßt stch stemdes, neutrales chinefisches Territorium an — angeblich nur, um das Gebiet China zurückzugeben! Japan, das alle hier in Betracht kommenden Haager Abkommen, so j. B. das 3. über den Beginn der Feindseligkeiten, das 5. betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Fall des Landkriegs und das 13. über dieselben Rechte im Seekrieg unter­ zeichnet und ratifiziert hat, setzt sich über alle diese Verträge mit einer Leichtfertigkeit hinweg, die nur zeigt, was die Zukunft von dieser ostasiaiischen Großmacht zu erwarten har. Daß England zu all diesen Vertragsbrüchen als Anstifter Japans auftritt, vollendet das Bild eines völligen moralischen Bankerotts der weißen Rasse gegenüber der gelben und der schwarzen, wie des schein­ baren Bankerotts des Völkerrechts überhaupt*). *) Aus dem ausführlichen Parlameotsbericht der „Deutschen Japan-Post" geht hervor, daß Japan nur auf direkte Aufforderung Englands hin sich (um Kriegszuge gegen Kiautschau entschloß.

Der Minister des Auswärtigen, Baron

Kato, sagte darnach u. a.: „Japan hatte weder den Wunsch noch die Neigung, in den gegenwärtigen Kampf verwickelt z« werden, es glaubte nur, eS sich selbst schuldig z« sein, dem Bündnis treu zu bleiben und feine Grundlage noch zu festigen durch Sicherung dauernden Friedens in Ostasien und durch Deschützung der besonderen Inter­ essen der beiden verbündeten Mächte." Gegen diese Ausführungen des Ministers wandten sich, zum Teil in recht scharfer Form, mehrere Redner aus dem Hause. So äußerte sich der Abgeordnete Matsuda, «ach dem Text des englisch-japanischen Bündnisses sei Japan in keiner

Weise

gezwungen,

den

Bündnisverpflichtungen

komme«, solange di« territorial« Integrität

und

die

nachzu-

speziellen

Interessen Englands in Ostasien einen solchen Schutz nicht erforber-

IOI

Was weiterhin in Ostasien geschieht, ist ein ununterbrochener VKlkerrechtsbruch, in gleicher Weise begangen von England wie von Japan nicht bloß gegen Deutschland, sondern auch gegenüber China, Las heute noch Eigentümer des Landes und Inhaber aller jener souverären Rechte ist, die es nicht vertragsmäßig auf Deutschland als seinen Mandatar übertragen hat und die es lediglich nach diesem Vertrage von Deutschland und gegen Deutschland anzusprechen hat. Freilich hätte China nach Art. 5 des Haager V. Abkommens, dem auch China 1910 beigetreten ist, die Pflicht gehabt, Japan und England von dieser Neutralitätsverletzung gewaltsam abzuhalten. Aber die beiden die Unverletzlichkeit des chinesischen Gebiets verletzenden Groß­ mächte kannten die jetzige Ohnmacht des chinesischen Reiches genau und setzten daher an die Stelle des Rechts die rohe Gewalt. Es ist ein Hohn auf jegliches Recht und auf jeden völkerrechtlichen Verkehr überhaupt, daß eine Großmacht es wagt, der Welt vorzu­ täuschen, daß sie gegen den Willen eines Landes dessen eigenes Territorium einem andern Staate, dem das Territorium vertragsmäßig überlassen ist, wegnimmt — angeblich um es diesem Vertragslande wiederzugeben —, in Wirklichkeit, um es ihm im Frieden wegzunehmen. Und das stärkste Stück ist es, daß eine andere zivilisierte Großmacht, der Verträge angeblich „heilig" sind und die angeblich nur wegen dieser Heiligkeit der Verträge den Krieg gegen Deutschland begann, wie dies König Georg von England Anfang August feierlich aussprach, in solcher Weise Völkerrecht und Vertragsrecht mit Füßen tritt. Die in der 1. Auflage ausgesprochene Voraus­ sage, daß Japan seine Zeit gekommen sieht, das ganze chinesische tea. Er «Laschte genaue Auskunft darüber, ob Deutschland den dauernden Frieden in Ostasien gefährde oder die speziellen Interessen Englands daselbst verletzt habe. Dr. Tomizu richtete gar an den Minister die Frage, ob Japans Diplomatie so sehr unter dem Einflüsse der englischen Regierung stehe, daß bas Auswärtige Amt in Tokio geradeju als eine Zweigniederlassung der englischen Regierung erscheine. Die Antwort des Ministers erfolgt« in geheimer Sitzung. Don besonderer Bedeutung ist noch eine Erklärung, die der Minister Kalo bei den Beratungen in der Budgetkommission abgab, da sie j« verstehen gibt, daß Japan gar nicht gesonnen ist, Kiautschau an China zurückzugeben. Diese Wendung lautet: in das Ultimatum an Deutschland habe er die Klausel von der eventuellen Rückgabe Krautschaus an China eingefügt, weil er geglaubt habe, daß die Einfügung dieser Klausel für Japan vorteilhaft sei, doch hätte die Klausel nur bann zu Recht bestanden, wenn es nicht jum Kriege gekommen «fite.

Echt japanisch; es hat

gut „englische Art" gelernt und ist des Meisters würdig — in der diplomatischen Unwahrhast iglest!

102

Problem, ohne die jetzt in Torheit versunkenen Hauptintereffenten fragen zu müssen, zu seinen Gunsten zu lösen, ist rascher als der Der, fasser selbst glaubte, in Erfüllung gegangen. Japan geht jetzt aufs Ganze: Graf Okuma hat nach der Jap. Kolonialzeitung (No-chih) in Tokio die Katze aus dem Sacke gelassen, indem er erklärte:

„Japan will nicht allein den ehrgeizigen Plänen Rußlands und Deutschlands «in Ende machen, es will auch England und die Vereinigte» Staaten davon abhalte», die Finger in den chinesischen Kuchen ju stecken.... Das Bündnis mit England beschränkt Japans Einfluß auf Nordchina; mit ihm wollte Japan die Unversehrtheit Chinas gewährleisten. Das kann aber nur geschehen, wenn Japan seinen Einfluß auch in Sübchina ausbreitet. Wie die Dinge liegen, wird Japan getwungen sein, seine freundschaftlichen Beziehungen zu einer gewissen Macht abzubrechen. ES scheut nicht davor zurück mit einer oder zwei der stärkste» europäischen Nationen Krieg zu führen." Nach einer Meldung der „Nowoje Wremja" hat Graf Okuma in der Zeitung „Kokumin" folgendes erklärt (Januar 1915):

„Japan hat größere Aufgaben, als über das Schicksal der unbedeutenden deutsche» Kolonien zu verfügen. Seine Aufgabe besteht darin, Europa die Augen über die wirkliche Bedeutung Japans zu öffnen. Der Stille Ozean liege schon im Bereiche des japanischen Einflusses. Die Japaner könnte» jetzt das Prestige ihres Reiches zu einem hohen Aufschwung bringen. Ein unbewaffneter Friede sei kein wahrer Friede." tittb diesem Neuerwachen des japanischen Imperialismus, um nicht zu sagen: Größenwahns, entsprechen seine Forderungen an China. Daß das nunmehr ausgesprochene Protektorat Japans über Tsingtau und Schantung die völlige Okkupation bedeutet, ist einem Blinden klar. Und Art. 3 der Genfer Konvention?

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An neuestem Material sei als wichtigstes folgendes nachgetragen: 1. Nachstehend wird die eidliche Aussage eines unparteiische» Ausländers, eines Amerikaners, der im englischen Heeresdienst gestanden hat, wiedergegeben. Staat Illinois, Grafschaft Cook. Robert F. Meyer, jetzt wohnhaft in 4050 Washington Boulevard, Chicago, Illinois, sagt, nachdem er vorher in gehSriger Weise vereidigt war, auS: „Daß er am 2. März 1886 in Chicago, Illinois, geboren sei, daß er am 10. September 1914 in betrügerischer Weise verleitet worben sei, stch in Liverpool, England, bei der 14. Kompagnie der „Grenadier Quarto" unter dem Namen „Frebericks Meyer'" anwerben zu lasse», und baß er mit seinem Regiment am 17. September 1914 in Ostende, Belgien, gelandet worben sei. Der Vereidigte gibt an, daß er am 19. September 1914 bei den Kämpfen bei Reims durch eine Flintenkugel am Hals verwundet worden und nach England in das MillbankHospital, Röchest« Roab in London, gebracht worden sei, «0 er »ach Ankunft am 20. September 1914 bis zum 25. September 1914 verblieb, worauf er in das Gaterham,Hospital in Surrey, England, übergeführt wurde. Vereidigter sagt ferner aus, daß er «ährend seines Aufenthalts im MillbankHospital in diesem verwundete deutsche Soldaten gesehen hätte und baß unter diesen verwundete» Soldaten wenigstens 8 Fälle von Verstümmelungen gewesen wären, und zwar folgende: drei, denen beide Augen ausgestochen waren, bei dreien waren die Zunge» und bei zwei anderen die Ohren abgeschnitten. Vereidigter sagt weiter aus, daß die vorgenannten acht Leute noch andere Verwundungen, die sie anscheinend im Kampfe davongetragen hatten, trugen, und baß vier von den Verstümmelte» ihm erzählt hätten, daß sie von englischen Soldaten verstümmelt worbe» seien. Während meines Aufenthalts im Millbank-Hospital war ich mit Thomas Perry von meinem Regiment zusammen, der dieselben Fälle, von denen ich erzähle, gesehen hat. gez. Robert F. Meyer. Unterschrieben und vereidigt von mir heute, den 17. Dezember 1914. gez. D. S. Oouglaß, Sffentlicher Notar." 2. Am 26. Dezember starb in einem Münchner Krankenhaus, in dem er seit 1. September untergebracht war, »ach unsagbar qualvollem Leiben der 22jährige Musketier Anton Raabe vom 171. Infanterie-Regiment. Raabe, der aus Thü­ ringen stammt, war am 25. August bei Lunevtlle verwundet worden. Seine Ver­ wundung (Granatschuß im Oberschenkel) war nicht ohne weiteres tödlich, die barbarische Behandlung aber, die der Bedauernswert« nach seiner Verwundung durch französische Soldaten zu erdulden hatte, hat nach vier Monaten trotz der sorgsamsten Pflege und ärztliche» Behandlung den Tod herbeigeführt: Raab« war von seinen Kameraden, die vorübergehend der feindliche« Übermacht weiche» mußte» und ihn nicht fortschaffen konnten, nach seiner Verwundung vom freie» Feld weg unter einen Baum getragen worden, damit er hier einigermaßen Schuh vor dem strömenden Regen fände. Hier hatten ihn gegen Abend französische Sol­ daten gefunden, die dem von starkem Blutverlust Geschwächten die Uniform vom Leibe risse» und ihm den Brustbeutel raubten. Auf seine Bitte um Wasser goß ihm

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einer der Franzosen den Inhalt einer Feldflasche übers Gesicht, dann schleiften fle den Bedauernswerten eine weite Strecke über das vom Regen aufgeweichte Feld und ließen ihn HUflos liegen. Die ganze Nacht lag Raabe im strömenden Regen in einer schmutzigen Pfütze, die schwere Wunde ohne jeden Verband. So fanden ihn am folgenden Morgen deutsche Sanitäter, die ihn in ein Feldlazarett brachten, aus dem er einige Tage später in einem Lazarettzuge nach München gebracht wurdet.

IV. lvegführung von Nichtkombattanten, Krauen und Kin-ern durch französische Soldaten aus Lothringen. Zu Protokoll des Pfarrers Klein von Weißenburg i. Elf. wurde folgender Tatbestand gebracht, der jugleich wieder zeigt, wie Roheit der Bevölkerung Hand in Hand geht mit der Verletzung von Recht und Gesetz durch die kriegführende Macht („M. N. N." vom 22. September 1914): „Am 21. August erschien ein französischer Gendarm und forderte die Zeugin auf das Rathaus zu Saales, wo sie einem Verhör sich unterziehen sollte. Es wurde von dem Gendarmen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es nicht nötig sei, die Pantoffeln durch Schuhe zu ersetzen. Ähnliche Mittellungen ergingen an die übrigen Beamtenfrauen. Sie kamen alle, wie sie gingen und standen — und kehrten nicht wieder heim. Anstatt sie einem Verhör zu unterziehen, nahm man sie fest und veranlaßte diejenigen unter ihnen, die an ihre zum Teil noch nicht ein Jahr alten Kinder erinnerten, die Kinder zu holen. Auf Ochsenwagen fuhren am 21. August 14 Frauen und 7 Kinder, worunter das jüngste 6 Monate zählte, in der Richtung nach St. Die ab. Dort wurden fle in die Bahn verladen und zum Tell in Per­ sonenwagen, zum Tell in Viehwagen tagelang weiterbefördert. Der Zug wurde immer stärker durch Beiführung anderer deutscher Zivllpersonen.... In ClermontFerrand mußten die Jnfanterieoffiziere, die mit der Bewachung beauftragt waren, Kavallerie gegen die Dolksmeute requirieren, die die Offiziere mit Steinen *) Der englische Kriegsminister Lord Kitchener, dessen Name wegen der bru­ talsten Grausamkeiten englischer Kriegführung in Südafrika mit ewiger Schande bedeckt ist, hat es gewagt, im englischen Oberhause am 27. April 1915 die Ehre des deutschen Heeres durch den Vorwurf unmenschlicher Grausamkeiten gegen wehrlose Gefangene auf Grund eines entflohenen englischen Majors Vandeleure, der bei seinen eigenen Kameraden nicht mehr für geistig normal gilt, anzutasten. Die deutsche Regierung hat in der Nordd. Allg. Ztg. vom 3. Mai 1915 die nötige Antwort gegeben. Interessant aus dieser ist die amtliche Bestätigung von einer bis dahin unbekannten schmachvollen und grausamen Behandlung der gefangenen deutschen Soldaten im März nach den Kämpfen um Neuve Chapelle: „Unter der Leitung und Aufsicht der Engländer raubten indische Truppen diese Gefangenen aus und mißhandelten fle. „Wir können — heißt es in den amtlichen Protesten gegen die „unverantwortliche Herabwürdigung" und „ungewöhnliche Anmaßung" — leider nur allzuviele ähnliche Fälle englischer Grausamkeit durch eidliche Aussagen belegen."

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bewarf, well sie die cochons allemands (deutschen Schweine) nicht einfach niederstachen. Diese Erfahrungen veranlaßten endlich das Zugkommanbo, den Zug mit den Gefangenen nicht in größere Stationen einfahren j» lassen.... Das Essen war „unter unserem Schweiuefreffen". Mit Ekel würgte man die jweimal am Tag« gereichte widerliche sogenannte Suppe nur dann, wenn eine« der brutale Hunger dazu zwang. Wenn der Gefangenentransport nicht in Gefängnissen untergebracht werden konnte, sperrte man die Frauen «ad Kinder und Männer in Ställe ein. Den Herren nahm die Begleitmannschaft sehr bald die Schuhe «eg und schnitt ihnen die tzosenknöpfe ab. Besonders brutal benahmen die franjSflschea Soldaten sich gegen die Lehrer, von denen «ine Reih« mit im Zuge war. Am 4. September wurde in Puy de Dome deu Frauen eröffnet, daß sie heim­ kehren könoten. Ja der ganzen Zeit hatte kein Verhör mit ihnen stattgefunden. Ein Offizier antwortete der Frau, mit der ich sprach, auf eine Frage: sie seien suspekt. Alle französischen Frauen gäben Lichtflgnale oder spionierten (!); man vermute das auch von den deutschen. Am 5. September fuhren die Frauen mit den 7 Kindern, von denen keines mehr ganz gesund war, in Clermont-Ferrand ab.... Eine der Frauen hatte 24 Stunden lang die Leiche ihres Kindes, baS unterwegs erkrankt und gestorben war, in de» Armen, die letzte, furchtbarste Stelle des Weges durch mörderisches Feuer getragen. Die Frauen berichten, baß der Haß gegen die Deutschen besonders bet den Frauen bis zum Wahnsinn ausgeartet sei, und daß unsere deutschen Kriegsgefangenen und Verwundeten wohl von den Ärzten anständig behandelt würden, aber daß sie überall vor der Raserei der Zivllbevölkeruag geschützt werben müßten. Besonders zu leiden hätten die deutschen Offiziere. Sämtliche Frauen kamen krank und schwer leidend zurück. Die Tage der Gefangenschaft bleiben ihnen als bas Furchtbarste im Gedächtnis, bas der Krieg, der in Saales und um Saales her fl« genug ängstigte, ihnen bereitet hat."

Auch dieses ganze Gebaren verstößt gegen den klaren Wortlaut der Art. 1, 2 und 46 der Landkriegsordnung: Man machte Zivil­ personen grundlos in Massen zu Gefangenen und behandelte sie nicht menschlich (Art. 4 l. c.). Das Vorgehen der ftanzösischen Be­ hörden muß als geradezu verbrecherisch bezeichnet werden. Fälle ähnlicher Art stehen im Elsaß wie in Ostpreußen in Menge zur Ver­ fügung. Es genüge diese typische Stichprobe! Gefangen genommen dürfen einzelne Bürger nur werden wegen einer strafbaren Handlung oder wenn begründeter Verdacht be­ steht, daß solche Personen wichtige Dinge verraten könnten. Die Franzosen haben aber lediglich wegen ihrer deutschen Gesinnung Hun­ derte mitgeschleppt oder aus Ärger über angeblich zu unfteundliche Aufnahme ftanzösischer Soldaten. Erst im März 1915 wird neuerlich die Wegschleppung von deutschen Beamtenfrauen als Geiseln aus dem St. Amarintale und aus dem Maasmünstertal nach Besanyon ge­ meldet („Basler Nachrichten").

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Natürlich mußten als Repressalien die Deutschen ebenfalls jur Festnahme von Zivilpersonen greifen. Cs geschieht, wie zahl­ reiche Veröffentlichungen zeigen, in mildester Form (s. oben). Das Volk legt in Deutschland keinem Ausländer etwas in den Weg. Aus­ brüche des Pöbelfanatismus gegen Verwundete, Zivllisien und sonstige Gefangene, wie sie in Frankreich und Rußland tagtäglich sich ereignen, sind in Deutschland unbekannte Dinge. Man beftage die in Deutschland lebenden Neutralen, ob ich mit dieser bestimmten Behauptung schönfärbe! V. Plünderung und Zerstörung des deutschen Eigentums. Gottlob gelang es Len Franzosen nicht, weit in deutsches Gebiet zu kommen. Was sie aber im Oberelsaß und in Lothringen an Roheit geleistet, was sie an ihrem eigenen Eigentum, d. h. am Besitz ihrer eigenen Volksgenossen verbrachen (s. unten das besondere Kapitel 19), läßt sehen, daß sie hinter den unten geschilderten Kosakengreueln nicht weit zurückbleiben. (Siehe unten über die Russengreuel und über „Privateigentum im Kriege" Kapitel 15 bis 18.) Hier genügt es, hervorzuheben, baß auch die Franzosen allüberall, wo sie auf deutschem Boden auftraten, die sämtlichen völkerrechtlichen Bestim­ mungen zum Schutze des Privateigentums in Art. 23 g, 25,46 und 47 der Landkriegsordnung von 1899/1907 schmählich verletzten. Nach Art. 28 ist es untersagt, Städte und Anstedlungen der Plünderung preiszugeben, selbst wenn sie im Sturm genommen sind. Die Fran­ zosen gingen viel weiter. Sie plünderten, raubten und stahlen wie die Kosaken, freilich auch das eigene ftanzösische Eigentum, wie jene das russische. Über den Begriff der Plünderung s. „D. J.-Z." 1914 S. 1298; über Plünderung im eigenen Lande unten Kap. 20. Im Anschluß an die im vorstehenden erzählten Schicksale der Be­ amtenfamilien von Saales ist typisch die in der „Siraßb. Post" Wieder­ gegebene Erzählung von Frau Elisabeth Zink aus Saales, die wir hier im Auszuge folgen lassen. Sie erzählt u.a.: „Im Bahnhof Saales wurde «ährend unserer unfreiwilligen Abwesenheit — wir waren 4 Wochen in französischer Gefangenschaft — schon am Abend unserer Verhaftung, am 12. August, von den Franzosen alles kurz und klein geschlagen. Am 13. August, als der Bürgermeistereivertreter Herr Rochelle wenigstens unsere Wert, paptere in Sicherheit bringen wollte, waren schon alle Koffer und Schränke erbrochen. Die Papiere, bat Geld, schöner alter Schmuck, der seit Generationen in der Famllte war, die in einer eisernen Kassette waren, alles war schon gestohlen. Alte Litho,

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graphten und Kupferstiche, Radierungen moderner Künstler (darunter 6 LoeschHorns) sowie schönes altes Zinn, desgleichen eine Standuhr mit schönem Ziffer­ blatt (1745) soll ein Offizier der Chasseurs ä pied auf sein Auto geladen haben; ein« andere alte Uhr fehlt aus ihrem Gehäuft. Echte Perser fanden auch ihren Liebhaber. Alte Porzellane wurden gestohlen, während das andere Porzellan zerschlagen war. Es waren offenbar „geblldete Kenner"..., die daS gute alte Porzellan mitgehen ließen.... Meine Schwester, die jetzt heiraten wollte, hatte ihre ganze Aussteuer fertig — nichts ist davon mehr vorhanden.... Am scheußlichsten fand ich die Zerstörung unserer Möbel. Alte Sessel, in denen unsere Urgroßeltern gesessen hatten, wurden Brennholz — obwohl Holz genug im Hause war.... Wie es in dem Hause aussah, kann man fich gar nicht vorstellen. Und das alles taten französische Elitetruppen — Alpenjäger aus Grenoble «Nb Chasseurs zu Fuß aus St. Diä. Und ähnlich sah es bei vielen Saalern ausl" Wie schändlich die Plünderung deutschen Gutes vor allem in Belgien bereits vor dem Beginn der kriegerischen Ereignisse einsetzte, haben wir bereits oben in Kapitel 13 geschildert. Auf der „Gneisenau", die im Hafen von Antwerpen lag, blieb kein Stuhl, kein Spiegel, Schrank, gar nichts heil. Vor der Einnahme von Antwerpen (9. Oktober) wurde dort und in den Vorstädten von den Einheimischen gestohlen und geplündert (s. auch Kapitel 19 unten), was nicht niet- und nagelfest war. Ganz gleichgültig war es schließlich dieser zügel- und disziplinlosen Meute, ob es deutsches oder das Eigentum ihrer eigenen Volksgenossen war, das ste vernichteten. Eine wahnsinnige Plünderungs- und Zerstörungswut war über Soldaten wie Nicht­ soldaten, Mllitär und ZivU gekommen, wie wir dies an anderer Stelle schildern. Die Plünderung des Lloyddampfers „Gneisenau" am 3. August ist nicht nur für die völkerrechtswidrige Behandlung ftemden Eigen­ tums charakteristisch, sondern sie zeigt auch, wie skrupellos die Behaup­ tung von der Aufrechterhaltung der belgischen Neutralität ist. Sie gehört in ihrer Darstellung daher sowohl zu Kapitel 2 wie hierher. Solche Handlungen allein hätten zum Einrücken der Deutschen in Belgien völlig genügt. Wir finden eine genaue Darstellung im „Tag" vom 2i. Oktober, wo ein Schiffsingenieur dem Abg. Erz­ berger folgendes erzählt: Montag, 3. August, vormittags 9 Uhr, erschien ein Trupp von 15 Mann Gendarmerie, unter Führung eines höheren Offiziers »nd des Hafenmeisters vor unserem Schiff. Während die Genbarmerietruppe mit Gewehr bei Fuß Auf­ stellung nahm, begab fich der Offizier mit dem Hafenmeister und 3 Soldaten an Bord «nd forderte den Schlüssel zu unserer drahtlosen Station. Als dieser ihm ausgehändigt war, begannen die Soldaten unter Aufflcht ihrer Vorgesetzten in

219 sehr wenig fachmännischer Weise das Zerstören der Station.

Blindlings wurde

mit dem Hammer auf die Leidener Flaschen, auf die Spulen, Sender usw. los, geschlagen. Als das Zertrümmern beendet war, wurde alles Zerschlagene und Losgeschlagene einfach über Bord in die Schelde geworfen. Dann wurden noch die Drähte der Antenne abgeschnitten und die Antenne gleichfalls zerstört. Nach dieser unfachmännischen Zerstörung, die unsere drahtlose Station in einen Trümmer, Haufen verwandelt, zogen die Soldaten weiter zum nächsten Hamburg-Amerika, Dampfer, um dort die Zerstörung fortzusetzen.

Bemerken möchte ich noch, daß

der Hafenmeister sich brüstete, schon für 200000 Mark drahtloses Inventar an diesem Morgen von deutschen Schiffen über Bord geworfen zu haben.

Man bemerke: all das geschah am 3. August, sohin fast einen ganzen Tag vor dem Einrücken der Deutschen in Belgien! Wie es Mitte Oktober auf dem Schiffe, das man mutwillig de­ molierte, aussah, das schildert ein Augenzeuge mit ergreifenden Worten. Wie Bestien hatten sie gehaust und mit schwerem Hammer alles, Kunstgegenstände und Gebrauchsgegenstände, in kleine Stückchen zusammengeschlagenx). Bei ihren wiederholten Einfällen im Oberelsaß im September und Oktober 1914 haben die Franzosen z. B. ohne jede Veranlassung aus der Kriegführung im oberen Breuschtal sämtliche Gehöfte ein­ geäschert. Die meisten Bewohner — ruhige friedliche Bürger — wurden als Geiseln, d. h. als Kriegsgefangene, nach Frankreich ge­ bracht, nicht zur Sicherung gegen Verrat und völkerrechtswidrigen Frevel, sondern ohne jede Begründung. Die Ortschaft Saales wurde völlig zusammengeschossen. Rein mutwillig wurden von den Zuaven die Felder mit der Ernte niedergebrannt. Vier weitere Ortschaften wurden niedergebrannt, obwohl die Bevölkerung das Menschen­ mögliche tat, um die Franzosen freundlich zu bewirten. Wenn die Bevölkerung nicht laut genug Hochrufe auf die ftanzösischen Truppen ausbrachte, wurden einfach Salven auf und in die Häuser abgegeben usw. Das Abkommen über die Landkriegsordnung bestimmt aus­ drücklich, daß „die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger, das Privateigentum, die religiösen Überzeugungen usw. geachtet werden sollen"! Damit vergleiche man all diese bereits geschilderten Greuel der belgischen, russischen, englischen und französischen Soldateska, ins*) Siehe über Plünderungen des eigenen Landes die Kapitel 15, 16, 18 und Kapitel 20 (französische und belgische), Kapitel 15 (russische), s. auch Kapitel 27 über die Zerstörungen in Antwerpen, Ostende usw.

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besondere die unten noch besonders geschilderten bestialischen Mord­ taten in Ostpreußen durch die Russen! Wenn sie im Auslande bekannt geworden wären, würde wohl die VortragstournLe der Herren Vandervelde und Genossen rasch beendigt gewesen sein! Der Okkupant eines Landes (s. Art. 42 ff. der Landkriegsordnuvg) kann dort nicht hausen, wie er will. Die bloße vorübergehende Jnnehabung einer Stellung im feindlichen Lande genügt auch nicht. Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres befindet. Die Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann (Art. 42). Nachdem die gesetzmäßige Gewalt tatsächlich in die Hände des Besetzenden übergegangen ist, hat dieser alle von ihm abhängenden Vorkehrungen zu treffen, um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze (Art. 43). Über diesen letzteren Artikel wird das Nötige in Kapitel 17 gesagt werden. Hier nur bas: Entscheidend für den Begriff der „Be­ setzung" nach Art. 42 ist die Sicherung der rückwärtigen Verbindungen und die tatsächliche Jnnehabung des Landes (s. Haager Prot, m S. 117 ff., auch „D. J.-Z." 1914 Nr. 19/20 S. 1147). Notwendig zur Erfüllung des Begriffs ist auch, daß die bisherigen Vertreter der Staatsgewalt des nunmehr besetzten Gebiets tatsächlich nicht mehr in der Lage sind, auf das öffentliche Leben des besetzten Gebiets einzuwirken. Das war für die deutsche Regierung weder im Sundgau noch in Lothringen noch in Ostpreußen der Fall. Höchstens in letzter Provinz mag für einige Städte seitens der Russen eine „Besetzung" im Sinne der Art. 42 und 43 angenommen werden. Von einer Be­ achtung der Landesgesetze war frellich dabei wenig zu bemerken. Mer auch, wo die „Besetzung" völkerrechtlich angenommen werden kann, gllt folgendes: Der Okkupant ist unter der Voraussetzung der Kriegsnotwendigkeit berechtigt, die Landbewohner zu Arbeiten und persönlichen Leistungen zu nötigen. Er darf aber nicht, wie dies ins­ besondere in Ostpreußen durch die Russen stattfand, ihnen die Mit­ wirkung an den mllitärischen Operationen zumuten. Insbesondere ist es ausgeschlossen, einen Zwang zur Spionage auszuüben (Art. 44). Dies wurde aber im Elsaß und Lothringen wie vor allem in

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Ostpreußen versucht durch massenhafte Erschießungen durchzusetzen (s. unten insbesondere über die russischen Greuel auch den aus dem „Echo de Paris" erzählten typischen Fall über Erpressung zum Hochverrat gegenüber einem deutschen Offizier; s. unten Ziffer VIII). (Über Besetzung und die Pflichten des Besetzenden s. unten das be­ sondere Kapitel 17 über „Deutsche Verwaltung in Belgien") Über die Plünderungen in den deutschen Kolonien, insbesondere in Kamerun (Duala) seitens der englischen und französischen Soldateska werden von Tag zu Tag mehr Nachrichten veröffentlicht, Charakteristisch ist folgende Nachricht aus Holland, daß die „Times" Ende AprU 1915 aus Sidney berichtet, daß dort im Abgeordnetenhause ein Abgeordneter für die Freilassung von fünf Soldaten eintrat, die das Kriegsgericht zu Gefängnisstrafen von 3 bis 4 Jahren ver­ urteilte, weil sie bei der Eroberung von Deutsch-Neu-Guinea ge­ plündert hatten. Der Redner erllärt, daß ganze Schiffsladungen von Beute für die Offiziere nach Australien gebracht worden seien, und regt an, die Angelegenheit vor ein Zivilgericht zu bringen. Der Staatssekretär für die Landesverteidigung gibt zu, daß nicht nur Mannschaften geplündert hätten. Das Kriegsgericht habe mehrere Wochen in Sidney getagt, und aus diesen Verhandlungen hätten sich Anhaltspunkte für die Anklage einer Anzahl Militärs ergeben, die sich demnächst zu verantworten hätten. VI. Geiseln. Auch das Geiselnehmen ist völkerrechtlich erlaubt, jedoch nur zur Sicherung der Erfüllung von Verpflichtungen, die dem okkupierten Lande rechtmäßig auferlegt werden (f. Art. 48—50 der Landkriegs­ ordnung) und zur Sicherung gegen völkerrechtswidrige Kriegführung durch den Gegner, insbesondere durch Freischärler usw., um verdächtige oder schuldige Orte zu bestrafen. So können auch ohne weiteres zum Zwecke der Verhütung von Angriffen auf Eisenbahn- oder sonstige Transporte Geiseln zum Mitfahren genötigt werden (s. auch Ullmann, Völkerrecht S. 496 Anm. 2 und die dort zitierte Literatur), wie dies auch die deutschen Truppen getan haben. Schutz und Schonung können die Landesbewohner nur so lange beanspruchen, als sie durch ihr Verhalten die Interessen des Besetzenden weder ernstlich gefährden noch verletzen. Wird diese Voraussetzung nicht erfüllt, geschehen Dinge, wie in Belgien und Französisch-Lothringen gegen die deutschen Truppen,



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so ist der Besetzende berechtigt, nach Kriegsstrafrecht (Standrecht) vorzugehen und durch die schärfsten Abschreckungsmittel, insbesondere die Todesstrafe, für Attentate Sühne zu verlangen. Soll es z. B. bei den gemeingefährlichen Verbrechen gegen Eisenbahnen und Tele­ graphen, insbesondere bei dem barbarischen Loslassen „wilder Züge" gegen die Bahnhöfe und deutsche Verwundetentransporte, wie sie Ende September und Anfang Oktober in Belgien versucht wurden, nicht erlaubt sein, für diese schändliche Kriegführung Geiseln zu nehmen und sie zu erschießen, wenn trotzdem das organisierte Ver­ brechertum seine Schandtaten fortsetzt? Hier ist das Nehmen von Geiseln eine direkte Sicherung des Völkerrechts und der Mensch­ lichkeit! Franzosen und Russen haben aber unter einer durchweg friedlichen Bevölkerung, die auf Ermahnung der deutschen Regierung sich ängstlich von jeder Freischärlertätigkeit und Tellnahme am Kriege zurückhielt, sohin ohne jeden Rechtsgrund in Ostpreußen und im Elsaß zahlreiche angesehene Personen, offenbar lediglich, um ein Kompensationsobjekt zum Austausch für deutschfeindliche Schuldige und Ge­ fangene zu besitzen, nach bereits fertigen Listen oder auf Denunzia­ tionen von Verrätern, ohne Spur eines Beweises für die behauptete Spionage, als Geiseln weggeschleppt *). Dieses Vorgehen ist durchaus völkerrechtswidrig und stellt die Fundamentalsätze des Kriegsrechts, daß nur die Heere zu fechten haben, auf den Kopf. Noch verwerflicher ist selbstverständlich die Gefangennahme solcher Personen schon vor Beginn des Krieges oder unter Verhältnissen, die mit der ganzen Kriegsoperation gar nichts zu tun haben, wie das insbesondere Eng*) Welche tolle Anschauung man vo« „Geiseln" hatte, geht «. a. aus einer der Wutäußerunge» Maurice Maererlinks hervor, der im Ernste für jede belgische Stadt eine deutsche Stadt „als Geisel" benutzt haben will. Der „Figaro" vom i. September meldet aus MoulioS: „242 deutsche Geiseln, staatliche Beamte und Einwohner des Oberelsaß, sind im städtische» Progymnasium und im Guinguet-Saale untergebracht worden. Unter diese« Geiseln befindet flch der Bürgermeister einer Kreisstadt in der Nähe von Mül­ hausen und «in Pfarrer." A«S Ostpreußen sollen (Februar 1915) annähernd 6000 Bürger verschleppt worden sein. Aus dem Bezirk Vberelsaß find im ganzen 74 Lehrer nach Frankreich ver­ schleppt worden. Die Lehrerschaft ist diejenige Deamtenkategorie, die am meisten „Geiseln" stellen mußte. Der Grund ist der, daß man mit Recht die Lehrer als Pioniere deö Deutschtums betrachtete. Aus dem Kreise Thann find 28 Lehrer und der Schulinspektor nach Frankreich geführt worden.

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land, Rußland und Frankreich getan haben (s. oben Z. I). In all diesen Fällen wurden Ehre, Familienrechte, Leben und Privateigentum ruhiger, friedlicher Bürger mit Füßen getreten — trotz Art. 46 der Landkriegsordnung. Bei jedem neuen Einfalle im Oberelsaß mußten neuerlich angesehene Bürger an die Fortschleppung glauben. (Siehe auch das Vorwort der Schrift des Prof. Friedr. Lienhard „Das deutsche Elsaß", abgedruckt „Fraukf. Ztg." Nr. 319.) Genau so verfuhren die Russen, die ohne jeden völkerrechtlich be­ stimmten Grund ruhige, friedliche Bürger und preußische Beamte trotz aller Bestimmungen des Völkerrechts, die das Ziel verfolgen, daß nur die Staaten und Armeen den Krieg führen, hinwegschleppten und in Sibirien verschwinden ließen (s. unten Kapitel 15 und oben Z. I dieses Kapitels). VII. Nötigung zum verrat. Es gibt nicht eine Norm des bestehenden Völkerrechts, nicht einen Kriegsbrauch, den die Zeit geheiligt, der von der DreiverbandsSoldateska und insbesondere auch von den Offizieren des Drei­ verbands nicht verletzt worden wäre. Art. 44 der Landkriegsordnung verbietet es den Kriegführenden, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zu zwingen, Auskünfte über das Heer des andern Kriegführenden oder über dessen VerteidigungsMittel zu geben. Noch viel mehr gilt dies selbstverständlich von den Kriegsgefangenen und am meisten von gefangenen Offizieren. Die Art. 4, 6 usw. verbieten es absolut, einen Kriegsgefangenen mit der Todesstrafe zu bedrohen, für den Fall, daß er nicht seine Armee verrät. Das Gegenteil bildet die größte Unmenschlichkeit. Darf man einen Gefangenen nicht zu einer „Arbeit" zwingen, die „in Beziehung zu den Kriegsunternehmungen steht" (Art. 6), so darf man ihn erst recht nicht zum Verrat gegen das eigene Heer, zum Bruche seines Eides zwingen! Ein schmählicheres und beleidigenderes Vorgehen gegen den Feind, ja die ganze feindliche Armee ist zwischen ehrlichen Gegnern überhaupt nicht denkbar, als die Insinuation des Verrats an der eigenen Partei. Nach dem Bericht des „Echo de Paris" vom 28. August hat man selbst diese Schmach deutschen Offizieren nicht erspart. Der ungeheuer­ liche Vorfall wird dort, wie folgt, beschrieben:

224 „Der deutsche Offizier wird vor den General T. geführt. „Leutnant, Ihr Ehrenwort, daß Sie nicht zu entfliehen versuchen!" Er weigert sich grob. „Nun? Sie werben gefesselt." Neue Ausbrüche des Deutschen. Dennoch glaubt der General, der ihn beob, achtet, unter diesem äußere» Schein der Frechheit und Roheit «inen armseligen Tropf, eine« Prahler i« erkennen, und kalt sagt er: »Genug l Ich muß Mokünste haben. Ich stelle an Sie 10-12 Kragen. Haben Sie innerhalb fünf Minuten nicht geantwortet, so werben Sie stand­ rechtlich erschossen.' Dann antwortete der Deutsche wörtlich: „Ich habe eS mir überlegt und ich bin bereit, i« sprechen. Wer Ich möchte die Gewißheit haben, daß man es in Deutschland nicht erfährt." Und er sprach.-----------Diese Geschichte hat mir Herr A. P. Lemercier, Professor an der Universität von Cae» «ad Ehrendekan der phllosophischen Fakultät, erzählt. Er hat mir auch den Namen beS französischen Generals genannt."

