Der preußische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont (1808–1887): Ein Katholik in Diensten Preußens und der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen [1 ed.] 9783428556243, 9783428156245

Der preußische Diplomat und Publizist Alfred von Reumont war einer der führenden deutsch-italienischen Kulturvermittler

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Der preußische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont (1808–1887): Ein Katholik in Diensten Preußens und der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen [1 ed.]
 9783428556243, 9783428156245

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Historische Forschungen Band 121

Der preußische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont (1808–1887) Ein Katholik in Diensten Preußens und der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen

Von Felix Schumacher

Duncker & Humblot · Berlin

FELIX SCHUMACHER

Der preußische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont (1808–1887)

Historische Forschungen Band 121

Der preußische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont (1808–1887) Ein Katholik in Diensten Preußens und der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen

Von Felix Schumacher

Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Universität des Saarlandes hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 978-3-428-15624-5 (Print) ISBN 978-3-428-55624-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85624-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

In Erinnerung an Gerhard Sieben

Vorwort Bei vorliegendem Buch handelt es sich um die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner im Sommersemester 2016 unter dem Titel „Alfred von R ­ eumont (1808–1887): Ein katholischer Diplomat in Diensten Preußens und der deutsch-italienischen Historiographie“ an der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes angenommenen Dissertationsschrift. Nun, da die Publikation in Sicht ist, möchte ich all jenen danken, die mich auf dem Weg hierhin unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt Gabriele B. Clemens, die mich nach meinem Studium an der Universität Trier nicht nur in der Absicht bestärkt hat, ein Projekt zum deutsch-italienischen Kulturtransfer in Angriff zu nehmen, sondern dieses als Erstgutachterin von Beginn an mit wohlmeinender Kritik und praktischen Ratschlägen sowie bei der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten unterstützt hat. Thomas Kroll hat das Zweitgutachten der Arbeit übernommen und mir wertvolle Hinweise für die Druckfassung gegeben. Die für das Projekt erforderlichen Recherchen in diversen deutschen und italienischen Archiven und Bibliotheken wären ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen kaum realisierbar gewesen. Finanziell wurde das Projekt anfangs von der Landesgraduiertenförderung des Saarlandes und anschließend der DFG unterstützt. Für die Bezuschussung meiner Archivreisen danke ich dem DAAD und dem Istituto storico italo-germanico in Trient. Eine große Unterstützung wurde mir in diesem Zusammenhang auch von Adelaide Ricci zuteil, die mir für die Forschungen in Turin zahlreiche wichtige Kontakte vermittelt hat. Für wertvolle weiterführende Hinweise und Unterstützung bei der Quellenrecherche und Beschaffung bin ich insbesondere dem Leiter der Handschriftenabteilung der ULB Bonn, Michael Herkenhoff, dem Bibliotheksleiter des DAI Rom, Thomas Fröhlich, Claudia Tripodi von der Deputazione di Storia Patria per la Toscana, Caterina del Vivo vom Archivio Storico del Gabinetto Vieusseux in Florenz sowie Gabriella Morabito und Ida Ferrero von der Deputazione Subalpina di Storia Patria in Turin verpflichtet. Für die Korrektur des Manuskripts möchte ich ganz besonders Sebastian Knauer danken, der es auf sich genommen hat, das komplette Manuskript unmittelbar nach der Schreibphase zu lesen. Ebenso bin ich für die Lektüre einzelner Kapitel Jens Späth zu Dank verpflichtet, sowie Jan-Pieter Forßmann, der mir mit seiner intimen Kenntnis der toskanischen Politik und Publizistik zahlreiche überaus wertvolle Hinweise gegeben hat. Mein entscheidender Rückhalt in den Jahren der Dissertation war Monica, die mir während mancher Tiefen und Zweifel hinsichtlich der Realisierbarkeit meines

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Vorwort

reiseintensiven Vorhabens immer wieder Mut gemacht hat, und mir in allen Phasen der Arbeit fachlich und als geduldige Partnerin zur Seite stand. Marburg an der Lahn, im Winter 2018 / 19

Felix Schumacher

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Fragestellung und Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Aufbau und Forschungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben zwischen diplomatischer Karriere und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Aufbau und soziale Zusammensetzung des diplomatischen Dienstes . . . . . . 59 2. ­Reumonts Förderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Die Kölner Wirren und die Sondermission Brühl: ­Reumont als Mediator zwischen den Konfessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) ­Reumonts Italienkompetenz als Grundstein seiner Karriere . . . . . . . . . . . 69 c) Alexander von Humboldt als Zugang zum König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett . . . . . . . . . . . . . . . . 78 e) Historische Forschungen als Gefälligkeitsgesten zur Förderung der diplomatischen Karriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Aufstieg zum Ministerresidenten im Großherzogtum Toskana . . . . . . . . . . . 143 4. Risorgimento und romantisches Italienerlebnis: Zwischen den Höfen Leopolds II. von Toskana und Friedrich Wilhelms IV. von Preußen . . . . . . . . . . 148 5. Die „Neue Ära“ und die personelle Neuausrichtung des diplomatischen Korps 198 III. ­Reumont als „Kulturmakler“: Ein lange gehegter Wunsch geht auf schmerzhafte Weise in Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 C. Publizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Kunst- und Kulturberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. ­Reumonts erste Versuche in der Antologia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Cottas Morgenblatt und Schorns Kunstblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Die Jahrbücher für Kunstwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

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Inhaltsverzeichnis II. Politische Publizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung . . . . . . 269 2. Der Kampf um die historische Kritik und den liberalen Katholizismus in Franz Heinrich Reuschs Theologischem Literaturblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Die Historisch-Politischen Blätter für das Katholische Deutschland . . . . . . 319 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 III. Historische Publizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. ­Reumonts historische Italienkorrespondenz in der Augsburger Allgemeinen Zeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Das Archivio Storico Italiano als Dreh- und Angelpunkt für R ­ eumonts kulturelles Engagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3. Das Giornale Arcadico als katholische Ausweichplattform . . . . . . . . . . . . . 383 4. ­Reumont als Italienfachmann in Sybels Historischer Zeitschrift . . . . . . . . . . 387 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 IV. Zwischen Strukturgeschichte, göttlicher Vorsehung und menschlichem Handeln: ­Reumonts Werdegang vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen . 390 1. Geschichte, Kultur, Land und Leute – und die Forderung nach maßvollen Reformen zur Revolutionsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 a) Die Tavole cronologiche als nützliche Datensammlung für den Historiker 392 b) Die Römischen Briefe von einem Florentiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 2. ­Reumont als Historiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 a) ­Reumont als historischer Biograph der Medici . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 b) Die Geschichte der Stadt Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 3. Finis Etruriae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 a) Die Geschichte Toskana’s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 b) Gino Capponi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 aa) Der „italienische Capponi“ nach Marco Tabarrini . . . . . . . . . . . . . . . 447 bb) Annäherungen an die Toskana für den deutschen Leser . . . . . . . . . . . 451 4. ­Reumonts Stellungnahme zum Kulturkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 a) Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 b) Vittoria Colonna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 5. Die Vergangenheit im rechten Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470

D. Der Dino-Streit: Ein Politikum zwischen Nationalismus und Regionalismus sowie universitärer und außeruniversitärer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

Inhaltsverzeichnis

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E. ­Reumont als Brückenbauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 I. ­Reumonts Vorträge am königlichen Hof als wichtiger Zugang zum deutschen Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 1. Vermittlung von Auszeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 2. Mitgliedschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 II. ­Reumont als Diplomat in Diensten des Instituto di corrispondenza archeologica 499 III. Der Ausbau der Sammlung der königlichen Museen unter Ignaz von Olfers . . . 507 IV. Materialbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 1. Deutschland – Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 2. Italien – Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 V. Zugänge zu Archiven und Bibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 VI. Beschaffung von Fachgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 VII. Förderung durch Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 F. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 G. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 I. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 II. Zeitgenössische Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 III. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 H. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587

A. Einleitung Der preußische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont ­­ (1808–1887) ist heute weitgehend vergessen. Als Berater König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen, der im Zuge der sogenannten „Neuen Ära“ pensioniert wurde und die faktische Gestaltung der Nationalstaaten kritisierte, spielte ­­Reumont in den nationalstaat­ lichen Meistererzählungen bestenfalls die Rolle des Verlierers, eines Vertreters einer vergangenen Epoche. An dieser Deutung seiner Person hat sich bis in die heutige Forschung hinein nur wenig geändert.1 Zwar ist den wenigen Studien, die sich mit seiner Person befassten nicht entgangen, dass ­Reumont zu den führenden Publizisten zu deutsch-italienischen Themen zählte und dass seine Zeitgenossen, seien es Freunde oder Kritiker, sein interkulturelles Engagement anerkannten.2 Jedoch wurden seine Werke aus der heutigen Perspektive heraus als längst überholt und nicht lesenswert abqualifiziert.3 Dieses Urteil erscheint etwas übereilt: einerseits hat die 1 Vgl. etwa die Einschätzung Ferdinand Gregorovius’ in einem Brief an Hermann von Thile, Venedig, 29. April 1887: „Alles in Allem genommen war er ein höchst eigenartiges Ingenium, von einer mir fast beispiellosen Fähigkeit sich an Menschen und Dinge anzuleben, ein Condottiere der Feder, der eigentlich in die seltsame Classe allwissender Abbés des vorigen Jahrhunderts gehörte. In Italien ist er der Repräsentant einer ganzen Epoche deutscher Beziehungen gewesen, ein Makler beider Länder für Literatur und Kunst, und da hat er nicht kleine Verdienste aufzuweisen.“ Zitiert nach: Herman von Petersdorff (Hrsg.): Briefe von Ferdinand Gregorovius an den Staatssekretär Hermann von Thile, Berlin 1894, S. 187–189, hier S. 189; Jens Petersen: Alfred von ­­Reumont und Italien, ZAGV 94/95 (1987/88), S. 79–107, hier S. 106–107; vgl. auch Frank Pohle (Hrsg.): Alfred von R ­ eumont (1808–1887) – Ein Diplomat als kultureller Mittler (Historische Forschungen 107), Berlin 2015, Einleitung und Vorwort, S. 7–18, hier S. 16. 2 Vgl. die Einschätzung Gregorovius’ (Anm. 1); Marco Tabarrini: Il Barone Alfred di ­Reumont, La Rassegna Nazionale 13 (1883), S. 160–174; Hermann Hüffer: Alfred von ­Reumont (Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 77), Köln 1904, S. 17–123, hier S. 172– 173: „Der Vereinigung beider Völker hat er mehr denn fünfzig Jahre seines Lebens als Diplomat, als Gelehrter, als Kunstkenner, als Geschichtsschreiber gewidmet. […] Freilich ausgezeichnete Männer sind ihm vorangegangen oder gefolgt […] aber mit der Vielseitigkeit, mit der Ausdauer, in dem Umfang wie R ­ eumont, hat wohl kein anderer die Vermittlung der beiden Länder sich zur Aufgabe gemacht. […] von den tausend und tausend Fäden, aus denen das feste Band zwischen den beiden grossen befreundeten Völkern zusammengewebt ist, wird immer eine beträchtliche Zahl auf Alfred v. ­Reumont zurückleiten.“ 3 Vgl. Hubert Jedin: Alfred von R ­ eumont (1808–1887), Rheinische Lebensbilder 5 (1973), S. 95–112; Petersen (1987/88), S. 106; Gabriele B. Clemens: „[…] essere a noi come anello di comunicazione con la Germania“ – Alfred von ­Reumont als Vermittler zwischen deutscher und italienischer Historiographie, in: Italien in Preußen – Preußen in Italien (= Schriften der Winckelmann-Gesellschaft 25), Stendal 2006, S. 213–225, hier S. 222; dazu auch jüngst noch einmal Christine Roll: Wie der Historiker zum Gestrigen gemacht wurde – Alfred von ­Reumonts „Italienische Diplomaten und diplomatischen Verhältnisse“ neu gelesen, in: Pohle (2015), S. 65–104, hier besonders S. 66.

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A. Einleitung

Forschung bislang nur einen Bruchteil der Publizistik R ­ eumonts überhaupt erfasst, geschweige denn untersucht, andererseits ist bislang keine hinreichend intensive Untersuchung seiner gelehrten Korrespondenz erfolgt.4 Dabei sind die persönlichen Schreiben die maßgebliche Quelle, um die Entstehung von ­Reumonts Publikationen nachvollziehen und in den Kontext seines gelehrten Austausches einordnen zu ­ eumonts Wirken als kultureller Mittler und Publizist erkönnen. Insbesondere R scheint dabei von herausragendem Interesse. Denn die gegenseitige Wahrnehmung zwischen „Deutschen“ und „Italienern“ war unmittelbar mit dem kulturellen und politischen Selbstverständnis verknüpft. Schließlich bewirkte die gemeinsame politische und kulturelle Vergangenheit Deutschlands und Italiens seit dem Mittelalter bereits unter den Zeitgenossen eine ständige wechselseitige Aufmerksamkeit, deren Intensität und Interesse sich im Laufe der Jahrhunderte immer an den zeitgenössischen Entwicklungen orientierten. Politische Abhängigkeiten, kulturelle Vorbildfunktionen wie auch gemeinsame Allianzen und Rivalitäten trugen dabei zu einer ständigen Umdeutung der Vergangenheit bei, deren Interpretation stets eng an den zeitgenössischen Erfordernissen orientiert war. In politischer Hinsicht sollte kein historisches Ereignis eine vergleichbare Wirkmächtigkeit für die deutsch-italienischen Beziehungen entwickeln wie die Kaiserkrönung Karls des Großen durch Papst Leo III. an Weihnachten des Jahres 800. In der Retrospektive konnte dies als der Beginn eines bis ins Jahr 1806 bestehenden Reiches betrachtet werden, das „Deutsche“ und „Italiener“ in einer Herrschaftsordnung zusammenfasste. Obgleich die Betrachtung des mittelalterlichen Reiches in nationalen Kategorien nicht der Denkweise der Zeitgenossen entsprochen hätte, sollte sich im Zuge der nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts eine die historischen Tatsachen ignorierende Deutung des mittelalterlichen Imperium Romanum als einer Art deutsch-italienischer Ordnung durchsetzen. Während die deutsche Nation mit dem Kaiser den obersten weltlichen Herrscher stellte, deuteten italienische Denker des 19. Jahrhunderts das Papsttum als italienische Institution und stilisierten den mittelalterlichen Gegensatz zwischen kaisertreuen Ghibellinen und papstreuen Guelfen zu einer deutsch-italienischen Rivalität.5 Obgleich bei weitem nicht alle Päpste italienischer Herkunft waren, setzten im 19. Jahrhundert die sogenannten Neoguelfen um Vincenzo Gioberti ihre Hoffnungen in ein italienisches Papsttum, das in Person Pius’ IX. den Weg zu einer nationalen Unabhängigkeit weisen sollte.6

4 Vgl. dazu Pohle (2015), S. 7–18 und Michael Herkenhoff: Der Nachlass Alfred von ­Reumonts in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, in: Pohle (2015), S. 19–26. 5 Freilich handelt es sich bei der Unterscheidung zwischen Ghibellinen und Guelfen ebenfalls um eine nachträgliche Vereinfachung. Denn die Grenze zwischen Anhängern des Papstes und denen des Kaisers war fließend, und die Zeitgenossen unterschieden selbst bisweilen zwischen weißen kaisertreuen und schwarzen papsttreuen Guelfen. Vgl. Peter Herde: Guelfen und Neoguelfen: Zur Geschichte einer nationalen Ideologie vom Mittelalter zum Risorgimento (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. 22, Nr. 2), Stuttgart 1986, S. 124–125. 6 Vgl. Herde (1986).

A. Einleitung

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Die gemeinsame Zugehörigkeit zum Imperium Romanum und später zum Habsburger Reich sollte die gegenseitige Rezeption durch die Jahrhunderte hindurch prägen. Das Habsburger Reich hatte im Jahre 1714 Mailand und Neapel erhalten und nach dem Tod des letzten Medici, Gian Gastone de’ Medici, im Jahre 1737 mittelbar auch das Großherzogtum Toskana, das dem mit Maria Theresia verheirateten Franz (II.) Stephan von Lothringen unterstellt wurde. Neben den politischen Verbindungen war es jedoch vor allem der Verkehr von Künstlern und Gelehrten an diversen Höfen, der einen intensiven wechselseitigen Austausch bewirkte. So ließ etwa Jan Wellem, der mit Anna Maria de’ Medici verheiratet war, italienische Künstler wie die Komponisten Sebastiano Moratelli und Agostino Steffani sowie den venezianischen Maler Domenico Zanetti nach Düsseldorf kommen, während er den Geschäftsträger Cosimos III. de’ Medici am Vatikan, Abbate Antonio Maria Fede, zu seinem Kunstagenten machte; der württembergische Historiker Johann Friedrich Le Bret vermittelte Ende des 18. Jahrhunderts weitreichende Kenntnisse und stellte Kontakte in die italienische Kultur und Wissenschaft her, und auch in Weimar wurden insbesondere unter Herzogin Anna Amalia enge Kulturbeziehungen nach Italien gepflegt.7 Gleichzeitig gehörte Italien zum üblichen Programm der Grand Tour der adligen Reisenden und stand zudem im Blickpunkt nicht nur der an der antiken Vergangenheit interessierten Archäologen, sondern auch der Historiker und Kunsthistoriker, die auf den Spuren des Mittelalters und der Reichsgeschichte sowohl die materiellen Hinterlassenschaften als auch die archivalische Überlieferung untersuchten. Schließlich war die Papstgeschichte ein entscheidender Bestandteil der Reichsgeschichte. Dabei beeinflussten sich kulturelles und politisches Interesse oft gegenseitig, um die politischen Konstellationen wahlweise zu erklären, zu rechtfertigen, oder aber in Frage zu stellen. Diese Situation sollte sich nach dem Wiener Kongress verstärken, als dem Habsburgerreich das Königreich Lombardo-Venetien unmittelbar und das Großherzogtum Toskana sowie die Herzogtümer Parma und Modena mittelbar über Sekundogenituren unterstellt waren, während die deutschen Staaten sich im Deutschen Bund mit einer habsburgischen Führungsrolle konfrontiert sahen. Dies führte dazu, dass sowohl die italienische als auch die deutsche Nationalbewegung sich für die Realisierung ihrer nationalpolitischen Ambitionen mit dem habsburgischen Vielvölkerstaat auseinanderzu 7 Diese Aufzählung ließe sich noch fortführen. Von der umfangreichen Literatur seien für einen Überblik lediglich erwähnt: Klaus Müller: Jan Wellem – ein Barockfürst in Düsseldorf, Düsseldorf 2008, S. 47–63; Stefano Casciu (Hrsg.) La principessa saggia: l’eredità di Anna Maria Luisa de’ Medici, Elettrice Palatina [Firenze, Palazzo Pitti, Galleria Palatina, 23 dicembre 2006–15 aprile 2007], Livorno 2006; Thomas Kroll: Der Historiker als Kulturvermittler. Johann Friedrich Le Bret und die deutsche Italiengeschichtsschreibung im Zeitalter der Aufklärung, in: Frank Jung / Thomas Kroll (Hrsg.): Italien in Europa. Die Zirkulation der Ideen im Zeitalter der Aufklärung (Laboratorium Aufklärung 15), Paderborn 2014, S. 281–312; zu den Weimarer Italienbeziehungen vgl. die Aufsätze in: Peter Kofler / Thomas Kroll / Siegfried Seifert (Hrsg.): Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach und die Italien-Beziehungen im klassischen Weimar, Innsbruck / Wien / Bozen 2010; Wolfgang Altgeld (Hrsg.): „Italien am Main“: Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg, Rahden 2007.

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A. Einleitung

setzen hatten, der unter dem seit 1821 amtierenden Staatskanzler Metternich zwar bereit war, kulturelle Nationalidentitäten zu fördern, einen politischen Nationalismus jedoch als das Habsburgerreich gefährdend strikt ablehnte.8 Insofern stand beiden Nationalbewegungen das Habsburgerreich als entscheidendes Hindernis im Wege: Von Seiten der italienischen Unabhängigkeitsbewegung galt es, die Habsburger zu einem Verzicht auf ihre „italienischen“ Besitzungen zu bewegen, während deutsche Nationalisten zunächst auf eine Weiterentwicklung des Deutschen Bundes setzten. Mit den Revolutionen der Jahre 1848–49 verstärkte sich das gegenseitige Interesse der Nationalbewegungen, die beide den Moment der Schwäche des Habsburgerreiches zu nutzen suchten, um die Wiener Ordnung in ihrem Sinne zu überwinden. Allerdings wurden in jenem Moment zugleich nationale Egoismen deutlich. Als eine italienische Delegation in der Paulskirche eine Solidarisierung zwischen der deutschen und der italienischen Nationalbewegung forderte, musste sie feststellen, dass selbst erklärte Italienfreunde sich nicht dazu bereit fanden, sich offen mit den Italienern zu solidarisieren. Stattdessen überwogen bereits nationalistische Überlegungen, nach denen auch die deutschen Liberalen nicht bereit waren, deutsche Ansprüche auf einen Adria-Zugang über Triest zugunsten der italienischen Unabhängigkeitsbewegung preiszugeben. Bereits zu jenem frühen Zeitpunkt überwogen machtpolitische Erwägungen die Ideale einer sich solidarisierenden Nationalstaatsbewegung in Europa.9 Dennoch sollten sich die deutsche und italienische Politik auf dem Weg in die Nationalstaaten in der Folge wechselseitig beeinflussen. Beim Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskrieg des Jahres 1859 begünstigte die zögerliche Haltung Preußens einen Sieg der französischen Truppen über die habsburgische Italienarmee.10 Bevor die preußischen Truppen den Kriegsschauplatz erreicht hatten, hatten Napoleon III. und Franz Joseph den Krieg bereits beendet und Habsburg die Lombardei abtreten müssen. Später, im Jahre 1866 verbündeten sich der junge italienische Nationalstaat und Preußen sogar gegen das Habsburgerreich, um es auf kriegerischem Wege einerseits durch Auflösung des Deutschen Bundes aus dem Nationalstaatsbildungsprozess auszuschließen, andererseits, um Italien das nach 1859 noch unter habsburgischer Herrschaft verbliebene Venezien zu verschaffen. Durch den Krieg an zwei Fronten gegen das Habsburgerreich konnte Preußen das nach dem Deutsch-Dänischen Krieg des Jahres 1864 vom Habsburgerreich verwaltete Holstein besetzen, den Deutschen Bund auflösen und den Nord-

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Vgl. Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär: Eine Biographie, München 2016, S. 611–612. 9 Vgl. Gabriele B. Clemens: L’immagine di Cavour nel mondo germanico, in: Umberto Levra (Hrsg.): Cavour, l’Italia e l’Europa, Bologna 2011, S. 241–258, hier S. 244; Wolfgang Altgeld: Das politische Italienbild der Deutschen zwischen Aufklärung und europäischer Revolution von 1848 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 59), Tübingen 1984, S. 322–331. 10 Für einen ereignisgeschichtlichen Überblick über die Verhandlungen vgl. Giorgio Candeloro: Storia dell’Italia moderna, Bd. 4: Dalla rivoluzione nazionale all’Unità. 1849–1860, Mailand 32011, S. 382–390.

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deutschen Bund gründen.11 Italien dagegen konnte sein Territorium erfolgreich erweitern. Im Jahre 1870 sollte es vom Deutsch-Französischen Krieg profitieren, der in die Gründung des Deutschen Kaiserreichs mündete. Denn der kriegsbedingte Abzug der französischen Truppen aus Rom, eröffnete Italien die Gelegenheit, in die Ewige Stadt einzumarschieren, die päpstliche Herrschaft auf die Leostadt zu beschränken und Rom zur Hauptstadt Italiens zu erklären. Insofern waren die Wege in den italienischen und deutschen Nationalstaat eng miteinander verflochten.12 Angesichts des gegenseitigen Interesses auf dem Weg in die Nationalstaatgründungen verbanden sich politisches und kulturelles Interesse auch mit der wechselseitigen Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen. Denn beide Nationalstaaten sahen sich innenpolitisch mit gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert, denen sie auf unterschiedliche Weise begegneten. In beiden Nationalstaaten stand die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche auf der Tagesordnung, die angesichts des Ersten Vatikanischen Konzils des Jahres 1870 und des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit sowie des päpstlichen Jurisdiktionsprimats umso dringlicher wurde. In Deutschland gipfelte der staatliche Allmachts­ anspruch im sogenannten Kulturkampf13, in dessen Rahmen Reichskanzler Otto von Bismarck unter anderem mit dem Kanzelparagraph (1871) den Geistlichen politische Äußerungen untersagte, mit dem Schulaufsichtsgesetz (1872) der Kirche die geistliche Aufsicht über die Schulen entzog sowie mit der Einführung der Zivilehe (1875) als alleingültiger Ehe versuchte, den gesellschaftlichen und politischen Einfluss der Kirche zu mindern. Er hielt nämlich den politischen Katholizismus für ein Sammelbecken der Verlierer der kleindeutschen Nationalstaatsgründung unter preußischer Führung. Schließlich verstand sich der junge deutsche National 11 Vgl. Wolfram Siemann: Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871, München 1995, S. 415–420. 12 Vgl. aus der großen Auswahl exemplarisch: Laurence Cole (Hrsg.): Different Paths to the Nation. Regional and National Identities in Central Europe and Italy, 1830–70, New York 2007; Margit Bansbach: Nationale und aristokratische Symbolik und Denkmalpolitik im 19. Jahrhundert: Ein deutsch-italienischer Vergleich, Frankfurt am Main 2014; Edmondo Montali (Hrsg.): Einheit und Freiheit im Europa der Nationen: Die italienische und die deutsche Nationsbildung im Vergleich / Unità  e libertà nell’Europa delle nazioni (Storia  e memoria), Rom 2012; Vito Francesco Gironda: Die Politik der Staatsbürgerschaft: Italien und Deutschland im Vergleich. 1800–1914, Göttingen 2010; W. G. Shreeves: Nationmaking in nineteenth century Europe: The national unification of Italy and Germany 1815–1914, Walton-on-Thames 1987; Wolfgang Altgeld: Vorlesung: die nationale Einigung Italiens und Deutschlands 1848–1871, Bonn 2014; Gustavo Corni (Hrsg.): Italiani in Germania tra Ottocento e Novecento: Spostamenti, rapporti, immagini, influenze, Bologna 2006. 13 Der Begriff „Kulturkampf“ wurde vom linksliberalen protestantischen Pathologen Rudolf Virchow in einer Rede vom 17. Januar 1873 vor dem preußischen Abgeordnetenhaus geprägt und zielt als Kampfbegriff darauf ab, den Staat darauf zu verpflichten, die kirchliche Dominanz in religiösen und gesellschaftlichen Fragen zu beseitigen. Vgl. dazu Michael B. Gross: The War against Catholicism. Liberalism and the Anti-Catholic Imagination in Nineteenth-Century Germany (Social history, popular culture, and politics in Germany), Ann Arbor (Michgan) 2005, S. 126 u. 253–254; Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947, München 2008 (9. Aufl.), S. 651.

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staat als protestantischer Staat, in schroffer Abgrenzung zu „großdeutschen“ und katholischen Ideen. Denn eine großdeutsche Staatsgründung unter Einschluss der deutschsprachigen Teile des Habsburgerreichs hätte eine mehrheitlich katholische Bevölkerung beinhaltet. Dies verleitete Bismarck dazu, der Konfession eine politische Deutung beizumessen und eine Spaltung der Bevölkerung entlang der Konfessionsgrenze zu betreiben. Ähnlich problematisch gestaltete sich das Verhältnis zwischen Staat und Kirche auch in Italien. Dort hatte neben der laizistischen Kirchenpolitik der Führungsmacht Sardinien-Piemont seit den 1850er Jahren die Nationalstaatsgründung mithilfe militärischer Eroberungen des Kirchenstaates und letztlich auch Roms selbst die überwiegend katholische Bevölkerung in einen Loyalitätskonflikt getrieben. Denn der legislative und militärische Kampf gegen die Kirche und das Papsttum, das die offiziöse Presse mit dem Verdikt der Rückständigkeit und der Unreformierbarkeit belegte, führte zu einer Verhärtung der Fronten. Liberale Katholiken wie Antonio Rosmini oder Alessandro Manzoni, die eine kirchliche Reform forderten fanden angesichts der akuten politischen Bedrohungslage für die Existenz des Papsttums kein Gehör.14 Stattdessen verband sich das in die Defensive gedrängte Papsttum mit den legitimistischen Gegnern des liberalen Nationalstaats – mit der verheerenden Folge für die italienische Gesellschaft, dass das katholische Bekenntnis hier ebenfalls als politischer, gegen den Nationalstaat gerichteter Faktor betrachtet wurde.15 Neben einer auf Säkularisierung ausgerichteten Politik, die das religiöse Bekenntnis als politische Positionierung gegen den Fortschritt und den Nationalstaat interpretierte, folgte auch die Außenpolitik in der Folge neuen Maximen. Anstelle einer von den europäischen Mächten getragenen, auf Stabilität und Legitimität beruhenden Ordnung trat eine nationalistische Territorialpolitik. Das Augenmerk der Außenpolitik lag nicht mehr auf multilateral definierten, gemeinsamen Interessen wie der Revolutionsprävention und politischer Stabilität, sondern hauptsächlich auf mithilfe bilateraler Vereinbarungen verfolgter Territorialpolitik. Um diese gesellschaftlichen Entwicklungen hin zum deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung und zum italienischen Nationalstaat unter piemontesischer Führung rechtfertigen zu können, wurde auf beiden Seiten der Alpen eine intensive Kulturpolitik betrieben, die über nationale Denkmäler und Legenden die Gestalt des verwirklichten Nationalstaates als Ziel einer historisch notwendigen Entwicklung darstellen sollte.16 Damit einher ging ein Ringen um die Deutungsho 14

Zur gescheiterten Mission Rosminis, Pius IX. zu einem Festhalten an der Verfassung und einer nationalen Politik zu bewegen vgl. Luciano Malusa: Antonio Rosmini per l’unità d’Italia: tra aspirazione nazionale e fede cristiana (Collana di filosofia italiana 3), Mailand 2011, S. 47–120. 15 Vgl. Simon Sarlin: Le légitimisme en armes. Histoire d’une mobilisation internationale contre l’unité italienne, Rom 2013, S. 206–210; Ornella Confessore / Anna Lucia Denitto (Hrsg.): Cultura, religione e società. Cattolici e liberali tra Otto e Novecento, Galatina 2001, S. 40–41. 16 Astrid Swenson: The Rise of heritage. Preserving the Past in France, Germany and England, 1789–1914 (New Studies in European History), Cambridge 2013; Kathrin Mayer: Mythos und

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heit der Geschichte. In Italien wurden Deputazioni di Storia Patria eingerichtet, die in den einzelnen Regionen die Meistererzählung von der historischen Führungsrolle des Savoyer Königshauses für die italienische Geschichte pflegen sollten,17 während die regionalen, außeruniversitären Geschichtsvereine weiterhin ihre regional ausgerichtete Geschichtsschreibung beizubehalten suchten, um die besondere Bedeutung der eigenen Region für die Nationalgeschichte hervorzuheben.18 Auch in Deutschland etablierte sich die borussische Geschichtsschreibung im Dienste des preußischen Führungsanspruchs. Diese beinhaltete neben der Rechtfertigung der preußischen Führungsrolle auch den Primat des Staates und der Wissenschaft gegenüber der Kirche und der Religion. An die Stelle einer höheren (göttlichen) Ordnung trat das Individuum, dessen Interessenvertretung der Staat für sich alleine in Anspruch nahm und auf der Grundlage menschlicher (d. h. wissenschaftlicher) Erkenntnis zu bewerkstelligen glaubte. Während dieser politisch-gesellschaftlichen Veränderungen fand eine intensive wechselseitige Rezeption zwischen Deutschland und Italien statt, um aus dem Vorgehen und dessen Konsequenzen auf der anderen Alpenseite Lehren für die eigene Situation ziehen zu können.19 Die erwähnte teleologische Geschichtsdeutung als ein auf den „Fortschritt“ und den Nationalstaat hin ausgerichteten notwendigen Prozess prägte nicht nur die Deutung der zeitlich entfernten Epochen, sondern insbesondere auch die jüngere, zeitgenössische Geschichte. Dies hatte unmittelbare und gravierende Folgen für die sich neu definierenden Geisteswissenschaften, allen voran die Geschichts- und Kunstgeschichtswissenschaft, aber auch die Altertumswissenschaft. Kleindeutsch-liberale Historiker wie Sybel, Treitschke, Droysen oder Baumgarten sahen genauso wie Bismarck in Italien den idealen Verbündeten im Kampf gegen den Ultramontanismus und betrachteten den Weg zum säkularisierten Großstaat als historisch unausweichlich.20 Allerdings Monument: die Sprache der Denkmäler im Gründungsmythos des italienischen Nationalstaats 1870–1915 (Italien in der Moderne 11), Köln 2004; Thomas Nipperdey: Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, HZ 206 (1968), S. 529–585; Stephan Spohr: Das deutsche Denkmal und der Nationalgedanke im 19. Jahrhundert, Weimar 2011; Herfried Münkler / Hans Grünberger / Kathrin Mayer (Hrsg.): Nationenbildung: Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland (Politische Ideen 8), Berlin 1998. 17 Vgl. Ilaria Porciani: Stato e ricerca storica al momento dell’unificazione; la vicenda della Deputazione Toscana di storia patria, Archivio Storico Italiano 136 (1978), S. 351–403; Umberto Levra: Fare gli italiani. Memoria e celebrazione del risorgimento, Turin 1992. 18 Vgl. Gabriele B. Clemens: Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 106), Tübingen 2004 [zugl. Habil. Trier 2001], S. 328–335. 19 Otto Weiß: La „scienza tedesca“ e l’Italia nell’Ottocento, Annali dell’Istituto storico italo-germanico di Trento 9 (1983), S. 9–85; Francesco Marin: Die „Deutsche Minerva“ in Italien. Die Rezeption eines Universitäts- und Wissenschaftsmodells 1861–1923 (Italien in der Moderne 17), Köln 2010; Altgeld (1984). 20 Vgl. Roll (2015), S. 95; Jens Petersen: Politik und Kultur Italiens im Spiegel der deutschen Presse, in: Arnold Esch / Jens Petersen (Hrsg.): Deutsches Ottocento. Die deutsche Wahrnehmung Italiens im Risorgimento (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 94), Tübingen 2000, S. 1–17, hier S. 12–13.

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ging es nun darum, diese Ansicht auch in einer Gesellschaft zu verankern, die sich zu jener Zeit erst noch mit den jungen Nationalstaaten arrangieren musste. Auch unter den Gelehrten kursierten vielfältige Ansichten und Geschichtsdeutungen, innerhalb derer die Grenzen oftmals fließend waren, wie etwa das Beispiel der von Brechenmacher untersuchten „großdeutschen Geschichtsschreibung“ zeigt.21 Erst im Laufe der Jahre sollte sich die nationale Meistererzählung zunehmend durchsetzen, indem selbst wissenschaftlich innovative Arbeiten als „nicht zeitgemäß“ dem Vergessen anheimgestellt wurden, wenn sie sich nicht mit der modernen Nationalstaatsideologie in Einklang bringen ließen.22 Dementsprechend neigte die Historiographiegeschichte lange Zeit dazu, in ihrer Fokussierung auf die universitäre Forschung die Geschichtsschreibung spätestens seit den Nationalstaatsgründungen als teleologisch auf die Nationalstaaten angelegt zu betrachten.23 Einige jüngere Studien haben jedoch die überkommenen teleologischen Deutungen überzeugend in Frage stellen können: Entgegen der vorherigen Annahme handelte es sich etwa bei den deutschen und italienischen Geschichtsvereinen keineswegs um bürgerlich-nationale Traditionsproduzenten, sondern um vielfach vom Adel dominierte Sozietäten, die dessen Stellung in der sich wandelnden Gesellschaft rechtfertigen sollten und dabei in erster Linie regionale Traditionen pflegten, anstatt den politischen und universitären Impulsen einer nationalen Umdeutung der Traditionen zu folgen.24 Insofern gestaltete sich auch der von Elio Lodolini attestierte Wandel der Archivaufgaben von der Bestätigung herrschaftlicher und adliger Rechte hin zur „Beurkundung einer Nationalidentität“ nach Maßgabe der Nationalstaatspolitik durchaus schwierig.25 Denn die traditionellen Eliten räumten im Zuge der Nationalstaatsgründungen nicht etwa das Feld, sondern versuchten ihre Position in einer im Wandel begriffenen Gesellschaft beizubehalten. Genauso ist mittlerweile auch das Bild des liberalen Nationalstaates als herausragender Verfechter der Pressefreiheit in Frage gestellt worden. So haben Lutz Klinkhammer und Simon ­Sarlin etwa gezeigt, wie der junge Nationalstaat durch eine repressive Politik versuchte, die öffentliche Meinung unter Kontrolle zu bekommen, während ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ungehört anderen Idealen anhing als dem liberalen Nationalstaat.26

21 Thomas Brechenmacher: Großdeutsche Geschichtsschreibung im neunzehnten Jahrhundert. Die erste Generation (1830–48) (Berliner Historische Studien 22), Berlin 1996. 22 Vgl. Roll (2015). 23 Vgl. Clemens (2004), S. 15–16. 24 Vgl. ebenda, S. 393–402. 25 Elio Lodolini: Storia dell’archivistica italiana. Dal mondo antico alla metà del secolo XX, Mailand 22006, S. 208 stellt fest, dass es Aufgabe der Archive gewesen sei, die überkommenen Rechte der Herrscher und des Adels zu bestätigen. Mit der Nationalstaatsgründung sei die Beurkundung der Nationalidentität in den Fokus gerückt. 26 Lutz Klinkhammer: Staatliche Repression als politisches Instrument. Deutschland und Italien zwischen Monarchie, Diktatur und Republik, in: Christoph Dipper (Hrsg.): Deutschland und Italien 1860–1960 (Schriften des Historischen Kollegs 52), München 2005, S. 133–157, hier S. 135–139; Sarlin (2013), S. 93–105.

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Vor diesem Hintergrund erscheint es vielversprechend, sich, ähnlich wie bereits Sarlin, denjenigen Akteuren zuzuwenden, die den Nationalstaat entweder ablehnten oder eine andere Gestaltung forderten. Eine Auseinandersetzung mit den gegen die Gestaltung des Nationalstaates vorgebrachten Kritikpunkten und Alternativmodellen verspricht ein besseres Verständnis der damaligen Debatte um die einschneidenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Um aber der Vielfalt der kursierenden politischen Gedanken gerecht zu werden, ist es notwendig, sich von den in der damaligen Polemik um die Nationalstaatsgründungen entstandenen pauschalen Kategorien von „fortschrittlichen Anhängern des Nationalstaats“ und „gestrigen Nationalstaatsgegnern“ zu lösen. Angesichts einer zeitgenössischen Gegenwart, die am Vorabend der Nationalstaatsgründungen noch den Keim vieler „Zukünfte“ in sich trug, müssen auch die unterschiedlichen Ansätze zur Gestaltung von Staat und Gesellschaft aus der damaligen Zeit heraus beurteilt werden. Denn wie Brendan Simms in seiner Geschichte Europas treffend bemerkt, war die Zukunft nicht vorherbestimmt, der tatsächliche Gang der Ereignisse jedoch kein Zufall.27 Nicht nur, um über die Akzeptanz der Nationalstaaten unter den Zeitgenossen ein genaueres Bild zu erhalten, sondern auch, um ihre Probleme und Versäumnisse besser einordnen zu können, erscheint es lohnend, sich neben den von der nationalen Erinnerungskultur vereinnahmten Helden des unvermeidlichen Nationalstaats auch denjenigen Akteuren zuzuwenden, die mit dem Gang der Ereignisse haderten, oder deren in die Nationalbewegungen gesetzten Hoffnungen enttäuscht wurden. Wie bereits eine genauere Untersuchung der Gedankenwelt des liberalen Katholizismus gezeigt hat, wurden im Zuge des Ringens um die Deutungshoheit der Geschichte auch Vertreter einer religiös motivierten Erneuerung der Gesellschaft wie etwa Cesare Cantù, Niccolò Tommaséo oder Eugenio Albèri trotz ihrer keineswegs reaktionären oder konservativen gesellschafts- und nationalpolitischen Ansichten zu rückwärtsgewandten Klerikalen gemacht.28 Ihr Anspruch, den Nationalstaat mit der Religion und der Geschichte in Einklang zu bringen und demensprechend eine föderale Einigung anzustreben, erschien den Verfechtern des Nationalstaats wegen der damit verbundenen Kritik an der Führungsrolle Sardinien-Piemonts sogar als antiitalienisch.29 Dabei lehnten selbst Giuseppe Montanelli, der im Jahre 1849 zu 27

Brendan Simms: Europe: The Struggle for Supremacy, 1453 to the Present, London 2014 (Penguin-Ausgabe), S. XXVIII. 28 Rocco Pezzimenti: Persona, società, Stato: Rosmini e i cattolici liberali (Società e socialità 28), Rom 2012, S. 18–19; zu Cesare Cantù schreibt ­Reumont etwa in: Charakterbilder aus der neueren Geschichte Italiens, Leipzig 1886, S. 98: „Ein italienischer Historiker, ein Liberaler von der alten Garde, welche den großen Wechsel der Dinge mit durchgemacht hat, um gelegent­lich den Zopfträgern [d. h. den beharrenden Konservativen] zugezählt zu werden, der Lombarde ­Cesare Cantù …“; vgl. zu diesem Urteil auch Franco Della Peruta: Conservatori, liberali e democratici nel Risorgimento, Mailand 1989, S. 109–144, hier S. 130. 29 Vgl. etwa die Ergebnisse von Ettore A. Albertoni: Federalismo tra società e potere. Per una lettura delle idee federalisti-sociali di Cesare Cantù, in: Luigi Gambino (Hrsg.): Stato. Autorità. Libertà. Studi in onore di Mario d’Addio, Rom 1999, S. 9–39; Umberto Levra (1992), S. 255 spricht sogar von einem Ostrakismos über Cesare Cantù, weil dieser die Berechtigung der piemontesischen Führungsrolle in Zweifel zog.

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sammen mit Domenico Guerrazzi an der Spitze der revolutionären demokratischen Regierung der Toskana gestanden hatte, und der Mailänder Demokrat Carlo Cattaneo den Nationalstaat unter piemontesischer Führung ab, wenn er die Aufgabe der regionalen Autonomien bedeutete.30 Bereits diese Beispiele zeigen, dass eine differenziertere Auseinandersetzung mit der Gedankenwelt derjenigen Akteure, die von der nachfolgenden Geschichtsschreibung zu Gestrigen oder Utopisten gemacht wurden, im Hinblick auf den Kontrast zwischen der Italia legale der führenden Eliten und der Italia reale der einfachen Bevölkerung interessante Aufschlüsse liefern kann. Da die traditionelle Geschichtsschreibung des Risorgimento sich auf die Verherrlichung der Italia legale konzentrierte, blieb die Realität weiter Teile der Bevölkerung außer Acht.31 Diese Realität diente nur den Kritikern der zeitgenössischen Politik als Argumentationsgrundlage. Allein der Verweis auf die Mängel der Nationalstaatsgründung führte dazu, dass die entsprechenden Politiker oder Publizisten als Feinde des Nationalstaats diffamiert wurden. Indes zeigt die intensivere Auseinandersetzung mit diesen „Gestrigen“, dass unter ihnen durchaus für die damalige Zeit konstruktive sozial-, national- und religionspolitische Gedanken kursierten, die mitunter bis heute ihre Aktualität behalten haben, indem sie strukturelle Pro­ bleme des Nationalstaats benannten. Da diese vielfältigen Ansichten über die sich bildenden Nationalstaaten die Zeitgenossen beschäftigten und die Aushandlungsprozesse um die Gestaltung der Staaten und Gesellschaften prägten, mussten diese auch den damaligen deutsch-italienischen Kulturtransfer beeinflussen. Denn die führenden Kulturvermittler, die als Experten die Publizistik bestimmten, wirkten auch nach den Nationalstaatsgründungen weiter und brachten ihre Ansichten und Deutungen in das vermittelte Deutschland- bzw. Italienbild ein. Erst im Laufe der Jahre konnten „Gestrige“ aus der Geschichte geschrieben werden. Deswegen sollte der heutige Betrachter sich auch mit diesen Vergessenen auseinandersetzen, um einen Eindruck von den damaligen Kulturtransferprozessen zu erhalten, an denen sowohl Befürworter, wie auch Kritiker und Gegner der Nationalstaaten mitwirkten. Diese Beobachtung ist umso mehr zu beherzigen, als sich die italienische und deutsche Nationalstaatsgründung just in jener Zeit vollzogen, als sich die modernen Wissenschaften erfanden. Die Anwendung der historisch-kritischen Methode hing dabei von möglichst effizienten sozialen Netzwerken ab, um an die erforderlichen Materialien zu gelangen. Archivzugänge und der Erwerb von Abschriften oder wichtiger Sekundärliteratur erforderten ein Netzwerk mit entsprechend prestigeträchtigen Akteuren.32 Insbesondere die enge Verbindung von Reichs-, Papst-, und 30

Vgl. Paolo Bagnoli: Montanelli, Giuseppe, DBI 75 (2011) [URL: http://www.treccani.it/ enciclopedia/giuseppe-montanelli_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; Ernesto Sestan: Cattaneo, Carlo, DBI 22 (1979) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/carlocattaneo_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 31 Vgl. Sarlin (2013), S. 22–23; Arnaldo Salvestrini: Il movimento antiunitario in Toscana (1859–1866) (Biblioteca di Storia Toscana moderna e contemporanea, Studi e Documenti 3), Florenz 1967, S. 213. 32 Vgl. Daniela Saxer: Die Schärfung des Quellenblicks. Forschungspraktiken in der Geschichtswissenschaft 1840–1914, [Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 37], München 2014.

I. Forschungsstand 

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Rechtsgeschichte führte deutsche und italienische Gelehrte bei ihren Forschungen zusammen. Oftmals waren es deutsche Gelehrte, die ausgedehnte Archivreisen nach Italien unternahmen, wie etwa Carl Friedrich von Rumohr, Friedrich Carl von ­Savigny, Johann Friedrich Böhmer und Karl Mittermaier, während die italienischen Gelehrten Material lieferten und die deutsche Methodik rezipierten.33 Allerdings unternahmen zugleich auch italienische Gelehrte Archivreisen nach Deutschland, wie etwa Tommaso Gar im Auftrag des florentinischen Archivio Storico Italiano.34 Diese Gelehrtennetzwerke operierten über die politisch brisanten Jahre der Nationalstaatsgründungen hinweg, überbrückten regionale, nationale und zum Teil auch politische Grenzen und blieben auch in der Folge aktiv. Deswegen genügt es zur Ergründung der gegenseitigen Wahrnehmung nicht, sich auf die bis heute überlieferte Erinnerungskultur mit den darin enthaltenen Deutschland- und Italienbildern zu beschränken. Vielmehr bedarf es einer genaueren Analyse der einschlägigen zeitgenössischen Netzwerke, über die der damalige deutsch-italienische Kulturtransfer verlief. Dies gilt insbesondere für die Diplomaten- und Gelehrtennetzwerke, die sich meist eng überschnitten, da zahlreiche der damaligen Diplomaten zugleich gelehrte Studien betrieben. Über diese Verbindungen wurden nämlich die politischen und kulturellen Entwicklungen der anderen Alpenseite vermittelt. Schon wegen der Position der Träger des Kulturtransfers war die kulturelle meist eng mit der politischen Wahrnehmung verbunden. Umso wichtiger ist es für die Analyse von deutsch-italienischen Kulturtransferprozessen, die herausragenden Mittlerpersönlichkeiten und ihre Netzwerke kennenzulernen.35

I. Forschungsstand Zur gegenseitigen Wahrnehmung Deutschlands und Italiens im langen 19. Jahrhundert sind in den letzten drei Jahrzehnten zahlreiche Publikationen erschienen. Wolfgang Altgeld hat bereits 1984 das politische deutsche Italienbild von der Aufklärung bis 1848 anhand der Publizistik jener Zeit analysiert.36 Außerdem haben 33

Vgl. Marin (2010). Vgl. Arnaldo Ganda: Un bibliotecario e archivista moderno. Profilo biobibliografico di Tommaso Gar (1807–1871) con carteggi inediti, Parma 2001, S. 43–44; Porciani (1979). 35 Vgl. dazu auch die Überlegungen von Hannes Schweiger / Deborah Holmes: Nationale Grenzen und ihre biographischen Überschreitungen, in: Bernhard Fetz (Hrsg.): Die Biographie – Zur Grundlegung ihrer Theorie, Berlin 2009, S. 385–418, hier S. 407; Hans-Jürgen Lüse­ brink: Kulturtransfer – neuere Forschungsansätze zu einem interdisziplinären Problemfeld der Kulturwissenschaften, in: Helga Mitterbauer / Katharina Scherke (Hrsg.): Ent-grenzte Räume. Kulturelle Transfers um 1900 und in der Gegenwart, Wien 2005, S. 23–41, hier S. 31–33; Michel Espagne: Der theoretische Stand der Kulturtransferforschung, in: Wolfgang Schmale (Hrsg.): Kulturtransfer. Kulturelle Praxis im 16. Jahrhundert (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 2), Wien (u. a.) 2003, S. 63–75, hier S. 64; Ders.: Die Rolle der Mittler im Kulturtransfer, in: Kulturtransfer im Epochenumbruch Frankreich – Deutschland 1770 bis 1815, Leipzig 1997, S. 309–329, hier besonders S. 329. 36 Altgeld (1984). 34

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A. Einleitung

Reinhard Elze und Pierangelo Schiera das deutsch-italienische Mittelalterbild und dessen Auswirkungen auf die Gegenwart des 19. Jahrhunderts untersucht.37 Ebenfalls in den 80er Jahren sind die Arbeiten von Otto Weiß38 und Laura Moscati39 zur Rezeption der deutschen Wissenschaft in Italien erschienen. Während Weiß den Stellenwert der deutschen Wissenschaft in den unterschiedlichen Disziplinen auf der italienischen Halbinsel während des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet hat, wobei er insbesondere Neapel als Zentrum der Hegel-Rezeption ausgemacht hat, konzentrierte sich Moscati auf die Aufnahme der von Friedrich Carl von Savigny begründeten historischen Schule der Rechtswissenschaft in Piemont. Dabei führte sie die umfassende Beschäftigung mit dem deutschen Rechtsgelehrten vor Augen, dessen Werke von piemontesischen Gelehrten übersetzt und kritisch rezipiert wurden. Zwar wurde Savignys Schule nicht eins zu eins übernommen, jedoch legte man großen Wert auf die Kenntnis seiner Schriften und sandte Studenten nach Berlin, um eine Auseinandersetzung mit der deutschen Wissenschaft vor Ort zu ermöglichen. Eben anhand der italienischen Stipendiaten in Deutschland als Träger des Wissenstransfers analysierte jüngst Francesco Marin die Rezeption des deutschen Universitäts- und Wissenschaftsmodells in Italien.40 Dabei konnte er den bedeutenden Einfluss der deutschen Wissenschaft auf die italienische Debatte zur Hochschulreform nachweisen. Trotz der Bedeutung, die ihr zugemessen wurde, hing ihre Wahrnehmung stark von den Trägern des Transfers ab, deren Fehleinschätzungen ebenfalls rezipiert wurden. Auch wenn das deutsche Modell letztlich nicht etabliert wurde, so prägte es doch die hochschulpolitischen Debatten. Im Hinblick auf die außeruniversitäre Wissenschaft und ihre politische Bedeutung für die nationale Identität ist in Bezug auf Deutschland und Italien insbesondere die Studie von Gabriele B. Clemens über die deutschen und italienischen Geschichtsvereine zu nennen, die die bis dahin vorherrschende Forschungsmeinung widerlegen konnte, indem sie zeigte, dass es sich bei diesen Sozietäten keineswegs um bürgerlich dominierte Vereinigungen im Dienste einer nationalen Traditionsbildung handelte, sondern um einen zu einem großen Teil vom Adel dominierten Bereich, der vorwiegend die jeweilige Regionaltradition pflegte.41 Astrid Swenson dagegen untersuchte die Verflechtungen der Denkmalpflege zwischen Großbritannien, Frankreich und Deutschland und konnte zeigen, wie stark die jeweilige nationale Denkmalpolitik von Mittlernetzwerken abhängig war.42 Der Umgang mit dem kulturellen Erbe reichte von der Nachahmung ausländischer Vorgehensweisen, 37

Reinhard Elze / Pierangelo Schiera (Hrsg.): Das Mittelalter: Ansichten, Stereotypen und Mythen zweier Völker im 19. Jahrhundert: Deutschland und Italien (Jahrbuch des italienischdeutschen historischen Instituts in Trient, Beiträge 1), Berlin / Bologna 1988. 38 Weiß (1983). 39 Laura Moscati: Da Savigny al Piemonte. Cultura storico-giurista subalpina tra la Restaurazione e l’Unità (Quaderni di Clio 3), Rom 1984. 40 Marin (2010). 41 Clemens (2004). 42 Swenson (2013).

I. Forschungsstand 

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über einen Wettbewerb mit den anderen Nationen, bis hin zu internationaler Kooperation. Kulturtransferprozesse bewirkten dabei ein ständiges Vergleichen, Konkurrieren und Kooperieren mithilfe multilateraler Rezeptionsprozesse. Insofern waren internationale eng mit nationalen Ansätzen der Denkmalpflege verbunden, sodass jede nationale Denkmaltradition letztlich nicht ohne die internationalen Einflüsse verstanden werden kann. Swenson konnte belegen, dass nahezu sämtliche Gebiete der Denkmalpflege in ihrer Entstehung und Ausformung das Resultat ständiger Kulturtransferprozesse sind. Dies betrifft etwa die Schaffung und Definition von kulturellem Erbe, die Einführung zuständiger Institutionen und eines legislativen Rahmens, die Begünstigung privaten Engagements in der Denkmalpflege sowie Restaurations- und Ausstellungspraktiken. Dabei unterstreicht sie insbesondere auch die herausragende Rolle der kulturellen Mittler, deren Kenntnis der Schlüssel zu den damaligen Kulturtransferprozessen ist. Tatsächlich hat sich die Forschung neben dem Einfluss des deutschen Wissenschaftsmodells insbesondere im letzten Jahrzehnt verstärkt Aspekten des Kulturtransfers zugewandt und dabei die Erfahrungen und Handlungen der Mittler in den Fokus genommen. Als Basis dienten dabei etwa Korrespondenzen und Tagebuchaufzeichnungen deutscher Italienreisender aus dem Umfeld der Monumenta Germaniae Historica, des Instituto di corrispondenza Archeologica in Rom (dem Vorläufer des Deutschen Archäologischen Instituts) sowie einzelner Italiendeutscher. Dabei ging es um deren Wahrnehmung Italiens unter politischen und kulturellen Aspekten sowie den Umgang mit den Einheimischen.43 Die Berichte deutschsprachiger Archivreisender boten dabei Einblicke in die alltäglichen Probleme beim Besuch von Archiven und Bibliotheken sowie deren in die Heimat vermittelte Eindrücke von den italienischen Zuständen. Hierbei standen die vermittelten Italienbilder im Vordergrund, während die italienischen Reaktionen auf die deutschsprachigen Gäste insgesamt eine untergeordnete Rolle spielten. Vielmehr standen die einzelnen deutschen Archivreisenden selbst im Zentrum des Interesses. Ähnliches gilt auch für die Studien Enrica Yvonne Dilks zu den von Carl Friedrich von Rumohr in preußischen Diensten durchgeführten kunsthistorischen Forschungsreisen nach Italien.44 Den deutschen Italienreisenden und ihrer Aufnahme seitens der Einheimischen wandten sich in den letzten Jahren aber auch vermehrt italienische Studien zu. Neben dem literarisch-künstlerischen Austausch, insbesondere seitens des bekann 43

Esch / Petersen (2000). Enrica Yvonne Dilk: Für Raffael und Preußen. Carl Friedrich von Rumohrs winterliche Mission in Mailand (1829) in: Italien in Preußen  – Preußen in Italien. Ein Kolloquium der Winckelmann-Gesellschaft, des Forschungszentrums Europäische Aufklärung und der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam, vom 25. bis 27. Oktober 2002 [= Schriften der Winckelmann-Gesellschaft 25] Stendal 2006, S. 153–164; Dies.: Ein „practischer Aethetiker“. Studien zum Leben und Werk Carl Friedrich von Rumohrs, Hildesheim 2000; Dies.: Das „verzweifelte allerhand Talent“. Neue Studien zu Carl Friedrich von Rumohr (= Dies. (Hrsg.): Carl Friedrich von Rumohr. Sämtliche Werke, Reihe 2: Quellen und Forschungen, Bd. 1), Hildesheim / Zürich / New York 2010. 44

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A. Einleitung

ten Gabinetto Vieusseux in Florenz,45 ging es dabei auch um deutsch-italienische Gelehrtennetzwerke. So hat Anna Maria Voci nicht nur den Umgang der zeit­ genössischen deutschen Historiographie mit Cavour und der italienischen Nationalstaatsgründung beleuchtet,46 sondern zudem anhand der Beispiele des Historikers Pasquale Villari47 und des Archäologen Wolfgang Helbig48 wichtige Beispiele für die deutsch-italienischen Wissenschaftlerkontakte geliefert. Außerdem hat Arnaldo Ganda in seiner biographischen Darstellung des Deutsch-Italieners Tommaso Gar auch dessen deutsche Archivreisen sowie seine Mittlerdienste während jener Zeit und seiner späteren Tätigkeit als Archivar und Bibliothekar in die deutsche Gelehrtenwelt beleuchtet.49 Da die zentralen Mittler im Kulturtransfer an der Schnittstelle der wechselseitigen Rezeption stehen, prägen sie den Prozess nicht nur durch ihr Handeln, sondern sind durch ihre eigene Position zugleich auch Produkt des Transfers.50 Als Überbringer und Empfänger in einer Person verfügen diese Akteure gewöhnlich über eine herausragende interkulturelle Kompetenz, die für ihre Rolle unerlässlich ist. Deswegen stehen in der Kulturtransferforschung insbesondere gelehrte Diplomaten und Historiker im Blickpunkt.51 Jüngst hat etwa Thomas Kroll noch einmal die herausragende Bedeutung von Historikern als kulturelle Mittler am Beispiel des württembergischen Gelehrten Johann Friedrich Le Bret hervorgehoben, der die Italiengeschichtsschreibung gezielt einsetzte, um einen Beitrag zu einer räsonierenden Öffentlichkeit zu leisten.52 Eine weitere Aufgabe der Mittler war es, die Beschaffung von forschungsrelevanten Materialien und Archivzugängen zu erleichtern. Folglich mussten sie über gute Kontakte zu den gesellschaftlichen Eliten, insbesondere zum Adel verfügen, der im Zuge der Nationalstaatsgründungen ein Interesse daran hatte, den Zugang zu Quellen wie ihrer Deutung zu kontrollieren, um seine gesellschaftliche Stellung mithilfe der Geschichte zu legitimieren.53 Wie Daniela Saxer jüngst hervorgeho 45 Maurizio Bossi: Viaggiatori e libri tedeschi al Gabinetto Vieusseux, in: Petra Brunnhuber (Hrsg.): Italia immaginaria. Letteratura, arte e musica tedesca fra Otto e Novecento, Atti del convegno internazionale di studi, Firenze 21–22 settembre 2006, Florenz 2010, S. 175–184. 46 Anna Maria Voci: La Germania e Cavour. Diplomazia e Storiografia, Rom 2011. 47 Dies.: „Un anello ideale fra Germania e Italia“. Corrispondenze di Pasquale Villari con storici tedeschi (Istituto per la Storia del Risorgimento italiano: Biblioteca scientifica, Ser. II, Fonti, Bd. 94), Rom 2006. 48 Dies.: Wofgang Helbig  a Napoli 1863–1865. Archeologia  e politica dopo l’annessione, Neapel 2007. 49 Ganda (2001). 50 Kroll (2014), S. 281–312, hier S. 292. 51 Vgl. auch Espagne (1997). 52 Kroll (2014), S. 293. 53 Vgl. Kroll (1999), Clemens (2004), Levra (1992), Silvia Cavicchioli: Erinnerung als Mythos: Familientraditionen und Selbstdarstellungen des piemontesischen Adels, in: Gabiele B. Clemens / Malte König / Marco Meriggi (Hrsg.): Hochkultur als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im langen 19. Jahrhundert [= Reihe der Villa Vigoni 25], Berlin / Boston 2011, S. 167–187.

I. Forschungsstand 

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ben hat, war der Quellenzugang der Historiker nicht nur von zentraler Bedeutung für die Forschung selbst, sondern stellte zudem eine politische und soziale Hürde dar, die es durch Inanspruchnahme von sozialem Prestige und social networking zu überwinden galt.54 Oftmals verfolgten die Hochschulhistoriker staatsnahe Forschungsziele. Folglich mussten die Nationalstaatsgründungen sich auch auf die Forschungs- und Editionsprojekte der Historiker auswirken. Als Beispiel sei nur an Theodor Sickels Projekt der Monumenta graphica erinnert, in dessen Rahmen seit Mitte der 1850er Jahre Quellenfotografien aus den italienischen Kronländern der Habsburgermonarchie zusammengetragen werden sollten.55 Dieses Projekt sollte das Geschichtsverständnis des Vielvölkerstaates propagieren, der vielfältige regionale Identitäten miteinander vereinte, wurde jedoch durch die Nationalbewegungen torpediert. Nach dem Verlust der Lombardei im Zuge des piemontesisch-französischen Krieges des Jahres 1859 konnten die aus Mailand fehlenden Fotografien nicht mehr beschafft werden. Deswegen hatte das Habsburgerreich den Italienfeldzug des Jahres 1866 genutzt, um parallel lombardisch-venezianische Archivbestände zu beschlagnahmen. Dies zeigt, wie eng einzelne Forschungsprojekte nicht nur mit den Staatsinteressen verbunden waren, sondern auch in welch empfindlichem Maße sie von den politischen Entwicklungen beeinflusst wurden. Deshalb war von Seiten der Archivreisenden besonders in Zeiten politischer Umwälzungen Fingerspitzengefühl im Umgang mit denjenigen Akteuren gefordert, die das kulturelle Gedächtnis bewahrten. Hatten die lokalen Archivare etwa andere Vorstellungen über die Verwendung der von ihnen verwalteten Quellenbestände als der anfragende Forscher, konnte ein Projekt schnell zum Scheitern verurteilt sein.56 Aus diesem Grund war an dieser Stelle die Mobilisierung von sozialem Kapital unerlässlich, um über geeignete Empfehlungsschreiben von am jeweiligen Ort anerkannten Personen den gewünschten Archivzugang zu erhalten.57 Im Hinblick auf den bereits angesprochenen Gegensatz zwischen lokaler und nationaler Traditionsbildung sowie der Instrumentalisierung des historischen Erbes durch die Hochschulhistoriker in Diensten der Nationalstaaten beeinflussten die Gelehrtennetzwerke und Mittler in entscheidender Weise den Erfolg und Misserfolg einzelner Forschungsprojekte, da sie in den Verhandlungen um Archivzugänge und Informationsaustausch an zentraler Stelle involviert waren. Deswegen werden in den Kulturvermittlern exemplarisch die Funktionsweisen ihrer Netzwerke innerhalb des Kulturtransfers in politischer, kultureller und materieller Hinsicht greifbar. Sie bieten die beste Möglichkeit, die Prozesse wechselseitiger Rezeption und die Verflechtung von politischen und kulturellen Bildern zu untersuchen und sind genau aus diesem Grund verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt.

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Saxer (2014), S. 390–391 u. 402. Ebenda, S. 279–285. 56 Vgl. auch ebenda, S. 390–391. 57 Vgl. ebenda, S. 402. 55

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A. Einleitung

II. Fragestellung und Quellenlage Die bisherigen Kulturtransferstudien haben stets die herausragende Bedeutung der Gelehrten und Diplomaten für den Kulturtransfer betont. Nachdem dieser Ansatz zunächst auf die deutsch-französischen Beziehungen angewandt wurde, rückte in den letzten Jahren auch verstärkt der deutsch-italienische Kulturtransfer in den Blickpunkt der Forschung.58 Obwohl auf diesem Gebiet für das 18. und 19. Jahrhundert bereits einige prominente Mittler und Netzwerke untersucht wurden,59 ist bislang der Hof König Friedrich Wilhelms IV. kaum hinsichtlich des deutsch-italienischen Kulturtransfers betrachtet worden. Dessen besonderes Italieninteresse ist in zahlreichen Studien herausgestellt worden, sein engster persönlicher Berater für die Kultur und Politik Italiens erfuhr bislang dennoch kaum Aufmerksamkeit: Der Diplomat und Historiker Alfred (von) R ­ eumont. Dieser war im Alter von 21 Jahren in die Toskana gekommen und hatte sich derart zügig in die dortige Umgebung eingelebt, dass seine schon zu einem frühen Zeitpunkt außergewöhnlich guten Sprach-, Orts- und Personenkenntnisse sowohl die Aufmerksamkeit der Gelehrtenwelt als auch des preußischen Auswärtigen Amtes erregten. ­Reumont wusste diese Aufmerksamkeit zu nutzen, wurde Mitglied zahlreicher deutscher und italienischer Akademien, schrieb unzählige Artikel für deutsche und italienische Publikationsorgane, verfasste einige vielgelesene historische Monographien und gelangte in den persönlichen Beraterkreis Friedrich Wilhelms IV. Die Gunst des Königs war dabei die Basis für ­Reumonts diplomatische Karriere mit Stationen in Rom, Neapel und Florenz, nachdem er den Monarchen zuvor vor allem in künstlerischer Hinsicht über Italien auf dem Laufenden gehalten hatte. Angesichts der Beachtung, die Friedrich Wilhelms IV. Italieninteresse erfährt, ist es erstaunlich, dass sein Italienberichterstatter bislang nur sporadisch in den Fokus der Forschung getreten ist. Sein in der Bonner Universitätsbibliothek lagernder Briefnachlass wurde bislang vor allem hinsichtlich seiner Korrespondenz mit seiner Familie sowie mit Einzelpersonen untersucht. Neben älteren Publikationen, die zum Teil einzelne Briefwechsel berücksichtigten,60 sind es vor allen Dingen die Arbeiten Herbert Leppers und Jens Petersens, denen wir unsere biographischen Kenntnisse zu Alfred von ­Reumont verdanken.61 Dabei standen vor allem ­Reumonts Verhältnis zum Danteforscher 58

Vgl. etwa Kroll / Jung (2014), Kofler / Kroll / Seifert (2010). Vgl. etwa Kroll (2014); Anna Maria Voci: „Un anello ideale fra Germania e Italia“. Corrispondenze di Pasquale Villari con storici tedeschi (Istituto per la Storia del Risorgimento italiano: Biblioteca scientifica, Ser. II, Fonti, Bd. 94), Rom 2006; Clemens (2006); Ganda (2001); Moscati (1984). 60 Ferdinand Siebert: Alfred von R ­ eumont und Italien. Ein Beitrag zur Geschichte der geistigen Beziehungen zwischen Deutschland und Italien (= Kaiser Wilhelm-Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft Biblioteca Hertziana in Rom, Veröffentlichungen der Abteilung für Kulturwissenschaft, Erste Reihe: Vorträge. Heft 7), Leipzig 1937; Jedin (1973); Ders.: Briefe Alfreds von ­Reumont an Augustin Theiner 1851–1869, ZAGV 81, 1971, S. 161–171. 61 Herbert Lepper: Alfred von ­Reumont und Franz Xaver Kraus, QFIAB 69 (1989), S. 181– 254; Ders.: Herbert Lepper: Staat und Kirche im Denken Alfred von ­Reumonts, in: Herbert Hammans / Hermann-Josef Reudenbach / Heino Sonnemans (Hrsg.): Geist und Kirche. Studien 59

II. Fragestellung und Quellenlage 

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Karl Witte und zum liberalen katholischen Theologen Franz Xaver Kraus sowie ­Reumonts umfangreiche Publizistik im Zentrum des Interesses.62 Der Gegensatz zwischen ­Reumont und Ferdinand Gregorovius bezüglich ihrer Geschichte der Stadt Rom ist bereits von Alberto Forni beleuchtet worden,63 während Mauro Moretti in einem ersten Versuch die Kulturvermittlung ­Reumonts mit derjenigen Karl Hille­ eumonts Bedeutung brands verglichen hat.64 Auch Gabriele B. Clemens hat auf R als Kulturvermittler hingewiesen.65 Francesco Cataluccio hat es dagegen unternommen, ­Reumonts Gesandtschaftsberichte hinsichtlich seiner politischen Einschätzungen der italienischen Verhältnisse zu analysieren.66 Aufgrund der eingeschränkten Quellenauswahl, die ausschließlich aus den offiziellen diplomatischen Depeschen ­Reumonts aus den 1850er Jahren bestand und seine persönliche Korrespondenz, insbesondere bezüglich der Revolutionsjahre 1848–49, nicht berücksichtigte, gelangte er jedoch zu einer verzerrten Darstellung von R ­ eumonts politischer Gedankenwelt. Die bisherigen Arbeiten über R ­ eumont haben erst in den letzten Jahren verstärkt seine Rolle als Kulturvermittler in den Blick genommen und auf das besondere Interesse hingewiesen, das dem Wirken ­Reumonts für ein besseres Verständnis der gegenseitigen Wahrnehmung Deutschlands und Italiens zukam. Als wichtiger Impuls sind dabei die 2015 veröffentlichten Beiträge einer Tagung zu nennen, die 2008 anlässlich des zweihundertsten Geburtstages von Alfred von R ­ eumont stattgefunden hat.67 Insbesondere die Beiträge von Christiane Liermann68 und Christine

zur Theologie im Umfeld der beiden Vatikanischen Konzilien (Gedenkschrift für Heribert Schauf), Paderborn / München / Wien / Zürich 1991, S.  381–438; Petersen (1987/88); Ders.: Alfred von ­Reumont. Eine biographische Skizze, in: Öffentliche Bibliothek der Stadt Aachen. Dantesammlung, Aachen 1987, S. 5–20. 62 Karl Witte: Ein Leben für Dante. Vom Wunderkind zum Rechtgelehrten und größten deutschen Dante-Forscher, verfaßt von Hermann Witte, bearbeitete und herausgegeben von Hans Haupt, Hamburg 1971; Sonja Tophofen: Fanz Xaver Kraus (1840–1901): Ein Leben zwischen Wissenschaft und kirchlichem Lehramt [Saarbrücken, Univ., Diss. 2012], Frankfurt am Main 2012; Michael Graf: Liberaler Katholik – Modernist – Reformkatholik – Modernist? Franz Xaver Kraus (1840–1901) zwischen Kulturkampf und Mondernismuskrise (Vergessene Theologen, Bd. 2), Münster u. a. 2003 [zugl. Eichstätt, Univ., Diss. 2002]. 63 Alberto Forni: La questione di Roma medievale. Una polemica tra Gregorovius e ­Reumont (Istituto Storico Italiano per il Medio Evo: Studi storici 150–151), Rom 1985; Ders.: L’idea del medioevo di Roma in Gregorovius e ­Reumont, in: Elze / Schiera (1988), S. 283–297. 64 Mauro Moretti: Alfred von ­Reumont e Karl Hillebrand. Primi appunti per una indagine su personaggi e temi di una mediazione culturale, in: Esch / Petersen (2000), S. 161–186. 65 Gabriele B. Clemens: „[…] essere a noi come anello di comunicazione con la Germania“ – Alfred von R ­ eumont als Vermittler zwischen deutscher und italienischer Historiographie, in: Italien in Preußen – Preußen in Italien (= Schriften der Winckelmann-Gesellschaft 25), Stendal 2006, S. 213–225. 66 Francesco Cataluccio: Lo storico e diplomatico A. von ­Reumont nel Risorgimento italiano, Archivio Storico Italiano 117 (1959), S. 319–378. 67 Frank Pohle (Hrsg.): Alfred von ­Reumont (1808–1887) – Ein Diplomat als kultureller Mittler (Historische Forschungen 107), Berlin 2015. 68 Christiane Liermann: Katholische Kirche und Nation – Alfred von ­Reumont als Beobachter seiner Zeit, in: Pohle (2015), S. 49–64.

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A. Einleitung

Roll69 werfen zentrale Probleme bei der Auseinandersetzung mit ­Reumonts Rolle als kultureller Mittler auf. Da er seine Hoffnungen hinsichtlich der politischen Ordnung Italiens auf das Programm der Moderati wie führender Vertreter des liberalen Katholizismus um Antonio Rosmini setzte und in Politik, Gesellschaft und Kirche maßvolle Reformen unter Vermeidung revolutionärer Umwälzung for­ eumont im Zuge der faktischen Nationalstaatsgründung unter gederte, wurde R zieltem Rückgriff auf revolutionäre Unruhen als rückwärtsgewandter Utopist beargwöhnt.70 Seine offene Ablehnung eines deterministischen Geschichtsbildes im Dienste der liberal-laizistischen Nationalstaaten und sein Pochen auf die individuelle Verantwortung historischer Persönlichkeiten, die keine Ausflüchte in historische Notwendigkeiten duldete, ließ ihn nach seinem Tod zum Opfer der großen Nationalgeschichtsschreibungen werden, die ihn zum Gestrigen machten, weil er sich zeitlebens weigerte, sich bei seinen historischen Studien von opportunistischen Motiven leiten zu lassen.71 Christine Roll hat deswegen gefragt, ob wir es bei ­Reumont mit einem Gestrigen zu tun haben, weil er einerseits nicht über das notwendige soziale Netzwerk verfügte, um seinen zum Teil durchaus innovativen Werken eine langfristige Geltung zu verschaffen, und andererseits weil er eine Geschichte der kulturellen Vielfalt vertrat, die unter dem Begriff „Nation“ lediglich die „Kulturnation“ verstand und deswegen der politischen Entwicklung hin zu nationalen Machtstaaten entgegenstand.72 Es sei an dieser Stelle bereits vorausge­ eumonts schickt, dass die ebenfalls von Roll geforderte Auseinandersetzung mit R zeitgenössischen politischen Stellungnahmen zeigen wird, dass ­Reumont in seinen Schriften zwar zweifellos eine nationale Einheit Italiens in Vielfalt propagierte, sich in den entscheidenden Momenten der politischen Richtungskämpfe jedoch deutlich intensiver mit dem Nationalstaatsgedanken und der liberalen Forderung einer Verfassung identifizierte, als es die Forschung bislang erkannt hat. Als erfahrener Diplomat mit besten Verbindungen war er keineswegs „merkwürdig unpolitisch“73, sondern stets gut informiert und deswegen ein bei den Zeitgenossen geachteter Experte für italienische Kultur und Politik. Die Forschung hat es allerdings bislang kaum unternommen, dem Widerspruch zwischen dem gefragten Italienexperten der Zeitgenossen und dem Gestrigen der heutigen Geschichtsforschung nachzugehen. Auch sein mit Blick auf die heutigen Forschungstendenzen innovatives kulturgeschichtliches Interesse, das ­Reumont selbst wichtige Mittlerpersönlichkeiten und das alltägliche Leben in den Fokus nehmen lässt, erregte bislang kaum

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Christine Roll: Wie der Historiker zum Gestrigen gemacht wurde – Alfred von R ­ eumonts „Italienische Diplomaten und diplomatischen Verhältnisse“ neu gelesen, in: Pohle (2015), S. 65–104. 70 Liermann (2015), S. 61. 71 Vgl. ebenda, S. 64; Roll (2015). 72 Auch Moretti (2000), S. 164 nimmt an, dass ­Reumonts Italienbegriff lediglich derjenige einer „Kulturnation“ gewesen sei. 73 So das Urteil von Jens Petersen: Risorgimento und italienischer Einheitsstaat im Urteil Deutschlands nach 1860, HZ 234 (1982), S. 63–99, hier S. 74.

II. Fragestellung und Quellenlage 

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Aufmerksamkeit.74 Stattdessen betrachtete ihn die Forschung meist aus der politischen Perspektive der nationalen Machtstaaten und des von ihnen propagierten teleologischen Geschichtsbildes. Dies ist umso erstaunlicher, als sein Verdienst um die wechselseitige kulturelle und politische Rezeption zwischen Deutschland und Italien selbst von seinen Kritikern, seien es Zeitgenossen oder heutige Historiker, anerkannt wurde. Dass ein heutzutage als „Gestriger“ bezeichneter Italienkenner unter seinen Zeitgenossen trotz mancher Kritik an seinen politischen Ansichten ein allgemein anerkannter und gefragter Experte war75 ist allerdings ein Widerspruch, der zeigt, dass es lohnenswert ist, die bisherige Forschungsmeinung kritisch zu hinterfragen und den Versuch zu unternehmen, die gegenseitige Wahrnehmung der gebildeten Schichten angesichts einer damals noch nicht entschiedenen Zukunft zu betrachten und vor dem Hintergrund der damaligen Umstände zu bewerten. Schließlich wurde ­Reumonts publizistisches Wirken auf beiden Seiten der Alpen aufmerksam rezipiert. Insbesondere für die toskanische Elite um Giovan Pietro Vieusseux und Gino Capponi stellte ­Reumont eine wichtige Referenzperson für den Zugang und die Interpretation deutscher Kultur und Politik dar. Gleichzeitig prägte ­Reumont das Italienbild am Hofe Friedrich Wilhelms IV. als dessen bevorzugter Italienkenner. Diese enge Verflechtung von Wissenschaft und Politik, von kultureller und politischer Elite bewirkte eine intensive wechselseitige Beeinflussung. Ein Akteur wie ­Reumont mit seinem weitreichenden Netzwerk bietet also einen hervorragenden Zugang zum deutsch-italienischen Kulturtransfer im Zeichen der Entstehung der modernen wissenschaftlichen Disziplinen und der Nationalstaaten und einen besseren Einblick in das am Hofe des italienbegeisterten Monarchen kursierende Italienbild. Es liefert zudem weitere Aufschlüsse über die Interdependenzen zwischen dem historischen und politischen Italienbild.76 Gerade die Deutung der italienischen Ge 74

So betonte ­Reumont selbst die Notwendigkeit, neben der großen politischen Geschichte der Staaten auch das Leben und Denken der einfachen Bevölkerung in den Blick zu nehmen, das sich häufig deutlich von jenem der großen Politik unterscheide. Deswegen rief R ­ eumont schon damals zu einer kulturgeschichtlichen Herangehensweise auf. – vgl. Alfred von R ­ eumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877, Einleitung, S. V: „Indem der Blick, von den äußeren, überwiegend politischen Erscheinungen sich abwendend, sich in das innere Leben des Volkes, in Familie und Gesellschaft, in Haus und Klosterzelle vertieft, erschließt sich ihm gewissermaßen eine neue Welt, reich an Kräften und Regungen, deren Merkmale theils mit denen der Außenwelt harmonieren und ihnen zur Ergänzung, wie zur Erklärung oder zur Folie dienen, theils als Strömung unter der Oberfläche einer entgegengesetzten Richtung folgen, welche andere Kräfte wie andere Zustände ahnen läßt. Selbst in dunklen Jahrhunderten kann man eine innere Geschichte verfolgen, welche die äußere an Continuität übertrifft, eine Geschichte, deren Zeugnisse nicht selten deutlicher reden und zuverlässiger sind, als die Urkunden, welche uns über die Thatsachen der Welthistorie Aufschluß geben.“; vgl. auch die Beobachtungen von Roll (2015). 75 So bemühte sich selbst der kleindeutsch-liberale Protestant Heinrich von Sybel noch in den 1870er Jahren um ­Reumonts Italienberichterstattung in der Historischen Zeitschrift. Vgl. etwa ULB (Universitäts- und Landesbibliothek Bonn) S 1056 – S 1068 und S 2746 [Im Folgenden abgekürzt mit: NL R ­ eumont], Heinrich von Sybel an R ­ eumont, S 1066, Nr. 135: Bonn, 11. Dezember 1874. 76 Vgl. Altgeld (1984), S. 222–223.

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A. Einleitung

schichte spielte schließlich für den bekannten Gegensatz zwischen groß- und kleindeutscher Geschichtsschreibung eine entscheidende Rolle, wie der Sybel-Ficker Streit um die ideale Ausrichtung des mittelalterlichen Kaisertums zeigen sollte: Das Bekenntnis zu einer engagierten Italienpolitik konnte als indirekte Parteinahme für das Habsburgerreich mit seinen italienischen Besitzungen und eine „großdeutsche Politik“ gedeutet werden, die Forderung nach einer Konzentration auf den deutschen Besitz als eine kleindeutsch-nationale Positionierung. Die Beurteilung der italienischen Geschichte hing insofern oftmals direkt von den jeweiligen deutsch­ eumont hislandpolitischen Vorstellungen ab.77 Auf welche Weise verband also R torische Forschung mit der Tagespolitik und welche Auswirkungen hatten seine Arbeiten und Stellungnahmen auf den deutsch-italienischen Kulturtransfer im Hinblick auf politische Ansichten und die Wahrnehmung der gemeinsamen deutsch-italienischen Vergangenheit? Welche Bedeutung hatte seine Publizistik, und inwieweit prägte er die Italienwahrnehmung am preußischen Hof und die Deutschlandwahrnehmung unter den toskanischen bzw. italienischen Eliten? Angesichts seiner zentralen Position in einem umfangreichen europäischen Netzwerk stellt sich neben der Frage nach seinen politischen Botschaften jedoch jene nach seiner Bedeutung für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der historischen Wissenschaften, sei es hinsichtlich der Methodik, sei es hinsichtlich konkreter Forschungskontroversen. Schließlich unterstützte er beide Seiten bei der Quellensammlung und machte sie gegenseitig auf die wissenschaftlichen Fortschritte der jeweils anderen Seite auf­ eumonts lässt sich insoweit nachvollziehen, über merksam. Anhand der Person R welche Kanäle der Transfer verlief, welche Absichten dahinterstanden und welche politischen und wissenschaftlichen Konsequenzen dadurch hervorgerufen wurden. Bei der Untersuchung von R ­ eumonts Wirken ist zugleich seinem in der F ­ orschung verbreiteten widersprüchlichen Bild nachzugehen: Einerseits wird ­Reumont von Teilen der heutigen Forschung als Altkonservativer beschrieben, der die Nationalstaaten abgelehnt habe und ein Befürworter der habsburgischen Besitzungen auf italienischem Boden gewesen sei,78 andererseits beteiligte er sich tatsächlich vor und nach den Nationalstaatsgründungen in Deutschland und Italien aktiv an Projekten wie der Antologia, Cottas Morgenblatt und später dem Archivio Storico Italiano, die wegen ihrer Kritik an der habsburgischen Italienpolitik in regelmäßigem Konflikt mit den Behörden standen, und sprach sich dezidiert gegen die habsburgische Führungsrolle im Deutschen Bund aus.79 Trotz der national-libera 77 Vgl. etwa Thomas Brechenmacher: Wieviel Gegenwart verträgt historisches Urteilen? Die Kontroverse zwischen Heinrich von Sybel und Julius Ficker über die Bewertung der Kaiserpolitik des Mittelalters (1859–1862), in: Ulrich Muhlack (Hrsg.): Historisierung und gesellschaft­licher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel  5, hrsg. vom Sonderforschungsbereich / Forschungskolleg 435 der Deutschen Forschungsgemeinschaft), Berlin 2003, S. 87–111; Ders. (1996). 78 Vgl. etwa Rudolf Lill: Alfred (von) ­Reumont und die Geschichte Italiens, in: Pohle (2015), S. 35–47, hier S. 36. 79 Vgl. etwa ­Reumonts Brief an Vieusseux unter Bezug auf das von österreichischer Seite verhinderte preußische Unionsprojekt: BNCF, Vieuss. 89, 11, Rom, 18. November 1850: „Nos

II. Fragestellung und Quellenlage 

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len Gesinnung führender Personen aus dem Umfeld von Vieusseux’ Lesekabinett, pflegte ­Reumont diese Bekanntschaften auch nach den Nationalstaatsgründungen. Mit Vertretern der Destra Storica, wie etwa Leopoldo Galeotti, einem der führenden toskanischen Politiker auf dem Weg in den Nationalstaat, intensivierte sich der Kontakt sogar noch einmal nach der Eroberung des päpstlichen Rom durch Truppen des italienischen Nationalstaats im Jahre 1870.80 Von einer Isolation eines sturköpfigen Altkonservativen kann also keine Rede sein. ­Reumont blieb auch in der Folge mit seinen liberalen Bekannten in Kontakt. Mit zeitlichem Abstand widmete er seinen verstorbenen Bekannten sogar biographische Darstellungen, um sie vor einer Verein­nahmung durch die nationalstaatliche Meistererzählung zu bewahren und den Fehlern und verpassten Chancen des vermeintlich unvermeidlichen lai­ eumont mit zistischen Nationalstaates auf den Grund zu gehen.81 Nicht nur, dass R führenden Vertretern des Risorgimento in Kontakt blieb, sondern auch, dass sie nach der Eroberung Roms in ihren politischen Ansichten oftmals wieder zueinanderfanden, zeigt, dass ­Reumont mit seinen politischen Einschätzungen tatsächlich noch als pensionierter Diplomat durchaus ernst genommen und respektiert wurde. Denn für seine Lebensbilder wurde er von seinen Bekannten bereitwillig mit Materialien versorgt. Damals wurden die Publikationen ­Reumonts von einem breiten Publikum gelesen und sowohl von Sympathisanten als auch Gegnern rezipiert. Dass die Gegner oftmals die existierenden Verhältnisse gegen R ­ eumonts Kritik verteidigten und gegen ihn als gestrigen Kritiker am historisch notwendigen Nationalstaat polemisierten, sollte dazu führen, dass auch spätere Forschungen, die sich für die Nationalstaaten interessierten, das Urteil der Nationalstaatsapologeten oftmals allzu unkritisch übernahmen und R ­ eumont pauschal als „Gestrigen“ charakterisierten und dessen historiographische Leistungen geringschätzten, weil sie sich nicht in den Dienst der laizistischen Nationalstaaten stellen ließen, sondern konsequent deren Schwächen aufzeigten.82 Auf diese Weise entstand ein erheblicher Unterschied zwischen dem Urteil der zeitgenössischen Öffentlichkeit ­Reumonts und der heutigen Forschung. Ziel dieser Arbeit ist es, diesen Widerspruch aufzulösen, indem ­Reumont vorwiegend aus seiner Zeit heraus betrachtet und in den Kontext seiner Bezugspersonen gestellt werden soll.83 Dadurch soll ein Beitrag zur näheren Untersuchung derjenigen Akteure geleistet werden, die sich zunächst an der National­ imbrogli me donnent la fièvre depuis plusieurs jours. La guerre valait mieux que cette incertitude qui nous ruine d.s l’opinion publique. Je ne crois pas à l’article du Monitore de Samedi. Mes dernières nouvelles (lettres particulières) de Berlin du 8 sont encore tout á fait à la guerre. Si nous cédons à l’Autriche, l’Autriche nous ruinera comme elle nous a ruinés de 15 à 48.“ 80 Vgl. ­Reumonts Briefe an Galeotti, die heute verwahrt werden in der Biblioteca Riccardiana (Florenz), Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 630–634. Es handelt sich um 60 Briefe, die teils undatiert sind, von ca. 1848 bis 1854 und 1870 bis 1884. 81 Etwa Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken, 2 Bde., Berlin 1862; Ders.: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878; Ders.: Charakterbilder aus der neueren Geschichte Italiens, Leipzig 1886. 82 Vgl. etwa die Zusammenschau zum Verdikt der heutigen Forschung gegenüber ­Reumont bei Roll (2015), S. 67–69 u. 95–96; Petersen (1987/88), S. 105–106; Ders. (1982), S. 74. 83 Wie es auch bereits Roll (2015), S. 103 zu Recht fordert.

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A. Einleitung

bewegung beteiligten, jedoch andere Ziele verfolgten als Cavour und Bismarck und deswegen wahlweise als Utopisten, Klerikale oder Reaktionäre und Feinde der Nationalstaaten diffamiert wurden und oftmals unter diesen Etiketten in die Geschichte eingegangen sind.84 Die Analyse der Gedankenwelt ­Reumonts und seiner Umgebung, in der politische Erörterungen eng mit der sich in jenen Jahren entwickelnden Geschichtswissenschaft verflochten sind, eröffnet insofern einen Einblick sowohl in die damaligen Mechanismen der historischen Forschung sowie der entsprechenden Netzwerke, als auch in die zeitgenössischen Diskussionen um die Gestaltung der Nationalstaaten und der zu jener Zeit erörterten Gestaltungsalternativen. Die über die Geschichtsschreibung vermittelte Wahrnehmung als „Beitrag zur räsonierenden Öffentlichkeit“85 bietet insofern nicht nur einen Einblick in die von politischen Absichten und Ansichten geprägte wechselseitige Rezeption, sondern zugleich einen Zugang zum Kontrast zwischen der offiziellen, von den Eliten getragenen Italia legale und der Italia reale. Denn gerade die Italia reale wurde von den italienischen Eliten entweder ignoriert oder mit Polemik überzogen und vor der internationalen Öffentlichkeit möglichst relativiert, um den noch jungen Nationalstaat nicht dem Verdacht innerer Schwäche auszusetzen.86 Im Zuge dessen wurden all diejenigen Betrachtungen der politischen und gesellschaftlichen Situation Italiens, die Versäumnisse und Fehlentwicklungen der Politik des Nationalstaates benannten, entweder dem reaktionären oder revolutionären Lager zugeordnet, um sie in der öffentlichen bzw. veröffentlichten Meinung zu diskreditieren. Indes lieferten ­Reumont und sein Netzwerk Betrachtungen, die sich den pauschalen Kategorien eines Für oder Wider den Nationalstaat entzogen und gerade deswegen bei einigen Zeitgenossen und späteren Historikern auf Unverständnis stießen. Mochten diese Italien- und Deutschlandbilder auch im aktiven politischen Geschäft nur eine Nebenrolle spielen, so behielten sie für die gebildeten Eliten sowie insbesondere für die Gelehrtennetzwerke und die Entwicklung der historischen Wissenschaften eine weiterhin wichtige Rolle. Denn im Gegensatz zur Stellenbesetzung in staatlichen Institutionen, konnten die führenden Akteure der Gelehrtennetzwerke aufgrund ihrer sozialen Vernetzung und ihrer Autorität als Wissenschaftler oder Informationsbeschaffer nicht willkürlich im Sinne der offiziellen Politik ausgetauscht werden. Der Einfluss der außeruniversitären Wissenschaft auf die Italien- bzw. Deutschlandbilder der Eliten sollte insofern nicht unterschätzt werden.87 Deswegen sind die Verbindungen von deutschen und italienischen Institutionen und Gelehrten 84 So etwa auch Persönlichkeiten wie Cesare Cantù oder Niccolò Tommaséo. Vgl. Albertoni (1999); Roberta Turchi / Alessandro Volpi (Hrsg.): Niccolò Tommaseo e Firenze. Atti del Convegno di studi, Firenze, 12–13 febbraio 1999 (Gabinetto scientifico letteratio G. P. Viesseux: Studi 9), Florenz 2000. 85 Kroll (2014), S. 293. 86 Vgl. Sarlin (2013), S. 93–105. 87 Vgl. dazu auch Gabriele B. Clemens: Vornationale Deutungsmuster: Universal-, Reichsund Ländergeschichte und ihr Niedergang in Deutschland?, in: Hans Peter Hye / Brigitte Mazohl /  Jan Paul Niederkorn (Hrsg.): Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs (Österreichische Akademie der

II. Fragestellung und Quellenlage 

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mit ihren Netzwerken von besonderem Interesse. Die Untersuchung von R ­ eumonts intensiver Beteiligung am Archivio Storico Italiano etwa, dessen Ausrichtung von den politischen Entwicklungen in Italien geprägt wurde, erlaubt es, die strukturelle Entwicklung der außeruniversitären Geschichtswissenschaft im Zuge des italienischen Risorgimento nachzuvollziehen. Für die Untersuchung von ­Reumonts Mittlerrolle im deutsch-italienischen Kulturtransfer und seines persönlichen sozialen Netzwerkes steht umfangreiches und bislang nur wenig genutztes Quellenmaterial zur Verfügung. Zuvorderst ist der in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn verwahrte Hauptnachlass R ­ eumonts zu nennen, der gut 2.900 Briefe von ca. 700 Schreibern – zum größten Teil internationalen Gelehrten und herrschenden Eliten – umfasst.88 Dieser bietet eine her­ eumonts Gelehrtennetzwerk, vorragende Ausgangsbasis zur Rekonstruktion von R die noch durch den in der Aachener Stadtbibliothek erhaltenen Teilnachlass, der ebenfalls persönliche Briefkorrespondenz enthält, ergänzt wird. Von der Bonner Überlieferung ausgehend, ließen sich die wichtigsten Briefpartner ermitteln, die sich insbesondere in Florenz, Rom und Turin befanden. In Florenz ist die äußerst umfangreiche Korrespondenz R ­ eumonts mit dem Umfeld von Vieusseux’ Lese­ kabinett und dessen Zeitschriftenprojekten Antologia und Archivio Storico Italiano verfügbar. Diese Gegenüberlieferung ist von besonderem Wert, da sie erstmals Einblick in ­Reumonts private politische und kulturpolitische Stellungnahmen gegenüber seinen italienischen Kontakten bietet. Während die Briefbücher im Archivio Storico del Gabinetto G. P. Vieusseux sowie die im Archiv der Deputazione di Storia Patria per la Toscana89 erhaltenen Briefe ­Reumonts lediglich die geschäftlichen Angelegenheiten bezüglich des Archivio Storico Italiano beinhalten, sind die in der Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze verwahrten 509 Briefe ­Reumonts an ­ eumonts toskanischem Netzwerk wie auch seiner Vieusseux90 der Schlüssel zu R persönlichen politischen Entwicklung im Umfeld der toskanischen Moderati. Ab­ eumonts Briefen an seine Familie, erlaubten nämlich bislang lediggesehen von R lich seine Briefe an Karl Witte einen ausführlicheren Einblick in ­Reumonts politische Gedankenwelt, indem ­Reumont mit seinem Freund über die Italiener und die Moderati sprach.91 Die Florentiner Quellen geben dagegen einen Eindruck von ­Reumonts Position innerhalb des Kreises um Vieusseux und die Moderati. Bislang Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Historische Kommission: ZentraleuropaStudien 12), Wien 2009, S. 73–95. 88 Vgl. Herkenhoff (2015), S. 20; die Signatur des R ­ eumont-Nachlasses in der Universitätsund Landesbibliothek Bonn lautet: ULB S 1056 – S 1068. Hinzu kommen ­Reumonts eigenhändige Schreiben an Karl Witte: ULB S 2746. 89 DSPT, Lettere Varie, Alfredo di ­Reumont, No. 1–74 (24. 04. 1864–20. 07. 1885). 90 BNCF, Vieuss. 88, 8–280 und 89, 1–218 (1830–1863). 91 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, 202 Briefe (1836–1882); S 1068, Witte an ­Reumont, 176 Briefe (1826–1882); diese Korrespondenz wurde bereits untersucht von Herbert Lepper (1989) und (1991). Zudem liegt eine Teilveröffentlichung der Briefe vor: HermannWitte: Aus Briefen Karl Wittes an A. von R ­ eumont (1836–1882), in: Deutsches Dante-Jahrbuch 23 (1941), S. 145–181 und 24 (1942), S. 20–102.

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A. Einleitung

ist ­Reumonts politischer Austausch mit Vertretern der Moderati bzw. der Destra Storica lediglich von Liana Elda Funaro anhand der in der Biblioteca Riccardina verwahrten Briefe ­Reumonts an den avvocato Leopoldo Galeotti untersucht worden.92 ­Reumonts eigenhändige Briefe, insbesondere an Vieusseux, Capponi und Galeotti sind eine entscheidende, jedoch bislang kaum berücksichtigte Quelle für ­Reumonts politischen Wertehorizont. Denn während ­Reumont in seinen deutschen Korrespondenzen etwa mit seiner Familie oder mit Karl Witte über die Italiener sprach, trat er in den genannten italienischen Korrespondenzen in direkten Kontakt zu wichtigen politischen Akteuren des Risorgimento. Die zum Teil freundschaftlichen Beziehungen erlaubten eine offene und zum Teil kontroverse Diskussion tagespolitischer Themen – im Rahmen der von der Zensur gesteckten Grenzen –, aus denen R ­ eumonts persönliche Sichtweise sowie seine Stellung innerhalb seines toskanischen Bekanntenkreises hervorgeht. Die Kenntnis dieses Austausches führt insofern auch zu einem besseren Verständnis der diplomatischen Depeschen ­Reumonts im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin93 und erlaubt stellenweise eine Neubewertung der von Cataluccio bereits unternommenen Einordnung von ­Reumonts politischen Analysen.94 Denn durch den Vergleich von ­Reumonts Stellungnahmen gegenüber seinen toskanischen Kontakten mit seinen Dossiers für Friedrich Wilhelm IV. und das preußische Außenministerium lassen sich an den Adressaten orientierte Bewertungen und Argumentationsmuster besser von persönlichen Ansichten unterscheiden. Schließlich ist insbesondere bei den diplomatischen Depeschen von einer Ausrichtung an den jeweils maßgeblichen Grundsätzen der preußischen Außenpolitik sowie dem Wertehorizont des Königs auszugehen. Zwar ist auch in der privaten Briefkorrespondenz von einer derartigen Rücksichtnahme auf die politischen Ideen des Empfängers wie auch auf die Möglichkeit einer polizeilichen Untersuchung des Briefwechsels auszugehen, jedoch erscheint der Austausch zwischen Personen, unter denen kein Abhängigkeitsverhältnis besteht, für eine Untersuchung persönlicher Ansichten ergiebiger. Zusätzlich erweitert die Hinzuziehung von R ­ eumonts Korrespondenz mit führenden italienischen Gelehrten und Kulturschaffenden die Grundlage für eine intensive Untersuchung seiner Aktivitäten als kultureller Mittler. Die italienische Gegenüberlieferung gewährt nun erstmals Einblicke in die Reaktionen R ­ eumonts auf Anfragen italienischer Gelehrter, wie auch seine Vermittlung zwischen der deutschen und ita 92 Liana Elda Funaro:„Colla lente dell’amicizia“. Tabarrini, Galeotti, gli scritti sul Capponi e gli ultimi moderati toscani, Archivio Storico Italiano 146 (1991), S. 613–662; Biblioteca Ricciardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 630–634. 93 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594; I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Gesandtschaft Vatikan, Nr. 99, 101, 103 und 117; Briefe des Legationsrathes v. ­Reumont an S. M. den König; I.HA Rep. 81, Nr. 117, 28. November 1857 – April 1858; III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz; III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5673, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz. 94 Cataluccio (1959).

II. Fragestellung und Quellenlage 

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lienischen Gelehrtenwelt. Hierfür nimmt wiederum die Florentiner Überlieferung mit den Korrespondenzen mit Vieusseux und Capponi eine Schlüsselstellung ein. Schließlich wickelte ­Reumont einen großen Teil seiner Materialsendungen von und nach Italien über das Netzwerk des Lesekabinetts von Vieusseux ab, an dessen Zeitschriftenprojekten er sich zudem intensiv beteiligte. Über Capponi und Vieusseux knüpfte ­Reumont außerdem wichtige Kontakte nach Turin. Dort sind etwa die Korrespondenzen mit dem barone Antonio Manno,95 dem königlichen Kommissar der Consulta Araldica und Sekretär der Reale Deputazione di Storia Patria, sowie mit Federigo Sclopis,96 der die Präambel des Statuto Albertino verfasst hatte, als Justizminister des ersten konstitutionellen Ministeriums Senator des Königreiches war und als Präsident der Accademia delle Scienze wie der Deputazione di Storia Patria in Turin fungierte, von besonderer Aussagekraft hinsichtlich des Verhältnisses ­Reumonts zum piemontesischen Führungsanspruch in Politik und Kultur. Zugleich geht aus diesen Kontakten erneut R ­ eumonts herausragende Mittlerrolle hervor. Gleiches gilt für ­Reumonts Kontakt zu den Brüdern Carlo und Domenico Promis.97 Während Carlo Architekturprofessor war, fungierte Domenico als Bibliothekar der Biblioteca Reale di Torino. Über diese beiden verfügte R ­ eumont bereits seit den 1840er Jahren über eine wichtige Möglichkeit, sich italienische Publikationen auf dem Postwege zukommen zu lassen. Insofern bot der Kontakt zu den Gebrüdern Promis eine wichtige Quelle für Neuigkeiten aus dem italienischen Kulturbereich, die ­Reumont im deutschsprachigen Raum bekannt machen konnte. Als besonderer Knotenpunkt für den deutsch-italienischen Kulturtransfer muss schließlich das damals noch unter päpstlicher Herrschaft stehende Rom gelten, das zahlreiche internationale Künstler und Gelehrte anzog. Als in Italien prominente internationale Institution zur Erforschung des kulturellen Erbes war das Instituto di corrispondenza archeologica, die Vorläuferinstitution des späteren Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, eine wichtige Anlaufstelle für Forschungsreisende. ­Reumont selbst war consigliere onorario des Institutes und unterstütze ­Eduard Gerhard, einen der Gründer, und Wilhelm Henzen, den Institutssekretär, bei der Förderung von Forschungsreisenden und Projekten und stellte wichtige Kontakte in die italienische Gesellschaft her. Zudem diente er auch Vieusseux als Kontaktperson zum Institut. Insofern liefern ­Reumonts Briefe an das Institut und dessen Mitglieder sowie deren Einschätzung von ­Reumonts Tätigkeit im Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom wichtige Informationen über seine Tätigkeit als Diplomat und Für­ eumonts Briefe an Oreste Tomsprecher des Instituts.98 Parallel dazu vermitteln R masini, den Präsidenten der Società Romana di Storia Patria, einen Eindruck von ­Reumonts Stellung innerhalb der römischen gelehrten Gesellschaft.99

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Archivio di Stato di Torino, Archivio Manno, mazzo 31, fasc. 19.  Accademia delle Scienze di Torino, Carte Federigo Sclopis. 97 Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis. 98 Archiv des Deutschen Archäologischen Istituts in Rom, Briefe Alfred (von) ­Reumonts. 99 Società Romana di Storia Patria, Fondo Tommasini. 96

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A. Einleitung

Neben bereits edierten Briefkorrespondenzen, wie etwa den Briefen Gino Capponis100 oder Pasquale Villaris101, sollen zu einer Einordnung von R ­ eumonts Wirken sowohl seine Zeitschriften- und Zeitungspublizistik wie auch seine monographischen Veröffentlichungen untersucht werden. Bei der Frage nach der Rezeption von ­Reumonts Wirken, sowohl als Mittler wie auch als Publizist, sind auch die zu den jeweiligen Veröffentlichungen erschienenen Rezensionen hinzuzuziehen. Insbesondere bei ­Reumonts eigenen Rezensionen und Zeitschriftenaufsätzen ist hingegen in besonderem Maße der Förderung von Gelehrten und ihren Projekten auf ­ eumont ein besonderes Anliegen der jeweils anderen Alpenseite nachzugehen, die R war. Auf diese Weise lässt sich ­Reumonts Rolle im Kulturtransfer sowohl als aktiver Publizist wie auch als Förderer einzelner Gelehrte und Projekte rekonstruieren.

III. Aufbau und Forschungsansatz Als Diplomat und herausragender Makler für deutsche und italienische Forschungsprojekte, die er durch seine Mitgliedschaft in zahlreichen führenden Institutionen wie etwa dem Archivio Storico Italiano oder dem Instituto di corrispondenza archeologica in besonderem Maße über persönliche Kontakte zu fördern verstand, eignet sich die Person Alfred von ­Reumonts hervorragend als Thema für deutsch-italienische Kulturtransferstudien. Deswegen versteht sich die vorliegende Studie nicht als eine Biographie im klassischen Sinne, sondern in erster Linie als eine Kulturtransferstudie anhand der Person R ­ eumonts und des sozialen Netzwerks, in dem er sich bewegte und auf das er für seine Mittlertätigkeit zugriff. Die erhaltenen umfangreichen Briefwechsel bilden dabei die Ausgangsbasis für die Rekonstruktion des Netzwerks. Allerdings kann eine Untersuchung auf dieser Grundlage nicht den Anspruch erheben, eine soziale Netzwerkanalyse nach den Regeln der Sozialwissenschaft durchzuführen, sondern muss sich auf die einfache Darstellung von Beziehungen und Austauschprozessen beschränken.102 Die sich ausgehend vom umfangreichen Briefnachlass ­Reumonts anbietende Rekonstruktion eines ego-zentrierten Netzwerkes und eine anschließende Cliquenanalyse wird im Folgenden lediglich metaphorisch verstanden. Im Fokus steht dabei die Darstellung zentraler Cliquen bzw. Institutionen und Milieus, mithilfe derer ­Reumont als Kulturvermittler fungierte. Sowohl eine sozialwissenschaftliche Analyse des Ego-Netzwerkes wie 100 Alessandro Carraresi (Hrsg.): Lettere di Gino Capponi  e di altri  a lui, 6 Bde., Florenz 1882–1890. 101 Voci (2006). 102 Zu den Möglichkeiten und Grenzen der sozialen Netzwerkanalyse vgl. u. a. Claire Lemercier: Analyse de réseaux et histoire, Revue d’histoire moderne e contemporaine 52,2 (2005), S. 88–112; Dorothea Jansen: Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Forschungsbeispiele, Wiesbaden 2003; Johannes Weyer / Jörg Abel (Hrsg.): Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, München 2000; Bettina Hollstein / Florian Straus (Hrsg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden und Anwendungen, Wiesbaden 2006; Marc Trappmann / Hans J. Hummell / Wolfgang Sodeur: Strukturanalyse sozialer Netzwerke. Konzepte, Modelle, Methoden, Wiesbaden 2005.

III. Aufbau und Forschungsansatz 

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auch der einzelnen Cliquen erscheint trotz der verhältnismäßig guten Quellenlage problematisch: Zunächst stoßen die sozialwissenschaftlichen Verfahren der Zentralitätsberechnung an praktische Grenzen. Bereits eine Gradzentralität, die die Anzahl der Verbindungen innerhalb eines Netzwerks ausdrückt, lässt sich aufgrund eines Briefnachlasses nicht zuverlässig erheben. Die Anzahl der erhaltenen Briefe eines Briefwechsels lässt noch keine zuverlässige quantitative Einordnung zu, da beispielsweise davon auszugehen ist, dass etwa Personen, die sich täglich sprechen konnten, auch dann keine intensive Korrespondenz führten, wenn sie sich nahe standen. Zugleich ist damit zu rechnen, dass etwa Schreiben mit politischen Inhalten nachträglich vernichtet wurden. Von R ­ eumont selbst wissen wir, dass er sein Tagebuch wenige Jahre vor seinem Tod vernichtete, nachdem er sein Alterswerk Aus ­König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen103 fertiggestellt und damit das von ihm zu jenem Zeitpunkt beabsichtigte Andenken vermittelt hatte. Infolgedessen stößt auch eine qualitative Netzwerkanalyse auf die Grenzen des zur Verfügung stehenden Datenmaterials, das oftmals keine belastbare Beschreibung der Beziehungsentwicklung zulässt. Zudem wäre eine qualitative Analyse etwa anhand der in den Briefwechseln verwendeten Anreden ohne nennenswerten Mehrwert für die Untersuchung der über das Netzwerk verlaufenden Kulturtransferprozesse. Erschwerend kommt hinzu, dass die Materialbasis, die auf ­Reumonts Briefnachlass zurückgeht, zwangsläufig ein verzerrtes Bild dieses Netzwerkes liefern würde, da die Kontakte der einzelnen Akteure untereinander im Rahmen dieser Studie nicht abgebildet werden können und so ­Reumonts Zentralität überbewertet würde. Eine belastbare Aussage über ­Reumonts Zwischenzentralität, für die nicht nur direkte, sondern auch indirekte Beziehungen in einem Netzwerk berücksichtigt und ana­ lysiert werden müssen, um zuverlässige Daten zu den entscheidenden Akteuren für die Informationsflüsse zu erhalten, erfordert eine ebenso intensive Auswertung von Briefnachlässen weiterer Akteure. Dies würde jedoch den Rahmen dieser Studie sprengen und wäre zudem aufgrund der heterogenen Quellenlage zu den beteiligten Personen nicht realisierbar. An dieselben Grenzen stößt hier auch eine Cliquenanalyse, die einzelne Subgruppen von Akteuren, die untereinander alle eine direkte Beziehung unterhalten ausfindig macht. Innerhalb der vorliegenden Arbeit können lediglich die aus dem Briefnachlass selbst sowie aus der konsultierten Gegenüberlieferung der gesichteten Nachlässe ermittelten Cliquen näher untersucht werden. Ihr Wirken wird anhand der jeweils unter ihrer Beteiligung erfolgenden Projekte in den einzelnen Unterkapiteln beleuchtet. Der metaphorisch gebrauchte Begriff des sozialen Netzwerks dient hier vornehmlich der Beschreibung von Kulturtransferprozessen. Insofern beschränkt sich die vorliegende Studie auf eine schematische Erörterung des sozialen Netzwerks ­Reumonts und die Veranschaulichung von Teilaspekten und legt dafür den Schwer 103 Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885.

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A. Einleitung

punkt auf die Zusammensetzung und äußeren Einflussfaktoren sowie die Rekon­ struktion des Informationsflusses hinsichtlich einzelner Publikationen, um ihre Entstehungsgeschichten nachvollziehen zu können. Die Operationen des Netzwerkes, von der Materialbeschaffung bis hin zur anschließenden Rezension in einer Zeitschrift, können dabei in einigen Fällen verfolgt werden und somit exemplarisch die Mechanismen der damaligen Geschichtswissenschaft vor Augen führen. Die Analyse des Einflusses, den das Netzwerk bzw. einzelne Akteure auf die Publikationen und andere beteiligte Personen ausübten, welche Bilder und Ansichten und welches Wissen sie vermittelten, liefert dabei wichtige Anhaltspunkte zum deutsch-italienischen Kulturtransfer jener Zeit. Um das Handeln ­Reumonts in diesem Austauschprozess sowie den Wertehorizont, vor dem er agierte, verstehen und einordnen zu können, widmet sich das erste Kapitel dem persönlichen Werdegang R ­ eumonts. Dabei stehen politische und kulturelle Kontakte, die ihn besonders prägen sollten, im Vordergrund, um dem Leser einen ersten Überblick über die bislang nur wenig bekannte Persönlichkeit ­Reumonts zu ­ eumonts vermitteln. Innerhalb der chronologischen Darstellung nehmen insofern R diplomatische Karriere und seine damaligen Depeschen einen wichtigen Platz ein. Dies eröffnet anschließend die Möglichkeit, sich von einer klassischen chrono­ logisch-biographischen Darstellung zu lösen und Teilaspekte von R ­ eumonts Mittlertätigkeit unter Kulturtransferaspekten zu untersuchen. In den darauf folgenden ­ eumont und sein Netzwerk in ihrem politisch-kulturellen Kapiteln werden dann R Wirken näher untersucht. Das Kapitel Publizistik gibt Auskunft über das breite Netzwerk von Publikationsorganen, innerhalb dessen ­Reumont wichtige Kontakte vermittelte und selbst durch Aufsätze, Literaturbesprechungen und Materialbeschaffungen wirkte. Dieses Kapitel wendet sich den kunstgeschichtlichen, historischen und politischen Publikationen zu, wobei die Übergänge zwischen diesen Kategorien zuweilen fließend waren. In den sich damals definierenden Wissenschaften gab es nicht nur zahlreiche thematische und methodische Überschneidungen, sondern zudem eine enge Verflechtung mit politischen und weltanschaulichen Richtungsfragen. Entsprechend ­ eumont in seinen Publikationen zwischen diesen Kaflexibel bewegte sich auch R tegorien. Die gewählte Reihenfolge der Kunst- und Kulturberichte, der Politischen Publizistik sowie der Historischen Publizistik entspricht dabei ­Reumonts durch politische Entwicklungen erfolgter Schwerpunktverlagerung in seiner publizistischen Tätigkeit. Folglich bezieht sich die Zuordnung der einzelnen Publikationsorgane zu diesen Kategorien nicht etwa auf deren inhaltliche Ausrichtung, sondern auf die darin enthaltenen Beiträge R ­ eumonts. So könnte das Theologische Literaturblatt auch unter der historischen Publizistik verortet werden, wie die Historische Zeitschrift durchaus Geschichte in politischer Absicht betrieb. ­ eumont Eine Ausnahme stellt die Augsburger Allgemeine Zeitung dar, für die R sowohl Beiträge zu historischen und kulturellen Themen als auch politische Korrespondentenberichte lieferte, weshalb diese sowohl im politischen wie auch im his-

III. Aufbau und Forschungsansatz 

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torischen Kapitel behandelt wird. Im Fokus des Publizistik-Kapitels stehen also die enge Verflechtung von Wissenschaft und Politik und die wechselseitige Rezeption der politisch-kulturellen Entwicklungen zwischen deutscher und italienischer Ge­ eumont bietet dabei als einer der führenden Träger einen privilegierlehrtenwelt. R ten Zugang zu den damaligen Kulturtransferprozessen. Schließlich wurde seine Darstellung der politisch-kulturellen Prozesse auf der jeweils anderen Alpenseite aufmerksam verfolgt. An seiner Tätigkeit sowie seiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Redakteuren hinsichtlich einzelner Artikel wie auch der Ausrichtung der gesamten Zeitschrift sowie seiner Vermittlung von weiteren Beiträgern werden die zeitgenössischen Kulturtransferprozesse auf politisch-kultureller Ebene greifbar. Die ständige Auseinandersetzung um die Darstellung und Rezeption der wissenschaftlichen Fortschritte auf der jeweils anderen Alpenseite vor dem Hintergrund zeitgenössischer politischer Entwicklungen wird dabei insbesondere in der Arbeit derjenigen Publikationsorgane deutlich, die sich mit deutsch-italienischen Themen befassten und dabei auf kulturelle Mittler angewiesen waren. Die Analyse des Einflusses, den das Netzwerk ­Reumonts bzw. einzelne Akteure auf die Publikationen und andere beteiligte Personen ausübten, wie auch die Vermittlung von Bildern und Wissen liefern insofern wichtige Anhaltspunkte zum deutsch-italienischen Kulturtransfer jener Zeit.104 Das daran anschließende Kapitel behandelt die Entwicklung von R ­ eumonts publizistischer Tätigkeit von einer Kunst-, Kultur- und Gesellschaftsberichterstattung über politische Korrespondenzen hin zu einer vorwiegend historischen Publizistik. Dafür wurden die wichtigsten Monographien R ­ eumonts herangezogen und mithilfe der Briefkorrespondenzen in ihren Entstehungskontext eingeordnet, um anschließend unter Hinzunahme der Rezensionen und brieflichen Reaktionen der Rezep­ eumonts Arbeiten nachzugehen. Insofern bieten die Unterkapitel zu den tion von R einzelnen Monographien Einblick in R ­ eumonts „Publizisten-Werkstatt“, indem sie die zur Materialbeschaffung und anschließenden Werbung aktivierten Teile seines persönlichen Netzwerkes vor Augen führen. Vor diesem Hintergrund werden auch die Entstehungsumstände und inhaltliche wie methodische Einflussfaktoren beleuchtet. Neben der Frage nach dem Einfluss einzelner Akteure und tagespolitischer Entwicklungen ist dabei stets auch nach den methodischen Einflüssen der sich in jenen Jahren definierenden geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu fragen und das Verdikt der bisherigen Forschung, nach dem ­Reumonts Publikationen lediglich Fundgruben ohne eigentlichen wissenschaftlichen Wert gewesen seien, kritisch zu prüfen.105 Wie Christine Roll bereits zeigen konnte, ist zumindest R ­ eumonts Geschichte der italienische Renaissancediplomatie106 gerade vor dem Hintergrund 104

Vgl. Schweiger / Holmes (2009), S. 407; Lüsebrink (2005), S. 31–33; Espagne (2003), S. 64; Ders. (1997), S. 329. 105 Vgl. hierzu die treffenden Anmerkungen von Roll (2015). 106 Alfred von ­Reumont: Italienische Diplomaten und diplomatische Verhältnisse. Vom XIII. und VI. Jahrhundert, in: Ders.: Beiträge zur Italienischen Geschichte, Bd. 1, Berlin 1853, S. 1–270.

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A. Einleitung

des heutigen Forschungsstandes immer noch von wissenschaftlichem Wert und der damaligen, sich allein auf die großen politischen Entscheidungen konzentrierenden Diplomatiegeschichtsschreibung seiner Zeit durch einen kulturgeschichtlichen Ansatz weit voraus.107 Werden ­Reumonts historiographische Leistungen also von der heutigen Forschung bislang übersehen, während sie unter seinen Zeitgenossen ungleich größere Autorität besaßen? Insbesondere die Korrespondenzen mit führenden Gelehrten und deren Rezensionen erlauben hier eine präzisere Einordnung von ­Reumonts Arbeiten in die damalige Forschungslandschaft. Ein daran anknüp­ eumonts wissenschaftfender Abgleich mit den Urteilen späterer Historiker über R liche Verdienste und deren dafür herangezogenen Quellen erlaubt es dabei, einigen Fehldeutungen und Vorurteilen auf den Grund zu gehen. Von besonderem Interesse ist jedoch das Zusammenspiel von deutschen und italienischen Einflussfaktoren auf R ­ eumonts Publikationstätigkeit. In seinen Monographien behandelte er meist italienische Themen und ließ sich dafür von seinen italienischen Bekannten unterstützen. Allerdings orientierte er seine Arbeiten meist am deutschen Publikum. Anschließende italienische Neuauflagen pflegte er in­ eumonts deutsch-italienischer Brief­ tensiv zu überarbeiten. In Kombination mit R korrespondenz lassen sich also die hinter den einzelnen Werken stehenden Intentionen und Einflüsse herausarbeiten und Kulturtransferprozesse beobachten. Die ­ eumonts hatten nicht nur einen in dieser Studie herangezogenen Monographien R historiographischen Zweck, sondern beinhalteten stets politische Aussagen sowohl an das deutsche wie auch das italienische Publikum. Deswegen gilt es zu untersuchen, auf welche Weise historische und zeitgenössische Bilder wie Modelle miteinander kombiniert und in einen anderen Kontext auf der jeweils anderen Alpenseite überführt wurden. Denn manche historische Bilder und Modelle konnten in der deutschen Öffentlichkeit eine gänzlich andere Interpretation erfahren als in Italien. Dies wird etwa im Unterkapitel Finis Etruriae deutlich, in welchem die Rolle der toskanischen Moderati im deutschen Umfeld historisch und in der italienischen Öffentlichkeit tagespolitisch behandelt wird. Ähnlich verhält es sich mit italienischen Vorbildern eines liberalen Katholizismus, die R ­ eumont in die deutsche Kulturkampfatmosphäre einführte. Insofern bieten die Entstehungsgeschichten von ­Reumonts Monographien die Möglichkeit, die Operationen seines persönlichen Netzwerkes und die dadurch bewirkten Kulturtransferprozesse zu beobachten. Im darauf folgenden Kapitel wird eine prominente deutsch-italienische Forschungskontroverse exemplarisch behandelt, an deren Entwicklung R ­ eumont durch seine Tätigkeit als kultureller Mittler beteiligt war, um die wechselseitige Beeinflussung anhand des Gesamtverlaufs des sogenannten Dino-Streits zu ermitteln. Zur Analyse des deutsch-italienischen Wissenschaftlernetzwerkes sowie dessen Trägerfunktion des Wissens- und Kulturtransfers bietet sich das Konzept der ­Histoire ­Croisée an. Dieses erlaubt es, den wechselseitigen Transfer, der auch das vermittelnde Netzwerk mit seinen Akteuren selbst prägte, angemessen zu unter 107

Roll (2015).

III. Aufbau und Forschungsansatz 

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suchen. Forschungskontroversen wie jene um die Orthodoxie Vittoria Colonnas, die hier bereits im „Kulturkampf-Kapitel“ behandelt wird, oder um die vermeint­ liche Fälschung der Chronik des Dino Compagni modifizierten sowohl die Struktur des Netzwerkes selbst, innerhalb dessen die Akteure ihre Standpunkte änderten, als auch die gegenseitige Rezeption in Deutschland und Italien. Das Konzept der Histoire Croisée fordert einen multiperspektivischen Standpunkt und fragt nach längerfristigen Entwicklungsprozessen.108 Auf diese Weise muss beispielsweise der Prozess vom Beginn einer Forschungskontroverse über den Transfer bzw. die Aufnahme jenseits der Alpen bis hin zur Reaktion auf die Rezeption der Gegenseite untersucht und erneut die Frage nach Modifikationen der Ausgangskontroverse gestellt werden. In einem solchen Fall reicht ein komparatistischer Ansatz nicht aus, denn es gilt, die zeitlichen Entwicklungen sowie die gegenseitige Beeinflussung und Verflechtung zu erfassen.109 Zugleich würde eine Untersuchung der Forschungskontroversen als ein Gegeneinander zweier nationaler Gelehrtenwelten der Realität nicht gerecht, in der die sich ständig verschiebenden „Allianzen“ oftmals unabhängig von nationalen Grenzen verlaufen konnten. Dementsprechend ­ eumonts weiter. Die Analyse des Verlaufs entwickelte sich auch das Netzwerk R der ausgewählten Kontroversen beleuchtet dabei die Rolle R ­ eumonts innerhalb der damaligen deutsch-italienischen Gelehrtenwelt. Das letzte Kapitel R ­ eumont als Brückenbauer versteht sich dagegen als eine Übersicht über ­Reumonts Mittlertätigkeit und stellt exemplarisch einige aus der brieflichen Korrespondenz dokumentierte Operationen des Netzwerks ­Reumonts vor. Die Inanspruchnahme seiner Fürsprache bei der Beschaffung von Informationen, Materialien sowie Archiv- und Bibliothekszugängen, die Hinzuziehung seiner Gutachten wie auch die Bitten um seine Protektion durch Empfehlungsschreiben und Rezensionen geben dabei wichtige Anhaltspunkte hinsichtlich seines Prestiges innerhalb der damaligen gelehrten Öffentlichkeit Europas. Bislang fehlen dazu leider die Vergleichsmöglichkeiten mit zeitgenössischen Mittlern. Weder Tommaso Gar, Pasquale Villari noch Carl Friedrich Rumohr, Karl Mittermaier, Jacob Burckhardt oder die von der Forschung bereits intensiv behandelten Theodor Mommsen und Ferdinand Gregorovius sind bisher hinreichend unter netzwerkanalytischen Aspekten hinsichtlich ihrer Mittlertätigkeit im deutsch-italienischen Kulturtransfer behandelt worden, um eine Vergleichsmöglichkeit bieten zu können.110 Insofern 108 Vgl. Wichael Werner / Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire Croisée und die Herausforderung des Transnationalen, Geschichte und Gesellschaft 28, 2002, S. 607–636. 109 Vgl. Agnes Arndt / Joachim C.  Häberlen / Christiane Reinecke (Hrsg.): Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen 2011. 110 Ganda (2001); Voci (2006); Mauro Moretti: Pasquale Villari storico  e politico, Neapel 2005; Wilfried Küpper (Hrsg.): Carl Joseph Anton Mittermaier. Symposium 1987 in Heidelberg. Vorträge und Materialien (Heidelberger Forum 58), Heidelberg 1988; Paola Balestreri: Mittermaier e l’Italia. Orientamenti politici e dottrine processualistiche in un carteggio di metà Ottocento, Ius comune 10 (1983), S. 97–141.

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A. Einleitung

kann ­Reumonts Einordnung in seiner Funktion als reiner Vermittler von Archivund Literaturzugängen lediglich in Form eines exemplarischen Überblicks von Beispielen geschehen, die sich anhand seiner Briefkorrespondenz rekonstruieren lassen. Den Kern der Untersuchung soll folglich sein Wirken als kultureller Mittler in deutsch-italienischen Kulturtransferprozessen bilden. Dabei kann nämlich neben seinen eigenen Publikationen und seinen Briefkorrespondenzen auch die öffentliche Diskussion seiner Beiträge und Hilfsdienste in Rezensionsjournalen herangezogen werden, um die Wahrnehmung seiner Tätigkeit in der zeitgenössischen Öffentlichkeit zu ergründen.

B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Lebenzwischen diplomatischer Karriere und Wissenschaft Die Analyse des Kulturtransfers sowie des Gelehrtennetzwerkes ist nicht ohne eine hinreichende Untersuchung der Mittler möglich.1 Schließlich standen hinter jeder Empfehlung, jeder Kontaktaufnahme, jeder Recherche oder jedem Literaturbericht persönliche Absichten, die sich nur verstehen lassen, wenn die Hintergründe der handelnden Akteure in die Betrachtung einbezogen werden. Erst die Kenntnis der unterschiedlichen Interessen erlaubt eine nähere Bewertung der Arbeitsweise eines sozialen Netzwerks sowie eine Verortung der Einzelpersonen in ihren gegenseitigen Abhängigkeiten. Insofern ist eine Auseinandersetzung mit Teilen der Lebensgeschichten der wichtigsten Personen unerlässlich. Diese soll sich jedoch auf die für den jeweiligen Zusammenhang relevant erscheinenden Daten und Fakten beschränken, um nicht in eine chronologisch-biographische Erzählweise zu verfallen. Stattdessen ist der Aufbau der vorliegenden Arbeit an den verschiedenen ­ eumontschen Netzwerks im deutsch-italienischen KulturWirkungsfeldern des R transfer orientiert. Einzig das nun folgende Kapitel weicht von dieser Ausrichtung ab, indem es den Protagonisten anhand seiner persönlichen Biographie einführt.2 Da Alfred von R ­ eumont einerseits ein „Kind seiner Zeit“ war und von den zeitgenössischen Entwicklungen geprägt wurde, andererseits, wie noch zu zeigen sein wird, mit seinen persönlichen Ansichten und seinem Handeln diverse Kontroversen seiner Zeit in vielen Fällen transferiert und beeinflusst hat, soll zunächst einmal sein Werdegang zum prominenten Mittler zwischen Deutschland und Italien nachvollzogen werden. Um der jedem biographischen Ansatz innewohnenden Gefahr einer traditionellen, oberflächlichen, anekdotischen und aufzählend-chronologischen Darstellung zu begegnen,3 soll der biographische Abriss allerdings lediglich bis zur zu untersuchenden Mittlerstellung führen, die anschließend nach Themenfeldern untergliedert dargestellt und hinterfragt wird. Zur Beurteilung des Wirkens ­Reumonts in seiner Zeit ist es zunächst geboten, nach seiner persönlichen Prägung und Umgebung zu fragen, die ihn letztlich in die Mittlerstellung zwischen Deutschland und Italien brachten. Dieser Zwischenschritt 1

Vgl. dazu Espagne (2003), S. 64; Ders. (1997), S. 329. Zur besonderen Bedeutung der subjektiven Wirklichkeit der Mittler im Kulturtransfer und der Notwendigkeit diese möglichst selbst zu Wort kommen zu lassen vgl. ebenda. 3 Davor warnte Jacques Le Goff: Comment écrire une biographie historique aujourd’hui?, Débat 54 (1989), S. 48–53; vgl. Sabina Loriga: La piccola x. Dalla biografia alla storia (Le parole e le cose 27), Palermo 2012, S. 186. 2

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

soll in der Folge den regelmäßigen Perspektivwechsel zwischen Individuum und Gesellschaft(en), wie er nicht nur für die Kulturtransferforschung, sondern auch für eine wissenschaftliche Biographie unerlässlich ist,4 erleichtern.

I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz Lässt man Alfred ­Reumont selbst zu Wort kommen, so wird schnell klar, dass er der Geschichte seiner Geburtsstadt Aachen sowie den belgischen Wurzeln seiner Familie eine besondere Bedeutung für seine weitere Entwicklung beimisst. Seinen Jugenderinnerungen stellte er einen einleitenden Exkurs über die Abstammung seiner Familie und eine Darstellung des Lebens seines Vaters Gerhard ­Reumont an.5 Nachdem er die adlige Herkunft seiner Familie über die de ­Reumont herleitet, die in den wallonischen Chroniken des 12.–14. Jahrhunderts vorkommen, verweist er auf eine domus de ­Reumont im Sprengel von Cambray, die in einer Bulle Papst Innozenz’ III. vom 10. April 1204 erwähnt wurde.6 Diese Angaben waren für ­Reumont im Laufe seiner diplomatischen Laufbahn von besonderer Wichtigkeit, da er den fehlenden Adelstitel bis zu seiner Erhebung in den Adelsstand 1846 als großes Hin­ eumonts jugendliche Prägung dernis für seine weitere Karriere betrachtete. Für R ganz entscheidend waren aber die Lehr- und Wanderjahre seines Vaters Gerhard, auch wenn diese noch vor seiner Zeit stattfanden. Nach dem Medizinstudium in Bonn ging Gerhard im Frühjahr 1791 nach Paris, um dort praktische Erfahrungen zu sammeln. Diese sollten jedoch nicht nur medizinischer Natur sein: Für seinen Pariser Aufenthalt wurde er auch an Maximilien de Robespierre empfohlen, sodass er auch einer Sitzung des Jakobinerklubs beiwohnte und in dieser Hinsicht einen Teil der Französischen Revolution aus der Nähe miterlebte.7 Diese Erfahrungen verleiteten ihn nicht nur dazu, Frankreich Richtung Großbritannien zu verlassen, sondern waren derart prägend, dass er sie später seinem Sohn offenbar ausführlich schildern und in ihm eine bleibende Ablehnung gegen jede Form der Revolution wecken sollte. Die darauf folgende Zeit an der Universität von Edinburgh, wo er zum Doktor der Medizin promoviert wurde, sollte das Leben der Familie R ­ eumont nachhaltig prägen und für Alfred später in mehrfacher Hinsicht von entscheidender Bedeutung sein. Obwohl sich Gerhard während der Franzosenzeit in Aachen ein hohes Ansehen und Auszeichnungen erarbeitete, indem er Kaiserin Joséphine, die Fürstin Pauline Borghese und den Prinzen Ludwig ärztlich behandelte und dafür während des österreichischen Krieges 1805 zum Inspektor der Aachener Bäder ernannt worden war,8 schlug sich in der Namensgebung seines Sohnes nicht die Dankbarkeit an Frankreich, sondern die Liebe zu Großbritannien nieder: Die 4

Vgl. ebenda, S. 197. Hüffer (1904), S. 17–36. 6 Ebenda, S. 17. 7 Ebenda, S. 29–30. 8 Ebenda, S. 46; Jedin (1973), S. 95. 5

I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz 

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Geburt seines Sohnes Alfred am Tag des Napoleonfestes, dem 15. August 1808 in Aachen, veranlasste Gerhard nicht dazu, sich in der Namensgebung am Feiertag zu orientieren. Stattdessen verlieh er seiner Vorliebe für Großbritannien Ausdruck, indem er seinen Sohn auf den Namen Alfred taufen ließ.9 Es folgt eine Schilderung des fehlenden Rückhalts der Franzosen in der Aachener Bevölkerung, deren Herrschaft aufgrund der Missachtung der kommunalen Tradi­ eumont jedoch selbst einräutionen nie habe feste Wurzeln schlagen können. Wie R men muss, hat er daran gar keine persönlichen Erinnerungen. Diese setzen nach seiner eigenen Aussage erst mit der Völkerschlacht bei Leipzig und den durch Aachen ziehenden Truppen ein. Trotzdem weiß er zu berichten, dass die Franzosenzeit durch die antichristlichen Tendenzen die Moral der höheren Stände verdorben habe. Deswegen sei die letztliche Niederlage Napoleons als Gottesurteil zu verstehen. Trotz der eigentlich guten Anfangsbedingungen mit der Huldigung Friedrich Wilhelms III. am 15. Mai 1815 habe man jedoch auch die preußische Herrschaft stets als Fremdherrschaft empfunden.10 Obgleich ­Reumont die aus Frankreich kommenden revolutionären Ideen mit Skepsis betrachtete, verfolgte er die dortigen politischen und literarischen Entwicklungen doch mit großem Interesse. Da sein Vater regelmäßig den Constitutionnel las, hörte der junge ­Reumont schon früh von den führenden Persönlichkeiten des französischen Liberalismus wie Benjamin Constant.11 Für ­Reumonts spätere Ansichten zur Pressezensur des Vormärz dürfte auch der Eindruck des abgedankten Königs Gustav IV. von Schweden von Bedeutung gewesen sein. Dieser war nämlich eine Zeit lang regelmäßiger Tischgast im Hause ­Reumont und arbeitete an seinen Betrachtungen über die Pressefreiheit.12 Die negativen Äußerungen über die französische Zeit in Aachen, hielten ­Reumont jedoch nicht davon ab, die umfassende Bildung, die er zu einem guten Teil der Franzosenzeit zu verdanken hatte, positiv hervorzuheben. Er lernte Lateinisch, Griechisch, Englisch und besonders Französisch,13 wovon er Zeit seines Lebens immens profitieren sollte. Insbesondere seine Sprachkenntnisse sollten ihm vor dem Hintergrund, dass die meisten preußischen Diplomaten die Diplomatensprache Französisch nur sehr schlecht beherrschten, überhaupt erst eine diplomatische Karriere ermöglichen. Hinzu kam seine außergewöhnlich gute Kenntnis der französischen Literatur wozu unter anderem Montesquieus Größe und Verfall der Römer, Florians Numa Pompilius sowie die Schriften Chateaubriands gehörten. Letztlich waren seine französischen Literaturkenntnisse sogar ausgeprägter als die deutschen. An deutscher Literatur las er unter anderem Albrecht von Hallers Fabius und Cato, Zimmermans Taschenbuch der Reisen oder die Brasilianische Reise des Prinzen

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Hüffer (1904), S. 48–49. Ebenda, S. 49–55; Jedin (1973), S. 97. 11 Hüffer (1904), S. 74–75. 12 Ebenda, S. 75–76; Jedin (1973), S. 97. 13 Vgl. Jedin (1973), S. 97; Hüffer (1904), S. 78–79. 10

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

von Neuwied.14 Seine besondere Neigung für romanische Kultur wurde noch durch die Freundschaft zu seinem Schulkameraden Eduard Gasperini, dem Sohn eines Italieners und einer Deutschen, unterstützt. Mit diesem teilte er ein reges Interesse an Ästhetik und philosophisch-philologischer Kritik.15 Vor dem Hintergrund seiner eigenen Jugenderinnerungen könnte man annehmen, dass R ­ eumont, bedingt durch seine Heimatstadt und sein polyglottes Elternhaus, vor allem durch die romanische Kultur geprägt worden sei. Tatsächlich räumt er ein, durch die ständige französische Lektüre sich zwischenzeitlich von der Napoleonverklärung habe begeistern lassen. Jedoch kritisiert er zugleich den Fehler vieler deutscher Literaten, sich in dieser Hinsicht dazu herabzulassen, den Franzosen zu sekundieren, anstatt dem Beispiele Alessandro Manzonis zu folgen, der sich in der Napoleonbetrachtung auf den Standpunkt des christlichen Philosophen und Historikers gestellt habe, während Heinrich Heine und Gustav Schwab Napoleon verherrlicht haben.16 Hier klingt schon der Anspruch an, eine unmittelbare Beziehung zwischen deutschen und italienischen Intellektuellen unter Umgehung der sprachbedingten französischen Vermittlung zu schaffen. Hierdurch sollten sich beide Seiten im Austausch ihrer eigenen Identität bewusst werden, ohne sich an Frankreich zu orientieren. Obwohl ­Reumonts persönlichen Neigungen eher ein Studium der Philologie und Geschichte entsprochen hätte, setzte sich sein Vater durch, der seinen Sohn in seine Fußstapfen treten sehen wollte. So nahm der damals achtzehnjährige Alfred im Herbst des Jahres 1826 ein Medizinstudium an der Bonner Universität auf. Während seiner Bonner Studienzeit sollte er neben zahlreichen weiteren langlebigen Kontakten auch August Reichensperger, eine spätere Führungsfigur des politischen Katholizismus wie des Kölner Dombauvereins, kennen lernen, zu dem er bis in die siebziger Jahre hinein in Kontakt bleiben sollte.17 Insbesondere in der Zeit des Kulturkampfes sollte sich dieser Kontakt intensivieren. Auch wenn R ­ eumont es ablehnte, sich im Rahmen der Zentrumsaktivitäten zu engagieren, dessen Wirken er für kontraproduktiv hielt, sollte Reichensperger ihn doch dazu bewegen können, wenigstens einige anonyme Artikel für die Historisch politischen Blätter für das katholische Deutschland beizusteuern.18

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Vgl. Hüffer (1904), S. 86–88. Vgl. ebenda, S. 97. 16 Vgl. ebenda, S. 115–116. 17 Vgl. ebenda, S. 98–102; Jedin (1973), S. 98; Ludwig Pastor: August Reichensperger 1808– 1895. Sein Leben und sein Wirken auf dem Gebiet der Politik, der Kunst und der Wissenschaft, 2 Bde., Freiburg im Breisgau 1899, Bd. 1, S. 15; vgl. auch Hans-Jürgen Becker: August Reichensperger (1808–1895), Rheinische Lebensbilder 10 (1985), S. 141–157. 18 Zu ­Reumonts Ablehnung sich an den Aktivitäten des politischen Katholizismus zu beteiligen vgl. NL R ­ eumont, S 1065, Reichensperger an R ­ eumont, Nr. 35: Köln, 29. Juli 1873 und Nr. 48: Köln, 6. August 1878. Zu ­Reumonts Beiträgen zu den Historisch politischen Blätter für das katholische Deutschland vgl. ebenda, Nr. 39: 27. März 1876; Nr. 42, o. D.; Nr. 46: Köln, 29. September 1877. 15

I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz 

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Hinsichtlich seines Studiums nutzte ­Reumont jede Gelegenheit, sich anstelle des Brotstudiums persönlichen Interessen zu widmen. So hörte er auch Historiker und Philologen, etwa Barthold Georg Niebuhr, einen führenden Vertreter des Historismus und Autor einer Römischen Geschichte oder August Wilhelm Schlegel, der mit seinen Arbeiten wesentlich zur Popularität von Dantes Divina Commedia und der mittelalterlichen Dichtung beigetragen hat.19 Die Vorlesungen dieser beiden Gelehrten sollten in R ­ eumonts weiterem Werdegang Spuren hinterlassen: Neben dem durch Schlegel geweckten Interesse an Dantes Werken war es auch die Behandlung der Römischen Geschichte durch Niebuhr, die besonderen Eindruck auf den jungen Medizinstudenten machte. Die von Niebuhr hervorgehobene Bedeutung der Wahrung der historischen Traditionen eines Volkes, verbunden mit der Notwendigkeit einer verantwortungsbewussten Aristokratie, die sich nicht aus egoistischen Motiven gegen eine Teilhabe der Bauern am Wohlstand sperrt,20 sind Forderungen, denen ­Reumont später in der Toskana erneut begegnen sollte und die später auch seine eigenen historischen Arbeiten prägen sollten. Obgleich ­Reumont normalerweise keine eigenständige Quellenkritik praktizierte, sondern sich vielmehr von den jeweiligen Experten beraten ließ, um anschließend zu selektieren, folgte er in seiner Arbeitsweise Niebuhr insofern, als er in seiner Darstellung großen Wert auf das historische Umfeld legte, in dem die von ihm behandelten Akteure lebten. Dabei griff er regelmäßig auf das tertium comparationis zum besseren Verständnis zurück, oft jedoch auch, um darüber zeitgenössische Entwicklungen einzuordnen. So wie Niebuhr die Agrargesetzgebung der Römischen Republik der Deutung während der Französischen Revolution gegenüberstellte, verglich ­Reumont später beispielsweise die Herrschaft Cola di Rienzos mit der Römischen Republik des Jahres 1849.21 Die Fortführung seines Medizinstudiums in Heidelberg 1828 regte seine historisch-philologischen Neigungen noch weiter an. Er wurde an die Ehefrau des Historikers Friedrich Christoph Schlosser empfohlen und wurde so dessen Gast in Heidelberg. Schlossers Anspruch, durch eine gründliche Kenntnis der einzelnen Fakten moralische Lehren aus der Geschichte zu ziehen, ging auch an R ­ eumont 19

Vgl. Hüffer (1904), S. 101–102; vgl. Jedin (1973), S. 98; zu Niebuhr vgl. Gerrit Walther: Niebuhr, Barthold Georg, NDB 19 (1998), 219–221; Corinna Gaedeke: Geschichte und Revolution bei Niebuhr, Droysen und Mommsen, Berlin 1978 [zugl. Diss. Berlin 1976]; Seppo ­Rytkönen: Barthold Georg Niebuhr als Politiker und Historiker: Zeitgeschehen und Zeitgeist in den geschichtlichen Beurteilungen von B. G. Niebuhr (=Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Ser. B, Tom. 156), Helsinki 1969 [zugl. Diss. Turku 1968]; Reimer Hansen: Barthold Georg Niebuhr und die Begründung der modernen Geschichtswissenschaft, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 23,2 (2013), S. 193–232; zu Schlegel vgl. Johannes John: Schlegel, August Wilhelm von, NDB 23 (2007), S. 38–40; Annelen Grosse-Brockhoff: Das Konzept des Klassischen bei Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Köln 1981; York-Gothart Mix (Hrsg.): Der Europäer August Wilhelm Schlegel: Romantischer Kulturtransfer – Roman­ tische Wissenswelten, Berlin 2010; Ruth Schirmer: August Wilhelm Schlegel und seine Zeit: Ein Bonner Leben, Bonn 1986. 20 Vgl. Gaedeke (1978), S. 8–82; Rytkönen (1969), S. 303–317. 21 Zu Niebuhrs Arbeitsweise und wissenschaftsgeschichtlicher Einordnung vgl. Hansen (2013), S. 220–226.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

nicht spurlos vorüber.22 Aber es war vor allem die Sensibilisierung für die nur unvollkommenen Übersetzungen der Dante-Werke, die er zu dieser Zeit noch nicht im Original lesen konnte, die ihn nachhaltig prägte.23 Tatsächlich nahm er später zusammen mit dem bekannten Dante-Forscher Karl Witte großangelegte Übersetzungsprojekte in Angriff. Die Zeit in Heidelberg war jedoch nur von kurzer Dauer: Nach dem Tod seines Vaters am 27. August 1828 konnte seine Familie sein Medizinstudium nicht mehr finanzieren, sodass er sich einen Broterwerb suchen musste.24 Dabei konnte er jedoch von der Tatsache profitieren, im Haus seines Vaters zahlreiche hochstehende Persönlichkeiten kennengelernt zu haben, die ihm auf seinem weiteren Lebensweg von großer Hilfe sein sollten. Noch kurz vor dem Tod seines Vaters hatte er in Aachen Ludwig August von Bruch kennengelernt, der 1836 in Abwesenheit Bunsens Geschäftsträger in Rom und somit R ­ eumonts Vorgesetzter werden sollte, mit dem er im Anschluss an die amtliche Tätigkeit 1838 noch eine Reise nach Neapel unternahm. Dieser langfristige Nutzen war 1829 jedoch nicht absehbar, als R ­ eumonts Familie völlig mittellos dastand. Als der Familienfreund William Crauford nach Aachen kam und eine Stelle als Hauslehrer der Familie seines Bruders John in Florenz in Aussicht stellte, brauchte der damals Einundzwanzigjährige nicht lange zu über­ legen.25 Es war schon länger sein Wunsch gewesen, die Welt kennenzulernen: Bereits 1824 hatte ihm Lord Guilford angeboten, mit nach Korfu zu kommen. Damals hatte ihm jedoch die Aachener Regierung wegen des dort tobenden Unabhängigkeits­ ­ eumont krieges einen Reisepass verweigert.26 Nun kam die Reise zustande und R verließ seine Familie am Abend des 17. November 1829 Richtung Toskana.27 So ungewohnt und neu er seine neue Umgebung auch empfand, so zügig lebte er sich in der Toskana ein, die ihm nicht nur eine zweite Heimat werden sollte, sondern auch der Ausgangspunkt sowohl für seine Karriere als Historiker, als Diplomat sowie als Mittler im deutsch-italienischen Kulturtransfer. Seine bereits angesprochenen französischen Sprachkenntnisse führten dazu, dass er die Stelle als Hauslehrer nicht sehr lange bekleidete. Bereits im selben Winter wurde er als Privatsekretär beim preußischen Geschäftsträger in Toskana, Friedrich von Martens angestellt, in dessen Diensten er bis zum Frühjahr 1835 blieb.28 Der Aufstieg 22

Vgl. Jedin (1973), S. 98; zu Schlosser vgl. Michael Gottlob: Schlosser, Friedrich ­Christoph, NDB 23 (2007), S. 104; Michael Gottlob: Geschichtsschreibung zwischen Aufklärung und Historismus. Johannes von Müller und Friedrich Christoph Schlosser, Frankfurt a. M. 1989; Ellen-Charlotte Sellier-Bauer: Friedrich Christoph Schlosser: Ein deutsches Gelehrtenleben im neunzehnten Jahrhundert, Göttingen 2004, S. 22. 23 Vgl. Hüffer (1904), S. 108; Sellier-Bauer (2004), S. 161. 24 Vgl. Jedin (1973), S. 98–99. 25 Vgl. ebenda; Hüffer (1904), S. 117. 26 Vgl. ebenda, S. 80–81. 27 Vgl. Jedin (1973), S. 99. 28 Vgl. ebenda, S. 99–100; Hüffer (1904), S. 117; Johann Caspar Struckmann: Preußische Diplomaten im 19. Jahrhundert. Biographien und Stellenbesetzungen der Auslandsposten ­1815–1870, Berlin 2003, S. 199–201.

I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz 

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in die diploma­tische Stellung brachte für ­Reumont den Einstieg in die höheren Gesellschaftskreise der Toskana mit sich, zumal er von 1831 bis Oktober 1832 sogar die inoffizielle Geschäftsführung in Abwesenheit seines Vorgesetzten innehatte.29 Dabei handelte es sich zwar hauptsächlich um Routineaufgaben, aber ­Reumont hatte in dieser vorübergehenden Funktion bereits erste Erfahrungen in der diplomatischen Tätigkeit sammeln können, wozu im Frühjahr 1832 eine Reise nach Bologna gehörte, wo die päpstliche Regierung noch mit den Nachwirkungen der Erhebung des Jahres 1831 als Folge der Julirevolution des Jahres 1830 zu tun hatte, die zu einer erneuten Intervention österreichischer und französischer Truppen führten.30 Im Zuge seiner Tätigkeit für von Martens wurde R ­ eumont auch mit dem Genfer Verleger und Herausgeber der Antologia Giovan Pietro Vieusseux bekannt gemacht, der zudem ein internationales Lesekabinett führte, in dessen Umfeld der junge Diplomat die führenden regionalen und überregionalen Persönlichkeiten sowie diverse ausländische Reisende kennenlernte.31 Neben bedeutenden Vertretern des Risorgimento wie Niccolò Tommaséo, der später im Rahmen der Repubblica di San Marco in Venedig 1848–49 an der Seite von Daniele Manin politische Verantwortung übernahm,32 oder Sismondi, einem der führenden Theoretiker des „Italiens der hundert Städte“ sowie der mezzadrilen Toskana,33 lernte er dort 1831 auch Gino Capponi, die Führungsfigur der gemäßigt Liberalen, der sogenannten Moderati34 kennen. Schon bald entwickelte sich aus der Bekanntschaft eine Freundschaft, die 29

Vgl. Struckmann (2003), S. 199–201. Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 3–4; vgl. Giorgio Candeloro: Storia dell’Italia moderna, Bd. 2: Dalla Restaurazione alla Rivoluzione nazionale, Mailand 31962, S. 226–228. 31 Vgl. Jedin (1973), S. 99; vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,275, ­Reumont an Vieusseux, Neapel, 11. Dezember 1849; Biblioteca Riccardiana Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 634, ins. V (5), ­Reumont an Galeotti, Aachen, 4. März 1883. 32 Vgl. Giorgio Candeloro: Storia dell’Italia moderna, Bd. 3: La rivoluzione nazionale. ­1846–1849, Mailand 32011, S. 158–159; Gabriele Paolini: Venezia nel 1848–49. Con il carteggio Manin-Vieusseux (= Centro di Studi sulla Civiltà Toscana fra ’800 e ’900, No 25), Florenz 2002; zur Person Tommaséos vgl. Turchi / Volpi (2000); Claudio Varese: Manzoni uno e molteplice: con un’appendice sul Tommaseo (= Strumenti di ricerca 60/61), Rom 1992. 33 Der adlige Grundbesitz war in zahlreiche Höfe zersplittert, die jeweils von einer Bauernfamilie für die Hälfte des jährlichen Ertrages bewirtschaftet wurden. Dabei standen die Bauern in erdrückender Abhängigkeit der Grundbesitzer. Allerdings war dieses System durchaus krisenresistent. Vgl. Thomas Kroll: Die Revolte des Patriziats. Der toskanische Adelsliberalismus im Risorgimento (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 90) Tübingen 1999, S. 74–100; zu Sismondi vgl. Carlo Pazzagli: Sismondi e la Toscana del suo tempo (1795–1838), Siena 2003; Francesca Sofia: Sismondi e Vieusseux: le stagioni d’un amicizia, in: Maurizio Bossi (Hrsg.): Giovan Pietro Vieusseux. Pensare l’Italia guardando all’Europa. Atti del Convegno di studi, Firenze, 27–29 giugno 2011 (= Gabinetto Scientifico Letterario G. P. Vieusseux, Studi 23), Florenz 2013, S. 41–57; Dies. (Hrsg.): Sismondi e la civiltà toscana. Atti del Convegno internazionale di studi, Pescia, 13–15 aprile 2000, Florenz 2001; Clemens (2004), S. 316–319; BNCF Vieuss. C. V. 88, 51: Rom, 15. April 1840; 145: Rom, 16. Juli 1842. 34 Als Moderati bezeichneten sich die Anhänger eines gemäßigten Liberalismus, der sich sowohl gegen den fürstlichen Absolutismus als auch gegen die Demokraten richtete. Die toskanischen Moderati forderten eine Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen und strebten nach 30

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

­ eumont die Tür zu zahlreichen Sozietäten, wie der Accademia Colombaria oder R der Accademia della Crusca sowie zahlreichen Archiven und Bibliotheken öffnete.35 Dabei ebnete Capponi nicht nur den Weg zu ­Reumonts Aufnahme in die toskanischen Akademien, sondern auch darüber hinaus: So wurde ­Reumont durch die Für­sprache seines Förderers auch Mitglied der Accademia delle Scienze di Torino.36 Der regelmäßige Umgang mit den Gelehrten im Lesekabinett von Vieusseux und den Mitarbeitern der Antologia führte den jungen R ­ eumont an die Gedankenwelt und die politischen Ziele der Moderati der 1830er Jahre heran. Vieusseux hatte den Anspruch, die Bevölkerung auf eine konstitutionelle Herrschaft und eine liberale Gesetzgebung vorzubereiten, die man in Kooperation mit dem Großherzog ­Leopold II. zu verwirklichen hoffte.37 Dabei gingen sie davon aus, dass dieser die Tradition seines Großvaters Peter Leopold (1765–1790), fortsetzen würde, der sich als aufgeklärter Herrscher bereits vor der Französischen Revolution zu liberalen Reformen, wie der Abschaffung der Folter und der Todesstrafe, der Liberalisierung des Getreidehandels sowie der Aufhebung der Inquisition und Nuntiaturgerichtsbarkeit durchgerungen hatte. Außerdem hatte er sich ausführlich über das Verfassungsprojekt für Pennsylvania unterrichten lassen und arbeitete selbst an einem Verfassungsentwurf für die Toskana, der freilich nicht mehr in die Tat umgesetzt wurde.38 Insofern genoss die Toskana damals in Italien und Europa den Ruf eines aufgeklärten Musterstaates, der zunächst vor dem Hintergrund einer im Vergleich zu anderen italienischen Staaten moderaten Pressezensur und der Tatsache, dass ausgewählte politische Exilanten aus anderen Staaten sich dort aufhalten konnten, seine Berechtigung zu haben schien.39 Obgleich der Schein in dieser Hinsicht doch trog, da zum einen die Zensur durchaus aktiv war und insbesondere im Zuge der Unruhen in Folge der Julirevolution 1830 die Publikationen einer verschärften Kontrolle unterzog, die unter anderem in die Aufhebung der Antologia 1833 mündete, und zugleich die Toskana tatsächlich die meisten Exilanten abwies, schufen 1848 die Gründung eines italienischen Staatenbundes an, um die innenpolitischen Reformen sowohl gegen die österreichische Hegemonialmacht als auch gegen radikale nationaldemokratische Ansprüche abzusichern; vgl. Kroll (1999), S. 2. 35 Vgl. Hüffer (1904), S. 125–127; Jedin (1973), S. 99; Jens Petersen: Alfred von ­Reumont und Italien, ZAGV 94/95 (1987/88), S. 79–107, hier S. 88; Clemens (2006), S. 216–217; Biblioteca Riccardiana Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 634, ins. V (5), R ­ eumont an Galeotti, Aachen, 4. März 1883. 36 Vgl. BNCF Gino Capponi XI.43, No. 14: Rom, 10. März 1842; No. 15: Rom, 11. August 1842; No. 16: Rom, 22. Oktober 1842; No. 17: Rom, 31. Dezember 1842. 37 Vgl. Floriana Colao: I „giovani legisti“ dell’„Antologia“. I modelli giuspolitici europei, la Toscana, l’Italia, in: Bossi (2013), S. 97–109, hier S. 97. 38 Vgl. Gerda Graf: Der Verfassungsentwurf aus dem Jahr 1787 des Granduca Pietro Leopoldo di Toscana, Berlin 1998; Frank Jung: ‚Erfahrung‘ als Argument und Reform als ‚Experiment‘. Ein aufklärerischer Darstellungsmodus, die Gazzetta di Weimar und das Großherzogtum Toskana, in: Kofler / Kroll / Seifert (2010), S. 47–73: zur Schaffung des leopoldinischen Mythos durch die Moderati vgl. Zeffiro Ciuffoletti: I Moderati toscani e la tradizione leopoldina, in: Clementina Rotondi (Hrsg.): I Lorena in Toscana, Florenz 1989, S. 121–138. 39 Vgl. Ernesto Sestan: La Firenze di Vieusseux e di Capponi (Biblioteca Storica Toscana 8), Florenz 1986, S. 9.

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die Ausnahmefälle wie jener Pietro Collettas den zeitgenössischen Mythos einer den Liberalen gegenüber aufgeschlossenen Toskana.40 Die Tatsache, dass mit Colletta einer der Protagonisten der neapolitanischen Revolution der Jahre 1820–21 die Toskana als Exil wählte und in den Kreis der Antologia trat, hielt die Behörden allerdings nicht davon ab, ihn und die mit ihm in Kontakt stehenden Personen zu überwachen.41 Dennoch musste seine Anwesenheit auf R ­ eumont, wie vor allen Dingen auch auf ausländische Reisende den Eindruck erwecken, dass sich die Toskana in puncto Toleranz grundlegend von den benachbarten Staaten unterscheide: Mit der Restaurationszeit wurde Peter Leopold als Vorbild für eine friedliche Reform­politik ohne Revolution gefeiert und die Unruhen der 1830er schienen, abgesehen von der Aufhebung der Antologia und einer verstärkt repressiven Politik, die Toskana weitgehend zu verschonen. Ihr schien in dieser Zeit nicht nur in Italien, sondern auch in Europa eine Vorreiterrolle zuzukommen.42 In dieser Atmosphäre gelangte R ­ eumont in den Kreis der Antologia und steuerte nach kurzer Anlaufzeit 1830 bzw. 1831 seine ersten beiden Rezensionen in italienischer Sprache bei: Sulle notizie inedite della vita di Andrea del Sarto, raccolte da Luigi Biadi und Sulla versione tedesca della storia pittorica d’Italia di Luigi Lanzi.43 Darüber hinaus verfasste ­Reumont auch seinen ersten Artikel in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände über Die Johannisfeste zu Florenz.44 Außerdem brachten es seine amtliche Stellung sowie seine engen Kontakte zum Lesekabinett mit sich, dass seine Kontakte nicht nur auf das toskanische Umfeld und den Bekanntenkreis Capponis mit Persönlichkeiten wie Giovanni Battista Niccolini, Giuseppe Giusti, Vincenzo Salvagnoli, Cosimo Ridolfi, Pietro Capei oder Leopoldo Galeotti beschränkt blieben,45 sondern sich zudem auch auf die deutschsprachigen Italienreisenden ausdehnten, die die Toskana passierten. Bereits im Mai 1830 machte er die Bekanntschaft Leopold von Rankes, der für seine Geschichte der Päpste für drei Monate zu Recherchen nach Florenz gekommen war, und im folgenden Jahr mit dem damals schon namhaften Dante-Forscher Karl Witte.46 Beides sollten pro 40 Luigi Mascili Migliorini: Orizzonti politico-istituzionali europei per la Toscana della Restaurazione, in: Bossi (2013), S. 3–9, hier S. 7; zu Pietro Collettas Exil in der Toskana vgl. ­Cosimo Ceccutti: Pietro Colletta in Toscana (1823–1831), in: Renata De Lorenzo (Hrsg.): Risorgimento, democrazia, Mezzogiorno d’Italia. Studi in onore di Alfonso Scirocco, Mailand 2003, S. ­483–498, hier besonders S. 484–489. 41 Ceccutti (2003), S. 496. 42 Vgl. Migliorini (2013), S. 7. 43 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88, 8: ­Reumont an Vieusseux, Florenz, 18. Dezember 1830; Alfred ­Reumont: Notizie inedite della Vita d’Andrea del Sarto, raccolte da Luigi Biadi, Antologia 40, November 1830, S. 198–202; Ders.: Versione tedesca della Storia pittorica dell’Italia. Geschichte der Malerei in Italien etc. (Storia pittorica dell’Italia di L. Lanzi, tradotta in tedesco e pubblicata colle note di G. G. di Quandt da Adolfo Wagner.), Antologia 42, Mai 1831, S. 162–163. 44 Alfred ­Reumont: Die Johannisfeste zu Florenz, Morgenblatt für gebildete Stände Nr. 218, Sonntag, 12. September 1830 und Nr. 219, Montag, 13. September 1830. 45 Vgl. Hüffer (1904), S. 126. 46 Vgl. ebenda, S. 125; Jedin (1973), S. 99; Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 4–5.

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duktive Freundschaften sein: Witte unterstütze er bei der Editionsarbeit der Dante-­ Poesien und Briefe und steuerte seine Lokalkenntnisse für die Beschaffung weiterführender Materialien bei, während Ranke ihn auf den Materialreichtum Italiens für die historischen Wissenschaften, insbesondere auch die Bedeutung der Venezianischen Gesandtschaftsberichte aufmerksam machte – das Ergebnis waren zunächst ­Reumonts Italienische Diplomaten und diplomatische Verhältnisse: 1260–155047, in denen er einen Teil der Arbeiten eines großangelegten Editionsprojektes Gino Capponis veröffentlichte.48 Bereits während seines Florentiner Aufenthaltes knüpfte R ­ eumont auch Kontakte zum 1829 gegründeten Instituto di Corrispondenza archeologica in Rom. Insbesondere die Verbindung zu Eduard Gerhard, einem der Begründer des Instituts erwies sich sowohl in wissenschaftlicher als auch in diplomatischer Hinsicht als wertvoll. 1832 ernannte Gerhard ihn zum korrespondierenden Mitglied des Instituts, auch wenn R ­ eumont zunächst kaum eine Vorstellung davon zu haben schien, inwiefern er dem Institut denn von Nutzen sein könne. In dem entsprechenden Antwortbrief an Gerhard schreibt R ­ eumont: „Ich wage den Wunsch beizufügen, daß es meinen geringen Kräften gelingen möge, dem Institut später in irgendeiner Hinsicht nützlich sei zu können, und ich bitte Sie, ganz über mich zu verfügen, da wo ich irgendeinen Dienste zu leisten im Stande sein möchte.“49

Gerhard indes machte bald deutlich, worum es ihm dabei vor allen Dingen ging: Er erwartete, von R ­ eumonts Kontakten profitieren zu können und erhoffte sich regelmäßige Berichte über antiquarische Funde und neuere Entwicklungen.50 Als Diplomat mit besten Verbindungen in die intellektuellen Zirkel der Toskana und zu den durchreisenden Gelehrten, saß er gewissermaßen an der Informationsquelle. Zugleich fungierte er als Verbindungsperson zu Vieusseux, mit dessen Antologia das Institut in einen regelmäßigen Austausch trat. Dieser äußerte sich vor allen Dingen in gegenseitigen Empfehlungen an das Lesekabinett und an das Institut sowie einem Schriftenaustausch.51 Unter denjenigen, die ­Reumont im Auftrag des Instituts an Vieusseux empfahl, gehörte auch der Historiker Constantin von Höfler, ­ eumont bedankte sich für diese der später Archivar in Bamberg werden sollte.52 R vermittelte Bekanntschaft ausdrücklich53 und trat insbesondere nach seiner diplo 47 Alfred ­Reumont: Italienische Diplomaten und diplomatische Verhältnisse: 1260–1550, Leipzig 1841. 1850 ist dann sogar eine italienische Übersetzung angefertigt worden: Dei Diplomati Italiani e delle relazioni diplomatiche dell’Italia dal 1260 al 1550, di Alfredo ­Reumont. Versione con note di Tomaso Gar, Padova 1850; zur Bedeutung Rankes für das Editionsprojekt vgl. auch Siebert (1937), S. 20. 48 Vgl. Petersen (1987/88), S. 86–89. 49 DAI Rom, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 14. Juni 1832. 50 NL ­Reumont, S 1061, Nr. 180, Gerhard an ­Reumont, Berlin, 21. März 1833. 51 Vgl. Viviana Frosali: Giovan Pietro Vieusseux  e la distribuzione delle pubblicazioni dell’isti­tuto di corrispondenza archeologica di Roma, Antologia Vieusseux 43 (2009), S. 35–49; NL ­Reumont, S 1061, Nr. 183, Gerhard an ­Reumont, Rom, 9. Januar 1834. 52 NL ­Reumont, S 1061, Nr. 185, Gerhard an ­Reumont, Rom, 2. Juni 1834. 53 DAI Rom, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 16. August 1834.

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matischen Laufbahn in eine intensive Korrespondenz mit diesem. Neben dem wissenschaftlichen Austausch ging es Gerhard zugleich um ­Reumonts Zugang zu den preußischen Diplomatenkreisen. Da das Institut stets auf die Förderung seitens des Königshauses und der preußischen Diplomaten in Italien angewiesen war, bat er ­Reumont um entsprechende Bewerbung der archäologischen Aktivitäten in diesen Kreisen.54 So konnte er seinen Vorgesetzten, den Legationsrat Graf von Schaffgotsch davon überzeugen, Mitglied des Instituts zu werden.55 Die „diplomatische Förderung“ beruhte indes auf Gegenseitigkeit. Nachdem das im Jahre 1833 von ­Reumont beim Ministerium eingereichte Gesuch, in eine amtliche Stellung übernommen zu werden ohne eindeutige Antwort geblieben war,56 nutzte er in seinem Brief an Gerhard die Gelegenheit, diesen darum zu bitten, sich dafür einzusetzen, dass ­Reumont im Rahmen seiner amtlichen Tätigkeit in Italien belassen werde.57 Für ­Reumont hatte sich die Situation nämlich zwischenzeitlich verschlechtert. Nachdem er im Herbst 1832 seinem nach Konstantinopel versetzten Vorgesetzten von Martens gefolgt war, wurde er später dessen Nachfolger in Florenz, besagtem Graf von Schaffgotsch, als Privatsekretär beigestellt.58 Nun war seine weitere Verwendung ungewiss. ­Reumont mochte aber auf keinen Fall Italien verlassen. Zu sehr hatte er sich mittlerweile dort eingelebt und sich bereits einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, sodass er in der Gesellschaft der Toskana hervorragend vernetzt war, während sich seine preußischen Kontakte bis dato vor allen Dingen auf die in Italien tätigen Diplomaten und Forschungsreisenden erschöpften. Deswegen stellte sich eine Rückkehr nach Preußen aus seiner Sicht als Rückschritt dar. Hinzu kam seine in dieser Zeit mit Mitte zwanzig bereits angeschlagene Gesundheit, die er als Argument ins Feld führte, in Italien verbleiben zu müssen: So war noch am 16. November 1833 eine Anstellung bei der Preußischen Staatszeitung nicht zustande gekommen, weil er nicht in der Lage war, die Voraussetzung einer persönlichen Vorstellung zu erfüllen.59 Deshalb wiederholte er seine Bitte gegenüber Gerhard immer wieder, um in dieser Hinsicht nichts unversucht zu lassen.60 ­Reumonts Bemühungen um eine amtliche Stellung in Italien sollten sich zunächst jedoch nicht erfüllen. Stattdessen verließ er die Toskana im Frühjahr 1835 in Richtung Berlin, wo er auf Betreiben des Außenministers Ancillon diätärisch als Übersetzer für die französische, englische und italienische Sprache angestellt wurde.61 Dies sollte sich für R ­ eumonts diplomatische Karriere indes als glückliche Fügung erweisen: Da sich Ancillon von ­Reumonts umfassender Bildung sehr beeindruckt 54

NL ­Reumont, S 1061, Nr. 182, Rom, 28. Dezember 1833. DAI Rom, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 3. Januar 1834. 56 Vgl. Struckmann (2003), S. 200. 57 DAI Rom, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 3. Januar 1834. 58 Jedin (1973), S. 99–100. 59 Vgl. Struckmann (2003), S. 200. 60 DAI Rom, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 16. Januar 1834. 61 Vgl. Struckmann (2003), S. 200; Jedin (1973), S. 100; Hüffer (1904), S. 127. 55

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zeigte und die Gespräche mit ihm sehr schätzte, lud er ihn regelmäßig zu seiner Tischgemeinschaft ein, zu der zahlreiche Personen gehörten, die in engerem Kontakt mit der königlichen Familie standen, so zum Beispiel Leopold von Gerlach, der spätere Generaldirektor der Archive Professor von Lancizolle sowie Ignaz von Olfers, der spätere Generaldirektor der Königlichen Museen.62 So blieben ­Reumonts zu diesem Zeitpunkt bereits beachtlichen Kenntnisse Italiens den Anwesenden nicht verborgen und er wurde in der Berliner Gesellschaft schon bald als ausgewiesener „Italienkenner“ bekannt. Dementsprechend ließ eine Audienz beim italienbegeisterten Kronprinzen Friedrich Wilhelm nicht lange auf sich warten. Am 10. Januar 1836 überreichte er dem Kronprinzen zwei seiner ersten Werke: Andrea del Sarto63 und Reiseschilderungen und Umrisse aus südlichen Gegenden64. Letztere hatte er während seiner Zeit in der Toskana und auf der Reise nach Konstantinopel und Griechenland verfasst. Diese Literatur lieferte auch den Gesprächsgegenstand die­ eumont ein voller Erfolg war. Der erste Eindruck, den er beim ser Audienz, die für R Kronprinzen machte war ein durchgehend positiver und sollte ihm zeitlebens die Gunst des späteren Königs von Preußen sichern. Unmittelbar führte die Protektion Ancillons und Friedrich Wilhelms dazu, dass ­Reumont bereits im Sommer 1836 zum Geheimen expedierenden Sekretär ernannt und erneut der Mission in Florenz beigegeben wurde.65 Seine zu diesem Zeitpunkt in Preußen geknüpften Kontakte, zu den Hegelianern um Eduard Gans, und zu Heinrich Leo, zu Julius Friedländer, zu Friedrich Carl von Savigny, zu Richard Lepsius, oder auch zu Louis Prosper Gachard, den Generaldirektor der Königlichen Archive in Brüssel, ließen R ­ eumont zu einem wichtigen Ansprechpartner für seine Florentiner Kontakte werden, wenn diese sich über den Fortgang der Kulturwissenschaften nördlich der Alpen informieren wollten.66 ­Reumont selbst hatte bei seiner Ankunft in Berlin mit Erstaunen festgestellt, dass die italienische Literatur im deutschsprachigen Raum kaum eine Rolle spielte. So war er in dieser Zeit kaum in der Lage, sich eigenständig über die Fortschritte der italienischen Wissenschaft zu informieren, sondern ausschließlich von den Berichten seiner Freunde und Bekannten, vornehmlich Vieusseux und Capponi, abhängig, denen gegenüber er diesen Umstand bitter beklagte: Deswegen verband er mit seiner Bücherlieferung von Brockhaus an seine Florentinischen Bekannten auch die Bitte, ihn im Gegenzug mit den neusten Informationen über die italienischen Forschungen zu versorgen.67 Gino Capponi, der sich diese Mangels bewusst war, erkannte die Möglichkeiten, die sich mit ­Reumont boten, um in Zukunft über die Fortschritte der deutschen Wissenschaft auf dem Laufenden gehalten

62 Vgl. Hüffer (1904), S. 128; Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 14–15. 63 Alfred ­Reumont: Andrea del Sarto, Leipzig 1835. 64 Ders.: Reiseschilderungen und Umrisse aus südlichen Gegenden, Stuttgart 1835. 65 Vgl. ebenda, S. 16–18; Hüffer (1904), S. 128–129; Struckmann (2003), S. 200. 66 Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 19–23; Hüffer (1904), S. 128–129. 67 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88, 20: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 28. Oktober 1835.

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zu werden und zugleich die italienischen Arbeiten in den deutschen Zeitschriften zu präsentieren. Deshalb motivierte er den jungen Diplomaten, als Kulturbotschafter zu fungieren. In seinem Antwortschreiben auf ­Reumonts Buchlieferung fragte Capponi außerdem das Werk des großdeutschen Historikers Heinrich Leo, Geschichte von Italien68 an und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass diese Verbindung in die deutschsprachige Wissenschaft von Dauer sein werde: „Ella potrebbe aiutarci, ed essere a noi come anello di comunicazione con la Germania, dove si fa tanto in queste materie e tanto bene; e i lavori tedeschi, che ho veduti, mi sembrano superiori a tutto quello che si fa nel rimanente Europa; ed anche alla storia nostra, da noi abbandonata, un poco per forza un poco forse anche per negligenza disperata, la sua nazione ha reso e rende grandissimi servigi. Sicchè ella si ricordi che io sono sempre desideroso di conoscere ciò che in Germania si lavora, per aiutare a quel poco che noi qui facciamo, e ch’io avrei in animo di fare.“69

­Reumont stellte sich dieser Aufgabe mit großer Freude und betrachtete es nicht nur als seine persönliche Aufgabe, sondern als diejenige der Deutschen überhaupt, nach all dem Übel, das man Italien zugefügt habe, nun etwas von dem zurückzugeben, was man aus italienischen Archiven gewonnen habe: „J’ai été bien aise d’apprendre, que les livres allemands, que je Vous ai envoyés, sont selon Votre désir. Il n’y a pas de doute qu’on travaille beaucoup chez nous pour l’histoire italienne. L’Allemagne a fait tant de mal à Votre belle et chère Italie sous autres rapports, qu’il me parait que c’est une espèce de devoir de la part de nos savants de lui montrer un peu d’attachement & de reconnaissance pour tous les trésors, que nous avons tirés de là.“70

Im Gegenzug fragte ­Reumont nach italienischen Werken, die er nördlich des Brenners bekannt machen könnte, allen voran die Edition einer Dokumentsammlung italienischer Künstler aus Pariser Archiven und Bibliotheken, an der Capponi zusammen mit Molini arbeitete, und legte großen Wert darauf, der Erste zu sein, der dieses Werk anzeigte.71 Allerdings musste Capponi einräumen, dass sein Projekt nicht mit denen deutschsprachiger Gelehrter vergleichbar war. Vor der Veröffentlichung legte er großen Wert auf ­Reumonts Urteil und dämpfte möglicherweise zu hohe Erwartungen im

68 Leos Geschichte von Italien, die seit 1829 in 5 Bänden erschien und auch auf Italienisch übersetzt wurde erfreute sich in Italien großer Beliebtheit, da Leo das Mittelalter gegenüber den zeitgenössischen Verfallserscheinungen verherrlichte, sich als Lutheraner hinsichtlich der Reformation auf die Seite der Katholiken schlug und den organisch-systematischen Staat propagierte – vgl. Christoph Freiherr von Maltzahn: Leo, Heinrich, NDB 14 (1985), S. 243–245; Ders.: Heinrich Leo (1799–1878): Ein politisches Gelehrtenleben zwischen romanitschem Konservatismus und Realpolitik (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 17), Göttingen 1979. 69 Alessandro Carraresi: Lettere di Gino Capponi e di altri a lui, Bd. 1, Florenz 1882, No. 173: Al cavaliere Alfredo R ­ eumont, Berlino, Florenz, 3. Dezember 1835, S. 404–406, hier S. 405. 70 BNCF Gino Capponi XI. 42, No 1: ­Reumont an Capponi, Berlin, 31. Januar 1836. 71 Ebenda.

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Voraus, indem er darauf hinwies, dass die italienischen Arbeiten über Italien weit von dem Niveau von Hurters Geschichte des Papstes Innocenz III.72 entfernt seien.73 Motiviert durch Capponis Aufforderung sowie die positive Resonanz auf seine Italienberichte, die er in Gesellschaften zu geben pflegte, machte R ­ eumont sich sogleich daran, Abhilfe für die fehlende Kenntnis der italienischen Literatur zu schaffen und bemühte sich darum, die ihm bekannten Neuerscheinungen in deutschen Zeitschriften anzuzeigen, so beispielsweise eine Broschüre Lambruschinis Dell’Istru­zione del Popolo, die er in Brockhaus’ Blättern für literarische Unterhaltung besprach.74 Gleichzeitig setzte er die Autoren und Forscher mit den italienischen Interessenten in Kontakt. Einer der ersten, die bei ihren Forschungen in Italien von ­Reumonts Vermittlung profitierten war Felix Papencordt, der zu Recherchen zur Kirchengeschichte des 13. und 14. Jahrhunderts nach Italien reiste. R ­ eumont gab ihm ein Empfehlungsschreiben an Capponi mit und stellte ihn als Experten für die deutschen Forschungen zur italienischen Geschichte vor. Dieser könne weitere Werke empfehlen, die R ­ eumont sich aufzutreiben bereit erklärte.75 Aber auch die Autoren der von Capponi angefragten Werke erwiderten das Interesse an einem intensiveren Austausch. So packte Heinrich Leo die Gelegenheit ­ eumont ihm davon berichtet hatte, dass er dessen Geschichte von beim Schopf, als R Italien an Capponi versendet hatte, um sich mit Capponi in Kontakt setzen zu lassen. Er plante ein Werk über die adligen Familien der Toskana und hatte dabei insbesondere die Ubaldini im Auge. Dafür benötigte er Unterstützung bei seinen Recherchen, die er sich über ­Reumont von Capponi zu erhalten erhoffte.76 Und tatsächlich sollte der Florentiner ihn nicht enttäuschen. Er zeigte sich erfreut darüber, dass ein Deutscher dieses Thema zu bearbeiten beabsichtigte und empfahl Leo in diesem Zusammenhang auch Kardinal Ottaviano zur näheren Untersuchung. Außerdem verwies er auf Carlo Troyas Vetro77, wo er auch auf einige Notizen zu den Ubaldini eingehe. Ansonsten sei es jedoch ein sehr schwieriges Thema, da bisher nur wenige

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Der evangelische Theologe und Historiker Friedrich Hurter hatte mit seiner Geschichte des Papstes Innocenz III. Aufsehen erregt, weil er in diesem Werk das Mittelalter sowie die Erfolge Innozenz III. und seiner kirchlichen Ideen gegen die Staufer verherrlichte – vgl. Franz Xaver von Wegele: Hurter, Friedrich Emanuel von, ADB (1881), S. 431–444; ­Reumont sendet Capponi dieses Werk später zu: BNCF Gino Capponi XI. 42, No 3: ­Reumont an Capponi, Berlin, 4. April 1836. 73 Lettere di Gino Capponi e di altri a lui, Bd. 1, No 177: Al cavaliere Alfredo R ­ eumont, Berlino, Florenz, 16. Februar 1836, S. 412–413, hier S. 413. 74 Der Abate Lambruschini, Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 5, 5. Januar 1836; vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88, 21: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 13. Februar 1836. 75 Vgl. BNCF Gino Capponi XI. 42, R ­ eumont an Capponi, No 2: Berlin, 10. März 1836 und No 3: Berlin, 4. April 1836; Lettere di Gino Capponi e di altri a lui, Bd. 1, No 179: Al cavaliere Alfredo R ­ eumont, Berlino, Florenz, 2. Mai 1836, S. 415–417. 76 Vgl. BNCF Gino Capponi XI. 42, ­Reumont an Capponi, No 4: Aachen, 22. Juli 1836. 77 Carlo Troya: Del Veltro allegorico di Dante e altri saggi storici, hrsg. von Costantino Pani­ gada (Scrittori d’Italia 142), Bari 1932.

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relevante Quellen bekannt seien. Doch gerade wegen dieser Schwierigkeiten setzte Capponi große Erwartungen in die deutsche Wissenschaft.78 Wegen ihrer ghibellinischen Gesinnung, die ihnen Privilegien seitens der Kaiser verschaffte, standen die Ubaldini in ständigem Konflikt mit Florenz und Bologna, deren Verbindungswege mit den Städten der Romagna sie kontrollierten. Sie galten insbesondere als treue Vasallen Friedrichs II., der ihnen in einer Urkunde vom 25. November 1220 ihre Besitzungen bestätigte.79 Deswegen ging Capponi mit Blick auf die groß angelegten mittelalterlichen Urkundeneditionen wie die Monu­menta Germaniae Historica (MGH) davon aus, dass für deutsche Forscher der Zugang zur Überlieferungssituation ghibellinischer Familien wie der Ubaldini entsprechend einfacher sein müsse. Dennoch konnte er Leo weiterhelfen, indem er ihn an seinen Klienten Pietro Capei verwies, der ein Cousin der Ubaldini sei und deswegen in den entsprechenden Familienarchiven recherchieren könne.80 Dieser Fall scheint zunächst die übliche Vorgehensweise des bereits von Fransceco Marin in seiner Studie beobachteten asymmetrischen Transfers zwischen Deutschland und Italien zu belegen, bei dem es meist deutsche Forscher waren, die italienische Archivalien im Rahmen großangelegter deutscher Forschungsprojekte sammelten oder sammeln ließen: So wurde deutsches methodologisches Grundwissen nach Italien exportiert, während von italienischer Seite Feldforschung und Quellenlieferung betrieben wurde.81 Vor diesem Hintergrund kann der von Capponi empfundene Mangel an Kontakten in den deutschsprachigen Raum hinein gesehen werden. Nur auf dem Weg einer Intensivierung der Kontakte konnten sich die deutsche und italienische Wissenschaft gegenseitig bereichern. Dabei lag das Interesse Capponis zunächst vor allen Dingen darin, den Fortgang der deutschen, insbesondere großdeutschen Forschung besser verfolgen zu können, um für die Zukunft auf ein breiteres historisches und methodisches Wissen für die Weiterentwicklung der italienischen Forschung zurückgreifen zu können. ­Reumont versuchte sich, wie sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt feststellen lässt, von Anfang an als Vermittler zu engagieren. Die Motivation bestand nicht nur in seinem persönlichen Interesse für die italienische Geschichte und in der Absicht, seinen Florentiner Bekannten einen Dienst zu er 78 Lettere di Gino Capponi e di altri a lui, Bd. 1, No 182: Al cavaliere Alfredo ­Reumont, Aix la Chapelle, Florenz, 25. August 1836, S. 423–425, hier S. 424. 79 Jean Louis Alphonse Huillard-Bréholles: Historia diplomatica Friderici secundi, Paris 1855, S. 33–37; vgl. Renzo Zagnoni: La politica caritativa dei conti Cadolingi, dei conti Alberti, dei signori di Stagno e degli Ubaldini nel territorio tosco-bolognese (secoli X–XII), in: Lukas Clemens / Katrin Dort / Felix Schumacher (Hrsg.): Laienadel und Armenfürsorge im Mittelalter (Trierer Historische Forschungen 71), Trier 2015, S. 35–59, hier S. 51; Ders.: Gli Ubaldini del Mugello nella montagna oggi bolognese nel Medioevo, in: Atti e memorie della Deputazione di storia patria per le province di Romagna 59 (N. S.) (2008), S. 69–162. 80 Lettere di Gino Capponi e di altri a lui, Bd. 1, No 182: Al cavaliere Alfredo ­Reumont, Aix la Chapelle, Florenz, 25. August 1836, S. 423–425, hier S. 424–425. 81 Vgl. Marin (2010), S. 300.

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weisen, sondern auch in der Erkenntnis, innerhalb des preußischen diplomatischen Dienstes als ausgewiesener Italienexperte bessere Karrierechancen zu haben. Die Erfahrungen der Tischgesellschaft Ancillons sowie die persönliche Audienz beim italienbegeisterten Friedrich Wilhelm bestärkten ­Reumont in dieser Ansicht

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst ­Reumont selbst hob sowohl in seiner Briefkorrespondenz als auch später in seinen Erinnerungen immer wieder die besondere Zuneigung König Friedrich Wilhelms IV. hervor, der er seine diplomatische Karriere verdankte.82 Zweifellos wäre seine diplomatische Karriere ohne das große Italieninteresse des Kronprinzen und späteren Königs in dieser Form kaum möglich gewesen, zumal er als katholischer Rheinländer in Italien die Interessen eines protestantischen Staates zu vertreten hatte. In Berlin stand man vor diesem Hintergrund einer festen Beschäftigung im diplomatischen Dienst und möglicherweise noch in verantwortungsvoller Position skeptisch gegenüber.83 Wie im Folgenden noch gezeigt wird, war der Vorwurf, ­Reumont betreibe in Italien den Ausverkauf protestantischer Interessen tatsächlich schnell bei der Hand.84 Zieht man dabei noch die viel zitierte Abneigung der Preußen gegen die vermeintlich illoyalen Rheinländer in Betracht,85 so drängt sich schnell der Eindruck auf, es handle sich bei R ­ eumont um eine Ausnahmeerscheinung. Betrachtet man den Fall ­Reumont jedoch innerhalb der damaligen Entwick­ eumonts Beispiel lungen im preußischen diplomatischen Dienst, so fällt auf, dass R nicht nur auf die persönlichen Neigungen des Königs zurückzuführen ist, sondern durchaus der damaligen Personalpolitik entsprach. Um ­Reumonts Stellung im diplomatischen Korps besser zu verstehen, soll an dieser Stelle ein kurzer Exkurs über ­ eumonts Aufbau und Zusammensetzung des diplomatischen Dienstes zu Zeiten R geboten werden.

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Vgl. die Einschätzung von August Reichensperger: Aus König Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen von Alfred von ­Reumont, Literarische Rundschau für das Katholische Deutschland 24 (1884), S. 754–756. 83 Vgl. etwa die Bemerkungen Varnhagen von Enses: Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense [Veröffentlichungen der Deutschen Bibliographischen Gesellschaft, 14 Bde. (1904)] (Neuauflage von 1972), Bd. 2, Mittwoch, den 31. Januar 1844, S. 256–257 und Freitag, den 8. November 1844, S. 389–391. 84 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 386–398; Hüffer (1904), S. 144; zu der Affäre vgl. auch Giorgio Spini: Risorgimento e protestanti (Studi storici), Turin 1998 (2. Aufl.), S. 258–263. 85 Vgl. ­Reumonts eigene Einschätzungen in seinen Jugenderinnerungen in: Hüffer (1904), S. 58–59; Jürgen Herres / Bärbel Holtz: Rheinland und Westfalen als preußische Provinzen (1814–1888), in: Georg Mölich / Veit Veltzke / Bernd Walter (Hrsg.): Rheinland, Westfalen und Preußen. Eine Beziehungsgeschichte, Münster 2011, S. 113–208, hier S. 120–127.

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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1. Aufbau und soziale Zusammensetzung des diplomatischen Dienstes Wie bereits das Beispiel ­Reumonts selbst belegt, zeigte Kronprinz Friedrich ­ ilhelm ein gewisses Wohlwollen gegenüber den katholischen Untertanen. Bereits W in seiner Kronprinzenzeit nahm er nachweislich Einfluss auf die Entscheidungen des Staatsministeriums und sorgte beispielsweise Mitte der dreißiger Jahre dafür, dass bei der Neubesetzung der Stelle des Regierungspräsidenten in Düsseldorf der katholische Vizepräsident aus Koblenz, Adolf Theodor von Spiegel den Vorzug gegenüber dem protestantischen Regierungspräsidenten von Aachen, Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg erhielt.86 Als weiteres Beispiel sei hier der Fall des aus Westfalen stammenden Katholiken Franz von Duesberg (1793–1872) angeführt, der von Friedrich Wilhelm IV. 1841 zum Direktor der in Folge des Kölner Kirchenkonfliktes geschaffenen Katholischen Abteilung des Kultusministeriums berufen wurde. Nach verschiedenen Stationen im Justizdienst wurde er im Jahre 1826 nach Berlin in die Gesetzgebungskommission berufen. Seit 1836 saß er als einer der wenigen Katholiken im Staatsrat und wurde später sogar zum Staatssekretär berufen. In Berlin gewann er, ähnlich wie ­Reumont, das Vertrauen des Kronprinzen und wurde 1840 in den Adelsstand erhoben. Im Jahre 1846 wurde er schließlich Finanzminister und damit der erste katholische Minister in Diensten Preußens. Nach der Märzrevolution setzte Friedrich Wilhelm IV. auf von Duesbergs Lokalkenntnisse und übertrug ihm 1850 das Amt des Oberpräsidenten von Westfalen. Darüber hinaus wurde er Kronsyndikus und Mitglied des Herrenhauses.87 Obwohl in der gesamten Zeit ihres Bestehens von 1841–1871 nie ein aus dem Rheinland stammender Katholik in die katholische Abteilung des Kultusministeriums berufen worden ist,88 zeigen die hier angeführten Beispiele eine gewisse Sensibilität Friedrich Wilhelms (IV.) im Umgang mit dem katholischen Bevölkerungsteil. Katholiken, die sein Vertrauen gewinnen konnten, durften sich durchaus Hoffnungen auf Posten machen, für die ihre Konfession bei der täglichen Arbeit von Vorteil sein würde. Die Strategie, das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Bevölkerung durch die bewusste Demonstration, dass niemand aufgrund seiner Herkunft oder Konfession von Ämtern ausgeschlossen werde, zu fördern verfolgte bereits Friedrich Wilhelm III. – wenn auch die praktische Anwendung durchaus ihre Grenzen hatte.89 Bezogen auf das Außenministerium, das im Rahmen dieser Studie maßgeblich ist, betrug der Anteil an Katholiken 16,5 %, womit diese Bevölkerungsgruppe immer noch deutlich unterrepräsentiert war.90 86

Vgl. Herres / Holtz (2011), S. 145. Vgl. ebenda, S. 149–150. 88 Vgl. ebenda, S. 151. 89 Vgl. Dietmar Grypa: Der Diplomatische Dienst des Königreichs Preußen (1815–1866). Institutioneller Aufbau und soziale Zusammensetzung (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 37), Berlin 2008, S. 268–269. 90 Vgl. ebenda, S. 272. 87

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Zwar wurden für die Repräsentanz an den Höfen katholischer Souveräne bereits zu Zeiten Friedrich Wilhelms III. mitunter bewusst Katholiken eingesetzt, um den täglichen Verkehr am jeweiligen Hofe zu erleichtern, jedoch wurden mit dem „Kölner Ereignis“ des Jahres 1837 die Probleme offensichtlich, die sich für die katholischen Diplomaten im Dienst eines protestantischen Staates ergeben konnten. Nachdem der Kölner Erzbischof Freiherr von Droste Vischering verhaftet worden war, wurden die preußischen Gesandten aufgefordert, die ihnen zu Gebote stehenden Mittel zu nutzen, dieses Verhalten zu rechtfertigen. Dies brachte ultramontane Katholiken unweigerlich in Loyalitätskonflikte. So entschied sich Ferdinand Carl Hubert von Galen, der preußische Geschäftsträger in Brüssel dafür, um seine Entlassung zu ersuchen. In der in Folge des Kölner Ereignisses intern geführten Diskussion wurde hinsichtlich der Katholiken zwischen „Geistlichkeit“, „sehr streng gläubigen Laien katholischer Confession“ und „der ultramontanen Richtung“ unterschieden. Insofern galt die katholische Konfession an sich noch nicht als problematisch, wohl aber wenn sie sich mit einer ultramontanen Gesinnung verband.91 Mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. sollten sich die Chancen für Katholiken auf eine diplomatische Karriere in der Theorie nicht ändern. Im Jahre 1840 bestätigte er die geltenden Bestimmungen. Jedoch zeigte sich sehr früh, dass der neue König dazu neigte, im Zweifelsfall seine persönliche Einschätzung über die Dienstvorschriften zu stellen. Während seiner Regierungszeit kam es zu einer deutlichen Zunahme der Ausnahmeregelungen: Entweder aus Rücksichtnahme auf den großen Namen eines Kandidaten oder weil er sich bereits bewährt hatte, ohne formal die Zulassungsvoraussetzungen zu erfüllen. Diese Ausnahmeregelungen hingen jedoch jeweils von der persönlichen Einschätzung des Monarchen ab.92 Insofern kann das persönliche Verhältnis zum König oder die gute Verbindung zu einem Fürsprecher im Umfeld des Königs als besonders wichtig für tendenziell benachteiligte Gruppen gelten. Trotzdem änderte sich die Situation für Katholiken im diplomatischen Dienst maßgeblich, da Friedrich Wilhelm IV. einen pragmatischen Umgang mit der katholischen Konfession im diplomatischen Dienst pflegte. So wurde für den Wiedereintritt des Grafen Carl Gotthard Leopold von Schaffgotsch eigens die Stelle eines Minister-Residenten in Florenz geschaffen – „lediglich und allein mit Rücksicht auf die Confessions-Verhältnisse“ des Grafen.93 Denn man erachtete es als „unter Umständen für den königlichen Dienst von Nutzen“, „in der Nähe von Rom einen dem katholischen Glauben zugethanen selbstständigen diplo­ matischen Agenten zu besitzen“.94 Diese Strategie, in Italien auch verstärkt katho­ eumont zugute kommen, der, lische Diplomaten einzusetzen, sollte letztlich auch R 91

Vgl. ebenda, S. 277–279. Vgl. ebenda, S. 224–225. 93 Vgl. ebenda, S. 281; GStA PK, III. HA MdA ZB Nr. 542: [Heinrich August Alexander Freiherr von Werther] an Friedrich Wilhelm IV., 10. Mai 1841 (Konzept). 94 Vgl. Grypa (2008), S. 281; GStA PK, III. HA MdA ZB Nr. 1071: Friedrich Ludwig III. Graf Truchseß zu Waldburg-Capustigal an Heinrich August Alexander von Werther, 7. Dezember 1840. 92

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wie bereits erwähnt, zunächst als Legationssekretär und dann als Geheimer expedierender Sekretär, von Schaffgotsch in Florenz unterstellt war. Aber nicht nur hinsichtlich der Konfession wurde der Zugang zum diplomatischen Dienst erleichtert. Wie bereits erwähnt, spielte die persönliche Beziehung zum König oftmals eine herausragende Rolle. Joseph Maria Ernst von Radowitz etwa hatte vor seinem Wechsel in das Außenministerium keine diplomatische, sondern eine militärische Karriere absolviert, zählte jedoch zu den engsten Freunden des Königs.95 Vor dem Hintergrund einer Öffnung des diplomatischen Dienstes für Katholiken an Stellen, an denen die katholische Konfession einen praktischen Vorteil versprach, verbunden mit zahlreichen vom König zugestanden Ausnahmen ist auch die spätere diplomatische Karriere ­Reumonts zu sehen. Dieser verband nämlich, ähnlich wie von Radowitz, seinen katholischen Glauben mit dem preußischen Royalismus und gewann auf diese Weise das Vertrauen des Monarchen, der sich fortan zu seinem ­ eumont dankte es ihm mit absoluter Lowichtigsten Förderer entwickeln sollte.96 R yalität. Noch in seinen Erinnerungen sollte er den König in seinem Handeln gegenüber den Katholiken rechtfertigen, indem er erklärte: „Das preußische Staatsprinzip ist seiner Natur nach antikatholisch, aber diese Tendenz ist durch den ihm inwohnenden Gerechtigkeitssinn und durch das lebendige Bewußtsein der moralischen nicht minder als der politischen Verpflichtung der Schonung der Rechte der katholischen Kirche als der Kirche so vieler Millionen theilweise neuer Unterthanen gemäßigt, stellenweise neutralisirt.“97

Obgleich R ­ eumont also einräumte, dass sich nichts an der antikatholischen Grundeinstellung Preußens als protestantischem Staat geändert habe, verwies er auf die Person des Königs, die allein die gerechte Auslegung des Staatsprinzips garantiere. Damit redete er genau jenem Herrschaftsverständnis das Wort, an dem sich Friedrich Wilhelm IV. stets orientierte. Rechte und Pflichten kamen dabei von Gott und waren, unabhängig von einer Verfassung, unabänderlich und untrennbar miteinander verbunden. Diese Gegenüberstellung der Person des Monarchen zum Staatsprinzip ist in ­Reumonts Erinnerungen, die er 1884 niedergeschrieben hat, als eine Rechtfertigung des monarchischen Prinzips gegenüber dem liberalen Konstitutionalismus, der den Kulturkampf seiner Ansicht nach begünstigt hatte, zu verstehen. Die Bildung von Parteien, die sich im Wettstreit um die öffentliche Meinung und die politische Macht befinden, habe danach die Bevölkerung gespalten und damit überhaupt erst eine Karriere wie diejenige des späterem Reichskanzlers Otto von Bismarck ermöglicht. Während sich also ein Monarch wie Friedrich Wilhelm IV. stets um Eintracht bemüht habe, sei der Parlamentarismus dafür verantwortlich, dass Differenzen innerhalb der Bevölkerung verschärft wurden und Eife 95

Vgl. Grypa (2008), S. 281. Vgl. ebenda. 97 Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 89. 96

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rer den Ton angaben. Deswegen gehörte ­Reumont auch zu denjenigen Katholiken, die den politischen Katholizismus ablehnten und befand sich damit gewissermaßen zwischen den Fronten.98 Aber eine Versöhnung des katholischen Bevölkerungsteils mit dem protestantischen Staat war nach seiner Ansicht nur in der Person eines verantwortungsvollen Monarchen garantiert. Deswegen rechtfertigte er Friedrich Wilhelm IV. auch vor dem Vorwurf, den Versuch unternommen zu haben, die katholische Kirche zu kontrollieren: „Die katholischen Rheinländer brachten dem Preußentum, so wie es von altersher durch die Verwaltung der vormals jülich’schen Landestheile und durch Vorkommnisse in den Zeiten der Religionswirren bekannt war, gerade keine Vorliebe entgegen. Einzelne Ungeschicklichkeiten der jüngsten Zeiten steigerten die geringe Vorliebe nicht. Aber das allgemeine Vertrauen zu dem gerechten Sinn des Königs und die Erkenntnis der von seiner Regierung bei der Neugestaltung des katholischen Kirchenwesens an den Tag gelegten Sorgfalt, den Bedürfnissen, wenn nicht immer den Wünschen gerecht zu werden und der Kirche etwas mehr Selbstständigkeit zu geben, wirkte wohltätig und beruhigend.“99

­Reumont betonte selbst immer wieder mit Recht die besondere persönliche Förderung, die ihm durch Friedrich Wilhelm IV. zuteil wurde. Die daraus resultierende Dankbarkeit und Anhänglichkeit tritt in den hier zitierten Zeilen deutlich hervor. Trotzdem war die Karriere ­Reumonts kein Einzelfall, sondern Teil einer sich ändernden Schwerpunktsetzung im preußischen diplomatischen Dienst, die in der katholikenfreundlichen Haltung Friedrich Wilhelms IV. ihren Ausgangspunkt hatte und verstärkt Ausnahmeregelungen in Kauf nahm, wenn es dem König opportun schien. Das besondere an ­Reumonts Fall ist also nicht, dass ein Katholik über die besondere Gunst des Königs Karriere im diplomatischen Dienst machte, sondern vielmehr, dass er sich aus einer niedrigen Stellung heraus hocharbeitete – er stammte weder aus einer in Preußen angesehenen Familie, noch war er adlig. Bei seiner ersten Audienz war er nicht einmal Geheimer Legationsrat und damit noch gar nicht hoffähig.100 Trotzdem verschaffte ihm der Ruf als ausgewiesener Italienkenner ab dem Jahre 1843 die regelmäßige Einladung an die königliche Tafel.101 Es war also das gute Verhältnis zum König, das ihn überhaupt erst hoffähig machte.

98 So erging es auch dem von ihm eifrig geförderten Franz Xaver Kraus aus Pfalzel bei Trier – vgl. Lepper (1989), S. 190–213; ChristophWeber: Franz Xaxer Kraus und Italien, QFIAB 61 (1981), S. 168–190; vgl. auch Ders. (Hrsg.): Franz Xaver Kraus: Liberaler Katholizismus. Biographische und kirchenhistorische Essays, Tübingen 1983. 99 Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 90. 100 Vgl. Grypa (2008), S. 75. 101 Vgl. Hüffer (1904), S. 133.

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2. ­Reumonts Förderer a) Die Kölner Wirren und die Sondermission Brühl: ­Reumont als Mediator zwischen den Konfessionen Wie bereits erwähnt, verdankte R ­ eumont Friedrich Wilhelm IV. und der unter ihm einsetzenden Akzentverschiebung im diplomatischen Dienst die besondere persönliche Förderung. Schon bald nachdem er als Geheimer expedierender Sekretär nach Florenz gegangen war, zeichnete sich eine politische Entwicklung ab, die, so problematisch sie sich für den preußischen Staat gestalten sollte, für ihn persönlich zum Glücksfall werden sollte: Die sogenannten „Kölner Wirren“ in Folge des „Kölner Ereignisses“ von 1837 – der Verhaftung des Kölner Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering.102 Dessen Vorgehen gegen die an der Universität Bonn lehrenden Hermesianer sowie dessen Ablehnung, die „Berliner Konvention“ über die gemischten Ehen umzusetzen, veranlassten die preußische Regierung dazu, den Kölner Erzbischof zu verhaften. Dies hatte den Protest des Papstes Gregor XVI. zur Folge, der sich in einer Allokution vom 10. Dezember 1837 gegen die „verletzte Freiheit der Kirche“ und die „mit Verachtung behandelte bischöfliche Würde“ aussprach.103 Die Folge war das Erwachen einer politisch-katholischen Publizistik, allen voran sei an dieser Stelle an Joseph Görres’ Athanasius erinnert, sowie eine Politisierung der katholischen Öffentlichkeit:104 Für August Reichensperger, ein enger Bekannter ­Reumonts, war dies der Auslöser für sein politisches und gesellschaftliches Engagement, das ihn unter anderem zur Beteiligung am Katholischen Verein Deutschlands und dem Zentrum sowie an für die Netzwerkpflege wichtigen Vereinen wie dem Dombauverein veranlasste.105 Zudem stellte sich der rheinisch-west 102

Vgl. Rudolf Lill: Die Beilegung der Kölner Wirren: 1840–1842; vorwiegend nach Akten des Vatikanischen Geheimarchivs (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 6) [zugl. Diss. Köln], Düsseldorf 1962; Friedrich Keinemann: Das Kölner Ereignis, sein Widerhall in der Rhein­ provinz und in Westfalen, Bd.1: Darstellung (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 22 / Geschichtliche Arbeiten zur westfälischen Landesforschung 14), Münster 1974 und Bd. 2: Quellen (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 59); Joseph von Görres: Kirche und Staat nach Ablauf der Cölner Irrung, Weissenburg 1842; Herres / Holtz (2011), S. 145–149; zur Person zu Vischerings vgl. Walter Lipgens: Droste zu Vischering, Clemens August Freiherr von, NDB 4 (1959), S. 133–134; zu Georg Hermes und seiner Lehre vgl. Eduard Hegel: Hermes, Georg, NDB 8 (1969), S. 671–672; Rudolf Malter: Reflexion und Glaube bei Georg Hermes: Historisch-systematische Studie zu einem zentralen Problem der modernen Religionsphilosophie, Diss. Saarbrücken-Homburg 1966; Herman H. Schwedt: Das römische Urteil über Georg Hermes (1775–1831): ein Beitrag zur Geschichte der Inquisition im 19. Jh. (= Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte / Supplementheft 37) [zugl. Rom Diss. 1976], Rom 1980; sowie zu ­Reumonts Rolle in dieser Angelegenheit Lepper (1991), S. 394–412. 103 Vgl. Herres / Holtz (2011), S. 146–147; Lill (1962), S. 41–53. 104 Vgl. Lill (1962), S. 53–55. 105 Vgl. Hans-Jürgen Becker (1985), S. 147–153; Katrin Pilger: Der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert. Zur Konstitutierung des Bürgertums durch formale Organisation (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 26), Köln 2004; Clark (2008.), S. 508.

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fälische Adel hinter den verhafteten Erzbischof, den er als Bekenner feierte.106 Diese Auseinandersetzung hatte für den preußischen Staat fundamentale Bedeutung. Nachdem man in der Frage der Mischehen mit dem Vorgänger zu Vischerings, dem kooperativen Ferdinand August Freiherr von Spiegel zum Desenberg und Canstein mithilfe der geheimen „Berliner Konvention“ einen modus vivendi gefunden hatte, nach der die feierliche Trauung nicht mehr von der Zusage der katholischen Kindererziehung abhängen sollte, sondern die Söhne dem Bekenntnis des Vaters und die Töchter dem Bekenntnis der Mutter folgen sollten, war dieser Ausgleich mit dem „Kölner Ereignis“ gescheitert.107 Wurde noch zuvor das strengere päpstliche Breve von 1831 stillschweigend großzügig im preußischen Sinne ausgelegt, so konnte die vatikanische Seite die nun in der Öffentlichkeit diskutierte Diskrepanz zwischen dem päpstlichen Breve und der lokalen Praxis nicht länger hinnehmen. Der offen zutage getretene Konflikt war deswegen nicht mehr länger auf der Basis geheimer Absprachen mit dem zuständigen Erzbischof zu vermeiden und konnte von diesem Zeitpunkt an nur noch auf offizieller Ebene beigelegt werden. ­Reumont hatte die Entstehung des Konfliktes bereits indirekt miterlebt und wusste schon während seines Berliner Aufenthaltes über die heraufziehenden Probleme Bescheid. In dieser Zeit stand er nämlich in persönlichem Kontakt zu ­Johann Heinrich Schmedding, dem vortragenden Rat im Kultusministerium, der als Verhandlungsführer des Staates mit den rheinischen und westfälischen Bischöfen fungierte.108 Zugleich verfolgte er die theologisch-kirchliche Auseinandersetzung um den Verlauf der Verhandlungen zur Mischehenfrage nicht nur über die Publizistik, sondern kannte auch einzelne Führungspersönlichkeiten der belgischen und rheinischen Ultramontanen persönlich, so etwa den Pfarrer von Gemmenich in der Diözese Lüttich, Johann Theodor Laurent aus der gemeinsamen Zeit am Königlichen Gymnasium in Aachen. Dieser war als entschiedener Gegner der Hermesianer und des Kirchenregiments Ferdinands von Spiegel aufgetreten.109 ­Reumont lehnte zwar die Agitation der Ultramontanen ab und legte keinen besonderen Wert auf persönliche Beziehungen zu ihren Vertretern, jedoch dürfte er über ihre Ansichten dennoch gut informiert gewesen sein.110 Und tatsächlich sollte er diese Angelegenheit schon bald aus der Nähe miterleben. Seine amtlichen Aufgaben in Florenz waren nur geringfügig, da sein Vorgesetzter, der schon angesprochene Katholik Graf Schaffgotsch, sich in Urlaub befand. Deswegen wurde R ­ eumont genehmigt, dessen Rückkehr in Rom abzuwarten, wo er dem dortigen Gesandten Christian Carl Josias Bunsen anvertraut wurde, der ihn sogleich Gregor XVI. vorstellte.111 Auf diese 106

Vgl. Herres / Holtz (2011), S. 147–149. Vgl. Reimund Haas: Spiegel zum Desenberg und Canstein, Ferdinand August Freiherr von, NDB 24 (2010), S. 678–679. 108 Vgl. Lepper (1991), S. 394–395. 109 Vgl. ebenda, S. 395–396. 110 Vgl. ebenda, S. 406–407. 111 Vgl. Hüffer (1904), S. 129–130; Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 24–25; zu Bunsen vgl. Frank Förster: Christian Carl Josias Bunsen. Diplomat, Mäzen und Vordenker in Wissenschaft, Kirche und Politik (Wal 107

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Weise kannte er zum Ausbruch der „Kölner Wirren“ beide Seiten und erlebte die Eskalation des Konfliktes als Sekretär des in seinen Augen Hauptschuldigen in dieser Angelegenheit. Inwieweit er persönlichen Anteil am Notenwechsel zwischen der Gesandtschaft und der Kurie nahm bleibt offen.112 Allerdings hatte er für Bunsens Verhalten in seinen Erinnerungen nur Kritik übrig. Er habe sich ständig selbst überschätzt und geglaubt, er könne durch die Beugung des Rechts in der bewussten Fehldeutung des päpstlichen Breves dem Papst seinen Willen aufzwingen. Durch diesen Vertrauensbruch, den er noch verstärkte, indem er die Existenz des geheimen Abkommens auch nach dessen Bekanntwerden zunächst leugnete, habe er das bis dato gute Verhältnis zwischen dem preußischen Staat und der katholischen Kirche unnötig gefährdet und damit auch gegen die Intentionen des Königs gehandelt.113 Obwohl er gegenüber dem Vorgehen seines Vorgesetzten Unbehagen empfand, fiel ­Reumont die Aufgabe zu, dessen Darstellung des Verfahrens der preußischen Regierung gegen den Erzbischof von Köln ins Italienische zu übersetzen.114 Dabei griff Bunsen offenbar durchaus bewusst auf die Dienste eines rheinischen Katholiken zurück, wie aus einem Schreiben Bunsens an Friedrich Wilhelm III. hervorgeht, in dem es über R ­ eumont heißt: „Seine durchaus tiefere Verbindlichkeit, und seine ausgewogenen frisch gemäßigten, und dabei christlichen, religiösen Grundsätze, ließen eine solche Beschäftigung in Rom als ganz unbedenklich, ja für die Katholiken am Rhein – wo der Dr. ­Reumont, uns als Verfasser der „Sagen Rheinlands“ sehr bekannt ist – einen guten Eindruck hervorbringen erscheinen. Er hat auch im Ministerium selbst gearbeitet. Zur großen Zufriedenheit des […] Staatsministers Ancillon.“115

­Reumont erschien mit seinem persönlichen Hintergrund also als bestens für die schwierige Situation geeignet. Ihn zeichneten Fleiß und Dienstbeflissenheit sowie eine hervorragende Lokal- und Sprachkenntnis aus. Dies allein hätte ausgereicht, ihn für die Arbeit in Rom als prädestiniert erscheinen zu lassen, da er in dieser Zeit das einzige Mitglied der Mission war, das die italienische Sprache mündlich und schriftlich beherrschte.116 Bezogen auf die für den preußischen Staat angespannte Lage im Rheinland und in Westfalen, wo sich im Zuge des „Kölner Ereignisses“ von Seiten der katholischen Bevölkerung eine zunehmend feindselige Stimmung dem Staat gegenüber breitmachte, lag der besondere Wert R ­ eumonts in seiner rheinischen Herkunft und dortigen Bekanntheit durch seine Rheinlandsagen117. Seine Anstellung in Rom hatte also auch eine ganz konkrete politische Motivation: Es ging deckische Forschungen. Wissenschaftliche Reihe des Waldeckischen Geschichtsvereins 10), Bad Arolsen 2001. 112 Vgl. Lepper (1991), S. 397–399. 113 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 92–98. 114 Vgl. Lepper (1991), S. 402. 115 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594, Schreiben Bunsens, Berlin, 3. Dezember 1837. 116 Vgl. Lepper (1991), S. 402. 117 Alfred R ­ eumont: Rheinlandsagen, Geschichten und Legenden, Köln 1837.

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darum zu zeigen, dass auch rheinische Katholiken an der Beilegung des Streites beteiligt werden, um der spaltenden Wirkung auf die konfessionell gemischte Bevölkerung entgegenzusteuern. Das bereits erwähnte Beispiel Ferdinand Carl H ­ ubert von Galens, der in Folge des „Kölner Ereignisses“ den Dienst quittiert hatte118 zeigt, dass man sich im Außenministerium durchaus der Gefahr der Entfremdung von Teilen der katholischen Bevölkerung bewusst war und welchen Wert vor diesem Hintergrund gemäßigte und dem preußischen Staat gegenüber loyale Katholiken wie ­Reumont haben konnten. Bekanntlich gingen Bunsens Pläne in keiner Weise auf. Nach dem Scheitern seiner Strategie, das in der Ablehnung sowohl des Papstes als auch des Kardinalstaatssekretärs ihn zu empfangen offenbar wurde und der endgültigen Abberufung Bunsens 1838, ging es darum, die Wogen wieder zu glätten und verlorenes Vertrauen wiederherzustellen.119 Erneut schien die Beteiligung von Katholiken an den Verhandlungen mit dem Vatikan als besonders geeignet. Im Herbst 1839 wurde ­Reumont, nach kurzem Aufenthalt an seinem eigentlichen Arbeitsort Florenz, an Stelle des Legationssekretärs von Thile erneut der römischen Gesandtschaft unter von Buch zugeteilt, den er bereits im elterlichen Hause in Aachen kennengelernt hatte.120 Sowohl für die Beilegung des Mischehenstreits als auch für R ­ eumonts persönliche Karriere war der am 7. Juni 1840 erfolgte Thronwechsel vielversprechend. Friedrich Wilhelms IV. konziliante Einstellung gegenüber der katholischen Kirche war bekannt und erleichterte die Beilegung des Konfliktes. Auch ­Reumont setzte vorsichtige Hoffnungen in den Regierungswechsel, wenngleich er sich der Verantwortung des Königs gegenüber seinem Amt, hinter der persönliches Wohlwollen möglicherweise zurückstehen musste, bewusst war. So schrieb er zu diesem Anlass an seine Mutter: „Daß der König mich kennt und als Kronprinz mir wohlgewollt hat, ist ein großer Gewinn: aber vom Kronprinzen zum König ist eine ungeheure Distanz. Ich werde also darauf keine Chateaux en Espagne bauen.“121

Tatsächlich sollte der neue König die von R ­ eumont in ihn gesetzten Hoffnungen nicht enttäuschen. Dieser bemühte sich sogleich um Entschärfung der Situation, indem er den Grafen Friedrich von Brühl zum außerordentlichen Gesandten Preußens beim Heiligen Stuhl ernannte. Er sollte ohne direkte Verhandlungsvollmacht die Auffassung der Kurie erkunden und die Möglichkeiten einer Beilegung des Konfliktes ausloten.122 Folgt man den Schilderungen R ­ eumonts, so sei es ein besonderes 118 Vgl. Kapitel B. II. 1. Aufbau und soziale Zusammensetzung des diplomatischen Dienstes, S. 59. 119 Vgl. Walter Bußmann: Bunsen, Christian Karl Josias Freiherr von, NDB 3 (1957), S. 17–18. 120 Vgl. Hüffer (1904), S. 129–130; Lepper (1991), S. 400. 121 NL ­Reumont S 2747, ­Reumont an seine Mutter Lambertine, Siena, 15. August 1840, zitiert nach Lepper (1991), S. 407, Anm. 133. 122 Vgl. Lepper (1991), S. 408–410; Lill (1962), S. 99–106.

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Anliegen des Königs gewesen, den Streit möglichst rasch beizulegen, ohne jedoch die protestantische Seite in Preußen zu verärgern.123 Um die verhärteten Fronten aufzuweichen, wählte der König den Grafen von Brühl für diese Aufgabe aus, da er selbst als Katholik aus einer gemischt-konfessionellen Familie stammte und mit einer Protestantin verheiratet war. Außerdem konnte er auf keine diplomatischen Erfahrungen zurückblicken. Der König erhoffte sich, dass jemand, der in der Angelegenheit unbelastet ist, jedoch beide Seiten kennt, leichter das Vertrauen beider Seiten, sowohl der Kurie und der preußischen Katholiken als auch der Protestanten gewinnen könne.124 ­Reumont sollte in dieser Zeit als Brühls engster Mitarbeiter aktiv in die Verhandlungen eingebunden werden und konnte auf diese Weise das Vertrauen in vatikanischen Kreisen gewinnen und für seine Zukunft nützliche Kontakte knüpfen.125 Die erfolgreichen Verhandlungen, die mit der Freigabe des Verkehrs der Bischöfe mit der Kurie, der Freiheit der Bischofswahlen, der Einrichtung einer katholischen Abteilung des Kultusministeriums und der Haftentlassung Drostes – unter Ausschluss einer Rückkehr nach Köln –, abgeschlossen wurden,126 gaben ­Reumont die Möglichkeit, sich in der Römischen Gesellschaft einen Namen zu machen und seine diplomatischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Insbesondere die Dankbarkeit seines Vorgesetzten während der schwierigen Verhandlungen machte ­Reumont in seinen Erinnerungen für seine anschließende Karriere verantwortlich.127 Zu einer ähnlichen Einschätzung war er bereits kurz nach Beendigung der Mission gelangt und hoffte darauf, in Zukunft „in ihm in Berlin eine feste Stützte zu haben“.128 Tatsächlich war sein Vorgesetzter nach der Rückkehr nach Berlin voll des Lobes für ihn. In einem Schreiben an den König hob er R ­ eumonts zuverlässige Hilfe während der Verhandlungen hervor: „[…]daß mir derselbe [­Reumont] während meiner Anwesenheit in Rom, und gerade in den wichtigen Momenten, durch seine genaue und ausgebreitete Bekanntschaft mit den dortigen Verhältnissen und Personen, von dem allerwesentlichsten Nutzen gewesen ist. […] Während ich mich auf dem mir fast fremden Terrain, vor Spähern und Beobachtern aller meiner Schritte umgeben befand, war es für mich von der größten Wichtigkeit einen Mann wie ­Reumont völlig zuverlässigen Charakters und erprobter Gesinnungen zu finden, der bei seiner, keinen Verdacht erregenden, Unscheinbarkeit mir oft die schätzbarsten Mittheilungen aus Regionen zu verschaffen wußte, denen ich mich nicht hätte nähern können ohne das Mißtrauen der hierzu sehr geneigten Machthaber – welches ich doch vor allem vermeiden mußte – auf mich zu lenken. Seit Jahren als Gelehrter in Italien bekannt und geschätzt, war 123

Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 116–118. 124 Vgl. ebenda, S. 119–120. 125 Vgl. ebenda, S. 131; Lepper (1991), S. 410–411. 126 Vgl. Lepper (1991), S. 410; Herres / Holtz (2011), S. 148–149. 127 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 125. 128 Vgl. Lepper (1991), S. 411, mit Anm. 163: ­Reumont an seine Mutter, Rom 12. September 1842.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben  man so gewohnt ihn mit wissenschaftlichen Forschungen beschäftigt und mit Personen aller Stände im vertraulichen Verkehr zu sehen, daß seine unbedeutende, zwischen Florenz und Rom mehrmals wechselnde, Anstellung bei der Gesandtschaft kaum mehr in Betrachtung kam. Gerade hierdurch wurde seine Stellung für mich umso günstiger; auch wußte er sie mit so feinem Takt und so großer Umsicht zu benutzen, daß er mehr erfuhr und mehr wußte als gewiß mancher höher gestellter Diplomat, der vielleicht mit Geringschätzung auf den expedirenden Secretair herabblickte, zu erfahren vermocht hätte. In Italien, wo R ­ eumont ein sehr geachtetes Mitglied vieler gelehrter Gesellschaften ist, haben seine schätzenswerthen Eigenschaften und gediegenen Kenntnisse die wohlverdiente Anerkennung gefunden und so bleibt mir in Hinsicht auf ihn nur der aufrichtige Wunsch übrig, daß ihm doch auch in der Heimath ähnliches zu Theil werden möchte.“129

Aber nicht nur von Seiten seines Vorgesetzten wurde er überschwänglich gelobt, sondern auch von der Gegenseite. Für seine besonderen Dienste „auf dem Wege zum Frieden zwischen Staat und Kirche“ wurde ihm der Gregorius-Orden verliehen.130 Diese Auszeichnung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass R ­ eumont diesem Papst gegenüber recht reserviert eingestellt war. Bedingt durch seine vorherige Prägung in der Toskana durch Männer wie den Protestanten Vieusseux oder Capponi, die, wenn auch durchaus kritisch, den Saint-Simonismus intensiv rezipierten und eine überkonfessionelle religiöse Erneuerung anstrebten,131 sah er ein allzu weltliches Auftreten des Papsttums skeptisch und konnte dementsprechend wenig mit dem pompösen päpstlichen Zeremoniell anfangen. Bereits als er Gregor XVI. vorgestellt wurde, verzichtete er darauf, dem Papst die Füße zu küssen.132 Lässt sich dies möglicherweise noch damit begründen können, dass er gegenüber seinem protestantischen und papstkritischen Vorgesetzten nicht von Beginn an negativ auffallen wollte, so fällt auch in der Folge seine kritische Einstellung gegenüber dem von Gregor XVI. verkörperten geistigen Absolutismus, der Gewissensfreiheit und religiöse Toleranz kategorisch ablehnte, auf.133 In den Briefen an seine Mutter räumte er hinsichtlich der Osterfeierlichkeiten in Rom ein, „daß diese Ceremonien mich am wenigsten angesprochen haben, weil sie zum Theil gar zu schauspielerisch sind“134. Dies zeigt, dass R ­ eumont mit seiner persönlichen politischen Einstellung tatsächlich zwischen den beiden Konfliktparteien stand, und gerade deswegen offenbar als glaubwürdiger Vermittler angenommen wurde.

129 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 89, Nr. 10594/0, von Brühl an den König, Berlin, 5. Januar 1844, Blatt 45–46. 130 Lepper (1991), S. 412; BNCF Vieuss. C. V. 88,139: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 6. Mai 1842. 131 Vgl. Francesco Pitocco: Utopia e riforma religiosa nel Risorgimento. Il sansimonimso nella cultura toscana (Biblioteca di cultura moderna 733), Bari 1972; Spini (1998), S. 148–151. 132 Vgl. Lepper (1991), S. 388. 133 Vgl. ebenda, S. 388–393. 134 NL ­Reumont, S 2747, ­Reumont an seine Mutter Lambertine, Rom, 27. März 1837; Lepper (1991), S. 390.

