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German Pages 118 [120] Year 1962
ÖSTERREICH
ARCHIV
HANS STURMBERGER
DER WEG ZUM VERFASSUNGSSTAAT DIE POLITISCHE ENTWICKLUNG I N O B E R Ö S T E R R E I C H VON 1 7 9 2 - 1 8 6 1
R. O L D E N B O U R G
VERLAG,
MÜNCHEN
SCHRIFTENREIHE DES ARBEITSKREISES FÜR ÖSTERREICHISCHE GESCHICHTE
Copyright 1962 by Verlag für Geschichte und Politik Wien
Druck: R. Spies & Co., Wien
INHALTSVERZEICHNIS Seite 1
Vorwort
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I. ZWISCHEN ZWEI REVOLUTIONEN Der Einfluß der Französischen Revolution
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Politische Strömungen im Vormärz
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II. DER VERSUCH VON 1848 UND SEIN SCHEITERN Der Durdibruch des neuen politischen Denkens
. . . .
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Der oberösterreichisdie Landtag im Jahre 1848
. . . .
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III. DAS JAHRZEHNT NACHHER Der Nachklang des Jahres 1848
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Der zwiefache Bachsche Absolutismus im Lande Oberösterreidi
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SCHLUSS: Der neue Anfang von 1861
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VORWORT Das Jahrhundert parlamentarischen Lebens in Österreich, das sich im Jahre 1961 vollendete, bot hinreichenden Anlaß, sich mit dem Werden des österreichischen Verfassungsstaates zu beschäftigen und zu untersuchen, wie es dazu kam, daß nach jahrzehntelanger Sehnsucht endlich die Mitbestimmung des Volkes am politischen Leben Österreichs zugestanden wurde. Nun sind die großen Linien der allgemeinen historischen Entwicklung in Österreich seit dem Ausbruch der Französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Oktoberdiplom von 1860 und zum Februarpatent 1861 bestens bekannt. Gerade dies mußte verlocken, diese Entwicklung gleichsam von unten her, von einem kleinen österreichischen Land, vom Volk selbst, von Kleinbürgern, von Bauern und von Intellektuellen der kleinen Städte und Märkte des oberösterreichischen Landes her zu untersuchen. Denn wenn in diesen Jahrzehnten der großen Wartezeit, da man bis in die untersten Schichten des Volkes von Konstitution, von Freiheit und Gleichheit träumte, dieses Volk auch nicht das große politische Geschehen bestimmte, sö war es mit seinen Wünschen, mit seinem Begehren nach Mitbestimmung doch vorhanden und formte durch sein noch unberücksichtigtes Wollen die politische Entwicklung weitgehend mit. Wenn hier versucht wird, das politische Geschehen im Lande Oberösterreich von Kaiser Leopold II. bis zum Beginn des Verfassungslebens von 1861 zu zeichnen, so sollte sich gleichsam am Paradigma Oberösterreichs die größere politische Entwicklung in Österreich widerspiegeln. Es sollte nicht nur der äußere Verlauf der Ereignisse hier lebendig werden, und die offiziellen Konturen der Geschichte sich abzeichnen, man sollte auch sehen, was man in den unteren Schichten des Volkes sich über die politischen Ereignisse dachte. Denn die verborgenen Wünsche scheinen ebenso wichtig wie das von Monarch und Regierung gelenkte Geschehen. Dieses Hinabsteigen zum „gemeinen Mann" bedeutet in mancher Hinsicht Detail, bedeutet viele kleine Dinge, die in ihrer Gänze erst ein Gesamtbild geben. Und wenn auch 5
das Wort Aby Warburgs, daß der „liebe Gott im Detail" sei, etwas überspitzt klingen mag, so haben die kleinen Ereignisse in der Geschichte dodi unendliches Gewicht. Denn sie sind es, aus welchen sidi die richtige, dem wahren Geschehen entsprechende „große Linie" ergibt. Gerade in diesem Zeitraum von 70 Jahren bot nur die Episode von 1848 die Möglichkeit eines offenen Wortes, vorher und nachher war die Freiheit verbannt in die Herzen der Menschen. Die österreichische Polizei suchte nach diesen verborgenen Wünschen und ihren Äußerungen in gleicher Weise zur Zeit der Revolutionsära um 1800 wie im Vormärz und im Jahrzehnt des erneuerten Absolutismus unter dem jungen Kaiser Franz Josef. So ergibt sidi aus den dürren Akten der Polizei, aus manch versteckter Broschüre, aus Notizen und Berichten der Regierung, aus Zeitungsaufsätzen und Briefinterzepten ein Bild der Zeit, das sich wie ein Mosaik aus kleinen Steinchen zusammensetzt. Aber aus dieser landesgeschichtlichen Untersuchung ist auch das Werden der politischen Parteien zu erkennen, man sieht, wie im Jahre 1848 die unerfahrenen Versuche eines parlamentarischen Lebens einsetzen und wie nachher auf der Basis von 1848 eine Art von liberalem Absolutismus eingeführt wird. Das Land ob der Enns steht hier f ü r ganz Österreich. Das Besondere weist zur Erkenntnis des Allgemeinen und das Kleinbild ist wie ein Mikrokosmos des Größeren. Es ist nur ein anderer Aspekt, der Blick von der Landesgeschichte her, unter dem das Bild der gesamtösterreichischen Entwicklung gesehen wird. Darum möge dieser Versuch, die politischen Strömungen und das politische Geschehen von 1792 bis 1861 in einem österreichischen Land zu zeichnen, zugleich auch ein Beitrag zur Geschichte Österreichs sein im Sinne Leopold von Rankes, der meinte, das Einzelne habe stets Bezug auf das Ganze. Hans Linz, im Frühjahr 1962.
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Sturmberger
I. ZWISCHEN ZWEI REVOLUTIONEN Der Einfluß der Französischen Revolution Wenn man für die Epoche von 1790 bis 1848 von einer Ära zwischen zwei Revolutionen spricht, so ist das auch für Österreich und auch für das kleine Land Oberösterreich richtig. Gewiß hat Österreich zur Zeit der Französischen Revolution selbst keine revolutionäre Bewegung im eigentlichen Sinne des Wortes erlebt, die Strömungen und Unzufriedenheitsäußerungen am Ende des Jahrzehnts Kaiser Josefs II. hatten nicht den Charakter einer editen Revolution, die mit dem radikalen Zusammenbruch eines alten Gesellschaftssystems grundlegend Neues hervorbringt. Aber die große Revolution in Frankreich ist doch für die ganze europäische Geschichte und damit auch für Österreich von solcher Bedeutung, daß man sie an den Anfang einer auch in Österreich beginnenden neuen Entwicklung setzen kann. Diese Bedeutung liegt in ihrem geistigen Gewicht, in der Strahlkraft ihrer Idee und in ihrer praktischen Auswirkung auf die Geschehnisse durch die französische Expansion und den napoleonischen Universaldominat. Durch beide Momente wirkte die Revolution auf das Geschehen in Österreich ein. Daß eine neue Epoche begann, hatte nicht nur Goethe empfunden und dies in seiner „Campagne in Frankreich" zum Ausdruck gebracht. Es ist bekannt, wie die Revolution in weiten Kreisen der deutschen Intelligenz als der Frühling der Freiheit, als der Anbruch einer neuen Zeit begrüßt wurde. Da priesen nicht nur Friedrich Gottlieb Klopstock und Friedridi von Sdiiller die anbrechende neue Zeit, da schwärmten auch Immanuel Kant, Friedrich Gentz und Johannes von Müller, und Klopstock hatte das Volk als den neuen Riesen, als die neue Macht des kommenden Jahrhunderts zu erkennen geglaubt. Aber trotz dieses Begrüßungssturmes in Deutschland für die junge Revolution war man sich über das Ausmaß des Umbruches noch nicht ganz im klaren; als die Revolution sich zum Terror entwickelte, da begann der Glaube an ihre gute Wirkung zu schwinden und mit Burkes „Betrachtungen über die Französische Revolution", welche Gentz ins Deutsche übersetzte, trat neben die ausgelösten Kräfte der Revolution bereits die konservative Idee, die sich diesem Gedanken der Freiheit 7
und Volkssouveränität und der Idee der Nation entgegenstellte1). Heute ist es gewiß, daß die große Revolution das entscheidendste Ereignis seit der Reformation war und das Geschehen im ganzen folgenden Jahrhundert durch ihre siegreichen Ideen bestimmte. In Österreich war durch den Josefinismus eine Situation gegeben, die zunächst ein unmittelbares Wirksamwerden der Revolutionsideen verhinderte. Der Josefinismus in seiner Gesamterscheinung, nicht bloß als Bezeichnung des kirchenpolitischen Systems Kaunitz', war eine Revolution von oben und suchte durch die radikale Ausbildung des fürstlichen Wohlfahrtsstaates die Revolution von unten zu verhindern2). Dies gelang ihm auch für seine Zeit und verschob die Entfaltung der neuen politischen Kräfte in der habsburgisdien Monarchie um ein halbes Jahrhundert. Der Josefinismus war in seinem Wollen und seiner Zielsetzung sicherlich ein fortschrittliches System, aber er benützte die altwerdende Form des absolutistischen Fürstenstaates, um den Fortschritt im Sinne der Idee, daß das allgemeine Wohl das Ziel jeder Regierung sei, zu betreiben. In dieser Zwitterstellung zwischen dem zum Höchsten gesteigerten Absolutismus und den Ideen der Aufklärung, ja als eine Synthese beider Ideen, erschien er den Zeitgenossen weitgehend als Entfaltung eines stärksten Despotismus, den liberalen Nachkommen aber als ein von freiheitlichen, naturrechtlichen Gedanken bestimmtes politisches System. Die heftige und leidenschaftliche Reaktion gegen die gehetzten Reformen des Kaisers am Ende seiner Regierung und die ständische Bewegung nach seinem Tode und am Anfang der kurzen Ära Leopolds II. verdienten mehr Beachtung und nähere, eingehendere Untersuchung, als sie es bisher fanden. Denn hier ist Altes und Neues so verwachsen, daß die Beurteilung leicht in die Irre gehen kann. War es nur eine reaktionäre Bewegung, getragen vom alten Ständetum, welches egoistisch und in engem Standes- und Klassendenken nur das Alte wiederherstellen wollte, oder waren doch auch moderne Gedanken der Repräsentation und konstitutionelle Ideen mit im Spiele? Josef II. war der Gedanke einer Mitregierung oder einer Teilhabung des Volkes an der Regierung fremd. Bei Leopold II. war jedoch die Sache ganz anders. Er war stark von konstitutionellem Denken beeinflußt, er hatte in Toskana einen modernen, aufgeklärten Musterstaat eingerichtet und selbst die Französische Revolution begrüßt. Die Frage, warum er, als er zur Regierung der Monarchie gekommen war, nicht die Gedanken einer Verfassung verwirklicht hat, ist noch nicht ') M. Göhring, Geschichte der Großen Revolution, 2 (1951), S. 150; K. v. Raumer, Deutschland um 1800, in: Deutsche Geschichte, 3/1, hrsg. v. L. Just, S. 24 ff. 2 ) F. Valjavec, Der Josefinismus, 2. A. (1945); vgl. auch das 5bändige Werk von F. Maaß, Der Josephinismus, Fontes Rer. Austr., II., 71—75. 8