Ist der Bericht wahr — und ich habe von einem Dementi bis heute nichts gelesen —, so ist dies der Gipfel der Gemeinheit. Ent­ weder ist die ganze Sache erlogen. Dann — legen wir es zu den Mil­ lionen anderer Unwahrheiten der „heiligen" Allianz. Oder die Ge­ schichte ist nicht erfunden, die Sache hat sich wirklich so abgespielt, man hat einen deutschen Offizier durch Androhung der Todesstrafe zu „Auskünften", d.h. zum Verrat, gezwungen: dann ist das eine Handlungsweise, die den letzten Funken von Achtung vor ftanzösischer Kriegführung ersticken müßte. Wie wäre es denn, wenn wir bei den Tausenden gefangener ftanzösischer, englischer und russischer Offiziere dieses System auch anwende» würden, um alle Geheimnisse der Krieg­ führung des Dreiverbands herauszupressen? Solche Repressalien würden den letzten Rest von Ritterlichkeit aus diesem an sich tatarischhottentottenhast geführten Kriege beseitigen! Ich bedaure ungemein, daß man den Vorgang, den ich hier schllderte, in der deutschen Presse beinahe unbeachtet ließ. Er ist so schändlich, daß er nicht scharf genug verurteilt werden kann—ob er nun wahr oder unwahr ist. Denn auch wenn er unwahr ist, was ich annehme, da ich unser Offizierkorps für zu hoch erachte, als daß sich ein solcher Tropf darunter findet, so ist die Verbreitung der Geschichte eine Gemeinheit. Ist er aber wahr, dann ist es eine doppelte seitens des Generals wie seitens derjenigen, die damit renommieren. Sie lauschen gegen die Feigheit eines einzelnen die Niedertracht eines Systems, das ein hoher ftanzösischer Befehlshaber vertritt, ein und

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belasten das ganze Volk damit. Jedenfalls hätte die deutsche Heeres­ verwaltung allen Grund, der ganzen Angelegenheit nachträglich noch ihre Aufmerksamkeit zu schenken, um sie aufzuklären. Großes Aufsehen erregte der Fall des deutschen Kriegsfreiwilligen Callies. Er hat am 28. November 1914 in Leipzig unter allen Zeichen der Wahrheit und unter Hinweis auf den zu leistenden Eid eine Dar­ stellung seines geradezu unglaublichen Erlebnisses gegeben, die sich in allem Wesentlichen mit der Schllderung deckt, wie sie uns aus der Presse ftüher bekannt geworden ist, daß er zu Verratszwecken ge­ zwungen wurde, mit einem englischen Fliegeroffizier aufzufliegen und dabei den gemeinsten und brutalsten Mißhandlungen und Ver­ letzungen ausgesetzt war (f. gerichtliches Protokoll Leipzig-Plagwitz vom 28. November 1914, u. a. „M. N. 01." vom 18. Dezember 1914). Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß Art. 23 der Landkriegs­ ordnung in der grausamsten Weise von Liesen englischen Rohlingen verletzt worden wäre, wenn der Bericht, was vorläufig nicht zu wider­ legen ist, wirllich wahr ist. Die deutsche Reichsregierung hat am 29. April 1915 ausdrücklich nochmals auf den Fall Callies (in ihrer Polemik gegen Lord Kitchener) als durchaus wahr Bezug genommen. VIII. Verletzung -er Parlamentäre. In einer Reihe von Fällen wurde der Art. 32 der Landkriegs­ ordnung verletzt, der befiehlt, daß als Parlamentär derjenige gelten soll, der von einem der Kriegführenden bevollmächtigt ist, mit dem andern in Verhandlungen zu treten und sich mit der weißen Fahne zeigt. Er hat Anspruch auf Unverletzlichkeit, ebenso der ihn begleitende Trompeter, Hornist oder Trommler, Fahnenträger und Dolmetscher. Die Normen sind ein Beweis für die hier durchaus vertretene Behauptung, daß die „Landkriegsordnung" letzten Sinnes die Kodifikation tellweise uralter Gebräuche des Kriegs bedeutet. Obwohl keinerlei Mißbrauch von seiten der Deutschen getrieben wurde, wurden z. B. der preußische Major v. Kummer, der Major v. Arnim und der Meldereiter (Hofschauspieler) Clewing, die sich ordnungs­ gemäß mit der weißen Fahne einer nordfranzösischen Stadt Ende August im Automobil näherten, um offizielle Verhandlungen einzuleiten, von den Franzosen gefangen genommen und 3 Wochen lang gefangen ge­ halten, bis sie endlich (auf Betreiben der Heeresleitung) wieder entlassen Mütter,Meloiagen, Weltkrieg nnb Völkerrecht. 3. QltifL

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wurden x). Daraus geht von selbst hervor, daß die Gefangennahme völkerrechtswidrig war. Es lag auch nicht der Schein eines B e w e i se s vor, daß die deutschen Parlamentäre ihre bevorrechtigte Stellung daju benutzt hätten, Verrat oder Spionage ju üben oder gar dazu anjustisten (s. Art. 341. c.), sonst wären sie von den Franjosen rasch ins Jenseits befördert worden, da in Spionagefurcht Franjosen und Engländer wetteifern. Der völkerrechtswidrige Standpunkt der Belgier auch in dieser Richtung drückt sich in folgendem Armeebefehl aus: „... 4. Es ist ausdrüMch jedem, der ein ständiges Festungswerk besetzt hält, verboten, in Verhandlungen mit feindlichen Parlamentären einjutreten. Es wird ohne Ausnahme auf jeden feindlichen Par­ lamentär Feuer gegeben, der sich irgendeinem Punkte der Umwallung des ständigen Festungswerkes nähert. Düffel, 28. September 1914. Generalleutnant und Kommandant Deguise2)." IX. Sonstige mannigfaltige Unmoralitäten -er Kriegführung -es Dreiverban-eo (Prämien für Mord, für neutrale Spionage Verwendung von Zuchthäuslern usw. - „wilde Züge" - vor­ schicken von Zivilpersonen - Anwerbung deutscher Zioilgefangener in Frankreich für die Fremdenlegion - sonstiger Gebrauch unzu­ lässiger Waffen). Der Krieg ist ein „blutiges Handwerk — er soll aber auch ein „anständiges Handwerk bleiben. Sämtliche Staaten der Welt, die für einen modernen Krieg überhaupt in Betracht kommen, haben dies in den Beschlüssen der beiden Haager Konferenjen, zumal sehr beredt *) In Bestätigung dieser Annahme meldet das „Berliner Tageblatt": „Oer Kaiser sagte tu Rittmeister v. Kummer, er habe, als er von der Sache erfahren, der Regierung in Bordeaux sagen lassen, daß 300 Kriegsgefangene unverzüglich erschossen «erden würden, falls die drei Parlamentäre nicht bis iu dem und dem Tage hell und gesund bet ihren LruppenteUen wären. Das wirkte." Das ist völkerrechtlich erlaubte Androhung einer Repressalie, au die mau angesichts der unerhörte« Kriegführung unserer Gegner noch viel energischer denke» sollte, insbesondere angesichts der neuesten Nachrichten über die Behandlung deutscher Gefangener und Verwundeter. *) Siehe auch de» in der Schrift von Graß hoff „Belgiens Schuld" «iebergegebenen Fall von unerhörter Behandlung eines deutschen Parlamentärs S.67ff. Die Russen mißachteten systematisch alle Krtegsbräuche, (sieheKap. 1 5 unten).



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io den Eingangsworten des IV. Abkommens vom 18. Oktober 1907, festgestellt (f. oben Kap. 13). Das vollständige „Kriegsgesetzbuch" fehlt den Völkern noch. Die sogenannte „Landkriegsordnung" soll nur eine Art Mindestpro­ gramm bilden. Für die noch nicht geordneten Gebiete sind die all­ gemeinen Grundsätze des Gewohnheitsrechtes maßgebend. Die Be­ völkerung und die Kriegführenden sollen „unter dem Schutze und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den For­ derungen des öffentlichen Gewissens". 1. Krieg soll „offener, ehrlicher Krieg" sein, kein meuchlerisches Morden. Das ist nicht bloß ausdrückliche Vorschrift der Kriegsordnnng, sondern altgeheiligter, ja vielleicht der fundamentalste Grundsatz der Kriegführung zivilisierter Völker. Wie schlecht es heute mit der Ein­ haltung aussieht, das erhellt aus dieser Schrift. Zum Alten, aber dennoch Verwerflichsten rechne ich die An­ stiftung zum Meuchelmorde im Kriege. Die Mittellungen, die darüber die österreichische Heeresleitung im einzelnen macht, sind von hier unkontrollierbar. Auf demselben Blatte steht das öffentliche Ausbteten einer hohen Geldprämie für die Ermöglichung der Jngrundbohrung eines deutschen Schiffes seitens Großbritanniens. Es bedeutet nichts anderes als die Anstiftung zur völkerrechtswidrigen Spionage seitens der Neutralen, insbesondere der neutralen Schiffer. Sie bildet so eine internationale Handlungsweise ganz besonderer Art, denn für die englische Flotte wird es solcher „Prämien" doch wahrlich nicht bedürfen. Es hieße ja die ganze englische Flotte und ihre Kriegführung beleidigen, wenn man annehmen sollte, daß erst die Answerfung einer solchen Prämie notwendig wäre, um die Angehörigen der englischen Flotte zur einfachen Pflichterfüllung zn bringen, deutsche Schiffe zn sichten und anzugreifen. Die Aussetzung der Prämie kann ver­ nünftigerweise nur die Aufforderung an die Neutralen sein: Verratet uns den Standpuntt deutscher Schiffe, damit wir die Möglichkeit haben, sie unter uns günstigen Verhältnissen zu überraschen und zu bewältigen. Diese leichtverständliche Aufforderung zum Bruche der Neutralität durch Prämien ist eine Unmoral erster Klasse und widerspricht gänzlich dem 13. Abkommen der II. Haager Konferenz wie jeder völkerrechtlichen Moral überhaupt. 15*

228 2. Daß man bei den Engländern berechtigt ist, die schlimmste» Ab­ sichten und Ziele anjunehmen, zeigt die von einem neutralen Blatte, der „Neuen Zürcher Zeitung", gebrachte und gegen alle Ableugnungen als absolut zuverlässig auftechterhaltene Mittellung: „Eine Abteilung Engländer, Mineure, so wurde bort berichtet, war von den Deutsche» gefangen genommen worden, und als man die Truppe näher besah, fand sich, daß sie aus entlassene» Sträflingen und aus Negern bestand, dem Ab­ schaum des Londoner Hafens. 700 M. Handgeld hatte jeder von der Bande be­ kommen; bann waren sie »ach Frankreich gebracht und losgelassen worben."

Darf es da wundernehmen, wenn in England der MUitärdienst als minderwertig angesehen wird? '„Die englische Nation als Volk betrachtet ist das schätzbarste Ganze von Menschen im Verhältnis gegeneinander, aber als Staat gegen andere das verderblichste, gewaltsamste und herrschsüchtigste unter allen," sagt Kant! Die Bestechung des norwegischen Dieners Adler Christensen, um den Jrenführer Sir Roger Casement auf die Seite zu schaffen oder gefangen England auszuliefern, ist in der Art seiner Ausführung einer der größten Schurkenstreiche, die in dem letzten Jahrhundert ausgeheckt wurden. Der großbritannische Gesandte M. de C. Findlay hat dadurch im Aufträge der englischen Regierung zugleich das Völkerrecht in schnödester Weise verletzt. Es muß einer späteren Zeit überlassen werden, zu eruieren, wie die englische Regierung in einem neutralen Staate dem gedungenen Meuchelmörder oder Verräter an seinem Wohltäter die persönliche Straffreiheit garantieren und ihm, „wenn er es wünscht, die Überfahrt nach den Vereinigten Staaten versprechen konnte. Jedenfalls zeigt das scheußliche Verbrechen, mit dem sich die englische Regierung die Verachtung jedes anständigen Menschen zuziehen mußte, ein solches Übermaß von Skrupellosigkeit, Überhebung gegen andere, neutrale Nationen, daß auch dem größten Anglophilen die Augen geöffnet werden sollten*). ‘) Eine russische Casement,Affäre scheint die unter falscher Vorspiegelung versuchte Verlockung gegenüber dem in Bukarest wellenden Grafe» Corvin MUewski zu sein, um ihn auf russschem Boden verhaften zu können. Seine ihm angeb­ lich krank gemeldete Frau soll nach Odessa ins berüchtigte Gefängnis gebracht sei» (siehe Mitteilungen SUÄ. 23.4.15). Milewski ist bekannter Pazlflzist und Gegner der allrussschen Leute. — Oie Mitteilungen des Evangelischen Presseverbandes (Nordb. Allg.Ztg. vom 22. Februar ryi;) teigen, daß auch in den Kolonien ein englisches System des Mord­ lohns (für jeden Deutschen bis 50 Schillinge) bestand: Zwei Deutsche worden um solchen Loh» von Eingeborenen schmählich ermordet, einer ertränkt, einer terhackt.—

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4> „Wilde Züge" — sonstiger Gebrauch von unzulässigen Waffen. Zn den neuen raffinierten Waffen, von denen ich oben sprach, gehört das Loslassen von sogenannten „wilden Zügen" auf den belgischen Bahnen, um deutsche Soldaten- und Verwundeten­ transporte ju gefährden. Diese gemeingefährlichen Verbreche» gemäß § 315 R.-Str.-G.-B. (Zuchthaus bis ju 10 Jahren bjw. lebensläng­ liches Zuchthaus) zeigen, daß die Kriegführenden des Dreiverbandes tatsächlich für sich das unbeschränkte Recht der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes im Widerspruch zum 2. Abschnitt der Land­ kriegsordnung von 1899/1907 geltend machen. Das sind vergiftete Waffen der Kriegführung, für die auch die bisher gewählten aller­ härtesten Repressalien noch zu mllde erscheinen, da sie die Negation jeder Menschlichkeit und jedes öffentlichen Gewissens, aller Grundsätze der Kriegführung unter gesitteten Völ­ kern bedeuten. Art. 23 b des Haager Abkommens vom 18. Ok­ tober 1907 verbietet „meuchlerische Tötung oder Verwundung" der Angehörigen des feindlichen Staates. Sie liegt hier vor — und zwar in feigster Form, die mit erlaubter Kriegslist nichts zu tun hat. Wenn daher die Deutschen in den Orten an den belgischen Eisen­ bahnen überall Geiseln festnahmen, die mit ihrem Leben für die Sicherheit auf den deutschen Verbindungslinien bürgen müssen und die sofort erschossen werden sollen, falls neue Versuche zur Zerstörung von Eisenbahnen, Telegraphen- und. Telephonlinien gemacht werden, und wenn auch die Dörfer in der Nähe der Verbindungslinien mit der Zerstörung bedroht werden, so sind dies Repressalien, die ange­ sichts der angewandten Kampfmittel absolut notwendig sind und in der Verletzung aller völkerrechtlichen Beschränkungen der Krieg­ führung in den Art. 50 und 53 der Landkriegsordnung ihre volle Be­ rechtigung finden1). Gedungene Mörder in Konstantinopel, in Persien, (in Athen!), in Nor, wegen, in Portugal, in Bulgarien, in Italien. Mißachtung aller menschliche» und göttlichen Pflichten seitens der sogenannten „Kulturvölker", um die deutsche» Barbaren tu vernichten l •) Bereits oben bei dem Kapitel 10 über die Dum,Dum,Geschosse haben wir darauf verwiesen, baß nach Art. 23 Abs. 1 e der Gebrauch von Waffen, Ge, schossen oder Stoffen, die geeignet sind, «»nötig Leiden zu verursache», verböte» ist. Ein Augenzeuge, der C. W.,Kriegsberichterstatter der „M. N. N", schildert am 16. Oktober seine Wahrnehmungen in dem Arsenal in Antwerpen: Unter einer Unmenge von Geschossen, Geschütze» neuester Konstruktion, Gewehren usw. wäre» bort die Waffen, die „belgische Patrioten" zur Verfügung stellten: „Massen alter japanischer, persischer und sonstiger orientalischer Säbel, Messer, Richtschwerter,

2zc> Hierher gehört auch das Mischen englischer Artilleriegeschosse unter tunt Kauf gestellte Kohlen, vor dem z. ,B. die Eisenbahndirektion München am 2. November 1914 offiziös warnen mußte, nachdem in 4 verschiedenen Fällen englische und französische Granaten nnd eine Kiste englischer Geschoßzünder unter den Kohlen gefunden wurden. Man sieht, es gibt eine Fülle von gemeinen Streichen, wie sie noch kein Krieg in der Weltgeschichte auch nur annähernd zeitigte, die in diesem Riesenkampfe angewendet werden**). 5. Besonders hervorgehoben muß noch werden die Verwen­ dung von Frauen und Kindern als Kugelfang, wie sie in völkerrechtswidrigster Weise insbesondere die Russen fortgesetzt übten. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt vom 14. November 1914 u. a. offiziös: Eia besonder- schroffes Beispiel barbarischer Kriegführung haben unö kürz­ lich di« Russen bei TomaSzow in Polen geliefert. Amtliche Ermittelungen über die Wahrnehmung, daß die Russen feindliche Einwohner als Kugelfang vor sich hertriebea, um unseren Truppen daS Feuern unmöglich zu machen, führten zu nachstehendem Ergebnis. DaS Lanbwehrkavallerie-Regiment Nr.... meldete am 31. 10. dem Armeekommaabo dienstlich folgendes: „Das dem Kavallerie­ regiment unterstellte Landwehrbatailloa hatte bet einem Rückzugsgefecht am Ly. 10. bei Tomaszow am Südufer der Plliza eine Ausnahmestellung zu nehmen. Spieße, Morgensterne, Totschläger, Schlagringe. Der Herzog von Orleans hatte feine besten alten Säbel — wunderbare Arbeiten mit fllberbefchlagenen Griffen — zur Verfügung gestellt. So denken sich die Belgier «inen modernen Krieg: „Morgen­ sterne" und „wilde Züge"! Fürwahr eia „frommes" und „zivilisiertes Sold" *) Die englischen „silbernen Kugeln", die den Meuchelmord unterstützen sollten, scheinen auch sonst »och bSS gewirkt zu haben, nicht bloß bei der sogenannte» „neutralen Presse". Dem Falle Casement fleht sehr ähnlich die ungeheuerliche Meldung der „Köln. Ztg." (Mitte Februar), von einem DestechungSversuche am Kapitän eines holländischen Schiffes, dem 10000 Pfd. St. angeboten wurden für die Versenkung seines Schiffes mit der Behauptung, daß die Deutschen es versenkt hätten. Auf gleicher sittlicher Stufe stehen (nach dem „Basler Anzeiger" vom 22. Februar 1915) Inserat« der „Times", z. D. „Darlehnssucher", als Gegen­ leistung die Tötung von 8 Deutschen anbietend (1), und ähnliche Gemeinheiten, die den tiefsten sittlichen Verfall Englands anzeigen. Hierher gehört auch folgendes: Unter der Überschrift: Achtung! Brand­ stifter ! erläßt der Landrat des Kreises Höchst a. M. folgende Bekanntmachung (April 1915): „England dingt nachgewiesenermaßen durch Agenten in Deutsch­ land verbrecherisches Gesindel, um die deutschen Korn- und Mehllager ta Brand zu setzen oder in die Luft zu sprengen. Diese echt englische Niedertracht soll dem Aushungerungsplan unserer Feinde zum Erfolg verhelfe». Deutsche Wachsamkeit ist berufen, auch dieses hinterlistige Vorgehen zu vereiteln. Ich bitte alle KreiS«ingeftssenea, von etwaigen verdächtigen Beobachtungen auf dem schnellste» Wege sowohl mir wie der zuständigen OrtSpolizeibehörbe Kenntnis zu geben."

2ZI

Hierbei beobachtete es, baß die aus nördlicher Richtung nachdrängenden Russen Bewohner von Lomasjvw, darunter Frauen und Kinder, auf der Hauptstraße vor sich herschoben, wie sie eS bereits in Kipanen und Sendrowen bei Willenberg in Ostpreußen getan hatten, um sich dadurch vor dem Feuer unserer Truppen t« schützen. Da stärkere russische Abtelluogen sich auf diese Weise deckten und bis auf 400 m hinter dieser Deckung herankamen, mußte »uletzt geschossen werden, wobei es nicht |u vermeiden war, daß auch Zivilpersonen getroffen wurden."

Aus dem österreichischen Kriegspressequartier (Wien, 9. März, W. T. B.) wurde gemeldet: Heute nachmittag erschien vor der befestigten Stellung unserer Truppen nördlich Nadworna ein russischer Parlamentär, der mitteilte, auf Befehl des russi­ schen Kommandanten würden morgen vormittag ungefähr fünftehnhunbert Judenfamllien, welche heute bei Kamiona und TySmienicjany versammelt worden seien, über die russische Linie hinaus t» den österreichisch-ungarische« Truppen abgeschoben «erben. Da die Judenfamllien befürchteten, von den Österreichern angeschossen ju werben, sei der Parlamentär erschienen, um dies mitzuteilen. — Durch dieses unerhört brutale Vorgehen beiweckte der Feind zweifellos, Tausende von Itobeteiligteo, die er brotlos und obdachlos gemacht hat, gleich einer Vieh­ herde vor sich herjutreiben, um flch ungefährdet den österreichischen Stellungen näher» |u können. Die Verwirklichung dieses scheußlichen Vorhabens, das als eine Schande des Jahrhunderts bezeichnet werden mußte, unterblieb noch im letzte» Momente, offenbar da die Veröffentlichung der Abflcht außerordentlich rasch geschah.

Dieser Schild von Leibern armer Frauen und unschuldiger Kinder kann wohl als eine Urschmach der Kriegführung bezeichnet werden! Hierher gehört auch der angebliche Trick der Engländer, sich und ihre Flotte gegen Luftgeschosse zu schützen, indem sie deutsche Verwundete und Gefangene, auch Zivilgefangene, auf Schiffe, z. B. im Hafen von Portsmouth, bringen. Nach der Amsterdamer Meldung vom 25. Ja­ nuar 1915 hat der Arztleutnant Athastane Nobbs mitgeteilt, daß über 1200 (darunter 200 verwundete) deutsche Gefangene in solcher Weise als SchUd verwendet werden. Ein strikter Beweis für die Absicht, die natürlich den Gipfel gemeiner Gesinnung bilden würde, ist m. E. nicht zu erbringen, so schwer der Verdacht ist.

Aber die Anwerbung öeutscher Zivilgefangenen in Frankreich für die Fremdenlegion insbesondere: Eine beim Friedensschlüsse dringend zu ordnende Einrichtung, ein Hohn auf alle moderne Sozialpolitik ist und bleibt die ftanzösische Fremdenlegion. Bon deutschen Zivilgefangenen in Frankreich, die in die Heimat zurückgelangt sind, ist mehrfach berichtet worden, daß in den Konzen­ trationslagern, in denen die Deutschen und Österreicher im wehr­ pflichtigen Mter untergebracht sind, auf jede Weise durch Überredung

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uni) Zwang versucht wird, junge Leute für die Fremdenlegion anjuwerben. ES wird behauptet, daß die erbärmliche Verpflegung, die jämmerliche Unterbringung und die rohe Behandlung gerade den Zweck verfolgen, den jungen Leuten den Aufenthalt in den Lagern so unerträglich zu machen, daß sie den Eintritt in die Fremdenlegion noch als das geringere Übel wählen. Es liegen jetzt an zuständiger Stelle eine Reihe eidlicher Aussagen über diese Anwerbungen zur Fremden­ legion vor, aus denen leider hervorgeht, daß die Bemühungen der französischen Behörden nicht ganz erfolglos sind. Unter den eidlichen Aussagen hierüber seien folgende mitgeteilt: Ein deutscher Professor sagte aus: Sowohl in Fort Nikolas wie auf dem Ponton wurden täglich in erster Linie die Elsässer und Polen, aber auch ander« hervorgerufen und ihnen nahegelegt, in die Fremdenlegion einzutreten, sie sollten, so sagte man, sicher nicht gegen ihre Landsleute verwendet werbe».

Man suchte

ihnen de» Eintritt auch so i« erleichtern, daß man ihnen versprach, sie dürften «ach Beendigung des Krieges gleich wieder zurückkehren und brauchten sich nicht auf fünf Jahre t« verpflichten. Mir ist bekannt, daß einige übertraten. Eine Zeugin berichtet aus dem Kloster Cellule bet Rtom: Der Kommandant verfolgte den Zweck, unter den jungen Leuten deö Lagers möglichst viele für die Fremdenlegion zu werben.

Auch meinen Mann fragte er einmal, ob er sich nicht

für die Fremdenlegion anwerben lassen wolle. Er stellte das Leben in der Fremden­ legion und die Belohnung in den rosigsten Farben dar, erhielt aber von meinem Manne wie von den meisten andern Männern einen abschlägigen Bescheid. Nur etwa 18 junge Leute haben sich, soviel ich weiß, in der ganzen Zeit für die Fremden, legion anwerbe« lassen. In einer weiteren Aussage

heißt

es:

Im Lager i« Camp d'Avrills

wurde» durch den Lagerkommandanten Oberstleutnant Lavache, im Zivil, beruf Schirmfabrikanl in oder bet Angers, alle Männer gefragt, ob sie sich nicht t«m Eintritt io die Fremdenlegion melden wollten.

Drei jüngere Männer in

den zwanziger Jahren gingen dann auch eines Tages mit weißen Zipfelmützen auf dem Kopf — ein Zeiche» der Anwerbung — in den Zelten umher und erzählten, sie gingen zur Fremdenlegion. Und schließlich wird aus dem Konzentrationslager in Robez bei Toulouse in einer eidliche» Aussage berichtet, daß von de» männ, lichea Gefangenen etwa 50 zum Eintritt in die Fremdenlegion überredet wurde».

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß vom völkerrechtlichen Standpunkt aus (Art. 4—7 der Landkriegsordnung) wie vom all­ gemeinen moralischen Standpunkt aus eine solche Anwerbung unter Anwendung von Zwang und Überredung ein völkerrechtlicher Frevel von ganz besonderer Niedrigkeit ist, — weit größer als die Verletzung der analog anzuwendenden Art. 44 und 45 der Landkriegsordnung, die die freie Bevölkerung vor Zwang des Feindes schützen sollen, zumal schon die Einsperrung der Zivllpersonen einen Bölkerrechtsftevel bedeutet.

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iS. Kapitel. Die Russengreuel in Ostpreußen insbesondere. — Rußland und unsere Zukunft. «Rußland ist die größte Gefahr für den euro, pLischen Frieden." Sir Edward Grey im Frühjahr 1914.

A. Eine wahre Verhöhnung aller völkerrechtlichen Abkommen, aller Gesetze und Gebräuche, auch der ältesten und geheiligtesten des Krieges, jeder Menschlichkeit überhaupt bedeutet das Auftreten der Bundes­ genossen der Westmächte, die in Freiheits- und Rechtsphrasen schwelgen und die Welt durch die Herren Huysman, Vandervelde e tutti quanti über das Barbarentum der Deutschen in Entsetzen bringen, die ihrer­ seits auf einmal von dem „Blutjaren", dem „ärgsten Despotismus, den die Welt sah" und dem ste jetzt Helfershelfer sind und für den sie als commis voyageur reisen, nicht ein Wort mehr reden und nichts mehr ju wissen scheinen; selbst in erschlichenen und gefälschten Aufträgen des Internationalen Bureaus der Sojialdemokratie wagen sie kein Wort über diese Erbfeinde jeder Freiheit und jeglichen Rechts ju verlieren. Die Tausende in den Kerkern Rußlands schmachtenden sozialdemokratischen Genossen werden mit sonderbaren Gefühlen von diesen merkwürdigen „Demokraten" ä la Sembat, Guesde und Genossen lesen, die in Chauvinismus von den Bonapartisten und Royalisten feudalster Sorte kaum übertroffen werden und in ZarenByjantinismus sich kein Wort gegen Rußlands Kriegführung ju sagen getrauen: ein wahrer Zusammenbruch des sozialisti­ schen Internationalismus! Auch diese Greuel der Russen vor allem in der Zeit vom 10. August bis Anfang September, bis ihnen der wackere Generalfeldmarschall v. Hindenburg mit seinen Heldenscharen den Weg in die Sümpfe der masurischen Seenplatte wies, sollen hier nicht eingehend dargelegt werden, zumal die amtlichen Ermittlungen in Bälde ein völliges BUd dieser Hunnengreuel, insbesondere des Kosakengesindels, ergeben werden. Hier nur einige Stichproben. Allgemein bemerke» wir auch hier, daß wir mit unseren Aus­ führungen nicht verallgemeinern wollen. Wir wissen, daß auch in Ostpreußen in Einzelfällen gut disziplinierte russische Truppen vor­ handen waren, deren Offiziere selbst vor den Schandtaten der Nach­ kommenden warnten und vor dem Kosakevgestndel schwere Sorge

234 ausdrückten. Aber diese Elemente waren leider Ausnahmen. Von ihrem Benehmen stach der Durchschnitt und insbesondere das ganze Kosakenvolk um so mehr und um so nachteiliger ab. Von Monat zu Monat wurde zudem das russische Menschenmaterial schlechter. Eine amtliche Meldung von Mitte September sagt: „Die Fortsetzung der behördlichen Ermittelungen über die Verwüstungen der rusflschen Truppen in Ostpreußen hat tu eingehender Vernehmung der Ortsetnwohuer in den zerstörten Orten geführt, so «eit die Bewohner noch am Leben sind. Es ist durch die Vernehmungen einwandfrei festgestellt, daß vor dem Einzug der Russen die OrtSbehörde» dringlich zur Ruhe und zur Vermeidung jeden Wider­ standes aufgefordert hatten und dass nicht ln einem einzigen Zolle die oft. preußische Bevölkerung sich zu einem Zranktireurübersall auf die Russen hat hinreißen lassen. Ungeachtet dieser ruhige» Haltung der Ostpreußen haben die russischen Befehlshaber die Zerstörung und Riederbrennung aller Ortschaften befohlen, deren zurückgebliebene Bevölkerung zu arm war, um die geforderten Kontri­ butionen aufzubringen. Soweit bisher Feststellungen vorliegen, sind auf diese Weise r; größere Ortschaften gänzlich von den Russen niedergebrannt, doppelt so viele schwer beschädigt «ad tellweise zerstört worben. Im Regierungsbezirk Gumbinnen wurden bisher über 360 ermordete Bewohner festgestellt. Eine genaue Angabe der Opfer der russischen Soldatenmorbe ist erst später möglich."

Diese Mittellung wurde einer Versammlung von ostpreußischen Abgeordneten und Herrenhausmitgliedern Ende Oktober gegeben mit der Bemerkung, daß von den russischen Soldaten in Ostpreußen nicht weniger als tausend (!) Zivtlbewohner ohne jede Veranlassung ermordet worden sind. Der Schaden an Mobiliar beträgt allein über 20 Millionen Mark; 80000 Wohnungseinrichtungen sind zerstört. Die Schllderungen aus den einzelnen Orten (z. B. Lyck, Gerdauen, Abschwangen, Tapiau, Soldau, Domnau, Uderwangen usw.) sind grausig. Der übrigens russischerseits nicht überall fehlende Franktireur­ krieg — et wurde in einigen Gegenden (z. B. in Kalisch) mit größter Grausamkeit geführt —, wurde durch eine andere raffinierte Art des Kampfes ersetzt, über welchen ein Aufruf des Oberkommandiereuden der deutschen Armee in Russisch-Polen (Ende September) berichtet. Es heißt dort in einem Appell an die polnische Landbe­ völkerung: „Das räuberlsche Moskowitertum, das dieses Land bestahl und seine Be­ wohner »ach Sibirien hinausschleppte, flüchtet jetzt vor den Befreiern der polnischen Ration, d. h. vor den deutschen und österreichisch-ungarischen Armeen. Aber obwohl schon in der Flucht, häuft das Moskowitertum noch eine Schmach auf die andere.

235 I» die Häuser ruhiger polnischer Bürger schleichen Agenten und Spione ei» und töten auö dem Hinterhalt deutsche und österreichische Soldaten" «sw.

Das alles geschah in der offenbaren Absicht, die deutschen und öster­ reichischen Truppen zu Repressalien zu reizen und damit die Bevölkerung zu Gewalttaten gegen die Verbündeten zu veranlassen. Natürlich ist diese Art des Franktireurkampfes noch völkerrechts­ widriger als die belgische und französische; es ist die Handlungsweise gedungener Mordbuben. Der Kriegsberichterstatter Rolf Brandt der „Augsb.-Münch. Abendztg." schrieb resümierend als Augenzeuge Mitte September 1914: «Ostpreußen ist frei, es ist von Räubern und Mordgesindel befreit.



meinem letzten Bericht schrieb ich, daß so viel bewiesen sei, daß kaum noch etwas übrig bleibt.

Es steht fest, baß eS kaum eine Gemeinheit gibt, die die russischen

Soldaten in Ostpreußen nicht begangen haben. Ich konnte mich durch den Augen, schein von Tatsachen übertrugen, die der Europäer schlechthin für unmöglich hält. Um daS russische Verhalten richtig $« beschreiben, müßte unsere reiche deutsche Sprache neue Worte erfinden, unser Vorrat reicht nicht aus, diese Gemeinheiten und Bestialitäten bereichnen. Wir Europäer und Deutsche konnten uns dies bisher noch nicht vorstellen"*).

Von russischen Unmenschlichkeiten berichtet, wie alle anderen auch der nach dem Osten entsandte Kriegsberichterstatter der «Vossischen Zeitung", indem er erllärt, vom Armeeoberkommando werde folgendes Schreiben übermittelt: *) In der ostpreußische« Presse wurden unwidersprochen folgend« Eintel, heilen unter Namensnennung bekannt, deren Richtigkeit die amtliche Unter, suchung ergeben wird: „Bei der Flucht aus dem Dorfe Grieslienen am 27. August wurden, nach der «Warmta", der pensionierte Lehrer Zonewitz und der Landwirt Albert Rockel in der Nähe der Sensujer Mühle von Kosaken ergriffen. Die Überfallenen wurden an die Pferde gebunden und mitgeschleift, so baß dem einen der Unglücklichen dabei die Beine brachen. Alsdann wurden die Gequälten bet dem Gute Amerika tvor Hohenstein) auf freiem Felde durch Lanjensttche gemordet.

Während der

eine dieser Märtyrer Stiche an Hüfte, Achselhöhle und Dein auswies, waren dem andern die Augen ausgestochen und die Brust geöffnet. Getötet von russischen Soldaten wurde ferner der Wirtssohn Julius Burdach,Sensujen, der Arbeiter Bartnit und der twölsiährige Knabe Pörsch, beide aus Grieslienen. Das «Labiauer Kreisblatt" schreibt: Schwer, sehr schwer haben östlich der Deime besonders die Ort« Agilla, Gr.,Friedrichsgraben, Schelecken, Laukischken, Mehlaukea, Gr.,Baum, Taptau usw. gelitten....

Den Amtsvorsteher Daniel in Gr.,Baum, einen Greis

von 85 Jahren, der schon zum Teil des Augenlichts beraubt war, schonten die Unholde nicht und streckten ihn nieder. Ferner ist eine Fra» Urban in Gr. Frie, brichsgraben ein Opfer der Russen geworden. Sie war auf der Flucht und hatte, turückkehrend, noch ein teures Andenken mitnehmen wollen."