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b) ­Reumonts Italienkompetenz als Grundstein seiner Karriere Diese erfolgreiche Tätigkeit verschaffte ­Reumont ein hohes Ansehen und nützliche Kontakte in der römischen Gesellschaft, die er in der Folge sowohl in den Dienst der preußischen Diplomatie als auch der Wissenschaft stellen sollte. Dabei handelte es sich während seines römischen Aufenthaltes nicht nur um Kontakte zu den Einheimischen, sondern auch zu diversen Personen aus dem Umfeld des Istituto di corrispondenza archeologica wie Theodor Heyse, August Kestner, Ernst Platner oder König Ludwig von Bayern.135 Diese Verbindungen halfen ­Reumont dabei, neben seiner diplomatischen Aufgabe auch dem persönlichen Auftrag Friedrich Wilhelms (IV.) gerecht zu werden. Schon kurz nach seiner Ankunft in Rom hatte ­Reumont eine Medaille mit dem Bildnis des Kronprinzen erhalten – verbunden mit der Aufforderung, über literarische und künstlerische Dinge Bericht zu erstatten. Seine Römischen Briefe von einem Florentiner136, die später auch veröffentlicht wurden, und die auch in einem späteren Kapitel dieser Arbeit näher untersucht werden, lieferten eingehende Informationen über kirchliche und soziale Zustände, römische Feste und die lokalen Adelsfamilien und waren in dieser Form wohl der beste Reiseführer, den ein deutscher Italienreisender jener Zeit zur Hand nehmen konnte, um sich tiefgehender über die Umgebung zu informieren. Darin veröffentlichte er auch eigene Studien über die landwirtschaftlichen Verhältnisse. Er hatte zuvor an den erstmals 1839 in Pisa veranstalteten italienischen Gelehrtenversammlungen teilgenommen, und 1841 in Florenz auch einen eigenen Vortrag über die Römische Campagna gehalten, in dem er die Notwendigkeit von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen anmahnte und mit dem er in reaktionären Kreisen auf heftige Opposition gestoßen war.137 Dieser Vortrag wurde auch in seinen Römischen Briefen abgedruckt und in der Augsburger Allgemeinen Zeitung besprochen138 und unterstreicht deren besondere Aktualität, mit denen sie der seinerzeit gängigen Reiseliteratur zweifellos voraus waren. Zwar hatte es bis dato bereits Reiseführer gegeben, allen voran natürlich Goethes Italienische Reise, jedoch erfuhr man in diesen Werken nur wenig über soziale und politische Verhältnisse.139 Einer der damals führenden Autoren war Ernst Förster, der nach langen Reisen und umfassenden Recherchen in Italien ein Handbuch für Reisende in Italien herausgegeben hatte und zahlreiche Berichte für die Augsburger Allgemeine Zeitung verfasste.140 ­Reumont 135

Vgl. Hüffer (1904), S. 129–130; Jedin (1973), S. 100. Alfred ­Reumont: Römische Briefe von einem Florentiner, 4 Bde., Leipzig 1840–1844. 137 Vgl. Lepper (1991), S. 393–394; Alfred ­Reumont: Neue Römische Briefe, Bd. 2, Leipzig 1844, S. 228–262. 138 ­Reumont über die römische Campagna, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1842. 139 Vgl. Petersen (2000), S. 159; Christoph Friedrich Karl Kölle: Rom im Jahr 1833, Stuttgart / Tübingen 1834; Karl von Czörnig: Italienische Skizzen, 2 Bde., Mailand 1838; Friedrich von Raumer: Italien. Beiträge zur Kenntnis dieses Landes, 2 Bde., Leipzig 1840; Karl Joseph Anton Mittermaier: Italienische Zustände, Heidelberg 1844. 140 Vgl. Hüffer (1904), S. 131; vgl. zu Förster: Hyacinth Holland: Förster, Ernst, ADB 48 (1904), S. 655–660. 136

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

kannte ihn persönlich und studierte seine Schriften intensiv, um sie zu rezensieren und für seine eigenen Arbeiten zu verwenden.141 Spätestens seit den 1850er Jahren war er selbst es, der Förster bei dessen Arbeiten und deren Verbreitung entscheidend unterstützte. Dass ­Reumont eine Führungsrolle im deutsch-italienischen Austausch für sich beanspruchte wird insbesondere in der Besprechung von Försters Beiträgen zur neueren Kunstgeschichte deutlich, in der er auf sein eigenes Engagement mit Nachdruck aufmerksam machte.142 Obgleich ­Reumont die besonderen Verdienste Försters hervorhob, legte er doch größten Wert darauf, dass er derjenige gewesen ist, der schon längst in Deutschland auf das wichtige Buch seines Florentiner Freundes aus dem Umfeld der Antologia aufmerksam gemacht hatte. Um dieser mangelnden Kenntnis Italiens und seiner kulturellen Schätze abzuhelfen, versuchte er zudem mit seiner Zeitschrift Italia143, für die er namhafte Gelehrte wie Witte, Platner, Kestner, Leo und Rumohr gewinnen konnte, die deutsche Aufmerksamkeit auf Italien zu lenken. Mit einigem Stolz kündigte er seinem Freund Gino Capponi dieses ambitionierte Projekt an, das auch einen Aufsatz Leos über die von Capponi und Capei recherchierten Quellen zur Familie der Ubaldini beinhalten sollte.144 Primäres Ziel dieser Zeitschrift sollte es also sein, den Deutschen Italien in seiner Geschichte, Literaturgeschichte und seinen Künsten näher zu bringen. Das breite Themenfeld war also nicht darauf ausgelegt, streng wissenschaftlichen Kriterien zu genügen, sondern die Neugier des kulturinteressierten gebildeten Publikums zu wecken. Es sollte für jeden Italieninteressierten oder einfach nur Neugierigen etwas dabei sein. Die Beteiligung bekannter Namen diente in erster Linie dazu, Aufmerksamkeit zu erregen und der Zeitschrift die notwendige Autorität auf den zu 141 So zum Beispiel die Besprechung von Försters Beiträge zur neuern Kunstgeschichte, Morgenblatt für gebildete Stände No. 6, Donnerstag, 12. Januar 1836 und No. 7, Freitag, 22. Januar 1836; vgl. auch NL ­Reumont, S 2746, Nr. 12: ­Reumont an Witte, Rom, 20. November 1840. 142 Morgenblatt für gebildete Stände No. 6, Donnerstag, 12. Januar 1836 und No. 7, Freitag, 22. Januar 1836: „Unbegreiflich bleibt es, daß das Buch des Professors Sebastian Ciampi, welches bereits 1810 in Florenz erschien und eine Reihe der wichtigsten Urkunden aus Pistoia und Pisa enthält, so wenig Verbreitung fand, daß man noch zwanzig Jahre später Dinge drucken konnte, welche sich dadurch längst als falsch erwiesen hatten. Selbst Hr. von Rumohr scheint es kaum gekannt zu haben. Rez. war, so glaubt er, der Erste, welcher in Deutschland im Detail darauf aufmerksam machte, und in seiner Anzeige des ersten Theils des Schornschen Vasari (Kunstblatt, 1833, Nr. 29 bis 32) die von seinem Freunde an’s Licht gezogenen Dokumente vielfach benutzte. Die Ergebnisse derselben ausführlich und in geschichtlicher Verbindung darzustellen, wie Hr. Förster es gethan, konnte natürlich nicht der Zweck jenes Aufsatzes seyn […].“ 143 Alfred ­Reumont (Hrsg.): Italia, 2 Bde., Berlin 1838 u. 1840. 144 BNCF Gino Capponi XI.43, No. 4: ­Reumont an Capponi, Aachen, 22. Juli 1836: „Le travail de Leo est destiné à faire partie d’un recueil, qui ne s’occupera que de l’Italie sous ses différents rapports, & dont je dois être l’éditeur. Mr. de Rumohr, Witte, le prof. Hagen à Königsberg & d’autres m’ont promis leur appui, & nous espérons publier un joli volume, qui paraitra l’année prochaine, &, s’il réussit, de même les années consécutives. Je suis sûr que Vous applaudirez à une entreprise, qui pourra servir à faire connaitre en Allemagne une foule de choses intéressantes. Le choix des sujets est laissé tout à fait à la disposition des collaborateurs – histoire, histoire littéraire, voyages, Arts, littérature proprement dite, tout devra y entrer. Une charmante vue du Couvert de la Vallombreuse sera le frontispice du premier volume.“

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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behandelnden Feldern zu verschaffen. Dieser Ansatz erschien R ­ eumont vor dem Hintergrund einer traditionellen Italienbegeisterung der gebildeten Schichten, die weniger auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, als vielmehr auf althergebrachten Gemeinplätzen beruhte, erfolgversprechend.145 Letztlich sollte dieses Unternehmen jedoch nicht von Dauer sein und wurde nach nur zwei Jahrgängen im Jahre 1840 wieder eingestellt.146 Es gestaltete sich einerseits sehr schwierig, namhafte Beiträger zu gewinnen, andererseits kamen einige Übersetzungen beim deutschen Publikum schlecht an.147 Um trotzdem noch einen weiteren Jahrgang veröffentlichen zu können, bot er Leo sogar an, selbst Material für dessen Aufsatz aufzutreiben.148 ­Reumont versuchte an dieser Stelle, Leo auf eine Mitarbeit zu verpflichten, indem er ihn nach einem Aufsatz über ein Thema fragte, für das er ihm selbst in Florenz über Capponi und Capei die notwendigen Quellen und Informationen verschafft hatte.149 Dafür nahm er es auch in Kauf, dass dessen Art Aufsätze zu schreiben von den Lesern nur schlecht aufgenommen wurde. ­Reumont blieb nichts anderes übrig als diesen Versuch auf sich beruhen zu lassen und seine Mittlerrolle zunächst auf die Italienberichte in Blättern wie dem Morgenblatt oder der Augsburger Allgemeinen Zeitung zu konzentrieren, für die er zu jener Zeit vor allen Dingen schrieb. Unter den Beiträgen, die R ­ eumont während der 1830er Jahre verfasst hatte, widmete sich ein Großteil kunsthistorischen Themen, sodass er sich schon bald einen Namen als Kenner italienischer Kunst gemacht hatte.150 Dies führte dazu, dass ihm nach dem Tode Ludwig Schorns 1842 die Stelle des Direktors der Kunstsammlungen in Weimar angeboten wurde.151 ­Reumont zog es jedoch vor, im preußischen Dienst zu verbleiben, da er wenig Lust verspürte, sein Leben in einer deutschen Kleinstadt zu verbringen.152 145

Vgl. zum traditionellen Italieninteresse auch Petersen (1987/88), S. 80–81. Vgl. Jedin (1973), S. 100. 147 Vgl. NL ­Reumont, S 2746, Nr. 8: ­Reumont an Witte, Rom, 15. Januar 1838. 148 Ebenda, Nr. 9: ­Reumont an Witte, Florenz, 28. Juni 1838: „Nun endlich von der armen „Italia“ welche, wie Fr. Duncker Ihnen geschrieben haben wird, erst im nächsten Jahr erscheint. Die Mitarbeiter ließen mich im Stich, u. ich selbst war nicht im Stande, einen Aufsatz von Umfang zu schreiben. So müssen sie für jetzt liegen bleiben. Für den kommenden Jahrgang ist Alles vorbereitet, u. ich rechne fest auf Ihren freundschftl. Beistand. Geben Sie Alles was Sie wollen. Und wie steht’s mit Prof. Leo? Handschrift für die Ubaldini scheint schwer aufzutreiben zu sein. Hat er gedruckte Geschichte derselben, u. Brocchi’s Portrait des Mugello? Ich könnte sonst beide besorgen, wäre irgend eine Aussicht vorhanden, daß er eine Arbeit machen wollte. Sein letzter Aufsatz war sehr tüchtig, aber, entre nous, für ein solches Buch nicht im geringsten passend.“ Unterstreichungen und Hervorhebungen sind hier, wie auch in den folgenden Zitaten aus den Originalen übernommen worden. 149 Vgl. Kapitel B. I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz, S. 52–53. 150 Vgl. die Kapitel über das Morgenblatt und die Augsburger Allgemeine Zeitung. 151 Stadtbibliothek Aachen, Nachlass R ­ eumont (Nachlass 1), I.3., Briefkorrespondenz und Personalien, Weimar, 29. Juni 1842 und Weimar, 7. August 1842. 152 BNCF Marguerite Albana Mignaty, C. V. 200,69: R ­ eumont an Albana Mignaty, Rom, 16. September 1842 – Zum Thema Weimar und einer dortigen Anstellung schreibt ­Reumont: „I need not tell you that a small German town does not particularly attract me.“ 146

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Deswegen bot er dem Außenministerium an, das Angebot abzulehnen, wenn er denn zum Legationssekretär in Rom ernannt würde. Wenngleich dieser Wunsch zunächst keine Berücksichtigung fand, genehmigte der König eine Anstellung in der politischen Abteilung des Ministeriums. Außerdem wurden ihm parallel dazu die literarischen und künstlerischen Angelegenheiten des Zivilkabinetts anvertraut.153 Für ­Reumont war dieses an sich wohlwollende Angebot jedoch ein schwerer Rückschlag für seine persönlichen Pläne. Denn mit dem Posten des Legationssekretärs in Rom war seine Hoffnung verbunden, dauerhaft in Italien, seiner neuen Heimat, bleiben zu können. Entsprechend zwiespältig fiel die Einschätzung aus, die er gegenüber Marguerite Albana Mignaty, die in Florenz einen prominenten Salon führte,154 äußerte.155 Obwohl ­Reumont behauptete, sich nicht für den Posten des Chefsekretärs im Zivilkabinett entschieden zu haben, um nicht in die „vollkommene Sklaverei“ zu geraten, sah er durchaus die Chancen, die sich für seine weitere Karriere durch den engen Kontakt zum König und dessen Umgebung bieten konnten.156 Dabei verband er mit der Stelle im Außenministerium vor allen Dingen die Hoffnung auf einen schnellen Aufstieg im diplomatischen Dienst.157 Bei seiner Reise nach Berlin machte er zuvor noch einen Abstecher nach Venedig und lernte dort Emmanuele Cicogna und den britischen Historiker und Archiv­ forscher Rawdon Brown kennen. Seitdem sich Rawdon Brown im Jahre 1833 in Venedig niedergelassen hatte, machte er in Pionierarbeit der britischen Forschung die 153

Vgl. Hüffer (1904), S. 131–132; Jedin (1973), S. 101. Vgl. Edouard Schuré: Femmes inspiratrices et poètes annonciateurs. Mathilde Wesendork, Cosima Liszt, Marguerite Albana Mignaty, Paris 1908, S. 131–237, hier S. 180–181. 155 BNCF Marguerite Albana Mignaty, C. V. 200,69: ­Reumont an Albana Mignaty Rom, 16. September 1842: „The pleasure your return gives me is on my part very uninterested for if you find me still here, it will be, I think, for a very short time only: Four days ago I got at last Mr de Bulows answer. It is written in the most flattering terms, but it is una pillola doria, for he tells me he is very sorry not to be able to name me Secretary of Rome. As a compensation he allows me to choose one of the two following appointments: that of one of the Chief-Secretaries in the political section of the foreign Office under his own superintendence, and the other one of Secretary in the King’s cabinet. I have accepted the first which does not throw me into such complete slavery as the other.“ 156 Ebenda: „The King himself has expressed to Mr de Bulow his particular wish that I should remain in the service – a circumstance which gives me some chance of getting on – for with us it is so very rare that the King takes notice of an employee unless he is a high station.“ 157 So äußerte er sich nämlich gegenüber Vieusseux, in einem Brief der im Wortlaut ähnlich ist, wie jener an Marguerite Albana Mignaty. – BNCF Vieuss. C. V. 88,150, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 16. September 1842: „L’espoir que je nourrissais encore d’être enfin nominé à une place permanente auprès d’une des Missions en Italie, est maintenant complètement détruit. J’ai eu la dépêche du B.on de Bülow, dans laquelle il me dit qu’il est fâché de ce que les circonstances ne lui permettent pas de me nominer Secr. De Légation à Rome, mais que, d’après les ordres qui lui ont été donnés exprès par le Roi qui lui a exprimé combien il a de la bienveillance pour moi, il m’offre la place de Secrétaire dans la Section politique du Département des Aff.s étrangères, sous sa propre direction, ou bien celle de Secrétaire d.s le Cabinet de S. M. J’ai accepté la première qui me convient d’avantage. Elle est bien payée pour Berlin & je puis espérer d’avancer. La dépêche est écrite dans les tenues les plus flatteurs – mais avec tout cela ce n’est qu’une pilule argentée & je ne me consolerai jamais de quitter l’Italie.“ 154

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Archive und Bibliotheken Venedigs zugänglich und durchforstete später, ab 1861, im Auftrag der britischen Regierung die venezianischen Gesandtenberichte auf Zeugnisse zur britischen Geschichte hin. Dessen Kenntnissen der venezianischen Archivsituation sowie seiner hervorragenden Vernetzung innerhalb des venezianischen Adels sollte ­Reumont noch so manche Kontakte und Hinweise verdanken.158 c) Alexander von Humboldt als Zugang zum König Als ­Reumont in Berlin eintraf, war der Hof mit Ausnahme Alexander von Humboldts noch abwesend. So blieb Zeit, den Universalgelehrten gleich zu Beginn der Berliner Zeit kennenzulernen. Offenbar hat Humboldt den Emporkömmling mit großer Sympathie empfangen. Rasch entwickelte sich eine Verbindung, die ­Reumont in seinen Beziehungen zum König von großem Nutzen sein sollte.159 Wie bereits in seinem Brief an Marguerite Albana Mignaty erwähnt, versuchte R ­ eumont seine Karriere über die Beziehung zum König persönlich zu fördern. Dabei setzte er vor allem auf das gemeinsame Italieninteresse und bat schon vor der Rückkehr Friedrich Wilhelms IV. um eine Audienz, in deren Rahmen er ihm einen eigenen Aufsatz über Die letzten Zeiten des Johanniterordens sowie zahlreiche neuere italienische Werke zu übergeben ankündigte.160 Das dahinter steckende Kalkül ging vollends auf und R ­ eumont war in der Folge regelmäßiger Gast des Königs, um mit ihm über italienische Kunst und Literatur zu reden und um aus einzelnen Werken vorzulesen. Hinzu kam seine amtliche Tätigkeit, in deren Rahmen er eingesandte Schriften durchsah und die Antwortschreiben auf Französisch und Italienisch verfasste. Auf diese Weise gelang es ihm rasch, zahlreiche Kontakte zu knüpfen und am Hofe Fuß zu fassen.161 Als Literaturexperte kam ihm unter anderem die Aufgabe zu, einen Kostümball im Weißen Saal des Berliner Schlosses zu organisieren, für den er zudem den Prolog verfasste, den er als Zauberer Merlin verkleidet vortrug.162 Aber auch in seiner Zeit am Hofe ließ R ­ eumont die Verbindung nach Italien nicht abbrechen. Er unterhielt nicht nur eine dichte Korrespondenz, insbesondere mit Vieusseux und Capponi, sondern suchte zudem den Kontakt zur italienischen 158 Vgl. Hüffer (1904), S. 132; zu Brown vgl. Ralph A. Griffiths / John E. Law (Hrsg.): Rawdon Brown and the Anglo-Venetian Relationship, Gloucestershire 2005. 159 Vgl. Hüffer (1904), S. 132–133; Jedin (1973), S. 101; Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 144–150. 160 Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594/0, Blatt 37–41: ­Reumont an den Geheimen Kabinettsrat, Berlin, 12. Oktober 1843; Hüffer (1904), S. 133. 161 Vgl. Hüffer (1904), S. 133–135; Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 262. 162 Vgl. Rolf Thomas Senn: In Arkadien. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen: Eine biographische Landvermessung, Berlin 2013, S. 309–310 u. 340; Hüffer (1904), S. 133–135; Jedin (1973), S. 101; vgl. auch ­Reumonts Brief an Vieusseux – BNCF Vieuss. C. V. 88,213: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 24. Februar 1846.

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Gemeinde in Berlin und verkehrte dabei neben diversen Bällen und Dinners auch im Kreise der italienischen Diplomaten und Gelehrten.163 Dies war allerdings nicht nur seinen persönlichen Neigungen geschuldet, sondern auch der Erwartungshaltung des Königs und seines Umfeldes, die regelmäßige Vorträge ­Reumonts zu italienischen Themen erwarteten. Bereits kurz nach seiner Audienz zur Übergabe von Die letzten Zeiten des Johanniterordens ersuchte ihn der König, regelmäßig über italienische Neuerscheinungen zu berichten, sodass ­Reumont sich eilig an Vieusseux wandte, um Material für seinen Vortrag zu erhalten. Den ersten Vortrag baute er auf Tommaséos Dizionario estetico und Giovanbattista Niccolinis Drama Arnaldo da Brescia auf164 – auch wenn letzteres in keiner Weise seinem persönlichen Geschmack entsprach: Die papst- und deutschenfeindliche Rhetorik hätte er von seinem Florentiner Bekannten nicht erwartet und fühlte sich persönlich gekränkt, weil zudem die deutsche Wissenschaft kritisiert wurde – und das, wo doch gerade ­Reumont sich auf die Fahnen geschrieben hatte, für einen fruchtbaren Austausch zu sorgen. Insofern schien das Werk Niccolinis seine Bemühungen zu konterkarieren.165 Dennoch sollte der Vortrag ein voller Erfolg werden und sowohl vom König als auch den übrigen Anwesenden mit Begeisterung

163 So berichtete er Marguerite Albana Mignaty in dieser Zeit: „Now we have a continuity of balls, besides constantly going to dinner parties. Tomorrow I dinner with the Neapolitan Minister – there are to be none but Italians and myself – per parlar Italiano.“ (BNCF Marguerite Albana Mignaty, C. V. 200,71: R ­ eumont an Albana Mignaty, Berlin, Sonntagabend, 11. Februar 1844) 164 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,178: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 10. November 1843; ­Reumont hat den Inhalt dieses Vortrages in Bd. 2 seiner Neuen Römischen Briefe veröffentlicht und Niccolinis Arnaldo da Brescia separat rezensiert (Italienische Literatur. Niccolini’s Arnold von Brescia, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 21. Februar 1844). Der Vortrag selbst hat offenbar in seinem sehr großen Rahmen stattgefunden: R ­ eumont spricht gegenüber Vieusseux von ca. 800 Zuhörern – BNCF Vieuss. C. V. 88,180: R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 31. Dezember 1843: „Vos envoie, l’Arnaldo & Tommaséo, me sont arrivées depuis peu, mais encore en temps p.r m’être très-utiles. J’écrirai sur le 1er un article séparé: c’est un ouvrage du plus haut intérêt & qui contient des parties de la plus grande beauté. Il est inégal pourtant & trop long – & p.r les opinions il est trop passionné quoiqu’il dise beaucoup de vrai. Je conçois qu’un tel ouvrage a dû faire du tapage. Les réponses de Rosini à Selvatico sont un tas de grossières qui la plupart prouvent bien peu. Ce n’est pas de cette manière que les questions scientifiques & littéraires se décident. Je V.s suis bien obligé du reste de me les avoir fait parvenir. Mon travail sur la littérature moderne, qui ne contient que les belles-lettres, ne sera pas imprimé séparément mais dans le 2e vole des Lettres sur Rome: j’ai dû faire ce travail deux fois, p.r l’impression & pour la lecture qui aura lieu dans une quinzaine par devant un auditoire de plus de 800 personnes. J’ai en la plus grande difficulté en monde de garder les limites d’une heure qui sont présentés.“ 165 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,182: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 12. Februar 1844: „J’ai envoyé à l’Allg. Zeitung une notice très-détaillée sur Arnaldo, mais je ne l’ai pas encore vu imprimée. P.r beaucoup de choses, je ne suis pas du tout d’accord avec l’auteur, quoique j’admire son ouvrage dans bien des parties. Comment se fait-il qu’il se prononce avec une telle virulence contre les Allemands ? Pour ce qui regarde la politique – passé ! Mais même à l’égard de leurs travaux historiques !! Il cherche querelle à Voigt pour touer Grégoire Sept. Il me parait que c’est ne peu fort. Est modus in rebus.“

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aufgenommen werden. Denn die Kenntnisse über italienische Literatur waren in Berlin nur sehr gering.166 Voller Stolz auf seine Arbeit sendete R ­ eumont sie Vieusseux zu und verwies darauf, dass er nun endlich zum Legationssekretär ernannt worden sei und dies allein dem italienbegeisterten König verdanke, ohne dessen Förderung seine Karriere nicht möglich sei.167 Der ersehnte und zuvor vergeblich angefragte Titel des Legationssekretärs hatte ­ eumonts Stellung am Hof noch einmal deutlich verbessert. Folgt man seinen AusR führungen gegenüber Vieusseux war dies jedoch auch unbedingt notwendig, um in Berlin Fuß zu fassen. Im weiteren wird deutlich, dass ­Reumont unter seinem geringen Rang – zu diesem Zeitpunkt nicht nur Emporkömmling, sondern zudem noch ohne Adelstitel – zu leiden hatte.168 Trotz des vielversprechenden Einstandes am Hofe, spürte ­Reumont, dass er nur als Günstling des Königs wahrgenommen wurde und er darauf bedacht sein musste, sich regelmäßig in der Gesellschaft zu präsentieren, um sich die fehlende Anerkennung zu erarbeiten. Entsprechend vermisste er die italienischen Gesellschaften, in denen er sich, bedingt durch seine toskanische Sozialisation, besser zu bewegen verstand. Doch genau darin lag eben seine Chance. Während das Interesse an Italien als Reiseziel in diesen Kreisen sehr groß war, waren ihre Kenntnisse über die zeit­ genössische Gesellschaft und Literatur Italiens wenig ausgeprägt. Selbst Literatur, 166 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 49–50: „Der Stoff war den Meisten größtentheils neu. Der Regenerator der lyrischen und didaktischen Poesie in Oberitalien Giuseppe Parini war der Mehrzahl kaum dem Namen nach bekannt, und von Manzoni hatten die Meisten nur die „Verlobten“ gelesen, denn seine Tragödien waren ungeachtet des von Goethe ihnen gewidmeten Antheils und der Uebersetzungen nicht durchgedrungen, was sie auch ihrer Natur nach nicht konnten, und auf die Inni sacri, welche der italienischen Poesie eine neue Welt erschlossen, ist man in Deutschland erst vier Decennien später durch Paul Heyse’s Uebertragung wieder hingewiesen worden, ohne daß auch diese in weitere Kreise gelangt wäre. […] Mein Vortrag erschloß somit zum Theil neue Regionen und wurde aufs beifälligste aufgenommen.“ 167 BNCF Vieuss. C. V. 88,182: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 12. Februar 1844: „Ci-jointe V.s trouverez ma brochure sur la littérature poétique dans jours. Ce petit travail que j’ai lu ici, devant le Roi & la Cour et à peu près mille personnes, a eu un succès immense & tel que je n’aurais jamais pu espérer. Le Roi me fit inviter à souper le même soir & me dit les choses les plus flatteurs. Toute ce qui regarde l’Italie l’intéresse si vivement ! V.s avez su par les feuilles publiques que j’ai été nommé Conseiller de Légation. C’était p.r moi une chose importante à cause de la position & a cause de l’avancement futur, puisque de cette manière je me trouve placé d.s la catégorie supérieure des employés de Département. C’est au Roi Lui-même que je le dois, car sans Sa volonté très-précise j’aurais pu attendre long-temps encore.“ 168 Ebenda: „Ici, c’était important, car il me fallait prendre posto dans la société, & j’ai mieux réussi que je n’avais cru, en général on n’est aucunement aimable, & les différences de rang & de naissance sont très-marquées. En général cependant je ne puis que me louer des procédés dont on a usé envers moi: je ne saurais cacher du reste que la bienveillance que le Roi a montrée p.r moi, y a contribué. Car, à dire vrai, la société ne m’amuse par trop, & il n’y a pas ce mouvement comme en Italie.“

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die in Italien allerorts von sich Reden machte, wie Vincenzo Giobertis Primato, waren für R ­ eumont in Berlin nicht aufzutreiben.169 Die habsburgische Zensur ließ diese Werke nicht über die Alpen gelangen, sodass der Großteil der deutschen Öffentlichkeit davon zunächst keine Notiz nahm. Umso wichtiger waren Mittler mit guten ­ eumont an Vieusseux: Kontakten. Schon nach den ersten Vorträgen berichtete R „Je n’ai pas besoin de V.s dire que je suis maintenant assez connu & répondu à Berlin: je suis une espèce d’autorité p.r ce qui regarde l’Italie. Tout le monde s’adresse à moi.“170

Mit seinem Expertenwissen zur italienischen Literatur füllte er eine Nische aus und konnte sich dadurch den zahlreichen Polemiken innerhalb der zeitgenössischen deutschen Literatur entziehen. Sein Sonderstatus als Hofberichterstatter machte ihn zum begehrten Reiseführer. Bereits im Herbst 1844 führte er die Prinzessin Karl von Preußen durch Florenz und begleitete sie auf dem Rückweg nach Berlin auch nach Bologna und Ravenna. Wieder in Sanssouci angekommen, musste er dem König sogleich von der Reise berichten, die ihn zu seinen Dichtergräbern171 inspirierte, in denen er die Grabstätten Dantes, Petrarcas und Boccaccios in Ravenna, Arquà und Certaldo beschrieb. Seine Tätigkeit als Reiseführer verband sich jedoch auch mit diplomatischen Aktivitäten: Im Jahre 1845 begleitete er Friedrich Wilhelm IV. nach Aachen, um Königin Victoria von England zu empfangen, im Jahre 1846 empfing er an der Seite Bunsens die Prinzessin von Preußen, die spätere Kaiserin Augusta in London und besuchte auf der Rückreise, mit einer Empfehlung Humboldts ausgestattet, François Guizot in Paris.172 Bei dieser Gelegenheit wurde R ­ eumont sogar König Louis Philippe vorgestellt.173 Insgesamt war dieses Jahr das Jahr seines Durchbruchs: Nachdem er bereits den Roten Adler verliehen bekommen hatte,174 wurde er nun in den Adelsstand erhoben und durfte den nicht vererbbaren Titel eines Baron tragen. Dies war einem außerordentlichen Gnadenakt des Königs zu verdanken, der sich zu diesem Schritt entschlossen hatte, obwohl ein entsprechendes Gesuch R ­ eumonts 1839 von Friedrich Wilhelm III. abgelehnt worden war, weil die adlige Abstammung nicht als zweifelsfrei erwiesen galt.175 Nach all den Problemen, die der feh-

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Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,185: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 6. Mai 1844: „Je suis désolé de n’avoir jamais pu voir l’ouvrage de Gioberti. Aucun de nos libraires ne l’a eu.“ 170 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,184: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 4. April 1844. 171 Alfred von ­Reumont: Dichtergräber: Ravenna, Arquà, Certaldo, Berlin 1846. 172 Vgl. Hüffer (1904), S. 136; Jedin (1973), S. 102; Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 270; zu Guizot vgl. Robert Chamboredon (Hrsg.): François Guizot (1787–1874): passé – présent [actes du colloque tenu à Nîmes du 20 au 22 novembre 2008], Paris 2010; Laurent Theis: François Guizot, Paris 2008. 173 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,222: ­Reumont an Vieusseux, Paris, 23. September 1846. 174 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 269. 175 Vgl. den Schriftverkehr bzgl. der Erhebung in den Adelsstand: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594/0, Blatt 79–94.

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lende Titel in der Berliner Gesellschaft mit sich gebracht hatte, empfand R ­ eumont nach diesem Gunstbeweis eine gewisse Genugtuung und hoffte darauf, es in der Gesellschaft leichter zu haben.176 In dieser Zeit ist ­Reumont, der die Preußen im Rheinland als Besatzer empfunden hatte, durch die zahlreichen Gunsterweise des Königs endgültig mit dem preußischen Staatsgedanken versöhnt worden.177 Dies wird auch noch einmal in seinen Erinnerungen an Friedrich Wilhelm IV. deutlich, dessen Staatsverständnis er durchweg mit dem persönlichen Charakter des Monarchen als Garanten einer gerechten Regierung rechtfertigt.178 Als mittlerweile vertrauter Berater des Königs für italienische Kunst und Literatur, der sich zuvor schon bei diversen Gelegenheiten als ortskundiger Fremdenführer bewährt hatte, verwundert es nicht, dass er anlässlich der Venedigreise Friedrich Wilhelms IV. als Reiseführer angefordert wurde. Das Zustandekommen dieser Konstellation zeigt R ­ eumonts damalige Situation, in der er zwar bereits das Vertrauen des Königs gewonnen hatte, jedoch für vertrauliche Äußerungen noch den Weg über dem König nahe stehende Personen wählte. Humboldt selbst hatte dem König R ­ eumont als idealen Reiseführer vorgeschlagen.179 Dennoch drohte dieses Vorhaben an R ­ eumonts finanzieller Situation zu scheitern. Da er von seinem kärglichen Gehalt als Legationssekretär für seine Mutter und seine Schwestern sorgen musste, litt er unter chronischem Geldmangel. Die im Kontrast zum Salär stehende hohe Arbeitsbelastung sowie die drohenden Gehaltseinbußen im Falle einer Beurlaubung nagten dabei dauerhaft an seiner Gesundheit – eine Situation, unter der der Großteil der damaligen subalternen Beamten im preußischen Staatsdienst zu leiden hatte.180 In seiner verzweifelten ökonomischen Lage, welche ihm die angedachte Reise nach Italien nicht mehr erlaubte, wandte er sich an Humboldt und schilderte ihm die Lage – in der Hoffnung, dass dieser beim König ein Wort für ihn einlegen könnte. Dieser erreichte beim König tatsächlich ein Geldgeschenk, das ­Reumont die Reise ermöglichte. Humboldts Schreiben an den König gewährt einen interessanten Eindruck von ­Reumonts Stellenwert im königlichen Umfeld: „Ich flehe, daß Ew. Majestät einen Blick des Erbarmens auf die Not des geistreichen Verfassers der „Dichtergräber“ wenden. Ohne zu ahnen, daß Ew. Majestät ihn in Venedig zu sehen wünschen, klagt er, auf die seiner Gesundheit so nötige Reise verzichten zu müssen. Es wird mit wenigen hunder[t] Talern als Geschenk geholfen sein. Sie geben so vielen, die Ihnen fer-

176

Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,220: ­Reumont an Vieusseux, London, 31. Juli 1846. Vgl. Jedin (1973), S. 102; Lepper (1991), S. 413. 178 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 55–78 und 88–90. 179 Vgl. Ebenda, S. 148; Hüffer (1904), S. 137. 180 Vgl. Conrad Müller: Alexander von Humboldt und das Preußische Königshaus. Briefe aus den Jahren 1835–1857, Leipzig 1928, S. 209–210, Nr. 111: Alfred ­Reumont an Alexander v. Humboldt, Berlin, 18. August 1847; zur prekären finanziellen Situation einiger subalterner Beamter vgl. Grypa (2008), S. 328. 177

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben  ner stehen. Befehlen Sie, daß er mündlich hier gefragt werde, welche Welle das gestrandete Schiffchen flottmachen könne…“181

Über Alexander von Humboldt hatte ­Reumont in dieser Zeit tatsächlich bereits einen hohen Stellenwert in den Überlegungen des Königs. Dies äußerte sich auch darin, dass ­Reumont auf dem Weg nach Venedig eine Mission nach Wien führte, wo er sich im Namen des Königs mit Metternich über die Lage in Italien austauschen sollte.182 d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett ­Reumont hatte bereits zu Anfang des Jahres 1846 die zunehmende Kritik am toskanischen Großherzog Leopold II. beunruhigt: Dieser hatte im November 1845 ein neues Kabinett unter der Führung Francesco Cempinis berufen, das durch mehrere unpopuläre Entscheidungen öffentliche Proteste hervorgerufen hatte, darunter die Auslieferung des Exilanten Pietro Renzi an den Kirchenstaat im Januar 1846 sowie die Eröffnung eines Konventes der Suore del Sacro Cuore, des weiblichen Zweiges der Jesuiten, in Pisa.183 ­Reumont hatte für diese öffentlichen Proteste kein Verständnis und mahnte zur Nachsicht, da sich der Großherzog der Bevölkerung doch stets großmütig gezeigt habe. Die Schuld am traurigen Schicksal Renzis trage dieser schließlich vor allem selbst.184 Tatsächlich hatte die großherzogliche Regierung Ende des Jahres 1845 noch darauf verzichtet, Renzi an den Kirchenstaat auszuliefern und ihn stattdessen lediglich der Toskana verwiesen. Erst nachdem er dennoch in die Toskana zurückgekehrt war, sah der Großherzog sich gezwungen den päpstlichen Behörden nachzugeben und ihn auszuliefern.185 Die Befürchtungen steigerten sich jedoch, als in Folge des toskanischen Pressegesetzes vom 6. Mai 1847 die Zensurvorschriften gelockert wurden und die ersten Ausgaben der gemäßigt demokratischen Zeitung L’Alba und der fortschrittlich-­ 181

Vgl. Conrad (1928), S. 208–209, Nr. 111: Humboldt an Friedrich Wilhelm IV., Donnerstag [August 1847]. 182 Vgl. Hüffer (1904), S. 137; Struckmann (2003), S. 200. 183 Vgl. Cosimo Ceccuti: Dalla Restaurazione alla fine del Granducato, in: Storia della civiltà toscana, Bd. 5, Florenz 1999, S. 31–72, hier S. 41; Piero Cironi: Toscana. Il governo e il paese, Capolago [Florenz] 1847, S. 12–30; Nidia Danelon Vasoli: Cempini, Francesco, DBI 23 (1979) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/francesco-cempini_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 184 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,213: R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 24. Februar 1846: „Je suis vraiment désolé de voir recommencer toujours en Italie ces troubles immenses. La bonté & l’indulgence de Votre Grand-Duc n’ont point porté les fruits auxquels on avait doit de s’attendre, & ce malheureux Renzi doit s’attribuer à lui-même son triste sorte. Encore une fois tout cela me désole, car je n’en vois que des résultats déplorables pour le pays.“ 185 Vgl. Nidia Danelon Vasoli: Cempini, Francesco, DBI 23 (1979) [URL: http://www.treccani. it/enciclopedia/francesco-cempini_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016.

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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liberalen Zeitung La Patria in Umlauf kamen,186 die R ­ eumont über die zu dieser Zeit in Berlin weilenden Söhne Cosimo Ridolfis zu Gesicht bekommen hatte. Die darin vorgetragenen Forderungen nach Reformen und politischem Mitspracherecht hielt ­Reumont für deutlich zu forsch: Zu offensive Forderungen nach Reformen mussten nur das Misstrauen der Regierungen hervorrufen, die sich früher oder später zum Handeln gezwungen sähen.187 Diese Ansichten habe er auch in der Augsburger Allgemeinen Zeitung geäußert – auch wenn dieser Artikel seine toskanischen Bekannten verärgern musste.188 Darin setzte er sich mit Salvagnolis Discorso sullo stato politico della Toscana nel Marzo 1847 sowie der veränderten Situation nach dem Regierungsantritt Papst Pius’ IX. und der Lockerung der Pressezensur im Kirchenstaat wie in der Toskana auseinander. Mit dem neuen Pressegesetz sei die Untergrundpresse in die Bedeutungslosigkeit zurückgefallen, während die neuen Journale dagegen völlig utopische Forderungen stellten und dadurch falsche Erwartungen weckten, sodass die großherzogliche Regierung zur Vorsicht veranlasst werde und somit moderate liberale Reformen eher behindert als gefördert würden. Für eine radikale konstitutionelle Umwälzung sei die Toskana nach Ansicht ­Reumonts, wie auch der Moderati im Allgemeinen, nämlich schlichtweg noch nicht bereit, weshalb er eine Politik der kleinen Schritte anmahnte.189 Kurz vor seiner Abreise Richtung Venedig äußerte er noch einmal seine Bedenken gegenüber Vieusseux: „Mille choses aux amis – j’espère en remontrer assez à Venise, pourra que les mouvements politiques n’empêchent pas. Je suis très-inquiet car il me parait qu’on est très-imprudent en plusieurs parties d’Italie. On ne calcule pas les suites. Voilà encore ces affaires de Lucques!190 Vraiment ça fait de la prime. Et on nous mande qu’à Sienne encore il-y-a eu des troubles.“191 186 Vgl. Jan-Pieter Forßmann: Presse und Revolution in der Toskana 1847–49. Entstehung, Inhalte und Wandel einer politischen Öffentlichkeit (Italien in der Moderne, Bd. 24) Köln / Weimar / Wien 2017, S. 97–125 u. 176–210. 187 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,232: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 14. Juli 1847: „J’ai vu le 1er N.o de la Patria et de l’Alba: les Ridolfi les ont eu. Mon cher ami – si Vos Florentines vont de ce train-là, au commencement déjà, les choses finiront mal ! Pensez à ce que je V.s dis. Les Gouvernements seront forcés à revoir sur leurs pas & c’est la faute de ceux, dont je ne veux pas attaquer les institutions, mais qui ne paraissent pas être corrigés par les tristes expériences. On fait vraiment comme s’il n’y avait pas d’Autriche – à quoi bon tout cela ? La France sera contre Vous, & le malheur sera au comble. Les Romains sont comme des enfants – Dieu veuille que l’état des choses, qui est là déjà assez sérieux, n’empire pas. Mon premier article dans l’Allgemeine ne peut pas Vous plaire, je le savais, mais ça ne change aucunement le fond de mon raisonnement. Je continuerai, mais d’une manière plus marquée, car je ne prévois que des malheurs si l’on ne modère pas cette espère d’élan. Vous savez que j’aime & combien j’aime l’Italie & la Toscane: V.s ne pouvez donc pas douter que je ne suis très-sérieux.“ 188 Toscanische Zustände. I. Salvagnoli’s Discorso sullo stato politico della Toscana nel Marzo 1847, Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 175, 24. Juni 1847. 189 Vgl. ebenda. 190 Seit Sommer des Jahres 1847 hatte es in Lucca intensive liberale Agitationen gegeben, die den Herzog von Lucca, Karl Ludwig von Bourbon zwangen, am 2. September die Pressefreiheit zuzugestehen. Da er sich nicht mehr imstande fühlte, der Situation Herr zu werden, übertrug er das Herzogtum Lucca am 4. Oktober an Leopold II. von Toskana – vgl. dazu, wie zu den Hintergründen: Candeloro (2011), Bd. 3, S. 74–76. 191 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,234: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 21. August 1847.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

Es lässt sich nicht feststellen, was ­Reumont wenige Tage später Metternich in seinem Bericht über die Situation Italiens geschildert hatte. Jedenfalls hatte er nicht den Eindruck, dass der österreichische Kanzler sich der gefährlichen Situation bewusst war. In seinen Erinnerungen schrieb er zu dem Treffen: „In der Frühe des 29. August war ich in Wien. […] Der König hatte mir einen Auftrag an den Fürsten Metternich gegeben, den ich in seiner berühmten Villa am Rennwege aufsuchte. Seine Haltung war ziemlich steif, aber er war sehr verbindlich, seine Rede war langsam und wie mit schwerer Zunge. Er äußerte sein Bedauern, den König in Ischl nicht haben aufsuchen zu können, sprach von schweizerischen und italienischen Angelegenheiten, von Graf Ficquelmonts Sendung nach Venedig und dessen Auftrag an den König. Ob er das Bedenkliche der Lage Italiens in vollem Maße erkannte, weiß ich nicht; Feldmarschall Radetzky hatte wenigstens nichts unterlassen, die Herren in Wien von der Stimmung der Gemüther in Kenntniß zu setzen und die Nothwendigkeit militärischer Bereitschaft zu betonen.“192

Offenbar deutete R ­ eumont die Mission des Grafen Ficquelmont nach Lombardo-Venetien, mit der die habsburgische Intention versichert werden sollte, auf repressive Maßnahmen verzichten zu wollen, als eine Fehleinschätzung der sich zuspitzenden Lage.193 Tatsächlich hatte Wien jedoch die italienischen Regierungen, allen voran den toskanischen Großherzog Leopold II. aus dem Hause Habsburg-Lothringen, vor einem Nachgeben gegenüber den Forderungen nach liberalen Reformen gewarnt. Zuvor hatten habsburgische Truppen am 17. Juli 1847 Ferrara besetzt und durch diese Demonstration von Entschlossenheit heftige Proteste sowohl seitens der Bevölkerung als auch der päpstlichen Regierung hervorgerufen.194 Obgleich Metternich im Dezember 1847 die aufziehenden Revolutionen voraussah, mahnte er eine defensive Ausrichtung der habsburgischen Truppen an.195 Allerdings veranlasste seine Bezeichnung Italiens als „geographischen Begriff“ in einem Rundschreiben an die Regierungen in London, Paris, Berlin und Petersburg, ­Reumont zu dem Urteil, dass dieser sich der gefährlichen Situation nicht bewusst sei, der ­ eumont war der Ansicht, nicht auf militärischem Wege zu begegnen sei.196 Denn R dass die österreichischen Bemühungen, der italienischen Nationalität Rechnung zu tragen, nicht ausreichten.197 Zwar hatte Metternich versucht, den politischen Nationalismus zu mäßigen, indem er die Entfaltung einer kulturellen Identität durch Projekte wie die Rückführung der unter Napoleon geraubten Kunstgüter oder die im Jahre 1816 vollzogene Gründung der Biblioteca Italiana als kulturpolitische 192

Vgl. ­Reumonts Beschreibung des Treffens in: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 295; vgl. Hüffer (1904), S. 137; Struckmann (2003), S. 200. 193 Vgl. Luigi Mascili Migliorini: Metternich. L’artefice dell’Europa nata dal Congresso di Vienna, Rom 2014, S. 274. 194 Vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 36–49. 195 Vgl. Wolfram Siemann: Metternich: Staatsmann zwischen Restauration und Moderne, München 2010, S. 109; Mascili Migliorini (2014), S. 274. 196 Vgl. Mascili Migliorini (2014), S. 269–275. 197 Vgl. später wird ­Reumont sogar in seiner Publizistik die Notwendigkeit eines österreichischen Abzuges aus Italien offen befürworten – vgl. dazu etwa seinen Artikel in: Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848.

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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Zeitschrift in Lombardo-Venetien förderte,198 allerdings hielt R ­ eumont diese Maßnahmen für unzureichend. Schließlich war er über die den Österreichern gegenüber feindliche Stimmung in Italien durch seine dortigen Kontakte informiert, und zwar nicht nur aus Sicht der Toskaner, sondern auch aus Sicht der Bürger des Kirchenstaates. Neben dem Lesekabinett Vieusseux’ lieferte ihm insbesondere der Salon von Marguerite Albana Mignaty einen guten Überblick über die unterschiedlichsten kursierenden Ansichten. Denn in ihrem Salon verkehrten Anhänger verschiedenster politischer Überzeugungen, wie beispielsweise Pietro Ferretti, Minister unter den Bourbonen in Neapel, oder Aurelio Saffi, ein späterer Triumvir der Römischen Republik und Gefolgsmann Mazzinis.199 Mit dem Verfasser der päpstlichen Protestnote gegen die österreichische Besetzung Ferraras, dem Arzt Diomede Pantaleoni, war ­Reumont aus dem Salon Marguerite Albana Mignaty persönlich bekannt. Dieser hatte 1841 die, von den päpstlichen Behörden jedoch nicht anerkannte, Società ­storica romana gegründet und unterhielt Verbindungen zu Vieusseux und dem Archivio Storico Italiano. Er gehörte zu den führenden Moderati des Kirchenstaates und stand den sogenannten Neoguelfen nahe, die ihre Hoffnungen auf eine italienische Konföderation unter Führung Papst Pius’ IX. und einen Abzug der Österreicher aus Italien setzten.200 Obwohl auch ­Reumont den Weg der moderaten Reformen befürwortete, lehnte er jedoch Pantaleonis Vorgehensweise, Reformen, eine Verfassung und den Abzug der Habsburger durch politischen und öffentlichen Druck zu erzwingen, als überstürzt ab. Diese Meinungsverschiedenheiten haben die beiden offenbar regelmäßig ausgetragen, wobei sich R ­ eumont als preußischer Diplomat stets des Vorwurfs der Befangenheit ausgesetzt sah, während er selbst seinem Gegenüber fehlenden politischen Sachverstand vorwarf. Erschwerend kam hinzu, dass Pantaleoni Anhänger der freien Marktwirtschaft als Basis allgemeinen Wohlstandes war, während ­Reumont die von Capponi und Sismondi vertretene Kapitalismuskritik in Verbindung mit der Propagierung der in der Toskana geläufigen mezzadria (Halbpacht) unterstützte.201 Das Ergebnis waren hitzige Debatten von denen ein Brief ­Reumonts an Marguerite Albana Mignaty einen guten Eindruck gibt: „Of all the blame you have ever thrown upon my opinion there is only one which hurts me and which I cannot forget – it is Pantaleoni’s pretending that you have argued with him that my views with regard to aristocracy and division of property are influenced by my situation vis à 198

Vgl. Siemann (2010), S. 107; vgl. Alessandro Galante Garrone / Franco Della Peruta: La stampa italiana del Risorgimento, Rom 1979; vgl. auch Terenzio Maccabelli: La „Biblioteca italiana“ e il „Conciliatore“ nella Milano della Restaurazione: il dibattito economico, in: Massimo M. Augello / Marco Bianchini / Marco E. L. Guidi (Hrsg.): Le riviste di economia in Italia (1700–1900). Dai giornali scientifico-letterari ai periodici specialisti, Mailand 1996, S. 129–169; Roberto Bizzocchi: La Biblioteca Italiana e la cultura della restaurazione (1816–1825), Mailand 1979. 199 Vgl. Schuré (1908), S. 180. 200 Vgl. Riccardo Piccioni: Diomede Pantaleoni (Risorgimento. Idee e Realtà, N. S. 28), Rom 2003, S. 72–73 und 93–102. 201 Vgl. Pazzagli (2003), S. 240–247; vgl. auch Pitocco (1972).

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben  vis of the Prussian government. Oh Miss Margaret!! The doctor may say whatever he likes – for though he is much cleverer than I have any pretention to be, he is a radical, a leveller, in short everything that can be bad in political principles (I like him nevertheless) – but You!!!“202

­Reumont wusste also sehr gut über die antihabsburgische Stimmung in weiten Teilen Italiens Bescheid und sah die Gefahren, die sich aus einer, wie er es empfand, naiven und unrealistischen Erwartungshaltung ergeben konnten. Denn er kannte zugleich die Entschlossenheit Radeztkys, militärisch gegen die italienischen Unruhen vorzugehen. Zunächst trat er aber mit König Friedrich Wilhelm IV. die Vendigreise an, die tatsächlich einem Fremden einen falschen Eindruck von der Situation in Italien vermitteln konnte. Während sich der lombardische Adel gegenüber der österreichischen Herrschaft in weiten Teilen ablehnend verhielt, weil die habsburgische Adminis­ tration zahlreiche Adelsfamilien wegen Heiraten mit Bürgerlichen nicht anerkannte und die Anstellung in den Staatsdienst von einer entsprechenden Qualifikation und nicht von der Herkunft des jeweiligen Kandidaten abhängig machte, genoss die habsburgische Verwaltung in Venedig eine hohe Anerkennung, da sie der Lagunenstadt durch zahlreiche Privilegien zu einem bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung verholfen hatte. Auch das Problem der Unterrepräsentation von Einheimischen in der lokalen Verwaltung, von dem die Lombardei betroffen war, stellte sich in Venedig nicht: 1847 waren von den 28 Führungspositionen in den venezianischen Provinzen 17 mit Venezianern und 2 mit Lombarden besetzt.203 R ­ eumont dürfte dem König gegenüber jedoch nicht verschwiegen haben, dass er die Situation außerhalb Venedigs für durchaus kritisch hielt, und sich Erzherzog Rainer, der Vizekönig von Lombardo-Venetien, vor dem Hintergrund der venezianischen Situation über den politischen Zustand des restlichen Königreichs täuschte.204 Tatsächlich spitzte sich 202

BNCF Marguerite Albana Mignaty, C. V. 200,69: ­Reumont an Albana Mignaty, Rom, 16. September 1842. 203 Zur habsburgischen Herrschaft und ihrer Akzeptanz in Lombardo-Venetien vgl. Marco Meriggi: Amministrazione e classi sociali nel Lombardo-Veneto (1814–1848), Bologna 1983, S. 227 und Appendice I, S. 342 ff.; Ders.: Der lombardo-venezianische Adel im Vormärz, in: Armgard Rehden-Dohna / Ralph Melville (Hrsg.): Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780–1860, Stuttgart 1988, S. 225–236; David Laven: Rawdon Brown’s Venice: Political and Economical Life, 1833–1883, in: Griffiths u. Law (2005), S. 19–42; Andreas Gottsmann: Venetien 1859–1866. Österreichische Verwaltung und nationale Opposition (Zentraleuropa-Studien 8), Wien 2005; Franz Pesendorfer: Eiserne Krone und Doppeladler. Lombardo-Venetien 1814–1866, Wien 1992, S. 187–216. 204 Vgl. ­Reumonts Einschätzung in: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 299–300: „Erzherzog Rainer und seine Familie waren zu längerem Aufenthalt in Venedig, wo der Beginn der Gelehrtenversammlung, der neunten italienischen, bevorstand. Obgleich die seit einem Jahr unaufhörlich sich steigernde Stimmung, namentlich in Mittelitalien, ihre Schlagschatten schon hereinwarf, war das Verhältnis in der Lagunenstadt zwischen Regierung und Bevölkerung doch von dem in der Lombardei, namentlich in Mailand, sehr verschieden. Die nicht ohne künstliche Mittel geförderte Antipathie, namentlich der höheren Stände und der Literatenwelt, wie sie besonders in Mailand immer ärger wurde und nur auf einen Anlaß zum Bruch zu warten schien, existierte in Venedig nicht. […] Der Erzherzog und

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die Lage in der Lombardei zu. Nach dem Tode des Erzbischofs von Mailand, Kardinal Gaysruck, kam Wien, das nach der josephinischen Gesetzgebung das Recht gehabt hatte, den Nachfolger zu nominieren, der Forderung der Stadt nach, einen Italiener zu nominieren. Die Wahl fiel auf den bisherigen Bischof von Cremona Bartolomeo Carlo Romilli. Dies löste in der Bevölkerung Begeisterung aus und es wurden anlässlich der Einsetzung des Erzbischofs große Kundgebungen vor dem Bischofspalast angemeldet. Diese wurden von der habsburgischen Polizei auch genehmigt und blieben am 5. September noch friedlich. Am 8. September kam es jedoch, nachdem eine Gruppe Jugendlicher „Viva Pio IX! Viva Italia“ skandiert und Hymnen auf Pius IX. angestimmt hatte, zu Ausschreitungen, in deren Verlauf es einen Toten und zahlreiche Verletzte gab. Da in Mailand und im restlichen Italien die habsburgischen Polizeibehörden für die Eskalation verantwortlich gemacht wurden, entstanden in der Folge immer wieder heftige Spannungen zwischen der habsburgischen Polizei und der Bevölkerung.205 Parallel dazu gab es in Reggio und Messina im September zwei Aufstandsversuche, die aber letztlich scheiterten.206 Trotz der angespannten Situation in Italien scheint die Venedig-Reise Friedrich Wilhelms IV. recht ungestört verlaufen zu sein. R ­ eumont erwies sich als fachkundiger Reiseführer und zeigte dem König nicht nur die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, sondern stellte ihm auch führende Gelehrte vor, so unter anderem den ihm aus dem Umfeld Vieusseux’ bekannten Universitätsbibliothekar von Padua und späteren Generaldirektor des Archivs in Venedig Tommaso Gar und in Vicenza den Historiker abate Antonio Magrini.207 ­Reumont begleitete den König noch bis Rovereto, um anschließend nach Venedig zurückzukehren und dem dort stattfindenden Gelehrtenkongress beizuwohnen. Obwohl er sich daran erinnert, dass die bevorstehenden Ereignisse spürbar gewesen seien, habe man sich, abgesehen von der Ausweisung des Fürsten Carl Lucian Bonaparte, im Wesentlichen auf wissenschaftliche Themen beschränkt,208 was vor allem dem Bewusstsein der habsburgischen Überwachung geschuldet sein dürfte. Aber schon auf dem Weg nach Florenz, wo er im Winter seinen Erholungs­ eumont ein Bild von der sich urlaub zu verbringen beabsichtigte,209 konnte sich R zuspitzenden Lage machen. Seine Weiterreise führte ihn über Bologna, wo ihm seine dortigen Bekannten Marco Minghetti vorstellten, der wenig später in die von die übrigen Mitglieder der kaiserlichen Familie erfreuten sich begreiflicherweise dieser günstigen Stimmung, welche in den höhern gouvernementalen Kreisen größeres Vertrauen zu dem Bestande der öffentlichen Dinge hervorgerufen zu haben scheint, als tatsächlich gerechtfertigt war.“ 205 Vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 66–67. 206 Vgl. ebenda, S. 70–72. 207 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 301–302; zu Antonio Magrini vgl. Fabio Zavalloni: Magrini, Antonio, DBI 67 (2006) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/antonio-magrini_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; zu Tommaso Gar vgl. Ganda (2001). 208 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 309–310; Hüffer (1904), S. 137–138. 209 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,234: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 21. August 1847.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

Pius IX. eingesetzte Consulta di Stato berufen wurde. Dieser sollte im weiteren Verlauf des Risorgimento noch eine tragenden Rolle an der Seite Camillo Benso conte di Cavours spielen und sich als erster Innenminister des 1861 aus der Taufe gehobenen Königreichs Italien vergeblich für eine dezentrale Verwaltung des Nationalstaats einsetzen. Später ging er 1876 als letzter Premierminister der Destra Storica des liberalen Italien in die Geschichte ein.210 Dies zeigt, dass ­Reumont in dieser Zeit beide Sichtweisen und Planungen kannte, sowohl die der Moderati als auch jene der legitimen Souveräne. Dabei sympathisierte er selbst durchaus mit den Forderungen der Moderati, erst rückblickend sprach er ihnen jegliches politisches Verständnis ab und tadelte ihr unvernünftiges Vorgehen, das seiner Ansicht nur in der Revolution enden konnte.211 Als ­Reumont im Oktober 1847 in Florenz ankam212 war der preußische Ministerresident Graf Schaffgosch schwer erkrankt und nicht in der Lage, Berichte nach Berlin zu schreiben. Vor dem Hintergrund der bedrohlichen Entwicklungen in der Toskana ergriff ­Reumont, obgleich er eigentlich gar nicht dazu befugt war, die Gelegenheit, selbst dem König Bericht zu erstatten. Auf diese Weise konnte er sich zugleich für höhere Aufgaben im diplomatischen Dienst empfehlen. Denn der König war von seiner Art, Berichte zu verfassen sehr angetan und ermunterte ihn, darin fortzufahren.213 Parallel dazu verfasste er auch zahlreiche Berichte über die italienischen Zustände für das Morgenblatt für gebildete Leser und die Augsburger Allgemeine Zeitung. Obwohl er die Situation als bedrohlich einstufte, setzte er dennoch Hoffnung in das politische Geschick seiner toskanischen Bekannten um Gino Capponi. In der zu jenem Zeitpunkt bereits aufgeheizten Stimmung begrüßte ­Reumont an der Seite der Moderati die vom Großherzog angekündigte Reform der Consulta di Stato,214 mit deren Hilfe er der toskanischen Unruhen Herr werden wollte, die durch eine Missernte und überhöhte Getreidepreise in Livorno ausgelöst worden war.215 Allerdings formulierten die Moderati von Anfang an weitergehende Forderungen, als der Großherzog Leopold II. zuzugestehen bereit war. Mit der Umgestaltung der Consulta di Stato war nämlich keineswegs ein Übergang in eine konstitutionelle Monarchie beabsichtigt, denn die Beschlüsse des Staatsrats

210 Vgl. Raffaella Gherardi: Minghetti, Marco, DBI 74 (2010) [URL: http://www.treccani.it/ enciclopedia/marco-minghetti_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 211 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 311–312; Hüffer (1904), S. 138; zu ­Reumonts unmittelbarer Einschätzung vgl. auch das Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung. 212 Vgl. Struckmann (2003), S. 200. 213 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 313–314; Hüffer (1904), S. 138. 214 Vgl. Gabriele Paolini: La Toscana del 1848–49: Dimensione regionale e problemi nazionali. Con il carteggio inedito del Ministro toscano a Torino e al Quartier Generale di Carlo Alberto, Florenz 2004, S. 16. 215 Zu den Hintergründen vgl. Enrico Francia: Il pane e la politica. Moti annonari e opinione pubblica in Toscana alla vigilia del 1848, Passato e presente 46 (1999), S. 129–155.

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sollten nur eine Orientierung bieten und nicht legislativ bindend sein.216 Dahinter stand die Idee, den Reformforderungen zuvorzukommen und sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, um diese unter Kontrolle halten zu können. Diese Strategie wurde von den Moderati zunächst mitgetragen, um ein Abdriften in die Revolution zu vermeiden. Für sie war es nämlich entscheidend, auf der einen Seite Reformen zu erreichen, die ihnen politische Mitbestimmung sicherten, andererseits aber einer Radikalisierung der Reformbewegung und einer damit einhergehenden Demokratisierung und Umverteilung der Besitzverhältnisse einen Riegel vorzuschieben.217 Deswegen verfolgten sie eine Munizipalreform, nach der die einzelnen Gebiete mit ihren Forderungen in einer Consulta di Stato angemessen repräsentiert werden sollten. Dahinter stand die Absicht, die Regierung besser über die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Kommunen zu informieren, um diesen Rechnung tragen zu können. Insofern gingen diese Reformimpulse von der Grundlage der für die Toskana traditionellen kommunalen Freiheiten aus, ohne dabei auf Wahlen zurückzugreifen.218 ­Reumont kannte diese Vorstellungen bestens. Jeden Donnerstag fanden im Lesekabinett Vieusseux’ Debattierabende statt, an denen die aktuellen politischen Entwicklungen in Italien und Europa diskutiert wurden.219 Mit einem der führenden Denker der Moderati, Herausgeber der Zeitschrift Lo Statuto und Mitglied der Kommission zur Umgestaltung des Gemeindewesens, dem avvocato Leopodo Galeotti, tauschte R ­ eumont sich regelmäßig aus: Sie beschafften sich gegenseitig den originalen Wortlaut von Verfassungstexten und Konventionen und diskutierten bzw. kritisierten ihre eigenen Publikationen. Dieser Einfluss schlug sich auch in ­Reumonts Lageberichten für die deutschsprachigen Publikationsorgane nieder. Die von Galeotti in seinen Schriften Della riforma municipale220 und Delle leggi e dell’amministrazione della Toscana221 dargelegten Gedanken222 griff Alfred von ­Reumont am 3. Februar 1848 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung auf.223 Ganz im Sinne Capponis und Galeottis, mahnte er zur Besonnenheit und Beachtung

216 Zur prophylaktischen Reformpolitik Leopolds II. vgl. Antonio Chiavistelli: Dallo Stato alla nazione. Costituzione e sfera pubblica in Toscana dal 1814 al 1849, Pisa 2006, S. 199–237; Kerstin Singer: Konstitutionalismus auf Italienisch (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 109), Tübingen 2008, S. 90–103. 217 Ebenda, S. 200–201 unterscheidet Chiavistelli zwischen zwei Strömungen innerhalb der Moderati: Jene Gruppe um Gino Capponi, die eine generelle Erneuerung der traditionellen Strukturen des Landes ohne tiefgreifende politische Änderungen bzgl. der Regierungsform forderte, und die Gruppe um Bettino Ricasoli und Vincenzo Salvagnoli, die für eine tatsächliche Umverteilung der politischen Macht eintraten. Vgl. dazu auch Romano Paolo Coppini: Leopoldo Galeotti e il moderatismo toscano, in: Rassegna storica toscana 37 (1991), S. 185–208, hier S. 191–192. 218 Vgl. Chiavistelli (2006), S. 209 und 213. 219 Vgl. Sestan (1986), S. 74. 220 Leopoldo Galeotti: Della riforma municipale. Pensieri e proposte, Florenz 1847. 221 Ders.: Delle leggi e dell’amministrazione della Toscana, Florenz 1847. 222 Zu Galeottis politischen Vorstellungen vgl. Giuseppe Pansini: Amministrazione e politica in Leopoldo Galeotti, Rassegna storica toscana 37 (1991), S. 229–253. 223 Zu den Ideen Galeottis vgl. auch Forßmann (2017), S. 347–357.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

der historisch gewachsenen regionalen Strukturen der Toskana, deren besonderen Wert er hervorhebt. In besagtem Artikel erklärt ­Reumont: „In die Praxis und Erfahrung, ich verhehle es nicht, setze ich ein großes Vertrauen, und darum scheint es mir kein Verlust, wenn die Umgestaltung des Municipalwesens hier [in Toskana] länger auf sich warten läßt als z. B. in Piemont, wo die neue Ordnung manche Mängel hat, welche hoffentlich in dem Theile Italiens vermieden werden wo im Mittelalter die Entwicklung der Communen, wenn nicht die früheste, doch die reifste und ausgebildetste war. Es ist wahr, zwischen dem Untergange der Communen und uns liegen mehr denn drei Jahrhunderte – und welche Jahrhunderte, blicken wir auf die Zeit von 1530 bis 1737! Aber Toscana ist der Boden der communalen Freiheiten und der Bürgermilizen und durch die zum Ersticken dichte Schicht unfruchtbarer Erde hindurch, welche der fürchterliche mediceische Despotismus darüber aufgehäuft, wird dieser urkräftige Boden wie jetzt schon den Keim so mit der Zeit Früchte treiben. Nicht um die Wiedererweckung der kleinen unruhigen Republiken des Trecento handelt es sich […]; es handelt sich um Wiederanerkennung der Rechte des Municipiums auf welches ein gut geordneter Staat sich stützen soll […].“224

Insofern setzte ­Reumont große Hoffnungen in das Verfassungsstatut mit dessen Ausarbeitung unter anderem Gino Capponi betraut war. Auch später noch bedauerte er, dass die Umstände im restlichen Italien dazu geführt haben, dass diese Verfassung die Situation in der Toskana nicht habe beruhigen können.225 Die Hektik, mit der der Statuto fondamentale schließlich verkündet wurde, um auf die im Königreich beider Sizilien ausgebrochene Revolution zu reagieren, hatte dazu geführt, dass der Entwurf nicht eingehend verhandelt werden konnte und wurde deswegen von Seiten der Moderati letztlich mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen.226 Bereits am 28. Februar 1848 war er in Rom und konnte vor Ort verfolgen, wie der Papst unter Druck geriet eine Verfassung zu erlassen.227 In dieser Zeit blieb er in engem Briefkontakt mit Vieusseux, mit dem er seine Beobachtungen diskutierte. Nachdem die Februarrevolution in Paris eine gemäßigt liberale Regierung gestürzt hatte, weil der Zensus weite Teile des Bürgertums vom Wahlrecht ausschloss, befürchtete ­Reumont, dass selbst das Zugeständnis einer Verfassung nun möglicherweise nicht mehr ausreichen werde, um Rom vor der Republik zu bewahren. Die Bevölkerung sei aufgewiegelt und es gebe Gerüchte, dass man eine „Sizilianische Vesper“ gegen die „Deutschen“ plane. Angesichts dieser außer Kontrolle geratenen Straßenpropaganda sah er in einer Konstitution die einzige Möglichkeit, die Situation zumindest vorläufig zu beruhigen: „Mais, quoi qu’il en soit, la position est très-critique, & j’espère que le Gouvernement se décidera bientôt à publier la Constitution – je V.s avoue que, p.r le moment du moins, je ne 224

Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 3. Februar 1848. Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 314. 226 Vgl. Forßmann (2017), S. 368–397; Chiavistelli (2006), S. 227–228 und 248–255; Paolini (2004), S. 36. 227 Vgl. Hüffer (1904), S. 139. 225

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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vois que là une espèce d’œuvre de salut. Mais l’Administration ne peut se maintenir: s’il-y-a de la faiblesse à Florence, il-y-a ici presque de l’agonie. La France ne porte que malheur à l’Italie!“228

Deswegen glaubte R ­ eumont nicht an eine baldige Beruhigung der römischen Situation. Das Ausbleiben eines faktischen Ausbruhs der Revolution, habe man allein der Popularität des Papstes selbst zu verdanken.229 Die Erfahrung, dass der römischen Bevölkerung die vom Papst erlassene Verfassung noch nicht ausreicht, bestätigte allerdings seine Befürchtungen und er hoffte darauf, dass man wenigstens in Berlin die richtigen Schlüsse aus den bisherigen europäischen Ereignissen ziehen werde, denn nur, wenn man der Bewegung vorangehe, habe man eine Chance diese unter Kontrolle zu bekommen: „Tout dépendra à donner à sa constitution des formes plus larges & à se mettre à la tête de mouvement qui parait inévitable, il aura pour lui toute l’Allemagne & l’avenir de la Prusse pourra être des plus brillants. Je ne suis pas personnellement, partisan des constitutions modères: mais j’en vois de plus en plus la nécessité.“230

Ähnliche Lehren hätten auch die Habsburger mittlerweile aus den letzten Ereignissen gezogen. Allerdings seien jegliche von österreichischer Seite angedachten Reformen in Lombardo-Venetien nun zu spät, um die Lage noch beruhigen zu können. Nachdem Metternich bereits am 13. März geflohen war, hielt die Bevölkerung in Lombardo-Venetien die Gelegenheit für günstig, sich von Österreich loszusagen und mit den Cinque Giornate (17.–22./23. März 1848) den Auftakt des Ersten Italienischen Unabhängigkeitskrieges zu geben, dem am 24. März die Kriegserklärung Karl Alberts von Sardinien-Piemont an Österreich folgte. Der Beginn des offenen Krieges gegen Österreich, um dessen kritische Situation in Italien R ­ eumont zuvor bereits wusste, ließ ihn schon am ersten Tag des Krieges, der letzten Endes mit einem Sieg der Truppen Radetzkys bei Custoza am 25. Juli enden sollte, zu der Feststellung gelangen, dass das „System Metternich“ gescheitert sei.231 Vor dem Hintergrund der deutschen Entwicklungen zur gleichen Zeit und dem Zusammen­ eumont die sich bietenden Chancen treten des Frankfurter Vorparlamentes sah R einer nationalstaatlichen Einigung sowohl diesseits als auch jenseits der Alpen: „Le drapeau tricolore Allemand flatte maintenant sur les palais de Berlin & sur la Cathédrale de Cologne – l’Allemagne unie pourra bien quelque chose ! Alors il sera un gain p.r l’Autriche de perdre la Lombardie, & p.r la Prusse de perdre Posen, au prix de redevenir Allemandes & de ne s’avoir plus à contenir des populations de nationalités si différentes. Mais cet immense mouvement nous portera encore beaucoup de maux & de soucis ! Pourra que le résultat final soit heureuse, peu importe !“232

228

BNCF Vieuss. C. V. 88,237: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 7. März 1848. BNCF Vieuss. C. V. 88,238: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 14. März 1848. 230 Ebenda. 231 BNCF Vieuss. C. V. 88,240: ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 25. März 1848. 232 BNCF Vieuss. C. V. 88,241: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. April 1848. 229

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

Dabei hielt R ­ eumont die Möglichkeit eines starken (groß-)deutschen Staates, der von der Last widerspenstiger Provinzen wie Posen oder Lombardei, die als ständige Unruheherde dem Gesamtstaat ohnehin nur schaden, für durchaus vielversprechend. Allerdings sei die Revolutionierung der Massen und die Verbindung des Nationalismus mit dem Liberalismus eine Tatsache, die einem starken Nationalstaat einen bitteren Beigeschmack geben würde, weshalb R ­ eumont den Gedanken mit der Bemerkung abschloss, dass die Nationalbewegung bereits genug Sorgen bereite, wie auch immer das Resultat aussehe. Der Versuch, den Nationalstaat über die Revolution zu erreichen, stellte dabei für ­Reumont das Hauptübel dar. Denn die Gestaltung des erhofften Nationalstaates konnte den gemäßigt Liberalen allzu leicht entgleiten. Auch für die Lombardei hegte er die Hoffnung, dass sie Teil eines starken Nationalstaates werden könne. Ganz im Sinne der Politik der Moderati forderte er damals den Zusammenschluss mit Piemont, um einen starken, gemäßigt liberalen norditalienischen Staat zu bilden, der stark genug ist, sich sowohl gegen äußere Feinde, allen voran Österreich, als auch innere Feinde, wie Republikaner und Geheimgesellschaften zur Wehr zu setzen.233 Allerdings kannte ­Reumont die Vorbehalte führender Persönlichkeiten des Mailänder Aufstandes wie Carlo Cattaneo, der als Demokrat und Föderalist eine Vereinnahmung durch die Savoyer Monarchie entschieden ablehnte.234 Entsprechend skeptisch äußerte sich ­Reumont gegenüber Vieusseux über die Durchführbarkeit eines derartigen Zusammenschlusses: „Et ici encore l’on se demande ce que va devenir la Lombardie, une fois détirée des Autrichiens, avec les éléments de désordre qui malheureusement se manifestent de toute part ? La meilleure chose serait de se réunir au Piémont pour former là un état fort & ferme à jamais les Alpes. Mais les esprits ne me paraissent par trop disposés.“235

Diese Gedanken artikulierte R ­ eumont nicht nur gegenüber seinen Florentiner Bekannten, sondern auch in seiner Italienberichterstattung für die Augsburger All 233 Zur Politik der Moderati, die den Anschluss an Piemont Sardinien zu erreichen suchten vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 168–171. 234 Vgl. Carlo Cattaneo: L’insurrezione di Milano (Dell’insurrezione di Milano nel 1848 e della successiva guerra. Memorie), neu hrsg. von Marco Meriggi (I Classici Universale Economica di Feltrinelli), Mailand 2011. U. a. in Kapitel 2, S. 51–52 geht Cattaneo mit dem piemontesischen Adel um Cesare Balbo hart ins Gericht, dem er vorwirft von Anfang an weder der Freiheit, noch Italien gedient zu haben, sondern ausschließlich dem Savoyer Königshaus. Die Österreicher habe man unter dem Vorwand der Freiheit vertrieben, um sich an ihre Stelle setzen zu können. So stellt Cattaneo fest: „Il barbaro si poteva cacciare solo in nome della libertà; ed essi avevano più paura della libertà che del barbaro. Non avevano dunque i Piemontesi sofferto nel 1821 la costui presenza piuttosto che subire una costituzione? Balbo, uomo dell’altro secolo, andava in collera quando si diceva che il popolo avesse a mettere mano nelle cose dello Stato; non piacevagli la pubblicità del sistema rappresentativo; non amava veder calare il governo in piazza. Codesti servitori di corte non intendevano ad altro che a muovere una guerra per dare una provincia di più al loro padrone. Unum porro est necessarium [Lukas 10,42], dicevano essi, parlando della indipendenza italiana; ma ciò ch’era veramente necessario nelle menti loro era che il Piemonte si avesse la Lombardia. Vociferavano, fuori i barbari; e pensavano solo a prendere in Italia il posto dei barbari.“ 235 BNCF Vieuss. C. V. 88,242: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 18. April 1848.

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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gemeine Zeitung, die bis zum Ausbruch der Revolutionen als Sprachrohr der Wiener Politik gelten konnte.236 Dort warb ­Reumont dafür, die Lombardei aus dem Vielvölkerstaat zu entlassen, und schrieb voller Begeisterung für das entflammte Nationalgefühl der Italiener: „So lange der lombardische Krieg währt, dieser Krieg welcher, was man auch ohne Uebelwollen gegen Oesterreich anerkennen muß, ein heiliges Feuer der Vaterlandsliebe in den Herzen der Tausenden entzündet hat, der an die glänzenden Tage des Mittelalters erinnert und die hart geschmähte Tapferkeit der Italiener wieder zu Ehren bringen wird, so lange ist die Wirksamkeit dieser Partei [Giovine Italia] weniger zu fürchten. Ist aber der Sieg errungen, so gibt es vielleicht nur ein Mittel ihr mit Erfolg entgegenzutreten; die Constituierung eines großen, starken, militärisch organisierten Staates, der das ganze obere Italien umfasse, ein Wall gegen das Ausland, kräftiger als der Alpenwall, eine Sicherung für das schwächere Centrum, für den in sich zerfallenden Süden. Die Elemente sind vorhanden. Gewinnen aber locale Neigungen und Antipathien die Oberhand, bilden sich, statt einer compacten Masse welche die Alpen zur Fronte hat, im Rücken den Po, mit den Flanken an beide Meere sich lehnt, ein paar unmächtige Staaten aus dem was österreichische Provinz war, so ist keine Garantie für ein unabhängiges und geordnetes Italien gegeben, viel Blut ist vergebens geflossen, vergebens hat Karl Albert sich dem Tadel derer bloßgestellt welche Verträge für etwas anderes als unnützes Papier halten, und die eigene Krone aufs Spiel gesetzt um die Lombardei aus einer Lage zu retten die, ungeachtet des mailändischen Heldenmuthes, ohne sein Dazwischenkommen eine verzweifelte geworden wäre. […]“237

Insofern sah R ­ eumont die kriegerische Auseinandersetzung kritisch, da sie gegen das Völkerrecht geführt werde, jedoch betrachtete er den ausgebrochenen Krieg als eine Tatsache, mit der man sich nun zu arrangieren habe. Deswegen nahm er die von Karl Albert bereits 1838 in seinen Réflexions historiques formulierte Forderung nach einem starken norditalienischen Staat unter piemontesischer Führung als Schutzwall gegen ausländische Mächte238 bereitwillig auf und machte diesen Gedanken einem breiten deutschsprachigen Publikum bekannt. Obwohl er selbst kein Befürworter der österreichischen Präsenz in Lombardo-Venetien war, hielt er es dennoch für notwendig einen Abzug auf diplomatischem Wege zu realisieren, um diesen auch völkerrechtlich abzusichern. Denn genau darin sah er ein schwerwiegendes Problem. Wie solle ein auf dem Wege der Revolution entstandener italienischer Nationalstaat ein dauerhaftes Fundament haben, wenn er von vornherein durch ein Verstoß gegen das Völkerrecht entstanden sei und ihm dadurch die internationale Anerkennung versagt bleibe? Durch den Ausbruch der kriegerischen Aus-

236 Vgl. Petersen (1982), S. 65–66; so wurde zum Beispiel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 3. Februar 1848 ein anonymer Beitrag aus dem Österreichischen Beobachter abgedruckt, in dem der Verfasser die österreichische Regierung in Lombardo-Venetien gegen die Vorwürfe verteidigte, der italienischen Nationalität nicht gerecht zu werden. 237 Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 131, Mittwoch, 10. Mai 1848. 238 Carlo Alberto di Savoia Carignano: Réflexions historiques, Turin 1838; vgl. Gian Paolo Romagnani: Storiografia e politica culturale nel Piemonte di Carlo Alberto (Deputazione subalpina di storia patria: Biblioteca di storia italiana recente, N. S. 20), Turin 1985, S. 70.

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einandersetzungen sah ­Reumont auch die liberal-katholischen239 Vorstellungen von einem Papst, der sich an die Spitze der italienischen Nationalbewegung stellt, als gescheitert an, da Pius IX. als oberster Priester der katholischen Christenheit sich nicht an einem nationalen Krieg beteiligen könne. Dementsprechend sah er dessen Absage an einen nationalen Unabhängigkeitskrieg mit seiner Allokution vom 29. April 1848 als unbedingt notwendig an. Gegenüber Vieusseux stellte ­Reumont klar: „On a eu ici le tort de presser trop le Pape & de le mettre d.s une position irréconciliable avec celle de Chef de l’Eglise, & le Pape a eu le tort d’oublier tout à fait la position politique. Je crois que comme Pape il ne pouvait se prononcer autrement, mais on aurait dû tâcher se trouver un mezzo termine avant d’en venir à cette extrémité là. Et puis, ça vient si tard, au milieu d’une guerre si chanceuse !“240

Als Oberhaupt aller Katholiken musste Pius IX. tatsächlich Rücksicht auf die Situation der Gesamtkirche nehmen. Denn die liberal-katholische Bewegung in Italien wurde auch im deutschsprachigen Raum zur Kenntnis genommen. Dies hatte zur Folge, dass die dortigen Katholiken sich vom Papst hintergangen sahen und nördlich der Alpen nun ein Schisma drohte.241 Indes wurde die Allokution vom 29. April von beiden Konfliktparteien, ob bewusst oder unbewusst, missverstanden. Von italienischer Seite wurden Stimmen laut, die dieses Vorgehen als Parteinahme für die Feinde Italiens bezeichneten, während man von österreichischer Seite den päpstlichen Rückzug propagandistisch ausnutzte, indem man beim Einmarsch in Venetien die Allokution an die Priester verteilte, um sie an ihre Verantwortung als katholische Geistliche zu erinnern. Pius IX. stellte daraufhin jedoch gegenüber dem Kaiser von Österreich, Ferdinand I. klar, dass er als geistlicher Herrscher lediglich dem nationalen Krieg eine Absage erteilt habe, aber dennoch fordere, dass Österreich die italienische Nationalität anerkennen und sich zurückziehen sollte.242 In dem ausgebrochenen Krieg setzte ­Reumont, genau wie Vieusseux auf eine Überwindung der Kleinstaaterei. Vieusseux wurde in jenen Tagen nicht müde auf die Notwendigkeit hinzuweisen, dass man sich auf das Wohl Italiens als solches zu konzentrieren habe und deswegen, möglichen regionalistischen Vorbehalten zum Trotz, Karl Albert beim Krieg gegen Österreich ohne Vorbedingungen zu unterstüt 239 Wie Peter Herde treffend deutlich gemacht hat, ist die verbreitete Bezeichnung jener Bewegung, die eine innige Verbindung des Papsttums mit der italienischen Identität voraussetzte und daraus die Forderung nach einer Konföderation unter päpstlichem Vorsitz ableitete als „neoguelfisch“ aus historischer Sicht problematisch: Die mittelalterliche guelfische Idee war nämlich wesentlich komplexer – bei stets wechselnden Konstellationen – und war bei Muratori wegen des Parteienkampfes negativ konnotiert, weshalb die katholischen Liberalen die Bezeichnung als „Neoguelfen“ ablehnten. Hinsichtlich der Ideen Giobertis sprach man entsprechend von idee giobertine, nicht von „neoguelfischen Ideen“. – vgl. Herde (1986), S. 124–125. 240 BNCF Vieuss. C. V. 88,243: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. Mai 1848. 241 Vgl. Paolini (2002), S. 59–61; Giacomo Martina: Nuovi documenti sull’allocuzione del 29 aprile 1848, Rassegna Storica del Risorgimento 53,4 (1966), S. 554–555: dispaccio di Bargagli a Corsini del 30 aprile. 242 Vgl. Paolini (2002), S. 62–64.

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zen habe. Entsprechend verärgert reagierte er darauf, dass in Venedig die Republik ausgerufen worden war, anstatt zunächst nur eine provisorische Regierung zu bilden, um sich hinsichtlich eines Bündnisses mit Karl Albert alle Möglichkeiten offen zu halten. Dabei schwebte ihm das Projekt einer italienischen Konföderation vor, das er bereits 1822, anlässlich des Kongresses von Verona propagiert hatte. In dessen Rahmen wurde von Österreich, Russland, Preußen, Neapel-Sizilien, Großbritannien und Frankreich die französische Intervention im aufständischen Spanien und das weitere Verfahren nach der Niederschlagung der Revolutionen der Jahre 1820–21 in Piemont, Neapel-Sizilien und Teilen des Kirchenstaates abgesprochen. Vieusseux hoffte jedoch vergeblich darauf, dass sein Vorschlag bei der Absprache des weiteren Vorgehens in Italien Berücksichtigung finden würde.243 ­Reumont unterstützte ihn, indem er dessen Ideen in diversen Zeitungsartikeln propagierte und ebenso darauf verwies, dass alle Bemühungen der italienischen Teilstaaten die Unabhängigkeit zu erlangen, vergebens sein würden, wenn man sich nicht Karl Albert anschließe.244 Außerdem machte er den deutschsprachigen Leser explizit mit Vieusseux’s Briefen zum Veroneser Kongress bekannt und leistete damit einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung des Gedankenguts der Moderati.245 Dies musste umso wichtiger erscheinen, da sich zu dieser Zeit italienische Patrioten nur sehr schwer in der deutschsprachigen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit verschaffen konnten.246 Nach den turbulenten Monaten in Rom kehrte ­Reumont im Juni noch einmal in die Toskana zurück, wo er noch der Eröffnung der Kammern beiwohnte, um anschließend weiter nach Berlin zu reisen.247 Während seiner Reise wurde Karl Alberts Heer am 25. Juli bei Custoza entscheidend geschlagen, womit die Hoffnungen auf eine nationale Unabhängigkeit unter Führung Sardinien-Piemonts zunächst einmal begraben werden mussten. Für die Toskana bedeutete dies zudem die Gefahr eines österreichischen Einmarsches. Nachdem sich Leopold II. als österreichischer Erzherzog des Hauses Habsburg-Lothringen am Krieg beteiligt hatte, musste eine habsburgische Besetzung, um Bevölkerung und Großherzog zur Raison zu bringen nur als logische Konsequenz erscheinen. R ­ eumont sah jedenfalls all seine Befürchtungen bestätigt.248 Letztlich hatte jedoch eine englisch-französische Vermittlung schon erreicht, dass die österreichischen Truppen nicht in die Toskana einmarschieren 243 Vgl. Raffaele Ciampini: Gian Pietro Vieusseux. I suoi viaggi, i suoi giornali, i suoi amici, Florenz 1953, S. 416–417; Candeloro (2011), Bd. 3, S. 195–196. 244 Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 131, Mittwoch, 10. Mai 1848. 245 Alfred von R ­ eumont: = Zur italienischen politischen Literatur, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung Nr. 334, 29. November 1848. 246 Gabriele B. Clemens: Zwischen Ignoranz und nationaler Suprematie. Das deutsche Italienbild während der 1848er Revolution am Beispiel Piemonts, in: „Das Wichtigste ist der Mensch“. Festschrift für Klaus Gerteis zum 60. Geburtstag, hrsg. von Angela Giebmeyer / Helga Schnabel-Schüle, Mainz 2000, S. 253–269. 247 Vgl. Hüffer (1904), S. 139; Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 315. 248 BNCF Vieuss. C. V. 88,245: ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 15. August 1848.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

würden, wenn denn die Regierung in der Lage sei, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten.249 Dessen ungeachtet stand für ­Reumont jedenfalls fest, dass eine derart prekäre Situation das folgerichtige Ergebnis sei, wenn man nicht maßvoll vorgehe. ­Reumont selbst erlebte die Revolutionen des Jahres 1848 gleich an mehreren Orten. Auf seinem Weg nach Berlin verbrachte er drei Tage bei seinem Freund Thile, dem damaligen Legationsrat der Bundesgesandtschaft. Dabei wohnte er auch Sitzungen des Frankfurter Paulskirchenparlaments bei.250 Rückblickend sollte er später urteilen, „daß der Schwerpunkt der Dinge nicht in Frankfurt lag, und daß eine große Idee, mag sie immer noch so viele Berechtigung in sich haben, zu ihrer wirklichen Ausführung mehr als eloquenter Reden bedarf.“251 Deutlicher konnte er der Versammlung wohl kaum ihre Legitimität absprechen. Jedoch waren seine persönlichen Erfahrungen zu einschneidend, um dieser Zeit etwas Positives abgewinnen zu können. Eine Abendgesellschaft des Ministerpräsidenten am 21. August wurde von einer wütenden Volksmenge gestürmt. R ­ eumont selbst kam mit dem Schrecken davon.252 Aber diese Erfahrung führte ihn zu der Überzeugung, dass jeder Versuch die geforderten Reformen gegen die legitimen Souveräne unter Rückgriff auf die Volksmassen unweigerlich in die Rechtlosigkeit führen müsse. Angesichts der traumatischen Erfahrungen in Frankfurt und Berlin kam es für ­ eumont einer Befreiung gleich, als ihm im September die Stelle des LegationsR sekretärs der römischen Gesandtschaft übertragen wurde. Obwohl er die Stelle in seiner diplomatischen Karriere als Rückschritt betrachtete, war er überglücklich der, wie er glaubte, akuten Revolution entfliehen zu können. In einem Briefe an Karl Witte wird seine damalige Gefühlslage deutlich: „Ich gehe nämlich, so Gott will, nach Italien zurück, und zwar wahrscheinlich in wenigen Tagen: freilich nicht nach Florenz was mir bei weitem das Liebste gewesen wäre, aber nach Rom, als Leg-Secr. bei Hrn v. Usedom, statt des Hrn v. Canitz der als G-Träger nach Lissabon versetzt ist. Ich glaubte einmal über den Leg.-Secr. hinaus zu sein – aber wie die Sachen stehn ist mir’s sehr lieb, denn ich habe mein Auskommen, bin in einer regelmäßigen Carriere, in einem Geschäftskreise in welchem ich nutzen kann, in dem Lande welches ich liebe und wo ich Aussicht habe, meine literarisch. Arbeiten fördern zu können – für die Zukunft, denn für jetzt ist Alles unnütz. Wenn nur die Revolution nicht wieder Alles ins Schwanken bringt! Wir stehn an der Thüre einer gewalthigen Crisis – das Gouvernement ermannt sich – kommt’s jetzt zum Zusammenstoß, so kann’s noch wieder gut werden. Der Güte des Königs verdanke ich meine neue Stellung, nebenbei auch den Bemühungen Usedoms. Mir ist lieb daß ich von hier wegkomme, denn Sie können denken daß es kein Terrain für mich ist.“253

249

Vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 286–287. Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 315. 251 Vgl. ebenda, S. 318–319. 252 Ebenda, S. 320–321. 253 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 45: ­Reumont an Witte, Berlin, 21. September 1848. 250

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­Reumont hatte sich innerhalb der bestehenden Ordnung eine gute Position verschafft. Jedoch hatte die Revolution in der Weise, wie sie die alte Ordnung bedrohte auch seine eigene Karriere in Gefahr gebracht. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass diese Erfahrungen R ­ eumont darin bestärkten, dass liberale Forderungen, die auch das bestehende System selbst in Frage stellten, auch für ihn persönlich eine Bedrohung darstellen konnten. Entsprechend eindringlich mahnte er Gino Capponi, als dieser im August zum Ministerpräsident von Toskana ernannt worden war, sich der Revolution entschlossen entgegenzustellen, um sie gar nicht erst Raum gewinnen zu lassen.254 In dieser Mahnung schwangen R ­ eumonts verstörende Erfahrungen der vorherigen Monate mit, die ihn gelehrt hatten, wozu die Revolution in der Lage ist. Die Erkenntnis, durch eine Umwälzung innerhalb weniger Tage möglicherweise alles verlieren zu können, was er sich bis dato erarbeitet hatte, sollte ihn für den Rest seines Lebens tief prägen und seine politischen Einschätzungen bestimmen. Deswegen sei an dieser Stelle ein langer Brief an Karl Witte vom 13. Juli 1848 in Aus­ eumonts Gedankenwelt während schnitten angeführt, der einen tiefen Einblick in R des Jahres 1848 bietet. Darin stellte er fest, nach den jüngsten Erfahrungen „nicht mehr derselbe Mensch zu sein“ und führte aus: „Ich will nicht davon reden daß ich persönlich in der ungünstigsten Stellung mich befinde und in einem Augenblick wo ich, nach vieljähriger Arbeit hoffen durfte zu einer mir genehmen unabhängigen Position zu gelangen, mir den Boden unter den Füßen wegrutschen fühlte, abgesehen davon daß Alles was ich durch (ich darf sagen nicht geringen) Fleiß mir erworben, in wenigen Monaten sozusagen verloren gegangen ist. Wären die öffentlichen Verhältnisse nur anders, sähe ich nicht Alles dem Ruin entgegengehen, würde nicht Alles an welches seit der Jugendzeit ich fester und fester geglaubt umgestürzt […] so wollte ich mich schon trösten. Aber ich sehe nicht ein wie wir herauskommen sollten aus dieser entsetzlichen Begriffsverwirrung, aus diesen furchtbaren Negationen, aus einem Chaos, welches Religion, Politik, Gesellschaft, Literatur, kurz Alles in sich hineinzieht. Und fragen wir uns, war ein Schatten auch nur einer Umwälzung wie die gegenwärtige nöthig, um uns das zu erlangen was uns noch Noth that? Ich mag nicht dran denken wie unsere Stellung in diesem Augenblick hätte sein können, bei dem Vertrauen dessen wir genossen und das sich auch heute noch, unter den ungünstigen Umständen und gewissermaßen contre cœur ausspricht, bei unserer Administration, unserem Heer, unseren geordneten Finanzen. Und beinahe Alles das ist in ein paar unseligen Wochen verloren, und das Heer ist meine einzige Hoffnung, wenn uns auch dies nicht ruinirt wird. Daß in Frankfurt die monarchische Partei einen so entschiedenen Sieg errungen hat, ist mir noch einigermaßen ein Trost, obgleich die Zukunft dieses neuen deutschen Reiches mir eine 254

BNCF Gino Capponi XI.43, No. 22: ­Reumont an Capponi, [Florenz] [1848]: „Arrivo da Berlino, afflittissimo dello stato delle cose in Toscana. Ho veduto un momento il Granduca e spero vederVi nella giornata d’indomani. Intanto ho voluto scriverVi due righe per salutarVi e per dirVi che tutti i buoni sperano che starete fermo. Se Voi cedete, tutto andrà in rovina. Ho veduto a Berlino e a Francoforte che la rivoluzione può molto, anche in casi minacciosissimi – coraggio! La fiducia della nazione è con Voi, e mi pare che non abbiate da temere un cimento. Ci penseranno due volte prima d’inoltrarsi coi fatti: le parole costano poco.“

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben  sehr unsichere erscheint. Vielleicht üben die fürchterlichen Szenen zu Paris und das militärische Regiment […] einen heilsamen Einfluss.“255

Dies ist die Lagebeurteilung von jemandem, der um alles fürchtet, was er sich erarbeitet hat. R ­ eumont hatte seinen Aufstieg vor allem über die Person des Königs selbst vollzogen, den er als seinen fürsorglichen Förderer erlebte. Dementsprechend konnte er zwar Kritik am preußischen Staat, den er selbst als dem Wesen nach als antikatholisch bezeichnete256 und der es nie verstanden hatte, eine Identifikation der Rheinländer mit dem preußischen Staat zu bewirken, nachvollziehen. Eine Kritik an Friedrich Wilhelms IV. Staatsverständnis ließ er jedoch nicht gelten, da er in der Person des Königs den Garanten für eine ihrer Intention nach gerechten Politik sah – worin sich R ­ eumont durch seinen persönlichen Werdegang bestätigt fühlte. Die Auffassung, dass sich jeder Herrscher vor Gott für seine Pflichterfüllung als christlicher Herrscher zu rechtfertigen habe, verleitete ihn zu der Annahme, dass sinnvolle Reformen ohnehin im Interesse der legitimen Souveräne liegen. Deswegen sollten derartige Forderungen nicht gegen den Monarchen ins Feld geführt werden, sondern vertrauensvoll an ihn herangetragen werden. Denn eine aggressive Vorgehensweise, die sich gegen die staatliche Autorität richtet, gefährde das gesamte Staatssystem sowie die öffentliche Ordnung, indem gegenseitiges Misstrauen geschürt werde. In der Forderung, Reformen mit Bedacht zusammen mit dem jeweiligen Fürsten und nicht gegen ihn zu verwirklichen, um so eine Beteiligung breiter Volksschichten an der politischen Gestaltung zu vermeiden bzw. revolutionären Unruhen gar nicht erst den Nährboden zu liefern, stimmte R ­ eumont insofern mit den italienischen Moderati überein,257 die ihn in seiner politischen Einschätzung ohne Zweifel maßgeblich geprägt haben. Deswegen urteilt R ­ eumont zu jenem Zeitpunkt noch über die Toskana: „In diesem Theile Italiens ist’s noch am allerbesten. […] Im Winter war’s oft unruhig, aber die Unruhe äußerte sich in ziemlich unschädlichem Straßenlärm und Aufzügen seitdem die Constitution gegeben worden und man einigen hundert Brauseköpfen erlaubt hat in den Krieg zu ziehn (von wo die Meisten schon zurückgekehrt sind), ist Florenz wieder die ruhige, friedliche Stadt geworden die Sie kennen und in Livorno selbst herrscht von neuem vollkommene Ruhe. Großherzog und Regierung stehn besser als sie je gestanden haben: wo anderwärts ließe sich dies sagen? Gino Capponi sagte mir im verflossenen Frühjahr: Ich fürchte für Toscana nichts so lange man uns unser Landvolk nicht verdirbt, denn unser Landvolk ist 255

NL ­Reumont, S 2746, Nr. 44: ­Reumont an Witte, Sonnino, Val di Sieve, 13. Juli 1848. Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 89. 257 Vgl. Kroll (1999), S. 2; Wolfgang Krogel: Freiheit und Bürgerlichkeit. Das Verfassungsleben der italienischen Stadtrepubliken im historisch-politischen Denken Deutschlands und Italiens (1807–1848), in: Reinhart Koselleck / Klaus Schreiner (Hrsg.): Bürgerschaft. Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom Hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert (= Sprache und Geschichte 22), Stuttgart 1994, S. 455–502, hier S. 481–482. Leider verzichtet Krogel in diesem Aufsatz auf eine Differenzierung zwischen toskanischen und piemontesischen Moderati, die keineswegs einheitliche Ziele verfolgten. 256

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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conservativer als das englische Oberhaus. Ueberblicken Sie nur die Namen derer welche an der gegenwärtigen Gestaltung der Dinge in Toscana den bestimmenden Antheil gehabt, auch heute das Heft in der Hand halten und wahrscheinlich behalten werden wenn nicht von außen unerwarteter Anstoß kommt, so werden Sie mit mir gestehen daß andere Länder sich glücklich schätzen dürften in Zeiten der Umwälzung auf solche Leute sehen zu können, die in jeder Hinsicht Gewähr leisten: Ridolfi, Capponi, Capei, Corsini (Lajatico), Serristori u.m.a. Sie müssen sich durch das Geschreie der Journale nicht irre machen lassen, auch nicht in Betreff des Teutschenhasses. […] Österreicher freilich darf man unter den gegenwärtigen kriegerischen Umständen nicht sein. Stellen sich bei uns, was Gott verhüte die Sachen so daß ich nicht mehr mit Ehren dienen kann, so bin ich entschlossen mich in Toscana niederzulassen.“258

Zu diesem Zeitpunkt setzte R ­ eumont also noch Vertrauen in die Vorgehensweise der Moderati sowie die strukturellen Vorzüge der Toskana. Obwohl dort die Situation im Verhältnis zum übrigen Italien und Europa tatsächlich beinahe ruhig erscheinen musste, verharmlost ­Reumont die Situation gegenüber Witte – offenbar durchaus bewusst. Gerade der „Deutschenhass“ bereitete ­Reumont, entgegen der anderslautenden Beteuerungen Witte gegenüber, große Sorge. Deswegen ermahnte er Capponi in einem Schreiben eindringlich, Centofanti, der mit deutschenfeindlichen Parolen aufgetreten war, zur Mäßigung zu rufen: Man dürfe nicht die Verunglimpfungen bis in die höchsten intellektuellen und politischen Kreise gelangen lassen.259 Allerdings ist kaum davon auszugehen, wie ­Reumont in seinem Brief an Witte glauben machen möchte, dass man in der Toskana bei der Propaganda gegen die Barbaren, die man aus Italien vertreiben müsse zwischen tedeschi und austriaci differenzierte. Denn R ­ eumont selbst bewegte sich in den gehobenen und höchsten gesellschaftlichen Kreisen und beurteilte die Situation aus seiner ganz persönlichen Perspektive.260 Trotz aller Negativerfahrungen, die ­Reumont in der Folgezeit machen musste, sollte er zeitlebens das Bild einer strukturell vom restlichen Europa

258

NL ­Reumont, S 2746, Nr. 44: ­Reumont an Witte, Sonnino, Val di Sieve, 13. Juli 1848. BNCF Gino Capponi XI.43, No. 21: ­Reumont an Capponi, ohne Ort, [Juni-Juli 1848]: „Non abbiate per male se vi do noia con queste righe, esprimendovi con quanta sorpresa e, posso dire, cordoglio sentii ieri nel Senato le parole del Centofanti, il quale, servendosi del gergo di giornalieri, parlò dei barbari che colla loro presenza contaminano questo santo suolo d’Italia. Che tale linguaggio si usi dal volgo, pazienza! ma che si debba sentire in un così nobile ed egregio Consesso, e in tale occasione, ciò è pur troppo! Quanto io amo l’Italia, e in che modo considero la sua posizione attuale, Voi lo sapete: ma Vi assicuro che mi bolle il sangue sentendo parole così indegne e del luogo e della nazione. Io stimo troppo il Centofanti (stima che tante volte ho pronunziato anche per iscritto) per accusarlo in pubblico foglio come ultimamente feci de certi Signori fiorentini, e come non cesserò di fare se continuano codeste laidezze tanto più brutte quanto più sin anche nei rapporti Austriaci si parla con moderazione, e stesso con onore, degli Italiani. Ma non ho potuto fare ameno di esprimere francamente la mia opinione a Voi, accanto a cui vennero pronunziate quante parole, pregandovi, se lo giudicate opportuno, di farne cenno al Vostro Collega, il quale non vorrà, spero, mal interpretare il mio sentimento.“ 260 Vgl. auch das Urteil von Marguerite Albana Mignaty: BNCF Marguerite Albana Mignaty, C. V. 200,69: ­Reumont an Albana Mignaty, Rom, 16. September 1842. 259

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

grundverschiedenen Toskana vor Augen haben, in der sozialer Frieden und all­ gemeiner Wohlstand vorherrsche. Mit diesem persönlichen Horizont trat ­Reumont im Oktober des Jahres 1848 die Reise nach Rom an, die er als Befreiung aus der bedrohlichen Berliner Situation empfand, wo Friedrich Wilhelm IV. sich unter dem öffentlichen Druck Verfassungs­ beratungen stellen musste.261 Allerdings sollte sich während seiner Reise die Situa­ tion in Florenz und Rom weiter zuspitzen. Während seiner Durchreise durch Österreich und Norditalien brach der Aufstand in Wien aus, als Demonstranten versuchten, den Aufbruch der Truppen gegen die Ungarn zu behindern. Der Aufstand wurde zwar unter dem Befehl von Alfred von Windischgrätz niedergeschlagen,262 jedoch erschwerten die Auswirkungen der Wiener Ereignisse ­Reumonts Reise erheblich: Die Zugfahrt musste mehrmals wegen abgerissener Gleise und Brücken unterbrochen und zu Fuß fortgesetzt werden und in den passierten Städten zeugten Barrikaden und lodernde Feuer von den Unruhen.263 Als er schließlich am 14. Oktober in Florenz eintraf, war zwei Tage zuvor Gino Capponi als Ministerpräsident zurückgetreten, nachdem er der Unruhen in Livorno nicht Herr werden konnte.264 Auf diese Weise erlebte ­Reumont die Anfänge der demokratischen Regierung unter dem Livorneser avvocato Francesco Domenico Guerrazzi und dessen Außenminister, dem Pisaner Professor Giuseppe Montanelli vor Ort mit. Diese verfolgten das Projekt einer costituente italiana.265 Allerdings wurde dieses Vorhaben durch erhebliche Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Vorgehensweise belastet: Während Guerrazzi Wert darauf legte, dass die Entscheidung über die Staatsform von einer toskanischen Versammlung getroffen werden müsse, um die toskanische Autonomie zu gewährleisten, forderte Montanelli einen Anschluss an Rom, wo eine italienische konstituierende Versammlung tagen sollte, für die er zunächst die toskanischen Abgeordneten wählen lassen wollte.266 Da Montanelli eine italienische 261 Vgl. Walter Bußmann: Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1990, S. 240–272, hier S. 252–258; Mike Rapport: 1848. Revolution in Europa, Ulm 2011, S. 299–306; vgl. aus der großen Literaturauswahl auch: Jörg Meiner (Hrsg.): Friedrich ­Wilhelm IV. von Preußen: Politik, Kunst, Ideal, Berlin 2014; Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik (=Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 72: Forschungen zur preussischen Geschichte), Berlin 1990 [zugl. Diss. Köln 1987]; Bärbel Holtz / Ulrike Leinter (Hrsg.): Alexander von Humboldt – Friedrich Wilhelm IV., Briefwechsel (=Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung 39), Berlin 2013. 262 Vgl. Rapport (2011), S. 290–299; Wolfgang Häusler: Wien, in: Christof Dipper / Ulrich Speck (Hrsg.): 1848: Revolution in Deutschland, Frankfurt am Main / Leipzig 1998, S. 99–112. 263 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 328–330. 264 Ebenda, S. 330–331; Paolini (2002), 119–121; Candeloro (2011), Bd. 3, S. 287–302; zu den Polizeiberichten über die Untergrundaktivitäten in Livorno vgl. Fabio Bertini: Risorgimento e Paese Reale. Riforme e rivoluzione a Livorno e in Toscana (1830–1849), Florenz 2003. 265 Vgl. Forßmann (2017), S. 434–471. 266 Zu Guerrazzi vgl. Tommaso Scappaticci: Un intellettuale dell’Ottocento romantico: Francesco Domenico Guerrazzi: il pubblico, l’ideologia, la poetica (Il portico. Biblioteca di lettere e arti 64), Ravenna 1978; zu Montanelli vgl. Paolo Benvenuto: L’Italia di Giuseppe Montanelli:

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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Konföderation mit Rom als Sitz eines demokratisch gewählten nationalen Parlamentes forderte, über dessen Zusammensetzung er jedoch noch keine klare Vor­ eumont ihn für besonders gefährlich. Nach seinem Urteil war stellung hatte, hielt R er „[…] ein unklarer Visionär, um so gefährlicher, weil er in dieser Unklarheit bereit war, alles umzuwälzen, ohne einen festen Plan der Reconstruction im Kopfe zu haben.“267 Dies musste umso schwerer wiegen, da nun auch die Toskana, die ­Reumont noch wenige Wochen zuvor in den festen Händen der Moderati wähnte, demokratische Ziele verfolgte, in die Montanelli und Guerrazzi den Groß­herzog jedoch einzubinden versuchten, bis sich dieser ins päpstliche Exil nach Gaeta absetzte.268 Während R ­ eumont in der Toskana auf seinen Vorgesetzten von Usedom wartete, der wegen der angespannten Situation in Berlin seine Reise nach Rom noch nicht angetreten hatte, betrieb R ­ eumont „Revolutionsstudien“ und erstattete Friedrich Wilhelm IV. regelmäßig Bericht. Zu seinem Entsetzen verschärfte sich die Situation während dieser Zeit auch in Rom: Dort wurde am 15. November 1848 der Innenminister Pellegrino Rossi ermordet. Diese Eskalation der römischen Situation erregte in der Toskana großes Aufsehen. Denn Rossi war in den Kreisen der toskanischen Moderati gut vernetzt, jedoch betrachteten sie ihn mit Skepsis. Wegen seiner politischen Karriere sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich, hielten sie ihn für einen Kosmopoliten, dem patriotische Gefühle fremd seien, und sahen in ihm deswegen ein Hindernis auf dem Weg zu einer italienischen Konföderation. Letztlich machte er sich durch seinen Mittelweg sowohl bei Reaktionären als auch bei Liberalen zahlreiche Feinde, weshalb seine Ermordung auch bei seinen Florentiner Bekannten recht kühl zur Kenntnis genommen wurde.269 ­Reumont dagegen sah darin den vorläufigen Sieg der Revolution, worin ihn die anschließende Flucht Pius’ IX. nach Gaeta bestätigte. ­ eumont sollte Rom jedoch erst erreichen, als der Papst bereits geflohen war.270 R Nachdem Graf Usedom erst am 3. Januar 1849 in Florenz angekommen war, reisten beide weiter nach Rom. Dort angekommen begab sich Usedom nach Gaeta cattolicesimo, democrazia  e repubblica, Rassegna storica toscana 57,2 (2011), S. 173–200; Fabio Bertini: Montanelli dal volontariato al triunvirato, in: Sandro Rogari (Hrsg.): Giuseppe Montanelli fra storia e storiografia a 150 anni dalla scomparsa, Florenz 2013, S. 135.152, hier S. 150–152; Luigi Lotti: Montanelli  e il Granduca nel ’48-’49, in: ebenda, S. 113–124, hier S. 115–116; Paolo Bagnoli: La politica della libertà: Giuseppe Montanelli, uomini ed idee della democrazia risorgimentale, Florenz 2002; Ders.: La politica delle idee: Giovan Pietro Vieusseux e Giuseppe Montanelli nella Toscana preunitaria, Florenz 1995. 267 Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 331; tatsächlich wurden diese Forderungen von den meisten Toskanern für vollkommen unrealistisch gehalten. Auch Capponi und Guerrazzi betrachteten sie angesichts der militärischen Misserfolge im Krieg gegen Österreich als bloße Propaganda. – vgl. Lotti (2013), S. 117. 268 Vgl. Lotti (2013), S. 117–121. 269 Vgl. Alessandro Volpi: Pellegrino Rossi e le élites toscane: un rapporto difficile, Rassegna storica toscana 55,2 (2009), S. 431–452. 270 Vgl. Alfred von ­Reumont: = Die Flucht des Papstes, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung Nr. 342, 7. Dezember 1848.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

ins päpstliche Exil, während R ­ eumont die Lage in Rom beobachten sollte.271 Dies war keine einfache Aufgabe in einer Zeit, in der die römischen Revolutionäre das Archäologische Institut, dessen Ehrenpräsident kein geringerer als Metternich war, als Hort von Reaktionären betrachteten und dessen Mitglieder entsprechend argusäugig beobachteten. Dabei musste ­Reumont sogar unter hohem persönlichem Risiko die gewaltsame Ausweisung des Institutssekretärs Emil Braun vereiteln, der sich wegen kritischer Zeitungskorrespondenzen zu verantworten hatte.272 Die Revolutionäre hatten indes allen Grund, das Institut unter Beobachtung zu stellen. ­Reumonts Berichte an den König waren von Anfang an sehr einseitig. Seine bisherigen Revolutionserfahrungen und Urteile versuchte er direkt nach seiner Ankunft auf die römische Lage anzuwenden. Allerdings stellte er bei aller Feindseligkeit der Republik gegenüber zu seiner Verwunderung fest, dass trotz der Abwesenheit des Papstes die öffentliche Ordnung weitgehend aufrechterhalten wurde. Und dies, obwohl die eigentlichen Revolutionäre nur eine Minderheit darstellten. Dies liege vor allem daran, dass der Papst und seine Räte nach der Flucht nicht selbst die Initiative ergriffen haben, um die römische Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen, sondern sich allein darauf beschränkt haben, gegen die Revolutionäre zu protestieren.273 Auf diese Weise sei die Mehrheit der Bevölkerung, die sich in erster Linie eine schnelle Rückkehr zur Normalität wünsche, allein auf die Revolutionäre angewiesen, da der Glaube an ein konstruktives päpstliches Eingreifen schwinde.274 So beobachtete ­Reumont: „Die ungestörte Bewahrung der öffentlichen Ruhe legt hinlänglich an den Tag, wie tief das Volk von dem Bewußtsein der Nothwendigkeit einer wirklich constituirten Regierung durchdrungen ist, in dem Maße, daß es lieber einem illegalen Gouvernement gehorcht, als daß es der Gefahr der Anarchie sich auch nur einen Augenblick aussetzen sollte.“275 271

Vgl. Hüffer (1904), S. 140. Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 335; vgl. auch Jedin (1973), S. 103. 273 Das hielt ­Reumont jedoch nicht davon ab, die Berechtigung des Protestes dem deutschen Leser deutlich zu machen, so in: = Die päpstliche Protestation und die römische Kammer, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung Nr. 355, 20. Dezember 1848: „Die römische Kammer der Abgeordneten verweigert der päpstlichen Protestation die Anerkennung, weil die Form dabei verletzt sei. […] man erkennt das gegen Pius IX. begangene schreiende Unrecht […].“ 274 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Briefe des LegRths v ­Reumont an S. M. den König, Nr. 1: Rom, 16 Januar 1849 (Abschrift), Blatt 138–142, hier insbesondere Blatt 139r: „Hätte der Papst, statt bloß zu protestiren und die Akte des factischen Ministeriums für nicht und nichtig zu erklären (was sich übrigens von selbst verstand) ein einigermaßen mögliches Gouvernement in einer der Provinzialstädte unter einem Legaten eingesetzt, so würde wahrscheinlich die ganze Sache eine andere Wendung genommen haben. Aber das bloß negative Verfahren der Curie, verbunden mit dem Bedürfniß einer constituirten Regierung, ist dem Pseudo-Ministerium zu Hilfe gekommen und hat bisher auch die Angelegenheiten der Constituante gefördert, so sehr das Gewissen von Tausenden und aber Tausenden dabei in Bedrängniß gekommen ist, und so viele sich scheuen an einer Handlung theilzunehmen, welche geradezu in die Kategorie des Hochverraths gehört.“ 275 Ebenda, Blatt 140r. 272

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Stattdessen nutze die provisorische Regierung die Zeit, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen, indem sie sich als Garant der öffentlichen Ordnung inszeniert, die Steuern senkt und durch öffentliche Bauprojekte die ärmeren Schichten in Arbeit bringt. Noch schwerwiegender seien aber die nun anberaumten Wahlen zur Konstituante, da diese, wenn sie einmal durchgeführt seien, der Regierung eine Legitimation liefern, die für die Rückkehr des Papstes ein schweres Hindernis sein werde: „Gehn die Wahlen für die Constituante wirklich vor sich […], und tritt dieselbe in Rom zusammen, so wird’s um so bedenklicher: denn ein Einschreiten in den heutigen chaotischen Zustand ist mit unendlich geringeren Übelständen verbunden als das Handeln nachdem der Begriff der Volkssouverainität eine wenn auch nur momentane praktische Geltung erlangt hat. Man sollte den Gedanken an eine hiesige Reaction zu Gunsten des Papstthums nach­ gerade ganz aufgeben.“276

Deswegen forderte ­Reumont eine baldige fremde Intervention. Denn solange Giuseppe Garibaldi noch nicht in Rom sei, sei nur mit geringem Widerstand zu rechnen.277 Die Intervention seitens der Franzosen ließ jedoch lange auf sich warten – und tatsächlich sollte der erste Angriff am 30. April 1849 durch General Oudinot kläglich am Widerstand unter Führung eines gewissen Giuseppe Garibaldi scheitern.278 ­Reumont stand mit seiner vorläufigen Einschätzung, dass bei einer Intervention in Rom kein Widerstand seitens der Bevölkerung zu erwarten sei, keineswegs allein da. Auch von französischer Seite ging man offenbar nicht von einem nennenswerten Widerstand aus. Drouyn de Lhuys, einer der führenden Oppositionspolitiker unter der orleanistischen Monarchie, glaubte genauso wenig an eine nennenswerte Unterstützung der Republik seitens der Bevölkerung, weshalb er Oudinot auftrug, sich nicht von eventuellen Widerständen aufhalten zu lassen.279 Insofern ist ­Reumonts Einschätzung in dieser Hinsicht unter den ausländischen Diplomaten durchaus verbreitet gewesen und nicht ausschließlich seinem persönlichen Hintergrund geschuldet. Dass er nach seinen bis dato gemachten Revolutionserfahrungen die Ereignisse nach der Flucht des Papstes durchweg negativ bewertete ist kaum verwunderlich, zumal Friedrich Wilhelm IV. sicherlich auch nicht gewillt war, positive Betrachtungen über eine Bewegung zu lesen, die offen mit dem monarchischen Prinzip gebrochen hatte und sich über die Volkssouveränität legitimierte. Doch auch gegenüber Vieusseux waren R ­ eumonts Berichte recht einseitig. Nach der Wahl zur Konstituante bleibt er dabei, dass sich kaum jemand an der Wahl beteiligt habe. Er geht davon von aus, dass in der Stadt Rom bei einer Bevölkerung von ca. 170.000 Einwohnern keine 5000 Stimmen abgegeben wurden, und beschreibt 276

Ebenda, Blatt 141v. Ebenda, Blatt 141r-142v. 278 Vgl. Marco Severini: La Repubblica romana del 1849, Venedig 2011, S. 133–134. 279 Vgl. ebenda, S. 127–128; Michel Ostenc: La Francia e la Repubblica Romana del 1849, in: Sauro Mattarelli (Hrsg.): Politica e periferia. La Repubblica Romana del 1849 fra modello francese e municipalità romagnola, Ravenna 1999, S. 68–83. 277

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

den Urnengang entsprechend als Misserfolg.280 Dagegen geht Marco Severini davon aus, dass sich im gesamten Kirchenstaat ca. 250.000 Wähler an der Wahl zur Konstituante beteiligt haben, was einem Drittel der Wahlberechtigen und 10 % der Gesamtbevölkerung entspricht, weshalb man also von einer verhältnismäßig hohen Wahlbeteiligung sprechen kann, wenn man berücksichtigt, dass die Bevölkerung zuvor keine Wahlen kannte.281 Indes ist die Frage schwer zu beantworten, ob ­Reumont die wirklichen Zahlen nicht kannte oder absichtlich die Beteiligung der Bevölkerung kleinzureden versuchte. Jedenfalls hatte er offenbar Informationen aus erster Hand von unmittelbar beteiligten Personen. So entsprechen einige seiner Situationsbeschreibungen denen Terenzio Mamianis. Dieser war nach Pius’ IX. Absage an den Unabhängigkeitskrieg vom 29. April 1848 zunächst zum Innenminister ernannt worden und hatte den Druck der öffentlichen Meinung, die Beteiligung am nationalen Unabhängigkeitskrieg fortzuführen genutzt, den Papst zu dem Zugeständnis zu bewegen, die Außenpolitik in Laienhand zu legen und die vorherige außenpolitische Linie fortzusetzen. Auf diese Weise sollte der Kirchenstaat in die italienische Nationalpolitik integriert werden, ohne den Papst in seiner priesterlichen Funktion in Loyalitätskonflikte zu bringen.282 Dies war jedoch nicht nur eine Hilfskonstruktion, um eine weitere Beteiligung des Kirchenstaates am Unabhängigkeitskrieg gewährleisten zu können. Mamiani versuchte durch diese Vorgehensweise zudem den Schritt von einer Theokratie hin zu einer liberalen Regierung zu vollziehen, indem der Papst nur noch auf seine Priesterfunktion reduziert werden sollte, während eine gewählte Regierung die weltliche Verwaltung des Kirchenstaates besorgen sollte.283 Doch nach dem erfolglosen Kriegsverlauf musste dieser Versuch zunächst als gescheitert gelten, sodass seine Regierung in der Folge zurücktreten musste. Obwohl er sich die entschiedene Gegnerschaft der konservativen Kreise eingehandelt hatte, übernahm er schon wenig später erneut politische Verantwortung: Nach dem Attentat auf Pellegrino Rossi versuchte Pius IX. die Situation zu beruhigen, indem er Mamiani zum Außenminister ernannte, von dem er sich erhoffte, dass er ausgleichend auf die aufgeheizte Stimmung zwischen Liberalen und Konservativen wirken würde.284 Nach der Flucht des Papstes nach Gaeta sah er sich durch die Demokraten in die Defensive gedrängt, die eine Costituente Romana forderten und diesen Weg auch gegen die Proteste des Papstes weiterzugehen drängten. Da er den offenen Bruch mit dem Papst ablehnte und das Vorgehen der Demokraten als illegitim betrachtete, legte er sein Amt nieder. Allerdings kehrte er umgehend als Deputierter Pesaros in die Versammlung zurück. In dieser Funktion warb er dafür, die Einheit der Nationalbewegung zu gewährleisten und dafür einen Ausgleich mit dem im Exil befindlichen 280

BNCF Vieuss. C. V. 88,251, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 3. Februar 1849. Severini (2011), S. 17–20. 282 Vgl. Giorgio Benelli / Antonio Brancati: Divina Italia. Terenzio Mamiani della Rovere cattolico liberale e il risorgimento federalista, Ancona 2004, S. 201–204. 283 Vgl. ebenda, S. 203. 284 Vgl. ebenda, S. 209–210. 281

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Papst anzustreben, da andernfalls eine ausländische Intervention drohe, die möglicherweise die bisher gemachten liberalen Zugeständnisse des Papstes rückgängig machen werde.285 Dementsprechend hatte er sich in seiner Rede gegen die Absetzung des Papstes ausgesprochen und war deswegen persönlich in große Bedrängnis geraten.286 ­Reumont scheint sich in seinen Analysen an den Beobachtungen Mamianis orientiert zu haben. Denn in seinen Depeschen an den König spricht er davon, über exklusive Berichte aus der konstituierenden Versammlung zu verfügen, wobei er das Abstimmungsverhalten und Auftreten Mamianis namentlich erwähnt und dessen Situationsbeschreibungen in weiten Teilen übernimmt.287 Bemerkenswert ist dennoch die Bedeutung, die R ­ eumont der Ausrufung der Republik beimisst. Nachdem er zuvor bereits vor den Folgen einer Legitimation durch Rekurs auf die Volkssouveränität gewarnt hatte, ging es ihm nach der Wahl darum, die Beteiligung der Bevölkerung geringzureden und den legitimen Ablauf der Wahl sowie der konstituierenden Versammlung in Frage zu stellen. Er hatte erkannt, dass eine Änderung 285

Vgl. ebenda, S.212–230. Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,251, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 3. Februar 1849; zu Mamiani vgl. Brancati / Benelli (2004), S. 191–245, hier 210–216; vgl. auch ­Reumont über Mamiani in: Alfred von R ­ eumont: Charakterbilder aus der neueren Geschichte Italiens, Leipzig 1886, S. 117–132. 287 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-)Konsultate nach 1807, Briefe des LegRths v R ­ eumont an S. M. den König, Nr. 7: Rom, 9. Februar 1849, Blatt 152–153: „Um 2 Uhr nachts wurde ich durch die Capitolsglocken geweckt – aus der ganzen Stadt stimmte das Geläute ein – vernommen Stimme mit Viva la Republica [sic!]! draußen vom Platze und vom Monte Caprino herauf. Das Decret, nach der um 1 Uhr stattgefundenen Abstimmung der constit. Versammlung, ist heute früh verkündet worden; es enthält im Wesentlichen: Aufhören der weltlichen Herrschaft des Papstes de iure & facto, volle Freiheit des Papstes als Pontifex – Einsetzung einer demokratischen Regierung unter dem Titel: Römische Republik. Es ist mir im gegenwärtigen Moment noch nicht möglich, bei dem frühen Abgange der nordischen Post E. M. über die Details des gestrigen Vorganges ausführlichen Bericht zu erstatten, d. ich wage auf Allerhöchste gnädige Nachsicht zu hoffen. Die Sitzung der Costituente wurde um Mittag unter dem Vorsitze Galletti’s eröffnet. Die Gouvernements-Commission legte ihre provisorischen Vollmachten in die Hände der souveränen Versammlung nieder: sogleich begannen die Interpellationen der bisherigen Minister, sogleich machte sich die Ansicht geltend, daß jede Unterhandlung oder Aussöhnung mit dem Papstthum unmöglich sei. Die republicanische Frage schien Anfangs auf ernstlichen Widerstand zu stoßen: von den 144 anwesenden Deputirten gehörten etwa 60 zu den sogenannten Moderirten. Die Sitzung wurde in den Nachmittagsstunden unterbrochen, um Abend wieder zu beginnen. Die Radicalen hatten unterdeß zu dem gewöhnlichen Mittel gegriffen, demselben welchem sie in der vorigen Deputirten Kammer bei der Abstimmung über die Costituante den Sieg verdankten: sie besetzten die Tribünen mit ihren Anhängern aus dem Volk. Es ist hier gegangen wie neulich in Florenz: vor dem Zischen & Trommeln der Gallerien haben die Gemäßigten die Flügel sinken lassen. Manchen mag es freilich mit ihrer Gesinnung grundwenig Ernst gewesen sein. Mamiani, der für den Papst sprach, war schon Morgens unbarmherzig ausgezischt worden. Kurz, das Resultat war daß fünf (nach einer aus der Versammlung selbst mir zugegangen Nachricht nur drei) Mitglieder den Muth hatten, ihre Überzeugung der immensen Majorität gegenüber auszusprechen und gegen die Republik zu votiren!“ – vgl. dazu auch Mamianis Bericht an seinen Freund Filippo Canuti, zitiert bei Brancati / Benelli (2004), S. 215–216. ­Reumont selbst behauptet jedoch später, Mamiani erst im Juli 1849 persönlich kennengelernt zu haben: Alfred von ­Reumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877, S. 129. 286

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der Legitimationsgrundlage Signalwirkung haben und anschließend nur schwer wieder zu revidieren sein würde. Deswegen musste es aus seiner Sicht umso dring­ licher erscheinen, diesen Schritt zu verhindern. Denn sei die Römische Republik erst legitimiert, müsse bei der Rückkehr des Papstes eine bereits eingeführte Verfassung aufgehoben werden. Die einmal erlangten Rechte würde sich das Volk jedoch kaum widerstandslos wieder nehmen lassen. Hinzu komme der Zeitfaktor: Je länger der Zustand fortbestehe, desto mehr wird dieser zum Gewohnheitsrecht. Dabei hatte ­Reumont sicherlich auch das Beispiel der französischen Julimonarchie im Hinterkopf, deren führenden Kopf Guizot er kennengelernt hatte.288 Und tatsächlich sollte die Repubblica Romana einen Präzedenzfall darstellen. Trotz ihres nur sehr kurzen Bestehens hatte sie die Idee der Republik und des allgemeinen Wahlrechts sowie die eines italienischen Nationalstaates mit Rom als Hauptstadt im Bewusstsein, nicht nur ihrer Unterstützer, sondern auch ihrer Gegner, verankert. Die sogenannte „Römische Frage“ sowie die Forderung, dass der Papst seine weltliche Macht aufgeben müsse, um den Weg für liberale Reformen freizumachen, sollten seitdem nicht mehr von der politischen Tagesordnung verschwinden. Die offensichtliche Unvereinbarkeit der weltlichen Macht des Papsttums mit liberalen Reformen und einer nationalen Politik haben jenen Teil der liberal-katholischen Bewegung, der eine Führungsrolle des Papsttums innerhalb der italienischen Nationalbewegung forderte, ins politische Abseits verbannt und der nationalstaatlichen Einigung vorgearbeitet. Schließlich diente die Römische Republik für die Realpolitik Cavours als drohendes Beispiel für die Folgen einer Verweigerung von liberalen Reformen. Vor diesem Hintergrund konnte er später auch konservative Kreise von der Notwendigkeit einer Revolutionsprävention durch einen Einmarsch in den Kirchenstaat überzeugen. Die Notwendigkeit, Garibaldi zuvorzukommen und die öffentliche Ordnung aufrechterhalten zu müssen, weil die päpstlichen Behörden dazu nicht in der Lage sein würden, war nicht zuletzt durch die Erinnerung an die Römische Republik zu vermitteln. Angesichts der jüngeren Revolutionserfahrungen konnte Cavour die von ihm betriebene Nationalstaatspolitik als einzige Garantie zur Aufrechterhaltung einer konservativen Ordnung vor der europäischen Diplomatie rechtfertigen.289 Insofern zeugt ­Reumonts Einschätzung von einer gewissen Weitsicht. Friedrich Wilhelm IV. legte jedoch schon bald keinen Wert mehr auf Berichte aus dem revolutionären Rom und ließ ­Reumont stattdessen ins päpstliche Exil nach Gaeta versetzen, von wo er sich weitere informative Berichte erhoffte.290 Für ­Reumont bedeutete dies, seit längerer Zeit erstmals wieder die revolutionäre Umgebung verlassen zu können.291 288

Vgl. Kapitel B. II. 2. c) Alexander von Humboldt als Zugang zum König, S. 76. Vgl. Gian Enrico Rusconi: Cavour und Bismarck: zwei Staatsmänner im Spannungsfeld von Liberalismus und Cäsarismus, München 2013, S. 60–61. 290 Vgl. Hüffer (1904), S. 140–141. 291 Alfred von ­Reumont: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878, S. 277–279: „Hier fand ich sie im März 1849, als ich, der ich aus einer Revolution in die andere gelangt war, aus der berliner Zerstörung in den wiener Octoberaufstand der mich 289

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­Reumont konnte auf diese Weise nicht nur endlich der Revolution entfliehen, sondern außerdem auf engstem Raum mit den führenden Persönlichkeiten der alten Ordnung sowie hochrangigen Diplomaten in intensiven Kontakt treten. Als er am 24. März in Gaeta ankam, traf er als eine der ersten Personen Leopold II. von Toskana, der am 24. Februar aus der Toskana geflohen war,292 nachdem Montanelli und Guerrazzi ihn nicht nur zu einer Teilnahme am römischen Projekt einer Costituente italiana nötigen wollten, sondern ihn darüber hinaus davon zu überzeugen suchten, sich an die Spitze der Versammlung zu stellen, um Aussichten auf die Krone eines Regno dell’Italia Centrale zu haben, das die einzige Möglichkeit sei, das Großherzogtum Toskana zu sichern.293 Allerdings war dem Großherzog zu jenem Zeitpunkt die politische Situation seines Fürstentums längst außer Kontrolle geraten. Auch von den Moderati konnte er keine Unterstützung mehr erwarten, da diese von den Demokraten erfolgreich eingeschüchtert worden waren.294 Zuvor schon hatte ­Reumont in der Augsburger Allgemeinen Zeitung über die Vorgänge in der Toskana berichtet, ohne dabei die Gelegenheit auszulassen, auf die Rechtlosigkeit der dortigen Zustände hinzuweisen. So hatte er nach dem Sturz der moderaten Regierungen Ridolfis und Capponis mit der sich auf die „Volksmassen“ stützenden Politik Guerrazzis und Montanellis abgerechnet.295 Auch in der Folgezeit berichtete ­Reumont regelmäßig über die weiteren Entwicklungen und leistete einen wichtigen Beitrag zur Rechtfertigung der Politik Leopolds II. vor der deutschsprachigen Öffentlichkeit. Seine Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, in denen er den guten Willen des Großherzogs verteidigte und vor einem Bruch mit den legitimistischen Prinzipien warnte, hatte auch der Großherzog persönlich mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, schließlich entsprach ­Reumonts Darstellung eines fürsorglichen, von seinen Untertanen geliebten Landesvaters genau jenem Bild, das der Großherzog von sich selbst zu vermitteln suchte, während er die revolutionären Unruhen in den dunkelsten Farben darstellte und darüber die Flucht des Großherzogs rechtfertigte.296 Dementsprechend hatte sich der Großherzog schon

Barrikaden kennen lehrte, aus der Herrschaft der florentiner reinen Demokratie in Mazzini’s römische Republik endlich contrerevolutionären Boden erreichte. […] Der Contrast zwischen diesem wilden und gesetzlosen Treiben und den hehren Ceremonien auf einem so oft von Kriegslärm umtobten, nun das Asyl eines Fürsten des Friedens gewordenen Felsen, war der frappanteste.“ 292 Vgl. Hüffer (1904), S. 141. 293 Vgl. Paolini (2002), S. 134–135; ausführlicher zum Costituente-Projekt in der Toskana und der Politik der Regierung Guerrazzi-Montanelli bei Forßmann (2017), S. 434–471. 294 Paolini (2002), S. 137. 295 Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung Nr. 309, 4. November 1848: „[Ridolfi und Capponi] sind gefallen, während sie in der Kammer die entschiedene Majorität, unter dem Volk überwiegende Zustimmung hatten. Sie sind vor dem Schreien einiger radicalen Journale, vor bezahltem Straßenlärm, vor den Drohungen einer undankbaren, wetterwendischen, aufgewiegelten Volksmasse einer einzelnen Stadt gefallen. […]“. 296 Vgl. etwa Alfred von ­Reumont: Aus Mittelitalien, [Die Revolution in Toscana], Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung Nr. 54, 23. Februar 1849.

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vor dem persönlichen Treffen in Gaeta ausdrücklich für die ihm wohlwollende Berichterstattung bedankt.297 Die Informationen die der Neuankömmling aus der Toskana brachte, dürften den Großherzog sehr interessiert haben. Denn auch während seines römischen Aufenthalts stand er in intensivem Briefkontakt mit Vieusseux. Außerdem lernte ­Reumont in Gaeta Cesare Balbo, den Autor der Delle Speranze dell’Italia kennen, der sich in jenen Tagen bei Pius IX. aufhielt, um ihn davon zu überzeugen, auch nach der erneuten Niederlage der Piemontesen gegen Radetzky am 23. März 1849, an den bereits zugestanden Reformen festzuhalten und diesen Weg dennoch weiterzugehen. ­Reumont war dort dessen Nachbar und die beiden sahen sich täglich.298 Mit diesem sollte sich ­Reumont eifrig austauschen, stimmten ihre politischen Ansichten doch in weiten Teilen überein: Italienische Unabhängigkeit unter Rückführung des Papstes und österreichischem Abzug – auch wenn insbesondere der österreichische Abzug aus Italien nach der Niederlage bei Novara in ­ eumont einig, dass bei der weite Ferne rückte. Trotzdem waren sich Balbo und R nun von beiden erwarteten Restauration des Papstes dieser dennoch liberale Zugeständnisse machen musste, um die Akzeptanz der Bevölkerung wieder zurückzugewinnen. Auch die französische Diplomatie versuchte ihn davon zu überzeugen, doch letztlich zeigte der Papst keinerlei Bereitschaft, den Franzosen als Interventionsmacht eine Mitbestimmung bei seiner Wiedereinsetzung zuzugestehen und hielt den französischen Unterhändler Corcelles hin.299 Obwohl R ­ eumont der Ansicht war, dass man keinesfalls zu den vorrevolutionären Zuständen zurückkehren könne, ohne damit zukünftige Revolutionen zu provozieren, bestand für ihn jedoch kein Zweifel daran, dass nach der Niederlage bei Novara die Hoffnung auf einen Nationalstaat endgültig aufgegeben werden musste. Jetzt konnte es nur noch darum gehen, den Schaden so gering wie möglich zu halten, um harte Sanktionen nach der Wiederherstellung der Ordnung zu vermeiden. ­ eumont die Nachrichten aus der Toskana Mit entsprechender Erleichterung hatte R vernommen: Francesco Domenico Guerrazzi, der seit der Flucht des Großherzogs 297

NL ­Reumont S 1056, Nr. 140, Leopold [Großherzog von Toskana, II.] an Alfred von ­ eumont, Mola di Gaeta, 12. März 1849: „Herr Legationsrath. – Ich danke Ihnen für die in Ihrem R Briefe vom 1ten d.M. mir ausgedrückte Gesinnung. Die in den von Ihnen verfaßten Artikeln in der Allgemeinen Zeitung dargelegte genaue Kenntniß der Umstände in Toskana, und der dabei betheiligten Personen, berechtigt Sie mehr als viele andere ein Urtheil über die letzten traurigen Vorgänge daselbst auszusprechen. Mit […] vertrauensvoller Hoffnung auf die Zukunft, aber zugleich mit aufrichtiger Betrübniß über das moralische und materielle Verderbniß des früher so friedlichen und wohlhabenden Landes, sehe ich hier den kommenden Ereignissen entgegen. Es wird mir stets ein Vergnügen seyn Sie wiederzusehen und weitere aus Ihrer Feder geflossene Aufsätze zu lesen.“ 298 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,259: ­Reumont an Vieusseux, Mola di Gaeta, 28. Mai 1849; Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken Bd. 1: Cesare Balbo, Berlin 1862, S. 318. 299 Vgl. Adolfo Noto: Il ministro Tocqueville e la restaurazione pontificia, in: Lauro Rossi (Hrsg.): Un laboratorio politico per l’Italia. La Repubblica romana del 1849, Rom 2011, S. 65–76.

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zusammen mit Giuseppe Montanelli und Giuseppe Mazzoni die provisorische Regierung gebildet hatte, konnte sich nicht lange halten. Nachdem er sich zuvor als Volkstribun der aufständischen Massen in Livorno inszeniert hatte, versuchte er, angesichts der Niederlage von Novara am 23. März 1849 und des drohenden Einmarschs der Österreicher von der konstituierenden Versammlung mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet, zwischen den Moderati und den Demokraten zu vermitteln. Letztlich wurde er aber am 11. April 1849 von einer aufgebrachten Florentiner Volksmenge zusammen mit seinen Livorneser Unterstützern zur Flucht gezwungen.300 Daraufhin hatten die Moderati den Großherzog zurückgerufen, um ­ eumont eine österreichische Intervention zu vermeiden.301 Allerdings deutete R trotz seiner Erleichterung über die Vorgänge in der Toskana gegenüber Vieusseux an, dass dieses Kalkül nicht aufgehen würde. Die Reaktion des Großherzogs, den er in Gaeta regelmäßig zu Gesicht bekam, schien nämlich nicht auf eine versöhnliche Haltung hinzudeuten.302 ­Reumont indes sah die Revolution allerorts auf dem Rückzug und räumte den noch verbliebenen Revolutionsherden keine realistische Erfolgsaussicht mehr ein. Die Niederwerfung der Republiken in Rom und Venedig erschien nun nur noch eine Frage der Zeit.303 Mit entsprechendem Unverständnis reagierte ­Reumont auf Niccolò Tommaséos Bitte eine Petition zur Unterstützung des venezianischen Unabhängigkeitskampfes an seinen Vorgesetzten von Usedom weiterzuleiten. In dieser Petition forderte Tommaséo die preußische Regierung auf, sich mit Italien gegen den gemeinsamen Feind Österreich zu verbünden, um gemeinsam die Freiheit zu erlangen. Preußen habe dabei die Wahl, ob es Österreich beseitige oder später selbst von diesem beseitigt werde.304 Obwohl ­Reumont selbst die Gefahr sah, dass Preußen an einer dauerhaften Rivalität zu Österreich im Deutschen Bund zugrunde gehen könnte, hatte er keinerlei Verständnis für eine derartige Forderung, wie sie Tommaséo vortrug. ­Reumont leitete das Schreiben zwar weiter, belehrte Vieusseux jedoch über Diplomatie und geltendes Recht:

300 Zu den Ereignissen in der Toskana 1848/49 vgl. auch Danilo Barsanti: I principi passano, i popoli restano. La politica del governo provvisorio, Rassegna storica toscana 57,2 (2011), S. 135–172; Romano Paolo Coppini: Il Granducato di Toscana. Dagli „anni francesi“ all’Unità, Turin 21997 [Giuseppe Galasso (Hrsg.): Storia d’Italia 13,3], S. 386–395; Zeffiro Ciuffoletti: Guerrazzi, Francesco Domenico, DBI 60 (2003), 623–629. 301 Vgl. Paolini (2002), 171–176; Kroll (1999), S. 323–326. 302 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,255: ­Reumont an Vieusseux, Mola di Gaeta, 29. April 1849: „J’ai vu le GdDuc ce matin – il a très-mauvaise mine. Ce soir nous Lui présenterons, nos lettres de créance.“ 303 Vgl. ­Reumonts Einschätzung gegenüber Vieusseux: BNCF Vieuss. C. V. 88,269: R ­ eumont an Vieusseux, Neapel, 4. August 1849: „Depuis longtemps le sort de Venise était fixé. Voilà encore tant de sacrifices pour rien ! Je respecte le courage & l’abnégation avec laquelle cette malheureuse Ville a supporté tout de calamités; mais depuis la bataille de Novare je ne conçois rien à leur politique & à leurs intentions, qui m’ont toujours paru erronées & malavisées, & qui dernièrement tenaient d’une espèce de démence, parcequ’on avait franchi les bornes du possible. Où iront tous ces malheureux auxquelles cette ville offrait le dernier refuge ? En général, que deviendront tous en exilé Italiens ?“ 304 BNCF Tomm. 120,46 (3): Ad un consigliere di Stato del re di Prussia, Venezia, Aprile 1849.

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„J’ai remis à Mr. de Usedom, qui me charge de V.s dire mille choses aimables, l’imprimé à l’égard de Venise. Mais comment voulez V.s que de telles choses, qui font abstraction de tout traité & de toute base politique, puissent faire la moindre impression sur la diplomatie qui est saisie de l’affaire ?“305

So enttäuscht Tommaséo auch über R ­ eumonts Reaktion war, so war diese Einschätzung dennoch zutreffend: Selbst für Regierungen, die mit dem venezianischen Unabhängigkeitskampf sympathisierten, mussten die Bestimmungen der Wiener Verträge von 1815 bindend bleiben, die Venedig dem Habsburgerreich unterstellten.306 Der britische Außenminister Palmerston reagierte auf die Petition vom April 1849, indem er die Anerkennung ausdrückte, die die britische Regierung für das Selbstopfer des venezianischen Volkes empfand, verwies jedoch auf die immer noch geltenden Wiener Verträge. Diese seien nur durch eine entsprechende Absprache mit den habsburgischen Autoritäten änderbar. Solange diese ihr Einverständnis verweigerten, könne deswegen die britische Regierung die Repubblica Veneziana nicht anerkennen.307 Zu diesem Zeitpunkt bedeutete ­Reumonts Einschätzung also keineswegs eine arrogante Haltung gegenüber den italienischen Interessen, sondern lediglich eine realistische Einschätzung der gegebenen politischen Situation. Die Chancen, dass Venedig auf internationaler Ebene nennenswerte Unterstützung fin­ eumont die Petition den würde, standen nämlich äußerst schlecht. Dennoch nahm R Tommaséos ernst und verschaffte ihr Gehör. Dass die österreichische Herrschaft von den meisten Italienern abgelehnt werde, entsprach ohnehin auch seiner persönlichen Auffassung, weshalb er immer wieder anmahnte, dass es für das Habsburgerreich eigentlich von Vorteil wäre, sich aus Lombardo-Venetien zurückzuziehen. Denn der Verwaltungsaufwand stehe in keinem gesunden Verhältnis zum Nutzen. Allerdings zog er den persönlichen Dialog einer kriegerischen Auseinandersetzung vor und besprach sich in der Venezianischen Frage offenbar auch mit dem in Gaeta anwesenden österreichischen Gesandten in Rom, Graf Esterházy.308 Allerdings setzte er dabei andere Prioritäten als die Moderati. Neben der Überzeugung, dass dauerhafte und international anerkannte politische Veränderungen in Italien nicht auf dem Wege der Revolution, sondern ausschließlich über Verhandlungen mit Österreich zu erreichen waren, stellte er die Bekämpfung und Vermeidung von revolutionären Unruhen über schnelle, aber unsichere Erfolge. Obwohl ­Reumont tatsächlich versuchte, Tommaséo und Vieusseux im Rahmen seiner Möglichkeiten zu unterstützen, provozierte er mit seinem belehrenden Kommentar ihren Unmut. Dabei war es gar nicht so sehr der Verweis auf die geringen 305

BNCF Vieuss. C. V. 88,255: ­Reumont an Vieusseux, Mola di Gaeta, 29. April 1849; auch zitiert bei Ciampini (1953), S. 430. 306 Zu den Wiener Verträgen, die Venedig dem Habsburgerreich zugestanden vgl. etwa Thierry Lentz: 1815. Der Wiener Kongress und die Neugründung Europas, München 2014, S. 245; Pesendorfer (1992), S. 99–123. 307 Vgl. Wolfram Siemann: Metternich’s Britain (German Historical Institute London: The Annual Lecture), London 2012, S. 25. 308 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,268: ­Reumont an Vieusseux, Mola di Gaeta, 2. August 1849.

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Chancen dieses Anliegens, dessen waren sich Vieusseux und Tommaséo zu jenem Zeitpunkt selbst bewusst, ohne dass es einer Belehrung bedurft hätte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich unter den Moderati die Enttäuschung der letzten Monate aufgestaut. Karl Alberts Niederlage bei Novara hatte die Situation in Venedig aussichtlos werden lassen und in Livorno beherrschten die Moderati auch nach der Vertreibung Guerrazzis nicht mehr die politische Lage, sodass eine ausländische Intervention kaum noch vermeidbar schien. Just zu diesem ungünstigen Zeitpunkt hatte ­Reumont Vieusseux einen Artikel für das Archivio Storico Italiano über die Quellen und Gedichte zu Friedrich I. Barbarossa und Friedrich II. gesendet. Vieusseux hatte den Artikel zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass es sich dabei um einen Panegyrikos auf Barbarossa handele und er dieses literarische Werk vorerst nicht veröffentlichen werde.309 Daraufhin zeigt sich ­Reumont derart beleidigt, dass er sogar seine weitere Mitarbeit zur Disposition stellte.310 Während Vieusseux und Tommaséo kein Verständnis für die diplomatischen Realitäten hinsichtlich des italienischen Unabhängigkeitskampfes aufbrachten, konnte ­Reumont nicht verstehen, dass sie trotz der gefährlichen politischen Lage dennoch auf den nationalen Forderungen beharrten und sich nicht lieber mit moderaten liberalen Forderungen begnügten, deren Umsetzung noch am ehesten Aussicht auf Erfolg hatten. Schließlich hatte sich Gino Capponi hinsichtlich der Revolutionen in Italien ähnlich geäußert: So sehr er den Kampf der Römischen Republik für die nationale Sache und liberale Reformen im Kirchenstaat würdigte, warf er den Revolutionären dennoch vor, durch ihr illegales und gewaltsames Vorgehen die italienische Nationalbewegung international diskreditiert zu haben.311 Insofern befand 309

Gabinetto Scientifico Letterario G. P. Vieusseux, Copialettere 23, S. 516–517: Vieusseux an ­ eumont, 16. Mai 1849: „Quant au Panegirico de Barbarossa vous me permettrez, cher ami, de R le laisser dormir – c’est un travail tout littéraire sur lequel je dois réfléchir.“; Alfredo di ­Reumont: Di alcuni Lavori spettanti alla Storia d’Italia ultimamente pubblicati in Germania, Archivio Storico Italiano, Appendice 7 (1849), S. 507–524, besonders S. 508–515: Gedichte des Mittelalters auf König Friedrich I. den Staufen, und aus seiner nächstfolgenden Zeit, von Jacob Grimm. 310 BNCF Vieuss. C. V. 88,260: R ­ eumont an Vieusseux, Mola di Gaeta, 29. Mai 1849: „Quant à l’article IV di alcuni lavori, qu’il V.s plait nommer un panegirico di Barbarossa, je n’ai qu’à dire que V.s V.s trompez singulièrement, que c’est un travail fait p.r montrer la différence & la violence dont se prononçaient les partes, & que d’un côté un Ghibelin loue Barberousse, de l’autre un Guelfe attaque Frédéric II, qu’il s’agit encore de l’importance à attribuer aux écrits de Beham, Légat du Pape, & aux travaux historiques qui sont puisés de cette source. Voilà ce que V.s appelez „un travail tout littéraire.“ Certes je ne puis pas obliger quelqu’un d’imprimer ce que j’écris: mais je ne continuerai pas les revues critiques s’il s’agit d’en exclure un article qui m’a coûté tant de travail.“ 311 Marco Tabarrini (Hrsg.): Gino Capponi. Scritti editi ed inediti, Florenz 1877, Bd. 2, S. 227– 228: „V’era poi una protesta, non solamente romana ma italiana e più che italiana, contro al governo clericale. Sin qui il principio di quella difesa era facile e piano e concordato dalla ragione universale. […] Avevano poi, quando le cose voltarono, macchiato d’ingratitudine gli assalti sovente giusti che si facevano contro all’autorità del principe di Roma. Avevano poi falsificato, col professare una impraticabile repubblica e una impossibile unità d’Italia, il processo di quei moti: gli avevano bruttati di fatuità colpevoli e di triviali stoltezze, e d’un assassino [das Attentat auf den Innenminister Pellegrino Rossi am 15. November 1848], che bastò a discreditare tutta

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sich ­Reumont in seiner Bewertung der politischen Entwicklungen durchaus in einer Linie mit einem Teil der Moderati. Unter denjenigen, die sich allerdings für den venezianischen Unabhängigkeitskampf engagierten, mussten derartige Belehrungen für Unverständnis sorgen. Seiner Enttäuschung machte Vieusseux in seinem Brief an Tommaséo Luft, in dem er die belehrende Antwort auf den Venezianischen Unabhängigkeitskampf mit dem eingesendeten „Panegyrikos“ auf Barbarossa in Verbindung brachte: „Non bisogna perdere di vista che quel nostro amico ama dimolto l’Italia, ma come roba sua. Egli è di quella scuola storica che crede ai pretesi diritti degli Ottoni e dei Barbarossa, e che vorrebbe far valere le decisioni di Roncaglia.“312

Tommaséo machte für ­Reumonts Beharren auf dem Völkerrecht sowie seine Geschmacklosigkeit, in der verzweifelten aktuellen Lage einen Artikel über Barbarossa zu verfassen – aus Sicht der „Neoguelfen“, den Inbegriff des ausländischen Tyrannen, der Italien knechtet – dessen Herkunft verantwortlich: „Il ­Reumont, il più brutto uomo d’Europa, buono e erudito alla tedesca, e amante l’Italia alla tedesca, parla di trattati, e non si ricorda quante volte la spada austriaca li ruppe.“313

Dabei hing ­Reumonts Einschätzung weniger von seiner deutschen Herkunft ab, als vielmehr von seiner diplomatischen Ausbildung. Wie seine spätere Verurteilung der Italienpolitik Barbarossas zeigt, dem er vorwarf, dort dem Geist der Nation und der geschichtlichen Entwicklung zuwider gehandelt und durch seine übertriebenen Strafmaßnahmen die Italiener gegen sich aufgebracht zu haben, war er durchaus ­ eumonts die Illegitimität ein kein Freund des Staufers.314 Deswegen war aus Sicht R größerer Feind der italienischen Nationalbewegung, als die Habsburger selbst. Dies galt sowohl für den Krieg gegen Österreich, wie auch für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Die Wiener Beschlüsse erlaubten keine Veränderung des status quo ohne die Zustimmung der legitimen Souveräne. Demzufolge konnten durch Revolutionen erzwungene Veränderungen der italienischen Situation keine Aussicht auf dauerhaften Bestand haben. Damit folgte R ­ eumont keinem „deutschen Instinkt“, der Italien als deutschen Besitz betrachte, sondern lediglich den Wiener Beschlüssen, an die die europäischen Mächte vertraglich gebunden waren. Obgleich ­Reumont, im Gegensatz zum Großteil der deutschen Öffentlichkeit sowie erklärter liberaler Italienfreunde wie beispielsweise Mittermaier, nicht etwa das deutsche Nationalinteresse über dasjenige Italiens stellte,315 sondern weiterhin mit einer natio­nalen Einigung Italiens sympathisierte, forderte er eine an der aktuellen polila causa d’Italia. Ed ora […] le potenze tutte d’Europa, repubblicane o monarchiche, e dietro ad esse senza alcun dubbio la maggior parte dei popoli, si collegavano nel pensiero di ricondurre in Roma e ricollocare in trono il Pontefice; del quale poi con singolare e misteriosa contradizione riconoscevano tutti pessimo, ed a lungo andare, d’impossibile conservazione il governo.“ 312 Zitiert nach Ciampini (1953), S. 431. 313 Ebenda. 314 Alfred von ­Reumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 2, Berlin 1867, S. 441–443. 315 Vgl. Clemens (2000), besonders S. 261–262; über die unterschiedliche Bewertung der Rolle Österreichs für die jeweiligen Nationalstaatsambitionen „deutscher“ und „italienischer“

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tischen Situation orientierte Politik, die auf der Grundlage der Wiener Beschlüsse zu agieren hatte. Deswegen hielt ­Reumont am ursprünglichen Programm der Moderati fest, das schrittweise Reformen innerhalb des legitimen Rahmens vorsah und versuchte, diese sowohl gegen äußere Feinde als auch revolutionäre Tendenzen im Innern abzusichern. Auch Niccolò Tommaséo zog deswegen R ­ eumonts Wohlwollen gegenüber der italienischen Nationalbewegung nach anfänglicher Enttäuschung über dessen Belehrungen nicht in Zweifel. Wenige Tage nach der Kapitulation ­Venedigs, wandte er sich erneut an R ­ eumont, mit der Bitte, soweit es ihm möglich sei, sich in diplomatischen Kreisen zugunsten der venezianischen Unabhängigkeit einzusetzen. Schließlich wusste er, dass „[…] a Lei [­Reumont] l’esito della guerra Austriaca in Italia ispirerà in cuore pensieri più dolorosi che lieti.“316 Tatsächlich bemühten sich die Moderati, als sie die Unruhen in Livorno nicht mehr eindämmen konnten, vergeblich um eine französische Intervention. Sie waren sich im Klaren darüber, dass die Unruhen nur durch fremde Hilfe beendet werden konnten, jedoch wollten sie eine Besatzung durch österreichische Truppen um jeden Preis vermeiden. Deswegen ersuchten sie 1849 sowohl in Neapel als auch in Turin um militärische Intervention. Leopold II. wollte davon jedoch nichts wissen, da die österreichische Intervention bereits vorbereitet wurde.317 Die akute Gefahr einer österreichischen Intervention war den Moderati nur zu bewusst. Vieusseux stellte gegenüber Tommaséo fest, dass die Unruhen in Livorno jedenfalls ein österreichisches Eingreifen immer wahrscheinlicher machten.318 Als jedoch ­Reumont nur wenige Monate später eine Intervention für unumgänglich hielt, erntete er zunächst Unverständnis. Da er die Revolutionsbekämpfung für wichtiger hielt als kurzfristige nationale Erfolge, machte er deutlich, dass man zur Not eben auch auf habsbur­gische Truppen zurückgreifen müsse.319 Diese Lagebeurteilung war für die Moderati natürlich keinesfalls hinnehmbar, war doch ihr politisches Handeln in diesen Tagen vollkommen darauf ausgerichtet, die öffentliche Ordnung in der Toskana wiederherzustellen und der internationalen Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass eine österreichische Besatzung wenn überhaupt in Livorno notwendig sein könnte,320 aber keineswegs in Florenz. Die VermeiNationalisten vgl. auch Karl-Hermann Lucas: Ein Brief Gino Capponis aus dem Jahre 1848. Stimmen aus Italien zu den deutsch-italienischen Beziehungen, QFIAB 51 (1971), S. 606–617. 316 Enrico Burich (Hrsg.): Lettere inedite del Capponi ad Alfredo R ­ eumont (in aggiunta una lettera del Tommaseo) (Quaderni di „Termini“ No. 7), Fiume 1940, Lettera inedita di Niccolò Tommaséo ad Alfredo ­Reumont, Venedig, 26. August 1849, S. 61–63. 317 Vgl. Kroll (1999), S. 325. 318 Vgl. Ciampini (1953), S. 418–422. 319 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,257: ­Reumont an Vieusseux, Mola di Gaeta, 5. Mai 1849: „Le GrandDuc part pour Naples Lundi. J’espère que les affrs de Toscane continueront à marcher bien: une fois Rome pacifiée, ce qui ne saurait pas manquer, Livourne se soumettra bientôt. Mais il faudra une bonne force armée – si on peut en avoir d’autre que de la part de l’Autriche, tant mieux.“ 320 Zur zentralen Bedeutung, die Livorno für die toskanischen Untergrundaktivitäten spielte vgl. Bertini (2003).

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dung einer Intervention durch österreichische Truppen war schließlich der alleinige Grund dafür, dass die Commissione Governativa den Großherzog zurückgerufen hatte. Nur auf diese Weise glaubten sie zumindest die Verfassung vom 15. Februar ­ eumont an dieser Stelle dem Interventions1848 restaurieren zu können.321 Dass R prinzip das Wort redete, verbitterte Vieusseux, der in seinem nächsten Brief kurz und vielsagend anmerkte: „Je ne vous parle de politique.“322 Wenngleich diese politischen Meinungsverschiedenheiten die Freundschaft nicht gefährdeten, belasteten sie jedoch zeitweise den Austausch über die Entwicklungen des zeitgenössischen Italiens. ­Reumont musste sich in jenen Tagen gegenüber seinen toskanischen Bekannten immer wieder rechtfertigen, dass seine Einschätzung der Kenntnis der diplomatischen Lage entspringe und keineswegs einer feindlichen Haltung gegenüber einer italienischen Nationalbewegung. Dabei kannte er auch die Einschätzungen der Politiker, Diplomaten und Fürsten, die in Gaeta ein- und ausgingen und zu einem großen Teil eine österreichische Besatzung in der Toskana für unumgäng­ eumont auch die Verachtung der Großherzogin für lich hielten. Insofern dürfte R die M ­ oderati nicht entgangen sein, die auf den Rückruf ihres Gatten in die Toskana mit größtem Misstrauen reagierte und eine bewaffnete Intervention forderte.323 ­Reumont kannte das Problem, dass das Großherzogtum Toskana keine schlagkräftige Armee hatte, die in der Lage gewesen wäre, äußeren und inneren Bedrohungen zu begegnen.324 Deswegen erschien es ihm nur logisch, dass man sich auswärtiger Truppen bedienen müsse, um die Aufrechterhaltung der Ordnung zu garantieren. Dass diese Einschätzung von den Moderati mit Befremden zur Kenntnis genommen wurde, ist in diesem Zusammenhang kaum überraschend. Allerdings lag dies nicht nur daran, dass ein erklärter Freund der Toskana eine unbequeme Meinung vertrat, sondern vor allem daran, dass die Moderati sich offenbar nicht vorstellen konnten, dass der Rückgriff auf habsburgische Truppen im Interesse und auf ausdrückliches Ersuchen des Großherzogs hin erfolgen könnte. Luigi Passerini, der führende Genealoge der Toskana und enger Bekannter R ­ eumonts, hielt dies für ausgeschlossen und witterte eher eine habsburgische Intrige gegen Leopold II.325 Doch obwohl die Moderati auf den Einmarsch der Österreicher in Livorno Mitte 321

Vgl. Paolini (2002), S. 172–176; Kroll (1999), S. 323–325. Gabinetto Scientifico Letterario G. P. Vieusseux, Copialettere 23, S. 516–517: Vieusseux an ­Reumont, 16. Mai 1849. 323 Achille Gennarelli: Epistolario politico toscano ed atti diversi da servire di illustrazione e di complemento alla storia della restaurazione granducale e al volume delle sventure italiane durante il pontificato di Pio Nono, Florenz 1863, S. 30–31: „Mio caro Leopoldo questa mattina avevo ricevuta la nuova degli avvenimenti di Toscana quando mi è giunta la tua. Mi fa piacere che ti desiderino ma ci penserei prima di andare anche perché senza truppa non si fa nulla e poi tornare col Capponi e altri che ti hanno condotto a questo punto ci penserei, perché adesso è il momento di non aver pietà con tanti che non lo meritano, che saranno i primi a farti gli umili; se si avessero dei Napoletani per un anno tanto che venissero i Svizzeri ma a me pare che il meglio sieno i Tedeschi benchè gli odii ma per fare il ripulisti non ci è che loro e non avreste l’odiosità te.“; vgl. auch Paolini (2002), S. 180. 324 Vgl. ebenda, S. 39, 49–51, 90–94. 325 Vgl. ebenda, S. 189. 322

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Mai und die anschließende vollständige Besetzung der Toskana völlig überrascht und schockiert reagierten, wussten sie sich sehr schnell mit der neuen Situation zu arrangieren. Zwar wurde die von den Moderati geführte Regierungskommission abgesetzt und ein Kabinett unter Führung des Staatsbeamten Giovanni Baldasseroni eingesetzt, jedoch ließ dieser sie wissen, dass der Großherzog keineswegs die Aufhebung der Verfassung im Schilde führe, sondern nach Wiederherstellung der Ordnung eine Neueröffnung des Parlaments plane. Vor diesem Hintergrund trat zwar eine Entfremdung vom Großherzog ein, der die Toskana durch eine österreichische Besatzung schwer gedemütigt hatte, jedoch glaubten die Moderati zunächst an den Erfolg einer pragmatischen Kooperation. Die Aussicht auf eine baldige Wiedereröffnung des Parlaments ließ nämlich die Verbitterung über den Großherzog hinter die Bekämpfung der Demokraten zurücktreten.326 Denn die Demokraten mussten bei einer möglichen Parlamentswahl zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten werden, zumal sie sich, solange die Repubblica Romana fortbestand, durch ein wesentlich fortschrittlicheres und nationales Programm absetzten. Schließlich hatte das nationale Programm der Moderati durch den Rückruf des Großherzogs, der eine österreichische Besatzung mit sich gebracht hatte, seine Glaubwürdigkeit eingebüßt. Deswegen stellten sie, wie zuvor schon R ­ eumont, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung über alle anderen politischen Ziele und sahen die Präsenz österreichischer Waffen als gute Gelegenheit, sich der Demokraten zu entledigen. Folglich stellten sie keine überzogenen Forderungen, um zuerst die öffentliche Ordnung zu stabilisieren. Erst wenn diese gesichert sei, könne man die Institutionen im Sinne der Moderati weiterentwickeln, ohne Gefahr zu laufen, neue Unruhen zu begünstigen. Diese Politik brachte der marchese Neri Corsini treffend auf den Punkt: „Per me l’affare delle istituzioni è oramai garantito dalle persone scelte dal principe. La questione è di tempo  e di opportunità. Io credo  e tengo sicuro che prima debba essere ristabilito in modo l’ordine, perché senza questo le Istituzioni libere sono un pericolo, e non un elemento di progresso.“327

Genau jene Politik, für die ­Reumont von Vieusseux und Tommaséo zuvor noch kritisiert worden war, wurde nach der Rückkehr des Großherzogs zum vorläufigen Programm der Moderati. Freilich musste dieses Programm sehr bald als gescheitert betrachtet werden: Mit dem Abschluss der Militärkonvention mit Österreich im April 1850, die die Stationierung von 10.000 österreichischen Soldaten in der Toskana vorsah, dem Konkordat der Toskana mit dem Kirchenstaat (1851), das mit den aufklärerischen Traditionen der Toskana brach, sowie der Abschaffung des Statuto fondamentale im Mai 1852, hatte Leopold II. einen unmissverständlich neoabsolutistischen Kurs eingeschlagen, der darauf abzielte, die Moderati zu entmachten, deren Politik der Großherzog für die Eskalation der Jahre 1848/49 verantwortlich machte.328 Die repressive Politik, die sich eben nicht allein gegen die Demokraten, 326

Vgl. Kroll (1999), S. 325–332. BNCF, Carte Cambray Digny, Appendice XIX,73: Neri Corsini an Luigi Guglielmo De Cambray Dingy, Florenz, 31. Juni 1849, zitiert nach Kroll (1999), S. 328. 328 Vgl. ebenda, S. 332–335. 327

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sondern auch gegen die Moderati richtete, führte unweigerlich zum Bruch und zu der Erkenntnis, dass sowohl liberale als auch demokratische Forderungen langfristig nicht mit dem Großherzog zu erreichen seien. ­Reumont sah sich dabei gewissermaßen zwischen den Fronten. Einerseits hielt er eine österreichische Besatzung für unvermeidlich, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen und warb entsprechend gegenüber seinen toskanischen Kontakten um Verständnis für die misstrauische Vorgehensweise des Großherzogs, andererseits wurde er nicht müde, von den wiedereingesetzten Souveränen trotzdem maßvolle Reformen einzufordern, da ein zu weiter Rückfall hinter das in den Jahren 1848/49 Erreichte nur die Grundlage für zukünftige Unruhen legen würde. Diese Haltung machte sich sowohl in seinen Briefen an Vieusseux als auch in seinen diplomatischen Depeschen deutlich bemerkbar. Nachdem am 4. Juli 1849 die französischen Truppen unter General Oudinot der Repubblica Romana ein gewaltsames Ende bereitet hatten, zeichnete ­Reumont gegenüber Vieusseux die Zerstörungen in den düstersten Farben und stellte klar, dass diese einzig und allein auf das Konto der Revolutionäre gingen.329 ­Reumont diffamierte die Verteidiger der Römischen Republik an dieser Stelle als Barbaren, um ihnen jegliche Legitimität abzusprechen und Vieusseux die Schrecken eines Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung noch einmal vor Augen zu führen. Allerdings ging es ihm an dieser Stelle darum, anderslautenden Berichten entgegenzutreten, nach denen die Republik und das Triumvirat in der Bevölkerung breiten Rückhalt genossen haben. So hatte beispielsweise William E. Gladstone, der eigentlich kein Befürworter der Römischen Republik gewesen ist, bei seinem Romaufenthalt wenige Tage nach dem Fall der Republik erstaunt festgestellt, dass er seitens der römischen Bevölkerung keinerlei negative Kommentare über Giuseppe Mazzini als einem der Protagonisten der kurzen demokratischen Episode vernommen habe.330 Vor dem Hintergrund, dass insbesondere in der englischsprachigen Öffentlichkeit die Römische Republik mit viel Wohlwollen betrachtet wurde und Vieusseux mit seinem internationalen Lesekabinett diese Einschätzungen bekannt gewesen sind, legte ­Reumont offenbar besonderen Wert darauf, die Anhänger der 329

BNCF Vieuss. C. V. 88,265: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 16. Juli 1849: „Je visitai hier les tranchées françaises & je retournai d.s la Ville en escaladant la huche. La destruction est terrible – mais ce n’est pas cela que l’on se plaint – on se plaint de la destruction gratuite faite par cette canaille p.r laquelle je n’ai plus de nom. – ils ont coupé tous les arbres même d.s l’intérieur de la Ville, ils ont changé en désert la Villa Borghese & tant d’autres belles Villas sans ombre de nécessité, ils ont détruit avec gaité du cœur de beaux objets d’arts – ce n’est pas sans larmes qu’on peut avoir S. Pietro in Montorio. Et ces infâmes appellent les autres barbares ! Les Français n’ont pas touché à un arbre à Villa Pamphilj, qui n’a été sauvée que parce qu’on en a chassé bientôt ces gredins. Et p.r comble de tout, il n’y a eu que les troupes Garibaldi, la légion Manara, les jeunes gens de Bologne & une partie de l’ancienne troupe de légion papale qui se soient bien battus. Il n’y avait pas beaucoup de Romains parmi ça, & Mazzini & Cernuschi & tout ce qui entamait à la destruction n’y étaient certainement pas!“ 330 Vgl. Severini (2011), S. 159; Denis Mack Smith: Mazzini, New Haven / London 1994, S. 64–76, hier S. 74.

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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Republik zu diskreditieren. Seine Beschreibung der Zerstörung durch die Römische Republik veröffentlichte er auch im Jahre 1855 noch einmal für das deutschsprachige Publikum.331 Zwar entsprach seine Bestandsaufnahme sicherlich den Tatsachen, jedoch war dieser Bericht vor allem eine Polemik gegen die Politik der Republik zum Schutz der römischen Kunstwerke. Dort wurde nämlich im Verlauf der Belagerung eigens eine Commissione delle barricate eingesetzt, zu deren Aufgabe der Schutz der Monumente und Kunstwerke sowohl gegen die Bombardements als auch gegen Räuber gehörte.332 Trotzdem hatte der Schutz von Kunstwerken während der Kampfhandlung nicht die höchste Priorität. Dies hatte jedoch schon während der Belagerung zu gegenseitigen Schuldzuweisungen geführt, das kulturelle Erbe Roms zu zerstören – je nach politischem Standpunkt wurden wahlweise die Franzosen oder die Verteidiger der Republik dafür verantwortlich gemacht. ­Reumont verwies jedoch darauf, dass die zerstörungswütigen Republikaner keineswegs Einheimische gewesen seien, sondern hauptsächlich fremde Abenteurer. Darin folgte er der Darstellung Giuseppe Spadas, dem Mitbesitzer des Banco Torlonia, der als entschiedener Anhänger des Papstes die römische Bevölkerung von einer größeren Schuld freizusprechen suchte, indem er darauf verwies, dass es sich vor allem um fremde Unruhestifter gehandelt habe. Diese von ­Reumont aufgegriffene Einschätzung propagierte Spada später durch seine Storia della Rivoluzione di Roma e della restaurazione del governo pontificio dal 1o giugno 1846 al 15 luglio 1849.333 ­Reumont nahm an dieser Stelle also die von Konservativen und Moderati in Umlauf gebrachte Legende einer das Volk unterdrückenden Tyrannei auf, um ein Nationalprojekt unter demokratischen Vorzeichen zu diskreditieren.334 Trotz einer Befürwortung von Interventionen zur Wiederherstellung der öffent­ eumont nicht etwa einer Restauration das Wort, sondern lichen Ordnung, sprach R mahnte die Notwendigkeit moderater Reformen aus der Position der Stärke heraus an, um eine langfristige Revolutionsprävention zu gewährleisten, indem man die Bevölkerung politisch auf die Seite der legitimen Souveräne zieht und sie nicht allein mit Waffengewalt kontrolliert. Entsprechend ernüchtert musste R ­ eumont in seinen diplomatischen Depeschen aus Gaeta nach dem Fall der Römischen Republik feststellen: „Von einer Repräsentativverfassung ist dabei übrigens keine Rede mehr, und es scheint mir, daß auch die französischen Diplomaten diesen Gegenstand jetzt so ziemlich haben fallen lassen, nachdem sie sich überzeugt, daß sie damit durchzudringen nicht die allerwenigste Chance haben.“335 331

Alfred von ­Reumont: Beiträge zur italienischen Geschichte, Bd. 3, Berlin 1855, S. 189–204. Vgl. Anna Villari: Arte e artisti a Roma durante la Repubblica, in: Rossi (2011), S. 137–149, hier S. 140–142. 333 Vgl. Fausto Fonzi: Giuseppe Spada: un romano che non amava la repubblica, in: Rossi (2011), S. 159–165. 334 Vgl. auch Mack Smith (1994), S. 68. 335 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Gesandtschaft Vatikan, Nr. 99: Politische Berichte, Nr. 1: Mola di Gaeta, 2 August 1849, Blatt 1–5. 332

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Die französische Diplomatie, die sich von ihrer „bewaffneten Vermittlung“ ein entsprechendes Mitspracherecht bei der Restauration der päpstlichen Herrschaft erhofft hatte, sah sich in ihren Forderungen nach gemäßigten liberalen Reformen und einer Konstitution von Pius IX. hingehalten, der Unterhändler Corcelles stets Hoffnungen machte, dessen Forderungen zu erfüllen.336 Wenngleich ­Reumont der Politik Napoleons III. misstraute, so unterstützte er dennoch das französische Bemühen, den Papst von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Weg der liberalen Reformen nicht zu verlassen. Denn dass diese schlichtweg Grundvoraussetzung für eine Rückführung des Papstes nach Rom sein würden, stand auch für R ­ eumont außer Frage. Wenige Tage später berichtete er entsprechend an den preußischen Außenminister von Schleinitz: „Die nach Gaeta wie hierher gelangten Nachrichten über die Römischen Angelegenheiten lauten immer noch ungünstig und geben zu ernsten Betrachtungen Anlaß. Die päpstliche Regierung genießt durchaus keine Autorität; alle ihre Beschlüße, sie mögen gut oder nicht gut sein, werden mit Aeußerungen der Unzufriedenheit und Mißachtung aufgenommen, und nur Waffengewalt vermag sie überhaupt zu halten. Die Stellung der Franzosen verschlimmert sich dabei und man weiß ihnen umso weniger Dank dafür daß ihr Gesandter in Gaeta das Möglichste thut, zu entschieden-reactionäre Maßregeln zu verhindern, da diese Bemühungen im Ganzen keinen besonderen Erfolg haben.“337

Die Situation in Rom zeige also, dass ein Verlassen des konstitutionellen Weges nur dann möglich sei, wenn man sich auf Waffengewalt stütze. Dabei wirft ­Reumont jedoch die Frage auf, wie lange man wohl noch auf die französischen Waffen zurückgreifen könne, angesichts einer Stellung die dem französischen Selbstverständnis eigentlich widerspreche. Damit deutete er an, dass die französische Unterstützung ohne entsprechende Reformen nicht als dauerhaft gesichert gelten könne. Neben dem Beharren das Papstes auf dem status quo ante war es zudem dessen Weigerung, sich als italienischer Souverän zu verstehen, was zur Folge hatte, dass die Bürger des Kirchenstaates aus einem zukünftigen Nationalstaat von vornherein ausgeschlossen sein mussten. Entsprechend ließen dessen Bürger die Argumentation, nach der der Papst als Oberhaupt der Katholiken eine übernationale Stellung einnehmen müsse nicht gelten. Über die Stimmung im Kirchenstaat berichtete ­Reumont von Schleinitz: „Zu gleicher Zeit ist aber auch die Frage hinsichtlich der künftigen politischen Stellung des Kirchenstaates dem Auslande gegenüber, resp. die immerwährende Neutralität des Papstes berührt worden. So vielen Anklang ein solcher Plan bei Fremden findet, so entschieden ist bei der größten Mehrzahl der Italiener, selbst bei den sehr Gemäßigten, die Abneigung dagegen. […] Der Italiener wirft immer wieder ein, daß die Neutralität des Kirchenstaates jedes politische Band, jedes Gesamtsystem der Halbinsel, welches anzustreben der Wunsch der unermeßlichen Majorität sei und sein müsse, geradezu unmöglich mache und daß diese 336

Vgl. Noto (2011), S. 67–69. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Gesandtschaft Vatikan, Nr. 99: Politische Berichte, Nr. 4: Neapel, 24. August 1849, Blatt 15–18. 337

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2 ½ Millionen solcherart aus dem italienischen Verbande, wie er auch immer sich gestalten möge, ausgeschlossen, durch ihre geograph. Lage weit ungünstiger und hemmender wirken würden als die Lombardei indem sie Neapel vollständig abtrennten.“338

Gemeinsam mit Rosmini, Balbo und Corcelles sah R ­ eumont die Probleme, die den Papst bei einer sturen Restauration erwarten würden. Er hatte erkannt, dass die Position des Papstes innerhalb der italienischen Halbinsel unhaltbar werden musste, sobald sie nicht mehr durch Waffengewalt garantiert werden konnte, da er nach seiner Absage an den italienischen Unabhängigkeitskrieg sowie seiner kategorischen Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit den römischen Moderati als ein Haupthindernis auf dem Wege zu einem geeinten Italien erscheinen musste. Diese Situation wirkte umso problematischer, als Sardinien-Piemont den Weg der liberalen Reformen fortsetzte und sich dadurch nicht mehr nur militärisch, sondern nun auch ideell an die Spitze der liberalen Nationalbewegung zu stellen drohte. Des­wegen dürfe sich der Papst keinesfalls einfach damit zufrieden geben, wieder in seine Herrschaft eingesetzt zu werden, sondern müsse sich im Klaren darüber sein, dass die Episode der Römischen Republik nicht einfach ungeschehen gemacht werden könne. Denn in der Bevölkerung habe diese Zeit eine ganz neue Erwartungshaltung geweckt, so dass sie sich nicht mit einer Rückkehr zu den alten Verhältnissen zufrieden geben werde, zumal Sardinien-Piemont an seiner Konstitution, dem Statuto Albertino, weiterhin festhielt und somit in den Augen der Liberalen eine Vorbildfunktion einnehmen konnte.339 Reagiere Pius IX. also nicht entsprechend konziliant und nutze den Augenblick der Stärke, um trotzdem den zuvor eingeschlagenen Weg der moderaten Reformen fortzusetzen, laufe er Gefahr, dass sich die dortige Bevölkerung an Sardinien-­ Piemont orientiere. Zwar sieht ­Reumont an dieser Stelle noch nicht die später folgende Politik eines Cavour voraus, der gezielt die Unzufriedenheit der Bevölkerung des Kirchenstaates schürte, doch sah er bereits die Gefahr einer Entfremdung zwischen Papst und Untertanen. Deswegen warnte er eindringlich: „Unter solchen Umständen muß ich an dem günstigen Erfolge der Neutralitäts-Erklärung des Kirchenstaates und der dadurch bedingten Ausschließung aus jedem möglichen italienischen Staatenbunde, so viel sich auch für dieselbe in Abstracte sagen läßt, sehr zweifeln. Die Neutralität, die Zurücknahme des Status von 1848, die Beibehaltung der Wiedereinführung mancher Institutionen die man auf immer auf Seite gestellt glaubte, die Besetzung sämtlicher außerordentl Commissariate in den Provinzen durch Prälaten wenngleich wahrscheinlich nur provisorisch – alles das wird nicht genügend sein, die Abneigung gegen die Papstherrschaft als Priesterregiment zu besiegen.“340

Obwohl ­Reumont sich in dieser Zeit vor allem am päpstlichen Hof aufhielt, hatte er offenbar einen guten Eindruck von der Situation innerhalb des Kirchenstaates. Obwohl wir heute nicht mehr über die vollständige Korrespondenz zwischen 338

Ebenda, Nr. 3: Neapel, 19. August 1849, Blatt 11–13. Ebenda. 340 Ebenda. 339

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­ eumont und Diomede Pantaleoni verfügen, ist davon auszugehen, dass er entweR der direkt oder indirekt über den Salon Marguerite Albana Mignatys über die Situationsschilderungen Pantaleonis aus Rom informiert war. Dieser war eigentlich ein Kritiker der Römischen Republik, da er befürchtete, sie würde nur Zwietracht zwischen den Italienern schüren und die Konzentration auf das gemeinsame Ziel – die Vertreibung der Österreicher – behindern.341 In der Zeit der Republik sah er sich als Kritiker zahlreichen Anfeindungen und einem Attentat ausgesetzt, solidarisierte sich jedoch nach dem Angriff durch die Franzosen, um die nationale Sache zu verteidigen.342 Nach dem Fall der Republik setzte auch Pantaleoni seine Hoffnungen in Sardinien-Piemont, in dem er nun als konstitutionelle Monarchie vor dem Hintergrund der neoabsolutistischen Wende im Kirchenstaat, im Königreich beider Sizilien und in Florenz, einen Musterstaat sah, an dem sich das restliche Italien orientieren müsse. In diesem Sinne berichtete er auch führenden britischen und französischen Politikern, wie dem britischen Außenminister Palmerston, William E.  Gladstone, dem liberalen britischen Premierminister John Russell, dem liberal-konservativen französischen Parlamentarier Adolphe Thiers, oder dem ebenfalls liberal-konservativen Journalist und Politiker Prosper Duvergier de Hauranne.343 Diese Überzeugungsarbeit Pantaleonis hat auch bei R ­ eumont ihre Wirkung nicht verfehlt. Denn angesichts der anhaltenden Weigerung Pius’ IX. den Weg der Reformen fortzusetzen und der Ablehnung einer Amnestie für diejenigen, die an der Römischen Republik beteiligt waren, setzte auch ­Reumont einige Hoffnung in Massimo d’Azeglio. Diesen kannte er persönlich und hielt ihn für einen besonnenen Politiker, unter dessen Führung Piemont seine Gesetze organisch weiterentwickeln könne, um so zum Referenzpunkt der übrigen Staaten zu werden. Gegenüber ­Vieusseux erklärte ­Reumont: „Si D’Azeglio avait un peu plus de courage & chassait cette infâme chambre & faisait de nouvelles lois organiques, le Piémont pourrait prendre un ascendant sur les petits Etats comme le Prusse qui s’est vue d.s la position où le Piémont se trouve maintenant.“344

Piemont könne in der italienischen Einigungsbewegung eine ähnliche Rolle einnehmen wie Preußen in der deutschen. Dies war eine Erkenntnis, die im Jahre 1849 für das toskanische Umfeld durchaus bemerkenswert war. Denn wie Kroll in seiner Studie gezeigt hat, begann die Orientierung der Moderati toscani an Piemont erst in der zweiten Hälfte der 1850er Jahre, im Zuge der piemontesischen Beteiligung am Krim-Krieg (1853–1856), in dessen Folge es am Pariser Kongress teilnehmen und die politische Situation Italiens vor internationalem Publikum zur Sprache bringen konnte.345 In dieser Hinsicht erkannte ­Reumont, gemeinsam mit Vieusseux, schon sehr früh die Chance, die sich durch das piemontesische Festhalten am Statuto 341

Vgl. Piccioni (2003), S. 117–120. Vgl. ebenda, S. 133–134. 343 Vgl. ebenda, S. 146–151. 344 BNCF Vieuss. C. V. 88,272: ­Reumont an Vieusseux, Neapel, 1. November 1849. 345 Vgl. Kroll (1999), S. 348–352. 342

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­Albertino für die italienische Nationalstaatsbewegung ergeben würde. Solange diese Führungsrolle unter Politikern wie d’Azeglio eingenommen werde, sah R ­ eumont die Möglichkeit, das Reformprogramm der Moderati auf diese Weise behutsam voranzutreiben. Noch hielt er es für möglich, dass das Beispiel Piemonts die Souveräne der übrigen Staaten ebenfalls zu behutsamen Reformen und zu einem Festhalten an einer Verfassung animieren könnte – auch wenn er andererseits die große Gefahr sah, die vom piemontesischen Beispiel ausgehen könne, wenn Pius IX. an seinem unversöhnlichen, autoritären Kurs einer kompromisslosen Restauration festhielt. Dieser hatte nämlich in einem Motu proprio vom 12. September eine Amnestie für die in Rom verbliebenen Republikaner in aller Deutlichkeit abgelehnt und damit nicht nur in Rom und Italien selbst, sondern in der gesamten internationalen Öffentlichkeit für großes Unverständnis gesorgt. Der französische Außenminister Alexis de Tocqueville stellte daraufhin gegenüber Corcelles, dem Gesandten am päpstlichen Hof resigniert fest: „Cherchez tous les exemples d’amnistie qui ont été donnés dans ces derniers temps par des princes laïques, vous ne trouverez rien de semblable.“346

In seiner Kritik am unversöhnlichen Verhalten Pius’ IX. ging Tocqueville sogar so weit, die Zustände am päpstlichen Hof mit denen am Hofe des Sultans von Konstantinopel zu vergleichen – ein drastischer, aber damals durchaus auch in katholischen Kreisen verbreiteter Vergleich, um die Zustände im Vatikan zu beschreiben, dessen sich auch ­Reumont selbst zur Kritik an den Zuständen des Hofes unter Gregor XVI. bedient hatte.347 Die durch diese undiplomatische Äußerung Tocquevilles hervorgerufenen Irritationen zwischen Frankreich und dem Vatikan schienen die erfolgreiche Wiedereinsetzung des Papstes zeitweise akut zu gefährden, da es für die französische Regierung schwer zu vermitteln war, „zur Restauration eines nicht durch eine Revolution sondern längst durch die öffentliche Meinung gestürzten Regimes die Hand geboten zu haben.“348 Dabei musste der Kurie eigentlich an der Unterstützung Frankreichs gelegen sein. Denn durch die unnachgiebige Restaurationspolitik habe der Papst das Vertrauen der Bevölkerung ohnehin bereits so schwer erschüttert, dass diese jeden Schritt der päpstlichen Regierung mit Argwohn verfolgte. Auch wenn die bereits erlassene Konstitution noch manche Mängel habe, erklärte ­Reumont Außenminister von Schleinitz, so sei es dennoch unmöglich hinter diese zurückzukehren, ohne sich den Unmut der Eliten zuzuziehen.349 Dabei machte ­Reumont deutlich, dass der Papst mit einem Festhalten an der von ihm 1848 erlassenen Verfassung keineswegs den Revolutionären gegenüber nach 346

Zitiert nach Noto (2011), S. 70. Vgl. ebenda; Thomas Brechenmacher: Reformen im Kirchenstaat des 19. Jahrhunderts, Historisches Jahrbuch 128 (2008), S. 55–76, hier S. 55–56. 348 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Gesandtschaft Vatikan, Nr. 99: Politische Berichte, Nr. 8 [Depesche ­Reumonts]: Neapel, 16. September 49, Blatt 28–31. 349 Ebenda. 347

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gebe, sondern vielmehr den Vorstellungen der Moderati gerecht werde, gegen die sich die Römische Revolution genauso gerichtet habe, wie gegen Pius IX. selbst. Deshalb hatten die meisten Moderati offen Partei gegen die Repubblica Romana ergriffen, die sie als größeren Feind als die Habsburger selbst sahen und piemontesische Moderati wie Cavour und Gioberti hielten im Zweifelsfall sogar eine militärische Intervention gegen das Schreckgespenst der Republik für notwendig.350 Insofern laufe er Gefahr, sich auch noch um seine letzten potentiellen Unterstützer zu bringen. Deswegen sollte er sich vielmehr an den führenden Schichten, nicht nur des Kirchenstaates, sondern auch der Toskana und Piemonts orientieren, um auf diese Weise seiner Herrschaft wieder eine Vertrauensbasis zu verschaffen. Dabei nennt ­Reumont auch seine Quellen explizit beim Namen: „Die obigen Gründe für die Beibehaltung des constit. Statuts, wie sie seit 2 u mehr Monaten in den Zeitungen u Flugschriften gemäßigter liberaler Farbe ausgesprochen werden, habe ich in der Kürze u. dem Wesentlichen nach C. C.zz gehs. Vortragen zu dürfen geglaubt, da diese Ansicht die unendliche überwiegende unter den Gebildeten in Piemont, in Toscana und im Kirchenstaat ist u sozusagen alle bedeutende Männer in diesen Staaten, Balbo, d’Azeglio, Petitti, Capponi, Ridolfi, Galeotti, Minghetti u mit letzterem fast alle Politiker in der Romagna, sich zu ihr bekennen. Sie sprechen sie klar und entschieden aus, so wenig Hoffnung sie auch in diesem Moment hegen daß man auf ihre Worte achten werde: man wird ihnen dann wenigstens nicht den Vorwurf machen können, hinter dem Berge gehalten zu haben. Und wenn sie auch in einzelnen Dingen sich täuschen mögen, so läßt sich das Andere schwerlich widerlegen, u sie haben vollkommen Recht, wenn sie zu Gunsten des röm. Statuts noch anführen, daß die Revoluzion des 18 November nicht bloß gegen den Papst u. Cardinäle gerichtet gewesen sei sondern auch gegen die Constitution welche sie in der Person Pell. Rossi’s tödlich verwundete.“351

Zu seiner Einschätzung gelangt ­Reumont nicht nur über die Lektüre der fortschrittlich-liberalen Zeitung La Patria sowie dem Monitore Toscano und ­Galeottis Lo Statuto, sondern auch über den Austausch mit Persönlichkeiten wie Balbo, d’Azeglio, Petitti, Capponi, Ridolfi, Galeotti oder Minghetti. Deren Ansichten referiert ­Reumont als die maßgeblichen für die aktuellen politischen Entwicklungen auf der italienischen Halbinsel. Entfremde sich der Papst aber endgültig auch die Moderati, stärke er damit unweigerlich die Radikalen, die sich im Verdikt der Unreformierbarkeit des Papsttums bestätigt sehen. Denn genau diese Konsequenz, dass der Papst nicht mehr an der Spitze einer italienischen Nationalbewegung stehen könne, sondern vielmehr jeder Hoffnung auf eine nationale Einigung und liberale Reformen im Wege stehe, mochte ­Reumont als überzeugter Katholik nicht ziehen – auch wenn Vieusseux ihm diese Schlussfolgerung in jenen Tagen regelmäßig nahelegte. Auf ­Reumonts Hoffnung, dass d’Azeglio die Kammer auflöse,

350

So sieht es auch Mac Smith (1994), S. 75–76. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Gesandtschaft Vatikan, Nr. 99: Politische Berichte, Nr. 8: Neapel, 16. September 49, Blatt 28–31. 351

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um durch organische Reformen dem restlichen Italien voranzugehen352 entgegnete Vieusseux: „En vous disant que la politique va nous laisser un peu de repris c’est vous dire que je ne crois pas qu’il suffise de comprimer & de chasser une chambre pour arranger définitivement les affaires d’Italie. Je regrette de devoir vous dire que la politique de réaction suivie à Naples, à Rome, & qu’un parti voudrait faire triompher en Toscane, est cause que les rangs des Constitutionnels s’éclaircissent tous les jours au profit des partis extrêmes; et qu’il existe maintenant plus de convictions républicains qu’au mois d’Avril d.r – Je vous le répète, il n’y a d’autre moyen pour assurer l’avenir de l’Italie qu’une fédération d’Etats bien entendue, et la suppression du temporel des Papes.“353

Um eine italienische Konföderation verwirklichen zu können, führe nach Vieusseux also kein Weg an der Beseitigung der weltlichen Macht des Papsttums vorbei. Die repressive reaktionäre Politik, nicht nur in Rom, sondern auch in Neapel und der Toskana führe dazu, dass sich auch immer mehr der gemäßigt Liberalen aus Ermangelung einer Perspektive in moderatem Sinne, den Republikanern zuwenden. Dieser Effekt werde durch die Präsenz der Österreicher als Garanten des monarchischen Prinzips noch verstärkt und lasse eine konstitutionelle Monarchie immer weniger als Option für ein wie auch immer geeintes Italien erscheinen. Um einen nationalen Einigungsprozess vorantreiben zu können, müssen also das weltliche Papsttum und Österreich von der italienischen Halbinsel verschwinden. Mit einigem Sarkasmus fragte Vieusseux deshalb: „Croyez-vous que les vengeances de l’Autriche en Hongrie, la réaction épouvantable à Naples & les turpitudes de Madrid soient bien faites pour ramener les républicains au principe monarchique?“354

Diese Kritik an der kompromisslosen Vorgehensweise Österreichs griff R ­ eumont selbst auch immer wieder auf. Obwohl er, wie bereits gezeigt, der Ansicht war, dass eine österreichische Intervention angesichts der Situation der Toskana notwendig gewesen war, kritisierte auch er nicht nur fehlende Sensibilität bei der Wiederherstellung der Ordnung, sondern zudem vollkommen unangemessene Konsequenzen aus den Revolutionserfahrungen. Vor allem das harte Vorgehen gegen die toskanische Presse, auch gegen moderate Periodika wie den von Galeotti herausgegebenen ­ eumont, bei aller Kritik, die er an manchen Artikeln wegen der Lo Statuto, hielt R überzogenen Forderungen übte, für unangemessen.355 Er erkannte vielmehr den 352

Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,272: ­Reumont an Vieusseux, Neapel, 1. November 1849. Ebenda, Antwortkopie Vieusseux an ­Reumont, Florenz, 5. November 1849. 354 Ebenda. 355 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 89,13: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 29. November 1850; BNCF Vieuss. C. V. 89,17: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 23. Januar 1851: „Je suis très-peiné des mesures que l’on prend en Toscane contre la presse. Vous savez combien je suis ennemie de la licence de la presse – mais ces mesures-ci sont très-mal avisées. Un gouvernement qui s’efforce de tuer l’opposition fait un faux calcul. D.s les ordonnances contre les deux journaux la passion se faisait jour – l’article du Statuto était vilain, mais ce n’était pas là la manière ni la mesure de sa somation.“ 353

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langfristigen Vertrauensverlust, den die Habsburger dadurch in der Toskana erlitten, dass sie die Pressefreiheit praktisch aufhoben und selbst den Moderati keinerlei politische Bewegungsfreiheit mehr ließen.356 Dies gipfelte darin, dass Ende 1851 bei einem Festgottesdienst für die Gefallenen des Krieges führende Moderati wie Gino Capponi und Cosimo Ridolfi verhaftet und verhört wurden. ­Reumont machte die Untergrundaktivitäten Mazzinis für dieses Misstrauen verantwortlich, die darauf abzielten jeden Ausgleich zu torpedieren und ganz bewusst den öffentlichen Unmut zu schüren suchten.357 Dabei kritisierte er aber auch die innenpolitischen Konsequenzen, die die Österreicher gezogen hatten, indem sie ein Konkordat mit dem Kirchenstaat abgeschlossen hatten anstatt die bewährte josephinische Kirchenpolitik fortzusetzen.358 Mit einer solchen Vorgehensweise wurden alle Versuche, Pius IX. von einem Festhalten an einer Reformpolitik zu überzeugen deutlich erschwert. Dass Piemont den Weg der Reformen konsequent beibehielt, begrüßte ­Reumont zwar, jedoch sah er die piemontesische Kirchenpolitik mit einiger Sorge. Dort versuchte die Regierung unter d’Azeglio die Versäumnisse hinsichtlich einer aufgeklärten Kirchenpolitik, wie sie seit Mitte des 18. Jahrhunderts in der Toskana und der Lombardei bis zur Revolution 1848/49 praktiziert worden war, nachzuholen. Nachdem conte Giuseppe Siccardi zuvor vergeblich versucht hatte, mit Pius IX. Verhandlungen über ein Konkordat aufzunehmen, brachte er später als Justizminister im Februar 1850 die nach ihm benannten drei leggi Siccardi ein, die die kirchliche Gerichtsbarkeit aufhoben und den Kirchenbesitz unter staatliche Kontrolle brachten. Nachdem das erste Gesetz vom Parlament angenommen und vom König erlassen worden war, löste es seitens des Papstes heftigen Protest gegen die unilaterale Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche aus, der jedoch keinen Erfolg haben sollte.359 ­Reumont selbst bedauerte, dass man hinsichtlich einer Neuordnung der Kirchenpolitik keinen Mittelweg zwischen Restauration und organischer Reform gewählt habe und konnte sich weder mit den kirchenpolitischen Maßnahmen Österreichs, noch jenen Piemonts anfreunden, wie er Vieusseux erklärte: „Un Consistoire devrait avoir lieu, d.s lequel le Pape déclarerait son plan de conduite politique & religieuse, mais les imbrogli Piémontais l’ont retardé. Il faudra en venir ici à une mesure publique. Le Piémont d’un côté est autant d.s le tort que de l’autre l’Autriche avec son abolition de la Législation Josephine qu’il fallait modifier mais non pas abandonner. Vous en sentirez bientôt le contrecoup. Ils s’en repentiront, les uns & les autres.“360 356

Vgl. Kroll (1999), S. 334. Vgl. ebenda, S. 336; BNCF Vieuss. C. V. 89,26: R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 14. Juni 1851: „J’ai été très-peiné des nouvelles florentines – je n’y conçois rien. On prétend que V.s l’affaire du 29 il-y-a beaucoup de tort de la part du peuple – mais comment expliquer une meuve de police contre des hommes comme Capponi & Ridolfi ?? Vraiment je m’y perds. Tout cela est fort triste. Il faut avouer du reste que la secte Mazzinienne fait ce qu’elle peu pour remettre le monde en émoi – nous en avons de toutes preuves ici. On fait tout pour empêcher la réalisation même des meilleurs institutions du Gouvernement papal & pour entretenir l’inquiétude ­générale.“ 358 BNCF Vieuss. C. V. 89,2: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 12. Mai 1850. 359 Vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 117–121. 360 BNCF Vieuss. C. V. 89,2: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 12. Mai 1850. 357

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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­Reumont hatte die Notwendigkeit einer Trennung von Staat und Kirche als einer Grundvoraussetzung für das Zusammenleben unterschiedlicher Konfessionen bereits hinreichend kennengelernt. Im Rahmen seiner Beteiligung an den Verhandlungen zur preußischen Mischehenpraxis und der Beilegung der „Kölner Wirren“ hatte er sich intensiv mit beiden Positionen auseinandersetzen müssen – um letzten Endes diejenige König Friedrich Wilhelms IV., der sich als überkonfessioneller christ­licher König verstand, zu vertreten.361 Außerdem kannte er die Probleme der evangelischen Gesandtschaftskapelle auf dem Kapitol, die manch einem konservativen Kardinal ein Dorn im Auge war.362 Zugleich war er über Vieusseux mit den Ideen eines überkonfessionellen Christentums und ihren Vertretern in Berührung gekommen. Dieser war Mitbegründer der Schweizer Kirche in Florenz und engagierte sich für die Verbreitung evangelischen Gedankenguts in seinem Lesekabinett. Dabei ging es ihm darum, der Christenheit zu moralischem Fortschritt zu verhelfen und sie von Dogmen und Denkverboten zu befreien, die den zivilisatorischen und intellektuellen Fortschritt behinderten.363 Diesem Kreis, der bis in die 1840er Jahre die Ideen des französischen Philosophen Claude Henry de Saint-Simon eifrig rezipierte und sie in einer liberalen Reform der katholischen Kirche sowie der Gesellschaft insgesamt umzusetzen suchte, gehörten führende Intellektuelle der Toskana wie etwa Niccolò Tommaséo, Raffaello Lambruschini oder auch Giuseppe Montanelli an.364 In der bis dato toleranten Toskana, die bis zur Restauration 1849 Juden und Protestanten in der Ausübung ihres Glaubens nicht einschränkte, hatte der­artiges Gedankengut eines liberalen Christentums durch die zahlreichen Reisenden verschiedener Konfessionen zeitweise einen fruchtbaren Nährboden gefunden. 1844 fand im Haus des Genfer Pastors Charles Chrémieux sogar eine interkonfessionelle Konferenz statt, an der unter anderem Montanelli, conte Piero Guicciardini, der zum evangelischen Glauben konvertiert war, und Lambruschini teilnahmen. Dieser Kreis strebte eine religiöse Reform der Toskana an, wurde aber letztlich mit dem Beginn des Pontifikats Pius’ IX. durch die eine päpstliche Führungsrolle in der Nationalbewegung propagierende katholisch-liberale Bewegung verdrängt.365 Im Zuge der Restauration 1849 wurden dann auf Druck des Papstes hin die Protestanten, deren Missionstätigkeit zuvor von Montanelli gefördert worden war,366 zusammen mit den Juden in der Toskana polizeilich verfolgt – Guicciardini wurde beispielsweise ins Exil in die Schweiz gezwungen367 – und die katholische 361

Vgl. Lepper (1989), S. 196. Vgl. Golo Maurer: Preußen am Tarpejischen Felsen – Chronik eines absehbaren Sturzes. Die Geschichte des Deutschen Kapitols in Rom 1817–1918, Regenburg 2005. 363 Vgl. Marco Manfredi: Religiosità civile nell’Europa di Vieusseux, in: Bossi (2013), S. ­59–80, hier S. 60–65. 364 Vgl. Paolo Bagnoli: La politica delle idee: Giovan Pietro Vieusseux e Giuseppe Montanelli nella Toscana preunitaria, Florenz 1995, S. 43–63; Pitocco (1972). 365 Vgl. Spini (1998), S. 205. 366 Vgl. ebenda, S. 219. 367 Zu Guicciardini vgl. Stefano Jacini: Un riformatore toscano dell’epoca del Risorgimento: il conte Piero Guicciardini (1808–1886), Florenz 1940. 362

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Kirche der Toskana unterwarf sich dem römischen Zentralismus.368 Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Prägung in Berlin und der Toskana, konnte ­Reumont eine derart einseitige Stärkung der katholischen Kirche in ihrer Weigerung, Reformen durchzuführen nicht nachvollziehen. Er kannte das Bemühen des evangelischen Königs Friedrich Wilhelm IV. in Preußen, einen Ausgleich mit der katholischen Kirche zu finden, und das von ihm verfolgte Ideal, die konfessionellen Grenzen durch ein universelles Christentum zu überwinden,369 und nahm an dem regen Austausch zwischen Pro­testanten und liberalen Katholiken in der Toskana teil. Solche Aktivitäten fasste er als eine Bereicherung nicht nur für wissenschaftliche Auseinandersetzungen auf und sah in ihnen eine gute Möglichkeit des Dialogs, aus dem sich Reformprojekte für die katholische Kirche und in der Ferne eine Wiedervereinigung ergeben konnten. Diese, wenn auch vagen Hoffnungen, auf eine Versöh­ eumont mit dem Preußenkönig und ließ sie immer nung der Konfessionen teilte R wieder in seinen Publikationen durchscheinen. So stellte er noch in einem seiner „Alterswerke“ über ­Vittoria Colonna klar, dass der Wunsch der Versöhnung auf katholischer Seite immer lebendig geblieben sei, auch wenn diese durch die Verweigerung der notwendigen Reformen die Kirchenspaltung selbst mitverschuldet habe und dadurch Vertreter der innerkirchlichen Reformbewegung dem Häresieverdacht ausgesetzt habe.370 In diesem Werk, wie auch in seinen Briefen heiliger und gottesfürchtiger Italiener371, die in einem späteren Kapitel noch eine eingehendere Unter­ eumonts Ansichten und sein Handeln in den Tagen der suchung erfahren, werden R Restauration deutlich. In dem Bestreben, die inneren Strukturen der katholischen Kirche im Sinne des Evangeliums organisch weiterzuentwickeln, konnte R ­ eumont das erneut repressive Vorgehen des Papstes gegen jegliche kritische Auseinandersetzung mit den kirchlichen Zuständen nur entschieden ablehnen. Die Isolierung liberaler Katholiken wie sie in der Toskana vertreten waren, indem sie wegen ihrer per­sönlichen Kontakte unter Protestantismusverdacht gerückt wurden, flankiert von einer polizeilichen Protestantenverfolgung, die zahlreiche Hausdurchsuchungen bei führenden toskanischen Familien mit sich brachte, hielt ­Reumont für verhängnisvoll.372 Denn auf diese Weise werde es nicht nur versäumt, die Kirche im Dienste des christlichen Glaubens weiterzuentwickeln, sondern es bestehe zudem die Gefahr, von Sardinien-Piemont, das sich über eine konsequente Reformpolitik auf Kosten der Kirche an die Spitze der liberalen Nationalbewegung stellte, weiter unter 368 Vgl. Bagnoli (2013), S. 78; Kroll (1999), S. 336; Timothy C. F. Stunt: L’influenza del réveil svizzero prima dell’Unità d’Italia, in: Simone Maghenzani / Giuseppe Platone (Hrsg.): Riforma, Risorgimento  e Risveglio. Il protestantesimo italiano tra radici storiche  e questioni contem­ poranee, Turin 2011, S. 97–113; hier S. 110–111; Marco Manfredi: La Chiesa in Toscana nella seconda Restaurazione, in: Rassegna storica toscana 56 (2010), S. 313–339 und 57 (2011), S. 3–22. 369 Vgl. Lepper (1989), S. 196. 370 Alfred von ­Reumont: Vittoria Colonna. Leben, Dichten, Glauben, Freiburg 1881, S. ­124–126 und S. 204. 371 Ders.: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg 1877. 372 Vgl. dazu auch Kroll (1999), S. 336.

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öffentlichen Druck gesetzt zu werden. Die Kooperation zwischen Leopold II. und Pius IX., die sich beide von jeglichen Zugeständnissen an die Moderati verabschiedet hatten, hielt ­Reumont für fatal, da auf diese Weise leichtfertig die liberale Vorreiterrolle aufgegeben und Piemont überlassen werde. Tatsächlich musste das 1851 von Leopold II. abgeschlossene Konkordat mit dem Kirchenstaat nicht nur intern als ein Bruch mit den aufklärerischen Traditionen der toskanischen Kirchenpolitik gesehen werden,373 sondern zugleich als eine entschiedene Frontstellung gegen die liberale Reformpolitik Sardinien-Piemonts. Während sich Sardinien-Piemont im Frühjahr 1850 mit den leggi Siccardi unmissverständlich zu einer aufgeklärten Kirchenpolitik bekannte, die die Kirche auf ihre priesterliche Funktion zu beschränken suchte, antwortete die Toskana mit einer aufsehenerregenden Erneuerung des Bündnisses von Thron und Altar und einer Aufhebung seiner bis dato in Europa gerühmten religiösen Toleranz.374 Leopold II. und Pius IX. waren damit als einstige Hoffnungsträger der Moderati zu Feindbildern der Nationalbewegung geworden. Neben den Bedenken hinsichtlich der politischen Folgen der Politik des toska­ nischen Großherzogs und des Papstes betraf die restaurative Politik allerdings auch ­Reumonts persönliches Aufgabenfeld sowie seinen Bekanntenkreis. Wie bereits erwähnt, betraf die Verfolgung von Protestanten in der Toskana auch liberale Katho­ liken und damit einen großen Teil der intellektuellen Eliten der Toskana. Der Verkehr zwischen Einheimischen und Ausländern mit unterschiedlichen politischen und religiösen Hintergründen, wie ihn das Lesekabinett und die Diskussionsabende bei Vieusseux zu bieten pflegten, war nach der Rückkehr der Großherzoges im Zuge der habsburgischen Besatzung, die noch bis 1855 andauern sollte, erheblich erschwert worden. Obwohl ­Reumont die Wiedereinsetzung des Papstes und die Rückkehr des Großherzogs durch österreichische Waffen in der Sache unterstützte, trat er dennoch im Rahmen seiner Möglichkeiten entschieden für eine weltoffene Toskana, wie er sie kennengelernt hatte ein. Während er sich hinsichtlich einer innerkirchlichen Reform machtlos sah, setzte er sich in der Toskana aktiv für die freie Religionsausübung der evangelischen Gemeinde in Florenz ein. Diese wurde nämlich nicht nur unter verstärkte polizeiliche Beobachtung gestellt, sondern zudem aufgefordert, die Gottesdienste nicht mehr auf Italienisch abzuhalten und keine Katholiken zuzulassen – andernfalls drohte ihr die Schließung.375 ­Reumont musste der Gemeinde, die nur für die evangelischen Ausländer von den Behörden akzeptiert wurde, die genannten Forderungen anzeigen, informierte aber zugleich Vieusseux persönlich über den Ernst der Lage. Da er wusste, dass diese Einschränkungen nicht mit dem evangelischen Missionsgedanken vereinbar waren, hielt er es für geboten, 373

Vgl. ebenda, S. 335. Vgl. Franz Pesendorfer: Zwischen Trikolore und Doppeladler. Leopold II. Großherzog von Toskana 1824–1859, Wien 1987, S. 318–339. 375 Über die Situation der evangelischen Kirche in Florenz zu Beginn des Jahres 1851 vgl. auch Tony André: L’Église évangélique réformée de Florence depuis son origine jusqu’à nos jours, Florenz 1899, S. 98–119; vgl. auch Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 388; Spini (1998), S. 233. 374

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seinen Freund einzuschalten, um die Gemeinde zu einer pragmatischen Kooperation mit den Behörden zu veranlassen.376 Er sei bereit, sich mit aller Kraft gegen die Schließung der Gemeinde zu stemmen, benötige aber bei der zu erwartenden Auseinandersetzung die Unterstützung des Konsistoriums, das sich in dieser prekären Situation nicht stur auf Prinzipien stützen dürfe, sondern den guten Willen zeigen solle, mit den Behörden zu kooperieren. Ein solches Vorgehen war typisch für ­Reumonts diplomatische Geschäftsführung. Er zog es meist vor, die offene und öffentliche Konfrontation zu vermeiden, um über das vertrauliche, persönliche Gespräch für beide Seiten tragbare Kompromisse zu finden. Deswegen wies er Vieusseux darauf hin, dass das Haus bereits in Flammen stehe und deshalb in einer derart aufgeheizten Situation starre Prinzipien zu nichts führen könnten. Insofern war er fest entschlossen die Rechte der evangelischen Gemeinde zu wahren, nicht aber darüber hinausgehende Prinzipien und brachte seine Auffassung gegenüber Vieusseux in aller Deutlichkeit auf den Punkt: „Qu’ils soient sûrs que je défendrai leurs droits autant que si j’appartenais à la commune, mais il faut qu’ils n’oublient pas que c’est une Chapelle de Légation!“377

Das Abhalten von Gottesdiensten in fremden Sprachen für Angehörige der ausländischen Legationen stand der Legationskapelle rechtlich zu und war somit nicht verhandelbar, während die evangelischen Prinzipien der Mission, nach denen das Evangelium den Völkern gepredigt werden muss und niemand vom Gottesdienst ausgeschlossen werden darf, über die Rechte hinausging. Insofern betrachtete ­Reumont die Beibehaltung der italienischsprachigen Gottesdienste als verhandelbar, weil sie allein vom Wohlwollen der Behörden abhängig war. Die Antwort Vieusseux’s war genauso kämpferisch, wie ­Reumont offenbar befürchtet hatte. Er wies die Forderungen des toskanischen Innenministers Leonida Landucci378 empört zurück. Seiner Ansicht nach handele es sich um eine nicht hinnehmbare Demütigung der Gottesdienstbesucher. Denn bei dem in der Kapelle üblichen Publikumsverkehr an ausländischen Reisenden könne unmöglich jeder Gläubige nach seiner Konfession gefragt und gegebenenfalls abgewiesen werden. Außerdem gebe es in der Gemeinde circa 250 Mitglieder, die des Französischen nicht mächtig seien und deswegen auf den Gottesdienst in italienischer Sprache angewiesen seien. Zudem sollten es sich die Behörden gut überlegen, ob sie es wirk 376 BNCF Vieuss. C. V. 89,18: R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 24. Januar 1851: „Je n’entre aucunement d.s des considérations de principes, j’établis le simple fait que le Gouvt. menace de faire fermer la Chapelle & qu’il-y-aura un grand tapage parce que je m’opposerait de toutes mes forces. Mais il faut que le Consistoire m’aide & qu’il ne rende pas une position plus difficile encore. Les principes ne me servant à rien, lorsque la maison brule. Vous connaissez les dispositions actuelles des esprits et Vous savez combien on a peur chez Vous & ici de toute ombre de propagande.“ 377 Ebenda. 378 Vgl. Marco Pignotti: Landucci, Leonida, DBI 63 (2004) [URL: http://www.treccani.it/ enciclopedia/leonida-landucci_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016.

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lich riskieren möchten, dass sich eine evangelische Untergrundkirche bilde, die sich den Behörden dann völlig entziehe. Sollten diese wirklich auf ihren untragbaren Forderungen bestehen, dass die Protestanten sich selber bespitzeln sollen, könne das fatale Folgen haben und in eine Art Inquisition ausarten.379 Damit brachte Vieusseux die damalige Situation in der Toskana deutlich zur Sprache. Die Bespitzelung weiter Teile der Gesellschaft war für ihn nicht tragbar und führe zu einer zunehmenden Entfremdung auch der katholischen Bevölkerung. Diese werde sich vom repressiven Vorgehen nicht einschüchtern lassen, sondern sich zunehmend von der katholischen Kirche distanzieren. Denn die Entwicklung, dass man in der Legationskapelle steigende Zahlen von italienischen, katholischen Gottesdienstbesuchern verzeichnete, halte schon einige Zeit an.380 Es bilde sich eine starke anti-römisch-katholische Bewegung in Piemont, der Toskana und dem Kirchenstaat, die durch die polizeiliche Überwachung und die reaktionären Maßnahmen noch gefördert werde. Offenbar verschaffte die Absage Pius’ IX. an den italienischen Unabhängigkeitskrieg sowie seine reaktionäre, repressive und unversöhnliche Politik nach seiner Flucht aus Rom der evangelischen Gemeinde in Rom zahlreiche neue Gottesdienstteilnehmer, die die Hinwendung zum Protestantismus als eine Form des Protests gegen Pius IX. verstanden. Diese Form des Protests gegen eine sich einer inneren Reform verweigernden Kirche, die sich zudem der Nationalbewegung widersetzte, war in der Tat kein Einzelfall.381 Auch Niccolò Tommaséo nutzte die Zeit seiner österreichischen Gefangenschaft 1848, um das Neue Testament aus dem Griechischen ins Italienische zu übersetzen – ebenfalls aus Protest gegen Pius IX.382 Bleibenden Eindruck auf die Kurie hatte das Zweckbündnis der italienischen Nationalstaatsbewegung mit der evangelischen Mission allerdings in Rom selbst gemacht. Der 379

BNCF Vieuss. C. V. 89,18: Antwort Vieusseux’ an ­Reumont, Florenz, 26. Januar 1851: „Au nom de Dieu, mon cher ami, conseillez à Carigliano & à Landucci de ne pas augmenter pas des sottes mesures; ce que à leurs yeux est un mal car si l’en continue à ne plus prêcher en italien une fois par mois, & surtout si l’en tentait de gêner ténèbres de l’église, il s’établirait des réunions clandestines; & il y aura des catholiques qui confesseront ouvertement leur protestantisme; les sermons qui jusqu’ici sont eu pour objet que la morale évangélique devient dont dans ces réunions des sermons de controverse – voudra-t-on persécuter ? Rétablir une espèce d’inquisition ? Vous savez mieux que moi quels sont les effets de la persécution – nous avons maintenant quelque catholique qui se sont prononcés – ils seraient bientôt des centaines.“ 380 Ebenda: „Mais il arriva ce que l’on pouvait prévoir depuis longtemps: les catholiques qui anciennement si entraient que rarement par simple curiosité dans l’église protestante, y vont maintenant plus fréquentement & grand d’une manière assez régulière soit par conviction, sois pour satisfaire une curiosité plus ardente; soit enfin par esprit d’opposition à l’église de Rome. Il ne faut pas le dissimuler; il se manifeste un mouvement très prononcée anti-catholique-­romain, en Piémont & en Toscane, comme dans les états du 3 asses; mouvement que Garde & la réaction ont précipité, depuis plusieurs années […].“ 381 Zur Verbindung des politischen Widerstandes gegen die reaktionäre Politik Pius’ IX. und dem Protestantismus, vgl. auch Spini (1998), S. 219–235. 382 Vgl. Mario Cignoni: I protestanti e la Repubblica: la Bibbia di Diodati, in: Rossi (2011), S. 193–199, hier S. 194.

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französische Pastor Theodore Paul hatte nämlich in Florenz vom Schotten James Douglas den Auftrag erhalten, das Neue Testament in Rom drucken und verteilen zu lassen. Dabei konnte er auch auf die Unterstützung des Triumvirats der Römischen Republik zählen: Giuseppe Mazzini, der selbst ein Prachtexemplar erhielt, rief seinerseits sogar ausdrücklich das Volk dazu auf, die Bibel zu lesen.383 Nach dem Ende der Römischen Republik konfiszierte die päpstliche Polizei einen Teil der Bibeln, die sie beim amerikanischen Konsul Browne ausfindig gemacht hatte und ließ sie im Hof des Vatikans verbrennen. Genauso ging Leopold II. mit den in der Toskana verteilten Bibeln vor.384 In dieser Atmosphäre riet R ­ eumont Vieusseux und der evangelischen Gemeinde dringend davon ab, sich auf Prinzipien zu versteifen. Stattdessen sei es geboten, die Gemüter zu beruhigen, indem man zunächst einmal formal den Forderungen des Innenministeriums entspreche – selbstverständlich ohne die eigenen Prinzipien aufzugeben.385 Obwohl in der Toskana eine eifrige evangelische Missionstätigkeit stattfand, die vom Protest der Nationalbewegung gegen Pius IX. stark profitierte und sich mit der liberalen Nationalbewegung zu verbinden wusste, sah ­Reumont es als seine Pflicht an, der in Bedrängnis geratenen Gemeinde zu ihrem Recht zu verhelfen. Dafür sollte diese jedoch der toskanischen Regierung keinen Vorwand zu Zwangsmaßnahmen liefern.386 In diesen angespannten Tagen hielt ­Reumont während seiner Amtsgeschäfte von Rom aus parallel den engen Kontakt zu Vieusseux, um dessen Berichte bei seinen Verhandlungen berücksichtigen zu können und um sich beraten zu lassen. Gegenüber Innenminister Landucci machte er deutlich, dass er in den italienischsprachigen Gottesdiensten keinen Angriff auf die Staatsreligion erkennen könne, und dass es dem Pastor überlassen werden müsse, wie er den Bedürfnissen derjenigen Gemeindemitglieder gerecht wird, die des Französischen nicht mächtig sind. Er hoffe aber, dass mit der Bestätigung des Konsistoriums, dass sich das Gottesdienstangebot ausschließlich an Protestanten richte, wieder Ruhe einkehre.387 Nachdem er Landucci darüber informiert hatte, dass er das Konsistorium darum ersuchen werde, die vom Innenministerium geforderte Erklärung abzugeben, erkundigte er sich bei Vieusseux, ob immer noch Gendarmen vor dem Gottesdienst stationiert würden und versprach, sich gegebenenfalls persönlich einzuschalten und eigens dafür aus Rom anreisen zu wollen und versicherte:

383

Vgl. ebenda, S. 194–195; Spini (1998), S. 223–224; Eugenio F. Biagini: Risorgimento e protestanti, in: Maghenzani / Platone (2011), S. 77–96, hier S. 89–90. 384 Vgl. Cignoni (2011), S. 194–195. 385 BNCF Vieuss. C. V. 89,19: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 29. Januar 1851. 386 Ebenda: „Quant à moi, il s’agissait en ce moment d’ôter au Gouvt Toscan toute raison ou tout prétexte d’en venir à des mesures violentes – c’est ce que j’ai fait. La question de droit y est intacte & j’ai protesté formellement, en réservant au pasteur la faculté deviser aux moyens de satisfaire aux besoins des membres de la Congrégation qui ignorent la langue français.“ 387 Vgl. André (1899), S. 108–109.