ganz eindeutig zu beantworten®). Offenbar wollte er zunächst die begonnene revolutionäre Strömung abfangen, den unzufriedenen Kräften des alten Ständetums entgegenkommen, die Unruhe dieser Jahre abwarten und Zeit gewinnen, um dann ungestört von dem Sturm, der über Europa sich zusammenballte, ein modernes Österreich zu schaffen. Die Wiederherstellung der alten Ständeverfassung, die Josef I I . faktisch annulliert hatte, war wohl ein reaktionärer Akt, aber ob dabei nicht doch der Gedanke eine Rolle spielte, später durch Aus- und Umbau dieser Institution sich die Grundlage für eine Repräsentativverfassung zu bilden, ist eine Frage, die noch nicht mit Gewißheit beantwortet werden kann. Die ständische Verfassung, die erstarrt war, und deren Träger die alten Landstände waren, in Oberösterreidi die Prälaten, die Herren, die Ritter und die landesfürstlichen Städte, bot in sidi doch weitgehend die Möglichkeit einer Erweiterung im Sinne des Eintretens der Stände des Bürger- und Bauerntums in diese Körperschaft. Hat dodi später auch Kübeck Kaiser Josef II. den Vorwurf gemacht, daß er seine Reformen nicht durch Mithilfe der Stände bewirkte und so eine Kontinuität der Entwicklung herstellte4). Die bisherigen Stände waren ja längst, gerade seit ihrer politischen Entmachtung durch das absolutistische Landesfürstentum, aus Vertretern des Landes in seiner Gesamtheit zu „Ständen" im Sinne einer privilegierten Klasse geworden. Setzte man an ihre Seite Vertreter der anderen Klassen, die bisher nicht vertreten waren, so schuf man eine Volksvertretung, die den Forderungen der konstitutionellen Idee sehr nahe kam und die Gedanken der Montesquieuschen Gewaltenteilung zu verwirklichen in der Lage war. Der Gedanke dieser Erweiterung des ständischen Körpers war in Österreich sdion gedacht worden. Der Beamte der Wiener Hofkammer, Christian Schierl von Schierendorf, hatte um 1705 nicht nur die Idee der Einberufung österreichischer Generalstände vertreten, sondern auch angeregt, daß in diesen ständischen Versammlungen auch der „Gemeine Mann" vertreten sein sollte, der Bürger und Bauer 5 ). Auch zur Zeit Kaiser Leopolds I I . wurden diese Gedanken wieder aktuell und gerade von den Gegnern des alten Ständesystems aufgegriffen"). Denn sosehr diesen Männern das Ständetum als Vertretung des Adels und des Gutsbesitzes verhaßt war — als die Verkörperung eines überholten Systems —, sosehr dachte man ') Über Leopold II. vgl. jetzt D. Silagi, Ungarn und der geheime Mitarbeiterkreis Kaiser Leopolds II. (1961); A. Wandruszka, Die Persönlichkeit Kaiser Leopolds II., Histor. Zeitschrift, 192 (1961). 4 ) V. Bibl, Die niederösterreichisdien Stände im Vormärz (1911), S. 4. 5) H . Sturmberger, Vom Weißen Berg zur Pragmatischen Sanktion, Österreich in Geschichte und Literatur, Jg. 1961, S. 243 ff. •) V. Bibl, Die niederösterr. Stände und die französische Revolution, Jhb. Ldkde. Niederösterreich. N. F., 2 (1903), S, 79 ff.
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damals an eine erweiterte Körperschaft, die aus den Ständen eine echte Repräsentation des Gesamtinteresses machte. So hat z. B. im österreichischen Staatsrat schon im Jahre 1790 Staatsrat Eger die grundsätzliche Forderung erhoben, daß auf den Landtagen die Bauernschaft vertreten sein müsse7) und audi der Präsident der Hofrechenkammer, Graf Zinzendorf, trat 1791 für eine Reorganisierung der Landstände ein, bei denen die Untertanen selbst vertreten sein müßten. In einem Gutachten dieses Staatsmannes kommen stark Ideen der Französischen Revolution zur Geltung, die sich gegen die rein reaktionären Wünsche der steirischen und kärntnerisdien Stände wendeten8). Wir wissen von den Verfassungsplänen des ehemaligen Hofmeisters Kaiser Leopolds, Andreas Riedl, allerdings auch vom Scheitern derselben, wobei Leopolds Haltung, wohl bedingt durch die Zeitumstände, noch etwas unklar erscheint9). Grundsätzlich zeigt sich, daß in der Restauration der ständischen Verfassung durch Leopold der Keim einer grundlegenden Neuerung gelegen sein konnte. Aber diese Keime wurden durch den frühen Tod des Kaisers und durch die kriegerischen Auswirkungen der Revolution zerstört. Kaiser Franz, als Kronprinz selbst sich dessen bewußt, daß „der Bauer die Rechte einsieht, welche er als Mensch fordern kann"10), stand unter der großen Einwirkung des Zeitgeschehens. Der Horror vor der Revolution bestimmte dann im großen Ausmaß seine Haltung während seiner ganzen Regierungszeit, eine Haltung, welche durch ängstliches Bewahren des Alten und Unterdrückung aller revolutionären und freiheitlichen Regungen überhaupt gekennzeichnet war. Wie war nun die Lage in Oberösterreich am Ende des 18. Jahrhunderts? Der Josefinismus hatte hier vor allem in der Landeshauptstadt sehr stark Wurzel gefaßt, und die Reformen des Kaisers hatten sich im Lande ob der Enns sehr bedeutsam ausgewirkt11). Durch die Erriditung einer Landesregierung im Jahre 1783 wurde Oberösterreich, das immer in einem gewissen Zusammenhang mit Niederösterreidi geblieben war, eine eigene Provinz des josefinischen Staates, durch die Gründung des Bistums Linz (1783—1785) wurde das Land kirchlich 7
) F. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770—1815 (1961), S. 368; V. Bibl, Die Restauration der niederösterr. Landesverfassung unter Kaiser Leopold II. (1902), S. 52. 8 ) M. Wutte, Beiträge zur Verwaltungsgeschichte Kärntens, Carinthia I, 133, S. 56. •) Valjavec, Strömungen, S. 192; A. Wandruszka, in: Histor. Zeitschrift, 190 (1960), S. 184. 10 ) Bibl, Niederösterr. Stände und französische Revolution, Jb. Lkde., a. a. O. S. 96. ") H. Sturmberger, Zwischen Barock und Romantik, Jahrbuch d. oö. Musealvereines, 93 (1948). 10
vom Bistum Passau losgelöst und bildete nun eine eigene Diözese. Auch hier hatte der Kaiser die landständische Verfassung, die formal wohl bestehenblieb, derartig verstümmelt, daß sie praktisch lahmgelegt war 12 ). In einer zeitgenössischen Druckschrift „Die Gimpelinsel", einer bösen Satire auf das Linz dieser Zeit, ergießt der anonyme Autor auch über die oberösterreidiischen Landstände seinen beißenden Spott und meint, sie hätten schon „ihr Stückel, welches sie singen müssen, und werden dazu aber eigentlich auf dem Werkel abgerichtet. Ist immer das alte Stückel... es wäre besser, wenn diese ständische Pantomime gar abgeschafft... würde 1 *)." Josef II. hat sie tatsächlich abgeschafft und damit wie in so vielen anderen Belangen im Geiste des aufgeklärten Jahrhunderts Tradition zerstört. Dieser im Lande ob der Enns herrschende Geist — ein fortschrittlicher aber bürokratisch-despotischer Geist — hatte große Auswirkungen. Er brach in so vielen Dingen mit der Vergangenheit, machte sie lächerlich und hiedurch oft erst sterbensreif, zersetzte den Geist des Barock, schob Liebgewordenes, von altersher Übernommenes, ehrfurchtslos zur Seite, nivellierte alte Ordnungen und schuf doch zugleich viel Positives, wirklich Neues, weil er keine Hemmungen hatte gegenüber allem historisch Gewordenen, das vom Geist der Vergangenheit allein sanktioniert war und vielleicht den Gegebenheiten der neuen Zeit nicht mehr entsprach. Er zerstörte viele der alten Landklöster, wie Mondsee, Garsten, Gleink, Baumgartenberg und Waldhausen, er schuf andererseits aber wieder zahlreiche Pfarren, welche die Seelsorge in einem ganz anderen Ausmaß, als dies bisher der Fall war, intensivieren konnten. Er nahm sich der Bauern an und schützte sie vor dem traditionellen Druck der Grundherrschaften, er popularisierte durch seine Agitatoren und Publizisten das Wissen und er trug den Geist der Aufklärung auch in die niederen Schichten der Bevölkerung, von einer stark sozialen Tendenz bewogen, die nichts mehr mit einer alten barocken Mildtätigkeit zu tun hatte, sondern auf naturrechtlichem Denken beruhte. Er schuf den Schutz der Arbeiter in den Fabriken des Landes, z. B. in der großen Wollzeugfabrik in Linz, und er richtete das staatliche Armeninstitut ein, beseelt von dem Gedanken staatlicher Fürsorge für den armen Bürger. Auch hier in Oberösterreich ergoß sich eine Flut von Broschüren und Pamphleten über das Volk und half mit, den Geist der Ehrfurchtslosigkeit gegenüber allem bisher Verehrten zu verbreiten. Das alles — ob es sich um die Broschüren des in Linz wirkenden Klosteraufhebungskommissars Eybel 14 ) handelte, die über Papst und Kirche „aufklärten", 12 ) F. Stauber, Histor. Ephemeriden über die Wirksamkeit der Stände österr. ob d. Enns (1884), S. 82. " ) Auszug bei J . Schmidt, Linzer Kunstchronik, 3 (1952), S. 283; G. Gugitz, Die Gimpelinsel, Jb. der Stadt Linz, 1954 (1955), S. 311 ff. 14 ) Sturmberger, Zwischen Barock und Romantik, a. a. O. S. 163 ff.