2Z6 AnS Armeeoberkommando. Zwei Tage nach der Schlacht bei gorothowo traf ich auf der Chaussee Guttstadt,Seeburg einen Trupp Rekruten, etwa 21 Mann, welche am Tage vorher von Kosaken überfallen worben waren. Man hatte de» Rekruten entweder ei» Dein oder «ine Hand abgehackt und sie dann so an der Chaussee liegen lassen. Ein Gendarm hatte die Rekruten begleitet und lag auf der Chaussee so gefesselt, daß er toten mußte, die Hände auf den Rücke» gebunden. Ohren und Nase waren ihm abgeschnitten. Ich ließ die Verstümmelten durch Zivilpersonen aus Guttstadt dorthin bringen, hatte selbst keine Zeit, mich weitet um sie ju kümmern, ge», v. Tiedeman», Oberleutnant d. Res.,Kür.,Reg. Nr. 5 *). *) Nach derselben Quelle liegen jwei amtliche Schriftstücke dem Armeeober, kommando vor, die lauten: 1. Der Wehrmann August Kurtz 5. Kompagnie Land, wehr,Infanterie,Regiments Nr. 19 und der Wehrmann Hermann Fanseweh 1. Kompagnie Ersatz 152 erklären eidesstattlich, daß sie im Walde bei Grodtke» der erstere elf, der jweite neu» Frauenleichen mit abgeschnittenen Brüsten und aufgeschnittene» Bäuchen gesehen haben. Kriegshysterie? Schaurige Geschichten erzählte der Kriegsberichterstatter des „Fränk. K." unterm 22. Oktober aus Heinrichswalde, einem kleinen Städtchen in der Niederung. Er schreibt «. a.: „Der russische Rittmeister ließ sämtliche Bewohner, auch Frauen und Kinder, auf einem freien Platze sich versammeln. I» dieser bedrohlichen Nähe, halb ver, sengt von der Gluthitze, warteten die Bedauernswerten ihr Schicksal ab. Dann hieß eS, alle Einwohner ohne Ausnahme sollten erschossen werden, «in Grund wurde nicht angegeben. In Heinrichswalde non fiel nach jenem schrecklichen Gebot die ganje Gemeinde auf die Knie und bat um Gnade. Kleine Kinder riefen: „Lieber Gott, schieß nicht tot." Der Pfarrer verhandelte mit dem Rittmeister. Schließlich erlaubte dieser den Frauen und Kindern i« gehen, die Erschießung sollte auf die Männer beschränkt bleiben. Noch zwei Stunden wandte der Pfarrer alle feine Überredungskünste an, nicht achtend der brutalen Behandlung des Rittmeisters, der sich nicht entblödete, den ehrwürdigen Mann am Bart zu zausen. Endlich gab der Russe nach. Cr verlangte aber nun, daß wenigstens einer für alle mit dem Tobe bestraft würde. Ein alter Lehrer meldete sich. Der Rittmeister erklärte: „Nun, wenn du so mutig bist, will ich dich das auch nicht entgelten lassen", und schenkte dem alte» Manne bas Leben. Ohne Strafe dürften die Leute nicht bleiben, gebot der Rittmeister. Da mußten sich alle hinlegen und entblößen und alt und jung, reich und arm, vornehm und gering wurde mit Knuten gehauen, zum Test so schwer, baß einige der Unglücklichen vom Platze getragen werden mußte». Der Rittmeister setzte wohl selber seinen Fuß auf den Nacken dieser Arme», während «in Soldat die Füße festhielt und der dritte zuschlug." Ich habe in der 1. Auflage mit der größten Vorsicht die vorstehenden Mit, telluogea gemacht. Nunmehr wird mir von zuverlässigster Seite versichert, daß dieselben völlig der Wahrheit entsprechen und durch eine Reihe von Zeugen nach, gewiesen «erden können. Den definitive» amtlichen Bericht über die Ostpreußen,Grenel hoffe ich in der abschließenden 4. Auflage aufnehmen zu können. Im übrige» stimmen alle diese Berichte mit der Gesamthaltung der russische» Soldaten in Ostpreußen überein.

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Das sind Greuel der entmenschten Soldateska, deren Erjählung Reichstagsabgeordneter Bürgermeister Wagner-Tapia« ergänzt, indem er mir u. a. brieflich mitteilte, daß in Abschwangen 40 Personen erschossen wurden, da dort eine preußische Kürassierpatrouille einen Offizier abschoß. Zuerst sollten alle männlichen Bewohner des Orts erschossen werden. Auf das herzzerbrechende Flehen der Frauen und Kinder ließ sich der Kommandant soweit erweichen, baß er zuerst eine Reihe der Todgeweihten und auf wiederholtes Bestürmen hin aus der anderen Reihe jeden zweiten Mann straffrei ließ. Die übrig­ bleibenden Männer wurden standrechtlich erschossen. Die übrig ge­ bliebenen Einwohner waren damals von den Russen fortgejagt worden; erst nach der Rückkehr konnten von ihnen die halbverwesten, auf der Straße liegenden Männer notdürftig begraben werden. Und heute ist nur der kleinste Teil der ftüheren Einwohner dieses so fürchterlich geprüften Ortes zur Heimstätte zurückgekehrt und haust unter Trümmern. In Gut Trimman wurde der Gutsbesitzer Krause und sein Bruder ohne jeden Grund erschossen usw. usw. Anfang Oktober schrieb der Vertreter des „Nieuwe Rotterdamschen Courant seinem Blatte u. a.: „Im südlichen Ostpreußen ist die Bevölkerung wieder beruhigt und heimgekehrt, soweit Woh­ nungen noch bestehen. Städte von Bedeutung wie Ortelsburg sind zu 70% niedergebrannt. Entsetzliche Schandtaten sind von den Russen ohne jeden Grund verübt worben" usw. Im „Allgemenen Handelsblad" schreibt ein Holländer (April 1915): „Es ballt sich die Faust über soviel unnötige Grausamkeit." Er vergleicht z. B. das Wüten der Russen auf preußischer Seite mit der völligen Schonung des Ortes Profilen, durch den die Grenze geht, durch die Deutschen. Einer möge für viele sprechen! Der Zahlstellenvertreter des *) Im übrigen verrichte ich auf die Wiedergabe all der erschütternden Erzählungen über russische Greuel, um die Veröffentlichung der amtliche» Erhebung abzuwarten. Nur einer der scheußlichsten der vielen schändlichen Greuel sei schon heute mitgeteilt: Vor dem dirigierende« Mitte Dr. Lehmann,München im Lazarett Weiden (vberpfalz) II, Städt. Krankenhaus, machte der Reservist Walter Panteleit der 4. Batterie des 1. preußischen Felbartillerie,Regiments folgende Aussage, die auf die Zeugen den glaubwürdigsten Eindruck machte, wie mir per# flnlich mitgeteilt wurde. Er sagte: „Wir betreten bas Wohnhaus und finden hier Soldaten vom 4. Grenadier#Regiment, welche soeben dabei waren, etwa 5—7 Kinder im Alter von 4—10 Jahren aus einer schauderhaften Lage zu be­ freien. Die Kinder waren — mit beiden Händen auf einen großen Tisch genagelt und hatten starke blutende Wunden. Sie erzählten, daß

Lz8 sozialdemokratischen Bauarbeiterverbandes in Ostpreußen, Schaak, ist von den Russen ermordet worden. Der „Vorwärts", der an die Grau­ samkeiten unserer Gegner nur ungern glaubt und deshalb auch den energischen Protest der Gewerkschaften herausgefordert hatte, mußte Mitte Dezember einem Brief, den der Vorstand des sozialdemokratischen Provinjialverbandes Ostpreußen an den Parteivorstond in Berlin rich­ tete, folgende Einzelheiten über den Vorgang entnehmen: „Am 13. Sep­ tember, als unsere Truppen zur Befreiung gegen Tilsit anrückten, entstand unter den Russen ziemliche Erregung. Sie drangen in die Wohnungen, trieben Frauen und Kinder heraus, nahmen die Männer fest und führten diese unter Kolbenstößen mit auf den Rücken ge­ bundenen Händen aufs freie Feld. Hier mußten die acht Männer sich an einem Graben hinstellen, um auf Befehl eines Offiziers er­ schossen zu werden. Schaak war mit seinem Schwiegervater zusammen­ gebunden. Myglas und sein 15 Jahre alter Sohn waren einzeln gefesselt. Auf eindringliches Bitten des Myglas nahm der zweite Offizier, dem die Exekution von dem ersten Offizier übertragen war, von der Erschießung Abstand und kommandierte „mit Anlauf stechen!" Myglas und dessen Sohn sprangen nun auf und flüchteten. Während dem Vater noch das Bajonett eines Russen mehrere nicht lebens­ gefährliche Stiche in Arm und Hüften beibrachte, kam der Sohn unverletzt davon, denn zur Verfolgung halten die Russen keine Zeit mehr, weil sie bereits von den zurückkehrenden deutschen Vorposten beschossen wurden. Schaak, der mit seinem Schwiegervater ebenso wie die anderen Männer zusammengebunden war und nicht so schnell flüchten konnte, wurde gleich den anderen erschossen. Manche Leiche« wiesen bis zu fünfzehn Stiche auf. Der verwundete Myglas teilte diese Metzeleien dem deutschen Kommandanten in Tilsit mit. Dieser ließ sämtliche gefangenen Offiziere dem Myglas und seinem Sohn gegenüberstellen. Zwei von diesen Offizieren wurden als die Befehls­ haber der Ermordung erkannt. Zum Geständnis bequemten sie sich aber erst, als der deutsche Offizier jedem den Revolver vor die Brust setzte...." Werden die Herren Sembat und Guesde, Vandervelde und Kon­ eine soeben abtiehende Kosaken-Patrouille dies mit ihnen getan hätte.

Die Znfaotristen «ahmen sich der Kinder an."

Wo sind die Kulturpioalere des neutralen Auslands, die sich über diese Besilalität genügend entrüsten? Aber es sind ja nur Kinder von „Boches"! Und die Täter — kosakische Kulturträger!

239 sorten Liese „Bundeshyänen" auch in Amerika und in der ganjen Wett wegen ihres Frevels anklagen? Der Kriegsberichterstatter der „Voss. Ztg." auf dem östlichen Kriegsschauplatz telegraphiert: „Nachstehend zwei empörende Tatsachen, die ich an jusiändiger Stelle erfahren habe (12. September 1914): 1. Der russische Generalissimus Rennenkampf hat Befehl erlassen, durch eine „besonders schneidige Kompagnie" alle Förster der Rominier Heide ausheben und erschießen zu lassen; 2. der General Marios hat befohlen, alle Ortschaften im Bereich der russischen Truppen zu verbrennen und alle männlichen Einwohner zu erschießen, auch wenn diese sich nicht an dem Kampf betelligen oder die Hergäbe von Nahrungsmitteln verweigert haben." Also die Vertiertheit dieser Soldateska reicht bis zum höchsten Befehlshaber hinauf! Schade, daß man Herrn Rennenkampf nicht in Insterburg aufgehoben hat! Die Antwort für Rennenkampf überbrachte ein deutscher Fliegeroffizier. Sie lautet: „An General Rennenkampf. Euer Exzellenz geben wir bekannt, daß durch die völkerrechtswidrige Niederbrennung unschuldiger Ort­ schaften und das Hinschlachten ihrer Bewohner die russische Armee jedes Anrecht auf schonende Behandlung verwirft hat. Das Blut der Ermordeten kommt auf ihr Haupt." Auch die Vertreter des Zaren haben jene Abkommen vom 18. Ok­ tober 1907 unterzeichnet, um die „unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuche, die Gesetze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens" zu erfüllen! Ja, der Zar hat den Stolz, der Veranlasser der ganzen Beschlüsse im Haag zu sein, die seine Blut­ knechte bis zum Höchsikommandierenden hinauf mit Füßen treten *). Nicht Soldaten, nicht Kriegsgegner, nein, wehrlose Frauen, Kinder und Greise hat dieses Gesindel in Massen gemordet. Dieses Verbrechertum hat alle Grundsätze göttlichen und menschlichen Rechts vernichtet. Die Aufrechterhaltung der Grundsätze des Völkerrechts gegen diese Bande ist ein Anachronismus: Wer so alle Versprechungen und Abkommen mißachtet und mißachten läßt, stellt sich außerhalb jeglichen Rechts und kann keinerlei Ansprüche aufirgendwelche Schonung und Anwendung moderner völkerrechtlicher Grundsätze erheben. Der Erlaß Rennenkampfs und Martos" — wenn er wirklich den *) Siehe die Armeebefehle der 10. Armee gegen die russischen Sanitäts, Mannschaften und der 73. Infanterie-Division „Rordd. Allgem. Ztg." Nr. 64/15.

240 behaupteten Inhalt hat, eine Dementierung ist nie erfolgt — ist die Negation jeglichen Völkerrechts überhaupt und die öffentliche Proklamteruvg des gewöhnlichen Massenmordes. Das Vorgehen der russischen Soldateska jeigt fteilich am besten, daß es sich hier nicht um eine böse Nachrede handelt, sondern daß derartige Befehle wirklich ergangen sind. Das bestätigt folgende amtliche Mitteilung: Aufgefangener Funkenspruch vom 25. August 1914 12 Uhr mittags: „General Postowski au de» Kommandeur des 1. Armeekorps: Ich bitte unverzüglich weiterzugeben an die 21. Division und den Stab des 23. Armeekorps. 7.13 morgens. An Sei., (verstümmelt). Der kommandierende Befehlshaber «ine Kompagnie mit einem energischen Kommandeur auszuschicken mit dem Auf­ trage, alle Förster ohne Erbarmen zu erschießen."

Der bekannte Berichterstatter Paul Lindenberg gab eine Reihe aufgefundener russischer Befehle mit Erlaubnis der amtlichey Zensur bekannt (z. B. über Massen-Geisel-Wegtreibung, Nichtbeachtung der weißen Fahnen usw.). Fast jedes dieser Dokumente verrät die völlige Aufhebung jeglichen Kriegsrechts (s. oben Art. 32 des maßgebenden Abkommens). Die Ehre und Rechte der Famllie, der Bürger, die gar keinen Krieg führen, den nur der Staat und seine Armee führen darf, werden hier aufs schnödeste durch die Wegführung unschuldiger fried­ licher Bürger mißhandelt (s. oben Kap. 14 Z. VI). Die Kontributionen, die in dem besetzten Gebiete nur nach den Regeln der Art. 48—52 des IV. Abkommens der Haager Konferenz eingezogen werden können, sind hier willkürlich und als direkte Strafen für die deutsche Bevölkerung auferlegt, obwohl Art. 50 l. c. be­ stimmt, daß keine Strafe in Geld oder in anderer Art über eine ganze Bevölkerung wegen der Handlungen einzelner verhängt werden darf, für welche die Bevölkerung nicht als mitverantwortlich angesehen werden kann. Es sind überhaupt bestimmte Handlungen gar nicht als Grund der Kontribution genannt worden, und trotzdem hat man sich nicht etwa mit Kontributionen zur Deckung der Bedürfnisse des russischen Heeres und der Verwaltung begnügt, sich auch nicht in dem Rahmen der bestehenden Abgaben nach Art. 48 gehalten, sondern in echt tatarisch-orientalischer Art Kontributionen auferlegt, um im Falle der Unmöglichkeit der Zahlungen Geiseln mitschleppen zu können, die in das Innere Rußlands und nach Sibirien gebracht wurden *). *) Siehe Befehle des Generals Samsono«, daß überall fünf bis zehn Geisel» in amtlicher Stellung festgenommen werben sollen. Aus Großbeischkallea und Umgebung solle» etwa 300 Geiseln von den flüchtenden Russen mitgenommen worden sein.

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Das alles tut die Soldateska des „Friedensjaren", der auf die Urheberschaft der Beschlüsse der Haager Friedenskonferenz so stolz war! Seine Generale treten das mit Füßen, was die Herren Nelidow und Genossen im Namen des Zaren unterschrieben! Die russischerseits abgegebene Erklärung, daß kein Pardon ge­ geben wird, ist in jenem oft zitierten Abkommen (Art. 23 Abs. 1) ausdrücklich verboten, ebenso die Zerstörung oder Wegnahme feind­ lichen Eigentums außer in den Fällen, wo diese Zerstörung oder Weg­ nahme durch die Erfordernisse des Krieges dringend erheischt wird; das letztere also insbesondere bei notwendigen Requisitionen von Lebensmitteln, Kriegsgeräten «sw. (s. unten Kap. 18). Hier handelt es sich nur um die systematische, gewohnheits­ mäßige roheste Plünderung. Gereizt wurde das Kriegsvolk vielleicht noch durch die Verweigerung des Verrats, der einzelnen Personen mit Gewalt angesonnen wurde (s. oben). Die Art. 25, 26, 44—47 des Abkommens vom 18. Oktober 1907, die mit den Normen des Abkommens von 1899 wesentlich überein­ stimmen, wurden in solcher Weise freventlich verletzt. Art. 25 sagt: „Es ist untersagt, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzu­ greifen oder zu beschießen." Oer Befehlshaber einer angreifenden Truppe soll vor Beginn der Beschießung, den Fall eines Sturmangriffs ausgenommen, alles was an ihm liegt, tun, um die Behörden davon zu benachrichtigen (Art. 26). Das fiel den Russen niemals ein. Nach Art. 44 ist es einem Kriegführenden untersagt, die Be­ völkerung eines besetzten Gebiets zu zwingen, Auskünfte über das Heer des andern Kriegführenden oder über dessen Verteidigungs­ mittel zu geben. Art. 46, eine der wichtigsten Bestimmungen der Haager Ab­ kommen, bestimmt: „Die Ehre und die Rechte der FamUie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden. Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden." Nach Art. 47 ist die Plünderung ausdrücklich untersagt, ja es ist sogar untersagt, Städte oder Ansiedlungen, die im Sturm genommen sind, der Plünderung preiszugeben (Art. 28 der Landkriegsordnung). All das existiert für die russischen Banden nicht! Freilich die Fran­ zosen handelten im Elsaß nicht viel anders! fR4Utte blutrünstigsten GreuelfimS von Schauspielern „gestellt werden", und die Amerikaner halte» bann alles für ernst!

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Blüchers Zeit ist eine Stelle aus den „Memoires" des Revolution^ man-:s Barere angeführt, die recht gut auf den Derleumdungsfeldzug, den der Dreiverband gegen Deutschland führt, gemünzt sein könnte: „Bei verdorbenen Nationen ist die Verleumdung eine Macht. Sie hält in ihrer eisernen Hand eine vergiftete Feder. Ihr Herz ist von Kot und ihr Kopf von Erz. Sie ist ohne Ohren und ohne Er­ barmen. Taub und voll Bosheit, hört sie weder auf Tatsachen, noch auf Rechtfertigungen." Die Frage, wie in Zukunft solchem schändlichen Systeme skrupelloser Verleumdung vorge­ beugt werden kann, wird das deutsche Volk nach dem Kriege sehr ernst beschäftigen müssen. Nicht bloß der telegraphische Verkehr, dem durch Legung deutscher Kabel in Zukunft gründlich abgeholfen werden wird, auch die psychologische und die preßtechnische Behandlung des Auslandes bedarf der dringendsten Reformen. Diese freilich steht in Verbindung mit der größten Forderung des zukünftigen Tages, der völligen Reform unseres deutschen diplomatischen Dienstes: Das ist heute die popu­ lärste Forderung des deutschen Volkes! Die deutsche Regierung, die hier gegenüber den Wünschen der öffent­ lichen Meinung in allen Teilen des Volkes Schwierig­ keiten machen würde, würde den schwersten politischen Fehler begehen. Im übrigen überschätze man für die Dauer des Krieges den Wert der Aufklärung, die jetzt meistens zu spät kommt, nicht! Der eiserne Besen unserer Siege, d. h. Taten sind es, die für unsere gute Sache sprechen sollen und — sie werde» sprechen, laut und deutlich, daß die ganze Welt sie vernimmt'). Frellich für die ebenso wichtige Zeit nach dem Kriege ist die Aufklärung des Auslandes über die Tatsachen mit die größte Forderung des Tages! *) Die vou Bewunderung erfüllten Berichte der feindseligsten Presse, „Times", des „Bulletin des arm) Wenn man sich in diesen Zeiten noch über etwas wundern könnte, wäre es folgendes: „Deutsche Zitate in russischen wissenschaftlichen Werken werben nach der „Rjetsch" vom 14. Mai 1915 von der St. Wladimir,Universität in Kiew für unzulässig erklärt. Ein gewisser Tscherwojsky sollte eine Dissertation auS dem Gebiete der Geologie in der Universität öffentlich verteidigen. Aber am Tage vor dem zur Verteidigung angesetzten Zeitpunkte entdeckte man, daß tu der Arbeit reichliche Zitate auS deutschen geologischen Werken tu Ursprache angeführt waren. Dem jungen Geologiebefliffenen wurde die Unzulässigkeit der Anführung deutscher Zitate in Ihrem Wortlaut vorgehalten und die Pflicht auferlegt, die Dissertation umzuarbeiten. Zugleich wurde von der Universität die Verlegung des Zeitpunktes für die öffentliche Verteidigung angeordnet." Dementia belliculosa? *) ES darf hier daran erinnert werden, baß in Rußland über 2 Millionen Deutsche leben, die nicht bloß in den Ostseeprovinzen, sondern auch in Polen, Im Gouvernement Saratovo und Samara, in Beßarabten, in der Krim, in Süd, rußlanb (400000), am Asowschen Meere, im Kaukasus, in Wolhynien und Podolten eine große wirtschaftliche Rolle spielen, die ebenfalls jetzt schmählich unterdrückt und deren Vermögen unter Zwangsverwaltung gestellt und enteignet wirb, die selbst nach dem Osten verschleppt und deren merkantlle und industrielle Unter, nehmungen mit dem 1. AprU geschlossen wurden. Auch ihrer muß in dem zu, künftigen Friedensschlüsse gedacht werben. Die Selbstänbtgmachung der

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II. In der Folge wurden noch folgende Maßnahmen der russischen Behörden bekannt: Der dem russischen Handelsministerium unter­ stehende Konseil für Industrie und Handel hat nach den Mitteilungen des Deutschen Handelsvertragsvereins von Ende Oktober 1914 am ii. September folgenden Beschluß gefaßt: 1. Ms verantwortliche Vertreter der in Rußland zugelassenen Aktiengesellschaften dürfen keine Untertanen der mit Rußland Krieg führenden Staaten fungieren. 2. Die verantwortlichen Vertreter werde«, unter Androhung von krimineller Bestrafung, verpflichtet, ohne jedesmalige Erlaubnis des Handelsministers kein Geld ins Ausland auszuführen. 3. Der Handelsminister ernennt in allen auf Grund der reichsdeutschen und österreichischen Statuten tätigen und in Rußland zu­ gelassenen Unternehmen besondere Aufstchtsbeamte. Außerdem sprach sich der Konseil für den Erlaß eines allgemeinen Zahlungsverbotes gegen Deutschland und Österreich aus. Durch Mitteilungen eines in Rußland ansässigen Rechtsanwalts erhielt das „B. T." die Nachricht, daß durch einen Ukas des Zaren vom 24. Juli 1914 (alten Stils) die Geltung der Vereinbarung zwischen dem Deutschen Reiche und Rußland aufgehoben worden ist, nach der deutsche Staatsangehörige zur Geltendmachung irgendwelcher Ansprüche vor den russischen Gerichten rechtlich ebenso gestellt sind, wie russische. Aus der russischen Zeitung „Rußkoje Slowo" geht her­ vor, daß Klagen deutscher und österreichischer Staatsan­ gehöriger von den russischen Gerichten abgewiesen werden, ja daß die russischen Gerichte sogar deutschen und österreichischen Staatsangehörigendie Vollstreckung von zu ihren Gunsten schon vor der Kriegs­ erklärung ergangenen Urteilen iir Rußland verweigern: Das ist also die völlige Rechtlosigkeit der Deutschen und Österreicher in allen Rechtssachen! Man sieht aus alle dem, daß die obigen Direktiven der „Nowoje Wremja" auch hier von dem jetzigen russischen Ministerium allmählich restlos befolgt wurden. Es steht nach obigem außer Frage, daß schon damals (Herbst 1914) die österreichischen und reichsdeutschen Staatsange­ hörigen extra legem gestellt waren. Öffentliches und Zivllrecht, VölkerOstseeprovinjen «ad Polens würde auch diesen Deutschen, die von russischer Dankbarkeit ein Lied singen können, die ersehnte Freiheit und Entwicklung^ Möglichkeit geben. Andernfalls wirb bas Deutschtum dortselbst für alle Zeit ver, nichtet sein. Müller,Meiningen, WeUtrieg und Völkerrecht. z. Aufl.

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recht, geschriebenes und ungeschriebenes, — das erstere vor allem in den oft zitierten Art. 46—56 der Landkriegsordnung enthalten (s. den Wortlaut Kap. 16 und 17), sind in gleicher Weise gröblich miß­ achtet. D. Über die Aufhebung der Geltung des Haager Abkommens über den Zivllprozeß «ährend des Krieges s. „D. J.-Z." 1914 S. 1201 und S. 1296. Die Ausnahme des §110 Abs. 2 Nr. 1 R.-Z.-Pr.-O. hat materielle Gegenseitigkeit zur Voraussetzung. Da sie durch die Nichtanerkennung Rußlands aufgehoben ist, ist das Abkommen tat­ sächlich weggefallen. E. Ott dieses Kapitel gehört auch die Aufhebung und Suspendierung von Patenten und Marken, vor allem in Frankreich und England? überhaupt die Frage des literarischen und gewerblichen Rechtsschutzes1). Im allgemeinen ist zu bemerken, daß die internationalen Konventionen über den gewerblichen und geistigen Rechtsschutz im Kriege zwischen den kriegführenden Parteien ohne weiteres außer Kraft getreten sind. Zwar werden die Angehörigen der betreffenden Länder nicht rechtlos, aber die Schutzbestimmungen, die auf Vertrag beruhen, treten außer Kraft (s. „D. Z.-Z." 1914 Nr. 16/18 S. 1074). Auch hier gilt der oben bereits wiederholt zitierte Art. 23 lit. h des Haager Abkommens insofern, als bereits be­ gründete Ansprüche bestehen bleiben und nicht annulliert werden können. Er hindert aber natürlich nicht, daß die Vertragsrechte aus Staatsverträgen über Urheberrecht, Muster- und Markenschutz außer Wirksamkeit treten, solange der Kriegszustand währt. Dadurch wird leider, da für den Krieg eine Lücke in der Gesetzgebung besteht, dem Nachdrucke, der widerrechtlichen Nachblldung und dem unlauteren Wettbewerbe Tür und Tor geöffnet^). Der große moralische und wirt*) Siehe Köhlers Aussatz darüber „Z. f. Völkerrecht" Dd. 8 Heft 2 S. 102 ff. und RSthlisberger im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel vom 11. September 1914. Beide zunächst sehr optimistisch, bis die Tatsachen den Optimismus ver, nichleten. *) Die Zeitschrift „Handel und Gewerbe" teilt in Nr. 40 vom 26. September 1914 auf S. 872, Spalte 1 unten mit, daß das englische Hanbelsamt eine „per# manente Musterausstellung" solcher Erzeugnisse eingerichtet habe, welche bisher von englischen Geschäftsleuten aus Deutschland und Österreich bezogen worden stad. Ferner wird mitgeteilt, daß beschlossen wurde, eine Reihe von sogen. „Aus# tausch#Dersammlungen" abzuhalten, in bene» Fabrikanten und Großhändler die Muster der vorstehend genannten Produkte einsehen und sich gegenseitig über die Herstellung bzw. Absatzmöglichkeiten unterhalten könnten. In dem Rundschreiben

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schaftliche Schaden ist nicht ju verkennen — vielleicht über die Kriegszeit hinaus. Die unlanterea Elemente, insbesondere in England, werden versuchen, die Zeit zum geistigen und gewerblichen Piratentum ju benutzen. Eine Abmachung dagegen, wie sie Dr. Osterrieth a. a. O. vorschlägt, erscheint mir vorerst aussichtslos'). In England ist durch ein Gesetz das Board of Trade ermächtigt worden, Bestimmungen über die völlige oder teüweise Umstoßung oder zeitwellige Aufhebung von Patenten und Marken zu treffen, die für Angehörige einer im Kriege mit England befindlichen Macht geschützt find. Die demgemäß vom Board of Trade erlassenen Rules, deren Inhalt bisher allerdings nur aus Mittellungen der englischen Presse bekannt ist, überlassen es den Beteiligten, diejenigen Patente und Marken anzugreifen, welche Angehörigen der mit England Krieg führenden Staaten gehören und englischen Interessen im Wege stehen. Zu diesem Zweck ist ein Antrag bei dem Patentamt erforderlich. Auf Verlangen des Board of Trade, der dazu ermächtigt ist (may), hat der Antragsteller glaubhaft zu machen, daß er die ernste Absicht hat, das Patent auszuführen, oder die Waren, für die das Zeichen geschützt ist, zu vertreiben, sowie ferner, daß dies im öffentlichen Interesse liegt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so kann das angefochtene Patent ober Zeichen für ungültig erklärt oder bis auf weiteres außer Kraft gesetzt werden2). der Abteilung für „Commercial Intelligence" des tzaodelsamts werden die Jmporthäuser aufgefordert, die in ihrem Besitze befindliche« Musiee der deutschen und ösierreichischea Waren mitzubringen, damit die englischen Fabrikanten sie untersuchen können. Ein« Organisierung schamlosen gewerblichen Diebstahl-l *) Im Urteil des I. Z.,S. vom 28. Oktober 1914 I 83/14 in einer gegen einen Franzosen anhängigen Patentntchtlgkeltsklage hat das R.G. über die Frage sich geäußert, ob und wieweit völkerrechtlich Verträge (hier die sogenannte Pariser Konvention vom 20. März 1883) de» Angehörigen feindlicher Staaten gegenüber in Anwendung gebracht werden könnten. Es hat ausgesprochen, daß zwar die völkerrechtliche Verbindlichkeit solcher Abkomme» feindliche« Staaten gegen, über aufhöre, baß aber der Inhalt internationaler Verträge durch Zustimmung der gesetzgebende» Faktoren ein Bestaubtest des deutsche» Rechts geworden sei und auch gegen die Angehörigen feindlicher Staaten gelte, soweit dies nicht mit dem Zwecke der Kriegführung unvereinbar sei; der Krieg werbe nur gegen de» feind, lichea Staat geführt. Gle chgültig ist auch (R.G. Zivils. 62 S. 165 ff.), ob andere Staaten gegen uns den gleiche» völkerrechtlichen Grundsatz anwenden. Eine Judikatur, die fast etwas „weltfremd" erscheint! (Siehe „D. J.,Z." 1915 S. 7i.) *) Eine Bekanntmachung im „Trade Marks Journal“ vom 11. November 1914 lautet:

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In Frankreich sind auf Grund gesetzlicher Ermächtigung durch eine Verordnung des Präsidenten der Republik vom 14. August 1914 die gesetzlichen Fristen, innerhalb deren zur Aufrechterhaltung der Patente JahreSgebühren zu zahlen sind, vom i. August 1914 an bis Es erscheint angebracht, als Richtschnur für die Allgemeinheit die allgemeinen Grundsätze bekannttugeben, nach denen sich der Board of Trade bei der Prüfung der Anträge auf Aufhebung oder vorübergehende Außerkraftsetzung von Patenten ober Marken auf Grund der Gesetze vom Jahre 1914 richtet. kann angenommen werden,

Im allgemeinen

daß die nachstehend angegebenen Regeln zur An,

Wendung gelangen; besondere Fälle werden indessen notwendigerweise besonders zu behandeln sein. Patente. Lizenzen werden, sofern die Antragsteller die im Abschnitt 1 der zeitweiligen Verordnung (vom 21. August 1914) angegebenen Erfordernisse erfüllen, im all, gemeinen bewilligt: 1. wenn im Inland keine Fabrikation zur Ausnutzung des Patents besteht; 2. wenn die im Inland bestehende Fabrikation von einer Gesellschaft oder von einer Firma für Rechnung feindlicher Ausländer, die im Ausland wohnen, ausgenutzt wird;

wenn Veranlassung gegeben ist zu bezweifeln,

daß die

Fabrikation fortgesetzt wird; oder wenn das Landesinteresse erfordert, daß eine andere Fabrikation zum Nutzen der britischen Interessen eingerichtet wird. Marken. Oie zeitweilige Aufhebung wird im allgemeinen nur in folgenden Fällen bewilligt: 1. wenn die Marke in der Bezeichnung eines patentierten Gegenstandes besteht und eine Ausnutzungslizenz für das ihn schützende Patent bewilligt ist; 2. wenn fle die einzige oder die einzige praktisch brauchbare Bezeichnung eines Gegenstandes bllbet, der nach einem erloschenen Patent hergestellt wird; 3. wenn fle die einzige Bezeichnung oder die einzige praktisch brauchbare Be, Zeichnung eines Gegenstandes bildet, der nach einem bekannten Verfahren oder nach einer veröffentlichten oder im Verkehre bekannten Formel her, gestellt wird. Regelmäßig wird die zeitweilige Aufhebung von Marken, die auf figürlichen Elementen beruhen, nicht bewilligt. Deutsche

Patente in

Kanada.

Die kanadische Regierung hat ent­

schieden, daß Patente von Angehörigen feindlicher Staaten in Kanada nicht für ungültig erklärt oder eingezogen werden, solange nicht die deutsche und öster­ reichische Regierung in gleicher Weise gegen kanadische Patente vorgeht. Dagegen werden kanadische Bürger, welche Patente der feindlichen Staatsangehörigen verwenden, die dafür fälligen Abgaben an den kanadischen Staat entrichten, und dieser wird fle am Schluß der Krieges den ausländischen Patentbesitzern über­ weisen, falls deren Regierung in gleicher Weise verfährt. Die kanadische Regierung behält sich vor, die Preise der hergestellten patentierten Erzeugnisse zu bestimmen!

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zu einem beim Aufhören der Feindseligkeiten zu bestimmenden Zeit­ punkt außer Lauf gesetzt; die gleiche Vergünstigung kommt der bei der Anmeldung eines Patentes zu leistenden Zahlung zu. Die gesetzlichen Fristen, die für die Patentausführung in Frankreich, für den Ausstellungsschvtz und für die Verlängerung des Musterschutzes gelten, sind ebenso verlängert worden. Einen Unterschied zwischen Inländern und Ausländern macht die Verordnung nicht. Wie der „Temps" vom 8. Februar meldet, bestimmt ein Regierungsentwurf über die Nutzung ftanzösischer Patente, daß den Deutschen, den Österreichern und Un­ garn während der Kriegsdauer keine Patente ausgestellt werden und daß ihnen die Nutzung ftüher ausgestellter Patente untersagt wird. Die Patente, die von öffentlichem Interesse oder für die National­ verteidigung nützlich sind, können nach einer Prüfung durch einen Sachverständigenausschuß durch ein Sonderdekret zur Nutzung an Franzosen, Verbündete und Neutrale übertragen werben, mit der Maßgabe, daß den ursprünglichen Patentinhabern die jewellig fest­ zusetzende Prämie als Entschädigung ausbezahlt oder gutgeschrieben wird. Ob es für Deutschland ratsam erscheint, in Anwendung des § 12 Abs. 2 des Patentgesetzes das Vorgehen Englands mit VergeltungsMaßregeln zu beantworten, unterliegt der Prüfung. Nach dieser Be­ stimmung kann unter Zustimmung des Bundesrats durch einfache Anordnung des Reichskanzlers bestimmt werden, daß gegen die An­ gehörigen eines ausländischen Staates ein Dergeltungsrecht in An­ wendung gebracht werde, über das Warenzeichengesetz s. § 23 Abs. 1 des Warenzeichengesetzes und die Entscheidung des Reichsgerichts vom ii. Juli 1913 II 223/13. Danach würde die eventuelle Aufhebung des Schutzes aller für Engländer in Deutschland eingetragenen Waren­ zeichen wegen der zweijährigen Sperrftist eine für uns uvbeftiedigende Lösung finden. Es muß daher wohl eine Änderung des § 4 Abs. 2 des Warenzeichengesetzes stattfinden1). x) Im Jahre 1903 wurden in Großbritannien 2751 Patente an Deutsche, im Jahre 1904 in Deutschland nur 574 Patente an Engländer erteilt. Das Der, hältnis wird sich nicht wesentlich verschoben haben.

Natürlich werden durch den

gewissenlosen Diebstahl an geistigem und gewerblichem Eigentum seitens Englands auch die Neutralen ziemlich erheblich geschädigt. Vor allem wird auch die chemische Industrie betroffen werden: In der Deutschen Medizinischen Wochenschrift wird z. B. darauf hingewiesen, daß ein solcher Raub auch au einem der wichtigsten und wertvollsten pharmazeutischen Handelsgegenstaude versucht wird, am Salvarsau.