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„Je suis décidé à user des derniers moyens s’il le faut, après avoir fait de mon côté tout ce qui est possible p.r concilier les égards dûs à la Communité & à la Capelle de la Légation du Roi avec de justes demandes du Gouvt. Tout ça reste entièrement entre nous.“388

Letztlich scheiterte jedoch R ­ eumonts Vermittlungsversuch an beiden Seiten: Landucci bestand auf der Erklärung, während der Pastor sie mit der Begründung ablehnte, dass es sich nicht bloß um eine Legationskapelle handele. Damit wurde ­Reumonts komplette Vermittlungsstrategie hinfällig. Er hatte diese Argumentation gewählt, um die Kapelle für diese Angelegenheit unter den diplomatischen Schutz des preußischen Außenministeriums stellen zu können. Dass der Pastor dabei nicht zu kooperieren bereit war und auf der Unabhängigkeit von der preußischen Ge­ eumont eingangs gegenüber sandtschaft bestand, war genau der Grund, wieso R Vieusseux vertraulich darauf hingewiesen hatte, dass man eine pragmatische Lösung finden müsse und deswegen nicht auf der formellen Einhaltung von Prinzipien bestehen dürfe. Enttäuscht darüber, dass sein Vermittlungsversuch an der Sturheit beider Seiten zu scheitern drohte, beklagte er sich gegenüber Vieusseux darüber, das weitere Vorgehen seinem Vorgesetzten Graf von Usedom überlassen zu müssen.389 Obwohl ­Reumont wusste, dass die evangelische Gemeinde durchaus aktive Mission betrieb und dies zu jener Zeit auch sehr erfolgreich, betrachtete er es als seine Pflicht, der Gemeinde zu ihrem Recht zu verhelfen. Zwar entsprach die freie Religionsausübung auch seinem persönlichen Wertehorizont, jedoch sah er in dieser Angelegenheit sicherlich auch die Möglichkeit, sich als Diplomat zu profilieren. Denn, dass er als Katholik die Rechte der evangelischen Gemeinde gegen die Bestimmungen des toskanischen Konkordats mit dem Kirchenstaat vertrat, musste ihm die Anerkennung seiner überwiegend protestantischen Kollegen im preußischen diplomatischen Dienst einbringen.390 Trotzdem würde es zu kurz greifen, den Antrieb für ­Reumonts Handeln in dieser Angelegenheit allein mit seiner diplomatischen Tätigkeit zu erklären: Als Diplomat hätte er sich auf den Austausch offizieller Noten beschränken können, ohne vertrau 388

BNCF Vieuss. C. V. 89,20: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. Februar 1851. BNCF Vieuss. C. V. 89,21: R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 7. Februar 1851: „Mr de Usedom pourra raccommoder l’affaire de la Chapelle: avec son autorité de Ministre il y réussira beaucoup mieux – J’ai épuisé les moyens à ma disposition. Mr. Colomb croit ne pas pouvoir ne devoir faire une déclaration que la Chapelle est destinée seulement aux protestants; Mr. Landucci insiste sur cette déclaration. Je ne suis pas responsable des conséquences & je remets l’affaire à la décision de mon Ministère après avoir fait tout ce que j’ai pu pour concilier les deux partis. Voilà toute réponse que je puis donner. Si le pasteur ne reconnait plus lui-même le caractère d’une Chapelle de Légation, mon office cesse.“ 390 Auch im Kreise der Mitarbeiter des Istituto di corrispondenza archeologica in Rom brachte ihm sein Engagment große Anerkennung ein. Vgl. beispielsweise DAI Rom, Emil Braun an Eduard Gerhard, Rom, 11. Februar 1851: „­Reumont hat sich in den Angelegenheiten der florent. Capelle die unter preuß. Schutze steht, sehr ordentlich und charaktervoll benommen und war eben im Begriff zum Schutz der protestant. Gemeinde dahin abzureisen, als Usedom seine noch bevorstehende Ankunft meldete. Italien scheint ebenso viele protestant. Conversionen darzubieten als England katholische.“ 389

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lich seinen Freund Vieusseux hinzuzuziehen und über den persönlichen Kontakt zu den Beteiligten einen Schlichtungsversuch zu unternehmen. Dies gilt umso mehr, als er sich darüber im Klaren war, dass sowohl sein Handeln als auch seine Kontakte den österreichischen Behörden nicht verborgen blieben. In der Folge weigerte ­ eumont seinen Postverkehr zu regeln sich die österreichische Legation, über die R pflegte, Sendungen an und von Vieusseux zuzustellen.391 Indes nutzte ­Reumont auch in der Folge seine Position als Katholik, der nicht im Verdacht stand von religiösem Eifer getrieben zu sein, um sich schützend vor die in der Toskana lebenden Protestanten zu stellen, indem er den persönlichen Kontakt zu den Konfliktparteien suchte. So hatte er in den folgenden Monaten auch für die Eheleute Madiai, die wegen unerlaubter Missionstätigkeit angeklagt wurden,392 versucht zu vermitteln, indem er anstelle des offiziellen Weges, das persönliche Gespräch mit dem Großherzog wählte, den er davon zu überzeugen suchte, dass diese Affäre vor allem seinem eigenen Ansehen in den protestantischen Ländern schaden werde und deswegen eine versöhnliche Beilegung des Konfliktes auch im Interesse des Großherzogs liegen müsse.393 Denn die repressive Politik Leopolds II. gegen die Protestanten hatte ihm in Großbritannien bereits den Ruf eines Tyrannen eingebracht und zu offenen Sympathiebekundungen für seine Gegner geführt.394 Dieses Vorgehen gibt einen guten Einblick in ­Reumonts Arbeitsweise. In seinem Handeln strebte er, unabhängig von seinen eigenen Ansichten stets einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss an. Dabei versuchte er auf beiden Seiten Überzeugungsarbeit zu leisten, um die Konfliktparteien einander anzunähern. Priorität ­ eumont gewöhnlich zunächst der informelle Weg im vertraulichen hatte dabei für R Dialog hinter verschlossenen Türen. Dadurch sollte eine öffentliche Polemik vermieden werden, die beiden Seiten nur noch ein Einlenken unter Gesichtsverlust ermög­lichen würde. Eine solche Arbeitsweise setzte jedoch weitreichende persönliche Kontakte zu den handelnden Personen voraus. Umso wichtiger war in dieser Hinsicht das Jahr 1849 im päpstlichen Exil in Gaeta und Neapel. Bei dieser Gelegenheit hatte er zahlreiche persönliche Kontakte zu internationalen Diplomaten knüpfen können – nicht zuletzt aber auch zu Pius IX. und Kardinal Antonelli selbst, mit denen er auch im Weiteren, trotz mancher Differenzen hinsichtlich der zu verwirklichenden Reformen im Kirchenstaat, in Kontakt bleiben sollte.395 Insbesondere konnte ­Reumont in Gaeta auch das Vertrauen des Großherzogs Leopold II. von ­Toskana gewinnen, dessen Wohlwollen er bereits zuvor durch eine dem Habsburg-Lothringer gegenüber wohlwollende Berichterstattung in der Augs­burger 391

BNCF Vieuss. C. V. 89,21: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 7. Februar 1851. Vgl. Spini (1998), S. 258–265. 393 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 386–398; Hüffer (1904), S. 144. 394 Spini (1998), S. 235. 395 Stadtbibliothek Aachen, Nachlass ­Reumont (Nachlass 1), I.3., Briefkorrespondenz und Personalien, Kardinal Antonelli an ­Reumont, Vatikan, 9. Dezember 1857; Rom, 26. April 1858; Rom, 17. November 1858; Rom, 7. Januar 1859; Rom, 22. Oktober 1860. 392

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­Allgemeinen Zeitung gewonnen hatte. Dies sollte ihn später für den Posten des preußischen Geschäftsträgers in der Toskana geradezu prädestinieren, da er sich bereits den informellen, persönlichen Zugang zum Großherzog verschafft hatte.396 e) Historische Forschungen als Gefälligkeitsgesten zur Förderung der diplomatischen Karriere Die Zeit im päpstlichen Exil nutzte R ­ eumont nicht nur dafür, seine diplomatische Karriere voranzutreiben, sondern auch, um sich, wie er es bereits in der Toskana getan hatte, eingehend mit seiner Umgebung in historisch-kultureller Hinsicht zu beschäftigen. Dabei knüpfte er Kontakte zu den führenden Kulturschaffenden des Königsreichs beider Sizilien an. So mit Michele Baldacchini, dem damaligen Inspektor der Privatschulen Neapels und Autor einer Storia napolitana dell’anno 1647 (Lugano 1834, Neudruck Neapel 1863), in der er den neapolitanischen Aufstand der unteren Schichten unter Masaniello gegen den Adel behandelte und einer Vita di Tommaso Campanella (Neapel 1840 und 1847), die auf bis dato unveröffentlichten Dokumenten der Biblioteca dei Gerolami in Neapel beruhten.397 Dieser berichtete ­Reumont von seinen Studien über Neapel unter spanischer Herrschaft und inspirierte und unterstützte ihn bei seinen Recherchen zu seiner Studie Die Carafa von Maddaloni. Neapel unter spanischer Herrschaft398, die in eben jener Zeit angesiedelt war, auf die Baldacchini spezialisiert war. Für diese Studie erfuhr er außerdem maßgebliche Unterstützung durch den Generaldirektor der neapolitanischen Archive, marchese Angelo Granito principe di Belmonte, der ihm damals seine noch unveröffentlichten Dokumente der Geschichtserzählung des Diario di Francesco Capecelatro399 zur Verfügung stellte.400 ­Reumont konnte bei dem ihm zur Verfügung gestellten Material nicht nur aus dem Vollen schöpfen und Dokumente in einer deutschsprachigen Publikation zur Geschichte Neapels berücksichtigen, die noch nicht einmal in Italien veröffentlicht waren, sondern zugleich dessen spätere Edi­ eumonts Arbeit über tion zum Teil korrigieren.401 Den entscheidenden Anteil an R die Carafa von Maddaloni hatte jedoch zweifellos Scipione Volpicella, der später Sekretär der Commissione d’Istruzione Pubblica und Kanzler der Università degli 396

Vgl. auch Hüffer (1904), S. 144. Mario Quattrucci: Baldacchini Gargano, Michele, DBI 5 (1963) [URL: http://www. treccani.it/enciclopedia/michele-baldacchini-gargano_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 398 Alfred von ­Reumont: Die Carafa von Maddaloni. Neapel unter spanischer Herrschaft, 2 Bde., Berlin 1851. 399 Marchese Angelo Granito principe di Belmonte: Diario di Francesco Capecelatro contenente la storia delle cose avvenute nel reame di Napoli negli anni 1647–1650, 4 Bde., Neapel 1850–1854. 400 Vgl. Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 371; Hüffer (1904), S. 142. 401 NL ­Reumont, S 1058, Belmonte an R ­ eumont, Nr. 114: Neapel, 8. August 1850; Nr. 115: Neapel, 2. September 1850. 397

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Studi,402 sowie Bibliothekar der Nationalbibliothek in Neapel,403 Vizepräsident der Commissione municipale per la conservazione dei monumenti di Napoli und Gründungsmitglied der 1876 ins Leben gerufenen Società napoletana di storia patria werden sollte.404 Dieser hatte damals bereits einen Neapelführer405 herausgebracht, und betrieb für R ­ eumont umfangreiche Archiv- und Bibliotheksrecherchen. Nachdem Angelo Granito ihm den Zugang zu den neapolitanischen Archiven gewährte, um dort Recherchen für seine eigenen Studien zu betreiben, bot er ­Reumont an, auch Materialien zu den Carafa herauszusuchen, die ihn möglicherweise interessieren könnten. Schließlich hoffte er darauf, dass sein deutscher Bekannter Neapel mit seiner Monographie einen wertvollen Dienst erweisen werde.406 ­Reumont sollte auf dieses Angebot ausgiebig zurückkommen und die für seine Monographie notwendigen Recherchen vor allen Dingen durch Volpicella durchführen lassen. Dafür sendete er ihm ganze Fragebögen, die Volpicella bereitwillig abarbeitete. Auch den für die Familiengeschichte der Carafa maßgeblichen Stammbaum lieferte der Neapolitaner – und betonte dabei noch einmal den philosophischen und politischen Nutzen, den er sich von einer Darstellung eines wichtigen ­ eumont versprach.407 Insbesondere Teils der neapolitanischen Geschichte durch R während der Zeit der Restauration nach den Unruhen und Revolutionen der Jahre 1848/49 auf der italienischen Halbinsel, die ihren Ausgang in der Revolution von Palermo genommen hatten,408 erwartete sich Volpicella von ­Reumonts Geschichtsbetrachtung eine Rechtfertigung der legitimen Souveräne sowie des Adels und der Kirche als die entscheidenden Träger der Geschichte seiner Heimat. Denn wer diejenigen seien, die Geschichte schreiben, daran lässt Volpicella keinen Zweifel, als er ­Reumont an anderer Stelle über seine Arbeiten berichtet. Hinsichtlich seiner eigenen Vorgehensweise erklärte er:

402

NL ­Reumont, S 1067, Volpicella an ­Reumont, Nr. 69: Neapel, 14. März 1861. Ebenda, Nr. 72: Neapel, 21. Januar 1869. 404 Vgl. Renata De Lorenzo: Deputazioni  e società di storia patria nell’Italia meridionale, in: Agostino Bistarelli (Hrsg.): La storia della storia patria. Società, Deputazioni e Istituti storici nazionali nella costruzione dell’Italia, (I libri di viella 148), Rom 2012, S. 189–231, hier S. ­194–195. 405 Scipione Volpicella: Principali edificii della città di Napoli, Neapel 1847. 406 NL ­Reumont, S 1067, Volpicella an ­Reumont, Nr. 51: Neapel, 14. August 1850: „Con piacere vi annunzio questo lavoro, sì perché spero di poter con esso rendervi qualche servigio. Ed in effetto non vi sarà forse discaro il conoscere che il duca di Maddaloni, argomento d’una nostra scrittura, aveva l’anno 1620, siccome si cava da’ detti Notamenti del Collaterale, l’età d’anni diciotto. E vi prometto che, incontrando notizia del Maddaloni che vi possa importare, non indugerò il darvene conoscenza, essendo certo di far cosa a voi grata non pure, ma ancora utile a mia patria, che attendete a illustrare.“ 407 Ebenda, Nr. 52: Neapel, 8. Januar 1851: „Come potete assai bene intendere, sono desi­ deroso di veder compiuto il vostro lavoro di Diomede Carafa: il quale, siccome accennate e secondo che mi debbo prometter da voi, andate conducendo con quello spirito filosofico e poli­ tico, che rende profittevoli ai presenti ed agli avvenire le storie de’ passati successi.“ 408 Vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 106 und 118–130. 403

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„Attendo, più che ad altro, ad ordinare siccome base di storia le genealogie delle principali famiglie del Reame estinte e viventi; ed a descrivere ed illustrare le più importanti chiese di Napoli.“409

Volpicellas Geschichtsverständnis entsprach also dem üblichen adligen Selbstverständnis, nach dem die Geschichte des Vaterlandes aus den Familiengeschichten der führenden adligen Dynastien und der Kirchengeschichte bestehe. Deswegen erfüllte die Historiographie vor allen Dingen den Zweck der Selbstverherrlichung und, in einer Zeit der Revolutionen, während der die sozialen Machtverhältnisse in Frage gestellt wurden und deswegen gerechtfertigt und verteidigt werden mussten, der Selbstvergewisserung. Die Geschichte sollte dem Patriziat den Platz in der Gesellschaft weisen, den es einzunehmen hatte, einerseits um die bis dato innegehabten Rechte zu sichern, andererseits, um noch fehlende politische Mitspracherechte gegenüber den legitimen Souveränen einzuklagen und nicht zuletzt, um die bereits erworbenen Verdienste um das Vaterland gegenüber der herrschenden Dynastie sowie der unteren Schichten ins Gedächtnis zu rufen.410 Betrachtet man den Umgang, den R ­ eumont während seiner Zeit in Gaeta und Neapel abgesehen von den diversen anwesenden Diplomaten pflegte, so konnte Volpicella mit Recht davon ausgehen, dass R ­ eumonts Studie zu den Zuständen Neapels unter spanischer Herrschaft die Rolle des dortigen Adels gegen den aktuellen Zeitgeist ins „rechte Licht“ rücken würde. Dies musste während der Restauration nach den revolutionären Unruhen umso wichtiger erscheinen, als die führende Figur des neapolitanischen Aufstandes des Jahres 1647, der Fischverkäufer Masaniello in ganz Europa in Literatur und Musik als romantischer Held, der für die Rechte der Armen und Benachteiligten eintritt gefeiert wurde und als solcher bereits während der Revolution 1820/21 im Königreich beider Sizilien als großes Idol der Revolutionäre in Erinnerung gerufen wurde: Die neapolitanische Revolution stand dabei innerhalb der italienischen Revolutionsgeschichte in der Reihe der Sizilianischen Vesper, der römischen Revolution Cola di Rienzos und dem neapolitanischen Aufstand des Jahres 1647 unter dem Fischhändler Masaniello.411 Damit boten sich sowohl für das Königreich beider Sizilien als auch für Rom ideelle Vorläufer zu den Revolutionen von 1848/49, die damit eine historische Rechtfertigung für ihren 409

NL ­Reumont, S 1067, Volpicella an ­Reumont, Nr. 54: Neapel, 30. März 1852. Zur Geschichtskultur des Adels und dessen Rolle in der Historiographie vgl. Clemens (2004); Dies.: Die ruhmreiche Geschichte des Vaterlands. Der italienische Adel als Meistererzähler, in: Petra Terhoeven (Hrsg.): Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2010, S. 23–41; Dies.: Obenbleiben mittels Historiographie: Adeligkeit als Habitus, in: Clemens / König / Meriggi (2011), S. 189–209; ­Cavicchioli (2011). 411 Vgl. Silvana D’Alessio: Masaniello: la sua vita e il mito in Europa, Rom 2007; Jens Späth: Revolution in Europa 1820–23. Verfassung und Verfassungskultur in den Königreichen Spanien, beider Sizilien und Sardinien-Piemont (Italien in der Moderne 19), Köln 2012, S. 274–275; ­Gaspare De Caro: Amalfi, Tommaso Aniello D’, Detto Masaniello, DBI 2 (1960) [URL: http:// www.treccani.it/enciclopedia/amalfi-tommaso-aniello-d-detto-masaniello_(DizionarioBiografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 410

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Kampf um die italienische Unabhängigkeit und die Freiheit von der Priesterherrschaft lieferten.412 Mit entsprechender Vorsicht war die spanische Zeit Neapels zu behandeln. Als sich Baldacchini in den 1830er Jahren mit dieser Zeit in seiner Storia napolitana dell’anno 1647 auseinandersetzte, zog er es vor, die Auseinandersetzung mit der polarisierenden Figur Masaniellos unter falscher Angabe des Druckortes zu publizieren, da er sie zu einer Polemik gegen die Bourbonenherrschaft nutzte, die den nationalen und liberalen Ideen im Wege stand.413 Angelo Granito übernahm es dann, mit seiner Edition des Diario di Francesco Capecelatro die neapolitanische Revolution des Jahres 1647 mithilfe einer durchaus einseitigen Quelle zu demontieren: Capecelatro war ein Zeitgenosse der damaligen Revolution und hatte als Adliger im Jahre 1647 vom spanischen Vizekönig duca d’Arcos den Auftrag erhalten, den Aufstand in Somma niederzuhalten. Nachdem er von dort hatte fliehen müssen, wurde er im Jahre 1648 vom neuen Vizekönig conte d’Oñate mit dem Amt des governatore in Calabria Citra betraut, wo er den noch tobenden Aufstand mit drastischen Mitteln beendete.414 Dass dieser Zeitzeuge ein entsprechend kritisches Bild des Anführers der Aufständischen lieferte, ist daher kaum verwunderlich. In seinem Tagebuch bot er entsprechend die Sicht des partikularistischen neapolitanischen Adels, der sich gegen die absolutistischen Tendenzen genauso wie gegen die Ansprüche des Volkes zur Wehr setzte. Durch seine enge Verbindung mit dem neapolitanischen Adel bietet sein Tagebuch die aristokratische Polemik gegen die aufständischen Volksmassen und folgt dabei den drei zentralen aristokratischen Leitmotiven: Der traditionellen Verteidigung der Autonomie des Königreichs, der umstürzlerischen Natur des Volkes als Hauptursache des Aufstandes sowie dem wichtigen Beitrag des neapolitanischen Adels zum Sieg der königlichen Sache.415 Angelo Granito ließ im Vorwort auch keinen Zweifel daran, welche Ziele er mit der Edition dieses Zeitzeugenberichtes verfolgte. Die alten, traditionellen Institutionen seien nur deswegen in modernen Zeiten kritisiert worden, weil kaum jemand sie in ihrer Entstehung und historischen Berechtigung wirklich kenne und man sich vielfach lieber an den Neuerungen aus Frankreich orientiere anstatt sich auf die eigene Identität zu besinnen. Dies liege daran, dass die neapolitanische Geschichte des 17. Jahrhunderts bislang wenig Beachtung gefunden habe. Einzig der Aufstand des Jahres 1647 sei von zahlreichen Autoren behandelt worden, oft jedoch aus französischer Perspektive oder in eindeutiger Parteinahme für die Rebellen, wie etwa Guiseppe Donizelli in seiner Partenope libera.416 Die größte Notwendigkeit für die 412 Auch Mazzini selbst betrachtete Masaniello als einen seiner Vorgänger. Vgl. D’Alessio (2007), S. 243–244. 413 Vgl. Mario Quattrucci: Baldacchini Gargano, Michele, DBI 5 (1963) [URL: http://www. treccani.it/enciclopedia/michele-baldacchini-gargano_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; D’Alessio (2007), S. 239–240. 414 Vgl. Carla Russo: Capecelatro, Francesco, DBI 18 (1975) [URL: http://www.treccani.it/ enciclopedia/francesco-capecelatro_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 415 Vgl. ebenda. 416 Diario di Francesco Capecelatro contenente la storia delle cose avvenute nel Reame di Napoli negli anni 1647–1650. Ora per la prima volta messo a stampa sul manoscritto originale

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Publikation des Diario di Capecelatro ergebe sich aber aus den zeitgenössischen politischen Entwicklungen, die Masaniello zum Helden verklärten.417 Es gehe also darum, der Vereinnahmung Masaniellos zur Verherrlichung und Rechtfertigung von Revolutionen entgegenzutreten, indem man die Schattenseiten des Aufstandes zur Sprache bringe. Dafür eigne sich keine Quelle besser als die des Zeitzeugen Capecelatro. Denn dieser habe in engem Kontakt zu den führenden Persönlichkeiten gestanden und wisse ausführlich, sowohl von den Schrecken des Aufstandes als auch von den ehrenvollen Taten des neapolitanischen Adels gegen die Rebellen und die Franzosen zu berichten.418 Es war also gerade die Tatsache, dass Capecelatro den bereits angesprochenen klassischen Leitmotiven der neapolitanischen Geschichtsschreibung des Adels folgte, die nach Ansicht des Fürsten von Belmonte eine überparteiliche Darstellung garantieren sollte. Capecelatros aktive Beteiligung an der Niederschlagung des Austandes störte Angelo Granito deswegen wenig, da ihm die Gesinnung eines gentiluomo genügte, um von einer überparteiischen Beschreibung der Ereignisse ausgehen zu können. Den einzigen Mangel an diesem Werk sah er darin, dass darin einige Begebenheiten fehlen, die in anderen Überlieferungen vorhanden sind. Diese fehlenden Daten habe er jedoch über den Anmerkungsapparat hinzugefügt, um aus der Edition des Diario di Capecelatro einen zuverlässigen Bericht über die Ereignisse zu machen, der den Anspruch erheben kann, dem Leser die gesamte Ereignisgeschichte unverblümt und zuverlässig con l’aggiunta di varii documenti per la più parte inediti, ed annotazioni dal marchese Angelo Granito principe di Belmonte, Bd. 1, Neapel 1850, S. V–VI. 417 Ebenda, S. VI–VII: „In taluni libricciattoli d’Italia, Masaniello che nel principio della rivoluzione fu capo de’ sollevati, è stato descritto come un grand’uomo, mentre era tutto altro; ed in Francia nel teatro dell’Opera si sono rappresentati drammi per musica ponendolo in iscena quasi fosse stato un eroe. Or siccome cotali scritti si sono sparsi da per tutto, e quella terribile rivoluzione, la quale precipitò questo Regno in uno abisso di mali, è tuttavia poco conosciuta, crediamo far cosa utile di pubblicare la migliore di quante storie siano state composte giammai di questo avvenimento, da uno dei nostri autori più gravi e più riputati, il quale non pure ne fu testimone, ma ne fu gran parte eziando.“; zur Bedeutung Masaniellos als nationaler Freiheitsheld des einfachen Volkes während des Risorgimento vgl. D’Alessio (2007), S. 235–275. 418 Diario di Francesco Capecelatro contenente la storia delle cose avvenute nel Reame di Napoli negli anni 1647–1650. Ora per la prima volta messo a stampa sul manoscritto originale con l’aggiunta di varii documenti per la più parte inediti, ed annotazioni dal marchese Angelo Granito principe di Belmonte, Bd. 1, Neapel 1850, S. XI–XII: „Niuno degli storici della sollevazione del 1647 può compararsi al Capecelatro, il quale oltre alle doti dello ingegno, ed alla conoscenza che aveva della storica disciplina, per essere gentiluomo e familiare ai maggiori personaggi di quel tempo, potette con maggior verità e diligenza conoscere e raccontarne i particolari. Non solamente egli intesse alla narrazione dei fatti molti documenti di somma importanza, ma descrive eziando meglio di qualunque altro scrittore le orribili sciagure che allora afflissero queste regioni, gli sforzi generosi della nostra Nobiltà, alla quale dovette la Spagna la conservazione di questo regno, ed il valor militare dimostrato in quella congiuntura dai Napolitani non pur contro i ribelli, ma contro le stesse armi vittoriose di Francia. Amantissimo com’era della sua patria, e fedele nell’adempiere i doveri verso del Principe al quale serviva, fu egli in quella funesta occorrenza nel numero dei restauratori dell’ordine; la schiettezza del suo dire, mentre racconta indifferentemente così il bene come il male di ognuno, non fa nascere alcun dubbio circa la verità di quanto riferisce.“

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zu liefern und ohne Hinzuziehung weiterer Literatur oder Quellen für sich stehen kann.419 Damit versuchte Angelo Granito der Flut an Publikationen unterschiedlicher Natur, die das Volk über den wahren Ablauf des Aufstandes täuschen und die Berechtigung adliger Herrschaftsansprüche leugnen durch historische Fakten zu begegnen, die, wie er glaubte, in ihrer Aneinanderreihung durch einen integren Zeitzeugen für sich sprechen.420 Mit dieser positivistischen Herangehensweise, bei der er jedoch die Quellenkritik durch Willkür ersetzte, hoffte er einer um sich greifenden „Geschichtsklitterung“ Einhalt gebieten zu können: Während die Romane das Volk verderben, sei es also die Aufgabe der Geschichte, es in der rechten Weise zu erziehen.421 Mit seinem Editionsprojekt wollte er natürlich nicht das Volk als solches ansprechen, sondern dem Adel zur Selbstvergewisserung dienen und dem gebildeten Bürgertum, das sich von Romanerzählungen hinters Licht hat führen lassen, durch einen historischen Tatsachenbericht die Augen öffnen. Die ihm zur Verfügung gestellten und zum Teil zu jenem Zeitpunkt noch unver­ eumonts Carafa von Maddaloni eine wichtige öffentlichten Schriften sollten für R Grundlage bilden. Nachdem ­Reumont die vom Fürsten von Belmonte bereits 1849 veröffentlichten Annali della città di Napoli Capecelatros, in denen der neapolitanische Adel als verantwortungsvoll beschrieben wird, da er sich für das Allgemeinwohl der Steuerpolitik der spanischen Vizekönige widersetzt habe, bereits im Appendice des Archivio Storico Italiano lobend rezensiert hatte, verwertete er den Stoff auch in seiner eigenen Monographie.422 Dass er zu einer ähnlich negativen Bewertung hinsichtlich Masaniellos gelangen würde, verwundert bei seinem Quellenmaterial und seinen neapolitanischen Unterstützern wenig. Das Buch Michele Baldachinis, Storia Napoletana dell’anno 1647423, verwandte er, obwohl er den

419 Vgl. Ebenda, S. XIII: „E siccome gli scrittori di tale argomento così a stampa come inediti, sono molti e non facili a proccurarsi, e taluni contengono particolari importanti ad esser conosciuti non riportati dagli altri, mi sono determinato di fare delle annotazioni all’opera del Capecelatro, a fine di render tale questo libro da bastare per se solo a far pienamente conoscere gli avvenimenti di allora, i personaggi che v’intervennero, ed in generale l’indole e la condizione di quel tempo.“ 420 Ebenda, S. XII–XIII: „Ponendo mano a questa opera è stato mio intendimento non solo di dare alla luce un manoscritto di tanta importanza, ma di rischiarare uno dei principali fatti della nostra storia non ancora abbastanza conosciuto, e ch’è stato sovente descritto a modo di romanzo in taluni libriciattoli, composti per divertire coloro che leggono per solo passatempo ed ingannargli, non già per ammaestrare gli uomini con la esperienza delle cose passate, ch’è il fine nobilissimo della storia.“ 421 Ebenda. 422 Degli Annali della città di Napoli, di Don Francesco Capecelatro, Neapel 1849; vgl. Carla Russo: Capecelatro, Francesco, DBI 18 (1975) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/ francesco-capecelatro_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; die Rezension erschien im: Archivio Storico Italiano, Appendice 8 (1850), S. 217–232; zu den Reaktionen Angelo Granitos und Volpicellas: NL ­Reumont, S 1058, Belmonte-Granito an ­Reumont, Nr. 114: Neapel, 8. August 1850; S 1067, Volpicella an R ­ eumont, Nr. 51: Neapel, 14. August 1850. 423 Michele Baldachini: Storia Napoletana dell’anno 1647, Lugano 1834.

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Autor persönlich kannte und regelmäßig traf,424 nur unter Vorbehalt, da er mit dem Volksaufstand sympathisierte.425 Obwohl es vielfach historische Romane waren, die den Aufstand unter Masaniello verherrlicht hatten,426 möchte R ­ eumont in seinem Vorwort den besonderen Wert von historischen Romanen jedoch keineswegs geschmälert wissen, im Gegenteil: Er erklärte, dass seine Carafa di Maddaloni, obwohl es sich dabei um ein historisches Werk handelte, von Alessandro Manzonis I Promessi Sposi inspiriert worden sei.427 Neben der Absicht des Fürsten von Belmonte die Rolle des Adels zu rechtferti­ eumont in seiner Arbeit auch den Zweck, den jammervollen Zugen, verfolgte R stand Italiens unter der spanischen Herrschaft in Erinnerung zu rufen. Das Ziel bestand jedoch keineswegs darin, die Vertreibung der aktuellen Herrscher zu propagieren, sondern vielmehr daran zu erinnern, wie schlecht es um das Allgemeinwohl unter spanischer Herrschaft bestellt war. Vor den düsteren Schilderungen der damaligen Zustände setzte sich das Bild des verantwortungsbewussten Adels ab, der als regulierendes Element zwischen Volk und Herrscher stand, wie auch die effiziente Verwaltung der habsburgischen Herrschaft in Italien, die selbst von österreichkritischen Stimmen gelobt wurde. Was auf den ersten Blick als eine Art patriotischer Beitrag angekündigt wird, ist also keineswegs eine Aufforderung, sich der ausländischen Herrscher zu entledigen, sondern soll vielmehr die gegenwärtigen politischen Zustände erklären und durch Opern und Romane hervorgerufene falsche Eindrücke und Bewertungen korrigieren. So heißt es im Einleitungstext weiter: „Und doch sind Neapels spätere und jetzige Zustände nicht gut zu erklären, wenn man sich von dieser Zeit der spanischen Herrschaft nicht eine möglichst genaue Vorstellung verschafft.“428 424 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,271: R ­ eumont an Vieusseux, Neapel, 16. Oktober 1849; Nr. 275: Neapel, 11. Dezember 1849; Nr. 280: Neapel, 20. März 1850. 425 Alfred von R ­ eumont: Die Carafa von Maddaloni. Neapel unter spanischer Herrschaft, Bd. 2, Berlin 1851, S. 365–366: „Baldacchini’s Buch […] würde in jeder Beziehung vollkommen befriedigen, veranlaßte es nicht durch zu sichtbare Hinneigung zu dem was eine Ochlokratie in der schlimmsten Bedeutung des Wortes war, unrichtiges Urtheil. Die Revoluzion von 1647 ist aber gerade dazu gemacht die Scheußlichkeit der Pöbelherrschaft, eine Tyrannei welcher keine Willkür anderer Art auch die schlimmste nicht sich vergleichen läßt, ins rechte Licht zu stellen.“ 426 Vgl. Ebenda, S. 356. 427 Ebenda, Bd. 1, S. VI–VII: „Die Italiener haben im Allgemeinen einen so tiefen und wohlbegründeten Abscheu gegen die spanische Epoche, mag nun Mailand oder Neapel in Betracht kommen, daß sie sich nur ungerne mit derselben beschäftigen. In unseren Tagen hat ein Autor, gleich ausgezeichnet durch poetischen Genius, durch historischen Sinn und moralische Tendenz, diesen Abscheu überwunden. Wenn die Erzählung von den „Verlobten“, eines der schönsten Erzeugnisse der neuern Literatur, die Kenntnis des jammervollen Zustandes der Lombardei mehr denn irgend ein Geschichtswerk gefördert hat, so ist dadurch zugleich der Anstoß zu anderweitiger mehr oder minder erfolgreicher Beschäftigung mit dem Gegenstande gegeben worden. Dieselbe Epoche aber in Neapel ist wenig bekannt: das Ausland namentlich hat sie nur in Ausnahmefällen berücksichtigt. Man hat die Episode des Masaniello oder auch wol die des Herzogs von Guise herausgerissen und selbst wo Roman und Operntext aus dem Spiele blieben sich meist ein ziemlich falsches Bild gemacht.“ 428 Ebenda, S. VII.

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Die Konzentration auf die Geschichte der Maddaloni, die ebenfalls an der Unterdrückung des Aufstandes mitgewirkt haben, gab die Marschrichtung des Werkes vor: Es handelte sich ebenfalls um eine ruhmvolle Geschichte einer Adelsfamilie.429 So wurden neben ihren positiven Seiten zwar auch ihre Fehler und Laster angesprochen, jedoch blieb die Grundaussage, dass die aktuellen Zustände durch historische Entwicklungen legitimiert sind und dass die Geschichte des Vaterlandes vom Handeln der führenden Familien abhängig ist, denen die historische Verantwortung zukommt, das Allgemeinwohl der Heimat zu verfolgen. Daraus folgt, dass man dem aus der Not des Volkes entstandenen Aufstand Sympathie abgewinnen kann, dieser ihm selbst jedoch durch den Kampf gegen den Adel mehr geschadet als genützt habe. Nach einer umfangreichen Darstellung der Vorgeschichte und einer umfassenden Beschreibung der gesellschaftlichen Zustände, die das Volk tatsächlich ins Elend gestürzt haben, tadelt ­Reumont die Revolte als kontraproduktiv. Die berechtigte Unzufriedenheit sei durch Aufwiegler geschürt worden, und als die Menge merkte, dass sie durch ihr aggressives Auftreten die Machthaber zu Zugeständnissen bewegen konnte, verlor sie jedes Maß und ging zum Straßenterror über.430 Die Folge des Aufruhrs, an dessen Spitze sich Masaniello gestellt hatte, war eine langfristige Zerstörung der gesellschaftlichen Ordnung Neapels, die ­Reumont mit pathetischen Worten herausstellt: „Die persönliche Ehrfurcht vor dem Adel welche die Menge bei früheren Anlässen selbst mitten in Unordnungen bewahrt hatte, war nun bis auf den letzten Rest verschwunden. Masaniello’s Hand hatte das Band jahrhundertelanger Angewöhnung zerrissen.“431

Der gegenüber dem Adel abgelegte Respekt habe dazu geführt, dass andere Bevölkerungsteile für sich in Anspruch genommen haben, selbst zu herrschen und Rechte einzuklagen, die sie nach ­Reumonts Ansicht nie besessen haben. Dem deutschen Leser verdeutlicht er die Schrecken einer Herrschaft der unteren Gesellschaftsschichten, um jeder romantischen Verklärung der Ereignisse von vornherein entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund scheut er sich nicht, die niedersten Ängste und Vorurteile des gebildeten, aber gegenüber den lokalen italienischen Verhältnissen meist unwissenden Lesers zu bedienen. So ist die Rede von den „halbnackten halbthierischen Bewohnern der Höhlen und Löcher von Neapels verpesteten Armenvierteln“432, die sich anschickten, die Herrschaft zu übernehmen. Dass diese Beschreibung keineswegs Mitgefühl mit der Not der Ärmsten auslösen sollte, sondern vielmehr die Verwerflichkeit einer Beteiligung der untersten Schichten Neapels an politischer Macht verdeutlichen sollte, wird nur wenige Seiten später offensichtlich, wo ­Reumont erklärt, dass das sich organisierende Volk Kompanien

429 Zur Geschichtskultur des Adels und dessen Rolle in der Historiographie vgl. Clemens (2004); Dies. (2010), S. 23–41; Dies. (2011): Obenbleiben; Cavicchioli (2011). 430 Vgl. Alfred von ­Reumont: Die Carafa von Maddaloni. Neapel unter spanischer Herrschaft, Bd. 2, Berlin 1851, S. 116–139. 431 Ebenda, S. 141–142. 432 Ebenda, S. 146.

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bildete, die zu einem großen Teil aus „Weibern der untersten Classen“433 zusammengesetzt waren. Dabei zielt die Kritik nicht allein auf die Tatsache, dass die unteren Schichten politische Rechte geltend machen, sondern im Besonderen auf den naturgegebenen Charakter der Unterschichten Neapels, der ihre Beteiligung per se als moralisch nicht vertretbar erscheinen lässt und R ­ eumont zu dem rassistischen Ausfall verleitet: „Man mag sich vorstellen was für eine Schaar sie bildeten wenn man das häßliche Weibergeschlecht dieser Classen Neapels ansieht bei welchem verdorbenes Blut mit Schmutz und Lumpen um den Vorrang streiten.“434

Zu einer Hebung des allgemeinen Wohlstandes sowie zur Garantie des sozialen Friedens, sei nach ­Reumont vielmehr eine stärker an den lokalen Bedürfnissen orientierte Politik der spanischen Herrscher notwendig gewesen, die dafür dem Adel politische Verantwortung hätte übertragen müssen, anstatt ihn durch eine spanische Führungsschicht in seiner politischen Funktion zu ersetzen. Insofern habe sich der Volkszorn gegen die Falschen gerichtet. Den kurzfristigen Erfolg des Aufstandes bewertete R ­ eumont als Pyrrhos-Sieg: „Von allen Umänderungen der Stadtverwaltung und Repräsentation, im demokratischen Sinne verlangt und von der geschwächten souveränen Gewalt im Moment der Bedrängniß zugestanden, wurde aber nicht Eine wirklich eingeführt. Das einzige Resultat in letzterer Beziehung war größere Einmischung der Regierung durch Schwächung der Autorität des Adels.“435

Letztlich hätten es die spanischen Vizekönige versäumt, den neapolitanischen Adel als Vermittler zwischen Volk und König einzusetzen, um auf diese Weise dem Allgemeinwohl gerecht werden zu können. Die Hauptursache der Missstände jener Zeit lag demnach in der absolutistischen Regierungsform in Verbindung mit Vetternwirtschaft, Korruption und persönlicher Bereicherung. Die Kritik an einer fehlenden Einbindung der lokalen Eliten zur Sicherung der Monarchie kann dabei genauso für jene Situation gelten, die 1848 zum Ausbruch der Revolution im Königreich beider Sizilien geführt hatte.436 Folglich gelangt ­Reumont am Ende seiner Monographie zu dem Ergebnis: „Die heutigen Uebelstände zu erklären, ist es erforderlich zu deren Quelle zurückzugehn. Diese Quelle war, in den meisten Fällen, die spanische Herrschaft.“437

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Ebenda, S. 148. Ebenda. 435 Ebenda, S. 311. 436 Das Versäumnis, die Eliten an das bourbonische Königshaus zu binden, attestiert für die Zeit von 1815–1860 auch Renata De Lorenzo: Borbonia felix. Il Regno delle Due Sicilie alla vigilia del crollo (Aculei 13), Rom 2013, S. 33–34. Vgl. zu dem Thema auch Dies. (Hrsg.): Stato e società nel Regno delle Due Sicilie alla vigilia del 1848: Personaggi e problemi. Atti del Convegno di Studi, Napoli 26–28 novembre 1998 [= Archivio Storico per le provincie napoletane 117 (1999)], Neapel 1999. 437 Alfred von R ­ eumont: Die Carafa von Maddaloni. Neapel unter spanischer Herrschaft, Bd. 2, Berlin 1851, S. 320. 434

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Wie bereits erwähnt, handelte es sich bei dieser Kritik keineswegs um den Versuch, die aktuellen Machthaber, die gerade die italienischen Revolutionen in die Schranken gewiesen hatten, im Dienste der Nationalbewegung zu diskreditieren. Es ging vielmehr darum, die legitimen Herrscher durch den Blick auf die Geschichte zu rechtfertigen und dabei zu verdeutlichen, dass diese, auch wenn dies von Seiten der demokratischen Nationalbewegung entschieden abgelehnt wurde, sich mit der Nationalbewegung versöhnen könnten, wenn sie die jeweiligen lokalen Führungsschichten einzubinden verstehen. Auf Kosten der spanischen Herrscher sollten also die Vorteile der aktuell herrschenden Dynastien hervorgehoben werden. An den ge­ eumont, dass das neapolitanische Volk zur mäßigt-liberalen Leser gewandt erklärt R Zeit einer absoluten Monarchie bedürfe und nur durch ein entsprechendes Bildungsprogramm an politische Reformen herangeführt werden könne, die, übereilt eingeführt und ohne entsprechende Vorbereitung, mehr Gefahren als Vorteile mit sich bringen würden.438 Letzten Endes hielt ­Reumont die Sachlage jedoch für eindeutig: „Wie dem aber auch sein möge, der Vergleich des spanischen Neapels mit dem der Bourbonen ist die beste Lobrede auf diese letztern.“439

­Reumonts Geschichtswerk über Die Carafa von Maddaloni ist also nicht nur von den zeitgenössischen politischen Ereignissen inspiriert, sondern ist durchaus auch als ein Plädoyer für die Politik der Moderati zu verstehen. Diese erinnerte R ­ eumont mit seiner Monographie gleichzeitig an ihre eigenen Grundprinzipien, nämlich das Anstreben von moderaten Reformen im Dialog mit den rechtmäßigen Herrschern. Diese Forderung erschien ihm in jenen Tagen, während derer sich zwischen den Moderati und den jeweiligen Herrschern eine tiefe Kluft zu bilden drohte, dringend notwendig. Dabei hatte er nicht nur die in seiner Monographie explizit behandelte Situation im Königreich beider Sizilien vor Augen, sondern auch im Kirchenstaat, wo die päpstliche Regierung zu seinem Unverständnis eine den liberalen gegenüber unversöhnliche, restaurative Politik betrieb, sowie in der Toskana, wo die Präsenz österreichischer Truppen die Moderati vom Hause Habsburg-Lothringen zu entfremden drohte. Beide Seiten sollten also nach ­Reumonts Ansicht den Weg der moderaten Reformen weitergehen, ohne entweder hinter den Zustand kurz vor Ausbruch der Revolutionen zurückzufallen oder an den von den Revolutionsregierungen eingeführten Neuerungen festzuhalten. Die legitimen Souveräne und die lokalen Führungsschichten waren also aufeinander angewiesen, um gesellschaftlich 438 Ebenda, S. 322: „Die Menge hält an der absoluten Monarchie fest. Es ist als hätte sie ein dunkles Bewußtsein der bei einer Aenderung drohenden Gefahren, Gefahren die größtentheils aus dem angeborenen Mangel an Mäßigung sich herschreiben. Denn zu einer wirklichen Beurtheilung ist bei den Massen wol nie gekommen. Man muß das neapolitanische Volk mit seinen guten und bösen Eigenschaften und Gewohnheiten so nehmen wie es eben ist. Seine sinnlichen religiösen Anschauungen gehn mit den politischen Begriffen Hand in Hand. Es würde schwer zugleich und gewagt, es würde gefährlich oder unhaltbar sein, ohne vollständige Hebung des Bildungszustandes, ohne Veredlung der moralischen Grundsätze und Empfindungen eine durchgreifende Umwandlung beider unternehmen zu wollen.“ 439 Ebenda.

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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notwendige Reformen behutsam voranzutreiben. Dies sei gerade für Häuser fremden Ursprungs von besonderer Bedeutung, um, wie die Lothringer in der Toskana, zu einer nationalen Dynastie zu werden.440 Diese Differenzierung R ­ eumonts erscheint auf den ersten Blick bemerkenswert. Berücksichtigt man aber, dass Leopold II., der sich am Ersten Italienischen Unabhängigkeitskrieg von 1848 gegen Österreich beteiligt hatte tatsächlich als italienischer Herrscher gefeiert wurde und dass das sizilianische Parlament im Jahre 1848, als es im Zuge der Absetzung der Bourbonen einen italienischen Herrscher suchte, auch über Leopolds II. zweiten Sohn Karl nachdachte, so wird deutlich, dass die Habsburg-Lothringer zeitweise parallel zu den Savoyern als mögliche Dynastie einer nationalen Unabhängigkeit gesehen wurden.441 Nach ­Reumont hängt die Definition einer Dynastie als national also nicht von ihrer ursprünglichen Herkunft ab, sondern davon, ob sie der italienischen Identität gerecht wird und das Allgemeinwohl der lokalen Gesellschaft verfolgt – dies könne aber nur im Dialog mit den traditionellen lokalen Führungsschichten geschehen. Tatsächlich gleichen ­Reumonts Forderungen in der Schlussbetrachtung seiner Monographie dem Programm der Moderati,442 weshalb der entscheidende Teil des Fazits an dieser Stelle angeführt sei: „Die Sucht und Hast des Reformirens, ein Uebel an welchem alle thatkräftigeren Fürsten jener Zeit krankten, der durchgängige Mangel an Vorsicht welcher ebensosehr wie die viel berüchtigten Misbräuche zur Revoluzion beigetragen, ließen freilich auch schlimmen Samen für die Zukunft zurück. Die allmälige Schmälerung der aristokratischen namentlich der feudalen Vorrechte und die Centralisierung der Autorität lagen in dem Systeme König Carls und seines leitenden Ministers, des vormaligen Pisaner Rechtlehrers Bernardo Tanucci, wie sie mit den Maximen der meisten Souveräne des achtzehnten Jahrhunderts verwachsen waren, welche nicht einsahen daß sie durch die Niederreißung aller ständischen Institutionen, welche reformiert aber nicht vernichtet werden mußten, die Fundamente ihrer Throne selber bloslegten und denen ihre Nachkommen die heutigen so unbequemen, unorganischen, geborgten Constitutionen zu danken haben.“443

Mit diesem Fazit brachte er die Situation der Moderati in Italien auf den Punkt und lehnte die Formulierung seiner Warnung, dass eine Schmälerung der adligen Vorrechte zugunsten einer zentralisierten Administration das Fundament des Thrones bloßlege, eng an Leopoldo Galeottis Wortwahl in seiner Denkschrift Della 440

Ebenda, S. 314. Vgl. Paolini (2004), S. 77–78; Candeloro (2011), Bd. 3, S. 227. 442 Vgl. dazu auch Kapitel B. II. 2. e) Historische Forschungen als Gefälligkeitsgesten zur Förderung der diplomatischen Karriere, S. 81–83. 443 Alfred von R ­ eumont: Die Carafa von Maddaloni. Neapel unter spanischer Herrschaft, Bd. 2, Berlin 1851, S. 317. Zum aufgeklärten Absolutismus vgl. Helmut Reinalter: Josephinismus als Aufgeklärter Absolutismus, Wien / Köln / Weimar 2008; Martin Fuhrmann / Diethelm Klippel: Der Staat und die Staatstheorie des aufgeklärten Absolutismus, in: Helmut Reinalter / Harm Klueting (Hrsg.): Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich, Wien / Köln / Weimar 2002, S. 223–243; Karl Ottmar von Aretin (Hrsg.): Der Aufgeklärte Absolutismus (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 67), Köln 1967. 441

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r­ iforma municipale an.444 Dass nämlich der Adel durch aufgeklärt-absolutistische Herrscher zunehmend aus dem Staatsdienst gedrängt wurde,445 traf nämlich durchaus zu. Wie Thomas Kroll für das toskanische Patriziat und Marco Meriggi für den lombardo-venezianischen Adel gezeigt haben, führte die Ausschaltung des lokalen Adels bzw. dessen Rückzug in die innere Immigration dazu, dass die jeweiligen Herrscher den Rückhalt im Patriziat einbüßten. Ihre administrativen und kirchenpolitischen Maßnahmen waren zwar fortschrittlich und wurden in der Folge glorifiziert, wie etwa bei Leopold I. von Toskana, der trotz der von ihm betriebenen Entmachtung des Patriziats durch den Aufbau eines zentralen Staatsapparates im 19. Jahrhundert hinsichtlich seiner liberalen Reformen dennoch von den Eliten gefeiert wurde. Allerdings weckten die modernen Verwaltungsstrukturen, die eine Beamtenlaufbahn vorschrieben und damit adlige Vorrechte ignorierte, die Unzufriedenheit der alten Eliten. Kam es dann zu sozialen Spannungen, konnten die Souveräne nicht mehr auf die Vermittlung des Adels zählen, da dieser selbst den Herrschern kritisch gegenüberstand. Die Auflösung dieses Bündnisses zwischen Monarch und Adel sei insofern nach R ­ eumont der Hauptgrund für die soeben beendeten Revolutionen.446 Zwar war die Situation im Königreich beider Sizilien wesentlich komplexer, da der Adel unter den Bourbonen zwischen Neapel und Sizilien in sich gespalten war,447 jedoch sah ­Reumont auch dort das Problem in einer fehlenden Kooperation zwischen Adel und Monarch, da er den Adel bzw. das Patriziat, ganz im Sinne der Moderati, als rechtmäßigen Mittler zwischen den Volksinteressen und dem Monarchen begriff. Dass ­Reumont die Vorrechte des Adels als Mittler zwischen König und Volk anmahnt, zeugt zwar von einer sehr guten Kenntnis der politischen Ansichten der italienischen Führungsschichten und brachte ihm auch eine entsprechend positive Rezension im Archivio Storico Italiano ein,448 jedoch dürfte das Lob der Bourbonen keine ungeteilte Zustimmung erfahren haben. Während es von Anhängern einer aristokratischen Gesellschaftsordnung, wie Scipione und Settimio Volpicella positiv aufgenommen wurde,449 musste ­Reumont von Seiten einiger Rezensenten heftige Kritik einstecken. So nannte der anonyme Rezensent der von Heinrich Brockhaus, einem Mitglied des

444

Leopoldo Galeotti: Della riforma municipale, Florenz 1847, S. 7: „I troni sono oggi isolati; le istituzioni che un tempo loro facevano scudo e difesa sono scomparse; fra i troni e i popoli nulla rimane tranne le forze artificiali il cui valore ogni dì più diventa un problema.“; vgl. Gianpietro Bergonzi: Tra „stato e municipi“ e „stato moderno“. Il contraddittorio percorso dell’amministrazione municipale nel Granducato di Toscana tra il 1825 ed il 1853, Rassegna storica toscana 49,2 (2003), S. 245–299, hier S. 271; Forßmann (2017), S. 349–354. 445 Vgl. Fuhrmann / Klippel (2002), S. 237–238. 446 Vgl. Meriggi (1983); Brigitte Mazohl-Wallnig: Österreichischer Verwaltungsstaat und administrative Eliten im Königreich Lombardo-Venetien 1815–1859 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 146), Mainz 1993; Gottsmann (2005); Kroll (1999). 447 Vgl. dazu etwa De Lorenzo (2013), S. 44–49. 448 K.: Die Caraffa von Maddaloni – Neapel unter Spanischer Herrschaft, Archivio Storico Italiano 1,2 (N. S.) (1855), S. 251–253. 449 Vgl. NL ­Reumont, S 1067, Volpicella an ­Reumont, Nr. 58: Neapel, 25. März 1853.

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späteren Deutschen Nationalvereins,450 herausgegebenen Blätter für Literarische Unterhaltung die Monographie: „Die Geschichte eines vornehmen Geschlechts als Rahmen der des Königreichs Neapel unter der spanischen Herrschaft und im Hintergrunde die Apologie der jetzt dort herrschenden Königsfamilie, welche dadurch ins Licht gestellt werden soll daß die Schattenseiten der spanischen Gewaltregierung stark hervorgehoben werden.“451

Im Weiteren stellte der Rezensent klar, dass die spanische Regierung zwar keine gute und gerechte gewesen sei, dass die Hauptschuld am sozialen Elend aber der Adel getragen habe, der seinen Einfluss nutzte, um die Steuerlasten auf die unteren Schichten abzuwälzen. Folglich sei die von den Spaniern betriebene Entmachtung des lokalen Adels kein Fehler, sondern durchaus im Interesse des Gemeinwohls gewesen.452 Vor dem Hintergrund, dass die Rezension im Blatt Heinrich Brockhaus’ erschien, ist es nicht überraschend, dass der anonyme Autor, der wohl ebenfalls dem liberalen Spektrum zuzurechnen ist, einer derart unkritischen Wiedergabe der Adelsinteressen entgegentreten zu müssen glaubte. Ähnliche Kritikpunkte führte auch die britische Literary Gazette an, die ­Reumonts politische Voreingenommenheit ebenso bemängelte, wie seine Einschätzung, dass das Volk der absoluten Monarchie treu ergeben sei. Vielmehr werde dieses vom König gefügig gemacht, um diejenigen unterdrücken zu können, die eine Verfassung fordern.453 Dagegen hoben beide Rezensenten den besonderen Wert der Monographie als eine Fundgrube an neuen, bis dato unbekannten Quellen hervor. Dies war auch der Grund, weshalb 1854 eigens eine englischsprachige Übersetzung des Werkes angefertigt wurde. Denn die benutzten Quellen waren teils noch nicht ediert ­ eumonts hervorragende Kontakte und nur wenigen Forschern bekannt. Durch R konnte er auf Material zurückgreifen, das seine Arbeit auch für Leser interessant machte, die seinen persönlichen politischen Ansichten ablehnend gegenüberstanden. Letztlich hatte R ­ eumont mit seiner Monographie also alle Ziele erreicht: Er hatte eine Apologie der herrschenden Königsfamilie verfasst und dabei zugleich die Forderungen der Moderati nach mehr Einfluss vertreten und außerdem ein Werk publiziert, das, zumindest was den Gebrauch bis dato unveröffentlichter Quellen angeht, einen wissenschaftlichen Wert hatte. Die Apologie war dabei seinem Umgang im päpstlichen Exil geschuldet: Schließlich waren es mit Volpicella und dem

450 Vgl. Annemarie Meiner: Brockhaus, Heinrich, NDB 2 (1955), S. 624–625 [URL: http:// www.deutsche-biographie.de/pnd116552433.html], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 451 Blätter für Literarische Unterhaltung Nr. 42, 16. Oktober 1852, S. 991–997, hier S. 991. 452 Vgl. Blätter für Literarische Unterhaltung Nr. 42, 16. Oktober 1852, S. 991–997. 453 Literary Gazette, 4. März 1854: „The author’s political tenets are somewhat illiberal, but this the English reader will readily discover for himself. The servile submission of the Neapolitan populace, of the lowest grades, arises not from any „respect for law, as opposed to rebellion,“ as the author suggests, but because their vices are fostered, and their services secured, by corrupt courts and despotic rulers, for the repression of the better classes who seek constitutional government.“

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

Fürsten von Belmonte Anhänger eines dezidiert adligen Geschichtsbildes, die ihm den Zugang zu den Quellen verschafften. Zugleich hatte ­Reumont dadurch versucht, die Gunst des Königshauses beider Sizilien zu gewinnen, die ihm für seine weitere diplomatische Laufbahn möglicherweise von Nutzen hätte sein können. Ähnlich wie seine Berichte für die Augsburger Allgemeine Zeitung, in denen er Partei für Leopold II. von Toskana ergriff, war auch seine „Apologie der Bourbonen“ von Erfolg gekrönt: Zum Dank verlieh ihm König Ferdinand II. das Ritterkreuz des Konstantin-Ordens.454 Trotz vielfacher politischer Ablehnung seiner Carafa von Maddaloni, kam diese gewissermaßen einem internationalen Durchbruch gleich. Das reiche Quellenmaterial erregte in ganz Europa unter all denjenigen, die sich mit der neapolitanischen Geschichte jener Zeit befassten, eine große Aufmerksamkeit – unabhängig vom jeweiligen politischen Wertehorizont. Insofern hatte R ­ eumont im Zuge des päpstlichen Exils den entscheidenden Schritt für seine Karriere als Diplomat und Historiker machen können. Zu seinen ohnehin bereits beachtlichen Kontakten, die er in Florenz über Capponi, Vieusseux und die dortige preußische Gesandtschaft pflegte kamen jene, die er während der Verhandlungen in der Mischehenangelegenheit in Rom sowohl in vatikanische Kreise als auch zu den Wissenschaftlern im Umfeld des Instituto di corrispondenza archeologica geknüpft hatte. In Gaeta und Neapel nutzte er während des päpstlichen Exils den regen diplomatischen Verkehr vor Ort, um persönliche Bekanntschaft mit den führenden Diplomaten und Würdenträgern zu machen. Neben der ihn in der Folge sehr prägenden persönlichen Bekanntschaft zu Cesare Balbo, dem Autor der Speranze d’Italia, der damals den Papst davon zu überzeugen suchte, den Weg der moderaten liberalen Reformen beizubehalten, war es vor allen Dingen auch der persönliche Kontakt zu Kardinalstaatssekretär Antonelli, zu Pius IX. selbst sowie zu Großherzog Leopold II. von Toskana, den er dort näher kennenlernte. Als er schließlich am 12. April 1850 im Gefolge Pius’ IX. in Rom einzog, war er in den internationalen diplomatischen Kreisen kein Unbekannter mehr.455 In dieser Zeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen sowohl für seine literarischen als auch seine diplomatischen Verdienste. Für seine literarischen Leistungen wurde er unter anderem vom König von Bayern mit dem AndreasOrden, vom König von Belgien mit dem Leopold-Orden, und vom König von Sardinien-Piemont mit dem Komturkreuz des Maurizius und Lazarus-Ordens geehrt.456 Eine besondere Anerkennung erfuhren jedoch seine Dienste als Mittler zwischen der Kurie und der preußischen Regierung. Noch während der letzten Tage ­ eumont als Anerkennung seiner ergebenen Dienste des päpstlichen Exils war R unter schwierigen Umständen zum commendatore des Gregorius-Ordens ernannt

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Teilnachlass ­Reumont in der Stadtbiblothek Aachen: Nachlass R ­ eumont (Nachlass 1), II.1 Private Briefe: Ferdinando Troya an ­Reumont, Neapel, 25. Mai 1852. 455 Vgl. Jedin (1973), S. 103; Hüffer (1904), S. 142. 456 Vgl. Teilnachlass ­Reumont in der Stadtbiblothek Aachen: Nachlass ­Reumont (Nachlass 1), II.1 Private Briefe.

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worden.457 Ein Jahr später sollte R ­ eumont dann für seine Dienste hinsichtlich der Verleihung des Kardinalspurpurs an den Erzbischof von Köln und den Fürstbischof von Breslau, für die er die Zustimmung Friedrich Wilhelms IV. eingeholt hatte, das Ritterkreuz des Pius-Ordens (Ordine Piano) verliehen werden.458 Obwohl ­Reumont zu Beginn der Revolutionen im Jahre 1848 befürchtete, dass seine noch junge diplomatische Karriere gleich wieder dem Ende zugehe und alles, was er sich bis dato erarbeitet hatte umsonst gewesen sei, waren die revolutionären Ereignisse, verbunden mit der anschließenden Restauration letzten Endes ein Glücksfall – auch wenn er es selbst nicht so empfunden haben mag. Allerdings steht es außer Zweifel, dass ihm die Konzentration der restaurativen Kräfte am päpstlichen Hof in Gaeta eine hervorragende Plattform bot, an seinem Netzwerk zu arbeiten. Nach der Rückkehr aus dem Exil hatte er zahlreiche Auszeichnungen, sowohl als Literat als auch als Diplomat erhalten und bot sich damit für eine weitere Verwendung auf italienischem Boden an. 3. Aufstieg zum Ministerresidenten im Großherzogtum Toskana Bereits vor den Revolutionsjahren 1848/49 hatte R ­ eumont weitreichende Kontakte in die italienische Gesellschaft knüpfen können und galt durch seine Vernetzung innerhalb der Moderati sowie seine Freundschaft zu Vieusseux und dessen internationalem Lesekabinett als bestens informiert. Nachdem er anschließend in Gaeta nicht nur zahlreiche Kontakte in die dortigen diplomatischen Kreise hatte knüpfen können, sondern auch zu Leopold II. von Toskana persönlich, lag es nahe, ihn nach der Rückkehr aus dem päpstlichen Exil erneut in der Toskana einzusetzen. Im Anschluss an die Geschäftsführung der römischen Gesandtschaft bis Sommer 1851, nahm er im November seinen Wohnsitz in Florenz, um dort als preußischer Geschäftsträger zu wirken – ohne jedoch dabei seine Tätigkeit als römischer Legationssekretär aufzugeben.459 Auf diese Weise sollten seine Kontakte dem preußi­ eumont schen Außenministerium bestmöglich dienstbar gemacht werden und für R selbst wurde mit seiner Stationierung in Florenz ein persönlicher Wunsch erfüllt. Allerdings fand er dort eine komplett veränderte Situation vor: Zwar stand er nach wie vor mit seinen alten Bekannten in Kontakt, jedoch begegnete ihm manch einer in der Toskana mittlerweile mit Vorbehalten. Seine Zeit im päpstlichen Exil sowie 457

Ebenda, Kardinalstaatssekretär Antonelli an ­Reumont, Portici, 4. März 1850: „La Santità di Nostro Signore volendo porgere un contrassegno di sua particolare considerazione al Sig.r Alfred Reumond [sic!] Incaricato d’Affaire di S. M. il Re di Prussia presso la S. Sede, per le chiare prove da esso date di ossequio e di devozione alla S. Sede, ed alla sagra ed augusta di Lui Persona anche in difficili circostanze si è benignamente degnata nominarlo Commendatore dell’Ordine Gregoriano di classe civile. […]“ 458 Ebenda, Kardinalstaatssekretär Antonelli an ­Reumont, Vatikan, 16. Juni 1851; ­Reumont berichtet darüber in: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 131. 459 Vgl. Hüffer (1904), S. 143.

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sein gutes Verhältnis zum Großherzog wurden durchaus kritisch gesehen. Seine Bekannten verziehen ihm zwar manche Meinungsverschiedenheit, wie die bereits erwähnte Auseinandersetzung um den venezianischen Freiheitskampf, jedoch vermieden sie zunehmend den offenen Austausch über die politischen Entwicklungen. Wegen seiner Ablehnung, die Verwirklichung nationaler Rechte anzuerkennen, wenn sie gegen internationale Verträge verstoßen, kam es über politische Fragen häufiger zum Streit, weshalb ­Reumont nach seiner Rückkehr nach Florenz darauf verzichtete, an den politischen Diskussionsabenden bei Vieusseux teilzunehmen.460 Obwohl der politische Meinungsaustausch dennoch nicht aufgegeben wurde, da er für beide Seiten interessant sein konnte – R ­ eumont erfuhr auf diese Weise, wie man in führenden Kreisen der toskanischen Gesellschaft dachte, während seine Kontakte Einblick in die Denkweise innerhalb der preußischen Diplomatie erhielten – versuchten sie den offenen Konflikt zu vermeiden, um das Verhältnis nicht zu strapazieren. Noch während ­Reumonts Aufenthalt im päpstlichen Exil war es nämlich zu einem Zwischenfall gekommen, der die Freundschaft zu Vieusseux und Capponi auf eine ernsthafte Probe gestellt hatte: ­Reumont hatte im März des Jahres 1849 den preußischen Generalleutnant Karl Wilhelm von Willisen an Vieusseux und Capponi als Gesandten Friedrich Wilhelms IV. zur Erkundung der italienischen Situation empfohlen.461 Dieser beobachtete anschließend die sardischen Kriegsvorbereitungen und begab sich unmittelbar danach ins österreichische Feldlager zu Radetzky. Als er anschließend seine Beobachtungen zum Krieg des Jahres 1848 veröffentlichte,462 aus denen hervorging, dass er sich im Lager Radetzkys aufgehalten hatte, glaubten einige italienische Zeitungen, den Schuldigen für die Niederlage von Novara gefunden zu haben.463 Nachdem ein solcher Verdacht im Raum stand, fühlte sich Vieusseux von R ­ eumont hintergangen und stellte ihn zur Rede. Dieser wies derartige Anschuldigungen jedoch als lächerlich zurück und erklärte, dass Willisen zunächst die Aufgabe gehabt habe, König Karl Albert von Sardinien von der Aussichtslosigkeit einer Wiederaufnahme des Krieges gegen Österreich zu überzeugen. Nachdem er gemerkt hatte, den König nicht überzeugen zu können, sei er nach Florenz gereist. Mit Ausbruch des Krieges sei es seine Aufgabe gewesen, die Kriegsentwicklung zu beobachten. Dabei sei er erst kurz vor der Schlacht von Novara im Heerlager Radetzkys angelangt und habe diese ausschließlich als Beobachter verfolgt und trage deswegen keinerlei Schuld an der piemontesischen Niederlage.464 460

BNCF Vieuss. C. V. 89,109, ­Reumont an Vieusseux, Aachen, 21. August 1860. BNCF Vieuss. C. V. 88,252, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 8. März 1849 und 253, Rom, 10. März 1849. 462 Karl Wilhelm von Willisen: Der italienische Feldzug des Jahres 1848, Berlin 1849. 463 Vgl. Bernhard von Poten: Willisen, Karl Wilhelm von, ADB 43 (1898), S. 292–296 [URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd117394602.html?anchor=adb], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; vgl. auch Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz III. HA MdA, I Nr. 4980. 464 BNCF Vieuss. C. V. 88,270, ­Reumont an Vieusseux, Neapel, 23. August 1849: „Quant au Général Willisen, Mr Petitti est ‚bien bon‘ de prendre au pied de la lettre les vilaines attaques des journaux radicaux. Le Général avait la commission de dissuader le Roi Ch.s Albert de faire la guerre, voyant que toute était inutile il partit p.r Florence & Rome. À Florence il apprit que la campagne était commencé: il partit p.r Plaisance, ayant encore la commission de s’informer 461

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Diese Einordnung entprach den Tatsachen.465 Wenngleich Vieusseux und Capponi die Angelegenheit in der Folge auf sich beruhen ließen, blieb diese Episode in der Öffentlichkeit jedoch präsent. Durch die Beschuldigung eines preußischen Kriegsbeobachters, der sich auch in der Toskana aufgehalten hatte, um vermeintlich Spionagedienste für Radetzky zu leisten, musste folglich mit ­Reumont auch der dortige preußische Geschäftsträger in den Fokus geraten, zumal er nach seiner Zeit im päpstlichen Exil und seiner Rückkehr in gehobener diplomatischer Position als Profiteur der Restauration erscheinen musste. Dieses Misstrauen, das ­Reumont von Teilen der toskanischen Öffentlichkeit entgegengebracht wurde, konnte auch nicht durch sein Engagement für die evangelische Gemeinde in Florenz abgebaut werden. Wie bereits gezeigt, hatte er für die Beilegung des Streits um Proselytenmacherei, sowohl durch die Abhaltung evangelischer Gottesdienste als auch durch aktive Mission, wie in der Affäre um das Ehepaar Madiai, Partei für das durch das Kirchenkonkordat aufgehobene Recht freier Religionsausübung ergriffen. Durch seine persönlichen Absprachen mit Vieusseux waren seine Bekannten über seine Strategie zur Beilegung des Konflikts informiert, während die Teile der Öffentlichkeit nur zur Kenntnis nahmen, dass er persönliche Gespräche mit dem Großherzog führte ohne dabei einen nennenswerten Erfolg zu erzielen. Trotzdem sorgte dieses Engagement dafür, dass R ­ eumont in den Kreisen der Moderati, ungeachtet mancher politischer Differenzen, weiterhin eine, wie im Folgenden noch weiter gezeigt wird, hohe Wertschätzung erfuhr. Trotz seiner Identifikation mit den Idealen der Moderati ließ es sich freilich nicht leugnen, dass er durch seine Kontakte sowohl zu den Liberalen als auch zu den Konvervativen, durch seinen besonderen Wert als Vermittler zu den Gewinnern der nachrevolutionären Entwicklungen gehörte. Dies galt nicht nur für seine Tätigkeit in der Toskana, wo er sich, wenn auch mit wechselhaftem Erfolg, darum bemühte, die Restaurationsmaßnahmen in ihrer konkreten Anwendung durch persönliche Gespräche mit dem Großherzog abzumildern, sondern zugleich auch für die Unterstützung der restaurativen Maßnahmen Friedrich Wilhelms IV. in den Rheinlanden. Für den König bot es sich an, während der seinerzeit schwierigen Beziehungen zum de la marche des affaires durant la guerre. Il arriva au Quartier général immédiatement avant la bataille de Novare à laquelle il assista en simple spectateur, comme il a assisté au siège de Malghera & à celui de Rome & aux opérations des troupes Napolitaines & Espagnoles. Voilà la simple vérité. V.s avez pu V.s convaincre du reste de quelle manière le Général s’exprime sur les affaires d’Italie – il me croit moi beaucoup trop conservateur. Quant au Piémont & à la manière dont on a jugé là ses actions, il a eu à Mola di Gaète ample occasion de s’expliquer vis-à-vis de C. Balbo, avec qui il a beaucoup causé. S’il-y-a un reproche à lui faire, c’est de ne pas avoir fixé assez les conséquences que l’on pourrait tirer de son apparition dans les différents camps. Mais c’est trop puéril que de vouloir lui attribuer la défaite de Novare, ainsi que l’on fait les journaux auxquels s’appuie Mr. Petitti. Je ne suis pas des amis particuliers du Gal Willisen, mais je lui dois cette défense contre des accusations ridiculement exagérés.“ 465 Die Darstellung ­Reumonts entspricht dem im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz verwahrten Schriftwechsel zur Mission Willisen: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz III. HA MdA, I Nr. 4980.

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Rheinland auf die Dienste des gebürtigen Aacheners zurückzugreifen. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 war das Verhältnis Preußens zu seinen Rheinprovinzen auf dem Tiefpunkt angelangt. Schließlich waren die ersten Forderungen nach umfassender politischer Neugestaltung in liberalem Sinne aus dem Rheinland gekommen, dessen Führungsrolle sich nach den Berliner Märzereignissen darin manifestierte, dass der König mit Ludolf Camphausen und David Hansemann zum Ministerpräsidenten bzw. zum Finanzminister zwei führende Persönlichkeiten der rheinischen Liberalen berufen hatte, um Preußen in die Verfassungsstaatlichkeit zu führen.466 Deswegen sah man von hochkonservativer Seite das Rheinland als für die weitere Entwicklung verantwortlich. Dieses Misstrauen wog umso schwerer als gerade das Rheinland nach der Zurückweisung der Kaiserkrone durch den preußischen König, verbunden mit einer Ablehnung der von der Frankfurter Paulskirche ausgearbeiteten Verfassung in zahlreichen Städten mit Aufständen reagiert hatte, was von der preußischen Regierung als Rebellion und Bürgerkrieg bewertet wurde.467 Demenentsprechend machten die preußischen Hochkonservativen die Rheinlande für die Revolution verantwortlich. Im Jahre 1851 beschrieb Leopold von Gerlach, der als Generaladjutant beträchtlichen Einfluss auf den König ausübte, die Revolution als „Aktion der Rheinlande“ und die Konterrevolution als „Reaktion der alten Provinzen gegen sie“.468 Diese Beschreibung zeigt, dass der königliche Hof in Berlin das Rheinland als Preußen gegenüber feindlich betrachtete. Auch der König selbst traute den mit dem Code Napoleon in Berührung gekommenen Provinzen nicht und versuchte sie durch eine repressive Politik unter Kontrolle zu halten. Als Napoleon III. im Jahre 1852 Kaiser von Frankreich wurde, hielt Friedrich Wilhelm IV. einen Abfall des westlichen Rheinlandes für wahrscheinlich, da er von dessen Anhänglichkeit an ein bonapartistisches Frankreich überzeugt war.469 Vor diesem Hintergrund ging die preußische Regierung nun dazu über, wie der hochkonservative Friedrich Julius Stahl im preußischen Herrenhaus formulierte, „das Band zu der Französischen Revolution“ zu zerschneiden.470 Dazu gehörte die 1856 erlassene Rheinische Städteordnung, die die seit der französischen Ära bestehende für städtische und ländliche Gemeinden einheitliche Kommunalverfassung aufhob, um die Rittergutsbesitzer besserzustellen. In erster Linie ging es jedoch darum, die Erinnerung an die französische Vergangenheit des Rheinlandes zu tilgen.471 Zu dieser Zeit heftiger politischer Auseinandersetzungen und Enttäuschungen trat Friedrich Wilhelm IV. im September 1855 seine Rheinlandreise an. In dieser schwierigen Situation, in der er die Loyalität der Rheinländer in Zweifel ziehen 466

Vgl. Herres / Holtz (2011), S. 159. Vgl. Ebenda, S. 171–173. 468 Ebenda, S. 174; Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs. Nach seinen Aufzeichnungen hrsg. v. seiner Tochter Bd. 1, Berlin 1891, S. 595. 469 Vgl. Herres / Holtz (2011), S. 174–175; Friedrich Wilhelm IV. an Carl Wilhelm Saegert, 15. November 1852. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, BPH, Rep. 192 Nachlass Saegert Nr. 42. 470 Herres / Holtz (2011), S. 177. 471 Ebenda, S. 175–177. 467

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musste, bestellte er R ­ eumont als Reisebegleiter ein, von dessen Lokalkenntnis er dort zu profitieren hoffte.472 In seinen Erinnerungen beschrieb ­Reumont die Situation als angespannt und äußerte zurückhaltende Kritik an der Vorgehensweise des damaligen Oberpräsidenten der Rheinprovinz Hans von Kleist-Retzow. Dieser stand in engem Kontakt zur Führungsgruppe der preußischen Konservativen um die Gerlachbrüder und Stahl und gehörte zur Gründergruppe der Kreuzzeitung. Während seiner Amtszeit im Rheinland hatte er die Abschaffung der rheinischen Gemeindeordnung betrieben und durch seine katholikenfeindliche Kirchenpolitik den Konflikt mit der rheinischen Beamtenschaft provoziert.473 Diese Konflikte blieben dem König während seiner Rheinlandreise natürlich nicht verborgen. R ­ eumont kannte aufgrund seiner Herkunft die Bedeutung der rheinischen Traditionen, zu denen eben auch die Neuerungen der Franzosenzeit gehörten, die der Oberpräsi­ eumont in seiner dent bekämpfte. Als Diplomat in preußischen Diensten mochte R Kritik jedoch nicht ins Detail gehen und bemerkte nur: „Während des Aufenthalts konnte der König sich des Eindrucks eines Mißklangs nicht erwehren. Die Wahl eines sonst durchaus tüchtigen Mannes, des Herrn von Kleist-Retzow Schwiegersohns des im J. 1854 verstorbenen Grafen Anton Stolberg, zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz war keine glückliche gewesen. Seine Persönlichkeit paßte für das Rheinland nicht, […]“474

Um Kritik an Friedrich Wilhelm IV. zu vermeiden, beschränkte sich ­Reumont darauf, zu konstatieren, dass Kleist-Retzow eben nicht ins Rheinland gepasst habe, anstatt die oben geschilderten Konflikte offen anzusprechen. R ­ eumont betrachtete sich nicht nur während jener Rheinlandreise, sondern auch später als Vermittler zwischen seiner Heimat und dem preußischen Staat. Auch wenn er den guten Willen des Königs nicht in Zweifel zog, sah er sich dennoch mit der schon angesprochenen Skepsis der Preußen gegenüber dem Rheinland konfrontiert und fühlte sich ­ eumont diese Differendazu berufen, gegenseitiges Vertrauen zu schaffen. Dass R zen auch noch in den 1880er Jahren als gravierend betrachtete, wird darin deutlich, dass er zwar auf eine konkrete Kritik der preußischen Verwaltung verzichtet, jedoch im Anschluss daran die rheinische Bevölkerung vom Verdacht der Illoyalität frei­zusprechen sucht, indem er auf die zahlreichen Regierungswechsel und die prägende napoleonische Zeit verweist. Trotzdem sei kein Rheinländer bereit, die Zugehörigkeit zu Preußen mit einer anderen zu vertauschen.475 Neben der Rechtfertigung der Rheinländer gegenüber dem König, die R ­ eumont aus eigenem Antrieb betrieb, erwartete Friedrich Wilhelm IV. von ihm, zur Akzeptanz seiner Herrschaft über das Rheinland beizutragen. Der aus Aachen stammende Diplomat sollte als Identifikationsfigur für die einheimische Bevölkerung dienen und die Verankerung 472

Vgl. Hüffer (1904), S. 145. Vgl. Günter Richter: Kleist-Retzow, Hans von, NDB 12 (1979), S. 28–29 [URL: http:// www.deutsche-biographie.de/pnd119283301.html], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 474 Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 437–438. 475 Ebenda, S. 440–441. 473

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des Rheinlandes im preußischen Staat demonstrieren. Der König hatte ihn nicht nur deswegen für seine Reise einbestellt, um ihm seine Gunst zu erweisen und von seinen Lokalkenntnissen zu profitieren, sondern vor allem, um ihn öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen und das königliche Wohlwollen gegenüber der einheimischen Bevölkerung zur Schau zu stellen. Als die Reisegesellschaft nach Aachen, ­ eumonts, kam, überreichte ihm der König beim Souper im in die Heimatstadt R Präsidialgebäude den Kammerherrnschlüssel.476 Nach der erfolgreichen Rheinlandreise, die zur Zufriedenheit des Königs ver­ laufen war,477 wurde R ­ eumont zum preußischen Ministerresidenten am großherzoglichen Hof von Toskana ernannt, was ihm, wie er Vieusseux gegenüber erklärte, eine definitive Position im diplomatischen Dienst verschaffte und ihm Hoffnung auf eine dauerhafte Stellung in Florenz machte.478 4. Risorgimento und romantisches Italienerlebnis: Zwischen den Höfen Leopolds II. von Toskana und Friedrich Wilhelms IV. von Preußen In den Jahren als Ministerresident am großherzoglichen Hofe von Toskana verbrachte ­Reumont seine Urlaube meist in der Nähe des Königs. Während der Sommer 1856 und 1857 verweilte er beim König in Marienbad: Vormittags las er ihm die eingehenden Gesandtenberichte vor, während er abends über italienische Geschichte referierte.479 Damit war er auf dem Höhepunkt seiner diplomatischen Karriere angelangt. Er war in den Beraterkreis des Königs aufgestiegen und seine Einschätzungen über italienische Kultur und Politik wurden von Friedrich Wilhelm IV. sehr geschätzt. Zugleich war er mittlerweile Baron und Kammerherr des Königs und war dadurch auch an seinem Einsatzort am großherzoglichen Hof von Toskana als Ministerresident auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt – und zwar an dem Ort, den er als seine zweite Heimat betrachtete. Dieses Glück sollte jedoch nicht von langer Dauer sein. Mit dem Schlaganfall Friedrich Wilhelms IV. am 6. Oktober 1857 sollte sich ­Reumonts Position zunehmend verschlechtern. Als Mitglied des engeren Beraterkreises kam ihm zwar die Aufgabe zu, zur Genesung des Königs durch italienische Zerstreuung beizutragen, indem er ihn von Juli 1858 bis April 1859 auf den Reisen nach Tegernsee, Meran, Rom und Neapel begleitete,480 jedoch war er

476 Ebenda, S. 443; Jedin (1973), S. 104; Hüffer (1904), S. 145; BNCF Vieuss. C. V. 89,49, ­Reumont an Vieusseux, Sanssouci, 10. Oktober 1855. 477 BNCF Vieuss. C. V. 89,49, ­Reumont an Vieusseux, Sanssouci, 10. Oktober 1855. 478 Ebenda, 52, ­Reumont an Vieusseux, Sanssouci, 14. September 1856. 479 Vgl. Jedin (1973), S. 104; Hüffer (1904), S. 146–149; Alfred von R ­ eumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 453–484. 480 Vgl. Jedin (1973), S. 104; Hüffer (1904), S. 150–153; Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 485–570.

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sich darüber im Klaren, dass mit dem Rückzug des Königs aus der aktiven Politik auch seine persönliche Karriere in Gefahr war. Gegenüber Karl Witte erklärte er: „Wird es nicht besser, wie ganz anders gestaltet sich dann Alles für mich! Ich empfinde es nur zu sehr, mit meiner Freude im und am dienstlichen Verhältnisse ist’s aus. Niemand u nichts auf der Welt kann mir ersetzen was ich verliere. Ich schreibe dem Könige fortwährend, auf seinen eigenen wie auf der Königin Wunsch – wie trübe aber ist dabei oft die Stimmung! Gott besser’s!“481

­Reumont stand kurz davor seinen entscheidenden Förderer zu verlieren und befand sich mit seiner Diplomatenlaufbahn in einer Sackgasse. Nach dem Schlaganfall des Königs wurde die Stellvertretung zunächst für drei Monate dem Prinzen von Preußen übertragen, ehe Prinz Wilhelm am 7. Oktober 1858 die Regentschaft übertragen wurde. In dieser Zeit wurde ­Reumont nach Rom beordert, um den dortigen beurlaubten Gesandten von Thile zu vertreten.482 Allerdings schrieb ­Reumont seine römischen Depeschen von November 1857 bis April 1858 nicht etwa an das Außenministerium, sondern an den König persönlich, der zu dieser Zeit gar nicht die Regierungsgeschäfte führte.483 Dies zeigt deutlich die prekäre Situation, in der sich R ­ eumont zu dieser Zeit befand. Seine Einschätzungen zur italienischen Situation drohten in den Hintergrund zu geraten, da sie in erster Linie der „Unterhaltung“ des kranken Königs dienen sollten. Der Prinzregent definierte ­Reumonts Aufgabe für diese Zeit jedenfalls in diesem Sinne. Bereits am 10. November schrieb er ihm: „Ich hoffe, man zieht Sie in die Gesellschaft des Königs, da Sie es verstehen würden, seinem lebendigen Geiste Nahrung zu gewähren, ohne ihn zu überlasten.“484

Damit war ­Reumont zunächst einmal ehrenvoll ins Abseits gestellt, worüber er sich selbst am besten im Klaren war. Tatsächlich waren seine Depeschen in dieser Zeit allein auf die Ansichten und Bedürfnisse des Königs zugeschnitten. ­Reumont beschränkte sich darauf, den wesentlichen Verlauf der Politik zu skizzieren, ohne tiefgründige Analysen der politischen Situation zu bieten, geschweige denn Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Es ging vielmehr darum, den König in seinen eigenen Einschätzungen zu bestätigen, anstatt ihn zu beunruhigen. Mit der Absicht, den König nicht zu überfordern, ist wohl auch die sehr vereinfachte und einseitige Darstellung der Situation des Kirchenstaates zu erklären, obwohl ­Reumont zuvor, an anderer Stelle über die dortigen schwerwiegenden Probleme gesprochen und darauf hingewiesen hatte, dass die päpstliche Regierung dort kaum noch über nennenswerten Rückhalt verfüge.485 Ganz anders sah dies unter den gegenwärtigen Umständen aus. Nun räumte ­Reumont lediglich ein, dass die Administration nach wie vor reformbedürftig sei, dass dies jedoch infolge der durch die Revolution ver 481

NL ­Reumont, S 2746, Nr. 79: ­Reumont an Witte, Rom, 12. März 1858. Vgl. Jedin (1973), S. 104; Hüffer (1904), S. 150–153. 483 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81, Vatikan, Nr. 117: Berichterstattung des Ministerresidenten von ­Reumont, Nov. 1857 – Apr. 1858. 484 Hüffer (1904), S. 150. 485 Vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 112–115. 482

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ursachten Schäden, trotz des guten Willens Pius’ IX., nur langsam zu bewältigen sei. Dabei sei jedoch die Provinzialverwaltung durch Kardinallegaten beizubehalten, da sie der besonderen historischen Tradition des Kirchenstaates geschuldet und somit durch die Geschichte gerechtfertigt sei.486 Eine eingehende Analyse der politischen Vorgänge auf der italienischen Halbinsel sucht man in diesen Berichten jedoch vergeblich. Bis zum Jahre 1859 schien ­Reumont auch keine besondere Überzeugungsarbeit gegenüber Außenminister von Schleinitz leisten zu müssen, da sie in der Bewertung der italienischen Situation bis dahin weitgehend übereinstimmten. Obwohl es Cavour durch die Beteiligung Sardinien-Piemonts am KrimKrieg (1853–1856) auf Seiten Frankreichs, Großbritanniens und des Osmanischen Reiches gegen Russland gelungen war, während des Pariser Kongresses die italienische Frage zumindest auf inoffiziellem Wege zur Sprache zu bringen und eine gegen Österreich gerichtete Lösung vor europäischem Publikum in den Raum zu ­ eumont, eine preußische Unterstütstellen,487 lehnte von Schleinitz, genauso wie R zung der cavourschen Nationalpolitik ab. Trotz der Kommentare einiger liberaler Blätter, wie dem Grenzboten, die eine Unterstützung Cavours forderten, blieb die preußische Außenpolitik konservativ bestimmt und schloss gegenüber piemontesischen Anfragen nicht aus, sich im Falle eines Kriegsausbruchs auf die Seite Österreichs zu stellen.488 Allerdings war ­Reumont nicht entgangen, dass sich auf der italienischen Halbinsel die Stimmung zunehmend zugunsten Sardinien-Piemonts entwickelte und die Hoffnungen der Nationalbewegung vornehmlich auf dessen militärischer Stärke ruhten, um Österreich aus Italien zu vertreiben. Obwohl es innerhalb der toskanischen Moderati traditionelle Vorbehalte hinsichtlich einer piemontesischen Führungsrolle beim Nationalstaatsprojekt gab,489 fand in der zweiten

486

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81, Vatikan, Nr. 117: Berichterstattung des Ministerresidenten von ­Reumont, Nr. 37: ­Reumont an den König, Rom, 14. April 1858: „Il-y-avait avant-hier huit ans depuis le retour de Pie IX de Gaëte. En jetant un regard rétrospectif sur l’époque qui nous sépare du 12 Avril 1850, l’on ne saurait refuser le témoignage de bonne volonté, d’activité & d’habilité. Il faut avoir été témoin, comme moi, de la confusion de 1848, de la dissolution de 1849, des embarres de toute espèce et du manque de la liberté d’action de 1850, pour apprécier ce qui s’est fait depuis lors. […]. Il s’agissait de reconstituer l’administration & l’armée, de restaurer les finances, de refaire tout ce que la révolution avait défait. Certes, beaucoup de choses sont, aujourd’hui encore, bien-incomplètes ou imparfaites. Il en est ainsi de l’administration provinciale, tout le provisoire n’a point encore entièrement cessé. On a blâmé la nomination de cardinaux – légats en Romagne connus en retour à l’ancien système: mais pour qui connaît les traditions & l’état de ces provinces, il est évident que c’est là l’organisation qui leur convient d’avantage. La Romagne se trouvera toujours mieux sous le régime des Cardinaux que sous celle de préfets ou prolégats laïques.“ 487 Vgl. Rusconi (2013), S. 25–30. 488 Vgl. ebenda, S. 32–34. 489 So stand Gino Capponi einer piemontesischen Führungsrolle skeptisch gegenüber. In einem Brief an Carlo Matteucci stellte er klar: „Dunque, a me pare che in quanto all’unione convenga farla di fatto, perché a volere mettere tutti d’accordo si starebbe freschi: ma poi, siccome monarchia non si può far tollerare oggi se non si faccia base larghissima, è necessario accomodarsi alle istituzioni che verranno fuori, e soprattutto mostrare che si vuol mettere il Piemonte in Ita-

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Hälfte der 1850er Jahre ein Umdenken statt. Um sich des zunehmend als reaktionär und unfähig dargestellten Leopold II. zu entledigen und sich aus der Rolle eines österreichischen Satellitenstaates zu befreien, zu dem sie die mit Österreich abgeschlossene Militärkonvention degradierte, erkannten die toskanischen Moderati die piemontesische Führungsrolle immer offener an.490 Als ein deutliches Signal in dieser Hinsicht konnte die historische Würdigung des savoyischen Königshauses im Archvio Storico Italiano durch ­Reumonts guten Bekannten Leopoldo Galeotti gesehen werden.491 Dies mag zunächst lediglich eine Warnung an die Adresse des Großherzogs gewesen sein, der immer weniger als Garant der toskanischen Autonomie erscheinen musste, sondern vielmehr als Erfüllungsgehilfe österreichischer Interessen, denen die Toskana seit der österreichischen Besatzung unterstellt wurde.492 Die Botschaft war indes eindeutig. Kurz vor ­Reumonts Abreise aus Italien im Juli 1858 zum König an den Tegernsee, hatte er noch einmal Gelegenheit, seine Bekannten zu einem gemeinsamen Essen in Florenz zu treffen. Dabei waren neben dem hier erwähnten Autor der Geschichte der Savoyer, Leopoldo Galeotti zudem Massimo d’Azeglio, Diomede Pantaleoni, Gian Pietro Vieusseux und Pietro Capei anwesend.493 Dies war eine gute Gelegenheit, die unterschiedlichen Meinungen, die damals unter den Moderati kursierten, zu erfahren: Während Capei einer nationalstaatlichen Einigung grundsätzlich skeptisch gegenüberstand, setzten Galeotti, Pantaleoni und Vieusseux ihre Hoffnungen mittlerweile in die Führungsrolle Sardinien-Piemonts – nicht zuletzt wegen der aktiven Beteiligung ihres Freundes d’Azeglio an der piemontesischen Politik, der bis dato mit Cavour zusammen­ eumont mit den Debatten innerhalb der italienischen Füharbeitete.494 Obwohl R rungsschichten also durchaus vertraut war, konnte er sich nicht vorstellen, dass sie für Forderungen, die er persönlich ebenfalls für gerechtfertigt hielt, einen illegitimen Weg einschlagen und sich der aggressiven Außenpolitik Sardinien-Piemonts anschließen würden.495 Vielmehr hoffte er darauf, dass die Moderati sich darum

lia e non l’Italia in Piemonte.“ – Alessandro Carraresi (Hrsg.): Lettere di Gino Capponi e di altri a lui II, Florenz 1886, Nr. 417, Gino Capponi an Carlo Matteucci, Florenz, 25. Mai 1848, S. 401–403, hier S. 403); vgl. Paolini (2004), S. 77. 490 Vgl. Kroll (1999), S. 348–365. 491 Leopoldo Galeotti: La Monarchia di Casa Savoja, Archivio Storico Italiano 6,1 N. S. (1857), S. 44–102; vgl. dazu Kroll (1999), S. 350. 492 Vgl. Coppini (1991), S. 194–198. 493 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 81: ­Reumont an Witte, Tegernsee, 29. Juli 1858. 494 Vgl. auch S. 43 und 79; P. Treves: Capei, Pietro, DBI 18 (1975) [URL: http://www.treccani. it/enciclopedia/pietro-capei_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; Walter Maturi: Azeglio, Massimo Taparelli d’, DBI 4 (1962) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/ massimo-taparelli-d-azeglio_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 495 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 9, Florenz (Rom), 28. Februar 1859, Blatt 67–78; vgl. auch Cataluccio (1959), Doc. 24 – ­Reumont al Principe Reggente (Roma, 28 febbraio 1859) S. 367–375; tatsächlich geht auch Coppini (1991), S. 188–189 davon aus, dass Galeotti vor Villafranca fest auf der Autonomie der Toskana beharrte.

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bemühen würden, den italienischen Nationalstaat auf der Grundlage internationaler Verträge zu verwirklichen, um diesem zugleich eine rechtliche Absicherung für die Zukunft verleihen zu können. Dies musste für ­Reumont zugleich auch ein persönliches Anliegen sein. Denn die Außenpolitik unter Friedrich Wilhelm IV., wie ­Reumont sie kennengelernt hatte, stellte noch das Prinzip der Legitimität über jegliche realpolitischen Erwägungen, die in einem Zusammengehen Preußens mit Sardinien-Piemont im Zeichen des Nationalprinzips eine Möglichkeit sahen, die Stellung Preußens gegenüber Österreich im Deutschen Bund zu stärken.496 Da er selbst jedoch die nationale Unabhängigkeit Italiens durch einen Abzug Österreichs begrüßte, hoffte er darauf, dass man einen Weg finde, diese im Einklang mit internationalem Recht zu verwirklichen, sodass auch Preußen dieser ohne Vorbehalte zustimmen könne. Im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung befürchtete er jedoch, dass ein geeintes Italien keine Zukunft haben werde, und ihm selbst die undankbare Aufgabe zukommen werde, die Politik Preußens in Italien zu vertreten, die durch die Einhaltung internationaler Verträge zu einem Waffengang auf Seiten Österreichs gezwungen sein könnte. Eine derartige Situation hätte R ­ eumont innerlich zerrissen. Schließlich fühlte er sich der Toskana persönlich verbunden, deren Wohl er am besten in einer nationalen Konföderation gewährleistet sah. Just während der Tage, als ­Reumont beim König in Tegernsee weilte, traf Cavour am 22. Juli 1858 den Prinzregenten in Baden-Baden, um ihn, nicht zuletzt unter Rückgriff auf den preußischen Gesandten in Turin, Anton Brassier de Saint Simon, davon zu überzeugen, dass Preußen und Piemont „natürliche Verbündete“ seien, da sie sich mit dem gleichen Feind, Österreich, auseinanderzusetzen hätten.497 Obwohl ein Teil der liberalen Öffentlichkeit diese Ansicht teilte, fühlte sich der Prinzregent, wie auch Außenminister von Schleinitz, weiterhin der Legitimität verpflichtet, freilich ohne die Vorteile einer möglichen Allianz, oder zumindest einer wohlwollenden Neutralität zu ignorieren. Trotzdem galt eine Politik unter Rückgriff auf revolutionäre Elemente als unter keinen Umständen vertretbar – auch wenn sie politische Vorteile mit sich bringen könnte.498 Allerdings stand es außer Frage, dass sich mit einer endgültigen Übertragung der Regierungsgeschäfte an den Prinzregenten die Situation ändern würde. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Brüdern hinsichtlich der Außenpolitik, einer Orientierung an den alten Verbündeten Österreich und Russland, oder wie es der Prinzregent bevorzugte, eine Neuausrichtung auf Großbritannien hin, waren im Beraterkreis des Königs bekannt. In dieser Zeit betätigte sich R ­ eumont als ständiger Reiseführer des kranken Königs. Sein enges Verhältnis zum König, das ihm überhaupt seine Karriere ermöglicht hatte, wurde in dieser Zeit zu einer ernsthaften Belastung, da er während der

496

Vgl. Rusconi (2013), S. 32. Vgl. ebenda, S. 49–50. 498 Vgl. ebenda, S. 53–59. 497

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Betreuung des Königs nur wenig Zeit finden musste, sich mit diplomatischen Angelegenheiten zu befassen.499 Schon zu Beginn des folgenden Jahres gewann jedoch die diplomatische Berichterstattung aus Italien für das preußische Außenministerium erheblich an Bedeutung. Die Spannungen zwischen Frankreich und Sardinien-Piemont auf der einen Seite und Österreich auf der anderen traten nun deutlich vor Augen. Am Neujahrstag hatte Napoleon III. dem österreichischen Botschafter Baron von Hübner auf diplomatische Weise zu verstehen gegeben, dass sich die Spannungen zwischen Österreich und Frankreich zunehmend verschärften.500 Noch wesentlich deutlicher wurde dies, als Viktor Emanuel die Parlamentssession eröffnete, indem er auf die vor sich gehenden diplomatischen Turbolenzen anspielte und deutlich machte, dass sich die piemontesische Politik von der Vaterlandsliebe leiten lassen werde. Diese Politik werde nicht frei von Gefahren sein, da sie, obgleich Verträge respektierend, den „Schmerzensschrei“ aus vielen Teilen Italiens nicht ignorieren könne.501 Angesichts dieser zunehmenden Verschärfung der Situation in Italien rückten auch für das preußische Außenministerium die Berichte der Gesandtschaften in Italien in den Blickpunkt. Mit seiner Ansprache hatte der König von Sardinien noch einmal deutlich gemacht, dass die piemontesische Politik entschlossen das Prinzip der Nationalität verfechten werde. Die Andeutung, dass man zwar Verträge respektieren werde, aber sich den Forderungen aus den anderen Teilen Italiens nach einer Führungsrolle Sardinien-Piemonts bei einer nationalstaatlichen Einigung Italiens nicht verschließen könne, war eine deutliche Drohung an die Adresse Österreichs. Denn die piemontesische Führungsrolle bei einer nationalstaatlichen Einigung leitete sich neben der Tatsache, dass Sardinien-Piemont der einzige italienische Staat war, der nach 1848 an seiner Verfassung, dem Statuto Albertino festgehalten hatte, vor allem aus dessen militärischer Stärke ab. Darüber waren sich auch die verantwortlichen Akteure im preußischen Außenministerium im Klaren und betrachteten die Entwicklungen mit umso größerer Sorge, als sie einen für Sardinien-Piemont erfolgreichen Krieg als bedeutenden Machtzuwachs Napoleons III. betrachteten.502 Trotz der zuvor schon längst bestehenden Spannungen wurde sich die europäische Diplomatie erst in jenen Tagen bewusst, dass ein Krieg tatsächlich drohend bevorstand.503 Von Schleinitz selbst hatte erst im Dezember 1858 von den zwischen Cavour und Napoleon III. geschlossenen Vereinbarungen von Plombières erfahren, die auf die Provokation eines gemeinsamen Krieges gegen Österreich zielten und noch im Dezember 1858 in einen entsprechenden Geheimvertrag gemündet wa-

499 Zu dieser Zeit vgl. Hüffer (1904), S. 151–152; außerdem R ­ eumont eigenen Bericht: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 523–570. 500 Candeloro (2011), Bd. 4, S. 296. 501 Ebenda, S. 297. 502 Vgl. Rusconi (2013), S. 68–69. 503 Vgl. Arnold Blumberg: A carefully planned accident. The Italian War of 1859, London /  Toronto 1990, S. 54–60.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

ren.504 Allerdings scheint ­Reumont davon zunächst nichts erfahren zu haben. Gegenüber Vieusseux wurde er zwar nicht müde, die von Sardinien-Piemont ausgehenden Provokationen gegenüber Österreich zu kritisieren und vor den unabsehbaren Folgen zu warnen, wenn die Situation eskalieren sollte, jedoch schien er zunächst noch Hoffnungen zu haben, dass sich die Gemüter beruhigen würden. Erst Anfang März zweifelte er den Sinn möglicher Vermittlungsversuche an, und bekräftigte stattdessen seine Überzeugung, dass sich Napoleon III. und Cavour durch nichts davon abbringen lassen würden, Szenarien zu schaffen, die früher oder später zum Krieg führen müssten.505 Diese Strategie, so war sich R ­ eumont sicher, werde jedoch keineswegs von Erfolg gekrönt sein, da Preußen im Falle eines Angriffs auf die österreichischen Besitzungen in Italien zu einem Waffengang auf Seiten Österreichs gezwungen sein werde. Tatsächlich verfolgte sowohl die preußische als auch die russische Seite die Zuspitzung der italienischen Frage mit Unbehagen, da ein siegreich geführter Krieg gegen Österreich eine Ausweitung der französischen Einflusssphäre bedeutete. Obwohl Cavour bereits intensiv versucht hatte, die preußische Führung von einem italienischen Unabhängigkeitskrieg zu überzeugen, betrachteten diese die politische Vorbereitung eines Krieges um die Lombardei als französisches Projekt und ein beträchtlicher Teil der öffentlichen Meinung der deutschen Staaten sah darin die Gefahr, dass der Mincio überquert werde und damit als deutsch betrachtetes Gebiet verloren gehen würde.506 Deswegen verwundert es nicht, dass Außenminister von Schleinitz, nachdem die Kriegsvorbereitungen Cavours und Napoleons III. bekannt geworden waren in der Sitzung des Kronrates vom 27. Februar 1859 dargelegte, dass ein Angriff auf Österreichs italienische Provinzen unter französischer Beteiligung, Preußen zum Waffengang auf Seiten Österreichs zwingen werde und anmahnte, sich möglichst lange in Absprache mit Großbritannien neutral zu verhalten und eine diplomatische Vermittlung anzustreben.507 Großbritannien selbst vertrat eine ähnliche Position und schien im Falle eines Angriffs auf die österreichischen Besitzungen in Italien eine Unterstützung Österreichs aus politischer Notwendigkeit für geboten zu halten. Nicht zuletzt Königin Viktoria hatte deutlich gemacht, dass ein von Frankreich angezettelter Krieg nicht hinnehmbar sei.508 Eben vor dem Hintergrund, dass sich das europäische Konzert zur Verteidigung des Legitimitätsprinzips und der Wiener Beschlüsse eher auf die 504 Vgl. ebenda, S. 54–55; Beatrix Mesmer (Hrsg.): Napoleon III. und die italienische Einigung (Quellen zur neueren Geschichte, Heft 30), Bern 1969, S. 24–26. 505 BNCF Vieuss. C. V. 89,87, ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 14. Februar 1859; 88, Kapitol, 28. Februar 1859; 89, Rom, 8. März 1859. 506 Vgl. Rusconi (2013), S. 34–36. 507 Vgl. Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871, Erste Abteilung: Vom Beginn der Neuen Ära bis zur Berufung Bismarcks, bearb. von Christian Friese (= Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871, Diplomatische Aktenstücke hrsg. von der Historischen Reichskommission unter Leitung von Erich Brandenburg, Otto Hoetzsch und Hermann Oncken, Bd. 1), Oldenburg 1933, Nr. 162: „Protokoll über die Sitzung des engeren Kronrats“, 27. Februar 1859, S. 274–284; vgl. Katharina Weigand: Österreich, die Westmächte und das europäische Staatensystem nach dem Krimkrieg (1856–1859), Husum 1997 (zugl. Diss. Würzburg 1995), S. 304–305. 508 Vgl. Blumberg (1990), S. 69 und 76–77.

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Seite derjenigen Partei stellen würde, die den status quo verteidigte, also nach Ansicht der europäischen Diplomaten das von Frankreich und Sardinien-Piemont attackierte Österreich, versuchten Cavour und Napoleon III. Österreich zu einem Krieg zu provozieren, um es ins Unrecht zu stellen.509 Obwohl zunächst die Bedingungen für den gewünschten Krieg noch nicht gegeben waren, hatte Cavour Anfang Februar einen Teil der toskanischen Moderati über den piemontesischen Gesandten in Florenz, Carlo Boncompagni darüber informieren lassen, dass ein Krieg gegen Österreich schon in wenigen Wochen zu erwarten sei.510 Diese Information hatte jedoch offenbar nicht alle ­Moderati erreicht: Gino Capponi, eigentlich eine der führenden Persönlichkeiten der toskanischen Elite, ging noch Ende Februar gegenüber Boncompagni von einem nahenden europäischen Kongress über die italienische Frage aus.511 Dabei erkannte er aber bereits die Vorreiterrolle Sardinien-Piemonts an, da es, im Gegensatz zur Toskana, die nach der Rückkehr des Großherzogs 1849 von österreichischen Truppen besetzt wurde, noch immer unabhängig sei. Denn eine nationale Einigung, die die traditionellen regionalen Institutionen schütze, könne nur mit Hilfe eines unabhängigen italienischen Teilstaates vorangetrieben werden. Folglich sei die Stimme Sardinien-Piemonts tatsächlich die rechtmäßige Stimme Italiens.512 Dabei handelte es sich nach den Vorstellungen der toskanischen Moderati freilich nur um eine vorläufige Führungsrolle. Nach der erreichten nationalen Unabhängigkeit sollten die einzelnen Teilstaaten ihre Autonomie nämlich beibehalten.513 Ob ­Reumont selbst im Februar 1859 von einem nahe bevorstehenden Krieg wusste, ist nicht zu ermitteln. Allerdings erkannte er durchaus die gravierenden Probleme, vor die sich die österreichische Herrschaft in Italien gestellt sah. In seiner ausführlichen Analyse der italienischen Frage, die er am 28. Februar 1859 an den Prinzregenten sandte,514 rekapitulierte er die italienische Geschichte in groben 509

Vgl. Cavours Bericht an König Viktor Emanuel II. über seine Unterredung mit Napoleon III. in Plombières am 20. Juli 1858, zitiert bei Günther Schönbrunn (Hrsg.): Das bürgerliche Zeitalter 1815–1914 (Geschichte in Quellen, Bd. 5), München 1980, S. 279–281. 510 Vgl. Kroll (1999), S. 359; zum ereignisgeschichtlichen Rahmen: Sergio Camerani: La Toscana alla vigilia della rivoluzione, Archivio Storico Italiano 103–104 (1945–1946), S. 113–183; Raffaele Ciampini: La Toscana alla vigilia del 27 aprile 1859, Nuova Antologia 94 (1959), S. 433–444; Arnaldo Salvestrini: I moderati toscani e la classe dirigente italiana (1859–1876), Florenz 1965, S. 1–62; Candeloro (2011), Bd. 4, S. 335–342. 511 Alessandro Carraresi: Lettere di Gino Capponi e di altri a lui, Bd. 3, Florenz 1884, Nr. 561: Al commendatore Carlo Boncompagni, S. 235–240. Da es sich um eine Briefedition handelt, in der politisch brisante Inhalte an anderen Stellen, wie z. B. den Briefen ­Reumonts an Capponi, zensiert worden sind, besteht auch in diesem Fall die Möglichkeit, dass unangenehme Stellen nachträglich getilgt worden sind. Ein Hinweis darauf könnte die Anmerkung sein, die Capponi dem Schreiben 1875 hinzufügte, in der er noch einmal ausdrücklich betonte, nichts von dem nahenden Krieg gewusst zu haben. 512 Ebenda. 513 Vgl. Kroll (1999), S. 378–379. 514 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 9, Florenz (Rom), 28. Februar 1859, Blatt 67–78; auch zitiert bei: Cataluccio (1959), hier Doc. 24 – ­Reumont al Principe Reggente (Roma, 28 febbraio 1859), S. 367–375.

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Zügen und zeigte auf, dass ein italienisches Nationalgefühl schon immer vorhanden gewesen, aber stets von ausländischen Mächten unterdrückt worden sei. Die Wiener Beschlüsse hätten dem nicht Rechnung getragen, sondern lediglich die französische durch die österreichische Herrschaft ersetzt. Dabei hätten die Italiener schon seit dem Mittelalter für eine Konföderation der italienischen Staaten gekämpft, weshalb diese Form der nationalen Einigung keineswegs eine moderne Forderung sei. Zurzeit erschienen die Österreicher jedoch als das Haupthindernis für jegliche nationalen Projekte. Um einen Krieg zu verhindern, gelte es nun, den nationalen Forderungen gerecht zu werden, indem Föderationsprojekte, oder zunächst eine italienische Zollunion verwirklicht werden sollten. Jedoch sei Österreich bereits so stark diskreditiert, dass selbst von den Italienern gewünschte Projekte keine Zustimmung finden würden, wenn sie von Österreich betrieben werden. Dabei führt R ­ eumont einen entscheidenden Punkt an, der Österreich dauerhaft diskreditiert habe: Die zentralistische Administration, insbesondere in Lombardo-Venetien, die eben nicht den italienischen Lokaltraditionen entspreche, habe zur unversöhnlichen Ablehnung der Führungsschichten geführt. Diese Situation sei durch die schlecht organisierten Revolutionen von 1820–21 im Königreich beider Sizilien und Sardinien-Piemont noch verschärft worden. Nach ihrer Niederschlagung sei im Zeichen der Restauration der österreichische Einfluss noch vergrößert worden. Wobei unter dem Namen Restauration eigentlich gar keine Wiederherstellung vorheriger Zustände vollzogen, sondern vielmehr moderne Strukturen ohne historisches Fundament geschaffen worden seien. Auch gegenüber dem moderaten liberal-katholischen Gedankengut, wie es Cesare Balbo vertrat, verhielten sich die Österreicher ablehnend. Die Folge waren 1848 die Cinque Giornate und die daran anschließenden beiden Kriege gegen Karl Albert von Sardinien-Piemont, die Österreich teuer erkaufte militärische Siege einbrachten, ihre Akzeptanz seitens der italienischen Bevölkerung jedoch dramatisch verringerten. Folglich kam ­Reumont zu dem Ergebnis, dass Österreich durch die Behauptung seiner italienischen Besitzungen nichts gewonnen habe und auch nichts mehr gewinnen werde: Der Aufwand diese zu halten stehe in keinem gesunden Verhältnis zum Nutzen. Letztlich, so deutete es ­Reumont an, liege ein Abzug sogar im österreichischen Interesse. Diese Einschätzung war durchaus treffend. Dass die Österreicher durch die Schaffung moderner zentralistischer Verwaltungsstrukturen unter Ignorierung der jeweiligen Lokaltraditionen die italienischen Führungsschichten gegen sich aufbrachten, entspricht auch dem heutigen Forschungsstand. Sowohl im Großherzogtum Toskana kämpfte das lokale Patriziat gegen den zentralistischen Beamtenstaat für eine Munizipalreform nach dem Vorbild der mittelalterlichen Stadtrepublik,515 als auch in Lombardo-Venetien, wo der dortige Adel ebenfalls durch die Schaffung einer Beamtenlaufbahn aus dem Staatsdienst gedrängt wurde und darüber hinaus vielfach seine Adelstitel von den österreichischen Behörden nicht anerkannt bekam, weil die habsburgische Adelsgesetzgebung keine Verheiratung mit Bürger 515

Vgl. Kroll (1999).

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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lichen vorsah, während der Großteil des lombardo-venezianischen Adels eheliche Verbindungen mit dem dortigen Bürgertum eingegangen war.516 Auch wenn ­Reumont in seinem Bericht nicht en detail auf die Auseinandersetzung zwischen Adel und habsburgischem Verwaltungsstaat einging und diesen Konflikt lediglich durch den Tadel des Zentralismus und den Verweis auf die italienischen Munizipaltraditionen beschrieb, hatte er die wichtigste Konfliktlinie, die für das italienische Risorgimento von entscheidender Bedeutung werden sollte, richtig erkannt und beim Namen genannt. Auch die daran anschließende Beschreibung der Rolle Sardinien-Piemonts kann als zutreffend gelten. So erklärte R ­ eumont, dass Sardinien-Piemont sich nach der Niederschlagung der Revolutionen der Jahre 1848/49 erfolgreich und unangefochten an die Spitze der Nationalbewegung gestellt habe, weil es als einziger Staat an der erlassenen Verfassung, dem Statuto Albertino, festgehalten habe und weiterhin eine dezidiert nationale Politik verfolge. Dadurch lasse es den Österreichern keine Möglichkeit mehr, eine erfolgreiche Versöhnungspolitik zu betreiben, da Sardinien-Piemont in der italienischen öffentlichen Meinung stetig an Vertrauen gewonnen habe und nun ganz Italien seine nationalen Hoffnungen auf das Haus Savoyen setze, das das eigene Schicksal wie keine andere Dynastie mit dem Schicksal Italiens, im Triumph wie in der Niederlage, verbunden habe. Deswegen sei die nationale Partei mittlerweile mit der piemontesischen gleichzusetzen, die auch in der Toskana stetig wachse. Durch Ausnutzung des Krim-Krieges habe es die piemontesische Regierung verstanden, sich vor der europäischen Öffentlichkeit als Vertreter der gesamtitalienischen Interessen zu inszenieren. Dabei gehe es in Wirklichkeit gar nicht so sehr um Reformen in den anderen Staaten, vor allen Dingen dem Kirchenstaat, die man von piemontesischer Seite immer wieder fordere, sondern in erster Linie darum, Unzufriedenheit zu schüren, um die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Letztlich handele es sich um den Antagonismus zwischen dem Prinzip der italienischen Nationalität und der österreichischen Vorherrschaft. Dabei seien die Piemontesen, auch wenn sie mittlerweile an der Spitze der italienischen Nationalbewegung stehen, auf fremde, namentlich französische Hilfe angewiesen, sodass man – wie so häufig in der italienischen Geschichte – erneut Gefahr laufe, von einer Abhängigkeit in die nächste zu geraten. Trotzdem habe die österreichische Vorherrschaft keine Zukunft. Zwar zeige die Landbevölkerung keinerlei Ablehnung gegenüber den Österreichern, jedoch sei dies eben nicht derjenige Teil der Bevölkerung, der die politischen Geschicke Italiens bestimme – diese werden vielmehr in den Städten bestimmt. Die führende Kraft seien stattdessen die Moderati, unter denen es zwar auch eine Minderheit von Utopisten gebe, und die durchaus dazu neigten, Schwäche gegenüber der Revolution zu zeigen, jedoch in ihrer Mehrzahl als besonnen gelten. Außerdem, so war sich ­Reumont sicher, lehnten sie in der

516 Vgl. Meriggi (1983), S. 139–144; Ders.: Der Lombardo-Venezianische Adel im Vormärz, S. 225–236.

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Mehrheit einen möglichen Krieg ab. Hinsichtlich seiner toskanischen Bekannten kam er deswegen zu der insgesamt positiven Einschätzung: „Mais je répète ce que j’ai avancé tant de fois, que dans la plus grande partie de l’Italie centrale, surtout en Toscane, ce parti est le seul qui ait une véritable vie & force & un avenir, le seul qui réunisse un nombre considérable d’hommes capables, le seul qui soit conforme aux traditions, à l’esprit, aux besoins du pays. Grâce à un heureux mélange de qualités dans le caractère de la population toscane, les opinions extrêmes n’y ont jamais longtemps prévalu.“517

Diese Partei sei es schließlich gewesen, die so besonnen reagiert habe, Guerrazzi 1849 abzusetzen und den Großherzog zurückzurufen. Insofern habe sie bewiesen, dass auf sie als Ordnungspartei letzten Endes Verlass sei – wenngleich die anschließende Besetzung der Toskana durch österreichische Truppen zu einem schweren ­ eumont hinsichtVertrauensverlust geführt habe. Trotz dieser Probleme war sich R lich der Politik der Moderati sicher: „Instruit par les malheurs de 1848–49, averti par les déceptions des années suivantes qui ont porté et portent la peine de cette intervention de l’Autriche, qui, par elle-même comme par ses conséquences, a faussé à jamais la position du Grand-Duc, la parti en question ne songe pas, je crois, à hâter par des moyens illicites la victoire du principe national, & tout en se sentant attiré vers la Piémont, il reste assez Toscan pour ne pas poser en ennemi du Gouvernement.“518

Insofern betrachtete R ­ eumont die Position der Österreicher als prekär, wenngleich er zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einem Krieg ausging. Allerdings müssten die Österreicher ihre Italienpolitik radikal ändern, da andernfalls die Gefahr eines Krieges dauerhaft bestehen würde. Insgesamt kann ­Reumonts Depesche, abgesehen von seiner fehlenden Kenntnis der Kriegsvorbereitungen durch Cavour und Napoleon III. als durchaus zutreffend gelten. Er zeigte sich über die politischen Entwicklungen in Italien nicht nur gut informiert, sondern zeigte die Aussichten auf, die die Einführung des modernen Verwaltungsstaates durch die Österreicher in Italien mit sich brachte und wie die dadurch hervorgerufene Unzufriedenheit der führenden Schichten geschickt von der piemontesischen Politik aufgegriffen wurde. Allerdings wird in dieser Analyse auch eine ganz entscheidende Schwäche der ­ eumont’schen Sichtweise deutlich: Seine vornehmlich historische Bewertung R politischer Konstellationen, die ihn daran hinderten realpolitische Überlegungen der jeweiligen Akteure angemessen zu berücksichtigen. Dies wurde in der Bewertung der französischen Rolle in der italienischen Frage deutlich. In Napoleons III. 517 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 9, Florenz (Rom), 28. Februar 1859, Blatt 67–78; auch zitiert bei: Cataluccio (1959), hier Doc. 24 – ­Reumont al Principe Reggente (Roma, 28 febbraio 1859), S. 367–375. 518 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 9, Florenz (Rom), 28. Februar 1859, Blatt 67–78; auch zitiert bei: Cataluccio (1959), hier Doc. 24 – ­Reumont al Principe Reggente (Roma, 28 febbraio 1859), S. 367–375.

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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Zusammengehen mit Cavour sah er ein Abrücken von der Tradition französischer Außenpolitik. Schließlich habe diese in der Vergangenheit stets den piemonte­ sischen Einfluss zurückgedrängt. Dies sei nicht nur in der Zeit von Karl VIII. bis zu Heinrich II. so gewesen, sondern nicht zuletzt während der Französischen Revolution und des Napoleonischen Zeitalters, als Piemont regelmäßig geschlagen wurde. Deswegen konnte er das Vertrauen, das Cavour in Napoleon III. setzte nicht nachvollziehen, da eine Stärkung Piemonts in Italien einem Bruch mit der vorherigen Italienpolitik Frankreichs gleichkomme. Diese Grundannahme, dass historische Traditionen und internationale Verträge die entscheidende Grundlage für politische Entscheidungen bilden müssten, hinderten R ­ eumont daran, die Politik Cavours angemessen zu berücksichtigen, obgleich er die politischen und sozialen Konstellationen treffend erfasste. Mit seiner Annahme, dass innerhalb gemäßigt-liberaler Kreise letztlich keine Bereitschaft vorhanden sei, für nationale Prinzipien auch gegen internationale Verträge zu verstoßen stand ­Reumont innerhalb der europäischen Diplomatie keineswegs allein da. Seine Einschätzung, dass die Moderati 1849 mit der Vertreibung Guerrazzis und seiner Anhänger und dem Rückruf des Großherzogs sich als zuverlässige Garanten einer Nationalbewegung erwiesen haben, die die von internationalen Verträgen gesetzten Grenzen nicht überschreiten würden, teilte auch der französische Außenminister comte Alexandre de Walewski.519 Deswegen behielt ­Reumont die zeitgenössischen Flugschriften zwar im Auge, erklärte in seiner Depesche vom 13. März 1859 jedoch, dass trotz erhitzter Gemüter nichts zu befürchten sei, solange die Situation in den umliegenden Staaten ruhig bleibe.520 Obwohl er zuvor schon geäußert hatte, dass die einzige Möglichkeit einer nationalen Einigung diejenige einer Konföderation sei, räumte er ein, dass die Ideen Vincenzo Giobertis und Cesare Balbos, obgleich immer noch fortlebend, durch die Enttäuschungen der Jahre 1848/49 stark modifiziert wurden. Zur Veranschaulichung der liberalen Positionen führte ­Reumont zwei Denkschriften an: Ranallis Del riordinamento d’Italia521 und die neuste Schrift Salvagnolis. Zunächst gab ­Reumont die Thesen Ranallis wieder, die er als treffend, wenn auch als mitunter schwer umsetzbar bezeichnete. Danach sei ein nationaler Krieg gegen Österreich als unrealistisch zu betrachten, da ein Volk nur dann bereit sei, die Leiden eines Krieges zu ertragen, wenn es die realistische Aussicht auf eine nationale Unabhängigkeit habe – allerdings handle es sich in Anbetracht der zeitgenössischen Entwicklungen eher darum, die Abhängigkeit von Österreich mit der von Frankreich zu vertauschen. Deswegen sei das einzig erfolgversprechende Vorgehen eine schrittweise Einigung über föderative Institutionen, um sich anschließend einem Nationalstaat graduell anzunähern. Denn, so referierte R ­ eumont: 519 Vgl. Romano Paolo Coppini: Relazione introduttiva. Giuseppe Montanelli  e il Risorgimento, in: Rogari (2012), S. 17–29, hier S. 26–27. 520 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 9, Florenz (Rom), 13. März 1859, Blatt 79–83. 521 Ferdinando Ranalli: Del Riordinamento d’Italia, Florenz 1859.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

„L’indépendance, telle qu’on l’entend aujourd’hui, doit être le terme et non le commencement de l’entreprise ; la nationalité doit y conduire graduellement par l’union des Etats, qui, de son côté, doit se fonder sur la conformité des principes politiques. On peut arriver à ce but par la paix, si l’Autriche se décide à accorder à ses provinces italiennes les formes d’Etat indépendant ; on peut y arriver par la guerre, si, tout autre moyen étant épuisé, la guerre se fait de commun accord. En tout cas, il faut laisser le Pape dans sa liberté pleine & neutrale, sans prétendre qu’il participe à la guerre ou par les armes ou par les bénédictions, sans faire violence, comme on l’a fait en 48, à la nature du Pontificat.“522

Von Schleinitz verfolgte diese Ausführungen offenbar nach wie vor unter der Frage nach friedlichen Lösungsmöglichkeiten der italienischen Frage. Denn es war genau diese Passage über den friedlichen Lösungsansatz, den er in R ­ eumonts Bericht unterstrichen hatte: Die Forderung, dass Österreich seinen italienischen Provinzen die Form unabhängiger Staaten zugestehe. ­ eumont selbst den Ausbruch eines Krieges im Moment seines BeObwohl R richts noch für unwahrscheinlich hielt, referierte er auch die neueste Denkschrift Salvagnolis, nach der ein Krieg gegen Österreich unter Führung Frankreichs und Sardinien-Piemonts unumgänglich sei, um die italienische Unabhängigkeit zu erreichen. Die Wiener Beschlüsse stellten nach Salvagnoli kein Hindernis für einen Krieg dar. So stellte er klar: „On objecte les traités qui ont donné à l’Autriche la Lombardo-Vénétie : mais que valent les traités qui annullent [sic !] le premier élément d’une nation, l’indépendance ?“523

­Reumont bezeichnete dies als den resolutesten Angriff, den die österreichische Vorherrschaft in der Toskana jemals erfahren habe. In diesem Zusammenhang ist es allerdings bemerkenswert, dass ­Reumont die Denkschrift Ranallis an dieser Stelle ähnlich gewichtete wie jene Salvagnolis. Denn Ranallis Schrift fand gerade weil sie einen versöhnlichen Ton gegenüber der österreichischen Herrschaft in Italien anschlug, indem sie den durch einen Krieg erzwungenen österreichischen Abzug nicht zur conditio sine qua non erhob, keinen rechten Anklang und wurde von Teilen der Nationalbewegung als unpatriotisch abgelehnt.524 Indes machten der konziliante Ton gegenüber Österreich, verbunden mit der Ablehnung einer französischen Herrschaft in Italien die Schrift für das preußische Außenministerium interessant, wie ­ eumonts Depesche zeigen. die entsprechenden Markierungen von Schleinitz’ in R Schließlich schienen diese Überlegungen den Weg zu einer friedlichen Lösung der italienischen Frage aufzuzeigen. Genau dies waren auch die Hoffnungen R ­ eumonts, die er trotz der von ihm in der Toskana beobachteten Unruhen weiterhin hegte. Aber gegen Ende des Monats wurde ihm klar, dass die Kriegsplanungen schon weit

522 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 9, Florenz (Rom), 13. März 1859, Blatt 81v. 523 Ebenda, Blatt 83r. 524 Vgl. Pesendorfer (1987), S. 370.

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fortgeschritten waren. Tatsächlich hatte Cavour seinen Vertrauensmann Giuseppe La Farina, den Mitbegründer der Società Nazionale Italiana, die sich auf die Fahnen geschrieben hatte, in Zusammenarbeit mit dem Haus Savoyen die italienische Unabhängigkeit vor allen anderen Zielen zu verfolgen,525 dazu aufgefordert, in der Toskana aktiv zu werden. Cavour verlangte, Unruhen durch die Forderungen nach Nationalität, Unabhängigkeit und Freiheit zu schüren. Dabei sollte bewusst auf politische Inhalte verzichtet werden, um eine Spaltung der Bewegung, insbesondere unter den Liberalen zu vermeiden. Vor dem anvisierten Krieg galt es jedoch, den Ausbruch einer Revolution zu vermeiden, um den Österreichern keinen Vorwand zum Handeln zu bieten. Das Ziel bestand darin, den Druck auf Leopold II. schrittweise zu erhöhen. Zunächst sollte die Auflösung aller Verträge mit Österreich gefordert werden, anschließend eine Union der toskanischen mit der piemontesischen Regierung.526 Mittlerweile befand sich die gesamte Toskana in dem Bewusstsein, dass ein Krieg möglicherweise unmittelbar bevorstand. Mitte März hatte eine von piemontesischen Emissären unterstützte politische Mobilisierung stattgefunden, die für ein Bündnis der Toskana mit Sardinien-Piemont demonstrierte und den Moderati zu entgleiten drohte. Nachdem Leopold II. unbeirrt die Neutralität des Großherzogtums erklärt hatte, zu der es durch das Verteidigungsbündnis mit dem Habsburgerreich verpflichtet war, hatte der marchese Neri Corsini am 18. März den Großherzog in einem offenen Brief dringend darum ersucht, die Neutralität aufzugeben, da er nur auf diese Weise einen Bürgerkrieg verhindern könne, der das Haus Habsburg-Lothringen aus dem Lande vertreiben werde.527 Gino Capponi hielt daraufhin einen ­ eumont selbst verriet Karl Witte, dass sich baldigen Krieg für sicher,528 und auch R in der Toskana etwas zusammenbraute.529 Als dann schließlich Cosimo Ridolfi den Großherzog ersuchte, die Neutralität aufzugeben, um eine weitere Eskalation der internen Situation zu verhindern,530 war sich auch ­Reumont bewusst, dass Teile der Moderati entgegen seiner jüngsten Prognosen, offenbar doch bereit sein würden, für die nationale Unabhängigkeit einen Bruch des internationalen Rechts in Kauf zu nehmen. Für ihn stand es außer Frage, dass die Moderati mit dieser Vorgehensweise, den Großherzog unter Druck zu setzen und persönlich zu diskreditieren, den Demokraten Vorschub leisten würden, indem sie den Garanten der öffentlichen Ordnung schwächen. Deswegen beklagte er sich gegenüber Vieusseux über das für ihn vollkommen unverständliche Verhalten:

525

Vgl. Denis Mack Smith: Risorgimento italiano: Storia e testi, Rom / Bari 21987, S. 432–433. Vgl. ebenda, S. 480–481. 527 Vgl. Kroll (1999), S. 360–361. 528 Vgl. Lettere di Gino Capponi, Bd. 3, Nr. 564: Al professore Carlo Matteucci, Pisa, Florenz 19. März 1859, S. 246–247. 529 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 87: ­Reumont an Witte, Rom, 25. März 1859. 530 Vgl. Mario Menghini: Ridolfi, Cosimo, marchese, Enciclopedia Italiana (1936) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/ridolfi-cosimo-marchese_(Enciclopedia-Italiana)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 526

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

„Vos amis ont eu grandement tort de vouloir mettre ainsi le Gouvernement au pied du mur: aucun gouvernement qui se répute un peu seulement, ne peut se soumettre à cette espèce de traitement. Je vois que les années & l’expérience profitent peu: c’est toujours la même impatience, & le même manque de mesure & de ménagements. Je ne saurais dire combien les procédés politiques de Mr. Ridolfi de ces dernières années me déplaisent. Dieu sait comment tout ça finira. J’ai peu de confiance d.s la réussite des négociations. Je crains que, si le Piémont pousse son aveuglement au bout, ce ne soient à la fin que Mazzini & séides qui riront. Les modérés auront encore une fois le dessous.“531

Desillusioniert musste ­Reumont feststellen, dass seine Prognose, dass die Mode­ rati sich nach 1848/49 nicht noch einmal dazu hinreißen lassen würden, der Revolution vorzuarbeiten, nicht zutraf und warnte vor den Konsequenzen, über die sie sich doch eigentlich selbst bewusst sein müssten. Dabei ließ er jedoch außer Acht, dass die Moderati bis zuletzt versuchten, den Sturz des Großherzogs zu verhindern und zugleich einen Ausgleich mit den Demokraten suchten, die bereits eine Revolution vorbereiteten. Da sie Cavours Pläne kannten, Leopold II. durch seine Neu­ tralitätsverpflichtung vor der italienischen Öffentlichkeit als Feind einer italienischen Unabhängigkeit aussehen zu lassen und ihn mithilfe der öffentlichen Meinung entweder zum Bruch seiner Militärkonvention mit Österreich oder zur Abdankung zu zwingen, schien ihnen nichts anderes übrig zu bleiben, als den Großherzog zum Einlenken zu bewegen. Sollte dieser sich jedoch weigern, würde ihnen nur die Wahl bleiben zwischen einer Parteinahme für den Großherzog und geltendes europäisches Recht gegen einen national motivierten Aufstand unter Führung der Demokraten und eine Beteiligung am Krieg gegen Österreich, und der Abwendung von Leopold II. und internationalem Recht zugunsten des Unabhängigkeitskrieges mit ungewissem Ausgang und nicht absehbaren internationalen Folgen. Wie die europäischen Mächte auf einen Krieg Frankreichs und Sardinien-Piemonts reagieren würden erklärte ­Reumont gegenüber Vieusseux unmissverständlich: „Si la France attaque l’Autriche en Italie, V.s pouvez être sûr que toute l’Allemagne sera unie, & je crois que l’Angleterre se mettra du côté de l’Allemagne. Ce n’est pas par tendresse p.r l’Autriche, mais c’est par nécessité politique.“532

Diese Einschätzung entsprach noch am 22. April 1859 der diplomatischen Konstellation und sollte den Moderati vor Augen führen, wie riskant ihr Unterfangen war – selbst wenn es innenpolitisch zunächst gelingen sollte. Der Erfolg eines Krieges konnte keinesfalls als sicher gelten, im Gegenteil: Mit britischer und preußischer Unterstützung Österreichs hätte die Politik Cavours und der Moderati die Verwirklichung einer wie auch immer gearteten nationalen Einigung in weite Ferne rücken lassen. Und bis zum österreichischen Ultimatum an Sardinien-Piemont, die Armee zu demobilisieren und die Freiwilligen zu entlassen, schien die von R ­ eumont prognostizierte Reaktion Preußens und Großbritanniens sehr wahrscheinlich.533 Erst als Österreich die Teilnahme Sardinien-Piemonts an einem Kongress auch nach 531

BNCF Vieuss. C. V. 89,92, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 26. März 1859. BNCF Vieuss., C. V. 89,94, ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 22. April 1859. 533 Vgl. Blumberg (1990), S. 97–103. 532

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dessen Zusage einer Entwaffnung unter Beibehaltung der Garibaldiner ablehnte, begann Großbritannien sich von Österreich wegen dessen unnachgiebiger Haltung gegenüber einer Vermittlung zu distanzieren.534 Obwohl die Position Preußens unsicher blieb, gingen Cavour und Napoleon III. davon aus, dass die französisch-russische Allianz Preußen zunächst in Schach halten werde.535 Vor diesem Hintergrund lehnte Cavour das österreichische Ultimatum ab und bat am 24. April Leopold II. mit einer diplomatischen Note formell um militärische Unterstützung, um ihn zu einer offiziellen Stellungnahme zu zwingen. Nachdem dieser nicht bereit war, sich dem Druck der Öffentlichkeit sowie der Moderati selbst zu beugen und entweder die Neutralität aufzugeben oder zugunsten seines Sohnes abzudanken, entschloss er sich, die Toskana zu verlassen.536 Damit war das, was R ­ eumont befürchtet hatte, eingetreten. Die Politik der Moderati war gescheitert. Der Aufstand unter demokratischer Führung wirkte auf eine Fusion mit Sardinien-Piemont und einen nationalen Einheitsstaat hin, während die Moderati eigentlich eine konstitutionelle Monarchie benötigten, um ihre Machtposition gegenüber den Demokraten zu behaupten und gegenüber Sardinien-Piemont die toskanische Eigenständigkeit innerhalb eines Nationalstaatsprojektes garantieren zu können. Nun waren sie auf einen glücklichen Kriegsverlauf, eine günstige internationale Mächtekonstellation sowie auf die Verhandlungsbereitschaft Napoleons III. und Cavours angewiesen. Nach der Flucht des Großherzogs wurde in der Toskana ein Revolutionskomitee unter Führung des piemontesischen Gesandten conte Carlo Boncompagni ins Leben gerufen, an dem die Demokraten nicht beteiligt wurden, die ihrerseits auf innenpolitische Forderungen verzichteten, um den Unabhängigkeitskrieg nicht zu behindern. So konnte Boncompagni die Demokraten bei der Regierungsbildung problemlos übergehen und stattdessen auf bekannte Moderati setzen: Marchese ­Cosimo Ridolfi wurde Außenminister, barone Bettino Ricasoli Innenminister, Enrico Poggi Justizminister und Vincenzo Salvagnoli Kultusminister.537 Dadurch hatten die Moderati ihre Führungsposition gegenüber den Demokraten zunächst wahren können. Hatte sich R ­ eumont hinsichtlich ihrer Loyalität zum Großherzog getäuscht, so war seine Einschätzung, dass sie auch weiterhin an der toskanischen Autonomie festhalten würden, zutreffend. Allerdings erschien eine toskanische Autonomie innerhalb eines italienischen Staatenbundes nicht mehr mit der Rückkehr des Hauses Habsburg-Lothringen vereinbar zu sein. Mittlerweile hatte die Verhinderung einer Restauration der habsburgischen Sekundogenitur für die Moderati oberste Priorität, hinter der für die Zeit des Krieges und der unsicheren diplomatischen Situation auch eigenstaatliche Interessen zurückstehen mussten. Diese Ansichten werden in einem Brief Leopoldo Galeottis deutlich, der bereits am 1. Mai 1859, also 534

Vgl ebenda, S. 102–103. Vgl. ebenda, S. 108–109. 536 Vgl. Kroll (1999), S. 362–365. 537 Vgl ebenda, S. 365. 535

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

nur wenige Tage nach der Flucht des Großherzogs, diese Marschroute vertrat. Noch vor der Einsetzung des Revolutionskomitees mit Carlo Boncompagni an der Spitze, äußerte er sich gegenüber dem Gesuch der toskanischen proviso­rischen Regierung an Viktor Emanuel II. die Diktatur über die Toskana zu übernehmen kritisch: „Fa male volendola ripigliare oggi di sotto mano, perché la Toscana non è niente disposta, né a farsi inghiottire, né a farsi conquistare.“538

Allerdings war er durchaus bereit, derartige Animositäten vorerst hinter die akuten Interessen – der Verhinderung einer Rückkehr der Habsburg-Lothringer – zu stellen. Dafür nahm er auch eine dominante Rolle Frankreichs im italienischen Unabhängigkeitskrieg in Kauf.539 Er war also durchaus bereit, die insbesondere von der preußischen Außenpolitik gefürchtete Abhängigkeit Italiens von Napoleon III.540 für die Vertreibung der Österreicher und der mit ihnen verbandelten Dynastien hinzunehmen. Über innenpolitische Fragen sowie über die Position der Toskana im neuen Staatsgebilde sollte erst nach erfolgreicher Beendigung des Krieges verhandelt werden. Allerdings tadelte er das Verhalten Cavours, der Mitte Mai Emissäre in die Toskana gesendet hatte, die den Anschluss an Sardinien-Piemont propagierten.541 Dieses Vorgehen führte zu einer starken Verunsicherung der toskanischen Eliten, die sich plötzlich dem unverhohlenen Expansionsdrang Sardinien-Piemonts ausgesetzt sahen. Galeotti warnte deswegen, bereits während des Krieges innenpolitische Fragen über die zukünftige Ordnung Italiens zu erörtern, da dies nur Zwietracht schüre und eine erfolgreiche Kriegsführung behindere. Denn es dürfe keinesfalls der Eindruck entstehen, dass die toskanische Bevölkerung einen Krieg unterstützte, der die Toskana am Ende Sardinien-Piemont unterstellte. Das toskanische Ministerium sei gemeinsam mit piemontesischen Agenten einberufen worden, um die europäische Diplomatie zu beruhigen, allerdings vertrete diese Einrichtung nicht die Mehrheit der Bevölkerung, die den Krieg zwar unterstütze, jedoch eine Fusion mit Sardinien-Piemont nicht hinnehmen werde, und der provisorischen Regierung ablehnend gegenüberstehe.542 538

Raffaele Ciampini: I Toscani del ’59. Carteggi inediti di Cosimo Ridolfi  – Ubaldino ­ eruzzi, Leopoldo Galeotti – Vincezo Salvagnoli, Giuseppe Massari – Camillo Cavour (Storia P e Letteratura, Raccolta di Studi e Testi 76), Rom 1959, Carteggio Galeotti – Massari, I Galeotti a Massari, Firenze 1 maggio 1859, S. 89. 539 Ebenda, S. 90: „Influenza francese nella Italia Centrale!! questa è bella! Dicasi piuttosto influenza francese in tutta Italia, e dirassi bene. Ed io non me ne lagno, perché è legittima quando è appoggiata a 300/m. uomini, e perché, senza questa, noi saremmo con Baldasseroni e Landucci, e voi col General Giulay a Torino. Ora non ci è rimedio, ed è fanciullaggine o peggio il pretendere di combattere questa influenza, qui o altrove: 1° perché il combatterla non vuol dire eliminarla, 2° perché può indisporre il gran Sire, e allora siamo fritti. […] Ma vadia via i Tedeschi; sul resto m’accomodo e subisco tutto.“ 540 Vgl. Rusconi (2013), S. 34–36, 68–69, 74. 541 Vgl. Kroll (1999), S. 380. 542 Ciampini (1959), Carteggio Galeotti – Massari, III Galeotti a Massari, Florenz, 16. Mai 1859, S. 93–94: „Vi è però un altro punto di vista egualmente importante, ed è che il Paese, il quale non grida nelle piazze, ma paga le imposte e costituisce il vero popolo, non era punto

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Auch eine konservative Führungsfigur unter den toskanischen Moderati, der marchese Gino Capponi, vertrat die Ansicht, dass Turin keine Fusion betreiben dürfe, da ansonsten nicht nur der Erfolg des Krieges gefährdet sein würde, sondern zugleich Zwietracht zwischen Piemontesen und Toskanern gesät würde. Außerdem sah er in einem solchen Falle die Toskana erneut einer zentralistischen Verwaltung ausgeliefert, die man doch noch vor kurzem unter Leopold II. bekämpft hatte. Hinsichtlich der gegenseitigen Vorbehalte, wies er marchese Neri Corsini di Lajatico, der sich im Hauptquartier König Viktor Emanuels II. aufhielt, an, die piemontesischen Verantwortlichen über die verheerenden Folgen eines zu forschen Auftretens gegenüber der Toskana zu informieren: „Sapete il contrasto, sebbene leggero, fra Torino e qui: è venuto troppo presto, e poteva essere evitato. A Torino intendono l’unificazione in modo, a mio credere, un po’ pedantesco; e voi sapete che la Toscana non può essere provincia piemontese, né amministrata come Biella e Mondovi. Cotesto è un male; e poi s’aggiunge quell’altra pedanteria, la quale è propria dei settari: questi vogliono unità assoluta, e dei fatti non si brigano, andando innanzi con le teorie pure. Qui, all’incontro, noi saremo troppo provinciali, se per amore della toscanità perdiamo ad un tratto di vista il principio italiano e nazionale, che è rappresentato dal Piemonte, ed in cui nome s’è fatto quello che s’è fatto. Per me, io professo e desidero l’unione ma professo e la desidero condizionata, perché non vada contro allo scopo che c’è prefisso. Fusione non voglio, che sarebbe impossibile […] Dunque non tocchino l’amministrazione; e lascino stare la Toscana com’ella è: ma le armi sieno tutte piemontesi […]“543

Insofern hoffte Capponi, so wie die meisten Moderati zu dieser Zeit noch darauf, trotz der piemontesischen Führung des nationalen Unabhängigkeitskrieges, die toskanische Autonomie im zu schaffenden Staat erhalten zu können. In den für die Zeit nach dem Krieg anvisierten Verhandlungen um die Neuordnung Italiens sollte das Ziel keine Fusion sein, bei der die Toskana Sardinien-Piemont unter Übernahme des Verwaltungssystems und der Verfassung einfach unterstellt werden würde – wie es der Großteil der Demokraten forderte –, sondern eine Union gleichberechtigter Teilstaaten mit eigener Verwaltung und Verfassung sein. Schließlich war es den Moderati nach der Flucht des Großherzogs rasch gelungen, die Verwaltung unter ihre Kontrolle zu bekommen und damit ihre Revolution gegen den modernen zen­ soddisfatto di vedere l’amministrazione pubblica ed il Governo in mani sconosciute, e già si preoccupava assai che un colpo di mano lo esponesse a mutar padrone. Quindi la impossibilità di trovare uomini secondari che volessero mescolarsi del Governo, quindi la necessità di prendere una strada più regolare. È necessità che il Governo Sardo raffreni lo zelo dei suoi amici. Qualunque passo, qualunque tentativo, qualunque velleità di fusione o cosa simile, sarebbe fatale, perché produrrebbe tosto una grave scissura, e darebbe una bandiera ai malcontenti. Se la idea della fusione ci fosse, solamente il metterla avanti adesso, direttamente o indirettamente, è il mezzo sicuro di farla abortire. Se ne persuadono costà. La Toscana è stata quasi unanime sulla guerra e sulla politica nazionale. Ma sul rimanente, gli uomini di azione non costituiscono il Paese, e senza il Paese non si fa nulla. La cosa è tanta essenziale, in quanto che bisognerà pure che la Toscana subisca grandi sacrifici ben volentieri, come Toscana. Guai se si presentano sotto altra forma!“ 543 Lettere di Gino Capponi, Bd. 3, Nr. 577: A don Neri Corsini marchese di Laiatico, al Quartier Generale del Re, Florenz, 6. Juni 1859, S. 262–263.

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tralistischen Verwaltungsstaat erfolgreich zu vollenden.544 Das gerade erst Erreichte waren sie entschlossen, gegen die piemontesische Expansionspolitik zu verteidigen, wenngleich sie deren Führung innerhalb der Nationalbewegung anerkannten. Freilich blieb ihnen während der Kriegsmonate auch kaum eine Alternative zur Anerkennung der Nationalpolitik Cavours, da sie innenpolitisch durch von den ersten Kriegserfolgen ausgelöste Demonstrationen für den Anschluss der Toskana an Sardinien-Piemont unter Druck standen.545 Für R ­ eumont, der die Situation für das preußische Außenministerium beobachtete, waren diese Straßendemonstrationen bereits der Ausdruck einer vollends gescheiterten Politik der Moderati, die nun die Kontrolle über die Situation verloren hätten, weil Sardinien-Piemont seine expansionistische Politik durch die Provokation von Aufständen in den Nachbarstaaten unterstütze. Karl Witte gegenüber klagte ­Reumont aus der Toskana: „Die Indipendenza italiana, wenn sie (wie ich freilich hoffen muß, in vernünftigem Maße) errungen wird, hat vieles gutzumachen. Denn von den gegenwärtigen Zuständen machen Sie, obgleich alter Italiener, u. die Schwächen mancher unserer Freunde kennend, sich doch keine Vorstellung. Und wir stehn erst am Anfang, und dieser Krieg kann lange währen und sehr leicht ganz Teutschland in Bewegung bringen, u. die Revoluzion, die rings um mich frech ihr Haupt erhebt, kann noch in ganz anderer Gestalt aufstehn. Kaiser Napoleon hat diese Revoluzion heraufbeschworen: wird er sie bändigen? Ich habe (ich glaube es Ihnen einmal geschrieben zu haben) die piemontes. Dinge nicht so günstig angesehn wie Sie: ich habe aber immer noch einen viel zu günstigen Begriff gehabt, wenn nicht vom Volk, das treffliche Elemente hat, doch von der Regierung, welche, leider, jedes Mittel gleich gilt die nachbarlichen Regierungen umzustürzen. Ich rede nicht von der Lombardei – aber in Florenz, Parma, Modena, in Bologna u. Perugia hat sie überall den Aufstand veranlaßt. Was aus Toscana werden soll, weiß der Himmel.“546

Nicht nur habe die piemontesische Politik die Revolution in der Toskana ausgelöst, indem ihr jedes Mittel recht sei, um Zugriff auf die Nachbargebiete zu erhalten, sondern sie bedrohe zusammen mit Napoleon III. auch Deutschland. Die von ­Reumont in seinem Brief an Witte nur sehr vage beschriebene Gefahr bezog sich keineswegs nur auf die Verteidigung Lombardo-Venetiens und die Frage, ob dadurch auch ein Eingreifen des Deutschen Bundes zur Sicherung des Bundesgebiets notwendig sei, sondern tatsächlich auch auf die preußischen Rheinprovinzen. Im Falle einer aktiven Beteiligung Preußens am Krieg Österreichs gegen Frankreich und Sardinien-Piemont, war auch Außenminister von Schleinitz noch Ende März 1859 überzeugt gewesen, werde die entscheidende Schlacht am Rhein ausgefochten.547 Für ­Reumont lag deswegen die Schlussfolgerung nahe, dass Napoleon III. den Krieg am Rhein ähnlich vorbereiten werde wie den in Italien, nämlich durch 544

Vgl. Kroll (1999), S. 367–378. Vgl. ebenda, S. 382. 546 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 88: ­Reumont an Witte, Lucignano – nicht in Val-di-Chiana – 2. Juli 1859. 547 Vgl. Rusconi (2013), S. 50–51; Friese (1933), Bd. 1, S. 315–317. 545

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Revolutionierung der zu annektierenden Gebiete. Vor dem Hintergrund der napoleonischen Vergangenheit der linksrheinischen Gebiete, schien ­Reumont, obwohl er selbst immer wieder versuchte, die Preußen von der Loyalität der Rheinländer zu überzeugen, eine ähnliche Entwicklung wie in Italien nicht auszuschließen. Hinzu kamen die in der preußischen Politik kursierenden Bedenken, dass Cavour, sei es mit regulären Truppen oder vielmehr durch die Freischärler Garibaldis, deutsche Gebiete wie Tirol oder Trentino bedrohen werde.548 Insofern bewertete ­Reumont die italienischen Entwicklungen nicht allein vor dem Hintergrund der Legitimität, sondern auch hinsichtlich der daraus hervorgehenden Gefahren für Preußen selbst. Denn der offene Bruch mit dem Legitimitätsprinzip wie er von Napoleon III. und Cavour vollzogen worden war, stellte sämtliche bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Frage, wenn er von Erfolg gekrönt sein sollte. Die möglichen Folgen waren für ­Reumont kaum absehbar. Umso wichtiger wäre es seiner Ansicht nach gewesen, dass Leopold II. in Florenz geblieben wäre, anstatt zu flüchten. Denn auf diese Weise habe er den Moderati die Abkehr von der legitimen Dynastie erleichtert und es versäumt, durch seine Präsenz einen revolutionären Umsturz wenn schon nicht zu verhindern, so doch zu erschweren und den Rechtsbruch öffentlichkeitswirksam vor Augen zu führen. Denn durch seine Abwesenheit könne eine Minderheit die Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung ausnutzen.549 Insofern haben die Moderati durch die Flucht des Großherzogs ihren Halt verloren und sehen sich nun revolutionären Massen gegenüber, die noch dazu von piemontesischen Agenten angeführt werden. Wie bereits gezeigt, wäre die Verhandlungsposition der Moderati gegenüber Cavour tatsächlich wesentlich günstiger gewesen, wenn der Großherzog nach innen und außen die toskanische Autonomie repräsentiert hätte. Denn das entstandene Machtvakuum, das die Moderati nicht hinreichend ausfüllen konnten, da sie des Straßenaufruhrs nur mit großer Mühe Herr werden konnten, sorgte dafür, dass die piemontesischen Emissäre öffentliche Demonstrationen für den Anschluss an Sardinien-Piemont inszenieren und damit die Moderati in die Defensive drängen konnten.550 ­Reumont verfolgte diese Entwicklung mit Verbitterung, hatte er doch die Forderungen der Moderati bis 1848 in weiten Teilen unterstützt und gehofft, dass sie entsprechende Lehren aus den Jahren 1848–49 mit der anschließenden österreichischen Besetzung der Toskana gezogen hätten. Nun hatten sie erneut die Flucht 548

Vgl. Rusconi (2013), S. 51. NL R ­ eumont, S 2746, Nr. 88: ­Reumont an Witte, Lucignano – nicht in Val-di-Chiana – 2. Juli 1859: „Der Großherzog u. s. Söhne verderben sich Stellung und Zukunft, indem sie in Oestreich bleiben. Sie kennen die, kaum durch Liebenswürdigkeit verdeckte, Schwäche u. Karakterlosigkeit des Volkes; Sie wissen wie wenig tief die Dynastie hier wurzelt: denken Sie sich also die heutigen Stimmungen, inmitten der Träume von einem Regno d’Italia die auch so Edlen, wie Gino C., den Kopf verdrehen, inmitten des alten revoluzionären Sauerteigs der in Leuten wie Salvagnoli u. A. gährt inmitten der Theilnahmslosigkeit der Menge!“ 550 Vgl. auch Kroll (1999), S. 382. 549

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des Großherzogs mit zu verantworten und waren erneut unter den Druck der Straße geraten. Für R ­ eumont wiederholten sich nun die Ereignisse, an deren Ende entweder die Revolution oder eine erneute österreichische Besetzung stehen musste. ­ eumont zu dem Die Toskana vor 1848 schien sich in Auflösung zu befinden, was R wehmütigen Fazit verleitete: „Mit unserem Toscana ist’s zu Ende: es mag daraus werden was wolle. Ich bin hier wie verloren wo ich einst so heimisch war – nichts als Desertionen kläglichster Art auf allen Seiten. Capei ist einer der Wenigen, die den Kopf behalten haben u. die Dinge klar einsehn; Gino C. wagt sich die Wahrheit nicht selber klar zu machen, u. sein edler Sinn ist wie vom Nebel schwankender Schwäche umfangen; Vieusseux sieht die Abgründe sehr wohl, all seine alten u. neuen Freunde, u. all seine alten Ideen u. Wünsche bilden eine Hecke derselben über die er nicht ganz wegblickt. Von den Uebrigen rede ich nicht.“551

Trotz aller Enttäuschung über die Rolle enger Bekannter im revolutionären Treiben, sah ­Reumont die Verantwortung für die italienische Situation nicht nur in der Politik Napoleons III. und Cavours, sondern vor allen Dingen bei Österreich selbst: „In Teutschland, falls ich hingehe, werde ich auch nicht vielen Trost finden: die Medaille ist häßlich, aber die Kehrseite behagt mir auch nicht, denn die Meisten machten sich doch keinen rechten Begriff von italienischen Dingen, u. wollen nicht eingestehen, daß all dies Unheil eigentlich doch von Oestreich. Seite kommt, mag im concreten Fall Piemont noch so sehr die Schuld tragen.“552

Die zunehmende Verschlechterung der österreichischen Position hatte er zuvor schon in seinen regelmäßigen diplomatischen Depeschen beschrieben. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass Österreich sich tatsächlich zu einem Krieg gegen Sardinien-Piemont provozieren lassen würde und sich die toskanischen Moderati von der piemontesischen Politik derart unter Druck setzen lassen, den Großherzog ein weiteres Mal zur Flucht zu veranlassen und damit die Autonomie der Toskana aufs Spiel setzen würden, indem sie sich in die Abhängigkeit Sardinien-Piemonts und Frankreichs begaben. Aufgrund der unsicheren internationalen Situation – insbesondere Preußen fuhr einen Schlingerkurs, der sowohl Cavour, als auch Napoleon III. und Österreich selbst darüber im Unklaren ließ, ob, wo und in welchem Ausmaß es die Habsburger militärisch unterstützen würde – mussten die toskanischen Moderati einen Weg finden, der Toskana eine internationale Stimme zu geben. Eben dafür war zügig eine provisorische Regierung eingesetzt worden. Allerdings sah diese sich vielmehr mit der mühsamen Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung konfrontiert, als ihrer Stimme in Europa Gehör zu verschaffen. Diese internationale Schwäche musste nach Kriegsende aber umso mehr ins Gewicht fallen. Die europäischen Mächte taten sich erwartungsgemäß schwer mit der Anerkennung vollendeter Tatsachen und fühlten sich nach wie vor an die Wiener Beschlüsse gebunden. Deswegen galt 551 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 88: ­Reumont an Witte, Lucignano – nicht in Val-di-Chiana – 2. Juli 1859. 552 Ebenda.

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zunächst weiterhin Leopold II. als der entscheidende Repräsentant der Toskana. Die neue Regierung musste sich vor der europäischen Politik legitimieren, um als ernsthafter Ansprechpartner wahrgenommen zu werden. Dies schien allerdings noch während des Krieges unwahrscheinlich, weshalb sich die Moderati nur durch eine weitere Annäherung an Sardinien-Piemont zu helfen wussten, das immer noch über eine legitime Dynastie verfügte und somit internationales Gewicht besaß.553 Deswegen war es für sie von entscheidender Bedeutung, die Souveränität Viktor Emanuels II. über die Toskana zu erhalten, wovon sie sich eine internationale Anerkennung erhofften. Dafür waren sie bereit, ihre autonomistischen Forderungen zugunsten der politischen Opportunität zurückzustellen.554 Von piemontesischer Seite galt es dagegen, diesen Avancen gegenüber Distanz zu demonstrieren. Cavour sah sich gezwungen, das Schicksal der Toskana zunächst noch in der Schwebe zu halten und lehnte die Annahme der an Viktor Emanuel II. angetragenen Diktatur ab, da er wusste, dass ein Anschluss der Toskana an das Königreich Sardinien-Piemont nicht im Interesse Napoleons III. war, der auf die Einhaltung der Vereinbarungen von Plombières bestand.555 Diese sahen nämlich ein Königreich Oberitalien unter dem Szepter des Hauses Savoyen vor, das neben Sardinien-Piemont das Po-Tal, die Romagna und die Legationen beinhalten sollte, während der Kirchenstaat (bis auf Rom) mit der Toskana zum Königreich Mittelitalien vereint werden sollte.556 Ein Großpiemont, das sich auch noch die Toskana einverleibte, lehnte der Kaiser von Frankreich ab, da ein derart starker Staat sich zu leicht aus einer französischen Abhängigkeit hätte lösen können. Angesichts drohender Differenzen zwischen Cavour und Napoleon III. hinsichtlich der Neuordnung Italiens fiel die für die italienische Öffentlichkeit schwer einschätzbare Politik Preußens umso mehr ins Gewicht, da dessen militärisches Ein 553

Vgl. Kroll (1999), S. 383; Pier Luigi Ballini: Ricasoli e gli „antiunitari“, in: Sandro Rogari (Hrsg.): La Toscana dal Governo Provvisorio al Regno d’Italia: Il Plebiscito dell’11–12 Marzo 1860 (Studi e fonti 1), Florenz 2011, S. 27–54. 554 Diese zunehmende Bereitschaft, sich den Direktiven aus Turin für die Dauer des Unabhängigkeitskrieges zu beugen, um nicht zum Spielball der europäischen Mächte zu werden, wird beispielhaft in einem Brief Leopoldo Galeottis an Giuseppe Massari deutlich. – Ciampini (1959), Carteggio Galeotti – Massari, V Galeotti a Massari, Florenz, 18. Juni 1859, S. 95: „… In una parola è necessario si sappia cosa deve essere di noi, ed in quale senso dobbiamo dirigere la opinione del Paese. Niuno di noi à avverso a dirigerla nel senso di fare una Italia più grande che sia possibile. Dopo che questa Italia è stata il sospiro della nostra vita, niuno ci creda così stolti che, venuto il momento opportuno, vogliasi all’Italia anteporre il gretto municipalismo Toscano. Sulle rive dell’Arno, le idee saranno sempre più larghe che altrove. Noi non altra questione abbiamo fatta che di opportunità e di modi. Ma sulla prima ne siamo più giudici noi che gli altri; sopra i secondi vi è sempre grande facilità di accordo. E sai tu in che si riduceva la questione? Si riduceva: Io a trovare una forma decente che desse garanzia di solennità e di serietà all’atto. IIo ad evitare il pericolo che l’annessione venisse disfatta a fine di guerra, senza il nostro concorso. Trovata la forma, rimosso il pericolo di essere dati in compenso, quanti siamo liberali, più o meno eravamo e siamo concordi nel secondare un atto che nella nostra coscienza approviamo e desideriamo.“ 555 Vgl. Voci (2011), S. 19. 556 Schönbrunn (1980), S. 279–281.

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greifen die Position der italienischen Staaten erheblich hätte verschlechtern können. Tatsächlich schien der offene Bruch mit den Wiener Beschlüssen durch Cavour und Napoleon III. für die italienische Nationalbewegung zu einem gravierenden Pro­ blem zu werden, das die Zukunft Italiens auch bei erfolgreichem Kriegsverlauf un­ eumont vor den Konsequenzen gewiss erscheinen ließ. Wie bereits gezeigt, hatte R eines völkerrechtswidrigen Vorgehens in Verbindung mit Napoleon III. gewarnt. Die von ihm dabei ins Feld geführten deutschen Bedenken eines Ausgreifens der Revolution auf deutsche Territorien wurden nicht nur in der Presse laut, sondern beschäftigten auch die preußische Regierung. Der Prinzregent stellte nach der Schlacht von Magenta (4. Juni 1859) ernsthafte Gedanken an, durch eine „bewaffnete Vermittlung“ die Einhaltung der Wiener Beschlüsse zur gewährleisten, um die Gefahr eines Ausgreifens der Revolution, für die er Napoleon III. und Cavour verantwortlich machte, auf deutsche Territorien zu verhindern.557 Insofern waren ­Reumonts Warnungen, dass das italienische Vorgehen von Preußen nicht gebilligt werde, weil es sich insbesondere durch das revolutionäre Vorgehen selbst bedroht sah, zutreffend. Letztlich fand das preußische Vorhaben jedoch keine ausreichende internationale Unterstützung. Nach der Schlacht von Solferino (24. Juni 1859) lotete Preußen gegenüber Großbritannien und Russland die Möglichkeit einer „bewaffneten Vermittlung“ aus. Allerdings hatten die beiden anderen neutralen Mächte die Lombardei für Österreich bereits abgeschrieben, sodass Preußen wegen der fehlenden Unterstützung weiterhin passiv blieb.558 Trotzdem hielten diese diplomatischen Aktivitäten Sardinien-Piemont zunächst davon ab, einer Annexion der Toskana zuzustimmen. Welche Bedeutung die ablehnende Haltung Preußens und Russlands gegenüber einer Annexion für die Situation der Toskana hatte, wird in einem Brief Gino Capponis an den toskanischen Außenminister Cosimo Ridolfi deutlich, in dem er die Lagebeurteilung des piemontesischen Gesandten Carlo Matteucci referierte: „[…] egli [Carlo Matteucci] non crede l’unione accettabile possibilmente, e dice ora, l’Inghil­ terra stessa officialmente [sic!] scrivere in contrario, sul fondamento che nè la Russia nè la Prussia vogliono l’unione.“559

Derartige Aussichten ließen den Widerstand gegen eine piemontesische Vereinnahmung bei führenden Moderati schwinden. Sollten nämlich die neutralen Mächte tatsächlich auf die Einhaltung der Wiener Beschlüsse pochen, stünde zwangsläufig die Rückkehr der legitimen Dynastien in ihre Staaten zur Debatte. Diese Aussichten verleiteten selbst Gino Capponi dazu, von toskanischen Autonomieforderungen abzurücken, da diese gleichbedeutend mit einer Rückkehr der Österreicher seien und deswegen in der Öffentlichkeit a priori diskreditiert seien. Angesichts der innen- und außenpolitischen Entwicklungen sah er keine Möglichkeit mehr, autonomistische Positionen zu vertreten und hielt eine Hinwendung an das Haus Savoyen für unumgänglich, da andernfalls nicht dem Nationalitätsprinzip, das in 557

Vgl. Voci (2011), S. 20. Ebenda, S. 20–21. 559 Lettere di Gino Capponi, Bd. 3, Nr. 582: Al marchese Cosimo Ridolfi, Ministro degli Esteri nel Governo della Toscana, S. 274. 558

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der italienischen Öffentlichkeit stärker sei, als er angenommen habe, entsprochen werden könne.560 Nachdem zuvor schon der marchese Neri Corsini di Lajatico, der lange Zeit die Autonomie der Toskana verfochten und bis zuletzt an Leopold II. festgehalten hatte, der Schaffung eines Regno d’Italia das Wort redete, seitdem er sich im Auftrag der provisorischen Regierung als commissario straordinario im sardischen Hauptquartier aufhielt,561 war nun auch Gino Capponi auf diese Linie umgeschwenkt. Ein Brief Capponis vom 6. Juli 1859 an Neri Corsini zeigt deutlich, wie schnell und tiefgreifend sich die Moderati angesichts der internationalen Entwicklung von ihrer vorherigen autonomistischen Haltung für die Zeit des Krieges zu distanzieren bereit waren. Darin erklärte Capponi: „Dunque sta fermo, che fuori dell’unione al grande Stato italiano, non potranno, nell’avvenire, essere mai buone le condizioni nostre; ed il soverchio e soverchiante Piemontesismo, e i vizi della centralità, sono cose da correggere; facendo anche i patti innanzi. Ed alla fine mi spaventano coloro che propugnano la Toscanina o la Toscana, ingrandita anche; certo nol fanno per amore del pensiero nazionale.“562

Die Probleme einer Piemontisierung und einer Zentralisierung durften aus Sicht der Moderati also keine entscheidenden Hindernisse mehr sein. Man hielt es mittlerweile für wichtiger, ein Abkommen mit Sardinien-Piemont zu finden und war bereit, sich mit der Aussicht zu begnügen, mögliche Fehlentwicklungen später korrigieren zu können. Als jedoch Anfang Juli eine toskanische Deputation Viktor Emanuel II. das Angebot überbrachte, Souverän des Großherzogtums zu werden, nahm die Entwicklung eine unerwartete Wendung, noch ehe die Toskaner eine Antwort erhalten hatten: Am 11. Juli schloss Napoleon III. mit Kaiser Franz Josef den Präliminarfrieden von Villafranca, der der italienischen Nationalbewegung ihre Abhängigkeit von Frankreich schmerzlich vor Augen führte. Obwohl der Geheimvertrag zwischen Frankreich und Sardinien-Piemont vom Dezember 1858 beide 560 Agliaia Paoletti Langé (Hrsg.): Carteggio Capponi  – Galeotti (1845–1875) (Centro di Studi sulla Civiltà Toscana fra ’800 e ’900), Florenz 2002, Doc. 91: Gino Capponi an Leopoldo Galeotti, Florenz 29 Juni 1859 (R.  Biblioteca Riccardiana, Carte Galeotti, cass. 3, n. 170), S. ­106–107: „Già ve lo dissi e per me sto fermo; se noi dovremo chiedere un Principe, sia della Casa di Savoia: non veggo altri che risponda a quel principio che innanzitutto noi dobbiamo professare, e che è più forte di quel ch’io stesso non sapevo figurarmi, nella opinione degli Italiani. Il nostro voto è uno Stato grosso quanto più forte sia possibile; forse è il pensiero anche dell’Imperatore se tutta Europa non vi si attraversa. Noi teniamo a una vita Toscana, ed io tengo quanto altri ami, non però tanto che io né i più ora si spacciano d’una autonomia debole; basta il pericolo o il sospetto di una possibile influenza Austriaca a screditare l’autonomia; tutti vorremmo lo stato grosso ma governato senza i vizi di troppo stretta centralità. Così dunque la Toscana che in nessun modo potrebbe mai essere Provincia Piemontese, volentieri accederebbe ad uno stato dell’Alta Italia che avesse a Capo il Re Vittorio Emanuele; questa è la somma dei voti nostri.“ 561 Nidia Danelon Vasoli: Corsini, Neri iunior, marchese di Lajatico, DBI 29 (1983) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/corsini-neri-iunior-marchese-di-lajatico_(DizionarioBiografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 562 Lettere di Gino Capponi, Bd. 3, Nr. 583: A don Neri Corsini marchese di Laiatico, Milano, Florenz, 6. Juli 1859, S. 274–276, hier S. 275.

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Seiten im Falle eines Krieges gegen Österreich verpflichtet hatte, keinerlei Friedensverhandlungen ohne vorherige Verständigung mit dem Bündnispartner aufzunehmen,563 schloss Napoleon III. den Vorfrieden gegen den Willen Cavours ab.564 Hinzu kam der für Sardinien-Piemont demütigende Inhalt, nach dem Österreich die Lombardei an Frankreich, nicht etwa an Sardinien-Piemont abtreten sollte. Die weiteren Bestimmungen zeigten deutlich, dass Napoleon III. kein Interesse an einem starken italienischen Nationalstaat unter Führung der Savoyer hatte, sondern eine Staatenkonföderation in Abhängigkeit Frankreichs bevorzugte. Da diese während des erfolgreichen Kriegsverlaufs durch die piemontesische Nationalpolitik zunehmend schwerer durchsetzbar erschien und Napoleon III. sich den Vermittlungsbemühungen Preußens, Russlands und Englands gegenübersah, als deren Folge ein internationaler Kongress drohte, den er zu vermeiden suchte, bevorzugte er einen zeitnahen Friedensschluss.565 Nach den Bestimmungen von Villafranca sollte eine italienische Staatenkonföderation geschaffen werden, wobei Venezien unter österreichischer Herrschaft belassen und die Rückkehr des Großherzogs in die Toskana sowie des Herzogs nach Modena beschlossen wurde.566 Damit drohte den toskanischen Moderati eine erneute Rückkehr des Großherzogs, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen nach 1849, nichts anderes als eine vollständige politische Niederlage des toskanischen Patriziats bedeutet hätte. Weder die Übernahme des Staatsapparats noch die Unabhängigkeit von einem nicht-italienischen Herrscher wären somit von langer Dauer gewesen. Da ihre Hauptforderung, die nationale Unabhängigkeit, der sie sogar ihre Ablehnung des piemontesischen Zentralismus unterzuordnen bereit waren, zu scheitern drohte, stemmten sie sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen eine Vereinbarung, die hinsichtlich der Forderungen einer Konföderation der italienischen Staaten unter Vorsitz des Papstes ihren eigenen Forderungen bis 1848 in weiten Teilen entsprach. Denn eine Rückkehr unter österreichische Herrschaft, warnten sie, werde nur den bewaffneten Widerstand der Demokraten hervorrufen und die Toskana in einen Bürgerkrieg stürzen.567 Umso entschlossener verfolgten sie mit aller Macht eine Politik, die die Beschlüsse von Villafranca konterkarieren sollte, indem das Haus Habsburg-Lothringen für abgesetzt und der Anschluss an das italienische Königreich unter Viktor Emanuel II. erklärt werden sollte. Da die Toskana zur einfachen Verhandlungsmasse der europäischen Mächte zu werden drohte, galt es, rasch vollendete Tatsachen zu schaffen und diese zu legitimieren. Dafür wurden für den 7. August 1859 Wahlen zur Assemblea dei Rappresentanti angesetzt, die nach dem toskanischen Wahlgesetz von 1848 durchgeführt wurden.568 Die Durchführung der Wahlen stand 563

Mesmer (1969), S. 24–26. Vgl. Candeloro (2011), Bd. 4, S. 347–354. 565 Ebenda. 566 Mesmer (1969), S. 28. 567 Vgl. Kroll (1999), S. 383. 568 Pier Luigi Ballini: L’Assemblea toscana del 1859–60, in: Giustina Manica (Hrsg.): La Rivoluzione toscana del 1859. L’unità d’Italia e il ruolo di Bettino Ricasoli, Atti del convegno internazionale di studi, Firenze, 21–22 ottobre 2010 (Studi e fonti 4), Florenz 2012, S. 97–139. 564

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dabei unter vollständiger Kontrolle der Moderati. Sie nutzten ihre Kontrolle über den Staatsapparat und die Munizipalverwaltungen, um demokratische und autonomistische Kandidaten von der Wahl auszuschließen und unterbanden deren Propaganda, während sie den Florentiner Adel zur Kandidatur bewegten. Entsprechend eindeutig fiel das Wahlergebnis aus: 90 Prozent der Deputierten waren Moderati und entstammten zu mehr als 50 Prozent dem Adel.569 Ziel dieses Vorgehens war es, den europäischen Mächten die Unmöglichkeit einer Rückkehr zum status quo ante zu demonstrieren. Insbesondere Napoleon III. sollten damit die Möglichkeiten genommen werden, die Toskana als für die französische Interessenpolitik frei verfügbare Verhandlungsmasse zu nutzen. ­Reumont hielt dieses Vorgehen jedoch für kontraproduktiv. Er glaubte nicht daran, dass die Toskana sich auf diese Weise den Beschlüssen von Villafranca werde entziehen können, schon gar nicht, wenn es zum Aufruhr komme. Dieser werde aber durch die Abhaltung einer Wahl und die damit verbundene Politisierung der Massen unnötig provoziert. Um den Frieden zu erhalten, sei es erforderlich, dass die Toskana zur Ruhe komme und Sardinien-Piemont die Beeinflussung der öffentlichen Meinung der Nachbarstaaten einstelle. Außerdem sei es unbedingt erforderlich, dass Venezien tatsächlich eine unabhängige Position erhalte. Dabei war es R ­ eumont unerklärlich, dass eine große Zahl seiner Bekannten sich plötzlich gegen die Autonomie und damit auch gegen die Rückkehr der Habsburg-Lothringer aussprach und dafür auch noch auf manipulierte Wahlen zurückgreifen zu müssen glaubte. Letztlich sei in Anbetracht der internationalen Situation sowie der drohenden Aufstände in der Toskana die Rückkehr des designierten Nachfolgers Leopolds II., seines Sohnes Ferdinand IV., die zur Zeit bestmögliche Lösung, um sowohl die Autonomie als auch die öffentliche Ordnung zu garantieren.570 ­Reumont erkannte die Forderungen der Moderati von 1848 an und unterstützte deren Umsetzung nach wie vor. Dass es für die toskanischen Moderati jedoch nicht mehr nur um eine Dezentralisierung der Verwaltung und eine stärkere Einbeziehung des Patriziats in den Staatsapparat ging, und die nationalpolitischen Forderungen nicht mehr auf eine Konföderation autonomer Staaten abzielten, sondern zur innenpolitischen Abwehr der Demokraten und außenpolitischen Abwehr der Habsburger auf einen Anschluss an ein Königreich Italien unter Viktor Emanuel II. ausgerichtet waren, mochte ­Reumont nicht nachvollziehen. Eine Unterstellung der Toskana unter den piemontesischen Verwaltungsstaat und den Statuto Albertino musste einer kompletten Aufgabe der politischen Agenda der Moderati zugunsten des Nationalitätsprinzips gleichkommen. Dies schien ihm als Diplomaten umso waghalsiger als die Verhandlungsposition Sardinien-Piemonts, das mit dem Präliminarfrieden von Villafranca gerade erst von Napoleon III. düpiert worden war, umso schlechter sein musste, als es auf internationalem Parkett von den Interessen Frankreichs abhing. Eine schnelle Rückkehr der Habsburg-Lothringer auf Basis der Vereinbarungen von 569

Vgl. Kroll (1999), S. 383–387. BNCF Vieuss., C. V. 89,95, ­Reumont an Vieusseux, Poggio Ubertini, 19. Juli 1859.

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Villafranca hätte die Toskana zumindest aus ihrer international unsicheren Position und der unmittelbaren Abhängigkeit von Napoleon III. befreit. Als die Vorbereitungen für die Wahl in vollem Gange waren, wandte sich R ­ eumont mit einem Brief an Vieusseux, in dem er seine Beobachtungen und Einschätzungen jener Tage zu Papier brachte. Seine Bewertungen zeigen deutlich, dass er die Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit nur unter der Bedingung regionaler Autonomie und auf der Grundlage internationalen Rechts anerkannte. Deswegen glaubte er nicht, dass die kommende Wahl die Position der Toskana entscheidend verbessern könne – zumal diese eindeutig manipuliert werde.571 Die Durchführung einer Wahl in nur wenigen Wochen in einer unruhigen Situation, noch dazu unter Führung von Personen, die keinen Zweifel daran ließen, dass sie die Wahl als Mittel sahen, eine Ablehnung des Großherzogs durch die toskani­ eumonts keinerlei Wert, sche Bevölkerung zu demonstrieren, hatte nach Ansicht R weil völkerrechtlich bindende Entscheidungen bereits in Villafranca getroffen worden waren. Und diese konnten nur durch einen internationalen Kongress abgeändert werden, nicht aber durch eine willkürlich durchgeführte Wahl. Das Schicksal der Toskana lag mittlerweile nicht mehr in der Hand der Bevölkerung, sondern der Diplomaten. Die Unabhängigkeit der Toskana sei nach Lage der Dinge nur über internationale Verhandlungen zu erreichen.572 Die Vorstellung, dass Völker selbst über ihr Schicksal entscheiden können, war ­ eumont zwar nicht fremd, immerhin hatte er die Forderungen der Moderati nach R repräsentativen Institutionen unterstützt, jedoch blieb er, zumindest hinsichtlich der Herrschaftspraxis, den Ideen eines „romantischen Absolutismus“ verpflichtet, wie er sie unter Friedrich Wilhelm IV. kennengelernt hatte, wonach der Herrscher sich zwar am Volkswillen orientiert, diesem aber zugleich regulierend gegenübertritt.573 571 BNCF Vieuss., C. V. 89,96, ­Reumont an Vieusseux, Poggio Ubertini, 26. Juli 1859: Le Gouvernement actuel Toscan pouvait, s’il le jugeait convenable, convoquer les représentants, quoique je ne sache pas quelle valeur on puisse attribuer aux votes d’une chambre convoqué dans une situation aussi anomale, sous la pression de l’agitation des esprits, par un Ministère nommé par le Commissaire d’une puissance qui est intéressée à ce que la dynastie légitime ne retourne pas, Commissaire qui a contribué puissamment à la révolution dont l’actuel gouvernement voudrait aujourd’hui inculper le Grand-Duc seul?!“ 572 Ebenda: L’unité proprement-dit est un rêve. L’annexion au Piémont serait un malheur pour la Toscane. La restauration de la dynastie (je ne parle pas de telle ou telle personne) est-ce qu’ily-a de mieux, pourvu que l’Italie puisse s’asseoir sur une base politique qui a p.r pierre fondamentale l’indépendance, que cette indépendance soit sauvegardée par les traités en entrant d.s le droit public de l’Europe, qu’il-y-ait entre les Etats italiens une garantie mutuelle, & que des institutions semblables sinon identiques assurent une communauté d’intérêts. Voilà la tâche du Congrès qui doit bien se réunir. Pourquoi donc faire ici, d’une manière si peu digne, & à la fois si dangereuse, appel aux passions? Pour quel but? La Toscane veut-elle s’opposer à un Concert des puissances?“ 573 So sah ­Reumont den König in „Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen“ etwa als Garanten dafür, dass der Preußische Staat, der seiner Natur nach ungerecht sei, durch die Person des Königs dennoch gerecht sei und die Rechte der katholischen Bevölkerung respektiere; zum romantischen Staatsdenken Friedrich Wilhelms IV, der einen Mittelweg zwischen

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Insofern konnte ein Volksvotum seiner Ansicht nach niemals aus sich heraus eine rechtlich bindende Gültigkeit erlangen, wenn es nicht vom legitimen Souverän anerkannt und umgesetzt wurde. Da die legitime Dynastie jedoch geflohen war, konnte das Votum allein von einem europäischen Kongress berücksichtigt werden, woran ­Reumont jedoch stark zweifelte. Schließlich handelte es sich noch nicht einmal um eine freie Wahl. Entsprechend meldete er die gleichen Zweifel an der Abstimmung an, die später auch von französischer Seite angemeldet wurden.574 Derart schwere Vorwürfe gegen die Moderati wollte R ­ eumont jedoch nicht in der italienischen Öffentlichkeit erheben und bat Vieusseux deshalb, seine Einschätzungen vertraulich zu behandeln und höchstens Gino Capponi, der seine Ansichten ohnehin bereits kannte, oder Pietro Capei, der diese Ansichten mitunter teilte, davon zu berichten.575 Die Bitte, diese Betrachtungen vertraulich zu behandeln, war sicherlich nicht nur durch die Gewissheit motiviert, sich mit derartigen Äußerungen den Unmut der ­Moderati zuzuziehen, sondern auch mit ­Reumonts diplomatischer Stellung. Schließlich stimmten seine persönlichen Einschätzungen mit denen seines Vorgesetzten, Außenminister von Schleinitz zu dieser Zeit weitestgehend überein, der ebenfalls die Rückkehr des Habsburg-Lothringer und die Beibehaltung der toskanischen Autonomie für die beste Lösung hielt.576 Dabei glaubte er, dass eine Annexion an Sardinien-Piemont der Toskana nicht nur schaden werde, sondern zudem auch nicht im eigentlichen Interesse der Einwohner liege, insbesondere die Landbevölkerung betrachtete er als dem Großherzog treu ergeben, auch wenn er einsah, dass dieser Teil der Bevölkerung für die politischen Geschicke der Toskana nicht maßgeblich sein werde.577 Damit machte er Vieusseux auf das Problem fehlender Legitimität der Assemblea dei Rappresentanti sowie die damit verbunden Schwierigkeiten in den kommenden diplomatischen Verhandlungen aufmerksam. Der Versuch, den Anschluss der Toskana durch die Wahl einer repräsentativen Versammlung vor der europäischen Öffentlichkeit zu legitimieren und damit eine westlicher Demokratie und östlichem Absolutismus einzuschlagen suchte, vgl. Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 72), Berlin 1990, S. 182–184. 574 BNCF Vieuss., C. V. 89,96, R ­ eumont an Vieusseux, Poggio Ubertini, 26. Juli 1859: „On fausse la question – on fausse les sentiments du pays, qui, aujourd’hui encore, est attaché à la dynastie, malgré tout ce qu’on dit & ce qu’on imprime, & malgré le jeu de toutes ces passions particulières.“ 575 Ebenda: „Je Vous ai écrit franchement & di primo getto: il est inutile que j’ajoute que c’est d’une manière entièrt confidentielle, p.r V.s & p.r Capponi qui du reste connaît assez ma manière de voir, & pr. Capei si V.s voulez.“ 576 Friese (1933), Bd. 1, Dokument Nr. 506: Schleinitz an Brassier de St. Simon (Turin), Berlin, 28. Juli 1859, S. 771–774, hier S. 773 mit Anm. 4. 577 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 9, Florenz (Rom), 28. Februar 1859, Blatt 67–78; auch zitiert bei: Cataluccio (1959), hier Doc. 24 – ­Reumont al Principe Reggente (Roma, 28 febbraio 1859), S. 367–375; Nr. 24, Florenz, 24. August 1859, Blatt 355–360.

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Rückkehr der alten Dynastie unmöglich zu machen, war tatsächlich an einer zu offensichtlichen Manipulation der Abstimmung gescheitert. Die französische Diplomatie, die Wert darauf legte, die Entscheidung über das Schicksal Italiens nicht aus der Hand zu geben, legte wenige Tage später durch ­Reumonts französischen Kollegen Ferrière-le-Vayer den Finger in die Wunde und zweifelte die Rechtmäßigkeit einer Wahl an, die nicht nach dem universellen Wahlrecht durchgeführt werde und die ländliche Bevölkerung fast komplett ausschließe, weil sie vermutlich für die Rückkehr der Dynastie stimmen würde. Außenminister Cosimo Ridolfi berichtete dem Regierungschef der provisorischen Regierung Ubaldino Peruzzi von den französischen Einschüchterungsversuchen durch die Aberkennung jeglicher Legitimität der zu wählenden Versammlung: „Qui La Ferrières predicava contro la nostra assemblea a nome di Walewski, come quella che risulterebbe costituita quasi con l’esclusione dei campagnoli e dei contadini, che si credono dinastici, e sosteneva che bisognava ricorrere al suffragio universale per avere il vero voto della Toscana.“578

Die provisorische Regierung war sich der problematischen Legitimationsgrundlage bewusst, allerdings wusste diese auch um die Gefahr, die von einer Abstimmung unter Einbeziehung der Landbevölkerung ausgehen konnte. Denn tatsächlich genoss der Großherzog auf dem Lande einen nicht zu unterschätzenden Rückhalt, wie das von Andrea Zagli untersuchte Beispiel des im Valdarno Pisano gelegenen Bientina zeigt, dessen Bevölkerung seit dem Beistand Leopolds II. während des Arnohochwassers 1844 dem Fürstenhaus treu ergeben war und bis zuletzt an diesem festhielt.579 Insofern stellte ein Rückgriff auf das von den französischen Diplomaten geforderte universelle Wahlrecht keine Alternative dar. Zumal diese die Landbevölkerung einbezogen wissen wollten, gerade weil sie davon ausgingen, dass sich deren Beteiligung zugunsten des Großherzog auf das Wahlergebnis auswirken würde. Folglich blieb der provisorischen Regierung nichts anderes übrig, als darauf zu beharren, dass eine Rückkehr des Großherzoges nur noch mittels einer bewaffneten Intervention zu erreichen sei.580 Dahinter stand das Kalkül, dass Napoleon III., der sich als Unterstützer des Nationalitätsprinzips inszenierte und die italienische Unabhängigkeit bis Villafranca entscheidend gefördert hatte, nun davor zurückschrecken würde, eine habsburgische Sekundogenitur unter Waffengewalt wiedereinzusetzen. Vor dem Hintergrund, dass er bereits 1849 der Römischen Republik ein gewaltsames Ende bereitet hatte, um Pius IX. nach Rom zurückzuführen, blieb 578

Ciampini (1959), Cosimo Ridolfi a Ubaldino Peruzzi, VI, Florenz, 30. Juli 1859, S. 29–31, hier S. 30. 579 Andrea Zagli: „Viva Leopoldo e la sua famiglia!“: I moti legittimisti di Bientina del 1849, Rassegna storica toscana 47 (2001), S. 315–344. 580 Ciampini (1959), Cosimo Ridolfi a Ubaldino Peruzzi, VII, Florenz, 31. Juli 1859, S. 31–33, hier S. 31: „Noi resistiamo con gli argomenti stessi che voi adducete costì e sostenghiamo [sic!] la restaurazione impossibile senza sangue e senza fermenti gravissimi, e mostriamo che perché avvenga bisogna che Dinastia trovi chi la conduca, chi la tuteli, chi la serva, sicché concludiamo che senza intervento la restaurazione è impossibile.“

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freilich stets die Unsicherheit über die wahren Absichten des französischen Kaisers. Allerdings glaubten die Moderati, darauf vertrauen zu können, dass er nicht bereit sei, ein zweites Mal eine Herrschaft zu restaurieren, die möglicherweise keinen französischen Einfluss auf ihre Innenpolitik dulden werde. Trotz intensiven Bemühens gelang es der provisorischen Regierung jedoch nicht, eine eindeutige Stellungnahme Napoleons III. zu erhalten.581 Deswegen mahnte Ridolfi gegenüber Peruzzi an, dass es die wichtigste Aufgabe der provisorischen Regierung sei, möglichst viele Probleme zu bereiten, die einen europäischen Kongress zur Lösung der italienischen Frage erforderlich machen mussten: „La restaurazione è certo per la diplomazia la soluzione più semplice, e quindi la più desiderata. Ma noi dobbiamo al contrario far di tutto perché le difficoltà si accumulino, e debba per necessità aver luogo un Congresso Europeo, nel quale posson sorgere molti vantaggi per noi.“582

In der für die Toskana schwierigen Situation, in der es fraglich schien, ob das Votum der Versammlung internationale Anerkennung und ob die Interessen der Toskana in den Verhandlungen der europäischen Mächte eine Berücksichtigung finden würden, oder ob man sie bloß als Verhandlungsmasse betrachtete, glaubte die provisorische Regierung Entschlossenheit und Geschlossenheit demonstrieren zu müssen. Bei Ridolfi allerdings wurde in seinen Überlegungen immer wieder deutlich, dass er die Rückkehr der Habsburg-Lothringer durchaus nicht ausschloss. Durch den wachsenden Wunsch einer Formierung eines Königreichs Zentralitalien, würden die Schwierigkeiten einen Anschluss zu bewerkstelligen wachsen, während Ferdinand IV. diese Chance nutzen könnte: Wenn es ihm gelänge, als König eines Königreichs Zentralitalien zurückzukehren, würden die Vorbehalte gegen ihn schwinden.583 Insofern waren sich die Moderati nicht nur der akuten Gefahr der Rückkehr der Habsburg-Lothringer bewusst, sondern rechneten auch damit, dass es diesen gelingen könnte, unter veränderten Umständen wenn schon nicht die Bevölkerung hinter sich zu bringen, so doch ihren Widerstand gegen eine Rückkehr zu überwinden. Umso wichtiger war es, nicht nur das erwünschte Wahlergebnis zu erhalten, sondern zugleich keinen Zweifel daran zu lassen, dass die Vorwürfe der internationalen Diplomatie, dass die Wahlen massiv manipuliert worden seien und dass die Landbevölkerung eigentlich hinter den Habsburg-Lothringern stehe, völlig unbegründet seien. Kurz vor der Wahl versicherte Capponi dem in Turin weilenden Matteucci: „Un’idea prevale, cosa singolare: annessione! e altra parola non vorrebbero le città e le terre, seguendo l’impulso. Un partito per la Dinastia propriamente non vi è, nemmeno nelle cam-

581

Ebenda, S. 32. Ebenda. 583 Ebenda: „Ora che è cresciuto il desiderio che si formi una Italia Centrale, a misura che si vede crescer la difficoltà per l’annessione, e bisognerebbe cercar di giungere a codesto risultamento. La dinastia che ci desse codesto vantaggio sarebbe la preferita, e forse se Ferdinando IV ce lo procurasse, le grandissime difficoltà che militano contro di lui scemerebbero.“ 582

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pagne; ma vi sono degli uomini spicciolati, e tanto più in collera, quanto più s’avveggono di non potere insieme, ed in mezzo alla maggiorità opposta, formare un partito.“584

Außerdem sei es kaum noch möglich, die Autonomie zu vertreten: Sobald die Gefahr oder der Verdacht bestehe, dass die Österreicher in irgendeiner Form zurückkehren könnten, sei sie diskreditiert.585 Insofern glaubte er nicht an das von Ridolfi befürchtete Szenario. Indes hatte die internationale Diplomatie an der offiziellen Darstellung der Moderati erhebliche Zweifel. Der französische Gesandte in Florenz, La Ferrières, berichtete in seinen Depeschen nach Paris, dass die Regierung das Land massiv in ihrem Sinne beeinflusse und Gegner des Anschlusses konsequent ausschalte. Auch R ­ eumont äußerte sich in diesem Sinne.586 Insofern gelang es der provisorischen Regierung nicht, die ausländischen Gesandten vor Ort von der Legitimität ihres Vorgehens zu überzeugen. Tatsächlich musste auch Ridolfi zugeben, dass es eine Partei für die Rückkehr gab und dass man gegen diese vorgehe, jedoch handle es sich dabei um einige wenige Unruhestifter.587 Für ­Reumont war die Situation in seinen diplomatischen Depeschen eindeutig und er berichtete in einem ähnlichen Sinne wie sein französischer Kollege ­Ferrière, ohne allerdings den entscheidenden Mangel der Assemblea darin zu sehen, dass sie nicht durch ein universelles Wahlrecht zustande gekommen war. Vielmehr kritisierte er die Einschüchterung der Gegner eines Anschlusses an Sardinien-­Piemont. Dieses betreibe eine verfehlte Politik, indem es die legitimen Regierungen und Souveräne diskreditiere und sich zur Erringung einer nationalen Unabhängigkeit innenpolitisch auf die Revolution und außenpolitisch auf Frankreich stütze. Die Gefahren der Abhängigkeit von Frankreich seien durch die Vereinbarungen von Villafranca und den damit verbundenen Rücktritt Cavours bereits deutlich geworden. Die auf Betreiben Piemonts erfolgte Revolutionierung habe durch zahlreiche Fehler der großherzoglichen Familie, wie der Beteiligung Ferdinands IV. an der Schlacht von Solferino, leichtes Spiel gehabt und die Bevölkerung eingeschüchtert. Dennoch gebe es innerhalb des Adels, der mittleren Klassen und insbesondere der Landbe 584

Lettere di Gino Capponi, Bd. 3, Nr. 591: Al professore Carlo Matteucci, Torino, Florenz, 5. August 1859, S. 283–284, hier S. 284. 585 Ebenda, Nr. 594, Al professore Carlo Matteucci, Torino, S. 286–288, hier S. 286: „[…] basta il pericolo o il sospetto di una possibile influenza austriaca, a screditare l’autonomia: tutti vorremmo lo stato grosso, ma governato senza i vizi di troppo stretta centralità.“ 586 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 24, Florenz, 24. August 1859, Blatt 355–360. 587 Ciampini (1959), Cosimo Ridolfi a Ubaldino Peruzzi, X, Florenz, 7. August 1859, S. 37–40, hier S. 38: „[…] e poi voglio dirvi che siamo sicuri esservi un partito di cui si fa organo costì La Ferrières coi suoi dispacci, il quale partito va dicendo che il Governo esercita una specie di terrorismo sul paese e per influire sui voti degli elettori, e poi su quelli dell’Assemblea. Tutto ciò è falso, completamente falso. Il Governo ha dovuto far qualche arresto, mandar via qualcuno, ammonire qualche altro. Ma tutto ciò si limita a pochi individui Mazziniani, Gesuiti e Dinastici arrabbiati, i quali poi sono individui delle due genie già indicate, vestiti con altri panni.“; zur Vorgehensweise gegen Demokraten und Legitimisten vgl. auch Kroll (1999), S. 385.

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völkerung nach wie vor großen Zuspruch für den Großherzog. Insofern sei dessen Rückkehr durchaus denkbar, wenn bei dessen Restauration auf die Beteiligung Österreichs verzichtet werde. Folglich sei das Anschlussvotum der Assemblea dei Rappresentanti keineswegs repräsentativ, da die meisten eine Annexion durch Sardinien-Piemont ablehnten.588 Mit dieser Einschätzung lag R ­ eumont durchaus richtig, jedoch verschwieg er dabei, dass die Assemblea eigentlich gar keine Annexion durch Sardinien-Piemont bezweckte, sondern, wie es auch Bettino Ricasoli in seinem Memorandum alle ­potenze europee vom 24. August 1859 darlegte, einen Anschluss an einen neuen und großen Staat, außerhalb dessen, wie die Erfahrung zeige, keine hinreichende moralische und materielle Entwicklung möglich sei.589 Es gab nämlich auch innerhalb der Versammlung zahlreiche Anhänger eines neu zu gründenden Staates, innerhalb dessen die Toskana eine gewisse Autonomie behalten sollte. ­Reumont jedoch befürchtete, dass die Moderati, wenn sie sich erst einmal in die Abhängigkeit Sardinien-Piemonts begeben hätten, nicht mehr Herr der Lage sein würden und deswegen durch ihre Politik, wenn auch unbeabsichtigt, den Untergang der autonomen Toskana einleiten würden. Dementsprechend konnte er auch kein Verständnis für die Ausführungen ihm nahestehender Moderati, wie Leopoldo Galeotti aufbringen. Dieser war 1848 Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung eines Pressegesetzes und zur Erweiterung der Consulta di Stato gewesen. Als einer der Wortführer der Moderati versuchte er nach dem Präliminarfrieden von Villafranca den Großherzog davon zu überzeugen, dass er seine Dynastie nur dann halten könne, wenn er ein liberales Ministerium einsetze und die Allianz mit Sardinien-Piemont suche (freilich ohne dabei die Forderung nach Selbstverwaltung der Toskana fallen zu lassen). Nach der Flucht des Großherzogs fungierte Galeotti als Sekretär der Assemblea und gehörte der Kommission an, die die Dynastie der habsburgisch-lothringischen Großherzöge für abgesetzt erklärte. Vor diesem Hintergrund rechtfertigte Galeotti die Repräsentativität der Assemblea und sah in der Bevölkerung keinerlei Rückhalt mehr für den Großherzog. Selbst die Versuche französischer Diplomaten, die öffentliche Meinung auf die Rückkehr der Dynastie einzustimmen seien fehlgeschlagen.590 ­Reumont tat derartige Deutungen der toskanischen Situation als Teil einer großangelegten piemontesischen Kampagne ab und beharrte auf seiner Einschätzung, dass das Anschlussvotum den wahren Interessen der Toskana zuwiderlaufe. Schließlich bedeute dies, dass die Toskana eine piemontesische Provinz werde und ihre alt­bewährten Institutionen verliere. Die piemontesische Verwaltung könne aber in der Toskana nicht funktionieren. Denn von einem zentralistischen Verwaltungssys 588 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 24, Florenz, 24. August 1859, Blatt 355–360. 589 Vgl. Zeffiro Ciuffoletti: Montanelli e la rivoluzione toscana del ’59-’60, in: Rogari (2013), S. 217–225, hier S. 222; Ballini (2012), S. 120. 590 Leopoldo Galeotti: L’Assemblea Toscana, Florenz 1859; zu Galeottis Biographie vgl. Giovanni Assereto: Galeotti, Leopoldo, DBI 51 (1998), S. 431–435.

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tem hatte das toskanische Patriziat sich gerade erst befreit und durch eine erneute Dezentralisierung über seine lokalen Netzwerke wieder den vollständigen Zugriff auf die Administration erhalten.591 Insofern änderten die jüngsten Entwicklungen nichts daran, dass die Konföderation unabhängiger Staaten der einzig gangbare Weg sei, der langfristigen Erfolg verspreche – auch wenn diese Variante zurzeit unwahrscheinlich erscheine, da sich die Toskana dem piemontesischen Weg der Revolution angeschlossen habe. Dies werde aber dazu führen, dass der italienische Staat keinen dauerhaften Bestand haben könne, da er gegen geltendes Recht entstehe. Die seiner Ansicht nach dahinterstehende Problematik erklärte ­Reumont im letzten Abschnitt seines Berichts, der einen interessanten Einblick in seine Deutung der italienischen Situation gibt. Darin erklärt er nämlich noch einmal prägnant, warum die italienische Nationalbewegung den Weg der Legitimität auf keinen Fall verlassen dürfe: „Si la nationalité italienne se fût créé son champ d’action et sa position d’une manière légitime, et moyennant ses propres forces, elle aurait trouvé en elle-même cette faculté conservatrice. Aujourd’hui elle lui fera défaut quoi qu’on dise : elle lui fera défaut d’autant plus que l’on regarde le Pontificat non comme une source de grandeur selon l’opinion des Balbo & des Gioberti, mais comme une cause de faiblesse, parce que l’idée révolutionnaire de l’unité, impossible, l’emporte sur l’idée conservatrice de la fédération, difficile mais en dernière analyse faisable, malgré les circonstances peu favorables. La révolution, je crains, restera incarnée dans le Piémont, & elle continuera à menacer ce qui se trouvera sur sa route.“592

Die Schaffung des italienischen Nationalstaats über eine revolutionäre Erhebung musste also das Papsttum als Repräsentanten der Legitimität und des historischen Rechts zu einem entscheidenden Hindernis machen, während die Nationalbewegung es sich doch zu Nutzen machen könne, wenn sie eine Konföderation unter Einbeziehung des Papstes verfolge. Die Autorität des Papstes, so nahm ­Reumont dabei an, würde dem Konföderationsprojekt vor der internationalen Diplomatie die notwendige Anerkennung verschaffen und damit das notwendige völkerrechtliche Fundament garantieren, das ein Nationalstaat benötige, um dauerhaft bestehen zu können. Neben der Analyse der politischen Situation Italiens und der Toskana ist es durchaus aufschlussreich, sich mit dem politischen Wertehorizont auseinanderzusetzen, vor dem R ­ eumont seine Berichte schreibt. Denn kein diplomatischer Berichterstatter beschreibt die politischen Entwicklungen an seinem Einsatzort vollkommen unvoreingenommen. Vielmehr wird jeder Diplomat auf die Grundlinien der Außenpolitik verpflichtet. Dementsprechend ist auch bei ­Reumont davon auszugehen, dass er sich an dem Wertehorizont seiner Vorgesetzten orientierte. Wich ­ eumonts ein Diplomat in seinen Berichten von der ausgegebenen Linie ab, wie R Kollege in Turin, Anton Brassier le Saint-Simon, der weniger den Bruch mit dem 591

Vgl. Kroll (1999), S. 367–377. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 24, Florenz, 24. August 1859, Blatt 355–360, hier Blatt 359v-360r. 592

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Legitimitätsprinzip kritisierte, sondern – ganz auf der Linie Cavours – vielmehr die realpolitischen Chancen eines von Frankreich und Österreich unabhängigen Italien für die preußische Politik beleuchtete, so musste er damit rechnen, von seinem Vorgesetzten an die Grundprinzipien der preußischen Außenpolitik erinnert zu werden. Diese stellte von Schleinitz gegenüber Brassier le Saint-Simon folgendermaßen dar: „le maintien des bases fondamentales du status quo territorial, tel que les traités de 1815 ont créé dans l’intérêt de l’équilibre européen et qui se trouvent modifiées mais pas encore renversées par les événements d’Italie; ce n’est autre chose que le respect dû au droit des gens et aux institutions consacrées par l’histoire et destinées à conserver à l’Europe les bienfaits d’une civilisation qui doit succomber si les attaques des révolutions frivoles ou des ambitions sans frein remportaient la victoire.“593

Mit seiner Ablehnung der Revolution und seinen legitimistischen Forderungen folgte ­Reumont also der offiziellen Linie der preußischen Italienpolitik. Seine italienischen Lagebeurteilungen fügten sich in diese von von Schleinitz angemahnten Leitprinzipien. Darüber hinaus ziehen sich zwei Leitmotive durch ­Reumonts Berichterstattung, die auf seine „Sozialisation“ im Umfeld Friedrich Wilhelms IV. zurückzuführen sind. Einerseits machte er immer wieder darauf aufmerksam, dass die österreichische Administration in Lombardo-Venetien vorbildlich sei, es jedoch versäume, der italienischen Identität gerecht zu werden, andererseits beschrieb er Napoleon III. und Sardinien-Piemont als Inkarnation der Revolution, der zur Erhaltung der europäischen Staatenordnung Einhalt geboten werden müsse. Während Friedrich Wilhelm IV. eine ideale Gesinnungsgemeinschaft der Völker und Monarchen Europas vorschwebte, innerhalb derer niemand egoistische nationale Interessen, sondern ausschließlich die historisch gewachsenen Strukturen des christlichen Europas in seiner Gesamtheit im Auge behalten und die jeweiligen regionalen Eigenheiten respektieren sollte,594 sah er sich bereits im Zuge des Krim-Krieges von Österreich hintergangen. Gegen die vorherige Abmachung, keine Separatbündnisse ohne Zustimmung Preußens abzuschließen, ratifizierte es am 2. Dezember 1854 eine Allianzvereinbarung mit den Westmächten Frankreich und England gegen Russland. Verbunden mit ständigen Differenzen innerhalb des deutschen Bundes, führte dies zu wachsendem Misstrauen des Königs gegenüber einer als intrigant und egoistisch empfundenen Politik, die seinem Ideal einer mitteleuropäischen Werte- und Interessengemeinschaft widersprach.595 ­Reumonts Vorwurf an die österreichische Herrschaft, durch eine zentralistische Administration die organisch gewachsenen munizipalistischen Strukturen der italienischen Städte und Regionen zu ignorieren 593 Die auswärtige Politik Preußens: Januar bis Dezember 1860, bearb. von Christian Friese (= Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871, Diplomatische Aktenstücke hrsg. von der Historischen Reichskommission unter Leitung von Erich Brandenburg, Otto Hoetzsch und Hermann Oncken, Bd. 2,1), Oldenburg 1938, S. 418–422; vgl. Voci (2011), S. 46–47 u. 61; Rusconi (2013), S. 50–52. 594 Vgl. Frank-Lothar Kroll (1990), S. 148–153. 595 Vgl. ebenda, S. 171–178.

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und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung bzw. der lokalen Führungsschichten zu schüren, indem sie eine Beamtenausbildung vorschrieb und bei der Besetzung der Posten dem lokalen Adel kein Vorrecht einräumte,596 musste vor dem Wertehorizont Friedrich Wilhelms IV. als schwerwiegende Verfehlung erscheinen und dessen Eindruck bestätigen, dass Österreich selbst längst vom „rechten Weg“ abgekommen sei.597 Dessen Weg des aufgeklärten Absolutismus in Verbindung mit einem zentralistischen Verwaltungsstaat lehnte auch der preußische König entschieden ab: Weder konnte er sich mit dem Gedanken anfreunden, seine Legitimation über eine Verfassung zu erhalten, die seinen göttlichen Auftrag in den Hintergrund treten lassen musste, noch konnte er eine Entmachtung von Adel und Priesterschaft nachvollziehen, die seiner Ansicht nach in einem funktionierenden Ständestaat die Monarchie durch ihre ständischen „Kollektivfreiheiten“ abmildern sollten, während dem Monarch die Aufgabe zukomme, zwischen den Interessen der Stände zu vermitteln.598 Hinsichtlich der Forderung, die historisch gewachsenen Lokalstrukturen zu erhalten und damit den jeweiligen Eliten ihren Einfluss zu sichern ergaben sich zwischen der politischen Linie Friedrich Wilhelms IV. und derjenigen der italienischen Moderati, abgesehen von der Tatsache, dass das Stände- und Feudalsystem in Italien keine mit Preußen oder Österreich vergleichbare Tradition hatte,599 durchaus Schnittmengen. Insofern konnte sich ­Reumont in seinen Lageberichten bis zu einem gewissen Grad durchaus an den Einschätzungen der Moderati orientieren, wenn er an den König schrieb. Andererseits teilte ­Reumont mit seiner Beschreibung des Vorgehens von Cavour und Napoleon III. im Krieg von 1859 als Kampf zwischen nationaler Usurpation und historischem Recht und des Papsttums als Bollwerk gegen die Revolution, mit dem es sich zu solidarisieren galt, nicht allein dem Argumentationsmuster der hochkonservativen Kreise,600 sondern folgte zugleich der Frankophobie Friedrich Wilhelms IV., der das bonapartistische System als bedenkliche Mischform revolutionärer und absolutistischer Grundsätze empfand, gegen das die Siegermächte von 1815 im Bedarfsfall geschlossen vorzugehen haben.601 Gleichwohl ist dabei zu beachten, dass R ­ eumont sich zwar in seiner auf preußisches Publikum ausgerichteten Argumentation des bereits vorhandenen hochkonservativen Diskurses bediente, der über religiöse Argumentationsmuster dem Konstitu 596

Vgl. Meriggi (1983), S. 186–188 und 206–215. Derartige Differenzen hatte Friedrich Wilhelm IV. auch mit Zar Nikolaus gehabt, dessen autoritären Absolutismus er als „unorganisch“ ablehnte, weil er das historische Recht korporativer Zwischengewalten verwarf. – vgl. Frank-Lothar Kroll (1990), S. 155. 598 Vgl. ebenda, S. 68–71. 599 In Norditalien gab es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr das Prinzip der Grundherrschaft. Der Adel war dort vor allem Stadtadel. Deswegen hatten dort Ständeversammlungen, wie sie Friedrich Wilhelm IV. in Preußen bevorzugte, keine historische Entsprechung. – Vgl. Meriggi (1983), S. 53–63. 600 Jens Petersen: Das deutsche politische Italienbild in der Zeit der nationalen Einigung, in: Angelo Ara / Rudolf Lill (Hrsg.): Immagini a confronto: Italia e Germania, Bologna 1991, S. 169–204, hier S. 186–187; Gabriele B. Clemens: L’immagine di Cavour nel mondo germanico, in: Levra (2011), S. 241–258, hier S. 248; Rusconi (2013), S. 68–69. 601 Frank-Lothar Kroll (1990), S. 160–166. 597

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tionalismus entgegenzutreten suchte,602 jedoch inhaltlich entgegengesetzte Ziele verfolgte: Im Gegensatz zu den Hochkonservativen, trat er nicht für das Papsttum ein, um mithilfe einer autoritären Staatskirche jegliche Liberalisierungstendenzen behindern zu können, sondern um die Kirche von innen heraus reformieren und anschließend die Zivilgesellschaft christianisieren zu können. R ­ eumont forderte nicht, die autoritären Strukturen der Kirche auf die Gesellschaft und den Staat zu übertragen, sondern ein den Bedürfnissen der modernen Zeiten angepasstes, innerhalb der Zivilgesellschaft fest verankertes Christentum, das den Staat aus der Gesellschaft heraus im freiheitlich-christlichen Sinne prägen sollte. Dieser auf den Vorstellungen eines wichtigen Teils der toskanischen Moderati, die von Rosmini, Tommaséo, Lambruschini und protestantischen Bewegungen inspiriert waren,603 beruhende Ansatz stand eigentlich im Gegensatz zur hochkonservativen Intention, während er sich mit dem Staatsverständnis Friedrich Wilhelms IV. problemlos in Einklang bringen ließ, indem sie auf die von ihm geforderte gefühlsgeleitete, unmittelbare, persönliche Religiosität abzielte, die ein übergreifendes Gemeinschaftsgefühl als Christen bewirken sollte, das den Staat – unabhängig von seiner Verfasstheit – stabilisieren sollte.604 Um die in der Toskana kennengelernten liberal-katholischen Ideale umsetzen zu können, nach denen das Papsttum der Nationalbewegung den notwendigen moralischen Halt liefern sollte, schloss sich R ­ eumont der Forderung der preußischen Hochkonservativen nach Verteidigung des Papsttums an. Insofern griff er dankbar auf hochkonservative Argumentationsmuster zurück, um die Kirche als stabilisierendes Element der Gesellschaft zu erhalten. Allerdings forderte er eine Reform der Kirche, um unverrückbare christliche Werte verankern und vor der politischen Instrumentalisierung bewahren zu können. Seine Parteinahme für die römische Kirche war also tatsächlich eine religiös motivierte, bei der er – ähnlich wie schon Rosmini – den Fortbestand der christlichen Verkündigung allen übrigen politischen Erwägungen voranstellte. Dabei stellte er keineswegs die Religion in den Dienst der Politik, wie es gerade von konservativen Politikern bewusst getan wurde,605 sondern die Politik in den Dienst der Religion. Allerdings musste R ­ eumont im Laufe der 1850er Jahre feststellten, dass die bereits erwähnte Schnittmenge zwischen dem Wertehorizont des preußischen Königs und den politischen Forderungen der Moderati sich laufend verringerte. Nach den Erfahrungen der Jahre 1848–49 hatte Leopold II. den Moderati das Vertrauen entzogen, indem er die lokalen Selbstverwaltungsrechte einschränkte und mit der Gemeindeordnung des Jahres 1853 die Wählbarkeit der Gemeinderäte beseitigte, um 602 Zur Instrumentalisierung der Religion gegen den Konstitutionalismus vgl. auch Rudolf Schlögl: Alter Glaube und moderne Welt. Europäisches Christentum im Umbruch 1750–1850, Frankfurt am Main 2013; Amerigo Caruso: Nationalstaat als Telos? Der konservative Diskurs in Preußen und Sardinien-Piemont 1840–1870 (Elitenwandel in der Moderne, Bd. 20), Berlin / Boston 2017, S. 147–329. 603 Vgl. etwa Spini (1998); Pitocco (1972). 604 Vgl. Frank-Lothar Kroll (1990). 605 Vgl. Schlögl (2013), S. 221–226.

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ihre Besetzung durch Losentscheid zu ermitteln. Damit wurden lokale Seilschaften außer Kraft gesetzt, um jegliches Gegengewicht zur Politik des Großherzogs im Keim zu ersticken. Seitdem geriet die Herrschaft des Großherzogs innerhalb der toskanischen Führungsschicht zunehmend in Misskredit, die sich um ihren bis dato ausgeübten Einfluss gebracht sah.606 Anfang 1857 konstatierte der marchese Ginori Lisci: „Ora alle persone che godono in Toscana di una posizione di qualche importanza […] è preclusa ogni via per giungere se non al potere, almeno ad avere qualunque siasi influenza negli affari dello stato.“607

Folglich warnte er den Großherzog, dass bei einem Fortführen dieser gegen die lokalen Eliten gerichteten Politik der Vertrag zwischen Fürsten und Untertanen auch einseitig vom Volk gekündigt werden könne.608 Insofern wurde die Loyalität der Mode­rati schon vor Beginn des Zweiten Unabhängigkeitskrieges 1859 auf die Probe gestellt, da diese mittlerweile immer weniger daran glaubten, noch einmal einen Ausgleich mit Leopold II. erzielen zu können. Daher war es nur folgerichtig, dass Ginori Lisci der nach der Flucht des Großherzogs einberufenen Assemblea dei Rappresentanti einen Antrag zur Abstimmung vorlegte, der die habsburgisch-lothringische Dynastie für mit den Interessen der Toskana unvereinbar erklärte.609 ­Reumont, der sich der Unzufriedenheit der Moderati mit den letzten Jahren der Herrschaft Leopolds II. bewusst war, gestand dem toskanischen Volk zu, sich gegen eine großherzogliche Politik zu erheben, die den toskanischen Interessen zuwider laufe, dies jedoch nur in einer Extremsituation und nur dann, wenn dadurch eine tatsächliche Verbesserung der Situation erreicht werden könne. Wie R ­ eumont gegenüber Vieusseux deutlich machte, werde das Schicksal der Toskana jedoch ohnehin nicht in Florenz entschieden: „J’attends ce soir la décision de la votation, pourvu qu’elle ait lieu. Mieux eût valu s’en abstenir. La restauration, je crois, est décidée. Quant à la conduite de MM Ginori & autres, nous ne nous accorderons pas. […] Quant au droit d’un peuple de déclarer la déchéance d’un Souverain, je le reconnais, mais seulement dans ces cas tout à fait extrêmes: je devrais hésiter à le reconnaître quand il s’agit d’une dynastie. Ce cas extrême n’existe pas p.r la Toscane; je suis tout prêt à faire sa part, très-large, au sentiment de nationalité, & à avouer & à condamner 606 Vgl. Kroll (1999), S. 338–347; Chiavistelli (2006), S. 95–117. Während Kroll von einer „Revolte des Patriziats“ gegen seine Entmachtung seit den 1840er Jahren ausgeht, konnte Chiavistelli zeigen, dass noch bis 1853 die Nobilität die Verwaltung unter ihrer Kontrolle hatte und erst im Zuge der Gemeindeordnung desselben Jahres entmachtet wurde. Insofern kann man erst nach 1848/49 von einer adelsfeindlichen Politik des Großherzogs sprechen. Nach seiner Rückkehr in die Toskana hatte der Großherzog die zuvor betriebene Kooperation mit den Moderati als gescheitert betrachtet, da seine vorsichtige Reformpolitik statt der beabsichtigten Stabilität den Umsturz gebracht hatte. 607 Archivio Ginori Lisci, Scritti politici e originali di Lorenzo Ginori Lisci: Memoria presentata e letta dall’autore a S. A. Imp. e Reale il Granduca di Toscana il dì 5. Febbrajo 1857, zit. nach Kroll (1999), S. 347. 608 Vgl. ebenda. 609 Vgl. ebenda, S. 385.

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les torts du Grand-Duc en plusieurs cas: mais la manière vilaine, déloyale, dépourvue de tout sans de dignité, dont s’est faite cette révolution, détruit, quant à moi, tante espèce de droit.“610

Neben der Tatsache, dass ­Reumont davon ausging, dass die Restauration der habsburgisch-lothringischen Dynastie bereits beschlossene Sache gewesen sei, war er nicht bereit, den Sturz des Großherzoges mit revolutionären Mitteln hinzunehmen. Schließlich stellte man sich dadurch eindeutig gegen die europäische Ordnung und gegen diejenigen Mächte, die sie garantierten. Die Toskana, die sich vom Großherzog losgesagt hatte, war dadurch vollkommen darauf angewiesen, dass die Einhaltung der Wiener Beschlüsse nicht länger durchgesetzt werden würde. Genau daran zweifelte ­Reumont allerdings, da er, insbesondere nach den Erfahrungen der europäischen Revolutionen 1848–50, davon ausging, dass es zu einer erneuten Restauration kommen würde, um nicht die europäische Ordnung zu gefährden. Bei dieser Argumentation hatte er sicherlich die Ausführungen im Gedächtnis, die Niccolò Tommaséo bereits 1832 als einer der führenden Beiträger zu Vieusseux’ Antologia beigesteuert hatte, in denen er zwar einerseits die Verabsolutierung des Legitimitätsprinzips ablehnte und dem Volk das Recht zuerkannte, sich des Fürsten zu entledigen, jedoch andererseits davor warnte, einen Fürsten abzusetzen, der guten Willen zeige, aber lediglich unfähig sei: Nach einer zu Unrecht betriebenen Absetzung eines Fürsten erhalte man nämlich als göttliche Strafe einen noch schlechteren.611 Daher glaubte ­Reumont nicht, dass eine Absetzung Leopolds II. eine tatsächliche Verbesserung der politischen Situation der Toskana bringen werde. Das Gegenteil werde der Fall sein, da die europäischen Mächte die Wiener Ordnung aufrechterhalten würden. Das bedeutete jedoch nicht, dass man einfach zur politischen Aufteilung Italiens, wie sie zu Anfang des Jahres 1859 bestanden hatte zurückkehren musste. Denkbar war auch eine durch einen europäischen Kongress verhandelte Neuordnung Italiens – die entscheidende Bedingung war, dass Änderungen im Einklang mit dem Völkerrecht stehen mussten, indem sie von denjenigen europäischen Mächten, die sie betrafen angenommen wurden. Insofern sah ­Reumont durchaus die Möglichkeit, politisch-soziale Probleme zu berücksichtigen und Veränderungen der österreichischen Herrschaft in Italien herbeizuführen, die dem konservativen Prinzip ebenso sehr schade, wie Sardinien-Piemont selbst.612 In diesem Sinne 610

BNCF Vieuss., C. V. 89,103, R ­ eumont an Vieusseux, Artimio, 20. August 1859. Vgl. Kapitel C. I. 1. ­Reumonts erste Versuche in der Antologia, S. 241–252; K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. ­83–103, hier S. 87. 612 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 27, Florenz, 6. September 1859, Blatt 390–399: „Votre Altesse Royale voudra bien daigner se rappeler, que je n’ai point été partisan de la politique Autrichienne en Italie, que j’ai bien reconnu les dangers qu’elle créait, & que j’ai attribué à la nationalité italienne sa juste & légitime valeur, tout en signalant, depuis des années déjà, les allures menaçantes du Piemont, & ses menées dans l’Italie centrale. Aujourd’hui les choses sont arrivées aux dernières limites, & je ne sache qui des deux ait fait plus de mal au principe conservateur: l’Autriche ou le Piemont. Mais l’artichaut, que, d’après un apophthègme [sic] célèbre, le Piémont vent manger feuille par feuille, n’est plus la Lombardie – c’est l’Italie.“ 611

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drängte er auch Wilhelm I. bzw. das preußische Außenministerium, sich auf einem europäischen Kongress dafür einzusetzen, dass der Revolution wirkungsvoll Einhalt geboten werde.613 Dabei, so glaubte ­Reumont, könne Preußen durchaus als Vermittler zwischen Österreich und Frankreich gegen Sardinien-Piemont agieren. Schließlich sei bei dem feindseligen Ton, den die piemontesische Politik gegenüber dem Kirchenstaat anschlage abzusehen, dass die Piemontesen früher oder später auch gewaltsam gegen den Kirchenstaat vorgehen werden. Dies werde aber selbst Napoleon III. aus innenpolitischen Gründen nicht hinnehmen können. Deshalb forderte ­Reumont, Frankreich und Österreich davon zu überzeugen, gemeinsam der piemontesischen Annexionspolitik entgegenzutreten.614 In ­Reumonts Depeschen tauchte Sardinien-Piemont stets als Störer der europäischen Ordnung auf, dem das europäische Konzert entgegenzutreten habe, um das Prinzip der Legitimität gegen das der Revolution zu behaupten. Damit bewegte er sich innerhalb der offiziellen Linien preußischer Außenpolitik, die auf die Einhaltung der Wiener Beschlüsse zielte. Seine Einschätzung, dass die Politik der Moderati, die den Großherzog für abgesetzt erklärten, den Interessen des Großteils der Bevölkerung zuwiderlaufe, wurde zudem von den meisten seiner internationalen diplomatischen Kollegen geteilt. Nicht nur das französische Außenministerium war der Auffassung, dass die Assemblea dei Rappresentanti deswegen nicht auf ein universelles Wahlrecht zurückgreifen mochte, weil sie wusste, dass sie sonst die Absetzung des Hauses Habsburg-Lothringen und den Anschluss an das Königreich Italien nicht unbedingt hätte verwirklichen können.615 Die britische Seite beurteilte den Sachverhalt ähnlich. Sir George Cornewall-Lewis, ein Mitglied des liberalen Kabinetts, glaubte nicht daran, dass die Bevölkerung Toskanas sich damit arrangieren werde, ihre Autonomie an Sardinien-Piemont zu verlieren. Letztlich hielt er aber einen Anschluss an Piemont und einen Staat der Genua und Venedig beinhaltet für aus britischer Sicht erstrebenswert. Schließlich müsse dieser in der Furcht vor einer englischen Blockade aus politischem Opportunismus im Interesse ­ eumont Großbritanniens agieren.616 Derartige realpolitische Erwägungen mochte R nach 1848/49 nicht mehr anerkennen. Stattdessen folgte er dem Ideal Friedrich Wilhelms IV., nach dem die europäischen Staaten nicht in erster Linie ihre eigenen Interessen zu vertreten hatten, sondern diejenigen der christlich-monarchi 613 Ebenda: „Le Roi Victor Emanuel en appelle au Congrès des grandes puissances. L’influence de la Prusse y peut beaucoup, & la partie saine et loyale de la population toscane espère en la sagesse de son Gouvernement. J’en recommande les intérêts les plus chers & les plus sacrées à Votre Altesse Royale: Elle aidera puissamment à sauver l’existence de ce pays, à retirer pays et peuple de l’abime, au bord duquel ils se trouvent. La Prusse trouvera des alliés. L’affaire est grave. Ce n’est pas d’un petit Etat qu’il s’agit, c’est de toute l’Italie. Et il ne s’agit pas de l’Italie seulement. Outre les principes & les questions politiques de la plus haute importance, ce sont encore les principes fondamentaux de la morale qui sont en jeu.“ 614 Ebenda, Nr. 29: Florenz, 14. September 1859, Blatt 413–416. 615 Vgl. Kapitel B. II. 4. Risorgimento und romantisches Italienerlebnis: Zwischen den Höfen Leopolds II. von Toskana und Friedrich Wilhelms IV. von Preußen, S. 177–178. 616 Vgl. Blumberg (1990), S. 128.

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schen Ordnung in Europa. Die Vorteile, die Preußen aus einer Stärkung Sardinien-­ Piemonts für seine Position innerhalb des Deutschen Bundes ziehen konnte, hatten dementsprechend keinerlei Relevanz für ­Reumonts Betrachtungen. Obwohl er sich damit ganz auf der Linie der bisherigen preußischen Außenpolitik bewegte und in seinen Lagebeschreibungen weitestgehend mit denen seiner französischen und britischen Kollegen übereinstimmte, wurden seine Berichte angesichts eines möglicherweise nahenden europäischen Kongresses einer eingehenden Prüfung unterzogen. Der preußische Gesandte in Turin nämlich, Anton Brassier le Saint-Simon, berichtete in ganz anderer Weise von den Vorgängen. Dieser stand in engem Kontakt zu ­Cavour und unterstützte dessen Nationalpolitik. Entsprechend positiv hatte er von den italienischen Entwicklungen berichtet und die Vorzüge eines unabhängigen norditalienischen Staates für Preußen hervorgehoben.617 Angesichts zweier vollkommen unterschiedlicher Sichtweisen auf die italienischen Entwicklungen bestellte Wilhelm I. die beiden Gesandten im September 1859 nach Baden-Baden ein, um die Situation zu klären, allerdings beharrten beide Diplomaten auf ihren Ansichten,618 sodass Anton Albrecht Heinrich Louis von Wildenbruch mit der Sondermission betraut wurde, die wahren Verhältnisse herauszufinden. Letztlich sollte er sich auf die Seite Brassiers schlagen.619 Dies führte allerdings nicht dazu, dass sich die preußische Italienpolitik in der Folge etwa vornehmlich an den Berichten des Gesandten in Turin orientiert hätte. ­Reumonts Depeschen, die in ihren Situationsbeschreibungen durchaus zutreffend waren, spielten zunächst gerade wegen ihrer legitimistischen Bewertungen der italienischen Entwicklung weiterhin eine wichtige Rolle für die Ausrichtung der preußischen Italienpolitik. Trotz des für ­Reumont ungünstig ausfallenden Urteils des Sondergesandten Wildenbruch, sahen sich die piemontesischen Gesandten in den Beziehungen zum preußischen Außenministe­ eumonts Depeschen rium mit Lagebeurteilungen konfrontiert, die spürbar von R geprägt waren, wie der piemontesische Gesandte in Berlin, Edoardo Luigi Mario De Launay620 beklagte. Dieser hatte sich noch im November 1859 in einem Brief an Außenminister Giuseppe Dabormida621 darüber beklagt, dass sich sowohl der König als auch die preußischen Diplomaten an den Lagebeurteilungen ­Reumonts orientierten, denen zufolge die toskanischen Demonstrationen für den Anschluss an Piemont allein von der Revolutionsregierung angezettelt worden seien, aber in der Bevölkerung keinerlei Rückhalt genießen.622 Auf dieser Grundlage war das preußische Außenministerium tatsächlich nicht bereit, sich den piemontesischen 617

Vgl. Voci (2011), S. 46–47; Rusconi (2013), S. 50–52. Vgl. ebenda. 619 Vgl. Voci (2011), S. 46–47. 620 Vgl. Paola Casana Testore: De Launay, Edoardo Luigi Mario, DBI 36 (1988), S. 289–291. 621 Vgl. Dies.: Dabormida, Giuseppe, DBI 31 (1985), S. 561–564. 622 Vgl. Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871, Erste Abteilung: Vom Beginn der Neuen Ära bis zur Berufung Bismarcks, bearb. von Christian Friese (= Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871, Diplomatische Aktenstücke hrsg. von der Historischen Reichskommission unter Leitung von Erich Brandenburg, Otto Hoetzsch und Hermann Oncken, Bd. 1), Oldenburg 1933, Nr. 545: De Launay an Dabormida, 26. November 1859, S. 827; Rusconi (2013), S. 52. 618

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Avancen gegenüber zu öffnen. Das Legitimitätsprinzip wurde nach wie vor über die möglichen Vorteile gestellt, die eine Stärkung Sardinien-Piemonts für die preußische Position im Deutschen Bund mit sich bringen konnte.623 Nach der Unterredung im September 1859 mit Wilhelm I. und Brassier le Saint-Simon, erkannte ­Reumont jedoch auch die Notwendigkeit, die Glaubwürdigkeit seiner Depeschen unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass die in Mittelitalien um sich greifenden Erhebungen für einen Anschluss an das zu gründende Königreich Italien unter Führung Piemonts keineswegs ungeteilte Unterstützung fanden, wie es Brassier le Saint-Simon und die piemontesischen Diplomaten sowie die führenden moderati toscani glauben machen wollten. Eine willkommene Gelegenheit bot sich ihm dafür, als conte Gian Carlo Conestabile della Staffa624 seinen Augenzeugenbericht über die Stragi di Perugia weiterleitete, die in der internationalen Öffentlichkeit Anlass zu heftigen Polemiken gegen Pius IX. gegeben hatten.625 Am 20. Juni 1859 hatten päpstliche Truppen das aufständische Perugia eingenommen, das sich vom Kirchenstaat losgesagt hatte, um an das Königreich Italien angeschlossen zu werden. Nachdem ähnliche Aufstände in den restlichen Legationen, so in Ravenna, Forlì und Ferrara erfolgreich waren, da die päpstlichen Truppen zu den Aufständischen übergelaufen waren oder desertierten, war der Papst jedoch überzeugt, dass eine nachgiebige Haltung gegenüber Perugia nur dazu führen werde, dass das Beispiel weiter Schule mache und sich die Situation im restlichen Kirchenstaat nur noch weiter verschärfen werde. Deswegen glaubte er, der internationalen Öffentlichkeit Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit demonstrieren zu müssen und befahl, die Stadt kompromisslos zurückzuerobern. Das brutale Vorgehen der päpstlichen Truppen brachte Papst und Kirchenstaat jedoch einen erheblichen Ansehensverlust 623

Vgl. ebenda, S. 48. Conte Gian Carlo Conestabile della Staffa stammte aus einer vornehmen Familie Perugias, sein Vater Francesco war gonfaloniere von Perugia, seine Mutter war Vittoria Odescalchi. Conestabile bekleidete den Lehrstuhl für Archäologie an der Universität von Perugia und veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur lokalen Archäologie der Etrusker und Römer, u. a. Dei monumenti di Perugia etrusca e romana (Perugia 1855) und Iscrizioni etrusche e etrusco-latine in monumenti che si conservano nell’I. e R. Galleria degli Uffizi di Firenze (Florenz 1858). Zwischen 1858 und 1859 nahm er an der Grabungskampagne der Società Colombaria unter Führung Gino Capponis und Pietro Capeis teil. Wegen seiner neoguelfischen Haltung und seiner Forderung nach Unantastbarkeit der weltlichen Macht des Papstes hatte er sich weitgehend aus der Politik zurückgezogen. Im Juni 1859 verurteilte er den Aufstand Perugias gegen die päpstliche Herrschaft. In der Folge zog er sich wieder auf die Wissenschaft zurück. Er war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften, u. a. Accademia delle Scienze di Torino und Ehrenmitglied der Direktion des Instituto di corrispondenza archeologica (Vorläufer des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom); vgl. Roberto Volpi: Conestabile della Staffa, Giovanni Carlo, DBI 27 (1982), S. 768–770; zudem hat ­Reumont ihm ein biographisches Denkmal gesetzt: A. von ­Reumont: Gian Carlo Conestabile della Staffa, in: Ders.: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878, S. 397–422. 625 Vgl. zu den Ereignissen auch die Schilderungen des Augenzeugen und päpstlichen Offiziers Engelbert-Otto von Brackel: Titus Heydenreich: Stragi o legittima riconquista? I fatti di Perugia visti da Engelbert-Otto Barone di Brackel, ufficiale pontificio e homme de lettres, in: Matilde Dillon u. Giulio Ferroni (Hrsg.): Il Risorgimento visto dagli altri (Temi e testi 117), Rom 2013, S. 93–106. 624

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ein.626 In der europäischen Öffentlichkeit musste der Eindruck entstehen, dass dem Papst die Situation außer Kontrolle geraten sei und er seine Herrschaft nur noch mit Waffengewalt gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung sichern könne, während seine eigenen Soldaten sich bereits mit ihr verbrüdern oder die päpst­liche Sache bereits verloren geben. Tatsächlich handelte es sich in Perugia jedoch in erster Linie um einen Aufstand der liberalen Eliten, die eine provisorische Regierung gebildet hatten, um den Anschluss an Sardinien-Piemont zu betreiben. Die internationale Presseberichtertattung bezeichnete die Einnahme der Stadt, die 26 Verteidigern das Leben kostete, als „Blutbad“ und suggerierte dadurch gezielt eine breite Beteiligung der Bevölkerung.627 Deswegen kam ­Reumont der Bitte Conestabiles, seinen Bericht an das preußische Außenministerium weiterzuleiten unverzüglich nach. In seinem Begleitschreiben begründete ­Reumont die Notwendigkeit der Weitergabe dieses Berichtes mit dem Hinweis, den falschen Darstellungen der Presse das Urteil eines verständigen Betroffenen entgegenzustellen.628 Darin stellte Conestabile klar, dass die revolutionäre Bewegung das päpstliche Gouvernement nicht etwa reformieren wolle, sondern von Grund auf zerstören.629 Deswegen sei es das Ziel der Bewegung gewesen, Blut­ vergießen zu provozieren, um die päpstliche Regierung in Verruf zu bringen. Genau dagegen wehrte sich Conestabile, der als Mitglied der Deputation an Pius IX. das Bedauern über die Vorfälle und die Loyalität gegenüber der päpstlichen Regierung sowie die Hoffnung der Rückkehr der päpstlichen Benefizien ausgedrückt hatte.630 Denn seiner Ansicht nach schade die Bewegung der Unabhängigkeit vielmehr als 626

Vgl. dazu Romano Ugolini: Cavour e Napoleone III nell’Italia centrale. Il sacrificio di Perugia (= Istituto per la Storia del Risorgimento Italiano: Biblioteca scientifica, Serie II: Memorie, Vol. XXVIII), Roma 1973; Candeloro (2011), Bd. 4, S. 344–347. 627 Vgl. Ugolini (1973), S. 3–29. 628 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Florenz, 15. Oktober 1859, Blatt 477–479: „Da über den Kirchenstaat, sofern dessen nördlicher Theil in Betracht kommt, so irrige Ansichten so von Bologna wie von hier aus, von Ober-Italien nicht zu reden, durch eine unermüdliche Presse verbreitet werden, so glaube ich mir erlauben zu dürfen, Erw. Excellenz dies Document ganz ergebenst vorzulegen, welches die beklagenswerthen Ereignisse in Perugia beleuchtet, von denen der Graf Conestabile mit Recht sagt, daß „in wahnsinnigem Widerstand“ (zu welchem von der hiesigen Regierung großen­theils die Mittel an Waffen, Munition usw. geliefert wurden) „die Restauration der rechtmäßigen Herrschaft gerade deshalb mit Blut habe beflecken wollen, um einen Anlass zu haben, gegen die päpstliche Regierung aus vollem Halse zu schreien, und davon Verlegenheiten und Mißverhältnisse hundertfach zu vermehren.“ Ueberdies hat dies Actenstück auch noch dadurch einen Werth, daß es die Ansicht und Ueberzeugung eines verständigen und loyalen Mannes in Betreff des Papstthums und seiner Stellung in Italien aufgreift.“ 629 Ebenda: „Zu diesem Zwecke arbeitete man an der Auflösung seiner besten Truppen durch Geldmittel, man wollte den Abfall von der päpstlichen Sache aller ehrlichen Bürger, um so jedes Band zwischen Souverain und Unterthanen zu zerschneiden, damit weder Waffengewalt noch die moralische Stütze der Individuen den Fall der päpstlichen Regierung aufzuhalten im Stande sein würden.“ 630 Vgl. Ugolini (1873), S. 275–276.

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sie ihr nutze, da das Papsttum das entscheidende Element der italienischen Identität sei.631 Die für die „Konstituierung einer italienischen Nationalität“ notwendigen Reformen seien keineswegs mit der päpstlichen Regierung unvereinbar, wie oft böswillig behauptet werde. Folglich warb Conestabile für die Aufrechterhaltung der päpstlichen Regierung und eine Unterstützung des Papstes selbst als ältesten italienischen Fürsten. Im Zuge dessen appellierte er ausdrücklich an die Katho­liken des Auslandes, indem er klarstellte, dass die von ihm propagierten Ideen „[…] Achtung verdienen, weil viele höchst achtungswerthe Männer aller Länder und aller Klassen sie mit mir theilen […]“.632 Dass ein prominenter Bürger des Kirchenstaates um internationale Unterstützung für den Erhalt des Kirchenstaates und eine Reform der Kirche aus ihrem Innern heraus ersuchte und damit die piemontesische Nationalpolitik konterkarierte, war nicht nur ­Reumont eine willkommene Bestätigung seiner eigenen Lagebeurteilung, sondern zugleich den toskanischen moderati, die mittlerweile eng mit Cavour kooperierten, ein Dorn im Auge. In ihrem Bestreben, nicht nur die italienische, sondern vor allem auch die internationale Öffentlichkeit von der Notwendigkeit der Schaffung eines norditalienischen Königreichs zu überzeugen, stellten die moderati auch die ausländischen Diplomaten unter Beobachtung. Innenminister Bettino Ricasoli ließ entsprechend auch R ­ eumonts Briefverkehr überwachen, wie einige Abschriften und Zusammenfassungen von R ­ eumonts amtlicher Korrespondenz im Fondo Bianchi Ricasoli im Archivio di Stato von Florenz zeigen. Die Weitergabe des Schreibens Conestabiles ist natürlich aufmerksam verfolgt worden und hat sicherlich ebenfalls dazu beigetragen, dass man von piemontesischer Seite die ablehnende Haltung Preußens gegenüber den piemontesischen Avancen mit ­Reumonts Berichterstat­ onestabile dankte tung in Verbindung brachte. Denn in seinem Antwortbrief an C ­Reumont ausdrücklich dafür, den revolutionären und antikatholischen Theorien entgegengetreten zu sein und deutete an, dass man in Deutschland und Frankreich die Gefahren immer mehr erkenne, die die italienischen Erhebungen für die Kirche und die Monarchien mit sich bringen.633 631

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Florenz, 15. Oktober 1859, Blatt 477–479: So bekennt Conestabile: „…daß ich in dem Papstthum eine italienische Glorie und keine italienische Schmach erkenne und daß es meine tief empfundene Ueberzeugung ist, daß das Papstthum über alle anderen Füstenthümer als italienisch zu betrachten ist und als großes Element der Kraft bei der Constituirung der italienischen Nationalität von äußerster Wichtigkeit sein wird.“ 632 Ebenda. 633 Archivio di Stato di Firenze, Fondo Bianchi Ricasoli, Busta 17, inserto C, No. 5, ­Reumont an Conestabile, Florenz, 14. Oktober 1859: „Non frappongo indugio a rispondere alla Vostra missiva giuntami oggi, della quale Vi ringrazio assalissimo, come dell’espressione di un animo onesto, leale, ed indipendente, e di un vero ed ingenuo sentimento cattolico che non si lascia turbare dalle teorie menzognere della rivoluzione quali oggi si spacciano in Italia, mentre in Francia e in Germania si risveglia il senso del pericolo e si sentono le voci più nobili e più venerande contro un sommetto errore. Tanto che l’Italia, adottando le armi che gli prestano i nemici del Cattolicesimo, e pur troppo anche della Monarchia, illudesi al segno di scorgere nel ponti-

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Spätestens seitdem die Deputationen der Toskana, der Romagna sowie Parma und Modena Viktor Emanuel II. das Anschlussvotum übermittelten, stand es für ­Reumont außer Frage, dass die piemontesische Politik sowohl auf diplomatischem Wege als auch mithilfe der Società Nazionale oder durch Waffengewalt entschlossen sein werde, sich auch den restlichen Teil Italiens einzuverleiben. Während die legitimen Herrscher der Toskana sowie Parmas und Modenas bereits geflohen waren, protestierte der Papst in aller Form gegen Viktor Emanuels II. Empfang der Deputation aus Bologna, da die Romagna Teil des Kirchenstaates war.634 Dass der König von Sardinien-Piemont die Deputation aus Bologna nicht abwies, sondern ihr unter Verweis auf die Zustände in der Romagna seine Sympathie bekundete, kam einer Herausforderung der weltlichen Herrschaft des Papstes über den Kirchenstaat gleich.635 Ohne die vorherigen Aufstände im Kirchenstaat und die öffentlichkeitswirksamen Stragi di Perugia wäre es der internationalen Diplomatie wohl kaum zu vermitteln gewesen, dass Viktor Emanuel II. eine um den Anschluss ersuchende Deputation aus einem Staat empfing, dessen legitimer Souverän noch im Amt war. Vor diesem Hintergrund kam der Berichterstattung über die Vorgänge im Kirchenstaat eine besondere Bedeutung zu. Denn katholische und legitimistische Vertreter sahen sich in der internationalen Debatte um die Römische Frage angesichts der vermeintlich verhassten und überforderten päpstlichen Administration in die Defensive gedrängt und konnten sich lediglich durch den Verweis auf eine antikatholische Berichterstattung der schweren Vorwürfe erwehren.636 Eine derartige Einschätzung wie diejenige Conestabiles konnte dabei helfen, gezielt die internationale Diplomatie im päpstlichen Sinne zu beeinflussen und ist insbesondere als Reaktion auf Viktor Emanuels II. Empfang der Bologneser Deputation zu verstehen. Dementsprechend wurde das Schreiben Conestabiles – möglicherweise von österreichischer Seite – an die Augsburger Allgemeine Zeitung lanciert, die den Augenzeugenbericht abdruckte.637 ficato, cui si dovrebbe porgere aiuto per le riforme, un impaccio anzichè stingersi al medesimo come elemento di forza e di gloria, io non credo al vero assetto dell’Indipendenza e Nazionalità italiana. Ho fatto tradurre, affine di mandarla a Berlino, la Vostra lettera, qual prova dei sensi d’uomo leale: non ligio a verun potere, e che ha data prova delle sue opinioni indipendenti. “ 634 Vgl. Candeloro (2011), S. 368–376. 635 Vgl ebenda, S. 373–374. 636 Vgl. zu dem Vorfall von Perugia die Studie von Ugolini (1973). 637 Es ist allerdings nicht ersichtlich, von wessen Seite das Schreiben tatsächlich an die AAZ weitergeleitet wurde. Conestabile hatte es nämlich an mehrere europäische Botschaften gesendet. ­Reumont selbst wäre wohl nur in Absprache mit dem preußischen Außenministerium befugt gewesen, es weiterzuleiten. Allerdings dürfte die Veröffentlichung durchaus im Sinne von Schleinitz’ gewesen sein, um die preußische Haltung zur italienischen Frage nicht festlegen zu müssen. Eine heterogene öffentliche Meinung musste dabei eine unabhängige preußische Politik stärken, während zugleich jede gegenüber Sardinien-Piemont kritische Berichterstattung auch im Interesse der österreichischen Außenpolitik lag. ­Reumont begrüßte es jedenfalls, dass der Augenzeugenbericht seines Bekannten veröffentlicht wurde: DAI Rom, R ­ eumont an inc., Florenz, 23. November 1859: „Unser guter Conestabile hat leider vielen Aerger gehabt – u hat ihn noch. Sein Brief war der eines ehrlichen loyalen Mannes: es freute mich ihn in der Allg. Ztg. abgedruckt zu sehen.“

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

Während der Verhandlungen zum Züricher Friedensvertrag zwischen Frankreich und Österreich, die erst am 10. November 1859 ihren Abschluss fanden, wurde am Taktieren Napoleons III., der weder die in den Vereinbarungen von Villafranca festgelegte Rückführung der legitimen Souveräne gegen den Willen der Bevölkerung durchführen noch einen unter piemontesischer Führung stehenden norditalienischen Staat verwirklicht sehen mochte, deutlich, dass sich das Schicksal Italiens im Wesentlichen über die öffentliche Meinung und die europäische Diplomatie entscheiden würde.638 Einerseits versuchten die Legitimisten und papstreuen Katholiken, die Unmöglichkeit eines Anschlusses der in Frage stehenden Regionen an ein geeintes Königreich unter Führung Sardinien-Piemonts unter Verweis auf die revolutionären Zustände und den fehlenden Rückhalt in der Bevölkerung sowie die Unvereinbarkeit der lokalen Traditionen mit der zentralistischen piemontesischen Verwaltung zu unterstreichen. Andererseits unternahmen es die moderati, die internationale Diplomatie und Öffentlichkeit von der Unmöglichkeit der Rückkehr der abgesetzten Souveräne zu überzeugen und betrieben mittlerweile entschlossen den Anschluss an Sardinien-Piemont, um die Rückkehr der abgesetzten Souveräne bzw. die erneute Schaffung von Teilstaaten zu verhindern.639 Da Napoleon III. den Anschluss der Toskana an Sardinien-Piemont zunächst ablehnte, konnte sich die piemontesische Regierung in dieser Frage zunächst nicht eindeutig positionieren. Den vorläufigen Zusammenschluss der Toskana mit dem piemontesischen Militärprotektorat Emilia-Romagna unter Luigi Carlo Farini, lehnten die moderati dagegen ab und beharrten vorerst auf der Unabhängigkeit. Die administrativen Fragen wollten sie nämlich erst im Rahmen einer gleichberechtigen Union mit Sardinien-Piemont verhandeln, weshalb sie keinem Interim zustimmen konnten, das die toskanische Verwaltung antasten würde.640 ­Reumont, der zwar den nationalen Ambitionen aufgeschlossen gegenüberstand, wenn es sich beim anvisierten Projekt denn um eine Konföderation unabhängiger Staaten unter Beibehaltung der legitimen Souveräne handelte, engagierte sich in jenen Monaten, die das weitere Schicksal der italienischen Nationalstaatsbewegung bestimmen sollten, für eine mit dem Legitimitätsprinzip in Einklang stehende, und die Forderungen der moderati nach lokaler Autonomie berücksichtigende Lösung der italienischen Frage, die zugleich keine weitere Gefahr mehr für den Kirchenstaat bergen sollte. Diese Forderungen an einen nationalstaatlichen Einigungsprozess Italiens stimmten in weiten Teilen mit den Vorstellungen Napoleons III. überein, der noch im Oktober auf eine Rückkehr der alten Dynastien und eine Eini­ gung in Form einer Konföderation pochte.641 Und tatsächlich unternahm es ein Teil der autonomisti, gemeinsam mit dem im Exil weilenden designierten Großherzog 638

Für einen ereignisgeschichtlichen Überblick über die Verhandlungen vgl. Candeloro (2011), Bd. 4, S. 382–390; Ugolini (1973). 639 Der Kampf um die öffentliche Meinung in Europa zwischen Legitimisten und Nationalisten wird auch geschildert bei Sarlin (2013), S. 93–105. 640 Vgl. Kroll (1999), S. 386–389. 641 Vgl. Salvestrini (1967), S. 44–45.