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ob um die zahlreichen Postillen, welche das Volk anteilnehmen ließen am kirdilidien Denken der Zeit, oder um die Schriften des Dichters Cremeri, der die Härte der Grundherrschaften gegen die Bauern aufzeigte — wirkte mit, den Menschen aus überkommenen Vorstellungen zu lösen, auf seine Rechte hinzuweisen, die er als Mensch und Bürger hatte ohne Rücksicht auf Stand und Namen. Und so war der Josefinismus hier im Lande eine Ersatzrevolution, er lockerte das Erdreich für das Denken des 19. Jahrhunderts, und sosehr er Zwang war, sosehr er Wohltat und Fürsorge für die Untertanen reglementierte, sosehr er sie auch gegen ihren Willen zu ihrem Besten und zu ihrem Wohle zu führen bereit war, sosehr der Staat weitgehend das Individuum beschränkte und despotisch bedrückte, so wurde dieser selbe Josefinismus doch in vieler Hinsicht audi die Wurzel des liberalen Denkens im folgenden Jahrhundert und hatte in seinen sozialen Komponenten doch auch der späteren sozialistischen Bewegung vorgearbeitet 15 ). Zugleich aber hatte er gerade durch die Übersteigerung der staatlichen Bevormundung die Reaktion im Sinne größerer Freiheit des Individuums hervorgerufen. Solange dieser Geist des Josefinismus audi nodi im 19. Jahrhundert die Kirche an den Staat zu binden vermochte, beschwor er gerade durch die enge Beschränkung kirchlicher Freiheit und seine starken Eingriffe in das innere Leben der Kirche die Tendenzen zur Lösung der Kirche aus den Fesseln des Staates und zu einem politischen Katholizismus herauf. Audi in Oberösterreidi führte die leopoldinische Restauration zu einer teilweisen Rückgängigmachung der josefinischen Reformen. Auch hier war das akute Problem, das großen Unmut verursachte, die josefinische Grundsteuerregulierung, die schon am 6. April 1790 durch den neuen Kaiser aufgehoben wurde 18 ). Die Landstände machten sich auch in Oberösterreich zum Träger reaktionärer Forderungen, aber bei ihnen ist nicht etwa wie in Böhmen ein modern-konstitutionelles Denken festzustellen. Hatten doch die Stände des großen böhmischen Nachbarlandes einen „Vertrag zwischen dem Souverän und der Nation" gefordert und eine „Constitution" oder ein „Staatsgrundgesetz" verlangt. Sie fühlten sich als Repräsentanten des Landes und betonten, daß die Stimme des Volkes die Stimme Gottes sei17). Die oberösterreichischen Landstände begnügten sich mit Wünschen, welche auf Wiederherstellung der Verfassung vor deren Beschränkung durch Josef II. im Jahre 1783 hinzielten. Es ist freilich bedeutsam, wenn der Regierungspräsident Graf Rottenhann sie darauf verweist, daß sie bei ihren 15
) Valjavec, Josefinismus, S. 109. ) F. X. Pritz, Geschichte des Landes ob der Enns von der ältesten bis zur neuesten Zeit (1847), S. 550. 17 ) I. Beidtel, Geschichte d. österr. Staatsverwaltung 1740—1848, 1 (1896), S. 424; A. Huber — A. Dopsch, österr. Reichsgeschichte. 2. A. (1901), S. 286. 16
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Gravamina und Desideria sich nicht nur als Grundobrigkeiten, sondern als „Repräsentanten" des ganzen Landes fühlen müßten 18 ). Auch hier erscheint also wie in Böhmen die Idee der Repräsentation des Landes durch die Stände, allerdings vom Vertreter der Regierung, ausgesprochen. Man sieht, wie dieser Gedanke lebendig war und sich in den Vordergrund drängte. Durch kaiserliche Entschließung vom 2. November 1790 wurde das Patent Josefs II. von 1783 aufgehoben und die alte ständische Verfassung, wie sie unter Maria Theresia im Jahre 1765 in Kraft war, wieder hergestellt, das Verordnetenkollegium wieder eingeführt und die Zahl der Verordneten wieder mit acht bestimmt 19 ). Das war nun eine echte Restauration des Alten; zu einer inneren Erneuerung der ständischen Körperschaft und zu einer Erweiterung des Landtages war es nicht gekommen. Das ist sehr wichtig, weil hiedurdi alle Bestrebungen zu einer Modernisierung des staatlichen Lebens im Sinne einer Verfassung von vornherein erstickt wurden. Der Schatten der Französischen Revolution lag über Österreich und dem Lande ob der Enns. Die Wiener Jakobinerprozesse von 179520) sind das Symbol des angebrochenen franziszeischen Polizeisystems, das jede Einwirkung der französischen Revolutionsideen aussdialten wollte 21 ). Aber trotz aller Polizeimaßnahmen drangen die Ideen der Freiheit und Gleichheit in das Land, beschäftigten die Menschen, erweckten Abwehr oder Anerkennung, Hoffnung oder Furcht. Die Josefiner, die weitgehend selbst an dem Alten gerüttelt hatten, waren aus ihrer ganzen Einstellung zum Staate heraus Gegner der Revolution. Josef Valentin Eybel nahm in seinen „Göttergesprächen gegen die Jakobiner" (1794) leidenschaftlich gegen die Französische Revolution Stellung, welche seiner Meinung nach die echte Aufklärung zerstöre, die bloß eine „Afteraufklärung" sei, aus der sich Unruhe und Schrecken erheben werde 22 ). Aber auch anderweitig begann eine publizistische Propaganda gegen die Geister der Revolution. Im Jahre 1793 erschien in Linz eine Flugsdirift „Politischer Fasdiingskrapfen für die Bewohner des Landes ob der Enns" 23 ), eine scharf antirevolutionäre Schrift, die sich an die „edlen biederen Obderennser" wendet und das Irrlichtige und 18 ) Oberösterr. Landesardiiv (LA), Stand. Archiv, Alte Registratur, Schuber 3. ") Pritz, Geschichte des Landes ob der Enns, 2, S, 551; Stauber, Ephemeriden, S. 84. M ) V. Bibl, Der Zerfall Österreichs, 1 (1922), S. 77. S1 ) E. Wangermann, From Josef II. to the Jacobiner Trials (Oxford 1959); vgl. hiezu die Rezension v. A. Wandruszka, Mitteil, des österr. Staatsarchivs, 12 (1959), S. 548. ö ) Sturmberger, Barock und Romantik, S. 179. n ) Linz 1793. LA., Flugschriften-Sammlung, Sdiuber 1, Nr. 9.
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Betrügerische der französischen politischen Freiheitsideen zu enthüllen sucht. Sie warnt die Oberösterreicher vor den Einwirkungen der revolutionären Schriften. Im gleichen Jahre rief die „Ode eines Patrioten im Lande ob der Enns über die Empörungsgeschichte Frankreichs" 24 ) die Nationen Europas auf, aus ihrem gefährlichen Schlummer aufzuwachen. Die Hinrichtung Ludwigs X V I . wirkte wie anderwärts 25 ) auch hier in starkem Maße propagandistisch gegen die Revolution. „Wacht Völker auf, und hört die Warnungsstimme, Eh der Empörer Lärm sie überschreiet, Hört sie, und bebt — geschreckt vom Gottesgrimme, der Ludwigs Mördern dräuet. O werdet klug! — Laßt Euch nicht durch Broschüren, worin man nur von Menschengleichheit liest, durch Mißverstand der Freiheit nicht verführen, die unser Zeitstoff ist. Sucht Freiheit; aber laßt Euch unterrichten, wer und wo er sie sicher finden kann? Sie findet in Erfüllung seiner Pflichten der Christ und Unterthan." Zwei Jahre später aber schrieb „Der Oberösterreichische Nachtwächter an seinen deutschen Mitbürger beym neuen Jahre 1795" 28 ): „Bleibt Gott und Eurem Fürsten treu! denn glaubet mir, nur der ist frey, der seine Leidenschaft bezähmt und sich nach dem Gesetz bequemt." Das ist die Stimme der Konservativen im Lande, die sich gegen den aus dem Westen einströmenden Geist der Revolution zur Wehr setzten. Der Regierungspräsident Graf Auersperg berichtete am 5. Februar 1793 über die Stimmung im Lande an den Polizeiminister Graf Pergen nach Wien 27 ) und bemerkte, die Hinrichtung des Königs von Frankreich habe in ganz Oberösterreich Schauer und Entsetzen hervorgerufen, und es sei der Wunsch offenbar, die Bewohner Frankreichs u ) Linz 1793 (Pramsteidl), LA., Flugsdiriften-Sammlung, Sammelband 17, Nr. 10. 2S ) Valjavec, Strömungen, S. 172. 2«) LA., Bibliothek, Sammelband 18, Nr. 5. Auersperg an Graf Pergen, 5. 2. 1793, LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1793 7/9.