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E. Im übrige» wird es bei Festsetzung der Friedensbebinguagen Zeit sein, der unerhörten Art wirtschastspolitischer Kriegführung ent­ sprechend t» gedenken. Nach Anschauung der beteiligten Kreise werden bei der Frage der Festsetzung der Kriegsentschädigung u. a. folgende Hauptpunkte in Betracht kommen: a) Ersatz aller Schäden, die durch Verlust oder Beschädigung der auf dem Transport befindlichen Sendungen entstanden sind. b) Ersatz aller Verluste aus Forderungen an die Kunden der kriegführenden Länder. c) Ersatz aller Verluste, die deutsche Firmen durch Maßnahmen der feindlichen Regierungen zum Schaden des deutschen Handels ge­ troffen haben. d) Ersatz aller Verluste derjenigen deutschen Werte, die im Aus­ lande noch in Form von Waren lagern. Oaju kommt u. a. wohl noch e) Ersatz der Schädigungen aus Versicherungsverträgen aller Art mit ausländischen Gesell­ schaften. Im einzelnen wird freilich die Geltendmachung insbesondere der Forderungen sub b gewaltige, vielleicht teilweise unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten. Jedenfalls aber kann nach der jetzigen Art der Kriegführung die Entschädigung nicht so einfach wie im Reichs­ gesetze vom Jahre 1871 berechnet werden, sondern sie wird ein langes, ernstes Vorstudium einer Kommission von wirtschaftlichen und finanziellen Autoritäten notwendig machen, die das Riesenmaterial zu studieren und zu prüfen haben wird. Daß trotz allen Raffinements und aller Rücksichtslosigkeit dieser finanziellen und wirtschaftlichen Kriegsmaßregeln Deutschland keine Di« auch deutschen Ärzten wohlbekannte Firma BurronghS, Wellcome u. Co. hat den Antrag gegellt, daß ihr eine Lizenz auf bas Salvarsaa-Patent der Höchster Farbwerke gegeben «erde «ob ste daS Recht erhalte, ihre Produkte unter dem Name» Salvarfa» und Neosalvarfan zu verkaufen. Dabei handelt es sich nicht etwa nur darum, «ährend der Kriegszeit den Engländern das wohl auch in Groß­ britannien unentbehrliche Mittel zu liefern, sondern die Firma hat ausdrücklich erklärt, sie könne nur dann die Fabrikation aufnehmen, wenn ihr die alleinige Lizenz für England während der ganzen Patentdauer zugesprochen werbe.

Es

scheint wenig AuSflcht vorhanden, daß das Handelsamt die Proteste der deutschen Firma anerkennt; höchstwahrscheinlich wird die Erlaubnis der Salvarsan-Fabrik erteilt werden.

Man wird staune», welche neue „englische Krankheit" aus diesem

geistigen Diebstahle entstehen «tob!

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Angst ju haben braucht, daß es mit Recht der Meinung ist, daß dieses Dorgchen nur plumpe Kurzsichtigkeit bedeutet, die dem englischen Handel und der englischen Industrie selbst tödliche Wunden schlagen wird *>, verrät eine sehr charakteristische Äußerung der „Times" bereits von Ende September: Die „Limes" schreiben dort in einer Besprechung des Buches von William Dawsor: „über die Entwicklung des modernen Deutschlands wirb jetzt viel von der G^egeoheit gesprochen, die der Krieg bietet, um sich des deutschen Handels und btt deutschen Absatzgebiete j« bemächtigen. Hiervon ist viel törichtes Geschwätz. Die HenbelSbejiehungea, deren wir «ns dank unserer Flotte bemächtigen könne«, werben nicht lange in unseren Händen bleiben, wenn der normale Zustand wieder eintritt. Wie soll dann daS dabei festgelegte Kapital wieder herauskommen? Deutschland hat sich seinen hanöel ehrlich durch Kenntnisse, Intelligenz, Steiß und slrpassungssShigkrit seiner Kaufleute und Ingenieure gesichert. Nur durch dir gleichen Eigenschaften können wir die slbsatzgebiete an» erobern und dauernd behalten.' Die „Limes" empfehlen schließlich de» englischen Industriellen daS Studium des Buches und die Nachahmung deutscher Geschäftsmethoben.

Ja, wenn diese Nachahmung gegenüber jahrzehntelangen Unsitten und Unterlassungen des englischen Hochmuts so rasch möglich wäre! Geistlose Kopie! Der Krieg vergeht, die deutsche Intelligenz, Tüch­ tigkeit und Rührigkeit bleibt nicht nur — nein, sie erhält durch diesen von England angezettelten Krieg den denkbar größten Ansporn! Englischer Übermut ist die Kraft, die das Böse für uns will und das Gute schafft! Herr Simons, der Vertreter des uns ziemlich feindlichen Amster­ damer „De Telegraaf", hat ganz recht, wenn er sagt, daß dieser ganze nur mörderischen deutschen Haß erweckende sog. „Aushungerungs­ feldzug" kläglich mißlingen und in erster Linie die kleinen neutralen Staaten, vor allem Holland und die Schweiz, dann aber die drei skandinavischen Länder schwer schädigen, Deutschland aber verhältnis­ mäßig außerordentlich wenig schaden wird. So wenig wie die uner­ hörte offiziöse concurrence dtioyale und das amtliche denigrement, das systematisch in der Dreiverbandspresse gegen unser Wirtschafts­ leben vertreten wird, uns auf die Dauer schädigt! Denn die selbst *) Beweis u.Die Ausfuhrwerte in der Textilindustrie Englands gingen nach der Veröffentlichung der Handelskammer Manchester über die Ausfuhr vom Oktober in Stückwaren von 8,8 Mill. £ im Jahre 1912 und 8,7 Mtll. £ 1913 auf 4,937 Mtll. £ im Oktober 1914 herab. In Garnen von 19,95 Mill. auf 8,01; in Weberwaren von 631 Mill. Aards auf 370. In anderen Daumwollwaren von 9,8 auf 5,6 Mill. £. Seitdem sind die Verhältnisse in England durchschnittlich schlechter geworden.

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von den „Times" gepriesene Intelligent, der Fleiß und die An­ passungsfähigkeit werden uns neue Mittel und Wege suchen lassen, um dieses riesige organisatorische Wunderräderwerk, genannt deut­ sches Wirtschaftsleben, in Ordnung ju halten: Ein Volk, das mit solcher Begeisterung solche titanenhafte Anstrengungen macht und solche Riesenopfer in diesem Kriege bringt, ist nicht tu besiegen! V)**)*) *) Der interessante Artikel Simons' endet mit folgende» Worten: „Hier (in Deutschland) leidet man keinen Hunger, hier gibt's keine Opposition, hier ist hoff­ nungsvolles Dertraaea auf einen schnellen, ehrlichen Frieden, Vertrauen tut Regierung, Vertraue» zum Heer. DaS ist die Psyche dieses Volkes! Behelft euch damit!" (Siehe auch Sek Hardies Artikel im Labour Leader in Kap. 32.) *) Laurent Michaub, der Präsident des Verbandes französischer Kaufleute und Industrieller, klagt im „Temps" (Januar 1915): «Der Augenblick ist schlecht gewählt, tönende Worte über die Verdrängung unserer Feinde vom Weltmärkte zu mache». Wir werde» zunächst unsere ganze Zähigkeit, Intelligenz und Opfer­ freudigkeit gebrauchen, um unsere eigene Stellung auf dem Weltmärkte behaupte« zu können. Der französische Fabrikant muß ohnmächtig zusehen, wie seine bis­ herigen Kunden sich restlos von ihm abwende» und zur englischen Industrie über­ gehen." *) Ein sehr beachtenswerter Aussatz von Dr. Julius Wolf über die „Wirt­ schaft nach dem Kriege" appelliert mit Recht an den deutschen Takt und Stolz auch im Wirtschaftsverkehr mit den jetzt feindlichen Staaten (s. „D. J.-Z." 1915 S. 361). Wir wäre» wirklich tatsächlich in eine schwierige Lage geraten, wenn der militärische Stoß gegen Frankreich nicht so geführt worden wäre, daß die wirtschaftliche Lage Frankreichs lahmgelegt und die industriellen Gebiete gleichzeitig für unser eigenes Land ausgenützt werden können. Was wir von Frank­ reich besetzt haben, beträgt 68 Prozent der Kohlenproduktion Frankreichs, ferner 78 Prozent der Koksproduktion, 90 Prozent der Eisenerzproduktion, 85 Prozent der Roheisenproduktion, 76 Prozent der Stahl- und Schienenproduktion, 62 Prozent der Dlechprobuktion, 70 Prozent der Stahlgußproduktion und 100 Prozent der Röhrenprobuktion. Wir beherrschen 68 Prozent der gesamten Textilfabrikatton. Dreiviertel der ganzen französische» Schwerindustrie, dazu ganz Belgien und die Industriezentren in Polen (Lodz, Czenstochau usw.), 23 Prozent der russischen Kohlenproduktion ist in unserer Hand «ad damit Kompensationen gegen die völkerrechtliche» Schandtaten auf wirtschaftlichem Gebiete. 4) Man macht sich im neutrale» Auslande, insbesondere den Vereinigten Staaten, einen völlig falschen Begriff von unserer wirt­ schaftliche» und finanziellen Lage. Beweis kurz folgendes: Der Berliner Korrespondent der „United Preß of America" bemerkte in einem Interview des Schatzsekretärs Dr. Helfferich vom 22. April 1915, daß in Anbetracht des niedrigen Kursstandes der Markwährung in den Vereinigten Staaten (früher 24 Cents, jetzt nur 22 Cents) Deutschland im Auslande als „geschlagene Ration" betrachtet würde. Dr. Helfferich erwiderte, daß eine solche (unsinnige) Auffassung nur möglich sei infolge der Abschneidung der direkten Verbindung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Fortfahrend bemerkte er:

393 „Unser Export ist großenteils zum Stillstand gekommen. Beträchtliche ausländische Geldanlagen sind blockiert. Die fremden Finanzleute kennen nicht unsere gegenwärtige Lage. Anderseits sind London und Paris mit Amerika in direkter Verbindung. Außerdem steht Morgan in geschäftlicher Verbindung mit den Verbündeten: deren Erfolg wird sein Erfolg sein!" Man überlegt nicht, daß die bis jetzt gezeichneten 15 Milliarden Mark im Reiche bleiben und den Nationalwohlstand erhöhen. Der Sparkassenbestand von 20 Milliarden hat sich im Januar und Februar um mehr als 600 Mill. Mark erhöht. Der „Kartoffelgeist" und „Brotkartengeist" der deutschen Nation wird auch in der Verpflegungsfrage wie in der Finanzfrage glänzend siegen: Wohl­ meinende amerikanische Verwandte haben ängstlich bei mir angefragt, ob sie nicht Lebensmittel durch neutrale Staaten senden könnten. Auch hier hat die Inter, nationale Lügenfabrikation Schauermärchen erfunden. Sie alle mögen sich beruhigen. Wir leben fast so gut wie im Frieden, niemand in Deutschland leidet Hunger. Unser Organisationsgenie gewinnt diesen Krieg, da der „Aushunge, rungsfeldzug" ebenso kläglich endet, wie.die Spekulation auf die „Silberkugeln" und die „letzten Millionen". Wer das für unwahr oder übertrieben hält, möge sich durch eine Reise nach Deutschland selbst davon überzeugen. Er wird staunen, wie ruhig und friedlich sich das ganze deutsche Leben abspielt. Bei einem Vergleich mit England oder gar mit Frankreich und Rußland schneiden wir glänzend in jeder Richtung ab. Die Börsen-Korporation in Blagoweschtschensk sagt gegenüber den Klagen über deutsche Konkurrenz kurz und deutlich: „Die Deutschen haben darum die kolossalen Erfolge, well sie sich dem Markt, den Bedürfnissen der Konsumenten anzupassen wissen, ihnen langfristige Kredite geben und die Waren billiger ver­ kaufen als die Konkurrenz. Daher bleibt uns nichts anderes übrig, als von ihnen weiter zu lernen und ihren Beispielen zu folgen. Die Frage lautet nur noch, ob wir das können?" Daß der Auöhungerungsplan schon heute (Mai 1915) glänzend zuschanden gekommen ist, weiß in Deutschland jedes Kind, nur in London, Paris und New Uork macht man noch dem Publikum Ammenmärchen über Hungersnot vor, über die wir herzlich lachen. Daß wir finanziell und wirtschaftlich ausgezeichnet stehen, hat die deutschfeindliche „New Aork Limes" unvorsichtig ausgeplaudert: die mit 97,5 % ausgegebene erste Kriegsanleihe steht im Mai 1915 101,5 %• Die Arbeitslosigkeit ist von 6,5 % im Februar auf 5,1 % int April 1915 zurück, gegangen. Sie ist weit geringer als in den „neutralen" Vereinigten Staaten, geschweige denn in Frankreich, England oder gar in Italien, das seinen Verrat erstlich mit wirtschaftlichem Ruin bezahlen wird.

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zi. Kapitel. Die Verletzung -er Schweizer Neutralität und der sonstigen neutralen Staaten durch den Dreiverband.

A. Es hat sich in i. Auflage als nStig erwiesen, über dieses Thema ein kurjes Kapitel anzufügen. Wir müssen es heute entsprechend erweitern. Frankreich hat von Anfang an in sehr bedenklicher Weise die Neutralität der Schweizer Republik *) vor allem durch die systema­ tische fortgesetzte Ausgestaltung der Spionage von Basel aus ver­ letzt (s. oben Kap. 29). Auch das Vorgehen gegen Schweizer Staats­ bürger, denen man die Alternative „freiwillige Kriegsdienste", „Aus­ weisung" oder „Verwaltungsschikanen" nach unwidersprochenen Mit­ tellungen zahlreicher Schweizer Zeitungen stellte (August und Sep­ tember 1914), erscheint vom Standpunkte der Art. 1,17 Abs. 1 litt, b usw. des zitierten 5. Abkommens der II. Friedenskonferenz vom 18. Oktober 1907 bedenklich. Rohes, gewalttätiges Vorgehen gegen deutschsprechende Schweizer Staatsangehörige seitens der französischen Bevölkerung wurde in zahlreichen Fällen gemeldet. Jetzt folgt der italienische Mob dem französischen Beispiele. *) über die Schweizer Neutralität s. Ullmann a. a. O. S. 116; Hilty, Die Neutralität der Schweiz (1889); Morel, Handbuch, III. S. 378 ff.; v. Liszt, 6. Aufl. S. 19, 75, 171.

Über bas Vorgehen der franzSsisch-schweizerischen Presse, das schlecht zur loyalen Einhaltung der Neutralität seitens der Bundesregierung stimmt, sprechen wir hier nicht weiter. Es würbe sich aber wohl eine etwas größere Strenge gegen die teilweise schändliche» Taktlosigkeiten dieser Presse empfehlen. Als typischer Beweis, wie wenig man die Schweizer Staatsangehörigkeit und Neutralität achtete, kann das Büchlein von C. Schmib, „Jo französischer Kriegsgefangenschaft" (Kommissions-Verlag Neuenschwandersche Buchhandlung in Weiofelde) gelte», das in seiner Ruhe und Objektivität doppelt ergreifend schildert, «ie völlig unschuldige Neutrale (Schweizer) schlechter als Zuchthäusler behandelt, monatelang festgehalten und vom Pöbel unmenschlich behandelt wurden. Immer das gleiche BUd eines vertierten Volkes! Das einzelne lese man dort nach, um dieses Urteil nicht zu streng erscheinen zu lassen. Interessant ist übrigens die Fest­ stellung, daß die feindlichen Handlungen gegen den bei Montmedy wohnende» Schweizer bereits am 25. Juli 1914 begannen!

395 Ganz klar und akut wurde die Verletzung der Schweizer Neu­ tralität durch die Überfliegung des Schweizer Gebiets bei dem An­ griff dreier englischer Flugzeuge auf die Zeppelinwerft in Friedrichs­ hafen am 2i. November 1914, der anscheinend (nach den Mittellungen der „Franks. Ztg." über den Besuch des englischen Gesandten Grant Duff in Bern auf dem Kirchturm in Romanshorn usw.) eine lange, unzulässige Spionage vom Schweizer Gebiet aus vorhergegangen ist*1). Das offensichtliche Überfliegen eines Teiles des Schweizer Grenzgebietes machte der „Harmlosigkeit" dieses ganzen Vorgehens ein Ende! Das Überfliegen eines neutralen und als solchen unverletzlichen Gebietes ist nach der jetzigen Entwicklung der Kriegstechnik unzweifel­ haft ein „Hinüberführen" einer Truppe im Sinne des Art. 2 des zitierten Abkommens. Die Schweiz durfte nach Art. 5 das Vorgehen der Flieger nicht dulden, und ihr Protest war das Minimum, wenn sie nicht unter Um­ ständen unhellvolle, unabsehbare Folgen zeitigen wollte. Die völlige Parität der Duldung, die das selbstverständliche Recht für einen Gegner der die Neutralität zuerst brechenden Krie'gspartei bildet, wäre für uns das Wenigste gewesen, was wir anzusprechen hatten. Der Erfolg des Protestes der Schweiz zeigte seine volle Berechti­ gung von selbst. Unterm 7. Dezember 1914 teilte das W. T. B. amtlich den Ausgang der Affäre wie folgt mit: Auf die Vorstellung, welche der Bundesrat bei der britischen und der fran­ zösischen Regierung wegen des Überfliegens schweizerischen Gebiets durch die englischen Flugzeuge erhob, gab der französische Gesandte eine Erklärung deS statte zSflschen Außenministers ab, dahingehend, daß derselbe den Vorfall, sofern er er­ wiesen sei, aufrichtig bedauere. Der Vorfall könne gewiß nur der Unachtsamkeit zugeschrieben werden. Im übrigen lege die franzSflsche Regierung mehr als je

*) Das behauptete beispiellose Vorgehen des englischen Gesandten betreffs Benutzung der Schweizer drahtlosen Telegraphenstation wird amtlich in Abrede gestellt; — doch zuerst auch das Überfliegen von Schweizer Gebiet! Auch der 1 !4 ständige Aufenthalt auf dem Kirchturm zu Romanshorn am 3. November? Oberstleutnant Emerson, der Gewährsmann der „Frkf. beharre bet seiner Darstellung des Vorfalls, der freilich den kecksten Angriffsversuch auf schweize­ rische Neutralität und das Völkerrecht bedeuten würde, den die Welt sah (s. Art. 1, 3, 5 und 9 des 5. Haager Abkommens von 1907).

396 Gewicht auf die schweizerische Neutralität, und sie wolle, daß diese durch ihre Truppen beobachtet werde, einerlei, ob es sich um eigentliches Gebiet der Eidgenossenschaft oder den darüber liegenden Luftraum handle. Die englische Regierung ließ durch ihren Gesandten dem Dundesrat eine Note überreichen, worin sie ausführt, daß die Flieger, welche an dem Angriff auf die Zeppelinwerft teilnahmen, die bestimmte Weisung hatten, schweizerisches Gebiet nicht zu überfliegen. Wenn sie es dennoch taten, sei das auf Unachtsamkeit und auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, in großer Höhe die wirkliche Lage des Luftfahrzeugs festzustellen. Auf Grund der ihr von schweizerischer Seite unter­ breiteten Beweise für das Überfliegen des schweizerischen Gebiets halte die britische Regierung darauf, dem Bundesrat zu versichern, daß dies entgegen ihren Ab­ sichten geschah, und spreche ihm dafür ihr lebhaftes Bedauern aus. Die englische Regierung wünscht im Anschluß daran festzustellen, daß aus den ihren Fliegern ertellten Instruktionen und dem dem Bundesrat ausgesprochenen Bebauern wegen ihrer Nichtbeachtung keine allgemeinen Schlüsse auf ihre Anerkennung eines nicht unbestritten geltenden völkerrechtlichen Grundsatzes betreffend die Gebietshoheit über den Luftraum gezogen werden können. Der Bundesrat dankte beiden Regierungen für die Erklärung und benutzte die Gelegenheit, der englischen Regierung neuerdings mitzutellen, daß er mit Rücksicht darauf, daß keine völkerrechtliche Beschränkung der Gebietshoheit über den Luftraum bestehe, er die letztere in vollem Umfang geltend machen müsse und schon bei Gelegenheit der Mobllisation der Truppen eine entsprechende Weisung zum Schutze derselben erließ *)•

Die jvletzt aufgeworfene Streitfrage ist eine sehr interessante —, aber sie ist wohl heute völlig klar. Der schweizerische Standpunkt, den Frankreich ausdrücklich als richtig anerkannte, wird unzweifelhaft auch von der deutschen und österreichisch-ungarischen Regierung aner­ kannt. Gerade das Überfliegen des neutralen Gebietes Belgien vor dem Kriegsbeginn durch ftanzösische Flieger wurde mit Recht von der deutschen Regierung als ein krasser Dölkerrechtsbruch angesehen. Warum soll eine Handlungsweise, die militärisch unendlich gefähr­ licher ist als das Marschieren einer vielleicht kleinen Abtellung von Infanterie oder Kavallerie über das Gebiet, anders beurteilt werden? Die gegenteilige Annahme wäre unlogisch, militärisch unhaltbar, ja hochgefährlich, zudem dem Sinne und Wortlaut des 5. Abkommens widersprechend, das den Kriegführenden untersagt, „Truppen oder Munitions- oder Derpflegungskolonnen durch das Gebiet einer neu­ tralen Macht hindurchzuführen". Auch das überfliegen eines Gebietes mit einem Luftschiff oder Flugzeug ist ein „Durchführen" i) Die englische Regierung hat sich bis heute noch nicht bei der Schweiz ent­ schuldigt; die deutsche Regierung hat (Mitte Februar) nicht bloß dies getan, sonder« «inen Flieger, der aus Versehen schweizerisches Gebiet überflog, bestraft.

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eines Kriegsapparats, einer technischen Kampfeinheit, einer „Truppe" über das Gebiet und als solches streng verboten. Die Schweij war, ohne daß man eine feindselige Haltung ihrerseits annehmen durfte (s. Art. io l. c.), sogar berechtigt, die Flieger ohne weiteres her­ unterzuschießen 1). Unzweifelhaft entspricht es den heutigen allgemeinen Rechts­ anschauungen, daß der Luftstrom oberhalb der durch die Staats­ grenzen umschriebenen Erd- und Wasseroberflächen zum Staats­ gebiete selbst gehört, über das der Staat seine Souveränitätsrechte ausübt. Eine allgemeine Freiheit der Luft ohne solche Rechte des betreffenden Staates auch für den Luftraum würde bei der heutigen Mllitärlusttechnik zu ganz unhaltbaren völkerrechtlichen Zuständen führen (s. auch Rivier, Lehrbuch des Völkerrechts, 1889, S. 123, und Ullmann, Völkerrecht, 2. Aufl. 1908, 6.288; v. Liszt, 6. Aufl. S. 78, 79, 290, 291, 311). Der Rechtsstandpunkt der Schweiz muß daher auch von diesem Standpunkt aus als völlig korrekt bezeichnet werden. Der englische unhaltbare Standpunkt stützt sich auf den des Belgiers Nys auf den Tagungen des „Institut de droit international“ zu Brüssel (1902) und Ebinburg (1907) mit der Forderung der Erklärung der „Freiheit der Luft" durch eine internationale Aktion. Diese Er­ klärung ist niemals erfolgt; die noch weiter gehende Meinung des Franzosen Mörignhac (Rouen 1903) wurde von der französischen Regierung selbst wie von allen andern Mächten zurückgewiesen. Die englische Auffassung würde auch den Wert der Neutralität bis auf ein Minimum herunterdrücken, die nicht ohne starken Einfluß auf die Sicherheit neutraler Staaten überhaupt bleiben könnte. Im übrigen müssen wir uns hier auf diese kurzen Bemerkungen beschränken (s. auch Kap. 30)2). *) Über die lufttechnische und völkerrechtliche Bedeutung der Frage s. auch die Broschüre „Oie Luftschiffahrt in staats, und Völkerrecht, ltcher Hinsicht", von Dr. E. Daus, Hamburg 1909, sowie die dort aufgeführte Literatur. *) Über die Dexatloneo des schweizerischen Zwischenhandels durch England f. di« dreiste Zuschrift des englischen Generalkonsuls in Zürich vom 6. Januar 1915 und dazu „Deutscher Außenhandel, Zeitschrift des Handelsvertr.,Vereins" Nr. 1 vom 20. Januar 1915 S. 3. Hierher gehören auch die jetzigen Bemühungen Englands, einen Innenhandel,Trust in der Schweiz unter englischer Kontrolle zu gründen, der bisher nur an der Ehrlichkeit der schweizerische« Regierung scheiterte.

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fi. Sonstige Neutralitätsmißachtungen seitens der Drei­ verbandsstaaten. Ganz im allgemeinen sei bemerkt, daß der Verletzungen der Neutralität gegenüber fast allen neutralen Staaten eine Legion war. Wir heben nur heraus, daß die englisch-französische Flotte zu Beginn des Krieges ungeniert Korfu und Zante als Verprovtantierungsbasis benutzte, so daß Griechenland, das gegen Deutschland und für den Dreiverband wahrhaftig weitherzig genug war, bitten mußte, es nicht zu arg zu treiben, die Vermittlung von Waffen en masse über Saloniki usw. Bei der Beschießung der Dar­ danellen benutzten die Dreiverbandsstaaten abermals griechische Inseln, insbesondere Lemnos und Tenedos, als förmliche Operations­ basts usw. für längere Zeit. Wie dem „Osmanischen Lloyd" aus sicherer Quelle berichtet wird, haben die Engländer nach Lemnos zwei Schwimmdocks für die Aus­ besserung von Schiffen geschafft und mit der Anlage einer Kohlen­ station begonnen; außerdem haben sie eine Station für Funkspruch angelegt. Bei Griechenland kann daher eigentlich seit langem nur von einer Scheinneutralität die Rede sein. Wie weit England die Scham­ losigkeit gegenüber einem „neutralen Lande" treibt, zeigt folgende Mitteilung, die zur Klasse der oben Kapitel 14 Z. IX geschilderten Schändlichkeiten gehört: Der „Kriegszeitung" wird am 16. Mai 1915 aus Athen gedrahtet: „Das Erscheinen deutscher Unterseeboote im Mittelmeer ruft in Athen großes Aussehen hervor. Wie groß die Furcht der englischen Marine­ leute vor den deutschen Unterseeboten ist, geht daraus hervor, daß die englische Admiralität sich nicht schämt, Bürger eines neutralen Staates wie Griechenlands durch Bestechung dazu zu verlocken, Hand­ lungen zu begehen, die nicht im Einklänge mit dem neutralen Ver­ halten ihrer Regierung stehen und die die ernstesten Folgen haben könnten. Der britische Gesandte in Athen, Elliot, wurde von dem Kommandanten der englischen Mittelmeerflotte von der Anwesenheit deutscher Unterseeboote verständigt. Er beeilte sich sofort in griechischen Zeitungen das griechische Volk aufzufordern, der britischen Admiralität durch Spionendienste beizustehen, und versprach für erfolgreiche Spionage im Namen der großbritannischen Regierung eine Belohnung von 12 500 Drachmen." Im erfreulichen Gegensatze zur amerikanischen und sonstigen Hal­ tung sogenannter Neutraler steht insbesondere das Verhalten Schwe-

399 Lens, das die Durchfuhr jeglichen Kriegsmateralls verbot, indem es richtig erkannte, daß auch durch Unterlassung des Verbotes eine loyale Regierung die Neutralität verletzen kann. Das erfordert die Auslegung nach Treu und Glauben. Auch die Schweij, Holland und Spanien haben sich objektiver Behandlung der Neutralität bestrebt. Damit vergleiche man wiederum unsere Feinde jenseits des Kanals, die nach der Versicherung ihrer Staatsmänner nur im Inter­ esse der „Heilighaltung internationaler Verträge" und zum Schutze der kleinen Nationen in den Kampf gezogen sind. Sie haben u. a. verletzt die Neutralität: i. Chinas: Angriff gegen Tsingtau von chinesischem Gebiet aus; 2. Dänemarks: Durchfahren eines englischen Unterseeboots nach der Ostsee; 3. Hollands: wiederholtes Überfliegen holländischen Gebiets; 4. der Schweiz: durch überfliegen «sw. (s. im Vorstehenden); 5. Griechenlands: widerrechtliche Benutzung griechi­ scher Inseln als Flottenstützpunkte; 6. Chiles: Angriff auf die „Dresden" in chilenischen Gewässern (siehe unten Kap. 34 u. 35); 7. Brasiliens (f. ebendort unten); 8. Spaniens (s. den Fall „Highflyer" unten); 9. Türkei (s. oben Kapitel 7 und 8); 10. Italiens (s. auch unten Kapitel 34 ff.); 11. Schwedens (s. ebendort). Das Verzeichnis macht durchaus keinen Anspruch auf Voll­ ständigkeit. Im Gegenteil: die Verletzungen der Neutralität z. B. den Vereinigten Staate» gegenüber waren von Anfang an so zahlreich (s. unten Kapitel 34 ff.), daß eia besonderes Buch darüber geschrieben werde» könnte. Durch systematischen offiziösen Flaggenmißbrauch und seine Konterbanden-Politik hat England die Rechte aller see­ fahrenden Staaten mißachtet (siehe unten, insbesondere Kapitel 34, 35, 38). Eine spätere Zeit wird den Beweis gestatten, daß es kaum ein Land der Erde gibt, dessen Neutra­ lität England nicht in diesem Kriege verletzt hat. C.

Ein kurzes Wort zu Italiens „Neutralität" (s. jetzt unten Kapitel 43).

Eine neutrale Macht ist nicht dafür verantwortlich, daß einzelne Personen die Grenze überschreiten, um in den Dienst eines Krieg­ führenden zu treten. So ist es einem auch noch so hohen Offizier (wie Generalfeldmarschall v. d. Goltz) ohne weiteres gestattet, durch Bul­ garien nach der Türkei zu reisen (s. Haager Konferenz 5. Abkommen).

4oo Anders ist es mit der Unterstützung durch größere Massen (s. auch Köhler „D. J.-Z." Nr. i 1915 S. 35). Ein auswärtiger Staat darf kein Werbebureau dulden, er darf nicht dulde», daß in ihm eine militärische Truppe sich ju mMtärischen Operationen vereinigt, ohne die Neutkalitätsverpflichtung ju verletzen. Die Ausrüstung der italienischen Legion (Garibaldiner) geschah mehr oder weniger unter den Augen der italienischen Regierung *). Auch die ruhige Duldung der Plünderung italienischer Schiffe mit deutscher Post durch ftanjösische und englische Schiffe, wie die ganje Duldung in der Konterbandefrage (s. unten 2. Teil) sind Äußerungen merk­ würdiger Neutralität eines Großstaates, wie die Duldung der völlig feindseligen Überwachung des Hafens Genua durch englische Agenten (70 statt ursprünglich 5) ju einer Zeit, als Italien noch der „Bundes­ genosse" Deutschlands war. Dieser „Bundesgenosse, der auf den Sieg der Gegner der Bundes­ genossen" lauert, wie der Oberst Repington sagt, um mit dem Sieger zu gehen, der, um dem „Freunde" eine Provinz abzunehmen, dem Dreiverbände die völlige Entblößung der südöstlichen Grenze Frank­ reichs von Truppen erlaubt und ihn dadurch um eine halbe Million Soldaten stärkt, hat von Anfang an Verrat gegen seine Bundes­ genossen durch schnöde Mißachtung auch der bloßen Neutralität geübt! *) In Avignon erfolgte schließlich die Auflösung der italienischen Legion, deren Mitglieder nach der italienischen Presse schlechter als die „Boches" behandelt «nb teils in die Fremdenlegion gepreßt, teil# über die Grenze zurückzugehen ge, zwungen wurden. „Oie Herren vom militärischen Kommando behandelten uns wie die Verbrecher," schrieb einer. Trotzdem ging die Hetze in der bestochenen radikale» Presse Italiens gegen die Deutschen von Tag z« Tag erbitterter weiter, obwohl die unvorsichtige Geschwätzigkeit russischer Staatsmänner und maßgebender Journalisten die unversöhnlichen Gegensätze zwischen Slawentum und Italien aufgedeckt hat. Seitdem mußte es einem Blinden klar «erden, daß, abgesehen von den bekannten Interessengegensätzen von Italien und Frankreich im Mittel, meere, Österreich für Italien den Schutz gegen de» gefährlichsten Pansiawismus, den Schutz gegen die russische Hegemonie auf dem Balkan und an der Adria bildete. Aber wo die Masse herrscht, muß die Vernunft «einen! Ihren Lohn wird diese „Camorra,Politik" finden. — über Rumäniens Politik s. unten Kap. 43 die Anmerkung.

4oi

II. Teil.

Seekiegsrechtliche Kragen. Z2.

Kapitel.

Allgemeines: England — das Äeekriegsrecht und mir! — Die Aushungerung des Gegners. Motto: JOcti arme Land England muß In ein tzanbeltreiben, Kolonisieren, Ansiedeln in der Fremde hineingeraten, sich in einen allgemeinen Aufruhr von Maschinerien, Eldorados, beispiellosem Wohlstand stürzen, der eben heutzutage sehr viel von sich reden macht. Ein Wohlstand, der offenbar nicht besonders erhabener Art ist, der vorläufig daS einst so ehrbar, reinliche und verständige Gesicht England- mit Schmutzflecken, Rußflecken und allerhand Unflat und Greueln bedeckt hat." Thoma- Carlple.

I. Auf dem Gebiete des Landkriegs sind die Hauptnormen über die Kriegführung in der sog. Landkriegsordnung völkerrechtlich immerhin ziemlich klar und deutlich niedergelegt. Lückenhaft, wie es bei der Schwierigkeit der ganzen Materie und der Neuheit der Regelung uicht anders sein kann! Aber bei gutem Willen sind sie ein treff­ liches Mittel zu einer humanen Kriegführung. Anders liegt die Sache im Seekriege. Dort verteidigte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts England unter dem scheinheiligen Nimbus des Verdienstes um die Freiheit Europas das Seebeuterecht. Alle Kämpfe dagegen, ins­ besondere auf dem Kongresse zu Chatillon (1814) scheiterten: „Niemals — rief echt englisch Lord Cathcart, wird Großbritannien auf dem Meere ein anderes Gesetz anerkennen, als die — allgemeinen Regeln des Völkerrechts!" Als eine „allgemeine Regel des Völkerrechts" sah England das Seebeuterecht an! Die Gesetzgebung begann mit der Pariser Seerechts-Deklaration vom 16. April 1856 (Preuß. Ges.-S. 1856 S. 585). Diese bestimmte im Hinblick auf die ernsten Schwierigkeiten und schweren Konflikte, die aus der Ungewißheit des geltenden Rechts drohen, als obersten Grundsatz, daß „die Kaperei abgeschafft ist und bleibt". Zwei andere wichtige Grundsätze bestimmen, baß die neutrale Flagge das feindliche Gut deckt, mit Ausnahme der Kriegskonterbande, und daß neutrales Gut unter feindlicher Flagge, ebenfalls mit Ausnahme der Kriegskonterbande, nicht mit Beschlag belegt werden darf. Der vierte Grundsatz setzt fest, daß die Blockade eine wirksame sein muß, wenn sie rechtsverbindlich sein will, d. h. durch eine Streitmacht aufrecht Müller,Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht.

3. Anfl.

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402 erhalten werden muß, die hinreicht, um den Zugang zur Küste des Feindes wirklich zu verhindern. In weiterer Ausführung dieser edlen Grundsätze, zu denen stch unterschriftlich neben Preußen, Österreich, Frankreich, Rußland, Italien und der Türkei auch England bekannte, wurde zunächst auf der ersten Friedenskonferenz von 1899 das Ab­ kommen über die Anwendung der Genfer Konvention auf den See­ krieg beschlossen, das später im 10. Abkommen der II. Konferenz nach der Revistoa des Genfer Abkommens vom 6. Juli 1906 neu redigiert wurde (R.-G.-B!. 1910 S. 283). Unterm 18. Oktober 1907 gelang es, eine Reihe weiterer Ab­ kommen anläßlich der zweiten Haager Friedenskonferenz abzuschließen, die vor allem die Behandlung der feindlichen Kauffahrteischiffe beim Ausbruche der Feindseligkeiten (6.), die Umwandlung von Kauf­ fahrteischiffen in Kriegsschiffe (7.) (R.-G.-Bl. 1910 S. 207), die Legung von unterseeischen selbsttätigen Kontaktminen (8.) (R.-G.-BI. 1907 S. 231), die Beschießung durch Seestreitkräfte in Kriegszeiten (9.) (R.-G.-BI. 1910 S. 256), gewisse Beschränkungen in der Ausübung des Beuterechts im Seekriege (n. Abkommen) (R.-G.-Bl. 1907 S. 316) und vor allem die Rechte und Pflichten der Neutralen im Falle des Seekrieges (13. Abkommen) betrafen. Alle diese Abkommen find von den jetzt im Krieg liegenden Staaten (mit ganz geringen Aus­ nahmen, z. B. hat Rußland das 11. Abkommen nicht unterzeichnet), insbesondere von Deutschland, Österreich, Belgien und Frankreich unterzeichnet und ratifiziert worden. Die Vorbehalte sind minimal und interessteren hier nicht weiter. Charakteristisch ist aber, daß Eng­ land, die Hauptmacht zur See, diese Abkommen, die größtenteils nur bestehendes Dölker-Gewohnheitsrecht kodifizierten, teilweise nicht ratifiziert hat, so z. B. nicht das 10. und vor allem das 13. Abkommen. England verstand es stets, stch mit großer Gewandtheit bei rechtlichen Situationen, die ihm möglicherweise nachtellig werden konnten, seit­ wärts in die Büsche zu schlagen und die anderen Mächte die Geschäfte der Humanität allein treiben zu lassen. Unterzeichnet hat England sämtliche Abkomme«, ratifiziert hat es von den oben genannten das 6., 7., das 8. (mit Vorbehalt, s. unten), das 9. und das 11. Abkommen *). Auch seine völkerrechtliche Stellung ist nur diktiert von dem *) Das 12., das bisher überhaupt nicht ratifijiert wurde (Abkommen über die Errichtung eines internationalen Prisenhofs), interessiert hier nicht. Die Er­ klärung betreffend das Verbot des Werfens von Geschossen s. oben Kap. 10.