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Ferdinand IV., auf den französischen Kaiser dahingehend einzuwirken, dass die Vereinbarungen von Villafranca hinsichtlich der Rückführung des Hauses Habsburg-Lothringen in die Toskana umgesetzt werden müssen, um sowohl dem Legitimitätsprinzip als auch dem Interesse der dortigen Bevölkerung Rechnung zu tragen. Zugleich plante ein Teil von ihnen für den 2. Oktober 1859 einen Aufstand, um die internationale Öffentlichkeit zu einer Rückführung der alten Herrscher als einzig mögliche Garanten der öffentlichen Ordnung zu veranlassen. Die Aufstandspläne kamen jedoch nicht zur Ausführung, da Napoleon III. ein derartiges Unterfangen für zu riskant hielt und stattdessen Bettino Ricasoli über die Pläne informierte.642 ­Reumont dürfte über diese Planungen informiert gewesen sein, da er in jener Zeit in engem Kontakt zu prominenten Mitgliedern dieser Gruppe gestanden hat. Diese verkehrte nämlich auf dem Landgut der altadligen Familie Rospigliosi – enge Gefolgsleute des Hauses Habsburg-Lothringen, die mit dem principe Giuseppe Rospigliosi lange Jahre den Maggiordomo Maggiore des großherzoglichen ­Hofes stellten643 –, zu deren Stammgästen in Lamporecchio auch ­Reumont zählte.644 Allerdings gibt es keinen Anhaltspunkt darüber, wie er sich zu diesem Vorhaben verhalten hat. In seiner amtlichen Stellung als preußischer Diplomat dürfte er sich jedoch kaum an diesen Planungen beteiligt haben. Zumal er ohnehin davon ausging, dass die Zusagen Napoleons III. nur solange etwas Wert waren, wie sie seinen imperialistischen Zielen dienlich sein konnten. Trotzdem betonte R ­ eumont in seinen Depeschen, dass man in der Toskana keineswegs gewillt sei, die Autonomie aufzugeben – weshalb ein Anschluss an Sardinien-Piemont, auch wenn er zurzeit propagiert werde, letztlich nur Konflikte heraufbeschwören werde. In seinen Zusammenfassungen über die zeitgenössische politische Publizistik befasste er sich dabei auch mit der Person Giuseppe Montanellis, der nach der Flucht Leopolds II. als Bonapartist in die Toskana zurückgekehrt war und als Mitglied der Assemblea dei Rappresentanti sich in der Frage der Annexion als einer von drei Abgeordneten der Stimme enthalten hatte.645 Um seinem Außenministerium zu zeigen, wie abwegig ein Anschluss der Toskana an Sardinien-Piemont selbst einigen Utopisten erschien, berichtete er von Schleinitz über Montanellis Flugschrift L’Impero, il Papato  e la Democrazia in Italia.646 Darin forderte Montanelli die Schaffung eines italienischen Kaiserreichs: Der Kaiser solle durch allgemeines Stimmrecht lebenslang gewählt werden und in Mailand residieren, in Neapel solle sich der Sitz des aus den Vorschlägen der Kammern bestückten Bundessenats, in Florenz das nach allgemeinem Wahlrecht 642 Vgl. ebenda, S. 35–41; Giovanni Cipriani: Gli „antiunitari“ nella Toscana di Ricasoli, in: Rogari (2011), S. 55–91, hier S. 58–63. 643 Vgl. Chiavistelli (2006), S. 111. 644 Vgl. Giorgio Cucentrentoli: Eugenio Albèri. Vita – opere con la pubblicazione di lettere inedite recentemente ritrovate e di un carteggio del Granduca di Toscana in esilio Ferdinando IV di Lorena 1859–1872, Florenz 1970, S. 376. 645 Vgl. Kroll (1999), S. 385–386, mit Anm. 934. 646 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Florenz, 23. November 1859, Blatt 553v-554v.

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ermittelte Abgeordnetenhaus und in Rom die Residenz des Papstes befinden, dessen Unabhängigkeit gewahrt bleiben müsse. Diese vollkommen unrealistischen politischen Visionen stellte ­Reumont von Schleinitz vor, um die Forderung nach einer Konföderation zu rechtfertigen, insbesondere aber, um die Unmöglichkeit eines Anschlusses an Sardinien-Piemont zu demonstrieren, wie er am Ende seines Berichts darlegte: „Man mag […] über solche Pläne lächeln. Aber sie dürfen nicht ganz unbeachtet bleiben, als eine Formulirung der Ansichten und Wünsche der italienischen Unitarier, welche einer Föderation italienischer unabhängiger Fürsten widerstreben und deshalb deren große Schwierigkeiten zu völlig unüberwindlichen Hindernissen machen, welche andererseits einsehn, daß eine einseitige Vergrößerung Piemont’s keine Grundlage für eine wahre Pacifizirung der Halbinsel darbietet, während hier wiederum die annexionistischen Tendenzen so großen Raum gewonnen haben, daß sie die Existenz der kleineren Staaten sehr beunruhigen ja gefährden werden, wenn man nicht ein Band findet, welches, unter Herstellung eines möglichen Gleichgewichts des Südens mit dem Norden, die Einzelstaaten in ihrem Verhältnis zu einander wie in ihrer Gesamtheit zu sichern vermag.“647

Vorerst blieb die Lösung der italienischen Frage jedoch in der Schwebe. Während Napoleon III. in den Verhandlungen mit Österreich weiterhin die Bereitschaft signalisierte, die alten Souveräne in ihre Staaten zurückzuführen, torpedierte er die Versuche eines Anschlusses der Toskana an Sardinien-Piemont.648 Eine Einigung sollte über eine internationale Konferenz in Zürich Anfang 1860 herbeigeführt werden. Aber schon am 22. Dezember 1859, als die Vorbereitungen für den Kongress bereits im Gange waren, veröffentlichte Napoleon III. anonym eine Denkschrift unter dem Titel Le Pape et le Congrès, die die Verhandlungsbasis für den kommenden Kongress grundlegend veränderte: Hatte die französische Diplomatie bislang die weltliche Herrschaft des Papsttums seit der Beseitigung der Römischen Republik von 1849 stets verteidigt, so erklärte der französische Kaiser unter dem Eindruck der jüngsten Erhebungen gegen die Papstherrschaft den Kirchenstaat nun für verhandelbar, indem er den Papst in seinem Konzept auf Rom beschränkte und ihm dafür den Ehrenvorsitz in einer italienischen Konföderation einräumte.649 Damit waren die Versuche Pius’ IX. und Kardinalstaatssekretärs Antonelli, die Legationen auf diplomatischem Wege zurückzugewinnen praktisch gescheitert. Treffend bezeichnete Cavour das Pamphlet als „Solferino des Papstes“.650 Während der neue Verhandlungsvorschlag von britischer Seite bereitwillig aufgegriffen wurde,651 warnte ­Reumont das preußische Außenministerium in aller Deutlichkeit davor, die in der Schrift angeführten Überlegungen ernsthaft in Betracht zu ziehen, da sie in letzter Konsequenz nichts anderes vorschlage, als die von der Revolution geschaffenen

647

Ebenda, Blatt 554v. Vgl. Candeloro (2011), S. 385–390. 649 Vgl. ebenda, S. 391–392. 650 Vgl. ebenda, S. 392–393. 651 Vgl. ebenda, S. 391–392. 648

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Tatsachen anzuerkennen. Wegen der zu erwartenden Empörung der französischen Katholiken mochte R ­ eumont ohnehin kaum glauben, dass die Denkschrift tatsächlich auf das Konto Napoleons III. ging, der sich damit innenpolitisch den Unmut der Legitimisten und Katholiken zuzog.652 Allerdings stellte ­Reumont fest, dass die französische Diplomatie bisher tatsächlich kein ernsthaftes Interesse daran gezeigt habe, die revolutionäre Erhebung der Romagna als Unrecht zu verurteilen und damit den Papst zu unterstützen.653 Dies wiege umso schwerer als Mazzini bekanntlich das Ziel verfolge, Rom zur Hauptstadt Italiens zu machen und dafür den Papst zu stürzen suche.654 In Kombination mit den nationalstaatlichen Ambitionen Piemonts werde man, jeder auf seine Weise, der Hauptstadt Rom den Weg bereiten.655 Deswegen dürfe man die Ergebnisse der Revolution, die R ­ eumont als ersten Schritt zum Sturz des weltlichen Papsttums betrachtet, auf keinen Fall hinnehmen. Der versprochene Ehrenvorsitz verbunden mit der Garantie seines römischen Besitzes durch den zu schaffenden Nationalstaat sei vollkommen wertlos, denn: „Il s’agit de la nécessité de conserver l’indépendance de ce souverain spirituel, souverain, & non pensionnaire du monde catholique. Il s’agit d’une indépendance que toutes les garanties du monde ne garantiraient plus, dès qu’on aurait violé à ses dépens le principe qui forme la sauvegarde de tous souverains et de tous les États.“656

Damit bringt R ­ eumont das Hauptproblem aus katholisch-legitimistischer Sicht auf den Punkt. Das eigentlich Verwerfliche, ist nicht etwa die Absicht, die italienische Halbinsel politisch neu zu ordnen, sondern die Rechtsauffassung, die im Garantieversprechen an den Papst deutlich wird: Die Grundannahme der Notwendigkeit, den restlichen päpstlichen Besitz vertraglich zuzusichern, um seine Unabhängigkeit als geistliches Oberhaupt der Katholiken zu gewährleisten, beinhaltet die Leugnung göttlichen Rechts bzw. göttlicher Vorsehung, woraus sowohl der Papst als auch Friedrich Wilhelm IV. ihre Legitimation zogen. Denn eine Garantie wäre nicht notwendig, wenn man einfach die göttliche Vorsehung als Legitimationsgrundlage anerkennen würde. Die der Garantiezusage innewohnende Ablehnung göttlichen Rechts, so erklärte es ­Reumont, bedeutet also nicht nur den vollständigen Entzug der Legitimation für das Papsttum selbst, sondern auch für alle Monarchien, die sich eben nicht durch eine Verfassung legitimieren. Der Ausfall der göttlichen Legitimation legte die Souveräne damit ausschließlich auf Verfassungen als Legitimationsgrundlage fest. Insofern musste die offiziöse Broschüre als Angriff auf die

652 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Florenz, 31. Dezember 1859, Blatt 637v-645r, hier Blatt 637v: „Je en saurais encore me résoudre à croire à cette origine, par la raison que cet écrit, tout en professant le respect pour des droits incontestables, ne fait & ne propose que de sanctionner l’œuvre de la révolution.“ 653 Ebenda, Blatt 639v. 654 Ohne es explizit zu erwähnen spielt R ­ eumont an dieser Stelle auf die Römische Republik des Jahres 1849 an. 655 Ebenda, Blatt 641v und 642r. 656 Ebenda, Blatt 643v-r.

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christliche europäische Ordnung verstanden werden, die durch die Anerkennung derartiger Ideen zur Disposition gestellt werden musste. Die Verneinung eines gött­ eumonts unausgesprochener Einschätzung lichen Elements bedeutete dabei in R insbesondere auch die Ablehnung des Staatsideals Friedrich Wilhelms IV., nach dem die göttliche Erleuchtung dem Monarchen auch im Falle einer bereits erlassenen Verfassung, das Recht zugestand, über die Entscheidungen des Ministeriums hinweg zu regieren.657 Außerdem habe der Papst keinen Anlass geliefert, gegen ihn vorzugehen, abgesehen von der Tatsache, dass es Kräfte in Italien gebe, die einen systematischen Krieg gegen ihn führen. Er habe weder die Flucht ergriffen noch als kriegführende Partei seine Staaten verloren, noch die europäische Ordnung bedroht.658 Deswegen dürfe man auf dem kommenden Kongress die Lösung der italienischen Frage nicht einseitig auf Kosten des Papstes suchen. Allerdings erkannte er auch an: „Il importe de donner satisfaction aux justes désirs de ces provinces, en assurer l’avenir, relever l’esprits des populations.“659

Um den Interessen einer Bevölkerung gerecht zu werden, die die Papstherr­ eumont vor, die mittelitalienischen Staaten in einen schaft offen ablehnte, schlug R neutralen Status zu versetzen.660 Die Neutralität könne nämlich die dringlichsten Probleme lösen: „[…] elle garantirait le droit et la paix ; elle permettrait au Royaume de Naples de développer, à son propre profit & par conséquent à celui du monde, ses grandes ressources ; elle sauverait l’individualité de la Toscane et de ce qui l’entoure, individualité qui importe tant aux véritables intérêts & à la gloire de la péninsule ; elle fixerait à l’action du Piémont ses justes limites, que cet Etat […] a franchies, non pour le bonheur de l’Italie, & peut-être non plus pour son propre avantage. Un arrangement de pareille nature sauvegarderait finalement le principe de la souveraineté papale […]“661

Auf diese Weise wäre das Problem der Abspaltung der Emilia-Romagna vom Kirchenstaat möglich, ohne Sardinien-Piemont für seine Gefährdung der europäischen Ordnung zu belohnen und ohne die päpstliche Legitimation zu untergraben. Außerdem sichere ein solches Vorgehen der Toskana ihre Autonomie. Dieser Vorschlag berücksichtigte zwar die Partikularinteressen der einzelnen italienischen Staaten mit Ausnahme Sardinien-Piemonts und forderte erhebliche Zugeständnisse von Pius IX., jedoch ließ er bewusst die Forderung nach einem nationalen Einheitsstaat außer Acht. Da für die Schaffung eines Einheitsstaates rechtmäßige Herrscher gegen ihren ausdrücklichen Willen hätten entmachtet wer 657

Vgl. Frank-Lothar Kroll (1990), S. 85–90. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Florenz, 31. Dezember 1859, Blatt 637v-645r, hier Blatt 643r. 659 Ebenda, Blatt 644r. 660 Ebenda, Blatt 645v. 661 Ebenda. 658

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den müssen, war diese Variante nicht durchführbar, ohne die Prinzipien der geltenden europäischen Ordnung aufs Spiel zu setzen. Genau aus diesem Grund, hielt ­Reumont nur eine konföderative Einigung für realistisch bzw. verhandelbar. Dass er sich dennoch über die Stoßrichtung der aktuellen Nationalpolitik vollkommen im Klaren war, zeigte er im letzten Abschnitt seines Berichts: „D’abord il s’agissait de l’indépendance et de la nationalité. Avant que l’indépendance, telle qu’on la comprenait, ne fût conquise, toute opposition contre la fusion des Etats du centre avec le Royaume Subalpin était devenu un crime de lèse-Italie. Aujourd’hui on prétend consacrer la spoliation du Souverain Pontife. Demain, il-y-a lieu de s’attendre à quelque mesure contre le Roi de Naples.“662

Diese Analyse verdeutlicht, wie ­Reumont die politische Lage einschätzte und legitimistische Lösungsmöglichkeiten suchte, um den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden. Die politischen Entwicklungen und deren mögliche Konsequenzen waren ihm deutlich bewusst. Jedoch bemühte er sich in seiner Analyse um Handlungsstrategien, die mit dem für ihn noch immer maßgeblichen Staatsdenken Friedrich Wilhelms IV. vereinbar waren. Allerdings bedeutete die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Wilhelm I. einen erheblichen Einschnitt, der auch in ­Reumonts diplomatischen Depeschen deutlich wurde. Während er zu Zeiten der Regentschaft Friedrich Wilhelms IV. genau wusste, vor welchem Wertehorizont er die italienischen Entwicklungen zu analysieren hatte, trat in den Schreiben an den Prinzregenten eine unverkennbare Unsicherheit ein. Nachdem er noch kurz zuvor entschieden davon abgeraten hatte, die Annexion Mittelitaliens durch Sardinien-Piemont anzuerkennen, reagierte er zu Anfang des Jahres 1860 geradezu verunsichert auf die in Italien kursierenden Gerüchte, dass Russland und Preußen mittlerweile diesen Schritt dennoch anzuerkennen bereit wären. Da er nach seiner Depesche vom 31. Dezember 1859 keine eindeutige Rückmeldung zur preußischen Position in der italienischen Frage erhal­ eumont nun selbst nicht, wie sich die preußische Außenpolitik ten hatte, wusste R hinsichtlich der Neuordnung Italiens zu positionieren gedachte und folglich auch nicht, vor welchem Hintergrund er die weiteren Entwicklungen zu schildern und zu analysieren hatte. Diese Ratlosigkeit wurde in seinem Bericht vom 16. Januar 1860 an den Prinzregenten deutlich, in dem er noch einmal seine Warnungen vor einem Nachgeben gegenüber Sardinien-Piemont wiederholte: „Manquant absolument de données sur la manière de voir et les intentions du Cabinet de Votre Altesse Royale, je puis et dois me passer de toute observation è cet égard.“663

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Ebenda, Blatt 645r. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5673, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 5: Florenz, 16. Januar 1860, Blatt 10–15. Diese Depesche ist zudem von der toskanischen Regierung abgefangen und abgeschrieben worden: Archivio di Stato di Firenze, Fondo Bianchi Ricasoli, Busta 7, inserto F, No. 11, ­Reumont an Wilhelm I., Florenz, 16. Januar 1860. 663

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­Reumont ahnte, dass er als Vertrauter Friedrich Wilhelms IV. bei dessen Tod einen schweren Stand haben würde,664 und dass der Prinzregent, sobald er nicht mehr als Stellvertreter seines Bruders die Regierungsgeschäfte führen würde, einen anderen Politikstil pflegen würde. Deswegen war er sich mittlerweile unsicher, wie er die preußischen Interessen in der Toskana zu vertreten hatte. Während der kranke König noch lebte, zog es der Prinzregent offenbar vor, die außenpolitische Linie seines Bruders fortzusetzen bzw. zunächst keine nennenswerten Kurswechsel hinsichtlich der Italienpolitik zu vollziehen. R ­ eumont vermied es in der Folge, in seinen Depeschen Bewertungen vorzunehmen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, sondern beschränkte sich allein darauf, die Vorgänge zu referieren. Denn mit dem Anschluss der Toskana an Sardinien-Piemont am 11./12. März 1860 wurde sein Posten überflüssig. Zudem war seine Bewerbung um den römischen Gesandtenposten von von Schleinitz bereits am 30. Juli 1859 abgelehnt worden, da man ihn als Katholik für den römischen Posten für ungeeignet hielt.665 Da das preußische Außenministerium sich nicht dazu durchringen konnte, zur Aufrechterhaltung des Legitimitätsprinzips eine Annexion der Toskana an Sardinien-Piemont zu verhindern, gab ­Reumont die Toskana in seinen Depeschen verloren. Weder wusste er, wie er sich im Namen Preußens zu positionieren hatte, noch wusste er, wie seine Zukunft im diplomatischen Dienst aussehen würde, da er in den letzten Tagen seiner Tätigkeit in der Toskana kaum Rückmeldung aus Berlin erhielt. So beklagte er sich gegenüber Witte: „Eine ausführliche Depesche in Betreff meiner ist mir übrigens noch nicht zugegangen, sondern nur eine telegraf. Nachricht. So weiß ich natürlich nicht das Allergeringste in Betreff meiner Zukunft die in Gottes Hand steht.“666

5. Die „Neue Ära“ und die personelle Neuausrichtung des diplomatischen Korps ­ eumont nur noch Nach seiner Abberufung aus Florenz im März 1860 blieb R einen weiteren Monat, um seine persönlichen Angelegenheiten zu regeln. Obwohl seine Tätigkeit offiziell beendet war, verfasste er noch im April seine letzten Depeschen, in denen er seine Prognosen für den Fortgang der italienischen Entwicklungen abgab: „Les nouvelles de Rome ont un peu ralenti l’ardeur des fauteurs de la révolte, mais ils ne se perdront pas de courage pour si peu de chose. La même presse officieuse annonce: Autant que Rome reste au Pape & Naples aux Bourbons, le nouveau Royaume est gravement menacé. L’indépendance ne sera arrivée que le jour où ce Royaume s’étendra des Alpes au Lilybée. Il est essentiel de donner à l’insurrection et dans les Etats du Pape et dans le Royaume de Naples la même direction, celle vers l’union à l’Italie du Nord. Voilà le programme de la révolution 664

NL ­Reumont, S 2746, Nr. 79: ­Reumont an Witte, Rom, 12. März 1858. Vgl. Hüffer (1904), S. 155. 666 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 91: ­Reumont an Witte, Rom, 31. März 1860. 665

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telle qu’elle est protégée par le système Cavour, la veille même de l’entrée en Toscane du Roi de Sardaigne. Il est facile de prévoir où cela conduira, si on laisse faire, comme on a laissé faire dans l’Italie centrale.“667

In der Nacht vom 3. zum 4. April 1860 war in Palermo nämlich der Aufstand gegen die bourbonische Regierung ausgebrochen, der jedoch wenige Tage später von der Armee niedergeschlagen werden konnte. Allerdings war dies der Auftakt für weitere Unruhen im Königreich beider Sizilien, die schließlich zu Garibaldis bekannter Spedizione dei Mille führte, in deren Folge er nicht nur in Palermo, sondern auch in Neapel siegreich einzog. Durch das Vorgehen Garibaldis konnte Cavour schließlich Napoleon III. davon überzeugen, im September mit regulären Truppen in den Kirchenstaat einzufallen und Garibaldi entgegenzuziehen, um dessen Zug nach Rom zu vereiteln. Schließlich gab Garibaldi nach und legte die Macht über die eroberten Gebiete in die Hände Viktor Emanuels II. Anschließend konnten die Marken und Umbrien sowie die süditalienischen Regionen an Sardinien-Piemont angeschlossen werden.668 ­Reumont hatte diese Entwicklung vorausgesehen, falls die preußische Regierung sich nicht zu einem Eingreifen entschließen würde: Die Unruhen würden letztlich zum Anschluss an Norditalien führen. Ein derart zustande gekommener italienischer Nationalstaat, so machte er immer wieder deutlich, werde nicht nur Italien, sondern die gesamte europäische Ordnung destabilisieren.669 Vor dem Hintergrund von Garibaldis Sizilienexpedition wurden die italienische Frage und die Nationalpolitik Cavours sowohl innerhalb der preußischen Diplomatie als auch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Dabei spielten auch die gegensätzlichen Einschätzungen ­Reumonts und Brassiers eine Rolle, die ­Reumont gegenüber Witte beschreibt: „Die Zeitungen haben sich angelegen sein lassen, über ihn [Brassier] u. mich viel zu reden. […] Die größte Divergenz zwischen Br. u. mir besteht wol darin daß er glaubt das Cavoursche Prinzip könne zu einer Consolidirung führen, was ich bestreite. Selbst nicht für Mittelitalien, wie immer sich die Dinge anlassen!“670

Damit fand innerhalb des diplomatischen Korps eine ähnlich kontroverse Auseinandersetzung um die italienische Frage und die Nationalpolitik Cavours statt, wie in der deutschen Öffentlichkeit. Nicht nur die demokratische und sozialistische deutsche Linke sympathisierte in ihrer antiklerikalen und antihabsburgischen Ausrichtung mit der italienischen Nationalbewegung,671 sondern auch führende klein 667 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5673, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 45: Florenz, 15. April 1860, Blatt 208–209. 668 Für einen Überblick über die Ereignisgeschichte sei an dieser Stelle lediglich verwiesen auf: Candeloro (2011), Bd. 4, S. 427–526. 669 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5673, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 46: Florenz, 17. April 1860, Blatt 210–211. 670 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 94: ­Reumont an Witte, Aachen, 2. September 1860. 671 Vgl. Petersen (1982), S. 78–79.

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deutsch-liberale Kulturzeitschriften wie der Grenzbote oder die Preußischen Jahrbücher, die in Cavour ein Vorbild für eine nationale und liberale Politik sahen,672 und das konservativ-realpolitische Wochenblatt, das sich mit Bismarck weniger um den Verstoß gegen das Legitimitätsprinzip kümmerte, sondern vielmehr die Vorteile sah, die sich für die preußische Politik aus einem starken italienischen Staat zwischen Österreich und Frankreich ergeben könnten,673 nahmen für eine Unterstützung Cavours Partei. Dagegen erfuhr die piemontesische „Annexionspolitik“ von Seiten der hochkonservativen Kreuzzeitung und katholischen Zeitungen wie den Historisch-Politischen Blättern für das Katholische Deutschland, entschiedene Ablehnung und wurde als Angriff auf die christliche Welt und geltendes Recht gebrandmarkt.674 Auch die Augsburger Allgemeine Zeitung, zu deren wichtigs­ eumont gehörte,675 lehnte die Nationalpolitik ten Italienkorrespondenten damals R ­ eumont: Der Rückgriff ­Cavours ab – und zwar mit ähnlichen Argumenten wie R auf revolutionäre Mittel müsse dazu führen, dass dem Nationalstaat kein langfristiges Bestehen beschieden sein werde, da die durch Missachtung der historischen Traditionen hervorgerufenen administrativen Probleme dazu führen müssen, dass das Land erneut unter eine Fremdherrschaft gerate oder von einer erneuten Revolution heimgesucht werde.676 Aber auch innerhalb der deutschen Politik gingen die Meinungen weit auseinander: Während es in den politischen und diplomatischen Kreisen Badens zahlreiche Unterstützer Piemonts gab,677 war in der preußischen Diplomatie das Echo geteilt. Ehemalige Vorgesetzte R ­ eumonts, wie von Usedom, Pourtalès oder von Bunsen sympathisierten mit Piemont,678 dagegen beharrten von Canitz oder von Arnim auf legitimistischen Prinzipien und behielten auch während der „Neuen Ära“ einen nicht zu unterschätzenden Einfluss.679 Dies zeigte sich allen voran darin, dass Wilhelm I. in seiner legitimistischen Grundhaltung und seiner Verwurzelung im Gottesgnadentum die piemontesische Politik sowie die Einlas-

672

Vgl. ebenda, S. 81–84 u. 87. Vgl. ebenda, S. 75–77. Exemplarisch ist die auch bei Petersen zitierte Einschätzung Bismarcks: „Meiner Überzeugung nach müßten wir das Königreich Italien erfinden, wenn es nicht von selbst entstände. Seine Herstellung kann durch Übergangsstadien führen, welche ihre Bedenken haben, welche wir aber suchen müßten abzukürzen. Wenn es erst fertig auf eigenen Füßen steht, so kann ich mir keine willkommenere Schöpfung für die Preußische Politik denken.“ (Otto von Bismarck: Werke in Auswahl, Bd 2: 1854–1862, Darmstadt 1963, Privatbrief Bismarcks an Graf Bernstorff, 15./16. 1. 1962, S. 412) 674 Vgl. Petersen (1982), S. 67–69 u. 71–74. 675 Vgl. dazu das spätere Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung. ­Reumont brandmarkte die revolutionäre Politik Cavours gegen den Kirchenstaat in zahlreichen Artikeln, so beispielsweise in: Der Angriff auf den Kirchenstaat, AAZ 260, 16. September 1860; AAZ 262, 18. September 1860; AAZ 268, 24. September 1860; AAZ 277 (Beilage), 3. Oktober 1860; AAZ 278 (Beilage), 4. Oktober 1860; Cavour und Garibaldi, AAZ 310 (Beilage), 5. November 1860. 676 Vgl. Petersen (1982), S. 65–66 u. 87. 677 Vgl. ebenda, S. 84. 678 Vgl. ebenda, S. 76. 679 Vgl ebenda, S. 73. 673

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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sungen Brassiers ablehnte.680 Insofern dürften R ­ eumonts Depeschen, in denen er immer wieder auf die Verletzung des Legitimitätsprinzips und die Unvereinbarkeit von Garantiegesetzen für den Papst mit dem Gottesgnadentum rekurrierte auf den Prinzregenten ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Seine Verurteilung der Politik Viktor Emanuels II. legt diesen Schluss jedenfalls nahe: „Ein Souverän hat die Revolution sich dienstbar gemacht, um andere zu verschlingen. Die Nemesis wird nicht ausbleiben!“681

Obwohl ­Reumonts Einschätzung der italienischen Frage die Zustimmung des Prinzregenten fand, konnte er für seine diplomatische Karriere kein Kapital daraus schlagen. Die Schlingerpolitik Preußens in dieser Angelegenheit, die sich in der Frage einer Vermittlung eng an Großbritannien anlehnte, das schließlich für sich die Vorteile eines italienischen Nationalstaates entdeckte, und zugleich keinen Wert darauf legte, für österreichische Interessen in einen Krieg zu ziehen, der im Erfolgsfall nur dazu führen musste, Österreich auf Kosten Preußens im Deutschen Bund ­ eumonts diplomatischer Laufbahn. zu stärken, besiegelte letztlich das Ende von R Die ambivalente Haltung Preußens ist jedenfalls nicht allein auf die divergierenden Einschätzungen ­Reumonts und Brassiers zurückzuführen, sondern vielmehr auf das Dilemma, sich einerseits dem Legitimismusprinzip verpflichtet zu fühlen und andererseits eine Emanzipation von der habsburgischen Hegemonie im Deutschen Bund zu verfolgen.682 Beide Ziele miteinander zu vereinen wäre nur über eine Vermittlung im Zusammenspiel mit Großbritannien und Russland möglich gewesen. Auf sich alleine gestellt war Preußen in der italienischen Frage jedoch handlungsunfähig, wenn es nicht eines der beiden Ziele zurückzustellen bereit war. ­ eumonts In Kenntnis der deutschen Publizistik, die sich mit den Lageberichten R und Brassiers befasste, glaubte die italienische Öffentlichkeit aus dem Handeln des preußischen Außenministeriums auf den jeweiligen Einfluss der beiden Diplomaten schließen zu können. Dementsprechend musste die offizielle Haltung von Schleinitz’ einen größeren Einfluss ­Reumonts naheliegend erscheinen lassen. Der preußische Außenminister ließ nämlich keinen Zweifel daran, dass Preußen das Vorgehen Sardinien-Piemonts, das Recht auf nationale Unabhängigkeit und die öffentliche Meinung über internationales Recht und die legitime Autorität des Papstes und des Königs beider Sizilien zu stellen, ablehnte. Bei grundsätzlicher Anerkennung des Nationalitätsprinzips dürfe dieses dennoch nur innerhalb der vom internationalen Recht gesteckten Grenzen verfolgt werden.683 Wie ­Reumont es bereits prognostiziert hatte,684 trat Cavour derartigen Vorwürfen unter dem Vorwand entgegen, dass 680

Vgl. ebenda, S. 77–78. Ebenda, S. 78; Friese (1933), Bd. 2, S. 197. 682 Die Zerissenheit zwischen dem Wunsch, sich aus der Abhängigkeit Österreichs zu lösen und einer Anerkennung der historischen Rechte Österreichs im Zuge eines international-„überpolitischen“ Denkens hatte auch schon die Politik Friedrich Wilhelms IV. geprägt.  – FrankLothar Kroll (1990), S. 137–142 u. 171–178. 683 Vgl. dazu Rusconi (2013), S. 59. 684 Der Angriff auf den Kirchenstaat, AAZ 260, 16. September 1860. 681

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

Sardinien-Piemont die einzige konservative Macht sei, die tatsächlich in der Lage sei, die Revolution in Italien zu zähmen.685 Dass man sich innerhalb des preußischen Außenministeriums über eine angemessene Reaktion auf Cavours Nationalpolitik uneins war, zeigte die Tatsache, dass Preußen es im Gegensatz zu Russland und Frankreich unterließ, den preußischen Gesandten aus Turin aus Protest abzuberufen. Dies zeigt den zu diesem Zeitpunkt bereits wachsenden Einfluss realpolitisch denkender Kreise von Personen wie Brassier und Bismarck.686 ­Reumont wurde indes durch seine Artikel für die Augsburger Allgemeine Zeitung, in denen er bereits die Vorbereitung und Durchführung des toskanischen Anschlussvotums an Sardinien-Piemont scharf kritisiert hatte,687 zunehmend zu einem Feindbild der toskanischen Nationalbewegung, die auch die Italienberichterstattung dieser Zeitung über Vieusseux’ Lesekabinett verfolgen konnte. Vieusseux selbst versuchte vergeblich, ­Reumont davon zu überzeugen, trotz der zweifellos prekären Situation, in der sich die italienische Nationalpolitik befinde, die Chancen zu sehen, ­ eumont sah jedoch die sich aus der aktuellen Konstellation ergeben könnten – R im Verstoß gegen internationales Recht ein unüberwindbares Hindernis für einen dauerhaften Erfolg des Nationalprojektes.688 Diese Meinungsverschiedenheiten in Verbindung mit ­Reumonts politischem und publizistischem Engagement gegen die cavoursche Nationalpolitik stellten die Freundschaft auf eine schwere Probe. Als ­Reumont seine Rückkehr nach Florenz ankündigte, um seinen Umzug zu organisieren, bat ihn Vieusseux doch auf ein persönliches Erscheinen zu verzichten, da er unter den Florentiner Bekannten zur Zeit nicht wohlgelitten sei und seine Anwesenheit Vieusseux vor der toskanischen Öffentlichkeit kompromittieren würde.689 Sollte er dennoch anreisen, würde er ihn natürlich aufs Herzlichste empfangen, allerdings müsse er ihn bitten, während seiner Anwesenheit über andere Dinge als über Politik zu sprechen.690 685

Vgl. Rusconi (2013), S. 59–61. Vgl. ebenda, S. 70–71. 687 Vgl. etwa AAZ 64, 4. März 1860; Die Abstimmungstage in Toscana, AAZ 76, 16. März 1860; Die Abstimmungstage in Toscana, AAZ 77, 17. März 1860. 688 BNCF Vieuss., C. V. 89,108, ­Reumont an Vieusseux, Aachen, 19. Juli 1860: „Vous, mon cher ami, voulez par force me faire admirer Garibaldi. Je n’admire rien, excepté la candeur de ceux qui ne voient pas où va les conduire la révolution, qu’elle soit faite par des rois, des barons ou des flibustiers. Je V.s attends à me dire un jour où V.s auront conduit les Garibaldi & les La Farina, & Vos amis florentines!“ 689 Ebenda, Antwort (Kopie): Vieusseux an ­Reumont, Florenz, 14. August 1860: „Je suis obligé de vous dire, mon cher ami, que la satisfaction que nous éprouverons en vous renvoyant ne sera pas en empli d’un sentiment peinable en pensant a la sensation que pour nous produira parmi les Florentins la nouvelle de votre retour. À tort ou à raison le public vous accuse d’avoir desservi la cause nationale & en partout celle de l’Italie centrale auprès de votre Gouvernement. Je vous dis donc franchement que j’eusse préféré ne vous voir pas reparaître en Toscane qui après la fin de la crise très grave dans laquelle nous sommes engagés, & dans nous ne serons pas de hors sans doute avant le printemps prochains. Est-il bien nécessaire que vous veniez vous-même faire votre déménagement?“ 690 Ebenda: „Certes, en vous revoyant mon premier mouvement sera de vous sauter au col de la manière la plus affectueuse; mais l’instant après la réflexion me fera sentir que vous eussiez 686

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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­Reumont zeigte sich tief gekränkt, dass man ihm vorwarf, mit seinen diplomatischen Depeschen gegen die italienische Nation Position bezogen zu haben. Zwar war er sich darüber im Klaren, dass seine Einschätzungen seit der Rückkehr des Großherzogs unter vielen seiner Florentiner Bekannten wenig Zustimmung erfuhren, weshalb er dem donnerstags im Lesekabinett stattfindenden politischen Diskussionsabend seitdem ferngeblieben war,691 allerdings hatte er dennoch gehofft, dass man ihm wenigstens sein persönliches Engagement für Italien zugute halten würde.692 Tatsächlich hatte ­Reumont 1848 eine ähnliche Position vertreten wie Cesare Balbo693 und einen Abzug der Österreicher aus Italien zu einem Zeitpunkt in der Augsburger Allgemeinen Zeitung als notwendig bezeichnet, als diese noch vor allem proösterreichische Positionen vertrat.694 Obwohl er den Abzug auf diplomatischem Wege im Einklang mit internationalem Recht verwirklicht sehen wollte, hatte er auch zu Beginn des Ersten Italienischen Unabhängigkeitskrieges Partei für Italien ergriffen und für die Bildung einer italienischen Konföderation geworben.695 Dass er nun von einigen Zeitungen pauschal als Gegner Italiens dargestellt wurde, konnte er nicht nachvollziehen und es kränkte ihn umso mehr, als er sich in der deutschen Öffentlichkeit des Öfteren den Vorwurf hatte gefallen lassen müssen, er vertrete italienische auf Kosten deutscher Interessen. Nun erschienen selbst in der deutschen Presse seine Ausführungen gegenüber jenen Brassiers als dem Nationalstaat gegenüber feindlich gesinnt.696 Deswegen sah er sich auch gegenüber Witte dazu veranlasst, klarzustellen:

mieux fait de prendre une toute autre route que celle de Florence pour vous rendre à Rome du autre part. […] Mais si votre résolution est irremovible [sic !], tenez-vous pour dit je vous prie qu’entre vous & moi toute allusion à la situation politique d’Italie sera mise de côté, & que nous ne devrons causer que des sujets nombreux sur les quels nos sympathies sont d’accord.“ 691 BNCF Vieuss., C. V. 89,109, R ­ eumont an Vieusseux, Aachen, 21. August 1860. 692 Ebenda: „Quant à la chose elle-même, Vous me permettrez de ne point être de Votre avis. Je puis, grâce-à-Dieu, porter le front haut vis-à-vis de l’Italie & surtout de la Toscane. Il n’y-a pas d’Allemand, qui, durant un quart de siècle & au-delà, ait servi les intérêts de l’Italie, & plaidé sa cause légitime & juste, comme je l’ai fait, au point de devoir entendre des reproches de mes compatriotes d’être plus Italien qu’Allemand. J’ai plaidé, & comme écrivain & autrement, la cause de la nationalité italienne, telle que la proclamaient Balbo & d’autres – Capponi pourra Vous dire, mieux que tout, autre, si je suis resté fidèle è cette idée. Je n’ai pas marché d’accord avec l’opinion actuellement mise en avant – je n’en ai jamais fait mystère à personne. Si l’en appelle cela „desservir“ la cause de la nationalité italienne, on en est bien le maître. Mes sentiments envers l’Italie sont trop connus, et en Allemagne & en Italie même, pour que je doive m’en soucier.“ 693 ­Reumont stellte dem deutschen Leser zu Beginn des Ersten Unabhängigkeitskrieges die Ideen Cesare Balbos noch einmal vor: Graf Cesare Balbo über den Vertheidigungskrieg in Italien, AAZ 85 (Beilage), 25. März 1848. 694 Vgl. Petersen (1982), S. 65–66; Clemens (2011), S. 244. 695 So etwa in AAZ 131 (Beilage), 10. Mai 1848; Italien und die Einheitsprojekte, AAZ 164 (Beilage), 12. Junius 1848. 696 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 94: ­Reumont an Witte, Aachen, 2. September 1860.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

„Ich habe keine Zärtlichkeit für die neapolitanische Regierung, aber ich mag nicht dem Jubel über den bevorstehenden Umsturz des Königreichs beiwohnen. Wie verrottet die Zustände im Süden sind, deckt übrigens dasjenige vollständig auf was seit Garibaldi’s Landung stattgefunden hat. Von Sympathie kann, bei allem Erschrecken über den neuen, aber seit dem Bruch der Stipulationen von Villafranca von mir vorhergesagten Siege der Revoluzion [sic!], nicht die Rede sein.“697

Derartige Differenzierungen waren jedoch in der Aufregung um die nationalstaatliche Einigung Italiens und ihre Konsequenzen für das europäische Gleichgewicht nur schwer zu vermitteln. Obwohl ­Reumont seine grundsätzlich wohlwollende Einstellung gegenüber der italienischen Nation nicht geändert hatte, wurde er im Presseecho vom Gegner Österreichs zum Gegner Italiens, obwohl er lediglich eine italienische Nationalpolitik unter Respektierung internationaler Verträge forderte, wie sie auch Preußen hätte akzeptieren können. Durch den Gang der Ereignisse und die Entmachtung der übrigen legitimen Souveräne durch die cavoursche Na­ eumont in seinen Prognosen vollständig bestätigt, aber tionalpolitik, fühlte sich R letztlich stets missverstanden: „Après avoir été regardé comme adversaire du système Autrichien en Italie, je suis appelé Codino parce que je ne participe pas à la révolution qui renverse Pape et dynasties. Pazienza ! Ma conscience me dit que je n’ai écrit à mon Gouvernt ce qui me semblait la vérité alors – vérité qui est restée pour moi prouvée par tout ce qui est arrivée depuis & ce que j’avais prédit, p.r la plupart, longtemps avant que ça n’arrivât.“698

Allerdings sollte die legitimistische Sichtweise auf die italienischen Entwicklungen bald endgültig einem realpolitischen Umgang mit dem neuen Nationalstaat weichen. Nach dem Tod seines einstigen Förderers Friedrich Wilhelm IV. wusste ­Reumont, dass die preußische Italienpolitik eine andere Richtung einschlagen würde, für die er selbst als Anhänger der bisherigen legitimistischen Politik, nicht geeignet erscheinen konnte, da er nicht bereit war, sich auf die neue Ausrichtung einzulassen und diese zu vertreten.699 Er fühlte sich auch nach dem Tod des Königs dem Staatsdenken Friedrich Wilhelms IV. verpflichtet, das im diplomatischen Korps sukzessive zurückgedrängt wurde. Als ein Vertreter dieses Gedankengutes und enger Vertrauter des Königs stand er seit 1860 in einem engen Briefkontakt mit Königin Elisabeth, mit der er das Leid über die neue politische Ausrichtung Preußens unter Bismarck teilte.700 Unmittelbaren Einfluss auf die preußische Italienpolitik konnte er jedoch nicht mehr nehmen. 697

Ebenda. BNCF Vieuss., C. V. 89,121, ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 3. März 1861. 699 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 97: ­Reumont an Witte, Kapitol, 8. März 1861: „[…] meine gute Zeit liegt hinter mir: auf sie ist zugleich mit der Gruft in der Friedenskirche der Grabstein gewälzt worden. Ich muß nun sehn wie ich mir den Rest meines Lebens einrichte – und wo. In Italien wird meines Bleibens schwerlich sein. Ich weise die Berechtigung mancher Factoren der neuen Gestaltung nicht ab; aber ich glaube die Gesamtrichtung ist eine verfehlte und gewaltsame. Und ich bin zu alt in dieselbe einzulenken […]“ 700 Stadtbibliothek Aachen, Nachlass ­Reumont (Nachlass 1), II.1. Private Briefe, 20 Briefe der Königin Elisabeth von Preußen [1801–1873] an Alfred von ­Reumont zwischen 1860 und 1867. 698

II. Der Weg in eine feste Anstellung im diplomatischen Dienst 

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Wenig später begann die Bismarck-Ära, mit der ein Austausch von Personen des Diplomatischen Korps „einherging, die einerseits über besonders enge Beziehungen zum König verfügten und andererseits nicht die Vorstellungen des Ministers teilten“701. Innerhalb weniger Jahre wurde die Zusammensetzung des diplomatischen Dienstes der neuen politischen Ausrichtung angepasst.702 Diese sollte bereits bei der Frage nach der Anerkennung des Königreichs Italien deutlich werden. So erklärte Bismarck dem Nachfolger von Schleinitz’ als Außenminister, Graf Albert von Bernstorff, dass eine Anerkennung des italienischen Nationalstaates im politischen Interesse Preußens liege und legitimistische Bedenken dabei unerheblich seien. Schließlich handle es sich dabei um eine Anerkennung des gegenwärtigen Zustandes, nicht etwa der Art und Weise des Zustandekommens.703 Obwohl Wilhelm I. eine Anerkennung zunächst noch aus legitimistischen Gründen abgelehnt hatte, weshalb von Schleinitz eine klare Stellungnahme vermieden hatte,704 erkannte Preußen unter Bismarck das Königreich Italien knapp anderthalb Jahre nach dessen Ausrufung (17. März 1861) am 21. Juli 1862 an.705 Gegenüber Vieusseux kommentierte R ­ eumont diesen Schritt mit deutlichen Worten: „J’ai assisté à Berlin à l’audience des ambassadeurs Japonais, suivie de celle du Minre [Ministre] du Roi Victor Emmanuel (à laquelle je n’ai pas assisté !) – je suis d’avis que le reconnaissance du Royme [Royaume] d’Italie est une faute politique, ne fût-ce que parce qu’elle nous mis en désaccord avec la plus grande partie de l’Allemagne, et qu’elle nous fait perdre la base du système politique sur lequel la Prusse a reposé jusqu’ici.“706

Tatsächlich war dieser Schritt als eine eindeutige Abkehr von der preußischen Politik unter Friedrich Wilhelm IV. zu verstehen, der das Gottesgnadentum und den Erhalt der legitimen und christlichen europäischen Ordnung über mögliche politische Vorteile gestellt hatte.707 ­Reumont sah innerhalb einer derartigen realpolitischen Außenpolitik wie sie Bismarck betrieb, keine Zukunft für sich. Stattdessen plante er, seine Ansichten über das neuzeitliche Italien noch einmal ausführlich publik zu machen, um sich anschließend einer Zeit zu widmen, mit der er sich seit seinen ersten Tagen in der Toskana intensiv beschäftigt hatte und in der er den Ursprung der italienischen Identität sah: dem Mittelalter.708

701

Grypa (2008), S. 333. Ebenda. 703 Vgl. Rusconi (2013); S. 72; Friese (1933), Bd. 3, S. 317–321. 704 Vgl. Voci (2011), S. 106. 705 Vgl. ebenda, S. 111. 706 BNCF Vieuss., C. V. 89,149, R ­ eumont an Vieusseux, Sanssouci, 2. August 1861. 707 Vgl. Frank-Lothar Kroll (1990), S. 184–186. 708 NL R ­ eumont, S 2746, Nr. 97: ­Reumont an Witte, Kapitol, 8. März 1861: „Ich denke jetzt noch eine kleine Arbeit zu vollenden, die von meinen Ansichten italienischer Dinge der Neuzeit, so weit meine Stellung es erlaubt, Zeugnis ablegen soll, und dann dem heutigen Italien Lebewohl zu sagen, u. mich dem Mittelalter wieder zuzuwenden.“ 702

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

III. ­Reumont als „Kulturmakler“: Ein lange gehegter Wunsch geht auf schmerzhafte Weise in Erfüllung ­Reumont hätte seine Pensionierung sicherlich vermeiden können, wenn er sich einfach der neuen politischen Ausrichtung des Außenministeriums angepasst hätte. Allerdings war er nicht bereit, sich den Bedingungen der „Neuen Ära“, einer dezidiert unilateral, konfrontativ, den Krieg stets einkalkulierenden Außenpolitik709 anzupassen, sondern zog es vor, seiner unter Friedrich Wilhelm IV. bewährten Linie treu zu bleiben. Obwohl er sich die bis dahin erreichte Position im diplomatischen Korps zielstrebig erarbeitet hatte, stand für ihn weniger die Karriere als solche im Mittelpunkt, sondern vornehmlich die Aussicht auf ein Einkommen. Zwar fiel dieses angesichts der erheblichen Aufwendungen für die Erfüllung represäntativer Pflichten keineswegs üppig aus,710 doch betrachtete er die diplomatische Tätigkeit in Italien als wichtige Grundlage, um seiner eigentlichen Leidenschaft, den historischen Studien nachzugehen.711 Tatsächlich hatte ­Reumont seit seiner Ankunft in der Toskana damit begonnen, entscheidende Kontakte für seine literarische Tätigkeit zu knüpfen. Einerseits hatten diese seine diplomatische Karriere gefördert, während sie im Gegenzug den Zugang zu renommierten Akademien und Vereinen erleichterten. Bereits im Jahre 1832 hatte Capponi ihm die Mitgliedschaft in der Accademia Colombaria (­Reumont erhielt den Namen Il Capace), und 1852 in der Accademia della Crusca verschafft.712 Dadurch bewegte sich R ­ eumont in den führenden Kreisen der toskanischen Kulturpflege: Die 1583 in Florenz gegründete Accademia della Crusca ist die älteste und führende italienische Philologengesellschaft, die das erste italienische Wörterbuch herausgebracht hat und in ständigen Neuauflagen die italienische Sprache studiert und bewahrt; die 1735 gegründete und unweit von Ponte Vecchio beheimatete ­Accademia Colombaria pflegte die historischen Hilfswissenschaften und förderte unter der Präsidentschaft Capponis zahlreiche Forschungsprojekte, darunter auch archäologische Grabungen.713 709

Vgl. Eckart Conze: Das Auswärtige Amt: Vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, München 2013, S. 24. 710 Vgl. Grypa (2008), S. 328. 711 BNCF Vieuss., C. V. 89,11, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 18. November 1850. 712 Vgl. Hüffer (1904), S. 127 u. 161. 713 Aus der umfangreichen Literatur zur Accademia Colombaria seien an dieser Stelle lediglich erwähnt: Luca Sorbi (Hrsg.): L’Accademia toscana di sienze e lettere „La Colombaria“ (1735–2000) (Accademia Colombaria: Studi 198), Florenz 2001; Matteo Ermini: La cultura toscana nel primo Settecento e l’origine della Società Colombaria fiorentia (Accademia Colom­ baria: Studi 215), Florenz 2003; Stefano Bruni: Gli etruschi e gli scavi in Toscana nel Risorgimento. I lavori della Società Colombaria tra il 1858 e il 1866, Mailand 2011; Enrico Spagnesi: Firenze capitale, la Società Colombaria, la „cultura dell’erudizione“, in: Giustina Manica (Hrsg.): Firenze capitale europea della cultura e della ricerca scientifica. La vigilia del 1865, Florenz 2014, S. 221–239.

III. ­Reumont als „Kulturmakler“ 

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Nun, als er „vorbehaltlich anderer anderweitiger Verwendung bei eintretender Gelegenheit einstweilen in den Ruhestand versetzt“714 worden war, ging er zunächst davon aus, die frei gewordene Zeit für seine historischen Studien nutzen zu können. Zuvor beabsichtigte er allerdings noch einmal auf literarischem Wege Rechenschaft über seine diplomatische Tätigkeit in Italien abzulegen. Bei dem gegenüber Witte erwähnten Werk, in dem er noch ein letztes Mal seine Ansichten über die italienische Neuzeit publik zu machen plante,715 handelte es sich um seine Zeitgenossen716. Es war eine Sammlung von Biographien wichtiger Persönlichkeiten, die R ­ eumont persönlich kennengelernt hatte. Der erste von zwei Bänden enthielt eine ausführ­ liche Biographie des bereits im Jahre 1853 verstorbenen Cesare Balbo, der als Autor der Speranze d’Italia und des Sommario della Storia d’Italia einer der führenden ­ eumont bot diese BiograVertreter der liberal-katholischen Denker war.717 Für R phie die ideale Gelegenheit, nicht nur seine eigenen politischen Ideen hinsichtlich der italienischen Nationalstaatsbewegung zu verfechten, sondern zugleich sowohl Balbos als auch seine eigene Rolle innerhalb der italienischen Entwicklungen ins rechte Licht zu rücken. Denn R ­ eumont hatte Balbo im päpstlichen Exil in Gaeta persönlich kennengelernt, als dieser sich von Mai bis Juli 1849 dort aufhielt, um Pius IX. davon zu überzeugen, sich strikt an die von ihm erlassene Verfassung zu halten.718 Während dieser Zeit waren ­Reumont und Balbo Nachbarn und nutzten diese Zeit zu einem regen Austausch über die italienischen Entwicklungen.719 Balbo, der seine Vorstellungen über eine italienische Unabhängigkeit aus der Geschichte ableitete,720 fand in ­Reumont einen überzeugten Fürsprecher, sowohl hinsichtlich der Forderung nach einer päpstlichen Reformpolitik721 als auch nach einem österreichischen Abzug aus Lombardo-Venetien722. Allerdings hinterließ auch ­Reumont seinerseits einen bleibenden Eindruck auf Balbo, der dessen profunde Kenntnis der italienischen Geschichte bewunderte und dessen historische Korrekturen723 an seinem wohl wichtigsten Werk, dem Sommario della Storia d’Italia, „der für viele Generationen bis in die Zeit des Faschismus das wichtigste, für weite Kreise bestimmte Werk ihrer Nationalgeschichte darstellte und dessen Einfluss auf die his 714

Vgl. ebenda, S. 155. NL ­Reumont, S 2746, Nr. 97: ­Reumont an Witte, Kapitol, 8. März 1861. 716 Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biographien und Karakteristiken, 2 Bde, Berlin 1862. 717 Vgl. Herde (1986). 718 Vgl. Ettore Passerin d’Entrèves: Balbo, Cesare, DBI 5 (1963), S. 395–405. 719 BNCF Vieuss., C. V. 88,259, R ­ eumont an Vieusseux, Mola di Gaeta, 28. Maggio 1849. 720 Vgl. Herde (1986), S. 144–145. 721 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Gesandtschaft Vatikan, Nr. 99: Politische Berichte, Nr. 8: Neapel, 16. September 1849, Blatt 28–31; vgl. Kapitel 2. 2. 2.4. Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett S. 116–117. Auch später, im Rahmen des Vatikanums, bekannte sich ­Reumont hinsichtlich innerkirchlicher Reformen zu Antonio Rosmini, Alessandro Manzoni und Cesare Balbo. – Alfred von R ­ eumont: Laien-Betrachtungen, AAZ 105, 15. April 1870; vgl. dazu auch Lepper (1991), S. 422–428 u. 435. 722 Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 131, Mittwoch, 10. Mai 1848; Italien und die Einheitsprojekte, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 164, 12. Juni 1848. 723 Cesare Balbo: Sommario della Storia d’Italia, Turin 1850 (9. Aufl), Prefazione, S. 13. 715

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

torisch-politischen Anschauungen der Italiener nicht hoch genug veranschlagt werden kann“724, dankend annahm und berücksichtigte. Angesichts der antideutschen bzw. antikaiserlichen Stoßrichtung dieses Werkes war dies eine bemerkenswerte Würdigung eines bereits zu jenem Zeitpunkt bekannten preußischen Kenners der italienischen Geschichte.725 Die Biographie Cesare Balbos, die ­Reumont kurz nach dem Ende seiner diplomatischen Karriere verfasste, bietet einen exemplarischen Eindruck nicht nur für ­Reumonts persönlichen Gebrauch der Historiographie, sondern auch für den damals üblichen Umgang mit Biographien. Gerade Lebensgeschichten und Nekrologe bekannter Persönlichkeiten dienten nicht nur dem Andenken der im Mittelpunkt stehenden Person, sondern in besonderem Maße auch der Legitimierung spezifischer Ansprüche. Sollte der Rückgriff auf die (eigene) Geschichte vor allem dem Adel zur Selbstvergewisserung und zur Rechtfertigung seiner gesellschaftlichen Position nützlich sein, die insbesondere in Zeiten des politischen Umbruchs behauptet werden musste, so galt dies auch für die Verteidigung politischer Ideen726 – wie es ­Reumont bereits anhand seiner Carafa di Maddaloni exerziert hatte und nun anhand der Vita Cesare Balbos fortführte. Das Setzen eines „Verliererdenkmals“ sollte dabei als Kritik an der Gegenwart dienen und der Opposition an der Art und Weise der Nationalstaatsgründung Gerechtigkeit widerfahren lassen.727 Die Betonung von Balbos Festhalten an den Grundsätzen der Legitimität sowie sein Eintreten für die Aufrechterhaltung der weltlichen Herrschaft des Papsttums suchte ­Reumont innerhalb der deutschsprachigen Öffentlichkeit bekannt zu machen, um zu zeigen, dass es auch innerhalb Piemonts namhafte Gegner des piemontesischen Vorgehens gegen Papst und Kirchenstaat gab. Dafür verschaffte er sich eigens von Cesares Sohn Prospero den genauen Wortlaut der Rede, die Cesare Balbo am 28. Februar 1849 im piemontesischen Parlament gegen die Römische Republik zugunsten der weltlichen Herrschaft des Papstes gehalten hatte.728 Denn, erklärte er Prospero Balbo: „[…] je désire tracer distinctement le portrait de l’homme qui, mieux que tout autre, représente le principe de liberté chrétienne auquel il est resté fidèle au milieu de toutes les vicissitudes da sa vie. Plût à Dieu, qu’au milieu des agitations et des exagérations actuelles il-y-eût un plus grand nombre d’hommes comme lui!“729

724

Vgl. Herde (1986), S. 144. Balbo war schon vorher mit den historischen Arbeiten R ­ eumonts vertraut. So beprach er beispielsweise auch ­Reumonts im Appendice all’Archivio Storico Italiano veröffentlichten Notizie bibliografiche dei lavori spettanti alla storia politica, ecclesiastica e letteraria d’Italia, pubblicati in Germania dall’anno 1800 al 1846 unter großem Lob in der Antologia Italiana 2 (1847), S. 647–649. 726 Vgl. Cavicchioli (2011); Clemens (2011): Obenbleiben. 727 Vgl. Loriga (2012), S. 82. 728 Vgl. Ettore Passerin d’Entrèves: Balbo, Cesare, DBI 5 (1963), S. 395–405; Archivio di Stato di Torino (AST), Archivi privati, Balbo, Famiglia Balbo, Famiglia mazzo 63, fasc. 22, ­Reumont an Prospero Balbo, Rom, 25. Dezember 1860. 729 Ebenda. 725

III. ­Reumont als „Kulturmakler“ 

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Dass R ­ eumont Cesare Balbo der Nachwelt als tugendhaftes christliches Vorbild vorzustellen und hinsichtlich seiner Beteiligung an einer kirchenfeindlichen und revolutionären Politik zu rechtfertigen beabsichtigte, fand Prospero Balbos uneingeschränkte Zustimmung,730 verbunden mit der Bestätigung, dass sein Vater sich offenbar keine Vorstellung von den antikatholischen Tendenzen gemacht habe, die einige seiner Bekannten verfolgten. Er habe in gutem Glauben gehandelt, sei jedoch durch falsche Freunde getäuscht worden und habe so unwissend einer Sache gedient, die er eigentlich gar nicht habe verantworten wollen.731 Für R ­ eumont hatte diese Biographie jedoch nicht nur den politischen Zweck, mithilfe eines prominenten Piemontesen als Gegenmodell zu Cavour, den italienischen Nationalstaat in der Art und Weise seiner Entstehung zu kritisieren, sondern dem deutschsprachigen Leser zugleich zu zeigen, dass die piemontesische National­ politik auch innerhalb der dortigen Elite namhafte Kritiker hatte, die sich zwar ihrem König verpflichtet fühlten, jedoch keineswegs eine antikirchliche oder revolutionäre Politik befürworteten.732 Deren Patriotismus definiere sich über das Königshaus und nicht über den Staat und dessen tatsächliche Gestaltung. Betrachtet man die in der Balbo-Biographie angeführte Analyse der italienischen Situation nach dem Wiener Kongress, so wird deutlich, dass R ­ eumont den Gegenstand nutzte, um noch einmal seine ausführlichen Beobachtungen aus seinen diplomatischen Depeschen sowie seiner bisherigen Publizistik ins Feld zu führen: Der Wiener Kongress habe wie auch die österreichische Herrschaft es nicht vermocht, die italienischen Eliten angemessen in die Neuordnung einzubinden, während Sardinien-Piemont sich aus politischem Ehrgeiz Frankreich und der Revolution übereignet habe, so dass man es nun mit einem italienischen Nationalstaat zu tun habe, der sich in der Abhängigkeit Frankreichs befinde.733 Insbesondere durch die Betonung der Abhän­ eumont die Ängste nicht nur des konservativen, gigkeit von Napoleon III. schürte R sondern auch von Teilen des liberalen Lagers, dass sich der Deutsche Bund dadurch

730

NL ­Reumont, S 1058, Prospero Balbo an ­Reumont, Nr. 81: Tour de Bairo, 2. Januar 1861. Ebenda, Nr. 83: Turin, 18. April 1861: „Les premiers amis avec qui il fut lié étroitement depuis sa jeunesse sont ou étaient presque tous les membres de l’Académie des Sciences de Turin. Sismondi, Peyron, Sauli, Provana, Ricotti, Plava, Menabrea, Cecco, Pellico, Gené, Sclopis, Petutti, Lazari, Alfieri, d’Azeglio, Colli, personnes qui ont presque tous figuré dans l’histoire du pays, mais dans les dernières années il se lie avec d’autres, la plus part étranger, au Piémont, auxquels il attribuait la même bonne foi et les mêmes qualités qui le distinguaient, leur Société éloigna pour quelque temps ses anciens amis qu’il ne voyait que plus rarement, il finit pas l’apercevoir plus tard qu’il s’était trompé, car les circonstances ayant changé, les opinions s’étaient prononcées il dut voir les tendances anticatholiques et antireligieuses de tous les messieurs qu’il avait trop facilement admis dans son intimité, et ces désillusions ne contribuèrent pas peu à traiter sa fin.“ 732 Zu Balbos kritischem Verhältnis zu einer laizistischen Kirchenpolitik vgl. Giovanni Battista Scaglia: Cesare Balbo. Il Risorgimento nella prospettiva storica del progesso cristiano (La cultura 1), Rom 1975. 733 Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken, Bd. 1, Berlin 1862, S. 335–342. 731

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

einer verstärkten Bedrohung von Seiten Frankreichs ausgesetzt sehen würde.734 Dementsprechend fasste er die Situation in Italien zusammen: „Für den der die italienische Geschichte seit 1815 einer ruhigen und unparteiischen Beurtheilung unterwirft, stellt sich eine traurige Wahrheit heraus. Weder Oestreich noch Piemont haben ihre Aufgabe erkannt und ihre Pflicht erfüllt. Die eben erwähnte heutige Gestaltung der Dinge in Italien und das erneute französische Uebergewicht sind die Folgen dieses doppelten Irrthums.“735

Einen besonderen Stellenwert nahm dabei auch die Kritik an der österreichischen Administration in Lombardo-Venetien ein. Denn, wie bereits erwähnt, hatte sich ­Reumont sowohl in der deutschen als auch der italienischen Öffentlichkeit des Vorwurfs zu erwehren, ein Gegner der italienischen Nationalbewegung zu sein. In der Behandlung Cesare Balbos nutzte er deswegen die Gelegenheit, seinen Standpunkt noch einmal ausführlich darzulegen und zu zeigen, dass er weder ein Gegner der italienischen Nationalbewegung noch ein Anhänger der österreichischen Herrschaft in Italien war. In seiner differenzierten Analyse der österreichischen Politik in Lombardo-Venetien benennt er die Fehler und Probleme treffend beim Namen. Die habsburgische Administration habe es weder verstanden, auf den unter Napoleon geschaffenen Strukturen aufzubauen und deren Mängel zu beheben, noch aus dem guten Ruf der theresianischen Verwaltung im lombardischen Adel Vorteil zu ziehen. Durch die unzureichende Einbindung der lokalen Eliten in die Neuordnung sei die österreichische Herrschaft für jegliche Mängel verantwortlich gemacht worden, auch wenn diese zum Teil noch aus der Franzosenzeit herrührten, und sei deswegen als eine Fortführung der erdrückenden Kaiserherrschaft des Mittelalters empfunden worden.736 Tatsächlich werden diese Beobachtungen von der Forschung bestätigt: Denn der lombardische Adel forderte eine Rückkehr zu den theresianischen Strukturen um ihrer administrativen Grenzen Willen, während die habsburgische Verwaltung die napoleonischen Strukturen zum Teil beibehielt und durch eine unzureichende Einbindung der lokalen Eliten einer zunehmenden Entfremdung Vorschub leistete, anstatt sich des theresianischen Mythos zu bedienen, um sich die Unterstützung der Führungsschichten zu sichern.737 ­Reumont geht in seiner Kritik der fehlenden Einbindung der lokalen Eliten jedoch über den Rahmen Lombardo-Venetiens hinaus und macht die entscheidende Schwäche der österreichischen Politik darin aus, dass sie grundsätzlich nicht dem Ideal des lebenden Staatsorganismus Friedrich Wilhelms IV. folgte, der ein organisches Zusammenspiel der unterschiedlichen Stände unter Wahrung ihrer historischen Rechte voraussetzte und sowohl dem Liberalismus als auch dem Absolutismus ein Absage erteilte.738 Mit einer aufgeklärt absolutistischen Politik, so machte es R ­ eumont deutlich, habe Österreich 734

Vgl. Rusconi (2013), S. 75. Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken, Bd. 1, Berlin 1862, S. 335. 736 Ebenda, S. 336. 737 Vgl. Meriggi (1983), S. 84–86. 738 Vgl. Frank-Lothar Kroll (1990), S. 182–184. 735

III. ­Reumont als „Kulturmakler“ 

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zwangsläufig scheitern müssen.739 Obgleich es die Probleme im Laufe der Zeit erkannt habe, sei es außerdem nicht bereit gewesen, Lombardo-Venetien an einem italienischen Staatenbund teilnehmen zu lassen. Genau darin hätte jedoch, nach ­Reumont die einzige Möglichkeit bestanden, einer Revolution zuvorzukommen.740 Damit war dieses letzte politische Werk, das R ­ eumont gegenüber Witte angekündigt hatte tatsächlich als eine Art persönliche Bestandsaufnahme nach seiner diplomatischen Tätigkeit in Italien zu sehen, in der er nicht nur seine Beobachtungen als Diplomat und Publizist wiederholte und mithilfe der Autorität Balbos rechtfertigte, sondern zugleich das mit Beginn der „Neuen Ära“ ins Abseits geratende Staatsdenken Friedrich Wilhelms IV. gegenüber der verfehlten aufgeklärt-absolutistischen habsburgischen Politik in Lombardo-Venetien hervorhob. Dass ­Reumont mit der Balbo-Biographie jedoch nicht nur rein publizistische Absichten verband, sondern zugleich seine Position im diplomatischen Korps zu verbessern suchte, sollte 1862 deutlich werden, als der preußische Gesandte am Heiligen Stuhl, Graf von Canitz, der R ­ eumont vorgezogen worden war, geistig erkrankte.741 In der Hoffnung doch noch seine diplomatische Karriere in Italien fortsetzen zu können, bewarb er sich um dessen Nachfolge und bat zugleich Witte, einen Artikel in der Kreuzzeitung zu platzieren, aus dem ­Reumonts Qualifikation für denn Posten hervorgehen sollte.742 Dabei kam Witte die Aufgabe zu, insbesondere ­Reumonts Beziehung zu Cesare Balbo anhand der genannten Biographie hervorzuheben, als auch ­Reumonts Vorschlag eines völkerrechtlich abgesicherten Projektes einer italienischen Konföderation unter Führung des Papstes, wie er es in Le Correspondent743 in seiner historischen Entstehung besprochen hatte. Seine besonders gute Vernetzung in Rom selbst sollte zudem durch die Erwähnung der Projekte Giovanni Battista de Rossis deutlich werden, die zum Teil von R ­ eumont unterstützt wurden. De Rossi war schließlich der gefeierte Wiederentdecker der rö 739 Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken, Bd. 1, Berlin 1862, S. 337–338. 740 Ebenda, S. 339–340. 741 Vgl. Hüffer (1904), S. 176. 742 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 112: ­Reumont an Witte, Lamporecchio, 2. Dezember 1862: „Heute komme ich mit einer neuen Bitte. Wollen Sie etwa über m. französ. Aufs. Les projets de Confédération einige Worte in der Kreuzzeitung sagen? Ich eröffne Ihnen aufrichtig, im engsten Vertrauen, was mich zu dem Wunsche veranlaßt. Der römische Gesandtschaftsposten muß, ohne Zweifel, in nächster Zeit wiederbesetzt werden, […]. Meine Bitte ist nun, daß Sie, wenn anders es Ihnen paßt, über die genannte kleine Arbeit etwas in der Kreuzz. sagen, mit besonderer Beziehung auf Rom und die Projekte Gh Rossi’s, wie etwa unter Heranziehung dessen was in der Biographie Balbo’s, namentlich bezüglich des Auftrags nach Gaeta, über römische Dinge gesagt ist. Man hat mich so oft als ganz unverständig in politicis geschildert, daß ich doppelt wünsche meine Ansichten noch einmal hervorgehoben zu sehn: Ansichten die ebenso sehr eine praktische Lösung der Schwierigkeiten anbahnen können, wie mein römischer Standpunkt in religiösen Dingen für eine gleichmäßige billige und vorurtheilsfreie Behandlung confessioneller Fragen, soweit diplomat. Verhältnisse sie veranlassen könnten, Bürgschaft leisten dürfte.“ 743 Alfred von ­Reumont: Les projets de confédération italienne de 1847 à 1849, Le Correspondent 56 (1862), S. 473–490.

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

mischen Katakomben und galt als führender Experte für die römische Topographie und Epigraphik, weshalb er etwa an den Arbeiten Wilhelm Henzens und Theodor Mommsens am Corpus inscriptionum Latinarum beteiligt wurde.744 Zwar kam Witte der Bitte nach,745 ging allerdings weniger auf ­Reumonts aktive Rolle in Gaeta ein, was dieser denn auch anschließend bemängelte.746 Diese publizistische Unterstützung von R ­ eumonts Bewerbung sollte allerdings vergebens sein. Obwohl ­Reumont sich angesichts des Gefechts am Aspromonte, durch das Garibaldi bei seinem Versuch, mit Freischärlern auf Rom zu marschieren von regulären italienischen Truppen zurückgeschlagen wurde, in seinen oft wiederholten Einschätzungen, dass das Königreich Italien als ein durch Annexionen erweitertes Sardinien-Piemont keine dauerhafte Lösung sein könne, bestätigt sah, wurden seine neuen Hoffnungen jäh enttäuscht. Wie ihm Hermann von Thile, unter Bismarck Unterstaatssekretär im Ministerium des Auswärtigen, erklärte, schließe seine katholische Konfession eine Verwendung beim Heiligen Stuhl aus, da sie zwangsläufig zu Loyalitätskonflikten bei der Vertretung einer evangelischen Gesandtschaft führen müsse.747 Diese Ablehnung war jedoch nicht nur mit der preußischen Tradition, dort stets durch einen evangelischen Gesandten vertreten zu sein zu begründen. Unausgesprochen deutete diese Begründung angesichts des Gefechts am Aspromonte und der damit erneut aufgeworfenen Römischen Frage, die in Italien immerhin zu einer Regierungskrise führte,748 bereits an, dass sich die preußische Seite nicht auf eine propäpstliche Position wie sie Napoleon III. eingenommen hatte festlegen wollte. Ein realpolitisches Taktieren, das auch die Ver­ eumont legung der italienischen Hauptstadt nach Rom in Erwägung zieht, hätte R tatsächlich notwendig in einen Loyalitätskonflikt gestürzt. Nach der erneuten Ablehnung seiner Bewerbung auf den römischen Gesandtschaftsposten hatte sich R ­ eumont endgültig damit abgefunden, dass seine diplomatische Laufbahn beendet war. Zwar vermied er es, als pensionierter Diplomat aktiv in die Politik einzugreifen, jedoch nutzte er weiterhin die Mittel der Publizistik, um seine Ansichten zu verbreiten. Dabei verwandte er seine historischen Studien, vorwiegend zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Themen, um die zeitgenössischen politischen Entwicklungen zu bewerten. Dass nämlich der gerade neu entstandene italienische Nationalstaat wegen seines fehlenden historischen Funda 744

Nicola Parise: De Rossi, Giovanni Battista, DBI 39 (1991), [URL: http://www.treccani.it/ enciclopedia/de-rossi-giovanni-battista_(Dizionario-Biografico), letzter Zugriff am 02. 03. 2017] 745 Charakteristiken und Zeitgenossen, Beilage zu Nr. 191 der Neuen Preußischen Zeitung, 17. August 1862. 746 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 113: ­Reumont an Witte, Rom, 17. Januar 1863: „Vielen Dank für den hübschen Artikel in der Crociata. Er entspricht ganz meinen Wünschen – mit der einzigen Ausnahme daß mir daran lag, meiner persönl. diplomat. Stellung inmitten der ital. Wirren gedacht zu sehn, wozu bei Balbo u. Gaeta so bequemer u. passender Anlaß geboten war.“ 747 Der Brief von Thiles an ­Reumont (Berlin, 8. Januar 1863) wird zitiert bei Hüffer (1904), S. 178–180. 748 Vgl. Candeloro (1978), Bd. 5, S. 184–203.

III. ­Reumont als „Kulturmakler“ 

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ments keine Zukunft haben könne, hielt er für sicher. Dass eine gegen die historischen Traditionen gerichtete Politik früher oder später scheitern müsse, betrachtete er allein am Beispiel der habsburgischen Politik in Lombardo-Venetien als erwiesen. Dies schien bereits der Ausbruch des brigantaggio in Süditalien zu zeigen. Außerdem glaubte er auch in der Toskana eine wachsende Unzufriedenheit auszumachen, die sich ebenfalls gegen die neuen Autoritäten richten werde, wie er dem im Exil befindlichen Ferdinand IV. von Toskana zu berichten wusste.749 Mit dem legitimen Souverän der Toskana blieb ­Reumont nicht nur in regelmäßigem Kontakt und bestärkte ihn darin, seine Regentschaft anzutreten,750 sondern unterstützte zudem dessen „semioffiziellen Botschafter“, den aus Bologna stammenden Historiker und Publizisten Eugenio Albèri bei dessen Bemühen, in den europäischen diplomatischen Kreisen für die Rückkehr Ferdinands IV. in die Toskana zu werben, indem er ihn an den preußischen Botschafter in Paris, Graf Albert von Pourtalès,751 vermittelte. Albèri begrüßte zwar eine nationale Unabhängigkeit und die Vertreibung der Österreicher, lehnte jedoch einen zentralistischen Einheitsstaat ab, da er die regionalen Unterschiede missachtete und eine Gefahr für den Kirchenstaat darstellte.752 ­Reumont versuchte mit ihm gemeinsam die internationale Öffentlichkeit auf eine die neuen Autoritäten ablehnende Bevölkerung aufmerksam zu machen, um die Unausweichlichkeit einer Rückkehr des Großherzogs zu demonstrieren. Dies versuchten die beiden Historiker über Tagespublizistik und über historische Monographien und Aufsätze zu erreichen, in denen sie die Bedeutung historisch gewachsener Strukturen propagierten.753 Bei den dafür notwendigen Recherchen sowie der 749 NL ­Reumont, S 1056, Nr. 145, Ferdinand [Toskana, Großherzog, IV.] an R ­ eumont, Wien, 16. Februar 1862: „Godo intanto di sentir confermato da Lei che accresce ogni giorno il numero dei disillusi, e spero che l’opinione pubblica ravveduta si persuaderà alla fine che il bene e la grandezza d’Italia non potranno mai conseguirci realmente senza il legittimo connubio di quelle necessità di autonomia e di quelle aspirazioni di nazionalità, che aveva trovato una base sicura nell’idea di Villafranca e che io ho ferma fiducia nella logica degli avvenimenti e nel buon senso dei miei Toscani, i quali non potranno dimenticare, lo spero, la prosperità eccezionale che il Paese aveva ottenuta mercé il regime paterno e liberale…“ – Über die Hoffnungen der Legitimisten, dass wachsender Unmut in der Bevölkerung zu einem Scheitern des Einheitstaates führen würden vgl. auch Sarlin (2013), S. 32. 750 NL ­Reumont, S 1056, Nr. 142–144, Ferdinand [Toskana, Großherzog, IV.] an ­Reumont, München, 26. Januar 1860; Dresden, 23. April 1860; Lindau, 27. August 1860. 751 Vgl. Wolfgang Neugebauer: Pourtalès, Albert Alexander Graf, NDB 20 (2001), S. 664; Felix Bamberg: Pourtalès, Graf Albert von, ADB 26 (1888), S. 492–494. 752 Vgl. Cipriani (2011), S. 58–63; zu Eugenio Albèri vgl. Cucentrentoli (1970); zu ­Reumonts Vermittlung an Pourtalès: NL ­Reumont, S 1058, Nr. 13, Eugenio Albèri an ­Reumont, Genf, 10. August 1860. 753 Eugenio Albèri hatte sich zu diesem Zeitpunkt durch zahlreiche historische Werke und politische Denkschriften bereits einen Namen gemacht, so bspw. durch die historischen Werke: Vita di Caterina de’ Medici. Saggio storico, Florenz 1838; Relazioni degli ambasciatori veneti al Senato, raccolte, annotate e pubblicate da Eugenio Albèri, Florenz 1839–1863; Le opere di Galileo Galilei, prima edizione completa, condotta sugli autentici manoscritti palatini, Florenz 1842–1856; durch politische Schriften: La politica napoleonica e quella del Governo Toscano, Paris 1859; La Toscana durante la Guerra dell’Indipendenza, Florenz 1859; zu Albèris Engagement vgl. Cucentrentoli (1970).

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B. Alfred (von) ­Reumont: Ein Leben 

späteren Veröffentlichung und anschließenden Besprechung unterstützten sie sich gegenseitig. Im Rahmen der Besprechung von Albèris Relazioni degli ambascia­ eumont die tori veneti al Senato in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, ließ sich R Gelegenheit nicht entgehen, auf die fehlende Sensibilität des Königreichs Italien im Umgang mit den regionalen Besonderheiten einzugehen. Belehrend führte er den brigantaggio als Folge fehlenden Geschichtsbewusstseins an und stellte fest: „Eine Relation über Neapel vom Jahr 1597, von Girolamo Ramusio, enthüllt auf die anschaulichste Weise die spanische Wirthschaft, und zeigt uns die Verhältnisse und Contraste in Adel und Volk – Verhältnisse und Contraste welche die heutigen Zustände und deren seit Jahrhunderten bestehenden Anlässe besser erklären als alle Reden des Turiner Parlaments und alle Relationen über das Brigantenwesen.“754

Damit waren exemplarisch die Aufgaben umrissen, die die Historiographie nach ­ eumont zu erfüllen hatte. Sie sollte die Richtschnur sein, an der sich die zeitgenösR sische Politik zu orientieren habe, um organisch gewachsene Strukturen weiterzuentwickeln und mögliche Probleme frühzeitig erkennen und ihre Ursache beheben zu können. Für die dazu notwendigen Studien konnte er auf ein großes Netzwerk internationaler Gelehrter und hochstehender Persönlichkeiten zurückgreifen, das er sich im Laufe seiner Laufbahn als Diplomat sowie als Mitglied zahlreicher Akademien und Vereine bis dato aufgebaut hatte. Dabei hielt er auch die Kontakte an seine ehemaligen diplomatischen Wirkungsstätten aufrecht. Dazu gehörte der exilierte Großherzog von Toskana, Ferdinand IV., der Hof Papst Pius’ IX. und insbesondere der preußische Hof. Natürlich versuchte er auch in der Folge noch informell Einfluss auf die politischen Entwicklungen zu nehmen, allerdings ohne Erfolg. Als enger Vertrauter des verstorbenen Friedrich Wilhelms IV. genoss er auch das Vertrauen des Bruders Wilhelms I., wenngleich dieser die politischen Ratschläge des ehemaligen Diplomaten während des Kulturkampfes weitgehend ignorierte.755 Gleiches galt für seine Kontakte an den päpstlichen Hof, wo seine Warnungen vor den Folgen des Unfehlbarkeitsdogmas im Zuge des Ersten Vatikanischen Konzils zwar Gehör, aber keine Berücksichtigung fanden. Im Frühjahr 1869 hatte ­Reumont Kardinal Bilio getroffen und mit ihm über die kirchlichen Verhältnisse in Deutschland gesprochen,756 freilich ohne etwas zu erreichen. Frustriert berichtete er noch 1871 Witte von seiner Papstaudienz, dass man in Italien meine, mit der Infallibilität einen Sieg errungen zu haben und sich von der Bedrängnis, in die die Katholiken 754 Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 26. Mai 1863. Tatsächlich fand in jenen Jahren ein Ringen um die öffentliche Meinung in Europa zum brigantaggio statt, der die Akzeptanz des neu gegründeten Nationalstaates in Süditalien in Frage stellte. Deswegen versuchte die italienische Regierung, die Briganten als einfache Kriminelle darzustellen, die keine eigenen politischen Ziele verfolgten, um sich des Eindrucks eines Bürgerkriegs zu erwehren, während die Legitimisten versuchten, die Unzufriedenheit mit dem Nationalstaat herauszustellen. Letztlich verfügte das Königreich Italien über deutlich größere finanzielle Mittel, um die Presse zu beeinflussen, weshalb sie den Kampf um die öffentliche Meinung am Ende für sich entscheiden konnte. – vgl. Sarlin (2013), S. 93–105. 755 Einige Briefe Wilhelms I. an R ­ eumont sind abgedruckt bei Hüffer (1904), S. 229–239. 756 Vgl. ebenda, S, 224.

III. ­Reumont als „Kulturmakler“ 

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in Deutschland dadurch geraten sind, keine Vorstellung mache.757 Obwohl R ­ eumont hinsichtlich des Vatikanums und des Kulturkampfes keineswegs einseitig Position bezog, sondern in Anlehnung an Rosmini innerkirchliche Reformen sowie eine Versöhnung mit den modernen Zeiten und der Wissenschaft forderte,758 wurden seine Vermittlungsversuche von allen Seiten beargwöhnt: Den Ultramontanisten galt er als zu liberal, während er den Protestanten eben als Ultramontanist galt.759 Mit dem Unfehlbarkeitsdogma, war er in seinen Vermittlungsversuchen desavouiert: Nicht nur der Forderung nach innerkirchlichen Reformen war damit eine klare Absage erteilt, sondern auch dem Versuch, die katholische Konfession als problemlos mit der deutschen Staatsbürgerschaft und der modernen Wissenschaft vereinbar darzustellen. Den heraufziehenden Kulturkampf hatte R ­ eumont schon während der Verhandlungen des Vatikanums im Falle der Verabschiedung des Unfehlbarkeitsdogmas vorausgesehen.760 Entsprechend verärgert gab er in der Folge der Kurie eine erhebliche Mitschuld an der Bedrängnis, in die die Katholiken in Deutschland gerieten.761 Als loyaler Untertan Wilhelms I. und überzeugter Katholik sah er sich auch nach den fatalen Konzilsbeschlüssen zwischen den verhärteten Fronten und unterließ es deswegen trotz mehrfacher Aufforderung von Seiten der Zentrumsfraktion sich öffentlich für die Rechte der Katholiken und der katholischen Kirche einzusetzen. Er lehnte die Agitation des politischen Katholizismus ab, da er in ihm die Gefahr sah, dass die Katholiken in der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr in erster Linie als Staatsbürger, sondern als politische Partei wahrgenommen werden, was seiner Ansicht nach nur zu einer Entfremdung zwischen Staat und Katholiken führen musste.762 Während sich ­Reumont politisch ins Abseits gestellt sah, da seine politische Publi­zistik stets vor dem Hintergrund wahrgenommen wurde, dass er immer noch in gutem Kontakt zu legitimistischen Kreisen stand – so war er regelmäßiger Gast der principessa di Rospigliosi und galt im römischen Salon von Michelangelo ­Caetani als reaktionär763 –, so dass auch seine Vermittlungsversuche unter Vorbehalten aufgenommen wurden. Dagegen blieb er auf dem Kulturgebiet eine feste Größe. Sein Gelehrtennetzwerk hatte Verzweigungen in ganz Europa  – auch über politische 757

NL R ­ eumont, S 2746, Nr. 165: R ­ eumont an Witte, Villa Rospigliosi, Lamporecchio, 18. Mai 1871. Vgl. auch Andrea Ciampani: Un Cardinale barnabita nel governo della Chiesa Cattolica durante i primi tempi del Regno d’Italia: Luigi Bilio, Barnabiti studi 28 (2011), S. 333–374. 758 Vgl. dazu vor allem Lepper (1991) und ­Reumonts eigenen Publikationen, u. a. Laien-Betrachtungen, AAZ 105, 15. April 1870 und die Flugschrift Pro Romano Pontefice. Rückblick und Abwehr, Bonn 1871. Vgl. auch den einen entsprechenden Brief an Capponi: BNCF Gino Capponi XI. 46, ­Reumont an Capponi, Nr. 65: Bonn, 17. Mai 1870. 759 Lepper (1989), S. 190–213. 760 BNCF Gino Capponi XI. 46, ­Reumont an Capponi, Nr. 63: Bonn, 24. März 1870; Nr. 64: Bonn, 24. April 1870. 761 Vgl. BNCF Gino Capponi XI. 46, R ­ eumont an Capponi, Nr. 65: Bonn, 17. Mai 1870; Nr. 70: Bonn, 22. Januar 1871; Nr. 79: Bonn, 22. November 1871; Nr. 86: Bonn, 20. Januar 1873. 762 Vgl. Lepper (1989), S. 212–213. 763 Vgl. Fiorella Bartoccini (Hrsg.): Lettere di Michelangelo Caetani duca di Sermoneta. Cultura e politica nella Roma di Pio IX, Rom 1974, Nr. 18: Al granduca di Sassonia Weimar, [Rome], 12 octobre 1862. S. 132–138, hier S. 136–138.

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Grenzen hinweg. Außerdem war er Mitglied in zahlreichen über ganz Europa verteilten Gesellschaften, Akademien und Orden. Seine Mitarbeit in Zeitungen, Fachzeitschriften und an diversen Forschungsprojekten, sei es als aktiver Mitarbeiter, sei es als Vermittler zu Archivaren, Bibliothekaren, Behörden oder anderen Gelehrten machten ihn zu einem wertvollen Ansprechpartner. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass er, wie bereits gezeigt, der Historiographie eine besondere politische Wichtigkeit beimaß und über historische Publikationen, wie beispielsweise mit seinen Carafa di Maddaloni oder seiner Balbo-Biographie ganz konkrete, oft sogar persönliche Ziele verfolgte. Nachfolgende Fragestellungen lassen sich daher aufwerfen: Wie hat sich diese Einstellung auf sein Werk als kultureller Mittler zwischen Deutschland und Italien ausgewirkt? Auf welche Weise hat er seine politischen Botschaften in den deutsch-italienischen Kulturtransfer geschleust und welche Bedeutung hatte seine Vermittlung für den Fortgang und den Inhalt der Forschung diesseits und jenseits der Alpen? Für seine herausragende Bedeutung als kultureller Mittler spricht, dass er nicht nur Ehrenbürger seiner Heimatstadt Aachen wurde, wo er 1879 den Aachener Geschichtsverein begründet hatte, sondern auch im Italien vor und nach der Nationalstaatsgründung: Er wurde in Anerkennung seiner kulturellen Verdienste sowohl zum Ehrenbürger des noch päpstlichen Rom (17. Juni 1870)764 als auch von Florenz (1876)765 ernannt.

764 Stadtbibliothek Aachen, Nachlass R ­ eumont (Nachlass 1), I.3. Briefkorrespondenz und Personalien, Rom (Campidoglio), 17. Juni 1870. 765 Vgl. Kapitel C. IV. 3. a) Die Geschichte Toskanas, S. 460–461.

C. Publizistik Als ­Reumont im Dezember des Jahres 1829 nach Florenz kam, betrat der damals 21-Jährige eine ihm völlig fremde Welt. Umso erstaunlicher mag es auf den ersten Blick erscheinen, dass er bereits wenige Monate später seinen ersten Artikel in der damals führenden italienischen Kulturzeitschrift, der von Vieusseux herausgegebenen Antologia veröffentlichte.1 Tatsächlich betrat er keineswegs Neuland: Insbesondere die Toskana war nicht nur fester Bestandteil des traditionellen Grand tour, sondern erfreute sich in jenen Jahren eines erneut aufflammenden Interesses, nicht nur seitens der europäischen Aristokratie, sondern auch von Seiten zahlreicher Gelehrter, die nach Italien kamen, um archäologische, kunsthistorische oder historische Studien zu betreiben, die sich in jenen Jahren als wissenschaftliche Disziplinen zu definieren begannen.2 Während Johann Wolfgang Goethes (1749–1832) Italie­ nische Reise eine Vorbildfunktion für das romantische Italienerlebnis als eine Flucht in die Vergangenheit vor den Problemen der Gegenwart übernehmen konnte,3 hatten Italienreisen und Studien des Archäologen und Kunstgelehrten Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) das Bewußtsein für die reiche kulturelle Hinterlassenschaft der italienischen Halbinsel geschärft.4 Im Zuge der mit dem Wiener Kongreß geschaffenen Friedensordnung bewirkte das europäische Italieninteresse in diesen Jahren eine zunehmende Reisetätigkeit auf die Apenninhalbinsel.5 Die Italienreisen mancher deutscher Gelehrter wurden nicht nur nördlich der Alpen aufmerksam verfolgt, sondern hatten auch vor Ort bereits ihre Spuren hinterlassen. Von Seiten der einheimischen Bevölkerung begegnete man den Fremden teils mit Interesse, teils mit Misstrauen: Abgesehen von der Sprachbarriere erschwerte mitunter die Angst vor einer erneuten „Barbareninvasion“ den Umgang, während gleichzeitig die deutsche Wissenschaft durchaus geschätzt wurde – wenngleich auch hier die Bewertung der Einheimischen zwischen Bewunderung der dotta Germania und Verachtung der dottissima ignoranza schwankte.6 Johann Friedrich Böhmer, seines Zeichens führender Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica (MGH), die im Auftrag 1 Alfred ­Reumont: Notizie inedite della Vita d’Andrea del Sarto, raccolte da Luigi Biadi, Antologia 40, November 1830, S. 198–202. 2 Vgl Petersen (1987/88), S. 79–81. 3 Vgl. Hansgeorg Schmidt-Bergmann: Politische Dimensionen in literarischen Italienbildern: Klassik, Romantik, Junges Deutschland, in: Angelo Ara / Rudolf Lill (Hrsg.): Deutsche Italienbilder und italienische Deutschlandbilder (Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, Beiträge 4), Bologna / Berlin 1991, S. 49–65, hier S. 63. 4 Vgl. Rudolf Lill: Einleitung, in: Ara / Lill (1991), S. 40–47, hier S. 40–41. 5 Vgl. ebenda; Clemens (2006), S. 213. 6 Vgl. Weiß (1983), S. 13–26; Clemens (2004), S. 244–245; Petersen (1987/88), S. 84; Maurer (2005), S. 65–67.

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C. Publizistik

der 1819 von Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein (1757–1831) gegründeten Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde historische Dokumente zur deutschen Geschichte kopierte und herausgab, hatte im selben Jahr und später in den 1830er Jahren ausgedehnte Archivreisen nach Italien unternommen und ein bleibendes Andenken hinterlassen.7 Er sollte später den Generaldirektor Francesco Bonaini (1806–1874) bei der Neuordnung der toskanischen Archive beraten, deren Verwaltung in der Folge zu den fortschrittlichsten in Europa gehören sollte.8 In Verbindung mit Friedrich Carl von Savigny (1779–1861), dessen auf dem Historismus beruhende Rechtsschule sowohl in der Toskana9 als auch in Piemont aufmerksam rezipiert wurde und das Bewusstsein für die grundlegende Bedeutung eines kritischen Quellenstudiums für die Jurisprudenz förderte, gab Böhmer der italienischen Geschichtsforschung entscheidende Impulse. Cesare Balbo griff für seine Storia d’Italia auf Arbeiten Rankes und Savignys,10 und später für die Korrektur seines Sommario della Storia d’Italia auf die Unterstützung ­Reumonts zurück.11 Zudem nahm König Karl Albert die Impulse, die MGH-Mitarbeiter nach Turin gebracht hatten, ostentativ auf, indem er dem von ihm 1833 ins Leben gerufenen Editionsprojekt zur vaterländischen Geschichte nicht etwa in Anlehnung an Muratoris Rerum Italicarum Scriptores den Titel Rerum Subalpinarum Scriptores gab, wie anfangs beabsichtigt, sondern nach dem Vorbild der MGH: Monumenta Historiae Patriae.12 Derartige Verbindungen blieben nicht auf den Bereich der historisch angelegten Rechtswissenschaft und die historische Quellenkritik beschränkt, sondern erstreckten sich insbesondere auch auf das Gebiet der Kunst. Gerade die Toskana übte mit ihrem Erbe der Renaissance eine besondere Anziehung aus. Dort hatte sich vor allem Carl Friedrich von Rumohr um den deutsch-italienischen Austausch verdient gemacht. Dieser hatte mehrere Reisen nach Italien unternommen. Unter anderem betrieb er während seiner zweiten Italienreise (1816–1821) umfangreiche Archivrecherchen in Florenz und kehrte 1828–1829 noch einmal im Auftrag der Berliner Gemäldegalerie zurück. Auf der Basis dieser Forschungsreise sowie der Über 7 Vgl. Harmut Hoffmann: Die Edition in den Anfängen der Monumenta Germaniae Historica, in: Rudolf Schieffer (Hrsg.): Mittelalterliche Texte. Überlieferung – Befunde – Deutungen. Kolloquium der Zentrealdirektion der Monumenta Germaniae Historica am 28./29. Juni 1996 (Monumenta Germaniae Historica Schriften 42), Hannover 1996, S. 189–232, hier S. 189–200; Arnold Esch: Auf Archivreise. Die deutschen Mediävisten und Italien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Aus Italien-Briefen von Mitarbeitern der Monumenta Germaniae Historica vor der Gründung des Historischen Instituts in Rom, in: Esch / Petersen (2000), S. 187–234. 8 Vgl. auch ­Reumonts Nekrolog auf Böhmer, in: Archivio Storico Italiano 18 N. S. (1863), S. 161–166, hier S. 164; Lodolini (2006), S. 175–176 bezweifelt allerdings die von Bonaini selbst immer wieder betonte Unterstützung Böhmers. 9 Großherzog Leopold II. hatte sogar Pietro Conticini zu Savigny nach Berlin gesandt, um die Lehre der Jurisprudenz in der Toskana zu verbessern. – vgl. Domenico Maffei / Knut Wolfgang Nörr: Lettere di Savigny a Capei e Conticini, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 110 (Romanistische Abteilung 97) (1980), S. 181–212, hier S. 176–177. 10 Vgl. Moscati (1984), S. 141–144. 11 Cesare Balbo: Sommario della Storia d’Italia, Turin 1850 (9. Aufl), Prefazione, S. 13. 12 Vgl. Porciani (1979), S. 17; Romagnani (1985), S. 273–300; Clemens (2004), S. 308–309.

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setzung von Vasaris Vite de’ più eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani da Ciambue insino a’ tempi nostri gab er seine berühmten Italienischen Forschungen heraus, die noch heute als Meilenstein in der Entwicklung der kunstwissenschaftlichen Disziplin gelten und sowohl in Deutschland als auch in Italien neue Maßstäbe setzten.13 Außerdem hielt er die Leser der Antologia über die Publikationen deutschsprachiger Zeitschriften, wie dem Kunstblatt, dem Morgenblatt oder dem Hermes auf dem Laufenden und hatte auf diese Weise die Rezeption der deutschsprachigen Forschungen in der Toskana gefördert.14 ­Reumont kam also in einem Moment steigenden wechselseitigen Interesses nach Florenz. Kurz zuvor hatte der preußische Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm IV. in Rom die Schirmherrschaft über das soeben gegründete Instituto di corrispondenza archeologica übernommen und damit dem deutschen Italieninte­ resse öffentlichkeitswirksam Ausdruck verliehen.15 Zugleich setzte in dieser Zeit der europäische Italientourismus ein, begleitet von der Gründung der ersten Reisebüros und der Herausgabe des ersten Reiseführers für ein Massenpublikum, John M ­ urrays Red Book (1836).16 ­Reumont kannte das Italieninteresse der gebildeten Kreise und wusste von der verstärkten Reisetätigkeit deutscher Gelehrter nach Italien. Schon während der Anfangsmonate seiner florentinischen Zeit lernte er Leopold von Ranke kennen, der sich damals zu Archivrecherchen in Florenz aufhielt und ­Reumont Einblick in seine Arbeiten gewährte.17 Dieser führte dem 21-Jährigen die ungeheure Bedeutung der Überlieferung italienischer Kirchen- und Adelsarchive für die europäische Geschichte vor Augen und zeigte ihm die Möglichkeiten auf, die sich der Geschichtswissenschaft durch eine Erschließung dieser Überlieferung bieten konnten. Gleichzeitig nahm R ­ eumont im Lesekabinett Vieusseux’ das große Interesse wahr, das die italienischen Gelehrten für die Fortschritte der deutschen Wissenschaft hegten, so dass er schon früh erkannte, welchen Wert eine Vermittlung zwischen deutscher und italienischer Wissenschaft haben konnte. Während deutsche Gelehrte Informationen über die in Italien lagernden kulturellen Schätze – seien es Archivalien oder Kunstwerke – benötigten, interessierten sich ihre italienischen Kollegen für deutschsprachige Forschungsergebnisse sowie die dahinterstehende Methodik, um daraus Impulse für ihre eigenen Bemühungen ziehen zu können.18 Dabei beschränkte sich jedoch das deutsche Italieninteresse bis dato noch weitge 13 Vgl. Enrica Yvonne Dilk: Rumohr, Carl Friedrich Ludwig Felix von, NDB 22 (2005), S. 250–251; vgl. auch Dies.: Ein „practischer Aethetiker“. Studien zum Leben und Werk Carl Friedrich von Rumohrs, Hildesheim 2000. 14 Vgl. Bossi (2010), S. 176–177. 15 Vgl. Petersen (1987/88), S. 80–81; Lill (1991), S. 41; Maurer (2005), S. 70. 16 Vgl. Petersen (1987/88), S. 81; zur deutschen Reiseführerliteratur vgl. Christof Thoenes: Die deutschsprachigen Reiseführer des 19. Jahrhunderts, in: Esch / Petersen (2000), S. 31–48. 17 Vgl. Petersen (1987/88), S. 86; Günther Johannes Henz: Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung, Bd. 1: Persönlichkeit, Werkentstehung, Wirkungeschichte, Berlin 2014, S. 42. 18 Exemplarisch dafür ist der Brief Capponis an R ­ eumont (Florenz, 3. Dezember 1835) auf S. 15.

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C. Publizistik

hend auf Kunst und Geschichte. Literarische oder gar politische Themen weckten auf deutscher Seite zwar durchaus Interesse,19 wurden in der Publizistik jedoch oftmals ausgeblendet oder nur unter vorsichtiger Rücksichtnahme auf die Zensur behandelt: Detaillierte politische Analysen blieben die Ausnahme und fanden in der Reiseberichterstattung meist keinen Platz.20 Insofern setzte die Auseinandersetzung mit der sozialen und politischen Situation Italiens nur schleppend ein. Heinrich Heines politische Reisebeschreibung Reise von München nach Genua, die am 1. Dezember 1828 zunächst im Morgenblatt erschien,21 gehörte zu den Schilderungen, die damit begannen, sich von der traditionellen Reiseberichterstattung abzugrenzen. Allerdings beklagte noch sechs Jahre später der Komponist und Schriftsteller Gustav Nicolai in seinem von Friedrich Wilhelm III. mit der Goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft honorierten Buch Italien wie es wirklich ist. Bericht über eine merkwürdige Reise in den hesperischen Gefilden als Warnungsstimme für Alle, welche sich dahin sehnen: „Bald tummelten durch Göthe angeregt, auch andere Dichter ihre Phantasie in den hesperi­ schen Gefilden, wiewohl sie derselben gewöhnlich selbst nie selbst gesehen hatten. In der Nebelschwebelperiode, durch Tieck, Novalis und Wackenroder begründet, entstand eine übergrößte Verehrung für die Kunstsammlungen Italiens, Kunstschwärmerei und schwärmende Kunstphilosophie; mit derselben aber die lebhafteste Sehnsucht nach den Süden, welche mit Jean Paul Titan in Manie ausartete. Von dieser Manie sind jetzt alle Künstler angestellt. Haben diese nun das Land ihrer Sehnsucht erreicht, so sehen sie entweder aus Enthusiasmus falsch, oder sie vermeiden, im Dankgefühl für das einzelne Schöne, welches ihnen dort geboten wird, die Schattenseiten Italiens aufzudecken.“22

Mit Beginn der 1840er Jahre setzte im deutschsprachigen Raum jedoch eine intensivierte Publizistik über soziologische, juristische, ökonomische und statistische Untersuchungen Italiens ein, die von Autoren wie etwa Kölle, Czörnig, Raumer oder Mittermaier geprägt wurde. Die Politik wurde aber weiterhin nur vorsichtig behandelt.23 Diejenigen politischen Berichte über Italien, die sich zu jener Zeit in der deutschen Italienberichterstattung fanden, setzten dabei vorwiegend die Hoffnung in die italienischen Wissenschaftlerkongresse und die Erhebung von Statistiken zur italienischen Situation, um auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse graduelle und behutsame Reformen durchführen zu können24 und sahen die Chance einer 19

Vgl. Altgeld (1984). Vgl. Jens Petersen: La Rivoluzione in Italia nello specchio della stampa tedesca, in: Pier Luigi Ballini (Hrsg.): La rivoluzione liberale e le nazioni divise, Venedig 2000, S. 157–176, hier S. 159. 21 Vgl. Schmidt-Bergmann (1991), S. 54–57. 22 Gustav Nicolai: Italien wie es wirklich ist. Bericht über eine merkwürdige Reise in den hesperischen Gefilden als Warnungsstimme für Alle, welche sich dahin sehnen, Leipzig 1834, S. 4, zitiert nach Schmidt-Bergmann (1991), S. 58. 23 Vgl. Petersen (2000), S. 159; Kölle (1834); Czörnig (1838); Raumer (1840); Mittermaier (1844). 24 Vgl. Wolfgang Altgeld: Einige Beobachtungen zum deutschen politischen Italieninteresse vor 1848, in: Ara / Lill (1991), S. 115–127, hier S. 123–125. 20

I. Kunst- und Kulturberichte 

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Verbesserung der italienischen Zustände in der Übertragung der toskanischen Verwaltung auf die übrigen Staaten.25 Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass sich R ­ eumont während seiner ersten Jahre in Italien in der Toskana in einem italienischen Musterstaat wähnte, weshalb er die politischen Probleme, denen er dort begegnete, in seinen Berichten für den deutschen Leser nur beiläufig erwähnte.26 Stattdessen orientierte er sich am allgemeinen, von der Zensur tolerierten deutschen Italieninteresse und konzentrierte sich hauptsächlich auf kunsthistorische und kulturelle Themen.

I. Kunst- und Kulturberichte Zu Anfang seiner publizistischen Tätigkeit ließ sich ­Reumont von seinem eigenen Interesse an Kunst, Kultur und Geschichte seiner neuen Heimat leiten. Während er dem deutschen Publikum von seinen Italienerfahrungen mitunter im Stile eine Reiseberichts mit historischem bzw. kunsthistorischem Schwerpunkt berichtete, versuchte er den italienischen Lesern die Fortschritte der deutschsprachigen Forschungen zu italienischen Themen näher zu bringen. Die ungleichmäßige Ausrichtung der Berichterstattung dürfte dabei vor allem ­Reumonts Erfahrungen im Lesekabinett Vieusseux’ geschuldet sein, wo er einerseits mit dem italienischen Interesse an der deutschen Forschung in Berührung kam, während sich die im Kabinett anzutreffenden Reisenden andererseits entweder Archivrecherchen oder Kunstrecherchen widmeten oder nach wie vor das romantische Italienerlebnis suchten. Deswegen hat sich R ­ eumont offenbar nicht nur an den eigenen Interessen, sondern auch an der jeweiligen Nachfrage orientiert. Folglich behandeln seine ersten Veröffentlichungen kunsthistorische Themen unter Einbeziehung deutschsprachiger Forschungen in Italien. 1. ­Reumonts erste Versuche in der Antologia Gleich zu Beginn seines toskanischen Aufenthalts wurde ­Reumont durch den preußischen Geschäftsträger von Martens bei Vieusseux und dessen Lesekabinett eingeführt. Dadurch stand er von Anfang an nicht nur in Kontakt zur intellektuellen Elite der Toskana, sondern machte zudem zahlreiche Bekanntschaften mit Reisenden aus aller Welt, die ihren Florenzaufenthalt häufig auch dazu nutzten, die

25

Vgl. Ders. (1984), S. 168–169. So monierte er in seinem Bericht über die Florentiner Gesellschaft, dass es in der Toskana keine politische Öffentlichkeit gebe und es zudem an vernüftigen Perspektiven für eine Karriere im Staatsdienst fehle: Alfred ­Reumont: Florentiner Gesellschaftsleben, Morgenblatt für gebildete Leser 55 (1839), S. 219. 26

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unter Italienkennern bekannte Einrichtung zu besuchen.27 Neben der Möglichkeit, nützliche Bekanntschaften zu machen und zu pflegen, bot das Kabinett eine große Auswahl italienischer, französischer, englischer sowie auch einiger deutscher Zeitungen und Zeitschriften, die man sich als Mitglied der dazugehörigen Wanderbibliothek auch nach Hause senden lassen konnte. Auf diese Weise hatte ­Reumont die Möglichkeit, sich auch in Florenz über die Vorgänge im europäischen Ausland auf dem Laufenden zu halten. Um über die politischen und kulturellen Vorgänge nördlich der Alpen im Bilde zu bleiben, ließ er sich regelmäßig die Augsburger Allgemeine Zeitung zukommen oder studierte sie vor Ort im Palazzo Buondelmonti. Als Stammgast des Lesekabinetts, der die italienische Geschichte und Kultur intensiv studierte, wurde er von Vieusseux auch bald in die Arbeit der Antologia und den weitläufigen, politisch wie kulturell heterogenen Mitarbeiterkreis eingeführt.28 Dieser bestand unter anderem aus Persönlichkeiten wie dem konservativen Luigi Serristori, dem liberal-konservativen Gino Capponi, den fortschrittlich-liberal eingestellten, späteren Herausgebern von La Patria, Vincenzo Salvagnoli und Raffaello Lambruschini, den Demokraten Giuseppe Montanelli, Enrico Mayer und sogar Giuseppe Mazzini sowie dem liberal-katholischen Niccolò Tommaséo und dem Autor der Promessi Sposi, Alessandro Manzoni.29 R ­ eumont öffnete sich in diesem Umfeld also das komplette Spektrum der kulturellen und politischen Elite jener Zeit, die sich an Vieusseux’ Projekt beteiligte. Dieser hatte die Antologia nämlich nicht nur ins Leben gerufen, weil er glaubte mit diesem Projekt in der Toskana eine Marktlücke ausfüllen zu können, sondern auch, um sich mit seinem Geschäft am zivilisatorischen Fortschritt der Gesellschaft zu beteiligen.30 Durch die Pflege italienischer Kultur und Geschichte in Verbindung mit der wissenschaftlichen Erschließung und Untersuchung der kompletten Halbinsel beabsichtigte Vieusseux unter den Eliten Italiens ein gemeinsames Nationalgefühl zu wecken, das er bis dahin schmerzlich vermisste.31 Gegenüber Sismondi, einem der führenden Theoretiker des „Italiens der hundert Städte“ sowie der mezzadrilen Toskana,32 beklagte er, dass die Italiener, im Gegensatz zu den Franzosen nicht in der Lage seien, ihre Interessen als Nation zu vertreten, da sie sich ihrer Identität als Nation nicht bewusst seien:

27

Einen guten Überblick bietet Ciampini (1953), für die Antologia besonders, S. 182–229; zu ­Reumonts Eintritt ins Lesekabinett dank der Vermittlung des preußischen Geschäftsträgers von Martens vgl. S. 44. 28 Zur politischen Heterogenität des Mitarbeiterkreises vgl. auch die Beobachtungen von Forßmann (2017), S. 70–71. 29 Vgl. Angelika Gernert: Liberalismus als Handlungskonzept. Studien zur Rolle der politischen Presse im italienischen Risorgimento vor 1848, Stuttgart 1990, S. 32–37, hier S. 33; vgl. auch ­Reumonts eigene Angaben. Alfred von R ­ eumont: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild, Gotha 1880, S. 103–104; Paolo Prunas: L’Antologia di Giovan Pietro Vieusseux. Storia di una rivista italiana (Biblioteca storica del Risorgimento Italiano, Ser. 4, No. 11), Rom / Mailand 1906, S. 116–120. 30 Vgl. Migliorini (2013), S. 3–9. 31 Vgl. Sofia (2013), S. 42. 32 Vgl. ebenda S. 45.

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„… je ne vois en Italie ni esprit national, ni Italiens.“33

Ziel des Antologia-Projektes sollte es deswegen sein, ein derartiges National­ bewusstsein zu fördern. Dementsprechend rief Vieusseux den Lesern die überregionale Ausrichtung in Erinnerung: „Io rinnovo a tutti gli scrittori italiani le mie preghiere di considerar l’Antologia come una collezione nazionale, presta sempre a pubblicare i bei frutti del loro ingegno, dei loro studi, delle loro osservazioni.“34

Auch wenn die Überwindung des Regionalismus und die Schaffung eines Nationalgefühls durch die politische Realität der Regionalstaaten erheblich behindert wurde35 und deswegen zunächst auf kulturell-historischem Gebiet in Angriff genommen wurde, um den Italienern ihre gemeinsamen Wurzeln und Interessen vor Augen zu führen, so verfolgte Vieusseux auf lange Sicht durchaus konkrete politische Ziele, die sich nicht auf „reali progressi dello spirito umano“36 beschränkten. Gegenüber Sismondi formulierte Vieusseux das Ziel der Zeitschrift wesentlich deutlicher: „illuminare il popolo e preparare a gustare i benefici di un regime costituzionale liberale“37. Dass Vieusseux die Forderung nach einer konstitutionellen Monarchie nicht offen im Vorwort seiner Zeitschrift formulierte, verstand sich angesichts der großherzoglichen Zensur von selbst. Allerdings waren derartige Ambitionen im Mitarbeiterkreis bekannt und galten als gemeinsamer Nenner. Die Pflege der italienischen Kultur und Geschichte im Dienste des zivilisatorischen Fortschritts und einer von den Moderati konzipierten Pädagogik zur Schaffung eines italienischen Nationalgefühls waren Ziele, mit denen sich alle Beteiligten identifizieren konnten. Während die Demokraten die Vorbereitung des gesamten Volkes auf eine konstitutionelle Monarchie als einen wichtigen Schritt Richtung Demokratie verstehen konnten, war es unter den Liberalen Konsens, dass der Schaffung einer konstitutionellen Monarchie eine entsprechende Erziehung und Bildung auch der unteren Schichten vorausgehen müsse, um den Schritt hin zu einer Verfassung gefahrlos, ohne ein Abdriften in revolutionäre Unruhen, vollziehen zu können. Über die konkrete Gestaltung einer zukünftigen konstitutionellen Monarchie herrschte jedoch ebenso Uneinigkeit, wie über die dem bildungsfernen Bevölkerungsteil zu vermittelnden Bildungsinhalte. Liberal-konservative wie 33

Brief Vieusseux an Sismondi vom 17.–19. März 1814, publiziert in: A. Frènes: Jean Pierre Vieusseux après sa correspondance avec Sismondi, Revue internationale 17 (1888), S. 403–407, zitiert nach Sofia (2013), S. 42. 34 L’Editore: Ai lettori, Antologia 5, Nr. 13, Januar 1822, S. 5; vgl. Prunas (1906), S. 76. 35 So stellte Vieusseux etwa im Jahre 1829 in seiner Bestandsaufnahme der ersten einhundert Ausgaben fest: „Qui la stampa periodica è ancor nell’infanzia, e assai spesso contrariata dalla scarsezza o dall’ indifferenza de’ lettori; dalla pigrizia o dall’eccessiva modestia degli scrittori; dalla incertezza delle comunicazioni fra provincia e provincia.“ (Il direttore: Agli associati e cooperatori, Antologia 34, Nr. 100, April 1829, S. II.); vgl. Prunas (1906), S. 241–242. 36 Proemio, Antologia 1, Januar 1821, S. 1–11. 37 V. Papini: La figura di Francesco Forti nel Risorgimento italiano, Turin 1967, S. 65, zitiert nach Colao (2013), S. 97.

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Gino Capponi oder Gaetano Cioni beabsichtigten zwar die Vorbereitung auf eine Verfassung, allerdings solle die politische Teilhabe auf die lokale Elite beschränkt und einer Auflösung der gesellschaftlichen Klassen sowie einer Demokratisierung vorgebeugt werden. Demzufolge sah Capponi die Aufgabe der Erziehung darin, die Klassengrenzen nicht zu verwischen, sondern einem jeden seinen Platz in der Gesellschaft zuzuweisen und ein einträchtiges Nebeneinander der Klassen zu gewährleisten.38 In dem entsprechenden Beitrag, den Capponi 1821 zur Antologia beisteuerte, sprach er sich explizit dafür aus, durch Bildung und Erziehung die Unterschichten gegen revolutionäre Agitation zu immunisieren und die unterschiedlichen Klassen zu festigen: „…siccome non si vogliono distruggere le ineguaglianze della società, ma renderla tutta felice quanto possibile […] non si deve proporsi di mescolare queste classi fra loro, e meno ancor di confonderle, ma bensì di accomodarle ciascuna alla respettiva loro situazione, e di preparare a tutti delle ragioni di essere contenti dando ad ognuno ciò che conviene al posto, che egli è chiamato ad occupare nel mondo.“39

Als Vorbild für die Erziehung zu einer funktionierenden Klassengesellschaft, die auch angesichts moderner Veränderungen wie der Industrialisierung ohne Widerstand in ihren Klassen verharrt und in der sich Besitzende und arbeitende Bevölkerung mit Respekt und Vertrauen begegnen, wurde von Gaetano Cioni etwa das Beispiel Schottlands herangezogen.40 Insofern war die Forderung einer konstitutionellen Monarchie tatsächlich der kleinste gemeinsame Nenner der Beiträger, während sie über den Weg dorthin durchaus unterschiedliche Auffassungen vertraten. Die Konzentration auf kulturelle und historische Themen konnte mitunter einen – wenn auch kleinen – Spielraum bieten, um politische Forderungen vorsichtig und indirekt zu formulieren und der intellektuellen Elite eine Diskussionsplattform zu bieten, ohne dabei von vornherein ein Einschreiten der Zensur zu provozieren. Insofern bot die Ausrichtung auf kulturelle Themen zumindest einen schmalen Grad für Ansätze eines politischen Austauschs – innerhalb der engen Grenzen der Zensur.41 Aus diesem Grund erklärte Vieusseux auf den Seiten der Antologia, dass politische Entwicklungen bewusst ausgeblendet werden sollten, falls sie nicht unmittelbare Auswirkungen auf den kulturellen und zivilisatorischen Fortschritt haben.42 38 Gino Capponi: Des Instituts de Hofwyl considérés plus particulièrement sous les rapports qui doivent occuper la pensée des hommes d’Etat, par le C.te L. D. V. [Le Comte Louis de Villevieille], Génève et Paris. Paschoud, 1821. Articolo primo, Antologia 5 (1821), Januar 1822, S. 17–44, hier S. 19, zitiert nach Alessandro Breccia: Orientamenti pedagogici europei nell’esperienza del Gabinetto Vieusseux, in: Bossi (2013), S. 81–96, hier S. 88. 39 Ebenda. 40 Sull’educazione del popolo scozzese. Discorso del dott. Gaetano Cioni, Antologia 8, Dezember 1822, S. 417–424. 41 Vgl. Chiavistelli (2006), S. 149–150. 42 L’Editore: Ai lettori, Antologia 5, Nr. 13, Januar 1822, S. 12: „A noi non pertiene di parlare della politica propriamente detta: ma se certi grandi avvenimenti, come quelli che si sono manifestati nell’impero turco e nell’America, possono direttamente influire sulla civiltà, sulle arti, sul commercio, sull’agricoltura, sulle scienze: se un general provvedimento, invocato dalla

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Politische Themen sollten nur indirekt berührt werden. Demensprechend konnte das Ziel einer konstitutionellen Monarchie nicht offen angesprochen werden. Allerdings bot die habsburgisch-lothringische Geschichte der Toskana eine Möglichkeit, an die Reformbereitschaft des Großherzogs zu appellieren, ohne eine direkte Konfrontation mit der zeitgenössischen Politik Leopolds II. zu riskieren. Inspiriert durch den bei ausländischen Reisenden weit verbreiteten Mythos Peter Leopolds von Toskana, der bereits vor Ausbruch der Französischen Revolution eine Verfassung hatte ausarbeiten lassen43 und im Europa der Restauration als leuchtendes Beispiel einer bedächtigen Reformpolitik ohne Revolution galt, griff man auch im Umfeld der Antologia auf das Andenken dieses Großherzogs zurück.44 Da Leopold II. sich bewusst in genau diese Tradition eines aufgeklärt absolutistischen Herrschers stellte, hielten ihm in der Antologia einige Beiträger, wie etwa der Rechtsgelehrte Giovanni Valeri die vorbildliche Gesetzgebung Peter Leopolds als Orientierungspunkt vor Augen.45 Dieser hatte nämlich in enger Absprache mit seinen Beratern, insbesondere seinem vertrauten Ratgeber, dem Senator Francesco Maria Gianni, ein umfassendes Reformprogramm ausgearbeitet, in dessen Rahmen er zunächst das Rechtssystem reformierte, die Kirchengerichtsbarkeit und die Todesstrafe abschaffte, den Getreidefreihandel einführte und die Gemeinden neuordnete, um als krönenden Abschluss eine Verfassung zu erlassen.46 Da diese letztlich niemals erlassen wurde und unter dem nach dem Wiener Kongress eingesetzten Ferdinand III. kein Interesse daran bestand, eine Verfassungsdiskussion zu begünstigen, wurde die Existenz dieses Entwurfs bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder in Zweifel gezogen. Allerdings hatte Gianni 1805 seine Memorie sulla costituzione di governo immaginata dal Granduca Pietro Leopoldo verfasst, die schließlich 1825 in Brüssel und dann 1848 auch in Italien veröffentlicht wurden, in denen er das Reformprogramm als Vorbereitung einer Verfassung darstellte.47 Dieses Verfasumanità e dall’onore del Cristianesimo, ponesse un termine alla vergognosa e umiliante soggezione imposta da’ Barbareschi e parecchie bandiere europee, e intendesse a fare penetrare una volta la luce dell’incivilmento sulle coste settentrionali dell’Affrica, allora la politica diverebbe di nostra pertinanza.“ 43 Vgl. Graf (1998); Zeffiro Ciuffoletti: Dalla riforma municipale al progetto di Costituzione, in: Valentino Baldacci (Hrsg.): Le riforme di Pietro Leopoldo e la nascita della Toscana moderna, Florenz 2000, S. 45–60; Bernardo Sordi: L’amministrazione illuminata. Riforma delle comunità e progetti di costituzione nella Toscana leopoldina (Per la storia del pensiero giuridico moderno 37), Mailand 1991. 44 Vgl. Ernesto Sestan: Gino Capponi Storico, in: Ders.: Europa Settecentescha ed altri saggi, Mailand / Neapel 1951, S. 173–208, hier S. 193; Carlo Mangio: Rivoluzione  e riformismo  a confronto: La nascita del mito Leopoldino in Toscana, Studi storici 30 (1989), S. 947–967, hier S. 951–955; Cosimo Ceccuti: Il dibattito sulla pena di morte e la tradizione leopoldina nelle pagine dell’ „Antologia“, in: Baldacci (2000), S. 37–44; Migliorini (2013), S. 4–7. 45 [Giovanni Valeri]: Genesi del diritto penale, di G. D. Romagnosi; terza edizione aumentata di due altre parti. Milano 1823–1824, Antologia 15 (September 1824), S. 93–123 hier S. ­122–123; vgl. Colao (2013), S. 103. 46 Adam Wandruszka: Das toskanische Verfassungsprojekt, in: von Aretin (1967), S. 264–284, hier S. 264–266; Graf (1998), S. 300–301. 47 Wandruszka (1967), mit S. 281, Anm. 1.

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sungsprojekt wurde von den Moderati intensiv studiert. Auch Gino Capponi war in Besitz der Dokumente zum Verfassungsentwurf und diskutierte sie mit seinen Briefpartnern.48 Mittlerweile besteht in der Forschung Einigkeit darüber, dass Peter Leopold mit seinen Beratern tatsächlich eine Verfassung ausgearbeitet hatte, bevor er als Leopold II. Kaiser von Österreich wurde, allerdings gehen die Ansichten in der Frage nach der dahinterstehenden Absicht auseinander.49 Entscheidend für die Bewertung der Pflege des leopoldinischen Mythos seitens einiger Beiträger der Antologia ist jedoch Giannis Darstellung der konzipierten Verfassung. Dessen Einordnung des leopoldinischen Reformprogramms als Vorbereitung einer Verfassung war innerhalb der toskanischen Eliten bekannt und findet sich auch implizit in Valeris Lob auf Peter Leopold. Anlässlich des Regierungsantritts Leopolds II. im Jahre 1824 glorifizierte er, ähnlich wie Gianni, Andenken und Reformen Peter Leopolds, indem er dessen einzelne Schritte aufzählte.50 Einzig die Krönung des Programms, die Verfassung, ließ Valeri aus. Jeder Leser, der den Gedankengang Giannis kannte, wusste jedoch, worauf die Steigerung der Meriten hinauslaufen sollte. Schließlich war das Verfassungsprojekt Gesprächsthema unter den Moderati geblieben und Capponi befasste sich seit dem Jahre 1823 intensiv mit Giannis Entwurf.51 Die Zensurbehörden hatten indes angesichts der Verherrlichung eines Habsburg-Lothringers keine Handhabe, um einschreiten zu können. Denn obgleich die Erinnerung an Peter Leopold von einigen Demokraten schon seit Großherzog Ferdinand III. gepflegt wurde, um eine Wiederaufnahme der Reformpolitik anzumahnen, bedienten sich Konservative und Ferdinand III. selbst des leopoldinischen Mythos, um zu zeigen, dass verständige und beständige Reformen nicht durch Revolutionen, sondern allein durch die paternalistische Politik eines aufgeklärt-absolutistischen Herrschers zu er 48

Vgl. Sestan (1951), S. 189–193. Wandruszka (1967), S. 280–281, Ciuffoletti (2000) und Graf (1998) gehen davon aus, dass Peter Leopold das Verfassungsprojekt mit großer Ernsthaftigkeit betrieb und tatsächlich den Übergang in eine konstitutionelle Monarchie plante. Zur Entwicklung der Forschungskontroverse vgl. Graf (1998), S. 300–301. 50 [Giovanni Valeri]: Genesi del diritto penale, di G. D. Romagnosi; terza edizione aumentata di due altre parti. Milano 1823–1824, Antologia 15 (September 1824), S. 93–123 hier S. ­122–123: „E qui, anzi di far fine, ritornando con la mente là donde il ragionare nostro si mosse, vogliamo che per amore al vero, ed alla gloria della patria nostra (che ai toscani la Toscana è patria) ne sia conceduto di riflettere, che se nella parte settentrionale d’Italia, e nella meridionale s’insegnava prima che altrove come le leggi penali si avessero a riformare, e perfezionare, nel mezzo di essa, nella beata Toscana prima, che altrove e si riformavano realmente e si perfezionavano. Volgeva al suo termine l’anno 1786 quando Leopoldo d’Austria quella riformagione delle leggi criminali promulgava, la quale se codice non poté essere a quei tempi in ogni sua parte perfetto, fu il primo almeno in cui con la forza accoppiata si vedesse la dolcezza, e in cui per difendere gli uomini non si offendesse la umanità. Leopoldo immortale! Fosti tu il fondatore della toscana felicità: tu col disciogliere le proprietà da odiosi vincoli ed ingiusti, col ridonare al commercio la naturale sua libertà facesti prosperare l’agricoltura, e le arti avviasti e le manifatture: tu ricovrando all’ombra del pacifico tuo trono le scienze e le lettere, all’uffizio loro le richiamasti d’investigare e divulgare la verità. Fosti tu, che mostrasti all’Europa maravigliata come eternità si ottenga di nome senza ancora ricingersi di sanguinosi allori la fronte, e come si possa essere grandi sovrani anche in piccolo stati.“ 51 Vgl. Sestan (1951), S. 189–193. 49

I. Kunst- und Kulturberichte 

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reichen seien.52 Insofern konnte ein Lob Peter Leopolds stets unterschiedlich ausgelegt werden und bot somit die Möglichkeit, Reformen zu fordern und Revolutionen abzulehnen, ohne sich politisch angreifbar zu machen. Auch Valeris überschwängliches Lob auf die leopoldinischen Reformen erscheint auf den ersten Blick als für die Herrschaft Leopolds II. völlig unproblematisch, da sowohl der Großherzog als auch die Moderati in der leopoldinischen Zeit einen wichtigen Maßstab für die folgenden Regentschaften des Hauses Habsburg-Lothringen erblickten. Allerdings wussten die Moderati, dass die von Valeri beschriebene Steigerung der Wohltaten Peter Leopolds, gemäß der Darstellung Giannis, unausgesprochen in die Verfassung münden musste. Was hinter dem Lob der Reformpolitik stand, in der Toskana aufgrund der Zensur jedoch nicht offen artikuliert werden konnte, formulierte nur wenige Monate später Louis de Potter, der in engem Kontakt zu Vieusseux und dessen Lesekabinett stand,53 in seinem in Brüssel herausgegebenen Vie de Scipion de Ricci, in dem er die Darstellung der Wohltaten Peter Leopolds mit dem Verfassungsentwurf enden ließ.54 In dieser Hinsicht verstand sich die Antologia bzw. die gemäßigt-liberale Publizistik im Allgemeinen als ständiges Beratungsorgan des Fürsten.55 Zwar vermieden die Autoren der Antologia eine offene Forderung einer Verfassung, jedoch hielten sie mit dem Andenken an Peter Leopold bei den Zeitgenossen unweigerlich auch die Erinnerung an dessen ausgearbeitete, allerdings nie in Kraft getretene Verfassung wach. Den Grenzen, welche die habsburgische Präsenz auf italienischem Boden mit sich brachte, entsprachen insoweit auch die nationalpolitischen Ratschläge. Vieusseux schwebte eine italienische Staatenkonföderation unter österreichischer Führung vor.56 Neben der Tatsache, dass eine derartige Konföderation wenigstens der italienischen Kulturnation Ausdruck verleihen würde, waren es allen voran Handelsinteressen, die derartige Vorschläge inspirierten und sich von einem Staatenbund Zollerleichterungen versprachen. Hinzu kam die Aussicht einer Erweiterung des habsburgischen Einflussgebietes auf Kosten des Osmanischen Reiches, die, so erhoffte es sich der Kreis der Antologia, den Balkan dem italienischen Handel öffnen sollte.57 Damit bewegten sie sich hinsichtlich wirtschafts- und national­ politischer Forderungen innerhalb eines engen, von der habsburgischen Präsenz gesteckten Rahmens. Diese dem politischen Realismus geschuldeten, vergleichsweise bescheidenen Forderungen wurden von den deutschen Liberalen mangels ausreichender Kenntnis der tatsächlichen Situation vor Ort als Quietismus der tos-

52

Vgl. Mangio (1989), S. 956. Prunas (1906), S. 83 u. 162. 54 Louis de Potter: Vie de Scipion de Ricci, évêque de Pistoie et de Prato et réformateur du catholicisme en Toscane sous le règne de Léopold, vol. 3, Brüssel 1825. 55 Vgl. Sestan (1986), S. 18. 56 Vgl. ebenda, S. 19. 57 Vgl. Maurizio Bossi: Un Europa in viaggio. Gli orzzonti di Vieusseux, in: Ders. (2013), S. XI–XLI, hier S. XXXIII–XXXIV; vgl. auch Franca Bellucci: La Gecia plurale del Risorgimento (1821–1915), Pisa 2012. 53

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C. Publizistik

kanischen intellektuellen Eliten gedeutet.58 Das zeigt, wie wenig die deutsche Publizistik über die internen Debatten der italienischen Eliten Bescheid wusste. Hatte man die Erhebungen 1820/2159 im Königreich beider Sizilien und Sardinien-Piemont sowie im Kirchenstaat 1831/3260 aufmerksam verfolgt, so war die Öffentlichkeit nördlich der Alpen doch über die politischen Ideen der Moderati nur sehr unzureichend informiert. ­Reumont gelangte im Lesekabinett also in eine sich entwickelnde, politische Gesellschaft, deren Existenz in ihrem gesamten Ausmaß dem deutschen Publikum kaum bekannt war – nicht zuletzt, weil die deutsche Publizistik von einer politisch ruhigen Toskana als italienischem Musterstaat ausging und dort ohnehin den geringsten Reformbedarf ausmachte.61 Dieser Umstand mag eine Erklärung dafür sein, dass ­Reumont sich zu Anfang seiner publizistischen Tätigkeit mit politischen Analysen zurückhielt. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass er das publizistische Handwerk zunächst einmal erlernen musste. Dafür fand er im Kreis um Vieusseux optimale Voraussetzungen vor. Gerade die Antologia hatte sich in den Jahren seit ihrer Gründung als Rezensionsjournal für in europäischen Zeitungen erscheinende Artikel stets um die Mitarbeit ausländischer Beiträger bemüht, in deren Fußstapfen ­Reumont treten sollte. Sein bereits erwähnter Landsmann Rumohr war zuvor der entscheidende Beiträger für die deutschsprachigen Zeitschriftenartikel gewesen.62 Nun legte Vieusseux großen Wert darauf, dass die deutschen Publikationen auch weiterhin regelmäßige Berücksichtigung fanden.63 Neben den italienischen Studien Rumohrs, die ­Reumont geläufig waren, war es aber ein Schwede, dessen Mitarbeit an der Antologia ­Reumont intensiv verfolgte: Jakob Gråberg von Hemsö.64 Nach seiner diplomatischen Karriere, unter anderem als schwedischer Vizekonsul in Genua, als Konsulatssekretär in Tanger und später als Generalkonsul in Tripolis, hatte er sich nach seiner Pensionierung in Florenz niedergelassen. Bereits während seiner beruflichen Reisen hatte er sich intensiv mit ethnographischen, geographischen und statistischen Fragen der von ihm bereisten Gegenden beschäftigt.65 58

Vgl. Altgeld (1984), S. 183–184. Vgl. Ebenda, S. 68–110. 60 Vgl. Ebenda, 144–168. 61 Vgl. Altgeld (1984), S. 168–169 u. 183–184. 62 Vgl. Kapitel 3. Publizistik, S. 218. 63 Vgl. Maurizio Bossi: Un Europa in viaggio. Gli orizzonti di Vieusseux, in: Ders. (2013), S. XI–XLI, hier S. XXXVI. 64 Vgl. Carla Pinzauti: Gråberg Di Hemsö, Jacob, DBI 58 (2002) [URL: http://www.treccani. it/enciclopedia/graberg-di-hemso-jacob_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; Jacob Gråberg di Hemsö, Medioevo e Rinascimento. Annuario del Dipartimento di Studi sul Medioevo e il Rinascimento dell’ Università di Firenze X / n.s. VII (1996), S. 228–450; ­Alfred von ­Reumont: Jacopo Gråberg da Hemsö, Archivio Storico Italiano, Appendice V (1847), S. 267–280; Holger Rosman: Jacob Gråberg af Hemsö. En konturteckning, Personhistorisk tidskrift 36 (1935), S. 50–71. 65 Vgl. Gabriella Galardi / Leonardo Rombai: Jacob Gråberg di Hemsö geografico e statistico di Firenze (1828–1847), Medioevo e Rinascimento. Annuario del Dipartimento di Studi sul ­Medioevo e il Rinascimento dell’ Università di Firenze X / n.s. VII (1996), S. 271–296. 59

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In seiner Funktion als Diplomat und Gelehrter war er Mitglied zahlreicher internationaler Akademien und Institute. Besondere Bekanntheit erlangten seine geographisch-statistischen Studien über Marokko, die er unter anderem in der Accademia dei Georgofili und der Antologia vorstellte. Für Vieusseux’ Zeitschriften verfasste er bis zu seinem Tod 1847 regelmäßig Artikel. Der Genfer Verleger verstand es, ihn nicht nur für seine Projekte zu gewinnen, sondern den italienischen Lesern über die Person eines vielgereisten Ausländers einen über Italien hinausreichenden Horizont zu eröffnen, indem er ihn dazu bewog, einen Artikel über die Neuerscheinungen der schwedischen Literatur beizusteuern.66 Außerdem wurden seine 16-jährigen Studien über Marokko im Jahre 1834 unter dem Titel Specchio geografico, e statistico ­ eumont im Vorjahr dell’Impero di Marocco ins Italienische übersetzt, nachdem R bereits eine deutsche Übersetzung in Stuttgart veröffentlicht hatte.67 Diese Arbeit hatte Gråberg Leopold II. gewidmet und damit den in Europa verbreiteten Ruf des Großherzogs als aufgeklärter, die Wissenschaft fördernder Fürst untermauert. Sein in weiteren Publikationen geäußertes Lob von Leopolds II. Bonifikation der Maremmen,68 trug erheblich dazu bei, dass der Großherzog Gråberg im Jahre 1836 zum Kammerherrn und 1841 zum Direktor der Biblioteca Palatina ernannte, der Hofbibliothek, zu der man nur nach persönlicher Genehmigung des Großherzogs Zutritt erhalten konnte.69 Zudem war Gråberg Stammgast der seit 1839 einsetzenden italienischen Wissenschaftlerkongresse.70 Bis zu seinem Tod 1847 war er also eine der wichtigsten Persönlichkeiten im toskanischen Kulturleben und damit sowohl für die Antologia als auch für R ­ eumont selbst eine wertvolle Kontaktperson. In seiner Funktion als Mittler, der die Italiener mit den wichtigsten skandinavischen Werken bekannt machte und durch seine eigenen Studien maßgeblich zur Erforschung auch der Toskana beitrug, diente er ­Reumont als wichtiges Vorbild für seinen Dienst an Italien.71 Gråberg hatte nämlich 66

Vgl. Carla Pinzauti: Gråberg Di Hemsö, Jacob, DBI 58 (2002) [URL: http://www.treccani. it/enciclopedia/graberg-di-hemso-jacob_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; zum Briefwechsel zwischen Gråberg und Vieusseux, vgl. Maurizio Bossi: Gråberg e Vieusseux. Argomenti di un carteggio, Medioevo e Rinascimento. Annuario del Dipartimento di Studi sul Medioevo e il Rinascimento dell’ Università di Firenze X / n.s. VII (1996), S. 297–319. 67 Vgl. Alfed von ­Reumont: Jacopo Gråberg da Hemsö, Archivio Storico Italiano, Appendice V (1847), S. 267–280, hier S. 270. 68 Vgl. ebenda, S. 274–275. 69 Vgl. Pietro Innocenti: Jakob Gråberg Bibliotecario nella Biblioteca Palatina di Firenze, 1841–1847, Medioevo e Rinascimento. Annuario del Dipartimento di Studi sul Medioevo e il Rinascimento dell’ Università di Firenze X / n.s. VII (1996), S. 399–429. 70 Vgl. Carla Pinzauti: Gråberg Di Hemsö, Jacob, DBI 58 (2002) [URL: http://www.treccani. it/enciclopedia/graberg-di-hemso-jacob_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; Lucio Gambi: Le relazioni di Gråberg ai congress degli scienziati, Medioevo e Rinascimento. Annuario del Dipartimento di Studi sul Medioevo e il Rinascimento dell’ Università di Firenze X / n.s. VII (1996), S.  445–451. 71 Vgl. Alfed von R ­ eumont: Jacopo Gråberg da Hemsö, Archivio Storico Italiano, Appendice V (1847), S. 267–280, hier S. 276–277; Liana Elda Funaro: „Rintracciare, raccogliere, ordinare“. Cenni sulla corrispondenza di Gråberg d’Hemsö, Medioevo e Rinascimento. Annuario del Di-

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C. Publizistik

mit seinen geographisch-statistischen Studien in der Toskana neue Maßstäbe gesetzt und entscheidend zu ihrer strukturellen Kenntnis beigetragen.72 Zwar verfolgte Gråberg mit seinen Arbeiten andere Ziele als die Moderati, da er noch ganz dem Ideal eines aufgeklärten Absolutismus anhing, nach welchem der Herrscher unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Erkenntnis das Gemeinwohl verfolgen sollte, ohne dabei die lokalen Eliten miteinzubeziehen.73 Dennoch waren seine Beiträge für Vieusseux von herausragender Bedeutung. Letztlich einigten sie sich nämlich darauf, die Wissenschaft im Dienste des Allgemeinwohls über die politischen Ansichten zu stellen. Auf diese Weise stellten die Arbeiten des Schweden in der ­Antologia einerseits eine Würdigung des Großherzogs dar, während Vieusseux andererseits den wissenschaftlichen Inhalt der Beiträge in den Dienst der patriotischen Selbstvergewisserung stellen konnte.74 Denn durch die Kenntnis des italienischen Territoriums hinsichtlich seiner Geographie, Struktur und Kultur und deren Verbreitung innerhalb und außerhalb Italiens, beabsichtigte er, die Selbstwahrnehmung der Italiener als Nation zu bestärken und dem Ausland die Existenz einer italienischen Nation vor Augen zu führen, um auf diese Weise eine zukünftige nationale Einigung vorzubereiten.75 Eben dafür galt es jedoch, die Italiener mit dem Fortgang der internationalen Forschungen bekannt zu machen, um Lücken schließen zu können und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihren Platz in Europa zu definieren. In diesem Zusammenhang galt es für Vieusseux, insbesondere die deutschsprachigen Forschungen im Blick zu behalten, die sich mit Italien befassten. Neben Rumohr konnte Vieusseux dabei auch vereinzelt auf Beiträge des Dante-Forschers Karl Witte zurückgreifen, dessen Mitarbeit allerdings nur sporadisch blieb. Mit dem kulturinteressierten und über seine diplomatische Stellung zunehmend besser vernetzten ­Reumont hoffte Vieusseux nun einen potentiellen Korrespondenten für die deutsche Forschung gefunden zu haben, der eine ähnliche Rolle spielen sollte wie bereits Rumohr und insbesondere Gråberg.

partimento di Studi sul Medioevo e il Rinascimento dell’ Università di Firenze X / n.s. VII (1996), S. S. 431–444, hier S. 433. 72 Vgl. Leonardo Rombai: Le indagini statistiche  e la conoscenza del territorio, in: Bossi (2013), S. 145–161, hier S. 152–154. 73 Zu diesem Konflikt mit Vieusseux und den Moderati vgl. Bossi (1996), S. 309–311; zur Bedeutung der statistischen Studien für die Artikulierung liberaler und nationaler Forderungen vgl. Silvana Patriarca: Numbers and Nationhood, Cambridge 1996. Obgleich Patriarca einräumt, dass insbesondere die toskanischen Großherzöge seit Peter Leopold sowie die habsburgische Verwaltung in Lombardo-Venetien zur Rationalisierung der Administration intensive Datenerhebungen vornahmen und verwerteten, geht sie davon aus, dass die Pflege der statistischen Studien als liberaler Angriff auf den absolutistischen Staat zu verstehen sei. Obwohl sie auch Gråberg von Hemsö behandelt, übersieht sie offenbar, dass dieser keineswegs liberale Ziele verfolgte und dass statistische Erkenntnisse im Zuge einer zunehmenden Wissenschaftsgläubigkeit innerhalb der Eliten für alle politischen Richtungen als Argument dienen konnten. Schließlich hat gerade Gråberg von Hemsö die statistischen Studien in den Dienst Leopolds II. gestellt. 74 Vgl. ebenda. 75 Prunas (1906), S. 76.

I. Kunst- und Kulturberichte 

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Obwohl ­Reumont bei seiner Ankunft in Florenz nur wenig Italienisch sprach, verfasste er nach knapp einem Jahr seinen ersten Artikel in italienischer Sprache. Im Dezember 1830 sandte er Vieusseux seinen Einstandsbeitrag für die Antologia. Es handelte sich zunächst um einen vorsichtigen Versuch zu einem italienischen Thema, das in der deutschen Forschung bereits intensiv bearbeitet worden war, die Künstlerbiographien Vasaris. In seiner Rezension der von Luigi Biadi verfassten Notizie inedite della Vita d’Andrea del Sarto76 konnte er sich auf Rumohrs Italienische Forschungen stützen. Obwohl diese auch bereits auf Italienisch erschienen waren, hatte der Autor ihre Ergebnisse offenbar nur oberflächlich zur Kenntnis genommen und auch Stellen aus Vasari zitiert, deren Unzuverlässigkeit Rumohr ­ eumont nutzte die Gelegenheit, um die in seinem Werk bereits dargelegt hatte.77 R Studien seines Landsmannes noch einmal in Erinnerung zu rufen. Außerdem prangerte er eine unkritische Quellennutzung an, die sich durch dessen Arbeit ziehe und machte auf die Wichtigkeit einer korrekten Zitierweise aufmerksam.78 Obwohl er zahlreiche Mängel an dem Werk feststellte, attestierte er dem Autor dennoch, einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis Andrea del Sartos geleistet zu haben – allerdings nicht ohne auf diverse dem Autor unbekannte Gemälde hinzuweisen, die sich in deutschen Galerien und Museen befanden.79 ­Reumont hatte Vieusseux schon seit längerem versprochen, einen Artikel beizutragen, in dem er auch über deutsche Forschungen berichten würde und löste dieses Versprechen unter tätiger Mithilfe florentinischer Bekannter ein, die den Artikel sprachlich und stilistisch Korrektur gelesen hatten.80 Wichtiger als die Rezension sollte dabei der Blick auf deutsche, in Italien weniger bekannte Fakten sein.81 Das Thema Vasari und die Forschungen Rumohrs sollten auch in seinem weiteren Artikel im Mittelpunkt stehen und die sichere Basis bilden, von der aus sich ­Reumont in die italienische Publizistik wagte. Diesmal handelte es sich um die Rezeption italienischer Forschungen durch die deutsche Wissenschaft und damit um das Kerngeschäft, das Vieusseux für R ­ eumont vorgesehen hatte, nämlich die zuverlässige Korrespondenz über den Fortgang der deutschsprachigen Forschung. Das besprochene Werk eignete sich bestens zur Erfüllung dieser Aufgabe, die mit zusätzlichen Anmerkungen versehene deutsche Übersetzung von Luigi Antonio Lanzis Storia pittorica dell’Italia, die 1830 von Johann Gottlob von Quandt und Adolph Wagner herausgegeben worden war.82 Da das Werk sowie dessen Einordnungen auf Deutsch erschienen waren, waren sie nur den wenigsten italienischen 76 Alfred ­Reumont: Notizie inedite della Vita d’Andrea del Sarto, raccolte da Luigi Biadi, Antologia 40, November 1830, S. 198–202. 77 Vgl. ebenda, S. 199. 78 Vgl. ebenda, S. 200–201. 79 Vgl. ebenda, S. 202. 80 BNCF Vieuss. C. V. 88,8, ­Reumont an Vieusseux, Florenz, 18. Dezember 1830. 81 Ebenda. 82 Alfred ­Reumont: Versione tedesca della Storia pittorica dell’Italia. Geschichte der Malerei in Italien etc. (Storia pittorica dell’Italia di L. Lanzi, tradotta in tedesco e pubblicata colle note di G. G. di Quandt da Adolfo Wagner.), Antologia 42, Mai 1831, S. 162–163.

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C. Publizistik

Gelehrten zugänglich. Deshalb informierte ­Reumont das italienische Publikum über die günstige Aufnahme des Werkes in der deutschen Gelehrtenwelt. Dabei enthielt er sich jedoch weitgehend persönlicher Wertungen und beschränkte sich darauf, einen Teil der Anmerkungen Quandts zu Lanzis Arbeit ins Italienische zu übersetzen und es dem Leser selbst zu überlassen, sich ein Urteil darüber zu bilden.83 Allerdings sparte er bewusst den Vergleich Lanzis mit Winckelmann aus, mit dem Wagner die Überlegenheit der deutschen Wissenschaft gegenüber der italienischen ­ eumonts, der seine Publizistik zum Ausdruck bringen wollte.84 Dies war ein Zug R prägte: Um den Austausch zwischen Deutschen und Italienern nicht unnötig zu erschweren, bemühte er sich stets, den Eindruck nationaler Suprematie zu vermeiden. Auf diese Weise gelang es ihm, obwohl er ein tedesco war, das Vertrauen der italienischen Gelehrten zu gewinnen und eignete sich dadurch umso besser als Brückenbauer zwischen den beiden Gelehrtenwelten. Durch die Entschärfung oder das einfache Verschweigen von Passagen, die beim italienischen Publikum zu Irritationen hätten führen können, versuchte er die Auseinandersetzung ausschließlich auf das Fachliche zu beschränken. Außerdem nutzte R ­ eumont die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass an einer Übersetzung der Künstlerbiographien Vasaris gearbeitet werde, die bald in Stuttgart veröffentlicht werde und die wahrscheinlich noch bedeutender sein werde, als die besprochene Arbeit.85 Dabei handelte es sich um Ludwig von Schorns Herausgabe von Giorgio Vasaris Leben der ausgezeichnetsten Maler, ­ eumont bereits persönlich kennengelernt hatte.87 Bildhauer und Baumeister86, den R Genau darin lag nämlich ­Reumonts Absicht: Den Italienern einen Eindruck von der deutschen Rezeption italienischer Werke zu vermitteln, die innerhalb der italienischen Forschung eine zentrale Bedeutung hatten. Durch die Kenntnis der deutschen Kritik sollten die italienischen Gelehrten in den Stand versetzt werden, sich mit ihr zunächst einmal überhaupt auseinanderzusetzen und somit die inneritalienischen Forschungskontroversen zu bereichern. ­Reumont erlaubte sich in seinen ersten Besprechungen kein eigenes Urteil, sondern stellte die deutsche Kritik einfach zur Diskussion. Freilich fiel die Kritik der Storia pittorica dell’Italia nicht sonderlich tiefgehend aus, sondern beschränkte sich auf einen einfachen Ab 83

Ebenda. Geschichte der Malerei in Italien vom Wiederaufleben der Kunst bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Ludwig Lanzi. Aus dem Italienischen übersetzt und mit Anmerkungen von J. G. von Quandt, herausgegeben von Adolph Wagner, Bd. 1, Leipzig 1830, S. VII: „Seine Landsleute haben ihn [Lanzi] wol über unsern grossen und liebenswürdigen Winckelmann erhoben; aber gerade was diesen auszeichnet, sein alterthümlicher derber Charakter, sein leicht ansprechbarer und erglühender Kunstsinn, der sich in das innere Leben, dessen äusseres Spiel das Kunstwerk ist, versenkt und aus diesen seinen Tiefen es gleichsam nachschafft, möchte wol Lanzi am allerwenigsten besitzen.“ 85 Alfred ­Reumont: Versione tedesca della Storia pittorica dell’Italia. Geschichte der Malerei in Italien etc. (Storia pittorica dell’Italia di L. Lanzi, tradotta in tedesco e pubblicata colle note di G. G. di Quandt da Adolfo Wagner.), Antologia 42, Mai 1831, S. 162–163, hier S. 163. 86 Ludwig von Schorn [nach dem Tode Schorns 1842 Ernst Förster] (Hrsg.): Giorgio Vasari: Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, 6 Bde., Stuttgart 1832–1849. 87 NL ­Reumont, S 1066, Ludwig von Schorn an ­Reumont, 11 Briefe, 1831–1837. 84

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gleich mit den Ergebnissen einzelner Publikationen, namentlich derjenigen Goethes, Winckel­manns und des Kunstblattes.88 R ­ eumont sollte es sich künftig zur Aufgabe machen, dem italienischen Publikum durch seine Besprechungen deutscher Publikationen die Möglichkeit zu eröffnen, selbst die deutschen Forschungsergebnisse zu rezipieren. Während ­Reumont schrittweise in die ihm von Vieusseux zugewiesene Aufgabe hineinwuchs, änderte sich die Situation der Antologia. Zwar war die Intention der Zeitschrift von Anfang an die Schaffung eines nationalen Bewusstseins, jedoch begannen die Autoren mit der Julirevolution in Paris 1830 gegenüber der seit dem Attentatsversuch auf Leopold II. vom 22. Juni 183389 umso misstrauischer kon­ trollierenden Zensur die Grenzen auszuloten.90 Während die Zeitschrift die Wissenschaftlerkongresse in der Schweiz und dem Deutschen Bund mit großem Interesse verfolgt hatte, wurden in der Antologia nach der Julirevolution nicht nur Forderungen laut, derartige Wissenschaftlerkongresse auch in Italien einzuberufen, sondern – im Gegensatz zu den deutschen Kongressen – den Zugang nicht nur auf die Naturwissenschaften zu beschränken, sondern auch auf die Geisteswissenschaften auszuweiten.91 Als Vorbild diente in der Folge der Wissenschaftlerkongress von Caen, in Frankreich, der von Grundbesitzern und Vertretern der Archäologie und Vaterlandsgeschichte geleitet wurde.92 Durch eine Verlagerung von rein theoretischen, wissenschaftlichen Themen auf die konkrete Reformierung der gesellschaftlichen Verhältnisse mithilfe der Wissenschaften wurde die Antologia der 1830er Jahre zu einem Sprachrohr erstmals relativ offen artikulierter politischer Forderungen. ­Reumont selbst blendete zwar in seinen eigenen Beiträgen politische Fragen aus und konzentrierte sich auf kunsthistorische Rezensionen, jedoch konnte er innerhalb des Lesekabinetts sowie der Antologia die politischen Diskussionen der Eliten Italiens damals unmittelbar verfolgen und war so über aktuelle Entwicklungen 88 Bei den herangezogenen Arbeiten des Kunstblattes handelte es sich um: Ueber die Entwicklung der ältesten Ital. Malerei (Jahrg. 1821), Ueber einige weniger bekannte altital. Maler (Jahrg. 1823), Ueber den Geist und das Wirken der Röm. Malerschule (Jahrg. 1825), Anfänge der ital. Kunst (Jahrg. 1827). – Geschichte der Malerei in Italien vom Wiederaufleben der Kunst bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Ludwig Lanzi. Aus dem Italienischen übersetzt und mit Anmerkungen von J. G. von Quandt, herausgegeben von Adolph Wagner, Bd. 1, Leipzig 1830, S. VIII. 89 Prunas (1906), S. 279–280. 90 Von einer „radicalizzazione di posizioni“ innerhalb der Antologia spricht auch Pitocco (1972), S. 249. 91 Vgl. Maria Pia Casalena: Vieusseux e la costruzione della scienza nazionale, in: Bossi (2013), S. 109–124, hier S. 117–122. – vgl. dazu beispielsweise auch den Artikel von K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Annua riunione dei medici e naturalisti tedeschi in Amburgo, Antologia 40, Dezember 1830, S. 81–83: „Ma frattanto, sarebb’egli soverchio ed intempestivo desiderare una qualche simile riunione di dotti italiani ora in Torino, ora in Firenze, ora in Bologna, ora in Napoli, ed ora in Pavia? Sarebb’egli illecito proporre che non alle sole scienze naturali, alle filosofiche ancora che tanto più ne abbisognano questa consuetudine salutare si venisse ­estendendo?“ 92 Vgl. Casalena (2013), S. 120.

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C. Publizistik

stets bestens im Bilde. Rückblickend erinnerte sich R ­ eumont hinsichtlich seiner „literarischen Schule“: „Inderthat repräsentirt diese Zeitschrift, besser vielleicht als je auf der Südseite der Alpen geschehen, das literarische Leben nicht blos sondern auch die allgemeinen Tendenzen der Nation in dem Zeitraum, in welchem der während der französischen Zeit vorbereitete Wechsel in Anschauungen und Bestrebungen zum entschiedenen Durchruch kam.“93

Tatsächlich nahm ­Reumont in jener Zeit auch an den Diskussionen des Lesekabinetts teil, die sich in dieser Zeit intensiv mit den in Europa kursierenden zeitgenössischen politischen und gesellschaftlichen Ideen auseinandersetzten und auf ihre Anwendbarkeit auf die Toskana und Italien hin prüften.94 In diesem Umfeld trat er auch in engen Kontakt mit dem aus Dalmatien stammenden Schriftsteller Niccolò Tommaséo, der 1827 nach Florenz gekommen war und ein führender Mitarbeiter der Antologia wurde. Seine umfassende literarische, theologische und philologische Bildung – er beherrsche Lateinisch und Griechisch – sowie seine Freundschaft zu Antonio Rosmini und Alessandro Manzoni95 machten ihn zu einem von Vieusseux umworbenen Mitarbeiter, der als einziger eine regelmäßige Vergütung erhielt.96 Als einer der führenden Vertreter einer innerkirchlichen Reform hin zu einer Besinnung auf das ursprüngliche Christentum in Verbindung mit einer christlich-sozialen Erziehung des Volkes zur Schaffung einer nationalen Identität, sollte er in der Folge zur Gallionsfigur der Antologia werden und als regelmäßiger Gast bei Vieusseux und Capponi die toskanische Auseinandersetzung mit dem aus Frankreich stammenden Saint-Simonismus prägen.97 ­Reumont, der Zeit seines Lebens von der Person und der Universalbildung Tommaséos fasziniert bleiben sollte, nahm die Ideen und Theorien wissbegierig auf und setzte sich im Laufe seiner publizistischen Tätigkeit immer wieder mit ihnen auseinander.98 Schließlich wurde er bei seinen ersten Arbeiten in italienischer Sprache von Tommaséo unterstützt: Seine Artikel für die Antologia wurden offenbar auch von diesem persönlich Korrektur gelesen.99 Außerdem bewarb er ­Reumonts erste italienischsprachige Monographie, die ­Tavole cronologiche e sincrone della storia fiorentina100, aktiv unter den Gelehrten.101 93

Alfred von ­Reumont: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild, Gotha 1880, S. 104. Dabei spielte insbesondere der Saint-Simonismus mit seiner Forderung nach religiös-gesellschaftlicher Reform eine wichtie Rolle. Vgl. Pitocco (1972). 95 Vgl. Fulvio Senardi: Aspetti del Tommaseo politico, in: Ders. (Hrsg.): Niccolò Tommaseo tra letteratura e storia, Triest 2008, S. 17–30, hier S. 17. 96 Alfred von ­Reumont: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild, Gotha 1880, S. 137–139. 97 Vgl. Pitocco (1972), S. 153–183. 98 Vgl. etwa ­Reumonts Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung: Nr. 82, Mittwoch, 22. März 1848; Nr. 132, Dienstag, 12. Mai 1874 (Beilage). 99 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,15, ­Reumont an Vieusseux, Buyukderè, 25. April 1833. 100 Alfred ­Reumont: Tavole cronologiche e sincrone della storia fiorentina, Florenz 1841. 101 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,184, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 8. April 1844: „Au cas que V.s écriviez à Tommaséo, veuillez lui dire combien je lui suis reconnaissant de la mention honorable qu’il a faite de mes Tavole. Je l’ai appris, par l’article du C.te Oti dans le Poligrafo qu’il m’a envoyé.“ 94

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Dieser Austausch im Umfeld der Antologia im Allgemeinen sowie mit Tommaséo im Besonderen wirft ein interessantes Licht sowohl auf ­Reumonts persönliche politische Meinungsbildung vor der Revolutionserfahrung 1848/49 als auch auf die unter den intellektuellen Eliten der Toskana zirkulierenden Ideen jener Zeit, deren Träger sich nach dem Scheitern des ersten Unabhängigkeitskrieges als auch später angesichts der piemontesischen Nationalpolitik unter Cavour unterschiedlich positionieren sollten. Obgleich ­Reumont sich publizistisch nicht aktiv in politische Diskussionen einschaltete, verfolgte er die in der Antologia geführten Debatten und nahm auch die Artikel Tommaséos, die letztlich zum Verbot der Zeitschrift führen sollten,102 zustimmend zur Kenntnis. Bemerkenswert ist insbesondere ein Artikel Tommaséos über Cesare Balbos Storia d’Italia103, zu dem ­Reumont ihn beglückwünscht,104 obwohl er von den legitimistischen, Herzog Ferdinand IV. von Modena nahestehenden Zeitungen La voce della ragione und L’amico della Gioventù scharf attackiert wurde.105 In diesem Beitrag stellte Tommaséo nämlich ausführlich seine Gedanken hinsichtlich einer Weiterentwicklung des italienischen Volkes vor, die seiner Ansicht nach – unter expliziter Bezugnahme auf die Lehren der Saint-Simonisten – nicht zuletzt in der Schaffung einer die Einzelstaaten verbindenden Infrastruktur zu vollziehen sei.106 Dabei stellte er fest, dass zum Wohle des Volkes die staatliche Ordnung stets hinterfragt werden müsse und an fehlerhaften Institutionen nicht unnötig festgehalten werden dürfe. Der Legitimismus sei ein Mittel der Ordnung, das nicht mit der Ordnung selbst verwechselt werden dürfe. Denn das Heil sei nicht in einer einzigen Norm zu suchen, sondern es müsse stets nach der gerade passenden gesucht werden. Dazu gehöre es auch, überkommene Ordnungen, die dem Fortschritt und damit der göttlichen Vorsehung im Wege stehen zu verwerfen.107 Denn ein legitimer König zu sein, bedeute nicht, sich an eine bestehende Ordnung zu 102 Vgl. Pitocco (1972), S. 249–354; Agliaia Paoletti Langé: Gino Capponi. Un Fiorentino Europeo. Riflessioni per un profilo (Centro di Studi sulla Civiltà Toscana fra ’800 e ’900, 16), Florenz 2000, S. 62; Prunas (1906), S. 295–321. 103 K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103. 104 Vgl. BNCF Vieuss. C. V. 88,15, ­Reumont an Vieusseux, Buyukderè, 25. April 1833. 105 Vgl. Prunas (1906), S. 293–295; Annalisi di un articolo dell’Antologia di Firenze. Pubblicato nel fascicolo di settembre del 1832 alla pagina 83, La voce della ragione 3, Nr. 17, 31. Januar 1833, S. 314–324; Due parole sull’Antologia, L’amico della Gioventù 2, Nr. 7, 1. Februar 1833, S. 73–76. 106 K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103, hier S. 103, Anm. 2; vgl. Pitocco (1972), S. 157 u. 167–169. 107 K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103, hier S. 85: „Dicasi dunque che la così chiamata legittimità è un mezzo d’ordnine, ma non si confonda con l’ordine stesso: si temano i pericoli delle elettive signorie, ma si tema soprattutto il pericolo del personificare i diritti in un uomo. Dicasi che d’ogni governo debbon essere il più che si possa fissate le norme e le consuetudini; ma non si riponga la salute del mondo in una norma unica, tante volte violata con frutto: si rispetti il presente, quand’è felice; ma non se ne faccia un idolo in teoria, un idolo eterno. Ho detto: violata con frutto; e potevo aggiungere: violata per necessità, per dovere, violata in nome di Dio.“

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C. Publizistik

klammern, sondern Gott und den Naturgesetzen Folge zu leisten, die über dem Legitimismus stehen.108 Die Menschheit könne nämlich aus der Geschichte lernen, dass die Revolutionen göttliche Strafen für Hochmut und Verfehlungen seien und jeder, Volk wie Fürst, für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. Insofern erhalte jedes Volk den Fürsten, den es verdiene. Es habe das Recht, sich eines unwürdigen Fürsten zu entledigen, setze es aber nur einen unfähigen, aber nicht schlechten Fürsten ab, erhalte es einen noch schlechteren.109 Hinsichtlich der Perfektionierung der staatlichen Ordnung nach göttlichem Willen stehen also sowohl der Souverän als auch das Volk in der Verantwortung. Obwohl Tommaséo den Legitimismus in den bis hier hin erwähnten Ausführungen zunächst nur sehr vorsichtig in Frage stellte, zumal er noch nicht einmal den Eliten ein grundsätzliches Mitspracherecht einräumte und die göttlich legitimierte Monarchie anerkannte,110 enthielt sein Beitrag dennoch eine gegen die habsbur­ gische Herrschaft in Italien gerichtete Kritik. Denn dass Tommaséo mit der überkommenen Ordnung die Wiener Beschlüsse meinte, wird spätestens in den antideutschen Passagen seines Artikels deutlich, in denen er das legitimistische Prinzip in Anbetracht der mittelalterlichen „deutschen“ Herrschaft über Italien ad absurdum führte und die von den deutschen Publizisten zur Rechtfertigung der österreichischen Ansprüche auf Italien angeführten historischen Argumente als Gewohnheitsrecht des Stärkeren entlarvte.111 Im Laufe der Geschichte haben sich nämlich legitime Invasionen in grausame Herrschaften verwandelt, ebenso wie sich illegitime Invasionen zu legitimen Herrschaften gewandelt haben. Eine Herrschaft sei also über ihre Legitimität noch nicht hinreichend gerechtfertigt, weshalb Tommaséo anschließend die rhetorische Frage an den Leser richtet: „quale delle tante razze che tinsero la loro porpora nel sangue italiano, meritò di diventare legittima? Quale meritò che l’Italia desiderasse di vederne con l’eredità perpetuato il dominio? Nessuna.“112

Deswegen habe auch keine der traditionellen Herrschaften das Recht, weiterhin die Geschicke des italienischen Volkes zu bestimmen. Die moralische, wirtschaft 108

Ebenda, S. 86: „Chi obbedisce alle leggi della natura e di Dio, quegli solo è legittimo re.“ Ebenda, S. 87. 110 Vgl. dazu auch Alessandro Volpi: Alla ricerca del giornalista ideale: La collaborazione di Niccolò Tommaseo con Giovan Pietro Vieusseux, in: Turchi / Volpi (2000), S. 37–68, hier S. 55. 111 K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103, hier S. 90: „Taccio di Carlomagno che lasciò sulla polvere d’Italia un solco della vittoriosa sua lancia per quindi legarne la tutela al lontano tedesco; taccio del tedesco, per la lontananza stessa quasi necessariamente colpevole ora d’ignorante e sospettosa e goffa tirannia, ora di vile e barbarica noncuranza: taccio della casa di Svevia meno ghibellina che turca, men pronta a felicitare che a nuocere; nata agli odii e ai delitti, amata allora solo che si sperimentò possibile un giogo più duro: taccio di quant’altre invasioni legittime convertite in crudele dominio, e di quant’altre illegittime invasioni convertite in dominio legittimo, deposero in questo profanato terreno i germi dell’odio e della colpa, insieme con quelli della civiltà e dell’amore.“ 112 Ebenda. 109

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liche und politische Erneuerung der italienischen Gesellschaft müsse Italien deswegen völlig autonom vollziehen: „imaginiamo insomma alla pacifica milizia dell’arti e delle scienze affidata quella missione innovatrice che fu sinora quasi unicamente concessa alla forza brutale d’un despota, alle sanguinose spade dello straniero invasore; e allora sarà lecito sperare in Italia, in Europa, nel mondo, l’era dell’unità e della pace.“113

Neben dieser Ablehnung der von den Wiener Beschlüssen festgelegten politischen Ordnung Italiens und des Legitimitätsprinzips, wandte sich Tommaséo auch der Neuordnung Italiens zu, die – in Anlehnung an die Lehre der Saint-Simonisten – auf drei Elementen basieren sollte: „educazione, religione, amore“.114 Durch Studienreisen von Universitäten und Akademien, durch die Schaffung einer einheitlichen Hochsprache über die Ausarbeitung eines Wörterbuchs, wie durch die Pflege der Wirtschafts-, Geistes- und Naturwissenschaften sollten sich die Italiener untereinander mit ihren jeweiligen Besonderheiten besser kennenlernen und sich durch entsprechende Erziehung bzw. Bildung annähern. Ausgangspunkt für das gesellschaftliche Zusammenwachsen des italienischen Volkes sei dabei die alle Italiener vereinende gemeinsame katholische Religion. Dieses Band solle durch die Steigerung der Liebe zu Gott und der Menschheit sowie zum Nächsten und den Frauen gestärkt werden.115 Um das gegenseitige Kennenlernen zu ermöglichen, seien allerdings umfassende Infrastrukturmaßnahmen erforderlich, damit eine regel­mäßige Zirkulation von Menschen und Produkten möglich wird, die neben der Erfüllung ihres nationalen Zwecks auch wirtschaftliche Vorteile bringen werde.116 Hinsichtlich der Möglichkeiten einer nationalen Einigung sprach sich Tommaséo jedoch schroff gegen jeglichen Unitarismus aus, der in der italienischen Geschichte immer wieder zu Unterdrückung und Tyrannei geführt habe. Vorstellungen, wie denen Mazzinis, erteilte er also eine deutliche Absage.117 113

Ebenda, S. 99–100. Ebenda, S. 100: „io vorrei sopra tre grandi elementi di unità principalmente insistere, dico l’educazione, la religione,  e l’amore.“; zur Anlehnung an die Saint-Simonisten vgl. Pitocco (1972), S. 59–60. 115 K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103, hier S. 100–101. 116 Ebenda, S. 94–95: „Per affrettallarsi conviene conoscersi: e le nazioni d’Europa non si conoscon tra loro, e l’Italia mal conosce sé stessa: né le nazioni si conosceranno se le reciproche peregrinazione non si rendano più pronte, men dispendiose, meno incomode, più proficue che mai si possa. Mezzo potentissimo dunque della concordia italiana ed europea sono i viaggi; elemento essenziale dell’italiana ed europea unità sono i canali e le strade.“ – Bemerkenswert ist dabei, dass Tommaséo großen Wert darauf legt, dass die Infrastukur in staatlicher Hand bleibe, um ihre Funktionstüchtigkeit zu garantieren: „i canali assoggettati al governo non di mercenarii e meccanici speculatori, ma della scienza disinteressata, di un apposito ministero, a cui spetterebbe prevenire i danni e i pericoli sempre crescenti de’ fiumi d’Italia…“. 117 Ebenda, S. 93; vgl. dazu auch Pitocco (1972), S. 168: „Poiché tutti coloro che sperarono potersi far felice l’Italia dandole una capitale, e innalzando in mezzo ed essa una seggiola dorata sotto un padiglione magnifico, non pensarono se la natura, se l’esperienza promettessero 114

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C. Publizistik

Eine politische Einigung sei also nur im Einklang mit den gegebenen Voraussetzungen zu erreichen. Und die italienische Identität zeichne sich eben durch die Vielfalt der Regionen aus.118 Der an dieser Stelle von Tommaséo artikulierte Anspruch, durch infrastrukturelle und wirtschaftliche Maßnahmen ein erste Annäherung unter den italienischen Regionen zu bewirken, entsprach dabei der unter den italienischen Eliten verbreiteten Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Fortschritt durch engere Zusammenarbeit.119 Insofern sind die an dieser Stelle formulierten Gedanken über die Schaffung einer saint-simonistisch geprägten Gemeinschaft der italienischen Bevölkerungen derart vage formuliert, dass sie kaum ein konkretes politisches Programm darstellten. Bemerkenswert war jedoch die nicht explizit, aber für den Leser dennoch recht eindeutig formulierte Kritik an der habsburgischen Herrschaft in Italien. Die Infragestellung des Legitimitätsprinzips wurde in seiner Tragweite allerdings sehr wohl erkannt und führte zu heftigen Attacken von Seiten der staatsnahen legitimistischen Periodika. Ein anonymer Autor in La voce della ragione stellte etwa klar, dass es sich bei Tommaséos Artikel um einen unverhohlenen Angriff auf die gesellschaftliche Ordnung und eine Aufforderung zur Revolution handele120 und ging mit der Aussage, dass das Volk berechtigt sei, sich eines schlechten Herrschers zu entledigen, hart ins Gericht.121 Die Zeitschrift L’amico della Gioventù schlug noch einen wesentlich aggressiveren Ton an, indem sie ihre Kritik nicht allein auf den Beitrag Tommaséos beschränkte, sondern die Gelegenheit nutzte, der Antologia offen den Kampf anzusagen, die sie als „nemica della società“ bezeichnete.122 Das Primärziel dieses lieti auspizii all’impresa; non si avvidero che ogni mutazione non preparata dalle circostanze de’ luoghi e de’ tempi, sia pure mossa da benefico fine, è sempre un’insopportabile e mal ferma tirannide […]“. 118 K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103, hier, S. 92. 119 Zu den Verhandlungen um eine italienische Zollunion vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. ­46–89; Giacomo Martina: Pio IX e Leopoldo II, Rom 1967, S. 110–116. 120 Annalisi di un articolo dell’Antologia di Firenze. Pubblicato nel fascicolo di settembre del 1832 alla pagina 83, La voce della ragione 3, Nr. 17, 31. Januar 1833, S. 314–324, hier S. 314: „Egli è sempre con grave nostro cordoglio che ci vediamo costretti talvolta a volgere le parole della censura sopra gli scritti di autori i quali desideriamo sommamente di rispettare e di amare, ma quando si proclamano scopertamente le dottrine dell’errore e della seduzione, quando si vogliono risolutamente abbattere i fondamenti dell’ordine sociale, e quando si marcia con le bandiere spiegate gridando rivoluzione e libertà in tutti i confini d’Italia, non si può camminare d’accordo con quegli autori senza ripudiare i principii del retto raziocinio, e non si può conservare il silenzio senza rinunziare all’impegno di pubblicare la Voce della Ragione.“ 121 Ebenda, S. 317–318. Er wies darauf hin, dass „se il giudice proferisce una sentenza ingiusta, se il pastore guida il gregge in un pascolo mal salubre, e se il capitano commette un atto di viltà, non per questo cessano di essere giudice, pastore e capitano. Per quelle mancanze, la superiorità rispettiva avrà ragione di privarli dei loro uffici e dei loro diritti…“. Demnach stehe es nicht dem Volk, sondern allein Gott selbst zu, über den Herrscher zu urteilen und über Konsequenzen zu entscheiden, denn: „Il fondamento dell’autorità reale è il potere e il volere di Dio.“ 122 Due parole sull’Antologia, L’amico della Gioventù 2, Nr. 7, 1. Februar 1833, S. 73–76, hier S. 73.

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Angriffes war es, die toskanischen Zensurbehörden unter Druck zu setzen, auch literarische Artikel einer genaueren Untersuchung zu unterziehen und keinerlei Toleranz mehr walten zu lassen. Schließlich handele es sich um „perfide e sinistre insinuazioni […] sotto il velo delle lettere“.123 Deswegen stellte die modenesische Zeitschrift die rhetorische Frage an die toskanische Zensurbehörde: „E qual privilegio avrebbe il foglio fiorentino da non toccare la sorte dei fogli rivoluzionarj suoi confratelli? […] Qual diritto a riguardo può avere chi sacrilegiamente proclama di non riconoscere autorità sulla terra…?“124

Die Kritik am Legitimismus und der habsburgischen Herrschaft auf der italienischen Halbinsel führte also zu heftiger Polemik gegen die Antologia einerseits sowie die toskanische Zensur andererseits. Denn dass diese „nemica della società“ zwar überwacht und zensiert wurde, jedoch weiterhin erscheinen durfte, obwohl sie in den anderen italienischen Staaten zeitweise verboten wurde (etwa im Jahre 1828 in Piemont), hielten die übrigen Souveräne für unverantwortlich.125 Dennoch hielt ­Reumont an seiner Verehrung für Tommaséo und dessen religiös motivierte Forderung nach einer politischen und gesellschaftlichen Erneuerung unbeirrt fest. Dass ­Reumont Tommaséo zu einem Artikel beglückwünschte, in welchem er die unitaristischen Forderungen Mazzinis schroff ablehnte und stattdessen für eine Konföderation unter Abzug der ausländischen Herrschaften warb, mag zunächst nicht weiter verwundern, wenn man ­Reumonts entsprechende Depeschen wie auch seine Publizistik berücksichtigt, wo er selbst die Verwirklichung genau dieser Forderungen als conditio sine qua non für eine stabile politische Ordnung in Italien definierte. Berücksichtigt man aber sein späteres Festhalten an legitimistischen Prinzipien, nachdem der erste italienische Unabhängigkeitskrieg gescheitert war, so erscheint es doch bemerkenswert, dass sich R ­ eumont während der 1830er Jahre offenbar noch nicht auf legitimistische Prinzipien versteift hatte, sondern sich für pragmatische politische Lösungen begeistern konnte. Bis zu den Revolutionen der Jahre 1848/49 warb er selbst – auch unter Bezugnahme auf Tommaséo – für die Überwindung der Wiener Ordnung, den Abzug der Habsburger aus Lombardo-­ Venetien sowie eine konföderative Einigung Italiens unter den Vorzeichen der gemeinsamen katholischen Religion, verkörpert von einer von ihren Fehlentwicklungen befreiten Kirche.126 Die Kritik am Legitimismus, verbunden mit dem Aufruf, 123

Ebenda, S. 74. Ebenda, S. 75. 125 Prunas (1906), S. 126–132. 126 Vgl. etwa Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 82, Mittwoch, 22. März 1848: „Und von der Religion allein kann die wahre Wiederbelebung Italiens ausgehen; das Schicksal Italiens ist in der Hand des Priesters; nur der katholische Glaube kann den heiligen Bund der Völker kräftigen und thätig machen. […] Von Italien ging die Größe und Weltmacht der christlichen Idee aus: von Italien wird, so hoffe ich, das Beispiel des neuen christlichen Priestertums kommen. Wer den katholischen Glauben zerstören wollte, dessen Centrum Italien ist, wäre ein Feind des Vaterlandes.“; Beilage zur Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 131, Mittwoch, 10. Mai 1848: „So lange der lombardische Krieg währt, dieser Krieg welcher, was man auch ohne Uebelwollen 124

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sich mehr am göttlichen Willen und den jeweiligen lokalen Gegebenheiten zu orientieren, als stur an legitimen Normen, fiel bei ­Reumont also auf fruchtbaren Boden und prägte ihn tatsächlich bis zum Ende der 1840er Jahre. Während Tommaséos Artikel selbst einen guten Eindruck von der durch die Ereignisse der Julirevolution in Paris motivierten, zunehmenden Politisierung innerhalb des Lesekabinetts und der Antologia vermittelt, zeigt das in der Toskana hervorgerufene Echo, auf welcher politischen Bandbreite man sich austauschte. Nicht nur Vertreter der konservativ bis fortschrittlichen Liberalen, wie Gino Capponi, Silvestro Centofanti oder Raffaello Lambruschini setzten sich intensiv mit diesen Gedanken auseinander, sondern auch spätere Demokraten wie Giuseppe Montanelli fanden sich in Tommaséos Ideen wieder. Mit Tommaséos Ablehnung eines strikten Legitimismus wie auch der Erwägung republikanischer Strukturen, falls es die Umstände erfordern sollten, konnte sich auch Centofanti in seiner Forderung nach einer merito­kratischen Repubblica federativa identifizieren.127 Auch Montanelli reagierte geradezu enthusiastisch auf Tommaséos Artikel und wunderte sich in einem Brief an Vieusseux, dass der Text trotz der Legitimismuskritik und der antideutschen Ausfälle die Zensur passieren konnte.128 Tatsächlich war es die Propagierung einer Neuordnung Italiens unter liberalkatho­lischen Vorzeichen unter Heranziehung der historischen Erfahrungen, aus denen die göttliche Vorsehung ersichtlich werden sollte, und die klare Frontstellung gegen Mazzinis Unitarismus, die eine legitime Ordnung auch für liberal-konservative Vertreter als verhandelbar erscheinen lassen konnte. Durch die Formulierung der rhetorischen Frage, ob der göttliche Wille oder der Legitimismus als oberstes politisches Prinzip angesehen werden müsse, konnte das gesamte politische Spektrum innerhalb der Moderati in die Debatte einbezogen werden. Der Anspruch, auch die Kirche von innen heraus zu reformieren, wirkte dabei integrativ. Damit wurde die historische Erfahrung zum entscheidenden Argument der politischen Erörterungen einer Neuordnung Italiens. In dem Anspruch, in der Geschichte den Willen und das Wirken Gottes zu erkennen, erhält die Geschichtswissenschaft bei

gegen Oesterreich anerkennen muß, ein heiliges Feuer der Vaterlandsliebe in den Herzen der Tausenden entzündet hat, der an die glänzenden Tage des Mittelalters erinnert und die hart geschmähte Tapferkeit der Italiener wieder zu Ehren bringen wird, so lange ist die Wirksamkeit dieser Partei [Giovine Italia] weniger zu fürchten. Ist aber der Sieg errungen, so gibt es vielleicht nur ein Mittel ihr mit Erfolg entgegenzutreten; die Constituierung eines großen, starken, militärisch organisierten Staates, der das ganze obere Italien umfasse, ein Wall gegen das Ausland, kräftiger als der Alpenwall, eine Sicherung für das schwächere Centrum, für den in sich zerfallenden Süden.“ 127 Vgl. Pitocco (1972), S. 168. 128 BNCF Vieuss. C. V. 71,63: Montanelli an Vieusseux, 21. November 1832, zitiert nach Pitocco (1972), S. 158: „Non so come la censura abbia potuto permettere la stampa di molte cose contenute in quell’articolo! Ma la confutazione di coloro che vogliono la unità materiale dell’Italia, avrà servito di passaporto alle diatribe contro la legittimità  e alle bellissime idee sull’unione intellettuale, morale e religiosa degli italiani, senza la quale tutti i nostri sforzi potranno giammai riescire a buon fine.“

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Tommaséo eine theologisch-moralische Kompetenz, und der Historiker die verantwortungsvolle Aufgabe, aus der Vergangenheit die richtigen Lehren für die zukünftige politische Ordnung zu ziehen. Aus der politischen Geschichte Italiens sei ersichtlich, dass jedes Unglück auf moralische Verwerfungen zurückzuführen sei.129 Für den Historiker bedeute dies, dass er sich zum Wohle der Gesellschaft unter moralischen Fragen der Vergangenheit zuzuwenden und sie überparteilich zu bewerten habe, denn: „… nelle storie più che in ogni altro libro, lo scrittore assume uffizio di pubblico magistrato; accusatore incorruttibile ma prudente, giudice grave ma pieno di compassione e di benevolenza: censore de’ vizi de’ popoli, banditore delle infamie de’ re.“130

Insofern komme dem Historiker eine moralische und nationale Aufgabe zu. Die Historiographen würden ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie eine reine Ereignisgeschichte betrieben, sondern tragen die große Verantwortung „…far della storia un libro nazionale, un libro popolare, il libro per eccellenza, dopo il van­ gelo“.131 Obwohl Tommaséo an dieser Stelle auf eine deutliche politische Positionierung verzichtete, hob er hervor, dass die göttliche Vorsehung auf eine italienische Unabhängigkeit hinauslaufe. Diesen Anspruch, mittels der Auseinandersetzung mit der Geschichte das göttliche Wirken zu ergründen, hatte ­Reumont bereits von Leopold von Ranke übernommen. Von Tommaséo fühlte er sich darin bestätigt und übernahm von ihm die stetige, kritische Überprüfung der politisch-gesellschaftlichen Zustände vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen, die er Zeit seines Lebens beibehalten sollte. Die Suche und Respektierung des göttlichen Willens in der Geschichte hielt ­Reumont nicht für gefährlich, sondern für eine Chance, den gesellschaftlichen Wandel daran anzupassen und somit das Wohl des Volkes wie auch des Herrschers zu gewährleisten. Demensprechend hielt er das Vorgehen der Zensurbehörde gegen die Antologia für vollkommen überzogen und kurzsichtig, zumal diese Zeitschrift sich den Anforderungen der Zensur stets unterworfen habe und ein wichtiges Gegen­ gewicht zum radikalen Gedankengut sei, das in der Toskana kursiere.132

129

K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103, hier S. 101. 130 Ebenda, 101. 131 Ebenda, 101–102. 132 BNCF Vieuss. C. V. 88,16, ­Reumont an Vieusseux, Buyukderè, 26. Mai 1833: „Je ne puis pas Vous dire à quel degré j’ai été affligé par cette nouvelle que l’abord j’avais de la peine à croire – je n’ai pas pu m’imaginer que le Gouvernement pourrait agir de tutte manière contre un institut qui faisait haut a’ honneur à tout le pays et qui se soumettait volontairement à toutes les exigences & caprices de la censure. Mais la chose est faite: l’Italie a perdu le Meilleur – je dirais presque le seul bon journal qu’elle possédait et une injustice criante a été commise envers le fondateur qui avec le plus beau désintéressement a dévoué à cette entreprise tout de temps et tant e frais. La perte est d’autant plus sensible en ce moment que parmi le bruit infernal de certaines „Voix“ une voix connue cette de l’antologie, et qui trouvait des échos chez tout ce qu’il-y-a de bon en Italie, était d’autant plus nécessaire.“

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C. Publizistik

Gerade im Vorgehen gegen eine Zeitschrift, die ihre Forderungen im Dialog mit dem Großherzog und nicht gegen ihn artikulierte, sah R ­ eumont einen schweren Fehler. Denn die Schließung eines Forums, in dem die konstruktive Diskussion betrieben wurde, musste den Geheimgesellschaften zugute kommen, die eine Politisierung in Frontstellung zum Großherzog betrieben und eine Beseitigung der politischen Ordnung anstrebten. Gerade im Hinblick auf die spätere Führungsrolle Piemonts innerhalb der liberalen Nationalbewegung, das nach den Revolutions­jahren 1848/49 im Gegensatz zu den übrigen italienischen Staaten an seiner Verfassung festgehalten hatte, war das Verbot der Antologia ein schwerer Fehler. Denn gerade die Tolerierung dieses Projektes, das in den anderen Staaten immer wieder verboten wurde,133 hatte Leopold II. bis dahin zum Hoffnungsträger der Moderati gemacht. Obgleich ­Reumont die Wiener Ordnung Zeit seines Lebens als nicht den historischen Traditionen Italiens entsprechend kritisierte und insofern die historische Erfahrung als oberste politische Richtschnur anerkannte, sollten die persönlichen Revolutionserfahrungen 1848/49 ­Reumont und Tommaséo politisch auseinanderbringen. Tommaséo ging bereits nach dem Verbot der Antologia ins französische Exil und kehrte erst 1839 nach Italien zurück, wo er sich schließlich in Venedig niederließ, dort aber im Januar 1848 wegen seiner antiösterreichischen politisch-litera­ eumont rischen Tätigkeit erneut von der habsburgischen Polizei verhaftet wurde. R hatte damals einen Artikel über Tommaséo in der Augsburger Allgemeinen Zeitung veröffentlicht,134 um ihn unter Betonung seiner tiefen Frömmigkeit und der auch nach Ansicht R ­ eumonts vorhandenen administrativen Missstände in Italien zu rechtfertigen.135 In der Folge gingen ­Reumont und Tommaséo jedoch völlig unterschiedliche Wege: Während Tommaséo im März von Aufständischen befreit wurde und anschließend Minister der provisorischen Regierung, Botschafter in Paris und einer der führenden Verteidiger der Repubblica Veneziana wurde, wurde ­Reumont als preußischer Gesandter ins päpstliche Exil nach Gaeta gesandt, nachdem er die Revolutionen in Berlin, Wien, Florenz und Rom persönlich miterlebt hatte. Obgleich beide nach wie vor eine innerkirchliche Reform, einen österreichischen Abzug aus Italien und eine italienische Konföderation forderten, zogen sie aus den ­ eumont überwog Revolutionserfahrungen entgegengesetzte Konsequenzen: Bei R die Furcht vor weiteren revolutionären Erhebungen, die die christliche Ordnung vollends vernichten würden, bei Tommaséo die Enttäuschung über Pius’ IX. Ruf nach ausländischer Waffenhilfe und seine anschließende Restaurationspolitik. Während ­Reumont im Papst, bei aller Kritik an dessen restaurativen Maßnahmen, einen 133

Prunas (1906), S. 126–132. Augsburger Allgemeinen Zeitung 82, Mittwoch, 22. März 1848. 135 BNCF Vieuss. C. V. 88,238, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 14. März 1848: „Je m’attendais à voir Tommaséo déclaré innocent – Dieu veuille qu’on ne le retienne plus longtemps en prison ! J’avais déjà envoyé à l’Allgemeine un assez long article sur lui & j’espère qu’on l’imprimera bientôt. Mais l’attitude de celle Gazette vis-à-vis de l’Italie commence à m’inquiéter moi-même. Il parait certain qui l’Autriche veut changer de système en Lombardie. C’est un peu tard je crains.“ 134

I. Kunst- und Kulturberichte 

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Garanten der christlichen Ordnung erblickte, betrachtete Tommaséo Pius IX. als entscheidendes Hindernis sowohl für eine religiöse Erneuerung als auch für die Schaffung der von Gott vorgesehenen Neuordnung Italiens. Besonders deutlich wurde diese unterschiedliche Auffassung, als Tommaséo 1851 seine Denkschrift Rome et le monde136 veröffentlichte. Darin forderte er mit politischen und religiösen Argumenten den Papst auf, auf seine weltliche Macht zu verzichten und sich auf seine Priesterfunktion zu beschränken, um dem italienischen Volk nicht weiter durch das Herbeirufen fremder Mächte Schaden zuzufügen. Sollte er Zweifel daran haben, ob er durch einen Verzicht auf seine weltliche Macht nicht der Vorsehung zuwider handele, da er dadurch mit der mittelalterlichen Tradition breche, solle er ein Generalkonzil dazu einberufen, das dann über die Frage entscheiden solle.137 Damit griff Tommaséo zudem die während des Mittelalters immer wieder aufgeworfene Frage auf, wem die letztendlich verbindliche Weisungskompetenz in der Kirche zukomme, dem Papst oder dem Konzil – und ergriff Partei für die Konzilstradition.138 ­Reumont, der nach seinen Revolutionserfahrungen im Papst den wichtigen Stabilitätsanker sah, fasste diese Denkschrift als für einen Katholiken ungehörig auf und sah darin einen Angriff auf das Papsttum als solches139 – auch wenn dies eigentlich gar nicht Tommaséos Absicht war. Denn in ihrer Prioritätensetzung, welche die Realisierung einer christlichen Erneuerung der Gesellschaft zur entscheidenden Bewertungsgrundlage der politischen Entwicklungen machte, blieben sie sich weiterhin einig. Auch wenn beide nach der Eroberung Roms durch italienische Truppen und der Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit durch das Erste Vatikanische Konzil im Jahre 1870 mit der fehlenden Reformbereitschaft der katholischen Kirche haderten, hielten sie die Verlegung der Hauptstadt von Florenz nach Rom für kontraproduktiv und lehnten die laizistische Kirchenpolitik des italienischen Nationalstaates ab. Beide erkannten sie die Probleme, die dieser Konfrontationskurs für die größtenteils katholische Bevölkerung mit sich bringen musste, und dass dies sowohl einen innerkirchlichen Reformprozess als auch eine Versöhnung von christlichem Glauben und Nationalstaat erheblich erschweren und das Christentum aus der Zivilgesellschaft drängen würde.140 Von einer gemeinsamem Basis ausgehend, 136

Niccolò Tommaséo: Rome et le monde, Capolago und Turin 1851. Ebenda, S. 335. 138 Zur Geschichte des Verhältnisses zwischen Papsttum und Konzilstradition ist jüngst erschienen: Bernward Schmidt: Die Konzilien und der Papst. Von Pisa (1409) bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65), Freiburg im Breisgau 2013. 139 BNCF Vieuss. C. V. 88, 39, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 15. Dezember 1851: „Mr. de Usedom salue. J’ai pas connu le livre de Guerrazzi. Il est mauvais – mais, dans son genre, celui de Tommaséo est pire. J’en suis bien fâché pour lui. Comme Catholique, il s’est mis dans une vilaine voie.“ 140 Vgl. Veronica Gabbrielli: La seconda stagione del Tommaseo a Firenze, in: Turchi / Volpi (2000), S. 307–316, hier S. 316. Gabbrielli geht allerdings davon aus, dass Tommaséo die historische Bedeutung der Einnahme Roms nicht verstanden habe: „Il 20 settembre 1870 mancò a Tommaseo l’intuizione della storicità dell’avvenimento  e nella malinconia di quegli anni di solitudine e di ripiegamento in se stesso egli appariva oramai uomo del passato.“ Da sie seine Papstkritik nicht mit seiner Ablehnung der Einnahme Roms in Einklang zu bringen weiß, macht 137

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C. Publizistik

gingen Tommaséo und R ­ eumont politisch unterschiedliche Wege, um sich jedoch nach der Gründung des italienischen Nationalstaats wieder einander anzunähern. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Antologia für die toskanischen Intellektuellen, ­Reumont eingeschlossen, die Ausgangsbasis für ihre politische Weiterentwicklung im Risorgimento bildete. Dabei waren die Grenzen zuweilen fließend, da ein regelmäßiger und intensiver Austausch über das gesamte Spektrum hinweg stattfand – selbst Giuseppe Mazzini nahm daran teil.141 Erst die Revolutionserfahrungen führten dazu, dass sich die Fronten aufgrund unterschiedlich ausfallender Konsequenzen und persönlicher Erfahrungen verhärteten. Auch wenn sich ­Reumont in seinen Beiträgen zur Antologia allein kunsthistorischen Themen zuwandte, setzte er sich in jener Zeit noch recht aufgeschlossen mit den zirkulierenden Ideen auseinander. Erst nach seinen persönlichen Revolutionserfahrungen blickte er auf die Zeit der Antologia kritisch zurück. Obwohl es seinerzeit die weitreichende Ver­ eumont so schätzte, weil netzung der Zeitschrift bzw. des Lesekabinetts war, die R sie die Rezeption der europäischen publizistischen und politischen Entwicklungen erlaubte, sprach er in seinen Erinnerungen an Gino Capponi von fremdem Gift, das man durch Übernahme französischer, revolutionierender Literatur aufgesogen habe.142 Was nach dem Verbot der Antologia blieb, war die gemeinsame Erfahrung einer Diskussion innerhalb der Zeitschrift und des Lesekabinetts sowie eines ersten Schrittes hin zu einer politisierten Öffentlichkeit. Dieser Austausch von Ideen innerhalb der Grenzen der Präventivzensur im Großherzogtum Toskana sollte für die Mitarbeiter der Zeitschrift eine wichtige Grundlage für die späteren publizistischen Projekte bilden. Die einen, zu denen auch ­Reumont gehörte, erlernten den Umgang mit der Präventivzensur durch Selbstzensur oder durch die Behandlung aktueller politischer Themen durch die Linse der Vergangenheit, der radikalere Teil, darunter Tommaséo, Montanelli, Salvagnoli und Niccolini, versuchten die Zensur durch Druckorte in der Schweiz oder in Frankreich zu umgehen und strebten eine Aufhebung der Präventivzensur an. Vieusseux selbst setzte alles daran, sein politisch-kulturelles Projekt dennoch am Leben zu halten, indem er zunächst die Kooperation mit Giuseppe Ricciardi suchte, der in Neapel den Progresso delle Scienze

sie ihn zum Gestrigen. Dabei übersieht sie allerdings, dass Tommaséo in Rome et le monde das Konzil in Kirchenfragen über den Papst stellte, um den für eine christliche Prägung der Zivilgesellschaft notwendigen Reformprozess vollziehen zu können. Es war stets Tommaséos Absicht, die Kirche in der Gesellschaft zu stärken, nicht sie dem Staat zu unterstellen. Deswegen stellte er das Evangelium dem nationalen Buch voran, als er dazu aufrief: „…far della storia un libro nazionale, un libro popolare, il libro per eccellenza, dopo il vangelo“ (K. X. Y. [Niccolò Tom maséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103, hier S. 101–102). Insofern hat Tommaséo die historische Bedeutung des 20. September 1870 sehr wohl verstanden, diese Entwicklung jedoch genau deswegen aus seiner unveränderten persönlichen Überzeugung heraus abgelehnt. 141 Vgl. Prunas (1906), S. 118–120. 142 Alfred von ­Reumont: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild, Gotha 1880, S. 100–101; über den Einfluss französischer Literatur vgl. auch Langé (2000), S. 64, Anm. 114.

I. Kunst- und Kulturberichte 

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delle Lettere e delle Arti herausgab.143 Er versuchte die eigenen Abonnenten dazu zu bewegen, sich dieser Zeitschrift anzuschließen und sandte Ricciardi zahlreiche Artikel, die er nicht mehr in der Antologia veröffentlichen konnte, darunter auch einige von Tommaséo. Aber genau jene Artikel wurden von der Zensur kassiert. Durch die Angst vieler Autoren, mit den Zensurbehörden in Konflikt zu geraten, gelang es noch weniger die neapolitanische Zeitschrift hinsichtlich der norditalienischen kulturellen Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten, als es zuvor der Antologia selbst gelungen war. Folglich blieb es lediglich bei dem vergeblichen Versuch, das Projekt mithilfe des Progresso am Leben zu halten. Die Antologia blieb den Zeitgenossen jedoch in Erinnerung und führte der toskanischen Öffentlichkeit die Grenzen der als aufgeklärt und fortschrittlich apostrophierten Herrschaft Leopolds II. eindrücklich vor Augen. Durch Zensur und Polizeimaßnahmen hatte der Großherzog nach der Pariser Julirevolution und den Unruhen im Kirchenstaat für scheinbare Ruhe in seinem Fürstentum sorgen können. Unter der ruhigen Oberfläche waren die gesellschaftlichen Eliten jedoch aus Enttäuschung, nicht zuletzt über das Verbot der Antologia, auf Distanz zu ihm gegangen. ­Reumont hatte diese Erfahrung auf ihrem Höhepunkt miterlebt und kannte dadurch die Situation der toskanischen Eliten so gut wie nur wenige Ausländer, abgesehen von Gråberg von Hemsö. Wie schon im Zeitalter der Aufklärung hatten sich die lokalen Eliten über die gemeinsamen Interessen von Herrscher und Untertanen getäuscht: Während sie die Erforschung des Landes und die Datenerhebung als Grundlage für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung hin zu Reformen, freiheitlichen Rechten und politischer Mitsprache der lokalen Eliten betrachteten, begrüßte der Großherzog diese Arbeiten als willkommene Hilfestellung zur Sicherung seiner aufgeklärt-absolutistischen Herrschaft.144 Mit dem Verbot der Antologia wurde den Moderati deutlich, dass die Ziele Leopolds II. ebenso wenig den ihrigen entsprachen, wie seinerzeit unter Peter Leopold. Die Verklärung der „leopoldinischen Zeit“ als Beispiel für eine reformfreudige Herrschaft unter Einbeziehung des Patriziats wurde als ein Mythos entlarvt: Die aufgeklärten Reformen hatten die Festigung der Herrschaft im Blick und bezogen die lokalen Eliten nur insoweit ein, wie es sich dafür anbot. Während Teile der Moderati glaubten, mit dem leopoldinischen 143

Vgl. Laura Melosi: Vieusseux  e il giornalismo letterario  e civile, in: Bossi (2013), S. ­207–216, hier S. 214–216. 144 Diese Kooperation zwischen den lokalen Eliten und dem habsburgischen Reformstaat hatte sich auch in der Lombardei als fatale Fehlkalkulation der patrizischen Aufklärer erwiesen, die ebenso wie in der Toskana, nicht berücksichtigten, dass der aufgeklärt-absolutistische Re­ formstaat nur insoweit auf den Adel zurückgreifen würde, wie es politisch opportun schien, jedoch keine gundsätzlich deckungsgleichen Ziele verfolgte. Mit dem theresianischen Mythos einer engen Kooperation mit dem lokalen Adel, griff das lombardische Patriziat auf eine ähnliche Strategie zur Artikulierung seines Anspruchs auf Einbindung in die Staatsgeschäfte zurück, wie die toskanischen Standesgenossen mit dem leopoldinischen Mythos. – Zum Verhältnis der Mailänder Eliten zum Reformstaat vgl. Christoph Dipper: Die Mailänder Aufklärung und der Reformstaat. Ein Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über das Verhältnis der politischen Theorie zum administrativen Handeln, in: Jung / Kroll (2014), S. 15–36.

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C. Publizistik

Mythos, unter bewusstem Verschweigen der damaligen Konflikte, Politik machen zu können, hielt sich Leopold II. an die Warnungen seines Großvaters vor einer zu engen Zusammenarbeit mit dem toskanischen Patriziat.145 Trotz der Enttäuschung der toskanischen Moderati, setzte der Großherzog allerdings auch nach dem Verbot der Antologia weiterhin auf ihre Unterstützung und ging erst nach der Revolution 1848/49 dazu über, das Patriziat gezielt zu entmachten.146 2. Cottas Morgenblatt und Schorns Kunstblatt Wie in seiner neuen Heimat Toskana beteiligte sich R ­ eumont auch im deutschsprachigen Raum an einem Zeitschriftenprojekt, das es sich zum Ziel setzte, der nationalen Einigung vorzuarbeiten: Johann Friedrich Cottas Morgenblatt für gebildete Stände.147 Dieses sollte parallel zu Cottas politischem Tagblatt, der Augsburger Allgemeinen Zeitung eine reine Kulturzeitung sein.148 Die nationale Einigung sollte auch hier nicht durch offen politische Artikel vorbereitet werden, sondern, genau wie es auch Vieusseux in der Toskana betrieb, durch die Pflege und Förderung der gemeinsamen Kultur und Geschichte. Während erst 1833 R ­ eumonts erster Artikel für die Augsburger Allgemeine Zeitung veröffentlicht wurde, steuerte er bereits 1830 Beiträge zum Morgenblatt bei. Den besonderen Schwerpunkt bildete dabei das separat erscheinende Kunstblatt, die erste moderne große Kunstzeitschrift in Deutschland.149 ­Reumont trat damit nicht nur in die Fußstapfen Carl Friedrich Rumohrs, der zuvor als Mittler zwischen der Antologia bzw. der Toskana und dem Kunstblatt fungiert hatte,150 sondern reüssierte zugleich in einer damals führenden Zeitschrift: Das Morgenblatt selbst hatte zwar lediglich eine Auflage von 2000 Exemplaren, allerdings erreichte es über diverse Lesekabinette nach Guntram Zürn wohl etwa 15000 Leser.151 Das separat erscheinende Kunstblatt hatte im Jahre 1830 1750 Empfänger.152 Trotz zeitweiliger Konkurrenz durch Franz Kuglers in Berlin 145 Vgl. Maurizio Degl’Innocenti: Pietro Leopoldo e la società toscana, in: Baldacci (2000), S. 99–118, hier S. 102. 146 Vgl. Chiavistelli (2006), S. 95–117. 147 Vgl. Dietrich Kerlen: Cotta und das „Morgenblatt“, in: Christoph Jamme / Otto Pöggeler (Hrsg.): „O Fürstin der Heimath! Glükliches Stutgard“. Politik, Kultur und Gesellschaft im deutschen Südwesten um 1800 (Deutscher Idealismus. Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien 15), Stuttgart 1988, S. 353–381, hier S. 356. 148 Vgl. Ebenda, S. 357–358. 149 Inge Dahm: Das „Schornsche“ Kunstblatt. 1816–1849, Diss. München 1953, S. 1; Henrik Karge: Das Kunstblatt Ludwig Schorns als Forum der frühen deutschen Kunstgeschichtsschreibung, in: Christian Drude / Hubertus Kohle (Hrsg.): 200 Jahre Kunstgeschichte in München. Positionen – Perspektiven – Polemik. 1780–1980, München / Berlin 2003, S. 44–56, hier S. 44–45. 150 Vgl. Kapitel C. Publizistik, S. 218–219; Bossi (2010), S. 176–177. 151 Guntram Zürn: Reisebeschreibungen Italiens und Frankreichs im Morgenblatt für gebildete Stände (1830–1850) (Europäische Hochschulschriften 18; 119), Frankfurt a. M. (u. a.) 2008 [zugl. Diss. Stuttgart 2007], S. 60–61. 152 Vgl. Karge (2003), S. 45.

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erscheinendes Museum. Blätter für bildende Kunst (erschienen 1833–1837) war das Kunstblatt die in ganz Deutschland anerkannte führende Kunstzeitschrift.153 Damit erreichte ­Reumont das größtmögliche kunstinteressierte Publikum im deutschen Raum und dürfte das Italienbild der deutschen Eliten an der Seite führender Persönlichkeiten der kunsthistorischen Forschung wie eben Rumohr, Ludwig Schorn, Johannes Gaye und Ernst Förster geprägt haben.154 Die für diese anspruchsvolle Mit­ eumont bereits kurze Zeit nach seiner Ankunft arbeit notwendigen Kontakte hatte R in Florenz knüpfen können. Im Jahre 1831 schloss er Freundschaft mit Johannes Gaye, der zu der Zeit Studien zur mittelalterlichen Kunst Italiens betrieb und die ersten Teilergebnisse davon im Kunstblatt veröffentlichte.155 Anschließend war er von 1834–1838 in die Toskana zurückgekehrt, um das dortige reiche Archivmaterial zur italienischen Kunst des Mittelalters zu studieren.156 Bei seinen Recherchen folgte er der Idee Rumohrs einer überblicksartigen italienischen Kunstgeschichte, welche die auf Vergleichen und Beobachtungen der bekannten Kunstwerke beruhenden Urteile mit einer intensiven historisch-kritischen Untersuchung der verfügbaren archivalischen Überlieferung verbinden sollte.157 Mit diesem ehrgeizigen Projekt hätte er wahrscheinlich neue Maßstäbe gesetzt, wenn er nicht schon 1840 verstorben wäre.158 Von seinem dreibändigen Carteggio inedito d’Artisti159, einer Sammlung von Künstlerbriefen, konnten nur die ersten beiden Bände vor seinem Tod erscheinen, den Schlussband führte R ­ eumont zusammen mit dem verantwortlichen florentinischen Verleger Giuseppe Molini anhand von Gayes Aufzeichnun­ eumont bereits den ersten Band, als er sich noch im gen zu Ende.160 Zuvor hatte R Druck befand, wohlwollend in den von Brockhaus herausgegebenen Blättern für literarische Unterhaltung besprochen.161 Die Freundschaft zu Gaye, die Anteilnahme an dessen Arbeiten und nicht zuletzt dessen Arbeitsweise führten ­Reumont in die Avantgarde der KunstgeschichtsForschung ein. Denn die Kunsthistoriker in Italien waren ihren Kollegen nördlich der Alpen hinsichtlich der Einbindung von Archivstudien deutlich voraus, so dass die Forschungsberichte aus italienischen Archiven der deutschen Kunstgeschichte 153

Ebenda. Vgl. auch Zürn (2008), S. 60–61. 155 Alfred von R ­ eumont: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878, S. 209–230, hier S. 212; vgl. auch Ders.: Nekrolog. Dr. Gaye, Kunstblatt 21 (1840), Nr. 81, S. 337–339. 156 Vgl. Alfred von ­Reumont: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878, S. 209–230, hier, S. 215–216. 157 Vgl. Alexander Auf der Heyde: Una storia dell’arte italiana a più mani? Dibattiti e forme di dissertazione storico-artistica sul „Kunstblatt“ (Rumohr, Förster, Gaye e qualche anticipazione su Selvatico), Annali di critica d’arte 2 (2006), 425–451, hier S. 443; Karin Hellwig: Von der Vita zur Künstlerbiographie, Berlin 2005, S. 60–61. 158 Vgl. Dahm (1953), S. 43; Wilhelm Schmidt: Gaye, Johann, ADB 8 (1878), S. 446–447. 159 Johannes Gaye: Carteggio inedito d’artisti dei secoli XIV, XV, XVI, Florenz 1839. 160 Alfred von R ­ eumont: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878, S. 216–228. 161 Vgl. ebenda, S. 222. 154

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C. Publizistik

auch wichtige methodische Impulse liefern konnten.162 Und tatsächlich wirkte sich der Austausch mit Gaye auch auf R ­ eumonts eigene frühe Schaffenszeit aus: Zum Einen informierte er die Leser der Antologia über die positive Aufnahme von Luigi Lanzis auf Grundlage quellenkundlicher und kennerschaftlicher Systementwürfe verfasste Geschichte der Malerei in Italien163 in Deutschland und hob ihren besonderen Wert für die Forschung hervor, für die eine Gesamtübersicht über die Kunstgeschichte noch bis zu den Überblicksdarstellungen Franz Kuglers und Carl Schnaases in den 1840er Jahren164 ein Desiderat darstellte.165 Zum anderen widmete er sich Vasaris Künstlerviten und veröffentlichte 1835 eine Künstlerbiographie zu Andrea del Sarto166, über den er schon in seinem ersten Beitrag für die Antologia und 1832 einen Artikel für das Kunstblatt verfasst hatte.167 Damit orientierte er sich von Beginn an an der innerhalb der Kunstgeschichtsforschung aufkommenden Quellenkritik, der er damit zuarbeitete. Für seinen Andrea del Sarto griff er neben Vasari und den Studien Rumohrs auch auf die von ihm in der Antologia rezensierte Arbeit Luigi Biadis über die unedierten Schriften zu del Sarto zurück und versuchte die darin enthaltenen Quellen kritisch zu untersuchen.168 Gleichzeitig las Gaye ­Reumonts Tavole cronologiche e sincrone della storia fiorenina169, die noch heute für eine Übersicht über die florentinische Geschichte von Nutzen sind, Korrektur – was sich freilich anbot, da ­Reumont für sein Werk ohnehin an wichtigen Stellen auf die Arbeiten Gayes zurückgegriffen hat.170 ­Reumont kam dabei zugute, dass sich das Kunstblatt unter der Redaktion Ludwig Schorns mehr und mehr von der Schwerpunktsetzung auf antike Kunst hin zur Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit bewegte.171 Seit den 1830er Jahren 162

Vgl. dazu Dahm (1953), S. 44. Regine Prange: Die Geburt der Kunstgeschichte. Philosophische Ästhetik und empirische Wissenschaft, Köln 2004, S. 108. 164 Franz Kugler: Handbuch der Kunstgeschichte, Stuttgart 1842; Carl Schnaase: Geschichte der bildenden Künste, 7 Bde., Düsseldorf 1843–1864; 2. Aufl.: 7 Bde., Stuttgart 1866–1876; Bd. 8, Stuttgart 1879; vgl. Henrik Karge: Franz Kugler und Karl Schnaase – zwei Projekte zur Etablierung der „Allgemeinen Kunstgeschichte“, in: Michel Espagne / Bénédicte Savoy / Céline Trautmann-Waller (Hrsg.): Franz Theodor Kugler. Deutscher Kunsthistoriker und Berliner Dichter, Berlin 2010, S. 83–104. 165 Vgl. Kapitel C. I. 1. Reumonts erste Versuche in der Antologia, S. 231; Alfred ­Reumont: Versione tedesca della Storia pittorica dell’Italia. Geschichte der Malerei in Italien etc. (Storia pittorica dell’Italia di L. Lanzi, tradotta in tedesco e pubblicata colle note di G. G. di Quandt da Adolfo Wagner.), Antologia 42, Mai 1831, S. 162–163; zur Bewertung von Lanzis Arbeit vgl. auch Hellwig (2005), S. 60–61. 166 Alfred ­Reumont: Andrea del Sarto, Leipzig 1835. 167 Alfred ­Reumont: Notizie inedite della Vita d’Andrea del Sarto, raccolte da Luigi Biadi, Antologia 40 (1830), S. 198–202; Alfred ­Reumont: Die Fresken des Andrea del Sarto zu Florenz, Kunstblatt Nr. 12, 9. Februar 1832. 168 Alfred ­Reumont: Andrea del Sarto, Leipzig 1835, S. VIII–IX. 169 Ders.: Tavole cronologiche e sincrone della storia fiorenina, Florenz 1841. 170 BNCF Vieuss. C. V. 88,35, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 16. November 1839; ebenda, 53, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 9. Mai 1840. 171 Vgl. Dahm (1953), S. 8–51; Karge (2003), S. 44–47. 163

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lag der Schwerpunkt schließlich auf der Kunst des Mittelalters und der Renaissance, wobei die italienische Kunst noch deutlich hinter der Beschäftigung mit der gotischen Architektur in Deutschland zurückstand.172 Schorn selbst widmete sich jedoch intensiv der italienischen Kunstgeschichte. Er hatte das von Johann Dominicus Fiorillo, dem Wegbereiter der positivistischen Forschung und Quellenkritik in der Kunstgeschichte,173 und Rumohr zunächst in Angriff genommene und anschließend wieder verworfene Projekt einer deutschen Edition der Künstlerviten Vasaris wieder aufgenommen, nachdem Rumohr ihm seine Dokumentation für das Projekt zur Verfügung gestellt hatte.174 Dafür galt es jedoch zunächst ein entsprechendes Korrespondentennetz in Italien aufzubauen, um die notwendigen Recherchen in den dortigen Archiven durchführen zu können. Deswegen versuchte Schorn die italienerfahrenen Ernst Förster, Johannes Gaye und Alfred ­Reumont für sein Projekt ­ eumont große Begeisterung für das Projekt zeigte, auf zu gewinnen.175 Obwohl R das er auch in der Antologia voller Erwartungen aufmerksam machte,176 hinderte ihn zunächst die diplomatische Mission ins Osmanische Reich177 daran, sich ak­ eumont in der Folge tiv an der Feldforschung zu beteiligen.178 Trotzdem gehörte R zu den wenigen festen Italienkorrespondenten des Kunstblattes. Während er sich als Rom-Korrespondent in die Gruppe der Mitarbeiter im Umfeld des Instituto di corrispondenza archeologica, wie Eduard Gerhard, Emil Braun oder Heinrich Abeken einreihte, war er neben Gaye der einzige Korrespondent aus Florenz.179 Dass er als solcher in regem Austausch mit Schorn über dessen Vasari-Projekt stand, von dem er für seine eigene Arbeit über Andrea del Sarto profitieren konnte, und auch seinen florentinischen Kontakten – allen voran Vieusseux – von den Fortschritten berichtete, ist deswegen kaum überraschend.180 Der in der Toskana bestens vernetzte ­Reumont, der zum Mitarbeiterkreis führender Zeitschriften stand, zunächst der Antologia und später dem Archivio Storico Italiano, konnte Schorn sowohl für dessen Vasari-Projekt als auch für den im Kunstblatt vorgesehenen Überblick über das internationale Kunstschaffen unverzichtbare Dienste erweisen.181 Beim Aufspüren interessanter italienischer Publikationen, seien es Monographien oder Zeitschriftenartikel, stützte sich ­Reumont vor allem auf die Hilfe Vieusseux’. Hielt er sich selbst in Florenz auf, so bot das Lesekabinett und der umfassende Überblick des Verlegers die notwendige Hilfe für R ­ eumonts Korrespondentenberichte, konnte 172

Vgl. Karge (2003), S. 50. Prange (2004), S. 107–108. 174 Vgl. Auf der Heyde (2006), S. 427. 175 Vgl. ebenda, S. 429–430; Dilk (2000), S. 40–41. 176 Vgl. Kapitel C. I. 1. Reumonts erste Versuche in der Antologia, S. 231; Alfred ­Reumont: Versione tedesca della Storia pittorica dell’Italia. Geschichte der Malerei in Italien etc. (Storia pittorica dell’Italia di L. Lanzi, tradotta in tedesco e pubblicata colle note di G. G. di Quandt da Adolfo Wagner.), Antologia 42, Mai 1831, S. 162–163, hier S. 163. 177 Vgl. Kapitel B. I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz, S. 48–49. 178 Vgl. Auf der Heyde (2006), S. 430. 179 Vgl. Dahm (1953), S. 38. 180 Vgl. etwa BNCF Vieuss. C. V. 88,20, R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 28. Oktober 1835. 181 Vgl. Dahm (1953), S. 73. 173

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C. Publizistik

er nicht selbst in Florenz recherchieren, beschaffte ihm Vieusseux oftmals die wichtigsten Informationen auf dem Postwege, so dass R ­ eumont auch auf Reisen seine Korrespondententätigkeit fortführen konnte.182 Während also ­Reumonts gute Kontakte innerhalb der Toskana ihn für Schorn und das Kunstblatt zu einem Schlüsselmitarbeiter machten, galt gleiches für die Zeitschriftenprojekte Vieusseux’, für die er regelmäßig über die Fortschritte der deutschen Forschungen berichten konnte, über die er – nicht zuletzt durch das Kunstblatt und dessen Mitarbeiter – sehr gut informiert war. Im Umfeld Schorns und des Kunstblattes lernte ­Reumont auch den dritten herausragenden Italienkorrespondenten der Kunstzeitschrift kennen: Ernst Förster. Dieser sollte nach dem Tod Schorns 1842 nicht nur dessen Vasari-Übersetzung fortführen,183 sondern sich außerdem, zusammen mit Franz Kugler und Carl Grüneisen, die Redaktion des Kunstblattes teilen.184 Bevor er von Schorn für das Kunstblatt und sein Vasari-Projekt angeworben wurde, hatte der Maler bereits mehrere längere Reisen nach Italien unternommen. Seine Erfahrungen sollte er nicht nur im Kunstblatt veröffentlichen, sondern zudem in seinem Handbuch für Reisende in Italien185 für den Bildungsreisenden aufbereiten, welches rasch den Stellenwert eines Standardwerkes erhalten und von 1840 bis 1863 in sieben Auflagen erscheinen sollte.186 Als er im Dezember 1832 im Auftrag des Kronprinzen Maximilian von Bayern unter Koordinierung Schorns eine lange Reise nach Florenz unternahm, um wichtige Monumente mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kunst für den akademischen Unterricht abzuzeichnen, war ­Reumont soeben zu seiner diplomatischen Mission ins Osmanische Reich abgereist und schied somit als Kontaktperson aus, sodass Schorn Förster ein Empfehlungsschreiben an Giovanni Battista Niccolini, einem Bekannten ­Reumonts und Mitglied des Lesekabinetts Vieusseux’ ­ eumont und Förster mitgegeben hatte.187 Wann und bei welcher Gelegenheit sich R persönlich kennengelernt haben, ist aus den Quellen nicht ersichtlich. Die wohlwollenden Rezensionen, die die beiden sich seit Mitte der 1830er Jahre im Kunstblatt gegenseitig schrieben, deuten jedenfalls darauf hin, dass sie sich zu dem Zeitpunkt bereits kannten.188 182

Vgl. beispielsweise BNCF Vieuss. C. V. 88,21, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 13. Februar 1836 ; 200, Berlin, 13. Januar 1845; 201, Berlin, 10. März 1845. 183 Vgl. Karge (2003), S. 47. 184 Vgl. Dahm (1953), S. 54–64; Leonore Koschnik: Kugler als Chronist der Kunst und preußischer Kulturpolitiker, in: Espagne / Savoy / Trautmann-Waller (2010), S. 1–14, hier S. 5–7. 185 Ernst Förster: Handbuch für Reisende in Italien, München 1840. 186 Vgl. Auf der Heyde (2006), S. 431–432; Förster hatte seine ersten Reiseempfehlungen für Künstler 1830 unter dem Titel Beiträge zu verbereitenden Studien für Künstler, welche in Italien reisen im Kunstblatt veröffentlicht: Kunstblatt, Nr. 16, 25. Februar 1830, S. 61–64; Nr. 17, 2. März 1830, S. 65–67; Nr. 18, 4. März 1830, S. 69–70; Nr. 19, 9. März 1830, S. 73–76. 187 Vgl. Auf der Heyde (2006), S. 432–433. 188 Vgl. etwa ­Reumonts Rezension zu Försters Beiträge zur neueren Kunstgeschichte, Leipzig 1835, Kunstblatt, Nr. 6, 21. Januar 1836, S. 21–23; Nr. 7, 22. Januar 1836, S. 27–28; oder Försters Rezension zu ­Reumonts Andrea del Sarto, Leipzig 1835, Kunstblatt, Nr. 8, 28. Januar 1836, S. 29–30; Nr. 9, 29. Januar 1836, S. 34–36.

I. Kunst- und Kulturberichte 

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Mit Gaye, Schorn und Förster stand R ­ eumont damit in regelmäßigem Kontakt mit führenden Verfechtern der Künstlerbiographik. Nachdem bereits Gaye ­Reumont schon frühzeitig für die Bedeutung der schriftlichen Quellen sowie Künstler- und Kunstkorrespondenzen für die Kunstgeschichte sensibilisiert hatte, förder­ eumont in seinen Studien zu Andrea del Sarto. Während ten Schorn und Förster R sie selbst, zunächst Schorn und im Anschluss daran Förster selbst, an der deutschen Übersetzung Vasaris arbeiteten, ermutigten sie R ­ eumont, aus seinen Studien zu Andrea del Sarto eine Biographie zu verfassen und damit einen wichtigen Beitrag zur zwischen 1820 und 1840 als zukunftsweisend geltenden Methodik der Künstlerbiographie zu leisten.189 Die besondere Aufmerksamkeit, die man seinerzeit in der Fachwelt diesem Genre widmete, wird allein darin deutlich, dass ­Reumonts Andrea del Sarto nach seinem Erscheinen gleich dreimal besprochen wurde.190 Mit seiner ersten großen Monographie wählte er also gleich eine moderne, jedoch noch in den Kinderschuhen steckende Herangehensweise der kunsthistorischen Forschung, die in jenen Jahren erst schrittweise weiterentwickelt wurde.191 Dabei galt es von deutscher Seite, den schmerzlich empfundenen Rückstand gegenüber Italien, Frankreich oder den Niederlanden aufzuholen, wo die Künstler-Monographie schon wesentlich weiter entwickelt war.192 Vor diesem Hintergrund war allein die Tatsache, dass sich ­Reumont diesem Genre zuwandte und einen ersten umfassenden biographischen Versuch über den damals wenig bekannten Andrea del Sarto verfasste, ein wichtiger Beitrag zur damaligen Kunstgeschichtsforschung.193 Mit entsprechender Nachsicht sprachen die Rezensenten denn auch die Mängel ­ eumont durch seinen ­Reumonts erster umfassender Monographie an. Obwohl R 1833 im Kunstblatt erschienenen Beitrag zum Leben Michelangelos, der 1835 auch als separater Band bei Cotta erschienen war,194 erste Gehversuche auf diesem Gebiet unternommen hatte, ignorierte er zwei wichtige Anforderungen an eine Biographie mit wissenschaftlichem Anspruch. Einerseits verzichtete er auf ausführliche Quellennachweise und versäumte es so, seine Ausführungen für den Leser nachprüfbar zu machen und ihnen dadurch wissenschaftliche Autorität zu verleihen, wie es damals bereits erwartet wurde,195 andererseits unterließ er es, seine Monographie thematisch zu untergliedern – und das, obwohl es eigentlich schon seit dem

189 Karin Hellwig: Ernst Förster und die Künstlerbiographik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Drude / Kohle (2003), S. 68–81, hier S. 72–74. 190 Vgl. ebenda, S. 72; Ernst Förster, in: Kunstblatt, Nr. 8, 28. Januar 1836, S. 29–30; Nr. 9, 29. Januar 1836, S. 34–36; Franz Kugler, in: Museum 4 (1836), Nr. 27, S. 209–212; Ernst ­August Hagen, in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik (1836), Nr. 1, Sp. 1–8, Nr. 2, Sp. 9–13. 191 Vgl. Hellwig (2003), S. 74–76. 192 Vgl. Dies. (2005), S. 64. 193 Vgl. ebenda, S. 72. 194 Vgl. ebenda, S. 73. 195 Vgl. die Rezension Försters, Kunstblatt 17 (1836), Nr. 9, 34–36, hier S. 36: „… so hätte er dem Leser die Documente, mit deren Hülfe ihm die Berichtigungen gelungen, freigiebiger in die Hand geben sollen, als er es wirklich gethan, um diesen ihren Wert der Authentizität zu sichern.“; dazu Hellwig (2005), S. 122–123.