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möchten für diese Untat bestraft oder, wenn möglich, „vertilgt" werden. Auersperg mag recht gehabt haben, daß dies die Meinung des größten Teiles der oberösterreidiischen Bevölkerung gewesen ist. Aber aus den Akten der Polizei wissen wir, daß gelegentlich dodi auch die Idee der Revolution im Lande propagiert wurde und daß auch revolutionsfreundliche Äußerungen registriert werden können. Die Polizei hielt ein wachsames Auge auf alle Offenbarungen des neuen Geistes und aus dem Ministerium des Grafen Pergen kamen sehr strikte Weisungen an die Landesstelle zur Verhütung des Eindringens des „französischen Schwindelgeistes" und zur scharfen Handhabung der Zensur. Im Jahre 1793 hatte sich die Linzer Freimaurerloge „Zu den sieben Weisen im Orient", die seit 1783 existierte, auf kaiserlichen Wunsch aufgelöst. Sie hatte im Jahre 1793 den Höchststand an Mitgliedern (59) erreicht28). Ihre Auflösung gehörte in das Programm der Maßnahmen gegen den Geist der Freiheit und Gleichheit, da die Logen ja ein Instrument der gesellschaftlichen Nivellierung waren. Mit dem Geschehen der Französischen Revolution machten auch die Emigranten vertraut, die flüchtig in das Land kamen und wohl neugierig von den schlichten Menschen Oberösterreichs betrachtet wurden. Obwohl es sich naturgemäß um Gegner des revolutionären Regimes in Frankreich handelte, wurden sie hier einer scharfen Kontrolle unterworfen. 1793 waren z. B. in Linz außer dem ehemaligen französischen Minister Grafen De la Luzerne 28 ) drei neu angekommene Franzosen. 1798 lebten in ganz Oberösterreich 30 Emigranten, sieben französische Geistliche befaßten sich mit Jugenderziehung. D a ß unter diesen Emigranten, unter welchen sich auch der Erzbischof von Cambrai, Prinz Ferdinand von Rohan, befand 30 ), auch gelegentlich günstige Bemerkungen über die französischen Verhältnisse fielen, zeigt der Fall des Schauspielers Francois Blachon, gegen den man wegen seiner verdächtigen Reden eine Untersuchung durchführte31), und die Entlassung und Ausweisung des französischen Kammerdieners des Linzer Bischofs, namens Le Roi, wegen staatsfeindlicher Äußerungen 32 ). Auch publizistisch wurden im Lande Oberösterreich die Gedanken der Französischen Revolution verbreitet. Der Zensur lag z. B. das eingereichte Manuskript eines unbekannten Autors „Offenherziges Gespräch eines J a kobiners" vor 33 ), und bei den Buchhändlern und Buchbindern wurden Hausdurchsuchungen nach dem „Taschenbuch der Franken" durdii 8 ) H. Sturmberger, Die Anfänge der Freimaurerei in Linz, Jahrb. der Stadt Linz 1955, S. 99 ff. 2») LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1793. 3 0 ) Ebenda, 1798. 5 1 ) Ebenda, 1794. 5 2 ) Ebenda, 1793. **) LA., Landesreg.-Akten, Publico-Politica 50, Zensur 1793.
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geführt 84 ). Die in Augsburg erscheinende „Masdienbairische Zeitung", welche durch ihre sehr revolutionäre Schreibweise und eine große Franzosenfreundlichkeit bekannt war, begann sich im Jahre 1793 in Oberösterreich immer weiter zu verbreiten. Die Informationen der Linzer Polizeidirektion konnten nur auf zufälligen Beobachtungen aufbauen und waren daher sicherlich unvollständig. Wenn sie daher etwa in Frankenmarkt vier Exemplare, in Steyr fünf und in Enns wiederum vier Exemplare feststellte, so läßt sich vermuten, daß die tatsächliche Verbreitung dieser Zeitung wesentlich größer gewesen ist 35 ). Auch Graf Seeau in Helfenberg hielt dieses Blatt und bekam vom Landespräsidium eine Mahnung zur Vorsicht, daß die Zeitung nicht von den Hausleuten gelesen werden könne. Den Propst von St. Florian aber machte die Landesregierung darauf aufmerksam, daß die Pfarrer zu St. Florian und zu Ansfelden Bezieher dieser die Ideen der Revolution verbreitenden Zeitung waren 86 ). So sickerte das Gedankengut, gegen welches der alte Staat sich zur Verteidigung einrichtete, in das Land. Vielleicht waren sogar Emissäre am Werk. Hatten sich doch auch im benachbarten Bistum Passau „Leute eingeschlichen..welche den Irrwahn der Freiheitszudit predigen" 87 ). Auch der schrullige Literat Franz Seraph Spaun 88 ), der durch seine Angriffe auf Goethe berühmt werden sollte, hatte schon als Waldvogt in Vorderösterreich für die Ideen der Revolution geschwärmt. Als er nun bei seinem Bruder Franz Xaver Spaun in Linz lebte, nahm er bei einer Einladung im Hause des Regierungspräsidenten Grafen Rottenhann offen für die Revolution in Frankreich Partei, so daß — wie es in der Spaunschen Familienchronik heißt — „die Gäste entrüstet aufsprangen" und ihn „für einen vollendeten Jakobiner erklärten". Als er nadi diesem Skandal Linz verließ und auch in Wien seine revolutionsfreundlichen Ideen vertrat, wurde er in Haft gesetzt. Er verbrachte neun Jahre in österreichischen Staatsgefängnissen und wurde erst im Jahre 1801 auf Grund der Bemühungen seines Bruders aus der Haft entlassen und verließ bald darauf Österreich89). Spaun war nicht der einzige in Oberösterreich, an dem " ) Ebenda, 1798. S 5 ) Praes. Schreiben an Graf Pergen, 10. 2. 1793, LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1793 7/10. *•) Praes. Schreiben an den Propst von St. Florian, 7. 10. 1793, und an Graf Seeau, 13. 2. 1793, ebenda. 8 7 ) LA., Landesreg.-Akten, Pol. Praes. 1793. s s ) Über F. Ser. Spaun vgl. J . Schmidt, Kunstdironik, 2, S. 200 ff; 3, S. 353; auch J . Angsüßer, Anton Ritter v. Spaun, Jahrb. d. oö. Mus. Ver. 85 (1933), S. 7, wo auch die betreffende Stelle aus der Familienchronik zitiert ist. LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1801, Nr. 82.
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Spuren des geistigen Einwirkens der Französisdien Revolution festzustellen sind; das Gedankengut der Revolution drang audi in breitere Schichten der Bevölkerung. Und gerade diese Tatsache scheint bemerkenswert, weil sie die Breitenwirkung dieser Ideen im Lande erkennen läßt und zeigt, daß sie nidit nur in der Sphäre der „Dichter und Denker", in der Intelligenzschicht allein, einen Nährboden fanden. Freilich sind es nur Splitter, zufällige Funde, die uns spärlich Einblick gewähren, wieweit die Idee der Souveränität des Volkes in die breiten Kreise des Volkes eindrang. Aber trotz dieser Dürftigkeit der Quellen steht die Tatsache selbst fest: Der neue Geist war in das Land ob der Enns tief eingedrungen. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß man in der Gastwirtschaft „Zum goldenen Schiff" in Linz öffentlich Kupferstiche, welche die Hinrichtung König Ludwigs X V I . darstellten, verbreitete, ja, daß der Gastwirt Leopold Frisch den Polizeikommissär Csepi, der die Bilder beschlagnahmte, tätlich mißhandelte 40 )? Aufschlußreich ist auch die Affäre des Kreisschulkommissärs Josef Leibetseder in Freistadt. Der Dechant von Sarleinsbach, Hieronymus Lorengo, hatte ihn angezeigt, daß er in Sarleinsbach und anderen Orten des oberen Mühlviertels sehr anstößige Reden gegen die Staatsverfassung geführt und die Französische Revolution verteidigt habe 41 ). Leibetseder kannte — wie aus dem Verzeichnis seiner Bibliothek hervorgeht — die Schriften Christian Wolffs, das Naturrecht Martinis und auch sonstige Literatur der Aufklärung. Er war außerdem Freimaurer und Mitglied der Linzer St. Johannisloge 42 ). Seine Stellungnahme f ü r die Revolution ist ihm seiner geistigen Haltung nach jedenfalls zuzutrauen. In der eingeleiteten Untersuchung hatte er die schweren Anwürfe natürlich bestritten, mußte sie auch bestreiten und konnte audi der ihm zur Last gelegten Reden nicht „rechtsbeständig überwiesen" werden. Der Hauptvorwurf gegen Leibetseder war der, er habe in Peilstein sich zugunsten der Franzosen geäußert, er habe sie wegen des Königsmordes entschuldigt, habe ihre Revolution gelobt und dabei sehr schlechte Gesinnungen in Absicht auf den Staat und auf die Religion geäußert. So habe er unter anderem die Äußerung getan: Wozu brauchen wir einen König, wozu brauchen wir einen Kaiser? Aus den Untersuchungsakten sieht man, daß die mißtrauischen Mühlviertler nur sehr schwer zu Aussagen zu bewegen waren und wenn, sich nur sehr gewunden und vorsichtig äußerten. Die Stellungnahme Leibetseders f ü r die Revolution scheint jedoch offenkundig. Matthias Arnreither aus Peilstein faßte seine Erinnerung in die Worte zusam40 ) Linzer Polizeidirektion an Landesregierung, 19. 8. 1793, LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1793. 41 ) Der ganze Leibetseder betr. Akt LA., wie Anmerkung 40. 4i ) Sturmberger, Freimaurer, a. a. O. S. 129.