403 obersten Dogma seiner Seepolitik: Jede Macht, wie sie auch heiße, ist Englands Todfeind, die seine Weltstellung bedrohen, die seine Sicherheit am Kanal gefährden könnte l Das ist der rote Faden der englischen Politik seit vier Jahrhunderten! Nach Spanien, Holland, Frankreich, jetzt — Deutschland. Und dieser militärisch-nautischen und wirtschaftlichen Generalidee opfert es jede kulturelle, jede rechtliche Pflicht. Von großer Wichtigkeit für das ganze Seekriegswesen sollte die Londoner Erklärung über das Seekriegsrecht vom 26. Februar 1909 werden. Sie sollte eine größere Klarheit und Einheitlichkeit der allgemeinen Grundsätze des internationalen Seerechts vor allem über die Blockade (Art. 1—21), über die Kriegskonterbande (Art. 22 ff. bis 44), über neutralitätswidrige Unterstützung (Art. 45—47), über die Zerstörung neutraler Prisen (Art. 48), Flaggenwechsel (Art. 55,56), über „die feindliche Eigenschaft" der Waren und Schiffe (Art. 57 ff.), Geleit, Widerstand gegen Durchsuchung und über Schadenersatz geben. Die Grundsätze wurden zwar von sämtlichen Konferenzstaaten, zu denen sämtliche jetzigen sechs Großmächte als Kriegsstaaten gehörten, signiert, aber infolge des Widerstandes des englischen Oberhauses leider nicht ratifiziert. So blieb es formal bei den Abkommen von 1907, die an Vollständigkeit und Klarheit teilweise sehr stark zu wünschen übriglassen. Die Bestimmungen der Londoner Seerechtsdettaration sind aber unzweifelhaft materiell wertvollstes Aus­ legungsmaterial für die bis jetzt geltenden Gebräuche des modernen Seekriegs. Die deutsche Reichsregierung ist hier mit gutem Beispiele vorangegangen und hat die klaren und menschlichen Bestimmungen der Deklaration im wesentlichen in die neue Prisenordnung vom 30. September 1909 (R.-G.-Bl. 1914 S. 275) aufgenommen und sie so für die deutsche Seekriegführung für maßgebend erklärt. Auch sonst richten sich fast durchweg die neutralen Staaten nach der Deklaration und bestätigen damit ihre innere Bedeutung. Ob freilich das Deutsche Reich angesichts des Vorgehens Englands bei seiner seekriegsrechtlichen Noblesse in der Prisenordnung stehen bleiben kann, erscheint mehr als fraglich. II. Das Seebeuterecht ist zwar vertragsrechtlich erheblich be­ schränkt; aber dieses wie überhaupt alle internationalen Rechtsregeln über den Seekrieg leiden vor allem an der natürlichen Schwierigkeit der Durchführung der Kontrolle. Wo kein Kläger ist, ist kein Richter; wo aber kein Richter ist, da ist auch der Kläger vogelfrei. Wer soll in Kriegszeiten über Geschehnisse zur See, die sich oft bei Nacht und Nebel abspielen, objektiver Zeuge sein? Nur die allerschwersten Ver26*

404 letzungen der interaationalev Abkommen gelangen hier in die Öffent­ lichkeit *). Noch mehr wie beim Landkriege sind der gute Wille, der inter­ nationale Anstand und der Edelsinn die ausschlaggebenden Faktoren'). *) Literatur siehe insbesondere baS umfangreiche Werk über „Seekriegsrecht* von Dr. Hans Wehberg,Düsseldorf (auch dessen Dortrag über deutsch,englischen Handels, und Unterseebootskrieg in der österreichischen „Zeitschr. f. öff. u. private Versicherung" 1915 S. 509 ff.). *) Wie vor den englischen Prisengerichtea Recht gesprochen wirb, darüber geben die in der „Merkantile and Shipping Gajette" «iedergegebenen Verhand, langen und Entscheidungen über einige beschlagnahmte deutsche Schiffe Auskunft. In dem über den Fall des deutschen Segelschiffes „Möwe" ergangenen Urtell hat der Präsident des Prize Court, Sir S. Evans, anerkannt, baß auch die einer feindlichen Nation angehörende Partei unter gewissen Umstände» vor dem Prisen, gericht jugelassen werden kann, und »war dann, wenn sie auf Grund eines der Haager Abkommen einen Anspruch auf Schutz, auf ein Prlvlleg oder auf Scheden, ersah -u haben glaubt. Erforderlich ist weiter, daß der Grund des geltend 1» machen, den Anspruches in einer eidlichen Erklärung entsprechend de» Erfordernissen der englischen Priseogerichtsordnung von 1914 dargelegt wird. Mit dieser Entscheidung weicht daS Gericht von seinem früheren Standpunkt ab. Die Vergünstigung ist aber im Falle „Möwe" dadurch illusorisch gemacht worden, baß bas Gericht das Vorbringen der deutsche» Partei für unerheblich erklärte und in einer Neben, bemerkung weiter ausführte, baß selbst bei vorhandener Erheblichkeit der deutsche Einwand nichts genützt haben würde, well dieser von einem Engländer bestritten worden und dessen Aussage für bas Gericht maßgebend gewesen wäre. Ein weiterer Fall betraf baS deutsche Fischerfahrzeog „Berlin", das von einem englischen Handelsdampfer eingeschleppt worden ist. Für die Rechtmäßig, keit der Aufbringung waren keinerlei Beweise vorhanden; keine Prisenbesatzung, keine Noth im Schiffstagebuch; auch die Feststellung des Zeitpunktes der Auf, bringung war unmöglich. Dennoch wurde die Wegnahme des Schiffes arSge, sprechen. Das Gericht erklärte nämlich, eS sei „glücklicherweise" überhaust an keine Beweisregelo gebunden und entscheide daher, wie es ihm gut und sicher er, scheine. Denn bas Priseagericht sei mit andern Gerichten nicht zu vergleiche» und sei daher auch stet von den „engbegrentzten Fesseln" jener Gerichte. Auf Cruab dieses Standpunktes vermutete bas Gericht sodann, daß die Aufbringuv, des Schiffes rechtmäßig gewesen sei und auch nach Kriegsausbruch stattgefunden habe. Die Folge war die Etatziehung deS Schiffes. („Fr. Ztg." vom 7. Oetember 1914.) Ein solches Scheinverfahren nennt man in England „Recht". Es wäre dringend nötig, dafür»« sorgen, daß der bei der 2. Haager Konferenz vorgesehene internationale Priseagerichtshof |#t Kontrolle solcher Rechtsprechung errichtet würbe. Aber'England? Die deutsche Prisenrechtsprechung leiflt die erlaubte Repressalie nack de» neuen Prisenbestimmungen: Ein deutsches Unterseeboot hatte den mit Gareide nach Belfast und Dublin bestimmten holländischen Dampfer „Maria" veisenkt. Die Reederei klagte in Hamburg gegen daS Reich. Das Schiff sei neutrck, die Labung keine Konterbande gewesen, folglich die Versenkung rechtswidrig um das Reich entschädigungspfllchtlg. Das Priseogericht entschied jedoch tm Sink« der

405 Die Anschauung ist nicht von der Hand ju weisen, daß daS starre Festhalten Englands am Seebeuterechte mit eine der Havptursachen dieses Krieges ist. Denn infolge dieses Piratenrechts wnrde Deutsch­ land jur Notwehr, d. h. zur Schaffung einer großen Flotte gezwungen, die England seinerseits als Bedrohung seiner vitalen Interessen ansah. England hat gleich vom Beginne der Feindseligkeiten an den alt­ englischen Grundsatz rückhaltlos verfolgt: „Die Gesetzbücher stnd im Kriege geschlossen; da gibt England Recht und Gesetz." Es hat sich über die oben kurz zitierten Abkommen vom Jahre 1907 teilweise schlank hinweggesetzt und seinen Vorteil und sein höchstes Ziel, die Vernichtung seines Rivalen zur See, auch zum obersten Grundsatz seiner Kriegführung erklärt. Dabei sind Haß und Angst seine Hauptberater! Sie waren stets schlechte Ratgeber! Dieses Vorgehen ist um so mehr zu bedauern, als England, wie amtliche norwegische und schwedische Mittellungen ersehen lassen, am 20. August, also lange nach der Kriegserklärung an Deutschland, die Erklärung abgab, daß es nach der Londoner Seerechtserklärung von 1909 die wichtigsten Fragen des Seerechts, insbesondere die Fragen der Krtegskonrerbande, behandeln wolle. In Vollzug dieser Erklärung hat England auch zunächst (s. unten) Erlasse herausgegeben, in denen es ausdrücklich die Gegenstände, die Art. 22 und 24 der Londoner Erklärung benannte, als Kriegskonterbande für diesen Krieg erklärte. Es hat aber diese Erklärungen später stark modifiziert und schließlich sie m einer Weise geändert, daß das Ganze als völlige Beseitigung fast der ganzen Vortelle der Londoner Deklaration erscheint (s. unten). England hat durch seinen Ministerpräsidenten Asquith während der Unterhausdebatte im Jahre 1911 erklären lassen, daß er und feint Kollegen nach sorgfältiger Prüfung gefunden hätten, daß ein groser internationaler Vertrag wie die Londoner Deklaration im höchsten Interesse des Weltfriedens wie auch der Vor­ herrschaft Englands zur See liege. Der Premierminister füge bei, die Regierung würde sich einer groben Pflichtversäumnis beutchen Regierung wie im Falle des vom Hilfskreuzer „Prinz Eitel Friedrich" »«faden amerikanischen Schiffes „William P. Frye", das mit Weizen nach Queistown und anderen als Stützpunkte der englischen Flotte dienenden Häfen bestinmt war.

Belfast und Dublin, so sagt bas Prisengericht, seien ebenfalls

Stülpunkte, folglich seien Lebensmittel Konterbande.

Oie Kläger brachten eine

Desoeinigung bei, baß die Ladung der „Maria" für eine Mühle bestimmt sei und daß riese da« Mehl an Private liefere. als Srund für die Freisprechung an.

Auch das erkannte bas Prisengericht nicht

4o6 schuldig machen, wenn sie nicht alles täte, um die internationale Richtschnur einführen ju helfen. So wurde die Deklaration vom Unterhaus mit großer Mehrheit angenommen. Und heute glaubt England, sich einfach allen rechtlichen und moralischen Forderungen dieses anerkannten Seegewohnheitsrechts einseitig entjiehen ju können? Frellich besser konnte England nicht zeigen, daß ihm am „Weltfrieden" nichts liege, als durch die Lossagung von den Regeln der sog. Londoner Erklärung1). Das Oberhaus lehnte am 12. Dezem­ ber 1911 die Naval prize bill ab, obwohl die einleitende Bestimmung ausdrücklich sagt: „Die Signatarmächte sind einig tn der Feststellung, daß diese Regeln (der Londoner Erklärung) im wesentlichen den all­ gemein anerkannten Grundsätzen des internationalen Rechts entsprechen." III. England verfolgt bei all seinen Verletzungen der Gebräuche und Gesetze des Seekriegs mit Raffinement zwei ganz konträre Systeme, die ihm gegenüber Vorwürfen jederzeit den Anschein eines gewissen Rechtes geben. Wir haben erlebt, wie ein Volk, das in seinem privaten und geschäftlichen Leben im Frieden im ganz überwiegenden Durch­ schnitte auf Anstand und Zuverlässigkeit hält, in der Polttik und vor allem bei der Fortsetzung der Politik durch den Krieg die brutalsten, unmenschlichen Maximen zur Durchführung bringt, die für uns übrigen Europäer tellweise in ihrer ganzen Gehässigkeit unbegreiflich und unverständlich sind. Sie scheuen nicht zurück vor Anstiftung zum Meuchelmorde und zum unanständigsten Verrate wie im Falle des Sir Roger Casement, gemeinen Verbrechen zugleich auch gegen die Fundamentalsätze des Völkerrechts. Der Engländer ist dabei in alle« seinen Geschäften außerordentlich formal. Dieser Formalismus hat auf dem Gebiete des Rechtswesens tellweise zopfige, bizarre Formen gezeitigt und zäh festgehalten. Der Engländer liebt es vielfach nicht, *) In einer Predigt vom 2. Juni 1851 charakterisiert F. W. Robertson seine Nation: „...Bei anderen Nationen ist der ErverbSbetrieb unmäßig, ja krankhaft »u nennen, so bei uns Engländern. Dieses Trachten »ach Besitz ist die Quelle unserer Größe «ab unserer Erniedrigung, unseres Ruhme- «ad unserer Schmach; es ist die Ursache unseres Handels, unserer Seemacht, unseres ungeheuren Reichtums, unserer Erfindungen, aber tugleich auch die Quelle unserer Streitigkeiten und Parteiungen, der erschütternden Armut und der mehr als heidnische« Derwllderung und Entartung weiter Schichten unserer Bevölkerung.... So ist denn die Wurzel all unseres Streben- Geiz und Begehrlichkeit, nicht der Wunsch, mehr z« genießen, sonder« mehr zu haben."

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in das innere Wesen der Dinge allzusehr einzudringen. Da ist ihm die Form genügend und zur Umgehung des materiellen Rechts oft sehr geeignet. Ist äußerlich die Sache in Ordnung, so ist sie ihm auch innerlich gefestigt genug, um ste zu vertreten. Dieser Standpunkt ist zuzeiten sehr bequem und hilft über Gewissensskrupel leicht hin­ weg. Auch der englische Jurist weiß genau, daß das, was in den verschiedenen Abkommen der zweiten Haager Konferenz von 1907 niedergelegt ist, längst gültiges Seegewohnheitsrecht ist. Es genügt ihm aber nach außen, daß Montenegro, der große Seestaat, oder Serbien diese Abkommen nicht ratifizierte, um fich — so lächerlich bei einigem Nachdenken auch für ihn dieser Standpunkt sein mag — zu trösten, daß darum die Abkommen auch für England nicht bindend seien, soweit die bekannte Solidaritätsllausel in den Abkommen enthalten ist. Im 6., 8., 10., 11. und 13. Seerechtsabkommen ist ste enthalten. Diese formalistische Behandlungsweise der Dinge zu ihren Gunsten hält die britische Seemacht freilich auf der andern Seite durchaus nicht ab, sich ihrerseits auf dieselben Abkommen, auf deren Ungültigkeit sie ihre brutale Kriegführung aufbaut, da als gültig zu berufen, wo sie ihr augenblickliche Vorteile versprechen, wie wir dies unten in einer Reihe von Fällen nachzuweisen in der Lage find. So wendet England z. B. jetzt u. a. auch die Bestimmungen des 13. Abkommens über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Seekriege von 1907 in den Artikeln über die Kohlenversorgung und den Aufenthalt der fremden Schisse (Art. 12, 14, 20 sowie Art. 5 und 8) mit größter Energie an, obwohl England das Abkommen gar nicht unterzeichnet hat und es dieselbe SolidaritätSklausel aus­ weist, auf die fich England sonst zum Nachweise der Ungültigkeit des Abkommens stützt: Alles, weil die betreffenden Be­ stimmungen für England in concreto günstig erscheinen. Also der Zweck geht ihm in der Politik wie in der Krieg­ führung, die ja nichts anderes sein kann und darf, als die Fort­ setzung der Politik, über alles!) Lächerlicher Formalismus wie weitherzigste Auslegung müssen ihm beide zugleich zum Besten dienen! Es braucht nur den Gegner, der ihm, dem Mächtigen, oben unter Z. 2). Die Sorge für die Besatzung obliegt allerdings nach Völkerrecht dem nehmenden Schiffe, aber doch nur so lange, als die Gegenpartei sich auch an die Regeln des Völkerrechts hält, eine Voraussetzung, die bet England fehlt. Übrigens haben, wie bereits ausgeführt, die deutschen Unterseeboote bisher stets, wenn es irgend möglich war, den Besatzungen der versenkten Schiffe Zeit gelassen, sich in Sicherheit zu bringen und dabei wahrhaft ritterlichen Sinn bewiesen. Daß die englischen Handelsschiffe im Gegensatz zu deu völker­ rechtlichen Abmachungen mit Kanonen versehen worden sind und sich bisher im Widerspruch mit Art. 63 der Londoner Seerechtserklärung der Durchsuchung durch die Unterseebootskommandos zu entziehen suchten, ja in wiederholten Fällen Nichtkriegsschiffe auf Unterseeboote schossen, was bewiesen werden kann (s. die Beschießung des U-Boots durch die Dampfjacht „Vanduba" ohne Zeigung der Flaggen, März 1915), zwang die deutschen Unterseeboote, wenn sie nicht Harakiri

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üben wollten, zu einer rücksichtslosen Kriegführung, für die nur Eng, land die Schuld trägt. England und Frankreich vernichten endlich in ihren Bestimmungen über die deutsche Ausfuhr der Güter deutschen Ursprungs noch den letzten Rest der Londoner Deklaration und be­ ginnen den reinen Seeräuberkrieg, der Deutschland zur Auf, Hebung jeglicher völkerrechtlicher Rücksicht in der Kriegführung berech­ tigt, da hier von Konterbanderecht überhaupt keine Rede mehr ist. In der Note liegt also eine völlige Ablehnung der amerikanischen Vorschläge, die mit Recht in der ganzen neutralen Welt peinlichstes Aufsehen erregte'). Die Quintessenz des englischen Verfahrens, das mit seiner Kriegs, gebietserklärung alle weiteren Schritte provozierte, ist das, daß es die Vorteile der Blockade verlangt, ohne die maritimen Nachteile und Gefahren einer solchen effektiven Blockade, die es durch die Papierblockade ersetzt, zu tragen. Die Engländer stürzen mit ihrem jetzigen Vorgehen alle Vereinbarungen seit der Pariser Akte völlig um und beseitigen das Völkerrecht. Was sie mit Nichtkriegsschiffeo **) treiben, ist direkte Seeräuberei (nach Oppenheim,Cambridge: every unauthorised act of violence against persons or goods committed on the Open Sea either by a private vessel against another vessel or by the mutinous crew or passengers against theirown vessel;

nach Fr. von Liszt: Seeraub ist die auf offener See von der Mann, *) Laut Meldung der „National Tibende" aus London berichteten die „Ceo, tral News" aus Washington: Das Repräsentantenhaus nahm ein Gesetz an, das die Macht beS Präsidenten erweitert, damit er die Beeinträchtigungen der Neu, tralität verhindern kSune. Danach kann er Zollbeamte anweisen. Schiffe«, die in amerikanischen Häfen laden, die Zollscheine vorzuenthalten, wenn «Grund hat, anzunehmen, daß die Schiffe Munition für kriegführende Mächte mitnehmen. Der Präsident kann ferner bet der Ausstellung von Zollscheinen eine Kaution in Höhe des doppelten Wertes der Labung oder des Schiffes verlangen, und diese einziehen, wenn die Reeder ober Kapitäne irgendeinen Verstoß gegen die Neutra, litätsvorschristen begehe». Die Reeder oder Kapitäne «erben in einem solche« Falle außerdem ein« strenge Gefängnisstrafe erhalten. DaS neu« Gesetz gilt für die Vereinigten Staaten und für alle ihnen gehbrigen Inseln. — Leider wurde das Gesetz nicht verabschiedet; es blieb Entwurf. *) Auch das absichtliche gruppenweise Vorgehe» zum Rammen der Unter, seeboote wie baS Aussetze» von Preise» für solche Seeräuberei gehört natürlich hierher. Siehe im übrigen unten das besondere Kapitel 38 über den Mißbrauch der Handelsschiffe. Müller,Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht.

3. Aufl.

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schast eines Privatschiffs gegen ein anderes Schiff.... begmgeue rechtswidrige Gewalttat). Ein solcher See-Franktireurkrieg (durch private Schift, die auf Veranlassung der britischen Admiralität oder ohne söche zu Derteibigungszwecken mit Geschützen und Munition ausgestattit sind) wurde bereits durch den Befehl des Chefs des Admiralstakes der deutschen Marine v. Pohl am 22. Juni 1914, also vor Begirn des Krieges, entsprechend gezeichnet; gegen ihn richtet sich die teutsche Prisenordnung (s. „D. J.-Z." 1915 Nr. 5/6 S. 247) in fotzenden Sätzen: „1. Die Ausübung des Anhalts-, Durchsuchungs- unt Wegvahmerechts, sowie jeder Angriff seitens eines bewaffneten Hrndelsschiffes gegenüber einem deutschen oder neutralen Handelsschffe gilt als Seeraub. Gegen die Besatzung ist gemäß Verordnung ürer das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren (R.G.Bl. 1914 E. 375) vorzugehen. 2. Leisftt ein bewaffnetes feindliches Kauffahrteischiff bewaff­ neten Widerstand gegen prisenrechtliche Maßnahmen, so ist dicser mit allen Mitteln zu brechen. Die Verantwortung für jeden Schaden für Schiff, Ladung und Passagiere trägt die feindliche Regierun;. Die Besatzung ist als kriegsgefangen zu behandeln.......*)" ') Me -rutsche Regierung handelte auch korrekt nach -er Rechtsarfsassung -er Marineakademie -er vereinigten Staaten. Die „Norbd. Allg. Z." Nr. 63 vom z. Mär; 1915 schreibt«. A.: „Will de Reichs, regierung deu Kriegszweck nicht länger durch die Gestattung der Ausnahne für die neutralen Schiffe beeinträchtigen lassen, sondern will fle neutralen Schiffer das De, fahren des Kriegsgebiets verbieten, so würde flch diese Maßnahme in die Bahn der bis, herigeo Dölkerrechtsentwicklung, die früher mit einer Unterseekriegführrng nicht gerechnet hat, einfügen lassen. Wie weit ein derartiges Verbot den Rechtsan, schauungen der Engländer und Amerikaner entsprechen würde, und wie die jetzige mllde Form der Krlegsgebietserkläruag mit den Auffassungen ihrer Rechts, gelehrten über Seekriegsrecht übereinstimmt, zeigt eine Zuschrift Dr. 2. Pearce HiggioS' an die „Times" vom 21. Oktober 1914. Seine Ausführung?» waren zur Rechtfertigung der englischen Seekriegsgebietserklärung bestimmt urd hatten vielleicht nicht damit gerechnet, daß Deutschland sich einen Teil ihrer Argumente aneignen könnte. Sie sind für «ns heute um so interessanter, als sie sich auf die Rechtsauffassung der Marineakademie (Naval War College) der Vereinigten Staate« gründen. Auch stehen das Naval War College und Dr. Hlxgins mit ihrer Anschauung nicht allein da. Der Marinemitarbeiter der „Times" — die häufig Ansichten der zuständigen englischen Regierungsstellen wiedergibt — beruft sich in der Nummer vom 12. November 1914 auf Dr. HIggins' Ausführungen und sagt, das bort erörterte Recht der Kriegführenden, neutrale Schisse, welche

499 IV.

rlus dem weiteren Notenwechsel zwischen den Vereinigten Staaten rrnid tnderen Neutralen und dem Dreiverbände ist hier nur folgendes als ksonders wichtig hervorzuheben: Die Agence Havas veröffentlichte am 20. März 1915 den Briefwechsl zwischen dem Botschafter der Vereinigten Staaten in Paris tmiö lern Minister des Äußern Delcaffö über die Maßnahmen gegen dem deutschen Handel. Cm Brief des Botschafters vom 7. MLrr sagte, daß die Schwierigkeit, die Haltung zu bestürmen, welche die Vereinigten Staaten einnehmen müssen, auö der Art der von den Aliierten vorgeschlagenen Maßnahmen entspringe, soweit diese aufden neutralen Hamde Bezug hätten. Die Absicht der Alliierten, alle Handelsschiffe anzuhalten, welche aus Deutschland kommen oder nach Deutschland gehen, stütze sich auf ein Recht, welches nur im Fall einer Blockade besiehe. Andererseits beabsichtigen die Allierten sich nicht auf die Blockaberegel zu stützen, wonach jedes Schiff, welches einen rutschen Hafen anzulaufen oder zu verlassen versucht, vom Prisengericht vervrttilt werden kann. Dadurch werde erklärt, daß das Schiff nebst Ladung so behantelt werden solle, als bestände keine Blockade. Beide Absichten der Alliierten schü fen ein bisher unbekanntes System des internationalen Rechtes. Es ergebe sich daraus, daß die Neutralen kein präzises Mittel hätten, um ihre Rechte abzumessen und die Sicherheit ihrer Schiffe und Ladungen zu gewährleisten. Die da­ durch geschaffene paradoxe Lage müsse geändert werden. England und Frankreich sollten erklären, ob sie sich auf die Blockaderegeln stützen wollten oder auf die Regeln, welche Anwendung finden, falls keine Blockade bestehe. Die Erklärung vom 1. März enthalte auch noch andere Unklarheiten. Der Botschafter fragt, was mit Waren deutscher Herkunft geschehen solle, wenn es sich um Artikel handle, welche unter den Begriff der Nichtkonterbande oder der bedingten Konterbande fallen. Der Botschafter fragt ferner, welche gesetzliche Lösung für Waren deutscher Herkunft Anwendung finden solle, welche von einem neutralen Gebiete auS auf neutralen Schiffen befördert werden. Die Regierung der Vereinigten Staaten lasse die Möglichkeit zu, daß die modernen Kriegsmethoden, besonders die Anwenduvg von Unterseebooten, es materiell unmöglich machten, daß die Blockade mit dev früheren Mitteln durchgeführt werden könne. Washington vertrete jedoch die Auffassung, daß der Aktionskreis eine gewisse Grenze haben müsse, namentlich wenn tle Aktion der Kriegführenden als Durchführung einer Blockade betrachtet werden könne. Der Brief betont schließlich, welche ernste Lage beispielsweise ein­ treten würde, wenn ein amerikanisches Schiff mit einer Ladung Waren deutscher Herkunft den Alliierten in den europäischen Gewässern entschlüpfen, vor New I)ork abgefaßt und nach Halifax gebracht werden würde. In der Antwort Delcasses vom 15. März an den amerikanischen Botschafter wird anerkannt, daß die früheren Mittel der Durchführung der Blockade infolge ihre mllitärischen Unternehmungen stören, zu entfernen, sei von England noch nicht zur Durchführung gebracht worden. Aber die Zeit könne kommen, wo es uötig sein würde." S. das Nähere dort über Higgins" Zuschrift an die „Times".

500 Verwendung der deutschen Unterseeboote und der gedgraphischen Lage Deutsch­ lands nicht vollständig angewaadt werde» können. MS Entgegnung auf die deutsche Bekanntmachung, baß Deutschland die Gewässer um Großbritannien und die französische Küste längs beS Ärmelkanals als KrlegSgebiet betracht« i«aS sich sowohl gegen die neutralen Staaten als die Alliierten wende) mußten die Alliierte» Maßnahmen suchen, um all« Seeverbiobunge« Deutschlands zu unterbrechen, wobei, soweit möglich, die berechtigten Interessen der neutralen Staaten und die Gesetze der Menschlichkeit gewahrt bleiben.

Der Gipfel der seeräuberischen Maßnahmen, die im vorstehenden besprochen wurden, wurde Mitte März von den Dreiverbandsstaaten erreicht: Das ftanzöstsche Amtsblatt veröffentlicht unterm 17. März das Dekret über die „Vergeltungsmaßnahmen" der Verbündeten gegen den deutschen Überseehandel. Dem Dekret geht ein Bericht voraus, der von dem französischen Minister des Äußern, dem Finanzminister, dem Kriegs- und dem Marineminister an den Präsidenten der Repu­ blik gerichtet ist und der die Begründung für die neuen Maßregeln darstellen soll1). Das Dekret selbst besagt: „Alle Waren, die Deutschen gehören, aus Deutschland kommen oder nach Deutschland gehen und nach dem 13. März in See gingen, werden angehalten werden. Von Deutschen besetzte Gebiete werden dem deutschen Gebiete gleich geachtet. Als aus Deutschland stammende Waren werden alle Artikel und Waren betrachtet, die deutsche Marke sind, in Deutschland hergestellt oder geerntet sind oder deren Absendungsort deutsches Gebiet ist. Diese Maßnahme findet nicht Anwendung auf Waren, bezüglich deren *) Die Ankündigung der englischen Maßnahmen zur Verhinderung der Güterausfuhr und -einfuhr Deutschlands wird eingeleitet mit folgender, von Reuter verbreiteten Erklärung: „In der Erwägung, daß die deutsche Regierung gewisse Beschlüsse ver, öffeatlicht hat, worin im Widerspruch mit den Kriegsgebräuchen die Gewässer rings um Großbritannien als KriegSgebiet erklärt «erden, innerhalb dessen alle Handelsschiffe Englands oder feiner Verbündeten vernichtet werden sollen ohne Rücksicht auf Leben von Passagieren und Besatzung; in der Erwägung, daß in einem erklärenden Memorandum |tt diese» Beschlüssen gesagt wird, die Neutrale» würbe» davor gewarnt, Mannschaften, Passagiere und Waren den Schiffen Eng, landS und seiner Verbündete« anzuvertrauen; in der Erwägung, baß eia der, artiges Auftreten des FeiubeS Seiner Majestät das unbestreitbar« Recht auf Wiedervergeltung gibt — hat Seine Majestät beschlossen, «eitere Maßregeln zu ergreifen, um zu verhindern, daß Handelsartikel jeglicher Art Deutschland ver­ lassen oder erreichen können."

50i ein Neutraler nachweisen kann, daß er sie in gutem Glauben vor dem 13. März in ein neutrales Land einführen ließ oder daß er deren Eigentum in gutem Glauben vor dem 13. März erworben hat. Die Waren werden als nach Deutschland gesandt betrachtet, wenn die begleitenden Dokumente nicht die endliche und einwandsteie Be­ stimmung für ein neutrales Land beweisen. Neutrale Schiffe, auf denen die oben angegebenen Waren ge­ funden werden, werden in französische oder alliierte Häfen abgeleitet; die Waren werden ausgeschifft werden, außer bei einem gegentelligen Beschlusse. Das Schiff wird fteigelassen und die Waren, die als deutsches Eigentum erkannt wurden, werden beschlagnahmt oder ver­ kauft, aber der Erlös wird dem Eigentümer erst nach Unterzeichnung des Friedens ausgezahlt. Neutralen gehörige, aus Deutschland stammende Waren bleiben zur Verfügung des neutralen Eigentümers, um in den Abgangshafen zurückgeschickt zu werden, und zwar binnen einer festgesetzten Frist, nach deren Ablauf sie für Rechnung des Eigen­ tümers verkauft werden1). Ebenso wird bei Waren vorgegangen, welche Neutralen gehören und «ach Deutschland geschickt sind. Der Marineminister kann ausnahmsweise die Durchfahrt von Waren gestatten, die für ein bestimmtes neutrales Land bestimmt sind oder daraus stammen. Die Bestimmungen betr. Kriegskonterbande bleiben in Kraft. Das Prisengericht wird über die Frage befinden, ob die abgeleiteten Waren den Deutschen gehören, für Deutschland bestimmt sind oder aus Deutschland stammen8) **)." *) Aus Christian!« wird der „Siln. Ztg." gemeldet: Das hiesige AuSwSttige Amt erfährt au- London amtlich: Der in Christian!« beheimatete Dampfer „Bravo", von Norwegen nach San Frantisko unterwegs, wurde in Cardiff, «0 er kohlen wollte, getwungen, 1192 Gallonen (45 Hektoliter) deutschen, in Bremen her­ gestellten Fruchtsaft zu löschen. Das ist der erste Fall, daß England deutsches Ausfuhrgut, bas keine Bannware ist, beschlagnahmt. — Zn England macht man aber viel Geschrei, well ein deutsches Unterseeboot einen holländischen Dampfer versenkte, der eine Apfelstnenlabung für England führte! *) „Daily Telegraph" meldet aus Washington vom 8. März: Sir Stell Springrice teilte mit, baß die britische Regierung folgende Verfügungen über nach neutralen Häfen bestimmte Baumwolle getroffen habe: 1. Baumwolle, die vor dem 2. März verkauft und jur Verschiffung bestimmt wurde, wird durch­ gelassen, oder, wenn sie angehalten wird, jum Verkaufspreis erworben werden, wenn die Schiffe nicht nach dem 31. März abgegangen sind; 2. dasselbe gilt für Baumwolle, die vor dem 3. Mär» versichert wurde, wenn sie nicht nach dem 16. Märj verladen wurde; 3. alle Daumwollfrachten, die auf obige Behandlung Anspruch erheben, müssen vor der Abreise augejeigt und mit Zertifikaten von Konsularbeam,

502 Die Pariser Ausgabe des „Herold" meldete am 29. Mät mus London, daß auf die Vorstellungen Amerikas gegen den engischen Blockadekrieg gegen Deutschland und Hsterreich-Ungarn der Ge­ ien und andere« von der Regierung hierfür aufgestellten Behörde» vrsechen «erben.

Schiffsladungen nach feindlichen Häfen «erden nicht durchgelasr»..

Die letzte Bestimmung ist der offene DölkerrechtSbruch und zuglech

ein

schwerer Eingriff in die Staatshoheit der Union. *) Am besten ist es, dieser völligen Ignorierung des gesamten Sere-chts seitens der Dreiverbandsstaaten das eutgegentusetzen, «as konform der taltmog der Bereinigten Staaten eia anderer neutraler Staat dagegen anführte. Der Minister des Äußern hat der Zweiten Kammer die »iederlänbisckr Rote vom 19. MLrj an England und Frankreich am 2-. März 1915 mitgeteit.

Es

heißt darin: Die niederländische Regierung will kein Urteil über die Rechtmäßigelt der von den Kriegführenden getroffenen Maßregeln fällen, aber es liegt den Rfesber* lande» als neutrale Macht die Pflicht ob, gegen diese Maßregeln die Stinm« $11 erheben, sofern sie anerkannte Prinzipien über die Recht« der Neutralen vrletzeo. Schon bei Beginn des Krieges protestierte die niederländische Regierung imJmteresse ihrer Rechte als neutrale Macht und im Interesse des Völkerrechts gegen jede Beschränkung der Rechte Neutraler durch die Kriegführende». Ihre jaltmag kann mit Mckstcht auf die jetzt ergriffenen Maßregeln nicht geändert wer>eo» da diese daS große Prinzip der Pariser Erklärung von i8$6 ignorieren, wonah Neu­ trales und feindliches Eigentum mit Ausnahme von Konterbande «ovrletzlich ist, solange es durch bi« ueutrale Flagge gedeckt ist. Mit der Deiseiiesehunz dieses Prinzips hat die britische Verordnung bestimmt, baß die britische Flotte Zvaogsmaßregeln nicht nur gegen Privateigentum des Feindes, auch wenn ei keine Konterbande ist, sondern auch gegen neutrales Eigentum ergreifen soll wenn vermutet wird, baß es feindlichen Ursprungs oder für den Feind bestimnt ist. Die Bestimmungen der britischen Verordnung gewähren die AuSflcht auf »ildere Anwendung der Maßregeln gegen neutrales Eigentum, aber ohne bejimmte Regeln aufzustellen, die gelten sollen, um die Interessen der Schiffahrt mb des Handels zu schone«. Der Artikel 8 läßt die Möglichkeit einer MAderung 1er Be­ stimmungen der Verordnung offen betreffs der Schiffe aus jedem Land, >as die Erklärung abgibt, daß unter seiner Flagge kein Transport von Gütern a»S oder nach Deutschland ober von Gütern deutsche» Eigentums stattfinde» wird. Ich glaube aber den Nachdruck darauf legen zu müssen, baß vorkommenden Falles die niederländische Regierung eine derartige Erklärung nicht abgeben kann. Nach ihrer Auffassung widerspricht die genaue Erfüllung der Pflichten der Nevtralität der Übernahme einer derartigen Verbindlichkeit. Eure Exzellenz gab mir bereits vor der Veröffentlichung der britischen Verordnungen zu verstehen, daß den Inter­ essen der Niederlande und ihrer überseeischen Besitzungen in weitem Maße Rech­ nung getragen «erbe» solle, aber wie gemäßigt auch die Anwendung der Ver­ ordnung sein möge, die niederländische Regierung kann nicht stillschweigend einer ernste» Verletzung des Grundprinzips beS Völkerrechts zusehen, das seit mehr als einem halben Jahrhundert von alle« Mächten garantiert ist.

5°3 sandten der Regierungen in London eine ablehnende Antwort der britischen Regierung am 24. Märj zugestellt worden ist1). Diese Nachricht war unzweifelhaft richtig. Während also Deutsch­ land alles tat, um eine Verständigung herbeizuführen, übt England seine Seetyrannei, die größte Feindin des Rechts, unbekümmert um amerikanische Anti- oder Sympathien aus. Man wird dies immer wieder betonen müssen angesichts der wachsenden unfteundlichen Haltung der Vereinigten Staaten — nicht gegenüber England, sondern dem nachgebenden Deutschen Reiche! V.