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18. Jahrhundert in diesem Genre üblich war, die Viten thematisch zu unterteilen.196 Doch trotz der offensichtlichen Mängel, die auch von den Rezensenten angesprochen wurden, erhielt ­Reumonts Arbeit eine insgesamt positive Kritik, da er neben der Tatsache, dass er sich einen wenig bekannten Künstler ausgesucht hatte und dafür Quellen und Informationen heranzog, die in Deutschland teilweise unbekannt waren, einige durchaus innovative Elemente eingebaut hatte. Mit dem „Versuch einer chronologischen Übersicht“ der Werke Andrea del Sartos wurde R ­ eumont den Anforderungen, die an die neuesten wissenschaftlichen Arbeiten auf diesem Gebiet gestellt wurden an einer wichtigen Stelle gerecht: Obgleich ­Reumont selbst einräumte, dass die Chronologie möglicherweise in Teilen Lücken und Fehler aufweisen könnte, hob er sich durch den Versuch einer vollständigen, chronologischen Auflistung aller bekannten Werke von den übrigen zeitgenössischen Autoren wie Georg Christian Braun oder Johann David Passavant ab, die nur unvollständige, ausschließlich die bekannten, als repräsentativ geltende Werke beinhaltende Auflistungen bieten konnten, während viele Autoren noch ganz auf eine chronologische Ordnung verzichteten.197 Diese an sich schon innovative und von den Rezensenten entsprechend gewürdigte Vorgehensweise,198 erlaubte es ­Reumont, einen weiteren Schritt zu vollziehen, der eigentlich erst in den 1860er Jahren üblich werden sollte. Die Erstellung einer Werkschronologie ermöglichte eine Auflösung der bis dahin geläufigen Trennung zwischen Leben und Oeuvre des Künstlers. R ­ eumont integrierte die Abschnitte über die einzelnen Werke in die Lebensbeschreibung des Künstlers und vermied dadurch die von Ernst Förster bei Passavant bemängelten Wiederholungen zwischen dem Kapitel zum Leben und demjenigen zum Werk.199 In dieser Hinsicht kam ­Reumonts Andrea del Sarto bis in die 1860er Jahre hinein eine Vorreiterrolle zu, als die „Leben-Werk“-Biographie, welche die Interdependenzen zwischen Leben, Zeitumständen und Werk des Künstlers berücksichtigte, zum literarischen Standard wurde.200 Das Fehlen einer thematischen Aufgliederung des Stoffes zeigt insoweit noch die Orientierungslosigkeit auf dem neuen Terrain. Der Anfang war indes gemacht, so dass man sich in der Folge mit der Frage einer sinnvollen Gliederung und Weiterentwicklung der Künstler-Werk-Biographie auseinandersetzen konnte. Der innovative Versuch, den ­Reumont mit seinem Andrea del Sarto geliefert hatte wurde denn auch zum Teil überschwänglich von den Rezensenten aufgenommen. So zählte Ernst August Hagen ihn sogar zu den „würdigsten Vertretern

196

Vgl. Hellwig (2005), S. 123–124. Vgl. ebenda, S. 130–132; Georg Christian Braun: Raphael Sanzio’s von Urbino Leben und Werke, Wiesbaden 1815 (2. Aufl. 1819), S. 75–76; Johann David Passavant: Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi, 3 Bde., und ein Atlas, Leipzig 1839–1858, Bd. 1, S. XXII. 198 So in der Rezension Försters, Kunstblatt 17 (1836), Nr. 9, 34–36, hier S. 36: „Sehr erfreulich ist die am Schluß des Werkes gegebene Uebersicht sämmtlicher bekannter Arbeiten Andrea’s nach der Zeitfolge.“; Hellwig (2005), S. 130. 199 Vgl. dazu Hellwig (2005), S. 152–158. 200 Vgl. ebenda. S. 125–166. 197

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der Kunst­geschichte“201. Als Teil jener Gruppe, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl durch eigene Arbeiten als auch durch Rezensionen um die Entwicklung der Künstlerbiographik verdient gemacht hatte und über eine ausgeprägte Kenntnis der italienischen Archivsituation verfügte, war ­Reumont später, als die Künstlerbiographie sich seit den 1860er Jahren als literarische Großform durchgesetzt hatte,202 ein gefragter Ratgeber. Der Austausch mit den Mitarbeitern des Kunstblattes gab ihm nicht nur wichtige Impulse für deren Gestaltung nach den neuesten wissenschaftlichen Anforderungen, sondern verschaffte ihm auch nützliche Kontakte, die durch wohlwollende Rezensionen ­Reumonts Arbeiten eine gute Aufnahme unter den Gelehrten verschafften. Mit Hagen und Förster stand er nämlich gleich zu zwei der drei Rezensenten seines Andrea del Sarto in Kontakt, die beide Mitarbeiter des Kunstblattes waren. Insofern kann ­Reumonts Mitarbeit an Schorns Kunstblatt tatsächlich als „Sprungbrett“ in die deutsche Wissenschaft gesehen werden, da es zunächst über die führende deutsche Kunstzeitschrift war, über die er als Italienexperte in das öffentliche Bewusstsein der gebildeten Eliten gelangt war. Die Folge war, dass seit den 1860er Jahren einige der führenden Autoren von Künstlerbiographien anlässlich ihrer Projekte Kontakt zu ihm aufnahmen, um von seinen Erfahrungen, Ratschlägen und Kontakten zu profitieren, so Anton Springer203 oder Herman Grimm204. Obwohl ­Reumont zu der Zeit keine Künstlerbiographien mehr schrieb, sondern sich vor allem auf historische Arbeiten, darunter auch Biographien von Zeitgenossen und historischen Persönlichkeiten, konzentrierte, war er in den Auseinandersetzungen über die Bedeutung der Künstlerbiographik für die Wissenschaft auch weiterhin präsent. Er blieb ein Verfechter der biographischen Darstellung, da diese zu einem besseren Verständnis der jeweiligen Zeit, der politischen, wie der sozialen und kulturellen Geschichte beitragen konnte und nicht zuletzt die Möglichkeit bot, anhand der Beispiele herausragender Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsbereichen in positiver wie in negativer Hinsicht Rückschlüsse auf zeitgenössische Fragen ziehen zu können.205 In diesem Kontext nahm er den von Vertretern wie Karl Schnaase, Franz Kugler und vor allem Jacob Burckhardt scheinbar gegen die Biographik gerichteten kulturgeschicht 201

Ernst August Hagen, in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik (1836), Nr. 1, Sp. 1–8, hier Sp. 1. 202 Vgl. Hellwig (2003), S. 76. 203 Anton Springer: Raffael und Michelangelo, Leipzig 1878; NL R ­ eumont, S 1066, Springer an ­Reumont, 7 Briefe, 1875–1883. 204 Herman Grimm: Leben Michelangelos, Hannover 1860–63; ders.: Leben Raphaels, Berlin 1872, NL ­Reumont, S 1061, Grimm an ­Reumont, 8 Briefe, 1860–1874. 205 Vgl. ­Reumonts zahlreiche biographische Arbeiten über Zeitgenossen, wie u. a. Cesare Balbo: Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken, 2 Bde., Berlin 1862; Ders.: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878; Ders.: Charakterbilder aus der neueren Geschichte Italiens, Leipzig 1886, oder historische Persönlichkeiten wie etwa Vittoria Colonna (vgl. das gleichnamige Kapitel), aus denen R ­ eumont Lehren für die gegenwärtige Politik zog.

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lichen Ansatz, nach dem über Stilgeschichte, Formanalyse und historische Kritik ein Überblick über die großen Entwicklungslinien von Kunst und Kultur gegeben werden sollte, für seine eigenen Arbeiten dankbar auf, um die behandelten Persönlichkeiten in das jeweilige historische, soziale und kulturelle Umfeld einzuordnen. Die breiteren methodischen Möglichkeiten, die zahlreiche Überblickswerke boten, betrachtete er – ganz im Gegensatz zu Burckhardt – als Chance, das biographische Genre weiterzuentwickeln, indem beides miteinander kombiniert wurde, und nicht etwa als Todesstoß für die Biographik, wie es eben Burckardt sah.206 Dieser glaubte, man müsse die Personen vollkommen ausblenden und sich ausschließlich auf die Werke konzentrieren.207 ­Reumont stand in seiner Einschätzung der Biographie dagegen zwischen Anton Springer, der eine wissenschaftliche, auf historischkritischer Herangehensweise beruhende biographische Methodik als notwendig erachtete und Herman Grimm, der die Künstlerbiographie lediglich als literarische Gattung betrachtete.208 Dabei richtete er sich jedoch in seinen Rezensionen in aller Schärfe gegen Kunsthistoriker wie Burckhard und Kugler, die der Biographik ihre Daseinsberechtigung als wissenschaftliche Methode absprachen.209 Für ­Reumont bot die Anwerbung durch Schorn für das Kunstblatt eine hervorragende Ausgangsbasis, um sich innerhalb der deutschen Eliten einen Namen als Kunst-, Kultur- und Italienkenner zu machen. Schließlich hatte die führende deutsche Kunstzeitschrift auch andere, vor ihrer Mitarbeit vollkommen Unbekannte, wie unter anderem auch Gaye, einem breiten Publikum bekannt gemacht.210 In Kombination mit seiner Mitarbeit an der Antologia sowie seinen ausgesprochen guten Kontakten in die Toskana, konnte er schon zu Beginn seiner Tätigkeit als Bindeglied sowohl zwischen beiden Zeitschriften als auch zwischen den jeweils mit ihnen verbundenen Gelehrtenwelten fungieren. Sodann berichtete er in der Antologia über die Fortschritte der deutschen Wissenschaft und der Rezeption der italienischen Arbeiten sowie über die neuesten Projekte,211 während er aus Italien neben Informationen über Neuerscheinungen auch intensiv über neu entdeckte Kunstwerke und Urkunden berichtete, zu denen er durch seine bereits zahlreichen Kontakte in Italien

206

Vgl. Hellwig (2005), S. 160–162 u. 166–167. Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen. Gesammelte Werke, Bd. 7, Berlin / Leipzig 1929, S. 169: „Das jetzige Ausmalen von Dichter- und Künstlerleben hat eine sehr ungesunde Quelle, besser, man begnüge sich mit den Werken.“; Hellwig (2005), S. 167. 208 Vgl. Ebenda, S. 168–172; vgl. auch Hubert Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750–1950, München 2001 [zugl. Diss. Basel 1999], S. 240–242. 209 Jacob Burkhardt: Briefe, hrsg. v. Max Burckhardt, 10 Bde., 1949–1994, Bd. 3, Basel 1955, Nr. 202: Burckhardt an Andreas Heuser-Ryhiner, Berlin, 9. Juli 1847, S. 76–80, hier S. 77. Vgl. auch ­Reumonts Rezensionen: Neue Preußische Zeitung 185–186 (1847); Archivio Storico Italiano 2 (N.S) (1856), S. 256–271. 210 Vgl. Dahm (1953), S. 73. 211 So etwa über die deutsche Übersetzung von Lanzis Geschichte der Malerei und Schorns Vasari-Edition: Alfred ­Reumont: Versione tedesca della Storia pittorica dell’Italia. Geschichte der Malerei in Italien etc. (Storia pittorica dell’Italia di L. Lanzi, tradotta in tedesco e pubblicata colle note di G. G. di Quandt da Adolfo Wagner.), Antologia 42, Mai 1831, S. 162–163. 207

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Zugang hatte.212 Auch nach dem Tode Schorns im Jahre 1842, stand R ­ eumont mit Ernst Förster in engem Kontakt zur Redaktion des Kunstblattes und galt als wichtiger Mitarbeiter für italienische Themen. Parallel dazu berichtete er im Morgenblatt über italienische Literatur, den dortigen Buchhandel,213 Land und Leute,214 und lieferte Beschreibungen von bemerkenswerten Ereignissen215. Durch die Orientierung an den Interessen und der Neugier des deutschen Lesers, wurde diese Form der ge­ eumont zu einem einträglichen Geschäft. Die bildeten Reiseberichterstattung für R politischen und gesellschaftlichen Probleme erwähnte er dabei nur beiläufig, da er die Toskana grundsätzlich auf einem guten Weg sah und er das in der europäischen Öffentlichkeit verbreitete Bild eines italienischen Musterstaates216 nicht zu konterkarieren beabsichtigte. Trotzdem nannte er einige zentrale politische Probleme auch in seinen Artikeln für das Morgenblatt beim Namen. In seinem Bericht über das Florentiner Gesellschaftsleben stellte er fest, dass sich die adligen Florentiner kaum an den exklusiven, nur dem internationalen Adel, staatlichen Amtsträgern und Diplomaten vorbehaltenen Bällen im Casino dei Nobili zu Pisa beteiligten, da sie oft über ein zu geringes Einkommen verfügten, der Staatsdienst kaum Aussicht auf eine Karriere bot und sie so allein auf die Verwaltung ihrer Güter beschränkt waren.217 Hinzu komme das vollständige Fehlen einer politischen Öffentlichkeit, in der wichtige Fragen öffentlich diskutiert werden konnten.218 Auch wenn R ­ eumont diese Kritik nur beiläufig erwähnte, was sicherlich auch mit der Zensur zusammenhing, hat er die Schwächen der Politik Leopolds II. bei aller persönlicher Wertschätzung erkannt und dem deutschsprachigen Leser vor Augen geführt. Das Fehlen einer politischen Öffentlichkeit betraf ihn als Beiträger zur 1833 verbotenen Antologia ganz persönlich, die es sich doch zur Aufgabe gemacht hatte, ein öffentliches Diskussionsforum zu schaffen und dabei letztlich an der Furcht der habsburgischen Behörden vor einer Politisierung der Untertanen scheiterte.219 Die Unterdrückung einer politischen Öffentlichkeit, verbunden mit der geringen Aussicht auf eine vielversprechende Karriere im Staatsdienst für die lokalen Eliten, trug 212 So beispielsweise über eine Freskenaufdeckung in Florenz: Kunstblatt 21 (1840), Nr. 103, Aus Florenz; oder seine Nachrichten über neu aufgetauchte Urkunden: Kunstblatt 26 (1845), Nr. 54, 56–59: Italienische Kunstgeschichte; Kunstblatt 28 (1847), Nr. 26–28, 46: Italienische Kunstgeschichte. 213 Der italienische Buchhandel, Morgenlatt für gebildete Stände 32,2 (1838), Nr. 272–273. 214 Die Johannesfeste in Florenz, Morgenlatt für gebildete Stände 24,2 (1830), Nr. 218–219; Briefe über das Casentino, Morgenlatt für gebildete Stände 25,2 (1831), Nr. 201–208; Florentiner Gesellschaftsleben, Morgenlatt für gebildete Stände 33,1 (1839), Nr. 54–58; Das Mariä Himmelfahrtsfest zu Siena, Morgenlatt für gebildete Stände 34,2 (1840), Nr. 247–253; Sommerleben in Rom, Morgenlatt für gebildete Stände 36,2 (1842), Nr. 216–218. 215 Die Besuche bei den neuen Cardinälen, Morgenlatt für gebildete Stände 32,1 (1838), Nr. 60–61; Die Heiligsprechung, Morgenlatt für gebildete Stände 33,1 (1839), Nr. 139–140. 216 Vgl. Mascili Migliorini (2013), S. 3–9. 217 Vgl. Florentiner Gesellschaftsleben, Morgenlatt für gebildete Stände 33,1 (1839), Nr. 55, S. 219. 218 Vgl. ebenda. 219 Vgl. Chiavistelli (2006), S. 84–93 u. 149–153.

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wesentlich zur Entfremdung des Adels220 wie des Bürgertums vom Großherzog bei. Als fatal erwiesen sich dabei tatsächlich die geringen Karrierechancen, insbesondere im toskanischen Militär. Später sollte ­Reumont in seinem Gesandtenbericht feststellen, dass diese Perspektivlosigkeit den toskanischen Adel in die piemontesische Armee geführt habe und schwer an der Loyalität zum Großherzog rüttelte.221 Insofern lieferte ­Reumont bereits in seinen frühen Artikeln durchaus politische Beobachtungen, allerdings streute er diese Einschätzungen beiläufig ein, ohne den Großherzog offen zu kritisieren, geschweige denn in Frage zu stellen. Indes erwiesen sich die angesprochenen Problemfelder als ganz entscheidend für die weitere politische Entwicklung der Regentschaft Leopolds II., die 1859 nicht zuletzt wegen der von ­Reumont angesprochenen Mängel zu Ende ging. Ähnlich verhielt es sich zu jener Zeit auch mit seinen Beiträgen zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, für deren Beilage er ebenfalls Korrespondentenberichte verfasste. Mit den Revolutionen der Jahre 1848/49 wurde die Kunst- und Kulturberichterstattung nicht mehr dem Interesse der Leser gerecht, die sich in jenen turbulenten Jahren vielmehr für politische Fragen interessierten. Dies färbte entsprechend auch auf ­Reumonts Berichterstattung ab, der einerseits dem Leserinteresse entgegenzukommen hatte und andererseits auch persönlich in die Ereignisse involviert war. Deswegen verlegte er sich in jenen Jahren vorwiegend darauf, die politische Situation sowohl aus literarischer Perspektive als auch hinsichtlich des Lebens vor Ort zu beschreiben. Im Morgenblatt gab er noch kurz vor Ausbruch der Revolution einen Überblick über die italienische Literatur:222 Ungeachtet der politischen Unruhen würden Projekte wie die piemontesischen Monumenta historiae patriae, die Arbeiten Luigi Caninas über die Basiliken und Altertümer Etruriens, Carlo Troyas über die lombardischen Gesetze oder das florentinische Archivio Storico Italiano zunächst noch fortgeführt, jedoch sei davon auszugehen, dass für diese Arbeiten bald kein Platz mehr sei und sich das Interesse stattdessen vielmehr auf Arbeiten wie die Tragödie Arnaldo da Brescia von Giovan Battista Niccolini verengen werde, um sie auf die Tagespolitik anzuwenden.223 Angesichts einer zunehmend radikaleren Roman- und vor allem Zeitungspublizistik mahnte er zu Besonnenheit 220

Vgl. Kroll (1999), S. 72–73. Cataluccio (1959), Doc. 19, ­Reumont an den König, Florenz, 19. April 1855, S. 361–362, hier S. 362: „L’armée Piémontaise étant la seule en Italie qui présente la chance d’une carrière militaire, de jeunes Toscans, qui ou pour des raisons politiques ou pour d’autres causes ne voulaient pas servir en Autriche où ils sont toujours reçus, y ont de tout temps pris service, après avoir fait leurs études au Collège militaire à Turin. En ce moment il-y-a des Corsini, des Tolomei, des Baldelli, des Ricasoli et d’autres de familles nobles, ou au Collège ou à l’armée, tandisque dans les troupes toscanes le nombre des officiers appartenans à l’artistocratie est extrêmement restraint.“; vgl. Kroll (1999), S. 57. 222 Zustand und Aussichten der italienischen Literatur, Morgenlatt für gebildete Stände 42,1 (1848), Nr. 90–97. 223 Ebenda, Nr. 90, S. 358. 221

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und Mäßigung und hob die Verdienste der Moderati, namentlich Balbos, Giobertis, Mamiani della Roveres, Tommaséos, d’Azeglios und Cibrarios hervor, die durch ihre Publizistik gemäßigte politische Änderungen unter Vermeidung revolutionärer Umwälzungen erreicht hätten.224 Denn der Literatur komme gerade in den politisch unruhigen Zeiten eine große Verantwortung zu: „Die italienische Literatur bedarf noch in jeder Hinsicht der Mäßigung, denn sie ist, ohne dieselbe, mit zwei Abwegen bedroht: Intoleranz mit Selbstüberhebung ist der eine, der andere der Versuch, den Katholicismus gleichsam zu monopolisieren. Von beiden Uebelständen finden sich jetzt schon bei ausgezeichneten Schriftstellern die Spuren. Auch in diesem Falle können edle Grundmotive zu schlimmen Consequenzen führen.225

­Reumont wusste nur zu gut, dass es unpolitische literarische oder kulturelle Publikationen in einer politisch aufgeheizten Stimmung schwer haben würden, eine ausreichende Leserschaft zu finden. Während die Revolutionen in Europa wüteten, behielt er zwar seine kunstgeschichtliche Berichterstattung für das Kunstblatt bei, allerdings verlegte er sich gegenüber dem Morgenblatt verstärkt auf eine Beschreibung der politischen Zustände in Italien,226 die die Leser in jenem Moment deutlich mehr interessierten, als künstlerische Betrachtungen. Nach dem Ende der Revolutionen stelle er fest, dass die italienische Reiseliteratur früherer Zeiten nun der politischen Reiseliteratur gewichen sei – da aber beide Sorten nur sehr dilettantisch behandelt worden seien, indem ihnen nicht die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet worden sei, seien weder auf dem Gebiet der Kultur noch der Politik Erfolge zu verzeichnen.227 Wie von ­Reumont noch kurz vor Ausbruch der Revolutionen befürchtet, stellten die revolutionären Wirren insbesondere die unpolitischen kulturellen Projekte auf eine harte Probe. Nicht genug damit, dass sich viele Leser in jenen Jahren mehr für politische als kulturelle Themen interessierten: Zeitweise waren Postverbindungen unterbrochen oder unpünktlich. Zahlreiche Leser wandten sich deswegen vom überregionalen Kunstblatt ab und schenkten eher regionalen Kunstzeitschriften ihre Aufmerksamkeit, deren Lieferung gewährleistet war – mit der Folge, dass der Absatz des Kunstblattes derart sank, dass noch nicht einmal mehr die Redakteure bezahlt werden konnten und schließlich 1849 das Erscheinen eingestellt werden musste.228 224 Ebenda, Nr. 96, S. 383; Nr. 97, S. 387: „Wir dürfen nicht vergessen, daß die in Wort und That lebendig gewordene gemäßigte Gesinnung es gewesen ist, welche, seit wenigen Jahren zu wunderbarer und unverhoffter Entwicklung gelangt, jenes Gute gestiftet hat, welches, mag es wenig oder viel seyn, doch unendlich mehr ist als was frührere Jahre uns gebracht haben.“ 225 Ebenda. 226 Italienisches Leben und Zustände, Morgenlatt für gebildete Stände 42,2 (1848), Nr. 221– 248; Florenz und Rom in der Revolution, Morgenlatt für gebildete Stände 43,1 (1849), Nr. 156 und 43,2 (1849), Nr. 157–174. Diese Berichte, in denen R ­ eumont die Vorgänge während der Revolutionen aus seiner Sicht beschrieb, sollen an dieser Stelle nicht näher behandelt werden, sondern erst im folgenden Kapitel zur politischen Publizistik. 227 Rom im Winter 1849, Morgenlatt für gebildete Stände 44,1 (1850), Nr. 1–3. 228 Vgl. Dahm (1953), S. 65–68.

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Für ­Reumont schien es, als würde die Revolution alles das, was er sich bis dahin aufgebaut hatte vernichten. Das galt nicht nur für seine diplomatische Karriere im preußischen Außenministerium, sondern auch für seine Tätigkeit als Kunstkorrespondent. Über seine Beiträge für das Morgenblatt und das Kunstblatt hatte er nicht nur sein bescheidenes Einkommen aufbessern, sondern zudem eine zentrale Position als Mittler zwischen deutscher und italienischer Kunstgeschichtsforschung einnehmen können. Als mit dem Kunstblatt eine wichtige Publikationsplattform zu verschwinden drohte, die ihn zuvor überhaupt erst bekannt gemacht hatte, versuchte er noch einmal vergeblich den Verleger Georg von Cotta von der Fortführung des Unternehmens zu überzeugen und schrieb am 18. September 1849 aus Neapel: „… ich kann nicht umhin […] Ihnen einen Gegenstand ans Herz zu legen, der uns Kunstschriftsteller alle sehr interessiert. Es ist das Aufhören des Kunstblattes. Ich verhehle nicht, daß es mich so erschreckt wie bekümmert hat. Das Kunstblatt war das einzige Organ dieser Art in Teutschland und wahrhaft unentbehrlich, sowohl in seinen größeren Aufsätzen wie in seinen Notizen. Ich verkenne es nicht, daß die Zeitumstände sehr ungünstig sind, aber sie sind im Besserwerden begriffen. […] Noch immer hoffe ich daß Sie sich um Neujahr entschließen werden, die Zeitschrift wieder aufleben zu lassen. […] Sie werden sich den wärmsten Dank aller Kunstfreunde erwerben, wenn Sie uns ein neues Centrum schaffen wollen.“229

Nach dem Ende des Kunstblattes schrieb R ­ eumont zunächst für das seit 1850 in Leipzig unter der Leitung Friedrich Eggers publizierte Deutsche Kunstblatt, das zum eigentlichen Nachfolger des Kunstblattes wurde und zahlreiche Mitarbeiter seines Vorgängerperiodikums anzog.230 Auch ­Reumont führte seine Korrespondententätigkeit dort zunächst fort und lieferte unter dem Titel Urkundliche Beiträge zur italienischen Kunstgeschichte weitere Feldarbeit für die historisch-kritische Kunstgeschichtsforschung.231 Dabei nutzte er seinen aktuellen Arbeitsort Neapel bzw. Gaeta, um mithilfe seiner neuen Kontakte vor Ort, wie Scipione Volpicella, dem deutschen Leser neue Urkunden, Inschriften und Reliefs zu präsentieren, so zum Beispiel die Inschriften und Reliefs am inneren Tor des Castelnuovo in Neapel.232 Während seiner diplomatischen Mission im päpstlichen Exil in Gaeta und Neapel nutzte ­Reumont seine freie Zeit so gut es ging, um mithilfe seiner Verbindungen vor Ort die lokale Archivsituation zu untersuchen. Dabei wurde er auch auf die reiche und bis dato in der deutschen Forschung unbeachtet gebliebene Überlieferung im Archiv von San Severino in Neapel aufmerksam, das über umfangreiche Aktenbestände zur angevinischen Verwaltung verfügte, die er der deutschen Wissenschaft im Deutschen Kunstblatt wärmstens zu einer eingehenden Analyse anempfahl – zumal er davon ausging, dass die Einheimischen sich diesen Beständen wohl kaum 229

Zitiert nach Dahm (1953), S. 67. Vgl. Dahm (1953), S. 67–68; Céline Trautmann-Waller: Kugler, Eggers und das Deutsche Kunstblatt oder die problematische Verortung der Kunst, in: Espagne / Savoy / Trautmann-Waller (2010), S. 187–202. 231 Urkundliche Beiträge zur italienischen Kunstgeschichte, Deutsches Kunstblatt 1 (1850), Nr. 47; Deutsches Kunstblatt 2 (1851), Nr. 4, 27, 28; Deutsches Kunstblatt 3 (1852), Nr. 13. 232 Urkundliche Beiträge zur italienischen Kunstgeschichte, Deutsches Kunstblatt 1 (1850), Nr. 47. 230

I. Kunst- und Kulturberichte 

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widmen würden.233 Im Zuge seiner regelmäßigen Berichterstattung über kunsthistorische Neuigkeiten aus Italien konnte er sich zudem ein persönliches Netzwerk ausbauen, das ihm die zur Anzeige notwendigen Informationen oder gar Kopien von interessanten Urkunden beschaffte. Dank der Mithilfe des conte Giancarlo Conestabile della Staffa konnte er von Neapel aus auch von Urkunden aus Perugia berichten. Dieser hatte R ­ eumont nämlich eine Abschrift eines Schreibens Cesare Borgias in Betreff des Bernardino Pinturicchio aus seinem Hausarchiv zukommen lassen, das R ­ eumont sogleich im Deutschen Kunstblatt anzeigte.234 Obwohl ­Reumont im Deutschen Kunstblatt zunächst eine neue publizistische Heimat sah, für die er seine Feldforschung, die er zuvor für das Schornsche Kunstblatt betrieben hatte, fortzusetzen beabsichtigte, erhielt er von Friedrich Eggers nicht dasselbe positive Echo, das er von Schorn und später Förster gewohnt war. Seine Anzeigen von neuen, bis dato unbeachteten Quellen und Archiven hatten zwar keineswegs an Wert für die historisch-kritische Methodik innerhalb der Kunstgeschichtsforschung verloren, jedoch entsprach weder die italienische Kunst­ geschichte noch die historisch ausgerichtete Kunstgeschichte den Neigungen des leitenden Redakteurs Eggers. Dieser betrieb Kunstgeschichte hauptsächlich auf Basis ästhetischer Beobachtungen und widmete sich vorwiegend der deutschen ­ eumont nicht mehr die bis dahin gewohnte Kunst.235 Dementsprechend ließ er R Wertschätzung für dessen Beiträge erfahren, weshalb dieser 1852 seine Mitarbeit einstellte. Dies war aber nicht der einzige Grund für R ­ eumonts Entschluss seine Kooperation zu beenden. Zu diesem Entschluss dürfte auch die Person Kuglers geführt haben. Dieser war nämlich der Lehrer Jacob Burckhardts, den ­Reumont wegen dessen kirchenkritischer Arbeiten des Öfteren in Rezensionen attackiert hatte.236 Zu 233

Ebenda, S. 373, Anm. 1: „Vor zwei Jahren begann ich im Stuttgarter Kunstblatt Urkunden und urkundliche Notizen zur italienischen Kunstgeschichte mitzutheilen, die mir entweder in den Handschriften bekannt wurden oder aber in solchen Werken sich gedruckt fanden, welche nur incidenzweise von solchen Dingen handeln, und in welchen Documente oder Nachrichten dieser Art so zu sagen verloren sein würden. Nachdem in neuester Zeit der Stoff sich bei mir angehäuft, gebe ich jetzt die Fortsetzung, und indem ich mit einem ungedruckten Schriftstück beginne, welches sich auf Neapel bezieht, kann ich das Bedauern nicht unterdrücken, dass meine sonstigen Beschäftigungen mir nicht erlaubt [sic!], die ausserordentlich reichhaltigen Register oder Aktenbände der Anjou’schen Verwaltung, mit 1268 beginnen und 1423 endigend, welche 378 starke Bände im hiesigen grossen Archiv von San Severino füllen, für kunsthistorische Zwecke zu untersuchen. Wie viel hier im [sic!] diesem Fache zu thun ist, weiss Jeder: von H. W. Schulz’s vieljährigen Forschungen ist noch nichts bekannt geworden und Gaye hat sich nur wenig mit Neapel beschäftigt. Von Einheimischen ist, bei dem im Durchschnitt geringen Trieb und dem Mangel an Aufmunterung, nicht viel zu erwarten.“ 234 Urkundliche Beiträge zur italienischen Kunstgeschichte, Deutsches Kunstblatt 1 (1850), Nr. 47, S. 373–374, hier S. 374. 235 Vgl. Alfred Woltmann: Eggers, Hartwig Karl Friedrich, ADB 5 (1877), S. 671–673 [URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd119022486.html?anchor=adb], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; vgl. auch Trautmann-Waller (2010). 236 Vgl. Kapitel C. III. 2. Das Archivio Storico Italiano als Dreh- und Angelpunkt für R ­ eumonts kulturelles Engagement; Alfred von R ­ eumont: Erzbischof Andreas von Krain und der letzte Conzilsversuch in Basel. 1482–1484. Von Jac. Burckhardt, Basilea 1852, Archivio ­Storico

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C. Publizistik

dem war Kugler trotz seines Postens als Kunstreferent innerhalb des preußischen Kultusministeriums in einer isolierten Position: Friedrich Wilhelm IV. zog es vor, seine Kunstprojekte in Abstimmung mit Alexander von Humboldt und dem Generaldirektor der königlichen Museen, Ignaz von Olfers durchzuführen, die Kugler beide reserviert gegenüberstanden.237 Beide lehnten sie Kuglers Pläne zur Reform der Akademie der Künste ab und sorgten über ihre persönlichen Beziehungen dafür, dass er in keine einflussreiche Position kam.238 ­Reumont stand dagegen sowohl zu Olfers als auch zu Humboldt in einem guten Verhältnis und wurde von letzterem beim König protegiert. Vor diesem Hintergrund dürfte auch R ­ eumonts Verhältnis zu Kugler belastet gewesen sein, jedenfalls befindet sich in R ­ eumonts Briefnachlass kein einziges Schreiben Kuglers. Insofern stand ­Reumonts Beitragstätigkeit für das Deutsche Kunstblatt von Anfang an unter keinem guten Stern. Der vorherige Redakteur des Kunstblattes, und in dieser Funktion erbitterte Rivale Kuglers,239 Ernst Förster hatte kein Verständnis dafür, dass leichtfertig auf die wertvolle Mitarbeit R ­ eumonts verzichtet wurde240 und bat ihn, ihn wenigstens auf privatem Wege über die italienischen Neuigkeiten auf dem Laufenden zu halten.241 Auf diese Weise blieb der Kontakt zu Förster auf für beide Seiten fruchtbare Weise erhalten. Während Förster ­Reumont über den Fortgang seiner eigenen Arbeiten und kunsthistorischen Überlegungen informierte,242 war R ­ eumont ein wichtiger Kontakt Försters nach Italien, sowohl, um die neuesten Publikationen Försters in Italien bekannt zu machen als auch, um eine Rückmeldung eines Italienkenners zu erhalten. Besonders deutlich wurde der Wert von R ­ eumonts Unterstützung hinsichtlich der Werbung für Försters Biographie über den Schweizer Architekten Johann Georg Müller243. Dieser hatte Pläne zur Vollendung der Domfassade von S. Maria del Fiore Italiano 2 (N. S.) (1855), S. 249–256, hier S. 256: „Lo spirito che prevale nell’opuscolo del Burckhardt è aspro, avverso alla Chiesa romana, ad antipapale molto più che nol giustificano nè anche il mal governo di Sisto IV, e le condizioni poco felici nè belle del vivere nella pontificia corte di quei tempi.“; zu Burckhardts Reaktion vgl. Jacob Burckhardt: Briefe, Bd. 3, Nr. 309: Burckhardt an Wilhelm Henzen, Zürich, 2. November 1856, S. 260. 237 Vgl. Bärbel Holtz: Franz Kuglers Amtspraxis, in: Espagne / Savoy / Trautmann-Waller (2010), S. 15–29, hier S. 26–27. 238 Vgl. etwa den Brief Alexander von Humboldts an Ignaz von Olfers aus dem Jahre 1850 (ohne Datum) in: Briefe Alexander v. Humboldt’s an Ignaz v. Olfers, Generaldirektor der Kgl. Museen in Berlin, hrsg. von W. M. von Olfers, Nürnberg / Leipzig 1913, Nr. 213, S. 148–150; Koschnik (2010), S. 8–14. 239 Vgl. Koschnik (2010), S. 5–7. 240 NL ­Reumont, S 1060, Förster an R ­ eumont, Nr. 82: München, 20. Juli 1852: „Unbegreiflich bleibt mit das Benehmen der Kunstblatt Redaction, die nach meinem Dafürhalten für eine thätige Theilnahme Ihrerseits nicht dankbar genug sein könnte.“ 241 Ebenda, Nr. 83: München, 9. Oktober 1852: „Sollte Ihnen ein u. das andere vom Tisch fallen, was meinem „Italien“ gut stehen würde, so möchte ich wohl daß es Jemand aufhübe u. mir schickte.“ 242 So etwa ebenda, Nr. 80: München, 30. März 1851; Nr. 81: München, 18. Januar 1852; Nr. 82: München, 20. Juli 1852. 243 Ernst Förster: Johann Georg Müller. Ein Dichter- und Künstlerleben, St. Gallen 1851.

I. Kunst- und Kulturberichte 

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in Florenz entworfen, für die er sich an den Domfassaden von Siena und Orvieto orientiert hatte. Doch der Entwurf, den er zur Vorlage beim Großherzog übergeben hatte, wurde abgelehnt und fand in Italien zunächst keine Beachtung.244 Nach dessen Tod im Jahre 1849 widmete ihm Förster eine Biographie, in deren Rahmen er die Pläne zur Domfassade veröffentlichte. Um dieser architektonischen Idee auch in Italien selbst die notwendige Aufmerksamkeit und dem Architekten auch dort ein würdiges Andenken zu verschaffen, bat Förster ­Reumont, noch einmal einen Versuch zu unternehmen, den Entwurf in Italien bekannt zu machen.245 Außerdem sollte ­Reumont dafür sorgen, dass Leopold II. das Buch nicht nur erhalte, sondern die entscheidenden Stellen auch tatsächlich lese. Nachdem bereits der Architekt selbst seinerzeit offenbar daran gescheitert war, dass Staatssekretär conte Vittorio Fossombroni den Entwurf gar nicht erst an den Großherzog weitergeleitet hatte,246 zweifelte auch Förster daran, ohne ­Reumonts Vermittlung überhaupt bis zu Leopold II. durchdringen zu können.247 Und tatsächlich konnte ­Reumont dafür sorgen, dass der Großherzog das Werk las und Ernst Förster in Würdigung seines Werkes sogar eine Medaille verlieh. Nachdem das Wohlwollen des Großherzogs in dieser Weise demonstriert worden war, trat auch der Bruder des verstorbenen Architekten die Reise nach Florenz an und wünschte an den Großherzog vermittelt zu werden, wofür ihn Förster ebenfalls an ­Reumont verwies.248 ­Reumont ging allerdings noch deutlich weiter und beschränkte sich nicht allein darauf, die Arbeit Försters und den Fassadenentwurf Müllers beim Großherzog bekannt zu machen, sondern sorgte zusammen mit Carlo Milanesi dafür, dass die 244 Vgl. Hyacinth Holland: Müller, Johann Georg, ADB 1885 [URL: http://www.deutschebiographie.de/pnd118585037.html?anchor=adb], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 245 NL ­Reumont, S 1060, Förster an ­Reumont, Nr. 80: München, 30. März 1851: „Die Restauration der Florentiner Domfaçade im durchgebildeten Geist italienischer Gothik – das ist die Spitze seines Lebens u. die Hoffnungslosigkeit, sie durchzuführen sein Tod. Aber was er gedacht u. ersonnen dafür sollte in Italien gekannt sein, da – wenn einmal der Gedanke wieder aufgenommen wird, zu rechter Ausführung beizutragen. Es wäre sehr gut von Ihnen, wenn Sie Ihre Verbindungen mit ital. Journalen benutzen möchten, auf diese Erscheinung im Gebiet der Architektur aufmerksam zu machen.“ 246 Das vermutet jedenfalls Hyacinth Holland: Müller, Johann Georg, ADB 1885 [URL: http:// www.deutsche-biographie.de/pnd118585037.html?anchor=adb], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 247 NL ­Reumont, S 1060, Förster an R ­ eumont, Nr. 81: München, 18. Januar 1852: „Mit meinem „Müller“ für den Großherzog ist mir’s confus gegangen. Ich glaubte recht schön zu verfahren, wenn ich den Umweg durch die Zimmer seiner Tochter, der Prinzessin Luitpold einschlüge, habe aber zu meinem Bedauern gesehen, daß ich auf diesem glatten Parquetboden auf den Holzweg gerathen. Da es mir daran liegt, u. nur daran liegen kann, daß der Großherzog das Buch wirklich in die Hände bekommt u. die ihn betreffenden Stellen wirklich liest, u. da Sie sich für den Gegenstand des Buches so warm ausgesprochen, so wage ich es, dasselbe Ihnen zuzuschicken mit der Bitte, dasselbe dem Großherzog mit den nöthigen Erläuterungen übergeben zu wollen. Namentlich wäre es sehr schön, wenn der Großherzog die ausgeführten Originalpläne Müllers für seine Sammlung u. für etwaige künftige Benutzung acquiriren u. deshalb an mich oder auf Fos betref. Müller in Wyl wollte schreiben lassen.“ 248 Ebenda, Nr. 83: München, 9. Oktober 1852.

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C. Publizistik

ser Entwurf von Bartolommeo Malfatti ins Italienische übersetzt und im folgenden Jahr veröffentlicht und damit einem breiteren italienischen Publikum zugänglich ­ eumont und Milanesi ihr Hauptanliegen, gemacht wurde.249 Im Vorwort erklärten R nämlich die Diskussion um eine Vollendung der Domfassade neu zu entfachen, was Müller seinerzeit nicht hatte bewirken können.250 Dieses Anliegen wurde tatsächlich erfüllt: Nachdem der Entwurf zuvor keinerlei Beachtung gefunden hatte, führte die Vermittlung R ­ eumonts dazu, dass sowohl die italienische Öffentlichkeit, als auch der Großherzog selbst sich mit diesem Entwurf auseinandersetzten. Als im Jahre 1858 das Komitee zum Ausbau der Fassade zusammentrat, wurde die italienische Übersetzung Malfattis noch einmal verteilt und der später mit der Vollendung der Fassade betraute Professor Emilio De Fabris ließ sich bei seiner Arbeit vom Entwurf Müllers inspirieren.251 Förster indes sollte auch in Zukunft weiterhin auf die zuverlässigen und wirkungsvollen Dienste ­Reumonts zurückgreifen, wenn er sich mit italienischen Fragen befasste. Dabei legte er auch großen Wert auf R ­ eumonts inhaltliche Rückmeldung zu seinen Arbeiten und Überlegungen. Denn, so stellte er gegenüber ­Reumont fest: „In unserer Liebe für Italien, seine Kunst und Wissenschaft u. deren hervorragende Persönlichkeiten dürfen wir uns wohl stets als Collegen begrüßen, wenn auch der Durchmesser meines Kreises zu dem Ihrigen sich verhält wie 1:100.“252

Deswegen zog er es vor, sich zunächst R ­ eumonts positiver Aufnahme seiner Werke zu versichern und setzte auf dessen Engagement, diese in Italien bekannt zu machen.253 Als sich ­Reumont nicht zu der von Förster in seiner Italienischen Kunst 249 Bartolommeo Malfatti: Del Duomo di Firenze e della sua facciata. Memoria dell’architetto Giangiorgo Müller di San Gallo, Florenz 1852. 250 Ebenda, S. V: „Ma se poi il lavoro del Müller varrà a destare nuovo e più vivo desiderio del compimento di Santa Maria del Fiore, il quale, meglio che decoro, debbe chiamarsi un debito della età nostra, il voto del suo Autore, mancato nel fiore degli anni, sarà raggionto compiuto, e il fine degli editori potrà dirsi raggionto.“ 251 Vgl. Annamaria Poma Swank: Il programma decorativo della facciata e l’iconografia mariana nell’Ottocento, in: Timothy Verdon (Hrsg.): Alla riscoperta del Duomo di Firenze (La Facciata di Santa Maria del Fiore 5), Florenz 1996, S. 33–70, hier S. 37–38; Hyacinth Holland: Müller, Johann Georg, ADB 1885 [URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118585037. html?anchor=adb], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; zu De Fabris vgl. Mauro Cozzi: De Fabris Emilio, DBI 33 (1987) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/emilio-de-fabris_(DizionarioBiografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 252 NL ­Reumont, S 1060, Förster an ­Reumont, Nr. 84: München, 26. März 1873. 253 So etwa bei einem Gemälde in S. Agostino in Perugia, das die Anbetung der Hl. Drei Könige zeigt, als dessen Schöpfer Förster keinen geringeren als Raffael indentifziert hatte: „Nun habe ich seit 1857, wo ich zum ersten Male die dem Eusebio zugeschriebene Anbetung der Könige in S. Agostino zu Perugia gesehen d. die feste Überzeugung gewonnen, das Bild könne nur von Raffael oder einem bis jetzt unbekannten, ihm aber ebenbürtigen Schüler Perigrinos herrühren, nicht gescheut, um Licht in dieses Dunkel zu bringen u. habe endlich mein Ziel glücklich erreicht. In Voraussetzung Ihrer warmen Theilnahme eine für Perugia u. am Ende für ganz Italien wertvolle Enthüllung sende ich Ihnen die beifolgenden Blätter, welche die Geschichte derselben entfalten.“

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geschichte verfochtenen These geäußert hatte, nach der die Anbetung der Könige aus S. Agostino in Perugia Raffael zuzuschreiben sei, betonte er noch einmal den großen Wert, den er auf R ­ eumonts Ansicht dazu legte und bat um eine Besprechung in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, um einen anerkannten Italienkenner als Befürworter seiner These zu gewinnen: „Es ist auch sonst wohl eins u. das andere im Buche, worüber Ihre Meinung mir von großem Werthe sein müßte, u. ich bekenne, daß es mich sehr freuen würde, dieselbe in der Allg. Zeitung niedergelegt zu finden.“254

Was die Antologia für ­Reumont in Italien war, waren ihm das Morgenblatt bzw. das Kunstblatt im deutschsprachigen Raum: Ein erster Zugang zur kunsthistorischen Publizistik und Ausgangspunkt für seine große Bekanntheit als Kunst- und Italienkenner sowie als Kontaktperson und Mittler zwischen deutscher und italienischer Gelehrtenwelt. 3. Die Jahrbücher für Kunstwissenschaft Nachdem er seine Beiträge an das Deutsche Kunstblatt eingestellt hatte, beschränkte sich ­Reumont mit seinen kunsthistorischen Nachrichten im deutschsprachigen Raum weitgehend auf die Augsburger Allgemeine Zeitung, mit der er einen weiten Adressatenkreis erreichte. Erst als im Jahre 1868 der Direktor des großherzoglichen Museums in Weimar, Albert von Zahn, die Jahrbücher für Kunstwissenschaft ins Leben rief, konnte er ­Reumont erneut für eine regelmäßige Korrespondententätigkeit in einer kunstwissenschaftlichen Fachzeitschrift gewinnen. Allerdings war seine dortige Mitarbeit weniger innovativ als seinerzeit im Kunstblatt. Er gab weder methodische Impulse noch betrieb er zu dieser Zeit eigene kunsthistorische Studien. Da er mittlerweile in Bonn lebte, allerdings noch regelmäßige Reisen nach Italien unternahm, beschränkte er sich darauf, aus seinem persönlichen Fundus vergangener Jahre zu schöpfen und alte Beobachtungen zu aktualisieren und sich mit neuen Veröffentlichungen zu seinen persönlichen Spezialthemen auseinanderzusetzen. Dabei standen immer wieder die Arbeiten Raffaels im Vordergrund, deren Zuschreibung und Herkunft anhand der bewährten Arbeiten Vasaris, Rumohrs und Gayes unter Heranziehung neuerer Literatur untersucht wurden. Für die Auffindung neuerer Sekundärliteratur und jüngerer Quelleneditionen war ­Reumont längst nicht mehr allein auf die Unterstützung seiner Kontakte vor Ort angewiesen. Mittlerweile hatte er sich in Italien einen ausgezeichneten Ruf als Kunstkenner und Mittler in den deutschsprachigen Raum erworben, dass sich italienische Autoren von sich aus an ihn wandten, um die Besprechung ihres jeweiligen Werkes in einer deutschsprachigen Zeitschrift zu erhalten. Exemplarisch sei hier der Brief Carlo Pinis, des Konservators der Handzeichnungen und Kupferstiche der Galleria degli Uffizi

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Ebenda, Nr. 84a: München, 3. November 1875.

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angeführt, der sein vierbändiges Werk La scrittura di artisti italiani255 in einem deutschsprachigen Periodikum angezeigt wissen wollte. Dieser wandte sich dafür mit folgenden Worten an ­Reumont: „Fino da quando pubblicai la 1a. dispensa del mio Albo artistico „La Scrittura di Artisti Italiani etc.“ mi venne in mente di ricorrere alla S. V.Ill.ma come la persona che per la sua dottrina ed autorità, poteva meglio di ogni altro patrocinare la mia impresa all’ estero; ma Ella in quel tempo non si trovava in Firenze. Ora poi che la sorte mi ha favorito di rivederla quà, dò effetto al mio divisamento con pregar la S. V. a volere accettare, come segno di gratitudine e di stima, il dono di una copia di tutta la mia opera. Frattanto le invio le quattro dispense già pubblicate.“256

­Reumont, der den Co-Autor der Edition von Künstlerschriften, Gaetano Milanesi, einen der Direktoren des Staatsarchivs schon länger kannte, konnte Pini seine Bitte natürlich nicht abschlagen, obwohl er den Wert der Edition durchaus kritisch sah. So fragte er zu Eingang seiner Rezension, welchen Mehrwert für die Wissenschaft denn eine Sammlung abfotografierter Künstlerhandschriften, die zudem nur teilweise transkribiert worden waren, denn überhaupt bringen könne.257 Schließlich seien einerseits eine Vielzahl für die Kunstgeschichte weniger wichtiger Persönlichkeiten ausgewählt worden, andererseits an einigen Stellen Handschriften abfotografiert und als unediert bezeichnet worden, die längst bekannt und herausgegeben worden waren. Doch trotz dieser Kritik an der rein positivistischen Materialsammlung, die keinen ersichtlichen Kriterien folgte, pries er dem deutschen Publikum die Handschriftensammlung an, da sie auch die ein oder andere unbekannte Schrift enthalte.258 In seinen Besprechungen italienischer Projekte ging es ­Reumont in erster Linie darum, diese überhaupt im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen – auch wenn sie in methodischer Hinsicht oftmals nicht auf dem neuesten Stand waren. Das Ziel war es jedoch, durch die Förderung des Austausches, diesem Mangel Abhilfe zu schaffen. Dagegen konnte die „Feldarbeit“, das heißt das einfache Zusammenstellen von Quellenmaterial eben auch für die deutsche Forschung trotz aller Mängel hinsichtlich einer kritischen Auswahl von Nutzen sein und Hilfestellungen geben. Genau diesen Zweck erfüllte der von Mariano Guardabassi herausgegebene Führer der heidnischen und christlichen Denkmäler Umbriens,259 den ­Reumont in den Jahrbüchern für Kunstwissenschaft besprach.260 Hierfür nutzte er zudem die 255

Carlo Pini: La scrittura di artisti italiani Sec. XIV–XVII, 4 Bde., Florenz 1869–71. NL ­Reumont, S 1064, Carlo Pini an ­Reumont, Nr. 156, Florenz, 27. März 1871. 257 Alfred von ­Reumont: La scrittura di artisti italiani Sec. XIV–XVII. riprodotta con la fotografia. Carlo Pini editore. I–IV. Lieferung, Florenz 1869–71, Jahrbücher für Kunstwissenschaft 4 (1871), Nr. 4, S. 364–380, hier S. 364–365. 258 Ebenda, S. 379–380. 259 Mariano Guardabassi: Indice-Guida die monumenti pagani e cristiani riguardanti l’istoria e l’arte contenuti nella provincia dell’Umbria, Perugia 1872. 260 Alfred von ­Reumont: Mariano Guardabassi: Indice-Guida die monumenti pagani e cristiani riguardanti l’istoria e l’arte contenuti nella provincia dell’Umbria per Mariano Guardabassi, Perugia 1872, Jahrbücher für Kunstwissenschaft 6 (1873), S. 140–143. 256

I. Kunst- und Kulturberichte 

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Gelegenheit, auf das von Adamo Rossi und Gian Carlo Conestabile im Jahre 1872 ins Leben gerufene Giornale di erudizione artistica aufmerksam zu machen, das Denkmäler und Archivalien Umbriens publizierte und in dessen Namen Conestabile ­Reumont gebeten hatte, den Kontakt zu von Zahn aufzubauen, um eine Kooperation herzustellen.261 Diese Kooperation kam allerdings durch den vorzeitigen Tod von Zahns im Jahre 1873 nicht mehr zustande. Allerdings wählte ­Reumont auch den Weg über die Augsburger Allgemeine Zeitung, um dem Projekt Conestabiles in Deutschland zu hinreichender Bekanntheit zu verhelfen.262 Nach dem vorzeitigen Tode Zahns wurden die Jahrbücher für Kunstwissenschaft zunächst eingestellt. An dem seit 1876 als Nachfolgezeitschrift ins Leben gerufenen Repertorium für Kunstwissenschaft unter der Leitung von Alfred Woltmann und Hubert Janitschek beteiligte sich ­Reumont indes nur vereinzelt, obwohl er von den beiden leitenden Redakteuren um Beiträge gebeten wurde263 und zahlreiche Bekannte, wie der Lehrer Janitscheks, Anton Springer264, und in besonderem Maße Franz Xaver Kraus265 sich intensiv an der Zeitschrift beteiligten. Dies mag vor allen Dingen darauf zurückzuführen sein, dass das Periodikum erst seit 1879 jährlich erschien und ­Reumont, abgesehen von seinem altersbedingten Augenleiden, durch die Präsidentschaft des von ihm gegründeten Aachener Geschichtsvereins und die Betreuung der Vereinszeitschrift bereits hinreichend in Anspruch genommen war und nicht mehr die Kraft aufbrachte, parallel dazu noch regelmäßige Artikel für eine andere Zeitschrift zu verfassen. Es blieb schließlich bei vereinzelten Artikeln.266 4. Fazit Seit seiner Ankunft in Florenz konzentrierte sich ­Reumont zunächst auf kunst­ geschichtliche Themen, allen voran die Künstlerviten Vasaris und Andrea del Sartos. Das große Interesse, das die Antologia dem Kunstblatt entgegenbrachte, rührte noch von den regelmäßigen Beiträgen Rumohrs her, der sich bereits in den 1820er Jahren als Mittler zwischen den beiden Zeitschriften bewährt hatte. Als R ­ eumont in seiner neuen Heimat zum regelmäßigen Besucher von Vieusseux’ Lesekabinett wurde und damit in den fortwährenden Austausch mit Vieusseux und dessen weitreichenden Umfeld trat, lag der Gedanke nahe, dass R ­ eumont die Tradition Rumohrs fortsetzen könnte. Das Beispiel des Schweden Gråberg von Hemsö, der 261

Ebenda, S. 140; NL ­Reumont, S 1058, Gian Carlo Conestabile an R ­ eumont, Nr. 228: Perugia, 6. April 1872. 262 Ebenda, Nr. 228: Perugia, 6. April 1872, Nr. 237: Rom, 4. Juni 1874. 263 Ebenda, S 1063, Hubert Janitschek an ­Reumont, 6 Briefe, 1879–84; S 1068, Alfred Woltmann an ­Reumont, 2 Briefe, 1879. 264 Ebenda, S 1066, Anton Springer an ­Reumont, 7 Briefe, 1875–83. 265 Vgl. Lepper (1989), S. 181–254. 266 Alfred von ­Reumont: Der erzene Pferdekopf des Museums von Neapel, Repertorium für Kuntwissenschaft 6 (1883), Nr. 4, S. 319–325; Ders.: Der Palazzo Fiano in Rom und Cardinal Fillippo Calindrini, Repertorium für Kuntwissenschaft 8 (1885), Nr. 2, S. 157–184.

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C. Publizistik

sich mit seinen Arbeiten zur Toskana sowie durch seine Förderung der Kenntnis schwedischer Literatur einen hervorragenden Ruf in der toskanischen Gesellschaft und die Gunst des Großherzogs verschafft hatte, mochte ­Reumont in dieser Hinsicht als Vorbild dienen. Durch den Kontakt mit Ranke und Gaye wurde er von führenden Vertretern sowohl der historisch-kritischen Methode als auch ihrer Anwendung auf die Kunstgeschichte geprägt. Vor diesem Hintergrund nahm er Rumohrs Italienische Forschungen und die darin enthaltene Auseinandersetzung mit Vasari zum Ausgangspunkt seiner ersten kunsthistorischen Arbeit. Die bei Luigi Biadi fehlende Quellenkritik hinsichtlich seiner Edition unveröffentlichter Schrift­ eumont entsprechend zum Anlass, aufgrund der stücke zu Andrea del Sarto nahm R von ihm in der Antologia bereits besprochenen Arbeit eine Monographie über den außerhalb Italiens weitgehend unbekannten Künstler zu verfassen, in der er Biadis Edition einer Quellenkritik unterzog und dem deutschen Leser zur Verfügung stellte.267 Wenngleich sich R ­ eumonts Quellenkritik nicht nachvollziehen ließ, da er in seiner Arbeit mit Quellenangaben nur sehr sparsam verfuhr, was ihm auch die Kritik Försters einbrachte,268 wurde ­Reumonts Arbeit sehr positiv aufgenommen, da sie den deutschen Leser auf bislang unbekanntes Quellenmaterial aufmerksam machte und über einen bislang weitgehend unbekannten Künstler informierte. Durch seine Mitarbeit am Kunstblatt stand ­Reumont in jener Zeit in regelmäßigem Austausch mit der Avantgarde der deutschen Kunstgeschichtsforschung, die er nicht nur bei ihren Italienprojekten unterstützte, sondern die er auch über die Antologia dem italienischen Publikum bekannt machte. Dabei war es nicht nur die Mittlerposition, die ­Reumont auf beiden Seiten der Alpen unter den Gelehrten bekannt machte, sondern auch die Tatsache, dass er seine kunsthistorischen Beiträge mit dem Kunstblatt im führenden deutschsprachigen Periodikum veröffentlichte und seinen Arbeiten alleine dadurch eine gewisse Autorität beigemessen wurde. Als wichtiger Mittler zwischen der ersten italienischen Kulturzeitschrift mit nationalem Anspruch einerseits und dem Kunstblatt bzw. Morgenblatt als führende deutsche Kunst- und Kulturzeitschrift mit ebenfalls nationalem Anspruch andererseits erreichte ­Reumont auf beiden Seiten nicht nur die größtmögliche Leserschaft, sondern er wurde zudem Mitglied der jeweiligen Elite der schreibenden Zunft. Diese Kontakte waren nördlich der Alpen hauptsächlich künstlerischer Natur, während sie sich südlich der Alpen auf künstlerische, literarische, naturwissenschaftliche und nicht zuletzt politische Felder erstreckten. Obwohl R ­ eumont in seinen Beiträgen zunächst keine politischen Themen behandelte, verfolgte er aufmerksam die Entwicklungen innerhalb der Antologia, in der seit den 1830er Jahren im Zuge der Julirevolution und der Erhebungen im Kirchenstaat 1831/32 verstärkt politische Beiträge veröffentlicht wurden, die meist indirekt die politische Situation Italiens in den Blick nahmen. Diesen Beiträgen, wie zum Beispiel Tommaséos Besprechung von Balbos Storia d’Italia, in denen der Poet aus Dalmatien davor warnte, das Legitimitäts 267

Vgl. Alfred ­Reumont: Andrea del Sarto, Leipzig 1835, S. VIII–IX. Vgl. die Rezension Försters, Kunstblatt 17 (1836), Nr. 9, 34–36, hier S. 36.

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I. Kunst- und Kulturberichte 

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prinzip zu verabsolutieren, stand ­Reumont zunächst aufgeschlossen gegenüber und begrüßte den politisch-kulturellen Gedankenaustausch. Mit entsprechendem Unverständnis reagierte er auf das Einschreiten der Zensur und das anschließende Verbot der Antologia. Obwohl er eine Zensur für notwendig hielt, war er, ganz im Sinne der aufgeklärten Physiokraten des 18. Jahrhunderts wie der Moderati der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von einer Verwissenschaftlichung gesellschaftlicher und politischer Fragen beseelt, die im Umfeld von Vieusseux’ Lesekabinett verbreitet war. Für den zivilisatorischen Fortschritt, den sich die Antologia auf die Fahnen geschrieben hatte, war jedoch ein weitgehend freier Gedankenaustausch unerläss­ eumont auf, dass der Großlich. Als entsprechend versöhnliches Signal fasste es R herzog 1839 den ersten italienischen Wissenschaftlerkongress in Pisa veranstaltete. Die Revolutionen 1848/49, von denen R ­ eumont vielerorts persönliche Eindrücke mitnahm, änderten sowohl seine eigene Situation als auch die der Zeitschriften, für die er Beiträge verfasste. Nach den Erfahrungen mit der Antologia sah er zu Beginn des Jahres 1848 im Morgenblatt die Zuspitzung der politischen Situation in Italien als eine ernsthafte Gefahr für kulturelle Projekte an. Zu Beginn des Jahres 1848 gab ­Reumont im Morgenblatt einen Überblick über die aktuelle italienische Literatur, in welchem er darauf hinwies, dass die momentanen politischen Zustände viele kulturelle Projekte inhaltlich beeinflussten und zugleich dazu führten, dass Arbeiten ohne politische Bezüge von der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen wurden, mit ­ eumont musste der Folge, dass unpolitische Arbeiten fast zum Erliegen kämen.269 R diese Erfahrung auch hinsichtlich seiner eigenen Beiträge machen: Mit der Zuspitzung der politischen Situation und dem Ausbruch der Revolutionen 1848/49 berichtete er im Morgenblatt selbst von den Auswirkungen der italienischen Revolutionen. Dagegen gehörte das Kunstblatt, das sich auch weiterhin allein auf unpolitische, künstlerische Themen beschränkte, zu den „Opfern“ der revolutionären Wirren. Abgesehen von den politischen Konsequenzen, die R ­ eumont aus seiner persönlichen Revolutionserfahrung zog, suchte er die Antworten auf die zeitgenössischen politischen Probleme in der Geschichte und verlagerte sein Interesse der Künstlerbiographik in der Folge auf historische Persönlichkeiten, aus deren Handeln – im Positiven wie im Negativen – er Lehren für die Gegenwart zu ziehen suchte. ­Reumonts zunehmende Hinwendung zu rein historischen Themen ist also nicht allein auf die Krise der Künstlerbiographik in der Kunstgeschichtsforschung zwischen 1840 und 1860270 zurückzuführen, sondern auch auf seine persönlichen Erfahrungen im päpstlichen Exil in Gaeta. Dort hatte er, wie bereits erwähnt, die Zeit genutzt, um nicht nur seine politischen Erfahrungen vor Ort zu verarbeiten, sondern zugleich mithilfe des marchese Angelo Granito principe di Belmonte und Scipione Volpicellas die lokalen Archive zu untersuchen und seine Monographie Die Carafa di Maddaloni zu schreiben, in der er die gesellschaftlichen Ursachen der neapolita 269 Zustand und Aussichten der italienischen Literatur, Morgenlatt für gebildete Stände 42,1 (1848), Nr. 90–97. 270 Vgl. Hellwig (2005), S. 159–162.

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C. Publizistik

nischen Revolution von 1848 zu ergründen suchte, um daraus politische Handlungsanweisungen für die Gegenwart abzuleiten. Dabei machte er nicht die politische Ordnung als solche für den Ausbruch der Revolution verantwortlich, sondern den Machtmissbrauch einzelner Gruppierungen, der dazu geführt habe, dass die unteren Klassen das politische System als Ganzes in Frage gestellt und dadurch statt einer tatsächlichen Verbesserung ihrer Situation lediglich Blutvergießen erreicht hätten. Dieses Verständnis der Geschichte als „Lehrmeisterin“ wird R ­ eumont Zeit seines Lebens beibehalten, und dies war ein Grund dafür, dass er sich nach den Revolutionen verstärkt historischen Themen zuwandte. Allerdings hatten ihn die Wirren der Jahre 1848–49 auch um seinen bis dahin gepflegten regelmäßigen Austausch mit den führenden Kunsthistorikern gebracht. Waren Gaye und Schorn bereits vor­ eumont das Kunstblatt auch in der Folge ein wichtiges zeitig verstorben, so bot R Forum, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Wie gezeigt, beteiligte er sich auch aus dem päpstlichen Exil heraus aktiv an der Kunstzeitschrift. Als diese eingestellt werden musste und ­Reumont durch seine anschließende diplomatische Tätigkeit als preußischer Gesandter und später Ministerresident in Florenz weniger Zeit für eigene Arbeiten hatte, als für Mittlerdienste, verlor er offenbar für eine Zeit lang den direkten Kontakt zur Kunstgeschichtsforschung. Denn nachdem seine Mitarbeit am Nachfolgeperiodikum, dem Deutschen Kunstblatt, offenbar nicht ausreichend gewürdigt wurde, beschränkte er sich auf persönliche Kontakte zu den betreffenden Künstlern, wie zum Beispiel Ernst Förster. Erst als Albert von Zahn 1868 die Jahr­ eumont wieder regelmäßige bücher für Kunstwissenschaft ins Leben rief, steuerte R kunsthistorische Beiträge bei, in denen er jedoch weniger eigene Forschungen vorstellte, sondern sich vor allen Dingen darauf konzentrierte, den Austausch zwischen deutschen und italienischen Gelehrten zu fördern.

II. Politische Publizistik Während ­Reumont in seinen ersten Artikeln der 1830er Jahre offene politische Positionierungen vermied und es im Morgenblatt bei beiläufigen Beobachtungen der gesellschaftlichen Zustände beließ, betrat er in der Augsburger Allgemeinen Zeitung mit seinen Korrespondenzen zu zeitgenössischen Entwicklungen auch das Gebiet der Tagespolitik. Wenn im Folgenden R ­ eumonts politische Publizistik untersucht wird, so müssen dabei jedoch stets die Umstände berücksichtigt werden, unter denen er Position bezog. Einerseits ist zu beachten, dass die Augsburger Allgemeine Zeitung der Zensur unterstand. Dadurch bewegten sich politische Einschätzungen normalerweise innerhalb der Grenzen von faktischer Zensur und Selbstzensur, die lediglich während der Revolutionen 1848/49 nicht aufrechterhalten werden konnten.271 Außerdem konnte ­Reumont während seiner aktiven diplomatischen Zeit kei 271 Für einen Überblick über die Zensur im Vormärz vgl. Gabriele B. Clemens (Hrsg.): Zensur im Vormärz. Pressefreiheit und Informationskontrolle in Europa (Schriften der Siebenpfeiffer-Stiftung 9), Ostfildern 2013.

II. Politische Publizistik 

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neswegs frei über alles schreiben, sondern musste auf die Interessen der preußischen Außenpolitik Rücksicht nehmen. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass politisch brisante Themen zunächst in den Gesandtenberichten behandelt wurden und später, wenn überhaupt, mit deutlicher zeitlicher Verzögerung in die Zeitungskorrespondenzen einflossen. ­ eumont lediglich für die AugsWährend seiner aktiven Zeit als Diplomat hat R burger Allgemeine Zeitung regelmäßige politische Berichte verfasst. Erst nach seiner Diplomatenlaufbahn bezog er in zwei weiteren deutschsprachigen Blättern offen politisch Stellung: Einerseits für die Historisch-Politischen Blätter für das Katholische Deutschland, andererseits für Reuschs Theologisches Literaturblatt. Obgleich es sich bei den Artikeln zu den beiden letztgenannten Blättern um histo­ eumonts politische Stellungnahmen rische und kulturelle Themen handelt, sind R zu den zeitgenössischen Zuständen derart eindeutig, dass die beiden katholischen Organe hier unter die politische Publizistik eingeordnet werden müssen. Seine Beiträge stammen nämlich aus den 1870er und 80er Jahren, als er bereits seit über zehn Jahren pensioniert war und sich entsprechend keinerlei Hoffnung mehr auf eine Fortführung seiner diplomatischen Laufbahn machen konnte. Dadurch, dass er seine Karriere bereits lange hinter sich hatte, brauchte er weniger Rücksichten zu nehmen. Trotz seiner ungebrochenen Loyalität zur Monarchie und Kaiser Wilhelm I. schaltete er sich in die Frage nach dem Umgang mit dem Papsttum ein, indem er dessen weltliche Herrschaft verteidigte, das Unfehlbarkeitsdogma und die Absage an die moderne Wissenschaft durch den Syllabus errorum von 1864 jedoch als für die Christenheit schädlich ablehnte. Im folgenden Kapitel soll nun untersucht werden, inwiefern R ­ eumont auf die politischen Entwicklungen publizistisch reagierte, welche Italienbilder er dabei vermittelte und inwieweit diese einerseits von seinem Expertenwissen über italienische Geschichte, Kultur und Gesellschaft, andererseits vom politischen Wertehorizont Friedrich Wilhelms IV. und jenem der toskanischen Moderati geprägt wurden. Als durch kunsthistorische Arbeiten bereits bekannter Autor und später als preußischer Diplomat in Italien mussten seine Berichte große Aufmerksamkeit erregen. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung Während der 1830er Jahre hatte sich R ­ eumont noch weitgehend aus politischen Fragen herausgehalten und sich darauf beschränkt, an den donnerstags stattfindenden politischen Diskussionen im Lesekabinett Vieusseux’ zu beteiligen und Projekte, wie die Reformierung der Landwirtschaft, der Munizipalverwaltung sowie der religiösen Erneuerung, wie sie Raffaello Lambruschini oder Niccolò Tommaséo und nicht zuletzt Vieusseux selbst in unterschiedlichen Ausprägungen verfolgten, eifrig rezipiert. Dass er jedoch die gesellschaftlichen Probleme und Sorgen der Toskaner kannte, wurde in seinen eigentlich unpolitischen Berichten für das Morgenblatt deutlich, in denen er beiläufig die Perspektivlosigkeit des Adels sowie

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C. Publizistik

das völlige Fehlen einer politischen Öffentlichkeit, wie man sie andernorts kannte, monierte.272 ­Reumonts langsame Hinwendung zu politischen Fragen wird auch darin ersichtlich, dass er zwar bereits in den Jahren 1833 und 1838 vereinzelte Beiträge zur Augsburger Allgemeinen Zeitung beigesteuert hat, allerdings kann erst seit 1841 von einer regelmäßigen Korrespondententätigkeit die Rede sein. Im Laufe der Jahre sollte er dann ca. 1500 Artikel verfassen, die seine Zeichen trugen.273 In diesem Zusammenhang ist zu beobachten, dass auch die Ausgangsbasis, von der er politische Berichterstattung betrieb, zunächst kulturelle Themen waren. So berichtete er 1842 beispielsweise von den italienischen Gelehrtenversammlungen274 und schrieb den Nekrolog zu Simonde de Sismondi275, in welchem er ausführlich auf dessen ökonomische und politische Ideen einging, und über den toskanischen Staatsminister Vittorio Fossombroni276, dessen Lebenswerk er dazu nutzte, die Fortschrittlichkeit der Toskana unter der Herrschaft der Habsburg-Lothringer hervorzuheben. ­Reumonts Kernthema war jedoch die Kulturberichterstattung, wie seine zahlreichen Beiträge zur historischen Literatur zeigen. Die vorrangige Intention war es, den deutschen Leser überhaupt mit der italienischen Kultur und Gesellschaft bekannt zu machen. Dementsprechend behandelte ­Reumont in seiner mit den 1840er Jahren einsetzenden regelmäßigen Korrespondenz die ihm besonders wichtig erscheinenden Persönlichkeiten, Institutionen und Errungenschaften. Vor diesem Hintergrund waren seine politischen Positionen allerdings stets ersichtlich. In seinem Nekrolog zu Simonde de Sismondi behandelte ­Reumont ausführlich dessen Histoire des Républiques italiennes, in der Sismondi die mittelalterlichen Stadtrepubliken als die für Italien typische Staatsform dargestellt hatte,277 womit er führende Vertreter des Risorgimento, wie Cesare Balbo, Vincenzo Gioberti, Giuseppe Mazzini, Giuseppe Montanelli, Carlo Pisacane oder Carlo Cattaneo, in ihren Überlegungen beeinflusste.278 Die Glorifizierung der gemeinsamen italienischen 272

Vgl. Kapitel C. I. 2. Cottas Morgenblatt und Schorns Kunstblatt. Petersen (1987/88), S. 82; vgl. Elke Blumenauer: Journalismus zwischen Pressefreiheit und Zensur. Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ im Karlsbader System (1818–1848) (Medien in Geschichte und Gegenwart 14), Köln / Weimar / Wien 2000; Michaela Breil: Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ und die Pressepolitik Bayerns: ein Verlagsunternehmen zwischen 1815 und 1848 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 54), Tübingen 1996. 274 Die Verhandlungen der italienischen Gelehrtenversammlung, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 250–251, 6. u. 7. September 1842. 275 Simonde de Sismondi, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 240–242, 28.–30. August 1842. 276 Vittorio Fossombroni, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 129–130, 8.–9. Mai 1844. 277 Simonde de Sismondi, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 240–242, 28.–30. August 1842. 278 Vgl Pazzagli (2003), S. 124–125; Adrian Lyttelton: Sismondi, the republic and liberty: ­between Italy and England, the city and the nation, Journal of Modern Italian Studies 17,2 (2012), S. 168–182, hier S. 177–178. 273

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Vergangenheit und einer gemeinsamen Identität als einer Einheit in autonomer Vielfalt wurde ein entscheidender Bezugspunkt auf dem Weg zum italienischen Nationalstaat, der freilich zwischen Föderalisten und Unitaristen kontrovers diskutiert ­ eumont würdigte in seinem Nekrolog zwar dieses Werk, das zusammen wurde.279 R mit Carlo Deninas 1769 erschienener Monographie Delle Rivoluzioni d’Italia, die einzige Darstellung der italienischen Geschichte bis in die neuere Zeit darstelle. Allerdings kritisierte er, wie auch der Göttinger Geschichtsforscher Ludwig Wachler,280 dass er keine eigenen archivalischen Forschungen betrieben und es mit der historischen Kritik nicht so genau genommen habe, weshalb seine Darstellung der republikanischen Verfassungen fehlerhaft sei.281 Eine Einschätzung, die sein Freund Gino Capponi trotz anfänglichem Enthusiasmus und eingehender Rezeption des ­ eumonts Urteil über den historiWerkes letztlich teilte.282 Dementsprechend fiel R schen Wert des Werkes vernichtend aus: Da Sismondi die italienischen Freistaaten unter dem Einfluss demokratischer Gesinnung geschrieben habe und auf eigene Archivforschungen verzichtet habe, sei die Darstellung entsprechend einseitig und zum Teil falsch geraten.283 Allerdings bot Sismondis Geschichte der Stadtrepubliken nicht nur die Basis für Giobertis „neoguelfische“ Ideen einer italienischen Konföderation autonomer Staaten,284 sondern auch für das Selbstverständnis des toskanischen Adels als Aktivbürgerschaft, der die Leitung der Staatsangelegenheiten schon aus historischen Gründen zukomme, eine dankbare Argumentationsgrundlage.285 Insofern handelte es sich hierbei um ein Werk, um das ­Reumont in seinen Italienberichten kaum herumkam, auch wenn er mit Teilen des Inhalts nicht einverstanden war. Schließlich bezeichnete noch im Jahre 1872 Francesco de Sanctis diese Geschichtsdarstellung als „Evangelium für die italienische Nationalbewegung“.286 Und obgleich ­Reumont die demokratische Stoßrichtung von Sismondis Werk ablehnte, nahm er doch selbst die Glorifizierung der mittelalterlichen Stadtrepubliken gerne für seine Forderung nach einer Konföderation unter Abzug der Österreicher auf. Noch in seiner Geschichte der Stadt Rom sollte er – in offensichtlicher, enger Anlehnung an Sismondi – vom Lombardenbund als der „glänzendsten Epoche“ italienischer Geschichte sprechen.287 Dass die Darstellung der italienischen Geschichte als eine Zeit der autonomen Stadtrepubliken eine zuweilen einseitige Beschreibung des italienischen Mittelalters aus der Sicht und im Interesse der Toskana war, räumte 279

Vgl. Ebenda. Vgl. Pazzagli (2003), S. 120. 281 Simonde de Sismondi, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 240, 28. August 1842. 282 Vgl. Pazzagli (2003), S. 133. 283 Simonde de Sismondi, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 240, 28. August 1842. 284 Vgl. Pazzagli (2003), S. 124–125. 285 Vgl. Kroll (1999), S. 113; Clemens (2004), S. 319–320. 286 Clemens (2004), S. 316; Herde (1986), S. 88. 287 Alfred von ­Reumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 2, S. 455; Lyttelton (2012), S. 177–178. 280

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C. Publizistik

­ eumont zwar ein, hob jedoch zugleich ihre unbedingte Vorbildfunktion für das R restliche Italien hervor.288 Gleichsam als Rechtfertigung für die weitere politische Verwendung von Sismondis Italienbild, das heißt von der italienischen Halbinsel als heroisch gegen den gemeinsamen Unterdrücker um ihre Unabhängigkeit kämpfende Stadtstaaten, die sich durch ihre Verschiedenheit nur in Form einer Konföderation unter Bei­behaltung ihrer Autonomie und Individualität zusammenschlie­ eumont, dass sich Sismondi bei seinem Studium der ßen konnten, behauptete R italienischen Geschichte, wenn schon nicht von seinen republikanischen, so doch von seinen demokratischen Prinzipien früherer Tage distanziert habe.289 Auf diese Weise konnte Sismondis Toskana- und Italienbild mit den Forderungen der Moderati, allen voran Gino Capponis, nach einer Herrschaft des städtischen Patriziats in Einklang gebracht werden, nachdem Sismondi zu Lebzeiten, trotz der Rezeption seiner Ideen, einen schweren Stand unter den toskanischen Gelehrten hatte.290 ­Reumont hoffte, seinen toskanischen Bekannten – allen voran Capponi und Vieusseux –, einen Gefallen zu tun, indem er die politischen Forderungen der Moderati auf diesem Wege auch in das Bewusstsein der deutschsprachigen Eliten brachte und zugleich das deutsche Sismondi-Bild im Sinne der Moderati beeinflusste. Mit dem Tod Sismondis hatte nämlich das Ringen um die Deutungshoheit seines Andenkens begonnen, das insbesondere auch von Republikanern und Demokraten wie Montanelli und Pisacane in Anspruch genommen wurde.291 Wohl auch aus diesem Grund beeilten sich die Moderati, das Sismondi-Bild in ihrem Sinne zu prägen. Sofort wurde das Projekt einer Gedenkmedaille in Angriff genommen, an dem sich auch ­Reumont beteiligte, der zu diesem Anlass auch sogleich ankündigte, den Nekrolog für eine deutsche Zeitung zu verfassen.292 Dieses Ringen um die Erinnerung an Sismondi sollte für die italienische Nationalbewegung von bleibender Bedeutung sein. Es bestand Einvernehmen darin, dass Sismondi das besondere Verdienst zukam, die glorreiche Vergangenheit der Italiener ins kollektive Bewusstsein gerufen zu haben. Dagegen gab es über die Darstellung der mittelalterlichen Stadtrepubliken und die Frage, ob es sich dabei 288

Simonde de Sismondi, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 240, 28. August 1842: „[…] freilich wurde es [das Werk Sismondis] großentheils unter italischem Himmel geschrieben, und zwar in Toscana, der eigentlichen Mitte italischer Bildung, dem Brennpunkt in dem die Strahlen des Ruhmes der mittelalterichen Jahrhunderte sich sammelten, […].“ 289 Ebenda: „Seinen republicanischen Grundsätzen blieb er treu, wenn auch seine in der Jugend eifrig demokratischen Ansichten […] mit der Zeit sich wesentlich modoficirten, in der Theorie wie in der Praxis. Bei der letzten Umwälzung der Genfer Constitution trat diese durch Erfahrung und reife Ueberlegung gewonnene Ueberzeugung deutlich hervor. Daß eine solche Modification stattgefunden, dazu hat seine vieljährige Beschäftigung mit italienischer Geschichte, wie die Erforschung der Resultate, zu welchen das Ueberwiegen des demokratischen Elements endlich geführt, nothwendig beitragen müssen.“ 290 Vgl. Pazzagli (2003), S. 129–141. 291 Vgl. ebenda, S. 124–125; Cesare Vetter: Blanc, Sismondi, Proudhon e le fonti del pensiero economico di Carlo Pisacane, Ricerche storiche 7,1 (1977), 198–247, hier S. 220. 292 BNCF Vieuss. C. V. 88,145, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 16. Juli 1842 ; 148, ­Reumont an Vieusseux, Frascati, 26. August 1842.

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um demokratische Staatsformen handelte, erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Während es ganz im Sinne der toskanischen Moderati sein musste, dass R ­ eumont die demokratische Stoßrichtung von Sismondis Werk relativierte,293 nahmen sie die Idealisierung der mittelalterlichen florentinischen Stadtrepublik dankbar als Vorbild für eine zukünftige nationale Einigung in Form einer Konföderation von in ihrer staatlichen Verfassung unabhängigen Staaten in ihre Argumentation auf. In dieser Form erhielt das Andenken Sismondis eine Wirkmächtigkeit, die weit über Italien hinaus ging und Cesare Balbo zur Rechtfertigung der piemontesischen Politik eines italienischen Einheitsstaates unter einer repräsentativen Monarchie gegenüber dem Werk Sismondis veranlasste. In seinen Pensieri sulla storia d’Italia294 bemerkte er: „Non solo in Italia, ma fuori, corre un’opinione, che a parer mio è un gran pregiudizio, che viene da una gran confusione. Dicesi da molti: Noi tendiamo alla democrazia, alla repubblica. Ma, a parer mio, bisogna distinguere la democrazia dalle repubbliche; […]“295

Obwohl Balbo den herausragenden Wert von Sismondis Werk für das italienische Nationalbewusstsein lobend hervorhob,296 stellte er ähnlich wie ­Reumont klar, dass Sismondis Darstellung der mittelalterlichen Republiken nicht den historischen Tatsachen entspreche, da Sismondi ihre Entstehungsumstände außer acht lasse und sie in ihrer Gestalt fälschlicherweise mit den modernen Republiken vergleiche und ihnen Freiheiten zuschreibe, die sie niemals besessen hätten. Diese seien nämlich stets innerhalb kurzer Zeit korrumpiert worden und in Tyrannei ausgeartet.297 Das Element der Schwäche sei dabei die Demokratie gewesen, der sich der Herrscher gegenüber dem Adel habe bedienen können, während ein Zusammengehen des Adels mit der Demokratie immer zu Revolutionen geführt habe.298 Demzufolge bezeichnete er die bisherigen europäischen Republiken als Dummheiten299 und erklärte, dass es nicht Aufgabe der Politik sei, sich mit den wenigen demokratischen Träumern zu befassen, sondern der Polizei.300 Allein dieses Beispiel mag genügen, um zu zeigen, welche große politische Bedeutung das Andenken Sismondis innerhalb des italienischen Risorgimento ein­ eumonts Engagement für nahm und welchen Wert die toskanischen Moderati R die Propagierung einer Deutung in ihrem Sinne beimaßen. In R ­ eumonts Nekrolog 293

Vgl. etwa die Bezugnahme auf Sismondi durch den führenden demokratischen Anführer des Mailänder Aufstandes gegen die Habsburger, Carlo Cattaneo – Lyttelton (2012), S. 177–178. 294 Cesare Balbo: Pensieri sulla storia d’Italia, Florenz 1858. 295 Ebenda, S. 117. 296 Ebenda, S. 469: „Ogni lettore ha già nominato il primo di tali lavori, la Storia delle repubbliche italiane del Sismondi; della quale io non so se siasi fatta mai un’altra mai, così subito e tanto lenta, e tanto passata in sangue ad una nazione. Nè è immeritamente.“ 297 Ebenda, S. 470–471. 298 Ebenda, S. 119: „La democrazia e il principato furono sempre più amici che la democrazia e l’aristocrazia: è la riunione di queste due contro il principato che sempre fece le rivoluzioni repubblicane; […].“ 299 Ebenda: „La civiltà ha questa gran virtù, non d’impedire, ma di accorciar le pazzie nazionali; e queste repubbliche in Europa furono e sarebbero vere pazzie.“ 300 Ebenda, S. 118.

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C. Publizistik

ging es also längst nicht nur darum, einem großen Intellektuellen ein Denkmal zu setzen, sondern die internationale Öffentlichkeit über das Andenken einer bekannten Persönlichkeit für die politischen Ziele der toskanischen Moderati hinsichtlich einer Reformierung der Toskana und der Schaffung einer zukünftigen nationalen Einigung zu beeinflussen. Wesentlich vorsichtiger stellte R ­ eumont den Lesern der Augsburger Allgemeinen Zeitung das von seinem Bekannten Giovan Battista Niccolini geschriebene Drama Arnaldo da Brescia vor, das den mittelalterlichen Reformer behandelte, der den Verzicht der Kirche auf Besitz und weltliche Herrschaft gepredigt und damit im Jahre 1143 den Römischen Senat in seiner Autonomieforderung gegen Papst Eugen III. unterstützt hatte, letztlich aber dem Bündnis zwischen Friedrich I. Barbarossa und Eugen III. bzw. später Hadrian IV. zum Opfer fiel und als Ketzer hingerichtet wurde.301 Arnold von Brescia wurde dann seit dem 18. Jahrhundert von den lombardischen Jansenisten als Symbol des Kampfes gegen die weltliche Herrschaft des Papstes und als Identifikationsfigur der sogenannten „Neoghibellinen“ des 19. Jahrhunderts zugleich als Vorkämpfer der italienischen Unabhängigkeit vom deutschen Kaiser gefeiert.302 ­Reumont griff dieses Drama trotz aller politischen Implikationen auf und stellte es hinsichtlich der dramatischen Handlung vor, um den deutschen Leser über eine der neuesten Erscheinungen der italienischen dramatischen Literatur zu informieren. Allerdings verzichtete er explizit darauf, die darin enthaltene antipäpstliche und antiösterreichische Polemik weiter auszuführen.303 Die Tatsache, dass R ­ eumont ein Werk in der Augsburger Allgemeinen Zeitung besprach, das seinem politischen Standpunkt vollkommen widersprach, zeigt, dass ­Reumont vor seiner persönlichen Revolutionserfahrung 1848/49 noch eine bemerkenswerte Rezeptionsbereitschaft an den Tag legte, indem er neben seinen eigenen Ansichten auch andere Meinungen vorzustellen bereit war. Während die antipäpst­ eumont liche Stoßrichtung sowie die Kritik am deutschen Kaisertum der Tragödie R missfiel, hätte eine eingehende Besprechung und Interpretation des Werkes unweigerlich die habsburgische Zensur auf den Plan gerufen, weshalb ­Reumont die politische Botschaft in seiner Anzeige weitgehend aussparte. Im Rahmen der von der Zensur gesteckten Grenzen, mit denen ­Reumont mittlerweile durch Selbstzensur umzugehen wusste, erhielt er den in der Antologia kennengelernten Anspruch 301 Vgl. Arsenio Frugoni: Arnaldo da Brescia, DBI 4 (1962) [URL: http://www.treccani.it/ enciclopedia/arnaldo-da-brescia_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 302 Vgl. Romedio Schmitz-Esser: Arnold von Brescia im Spiegel von acht Jahrhunderten Rezeption. Ein Beispiel für Europas Umgang mit der mittelalterlichen Geschichte vom Humanismus bis heute, Wien 2007. 303 Italienische dramatische Litteratur. Niccolini’s Arnold von Brescia, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 21. Februar 1844: „Es würde mir nun obliegen von der Gesinnung zu reden in der die Tragödie geschrieben ist. Aber ich habe diese schon in der Einleitung der Hauptsache nach angedeutet, und kann nicht verhehlen, daß ich mich in einiger Verlegenheit befinden würde, wenn ich im Detail darüber Auskunft geben sollte.“

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aufrecht, die Publizistik als Plattform für den Austausch unterschiedlicher politischer Ideen aufzufassen, um auf diese Weise dem gesellschaftlichen Fortschritt zu dienen. Gerade die Abbildung verschiedener politischer Auffassungen als Spiegel der Gesellschaft war auch das grundsätzliche Ideal der Augsburger Allgemeinen Zeitung, die diesen Anspruch freilich mit der Zensur in Einklang bringen musste.304 In dieses Muster fügt sich auch ein weiterer Artikel, der R ­ eumonts vorrevolutionäres Bild der Toskana unter der Herrschaft der habsburg-lothringischen Großherzöge exemplarisch verdeutlicht. Nach dem Tod des langjährigen Premierministers der Toskana, Vittorio Fossombroni, nutzte er den für die Augsburger Allgemeine Zeitung eingesendeten Nekrolog, um zugleich die Besonderheit der Toskana hervorzuheben.305 Denn Fossombroni war unter der Herrschaft Peter Leopolds aufgewachsen und von ihr geprägt worden, bevor er unter Ferdinand III. und Leopold II. Staatssekretär wurde. Folglich oblag es ­Reumont, die Geschichte der Toskana seit der Herrschaft Peter Leopolds (dem späteren Kaiser Leopold II.) zu rekapitulieren. Obwohl ­Reumont gegenüber Vieusseux einräumte, dass er keineswegs ein Anhänger des Systems Peter Leopolds sei,306 beschränkte er sich in seiner Darstellung auf die positiven Seiten von dessen Herrschaft und kritisierte dessen Aufhebung kirchlicher Privilegien nur beiläufig, indem er die erneute Annäherung seiner Nachfolger an die Römische Kirche lobte.307 Ansonsten entsprach er den Ansichten der Moderati, die maßvolle Reformen unter strikter Vermeidung von Revolution und Volksbeteiligung anstrebten und das napoleonische Verwaltungssystem ablehnten. So stellte er heraus, dass die Bevölkerung auch angesichts der Französischen Revolution treu zur Regierung gestanden habe.308 Demzufolge habe die Toskana gar keine Französische Revolution benötigt, da die notwendigen Reformen bereits durch Peter Leopold in Angriff genommen worden waren. Insofern sei es für die Toskana nur darum gegangen, sich irgendwie mit der

304 Vgl. Jörg Requate: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich [Helmut Berding / Jürgen Kocka / Hans-Peter Ullmann / Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Kritische Studien zur Geschichts­ wissenschaft 109], Göttingen 1995, S. 271–289. 305 Vittorio Fossombroni, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 129–130, 8.–9. Mai 1844. 306 BNCF Vieuss. C. V. 88,185, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 6. Mai 1844: „Je regrette seulement de ne pas avoir eu des détails sur sa vie: d’écrire à Florence p.r les attendre m’aurait conduit trop loin. J’ai donc dû me contenter de parler de l’administration du Grand Duché depuis les temps de P. Léopold. Je ne puis pas espérer que ma notice plaira a tout le monde, aussi me suisje vu gêné plus d’une fois, car je ne suis pas admirateur du système de Léopold sous plusieurs rapports quoique je doive reconnaitre le grand bien qu’il a fait au pays – j’admire encore moins Foss. lui-même, & pourtant j’ai dû reconnaitre ses mérites.“ 307 Vittorio Fossombroni, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 130, 9. Mai 1844. 308 Vittorio Fossombroni, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 129, 8. Mai 1844: „[…] die Toscaner hatten das viele Gute, welches ihnen durch die lothringisch-habsburgische Dynastie zu Theil geworden, erkannt, und waren dankbar dafür. Diese Gesinnung hat auch in späteren Zeiten das Land vor Unruhen bewahrt.“

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Herrschaft der Franzosen zu arrangieren, die ihnen aber keinen gesellschaftlichen Fortschritt beschert habe – wie manch einer fälschlicherweise behaupte: „Die Italiener schmiegten sich den neuen Formen an, aber ihre Wissenschaft war auf eignem Grund und Boden erwachsen und bewährte ihren alten Ruf. Beweis genug, wie oberflächlich solche urtheilen die auch in diesem Falle alles Gute von den Franzosen herleiten möchten.“309

Deswegen habe Florenz den nach dem Wiener Kongreß zurückkehrenden Ferdinand III. unter großem Jubel empfangen.310 Eine derartige Schilderung der jüngeren toskanischen Geschichte konnte die Zensur problemlos passieren. Gleichzeitig gelang es ­Reumont auf diese Weise, die Besonderheit und Fortschrittlichkeit der Toskana gegenüber den restlichen Staaten der Halbinsel zu rühmen und die Vorbildfunktion der Toskana für nationale Einigungsprojekte hervorzuheben, die ein Musterbeispiel für die Reformierung eines Staatswesens von oben, ohne revolutionäre Unruhen bot.311 Aus diesem Grund konnte dort auch die Restauration ohne Probleme durchgeführt werden: „Toscana ist das einzige Land in welchem die Restauration ohne Spur von Widerwillen wie ohne irgend eine Reaction stattfand; es ist das Land wo die größte vernünftige Freiheit bestand, und man am wenigsten mit Aengstlichkeit oder Mißtrauen verfuhr […]“312

Dieser Vorgang sei umso leichter gewesen, als man die wenigen Dinge, die während der „Franzosenzeit“ tatsächlich besser gewesen seien, beibehalten habe, während man die französische Gerichtsverfassung wie den Code Napoleon wieder abgeschafft habe. Durch die Wiedereinführung der leopoldinischen Verwaltung seien die Ausgaben drastisch reduziert worden, sodass die Toskana keine Staatsschuld mehr aufweise.313 Fossombroni, der die Staatsverwaltung an führender Stelle sowohl unter Ferdinand III. als auch Leopold II. mitgetragen und dadurch maßgeblich zur Vorbildfunktion der Toskana beigetragen habe, habe den Staat wie kaum ein anderer geprägt – auch wenn ihm dabei der „gesunde Sinn des Volkes“ sehr zur ­ eumont trotz seiner persönlichen Vorbehalte Hilfe gekommen sei.314 So gelangte R zu einem positiven Urteil über Fossombroni – allerdings nicht ohne dessen mangelnden Respekt vor traditionellen Privilegien doch noch zu kritisieren: „Ob man sich mit allen gouvernementalen Grundsätzen des Ministers einverstanden erklären möchte, ist eine andere Sache. Er war ein Mann der Leopoldischen Zeit, aufgewachsen unter Umwandlungen und Reformen, bei denen bestehende Berechtigungen nicht selten zu leiden hatten […]“315

309

Ebenda. Ebenda. 311 Vgl. dazu auch etwa Mascili Migliorini (2013), S. 6–7. 312 Vittorio Fossombroni, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 130, 9. Mai 1844. 313 Ebenda. 314 Ebenda. 315 Ebenda. 310

II. Politische Publizistik 

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Wie in diesen Beispielen verdeutlicht, vermittelte ­Reumont in seinen Berichten aus der Toskana die kulturellen und politischen Entwicklungen durchaus aus der Perspektive der Moderati, in deren Kreisen er sich vor Ort aufhielt. Allerdings wurden die politischen Botschaften zunächst hauptsächlich über die Betrachtung der Vergangenheit vermittelt, ohne direkt auf die zeitgenössische Politik einzugehen. Dies sollte sich erst mit der wachsenden Zuspitzung der politischen Situation auf der italienischen Halbinsel und den Revolutionen der Jahre 1848/49 ändern. Wie bereits dargelegt, veranlassten diese Entwicklungen ­Reumont, selbst im seinem ursprünglichen Anspruch nach unpolitischen Morgenblatt ausführlich auf die Auswirkungen der jüngsten politischen Entwicklungen auf Kultur und Gesellschaft Italiens einzugehen. Diese Politisierung seiner Berichterstattung musste umso mehr für seine Korrespondenz für die Augsburger Allgemeine Zeitung gelten, die hinsichtlich der Italienberichterstattung das führende deutschsprachige Blatt war.316 Mit dem Ausbruch der revolutionären Unruhen, der Flucht Metternichs aus Wien am 14. März 1848 und der Einführung der Pressefreiheit einen Tag später,317 ver­ eumont auf eine offene politische Berichterstattung, wobei er die legte sich auch R Entwicklungen weiterhin aus der Perspektive der Moderati bewertete, nun allerdings ganz konkret auf die Tagespolitik bezogen. Innerhalb der im Jahre 1847 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung verstärkt einsetzenden politischen Italienberichterstattung318 gehörte ­Reumont in dieser Zeit zu den führenden Korrespondenten aus der Toskana. In dieser Funktion reflektierte er die innertoskanischen Kontroversen um die Reform der Munizipalverfassung, eine der Hauptforderungen der Moderati. So nahm er im Februar 1848 die von Giuseppe Canestrini übersetzte und mit Anmerkungen versehene Memoria inedita del Visconte di Cormenin intorno la rappresentanza municipale, provinciale e nazionale, la formazione d’un Consiglio di stato, e l’insegnamento del diritto amministrativo in Toscana319 zum Anlass, den darin formulierten Forderungen nach universellem Wahlrecht entgegenzuhalten, dass derartige Ansichten keineswegs die Diskussion in der Toskana beherrschten. Vielmehr forderten Wortführer wie Leopoldo Galeotti, der innerhalb der Moderati als ausgesprochen liberal einzustufen sei,320 in seinen Denkschriften Della Riforma municipale321 und Delle leggi  e dell’amministrazione della Toscana322 lediglich eine Stärkung der Autonomie der einzelnen Gemeinden nach dem ideellen Vorbild der mittelalterlichen Kommunen, ohne indes demokratische Strukturen schaffen

316

Vgl. Petersen (2000), S. 157 u. 166–168. Vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 152. 318 Vgl. Ebenda. 319 Giuseppe Canestrini: Memoria inedita del Visconte di Cormenin intorno la rappresentanza municipale, provinciale e nazionale, la formazione d’un Consiglio di stato, e l’insegnamento del diritto amministrativo in Toscana, Florenz 1848. 320 Wie Forßmann (2017), S. 99 gezeigt hat, war Galeotti jedoch sehr wohl den ‚konservativen Liberalen‘ zuzuordnen. 321 Leopoldo Galeotti: Della Riforma municipale, Florenz 1847. 322 Ders.: Delle leggi e dell’amministrazione della Toscana, Florenz 1847. 317

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zu wollen.323 ­Reumont ergriff dabei Partei für die Ansichten Galeottis und machte deutlich, dass es sich bei diesem Projekt keineswegs „um eine Wiedererweckung der kleinen unruhigen Republiken des Trecento handelt“324. Damit trat er Kritikern der lokalen Autonomie wie Cesare Balbo entgegen, die gerade in den mittelalterlichen Stadtrepubliken mit ihren unterschiedlichen Interessen den Grund für die Zersplitterung und nationale Abhängigkeit sahen.325 Das einigende Element Italiens sah ­Reumont, genauso wie Niccolò Tommaséo, in der katholischen Religion und dem Papsttum, dem seit dem vielversprechenden Beginn des Pontifikats Pius’ IX. von zahlreichen liberalen Katholiken die ideelle Führungsrolle auf dem Weg zur nationalen Unabhängigkeit zugewiesen wurde.326 Die Verhaftung Tommaséos wegen seiner antiösterreichischen Publizistik durch die habsburgische Polizei im Januar 1848 zum Anlass nehmend, widmete R ­ eumont seinem dalmatischen Bekannten einen längeren Artikel in der Augsburger Allge­ meinen Zeitung, mit dem er, neben der Werbung für die italienische National­ bewegung unter Führung eines reformierten Papsttums, die Absicht verfolgte, die gegen Tommaséo erhobenen Vorwürfe zu entkräften, indem er ihn als frommen Katholiken darstellte, dessen politische Aussagen ausschließlich vor dem Hintergrund seiner Forderung nach einer allgemeinen Rückbesinnung auf die christliche Frömmigkeit zu verstehen seien. Demnach stand nicht etwa eine Reform der Kirche im Sinne einer Anpassung an neue gesellschaftliche Anforderungen auf der Agenda, sondern die Ausrichtung der Kirche wie der gesamten Gesellschaft auf das Christentum der Apostelzeit: Denn nach Tommaséo war das wahre apostolische Christentum in der Menschheitsgeschichte noch nie vollkommen in die Praxis umgesetzt worden, weshalb er keine Reform des Christentums, sondern überhaupt dessen Einführung in die Gesellschaft beabsichtigte.327 Ein derart komplexes Gedankenmodell, wie dasjenige Tommaséos, der hinsichtlich seines christlichen Ideals zu keinerlei politischen, geschweige denn realpolitischen Kompromissen, bereit war und dadurch sowohl von Seiten der habsburgischen Polizei als auch später im Rahmen der Repubblica Veneziana von Manin und seinen Anhängern als gefährlich eingestuft wurde,328 war in einem Zeitungsartikel kaum zu vermitteln. Deswegen beschränkte sich ­Reumont darauf, Tommaséos tiefen katholischen Glauben lobend hervorzuheben und die besondere Aufgabe Italiens als Sitz des Papsttums zu 323 Cormenin und die toscanische Municipalverfassung, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 34, 3. Februar 1848; zu Galeottis Schriften vgl. auch Forßmann (2017), S. 347–357. 324 Ebenda. 325 Vgl. Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 281–282. 326 Vgl. Herde (1986). 327 Vgl. dazu Pitocco (1972), S. 161–163. 328 Tommaséo lehnte jegliche realpolitischen Überlegungen ab. So lehnte er eine Kapitulation kategorisch ab, lehnte sich trotz der politischen Notsituation gegen eine Dikatur Daniele Manins auf und stimmte gegen jegliche Solidarität mit der Repubblica Romana, die er als antipäpstlich verurteilte. Vgl. Diego Redivo: Niccolò Tommaséo e la Repubblica Veneta, in: Senardi (2008), S. 61–70, hier S. 66–67.

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unterstreichen und Österreich indirekt einen Abzug aus der Lombardei in enger Absprache mit dem Papsttum nahezulegen. In der Annahme, dass die in Anbetracht der politischen Unruhen notwendig gewordene Neuordnung Italiens wohl kaum von Österreich selbst erfolgreich durchgeführt werden könne, führte ­Reumont ein Zitat Tommaséos an: „Und von der Religion allein kann die wahre Wiederbelebung Italiens ausgehen; das Schicksal Italiens ist in der Hand des Priesters; nur der katholische Glaube kann den heiligen Bund der Völker kräftigen und thätig machen. […] Von Italien ging die Größe und Weltmacht der christlichen Idee aus: von Italien wird, so hoffe ich, das Beispiel des neuen christlichen Priesterthums kommen. Wer den katholischen Glauben zerstören wollte, dessen Centrum Italien ist, wäre ein Feind des Vaterlandes.“329

Damit schloss sich ­Reumont der Hoffnung an, dass Pius IX. nicht nur die Kirche reformiere, sondern zudem der italienischen Nationalbewegung vorangehe und sie sowohl nach innen als auch nach außen repräsentiere. Nach dessen überaus erfolgreichem Amtsantritt in der schwierigen Nachfolge Gregors XVI., dessen Regierungszeit von ständigen politischen Unruhen begleitet war, allen voran den Aufständen von 1831/32,330 hatte er es tatsächlich vermocht, breite Teile der Eliten, nicht nur des Kirchenstaates, sondern auch in den übrigen italienischen Staaten durch vorsichtige liberale Reformen auf seine Seite zu ziehen.331 Dessen Führungs­ eumont an, könne ihn zu einem gerolle bei der Neuordnung Italiens, so deutete R eigneten Verhandlungspartner Österreichs über einen Abzug aus der Lombardei machen und die Einhaltung vertraglicher Zusicherungen zu beiderseitigem Vorteil garantieren. Um dem habsburgischen Vorwurf einer Ablehnung des Legitimitätsprinzips zu begegnen, wie sie in Tommaséos Besprechung von Cesare Balbos S­ toria d’Italia zu Tage getreten war,332 verwies ­Reumont darauf, dass Tommaséo den christlichen Glauben im Zweifelsfall zwar über das Prinzip der Legitimität stelle, dass jedoch gerade der christliche Glaube die Einhaltung der Legitimität gewährleisten könne. Deswegen sei es entscheidend, dass die Neuordnung Italiens der italienischen Identität entspreche und unter katholischen Vorzeichen, und nicht etwa unter Nachahmung französischer Vorbilder von statten gehe. Dass sich für Österreich wie für Italien aus dem liberal-katholisch Gedankengut und der Popularität Pius’ IX. durchaus Chancen ergaben, ihre politischen Probleme in der Lombardei zu lösen, versuchte R ­ eumont mit seinem Artikel über Tommaséo deutlich zu machen: „So schrieb Niccolò Tommaséo vor dreizehn Jahren, und von dem was er geahnt ist manches eingetroffen, und anderes wird eintreffen wenn die italienische Nation sich ihrer Aufgabe bewußt bleibt und klarer bewußt wird; wenn sie den legalen Weg nicht verläßt; wenn sie fremden Mächten die Anerkennung der Rechte nicht versagt auf welche sie selbst Anspruch

329

Niccolò Tommaséo, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848. Vgl. Candeloro (1962), Bd. 2, S. 175–187; Giacomo Martina: Pio IX (1846–1850) (Miscel­ lanea Historiae Pontificiae 38), Rom 1974, S. 49–80. 331 Vgl. Martina (1974), S. 97–121. 332 Vgl. Kapitel C. I. 1. ­Reumonts erste Versuche in der Antologia, S. 242–251. 330

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C. Publizistik

macht; wenn sie endlich sich frei erklärt von der leidigen Nachahmungssucht französischer Dinge […]“333

Eine Ausrichtung der Nationalbewegung auf Pius IX. und nicht auf liberale Ideen aus Frankreich sollte also nach R ­ eumonts Ansicht eine gütliche Einigung mit Österreich auf legalem Wege ermöglichen. Nach Ausbruch des Mailänder Aufstandes ­ eumont jedoch nicht nur seine toskanischen Bekannten am 17. März 1848 ließ R zu Wort kommen, sondern platzierte auch die Ideen liberal-konservativer Piemontesen, die die Schaffung einer um die Lombardei erweiterten konstitutionellen Monarchie Piemont-Sardinien befürworteten, auf den Seiten der Augsburger Allgemeinen Zeitung, so etwa Cesare Balbos Vorstellungen über einen „italienischen Verteidigungskrieg“.334 Nach dem Ausbruch der Revolutionen in den Staaten des Deutschen Bundes konnte auch in der Augsburger Allgemeinen Zeitung wesentlich freier berichtet werden, als zuvor gewohnt, sodass auch ­Reumont sich für eine pragmatische Vorgehensweise gegenüber den Revolutionen aussprach. Im Privaten hatte er bereits dafür plädiert, dass man sowohl in Preußen als auch in Rom eine Verfassung erlassen und der nationalen Bewegung vorangehen müsse, um die Revolution unter Kontrolle zu halten und die Ausrufung einer Republik zu vermeiden.335 Auch wenn ungewiss sei, wo das alles hinführen werde, müsse der konstitutionelle Weg eingeschlagen werden und man dürfe sich nicht an die Ordnung des Wiener Kongresses klammern. So führte er gegenüber Vieusseux hinsichtlich seiner Einschätzung der preußischen Lage aus: „Enfin le mouvement est immense – partout ! Les troubles chez nous ce me feraient pas peur, si je ne craignais pas que nous avons perdu le moment favorable de nous mettre à la tété du mouvement en Allemagne. Je l’ai craint dès le commencement. […] Plat à Dieu que les Etats fassent déjà réunis & que le Roi eût proclamé une Constitution plus large ! Si non, Dieu sait ce qui arrivera. Mais, quoiqu’il nous arrive, le Système Metternich est à jamais fini.“336

Vor diesem Hintergrund hielt er es für angebracht, den erwachenden Nationen Rechnung zu tragen und forderte, dass sich die Staaten darum bemühen müssten, über eine Bevölkerung möglichst einheitlicher Nationalität zu regieren, da nationale Minderheiten ein ständiges Gefahrenpotenzial bergen würden. Deswegen sei es im Interesse Preußens, sich von Posen zu trennen und Österreichs, sich von der Lombardei zu trennen.337 Um zu vermeiden, dass die Lombardei durch das durch 333

Niccolò Tommaséo, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848. Graf Cesare Balbo über den Vertheidigungskrieg in Italien, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 25. März 1848. 335 Vgl. etwa ­Reumonts entsprechende Äußerungen gegenüber Vieusseux: BNCF Vieuss. C. V. 88, 237: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 7. März 1848; 238: ­Reumont an Vieusseux, Rom, 14. März 1848; 336 Ebenda, 240, ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 25. März 1848. 337 Ebenda, 241, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. April 1848: „Le drapeau tricolore Allemand flatte maintenant sur les palais de Berlin & sur la Cathédrale de Cologne – l’Allemagne unie pourra bien quelque chose ! Alors il sera un gain p.r l’Autriche de perdre la Lombardie, & p.r 334

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den Abzug der Österreicher entstandene Machtvakuum unter Kontrolle republikanischer Kräfte gelange, sei es notwendig, dass Sardinien-Piemont sich die Lombardei einverleibe und ein starker monarchischer Staat im Norden der Halbinsel entstehe. Wie bereits gezeigt, bezog sich R ­ eumont dabei auf die schon 1838 von König Karl Albert artikulierte Rhetorik.338 Diese pragmatischen Überlegungen zur Erhaltung des monarchischen Prinzips unter Berücksichtigung der Forderungen der Nationalbewegung äußerte R ­ eumont ungefähr einen Monat später auch öffentlich in der Augsburger Allgemeinen Zeitung.339 Hatte sich R ­ eumont noch vor dem Ausbruch der Cinque Giornate innerhalb dieser Zeitung als einer der wenigen Korrespondenten hervorgetan, die nicht der habsburgischen Präsenz in der Lombardei das Wort redeten, mutete die Forderung eines habsburgischen Abzugs und einer Schaffung eines starken norditalienischen Staates unter einer konstitutionellen Monarchie mittlerweile gemäßigt an. Der in Venedig lebende und mit ­Reumont in Kontakt stehende Dichter und Publizist Heinrich Wilhelm August Stieglitz etwa340 forderte in seinen Korrespondenzen ein Zusammengehen von deutscher und italienischer Nationalbewegung gegen den gemeinsamen Feind Österreich.341 Für die Zeit der europäischen Erhebungen hatte sich das Italieninteresse der deutschen Öffentlichkeit noch einmal deutlich auf die deutsche Situation ausgerichtet. Die Bewertung der italienischen Situation hing in erster Linie vom politischen Hintergrund des Betrachters ab. Während in konservativen Kreisen der habsburgische Besitz in Italien nicht verhandelbar war, forderten Vertreter der Linken, bis in das liberale Lager hinein ein Zusammengehen der beiden Nationalbewegungen. Letztlich sollten jedoch auch die Liberalen, darunter selbst erklärte Italienfreunde wie Mittermaier, in der Paulskirche die deutschen Nationalinteressen über das Prinzip der Solidarität im Sinne eines kosmopolitischen Natio­ eumonts Bewertung der italienischen National­bewegung nalismus stellten.342 Bei R spielten dagegen weniger die deutschen Interessen eine Rolle als vielmehr die Frage nach dem politisch Möglichen – unter Vereinbarkeit mit dem monarchischen Prinzip la Prusse de perdre Posen, au prix de redevenir Allemandes & de ne s’avoir plus à contenir des populations de nationalités si différentes.“ 338 Ebenda, 242, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 18. April 1848: „Et ici encore l’on se demande ce que va devenir la Lombardie, une fois détirée des Autrichiens, avec les éléments de désordre qui malheureusement se manifestent de toute part ? La meilleure chose serait de se réunir au Piémont pour former là un état fort & ferme à jamais les Alpes.“; Carlo Alberto di Savoia Carignano: Réflexions historiques, Turin 1838; vgl. Romagnani (1985), S. 70; vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 85–86. 339 Römische Verfassung und Curie, Reformen und Aussichten, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 131, 10. Mai 1848. 340 NL ­Reumont, S 1066, Heinrich Wilhelm August Stieglitz an ­Reumont, Venedig, 9. November 1847; zu Stieglitz vgl. Friedrich Kummer: Stieglitz, Heinrich Wilhelm August, ADB 36 (1893), S. 177–180 [URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119396289.html#adbc​ ontent], letzter Zugriff: 24. 08. 2018. 341 Deutschland, Oesterreich, Italien, Augsburger Allgemeine Zeitung, 26. Mai 1848. 342 Vgl. Clemens (2011), S. 244; Altgeld (1984), S. 322–331; zu den unterschiedlichen nationalen Konzeptionen vgl. auch Siemann (1995), S. 297–312.

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und einer festen gesellschaftlichen Verankerung des Christentums. Im Gegensatz zu den meisten Liberalen verwarf er in diesem Kontext nicht seine grundsätzliche Sympathie für die italienische Nationalbewegung und seine Kritik an der österreichischen Herrschaft auf der Halbinsel. Darin folgte ­Reumont ebenfalls dem politischen Programm der Moderati, die zwar im Falle einer Vertreibung der Österreicher einen Anschluss der Lombardei an Sardinien-Piemont favorisierten, um die Ausrufung einer Republik zu verhindern, zu diesem Zeitpunkt jedoch keinesfalls einen Anschluss der restlichen Staaten an das sardische Königreich zulassen wollten. Die Toskana sollte ein unabhängiger Staat bleiben und Großherzog Leopold II., der sich trotz seiner habsburgischen Verwandtschaftsbeziehungen am Krieg gegen Österreich beteiligte, stand unter den Moderati nicht zur Disposition. Deswegen blieb in diesen Kreisen zunächst die Ansicht vorherrschend, im Falle einer erreichten nationalen Unabhängigkeit eine Föderation eher locker miteinander verbundener Staaten zu bilden. ­Reumont sah indes die Gefahr, dass innerhalb der Nationalbewegung, bedingt durch die jüngsten Entwicklungen, das Pendel zugunsten von republikanisch-unitaristischen Tendenzen ausschlagen könnte. Denn in Neapel war König Ferdinand II. bereits seit Mitte Mai 1848 erfolgreich zur Gegenrevolution übergegangen und nahm seitdem die zuvor gemachten liberalen Konzessionen schrittweise wieder zurück, während seit Pius’ IX. Absage an den Krieg gegen Österreich vom 29. April 1848 die Hoffnungen auf einen patriotischen Papst, der die Bewegung in gemäßigte Bahnen leiten würde, begraben werden mussten. Dies führte dazu, dass sich bei Teilen der Nationalbewegung die Erkenntnis durchzusetzten begann, dass nicht nur die Österreicher als Feinde der nationalen Unabhängigkeit zu betrachten seien, sondern auch die absolutistisch regierenden Souveräne. Über diese Entwicklungen berichtete R ­ eumont in der Augsburger Allgemeinen Zeitung sehr ausführlich, indem er die Ereignisse seit Oktober 1847 bis zur Gegenwart, das heißt bis Mitte Juni 1848, der Reihe nach mit ihren jeweiligen (vorläufigen) Auswirkungen rekapitulierte.343 In seiner Analyse der gegenwärtigen Situation wiederholte er dahingehend die politische Notwendigkeit, dass die Lombardei sowie die faktisch herrenlosen Staaten Parma und Modena an Sardinien-Piemont anzuschließen seien, um eine konstitutionell monarchische Ordnung zu etablieren und eine weitere Radikalisierung zu verhindern.344

343

Italien und die Einheitsprojekte, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 164, 12. Juni 1848. 344 Ebenda: „Je mehr sich aber dieser Krieg in die Länge ziehen kann, um so nöthiger ist es daß man sich zu organisiren suche: nur da wo Einheit des Wollens und des Wirkens, Ruhe im Innern bestehen, […] nur da wird man im Stande seyn den Schwierigkeiten einer Lage wie die der Lombardei mit Aussicht des Erfolges zu begegnen. Die große Majorität der Bevölkerung der im gegenwärtigen Augenblick herrenlosen Länder hat dieß sehr wohl begriffen: der von derselben kundgegebene Entschluß mit Piemont sich zu verbinden und die bisher nicht geringen, wesentlich municipalen Antipathien wie alte dynastische und nachbarliche Feindschaft dem

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Obwohl R ­ eumont die Führungsrolle Sardinien-Piemonts anerkannte, wies er darauf hin, dass durch die Ereignisse in Rom und Neapel die unitaristischen Tendenzen erstarkt seien. Dies sei jedoch insbesondere mit Blick auf die Toskana fatal, weil sie sich in ihren Traditionen und Strukturen zu sehr von Piemont oder der Lombardei unterscheide: Deswegen müsse ein großer norditalienischer Staat geschaffen werden, der sich mit der Toskana sowie den weiteren Staaten in einer Konföderation zu einigen habe, um die Probleme einer Angleichung der verschiedenen Regionen vermeiden zu können.345 Dementsprechend verteidigte ­Reumont in seinen Berichten das Festhalten der Moderati an ihrem Konföderationsprojekt unter Beibehaltung einer umfassenden toskanischen Eigenständigkeit gegen die Polemik einiger nicht-toskanischer Zeitschriften, die eine derartige Haltung, die sich dem Anschluss an Sardinien-Piemont widersetzte als unpatriotisch und eigennützig diffamierten und Großherzog Leopold II. als Semi-Austriaco beschimpften.346 Obwohl er zur Rechtfertigung der toskanischen Sonderstellung auf das von Sismondi etablierte Bild der einträchtigen Toskana rekurrierte, in der das Halbpachtsystem (mezzadria) zwar keinen Reichtum generiere, aber Armut und Hunger, wie es aus britischen Industriestädten bekannt war, verhinderte und dadurch ein einträchtiges Zusammenleben der gesellschaftlichen Klassen garantierte,347 räumte er zugleich ein, dass die Toskana bislang unter einer fehlenden politischen Öffentlichkeit gelitten habe. Ähnlich wie Sismondi, der in seinen Etudes sur l’économie politique348 trotz seines Lobes auf den vorbildlichen sozialen Zustand der Toskana auch auf die Fehler der Habsburg-Lothringer hinwies, die durch eine Zentralisierung der Verwaltung dem republikanischen Geist zuwider gehandelt und damit eine zivilisatorische Stagnation verursacht hätten,349 beklagte auch R ­ eumont die fehlende politische Reife: „Es ist wahr, Toscana mußte sich erheben aus jener Art politischer Apathie welche sich wie eine drückende Last auf die öffentlichen Verhältnisse gelegt hatte und einen gefährlichen Stillstand veranlasste […]“350

Die Umsetzung des Programms einer Munizipalreform, die eine Dezentralisierung und eine Stärkung der lokalen Grundbesitzer beinhalten sollte und damit zu einer politischen Mitbestimmung – zumindest der gebildeten und besitzenden soStreben nach einem großen Ziel hintanzusetzen kann […] nur als das Resultat einer richtigen Beurtheilung der gegebenen Verhältnisse betrachtet werden.“ 345 Ebenda. 346 Die Nivellierungssucht gegen Toscana, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 165, 13. Juni 1848. 347 Zu Sismondis mezzadria-Studien vgl. Pazzagli (2003), S. 240–247; Sofia (2013), S. 50–54. 348 Jean Charles Simonde de Sismondi: Etudes sur l’économie politique, Paris 1837. 349 Ebenda, S. 316. Deswegen gelangt Sismondi zu dem Fazit (S. 324): „Nous l’invitons à regarder à son tour les autres peuples, afin de se bien persuader que l’imitation n’est pas toujours une amélioration, et que le progrès auxquels d’autres sont appelés pourraient souvent n’être pour lui que des pas en arrière.“ Vgl. auch Sofia (2013), S. 50–54. 350 Die Nivellierungssucht gegen Toscana, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 165, 13. Juni 1848.

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zialen Schichten – führen sollte, hatte nach ­Reumont also, trotz der bereits zu diesem Zeitpunkt auftretenden Gefahren einer Politisierung breiterer Massen, dennoch seine Berechtigung. Gleichwohl hatte er dabei lediglich eine moderate Diskussion politischer und sozialer Fragen im Sinn und kritisierte bereits die nach dem Erlass des toskanischen Pressegesetzes vom 6. Mai 1847 gegründeten Zeitungen L’Alba und La Patria für ihre eindeutig gegen Österreich gerichteten Artikel. Denn bei aller Berechtigung der Forderungen nach einer politischen Öffentlichkeit dürfe man nicht die Augen vor der Realität verschließen, dass nun einmal Österreich die Vorherrschaft in Italien inne habe, weshalb man Provokationen vermeiden sollte, um nicht das bisher Erreichte zu gefährden.351 Obwohl auch er selbst in seinen Artikeln von der Pressefreiheit profitierte und wesentlich offener als zuvor die habsburgische Herrschaft in der Lombardei kritisieren konnte, hielt er einen dezidiert feindlichen Ton gegenüber Österreich für kontraproduktiv  – zumal der Ausgang des Krieges ungewiss war. Entsprechend düster malte er sich die Zukunft Italiens nach der Niederlage Karl Alberts bei Custoza vom 25. Juli und dem anschließenden Waffenstillstand des Generals Salasco vom 9. August 1848 aus. Nach dem Sieg der Österreicher musste es sich rächen, dass man sich nicht mit den graduellen Reformen begnügt habe, sondern den Weg des offenen Aufstandes und einer entfesselten, gegen Österreich hetzenden Presse beschritten habe. Die fatalen Folgen seien nunmehr kaum zu vermeiden, wie er Vieusseux erklärte: „Et Dieu sait si dans 2–3 jours je n’apprendrai que les Autrichiens sont en Toscane ! Mon cher et bon ami – nous nous sommes bercés de trop belles espérances ! Nous avons cru dans le bon sens des masses – tout ce que je vois me fait craindre que la crise la plus terrible s’approche de plus en plus, si une réaction des plus rigoureuses mais juste ne vient prendre la place de ces gouvernements à concessions. Dieu veuille que je me trompe !“352

Zunächst blieb der Toskana jedoch ein österreichischer Einmarsch erspart: Eine britisch-französische Vermittlung hatte erreicht, dass das österreichische Heer zu-

351

Vgl. R ­ eumonts eindringliche Warnungen vor einer Provokation Österreichs: BNCF Vieuss. C. V. 88,232, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 14. Juli 1847: „J’ai vu le 1er N.o de la Patria et de l’Alba: les Ridolfi les ont eu. Mon cher ami – si Vos Florentines vont de ce train-là, au commencement déjà, les choses finiront mal ! Pensez à ce que je V.s dis. Les Gouvernements seront forcés à revoir sur leurs pas & c’est la faute de ceux, dont je ne veux pas attaquer les institutions, mais qui ne paraissent pas être corrigés par les tristes expériences. On fait vraiment comme s’il n’y avait pas d’Autriche – à quoi bon tout cela ? La France sera contre Vous, & le malheur sera au comble. Les Romains sont comme des enfants – Dieu veuille que l’état des choses, qui est là déjà assez sérieux, n’empire pas. Mon premier article dans l’Allgemeine ne peut pas Vous plaire, je le savais, mais ça ne change aucunement le fond de mon raisonnement. Je continuerai, mais d’une manière plus marquée, car je ne prévois que des malheurs si l’on ne modère pas cette espère d’élan. Vous savez que j’aime & combien j’aime l’Italie & la Toscane: V.s ne pouvez donc pas douter que je ne suis très-sérieux.“; zur Entwicklung einer politischen Öffentlichkeit und der Presse in der Toskana während dieser Zeit vgl. ausführlich Forßmann (2017). 352 BNCF Vieuss. C. V. 88,245, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 15. August 1848.

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sagte, nicht in die Toskana einzumarschieren, wenn diese sich ruhig verhalte.353 Nachdem der Großherzog nach dem Rücktritt des Ministeriums Ridolfi, das sich den von der Nachricht der Niederlage von Custoza und der damit verbundenen Befürchtung eines österreichischen Einmarsches hervorgerufenen Unruhen nicht gewachsen sah, Gino Capponi mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt hatte, schien die Aussicht auf eine Beruhigung der Situation gegeben zu sein.354 Dieser hatte es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, die innenpolitische Lage zu entschärfen und den Ausgleich mit Österreich zu suchen, um eine Besatzung der Toskana zu vermeiden. R ­ eumont setzte große Hoffnungen in die Regierung Capponis, dessen Ideen hinsichtlich der politischen Ordnung Italiens als eine Konföderation weit­ eumont gehend autonomer Staaten unter Beibehaltung der legitimen Souveräne R kannte und unterstützte. Mit entsprechendem Entsetzen musste ­Reumont dann im November in der Augsburger Allgemeinen Zeitung berichten, dass die Moderati, in die er seine Hoffnungen hinsichtlich eines maßvollen politischen Fortschritts gesetzt hatte, nicht das notwendige politische Talent besaßen, um sich angesichts einer zunehmenden Politisierung der Bevölkerung, die sie selbst mit angestoßen hatten, den populistischen Agitationen Giuseppe Guerrazzis und Giuseppe Montanellis entgegenstellen zu können.355 Nachdem das Ministerium Capponi nicht der seit August in Livorno tobenden Unruhen Herr werden konnte, hatte sich Capponi am 12. Oktober zum Rücktritt entschlossen. In seiner verzweifelten Lage hatte Leopold II. anschließend ein demokratisches Ministerium mit Montanelli als Präsident und Außenminister sowie Guerrazzi als Innenminister eingesetzt. Es hatte sich gezeigt, dass die toskanischen Moderati weder bereit noch in der Lage waren, Politik unter Rückgriff auf die außerparlamentarische Öffentlichkeit zu betreiben. Während sie es ablehnten, sich inhaltlich mit politischen Straßendemonstrationen auseinanderzusetzen, versuchten sie, mit gewaltsamen Mitteln (über die sie jedoch nicht in ausreichendem Maße verfügten) die Demonstrationen niederzuwerfen. Dagegen verstanden es die Demokraten, umfänglichere Teile der städtischen Unter- und Mittelschichten für ihre Politik zu gewinnen und ließen dem Großherzog bald keine andere Wahl, als ein demokratisches Ministerium einzusetzen, das mit dem Projekt einer verfassunggebenden Versammlung für Italien ein eindeutig nationales Programm verfolgte.356 Dieser durchaus revolutionäre Kurs des demokratischen Ministeriums, der die Souveränität der italienischen Monarchen in Frage stellte, erregte auch außerhalb der Toskana Aufsehen und führte dazu, dass seit Mitte November zahlreiche führende Republikaner den Weg in die Toskana fanden, die zum Zentrum der republikanischen Nationalbewegung mutierte.357 353

Vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 286–287; Chiavistelli (2006), 308. Vgl. Chiavistelli (2006), S. 303–311. 355 Aus Mittelitalien, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 309, 4. November 1848. 356 Vgl. Chiavistelli (2006), S. 310–311 u. 320–322. 357 Vgl. Ebenda, S. 323–333. 354

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Die Erkenntnis, dass die Politik der moderaten Reformen, die auch ­Reumont selbst zuvor in seinen Publikationen unterstützt hatte, kläglich gescheitert war und die Moderati in ihrer politischen Unerfahrenheit den Demokraten den Weg geebnet hatten, schien die Bedenken der Hochkonservativen, dass liberale Reformen nur ­ eumont sollte es eine traumatische in die Revolution führen, zu bestätigen.358 Für R Erkenntnis sein und seine politischen Ansichten für den Rest seines Lebens nachhaltig prägen. In der Augsburger Allgemeinen Zeitung stellte er dazu fest: „[…] es ist den Moderirten gegangen wie dem Lehrling, des alten Hexenmeisters: sie haben das geisterbannende Wort nicht gekannt oder vergessen, und nun schlagen ihnen die Wasser über den Köpfen zusammen.“359

Diese Erfahrung sollte R ­ eumonts Vertrauen in gemäßigte liberale Reformen schwer erschüttern und ließ ihn in der Folge jeden Versuch, die legitimen Souveräne in ihren politischen Entscheidungen unter Druck zu setzen, mit Argwohn betrachten. Angesichts der offenkundigen politischen Unerfahrenheit der Liberalen musste der Erhalt der öffentlichen Ordnung seiner Meinung nach allein von den legitimen Souveränen abhängen. R ­ eumont sah sich durch das Scheitern der toskanischen ­Moderati in seiner seit Beginn des italienischen Unabhängigkeitskrieges wiederholt geäußerten Befürchtung bestätigt, dass die republikanischen Kräfte der Nationalbewegung die unsicheren Verhältnisse während des Krieges und der Neugestaltung Italiens nutzen könnten, um sich an die Spitze zu setzen. Deshalb hatte er zuvor immer wieder an die Einigkeit der Herrscher in ihrem Vorgehen appelliert. Auch König Karl Albert dürfe sich trotz der politischen Führungsrolle Sardinien-Piemonts in der italienischen Nationalbewegung nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich unter denjenigen, die ihre nationalen Hoffnungen in seine Person setzten auch zahlreiche Republikaner befänden, die sich im Zuge einer sich auflösenden Ordnung auch bald gegen ihn selbst richten könnten.360 ­Reumont hatte keine Zweifel daran, dass es Karl Albert ähnlich wie etwa den ins Exil geflohenen Leopold II. und Pius IX. gehen 358 Vgl. etwa das Urteil Leopold von Gerlachs in einem Brief an seinen Bruder Ludwig: „In Italien sind die Fürsten, welche die Revolution bekriegt [haben], noch fest auf ihrem Thron und Herren ihres Landes, Neapel, Österreich, die [aber], welche liberalisiert haben, Pio IX. und Leopold II., vertrieben.“ [Hellmut Diwald (Hrsg.): Von der Revolution zum Norddeutschen Bund. Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig Gerlach, Zweiter Teil: Briefe, Denkschriften, Aufzeichnungen, Göttingen 1970, Nr. 96, Leop. v. Gerlach an seinen Bruder Ludwig, Berlin, 5. März 1849, S. 624–626, hier S. 625. 359 Aus Mittelitalien, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 309, 4. November 1848. 360 Italien und die Einheitsprojekte, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 164, 12. Juni 1848: „Es gibt Leute, deren Zahl ich übrigens für sehr gering halte, welche ganz ehrlich glauben das Heil Italiens besteh darin daß von den Alpen zum Lilybäum Einer herrsche; es gibt andere in denen dieser Wunsch nichts als versteckter Municipalismus ist, indem sie wohl einen Theil Italiens, nicht aber einen Theil z. B. der sardischen Monarchie bilden wollen; es gibt noch andere endlich, und diese sind bei weitem die zahlreichsten, welche nur darum in die Unitätstrompete stoßen weil sie zu günstiger Zeit unter diesem Deckmantel ihre republicanischen Velleitäten am besten durchsetzen zu können hoffen, nachdem einmal alle Sondergestaltung hinweggeräumt seyn werde. Von allen drei Nüancen dieser einen Farbe haben die meisten Individuen sich für jetzt an Karl Albert angeschlossen, dessen Pläne sie nicht wenig gefördert

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werde, wenn die Republikaner die übrigen Staaten erst unter ihre Kontrolle gebracht haben würden. Diese Befürchtung prägte seine Skepsis gegenüber einem italieni­ eumonts schen Einheitsstaat, der nach den bis dahin gemachten Erfahrungen aus R Perspektive nur allzu leicht unter die Kontrolle der Republikaner geraten könnte. Gerade deswegen wurde er nicht müde, daran zu erinnern, dass die ursprüngliche Forderung der Italiener die nach einer Konföderation gewesen sei. Im November 1848 besprach ­Reumont die von Vieusseux im Juni desselben Jahres veröffentlichten Frammenti sull’Italia nel 1822 e Progetto di Confederazione, mit denen auch der Herausgeber der Antologia sowie des Archivio Storico Italiano die italienische und österreichische Öffentlichkeit davon zu überzeugen versuchte, dass das Heil der italienischen Nationalbewegung allein in einer Konföderation liege.361 Hierbei handelte es sich um zwei Briefe, die Vieusseux an den Sekretär der österreichischen Botschaft in Toskana, Baron von Walter und den Botschafter, Graf von Bombelles anlässlich der Verhandlungen auf dem Kongress von Verona 1822 mitgegeben hatte. Darin kam er der Bitte des österreichischen Botschafters nach, ein Memorandum über die Möglichkeiten einer Verbesserung der politischen Situation auf der italienischen Halbinsel zu verfassen. Nachdem die Revolutionen im Königreich beider Sizilien und Piemont 1820–21 durch österreichische Interventionstruppen niedergeworfen worden waren, stellte sich nämlich die Frage, wie die politische Situation in Italien stabilisiert werden könne, um auch nach dem Abzug der Interventionstruppen die Ordnung aufrechtzuerhalten.362 Auf den Kongressen von Troppau (1820), Laibach (1821) und Verona (1822) ging es dann um die langfristige Sicherung der auf dem Wiener Kongreß beschlossenen Ordnung und des monarchischen Prinzips. Wie Vieusseux in seiner Vorrede zur Veröffentlichung der Briefe vom Juni 1848 selbst anmerkte, handelte es sich allerdings um einen von der Rücksichtnahme der österreichischen Militärpräsenz geprägten Entwurf, der die Zustände der Toskana unter habsburgisch-lothringischer Herrschaft bewusst verherrlichte, um auf dieser Grundlage überhaupt Forderungen gegenüber der österreichischen Diplomatie formulieren zu können.363 Trotz aller Rücksichtnahme auf die damalige politische Situation der italienischen Halbinsel nutzte Vieusseux jedoch durchaus die Gelegenheit, heftige Kritik an der österreichischen Herrschaft in Italien zu formulieren: In seinem Brief an von haben, gegen den aber, wenn er nicht große Vorsicht anwendet, früher oder später diesselben Kräfte sich zu wenden drohen welche jetzt scheinbar aufrichtig seine Sache führen.“ 361 Vgl. Raffaele Ciasca: L’origine del „programma per l’opinione nazionale italiana“ del 1847–8, Mailand / Rom / Neapel 1916, S.  266–271; Francesco Guardione: Di un nuovo assetto politico degli Stati italiani proposto da G. P. Vieusseux per il Congresso di Verona (1822), Rassegna storica del Risorgimento 14 (1927), Nr. 3, S. 507–524; Zur italienischen politischen Literatur, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 334, 29. November 1848. 362 Vgl. auch die Depesche Metternichs an Bombelles, Laybach, 29. April 1821, in: Nicomede Bianchi: Storia documentata della diplomazia europea in Italia dall’anno 1814 all’anno 1861, Bd. 2, Turin 1865, S. 311–313. 363 Guardione (1927), S. 510–512.

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Walter364 erläuterte er, dass die habsburgische Herrschaft auf italienischem Boden nämlich nur so lange sicher sei, wie sie über die notwendigen militärischen Mittel verfüge, das Volk in Schach zu halten. Um aber eine dauerhafte Präsenz etablieren zu können, sei es notwendig, die Bevölkerung für sich zu gewinnen und den Forderungen nach liberalen Verfassungen und nationalen Institutionen entgegenzukommen. Als Vorbild führte Vieusseux dabei die Toskana an, wo Peter Leopold seinerzeit immerhin eine Verfassung entworfen habe.365 Nun, erklärte er, wären die Toskaner sicherlich dankbar, wenn sich Großherzog Ferdinand III. dazu entschließen würde, eine Verfassung zu erlassen – freilich seien sie für dessen wohlwollende Herrschaft derart dankbar, dass sie nicht zu einem solchen Schritt drängen mochten.366 Die besonnene Einstellung der Bevölkerung sei dabei der toskanischen Elite zu verdanken, die durch ein Bildungsprogramm die Toskaner zu einer aufgeklärten und religiösen Bevölkerung erzögen – ein großes Eigenlob für das Engagement der Moderati im Umfeld der Antologia, die dadurch ein friedliches Nebeneinander der unterschiedlichen Klassen zu garantieren beabsichtigten und sich auf diese Weise als zuverlässiger politischer Partner des Großherzogs zu präsentieren suchten.367 Hinsichtlich einer stabilen Neuordnung Italiens schlug Vieusseux indes eine Staatenkonföderation vor, die jedoch nur sinnvoll sei, wenn ihr eine nationale Versammlung voranstehe.368 In seinem Brief an den Grafen von Bombelles ging er sogar noch weiter und stellte fest, dass eine Konföderation von vornherein illusorisch sei, wenn nicht zuvor alle beteiligten Souveräne eine liberale Verfassung erließen.369 In seiner Besprechung dieser Briefe in der Augsburger Allgemeinen Zeitung verschwieg ­Reumont jedoch die unter den damaligen Umständen sehr offen formulierte Forderung nach einem Abzug der Österreicher und nach liberalen Verfassungen in den an der Konföderation beteiligten Staaten. Dazu bemerkte Vieusseux im Juni 1848 hinsichtlich der veröffentlichten Briefe:

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Ebenda, S. 513–518. Ebenda, S. 516. 366 Ebenda, S. 517: „Può bensì venire il giorno che questo Granduca o il suo successore giudichino conveniente di assicurare con una Costituzione ai Toscani un benefizio poco oggi comune, e che essi non debbano in parte che al carattere personale del Principe e de’ suoi ministri. Se ciò avvenga, i Toscani riceveranno senza dubbio questo regalo con piacere e con riconoscenza; ma eglino si trovano oggidì in troppo buone condizioni, per apprezzarne in generale l’importanza, anzi per pure immaginarla: e i pensatori che a codesto mirano, sono troppo pochi di numero, e d’altra parte troppo affezionati al Granduca, per volergli cagionare la minima inquietudine.“ 367 Ebenda. 368 Ebenda, S. 518: „una confederazione possibile degli Stati italiani che, senza dare ombra all’Austria, procurerebbe agli Italiani una certa consistenza politica, una forma di nazionalità che lusingherebbe e contribuirebbe potentemente a ricondurre l’ordine e la tranquillità. Ma come ogni confederazione sarebbe illusoria se gli stati che la compongono non fossero rappresentati da una specie di Dieta, e come non è reale la rappresentanza se non è nazionale; così mi sembra per ora superfluo intavolare questa questione.“ 369 Ebenda, S. 519. 365

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„Quel ch’io ardiva domandare allora, sembrava già  a me medesimo eccessivo; ora certo non mi contenterebbe, n’e potrebbe contentare nessun italiano amico dell’indipendenza nazionale o apprezzatore dei futuri destini dell’Italia: ma certo è pure, che anche per la via da me indicata, si sarebbe potuto conseguire un gran risultato; e che se Metternich leggesse o rileggesse quel mio scritto, egli dovrebbe chinare il capo, e confessare ch’io non m’ingannavo quando davo ad intendere che tosto o tardi l’Austria per propria colpa perderebbe l’Italia.“370

Vieusseux beabsichtigte also durch die nachträgliche Veröffentlichung der Briefe zu demonstrieren, dass die Österreicher schon im Jahre 1822 über ihre kritische Position in Italien Bescheid wussten, aber seine Vorschläge und Warnungen nicht ernst genommen hatten. Nun würde er sich noch nicht einmal mit den zu jener Zeit unrealistisch erscheinenden Forderungen zufrieden geben. ­Reumont stellte diese Briefveröffentlichung dagegen wesentlich versöhnlicher gegenüber Österreich dar und behauptete, dass sich das Programm der Moderati seit 1822 nicht geändert habe. In seiner im November veröffentlichten Besprechung ordnete er die Briefe ganz anders ein, als der Autor selbst, indem er erklärte: „Diese Briefe zeigen wie die Idee der Föderation […] welche gegenwärtig wesentlich das Programm der gemäßigten Partei bildet, auch damals schon vorhanden war als man von der Unabhängigkeit der ganzen Halbinsel noch absah und Österreich und dieser Macht den Besitz der Lombardei sichernden Verträge acceptierte. Nicht als wenn das Verlangen nach ‚nationaler Unabhängigkeit‘ nicht dagewesen wäre: aber die Zeitumstände nahmen ihm, wie der Verfasser bemerkt, damals die praktische Bedeutung und die Verständigen beugten sich mit trüber Resignation unter die Folgen alten Unglücks und neuer Mißgriffe.“371

Hatte Vieusseux diese Briefe noch einmal hervorgeholt, um im Juni (also noch während des ersten Unabhängigkeitskrieges) für die Rechtmäßigkeit der italienischen Unabhängigkeit in einer nationalen Konföderation zu werben, versuchte ­Reumont nach dem Sieg der österreichischen Italienarmee daran zu erinnern, dass sich Österreich nicht dauerhaft allein auf seine militärische Stärke verlassen könne, sondern das Konföderationsprojekt aufgreifen müsse, um seine Position in Italien nicht vollends unhaltbar werden zu lassen. Dafür werde man aber auf die Kooperation mit den Moderati angewiesen sein, die, so deutete ­Reumont mit Blick auf die Vergangenheit an, wohl unter den gegebenen Umständen bereit sein würden, die österreichischen Ansprüche anzuerkennen. Es müsse schließlich im Interesse Österreichs liegen, diese gegenüber den unitaristischen und republikanischen Parteiungen zu stärken, denn die aus den Briefen Vieusseux’ hervorgehenden Forderungen seien „Dinge welche heutigentags, unter den nöthigen Modificationen, in den Wünschen derjenigen Italiener liegen die keiner gesamtmonarchischen oder republikanischen Chimäre sich hingeben, aber von der Nothwendigkeit der Anbahnung eines auf friedlichem Wege zu bewerkstelligenden politischen Zusammenhangs in Italien auf nationaler Grundlage überzeugt sind“.372 370

Ebenda, S. 512. Zur italienischen politischen Literatur, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 334, 29. November 1848. 372 Ebenda.

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Vor dem Hintergrund, dass die toskanischen Moderati mittlerweile die Kontrolle über die Situation komplett verloren hatten und in der Toskana Montanelli und G ­ uerrazzi an der Macht waren, erklärt sich dieser versöhnliche Ton gegenüber Österreich und die komplett unterschiedliche Deutung zu derjenigen, die Vieusseux dem Konföderationsprojekt von 1822 noch im Juni beigemessen hatte. Die Moderati versuchten eine österreichische Besatzung der Toskana zu vermeiden. Allerdings waren sie sich darüber im Klaren, dass eine ausländische Intervention wahrscheinlich nötig sein könnte, um der Demokraten Herr zu werden – für diesen Fall suchten sie jedoch nach Alternativen zu einer österreichischen Intervention.373 Auch wenn R ­ eumont ein weiteres Verbleiben österreichischer Militärpräsenz auf der italienischen Halbinsel für kontraproduktiv hielt, betrachtete er angesichts der revolutionären Entwicklungen in Italien und der gleichzeitigen Erfolge der österreichischen Italienarmee, eine Neuordnung Italiens ohne Österreich als vollkommen unrealistisch. Einerseits zeigten die Österreicher nach dem Sieg über Karl ­Albert keinerlei Bereitschaft, ihre Position in Italien in Frage zu stellen, andererseits schienen die Umbrüche in Rom und der Toskana zu zeigen, dass der Revolution nur mithilfe von Interventionen beizukommen war. Während der ins Exil nach Gaeta geflüchtete Pius IX. seine Hoffnungen in die neapolitanischen, spanischen, vor allem aber französischen Interventionstruppen setzen musste, schien bald auch in der Toskana eine Intervention unumgänglich. Als Leopold II. von Montanelli aufgefordert wurde, der Bildung einer Costituente italiana in Rom zuzustimmen und damit implizit die Vertreibung des Papstes anzuerkennen, zog er es im Februar 1849 vor, ­ eumont war damit genau das eingetreten, Pius IX. nach Gaeta zu folgen.374 Nach R was um jeden Preis hätte vermieden werden müssen, da allein die Präsenz des Großherzoges eine Intervention hätte verhindern können. Durch dessen Flucht war allerdings nicht mehr zu leugnen, dass die Situation außer Kontrolle geraten war. Des­ eumont eine ausländische Intervention zwar als großes Übel, wegen betrachtete R da sie die nationalen Gefühle der Italiener verletzen und somit die Zeit nach dem Abzug der Interventionstruppen in jedem Fall belasten werde. Allerdings habe nun die Wiederherstellung der Ordnung oberste Priorität. Auch nachdem die Moderati im April 1849 die Situation nach der Absetzung Guerrazzis wieder unter Kontrolle zu bekommen schienen, musste R ­ eumont seinen florentinischen Bekannten über Vieusseux zu verstehen geben, dass eine Intervention bereits unvermeidlich sei: „J’espère que les affrs [affaires] de Toscane continueront à marcher bien: une fois Rome pacifiée, ce qui ne saurait pas manquer, Livourne se soumettra bientôt. Mais il faudra une bonne force armée – si on peut en avoir d’autre que de la part de l’Autriche, tant mieux.“375

Obwohl R ­ eumont die italienische Unabhängigkeitsbewegung mit Sympathie verfolgte und zum Teil publizistisch im Sinne der Moderati unterstützt hatte, betrachtete er ihre Politik zu Beginn des Jahres 1849 als endgültig gescheitert. Auf 373

Vgl. S. 109. Vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 97. 375 BNCF Vieuss. C. V. 88,257, ­Reumont an Vieusseux, Mola di Gaeta, 5. Mai 1849. 374

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dem Weg der liberalen Reformen hatten sie die legitimen Souveräne immer mehr unter Druck gesetzt, bis diese, bedingt durch den ersten Unabhängigkeitskrieg sowie durch die neu entstandene politische Öffentlichkeit, die Kontrolle verloren und sich nur noch durch Flucht und militärische Interventionen aus der Affäre zu ziehen wussten. Die Erfahrung, dass revolutionäre Unruhen, sei es 1820–21 im Königreich beider Sizilien und Piemont, sei es 1831–32 im Kirchenstaat, oder erneut in den Jahren 1848–49, Interventionen nach sich ziehen, ließ für R ­ eumont nur die logische Konsequenz zu, dass sich gegen das Legitimitätsprinzip keine nationale Unabhängigkeit verwirklichen lassen werde. Insofern müssten die Moderati aus dieser bereits mehrfach gemachten schmerzhaften Erfahrung lernen. Gleichzeitig betrachtete er es als die Aufgabe Österreichs, wenn es schon nicht bereit sei, seine italienischen Besitzungen aufzugeben, doch zumindest den in seiner Abhängigkeit stehenden Staaten weitgehende Autonomie zuzugestehen, nachdem die Ordnung wiederhergestellt war.376 Allerdings dauerte die österreichische Besatzung in der Toskana noch bis 1855 an und brachte eine Restauration mit sich, die zahlreiche liberale Zugeständnisse, allen voran die Verfassung selbst, wieder aufhob und seit 1853 das lokale Patriziat, das der Großherzog für die Eskalation der Situation 1848–49 verantwortlich machte, ­ eumont diese Politik als aus den öffentlichen Ämtern drängte.377 Zwar betrachtete R vollkommen verfehlt, weil sich auf diese Weise nur der Hass der Bevölkerung, allen voran der Eliten, gegenüber der Restauration unter Leopold II. kanalisieren sollte. Allerdings hielt er auch angesichts der in den 1850er Jahren noch zunehmenden Unzufriedenheit und Entfremdung der Moderati vom Großherzog daran fest, dass jegliche gegen den Großherzog gerichtete Politik – so wie in der Vergangenheit – erneut zu einer Verschlechterung der Situation führen müsse, weshalb keine andere Wahl blieb, als sich mit Leopold II. zu arrangieren, um eine Verbesserung der politischen Situation herbeizuführen, die von Dauer sein sollte.378 Deswegen kritisierte R ­ eumont die am 27. April 1859 hervorgerufene und von den Moderati mit in die Wege geleitete Flucht des Großherzogs, da er befürchtete, dass es bei einer erneuten Niederlage der italienischen Nationalbewegung zu einem neuerlichen, umso schwereren Rückschlag kommen könnte.379 Nach dem Frieden von Villafranca vom 11. Juli 1859 fühlte sich R ­ eumont wieder bestätigt und sah 376 Vgl. etwas ­Reumonts Bericht an Friedrich Wilhelms IV, Florenz, 31. Dezember 1852, zitiert bei Cataluccio (1959), Doc. 2, S. 351–352. 377 Vgl. Bergonzi (2003), S. 293–297; Chiavistelli (2006), 107–108; Kroll (1999), S. 332–335. 378 Vgl. etwa ­Reumonts Kritik an den Moderati gegenüber Vieusseux – BNCF Vieuss. C. V. 88,92, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 26. März 1859: „Vos amis ont eu grandement tort de vouloir mettre ainsi le Gouvernement au pied du mur: aucun gouvernement qui se répute un peu seulement, ne peut se soumettre à cette espèce de traitement. Je vois que les années & l’expérience profitent peu: c’est toujours la même impatience, & le même manque de mesure & de ménagements. Je ne saurais dire combien les procédés politiques de Mr. Ridolfi de ces dernières années me déplaisent.“ 379 Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 140, 20. Mai 1859.

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bereits eine Rückkehr des Hauses Habsburg-Lothringen in die Toskana voraus.380 In diesem Zusammenhang warnte er davor, diese Dynastie für abgesetzt zu erklären und den Anschluss an Piemont voranzutreiben. Denn abgesehen von der Gefahr, dass die Toskana bei einer Annexion an Piemont ihre Autonomie verliere, könne ein solcher Staat keinen langfristigen Bestand haben, solange er nicht durch internationale Verträge abgesichert sei – eine solche Anerkennung sei aber kaum zu erzielen, wenn man voreilig den legitimen Herrscher für abgesetzt erklärte.381 Der Weg, den die Moderati nun beschritten, indem sie den Anschluss an das Königreich Italien unter der Führung Viktor Emanuels II. betrieben, fand deswegen nicht nur R ­ eumonts entschiedenen Widerspruch, sondern er informierte auch die Leser der Augsburger Allgemeinen Zeitung darüber, wie die provisorische Regierung unter Bettino Ricasoli nichts unversucht lasse, um die Abstimmung in ihrem Sinne zu beeinflussen.382 Ähnliche Berichte über die Beeinflussung der Bevölkerung im piemontesischen Sinne erhielt die Zeitung auch über ihre Korrespondenten aus Rom.383 Es ging darum, der europäischen Öffentlichkeit zu zeigen, dass die Bevölkerung in Italien sich keineswegs mit derart überwältigender Mehrheit für den Einheitsstaat ausspreche, wie es die Abstimmungsergebnisse erscheinen ließen.384 Dafür arbeitete ­Reumont eng mit Autonomisten wie etwa Eugenio Albèri zusammen.385 Dabei ging es allerdings nicht nur darum, den Nationalstaat in seiner Gestalt zu diskreditieren, sondern insbesondere auf die von ihm ausgehende Gefahr für das Papsttum aufmerksam zu machen, das nicht nur wie kein anderer Souverän das monarchische Prinzip repräsentierte, sondern die christliche Ordnung Europas als solche. Obwohl ­Reumont eine keineswegs österreichfreundliche Berichterstattung lieferte und die Berechtigung der italienischen Nationalbewegung auch nach 1848/49 anerkannte, so ist dennoch eine deutliche Zäsur zu erkennen. Auch nach den Revolutionsjahren war er von der Notwendigkeit eines österreichischen Abzugs überzeugt, allerdings bewirkte die bedrohliche Situation, in die das Papsttum geraten war, eine Akzentverschiebung in seinen Einschätzungen. Obgleich er von Anfang an die nationale Einigung Italiens in einer Konföderation bevorzugte, war er 1848 380

BNCF Vieuss. C. V. 88,95, ­Reumont an Vieusseux, Poggio Ubertini, 19. Juli 1859. Ebenda, Poggio Ubertini, 26. Juli 1859. 382 Die Abstimmungstage in Toscana, Augsburger Allgemeine Zeitung, 16. März 1860. 383 Vgl. etwa Augsburger Allgemeine Zeitung, 6. März 1860. 384 Zum Kampf um die öffentliche Meinung zwischen Legitimisten und dem Königreich Italien vgl. auch Sarlin (2013), S. 93–105. – Tatsächlich zweifelte auch die französische Diplo­ matie an der Rechtmäßigkeit der Abstimmungen und glaubte eine beträchtliche Ablehnung innerhalb der Bevölkerung auszumachen (vgl. Kapitel B. II. 4. Risorgimento und romantisches Italien­erlebnis: Zwischen den Höfen Leopolds II. von Toskana und Friedrich Wilhelms IV. von Preußen, S. 178–179). Dies hing jedoch auch mit den Plänen Napoleons III. zusammen, der prinzipiell kein Interesse an einem Einheitsstaat hatte, sondern eine italienische Staatenkonföderation in französischer Abhängigkeit favorisierte (vgl. Candeloro (1978), Bd. 5, S. 98). 385 Kapitel B. III. ­Reumont als „Kulturmakler“: Ein lange gehegter Wunsch geht auf schmerzhafte Weise in Erfüllung, S. 213–214; Beilage zur Augsburer Allgemeinen Zeitung, 26. Mai 1863. 381

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noch bereit, flexibel auf den Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges zu reagieren und ein um die Lombardei sowie Parma und Modena erweitertes Königreich Sardinien-Piemont als bestmögliche Lösung zu fordern, um den republikanischen Elementen innerhalb der Nationalbewegung entgegenzutreten. In der Schaffung eines unabhängigen starken norditalienischen Staates sah er zudem eine gute Ausgangsbasis für eine mögliche Konföderation von monarchisch regierten Staaten. Interessanterweise handelte es sich dabei um eine Forderung, die Bismarck in den 1850er Jahren erneut formulieren sollte, da er sich von einem neutralen norditalienischen Staat zwischen Frankreich und Österreich Vorteile für die preußische Außenpolitik versprach.386 Freilich hatte ­Reumont eine solche realpolitische Lösung vorrangig angesichts des revolutionären Potenzials der Nationalbewegung gefordert, um diese in sichere, gemäßigt-liberale Bahnen zu lenken, als er noch davon ausging, dass Sardinien-Piemont den Papst in seinen Rechten respektieren würde. Nachdem die piemontesische Regierung in den 1850er Jahren jedoch eine verstärkt laizistische Kirchenpolitik betrieb und spätestens seit der Beteiligung am Krim-Krieg deutlich wurde, dass das Königreich Sardinien-Piemont die nationale Einigung nicht in Kooperation mit den anderen legitimen Souveränen, sondern gegen sie betrieb, sah ­Reumont in Piemont kein stabilisierendes Element der Nationalbewegung mehr, sondern einen Unsicherheitsfaktor.387 Während also in den 1850er Jahren realpolitische Beobachter wie Bismarck verstärkt die Vorzüge der piemontesischen Politik erkannten, ließ ­Reumont, nachdem er zuvor noch gegen die gängige großdeutsche Publizistik einen starken norditalienischen Staat gefordert hatte, diese Idee nun fallen, weil er die Gefahren für das Papsttum erkannte, das mittlerweile nur noch durch das Legitimitätsprinzip in seiner Existenz gesichert schien. Deswegen hatte für ­Reumont in den 1850er Jahren die Revolutionsprävention Vorrang vor einem nach wie vor notwendigen Abzug Österreichs. Wenn auch seine auf die mittelalterliche Geschichte Italiens gestützte Argumentation gegen die piemontesische Einheitsstaatspolitik auf die historisch erwiesene Unmöglichkeit eines unitarischen Staates verwies, auf die auch die philo-österreichische Publizistik hinwies,388 sah er darin jedoch keineswegs eine Rechtfertigung der österreichischen Herrschaft in Italien, im Gegenteil: Diese habe gar keine historische Tradition in Italien, denn das mittelalterliche Kaiserreich könne man nicht mit dem modernen österreichischen Kaiserreich vergleichen.389 Insofern hob ­Reumont sich deutlich von der tendenziell 386

Vgl. Petersen (1991), S. 187. Vgl. ­Reumonts Depesche an den König, Florenz, 23. Januar 1855, bei Cataluccio (1959), Doc. 15, S. 359–360. 388 Vgl. Petersen (1991), S. 178–184. 389 So führte ­Reumont in seiner Depesche an den Prinzregenten (Rom, 28. Februar 1859) aus: „On a objecté que la domination de l’Autriche en Italie est ancienne et qu’elle a recueilli l’héritage de l’Espagne. On a tort. Les chaines de l’esclavage espagnol, esclavage s’il en fut jamais surtout en Lombardie, furent brisées par la paix d’Utrecht. L’Autriche eut alors et conserva le Duché de Milan et elle garda celui de Mantou, qui au nom de l’Empire elle avait arraché au dernier Gonzague félon. Qu’on compare ces deux Etats à ce qu’elle a eu depuis ; qu’on compare son ancienne position isolée entre la Republique de Venise, le Piemont, Parme et le Pape, avec celle que lui a donnée le Congrès de Vienne et que les révolutions de 1820 à 1849 sont venue 387

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philo-österreichischen Berichterstattung der Augsburger Allgemeinen Zeitung ab: Er redete zu keinem Zeitpunkt einem Verbleib der Österreicher in Italien das Wort und erkannte das Recht der Italiener auf nationale Unabhängigkeit stets an, während er auf die problematische Position der Österreicher in Italien hinwies.390 Indes setzte er nach der Revolutionserfahrung andere Prioritäten: Nachdem er erlebt hatte, wie die Moderati die Macht an die Demokraten verloren hatten und wie der Papst derart in Bedrängnis geraten war, dass er nur durch die französische Intervention nach Rom zurückgeführt werden konnte, hielt er eine stabile Ordnung für wichtiger als überstürzte liberale Reformen. Wenngleich er die Aufhebung der Verfassungen sowohl im Königreich beider Sizilien, in Rom als auch der Toskana kritisch sah, betrachtete er das piemontesische Vorgehen, die Zustände im Kirchenstaat anzuprangern, als verantwortungslos. Diese Politik, den Papst unter Reformdruck zu setzen, verbunden mit den leggi Siccardi, machten Sardinien-Piemont in den Augen ­Reumonts zu einem ständigen Sicherheitsproblem, da es durch seine Politik bewusst revolutionäre Unruhen einkalkulierte und die weltliche Herrschaft des Papstes bedrohte. Dabei näherte er sich in seiner Beurteilung der italienischen Entwicklungen im Laufe der 1850er Jahre immer mehr der katholischen, wie auch der übrigen Publizistik der Augsburger Allgemeinen Zeitung an, die bereits seit den Revolutionen 1848/49 in der italienischen Nationalbewegung pauschal einen Kampf gegen die Kirche und das Christentum sah.391 Wie im folgenden Kapitel noch näher gezeigt wird, behielt ­Reumont auch bei seinem Einsatz für das Papsttum die Berechtigung der italienischen Nationalbewegung im Auge und betrachtete die italienische Situation – auch bedingt durch seine vorherige diplomatische Tätigkeit – wesentlich differenzierter als der Großteil der deutschsprachigen katholischen Publizistik. Dagegen konnte er realpolitischen Überlegungen, die die piemontesische Führungsrolle anerkannten, nichts mehr abgewinnen, seit er erkannt hatte, dass die piemontesische Kirchen- und Italienpolitik das Papsttum in existenzielle Schwierigkeiten bringen musste. Zunächst blieb die Augsburger Allgemeine Zeitung das zentrale Organ politischer Berichterstattung, an dem ­Reumont durch regelmäßige Beiträge mitwirkte. Dabei versorgte er sie nach seiner aktiven diplomatischen Laufbahn seit 1860 mit aktuellen Informationen über den Fortgang der politischen Entwicklungen. Noch renforcer ! La domination est moderne et l’on fait violence à l’histoire en citant les tradictions de l’ancien Empire. L’Empire et l’Autriche son pour l’Italie deux choses bien distinctes, et le sens practique des Italiens en a fait justice dès le 18me siècle à l’avantage de l’Autriche ellemême, lorsqu’il reconnut l’immense distance qui séparait l’administration milanaise du temps de Marie-Thérèse, l’âge d’or de la Lombardie, de l’époque à jamais triste des lieutenants de Charles V.“ Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz, Nr. 9, Florenz (Rom), 28. Februar 1859, Blatt 67–78; auch zitiert bei: Cataluccio (1959), hier Doc. 24 – ­Reumont al Principe Reggente (Roma, 28 febbraio 1859), S. 367–375. 390 Vgl. Georg Lutz: La stampa bavarese negli anni dell’unificazione italiana (1858–1862), Rassegna storica del Risorgimento 53 (1966), 1, S. 32–50 u. 2, S. 205–240, hier S. 40–43. 391 Vgl. Petersen (1991), S. 170–172; Lutz (1966), S. 44–45.

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vor dem Einmarsch offizieller Truppen des Königreichs Italien in den Kirchenstaat am 11. September 1860 hatte ­Reumont bereits am 8. September einen Artikel unter ­ eumont dem Titel Der Angriff auf den Kirchenstaat eingesandt.392 Darin erinnerte R noch einmal daran, dass die Unruhen in Umbrien maßgeblich vom damaligen Gouverneur der Toskana, Bettino Ricasoli, gefördert worden waren, indem er die Sammlung von Freischärlern unter der Führung Giovanni Nicoteras unterstützt hatte. Letzten Endes scheiterte der Einmarsch dieser Brigade in den Kirchenstaat am Veto Cavours, der fürchtete, dass ein solches Vorgehen die internationale Di­plomatie ­ eumont davon, gegen das Königreich Italien aufbringen würde.393 Nun berichtete R dass eine Invasion durch reguläre Truppen kurz bevorstehe: „Dieser Angriff wird der Politik Cavours und seines Werkzeugs, des Königs, die Krone aufsetzen, und dem neuen italienischen Staatsrecht […] den Schlußstein einfügen. Die Praxis dieses Staatsrechts ist höchst einfach. […] man „sympathisiert“ mit Freibeuterscharen, deren Bildung man begünstigt, und durch welche man […] die Revolution anzetteln und sich selber proclamiren läßt; man raubt noch einem anderen Nachbar […] die besten Provinzen, und wenn er sich rüstet, um sich den Rest nicht auch rauben zu lassen, so erklärt man dies für einen casus belli, setzt ihm durch die probaten Künste den rothen Hahn aufs Dach und überzieht ihn mit Krieg.“394

Tatsächlich hatte Cavour in der Emilia und der Toskana Truppen für den Einmarsch in den Kirchenstaat konzentriert und durch Freiwillige aus der Toskana und der Romagna in Umbrien und den Marken einen Aufstand provoziert. Als der Papst daraufhin Truppen entsandte, um den Aufständen zu begegnen, stellte ihm Viktor Emanuel II. das Ultimatum, die ausländischen Einheiten zu entlassen und erteilte am selben Tag, ohne vorher eine Antwort abzuwarten, den Generälen Fanti und Cialdini den Befehl, die Grenze zu überqueren.395 Das Ultimatum diente insofern nur dazu, die zu erwartende internationale Empörung in Grenzen zu halten, indem es zumindest einen Vorwand für den Einmarsch bot. Napoleon III. billigte das Vorgehen und protestierte nur pro forma dagegen.396 Da die französische Truppe in Rom zwar verstärkt wurde, um die päpstliche Herrschaft dort zu sichern, jedoch fest in der Stadt verblieb und eine Intervention von österreichischer Seite nicht zu erwarten war, nahmen die Akteure die durch die Invasion hervorgerufene Empörung der europäischen Katholiken in Kauf und versuchten, schnell vollendete Tatsachen zu schaffen, indem zwei Kommissare in den Regionen die Anschlussplebiszite vorbereiteten, die dann am 4. November 1860 durchgeführt wurden.397

392

Der Angriff auf den Kirchenstaat, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 260, 16. September 1860 (= Florenz, 8. Sept.). 393 Zum Hintergrund vgl. Candeloro (2011), Bd. 4, S. 482–483. 394 Der Angriff auf den Kirchenstaat, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 260, 16. September 1860. 395 Vgl. Candeloro (2011), S. 490–491. 396 Vgl. ebenda, S. 490–494. 397 Vgl. ebenda, S. 490–491.

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C. Publizistik

­Reumont war während dieser Zeit ein zuverlässiger, gut informierter Berichterstatter für die Augsburger Allgemeine Zeitung, der seine Artikel jedoch zugleich nutzte, um dem Leser die cavoursche Realpolitik mit ihrem Rückgriff auf diffamierende Pressekampagnen, Freischärler und die gezielte Aushebelung internationaler Verträge vor Augen zu führen, deren prominentestes Opfer wohl der Papst sein werde. Nach der Niederlage der päpstlichen Truppen bei Castelfidardo am 18. Sep­ eumont drastische Worte, um die fortschreitende Entmachtember 1860 wählte R tung des Papstes zu beschreiben: „Der Jubel bricht in der Stadt los als gälte es einen Sieg bei Lepanto, als hätte ein neuer Don Juan d’Austria den Halbmond gedemütigt […]. Es ist ein Sieg über das Oberhaupt der Christenheit, und nicht über den Muselman – die Muselmanen Italiens haben ihn errungen, indem sie den Papst unter schmachvoller Verletzung des Völkerrechts unerwartet, sozusagen ohne Kriegserklärung angriffen, indem ihr Sultan, Garibaldi’s Nebenbuhler, den Namen eines christlichen Fürsten auf immer verleugnete. Es ist nicht nur ein Sieg der Gewalt über das Recht, es ist ein Sieg des Verraths über den Glauben an einen Rest von Scham und Pflichtgefühl.“398

Diese Vorgehensweise des Königreichs Italien ließ keine Zweifel daran, dass es die Römische Frage ausschließlich durch die Aufhebung der weltlichen Herrschaft des Papstes zu lösen suchte. Der tatsächliche Einmarsch regulärer italienischer Truppen in den Kirchenstaat kam dabei für R ­ eumont einer Kriegserklärung an das Christentum gleich und führte dazu, dass er die italienische Nationalpolitik weniger hinsichtlich ihres langfristigen Erfolgs und der Wahrung der toskanischen Identität und Autonomie beurteilte, sondern vor allem unter der Fragestellung nach der ­ eumonts folgende Berichte widmen sich demAufrechterhaltung des Papsttums. R entsprechend in erster Linie den Vergehen des Königreichs Italien und der Presse gegen den Papst und den Klerus.399 Zur Rechtfertigung Pius’ IX. und der Beurteilung, dass die italienische Nationalbewegung nur dann erfolgreich sein könne, wenn sie das Papsttum als entscheidenden Teil der italienischen Identität verstehe, führte er auch das Andenken des verstorbenen König Friedrich Wilhelms IV. an. In seinem für die Augsburger Allgemeine Zeitung verfassten Nekrolog erinnerte R ­ eumont: „Es war Pius IX. auf welchen sein Blick gerichtet war, als er zu Ende des Jahres 1847 die Berechtigung des edlen und schönen Elements in der italienischen Bewegung freudig anerkannte […]“400

Hatte der verstorbene König von Preußen Pius IX. nicht nur als Repräsentant des monarchischen Prinzips, sondern grundsätzlich eines christlichen Europas gesehen, 398

Augsburger Allgemeine Zeitung, 24. September 1860. Vgl. etwa die Berichte in: Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 277, 3. Oktober 1860; Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 68, 9. März 1961; Die italienische Presse über den Papst, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 77, 18. März 1861; Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 20. März 1861; Beilage zur Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 24. März 1861; Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 27. März 1861. 400 Friedrich Wilhelm der Vierte, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 38, 27. Februar 1861. 399

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der idealerweise den italienische Nationalstaat entscheidend hätte prägen sollen, so ging ­Reumont zunächst davon aus, dass unter der Regierung Wilhelms I. die guten Beziehungen Preußens zum Papst fortgeführt würden. Deswegen glaubte er trotz seiner publizistischen Warnungen vor der kirchenfeindlichen Politik des Königreichs Italien auch noch nach Garibaldis gescheitertem Angriff auf Rom, der im November 1867 von päpstlichen Truppen bei Mentana abgewehrt worden war, dass der König von Preußen im Zweifelsfall Partei für den Papst ergreifen werde, um der Verantwortung gegenüber seinen katholischen Untertanen gerecht zu werden.401 Obgleich ­Reumont die Art und Weise, wie der Papst den Kirchenstaat an das Königreich Italien verloren hatte, kritisierte, sah er dennoch die Chancen, die sich daraus ergeben konnten. Ohne den politischen Druck, Unruhen im Kirchenstaat vorbeugen zu müssen, konnte sich nun dem fälligen innerkirchlichen Reformwerk zugewandt werden. Entsprechend positiv nahm R ­ eumont die Einberufung des Vatikanischen Konzils auf und reiste im Frühjahr 1869 nach Rom, um mit Pius IX. und Kardinal Bilio über die Situation der deutschen Katholiken zu sprechen.402 Of­ eumont dabei jedoch nicht den Eindruck, mit seinen Schilderungen fenbar hatte R durchgedrungen zu sein. Im Sommer, als er sich wieder in Bonn aufhielt beklagte er sich gegenüber Witte: „Die durch das Concil hervorgerufene Bewegung wird namentlich im oppositionellen Sinn immer stärker. Ich hoffe man ist in Rom verständig. Aber man begreift Teutschland so wenig!“403

Das Konzil verlief in eine ganz andere Richtung, als es sich ­Reumont und die liberalen Katholiken erhofft hatten und wurde zur Bedrohung für die Katholiken und das Papsttum selbst, indem es sich für den konservativen Widerstand gegen ein liberales Italien instrumentalisieren ließ. Anstatt die Rolle der Kirche in der Gesellschaft zu definieren und zu stärken, wurde das Unfehlbarkeitsdogma erlassen und die moderne Wissenschaft für mit dem katholischen Glauben unvereinbar erklärt. Bereits mit dem Syllabus errorum aus dem Jahre 1864 und der darin erklärten Unversöhnbarkeit der Kirche mit der modernen Gesellschaft war der liberale Katholizismus in Italien, der ein produktives Zusammenspiel von Kirche und Gesellschaft im Sinne des (christlichen) Fortschritts zum Ziel hatte, in eine schwere Krise geraten.404 Die Möglichkeit, die Kirche positiv in die Staatsbildung einzubinden war damit nicht mehr gegeben, da sie der konservativen Rhetorik, nach der der Liberalismus und Nationalismus als akatholisch diffamiert wurde, zuarbeitete. Da es aber aus Sicht der liberalen Katholiken die Aufgabe der Kirche war, der Gesellschaft durch die Aufrechterhaltung unveränderlicher Normen in Zeiten von Umgestaltungen Stabilität zu verleihen und die Rechte des Einzelnen vor möglichen ungerechten Maßnah-

401

NL ­Reumont, S 2746, Nr. 143: ­Reumont an Witte Aachen, 31. Dezember 1867. Vgl. Hüffer (1904), S. 224. 403 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 153: ­Reumont an Witte, Bonn, 8. August 1869. 404 Vgl. Francesco Traniello: Cattolicesimo concilatorista. Reglione e cultura nella tradizione rosminiana Lombardo-Piemontese (1812–1870), Mailand 1970, hier S. 308. 402

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C. Publizistik

men des Staates zu schützen, war das von ihnen propagierte Gesellschaftsmodell, in dem Staat und Kirche sich gegenseitig kontrollieren, vorläufig gescheitert.405 Mit dem Unfehlbarkeitsdogma stand der Papst, der nach rosminianischer Lehre doch eigentlich als Garant gegen staatlichen Absolutismus und Despotismus fungieren sollte, selbst einer freiheitlichen Gesellschaft im Wege, indem er seinerseits dem Allmachtsanspruch des Menschen verfallen war. Die Tragik lag darin, dass doch gerade die christlichen Glaubenswahrheiten den Staat vor dem Allmachtsanspruch bewahren sollten.406 Insofern verwundert es nicht, dass ­Reumont sich nach seiner Rückkehr nach Bonn der sogenannten „geistlichen Börse“ anschloss, einem Kreis aus Theologieprofessoren, Professoren anderer Fachrichtungen und intellektuellen Laien, die sich in überzeugte Opposition zum Ultramontanismus stellten.407 Allerdings vermied er eine öffentliche Solidarisierung mit den Infalliblitätsgegnern: Er beteiligte sich weder an der „Bonner Laienadresse“ vom Juli 1869 noch an der Adresse Ignaz Döllingers, der ein intensives publizistisches Engagement gegen das Unfehlbarkeitsdogma betrieb.408 Gegenüber Witte betonte er jedoch seine inhaltliche Unterstützung: „Ich würde die Döllinger-Adresse nicht unterzeichnen, aber im Wesentlichen stimme ich mit D’s Ansichten überein. Wie immer die Dinge gehen mögen, wenn auch die Ultra-Partei ihre Zwecke nicht erreicht, so befürchte ich doch daß dies Concil, welches der Welt die kathol. Einheit darlegen sollte, gerade das Gegentheil bewirken, und selber piaghe della Chiesa veranlassen wird, die Rosmini noch nicht kannte.“409

Dass es R ­ eumont vermied, sich öffentlich mit den Infallibilitätsgegnern zu solidarisieren, obwohl er ihnen inhaltlich zustimmte, ist in erster Linie mit seinen persönlichen Kontakten zu erklären. Durch seine diplomatische Tätigkeit hatte er in Rom Verbindungen bis hin zu Kardinal Antonelli und Pius IX. knüpfen können. Wie sein Treffen im Jahre 1869 mit Kardinal Bilio und dem Papst unterstrich, pflegte er seine Kontakte nicht nur weiterhin, sondern versprach sich von ihnen auch, auf inoffiziellem Wege im persönlichen Gespräch, seine Anliegen und Bedenken vorzutragen. Ein öffentliches Engagement gegen die Konzilsbeschlüsse hätte ­Reumonts Verhältnis zu Papst und Kardinälen erheblich belastet und keinen politischen Nutzen gebracht. Deswegen verfolgte er eine ähnliche Linie wie als Diplomat in der Affäre Madiai, als er öffentlichkeitswirksame Aktionen vermied und stattdessen den vertrauensvollen Dialog suchte, der ihm stets erfolgversprechender schien. Indes zeigt sein expliziter Verweis auf Rosminis Delle cinque piaghe della Santa Chiesa, und dessen Forderung einer Neujustierung des Verhältnisses von geist­ 405

Vgl. zur Lehre Rosminis: Christiane Liermann: Rosminis politische Philosophie der zivilen Gesellschaft (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, N. F. 108), Paderborn / München / Wien / Zürich 2004, hier S. 35–36 u. 405–406. 406 Vgl. Liermann (2004), S. 358–374. 407 Vgl. Lepper (1991), S. 419–420; zu seiner Kooperation mit diesen Kreisen vgl. auch die beiden anschließenden Kapitel. 408 Vgl. Lepper (1991), S. 420–423. 409 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 156: ­Reumont an Witte, Bonn, 3. März 1870.

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licher und weltlicher Macht in der Kirche, um der zunehmenden Verkümmerung des Glaubens entgegenzuwirken, was ­Reumont sich gerade vom Vatikanischen Konzil erwartet hatte, nämlich Reformen zur Stärkung des christlichen Glaubens in der Gesellschaft.410 Auch als R ­ eumont sich schließlich doch dazu durchrang, sich in der Augsburger Allgemeinen Zeitung ausführlich zu Wort zu melden, wurde seine Prägung durch die Lehren Rosminis deutlich. Im Zuge der sich bereits in vollem Gange befindlichen Polemik um die Konzilsbeschlüsse versuchte ­Reumont die Diskussion wieder zu versachlichen.411 Da er es allerdings vermeiden wollte, in die Polemik hineingezogen zu werden, veröffentlichte er seine Laien-Betrachtungen ohne die Lilie, mit der er seine Artikel gewöhnlich kennzeichnete – ziemlich genau ein Jahr, nachdem Ignaz von Döllinger an gleicher Stelle seine fünf anonymen „Janus-Artikel“ verfasst hatte, in denen er gezeigt hatte, dass die päpstliche Unfehlbarkeit und Universaljurisdiktion weder biblisch noch historisch begründet werden konnten.412 Zunächst hatte sich ­Reumont zu Beginn des Konzils erhofft, dass sich die Kirche, in Anbetracht des Verlusts des Kirchenstaates und einer Beschränkung der weltlichen Macht des Papstes auf Rom, auf ihren Verkündigungsauftrag konzentrieren werde, um der Gesellschaft ein festes christliches Fundament zu verleihen. Nachdem die Verschmelzung von weltlicher und geistlicher Macht auf Kosten der ­ eumont nun die Chance und Notchristlichen Verkündigung gegangen war,413 sah R wendigkeit, die Kirche in ihrer Unabhängigkeit zu stärken und sie erneut als moralische Instanz und ausgleichendes Element gegenüber der Staatsgewalt zu etablieren.414 Aber anstatt dass das Konzil die geistliche Kompetenz der Kirche in der Gesellschaft stärkte, legte es den Schwerpunkt allein auf den Erhalt der weltlichen Papstgewalt – und verlor so den eigentlichen göttlichen Auftrag aus den Augen. Konsterniert stellte ­Reumont in seinem anonymen Artikel deswegen fest: „In bedenklichem Maße tritt das Göttliche der großen Institution zurück, das Menschliche in den Vordergrund.“415

Statt der politischen Krise der weltlichen Papstgewalt durch eine Betonung der Priestergewalt zu begegnen, die über die Jahrhunderte durch die weltliche Gewalt der Päpste eingeschränkt war, wurde der Akzent auf die weltliche Gewalt gesetzt und die Stellung der Kirche damit nur weiter geschwächt, indem sie in schroffen

410

Vgl. Liermann (2004), S. 31. Vgl. Lepper (1991), S. 412–423. 412 Laien-Betrachtungen, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1870; gegenüber Witte bestätigt R ­ eumont, dass der Artikel von ihm stammt: NL R ­ eumont, S 2746, Nr. 161: ­Reumont an Witte, Bonn, 28. Mai 1870; Ignaz Döllinger: Das Concil und die Civiltà, Leipzig 1869. 413 Alfred von ­Reumont: Pro romano pontefice, Bonn 1871, S. 24. 414 Vgl. die Ideen bei Rosmini – Liermann (2004), S. 34–35. 415 Laien-Betrachtungen, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1870. 411

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Gegensatz zum Königreich Italien gesetzt wurde. Ein Jahr später drückte es R ­ eumont in seiner Denkschrift Pro romano pontefice noch deutlicher aus: „Wie jedes Band zwischen Geistlichem und Weltlichem ersterem ein Bleigewicht an die Ferse hängt, hat der Territorialbesitz unvorteilhaft und verweltlichend auf die Kirche gewirkt.“416

Eine verweltlichte Kirche geriet nach ­Reumonts Auffassung jedoch mit dem Staat nicht nur unweigerlich in Konflikt, sondern war ihm zwangsläufig unterlegen, da sie ihre Legitimation eben nicht aus menschlichem Wirken ableite, sondern aus dem göttlichen Verkündigungsauftrag. Dabei schwebte R ­ eumont in Anlehnung an Rosmini jedoch keine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche vor, wie sie Cavour forderte. Vielmehr sollte die Kirche mit ihren unveränderlichen christlichen Normen die Menschen vor einem allmächtigen Staat schützen und den gesellschaftlichen Fortschritt im christlichen Sinne prägen.417 Die Konzentration auf die Papstgewalt führe jedoch dazu, dass diese zum Gegenstand öffentlicher Polemik werde, die ihrer geistlichen Autorität nur noch weiter schadete. Dabei seien auch die zahlreichen Versuche, die päpstliche Unfehlbarkeit historisch herzuleiten kontraproduktiv: „Die historisch-kritische Erörterung des historisch-kritisch unhaltbaren Infallibilitätsanspruchs hat selbst auf die Primatfrage nachtheilig eingewirkt, minder in der Frage der Angriffe als wegen der Ungeschicklichkeit der Vertheidiger, die zwischen beiden heillose Verwirrung angerichtet haben.“418

Diesen Unfehlbarkeitsanspruch auf dem Gebiete der Wissenschaft rechtfertigen zu wollen, trage nur dazu bei, die katholische Wissenschaft als solche zu diskreditieren. Die Versuche mancher katholischer Publizisten, die Konzilsbeschlüsse unter willkürlicher Quellenauswahl und Interpretation zu verteidigen, wurden gerade von protestantischer Seite als offensichtlicher Beweis der Unvereinbarkeit von Wissenschaft und katholischem Glauben herangezogen und bedeutete insbesondere für liberal-katholische Publizisten eine schwere Hypothek, wenn sie sich in wissenschaftliche Kontroversen einschalteten.419 Liberale Katholiken fanden sich in der deutschen Polemik um das Vatikanum ohnehin zwischen den beiden Hauptstreitparteien wieder. Während sie einerseits eine Ausrichtung der Verkündigung auf die moderne Gesellschaft sowie die Nutzung der modernen Wissenschaft zur Weiterentwicklung der kirchlichen Strukturen gegen den Ultramontanismus anstrebten, sahen sie sich andererseits gegenüber der protestantischen Polemik hinsichtlich der Reformunfähigkeit der katholischen Kirche sowie der Unvereinbarkeit der modernen Wissenschaft mit dem katholischen Glauben, in die Defensive gedrängt. Insbesondere die Absage an die moderne Wis­ eumont für die Stellung der Kirche in der modernen Gesellschaft senschaft hielt R 416

Alfred von ­Reumont: Pro romano pontefice, Bonn 1871, S. 24. Vgl. Liermann (2004), S. 34–35. 418 Laien-Betrachtungen, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1870. 419 Vgl. dazu auch das Kapitel C. II. 2. Der Kampf um die historische Kritik und den liberalen Katholizismus in Franz Heinrich Reuschs Theologischem Literaturblatt. 417

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für fatal. Schließlich musste jeder Versuch, den Gegnern der katholischen Kirche mithilfe von Dekreten zu begegnen, als von vornherein aussichtslos erscheinen.420 Die unversöhnliche Absage der katholischen Kirche an die moderne Zivilisation und Wissenschaft war damit auch eine eindeutige Distanzierung von Persönlichkeiten wie derjenigen Rosminis, deren Absicht es doch letztlich bloß gewesen war, die Kirche in ihrer geistlichen Wirksamkeit in der Gesellschaft zu stärken, um dem Bürger seine persönliche Freiheit zu sichern und den Staat mithilfe unveränderlicher göttlicher Normen vor einem Abdriften in den Absolutismus zu bewahren.421 Denn genau darin sah auch R ­ eumont die Aufgabe der Kirche. Hinzu kam das Problem einer konfessionellen deutschen Mischbevölkerung, die einem Souverän unterstand, der sich als christlicher Herrscher verstand. ­Reumont hatte während der langen Jahre im engeren Umfeld König Friedrich Wilhelms IV. dessen Selbstverständnis als überkonfessioneller christlicher Herrscher verinnerlicht, der höchsten Wert auf die Eintracht der Christen beider Konfessionen legte, die zusammen die Untertanenschaft bildeten. So beschrieb er den König rückblickend mit folgenden Worten: „Friedrich Wilhelm IV. war ein christlicher Fürst. […] Fest im Glauben, erkannte er die Ueberzeugung Anderer als gleichberechtigt an. Fest im evangelischen Bekenntiß, stand er über den Unterschieden der Confessionen, wo es sich um den gemeinsamen christlichen Grund handelte, den Boden der Freiheit, nicht der Willkür.“422

In dieser Darstellung wird nicht nur das von R ­ eumont geteilte Verständnis eines überkonfessionellen Christentums deutlich, sondern dessen Kombination mit den Lehren Rosminis, nach denen es nicht die Aufgabe des Christentums sei, einen Absolutheitsanspruch zu erheben, sondern als Garant einer freiheitlichen Gesellschaft aufzutreten.423 Diese Betonung eines ökumenischen Christentums, das die individuelle Freiheit hervorhebt und dem Absolutismus, von dem grundsätzlich jede Staats- und Regierungsform bedroht ist, entgegentritt, hatte ihre Wurzeln sowohl im Staatsverständnis Friedrich Wilhelms IV. als auch im Umfeld des Vieusseux’schen Lesekabinetts, in dessen Rahmen sich liberale Katholiken mit der evangelischen Minderheit austauschten und die Chancen einer christlichen Gesellschaftsreform im Dienste des intellektuellen und zivilisatorischen Fortschritts erörterten.424 Dass 420

Laien-Betrachtungen, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1870: „Ein anderer Conflict liegt näher, ja er ist vor der Thüre, jener der Kirche mit der Wissenschaft und mit der modernen Civilisation überhaupt. Dem die Kirche selbst negirenden Materialismus gegenüber sind ihre Decrete, wie sie immer lauten mögen, selbstverständlich machtlos, der den Unglauben bekämpfenden katholischen Wissenschaft drohen die Sätze des Syllabus die Waffen aus der Hand zu nehmen, denn die zum Dogma erhobene Unversöhnlichkeit der Kirche mit der Grundlage unserer nicht etwa plötzlich aus Jupiters Haupt hervorgetretenen, sondern allmählich und nothwendig entwickelten Bildung schließt die Freiheit aus, während sie die Geschichte verneint.“ 421 Vgl. Lepper (1991), S. 425; Liermann (2004), S. 358–363. 422 Vgl. etwa ­Reumonts Ausführungen in: Alfred von ­Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885, S. 58. 423 Vgl. Lepper (1991), S. 427–428. 424 Vgl. Manfredi (2013); Pitocco (1972).

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das Unfehlbarkeitsdogma derartige Projekte nicht nur in den Bereich der Utopie rückte, sondern bei konfessionell gemischten Bevölkerungen unter einem Herrscher mit überkonfessionellem Anspruch, wie ihn auch Wilhelm I. beibehielt, die Stellung der katholischen Untertanen erheblich belasten würde, hatte ­Reumont von Anfang an erkannt. Um einen Loyalitätskonflikt gar nicht erst aufkommen zu lassen und eine Kooperation zwischen Staat und Kirche gewährleisten zu können, forderte ­Reumont die Kirche dringend auf, die Staaten trotz offenkundiger Differenzen wegen der Römischen Frage an der Verhandlung über die die Staaten betreffenden Fragen zu beteiligen: „Die Regierungen haben es sich selber zuzuschreiben wenn das Concil eine Wendung nimmt welche die Eintracht zwischen Kirche und Staat nicht fördern kann […]. Aber die complexe Natur mancher Fragen macht die Betheiligung des Staates bei deren Behandlung gewissermaßen zur Nothwendigkeit.“425

Nur auf diese Weise könne der Konflikt zwischen Staat und Kirche vermieden werden. Allerdings scheine die Kirche erneut diejenigen Fehler zu begehen, die seinerzeit zur Reformation geführt hätten, indem man die Notwendigkeit von Reformen unterschätze und statt einer Stärkung des geistlichen Elements weltliche Ansprüche erhebe, die die Glaubwürdigkeit der christlichen Verkündigung untergraben. Resigniert stellte ­Reumont fest: „Den deutschen Geist aber hat man in Rom nie begriffen. Hätte man ihn vor vier Jahrhunderten verstanden, hätte man nicht gewähnt vollberechtigte, durch gränzenlose Verderbniß und Uebergiffe hervorgerufene Forderungen […] beseitigt zu haben, nach einem […] Anlauf zur Reform nochmals ungestraft Mißbrauch auf Mißbrauch folgen lassen zu dürfen, und der Welt so das Schauspiel modernen Heidenthums zu bieten, so wäre das Abendland heute nicht im Glauben gespalten.“426

Nun bestehe aber die Gefahr, durch die Unnachgiebigkeit gegenüber den Forderungen nach innerkirchlichen Reformen die gleichen Fehler noch einmal zu begehen und eine weitere Kirchenspaltung zu riskieren. Mit der Exkommunikation all derjenigen, die die Beschlüsse des Vatikanums der päpstlichen Unfehlbarkeit und / oder des Jurisdiktionsprimats ablehnten, sahen sich denn auch die Infallibilitäts­gegner aus der römischen Kirche ausgeschlossen und organisierten sich in der altkatholischen Kirche. Obwohl ­Reumont, genau wie Ignaz von Döllinger und die Altkatholiken, die Dogmen der päpstlichen Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats als unhistorisch zurückwies, vermied er es, sich dieser Bewegung anzuschließen, während er zugleich seine Ablehnung gegenüber den Ultramontanisten unterstrich.427 Trotz des aus seiner Sicht fatalen Ausgangs des Konzils lehnte er eine weitere Aufspaltung der Konfessionen ab, in der er nur eine weitere Schwächung des Christentums sah 425

Laien-Betrachtungen, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1870. Ebenda. 427 Vgl. Lepper (1991), S. 430–432. 426

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und betrachtete es stattdessen als umso wichtiger, die Kirche von innen heraus zu reformieren428 – auch wenn die Möglichkeiten dazu zunächst ungünstig standen, da sich die römische Seite vollkommen uneinsichtig zeigte.429 Allerdings hielt er den Weg der Altkatholiken ebenfalls für einen Irrweg, wenngleich er ihnen inhaltlich in vielem beipflichtete.430 Nachdem er Dölliger persönlich getroffen hatte, berichtete er Witte: „Mit Döllinger hatte ich auch diesmal eine lange Unterredung. Ueber die Zukunft sich zu äußern, vermied er augenscheinlich. Ich sehe keine Zukunft für diese Bewegung, wohl aber sehe ich heute schon das Unheil für die kathol. Kirche, über welches ich mich, wie Ihnen bekannt ist, von Anfang an nicht getäuscht habe.“431

Obgleich ­Reumont vor dem Vatikanischen Konzil die Chancen gesehen hatte, die sich für eine Neuaufstellung der kirchlichen Position in der Gesellschaft aus dem Verlust weltlicher Macht ergaben, gehörte er dennoch zu den entschiedenen Verteidigern der päpstlichen Temporalien. Vor dem Hintergrund der Kritik an der Verweltlichung der Kirche und der damit verbundenen Forderung nach einer Rückbesinnung auf die christliche Verkündigung, mag die Rechtfertigung der Tem­poralien zunächst paradox erscheinen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine unabhängige Kirche die conditio sine qua non für den gesellschaftlichen Fortschritt im Sinne Rosminis war. Denn nur aus ihrer Unabhängigkeit heraus konnte sie christliche Normen in der Gesellschaft verankern und als Garant der Freiheit möglichen Allmachtsansprüchen des Staates begegnen. Sollte die Unabhängigkeit der Kirche jedoch nicht aufgrund ihres göttlichen Ursprungs allgemein anerkannt werden, sondern von der Protektion eines einzelnen Staates abhängen, stehe die kirchliche Gemeinschaft zwangsläufig in der Abhängigkeit dieses Staates und könne dadurch nicht mehr als christliches Korrektiv fungieren. Um dem Leser der Augsburger Allgemeinen Zeitung vor Augen zu führen, wohin es führen könne, wenn das göttliche Recht nicht mehr anerkannt, sondern die Kirche konsequent dem Staat unterstellt werde, besprach Reumont den Stand der Forschungen über die Gefangennahme Papst Pius VII. durch Napoleon I., um zu verdeutlichen in welcher Tradition Napoleon III. stehe und welche Folgen das Ende der kirchlichen Unabhängigkeit haben werde:

428 Vgl. dazu R ­ eumonts Briefe heiliger und gottesdürchtiger Italiener, Feiburg im Breisgau 1877 und das entsprechende Kapitel dieser Arbeit. 429 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 167: ­Reumont an Witte, Villa Rospigliosi, Lamporecchio, 18. Mai 1871: „Beim Papst hatte ich eine lange Audienz. […] Ich fand ihn gealtert […], sonst wohl und mittheilsam, den Ernst der Lage wohl ermessend. […] Von einem Verständnis der Lage u der Bedürfnisse des katholischen Deutschlands fand ich bei Solchen, die Einfluß haben, keine Spur; sie glauben einen großen Sieg erfochten zu haben, während bei uns ein Schisma droht. Wie sehr diese Dinge mich schmerzen, können Sie denken. Die Infalliblitätsangelegenheit hat auch in Italien schlimmer gewirkt, als man im Allgemeinen glaubt.“ 430 Vgl. Lepper (1991), S. 431. 431 NL ­Reumont, S 2746, Nr. 167: ­Reumont an Witte, Sanssouci, 5. Juli 1871.

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C. Publizistik

„Zweck nachstehender kurzer Relation ist: den eigentlichen Schwerpunkt der Verhandlung hervorzuheben, und mit den eigenen Worten Napoleons und seiner Agenten zu zeigen durch welche Mittel er Concessionen ertrotzte, wie er die ertrotzten zu verwerthen suchte, wie er die Forderungen immer steigerte, wie er dem begegnete, dem er den größten Dank schuldete, welchen er ihm in der Form schnödester Behandlung abstattete.“432

Jegliche politische Abhängigkeit musste die Kirche nicht nur in ihrer Funktion als politisches Korrektiv erheblich einschränken, sondern zugleich ihrer universellen geistlichen Aufgabe zuwiderlaufen. Als kosmopolitische Institution durfte das Papsttum nicht einem einzelnen Nationalstaat und dessen Interessen unterworfen sein. Nachdem die italienischen Truppen die Gunst der Stunde des deutsch-französischen Krieges genutzt hatten, um auf den Abzug der französischen Schutztruppe aus Rom hin am 20. September 1870 in die Ewige Stadt einzumarschieren, fühlte sich ­Reumont in seiner Befürchtung, aus der heraus er an die Gefangennahme Pius VII. durch Napoleon I. erinnert hatte, bestätigt. Er hatte von Beginn an auf die Gefahren einer französischen Garantie unter Napoleon III. hingewiesen. Nun war es so gekommen, wie er befürchtete hatte: „Der Nachfolger der Carolinger hat nicht Frankreich allein zu Grunde gerichtet – er hat die päpstliche Souveränität umgestürzt, zu deren Aufrichtung die Carolinger das providentielle Werkzeug gewesen waren […]. Er ist Vater und Urheber der Dinge die heute geschehen: der König von Italien hat sich mit der Nebenrolle begnügt, und übernimmt die erste nur im Nachspiel.“433

Nachdem das Vatikanische Konzil das geistliche Element noch weiter geschwächt hatte, indem die Fronten zwischen den reaktionären Kreisen und den liberalen Katholiken durch die Dogmen der päpstlichen Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats sowie die Absage an die moderne Zivilisation und Wissenschaft verhärtet wurden, schien die sich nun zuspitzende politische Situation der Kirche den letzten verbliebenen Hoffnungen auf eine liberale Öffnung ein Ende zu setzen. Während Garantien eines Staates, der seit den 1850er Jahren eine Entmachtung der Kirche betrieben hatte und dem Papst soeben Rom entrissen hatte, zweifelhaft erschienen, rechnete ­Reumont damit, dass die Reaktionäre von einer aus der politisch prekären Situation heraus entstandenen Wagenburgmentalität profitieren würden. Im Fokus des Interesses werde folglich nur noch der Machterhalt in Italien selbst liegen, während man sich nun noch viel weniger um die Probleme der deutschen Katholiken kümmern werde, als es zuvor schon der Fall war. Dass die Fehlentscheidungen des Vatikanischen Konzils korrigiert würden, war kaum zu erwarten, wenn die Unabhängigkeit des Papsttums allein vom Königreich Italien garantiert werde: „Die katholische Welt hat durch das Ueberwiegen des italienischen Romanismus im höchsten kirchlichen Rathe schon genug zu leiden gehabt – wird sie die Schmach der politischen 432

Savona 1811 bis 1812, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 223, 11. August 1870. 433 Der Fall Roms, Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 274, 1. Oktober 1870.

II. Politische Publizistik 

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Knechtung dulden, die zugleich das Geistliche bedroht? Denn die angebliche geistliche Unabhängigkeit eines von Italien aller seiner Stützen beraubten und auf Leibrente gesetzten Papstthums ist bloße Phrase.“434

Genau deswegen betrachtete ­Reumont die weltliche Herrschaft als notwendig, um die für innerkirchliche Reformen erforderliche Unabhängigkeit zu garantieren. Innerhalb eines überkonfessionellen christlichen Europas, das die Institution des Papsttums als religiöse Autorität anerkannt und dessen historische Grundlagen respektiert hätte, hätte das Papsttum auch ohne weltliche Herrschaftsrechte unabhängig sein können.435 Die piemontesische Kirchenpolitik mit den leggi Siccardi, dem Einmarsch in den Kirchenstaat und später auch in die Ewige Stadt selbst brachte für R ­ eumont nun aber den offensichtlichen Beweis, dass der Staat nicht bereit war, auf die Rechte und Interessen der Kirche Rücksicht zu nehmen, weshalb nun der päpstliche Territorialbesitz notwendig wurde, um die Unabhängigkeit der Kirche zu garantieren.436 In Anbetracht der Tatsache, dass die Priesterfunktion unter der Abhängigkeit vom Königreich Italien leiden werde und dass die kosmopolitische Verkündigung sowie eine ausreichende Berücksichtigung der Interessen der Katholiken in der restlichen Welt wohl nicht mehr zu gewährleisten sein werde, rief R ­ eumont die europäischen Staaten dazu auf, in ihrem eigenen Interesse die Unabhängigkeit des Papsttums zu garantieren. Denn nur eine unabhängige und reformfähige Kirche konnte als über den nationalen und staatlichen Interessen stehende Institution in den einzelnen Staaten die Freiheit der Bürger garantieren, ohne in den Verdacht zu geraten, fremde politische Interessen zu vertreten. Deswegen stellte ­Reumont fest: „Die Sache Roms kann nur Regierungen gleichgülthig, die heutigen Vorfälle können nur solchen erwünscht sein welche aus ihrer Feindschaft gegen den katholischen Glauben kein Geheimniß machen.“437

Das fehlende Engagement der europäischen Mächte zugunsten der Unabhängigkeit der Römischen Kirche führte nämlich nicht zuletzt dazu, dass der von der Kurie seit 1860 eingeschlagene Weg, bei der Neuernennung von Kardinälen und Nuntien fast ausschließlich auf Italiener zu setzen, um nationalen Bischofskonferenzen entgegenzuarbeiten und die Diözesen unter straffer römischer Kontrolle halten zu

434 Der Fall Roms, Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 274, 1. Oktober 1870. 435 Vgl. auch die Ausführungen von Lepper (1991), S. 427–428. 436 Alfred von ­Reumont: Pro romano pontefice, Bonn 1871, S. 26: „Das Papstthum soll frei und unabhängig sein in der Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten, während die italienische Regierung, soweit sie reichen kann, unter des Papstes Augen die Kirchenverfassung umwälzt, die geistlichen Orden aufhebt, das geistliche Eigenthum einzieht, die geistlichen Stiftungen und Collegien auflöst und deren Vermögen zu anderen Zwecken verwendet, beziehungsweise ins Danaidenfaß ihrer Staatsschuld fließen läßt, nicht die Heiligkeit der Orte achtet, nicht Glorie und Glanz tausendjähriger Erinnerungen, nicht tausendjährige Wohltaten alter Zeiten.“ 437 Der Fall Roms, Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 274, 1. Oktober 1870.

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C. Publizistik

können, nur noch umso entschiedener fortgesetzt wurde.438 Das für die deutschen Infallibilitätsgegner fatale „Ueberwiegen des italienischen Romanismus im höchsten kirchlichen Rathe“, welches die Autonomie der deutschen Diözesen bedrohte, führte ­Reumont dabei auf die politische Bedrängnis zurück, in der sich die Römische Kirche befand. Mit der Freiheit der Kirche war damit zugleich die konkrete ­ eumont zu Freiheit der deutschen Katholiken bedroht. Genau deshalb, versuchte R erklären, dass die Situation des Papsttums unmittelbare Auswirkungen auf die innenpolitischen Verhältnisse in Preußen bzw. Deutschland haben werde. Gleichzeitig befasste er sich mit der historischen Rechtfertigung der päpstlichen Herrschaft über die Leostadt, und bemerkte hinsichtlich einer möglichen Infragestellung auch des letzten Restes päpstlichen Territorialbesitzes: „Die Leonina war von jeher eine Stadt für sich, von Rom und seiner Verwaltung getrennt und päpstlichen Behörden untergeben, auch als in Rom das Municipium herrschte und päpstliche Einwirkung eifersüchtig zurückwies. Verträge zwischen Papst und Stadt erkannten ausdrücklich dieses eigenthümliche Verhältnis an.“439

Allerdings hob ­Reumont später in seiner Denkschrift Pro romano pontefice hervor, dass eine Garantie der Leostadt durch das Königreich Italien nicht ausreiche, um die Unabhängigkeit des Papsttums zu sichern. Denn allein die Anerkennung der Notwendigkeit, dass der Papst einer staatlichen Garantie bedürfe, über deren Rechtmäßigkeit das Parlament entschieden hatte, setze die Abhängigkeit des Papstes vom italienischen Staat und damit eine Unterordnung göttlichen Rechts unter menschliche Beschlüsse voraus.440 Damit war ­Reumont vom Gegner der weltlichen Herrschaft des Papstes zu ihrem Befürworter geworden. Dementsprechend hatte sich auch ­Reumonts Italienberichterstattung verändert. Während er bis ins Jahr 1859 ein gut informierter Korrespondent war, der die Berechtigung der nationalpolitischen Forderungen aus dem Blickwinkel der Moderati analysierte, sah er mit der Art und Weise der italienischen Nationalstaatsgründung unter piemontesischer Führung eine zunehmende Gefahr für das Papsttum. Hatte er anfangs lediglich die kirchenpolitische Gesetzgebung der 1850er Jahre in Sardinien-Piemont kritisiert, so setzte sich bei ihm mit dem Einmarsch offizieller italienischer Truppen in den Kirchenstaat im September 1860 endgültig die Ansicht durch, dass der italienische Nationalstaat es sich zur Aufgabe gemacht habe, das Papsttum zu beseitigen. Dies hatte zur Folge, dass seine Berichterstattung sich mit der Gründung des Königreichs Italien immer mehr der übrigen katholischen Polemik gegen den italieni 438

Vgl. August Franzen: Die Katholisch-Theollogische Fakultät Bonn im Streit um das Erste Vatikanischen Konzil. Zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Altkatholizismus am Niederrehin (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 6), Köln / Wien 1974, S. 10–11. 439 Die Leostadt, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 286, 13. Oktober 1870. 440 Alfred von ­Reumont: Pro romano pontefice, Bonn 1871, S. 25: „Nicht besser aber steht’s mit den Garantien, die das Parlament decretiren soll, will man selbst nur einen Augenblick von der höchst einfachen Thatsache Abstand nehmen, daß das Princip der unabhängigkeit des Papstthums und der Begriff seiner Souveränität schon negirt sind, indem sie einem Parlament zur Begutachtung unterbreitet werden.“

II. Politische Publizistik 

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schen Nationalstaat anglich, die das Risorgimento als den Kampf der Revolution gegen das Christentum betrachtete.441 Während er noch bis zum Ende der 1850er Jahre stets auch einen Überblick über die verschiedenen Strömungen innerhalb der italienischen Nationalbewegung zu geben pflegte, verstieg er sich in seiner Verteidigung der päpstlichen Territorialherrschaft zunehmend in Polemik. Hinsichtlich der Nationalstaatsgründung und des Einmarsches in Rom lautete sein Fazit: „Gewaltthätigkeit und Lüge haben einander seit 1859 abgelöst. Ihr Werk ist jetzt gethan.“442

Diese Nationalpolitik, die das Nationalitätsprinzip über internationale Verträge stellte und bei der Verwirklichung konkreter politischer Ziele das Papsttum in erster Linie als politischen Faktor betrachtete, bewirkte das Gegenteil dessen, was Rosmini und seine Anhänger gefordert hatten. Hatte Rosmini eine unabhängige Kirche anvisiert, die als geistliche Autorität den moralischen Fortschritt der Gesellschaft fördern und als Gegenpol zu staatlichen – und damit menschlichen – Allmachtsansprüchen fungieren sollte, so schien mit der Einnahme Roms genau das einzutreten, was der liberale Katholizismus gerade zu verhindern suchte: Dass der Staat für sich die alleinige Kompetenz in Anspruch nahm zu entscheiden, was das Beste für die Gesellschaft war, und die Kirche unter seine Kontrolle brachte. Das angestrebte gesellschaftliche Gleichgewicht, das durch eine Rückbesinnung auf die christliche Verkündigung und die Schaffung einer christlichen Gesellschaft erreicht werden sollte, war damit nicht mehr möglich.443 Nach R ­ eumonts Ansicht war gerade die Kombination der verpassten Reformen des Vatikanischen Konzils in Verbindung mit der politischen Bedrängnis des Papsttums in Italien fatal. Durch den politischen Druck erhielten im Vatikan die unversöhnlichen Reformgegner die Oberhand, die mit dem Vatikanum dem „staatlichen Absolutismus“ gegenüber der Kirche einen päpstlichen Absolutismus entgegenstellten und damit den liberalen Nationalstaat im Dienste der Konservativen als unchristlich zu diskreditieren suchten, was insbesondere die deutschen Katholiken in einem evangelischen Staat in Bedrängnis bringen musste. Deswegen fiel ­Reumonts Urteil über das Vatikanische Konzil vernichtend aus: „Das Vaticanische Concil, in welcher Absicht immer es berufen worden sein mag, ist ein Unglück gewesen, für die gesammte katholische Welt, für den Clerus, für den Episkopat, somit in letzter Instanz für das Papstthum selbst. Es hat die Einigkeit gefährdet statt sie zu befestigen, es hat die Autorität geschwächt statt sie zu stärken, es hat die Gewissen bedrängt, statt sie zu beruhigen, es hat die Erwartung wünschenswerher Reformen getäuscht statt sie zu erfüllen, es hat die Hoffnung confessioneller Ausgleichung in weite Ferne gedrängt statt sie näher zu bringen.“444 441

Vgl. Petersen (1991), S. 172. Der Fall Roms, Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 274, 1. Oktober 1870; oder auch Alfred von ­Reumont: Pro romano pontefice, Bonn 1871, S. 13: „Hier ist kein Recht: Hier ist Gewaltthat und Revolution.“ 443 Zu Rosminis Ideal vgl. Liermann (2004), zusammenfassend auch S. 34–36. 444 Alfred von ­Reumont: Pro romano pontefice, Bonn 1871, S. 21. 442

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C. Publizistik

Durch die für eine Reform ungünstigen Beschlüsse auf dem Konzil hatte man also sowohl die politische als auch die geistliche Krise der Kirche verschärft.445 Dass sich ­Reumont in dieser Krise trotz seiner grundsätzlich skeptischen Haltung gegenüber dem päpstlichen Territorialbesitz und der damit verbundenen Gefahr der Verweltlichung nun dennoch für dessen Erhalt aussprach, um der Kirche die notwendige Unabhängigkeit zu sichern, damit sie sich von innen heraus re­ formieren und als überparteiliche staatenlose Instanz die Schaffung einer christlichen Gesellschaft betreiben konnte, stieß in der aufgeheizten deutschen Polemik ­ eumonts Pro romano pontefice rückte ihn auf Unverständnis. In einer Replik auf R der anonyme Autor wegen seiner Rechtfertigung des päpstlichen Territorialbesitzes sogar in die Nähe der Ultramontanisten.446 Diese Fehleinschätzung zeigt, mit welcher undifferenzierten Schärfe die Auseinandersetzung geführt wurde und wie wenig die beteiligten Akteure bereit waren, sich inhaltlich mit den Argumenten der liberalen Katholiken auseinanderzusetzen – zumal dann, wenn sie ihre Hoffnungen weiterhin auf eine innerkirchliche Reform setzten und eine weitere Kirchenspaltung zu vermeiden suchten. Diese Polemik in der deutschen Publizistik war ­ eumont bereits im Jahre indes die Konsequenz der Konzilsbeschlüsse, vor der R 1869 Pius IX. und Kardinal Bilio gewarnt hatte. Von Anfang an sah er sich dabei zwischen den Fronten, den Protestanten einerseits und den Ultramontanisten andererseits, während er den Altkatholiken in wesentlichen Fragen zustimmte, ohne sich ihnen anzuschließen. Die Verschärfung des Gegensatzes zwischen den Konfessionen sowie die Verursachung eines weiteren Schismas durch das Vatikanum versetzten dem Ideal einer einträchtigen und überkonfessionellen christlichen Gesellschaft einen schweren Schlag. Gerade in einer Zeit der konstitutionellen Monarchien, in denen die Berufung auf die göttliche Vorsehung als Legitimationsgrundlage in den Hintergrund trat, musste die Schaffung einer christlichen Gesellschaft 445 Der Fall Roms, Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 274, 1. Oktober 1870: „Die politische Krisis in welcher die Welt heute schwebt, wird durch die religiöse Krisis peinlich gesteigert. Denn man darf sich darüber nicht täuschen, die Verfassung der katholischen Kirche ist von den größten Gefahren bedroht.“ 446 Pro populo italico. Replik auf Herrn Alfred von ­Reumont’s Plaidoyer „Pro Romano Pontefice.“, Berlin 1871, S. 17: „Herr von R ­ eumont ist unzweifelhaft ein guter Katholik. Gleichwol – oder vielleicht eben deshalb – bekennt er, daß wie jedes Band zwischen Geistlichem und Weltlichem ersterem ein Bleigewicht an die Ferse hängt, der Territorialbesitz unvortheilhaft und verweltlichend auf die Kirche gewirkt hat. Logischer Weise müßte man nun erwarten, daß Herr von ­Reumont auf das Geistliche in der Kirche mehr Gewicht legen sollte als auf das Weltliche, und folglich zufrieden sein werde, daß der Kirche dies Bleigewicht abgenommen würde. Anstatt dessen schmäht Herr von R ­ eumont Italien, weil es gethan hat, was nach seiner eigenen Ansicht eine Wohlthat für die Kirche ist. Dieser flagrante Widerspruch läßt sich nur dadurch erklären, daß Herr von R ­ eumont, der doch die weltliche Papstmacht blos als einen Notbehelf zur Sicherung der Freiheit der Kirche ansieht, seinen herrschsüchtigen Parteigenossen eine Concession machen wollte, die ihm selbst unstatthaft erscheinen muß. Wie wäre es sonst auch möglich, daß ein frommer und gelehrter Historiker die Vorsehung zur Mitschuldigen der politischen und Familienintriguen, der Fälschungen und Gewaltthaten der Päbste bei der Gründung und Erhaltung ihrer weltlichen Macht herabwürdigte.“

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umso wichtiger erscheinen. Voraussetzung dafür war es jedoch, eine überkonfessionelle christliche Identität zu entwickeln und interkonfessionelle Polemiken zu vermeiden. Deswegen rief R ­ eumont auf den Seiten der Augsburger Allgemeinen Zeitung das Andenken Friedrich Wilhelms IV. und dessen Selbstverständnis als überkonfessionellen christlichen Herrscher in Erinnerung, um zur Eintracht zu mahnen: „Die Hinweisung auf Aachens „Ultramontanismus“ und auf die „peinlichen Eindrücke auf die große Mehrheit des deutschen Volkes“ kann nur peinlich berühren. Das ist die Gesinnung nicht, welcher König Friedrich Wilhelm IV. Worte lieh, als er vor 28 Jahren den Grundstein zum Fortbau des Kölner Doms legte, als er sprach „von dem Brudersinn verschiedener Bekenntnisse, der inne geworden daß sie Eines sind in dem einigen göttliche Haupte.“ Wie am Kölner Dom, haben am deutschen Reich alle Bekenntnisse mitgebaut – das katholische Deutschland hat ebenso wie das protestantische auf dem Kampfplatze sein Blut vergossen, ohne zu fragen welcher Confession sein neuer Kaiser angehörte. Wenn je ein Moment ungeeignet ist auf solche Unterschiede in der deutschen Nation hinzuweisen, so ist es der gegenwärtige, wo alle Stämme einander in Brudertreue die Hand reichen.“447

Das Vatikanum zeigte indes, dass die Konservativen der liberal-katholischen Christianisierung der Zivilgesellschaft erfolgreich das Prinzip der religiösen Politik entgegensetzten, das die konstitutionelle Monarchie nicht christlich vervollkommnen, sondern zugunsten eines streng autoritär-hierarchischen Absolutismus zerstören sollte. Anstatt den Liberalismus und die konstitutionelle Monarchie über eine christliche Gesellschaft zu prägen, sollte die (römisch-katholische) Religion als Gegenpol zum liberalen Nationalstaat inszeniert werden. Damit war der Religion ihre Überparteilichkeit genommen – mit fatalen Konsequenzen sowohl in Deutschland als auch Italien. Während Cavour die Kirche durch die Formel libera ­ eumont Chiesa in libero Stato aus dem Dilemma zu befreien suchte,448 fürchtete R eine Abhängigkeit der Kirche vom Staat, die ihre freie, von politischen Interessen unabhängige Weiterentwicklung zumindest behindern musste. Mit dem Vatikanischen Konzil und seinen Folgen für Deutschland und Italien fand ­Reumonts politische Berichterstattung zu aktuellen Entwicklungen einen Ausklang. Seine Loyalität zum Herrscherhaus hielt ihn davon ab, sich publizistisch in die Auseinandersetzungen während des Kulturkampfes einzubringen. Er zog unbeirrt den direkten Dialog mit Wilhelm I. vor, der allerdings keine Wirkung zeigte. Da er seit den 1870er Jahren zwar noch jährlich seinen Freund Gino Capponi besuchte, jedoch keine dauerhafte Stellung mehr in Italien hatte und er die italienische Politik mit einer Mischung aus Wohlwollen für Land und Leute und einer Abneigung gegen den Staat verfolgte, meldete er sich auf den Seiten der Augsburger Allgemeinen Zeitung nicht mehr zu tagespolitischen Themen zu Wort, sondern zog es vor, sich einerseits wieder verstärkt kulturellen Themen zuzuwenden und andererseits

447

Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1871. Vgl. Traniello (2011).

448

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C. Publizistik

seine Wahrnehmung des Risorgimento durch Biographien wichtiger Persönlichkeiten dieser Zeit zu vermitteln.449 Im Rahmen seiner tagespolitischen Italienberichterstattung hob sich R ­ eumont durch seine eingehende Kenntnis der Verhältnisse, in seinen Analysen durch eine im Verhältnis zur übrigen Italienkorrespondenz der Augsburger Allgemeinen Zeitung differenzierte Schilderung der unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb des italienischen Risorgimento sowie der politischen und sozialen Ursachen für die Unruhen ab. Auch wenn seine Berichte keinesfalls als objektive Lagebeschreibungen zu verstehen sind, zeichnen sie sich trotz seiner oftmals sehr persönlichen Bewertungen durch eine Vielzahl an politischen und gesellschaftlichen Details aus, die dem Gros der interessierten Leser aus der übrigen Publizistik unbekannt gewesen sein dürften. Bereits vor dem ersten italienischen Unabhängigkeitskrieg erkannte er im Gegensatz zum Großteil der Italienberichterstattung der Augsburger Allgemeinen Zeitung450 die Rechtmäßigkeit der italienischen Nationalbewegung gegenüber der österreichischen Herrschaft in Lombardo-Venetien nicht nur an,451 sondern verschaffte dem bereits 1838 formulierten politischen Programm Karl Alberts Eingang in die an ein breiteres Publikum gerichtete deutschsprachige Publizistik.452 Nach dem Ausbruch des Krieges stellte er sich zunächst nicht auf die Seite Österreichs und des Legitimismus, sondern befasste sich vielmehr mit der Frage nach der Sicherung der italienischen Unabhängigkeit in einem Staatenbündnis konstitutioneller Monarchien, um republikanische Forderungen von Anfang an eindämmen zu können und erkannte dabei die militärische Führungsrolle Sardinien-Piemonts noch vorbehaltlos an.453 Erst Ende der 1850er Jahre schloss sich ­Reumont der Polemik der übrigen Korrespondenten der Augsburger Allgemeinen Zeitung an, nach der die Hauptschuldigen an der österreichfeindlichen Stimmung in Italien Sardinien-­ Piemont und Frankreich seien454 – ohne jedoch die häufig vorgebrachte historische Rechtfertigung der österreichischen Position in Italien mit dem mittelalterlichen

449 Vgl. etwa R ­ eumonts Artikel über: Leopold II. Großherzog von Toskana, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 195, 198, 203, 14., 17., 22. Juli 1871 und die daran anschließende Polemik mit Heinrich von Treitschke: Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 337, 355, 361, 3., 21., 27. Dezember 1871; Elisabeth Königin von Preußen, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 10–11, 10.–11. Januar 1874; Niccolò Tommaséo, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 132, 12. Mai 1874. 450 Vgl. Lutz (1966), S. 40–43. 451 Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 277–282; Niccolò Tommaséo, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848. 452 Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 88 u. Kapitel B. II. 4. Risorgimento und romantisches Italienerlebnis: Zwischen den Höfen Leopolds II. von Toskana und Friedrich Wilhelms IV. von Preußen, S. 280–281. 453 Ebenda, S. 289; Graf Cesare Balbo über den Vertheidigungskrieg in Italien, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 25. März 1848; Römische Verfassung und Curie, Reformen und Aussichten, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 131, 10. Mai 1848; Italien und die Einheitsprojekte, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 164, 12. Juni 1848. 454 Vgl. Lutz (1966), S. 43–50.

II. Politische Publizistik 

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Kaiserreich anzuerkennen.455 Erst im Rahmen der Italienberichterstattung unter der Fragestellung nach der Zukunft des Kirchenstaates schwenkte ­Reumont zunehmend auf die allgemeine Linie der Zeitung ein, in der – allen voran durch Döllingers Beiträge – einerseits die notwendigen innerkirchlichen Reformen angemahnt wurden, andererseits jedoch das völkerrechtswidrige Vorgehen Sardinien-Piemonts bzw. später des Königreichs Italien gegen Papst und Kirchenstaat angeprangert wurde.456 2. Der Kampf um die historische Kritik und den liberalen Katholizismus in Franz Heinrich Reuschs Theologischem Literaturblatt Während sich R ­ eumont nach der Gründung des Königreichs Italien in seiner politischen Berichterstattung auf die Konsequenzen für Papst und Kirchenstaat sowie das Ideal einer christlich-europäischen Ordnung im Sinne Friedrich Wilhelms IV. konzentrierte, rückte nach der Ankündigung des Vatikanischen Konzils die Situation der Gesamtkirche unter besonderer Berücksichtigung der Katholiken in den deutschen Diözesen sowie der Auseinandersetzung um die Vereinbarkeit des katholischen Glaubens mit der historischen Kritik in den Vordergrund. Zunächst begrüßte ­Reumont die Einberufung eines Konzils zur Behandlung der wichtigen kirchlichen Fragen hinsichtlich einer Positionierung in einer sich rasant ändernden politischen Umgebung. Als die Kurie im Rahmen der Vorbereitungen des Konzils deutsche Theologen hinzuzog, um über die Situation der Kirche in Deutschland unterrichtet zu werden,457 erhoffte sich R ­ eumont durch ein längeres Treffen mit Pius IX. und Kardinal Bilio eine Sensibilisierung für die deutschen Verhältnisse bewirken zu können. Allerdings hatte er sehr schnell feststellen müssen, dass er mit seinen Warnungen nicht durchzudringen vermochte.458 Nach seiner Rückkehr schloss er sich in Bonn der sogenannten „geistlichen Börse“ an, einer regelmäßigen Zusammenkunft im Bonner Hofgarten, an der neben den dortigen Theologieprofessoren Bernhard Joseph Hilgers,459 Franz Xaver Dieringer,460 Franz Heinrich Reusch,461 Josef ­Langen,462 Johann Heinrich Floß463 und Franz Philipp Kaulen464 auch Kirchenrechtler wie Johann Joseph Bauerband oder Ferdinand Walter teilnahmen.465 In 455 Vgl. Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 293–294. 456 Vgl. Lutz (1966), S. 225–228. 457 Vgl. Franzen (1974), S. 22–30. 458 Vgl. dazu auch Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 307–308. 459 Vgl. Franzen (1974), S. 42–46. 460 Vgl. ebenda, S. 46–61. 461 Vgl. ebenda, S. 61–64. 462 Vgl. ebenda, S. 65–66. 463 Vgl. ebenda, S. 66–71. 464 Vgl. ebenda, S. 74. 465 Vgl. ebenda, S. 113–137.

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C. Publizistik

diesen Zusammenkünften dominierten die Infallibilitätsgegner und Verteidiger der historischen Kritik, so dass sich R ­ eumont dort mit Gesinnungsgenossen über die römischen Entwicklungen austauschen konnte. An diesen Diskussionen beteiligte sich auch Franz Xaver Kraus, der zu jener Zeit mit dem Gedanken spielte, sich in Bonn ­ eumont Zeit seines Lebens in engem Austausch zu habilitieren466 und mit dem R bleiben sollte. Im Rahmen der Auseinandersetzungen um das Vatikanische Konzil rückte selbstredend auch ­Reumonts Bekanntschaft zu Ignaz von Döllinger verstärkt in den Mittelpunkt. Nachdem ­Reumont aus Rom zurückgekehrt war besuchte er ihn in München, um sich über die Aussichten des Konzils und dessen Konsequenzen für die deutsche Situation auszutauschen. Allerdings war bereits jeglicher Optimismus der Befürchtung gewichen, dass die deutsche und französische Opposition gegen die Infallibilität keine Berücksichtigung finden werde. Gegenüber Gino Capponi berichtete er von seinem Besuch Döllingers in München: „Fui a pranzo dal Döllinger col Giesebrecht e Cornelius professori di Storia. Esso sta bene e La saluta distintamente. La grande preoccupazione a Monaco, e non meno qui, è il Concilio, di cui non si spera molto di buono, temendo che l’opposizione dei Tedeschi e Francesi, di quella parte cioè che non andrebbe d’accordo colle velleità e coi principj esagerati, non basterà di fronte alla maggioranza. Frattanto l’agitazione va crescendo, e si è cominciato a mandare indirizzi, moderatissimi ma fermi, ai nostri Vescovi. I governi finiranno coll’immischiarsi, le relazioni tra Chiesa e Stato essendo in gioco. Da ogni parte si sente dire che sarebbe gran fortuna, se il Concilio non avesse luogo. L’elezione del dottissimo  e pio Prof. Hefele di Tubinga a vescovo di Rottenburg (Wurtenberg) è una manifestazione del partito moderato. Egli fu ultimamente a Roma, per il lavori preparatorj.“467

Dabei befürchtete R ­ eumont von Anfang an, dass das Unfehlbarkeitsdogma die Stellung der Katholiken in Staaten mit einer konfessionell gemischten Bevölkerung erheblich beeinträchtigen und einen Konflikt zwischen Staat und Kirche provozieren könnte. Dennoch sah er zugleich die Notwendigkeit, dass die Katholiken Einheit demonstrieren mussten. Obgleich er die Intention des von Reusch 1866 gegründeten Theologischen Literaturblattes begrüßte, „literarische Fragen in kirchlichem und wissenschaftlichen Geiste erörtern zu wollen“468, hatte er zunächst darauf verzichtet, sich an diesem Unternehmen zu beteiligen, in dessen Rahmen sich Vertreter der verschiedenen Richtungen zu Wort meldeten, um zentrale Fragen – insbesondere auch die der päpstlichen Unfehlbarkeit – zu diskutieren. Im Vorfeld des Konzils zog er es vor, die öffentliche Auseinandersetzung zu meiden und stattdessen den Weg des persönlichen Dialogs zu suchen, um trotz aller Meinungsverschiedenheiten keiner weiteren Spaltung innerhalb der Kirche Vorschub zu leisten, die die Position der Kirche in der Gesellschaft nur weiter schwächen musste. Deswegen lehnte er die von Döllinger mit seinen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Janus-Artikeln befeuerte Polemik trotz seiner inhaltlichen Zustimmung entschieden

466

Vgl. ebenda, S. 114–115. BNCF Gino Capponi XI. 45, Nr. 60: Bonn, 20. Juni 1869. 468 Franzen (1974), S. 84. 467

II. Politische Publizistik 

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ab. Diese Artikel schadeten seiner Ansicht nach der Kirche ebenso sehr wie die unsäglichen Artikel der jesuitischen Civiltà Cattolica.469 Erst als ­Reumont im Verlauf des Konzils feststellen musste, dass die Konzils­ beschlüsse die Einwände der deutschen und französischen Opposition gegen die Infallibilität und den päpstlichen Jurisdiktionsprimat weitgehend ignorierten und stattdessen die Unvereinbarkeit der katholischen Kirche mit der modernen Gesellschaft und der historischen Kritik erklärten, entschloss er sich schließlich, auch persönlich in die öffentliche Kontroverse um die Konzilsbeschlüsse einzugreifen. Neben den bereits erwähnten, im April 1870 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung anonym veröffentlichten Laienbetrachtungen, begann sich R ­ eumont im selben Monat mit Beiträgen am Theologischen Literaturblatt zu beteiligen.470 In den dort unter seinem richtigen Namen publizierten Rezensionen bezog er entschieden Stellung zugunsten der historischen Kritik und gegen die Versuche ultramontanistischer Auto­ren, die päpstliche Unfehlbarkeit mit historischen Argumenten zu rechtfertigen. Im Zuge der Debatte um die Konzilsbeschlüsse wurden nämlich von den Kritikern bevorzugt die Laster einzelner Päpste angeführt, um die Unfehlbarkeit in Frage zu stellen. Als Reflex auf dieses Vorgehen machten es sich Papstapologeten zur Aufgabe, eigene Biographien der in Verruf stehenden Päpste zu verfassen, um deren positive Seiten hervorzuheben. Von besonderem Interesse war dabei auch das Leben Lucrezia ­Borgias, das sich auch heute noch Dank der einprägsamen Schilderungen Ferdinand Gregorovius’ in seiner Geschichte der Familie Borgia großer Popularität erfreut.471 Während das Andenken Lucrezia Borgias durch die historische Forschung tatsäch­ eumont keinerlei Verständnis dafür lich zum Besseren korrigiert wurde,472 konnte R aufbringen, dass einige Publizisten darauf aufbauend auch dazu übergingen, das

469

BNCF Gino Capponi XI. 45, Nr. 61: Bonn, 15. Oktober 1869: „Il movimento destato dal Concilio ogni giorno diviene maggiore – voglia Iddio che si sia fatto bene toccando certe questioni in questi tempi. Poco fa è uscito a Lipsia un volume anonimo „Der Papst und das Concil von Janus“, volume il quale sviluppa maggiormente e colle citazioni delle fonti certi articoli inseriti nella Gazzetta d’Augusta nella scorsa primavera, articoli nel primo momento attribuiti al Döllinger. Desidero di tutto cuore che esso non sia l’autore di questo scritto, erudito e pieno d’acume, ma più pieno ancora di fiele e di tremenda polemica contro le pretensioni del primato romano. Le esaggerazioni [sic!] del partito della Civiltà catt. continuano a fare un male immenso alla S. Sede di cui tal Giornale si reputa l’organo.“; ebenda, Nr. 62: Bonn, 5. Dezember 1869: „Da noi continua l’agitazione promossa dal Concilio. Il Döllinger ha stampato un parere ai ­Vescovi riguardo all’infallibilità, scritto breve e stringente, il quale conferma l’opinione essere egli autore e uno degli autori del libro di Janus di cui Le scrissi, tradotto anche in Italiano. Iddio ce la mandi buona.“ 470 ­Reumonts erste Rezension zu Arnold Busson: Die Florentinische Geschichte der Malespini und deren Benutzung durch Dante, Theologisches Literaturblatt 5 (1870), Nr. 8, Bonn, 11. April 1870, Sp. 308–311. 471 Erst vor wenigen Jahren ist eine neue Auflage erschienen: Ferdinand Gregorovius: Lucrezia Borgia, Bremen 2011. 472 Vgl. Bruno W. Häuptli: Borgia, Lucrezia, Herzogin von Ferrara, BBKL 34 (2013), Sp. 116– 125; Alois Uhl: Lucrezia Borgia. Biographie, Düsseldorf 2008; Volker Reinhardt: Die Renaissance in Italien. Geschichte und Kultur, München 32012, S. 33.