2 Sturmberger, Verfassungsstaat
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men, er habe die Reden des Schulaufsehers so verstanden, „als wenn er den Kaiser klein, und die französischen Rebellen groß machen wollte"; er meinte, alle Zuhörer hätten aus Leibetseders Reden geschlossen, daß der Kreisschulkommissär ein Jakobiner sei. Wenn der Fleischhauer Lorenz Schwarz aus Peilstein aber beim Verhör in der Untersuchung sagte: „Übrigens deucht mir, wie man oft derlei Reden hört, daß es viele Leute gibt, die es wollten, daß es bei uns auch so wäre wie in Frankreich", so zeigt dies, daß auch bei dem kleinen Mann auf dem Lande Sympathien für das Geschehen in Frankreich vorhanden waren. Audi andere führten eine „freie Sprache zugunsten der Franzosen", wie der Einnehmer Haschberger in Oberkappel, und im Innviertel hofften die Bauern, daß die „Neufranken" nach Bayern kämen und sie sich dann wieder mit diesem Land, von dem sie ja erst 15 Jahre vorher abgetrennt worden waren, vereinigen könnten. Über den Kreishauptmann des Innviertels, Kurz, berichtete der Linzer Polizeidirektor Schoppin^ von einer Reise ins Innviertel, daß er franzosenfreundlich gesinnt sei43). Aus Windisdigarsten aber konnte Pfarrer Josef Stubeck am 25. August 1796 mitteilen, nach einer anbefohlenen Kanzelrede seien in den Wirtshäusern des Marktes Dispute geführt worden, und Leute aus den niederen Gesellschaftsschichten hätten erklärt: „Es seye nicht wahr, daß die Franzosen so böse verfahren. Ja, die Herren und Pfaffen nehmen sie beim Kopf, und das ist eben gut 44 )." Es ist nun bezeichnend, daß alle diese Manifestationen sympathisierender Gefühle für die Franzosen und ihre politischen Ideen sich auf die frühe Phase der ersten neunziger Jahre zusammendrängen. Die französische Expansion schuf dann nicht nur ganz andere Situationen, sondern auch ganz andere Stimmungen. Die Franzosenkriege waren nicht geeignet, in unserem Lande die revolutionäre Idee zu fördern und zu propagieren. Das wiederholte Eindringen der Franzosen in unser Land ließ sie als Feinde in Erscheinung treten und alles was mit Invasion und Besatzung stets verbunden ist, wirkte gegen die Eindringlinge und rief einen Geist des Widerstandes und des Patriotismus hervor. Und in der Abwehr der Franzosen liegt ja auch bei uns die Wurzel einer Welle nationalen und vaterländischen Empfindens und Denkens. Im Jahre 1800 wurde ganz Oberösterreich von französischen Truppen besetzt und erst nach dem Luneviller Frieden (9. 2. 1802) verließen die Franzosen wieder das Land. Im Herbst des Jahres 1805 kamen sie neuerlich in das Land ob der Enns und besetzten in der Folge auch Wien. Nach dem Preßburger Frieden (1805) blieben sie bis März 1806 in Oberösterreich. 43 44
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) LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1794. ) Bericht Stubecks an die Landesregierung, ebenda, 1796 7/22.
Das Jahr 1809 schien eine Wende zu bringen. Das österreichische Heer war durch Erzherzog Karl auf eine bedeutende Höhe gebracht worden, ein patriotisch-nationaler Geist erfüllte Österreich und Deutschland. Europas Freiheit schien sich unter Österreichs Fahnen geflüchtet zu haben. Aber der hellen Begeisterung, welche den Beginn des Freiheitskampfes von 1809 begleitete, folgten bald Enttäuschung und Schmerz über die Niederlage der kaiserlichen Waffen. Während das Hauptheer des Erzherzogs Karl sich aus Bayern über Böhmen ins Marchfeld zurückzog, nahm der linke Flügel des österreichischen Heeres unter General Hiller den Weg durch Oberösterreich. Bei Ebelsberg kam es am 3. Mai 1809 zu einem größeren Gefecht mit den Franzosen. Im Frieden von Schönbrunn, der den Krieg von 1809 beendete, mußte Österreich große Gebiete abtreten. Auch die Grenzen des Landes ob der Enns wurden hiedurch betroffen, denn das Innviertel und ein Teil des Hausrudiviertels mit der Stadt Vöcklabruck gingen an Bayern verloren. Der Rest des Landes wurde im Jänner 1810 von den französischen Truppen geräumt. Teuerung und der große Staatsbankrott von 1811 lasteten auf dem Land. Als die Armeen Napoleons unter den Siegen der verbündeten österreichischen, preußischen und russischen Truppen zusammenbrachen und durch die Friedensschlüsse von Paris Frankreich in seine alten Grenzen gewiesen worden war, mußte auch Bayern, der Verbündete Napoleons, das Innviertel und die annektierten Teile des Hausruckgebietes wieder herausgeben. Infolge der Säkularisierung der geistlichen Reichsfürstentümer 1803 war das Erzbistum Salzburg dem früheren Großherzog von Toskana gegeben worden. Durch den Münchener Vertrag vom 14. 4. 1816 kam Salzburg nun zu Österreich. Es blieb ein eigenes Land, wurde aber als 5. Kreis (Salzburg-Kreis) der oberösterreichischen Regierung unterstellt und von Linz aus verwaltet. Und wie nach der Französischen Revolution royalistische Emigranten sich im Lande niederließen, so kamen nach der Niederlage Napoleons Bonapartisten und Revolutionäre asylsuchend ins Land. Der berühmteste war neben Maret (Herzog von Bassano), der kurz in Linz weilte, der Polizeiminister Napoleons, Joseph Foudi£ (Herzog von Otranto). Er wohnte längere Zeit im Palais Weissenwolff auf dem Linzer Hauptplatz 443 ). " a ) Maret traf am 2 5 . 9 . 1 8 1 5 in Linz mit Familie und kleinem Gefolge ein. Am 14. 10. 1815 reiste er nach Graz ab; LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1815, Nr. 654, 662 und 684; die Angaben bei E. Wertheimer, Die Verbannten d. ersten Kaiserreiches (1897), S. 287, Anm. 1, stimmen nicht. Uber Foudiis Linzer Aufenthalt vgl. H. Sturmberger, Fouchis Linzer Asyl, Oö. Nachrichten, 1953, Nr. 269, Beilage Heimat und Welt. E. Daniek, Joseph Foudii als Emigrant in Linz, Jahrb. Linz 1961, S. 139.
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Politische Strömungen im "Vormärz In dem Grau des bürokratischen österreichischen Staates der franziszeischen Ära sucht man die Eigenheiten der oberösterreichischen Landesgeschichte besser im Kleinen, im Lokalen und in der persönlichen Sphäre. Denn das Land war eine echte Provinz des Staates geworden, ein Verwaltungsdistrikt, kaum mehr. Die drei Jahrzehnte zwischen dem Ende der Franzosenkriege und der Revolution von 1848 sind gekennzeichnet durch eine gewisse Resignation, ein Sichbescheiden, durch ein Sichzurückziehen in die Behaglichkeit des Heimes und in die Stille romantischen Denkens; große Ereignisse gab es nicht im Lande. Der Metternichsdie Staat suchte jede politische Regung zurückzudrängen, da er in ihr den Keim revolutionären Geschehens sehen und fürchten mußte. Wir können verstehen, daß diese Angst vor der Revolution den Menschen in den Gliedern lag. Hatten sie nicht alle selbst die Folgen der Revolution, Krieg und Besetzung erlebt? In Oberösterreich bestand natürlich in dieser Zeit keine Gefahr einer Revolution. Aber das soll keineswegs heißen, daß es richtig ist, Österreich und auch das Land ob der Enns seien vom geistigen und politischen Leben Deutschlands und des Westens vollkommen abgeschlossen gewesen. Wir sehen selbst in Oberösterreich, wie trotz aller Maßnahmen der Regierung die neuen politischen Strömungen ins Land eindrangen, wie sie — aufgestöbert von der Polizei Metternichs — registriert wurden. Aber es waren bescheidene Regungen. Wir können in dieser Zeit in Oberösterreich alle politischen Strömungen vom Liberalismus über den Nationalismus und Sozialismus bis zum Görresschen Katholizismus feststellen. Diese Regungen sind trotz ihrer Bescheidenheit von Bedeutung, weil sie zeigen, daß unter der Oberfläche des restaurativen patrimonialen Staates die Keime für die spätere politische Entwicklung bereits vorhanden waren. Freilich eine größere, eine mächtige politische Bewegung gab es zur Zeit des Vormärz in Österreich nicht und schon gar nicht im Lande ob der Enns. Aber aus Mißstimmungen formte sich schließlich ein oppositioneller Geist 45 ), der an die Ideen aus dem Westen anknüpfen konnte, die in der bonapartistischen Ära wohl noch stärker verbreitet worden waren, aber zunächst in Österreich nicht so recht zur Auswirkung gekommen waren. Nach dem Krieg von 1809 herrschte eine unpolitische Stimmung im Lande ob der Enns. Der Linzer Polizeidirektor Raab berichtete im Jahre 1811, daß wirtschaftliche Probleme die Oberösterreicher mehr beschäftigten als politische, und er meinte, daß dies ganz allgemein im Wesen der Oberösterreicher begründet sei: „Politische und öffentliche 4ä
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) Valjavec, Strömungen, S. 371.