Am 7. April 1915 erging daher eine neue amerikanische Note an England, deren kurze Wiedergabe nach englischen (Londoner) Nachrichten erfolgt. Sie führt aus: »Oie britische» Noten vom 13. und 15. März stellen eine Bedrohung des Rechts der Neutralen bar, mit den Kriegführenden und untereinander Handel »« treiben und zu verkehren. Die englische Kabtuettsorder vom 15. März würde, wenn sie tatsächlich durchgeführt werden sollte, faktisch eine Anmaßung unbegrenzter Rechte von seiten der Kriegführende» über den neutralen Handel im ganze» euro­ päischen Gebiete bedeuten und eine beinahe unbedingte Verneinung der souveränen Rechte derjenigen Nationen darstellen, die jetzt im Frieden leben." Die Note definiert hierauf den völkerrechtliche» Standpunkt und besagt weiter, man erwarte zuversichtlich, daß die britische Regierung nicht verneinen werbe, baß, selbst wenn die Blockade besteht und der Konterbande-Grundsatz für «»blockiertes Gebiet streng durchgeführt wird, harmlose Schiffsladungen durch neutrales Gebiet frei zwischen den Vereinigten Staate» und dem Gebiet« der Kriegführenden verfrachtet werbe» dürfen, ohne daß sie Strafen für den Konter, banbehanbel und Blockadebruch ausgesetzt find. Weiter heißt es: Wenn die briti­ sche Regierung von DergeltungSmaßregeln spricht, die durch baS Vorgehen des *) Der bekannte Jurist Dr. Louis Israel, juristischer Mitarbeiter des „Telegraaf", schreibt in diesem Blatte über den „Medea"-Fall, den die englische Presse besonders zur Hetze gegen Deutschland (März 1915) mißbrauchen wollte: „Alle völkerrechtlichen Vorschriften der Londoner Deklaration scheinen im Falle „Medea" befolgt zu sein. Die deutsche» Unterseeboote haben in de» Fällen der „Batavler 5", der „Zaanstroom" und der „Mebea" gehandelt, wie auch andere Unterseeboote gehandelt haben würde», und ste haben nicht gemäß den Drohungen der Februarerkläruing gehandelt....... Die deutschen Unterseeboote beginnen erst jetzt, baS See­ beuterecht auszuüben, fie müssen dabei erst einige Erfahrung erwerben. Wenn diese praktische Erfahrung nur nicht auf Kosten der niederländischen Bürger geschieht, bas heißt, wenn den niederländischen Interessenten Gelegenheit gegeben wirb, ihr gutes Recht zu beweisen und Entschädigungen zu erhalten, so ist bei dem gegenwärtigen Stande des Seekriegsrechtes ein solches Auftreten von Kriegs­ schiffe« einer kriegführende» Macht nicht als eine Ungesetzlichkeit anzusehen."

504 Feindes nötig wurden, so glauben die Vereinigten Staaten, daß hierdurch nur «ine erhöhte Tätigkeit der Seestreitkräfte, nicht aber ein ungesetzliches Vorgehen gerechtfertigt wird.

Wenn das Vorgehen der Feinde Großbritanniens sich als

illegal und als eine Mißachtung der Prinzipien, nach denen aufgeklärte Nationen Krieg führen, erweisen sollte, so nehme die Regierung der Vereinigten Staaten keinen Augenblick an, daß die britische Regierung wünschen könnte, daß ihre Hand, langen derselbe Vorwurf treffe, noch würde die Regierung der Vereinigte» Staaten dies als eine Rechtfertigung für ähnliche Akte ansehen, sofern fie Recht« der Neu, traleu beeinträchtigen. Die Regierung der Vereinigten Staaten hoff« juverstchtlich, daß die britische Regiernng, di« bei der Anhaltung von Labungen nach und von feindlichen Ge, bieten eine ungewöhnliche Methode anwandte, ihre Praxis mit den anerkannten Regeln des Völkerrechts in Einklang bringen «erde, zumal bas blockiert« Gebiet so ausgedehnt sei, daß die Schiffe notgedrungen die blockierenden Seestreitkräfte passteren müssen, um wichtige »eutrale Häfen zu erreichen. Die amerikanische Note «eist sodann auf den Umstand hin, daß die skaudi, navischen und dänischen Häfen für den amerikanischen Handel freigegeben sind, obwohl es diesen Häfen tatsächlich freisteht, mit den deutschen Ostseehäfen Handel zu treiben.

Der tzauptgrunbsatz für eine Blockade sei, baß fie alle Neutralen

gleichermaßen treffen müsse. Eine genaue Anwendung der Kabinettsorder würde vielfach den legitimen Handel schädigen und der britischen Regierung eine schwere Verantwortlichkeit auferlegen. Di« britische Regierung müßte für alle gegen das Völkerrecht verstoßenden Maßnahmen volle Entschädigung leisten. Die Re, gierung der Vereinigten Staaten halte daran fest, baß die Rechte und Pflichten ihrer Bürger durch die bestehenden Gesetze des Völkerrechts und die Verträge der Vereinigten Staaten ohne Rücksicht auf die Bestimmungen der Londoner Dekla, tätig» umgrenzt seien, und sie behalte sich vor, in jedem Falle, in dem die so definierten Rechte und Pflichten verletzt würden oder ihre freie Ausübung durch die britische Regierung behindert «erde, Protest einzulegen und Schadensersatz zu verlangen.

Der Schlußabsatz der Washingtoner Note erinnert in seiner Fassung an die Vorstellung, die Botschafter Gerard an die deutsche Regierung wegen der Ankündigung des Unterseekrieges gerichtet hat. Der Unterschied besteht nur darin, daß inzwischen der deutsch,ameri, kanische Notenwechsel England als den Schuldigen für die Verschärfung des Seekriegs auch für die amerikanischen Beurteller entlarvt hat. Wenn der Fortgang des deutsch,englischen Handelskrieges jetzt für die amerikanische Schiffahrt Schädigungen und Belästigungen zur Folge hat, so kann Deutschland mit ruhigem Gewissen zusehe», ob es den Bemühungen der Vereinigten Staaten gelingt, ihrem Recht auch gegenüber Großbritannien Geltung zu verschaffen. Frellich mit papiernen Proteste» und der Androhung nachträg, licher (l) Schadensersatzklagen ist nichts getan! Sie erscheinen weiten Kreisen nicht nur Deutschlands, sondern auch der neutralen Mächte

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nur eine Bemäntelung und Maskierung der unbegreiflichen Schwäche eines großen souveränen Reiches, das sich von dem Seetyraunen England die Behandlung eines kleinen Duodejstaates gefallen läßtl). VI.

Da die Waffenlieferungen der amerikanischen Fabriken lawinen­ artig junahmen und es auch dem objektiven Beschauer klar wurde, daß die amerikanischen Lieferanten allein die Schuld für das ver­ längerte Völkermorden tragen — (Rußland wäre, wie wir aus bester Quelle wissen, längst an Munitioasmangel ohne amerikanische Lieferungen unterlegen und der Krieg hätte dadurch auch im Westen ein rasches Ende gefunden)—machte anfangs Aprll 1915 das deutsche Reich erneute Vorstellungen gegen diese Waffenlieferung und ihre direkte Begünstigung und Beschützung durch die Regierung der Ver­ einigten Staaten. Die große Schuld derselben, die mit aller Dialektik und Berufung auf angebliche völkerrechtliche Normen, die von England niemals an­ erkannt wurden und deshalb auch in diesem Kriege keine Gültigkeit haben können, nicht weggewischt werden, ist, daß sie für das Recht des illegitimen Handels seiner Waffen, also absolute Konterbande fabrizierenden Staatsbürger eintritt, daß sie aber für die Durchführung *) Die „Morning Post" vom 8. April 1915 schreibt ». a.: Oie amerikanische Regierung nimmt in satirischer Form Dejug auf die Pariser Erklärung von 1856 und auf die Londoner Erklärung von 1909. Amerika sagt, daß die Normen der Pariser Erklärung heute schwerlich von den Slgnatarmächten bestritten «erden. Der Humor dieser Bemerkung liegt in der Tatsache, daß die britische Proklamation vom 15. März 1915 eine offene Verletzung der Pariser und Londoner Erklärung darstellt, und in der kürzlichen Weigerung ASquilhs, sich von jenen diskreditierten Erklärungen loszusagen. Die britische Regierung stellte stch am 23. Oktober mit gewissen Einschränkungen auf den Boden der Londoner Erklärung; und wenn zwischen ihr und der Verordnung vom 15. März kein erkennbarer Zusammenhang besteht, so ist es allein Schuld der britischen Minister. Die Minister fahre« fort, die Tätigkeit der Flotte durch die Pariser und Londoner Erklärungen und durch die Haager Konvention binden zu lassen und erlassen schließlich eine Verordnung, die sich mit keiner von diesen in Einklang befindet. Wenn fl« diese ersetzen soll, so muß das ausdrücklich erklärt werden. So lange die Erklärungen und die Äon# vention von der britische» Regierung anerkannt werde», so lange liefern sie, wie die amerikanische Not« zu erkennen gibt, «in« Handhabe für Entschädigungs­ ansprüche. Die Stellung der Neutralen England gegenüber ist ziemlich hart, wenn das Publikum zu den übrigen Kosten am Ende des Krieges noch eine lange Rech­ nung für Entschädigung der Neutralen begleichen soll. Aber das steht jetzt zu befürchten, wen« nicht die britische Proklamation «in toter Buchstabe bleibt.

5o6 ihres legitimen, völkerrechtlichen Handels mit Lebensmittel) und Rohstoffen mit Deutschland nichts anders tut als Scheinaktionen oder Papierprotestaktionen gegen den Verächter jeglichen Völker­ rechts England, der die Lebensinteressen der Vereinigten Staaten selbst aufs empfindlichste trifft, durchzuführen: Aktionen, die Ergland und sein Nachläufer Frankreich nur mit Hohn als „Freundschafts­ beweise" auffaßt, da ihnen jede Tat fehlt. Worte, nichts als Mörtel (Siehe als Fortsetzung dieses Kapitels unten Kapitel 41 zum „Fall Lusitania" das Nähere.)

37. Kapitel.

Verschiedene andere seerechtliche Fragen. I. Die Wegnahme unü Beschädigung deutscher Schiffe, insbesondere der „Sneisenau" in Antwerpen. Das ursprüngliche Gerücht, daß England 34 deutsche Handels­ schiffe in die Lust gesprengt habe, erwies sich als unwahr. Nur die „Gneisenau", Eigentum des Bremer Aoyd, wurde versenkt, den andern deutschen Schiffen wurden Maschinenteile entnommen. Nach Art. 2 des 6. Haager Abkommens von 1907, das von den 6 kriegführenden Staaten Europas (außer Serbien) ratifiziert wurde (über die Behandlung der feindlichen Kauffahrteischiffe beim Ausbruch der Feindseligkeiten), dürfen feindliche Kauffahrteischiffe, die infolge höherer Gewalt den feindlichen Hafen innerhalb der im Art. 1 1. c. zu stellenden Frist nicht verlassen konnten oder denen das Auslaufen nicht gestattet wurde, nicht konfisziert, sondern nur mit Beschlag belegt und während des Krieges zurückbehalten werden. Enteignung ist nur gegen Entschädigung möglich. Die Zerstörung der „Gneisenau" ist daher ein völkerrechtswidriger Akt (s. auch Dr. Köhler in der „D. J.-Z." 1914 Nr. 21/22 S. 1225, wo Köhler die im Kapitel 1 hier vertretene Ansicht seinerseits teilt). Für ihn wie für die Beschädigungen der Maschinen der andern Schiffe kann voller Schadensersatz verlangt werden. Die Frage der Beschlagnahme vtchtdeutscher Schiffe durch die deutsche Regierung, die Köhler, a. a. O. als Doktorftage behandelt, kommt hier praktisch nicht weiter in Betracht. Unzweifelhaft durfte Deutschland die Schiffe kriegführender Staaten als feindliche prisevrechtlich beschlagnahmen und konfiszieren.

507 IE. Ser verkauf -er „Geben" und „Breslau" an die Türkei. England hat rechtswidrig jwei Dreadnoughts, die die Türket in England gekauft hatte, kurz vor Fertigstellung sich zugeeignet *); ein ähwliyes Verfahren scheint es gegenüber der chllenischen, braMa, Wischer und neuerdings der norwegischen Regierung angewendet z« Haren. Die Zurückzahlung gezahlter Raten ändert nichts an dem eSnfaüen Tatbestands des Diebstahls gegenüber neutralen Staaten. Oiesee skrupellose Verhalten verhindert natürlich nach alter englischer Taktik andrerseits nicht, über völkerrechtliche Untaten Deutschlands irr vie er Richtung zu klagen. Die Abtretung unserer beiden Kampfschiffe „Göben" und „Bres, lau" an die Türkei hat für England und Frankreich eine unerfteuliche Uberrcschung gebracht. Gegen diesen Vorgang haben die Mächte des Dreivabandes, namentlich England und Frankreich, Verwahrung eingelcgt unter Berufung auf angeblich unbezweifelbare Sätze des Völkerrechts, die ihrem Auftreten zur Seite stünden; ja, sie sind nach dem Verkauf so weit gegangen, daß sie erklärten, sie würden die beiden Schiffe noch als deutsche Schiffe behandeln und ohne weiteres wegnehmen! (Siehe im englischen Weißbuch über die Vorgeschichte des Kriegsausbruchs zwischen der Türkei und England die Äußerungen vom 3. August über das türkische Kriegsschiff Osman I. und vom 11. August.) In der Nr. 226 vom 17. August der in Bologna erscheinenden Zeitung „Jl Resto del Carlino — La Patria" untersucht der Völker, rechtslehrer Enrico Catellani die Stichhaltigkeit des rechtlichen Vor, Bringend unserer Feinde und legt schlagend dar, daß ihre Gründe unhaltbar sind. Der Art. 6 des 13. Abkommens der Haager Konferenz von 1907 lautet: „Die von einer neutralen Macht an eine kriegführende Macht aus irgendwelchem Grunde unmittelbar oder mittelbar bewirkte Abgabe von Kriegsschiffen, Munition oder sonstigem Kriegsmaterial ist unter, sagt!" Dieser Artikel ist aber hier unanwendbar, well nicht die Abgabe von Kriegsschiffen durch eine neutrale Macht an eine kriegführende,

*) Siehe die Schilderung beS Vorganges in der „M.Mugsb.A." (Januar 1915). Die Schiffe wareu völlig bezahlt «od reisefertig. Am Tage der Abnahme wurden sie von England weggenommen.

508

sondern umgekehrt durch eine kriegführende an eine j«r Zeit der Ab­ gabe neutrale in Frage kommt. Für diese« umgekehrten Fall gibt es weder eine Vereinbarung noch eine Regel des Völkerrechts. Der Fall ist so llar, daß darüber kein Wort mehr verloren zu werden braucht. Auch die gleichzeitige Verwendung eines Teiles der Besatzung kann an dem Tatbestände nichts ändern. Die Türkei (s. engl. Weißbuch) hat ausdrüMch erllärt, daß sie die Schiffe erwartetermaßen gegen Griechenland benötige und die für ste neuen Schiffe ohne deutsche Fachleute nicht zu lenken versiehe. (Erlläruag des Großwesirs vom 16. August.) Wir erwähnen den Fall an dieser Stelle vor allem deshalb, well er ein neuer schlagender Beweis für die Mannigfaltigkeit englischer Dölkerrechtsausübung ist. Hier wie im Falle „Dacia" beruft sich England direkt auf die analoge (!) Anwendung der Art. 55 und 56 (über den Flaggenwechsel) — der Londoner Seerechts-Erklärung vom 16. Februar 1909, d. h. der Ausdehnung der­ jenigen Erllärung, die, soweit sie nicht — wie von Deutschland — in die einzelnen Prisenordnungen als Landesgesetz aufgenommen worden ist, formal unwirksam ist, well — England bisher die Rati­ fikation verweigert hat *). Sobald das englische Oberhaus die Ein­ willigung gegeben hätte, wäre die Ratifikation von seiten aller Groß*) Da die Dreiverbandsmächt« |u wiederholten Malen erklärten, daß sie die zwei von der Türket gekauften Schiffe als feindliche ansehe« und damit die türkische Flotte angreifen würden (s. Weißbuch Englands vom 3. September 1914), gab diese Erklärung de jure der Türkei den materiellen Grund, die kriegerischen Unternehmungen zu beginnen, da sie eine offene Kriegsdrohung an die Türkei bedeutete. Die Türket scheint auch diese Erklärung wie die Mineolegung durch russisch« Schiffe in ihren Gewässern als den eigentlichen casus belli angesehen |u haben. — Im „Daily Telegraph" schreibt Archibald Hukd: „Die an den Seegefechten (Ende Oktober 1914) teilnehmenden drei Monitore „Mersey", „Humber" und „Severn" waren für Brasilien gebaut und wurden aunmehr von der Ab, miralität gekauft." Der Kauf geschah jedenfalls erst nach der Kriegserklärung vom 4. August. Vorher schon hat man von solchen „Verkäufen" mit andern neutrale» Staaten (Spanien usw.) gehört. Hier hat also England wiederholt das getan, was es soeben selbst für völkerrechtswidrig erklärt hatte. Ja, es hat «ahrscheia, lich sogar mit einem mehr ober weniger sanften Drucke die neutralen Staaten gezwungen, die Schiffe zu „verkaufen". Eine bessere Form für den Diebstahl an neutralen Schiffen! Und am 19. April 1915 wurde gemeldet, daß die Londoner Regierung ihre Hand auf zwei sür griechische Rechnung in England im Bau befind, ltche Kreuzer und vier Torpedoboote gelegt hat. Und all das duldet ein neutraler Staat!

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mächte rasch erfolgt. England berief sich auf jene Norm, obwohl es jetzt ausdrücklich erklärt, daß es sich an die Londoner Deklaration in weiterem Umfange überhaupt nicht mehr gebunden halte. Seine Bindung ist nur eine Scheinaktion, ein Schwindelmanöver! Was gilt nun eigentlich? Wenn es sich aber auf den Standpunkt des nur modifijierten Gewohnheitsrechts stellt, muß es auch die andern Be­ stimmungen der Deklaration als solches Gewohnheitsrecht anerkennen. Das berechtigt aber noch nicht, durch sogenannte „analoge Anwendung" eine für England momentan bequeme, gegensätzliche Rechtsanwendung geltend ju machen, wie sie hier versucht wird, die völlig singulär ist, da auch der Tatbestand ein ungewöhnlicher, bisher noch nicht registrierter ist. Die Deklaration ist, wie oben festgestellt, nach Wunsch und Ein­ verständnis aller Staaten, ein einheitliches Ganzes! England sucht sich an Bestimmungen heraus, was ihm paßt, und legt es „ana­ log" aus! Nach Wickinger- und Flibustierart Seeräuberei treiben — und für sich neues Seekriegsrecht konstruieren, das man den Gegnern vorenthält, ist selbst für englische Methode ungewöhnlich! Es wäre wahrlich Zeit, dieser Macht, die sich das Weltrichtertum trotz all. ihrer inneren Ungerechtigkeiten so gern usurpiert, baldigst ein Ende zu bereiten und die Welt von diesem drückenden System zu befteien! **) Man sagt wahrhaftig nicht zu viel, wenn man von einem System völkerrechtlicher Taschenspielerei in der britischen Seepolitik spricht: Sie wendet das Recht an, wie es der Macht frommt2)! So hatten wir als allgemeine Seeusance, die sich aus dem 18. und *) Für die englische Heuchelei, der sich natürlich Frankreich sofort kritiklos anschloß, ist «S auch charakteristisch, daß (ur selben Zeit, als (s. nächstes Kapitel) der Flaggenbetrug als englisches System offiziell erklärt wurde, England ans Grund der Art. 55 und 56 der Londoner Oellaratioa (sic l) gegen den Verkauf deutscher Handelsschiffe an die Bereinigten Staaten von Nordamerika (Fall „Daria" «. a.) protestierte. Abgesehen davon, baß England sich selbst durch seine Flaggen, order widerlegt und die Londoner Deklaration nicht anerkannt hat, treffen die beregtea Bestimmungen der Londoner Deklaration auf diesen Fall überhaupt nicht 1». *) Über neue Fragen des deutsch,englischen Seekriegs (Frage der Ent, schädigungspflicht bei Zerstörung von Prisen: Fall „Mitra"; Frage des Der, senken- von einziehbare» Handelsschiffen, feindlichen oder neutralen, über die französische und englische „Gütersperre" vom 13. und 15. März 1915, über de» Angriff auf die „Dresden", endlich die Frage, ob Privatschiffe befugt sind, Minen zu beseitige») s. Nehm, „D. I.,Z." 1915 S. 454 ff.

5io iy. Jahrhundert gab, in der i. Auflage geschrieben. Der Schlußsatz ist jetzt besonders bemerkenswert. III. Beschlagnahme -es Lazarettschiffes „Ophelia".

Nach englischen Presseuachrichten wurde das deutsche Lazarett­ schiff „Ophelia", das nach dem Untergang der vier deutschen Torpedo­ schiffe ausgeschickt war, nach Schiffbrüchigen zu suchen, von dem engli­ schen Kreuzer „Darmouth" an der Ausführung seines Auftrages ge­ hindert und (Mitte Oktober) mit Beschlag belegt. Man begründete die Wegnahme des Lazarettschiffes mit der Behauptung, es habe Minen an Bord. Als die Durchsuchung diesen Vorwand sofort als hinfällig erwies, wurde die an Bord befindliche funkentelegraphische Einrichtung als gefährlich und die Beschlagnahme des Dampfers begründend be­ zeichnet. Die „Ophelia" wurde in einen englischen Hafen gebracht. Bezeichnend ist, daß die „Times" unterm 20. Oktober lakonisch folgendes konstatiert: „Der deutsche Dampfer „Ophelia", »ach Hamburg gehörig, würbe gestern auf die Reede von Parmouth durch einen englischen Kreuzer aus der Nordsee zur Untersuchung eingebracht. Der Dampfer führte die Rote,Kreuz-Flagge, bei De, fchlagnahme wurde eine drahtlose telegraphische Einrichtung gefunden, die ab, getakelt wurde, außerdem war er mit 100 Betten und voller Einrichtung als Hospitalschiff ausgerüstet."

Das 10. Abkommen der II. Haager Konferenz vom 18. Oktober 1907, das hauptsächlich den Schutz der Lazarettschiffe betrifft, bestimmt, daß solche Schiffe nicht beschlagnahmt werden dürfen. Der Art. 8 des Abkommens erklärt ausdrücklich: „Der den Lazarettschiffen und den Schiffslazarettea gebührende Schutz hört auf, wenn sie dazu verwendet werden, dem Feinde zu schaden. Als geeignet, um den Verlust des Schutzes zu begründen, soll weder die Tatsache gelten, daß das Personal dieser Schiffe und Laza­ rette zur Auftechterhaltung der Ordnung und zur Verteidigung der Verwundeten oder Kranken bewaffnet ist, noch die Tatsache, daß sich eine funkentelegraphische Einrichtung an Bord befindet." Diese Sätze sagen klar und unzweideutig, daß Lazarettschiffe mit funkentelegraphischer Einrichtung nicht der Beschlagnahme unter­ liegen. Das Abkommen, das diese Bestimmung enthält, ist auch von England unterzeichnet. Ratifiziert ist es aber von England nicht, während eS von nahezu allen andern unbedenklich ratifiziert, d. h.

tut rehtsverbindlichen Norm erhoben wurde. Deutschland, ÖsterreichUmgarn, Frankreich, Rußland, Japan, selbst Haiti, die mittel- und süd-anerikanischen Staaten und Siam haben das Mkommen nicht tute interschrieben, sondern auch ratifiziert; nur England hat sich davor dispensiert. Durch die Unterzeichnung des Abkommens hat England zu­ nächst anerkannt, daß es sich um allgemein anerkannte alte Grund­ sätze tes Seekriegs handelt, die die Humanität erfordert. Für den moralischen Tiefstand der englischen Nation kann es keim beschämenderes Dokument geben als die Ignorierung eines AbLonmens, das die Anwendung der alten und ehrwürdigen Grund­ sätze les Genfer Abkommens auf den Seekrieg bringen soll. Augen­ fällige: kann die brutalste Nützlichkeitspolitik des angeblichen Schützers von »Freiheit, Recht und Menschlichkeit" nicht dargetan werden, als durch die absichtliche Verhinderung der Rettung der tapferen Manrschaftea der vier Mitte Oktober untergegangenen deutschen Torpedoboote, die zum großen Teile, wie die in Schwimmwesten aufgefundenen Leichen zeigen, hätten gerettet werden können, wenn England nicht diesen Dölkerrechtsbruch begangen hätte. Die Einwendungen des britischen Auswärtigen Amts vom 4. Nosembcr, daß der Name der „Ophelia" als Hospitalschiff der briti­ schen Regierung nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden sei und well es den Pflichten eines solchen entgegengehandelt hätte, wurden in einer amtlichen Mittellung vom 7. November als völlig unwahr wider­ legt: „Der Name wurde am 7. September durch das Staatsdeparte­ ment in Washington der britischen Regierung bekanntgegeben (Tele­ gramm vom 26. September). An Bord befand sich nur Kranken­ pflegepersonal, das überdies völkerrechtswidrig von England inter­ niert wurde (s. Art. 1 ff. des 10. Abkommens vom 18. Oktober 1907). Die Bestimmung der „Ophelia" war ausschließlich, die nach dem See­ gefecht überlebenden Verwundeten und Schiffbrüchigen zu bergen." Die behauptete Legung von Minen durch das Lazarettschiff wurde amtlich als Verleumdung scharf zurückgewiesen. Die völkerrechtswidrige Behandlung des Sanitätspersonals kann man nicht charakteristischer schildern als im „DaUy Telegraph": „Gefangen, erniedrigt, entehrt und gedemütigt, ein Gegenstand der Oerachtung, langte der Zug der Gefangenen an, um nach Chatham üstradiert zu werden!" So behandelt England die Genfer Konven­ tion und tapfre Gegner!

512 Diese Dölkerrechtsverletzung ist noch von einem andern Stand­ punkt aus für England besonders beschämend. Zunächst die immer wieder betonte merkwürdige Tatsache: England beruft sich gegen? über Deutschland auch im Falle „Ophelia" auf das io. Abkommen der II. Friedenskonferenz betreffend die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg, obwohl es, wie erwähnt, diesen eigentlich selbstverständlichen, humanen Vertrag — zusammen mit Montenegro — nicht ratifizierte. Mer England ist nobel genug und verzichtet auf diese Einrede und läßt das Mkommen gelten, obwohl die Solidaritätsklausel (Art. 18 1. c.) nicht zutrifft. Also immer wieder ein neuer Beweis für die Richtigkeit der im Kapitel i verfochtenen Geltung aller seerechtltcheu Abkommen von 1907 t Trotz Serbiens, Montenegros und — Englands Nichtratifizierung der Mkommen! England handelt hier sogar ausnahmsweise einmal konsequent, da es ihm momentan nützte, so zu handeln. Als es sich nämlich darum handelte, die geretteten Seeleute der von dem wackeren deutschen U 9 in Grund geschossenen drei englischen Panzerkreuzer aus dem holländi­ schen Neutralitätslager zu besteien, berief fich dasselbe England auf § 15 des Abkommens, das es nicht unterzeichnet hatte, indem es ausführte, daß die Schiffbrüchigen, d. h. die englischen Seeleute, nicht durch Kriegsfahrzeuge, die § 15 I. c. im Auge hat, sondern durch Neutrale im neutralen Gewässer gerettet worden seien. Und es erreichte seine» Zweck. Das tut wiederum England, welches das Mkommen über die Neutralitätspflichtea zur See nicht ratifiziert hat und all­ überall seinerseits (wie im Falle des deutschen Dampfers „Wilhelm der Große") die Neutralität mißbraucht und verletzt! Ganz köstlich ist, um dies auch an dieser Stelle hervorzuheben, wie die englische Presse fich entrüstet aufbäumte, daß U 9 die zwei andern englischen Schiffe torpedierte, als fie die Schiffbrüchigen des ersten retteten. Abgesehen von der ungeheuren Naivität, die darin liegt, zu verlangen, — daß ein in die Luft geschossenes Schiff dem Gegner völlig genügen müßte und er dann — natürlich nur aus Respekt vor England — bet selbstverständlichen Rettungsversuchen seitens der andern sofort die Feindseligkeiten einstellen müßte, hat ein Staat, der sogar die Ausdehnung der Genfer Konvention auf den Seekrieg verweigert, von allen am wenigsten Anspruch auf irgendwelche be­ sondere Schonung!

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Und hier beruft sich Englands Presse auf einen „Brauch", ein Gewohnheitsrecht, das England am allerwenigsten anerkennt! England kann unbesorgt sein, die deutsche Motte wird sich von ihr an Edelsinn nicht übertreffen lassen. Das zeigt die ausgezeichnete Haltung der wackeren, leider dahingegangenen „Emden", die alle Gefangenen ftelließ und die Engländer nur mit ihren eigenen Waffen schlug. Die andern deutschen kleinen Kreuzer machten es nicht anders *). Was Herr v. Marschall am 8. Oktober 1907 bei der Beratung des Abkommens über das Legen der Koniaktminen im Haag aussprach, gllt für unsere ganze Marine: „Die Handlungen der Kriegführung werben nicht nur durch die Bestimm muogen des Völkerrechts beherrscht. ES gibt noch andere Faktoren: bas Gewissen, der gesunde Menschenverstand und daS Bewußtsein der Pflichten, die durch die Grundsätze der Menschlichkeit auferlegt werden, sind die sichersten Führer für daS Verhalten der Seesoldaten und «erden die zuverlässigste Gewähr gegen Miß­ bräuche bilden. Die Offiziere der deutschen Kriegsmarine «erden zu jeder Zeit und auf das gewissenhafteste die Pflichten erfüllen, die durch das nichtgeschriebeve Gesetz der Menschlichkeit und der Zivilisation vorgezeichnet sind." Wird Englands Motte Gleiches mit Gleichem vergelten? Wir sind leider nach dem bisherigen Vorgehen unserer Feinde nicht völlig davon überzeugt! Wir fürchten vielmehr, daß die von Gibson Bowles und seinen Anhängern dem Völkerrecht ausgesprochene Kriegserllärung, die in jeder internationalen Bestimmung über den Seekrieg eine Einschränkung englischer Suprematie und damit eine uner­ trägliche Beleidigung des britischen Volkes erblickt, immer rücksichts­ loser und offener zum englischen System wird. Das „Sink, bum and *) Wie Deutschland handelt, wenn ei» Fehler seitens eines deutschen Schiffes gemacht wird, itigt folgende Mitteilung: Die deutsche Gesandtschaft im Haag (Amsterdam, 10. März) veröffentlicht folgende Erklärung: „Das britische Hospitalschiff „Asturias" ist zum großen Be­ bauern der deutschen Regierung am 1. Februar 5 Uhr 4$ Minuten nachmittags von einem deutschen Unterseeboot durch einen Torpeboschuß angegriffen worben. Die „Asturias" halte die für ein Dampsschiff vorgeschriebenen lichter ausgesetzt und wurde bei Beginn der Dämmerung, als man die Kennzeichen des Hospitalschiffs nicht unterscheiden konnte, für ein Truppentransportschiff gehalten. Der abgeschossene Torpedo ging glücklicherweise vorbei. Sobald der Charakter der „Asturias" als Hospttalschiff festgestellt war, wurde selbstverständlich von weiteren Angriffen abgesehen." Ebenso die von der ganzen neutralen Presse anerkannte loyale Erledigung der Fälle „Katwijk" (Holland) und „Belridge" (Norwegen). Mütter,Meiningen, Weltkrieg vud Völkerrecht. 3. Aufl.

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5i4

ist ja angeblich eivjiger Grundsatz derer, „die wissen, was Krieg ist". Und j» diesen sollen die jetzt maßgebenden Seelords ge­ hören!

destroy“

38. Kapitel. „Flaggenbetrug" — Kriegslist? — Mißbrauch von Handelsschiffen ;n kriegerischen Unternehmungen.

Kriegslist deutscher Schiffe. - Führung der fflagge. I. Schon im ersten Teile haben wir die „Kriegslist" als ausdrücklich nach den Beschlüssen der beiden Haager Konferenzen (Art. ag der Landkriegsordnung) erlaubt behandelt. Im Seekriege ist sie selbst­ verständlich erst recht erlaubt. Sie wird von allen Seemächten in reichem Maße angewendet. Ein typisches Beispiel ist die Veränderung der äußeren Erscheinung unseres kleinen Kreuzers „Emden" durch Bellegung eines vierten Schlotes usw. Auch die Führung einer feind­ lichen Flagge durch ein Kriegsschiff bis zum Beginn der Feind­ seligkeiten ist eine erlaubte Kriegslist, die die „Times" als durch­ aus „fair“ erklärte. Ein Kriegsschiff, das bei seiner Ankunft in gewissen Küstengewässern unerkannt bleiben oder seine Absicht verschleiern will, kann sich nach der fast allgemein gültigen Auffassung zu diesem Zweck der falschen Flagge bedienen. Auch wenn ein Kriegs- oder Handelsschiff sich durch Hissen der falschen Flagge gelegentlich einem Angriff oder der Verfolgung durch einen überlegenen Gegner im Einzelfalle entziehen will, so hält man im allgemeinen und insbesondere in englischen Marivekreisen diese Maßregel für fair. Dagegen gilt es als unzu­ lässig, daß ein stärkeres Schiff durch falsche Flagge ein schwächeres aus neutralem Wasser oder aus sicherer Ferne heranlockt, um es dann anzugreifen. Nach allgemein anerkanntem Seebrauche, dem auch die deutschen Schiffe folgten, kann und muß jedoch dieser Unllarheit der Nationalität ein kurzes Ende gesetzt werden, wenn es zum Kampfe kommt. Der erste von einem Schiff abgegebene Schuß, gleichviel ob blind oder scharf, schließt nämlich für das feuernde Schiff die zwingende Verpflichtung ein, die richtige Flagge zu zeigen. Dieser Schuß, the affimüng gun, le canon affirmatif, vertritt also die ehrenwörtliche Versicherung, daß die jetzt wehende Flagge die richtige ist. JSt bedeutet zugleich aber

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auch die offizielle Aufforderung an das andere Schiff, durch einen Schuß auch seinerseits die Echtheit seiner gehißten Flagge ehren­ wörtlich zu bestätigen. Bei Nichterfüllung dieser Forderung — eine weiter fortgesetzte Täuschung ist wohl ausgeschlossen — ist das auf­ fordernde Schiff zu feindlichen Maßnahmen ohne weiteres berechtigt. („Frff. 3") Es handelte sich bei alledem um Einzelerscheinungen des Flaggen­ wechsels, nicht ganz unbedenklich in der Übung. Etwas ganz anderes ist selbstverständlich der systematische, von einem Staate geübte Flaggenbetrug, wie ihn England sich jetzt plötzlich zum Prinzip gemacht hat. Er ist völkerrechtlich, moralisch und politisch verächtlich. Um ihn richtig einzuschätzen, ist nicht nur notwendig, an den Stolz des Union Jack zu erinnern, der sich vermaß, das Meer zu beherrschen, und der fich jetzt jämmerlich und feige hinter den Flaggen flehtet neutraler Staaten verkriecht, sondern man muß sich auch daran erinnern, daß gerade England ohne einen Schatten eines Beweises im August und September die deutschen Torpedoboote aufs schärfste beschuldigte, in völkerrechts­ widriger Weise sich der neutralen Flagge bedient zu haben. Auch daß angeblich deutsche Fischerboote sich (rentier neutraler Flagge bedienten, wurde mit großer Entrüstung der ganzen Welt mitgeteilt. II. Dieses England, das den Mißbrauch der neutralen Flagge in schärfster Tonart sechs Kriegsmonate lang vertrat, erließ nunmehr aus Angst vor den deutschen II-Booten plötzlich folgenden Geheim­ erlaß: «Wegen des Auftretens deutscher Unterseeboote Im englischen und irischen Kanal sollen sofort alle englischen Handelsschiffe neutrale Flagge» hissen und alle Abjeichen, wie Reebereizeichen, Namen usw., verdecken. Hausflaggen sind nicht zu führen. Dieser Befehl ist geheim |» halten."