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C. Publizistik

Andenken Alexanders VI. reinzuwaschen.473 Bereits die Agitation des Dominikanermönches Girolamo Savonarola474 hatte das unchristliche Handeln dieses Papstes angeprangert. Durch die besondere Verehrung, die dem Mönch insbesondere unter den toskanischen Moderati zuteil wurde, blieb auch das negative Bild seines päpstlichen Gegenspielers im Gedächtnis und dürfte auch in erheblichem Maße zu ­Reumonts Empörung über die Versuche einer Apologie dieses Papstes beigetragen haben. Schließlich hatte dieser die von Savonarola geforderte Rückbesinnung auf die christlichen Tugenden und eine Reform im Sinne einer Wiederherstellung blockiert und bot genau dadurch ein ausgesprochen schlechtes Beispiel für einen guten Papst. Denn die liberalen Katholiken verehrten Savonarola gerade wegen seines Versuchs, die Kirche von innen heraus zu reformieren, ohne ein Schisma zu provozieren. Der Versuch einer Aufwertung Alexanders VI. kam aus diesem Grund nicht nur einer Absage an die historische Kritik gleich, sondern insbesondere an jede Art von Reform. Vor diesem Hintergrund ist ­Reumonts vernichtende Rezension von William Gilberts Lucrezia Borgia zu sehen, in der er zu einem Rundumschlag gegen alle Apologeten des Reformen verhindernden Papstes ausholte: „wenngleich manches heute in milderm Lichte erscheint, als dasjenige war, in welchem gleichzeitige Historiker es betrachteten; wenngleich Infessura und Burcard, Guicciardini und Giovio dem begründeten Vorwurf der Gehässigkeit und Uebertreibung nicht entgehen konnten: so hat doch dieselbe Forschung das allgemeine Urtheil über diesen unseligen Pontificat nur bestätigt, und es ist eine unbegreifliche Verblendung, wenn man in Frankreich wie in Rom Versuche macht, dies Urtheil umzustoßen.“475

Die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschungen seien dabei derart deutlich, dass es der Sache der Ultramontanisten eigentlich mehr schade als nutze, wenn sie diesen Papst trotz aller offensichtlichen Verfehlungen als guten Papst bezeichneten.476 Es handelte sich jedoch bei weitem nicht um den einzigen Versuch, den Borgia-Papst von Vorwürfen freizusprechen. Nur wenige Monate später sah sich ­Reumont erneut dazu veranlasst „einer in manchen Kreisen sich offenbarenden gefährlichen Tendenz der Historiographie in den Weg zu treten, und an einem die Kritik geradezu herausfordernden Product zu zeigen, mit welchem Muth man an die Fälschung der Facta geht“.477 Diesmal handelte es sich um eine von einem 473

Vgl. Friedrich Wilhelm Bautz: Alexander VI., Papst, BBKL 1 (1990), Sp. 104–105. Vgl. Raimund Lachner: Savonarola, Hieronymus, Dominikaner, Ordensreformer und Bußprediger, BBKL 8 (1994), Sp. 1461–1472. 475 Alfred von ­Reumont: Lucrezia Borgia, Theologisches Literaturblatt 5 (1870), Nr. 12: Bonn, 6. Juni 1870, Sp. 476–481, hier Sp. 480. 476 Ebenda: „Was soll man dazu sagen, wenn in einem im J. 1866 in Rom gedruckten Buche (L. Ruggieri, L’Archiconfraternità del Gonfalone), welches nützliches historisches Material enthält, vom magnanimo cuore Alexanders VI. die Rede ist und dieser mit einer Lieblingsphrase unserer Zeit gran papa e gran re gennant wird? Glaubt man damit das Urtheil der Geschichte zu entkräften, glaubt man damit das Echo verstummen zu machen, welches aus Ariosto’s Satire entsetzlich herüberklingt?“ 477 Alfred von ­Reumont: Papst Alexander VI., Theologisches Literaturblatt 5 (1870), Nr. 18: Bonn, 29. August 1870, Sp- 685–692, hier Sp. 686. 474

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französischen Dominikaner verfasste Biographie Alexanders VI. ­Reumont, dem es sichtlich unangenehm war, dass einige Papstapologeten durch mangelnde historische Kritik es der antikirchlichen Polemik leicht machten, die gesamte katholische Kirche als mit der modernen Wissenschaft grundsätzlich unvereinbar zu diskreditieren, stellte deswegen klar: „Ich kann nicht umhin, über ein Buch wie das des französischen Dominicaners Bedauern auszudrücken. Es gehört zu den schlimmen Zeichen der Zeit. Die Papstgeschichte kann so ungeschickte Apologeten nicht brauchen. Sie hat an dunkeln Stellen keinen Mangel, aber der Finger der Vorsehung ist sichtbar in ihrem Verlauf. Baronius und die übrigen großen Kirchenhistoriker haben sich nicht gescheut, das Schlechte schlecht zu nennen. Indem der Verf. der Geschichte Alexanders VI. Uebertreibungen und Verleumdungen in den Weg treten wollte, hat er mit seinen Verdrehungen seinem Helden mehr geschadet als genutzt.“478

Mit diesem Fazit brachte ­Reumont seine eigene Ansicht über die Berechtigung des Papsttums auf den Punkt: Während die historisch-kritische Forschung keine Grundlage für das Unfehlbarkeitsdogma biete, sei in ihrem Verlauf – ungeachtet aller menschlichen Verfehlungen – das Wirken der göttlichen Vorsehung ersichtlich. Insofern sah R ­ eumont das Papsttum in seiner Existenz und Notwendigkeit durch die Geschichte gerechtfertigt, während dessen Gestaltung den zeitlichen Gegebenheiten angepasst werden musste, um die christliche Verkündigung in der Gesellschaft bestmöglich gewährleisten zu können. Obgleich ­Reumont seine Enttäuschung über die Konzilsbeschlüsse sowie seine Zweifel an der Opportunität des Unfehlbarkeitsdogmas nicht verschwieg, hielt er an der Notwendigkeit der kirchlichen Einheit fest. Nachdem er seinem Unmut auch auf publizistischem Wege Luft gemacht hatte, zog er es dennoch vor, sich den als falsch eingeschätzten Beschlüssen zu fügen, als durch Opposition unfreiwillig die Gegner des Papsttums zu unterstützen. Obwohl diese ganz entscheidenden Anteil an der in Deutschland tobenden Polemik gegen die katholische Kirche trage, hielt er es nun in erster Linie für geboten, den Schaden, den das interkonfessionelle Zusammenleben im Deutschen Reich genommen hatte, in Grenzen zu halten und kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Aufschlussreich für R ­ eumonts Betrachtung der Lage der deutschen Katholiken ist seine Schilderung in einem Brief an Gino Capponi.479 Die Konzilsbeschlüsse selbst haben die katholische Kirche in Deutsch 478

Ebenda, Sp. 692. BNCF Gino Capponi XI. 47, Nr. 79: Bonn, 22. November 1871: „Non posso dirLe molto di lieto delle cose nostre. Le questioni religiose vie maggiormente collegate colle politiche inasprisconsi di giorno in giorno, e purtroppo io, antico e stenuo avvocato di Roma, non posso negare, Roma averci suscita una buféra, la quale ci minaccia di grandi rovine, e può far pericolare quelle libertà alla Chiesa cattolica accordate sin dal principio del regno di Fed. Gugl. IV., accrescendo i contrasti inseparabili dalla diversità di credenze religiose, contrasti dispiacevoli alle persone savie e sincere dalle due parti e che, con molto successo, erasi cercato di mitigare, mentre ora si va peggiorando ogni giorno per l’irragionevolezza e per le passioni degli hotspurs di qua e di là. Già si fanno petizioni per e contro l’espulsione dei Gesuiti, e avremo nella sessione della Dieta, che è per aprirsi, una proposta di legge criminale contro i preti i quali abusano del pulpito per immischiarsi in cose politiche e di governo, legge di cui è facile vedere quanto si abuserà. 479

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land in unnötige Bedrängnis gebracht und stellen die unter Friedrich Wilhelm IV. gewährten Freiheiten in Frage, während die anhaltende Polemik unter Ultramontanisten und liberalen Katholiken bzw. den späteren Altkatholiken die katholische Kirche schwäche und ein Eingreifen der Regierung auf den Plan rufe. Der später als Auftakt zum Kulturkampf bekannte Kanzelparagraph, der den Missbrauch der Predigt zur politischen Agitation unter Strafe stellte, sollte bereits dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Gerade vor diesem Hintergrund hielt R ­ eumont den Zusammenhalt der Katholiken für dringend erforderlich. Allerdings beraubte sich die Kirche durch die Exkommunikation der Gegner des Unfehlbarkeitsdogmas selbst ihrer in Deutschland angesehensten Kräfte. Damit schade sie nicht nur sich selbst, sondern auch den Fundamenten des Staates, dessen innere Eintracht in besonderem Maße von interkonfessioneller Harmonie abhing.480 Entsprechend ernüchtert erklärte ­Reumont Capponi, dass die altkatholische Bewegung längst den Gegnern der katholischen Kirche zuarbeite und den Kulturkampf schüre.481 Insbesondere die Polemik Döllingers ließ den Altkatholizismus zum Werkzeug Bismarcks gegen die katholische Kirche werden. Die Auseinandersetzung um die Konzilsbeschlüsse wurde so mithilfe der Altkatholiken zum Kampf gegen den die deutsche Einheit in Frage stellenden Romanismus.482 Als regelmäßiger Teilnehmer der „geistlichen Börse“ sowie als Beiträger des Theologischen Literaturblattes stand ­Reumont mit den führenden Altkatholiken in Kontakt und musste nach dem Konzil erleben, wie Erzbischof Melchers diejenigen Bonner Professoren, die eine Unterwerfung verweigerten, schließlich mit der Exkommunikation bedrohte.483 Während der Erzbischof zunächst die Bonner La risposta dell’Imperatore ai reclami dei Vescovi, reclami nei quali il vero e il falso è mescolato in modo inconcepibile, di già fa travedere misure legislative che saranno spiacevolissime. Tutto sarebbe da sopportarsi, ove non s’infiltrasse di più in più quella discordia che indebolisce il Cattolicesimo, discordia nata col Concilio, e che ci leva le migliori forze nostre a cospetto del Protestantismo. Il modo con cui procedono i Vescovi, i quali hanno avuto parte principale in ciò che adesso si lagnano – lo spirito d’asprezza di molti sacerdoti – gli eccessi della stampa che danno ragione alla repressione – le dottrine esagerate che vanno al di là dell’Una sanctam – le altre esagerazioni della parte avversa, la quale fa nascere anche scandali – ecco le belle condizioni in cui ci troviamo. E tutto ciò non è altro se non il principio – il peggio verrà dopo.“ 480 Ebenda, Nr. 81: Bonn, 21. Februar 1872. 481 Ebenda, Nr. 83: Bonn, 10. September 1872: „A Colonia è per tenersi un Congresso dei cosiddetti Alt-Katholiken. Ma il movimento non procede, e la protezione accordatagli da qualche governo unita al favore incontrato presso parte dei protestanti lo rovina anzichè giovargli. Mi rincresce assai la falsa posizione del Döllinger e di parecchj altri uomini rispettabilissimi, i quali non hanno creduto poter disdirsi allorchè vennero abbandonati dai Vescovi, da principio in gran parte della loro opinione. Molti altri non servonsi di tal movimento se non per battere la Chiesa cattolica.“ 482 Vgl. dazu Otto Weiß: Döllinger, Rom und Italien, in: Georg Denzler / Ernst Ludwig Grasmück (Hrsg.): Geschichtlichkeit und Glaube. Gedenkschrift zum 100. Todestag Ignaz von Döllingers, München 1990, S. 212–316, hier S. 250–251. 483 Zu den Hintergründen der Situation der Bonner Professorenschaft vgl. Franzen (1974), S. 182–256.

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Professorenschaft mit weniger drastischen Mitteln dazu zu bewegen suchte, die Konzilsbeschlüsse anzuerkennen, erwarteten Teile der katholischen Bürgerschaft, wie beispielsweise die Kölner „Bürgergesellschaft“, ein hartes Durchgreifen.484 Die Konzilsgegner rechtfertigten indes die Weigerung, die Konzilsbeschlüsse anzuerkennen damit, dass sie von staatlicher Seite auf die Lehre im Sinne des tridentinischen Glaubensbekenntnisses verpflichtet worden seien, dem das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit widerspreche.485 Da sie von bischöflicher Seite keine Unterstützung mehr erwarten konnten, zogen sie sich auf ihre Verantwortung dem Staat gegenüber zurück und machten damit indirekt deutlich, dass ein bischöf­licher Eingriff in die Lehrinhalte der Fakultät nicht ohne Einverständnis des Staates erfolgen könne – womit sie letztlich einen entscheidenden Beitrag zum Auftakt des Kulturkampfes leisteten.486 Welch fatale Auswirkung die altkatholische Agitation gegen das Vorgehen des Erzbischofs und die päpstliche Unfehlbarkeit für die gesamte katholische Bevölkerung in ihrer Stellung im Deutschen Reich haben musste, wird in einer Kampfschrift des Altkatholiken Johann Friedrich von Schulte deutlich, in der er die Konsequenz des Unfehlbarkeitsdogmas für den preußischen Staat mit folgenden Worten beschreibt: „Dann aber ist die Glaubenslehre, daß der Papst die Könige absetzen, die Völker verschenken kann, daß die weltliche Macht unbedingt zu gehorchen hat, daß jeder, der gegen die päpstlichen Gesetze handelt, verlorengeht; dann ist es geradezu unmöglich, daß ein gläubiger Katholik in Preußen und irgend einem Staate ein gewissenhafter Staatsbeamter irgend einer Kategorie sein könnte.“487

Genau diese Destabilisierung des Staates beabsichtigten die italienischen Konservativen südlich der Alpen. Dass dies im Falle einer konfessionell gemischten Bevölkerung zur Diskriminierung der Katholiken führen musste, war für die italienischen Konservativen nicht entscheidend, weshalb sie entsprechende Warnungen ignoriert hatten. Da sich damit allerdings die Diskriminierung katholischer Bürger in einem protestantischen Staat bestens rechtfertigen ließ, solange denn die päpstliche Infallibilität nicht zurückgenommen wurde, handelte es sich bei dem bereits in Italien zweifelhaften Erfolg mit Blick auf die deutschen Folgen um einen Pyrrhos-Sieg. ­Reumont hatte diese Gefahr von Anfang an gesehen, falls die Auseinandersetzung nicht nur zu einem Schisma eskalieren, sondern zudem noch den Staat auf Seiten der Antiinfalibilisten involvieren und auf diese Weise die Autorität der Bischöfe schwächen sollte, weshalb er seinen altkatholischen Bekannten zunehmend reserviert gegenüberstand. Ähnlich wie Hermann Hüffer oder Franz Xaver Kraus, 484

Vgl. ebenda, S. 194–198. Vgl. ebenda, S. 185–187. 486 Vgl. ebenda, S. 197–198 u. 230–232. 487 Johann Friedrich von Schulte: Das Vorgehen des Erzbischofs von Köln gegen Bonner Professoren, gewürdigt von einem katholischen Juristen, Bonn 1871, S. 22–23; vgl. Franzen (1974), S. 230–232. 485

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mit denen er seit dieser Zeit in engem Briefkontakt stand,488 zog er es vor, der direkten Konfrontation aus dem Wege zu gehen und einen Ausgleich zu suchen.489 Dass Konzilsgegner wie Dieringer, Reusch oder Kampschulte, zu denen er allesamt in persönlichem Kontakt stand, nun unter Druck gesetzt wurden, sich eindeutig für oder gegen die Konzilsbeschlüsse zu positionieren, hielten sie für unnötig und kontraproduktiv.490 ­Reumont hatte sowohl in seinen Laien-Betrachtungen als auch seiner Denkschrift über die Folgen des Konzils darauf hingewiesen, dass das Unfehlbarkeitsdogma die liberalen Katholiken vollkommen unnötig unter Druck setze und damit die so wichtige kirchliche Einheit gefährde.491 Allerdings legte er selbst Wert darauf, seine Kritik stets innerhalb der Kirche zu formulieren und keiner Spaltung Vorschub zu leisten. In diesem Sinne ist auch seine Mitarbeit an Reuschs Theologischem Literaturblatt zu sehen. Nach seiner Rückkehr aus Rom und um die Erkenntnis reicher, dass auf dem Konzil die Ultramontanisten das Ruder fest in der Hand hatten, schloss er sich der „geistlichen Börse“ und dem Theologischen Literaturblatt an, in dem er die historische Kritik gegen ihren Missbrauch durch die Infallibilisten verteidigte. Nachdem ­Reumont jedoch erkannt hatte, welcher Schaden durch die gegenseitige Diffamierung für die Katholiken im Deutschen Reich entstand, distanzierte er sich zunehmend von den ihm in der Bewertung der Konzilsbeschlüsse durchaus nahestehenden Altkatholiken. Als der Herausgeber des Theologischen Literaturblattes, Franz Heinrich Reusch, schließlich am 12. März 1872 wegen seiner Weigerung, sich den Konzilsbeschlüssen zu fügen nach langer Auseinandersetzung mit Erzbischof Melchers exkommuniziert wurde,492 bestellten vor allem geistliche Abonnen­ eumont fühlte ten die Zeitschrift ab und zahlreiche Mitarbeiter zogen sich zurück. R sich zunächst noch der katholischen Wissenschaft verpflichtet und scheint zunächst auch zu einer weiteren Mitarbeit bereit gewesen zu sein. Reuschs Ankündigung, ab dem Jahr 1873 wieder das ganze Gebiet der theologischen Literatur behandeln zu wollen, einschließlich der aktuellen kirchlichen Streitfragen, veranlasste R ­ eumont schließlich doch noch dazu, seine Mitarbeit aufzukündigen.493 Das Theologische Literaturblatt war damit endgültig zu einer altkatholischen Zeitschrift geworden, ­Reumont wollte sich jedoch nicht weiter an der kirchenspaltenden Polemik beteiligen. Sein Bekannter Franz Xaver Kraus sollte ebenfalls die Konsequenzen daraus ziehen, dass diese Zeitschrift nun definitiv zum Sprachrohr einer schismatischen

488

NL ­Reumont, S 1062, Hüffer, Hermann, 107 Schreiben, 1873–1886; ebenda, S 1063, Kraus, Franz Xaver, 28 Briefe, 1869–1885. 489 Vgl. Lepper (1991), S. 211; Weber (1981), S. 178–179. 490 Vgl. Franzen (1974), S. 192–193. 491 Vgl. Laien-Betrachtungen, AAZ 105, 15. April 1870; Alfred von ­Reumont: Pro romano pontefice, Bonn 1871, S. 21. 492 Vgl. Franzen (1974), S. 255–256. 493 NL ­Reumont, S 1065, Franz Heinrich Reusch an ­Reumont, Nr. 52 und Nr. 53: Bonn, 2. November 1872.

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Gruppierung wurde und seine Mitarbeit beenden.494 Zwischen ihrer Gegnerschaft zu den Konzilsbeschlüssen einerseits und ihrer Ablehnung einer Spaltung andererseits saßen sie gewissermaßen zwischen allen Stühlen. Deswegen zogen sie es vor, keiner der beiden Seiten zuzuarbeiten und sich der offenen Polemik zu entziehen.495 3. Die Historisch-Politischen Blätter für das Katholische Deutschland Nach der Aufgabe seiner Mitarbeit bei Reuschs Theologischem Literaturblatt zog es R ­ eumont zunächst vor, sich aus der tobenden Polemik herauszuhalten, da er nicht weiter dazu beitragen wollte, die innerkirchlichen Gräben weiter zu vertiefen. Die Beilegung der innerkatholischen Gegensätze stand für ihn über der Frage nach der historischen Berechtigung des Unfehlbarkeitsdogmas. Denn das Vor­gehen der deutschen Infallibilitätsgegner unter Einschaltung des Staates musste die Stellung der katholischen Kirche im Deutschen Reich ernsthaft bedrohen. In dem nun aufkommenden sogenannten „Kulturkampf“, in dem nicht nur die Loyalität der Katholiken als Untertanen eines unfehlbaren Papstes gegenüber dem Staat in Frage gestellt wurde, sondern zudem die Kirche unter die Kontrolle des Staates gebracht werden sollte, hielt es ­Reumont für wichtiger, die Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem Staat zu verteidigen. Deswegen geriet ­Reumont durch die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche zwangsläufig in Gegensatz zu den Altkatholiken. Als diese von den deutschen Bischöfen unter Druck gesetzt wurden, sich den Konzilsbeschlüssen zu unterwerfen, hatten sie keine andere Wahl, als sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dem Staat mehr verpflichtet zu sein, als dem Papst. Allein das Aufwerfen eines Loyalitätskonflikts zwischen Papst und Staat, verbunden mit der Entscheidung zugunsten des Staates, stellte die Unabhängigkeit der katholischen Kirche in Deutschland massiv in Frage. Daraus ergab sich für R ­ eumont die komplizierte Situation einerseits mit den Einwänden der Altkatholiken gegen die Konzilsbeschlüsse zu sympathisieren, während er den von ihnen hervorgerufenen Konflikt zwischen Staat und Kirche entschieden ablehnte. Andererseits wollte er jedoch die Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem Staat verteidigen, deren dominierenden Ultramontanismus er jedoch ebenso entschieden ablehnte. Seine Weigerung, den Weg der Altkatholiken zu unterstützen, wurde von diesen mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen und führte dazu, dass er in manchen Kreisen zu Unrecht für ultramontan gehalten wurde.496 Im Gegensatz zu seinen Bekannten Hüffer oder Kraus, die ebenfalls eine innerkirchliche Kritik an den Konzilsbeschlüssen vorzogen und den Weg der Altkatholiken für verfehlt hielten,497 ließ sich ­Reumont in der Kulturkampfatmosphäre tatsächlich zu einer vorsichtigen 494 Vgl. Tophofen (2012), S. 343–343; Lepper (1991), S. 234; NL ­Reumont, S 1063, Fanz Xaver Kraus an ­Reumont, Nr. 57, Straßburg, 6. Januar 1876. 495 Vgl. Lepper (1991), S. 211; Weber (1981), S. 178–179. 496 Vgl. 209–213. 497 Vgl. Franzen (1974), S. 192–193; Tophofen (2012), S. 329–344.

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Unterstützung von Vertretern des politischen Katholizismus bewegen. Nach dem endgültigen Eintritt des Schismas, das mit der Gründung der Altkatholischen Kirche Deutschlands 1873 besiegelt war, intensivierte er den Austausch mit Johannes Janssen und August Reichensperger. Das Verhältnis zu Janssen war vor allen Dingen durch eine ausgeprägte gegenseitige Unterstützung bei ihren historischen Publikationen geprägt. Neben wechselseitigen Recherchediensten498 unterstützten sich die beiden katholischen Historiker insbesondere bei der Verbreitung und Bewerbung ihrer Publikationen. Gerade in der Kulturkampfzeit, in der die Arbeiten katholischer Historiker, denen zahlreiche ihrer protestantischen Kollegen schon wegen ihrer katholischen Konfession jegliche Wissenschaftlichkeit absprachen, einen schweren Stand hatten, war es umso wichtiger, sich günstige Rezensionen Gleichgesinnter zu verschaffen. In ihrer Absicht, nicht die päpstliche Unfehlbarkeit, jedoch die kirchliche Unabhängigkeit anhand der Geschichte zu rechtfertigen, wussten sie ihre jeweiligen Arbeiten im Sinne des Autors einzuordnen. So besprach Janssen ­Reumonts Geschichte der Stadt Rom499 und Geschichte Toskana’s500, während ­Reumont Janssens Geschichte des deutschen Volkes501 rezensierte. Beide standen sie trotz ihrer Ablehnung der päpstlichen Infallibilität zu ihrem katholischen Glauben und suchten den Weg der innerkirchlichen Reform. Allerdings stellten sie ihre persönlichen Einwände hinter das als umso wichtiger erachtete Eintreten für die Einheit und Unabhängigkeit der Kirche zurück.502 Im Gegensatz zu Janssen, der sich 1875 für das Zentrum ins preußische Abgeordnetenhaus wählen ließ,503 lehnte ­Reumont jedoch eine politische Formierung der Katholiken kategorisch ab.504 Dies widersprach seinem Staatsverständnis, wie er es unter Friedrich Wilhelm IV. verinnerlicht hatte. Sollten die Katholiken zu einem eigenständigen politischen Machtfaktor werden und als politische Partei auftreten, würden sie nur diejenigen bestätigen, die in der katholischen Konfession und der Loyalität zum Staat einen Widerspruch sahen. Zudem stand die parteipolitische Positionierung der Religion einem umfassenden Einfluss auf die gesamte Gesellschaft im Wege. ­Reumonts Annäherung an Vertreter des politischen Katholizismus sowie sein bereits betriebenes publizistisches Engagement zugunsten der kirchlichen Unab 498 Vgl. etwa NL ­Reumont, S 1063, Johannes Janssen an ­Reumont, Nr. 18: Frankfurt, 15. August 1865. 499 Die katholische Bewegung in unseren Tagen 5 (1872), S. 118–132; NL ­Reumont, S 1063, Johannes Janssen an R ­ eumont, Nr. 20: Frankfurt, 23. April 1874 und Nr. 22: Frankfurt, 29. Juli 1874. 500 Literarische Rundschau 4 (1878), S. 51–57. 501 Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 191, 1876, S. 2937–2939. 502 Vgl. Walter Troxler: Ein Außenseiter der Geschichtsschreibung: Johannes Janssen 1829–1891. Studien zu Leben und Werk eines katholischen Historikers [Diss. Freiburg (Schweiz) 2000], Berlin 2007, S. 454. 503 Vgl. Bernhard Wildermuth: Janssen, Johannes, BBKL 2 (1990), Sp. 1552–1554. 504 Vgl. Lepper (1991), S. 212–213.

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hängigkeit haben jedoch in August Reichensperger die Hoffnung geweckt, einen im Umfeld des Kaiserhauses nach wie vor bestens vernetzten Katholiken für ein politisches Engagement zu gewinnen.505 Allerdings erklärte ihm ­Reumont offenbar in aller Deutlichkeit, dass er die Auseinandersetzung zwischen Staat und politischem Katholizismus als ein großes Übel für das gesamte Staatswesen betrachte und er sich deswegen keinesfalls parteipolitisch engagieren werde.506 Reichensperger betrachtete den Konflikt dagegen als ohnehin unvermeidlich und hielt nun den Moment für gekommen, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu definieren. Insofern hoffte er auf eine reinigende Wirkung des Konflikts, indem die bestehenden Differenzen zwischen Staat und Kirche für die Zukunft ausgeräumt werden sollten.507 Als Präsident des Katholischen Vereins Deutschlands zeigte sich Reichensperger enttäuscht darüber, dass R ­ eumont dem Verein aus den genannten Gründen nicht beitreten mochte.508 Doch trotz dieser politischen Meinungsverschiedenheiten pflegte ­Reumont den Kontakt zum führenden Vertreter der Zentrumsfraktion auch weiterhin und tauschte sich mit ihm kritisch über die politischen Entwicklungen aus – nicht ohne seine Vorbehalte gegenüber der Zentrumsfraktion offen auszusprechen.509 Wenngleich Reichensperger ­Reumont lediglich von einzelnen Entscheidungen, nicht aber vom grundsätzlichen Nutzen eines politischen Katholizismus überzeugen konnte,510 so bewegte er ihn dennoch dazu, sich literarisch in diesem Sinne zu betätigen und vermittelte die Mitarbeit in den Historisch-Politischen Blättern für das Katholische Deutschland.511 Obwohl oder vielleicht auch gerade weil es sich dabei um die führende katho­ eumont lange von einer Mitarbeit lische Zeitschrift in Deutschland handelte, sah R ab. Die von Anfang an politische Stoßrichtung und streng kirchlich-konservative Ausrichtung schienen dem pensionierten und dem Kaiserhaus loyalen Diplomaten als mit seiner Position unvereinbar.512 Erschwerend kam außerdem hinzu, dass die Zeitschrift, allen voran ihr Redakteur Joseph Edmund Jörg, dem liberalen Katholizismus, wie ihn ­Reumont in Anlehnung an Rosmini vertrat und auf die deutsche Situation übertrug, ablehnend gegenüberstand und gegen den Altkatholizismus, mit dem R ­ eumont hinsichtlich seiner Einschätzung der Konzilsbeschlüsse inhaltlich übereinstimmte, offen polemisierte.513 Erst die sich zunehmend verschlechternde 505

Zu ­Reumonts Verhältnis zum Kaiserhaus vgl. Hüffer (1904), S. 210–239. NL ­Reumont, S 1065, August Reichensperger an ­Reumont, Nr. 37: Köln, 11. August 1874. 507 Ebenda. 508 Ebenda, Nr. 35: Köln, 29. Juli 1873. 509 Ebenda, Nr. 48: Köln, 6. August 1878. 510 Ebenda, Nr. 49: Köln, 10. November 1878. 511 Ebenda, Nr. 39: 27. März 1876. 512 Einen kurzen Überblick über die Zeitschrift bietet Dieter Albrecht / Bernhard Weber (Hrsg.): Die Mitarbeiter der Historisch-Politischen Blätter für das Katholische Deutschland 1838–1923. Ein Verzeichnis (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 52), Mainz 1990, S. 9–13, hier S. 9. 513 Vgl. Bernhard Weber: Die „Historisch-politischen Blätter“ als Forum für Kirchen- und Konfessionsfragen, Diss. München 1983, S. 187–199. 506

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Situation, nicht nur der katholischen, sondern auch der evangelischen Kirchen im Deutschen Reich, veranlasste ihn zu einem Umdenken.514 Dadurch, dass die kirchliche Unabhängigkeit vor staatlichen Eingriffen generell in Frage gestellt wurde und sich der „Kulturkampf“ längst nicht mehr auf eine Auseinandersetzung zwischen Ultramontanisten und vom Staat unterstützte Altkatholiken auf der anderen Seite beschränkte, sondern der Staat sich gegenüber der christlichen Lehre einen Allmachtsanspruch anmaßte, hielt es ­Reumont bald dennoch für vertretbar, in dieser Zeitschrift zu publizieren. Schließlich ging es mittlerweile um die grundsätzliche Frage, ob es die Aufgabe des Staates ist, die individuellen Rechte zu garantieren, oder, ob er selbst alleiniger Quell des Rechts ist und somit berechtigt ist, eine kulturelle und religiöse Vielfalt offen zu bekämpfen.515 Selbst evangelische Publikationsorgane, wie etwa die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung betrachteten die „Staatsvergötterung“ mit zunehmender Sorge.516 Trotz seiner Ablehnung eines politischen Katholizismus sowie der ultramontanen Tendenz der Historisch-Politischen Blätter stellte R ­ eumont deswegen seine Beiträge in den Dienst des Ringens für eine vom Staat unabhängige Kirche. Gerade vor dem Hintergrund des „Kulturkampfes“ bot diese Plattform auch überkonfessionellen Autoren, die die Kirche mit der Moderne zu versöhnen suchten, Raum für Beiträge im Dienst der kirchlichen Unabhängigkeit.517 Für die Redaktion war es bis dahin bedauerlich gewesen, auf die Mitarbeit eines bekannten und in der Augsburger Allgemeinen Zeitung bereits vielgelesenen katholischen Autoren verzichten zu müssen. Mit entsprechender Begeisterung bedankte sich der leitende Redakteur Jörg bei Reichensperger dafür, ­Reumont als anonymen Beiträger für die Zeitschrift gewonnen zu haben.518 Die unbedingte Diskretion war für ­Reumont von besonderem Interesse. Einerseits vertrug sich sein indirektes politisches Engagement nur schwer mit seinem Verständnis von Loyalität zum Staat, den er in Wilhelm I. personifiziert sah und zu dem er nach wie vor in persönlichem Kontakt stand. Andererseits dürfte er auch Skrupel gehabt haben, sich unter seinem wirklichen Namen an derjenigen Zeitschrift zu beteiligen, die in striktem Gegensatz zu den Altkatholiken stand, mit denen er insbesondere durch das Umfeld der Bonner Theologischen Fakultät nach wie vor in 514

Vgl. auch Reichenspergers Einschätzung nach Pastor (1899), Bd. 2, S. 107–108. Vgl. dazu auch Michael Burleigh: Earthly Powers. Religion and politics in Europe from the Enlightenment to the Great War, London / New York / Toronto / Sydney 2005/2006, S.  326–327. 516 Vgl. ebenda, S. 331. 517 Vgl. Pastor (1899), Bd. 2, S. 332–337. 518 NL ­Reumont, S 1065, August Reichensperger an R ­ eumont, Nr. 39: 27. März 1876: „Ihr Schreiben samt Beilage hat mir eine besondere Freude bereitet. Sooft ich die Artikel des Herrn v. ­Reumont in der Allge. Ztg. lese, überkommt mich das Bedauern, daß wir von dieser, eben so bündigen, als eloquenten Feder seit meiner langen Reise vor Jahren nicht mehr profitiren konnten. Ich habe um so mehr Grund zu diesem Bedauern, als die Historiker ersten Ranges auf katholischer Seite in schmerzlicher Weise sich vermindert haben, und von den etwa noch florirenden nur in seltenen Fällen eine Mitarbeit zu erlangen it. Ich danke Ihnen daher herzlich für Ihre Vermittlung. Das Manuskript kann zwar im laufenden Hefte, welches dem Abschlusse nahe ist, nicht mehr untergebracht, wird aber sofort im nächsten gedruckt werden. Die gethreueste Diskretion versteht sich von selbst. Die Vermittlung des abgesetzten Manuskripts an Sie werde ich besorgen.“ 515

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Verbindung stand und an deren Schicksal er weiterhin Anteil nahm. Reichensperger war diese Zerrissenheit durch den häufigen und offenen Austausch über politische Fragen bekannt, weshalb er R ­ eumonts zögerliche Zustimmung zu einer Mitarbeit gleich zum Anlass nahm, ihn zu einer weiterführenden, möglichst intensiven Mitarbeit zu motivieren.519 Tatsächlich knüpfte ­Reumont bei seinem ersten Beitrag in den Historisch-Politischen Blättern an seine Arbeiten für das Theologische Literaturblatt an. Weiterhin stand die Werbung für eine katholische historisch-kritische Wissenschaft im Fokus, die weder in Apologetik, noch in Polemik verfallen dürfe. In diesem Zusammenhang griff er auf ein Thema zurück, das ihn zuvor schon mehrfach beschäftigt hatte: Die Geschichte der Familie Borgia, namentlich Papst Alexanders VI. und seiner Tochter Lucrezia Borgia, die Gegenstand heftiger Polemik zwischen Infallibilisten und Antiinfallibilisten war. In seiner ersten Rezension ging er hart mit Gregorovius’ fehlender historischer Kritik und seiner betont kirchenkritischen Darstellung ins Gericht, um anschließend dennoch den Papstapologeten vor Augen zu führen, wie aussichtlos es sein musste, die päpstliche Unfehlbarkeit mithilfe der historischen Kritik zu erweisen.520 Obgleich ­Reumont Gregorovius’ umfassende Archivrecherchen lobte, durch die er viel Unbekanntes zu Tage gefördert habe, bezeichnete er ihn nicht als Historiker, sondern als Belletrist, der zahlreiche seiner Werke in kirchenfeindlicher Absicht verfasst habe: „Diese Feindseligkeit ist in manchen Theilen seiner Bücher das principium movens; sie gibt ihm Färbung und Wärme. Schon dieß würde somit diese Bücher einer nicht unbedeutenden Fraktion des Leserpublikums empfehlen, welche Stoff aus ihnen für den „Culturkampf“ schöpft.“521

Dass sich Gregorovius bei den Gegnern der katholischen Kirche einer derart großen Beliebtheit erfreue, nahm ­Reumont allerdings als Beispiel dafür, dass es nicht nur die Ultramontanisten mit der historischen Kritik nicht so genau nehmen würden. Gregorovius jedenfalls lasse sie stellenweise vollständig vermissen: „Selten ist in der ernsten historischen Literatur mit Muthmaßungen, Unterstellungen, Insinua­ tionen, Andeutungen so gehaust worden wie in den Gregorovius’schen Büchern. Selbst wenn solche Muthmaßungen, Unterstellungen, Insinuationen, Andeutungen unschuldiger oder mindestens indifferenter Natur wären, würden sie von Uebel sein. Dem ist aber nicht so: gelegentlich sind sie recht schlimm oder geradezu bösartig.“522

Obgleich ­Reumont Gregorovius’ Voreingenommenheit bei seiner Darstellung in Verbindung mit seinen Parallelen zum Pontifikat Pius’ IX. heftig kritisiert, attestiert 519 Ebenda: „Dem indirekt kundgegebenen Wunsche somit erlaube ich mir, die direkte Bitte folgen zu lassen, daß Sie das Publikum der Hist. Pol. Blätter möglichst oft durch Artikel aus Ihrer Feder belehren und erfreuen möchten.“ 520 F. L. B.: Lucrezia Borgia und die neueste Geschichtsschreibung, Historisch-Politische Blätter für das Katholische Deutschland 77,1 (1876), S. 577–585. 521 Ebenda, S. 578. 522 Ebenda, S. 578–579.

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C. Publizistik

er ihm dennoch, dass „das historische Detail im Ganzen richtig“ sei.523 Diese Feststellung mag vor dem Hintergrund der kirchenkritischen Darstellung auf den ersten Blick verwundern. Allerdings folgte ­Reumont weiterhin der historisch-kritischen Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte, wie sie in altkatholischen Kreisen praktiziert wurde. Auch wenn sich sein Engagement mittlerweile vom Kampf gegen das Unfehlbarkeitsdogma auf das Eintreten für eine unabhängige Kirche verlagert hatte, hielt er eine unkritisch-apologetische Geschichtsforschung für wesentlich schädlicher als eine katholische Wissenschaft, die sich zu den Fehlern der Vergangenheit bekannte. ­Reumont sah die Berechtigung der katholischen Kirche wie des Papsttums durch die göttliche Vorsehung erwiesen, die er darin zu erblicken glaubte, dass die Kirche trotz aller Verirrungen während der Jahrhunderte letztlich immer wieder einen Weg gefunden hatte. Nur über eine solche Herangehensweise war eine Versöhnung der modernen Zivilisation und insbesondere der modernen Wissenschaft mit der Kirche möglich. Deswegen nutzte er seine Rezension über Gregorovius’ Werk auch, um klarzustellen, dass seine Kritik an der kirchenfeindlichen Darstellung keinesfalls als Versuch der Reinwaschung päpstlicher Verfehlungen und Unterstützung ultramontaner Papstapologeten zu verstehen sei. Denn hinsichtlich des historischen Details habe die Arbeit durchaus ihren Wert. So habe sie unter anderem das negative Urteil über Papst Alexander VI. bestätigen können, sodass in dieser Frage endgültig Klarheit herrschen sollte. An die Adresse der Papstapologeten richtete ­Reumont deswegen den Wunsch: „Hoffentlich hat man nun auf katholischer Seite ein- für allemal aufgegeben, Alexanders VI. sittlichen und politischen Charakter vertheidigen zu wollen.“524

­Reumonts erster Beitrag für die Historisch-Politischen Blätter unterschied sich also hinsichtlich seiner inhaltlichen Ausrichtung nicht von seinen Artikeln für das Theologische Literaturblatt, er hatte lediglich die Publikationsplattform gewechselt. An seinem Einsatz für die historische Kritik in der katholischen Wissenschaft hatte sich nichts geändert. Indes nutze er die Anonymität in einem tendenziell ultramontanen Medium, um seinen Einsatz für die Unabhängigkeit wesentlich polemischer fortzuführen. Schon seine nächsten beiden Artikel über den altkatholischen Dichter Karl Simrock waren eine deutliche Absage an den Altkatholizismus.525 Darin rezensierte ­Reumont die von Heinrich Düntzer in der Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und Alterthumskunde erschienenen Erinnerungen an Karl Simrock.526 Die Hauptkritik, die ­Reumont an Düntzers Erinnerungen übte, lag 523

Ebenda, S. 584. Ebenda, S. 583. 525 H. Düntzer über K. Simrock, Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 79,1 (1877), S. 484–490; H. Düntzer über K. Simrock zum andernmal, Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 80,2 (1877), S. 777–784. 526 Heinrich Düntzer: Erinnerungen an Karl Simrock, Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und Alterthumskunde 2 (1876), S. 321–345 u. 501–530; Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und Alterthumskunde 3 (1877), S. 1–18; 159–186; 360–383. 524

II. Politische Publizistik 

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darin, dass dieser vom umfassenden Œuvre des Poeten bevorzugt dessen Gedichte gegen das Unfehlbarkeitsdogma und dessen Weg in den Altkatholizismus betonte. ­Reumont hatte persönlich Anteil an der Auseinandersetzung der Bonner Gelehrten mit den Konzilsbeschlüssen und dem Weg von ihm bekannten Persönlichkeiten ins Schisma genommen527 und lehnte es ab, dass mit Simrock ein bedeutender Dichter und Germanist auf seine Gedichte gegen Pius IX. reduziert wurde.528 Anstatt die Gemüter in der Kulturkampfpolemik zu beruhigen, gaben derartige Artikel nur er­ eumonts im neuten Anlass zu gegenseitigen Anschuldigungen, die man aus Sicht R Dienste der kirchlichen Einheit zurückzustellen hatte. Obwohl sich gerade die Historisch-Politischen Blätter in der Römischen Frage durch eine einseitige und wenig differenzierte Berichterstattung hervorgetan hatten, in deren Rahmen sie den Kirchenstaat, den habsburgischen Machtbereich sowie das Königreich beider Sizilien in durchweg positivem Licht darstellten, um vor diesem Hintergrund jedes Zugeständnis an Reformen oder die Nationalbewegung als Zurückweichen gegenüber der Revolution darzustellen,529 verzichtete ­Reumont darauf, in diese Darstellungsweise einzustimmen. Während der 1850er und 1860er Jahre hatte er sich durch eine differenzierte Sichtweise von der übrigen deutschsprachigen katholischen Beurteilung abgehoben, indem er die Berechtigung der italienischen Nationalbewegung anerkannte, die Missstände sowohl im Kirchenstaat und dem Königreich beider Sizilien als auch in der habsburgischen Verwaltung anprangerte, die Beibehaltung der 1848 gewährten Verfassungen forderte und weitere behutsame liberale und nationale Reformen anmahnte, die die lokalen Eliten wieder stärker in die Administration einbinden sollten. Gerade seine oftmals persönlichen Bekanntschaften mit führenden Personen aus der italienischen Politik und Kultur sowie seine Kenntnis der sozialen Zustände und Probleme, verbunden mit den Forderungen der einzelnen politischen Gruppierungen hatten ihn nicht nur seinerzeit für das Außenministerium und Friedrich Wilhelm IV. persönlich, sondern auch für die Augsburger Allgemeine Zeitung und das Morgenblatt zu einem trotz seiner politischen Voreingenommenheit in seinen Lagebeschreibungen zuverlässigen Korrespondenten gemacht. Während jener Zeit hatte er es abgelehnt, in die einseitige Berichterstattung der Historisch-Politischen Blätter miteinzustimmen. Nun, nachdem das Königreich Italien sich Rom als Hauptstadt einverleibt hatte, legte er keinen Wert mehr darauf, die Thematik in dieser Zeitschrift noch einmal aufzugreifen. Sein Engagement für Papst und Kirchenstaat hatte sich auf seine Publikationen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung beschränkt. Damit ließ er es 527

Vgl. auch Lepper (1991), S. 210–211. H. Düntzer über K. Simrock zum andernmal, Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 80,2 (1877), S. 777–784, hier S. 784: „Wir können nicht umhin unserm Bedauern Worte zu leihen, daß Herr Dr. Düntzer eine Arbeit, die des Interessanten nicht wenig enthält, und welche er zu einem Gemälde rheinländischer literarischer Zustände vom dritten Decennium unsers Jahrhunderts an hätte gestalten können, durch Auswüchse und Unziemlichkeiten, die nicht auf ihn allein sondern auch auf seinen Helden und dessen schwache Stunden zurückfallen, gröblich verunziert hat.“ 529 Vgl. Petersen (1991), S. 170–178. 528

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C. Publizistik

in der Folge auf sich beruhen. In der führenden katholischen Zeitschrift Deutschlands nun im Schutze der Anonymität und in dafür dankbarer Umgebung erneut die Polemik gegen das Königreich Italien aufzunehmen, lehnte R ­ eumont ab. Trotz aller Enttäuschungen hinsichtlich der Art und Weise der Nationalstaatsgründung und der italienischen Kirchenpolitik wünschte er aufrichtig, dass es den Italienern gelingen würde, ihre nationale Unabhängigkeit positiv zu gestalten. Deswegen nahm er Abstand davon, Lagebeurteilungen und Lösungsansätze zur italienischen Situation in die öffentliche Diskussion einzubringen. In Anerkennung der Berechtigung eines italienischen Nationalstaates nahm er sich vor, sich in der Folge aus der öffentlichen Auseinandersetzung zurückzuziehen und die Gestaltung der Zukunft den Italienern zu überlassen. Nicht umsonst beschloss er seine Denkschrift Pro Romano Pontefice unter anderem mit den Worten: „Ich wünsche Italien von Herzen alles Gute. So bedenklich immer manche Erscheinungen sind, weiß ich doch, daß, abgesehen von der hohen Begabung und der edlen Gesinnung Vieler, in allen Schichten der Bevölkerung viel gesunder Sinn und viel rechtliches Gefühl lebt.“530

Während ­Reumont sich also nicht mehr öffentlich zu den tagespolitischen Entwicklungen in Italien äußerte, verlegte er sich nun auf die Erinnerungskultur. Dabei war es ihm ein besonderes Anliegen, Akteure, die er entweder persönlich kennengelernt hatte oder über Dritte kannte, vor der Nachwelt ins rechte Licht zu rücken. In den Historisch-Politischen Blättern hatte er demensprechend eine dankbare Plattform, um der nationalstaatlichen Erinnerungskultur Italiens entgegenzutreten. Vor diesem Hintergrund ist auch ­Reumonts Besprechung von Marie Espérance von Schwartz’ Garibaldi zu sehen.531 Sie war seit Ende der 1850er Jahre wahrscheinlich Garibaldis Geliebte gewesen. Nachdem dieser neben Alexandre Dumas auch ihr ein Exemplar seiner Memoiren überlassen hatte, veröffentlichte sie mehrere Monographien über Garibaldi, in denen sie ihren Helden verherrlichte.532 ­Reumont nutzte die Seiten der Historisch-Politischen Blätter, um eine Gegendarstellung zu verfassen, in der er der Autorin zahlreiche Fehler in der Darstellung der historischen Fakten nachwies. So stellte er beispielsweise die biographischen Daten seines ebenfalls aus Aachen stammenden Freundes Alertz richtig, der 1836 Leibarzt Gregors XVI. gewesen war.533 In der Hauptsache ging es ­Reumont in der Besprechung jedoch darum, die Glaubwürdigkeit der Autorin in Frage zu stellen, indem er neben ihren verschiedenen fehlerhaften Angaben immer wieder und zum Teil persönlich beleidigend auf ihre 530

Alfred von ­Reumont: Pro Romano Pontefice, Bonn 1871, S. 29–31. Elpis Melaena und Garibaldi, Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 93,1 (1884), S. 217–229. 532 Vgl. Franz Brümmer: Schwartz, Marie Esperance von, ADB 54 (1908) S. 277–278, [URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117360899.html#adbcontent], letzter Zugriff: 24. 08. 2018. 533 Elpis Melaena und Garibaldi, Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 93,1 (1884), S. 217–229, hier S. 218–219. 531

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Affäre mit Garibaldi einging, die es ihr nicht erlaube, das Erlebte nüchtern einzuordnen, weshalb er dem Leser zu verstehen gab, dass es sich bei dem Werk um einen Abenteuerroman, nicht aber um ein Werk von historischem Wert handelte. Dadurch, dass ­Reumont erst spät eine Beitragstätigkeit für die Historisch-Politischen Blätter aufgenommen hatte, ist es nur bei acht Artikeln geblieben, deren Informationsgehalt im Vergleich zu seinen Arbeiten für das Morgenblatt oder die Augsburger Allgemeine Zeitung gering ausfällt. Die Beiträge sind dagegen vorwiegend als im Schutze der Anonymität durchgeführte Attacken gegen einzelne Autoren zu sehen. Während die Auseinandersetzungen mit Gregorovius’ Lucrezia Borgia und Düntzers Simrock sich noch aus der Kulturkampfatmosphäre erklären lassen, in der ­Reumont gegen den Ultramontanismus und den Altkatholizismus Stellung bezog und die Notwendigkeit einer katholischen, historisch-kritischen Wissenschaft betonte, zielten seine übrigen Beiträge darauf ab, einzelne Autoren, wie Marie Espérance von Schwartz oder Victor Hugo534 mit ihren kirchenfeindlichen Darstellungen unter persönlicher Verunglimpfung zu diskreditieren. Insofern konnte die Redaktion weniger von R ­ eumonts Expertenwissen als von dessen spitzer Feder profitieren. Besonders die Besprechung von Marie Espérance von Schwartz fand den lebhaften Beifall der Redaktion. Nachdem Jörg seine Begeisterung für den Beitrag bekundet hatte,535 informierte ihn der Mitredakteur Franz Binder: „Der prächtige Artikel ist, soweit ich hier hörte, mit ganz besonderem Interesse und Beifall gelesen worden.“536

Bemerkenswert ist jedoch, dass sich ­Reumont mit Ausnahme der Besprechung von Gregorovius’ Lucrezia Borgia zu keiner weiteren Rezension historischer Werke bewegen ließ. Obwohl die Redaktion ihn darum bat, die Geschichte des Kirchenstaates von Moritz Brosch zu besprechen,537 hat er offenbar darauf verzichtet. Brosch hatte ­Reumont zuvor in einer Rezension zu seiner Geschichte Toskana’s in der Historischen Zeitschrift für seine einseitigen Ausführungen kritisiert und das Werk als „Memoiren eines Diplomaten und ausgesprochenen Parteimannes“ bezeichnet.538 Möglicherweise wollte es ­Reumont vermeiden, Brosch durch eine Besprechung in den Historisch-Politischen Blättern in dessen Urteil zu bestätigen. Zwar wurden seine Rezensionen stets anonym publiziert, allerdings wäre es wohl ein Leichtes gewesen eine Besprechung zu der Thematik des Kirchenstaates ­Reumont zuzuordnen. Wahrscheinlich waren es jedoch seine gesundheitlichen Beschwerden, die 534

Viktor Hugo und das „Magazin für die Literatur des In- und Auslandes“, Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 88,2 (1881), S. 502–514; Dr. Eduard Engel und Viktor Hugo, Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 89,1 (1882), S. ­487–488. 535 NL ­Reumont, S 1058, Franz Binder an ­Reumont, Nr. 159a: München, 11. Januar 1884. 536 Ebenda, Nr. 159b: München, 30. Juli 1884. 537 Ebenda, Nr. 159: München, 12. Februar 1880. 538 Moritz Brosch: A. v. R ­ eumont, Geschichte Toskanas seit dem Ende des florentinischen Freistaats. II. Haus Lothringen-Habsburg. 1737–1859. Gotha, F. A. Perthes. 1877, Historische Zeitschrift 39 (1878), S. 348–350.

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C. Publizistik

ihn zu dieser Zeit daran hinderten, eine Rezension für ein umfangreiches und anspruchsvolles historisches Werk zu verfassen, die ihn zudem noch einmal mitten in die Polemik um die historischen Grundlagen des Kirchenstaates geführt hätte. In diesem Kontext hätte er sich erneut zwischen dem ultramontanen und dem kirchenkritischen Standpunkt positioniert. Die Folge wäre wahrscheinlich gewesen, dass er sich einerseits neuerlichen Angriffen seitens der Kirchenkritiker ausgesetzt hätte, während seine auf die historische Kritik gestützten Einwände an der päpstlichen Unfehlbarkeit auch innerhalb des Umfeldes der Historisch-Politischen Blätter wohl auf wenig Gegenliebe gestoßen wären. 4. Fazit Die Entwicklung wie auch die Qualität von R ­ eumonts Publizistik war eng an den Gang der politischen Ereignisse geknüpft. Ausgehend von einem vorwiegend kulturellen und gesellschaftlichen Schwerpunkt seiner Berichterstattung, die sich vielfach an Reiseberichten für gebildete Leser orientierte, bezog er in wachsendem Maße auch politische Betrachtungen in seine Korrespondenzen ein. Durch seinen regelmäßigen Verkehr mit führenden Moderati war er über deren politische Ambitionen bestens informiert und setzte außerdem die Leser über deren lokalpolitische Forderung einer Munizipalreform zur Dezentralisierung der Administration in Kenntnis.539 Dabei gehörte er zu den wenigen deutschsprachigen Publizisten, die noch vor den Revolutionen 1848/49 eingehend über die politischen Strömungen und Verhältnisse Italiens berichteten und die Berechtigung der italienischen Nationalbewegung anerkannten. Obgleich ­Reumont vorwiegend die Positionen der Moderati vortrug, indem er auf die Schriften Leopoldo Galeottis540, Niccolò Tommaséos oder Cesare Balbos einging, ließ er auch andere Ansichten zu Wort kommen. So ging er auch auf die Schriften Sismondis mit ihren republikanischen Tendenzen ein. Selbst Giovan Battista Niccolinis Arnaldo da Brescia mit seiner antipäpstlichen und deutschenfeindlichen Stoßrichtung stellte er dem deutschen Leser vor. Ziel seiner Berichte war es, das deutsche Publikum überhaupt erst mit der italienischen Nationalbewegung bekannt zu machen, um es anschließend mit den Forderungen der Moderati zu konfrontieren, die diese an den Großherzog aus dem Hause Habsburg-Lothringen stellten. Da die Augsburger Allgemeine Zeitung jedoch der Zensur unterstand, verband ­Reumont die Erörterung der Forderungen seiner toskanischen Bekannten stets mit dem ausdrücklichen Lob auf die bisherigen Errungenschaften der Toskana unter dieser Herrscherdynastie. Mit dem Ausbruch des Aufstandes von Mailand gegen die habsburgische Herrschaft, den Cinque giornate, im März 1848 verlegte sich ­Reumont den politischen Turbulenzen entsprechend auf eine rein politische Korrespondententätigkeit. Inner 539

Vgl. etwa Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 3. Februar 1848. Ebenda.

540

II. Politische Publizistik 

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halb der liberal-konservativen Publizistik tat er sich nicht nur durch seine genaue Kenntnis der sozialen und politischen Zustände des Landes hervor, sondern auch durch seine offene Sympathiebekundung für die italienische Nationalbewegung, die er mit dem mittelalterlichen Lombardenbund verglich und die er in Anlehnung an die Ideen führender liberaler Katholiken wie Balbo und Rosmini als Chance für eine gesellschaftliche Erneuerung in nationaler Unabhängigkeit unter Führung des Papsttums begriff. Bemerkenswert war dabei seine Offenheit für pragmatische Lösungen. Im Gegensatz zur Linie der meisten übrigen preußischen Konservativen, wie beispielsweise den Gerlachbrüdern, aber auch den meisten Liberalen541 war er nicht bereit, das Legitimitätsprinzip zu verabsolutieren. In Anlehnung an Tommaséo sah er vielmehr die Notwendigkeit, die göttliche Vorsehung zu erkennen und eine christliche und national unabhängige Gesellschaft zu verwirklichen. Der Gedanke, der göttlichen Vorsehung gerecht zu werden, stand dabei in letzter Konsequenz auch über dem Legitimitätsprinzip, wenn die legitime Ordnung der christlichen Erneuerung im Wege stehen sollte. Deswegen forderte ­Reumont nach dem Ausbruch des Ersten Unabhängigkeitskrieges einen habsburgischen Abzug im beiderseitigen Interesse und – in Anlehnung an die Forderungen Karl Alberts – zügige Annexionen derjenigen Staaten, deren Herrscher geflohen waren an das Königreich Sardinien-Piemont. Dadurch sollte ein starker norditalienischer Staat gebildet werden, der nach innen hin die konstitutionelle Monarchie gegen republikanische Tendenzen sicherte, und nach außen hin als Schutzwall gegen ausländische Ambitionen ­ eumont der typischen auf italienische Territorien fungieren sollte. Dabei folgte R Sichtweise der italienischen Liberalen und erblickte in den zu Anfang des Jahres 1848 erlassenen Verfassungen die entscheidende Bedingung dafür, einerseits die notwendigen Reformen durchführen zu können und andererseits, radikalen Tendenzen ihre Grundlage zu nehmen. Nach der Ernennung einer demokratischen Regierung unter der Führung Francesco Domenico Guerrazzis und Giuseppe Montanellis sowie der Ermordung des päpstlichen Innenministers Pellegrino Rossi, welche zur Flucht des Papstes nach Gaeta sowie zur Ausrufung der Römischen Republik führte, hatte R ­ eumont das Vertrauen in die Politik der Moderati verloren. Spätestens mit der Flucht Leopolds II. – ebenfalls nach Gaeta – musste die Politik der behutsamen Reformen angesichts der Dynamik des nationalen Krieges und der revolutionären Umbrüche als gescheitert betrachtet werden. Die Tatsache, dass mit der Römischen Republik, der Republik Venedig und der Regierung Toskanas unter der Führung Guerrazzis und Montanellis die Demokraten die Oberhand über die Nationalbewegung zu gewinnen schienen, zeigte die Gefahr auf, die von einer „unkontrollierten“ Nationalbewegung für das monarchische Prinzip ausgehen konnte. In dieser Situation gelangten einige Moderati selbst zu der Erkenntnis, dass die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung nur mithilfe ausländischer Interventionen zu erreichen war. Während die Niederwerfung der Römischen Republik durch vorrangig französische Interventionstruppen 541

Vgl. dazu auch die Beobachtungen von Altgeld (1984), S. 322–331.

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C. Publizistik

von den Moderati als notwendig erachtet wurde, hofften sie, die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung in der Toskana mithilfe französischer, piemontesischer oder sogar neapolitanischer Truppen erreichen zu können, um eine Rückkehr der Österreicher zu vermeiden – letztlich sollten sich diese Hoffnungen jedoch als unbegründet erweisen.542 Obgleich R ­ eumont die von den wiedereingesetzten Herrschern durchgeführten Restaurationen unter Abschaffung der zuvor gewährten Verfassungen als kurzsichtig ablehnte, hielt er dennoch ausländische Interventionen für unvermeidlich – notfalls auch durch habsburgische Truppen. Die Revolutionserfahrung, verbunden mit der Unfähigkeit der Moderati, die neu entstandene politische Öffentlichkeit für ihre Projekte zu nutzen, oder zumindest im Zaum zu halten, führte zu einer von da an zunehmenden Distanzierung ­Reumonts von der Politik der Moderati. Die traumatischen Erlebnisse der Jahre 1848/49, die die komplette europäische Ordnung erschütterten, innerhalb derer ­Reumont die ersten Schritte seiner diplomatischen Karriere machen konnte, ließen ihn zu der Erkenntnis gelangen, dass politische Reformen wie auch Nationalstaatsprojekte nur dann erfolgversprechend sein würden, wenn sie in die bestehende europäische Ordnung eingebettet waren. Ein Nationalstaatsprojekt gegen die europäische Ordnung war für ihn in der Folge gleichbedeutend mit Anarchie und Verlust der öffentlichen Ordnung sowie mit einer anschließenden ausländischen Intervention, die jegliche bis dahin erreichten Refor­ eumont men wieder rückgängig machte. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich R zu einem Legitimisten – nicht etwa hinsichtlich einer Verabsolutierung des Legitimitätsprinzips, sondern in Bezug auf das politisch Mögliche. Jegliche nationalen Aufstände in Italien waren bis dahin spätestens an einer Intervention gescheitert, selbst das Projekt der Moderati der schrittweisen, behutsamen Reformen war wegen des Verlusts der öffentlichen Ordnung zum Scheitern verurteilt. Die logische Konsequenz daraus war, dass zukünftige Nationalpolitik sich im Rahmen des Legitimitätsprinzips bewegen musste, um Aussicht auf langfristigen Erfolg zu haben. Deswegen ging R ­ eumont in seinen politischen Artikeln nun dazu über, einerseits für Nachsicht mit den wiedereingesetzten Herrschern zu werben, die notwendig Konsequenzen aus der außer Kontrolle geratenen Situation ziehen mussten, und andererseits ein Festhalten an den bisher gewährten Reformen anzumahnen, um nicht weiteren politischen Unruhen Vorschub zu leisten. 542 Vgl. Candeloro (2011), Bd. 3, S. 384–387; Aurelio Pellegrini: Le certezze del Granduca. Leopoldo II e le sue troppe memorie, Pisa 2009, S. 61–62; Mack Smith (1994), S. 75; Silvestro Centofanti war im April 1849 angesichts der drohenden österreichischen Intervention bereit, eine piemontesische oder sogar neapolitanische Intervention als geringeres Übel hinzunehmen. Vgl. Lettere di Gino Capponi II, Silvestro Centofanti an Gino Capponi, Pisa, 24. April 1849, um 14:30 Uhr, S. 484–485: „Qui bisogna affrettare un termine alle cose nostre. Che il ­Tedesco debba venire a ridarci l’ordine, è cosa che vorrei non poter concepire. E non potendo venir Piemontesi, bisognerebbe che potessero i Napoletani, o che, per una combinazione più larga di mezzi, si risolvesse una volta la questione del nostro riordinamento interno. Non posso altro che esprimerti questo necessario desiderio.“; zum Hilfeersuchen der Regierungskommission in Turin und Neapel vgl. auch Kroll (1999), S. 325.

II. Politische Publizistik 

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Während ­Reumont zunächst die Führungsrolle Sardinien-Piemonts als militärisch stärksten italienischen Staat anerkannte, rückte er im Laufe der 1850er Jahre zunehmend von dieser Sichtweise ab. Hatte er sich noch im Laufe der italienischen Revolutionen nicht dazu verleiten lassen, in die konservativ-katholische Rhetorik einzustimmen, nach der die italienische Unabhängigkeitsbewegung mit dem Kampf der Revolution gegen das Recht und das Papsttum gleichzusetzen sei, so verlagerte sich seine Betrachtungsweise im Laufe der 1850er Jahre. Seine persönlichen Hoffnungen, dass Pius IX. die mit der Absage an den nationalen Krieg gegen Österreich aufgegebene moralische Führungsrolle innerhalb der Nationalbewegung nach der Niederwerfung der Römischen Republik wieder würde aufnehmen können, wurden jäh enttäuscht. Weder Rosmini noch Balbo hatten den Papst in Gaeta von einem Festhalten an der bereits gewährten Verfassung überzeugen können.543 Stattdessen ging dieser nach seiner Rückkehr zu einer unversöhnlichen Restauration über. Zugleich hielt Sardinien-Piemont zwar am Statuto Albertino fest, betrieb jedoch parallel dazu eine laizistische Kirchenpolitik, die mit den leggi Siccardi die Rechte der Kirche einschränkte. Verbunden mit dem auf dem Pariser Kongreß artikulierten Protest gegen die Situation im Kirchenstaat und Neapel, der den Papst vor der europäischen Öffentlichkeit in Bedrängnis brachte, wies die Nationalbewegung unter piemontesischer Führung bald auch in den Augen R ­ eumonts eindeutig antikirchliche Tendenzen auf. Dieser Effekt wurde noch durch die von Cavour betriebene Annäherung an Napoleon III. und damit verbundene wachsende Vorbehalte einer französischen Instrumentalisierung der von Sardinien-Piemont angeführten italienischen Nationalbewegung verstärkt. Dies hatte zur Folge, dass ­Reumont mit Ausbruch des Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskrieges auf die Linie der konservativ-katholischen Publizistik einschwenkte, und trotz seiner differenzierten Kenntnis der politischen Lage sowie der verschiedenen Strömungen die Vorgänge vor der Prämisse eines Kampfes der Revolution gegen die europäische Ordnung und das Papsttum betrachtete. Während er die Entwicklungen rund um den Ersten Unabhängigkeitskrieg noch aus der Sicht der Moderati und in Anerkennung der italienischen Nationalstaatsbewegung und der militärischen Führungs­ eumonts Perspektive nun eine rolle Sardinien-Piemonts betrachtet hatte, war R gänzlich andere. Als der Zweite Unabhängigkeitskrieg ausbrach, setzte die italienische Nationalbewegung ihre Hoffnungen nicht mehr in eine moralische Führung Pius’ IX., sondern sah im Papst – zusammen mit den übrigen absoluten Monarchen – ein Hindernis auf dem Weg zu einer nationalen Einigung. Vor diesem Hintergrund beschrieb ­Reumont die Entwicklungen um den Zweiten Unabhängigkeitskrieg nicht mehr unter Sympathiebekundung für die italienische Unabhängigkeit, sondern in erster Linie in Sorge um das Papsttum und den Erhalt der europäischen Ordnung, die allein eine Garantie vor einem Abdriften in die Anarchie bieten konnte. Insofern war es die Sorge um das Papsttum und die Furcht vor dem Bonapartismus, den ­Reumont als Bedrohung für Preußen sowie die gesamte europäische

543

Vgl. Malusa (2011), S. 47–120.

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C. Publizistik

Ordnung sah, die ihn zu einer Übernahme der Schlagworte der zeitgenössischen hochkonservativen und katholischen Publizistik veranlasste. Die legitimistischen Prinzipien, die ­Reumont bis in die Jahre 1848/49 hinein nicht zu verabsolutieren bereit war, stellten sich für ihn nun als notwendig dar, um den Bestand der Kirche nach außen hin zu sichern, und ihr zugleich die Zeit zu verschaffen, die erforderlichen inneren Reformen durchzuführen, um sich erneut an die Spitze der nationalen Erneuerung setzen zu können. Die laizistische Kirchenpolitik Sardinien-Piemonts schloss jedoch die liberal-katholischen Utopien Tommaséos oder Rosminis nicht nur aus, sondern stand ihnen konträr entgegen.544 Die unter Führung Sardinien-Piemonts vollzogene nationalstaatliche Einigung hatte somit aus R ­ eumonts Perspektive weder eine legitime noch, was deutlich wichtiger war, eine christliche Basis. Die von Tommaséo und Rosmini vorausgesetzte Schaffung einer christlichen Zivilgesellschaft, in der die Kirche zwar auf ihre weltlichen Machtansprüche verzichtete, jedoch über die Konzentration auf die Verkündigung christliche Werte innerhalb der Gesellschaft verankerte, die als Korrektiv gegenüber staatlichen Allmachtsansprüchen dienten, war durch die strikte Trennung zwischen Staat und Kirche und ihrer juristischen Abhängigkeit von staatlichen Garantien nicht mehr möglich. Eine Gesellschaft, in der die christlichen Werte gegenüber dem staatlichen Primat in den Hintergrund traten, erschien vor diesem Hintergrund als eine historische Fehlentwicklung, die zu einer zunehmenden Entchristlichung der Zivilgesellschaft und einer fehlenden moralischen Legitimation des Staates führen musste. Im Gegensatz zur gängigen konservativen Rhetorik sah R ­ eumont in der Christianisierung der Zivilgesellschaft die bessere Alternative zur Verteufelung des liberalen Staates. Ohne dieses christliche Fundament konnte nach ­Reumonts Auffassung eine konstitutionelle Legitimation nur einen zeitlich befristeten Wert haben. Die Folge einer derartigen Staatsgründung ohne Rücksicht auf regionale und religiöse Traditionen musste nach seiner Einschätzung unweigerlich zu einer mangelnden Identifikation der Bevölkerung mit dem neuen Staat führen; der Ausbruch des Brigantaggio schien diese Ansicht zu bestätigen. Deswegen berichtete ­Reumont vom Brigantenkrieg als einem ersten Symptom einer Staatsgründung ohne solides historisch-religiöses Fundament. Sein publizis­ tisches Engagement fügte sich dabei in die internationale legitimistische Kampagne zur Diskreditierung des jungen Königreichs Italien, die darauf abzielte, der europäischen Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass der junge Nationalstaat in seinem momentanen Zustand nicht dauerhaft überlebensfähig sei. Als Lösung der Probleme fehlender Identifikation und katholischen Widerstands pochte der internationale Legitimismus auf die Einhaltung der Vereinbarungen von Villafranca, nach denen die legitimen Souveräne zurückgeführt werden sollten und das sogenannte neoguel­ fische Projekt einer italienischen Konföderation unter Führung des Papstes wieder ­ eumont von Anfang an ein Befürworter dieses Projektes aufzugreifen war.545 Da R 544

Vgl. Liermann (2004), S. 34–35. Vgl. Sarlin (2013).

545

II. Politische Publizistik 

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gewesen war, das mit der christlichen Erneuerung der Zivilgesellschaft einhergehen sollte, verfocht er in seinen Berichten bereitwillig die Sache des Legitimismus. Er verwies darauf, dass auch die Moderati dieses Projekt seinerzeit selbst propagiert hatten und nun viele unter ihnen die Kirchenpolitik des italienischen Nationalstaates ablehnten.546 Allerdings räumt er in seinen politischen Artikeln nur beiläufig ein, dass selbst die meisten Kritiker des Einheitsstaates diesen einer möglichen Rückkehr der alten Herrscher vorzogen und trotz der offensichtlichen Mängel nicht bereit waren, ihn in seiner Existenz in Frage zu stellen. Tatsächlich waren nur wenige Moderati bereit, ihre religiösen Bedenken über den Nationalstaat zu stellen. Diese Wenigen bildeten mit den Reaktionären und den Autonomisten eine heterogene und deshalb gegenüber der offiziösen Presse weitgehend machtlose Minderheit.547 ­Reumont verstand sich in seinen Korrespondenzen nicht zuletzt als das Sprachrohr der zum Schweigen verurteilten Gegner des als kirchenfeindlich betrachteten Nationalstaats und ordnete sich dabei in die Reihen der konservativ-katholischen Publizistik ein, deren wichtigstes Ziel der Erhalt der europäischen („christlichen“) Ordnung und des Papsttums als deren prominentester Repräsentant war. ­Reumonts persönliche Einschätzung der italienischen Nationalbewegung, die er im deutschsprachigen Raum als ausgewiesener Italienkenner vermittelte, lief durch seinen während der 1850er Jahre schrittweise vollzogenen Perspektivwechsel dem „politischen mainstream“ meist entgegen. Durch seine profunde Lokalkenntnis gehörte er zu den ersten, die innerhalb der liberal-konservativen Publizistik nicht nur auf die soziostrukturellen Probleme und Versäumnisse der italienischen Herrscher wie der Habsburger in Lombardo-Venetien hinwies, sondern von Anfang an die Berechtigung der italienischen Nationalbewegung anerkannte. Im Gegensatz zur konservativen deutschsprachigen Italienberichterstattung beharrte er nicht auf der Legitimität der österreichischen Präsenz in Italien, sondern suchte nach pragmatischen und zukunftsfähigen Lösungen. So riet er von einem starren Festhalten an der Wiener Ordnung ab und forderte stattdessen die zügige Annexion der herrenlos gewordenen Staaten an Sardinien-Piemont, um unter dessen Führung einen starken konstitutionell-monarchischen norditalienischen Staat zu schaffen und diesen völkerrechtlich anzuerkennen. In einem Festhalten an der österreichischen Präsenz in Italien sowie einer erneuten Aufhebung der gewährten Verfassungen erblickte ­Reumont dagegen die entscheidende Gefahr für den langfristigen Erhalt einer christlich-monarchischen europäischen Ordnung. Für den heutigen Betrachter scheint ­Reumont mit derartigen realpolitisch anmutenden Vorschlägen seiner Zeit voraus zu sein, indem er die Grundzüge der späteren cavoursch’schen Nationalpolitik vorwegnahm: Annexionen der aufstän 546 Vgl. etwa Lettere di Gino Capponi IV, Nr. 912: Capponi an ­Reumont, Varramista, 12. Oktober 1870. 547 Sarlin (2013), S. 93–105, Arnaldo Salvemini: Il movimento antiunitaria in Toscana ­(1859–1866) (Biblioteca di Storia Toscana moderna e contemporanea, Studi e Documenti 3), Florenz 1967; Giovanni Cipriani: Gli antiunitari nella Toscana di Ricasoli, in: Manica (2012), S. 27–75.

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dischen Staaten, um republikanischen Tendenzen entgegenzutreten und die Nationalbewegung in gemäßigt-liberale, konstitutionell-monarchische Bahnen zu lenken, in der Hoffnung, den auf diese Weise entstandenen Staat mit der monarchischen europäischen Ordnung versöhnen zu können.548 Allerdings rückte er in der Folge schrittweise von dieser nationalpolitischen Sichtweise ab. Je mehr sich die von ihm zunächst anerkannte Führungsmacht der italienischen Nationalbewegung durch eine laizistische Kirchenpolitik hervortat, desto mehr verlagerte sich R ­ eumonts Situationsanalyse auf die Frage nach der Stellung des Papsttums. Die Erkenntnis, dass die von Sardinien-Piemont angeführte nationale Bewegung das Projekt einer christlichen Erneuerung der zivilen Gesellschaft erschwerte und das Papsttum isolierte, führte dazu, dass ­Reumont die Zukunft der Kirche über den nationalen Gedanken stellte. Solange die nationale Bewegung nicht mit einer christlichen Erneuerung der Zivilgesellschaft einherging, sondern eine Verweltlichung der Gesellschaft betrieb, indem sie das Prinzip libera Chiesa in libero Stato als Unterstellung der Kirche unter den Staat auslegte, hielt ­Reumont ein Abrücken vom legitimistischen Prinzip, dessen Verabsolutierung er 1848 noch abgelehnt hatte, für inopportun. Denn ein derartiger Staat konnte einer in weiten Teilen religiösen Bevölkerung nicht gerecht werden. Insofern betrachtete R ­ eumont die italienische Nationalstaatsgründung nicht in erster Linie als Legitimist, sondern als Anhänger eines an Rosmini, Tommaséo und Balbo orientierten liberalen Katholizismus. Während er das legitimistische Prinzip als grundsätzlich den politischen Gegebenheiten anpassbar betrachtete, waren seine Forderungen nach einer liberal-katholischen Prägung des italienischen Nationalstaats nicht verhandelbar. Sein Legitimismus angesichts der cavour’schen Nationalstaatsgründung ist also als Rhetorik zur Verteidigung der Reformfähigkeit der Kirche sowie eines von einer christlichen Zivilgesellschaft getragenen italienischen Nationalstaates zu sehen. ­Reumonts Legitimismus ist insofern nicht das eigentliche Prinzip, sondern das Mittel der Wahl zur Verteidigung liberal-katholischer Prinzipien. Unter den Verteidigern des Papsttums befand er sich damit im Gegensatz zu den italienischen Hochkonservativen, die ihrerseits die katholische Religion als alleinige Legitima­ tionsbasis definierten, um eine Reform des Papsttums zu verhindern und der 548

Vgl. Rusconi (2013), S. 60–61; vgl. auch den dort zitierten Brief Cavours vom 9. November 1860 an den Gesandten in Berlin De Launay zur Weitergabe an den preußischen Außenminister von Schleinitz [Cavour: Epistolario, vol. XVII, t. 5, S. 2625–2628]: „Noi non abbiamo nulla da nascondere, nulla da dissimulare. Noi siamo l’Italia, noi agiamo in suo nome. Ma noi siamo nel contempo i moderatori del movimento nazionale, i nostri sforzi, le nostre preoccupazioni più costanti non hanno altro scopo che dirigerlo, trattenerlo nelle strade regolari e impedire che snaturi con unioni impure. Noi siamo i rappresentanti del principio monarchico che in Italia era scomparso dai cuori prima di essere rovesciato dalla vendetta popolare. Questo principio lo abbiamo ripreso e ricuperato, gli abbiamo dato una consacrazione nuova. Quando il regno d’Italia sarà costituito sulle basi incrollabili del diritto naturale e del diritto monarchico, siamo convinti che l’Europa non ratificherà il giudizio severo che ci si fa pesare oggi su di noi.“

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neuen konstitutionellen Ordnung entgegenzutreten.549 R ­ eumont ergriff Partei für das Christentum und erhoffte sich eine Versöhnung mit dem liberalen Nationalstaat. Wie er gegenüber Reichensperger äußerte, setzte er dabei trotz seiner Enttäuschung über die Art und Weise der Nationalstaatsgründung große Hoffnungen in die Religiosität der Italiener. Insgesamt hielt er die Situation der Kirche in den 1870er Jahren in Italien für wesentlich besser als in Deutschland. Allerdings seien die politisch aktiven Katholiken in der Öffentlichkeit entweder als Klerikale oder Unitarier kompromittiert.550 Eine weitere Wende, nicht nur in R ­ eumonts Italienberichterstattung, sondern innerhalb der katholischen Publizistik insgesamt, trat mit der Ankündigung des Ersten Vatikanischen Konzils ein. Wie die übrigen liberalen Katholiken – insbesondere in Deutschland – verlagerte ­Reumont seine vorwiegend Papst und Kirchenstaat gegen das Königreich Italien verteidigende und rechtfertigende Darstellung auf eine Beurteilung unter der Fragestellung nach einer langfristigen Sicherung der christlichen Verkündigung einschließlich eines modus vivendi mit den verschiedenen Staaten. Während einerseits die Notwendigkeit von Reformen zur Stärkung des priesterlichen Elements hervorgehoben wurde, sollte andererseits die weltliche Macht des Papstes nicht mit derjenigen der Staaten konkurrieren. Stattdessen sollte die Kirche als moralische Autorität die christlichen Werte in der Gesellschaft verankern. Trotz anfänglicher Hoffnungen erkannte ­Reumont bald, dass sich die Konzilsmehrheit mit den Dogmen der päpstlichen Unfehlbarkeit und des päpstlichen Jurisdiktionsprimats nicht nur in Konkurrenz zu den staatlichen Autoritäten stellte, sondern zudem Ansprüche formulierte, die vor der historischen Kritik nicht bestehen konnten und die deutschen Katholiken in Bedrängnis brachten. Angesichts dieser Entwicklung trat in R ­ eumonts Berichten das Interesse am Nationalstaat in den Hintergrund. Im Mittelpunkt stand seitdem die Zukunft der Kirche und insbesondere der deutschen Katholiken. Während er die Einnahme Roms durch Truppen des Königreichs Italien scharf als völkerrechtswidrig kritisierte und erklärte, dass staatliche Garantien für die Kirche wertlos seien, da sie den Staat faktisch über die Kirche stellten, klagte er zugleich über eine Romanisierung der Kirche. Dadurch, so glaubte er, würden Reformen unter Rücksichtnahme auf die Interessen der Katholiken in anderen Ländern deutlich erschwert. Im Widerstand gegen die Konzilsbeschlüsse, die nichts weniger als eine Absage an den liberalen Katholizismus waren, schloss er sich Reuschs Theolo­gischem Literaturblatt an, das als Sprachrohr der deutschen Opposition gegen die Konzilsbeschlüsse fungierte. Darin leistete er zwei Jahre lang einen Beitrag zur Argumentation gegen die päpstliche Unfehlbarkeit und für eine freie katholische, 549 Vgl hinsichtlich der ähnlichen Situation von Franz Xaver Kraus auch Weber (1981), S. 178–179; zum Verhältnis der katholischen Kirche zum italienischen Nationalstaat vgl. Guido Verucci: La chiesa cattolica in Italia dall’Unità a oggi 1861–1998 (Biblioteca Essenziale Laterza 23), Rom / Bari 1999, S. 8–25, hier S. 9. 550 Vgl. Pastor (1899), Bd. 2, S. 129.

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C. Publizistik

historisch-kritische Wissenschaft. Erst als führende Gegner der Konzilsbeschlüsse exkommuniziert wurden und sich mit Bildung der Altkatholischen Kirche ein Schisma anbahnte, das die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, den so­ eumont, wie auch andere Vergenannten Kulturkampf, förderte, distanzierte sich R treter des liberalen Katholizismus wie Kraus oder Hüffer, von der altkatholischen Bewegung. Denn damit war genau das eingetreten, was die liberalen Katholiken zu verhindern hofften. Anstatt dass das Konzil die Stellung der Kirche in der Gesellschaft stärkte, hatte es die Rivalität zwischen Staat und Kirche verschärft. Parallel zu seinen Berichten in der Augsburger Allgemeinen Zeitung und den Rezensionen im Theologischen Literaturblatt hatte R ­ eumont auch seine italienischen Bekannten über die Auswirkungen der Konzilsbeschlüsse auf die Situation der deutschen Katholiken informiert. Während er noch vor dem Konzil Pius IX. und Kardinal Bilio über die Situation der deutschen Katholiken unterrichtet und mit dem Papst in der Folge in mehreren Audienzen über dieses Thema gesprochen hatte, hielt er auch seine italienischen Bekannten auf dem Laufenden, darunter einflussreiche Persönlichkeiten wie Gino Capponi oder Leopoldo Galeotti, führende Politiker der Destra Storica, Cesare Cantù, den Literaten und Repräsentanten der katholischen Opposition im Parlament, der für den Erhalt des Kirchenstaates eintrat, oder Giancarlo Conestabile della Staffa. Angesichts des Schismas und des Kulturkampfes schwenkte ­Reumont in seiner politischen Publizistik weitgehend auf die konservativ-katholische Polemik gegen die protestantische Geschichtsschreibung und die Protagonisten des Risorgimento ein. Obgleich er den politischen Katholizismus ablehnte, ließ er sich von August Reichensperger zu anonymen Beiträgen in den tendenziell ultramontanen Historisch-Politischen Blättern für das Katholische Deutschland bewegen.

III. Historische Publizistik Bereits seit seiner Anfangszeit in der Toskana beschäftigte sich R ­ eumont mit besonderer Vorliebe mit den kulturellen Traditionen seiner neuen Heimat. Durch seine frühe Bekanntschaft mit Vieusseux und Capponi standen ihm zahlreiche Gesellschaften, Bibliotheken und Archive offen, sodass er sich diesem Interesse ausgiebig widmen konnte. Seine Erfahrungen, die ihm die Bekanntschaft zu Leopold von Ranke, Felix Papencordt, aber auch zu Mitarbeitern des Kunstblattes wie Schorn, Förster und Gaye einbrachten, konnte er dabei nutzen, um der ihm von Vieusseux und Capponi zugedachten Rolle als kultureller Mittler nachzukommen. Wie bereits im Kapitel zum Kunstblatt gezeigt, war es nicht zuletzt der Austausch mit Vertretern der Künstlerbiographik, der ­Reumonts Schwerpunktsetzung auf die historischen Forschungen begünstigte. Nachdem er von führenden Gelehrten seiner Zeit an die historischen Disziplinen herangeführt wurde – freilich ohne jemals ein entsprechendes Studium absolviert zu haben – verfolgte er die Forschungen ausländischer, insbesondere deutschsprachiger Gelehrter zu italienischen Themen,

III. Historische Publizistik 

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während er zugleich die italienischen Aktivitäten sowohl unmittelbar als auch mittelbar über das Umfeld des Lesekabinetts Vieusseux’ im Auge behielt. Während er in der Antologia seine ersten publizistischen Gehversuche in italienischer Sprache absolvierte, informierte er im Kunstblatt über kunsthistorische Neuigkeiten und in Cottas Morgenblatt über das italienische Gesellschaftsleben. Sein großangelegtes publizistisches Engagement gewann jedoch erst mit den 1840er Jahren an Breite. Nachdem er in den Jahren 1833 und 1838 bereits vereinzelte Beiträge für die Augsburger Allgemeine Zeitung verfasst hatte, begann im Jahre 1841 seine regelmäßige Berichterstattung, in der er neben kulturellen Themen, wie bereits gezeigt, auch zunehmend tagespolitische Angelegenheiten behandelte. Bis ins Jahr 1883 hinein steuerte er regelmäßige Aufsätze vorwiegend zu italienischen Themen bei – insgesamt circa 1500. Parallel dazu beteiligte er sich seit 1841 an der führenden und ersten gesamtitalienischen Geschichtszeitschrift, dem von Vieusseux herausgegebenen Archivio Storico Italiano, dem er bis zu seinem Lebensende die Treue halten sollte. ­ eumont eine wichNeben den beiden größten Publikationsplattformen, für die R tige Korrespondentenfunktion einnahm, steuerte er auch in diversen anderen Publikationsorganen einzelne Arbeiten bei. Angesichts der Vielzahl seiner oftmals vereinzelten Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften soll an dieser Stelle nur auf zwei kürzere Engagements eingegangen werden, die einen Eindruck von der Be­ eumonts Mitarbeit von zahlreichen Redakteuren beigedeutung vermitteln, die R messen wurde. Auf italienischer Seite soll deswegen seine Mitarbeit am Giornale Arcadico beleuchtet werden, das vom ehemaligen päpstlichen Zensor Salvatore Betti in Rom herausgegeben wurde. Auf deutscher Seite darf die protestantische kleindeutsch-­liberale, von Heinrich von Sybel herausgegebene Historische Zeitschrift nicht fehlen: Dass sich diese Zeitschrift trotz offenkundiger politischer Gegensätze um die Beiträge R ­ eumonts bemühte, veranschaulicht dessen Bedeutung als kultureller Mittler. ­ eumonts historische Arbeiten, Den Abschluss des Kapitels bilden schließlich R die er gegen Ende seines Lebens verfasst hat. Einerseits steuerte er zahlreiche Beiträge zum Historischen Jahrbuch der Görresgesellschaft bei, andererseits gründete er selbst den Aachener Geschichtsverein, dessen erster Präsident er war und an dessen Zeitschrift er in führender Position beteiligt war. 1. ­Reumonts historische Italienkorrespondenz in der Augsburger Allgemeinen Zeitung ­ eumont regelmäßige Beiträge für die Augsburger AllgeSeit 1841 verfasste R meine Zeitung. Von Anfang an befasste er sich dabei vor allen Dingen mit kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen Italiens sowie historischen und kunsthistorischen Themen. Durch seinen engen Kontakt zu Vieusseux’ Lesekabinett und als Mitarbeiter des Archivio Storico Italiano stellte seine Person einen zuver-

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C. Publizistik

lässigen Zugang zu der entscheidenden Informationsquelle über die italienischen Fortschritte auf dem Gebiete der Wissenschaft dar. Für seine Korrespondenzen über die Neuere historische Litteratur in Italien551 ließ er sich beispielsweise von ­Vieusseux persönlich über die interessanten Neuerscheinungen informieren und mit den entsprechenden Unterlagen versorgen, sei es der neueste Jahrgang des Archivio Storico Italiano selbst oder aber die wichtigsten neuen Werke sowie Broschüren oder Stammbäume italienischer Familien.552 Die entsprechenden Sendungen finden sich regelmäßig in R ­ eumonts Literaturbesprechungen der Augsburger Allgemeinen Zeitung wieder. So zeigte ­Reumont etwa die Storia della Toscana des Archäologen Francesco Inghirami nur wenige Tage nach der Zusendung durch Vieusseux in seiner nächsten Literaturbesprechung an.553 Der gesamtitalienische Anspruch der ersten nationalen Geschichtszeitschrift Italiens ermöglichte es ­Reumont dabei, seine Berichte nach den unterschiedlichen italienischen Regionen zu untergliedern, deren neueste Projekte im Archivio Storico Italiano angezeigt wurden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass ­Reumont seine Literatur­berichte oftmals mit einer Besprechung der laufenden Arbeiten des Vieusseux’schen Großprojektes kombinierte, um den deutschen Leser auf den besonderen wissenschaftlichen Wert wie auch auf dessen Potenzial bei entsprechender Abonnentenzahl aufmerksam zu machen. Doch Vieusseux trug auch die Bitten Dritter an ­Reumont heran. So war es beispielsweise dem Drängen Vieusseux’ zu verdanken, dass ­Reumont in seinem folgenden Artikel der Literaturbesprechungen auch auf die Archivsituation in Venedig und zumindest oberflächlich auf zwei entscheidende Persönlichkeiten der dortigen Forschungen einging, zu denen er später ebenfalls in persönlichen Kontakt treten sollte: Emmanuele Antonio Cicogna, den Herausgeber der Iscrizioni Veneziani, sowie Rawdon Brown, den damals führenden Experten für venezianische Diplomatenberichte, der später, im Jahre 1861, diese im Auftrag der britischen Regierung auf Angaben zur Geschichte der englischen Könige und Politiker hin untersuchen

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Neuere historische Litteratur in Italien, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 107–109, 17.–19. April 1843. Unter verschiedenen Titeln steuerte ­Reumont zahlreich Literaturberichte bei. Für die Einzelnachweise sei auf das Autorenregister des Cotta-Archivs in Marbach verwiesen. 552 BNCF Vieuss. C. V. 88, 166, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 7. April 1844: „Je V.s suis bien obligé de Votre envoi – les brochures m’ont été utiles p.r compléter ma revue historique pour l’Allgemeine que j’ai fait partir. J’ai parlé d.s cet article de quantité d’ouvrages & en détail de l’Archivio. De cette manière j’espère être utile autant à V.s qu’à l’Allemagne qui ne saurait que gagner à connaitre de plus en plus cette publication. J’attends le 4e vole avec une grande impatience: il doit contenir des choses bien intéressantes. – J’ai à V.s remercier de la brochure sur les Aldobrandeschi qui me fait du plaisir; – est-ce que de l’ouvrage de Fabretti sur les Capitani dell’Umbria il n’a rien paru depuis le mois d’Août dernier ? Cela me parait bien singulier. Si V.s pouviez me procurer, avant mon départ, l’une des brochures de Cicogna, celle sur la famille des Comtes de Spaur, V.s m’obligerez infiniment.“ 553 BNCF Vieuss. C. V. 88, 135, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 10. März 1842; Italienische historische Litteratur, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 78, 19. März 1842.

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sollte.554 Da sich ­Reumont zu diesem Zeitpunkt auf dem Gebiet der venezianischen Forschungen noch keinen eigenen Überblick verschafft hatte, war er fast ausschließlich auf die von Vieusseux gelieferten Informationen angewiesen und beließ es in seinem Literaturbericht nur bei einer einfachen Anzeige – ganz zur Enttäuschung Vieusseux’, der eine ausführlichere Darstellung der dortigen Archive und Forschungen erwartet hatte. ­Reumont blieb nur noch Vieusseux daran zu erinnern, dass bei seinem aktuellen Kenntnisstand eine detaillierte Besprechung leider noch nicht möglich sei.555 Tatsächlich hing R ­ eumont in seinen Zeitungskorrespondenzen über italienische Literatur zunächst in erster Linie von Vieusseux ab. Nachdem er im restlichen Verlauf des Jahres 1843 keinen weiteren Literaturbericht verfassen konnte, weil ihm sowohl die Zeit als auch die Unterstützung des Herausgebers des Archivio Storico Italiano fehlte, erinnerte er Vieusseux noch einmal deutlich daran, wie sehr er von dessen Mithilfe abhing und dass er dringend den Appendice zum Archivio Storico Italiano benötigte.556 Diese Abhängigkeit von Vieusseux sollte freilich nicht von langer Dauer sein. Die Berichte über italienische Literatur in der Augsburger Allgemeinen Zeitung blieben den italienischen Gelehrten nicht verborgen. Schon bald sandten zahlreiche Autoren aus eigenem Antrieb ein Exemplar ihrer Werke an ­Reumont, in der Hoffnung, dass dieser sie im deutschsprachigen Raum bekannt machen würde. So bat ihn beispielsweise Cesare Cantù darum, seine Storia degli Italiani anzuzeigen,557 oder Angelo Pezzana, der Direktor der Bibliothek von Parma, seine Storia di Parma.558 Letzterer bedankte sich nicht nur überschwänglich,559 sondern ließ ­Reumonts Besprechung 554 Eine schöne Übersicht über Leben und Tätigkeit Rawdon Browns bietet die Aufsatzsammlung von Griffiths / Law (2005). 555 BNCF Vieuss. C. V. 88, 180, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 31. Dezember 1843: „J’attends avec impatience l’envoi que V.s m’avez annoncée d’avoir fait par Meiners. Je ferai alors dans l’Allgemeine un second article sur la littérature historique. C’est dans cet article que je me propose de dire quelque chose sur les Archives de Venise. J’ai beaucoup regretté de ne pas avoir pu remplir Vous désires en écrivant sur ce sujet: car à dire vrai j’en connus trop peu & il me manque trop de dates p.r que j’aie pu hasarder un article détaillé.“ 556 Ebenda, 182, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 12. Februar 1844: „V.s me ferez plaisir toujours ce qui parait et ce qui peut m’intéresser. Mais surtout je V.s prie (ce dont je V.s avais prie déjà de vive voix) de m’envoyer aussitôt que V.s pouvez, par Jager, les Appendici de l’Archivio, dont j’ai besoin p.r les notices littéraires. C’est le manque de ces notices qui m’aurait empêché jusqu’ici de faire pour l’Allgemeine la continuation des articles sur la littérature historique, même si j’en avais eu le temps qui m’a manqué complètement.“ 557 NL ­Reumont, S 1058, Cesare Cantù an ­Reumont, Nr. 34: Mailand, 6. Februar 1851. 558 Ebenda, S 1064, Angelo Pezzana an ­Reumont, Nr. 150: Parma, 3. Oktober 1859. 559 Ebenda: „La cortesia del Barone ­Reumont sta al di sopra d’ogni altra. Io ebbi l’ardimento di pregarla di far conoscere l’uscita dell’ultimo della mia misera Storia di Parma a qualche suo amico di Berlino che vi fosse scritto, ed Ella ha voluto oltrepassare ogni mia preghiera e desiderio facendone un articolo per un giornale che cammina per tutto il mondo. La sua generosità è pari alla sua sapienza, ed io gliene riferisco grazie singolarissime. L’indulgenza con cui Ella ha scorso il mio povero lavoro gli acquisterà, spero, quel favore che l’oscuro nome dell’autor suo non avrebbe potuto procurargli in verun modo.“

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zudem noch ins Italienische übersetzen.560 Für R ­ eumont bedeutete dies im Gegenzug, regelmäßig über die Arbeiten im Umfeld der Bibliothek informiert zu werden, während er selbst italienischen Gelehrten die Möglichkeit eröffnete, nördlich der Alpen Beachtung zu finden. Ein typisches Beispiel dafür sind die Monumenta historica ad provincias parmensem et placentiam pertinentia, die von Amadio Ronchini, dem Direktor des dortigen Archivio di Stato und Pezzanas Neffen herausgeben wurden. Angelo Pezzana versorgte ­Reumont stets mit den neuesten Informationen über die Forschungen, während R ­ eumont diese Quellenedition mehrmals in der Augsburger Allgemeinen Zeitung besprach.561 Zugleich hatte er über Pezzana, abgesehen von dessen Kontakten zu den Archiven in Parma und Umgebung, einen weiteren Zugang zur neueren italienischen Literatur.562 Gleiches gilt für ­Reumonts Kontakt zu den Brüdern Carlo und Domenico Promis. Während Carlo Architekturprofessor war, bot Domenico als Bibliothekar der Biblioteca Reale di Torino bereits seit den 1840er Jahren eine weitere Möglichkeit italienische Publikationen zu beschaffen.563 In den meisten Fällen ging ­Reumont jedoch den Weg über dessen Bruder Carlo, den er bereits im Jahre 1844 kennengelernt hatte564 und dessen Werke er im Gegenzug nicht nur in der Augsburger Allgemeinen Zeitung oder im Kunstblatt besprach,565 sondern die er zudem auch an Friedrich Wilhelm IV. weiterleitete und Carlo Promis dadurch eine Goldmedaille des Königs von Preußen verschaffte.566 Des Weiteren leitete er dessen Werke auch an Wilhelm Henzen, den Sekretär des Istituto di corrispondenza archeologica in Rom, weiter, um ihnen auf diese Weise zur Verbreitung innerhalb des internationalen archäologisch interessierten Publikums zu verhelfen.567 Diese Bekanntschaft verschaffte ­Reumont zwar einen erweiterten Zugang zur italienischen und insbesondere zur piemontesischen Literatur, allerdings hatte diese Möglichkeit durchaus ihre Grenzen. Wenn er Bücher bestellte, ließ er sie sich entweder direkt nach Florenz liefern, wenn er sich dort aufhielt, oder, wenn er sich in Deutschland aufhielt, über Mailand oder Vieusseux in Florenz zu seinem deutschen 560

Ebenda, Nr. 152: Parma, 14. November 1859. Ebenda, Nr. 144: Parma, 19. Oktober 1857; Nr. 152: Parma, 14. November 1859. 562 Ebenda, Nr. 145: Parma, 27. November 1857. 563 Ebenda, S 1064, Carlo Promis an ­Reumont, Nr. 170: Turin, 4. März 1847; Nr. 171: Turin, 11. Januar 1850. 564 Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis, Scat. 13/XI30, Florenz, 7. November 1862. 565 So u. a. Carlo Promis’ Storia dell’antica Torino, Turin 1869 – Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis, Scat. 13/XVIII7, R ­ eumont an Carlo Promis, Bonn, 18. August 1869; C. Promis’ Turin im Alterthum, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 268, 25. September 1869; zur Besprechung der Arbeiten Promis’ im Kunstblatt: Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis Scat. 12/IX14, ­Reumont an Carlo Promis, Rom, 14. März 1843; Alfred ­Reumont: Italienische Kunstgeschichte: Trattato di Architettura civile e militare di Francesco di Giorgio Martini, Kunstblatt 24 (1843), Nr. 8–13. 566 Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis Scat. 12/IX15, ­Reumont an Promis, Berlin, 4. Dezember 1843; ebenda, Archivio Promis Scat. 12/X40, Berlin, 15. Juni 1844. 567 Ebenda, Archivio Promis, Scat. 13/XI30, Florenz, 7. November 1862. 561

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Aufenthaltsort.568 In jedem Fall mussten die Sendungen jedoch habsburgische Zollbeamte passieren – was des Öfteren zu Komplikationen führte. Denn zu den Bücherbestellungen, die R ­ eumont bei den Promis-Brüdern einreichte, gehörten auch die Werke Cesare Balbos, in denen er einen Abzug der Habsburger aus Lombardo-Ve­ eumont enttäuschen, als netien forderte. Dementsprechend musste Carlo Promis R dieser Balbos Sommario della Storia d’Italia bestellte. Dieses war nämlich in Lom­ eumont das Buch bardo-Venetien verboten, sodass sich Promis außerstande sah, R zu beschaffen und ihn darauf verweisen musste, es in der Schweiz aufzutreiben.569 Letztlich blieb also, auch bei ­Reumonts zunehmender Vernetzung in ganz Italien, Vieusseux in Florenz die Drehscheibe für Buchbestellungen. Gleichzeitig nutzten auch Gelehrte diesen Weg zur Kontaktaufnahme mit ­Reumont, um ihre Anliegen in deutschen Zeitungen bekannt zu machen. So beispielweise Cesare Guasti, Mitglied der Kommission zur Neuordnung der staatlichen Archive,570 der ­Reumont sein Inventario dell’Archivio di Stato di Lucca mit der Bitte zukommen ließ, dieses in der Augsburger Allgemeinen Zeitung anzuzeigen.571 ­Reumont hatte sich also sehr rasch einen guten Ruf als kultureller Mittler erarbeitet und war damit der Bitte Capponis aus dem Jahre 1835572 mehr und mehr gerecht geworden. Mit seinem Engagement in der Augsburger Allgemeinen Zeitung bot er zahlreichen italienischen Gelehrten über seine Besprechungen eine willkommene Plattform im deutschsprachigen Raum und verschaffte den deutschsprachigen Lesern einen zunehmend umfangreicheren und tiefergehenden Überblick über den Fortgang der italienischen Wissenschaft wie des Archivwesens. Allerdings musste er sich seine Position als Italienkorrespondent der führenden deutschsprachigen Zeitung für die Italienberichterstattung durchaus erarbeiten. Als er Anfang der 1840er Jahre damit begann, Zeitungskorrespondenzen über italienische Literatur, sowie Land und Leute zu verfassen, trat er damit in Konkurrenz zum 21 Jahre älteren und erfahreneren Carl Joseph Anton Mittermaier.573 Dieser hatte seit dem Jahre 1808 sieben Italienreisen unternommen und war mit führenden Vertretern der M ­ oderati bekannt, so unter anderem auch mit Gino Capponi, und nahm, wie ­Reumont, an den Gelehrtenkongressen teil.574 Durch seine profunde Kenntnis 568

Ebenda. NL ­Reumont, S 1064, Carlo Promis an ­Reumont, Nr, 170: Turin, 4. März 1847: „Quanto al Sommario della Storia del Balbo, essendo libro proibito in Lombardia, non velo lascerebbero passare, ma siccome è stampato in Losanna [Lausanne] (dico la 3.a edizione, che è la miglior di tutte) così penso che la S. V. selo potrà assai facilmente procacciare per la via di Neufchâtel. L’edizione è del tipografo Bonamici.“ 570 Zeffiro Ciuffoletti: Guasti, Cesare, DBI 60 (2003) [URL: http://www.treccani.it/enciclo​ pedia/cesare-guasti_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 571 NL ­Reumont, S 1061, Cesare Guasti an ­Reumont, Nr. 328, Florenz, 27. November 1876. 572 Vgl. Kapitel B. I.  Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz, S. 55; Alessandro Carraresi: ­Lettere di Gino Capponi  e di altri  a lui, Bd. 1, Florenz 1882, No. 173: Al cavaliere Alfredo ­Reumont, Berlino, Florenz, 3. Dezember 1835, S. 404–406, hier S. 405. 573 Für einen Überblick zu Mittermaier vgl. Küpper (1988); Balestreri (1983). 574 Vgl. Altgeld (1984), S. 239–243. 569

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Italiens nach jahrelanger Reiseerfahrung war er bereits ein wichtiger Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung auf diesem Gebiet. Seine Italienischen Zustände, die er im Jahre 1844 herausgebracht hatte, waren eine Rechtfertigung der Italiener im Sinne der Moderati, indem sie die bereits erreichten Fortschritte der Politik der gemäßigten Reformen hervorhoben und die Hoffnung auf eine Hebung der allgemeinen Wohlfahrt durch umfassende Bildungs- und Wissenschaftsprogramme weckten.575 Diese Schrift hatte im deutschsprachigen Raum maßgeb­ lichen Einfluss auf das liberale Italienbild: Trotz mancher Kritik an einer, wie Jacob Burckhardt es ihm vorwarf, Verallgemeinerung der Situation Toskanas und ­Lombardo-Venetiens, hielt das vermittelte Bild eines sich in geregelten Bahnen entwickelnden Bürgersinnes Einzug in führende Publikationen, wie Rotteck und Welckers Staats-Lexikon.576 Selbstredend hatte diese Publikation innerhalb kürzester Zeit auch südlich der Alpen von sich reden gemacht, weshalb Vieusseux sich bei ­Reumont danach erkundigte. Dieser berichtete ihm jedoch, obwohl er den guten Willen Mittermaiers anerkannte, nur sehr reserviert von dem vielgelobten Werk: „J’ai commencé à lire Mittermaier, qui est pleine de bonnes intentions: les premiers chapitres du reste sont un peu loci comunes & trop mal écrits. C’est un livre fait à la hâte.“577

Während ­Reumont die politischen Ausführungen gefallen haben dürften, in denen Mittermaier insbesondere die Werke Giobertis und Balbos bespricht, war es offenbar das Kapitel über die Charaktereigentümlichkeiten der Italiener, das ihn zu seinem kühlen Urteil verleitet hat. Möglicherweise war es aber auch die Rivalität der beiden als Italienkorrespondenten für die Augsburger Allgemeine Zeitung, die ­Reumont zu einer derart kritischen Betrachtung brachte. Obwohl R ­ eumont Mittermaier bei Gelegenheit traf und sich von ihm neu erschienene italienische Literatur empfehlen ließ,578 findet sich im Bonner Briefnachlass ­Reumonts lediglich ein einziger Brief von Mittermaier.579 Tatsächlich scheint ­Reumont ihm gegenüber kein Geheimnis daraus gemacht zu haben, dass er sich für kompetenter hielt, die Korrespondentenberichte über die historische Literatur Italiens zu verfassen.580 Indes wusste Vieusseux auch in der Folge oftmals nicht, ob die Italienkorrespondenzen, die, wie die Mehrzahl der Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, 575 Carl Joseph Anton Mittermaier: Italienische Zustände, Heidelberg 1844; Carl Joseph Anton Mittermaier: Delle condizioni d’Italia, Leipzig 1845; vgl. Altgeld (1984), S. 236–237. 576 Ebenda. 577 BNCF Vieuss. C. V. 88, 193, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 4. November 1844. 578 Ebenda; Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis, Scat. 12/XII20, Berlin, 21. Dezember 1846. 579 NL R ­ eumont, S 1063, Carl Joseph Anton Mittermaier an R ­ eumont, Heidelberg, 14. Februar 1846. 580 So berichtete er Vieusseux von einer Absprache, dass Mittermaier ihm das Feld überlasse: „Maintenant du reste je vais me remettre sérieusement au travail, & je commence pour l’Allgemeine la continuation de mes revues historiques. J’ai prié Mittermaier de me laisser ce champlà, que je crois connaitre mieux que lui – il l’a fait d’une manière très-aimable.“ (BNCF Vieuss. C. V. 88, 213, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 24. Februar 1846)

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anonym veröffentlicht wurden, von R ­ eumont stammten oder von Mittermaier.581 Nach wie vor legte ­Reumont großen Wert darauf, der führende Korrespondent für italienische Literatur zu werden und sich damit neben dem Renommee auch die regelmäßigen lukrativen Korrespondentenhonorare zu sichern. Dafür musste er jedoch stets auf dem neuesten Stand bleiben und als Erster über die jüngsten Fortschritte berichten können. Gegenüber Vieusseux machte er deutlich, dass er darauf bedacht sein müsse, dass ihm kein anderer Korrespondent in der Anzeige neuerer italienischer Literatur zuvorkommen dürfe.582 Zwar sollte ­Reumont zu keinem Zeitpunkt der einzige Italienkorrespondent für kulturelle Themen werden, allerdings verfügte er bald in ganz Italien, insbesondere aber in der Toskana selbst über einschlägige Verbindungen, um seine Berichte nicht nur hinsichtlich ihrer Aktualität von den übrigen Beiträgen abzuheben, sondern zudem Hintergrundinformationen zu liefern, die oftmals selbst innerhalb der Gelehrtenwelt Italiens oder der Toskana nur Wenigen bekannt waren. In besonderem Maße wurde er vom angesehenen florentinischen Genealogen conte Luigi Passerini unterstützt. Dieser hatte zuvor an dem genealogischen Unternehmen des Mailänders conte Pompeo Litta mitgearbeitet und seit den 1840er Jahren damit begonnen, den Florentiner Adligen das notwendige genealogische Material in den Hand zu geben, um ihre gesellschaftliche Stellung – nicht zuletzt auch vor dem konkreten Hintergrund der angestrebten Dezentralisierung der toskanischen Administration im Rahmen einer Reform der Munizipalgesetzgebung – zu rechtfertigen und zu behaupten.583 Durch ­Reumonts Nähe zu den Moderati wurde seine Aufmerksamkeit selbstredend auch auf die genealogische Erforschung der alten Patrizierfamilien gelenkt. Schließlich musste es im eigenen Interesse der führenden Familien sein, dass ihre Geschichte als integraler Bestandteil der Vaterlandsgeschichte auch in Publikationsorganen mit weiter Verbreitung im Habsburgerreich Erwähnung fanden. Denn die Augsburger Allgemeine Zeitung setzte dort immerhin über zehn Prozent ihrer Gesamtauflage ab und war hinter der Wiener Zeitung führend.584 Entsprechend dankbar war man im Kreise der Moderati für ­Reumonts Bereitschaft, das Patriziat mit seiner Geschichte und gesellschaftlichen Bedeutung sowie auch seinen Unterschieden zum habsburgischen Adel in der gebildeten Öffentlichkeit des Habsburgerreiches in weiten Kreisen bekannt zu machen. ­Reumont seinerseits konnte im Gegenzug seine Berichterstattung mit „Insiderinformationen“ aufwerten, die keiner der übrigen Korrespondenten in dem Umfang zu bieten im Stande war. Wenn er in seinen Arbeiten auf italienische Adelsgeschlechter zu sprechen kam, fragte er nicht nur bei den entsprechenden Nachkommen nach, sondern beauftragte auch Passe­ rini, ihm einen entsprechenden Stammbaum oder zumindest Hintergrundinforma­ 581 Deputazione di Storia Patria per la Toscana, Copialettere No. 3–3, Vieusseux an ­Reumont, 15. Juli 1847. 582 BNCF Vieuss. C. V. 88, 226, R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 15. Januar 1847. 583 Vgl. Kroll (1999), S. 124–125; Clemens (2004), S. 282. 584 Vgl. Günter Müchler: „Wie ein treuer Spiegel“. Die Geschichte der Cotta’schen Allgemeinen Zeitung, Darmstadt 1998, S. 135–136.

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tionen zur jeweiligen Familiengeschichte zukommen zu lassen.585 Auf diese Weise konnte R ­ eumont neben seinen ausführlichen Berichten über Italienische Familien im Morgenblatt auch in seinen Artikeln für die Beilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung mit Detailinformationen zur Geschichte der führenden Familien aufwarten, die er aus erster Hand erhielt.586 Obgleich die von ­Reumont angeführten genealogischen Informationen über italienische Familien in der deutschsprachigen Publizistik ihres gleichen suchten, war sich R ­ eumont der politischen Wirkung dieser Arbeiten bewusst und klagte gegenüber Witte darüber, dass sich Passerini, wie die meisten anderen Genealogen auch, des Öfteren mehr für die politische Wirkung ihrer Arbeiten als für ihre Wissenschaftlichkeit interessierten.587 Die herausragende Bedeutung, die Passerini für ­Reumonts Arbeiten hatte, hob ­Reumont noch einmal im Rahmen des Nekrologes auf Passerini hervor.588 Trotz aller wissenschaftlichen Mängel, welche die von R ­ eumont angezeigten Arbeiten und genutzten Datensammlungen zum Teil aufwiesen, boten seine Berichte einen ersten Überblick der zur Verfügung stehenden Quellen für weiterführende Forschungen sowie in Italien laufende Projekte. Von besonderem Nutzen war insbesondere sein enger Kontakt zu Francesco Bonaini, dem Generaldirektor der toskanischen Archive,589 über dessen Arbeiten und Editionsprojekte ­Reumont informierte,590 um die deutsche Forschung auf den Quellenreichtum verbunden mit einer vorbildlichen Archivorganisation und Zugänglichkeit aufmerksam zu machen. Im Jahre 1874 veröffentlichte ­Reumont einen Nekrolog über Bonaini, in dem er ihm das besondere Verdienst anrechnete „daß kein Land heut ein besser und einheitlicher geordnetes Archivwesen besitzt als Toscana“591. 585 BNCF Vieuss. C. V. 88, 181, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 8. Januar 1843; NL R ­ eumont, S 1064, Luigi Passerini an ­Reumont, Nr. 88: Archivio delle Riformazioni, 21. Juli 1852; Nr. 99, Florenz: 2. November 1861; Nr. 103: Florenz, 13. April 1867; Nr. 105: Florenz, 25. September 1869; Nr. 106: Florenz, 23. Oktober 1869; Nr. 110: Florenz, 24. März 1876. 586 BNCF Vieuss. C. V. 88, 201, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 10. März 1845. 587 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 195: Bonn, 8. Januar 1878: „Meine Ansicht von Passerini kann ich Ihnen offen sagen. Er war in genealogischen Studien aufgewachsen, seine ersten Sachen, so die Noten für Marietta de’ Ricci, 1845, aber höchst oberflächlich was er übrigens selber bekannte. Seine späteren Arbeiten, namentlich die toskanischen u. romagnolischen, sind im Ganzen sorgfältig; seine Kenntniß der mittelalterlichen Geschichte war jedoch im Detail doch nicht immer sicher genug, um ihn vor Irrthümern zu bewahren, u. in Bezug auf die Anfänge ist er, obgleich besonnener als die Meisten, von Willkür nicht frei, wie er denn auch in Einzelfällen wiederholt Meinung gemacht hat. Im Ganzen ist er doch weit zuverlässiger als Litta, der großes Verdienst hat, aber z. B. in den Colonna, Orsini, Strozzi u. a. (ich nenne solche die ich genau kenne) eine Menge Irrthümer begeht.“ 588 Luigi Passerini, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 39, 8. Februar 1877: „Ihm verdanke ich bei Specialforschungen eine Menge Winke und Angaben, wie nur er, mit seiner immensen Detail-Kenntniß, sie geben konnte.“ 589 Alfred von R ­ eumont: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878, S. 357. 590 Archivio di Stato di Firenze, Carte Bonaini, B. VII, ins. 14, ­Reumont an Francesco Bonaini, 16. Dezember 1852. Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 344, 9. Dezember 1852. 591 Francesco Bonaini, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 264, 21. September 1874.

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Im Laufe der Jahre hatte sich R ­ eumont in Italien ein umfangreiches Netzwerk aufbauen können, das ihn als Kontaktperson für die Beziehungen zum deutschsprachigen Raum betrachtete, sodass er sich in späteren Jahren immer weniger selbst um die notwendigen Informationen bemühen musste. Vielfach wurden ihm laufende Projekte von den beteiligten Personen vorgestellt, um sie auch nördlich der Alpen bekannt zu machen. So trat Rinaldo Fulin, nachdem er das Archivio Veneto gegründet hatte, mit einem Exemplar an R ­ eumont heran, um ihn für eine Mitarbeit zu gewinnen und um eine Besprechung der Zeitschrift in Deutschland zu bitten.592 Die Anfrage an ­Reumont war angesichts der im Vorwort zur ersten Ausgabe formulierten Ziele naheliegend: Das Archivio Veneto wurde in Ermangelung einer Deputazione di Storia Patria, wie es sie zu diesem Zeitpunkt in den anderen Regionen Italiens gab, gegründet, um nach dem Vorbild von Vieusseux’ Archivio Storico Italiano eine Plattform sowohl für Quelleneditionen zur venezianischen Geschichte als auch für den überregionalen und internationalen Austausch über historische Themen, insbesondere mit Bezug auf venezianische Geschichte zu bieten und zugleich einerseits über die neuesten historischen Publikationen und die laufenden historischen Zeitschriften mit Bezug auf Italien zu berichten und andererseits einen Überblick über die noch unbearbeiteten Archivbestände Venedigs zu geben.593 Allerdings beschränkte sich ­Reumonts Bereitschaft bei weitem nicht nur auf literarische Themen. In seinen Anzeigen berücksichtigte er auch Themenbereiche, in denen er selbst nicht aktiv publizierte. Dazu gehörte die Archäologie, die er als Mitglied des Istituto di corrispondenza archeologica verfolgte. In diesem Bereich beschränkte er sich darauf, sich von Wilhelm Henzen, dem Institutssekretär, über die neuesten Projekte informieren zu lassen, um sie auf den Institutssitzungen Revue passieren zu lassen.594 Durch seine Mitgliedschaft am Institut fungierte er, auch ohne eigenständige archäologische Forschungen zu betreiben, in Italien als Repräsentant des Institutes und damit auch der deutschen archäologischen Forschung. In dieser Funktion hielt er auch den Kontakt zu zahlreichen italienischen Mitgliedern des Instituts aufrecht, wie zu seinem Bekannten Giovanni Carlo Conestabile della Staffa. So war er über dessen Grabungskampagnen stets bestens im Bilde und informierte nicht nur das Institut selbst, sondern über die Augsburger Allgemeine Zeitung auch ein breiteres Publikum.595 Da ­Reumont nicht nur ein erfahrener Mitarbeiter des Archivio Storico Italiano war, der das Projekt von Anfang 592 NL ­Reumont, S 1060, Rinaldo Fulin an ­Reumont, Nr. 112: Venedig, 13. Dezember 1871: „Ella, nel Suo amore per l’Italia, ha dato molti dei suoi lavori all’Archivio Storico di Firenze: saremmo troppo ardui sperando che una volta o l’altra Ella voglia onorare anche noi con qualche scrittura Sua. […] Il pubblico ancora non ci conosce nè in bene nè in male ed è per questo ch’io vorrei farle preghiera di un qualche cenno almeno alla nostra pubblicazione di uno dei giornali che si pubblicano nella dotta sua patria.“ 593 Adolfo Bartoli / Rinaldo Fulin: Ai lettori, Archivio Veneto 1 (1871), S. V–XII. 594 Vgl. dazu auch Kapitel E. II. ­Reumont als Diplomat in Diensten des Instituto di corrispondenza archeologica. 595 NL ­Reumont, S 1059, Giovanni Carlo Conestabile an ­Reumont, Nr. 240a: Perugia, 15. Januar 1875.

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an in engem Kontakt zu Vieusseux und Capponi begleitet hatte und zudem über hervorragende internationale Verbindungen verfügte, ist es nicht verwunderlich, dass sich Fulin um dessen Mitarbeit bemühte und großen Wert darauf legte, dass er das neu ins Leben gerufene Unternehmen wohlwollend in Deutschland be­werben würde. Dieses Beispiel demonstriert den hervorragenden Ruf, den ­Reumont in Italien überregional als „Kulturdiplomat“ genoss. Insgesamt war es seine Mitgliedschaft in zahlreichen Vereinen und Institutionen sowie das damit verbundene Prestige, die ­Reumont in die Lage versetzten, die Leser der Augsburger Allgemeinen Zeitung zuverlässig über die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der italienischen Kulturwissenschaften zu unterrichten. Als in Italien prominenter ausländischer Gelehrter gehörte ­Reumont zu jenen Persönlichkeiten, die durch ihr persönliches Prestige eine beachtliche Anzahl von Mitgliedschaften vorweisen konnten.596 Neben seiner Mitarbeiterschaft am Archivio Storico Italiano sowie seinen Mitgliedschaften in der Accademia Colombaria, die auch eigene Grabungskampagnen betrieb,597 und der Accademia della Crusca, der prestigeträchtigsten philologischen Akademie Italiens, war ­Reumont auch mit dem Instituto di corrispondenza archeologica, der Accademia di San Luca, der Accademia Tiberina sowie der Pontificia Accademia Romana di Archeologia in Rom bestens vernetzt, um in Kombination mit seinen Mitgliedschaften in diversen Vereinen für vaterländische Geschichte über die wesentlichen Neuigkeiten auf dem Laufenden zu sein. Auch seiner Beitragstätigkeit, die sich auf Kontakte in ganz Italien stützen konnte,598 war es zu verdanken, dass die Augsburger Allgemeine Zeitung die führende Position in der deutschsprachigen Italienberichterstattung einnehmen konnte.

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Zur Mitgliederernennungspraxis von deutschen und italienischen Geschichtsvereinen etwa vgl. Clemens (2004), S. 89–106. 597 Gian Carlo Conestabile: Alessandro François  e dei suoi scavi nelle regioni dell’antica Etruria, Archivio Storico Italiano 13 (N. S.) (1858), S. 53–90. 598 Die Schreiben von zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften im Bonner Nachlass geben einen Eindruck von der Vernetzung R ­ eumonts. – NL R ­ eumont, S 1057, Accademia Dante Alighieri [Catania], Accademia dei Sepolti [Volterra], Accademia della Crusca [Firenze], Accademia della Valle Tiberina Toscana [Sansepolcero], Accademia delle Scienze [Torino], Accademia di Archeologia, Lettere e Belle Arti [Napoli], Accademia di Belle Arti [Firenze], Accademia Economico-Agraria dei Georgofili [Firenze], Accademia Etrusca [Cortona], Accademia Labronica [Livorno], Accademia Lucchese di Scienze, Accademia Nazionale di Scienze [Modena], Accademia Pistoiese di Scienze, Accademia Properziana del Subasio [Assisi], Accademia Tiberina [Roma], Ateneo di Bassano, Biblioteca Vallicelliana [Roma], Deputazione di Storia Patria per le Province di Romagna, Istituto di Corrispondenza Archeologica [Roma], Pontificia Accademia di Belle Arti [Bologna], Pontificia Accademia Romana di Archeologia, Pontificia Insigne Accademia Artistica dei Virtuosi al Pantheon [Roma], Reale Accademia di Belle Arti [Venezia], Reale Accademia di San Luca [Roma], Regale Accademia Ercolanese di Archeologia [Napoli], Regia Deputazione di Storia Patria [Torino], Regia Deputazione sovra gli Studi di Storia Patria per le Antiche Provincie e la Lombardia, Società Colombaria Fiorentina.

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2. Das Archivio Storico Italiano als Dreh- und Angelpunkt für ­Reumonts kulturelles Engagement Kein anderes Unternehmen sollte R ­ eumonts Leben derart prägen wie seine Mitarbeit am Archivio Storico Italiano.599 Nachdem er bereits erste publizistische Erfahrungen im Kreis der Antologia gesammelt und zu einem festen Mitglied des Kreises um Vieusseux und Capponi geworden war, lag es nahe, den Gesandtschaftssekretär in preußischen Diensten in das neue Unternehmen einzubinden und dessen zu diesem Zeitpunkt bereits beachtliche Kontakte in der deutschsprachigen Gelehrtenwelt zu nutzen. Nicht zuletzt seine guten Verbindungen zum Kunstblatt sowie zu diversen deutschsprachigen Forschungsreisenden, die sich bei der preußischen Gesandtschaft in Florenz meldeten, ließen seine Beteiligung überaus wertvoll er­ eumont schon in den 1830er scheinen. Deswegen hatten Capponi und Vieusseux R Jahren gebeten, ihnen als Mittler zur deutschsprachigen Gelehrtenwelt zur Seite zu stehen. Dies erschien umso wichtiger, als sich die im Jahre 1841 gegründete erste Geschichtszeitschrift mit gesamtitalienischem Anspruch auch an der vom Freiherrn vom Stein ins Leben gerufenen Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde orientierte.600 In Sardinien-Piemont hatte König Karl Albert bereits in Anlehnung an die deutschen Monumenta Germaniae Historica die Historiae Patriae Monumenta edita iussu regio Karoli Alberti aus der Taufe gehoben601 und im Jahr 1833 eigens eine Regia Deputazione di storia patria konstituiert.602 Nun entstand auch in Florenz ein Projekt zur Edition historischer Quellen. Ziel war es allerdings nicht nur, die Dokumente zur toskanischen Geschichte zu Tage zu fördern, sondern vielmehr eine überregionale Zusammenarbeit zu etablieren, um aus den einzelnen Regionalgeschichten eine nationale Geschichte zu schreiben.603 In diesem Kontext stand dennoch zunächst die toskanische Geschichte im Vordergrund: Die Toskana galt nämlich damals, nicht zuletzt auch durch die vorherigen Projekte Vieusseux’, als eines der wichtigsten Zentren der italienischen Kultur, an denen die Moderati ökonomische, landwirtschaftliche, und historische Studien förderten, um den auf Wissenschaft und Volkspädagogik basierenden zivilisatorischen Fortschritt im Sinne des gemäßigt-liberalen Patriziats zu verfolgen.604 Während der Großteil der Moderati den Ansatz einer Nationalgeschichte in dem Sinne auffasste, dass man die besondere Vorbildfunktion der Toskana sowohl im Hinblick auf die Gesellschaftsordnung als auch auf die dortigen wissenschaftlichen Aktivitäten hervorzuheben habe, um darüber einen Führungsanspruch der Toskana abzuleiten, versuchte Vieusseux, derartigen Vereinnahmungen von Anfang an entgegenzutreten, und versuchte, wie 599

Vgl. auch Ciampini (1953), S. 265–360. Vgl. Porciani (1979), S. 1–11. 601 Vgl. ebenda, S. 17. 602 Vgl. ebenda, S. 32; Romagnani (1985), S. 273–300; Gian Savino Pene Vidari: La Deputazione di storia patria di Torino, in: Bistarelli (2012), S. 117–143. 603 Vgl. Porciani (1979), S. 35–56. 604 Vgl. ebenda, S. 23; Breccia (2013); Rombai (2013); Rossano Pazzagli: Toscana, Europa, Italia: La circolazione delle conoscenze agrarie, in: Bossi (2013), S. 163–180. 600

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bereits in der Antologia, das Archivio Storico Italiano überregional und gesamtitalienisch auszurichten.605 Deswegen erklärte er im Vorwort zur ersten Ausgabe den Lesern, dass der anfängliche Schwerpunkt auf toskanische Quellen einfach der besseren Verfügbarkeit geschuldet sei, man aber in Zukunft eine überregionale und überparteiische Ausrichtung anstrebe.606 Dabei ging es jedoch nicht darum, einfach die jeweiligen regional ausgerichteten Editionsprojekte im Archivio Storico Italiano anzuzeigen und die diversen regionalistischen Unternehmen, die zudem noch eine andere politische Ausrichtung hatten, innerhalb der Zeitschrift komplett abzubilden. Stattdessen suchte Vieusseux die Publikation von Quellen aus ganz Italien als Bestandteil einer gesamtitalienischen Geschichte zu fördern und zu präsentieren. Auch gegenüber seinen Abonnenten äußerte er sich im ersten Appendice eindeutig hinsichtlich einer überregionalen, gesamtitalienischen Ausrichtung: „L’elenco che precede delle materie dei volumi che già sono sotto il torchio, e di quelli che stiamo preparando, mi sembra il modo il più semplice, l’unico che a me convenga di adoperare per conciliare l’attenzione del pubblico, e l’affetto di chiunque tiene a cuore le patrie cose, ad una collezione non solo toscana, ma italiana; e che dall’Alpi al Faro, e nelle isole adiacenti ed anche di là dai monti, darà opera a trarre dall’oblivione, quanto più potrà, tutto ciò che non vide ancora la luce, e merita di vederla per la più estesa e migliore cognizione istorica della nostra penisola.“607

Deswegen waren für ihn nur solche Arbeiten interessant, die sich der italienischen Geschichte in ihrer Gesamtheit widmeten. Vor diesem Hintergrund wurden die Historiae Patriae Monumenta edita iussu regio Karoli Alberti im Archivio ­Storico Italiano kaum erwähnt, da sie sich in erster Linie der Geschichte des Hauses Savoyen widmeten und damit in ihrer regionalistischen Ausrichtung sogar im Widerspruch zu den Zielen Vieusseux’ stand.608 Die betont nationale, gesamtitalienische Ausrichtung bedeutete jedoch nicht, dass die Fortschritte der internationalen Wissenschaft außer Acht gelassen werden sollten. Von Anfang an bemühte sich die Redaktion darum, sowohl die französische als auch die deutsche Forschung im Blick zu behalten. Vor diesem Hintergrund interessierten jedoch weniger die einzelnen Unternehmen – seien es historische Zeitschriften, Editionsprojekte oder Institute – als vielmehr diejenigen Arbeiten und Quellensammlungen mit Bezug auf die ita 605

Vgl. Casalena (2013); Porciani (1979), S. 35–56; Ciampini (1953), S. 304–322. Avviso dei Compilatori, Archivio Storico Italiano 1 (1842), S. IX–X: „Esso è interamente composto di cose risguardanti la Toscana […] perché volendo noi produrre quelle scritture che meglio avremo di mano in mano ventilate, ed in maniera quanto più si possa conforme ai loro testi, era ben naturale il dar principio da quelle che si sono, per dir così, più dimestiche, e delle quali abbiamo sott’occhio gli originali. […] Della nostra imparzialità, della tendenza di quest’opera a deliberar l’istoria di ogni provincia, del nostro amore verso l’Italia universa, daremo in appresso prove tanto indubitabili, che non crediamo necessario il farne in questo luogo più diffuse protestazioni.“ 607 L’editore dell’Archivio Storico Italiano ai suoi associati, Archivio Storico Italiano, Appendice 1,1 (1842), 42–43, hier S. 43. 608 Vgl. Porciani (1979), S. 50–53. 606

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lienische Geschichte.609 Dafür galt es allerdings Vieusseux’ Korrespondentennetz aus Zeiten der Antologia sowie diverse über das Lesekabinett geknüpften Kontakte auszubauen, um regelmäßig und zuverlässig über das Erscheinen von Arbeiten mit Italienbezug informiert zu werden. Für die deutschsprachigen Arbeiten erwog Vieusseux zunächst einfach, die entsprechenden Artikel der Augsburger Allgemeinen Zeitung, die er ohnehin für sein Lesekabinett abonniert hatte, in italienischer Übersetzung zu publizieren. Allerdings wurde ihm zunächst davon abgeraten für ein patriotisches Projekt offen auf deutsche Zeitschriften zurückzugreifen.610 Indes lag es bereits von Anfang an im Interesse der Redaktion, von den Fortschritten der deutschen Wissenschaft für die italienische Geschichte profitieren zu können. Um nützliche Kontakte in die deutschsprachige Gelehrtenwelt zu knüpfen, unternahm Tommaso Gar, selbst Mitglied der Redaktion,611 im Jahre 1845 eigens eine Reise nach Deutschland, die ihn unter anderem nach München, Frankfurt, Koblenz, Halle, Berlin und Dresden führte und in deren Rahmen er – auch mit Hilfe von ­Reumont, den er in Berlin aufsuchte612 – Kontakte zu führenden Gelehrten wie Giesebrecht, Witte, Schultz, Böhmer oder Mittermaier herstellen konnte, die ihn bei seinen dortigen Archiv- und Bibliotheksrecherchen unterstützten.613 Gars Reise sollte dahingehend den Kontakt nach Deutschland, über den das Archivio Storico Italiano auch über R ­ eumont bereits verfügte, noch weiter vertiefen. Tatsächlich nahm der aus Trient stammende Deutsch-Italiener eine ähnliche Rolle wie R ­ eumont ein, indem er einerseits für das Unternehmen Vieusseux’ in deutschen Institutionen recherchierte und andererseits in der Augsburger Allgemeinen Zeitung Italienkorrespondenzen verfasste.614 Der besondere Vorzug der Unternehmungen Vieusseux’, Gelehrte und Kulturinteressierte miteinander in Verbindung zu setzen und neue Kooperationsmöglichkeiten zu eröffnen, kam auch ­Reumont und Gar zugute, die sich über den umtriebigen Verleger kennengelernt hatten und sich seitdem gegenseitig bei ihren Projekten unterstützten. Nachdem Gar das Leben Cola di Rienzos vom eng mit R ­ eumont befreundeten und vorzeitig verstorbenen Felix Papencordt615 ins Italienische übersetzt hatte, ließ er R ­ eumont umgehend ein Exemplar zukommen,616 das dieser daraufhin in der Augsburger Allgemeinen Zeitung anzeigte.617 Da Gar beide Sprachen perfekt beherrschte, kam ihm auch die Aufgabe zu, die später

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Vgl. ebenda. Vgl. Sestan (1986), S. 78. 611 Vgl. Porciani (1979), S. 71. 612 BNCF Vieuss. C. V. 88, 203, R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 15. Mai 1845; 204, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 13. Juni 1845. 613 Vgl. Ganda (2001), S. 43–44; Sestan (1986), S. 80. 614 Vgl. Ganda (2001), S. 44. 615 Vgl. Franz Xaver Wegele: Papencordt, Felix, ADB 25 (1887), S. 140–141. 616 BNCF Vieuss. C. V. 88, 166, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 7. April 1843; 188, ­Reumont an Viesseux, Berlin, 15. Juni 1844. 617 Ebenda, 201, ­Reumont an Vieusseux, Berlin 10. März 1845; Papencordt’s Cola di Rienzo, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 47, 16. Februar 1845. 610

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von ­Reumont eingesendeten Beiträge Korrektur zu lesen.618 Da sich ­Reumont in den 1840er Jahren vor allen Dingen in Rom und Berlin aufhielt, ließen seine ersten Beiträge zunächst noch auf sich warten, obwohl er das neue Projekt begeistert aufnahm und seine Kooperation zusagte.619 Allerdings blieb es zunächst lediglich beim regelmäßigen Austausch mit Vieusseux über den Fortgang des Unternehmens. Dabei wies ­Reumont jedoch gleich zu Anfang darauf hin, dass für den gelehrten Austausch neben der Publikation von Quellen auch die Möglichkeit für historische Aufsätze gegeben sein müsste, um die gelehrte Diskussion zu fördern.620 Gleichzeitig bot er Vieusseux an, vor Ort in Rom für Subskriptionen zu werben, da er von einem großen Interesse der römischen Gesellschaft an historischen Forschungen ausging.621 Allerdings entpuppte es sich als deutlich schwieriger in der römischen Gesellschaft Unterstützer zu finden, als erwartet, wie R ­ eumont schon nach einem knappen Monat ernüchtert berichten musste.622 Diese Erfahrung ­Reumonts ließ ­Vieusseux offenbar wenig Hoffnung hegen, in Rom tatsächlich Fuß fassen zu können. Wenige Tage nachdem er die offenbar nur kurze Liste römischer Subskribenten erhalten hatte, machte er gegenüber Pompeo Litta seiner Enttäuschung Luft: „A Roma ho persona, anzi persone, da tentare, e alcuna è tentata, ma spero poco di effettivo.“623

Die fehlende Bereitschaft, sich aktiv an dem Florentiner Projekt zu beteiligen erklärt sich wahrscheinlich auch daraus, dass im selben Jahr eine Società storica romana ins Leben gerufen worden war, die sich, da ihr die juristische Anerkennung seitens der päpstlichen Behörden fehlte, im Haus des amerikanischen Konsuls George W. Greene traf. Zu dieser Gruppe gehörten unter anderem Diomede ­Pantaleoni, Antonio Coppi, Giuseppe Melchiori, Achille Gennarelli und Paolo Marzio; auch Wilhelm Abeken vom Instituto di corrispondenza archeologica nahm zeitweise an den Versammlungen teil.624 ­Reumont ließ sich von den anfänglichen Problemen jedoch nicht entmutigen und konnte die Mitglieder der Società storica romana, an deren Versammlungen er bei 618 BNCF Vieuss. C. V. 88, 205, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 28. Juni 1845; 222, ­Reumont an Vieusseux, Paris, 23. September 1846. 619 BNCF Vieuss. C. V. 88, 78, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 13. März 1841. 620 Ebenda, 80, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 20. März 1841: „L’Archivio Storico sera heureux aussi d.s sa forme actuelle. Mais je regrette qu’on n’ait pas pu l’unir à un journal, en donnant de documents & des articles.“ 621 Ebenda, 81, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 24. März 1841: „Veuillez m’envoyer par le courrier mil. des prospectus de l’Archivio. J’espère Vous procurer plusieurs abonnées. Je ne saurais Vous dire combien je suis content de voir cette entreprise en bon train.“ 622 Ebenda, 86, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 23. April 1841: „Voici le petit nombre de souscripteurs à l’Archivio que j’ai réussie à recueiller jusqu’à présent. Le Pce Massimo, celui des Seigneurs Romains que l’on dit s’intéresser le plus à l’histoire, m’a refusé tout-nettement de souscrire. Dites cela à Gino, pour qu’il voie de quelle troupe sont ces Messieurs ici. Je n’ai pas pu m’empêcher de lui faire un belle grimace !“ 623 Archivio della Deputazione di Storia Patria per la Toscana, Copialettere 1, S. 46, zitiert nach Porciani (1979), S. 104. 624 Vgl. Porciani (1979), S. 104–105; Piccioni (2003), S. 72–73.

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Gelegenheit selbst teilnahm,625 letztlich zumindest dazu bringen, eine Beteiligung in Aussicht zu stellen. Während Antonio Coppi das Archivio Storico Italiano abonnierte,626 versprach Achille Gennarelli einen Artikel beizusteuern.627 Von Pietro Ercole Visconti, dem Kommissar für die Römischen Altertümer628 hatte ­Reumont sogar die Zusage erhalten, sich als Mitarbeiter an Vieusseux’ Projekt zu beteiligen.629 Allerdings standen der Mitarbeit so manche Hindernisse im Wege. Noch zwei Jahre später erkundigte sich ­Reumont, warum der Name Viscontis nicht unter den Mitarbeitern aufgelistet sei.630 Jedoch ist es angesichts der beträchtlichen Probleme, die das Archivio Storico Italiano hatte, sich in ganz Italien zu etablieren,631 erstaunlich, dass R ­ eumont es dennoch vermochte, gerade in den Kreisen, aus denen Vieusseux kaum Rückmeldung erhielt, Zusagen entweder für ein Abonnement oder sogar eine aktive Mitarbeit zu erhalten.632 Eine tatsächliche Kooperation bei der Herausgabe eines Bandes über römische Quellen kam jedoch nicht zustande. Die von R ­ eumont angeknüpften Verbindungen warfen insofern nur wenig Ertrag ab.633 Dies hing jedoch auch damit zusammen, dass der Società storica romana keine lange Lebensdauer beschieden war: Der informelle Charakter sowie die kleine Mitgliederzahl führten offenbar dazu, dass sich dieser Zirkel nach 1846 auflöste.634 Doch gerade in Anbetracht der schwierigen Startvoraussetzungen nutzte R ­ eumont von Beginn an seine amtliche Stellung, die ihm weitreichende Kontakte verschaffte und versuchte bei jeder Gelegenheit das Archivio Storico Italiano für potentielle Interessenten bekannt zu machen. Allerdings machte er nach seinen römischen Erfahrungen, dass die dortigen Gelehrten einem internationalen Unternehmen grundsätzlich offener gegenüberstanden als einem vorwiegend florentinischen, darauf aufmerksam, dass es der Verbreitung möglicherweise förderlich sei, wenn die Redaktion nicht ausschließlich aus Florentinern bestünde, sondern überregional bzw. international zusammengesetzt sei.635 Dies hätte jedoch ein Einschreiten der Zensur 625

BNCF Vieuss. C. V. 88, 61, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 5. November 1840. Ebenda, 138, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 22. April 1842. 627 Ebenda, 141, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 4. Juni 1842. 628 Zu Pietro Ercole Visconti vgl. Daniela Pacchiani: Un archeologo al servizio di Pio IX: Pietro Ercole Visconti (1802–1880), Bollettino per i Monumenti, Musei e Gallerie Pontificie 19 (1999), S. 113–127. 629 Ebenda, 166, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 7. April 1842: „J’ai parlé à Visconti qui me dit qu’il est très-disposé à se mettre sur les rangs des Collaborateurs de l’Archivio, & qu’il fera ce qu’il pourra afin que cette tâche de Collaborateurs ne reste point une Sinécures. Il me dit qu’il se trouve parmi les Abonnés – est-ce que V.s lui avez donc envoyé les vol.s publiés ? Son titre est: Cav. P. E. Visconti, Commissaire delle Antichità, Roma.“ 630 Ebenda, 183, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 24. März 1844: „Pourquoi est-ce que V.s n’avez pas Visconti parmi les Collaborateurs de l’Archivio. Il pourrait V.s être utile sous bien des ­rapports.“ 631 Vgl. Porciani (1979), S. 96–145. 632 So hatte Vieusseux aus dem Umfeld des römischen Saggiatore noch nicht einmal eine Antwort erhalten. – vgl. Porciani (1979), S. 104–105. 633 Vgl. ebenda. 634 Vgl. Piccioni (2003), S. 74–75. 635 BNCF Vieuss. C. V. 88, 112, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 15. Oktober 1841. 626

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zur Folge haben können, die darauf bedacht war, die verantwortlichen Redakteure im Bedarfsfall in Florenz zur Rechenschaft ziehen zu können, weshalb ein Wohnsitz vor Ort als Voraussetzung für eine offizielle Beteiligung an der Redaktion galt. Wohl aus diesem Grund verzichtete Vieusseux zunächst zum Unverständnis ­Reumonts auch darauf, ihn offiziell in die Redaktion aufzunehmen.636 Dessen ungeachtet schöpfte er seine Möglichkeiten aus, um Vieusseux’ Bitte nachzukommen, das Projekt auch nördlich der Alpen bekannt zu machen, indem er es regelmäßig in der Augsburger Allgemeinen Zeitung besprach und mit Erfolg dem Bildungsministerium zum Ankauf für die Königlichen und Universitätsbibliotheken empfahl.637 Außerdem konnte er König Johann von Sachsen, der bereits für seine Dante-Forschungen in die Accademia della Crusca aufgenommen worden war, für ­ eumont durch seine amt­liche Stelein Abonnement gewinnen.638 Insofern hatte R lung bereits den entscheidenden Wert, dass über seine Mittlertätigkeit das Archivio Storico Italiano über die deutsche Kolonie in Rom sowie über ­Reumonts Kontakte zu Diplomaten und Ministern auch im deutschsprachigen Raum rezipiert wurde. Gerade seine amtliche Stellung war hierfür besonders wichtig. Auf diese Weise konnte er zumindest dafür sorgen, dass Vieusseux’ Unternehmen auch nördlich der Alpen bekannt wurde. Deswegen hatte Vieusseux ihn gleich zu Beginn des Unternehmens darum gebeten, als Korrespondent für Preußen zu fungieren und eine Liste von möglichen Interessenten zusammenzustellen, an die über Eduard Gerhard die ersten Exemplare versendet werden könnten.639 Obwohl ­Reumont sich nicht nur darum bemühte, der Zeitschrift Eingang in die führenden Universitätsbibliotheken zu verschaffen, sondern auch versuchte, einzelne Gelehrte zum Kauf zu bewegen,640 hielt sich der kommerzielle Erfolg in Grenzen. R ­ eumont stellte zwar den Kontakt zu Brockhaus her, damit dieser den Vertrieb der italienischen Zeitschrift in Deutschland besorgen würde, allerdings zeigte sich der Verleger äußerst reserviert, da er nicht davon ausging, dass sich italienische Fachliteratur in Deutschland verkaufen könnte.641 636 Ebenda; Archivio della Deputazione di Storia Patria per la Toscana, Copialettere, Vieusseux an R ­ eumont, 20. Juni 1850: „Vous devez être plus que persuadé, mon cher ami, de notre reconnaissance pour tout ce que vous avez fait et continuez à faire pour l’Archivio Storico, et de notre conviction sur les titres que vous avez, plus que tant d’autre à être compris parmi les compilatori. Mais dès les principe on avait adopté la massima que tous les compilations devaient résider en Toscane …“. 637 Ebenda, 136, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 29. März 1842; Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 76 Kultusministerium, Ve Sekt. 1 Abt. XV Nr. 118, ­Reumont an Herrn Eichhorn: Rom, 12. März 1842. 638 BNCF Vieuss. C. V. 88, 184, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 8. April 1844; Gabinetto ­Scientifico Letterario Vieusseux, Copialettere, Vieusseux an ­Reumont, 7. Mai 1844. 639 Ebenda, 19. März 1841. Frosali (2009). 640 Ebenda, 175, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 10. September 1843; 180, ­Reumont an Vieus­ seux, Berlin, 31. Dezember 1843. 641 Ebenda, 175, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 10. September 1843: „Brockhaus a eu Votre lettre & je lui ai parlé longuement de Vos publications. Il m’a promis de prendre la chose en considération & de répondre. Mais il m’a dit de suite que les ouvrages italiens ne se vendent pas ! Nous professeurs, dit-il, sont trop pauvres, & le grand public ne se souri pas de ces choses-là.“

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Tatsächlich war ­Reumont selbst überrascht. Nachdem er in Florenz in die führenden intellektuellen Zirkel eingeführt worden und mit den zahlreichen Gelehrten und deren Projekten in Berührung gekommen war, ging er davon aus, dass diese Bemühungen auch außerhalb Italiens ein Echo finden würden. Doch berichtete er Vieusseux ernüchtert von seinen Erkenntnissen bei seiner Rückkehr aus Italien: „Je suis étonné du petit nombre de publications italiennes que je vois ici – il n’y a absolument rien excepté des contrefaçons parisiennes des ouvrages les plus connues. Je n’ai point encore vu le livre de Gioberti, mais je tâcherai de me le procurer.“642

Selbst Bücher, die in Italien die Gemüter bewegten, waren in Deutschland nur schwer aufzutreiben und wenn, dann am ehesten über Frankreich. Behinderungen durch die Zensur trugen erheblich dazu bei, dass eine umfassende Auseinander­ setzung der deutschen Gebildeten mit der italienischen Literatur in ihrer Gesamtheit nicht möglich war. Wegen des unsicheren Absatzes italienischer Publikationen erwiesen sich die Verhandlungen zwischen Brockhaus und Vieusseux als sehr schwierig, da der Preis, der dem Schweizer Verleger vorschwebte offenbar potentielle Interessenten vom Kauf abhielt.643 Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung deutlich, die Vieusseux ­Reumonts Werbung für das Zeitschriften-Projekt wie für italienische Literatur im Allgemeinen in der deutschen Öffentlichkeit beimaß. Der kommerzielle Erfolg war jedoch nur gering. Vieusseux hatte zunächst ­ eumont darum gebeten, ihn mit interessierten deutschen Buchhändlern in KonR takt zu setzen, um auf dem deutschen Markt Fuß fassen zu können.644 Als größte deutsche Buchhandlung erschien zunächst Brockhaus als der geeignete Partner. Vieusseux plante eine Vereinbarung, nach der Brockhaus das Archivio Storico Italiano in Deutschland vertreiben sollte, während Vieusseux anbot, die Publikationen aus dem Hause Brockhaus in Italien zu vertreiben.645 Obwohl Vieusseux dann ­Reumont sogar ermächtigte, die Verhandlungen in seinem Namen zu führen, um ­ eumont eine Vorabvereinbarung zu erzielen,646 waren die Versuche vergeblich und R sollte stattdessen Verhandlungen mit Duncker aufnehmen, die letztlich zum Erfolg führten.647 In der Folge wurden die preußischen Abonnenten des Archivio Storico ­ eumonts Italiano von Duncker beliefert.648 Insofern lag der besondere Wert von R Kooperation in der Anfangszeit hauptsächlich in dessen Maklertätigkeit. Inhaltlich konzentrierte sich R ­ eumonts Mitarbeit zunächst auf die Appendice, die neben den Quelleneditionen der regulären Zeitschrift Platz für Quellen boten, die nicht in das Konzept des Hauptheftes passten, auch breiten Raum für Literatur 642

Ebenda. Ebenda, 176, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 5. Oktober 1843. 644 Gabinetto Scientifico Letterario Vieusseux, Copialettere, Vieusseux an R ­ eumont, 18. Oktober 1841. 645 Ebenda, 21. Juni 1843. 646 Ebenda, 8. Oktober 1843. 647 Ebenda, 5. Januar 1845; 5. Februar 1845. 648 Ebenda, 5. Dezember 1845. 643

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besprechungen und Anzeigen gewährten und somit den Zweck einer historischen Zeitschrift erfüllten.649 Schließlich hatte sich R ­ eumont selbst bereits zu Beginn des Unternehmens für einen solchen Teil ausgesprochen und sich auch in der Folge immer wieder dafür eingesetzt. Denn über die Appendice sollte das Archivio Storico Italiano nicht nur die Fachwelt, sondern auch interessierte Laien ansprechen, die über das von der Appendice gebotene Forum auf ihre Kosten kommen sollten.650 Dementsprechend konzentrierte sich R ­ eumonts Beteiligung zunächst auf die Appendice, in der er ab dem zweiten Band, der erst im Jahre 1845 publiziert wurde, regelmäßige Notizie bibliografiche über deutschsprachige Arbeiten zu italienischen Themen verfasste. Bei der Gestaltung dieser Beiträge orientierte er sich an den Wünschen Vieusseux’ und Capponis und ließ die jeweiligen Texte von Giuseppe Canestrini und Tommaso Gar stilistisch überarbeiten.651 Diese bibliographischen Artikel beschränkten sich jedoch ausschließlich auf italienische Themen, Werke ohne Italienbezug wurden komplett ausgespart. Dafür streute er zwischenzeitlich auch entsprechende bibliographische Berichte über neuere französische Publikationen ein, wenn er von ihnen Kenntnis erhielt.652 Diese Überblicke beschränkten sich allerdings in den meisten Fällen auf kurze Angaben über den Inhalt, während eine ausführlichere Einordnung in die Fortschritte der deutschen Wissenschaft ausblieb.653 Dagegen enthielten seine bibliographischen Notizen eine durchaus politische Konnotation. Offiziell sollten im Archivio Storico Italiano keine offenen politischen Diskussionen stattfinden, jedoch sollte durch die bessere Kenntnis der Geschichte die gegenwärtige Situation Italiens erklärt werden und mithilfe der Hervorhebung einer gemeinsamen, nationalen Vergangenheit und Identität ein Nationalgefühl geschaffen werden.654 Historische Themen, wie der mittelalterliche Lombardenbund, konnten dabei die gemeinsame italienische Identität in Abgrenzung vom Kaiserreich stärken und boten dadurch die Möglichkeit, die zeitgenössischen politischen Zustände über den Blick auf die Geschichte zu behandeln und zu bewerten. Vor diesem Hintergrund ist 649

Vgl. Porciani (1979), S. 54; Ciampini (1953), S. 350–360. BNCF Vieuss. C. V. 88, 211, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 19. November 1845: „Je crois que les Appendici contribueront beaucoup à augmenter l’intérêt, vu que tous les lecteurs y trouveront des choses qui les intéressent ce qui peut pas être le cas des gros volumes.“; ebenda, 213, Berlin, 24. Februar 1846: „L’Appendice servira admirablement à intéresser le grand public p.r l’entreprise.“ 651 Ebenda, 203, Berlin, 15. Mai 1845: „Voici enfin mon première article pour l’Appendice dell’Archivio, depuis longtemps promis. Une fois commencé, j’espère que les continuations se suivant plus vite. Cette fois-ci je ne parle que d’un seul ouvrage, mais qui est très-important-sur d’autres livres je donnerai des notices plus courtes, selon les circonstances. Il me reste a espérer que ce petit travail plaira à notre ami Gino et aux autres membres de la rédaction. Polidori trouvera bien à corriger pour ce qui regard le style. Je dois prier le correcteur des épreuves d’avoir bien égard à l’orthographie des documents, et aux noms. Mr Canestrini voudra bien se charger des titres allemands, au cas que Gar ne soit pas encore de retour. Car je ne sais pas quand Vous voudrez Vous servir de cet article. Vous aurez la bonté de m’en faire lever à part quelques exemplaires: avec les articles qui suivant non pourront alors faire un petit cahier.“ 652 So etwa in Archivio Storico Italiano, Appendice 6 (1848), S. 254–256. 653 Vgl. Porciani (1979), S. 142–144. 654 Vgl. Ebenda, S. 119–131. 650

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­Reumonts Schwerpunktsetzung in seinen bibliographischen Notizen auf Arbeiten über Kaiser Karl V. ebenfalls zu sehen. Er war nämlich bestens mit den Intentionen der Moderati und insbesondere Vieusseux’ vertraut, ein italienisches Nationalgefühl zu schaffen. Gerade die Zeit Karls V., als Italien das Schauspiel zahlreicher gegeneinander intrigierender Herrscher in Abhängigkeit von ausländischen Mächten bot, das im Sacco di Roma von 1527 gipfelte, galt als symptomatisch für die in der Neuzeit bis dahin nie verwirklichte nationale Unabhängigkeit. Die Zeit Karls V. zu untersuchen bedeutete insofern auch, die Fehler der Vergangenheit zu analysieren, die bis dahin der Unabhängigkeit im Wege standen, um die geeigneten Konsequenzen für die gegenwärtige Politik ziehen zu können. Insofern lieferte ­Reumont also genau das Material, das seine Bekannten von ihm erwarteten. Tatsächlich orientierte er sich bei seinen Beiträgen an den Wünschen und Interessen der toskanischen Moderati. Als Bethmann-Hollweg ein Buch über den Ursprung der Freiheit der Lombardischen Städte veröffentliche,655 kündigte er zwar an, dieses zu besprechen. Da er jedoch wusste welche politische Bedeutung dieses Thema für Italien hatte, erklärte er gegenüber Vieusseux, dass er sein persönliches Urteil hinter das Gino Capponis und Pietro Capeis stelle, die über dieses Thema besser informiert seien: „Mr de Bethmann-Hollweg, ancien prof.r de jurispr. à Bonn & à présent Commissaire de Gouv.s auprès de cette Université, vient de faire paraître un vol.e „Origine de la liberté des Villes Lombardes“. C’est principalement contre l’opinion de son ami Savigny, qui cherche cette origine d.s les Institutions romains, tandis que B. les croit Germaniques. […] Je vais en rendre compte […] mais ça ne doit pas empêcher Capponi ou Capei (qui en savent mille fois plus que moi) d’en dire leur opinion.“656

Obgleich ­Reumont mit seinen Literaturbesprechungen die Italiener bei der Erforschung ihrer nationalen Identität unterstützte und die Berechtigung der Forderung nach nationaler Unabhängigkeit anerkannte, pflegte er Neuerscheinungen meist in konziliantem Ton anzuzeigen. Denn während er der Schaffung einer nationalen Identität bereitwillig zuarbeitete, legte er großen Wert darauf, keine Argumentationsgrundlage für einen gewaltsamen Umsturz gegen die einer Unabhängigkeit im Wege stehenden Souveräne zu bieten. Ein gutes Beispiel für den Stil von R ­ eumonts Literaturbesprechungen in der Appendice bietet dabei die Anzeige von Constantin von Höflers Kaiser Friedrich II. Ein Beitrag zur Berichtigung der Ansichten über den Sturz der Hohenstaufen.657 Der in München lehrende katholische Historiker658 655

Moritz August von Bethmann-Hollweg: Ursprung der lombardischen Städtefreiheit. Eine geschichtliche Untersuchung, Bonn 1846. 656 BNCF Vieuss. C. V. 88, 216, R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 9. April 1846. 657 Alfred ­Reumont: Kaiser Friedrich II. Ein Beitrag zur Berichtigung der Ansichten über den Sturz der Hohenstaufen. Mit Benützung handschriftlicher Quellen der Bibliotheken zu Rom, ­Paris, Wien und München, verfasst von Dr. Constantin Höfler, Archivio Storico Italiano, Appendice 2 (1845), S. 560–564. 658 Vgl. Josef Hemmerle: Höfler, Konstantin Ritter von, NDB 9 (1972), S. 313–314; Ludwig Fränkel: Hoefler, Karl Adolf Constantin, ADB 50 (1905), S. 428–433.

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hatte darin nämlich eine „guelfische“ Perspektive eingenommen und ein entsprechend negatives Bild Friedrichs II. gezeichnet. In dem Wissen, dass eine derart negative Darstellung der Staufer den italienischen Leser hinsichtlich der Forderung ­ eumont Vieusnach italienischer Unabhängigkeit interessieren würde, kündigte R seux an, das Werk zu besprechen, obgleich er nicht erwartete, dass es in Deutschland positiv aufgenommen werden würde.659 Unter Rücksichtnahme auf die Zensur, und in dem Bestreben, keiner revolutionären Erhebung das Wort zu reden, bemühte er sich um einen Kompromiss unter Anerkennung der historischen Leistung Friedrichs II., wie auch der Berechtigung der Forderungen des Papstes und der lombardischen Städte. Während er einerseits die politische Opportunität einer Trennung der Herrschaft über den deutschen Reichsteil vom italienischen andeutete, indem er feststellte, dass die wenigen guten Werke, die der Kaiser in Deutschland vollbracht habe, auf die Schwerpunktsetzung auf seine Herrschaft über Sizilien zurückzuführen seien,660 stellte er klar, dass man dennoch nicht allen Verleumdungen Glauben schenken dürfe: Die oft kritisierten hohen Steuerlasten seien nämlich Teil einer geregelten Steuergesetzgebung gewesen und hätten mit einem steigenden Wohlstand des Landes zusammengehangen.661 Auf diese Weise konnte ­Reumont indirekt die Opportunität der habsburgischen Herrschaft in Lombardo-Venezien in Zweifel ziehen, während er sie vor dem Vorwurf der hohen Steuerlast unter Verweis auf die fortschrittliche Verwaltung in Schutz nahm. Diese Parallelen zwischen dem Mittelalter und den zeitgenössischen politischen Zuständen waren dem gebildeten italienischen Leser bewusst, der die habsburgische Präsenz mit den hohen Steuerabgaben ablehnte, jedoch die Effizienz der Verwaltung anerkannte.662 Gleichzeitig wies ­Reumont darauf hin, dass es sich keineswegs einfach um einen „nationalen“ Gegensatz zwischen dem Kaiserreich der Staufer und den italienischen Städten gehandelt habe, sondern, dass vielmehr durch zahlreiche Partikularinter 659

BNCF Vieuss. C. V. 88, 193, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 4. November 1844. Alfred ­Reumont: Kaiser Friedrich II. Ein Beitrag zur Berichtigung der Ansichten über den Sturz der Hohenstaufen. Mit Benützung handschriftlicher Quellen der Bibliotheken zu Rom, ­Paris, Wien und München, verfasst von Dr. Constantin Höfler, Archivio Storico Italiano, Appendice 2 (1845), S. 560–564, hier S. 562: „Lo scarso bene che l’Imperatore operò in Germania […] è da attribuirsi in gran parte a quel non poter egli distaccarsi dal suo bel regno siciliano.“ 661 Ebenda: „Altri carichi che a Federigo si danno; a me sembrano meno fondati. Gli sono rimproverate avidità e durezza nell’amministrazione di quegli stati ereditarii; ma siffatta accusa quasi del continuo si ascolta, laddove nelle finanze vengasi introducendo ordine e regolarità. Non bisogna nemmeno dare orecchio a tutte le querele degli scrittori contemporanei: giacchè l’aumentarsi delle imposte, dei balzelli o dei dazii, è un male che in ogni tempo andò crescendo coll’aumentarsi delle rendite di un paese. Codesto argomento talvolta sol dopo più anni si fa manifesto, mentre il peso delle imposizioni è ne’ primi momenti più grave a sopportarsi. Comunque ciò siasi, l’essere l’epoca di Federigo rimasta presso i posteri in onorata memoria come il periodo più florido di quel regno, è una testimonianza da non potersi con lecità trascurare.“ 662 Vgl. dazu die Studie von Gottsmann (2005); auch Laven (2005), S. 19–42; Pesendorfer (1992), S. 187–216. 660

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essen auch manche Fürsten und Kleriker Partei für Friedrich II. ergriffen haben.663 Letztlich, so ­Reumont, haben sich beide Parteien schwere Vergehen zu Schulden kommen lassen und der Konflikt habe nur Verlierer zurückgelassen.664 Die Botschaft war damit ganz im Sinne der Moderati: Der habsburgische Abzug aus Italien wurde als politisch in beiderseitigem Interesse dargestellt, während die Erlangung der Unabhängigkeit nicht über eine gewaltsame Auseinandersetzung mit den Habsburgern, sondern über einen politischen Ausgleich erreicht werden sollte. Der Spagat zwischen der Forderung nach nationaler Unabhängigkeit und der Wahrung der Rechte der amtierenden Souveräne wurde auch darin deutlich, dass Leopold II. die Protektion über das Archivio Storico Italiano übernahm.665 Für Vieusseux war es indes gar nicht entscheidend, ob die einzelnen Artikel die italienische Geschichte aus „guelfischer“ oder „ghibellinischer“ Sicht behandelten. Entscheidend war vielmehr, dass sie innerhalb seiner Zeitschrift von allen Seiten beleuchtet wurde, wie er ­Reumont erklärte: „Du reste mille remerciements pour ce second article, que paraitra accompagné très probablement d’une seconde revue de M.r Amari – cela ne produira pas sans doute un grand effet de harmonie; mais l’Appendice ne prétend ni à être Guelfe, ni à faire la Ghibeline, & elle doit admettre toutes les opinions signées surtout lors qu’elles viennent de l’étranger. J’aimerais mieux, cela va sans dire que ces contrastes n’existassent pas, mais comment faire sur le terrain de transition où nous nous trouvons en Allemagne & nous en Italie.“666

Diese Überparteilichkeit in der Zusammenstellung der Beiträge dürfte auch mit Blick auf den Großherzog wichtig gewesen sein, um der Zensur keinen Vorwand zu geben, wegen gegen das Haus Habsburg-Lothringen gerichteter Ideen gegen die Zeitschrift vorzugehen. Solange indes die Pflege der gemeinsamen italienischen Identität innerhalb des Archivio Storico Italiano sich nicht gegen den Großherzog richtete und von diesem sogar gefördert wurde, war es möglich, nationale Forderungen über den Blick auf die Geschichte indirekt zu artikulieren. Freilich unterstanden die Beiträge dabei auch stets einer Selbstzensur, um die Gunst Leopolds II. nicht aufs Spiel zu setzen.667 Diese Form der Selbstkontrolle galt jedoch in beide Richtungen. Mit dem Ausbruch der Unabhängigkeitskriege der Jahre 1848–49 nahm jedoch die thema 663 Alfred ­Reumont: Kaiser Friedrich II. Ein Beitrag zur Berichtigung der Ansichten über den Sturz der Hohenstaufen. Mit Benutzung handschriftlicher Quellen der Bibliotheken zu Rom, Paris, Wien und München, verfasst von Dr. Constantin Höfler, Archivio Storico Italiano, Appendice 2 (1845), S. 560–564, hier S. 563: „Nell’opposizione ch’egli faceva ai municipii, aveva amici i principi e il clero, ai quali aumentava le prerogative, affinchè rimanessero fedeli al suo sistema.“ 664 Ebenda, S. 564: „Finalemente rimasero perdenti e l’Impero e la Chiesa, che degli Svevi aveva trionfato.“ 665 BNCF Vieuss. C. V. 88, 215, R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 3. April 1846. 666 Gabinetto Scientifico Letterario Vieusseux, Copialettere, Vieusseux an ­Reumont, 31. Juli 1845. 667 Kapitel C. IV. 1. a) Die Tavole cronologiche als nützliche Datensammlung für den Historiker.

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tische Ausrichtung unverhohlen Bezug auf die zeitgenössischen politischen Ereignisse. Anlässlich der Ausrufung der Römischen Republik und der Debatte um die Einberufung der Costituente nazionale in Rom war der Band des Jahres 1849 der antiken Geschichte Italiens von der vorrömischen Zeit bis zum Beginn des römischen Kaisertums unter Augustus gewidmet, während im Anhang die Entwicklung der italienischen Sprachen bis zur Zeit Dantes behandelt wurde.668 In der Einleitung zu diesem Band wurde die Rechtmäßigkeit der Nachfolge Karls des Großen durch die Ottonen in Frage gestellt, während ihnen die Stärkung der Bischöfe gegenüber dem lokalen Patriziat positiv angerechnet wurde, die die Grundlage für eine idealisierte, christlich geprägte Stadtgesellschaft bildete.669 In Bezug auf die Entwicklungen des Jahres 1849 wurde dabei betont, dass vor Rom Etrurien das zivilisatorische Zen­ trum Italiens gewesen sei und später den nobelsten Teil des römischen Adels gestellt habe. Während des Mittelalters sei schließlich Rom als Sitz der westlichen Kirche zu einem internationalen Zentrum geworden, während das normannische Einflussgebiet vom restlichen Italien kulturell isoliert gewesen sei. Dagegen habe sich in der Toskana das Zentrum der Guelfen und damit der kommunalen Freiheiten befunden, die von Papst Innozenz III. mithilfe der Lombardischen Liga garantiert wurden.670 Angesichts der zeitgenössischen politischen Entwicklungen sollte dadurch einerseits die Vorreiterrolle der Toskana gegenüber Rom deutlich gemacht werden, denen zusammen die historische Führungsrolle in Italien zukommen sollte, während die Erinnerung an Papst Innozenz III. bei gleichzeitiger Bezeichnung Roms als Sitz der internationalen Christenheit, der Hoffnung einer Versöhnung zwischen Pius IX. und der italienischen Nationalbewegung Ausdruck verlieh. Dass in jener Situation, in der das Archivio Storico Italiano „neuguelfische“ Politik im Sinne der toskanische Moderati betrieb, der von ­Reumont eingesandte ­Beitrag über Friedrich I. Barbarossa, in dem der Staufer zudem offenbar noch eine positive Würdigung erfuhr, auf wenig Gegenliebe der Redaktion traf, versteht sich von selbst.671 Im Eifer des Ringens um die nationale Unabhängigkeit verzichtete auch Vieusseux auf die zuvor noch verfochtene Meinungsvielfalt in seiner Geschichtszeitschrift – und stieß damit auf R ­ eumonts Unverständnis, der zwar anfangs offen mit dem italienischen Unabhängigkeitskampf sympathisiert hatte, mittlerweile jedoch die Sache für vorerst verloren und aussichtslos hielt. Doch trotz der deutlichen politischen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Zukunft der italienischen Nationalbewegung blieb Vieusseux ­Reumonts Mit 668

Archivo Storico Italiano 14 (1849). Ebenda, S. 18–20. 670 Ebenda, S. 22–24. 671 Vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 107–108; Alfredo di ­Reumont: Di alcuni Lavori spettanti alla Storia d’Italia ultimamente pubblicati in Germania, Archivio Storico Italiano, Appendice 7 (1849), S. 507–524, besonders S. 508–515: Gedichte des Mittelalters auf König Friedrich I. den Staufen, und aus seiner nächstfolgenden Zeit, von Jacob Grimm. 669

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arbeit erhalten, auf die er keinesfalls verzichten mochte. Allerdings war R ­ eumont nicht bereit, sich an der publizistischen Unterstützung einer Sache zu beteiligen, die nach seinen Informationen keine realistischen Erfolgsaussichten mehr hatte. Deswegen hielt er es für umso wichtiger, sich auf die historischen Fakten zu konzentrieren und problematische politische Anspielungen zu vermeiden. Nach der Rückkehr, sowohl Pius’ IX. nach Rom als auch Leopolds II. nach Florenz, setzte das Archivio Storico Italiano seine Linie fort, die mittelalterliche Geschichte Italiens zu beleuchten, um das Bewusstsein für die gemeinsame Nationalität weiter zu fördern. Allerdings spielten aktuelle tagespolitische Fragen wieder eine untergeordnete Rolle. Indes war es aus ökonomischen Gründen sehr schwierig für Vieusseux, dem gesamtitalienischen Anspruch auch faktisch gerecht zu werden. Zu kompliziert erwiesen sich die Versuche, eine regelmäßige überregionale Mitarbeit zu etablieren. ­Reumont forderte immer wieder dazu auf, endlich auch einen römischen Band herauszugeben, da der gesamtitalienische Anspruch wenig glaubwürdig erscheine, wenn man die überaus reichen Quellenbestände Roms und Latiums nicht berücksichtige.672 Vieusseux stimmte der Notwendigkeit eines römischen Bandes zu und beteuerte seine Bereitschaft, wies jedoch daraufhin, dass er bislang keine hinreichenden Beiträge erhalten habe. Deswegen sei er auf R ­ eumonts Engagement vor Ort angewiesen, um ein derartiges Unternehmen realisieren zu können.673 ­Reumont bot auch bereitwillig seine Mithilfe vor Ort in Rom an, wo er sich noch im Rahmen seiner diplomatischen Tätigkeit aufhielt.674 Letztlich konnte aber auch ­Reumont die römischen Gelehrten nicht zu einer verbindlichen aktiven Mitarbeit bewegen, sodass der römische Band weiterhin an der fehlenden Kooperationsbereitschaft scheiterte. Stattdessen hielt er Vieusseux wenigstens über die laufenden römischen Arbeiten auf dem neuesten Stand. Dabei war es symptomatisch, dass das Lesekabinett weder über die römische von Salvatore Betti geleitete Geschichtszeitschrift Giornale Arcadico verfügte, noch dass die darin enthaltenen Artikel eine Erwähnung im Archivio Storico Italiano fanden. So beschwerte sich ­Reumont, dass Francesco Orioli die Chroniken von Viterbo veröffentlichte, diese im dortigen ­Giornale Arcadico angezeigt wurden, im Umfeld von Vieusseux’ Zeitschrift jedoch 672

BNCF Vieuss. C. V. 89, 4, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 15. Juni 1850: „Savez-Vous ce qu’il V.s faudrait ? Un bon Volume Romain. Il manque, & c’est une lacune. Mais comment faire? Ce n’est pas qu’il n’y aurait pas de matériaux. – V.s faites mine de V.s plaindre de Vos collaborateurs Napolitains & Romains – savez V.s que j’ai envie de me plaindre aussi – à Vous & de Vous-même !“ 673 Archivio della Deputazione di Storia Patria per la Toscana, Copialettere, Vieusseux an ­Reumont, 20. Juni 1850: „Nous nous en approcherons au moyen du Vol. Perugino que est décidément sous presse; mais par romain vous entendez ce qu’il y a de plus difficile à obtenir, et ce que nous n’avons jamais perdu de vue – toujours sans succès par la tiédeur des correspondants. Je suis tout disposé maintenant à remettre i ferri al fuoco; mais les circonstances sont tellement contraires aux intérêts économiques de l’entreprise que je n’ose pas prendre de nouveaux engagements autre que pour les volumes en cours; et il faut s’engager pour dire à Visconti, et à d’autre; travaillez faites copies.“ 674 BNCF Vieuss. C. V. 89, 6, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 5. Juli 1850.

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niemand davon Notiz nahm.675 Dies zeigt jedoch, wie sehr Vieusseux hinsichtlich der Verbindung nach Rom auf ­Reumont angewiesen war. Diese Abhängigkeit von R ­ eumont wog noch wesentlich schwerer hinsichtlich der deutschsprachigen Forschung. In seinen Literaturbesprechungen, auf die Vieusseux und Capponi höchsten Wert legten, hatte er die Möglichkeit, nach seinen persönlichen Präferenzen zu entscheiden, unter welchen Vorzeichen er den italienischen Leser mit einzelnen deutschsprachigen Werken bekannt machen wollte. Wie bereits gezeigt, reifte während der 1850er Jahre in R ­ eumont die Erkenntnis heran, dass die italienische Nationalbewegung unter Führung Sardinien-Piemonts die Privilegien der Kirche schrittweise beschneiden würde und somit zu einer Gefahr des Papsttums werden musste. Vor diesem Hintergrund bewertete er historische Arbeiten zur Kirchengeschichte. Zwar lag es nicht in seinem Interesse, die Fehler einzelner Päpste zur verteidigen, die er später in seiner eigenen Argumentation gegen die päpstliche Unfehlbarkeit und für eine Kirchenreform von innen heraus anzuführen bereit war, jedoch nutzte er seine Rezensententätigkeit, um Autoren entgegenzutreten, die nicht nur einzelne Päpste kritisieren, sondern das Papsttum als Institution zu diskreditieren suchten. Die Arbeiten betont kirchenkritischer Autoren überging er in seinen Literaturbesprechungen nicht etwa einfach mit Schweigen, sondern widmete wichtigen Arbeiten, die nördlich der Alpen von sich Reden machten, trotzdem ausführliche Rezensionen, in denen er jedoch auch die politische oder konfessionelle Einstellung des Autors thematisierte. So unterzog er etwa die Arbeiten des Schweizers Jacob Burckhardt langen Besprechungen, in denen er vor dessen kirchenkritischer Sichtweise warnte.676 Vieusseux nahm diese Berichterstattung gerne in Kauf: Wichtiger als die politische oder konfessionelle Einordnung der neuesten deutschsprachigen Literatur war für ihn, dass sie überhaupt angezeigt wurde. Außerdem konnte ­Reumont gerade angesichts der Restaurationspolitik Pius’ IX. und Leopolds II., verbunden mit einer erneuten Verschärfung der Zensur,677 durch seine während der Jahre 1848–50 in Rom, Neapel und Gaeta geknüpften bzw. vertieften Kontakte zu den nun wieder zurückgekehrten Souveränen und ihrem Umfeld überaus nützlich sein. Dass der Name ­Reumonts seit 1855 unter den Compilatori auftauchte, hatte zwar nur den einfachen Grund, dass er als preußischer Ministerresident am großherzoglichen 675 BNCF Vieuss. C. V. 89, 20, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. Februar 1851: „Orioli publie dans l’Arcadico de Chroniques de Viterbe & quantité des documents intéressants qui auraient dû trouver une plan d.s l’Archivio. Maintenant, personne n’y fait attention, & l’Arcadico ne se trouve pas même au Cabinet Vieusseux !“ 676 Alfred von R ­ eumont: Erzbischof Andreas von Krain und der letzte Conzilsversuch in Basel. 1482–1484. Von Jac. Burckhardt, Basilea 1852, Archivio Storico Italiano 2 (N. S.) (1855), S. 249–256, hier S. 256: „Lo spirito che prevale nell’opuscolo del Burckhardt è aspro, avverso alla Chiesa romana, ad antipapale molto più che nol giustificano nè anche il mal governo di Sisto IV, e le condizioni poco felici nè belle del vivere nella pontificia corte di quei tempi.“; zu Burckhardts Reaktion vgl. Jacob Burckhardt: Briefe, Bd. 3, Nr. 309: Burckhardt an Wilhelm Henzen, Zürich, 2. November 1856, S. 260. 677 Vgl. Porciani (1979), S. 150–151.

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Hof von Toskana nun den erforderlichen Wohnsitz in der Toskana hatte, um zu den offiziellen Compilatori gehören zu können. Allerdings dürfte auch das Kalkül eine Rolle gespielt haben, dass mit dem Namen R ­ eumonts auch die Zensurbehörden besänftigt werden konnten, da er zu den wiedereingesetzten Souveränen in persönlichem Kontakt stand und als preußischer Repräsentant eine prominente Position einnahm, aus der heraus er das Unternehmen gegen mögliche Interventionen der Zensur bis zu einem gewissen Grade in Schutz nehmen konnte. Und derartige Befürchtungen waren angesichts der Fortführung einer national orientierten Geschichtsbetrachtung vollkommen berechtigt. Als das Archivio Storico Italiano 1857 auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurde,678 war es ­Reumont, der über seinen persönlichen Bekannten Augustin Theiner, den Präfekten des Vatikanischen Archivs,679 die Gründe für das Verbot zu erfahren und jeglichen Verdacht der Kirchenfeindlichkeit der Redaktion zu zerstreuen suchte.680 Dabei versprach er Theiner sogar, die beanstandeten Dinge zu beheben681 und versuchte Vieusseux zu einer verschärften Selbstzensur in Fragen der Kirchengeschichte und -politik zu bewegen. Als Ergebnis seiner Schlichtungsversuche beim Vatikan versuchte ­Reumont verstärkt, Einfluss auf Vieusseux’ Auswahl der Beiträge wie ihrer Autoren auszuüben und wies ihn immer wieder darauf hin, welche Wirkung einige Beiträge hervorrufen könnten. Insbesondere die Tatsache, dass mit Achille Gennarelli ein ehemaliges Mitglied der Costituente Romana, das nach der Restauration des Papstes in die Toskana verbannt worden war,682 Artikel beisteuerte, hielt ­Reumont für unverantwortlich. Obgleich Gennarelli sich gegen die Ausrufung der Römischen Republik ausgesprochen hatte, war er ein entschiedener Kritiker der weltlichen Macht des Papsttums und weckte damit das vatikanische Misstrauen gegen das Archivio ­Storico Italiano. Daher glaubte R ­ eumont, Vieusseux vor einer Beteiligung Gennarellis entschieden warnen zu müssen: „Puis je suis choqué de l’admission des articles de Gennarelli, & je ne conçois pas, je l’avoue sincèrement, comment V.s ayez pu prêter l’Archivio à G. comme véhicule de sa vanité et de 678

Vgl. ebenda, S. 153. Vgl. von Schulte: Theiner, Augustin, ADB 37 (1894), S. 674–677 [URL: http://www. deutsche-biographie.de/pnd119442701.html?anchor=adb], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 680 BNCF Vieuss. C. V. 89, 54, ­Reumont an Vieusseux, Marienbad, 13. Juni 1857. 681 Hubert Jedin: Briefe Alfreds von R ­ eumont an Augustin Theiner 1851–1869, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 81 (1971), S. 161–171, hier Brief Nr. 4, ­Reumont an Theiner, Florenz, 14. Mai 1857, S. 167–168: „Im letzten Dekret der Congregation des Index ist das hier erschienene Archivio Storico Italiano in die Zahl der verbotenen Bücher aufgenommen worden. Ich gestehe Ihnen daß dies zum höchsten Erstaunen aller geschehen ist, die an dem Gange der historischen Wissenschaft Antheil nehmen. […] Ich gehöre seit einer Reihe von Jahren zum Redaktionsausschuß des Archivio Storico Ich glaube ein guter und ernster Katholik zu sein, und so glauben, denke ich, alle meine Collegen […]. Der Zusatz donec corrigatur läßt mich annehmen, daß es sich um einzelne Stellen handelt – können mir persönlich diese Stellen angegeben werden? Ich werde dann sehen, was sich thun läßt, die Uebelstände und Bedenken aus dem Wege zu räumen […]“. 682 Vgl. Nidia Danelon Vasoli: Gennarelli, Achille, DBI 53 (2000) [URL: http://www.treccani. it/enciclopedia/achille-gennarelli_(Dizionario-Biografico)], letzter Zugriff: 02. 07. 2016. 679

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misérables personnalités ! Cela me paraitrait peu convenable, même s’il ne s’agissait pas d’un homme, homme de salut, mais tout à fait déconsidéré. Cela, encore, ne servira pas à V.s faire ribenedire à Rome, & je ne serais nullement étonné de nouvelles rigueurs, en ce moment où l’on est déjà tellement exaspéré contre la presse toscane. Je ne saurais qu’admettre que V.s n’avez pas lu les articles, mais alors c’était à Polidori ou à Milanesi de V.s en avertir. J’en suis très-fâché.“683

Mit derartigen Beiträgen hielt es R ­ eumont für ausgeschlossen, dass das Archivio Storico Italiano vom Index genommen werden würde. Gennarelli führe den pamphletistischen Stil, wie er in dessen eigener Zeitschrift Lo Spettatore gepflegt wurde, auch in das Archivio Storico Italiano ein und nehme ihm somit seinen ur­ eumont sprünglichen Charakter einer reinen Geschichtszeitschrift.684 Obgleich R noch keinerlei Reaktionen aus Rom zu Gennarellis Artikeln bekannt waren, warnte er Vieusseux davor, dass diese Sorte von Artikeln auch auf die übrigen Compilatori ein schlechtes Licht werfe.685 Deswegen müsse Vieusseux im Interesse seines Unternehmens nicht nur die einzelnen eingesendeten Artikel genauer auf den politischen Eindruck, den sie hervorrufen könnten untersuchen, sondern zudem auch den Leumund der Autoren berücksichtigen.686 In seiner Tätigkeit als Netzwerker für das Archivio Storico Italiano kam R ­ eumont in politischer Hinsicht Mitte der 1850er Jahre in die Situation, einerseits die Pflege der Geschichtswissenschaft zur Schaffung eines Nationalbewusstseins nach wie vor zu unterstützen, während er andererseits durch die zunehmende Frontstellung zwi 683

BNCF Vieuss. C. V. 89, 72, ­Reumont an Vieusseux, Florenz, 5. April 1858. Tatsächlich erhoben viele Journalisten des 19. Jahrhunderts oftmals gar nicht erst den Anspruch der Überparteilichkeit, sondern betrachteten den pamphletistischen Stil als höherwertig. Vgl. Requate (1995), S. 266–271. 685 BNCF Vieuss. C. V. 89, 73, ­Reumont an Vieusseux, Rom. 10. April 1858: „Quant à votre dernier Cahier, je ne saurais m’empêcher de Vous faire observer que Vous voyez la chose sous un faux font. Il ne s’agit point de ‚franchise‘ de Gennarelli, mais de personnalités & de tripotage auxquels l’Archivio ne devrait pas se prêter; il ne s’agit point de ‚responsabilité‘ car on ne Vous fera pas le procès, mais de la dignité de la littérature historique qui y perd, & un peu de la convenance de ceux qui figurent comme Compilatori; il ne s’agit point du mérite littéraire mais du caractère moral d’un article; il ne s’agit point, finalement, de la société romaine qui n’a pas encore vu le cahier, mais de mon impression personnelle qui est la plus défavorable, en considération du peu de réputation de G., de toutes ses manœuvres, des difficultés qu’il soulève & qui seront fatales aux feuilles dont il se mêle, en considération finalement que l’Archivio Storico ne saurait que perdre immensément s’il participe au style pamphlétaire du Spettatore et d’autres journaux. Basta – je V.s communique tout sincèrt & simplt ma manière de voir (qui, toutefois, soyez-en bien sûr, sera partagé par beaucoup de nos amis qui n’aimeront pas voir transformer l’Archivio en arène journaliste): Vous ferez ce qui Vous semblera convenable. Dixi et salvavi animam meam comme Compilatore, puisque je n’entends pas les Sincères.“ 686 Ebenda, 74, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 20. April 1858: „Si j’ai été un peu vif d.s mes observations sur G., V.s ne m’en voudrez pas, sachant que ce n’est que l’intérêt que je prends à l’Archivio qui me fait parler. Laissons maintenant cet argument peu agréable, mais permettez – moi d’ajouter, que tous, sans exception, qui ont vu les articles, en sont peinés & ne conçoivent pas comment V.s ayez pu les admettre, sachant combien G. est peu considéré & quel triste rôle il a joué en politique comme en affs particulières.“ 684

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schen Papsttum und Nationalstaat in Erklärungsnot geriet. Durch die Kooperation der Zeitschrift mit den Moderati des Kirchenstaates, die durch ihre Beteiligung an der Römischen Republik nach der Restauration der Papstherrschaft in die Verbannung gehen mussten, wurde ­Reumonts Verteidigung der Interessen des Archivio Storico Italiano gegenüber der Zensur zwangsläufig erheblich erschwert. Obgleich er, wie bereits gezeigt, genau wie die Moderati ein Festhalten an den im Jahre 1848 eingeführten Reformen als Grundlage für die weitere Entwicklung forderte, hielt er eine öffentliche Infragestellung der päpstlichen Autorität und ihrer Vereinbarkeit mit der Idee eines Nationalstaates sowohl für den Staat als auch die Kirche selbst für gefährlich – zumal dann, wenn sie auch noch im Archivio Storico Italiano formuliert wurde und die Zeitschrift damit in den Fokus der Zensur rückte. Die Erfahrungen des Verbots der Antologia wie auch der Jahre 1848–50 hatten ­Reumont zu der Überzeugung gebracht, dass es gerade angesichts unsicherer politischer Entwicklungen von entscheidender Bedeutung sein musste, dass eine historische Zeitschrift sich auch tatsächlich auf historische Themen beschränkte und tagespolitische Bewertungen vermied, um sich in ihrem Fortbestand von politischen Entwicklungen unabhängig zu halten. Aus dieser Überzeugung heraus hatte schließlich Vieusseux selbst bei Gründung der Geschichtszeitschrift betont, dass mithilfe der Geschichte ein nationales Bewusstsein geschaffen werden sollte, ohne darin die zeitgenössische Politik zu behandeln. Als Vieusseux seit Mitte der 1850er Jahre zunehmend von diesem Grundsatz abrückte, indem er zwar keine tagespolitischen Themen behandeln ließ, jedoch die Themenauswahl sowie die Interpretation historischer ­ eumonts Aufgabe Ereignisse eng an der Tagespolitik orientierte,687 wurde auch R erschwert, das Unternehmen in Regierungskreisen als rein historisch motiviert in Schutz zu nehmen. Je offener in den einzelnen Artikeln politisch Position bezogen wurde, desto mehr brachte sich das Unternehmen in Gefahr, von den Zensurbehörden mit Sanktionen belegt oder gar verboten zu werden. Mit entsprechender Sorge verfolgte ­Reumont die Zuspitzung der Situation zwischen dem Habsburgerreich und Sardinien-Piemont zu Beginn des Jahres 1859 bei gleichzeitiger politischer Auseinandersetzung im Archivio Storico Italiano.688 Tatsächlich hatte die Themenauswahl der seit 1855 laufenden neuen Serie eine deutliche Ausrichtung auf die Führungsrolle Sardinien-Piemonts in der Nationalbewegung erfahren. Da sich die neue Serie nicht mehr in dem anfänglichen Maße allein auf die Edition noch unveröffentlichter Quellen konzentrierte, sondern sich verstärkt Literatur- und Forschungsberichten widmete, konnten sich nun auch zahlreiche piemontesische Gelehrte an dem Unternehmen beteiligen, ohne damit in Konkurrenz zu dem piemontesischen Quelleneditionsunternehmen der Deputazione

687

Vgl Porciani (1979), S. 150–151. BNCF Vieuss. C. V. 89, 92, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 26. März 1859: „Je suis bienaise d’apprendre que Votre nouveau cahier paraîtra bientôt: je désire seulement que le nouvel ordre des choses ne Vous cause pas d’embarras, si, comme il paraît, la question du jour a gagné terrain encore d.s l’Archivio !“ 688

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di Storia Patria zu treten.689 In der Folge erschienen im Archivio Storico Italiano mehrere Artikel über das Haus Savoyen, um den bevorstehenden Krieg gegen das Habsburgerreich ideologisch vorzubereiten. Die Autoren dieser Artikel zur histo­ rischen Rechtfertigung einer Führungsrolle Sardinien-Piemonts in der italienischen Nationalbewegung waren dabei keineswegs nur Piemontesen, die ihrem eigenen Königshaus einen Dienst zu erweisen suchten, sondern auch Vertreter der toskanischen Moderati. So beteiligte sich beispielsweise auch der toskanische avvocato Leopoldo Galeotti690 an der Imagekampagne für das Haus Savoyen, indem er einen Artikel beisteuerte, in welchem er die militärische Disziplin und Tapferkeit der Piemontesen hervorhob, auf die sich die Nationalstaatshoffnungen zu richten hätten.691 ­Reumont stand zu Galeotti genauso in Kontakt wie zu conte Federigo Sclopis, einem der führenden piemontesischen Mitarbeiter, sodass er über deren politische Hoffnungen Bescheid wusste. Insbesondere gegenüber Sclopis, der die Präambel des Statuto Albertino verfasst hatte, als Justizminister des ersten konstitutionellen Ministeriums Senator des Königreiches war und als Präsident der Accademia delle Scienze wie der Deputazione di Storia Patria in Turin fungierte, machte ­Reumont seinem Unmut über die piemontesische Politik Luft. Zwar hatte ­Reumont grundsätzlich nichts an den Beiträgen Sclopis’ auszusetzen, in denen er beispielsweise dem piemontesischen General Cesare Saluzzo einen Nekrolog widmete und damit an die militärische Tradition Piemonts erinnerte,692 allerdings betrachtete er die piemontesische Politik, die das Nationalitätsprinzip über das Legitimitätsprinzip stellte und die Rechte der Kirchen beschneide, als einen Bruch mit der konservati­ eumont im September 1859 von Florenz ven Tradition des Hauses Savoyen. Als R aus nach Deutschland zurückreiste, verzichtete er bewusst auf einen Abstecher nach Turin und erklärte dies Sclopis damit, dass er die Politik Piemonts der letzten Zeit entschieden ablehne, da sie die Toskana mit ihrer autonomistischen Tradition ruiniere. Gegenüber Sclopis stellte er klar: „J’aime e je respecte beaucoup les Piémontais qui ont des qualités qui manquent aux Toscans: mais je les aime à Turin, non à Florence. C’est une union qui ne va pas & qui ruinerait ce pays.“693

Sclopis hingegen bedauerte, dass sie sich nicht treffen würden. Denn obgleich er feststellte, dass er hinsichtlich der piemontesischen Nationalpolitik eine komplett unterschiedliche Auffassung habe, sei er sich sicher, R ­ eumont bei einer persön­ lichen Diskussion in manchem Punkt umstimmen zu können.694 689

Vgl. Porciani (1979), S. 159. Vgl. Coppini (1991); Giovanni Assereto: Galeotti, Leopoldo, DBI 51 (1998), S. 431–435. 691 Leopoldo Galeotti: La Monarchia di Casa Savoja, Archivio Storico Italiano 6,1 N. S. (1857), S. 44–102, hier S. 47–48; vgl. auch Kroll (1999), S. 350. 692 Federigo Sclopis: Di Cesare Saluzzo e dei suoi tempi, Archivio Storico Italiano 13 (1858), S. 36–52. 693 Archivio dell’Accademia delle Scienze di Torino, Fondo Sclopis, R ­ eumont an Federigo Sclopis, Florenz, 8. September 1859. 694 NL ­Reumont, S 1066, Federigo Sclopis an ­Reumont, Nr. 53: Turin, 20. September 1859. 690

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Wie in einem späteren Brief ­Reumonts deutlich wird, gab es hinsichtlich der Anerkennung der Berechtigung der italienischen Nationalbewegung wie der Würdigung der Verdienste Karl Alberts und des piemontesischen Adels gar keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten, wohl aber in der Bewertung der Konsequenzen der Nationalpolitik Cavours seit dem Pariser Kongress. Im Gegensatz zu Sclopis ging ­Reumont nämlich davon aus, dass die Verabsolutierung des Nationalitätsprinzips auf Kosten der legitimen weltlichen Rechte der Kirche Religion und Staat in einen unversöhnlichen Gegensatz gebracht hätte und somit die Kirche wie auch Italien selbst dauerhaft bedrohe.695 Obwohl das Archivio Storico Italiano offiziell keine Plattform für die politische Diskussion bieten sollte, stellte die einseitige politische Ausrichtung anhand der Themenauswahl ­Reumonts Mitarbeit auf eine harte Probe. Anfangs setzte er sich mit stark politisierten Artikeln wie Gabriele Rosas Rezension von Felix Papencordts Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter696 hauptsächlich unter historischen Gesichtspunkten auseinander und ignorierte die eindeutig politischen Bemerkungen, die die Legitimität des mittelalterlichen Imperiums nach Karl dem Großen in Frage stellten. Dass der Bearbeiter und Herausgeber des Manuskripts, Constantin von Höfler, diese Publikation nutzte, um die deutschen Päpste als das entscheidende zivilisatorische Element Italiens herauszustellen und damit den kulturellen Leistungen der Italiener wie ihrem Recht auf Nationalität nicht gerecht werde, um einseitig der habsburgischen Präsenz auf italienischem Boden das Wort zu reden, sah R ­ eumont genauso wie Rosa.697 Allerdings hatte er kein Verständnis für die Forderung, die Geschichte Roms und seiner Kommunalbewegung in Relation zu den

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Archivio dell’Accademia delle Scienze di Torino, Fondo Sclopis, R ­ eumont an Federigo Sclopis, Rom, 8. April 1862: „[…] le opinioni mie non si concordano coll’andamento delle cose principiato or sono tre anni, ed inaugurato di già al tempo del Congresso Parigino, io non dimeno distinguo bene tra quello che mi pare necessariamente richiesto dalla nazionalità Italiana e dalla dignità non meno che dai legittimi interessi del popolo Italiano, e tra la forma politica che si è voluto dare all’Italia, forma che io reputo non consentita né dalla natura, né dalla Storia, né dall’indole dei popoli; forma la quale, oltre alla lesione, sempre particolarissima, di legittimi diritti, ha condotto a quell’irrimediabile contrasto colla Chiesa che è una rovina per l’Italia e un’offesa pel mondo cattolico. […] io serbo grata memoria degli illustri Torinesi che illustrarono l’epoca di Carlo Alberto,  e in parte continuano ad illustrare quella del suo successore, e […] rimango convinto delle buone qualità di un popolo che ha serbate tante nobili tradizioni.“ 696 Gabriele Rosa: Storia della Città di Roma nel Medioevo, Archivio Storico Italiano 6 (N. S.) (1857), S. 60–100; Felix Papencordt: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, hrsg. von Konstantin von Höfler, Paderborn 1857. 697 Gabriele Rosa: Storia della Città di Roma nel Medioevo, Archivio Storico Italiano 6 (N. S.) (1857), S. 60–100, hier S. 65: „Questo scrittore, piena la mente della grandezza germanica, quando gl’imperatori sulla corona d’oro di Roma ponevano quella d’argento di Aquisgrana e quella di ferro di Milano, innalza l’importanza di Roma, per risolvere la grande quistione politica del secolo XIX, mediante la ristorazione dell’impero occidentale, colle idee del medio evo […], onde si liberi lo spiritoso popolo italiano da quell’orrobile mancanza di occupazione, che ora non gli permette fare alcun che di serio.“

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Stadtrepubliken zu behandeln, wie es Rosa forderte.698 Während R ­ eumont selbst ebenfalls den Munizipalgeist der mittelalterlichen Städte unter Führung des lokalen Patriziats anerkannte, lehnte er die römische Kommunalbewegung ab, da er Rom in erster Linie als Stadt der Päpste betrachtete. Mit einer Betonung der römischen Kommunalbewegung musste eine Geschichte der Stadt Rom als Kritik an der welt­ eumont war sich dieser Belichen Herrschaft des Papsttums aufgefasst werden. R deutung bewusst, kritisierte gegenüber Vieusseux aber lediglich, dass Rosa sich über die römische Kommunalbewegung kein ausreichendes Bild gemacht habe und sie deswegen offenbar falsch einschätze.699 Während ­Reumont einerseits die Zeitschrift vor der Zensur in Schutz zu nehmen versuchte, musste er andererseits erkennen, dass der von der Redaktion und einem großen Teil der Beiträger erhobene Anspruch längst nicht mehr allein die Förderung eines Nationalbewusstseins über die Geschichte war, indem aus der Vergangenheit Lehren für die politische Verwirklichung einer nationalen Einigung gezogen wurden, sondern vielmehr die vorläufige, aber konkrete Instrumentalisierung der Geschichte für die Nationalstaatspolitik Sardinien-Piemonts, in das auch ein großer Teil der toskanischen Moderati Ende der 1850er Jahre große Hoffnungen setzte. ­Reumont betrachtete das Archivio Storico Italiano also als Diskussionsplattform, um aus der Geschichte zu lernen, sah sich dabei jedoch mit der nunmehr offen zutage tretenden Intention konfrontiert, die Geschichte als politisches Instrument zu nutzen. Seine Versuche, ebenfalls über die Themenauswahl Politik zu machen, wurden von Vieusseux unterbunden. Während er gegenüber Vieusseux bedauerte, dass beispielsweise Terrenzio Mamiani den Nekrolog über Carlo Troya nutzte, um unkritisch alle positiven Seiten des Mittelalters dem lateinischen Genie zuzuschreiben und der germanischen Barbarei entgegenzusetzen,700 wurden seine Beiträge oftmals stillschweigend übergangen, wenn sie thematisch nicht in das Nationalstaats­ konzept passten. Beispielsweise berücksichtigte Vieusseux R ­ eumonts Artikel über die Leostadt einfach nicht.701

698

Ebenda, S. 99–100: „Notiamo solo che la lettura di quella storia sarebbe assai più piacevole ed utile, se vi si fossero seguite le correlazioni della storia del Popolo e del Comune di Roma, con quelle delle principali città italiane, specialmente colle più democratiche e libere, come Firenze, Bologna, Milano, Venezia: molto più che quelle correlazioni non sono a caso, nè curiosità aneddotica, ma sono profonde, caratteristiche, e svelano le fibre intime della vita italiana.“ 699 BNCF Vieuss. C. V. 89, 72, R ­ eumont an Vieusseux, Florenz, 5. April 1858: „Mr. Rosa ne me satisfait pas le moins du monde: il parait ne pas connaitre la riche littérature sur l’argument qu’il traite, & ne point s’être fait une idée nette sur la Constitution romaine, ce dont il s’agissait ! L’histoire extérieure de la ville n’est pas ce qui importe. Il a du reste raison d.s [dans] ce qu’il fait observer et sur Höfler et sur Papencordt. Mais c’est un article fait à la hâte sans avoir approfondi le sujet.“ 700 Ebenda, 117, ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 1. März 1861: „Mamiani […] est intéressant, mais c’est encore une exagération, opposée à d’autres exagérations, que d’attribuer tout ce qui est bon d.s l’Italie du moyen-âge au solo genio latino. L’histoire n’y gagne rien.“; Carlo Troya: Discorso del Conte Terrenzio Mamiani, Archivio Storico Italiano 12 (N. S.) (1860), S. 75–84. 701 BNCF Vieuss. C. V. 89, 123, ­Reumont an Vieusseux, Maccarese, 28. Mai 1861.

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Als R ­ eumont schließlich auch der Abdruck seiner Rezension über Carl von ­ artens’ Werk zur Geschichte des Völkerrechts verweigert wurde, obwohl er sich M ausdrücklich bereit erklärte, Kürzungen durch Pietro Capei oder Francesco Bonaini hinzunehmen, kam es fast zum Bruch. Nachdem ihm Vieusseux erklärt hatte, dass ein derartiger Artikel angesichts der politischen Umstände das Archivio Storico Italiano in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könne und wahrscheinlich auch bei den Lesern selbst auf Unverständnis stoßen würde,702 wies ­Reumont darauf hin, dass er auf Bezüge zur zeitgenössischen Politik verzichtete habe und er keinen Grund sehe, ein rein historisches Werk abzulehnen: „Quant à mon article sur Martens, je V.s avoue que je m’attendais pas le moins du monde à Vos objections ou impossibilités. J’ai fait tout ce que j’ai pu pour faire un travail historique, & non un article de Gazette; j’ai laissé de côté mes opinions politiques, l’Archivio Storico n’étant point, selon moi, une arène p.r ces discussions. J’ai cité des Italiens, comme Balbo & autres, où je ne voulais pas dire mon avis – j’ai écrit & ré-écrit soigneusement tout le travail, ne voulant blesser personne, quoique des articles de l’Archivio m’aient si souvent blessés.“703

­Reumonts Verweis auf die Notwendigkeit eines von allen europäischen Mächten anerkannten Völkerrechts,704 verbunden mit der Bemerkung, dass man neuerdings die trügerische Ruhe der Durchsetzung des Rechts vorziehe,705 verstand die Redaktion allerdings als eindeutige Kritik am Zustandekommen des soeben gegründeten Königreichs Italien. Obwohl ­Reumont drohte, seine Mitarbeit sowohl als Redakteur als auch als Beiträger aufzukündigen,706 waren die engen persönlichen Beziehungen, insbesondere 702 Archivio della Deputazione di Storia Patria per la Toscana, Copialettere, Vieusseux an ­Reumont, 27. Februar 1862. 703 BNCF Vieuss. C. V. 89, 139, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 3. März 1862. 704 Alfred von ­Reumont: Cause celebri diplomatiche italiane a proposito dell’opera: Causes célèbres du droit des gens, rédigées par le baron Charles de Martens, Giornale Arcadico 180 (1862), S. 3–36, hier S. 33–34: „Confrontando le storie del decimosesto e decimosettimo secolo, ed anche quelle dell’ultimo decorso, colle vicende succedute al congresso di Vienna che tentò di rifare ciò che erasi ingegnato di fare quello di Westfalia, cioè un equilibrio politico europeo, chi non s’accorge di un progresso? Ma chi negherebbe la coesistenza di dottrine perniciose tendenti ad erigersi in diritti richiesti, e i pericoli di certe tendenze, le quali, dall’istessa loro natura irrisistibilmente spinte a vie maggiore sviluppo, minacciano di svellere l’autorità, senza cui la libertà sì fa ordigno di distruzione, e di snaturare le relazioni fra governo e governo, fra popolo e popolo.“ 705 Ebenda, S. 9: „Vi è inoltre da osservare che, più del lecito e del salutare, domina la tendenza di rappattumare, e la prontezza a sagrificare e pricipii e diritto positivo al desiderio di non turbare una pace spesso bugiarda […].“ 706 BNCF Vieuss. C. V. 89, 140, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 15. März 1862: „Mais je dois V.s déclare, malgré moi, que Votre refus doit conduire nécessairt au divorce entre l’Archivio & moi. Si mon travail n’est pas ‚roba per l’Archivio‘, & cela, comme Vous ajoutez encore, pour des ‚opinions politiques & religieuses‘(!), Vous conviendrez Vous-même, mon cher ami, que je suis obligé de demander, si ma dignité & ma conscience me permettent de continuer à figurer parmi les collaborateurs, & même rédacteurs, d’un recueil qui ne peut pas admettre un travail sérieuse, travail qui ne touche pas aux questions du jours & qui porte, comme garantie, une signature honorable.“

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zu Vieusseux und Capponi, wie auch die Identifikation mit dem Archivio Storico Italiano stärker als die politischen Differenzen, sodass ­Reumont seine Mitarbeit trotz allem fortsetzte, nachdem Vieusseux ihm noch mehrmals ausdrücklich versicherte, dass er auf seine Mitarbeit auf keinen Fall verzichten mochte und die Ablehnung des Artikels über Martens allein aus Sorge über die Zeitschrift erfolgt sei.707 Die Rezension, die fast zum Bruch geführt hatte, konnte R ­ eumont stattdessen im römischen Giornale Arcadico unterbringen.708 Da Rom zu diesem Zeitpunkt noch nicht unter piemontesischem Einfluss stand und es der dortigen Zensur nur willkommen sein konnte, wenn man den Artikel als Kritik an der nationalstaatlichen Einigung unter Führung Piemonts verstand, lag eine Veröffentlichung in diesem Journal nahe. Obwohl ­Reumont sich der Notwendigkeit einer politischen Rücksichtnahme auf piemontesische Interessen bewusst war, belasteten die Meinungsverschieden­heiten über das Zustandekommen des italienischen Nationalstaats seine Mitarbeit am ­Archivio Storico Italiano. Während seine Literaturberichte immer noch höchst willkommen waren, unterzog die Redaktion seine Artikel einer eingehenden Prüfung auf mögliche unterschwellige Kritik an den politischen Entwicklungen der letzten Jahre und verzichtete gegebenenfalls auf die Veröffentlichung. R ­ eumont fühlte sich deswegen von seinen florentinischen Bekannten ignoriert und warf ihnen vor, ihn noch nicht einmal vor den Anfeindungen seiner Gegner in Schutz zu nehmen.709 Wenn er auch seine Mitarbeit fortführte und seine Freundschaft zu Vieusseux und Capponi weiter pflegte, so war doch das Verhältnis zum Archivio Storico Italiano mittlerweile merklich abgekühlt. Die Entwicklung der zweiten Serie seit 1855 war von Anfang an zwiespältig. Von Beginn an sah sich das Unternehmen erheblichen finanziellen Problemen gegenüber, da es trotz der verstärkten Mitarbeit piemontesischer Gelehrter über zu wenig Abonnenten verfügte, um die laufenden Kosten zu decken.710 Zwar erhielt die Zeitschrift sogar finanzielle Unterstützung von Leopold II. persönlich, der unter der Bedingung, dass regelmäßig über die toskanischen Archive berichtetet werde, noch in den 1850er Jahren eine beträchtliche Anzahl an Kopien ankaufte.711 Allerdings reichte diese Zuwendung nicht aus, um den Fortgang mittelfristig sichern zu können. Deshalb kam die Möglichkeit der Gründung einer Deputazione di Storia Patria, wie sie bereits in Turin existierte, in Betracht, die in enger Abstimmung mit 707 Archivio della Deputazione di Storia Patria per la Toscana, Copialettere, Vieusseux an ­ eumont, 19. März 1862 und 29. April 1862: „[…] il ne s’agit pas du mérité Scientifique et R littéraire de votre écrit, mais seulement de certaines convenances dérivant de ma position.“ 708 Alfred von ­Reumont: Cause celebri diplomatiche italiane a proposito dell’opera: Causes célèbres du droit des gens, rédigées par le baron Charles de Martens, Giornale Arcadico 180 (1862), S. 3–36. 709 BNCF Vieuss. C. V. 89, 176, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 17. März 1863. 710 ­Reumont bemühte sich deswegen ebendalls fieberhaft um zusätzliche Abonnenten. Vgl. etwa NL ­Reumont, S 1064, Angelo Pezzana an ­Reumont, Nr. 143: Parma, 16. Dezember 1856. Außerdem versuchte R ­ eumont auch weiterhin römische Mitarbeiter und Abonnenten anzuwerben. Vgl. etwa BNCF Vieuss. C. V. 89, 64, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 4. Januar 1858. 711 Vgl. Porciani (1978), S. 359.

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der Zeitschrift unter staatlicher Kontrolle die Archive neuordnen und wichtige Dokumente sowie Berichte in der Zeitschrift veröffentlichen sollte. Dieser Gedanke wurde allerdings mit dem Jahre 1860 und dem mittlerweile offenen Versuch aus Turin, die zu annektierenden Regionen auch in ihren kulturellen Einrichtungen zu zentralisieren, aufgegeben, da die toskanischen Moderati die lokale Autonomie zu verteidigen suchten.712 Auf diese Weise war es zu der zwiespältigen Situation gekommen, dass das ­ rchivio Storico Italiano einerseits im Großherzog einen wichtigen Unterstützer A hatte, andererseits jedoch die Zusammenarbeit mit piemontesischen Gelehrten suchte, um mithilfe der Geschichte die Vorreiterrolle des Hauses Savoyen in der italienischen Nationalbewegung zu erweisen. Vieusseux musste bei diesem Balanceakt eine umsichtige Selbstzensur betreiben, um keine der beiden Seiten gegen seine Zeitschrift aufzubringen – denn auf beide war er angewiesen. Trotzdem war die Ausrichtung auf die piemontesische Nationalstaatspolitik seit 1857 eindeutig. Während die Artikel Achille Gennarellis die Frontstellung der Nationalbewegung gegen das Papsttum und die Forderung nach einer strikten Trennung zwischen Staat und Kirche dokumentierten, gingen selbst toskanische Moderati wie Leopoldo Galeotti an die Verherrlichung des Hauses Savoyen. Dass R ­ eumont vor diesem Hintergrund Probleme durch die Zensur auf die Zeitschrift zukommen sah, wenn sie sich nicht ausschließlich auf historische Themen konzentrierte, war naheliegend. Das Verbot im Kirchenstaat war, auch wenn R ­ eumont gegenüber Theiner die Rechtschaffenheit der Mitarbeiter beteuerte, nur folgerichtig. Angelo Pezzana, der langjährige Direktor der herzoglichen Bibliothek von Parma und Anhänger der legitimen Souveräne, brachte die unter Gegnern der piemontesischen Politik verbreitete Einschätzung des Archivio Storico Italiano gegenüber ­Reumont exemplarisch auf den Punkt: „Molto giuste sono le censure intorno esso Archivio. Pur pure è da desiderarsi che continui malgrado i difetti. Niente di perfetto si può ottenere in questo mondo.“713

Mit der herausragenden Position des Archivio Storico Italiano in der italienischen Kulturlandschaft und dem damit verbundenen Vorbildcharakter, der Florenz nicht zuletzt Dank der ersten gesamtitalienischen Geschichtszeitschrift zukam, ist es zu erklären, dass die toskanische Zensur von einem entschlossenen Vorgehen gegen piemontesische Propaganda innerhalb der Zeitschrift absah. Ein Verbot des Archivio Storico Italiano hätte Leopold II. in der öffentlichen Meinung endgültig zum Feind der italienischen Nationalbewegung wie auch der kulturellen Bemühungen der ­Moderati werden lassen. Indes kam es einer Desavouierung der kulturpolitischen Bemühungen des Großherzogs wie auch des Archivio Storico Italiano gleich, wenn beispielsweise der aus Padua stammende Historiker und Unterstützer Cavours,

712

Ebenda, S. 370–371; Dies. (1979), S. 225–227; vgl. Clemens (2004), S. 184–185; Edoardo Tortarolo: I convegni degli storici italiani 1879–1895. Qualche nota documentaria, in: Bistarelli (2012), S. 103–114, hier S. 106. 713 NL ­Reumont, S 1064, Angelo Pezzana an ­Reumont, Nr. 144: Parma, 19. Oktober 1857.

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Giovanni Cittadella,714 hervorhob, dass ganz Italien für die in Turin veröffentlichten Historiae Patriae Monumenta ihrem Förderer Viktor Emanuel und dessen Vorgängern für ihren vorbildlichen Dienst an der italienischen Nation Dankbarkeit zu zollen habe.715 Denn diese Quellenedition bemühte sich nicht etwa um die Berücksichtigung aller Teile Italiens, sondern um die Verherrlichung und Italianisierung der Geschichte der Savoyer.716 Während der Artikel Cittadellas, zumindest vordergründig auf ein kulturelles Thema beschränkt blieb und die Politik zwar offensichtlich aber nur indirekt ansprach, wurde seit 1857 auf den Seiten des Archivio Storico Italiano auch ganz offen piemontesische Politik betrieben. Filippo Ugolini, der nach dem Ende der Römischen Republik des Jahres 1849 in florentinisches Exil gegangen war,717 und gegen dessen Beiträge ­Reumont bei Vieusseux nicht von ungefähr protestierte,718 ging sogar so weit, nicht nur den militärischen, sondern zudem auch den kulturellen Primat Piemonts in Italien einzufordern und damit Florenz, das sich als Athen Italiens verstand und daraus eine gleichberechtigte Position neben dem militärisch stärkeren Piemont in der Nationalbewegung für sich reklamierte, unverhohlen den Kampf anzusagen. Beispielhaft dafür sei das Schlusswort einer seiner Rezensionen zitiert, das er zum Loblied auf Piemont nutzte: „E molti illustri ingegni si danno da qualche tempo attorno a studiare con grande impegno la storia di quella nobilissima parte d’Italia [Piemonte], della quale essa sostiene l’onore e sui campi di battaglia e nei congressi dei potenti. Che se la benefica luce delle lettere, dopo la notte barbarica, tardò a penetrare nel Piemonte, e ci pare che sia venuto il tempo, in cui la sua preminenza non si limiterà agli studi di Marte, ma si estenderà anche a quelli di M ­ inerva; e come fu detto esser quella provincia la Macedonia d’Italia, così presto si dirà esserne la Macedonia e l’Attica.“719

Deutlicher hätte die Feindschaft gegenüber den Habsburgern sowie der Anspruch piemontesischer Suprematie kaum formuliert und die Zustimmung zur piemonte­ sischen Politik seit dem Pariser Kongress befürwortet werden können. 714

Paolo Preto: Cittadella, Giovanni, DBI 26 (1982) [URL: http://www.treccani.it/enciclo​ pedia/giovanni-cittadella_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 715 Giovanni Cittadella: Studj intorno all’opera che si stampa in Torino col titolo Historiae patriae Monumenta, Archivio Storico Italiano 10 (N. S.) (1857), S. 146–169, hier S. 169: „E cer­ tamente Vittorio Emmanuele […] invitando ad emulare il proprio esempio tutti gli altri dominatori della penisola, perchè ajutino ad evocare dal sepolcro le memorie dei preteriti tempi, perchè si stringano in questa federazione di civiltà, perchè vogliamo ridipinti all’Italia presente i lineamenti fedeli dell’Italia passata, perchè a lui debba sentire piena rionoscenza l’intero paese, che sebbene sempre divisa, sola ebbe sempre una storia di calamità e di trionfi.“ 716 Vgl. auch Romagnani (1985), S. 295–296. 717 Vgl. Gilberto Piccinini: La Deputazione di storia patria per le Marche nei primi cento­ cinquant’anni di attività, in: Bistarelli (2012), S. 233–252, hier S. 235–236. 718 BNCF Vieuss. C. V. 89, 113, ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 24. Dezember 1860. 719 Filippo Ugolini: Memorie della Vita e dei tempi di Monsignor Gio. Secondo Ferrero-Ponziglione, Referendario apostolico del Principe Cardinale Maurizio di Savoja, raccolte per Gio. Batt. Adriani, Archivio Storico Italiano, N. S. 5,2 (1858), S. 71–91, hier S. 91.

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Dass Vieusseux mittlerweile sogar Artikel zuließ, die offen piemontesische Agitation betrieben und sogar den Forderungen der toskanischen Moderati nach einer nationalen Einigung unter Wahrung der regionalen Autonomien zuwiderliefen, zeigt, welches Maß die piemontesische Vereinnahmung bereits erreicht hatte720 und warum ­Reumonts Beitrag über das Völkerrecht selbst zensiert nicht abgedruckt werden konnte. Der Zwiespalt, in dem sich Vieusseux hinsichtlich der Beiträge befand, bedeutete jedoch nicht, dass andere Ansichten ausgeschlossen wurden. Wie Gian Carlo Conestabiles Nekrolog auf den Archäologen Alessandro François, dessen Grabungen durch die Accademia Colombaria finanziert wurden, verdeutlicht, war auch nach wie vor die Verherrlichung Leopolds II. als in ganz Italien führender Förderer der Wissenschaft möglich.721 Indes schien die Flucht des Großherzogs am 27. April 1859 das Archivio ­Storico Italiano in die Arme Turins zu treiben. Der lebenswichtigen finanziellen Zu­ wendungen Leopolds II. beraubt, war Vieusseux umso mehr auf finanzielle Hilfe von anderer Seite angewiesen. Obwohl er genauso wie die übrige Redaktion großen Wert auf die Unabhängigkeit des Unternehmens legte und man den piemontesischen Zentralisierungsbestrebungen mit Skepsis begegnete, trug sich Vieusseux kurz vor seinem Tod in der angespannten finanziellen Situation mit dem Gedanken, eine Finanzierung der Zeitschrift aus Turin zu erstreben, um wenigstens ihren Fortbestand sichern zu können722 – was ­Reumont als faktische Aufgabe betrachtete.723 Mit der Gründung der Deputazione di Storia Patria per la Toscana gegen Ende des Jahres 1862, die dem Kultusministerium unterstehen sollte, wurde das Archivio Storico Italiano formal zum Publikationsorgan der Deputazione.724 Während diese als eine der zahlreichen regionalen Deputazioni dem Kultusministerium in Turin unterstand und von diesem finanziert wurde,725 konzentrierte sich das Archivio Storico Italiano vor allem auf die Regionalgeschichte, die in der großen Nationalgeschichte unter Führung der Savoyer vernachlässigt wurde.726 Mit Vieusseux’ Tod 720 Zum Dilemma der Moderati, einerseits den Großherzog unter Anlehnung an Sardinien-­ Piemont unter Reformdruck zu setzen, sich andereseits jedoch des piemontesischen Zentralismus zu erwehren vgl. Kroll (1999), S. 350–353. Zur Ausrichtung auf Piemont vgl. Porciani (1979), S. 159–162. 721 Gian Carlo Conestabile: Alessandro François  e dei suoi scavi nelle regioni dell’antica Etruria, Archivio Storico Italiano 13 (N. S.) (1858), S. 53–90, hier S. 89–90: „[…] con quella generosità che è ben da sperare in Paese condotto nel suo regime dalle libere mani di un Leopoldo II, fautore più che altri mai distinto e caldissimo d’istituzioni giovevoli al progresso degli studi e delle arti, all’allargamento delle cognizioni sull’antica e moderna storia della nostra ­Penisola. […] la dotta e bella Toscana si renderà assai benemerita della scienza archeologica, nel mentre che potrà stimarsi sicura della gratitudine di tutti i connazionali.“ 722 Vgl. auch Porciani (1978), 370–371. 723 BNCF Vieuss. C. V. 89, 176, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 17. März 1863. 724 Vgl. Porciani (1978), S. 386–387. 725 Regio Decreto 27 novembre 1862, n° 1003. 726 Vgl. Porciani (1978), S. 377–395; zur Rolle der regionalen Deputazioni für die Nationalund Regionalgeschichtsschreibung vgl. Tortarolo (2012), S. 105–106.

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schien auch sein wohl wichtigstes Unternehmen ein Ende zu nehmen. Denn durch die Unterstellung unter eine regionale Deputazione erschien der ursprünglich er­ hobene, aber letztlich nie erfüllte Anspruch, die Führungsrolle in einer gesamtitalienischen Geschichtsforschung einzunehmen endgültig als illusorisch. Die große Vi­ eumont ­Capponi sion Vieusseux’ war damit ad acta gelegt. Dementsprechend gab R als Reaktion darauf zu verstehen, dass er das Unternehmen Vieusseux’ als eingegangen betrachtete.727 Dennoch versprach er Capponi, seine Mitarbeit fortzusetzen, wenn sie denn noch erwünscht sei.728 Auch mit dem auf Vieusseux folgenden Direktor, Carlo Milanesi, pflegte ­ eumont einen intensiven Austausch. Dieser hatte zuvor Paläographie und Diplo­ R matik am Archivio di Stato di Firenze gelehrt und wurde von R ­ eumont des Öfteren mit Informationen über die neuesten Quelleneditionen deutscher Gelehrter versorgt.729 Besonders wertvoll waren dabei für Milanesi Informationen über deutsche Editionsprojekte italienischer Quellen, wie etwa die von Carl Hopf herausgegebene Geschichte Griechenlands vom Beginn des Mittelalters bis auf unsere Zeit, die auf Recherchen in neapolitanischen Archiven beruhte und für Milanesis eigenes Editionsprojekt der byzantinischen Urkunden des Archivio di Stato von höchstem Interesse war.730 Der gegenseitige Austausch über die Editionsprojekte und Urkundenbestände setzte sich während der Direktorenzeit Milanesis fort, aller­ eumonts dings interessierte auch er sich, wie in den Jahren zuvor Vieusseux, bei R Mitarbeit in erster Linie für die Notizie bibliografiche, während er die längeren Artikel ­Reumonts oftmals eine Weile im Portfolio liegen ließ, bevor er sie erst nach Drängen ­Reumonts veröffentlichte.731 In dieser Zeit kam es deswegen indes nicht zu ernsthaften Aus­einandersetzungen, da R ­ eumont ohnehin kaum Zeit für seine Beiträge fand, nachdem er von König Maximilian II. von Bayern den Auftrag einer 727 BNCF Gino Capponi XI. 42, R ­ eumont an Capponi, Nr. 38: Maccarese, 29. April 1864: „Con gran dispiacere sento che è per cessare l’Archivio Storico, catastrophe da me temuta sin dalla morte del buon Vieusseux, ma che riapre la ferita toccataci per questa disgrazia. Mi scrivono di una Continuazione da pubblicarsi dalla Deputazione di storia patria, ma non so cosa ne risulterà. Insomma, è una nuova perdita, d’un amico che per 22 anni fu fedelissimo.“ 728 Ebenda, Nr. 39: Aachen, 26. Juli 1864: „Non ho bisogno di assicurarLa, che, dopo di essere stato durante tanti anni tra i collaboratori più assidui di tale raccolta, non cesserò di prendere parte attiva alla medesima, se così è nei desiderj dei continuatori.“ 729 Vgl. etwa Milanesis Bestellung von Wilhelms Wattenbachs Über die österreichsichen Freiheitsbriefe, Berlin 1852, wo die Authentizität einiger mittelalterlicher Königs- und Kaiser-Privi­ ­ eumont, S 1063, Carlo Milanesi an R ­ eumont, Nr. 101: Florenz, legien widerlegt wird. – NL R 6. Februar 1860. 730 Ebenda, Nr. 102: Florenz, 28. August 1863: „Sa Ella nulla a che punto sia la stampa di cui importantissima opera del prof Hoff (?) che ha per soggetto la Storia della Grecia postromana, con documenti raccolti principalmente negli archivi Napoletani? Per la pubblicazione che stiamo facendo dei Diplomi bizantini dell’ Archivio fiorentino, vorrei che quell’ opera uscisse fuori presto, per giovarcene e, credo, con frutto assai. L’ Hoff fu professore in so qual’ Università della borussica; ora, mi dicono, è impiegato agli archivi di Berlino. – Le sarò grato d’ ogni notizia che su ciò potrà favorirmi.“ 731 Ebenda, Nr. 104: Florenz, 21. Februar 1864.

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Geschichte der Stadt Rom als katholisches Gegenstück zu Ferdinand Gregorovius’ Werk erhalten hatte, worauf im folgenden Kapitel noch näher eingegangen wird.732 Als nach dem Tod Milanesis 1867 Agenore Gelli als Direktor folgte, änderte sich ­Reumonts Verhältnis zum Archivio Storico Italiano deutlich. Während er mit Vieusseux und Carlo Milanesi auch in engem persönlichen Kontakt stand, änderte sich dies unter Gelli grundlegend. Mit dem neuen Direktor tauschte sich ­Reumont fast ausschließlich über die Mitarbeit an der Zeitschrift aus, private oder gar politische Themen wurden dabei vollkommen ausgeblendet – mit gutem Grund. Gelli war der ehemalige Sekretär des Ministeriums Guerrazzi und einer der führenden Mitarbeiter der florentinischen Tageszeitung La Nazione. Insofern verkörperte Gelli genau jenen Typ Direktor, den es aus Sicht R ­ eumonts zu vermeiden galt: Mit seiner Vorgeschichte als Journalist erschien es zweifelhaft, dass er an dem ursprünglichen Grundsatz, sich in der Zeitschrift nur auf historische Themen zu beschränken und tagespolitische Themen auszuklammern, festhalten würde. Seine Vergangenheit als Unterstützer Guerrazzis weckte zudem ­Reumonts Misstrauen. Trotz dieser gegenseitigen Vorbehalte mochte jedoch auch der neue Direktor nicht auf ­Reumonts Mitarbeit verzichten. Dies dürfte zum einen an ­Reumonts Freundschaft zu Gino Capponi gelegen haben, der in jenen Jahren als „graue Eminenz“ auch im hohen Alter und trotz seiner angeschlagenen Gesundheit (er war fast vollkommen blind) durch sein Prestige als prominente Führungsfigur des alten florentinischen Patriziats nach wie vor die Redaktion in seinem Sinne beein­ eumonts Wert als Verbindung zur deutschsprachi­ flussen konnte. Allerdings war R gen Wissenschaft ungebrochen, weshalb Gelli trotz persönlicher Antipathie auf die Dienste des ehemaligen Diplomaten zurückgriff. Dabei versuchte er jedoch ­Reumont möglichst auf die bibliographischen Notizen und die Mithilfe bei den anfallenden Recherchen zur Veröffentlichung von Quellen und zur Bewertung eingesendeter Artikel zu beschränken. Die längeren Artikel ­Reumonts wurden oftmals einfach aufgeschoben. Als Gelli ihn einmal mehr hinsichtlich der Veröffentlichung einer längeren Besprechung vertröstete, hob er stattdessen die ­Reumont von ihm zugedachte Rolle hervor: „[…] con noi Le saranno grati i lettori dell’ Archivio Storico, tenuti in giorno, mercè Sua, di ciò che si fa nella dotta Germania.“733

Ähnliche Bedeutung kam auch der Beratung der Redaktion hinsichtlich der Veröffentlichung von wichtigen Quellentexten zu. Als beispielsweise Bernardo Morsolin einen Brief Karls V. an Kardinal Giovanni Salviati aus dem Archiv der conti Trissino in Vincenza in Kopie einsendete, fragte die Redaktion bei R ­ eumont nach, ob der Brief tatsächlich noch nicht in Deutschland publiziert worden sei.734 Erst nach 732

BNCF Gino Capponi XI. 45, Nr. 52: Aachen, 18. Dezember 1867. NL ­Reumont, S 1061, Agenore Gelli an ­Reumont, Nr. 124: Florenz, 20. Mai 1870. 734 Ebenda, Nr. 123, Florenz, 10. Mai 1870: „E un’altra libertà mi prendo anche, incoraggiato dalla Sua bontà. Uno dei collaboratori dell’Archivio ci ha mandato la qui unita copia d’una lettera di Carlo V, che dice inedita: l’ha trovata nell’archivio dei conti Trissino a Vicenza. La me 733

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dem ­Reumont bestätigte, noch einmal die einschlägigen Publikationen durchgesehen zu haben (die er alle bereits im Archivio Storico Italiano angezeigt hatte) und darin keinen Hinweis auf den in Frage kommenden Brief gefunden zu haben,735 wurde das Dokument in der folgenden Ausgabe publiziert.736 Ähnlich war das Verfahren auch, als im Archivio di Firenze Dokumente über das Baseler Konzil gefunden wurden. Obwohl es sich um florentinische Archivalien handelte, war sich Gelli dennoch nicht sicher, ob nicht doch schon irgendein deutscher Gelehrter während seiner Archivreise nach Florenz darauf aufmerksam geworden war und sie nicht bereits in Deutschland publiziert hatte.737 Was auf den ersten Blick für den heutigen Betrachter merkwürdig erscheint, erklärt sich mit der erst im Jahre 1875 eingeführten einheitlichen Archivgesetzgebung einerseits und der umfangreichen Reisetätigkeit deutscher Gelehrter nach Italien andererseits, die als „Alexandriner der Neuzeit“ nach Dokumenten zur Reichsund Papstgeschichte suchten, andererseits. Da es in der äußerst heterogenen italienischen Archivlandschaft für die Zeit vor 1870 keine einheitlichen Register über die Archivbenutzung gab, in denen vermerkt wurde, wer wann welche Archivalien konsultiert hatte und parallel dazu eine erhebliche Fluktuation an internationalen Gelehrten stattfand, war es zu jenem Zeitpunkt tatsächlich oftmals nicht möglich, in Erfahrung zu bringen, ob neu aufgefundene Dokumente schon von einem vorherigen Besucher konsultiert worden waren. Hinzu kam der unzureichende Austausch unter den internationalen Gelehrten. Marco Tabarrini sollte später in seiner Eloge auf R ­ eumont in der Accademia Colombaria die Situation eindrücklich schildern: Nur wenige italienische Gelehrte waren des Deutschen mächtig und deswegen auch nicht in der Lage, den dortigen Fortgang der Wissenschaft zu verfolgen. Hinzu kamen die oftmals nur unzureichenden Kontakte. Vor diesem Hintergrund waren die ­ eumont mit seinen Notizie Gelehrten auf kulturelle Mittler angewiesen, die wie R bibliografiche über die wichtigsten Neuigkeiten auf dem Gebiet der historischen Forschungen über Italien informierten.738 moria mia e quella del commendator Tabarrini e le ricerche fatte confermerebbero l’opinione del nostro collaboratore. Ma prima d’avventurarci a pubblicare un documento di questa natura, abbiamo pensato d’interrogare la S. V. che avendo veduto, crediamo letto quello che è stato pubblicato intorno a Carlo V, è in grado meglio di chiunque altro di dirci la cosa con sicurezza. Perciò Le procuro quest’incomodo. Dietro la risposta delle S. V. restituiremo la copia a chi ce l’ha mandata, o pubblicheremo il documento nel terzo fascicolo dell’ annata.“ 735 DSPT, Lettere Varie, Alfredo di ­Reumont, Nr. 8: Rom, 21. Mai 1870. 736 Bernardo Morsolin: Una lettera di Carlo V al Cardinale Giovanni Salviati, Archivio Storico Italiano (N. S.) 59 (1870), S. 3–8. 737 NL ­Reumont, S 1061, Agenore Gelli an R ­ eumont, Nr. 154, Florenz, 31. Dezember 1877: „Mi prendo poi la libertà di pregarla che, a tutto Suo comodo e quanto abbia da scrivere per altra cosa, voglia avere la compiacenza di dirmi se in qualche recente pubblicazione sul Concilio di Basilea, fatta in Germania, Ella abbia veduto documenti ricavati sull’ Archivio di Firenze, e segnatamente lettere di Roberto Martelli; queste mi sono state proposte per l’ Archivio Storico; e per sapere se sono edite o no, non potevo rivolgermi che alla gentilezza di Lei, Signor Barone, che spero vorrà scusarmi l’ incomodo.“ 738 Vgl. Tabarrini (1883), S. 160–174.