Angelegenheiten sind nicht Sache der Obderennser 46 )." Die wirtschaftliche Lage war damals außerordentlich schlecht, aber daneben gab es zahlreiche Neureiche, die aus Krieg und Not der anderen zu ihrem Reichtum gekommen waren. Da nun diese „wohl vorsehen" — heißt es in einem amtlichen Bericht — „daß, wenn eine Regierungsveränderung sidi ergeben könnte, sie in ihrem Wohlstand herabkommen würden, so sind sie ihrem Vaterland sehr ergeben" 47 ). Das Sinken des Papiergeldes rief große Preissteigerungen und Mißstimmungen in der Bevölkerung hervor, und der Landespräsident von Oberösterreich, Graf Aicholt, hatte die Stimmung im Mühlviertel nach dem Finanzpatent vom 20. 2. 1811, als der Staatsbankrott eingeleitet wurde, geradezu als bedenklidi bezeichnet48). Aber politische Regungen im eigentlichen Sinne werden von den Behörden in dieser Zeit noch keineswegs festgestellt. Erst die Freiheitskriege und der zunächst in Oberösterreich höchst ungern gesehene Eintritt Österreichs in den Krieg an Seite der Alliierten gegen Napoleon ließen die ersten Zeichen nationalen Empfindens — nicht mehr im Sinne eines bloßen Patriotismus — in Erscheinung treten. So ungern die Bevölkerung den Kriegseintritt Österreichs sah, so erhob sidi doch, als frühe Gerüdite über eine neue österreichisch-französische Allianz in Umlauf kamen, „Bestürzung, Unzufriedenheit und lautes Murren". Der Franzosenhaß wuchs täglich, audi in gebildeten Kreisen, und der Aufruf des Königs von Preußen an sein Volk wurde in Oberösterreich „enthusiastisch aufgenommen". Man fand dieses Interesse für Preußen und die antifranzösische Allianz in den Kreisen der Regierung nidit so ganz in Ordnung und wunderte sidi über den Geist, der im Lande herrschte. Das Publikum interessierte sidi, so heißt es einmal, für alle Nadiriditen vom Kriegsschauplatz, und wenn die Preußen eine Niederlage erlitten, „macht selbe einen tiefen Eindruck, wird als ein Nazional-Unglück betracht, als ob es Österreich selbst betroffen hätte" 49 ). Hier zeigt sich bereits der Geist der nationalen deutschen Bewegung, die nach den Befreiungskriegen einsetzte und deren Ausläufer auch nach österreidi reichten50). Audi in Oberösterreich, vor allem aber in Salzburg, zogen Studenten in der „Altdeutschen Tracht" herum und die Polizeihofstelle schickte Warnungen an die Linzer Regierung vor " ) Polizeidirektor Raab an die Polizeihofstelle, 1. 10. 1811, Allg. Verwaltungsardiiv Wien, Polizeihofstelle Fasz. 89/1811. 4 7 ) Bericht Raabs v. 1. 2. 1811, ebenda. 4 8 ) Graf Saurau an Wallis, 1. 7. 1811, ebenda. 4 ») Polizeiberidit v. 31. 3., 2. 4., 3. 6., 2. 7., 3. 8. und 3. 9. 1813, ebenda, 716/1813. M ) Über die geistige Entwicklung vor allem F. Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 2 (1933); für österreidi Bibl, Zerfall Österreichs, und H . v. Srbik, Metternich (1927).
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dem Eindringen des „Schwindelgeistes aus Deutschland" 51 ). Die Zensur konnte weitgehend die Verbreitung von Flugschriften und Zeitungen aus Deutschland, welche nationale und konstitutionelle Gedanken verbreiteten, verhindern, nicht aber das Einströmen der Ideen. Görres' „Rheinischer Merkur" war z. B. im Jahre 1815 in Linz nicht in einem einzigen Exemplar vertreten, in ganz Oberösterreich wurde im darauffolgenden Jahre nur in Steyr ein Exemplar dieses bedeutenden Blattes abonniert. Es durfte aber nur an „bekannt rechtliche Leute zu eigenem Bedarf" abgegeben werden, in Gasthäusern oder anderen öffentlichen Lokalen war es jedoch verboten 52 ). Die für die politische Entwicklung im ganzen deutschen Bund so folgenschwere Ermordung Kotzebues durch den jungen evangelischen Theologiestudenten Karl Ludwig Sand, die Schwärmerei und tiefstes Mitleid für den jungen Täter in ganz Deutschland hervorrief, spiegelte sich auch im Geschehen des Landes Oberösterreich. Wurden auf dem Fastenmarkt in Salzburg Tabakpfeifenköpfe mit dem Bildnis Karl Ludwig Sands verkauft, so verbreitete ein Unbekannter in den Linzer Gasthäusern Drucke eines angeblich von Sand selbst stammenden Abschiedsliedes und verteidigte die Tat des jungen Deutschen. Wandernde Handwerksburschen brachten Sand-Biographien ins Land, wie der Mühlviertier Gärtnergeselle Franz Schwarz, der in Augsburg ein Exemplar erworben hatte, das man ihm nun in Engelhartszell abnahm 58 ). Audi die deutsche Burschenschaft konnte zunächst unentdeckt in Oberösterreich Fuß fassen. Franz Schnabel hat einmal gesagt, wenn das politische Leben nach den Befreiungskriegen in Deutschland nicht stockte und die nationalen und konstitutionellen Gedanken einen Widerhall fanden, so habe dies vornehmlich an der akademischen Jugend gelegen. Als die aus dem Kriege zurückgekehrten Studenten in die nationale Bewegung eintraten, habe sich jene Politisierung der akademischen Jugend vollzogen, die den Aufstieg des Dritten Standes begleitete und „den deutschen Studenten aufs engste mit seinem Volk verband" 54 ). In Österreich setzt die Regierung alles daran, das Eindringen des nationalen Geistes der Burschenschaft und deren Fußfassen an den Schulen zu verhindern. Noch am 2. 12. 1819 hatte der Linzer Polizeidirektor Josef von Hoch an das Landespräsidium beruhigend berichtet: „Das deutsche Burschenwesen h a t . . . hierlands nirgendwo Beifall ge) L A . , Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1819 2 4 / 6 . ) Ebenda, 1815, N r . 855 u. 1816, N r . 570 u. 1010. ™) Ebenda, 1820 2 / 9 ; vgl. auch M. Doblinger, Der burschensdiaftliche Gedanke auf Österreichs Hochschulen vor 1859, in: Quellen u. Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft u. der deutschen Einheitsbewegung, B d . V I I I (1925), S. 6 4 ; Föhrenreuter, Aus der Zeit der „Allgemeinen deutschen Burschenschaft", U . Beilage d. Linzer Tages-Post N r . 35 (1909). M ) Deutsche Geschichte, 2, S. 2 3 4 ff. 51 52
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funden, und es ist nicht die mindeste Spur irgendeiner Verbindung oder Verzweigung mit diesen Gesellschaften unter den Studierenden dieser Provinz vorhanden 65 )." Aber als fast ein Jahr später Propst Michael Arneth von St. Florian als Direktor des Linzer Gymnasiums und Lyzeums über den wissenschaftlichen Fortgang und die Sitten der Linzer Studenten berichtete: „von heimlichen Verbündungen und Verbrüderungen aber, worüber jetzt besonders Wachsamkeit empfohlen ist, hat man bei aller Aufmerksamkeit nichts entdeckt" 66 ), da galt dies nur für ihn persönlich, denn im Frühjahr 1820 hatte bereits die Wiener Polizei die Existenz einer Burschenschaft am Linzer Lyzeum zur Überraschung und zum Schrecken der oberösterreichischen Behörden aufgespürt. Wir sind über diese erste Linzer Burschenschaft, ihr Entstehen und ihre Tätigkeit sowie über ihre Entdeckung sehr gut unterrichtet. Die Wiener Polizei hatte an der Wiener Universität einen burschenschaftlichen Verein ausgehoben und in der Korrespondenz der Mitglieder fand man auch einen Brief des Linzer Studenten Gustav Rechberger vom Jahre 1818, der die Existenz eines burschenschaftlichen Verbandes am Linzer Lyzeum belegte. Es schienen auch einige Professoren der Linzer Höheren Schule verwickelt zu sein67). Aus dem zusammenfassenden Bericht des Landespräsidenten Bernhard Gottlieb Freiherr von Hingenau an den Polizeiminister Seldnitzky sieht man Näheres. Schon seit mehreren Jahren bestand eine Art Freundschaftsbund unter den Studenten des Lyzeums, der mit dem deutschen Burschenwesen ursprünglich nichts zu tun hatte. „Als die Studenten durch die Zeitungsblätter und damals noch nicht verbotenen Flugschriften zur Kenntnis gelangten, daß auf den auswärtigen Hohen Schulen die Studierenden mehr Freiheit genießen, als ihnen hier gestattet werde; dies reizte ihre Neugierde 68 )." Dieses Begehren nun, Näheres über das deutsche Burschenwesen zu erfahren, habe der spätere Regierungskonzeptspraktikant Pichler 69 ) gestillt, dessen Vater als Regierungsrat bis zur Rückkehr des Innviertels in bayrischen Diensten gestanden war. Pichler selbst hatte in diesen Jahren an bayrischen Universitäten studiert und dort Leben und Treiben der Burschenschaft kennengelernt. Bereitwillig erzählte er nun den Linzer Studenten von seinen Studienjahren in Deutschland und lehrte sie einige Burschenlieder. „Als das mit so ) LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1819 7/26. ) LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1820 18/3. 5 7 ) Seldnitzky an die Landesstelle, 25. 3. 1820, LA., Landesreg.-Akten, Praes. Pol. 1820 24/61; vgl. auch Doblinger, a. a. O. S. 63 ff. M ) Bericht Baron Hingenaus an Seldnitzky, 28. 4. 1820, LA., Landesreg.Akten, Praes. Pol. 1820 24/6. **) Dominikus Pichler, Schematismus d. Erzh. österr. ob der Enns, 1820, S. 243. M