Das riesige Aufsehen, das dieser Erlaß, der in deutsche Hände kam, machte, zwang die englische Regierung, folgenden offenen Erlaß herauszugeben. Reuter meldete unterm 8. Februar 1915: Das englische Aus­ wärtige Amt veröffentlicht folgende Erklärung: „Oie Benutzung einer neutralen Flagge ist als Kriegslist mit gewissen Be, schränkungen in der Praxis wohl begründet (well established). Wenn Kauffahrer eine andere als ihre Nationalflagge führen, so ist ihr einjiger Zweck, de» Feind zu zwingen, daß er der allgemeinen Verpflichtung des Seekrieges nachkomme und sich von der Nationalität des Fahrjeuges und dem Charakter seiner Ladung durch eine Untersuchung überzeuge, ehe er es beschlagnahmt und vor ein Prisen,

5i6 geeicht bringt. Die «nglisch« Regierung hat die Benutzung der britischen Flagge beim Feinde stet- als berechtigte- Mittel |tt dem Zwecke angesehen, der Erbentung tu entrinnen. Eine solche Praxis verletzt nicht nur in keinem Punkte das Völker, recht, sondern ist durch da- britische Recht speziell anerkannt. Der britische „Merchant Shipping Act 1894“, Abschnitt 69 lautet: „Wenn jemand die britische Flagge benutzt und sich den Charakter eines Angehörigen der britischen Nation beimißt an Bord eines Schiffe-, ta- als Ganze- oder zu Teile« Personen gehört, denen die Eignung fehlt, ein britischeSchiff t« besitzen, und er dadurch den Schein erwecken will, baß dieses Schiff britisch sei, bann soll da- Schiff auf Gruyd dieser Akte beschlagnahmt »erden, ausgenommen in dem Falle, daß diese DortLuschung bewirkt wurde, um der Erbeutung durch einen Feind oder durch ein ausländisches Kriegsschiff zu ent, gehen." In den Instruktionen an die britische» Konsuln, die 1914 erlasse« wurden, wirb gesagt: „Ein Schiff kann beschlagnahmt werben, wenn eS sich unrechtmäßig als britisches ausgibt, außer wenn dies geschieht, um der Erbeutung zu entrinnen." Da wir in der Praxis fremden Handelsschiffen nicht verwehrt haben, die britische Handelsflagge als Kriegslist »u benutzen, um der Beschlagnahme auf See durch die Kriegführenden tu entgehen, so vertreten wir umgekehrt den Standpunkt, baß britische Handelsschiffe keinen Bruch deS Völkerrechts begehen, wen» sie zu Sha, lichen Zwecken eine neutrale Flagge annehmen, falls sie es für angebracht halten. Nach de» Regeln de- Völkerrechts, den Krlegsbräuchen und Vorschriften der Menschlichkeit ist es für die Kriegführenden Pflicht, den Charakter des Handels, schiffes und seine Ladung festzustellen, bevor sie sie beschlagnahmen. Deutschland hat kein Recht, dies« Verpflichtung zu ignorieren. Schiff und Mannschaft von Ntchtkombattaoten sowie die Ladung zu vernichten, wie Deutschland jetzt als Ab, sicht ankündigt, ist nichts anderes als Seeräuberei auf hoher See."

Die englische Regierung gesteht den Mißbrauch der neutralen Flagge ein, den sie jum Schutze der englischen Handelsschiffahrt vor den deutschen Unterseebooten angeordnet hat. Die Rechtfertigung, die das Londoner Auswärtige Amt für den Geheimbefehl der Ad, miralität vorbringt, ist ein Schulbeispiel für eine verlegene Ausrede. Die englische Rechtfertigung steht auf sehr schwachen Füßen: Es gibt nur jwei Kodifikationen des internationalen Seekriegs­ rechts, die den Flaggenwechsel während des Krieges behandeln. Die Londoner Seekriegsrechtsdeklaration von 1909 bestimmt in Artikel 56: „Der nach Beginn der Feindseligkeiten herbeigeführte Übergang eine- feind, lichen Schiffes tut neutralen Flagge ist nichtig, falls nicht bewiesen wird, daß dieser Übergang nicht herbeigeführt worden ist, um den mit der Eigenschaft «ine- feind, lichen Schiffe- verbundene» Folgen zu entgehen. Jedoch spricht eine unwider, legliche Vermutung für die Nichtigkeit, wenn der Übergang herbeigeführt worden ist, «ährend sich baS Schiff auf der Reife oder in einem blockierten Hafen befand."

Dies trifft hier zu. England hat das Londoner Seerechtsabkommen

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nicht ratifiziert und läßt es darum abwechselnd, wo es ihm schädlich ist, nicht als Norm für seine Seekrtegführung gelten. Oie englischen Verfielet auf der Londoner Konferenz haben aber diesen Normen zugesimmt und sie als allgemein übliches und geltendes Recht anerkannt. Die zweite Zusammenstellung des Seekriegsrechts, die den Flagrenwechsel behandelt, ist der Entwurf eines Handbuchs des Seekriegrrechts, der von dem „Institut für internationales Recht" auf feintet Tagung in Oxford im Jahre 1913 gutgeheißen wurde. Im Artikä 15 dieses Handbuchs ist der Gebrauch falscher Naggen unter­ sagt and als „moyen perfide et barbarois“ (niederträchtiges und rechtsvidriges Mittel) bezeichnet worden. Der Referent, der in Oxford diese Lestimmung vertrat, war Herr Fauchille aus Paris, und zu den Mitgledern der Oxforder Konferenz gehörte neben einer Reihe der angefhensten Dölkerrechtslehrer aller Länder der amerikanische Senator Elihu Root und — Professor Holland aus Oxford und Sir Thomas Barciry aus London. Die Mitarbeit dieser Herren hat, wie sich nun erweis, nicht verhindern können, daß das „niederträchtige und barbarisüe Kriegsmittel" jetzt zu einem der wichtigsten Bestandteile der engWen Seekriegführung geworden ist (,,M. N. 91"). Die Fälle der englischen Schiffe „Lusttania" (amerikanische Flagge) und b:s „Laertes" (holländische) zeigen, daß das System des Flaggenbetruxs auch sofort praktisch betätigt wurde. Skandinavische Schiffe berichteten, daß nach dem 18. Februar die englische Flagge in der Nordsee völlig verschwunden war*). »; Neutrale Preßstimmeu über den Mißbrauch der ueutraleu Flagge: Das dänische „Extrabladet" schreibt in einem Leitartikel: ...„Man muß de» Dcutschen recht geben: daß, wen» Deutschland die Macht hat, England aus, zuhongrro, dies nicht nur seine Aufgabe ist, sondern baß eS eine Schande wäre, wenn Deutschland es nicht täte.... Wenn England jetzt den Flaggen, Wechsel als eine zulässige Kriegslist bezeichnet, fleht man, daß der Krieg keinerlei Grenze» für das, «aS zulässig ist, kennt, daß es keine Schlechtigkeit gibt, die in Kriegszrilea nicht eine schöne Erklärung und Verteidigung fände." „Aftoabladet" schreibt: „Durch ei» solches Verfahre» rauben die Engländer den wirklich »evtralen Schiffen de» Schutz ihrer eigenen Flagge.... Unter falscher Flagge segeln ist ebenso unehrenhaft, wie wenn jemand eine» falschen Paß oder eine gestohlene Visitenkarte vorzeigt, um durch solch« Legitimierung drohendem Ungemach zu entgehen." „Oageas Nyheter", bas bisher breiverbandsfreundlich war, schreibt, daß man die englische Handlungsweise streng verurteilen müsse; denn erstens zeuge

5i8 III. In voller Übereinstimmung mit der oben vertretenen Rechts­ ansicht hat sogar die Regierung der Vereinigten Staaten, die von England jeden Schlag mit Höflichkeit entgegennimmt, in ihrer am 14. Februar 1915 veröffentlichten Note folgendes ausgeführt: „Der gelegentliche Gebrauch der Flagge einer neutralen oder feindlichen Macht unter dem Druck der Verfolgung, der nach den Berichten der Presse als ein PrSredeurfall für die Rechtfertigung de< Vorgehens der britischen Regierung benutzt in «erden scheint, erscheint der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika sehr verschieden von einer ausdrücklichen Sanktionierung durch die krieg, führende Regierung, baß Handelsschiffe innerhalb gewisser Zonen der See allge, mein die Flagge einer neutralen Macht führen, in Zonen, die, wie man annimmt, von feindlichen Kriegsschiffen befahren «erden sollen. Die formelle Erklärung einer solchen Politik des allgemeinen Mißbrauchs der Flagge einer neutralen Macht gefährdet die Schiffe der Neutralen, die die Gewässer besuchen, in besonderem Maße, »eil sie den Verdacht wachruft, daß sie Schiffe feindlicher Nationalität sind, «aS für eine Flagge sie auch führen. Angesichts der deutschen Erklärung würbe die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika jeden allgemeinen Gebrauch der Flagge der Vereinigten Staaten durch britische Schiffe mit großer Besorgnis betrachten. Eine solche Politik würbe, wenn die Erklärung deS deutschen Marine, amteS in Kraft gesetzt wirb, den britischen Schiffen keinen Schutz gewähren, wohl aber die Schiffe und das Leben amerikanischer Bürger ernstlich und dauernd be, drohen. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika erwartet deshalb, baß die britische Regierung alles tut, was in ihrer Macht liegt, um die Schiffe sie von Feigheit, die man nur mit Schwert bei der (leiten englischen Nation fest, stelle, tweileuS bringe sie die Rechte der kleinen Völker in Gefahr.... DaS Blatt halte die deutsche Meldung über den englischen Geheimbefehl als amtliche deutsche Falschmeldung und ungewöhnlich gemeinen Trick beteichnet (!). Im allgemeinen findet die Presse diese neue Kriegslist Englands, wie „NyS Dagligt Allehanba" die englische Bekanntmachung nennt, lumpig. Domenieo Gnoli schreibt an baS „Giornale d'Jtalia", daß er beim Lesen der juristischen Darlegungen über die Blockade der englischen Küsten an die Ge, schichte von dem Mann denken mußte, dem ein Soldat der Schweiter Garbe, als er in den Brunnen des päpstlichen Palastes gefallen war, zurief: „Nur leise ertrinken, der Papst schläft." Für Deutschland handle «S sich um Leben und Tod. England will 65 Millionen Deutsche dem Hunger preisgeben. Dagegen «ehre sich dieses mit allen Mitteln».. ES gebe keine Nation, die unter gleichen Verhält, niffen anders handeln würde. DaS angesehene konservative Blatt „DerliugSke Tibeude" schreibt: „Oie letzten Schritte der englischen Marinepolitik beginnen auch dem Gläubigsten in Dänemark die Augen dafür tu öffnen, «er der eigentlich rücksichtslose selbstische Feind der Neutralen ist. Die eingestandene Tatsache, baß sich baS angebliche Welt, reich hinter der Flagge deS kleinen Dänemark zu verstecken für gut befindet, hat das Ansehen Englands bei dem hiesigen Publikum, wie man tagtäglich hören kann, gewaltig untergraben."

519 britischer Nationalität von dem fälschlichen Gebrauch der Flagge der Vereinigten Staaten in der Zone, von der die deutsche Erklärung spricht, abzuhalten; denn eine solche Praxis würbe die Schiffe einer befreundeten Macht beim Befahren der Gewässer sehr gefährden und der britischen Regierung sogar in gewissem Maße die Verantwortung für den Verlust an amerikanischem Leben und Schiffen im Falle eines Angriffs durch feindliche Seestreitkräfte aufbürden."

Und ebenso scharf wie die englische Seerechtswissenschast und die Vereinigten Staaten wendet sich die holländische Note an England. Der Brief des holländischen Ministers des Äußeren an den englischen Gesandten Johnstone lautet u. a. im maßgebenden Telle: „Die Tatsache der Benutzung der Flagge eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung ist stets als ein Mißbrauch zu betrachten, und in Kriegszeiten nimmt der Mißbrauch einen Charakter an, dessen Ernst keine Macht ignorieren kann, die die Pariser Erklärung unterzeichnete.

Cr kompromittiert die neutrale Flagge und

verursacht Zweifel betr. neutraler Schiffe, die die eigene Flagge führen, und setzt sie der Möglichkeit aus, selbst als feindliche Schiffe angesehen zu werden und damit gefährliche Folgen davonzutragen.

Ew. Exzellenz hatten die Güte, mich an die

Bestimmung des „Merchant Shipping-Act" zu erinnern, die den Mißbrauch der britischen Flagge bestraft, außer wenn sich ein Handelsschiff einer kriegführenden Macht dieser Flagge bedient, um die Erbeutung durch den Feind zu verhindern. Die niederländische Regierung kaun nicht zugeben, daß auf diese Bestimmung die Anerkennung des Rechtes basiert werben könne, daß britische Handelsschiffe ihrerseits zu demselben Zweck die niederländische Flagge benutzten. Auch das nieder­ ländische Gesetz verbietet den Mißbrauch der niederländischen Flagge, aber be, handelt nicht eine Ausnahme analog dem „Merchant Shipping-Act", nämlich den Fall, daß eine Flagge mißbraucht würde als Mittel, um dem Feinde zu ent­ gehen. Mangels internationaler Vorschriften, die die Dinge regelten, ist jeder Staat für sich befugt, Bedingungen aufzustellen, unter denen seine Flagge benutzt werden darf. Cs steht fest, daß die britische Regierung nicht stet- imstande sein wird, die Benutzung einer neutralen Flagge durch britische Handelsschiffe zu ver, hindern, aber die niederländische Regierung glaubt erwarten zu dürfen, daß die britische Regierung keinen Mißbrauch sanktioniert, der die niederländische Schiff­ fahrt den Gefahren des Krieges aussetzen würdet." *) Die tollste Neutralitätsverletzung und den schamlosesten Flaggenmißbrauch haben sich wohl die Engländer in folgenden Fällen geleistet ( gemischt st, Fasern, welche mit einem solchen Stoff oder einer solchen Substanz gesättigt

537 sind, auf oder in einem Schiff oder Fuhrwerk, daL zur Personenbeförderung tu Lande oder |u Wasser zwischen einem Orte im Auslande und einem innerhalb der Grenzen eines Staates, Territoriums oder Distrikts der Vereinigten Staaten ober zwischen einem Orte in einem Staate, Territorium oder Distrikt der Der, einigten Staaten und einem Orte in einem anderen Staat, Territorium ober Distrikt daselbst gebraucht wirb oder bestimmt ist."

Hiernach hat die „Lusitania" oder richtiger die englische Regierung, in deren Diensten sie als Hilsskreujer stand, ohne Zweifel sich eines schweren Verstoßes gegen das amerikanische Gesetz schuldig gemacht. Es ist geradeju unerfindlich, wie die amerikanische Regierung bei einem solchen Stande ihrer eigenen Gesetzgebung einen so geharnischten Protest (stehe unten) gegen die deutsche Regierung wegen der „Lusitania" erheben konnte, statt gegen den Verächter amerikanischer Gesetzgebung, Großbritannien, in der schärfsten Weise vorzugehen. V. Von einer Entschädigungspflicht gegenüber den Besitzern von neutralen Frachten oder den umgekomme, nen Neutralen kann keine Rede sein, da mit der Hauptschuld der englischen Regierung konkurrierende grob,fahrlässige Handlungs, weise auf ihrer Seite vorliegt, nachdem die deutsche Warnung erging. Dazu kommt folgendes: Nach Art. 48 der Londoner Seerechtsdekla, ration und Art. 112 der deutschen Prisenordnung durfte die „Lusitania" versenkt werden, da sie absolute Konterbande führte und ihre Abführung in einen deutschen Hafen nach Lage der Umstände ausgeschlossen war. Für Schiff und Güter besteht also unbestreitbar kein Schadensersatz, anspruch. Aber auch nicht für das neutrale Gut. Gegen Kampfmittel des Feindes zu Wasser und Land ist jede Zerstörung erlaubt, und zwar ohne Schadensersatzpflicht. Die „Lusitania" war aber Kriegsschiff, d. h. Hilfskreuzer. Auch braucht kein Staat die Zuführung von Kriegsschiffen und überhaupt Kriegsmitteln an den Feind zu dulden. Zum gleichen Ergebnisse kommt man, wenn man die völkerrechtliche, namentlich die englische Literatur und die Präzedenzfälle berücksichtigt. So sagt Hall, A Treatise on International Law 1910, daß, obgleich Neutrale Güter auf feindlichem Schiff nicht weggenommen werden können, daraus nur folge, daß diese zurückgegeben und im Falle des Verkaufs ihr Kaufpreis erstattet werde, daß sie aber im Falle der Zerstörung nicht ersetzt zu werden brauchen — unter der Voraussetzung, daß eine wirkliche mllitärische Notwendigkeit vorlag. So ist auch im Jahre 1872 durch den französischen Prisenhof entschieden worden, als im Kriege 1870/71 zwei deutsche Schiffe „Ludwig" und „Vorwärts" von einem französischen Kriegsschiffe versenkt wurden. Dieser Fall wird

538 auch von Calvo, Le Droit International th6or£tique et pratique V., S. 279 erwähnt und ebenso bewertet. Auf der „Lusitania" befand sich zahlreiche Kriegskonterbavde, und darunter 5400 Kisten Munition, durch welche viele tausend deutsche Soldaten den Tod finden sonnten1). Die Anlieferung dieser zu verhindern, war ein Akt mllitärischer Not­ wendigkeit, der nach Lage der Dinge nur durch Versenkung des Schiffs erreicht werden konnte. ES kann mithin von einer juristischen oder moralischen Schuld (feine Rede sein. Wer auf einem Kriegsschiffe oder mllitärischen Transport sich befindet, hat die daraus entstehenden Folgen selbst zu tragen (siehe Prof. Dr. Arndt „B. T." vom 18. Mai 1915). Es ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, daß darüber, ob ein Schiff und Ladung' mit Recht aufgebracht sind oder nicht, und darüber, ob Schadensersatz hierfür zu leisten ist, von den Gerichten des Nehmestaats zu entscheiden ist. Nur in einem Spezialfalle, nämlich, daß die Aufbringung in einem neutralen Gewässer erfolgt ist, soll die.Frage völkerrechtlich erledigt werden (Artikel 3 Ziffer 2b des Abkommens über die Errichtung eines internationalen Prisenhofs, das übrigens bisher nicht ratifiziert ist). Die Forderung der Vereinigten Staaten, daß Streitigkeiten der vorliegenden Art auf diplomatischem Wege erledigt werden, muß also abgelehnt und dabei verblieben werden, daß sie durch die deutschen Prisengerichte entschieden werben, ebenso *) Einige verständige amerikanische Stimmen sehen das Unrecht der ameri­ kanischen Regierong ein. So schreibt (in der deutsch, feindlichen New, Docker „Times") der amerikanische Professor Henberson,der bekannte Physiologe an der Universität Aale: „. ..Die Versenkung der „Lusitania" war hauptsächlich deshalb so schrecklich, weil sie so dramatisch war. Sie rettete aber wohl »ehnmal soviel Leben, als sie kostete. Die Munition, welche die „Lusitania" mitführte, würde Lausende abgeschlachtet haben. Haben nicht diejenigen, welche in Deutsch, land t» Witwen und Waisen gemacht «erden, ein Recht, von ihrer Regierung ;u verlangen, daß sie, wenn irgendwie möglich, verhindert, daß diese Munition die Feinde erreicht? Um Deutschland steht sich ein Ring von Millionen von Feinden, welche vor Haß wahnsinnig sind. Angenommen, die amerikanische Munition ermöglicht es ihnen durchjubrechen, wie wird es dann den deutschen Frauen in den Händen solcher WUden mit einem Firnis von Disstplin, wie es die Kosaken, Ghurkas, Sikhs, TurkoS und Senegalneger sind, ergehen? Wären unsere Vorväter nicht zu jeder Handlung berechtigt gewesen, um den In, dianern, welche unter Durgoyne den Norden des Staates New Dork verwüsteten, keine Waffen inkommen zu lassen?... Vor allem, seien wir keine Heuchler, verdammen wir nicht die furchtbaren Taten der Kämpfer auf beiden Seiten, welche vor Furcht und Haß halb verrückt sind, während wir Amerikaner, vom deutschen Standpunkte aus gesehen, uns ruhig vomDlutgelde mästen."

539 wie der Präzedenzfall von „Ludwig" und „Vorwärts" seinerzeit durch den französischen Prisenhof entschieden ist (ebendort). VI. Der -eutsch-amerikamsche Notenwechsel über üen ,/Lust-

taniaz/s$aU. Der amerikanische Botschafter in Berlin hat dem Staatssekretär der Auswärtigen Angelegenheiten am 17. Mai 1915 die folgende Mitteilung zugehen lassen: Ich habe die Ehre, Eurer Exzellent folgende Abschrift eines mir von der Amerikanischen Regierung zugegangenen Telegramms zu übermitteln: In Anbetracht der in letzter Zeit von den deutschen Behörden unter Verletzung amerikanischer Rechte auf hoher See getroffenen Maßnahmen, die in der Torpedie­ rung und Versenkung des englischen Dampfers „Lufltania" am 7. Mai 1915 gipfelten, wobei über hundert amerikanische Staatsangehörige das Leben verloren haben, erscheint es vernünftig und wünschenswert, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und die Kaiserlich Deutsche Regierung zu einer vollkommen klaren Verständigung über den Ernst der Lage gelangen, die sich hieraus ergeben hat. Die Versenkung des englischen Passagier-Dampfers „Falaba" durch ein deutsches Unterseeboot am 28. März, wobei der amerikanische Staatsangehörige Leon C. Thrasher ertrank, der am 28. AprU erfolgte Angriff eines deutschen ging* zeuges auf das amerikanische Schiff „Cushing", die Torpedierung des amerikanischen Schiffes „Gulflight" am i.Mai durch ein deutsches Unterseeboot, wobei mindestens zwei amerikanische Staatsangehörige umkamen, und endlich die Torpedierung und Versenkung des Dampfers „Lusitaaia" bllden eine Reihe von Vorfällen, die die Regierung der Vereinigten Staaten mit wachsender Besorgnis, Beunruhigung und Bestürzung beobachtet hat. Die Regierung der Vereinigten Staaten kennt die menschliche und aufge­ klärte Haltung, die bisher von der Kaiserlich Deutschen Regierung in Fragen des Völkerrechts und besonders im Hinblick auf die Freiheit der Meere eingenommen worden ist; sie hat sich davon überzeugt, daß auf dem Gebiete völkerrechtlicher Verpflichtungen die deutschen Anschauungen und der deutsche Einfluß stets für die Sache der Gerechtigkeit und Menschlichkeit eingetreten sind; sie ist auch überzeugt davon, daß die von der Kaiserlich Deutschen Regierung ihren Marineoffizieren tu ttUttn Anweisungen von den gleichen Gefühlen der Menschlichkeit geleitet sein dürften, wie es die Seegesetze anderer Nationen vorschreiben; deshalb konnte die Regierung der Vereinigten Staaten nicht glauben und kann sich auch jetzt nicht entschließen zu glauben, daß diese so völlig den Regeln, Gewohnheiten und dem Geiste der modernen Kriegführung widersprechenden Maßnahmen die Genehmigung oder Billigung dieser großen Regierung haben konnten.

Infolgedessen hält es

die Regierung der Vereinigten Staaten für ihre Pflicht, sich deswegen an die Kaiserlich Deutsche Regierung mit der vollkommensten Offenheit und in der auf­ richtigen Hoffnung zu wenden, daß sie sich nicht getäuscht hat, wenn sie von der Kaiserlich Deutschen Regierung eine Handlungsweise erwartet, die den durch die Maßnahmen hervorgerufenen bedauerlichen Eindruck verwischen und die die bis, herige Haltung der Deutschen Regierung bezüglich der geheiligten Freiheit der Meere wiederherstellen wird.

540 Die Regierung der Vereinigten Staaten ist von der Kaiserlich Deutschen Regierung davon in Kenntnis gesetzt worden, daß sie sich durch die außergewöhnlichen Umstände des gegenwärtigen Krieges und durch die von ihren Gegnern angeWandten Maßregeln, die dahin abzielten, Deutschland von jedem Handelsverkehr abzuschneiden, gezwungen sähe, Repressiv-Maßregeln zu ergreifen, die die gewöhn, lichen Methoden der Seekriegführung weit überschreiten, indem sie eine Kriegszone proklamierte, außerhalb deren sich zu halten sie die neutralen Schiffe gewarnt hatte. Die Regierung der Vereinigten Staaten hatte bereits Gelegenheit, die Kaiserliche Regierung davon in Kenntnis zu setzen, daß sie die Einführung derartiger Maß­ nahmen oder Warnungen, vor deren Gefahren an amerikanische Schiffe oder amerikanische Staatsangehörige, die berechtigterweise als Passagiere auf Schiffen kriegführender Staaten reisen, nicht zulassen könne, und daß sie die Kaiserlich Deutsche Regierung für jede absichtliche ober zufällige Verletzung dieser Rechte streng verantwortlich machen müsse. Die Regierung der Vereinigten Staaten kann nicht glauben, daß die Kaiserliche Regierung diese Rechte in Frage stellt; sie nimmt vielmehr an, daß die Kaiserliche Regierung als selbstverständlich anerkennt die Regel, daß das Leben von Nichtkombattanten — mögen sie neutraler Nationalität sein ober einer im Kriege befindlichen Nation angehören — rechtlicher- oder billiger­ weise nicht durch die Kaperung oder Zerstörung eines unbewaffneten Handels­ schiffes in Gefahr gebracht werden kann, und daß die Kaiserliche Regierung ebenfalls wie dies alle andern Nationen tun, die Verpflichtung anerkennt, die gebräuchlichen Maßnahmen der Anhaltung und Untersuchung zu ergreifen, um festzustellen, ob ein verdächtiges Handelsschiff tatsächlich einer kriegführenden Macht angehört ober wirklich KriegSkonterbande unter neutraler Flagge führt. Oie Regierung der Vereinigten Staaten möchte daher die Kaiserlich Deutsche Regierung allen Ernstes darauf aufmerksam machen, daß der Einwand gegen ihr jetziges Verfahren, den Handel ihrer Feinde anzugreifen, darin liegt, daß es praktisch unmöglich ist, Unterseeboote für die Vernichtung des Handels zu ver­ wenden, ohne dabei die Regeln der Billigkeit, der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zu mißachten, die von der modernen Anschauung als gebietend angesehen werden. Es ist für die Offiziere eines Unterseebootes tatsächlich unmöglich, ein Handelsschiff auf See zu durchsuchen und seine Papiere und Ladung zu prüfen; es ist für sie tatsächlich unmöglich, das Schiff als Prise zu nehmen und, wenn sie nicht an Bord des Schiffes eine Prisenbesatzung lassen können, so können sie es nicht versenken, ohne die Besatzung und alles, was sich an Bord befindet. Wind und Wellen in ihren kleinen Rettungsbooten preiszugeben.

Diese Tatsachen gibt be,

kanntlich auch die Kaiserlich Deutsche Regierung offen zu. Wir erfahren nun, daß bei den oben erwähnten Fällen man nicht einmal die erforderliche Zeit gewährte, um diese elementare Sicherheitsmaßnahme zu ergreifen, und daß in wenigstens zwei der angeführten Fälle nicht einmal eine Warnung erfolgt ist. Es ist klar, daß die Unterseeboote, wie die Ereignisse der letzten Woche gezeigt haben, nicht gegen Handelsschiffe verwendet werden können ohne unvermeidliche Verletzungen vieler geheiligter Grundgesetze der Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Amerikanische Bürger handeln innerhalb der Grenzen ihrer unbestreitbaren Rechte, wenn sie auf hoher See ihre Schiffe überall dahin steuern und zur See überall dahin reisen, wohin sie ihre rechtmäßigen Geschäfte führen, und sie üben

54i diese Rechte in dem wohl sehr berechtigten Vertrauen auö, daß ihr Leben nicht gefährdet werde durch Handlungen, die in offensichtlicher Verletzung allgemein anerkannter internationaler Verpflichtungen begangen werden, und sicher auch in dem Vertrauen, daß ihre eigene Regierung sie in der Ausübung ihrer Rechte unter­ stützen werde. CS wurde, wie ich der Kaiserlich Deutschen Regierung bedauere mittellev zu müssen, kürzlich in den Zeitungen der Vereinigten Staaten eine formelle, an die Bevölkerung der Vereinigten Staaten gerichtete Warnung veröffentlicht, die von der deutschen Botschaft in Washington stammen soll, und die tatsächlich besagte, daß jeder Bürger der Vereinigten Staaten, der sein Recht zu freien Reisen auf den Meeren ausübe, es auf eigene Gefahr tue, falls seine Reise ihn in die Zone der Gewässer führe, in der die kaiserliche Marine ihre Unterseeboote gegen den Handel Großbritanniens und Frankreichs verwende, trotz des achtungsvollen aber sehr ernsthaften Protestes der Regierung der Vereinigten Staaten. Oie Regierung der Vereinigten Staaten erwähnt dies nicht, um die Aufmerksamkeit der deutschen Negierung auf die überraschende Regelwidrigkeit der Tatsache zu lenken, daß eine von der deutschen Botschaft in Washington stammende Mitteilung sich an die Bevölkerung der Vereinigten Staaten durch Vermittlung der Presse richtet, sondern nur um darauf hinzuweisen, daß eine Warnung vor einer ungesetzlichen und un­ billigen Handlung in keiner Weise als eine Entschuldigung oder Milderung dieser Handlung noch als geeignet angesehen werden kann, die Verantwortlichkeit ihrer Urheber zu verringern. Die Regierung der Vereinigten Staaten, die seit langem den Charakter der Kaiserlich Deutschen Regierung und die hohen Grundsätze der Billigkeit kennt, von denen sie in der Vergangenheit beseelt und geleitet war, kann nicht glauben, daß die Kommandanten der Schiffe, die diese ungesetzlichen Handlungen begangen haben, dies anders als unter einem Mißverständnis der von den deutschen Marine, behörden gegebenen Befehle getan haben können. Sie setzt es als selbstverständlich voraus, daß in einem jeden solchen Falle man wenigstens im Bereiche der Grenzen der praktischen Möglichkeit erwarten könne, daß die Kommandanten selbst von Unterseebooten nichts tun würden, was das Leben von Nichtkombattanten oder die Sicherheit neutraler Schiffe gefährdet, selbst auf die Gefahr hin, daß die Kaperung oder Zerstörung des in Frage stehenden Schiffes vereitelt wird. Sie vertraut daher darauf, daß die Kaiserlich Deutsche Regierung die Handlungen, über die die Re­ gierung der Vereinigten Staaten Klage führt, mißbillige; daß sie, so weit möglich, Genugtuung geben wird für unermeßliche Schäden und daß sie sofort die nötigen Schritte tun wird, um die Wiederholung von Vorfällen zu verhindern, die so offenkundig die Grundsätze der Kriegführung, für die die Kaiserlich Deutsche Re­ gierung in der Vergangenheit so klug und fest eingetreten ist, umstürzen. Oie Regierung und die Bevölkerung der Vereinigten Staaten erwarten von der Kaiserlich Deutschen Regierung ein gerechtes, baldiges und aufgeklärtes Vor, gehen in dieser vitalen Angelegenheit mit um so größerem Vertrauen, als die Vereinigten Staaten und Deutschland nicht nur durch besondere Bande der Freund­ schaft, sondern auch durch ausdrückliche Bestimmungen des Vertrages von 182& zwischen den Vereinigten Staaten und dem Königreich Preußen verbunden sind. Oer Ausdruck des Bedauerns und das Angebot einer Genugtuung im Falle der Zerstörung irrtümlich versenkter neutraler Schiffe können, wenn sie auch, im

542 Falle Verluste an Menschenleben nicht i# beklagen sind, internationalen Der, pfltchtungen genügen mögen, doch nicht ein Verfahren rechtfertigen ober ent, schuldigen, dessen natürliche und notwendige Wirkung eS ist, neutrale Staaten und Personen neuen und unermeßlichen Gefahren auSjusetzen. Die Kaiserlich Deutsche Regierung wirb nicht erwarten, baß die Regierung der Vereinigten Staaten irgendein Wort ungesprochen oder «ine Tat ungeschehen lassen wirb, die notwendig sein sollten, um ihrer hettigen Pflicht j« genügen, die Rechte der Vereinigten Staaten und ihrer Bürger zu wahren und ihre freie A«S, Übung und Genuß |tt gewährleisten. Ich benutze diese Gelegenheit, Euere Exzellenz erneut meiner ausgeteichneten Hochschätzung zu versichern. ge;.: James W. Gerard. Seiner Exzellenz Herrn von Jagow, Kaiserlichem Staatssekretär der Auswärtigen Angelegenheiten. Die Antwort der deutschen Regierung wurde der amerikanischen Botschaft am 29. Mai 1915 überreicht. Ihr Inhalt entspricht im wesentlichen dem hier oben vertretenen völkerrechtlichen Standpunkte. Sie lautet: „Berlin, 28. Mat 1915. Der Unterzeichnete beehrt sich. Seiner Exzellenz dem Botschafter der Der, einigten Staaten von Amerika, Herrn James W. Gerard, auf das Schreiben vom 15. b. M. über die Beeinträchtigung amerikanischer Interessen durch den deutschen Unterseebootskrteg Nachstehendes zu erwidern. Die Kaiserliche Regierung hat die Mitteilungen der Regierung der Vereinig, ten Staaten einer eingehenden Prüfung unterzogen und hegt auch ihrerseits den lebhaften Wunsch, in offener und freundschaftlicher Welse lut Aufklärung etwaiger Mißverständnisse beizutragen, die durch die von der Amerikanischen Regierung er, wähnten Vorkommnisse in den Beziehungen der beiden Regierungen eingetreten sein könnten. Was zunächst die Fälle der amerikanischen Dampfer „Cushing" und „Gul, flight" betrifft, so ist der Amerikanischen Botschaft bereits mitgeteilt worden, daß der Deutschen Regierung jede Absicht fernliegt, im KriegSgebiet neutrale Schiffe, die sich keiner feindlichen Handlung schuldig gemacht haben, durch Unterseeboote oder Flieger angreifen zu lassen; vielmehr sind den deutschen Streitkräften wieder, holt die bestimmtesten Anweisungen gegeben worden, Angriffe auf solche Schiffe zu vermeiden. Wenn in den letzten Monaten infolge von Verwechslungen neutrale Schiffe durch den deutschen Unterseebootskrieg zu Schaden gekommen sind, so handelt es sich um ganz vereinzelte Ausnahmefälle, die auf den Flaggenmtßbrauch der britischen Regierung tu Verbindung mit einem fahrlässigen oder verdächtigen Der, halten der Schiffskapltäne zurückzuführen sind. Die Deutsche Regierung hat in allen Fällen, wo ein neutrales Schiff ohne eigenes Verschulden nach den von ihr getroffenen Feststellungen durch deutsche Unterseeboote ober Flieger zu Schaden gekommen ist, ihr Bedauern über den unglücklichen Zufall ausgesprochen, und, wenn es in der Sachlage begründet war, Entschädigung zugesagt. Nach den gleichen Grundsätzen wird sie auch die Fälle

543 der amerikanischen Dampfer „Cushing" und „Gulflight" behandeln; über diese Fälle ist eine Untersuchung im Gange, deren Ergebnis der Botschaft demnächst mitgeteilt werden wird und die gegebenenfalls durch eine internationale Unter, suchungskommisflon gemäß Titel III deS Haager Abkommens zur friedlichen Er, lebiguag internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 ergänzt werden könnte. Bei der Versenkung des englischen Dampfers „Falaba" hatte der Komman­ dant des deutschen Unterseebootes die Abflcht, den Passagieren und der Mann­ schaft volle Gelegenheit zu ihrer Rettung zu geben. Erst als der Kapitän der Auf, forderung, beizudrehen, nicht nachkam, sondern flüchtete und mit Raketensignalen Hilfe berbeirief, forderte der deutsche Kommandant zunächst die Mannschaft und die Passagiere durch Signale und Sprachrohr auf, das Schiff binnen zehn Minuten zu verlassen; tatsächlich ließ er ihnen dreiundzwanztg Minuten Zeit und schoß den Torpedo erst ab, als verdächtige Fahrzeuge der „Falaba" zu Hilfe ellten. Was die Verluste an Menschenleben bei der Versenkung des britischen Passa­ gierdampfers „Lusitania" anlangt, so hat die Deutsche Regierung den beteiligten neutralen Regierungen bereits ihr lebhaftes Bedauern darüber zum Ausdruck ge, bracht, daß Angehörige ihrer Staaten ihr Leben bei dieser Gelegenheit verloren haben. Die Kaiserliche Regierung vermag sich im übrigen dem Eindruck nicht zu verschließen, daß gewisse wichtige Tatsachen, die im unmittelbarsten Zusammen, hang mit der Versenkung der „Lusitania" stehen, der Aufmerksamkeit der Re, gierung der Vereinigten Staaten entgangen sein könnten. Sie hält es deshalb im Interesse des von beiden Regierungen angestrebten Zieles einer klaren und vollen Verständigung für notwendig, sich zunächst davon zu überzeugen, daß die den beiden Regierungen vorliegenden Nachrichten über den Sachverhalt vollständig sind und übereinstimmen. Die Regierung der Vereinigten Staaten geht davon aus, daß die „Lusitania" als ein gewöhnliches, unbewaffnetes Handelsschiff zu betrachten ist. Die Kaiser, liche Regierung gestattet sich in diesem Zusammenhange darauf hinzuweisen, daß die „Lusitania" einer der größten und schnellsten mit Regierungsmitteln als „Hilfskreuzer" gebauten englischen Handelsdampfer war und in der von der eng, lischen Admiralität herausgegebenen „Navy List" ausdrücklich aufgeführt ist. Der Kaiserlichen Regierung ist ferner aus zuverlässigen Angaben ihrer Dienststellen und neutraler Passagiere bekannt, daß schon seit längerer Zeit so gut wie alle wertvolleren englischen Handelsschiffe mit Geschützen, Munition und anderen Waffen versehen und mit Personen bemannt sind, die in der Bedienung der Geschütze besonders geübt sind. Auch die „Lusitania" hat nach hier vorliegenden Nachrichten bet der Abfahrt von New Pork Geschütze an Bord gehabt, die unter Deck versteckt aufgestellt waren. Die Kaiserliche Regierung beehrt sich ferner, die besondere Aufmerksamkeit der Amerikanischen Regierung darauf zu lenken, daß die britische Admiralität ihrer Handelsmarine in einer geheimen Anweisung vom Februar dieses Jahres empfohlen hat, nicht nur hinter neutralen Flaggen und Abzeichen Schutz zu suchen, sondern sogar unter dieser Verkleidung durch Rammen angriffswetse gegen deutsche Unterseeboote vorzugehen. Auch sind als besonderer Ansporn zur Vernichtung der Unterseeboote durch Handelsschiffe von der britischen Regierung hohe Preise ausgesetzt und auch bereits ausgezahlt worden. Angesichts dieser ihr einwandfrei bekannten Tatsachen vermag die Kaiserliche Regierung englische Kauffahrteischiffe

544 auf dem vom Admiralstabe der Kaiserlich Deutschen Marine bezeichneten Seekriegs­ schauplatz nicht mehr als „unverteidigtes Gebiet" anzusehen; auch sind die deutschen Kommandanten infolgedessen nicht mehr in der Lage, die sonst für das Seebeute­ recht üblichen Regeln zu beobachten, denen sie früher stets nachgekommen sind. Endlich muß die Kaiserliche Regierung besonders darauf Hinweisen, daß die „Lufltania" wie schon früher, so auch auf ihrer letzten Reise kanadische Truppen und Kriegsmaterial, unter diesem nicht weniger als 5400 Kisten Munition, an Bord hatte, die zur Vernichtung tapferer deutscher Soldaten, die mit Opfermut und Hingebung ihre Pflicht im Dienst des Vaterlandes erfüllen, bestimmt war. Die Deutsche Regierung glaubt in gerechter Selbstverteidigung zu handeln, wenn sie mit den ihr zu Gebote stehenden Kriegsmitteln durch Vernichtung der für den Feind bestimmten Munition das Leben ihrer Soldaten zu schützen sucht. Die englische Schiffahrtsgesellschaft mußte sich der Gefahren, denen die Passagiere unter diesen Umstünden an Bord der „Lufltania" ausgesetzt waren, bewußt sein. Sie hat, wenn sie sie trotzdem an Borb nahm, in voller Überlegung das Leben ameri­ kanischer Bürger als Schutz für die beförderte Munition zu benutzen versucht und sich in Widerspruch zu den klaren Bestimmungen der amerikanischen Gesetzgebung gesetzt, die die Beförderung von Passagieren auf Schiffen, die Explosivstoffe an Bord haben, ausdrücklich verbietet und mit Strafe bedroht. Sie hat dadurch in frevelhafter Weise den Tod so zahlreicher Passagiere verschuldet. Nach der aus­ drücklichen Meldung des betreffenden U-Boot,Kommandanten, die durch alle sonstigen Nachrichten lediglich bestätigt wird, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der rasche Untergang der „Lufltania" in erster Linie auf die durch den Torpedo, schuß verursachte Explosion der Munitionslabung zurückzuführen ist. Andernfalls wären die Passagiere der „Lufltania" menschlicher Voraussicht nach gerettet worden. Oie Kaiserliche Regierung hält die im vorstehenden angeführten Tatsachen für wichtig genug, um sie einer aufmerksamen Prüfung der Amerikanischen Re­ gierung zu empfehlen. Indem die Kaiserliche Regierung sich ihre endgültige Stellung, nähme zu den im Zusammenhang mit der Versenkung der „Lusitania" gestellten Forderungen bis nach Eingang einer Antwort der Amerikanischen Regierung vorbehalten darf, glaubt sie schließlich an dieser Stelle darauf hinweisen zu sollen, wie sie seinerzeit mit Genugtuung von den Dermittlungsvorschlägen Kenntnis genommen hat, die seitens der Amerikanischen Regierung in Berlin und London unterbreitet worden sind, um einen modus vivendi für die Führung des See­ krieges zwischen Deutschland und Großbritannien anzubahnen. Oie Kaiserliche Regierung hat damals durch ihr bereitwilliges Eingehen auf diese Vorschläge ihren guten Willen zur Genüge dargetan. Oie Verwirklichung dieser Vorschläge ist, wie bekannt, an der ablehnenden Haltung der großbritannischen Regierung gescheitert. Indem der Unterzeichnete Seine Exzellenz den Herrn Botschafter bittet. Vorstehendes zur Kenntnis der Amerikanischen Regierung zu bringen, benutzt er diesen Anlaß, um dem Herrn Botschafter die Versicherung seiner ausgezeichneten Hochachtung zu erneuern. gez. Jagow. Seiner Exzellenz dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika Herrn Gerard."