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Aber die Mittlertätigkeit ­Reumonts hatte nicht nur den Wert, über die neuesten deutschsprachigen Forschungen auf dem Laufenden zu halten. Im Laufe der Jahre hatte er sich nämlich sowohl in Deutschland als auch Italien einen Namen gemacht: Wer sich mit seiner neuesten Arbeit an ihn wandte, hatte gute Aussichten, dass ihm auch auf der jeweils anderen Seite der Alpen Aufmerksamkeit entgegengebracht werden würde. Deswegen wandten sich zahlreiche Gelehrte an ihn, oftmals sogar ohne ihn vorher persönlich zu kennen, häufig auch mit einer Empfehlung eines Bekannten ­Reumonts. So bemühte sich Joseph Alexander Freiherr von Helfert, ehemaliger Untersekretär des Bildungsministeriums in Wien und Direktor des Österreich Jahrbuchs,739 bei ­Reumont erfolgreich um die Besprechung seiner Monographie über Maria Karolina von Österreich, der Königin beider Sizilien (1768–1790),740 in einer italienischen Zeitschrift.741 Aber auch innerhalb Italiens war dem Archivio Storico Italiano R ­ eumonts überregionales Netzwerk von Nutzen. Mit der Finanzierung der Zeitschrift über die Deputazione di Storia Patria per la Toscana verlagerte sich der Schwerpunkt wieder deutlich in Richtung toskanischer Lokalgeschichte. Während die Deputazioni vom Kultusministerium abhingen und in den Dienst der Nationalgeschichte aus Sicht des Hauses Savoyen gestellt werden sollten, sah man in der Toskana verstärkt die Notwendigkeit, den Anteil der Toskana an der Nationalgeschichte deutlich zu machen und diesen gegenüber einer zentral organisierten Wissenschaft zu behaupten, während jedoch Florenz innerhalb des Netzes der regionalen Deputazioni nicht die ursprünglich anvisierte Rolle des organisatorischen Zentrums der historischen Forschung in Italien einzunehmen vermochte.742 Auch vor diesem Hintergrund kam R ­ eumont eine wichtige Rolle zu. Durch seine mittlerweile erworbene Bekanntheit unter den Gelehrten Italiens hatte er auch Zugang zu Informationen über die laufenden Projekte anderer Regionen. Denn neben der Aussicht auf eine Besprechung im Archivio Storico Italiano bot die Kontaktaufnahme mit ­Reumont auch einen willkommenen Zugang zur deutschsprachigen Öffentlichkeit. Während eines Aufenthaltes in Neapel, in dessen Rahmen R ­ eumont auch das dortige Archiv besuchte, wurde er vom dortigen Direktor Francesco Trinchera wärmstens empfangen. Sodann stellte ihm der Direktor auch sein neuestes Editions­projekt der Quellen zur Regierungszeit der aragonesischen Könige vor, das R ­ eumont

739

Vgl. Erika Weinzierl: Helfert, Joseph Alexander Freiherr von, NDB 8 (1969), S. 469–470. Joseph Alexander von Helfert: Zeugenverhör über Maria Karolina von Österreich, Königin von Neapel und Sicilien, aus der Zeit vor der grossen französischen Revolution (1768–1790), Wien 1879. 741 NL ­Reumont, S 1062, Helfert an R ­ eumont, Nr. 37: 10. Januar 1878. Die positive Antwort Gellis – Ebenda, S 1061, Gelli an ­Reumont, Nr. 155, Florenz, 5. April 1878. Alfred von ­Reumont: Maria Carolina delle due Sicilie e i suoi tempi a proposito delle pubblicazioni di J. A. Barone Helfert, Archivio Storico Italiano N.S) 106 (1878), S. 90–139. 742 Porciani (1978), S. 389–395. 740

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sogleich im Archivio Storico Italiano zu besprechen versprach.743 Auch wenn ­Reumont keine reine Gefälligkeitsrezension verfasste und diverse Mängel hinsichtlich der Quellenkritik ansprach,744 machte er die Edition nicht nur über das Archivio Storico Italiano bekannt,745 sondern zugleich in Sybels Historischer Zeitschrift,746 womit er Trinchera in der führenden deutschen Fachzeitschrift Aufmerksamkeit verschaffte. Von besonderer Wichtigkeit waren diese Anzeigen der italienischen Forschungen außerhalb der Toskana aber vor allen Dingen für die Nachfolger Vieusseux’, die Gefahr liefen, dass die Zeitschrift zunehmend zu einem Lokalunternehmen wurde, da die Rezeptionsbereitschaft vieler ihrer Mitarbeiter nicht weit über die Toskana hinausreichte, ein Umstand, den R ­ eumont bei vielen Gelegenheiten immer wieder anprangerte. Anlässlich von Cesare Guastis Archivreise nach Neapel stellte ­Reumont gegenüber Capponi erfreut fest: „Sento con piacere che il Guasti è  a Napoli, giacchè esso non potrà se non guadagnare conoscendo un po’ meglio le cose all’infuori della Toscana, la quale egli ha ogni ragione d’amare, ma non così esclusivamente.“747

Diese Kritik formulierte ­Reumont nicht nur Capponi gegenüber. Auch Gelli wies er immer wieder auf die Notwendigkeit hin, dass die Zeitschrift möglichst über den kompletten Fortgang der Forschung im Bilde sein müsse, um den Leser zuverlässig auf dem Laufenden halten zu können. Dafür dürfe man jedoch nicht ausschließlich darauf angewiesen sein, was einzelne Mitarbeiter gerade anböten, sondern der Herausgeber müsse sich selbst um wichtige Werkbesprechungen bemühen. Denn der Anzeige der wichtigsten Neuigkeiten komme eine größere Bedeutung zu, als Ausschnitte ganzer Bücher zu veröffentlichen.748 Deswegen erklärte ­Reumont Gelli: 743

BNCF Gino Capponi XI. 46, Nr. 74: Neapel, 17. April 1871: „Se il Tabarrini non ha di già incaricato qualche collaboratore all’Archivio di stendere un articolo sul Codice Aragonese del Trinchera, me ne occuperò io, giacchè mi sono molto addolorato nello studio delle carte di quel periodo. Il 2o volume, che contiene i documenti degli ultimi due anni di Ferrante Io, è veramente interessante. Il Trinchera mi accolse in modo gentilissimo, così anche D. Vito Fornari. Tutti mi domandano delle Sue nuove. Sinora non sono riuscito a trovare il Capecelatro.“ 744 Ebenda, Gino Capponi XI. 47, Nr. 80: Bonn, 28. Dezember 1871: „Nel prossimo fasc. Archivio verrà, credo, la mia memoria sul Codice Aragonese – se Ella trova tempo di darle una corsa, spero non ne rimarrà scontenta: veramente non se ne ricava nulla di nuovo quanto a’ fatti, mi si conosce meglio l’indole dei governanti. Peccato che l’edizione sia stata fatta con sì poca cura – non ho voluto far dispiacere all’editore, ma non ho potuto passare sotto silenzio alcune cose troppo evidenti.“ 745 Alfred von R ­ eumont: Codice Aragonese, pubblicato dal cav. Prof. Francesco Trinchera, Archivio Storico Italiano (N.S) 66 (1871), S. 375–422. 746 Ders.: Neue Publicationen zur italienischen Geschichte, HZ 29 (1873), S. 307–342; Zur Geschichte Ferrante’s von Neapel, S. 324–342. 747 BNCF Gino Capponi XI. 47, Nr. 80: Bonn, 28. Dezember 1871. 748 DSPT, Lettere Varie, Alfredo di ­Reumont, Nr. 26: Bonn, 12 ottobre 1874: „Ella mi permetterà di farLe un’osservazione, la quale mi viene dettata del vivo interesse che ho preso nell’andamento dell’Archivio Storico sin dal suo nascere. In una delle ultime Sue Ella notò, la data della consegna delle contribuzioni all’Archivio essere una delle principali regole per l’ordine della

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„La prego di prendere in benevola considerazione queste osservazioni. In mezzo alla concorrenza fatta da altre pubblicazioni periodiche, l’Archivio non si manterrà al suo posto, se non corrisponde più che si può allo scopo suo. L’editore non deve già dipendere alla scelta che i collaboratori fanno di tale o tale materia, ma deve procurarsi articoli intorno alle cose e ai libri che gli sembrano importanti, come si fa anche da noi, e come è indispensabile.“749

Gelli erwiderte die Kritik unter Verweis auf die Schwierigkeiten, mit denen er bei der Kooperation mit überregionalen Korrespondenten konfrontiert sei, nahm die Anregungen jedoch ernst und bemühte sich, Abhilfe zu schaffen und verstärkt Korrespondenten aus ganz Italien einzubeziehen.750 Mit seinen internationalen Erfahrungen und Kontakten war R ­ eumont in erster Linie ein wichtiger Berater und Vermittler für die Redaktion des Archivio Storico Italiano. Mochte er der politischen Ausrichtung der Zeitschrift seit Ende der 1850er Jahre auch ablehnend gegenüberstehen, konnte er doch dazu beitragen, das Unternehmen überregional und international zu vernetzen. Deswegen war die Redaktion auch bereit, seine politisch eigentlich nicht mit der Ausrichtung der Redaktion ­ eumont auf explizite Kritik am zu vereinbarenden Artikel hinzunehmen, solange R Königreich Italien verzichtete. Auf diese Weise konnte er in den 1870er Jahren die Tradition der habsburgischen Herrschaft auf italienischem Boden durch Aufsätze und Rezensionen beleuchten, ohne darüber mit der Redaktion in Konflikt zu geraten.751 Dadurch, dass er lediglich die historischen Hintergründe vorstellte, ohne stampa di esse. Questa regola mi pare non poter prevalere, trattandosi di un giornale, l’Archivio ora essendo ridotto a tale. Molti lavori, per gli argomenti che trattano, possono benissimo aspettare, altri no. Di quest’ultimo genere sono gli articoli di rivista. Lo scopo di un articolo di rivista non è quello di dare un estratto di ben’opera, come pur troppo spesso accade, ma sìbbene di esporne l’andamento generale, notando le cose nuove, criticando errori ed omissioni. Così si giova all’autore, all’editore, al pubblico che compra e legge. Questo scopo vien’interamente mancato, se l’articolo di rivista comparisce allorquando il libro si ritrova, Dio sa da quando, in mano a tutti, e forse è quasi dimenticato. I redattori dei buoni giornali inglesi e francesi capiscono questo a meraviglia. L’Archivio Storico, quale contiene tanti eccellenti lavori, non corrisponde sufficientemente al suo assunto di tenere il lettore al corrente della letteratura storica italiana.“ 749 Ebenda. 750 NL ­Reumont, S 1061, Gelli an ­Reumont, Nr. 148: Florenz, 16. Oktober 1874: „Le sono riconoscente nei suggerimenti che con molta gentilezza Ella ha voluto darmi per l’ andamento migliore dell’ Archivio Storico. Mi studierò di metterli in esecuzione vincendo le non poche difficoltà che mi si presentano spesso e che a volerle riferire anderei troppo per le lunghe.“; ebenda, Nr. 149: Florenz, 16. Januar 1875: „L’ultimo fascicolo dell’Archivio contiene in parte notizie bibliografiche: e se i corrispondenti che ho avuto e cerco in ogni parte d’Italia corrisponderanno davvero, ho speranze che in seguito il difetto da Lei giustamente notato sarà corretto.“ 751 Vgl. etwa die Besprechung: Maria Carolina delle due Sicilie e i suoi tempi a proposito delle pubblicazioni di J. A. Barone Helfert, Archivio Storico Italiano (N. S.) 106 (1878), S. 90–139. Außerdem ­Reumont Artikelserie: Giuseppe II, Pietro Leopoldo, e la Toscana, Archivio Storico Italiano (N. S.) 96 (1876), S. 407–440; Il Principe e la Principessa di Craon e i primi tempi della Reggenza Lorenese in Toscana, Archivio Storico Italiano (N. S.) 98 (1877), S. 228–258; Federigo Manfredini e la politica toscana dei primi anni di Ferdinando III, Archivio Storico Italiano (N. S.) 101 (1877), S. 225–274; Margherita d’Austria Duchessa di Parma, Archivio Storico Italiano (N. S.) 118 (1880), S. 15–75; Nascita e Patria di Margherita d’Austria, Archivio Storico Italiano (N. S.) 119 (1880), S. 296–299.

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C. Publizistik

diese mit einer expliziten Wertung zu verbinden, konnte er einerseits die legitimen Grundlagen der alten in Italien herrschenden Dynastien anführen, während er andererseits die Bewertung dem Leser überließ und somit eine eindeutige Positionierung gegen die Entstehungsweise des Königreichs Italien vermied. In dieser Hinsicht ließen sich seine regionalgeschichtlichen Beiträge nämlich in das vorherrschende Programm der lokalen Deputazioni di storia patria einfügen, die Nationalgeschichte vorwiegend aus regionaler Perspektive betrieben.752 Während sich R ­ eumont in seinen Artikeln für das Archivio Storico Italiano mit offener Kritik an den politischen Zuständen Italiens zurückhielt, um den Konflikt mit der Redaktion zu vermeiden, war sein politisches Urteil in seiner Memoirenliteratur über die florentinischen Erlebnisse eindeutig. In seiner Geschichte Toscanas753 wie auch in seinem Zeit- und Lebensbild über den verstorbenen Gino Capponi754 kritisierte ­Reumont den Bruch der Moderati mit ihren eigenen Prinzipien vor 1848, nach denen sie überlegte Reformen und die Schaffung einer italienischen Staatenkonföderation unter Beachtung bestehender Verträge, einer revolutionären Nationalstaatsbewegung unter gezielter Vernichtung der Wiener Ordnung vorgezogen hatten. Diese offene Kritik an der Rolle der Moderati, konnte in den entsprechenden Rezensionen im Archivio Storico Italiano natürlich nicht unkommentiert bleiben. Dennoch blieb der Ton gegenüber dem langjährigen und verdienten Mitarbeiter nachsichtig. Zwar distanzierte sich die Redaktion von den politischen Ansichten, die R ­ eumont in diesen Monographien vertrat, jedoch verwiesen die jeweiligen Rezensenten neben der Kritik auch auf dessen aufrichtiges Wohlwollen gegenüber Italien und den Italienern sowie dessen große Verdienste, die er sich um die italienische Wissenschaft durch seine Mittlertätigkeit erworben hatte. Deswegen verzichtete Alceste Giorgetti als der Rezensent der zunächst auf Deutsch ­ eumonts politische erschienenen Capponi-Biographie ausdrücklich darauf, auf R Bewertungen einzugehen: „Tuttavia, poichè alcuni di questi suoi giudizii sono già noti per la ‚Storia della Toscana sotto la Dinastia di Lorena-Absburgo‘ non ha guari da lui pubblicata, altri sono frutto di certe sue particolari convinzioni, che quantunque non sentite da tutti, si mostrano bensì ispirate da un vivo amore per la nostra patria; non stimiamo opportuno di fermarci qui a rilevare queste discrepanze, ristringendoci piuttosto a dare brevemente un’idea del modo con cui l’A. ha condotto il suo libro.“755

Dadurch, dass die Biographie in deutscher Sprache erschienen war und sich ­Reumont damit ausdrücklich an das deutsche Publikum richtete, erschien eine Stel 752

Vgl. dazu auch die Ergebnisse des von Bistarelli (2012) herausgegebenen Sammelbandes. Alfred von R ­ eumont: Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates, Gotha 1877. 754 Ders.: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild 1792–1876, Gotha 1880; Ders.: Gino Capponi e il suo secolo. Quadro storico biografico, Milano / Napoli / Pisa 1881. 755 Alceste Giorgetti: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild 1792–1876 von Alfred R ­ eumont, Gotha 1880, Archivio Storico Italiano (N. S.) 118 (1880), S. 91–96, hier S. 92. Zum Umgang der Redaktion mit ­Reumonts Capponi-Biographie vgl. Moretti (2000), S. 173–175. 753

III. Historische Publizistik 

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lungnahme zu den darin enthaltenen politischen Bewertungen gegenüber dem italienischen Leser auch nicht weiter notwendig. R ­ eumont selbst war sich im Klaren darüber, dass seine Einschätzungen des Decennio di Preparazione – auch im Hinblick auf den späteren Untergang des Kirchenstaates und die Eroberung Roms – in Italien nicht gut aufgenommen werden würden und gerade die Moderati das An­ eumonts in denken einer ihrer großen Führungspersönlichkeiten vor der Kritik R Schutz nehmen würden. Deswegen sprach er sich von Anfang an gegen eine Übersetzung seiner Arbeit aus. Als der aus Zürich stammende Mailänder Verleger Ulrico Hoepli756 dennoch eine Übersetzung herausgab, sah sich die Redaktion des Archivio Storico Italiano veranlasst, sich in einer der folgenden Ausgaben in freundlichem, aber in der Sache entschlossenem Ton von den politischen Aussagen ­Reumonts zu distanzieren: „Noi, che sappiamo per tante belle prove come il barone ­Reumont congiunga nell’animo suo gli affetti per la sua e per la nostra patria, non avemmo ragione di lamentarci di giudizi che ci appariscano severi o contrari alle nostre idee, i quali d’altra parte sono esposti con sincerità e con nobile temperanza di linguaggio.“757

­Reumont beeilte sich daraufhin, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, in der er darauf hinwies, dass seine Capponi-Biographie nicht nur gegen seinen Willen, sondern zudem auch noch in Teilen falsch übersetzt worden sei.758 Während er im deutschsprachigen Raum die Herrschaft des Hauses Habsburg-Lothringen rechtfertigte und das unbedachte Vorgehen der Moderati kritisierte, die dadurch die Autonomie der Toskana aufgegeben hätten, versuchte er in Italien die Polemik zu vermeiden, um sich nicht unnötig auch im Kreis der Mitarbeiter des Archivio Storico Italiano zu isolieren. Doch trotz der Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise des Zustan­ eumont auch weiterhin die dekommens des italienischen Nationalstaates, genoss R Unterstützung der Zeitschrift – solange es nicht um die jüngere italienische Politik ging. Dies betraf unter anderem das Verhältnis zwischen Protestantismus und innerkatholischer Reformbewegung in Italien. Als der evangelische Theologe Karl Benrath ­Reumonts wiederholte Verteidigung des Papsttums und der innerkatholischen Reformbewegung als rechtgläubig kritisierte,759 stellte sich die Redaktion des Archivio Storico Italiano auf R ­ eumonts Seite. Die Kontroverse hatte mit Leopold ­ eumonts engem Freund Wittes Italien ihren Anfang genommen.760 Als Sohn von R 756 Joseph Jung: “…am literarischen Webstuhl…“. Ulrico Hoepli 1847–1935. Buchhändler, Verleger, Antiquar, Mäzen, Zürich 1997. 757 La Direzione: Gino Capponi e il suo secolo. Quadro storico biografico di Alfredo ­Reumont, Milano / Napoli / Pisa 1881, Archivio Storico Italiano (N. S.) 121 (1881), S. 124. 758 Archivio Storico Italiano (N. S.) 121 (1881), S. 296. 759 Karl Benrath: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen von Alfred v. ­Reumont, Leipzig 1878, HZ 45 (1881), S. 349–351. 760 Leopold Witte: Italien (= Bausteine zur Geschichte des Gustav-Adolf Vereins II, hrsg. von B. Pressel), Freienwalde 1878; Ders.: Die religiöse Frage in Italien, Italia 4 (1877), S. 222–256; vgl. auch Moretti (2000), S. 180.

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Karl Witte genoss er während seines Romaufenthalts im Jahre 1858 die Unterstützung ­Reumonts.761 Dass ausgerechnet der Sohn seines Freundes – auch wenn er evangelisch war – eine Arbeit veröffentlichte, in der er die Reformunfähigkeit des Papsttums anprangerte und die evangelische Mission als entscheidenden Faktor bei der Lösung der religiösen Fragen in Italien ausgemacht hatte, fasste ­Reumont geradezu als Vertrauensbruch auf und schrieb Karl Witte konsterniert: „Den gegen die katholische Kirche entschieden und bitter feindseligen Aufsatz Ihres Sohnes in der Italia habe ich mit tiefem Bedauern gelesen.“762

Für R ­ eumont, der, wie noch im Folgenden gezeigt wird, die innerkatholische Reformbewegung in Italien als vorbildhaft für den liberalen Katholizismus erachtete, der mit Rosmini auf einen Papst hoffte, der sich an die Spitze der gesellschaftlichen Erneuerung stellen würde, musste die Verortung der innerkirchlichen Reformer unter die protestantischen Bewegungen das Selbstverständnis des liberalen Katholizismus in Frage stellen. Denn die unter vielen Moderati, insbesondere auch in der Toskana, verbreiteten Ansichten, nach denen die Kirche reformiert werden müsse, wurden von reaktionären Kreisen durch den Vorwurf des Kryptoprotestantismus als mit der katholischen Lehre unvereinbar dargestellt. Die Konservativen sprachen den Moderati sogar jegliche Religiosität ab.763 Um aber die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen sowie ihre Vereinbarkeit mit der katholischen Tradition zu erweisen, führten sie die Beispiele prominenter Persönlichkeiten des späten Mittelalters an, die eine Erneuerung innerhalb der Kirche anvisiert hatten. In der innerkatholischen Auseinandersetzung um die Zukunft der Kirche und die Stellung des Papsttums in der Gesellschaft war es für die liberalen Katholiken ganz entscheidend, den Verdacht des Kyptoprotestantismus entkräften zu können, um überhaupt ernsthafte Aussichten auf innerkirchliche Veränderungen zu haben. Die auch in Italien wahrgenommenen Darstellungen deutscher evangelischer Theologen und Historiker der italienischen Erneuerungsbewegungen sowohl des Mittelalters als auch des 19. Jahrhunderts als Folgen bzw. Ausprägungen evangelischer Mission mussten die liberalen Katholiken innerhalb der Kirche jedoch diskreditieren. ­Reumont, der trotz seiner liberal-katholischen Ansichten die Vorgehensweise der Altkatholiken in Deutschland ebenso ablehnte wie die Hypothese der Reformunfähigkeit der Kirche, die das Verhältnis zwischen dem Papst und dem Königreich Italien belastete, bezog deswegen leidenschaftlich Stellung gegen die Deutung des liberalen Katholizismus als kryptoprotestantische Bewegung. Aus diesem Grund trat er den zentralen Aussagen Leopold Wittes entgegen, wonach das Papsttum nicht reformierbar und der Protestantismus ein wichtiger Faktor zur Lösung der religiösen Fragen in Italien geworden sei – was ihm jedoch eine ebenso entschiedene Erwiderung Karl Benraths einbrachte, der in der Augsburger Allgemeinen Zeitung feststellte, dass

761

NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 83: Tegernsee, 22. August 1858. Ebenda, Nr. 194: Bonn, 1. Dezember 1877. 763 Vgl. auch Verucci (1999), S. 3–25; vgl. auch die Beobachtungen von Weiß (1990), S. 214. 762

III. Historische Publizistik 

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­ eumont keine der beiden Thesen ernsthaft habe entkräften können.764 ­Reumont R nutzte dagegen die Besprechung von Leopold Wittes Thesen im Archivio Storico Italiano, um auch gegen Karl Benrath zu polemisieren.765 Dieser war jedoch offenbar ein regelmäßiger Leser der italienischen Geschichtszeitschrift und wandte sich direkt an Agenore Gelli, mit der Bitte eine Replik zu veröffentlichten. Gelli über­ eumont, der die Replik zuließ, unter ließ die Entscheidung darüber schließlich R der Bedingung, dass sie gemeinsam mit einem weiteren Kommentar seinerseits veröffentlicht werde.766 Diese Episode unterstreicht, dass R ­ eumont auch noch Ende 1870er Jahre, trotz mancher politischer Differenzen, im Wesentlichen immer noch auf die Unterstützung der Redaktion zählen konnte. Gerade in der Bewertung des liberalen Katholizismus und seiner Vorläufer in Italien konnte R ­ eumont selbst auf die Unterstützung der italienischen liberalen Katholiken setzen, mit deren Gedankenwelt er deutlich besser vertraut war, als die meisten deutschen Gelehrten.767 Seine persönliche Sozialisation innerhalb der Zirkel der Moderati sowie seine Mitarbeit am Archivio Storico Italiano und dessen Förderung mithilfe seines weitreichenden Netzwerks machten ihn zu einem angesehenen Mitarbeiter, dessen Verdienste selbst von Kritikern nicht in Frage gestellt wurden. Für die Übersicht über den Fortgang der internationalen Forschungen zu italienischen Themen stellten seine Notizie bibliografiche einen festen Bestandteil des Programms des Archivio Storico Italiano dar. Die weitgehend unpolitische Rubrik, in der er auch Werke wie dasjenige Leopold Wittes anzeigte, mit denen er nicht einverstanden war, setzte Maßstäbe und half der Zeitschrift dabei, ihrem überregionalen Anspruch gerecht zu werden. Denn die Besprechungen und Anzeigen der deutschsprachigen Literatur boten italienischen Gelehrten einen ersten Überblick über deutsche Arbeiten, den sie in Italien so an keiner anderen Stelle in dem Umfang erhielten. Bereits im Jahre 1847 war deswegen schon Carlo Promis, selbst Mitglied der Deputazione di Storia Patria di Torino, voll des Lobes für die Notizie bibliografiche: „Da lungo tempo io vidi il di Lei bellissimo ed importantissimo Elenco bibliografico degli scritti ultimi tedeschi concernenti la nostra Storia: opera siffatta non era possibile che in 764

Karl Benrath: Zur Geschichte des Protestantismus in Italien, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung 185, 4. Juli 1878. 765 Alfred von R ­ eumont: Lavori tedeschi sulla storia italiana, Archivio Storico Italiano 105 (N. S.) (1878), S. 448–462, hier S. 462. 766 NL ­Reumont, S 1061, Gelli an ­Reumont, Nr. 162: Florenz, 17. Februar 1879; DSPT, Lettere Varie, Alfredo di ­Reumont, Nr. 41: Burtscheid, 21. Februar 1879. 767 Vgl. Alceste Giorgetti: Vittoria Colonna. Leben, Dichten, Glauben im XVI Jahrhundert di Alfredo ­Reumont, Archivio Storico Italiano 128 (N. S.) (1882), S. 218–225, hier S. 225; NL ­Reumont, S 1059, Cesare Cantù an R ­ eumont, Nr. 48: Mailand, 10. Dezember 1881: „Il punto che, nella vita di V Colonna più può importare ai Tedeschi è la sua adesione ai Riformatori. Io n’ho parlato a lungo negli Eretici d’Italia, e massima collocandola nell’atmosfera d’allora, ove non era ben determinato fin dove potesse correggersi la Chiesa. L’assunto dei Tedeschi di far di essa una luterana mostra ignoranza di quel che erano e il Morone, e il Contarini e il Cartesio, e tant’altri santi nomi.“

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Germania, ed in Germania non era possibile da altri che da Lei che così bene in se riunisce le due storie e le due lingue.“768

Dieses Engagement, zu dem er von Vieusseux und Capponi ermutigt worden war, und das er unter Gelli auf Bitten Capponis fortgeführt hatte, blieb bis zuletzt ein wichtiger Bestandteil der Zeitschrift. Während Vieusseux noch regelmäßig die Augsburger Allgemeine Zeitung nach relevanten Artikeln durchgesehen hatte, scheint Gelli sich in dieser Hinsicht allein auf ­Reumont verlassen zu haben. Mit Verwunderung stellte ­Reumont nämlich fest, dass zahlreiche der dort publizierten Artikel von der Redaktion offenbar gar nicht wahrgenommen wurden, wenn er sie nicht darauf aufmerksam machte.769 Deswegen vermittelte ­Reumont, als seine schlechte Gesundheit ihm eine regelmäßige Mitarbeit zunehmend erschwerte, den Berliner Professor für Kunstgeschichte Karl Frey, der sich anbot, die Notizie bibliografiche fortzuführen. Gelli hatte ihn in die Arbeit eingeführt, indem er ihm die ­ eumonts als Muster vorgegeben hatte. Allerdings scheiterte vorherigen Arbeiten R eine dauerhafte Mitarbeit offenbar am schlechten persönlichen Verhältnis Freys zu Carlo Milanesi und Cesare Paoli.770 Die Notizie bibliografiche hatten indes internationale Berühmtheit erlangt. Als fester und erfolgreicher Bestandteil des Archivio Storico Italiano wurden sie 1863 in Berlin separat herausgegeben.771 Während sie in Italien mit Begeisterung aufgenommen worden waren,772 fiel das deutsche und britische Echo zwar grundsätzlich ­ eumont positiv aus,773 allerdings fielen hier die Lücken der Bibliographie auf: R klammerte nämlich nicht nur die neuere Geschichte Italiens aus, sondern verschwieg auch manche Neuerscheinung von kirchenkritischen Autoren, so beispielsweise die polemische Schrift des protestantischen Kirchenhistorikers Karl Hase Papst und Italien, weshalb ihm der Rezensent des Magazins für die Literatur des 768

NL ­Reumont, S 1064, Carlo Promis an ­Reumont, Nr. 170: Turin, 4. März 1847. DSPT, Lettere Varie, Alfredo di R ­ eumont, Nr. 58: Aachen, 29. September 1883: „Nell’Archivio leggonsi spesso notizie di lavori stranieri sulle cose italiane, mai però vengono citati quei dell’Allgemeine Zeitung, malgrado che questa ne contenga tanti. Di me solo, nell’ultimo Semestre ha dato le necrologie del Duca di Sermoneta, Duca di Parma, S. Betti, A. Vannucci ed altri, ma non se ne giammai detta una parola.“ 770 NL ­Reumont, S 1061, Gelli an ­Reumont, Nr. 179u: Florenz, 10. Februar 1885; ebenda, Nr. 179w: Florenz, 16. Mai 1885; ebenda, Nr. 179x: Florenz, San Casciano Val di Pesa, 12. August 1885; DSPT, Lettere Varie, Alfredo di R ­ eumont, Nr. 59: Aachen, 25. September 1884; ebenda, Nr. 62: Aachen, 20. Juli 1885; für die Korrespondenz zwischen ­Reumont und Frey: NL ­Reumont, S 1060, Frey an ­Reumont, Nr. 104b: Freiburg, 5. September 1884; ebenda, Nr. 104d: Berlin, 27. November 1884; Nr. 104h: (ohne Ort) 17. Juli 1885; ebenda, Nr. 104i: Düsseldorf, 30. Dezember 1885. 771 Alfred von R ­ eumont: Bibliografia dei lavori pubblicati in Germania sulla storia d’Italia, Berlin 1863. 772 So etwa Visconte Colomb de Batimes in seiner Besprechung für La Patria, 10. Dezember 1847. 773 Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 160, 9. Juni 1863; Literarisches Centralblatt für Deutschland, Nr. 28, 11. Juli 1863; Magazin für die Literatur des Auslandes, Nr. 24, 17. Juni 1863; The Home and the foreign Review, Juli 1863. 769

III. Historische Publizistik 

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Auslandes eine konfessionelle Einseitigkeit bei der Auswahl attestierte. Bei dieser Kritik würdigten jedoch alle Rezensenten den enormen Aufwand, den ­Reumont betrieben hatte, um diese Literaturlisten zusammenzustellen und räumten ein, dass ein derartiges umfangreiches Projekt notwendig einige Lücken aufweisen müsse. Umso höher sei der Wert für die italienischen Gelehrten, denen diese Bibliographie eine solide Grundlage für weiterführende Recherchen biete. Es sei demnach zu wünschen, dass derartige Bibliographien auch zu anderen Themen veröffentlicht würden, um den Gelehrten die Rezeption ausländischer Literatur zu erleichtern. Trotz mancher Mängel hatte R ­ eumont mit seinen Notizie bibliografiche der deutsch-italienischen Wissenschaft einen wichtigen Dienst erwiesen, der den Austausch bzw. die gegenseitige Wahrnehmung maßgeblich förderte. Damit hatte er entscheidend zur Bekanntheit des Archivio Storico Italiano im deutschsprachigen Raum beigetragen. 3. Das Giornale Arcadico als katholische Ausweichplattform Während ­Reumont gegen Ende der 1850er Jahre zunehmende Differenzen mit Vieusseux über die politischen Entwicklungen in Italien auszufechten hatte, da er die Ausrichtung der Nationalbewegung auf das Haus Savoyen wegen der piemontesischen Kirchenpolitik während des Decennio di Preparazione ablehnte, bot ihm das Giornale Arcadico eine willkommene Ausweichmöglichkeit. Seit ­Reumonts Beteiligung an der Mission zur Beilegung der sogenannten Kölner Wirren, hatte er begonnen, wichtige Kontakte, nicht nur an die Kurie, sondern in erster Linie auch in der römischen Gelehrtenwelt zu knüpfen. So trat er auch in Kontakt mit Salvatore Betti und dem von ihm herausgegebenen Giornale Arcadico. Dieses galt als das wichtigste römische Kulturjournal zu Anfang des 19. Jahrhunderts, an dem sich zeitweise auch der für seine Arbeiten zur römischen Topographie berühmte Archäologe Antonio Nibby beteiligte. Unter der Protektion des Papstes sowie unter Leitung und Finanzierung Pietro Odescalchis war es ein in konserva­ tiven Kreisen und unter den legitimen Souveränen gern gesehenes Journal.774 Während ­Reumont seit seinen römischen Aufenthalten Mitglied namhafter Akademien, wie der Accademia di San Luca oder der Pontificia accademia romana d’archeologia war, verfolgte er auch die Arbeiten des Giornale Arcadico mit großem Interesse. Im Rahmen der von Vieusseux beabsichtigten Vernetzung des Ar­ eumont zwischen den beiden chivio Storico Italiano in ganz Italien, versuchte R Zeitschriften einen regelmäßigen Austausch zu etablieren. Allerdings musste er feststellen, dass Vieusseux sich dem Giornale Arcadico gegenüber reserviert zeigte. 774

Mario Scotti: Betti, Salvatore, DBI 9 (1967) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/ salvatore-betti_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016; Marco Manfredi: Odescalchi, Pietro, DBI 79 (2013) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/pietro-odescalchi_ (Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016.

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C. Publizistik

Noch im Jahre 1851 stellte ­Reumont mit Erstaunen fest, dass, obwohl in der römischen Zeitschrift zahlreiche für die Forschung interessante Artikel abgedruckt wurden, dieses Periodikum weder in Vieusseux’ Lesekabinett vertreten war, noch rezipiert wurde.775 Dies hing mit der zunehmend politischen Ausrichtung des ­Archivio Storico Italiano auf die Führungsrolle Sardinien-Piemonts sowie die Beteiligung von in Kreisen der Kurie diskreditierten Moderati, wie Achille Gennarelli oder ­Terenzio Mamiani, die durch ihre Forderungen nach einer Reformierung der weltlichen Papstherrschaft und ihre Beteiligung an der Römischen Republik in Ungnade gefallen waren, zusammen.776 Die Beteiligung dieser Personen musste die Zusammenarbeit mit einer vom Papst protegierten Zeitschrift zwangsläufig erschweren, und als das Archivio Storico Italiano im Jahre 1857 auf den Index gesetzt worden war, verbot sich eine aktive Kooperation aus Sicht des Giornale Arcadico ohnehin. Während R ­ eumont einerseits in Rom für eine Rücknahme des Verbots eintrat und Besserung versprach, auf die er eigentlich keinen Einfluss hatte, wurde andererseits sein persönliches diplomatisches und publizistisches Engagement für Papst und Kirchenstaat gegen die offensive piemontesische Nationalstaatspolitik zur Kenntnis genommen. Obwohl R ­ eumont zu keinem Zeitpunkt ultramontane Tendenzen zeigte und für ein Festhalten an den bisherigen liberalen Zugeständnissen eintrat, zweifelte die Kurie nicht an seiner Loyalität zum Papsttum. Deswegen konnte er trotz seiner intensiven Mitarbeit am Archivio Storico Italiano gute Kontakte in die konservativen römischen Kreise pflegen. Nachdem er sich als Ehrenmitglied der Direktion des Instituto di corrispondenza archeologica sowie als Mittler zwischen der deutschsprachigen und italienischen Gelehrtenwelt einen Namen gemacht hatte, wurde er auch von den römischen Akademien eingeladen, Vorträge zu halten. Nach einem seiner Vorträge an der Pontificia Accademia Romana d’Archeologia leitete der Präsident Pietro Ercole Visconti die schriftliche Fassung an Salvatore Betti weiter, um sie im Giornale Arcadico zu publizieren.777 In der Folge wurden R ­ eumonts Vorträge regelmäßig publiziert. Handelte es sich während der 1850er Jahre noch um vornehmlich kulturelle Themen, nutzte R ­ eumont nach der Gründung des Königreichs Italien und dessen Invasion des Kirchenstaates das ­Giornale Arcadico als Plattform, um dort diejenigen Ansichten zu äußern, für die im Archivio Storico Italiano kein Platz mehr war.

775

BNCF Vieuss. C. V. 89,20, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. Februar 1851: „Orioli publie dans l’Arcadico de Chroniques de Viterbe & quantité des documents intéressants qui auraient dû trouver une plan d.s l’Archivio. Maintenant, personne n’y fait attention, & l’Arcadico ne se trouve pas même au Cabinet Vieusseux !“ 776 Zu Mamiani vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 99–101; zu Gennarelli vgl. Kapitel C. III. 2. Das Archivio Storico Italiano als Dreh- und Angelpunkt für ­Reumonts kulturelles Engagement, S. 360–362. 777 NL ­Reumont, S 1067, Pietro Ercole Visconti an ­Reumont, Nr. 41: Rom, 5. Januar 1855; Del gruppo di Cristo di San Tommaso, lavoro di Andrea del Verrocchio. Illustrazione di Alfredo di ­Reumont, socio corrispondente della pontificia accademia di archeologia, Giornale Arcadico 137 (1854), S. 3–27.

III. Historische Publizistik 

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Im Jahre 1861 veröffentlichte er eine Rede unter dem Titel Roma e la Germania, in der er die kosmopolitische Bedeutung Roms als Hauptstadt der Christenheit herausstellte.778 In diesem Überblick über die Geschichte Roms hob er insbesondere die mittelalterliche Kooperation zwischen Papsttum und Kaisertum zur Verbreitung des Christentums hervor und betonte, dass im Laufe der Geschichte Rom und Deutschland stets gegenseitig voneinander profitiert hätten. Hinsichtlich der zeitgenössischen Situation des Papsttums, das sich nach der Restauration in Folge der Römischen Republik des Jahres 1849 als reformunfähig zu erweisen schien, war ­Reumonts Verweis auf die deutschen Einflüsse vielsagend. Er erklärte nämlich seinem römischen Publikum: „Mentre la Germania, per opera di santi pontefici, contribuì a novello splendore della santa sede, la santa sede concorse a compiere la civiltà germanica.“779

Die Gegenleistung der germanischen Welt für die Christianisierung bestand demnach nicht nur in der damals gemeinhin einseitig betrachteten Protektion der Kirche durch die Kaiser, sondern insbesondere auch im Reformpapsttum des 11. Jahrhunderts. Das gebildete Publikum, das sich selbstverständlich in der Papstgeschichte auskannte, verstand den Hinweis auf die „heiligen deutschen Päpste“, die dem Heiligen Stuhl zu neuem Glanz verholfen hatten. Der aus Toul stammende und später heilig gesprochene, als gebürtiger Elsässer „deutschstämmige“ Leo IX. hatte das Reformpapsttum eingeleitet. Bereits die Namenswahl manifestierte den Anspruch, sich an Papst Leo dem Großen und der römischen Kirche des 5. Jahrhunderts zu orientieren, die sich als Vertreter der römischen Interessen inszenierte, den theologischen Primat für sich beanspruchte und den Schwerpunkt auf die Verkündigung und Frömmigkeit legte. Im Zentrum von Leos IX. Reformpolitik stand die Bekämpfung der Simonie, Laieninvestitur und Priesterehe. Dafür zog er zahlreiche Unterstützer an die Kurie, darunter bekannte Namen wie Humbert von Silva C ­ andida, Hugo von Remiremont, Friedrich von Lothringen, der spätere Stephan IX., Hildebrand, der spätere Gregor VII. (1073–1085) oder Petrus Damiani. Mit der Reformpolitik und Stärkung des römischen Primats über die Gesamtkirche sowie der Förderung des Ordenslebens legte Leo IX. die Grundlagen für die Gregorianischen Reformen Gregors VII.780 Unter Gregor VII. gelangte die mittelterliche römische Kirche auf den Zenit ihrer Macht, die sie mit dem Gang nach Canossa König Heinrichs IV. im Jahre 1077 demonstrierte. Sowohl von konservativen als auch liberal-katholischen Kreisen erfuhr Gregor VII. eine besondere Wertschätzung, weil er einerseits eine starke, unabhängige und handlungsfähige Kirche symbolisierte, die zudem in der Lage war dem im 19. Jahrhundert als „deutsch“ bezeichneten Reich die Stirn zu bieten. Deswegen deuteten italienische Liberal-Katholiken wie etwa Cesare Balbo den auf den Grundlagen des „deutschen Reformpapstums“ aufbauenden Papst 778

Roma  e la Germania. Discorso di Alfredo di R ­ eumont, Giornale Arcadico 172 (1861), S. 139–147. 779 Ebenda, S. 142. 780 Ekkart Sauser: Leo IX., Papst, BBKL 4 (1992), Sp. 1443–1448.

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Gregor VII. als einen „italienischen“ Herrscher, der auf der moralischen Basis des Christentums um die nationale Unabhängigkeit rang.781 Die oben zitierte Aussage ist also weder als Rechtfertigung eines deutschen Anspruchs auf Rom, noch als einfache Verteidigung der Papstherrschaft zu verstehen, ­ eumont forderte eine tiefgreifende Resondern greift inhaltlich deutlich weiter: R form der Kirche wie des Papsttums, um ihr, wie unter den „heiligen deutschen Päpsten“, wieder zu neuem Glanz zu verhelfen, der sie in den Stand versetzen sollte, die Gesellschaft in allen Bereichen zu durchdringen und zu prägen. Der Schlüssel zur Stärkung der päpstlichen Position in der Welt lag insofern zunächst in der Rückbesinnung auf Frömmigkeit und Predigt. Möglicherweise hoffte ­Reumont dabei auch auf den Einfluss deutscher Theologen, wie denjenigen der Bonner Theologischen Fakultät. Dass er an dieser Stelle jedoch dem liberalen Katholizismus das Wort redete, der seiner Meinung nach die Kirche eben nicht schwächte, sondern ihr überhaupt erst die Möglichkeit eröffnete, aus der gegenwärtigen Krise gestärkt hervorzugehen, war jedem Zuhörer bewusst. Insoweit verstand er es allerdings durch den Rekurs auf das Reformpapsttum, das in das Pontifikat des auch in reaktionären Kreisen verehrten Gregors VII. gemündet war, auch die konservativen Zuhörer mit seinen Reformforderungen zu versöhnen. R ­ eumont beschloss seinen Vortrag mit der optimistischen Hoffnung, dass es einem kosmopolitischen Rom mit Gottes Hilfe gelingen werde, Altes mit Neuem zu verbinden: „Roma è patria di tutti. È patria, mercè quell’unico consorzio del mondo antico col mondo moderno; è patria mercè la mirabile unione della natura coll’arte, dell’ideale colla realtà, della disciplina colla libertà: mercè l’armonia della dottrina colla fede, mercè quella giusta relazione del sacro col profano che accresce la nobiltà a questo, efficacia a quello a pro del perfezionamento sociale. Così la provvidenza ci salvi e conservi Roma!“782

Die Aufgabe Roms sei es demnach, als Zentrum der Christenheit jedermann eine Heimat zu bieten, indem es Gegensätze miteinander versöhnte. Genau deswegen durfte ­Reumonts Meinung nach Rom keiner einzelnen Nation oder Partei angehören. Denn nur über seine Neutralität konnte Rom seiner Aufgabe gerecht werden und Orientierungspunkt der gesamten Christenheit sein. Angesichts der bei dieser Gelegenheit formulierten Hoffnungen versteht man die Probleme R ­ eumonts wie auch anderer liberaler Katholiken mit dem späteren Vatikanischen Konzil: Während eine Kirchenreform gefordert wurde, die die Kirche stärken sollte, indem sie Gegensätze miteinander versöhnte, verursachte sie ein weiteres Schisma, förderte den sogenannten Kulturkampf und stärkte das nationale (italienische) Element innerhalb der Kurie. Damit sollte das genaue Gegenteil dessen eintreten, was sich ­Reumont noch in den 1860er Jahren erhofft hatte. Indes fand R ­ eumonts Vortrag in römischen Kreisen lebhaften Beifall, und Salvatore Betti konnte die schriftliche Fassung nach Erhalt der notwendigen Genehmi 781

Pezzimenti (2012), S. 265. Roma  e la Germania. Discorso di Alfredo di R ­ eumont, Giornale Arcadico 172 (1861), S. 139–147, hier S. 146. 782

III. Historische Publizistik 

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gungen im Giornale Arcadico abdrucken.783 Auch in der Folge wurden R ­ eumonts Vorträge vor der Pontificia Accademia Romana di Archeologia anschließend im Giornale Arcadico veröffentlicht, sehr zum Unmut von Vieusseux. Während er die Beiträge R ­ eumonts für das Archivio Storico Italiano eingehend auf ihre politische Opportunität hin untersuchte, verfolgte er es mit Sorge, dass einer seiner führenden Mitarbeiter Artikel im konservativen Giornale Arcadico publizierte. Denn diese fanden offenbar große Beachtung. Nachdem ­Reumont einen Vortrag über die Karlsgruft in Aachen gehalten hatte,784 hatte sich die Gazzetta di Venezia ex­ eumont Viktor Emmanuel II. und das moderne Italien plizit darüber beklagt, dass R ­ eumont darin abschließend erwähnt, dass das Werk kritisiert habe.785 Zwar hatte R Karls des Großen von einem späteren König wieder rückgängig gemacht worden sei, allerdings hatte er weder Viktor Emmanuel noch das moderne Italien namentlich erwähnt.786 Die Episode gibt jedoch einen Eindruck davon, dass Vieusseux tatsächlich fürchtete, ­Reumont könnte durch seine Artikel das Archivio Storico Italiano kompromittieren. ­Reumont indes nutzte diese Plattform später für seinen bereits erwähnten Artikel über das Völkerrecht, um diesen nach der Ablehnung durch Vieusseux doch noch publizieren zu können. 4. ­Reumont als Italienfachmann in Sybels Historischer Zeitschrift Als Heinrich von Sybel im Jahre 1859 die Historische Zeitschrift gründete, lag es in seinem Interesse, auch die historische Literatur des Auslandes zu berücksichtigen, weshalb er sich um entsprechende Beiträger bemühte, die mit der jeweiligen 783 NL ­Reumont, S 1058, Salvatore Betti an ­Reumont, Nr. 150: o. O., 1. Mai 1862: „Sarà un bel favore che ella renderà al giornale arcadico inviandogli il nobilissimo discorso – Roma e Germania – da lei letto lunedì passato al nostro simposio accademico. Più presto l’avrò dalla sua cortesia, e più presto ne ordinerò la stampa, dopo averne ottenuta l’approvazione necessaria del P. maestro del sacro palazzo.“ 784 Della chiesa e del sepolcro di Carlomagno in Acquisgrana. Discorso letto il dì 5 marzo 1863 nella pontificia accademia romana di archeologia da Alfredo ­Reumont socio corrispondente, Giornale Arcadico 175 (1862), S. 203–221. 785 ­Reumont rechtfertigte sich gegenüber Vieusseux, weder Viktor Emmanuel II. noch das moderne Italien namentlich erwähnt zu haben. – BNCF Vieuss. C. V. 89,177, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 2. April 1863: „Quant à mon discours sur le tombeau et l’église de Charlemagne, il n’y-a pas une syllabe qui ait rapport ni au Roi V.r Emman. ni à l’Italie moderne, de sorte que je ne conçois rien à ce que V.s me dites de la Gazette de Venise que je n’ai pas vu. Le discours va être imprimée d.s l’Arcadico.“ 786 Della chiesa e del sepolcro di Carlomagno in Acquisgrana. Discorso letto il dì 5 marzo 1863 nella pontificia accademia romana di archeologia da Alfredo ­Reumont socio corrispondente, Giornale Arcadico 175 (1862), S. 203–221, hier S. 220–221: „Ma insieme, col sublime magistero della storia, in quell’augusto tempio ci mostra alzato ai più eccelsi onori, e venerato dal popol senza numero, l’eroe che cercò gloria maggiore nel farsi avvocato e difensore della Chiesa, mentre incerta rimane la traccia colui, che chiamò sul suo capo il giudizio di Dio, strascinando a rovina la sua famiglia, il suo regno, il suo popolo, per aver osato attentare alla maestà di Roma, e far violenza al diritto e all’autorità del pontificato.“

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Literatur vertraut waren. Als ehemaliger preußischer Ministerresident am großherzoglichen Hof von Toskana und zu diesem Zeitpunkt bereits prominenter Italien­ eumont Sybel der geeignete Italienkorrespondent zu sein. Bereits kenner erschien R für die Archivreise des Droysen-Schülers und Mitarbeiters der Historischen Zeitschrift, Bernhard Erdmannsdörfer, hatte ­Reumont diesem auf Bitten Sybels über seine privaten Kontakte Zugang zu den relevanten Archiven verschafft.787 Nachdem ­Reumont mit seinem ersten Beitrag, einer ausführlichen Besprechung von Domenico Caruttis Storia del Regno di Vittorio Amedeo II788, sowohl Sybel als auch König Maximilian II. von Bayern überzeugen konnte, äußerte Sybel gegenüber ­Reumont die Bitte, auch einen Artikel über die historische Literatur Italiens der letzten Jahre zu verfassen.789 ­Reumont ließ sich nicht lange bitten und lieferte die geforderten Besprechungen, für die er auf die Vorarbeiten für das Archivio Storico Italiano zurückgreifen konnte. Allerdings hatte auch hier die Mitarbeit politische Grenzen. Als ­Reumont im Rahmen seiner italienischen Literaturbesprechungen Antonio Coppis Annali d’Italia hinsichtlich der Konföderationsprojekte des Jahres 1848 einsandte,790 behielt sich Sybel einige Kürzungen vor, die er wie folgt begründete: „Ihren Aufsatz über Coppi acceptire ich sehr dankbar, unter der Voraussetzung, daß Sie mir gestatten, den Eingang auf eine kurze Bemerkung, daß das Buch bei der Entwicklung der Gegenwart erhöhtes Interesse habe, zu beschränken, und die weiteren sonst vorkommenden ausdrücklichen Beziehungen auf die heutigen Ereignisse zu streichen. Denn ich darf nicht von dem Grundsatze abgehn, die […] Tagesfragen zu der Politik aus zuschließen, und könnte die italienischen Dinge von 1848 kaum zu den historisch abgeschlossenen nehmen, wenn nicht Coppi’s Darstellung eine so einfach das Factum referierende [sein] würde. So habe ich einen […] Essai über Manin’s Correspondenzen und Rechtsschriften noch in diesen Tagen abgelehnt. Wenn ich anders verführe, so müßte ich meiner Zeitschrift eine unbedingtere und prononceirtere politische Farbe geben, und bedaure, daß ich dann das durch Ihren Aufsatz durchklingende Urtheil nicht zu dem meinigen [machen] könnte. Jetzt aber, wo ich nicht eine politische sondern eine historische Zeitschrift redigire, freue ich mich des lehrreichen

787 NL ­Reumont, S 1066, Heinrich von Sybel an ­Reumont, Nr. 131: München, 15. November 1859. 788 Domenico Carutti: Storia del Regno di Vittorio Amedeo II, Turin 1856; Alfred von R ­ eumont: Des Königs Victor Amadeus von Sardinien Thron-Entsagung und Ende, HZ 4 (1860), S. 36–69. 789 NL ­Reumont, S 1066, Heinrich von Sybel an ­Reumont, Nr. 132: Bad Neckolzen bei Traunstein, 8. August 1860: „Ich habe Gelegenheit gehabt, Ihren Aufsatz dem König Max und den Ausführungen vorzulesen, der an dem spannenden Inhalt und der prägnant ausgearbeiteten Form seine große Freude hatte. Je mehr ich wünschen muß, Beiträge solcher Qualität häufig zu bieten, desto mehr überlasse ich mich der Hoffnung, Ihnen in Aussicht zu stellen, Etwas über die historische Literatur Italiens in den letzten Jahren noch für das 4. Heft zu erhalten. Es ist für mich früh genug, wenn es Ende Sept. oder Anfang October eintrifft. Sie würden mich aber jedenfalls durch ein Wort über Ihren derselbigen Entschluß, welches ich möglichst bald empfinge sehr verbinden, da ich mit Italien selbst ein ähnliches Anerbieten erhalten habe welches ich annehmen würde, wenn Sie verhindert wären, oder ablehnen, wenn ich auch Ihre Arbeit in Aussicht hätte.“ 790 Alfred von ­Reumont: Coppi’s Annali d’Italia für das Jahr 1848. Italienische Conföderation. Fremde Truppen, HZ 5 (1861), S. 99–110.

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Beitrags, wenn Sie jene Kürzungen gestatten. Sollte letzteres wider Vermuthen nicht der Fall sein, so bitte ich um Nachricht, dann bis Ende Januar, da ich sonst um diese Zeit ungefähr den Aufsatz der Druckerei geben würde.“791

Heinrich von Sybel behandelte die Mitarbeit R ­ eumonts ähnlich wie die Redaktion des Archivio Storico Italiano: Obgleich er die politischen Einschätzungen ­Reumonts oftmals nicht teilte, wollte er dennoch nicht auf dessen wertvolle Mitarbeit als Italienkenner verzichten. Denn unabhängig von den politischen Einord­ eumont über seine Kontakte zu Gelehrten und Politikern über nungen verfügte R einen guten Zugang zu Informationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, von dem auch die Historische Zeitschrift profitieren konnte. Und tatsächlich gelang es Sybel, ­Reumont für eine langfristige Beitragstätigkeit zu gewinnen – obgleich diesem die politische Ausrichtung der Zeitschrift eigentlich missfiel. Gegenüber ­Capponi beklagte er sich explizit über Sybels Tätigkeit: „Il linguaggio dei giornali salariati dal governo, e dei di lui partigiani quali sono parecchi dei professori miei vicini, p. es. il Sigr de Sybel, divenuto tribuno furibondo, è provocante in modo da far temere le più gravi conseguenze.“792

Letztlich war ­Reumonts Engagement für die Historische Zeitschrift zu beiderseitigem Nutzen: Während Sybel großen Wert auf die Literaturberichte eines füh­ eumont die Möglichkeit, über renden und namhaften Italienkenners legte, bot sie R die führende deutsche Geschichtszeitschrift ein breites Fachpublikum zu erreichen. 5. Fazit ­Reumonts intensive Mitarbeit an der historischen Berichterstattung der Augsburger Allgemeinen Zeitung und der Historischen Zeitschrift auf deutscher Seite sowie des Archivio Storico Italiano und des Giornale Arcadico auf italienischer Seite verschaffte ihm eine einflussreiche Stellung als Mittler zwischen der deutschen und italienischen Kulturwelt. Allerdings ist eine deutliche Verschiebung seiner Mittlertätigkeit im Laufe der Jahre zu beobachten. Während seine Publikationen für das Archivio Storico Italiano in der führenden italienischen Geschichtszeitschrift des vornationalstaatlichen Italiens publiziert wurden, verlor dieses Prestigeprojekt nach der Nationalstaatsgründung und durch den kulturpolitischen Führungsanspruch Piemonts im Nationalstaat an überregionaler Bedeutung und fiel hinter die neueren national ausgerichteten Zeitschriften, wie die Rivista Storica Italiana oder Nuova Antologia, zurück.793 ­Reumont beteiligte sich an den neuen Zeitschriftenprojekten, die sich in den Dienst des Nationalstaates stellten, nicht, obwohl er mit ihren Mitarbeitern wie Pasquale Villari oder Marco Tabarrini in Kontakt stand. Stattdessen 791

NL ­Reumont, S 1066, Heinrich von Sybel an R ­ eumont, Nr. 133: München, 14. Dezember 1860. 792 BNCF, Gino Capponi XI. 48, Nr. 104: Bonn, 20. November 1874. 793 Vgl. Porciani (1979), S. 219–238.

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engagierte er sich im römischen Giornale Arcadico, in dem nicht nur seine Literaturberichte, sondern auch seine politischen Einschätzungen und seine Parteinahme für den Schutz des Papsttums willkommen waren. Sein Bestreben, das Papsttum mit der modernen Gesellschaft zu versöhnen, ließ ihn nach der Hauptstadtverlegung nach Rom wieder zu einem gefragten Beiträger der Vereinszeitschrift der gerade gegründeten Società romana di storia patria werden, die es sich zur Aufgabe machte, die Geschichte Roms und des Papsttums mit dem italienischen Nationalstaat in Einklang zu bringen.794 In Deutschland blieb seine umfassende Kenntnis der italienischen Geschichte, sowohl des Mittelalters als auch der Zeitgeschichte, der entscheidende Faktor, der ihn für italienische Themen in deutschsprachigen Publikationsorganen prädestinierte. Die Mitarbeit an der Augsburger Allgemeinen Zeitung führte R ­ eumont dabei bis in die 1880er Jahre fort. Zudem mochte auch Heinrich von Sybel nicht auf seine Mitarbeit an der Historischen Zeitschrift verzichten. Flankiert wurde dieses Engagement in ­Reumonts letzten Lebensjahren einerseits durch regelmäßige Beiträge zum von Hermann Grauert bzw. Georg Hüffer herausgegebenen Historischen Jahrbuch sowie durch eine intensive Schreibtätigkeit für die Vereinszeitschrift des von ­Reumont gegründeten Aachener Geschichtsvereins, in der er seine alten italienischen Studien mit Bezug auf Aachen aufbereitete. Trotz mancher politischer Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten hat ­ eumont die gegenseitige historische und kulturelle Kenntnis zwischen DeutschR land und Italien durch seine zahlreichen Zeitschriftenbeiträge in einer Intensität gefördert, die ihresgleichen suchte und auch von anderen führenden Mittlergestalten wie Mittermaier, Rumohr, Gregorovius, Witte, Gar oder Villari in Vielfalt und In­ eumont der deutschen Öffentlichtensität nicht erreicht wurde. Dabei vermittelte R keit – teils explizit, teils anhand historischer Arbeiten – das Italienbild der liberalen Katholiken und Moderati aus vorwiegend toskanischer Perspektive.

IV. Zwischen Strukturgeschichte, göttlicher Vorsehung und menschlichem Handeln: ­Reumonts Werdegang vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen Während seiner Anfangszeit in Italien besserte ­Reumont sein Salär, so wie es zahlreiche Auslandsreisende taten, auf, indem er sich als Korrespondent für die Augsburger Allgemeine Zeitung sowie das Morgenblatt betätigte. Ohne ein Studium der Geschichte oder Kunstgeschichte absolviert zu haben, orientierte er sich in seinen Beiträgen zunächst an der damals gängigen Reiseberichterstattung, indem er den Leser mit geographischen, statistischen und historischen Daten versorgte. Erst durch seine vor Ort geknüpften Kontakte zu deutschen und italienischen Gelehrten wurde er in die historischen und kunsthistorischen Forschungen eingeführt 794

Vgl. Kapitel C. IV. 2. a) Die Geschichte der Stadt Rom, S. 428–429.

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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und stützte seine in der Folge publizierten Arbeiten auf ihm bekannt gewordene Quellenbestände und Sekundärliteratur, über die er durch seine diversen Bekanntschaften verfügen konnte. Bedingt durch seine Kontakte zu Rumohr, Gaye, Schorn und Förster entdeckte er die Biographik für sich. Nachdem er sich mit Andrea del Sarto zunächst dem damals aufkommenden Genre der historischen Künstlerbiographik gewidmet hatte, wandte er sich anschließend mit den Biographien der Medici einem in Florenz naheliegenden und von seinen dortigen Bekannten an ihn herangetragenen Thema zu. Im Anschluss an die persönlichen Erfahrungen während des Risorgimento ver­ eumonts Interesse verstärkt hin zur Memoirenliteratur. Seine Biograschob sich R ­ eumont ein Denkmal zu phien behandelten nun verstorbene Zeitgenossen, denen R setzen beabsichtigte. Nach den Erlebnissen der italienischen Nationalstaatsgründung und der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen um die Römische Frage ­ eumont nicht mehr wie sowie später um den sogenannten Kulturkampf, ging es R anfangs darum, mithilfe der Geschichte die Gegenwart zu erklären, sondern das Handeln und die dahinterstehenden Absichten ihm persönlich nahestehender Akteure zu erklären und zu rechtfertigen. Dabei sollte die Gedankenwelt der behandelten Persönlichkeiten alternative Handlungsmöglichkeiten für die Gegenwart ­ eumonts Auffassung in einer tiefen politischen Krise befand. bieten, die sich nach R In den folgenden Unterkapiteln wird also R ­ eumonts Werdegang als historischer Publizist anhand seiner monographischen Veröffentlichungen verfolgt und der Wandel seines Umgangs mit der Geschichte beleuchtet, der eng an seine persönlichen Erlebnisse geknüpft ist. Neben der Frage nach dem fachlichen Wert seiner Arbeiten ist auch der Wirkung auf die gebildete Öffentlichkeit nachzugehen. Nachfolgende Fragestellungen sollen im Mittelpunkt stehen: An wen richteten sich ­Reumonts Monographien, welche Absicht stand dahinter, und welche Reaktionen riefen sie hervor? 1. Geschichte, Kultur, Land und Leute – und die Forderung nach maßvollen Reformen zur Revolutionsprävention In seinen ersten monographischen Publikationen lehnte sich ­Reumont eng an seine Zeitschriftenkorrespondenzen an und bot dem Leser eine reiche Datensammlung. In den folgenden beiden Unterkapiteln wird gezeigt, welche Daten er bot, woher er sie erhielt und welche Wirkung er damit erzielte.

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a) Die Tavole cronologiche als nützliche Datensammlung für den Historiker Bereits nach nur wenigen Jahren Aufenthalt in der Toskana nahm ­Reumont sein erstes größeres eigenständiges Publikationsprojekt in Angriff: die Tavole cronologiche e sincrone della Storia Fiorentina795. Dabei handelte es sich um eine chronologische Auflistung der Daten zur florentinischen Geschichte. In den sechs Spalten wurden dabei synchron die Regentschaften der Kaiser und Päpste angeführt, gefolgt von der politischen, der Literatur- sowie Kunstgeschichte. Abgeschlossen wurde die Tabelle mit zeitgenössischen Ereignissen, die eine Einordnung in die Weltgeschichte erleichtern sollten. Abgerundet wurden die Tavole durch die Stammbäume wichtiger florentinischer Familien: den Albizzi, den Capponi, den Strozzi sowie den Medici. Das in der Konzeption sehr ehrgeizige Projekt konnte selbstredend keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, wie auch ­Reumont selbst in der Einleitung klarstellte.796 Stattdessen sollte es denjenigen Gelehrten und Interessierten, die sich mit der florentinischen Geschichte auseinandersetzten sowohl einen Einstieg in die Lokalgeschichte als auch eine Orientierungsmöglichkeit bieten. Das ­ eumonts war es, zur weiteren Erforschung der florentinischen zentrale Anliegen R Geschichte zu motivieren und eine erste Ausgangsbasis für zukünftige Projekte zu bieten. Dafür bedurfte es intensiver Recherchen vor Ort, um eine derart umfangreiche Datensammlung zur Lokalgeschichte vorlegen zu können. Durch die persönlichen Kontakte Vieusseux’ schien der Zugang zu den vor Ort zu recherchierbaren Daten gesichert, während R ­ eumont diese Datensammlung mit den Ergebnissen der deutschsprachigen Wissenschaft verbinden sollte. Vieusseux hatte es dabei unter anderem zum festen Vertragsbestandteil gemacht, dass R ­ eumonts Manuskript nicht nur Vieusseux, sondern auch seinem Sekretär Polidori für die sprachliche Überarbeitung als auch dem Kunsthistoriker Johannes Gaye für die wissenschaftliche Korrektur vorgelegt werden sollte.797 Dies waren jedoch bei weitem nicht die einzigen Unterstützter dieser Publikation. Zur Erstellung der Stammbäume, nicht nur der Capponi sondern auch der Albizzi und Strozzi, griff ­Reumont auf die Forschungen Gino Capponis sowie dessen persönliche Kontakte zurück,798 während er zu einigen Entwürfen auch die Meinung Felix Papencordts einholte.799 Neben der formalen Ausgestaltung sowie der Frage nach den zu berücksichtigenden Daten erwies sich auch R ­ eumonts Einführung als Gegenstand kontroverser Diskussionen.800 ­Reumont 795

Alfred ­Reumont: Tavole cronologiche e sincrone della Storia Fiorentina, Aachen 1841. Ebenda, S. 25. 797 Gabinetto Scientifico Letterario Vieusseux, Copialettere, Vieusseux an R ­ eumont, 30. Oktober 1839. 798 BNCF Vieuss. C. V. 88,61, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 5. November 1840; 61, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 6. November 1840; 64, ­Reumont an Vieusseux, 8. Dezember 1840; 65, Rom, 17. Dezember 1840; 115, ­Reumont an Vieusseux, Rom, Oktober 1841. 799 Ebenda, 68, ­Reumont an Vieusseux, Rom, o. D., 1840. 800 Vgl. etwa die kritischen Anmerkungen Vieusseux’, Polidoris und Capponis hinsichtlich der Florentiner Verfassung und der zu lang geratenen Darstellungen – BNCF Vieuss. C. V. 88,84, 796

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hatte den Tavole nämlich eine Einleitung vorangestellt, in der er einen kurzen Überblick über die florentinische Geschichte gab. Obgleich die Darstellung nur kurso­ eumont damit ein Terrain, das unweigerlich die Zensur auf den risch war, betrat R Plan rief. Während seine Auflistung historischer Daten kein Problem darstellte, entfachte die Darstellung sowohl Cosimos I. als auch Peter Leopolds eine lebhafte Diskussion über ihre historische Größe und hinsichtlich möglicher Einwände von Seiten der Zensur. R ­ eumont lobte Cosimo I. nämlich als denjenigen Großherzog, der die Toskana aus dem Ruin, in den sie nach dem Tod Lorenzo de’ Medicis gefallen war, zu neuem Glanz geführt habe.801 Dass ­Reumont in seinem anfänglichen Entwurf Cosimo I. als den größten Herrscher der Toskana bezeichnet hatte, hielten Vieusseux und Capponi für problematisch, weil es einerseits ihrem politischen Programm der Verherrlichung des reformfreudigen Peter Leopold als Vorbild für den gegenwärtigen Großherzog Leopold II. widersprach, andererseits, weil die großherzogliche Zensur es wohl kaum gestatten würde, dass Cosimo I. über die Herrscher des Hauses Habsburg-Lothringen gestellt würde.802 Deshalb schlug Vieusseux vor, Cosimo I. lediglich als den größten Herrscher der Medici zu bezeichnen, um damit einen möglichen Einwand der Zensur zu vermeiden.803 Durch eine derartige Umformulierung wurde der entsprechende Satz auch aus Sicht der Moderati wieder tragbar. Denn Cosimo I. hatte zwar nach der politischen Instabilität nach dem Tod von Lorenzo il Magnifico Florenz wieder zu wirtschaftlichem und politischem Gewicht verholfen, jedoch zugleich die alte republikanische Regierungsform end­ eumont wich zwar nicht von seiner positiven Einschätzung von gültig aufgelöst. R Cosimos I. Regierungszeit hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Stärkung von Florenz ab, räumte jedoch ein, dass er dessen politisches System ebenfalls ablehnte. Bezüglich der historischen Leistung, Florenz nach Lorenzo il Magnifico erneut zu altem Glanz verholfen zu haben, rückte er jedoch nicht davon ab, dass Cosimo I. noch vor Peter Leopold der erste gewesen sei, der Florenz wieder aufgerichtet habe, allerdings gestand er Vieusseux und Capponi zu, den Satz nach ihrem Gutdünken abzuändern.804 Die Kompromisslösung lautete schließlich: ­ eumont an Vieusseux, Rom, 10. April 1841 mit Antwortentwurf (Florenz, 18. April 1841); 86, R ­Reumont an Vieusseux, Rom, 23. April 1841. 801 Alfred ­Reumont: Tavole cronologiche  e sincrone della Storia Fiorentina, Aachen 1841, S. 18–19. 802 Gabinetto Scientifico Letterario Vieusseux, Copialettere, Vieusseux an R ­ eumont, 2. März 1841: „Vous cite dans v. introduction que Cosimo fut le plus grand prince qui ait en la Toscane; il serait convenable, mon cher ami, à modifier un peu cette phrase. 1. Parce que elle peut ne pas paraitre tout à fait juste dans le pays qui regarde Leopold I. comme son régénérateur. 2. Parce que juste o non il est à craindre que la censure qui est toujours un peu linéarisant & ne fasse des observations et peut être des difficultés; Capponi au quel j’ai communiqué mon doute parait penser comme moi. Ne pouvez-vous pas vous contenter de dire qu’il fut le plus grand des Medici!“ 803 Ebenda. 804 BNCF Vieuss. C. V. 88,126, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, o. D. 1841: „Je ne saurais m’empêcher d’être toujours d’opinion que Cosimo I a été le plus grand prince qu’a eu la Toscane. Je ne suis nullement admirateur de son système si de ses principes: mais si l’on concédé ce qu’il a fait, & comment il a sû manier et mettre en ordre un état qui était en ruines, on ne saurait lui contester le talent le plus éminent, & il me parait que Pierre Leopold, second régénérateur après

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„Cosimo I rafforzò le catene, a cui male ancora si accomodavano i Fiorentini. La Toscana non ebbe altro principe che maggiori cose operasse: l’Italia stessa de’ simili a lui, dal cinquecento in qua, n’ebbe pochissimi.“805

Damit konnte R ­ eumont sowohl den Moderati als auch möglichen Einwänden der Zensur entgegenkommen, ohne auf seine eigentliche Aussage zu verzichten. Zugleich unterließ er es bei seinem ausdrücklichen Lob für die Reformtätigkeit Peter Leopolds nicht, die Frage aufzuwerfen, ob er nicht stellenweise mit Traditionen gebrochen habe, die doch grundsätzlich ihre Berechtigung gehabt haben, um dem Programm der Moderati entsprechend die Schaffung eines zentral organisierten Verwaltungsstaates, wie ihn Peter Leopold in die Wege geleitet hatte, vorsichtig in Frage zu stellen.806 Indes war es offenbar diese vorsichtige Kritik am Vorbild des gegenwärtigen Großherzogs, die dazu führte, dass die Anerkennung Leopolds II. für ­Reumonts verdienstvolles Werk nicht in eine besondere Ehrung mündete. Während ­Reumont für seine Tavole sowohl von König Louis Philippe von Frankreich807 als auch vom Zaren mit einer Medaille ausgezeichnet wurde,808 hielt sich Leopold II. in dieser Hinsicht bedeckt.809 Der Umgang sowohl mit den (möglichen) Einwänden der Zensur sowie die Bedeutung der Beurteilung historischer Persönlichkeiten für die gegenwärtige Politik sollte dahingehend eine wesentliche Erfahrung für R ­ eumonts zukünftiges publizistisches Wirken werden. Allerdings musste er auch hinsichtlich des Vertriebs seiner Arbeit feststellen, dass Publikationen, die allein gelehrten Zwecken dienen, zwar große Anerkennung jedoch wenig Absatz fanden. Obwohl die Tavole von Gelehrten und Rezensenten gelobt wurden,810 vermochte es Vieusseux nicht, entsprechende Verträge mit Verlegern und Buchhändlern abzuschließen, um sie in einen größeren Umlauf zu bringen. Immer wieder beklagte R ­ eumont, dass zu wenig Buchhandlungen die Tavole im le malgoverno des dernier Médicis, ne saurait lui être comparé, à lui, qui a dû refaire & remodeler tout de fond en comble, et qui ne trouva point la nation portée à le seconder. Si cependant Vous & le Marquis êtes d’opinion que la phrase pourrait blesser – modifiez-la.“ 805 Alfred ­Reumont: Tavole cronologiche  e sincrone della Storia Fiorentina, Aachen 1841, S. 19. 806 Ebenda, S. 22. 807 BNCF Vieuss. C. V. 88,135, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 10. März 1842. 808 Ebenda, 194, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 5. November 1844. 809 Ebenda, 185, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 6. Mai 1844: „Chose étrange – tous les Souverains auxquels j’ai cru pouvoir présenter mon histoire de Florence, ont exprimé leur satisfaction en me faisant parvenir des décorations ou autres choses – le Gd Duc seul n’a jamais fait aucune démonstration, bien que je lui aie encore présenté tout ce que j’ai publié depuis nombre d’années. Il aurait bien pu m’envoyer St Joseph. Mais n’en parlez à personne, excepté à notre excellent ami Gino.“ 810 So etwa in der Rivista Europea: BNCF Vieuss. C. V. 88,167, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 21. April 1843. Auch Litta (BNCF Vieuss. C. V. 88,172, ­Reumont an Vieusseux, Mailand, 9. Juli 1843) und die Berliner Gesellschaft (BNCF Vieuss. C. V. 88,180, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 31. Dezember 1843) fragten ­Reumont offenbar nach den Tavole.

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Sortiment haben, während Vieusseux feststellen musste, dass sie einfach zu teuer waren, um sich gut verkaufen zu lassen.811 Als Grundlage für Studien zur florentinischen Geschichte sollten die Tavole jedoch einen nicht zu unterschätzenden Wert haben. Als Orientierung wurden sie schnell zu einem bewährten Hilfsmittel, das nicht nur vom damaligen toskanischen Bildungsministerium für den Lehrbetrieb berücksichtigt wurde,812 sondern bis in die heutige Zeit in seiner komprimierten Zusammenschau der historischen Daten ein immer noch hilfreicher Wegweiser durch die florentinische Geschichte ist, der erst vor wenigen Jahren von der Cassa di Risparmio di Firenze neu aufgelegt worden ist.813 b) Die Römischen Briefe von einem Florentiner Ähnlich wie die Tavole handelte es sich auch bei den Römischen Briefen von einem Florentiner814 weniger um eine eigenständige Studie als um eine Materialsammlung. Für den deutschen Leser listete ­Reumont nicht einfach die wichtigsten historischen Daten auf, sondern sammelte Informationen rund um die Geschichte Roms. Diese veröffentlichte er anonym und in Briefform. Auf diese Weise konnte er den Inhalt einiger zuvor publizierter Italienkorrespondenzen für das Morgenblatt und die Augsburger Allgemeine Zeitung um zusätzliche Informationen erweitert im „Reiseführerstil“ als Monographie publizieren, die am Ende vier Bände umfassen sollte. Darin lieferte er dem gebildeten Laien ein umfassendes Romportrait, das nicht nur die Papstgeschichte umfasste, sondern auch Land und Leute sowie Kunst und Kultur beinhaltete. Dazu gehörten auch die Geschichten führender Familien, die Beschreibung einzelner Institutionen wie auch die Angabe geographischer und wirtschaftlicher Daten. Auf diese Weise reihten sich die Römischen Briefe in die zahlreiche Reiseliteratur über Italien ein, die den Bedürfnissen eines noch immer wachsenden Kreises von Italienliebhabern entsprachen.815 Das Hauptanliegen war es, die bei der gebildeten Leserschaft bereits beliebten Korrespondenzen ­Reumonts nun auch in Form einer eigenständigen Monographie zu vermarkten. Trotz der zahlreichen Konkurrenz auf dem Markt der Reiseliteratur wurden die Römischen Briefe ein voller Erfolg, sodass auf die ersten beiden Bände später eine

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Auf die schwierigen Bemühungen und Verhandlungen Vieusseux’ kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden – vgl. etwa Gabinetto Scientifico Letterario Vieusseux, Copialettere, Vieusseux an R ­ eumont, 26. November 1841; 30. März 1843; 27. Januar 1844; 5. Januar 1845; 19. März 1847; BNCF Vieuss. C. V. 88,183, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 24. März 1844. 812 Gabinetto Scientifico Letterario Vieusseux, Copialettere, Vieusseux an R ­ eumont, 11. Juni 1849; BNCF Vieuss. C. V. 88,176, ­Reumont an Vieusseux, Neapel, 21. Dezember 1849. 813 Alfred ­Reumont: Tavole cronologiche e sincrone della Storia Fiorentina, Florenz 1988. 814 Alfred ­Reumont: Römische Briefe von einem Florentiner. 1837–1838, 2 Bde., Leipzig 1840. 815 Vgl. die Rezension in den Blättern für literarische Unterhaltung, Nr. 215, 2. August 1840.

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C. Publizistik

Fortsetzung, die Neuen Römischen Briefe folgen sollten.816 Die genaue Ortskenntnis in Verbindung mit der Unterstützung seiner vielen gelehrten Bekannten, ließen die Monographie zu einem der beliebtesten publizistischen Reisebegleiter für die Erkundung der Stadt Roms werden.817 Nach eigener Aussage stützte ­Reumont seine Ausführungen auf die Arbeiten namhafter Experten, wie Pietro Ercole Visconti, Pompeo Litta, Niccolò Tommaséo, Antonio Nibby oder Francesco Forti, die den Römische Briefen eine beachtliche Materialbasis verschafften,818 die sie vom Großteil der übrigen Reisepublizistik absetzte. Neben dem Ziel, seine vielgelesenen Italienkorrespondenzen erneut gewinnbringend auf den Markt zu bringen, betrachtete er es jedoch auch als seine Aufgabe, mithilfe des gesammelten Materials einen fundierteren Eindruck von Rom zu vermitteln, als es viele der populären Italienreiseführer taten, die sich oftmals vor allen Dingen auf gängige Vorurteile stützten. Bereits der Rezensent der Blätter für literarische Unterhaltung hatte die vielfach fehlende Seriosität zahlreicher Italienberichte bedauert, die lediglich auf der Erfahrung eines kurzen, oberflächlichen Aufenthalts beruhten.819 ­Reumont beabsichtigte, dieser Entwicklung mithilfe reichen Materials entgegenzutreten, um insbesondere der in Europa von protestantischer Seite verbreiteten antipäpstlichen Romschilderung entgegenzutreten.820 Allerdings handelte es sich keineswegs um eine bloße Aneinanderreihung von Daten, um eine nüchterne Betrachtung der römischen Verhältnisse zu erreichen. Bereits das Vorwort über das Schicksal Italiens im Laufe der Jahrhunderte ist ein Überblick über die politische Gedankenwelt der toskanischen Moderati. Im Hinblick auf das Autonomiebestreben der Toskaner hob ­Reumont hervor, dass die Geschichte gelehrt habe, dass Italien nicht zur politischen Einheit fähig sei. Als Negativbeispiele derjenigen, die es versucht haben, Italien in die politische Einheit zu zwingen, führt ­Reumont Barbarossa und Napoleon an, und setzt damit die politische Einheit in Gegensatz zur nationalen Unabhängigkeit.821 Zudem liege in der politischen Einheit die Gefahr einer Zentralisierung der Verwaltungsstrukturen, 816

Alfred ­Reumont: Neue Römische Briefe, 2 Bde., Leipzig 1844. Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 215, 2. August 1840: „Was Rom insbesondere betrifft, so hat ebenso der Verfasser des Buches, welches wir hiermit anzeigen, vollgültigen Anspruch auf die Anerkenntniß, in die unendlich lange Reihe Derer, die von Ewigkeit her über die Ewige Stadt geschrieben haben, nicht als ein Überflüssiger und als einer der Besten eingetreten zu sein.“ 818 ­Reumont: Neue Römische Briefe, Bd. 1, S. XI. 819 Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 215, 2. August 1840: „Daß Reisende ohne Beruf, ohne Sachkenntniß, ohne Auffassungsgabe Bericht abstatten, ist allerdings ein Übel […]. Während andere Gegenden Europas beschrieben werden, weil sie bereist werden, scheint Italien jetzt nur bereist, um beschrieben zu werden. […] die Sehnsucht, die einst Goethe, die Kephalides, Wilhelm Müller nach Italien trieb, ist nicht mehr an der Zeit; ein Schwarm gedankenloser, ungeweihter, leichtfertiger Schreiber wirft sich über das auch hierin unglückliche Land, wie über eine Jedem offene, für Jeden feile Beute. Ein Aufenthalt von oft nur einigen Monaten genügt den meisten dieser Reisenden, um […] öffentlich ihre Stimme abzugeben.“ 820 ­Reumont: Neue Römische Briefe, Bd. 1, S. X. 821 Ebenda, S. XIX–XX. 817

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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wie es die Moderati entschieden ablehnten. Mit Blick auf die strukturschwachen Gebiete des Kirchenstaates stellte ­Reumont deswegen heraus: „Die Vernichtung beinahe aller munizipalen Rechte und Befugnisse und die Leitung des Ganzen nicht im Allgemeinen nur, sondern auch in den Einzelheiten von Einem Punkte aus, wird frühe oder spät ihre schlimmen Folgen äußern. […] jene Sucht, den Provinzen beinahe jegliche Bedeutung zu nehmen, hat das öffentliche Leben mehr denn irgend etwas paralysirt.“822

Trotz der nationalen Abhängigkeit und der strukturellen Mängel des Kirchen­ eumont an, dass die bisherigen Aufstandsversuche die Situation staates mahnte R der Einwohner nur weiter verschlechtert haben, weshalb er, ganz im Sinne der Moderati, zur Besonnenheit aufrief.823 Neben der Lombardei, deren Entwicklung er ausdrücklich lobte,824 stellte er die Toskana als Vorbild voran: „Es ist die große Blüte des nördlichen Theils der Halbinsel. Toscana ist immer, dann selbst, als ringsumher Leid und Verstörung war, eine Art Oasis gewesen: von Toscana also brauche ich nicht zu reden.“825

Das anschließend in den Briefen erstellte Portrait Roms konzentriert sich allerdings in erster Linie auf die Beschreibung, während politische Einschätzungen in der Darstellung nur dezent auftauchen. Hinsichtlich der Rolle der Päpste während des Mittelalters nutzte R ­ eumont die Gelegenheit, um unter Verweis auf Alessandro Manzoni ihre wichtige Rolle bei der Verteidigung gegen die Barbaren hervorzuheben.826 Auf diese Weise versuchte er sie von dem Vorwurf freizusprechen, der nationalen Einigung in der Vergangenheit im Wege gestanden zu haben und ihre Verdienste im Kampf gegen die Barbaren hervorzuheben. Allerdings legte ­Reumont in den Briefen mehr Wert darauf, die wichtigsten Materia­lien anzuführen, anstatt sie auf ihre politische Wirkung hin auszuwählen, so besprach er beispielsweise im Rahmen der Literaturbesprechungen auch Nicco­linis Arnaldo da Brescia, obwohl es sich dabei, wie er selbst andeutete um ein politisches und antipäpstliches Werk handelte.827 Wie bereits im Titel Römische Briefe von einem Florentiner angedeutet, betrachtete ­Reumont die römischen Zustände jedoch, wie bereits in der Einleitung, unter starkem Einfluss der toskanischen Moderati. Im Rahmen der Beschreibung der Verhältnisse der Bauern im römischen Umland stellte er der dortigen Armut den toskanischen Landarbeiter entgegen, der dank des Halbpachtsystems gut gekleidet sei und zwei bis dreimal pro Woche Fleisch essen könne.828

822

Ebenda, S. XX–XXI. Ebenda, S. XXIII. 824 Ebenda, S. XXV–XXVI. 825 Ebenda, S. XXIII. 826 Ebenda, S. 31–35. 827 Ebenda, S. 83–97. 828 Ebenda, S. 406–408. 823

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C. Publizistik

Neben der Beschreibung der römischen Zustände, der Geschichte sowie der Strukturen, mit der sich R ­ eumont in erster Linie an den Italien- und Kulturinteressierten richtete, versuchte er jedoch Erklärungen für die Unzufriedenheit über die sozialen und politischen Zustände des Kirchenstaates zu liefern, für die er nicht das Papsttum als solches, sondern die strukturellen Fehlentwicklungen verantwortlich machte. Für eine Verbesserung der Zustände auf der restlichen Halbinsel empfahl er deswegen die Toskana als Vorbild. Auf diese Weise verband er eine außergewöhnlich fundierte Reiseberichterstattung mit einer politischen Botschaft im Sinne der toskanischen Moderati und einer Entlastung des Papsttums. Die politische Botschaft vermittelte ­Reumont dabei dezent zwischen einer Aneinanderreihung einer großen Menge an Informationen und Daten. Dadurch konnten die politischen Bewertungen als scheinbar nüchterne Schlussfolgerungen aus einer objektiven Betrachtung vermittelt werden. Auch wenn die politische Einstellung ­Reumonts den Lesern nicht verborgen blieb, machte dennoch der reiche Informationsgehalt die Römischen Briefe zu einem herausragenden Reiseführer seiner Zeit. Angesichts dieses Verhältnisses von Information und politischer Wertung gelangte auch der kirchenkritische Rezensent der Blätter für literarische Unterhaltung zu der Einschätzung: „[…] strenge Ansichten wie die unserigen liegen ihm fern, denn […] seine Aufgabe ist, ein getreues Bild zu entwerfen, und somit alle Elemente zum Urtheil vorzulegen; das Urtheil selbst kann er umso ruhiger dem Leser überlassen.“829

Die in der Einleitung zu den Neuen Römischen Briefen von einem Florentiner von ­Reumont formulierte Absicht, den papstfeindlichen Vorurteilen zahlreicher Reiseführer durch eine Aufarbeitung der Fakten entgegenzutreten war damit geglückt. Der Anschein, die Fakten selbst sprechen zu lassen, tat seine Wirkung und hat kirchenkritische Zeitgenossen wie den zitierten Rezensenten, wenn schon nicht überzeugt, so zumindest zur Rezeption der angeführten Daten veranlasst. 2. R ­ eumont als Historiker Durch seine Italienkorrespondenzen sowie seine intensiven Daten- und Materialsammlungen für Arbeiten wie die Tavole cronologiche oder die Römischen Briefe von einem Florentiner in Verbindung mit weitreichenden Kontakten sowohl in die deutsche als auch die italienischen Gelehrtenwelt war R ­ eumont auch bald in den Stand versetzt, eigenständige historische Arbeiten zu verfassen. Obgleich er nie ein Geschichtsstudium absolviert hatte, lag es angesichts seiner fundierten Lokalkenntnis in Florenz und Rom nahe, dass er Kontakte und Quellenmaterial nicht nur interessierten Gelehrten zur Verfügung stellte, sondern sich auch selbst als Autor betätigte. Der Erfolg seiner Korrespondententätigkeit wie auch seine Freundschaften zu Leopold von Ranke, Johannes Gaye oder Felix Papencordt machten ihn sowohl mit dem Genre der historischen Biographik als auch der Stadtgeschichte vertraut. 829

Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 166, 15. Juni 1845.

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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Wie bereits erwähnt, hatte er den Schluss von Gayes Carteggio inedito d’Artisti nach dessen Tod herausgegeben.830 An Felix Papencordts Arbeit für dessen Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter hatte R ­ eumont regen Anteil genommen. Genauso wie er sich regemäßig mit Ranke über dessen laufende Projekte austauschte. Auf diese Weise auf die historische Arbeit vorbereitet, hatte er während seiner Zeit im päpstlichen Exil in Gaeta die bereits erwähnten Carafa von Maddaloni verfasst, die seine erste größere eigenständige historische Arbeit sind. Nach der wohlwollenden Aufnahme dieses Werks in der Fachwelt, die den darin gebotenen großen Materialreichtum lobte, über den ­Reumont dank Scipione Volpicella hatte verfügen können, wandte er sich auch in der Folge naheliegenden Themen zu. Nachdem er auch mit der historischen Bio­ graphie anhand Andrea del Sartos erste Erfahrungen gesammelt hatte, befasste er sich nach seiner Rückkehr nach Florenz in den 1850er Jahren mit den Medici. Das Ergebnis waren die im Folgenden zu behandelnden Biographien zu Caterina de’ Medici und Lorenzo il Magnifico. Sein nicht zuletzt durch diese beiden Werke erworbener Ruf als Italienkenner trug ihm später den Auftrag Maximilians II. von Bayern ein, eine Geschichte der Stadt Rom als Papstgeschichte zu verfassen. ­Reumonts drei erfolgreichsten historischen Monographien sind ein beredtes Zeugnis seiner Tätigkeit als Kulturvermittler und geben einen Eindruck sowohl von seiner eigenen Arbeitsweise wie auch der seines Gelehrtennetzwerkes, das die Publikationen von der Entstehung bis zur Verbreitung intensiv förderte. a) ­Reumont als historischer Biograph der Medici Nachdem R ­ eumont im Rahmen seiner diplomatischen Tätigkeit erneut seinen festen Wohnsitz in Florenz genommen hatte, konnte er sich wieder mithilfe seiner persönlichen Kontakte den Archivschätzen der Toskana zuwenden, die von zahl­ reichen seiner Bekannten bearbeitet wurden. Das besondere Interesse galt dabei nicht zuletzt der führenden Familie, deren Name untrennbar mit der Kunstförderung im Florenz des Rinascimento verbunden ist, nämlich den Medici. Bereits 1854 veröffentlichte ­Reumont die erste Biographie über eine berühmte Persönlichkeit aus diesem Hause: Caterina de’ Medici.831 Abgesehen von seiner Künstlerbiographie über Andrea del Sarto, war es seine erste großangelegte historische Biographie. Diese beinhaltete umfangreiches, in Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch unbekanntes Quellenmaterial832 – und das in nur drei Jahren als Resultat seiner Nebenbeschäftigung zur amtlichen Tätigkeit. Bei seinen Recherchen verließ er sich hauptsächlich auf die Hinweise seiner Kontaktpersonen vor Ort. Zunächst durchforstete er das Archivio Storico Italiano mit seinen Besprechungen und 830

Vgl. Kapitel C. I. 2. Cottas Morgenblatt und Schorns Kunstblatt, S. 246–247. Alfred von ­Reumont: Caterina de’ Medici, Berlin 1854 (2. Aufl. 1856). 832 Vgl. Karl Wittes Rezension in: Neue Preußische Zeitung, Nr. 283, 1854. 831

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C. Publizistik

Quelleneditionen nach brauchbarem Material, wo er insbesondere in der Appendice einige relevante Dokumente ausmachte.833 Nachdem er das im Archivio Storico Italiano verfügbare Material ausgeschöpft hatte, wandte er sich an seine Bekannten, um weitere edierte wie unveröffentlichte Urkunden aufzutreiben.834 Ein Blick in den Literatur- und Quellenanhang zeigt dabei, dass ­Reumont sich in erster Linie von seinen persönlichen Kontakten mit Material versorgen ließ. Nachdem ihn Leopold von Ranke für die Bedeutung der Venezianischen Gesandtschaftsberichte sensibilisiert hatte, griff er sowohl auf seine eigenen diesbezüglichen Arbeiten als auch die seiner Bekannten Eugenio Albèri und Niccolò Tommaséo zurück. Mit Albèri und Tommaso Gar hatte R ­ eumont hinsichtlich der Gesandtschaftsberichte zusammengearbeitet, sodass er auf diesem Gebiet stets auf dem Laufenden war.835 Außerdem hatte Albèri bereits im Jahre 1838 eine Biographie Caterina de’ Medicis verfasst und hatte deswegen einen breiten Überblick über die zur Verfügung stehenden Archivalien und Publikationen erlangt.836 Hinzu kamen diverse von Capponi zur Verfügung gestellte Urkunden aus dessen eigenen Recherchen. ­Reumont selbst rundete die auf diese Art zustande gekommene Quellenbasis durch die Durchsicht internationaler Zeitschriften wie der Revue des deux Mondes ab und fügte noch einige internationale Quelleneditionen hinzu, wie beispielsweise Will Bradfords auf den Briefen des kaiserlichen Familienarchivs in Wien beruhende Correspondence of the Emperor Charles V.837 oder Gotthilf Heines auf den Archivalien des Spanischen Reichsarchivs zu Simancas basierende Briefe an Kaiser Karl V.838 Für den deutschen Leser noch wichtiger war jedoch die Benutzung von Archivalien aus einschlägigen florentinischen Archiven, wie dem heute im Archivio di Stato befind­ lichen Archivio delle Riformagioni, dem Archivio Mediceo sowie dem Archivio dei Conventi soppressi. Damit lieferte er eine Fülle bis dahin unbekannter Quellen, die ihres Gleichen suchte. Ampère und Witte machten dieses reiche Material sogleich im Journal des Débats839 bzw. in der Kreuzzeitung840 einem großen Publikum bekannt. In der Toskana wurden sogar Auszüge des Werkes in italienischer Übersetzung im Spettatore841 gegeben. Freilich erschöpfte sich der Wert dieser Biographie im reichen Quellenmaterial. Letztlich bot sie mehr einen willkommenen Steinbruch für Historiker. R ­ eumont selbst hatte sich in dem Werk allerdings kaum als Historiker betätigt. In der Wid 833 Vgl. auch den umfangreichen Literatur- und Quellenanhang in: Alfed von ­Reumont: Caterina de’ Medici, Berlin 1856 (2. Aufl), S. 233–300. 834 Vgl. etwa BNCF, Gino Capponi XI. 43, Nr. 26: ohne Ort, [1853–54?]. 835 NL ­Reumont, S 1061, Tommaso Gar an ­Reumont, Nr. 88; Nr. 89: Trento, 22. Juni 1852. 836 Eugenio Albèri: Vita di Caterina de’ Medici, Florenz 1838. 837 Will Bradford: Correspondence of the Emperor Charles V., London 1850. 838 Gotthilf Heine: Briefe an Kaiser Karl V., Berlin 1848. 839 Journal des Débats, 26. Oktober 1855; NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 58, Florenz, 9. November 1855. 840 Neue Preußische Zeitung, Nr. 283, 1854; NL R ­ eumont, S 1061, Gerhard an R ­ eumont, Nr. 218: Berlin, 4. Dezember 1854. 841 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 54: Florenz, 10. Februar 1855.

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mung an Françoise de Nompère de Champagny, die Principessa di Rospigliosi und Duchessa di Zagarolo, auf deren Landgut Villa Rospigliosi R ­ eumont ein regelmäßiger Gast war, wird deutlich, dass er jegliche historische Kontroverse zu vermeiden suchte. Vielmehr handelte es sich um eine Ehrerbietung an die gebürtige Französin, wenn ­Reumont die Jugendzeit der späteren Königin Frankreichs behandelte. In der Widmung trat er falschen Erwartungen gleich entgegen: „Es handelt sich nicht um Bürgerkrieg und Ligue und Bartolomäusnacht. Ich wollte Ihnen ein Denkblatt an die angenehmen Tage senden, die ich im Herbste vorigen Jahres mit Ihnen und den Ihrigen auf der schönen Villa zu Lamporecchio verlebte […].“842

Im Vordergrund stand die Darstellung von Caterinas Jugendzeit in Florenz unter Berücksichtigung der politischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Verhältnisse. Es ging R ­ eumont in diesem Zusammenhang also weniger um eine historische Einordnung der Persönlichkeit Caterinas, sondern allein um die Darstellung eines Frauenschicksals im damaligen Florenz. Wegen des Quellenreichtums tat der Verzicht auf eine historische Einordnung dem Erfolg dieser Biographie keinen Abbruch. Auch nach der Veröffentlichung der ersten Auflage wurde ­Reumont noch weiterhin mit neu auftauchenden Quellen versorgt. Pietro Ercole Visconti stellte ihm etwa kurz nach der Publikation noch weitere Briefe zu Verfügung.843 Weitere neu auftauchende Materialien ermutigten ­Reumont dazu, nur zwei Jahre später eine weitere Auflage zu veröffentlichen. Als Reaktion auf Kritik, die französische Zeit Caterinas völlig auszublenden und dem Leser allein das Urteil zu überlassen, machte er geltend, die Quellen für sich selbst sprechen zu lassen und durch die Darstellung der Jugend einen wichtigen Baustein zum besseren Verständnis ihres Charakters zu liefern.844 Die zweite Auflage wurde schließlich noch erfolgreicher als die erste, vom florentinischen Verleger Le Monnier auf Italienisch übersetzt,845 später sogar noch von Armand Baschet erweitert und auf Französisch publiziert,846 der die Quellenbasis durch umfangreiche eigene Recherchen, unter anderem in Mailand, erweitert hat.847 Insbesondere die Vorgehensweise Baschets erscheint bemerkenswert. Als er im November 1859, inmitten der Auseinandersetzungen um die zukünftige Gestaltung Italiens zwischen Sardinien-Piemont und Frankreich, ­Reumont um die Erlaubnis bat, seine Caterina de’ Medici übersetzten zu dürfen,848 war bereits eine weitere, von Thomas Adolphus Trollope verfasste Jugendbiographie der späteren franzö 842

Alfred von ­Reumont: Caterina de’ Medici, Berlin 1856 (2. Aufl), S. VII–VIII. NL ­Reumont, S 1067, Visconti an ­Reumont, Nr. 40: Rom, 23. August 1854. 844 Alfred von ­Reumont: Caterina de’ Medici, Berlin 1856 (2. Aufl), S. XII. 845 La Gioventù di Caterina de’ Medici, Florenz 1858; BNCF, Carteggi Vari 111, 64, R ­ eumont an Alessandro Carraresi, Aachen, 23. Juli 1884. 846 La jeunesse de Catherine de Médicis, Paris 1866; NL R ­ eumont, S 1058, Armand Baschet an ­Reumont, Nr. 98, 17. November 1859. 847 Ebenda, Nr. 100, Mailand, 5. Januar 1864. 848 Ebenda, Nr. 98, 17. November 1859. 843

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sischen Königin erschienen.849 Baschet hatte beide Biographien aufmerksam gelesen und sich anschließend entschieden, seine eigenen Studien auf der Grundlage einer Überarbeitung und Übersetzung von ­Reumonts Werk fortzuführen. Obgleich beide Autoren in Florenz lebten und bereits bekannte Publizisten waren, schien die Arbeit ­Reumonts unverfänglicher zu sein. ­Reumonts persönliche Empathie mit den Florentinern ließ ihn die spätere Zeit Caterinas als Königin von Frankreich bewusst ausklammern und auf ein näheres Eingehen auf die ihr von der Mehrzahl der internationalen Historiker vorgeworfenen moralischen Verfehlungen verzichten. Damit vermied er es, die patriotischen Gefühle der Italiener zu verletzen, die auf eine Kritik am Charakter Caterinas sehr empfindlich reagieren konnten, wenn er mit dem sozialen Umfeld ihrer Kindheit in Italien in Zusammenhang gebracht wurde. Allein aus diesem Grund hatte sich etwa Eugenio Albèri ihrer Person zugewandt. Wie er im Vorwort zur Biographie deutlich machte, war es sein Anliegen „a purgarla dalle tacce imutategli da molti e gravissimi istorici, a rivendicare nel suo nome l’Italia dalle ingiurie non meno frequenti che odiose degli stranieri.“850 Obgleich sich Trollope ebenfalls auf die Jugendzeit Caterinas konzentrierte, ging er den logischen Schritt, auf den ­Reumont bewusst verzichtet hatte: Nach der Darstellung ihrer Jugendzeit in Florenz, kam Trollope zu dem Ergebnis, dass es vor allem das florentinische Umfeld wie die Kirchenleute jener Zeit waren, die sie erzogen und ihren Charakter prägten. Deswegen konnte die Schlussfolgerung nach Trollope nur lauten: „All these educating influences pointed steadily and consistently in one direction. And their result was to leave her active and acute intellect wholly uninformed by any moral ideas whatever.“851

Das waren genau jene Urteile über die moralisch verdorbene florentinische und kirchliche Gesellschaft, gegen die Albèri angeschrieben hatte. Dass Baschet, der Albèri gut kannte und mit ihm hinsichtlich der Venezianischen Gesandtschaftsberichte kooperierte,852 insbesondere während der politisch angespannten Lage auf derartige gegen den Charakter der Italiener wie der katholischen Kirche gerichtete Implikationen verzichtete ist deswegen kaum überraschend. Von Anfang an war es Baschets Absicht, auf politische Implikationen möglichst zu verzichten, wie er auch ­Reumont bei seiner Übersetzungsanfrage zu verstehen gab. „Ah, Monsieur de ­Reumont, par les temps d’orage que l’étude est bonne et douce et qu’elle rend indépendant ! Si Vous saviez le bonheur que je trouve à ne faire de la politique qu’au temps de Catherine ou de Richelieu !“853 849

Thomas Adolphus Trollope: The Girlhood of Catherine de’ Medici, London 1856. Eugenio Albèri: Vita di Caterina de’ Medici, Florenz 1838, S. VI. 851 Thomas Adolphus Trollope: The Girlhood of Catherine de’ Medici, London 1856, S. 275. 852 Vgl. dazu auch NL ­Reumont, S 1058, Eugenio Albèri an ­Reumont, Nr. 24: Florenz, 20. Juli 1862; Nr. 25: Florenz, 17. Oktober 1862; Nr. 26: Florenz, 21. Oktober 1862; Nr. 29: Florenz, 12. März 1863. 853 NL ­Reumont, S 1058, Armand Baschet an ­Reumont, Nr. 98, 17. November 1859. 850

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Dass sich R ­ eumont eines wertenden Urteils enthalten hatte, indem er nur die Quellen präsentierte, die Bewertung aber dem Leser überließ, brachte ihm zwar die Kritik von einigen Historikern ein, führte aber dazu, dass seine Arbeit unabhängig von zeitgenössischen politischen Entwicklungen erfolgreich blieb und von allen Seiten genutzt werden konnte. Die noch wesentlich erfolgreichere historische Biographie, die ebenfalls auf einer umfangreichen Quellenrecherche in Florenz beruhte, war ­Reumonts Lorenzo de’ Medici il Magnifico.854 Obgleich er das Werk Gino Capponi widmete, auf dessen Anregung er es unter anderem in dessen Hause mithilfe der dortigen Privatbibliothek verfasst hatte,855 veröffentlichte ­Reumont seine wohl beste Arbeit auf Deutsch. Ähnlich wie bereits zwanzig Jahre zuvor, war es sein besonderes Anliegen, seiner zweiten Heimat ein Denkmal zu setzen, indem er dem deutschen Leser ein Portrait der Toskana mit all ihrem kulturellen Reichtum wie ihrer großen Vergangenheit bot.856 Der Ansatz, den Helden der historischen Biographie in sein zeitgenössisches Umfeld einzubetten, nutzte ­Reumont, um ein umfassendes Portrait der Toskana des Rinascimento zu erstellen, das er im Vorwort mit folgenden Worten ankündigt: „Die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts bietet uns in der Entwicklung der Renaissance in Italien das merkwürdige Schauspiel der Umgestaltung der modernen Welt durch die Einwirkung der antiken Bildung im Verein mit der Eröffnung eines neuen Gesichtskreises. […] Sie zeigt uns einen Mann, Product wie Vollender dieser Bedingungen und Zustände, Kind wie Lenker seiner Zeit, der Zeit des gesteigerten und freudigsten geistigen und materiellen Schaffens und Genießens. Ein Mann wie er nur auf solchem Boden geboren werden und wachsen konnte, unter solchem Zusammenwirken von Umständen und Kräften, von Haus und Stadt, von Volk und Jahrhundert.“857

Wie die einleitenden Worte zeigen, begnügte sich R ­ eumont nicht mehr damit, eine Biographie bzw. ein Zeitbild als Selbstzweck zu schreiben und auf eine historische Einordnung weitgehend zu verzichten. Als er Anfang der 1850er Jahre an der Caterina de’ Medici arbeite, war die historische Biographik noch weitgehend in Dilettantenhand und wurde von den Akademikern gemieden, sodass es oft an methodischem Rüstzeug fehlte.858 Als ­Reumont jedoch an seinem Lorenzo de’ Medici arbeitete, hatte die Fachwelt diese Genre längst für sich entdeckt und sich bereits intensiv mit den Möglichkeiten und Grenzen der historischen Biographik sowie den methodischen Fragen auseinandergesetzt. ­Reumont orientierte sich dabei an 854

Alfred von ­Reumont: Lorenzo de’ Medici il Magnifico, 2 Bde., Leipzig 1874 (2. Aufl. 1883). 855 Ebenda, Vorwort. 856 Vgl. Alfred von ­Reumont: Lorenzo de’ Medici il Magnifico, Archivio Storico Italiano 19 (1874), S. 409–422, hier S. 411. 857 Ebenda. 858 Vgl. Olaf Hähner: Historische Biographik: Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und Hilfswissenschaften, Bd. 829), Frankfurt am Main (u. a.) 1999, S. 136–137.

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Leopold von Ranke und dessen Konzept der integrativen Biographik. Während die Droysenschüler die historisch relevanten Persönlichkeiten nur hinsichtlich ihrer unmittelbaren Einflussnahme auf den Gang der Geschichte betrachteten und Privates wie die Jugendjahre weitgehend ausblendeten, legte Ranke, wie er in seiner Lutherbiographie gezeigt hat, größten Wert auf das komplette Leben des Helden. Deswegen kam der Jugend wie dem sozialen Umfeld eine entscheidende Bedeutung zu, denn es sind nach Ranke stets die äußeren Einflüsse, die eine Persönlichkeit formen. Das Verdienst historisch relevanter Akteure besteht danach darin, im entscheidenden Moment eine historisch notwendige Entwicklung vollendet zu haben bzw. die Konsequenzen aus den historischen Veränderungen zu ziehen. Bei seinem Luther859 wechselte er deswegen regelmäßig die Perspektive: Zunächst zeichnet Ranke die zeitlichen Umstände und Entwicklungen, um innerhalb der Erzählung auf seinen Helden zu „zoomen“ und dessen persönliches Handeln zu beleuchten.860 Dieses Wechselspiel zwischen den Zeitumständen und der Biographie des Pro­ eumont in seinem Lorenzo de’ Medici. Das gesamte erste tagonisten bot auch R Buch ist dabei den florentinischen Zeitumständen bis zum Tode Cosimos des Al­ eumont ten gewidmet, um auf Lorenzo il Magnifico hinzuführen. Dabei schildert R nicht nur die politische Situation, sondern gibt zudem einen Überblick über die Stadt­entwicklung und Bautätigkeit. Auch das alltägliche Leben und wirtschaftliche Fragen werden in diesem Kontext angerissen. Auf diese Weise führt R ­ eumont den Leser durch das Florenz vor Lorenzo und zeichnet die Entwicklung der mediceischen Vormachtstellung, eingebettet in die allgemeine Entwicklung der Stadtrepublik, bis zum Tod Cosimos nach. Erst im darauf folgenden zweiten Buch, das sich der Herrschaft Piero de’ Medicis zuwendet, tritt Lorenzo in seinen Jugendjahren in Erscheinung. Auf die Beschreibung der politischen Sozialisation des Helden folgt dann das dritte und zentrale Buch, das Lorenzo als historisch relevanten Akteur während seiner Herrschaft behandelt. Während R ­ eumont in diesem eigentlichen Hauptteil die Konzentration auf Lorenzos politisches Handeln legt, wendet sich das vierte und letzte Buch ausschließlich der Kunst und Literatur unter den Medici zu. Vollkommen zutreffend bezeichnete deswegen der Rezensent der Kreuzzeitung das Werk als „Geschichte der Republik Florenz zur Zeit der Medici“861 und Ranke beglückwünschte seinen „Schüler“ zu der gelungen Biographie: „Es ist mir wie eine Erinnerung aus der heiteren Periode der Jugend oder vielmehr der Zeit, in welcher sich unsere Studien in Florenz begegneten, wenn ich Ihren Lorenzo Medici aufschlage, – ein Buch, in welchem Sie reiche Kenntnisse, wie sie in der Fülle, wie sie, niemand besitzt, mit populärer Darstellung vereinigen. […] Wenn Sie Werke wie dies hervorbringen, so haben Sie wohl niemand zu beneiden.“862 859 Leopold von Ranke: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde., Berlin 1839–1847. 860 Hähner (1999), S. 130–134. 861 Neue Preußische Zeitung, Nr. 4, 23. Januar 1876. 862 Leopold von Ranke: Das Briefwerk, eingeleitet und herausgegeben von Walther Peter Fuchs, Hamburg 1949, Brief Rankes an ­Reumont, Berlin, 8. Juni 1874, S. 525.

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Tatsächlich verdankte ­Reumont die Bausteine für das Portrait der Toskana unter den Medici seinen zahlreichen gelehrten Bekanntschaften, die ihm ihre eigenen Arbeiten zur Verfügung stellten. Deswegen wollte er dieses Werk als eine Dank­ sagung an seine gute Aufnahme in die toskanische Gesellschaft verstanden wissen, ohne die er nichts gehabt hätte, was er dem deutschen Leser hätte bieten können.863 Es waren schließlich vor allem seine guten Kontakte in die Toskana, die ihn innerhalb der deutschen Publizistik überhaupt zu einer Autorität auf dem Gebiet der italienischen Geschichte machten. In seinem Lorenzo de’ Medici bündelte ­Reumont die Materialien und Hinweise aus seinem weiten, internationalen Bekanntenkreis. Für die kunstgeschichtlichen Angaben stützte er sich unter anderem auf die Arbeiten Guastis, Gayes, Zahns oder Sempers, für genealogische Angaben auf Passerini und Litta, für Katasterangaben auf Canestrini. Neben den Quelleneditionen aus dem Umfeld des Archivio Storico Italiano, wie beispielsweise zahlreichen Angaben Carlo Milanesis aus dem Giornale storico degli Archivi toscani,864 griff ­Reumont auch auf die Arbeiten diverser Autoren zurück, die sich im Laufe der Jahre mit der Bitte um eine Besprechung an ihn gewandt hatten. So berücksichtigte er etwa auch den zuvor im Archivio Storico Italiano sowie in der Historischen Zeitschrift angezeigten Codice Aragonese Trincheras – trotz der Mängel hinsichtlich der historischen Kritik.865 Seine durch die Notizie bibliografiche über die Jahre erworbenen Kenntnisse über die deutschsprachigen Publikationen mit Italienbezug, erlaubten ihm zugleich eine intensive Berücksichtigung der Arbeiten von Gelehrten nördlich der Alpen, wie zum Beispiel Constantin von Höflers Geschichte König Ruprechts866 für die Darstellung Buonaccorsos. Außerdem konnte er auf die Unterstützung des belgischen klerikalen Politikers Kervyn de Lettenhove zurückgreifen, der die ­Lettres et négociations de Philippe de Commines867, eines französischen Diplomaten und Historikers, der für König Ludwig XI. als Botschafter in Turin, Mailand und Florenz gewirkt und nach seiner Diplomatenzeit Les memoires sur les principaux faicts et gestes de Louis onzieme et de Charles huitieme, son fils, roys de France veröffentlicht hatte, die unter anderem relevante Angaben über die politischen Hintergründe des Florenz der Medici lieferten.868 Da Kervyn de Lettenhove noch im Jahre 1874, als R ­ eumonts Lorenzo de’ Medici schon kurz vor der Publikation stand, 863

Alfred von ­Reumont: Lorenzo de’ Medici il Magnifico, Archivio Storico Italiano 19 (1874), S. 409–422, hier S. 409: „Tutto ciò che in oggi offro alla mia patria, io lo devo all’Italia.“ 864 Vgl. etwa Alfred von R ­ eumont: Lorenzo de’ Medici il Magnifico, 2 Bde., Leipzig 1883 (2. Aufl.), S. 125. 865 Alfred von ­Reumont: Codice Aragonese, pubblicato dal cav. Prof. Francesco Trinchera, Archivio Storico Italiano (N.S) 66 (1871), S. 375–422; Ders.: Neue Publicationen zur italienischen Geschichte, HZ 29 (1873), S. 307–342; Zur Geschichte Ferrante’s von Neapel, S. 324–342. 866 Constantin von Höfler: Ruprecht von der Pfalz, genannt Clem, römischer König ­1400–1410, Freiburg im Breisgau 1861. 867 Joseph Kervyn de Lettenhove: Lettres et négociations de Philippe de Commines, 3 Bde., Brüssel 1867–1874. 868 Über Kervyn de Lettenhoves Unterstützung vgl. NL ­Reumont, S 1063, Kervyn de Lettenhove an ­Reumont, Nr. 64, Brüssel, 17. Februar 1874; Nr. 65, ohne Ortsangabe, 21. Februar 1874; Nr. 66, Brüssel, 20. Juli 1874.

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C. Publizistik

am dritten Band arbeitete, stellte er R ­ eumont die darin zu publizierenden Materialen schon vorab zur Verfügung.869 Insofern bot R ­ eumonts Lorenzo de’ Medici eine reiche Zusammenstellung an internationalem Material zur Geschichte von Florenz unter den Medici und sollte für den deutschen Leser allein schon durch die Quellenkonzentration einen herausragenden Wert haben. Trotzdem fiel das Echo in Deutschland zunächst wesentlich verhaltener aus, als es sich R ­ eumont erhofft hatte. Gegenüber Capponi beklagte er sich noch im August 1874 darüber, dass offenbar keine Zeitschrift sich seinem Werk zugewandt habe.870 Und ausgerechnet die Augsburger Allgemeine Zeitung, für die er doch regelmäßig Beiträge verfasste, hatte Gregorovius’ Lucrezia Borgia eine Besprechung über zwei Beilagen gewidmet, während sie sich ­Reumonts Lorenzo de’ Medici erst zehn Monate nach dessen Erscheinen zuwandte.871 Erst im Herbst des Erscheinungsjahres erschienen die ersten Besprechungen. Den Anfang machte The Accademy, deren Rezensent Creighton hervorhob, dass ­Reumont gegenüber seinem britischen Vorgänger William Roscoe,872 mit der Stadt Florenz bestens vertraut sei und deshalb ein wesentlich genaueres und vollständigeres Bild von Politik, ­ eumonts Kunst und Kultur zu zeichnen im Stande gewesen sei.873 Obgleich er an R Werk kritisierte, dass keine hinreichende Einordnung in die gesamtitalienische Situation erfolge und ­Reumont die Informationen lediglich aneinanderreihe, ohne zu einem übergeordneten Ergebnis zu gelangen, attestierte er ­Reumont, mehr als irgendjemand anders zur Kenntnis der italienischen Geschichte beigetragen zu haben.874 Gerade die detailreiche Darstellung war offenbar ausschlaggebend dafür, dass man bereits gegen Ende des Erscheinungsjahres eine englische Übersetzung in Angriff nahm.875 Wenig später erschienen jedoch auch zahlreiche deutsche Rezensionen, die den besonderen Wert der Biographie in der Benutzung bis dato in Deutschland unbekannter Quellen und einer um Objektivität bemühten Darstellung sahen, die nicht in die von Leo und Voigt wegen der intensiven Kunst- und Literaturförderung ­Lorenzos betriebene Verherrlichung einstimmte, sondern auch dessen brutales politisches Vorgehen gegen die Opposition und die Schaffung einer korrupten, ­ orenzo abhängigen Steuerkommission kritisierte.876 Der evangelische Essayvon L 869

Ebenda. BNCF, Gino Capponi XI. 48, Nr. 100: Bonn, 8. August 1874; auch in Lettere di Gino Capponi, Bd. 6, S. 414–417. 871 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 182, Bonn, 28. Februar 1875. 872 William Roscoe: The life of Lorenzo de’ Medici: called the Magnificent, Liverpool 1795. 873 The Accademy, 5. September 1874. 874 Ebenda. 875 BNCF, Gino Capponi XI. 48, Nr. 105: Bonn, 21. Dezember 1874; auch in Lettere di Gino Capponi, Bd. 6, S. 425–427; Alfred von ­Reumont: Lorenzo de’ Medici, the Magnificent, translated by Robert Harrison, London 1876. 876 Neue Freie Presse, Nr. 3623, 27. September 1874 und Nr. 3628, 2. Oktober 1874; Deutsche Reichszeitung, Nr. 249, 19. Dezember 1874. Weitere Rezensionen in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 344, 14. Dezember 1874; Neue Allgemeine Zeitung, 19. September 1874; zur deutschen Re 870

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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ist Karl H ­ illebrand, der sich seit 1871 als freier Schriftsteller in Florenz niedergelassen hatte und nach seiner Beteiligung an der 1848er Revolution in Frankfurt und Baden im Laufe seines Lebens zum Anhänger eines aufgeklärten Absolutismus preußischer Prägung geworden war,877 glaubte sogar keinerlei Hinweise auf ­Reumonts persönliche politische Ansichten finden zu können und bezeichnete es als ein Werk nach Rankes Art, das politische Stellungnahmen vermeidet und alleine die Tatsachen sprechen lasse.878 Als in Florenz wohnhafter Essayist stellte er den besonderen Wert von R ­ eumonts Pionierarbeit fest und kündigte R ­ eumont die von ihm verfassten Rezensionen voll des Lobes an: „Sie werden im Laufe dieses Monats zwei lange Artikel über Lorenzo de’ Medici in der „Neuen freien Presse“ in Wien finden. Unterdessen erscheint auch in den Italia vom 1ten Oct. eine Rezension. Ich habe selten aus einem Buche so viel gelernt; und ich darf wohl behaupten, daß nicht viele Leser das Florentinische Quattrocento studiert haben wie ich, wenn auch schon Jahre danach beigegangen. Mir war als würde ich wieder jung, wie ich mit Ihnen und in jene Zeiten wanderte.“879

Die Betonung von ­Reumonts Objektivität der Darstellung wie der einzigartigen Materialfülle war dabei keineswegs eine einzelne Gefälligkeit, sondern erstreckte sich durch sämtliche Rezensionen.880 Während ­Reumonts Lorenzo de’ Medici sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien ein positives Echo hervorrief, hielt sich die Verbreitung in Italien selbst zunächst in Grenzen. Dies lag vor allem daran, dass ­Reumont darauf verzichtete, eine italienische Version zu publizieren. Angezeption vgl. auch Horst Heintze: Der Magnifico in der deutschen Kritik, in: Horst Heintze / Giuliano Staccioli (Hrsg.): Lorenzo der Prächtige und die Kultur im Florenz des 15. Jahrhunderts, Berlin 1995, S. 203–213; Ingeborg Walter: Der Prächtige. Lorenzo de Medici und seine Zeit, München 2003. 877 Vgl. Moretti (2000); Wolfram Mauser: Hillebrand, Karl, NDB 9 (1972), S. 147–148; Richard M.  Meyer: Hillebrand, Karl, ADB (1905), S. 333–339 [URL: http://www.deutschebiographie.de/pnd116811994.html?anchor=adb], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 878 Neue Freie Presse, Nr. 3623, 27. September 1874: „Nicht genug zu rühmen ist des Verfassers Unparteilichkeit. In seinen Urteilen über Kunst und Moral ist er uns sogar zu strenge für die Zeit, die er schildert; ja selbst an seinem Helden rügt er zu unnachsichtlich Fehler, deren er auch freilich eine Masse hatte, wie jeder menschliche Mensch. Herrn v. ­Reumonts politische Grundsätze sind bekannt; aber aus diesem Buche wäre es unmöglich zu errathen, daß er der Richtung angehört, die unter Friedrich Wilhelm IV. die herrschende war, und daß seine Lebensstellung und langjährige Tätigkeit ihn den Verhältnissen und Persönlichkeiten, welche vor 1859 in der Halbinsel walteten, näher gebracht haben, als den seitdem herrschenden. Nirgens vernimmt man einen Ton von Bitterkeit gegen das neue Italien, wenn nicht manchmal das sehr natürliche und durchaus gerechtfertigte Murren des Geschichts- und Kunstsinnigen, wenn das Richtscheit und die Kelle des modernen Staates über liebgewordene Zeugen der Vergangenheit hinwegfahren. Politik und Religion, Staat und Kirche werden durchaus in wirklich staatsmännischem Sinne – fast in Ranke’s Art – aufgefaßt, und dabei können eben die „Prinzipien“, hinter denen sich doch eigentlich nur kleinlicher republikanischer oder legitimistischer Parteigeist zu verbergen pflegt, nicht wohl zum Worte kommen. Der wahre Geschichtsschreiber, wie der wahre Staatsmann hält sich eben nur ans Thatsächliche.“ 879 NL ­Reumont, Karl Hillebrand an ­Reumont, S 1062, Nr. 92: 14. August 1874. 880 So auch in der Besprechung der zweiten Auflage von 1883 im Repertorium für Kunst­ wissenschaft 7 (1884), S. 102–103.

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C. Publizistik

sichts des großen Materialreichtums, der ihm von seinen italienischen und insbesondere florentinischen Bekannten zur Verfügung gestellt wurde,881 war es nach ­Reumonts eigener Aussage unmöglich, es in zwei Bänden zu verarbeiten, ohne den Großteil des deutschen Lesepublikums zu überfordern.882 Deswegen hatte er sich für eine weniger tiefgehende Version entschieden, die an die Vorkenntnisse der deutschen Leserschaft angepasst war. ­Reumont wollte es gewissermaßen als sein florentinisches Testament für den deutschen Leser verstanden wissen, um sich in der Folge nur noch kleineren Arbeiten zuzuwenden.883 Mit der Biographie Lorenzo de’ Medicis sollte als Dankeschön für die herzliche Aufnahme in der Toskana die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit noch einmal auf die Blütezeit der toskanischen Geschichte gelenkt werden.884 Der Verzicht auf eine italienische Übersetzung hatte jedoch zur Folge, dass das Werk in Italien kaum rezipiert wurde. Die lange Zeit einzige Besprechung war diejenige, die R ­ eumont auf Bitten der Redaktion des Archivio Storico Italiano selbst verfasst hatte.885 Vor dem Hintergrund, dass sich das englischsprachige Ausland trotz der Sprachbarriere mit R ­ eumonts Werk auseinandersetzte, während es von italienischen Zeitschriften ignoriert wurde,886 ließ er sich nach mehreren Jahren doch noch von seinen Bekannten zu einer Überarbeitung und Übersetzung ins Italienische überzeugen. Als er ohnehin an einer überarbeiteten Neuauflage seiner deutschen Version arbeitete, versuchte ihn Isidoro del Lungo davon zu über­ zeugen, auch endlich eine für den italienischen Leser überarbeitete Version zu publizieren, wofür er ihm die Unterstützung seines florentinischen Bekanntenkreises zusicherte.887 Neben Del Lungo stellte auch Cesare Guasti, der Soprintendente des 881

Noch kurz vor der Fertigstellung des Manuskripts hatte ihn etwa Isidoro del Lungo noch auf eine erst 1869 in Florenz erschienen Schrift über die Hochzeit Lorenzo de’ Medicis aufmerksam gemacht, die ­Reumont sogleich über Capponis Sekretär Alessandro Carraresi aufzutreiben versuchte. – BNCF, Carteggi Vari 111, 86, ­Reumont an Carraresi, Bonn, 30. August 1873. 882 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 179: Pal. Capponi, 20. Mai 1874. 883 Ebenda. 884 Alfred von R ­ eumont: Lorenzo de’ Medici il Magnifico, Archivio Storico Italiano 19 (1874), S. 409–422, hier S. 411: „Tanto mi è parso dover dire d’un libro, col quale ho inteso porgere alla patria di Lorenzo il Magnifico nuovo pegno di durevole affetto, e di riconoscenza per gli innumerevoli benefici dovuti al soggiorno in Toscana, dove giunsi giovine passandovi gli anni miei più felici.“ 885 Alfred von R ­ eumont: Lorenzo de’ Medici il Magnifico, Archivio Storico Italiano 19 (1874), S. 409–422; NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 179: Pal. Capponi, 20. Mai 1874. 886 Vgl. ­Reumonts Klage gegenüber Leopoldo Galeotti: Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, 632, ins. III, (8) ­Reumont an Galeotti, Bonn, 15. März 1877: „Mentre in Italia, per quanto io sappia, non si è detta nè anche una sola parola intorno alla vita di Lorenzo il Magnifico, dieci giornali inglesi (e finanche degli americani) ne hanno parlato, e la traduzione, benchè lasci da desiderare molto, è stata accolta favorevolmente nella patria del Roscoe. Caro amico, siffatta indifferenza della stampa italiana è proprio da scoraggiare.“ 887 NL R ­ eumont, S 1063, Isidoro Del Lungo an ­Reumont, Nr. 98: Florenz, 5. Mai 1880; Nr. 99: Florenz, 25 August 1881: „Vorrei tornarle su ciò che Le dissi  a Voce, del far italiano il suo Lorenzo: ma bisognerebbe ch’ Ella me ne desse qualche maggiore speranza. Non so se possa muoverla il dirle, che questa sua pubblicazione italiana (nella quale io l’ aiuterei di buon grado)

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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Archivio Fiorentino, seine Mithilfe für die von ihm von Anfang an geforderte italienische Umarbeitung des Werkes in Aussicht.888 Denn er hatte ohnehin schon für die zweite deutsche Auflage Dokumente und Inschriften untersucht und R ­ eumont insbesondere hinsichtlich der Lokalisierung der Gräber Lorenzos und Giulios de’ Medici beraten.889 Bedingt durch den – nach ersten Anlaufschwierigkeiten – großen internationa­ eumont daran, mit Hilfe seiner len Erfolg seines Lorenzo de’ Medici, machte sich R florentinischen Kontakte – allen voran Del Lungos und Guastis – eine durch die neueste Literatur sowie zahlreiche bis dato unveröffentlichte Archivalien erweiterte Auflage zu veröffentlichen.890 Durch den besonderen Materialreichtum und die detaillierte Darstellung der Toskana unter den Medici, die damals in Anlehnung an Rankes Biographiekonzept durchaus innovativ aufgebaut war, ist die Bio­ eumonts graphie Lorenzo il Magnificos als die erfolgreichste historische Arbeit R zu bezeichnen, die bis in die heutige Forschung hinein rezipiert wird.891 Mit der Darstellung der Toskana unter den Medici konnte R ­ eumont durch eine reiche Materialsammlung, über die er durch seine hervorragenden Kontakte innerhalb der toskanischen Gelehrtenwelt sowie unter internationalen Forschern aus Deutschland, Frankreich und Belgien verfügte, nicht nur der Toskana, sondern auch seiner eigenen kulturellen Mittlertätigkeit ein greifbares Andenken hinterlassen. In der Synthese aus toskanischen, italienischen sowie internationalen Forschungen und Quellen, setzte ­Reumont hinsichtlich der Materialkonzentration zur Toskana der Medici neue Maßstäbe. Zugleich vermittelte er durch sein erfolgreiches Werk das Bild der kulturellen Blütezeit der Toskana892 und setzte Gino Capponi durch die Widmung dieses erfolgreichen Werks ein prominentes Denkmal.

sarebbe a me di grande incitamento per riprendere a buono il mio Poliziano, il quale altrimenti reggo bene che si rimarrà a questi Saggi frammentarie.“; Nr. 100, Florenz, 12 Mai 1882: „Vorrei poi aver nuove migliori della sua salute; e Le auguro e spero che il mare gliela ristori, e La ponga in condizione di tornare un altr’anno fra noi. Godo intanto di sentire ch’Ella rivede il suo Lorenzo; e la pregherei a ricordarsi, che e a voce e per iscritto io Le ho significato il desiderio di farlo tradurre col suo consento e nella forma nella quale Ella intenderebbe acconciarlo pei lettori italiani. Tale pubblicazione, che a Lei come cittadino fiorentino è quasi doverosa, avrebbe qui ogni sorta d’aiuti da’ suoi amici; e il traduttore, valente e sollecito, l’avrei io bell’e pronto. Ci pensi; e ne scriva qualche cosa o a me o al Guasti.“ 888 NL ­Reumont, S 1061, Cesare Guasti an R ­ eumont, Nr. 326, Florenz, 8. Februar 1875; Nr. 345c, Florenz, 15. August 1882. 889 Ebenda, Nr. 338: Prato, 1. Oktober 1879; Nr. 345c, Florenz, 15. August 1882; Nr. 345d, Florenz, 29. Oktober 1882; Nr. 345f, Florenz, 18. März 1883; Nr. 345g, Florenz, 12. Mai 1883. 890 Deutsche Literaturzeitung, Nr. 42, 20. Oktober 1883. 891 So wird ­Reumonts Arbeit auch noch in jüngeren Arbeiten zitiert, so etwa bei: Walter (2003); vgl. Lill (2015), S. 45. 892 Alfred von ­Reumont: Lorenzo de’ Medici il Magnifico, Archivio Storico Italiano 19 (1874), S. 409–422, hier S. 411.

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C. Publizistik

b) Die Geschichte der Stadt Rom Neben Florenz war Rom zum zweiten Zentrum ­Reumonts diplomatischer Tätigkeit geworden. Auch dort hatte er im Laufe der Jahre zahlreiche Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten aus Kultur und Politik geknüpft und die Mitgliedschaft in führenden römischen Institutionen, wie der Accademia di S. Luca, der Pontificia Accademia Romana di Archeologia, der Accademia Tiberina oder dem Instituto di corrispondenza archeologica erworben. Selbstredend hatte er in diesem Rahmen die laufenden Forschungen zu römischen Themen mit entsprechendem Interesse verfolgt. Neben den Projekten des Römischen Instituts ließ er sich auch von Giovanni Battista de Rossi und dem Sekretär der Pontificia Accademia Romana di Archeologia, Pietro Ercole Visconti zu einschlägigen archäologischen Sehenswürdigkeiten führen,893 während ihm seine Freundschaft zu Felix Papencordt und seine Bekanntschaften zu Jean-Jacques Ampère894, Gabriele Rosa895 und Ferdinand Gregorovius Einblicke in die Geschichtsschreibung über die Ewige Stadt gewährten. Außerdem war ­Reumont über seinen Kontakt zu Leopold von Ranke auch mit dessen Arbeiten zur Geschichte der Päpste vertraut. Diese Kontakte bildeten eine wichtige Voraussetzung für R ­ eumonts Auseinandersetzung mit der römischen Geschichte wie auch der Päpste. Historikern wie Papencordt oder Ampère konnte er bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Papencordt war ein enger Freund, der sich in Berlin für R ­ eumonts Belange einsetzte und ihm hinsichtlich historischer Fragen beratend zur Seite stand.896 Obgleich es nicht direkt aus den erhaltenen Briefen hervorgeht, ist anzunehmen, dass sich die beiden auch eingehend über Papencordts Quellenrecherchen zur Geschichte Roms ausgetauscht haben. Auch wenn Papencordt vor der Vollendung des Manuskripts verstarb, bot seine Quellensammlung dennoch bereits eine dankbare Grundlage für spätere Publikationen zur Geschichte Roms, weshalb es der ebenfalls in engem Kontakt zu ­Reumont stehende Constantin von Höfler unternahm, das Manuskript Papencordts zu vervollständigen und ­ eumont hatte seinerzeit versucht, Gregorovius für eine Bezu veröffentlichen.897 R sprechung des Werkes im Archivio Storico Italiano zu gewinnen, allerdings ohne Erfolg: Da Gregorovius selbst an seiner Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter 893

So hatte beispielsweise Visconti ­Reumont durch Ostia geführt: BNCF Vieuss. C. V. 89, 61, ­ eumont an Vieusseux, Rom, 24. Oktober 1857; 141, R R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 31. März 1862; 143, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 26. April 1862. De Rossi hatte ­Reumont durch die Katakomben von S. Callisto und S. Clemente geführt: Ebenda, 61, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 24. Oktober 1857 bzw. 174, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 17. Februar 1863. Außerdem zeigte er ­Reumont noch den Lateran: Ebenda, 133, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 28. Januar 1862. 894 Ampère publizierte u. a.: Portraits de Rome à differens ages, Paris 1835; L’histoire Romaine à Rome, Paris 1856; L’Empire romain à Rome, 2 Bde., Paris 1872. 895 Rosa publizierte u. a.: Abitazioni palustri a Roma, Brescia 1868; Roma presitorica, Brescia 1871. 896 Vgl. etwa NL ­Reumont, S 1064, Felix Papencordt an ­Reumont, Nr. 74: Berlin, 3. Dezember 1840; Nr. 75: Berlin, 12. Februar 1841. 897 Vgl. dazu auch Alfred von R ­ eumont, Geschichte der Stadt Rom, Bd. II, Berlin 1867, S. 1175–1176.

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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arbeitete und er die Quellenrecherchen Papencordts wie auch die Vollendung der Arbeit durch Höfler für unzureichend hielt, erklärte er sich gegenüber R ­ eumont für außerstande, das Buch anzupreisen.898 Die Absage tat der gegenseitigen Unterstützung jedoch keinen Abbruch. Vielmehr legten beide Seiten großen Wert auf einen regelmäßigen Austausch über ihre Arbeiten. Während ­Reumont Gregorovius eine Empfehlung an Kardinal Antonelli schrieb, die ihm den Zugang zur Biblioteca Vaticana verschaffte, berichtete ihm Gregorovius über seine dortigen Erfahrungen und Recherchen.899 Tatsächlich stand ­Reumont in dieser Zeit in einem intensiven Austausch über die seinerzeit laufenden Arbeiten zur römischen Geschichte von Gregorovius und Ampère. Letztere standen während ihrer römischen Forschungsaufenthalte in Kontakt. ­Reumont seinerseits ließ sich bei jeder Gelegenheit von ihren Fortschritten berichten. Ampère hatte er im Jahre 1850 über Vieusseux kennengelernt,900 und seitdem im Rahmen seiner Romaufenthalte regelmäßig getroffen. Als korrespondierende Mitglieder der Pontificia Accademia Romana di Archeologia,901 bewegten sie sich in den gleichen Kreisen um Personen wie etwa Visconti, die Rospigliosi, oder die Corsini.902 Zeitweise waren sie in der Casa Tarpea auf dem Kapitol sogar direkte Nachbarn, sodass sie sich täglich sahen und Ampère ­Reumont von seiner Arbeit berichtete.903 In diesem Rahmen machten sie zahlreiche gemeinsame Ausflüge zu den antiken Denkmälern, so etwa unter Führung Viscontis nach Ostia oder zu den Diokletiansthermen.904 Auf diese Weise war ­Reumont noch vor seiner eigenen Arbeit zur römischen Geschichte innerhalb der Fachwelt bestens vernetzt und konnte Gregorovius selbst nicht nur durch Empfehlungsschreiben Hilfestellung geben, sondern ihm zudem bei der Beschaffung relevanter Literatur und wichtigen Quellenmaterials behilflich sein.905 Auch die gegensätzlichen Ansichten über zeitgenössischen Entwicklungen und die unterschiedlichen Bewertungen der Rolle der Kirche innerhalb der römischen Geschichte hinderten ­Reumont nicht daran, den liberalen Protestanten 898 NL ­Reumont, S 1061, Ferdinand Gregorovius an ­Reumont, Nr. 290: Rom, 8. November 1857; Felix Papencordt: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, hrsg. von Karl Adolf ­Constantin von Höfler, Paderborn 1857. 899 Ferdinand Gregorovius: Römische Tagebücher 1852–1889, hrsg. von Hanno Walter Kruft und Markus Völkel, München 1991, S. 79, Rom, 27. Mai 1859; NL ­Reumont, S 1061, Ferdinand Gregorovius an R ­ eumont, Nr. 291: Rom, 26. Mai 1859; vgl. auch Johannes Hönig: Ferdinand Gregorovius. Eine Biographie, Stuttgart 21944, S. 308–309. 900 BNCF Vieuss. C. V. 89, 13, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 29. November 1850. 901 Ebenda, 120, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 22. April 1861. 902 Ebenda, 141, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 31. März 1862; 142, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 9. April 1862; 143, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 26. April 1862. 903 Ebenda, 117, R ­ eumont an Vieusseux, Kapitol, 1. März 1861; 119, R ­ eumont an Vieusseux, Kapitol, 14. April 1861. 904 Ebenda, 141, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 31. März 1862; 143, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 26. April 1862. 905 NL ­Reumont, S 1061, Ferdinand Gregorovius an ­Reumont, Nr. 293: Rom, 28. Februar 1860.

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C. Publizistik

hinsichtlich seiner Arbeit wohlwollend zu unterstützen.906 Das gemeinsame Interesse an der Geschichte Roms, verbunden mit der Möglichkeit sich gegenseitig zu ergänzen sowie die Tatsache, dass beide dilettierende Historiker waren, die sich mit mancherlei Vorbehalten der Fachwelt auseinanderzusetzen hatten, verbanden die beiden mehr, als sie politische und religiöse Gegensätze trennten. Dies wird in den ausführlichen Rezensionen ­Reumonts über die ersten Bände von Gregorovius’ Geschichte der Stadt Rom in Brockhaus’ Blättern für literarische Unterhaltung deutlich.907 Obgleich ­Reumont das Verdienst Gregorovius’ anerkennt und ihn dafür lobt, ein Forschungsdesiderat, nämlich eine Gesamtdarstellung der Geschichte Roms im Mittelalter in Angriff genommen zu haben, kritisiert er an der Darstellung des Protestanten, dass er die Geschichte Roms zu wenig als eine Geschichte des Christentums darstelle, sondern vorwiegend als eine rein weltliche Stadtgeschichte.908 Die Geschichte Roms sei aber keine gewöhnliche Stadtgeschichte. Denn als Hauptstadt des Christentums wie des Römischen Reiches gelte es in der Darstellung zugleich die gesellschaftliche Entwicklung in der Auseinandersetzung zwischen Polytheismus und Christentum und dessen Verhältnis zum Staat zu beleuchten, um die weitere Geschichte verstehen zu können. In dieser Hinsicht unterscheide sich die Geschichte Roms von derjenigen anderer Städte: „So aufgefaßt und so behandelt, wird die Geschichte Roms zu einem der wichtigsten Glieder in der Geschichte Italiens nicht nur, sondern in jener der Welt. Denn wenn sie die Geschichte der Stadt ist, so ist es diejenige Stadt, in welcher die Welt sich spiegelt. Die Geschichte von Florenz, als Gegenstück zu der athenischen, zeigt uns den Mittelpunkt der neuen Cultur in ihren verschiedenen Strahlen der Wissenschaft, Kunst, Politik, convergirten.“909

Während also die Geschichte von Florenz die Geschichte Italiens repräsentiere, sei Rom vielmehr die Hauptstadt der Welt. Nach der Gründung des italienischen Nationalstaats und der schwelenden Römischen Frage, nutzte ­Reumont die Rezen­ sion von Gregorovius’ Werk, um die Existenz der weltlichen Papstgewalt und des Kirchenstaates gegen die zeitgenössische Polemik liberaler Politiker und Publizisten zu verteidigen. Unter Verweis der Erhebungen der Pentapolis gegen die byzantinischen Kaiser zum Schutz der Päpste, rechtfertigte ­Reumont die Bildung des Kirchenstaates zur Sicherung der Unabhängigkeit des Papsttums.910 Ravenna 906

Ebenda. Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 1, 1. Januar 1862; Nr. 7, 13. Februar 1862; Nr. 24, 12. Juni 1862. 908 Ebenda, Nr. 1, 1. Januar 1862: „Vollständig ist jedoch die Schilderung nicht. Denn es fehlt ein Hauptmoment, das Moment des Ursprungs und des Wachstums der christlichen Kirche, der Kirche der Katakomben und der Märtyrer. Der Zeit nach scheint dieser Gegenstand freilich außerhalb der Grenzen der Darstellung zu liegen: aber das beginnende Mittelalter Roms ist ohne die Kenntniß des Verhältnisses der christlichen Gemeinschaft zu Staat und Stadt vor Konstantin nicht gut zu verstehen, und die Geschichte des letzten Kampfes des Polytheismus mit dem schon zur Staatsreligion gewordenen neuen Glauben ermangelt des Anfangspunktes, was man auch der Darstellung anmerkt.“ 909 Ebenda. 910 Ebenda, Nr. 7, 13. Februar 1862. 907

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und die Pentapolis haben sich gegen den byzantinischen Kaiser Justinian II. auf die Seite Papst Sergius’ I. (687–701) geschlagen, als dieser es ablehnte die Beschlüsse des Trullanischen Konzils anzuerkennen, die Konstantinopel die gleichen Rechte zuerkannten wie Rom.911 Außerdem habe auch Papst Gregor II. (715–731) eine ähnliche Unterstützung gegen die Bedrohung durch den byzantinischen Kaiser erfahren.912 Dessen Politik, sowohl den langobardischen als auch den byzantinischen Einfluss zurückzudrängen, indem er einerseits das Kastell von Cumae als auch Sutri von den Langobarden zurückgewinnen, andererseits im Kampf gegen die Ikonoklasten zahlreiche italische Städte der Ostküste, die zuvor unter byzantinischer Verwaltung gestanden hatten, auf seine Seite ziehen konnte,913 verteidigte ­Reumont gegenüber Gregorovius’ Vorwurf der Doppelbödigkeit. Gregor II. hatte sich nämlich, nachdem er die Aurelianische Stadtmauer erneuert hatte und sich zum faktischen Stadtherren aufgeschwungen hatte, doch noch mit Byzanz arrangieren müssen, als es dem von Kaiser Leo III. nach Italien gesandten Exarchen gelungen war, sich mit Liutprand gegen den Papst zu verbünden.914 Während Gregorovius diese Schlingerpolitik tadelte, hielt ­Reumont dem entgegen: „Und wenn Gregor II. von manchen, und auch von unserm Verfasser, zweideutiger Politik angeklagt wird, so mag das, was er für das Papstthum, für Italien, für Rom wirkte, zu seiner Rechtfertigung dienen. […] Als großer Papst, sagt er [Cesare Balbo] von Gregor II., widerstand er katholisch einem häretischen Kaiser; als großer Bischof und großer Bürger sammelte er um sich die römischen Römer; als großer Italiener sammelte er die italienischen Bewohner Mittelitaliens zu gegenseitigem Schutz wider kaiserliche Gewaltherrschaft.“915

Die weltliche Herrschaft des Papstes versuchte R ­ eumont in Anlehnung an Balbo als aus der historischen Notwendigkeit heraus geboren und als wichtigen Faktor zur italienischen Unabhängigkeit darzustellen. Darin trat er Gregorovius wie auch zahlreichen liberalen Publizisten und Politikern entgegen, die das Papsttum nach der Abkehr Pius IX. von einem nationalen Unabhängigkeitskrieg als mit der italie­ eumont vertrat nach nischen Nationalstaatsbewegung unvereinbar betrachteten. R wie vor einen liberalen Katholizismus rosminianischer Prägung und versuchte den Wert, den ein unabhängiges Papsttum für die italienische Nation haben könne, aus der Geschichte heraus zu erweisen. Um aber die italienische Gesellschaft stärken zu können, müsse das Papsttum über den Kirchenstaat verfügen, der ihm die notwendige politische Unabhängigkeit garantiere. Deswegen ist es nicht überraschend, dass ­Reumont in seiner Rezension entsprechend ausführlich auf die Pippinsche Schenkung eingeht, die er als Ursprung des Kirchenstaates anführt, der nach dem Sieg über die Langobarden zunächst von den fränkischen Herrschern garantiert wurde und das wiedererstarkende nationale Element darstellte. Mit Blick auf die mittelalterliche Entstehungsgeschichte des Kirchenstaates, der nach Ansicht ­Reumonts 911

Matthias Hardt: Sergius I., Papst, BBKL 9 (1995), Sp. 1436–1441. Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 7, 13. Februar 1862. 913 Friedrich Wilhelm Bautz: Gregor II., Papst, BBKL 2 (1990), Sp. 304–306. 914 Ebenda. 915 Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 7, 13. Februar 1862. 912

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C. Publizistik

dem Papst die Möglichkeit der Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft im christlichen Sinne ermöglichte, stellte er die nationalpolitische Führungsaufgabe des Papsttums heraus: „Diese nationalitalienischen Elemente gelangten im Kirchenstaate zur Geltung und sicherten dessen Constituirung im Gegensatze gegen das durch die Longobarden repräsentirte fremde Princip. Nie ist ein Staat unter so merkwürdigen Umständen, […] unter so allgemeiner Zustimmung entstanden, infolge consequenten Handelns einer Reihe ausgezeichneter Männer, infolge ihres moralisirenden Einflusses nicht nur auf die zunächst betheiligten Völkerschaften, die sie, inmitten so vieler Not und Bedrängnisse, als ihre steten Fürredner und wirksamen Beschützer erkannt hatten, sondern auf die ganze christliche Welt. Diesen moralisirenden Einfluß lebendig zu halten, diese große Mission der Kirche zu erfüllen, war die weltliche Unabhängigkeit der Päpste vonnöthen […].“916

Nach dieser Lesart war das Papsttum mit dem Kirchenstaat das notwendige Fundament für ein christliches, unabhängiges Italien. Der Kirchenstaat selbst war dabei ein aus der historischen Notwendigkeit heraus von den Einwohnern Italiens freiwillig unterstütztes Konstrukt zur Sicherung der nationalen Unabhängigkeit. Unausgesprochen lag darin der Vorwurf gegen das Königreich Italien, das im September 1860 in den Kirchenstaat eingefallen war, die historische und moralische Basis nationaler Unabhängigkeit zu vernichten. Auf diese Weise stellte ­Reumont Gregorovius’ liberal-protestantischer ­Geschichte der Stadt Rom eine katholische Sichtweise entgegen. Auch unter den liberalen Katholiken wurde die Notwendigkeit der weltlichen Herrschaft des Papstes wie des Kirchenstaates kontrovers diskutiert. Cesare Guasti oder Alessandro Manzoni hielten sie etwa für verzichtbar,917 während beispielweise Raffaello Lambruschini als Befürworter des unitarisch-monarchischen Nationalstaats unter piemontesischer Führung trotz seiner grundsätzlichen Ablehnung der weltlichen Papstherrschaft, im Erhalt des restlichen päpstlichen Besitzes die einzige Garantie der kirchlichen ­ eumont hielt den Erhalt des verbleibenden Unabhängigkeit erblickte.918 Auch R päpstlichen Besitzes nicht aus religiösen, sondern aus historischen und praktischen Gründen für wichtig und bot bereits in seiner Rezension eine Alternative zu Gregorovius’ Einschätzung, dass die Päpste den nationalen Ambitionen wie dem his-

916 Ebenda, Nr. 24, 12. Juni 1862; vgl. auch den gleichen Wortlaut in R ­ eumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 2, Berlin 1867, S. 119. 917 So hielt etwa Cesare Guasti, mit dem ­Reumont über die Verbindung zu Vieusseux und später über Capponi in regelmäßigem Kontakt stand, die weltliche Papstherrschaft für verzichtbar. – vgl. Francesco Leoni: Il pensiero politico di Cesare Guasti, Studi in onore di Cesare ­Guasti 2 (1991), S. 11–40. Vgl. auch Rocco Pezzamenti: Persona, società, Stato: Rosmini e i cattolici liberali (Società e socialità 28), Rom 2012, S. 201; vgl. auch Confessore / Denitto (2001); zur Auseinandersetzung der italienischen Katholiken mit dem Nationalstaat vgl. auch Andrea ­Ciampani: Cattolici e liberali durante la trasformazione dei partiti. La „questione di Roma“ tra politica nazionale e progetti vaticani, 1876–1883, Rom 2004. 918 Vgl. Rocco Pezzimenti: Persona società stato: Rosmini  e i cattolici liberali (Società  e ­Socialità 28), Rom 2012, S. 34–35.

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torischen Fortschritt im Wege gestanden hätten und ihre weltliche Herrschaft nur noch ein Anachronismus sei. Seine umfangreichen Kenntnisse über die Geschichte Roms, über die dortige Archivsituation sowie seine hervorragenden Kontakte zu den dortigen Institutionen und Gelehrten, ließen den überzeugten Katholiken R ­ eumont geeignet erscheinen, der dezidiert liberal-protestantischen Darstellung Gregorovius’ eine katholische Sichtweise der Römischen Geschichte als Geschichte des Christentums und der Päpste entgegenzusetzen. Als Reaktion auf Gregorovius’ Arbeit beauftragte König Maximilian II. von Bayern R ­ eumont, eine katholische Geschichte der Stadt Rom zu verfassen. Diese sollte ein Kompendium der Kenntnisse über die Ewige Stadt für eine allgemeine Leserschaft bieten und dabei insbesondere die Entstehung und Entwicklung von Papsttum und Kirchenstaat in den Blick nehmen, und dadurch historische Antworten auf die Römische Frage liefern. Insofern handelte es sich dabei tatsächlich um eine konkrete katholische Reaktion auf das bereits in den ersten Bänden erschienene und viel gelesene Werk Gregorovius’. ­Reumont eignete sich deswegen hervorragend dafür, sich an Gregorovius abzuarbeiten, da er ihn bei dessen Recherchen tatkräftig unterstützt hatte, dessen Arbeitsweise wie auch die konsultierten Archive kannte, und bereits durch seine Rezension gezeigt hatte, dass er sich bereits intensiv mit der Arbeit auseinandergesetzt hatte und die Römische Geschichte als Papstgeschichte begriff. Demensprechend ist die Einschätzung ­Gregorovius’ durchaus zutreffend, dass ohne seine großangelegte Stadtgeschichte, das Werk ­Reumonts wohl nicht entstanden wäre.919 Dieses von R ­ eumont in Angriff genommene Kompendium umfasste jedoch noch einen größeren Zeitraum, indem es sich nicht nur auf das Mittelalter beschränkte, sondern, um die Anfänge des Christentums entsprechend berücksichtigen zu können, die Römische Geschichte von der Gründung Roms bis in die Zeitgeschichte hinein behandelte. Eine derartige Zeitspanne in drei Bänden zu behandeln war nicht nur hinsichtlich der Darstellung eine Herausforderung, sondern auch in Betreff der Berücksichtigung neuester Forschungsergebnisse, zumal dann, wenn sie möglichst der Rechtfertigung der Papstherrschaft dienen sollten. Insbesondere die antike Geschichte des frühen Christentums in seiner Beziehung zum Staat, deren Auslassung ­Reumont bei Gregorovius kritisiert hatte, bereitete ihm erhebliche Schwierigkeiten. Da er selber bis dato nie etwas über antike Themen publiziert hatte, fehlte ihm der Zugang zum antiken Rom.920 Deshalb versuchte er sich vorwiegend auf die Arbeiten seiner Kontakte zu stützen. Zwar tauschte er sich mit Ampère zu dessen Arbeiten über das antike Rom aus, jedoch wollte er zunächst abwarten, wie Pietro Capei das Werk beurteilen würde, um zu entscheiden, welche Abschnitte er in seine eigene Arbeit einfließen lassen würde.921

919

Gregorovius: Tagebücher, S. 330, Rom, 30. März 1873. NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 121: Rom, 2. April 1864. 921 BNCF, Gino Capponi XI. 42, ­Reumont an Capponi, Nr. 36: Rom, 29. Dezember 1863. 920

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Stattdessen fand ­Reumont in den Vorarbeiten Giovanni Battista de Rossis eine willkommene Basis.922 Er stützte sich vor allem auf de Rossis Bullettino di archeo­ logia cristiana, der seit 1863 erschien und über die neuesten Entdeckungen der christlichen Archäologie berichtete, zu denen auch reiches Bildmaterial geboten wurde. R ­ eumont berichtete auf diese Weise dem deutschsprachigen Leser erstmals von den jüngsten Arbeiten de Rossis auf dem Gebiet der christlichen Archäologie und konnte sogar erste Ergebnisse von de Rossis bis dahin noch unveröffentlichter Monographie Roma sotterranea cristiana verarbeiten.923 Allerdings bot der Rückgriff auf de Rossi nicht nur die Möglichkeit, ein breites deutschsprachiges Publikum erstmals mit den neuesten römischen Forschungen bekannt zu machen, sondern garantierte zudem die Aufbereitung des Materials in strikt katholischem Sinne. Denn die Grabungen des späteren Präsidenten der Pontificia Accademia Romana di Archeologia, die er im Auftrag Pius’ IX. durchführte, waren Teil einer großangelegten Kulturpolitik des Papstes zur Legitimation der weltlichen Papstherrschaft über Rom.924 Dadurch fügten sie sich nahtlos in die hinter R ­ eumonts Geschichte der Stadt Rom stehende Absicht und ersparten ihm eine aufwendige Recherche nach Forschungsergebnissen zur Rechtfertigung der weltlichen Papstherrschaft. Allerdings führte die Übernahme der Ergebnisse de Rossis zu einer vom Rezensenten der Augsburger Allgemeinen Zeitung monierten, einseitig christlichen Darstellung, die das christliche Element vor der Konstantinischen Wende durch kritiklose Übernahme christlicher Legenden deutlich überbewerte und zum Teil sogar verzerre.925 ­Reumonts fehlende Erfahrung in der Behandlung der römischen Antike führte auch dazu, dass seine Arbeit nicht immer am Puls der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse war.926 Auch wenn R ­ eumonts Darstellung des mittelalterlichen Rom wesentlich sicherer geriet, da er über diese Zeit einen deutlich breiteren Überblick über die zeitgenössische Literatur hatte und zudem auch auf die Vorarbeiten Gregorovius’ zurückgreifen konnte, blieb er selbstredend dem Prinzip einer christlichen Geschichte des Papsttums treu und konnte dementsprechend auf die Unterstützung katholischer Gelehrter zurückgreifen. So versorgte ihn etwa Constantin von Höfler mit weiterführenden Informationen über Papst Bonifaz VIII.927 922 Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts Rom, Briefe R ­ eumonts an Henzen, Aachen, 22. Dezember 1865. 923 Vgl. auch die Einschätzung des Rezensenten der Augsburger Allgemeinen Zeitung: Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 240, 28. August 1867; Forni (1985), S. 15–16. 924 Vgl. Arnaldo Marcone: Le opere di carattere storiografico nelle Dissertazioni della Pontificia Accademia Romana di Archeologia dell’800, in: Marco Buonocore (Hrsg.): I duecento anni di attività della Pontificia Accademia Romana di Archeologia (1810–2010) (Atti della Pontificia Accademia Romana di Archeologia, Serie 3: Memorie 8), Rom 2010, S. 1–25, hier S. 18. 925 Außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 240, 28. August 1867. 926 Vgl. etwa die entsprechende Kritik des Rezensenten der Historischen Zeitschrift 17 (1867), S. 396–399. 927 NL ­Reumont, S 1062, Karl Adolf Konstantin von Höfler an R ­ eumont, Nr. 100: 1. Januar 1868.

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Als demjenigen, der den Anlass zur Idee einer katholischen Geschichte der Stadt Rom geliefert hatte, ließ R ­ eumont auch Gregorovius seine Publikation zukommen. Dieser bedankte sich höflich, ließ ­Reumont jedoch wissen, dass er hinsichtlich der Geschichte des mittelalterlichen Rom nichts Neues in dem Werk zu finden erwarte.928 Des Weiteren führte er zudem aus, dass er R ­ eumonts Leistung schätze, ein solch umfassendes Kompendium bewerkstelligt zu haben, dass man dieses aber nicht mit seiner auf eigenem Quellenstudium beruhenden Arbeit vergleichen könne. Beide hätten Großes geleistet, er hinsichtlich der Quellenarbeit, R ­ eumont hinsichtlich der Zusammenfassung bisheriger Forschungsergebnisse.929 In seinem Tagebucheintrag vom selben Tag, an dem er den Brief an R ­ eumont geschrieben hatte, brachte Gregorovius die persönliche Kränkung, mit ­Reumont verglichen zu werden ohne Umschweife auf den Punkt: „Die Arbeit R ­ eumonts ist eine Kompilation, wozu er für das ganze Mittelalter ein Jahr gebraucht hat; meine Arbeit ist ein Originalwerk, entstanden aus Quellenforschungen von fast sechzehn langen Jahren; sie ist das Resultat eines Lebens und das Produkt innerer Leidenschaft. Die Glocke, die ich gegossen habe, wird noch von manchem Küster geläutet werden.“930

Allerdings wusste Gregorovius den Wert von ­Reumonts Arbeit als Überblicksdarstellung durchaus zu schätzen. Auch in seiner eigenen Arbeit griff er an Stellen, an denen er nicht über hinreichende eigene Quellen verfügte, dankbar auf R ­ eumonts Darstellung zurück, wie er diesem gegenüber freimütig einräumte: „In kurzem wird Ihnen die Cotta’sche Buchhandlung den VII. Band meiner Geschichte zusenden, worin Sie sehen werden, daß ich von Ihren culturgeschichtlichen Anschnitten der Renaissance-Epoche guten Nutzen habe ziehen können.“931

928 NL ­Reumont, S 1061, Ferdinand Gregorovius an ­Reumont, Nr. 296: Rom, 14. Juni 1868: „Ich habe den Band I durchgelesen, aber für B. II noch nicht Zeit gefunden. Die dem Mittelalter gewidmeten Abschnitte reizen mich begreiflicherweise weniger, weil ich diese Stoffe bis zur Übersättigung, schon 14 Jahre lang, durcharbeitet habe. Dagegen werde ich mich als ein Gast im 3. Bande als auf einem Gebiet ergehen können, worauf ich nicht, wie im Mittelalter, das merum et mixtum imperium besitze.“ 929 Ebenda. 930 Gregorovius: Tagebuch, S. 246, Rom, 14. Juni 1868; vgl. auch den Eintrag auf S. 222, Rom, 7. April 1867: „­Reumont reiste ab. Sein erster Band der „Geschichte der Stadt Rom“ ist unter der Ankündigung erschienen, daß dies Werk auf Quellenstudium beruhe. Doch dies sind spalle proprie, roba altrui. Wenn ­Reumont seine ihm von König Max gestellte Aufgabe eines Kompendiums der ganzen Stadtgeschichte in zwei Bänden in angenehmer Darstellung gelöst hätte, so würde er etwas sehr dankbares geliefert haben. Ein solches Buch fehlt dem Reisenden in Rom. ­Reumont hat einen guten Tatsachensinn. Er speichert auf, was er liest. Den höheren, künstlerischen Sinn und die Gestaltungskraft besitzt er nicht. Gedanken fehlen ihm. Sein Gedächtnis und seine Promptheit sind bewundernswert.“ 931 NL ­Reumont, S 1061, Ferdinand Gregorovius an ­Reumont, Nr. 297: Stuttgart, 27. September 1870.

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Tatsächlich hatte Gregorovius bei der Darstellung der Renaissancezeit genau auf den Bereich zurückgegriffen, für den R ­ eumont zum damaligen Zeitpunkt bereits als Experte galt. R ­ eumont sah sich mit seiner Arbeit indes lediglich in der Interpretation der Geschichte Roms als Papstgeschichte im direkten Gegensatz zu Gregorovius. Denn seine Absicht war es nicht, als eigenständiger Historiker aufzutreten und mit großangelegten, eigenständigen Quellenforschungen aufzuwarten, sondern die bisherigen Forschungen zur Geschichte der Stadt Rom zusammenzufassen und einem breiten Publikum aus katholischer Perspektive näher zu bringen.932 Auch gegenüber Capponi trat er vorsorglich falschen Erwartungen entgegen, indem er erklärte: „Prego di non dimenticare che è un libro senza pretensione d’erudizione, ma destinato al pubblico in grande. In Germania sin ad ora se n’è giudicato piuttosto favorevolmente.“933

Während ­Reumont also auf eine Quellenkritik im eigentlichen Sinne verzichtete,934 nahm er die Gewichtung weniger nach wissenschaftlichen Kriterien als vielmehr hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit zum Beweis der christlichen Tradition vor. Trotz der eindeutigen politischen Intention, die hinter seiner Geschichte der Stadt Rom stand, verzichtete ­Reumont darauf, einzelne Päpste zu rechtfertigen, wenn die verfügbaren Quellen von eindeutigen Verfehlungen berichteten. Insbesondere in der Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst konnte sich ­Reumont zu seinem persönlichen Bedauern nicht immer auf die Seite der Päpste stellen.935 Schließlich war es seine Absicht in „neuguelfischer“ Tradition die mittelalterlichen Päpste als Vorkämpfer der italienischen Nationalität gegen das Kaisertum darzustellen. Denn auch wenn er die von der italienischen Nationalbewegung propagierte Gleichsetzung des mittelalterlichen Kaisertums mit der Herrschaft das Habsburgerreichs als historisch falsch ablehnte, begrüßte er doch den Abzug der Habsburger aus ­Lombardo-Venetien. Deswegen sollte seine Geschichte der Stadt Rom die enge gegenseitige Abhängigkeit zwischen italienischer Nationalität und Papsttum erweisen. Eine Anerkennung der kaiserlichen Rechte gegen das Papsttum brachte zwar die Zustimmung liberaler und protestantischer deutscher Leser, wurde aber vom italienischen Publikum als Legitimismus zugunsten der habsburgischen Herrschaft in Italien aufgefasst. Dies wog umso schwerer als ­Reumont doch gerade die Notwendigkeit der durch weltlichen Besitz garantierten Unabhängigkeit des Papsttums und deren Nutzen für die italienische Nationalität zu erweisen suchte. Die weltliche Papstherrschaft sollte dabei nicht nur über die göttliche Vorsehung, sondern auch durch die praktische, historische Notwendigkeit und den freiwilligen Entschluss der Einwohner Italiens legitimiert werden. Vor diesem Hintergrund kam gerade der Zeit des avignonesischen Exils und Cola di Rienzos, als die päpstliche Herrschaft über Rom offen in Frage gestellt

932

Vgl. Forni (1985), S. 15. BNCF, Gino Capponi XI. 45, ­Reumont an Capponi, Nr. 53: Aachen, 12. März 1868. 934 Vgl. Forni (1985), S. 30. 935 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 130: Aachen, 23. April 1866. 933

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wurde, besonderes Interesse zu.936 Bei der Auseinandersetzung mit dieser Zeit griff ­Reumont nach eigener Aussage vorwiegend auf die Arbeiten Gregorovius’, Papen­cordts und Muratoris zurück.937 Während er auf Papencordts Quellenmaterial zurückgriff, nahm er die Darstellung Gregorovius’ vor allem deswegen zur Hand, um sie zu widerlegen. Auch wenn dessen Arbeiten eine willkommene Arbeitsgrundlage boten, war ­Reumonts Einordnung di Rienzos derjenigen Gregorovius’ diametral entgegengesetzt: Sah Gregorovius in Persönlichkeiten wie zuvor schon Arnaldo da Brescia und später Cola di Rienzo eine historische Rechtfertigung für eine Emanzipation der Stadt Rom von der Papstherrschaft, so glaubte R ­ eumont darin kein Aufflackern der historischen Vorsehung zu erkennen, sondern Irrlichter, die kurzzeitig der historisch notwendigen Entwicklung entgegengetreten sind, um aber letztlich unweigerlich zu scheitern.938 ­Reumonts Absicht, dabei nicht allein auf die göttliche Vorsehung und die katholische Tradition zu rekurrieren, sondern diese mit wissenschaftlicher Quellenkritik zu verbinden, wird darin deutlich, dass er explizit auf Muratori zurückgriff, der erstmals katholische Tradition und Quellenkritik miteinander verbunden hatte.939 Diese Zielsetzung, die historische Notwendigkeit der weltlichen Papstherrschaft mithilfe neuerer Forschungsergebnisse zu untermauern, und zugleich über die Geschichte der Hauptstadt der Welt den logischen Fortgang der Weltgeschichte zu ermitteln, um daraus politische Handlungsmöglichkeiten für die gegenwärtige Rö­ eumont im Vorwort zum letzten Band offen aus. mische Frage abzuleiten, sprach R Seine persönlichen Erfahrungen im preußischen diplomatischen Dienst in Rom und Gaeta betrachtete er dahingehend als kleinen Teil der anderthalb Jahrtausende währenden, von göttlicher Vorsehung getragenen Papstgeschichte. Nur vor dem Hintergrund der römischen Geschichte und der dortigen Verhältnisse lassen sich also die zeitgenössischen politischen Entscheidungen bewerten. Deswegen erklärt ­Reumont dem Leser den Übergang von der historischen Darstellung hin zu seinen persönlichen Erinnerungen mit folgenden Worten: „Die Erinnerungen meines halben Lebens sind mit römischen Erinnerungen verwachsen. Ich habe die Romagna unter Gregor XVI. in Aufstand gesehn, bin manche Jahre hindurch Zeuge der Regierung dieses Papstes mit ihren Irrthümern und löblichen Eigenschaften gewesen, habe das Schwinden der von Pius IX. auf eine Ausgleichung der Principien der Papstherrschaft mit den Ideen und Forderungen von 1847–48 gesetzten Hoffnungen erlebt. Ich habe auf dem Capitol die Republik proclamiren, Mazzini herrschen gesehn, bin Pius IX. nach Gaeta gefolgt, habe das französische Lager bei Palo, Rom nach der Einnahme besucht, bin mit dem Papste in seine Hauptstadt zurückgekehrt, in der ich die seitdem verflossenen Jahre, in wie ausser amtlicher Stellung, grossentheils verlebt habe.“940

936

Ebenda, Nr. 135: Aachen, 18. August 1866. Ebenda. 938 Vgl. auch Forni (1985), S. 4–5. 939 Vgl. dazu auch Schmitz-Esser (2007), S. 180–183. 940 Alfred von ­Reumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 3, 2. Abteilung, Berlin 1870, S. VI. 937

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In der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart göttlichen Wirkens, das ­ eumont in der Hauptstadt der katholischen Christenheit voraussetzt, bestehe entR sprechend die Möglichkeit, historisch notwendige Entwicklungen zu erkennen, um daraus Konsequenzen für anstehende politische Entscheidungen zu ziehen, denn: „Gerade in solcher Zeit des Zweifels kann die Betrachtung der Geschicke Roms, mit denen die Geschichte des Papstthums unauflöslich verbunden ist, manchen Fingerzeig geben. Denn, wenn irgendwo in der Weltgeschichte, erkennt man hier das Walten der Vorsehung.“941

Genau deswegen legte ­Reumont in seiner Darstellung großen Wert auf die Schicksale derjenigen, die die weltliche Papstherrschaft in Frage gestellt hatten: Arnaldo da Brescia, Cola di Rienzo, wie auch Giuseppe Mazzini, stellvertretend für die Römische Republik des Jahres 1849, mussten alle scheitern, weil sie die göttliche Vorsehung bzw. die historische Notwendigkeit ignorierten oder missverstanden. Während der gesamten Zeit seiner Arbeit an der Geschichte der Stadt Rom, die er im Frühjahr 1870, also noch vor der Einnahme Roms durch das Königreich Italien, abschloss, war er davon überzeugt, dass das Königreich Italien letztlich die welt­liche Papstherrschaft anerkennen müsse, wenn es nicht dem Schicksal Arnaldos, di Rienzos und Mazzinis verfallen wolle. Bei aller Bedrängnis des Papsttums durch den jungen italienischen Nationalstaat schöpfte R ­ eumont aus der Geschichte die Hoffnung, dass das Papsttum – wie so oft in der Vergangenheit – trotz zeitweiliger Erfolge seiner Gegner letztlich triumphieren werde.942 Vor diesem Hintergrund betrachtet ­Reumont das römische Mittelalter als eine Zeit ständiger Prüfungen und Verfehlungen, in der aber letztlich immer wieder herausragende Persönlichkeiten der Kirche den rechten Weg gewiesen und ihren Fortbestand gesichert haben. Während die Spätantike und das Frühmittelalter bis hin der Pippinschen Schenkung den Weg zur Anerkennung der weltlichen Papstherrschaft zur Sicherung seiner Unabhängigkeit darstellten, begann nach Karl dem Großen die Zeit der Auseinandersetzung zwischen den Päpsten und Kaisern sowie der innerstädtischen Machtkämpfe. Sah ­Reumont in den mittelalterlichen Stadtrepubliken ganz im Sinne der damaligen von Sismondi geprägten toskanischen Denktradition einen wichtigen Bestandteil italienischer Identität, der auch in der Gestaltung des Königreichs Italien hätte Berücksichtigung finden sollen,943 so lehnte er in Rom jegliche Versuche der lokalen Eliten, die päpstliche Herrschaft einzuschränken, ab. In der Tradition Dantes sah ­Reumont die zivilisatorische Führungsrolle im Mittelalter von Rom auf Florenz übergegangen.944 In Rom gab es im Gegensatz zu Florenz keine Munizipalkonstitution: „Es war ein Comandi chi può ohne göttliches noch 941

Ebenda. Nicht umsonst erklärte er Capponi den besonderen persönliche Wert, den er aus der Arbeit an der Geschichte der Stadt Rom ziehe: „…mi è d’altronde un sollievo in tempi che per me non hanno gran cosa d’allegro.“ (BNCF, Gino Capponi XI. 42, ­Reumont an Capponi, Nr. 36: Rom, 29. Dezember 1863). 943 Vgl. Pazzagli (2003), S. 113–149. 944 Vgl. dazu auch die Überlegungen Fornis (1985), S. 4–6. 942

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menschliches Recht.“945 Dementsprechend gab es im mittelalterlichen Rom keine andere Konstante als das Papsttum, das der einzige Gegenstand sei, der eine Auseinandersetzung mit dem römischen Mittelalter rechtfertige.946 Aus diesem Grund bezeichnete ­Reumont die Zeit zwischen Karl dem Großen und Arnaldo da Brescia als eine weniger schöne Zeit der römischen Geschichte, die er aus dem ihm gerade vorliegenden Material behandelte.947 Erst nachdem das Papsttum gestärkt aus Mittelalter und Reformation hervor­ gegangen war, unternimmt es R ­ eumont, die römischen Zustände intensiver, anhand bis dahin unveröffentlichter Quellen zu rekonstruieren. In Anlehnung an Rankes Geschichtsschreibung anhand venezianischer Gesandtenberichte nutzte R ­ eumont den Zugang zu den Archiven der Aldobrandi, Borghese, Ludovisi, Barberini, Pamphili und Chigi, um das Rom des 17. und 18. Jahrhunderts zu rekonstruieren.948 Die Geschichte der führenden Familien sollte demnach nicht nur Auskunft über die politischen Entwicklungen geben, sondern zugleich einen Eindruck vom damaligen zivilisatorischen Fortschritt bieten.949 Flankiert wurden diese Familiengeschichten durch ­Reumonts hervorragende Lokalkenntnis, die ihn in den Stand versetzte, die Darstellung durch eingestreute Beschreibungen des Stadtbildes wie einzelner Gebäude zu beleben. ­Reumonts Auffassung der Stadtgeschichte Roms, wonach nur die Antike und die Neuzeit weltgeschichtliche Bedeutung haben, während das Mittelalter, abgesehen vom Papsttum, keine historisch relevanten Erscheinungen bietet, zieht sich durch die gesamte Darstellung der drei Bände. Bereits die Betrachtung der Antike ist auf die spätere Behandlung Cola di Rienzos und Giuseppe Mazzinis hin ausgerichtet. Da beide sich in ihren letztlich gescheiterten Projekten auf die antike Größe Roms beriefen, musste R ­ eumont daran gelegen sein, bereits in der Behandlung des antiken Rom ein anderes Bild zu zeichnen, als jenes, auf das sich später die beiden republikanischen Idole berufen sollten. Wie der Rezensent des ersten Bandes, Felice de Angeli treffend bemerkte, als er die folgenden Bände zur Papstgeschichte noch nicht kannte, handelte es sich – ähnlich wie schon bei Papencordt – um eine einseitig religiöse Darstellung des antiken Rom in Vorbereitung auf die spätere Papstgeschichte, in der das römische und italienische Rom keine ausreichende Beachtung finde: 945

Alfred ­Reumont: Neue Römische Briefe von einem Florentiner, Bd. 1, Leipzig 1844, S. 41; Forni (1985), S. 5. 946 Vgl. Ebenda; Alfred ­Reumont: Römische Briefe von einem Florentiner, Bd. 1, Leipzig 1840, S. VII. 947 BNCF, C. V. 437, 67, R ­ eumont an Capponi, Lamporecchio, 23. November 1863: „Contuttociò ho lavorato – ho cominciata la Storia di Roma, facendo l’abbozzo di una parte del medio evo, per la quale mi trovavo avere dei materiali pronti. È il periodo, non bello, dall’incoronazione di Carlo-Magno sin ad Arnaldo da Brescia.“ 948 Vgl. Forni (1985), S. 11. 949 Vgl. ebenda, S. 20–21; Alfred von ­Reumont: Memorie Colonnesi, compilate da Antonio Coppi, Archivio Storico Italiano (N. S.) 3,2 (1855), S. 171–188.

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C. Publizistik

„[…] il fare d’una storia della città di Roma quasi una storia ecclesiastica non ci pare del caso. Il libro assume un carattere quasi assolutamente religioso e fa temere (e qualche lontana allusione giustifica il timore) che nei seguenti volumi Roma papale abbia, come nell’opera del Papencordt, a far dimenticare troppo spesso all’autore Roma romana e italiana.“950

Die Unterschlagung des „römischen und italienischen Roms“ hatte tatsächlich System. ­Reumont hatte diese Lektion bereits bei Niebuhr gelernt, republikanischen, sich auf die Antike berufenden Ambitionen durch eine „Richtigstellung“ republikanischer Antikenbilder entgegenzutreten.951 Niebuhr hatte in seiner Römischen Geschichte den Ständestaat als ideale staatliche Ordnung propagiert und den Grundbesitz gerechtfertigt. Dabei richtete er sich insbesondere gegen die Französische Revolution und die in jener Zeit kontrovers diskutierte, aber nie verwirklichte loi agraire, die sich auf die römische lex agraria der Gracchen berief, die während der Römischen Republik vom Volkstribun Tiberius Gracchus dem Senat zur Abstimmung vorgelegt worden war, um der Akkumulation von Latifundien in der Hand einzelner Familien entgegenzutreten, indem feste Obergrenzen für den Landbesitz eingeführt werden sollten, während darüber hinausreichender Landbesitz gegen Entschädigung verstaatlicht werden sollte. In seiner Darstellung versuchte Niebuhr den Missbrauch der römischen Antike durch die Französische Revolution zu erweisen und zu zeigen, dass die Gracchen keineswegs das Eigentumsrecht als solches erschüttern wollten, sondern es sich lediglich um eine Begrenzung des Besitzes von Staatsland handelte, die weder das Prinzip des Privatbesitzes antastete, noch eine Enteignung legitimierte.952 Tatsächlich handelte es sich bei der loi agraire lediglich um ein Instrumentarium zur Diskreditierung der Jakobiner. Diese sahen sich zwar mit der Forderung der Bauern konfrontiert, das Ackerland umzuverteilen, konnten sich jedoch zu keinem Gesetzesentwurf durchringen, da sie das Eigentumsrecht zwar dem Recht auf Leben und Existenz unterordneten, es als gesellschaftliche Einrichtung jedoch nicht in Frage zu stellen beabsichtigten.953 Gerade vor dem Hintergrund des Ausbleibens eines konkreten Entwurfs für ein Ackergesetz von Seiten der Jakobiner, konnten die Bürgerlichen sie mithilfe des Schreckgespenstes der loi agraire politisch unter Druck setzen, indem sie ihnen einerseits vorwarfen, die Großbauern enteignen zu wollen, um andererseits das Ausbleiben eines konkreten Gesetzentwurfs als Beweis darzustellen, dass der Gleichheit hinsichtlich des Privateigentums praktische Grenzen gesetzt seien. Nachdem Gracchus Babeuf, der sich durch seinen Beinamen ganz bewusst in die Tradition der Gracchen stellte, forderte, das grundherrliche Eigentum einzuziehen, da das Privateigentum der Gleichheit im Wege stehe, wurde die Idee einer Umverteilung des Landes mit einer Abschaffung des Privateigentums gleichgesetzt.954 Damit wurde der Begriff loi agraire zum Synonym für Enteignung. Dies hatte zur Folge, dass sich der Konvent 950 Della Storia della Città di Roma di A. ­Reumont. Osservazioni di Felice de Angeli, Annali Universali di Statistica 33,98 (Februar 1868), S. 148–166, hier S. 163. 951 Vgl. auch Kapitel B. I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz, S. 47. 952 Vgl. Gaedeke (1978), S. 18–40, hier S. 19. 953 Ebenda, S. 24. 954 Ebenda, S. 27.

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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genötigt sah, durch Gesetze gegen die Agrarreform die Zusicherung zu geben, dass die Eigentumsverhältnisse nicht angetastet würden.955 Niebuhr hatte jedoch nicht erkannt, dass bereits die Revolution selbst das Agrargesetz als utopisch betrachtete und es demzufolge auch nicht in die Realität umsetzte. Stattdessen stilisierte er das Ackergesetz und den Angriff auf das Eigentum zum Kerngedanken der Revolution, den er über eine Beschäftigung mit der römischen Ackergesetzgebung, auf die sich Babeuf berufen hatte, zu widerlegen versuchte.956 ­Reumont folgte in seiner Geschichte der Stadt Rom diesem Ansatz, den politischen Gegnern die antike Argumentationsgrundlage zu nehmen, indem er in seiner Darstellung Interpretationen eines weltlichen, autonomen oder italienischen Rom keinen Raum zugesteht. Demensprechend beschrieb ­Reumont Kaiser Konstantin als vorausschauenden Herrscher, der erkannt habe, dass das Christentum die Religion der Zukunft sei, der jedoch versucht habe es für seine Zwecke zu vereinnahmen. Während ­Reumont im Anschluss daran die Auseinandersetzungen um die Einheit des Glaubens und das Problem weltlicher Einmischung in Kirchenfragen behandelte, ließ er für diese Zeit den politischen Schaden, den die Stadt Rom durch die Hauptstadtverlegung nach Konstantinopel erlitt außer Acht.957 Die Darstellung des Mittelalters kommt indes einer schrittweisen Abarbeitung an Gregorovius’ Werk gleich, wie einzelne Passagen zeigen, die im Wortlaut mit der 1862 abgefassten Rezension zu Gregorovius’ Geschichte der Stadt Rom im Mittel­ eumont enthält das römische Mittelalter wenig Konalter übereinstimmen.958 Für R tinuität: Das Papsttum durchlebt Höhen und Tiefen, während es immer wieder einen Weg findet, um seinen Fortbestand zu sichern;959 dagegen habe die Stadt Rom die Zeichen der Zeit nicht erkannt und in unzulässiger Weise antike und neue Elemente miteinander verbunden, weshalb sie nicht in der Lage war, ihre Machtansprüche dauerhaft zu etablieren. In ­Reumonts Formulierung erscheinen die stadtrömischen Emanzipationsbestrebungen lediglich wie kurze, aussichtlose Versuche, sich dem Gang der Geschichte zu widersetzen: „Für die Stadt Rom Jahrhunderte schwerster Kämpfe, entsetzlichster Leiden, kurzwährender besserer Zustände; Jahrhunderte in denen das Alte unterging, das Neue sich umso mühsamer und unvollkommener gestaltete, da dieser Untergang des Alten nicht begriffen ward und die phantastisch-willkürliche Vermengung widerstrebender Elemente die neuen Bildungen im Keim verdarb, im Wachsthum hemmte.“960 955

Ebenda, S. 29. Ebenda. 957 Della Storia della Città di Roma di A. ­Reumont. Osservazioni di Felice de Angeli, Annali Universli di Statistica 33,98 (Februar 1868), S. 148–166, hier S. 164–165. 958 Alfred von ­Reumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 2, Berlin 1867, S. 119; Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 7, 13. Februar 1862. 959 Alfred von R ­ eumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 2, Berlin 1867, Vorwort: „Für das Papsttum eine Zeit der Grösse und Glorie wie des tiefsten, kläglichsten Verfalls aus dem mehr denn einmal nur ein Wunder retten zu können schien.“ 960 Ebenda. 956

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C. Publizistik

Durch den Tadel eines verfehlten Rückgriffs auf die Antike distanzierte sich ­ eumont bereits im Vorwort zu seinem Mittelalterband von all denjenigen, die wie R Gregorovius in Cola di Rienzo einen ersten Vorkämpfer für eine nationale Einigung Italiens mit Rom als Hauptstadt, unter Entmachtung des Papsttums erblickten. Letztlich habe nach all den Wirren um die mittelalterliche Stadt Rom lediglich ­ eumont steht es dabei außer Frage, dass auch dieses das Papsttum überdauert. Für R Fehlentwicklungen aufwies und unter den persönlichen Schwächen einzelner Amtsträger zu leiden gehabt habe die wie Leo III. die Kirche Karl dem Großen unterstellt haben, wofür er von Seiten der Civiltà Cattolica entsprechende Kritik einstecken musste.961 Allerdings erweise allein die Tatsache des Fortbestands des Papsttums über die Jahrhunderte dessen historische Berechtigung und Notwendigkeit.962 Karl dem Großen komme insoweit das Verdienst zu, das Papsttum aus der Vormundschaft Konstantinopels gelöst und eine Ordnung geschaffen zu haben, in der durch die gegenseitige Abhängigkeit von Papst und Kaiser, dem Papsttum die für seine priesterliche Aufgabe notwendige Unabhängigkeit gesichert sei.963 Trotz der zahlreichen Konflikte, die zwischen Kaisertum und Papsttum in der Folge entbrannten, steht in ­Reumonts Darstellung nicht die Ordnung in der Kritik, sondern lediglich diejenigen Akteure, die diese Ordnung aus persönlichem Ehrgeiz in Frage stellen. So unternahm R ­ eumont beispielsweise gar nicht erst den Versuch, Papst Johannes XII. vom Vorwurf eines unsittlichen Lebenswandels freizusprechen und hielt die Absetzung durch eine von Otto I. (936–973) einberufene Synode sogar für moralisch gerechtfertigt. Allerdings wies er darauf hin, dass ein derartiger kaiserlicher Eingriff in kirchliche Angelegenheiten dennoch unrecht­ mäßig gewesen sei.964 Entsprechend negativ beurteilte R ­ eumont auch Kaiser Otto III. (983–1002) und dessen Präsenz in Rom: „Rom als Mittelpunkt des Reiches musste sich der päpstlichen Autorität immer mehr entziehn, der päpstliche Territorialbesitz immer mehr zur bloßen Exemtion herabsinken.“965

Ottos III. Herrschaftsanspruch auf Rom sowie die Infragestellung des päpstlichen Territorialbesitzes stand im Widerspruch zur historischen Vorsehung und musste entsprechend zu dessen Scheitern führen. Otto III. scheiterte am Widerstand des römischen Adels und durch seinen frühen Tod. Darin sah ­Reumont eine deutliche Botschaft an das junge Königreich Italien, das dem Papst bereits den Kirchenstaat

961

Una storia della Città di Roma, La Civiltà Cattolica 22,2 (1871), S. 157–177 und 402–411. Vgl. dazu auch ebenda, S. 119: „Die Begründung der weltlichen Herrschaft war kein künstlicher Plan welchen Papst Gregor II. für sich und seine Nachfolger entwarf als er den grossen Kampf gegen die Bilderstürmer begann. Sie war eine aus der politischen und religiösen Lage der Dinge rasch aber stufenweise sich entwickelnde welthistorische Nothwendigkeit.“ 963 Ebenda, S. 133–137; Forni (1985), S. 99. 964 Alfred von ­Reumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 2, Berlin 1867, S. 288–289. 965 Ebenda, S. 313. 962

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genommen hatte und sich anschickte, Rom zur Hauptstadt des vereinigten Italien zu machen und stellte fest: „Hätte die Idee die nachmals den Kern des Ghibellinismus bildete, Italien unter den teutschen Kaisern gross werden zu lassen, in den Beschlüssen der Vorsehung gelegen, unter den Ottonen wäre die Ausführung am leichtesten gewesen.“966

Auch in der Folge mussten diejenigen Kaiser die ihre Kompetenzen gegenüber dem Papsttum überschritten, entsprechende Konsequenzen tragen.967 Die Ablehnung der „deutschen“ Kaiserherrschaft über Italien war jedoch nicht nur eine Warnung an den italienischen Nationalstaat, sich der Ewigen Stadt zu bemächtigen. Gleichzeitig sprach ­Reumont damit einer habsburgischen Herrschaft über Italien jede historische Berechtigung ab. Insofern handelte es sich zugleich um eine explizite Anerkennung der italienischen Unabhängigkeit als Teil der göttlichen Vorsehung. In seiner historischen Rechtfertigung der Unabhängigkeit des Papsttums und des Territorialbesitzes wandte sich R ­ eumont auch dem Investiturstreit zu, anhand dessen er die Gefahren einer Vermengung weltlicher und geistlicher Macht sowie eines strikten Legitimismus erörterte. Seine Ausführungen zu diesem Thema sind dabei eng an den tagespolitischen Fragen der Römischen Frage orientiert und fügen sich dementsprechend in seine diesbezügliche vorherige Argumentation als Diplomat und Publizist. Der mittelalterliche weltliche Besitz des Papsttums war jedoch mit Pflichten gegenüber dem Kaisertum verbunden und trieb das Papsttum in die Abhängigkeit; „mit der Freiheit der Kirche war ihre Autorität gefährdet; mit der gesunkenen Autorität wurde das Papstthum machtlos.“968 Dies war auch der Grund, warum ­Reumont das Garantiegesetz des italienischen Staates für das Papsttum ablehnte, weil er aus dem Mittelalter die Lehre ziehen zu können glaubte, dass in dem Moment, in dem das Papsttum in seinem Territorialbesitz der Zugeständnisse eines Staates bedürfe, notwendig seine Freiheit und Autorität einbüßen müsse. Umso bedenklicher erschien ihm die im Mittelalter praktizierte Laieninvestitur, die die weltliche über die geistliche Gewalt stellte. Obgleich diese Praxis bei Ausbruch des Investiturstreits bereits zum Gewohnheitsrecht geworden und von kirch­ eumont Gregor VII. darin bei, licher Seite hingenommen worden war, pflichtete R im Rahmen seiner Kirchenreform die Laieninvestitur abzuschaffen.969 Ähnlich wie im Jahre 1848, als ein Teil der italienischen Nationalbewegung dem Papsttum die moralische Führungsrolle einräumte, hält es R ­ eumont für geboten, von legitimistischen Prinzipien Abstand zu nehmen, wenn sie der historischen Notwendigkeit, die ­Reumont mit der göttlichen Vorsehung gleichsetzte, nicht in Einklang standen. So wie Gregor VII. zur Rückbesinnung der Kirche auf ihre unabhängige christliche 966

Ebenda, 323. So sieht ­Reumont etwa den Ausbruch einer Malarie-Epidemie im Lager Friedrichs I. Barbarossa nach dessen Einnahme Roms und der anschließenden unrechtmäßigen Absetzung Papst Alexanders III. als göttliche Strafe. Vgl. ebenda. 453–454. 968 Ebenda, S. 371. 969 Ebenda, S. 370–372. 967

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Verkündigung gegen die gängige Praxis der Laieninvestitur vorging, so schien bis 1848 Pius IX. die moralische Führung der italienischen Nationalbewegung übernehmen und damit der Kirche einen festen und unabhängigen Einfluss auf die italienische Gesellschaft sichern zu können. Legitimistische Prinzipien durften also nicht zum Selbstzweck werden und einer Weiterentwicklung gemäß der göttlichen Vorsehung im Wege stehen, sollten jedoch zugleich vor historischen Irrwegen be­ eumont in dem Moment reklamierte, als er das Papsttum in wahren, weshalb sie R Gefahr sah.970 Allerdings sah er auch das Papsttum in der Verantwortung, den konstruktiven Dialog mit der Staatsmacht zu suchen. Obwohl er den Gang zu Canossa als größten moralischen Sieg bezeichnete, den das Papsttum jemals errungen habe, stellte ­Reumont fest, dass dieses Ereignis dennoch beiden Seiten geschadet habe, da es die damalige abendländische Ordnung, nach der Papst und Kaiser aufeinander angewiesen waren grundsätzlich in Frage stellte.971 Gleichsam als Mahnung, an der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms IV. festzu­ eumont König Wilhelm I. ein Exemplar des zweiten Bandes halten übersendete R der Geschichte der Stadt Rom mit den Worten: „Es ist das Mittelalter welches dieser Band umfaßt, die Geschichte der Gründung der Unabhängigkeit des Papsttums inmitten der Scene des Untergangs der alten Welt, so wie der Wiedererweckung des Kaiserthums auf christlichem Boden als höchste Schirmmacht so im Weltlichen wie im Geistlichen, der Geschichte endlich des Kampfes der beiden Gewalten, für beide verhängnißvoll, weil beide geschwächt aus diesem Kampfe hervorgingen, der die Harmonie der christlichen Weltordnung zerstörte.“972

Zugleich atmete in ­Reumonts Darstellung die Hoffnung auf Besserung der Situation der Kirche durch das Vatikanische Konzil. Seine besondere Sympathie haben diejenigen Persönlichkeiten, die die Reform innerhalb der Kirche anstreben, die er später noch einmal separat in den Briefen heiliger und gottesfürchtiger Italiener behandeln sollte. In Anlehnung an Charles de Montalembert verherrlichte R ­ eumont Gregor den Großen als ersten Papst der aus dem Kloster kam und zeigte in der Folge große Sympathien für das Reformpapsttum, wobei er den Anteil „deutscher Päpste“ betonte.973 In der liberal-katholischen Ausrichtung von ­Reumonts Geschichte der Stadt Rom, rief sie in katholischen Kreisen ein erwartungsgemäß positives Echo hervor. Insbesondere die „Gesinnungsgenossen“ aus dem Umfeld des Theologischen Literaturblattes wussten das Werk angesichts der Römischen Frage und des Vatikanischen 970

Vgl. Kapitel C. I. 1. ­Reumonts erste Versuche in der Antologia, S. 236–245; Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung. 971 Alfred von ­Reumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 2, Berlin 1867, S. 374–376; vgl. auch Forni (1985), S. 114–115. 972 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594/0, Nr. 192, ­Reumont an Wilhelm I., Aachen, 18. November 1867. 973 Vgl. Forni (1985), S. 92 u. 112.

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Konzils zu schätzen. In der Absicht, einerseits die Unabhängigkeit des Papsttums zu sichern, um andererseits die Möglichkeit zu erhalten, Papsttum und Kirche zu reformieren, und damit einen dauerhaften Einfluss auf eine sich wandelnde Gesellschaft zu ermöglichen, bot ­Reumonts Werk eine willkommene Argumentationsgrundlage. Franz Xaver Kraus hob in seiner Rezension hervor, dass aus ­Reumonts Darstellung Lehren für tagespolitische Fragen gezogen werden können, indem er feststellte: „Die Zeit, in welche die kurze Spanne unseres Daseins hineinfällt, ist bedeutend, ja tragisch, und wer den Lauf der Dinge mit aufmerksamem Blick und denkendem Geiste betrachtet, der muß sich, sofern ihn höhere Ideale beseelen, von dem Ernst des Dramas fast erdrückt sehen. Es ist gut in solchen Tagen sich nach der Vergangenheit umzuschauen und zu sehen, daß alles schon einmal da war. Die Geschichte, wenn sie uns mit der Gegenwart nicht versöhnt, tröstet uns über vieles, und wenn irgend eine Geschichte das vermag, so ist es diejenige Roms.“974

Auch die Civiltà Cattolica, die die liberal-katholische Ausrichtung des Werkes zwar ablehnte, stellte dennoch den besonderen Wert der Arbeit als Gegenstück zur kirchenfeindlichen Stadtgeschichte Gregorovius’ heraus.975 Allerdings tadelt der anonyme Rezensent ­Reumonts kritischen Umgang mit den Verfehlungen einzelner Päpste, wie auch die Annahme, dass Karl der Große die Oberherrschaft über die Stadt Rom und den Kirchenstaat innegehabt habe und diese dem Papst übertragen habe.976 Nach Ansicht des Rezensenten hätte ­Reumont als guter Katholik den Verleumdungen gegen einzelne Päpste sowie den Theorien der Neoghibellinen keinen Glauben schenken dürfen. Besonders deutlich wird die Meinungsverschiedenheit zwischen der Bonner „Geistlichen Börse“, dessen Sprachrohr das Theologische Literaturblatt war, und der Civiltà Cattolica in der Bewertung des Index librorum prohibitorum. ­Reumont räumte nicht nur die Verfehlungen einzelner Päpste ein, sondern ergriff eindeutig Partei für eine freie und kritische Wissenschaft, indem er den Index als vollkommen unnütz bezeichnete. Eine derartige Aussage erregte in der Civiltà Cattolica Unverständnis.977 Insofern waren die Ultramontanisten dankbar, nun ein Gegenstück zu Gregorovius zur Verfügung zu haben, jedoch bedauerten sie, darin keine ultramontane Gesinnung vorzufinden. Diese dezidiert katholische, aber dennoch kritische Betrachtungsweise der Papstgeschichte führte dazu, dass ­Reumonts Arbeit auch außerhalb des katholischen Milieus nicht nur wahrgenommen, sondern auch lobend hervorgehoben wurde. So stellte beispielweise der Rezensent der Brockhaus’schen Blätter für literarische Unterhaltung fest, dass man dem Autor seine katholische Konfession sowie seine Antipathie gegen Revolutionen durch die gesamte Darstellung anmerke und er manche katholische Legende zu unkritisch behandle, jedoch sei der Autor dabei weder

974 Franz Xaver Kraus: Geschichte der Stadt Rom, Theologisches Literaturblatt 6 (1871), Sp. 61–66, hier S. 66. 975 Una Storia della Città di Roma, La Civiltà Cattolica 2, ser. 8 (1871), S. 157–177; 402–411, hier S. 163–165. 976 Ebenda, S. 402–411. 977 Ebenda, S. 406.

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reaktionär noch ultramontan und vermeide unmittelbare Bezüge zur Gegenwart.978 Ein ähnliches Urteil fällte der protestantische schweizerische Pastor Charles Morel, in der angesehenen Revue critique d’histoire et de litérature.979 Insofern wurde ­Reumonts Werk selbst auf protestantischer Seite zum Teil positiv aufgenommen, auch der evangelische Essayist Karl Hillebrand hatte sich persönlich an R ­ eumont gewandt, um ein Exemplar zu erhalten, von dem er bisher schon so viel Gutes gehört habe.980 Allerdings hing die Gewichtung der beiden Werke R ­ eumonts und Gregorovius’ vom politischen und konfessionellen Standpunkt des Betrachters ab. Das komplette katholische Spektrum, von den Ultramonaten bis hin zu den liberalen Katho­ liken, gab eher ­Reumonts Arbeit den Vorzug. Ansonsten spiegelte die Beurteilung der beiden Arbeiten meist die subjektive Bewertung der Römischen Frage wider. Auf italienischer Seite kam bei der Bewertung noch der nationale Faktor hinzu. ­Reumonts Anerkennung der italienischen Nationalität während des Mittelalters, die ihn die Langobardenherrschaft als „fremdes Princip“ bezeichnen981 und im Lombardenbund gegen Friedrich I. Barbarossa die „glänzendste Epoche der italienischen Geschichte“ erblicken lässt,982 brachte ihm von italienischer Seite oftmals den Vorzug gegenüber Gregorovius ein, dessen Darstellung aus „deutscher“ Sicht viele italienische Patrioten ablehnten. Selbst der ehemalige Anhänger der Giovine Italia Gabriele Rosa bemerkte in einer Besprechung von Gregorovius’ Werk für das Archivio Storico Italiano bei allem Lob für den wissenschaftlichen Wert der Arbeit: „Questo scrittore come protestante e tedesco, scrivendo la storia di Roma nel medio evo, e dovendo bramare di piacere ai suoi, è tentato forte di parzialità, di accomodare i fatti a idee preconcette. E veramente gl’Italiani ci devono trovare studio amoroso a coprire le nudità de’ Goti, de’ Longobardi, a rilevarne i meriti, e ad aggravare i papi.“983

Mit der Zuspitzung der Römischen Frage sollte jedoch immer weniger die Bewertung der Gegensätze „deutscher“ und „italienischer“ Elemente die Auseinandersetzung mit den beiden deutschen Historikern bestimmen, sondern vielmehr die Frage nach der Rechtmäßigkeit der weltlichen Papstherrschaft und die Bewertung der stadtrömischen Emanzipationsversuche vom Papsttum. Die sich anbahnende Verlegung der Hauptstadt nach Rom warf die Frage auf, ob eine Anerkennung der 978

Otto Speyer: Zur Geschichte der Ewigen Stadt, Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 35, 27. August 1868; Wilhelm Heß: Speyer, Otto, ADB 54 (1908), S. 409–410 [URL: http://www. deutsche-biographie.de/pnd117493201.html?anchor=adb], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 979 Charles Morel: Geschichte der Stadt Rom, Revue critique d’histoire et de litérature, Nr. 16, 18. April 1869, S. 250–252; Forni (1985), S. 16. 980 NL ­Reumont, S 1062, Karl Hillebrand an ­Reumont, Nr. 88: Rom [?], 7. Juni 1868: „Ich habe viel, sehr viel und ausführlich und das Günstigste über Ihre Geschichte Rom’s gehört. […] Könnten Sie mir sie also zukommen lassen, so möchte ich Ihnen sehr verbunden sein […]“ 981 Alfred von ­Reumont: Geschichte der Stadt Rom, Bd. 2, Berlin 1867, S. 119. 982 Ebenda, S. 455. 983 Gabriele Rosa: Storia della città di Roma nel medio evo di F. Gregorovius, Archivio Storico Italiano 15,1 (1862), S. 86–108, hier S. 108.

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weltlichen Papstherrschaft überhaupt mit dem Nationalstaat vereinbar war, oder ob nicht vielmehr eine Unterstützung der päpstlichen Rechte einer Ablehnung des Königreichs Italien gleichkam.984 Genau diesen Eindruck versuchten liberal-katho­ lische Vertreter zu vermeiden und betonten gegenüber den Polemiken, sowohl der kirchenkritischen Liberalen wie der intransigenten Katholiken, die den katho­ lischen Glauben mit der entschiedenen Gegnerschaft zum liberalen Nationalstaat gleichsetzten, dass die Katholiken in ihrer politischen Entscheidung allein ihrem Gewissen verpflichtet und insofern keineswegs  a priori einer konkreten politischen Richtung zuzuordnen seien.985 Die Tatsache, dass sich Francesco II., der König beider Sizilien, nach der Eroberung Gaetas durch vorwiegend piemontesische Truppen nach Rom ins Exil begeben hatte, verschärfte jedoch die Erklärungsnot derjenigen Katholiken, die eine Versöhnung des Papsttums mit dem italienischen Nationalstaat anstrebten. Nach dem Untergang des Königreichs beider Sizilien im Jahre 1861 kam es zu einer verstärkten Symbiose des internationalen Engagements für das Papsttum mit demjenigen für Francesco II., indem die Verteidiger des Königreichs beider Sizilien in den päpstlichen Truppen aufgingen. Wie Simon Sarlin anhand der Berichte internationaler Freiwilliger deutlich gemacht hat, wurden nun endgültig Papsttum und Legitimismus gleichgesetzt, um sie gegen den liberalen Nationalstaat und den Laizismus zu verteidigen.986 Durch den politischen Symbolgehalt des Papsttums als Repräsentant der alten Ordnung, wurde eine konstruktive katholische Politik innerhalb der liberalen Nationalstaatsbewegung diskreditiert.987 Vor diesem Hintergrund sollten sich die Vorzeichen in der Bewertung der beiden Werke R ­ eumonts und Gregorovius’ unweigerlich ins Gegenteil verkehren. ­Reumonts historische Rechtfertigung des Papsttums als führendes und schützendes Element der italienischen Nationalbewegung, bei der er sogar die Rechte der italienischen Städte gegenüber dem Kaisertum anerkannte, wäre bis in das Jahr 1848 wohl noch als patriotisches und sogar gegen legitimistische Prinzipen gerichtetes Werk gepriesen worden. Angesichts der nationalpolitischen Bestrebungen, Rom zur Hauptstadt des Königreichs Italien zu machen und der ablehnenden Haltung des auf seine legitimen Rechte pochenden Papsttums, erschien ­Reumonts in katholischem Geist verfasste Geschichte der Stadt Rom als legitimistisch und gegen das Königreich Italien gerichtet als Teil der konservativen Polemik gegen den liberalen Nationalstaat. Dagegen trat in der Arbeit Gregorovius’ die „deutsche“ Sichtweise in den Hintergrund und seine Kritik am Papsttum, verbunden mit seiner Sympathie für Gestalten wie Cola di Rienzo, in denen er ein Aufflackern der historischen Vorsehung zu erkennen glaubte, ließ sich mit den Ambitionen des Königreichs Italien gegenüber dem Papsttum bestens in Einklang bringen.988

984

Vgl. Pezzimenti (2012); Confessore / Denitto (2001); vgl. auch Ciampani (2004). Vgl. Confessore / Denitto (2001), S. 40–41. 986 Sarlin (2013), S. 206–210. 987 Vgl. Confessore / Denitto (2001), S. 40–41. 988 Vgl. auch Forni (1985), S. 130–134. 985

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C. Publizistik

Deswegen erhielt ­Reumonts Geschichte der Stadt Rom in der Folge hauptsächlich im katholischen Milieu den Vorzug, so etwa innerhalb der päpstlich gesinnten Società Romana di Storia Patria. Nachdem der Präsident Oreste Tommasini in einer Sammelrezension der deutschen Werke zur Geschichte Roms R ­ eumont den Vorzug vor Gregorovius gegeben hatte,989 verfasste Gregorovius einen wütenden Protestbrief und brach den Kontakt ab.990 Der weitere Verlauf der Geschichte sollte jedoch ­Reumonts Geschichtswerk deutlich abwerten. Mit der Eroberung Roms durch italienische Truppen im September 1870 und der Verlegung der Hauptstadt Italiens nach Rom, erschien ­Reumonts Grundannahme, dass die göttliche Vorsehung, wie die historische Notwendigkeit die päpstliche Herrschaft über Rom als Garanten seiner Unabhängigkeit vorsehe, überholt, der Lauf der Geschichte ein anderer. Mit dem endgültigen Untergang der weltlichen Papstherrschaft über Rom sollte Gregorovius’ Werk als fortschrittlich gelten, hinter dem ­Reumonts Arbeit zwangsläufig als gestrig erschien. Daran konnte auch die zeitweilige Aufwertung von R ­ eumonts Romgeschichte angesichts der Notwendigkeit eines Ausgleichs des italienischen Nationalstaates mit der katholischen Kirche nichts ändern. Auf lange Sicht wurde eine Bewertung zugunsten ­Reumonts, wie sie Oreste Tommasini vorgenommen hatte, immer seltener. Der Rezensent des letzten Bandes der Geschichte der Stadt Rom in der Revue critique d’histoire et de litérature gab den zukünftigen Weg vor, indem er zwar noch 1873 den Detailund Quellenreichtum der Arbeit, wie auch das gemäßigte Urteil ­Reumonts in kirchenpolitischen Fragen lobte, allerdings trotz aller Vorzüge des Werkes einräumte: „Nous n’avons garde de lui reprocher ses opinions très-arrêtées sur la nécessité du pouvoir temporel, et les déductions faites à ce sujet, démenties bientôt après par l’occupation de Rome par les Italiens, en Septembre 1870.“991

Eine italienische Übersetzung wurde in R ­ eumonts Bekanntenkreis zwar angedacht, scheiterte jedoch an dessen eigener Einschätzung, dass das Werk wohl mittlerweile überholt sei.992 Dies bezog sich sowohl auf die Quellen als auch auf die Schlussfolgerungen hinsichtlich des Laufes der Geschichte. Dennoch sollte das

989

Oreste Tommasini: Della storia medievale di Roma e de’ più recenti raccontatori di essa, Archivo della R. Società romana di storia patria 1 (1877–78), S. 1–46. 990 Vgl. den Briefwechsel zwischen Tommasini und Gregorovius in der Biblioteca Vallicelliana, Epistolario Tommasini, Busta G VII, 2 Briefe, Nr. 1: München, 23. September 1877 mit Antwort Tommasinis: Rom, 26. September 1877; Nr. 2: München, 29. September 1877; vgl. auch Gregorovius: Tagebücher, S. 379–380, Sommer und Winter 1877/78. 991 Rod. Reuss: Geschichte der Stadt Rom von Alfred von ­Reumont, Revue critique d’histoire et de litérature, Nr. 14, 5. April 1873, S. 217–219, hier S. 218. 992 NL ­Reumont, S 1059, Alessandro Carraresi an ­Reumont, Nr. 153, Ponticelli, Via Soffiano, 1. März 1881; BNCF, Carteggi Vari 111, 79, ­Reumont an Carraresi: „Quando alla traduzione della Storia di Roma, non posso rispondere se non ciò, che ho di già risposto a parecchi; cioè che non è opera da tradursi dal quale è, ma solo dopo seria revisione, ed in parte nuova composizione. Sono 12 anni da che si è pubblicato l’ultimo volume, e non si è mai smesso di lavorarne, di modo chè molto è antiquato.“

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reiche Quellenmaterial später Ludwig von Pastor als gute Basis für seine Arbeiten zur Geschichte Roms und der Päpste dienen.993 Noch 1937 war ­Reumonts Geschichte der Stadt Rom unter Historikern immer noch bekannt. Allerdings kam Giorgio Falco bei einem Vergleich mit Gregorovius und Papencordt nun sogar zu einem noch ungünstigeren Urteil als ­Reumonts Zeitgenossen selbst, für die es außer Diskussion stand, R ­ eumonts Arbeit zumindest über jene heterogene und unvollendete Papencordts zu stellen. Obwohl ­Reumont auf Papencordt aufbaute kam Falco zu dem Ergebnis: „La Geschichte der Stadt Rom, pubblicata dal barone Alfredo von R ­ eumont […] rimane addietro alle prime due per la trattazione sommaria del Medio Evo e per una certa angustia di giudizi.“994

Der Lauf der Geschichte hatte ­Reumonts Werk scheinbar selbst zur Geschichte werden lassen und war mit der Historiographie der laizistischen Nationalstaaten nicht vereinbar, weshalb es langfristig nur noch von Katholiken gelesen und von einigen Fachleuten aufgrund seines Materialreichtums wie seiner überblicksartigen Darstellung als „Steinbruch“ genutzt wurde. Deswegen ist ­Reumonts „Kompendium“ heute weitgehend vergessen, während Gregorovius’ Standardwerk noch immer als Klassiker gilt. 3. Finis Etruriae ­ eumont zum „La Toscana è sacrificata!“995 Dies war das ernüchternde Fazit das R Jahreswechsel 1862/63 gegenüber Vieusseux zog. Mit der einsetzenden Konsolidierung des Königreichs Italien als zentralistischer Einheitsstaat, der der Toskana nur noch bis ins Jahre 1865 Sonderrechte einräumen sollte, bis auch dort das Präfekturialsystem eingeführt wurde,996 waren die Tage der autonomen Toskana, die bis dahin eine kulturelle und zivilisatorische Führungsrolle innerhalb Italiens für sich beansprucht hatte, gezählt. R ­ eumont, der zwar einen italienischen Nationalstaat als solchen begrüßte, jedoch weitgehende Autonomie der einzelnen Regionen und eine moralische Führungsrolle des Papsttums forderte, betrachtete die Anpassung der toskanischen Verwaltung an die piemontesische Administration als zivilisatorischen Rückschritt, da sie die lokalen Eigenheiten sowie die Sonderrechte der Eliten nicht angemessen berücksichtigte. Auch wenn die toskanischen Moderati zunächst noch hofften, unter Bettino Ricasoli die durch die Flucht Leopolds II. ermöglichte De 993 Vgl. Forni (1985), S. 136; Ludwig von Pastors namhafte Publikationen waren u. a.: Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters (1305–1799), 16 Bde., Freiburg im Breisgau 1886–1933; Die Stadt Rom zum Ende der Renaissance, Freiburg im Breisgau 1916. 994 Forni (1985), S. 18–19; Giorgio Falco: Storia  e storici di Roma medievale, Romana 1 (1937), S. 411–418, Neudruck in: Ders.: Albori d’Europa. Pagine di storia medievale, Rom 1947, S. 357–364, hier S. 358–359. 995 BNCF Vieuss. C. V. 89,171, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 30. Dezember 1862. 996 Vgl. Kroll (1999), S. 262–266.

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C. Publizistik

zentralisierung der Verwaltungsstrukturen beibehalten zu können,997 sah ­Reumont richtig voraus, dass diese Position innerhalb des Königreichs Italien nicht dauerhaft zu halten sei – der Ausbruch des Brigantenkrieges schien letztlich ein zentralistisches Verwaltungssystem zu erfordern. Nachdem die Toskana endgültig in den zentralistischen Nationalstaat eingeglie­ eumont mit gebührendem zeitlichem Abstand unternommen, an dert war, hatte es R die kulturelle Einzigartigkeit der Toskana zu erinnern, die er während seines dortigen Aufenthalts schätzen gelernt hatte. Als Ergebnis seiner langjährigen Recherchen in toskanischen Archiven und Bibliotheken hatte er, gewissermaßen als seinen persönlichen Abschied an die Toskana, seine Biographie über Lorenzo de’ Medici il Magnifico verfasst. Der große Erfolg zementierte ­Reumonts Ruf als ausgezeichneten Kenner der Toskana und ließ manchen Rezensenten darauf hoffen, dass er dem internationalen Publikum noch weitere wertvolle Einblicke in die toskanische Geschichte bieten würde.998 Demensprechend ist es kaum verwunderlich, dass Wilhelm von Giesebrecht sich für die von ihm herausgegebene Reihe Geschichte der euro­ eumont wandte.999 Damit päischen Staaten für die Bearbeitung der Toskana an R kam ­Reumont nicht nur die Aufgabe zu, die Geschichte der neuzeitlichen Toskana für den deutschen Leser zu schreiben, sondern zugleich erstmals ausführlich auf die zeitgenössischen Ereignisse einzugehen, die er zum Teil selbst vor Ort miterlebt hatte und deren Protagonisten er persönlich kannte. In Verbindung mit dem Zeit- und Lebensbild, das ­Reumont wenige Jahre später seinem 1876 verstorbenen Freund Gino Capponi widmete, stellte es seine persönliche Verarbeitung der toskanischen Zeitgeschichte dar. In R ­ eumonts Schilderungen wie auch der Einbeziehung seiner Bekannten vor Ort wird seine Stellung innerhalb der Toskana deutlich, während die Aufnahme in Deutschland und Italien einen Eindruck vom verbreiteten Toskanabild und dessen Aufnahme in der Öffentlichkeit vermittelt. a) Die Geschichte Toskana’s Als Wilhelm von Giesebrecht für die von ihm herausgegebene Reihe Geschichte der europäischen Staaten nach Autoren für die jeweiligen Staaten und Regionen suchte, bot sich ­Reumont durch seine viel beachtete Biographie Lorenzo de’ Medicis geradezu an. Mit der Behandlung der neuzeitlichen Toskana konnte er dabei gewissermaßen an die vorherige Arbeit anknüpfen und auf den gewohnten Pfaden mithilfe seiner persönlichen Kontakte zu den führenden Familien der Toskana, über die er durch Gino Capponi und Luigi Passerini verfügte, innerhalb nur eines Jahres den ersten Band der Geschichte Toscana’s unter den Medici (1530–1737) verfas 997

Vgl. ebenda, S. 367–391. Vgl. etwa M. Creighton: Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates, The Accademy 14. Oktober 1876, S. 377–378. 999 NL ­Reumont, S 1061, Wilhelm von Giesebrecht an ­Reumont, Nr. 258: München, 10. Dezember 1876. 998

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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sen.1000 Einerseits konnte er auf Vorarbeiten Capponis zur Storia Fiorentina zurückgreifen,1001 andererseits lieferte ihm Passerini als Präfekt der Biblioteca Nazionale wichtige Quellen zu den unterschiedlichen Institutionen und Persönlichkeiten.1002 Außerdem leistete Louis Prosper Gachard, der Generaldirektor der Königlichen Archive in Brüssel, umfangreiche Unterstützung bei der Quellenrecherche. Durch seine eigenen Forschungen über die Korrespondenzen Karls V. und Philipps II. mit ihren italienischen Diplomaten, die Gachard in Spanien ausfindig gemacht hatte, konnte er R ­ eumont wertvolle weiterführende Informationen über die toskanische Geschichte beschaffen und weitere Hinweise geben. Zugleich riet er ihm von einer Archivreise nach Wien ab; dort habe er bei seinen eigenen Recherchen nichts Brauchbares gefunden, weshalb sich die Reise wohl nicht lohnen werde.1003 Neben relevanten spanischen Quellen durchforstete er auch den Katalog der Königlichen Bibliothek in Brüssel nach Publikationen über das Haus Medici und ­ eumont noch die ­ eumont Exemplare davon zu.1004 Zudem suchte er für R sendete R Signaturen interessanter Archivalien der Bibliothèque nationale in Paris heraus.1005 Durch die Einbeziehung nicht nur toskanischer Fachleute wie Passerini und ­ esare Guasti, sondern auch Gachards, einem der europaweit bekanntesten ArchiC vare seiner Zeit, dessen Quellenforschungen zum 16. Jahrhundert, insbesondere über Kaiser Karl V. und König Philipp II., Maßstäbe setzten,1006 wurde der erste Band der Geschichte Toscana’s zu einer weiteren, internationale Aufmerksamkeit erregenden Publikation. Wie M. Creighton für The Accademy herausstellte, hatte ­Reumont erstmals überhaupt einen Überblick über die Geschichte der Toskana während des 16. und 17. Jahrhunderts geboten.1007 Und auch der Rezensent der Augsburger Allgemeinen Zeitung stellte fest, dass man nach der Geschichte Toscana’s über keine Region während der letzten drei Jahrhunderte besser Bescheid wisse.1008 1000 Vgl. die Besprechung in: Beilage zur Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 26, 26. Januar 1876. 1001 BNCF, Carteggi Vari 111, 75, ­Reumont an Carraresi, Bonn, 28. Dezember 1876. 1002 NL ­Reumont, S 1064, Luigi Passerini an ­Reumont, Nr. 109, Florenz, 4. September 1875; Nr. 110, Florenz, 24. März 1876. 1003 Ebenda, S 1061, Prosper Louis Gachard an ­Reumont, Nr. 21: Brüssel, 1. Januar 1875. 1004 Ebenda, Nr. 25: Brüssel, 2. April 1875. 1005 Ebenda, Nr. 27: Brüssel, 4. Juli 1875. 1006 Vgl. etwa Louis Prosper Gachards Publikationen: Retraite et mort de Charles-Quint, 3 Bde., Brüssel 1854–1855; Don Carlos et Philippe II, 2 Bde., Brüssel 1863 (2. Aufl. Paris 1867); Correspondance de Marguerite d’Autriche, duchesse de Parme avec Philippe II, 3 Bde., Brüssel 1867–1881; Charles-Quint, in: Biographie Nationale, publiée par L’ Académie Royale des sciences, des lettres et des beaux artes de Belqique, Bd. 13, Brüssel 1872, S. 523–960. 1007 M. Creighton: Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates, The Accademy, 16. Juni 1877: „Herr von ­Reumont has given us for the first time  a philosophic ­estimate and an adequate accont of Tuscany in the sixteenth and seventeenth century.“ 1008 A. v. R ­ eumonts Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaats, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 26, 1876: „Ist dasselbe erst vollendet, so werden wir in dieser Geschichte Toscana’s für die letzten drei Jahrhunderte eine Quelle besitzen wie wir sie für die Geschichte keines anderen Territoriums von Italien aus dieser Zeit haben.“

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C. Publizistik

Selbst der kirchenfeindliche Publizist Moritz Brosch und erbitterte Kritiker ­ eumonts kam letztlich zu einem positiven Urteil des ersten Bandes. Obgleich er R monierte, dass R ­ eumont nicht ausführlich auf die Verfehlungen Papst Clemens’ VII. eingegangen sei,1009 die toskanischen Reformatoren um Ochino da Siena zu wenig gewürdigt und die dazu erschienene neueste Arbeit des protestantischen Historikers Karl Benrath nicht berücksichtigt habe,1010 gelangt er abschließend dennoch zu dem Urteil: „So wenig übrigens Herr v. ­Reumont […] sich der Parteitendenz in jeder Richtung enthält, so ungerecht wäre es zu behaupten, daß der wissenschaftliche Werth und Charakter seines ­Buches nicht sehr hoch anzuschlagen ist. Man muß seiner Auffassung Zweifel entgegensetzen, aber den unendlichen Reichthum seines Wissens auf allen Zweigen toskanischer Geschichte dankbar bewundern. Das Buch ist ein unentbehrlicher Wegweiser in Italiens Vergangenheit, […].“1011

Als Katholik ging er nicht intensiv auf die Verfehlungen einzelner Päpste ein und behandelte die toskanischen Reformatoren nur am Rande, ohne dabei die deutschsprachige protestantische Forschung zu berücksichtigen. Wie aus einem Brief ­Reumonts an Witte hervorgeht, hatte die Darstellung der italienischen Reformer als verantwortungslose Häretiker durchaus System und war gegen die nach dem Bruch Pius’ IX. mit der Nationalbewegung durchaus erfolgreiche protestantische Mission in der Toskana gerichtet. Wie bereits die Affäre um die Mission der protestantischen Gemeinde in Florenz gezeigt hatte, war die Sympathiebekundung für die protestantische Bewegung oftmals eine politische Demonstration gegen ­ eumont seine durch die reaktionäre Politik Pius’ IX. Gegenüber Witte erklärte R die zeitgenössischen Entwicklungen bedingte Antipathie gegen die toskanischen Protestanten des 16. Jahrhunderts ohne Umschweife: „Die protestantischen Bestrebungen in Italien sind mir in tiefster Seele verhasst. Weiß Gott, Reformen sind nöthig, aber dies Schüren dissidirender revolutionärer Velleitäten ist sündhaft; es stört den Rest von Frieden und führt zum Unglauben. Das 16. Jahrhdt. hat es an den protestantischen Italienern sattsam erwiesen – nun wird die Sache von Fremden im Bunde mit einheimischen radicalen Gegnern der Kirche noch schlimmer betrieben.“1012

Insofern war Broschs Vorwurf einer gegen den Protestantismus gerichteten Darstellung berechtigt. ­Reumont sah die bereits angeschlagene katholische Kirche durch einen politisch motivierten Protestantismus bedroht, der eine katholische Reform von innen heraus ebenso erschwerte, wie eine Versöhnung mit dem italienischen Nationalstaat. Dennoch wurde der wissenschaftliche Wert der Arbeit selbst von Kritikern wie Brosch anerkannt. 1009 Moritz Brosch: A. v. R ­ eumont. Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates. Bd. I. Die Medici im Jahre 1530–1737, Gotha 1876, HZ 36 (1876), S. 240–248, hier S. 241–242. 1010 Ebenda, S. 245–246. 1011 Ebenda, S. 248. 1012 NL ­Reumont, S 2746, R ­ eumont an Witte, Nr. 190: Bonn, 30. Dezember 1876.