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großem Aufsehen verbundene Wartburgfest;" — so berichtet Hingenau — »und endlich der an den Schriftsteller von Kotzebue verübte Meuchelmord ihre Phantasie noch mehr erhitzte, entstand eine gefährliche Nadiahmungssucht unter ihnen, welche ihren früheren unschädlichen Verein ganz umstaltete 60 )." Und, den Augen der Linzer Polizei verborgen, scheint sich nun ein burschenschaftliches Leben am Linzer Lyzeum entwickelt zu haben, nicht in großem Ausmaße — es dürfte sidi nur um eine einzige Klasse des Lyzeums gehandelt haben — aber im Geist des nationalen und freiheitlichen Strebens der deutschen Jugend von damals. Jedes Mitglied dieser Burschenschaft besaß ein Stammblatt mit dem Motto „Ein Gott, ein deutsches Schwert, ein deutsdier Geist für Ehre und Gerechtigkeit", auf dem sich die Unterschriften aller Linzer Mitglieder fanden. Sie trugen Knotenstöcke, „welchen sie Ziegenhaimer nannten", mit dem eingeschnittenen Namen der Freunde, trugen weiße Kappen, jedoch ohne besonderes Zeichen, hielten ihre Kommerse, bei denen sie Burschenlieder sangen und einmal auch auf das Wohlsein Karl Ludwig Sands getrunken hatten. Wie sehr das Wartburgfest sie beeindruckte, kann man daraus ersehen, daß sie auf dem Schlosse Wildberg im Haselgraben in Nachahmung dieses Festes eine ähnliche Feier veranstalteten 61 ). Als der Verein aufgedeckt wurde, war er offenbar schon in Auflösung begriffen, und der Landespräsident konnte zwar nicht die Linzer Polizei, welche nichts vom Treiben der Studenten gemerkt hatte, in Schutz nehmen, wohl aber die Leitung des Lyzeums, weil diese jungen Burschen „sowohl in Beziehung auf die Studien, als auf die Sitten unter die vorzüglichsten Schüler gehörten" 62 ). Die beschuldigten Professoren Matthias Reisacher, Johann Nepomuk Mayrhofer und Johann Weingartner nahm der Landespräsident in Schutz, ihre Unschuld dürfte sich erwiesen haben 83 ). Wie undicht das Netz, das die politische Literatur vom Lande fernhalten sollte, in Wirklichkeit war, M
) Wie Anm. 58. ) Die Untersuchung war gegen folgende Hörer d. Lyzeums geführt worden: Theol. Studium: Anton Witzmann, Josef Egger, Jos. Pramer, Johann Mayerhofer. Phil. Studium: Moritz Pflügl, Franz Fessel, August Rechberger, Heinrich Moßhamer, Ferdinand Waldier, Wenzel Sperl, Franz Schüringer, Konstantin Baumfried; Landesreg. an Lyzeum, 17. 4. 1820, LA., Landesreg.Akten, Praes. Pol. 1820 24/6. • 2 ) Ebenda. M ) Alle drei gehörten dem geistlichen Stande an; Schematismus 1820, S. 435 ff; Weingartner verfaßte später eine Sittengeschichte der Kirche u. wurde daraufhin vom Lehramt entlassen. LA., Landesreg.-Akten, Praes. 1823, 23; in der Pfarrchronik von Wartberg ob der Aist äußerte er sich selbst über seinen Fall. Vgl. M. Hiptmair, Geschichte d. Bistums Linz (1885), S. 170 ff. 81
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zeigt die Tatsache, d a ß die Buchhandlung Haslinger dem Professor Weingartner die Broschüre v o n Kieser über das W a r t b u r g f e s t besorgt hatte 6 4 ). Jedenfalls w u r d e n nach dieser A f f ä r e den Kreisämtern die Befehle zur Abstellung der Burschenschaften u n d zum Einschreiten gegen die sogenannte „Altdeutsche Tracht" neu eingeschärft. D a ß auch die Zensur achtsamer w a r , ist daraus zu sehen, d a ß m a n e t w a der in Linz viel gelesenen Augsburger „Allgemeinen Z e i t u n g " vom 18.6.1820 die Beilage v o r der Auslieferung e n t n a h m , b l o ß weil sie eine Flugschrift v o n H a u p t , „Landmannsdhaften u n d Burschenschaften", ankündigte. Aber nicht n u r die nationalen G e d a n k e n der deutschen Befreiungsära k a m e n in das L a n d o b der Enns, auch die liberal-konstitutionellen Tendenzen f a n d e n Eingang in das D e n k e n u n d Wünschen der oberösterreichischen Bevölkerung. H i e r w a r v o r allem das Beispiel der bayrischen Verfassung v o n 1818, das gleichsam vor den T o r e n des Landes jenseits des I n n exerziert w u r d e , w i r k s a m . M a n h a t gesagt, d a ß diese süddeutschen Verfassungen nicht nur den konstitutionellen W ü n schen des Liberalismus ihre Existenz v e r d a n k t e n , sondern auch dem Planen der süddeutschen Regierungen des ehemaligen Rheinbundes, welche die P a r l a m e n t e als ein Mittel zur Festigung der Staatseinheit dieser jungen oft sehr heterogenen Staatsgebiete benützten 6 5 ). W o h l handelte es sich um Verfassungen auf G r u n d des monarchischen P r i n zips, u m v o m Fürsten verliehene Verfassungen, nicht u m Verfassungen auf der G r u n d l a g e der Volkssouveränität. A b e r diese Verfassungen kamen doch den Wünschen des Liberalismus sehr nahe, u n d es ist daher verständlich, d a ß das hochkonservative Metternichsche Österreich etwa in der 1818 entstandenen bayrischen Verfassung eine G e f a h r sah. Die österreichische Regierung verfolgte daher m i t A u f m e r k s a m k e i t die Verhandlungen des am 4. 2. 1819 eröffneten ersten bayrischen Landtages. U n d Friedrich von G e n t z meinte, in der zweiten bayrischen K a m m e r sei noch „kein W o r t gefallen, das ihn nicht a n den durchaus ähnlichen Gang aller v o n der Geschichte überlieferten demagogischen Bewegungen erinnert hätte" 6 9 ). Zeitungen u n d eine Fülle v o n Flugschriften b e f a ß t e n sich m i t dem jungen bayrischen Parlamentarismus u n d berichteten über das ungewohnte Schauspiel auf dieser Tribüne des neuen Bayern. Nicht ohne G r u n d h a t t e daher die Wiener Polizeihof stelle die oberösterreichische Landesregierung g e w a r n t v o r der Einschmuggelung bayrischer Broschüren nach Österreich, die — wie m a n sagte — „äußerst demokratische G r u n d s ä t z e " enthielten; und wenn die Linzer M
) Schreiben Seldnitzkys vom 3. 5. 1820 wie Anm. 61. •») Schnabel, Dt. Geschichte, 2, S. 77. M ) M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns, 2 (3. A. 1928), S. 562. 25
Polizei etwa die Verbreitung eines Probeblattes der in Augsburg erschienenen Zeitung „Der Staatsbürger" wegen der darin vertretenen konstitutionellen Idee verhinderte, so handelte sie im Geiste der Wiener Regierung 67 ). Aber trotz aller Vorsichtsmaßnahmen konnte ein Einwirken über die Inngrenze nach Oberösterreich allein schon durch die unmittelbare Nachbarschaft nicht verhindert werden. Das bayrische Exempel hatte für die über den Inn blickenden Oberösterreicher den Reiz des Neuen. Die bayrischen Landtagsverhandlungen boten reichlich Stoff für das lesehungrige Publikum und erweckten, wie Josef von Hoch berichtete, lange Zeit das Interesse der Intelligenzschicht und des Bürgerstandes von Oberösterreich. Dieses Interesse war naturgemäß längs der bayrischen Grenze stärker, wobei die Hoffnung und Erwartung mitspielte, das bayrisdie System, in Österreich eingeführt, könnte auch eine Minderung der Steuern bringen 88 ). So sah man begehrlich zu den bayrischen Nachbarn. Im November 1819 berichtete die oberösterreichische Landesregierung an den Obersten Kanzler Grafen Saurau, daß im Innviertel, im Hausruckkreis und in Salzburg die bayrische Konstitution großes Aufsehen errege und daß man dort von ihr mit Beifallsbezeugungen spreche. Am stärksten aber stand das Mühlviertel unter diesem aus Bayern einströmenden Einfluß. Der Kreishauptmann Nadherny hatte dem Landeschef berichtet, daß unter den Bauern des oberen Mühlviertels der Wunsch nach einer Konstitution nach bayrischem Muster laut wurde und daß man namentlich anläßlich der montägigen Wochenmärkte in den Gasthäusern darüber debattiere. Freiherr von Stiebar, der zuständige Referent der Regierung, führte diese Empfänglichkeit für die Idee der Konstitution gerade im Mühlviertel auf die starke Spannung, welche dort zwischen den Bauern und den Grundherrsdiaften herrschte, zurück und auch auf das Wirken von Bauernagenten, welche namentlich in der Gegend von Schlägel, Helfenberg und Leonfelden von Ortschaft zu Ortschaft wanderten und die Untertanen gegen die Grundobrigkeiten aufwiegelten 69 ). Man ging gegen die Wortführer dieser konstitutionellen Strömung sehr scharf vor, und Graf Saurau empfahl, sie, falls sie in den Schenken das „Phantom der Konstitution" preisen und ihrer Einführung in Österreich das Wort redeten, sehr streng zu bestrafen und abschreckend zu verfahren 70 ). Wie sehr im Mühlviertel von den Bauern die Konstitution als Heilmittel gegen die Bedrückun•7) LA., Landesreg.-Akten, Pol. Praes. 1819 2/9 (18. 8. 1819) u. ebenda, 1819, 24/1 vom 29. 9. 1819. ") Bericht d. Polizeidirektors Hoch v. 12. 12. 1819, LA., Landesreg.Akten, Praes. 1819 7/26. *•) Landesstelle an Saurau, 24. 11. 1819, LA., Landesreg.-Akten, Praes. 1819 7/26. 70 ) Oberstkanzler Saurau an Hingenau, 27. 11. 1819, ebenda.