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Es ist beinahe unbegreiflich, daß die amerikanische Re­ gierung nicht alle diese Tatsachen, die von durchschlagender Wirkung für die rechtliche Behandlung waren und sind, insbesondere die Ver­ letzung der amerikanischen Gesetze selbst, durch ihre Beamten von selbst erhoben hat, — selbst auf die Gefahr hin, daß es sich wiederum Herausstellen sollte, daß die Vorwürfe der amerikanischen Regierung an vollständig falsche Adresse gerichtet waren. Oder gelten Deutschland gegenüber diametral entgegengesetzte Rechtssätze als gegenüber Großbritannien? So klar und einfach wie im Falle „Lusitania" liegt das Recht selten. Und es ist ganj auf Deutschlands ©eite!i) 2) Folgende tatsächliche Mitteilungen zum „Lusitania"-Fall sind noch von erheblicher Wichtigkeit und rechtfertigen das Vorgehen der deutschen U-Boote: i. Dem „St. Galler Tagblatt" wurde am 31. Mai 1915 aus New Dork ge­ schrieben: DaS amerikanische Kongreßmitglied Hobson hat t» dem Fall „Lusitania" folgende auffeheaerregende Erklärung abgegeben: „Eine verwitwete Cousine von mir kam r» den Bureaux der Cunardlinie und wollte «ine Karte für die „Lusitania" ersiehe«, als ihr einer der Beamten, ein alter Freund, sagte, sie solle den Dampfer nicht nehmen, da er Order von der britischen Admiralität habe. Die Dame wurde verpflichtet, über diese Warnung nicht zu sprechen, bevor die „Lusitania" angekommen sei. Diese Tatsache nötigt »u der eindringlichen Frage: Warum hat die Cuuardllnte nicht aus menschlichen Gründen allen Passagieren den Rat gegeben." i) Siehe auch „Nordd. Allg. I." vom 12. Mat 1915 über die maritime Be­ urteilung der „Lusitania", sowie die Note der deutschen Regierung vom 12. Mai 1915 an die neutralen Regierungen. *) Der führenden englischen technischen Zeitung „Engineering" passierte ein recht fatales Mißgeschick, insofern, als der Verfasser des Leitartikels über die „Lusitania" (Ende Mai 1915) die dem Artikel beigegebenen Zeichnungen — kein« Phantasiebilder, sondern 10 Planzeichnungen eines Fachmanns — offenbar zu studieren unterlassen hat. Er schreibt nämlich: „Das Schiff war ein unbewaffneter Dampfer, der seine gewöhnliche Aufgabe wie in Friedenstetten erfüllte", «ährend Bild 5 einen Grundriß des „Promenadendecks" jeigt, auf dem nahe beim Bug des Schiffes je twei 15 Zentimeter-Kanonen eingezeichnet sind, und auf Dlld 6 („Shelter-Deck") weitere acht Geschütze zu sehen sind (mittschiffs und achtern), so daß «ns hier die Schiffsingenieure mit bemerkenswertem Freimut das Vor­ handensein und die Aufstellung der jwölf 15 Zentimeter-Schnellfeuerkanonen des Hilfskreuzers „Lusitania" zur Kenntnis gebracht haben. Bild 10 („Hold Plan") verrät, welcher Raum des Schiffes zur Aufnahme der für die mitgefühlte Artillerie notwendigen Munition verwendet worden ist. Dieser „Shell Room“ befand sich im schmalen Vorderschiff der „Lusitania" und darf nicht mit den umfangreichen Lagerräumen verwechselt werden, in denen die 5400 Munitionskisien explodiert sind, was den Tod von 1500 Menschen verursachte. Müller-Meiningen, Weltkrieg und Völkerrecht. 3. Stuft.

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546 2. Nach dem Düsseldorfer Generalanzeiger gab der Vorsteher der Passagier­ abteilung der Cunardlinie in New Dort, Hermann Winter, tu, daß 4200 Kisten Patronen für Handwaffen an Bord der „Lusitania" sich befanden, ebenso 1250 leere Schrapnellhülsen, deren Füllung in England vorgenommen «erden sollte. Ebenso berichtet eia Chemiker aus Pittsburg, Dr. Braun, baß mit der „Lusitania" 250000 Pfund eines Chlorpräparats verschifft worden seien, das in Frankreich tut Anfertigung von Gasbombe« dienen sollte. Aus diesem Grunde erklärt sich auch die Klage vieler Passagiere, die über den erstickenden Rauch berichten, der bisher der Explosion des abgeschossenen Torpedos tugeschrieben wurde. 3. DaS hochangesehene amerikanische Fachblatt „The Journal of Commerce" vom 18. Mai veröffentlichte authentische Mitteilungen über die Ladung der „Lusitania", die eine so vollkommene Rechtfertigung des deutschen Vorgehens dar­ stellen, baß damit jeder «eitere Streit erledigt ist. Diese Mittellunge» sind der auf dem Zollamt niedergelegten Ladeliste der „Lusitania" entnommen. Nach dieser Liste hat die „Lusitania" für 200000 Dollar Munition, für 112000 Dollar Kupfer, Messing und Eisen und für 67000 Dollar militärische Gegenstände an Borb gehabt. Wie die genannte Zeitung feststellt, spielen unter der Ladung «ine Hauptrolle Kupfer, Kupferdraht, Messingplatten und andere Metalle, die, wie bas Blatt sagt, „offenbar tum Gebrauch bei der Munitionserzeugung bestimmt" waren. 4. „Daily News" erfuhren am 5. Juni 1915 aus Washington, daß Graf Bernstorff dem Staatssekretär Bryan die beschworenen Aussagen von vier deutschen Reservisten vorlegte. Diese haben die „Lusttania" vor ihrer Abreise besucht und Geschütze vorgefunden, die während der Untersuchung im Newyorker Hafen durch den Zollelnnehmer Malome versteckt gehalten worden waren. Daß man diese sämllich jetzt als meineidig hinstellen will, ist charakteristisch! Die von dem Berliner Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika im Auswärtigen Amt überreichte Mitteilung vom 10. Juni 1915 lautet in Übersetzung: Euer Extellent Ersuche» entsprechend, habe ich nicht verfehlt, meiner Re­ gierung unmittelbar nach Empfang Ihrer in Beantwortung meiner Note vom 15. Mai an mich gerichteten Note vom 28. Mai diese zu übermitteln, desgleichen Ihre ergänzende Note vom 1. Juni, die die Schlußfolgerungen darlegt, zu denen die Kaiserlich Deutsche Regierung bisher in der Frage des Angriffs gegen die amerikanischen Dampfer „Cushing" und „Gulflight" gelangt ist. Ich bin jetzt von meiner Regierung beauftragt worden, als Erwiderung Nachstehendes mitzuteilen: Die Regierung der Vereinigten Staaten vermerkt mit Befriedigung, baß die Kaiserlich Deutsche Regierung bei Erörterung der Fälle „Cushing" und „Gulflight" de» Grundsatz voll anerkennt, nach dem alle Teile der offenen See für neutrale Schiffe frei sind, und daß die Kaiserlich Deutsche Regierung aufrichtig gewillt ist, ihre Verbindlichkeiten anzuerkennen und auszuführen, wenn die Tat­ sache eines Angriffes auf neutrale Schiffe, „die sich keiner feindliche» Handlung schuldig gemacht haben", durch deutsche Flieger oder Kriegsschiffe genügend nach­ gewiesen ist; die Regierung der Vereinigten Staaten wird der Kaiserlich Deutschen Regierung, ihrem Ersuchen entsprechend, ihrerseits das vollständige Material über den Angriff auf den Dampfer „Cushing" unterbreiten.

547 Was die Versenkung des Dampfers „Falaba" betrifft, durch die ein ameri­ kanischer Bürger das Leben verloren hat, so ist die Regierung der Vereinigten Staaten erstaunt, von der Kaiserlich Deutschen Regierung die Auffassung vertreten zu sehen, daß das Bestreben eines Handelsschiffes, sich der Kaperung zu entziehen und Hilfe herbeizurufen, etwas an der Verpflichtung des die Kaperung anstrebenden Offiziers in bezug auf die Sicherheit des Lebens der an Bord befindlichen Passa­ giere ändern soll, auch wenn das Schiff im Augenblick der Torpedierung seinen Fluchtversuch bereits aufgegeben hat. Dies sind keine neuen Umstände. Staats­ männer und Kenner des internationalen Rechts hatten sie während der ganzen Entwicklung des Seekriegsrechts vor Augen, und die Regierung der Vereinigten Staaten ist nicht der Ansicht, baß diese Umstände jemals so aufgefaßt worden seien, als könnten sie etwas an den Grundsätzen der Menschlichkeit ändern, auf denen die amerikanische Regierung von je bestanden hat. Lediglich tatsächlicher gewaltsamer Widerstand oder fortgesetztes Bestreben eines Handelsschiffes, zu entfliehen, nachdem der Befehl zum Anhalten zwecks Durchsuchung ergangen ist, hat nach der bis­ herigen Anschauung das Leben der Passagiere und Mannschaften verwirkt. Die Regierung der Vereinigten Staaten nimmt jedoch nicht an, daß die Kaiserlich Deutsche Regierung sich in diesem Falle ihrer Verpflichtung entziehen will, sondern nur die Umstände darzulegen wünscht, die den Kommandanten des Unterseebootes veranlaßten, sich bei diesem Vorgehen ein solch eiliges Verfahren zu erlauben. Ew. Exzellenz weist bei der Erörterung der Verluste von amerikanischen Menschenleben anläßlich der Versenkung des Dampfers „Lusitania" in ziemlicher Ausführlichkeit auf gewisse Nachrichten hin, die der Kaiserlich Deutschen Regierung hinsichtlich des Charakters und der Ausrüstung dieses Schiffe- zugegangen sind, und Ew. Exzellenz geben der Befürchtung Ausdruck, daß diese Nachricht nicht zur Kenntnis der Regierung der Vereinigten Staaten gelangt sein könnte. In der Note wird behauptet, daß die „Lusitania" zweifellos bewaffnet gewesen sei, im besonderen verdeckte Geschütze geführt habe, daß sie mit ausgebildeter Bedienungs­ mannschaft für die Geschütze und besonderer Munition versehen gewesen sei, Truppen von Kanada befördert, eine Ladung an Bord gehabt habe, die nach den Gesetzen der Vereinigten Staaten für ein Schiff, das auch Passagiere befördert, nicht zu­ lässig gewesen sei, und daß sie ihrem Wesen nach als Hilfsschiff der englischen Streitkräfte gedient habe. Glücklicherweise sind dies Angelegenheiten, bezüglich deren die Regierung der Vereinigten Staaten in der Lage ist, der Kaiserlich Deutschen Regierung amtliche Aufklärung zu geben. Falls die in Ew. Exzellenz Note ange­ führten Tatsachen zuträfen, wäre die Regierung der Vereinigten Staaten ver­ pflichtet gewesen, davon amtlich Kenntnis zu nehmen in Ausübung ihrer aner­ kannten Pflicht als neutrale Macht und in Anwendung ihrer nationalen Gesetze. Es wäre ihre Pflicht gewesen, darauf zu achten, daß die „Lusitania" für ein angriffs­ weises Vorgehen nicht bewaffnet war, daß ftejelne Ladung führte, die durch die Gesetze der Vereinigten Staaten verboten war, und daß sie, wenn sie tatsächlich ein englisches Flottenschiff war, keine Klarierungspapiere als Handelsschiff erhalten dürste. Oie Regierung der Vereinigten Staaten hat diese Pflicht erfüllt und ihre Gesetze mit gewissenhafter Wachsamkeit durch ihre ordnungsmäßig bestellten Be­ amten zur Anwendung gebracht. Sie ist deshalb in der Lage, der Kaiserlich Deut­ schen Regierung zu versichern, daß diese falsch informiert war. Sollte die Kaiserlich Deutsche Regierung der Auffassung sein, daß sie überzeugende Beweise besitze,

548 nach denen die Beamten der Regierung der Vereinigten Staaten ihre Pflicht nicht gründlich erfüllt haben, so gibt sich die Regierung der Vereinigten Staaten der aufrichtigen Hoffnung hin, daß die Kaiserlich Deutsche Regierung dieses Beweis­ material zur Prüfung unterbreiten wird. Was immer auch die Behauptung der Kaiserlich Deutschen Regierung hin­ sichtlich der Beförderung von Kriegskonterbande an Bord der „Lusitania" oder hinsichtlich der Explosion dieses Materials durch einen Torpedoschuß sein möge, so braucht nur gesagt zu werden, daß nach Ansicht der amerikanischen Regierung diese Behauptungen für die Frage der Gesetzmäßigkeit der von den deutschen Ma­ rinebehörden bei Versenkung des Schiffes angewandten Verfahren unerheblich sind.

Allein die Versenkung von Paffagierdampfern berührt Grundsätze der

Menschlichkeit, denen gegenüber die besonderen einzelnen Umstände, die in den Dersenkungsfällen mitsprechen könnten, in den Hintergrund gedrängt werden, Grundsätze, die eine solche Versenkung, wie die Kaiserlich Deutsche Regierung zweifelsohne ungesäumt erkennt und anerkennen wird, aus der Reihe gewöhnlicher Gegenstände diplomatischer Erörterung oder internationaler Streitfragen heraus­ heben.

Was immer die sonstigen Tatsachen im Falle der „Lusitania" sein mögen,

die Hauptsache bleibt, daß ein großer Dampfer, der in erster Linie vorzugsweise als Beförderungsmittel für Passagiere diente, und über tausend Menschen beförderte, die keinerlei Anteil an der Kriegführung hatten, torpediert und versenkt wurde,, ohne geringsten Anruf ober Warnung, und daß Männer, Frauen und Kinder unter Umständen, für die es in der modernen Kriegführung kein Beispiel gibt, in den Tod gesandt wurden. Die Tatsache, daß mehr als hundert amerikanischer Bürger unter denen waren, die zu Grunde gingen, macht es der Regierung der Vereinigten Staaten zur Pflicht, von diesen Dingen zu sprechen und erneut mit feierlichem Nachdruck

die Aufmerksamkeit

der Kaiserlich Deutschen

Regierung

auf die schwere Verantwortung zu lenken, die sie nach Ansicht der Regierung der Vereinigten Staaten bei dieser tragischen Begebenheit auf sich geladen hat, und auf den unanfechtbaren Grundsatz, worauf diese Verantwortung beruht. Die Regierung der Vereinigten Staaten bemüht sich um etwas Größeres als bloße Eigentumsrechte oder Handelsprivllegien. Sie bemüht sich um nichts weniger Erhabenes und Heiliges, um die Rechte der Menschlichkeit, durch deren Achtung sich jede Regierung ehrt und auf die keine Regierung im Interesse der in ihrer Vbhut und Gewalt Befindlichen verzichten darf. Nur tatsächlicher Widerstand gegenüber der Kaperung oder die Weigerung anzuhalten, wenn sie zu Durchsuchungszwecken befohlen war, hätte dem Führer des Unterseeboots eine Be­ rechtigung geben können, das Leben der an Bord Befindlichen in Gefahr zu bringen. Z)ie Regierung der Vereinigten Staaten ist der Ansicht, daß die ausdrücklichen, am 3. August 1914 durch die Kaiserlich Deutsche Admiralität an ihre Seeoffiziere erlassenen Instruktionen diesen Grundsatz anerkennt und zur Geltung gebracht haben, wie dies auch die Prisenordnungen aller anderen Nationen tun, und jeder Reisende und Seemann hatte ein Recht, sich darauf zu verlassen.

Auf diesem

Grundsatz der Menschlichkeit sowohl als auf dem Gesetz, das sich darauf gründet, müssen die Vereinigten Staaten bestehen. Die Regierung der Vereinigten Staaten nimmt mit Vergnügen wahr, daß Eure Exzellenz Note mit der Andeutung schließt, daß die Kaiserlich Deutsche Re­ gierung jetzt wie vorher geneigt ist, die guten Dienste der Vereinigten Staaten

549 «»zunehmen, bei dem Versuch, mit der Regierung von Großbritannien zu einer Verständigung über eine Änderung des Charakters und der Bedingungen des Seekrieges zu gelangen. Die Regierung der Vereinigten Staaten würbe es als einen Vorzug betrachten, auf diese Weise ihren Freunden und der Welt einen Dienst leisten zn können. Sie ist jederzeit bereit, jeder der beiden Regierungen Andeutung gen oder Anregungen zu übermitteln, die die andere zu übermitteln wünscht, und ladet die Kaiser!. Deutsche Regierung herzlich ein, von ihren Diensten in dieser Richtung nach Belieben Gebrauch zu machen. Die ganze Welt wirb mit betroffen von allem, was auch nur einen teilweise» Ausgleich der Interessen herbeizuführen oder irgendwie die Schrecken des gegenwärtigen unselige» Konflikts zu mUdera geeignet ist. Welche Vereinbarung auch immer zwischen den kriegführenden Parteien glücklich getroffen werben mag, und was immer nach Ansicht der Kaiserlich Deutschen Regierung in der Vergangenheit für die Handlungsweise ihrer Seebefehlshaber als Herausforderung oder verhältnismäßige Rechtfertigung in Betracht kommen mag, die Regierung der Vereinigten Staaten erwartet zuversichtlich, daß die Ge, rechtigkeit und Menschlichkeit der deutschen Regierung in alle» Fällen, wo Ameri, kaaer geschädigt oder ihre Rechte als Neutrale verletzt worden sind, zur Durchfühmng gebracht werben wird. Die Regierung der Vereinigten Staaten erneuert deshalb «köstlichst und feierlichst die Vorstellungen, die sie in ihrer Note an die Kaiserlich Deutsche Regierung vom 15. Mai erhoben hat, und stützt sich bei diesen Vor, stellungen auf die Grundsätze der Menschlichkeit, die allgemein anerkannten An, fchauungea des internationalen Rechts und di« alte Freundschaft mit dem deut, schen Volk. Oie Regierung der Vereinigten Staaten kann nicht zugeben, baß die Pro, klamierung einer Kriegszone, vor der neutrale Schiffe gewarnt worden sind, irgend, wie als eine Verkürzung von Rechten amerikanischer SchiffSeigentümer oder amerikanischer Bürger ausgelegt werden kan», die sich auf erlaubten Reisen als Passagiere an Bord von Handelsschiffen einer kriegführenden Macht befinden. Sie glaubt nicht, daß die Kaiserlich Deutsche Regierung diese Rechte in Frage siellt. Sie glaubt auch, daß die Kaiserlich Deutsche Regierung als außer Zweifel stehend die Grundsätze annimmt, daß Leben von Nichtkämpfern gesetz, oder recht, mäßig nicht in Gefahr gebracht werden dürfen durch Kaperung oder Zerstörung eines Handelsschiffes, bas keinen Widerstand leistet, und daß die Kaiserlich Deutsche Regeirung die Verpflichtung anerkennt, die notwendige Vorsicht an, zuwenden bei der Feststellung, ob ein verdächtiges Handelsschiff tatsächlich einer kriegführenden Nation angehört ober tatsächlich Kriegskonterbanbe unter neutraler Flagg« führt. Di» Regierung der Vereinigten Staaten darf deshalb erwarten, daß die Kaiserlich Deutsch« Regierung die notwendigen Maßnahmen ergreifen wird, nm diese Grundsätze hinsichtlich der Sicherung amerikanischen Lebens und amerikanischer Schiffe zu verwirklichen und bittet um die Zusicherung, -daß dies geschehe» wirb. Ich benutze diesen Anlaß, um Eurer Exzellenz die Versicherung meiner aus, gezeichneten Hochachtung zu erneuern. tgez.) James W. Gerard. 1. Auch diese amerikanische Note ist vom völkerrechtlichen Stand­ punkte aus auffallend oberflächlich: Ihre Widerlegung ist oben wieder-

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holt gegeben. Sie bringt lediglich eine von Redewendungen über „Humanität" wimmelnde Moralpredigt, die Herr Wilson dem deutschen Volke gegenüber sparen konnte und deren Eindrucks­ fähigkeit er vielleicht etwas überschätzte: sie wirkte nicht so ernst in Deutschland wie ihr To», in der einfachen Erwägung, daß ein Staat, der durch sein materielles Neutralitätsverletzungssystem Hunderttausende deutscher Kämpfer gefährdet und hinopfern läßt, kein Recht hat, sentimentale Klagen über mangelnde Humanität gegenüber hundert amerikanischen Staatsbürgern vorjubringen *). Im übrigen wird die geradeju unverständliche, fteilich sehr bequeme glatte Ableugnung aller oben von amerikanischer Seite bestätigten tatsäch­ lichen belastenden Momente seitens der Regierung die richtige Antwort von der deutschen Reichsregierung wohl erhalten. Wahr bleibt: Wer sich frevelhaft in eine Gefahr hineinbegibt, die er kannte, der hat die Folgen voll ju tragen. Unsere V-Boote sind nicht dat» da, Nerven­ kitzel für Sensationslüsterne abzugeben. Daß das Deutsche Reich mit dem amerikanischen Volke auf bestem Fuße leben möchte, ist bereits oben in genauer Kenntnis deut­ scher Volksstimmung auseinandergesetzt. Es kann aber nicht zu dem einen Unrechte, der Neutralitätsverletzungsduldung, noch die zweite Torheit setzen, den Unterseebootskrieg aufzugeben — weil England jetzt darin der Unterliegende ist und alle Vermittlungsvor­ schläge der Vereinigten Staaten höhnisch und schnöde zurückgewiesen hat. England trägt durch die Art seiner Handelskriegsführung und die Erklärung der Nordsee als Kriegsgebiet die alleinige Schuld an allen Folgen. Deutschland hat (s. oben) sich bereit erklärt, die Art der Kriegführung aufzugeben, wenn England seinen völkerrechtswidrigen Papierblockade- und Konterbandenfeldzug aufgibt. Die Vereinigten ‘) Stockholm, io. Sunt.

„Svenska Morgenbladet" sagt ju dem Bruch

twtschen Staatssekretär Dryan und Präsident Wjlson:

Eine gehässige Sprache

gegen Deutschland wegen der „Lusitania"-Affäre ist für ein Land nicht angemessen, das dadurch, daß es amerikanischen Bürgern gleichsam als Schutz für die Munitionslast mitzufahren gestattet hat, selbst mitschuldig an dem Untergange ist. Dadurch verliert Amerika vom moralischen Standpunkt aus da- Klagerecht. Amerika kann durch einen Krieg Deutschland nicht mehr schaden, als es dies durch sein« neutralen Munitionslieferungen schon getan.

Wilsons Standpunkt enthält

eine kräftige Parteinahme für England und gegen Deutschland. Wilson hat nichts getan, um Englands Aushungerungsversuch gegen Deutschland zu verhindern, obwohl er wußte, daß ein Aufhören des Aushungerungskrieges auch «in Ende des Unterseebootkrieges nach sich ziehen würde.

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Staaten haben sich daher abermals an die falsche Adresse für ihre Offerte jur Vermittlung gewendet: sie hat bisher nichts geholfen; sie wird wahrscheinlich auch weiter nichts helfen. England weicht nur der Gewalt, dem „alten System", um mit Bryan j« sprechen, nicht der Überredung, dem „neuen System". Will also die Regierung der Vereinigten Staaten, daß amerikanische Staatsbürger freie Reise auf allen Handelsschiffen jeder Nation haben, ohne ihr Leben ju riskieren, dann möge sie erst Gewalt anwenden, um den Gipfel des Völkerrechtsbru­ ches, den Flaggenbetrug aufseiten Englands, und den Mißbrauch eines englischen Hilfskreuzers zum Personentransport zu verhindern. 2. Gerade zur rechten Zeit erinnert Dr. Wehberg in der „Köln. Ztg." mit Recht an folgende Ausführungen des englischen Bevollmächtigten auf der Haager Konferenz von 1907: Der englische Bevollmächtigte Lord Reay, Mitglied der Privy Council und früherer Präsident des Instituts für internationales Recht, führte folgendes aus, das eine bedeutsame englische Rechtfertigung unseres Verhaltens bildet: „Schiffe, die solche Dienste leisten, gewähren dem Kriegführenden eine feind­ liche Unterstützung, die der Gegner nicht als erlaubt betrachte» kann; sie setzen sich hierdurch allen Folgen aus, die sich aus der rechtlichen Stellung eines Krieg­ führenden ergeben. Nicht eine einfache Hanbelsunternehmung, sondern eine Ein­ mischung in die Kriegsunlernehmuagen steht hier in Frage. Die Schiffe, die diesen Dersorgungsdieost leisten, sind der Defehlsgewalt der zuständigen Behörden des Kriegführenden unmittelbar unterstellt. Sie find seinen Seestreitkräften einge­ gliedert, mögen sie nun bewaffnet sein oder nicht, mögen sie die Flotte des Krieg­ führenden begleiten oder die Befehle oder die Ankunft der KriegSgschtffe auf See oder im Hafen erwarten. Ihre kriegerische Eigenschaft ist unbestreitbar, da sie sich an den Kriegsunternehmungen aktiv beteiligen. Oie Reeder, die ihre Schiffe in dieser Weise einem der Kriegführenden zur Verfügung stellen, setzen sich hierdurch allen Gefahren aus, welche den Kriegsschiffen des Kriegführende» drohen, dem sie ihre feindliche Unterstützung angedeihen lassen. Wollte man ihre Handlungen als rechtmäßig anerkennen, so würde nur eine Verlängerung des Krieges und eine Ausdehnung des Kriegsschauplatzes die Folge sein. Die Annahme des englischen Vorschlages würde dagegen einen erhöhten Schutz für die Neutralen und eine Be­ schränkung der Streitkräfte auf die eigenen Mittel beö Kriegführenden herbei­ führen." (Kooferenzprotokolle Band II S. 847 ff.)

3. Alles in allem: Deutschland kann angesichts -er englischen Haltung nicht anders handeln, als es tat, und steht damit auf völker­ rechtlichem Boden. Als die Hauptfrage bezeichnet die Note, ob es mit den Grund­ sätzen der Menschlichkeit vereinbar sei, ein Passagierschiff zu torpedieren, wenn dieses nicht Widerstand leistet oder sich durch die Flucht der Untersuchung zu entziehen sucht.

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Dies ist ohne Zweifel der Kern derNote; denn diese Frage be­ rührt das Wesen des Unterseebootskrieges überhaupt. Hierdurch wird die Berechtigung des Unterseebootskrieges grundsätzlich angegriffen; es wird mit anderen Worten verlangt, daß die alten Grundsätze des Kreuzerkrieges auf die neuen Formen des Tauchbootkrieges ange­ wendet werden, was bekanntlich unmöglich ist, ohne den Tauchboot­ krieg vollständig zu lähmen, weil den Unterseebooten die Mittel fehlen, um die Durchsuchung der verdächtigen Fahrzeuge so vornehmen zu können, wie das ein Kreuzer mit schweren Kanonen und vielen hundert Mann Besatzung vermag. Was Deutschland gegenüber dieser grund­ sätzlichen Frage anders als Ablehnung beschließen kann, ist vorläufig schwer zu erkennen — falls eben nicht England mit seinem provoka­ torischen System des Seeraubs definitiv bricht, auf dessen richtige Be­ antwortung wir unmöglich einseitig verzichten können1). 4. Cs ist bezeichnend, daß sogar der „Daily Telegraph" am 1. Juni 1915 aus New Dock meldete: Der Vorschlag der deutschen Antwortnote an Amerika, eine Untersuchung der Tatsachen vorjunehmen, ist genau dasselbe Verfahren, dessen Anwendung Bryan in allen amerikanische» Schemas und amerikanische» SchiedsvertrLgen dringend empfohlen hat.

Trotzdem trieb an den Tagen des plötzlichen (9. Juni 1915) Rücktritts Bryans der Friedenspräfident Wilson die Sache beinahe bis zum Kriege zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland, obwohl die primitivsten Regeln der Gerechtigkeit es notwendig machten, wenigstens nachträglich noch die Pflicht zu erfüllen, die die Regierung von Anfang an hatte, die Behauptungen aufzuklären, die den klaren Völkerrechts- und Gesetzesbruch Englands beweisen. Don einem eigentlich selbstverständlichen Proteste der Vereinigten Staaten gegen die englische Völkerrechts- und flagrante Gesetzes­ verletzung gegenüber der amerikanischen Passenger Act wurde bis heute (15. Juni 1915) nichts Näheres bekannt2). *) Wären die Nachrichten des „Fatherland" über die Schließung der draht­ losen Stationen Sayville und Tuckerton richtig, so müßte man wirklich annehmen, daß der Pazifist Wilson eine ähnliche Provokationspolitik wie Salandra beabsichtigt und auf de» Krieg drängt; Bryans ehrliche Absage stände in diesem Falle um so höher. Die Antwort Deutschlands auf die Note vom 10. Juni 1915 muß der nächsten Auflage vorbehalten «erden, da sie bis heute (15 Juni) nicht erschien. *) Die „Times" melden aus Washington vom 18. Mai: Die Regierung erwägt, der „New Uork Eveningpost" zufolge, eine neue Protestnote an England

553 5. Die amerikanische Regierung stellt in ihrer letzten Note auch den einseitigen, völkerrechtlich bei der Haager und Londoner Konferenz scharf bekämpften englischen Standpunkt als den ihrigen auf, daß „Handelsschiffe zu ihrer Verteidigung bewaffnet werden dürfen", um auf dem Wege der sog. Notwehr allgemein anerkanntes Völker­ recht ju umgehen. Der organisierte Kriegführende handelt nicht rechtswidrig, wenn er mit seinen Kriegsschiffen Waffengewalt anwendet, sodaß von Notwehr bei einem Handelsschiffe keine Rede sein kann. Anderenfalls wäre es gestattet, jeden Postdampfer voll Passagieren mit „Verteidigungsgeschützen" ausjustatten, die er natürlich jederzeit gegen v-Boote auch zum Angriff verwenden kann. Das ist ebenso unsinnig wie die Forderung, jedes Kriegshilfsschiff mit Massen von Munition nur deshalb als unantastbar zu erklären, weil es einen amerikanischen Bürger trägt. Wohin Deutschland mit solchen Theorien käme, zeigt die hinterlistige Niederseglung des deutschen Heldenbootes U 29 durch ein unter schwedischer Flagge fahrendes englisches Tank­ schiff sowie des U 14 und der Rammungsversuche im Juni 1915. Im übrigen machen wir der amerikanischen Re­ gierung einen sehr einfachen, ernst gemeinten Vorschlag zur Güte, da sie „vermitteln" will. Sie soll uns Deut­ schen dieselben Rechte der Kontrolle der amerikanischen Ausfuhr zubilligen wie den Engländern. Tut sie dies ehrlich neutral, dann ist jeder Streit vorbei! Dann hört auch die schändliche Munitionslieferung auf. Dann tut endlich die Regierung etwas für die erhabenen und heiligen Rechte der Menschheit. Bis jetzt hat sie nur dafür gepredigt, das Gegenteil davon gelang. über die Behandlung des amerikanischen Handels. Die Note soll ebenso nachdrück­ lich sein wie die Konterbandenot« vom Dezember. In amtlichen Kreisen wachse die Erregung, da England trotz aller Versicherungen seine alte Politik der Ver­ schleppung fortsetze, so baß 40 amerikanische Schiffe, darunter etwa 28 mit Baum­ wolle beladene, in englischen Häfen festgehalten seien. Baumwolle im Wert von 25 000 000 Mill. Pfd. Sterling lagere in den englischen Häfen. — Bet diesen Gerüchten blieb es bis jetzt. Auch ein neuer, nicht ernstlicher Papierprotest WllsonS würde an der Sachlage nichts ändern: Wilson protestiert und England treibt erhbhtea Flaggenbetrug l

*) die soeben erschienene Antwort der deutschen Keichoregierung aus die amerikanische Note vom 10. Juni 1915, am 8. Juli 1915 überreicht, ist im Nach­ trage diese» Buches Seite 603 ff. abgedruckt.

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Nachtragskapitel. 42. Kapitel. Mit englischen und südafrikanischen Greuel gegen Deutsche im Mai 1915 — ein Schandfleck Englands. — Russische Nachahmung Juni 1915.

Die Pogrome gegen die Deutschen infolge des Falles „Lusttauia" und der Tätigkeit der verbrecherischen Hetzpresse haben einen solchen Umfang angenommen, daß wir wenigstens in kurzen Zügen auf diese gemeinen verbrecherischen Umtriebe, die solche Dimensionen nur unter Duldung der öffentlichen Organe annehmen konnten, auch hier noch eingehen müssen. A. Die Saat der Harmsworth-Presse, der Notabeln der Hetze ä la Churchill, Curzon geht