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gen von Seiten der Herrschaften und gegen die Steuerlast empfunden wurde, sieht man daraus, daß dort sich die Strömung noch hielt, als im Lande im allgemeinen bereits die Sympathie für die bayrische Verfassung abflaute 71 ). Gerade das Mühlviertel blieb ein Herd der Unruhe. Franz Sales Kreil, der von 1817 bis 1832 Kreiskommissär und von 1832 bis 1848 Kreishauptmann des Mühlviertels war, berichtet in seinen Memoiren, daß in der Mitte der zwanziger Jahre das Mühlviertel in dem Rufe war, „am Vorabend einer Revolution zu stehen" 713 ). Dodi blieben diese stärker an die Oberfläche drängenden liberalen und nationalen Tendenzen charakteristisch für die kurze Spanne Zeit zwischen den Befreiungskriegen und den Karlsbader Beschlüssen, welche nunmehr alle diese Strömungen mehr oder weniger erstickten. Nun fand kaum noch die Polizei Regungen dieser Art, es war still im Lande und all die unerfüllten Wünsche nach politischen Rechten und bürgerlicher Freiheit wurden zurückgedrängt. Das Biedermeier in seiner Innigkeit verhüllte, daß die tiefe Sehnsucht nach Freiheit doch geblieben war. Das Lebensgefühl des Biedermeier, das mit unendlich viel Weisheit, Freude und Charme verknüpft war, war stark geprägt durdi jenen inneren Verzicht auf politisches Wollen, den die Zeit erzwang, ein Verzicht ohne große Erbitterung und mit mancher Hoffnung. Kennzeichnend für diese geistige Haltung ist die kleine Linzer „Frühaufsteh-Gesellschaft Eos", ein Klub biedermeierlidier Heiterkeit und harmloser Freude, gemeinsamer Spiele und Ausflüge, der 1825/26 in Linz bestand 72 ). Unter den Vergnügungen dieser heiteren Gesellschaft, zu der geistvolle Männer und Frauen gehörten, u. a. der Dichter Karl Mayerhofer, die Brüder Spaun, die Schwestern Anna und Therese Hartmann, findet sich auch ein Gesellschaftsspiel: „Constitution" 73 ). Man sieht, wie hier ein Grundanliegen der bürgerlichen Gesellschaft von damals verniedlicht wird, wie im Spiel sich offenbart, was die Wirklichkeit verwehrte. Die französische Julirevolution von 1830, eine Zäsur in der Entwicklung des politischen Liberalismus in Europa 74 ), scheint in Oberösterreich, wie ja überhaupt in Österreich, nach außen nicht sichtbar eingewirkt zu haben, obwohl die Wiener Regierung Unruhen befürchtet hatte 75 ). Wie stark sie im negativen Sinne auf die antiliberale, katholische Sdiicht einwirkte, zeigt die Reaktion ) Bericht Hochs v. 2. 12. 1819, ebenda. «) G. Grüll, Die Robot in Oberösterreidi (1952), S 216 ff. n ) H. Sturmberger, Aus der Mappe der „Eos", Heimatland, FebruarHeft 1955. 7 3 ) Die Akten über die „Eos" LA. Neuerwerbungen, Schuber 42. 7 4 ) Georg Franz, Liberalismus (1955), S. 21. 7 5 ) Seldnitzky an Polizeidirektor Graff, 25. 9. 1830, LA. Polizeidirektion (blau), 1830 R. 71
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des Florianer Historikers Jodok Stülz, der in der Julirevolution den Beginn des Siegeszuges des modernen liberalen Geistes erkannte und hiedurch von einem starken Pessimismus erfüllt wurde 76 ), wie er damals auch sonst gelegentlich festzustellen ist. So hatte etwa der alte Goethe gemeint, ein großer Krieg, ähnlich dem Dreißigjährigen, werde kommen, und Niebuhr hatte von einer „eschatologischen Angst" gesprochen77). Alle Stimmungsberichte, welche Polizei und Regierung in diesen zwei Dezennien bis 1848 nach Wien sandten, negierten die Existenz liberaler Strömungen in Oberösterreich. 1832 berichtet die Polizeidirektion Linz, daß das „verderbliche Miasma des modernen Liberalismus" der Provinz ferngeblieben sei78), und Landespräsident Graf Ugarte bestätigte ein Jahr später, daß in Oberösterreich keine Einwirkungen des Zeitgeistes festzustellen seien und er spricht auch davon, daß die öffentliche Meinung, „deren Zutrauen früher einigermaßen zu einer Trennung des Monarchen von der Staatsverwaltung, und in bezug auf letztere zur Tendenz des Gewohnheitstadels hinneige, bedeutende Fortschritte zur Berichtigung und Besserung macht.. ." 7 e ). Solche Beteuerungen, daß der Liberalismus im Lande nicht „den leisesten Anklang" finde, gibt es noch 1839 und 1844 80 ). Das mag nun auch damit zusammenhängen, daß der Linzer Polizeidirektor Adalbert Graff, ein Beamter josefinischen Geistes, großzügiger Natur war und von kleinlichen Schikanen nichts wissen wollte. So hatte er in einem Bericht von 1837 sich gegen die Verketzerung von ganzen Volksklassen gewendet und es als lächerlich hingestellt, daß „als vor einigen Jahren, wo einige Studenten in Salzburg in der arglosesten Unbefangenheit Kappen von gleichem Schnitt und Farbe trugen", dies als „politische Tendenz" denunziert wurde 81 ). Der Josefiner Graff, der — wohl seit seiner Tätigkeit als Badekommissär in Karlsbad — mit Goethe bekannt war 82 ), bestätigt, daß die josefinisdie Bürokratie gelegentlich Sympathien für freiheitliche Regungen hatte. Diese Beamten waren nicht „liberal" im politischen Sinne des Wortes, dazu waren sie zusehr dem obrigkeitlichen Staat mit Herz und Seele 7 ' ) H. Sturmberger, Jodok Stülz u. die kathol. Bewegung des Jahres 1848, Mitt. d. oö. LA., 3 (1954), S. 236. 7 7 ) Th. Schieder, Staat u. Gesellschaft im Wandel der Zeit (1958), S. 14. 7 8 ) Administrationsbericht Polizei-Dir. Linz, 24. 3. 1837, LA., Landesreg.Akten, Geheime Praes.-A. 4-1/110 v. 1832. 7 9 ) Beridit Ugartes an Seldnitzky, 30. 4. 1833, ebenda. 8 0 ) Bericht Polizei-Dir. 24. 2. 1839, LA., Landesreg.-Akten, Pol. Praes. 1839 1/28 c u. Bericht d. Polizei-Dir. v. 2. 12. 1844, Allg. Verwaltungsarchiv Wien, Polizeihofstelle, Fasz. 1114/1845. 8 1 ) Administrationsbericht Polizei-Dir. v. 24. 3. 1837, LA., Landesreg.Akten, Geh. Praes.-A. 4-1/110 v. 1832. 8 2 ) Schmidt, Kunstdironik, 2, S.261.
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verbunden, aber sie hatten etwas von einem „Freisinn" an sidi, der vielleicht in ihrem staatskirchlichen und oft antiklerikalen Empfinden seine Wurzel haben mochte. Der Theaterdirektor Heinrich Börnstein, der von April 1833 bis 1839 Direktor des Linzer Landständischen Theaters war und Graff persönlich kannte, schildert den Polizeidirektor als einen gebildeten und erfahrenen Mann, hypochondrisch und mißtrauisch, der aber im privaten Plaudern „ziemlich freisinnige politische und religiöse Ansichten entwickelte" 88 ). Auch der damalige Linzer Zensor C. E. Bauernschmied war ein hochgebildeter und frei denkender Mann, der — eine biedermeierliche Groteske — eben wegen seiner Freizügigkeit zur „Strafe als Zensor nach Linz geschickt worden war", wo man ihm scharf auf die Finger sdiauen konnte 84 ). Das liberale Denken der Zeit äußerte sich auch in Manifestationen der Antipathie gegen die Heilige Allianz, gegen das konservative Rußland, und in der Begeisterung für die Polen, die um ihre Freiheit gegen das Zarentum kämpften. Diese liberale Polenbegeisterung der dreißiger Jahre war in Oberösterreich sehr lebhaft, „jedoch" — wie Adalbert Graff beschwichtigend betont — „nicht aus Hinneigung zur revolutionären Tendenz, sondern aus menschlicher Sympathie und Furcht vor Rußland" 85 ). Liberales Denken meinte man auch, wenn man etwa davon sprach, daß in Gmunden durch den starken Zustrom von Fremden ein „gewisser Grad laxer Gesinnungen" registriert werden könne. Überhaupt war das Salzkammergut ein Hort freiheitlichen Denkens. Der Ischler Polizei-Badekommissär Krombholz meinte 1846, daß es unter den Protestanten des Salzkammergutes Männer gäbe, die als aufgeklärt gelten und besonders geeignet seien, „bei vielleicht zufälligen Berührungen mit Fremden sich liberale Gesinnungen zu assimilieren". Er nennt solche Männer namentlich: den Müller Käfer in Hallstatt, den Naufahrer Rothsepperl, den hinteren Schmied in der Gösau, den Müller Konrad Deubler in Hallstatt. Deubler war ja eine der markantesten Gestalten Oberösterreichs um die Mitte des 19. Jahrhunderts, ein belesener, aufgeklärter, frei denkender Mann, der eine große Bibliothek besaß. An Wochenmarktstagen brachte er seine sorgfältig versteckten, neu erworbenen Bücher von Gmunden zu Schiff über den Traunsee und dann nach Hause 86 ). In Hallstatt leitete er einen Leseverein, für den er die Lektüre besorgte. Bei ihm ist von Bedeutung, daß sich hier Einflüsse des amerikanischen 8 3 ) Heinrich Börnstein, Fünfundsiebzig Jahre in der Alten und Neuen Welt, 1 (1881), S. 222. M ) Ebenda, S. 228. M ) Administrationsbericht Polizei-Dir. v. 24. 3. 1837 und Stimmungsberidht v. 10. 7. 1832 wie Anm. 81. e®) Bericht des Ischler Polizeikommissärs Krombholz v. 27. 8. 1846, LA., Landesreg.-Akten Praes. 1847 6/16 d.
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politischen Denkens offenbaren. Als ihn 1840 der Dresdener Maler Robert Kummer besuchte, staunte er, als er in Deublers Bibliothek die Werke Thomas Paines vorfand. Dieser alpenländische Bauernphilosoph Deubler, der für die nordamerikanische Verfassung schwärmte, war eine eigenwillige Persönlichkeit, die wohl im liberalen Denken des Vormärz wurzelt, aber do