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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Dies sollte sich mit dem zweiten Band, der die Herrschaft des Hauses Habsburg-Lothringen bis ins Jahr 1859 behandelte, ändern. Die Dynastie des letzten Großherzogs behandelte R ­ eumont unter starkem Einfluss seiner persönlichen Erfahrungen als Diplomat in der Toskana, was dazu führte, dass der letzte Teil des zweiten Bandes weniger der historischen als vielmehr der Memoirenliteratur zu­ eumont jedoch nicht nur an seine persönlichen Erzuordnen ist. Dabei hielt sich R innerungen, sondern griff auch auf die damals kursierenden Erinnerungen beteiligter Personen zurück. Insbesondere griff er auf Leopoldo Galeottis L’Assemblea Toscana1013 und Enrico Poggis Memorie storiche del Governo della Toscana nel 1859–18601014 zurück.1015 Damit verfügte er über wichtige Berichte unmittelbar beteiligter Personen. Poggi war 1859 Justizminister der provisorischen Regierung gewesen und war in der Folge Senator des Königreichs Italien. Galeotti war als eine der führenden Persönlichkeiten der toskanischen Moderati an der Entwicklung hin zum Anschluss der Toskana an das Königreich Italien beteiligt: Seit 1857 hatte er für die Führungsrolle Sardinien-Piemonts in der italienischen Nationalbewegung geworben und die Nationalpolitik Cavours unterstützt. Zunächst hatte er versucht Leopold II. davon zu überzeugen, ein liberales Ministerium einzusetzen und das Großherzogtum Toskana in ein Bündnis mit Sardinien-Piemont zu führen. Nach der Flucht des Großherzogs war Galeotti Sekretär des Staatsrates der provisorischen Regierung und später der Assemblea Toscana, in deren Rahmen er Mitglied der Kommission war, die das Haus Habsburg-Lothringen für abgesetzt erklärt hatte. Mit seiner Denkschrift1016 hatte er versucht, die europäische Diplomatie von der Rechtmäßigkeit der Assemblea Toscana zu überzeugen und den Widerstand der Bevölkerung gegen eine Rückführung des Hauses Habsburg-Lothringen zu erweisen. Als Abgeordneter des italienischen Parlamentes warb er für föderative Strukturen, um die toskanische Selbstverwaltung soweit wie möglich zu garantieren. In der Römischen Frage stimmte er für die Verlegung der Hauptstadt nach Rom, allerdings machte er sich zugleich für eine Aussöhnung mit dem Papsttum stark, da er im katholischen Glauben einen entscheidenden Stabilitätsfaktor des jungen Nationalstaates sah – was ihm den Vorwurf einbrachte, als Erfüllungsgehilfe klerikaler Interessen zu fungieren.1017 In seinem Bestreben, dem italienischen Nationalstaat eine föderative Form zu verleihen, die der Toskana weitreichende Autonomie sichern sollte, und der Werbung für eine Aussöhnung mit dem Papsttum, um dem italienischen Nationalstaat durch den katholischen Glauben ein festes moralisches Fundament zu sichern, stimmte Galeotti mit R ­ eumont überein. Lediglich in der Anwendung der Mittel gingen ihre Ansichten weit auseinander. R ­ eumont glaubte nämlich nicht, dass sich 1013

Leopoldo Galeotti: L’Assemblea Toscana, Florenz 1859 (2. Aufl.). Enrico Poggi: Memorie storiche del Governo della Toscana nel 1859–1860, 3 Bde., Pisa 1867. 1015 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 631, ins. II, (12), Bonn, 22. Juli 1876. 1016 Leopoldo Galeotti: L’Assemblea Toscana, Florenz 1859 (2. Aufl.). 1017 Giovanni Assereto: Galeotti, Leopoldo, DBI 51 (1998), S. 431–435. 1014

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C. Publizistik

die Toskana den zentralistischen Bestrebungen Piemonts dauerhaft werde entziehen können, während er die piemontesische Kirchenpolitik darauf ausgerichtet sah, das Papsttum nicht etwa zu versöhnen, sondern aus der Gesellschaft zu drängen. Während ­Reumont an seiner Geschichte Toscana’s arbeitete, waren die Hoffnungen Galeottis, wie der meisten toskanischen Moderati enttäuscht worden, eine eigenständige toskanische Verwaltung zu erhalten. Zudem war die Römische Frage durch die Eroberung Roms am 20. September 1870 einseitig und gegen den Protest Pius’ IX. gelöst worden, was eine Aussöhnung mit der Kirche für die nächsten Jahre erheblich erschwerte.1018 Genau in jenen Jahren, in denen sich Galeotti für eine eng an Sardinien-­Piemont bzw. Cavour angelehnte National- und Kirchenpolitik einsetzte, klafft eine große Lücke im erhaltenen Briefwechsel zwischen ­Reumont und Galeotti. Zwischen 1854 und 1870 fehlen von ­Reumont verfasste Briefe an Galeotti in der ­Biblioteca ­Riccardiana in Florenz. Zumindest mittelbar stand ­Reumont in dieser Zeit in ­ eumonts Briefwechsel mit Capponi hervorgeht. Kontakt zu Galeotti, wie aus R Möglicherweise waren es aber seit Ende der 1850er Jahre die divergierenden Auffassungen über die bestmögliche Strategie zum Erreichen eines föderativen Nationalstaates, dessen Stabilität der katholische Glaube garantieren sollte, die den persönlichen Kontakt belasteten. Jedenfalls ist es auffällig, dass gerade für jene Zeit, in der Galeotti eine für R ­ eumonts Begriffe verfehlte Politik betrieb, der direkte Briefkontakt offenbar abbrach, während er sich mit Beginn der 1870er Jahre wieder intensivierte und einen regen Austausch sowohl über deutsche als auch italienische Politik beinhaltete. Tatsächlich sind von den Antwortbriefen Galeottis nur noch zwei erhalten,1019 weshalb nicht mehr nachzuvollziehen ist, wie er auf die politischen Einschätzungen ­Reumonts reagierte. Offensichtlich bewirkten die gemeinsamen Idealvorstellungen von der Zukunft Italiens eine erneute Annäherung, nachdem Galeottis politisches Handeln durch seinen Einsatz für eine Versöhnung des Nationalstaates mit dem Papsttum wieder mit den Ansichten ­Reumonts vereinbar war. Tatsächlich schwenkte die Destra toscana angesichts der erstarkenden Linken und der Bedenken einer zunehmenden Laisierung der Gesellschaft wieder ­ eumont bei auf „neoguelfische“ Positionen um.1020 Vor diesem Hintergrund fragte R der Abfassung seiner Geschichte Toscana’s auch nach einer überarbeiteten Version von Galeottis L’Assemblea Toscana. Bei der Abfassung des zeitgenössischen Teils der Arbeit verknüpfte ­Reumont also seine eigenen Erinnerungen und Einschätzungen mit denen anderer Beteiligter, die, wie Poggi und Galeotti unmittelbar an jener Politik beteiligt waren, ­ eumont ablehnte. Zuvor hatte er Ferdinand IV., den designierten Nachfolger die R 1018

Zum Verhältnis der Katholiken zum Nationalstaat vgl. auch Ciampani (2004). NL ­Reumont, S 1061, Leopoldo Galeotti an R ­ eumont. 1020 Vgl. Liana Elda Funaro: „Colla lente dell’amicizia“. Tabarrini, Galeotti, gli scritti sul Capponi e gli ultimi moderati toscani, Archivio Storico Italiano 146 (1991), S. 613–662, hier S. 617–632. 1019

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Leopolds II., der sich zu jener Zeit im Exil in Salzburg befand, nach der Genehmigung gefragt, die Geschichte Toscana’s bis in die Zeit der Habsburg-Lothringer bis 1859 fortzusetzen. Da der legitime Großherzog ­Reumont bereits seit vielen Jahren persönlich kannte und dessen Ablehnung der piemontesischen Nationalstaatspolitik kannte, ging er davon aus, dass eine derartige Darstellung nicht zum Schaden seiner Familie sein werde.1021 ­Reumont sollte die in ihn vom exilierten Großherzog gesetzten Erwartungen nicht enttäuschen. Obgleich die erneute Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit wie dem Ende seiner beruflichen Karriere den ehemaligen Diplomanten immer noch innerlich aufwühlte und er nach wie vor mit dem tatsächlichen Zustandekommen des Nationalstaates sowie in den Jahren 1848–49 verpassten Möglichkeiten und begangenen Fehlern haderte,1022 versuchte er, wie er Galeotti erklärte, auf eine politische Polemik zu verzichten.1023 Tatsächlich verzichtete R ­ eumont in seinem zweiten Band auf eine offen polemische Abrechnung mit der seiner Ansicht nach verfehlten Politik der toskanischen Moderati. Allerdings wird seine Missbilligung darin deutlich, dass er ihre Politik einerseits nicht lobend erwähnt und andererseits den von ihm eingeräumten Fehlern Leopolds II. zahlreiche Verdienste gegenüberstellte, sodass die Absetzung der Habsburg-Lothringer für den Leser als vollkommen unverständlich erschien. So schilderte R ­ eumont den Großherzog als fürsorglichen Landesvater und verwies auf den Vorbildcharakter, den die Toskana innerhalb Italiens bis in die 1840er Jahre hinein für die restliche Halbinsel hatte.1024 Zudem rechtfertigte er das Zögern des Großherzogs, die von den Moderati geforderte Verfassung zu erlassen mit der 1021 Nachdem er von ­Reumont den ersten Band erhalten hatte, antwortete Ferdinand IV.: „Carissimo C. Alfredo di R ­ eumont, Ringrazio del pensiero così affettuoso di mandarmi col nuovo anno insieme alli augurj sinceri e buoni un caro ricordo della Toscana nostra. Leggerò l’opera Sua con doppio interesse e perché tratta della Patria, e perché scritta da Chi è nel tempo stesso amico vero nostro e del Paese, e pensa e giudica con piena indipendenza senza passioni e prevenzioni. Approvo pienamente l’idea Sua, caro ­Reumont, di completare quel lavoro importante col periodo Austro Lorenese. Ella farà cosa grata a tutti i buoni, onorevole per Lei, utile all’Italia alla Toscana. Iddio benedica la mano che si mette a tanto lavoro, e la conservi ed assista. Di cuore come sempre mi ripeto tutto Suo Aff. Ferdinando“ (NL ­Reumont, S 1056, Ferdinand IV an ­Reumont, Nr. 150: Salzburg, 19. Januar 1876). 1022 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 632, ins. III, (11), Bellerive, Lucerna, 14. September 1876: „Ho continuato il lavoro della Storia della Toscana, e sono arrivato all’11. Aprile 1849, ringraziando il cielo di avere dietro a me avvenimenti scabrosi, mentre sarò contento, allorquando sarò giunto alla fine, giacchè, da parte e d’altra, trovo poco da darmi piacere. Sarò breve quanto mai potrò per l’ultimo Decennio, non volendo entrare in cose politiche che abbracciano l’intera Italia.“ 1023 Ebenda, (10), Bonn, 20. Dezember 1876: „Il mio vol.e termina col 27 Aprile, di cui e di quel che precede non dice se non breve parole. Mi era di tutta impossibilità morale l’entrare in materia. Ho detto francamente ciò che mi è parso erroneo nella politica di Leopoldo II., ma non ho potuto parlare della parte avversa, non potendola lodare, e non volendo far d’un libro di Storia pacatissimo, terminandolo, un libro di polemica.“ 1024 Alfred von ­Reumont: Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates, Bd. 2: Haus Lothringen-Habsburg. J. 1737–1859, Gotha 1877, S. 481–482.

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Notwendigkeit, die Traditionen der Vergangenheit gewissenhaft berücksichtigen zu müssen, um eine organische Entwicklung der Konstitution gewährleisten zu können.1025 Letztlich sei es das unbesonnene Vorgehen der Nationalbewegung gewesen, die dem König beider Sizilien, Ferdinand II. den Vorwand geliefert habe, am 15. Mai 1848 den Aufstand niederzuwerfen, während Leopold II. und Pius IX. unter Druck gerieten und die Verwirklichung „neoguelfischer“ Ideen vorerst unmöglich wurde.1026 Als Montanelli und Guerrazzi Leopold II. zu einem Zusammengehen mit der Repubblica Romana drängten, deren Träger von Pius IX. bereits exkommuniziert worden waren, sei dem Großherzog gar nichts anderes mehr übrig geblieben, als sich durch Flucht zu entziehen und gegen die toskanischen Demokraten vorzugehen.1027 Der entscheidende Moment für den Großherzog mit der toskanischen Nationalbewegung zu brechen sei demnach eingetreten, als die Nationalbewegung eine ­ eumonts Kritik an gegen das Papsttum gerichtete Dynamik entwickelte. Neben R den toskanischen Moderati, einer Nationalbewegung unter piemontesischer Führung zugearbeitet zu haben, die die weltliche Papstherrschaft in ihrer Existenz bedrohte, machte er sie auch dafür verantwortlich, die Toskana im Jahre 1859 ihrem Untergang zugeführt zu haben, indem sie ihr Schicksal auf naive Weise in die Hände Turins gelegt haben, für das die Toskana lediglich eine neu gewonnene Provinz darstellte. Wie ­Reumont gegenüber Karl Witte erklärte, handelte es sich beim zweiten Band der Geschichte Toscana’s um einen persönlichen Abschied von der Toskana, die er in den 1830er Jahren kennen und lieben gelernt hatte, die nun endgültig der Vergangenheit angehöre, nachdem auch sein wichtigster Kontakt dorthin, Gino Capponi zu Anfang des Jahres 1876 verstorben war.1028 Noch im Herbst des Jahres 1875 hatte R ­ eumont seinen Freund und Förderer auf dessen Landgut in Lamporecchio getroffen, und in der ihm mittlerweile fremden Toskana Recherchen für seine Geschichte Toscana’s durchgeführt.1029 Besonders die Darstellung der Ereignisse, die er vor Ort miterlebt hatte war für ihn kaum mit der notwendigen Objektivität zu bewältigen.1030 Entsprechend wehmütig und anklagend fiel sein Abschied von der Toskana aus:1031 Diejenigen Toskaner, die die piemontesische Politik unterstützt 1025 Ebenda, S. 533: „Aber dem Großherzog konnte nicht in den Sinn kommen, daß diese Verfassung, wie eine Partei wollte und offen aussprach, das Merkmal eines Risses zwischen Vergangenheit und Zukunft sein sollte, denn das Glück des Landes beruhte in dem Zusammenhang mit einer Vergangenheit, von welcher sich viele glorreiche und für alle Zeiten fruchtbare Traditionen erhalten hatten.“ 1026 Ebenda, S. 536. 1027 Ebenda, S. 548: „Leopold II. sah sich zum Theilnehmer einer revolutionären Versammlung herabgewürdigt, die aus der Anarchie erwachsen, deren nächstes Ziel die Zerstörung der weltlichen Papstgewalt war. Seine fürstliche Ehre stand auf dem Spiel. Seine Freiheit war nur noch ein Wort.“ 1028 NL ­Reumont, S 2746, R ­ eumont an Witte, Nr. 186: Bonn, 21. Juli 1876. 1029 Ebenda, Nr. 183: Bonn, 23. September 1875. 1030 Ebenda, Nr. 189: Bonn, 5. November 1876. 1031 Alfred von ­Reumont: Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates, Bd. 2: Haus Lothringen-Habsburg. J. 1737–1859, Gotha 1877, S. 657–658: „So war das Land

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haben, seien hintergangen worden, da sie die wahren Ziele Cavours nicht verstanden haben. Erst mit dem Präliminarfrieden von Villafranca, der immerhin die Bildung einer italienischen Konföderation unter Führung des Papstes und die Rückkehr der legitimen Herrscher vorgesehen hatte, seien mit dem empörten Rücktritt Cavours den meisten die wahren Ziele Sardinien-Piemonts deutlich geworden. Dass die Toskana sich trotzdem für den Anschluss und damit gegen die eigene Identität als italienischer Musterstaat entschied, sei nicht im Sinne der Toskana, sondern der „bewusste und ausgesprochene Wille der damaligen Machthaber“. Letztlich sei es danach nur eine Minderheit gewesen, die die Toskana Sardinien-Piemont unterworfen habe, die sich zudem noch durch ausgesprochene Naivität auszeichne: Nicht ­ eumont von „einer Generosität, die etwas Schönes hat, aber von ungefähr spricht R nicht in gleichem Maße von staatsmännischem Geiste zeugt“. Dass Leute wie sein Bekannter Galeotti, der sich mit dieser Kritik an den toskanischen Machthabern jener Zeit angesprochen fühlen durfte, eine derartige Einschätzung nicht unwidersprochen hinnehmen würden, nahm ­Reumont billigend in Kauf und sah der vorauszusehenden Polemik gelassen entgegen.1032 Schließlich konnte er sich der Zustimmung katholischer Kreise sicher sein. Denn seine kritische Betrachtung der toskanischen Entwicklungen unter den Habsburg-Lothringern richtete sich nicht nur gegen die seit Ende der 1850er Jahre eingeschlagene Politik der toskanischen Moderati, sondern auch gegen die Kirchenpolitik Großherzog Peter Leopolds. Dessen Einschränkung der kirchlichen Privilegien, wie der Nuntiaturgerichtsbarkeit,1033 hatte ­Reumont bei aller Anerkennung für dessen Reformprogramm offen kritisiert. Dass R ­ eumont die Einschränkung kirchlicher Privilegien als Fehler Peter Leopolds bezeichnete, zeugt allerdings nicht von einer besonderen Objektivität gegenüber dem Hause Habsburg-Lothringen, im Gegenteil: Es sind lediglich genau die Fehler, die Leopold II. sogar selbst als solche in seinen Memoiren benannte. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Gaeta habe er davon Abstand genommen, die Politik Peter Leopolds weiter fortzusetzen, weil er erkannt habe, beschaffen, welches nach mehr denn achthundertjähriger politischer Autonomie, in sich vollkommen abgerundet und eigenartig, in allen Beziehungen im Fortschritt, der erste unter den italienischen Staaten auf diese seine Autonomie Verzicht geleistet hat. Es wurde von der Umwälzung des J. 1859 überrascht, denn die Zahl derjenigen, welche die Ziele piemontesischer Politik wirklich kannten und für diesselben handelnd einzutreten entschlossen waren, ist sehr gering gewesen, und erst der Vertrag von Villafranca hat den Meisten Stellung wie Aufgabe klar gemacht. Mit bewußtem und ausgesprochenem Willen seiner damaligen Machthaber hat dies Land, zum Zweck der Gründung eines großen italischen Staates, Institutionen in Frage gestellt und bald geopfert, denen es zu großem Theil seine Blüte verdankte und die wol selbst über ihren wahren Werth hinaus als Palladien gepriesen worden waren, ohne Compensation wie ohne Garantien, mit einer Generosität, die etwas Schönes hat, aber nicht in gleichem Maße von staatsmännischem Geiste zeugt. Wolle Gott, daß es in fortschreitender Prosperität und innerer Befriedigung den Lohn seiner Entsagung finde…“ 1032 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 632, ins. III, (8), Bonn, 15. März 1877. 1033 Vgl. Furio Diaz / Luigi Mascili Migliorini / Carlo Mangio, Il Granducato di Toscana. I Lorena dalla Reggenza agli anni rivoluzionari, Turin 1997 [Giuseppe Galasso (Hrsg.), Storia d’Italia 13,2], Turin 1997, S. 349–421, hier insbesondere S. 405–411; Martina (1967), S. 24–50.

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dass für dessen Kirchenpolitik die Rechtsgrundlage gefehlt habe. Deshalb habe er danach das vor dem Revolutionsjahr 1848 noch abgelehnte Konkordat mit Pius IX. abgeschlossen.1034 Die Kritik an Versuchen, die Kirche nicht von innen heraus zu reformieren, sondern stattdessen das Schisma zu suchen oder von staatlicher Seite ihre Rechte einzuschränken, rief in der deutschen Kulturkampfatmosphäre Zustimmung aus dem ­ eumont in regelmäßigem Austausch stehende Zentrumsmilieu hervor. Der mit R katholische Theologe und Historiker Johannes Janssen1035 empfahl die Geschichte Toscana’s gerade vor dem zeitgenössischen politischen Hintergrund zur Lektüre.1036 Den wissenschaftlichen Wert des Werkes sah aber auch er vor allem im ersten Band, der die Zeit der Medici behandelte. So habe ­Reumont mit seinen volkswirtschaft­ lichen Betrachtungen zur Toskana des 16. Jahrhunderts einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit jener Zeit geliefert.1037 Während also der erste Band den Charakter eines Überblicks über die toskanische Geschichte der Neuzeit hatte, der ein gute Ausgangsbasis für weiterführende ­ eumont im zweiten Band dem wissenschaftliche Forschungen lieferte,1038 verfiel R Memoirenstil und offener politischer Polemik. Moritz Brosch brachte dies treffend auf den Punkt: „Es sind Memoiren eines Diplomaten und ausgesprochenen Parteimannes. […] Der Großherzog hat – so muß R. S. 579 gestehen – Fehler gehabt und Irrthümer politischer Natur begangen; in der Darstellung aber, die uns von der Regententhätigkeit dieses Fürsten gegeben wird, treten solche Fehler und Irrthümer nur als leichte Flecken auf einem glänzenden Bilde vor Augen. Ist es doch bezeichnend, daß Verf. den einzigen Regierungsakt, dem gegenüber er sich zu einem schärferen Tadel ermannt, der Verfassungsbruch vom Jahre 1852, mit „Gewissensskrupeln“ des Großherzogs entschuldigt!“1039

Die Geschichte Toscana’s war R ­ eumonts Abschied an die Toskana, die er 1830 kennengelernt hatte, mit ihrer Geschichte und Kultur, wie auch den damaligen politischen Zielen der Moderati. ­Reumonts Absicht war es, diese Toskana noch einmal 1034

Vgl. Pellegrini (2009), S. 72 und 78. Vgl. Kapitel C. II. 3. Die Historisch-Politischen Blätter für das Katholische Deutschland, S. 319–320. 1036 Johannes Janssen: Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates von Alfred von ­Reumont, 2 Bde., Gotha 1876, Literarische Rundschau 2 (1878), S. 51–57, hier S. 55–57. 1037 Ebenda, S. 54; NL ­Reumont, S 1063, Johannes Janssen an R ­ eumont, Nr. 24, Frankfurt, 11. April 1877: „Für die richtige Beurtheilung der großen Bewegung des 16. Jahrhunderts hat man den volkswirtschaftlichen Fragen, wie ich glaube, zu wenig Aufmerksamkeit bisher zugewandt, wenigstens für die deutsche Geschichte. Mit größtem Interesse lese ich, was Sie verständiges in Ihrer Geschichte Toscana’s über diese Dinge für Italien mittheilen.“ 1038 So auch für Constantin von Höfler: NL R ­ eumont, S 1062, Höfler an R ­ eumont: Nr. 109: Prag, 11. Januar 1876. 1039 Moritz Brosch: A. v. ­Reumont, Geschichte Toskanas seit dem Ende des florentinischen Freistaats. II. Haus Lothringen-Habsburg. 1737–1859. Gotha, F. A. Perthes. 1877, HZ 39 (1878), S. 348–350. 1035

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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dem deutschen Leser in Erinnerung zu rufen und zu zeigen, dass die toskanischen Eliten damals vornehmlich die Autonomie der Toskana erhalten wollten und mit Pius’ IX. Pontifikat zunächst dem Papsttum als christlich-moralischem Rückhalt eine führende Rolle bei der politischen und gesellschaftlichen Erneuerung Italiens zuerkannt hatten. Auf diese Weise sollte dem deutschen Leser demonstriert werden, wie weit die ursprünglichen Vorstellungen der toskanischen Elite von der zeit­ genössischen politischen Realität entfernt waren. Obwohl sich seine toskanischen Bekannten, wie Alessandro Carraresi oder der Senator Marco Tabarrini brennend für die Geschichte Toscana’s interessierten und ­Reumont um die Erlaubnis baten, das Werk ins Italienische zu übersetzen, lehnte er ab, um eine Verbreitung seiner offenen Kritik an den Moderati in Italien zu vermeiden.1040 Indes sorgten die Mischung aus historischer Darstellung und persönlichen Memoiren sowie die Verbindung eines wissenschaftlichen Desiderats mit politischer Polemik für Kritik und Anerkennung zugleich. Von habsburgischer Seite wurde ­Reumont für dieses Werk das Ritterkreuz Erster Klasse des Ordens der Eisernen Krone verliehen, von Ferdinand IV. in Anerkennung der Verdienste um die Toskana und das Andenken des Hauses Habsburg-Lothringen das Großoffizierskreuz des Zivil- und Militärdienstordens.1041 Zugleich verlieh ihm jedoch auch noch im Jahre 1876 die Stadt Florenz die Ehrenbürgerschaft. Maßgeblichen Anteil an dieser Entscheidung hatten Gino Capponi und Leopoldo Galeotti.1042 Dies zeigt die zwiespältige Rolle, die R ­ eumont in den 1870er Jahren einnahm. Einerseits erwarb er sich große Verdienste um die internationale Kenntnis der toskanischen Geschichte, andererseits rief er durch die Erinnerung an die ursprüng­lichen Ziele der toskanischen Moderati und die Kritik an der von ihnen eingeleiteten Entwicklung ein überwiegend ablehnendes Echo hervor. Während einige seiner Be 1040

NL ­Reumont, S 1059, Carraresi an R ­ eumont, Nr. 155c: Florenz, 26. September 1882. Stadtbibliothek Aachen, Nachlass R ­ eumont (Nachlass 1), I.3. Briefkorrespondenz und Personalien, Verleihung des Ritterkreuzes Erster Klasse des österreichisch-kaiserlichen Ordens der Eisernen Krone, Wien, 1. Oktober 1877; ebenda, Verleihung des Großoffizierskreuzes des Zivil- und Militärdienstordens durch Ferdinand IV., Tanay de Nerly an ­Reumont, Salzburg, 21. Januar 1878; vgl. auch Ferdinands begeistere Reaktion auf den zweiten Band der Geschichte Toscana’s – NL ­Reumont, S 1056, Ferdinand IV. an ­Reumont, Nr. 151: Freiburg, 22. April 1877: „L’opera Sua è riuscita accetta a tutti i buoni, e la storica verità così bene esposta, senza nascondere gli errori, ma citando i benefizj, ha rianimato il coraggio nei tiepidi, ha molti ravveduto, ed ha reso immenso beneficio alla memoria del Padre ed Avo mio, come ha servito a ricordar tempi più lieti e ridestar le speranze, il desiderio del ritorno di essi. Si abbia caro R ­ eumont tutti i fini caldi ringraziamenti miei, della Famiglia, del Paese. Accetto i voti che forma per la pros­ perità mia e dei miei, ma le domando di attendere ancora a prendere congedo da me: l’opera Sua rannoda ed aumenta l’antica amicizia nostra, e confidando nella Sua benevolenza, mi riserbo di tanto in tanto a venire a ricercar le Sue nuove e se Dio mi conduce sul Reno, a visitarla e ringraziarla di persona a Bonn. “ 1042 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 631, ins. II, (11), Bonn, 4. April 1876; (12), Bonn, 22. Juli 1876. 1041

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kannten, wie Capponi und Galeotti, tatsächlich eine Aussöhnung mit dem Papsttum der offenen Konfrontation vorgezogen hätten, rief ­Reumonts Kritik an der Art und Weise der Nationalstaatsgründung den Unmut der italienischen Öffentlichkeit hervor: Schließlich bediente er mit dem Verweis darauf, dass es sich bei denjenigen, die den Anschluss des Großherzogtums Toskana an das Königreich Italien betrieben nur um eine Minderheit gehandelt habe, die klassische Polemik konservativer Gegner liberaler Verfassungen und Nationalstaaten.1043 Wenig überraschend sprachen ihm die Habsburger ihre Anerkennung für seine rechtfertigende Darstellung Leopolds II. aus. Doch auch die Stadt Florenz dankte ihm für seine Verdienste um die internationale Kenntnis der toskanischen Geschichte. Auf diese Weise konnte er das Desiderat einer Überblicksdarstellung der toskanischen Geschichte der Neuzeit durch seinen Ruf als herausragender Italienkenner nutzen, um seine persönliche Sicht auf die Fehler und verpassten Chancen der toskanischen Moderati zu vermitteln, und zu zeigen, dass das Königreich Italien in seinem derzeitigen Zustand weder den Bedürfnissen der Toskana und ihrer Einwohner noch der katholischen Religion gerecht werde und sich dadurch eines festen moralischen und historischen Fundaments beraube.1044 Auch wenn in Deutschland kirchenkritische und liberale Publizisten R ­ eumonts Deutungshoheit der toskanischen Geschichte hinsichtlich seiner politischen und konfessionellen Urteile in Frage stellten, so erkannten sie dennoch seine Expertise der toskanischen Geschichte an. Dies führte zwangsläufig dazu, dass jeder, der sich mit der toskanischen Geschichte beschäftigte sich nolens volens auch mit den Beurteilungen ­Reumonts auseinanderzusetzen hatte. Dieses Ringen um die Deutungshoheit der italienischen Zeitgeschichte im Allgemeinen und der toskanischen im Besonderen sollte mit dem Tod Gino Capponis offensichtlich werden, dessen Lebensbild R ­ eumont der deutschen Öffentlichkeit als Repräsentanten der toskanischen Elite vorzustellen suchte. b) Gino Capponi Gino Capponi ist nicht nur über lange Jahre die Führungsgestalt der toskanischen Moderati gewesen, sondern war zudem neben Vieusseux R ­ eumonts wichtigster Förderer in der Toskana.1045 Mit seiner großen Lebenserfahrung und seinen weitreichenden Kontakten innerhalb der Eliten des vornationalstaatlichen Italien war er ­ eumont in seinen jungen Jahren maßgeblich eine derjenigen Persönlichkeiten, die R prägten. Während seiner Jugendjahre hatte Capponi die napoleonische Herrschaft 1043

Vgl. Caruso (2017), S. 67. Zur Kritik reformbereiter Intellektueller an Verfassungs- und Nationalstaatsbestrebungen, die sowohl die soziale Ordnung wie auch die Religion gefährdeten vgl. auch ebenda, S. 71–72. 1045 Zur Bedeutung Gino Capponis für die Toskana des 19. Jahrhunderts vgl. Giovanni Gentile: Gino Capponi e la cultura toscana nel secolo decimonono, Florenz 31973 (1. Auflage 1922). 1044

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in der Toskana wie auch die Restauration unter Großherzog Ferdinand III. miterlebt.1046 In Ablehnung der französischen Herrschaft einerseits und der Missbilligung der anschließenden Restauration durch den Wiener Kongress andererseits, war er zu der Einschätzung gelangt, dass Revolutionen keine langfristigen Verbesserungen bringen, dass ihre Neuerungen oft überstürzt sind und mit historisch notwendigen Traditionen brechen, während die auf Revolutionen folgende Restauration die Neuerungen wieder kassiere. Deswegen hielt er es für verfehlt, politische Veränderungen auf revolutionärem Wege anzustreben. Um langfristig tragfähige Reformen zu verwirklichen, war es seiner Ansicht nach notwendig, diese behutsam und unter Vermeidung revolutionärer Tendenzen in Absprache mit den legitimen Herrschern zu erreichen, die zunächst von dem Nutzen der angedachten Neuerungen überzeugt werden müssten. Dem sollte jedoch eine umfassende religiöse Erneuerung der Gesellschaft vorangehen. Durch ein großangelegtes Erziehungsprogramm sollte einem jeden sein Platz in der Gesellschaft zugewiesen und ein allgemeines Bewusstsein geschaffen werden, das einen Übergang zu einem von den lokalen Eliten dominierten Repräsentativsystem erlauben sollte, ohne revolutionäre Tendenzen befürchten zu müssen.1047 Hinsichtlich der geforderten religiösen Erneuerung lobte Capponi die Kirchenpolitik Großherzogs Peter Leopold, der gemeinsam mit dem Erzbischof von Pistoia, Scipione de’ Ricci, das Papsttum auf dessen Verkündigungsauftrag zu beschränken suchte, den toskanischen Klerus der Legislation des Großherzogtums unterstellte und der Kirche alleine erzieherische Aufgaben zuwies. Dementsprechend trat Capponi nach den Unruhen in der Romagna auch für eine Verwaltungsreform des Kirchenstaates ein.1048 Dabei dachte er jedoch nur an sehr gemäßigte liberale Reformen: Seine Idealvorstellung war keineswegs eine freiheitlich-liberale Verfassung mit einem Repräsentativsystem unter Beteiligung des gesamten Volkes, sondern lediglich eine Herrschaft des lokalen Patriziats, dessen Interessen er mit denen des gesamten Volkes gleichsetzte.1049 Deswegen forderte er auch keine absolute Pressefreiheit, sondern legte Wert darauf, dass eine moderate Zensur fortbestehen sollte, um gegen unerwünschte Auswüchse vorgehen zu können.1050 Insofern war es die Aufgabe der Religion, die unteren Schichten dazu zu bewegen, die Herrschaft des Patriziats als Teil der göttlichen Ordnung anzuerkennen und sich in

1046

Vgl. Langé (2000), S. 4–31. Vgl. ebenda, S. 16–31. 1048 Vgl. ebenda, 76–79; vgl. auch Capponis Aufssatz über die Unruhen in der Romagna: Sulla sommossa di Romagna, Gazzetta Italiana 71 (1845), S. 431–436. 1049 Stendhal kritisierte prompt, dass das Ziel der florentinischen Liberalen allein in der Bevor­ mundung der restlichen Bevölkerung liege. – vgl. M. de Stendhal: Rome, Naples et Florence, Bd. 2, Paris 1826 (3. Aufl.), S. 116–117: „Quant aux libéraux, de Florence, je les comparerais volontiers à certains pairs d’Angleterre, fort honnêtes gens d’ailleurs, mais qui croient sérieusement qu’ils ont droit à gouverner le rest de la nation dans leur propre avantage (corn Laws). J’aurais compris cette erreur avant que l’Amérique ne vînt montrer que l’on peut être heureux sans aristocratie. Au reste, je ne pretends pas nier qu’elle ne soit fort douce; quoi de mieux que de réunir les avantages de l’égoïsme et les plaisirs de la générosité !“; vgl. Langé (2000), S. 31. 1050 Vgl. Langé (2000), S. 80–81. 1047

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ihr Schicksal zu fügen. Als Großgrundbesitzer legte Capponi nämlich besonderen Wert darauf, den status quo der Besitzverhältnisse über Religiösität und sozialen Frieden zu konservieren. In Anlehnung an die Schriften Sismondis sollte die mezza­ dria die Bildung eines politischen Industrieproletariats, wie es in Großbritannien zu beobachten war, verhindern.1051 Diese Ansichten, dass die Toskana nur dann eine Zukunft habe, wenn sie an ihren traditionellen Strukturen festhalte und durch eine religiöse Erneuerung und behutsame Reformen dem lokalen Patriziat die Führungsposition sichere, hatte ­Reumont durch seinen intensiven Kontakt zu Capponi verinnerlicht und ungeachtet aller politischen Entwicklungen und damit verbundenen Meinungsverschieden­ heiten mit seinen Korrespondenzpartnern Zeit seines Lebens beibehalten. Nach den Erfahrungen der Jahre 1848–50 teilte ­Reumont schließlich auch die Auffassung, dass Reformen und nationale Unabhängigkeit nur innerhalb des bestehenden politischen Systems möglich sein würden, und dass Revolutionen in letzter Konsequenz nur restaurative Maßnahmen nach sich ziehen würden. An dieser Erkenntnis sollte ­Reumont auch dann noch festhalten, als Capponi selbst Ende der 1850er Jahre die piemontesische Nationalstaatspolitik unterstützte, weil er unter der Herrschaft des Hauses Habsburg-Lothringen nach deren restaurativen Maßnahmen der 1850er Jahre keine Möglichkeiten sah, dass die Forderungen der Moderati erfüllt würden. Während also ­Reumont nach den Revolutionen von 1848–50 und den enttäuschten Erwartungen einer Symbiose von religiöser und nationaler Erneuerung das Heil der italienischen Nationalbewegung im Sinne der Moderati nur noch innerhalb der legitimen Ordnung sah und die piemontesische laizistische Stoßrichtung ablehnte, war Capponi bereit, die piemontesische Politik zu unterstützen, den Bruch der Wiener Ordnung herbeizuführen und den offenen Kampf gegen die weltliche Herrschaft des Papsttums in Kauf zu nehmen. Die daraufhin einsetzenden Meinungsverschiedenheiten sollten die Freundschaft jedoch nicht beeinträchtigen. Auch in der Folge hatte R ­ eumont in Capponi seinen wichtigsten Förderer bei seinen historischen Studien wie auch seiner Mittlertätigkeit zwischen der deutschen und italienischen Gelehrtenwelt. Schließlich war es Capponi, der sich maßgeblich dafür einsetzte, dass ­Reumont auch nach dem Tode Vieusseux’ seine intensive Mitarbeit am Archivio Storico Italiano trotz seiner Animositäten zu Agenore Gelli fortsetzte. ­Reumont verbrachte auch nach seiner diplomatischen Tätigkeit seine Urlaube regelmäßig bei Capponi und verfasste dort einen großen Teil seines Lorenzo de’ Medici, den er ohne dessen Anregung und Hilfe nicht bewerkstelligt hätte. Insofern verlor R ­ eumont mit dem Tod Capponis die wichtigste Bezugsperson nach Italien. Mit ihm hatte er in regelmäßigem vertraulichen Austausch sowohl über kulturelle als auch politische Themen gestanden, sodass er über die italienischen Neuigkeiten stets informiert war. Außerdem konnte ­Reumont bei seiner Förderung deutscher Gelehrter stets mit der Hilfe seines Freundes rechnen, an den er zahlreiche

1051

Vgl. ebenda, S. 58–60.

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Forschungsreisende empfahl.1052 Dass mit Capponi ­Reumonts wichtigster Bezugspunkt verloren ging, wird in seinen eigenen Worten an Witte deutlich: „Für mich ist jetzt der Verlust des guten alten Marchese Gino ein unersetzlicher – es ist mir als wäre mein eigenes Haus zerstört, denn bei ihm fand ich mich mehr zu Hause als bei mir selber. Der Letzte aus dem alten Kreise ist nun hin. […] Ich kann mir Florenz nicht ohne ihn denken.“1053

Tatsächlich wurde Capponis Tod nicht nur in Italien selbst, sondern auch in Deutschland zur Kenntnis genommen. Obgleich R ­ eumont den entsprechenden Nekrolog für die Augsburger Allgemeine Zeitung verfassen wollte, war ihm bereits Karl Hillebrand zuvorgekommen; auch in der Zeitschrift Im Neuen Reich war ein Nekrolog erschienen.1054 Zudem hatte Ignaz von Döllinger an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über Capponi gehalten, weshalb ­Reumont befürchtete, dass er den Verstorbenen für seine Ansichten zur Römischen Frage instrumentalisieren könne.1055 Schließlich konnte sich Capponis Forderung, die weltliche Papstherrschaft einzuschränken und auf den geistlichen Bereich zu konzentrieren, sehr gut für Döllingers Polemik gegen das Papsttum eignen. Angesichts des hohen politischen Interesses für die Persönlichkeit Capponis in der deutschen Öffentlichkeit erschien es R ­ eumont geboten, die Initiative zu ergreifen und den nun kursierenden „Capponi-Bildern“ seine eigenen Erinnerungen entgegenzustellen. Zunächst wartete er jedoch die Bemühungen seiner Florentiner Bekannten ab. Von Capponis Angehörigen war nämlich der Senator Marco Tabarrini mit dem Verfassen einer Capponi-Biographie beauftragt worden.1056 In der Folge tauschte sich R ­ eumont mit diesem über die Biographie des Verstorbenen aus und stellte Tabarrini auch seine eignen Capponi-Briefe zur Verfügung.1057

1052 So hatte er u. a. Papencordt (BNCF Gino Capponi XI. 42, Nr. 2: Berlin, 10. März 1836; Nr. 3: Berlin, 4. April 1836), Heinrich Brockhaus (BNCF Gino Capponi XI. 42, Nr. 41: Rom, 15. Januar 1865) und Franz Xaver Kraus (BNCF Gino Capponi XI. 47, Nr. 91: Bonn, 30. August 1873) bei ihren Italienreisen an Capponi empfohlen. 1053 NL ­Reumont, S 2746, R ­ eumont an Witte, Nr. 185: Bonn, 29. Februar 1876; vgl. auch die Worte, die ­Reumont gegenüber Tabarrini wählte: Archivio di Stato di Firenze: Carte Tabarrini, Busta 38, inserto 12, ­Reumont an Tabarrini, cc. 45–46: Bonn, 10. Juli 1877: „La perdita del Marchese è stata per me un vero disastro. Mi ha privato di quello con cui ero solito a parlare di tutto ciò che più m’interessava, trovandomi nelle cose più essenziali d’accordo con lui, quand’anche le nostre idee sembravano che prendessero varia direzione o che provenissero da varj quartieri – di quello a cui pensavo in primo luogo quando stavo scrivendo cose storiche, e la cui conversazione era per me il refrigerio dopo la quasi-solitudine nella quale sto a Casa mia.“ 1054 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 631, ins. II, (11), Bonn, 4. April 1876. 1055 Ebenda; Ignaz von Döllinger: Gedächtnisrede auf Gino Capponi, in: Ders.: Akademische Vorträge, Bd. 2, Nördlingen 1889, S. 241–253. 1056 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 185: Bonn, 29. Februar 1876. 1057 Archivio di Stato di Firenze, Carte Tabarrini, Busta 38, inserto 12, ­Reumont an Tabarrini, cc. 54–55: Bonn, 23. September 1877.

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Außerdem arbeitete Alessandro Carraresi, der Sekretär Gino Capponis, an einer Edition von Capponis Briefkorrespondenz, bei der er von Marco Tabarrini, Cesare Guasti, Aurelio Gotti und ­Reumont unterstützt wurde.1058 In diesem Rahmen wurde bereits die politische Brisanz des Unternehmens deutlich. R ­ eumont ermahnte nämlich Carraresi, verantwortungsvoll mit dem Briefmaterial hinsichtlich der Urteile über noch lebende Personen umzugehen und warf Guasti sogar vor, kein hinreichendes Urteilsvermögen dafür zu besitzen, welche Briefe man publizieren könne und welche nicht.1059 Gerade deswegen kam R ­ eumont Carraresis Bitte, ihm die Capponi-Briefe an deutsche Gelehrte zu beschaffen nur sehr zögerlich nach und weigerte sich ausdrücklich die Briefe an Döllinger zu beschaffen.1060 Maßgeblich dafür dürften die Bedenken gewesen sein, dass diese Briefe so manche Kritik am Papst­ eumont jedoch beabsichtigte das Andenken Capponis in tum beinhalten könnten. R seinem Sinne zu beeinflussen und versuchte Capponis Hinwendung zur piemon­ tesischen Nationalpolitik wie dessen Papstkritik möglichst außen vor zu lassen und ihn stattdessen als toskanischen Patrizier und Ehrenmann wie ihn R ­ eumont 1830 kennengelernt hatte darzustellen. Mochte dieses Vorhaben für die italienische Öffentlichkeit kaum möglich sein, da Marco Tabarrini als offizieller Capponi-Biograph bestellt war und durchaus dessen nationalpolitisches Engagement hervor­ eumont innerhalb der deutschen Öffentlichkeit als zuheben gedachte, so konnte R Autorität für die Deutung von Capponis Leben auftreten, da kein anderer Deutscher in so enger Beziehung zu ihm gestanden hatte. Die fehlende Kenntnis der Füh­ eumont bereits schmerzlich rungspersönlichkeit des toskanischen Patriziats hatte R erfahren müssen, als er in Deutschland Spendengelder für das Capponi-Denkmal in der Florentiner Kirche Santa Croce einzuwerben versuchte und dabei kaum nen­ eumont nenswerte Erfolge erzielen konnte.1061 Vor diesem Hintergrund kam es R zu, seinem Florentiner Freund in Deutschland zu allgemeiner Bekanntheit zu ver­ helfen – allerdings gemäß ­Reumonts persönlicher Lesart des Risorgimento. Insofern bildeten die verschiedenen Biographien stets nur eine von vielen möglichen Interpreationen von Capponis Leben ab. Dabei eröffnet jede Interpretation Ein­blicke in die Intentionen des jeweiligen Autors, wie auch der Transferprozesse, denen die Deutung der nunmehr historischen Gestalt unterlag.1062

1058 NL ­Reumont, S 1059, Alessandro Carraresi an ­Reumont, Nr. 146, Florenz, 21. Dezember 1877; Nr. 147, Florenz, 12. August 1878. 1059 BNCF, Carteggi Vari 111, 77, ­Reumont an Carraresi, Burtscheid, 13 April 1880; Carteggi Vari 111, 83, ­Reumont an Carraresi, Burtscheid, 29. September 1882. 1060 NL ­Reumont, S 1059, Alessandro Carraresi an R ­ eumont, Nr. 155c, Florenz, 26. September 1882; BNCF, Carteggi Vari 111, 83, ­Reumont an Carraresi, Burtscheid, 29. September 1882. 1061 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 631, ins. II, (12), Bonn, 22. Juli 1876. 1062 Vgl. Schweiger / Holmes (2009), S. 412; Richard Holmes: The proper study?, in: Peter France / William St. Clair (Hrsg.): Mapping Lives. The Uses of Biography, Oxford / New York 2002, S. 7–18, hier S. 16.

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aa) Der „italienische Capponi“ nach Marco Tabarrini Bevor ­Reumont jedoch seine Capponi-Biographie veröffentlichte, benötigte er zuvor präzise biographische Informationen und zog es deswegen vor, zunächst die Publikation Marco Tabarrinis abzuwarten, mit dem er nach dem Tod Capponis in regelmäßigem Kontakt stand.1063 Zunächst ging es darum, Capponis noch unveröffentlichte Schriften auf die Möglichkeit einer Publikation zu prüfen, um sein ­ eumont Tabarrini literarisches Schaffen eingehend zu würdigen. Dafür stellte R seine eigenen Briefe und Aufzeichnungen zu seinen in der Toskana durchgeführten Recherchen für Publikationen zur toskanischen Geschichte zur Verfügung.1064 Als Ergebnis der Bearbeitung des wissenschaftlichen Nachlasses Capponis veröffentlichte Tabarrini als erstes Werk die Scritti editi ed inediti di Gino Capponi1065, die Tabarrini in der von ihm selbst mitredigierten Nuova Antologia rezensieren ließ,1066 während R ­ eumont sich um ausführliche Anzeigen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung und den Göttingischen Gelehrten Anzeigen bemühte.1067 Von besonderer Wichtigkeit war für ­Reumonts Capponi-Biographie jedoch neben den Lebensdaten die politische Einordnung, die Tabarrini in seinem Gino Capponi: I suoi tempi, i suoi studi, i suoi amici1068 vornahm. Zwar hatte er eine enge Freundschaft zu Capponi gepflegt und in regem wissenschaftlichen Austausch mit ihm gestanden, jedoch sah er sich außerstande der politischen Bedeutung seines Freundes gerecht zu werden, da ­Reumont Capponis politische Entscheidungen und Ansichten rund um das Jahr 1859 ablehnte. Deswegen wollte er zunächst Tabarrinis entsprechende Einordnung studieren, um Capponis Bedeutung als Politiker besser einschätzen zu können. Letztlich entschied er sich dafür, über den Verstorbenen nihil nisi bene zu schreiben und dessen politisches Engagement an jenen Stellen, die er hätte kritisieren müssen, einfach mit Schweigen zu übergehen.1069 Dennoch 1063 Archivio di Stato di Firenze, Carte Tabarrini, busta 8, inserto 4 c), ­Reumont an Tabarrini, cc. 827–828: Burtscheid, 7 September 1879. 1064 Ebenda, ­Reumont an Tabarrini, cc. 54–55: Bonn, 23. September 1877. 1065 Marco Tabarrini: Scritti editi ed inediti di Gino Capponi, 2 Bde., Florenz 1877. 1066 Nuova Antologia 52 (1880), S. 162–170. 1067 Archivio di Stato di Firenze, Carte Tabarrini, Busta 38, inserto 12, ­Reumont an Tabarrini, cc. 54–55: Bonn, 23. September 1877. 1068 Marco Tabarrini: Gino Capponi: I suoi tempi, i suoi studi, i suoi amici, Florenz 1879. 1069 Archivio di Stato di Firenze, Carte Tabarrini, busta 8, inserto 4 c), ­Reumont an Tabarrini, cc. 827–828: Burtscheid, 7 September 1879: „Non ho bisogno di dirLe, che la composizione di questo libro (giacchè formerà un volume di mole almeno uguale a quella del Suo) non è stata per me senza difficoltà di più generi. Difficoltà nate dalla necessità di soddisfare quanto posso ai lettori tedeschi, collo spiegare molte cose sulle quale Ella sarà passato di voto, col tacere d’altre di cui Ella avrà discorso – difficoltà occagionate dalla mia assenza attuale dall’Italia – difficoltà finalmente risultanti dal mio modo di vedere in certi casi diverso da quello dell’uomo di cui mi sono messo a scrivere la vita. Ho cercato, con pienezza d’affetto, di rendergli giustizia; ho cercato ancora di non offendere nessuno: ma non ho potuto nascondere le mie opinioni. Credo oggi come ho creduto nel 59 che l’Italia ha sbagliata strada correndo precipitosamente verso l’unione assoluta che ora l’affoga; credo che alla Toscana spetta parte non piccola della colpa per essersi troppo abbandonata a una spinta e a un impeto pericoloso, quantunque io non

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war Tabarrinis Werk eine wichtige Basis für R ­ eumonts eigene Arbeit – auch wenn er darin zahlreiche Fehler fand, auf die er den Autor aufmerksam machte.1070 Ins­ eumont in mehrfacher besondere die Darstellung der politischen Ereignisse hielt R Hinsicht für mangelhaft. Einerseits attestierte er Tabarrini eine unzureichende Kenntnis der Fakten, andererseits kritisierte er dessen Verzicht auf eine Einordnung der Ereignisse des Jahres 1859 in den gesamteuropäischen Kontext.1071 Denn diese bedeuteten den endgültigen Bruch mit der Wiener Ordnung und bewirkten auch in Preußen eine Neubewertung der Nationalbewegung, deren politisches Potenzial von allen Parteien erkannt, aber unterschiedlich bewertet wurde. Besonders folgenreich für die preußische Politik war die in der Folge durch Bismarck und seine Anhänger vollzogene realpolitische Wende, die mit der Anerkennung des Königreichs Italien wie des endgültigen Bruchs mit der Wiener Ordnung und des Legitimitätsprinzips, die machtpolitischen Chancen ergriff, die eine Anerkennung Italiens und des Nationalitätsprinzips bot. Da Tabarrini diese Implikationen in seiner Darstellung ­ eumont dessen Werk als allein auf den italienischen Leser überging, betrachtete R zugeschnitten und sah die Notwendigkeit seine eigene Darstellung dementsprechend an das deutsche Publikum anzupassen. ­ eumont der von Tabarrini verfassten Lebensbeschreibung in weiZwar konnte R ten Teilen folgen, allerdings gingen ab dem Jahr 1859 die Einschätzungen deutlich auseinander. Der Hauptunterschied der beiden Lebensbeschreibungen sollte jedoch sein, dass ­Reumont die politischen Entwicklungen dieser Zeit nur soweit wie unbedingt notwendig in die Betrachtung einbezog, während Tabarrini die Ereignisse wesentlich ausführlicher schilderte, um Capponis Rolle während des Risorgimento herauszustellen. Vor dem Jahr 1859 konnte R ­ eumont dagegen in weiten Teilen auch auf die Interpretationen Tabarrinis zurückgreifen, der hervorhob, dass Capponi jegliche Untergrundaktivitäten und Geheimbündlerei stets entschieden abgelehnt habe und stattdessen den offenen Dialog mit dem Großherzog gesucht habe.1072 Auch in der Angelegenheit der von den Behörden abgesagten Feier zur Rückkehr Leopolds II. neghi punto la perplessità stingente della situazione d’allora. Ecco delle ragioni che mi hanno procurate molte incertezze, incertezze di cui non so se non traspariranno di troppo nel mio lavoro. Laddove non c’era bisogno, ho semplicemente passate sotto silenzio cose che non potevo approvare (non già, s’intende, quanto al buon Marchese!) e non ho parlato degli imbrogli, intriganti e guastamestieri.“ 1070 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 633, ins. IV, (2), Burtscheid, 23. Oktober 1879. 1071 Ebenda, (3), Burtscheid, 27. Dezember 1879: „È un libro onesto, pieno di nobili sentimenti e d’equità, con quella moderazione e saviezza che distingue l’autore. Manca una cosa: il T. non conosce il mondo fuori del suo paese, e sotto questo rapporto il ritratto del Mse rimane incompiuto. Rimango poi meravigliato del come tanti errori materiali, osservati da me che non sono Italiano, abbiano potuto occorrere in un volume stampato a Firenze di Storia modernissima. Mi rincresce molto di non essere stato presente quando si stampava.“ 1072 Marco Tabarrini: Gino Capponi: I suoi tempi, i suoi studi, i suoi amici, Florenz 1879, S. 104–106.

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nach Florenz 1831, in deren Rahmen dem Großherzog angeblich der Erlass einer Verfassung abgerungen werden sollte, sprach Tabarrini Capponi vom Vorwurf frei, mit Umstürzlern kooperiert zu haben: Capponis Niederlegung seiner Ämter habe zu dem Missverständnis geführt, ihn auf der Seite der Liberalen und der Umsturzpartei zu verorten.1073 Ähnlich wie ­Reumont kritisierte auch Tabarrini das Vorgehen der Habsburg-­ Lothringer, die an sie vom lokalen Adel herangetragenen Forderungen zu ignorieren und auf eine enge Kooperation bei der Besetzung der öffentlichen Ämter zu verzichten. Im Gegensatz zu ­Reumont stellte Tabarrini dem jedoch das positive Beispiel Sardinien-Piemonts entgegen, das eine enge Verbindung des Adels mit dem Herrscherhaus vorweisen könne und es nach der Revolution des Jahres 1821 verstanden habe, die Monarchie den zeitgenössischen Anforderungen anzupassen.1074 Zudem referierte Tabarrini ausführlich Capponis religiöse Ansichten, nach denen eine innerkirchliche Reform und ein Verzicht auf die weltliche Papstherrschaft notwendig seien, um die christliche Verkündigung in der Gesellschaft zu stärken – wenngleich er darauf hinwies, dass Capponi auch damit zu keiner Zeit auf eine revolutionäre Erhebung gegen die Papstherrschaft abgezielt habe.1075 Während diese Beschreibungen mit den Einschätzungen ­Reumonts noch übereinstimmten, schieden sich am italienischen Patrioten Capponi die Geister. Während ­Reumont diesen Aspekt nur untergeordnet behandeln sollte, da er dessen Zusammengehen mit der piemontesischen Nationalstaatspolitik ablehnte, ging es Tabarrini gerade darum, die besondere Bedeutung Capponis für die italienische Nationalstaatsbewegung in der Toskana hervorzuheben und sein patriotisches Wirken zu schildern. In diesem Rahmen stellte Tabarrini klar, dass Capponi die habsburgische Herrschaft der französischen vorgezogen habe, dass beide Herrschaften es jedoch versäumt haben der italienischen Nationalität gerecht zu werden.1076 Dementsprechend sei Capponis in seinen zahlreichen Aufsätzen für das Archivio Storico Italiano propagiertes Urteil, dass die langobardische Gesetzgebung lateinischen und nicht deutschen Ursprungs sei, eine eindeutige Absage an die Perspektive

1073 Ebenda, S. 200–202; vgl. auch die Einschätzung Tabarrinis auf S. 201: „Quest’atto vigo­ roso, in un paese avvezzato di lunga mano dai Medici a ingollare tutto, commosse la città e dispiacque alla Corte; e come si credette che fosse stato il Capponi che avesse eccitato gli altri, così il risentimento maggiore si ebbe contro di lui.“ 1074 Vgl. ebenda, S. 202. 1075 Vgl. ebenda, S. 212–236. 1076 Vgl. ebenda, S. 237: „Ma i Marchiagiani facevan parte d’un corpo pieno di vita, e si cercava ogni modo a rialzare gli spiriti, e le istituzioni eran vivaci e feconde. In ciò stava la forza della dominazione francese. Era in quella una infusione di vita, ma ne’ preti è morte, ne’ Tedeschi sonno; ai Tedeschi non perdonano d’aver abbattuto le fortificazioni appena scemarono i pericoli d’un assedio. I Tedeschi abbattono, disfanno, hanno paura del troppo in ogni cosa; è questo il loro peccato originale verso l’Italia; del resto dominatori più giusti, più miti, più trattabili dei Francesi.“

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C. Publizistik

einer fruchtbaren habsburgischen Herrschaft in Italien.1077 In diesem Zusammenhang hob Tabarrini auch Capponis Kontakte zur principessa Cristina Belgiojoso di Trivulzio1078 hervor, für deren Pariser Zeitung L’Italiano Capponi anlässlich des Aufstandes in Rimini einen Brief verfasst hatte, in dem er sich explizit zur nationalen Unabhängigkeit bekannte.1079 Außerdem habe Capponi Galeottis gegen die weltliche Papstherrschaft gerichtete Schrift Della Sovranità e del Governo temporale dei Papi1080 inspiriert und Massimo d’Azeglios Degli ultimi casi di Romagna1081 Korrektur gelesen. Zur Einordnung Capponis innerhalb der Nationalbewegung betonte Tabarrini zudem Capponis Lob für Cesare Balbos Delle Speranze d’Italia1082, in der Balbo den Abzug der Habsburger aus Italien forderte.1083 Dabei machte Tabarrini, im Gegensatz zu ­Reumont, keine Versuche, Capponi für sein Engagement zu rechtfertigen, sondern sah gerade in seiner Unterstützung der Nationalbewegung ein großes Verdienst, das es eingehend hervorzuheben galt.1084 Deswegen erklärte er dem Leser, dass Leopold II. mit der Aufhebung des Statuto im Jahre 1852 seine Dynastie selbst zum Untergang verurteilt habe, während Cavour zwar durchaus piemontesische Eigeninteressen verfolgte, sich aber immerhin an die Spitze der italienischen Nationalstaatsbewegung gestellt habe.1085 Genau deswegen habe Capponi im Jahre 1859 gegen die Rückkehr des Hauses Habsburg-Lothringen in die Toskana gestimmt, das er als in das feindliche Lager übergewechselt betrachtete, und dann im Jahre 1861 König Viktor Emanuel II. nicht als Eroberer, sondern als Gründer des neuen Italien in Florenz empfangen.1086 Es ist kaum erstaunlich, dass ­Reumont in seinem Lebensbild Capponis auf diese Ausführungen verzichtete, da er bereits zu Lebzeiten diesen für seine Parteinahme zugunsten Cavours getadelt hatte. Tabarrini hatte damit das Bild eines führenden toskanischen Patriziers gezeichnet, der in engem Zusammenspiel mit führenden Vertretern des italienischen Risorgimento die Gründung des Königreichs Italien vorangetrieben hatte und damit zugleich den Anteil der toskanischen Moderati an der nationalstaatlichen Einigung hervorgehoben. Als Senator der Destra Storica betrieb Tabarrini darüber die Legitimation des Führungsanspruchs der historischen Rechten, der er den maßgeblichen Anteil an der Schaffung des Königreichs Italien zuschrieb. Diese Hervorhebung der Verdienste fiel dabei in die Zeit der linksliberalen Regierung unter dem Minister 1077

Vgl. ebenda, S. 254–255; vgl. auch Langé (2000), S. 15. Vgl. auch Karoline Rörig: Cristina Trivulzio di Belgiojoso (1808–1871). Geschichtsschreibung und Politik im Risorgimento, Bonn 2013. 1079 Marco Tabarrini: Gino Capponi: I suoi tempi, i suoi studi, i suoi amici, Florenz 1879, S. 255–256. 1080 Leopoldo Galeotti: Della Sovranità e del Governo temporale dei Papi, Paris 1846. 1081 Massimo d’Azeglio: Degli ultimi casi di Romagna, 1846. 1082 Cesare Balbo: Delle Speranze d’Italia, Capolago 1844. 1083 Marco Tabarrini: Gino Capponi: I suoi tempi, i suoi studi, i suoi amici, Florenz 1879, S. 256–258. 1084 Vgl. etwa ebenda, S. 244–283. 1085 Vgl. ebenda, S. 294–298. 1086 Vgl. ebenda, S. 307–309. 1078

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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präsidenten Agostino Depretis, die seit 1876 das Ruder übernommen hatte. Insofern handelte es sich um ein auf den zeitgenössischen italienischen Leser ausgerichtetes Lebensbild Gino Capponis.1087 bb) Annäherungen an die Toskana für den deutschen Leser ­Reumont verfolgte mit seiner Capponi-Biographie vollkommen andere Ziele als Tabarrini. Obgleich er dessen Werk in weiten Teilen benutzte, zielte er nicht darauf ab, die Verdienste der toskanischen Moderati um die Schaffung des Königreichs Italien hervorzuheben, sondern in erster Linie dem deutschen Publikum die Gedankenwelt des toskanischen Patriziats der 1830er Jahre vorzustellen.1088 Insofern war das Lebensbild auf die Schilderung der Toskana ausgerichtet, die R ­ eumont bei seiner Ankunft im Jahre 1829 vorgefunden und verinnerlicht hatte. Die Schilderung der politischen Ideen des toskanischen Patriziats der 1830er Jahre konnte dabei dem deutschen Publikum demonstrieren, wie weit der tatsächlich geschaffene italienische Nationalstaat von den ursprünglichen Forderungen entfernt war. Indem ­Reumont den sich bis 1859 vollziehenden Bewusstseinswandel der Eliten nur beiläufig erwähnte, konnte für den Leser der Eindruck entstehen, dass das Königreich Italien gar im Widerspruch zu den Interessen der toskanischen Moderati stand – zumal ­Reumont Capponis Hinwendung zur Nationalpolitik Cavours bewusst aus­ eumont wusste, dass diese Art der Darstellung in Italien als gegen den sparte. R Nationalstaat gerichtet aufgefasst werden würde und riet deswegen von Anfang an davon ab, das für ein deutsches Publikum verfasste Lebensbild ins Italienische zu übersetzen.1089 Schließlich hätte eine italienische Übersetzung der Biographie die Destra Storica in der italienischen Tagespolitik gegenüber der amtierenden linksliberalen Regierung als gegen den faktischen Nationalstaat eingestellt diskreditiert. Diesen Effekt wollte ­Reumont jedoch unbedingt vermeinden. Denn letztlich handelte es sich um eine ausführliche Beschreibung der vornationalstaatlichen Toskana. Im Gegensatz zu Tabarrini ging ­Reumont ausführlich auf Capponis Familien­ geschichte und Jugendjahre ein, um dem deutschen Leser zuerst einen Eindruck vom gesellschaftlichen Stellenwert des Protagonisten zu verschaffen. Hinsichtlich der Schilderung der Habsburgischen Herrschaft hielt sich R ­ eumont mit seiner Kritik in den Grenzen der Gedankenwelt der Moderati vor 1848. Entsprechend tadelte er die verfehlte Wiener Ordnung, die Italien vom Ausland abhängig gemacht und die italienische Nationalität sträflich ignoriert habe.1090 Außerdem schilderte er, wie auch bereits Tabarrini, die durch die Politik Vittorio Fossombronis verursachte Entfremdung des Patriziats von der großherzoglichen Dynastie.1091 Besonders wichtig 1087

Vgl. Elda Funaro (1991), S. 613–615. Alfred von ­Reumont: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild, Gotha 1880, S. III–IV. 1089 Biblioteca Riccardina, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 633, ins. IV, (4), Burtscheid, 9. April 1880. 1090 Alfred von ­Reumont: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild, Gotha 1880, S. 53–54. 1091 Vgl. ebenda, S. 54–58. 1088

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C. Publizistik

ist es für R ­ eumont in diesem Sinne allerdings hervorzuheben, dass Capponi niemals beabsichtigt habe, dem Großherzog gegen dessen Willen eine Verfassung aufzuzwingen und stellte das Vorgehen der Regierung gegen ihn als ein unglückliches Missverständnis dar, für das er angesichts der politisch angespannten Situation im Jahre 1831 Verständnis aufbringt.1092 Der wahre Umstürzler sei der aus dem Königreich beider Sizilien exilierte Pietro Colletta gewesen.1093 Während also Tabarrini Capponi als Führungspersönlichkeit der Toskana auf dem Weg in den italienischen Nationalstaat dargestellt hatte, legte ­Reumont den besonderen Wert auf die Darstellung der Toskana selbst, deren Fortbestand nicht in einem italienischen Einheitsstaat, sondern nur in einer Konföderation ermöglicht worden wäre. Da ­Reumont zwar gegen einzelne politische Entwicklungen und Personen Stellung bezog, die grundsätzliche Berechtigung des italienischen Nationalstaates aber deutlich anerkannte, fand sein Zeit- und Lebensbild für die detaillierte Beschreibung der Welt der zeitgeschichtlichen Toskana in Deutschland selbst bei politischen Gegnern Beifall.1094 Neben Gegnern des italienischen Nationalstaates wie Constantin von Höfler1095, fanden auch Befürworter von Cavours Nationalpolitik, wie etwa Franz Xaver Kraus1096 lobende Worte für das Zeit- und Lebensbild. In Italien war die Reaktion erwartungsgemäß wesentlich distanzierter. Dort konnte ­Reumont nicht mit bis dahin unbekannten Informationen über die vor­ nationalstaatliche Toskana aufwarten, denn der italienische Leser las das Werk nicht unter dem Gesichtspunkt, etwas Neues über die Toskana zu lernen, sondern vor dem Hintergrund der Gründung des Königreichs Italien. Deswegen hielt es Alceste Giorgetti, der das Werk im Archivio Storico Italiano rezensierte, in seiner grundsätzlich positiven Besprechung für notwendig auf ­Reumonts aufrichtige Liebe zur Toskana hinzuweisen, um seine gegen die cavoursche Nationalstaatspolitik angeführten Einwände zu entschuldigen.1097 Als das Werk schließlich doch noch gegen 1092

Vgl. ebenda, S. 144–153. Vgl. ebenda, S. 148–151. 1094 Biblioteca Riccardina, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 633, ins. IV, (5), Burtscheid, 20. September 1880: „In Germania, il libro generalmente è stato accolto favorevolmente, anche dai dissenzienti in materia politica.“ 1095 NL ­Reumont, S 1062, Höfler an ­Reumont, Nr. 123: Prag, 24. September 1880. 1096 NL ­Reumont, S 1063, Fanz Xaver Kraus an ­Reumont, Nr. 66, Freiburg, 2. Januar 1881; vgl. auch Christoph Weber (1981); Franz Xaver Kraus: Die Erhebung Italiens im neunzehnten Jahrhundert: Cavour [Franz Kampers, Sebastian Merkle u. Martin Spahn (Hrsg.): Weltgeschichte in Karakterbildern, 5. Abteilung: Die neueste Zeit], Mainz 1902. 1097 Alceste Giorgetti: Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild 1792–1876 von Alfred ­Reumont, Gotha 1880, Archivio Storico Italiano 118 (1880), S. 91–96, hier S. 92: „Tuttavia, poichè alcuni di questi suoi giudizii sono già noti per la ‚Storia della Toscana sotto la Dinastia di Lorena-Absburgo‘ non ha guari da lui pubblicata, altri sono frutto di certe sue particolari convinzioni, che quantunque non sentite da tutti, si mostrano bensì ispirate da un vivo amore per la nostra patria; non stimiamo opportuno di fermarci qui a rilevare queste discrepanze, ristringendoci piuttosto a dare brevemente un’idea del modo con cui l’A. ha condotto il suo libro.“; zur Reaktion der Redaktion des Archivio Storico Italiano auf R ­ eumonts Capponi-Biographie vgl. auch Moretti (2000), S. 173–175. 1093

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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den Willen ­Reumonts ins Italienische übersetzt wurde, hielt es auch die Redaktion für angebracht klarzustellen, dass sie ­Reumonts politische Bewertungen nicht teil­ eumont selbst auf eine öffentliche Diskussion verzichtete und sich te,1098 worauf R von der italienischen Übersetzung distanzierte, um das Andenken Capponis und der Destra Storica in der Tagespolitik nicht zu diskreditieren.1099 Tabarrini hatte Capponi als italienischen Patrioten für ein italienisches Publikum dargestellt, um die Führungsansprüche der Destra Storica gegenüber der amtierenden linksliberalen Regierung zu untermauern, R ­ eumont dagegen widmete sich dem toskanischen Patrioten Capponi, um dem deutschen Publikum die Vorzüge der vornationalstaatlichen Toskana vor Augen zu führen, die der historischen Fehl­ entwicklung des italienischen Einheitsstaates zum Opfer gefallen ist. Während sich das deutsche Publikum an einer detailreichen Schilderung der Toskana erfreute und die in der Darstellung deutlich werdende Kritik am italienischen Einheitsstaat beiläufig zur Kenntnis nahm, schenkte die italienische Öffentlichkeit, die das politische Wirken Capponis bereits kannte, in erster Linie R ­ eumonts Kritik am Einheitsstaat Aufmerksamkeit. Deswegen wurde das Werk sowohl in den konservativen als auch liberalen Kreisen Deutschlands weitgehend positiv aufgenommen, jedoch bei den toskanischen Moderati selbst wegen seiner politischen Einschätzungen, die der Destra Storica in ihren tagespolitischen Auseinandersetzungen mit der linksliberalen Regierung schaden konnten, kritisiert. ­Reumont war sich darüber im Klaren, weshalb er von Anfang an wusste, dass die Schilderung ein und desselben Lebens für den italienischen Leser vollkommen anders hätte gestaltet werden müssen als für das deutsche Publikum. Für die deutsche Tagespolitik spielte das Andenken Capponis keine Rolle, in Italien dagegen konnte es für tagespolitische Auseinan­ eumont geprägte deutsche dersetzungen genutzt werden. Folglich sah das von R Capponi-Bild vollkommen anders aus als das von Tabarrini geprägte italienische Pendant. Es waren nicht allein politische, sondern auch nationale Grenzen, die den deutschen vom italienischen Capponi trennten, der auf zwei Autoren zurückging, die eng miteinander kooperierten und sich auf die gleichen Quellen und Unterstützer berufen konnten. 1098

La Direzione: Gino Capponi e il suo secolo. Quadro storico biografico di Alfredo ­Reumont, Milano-Napoli-Pisa 1881, Archivio Storico Italiano 121 (1881), S. 124: „Noi, che sappiamo per tante belle prove come il barone R ­ eumont congiunga nell’animo suo gli affetti per la sua e per la nostra patria, non avemmo ragione di lamentarci di giudizi che ci appariscano severi o contrari alle nostre idee, i quali d’altra parte sono esposti con sincerità e con nobile temperanza di linguaggio. “ 1099 Ebenda, S. 296; anders sieht es Deborah Holmes: Internationaler Nationalismus. Überlegungen zur deutsch-italienischen Biographik im 19. Jahrhundert, in: Fetz (2009), S. 441–469, hier S. 449. Da sie die italienischen, tagespolitischen Hintergründe nicht berücksichtigt, attestiert sie ­Reumont eine grundsätzliche Verweigerungshaltung gegenüber der Kritik an seiner Capponi-Biographie. Obwohl Holmes selbst davon ausgeht, dass R ­ eumonts Biographien politische Intentionen zugrunde liegen, übersieht sie, dass eine Auseinandersetzung um seine Capponi-Biographie in der italienischen Öffentlichkeit der Destra Storica geschadet hätte, und deswegen gar nicht in R ­ eumonts Interesse liegen konnte.

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C. Publizistik

4. ­Reumonts Stellungnahme zum Kulturkampf ­Reumonts politisches Engagement für eine Erneuerung der Gesellschaft in christlichem Sinne, wie er sie durch die Auseinandersetzung mit Tommaséo, Rosmini und Capponi verinnerlicht hatte, war stets Teil seiner historischen Publikationen. Sowohl seine historischen Biographien als auch die Lebensbilder von Zeitgenossen suchten in der Geschichte nach den notwendigen Lehren zur christlichen Erneuerung der Gesellschaft. Sein Interesse an historischen Persönlichkeiten war dabei meist eng an die zeitgenössischen Ereignisse geknüpft. Ihn interessierten vor allem Persönlichkeiten, die in der Vergangenheit in mit der Gegenwart vergleichbaren Situationen Entscheidungen treffen mussten, um sie entweder als positives oder negatives Beispiel in die zeitgenössischen Kontroversen einzuführen. Zu diesen belehrenden Publikationen gehören insbesondere die beiden in diesem Kapitel zu behandelnden Publikationen Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener1100 und Vittoria Colonna1101. Mit diesen beiden durch die Herdersche Buchhandlung ver­ eumont unter Rückgriff auf prominente historische Persönlegten Werken bezog R lichkeiten der italienischen Geschichte Stellung zu den in Deutschland und Italien kontrovers diskutierten kirchenpolitischen Fragen, die sich um das Verhältnis zwischen Staat und Kirche sowie die Notwendigkeit kirchlicher Reformen drehten. Der Gegensatz zwischen Staat und Kirche in beiden Ländern, verbunden mit einer von staatlicher Seite begrüßten Abspaltung der Gegner der Konzilsbeschlüsse, die zur Bildung der Altkatholischen Kirche in Deutschland führte, veranlasste R ­ eumont dazu, sich mit den führenden Reformvertretern der italienischen Geschichte zu befassen, um die Möglichkeiten einer Kirchenreform aufzuzeigen, die zum damaligen Zeitpunkt selbst in liberal-katholischen Kreisen nach der Erfahrung des Vatikanums vielfach als unrealistisch eingestuft wurde.1102 ­Reumont behandelte damit ein Thema, das ihn durch seinen regelmäßigen Austausch mit Capponi, Vieusseux und Tommaséo seit Beginn seines Aufenthalts in Italien beschäftigt hatte: Eine Rückbesinnung auf die priesterliche Funktion der Kirche zur moralischen Durchdringung und Weiterentwicklung der Gesellschaft. Dabei hoffte er auf eine aufgeklärte Kirche, die den Staat und die Wissenschaft in christlichem Sinne fördern sollte – zivilisatorischer Fortschritt, darin war sich ­Reumont mit Tommaséo und Rosmini einig, konnte nur auf christlicher Grundlage gelingen.1103 Dafür war es jedoch notwendig, die Kirche selbst zunächst den zeitgenössischen Anforderungen gemäß zu erneuern, um ihren Einfluss zu sichern und zu stärken. Dazu gehörte es nach ­Reumont auch, dass die Kirche aktive Wissenschaft betreibt, um ihre Positionen wirksam und glaubwürdig in einer aufgeklärten Gesellschaft 1100 Alfred von R ­ eumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877. 1101 Ders.: Vittoria Colonna: Leben, Dichten, Glauben im XVI. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1881. 1102 Vgl. dazu Brechenmacher (2008), S. 55–59. 1103 Liermann (2004).

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vertreten zu können. Das vernunftgeleitete Hinterfragen kirchlicher Positionen lieferte zugleich zahlreiche Berührungspunkte mit gemäßigten evangelischen Ansich­ eumont zu denjenigen, die das weltliche ten. Bereits in den 1830er Jahren gehörte R Gebaren der Päpste ablehnten und die mangelhafte Verwaltung des Kirchenstaates offen ansprachen.1104 Außerdem lehnte er die Reliquienverehrung ab – ohne jedoch einem offenen Bruch mit den bestehenden Strukturen das Wort zu reden. Vielmehr hoffte er auf eine behutsame Weiterentwicklung der bestehenden Strukturen. Dies wurde bereits in der Polemik um die Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt des Jahres 1844 deutlich, als der im Zuge der Mischehenfrage seines Priesteramtes enthobene schlesische Kaplan Johannes Ronge den Trierer Bischof Arnoldi wegen der Werbung für die Reliquienverehrung als „Tetzel des 19. Jahrhunderts“ bezeichnete.1105 Der evangelische Publizist Karl Witte hatte daraufhin eine Entgegnung verfasst, in der er zwar die Reliquienverehrung ablehnte, die Kritik jedoch relativierte und Ronges Angriff auf den Trierer Bischof als unsachlich und wenig fundiert erwies.1106 ­Reumont fand daraufhin lobende Worte für diese Argumentation und stellte heraus, dass er ebenfalls die Heilig-Rock-Wallfahrt wie auch den Versuch, bestehende kirchliche Strukturen aufzubrechen, anstatt sie weiterzuentwickeln, ablehne. In diesem Umgang mit der seiner Ansicht nach notwendigen aufgeklärten kirchlichen Erneuerung unter Vermeidung eines offenen Bruchs mit den Traditionen sah er sich in weitgehender Übereinstimmung mit den gemäßigten Protestanten.1107 Als Ende der 1860er Jahre die Vorbereitungen zum Ersten Vatikanischen Konzil begannen, hoffte ­Reumont darauf, dass die Versammlung die notwendigen Reformen einleiten werde, um angemessen auf die Bedrohung der weltlichen 1104

Brechenmacher (2008), S. 55. Friedrich Heyer: Ronge, Johannes, BBKL 15 (1999), Sp. 1205–1212. 1106 Karl Witte: Der Heilige Rock, Ronge und Czerski, Breslau 1845. 1107 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 26: Berlin, 20. März 1845: „Bis jetzt habe ich unterlassen Ihnen für die Uebersendung Ihres Aufsatzes über Ronge Dank zu sagen. Da aber die Zeitungen beginnen sich daran zu reiben (heute eröffnet die Feude und Spauersche den Reigen, u. ich sehe voraus daß andere nachfolgen werden), so will ich nicht länger verschieben Ihnen zu sagen, daß Ihr ebenso verständiges wie billiges, so entschiedenes wie begründetes Urtheil mir die größte Freude gemacht hat. Daß ich, vom katholischen Standpunkte aus, Manches vernehme was Sie in Betreffe der Grundfrage vorbringen, daß ich die Rechtfertigungslehre wie die kathol. Kirche sie annimmt, in ihrem ganzen Umfang acceptire, werden Sie mir nicht verdenken, ebensowenig wie ich Ihnen Ihren Standpunkt streitig mache. Daß wir einander aber da, wo die ganze Bedeutung des gegenwärtigen Treibens, die practische namentlich, liegt, begegnen, und ich mit Ihnen und Anderen, die gleicher Gesinnung sind, übereinstimme, ist mir sehr erfreulich. Ich habe nicht gezweifelt, daß ernste und religiös gesinnte Protestanten die Sache von dieser Seite ansehen würden, daß der scandalöse Jubel über einen seichten Tageshelden wie Ronge ihnen ausfällig sein müßte. Bei aller Haltungslosigkeit, die ich einem großen Teile unserer Landsleute zutraue, hätte ich so etwas doch nicht für möglich gehalten. – Ich bin kein Vertheidiger der Trierer Wallfahrt, umsomehr aber halte ich fest an der Opposition gegen diese sogenannten katholischen Priester und ihren Anhang, der nicht weiß was er will und was er soll, der mit kindischer Hand am dogmatischen und am formellen rüttelt, und der, Sie werden es sehn, der Regierung wie dem ernstgesinnten Theil der Protestanten vielen Ärger und viel Ungelegenheit bereiten wird.“ 1105

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Papst­herrschaft durch den italienischen Nationalstaat sowie die wissenschaftliche Kritik und den Liberalismus zu reagieren. Anstatt die Position der Kirche in einer sich wandelnden Gesellschaft zu festigen, brachte das Konzil das päpstliche Unfehlbarkeitsdogma, den päpstlichen Jurisdiktionsprimat sowie die Absage an die ­ eumont auch in seimoderne Wissenschaft. Damit hatte sich die Kirche, wie es R nen anonymen Laienbetrachtungen bedauerte, endgültig isoliert.1108 Dadurch war der katholischen Wissenschaft der Boden entzogen, und die liberalen Katholiken sahen sich in Deutschland um ihre gesellschaftliche Akzeptanz gebracht. So be­ eumont, dass katholische Histoklagte ­Constantin von Höfler etwa gegenüber R riker durch das Konzil selbst mundtot gemacht worden seien.1109 Und Ignaz von Döllinger erklärte das Unfehlbarkeitsdogma gegenüber Cesare Cantù zum Sieg des Protestantismus: „Déjà les Protestants ne cachent plus leur joie. Si le decret de l’infallibilité du Pape passe, ce sera un triomphe du Protestantisme dans toute l’Europe.“1110

­Reumont stand in dieser Hinsicht wie auch Franz Xaver Kraus oder ­Johannes Janssen zwischen den Fronten: Sie sahen die Notwendigkeit innerkirchlicher Reformen und versuchten eine katholische, aber dennoch kritische Geschichts­ wissenschaft zu betreiben, in der sie sich durch die Konzilsbeschlüsse eingeschränkt sahen.1111 Obgleich sie die Konzilsbeschlüsse ablehnten und inhaltlich durchaus in vielen Punkten mit den Altkatholiken übereinstimmten, lehnten sie eine Abspaltung ab, weil sie die Einheit der Kirche als wichtige Voraussetzung für einen wirksamen christlichen Einfluss auf die Gesellschaft sahen. Andererseits lehnte ­Reumont den politischen Katholizismus kategorisch ab, obwohl er mit August Reichensperger mit einer der Führungspersönlichkeiten des Zentrums in regem Kontakt stand.1112 Stattdessen hoffte er über seine direkten Kontakte etwas bewegen zu können und wandte sich persönlich an Wilhelm I.1113 In seiner Ablehnung des Ultramontanismus wie des politischen Katholizismus einerseits, wie des Altkatholizismus und der Aufhebung der weltlichen Papstherrschaft andererseits, hatten ­Reumont wie auch Kraus selbst innerhalb der katho­ lischen Publizistik einen schweren Stand. Beide berieten sich gegenseitig hinsicht 1108

Laien-Betrachtungen, Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1870. NL ­Reumont, S 1062, Höfler an ­Reumont, Nr. 103: 6. März [ohne Jahreszahl]: „Meine, wie sie gelesen haben werden, sehr gemäßigte Erklärung steht in gar keiner Beziehung zum Brand, über welchen ich mir mein Urtheil vorbehalte. Sie war nur ein Schrei der inneren Bedrängniß, in welche ich mich seit dem Erscheinen des Syllabus gesetzt fühle. In Rom scheint man gar nicht zu ahnen, daß dieses Opus horrendum die bisherigen Vertheidiger des päpstl. Rathes in Deutschland mundthot gemacht hat.“ 1110 Biblioteca Ambrosiana (Mailand): Carte Cantù, R. 9 inf., fol 6, Döllinger an Cantù, München, 12. August 1869, zitiert nach Weiß (1990), S. 220. 1111 Vgl. Weber (1981), S. 178–179. 1112 NL ­Reumont, S 1065, Reichensperger an ­Reumont, Nr. 35: Köln, 29. Juli 1873 und Nr. 48: Köln, 6. August 1878. 1113 Vgl. Hüffer (1904), S. 235–238. 1109

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lich ihrer wissenschaftlichen Publikationen. In diesem Zusammenhang brachte Kraus die Situation des Katholizismus auf den Punkt: „Da ich einen besonderen Werth auf die Sympathien des italienischen Publicums lege, ist mir Ihre so gütige Beurteilung doppelt erfreulich, sie entschädigt mich für manche Angriffe, die ich als unvermeidlich vorausgesehen, darum auch ruhig ertrage, in denen ich aber ein Symptom der fortschreitenden Zerklüftungen der Geister innerhalb des heutigen Katholicismus erblicken muss. Wir sind sehr, sehr krank!“1114

In dieser Atmosphäre beschloss ­Reumont, den Blick auf die italienischen Reformbewegungen zu richten, um daraus Lehren für die Gegenwart zu ziehen, in der der Katholizismus in Italien bedroht und in Deutschland gespalten und vom Kulturkampf gezeichnet war. Wie ­Reumont gegenüber Witte deutlich machte, war es die Furcht vor einer durch innere Spaltung erleichterten gesellschaftlichen Isolation der katholischen Kirche die ­Reumonts Bewertung der italienischen Reformer des 16. Jahrhunderts dominierte.1115 Angesichts des Gegensatzes zwischen dem Königreich Italien und dem Papsttum, hatte die protestantische Mission in den Jahren des Risorgimento tatsächlich Erfolge verbuchen können.1116 ­Reumont suchte jedoch zu erweisen, dass die christliche Verkündigung nur dann dauerhaft gewährleistet sei, wenn die kirchliche Einheit beibehalten werde, weshalb er eine innerkirchliche Reform propagierte, die vermeiden sollte, dass der Reformbedarf von den Feinden instrumentalisiert werde, um die Kirche durch Spaltung schrittweise zu schwächen. Ziel seiner Betrachtung der italienischen Reformer war es deswegen, die Notwendigkeit zu demonstrieren, das Reformwerk innerkirchlich anzustreben und eine Spaltung zu vermeiden. a) Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener Angesichts des in Deutschland tobenden Kulturkampfes und des in Italien schwelenden Gegensatzes zwischen Staat und Kirche gab ­Reumont mit den Briefen heiliger und gottesfürchtiger Italiener1117 ein Bekenntnis zum liberalen Katho­lizismus rosminianischer Prägung ab.1118 Darin sammelte er aussagekräftige Briefe frommer Italiener in Zeiten des innerkirchlichen Richtungskampfes. Die Briefauswahl wie die herangezogenen Persönlichkeiten, die von Pier Damiani über Caterina von Siena, Girolamo Savonarola und Vittoria Colonna zu Antonio Rosmini und Alessandro Manzoni reichten, waren insoweit ein eindeutiges Bekenntnis zu inner­ kirchlichen Reformen hin zu einer demütigen, sich auf die Verkündigung kon 1114

NL ­Reumont, S 1063, Fanz Xaver Kraus an ­Reumont, Nr. 71, Freiburg, 29. Juli 1883. Ebenda, S 2746, R ­ eumont an Witte, Nr. 190: Bonn, 30. Dezember 1876. 1116 Vgl. Spini (1998). 1117 Alfred von ­Reumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877. 1118 Vgl. auch die Beurteilung bei Lepper (1991), S. 435. 1115

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C. Publizistik

zentrierenden Kirche unter Beibehaltung der kirchlichen Einheit.1119 Damit bezog ­Reumont, abgesehen von seiner Denkschrift Pro Romano Pontefice, erstmals mit einer Monographie explizit Stellung zur Tagespolitik. In der Einleitung erklärt er dem Leser, durch die Erinnerung an die katholische Tradition als integralen Bestandteil der italienischen Identität auf die Fehlentwicklungen des jungen italienischen Nationalstaats aufmerksam zu machen, der gezielt den Abfall von der Kirche bzw. die Glaubensspaltung begünstige, während doch allein ein festes christliches Fundament dem Staat Stabilität geben könne.1120 Durch die Duldung einer evangelischen Missionierung werde jedoch die Autorität der Kirche untergraben und dem Atheismus Vorschub geleistet, sodass eine innerkirchliche Reform unnötig erschwert werde. Die Lehren, die R ­ eumont dabei aus der Geschichte zieht sind in dieser Hinsicht eindeutig: „Das Mittelalter hat in mehreren seiner Secten auf diesem Boden erschreckende Beispiele des Anti-Christianismus dargeboten, zu welchem die Opposition gegen das bestehende Kirchthum sich verstieg. […] Sie haben die katholische Reform, wie sie im besten Gange war, erschwert, und in Folge der aufsteigenden, unvermeidlichen Besorgnisse vor Heterodoxie gehemmt. Andererseits haben sie dem Auslande, namentlich Teutschland und Polen, an italienischen Ausgewanderten traurige Proben des Sichhinwegsetzens über alle Autorität, und einer die christlichen Grundanschauungen gefährdenden Glaubenslicenz geliefert. Durch die Erfahrung nicht belehrt […] bedrohen die heutigen akatholischen Reformatoren Italien mit ähnlichen Uebelständen.“1121

Ohne sie beim Namen zu nennen, hatte ­Reumont offenbar bei den italienischen Auswanderern, die in Deutschland und Polen eine rege Reformtätigkeit entwickelten, Lelio und Fausto Sozzini im Kopf, die im 16. Jahrhundert vor der Inquisition aus Siena flohen und in engen Kontakt zu Reformatoren wie Johannes Calvin, 1119

Behandelt wurden der Reihe nach: Pier Damiani, Caterina von Siena, Chiara Gambacorti, Luigi Marsili, Giovanni dalle Celle, Ambrogio Traversari, Erzbischof Antonin von Florenz, Feo Belcari, Costanza Ciaparelli, Girolamo Savonarola, Jacopo Sadoleto, Giovanni Guidiccioni, ­Vittoria Colonna, Giovanna d’Aragona Colonna, Caterina de’ Ricci, Maria Maddalena de’ Pazzi, Luigi Gonzaga, Antonio Rosmini und Alessandro Manzoni. 1120 Alfred von R ­ eumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877, S. XXIX–XXX: „Die beiden letzten Decennien haben den Kampf gegen die Kirche wieder entzündet. Er ist ein doppelter. Die eben aus einer radicalen Umwälzung hervorgegangene Staatsgewalt hat diesen Kampf zugleich gegen einen Theil der kirchlichen Institute gerichtet, während sie, auf politischem Gebiete, die Kirche in ihrem Oberhaupte die weit über ein Jahr­ hundert alte äußere Stellung durch eine Reihe von Gewaltstreichen entzogen hat. Die Aufhebung der geistlichen Orden und Genossenschaften und der Beschlagnahme des geistlichen Besitzthums, womit in einem Theile der Halbinsel schon im Jahre 1855, inmitten des Friedens, begonnen ward, ist das Sturmlaufen der auf den Hochschulen gehegten ungläubigen Philosophie und der vom Auslande unterstützten Bemühungen zur Zerstörung der Einheit des religiösen Bekenntnisses gefolgt. Gleichsam als hätte die Nation nicht schon schwer genug zu tragen, um auf den Trümmern ihrer bisherigen politischen Constitution den neuen einheitlichen Bau, den sie in Eile aufgeführt, zu vollenden und zu befestigen, wirft man ein Ferment in sie hinein, welches sie in ihren Tiefen umzuwühlen beabsichtigt, setzt sie der Gefahr aus, neben den vielen Schäden und Gebrechen noch das ernstlichste der Uebel, Glaubensspaltung, kennen zu lernen.“ 1121 Ebenda, S. XXX–XXXI.

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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Heinrich Bullinger und Philipp Melanchthon traten. Im Auftrag der Schweizer Reformatoren entwickelten sie eine intensive und zunächst auch sehr erfolgreiche Missionstätigkeit in Polen.1122 Um die Möglichkeit einer innerkirchlichen Reform zu erhalten und dem jungen italienischen Nationalstaat ein sicheres Fundament zu geben, müsse demnach die Einheit des Bekenntnisses gewährleistet sein. Darin folgte R ­ eumont der klassischen, von den großdeutschen Geschichtsschreibern aus dem christlichen Imperium Romanum abgeleiteten Idee, wonach die kirchliche eine Grundvoraussetzung für die staatliche Einheit sei.1123 Schließlich hatte die Forderung nach einer Überwindung konfessioneller Gegensätze im Dienste eines staatlichen Einheitsbands auch der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms IV. entsprochen, die sich dabei auf das von Novalis propagierte Ideal eines konfessionell einheitlich organisierten christlichen Mittelalters stützte.1124 Obgleich es sich insofern um eine offene Kritik an der Kirchenpolitik des Königreichs Italien handelt, stellt ­Reumont in diesem Zusammenhang auch einen Bezug zum deutschen Kulturkampf her. Nicht nur der Hinweis auf den gesellschaftlichen Schaden, den der Konflikt zwischen Staat und Kirche verursache konnte als Bezug auf die deutsche Situation verstanden werden, sondern auch der Verweis auf die Missionstätigkeit italienischer Reformatoren in Deutschland und Polen, die im Falle der Sozzinis von heftigen Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen innerhalb der reformierten Bewegung begleitet war und in Polen eine verunsicherte Bevölkerung hinterlassen hatte, bei der die Gegenreformation auf umso fruchtbareren Boden stoßen sollte. Insofern war dies auch eine Warnung an den deutschen Staat und die Altkatholiken. Gleichzeitig mahnte er jedoch auch einen besonnenen Umgang mit denjenigen an, die innerkirchliche Reformen anstrebten und kritisierte indirekt den päpstlichen Unfehlbarkeitsanspruch, indem er beispielsweise die Berechtigung von Savonarolas Reformforderungen anerkannte und das Borgia-Papsttum kritisierte, einen Märtyrer geschaffen und damit die Fronten verhärtet zu haben. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche ­ eumont anhand Savonarolas folgendes Fazit: zog R „Das Papstthum der Borgia beging den schweren und verhängnisvollen Irrthum, den Mann zum Märtyrer zu machen, der inmitten der furchtbaren Corruption und der Herrschaft der entfesselten Sinnlichkeit mit seinen Forderungen kirchlicher Reform im lebendigen Volks­ bewußtsein wurzelte, aber Kirchliches und Politisches zu sehr vermengte und vom Feuer seiner Einbildungskraft über alle vernünftigen Grenzen hinweggerissen wurde […]“.1125

Die Kirche dürfe also den Staat nicht in seinen Kompetenzen einschränken, während der Staat keinen Einfluss auf Kirchenangelegenheiten nehmen dürfe. Dieser Grundsatz war jedoch in Italien durch die staatliche Garantie des päpstlichen Be 1122 Erich Wennecker: Sozini (Sozzini, Socini), Lelio, BBKL 10 (1995), Sp. 857–859; Ders.: Sozini (Sozzini, Socini), Fausto, BBKL 10 (1995), Sp. 849–857. 1123 Vgl. etwa die Ausführungen bei Brechenmacher (1996), S. 442–449. 1124 Vgl. Frank-Lothar Kroll (1990), S. 148–149. 1125 Alfred von ­Reumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877, S. 171–172.

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sitzes, die den Papst de facto dem Staat unterstellte, wie auch durch den Kulturkampf in Deutschland offen in Frage gestellt worden. Deswegen verwies ­Reumont auf die politisch instabile Situation vergangener Zeiten, in denen Reformanliegen zur Glaubensspaltung führten und Staat und Kirche in Gegensatz gerieten. Dagegen hatte die erfolgreiche innerkirchliche Reform, wie sie zu Zeiten Pier Damianis und des Reformpapsttums vorangetrieben wurde, das Ordensleben und die Verkündigung gestärkt und die Römische Kirche unter Gregor VII. auf den Höhepunkt ihres Einflusses geführt. Während ­Reumont mit der Herausgabe dieser Briefsammlung das Königreich Italien und die evangelische Mission offen kritisierte, tadelte er indirekt auch die Politik des Papsttums sowie des deutschen Staates. Gegenüber Leopoldo Galeotti, der die Verlegung der Hauptstadt nach Rom und die Kirchenpolitik mitgetragen hatte, aber als Senator eine Aussöhnung mit dem Papsttum forderte,1126 erklärte ­Reumont: „Ho stampato una raccolta di Lettere di santi e pii Italiani, da San Pier Damiani ad Alessandro Manzoni, con introduzione e molte note storiche, raccolta principale anni fa; e fatta in gran parte nel Palazzo Capponi, dove tante volte ne ho ragionato col Marchese a cui piaceva l’idea. Volevo mostrare alla Germania, come anche in mezzo ai più serj disturbi, a guerra, scisma ed interdetto e mali d’ogni genere, rimaneva vivo in Italia l’intimo sentimento religioso di cui all’estero non si ha un’idea chiara – volevo farlo nel momento attuale, in cui ogni dove in Italia si tenta di frastornare il popolo con false dottrine, con libertà ben più grande di quella che si ebbe nella prima metà del Cinquecento; colpa grave del Vostro governo, il quale, se non aiuta, lascia fare, e ne vedrà i frutti.“1127

Für ­Reumont war es deswegen ein besonderes Anliegen dem deutschen Publikum vor Augen zu führen, dass es zahlreiche und namhafte italienische Reformer gab, die eben nicht die Abspaltung suchten, sondern die innerkirchliche Reform anstrebten, um Publikationen wie denen des evangelischen Theologen Karl Benrath oder auch Wittes Sohns Leopold entgegenzutreten, die den Einfluss des Protestantismus in Italien nach ­Reumonts Ansicht überbewerteten, indem sie den liberalen Katholizismus falsch deuteten.1128 Dabei lag es nicht in ­Reumonts Interesse mit dem Protestantismus als solchem ins Gericht zu gehen, sondern lediglich darum zu zeigen, dass der Protestantismus in Italien keine Tradition habe und es gefährlich sei, durch evangelische Missionierung das Papsttum bekämpfen zu wollen: Dies müsse in den Atheismus führen. Wie ­Reumont schon Witte hinsichtlich der Polemik um den schlesischen Kaplan Ronge und die Heilig-Rock-Wallfahrt deutlich machte, sah er die evangelische Kirche genauso wie die katholische durch einen Unglauben bedroht, der durch die fehlende Anerkennung kirchlicher Autoritäten Spaltungen provoziere. In dieses 1126

Giovanni Assereto: Galeotti, Leopoldo, DBI 51 (1998), S. 431–435. Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 632, ins. III, (7) Bonn, festa di S. Giovanni 1877. 1128 Vgl. Kapitel C. III. 2. Das Archivio Storico Italiano als Dreh- und Angelpunkt für ­Reumonts kulturelles Engagement, S. 379–381. 1127

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Bild fügte es sich, dass er für die Briefpublikation auch auf Veröffentlichungen evangelischer Historiker zurückgriff. So beruht seine Darstellung Caterinas von Siena offenbar besonders auf der entsprechenden Biographie Karl Hases,1129 aus dem Freundeskreis Wittes.1130 Hase hatte diese Biographie bereits im Jahre 1864 mit dem Anspruch verfasst, „die glänzenden Schleier hinwegzuziehen“ und „ein Urbild katholischer Frömmigkeit und mittelalterlicher Weltanschauung“ zu geben.1131 Diesem Ansatz, wichtige Gestalten der Kirchengeschichte mithilfe der historischen Kritik zu untersuchen, folgte auch ­Reumont, beispielsweise in seinen Rezensionen für das Theologische Literaturblatt. Dass Hases Darstellung von ­Reumont intensiv rezipiert wurde, hing aber auch mit den gemeinsamen Intentionen zusammen, die herausragenden Gestalten der Kirchengeschichte als Christen darzustellen und einer konfessionell verengten Betrachtungsweise zu entziehen. Hases versöhnliches Vorwort, in dem er an die gemeinsamen Wurzeln von Protestanten und Katholiken erinnerte, fügte sich schließlich ideal in R ­ eumonts Aufruf zur christlichen Eintracht. Hases Erläuterung der Relevanz Caterinas von Siena hätte so auch in ­Reumonts Briefsammlung stehen können: „… je schärfer der Kampf der Geister in der Gegenwart beider Kirchen wieder entbrannt ist, desto mehr ist uns werth vorläufig wenigstens in der Ferne der Zeiten ein Gemeinsames, grade in sehr verschiedener Weise und doch Gemeinsames anzuerkennen.“1132

­Reumont schlug mit der Briefedition in Bezug auf Glaubensfragen versöhnliche Töne an und forderte mit seiner Publikation einen Ausgleich zwischen den innerkirchlichen Reformkräften und dem Papsttum und ein geschlossenes Auftreten. Durch die Konzentration auf italienische Persönlichkeiten und die Schilderung der dortigen Zustände konnte er indirekt auch den deutschen Kulturkampf kritisieren, wo der Staat durch die Unterstützung der Altkatholiken in theologische Fragen eingriff und die konfessionelle Spaltung vorantrieb. Mit entsprechendem Enthusiasmus hatte der Zentrumspolitiker August Reichensperger die Briefedition gelesen und eine polemische gegen alle Nichtkatholiken gerichtete Rezension verfasst, mit der er den Kulturkampf noch weiter befeuerte.1133 Von den übrigen katholischen Rezensenten wurde die Briefsammlung dagegen in erster Linie als lehrreiches, Mut machendes Werk gepriesen.1134 Das dem Altkatholizismus nahe stehende Theologische Literaturblatt hob jedoch die besonderen Leistungen der italienischen Reformer hervor und nahm den roten Faden des Werkes, der von Pier Damiani zu Rosmini führte, dankbar auf und bezeichnete Letzteren, 1129

Karl Hase: Caterina von Siena. Ein Heiligenbild, Leipzig 1864; Alfred von ­Reumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877, S. 22. 1130 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 191: Bonn, 2. Juni 1877. 1131 Karl Hase: Caterina von Siena. Ein Heiligenbild, Leipzig 1864, S. XIV–XV. 1132 Ebenda, S. XVI. 1133 NL R ­ eumont, S 1065, Reichensperger an R ­ eumont, Nr. 45: Köln, 27. Juni 1877; August Reichensperger: A. v. R ­ eumont’s neueste Schrift, Literarischer Handweiser 210 (1877), Sp. 317– 320. 1134 Cölnische Volkszeitung 154 (1877); Das Vaterland [aus Luzern] 160, 14. Juli 1877.

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dessen Werke auf den Index gesetzt worden waren, als „bedeutendsten Philosoph des christlichen Italiens“ und prangerte damit das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit und den fehlenden Reformwillen Pius’ IX. an.1135 Während das altkatholische Organ nur den Teil der Botschaft, die R ­ eumont über das Zitat Rosminis zu vermitteln suchte, aufgriff, der zur Rechtfertigung der Reformforderungen der Altkatholiken dienen konnte, vermittelte der katholische Fundamentaltheologe Franz Hettinger1136 wohl den besten Eindruck von ­Reumonts Absichten. Er führte die veröffentlichten Rosminibriefe an, die dessen Reformeifer in Verbindung mit seiner Demut gegenüber dem römischen Urteil, seine Bücher auf den Index zu setzen, verdeutlichten. Diese Vorgehensweise Rosminis, das Wohl der Kirche im Auge zu behalten und sich im Zweifelfall dem römischen Urteil zu beugen, um die Einheit nicht zu gefährden, gab Hettinger dem Leser mit den folgenden Worten zum Vorbild: „Es ist gewiß, Rosmini’s Schriften sind nicht von jedem Irrthume frei; Passaglia war einer seiner eifrigsten Bekämpfer, und Theiner hatte die zwei in Rede stehenden Schriften öffentlich angeklagt. Allein auch die Ueberzeugung wird Jeder gewinnen, der obigen Brief gelesen hat: Rosmini war größer als sie.“1137

Damit hatte Hettinger eine der wichtigsten Botschaften ­Reumonts treffend auf den Punkt gebracht. Bemerkenswert an der von R ­ eumont vorgelegten Briefsammlung war jedoch auch sein Plädoyer für einen kulturgeschichtlichen Ansatz, um sowohl die Vergangenheit, wie auch die Gegenwart angemessen erfassen zu können. In der Einleitung der Briefedition wies ­Reumont nämlich auf die Notwendigkeit hin, die Betrachtung der politischen Geschichte um die Untersuchung der gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse zu ergänzen: „Indem der Blick, von den äußeren, überwiegend politischen Erscheinungen sich abwendend, sich in das innere Leben des Volkes, in Familie und Gesellschaft, in Haus und Klosterzelle vertieft, erschließt sich ihm gewissermaßen eine neue Welt, reich an Kräften und Regungen, deren Merkmale theils mit denen der Außenwelt harmonieren und ihnen zur Ergänzung, wie zur Erklärung oder zur Folie dienen, theils als Strömung unter der Oberfläche einer entgegen­gesetzten Richtung folgen, welche andere Kräfte wie andere Zustände ahnen läßt. Selbst in dunklen Jahrhunderten kann man eine innere Geschichte verfolgen, welche die ä­ ußere an Continuität übertrifft, eine Geschichte, deren Zeugnisse nicht selten deutlicher reden und zuverlässiger sind, als die Urkunden, welche uns über die Thatsachen der Welthistorie Aufschluß geben.“1138

Diese Ausführungen sollten der Leserschaft den Unterschied zwischen dem laizisti­schen italienischen Nationalstaat und der nach wie vor religiösen Bevölke 1135

Theologisches Literaturblatt, Nr. 23, 11. November 1877, S. 512–514, hier S. 514. Friedrich Wilhelm Bautz: Hettinger, Franz, BBKL 2 (1990), Sp. 794. 1137 Franz Hettinger: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Literarische Rundschau 10 (1877), Sp. 297–302, hier Sp. 302. 1138 Alfred von R ­ eumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877, Einleitung, S. V. 1136

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rung vor Augen führen. Insofern handelte es sich um eine Kritik am faktischen Nationalstaat, der in seiner Ausgestaltung nicht den Interessen der breiten Bevölkerung entspreche. Dennoch darf angesichts dieser politischen Botschaft nicht übersehen werden, dass R ­ eumonts kulturgeschichtlicher Ansatz seiner Zeit voraus war und von heutigen Forschungstendenzen bestätigt zu werden scheint.1139 b) Vittoria Colonna Nach der expliziten Parteinahme für den liberalen Katholizismus rosminianischer Prägung anhand seiner Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, griff R ­ eumont vier Jahre später in die unter deutschen Historikern heftig ausgetragene Kontroverse um die italienischen Reformer des 16. Jahrhunderts ein. Während protestantische Historiker wie Karl Benrath, aber auch ultramontane Historiker die führenden Persönlichkeiten der italienischen Frömmigkeitsbewegungen dem Protestantismus zuordneten, war es für die Vertreter eines liberalen Katholizismus von besonderer Wichtigkeit, zu erweisen, dass zahlreiche italienische Reformer eine innerkirchliche Reform anstrebten und den Boden der katholischen Rechtgläubigkeit nie verlassen haben. ­Reumonts Bekenntnis zu den heiligen und gottesfürchtigen Italienern sowie zu einem liberalen Katholizismus fußte auf der Annahme, dass diese Persönlich­ keiten sich bei aller Reformforderung stets innerhalb der Kirche befunden haben, deren Autorität in Glaubensfragen sie anerkannten. Um gegenüber der Vereinnahmung durch protestantische Historiker und der Verunglimpfung als Häretiker durch ultramontane Gelehrte den liberalen Katholizismus rechtfertigen zu können, widmete sich ­Reumont der bereits in seiner Briefedition behandelten Vittoria ­Colonna.1140 Gegenüber Galeotti stellte er sein wichtigstes Ziel wie folgt heraus: „Mi fece piacere sentire che la lettura della Vittoria Colonna Vi è piaciuta. La parte religiosa dovrebbe venire trattata un po’ sul genio in Italia, distinguendo meglio ciò che è di vero e di falso nel moto riformatore, e non lasciando la questione in Calia dei protestanti attivi assai anche nella vostra Firenze.“1141

­Reumont wollte mit der Rechtfertigung der Orthodoxie Vittoria Colonnas also nicht nur den deutschen Protestanten, sondern auch den evangelischen Missionaren in der Toskana entgegentreten, weshalb das Werk nur wenige Jahre später auch in ­ eumont auf katholischer und italienischer Sprache erschien.1142 Damit hatten sich R Benrath auf evangelischer Seite als Protagonisten einer hitzigen Kontroverse etab 1139

Vgl. dazu auch Roll (2015). Alfred von ­Reumont: Vittoria Colonna. Leben, Dichten und Glauben im XVI. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1881. 1141 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 634, ins. V, (8) Aachen, 9. Oktober 1883. 1142 Alfred von ­Reumont: Vittoria Colonna: vita, fede e poesia nel secolo decimosesto, übersetzt von Ermanno Ferrero u. Joseph Müller, Turin 1883; das Werk erfuhr eine so gute Aufnahme in Italien, dass es 1892 noch in einer zweiten Auflage erschien. 1140

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liert, an der sich die folgende Forschung noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts abarbeiten sollte.1143 Die zentrale Botschaft der Biographie Vittoria Colonnas stellte ­Reumont schon in der Einleitung explizit heraus: „… daß die anziehendsten und im Grunde bedeutendsten Gestalten sich nicht unter denen befinden, die mit der Kirche, ihrer Lehre, ihrer Autorität, ihren Traditionen gebrochen, von denen manche im Auslande zu den äußerten Consequenzen der Selbstbestimmung gelangt sind, sondern unter der Zahl solcher, welche die Reform innerhalb der Kirche angestrebt haben. Zu ihnen hat Vittoria Colonna gehört. Ihr Kreis ist es, in welchen vorliegendes Büchlein einzuführen unternimmt. Hiermit ist auch dessen Begrenzung angedeutet. Es ist keine der Hauptpersonen dieser merkwürdigen Zeit, die den Mittelpunkt bildet, sondern eine Frau von hellem Geiste und warmem Herzen, voll lebendigen Antheils an den Fragen, welche die Zeit bewegten, aber mit der Zartheit des Gefühls und der ruhigen Selbsterkenntnis, die sie in ungeheuchelter Demuth ferne bleiben ließ von aller geistigen Ueberhebung.“1144

Es ging also vorwiegend darum, schismatischen Bewegungen wie den Altkatholiken, diejenigen Persönlichkeiten, die die innerkirchliche Reform gesucht haben und die kirchliche Autorität dennoch demütig anerkannt haben als historische Vorbilder zu präsentieren und damit die liberalen Katholiken, die eine Abspaltung vermieden haben, zu rechtfertigen. Dafür räumte R ­ eumont die Fehlentwicklungen innerhalb der Kirche ein, die den Reformbewegungen Berechtigung verleihen, verwies jedoch auf die Wichtigkeit, Veränderungen nur auf der Basis des Überkommenen zu vollziehen und eine komplette Umwälzung zu vermeiden. Deswegen behauptete er gegenüber all denjenigen, die durch ihre Reformanliegen außerhalb der Kirche standen, dass die Rückkehr in den Schoß der Kirche immer offen bleibe.1145 Gleichzeitig stellte er an die evangelischen Historiker gerichtet klar, dass die italienische Reformbewegung die Ereignisse nördlich der Alpen zwar zur Kenntnis genommen habe, dass sie aber in ihrem Charakter eine rein italienische geblieben sei, die keineswegs einen Bruch mit der Römischen Kirche angestrebt habe. Nach der Betrachtung der Bewegung gelangte ­Reumont zu dem Fazit:

1143

Mario Sánchez Arsenal: Ecos de una Reforma desde dentro. Juan de Valdés, Vittoria ­ olonna y Miguel Ángel, Anales de Historia del Arte 22 (2012), S. 75–102, hier S. 78–79; BeC nedetto Nicolini: Sulla religiosità di Vittoria Colonna, Studi e Materiali di Storia delle Religioni 22, Bologna 1949–1950, S. 89–109, hier S. 91–93. 1144 Alfred von ­Reumont: Vittoria Colonna. Leben, Dichten und Glauben im XVI. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1881, S. VIII. 1145 Ebenda, S. 125: „Wie schlimm immer die Sünden des Papstthums, wie groß die seit dem Beginn der Opposition, namentlich von Clemens VII. begangenen Fehler sein mochten, welche dazu beigetragen haben, dieser Opposition das Oberwasser zu geben: der Wunsch der Versöhnung ist immer auf katholischer Seite lebendig gewesen. Das Papstthum hat auch immer, wo es sich um die Auseinandersetzung mit den sehr verschiedenartigen Gegnern handelte, die umfassendere, in gewisser Sicht weitherzigere Auffassung an den Tag gelegt, die ein Erbtheil seiner Weltstellung war, mochte es immerhin das Bestehende und Ueberkommene gegenüber der Umwälzung vertheidigen.“

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„Man muß sich hüten, diese Bewegung vorzugsweise auf Rechnung der transalpinischen zu setzen. Sie ist vom katholischen Boden ausgegangen; sie ist bei der größeren Zahl derer die sich an ihr betheiligten, innerhalb der katholischen Schranken geblieben, und bei Manchen die diese Schranken überschritten, ist daran nur der Rigorismus schuld gewesen, der Verständigung unmöglich zu machen und Rückkehr wie Versöhnung abzuschneiden schien.“1146

Als namhafter Kenner der italienischen Geschichte genoss R ­ eumonts Publikation eine große Aufmerksamkeit im deutschsprachigen Raum und lieferte katholischen Autoren eine dankbare Argumentationsgrundlage im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Reformideen und der Frage nach der Reformierbarkeit der Kirche. ­ eumonts Vittoria Colonna mit größtem Constantin von Höfler etwa hatte nicht nur R Interesse gelesen, sondern dessen Veröffentlichungen auch bei seiner Publikation Die romanische Welt und die Reformideen des Mittelalters1147 intensiv studiert und ­Reumonts Beratung in Anspruch genommen.1148 Mit seiner Briefedition heiliger und gottesfürchtiger Italiener und seiner anschließenden Biographie Vittoria Colonnas, für die er vor allen Dingen auf die Archivrecherchen seines alten Bekannten Scipione Volpicella in Neapel zurückgreifen konnte,1149 bediente ­Reumont in Zeiten des Kulturkampfes wie der Bedrängnis des Papsttums durch das Königreich Italien, die damals schwierige Argumentation liberaler Katholiken sowohl in Deutschland als auch Italien. Anhand der italienischen Reformer innerhalb der Kirche sollte erwiesen werden, dass eine innerkirchliche Reform möglich ist, zugleich aber die Reformer im Interesse der kirchlichen Einheit stets die kirchliche Autorität anerkannt haben. Genau darin liege die Stärke der liberalen Katholiken in Italien, während das Papsttum missachte, dass das Aufschieben notwendiger Reformen, verbunden mit einem unnötig autoritären Auftreten nördlich der Alpen stets ins Schisma geführt habe. Mit diesen beiden Veröffentlichungen hatte ­Reumont ein persönliches Bekenntnis zum liberalen Katholizismus rosminianischer Prägung abgegeben, das sowohl von päpstlicher Seite als auch von den Reformern Demut und Versöhnungsbereitschaft im Dienst der christlichen Sache verlangte. In der Auswahl von Gestalten wie Vittoria Colonna und Rosmini selbst forderte er die Zurückstellung persönlicher Ambitionen zugunsten eines ge-

1146

Ebenda, S. 233. Außerdem haben viele Anhänger dieser Bewegung die Tragweite gar nicht erkannt, wie R ­ eumont weiter ausführt: „Die Marchesa von Pescara und ihre Verwandten und Freundinnen welche Ochino’s Predigten anhörten, hatten keine Ahnung von einer Gefahr die darin für sie liegen könnte, ebensowenig wie die Tausende und aber Tausende, die dem populären Redner in allen Theilen der Halbinsel zuströmten.“ 1147 Konstantin von Höfler: Die romanische Welt und ihr Verhältnis zu den Reformideen des Mittelalters, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften Wien, phil-hist. Kl., 91, 1878. 1148 NL ­Reumont, S 1062, Höfler an ­Reumont, Nr. 116: Prag, 24. Oktober 1878; Nr. 117: Prag, 21. Dezember 1878; Nr. 125: Prag, 8. Dezember 1881; Nr. 125a: Prag, 3. Mai [ohne Jahreszahl]; Nr. 125c [ohne Datum]. 1149 NL ­Reumont, S 1067, Volpicella an ­Reumont, Nr. 80: Neapel, 8. Juni 1881.

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meinsamen Engagements für eine christliche Erneuerung der Gesellschaft. Damit verwies er auf das katholische Wesen italienischer Reformbewegungen, die er den Altkatholiken zum Vorbild gab, während er zugleich die Römische Kirche ermahnte, die Reformforderungen ernst zu nehmen. Eine Stärkung des christlichen Elements, so die Botschaft, funktioniere nur durch Reformen auf Grundlage der althergebrachten Fundamente, während Umbruch und Abspaltung das Christentum in der Gesellschaft marginalisiere. R ­ eumonts Loyalität zum Haus Hohenzollern wie zum Papsttum und seine inhaltliche Sympathie mit den Altkatholiken erlaubten ihm keine offene Stellungnahme. Deshalb wählte er entweder die Anonymität der Laien-Betrachtungen oder bekannte Persönlichkeiten der italienischen Geschichte, um seine Kritik an den zeitgenössischen Verhältnissen anzubringen. 5. Die Vergangenheit im rechten Licht Nach seiner diplomatischen Karriere und dem Tod seiner wichtigsten italieni­ eumont zunehmend den schen Bezugspersonen Vieusseux und Capponi, verlor R unmittelbaren Bezug zur politischen Situation Italiens. Zwar blieben seine Kontakte zu führenden Vertretern der Destra Storica, wie beispielsweise den Senatoren Leopoldo Galeotti und Marco Tabarrini, mit denen er sich noch über politische Themen austauschte, allerdings beschränkte sich der Dialog vor allem auf gegenseitige Klagen über die seit 1876 amtierende linksliberale Regierung. ­Reumont sah sich darin bestätigt, dass die Moderati einer Entwicklung Vorschub geleistet haben, die sie nun nicht mehr unter Kontrolle hatten. Diese erneute Annäherung wird insbesondere im Briefwechsel mit Leopoldo Galeotti deutlich: Mit dem Jahr 1876 beinhalten die Briefe wieder verstärkt politische Themen, die zuvor aufgrund der Meinungsverschiedenheiten über das Zustandekommen des Nationalstaates nur sehr defensiv behandelt wurden. Parallel dazu stand ­Reumont zwar noch in regelmäßigem Kontakt zum Hause Hohen­zollern und dessen Umfeld sowie zu führenden Zentrumspolitikern wie ­August Reichensperger oder Johannes Janssen, allerdings fanden seine politischen Einschätzungen seit dem Tode Friedrich Wilhelms IV. keine Berücksichtigung mehr, während er den politischen Katholizismus, wie ihn das Zentrum vertrat, ablehnte. Ihm blieb allein die Publizistik, um Aufmerksamkeit zu erregen. Bereits kurz nach dem Ende seiner diplomatischen Laufbahn hatte es ­Reumont unternommen, den unter Bruch internationaler Verträge zustande gekommenen italienischen Einheitsstaat als gegen die historischen Interessen, wie auch gegen die Vorstellung führender Persönlichkeiten des Risorgimento gerichtet zu kritisieren, indem er dem deutschen Leser prominente Zeitgenossen der jüngeren italienischen Geschichte mit ihren politischen Ansichten vorstellte. Ziel dieser Biographien war es zu zeigen, dass ­Reumont sich in seiner Analyse der politischen Situation Italiens auf prominente Persönlichkeiten des Risorgimento stützen konnte, die mit ihrem Engagement andere Ziele verfolgten als Cavour. R ­ eumont hatte mit den im Jahre

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1862 veröffentlichten Zeitgenossen1150 begonnen, sein persönliches Italien anhand seiner eignen Kontakte zu schildern und zu analysieren. Während die ausführliche Biographie Cesare Balbos, die den kompletten ersten Band umfasst, als Rechtfertigung des moderaten Programms diente, konnte die Auswahl der Persönlichkeiten, zu denen neben dem conte Cesare Balbo und dem römischen principe Giulio Cesare Rospigliosi Pallavicini unter anderem auch der führende Genealoge conte Pompeo Litta gehörte, als Hervorhebung des adligen Führungsanspruchs verstanden werden. ­Reumont verstand es, die Verfechtung seiner politischen Ansichten mit der Selbstverherrlichung des italienischen Adels zu verbinden, der nach der Gründung des Nationalstaates intensiv daran arbeitete, seine Rolle bei der Schaffung des Königreichs Italien ins rechte Licht zu rücken und seine Vorrechte in Staat und Gesellschaft mithilfe der Geschichte und Genealogie zu legitimieren. Neben der Anführung der Verdienste um das Vaterland ging es der historiographischen liberalkonservativen Schule um Persönlichkeiten wie Antonio Manno oder Carlo und Domenico Promis, mit denen sich ­Reumont allesamt austauschte, darum, die Aufrichtigkeit, Frömmigkeit und Loyalität ihrer Vertreter herauszustellen.1151 ­Reumont nutzte diesen Anspruch adliger Tugenden, um ihn der von konservativen Kreisen als intrigant und gottlos dargestellten Nationalpolitik Cavours gegenüberzustellen und dadurch nachzuweisen, dass der italienische Adel aus Ehrenmännern bestehe, die die von Cavour eingeleitete Kirchenpolitik nicht billigten. Deswegen unterstützte ­Reumont deren Führungsanspruch, indem er unter Bezug auf Balbo erklärte: „Das goldene Buch, sagt er, muß immer offenbleiben – ein ebenso großer Irrthum aber wie dessen Schließung, ist der Versuch es zu verbrennen. Ich sage der Versuch: denn in der Ausführung ist’s unmöglich; denn kein Gesetz und kein Decret vernichtet die Geschichte und die großen nationalen Erinnerungen, die mit den großen Namen verwachsen sind.“1152

Diese großen Namen seien jedoch von Cavour getäuscht worden und hätten damit eine Politik unterstützt, die zum Teil ihren eigenen Interessen zuwiderlaufe. In Anbetracht der von ihnen verkörperten Tugenden warb ­Reumont deshalb dafür, dass den Adligen der ihnen aufgrund ihrer Verdienste und Tradition zukommende Einfluss zuteil werde. ­Reumonts weitreichende Kontakte zum italienischen Adel sowie zu Archivaren und Genealogen verschafften ihm nicht nur das notwendige Quellenmaterial für seine Biographien führender Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, sondern auch das theoretische Rüstzeug adliger Geschichtsschreibung.1153 ­Reumont, der über seine weitreichenden Kontakte an zahlreichen Höfen und zu verschiedenen Adelsfamilien mit dem Adelsethos bestens vertraut war, genoss dabei das Vertrauen 1150

Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken, 2 Bde., Berlin 1862. Zur Selbstdarstellung des Adels und der liberalkonservativen Schule vgl. auch Cavicchioli (2011), S. 167–169; Levra (1992); Clemens (2004), S. 265–267 u. 308–309. 1152 Alfred von ­Reumont: Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken, 2 Bde., Berlin 1862, hier Bd. 1, S. 370. 1153 Vgl. Cavicchioli (2011), S. 167–169; Clemens (2011). 1151

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C. Publizistik

der Angehörigen derjenigen Persönlichkeiten, denen er sich widmete. Bereits Prospero, der Sohn Cesare Balbos hatte R ­ eumont bei der Abfassung des Charakterbildes ­Cesares gern unterstützt, in der Gewissheit, dass ­Reumont Prosperos Vater in güstigem Licht erscheinen lassen werde. Auf R ­ eumonts Anfrage, eine Biographie über Cesare Balbo verfassen zu dürfen und dessen Schriften zur Verfügung gestellt zu bekommen, antwortete Prospero unter anderem: „Vous pourrez faire l’usage qu’il vous plaira de ces écrits et si quelqu’autre chose pourrait vous intéresser je serais bien aise de pouvoir vous la fournir car sous le point de vue duquel vous partez dans l’ouvrage que vous faites, je suis sûr que mon père sera mieux compris et mieux connu de ce qu’il aurait été dans beaucoup d’autres […] et auxquels je n’ai rien voulu communiquer parce qu’ils ne le comprenaient pas ou qu’ils voulaient le faire croire […] les idées qui tout actuellement [sont] le malheur de notre pays.“1154

­Reumonts Überzeugungen, die weitgehend denen der toskanischen Moderati bis in das Jahr 1848 hinein entsprachen, waren in Italien bekannt und weckten beim liberalkonservativen Adel offenbar das Vertrauen, dass R ­ eumont ihrem Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und Rechtfertigung innerhalb des Risorgimento entsprechen würde.1155 In den 1870er Jahren unternahm es ­Reumont schließlich, all denjenigen Persönlichkeiten ein Denkmal zu setzen, die mittlerweile verstorben waren und in den Jahren der Nationalstaatsgründungen andere Ziele verfolgt hatten. Mit seiner Sammlung von Kurzbiographien unter dem Titel Biographische Denkblätter1156 stellte ­Reumont eine Auswahl von Persönlichkeiten aus Politik und Kultur vor, die er im Laufe seiner diplomatischen und schriftstellerischen Karriere persönlich kennengelernt hatte. So nutzte ­Reumont das Genre der Lebensbilder, um ihm persönlich wichtige Zeitgenossen dem Lauf der Zeitgeschichte entgegenzustellen. Dem Anspruch Rankes folgend, auch den Oppositionen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,1157 nahm er sich derjenigen Personen an, die aus unterschiedlichen Gründen in ihren Positionierungen und ihrem Handeln dem Lauf der Geschichte scheinbar entgegen gestanden hatten oder von denen seiner Ansicht nach in der öffentlichen Wahrnehmung ein unvollständiges Bild gepflegt wurde.1158 Dabei behandelte er Persönlichkeiten wie Königin Elisabeth von Preußen, Louise von Bourbon, die Herzogin von Parma, Marquis von Normanby, der im britischen Parlament für die Aufrechterhaltung des Legitimitätsprinzips zugunsten der in Italien regierenden Dynastien eingetreten war, oder Don Carlo Filangieri, den principe di Satriano, der im Dienste Ferdinands II. von Neapel-Sizilien gestanden hatte. Hinzu kamen Denkmäler für Akteure aus dem Kulturbereich, wie Johannes Gaye, der mit seinem 1154

NL ­Reumont, S 1058, Prospero Balbo an R ­ eumont, Nr. 81: Tour de Bairo, 2. Januar 1861. Vgl. Cavicchioli (2011), S. 187. 1156 Alfred von ­Reumont: Biographische Denkblätter. Nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878. 1157 Loriga (2012), S. 82. 1158 Vgl. etwa die Einschätzung Oscar Brownings in The Academy, 10. Mai 1879, S. 406–407 oder des Rezensenten des Deutschen Literaturblattes, Nr. 2, 15. April 1879, S. 9–10. 1155

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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Carteggio inedito d’Artisti als Wegbereiter für die weitere kunsthistorische Forschung, insbesondere hinsichtlich der Künstlerbiographik, gelten konnte, jedoch wegen seines frühen Todes keine größere Berühmtheit außerhalb der Fachwelt erlangt hatte. In diese Kategorie gehörte auch Francesco Bonaini, der unter Großherzog Leopold II. mit der Neuordnung der toskanischen Archive nach dem Vorbild ­Gachards und Böhmers beauftragt worden war, diese Arbeit auch nach der Nationalstaatsgründung gegen manche Widerstände fortgesetzt hatte und mit seinen Arbeiten zu toskanischen Städteordnungen auch in der deutschen Wissenschaft rezipiert wurde.1159 Der Überblick über die verstorbenen Bekannten R ­ eumonts endet mit dem conte Federigo Sclopis, der an der Redaktion des Statuto Albertino beteiligt und im Kabinett Balbo Justizminister gewesen war. ­Reumont bezeichnet ihn als letzten Repräsentanten der aristokratischen Tradition in Turin und bedauert, dass nicht ihm sondern Siccardi die Aufgabe zukam, das Verhältnis zum Papsttum gesetzlich zu regeln.1160 Ohne die leggi Siccardi und die damit eingeschlagene Ausrichtung der Nationalbewegung unter piemontesischer Führung in Konfrontation zum Papsttum, wäre es ­Reumont deutlich leichter gefallen, seinen Frieden mit dem Königreich Italien zu machen. Dementsprechend wies er darauf hin, dass Sclopis die Septemberkonvention als den wahren Interessen Italiens zuwiderlaufend abgelehnt hatte.1161 Dennoch ging R ­ eumont in seinen letzten Lebensjahren dazu über, führende Gestalten des Risorgimento, die er in jüngeren Jahren noch heftig kritisiert hatte, versöhnlicher zu beurteilen. Im letzten Teil seiner biographischen Memoiren, den ­ eumont zwar keiCharakterbildern aus der neueren Geschichte Italiens1162 lässt R nen Zweifel an seiner Ablehnung der Politik Terenzio Mamianis oder Bettino Ricasolis, jedoch berichtet er dem Leser auch von ihren Talenten und Vorzügen, während er ihre Fehler zum Teil aus den zeitgenössischen Umständen heraus zu erklären versucht. In dieses Programm, die Gesellschaft, in der ­Reumont Karriere gemacht hatte, vor der Geschichte zu rechtfertigen ist auch seine groß angelegte Biographie ­Friedrich Wilhelms  IV. einzuordnen.1163 Diese Darstellung basierte auf den persönlichen Tagebüchern ­Reumonts, die er nach der Abfassung der Monographie vernichtet hatte. Insofern handelt es sich um eine Schilderung des Königs mit seinem ­ eumonts, wie er sie veröffentlicht wissen weiteren Umfeld aus den Erinnerungen R 1159

Zu Bonainis Bedeutung als Archivar vgl. Lodolini (2006), S. 173–183. Bonaini folgte dem Provenienzprinzip und versuchte, die Archive nach den alten Verwaltungsstrukturen zu ordnen. Dies lief dem zentralistischen Ansatz des jungen Nationalstaates entgegen. Allerdings standen dahinter bei Bonaini keine politischen Intentionen, sondern allein archivfachliche Überlegungen. Heutzutage hat sich das Provenienzprinzip in den meisten Archiven gegen das Pertinenzprinzip durchgesetzt. 1160 Alfred von ­Reumont: Biographische Denkblätter. Nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878, S. 435–439. 1161 Ebenda, S. 447. 1162 Ders.: Charakterbilder aus der neueren Geschichte Italiens, Leipzig 1886. 1163 Ders.: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885.

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C. Publizistik

wollte. Seine Beurteilungen von Persönlichkeiten und politischen Entscheidungen sind dabei stark von politischen Rücksichten auf seine Rolle als loyaler Vertrauensmann des Königs geprägt und weichen an zahlreichen Stellen von ­Reumonts Be­ eumonts urteilungen ab, die in seiner Briefkorrespondenz zum Vorschein kamen. R Ziel war die Rechtfertigung des Königs und die Darstellung seiner eigenen Person als dessen enger Vertrauter. Die darin gegebenen politischen Lagebeurteilungen entsprechen dieser Zielsetzung, sodass R ­ eumont durchweg als Altkonservativer und Legitimist im Gefolge des Königs erscheint. Dass R ­ eumont bis ins Jahr 1848 hinein durchaus keine strikt legitimistischen Prinzipien verfolgt hatte und damals noch eine piemontesische Annexionspolitik begrüßte, wird daher in der Darstellung an keiner Stelle deutlich. Insofern dient das Werk allein der Glorifizierung des Königs sowie ­Reumonts als dessen loyaler Vertrauter, ist jedoch für seine tatsächlichen politischen Ansichten während seiner diplomatischen Laufbahn nur mit entsprechender Vorsicht heranzuziehen. Denn er stellte sich darin so dar, wie er im Nachhinein gesehen werden wollte, nicht wie er damals wirklich gedacht hatte.

6. Fazit In seinen historischen Arbeiten vollzog R ­ eumont eine eng an seine persönlichen Erfahrungen geknüpfte Entwicklung: Er begann seine publizistische Tätigkeit mit vom Fortschritts- und Wissenschaftsglauben inspirierten reinen Datensammlungen, mit denen er einen Beitrag zur besseren Untersuchung der gesellschaftlichen Zustände zu liefern beabsichtigte. Nachdem die politischen Entwicklungen eine christliche Erneuerung der Zivilgesellschaft behinderten und R ­ eumont zahlreiche Geburtsfehler des italienischen Nationalstaates ausgemacht hatte, widmete er sich vornehmlich der Memoirenliteratur, um das tatsächlich Erreichte den ursprüng­ lichen Zielen prominenter Moderati entgegenzustellen und auf Fehlentwicklungen hinzuweisen. Das entscheidende Merkmal blieb dabei durch die Jahre hinweg die außerordentliche Fülle von bis dato weniger bekannten Materialen und lokalen Details. Seine erste Publikation, die Tavole cronologiche, verstanden sich dabei als eine Hilfestellung und ein Einstieg für Forschungen zur toskanischen Geschichte, der sich sowohl an Ausländer wie an Toskaner richtete und bis heute, trotz mancher überholter Daten, einen ersten Überblick bietet. Die Römischen Briefe von einem Florentiner waren dagegen in erster Linie an das gebildete, an Italien interessierte deutschsprachige Publikum gerichtet. Nach den überaus beliebten Korrespondenzen für das Morgenblatt und die Augsburger Allgemeine Zeitung veröffentlichte R ­ eumont seine Daten- und Denkwürdigkeitensammlung in separater Form, um eine Art Reiseführer zu bieten, der nicht nur die Neugier des Lesers stillen, sondern ihn zudem mit interessanten Statistiken versorgen sollte, die eine Diskussionsgrundlage zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Zustände darstellten. In enger Zusammenarbeit mit seinen italienischen Kontakten, die ihn mit den entsprechenden Informationen versorgten,

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verfolgte ­Reumont insoweit das Ziel, das von den Moderati mithilfe wissenschaftlicher und statistischer Erkenntnisse propagierte Reformprogramm als vorbildhaft hervorzuheben und zugleich die von zahlreichen Reiseführern kritisierte mangelhafte Verwaltung des Kirchenstaates unter Verweis auf die dortigen strukturellen Probleme zu entlasten. In seinem Lob der vorbildhaften Toskana für die übrigen italienischen Regionen propagierte er das politische Reformprogramm der Moderati, an dem sich wenige Jahre später auch Mittermaier in seinen Italienischen Zuständen orientieren sollte.1164 Nach der Anleitung durch führende Wissenschaftler wie Leopold von Ranke sowie den führenden Vertretern der Künstlerbiographik im Umfeld von Schorns Kunstblatt wagte sich R ­ eumont auch bald selbst an eigenständige historische Biographien. Nach seinen ersten Versuchen wandte er sich mit den Medici einem naheliegenden Thema zu. Einerseits folgte er dabei dem Vorbild der rankeschen integrativen Biographie, indem er in erster Linie ein Zeitbild schuf, in dessen Rahmen das biographische Element gewissermaßen als „Zoom“ innerhalb des Toskanaporträts erscheint, andererseits verfolgte er stets auch persönliche und politische Zwecke. Der Detail- und Materialreichtum, über den er durch seine umfassende Kenntnis der zeitgenössischen Literatur zur italienischen Geschichte sowie der dortigen Archivsituation verfügte, machte die beiden Biographien über Caterina de’ Medici sowie Lorenzo il Magnifico zu von der internationalen Fachwelt gelobten Monographien zur toskanischen Geschichte, die eine wichtige Ausgangsbasis für weitere internationale Forschungen bildeten. Die dahinterstehende Absicht war es, ein breites Publikum auf das herausragende historische Erbe aufmerksam zu machen und zu weiteren Forschungen zu animieren. Ganz im Sinne seiner toskanischen Bekannten verzichtete er dabei auf die international übliche Polemik gegen Caterinas Umfeld in der rinascimentalen Toskana, um stattdessen die positiven und interessanten Seiten hervorzuheben, wie er auch in der Widmung an die Principessa di Rospigliosi deutlich machte. Insofern nutzte ­Reumont seine historischen Arbeiten nicht nur, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Toskana zu lenken, sondern auch als Ergebenheitsgeste gegenüber hochstehenden Persönlichkeiten. Hinzu kamen allerdings auch politische Lehren, die ­Reumont beiläufig aus der Geschichte zog. Es handelte sich bei seinem Lorenzo il Magnifico nicht nur um eine von Gino Capponi inspirierte Arbeit, die auf dessen intensiver Unterstützung beruhte und Werbung für die Blütezeit der Toskana machen sollte, sondern auch um den Versuch, das reiche Materialangebot mit der Vermittlung der Geschichtsdeutung der Moderati zu verbinden. So hob sich die Darstellung R ­ eumonts deutlich von übrigen zeitgenössischen deutschsprachigen Arbeiten zu dem Thema ab, indem sie nicht nur das Mäzenatentum der Medici lobte, sondern zugleich die entschlossene Unterwerfung des Patriziats sowie das brutale Vorgehen gegen die Opposition kritisierte und damit deutlich machte, dass die Medici dem Ideal der freiheitlichen Stadtrepublik 1164 Vgl. Kapitel C. III. 1. ­Reumonts historische Italienkorrespondenz in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 341–342.

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C. Publizistik

nicht gerecht geworden sind und insofern ihre kulturellen Leistungen nicht über ihre politischen Fehler hinwegtäuschen können. War es in erster Linie der große Materialreichtum, der R ­ eumont in der internationalen Öffentlichkeit zu einem führenden Experten für die Geschichte der Toskana seit dem Rinascimento machte, bot sich seine Prominenz bald auch an, um konkrete politische Auftragsarbeiten durchzuführen. In diese Kategorie gehört seine Geschichte der Stadt Rom, die er im Auftrag König Maximilians II. von Bayern als katholisches Gegenstück zu Gregorovius’ Werk angefertigt hatte. Das Hauptanliegen war es, über die Erzählung der römischen Geschichte als Geschichte des Papsttums dessen historische Berechtigung zu erweisen. Einerseits sollte der Antikenrezeption Arnaldo da Brescias und Cola di Rienzos entgegengetreten werden, durch deren „Entheroisierung“ sowohl Mazzini als auch Cavour die historische Argumentationsgrundlage für ihre Kirchenpolitik entzogen werden sollte. Andererseits diente die Kritik an den persönlichen Verfehlungen einzelner Päpste in Verbindung mit der Verherrlichung des Reformpapsttums der Unterstützung liberal-katholischer Forderungen nach innerkirchlichen Reformen. Die Kritik an Ottonen und Staufern sowie die unverhohlene Sympathiebekundung für den Lombardenbund stellten eine deutliche Parteinahme für eine italienische Unabhängigkeit in enger Verbindung mit einem reformfähigen Papsttum dar. Mit seiner liberal-katholisch-nationalen Stoßrichtung sollte das Werk sowohl nördlich als auch südlich der Alpen die Vereinbarkeit eines reformfähigen, unabhängigen Papsttums mit einem christlichen italienischen Nationalstaat untermauern, um in der deutschen Öffentlichkeit dem liberalen und protestantischen Verdikt eines unreformierbaren Papsttums als Hindernis auf dem Weg zu einem modernen, liberalen Nationalstaat entgegenzutreten,1165 während in der italienischen Öffentlichkeit eine Alternative zu Cavours libera Chiesa in libero Stato in die Diskussion einge­ eumont den reaktionären Kreisen entgegen, die bracht werden sollte. Damit trat R ein absolutistisches, streng hierarchisches Papsttum benötigten, um den liberalen Nationalstaat wie auch die Moderati als unchristlich diffamieren zu können.1166 Obgleich die Moderati keineswegs unchristlich waren und eine Aussöhnung zwischen liberalem Nationalstaat und Papsttum bevorzugten, schien ihnen im Gegenzug nichts anderes übrig zu bleiben, als den kirchlichen Einfluss auf den Nationalstaat durch den Entzug weltlicher Besitz­titel zu beschränken und die kirchliche Freiheit dem Staat zu unterstellen. ­Reumont versuchte indes durch den Blick auf die Geschichte die Anpassungs­fähigkeit des Papsttums in sich ändernden politischen Konstellationen, und dessen grundsätzliche Reformierbarkeit zur Stärkung der christlichen Verkündigung in der Gesellschaft zu erweisen. Vor diesem Hintergrund sollte die Kirche frei und vom Staate unabhängig sein und keinen direkten

1165

Selbst in liberal-katholischen Kreisen wurde die Reformierbarkeit des Papsttums in Zweifel gezogen. – Vgl. Brechenmacher (2008), S. 55–59. 1166 Zur Instrumentalisierung der Religion von konservativer Seite gegen die Moderati vgl. auch Caruso (2017), S. 69, 189 u. 437–442.

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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Einfluss auf die Gestaltung des Staates nehmen. Stattdessen sollte eine glaubwürdige Kirche die Zivilgesellschaft prägen und damit den Staat nicht von oben, sondern aus der Gesellschaft heraus prägen. Tatsächlich erhielt das Werk ­Reumonts unter seinen Zeitgenossen eine insgesamt durchaus positive Kritik, wenngleich seine Interpretation der Geschichte der Stadt Rom als Papstgeschichte naturgemäß nicht ohne Widerspruch blieb. Neben liberal-katholischen Kreisen selbst, nahmen insbesondere die Civiltà Cattolica wie auch protestantische Rezensenten ­Reumonts Werk dankbar als Gegenentwurf zu Gregorovius’ dezidiert kirchenkritischer Darstellung zur Kenntnis. So führte ­Reumonts Parteinahme für die italienische Nation durch eine Glorifizierung des Lombardenbundes wie einer Kritik der Ottonen und Staufer dazu, dass Teile der italienischen Leser seine Version derjenigen der kaiserfreundlichen Darstellung Gregorovius’ vorzogen. Letztlich verhinderte jedoch der Gang der Geschichte einen langfristigen Erfolg von ­Reumonts Werk. Wenngleich nach der Einnahme Roms dessen versöhnlicher Ton gegenüber dem Papsttum angesichts einer angestrebten Versöhnung mit dem Nationalstaat zeitweise politisch opportun war, konnte der Fall Roms ­ eumonts Geschichtsdeutung betrachtet werden. langfristig als Widerlegung von R Auch angesichts des in Deutschland ausgebrochenen sogenannten Kulturkampfes1167 setzte ­Reumont seine Werbung für innerkirchliche Reformen fort und erklärte dem deutschen Publikum anhand seiner Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener sowie seiner Vittoria Colonna, dass der katholische Glaube stets ein fester Bestandteil der italienischen Identität gewesen sei und auch die Reformer des 16. Jahrhunderts meist innerkirchliche Reformen angestrebt haben. Dadurch hoffte er zeigen zu können, dass die in Italien vorexerzierte Unterstellung der Kirche unter den Staat keineswegs den italienischen Traditionen und Bedürfnissen entspreche und folglich auch kein gutes Beispiel für den deutschen Staat liefern könne. Ohnehin verwies er gegenüber Bekannten darauf, dass die Italiener immer noch religiös eingestellt seien und die Kirche in der italienischen Gesellschaft ungeachtet der Spannungen zwischen Papsttum und Nationalstaat, dennoch eine höhere Anerkennung erfahre als in Deutschland.1168 Trotzdem hielt er die Entwicklung des italienischen Nationalstaates als ungeeignet, dem italienischen Volk gerecht zu werden. In dieses Bild fügen sich auch ­Reumonts späte Arbeiten zur toskanischen Geschichte. Bestach der erste Band seiner Geschichte Toscana’s durch den bewährten Material- und Detailreichtum, der ihm selbst die Anerkennung seiner schärfsten Kritiker einbrachte, so wurde der zeitgeschichtliche Teil, für den sich R ­ eumont die Genehmigung des exilierten Großherzogs Ferdinand IV. eingeholt hatte, zum

1167

Die Bezeichnung als „Kulturkampf“ stammt aus der protestantischen, antikatholischen Polemik und wurde erstmals vom liberalen protestantischen Pathologen Rudolf Virchow in einer Rede vom Februar 1872 vor dem preußischen Abgeordnetenhaus benutzt. Vgl. Otto Pflanze: Bismarck, der Reichsgründer, München 1997, S. 718; Clark (2008), S. 651. 1168 Pastor (1899), Bd. 2, S. 129.

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C. Publizistik

Gegenstand heftiger Kritik, weil er darin die Politik der Moderati als verfehlt kritisierte und das Handeln Leopolds II. in Teilen entschuldigte. Die Konfliktlinie zu den Moderati wurde noch einmal in den unterschiedlichen Capponi-Biographien ­Reumonts und Tabarrinis deutlich: Während Tabarrini für das italienische Publikum die tragende Rolle der toskanischen Moderati auf dem Weg zum italienischen Nationalstaat hervorhob, um daraus eine natürliche Füh­ eumont dem rungsrolle in der gegenwärtigen Situation abzuleiten, verdeutlichte R deutschen Publikum, dass die ursprünglichen Ziele der Moderati hinsichtlich der toskanischen Autonomie und einer christlichen Erneuerung der Zivilgesellschaft nicht verwirklicht wurden und Capponi der Kirchenpolitik des Nationalstaates skeptisch gegenüberstand. Tabarrini hatte die Rolle der Moderati im gegenwärtigen Königreich Italien im Blick, R ­ eumont dagegen haderte mit der gescheiterten Politik der Moderati, unter deren Folgen der liberale Katholizismus nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland zu leiden hatte. Seine späteren Lebensbilder sowie seine Biographie Aus Friedrich Wilhelms gesunden und kranken Tagen dienten in ­Reumonts letzten Jahren lediglich einer Rechtfertigung seiner eigenen Ansichten sowie seiner Bekannten. ­Reumont hatte es durch seine weitreichenden Kontakte wie seine im Laufe der Jahre erworbene umfassende Kenntnis der italienischen Archivsituation wie auch der internationalen Literatur vermocht, aufsehenerregende historische Arbeiten zur italienischen Geschichte zu verfassen, die von Anfang an den politischen Geist der toskanischen Moderati atmeten. Durch den Gang der Ereignisse, der die zuvor erhoffte christliche Erneuerung der Zivilgesellschaft, wie sie auch ein großer Teil seiner toskanischen Bekannten gefordert hatte, sowohl in Italien als auch in Deutschland unmöglich erscheinen ließ, verlegte sich R ­ eumont zunehmend auf eine politische Memoirenliteratur. Sein Ruf als ausgewiesener Italienkenner verschaffte dabei seinen Publikationen eine entsprechende Aufmerksamkeit. Auffällig ist dabei R ­ eumonts eng an den zeitgenössischen Entwicklungen und persönlichen Erfahrungen orientierte Schwerpunktverschiebung. Während der vornationalstaatlichen Zeit verfolgte er in erster Linie strukturgeschichtliche Ansätze, in der Hoffnung durch das intensive Studium von Strukturen und Statistiken die Grundlage für den gesellschaftlichen Fortschritt im Sinne der Moderati sowie der christlichen Zivilgesellschaft legen zu können. Dieser ganzheitliche struktur­ geschichtliche Ansatz wird schließlich (paradoxerweise) auch noch in seiner wohl besten Biographie in seinem Lorenzo il Magnifico deutlich, in dem es die Zeitumstände und Strukturen sind, die den Protagonisten hervorbringen und in seiner individuellen Bedeutung zugleich einschränken. Der enttäuschende Gang der Ereignisse, der dazu führte, dass die Nationalstaaten nicht als Förderer einer christlichen Erneuerung auftraten, sondern durch den Missbrauch kirchlicher Traditionen durch die reaktionären Feinde des Nationalstaates attackiert, vielmehr um eine Entmachtung der Kirche bemüht waren, wirkte sich unmittelbar auf ­Reumonts historische Publizistik aus. Nachdem eine konstruktive kirchliche und gesellschaftliche Reform

IV. Vom Reiseberichterstatter zum Historiker und Zeitzeugen 

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in christlichem Sinne in weite Ferne gerückt schien, nahm ­Reumont Abstand von zukunftsweisenden Arbeiten im Dienste des gesellschaftlichen Fortschritts und nahm eine defensive, apologetische Haltung ein. Nun verlegte er sich darauf, über die Memoirenliteratur und die Biographien von Zeitgenossen, die ursprünglichen Ziele in Erinnerung zu rufen und die Diskrepanzen zur tatsächlichen Entwicklung der Nationalstaaten aufzuzeigen. Die verstärkte Konzentration auf das biographische Element diente insofern nicht nur dazu, einzelne prominente Persönlichkeiten vor einer Vereinnahmung im Dienste einer teleologischen Nationalstaatsgeschichte zu bewahren, sondern dazu, über die Erklärung der politischen Ideale bekannter Persönlichkeiten Kritik an den Fehlentwicklungen der jungen Nationalstaaten zu üben.

D. Der Dino-Streit: Ein Politikum zwischen Nationalismus und Regionalismus sowie universitärer und außeruniversitärer Forschung Betrachten wir das umfangreiche publizistische Werk R ­ eumonts sowie seine außergewöhnlich gute Vernetzung innerhalb der deutsch-italienischen Gelehrtenwelt, in der er als ein zentraler Mittler fungierte, drängt sich die Frage auf, inwiefern er nicht nur Kontakte und Informationen zur Verfügung stellte, sondern sich innerhalb aufkommender Forschungskontroversen positionierte. Schließlich bezog er in seinen eigenen Monographien wie auch seinen Rezensionen regelmäßig Stellung, indem er sich auf neuere Publikationen Dritter stützte. Als zentraler Ansprechpartner für die neueren Forschungen auf der jeweils anderen Alpenseite hatte er zweifellos auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die gegenseitige Rezeption der beiden Gelehrtenwelten. Seine Empfehlungen boten zahlreichen Forschern erste Orientierungen für Forschungsprojekte im jeweils anderen Land, sei es durch persönliche Beratung oder einfach nur durch seine Literaturbesprechungen in diversen deutschen und italienischen Publikationsorganen. Oftmals unterstützte er diejenigen Forscher, die sich an ihn gewandt hatten anschließend mit einer Besprechung und Einordnung ihrer Werke in die Forschungslandschaft beider Länder. Auf diese Weise trug er dazu bei, Forschungskontroversen bzw. Sichtweisen in die jeweils andere Forschungsdiskussion einzuführen und anschließend die Rezeption dieser Sichtweisen im Herkunftsland bekannt zu machen. Insofern verspricht eine genauere Untersuchung zum Verlauf ausgewählter Forschungskontroversen die Möglichkeit, R ­ eumont in seiner Mittlertätigkeit im deutsch-italienischen Kulturtransfer einzuordnen und seine Einflussmöglichkeiten sowie den tatsächlich genommenen Einfluss herauszuarbeiten.1 Aufgrund der guten Quellen- und Literaturlage sowie der politischen Brisanz des Themas soll im folgenden Kapitel die deutsch-italienische Forschungskontroverse um die Authentizität der Chronik des Dino Compagni exemplarisch untersucht werden.

1

Zur Rolle der Mittler im Kulturtransfer vgl. Michel Espagne (1997); ders. (2003); Hans-Jürgen Lüsebrink: Interkulturelle Kommunikation Interaktion. Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer, Stuttgart 20123, S. 145–190; Anna Busch / Nana Hengelhaupt / Alix Winter (Hrsg.): Französisch-deutsche Kulturräume um 1800: Bildungsnetzwerke, Vermittlerpersönlichkeiten, Wissenstransfer (Berliner Intellektuelle um 1800, 2), Berlin 2012, insbesondere S. 105–309; Johannes Wischmeyer / Esther Möller (Hrsg.): Transnationale Bildungsräume: Wissenstransfers im Schnittfeld von Kultur, Politik und Religion (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte 96), Göttingen 2013; Hartmut Kaelble / Jürgen Schriewer (Hrsg.): Vergleich und Transfer: Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2003.

D. Der Dino-Streit

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Der sogenannte Dino-Streit ist eine der bekanntesten deutsch-italienischen Forschungskontroversen des 19. Jahrhunderts. Dabei ging es um die Frage, ob die Chronik der florentinischen Geschichte von 1280 bis 1312 des Popolanen Dino Compagni tatsächlich der Bericht eines Zeitzeugen war oder lediglich eine spätere Fälschung.2 Da die Chronik Auskünfte aus erster Hand über den Kampf zwischen Neri und Bianchi gab, aus dem der dauerhafte Gegensatz zwischen Guelfen und Ghibellinen hervorgegangen sein soll, und zudem in Dantes Zeit von einem Popolanen verfasst worden war, galt es als herausragendes Zeugnis der toskanischen Geschichte und Sprache und nahm einen festen Platz im Kanon der toskanischen Literatur ein. Als Primärquelle für die Stadtrepublik hatte es das italienische Mittelalterbild der internationalen Forschung entscheidend geprägt. Die Frage, ob es sich dabei um eine Originalquelle oder eine Fälschung handele, rührte also nicht nur am toskanischen Lokalstolz, sondern stellte auch das bis dahin von der Forschung angenommene Mittelalterbild in Frage. Obgleich die Klärung der Authentizität für die Wissenschaft selbst von ganz entscheidender Bedeutung war, wurde die Kontroverse nicht zuletzt von politischen und patriotischen Motiven geprägt, sodass von Anfang an Prestigefragen eine rein wissenschaftliche Behandlung der Frage erheblich erschwerten. In dem etwa von 1870 bis 1890 andauernden Streit standen sich zwei Gruppen gegenüber: Diejenige um Isidoro del Lungo, der bei seiner Verteidigung der Authentizität der Chronik den Großteil der florentinischen außeruniversitären Gelehrten und Archivare aus dem Umfeld der Accademia della Crusca hinter sich wusste, und die wesentlich heterogenere Gruppe um Pietro Fanfani, die aus Gelehrten, Journalisten und Politikern bestand, die ihre Gegnerschaft zur Accademia della Crusca miteinander verband.3 Der Ausbruch des Dino-Streits wird gemeinhin für das Jahr 1870 angenommen als der deutsche Historiker Paul Scheffer-Boichorst in einem Aufsatz für die Historische Zeitschrift ankündigte, die Chronik des Dino-Compagni als Fälschung zu entlarven und der Frage nach der Authentizität damit erst eine größere internationale Aufmerksamkeit verschaffte.4 Tatsächlich gab es aber bereits eine florentinische Vorgeschichte, in deren Zentrum Fanfani stand. Als Philologe hatte sich der gebürtige Pistoier bereits durch seinen erfolgreichen Vocabolario della lingua italiana einen Namen gemacht. Nachdem er 1848 an den Gefechten von Curtatone und Montanara gegen die Habsburger teilgenommen hatte, geriet er zunächst in Gefangenschaft, die er in Theresienstadt verbrachte. Nach seiner Rückkehr in die Toskana erhielt er eine Anstellung beim Bildungsministerium und wurde Biblio 2

Die letzte kritische Textausgabe wurde von Davide Cappi herausgegeben: Dino Compagni. Cronica, Rom 2013. 3 Vgl. Franca Ragone: Dino Compagni e i suoi nemici. Linguaioli e archivisti nella Firenze postunitaria, Quaderni storici 82 (1993), S. 39–60, hier S. 39–40. 4 Paul Scheffer-Boichorst: Die florentinische Geschichte der Malespini eine Fälschung, HZ 24(1870), S. 274–313, hier S. 313; vgl. Wilhelm Bernhardi: Der Dino-Streit, HZ 37 (1877), S. 77–96, hier S. 77.

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D. Der Dino-Streit

thekar der Biblioteca Marucelliana. Im Jahre 1867 wurde er sogar korrespondierendes Mitglied der Accademia della Crusca, in der er jedoch einen schweren Stand hatte.5 An den Umgang mit der elitären Gesellschaft mochte sich Fanfani offenbar nicht gewöhnen. Er unterstellte der prestigeträchtigen Akademie, mehr Schein als Sein zu pflegen und stellte sie auf die Probe, indem er in Appendice 17 und 18 des Archivio Storico Italiano eine von ihm verfasste Fälschung unterbrachte, die unter dem Namen Relazione del viaggio di Arrigo VII in Italia di Niccolò vescovo di Botrinto, volgarizzato nel secolo XIV dal notaio ser Bonacosa di ser Bonavita di Pistoia aufgenommen wurde. Weder Francesco Bonaini, noch Niccolò ­Tommaséo oder Cesare Guasti erkannten die Fälschung und sahen ihren Ruf als Experten schwer geschädigt.6 Die daraufhin folgende Polemik führte dabei zum endgültigen Bruch Fanfanis mit der Accademia della Crusca. Letztlich sollte dieser Gegensatz später eine wichtige Basis des Dino-Streits bilden. Nachdem Scheffer-Boichorst angekündigt hatte, mit der Compagni-Chronik eine Quelle als Fälschung zu entlarven, deren Auslegung die Accademia della Crusca für sich beanspruchte,7 war es nur folgerichtig, dass Fanfani, der bereits 1858 vorsichtige Zweifel an der Authentizität angemeldet hatte, in der Ankündigung des deutschen Historikers eine günstige Gelegenheit sah, mit der Crusca abzurechnen. Dies konnte die Crusca nicht hinnehmen: Sie beanspruchte für sich, dass nur Personen aus ihrem Umfeld die notwendige Lokalkenntnis besäßen, um die Chronik bewerten zu können. Vor diesem Hintergrund nahm Isidoro del Lungo die Arbeit an einem kritischen Editionsprojekt auf, bei der er maßgeblich von Cesare Guasti, Cesare Paoli, Alessandro Gherardi, Iodoco Del Badia, Gaetano Milanesi und Clemente Lupi unterstützt wurde.8 Auch R ­ eumont, der selbst Mitglied der Crusca war, unterstützte das Projekt, indem er bei den notwendigen Recherchen behilflich war.9 So suchte Del Lungo beispielsweise Informationen über die Gesten Heinrichs VII., wie sie im dritten Buch der Chronik geschildert werden, als der König vor den Toren Cremonas, das sich soeben unterworfen hatte das Schwert zog und später, als sich Brescia erhob, in die entsprechende Richtung gerichtet, das Schwert zur Hälfte aus der Scheide zog. Da Del Lungo annahm, dass es sich um einen nach Römischem Recht geregelten Gestus handeln müsse, hoffte er, dass in deutschen Bibliotheken und Archiven darüber Aufschluss zu finden sein müsse.10 ­Reumont wandte sich dabei an keinen geringeren als Julius von Ficker, der unter Angabe einiger Belegstellen darüber informierte, dass der Gestus vor Cremona bedeute, dass die Stadt 5

Vgl. Ragone (1993), S. 40–41. Vgl. ebenda, S. 42. 7 Vgl. ebenda, S. 44. 8 Ebenda, S. 43; Francesco De Feo: Carteggi di Cesare Guasti, Bd. 5, Carteggio con Isidoro del Lungo. Lettere scelte, Florenz 1977, S. 193, 200–201, 213, 222, 229, 247, 279, 293, 309, 314, 341, 361–362, 386. 9 NL ­Reumont, S 1063, Isidoro Del Lungo an ­Reumont, Nr. 91, Florenz, 13. Mai 1873; Nr. 97, 23. Juni 1875. 10 Ebenda, Nr. 92, Florenz, 18. August 1873. 6

D. Der Dino-Streit

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nicht in Gnaden aufgenommen werde und die Bürger dem Schwertrechte verfallen, während Ficker hinsichtlich des gegenüber Brescia halb aus der Scheide gezogenen Schwertes nicht sicher war, jedoch vermutete, dass die Stadt durch diese Geste mit der Acht belegt wurde.11 Insofern kam R ­ eumont bei diesem Prestigeprojekt erneut die Vermittlung zur deutschsprachigen Wissenschaft zu. Es blieb jedoch nicht dabei, Del Lungo und Ficker in Kontakt zu setzten: Da Ficker sich nicht in der Lage fühlte, mit Del Lungo auf Italienisch zu kommunizieren, bat er R ­ eumont die entsprechenden Informationen weiterzugeben.12 Während die übrigen Mitglieder der Accademia della Crusca Del Lungo inner­ eumont die Verbindung mit der deutschhalb Italiens zur Seite sprangen, stellte R sprachigen Wissenschaft her. Bevor allerdings Scheffer-Boichorst seine angekündigte Schrift gegen die Chronik des Dino Compagni veröffentlichen konnte, beeilte sich der Italiener Giusto Grion die Chronik präventiv als Fälschung zu entlarven, um der Schmach, dass ein Ausländer Hand an die Chronik legen würde zuvorzukommen.13 Allerdings fehlte es der Schrift an Gründlichkeit, sodass die Wissenschaft darin noch keinen Beweis einer Fälschung erblickte.14 Auch in Frankreich wurde diese Schrift scharf kritisiert.15 Nicht zuletzt dank Karl Hillebrands Dino Compagni. Étude historique et littéraire sur l’Epoque de Dante ging die Mehrheit der französischen Wissenschaft weiterhin von der Authentizität der Chronik aus.16 Mit einer gewissen Erleichterung nahm auch ­Reumont zur Kenntnis, dass Grion es nicht gelungen war, die Chronik überzeugend in Zweifel zu ziehen.17 Allerdings hatte er Witte schon anlässlich des von Scheffer-Boichorst angetretenen Beweises, dass es sich bei der Malespini-Chronik18, um keine Originalquelle handelte, mitgeteilt, dass auch unter den florentinischen Intellektuellen längst erhebliche Zweifel aufgekommen waren, die Authentizität der Compagni-Chronik dauerhaft verteidigen zu können. Nachdem die ins 13. Jahrhundert datierte und dem adligen,

11

NL ­Reumont, S 1060, Ficker an ­Reumont, Nr. 72: Innsbruck, 28. August 1873. Ebenda. 13 Giusto Grion: La cronaca di Dino Compagni opera di Antonfrancesco Doni, Verona 1871. 14 Vgl. Wilhelm Bernhardi: Der Dino-Streit, HZ 37 (1877), S. 77–96, hier S. 78–80. 15 Vgl. die von G.  Monod verfasste Rezension in der Revue Critique, 10. Februar 1872; ­Ragone (1993), S. 55, Anm. 25. 16 Vgl. Ragone (1993), S. 55, Anm. 25. 17 Vgl. NL R ­ eumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 170: Bonn, 2. Januar 1872: „Grions Dino Compagni-Schrift befriedigt mich wenig, so große Bedenken die Chronik mir seit langem einflößt, worüber in Florenz mit Capponi, Villari etc. mehrfach verhandelt worden ist. Wie kann der Autor der Zucca die Chronik geschrieben haben? Die Beweisführung ist lustig, der Ton scuriel. Es ist mir lieb, daß kein Teutscher so etwas geschrieben hat – wie ganz anders Bernhardi über die Diurnali! Aber auch bei uns wird der Ton der Kritik wieder häufiger […], namentlich bei einigen jüngeren Leuten.“ 18 Laura Mastroddi: Malispini, Ricordano, DBI 68 (2007) [URL: http://www.treccani.it/ enciclopedia/ricordano-malispini_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 29. 03. 2017. 12

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guel­fischen Florentiner Ricordano Malespini zugeschriebene Geschichte von Florenz in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert war, konstatierte ­Reumont: „Die Malespini Nachricht ist mir unerfreulich, ganz unerwartet kam sie mir nicht, da die Authenticität der Chronik längst angezweifelt worden ist. Wenn nur nicht auch Dino Compagni in die Brüche geht! Im vor. Frühling verhandelten wir lebhaft darüber bei Capponi, wo Villari stark zweifelte. Die Gest. sind neu, u die Chronik enthält seltsame, für einen Mithandelnden geradezu unerklärliche Unrichtigkeiten.“19

In dem Bewusstsein, der deutschen Kritik entgegenzutreten zu müssen, setzten die Verteidiger der Chronik auf ­Reumonts Vermittlung. Denn dabei ging es längst nicht mehr allein um die Frage der Authentizität, die Scheffer-Boichorst unter Verweis auf philologische sowie historische Ungereimtheiten ablehnte, sondern um nichts weniger als die Glaubwürdigkeit der Accademia della Crusca. Scheffer-­ Boichorst hatte nämlich in seiner 1874 veröffentlichten, dezidiert anti­romanischen Schrift gegen die Compagni-Chronik, vor der ­Reumont Capponi schon vor Erscheinen gewarnt hatte,20 die Crusca beschuldigt, diese Chronik Mitte des 16. Jahr­ hunderts gefälscht zu haben.21 Dadurch erhielt die Polemik zusätzlich eine nationalistische Note: Scheffer-Boichorsts Beleidigung der italienischen Wissenschaft führte dazu, dass Teile der italienischen Publizistik es als unpatriotisch bezeichneten, die Authentizität der Chronik in Zweifel zu ziehen.22 Mit entsprechender Leidenschaft positionierten sich in der Folge die Vertreter der Accademia della Crusca. Gino Capponi nutzte den Rahmen seiner Storia della repubblica di Firenze um Scheffer-Boichorst sowohl hinsichtlich der Malespini-Chronik als auch Dino-Compagnis entschlossen entgegenzutreten und veröffentlichte sowohl eine Nota intorno ai Malespini als auch eine Nota intorno alla storia di Dino Compagni, um die Authentizität dieser beiden Schriften gegen den deutschen „Hyperkritiker“ zu verteidigen.23 Cesare Paoli, der über die notwendigen Deutschkenntnisse verfügte, um sich mit den Thesen Scheffer-Boichorsts auseinander­ zusetzen, hatte sogar kurz nach Erscheinen der Florentiner Studien das Werk kritisch im Archivio Storico Italiano besprochen.24 Für die Verteidigung im deutschsprachigen Raum setzte sich dabei ­Reumont ein. Zwar versuchte er sich aus der Polemik selbst herauszuhalten und lediglich als Vermittler zu fungieren, allerdings fühlte er sich dennoch gegenüber der Accade 19 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 161: Bonn, 28. Mai 1870; ­Reumont hatte offenbar Scheffer-Boichorst empfohlen, die Schrift Capponi zuzusenden: Carraresi, Lettere di Gino Capponi VI, ­Reumont an Capponi, Bonn, 6. Juli 1870, S. 366–369, hier S. 367. 20 Ebenda, Bonn, 21. März 1874, S. 405–406, hier S. 406. 21 Paul Scheffer-Boichorst: Die Chronik des Dino Compagni eine Fälschung, in: Ders. Florentiner Studien, Leipzig 1874, S. 42–218; vgl. auch Ragone (1993), S. 44–45. 22 Vgl. ebenda, S. 46. 23 Gino Capponi: Storia della repubblica di Firenze, Florenz 1875, I, S. 661–669; II, S. 569– 574; vgl. Ragone (1993), S. 54, Anm. 18. 24 Cesare Paoli: Studi sulle fonti della storia fiorentina. IV. Florentiner Studien von P. Scheffer-Boichorst, Archivio Storico Italiano 20 (1874), S. 164–185.

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mia della Crusca zur Loyalität verpflichtet.25 Trotzdem kam ihm in der Entwicklung der deutsch-italienischen Kontroverse eine zentrale Rolle zu. Zunächst hatte Karl Witte Scheffer-Boichorst für die Recherchen zu seinen Florentiner Studien, in denen er die Malespini und die Compagni-Chronik als Fälschungen entlarven sollte, an ­Reumont verwiesen, der Scheffer-Boichorst bereitwillig bei der Literaturbeschaffung behilflich war.26 Und dies, obwohl jener ihm angekündigt hatte, dass es sich um eine gegen die Compagni-Chronik gerichtete Publikation handeln würde.27 Doch nicht genug damit, dass er Scheffer-Boichorst bei der gegen die Interessen der Accademia della Crusca gerichteten Arbeit unterstützt hatte: Er setzte den Ber­ eumont die liner Historiker auch noch mit Pietro Fanfani in Verbindung.28 Erst als R Florentiner Studien in Händen hielt, wurde ihm klar, dass das Werk keineswegs mit wissenschaftlicher Objektivität verfasst worden war, sondern als offene Polemik gegen die italienische Wissenschaft zu verstehen war. Der chauvinistische Ton von Scheffer-Boichorsts Florentiner Studien dürfte auch der entscheidende Grund dafür gewesen sein, weshalb ­Reumont sein anfängliches Bemühen um Neutralität aufgab und gebührenden Respekt gegenüber der Crusca und der italienischen Wissenschaft einforderte.29 Gleichzeitig räumte er jedoch gegenüber Capponi ein, dass er die Argumente gegen Compagni für absolut schwerwiegend halte.30 Dabei führte die intensive gegenseitige Rezeption der Forschungskontroverse zwischen Deutschland und Italien dazu, dass die Grenzziehung zwischen Dino-Gegnern und Dinisti trotz der scharfen Polemik Scheffer-Boichorsts nicht allein der Nationalität des Betrachters geschuldet war. So brachte ­Reumont Karl von ­Hegel, der für die Authentizität der Compagni-Chronik Partei zu ergreifen beabsichtigte, mit Del Lungo in Kontakt und versorgte ihn mit Material.31 ­Reumont selbst hegte Zweifel an Del Lungos exakter Arbeitsweise und hielt es offenbar für wichtig, ihn für die deutsche Kritik zu sensibilisieren.32 Derweil verlief die Front zwischen den Parteien auch quer durch Italien. Pietro Fanfani hatte sich von Beginn an auf die Seite Scheffer-Boichorsts geschlagen und die Polemik gegen die Chronik wie die Crusca durch ein intensives publizistisches 25

BNCF, Fanfani C. V. 182, 5, ­Reumont an Fanfani, Aachen, 23. Oktober 1878. NL ­Reumont, S 1066, Paul Scheffer-Boichorst an R ­ eumont, Nr. 20, Berlin, 17. März 1874. 27 Ebenda: „Meine „Florentiner Studien“ werden eine Neubarbeitung meiner Ihnen bekannten Aufsätze über die Malespini und die Gesta Fiorentinorum enthalten; zum ersten Male aber erscheint der Beweis, daß auch die Chronik des Dino-Compagni eine Fälschung ist. Ich werde mir erlauben, Ihnen seinerzeit ein Exemplar meines Buches zu übersenden, und hoffe alsdann, daß Sie meiner Beweisführung eben so zustimmen, wie früher betreffs der Malespini. Die Art des Beweises ist eine ganz andere, doch wie ich meine: nicht minder schlagende.“ 28 NL ­Reumont, S 1060, Pietro Fanfani an ­Reumont, Nr. 37, 27. Mai 1874. 29 BNCF, Fanfani C. V. 182, 5, ­Reumont an Fanfani, Aachen, 23. Oktober 1878. 30 Carraresi: Lettere di Gino Capponi VI, ­Reumont an Capponi, Bonn, 8. August 1874, S. 414–417, hier S. 416. 31 NL ­Reumont, S 1062, Karl von Hegel an ­Reumont, Nr. 34: Erlangen, 27. September 1874; S 1063, Isidoro Del Lungo an ­Reumont, Nr. 94, 26. April 1875; Nr. 96, 2. Juni 1875. 32 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 173: St. Carl-Borr-Tag 1872. 26

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Engagement in Italien verankert. Als Plattform dafür hatte er eigens die zuvor eingestellte Zeitschrift Il Borghini wieder ins Leben gerufen und einen Preis für die Auffindung einer zeitgleichen Chronik ausgelobt, um die Fälschung zweifelsfrei beweisen zu können.33 Außerdem veröffentlichte Fanfani im Jahre 1875 selbst noch eine Streitschrift unter dem Titel Dino Compagni vendicato dalla calunnia di scrittore della cronaca. Bei seiner Suche nach Verbündeten gegen die Accademia della Crusca verstand es Fanfani, die öffentliche Meinung unter Rückgriff auf regionalistische Vorbehalte zu beeinflussen. In seinen Metamorfosi di Dino Compagni versuchte er den Leser nicht allein über die Untersuchung der Chronik zu überzeugen, sondern veröffentlichte eine lange Liste der bisherigen Zweifler an der Authentizität und versuchte durch offene Polemik gegen den kulturellen Führungsanspruch der Toskana die Italiener aus den anderen Regionen auf seine Seite zu ziehen.34 Gerade die Unterstützung führender Professoren der Turiner Universität, schien dabei Fanfani die notwendige überregionale Autorität zu verleihen.35 Im Gegensatz dazu verteidigten die Dinisti ihre Stellung vorwiegend auf lokaler Ebene, namentlich im Archivio Storico Italiano und der Nuova Antologia, wobei dort sowohl Artikel Fanfanis als auch Del Lungos veröffentlicht worden waren. Im Laufe der Kontroverse verlegte sich das Archivio Storico Italiano jedoch darauf, keine weiteren Stellungnahmen mehr abzugeben, bis Del Lungo die kritische Edition der Chronik veröffentlicht haben würde.36 Indes überzog der Dino-Streit bald ganz Italien und bot zahlreichen Gelehrten aus den anderen Regionen Italiens eine willkommene Gelegenheit, die sprachliche und kulturelle Vormachtstellung von Florenz und der Accademia della Crusca in Frage zu stellen.37 Im Zentrum der Auseinandersetzung stand längst nicht mehr allein die wissenschaftliche Kontroverse. Es ging vielmehr um gesellschaftliches Prestige und das Ringen um die Deutungshoheit der italienischen Sprache und der mittelalterlichen Geschichte, aus der Florenz und die Accademia della Crusca ihre intellektuelle Führungsrolle ableiteten. Mit der Chronik des Dino-Compagni schien nun eine wichtige Säule der toskanischen Identität als kulturelles Zentrum Italiens zu bröckeln. Parallel dazu nahm die Kontroverse auch in Deutschland Fahrt auf. Während dieser Zeit hielt R ­ eumont Del Lungo und Guasti über den Fortgang nördlich der Alpen auf dem Laufenden.38 Scheffer-Boichorst hatte die Unterstützung namhafter Gelehrter wie Ficker, Dümmler, Waitz und Hartwig.39 Besonders schmerzhaft für die Florentiner Gelehrten war es, dass Otto Hartwig sich gegen die Authentizität

33

Vgl. Ragone (1993), S. 46–47. Vgl. ebenda, S. 47. 35 Vgl. ebenda, S. 48 u. 57, Anm. 41. 36 Vgl. ebenda, S. 48. Dort sind auch die einzelnen Beiträge in den beiden Zeitschriften nachgewiesen. 37 Vgl. ebenda, S. 49. 38 Vgl. ebenda, S. 58, Anm. 50. 39 Ebenda; Il Borghini, a. I, n. 9 1. IX. 1874, p. 134. 34

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der Chronik aussprach.40 Obgleich er über ­Reumont mit Guasti und Tabarrini in Kontakt gesetzt worden war, schlug er sich auf die Seite Scheffer-Boichorsts und Fanfanis. Für Guasti war dies umso schockierender, als er ihn bei ihrem Treffen in Florenz noch nicht einmal darüber informiert hatte, dass er einen entsprechenden Aufsatz in der Revue historique veröffentlichen würde.41 Zwar war Hartwig bereits mit der Ansicht nach Italien gekommen, dass es sich bei der Chronik um eine Fälschung handeln müsse,42 jedoch war er offenbar noch nicht einmal bereit, auf Guastis Nachfragen und Einwände einzugehen, sodass dieser sich von dem deutschen Gelehrten nicht ernst genommen fühlte,43 und ohne vorherige persönliche Rücksprache Hartwigs Schrift im Archivio Storico Italiano besprach.44 ­Reumont selbst sah sich dabei in einer schwierigen Situation zwischen seiner Loyalität zur Accademia della Crusca, seinem Florentiner Bekanntenkreis und seinen persönlichen Zweifeln an der Authentizität der Chronik. Er setzte alle an der Kontroverse Beteiligten, die es wünschten miteinander in Kontakt und versuchte zunächst als überparteilicher Vermittler zu fungieren, der Wert darauf legte, dass die Auseinandersetzung möglichst ohne gegenseitige Rufschädigungen ablaufen und sich auf den wissenschaftlichen Gegenstand konzentrieren sollte. Deswegen mochte er persönlich keine Stellung beziehen, bis nicht die Studien Del Lungos und Hegels abgeschlossen sein würden. Von übereilten Reaktionen, wie Capponis Stellungnahme in seiner Storia della Repubblica Fiorentina, hielt ­Reumont nichts, da diese kaum den Ansprüchen hinreichender historischer Kritik gerecht werden könnten.45

40

Otto Hartwig: La question de Dino Compagni, Revue historique 17 (1881), S. 64–89. NL ­Reumont, S 1061, Cesare Guasti an R ­ eumont, Nr. 345, Florenz, 26. Dezember 1881; Nr. 345a, Florenz, 26. April 1882. 42 Vgl. ­Reumonts Einschätzung: BNCF, Gino Capponi XI. 48, Nr. 103: Bonn, 4. Oktober (Giorno di S. Francesco) 1874; auch bei Carraresi: Lettere di Gino Capponi VI, S. 419–422. 43 Ebenda. 44 Cesare Guasti: Esame di un articolo del dott. O. Hartwig „La question de Dino Compagni“, Archivio Storico Italiano 125 (1881), S. 239–253. 45 Vgl. etwa NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 181: Bonn, 2. Januar 1875: „Sie erwähnen Dino Compagni’s – ich bin durch Scheffer B’s Kritik nicht im mindesten überzeugt, so bedenklich mir Manches, so unerklärlich mir Einiges in der Chronik erscheint. Diese sehr fleißige u. scharfsinnige Kritik ist doch zum Theil Hyperkritik u. schießt über das Ziel hinaus. Ich war drauf u. dran, mich über die Sache zu äußern, obgleich diese Art Arbeiten, wobei es auf sehr minutiöse Vergleichung theilweise sehr minutiöser Dinge ankommt die dann doch, auch theilweise, nur problematische Resultate liefert, mir in meinen Kreis gepaßt hat; aber so Carl Hegel wie Del Lungo sind mit der Frage beschäftigt, und so schien es mir besser zu warten. Gino Capponi hat sich auf den letzten Seiten seines (zu Ende d: M. erscheinenden) Buches im Ganzen verständig über die Streitfrage geäußert, aber freilich die kritische Seite zu sehr außer Acht gelassen. Ich frage immer nach: wer im Cinquecento erfindet mir einen Menschen wie der Autor des Buches ist, denn hier handelt es sich nicht um ein Buch allein sondern um eine lebendige Creatur. Wenn die Kritik mir darauf Antwort geben kann, so soll es mich freuen.“ 41

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Umso bereitwilliger hatte R ­ eumont Karl von Hegel bei dessen Verteidigung der Authentizität der Chronik unterstützt,46 indem er ihn über die von Del Lungo und auch Scheffer-Boichorst und Fanfani herangezogenen Quellen informierte.47 Anschließend beriet er ihn bei der Frage, an wen er seine Schrift in Florenz zu senden hatte, um dort rezipiert zu werden: Da Hegel die Kritik Scheffer-Boichorsts in ihrer Substanz teilte, allerdings an einen wahren Kern der Chronik glaubte, sah er sich weder im Lager der Dinisti, noch Fanfanis und wollte die deutsche Kritik vertreten, ohne in die unsachliche Polemik hineingezogen zu werden.48 Da er jedoch in seiner Schrift die Nichtbeachtung der deutschen Geschichtsforschung durch die Florentiner Gelehrten angeprangert hatte, war er sich unschlüssig, ob er sein Werk an Capponi senden könnte und überließ die Entscheidung darüber der Einschätzung ­Reumonts.49 Obgleich Hegel in seinem Rettungsversuch die Kritik Scheffer-Boichorsts grundsätzlich anerkannte, zog er sich dessen und Fanfanis Zorn zu, der sich in weiteren Entgegnungen entlud.50 ­Reumont seinerseits versuchte, die Gemüter zu beruhigen und verfasste einen Artikel für die Augsburger Allgemeine Zeitung, in dem er die bisherige Kontroverse rekapitulierte.51 Dabei berücksichtigte er auch den neuesten Aufsatz Cesare Paolis aus dem Archivio Storico Italiano52 und schilderte die positive Aufnahme von Hegels Schrift durch die Accademia della Crusca. Erstmals bezog ­Reumont darin auch selbst öffentlich Stellung: Er verwies darauf, dass die Schärfe der Auseinandersetzung nicht auf wissenschaftliche, sondern psycho­logische Motive zurückzuführen sei und schloss sich der gemäßigten Kritik an der Chronik ­ eumont als Mitglied der Accadedurch Hegel und Capponi an.53 Doch nicht nur R mia della Crusca schloss sich der Einschätzung Hegels an, dass die Chronik einen originalen Kern habe. Wenig später gelangte auch Theodor Wüstenfeld in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen zu einem ähnlichen Ergebnis.54 Mit der Unterstützung der versöhnlichen Publikation Hegels, deren positive Auf­ eumont hervorgehoben hatte, sowie den Arbeiten Wüstenfelds nahme in Florenz R und zuvor Karl Hillebrands war der Streit zwar nicht beigelegt, jedoch etablierte sich langsam die Ansicht, dass die Chronik zwar inhaltliche Falschangaben enthalte, diese aber noch nicht erweisen, dass es sich zwangsläufig um eine Fälschung han­ eumont die Einwände Scheffer-Boichorsts als deln müsse. Von Anfang an hatte R 46

Karl von Hegel: Die Chronik des Dino Compagni. Versuch einer Rettung, Leipzig 1875. NL ­Reumont, S 1062, Karl von Hegel an ­Reumont, Nr. 34: Erlangen, 27. September 1874; Nr. 35: Erlangen, 15. April 1875. 48 Ebenda, Nr. 36: Erlangen, 16. Mai 1875. 49 Ebenda. 50 Ebenda, Nr. 37: Erlangen, 13. Januar 1876. 51 Das älteste Florenz, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 350/351, 16./17. Dezember 1875. 52 Archivio Storico Italiano IV 1875. 53 Das älteste Florenz, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 350/351, 16./17. Dezember 1875. 54 Göttingische Gelehrte Anzeigen, 8. Dezember 1875, S. 1537–1599. 47

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durchaus gravierend eingestuft, legte jedoch größten Wert auf eine sachliche Auseinandersetzung ohne persönliche Polemik.55 Das Entscheidende war für ­Reumont, dass die Accademia della Crusca ihr Gesicht wahrte. Obgleich er vordergründig für eine Versachlichung der Diskussion plädierte, war es sein wichtigstes Anliegen, den Florentiner Lokalstolz zu verteidigen. Deswegen ging er, wie er Capponi erklärte, ohne geeignete Argumente dafür zu haben von der Authentizität der Chronik aus: „Il Guasti Le avrà comunicato ciò che gli scrissi intorno al libro dello Scheffer. Aspetto con impazienza le risposte del Paoli e del Del Lungo. Gli errori, ommissioni, contraddizioni del racconto della Cronaca sono tali che non so come si potranno conciliare colla qualità di testimone oculare. Eppure non posso credere alla contraffazione – ripeto è per me un enimma.“56

Dabei warnte ­Reumont jedoch Capponi, dass die Accademia della Crusca sich wissenschaftlich mit den Thesen Scheffer-Boichorsts auseinanderzusetzen habe. Die Abrechnung mit Fanfani und dem Berliner Historiker, ohne überhaupt den genauen Text zu kennen, mache einen verheerenden Eindruck auf die deutsche Gelehrtenwelt.57 Diese Vorgehensweise von Mitgliedern der Crusca, die, anstatt eine gründlich ausgearbeitete Entgegnung vorzulegen, vorschnell gegen Fanfani und Scheffer-Boichorst polemisierten, erschwerte es ­Reumont erheblich, den Ruf der prestigeträchtigen Akademie in Deutschland zu verteidigen.58 55 So etwa in einem Brief an Capponi: BNCF, Gino Capponi XI. 48, ­Reumont an Capponi, Nr. 114: Bonn, 5. November 1875: „Lo Sch. è aspro di natura, e sento che tratta male il nostro Guasti, il quale purtroppo gli ha dato presa più coi modi che colla materia. Non si guadagna mai nulla coll’usare parole non cortesi.“ Der Brief ist auch abgedruckt in: Carraresi: Lettere di Gino Capponi VI, S. 447–450. Allerdings ist das im Originalbrief befindliche Zitat in der Briefedition nicht abgedruckt worden. 56 BNCF, Gino Capponi XI. 48, ­Reumont an Capponi, Nr. 102: Bonn, 11. September 1874; auch Constantin von Höfler lehnte die Hyperkritik ab: NL R ­ eumont, S 1062, Höfler an ­Reumont, Nr. 107: Prag, 20. November 1874: „Was sagen Sie zu der Gerathung Dino Compagni’s, die historische Kritik geht so rasch u. kühn voran, daß wir am Ende an unserer eigenen Existenz zu zweifeln haben. Hegel meint, wenn man die Argumentation Scheffer-Boichorst’s durchsehe, werde man, so lange man sie liest, von ihm bestochen; wenn man aber das Buch vorlege, kämen doch mancherlei Bedenken.“ 57 BNCF, Gino Capponi XI. 48, R ­ eumont an Capponi, Nr. 106: Bonn, 17. Januar 1875: „Ieri ebbi dalla Crusca il foglietto intorno all’affare Fanfani. Le dirò schiettamente la mia opinione, pregandoLa di farne parola, se crede, anche all’amico Guasti. Il mettere il Fanfani in Accademia, è stato un errore – non che in certi rami di filologia il F. non sia bravo e anche bravissimo ed operoso, ma perchè è uomo di tale umore da dover far temere sempre di qualche dispiacere. Così è accaduto. Esso lagnasi del Guasti senza ragione, le parole di questi non avendo che fare con lui. Ma queste parole non mi paiono meritate nè anche dal Sigr Scheffer B., e l’amico nostro avrebbe viemaggiormente dovuto andare a rilento, non avendo letto il testo originale dello Sch. Io non partecipo all’opinione di questo mio connazionale, e lo dirò pubblicamente; ma il libro di lui è così grave, così studiato e serio, da meritare linguaggio diverso. Lo Sch. è caduto in un errore stranissimo; creduto la Cronaca composta nel Seicento; ma quanto alla Crusca esso si esprime in un modo da non poter offendere l’Accademia. Tale è la mia schietta opinione.“ Auch dieser Abschnitt fehlt in Carraresi: Lettere di Gino Capponi VI, S. 431–433. 58 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 184: Bonn, 29. Dezember 1875: „Die neue Dinoschrift von Scheffer B. habe ich nicht gelesen – ich habe die Sache satt u. Hr. Scheffer ist ein Flegel. Aber die Crusca blamirt sich gründlich mit ihrer Leichenschau des Malespini – der

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Deswegen verlegte sich R ­ eumont darauf, die endgültige Fertigstellung von Del Lungos Edition abzuwarten. Del Lungo dagegen sah sich als Vorkämpfer der italienischen Wissenschaft, die er durch sein Editionsprojekt vor der deutschen Kritik zu verteidigen suchte und heizte die Polemik weiter an, indem er als Reaktion auf die regelmäßigen Attacken vorläufige Ergebnisse unter dem Titel La critica italiana dinanzi agli stranieri e all’Italia nelle questione su Dino Compagni publizierte.59 Entsprechende Reaktionen seitens der italienischen Dino-Gegner ließen nicht auf sich warten und wurden mittlerweile auch von deutschen Gelehrten genau verfolgt.60 ­Reumont informierte auch die Redaktion des Archivio Storico Italiano zuverlässig über die Aufnahme der Auseinandersetzung in der deutschen Öffentlichkeit.61 Nachdem Del Lungo seine kritische Ausgabe der Compagni-Chronik vollständig veröffentlicht hatte, bestand für ­Reumont kein Zweifel mehr, dass es sich bei der Chronik um ein Originalwerk handelte62 und berichtete Del Lungo und dem Florentiner Bekanntenkreis von den deutschen Reaktionen.63 Um den Kritikern zuvorzukommen, beeilte sich ­Reumont das Werk sofort anzuzeigen.64 Später konnte ­Reumont aus Deutschland berichten, dass die kritische Edition tatsächlich dazu geführt habe, dass viele Gelehrte sich nun auf die Seite Del Lungos geschlagen haben. Letztlich gestand sogar Scheffer-Boichorst ein, dass es sich doch um ein Original handeln müsse.65 ist mausetodt ungeachtet seines alten Embryo der in ihm steckt. Ich hab’s aber auch satt, die florentiner Freunde zu vertheidigen, die ungereimtes Zeug schreiben, und habe es unserem alten guten blinden Freunde klar herausgesagt.“; Ebenda, Nr. 193: Bonn, 22. Oktober 1877: „Die Cruscazänkereien und den Dino-Streit habe ich längst satt. Fanfani, den ich nie leiden konnte, ist ein dreister Klopffrichter; Scheffer-B’s Manier ist mir kaum minder zuwider, obgleich in dem Manne ganz anderer Stoff ist als in dem pistojeser Grammatiker. Del Lungo ist ein feiner Kopf, ob es ihm gelingen wird mit seiner Ausg. der Cronaca, lasse ich dahingestellt sein. Jedenfalls ist er Fabius Cunctator, was sein Gutes u Schlimmes hat; die Meisten sind schon müde u haben an Anderes zu denken. Guasti hatte Unrecht mit seinem Ausfall gegen Scheffer u Fanfani u seinem Iurare in verba Magistri für unseren guten March. Capponi; seine ungeschickte Rede ist wol Ihnen wie mir in den Atti della Crusca zugegangen.“ 59 Isidoro Del Lungo: La critica italiana dinanzi agli stranieri e all’Italia nella questione su Dino Compagni. Cenni, Florenz 1877; vgl. Ragone (1993), S. 50–51. 60 NL ­Reumont, S 1062, Hermann Hüffer an ­Reumont, Nr. 187: Bonn, 10. März 1879. 61 DSPT, Lettere Varie, Alfredo di ­Reumont, Burtscheid, 23. Januar 1880. 62 BNCF, Carteggi Vari 111, 73, ­Reumont an Carraresi, Burtscheid bei Aachen, 18. Dezember 1880; Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 633, ins. IV, ­Reumont an Galeotti, (7), Burtscheid, 23. Dezember 1880: „Il Del Lungo mi ha mandato il complemento del suo D. Compagni, e sto leggendolo; non so se la tesi sua rimarrà interam.te dimostrata, ma in ogni modo esso disfà moltissime obiezioni maggiormente dei nostri, e prova la verità di molte cose impugnate. Inoltre, quantunque lungo di troppo, in varie parti egli si fa leggere con piacere.“ 63 NL ­Reumont, S 1063, Isidoro Del Lungo an ­Reumont, Nr. 98, Florenz, 5. Mai 1880; Nr. 99, Florenz, 25 August 1881. 64 De Feo: Carteggi di Cesare Guasti, Bd. 5, S. 290. 65 Vgl. Ragone (1993), S. 51; De Feo: Carteggi di Cesare Guasti, Bd. 5, S. 335–336; Robert Davidsohn: Necrologia di Carlo Hegel e di Paolo Scheffer-Boichorst, Archivio Storico Italiano 39 (1902), S. 161–176, hier S. 174–175.

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Obgleich sich ­Reumont im Laufe der Kontroverse immer wieder einer Nationalisierung der Auseinandersetzung entgegengestellt hatte und die Grenzen zwischen den Parteien quer durch die Nationalität verliefen, betrachteten Guasti und Del Lungo die erfolgreiche Verteidigung der Authentizität der Chronik als Sieg der italienischen Wissenschaft über die critica tedesca. Nach Ansicht Guastis war damit ­ eumont die Deutungshoheit der Accademia della Crusca erwiesen. Gegenüber R erklärte er deswegen, alles richtig gemacht zu haben: „Ma credo che all’opera del Del Lungo anche costà faran di cappello. Dotto Ella dice lo Scheffer-Boichorst: ma proprio? Forse avrà fatto qualcosa di meglio, che noi non conosciamo. Del resto, Ella sa (e io so che non mi lodò) come lo chiamassi. Mi dispiace il confessarlo, ma non ho saputo mai pentirmene. E a proposito dell’opera del nostro Collega, Ella dice che farà cambiare essenzialmente l’aspetto della questione: ma che aspetto potrà prendere? O è provata l’autenticità della Cronica, o non è provata. La questione (e questione non sarebbe mai nata, se non si fossero dimenticati i canoni della vera critica, insegnatici da Vincenzio Borghini, per tacer d’altri) la questione, dico, stava tutta qui, anche per i più acerrimi e i più ignoranti.“66

Damit war also die toskanische Ehre gerettet. Guasti berief sich dabei auf Vincenzio Borghini, der auch Namensgeber der von Fanfani wieder ins Leben gerufenen Zeitschrift war, um deutlich zu machen, dass die toskanische Wissenschaft hinsichtlich historischer Kritik keine Belehrung von außen benötige. Borghini – ein Vorfahre Capponis – hatte es nämlich im 16. Jahrhundert während der Regierungszeit Cosimos I. de’ Medici unternommen, die Werke Boccaccios und Dantes unter philologischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Darüber hinaus erforschte er die Geschichte von Florenz und hatte damit die philologisch-kritische Ausrichtung der Accademia della Crusca maßgeblich bestimmt. Seine Aufzeichnungen wurden im 19. Jahrhundert noch eifrig von den toskanischen Gelehrten rezipiert.67 Insofern gibt Guastis Verweis auf dieses Vorbild der Crusca einen Eindruck vom florentinischen Lokalpatriotismus, der es sich verbat, dass jemand, der weder Mitglied der Accademia della Crusca, noch Toskaner war, das von der Crusca gepflegte Geschichtsbild in Frage stellte. Umso euphorischer nahmen die Mitglieder der Akademie zur Kenntnis, dass auch in Deutschland kaum noch an der grundsätzlichen Authentizität der Chronik gezweifelt wurde und sie somit die deutsche Kritik in die Schranken gewiesen zu haben glaubten. Dass der Dino-Streit in Deutschland damit ad acta gelegt wurde, interpretierte Del Lungo damit, dass sich die deutschen Dino-Kritiker offenbar grämten, von einem Italiener widerlegt worden zu sein.68 66

NL ­Reumont, S 1061, Cesare Guasti an ­Reumont, Nr. 344, Florenz, 27. Februar 1881. Gianfranco Folena: Borghini, Vincenzio Maria, DBI 12 (1971) [URL: http://www.treccani. it/enciclopedia/vincenzio-maria-borghini_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 68 NL ­Reumont, S 1063, Isidoro Del Lungo an ­Reumont, Nr. 100, Florenz, 12 Mai 1882: „Ella mi dice di non aver veduto nulla in Germania intorno al mio Dino. Le confesso che mi meraviglierei se fosse diversamente. La molta stima che io ho de’ suoi connazionali non arriva fino a farmi credere che essi debbano, in generale, sentir molto vivo il prurito di parlare d’ un argomento, nel quale Tedeschi hanno avuto il torto, e un Italiano ragione.“ 67

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D. Der Dino-Streit

Wie gezeigt, war die Dino-Frage im Grunde keine nationale Angelegenheit, die Verteidiger und Gegner standen sich sowohl in Italien selbst als auch in Deutschland gegenüber. In Italien kam zudem noch das antiflorentinische Element hinzu, das sich zum Teil mit der universitären, überregionalen Wissenschaft verband. Dennoch waren es gerade die Fragen von Prestige und Lokalpatriotismus, die eine intensive Auseinandersetzung mit der Compagni-Chronik unter Berücksichtigung eben jener critica tedesca motivierten. Die wechselseitige Rezeption der Diskussion auf der jeweils anderen Alpenseite, prägte das Editionsprojekt Del Lungos wie die Erneuerung der Studien im Italien jener Jahre.69 Dagegen trug der Dino-Streit auf deutscher Seite dazu bei, dass sich Gelehrte wie beispielsweise Karl von Hegel oder Constantin von Höfler von der „Hyperkritik“ distanzierten. Letzterer stellte im Verlaufe des Dino-Streits fest: „Was sagen Sie zu der Gerathung Dino Compagni’s, die historische Kritik geht so rasch u. kühn voran, daß wir am Ende an unserer eigenen Existenz zu zweifeln haben.“70

­Reumont hatte während dieser Auseinandersetzung beide Seiten über den Verlauf der Kontroverse auf der jeweils anderen Alpenseite unterrichtet und über die gegenseitige Rezeption Auskunft gegeben. Insbesondere Guasti und Del Lungo selbst erkundigten sich immer wieder, welchen Verlauf die Diskussion in Deutschland nahm und wie dort ihre Arbeit bewertet werde. Zudem brachte ­Reumont sowohl die Dino-Gegner Scheffer-Boichorst und Fanfani miteinander in Kontakt, wie auch die Dinisti mit dem Gegner Otto Hartwig. Nicht zuletzt unterstützte er Del Lungo bei der kritischen Edition der Chronik, indem er bei Ficker, dessen Schüler Scheffer-Boichorst war, Hintergrundinformationen beschaffte. ­Reumont hatte also führende Vertreter aller Parteien miteinander in Kontakt gesetzt und durch eigene Berichte, sei es persönlich oder in Form von Zeitschriftenaufsätzen auf dem Laufenden gehalten. Obwohl sein Bemühen um eine Versachlichung als gescheitert betrachtet werden muss, hatte er doch großen Anteil an der wechselseitigen Rezeption, die der Wissenschaft auf beiden Seiten der Alpen wichtige Impulse gab, indem sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der historisch-kritischen Methode geführt hatte.

69

Vgl. Ragone (1993), S. 52. NL ­Reumont, S 1062, Höfler an ­Reumont, Nr. 107: Prag, 20. November 1874.

70

E. ­Reumont als Brückenbauer I. ­Reumonts Vorträge am königlichen Hof als wichtiger Zugang zum deutschen Bewusstsein Als ­Reumont nach seinen ersten Jahren in der Toskana nach Berlin kam, eröffnete ihm insbesondere das große Interesse des Kronprinzen an Italien einen ersten und letztlich entscheidenden Zugang zur Hofgesellschaft. Bereits während seines ersten Toskanaaufenthaltes hatten ihn Vieusseux und Capponi für das schmerzliche Fehlen eines regelmäßigen Austauschs zwischen deutscher und italienischer Wissenschaft sensibilisiert und motiviert, als kultureller Mittler zu fungieren.1 Angesichts der am königlichen Hof vorhandenen Neugier auf die neuere italienische Literatur und der Ambitionen von ­Reumonts Florentiner Bekannten, in engere Beziehungen zum deutschsprachigen Raum zu treten, bot sich eine Mittlerrolle des in der Toskana sozialisierten Mitarbeiters des preußischen diplomatischen Dienstes geradezu an. Zumal sich für ­Reumont über seine „Italienkompetenz“ eine wichtige Karrierechance eröffnete, indem er vorhandene Wissenslücken über Italien schließen konnte. Die Kenntnis über neuere italienische Literatur war zu jener Zeit noch denkbar gering. Wie ­Reumont 1835 Vieusseux berichtete, war es ihm kaum möglich, den Fortgang der italienischen Literatur weiter zu verfolgen – in deutschen Buchhandlungen und Bibliotheken waren italienische Werke nur selten verfügbar.2 Entsprechend war er selbst darauf angewiesen von Vieusseux mit Büchersendungen und Informationen versorgt zu werden, um in Berlin über den Stand der italienischen Literatur infor­ eumont erkannte sofort, dass er darüber Werbung in eigener mieren zu können.3 R Sache machen konnte und überreichte zunächst König Friedrich Wilhelm III. seine Aufsatzsammlung verschiedener Autoren über Italien, die er unter dem Namen Italia veröffentlicht hatte.4 Während er sich im Zuge der Mission Brühl in Rom aufgehalten hatte, verfasste er zudem die bereits besprochenen Römischen Briefe von einem Florentiner, die er Friedrich Wilhelm IV. in einer persönlichen Audienz überreichte.5 Durch die Erfahrung des Mangels an einschlägiger italienischer Literatur nördlich der Alpen versprach ­Reumont Vieusseux noch während seines römischen Aufenthalts 1843: „Quand je serai en Allemagne, je ferai mon possible pour établir 1

Vgl. Kapitel B. I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz, S. 52–55. BNCF Vieuss. C. V. 88, 20, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 28. Oktober 1835. 3 Ebenda, 21, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 13. Februar 1836; 149, ­Reumont an Vieusseux, Frascati, 9. September 1842. 4 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594, ­Reumont an den König, Rom, 27. Oktober 1837. 5 Ebenda, ­Reumont an den König, Rom, 1. Februar 1840. 2

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E. ­Reumont als Brückenbauer

des relations plus fréquentes entre les deux pays.“6 Dafür galt es zunächst die ­Lücken der königlichen Bibliothek hinsichtlich italienischer Literatur zu schließen.7 Denn ­Reumonts Literaturbesprechungen im Morgenblatt und der Augsburger Allgemeinen Zeitung konnten nur einen ersten Überblick geben, der freilich nur von geringem Wert war, wenn die entsprechende Literatur nicht oder nur sehr schwer verfügbar war. Deswegen nutzte ­Reumont zunächst seinen Zugang zum könig­lichen Hof und überreichte Friedrich Wilhelm IV. in der Folge regelmäßig neue Publikationen, die ihm hauptsächlich von seinen italienischen Kontakten zugetragen wur­ eumont dem König eine den. Nach seiner erneuten Rückkehr aus Italien, brachte R reiche Bücherlieferung mit:8 Neben einer eigenen Schrift über Die letzten Zeiten des Johanniter-Ordens, übergab er dem König Schriften derjenigen Autoren, die entweder direkt oder über Mittelsmänner mit der Bitte an R ­ eumont herangetreten waren, ihre Werke dem König von Preußen zur Kenntnis zu bringen. Dabei handelte es sich meist um Autoren, die ohnehin bereits in regelmäßigem Kontakt zur preußischen Gesandtschaft in Rom standen. Luigi Canina beispielsweise war bereits Ehrenmitglied der Direktion des Instituto di corrispondenza archeologica und pflegte seine Publikationen über Eduard Gerhard oder ­Reumont an Friedrich Wilhelm IV. gelangen zu lassen und war für seine Arbeiten bereits mit dem Roten Adler dritter Klasse ausgezeichnet worden.9 Dieser hatte ­Reumont seine Ricerche sull’Architettura dei tempj cristiani mitgegeben und R ­ eumont ebenfalls aufgetragen Carlo Promis’ Trattato d’Architettura civile e militare di Francesco di Giorgio Martini weiterzuleiten.10 Promis war damals königlicher Archäologe und Inspektor der Baumonumente von Sardinien-Piemont. Durch die Vermittlung Caninas11 erhielt ­Reumont von dessen Traktat Kenntnis und zeigte es im Kunstblatt an, um einen bis dato im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannten Architekten ins Bewusstsein der Forschung zu rufen.12 ­Reumonts Empfehlung des Werkes an den König brachte Promis schließlich die Verleihung der großen Medaille Friedrich Wilhelms IV. ein.13 ­Reumont nahm dessen Dankbarkeit für die Förderung

6

BNCF Vieuss. C. V. 88, 161, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 8. Februar 1843. Ebenda, 180, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 31. Dezember 1843. 8 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594, ­Reumont an den König, 10. Oktober 1843. 9 ­Reumont hat Canina später ein Zeitbild gewidmet: Alfred von R ­ eumont: Beiträge zur italienischen Geschichte, Bd. 6, Berlin 1857, S. 505–518. 10 Giacomo Lumbroso (Hrsg.): Memorie e Lettere di Carlo Promis. Architetto, Storico ed Archeologo Torinese (1808–1873), Roma / Torino / Firenze 1877, S. 1: Carlo Promis an Luigi Canina, Turin, 29. März 1843. 11 Über Canians Förderung Carlo Promis’ vgl. auch Alfred von ­Reumont: Beiträge zur italienischen Geschichte, Bd. 6, Berlin 1857, S. 505–518, hier S. 517–518. 12 Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis Scat. 12/IX14, ­Reumont an Carlo Promis, Rom, 14. März 1843; Alfr. ­Reumont: Italienische Kunstgeschichte: Trattato di Architettura civile e militare di Francesco di Giorgio Martini, Kunstblatt 24 (1843), S. 54–56. 13 BNCF Vieuss. C. V. 88, 188, R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 15. Juni 1844; Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis Scat. 12/X40, ­Reumont an Carlo Promis, Berlin, 15. Juni 1844. 7

I. ­Reumonts Vorträge am königlichen Hof 

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zum Anlass, ihn darum zu bitten, ihn regelmäßig über die Fortschritte der piemontesischen Forschungen auf dem Laufenden zu halten.14 Diese Vorgehensweise ­Reumonts, sich Gelehrte aus möglichst vielen Regionen Italiens über die Vermittlung eines königlichen Ordens zu verpflichten, um anschließend im Idealfall von ihnen über die italienischen Neuerscheinungen informiert zu werden, hatte dabei durchaus System. R ­ eumonts Buchlieferung an den König enthielt dabei auch das nicht im Handel befindliche Werk des päpstlichen Hausprälaten und Präfekten des vatikanischen Archivs Monsignor Marino Marinis, Diplomatica pontificia ossia osservazioni paleografiche ed erudite sulle bolle dei Papi. Außerdem leitete R ­ eumont mehrere Schriften Orti Manaras, des königlichen Kämmerers und Oberbürgermeisters von Verona weiter, der auch Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften war. Dessen Werke über Verona brachten ihm ebenfalls den Roten Adler ein.15 Gestützt auf das ständig wachsende Netzwerk aus persönlichen Informanten konnte ­Reumont bald trotz der schlechten Verfügbarkeit italienischer Literatur in Berlin dazu übergehen, regelmäßig Vorträge am königlichen Hof zu halten, die sich um italienische Neuerscheinungen drehten. Allerdings konnten die klaffenden Lücken der königlichen Bibliothek nur langsam geschlossen werden,16 da die Zensur den Bücherversand erheblich behinderte. Insbesondere Publikationen mit politischem Inhalt wie die Schriften Vincenzo Giobertis, waren auch für ­Reumont nicht aufzutreiben.17 Für seinen ersten Vortrag am königlichen Hof konnte er jedoch – wenngleich mit erheblichen Schwierigkeiten – über Vieusseux Tommaséos Dizionario estetico sowie Niccolinis Arnaldo da Brescia auftreiben.18 Verbunden mit seinen Literaturanzeigen in diversen Zeitschriften gab ­Reumont dem deutschsprachigen Publikum damit einen wertvollen Überblick und eine wichtige Grundlage für eine weiterführende Beschäftigung mit italienischen Themen. Der große Erfolg von Niccolinis Arnaldo da Brescia hatte etwa seinen Ausgangspunkt in ­Reumonts Literaturbesprechungen genommen.19 Eine wichtige Motivation war es dabei auch, dem deutschen Publikum nicht nur die italienische Geschichte und 14

Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis Scat. 12/X40, ­Reumont an Carlo Promis, Berlin, 15. Juni 1844: „Le indicazioni letterarie in questa Sua mi sono state gratissime ed utilissime, ed Ella mi farebbe un sommo piacere, se nell’avvenire volesse tenermi qualche volta au courant di quel che si fa da loro. Unisco un’altra preghiera, la quale forse sarà troppo ardita, ed è quella di procurarmi senza Suo incomodo qualche volta quelle cose stampate a Torino, che hanno per me dell’interesse.“ 15 BNCF Vieuss. C. V. 88, 188, R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 15. Juni 1844. 16 Ebenda, 180, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 31. Dezember 1843. 17 Ebenda, 185, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 6. Mai 1844. 18 Ebenda, 178, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 10. November 1843; 180, Berlin, 31. Dezember 1843; 182, Berlin, 12. Februar 1844. 19 BNCF Vieuss. C. V. 88, 185/186, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 6. Mai 1844/Berlin, 22. Mai 1844; NL ­Reumont, S 1064, Giovanni Battista Niccolini an ­Reumont, Nr. 8, Florenz, 6. Oktober 1844.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

Literatur, sondern auch die dortige Mentalität näherzubringen. Nach dem erfolgreichen Auftakt von ­Reumonts Vorträgen, unternahm er es zudem anhand des Beispiels Vittoria Colonnas, das Publikum mit den italienischen Reformbewegungen vertraut zu machen, über die die deutsche Öffentlichkeit damals nur sehr unzurei­ eumont zwar in besonderem Maße chend informiert war.20 Hier orientierte sich R an den persönlichen Interessen des Königs, den er regelmäßig mit Literatur versorgte21 und dem er oftmals persönlich daraus vorlas,22 allerdings behielt er auch stets die aktive Forschung im Blick. So informierte er beispielsweise umgehend Georg Heinrich Pertz, den Präsidenten der MGH, über die Cronaca Orvietana, die Vieusseux für editionswürdig hielt.23 Insofern stand er unter italienischen Gelehrten längst im Ruf eine Verbindung zum König von Preußen darzustellen, als er durch das Amt des preußischen Minister­ residenten am großherzoglichen Hof von Toskana auch offizieller Ansprechpartner für Kontakte nach Preußen wurde. In dieser Funktion musste er zahlreiche Anfragen nach Weiterleitung von Kunst und Literatur an den königlichen Hof bearbeiten und handelte dabei durchaus eigenständig, indem er dem König vorformulierte Antwortschreiben unterbreitete.24 Dabei profitierten insbesondere seine eigenen Bekannten, wie etwa Giovanni Carlo Conestabile della Staffa, der sich von ­Reumont bei der Weiterleitung der Monumenti Perugini genauestens über die geeignetste Art und Weise beraten ließ.25 Zugleich fungierte ­Reumont auch als Vermittler zu Leopold II., wovon unter anderem Karl Witte profitierte, dessen Arbeiten über Dante R ­ eumont dem Großherzog zukommen ließ.26 1. Vermittlung von Auszeichnungen Die entscheidende Motivation der meisten Autoren, ihre Werke „einem Fürsten zu Füßen zu legen“, war die Hoffnung auf einen entsprechenden Gunstbeweis, meist eine Auszeichnung, die das soziale Prestige des Autors erhöhte und den Publikationen Aufmerksamkeit verlieh. Insofern befand sich ­Reumont in der persönlich vorteilhaften Position, den Zugang zu sozialem Prestige beeinflussen zu können. 20

BNCF Vieuss. C. V. 88, 200, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 13. Januar 1845. Ebenda, 89, 17, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 23. Januar 1851; 56, ­Reumont an Vieusseux, Marienbad, 2. Juli 1857. 22 Ebenda, 88, 200, R ­ eumont an Vieusseux, Berlin, 13. Januar 1845; 89, 51, R ­ eumont an Vieusseux, Marienbard, 26. Juli 1856. 23 Ebenda, 88, 227, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 18. Februar 1845. 24 Vgl. etwa Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594/0, Florenz, 4. Januar 1857. 25 NL ­Reumont, S 1059, Giovanni Carlo Conestabile an ­Reumont, Nr. 200: Perugia, 20. November 1855; Nr. 202; Nr. 203: Perugia, 3. November 1856; Nr. 204: Perugia, 17. November 1856. 26 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 50: Florenz, 16. März 1854; Nr. 52: Florenz, 22. September 1854. 21

I. ­Reumonts Vorträge am königlichen Hof 

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Gleich zu Anfang seiner italienischen Literaturberichterstattung am königlichen Hofe hatte er sich zusammen mit Alexander von Humboldt, dem Ordenskanzler, erfolgreich dafür eingesetzt, dass Alessandro Manzoni vom König der Orden Pour le Mérite verliehen wurde, wie er Vieusseux stolz berichtete.27 Später setzte er sich ebenso wirkungsvoll dafür ein, dass Cesare Cantù für seine Storia Universale die Goldmedaille Friedrich Wilhelms IV. erhielt.28 Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass R ­ eumont während seiner Tätigkeit als preußischer Ministerresident in Florenz von allen Seiten um preußische Orden angegangen wurde.29 Allerdings funktionierte seine Vermittlung von Auszeichnungen auch in zahlreiche andere Richtungen. Wie bereits erwähnt hatte er maßgeblichen Anteil daran, dass Leopold II. Ernst Förster für dessen Publikation über den verstorbenen Schweizer Architekten Johann Georg Müller und dessen Entwurf zur Florentiner Domfassade die Ehrenmedaille erhielt.30 Außerdem unterstützte R ­ eumont Karl Witte maßgeblich bei der Jagd nach Orden und Auszeichnungen. So unterstützte er ihn bei seinen Bemühungen um einen Verdienstorden von San Marino und beriet ihn bei seinen Dantearbeiten. Des Weiteren half ihm R ­ eumont bei der Beschaffung relevanter Handschriften, anschließend vermittelte er den Verlag von Wittes Edition von Dantes Divina Commedia durch die Decker’sche Hofbuchdruckerei und empfahl ihm zudem, sich hinsichtlich der Widmung nicht an König Johann von Sachsen zu halten, um einen Gunsterweis zu erhalten, sondern besser direkt an Friedrich Wilhelm IV. sowie den österreichischen Kaiser Franz Joseph I. (1848–1916).31 Wegen der schweren Krankheit des preußischen Königs, hielt sich Witte letztlich dennoch an König Johann von Sachsen.32 27 BNCF Vieuss. C. V. 88, 188, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 15. Juni 1844: „Les ­gazettes V.s auront dit aussi, que le Roi a accordé l’ordre p.r le mérite (celui qui avait appartenu à Fossombroni) à Manzoni. C’est moi qui en parlai le premier à Mr. de Humboldt, chevalier de l’ordre, qui me répondait de suite qu’il partageait entièrement mon opinion, & qui puis l’obtient du Roi. Cela a fait en Allemagne une très-bonne impression, car Manzoni est celui de Vos poètes que nous aimons le plus, & qui nous est cher encore à cause de la mémoire de Goethe. Mon discours sur la poésie ital.e a contribué encore à appeler l’attention sur lui.“ 28 Ebenda, 88, 17, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 23. Januar 1851; 22, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 14. Februar 1851; 28, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 12. Juli 1851. 29 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 55: Florenz, 13. März 1855: „Ich vernahm von Capei daß er Ihnen die Garibaldi-Schrift des langweiligen Oreste Brizi gesandt, dem ich auf alle Weise aus dem Wege gehe weil er mich stets um einen Rothen Adler quält. Sie glauben nicht wie ich hier um preußische Orden bestürmt werde: ich muß anhaltend taube Ohren machen.“ 30 Vgl. Kapitel C. I. 2. Cottas Morgenblatt und Schorns Kunstblatt, S. 260–262. 31 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 56: Florenz, 30. März 1855; Nr. 67: Sanssouci, 3. August 1856; Nr. 68: Schloß zu Potsdam, 12. August 1856; Nr. 78: Sanssouci, 11. August 1857; Nr. 80: Florenz, 28. Juni 1858; Nr. 81: Tegernsee, 28. Juli 1858; Nr. 82: Tegernsee, 6. August 1858; Nr. 83: Tegernsee, 22. August 1858; Nr. 84: Tegernsee, 27. August 1858; Nr. 115: Rom, 9. April 1863; Nr. 117: Sanssouci, 13. Juni 1863; Nr. 118: Sanssouci, 3. Juli 1863; Karl Witte: Ein Leben für Dante. Vom Wunderkind zum Rechtgelehrten und größten deutschen Dante-Forscher, verfaßt von Hermann Witte, bearbeitete und herausgegeben von Hans Haupt, Hamburg 1971, S. 186–193. 32 Ebenda, S. 193.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

Dabei ging es vor allen Dingen darum, Wittes Prestige als Wissenschaftler zu heben und seine universitäre Stellung zu verbessern.33 ­Reumonts Förderung richtete sich dabei nicht nur an Deutsche und Italiener. Auch der französische Historiker Louis de Mas Latrie, Professor der École nationale des chartes und Mitglied des Comité des travaux historiques et scientifiques sowie der Société de l’histoire de France, wandte sich an R ­ eumont als Mitglied des Malteser-Ordens, um sowohl seine eigene Mitgliedschaft, als auch die seines Sohnes zu erhalten.34 2. Mitgliedschaften Von Beginn an spielten für R ­ eumonts Mittlertätigkeit zahlreiche angesehene Akademien und Vereine eine entscheidende Rolle. R ­ eumont wurde im Laufe seiner diplomatischen und kulturellen Tätigkeit Mitglied zahlreicher Sozietäten und verfügte schon auf diese Weise über ein weitreichendes überregionales und internationales Netzwerk. Im Folgenden soll nun ein Überblick über die wichtigsten Sozietäten gegeben werden, in denen ­Reumont aktiv war. In den darauf folgenden Kapiteln soll dann auf diejenigen Projekte eingegangen werden, in denen R ­ eumont tatsächlich zeitweise eine herausragende Rolle einnahm: Neben dem bereits besprochenen Archivio Storico Italiano handelt es sich dabei vor allem um das Instituto di corrispondenza archeologica. Gleich zu Beginn seines Aufenthalts spielten für ­Reumont zwei Akademien eine ganz entscheidende Rolle, die Accademia Colombaria und die Accademia della Crusca. Bereits im Jahre 1833 hatte Capponi ihm die Mitgliedschaft in der Colombaria, 1852 in der Crusca verschafft.35 Die Mitgliedschaft in der ersten Akademie eröffnete ­Reumont den persönlichen Zugang zur literarischen Gesellschaft der ­Toskana. Über die Gesellschaftskontakte war ihm und denjenigen deutschsprachigen Forschern, die er unterstützte, der Zugang zu Archiven und Bibliotheken der Toskana wesentlich erleichtert. Gleichzeitig konnte jedoch auch die Colomba­ eumonts Kontakten profitieren. So sorgte er etwa für die ria bald ebenfalls von R überregionale Bekanntmachung ihrer Projekte, wie der etruskischen Grabungen ­Alessandro François’ auf toskanischem Boden,36 die er sowohl in der Augsburger 33

Vgl. NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 78: Sanssouci, 11. August 1857. NL ­Reumont, S 1063, Louis de Mas Latrie an ­Reumont, Nr. 68: Paris, 23. Februar 1858 ; Nr. 70: Paris, 10. Oktober 1866; Nr. 71: Paris, 30. Novembre 1866; Nr. 72: Paris, 21. Februar 1867. 35 Vgl. Hüffer (1904), S. 127 u. 161; NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 165: Villa Rospigliosi, Lamporecchio, 18. Mai 1871. 36 Umberto Dorini: La Società Colombaria. Accademia di studi storici, letterari, scientifici e di belle arti. Cronistoria dal 1735 al 1935, Florenz 1935, S. 46–47; Alessandro François ist der Entdecker der sogenannten François-Vase, einem attisch-schwarzfigurigen Volutenkrater aus dem 2. Viertel des 6. Jahrhunderts v. Chr. aus einem Grab bei Chiusi, der sich heutzutage im Museo Archeologico Nazionale in Florenz befindet. Dieses Objekt gilt in der Archäologie und der Kunstgeschichte als eines der herausragenden Meisterwerke der Antike. 34

I. ­Reumonts Vorträge am königlichen Hof 

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Allgemeinen Zeitung,37 im Rahmen der Institutssitzung des Instituto di corrispondenza archeologica38 und der Pontificia Accademia Romana di Archeologia39 bewarb. Als wichtiger Mittler der Colombaria konnte er zudem die Aufnahme weiterer ihm nahe stehender Personen als Mitglieder betreiben, so etwa der beiden Danteforscher Karl Witte und der Domprediger der Hallenser Reformierten Gemeinde, Ludwig Gottfried Blanc aus Halle, für die er auch in der Folge die Verbindung zur Colombaria darstellte.40 Ähnlich war ­Reumonts Vorgehensweis in der Crusca. Seine Verbindungen zu Vieusseux und Capponi öffneten ihm auch diesen Zugang. Zunächst hatte er über Capponi dafür gesorgt, dass Witte für seine Danteforschungen zum Mitglied ernannt wurde.41 Später bemühte er sich um seine eigene Mitgliedschaft, um die er Capponi jedoch nicht direkt angehen konnte. Deswegen bat er Vieusseux bei Capponi vorzusprechen, damit dieser sich für seine Ernennung einsetzte, da es kaum einen Ausländer gebe, der so viel zur Kenntnis Italiens beigetragen habe.42 Als Mitglied der Crusca hielt ­Reumont vor allen Dingen Witte über deren Aktivitäten auf dem Laufenden und beriet ihn bei seiner Korrespondenz mit der angesehenen Akademie.43 Auch ­Reumont selbst ließ sich beim Umgang mit dieser Gesellschaft beraten und legte seine Reden und Vorträge oftmals Francesco Bonaini zur Durchsicht vor.44 Als seine diplomatische Tätigkeit ihn nach Rom führte, begann ­Reumont sofort sich den kulturellen Einrichtungen zuzuwenden. Durch seine Tätigkeit an der preußischen Gesandtschaft erhielt er zwangsläufig Zugang zum Instituto di corri­ spondenza archeologica, auf das im folgenden Kapitel näher eingegangen wird. ­Reumonts Einsatz bei der Beilegung der Kölner Wirren sowie des Mischehenstreits führten ihn zudem in die päpstliche Gesellschaft ein. Nachdem er sich durch seine Hilfe bei der Beilegung der Differenzen mit dem preußischen Staat das Wohlwollen 37

BNCF Vieuss. C. V. 89, 69, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 27. Februar 1858; 70; ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. März 1858. 38 Ebenda. 39 Ebenda, 71, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 13. März 1858. 40 NL ­Reumont, S 2746, R ­ eumont an Witte, Nr. 58: Florenz, 9. November 1855; Nr. 81: Tegern­see, 29. Juli 1858; Haupt (1971), S. 148. 41 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 42: Florenz, 3. Dezember 1847: „Durch des guten Gråberg Tod ist eine Correspondentenstelle bei der Crusca offen. Gestern Abend habe ich Capponi vorgestellt daß man Sie wählen müßte und er will die Sache vorbringen, indem er äußerte daß man Ihnen eine Anerkennung dieser Art längst schuldig sei. Ich hoffe umsomehr daß es durchgehn wird, de Batimes u. auch Vannucci sagen viel, auch Gelli u. Niccolini. Ich denke es wird Ihnen erfreulich sein.“ 42 BNCF Vieuss. C. V. 89, 24, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 26. Februar 1851: „Mille choses à Capponi ec. Je vois que la Crusca a nommé Bonaini. Demandez un peu à notre bon ami Gino, s’il croit que je me fais peu à peu mûr à recevoir ce bâton de Monockel des Acads Italiennes ? Si j’écris mal, je crois que peu d’étrangers (vivant ou vivotant !) ont contribué autant vers la connaissance de l’Italie.“ 43 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 47: Berlin, Hôtel des Princes, 29. Juni 1853; Nr. 48: Berlin, Hôtel des Princes, 10. Juli 1854; Nr. 52: Florenz, 22. September 1854. 44 Ebenda, Nr. 56: Florenz, 30. März 1855.

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der Kurie erworben hatte, führte ihn sein kulturelles Interesse, dem er sich nebenbei widmete, zur Ehrenmitgliedschaft in der Accademia di S. Luca sowie der Accademia dell’Arcadia, in der er den Namen pastore Etasio Lemniaco trug.45 In der Arcadia hatte er anlässlich der Rückkehr Pius’ IX. aus seinem Exil 1850 zusammen mit dem gemäßigt-liberalen spanischen Botschafter in Rom, Martinez de la Rosa einen Festvortrag gehalten.46 Außerdem war ­Reumont Mitglied in der Pontificia Accademia Romana di Archeologia, wo er seine Vorträge nutzte, um den Arbeiten seiner Florentiner Bekannten auch in Rom Aufmerksamkeit zu verschaffen.47 Ferner vermittelte er zwischen dieser Akademie und Friedrich Wilhelm IV., der ihre Aktivitäten mit großem Inte­ eumont Geschenke des Königs resse verfolgte. Über Pietro Ercole Visconti ließ R an die Akademie weiterreichen, wie beispielsweise die neuesten Veröffentlichungen des Ägyptologen Richard Lepsius über die Resultate von dessen wissenschaftlicher Expedition nach Ägypten der Jahre 1842–45.48 Dabei war für ­Reumont der persönliche Kontakt zu Visconti von besonderer Bedeutung: Einerseits führte er für ihn Recherchen in Berlin durch,49 andererseits blieb ­Reumont durch den Kontakt zu Visconti stets über die neuesten römischen Forschungen informiert, die damals von Pius IX. zur historischen Rechtfertigung der Papstherrschaft über Rom in Auftrag gegeben worden waren. Visconti berichtete über die Grabungen zwischen der Domus Aurea und dem Kolosseum,50 sowie den Unternehmungen an der Via Appia, dem Pantheon, dem Forum Romanum, den Katakomben von S. Callisto sowie den Gärten des Sallust51 oder auch den archäologischen Forschungen in Ostia.52 Während ­Reumont deutschsprachige Gelehrte wie etwa Ludwig Schorn mit ihren Anliegen an Visconti weiterleitete, der diese wiederum mitunter bis hin zu Kardinal Antonelli vortrug,53 vermittelte Visconti ebenfalls internationale Wissenschaftler an 45

BNCF Vieuss. C. V. 88, 160, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 27. Januar 1843; 169, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 20. Mai 1843. 46 Ebenda, 89, 2, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 12. Mai 1850. 47 Vgl. etwa NL ­Reumont, S 1064, Luigi Passerini an ­Reumont, Nr. 101, Florenz, 18. April 1862: „La ringrazio ancora della menzione ch’Ella ha fatto di me nel discorso letto all’accademia di Archeologia sui nostri restauri: discorso di cui ho veduto fatto onoratamente menzione nella nostra Gazzetta del popolo, e che spero di leggere quando sia.“ 48 Carl Richard Lepsius: Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien. Nach den Zeichnungen der von Seiner Majestät dem Könige von Preußen Friedrich Wilhelm IV. nach diesen Ländern gesendeten u. in d. Jahren 1842–1845 ausgeführten wissenschaftl. Expedition, 12 Tafelbände, Berlin 1849–1859; NL ­Reumont, S 1067, Visconti an ­Reumont, Nr. 33: Rom, 18. November 1852; Nr. 36: Rom, 12. April 1853. 49 So beispielsweise über einen Abate Bastiani, der 1787 in Berlin gestorben ist und eine Zeit lang Sekretär des Erzbischofs von Warschau gewesen ist. Visconti vermutete deswegen, dass in Berlin Quellen zu dieser Person existieren müssten. Vgl. ebenda, Nr. 47: Rom, 20. November 1874. 50 Ebenda, Nr. 31: Rom, 17. März 1852. 51 Ebenda, Nr. 39: Rom, 7. Juli 1854. 52 Ebenda, Nr. 44: Rom, 30. Januar 1857. 53 Ebenda, Nr. 34: Rom, 29. Dezember 1852.

I. ­Reumonts Vorträge am königlichen Hof 

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­ eumont weiter.54 Insbesondere für seine eigenen Aufsätze griff ­Reumont immer R wieder auf die Recherchedienste Viscontis zurück, so etwa für die biographischen Daten zu Papst Gregor XVI.55 oder der Contessa d’Albany.56 Von ähnlicher Natur war ­Reumonts Kontakt zu Angelo Pezzana, dem Direktor ­ eumont in regelmäßigen der Bibliothek von Parma.57 Auch diese Institution setzte R Kontakt mit Friedrich Wilhelm IV. und vermittelte den Austausch von Werken.58 Außerdem sorgte er für eine gute Aufnahme von Pezzanas Storia di Parma, indem er sie Johann Friedrich Böhmer zukommen ließ59 und sie zudem persönlich in der Augsburger Allgemeinen Zeitung besprach.60 Schließlich konnte ­Reumont sogar die Aufnahme Pezzanas in die Akademie der Wissenschaften einfädeln61 und den Austausch zwischen Berlin und Parma institutionell verankern. Besonders profitierte die Königliche Bibliothek von ­Reumonts Mittlertätigkeit. Als Diplomat und Berater Friedrich Wilhelms IV. stellte er seine Kontakte natürlich insbesondere der Königlichen Bibliothek zur Verfügung. Bereits seit den 1840er Jahren beschaffte er über Vieusseux neuere italienische Publikationen.62 Dabei orientierte er sich nicht nur an den Interessen am königlichen Hof oder der von Vieusseux beigemessenen Relevanz, sondern auch an seinem persönlichen Korrespondentennetz, das ihm diverse Neuerscheinungen zutrug, um auch im deutschsprachigen Raum rezipiert zu werden. So bestellte er auch diverse Publikationen Cesare ­ eumont die Bücher zunächst auf eigene Kosten und ­Cantùs.63 Anfangs beschaffte R bemühte sich anschließend darum, die Ausgaben erstattet zu bekommen. Allerdings gestaltete sich dies zuweilen als zu kompliziert, weshalb er beispielsweise Bonaini anwies, seine Berichte selbst an die Königliche Bibliothek zu senden.64 Im Laufe der 1850er Jahre forderte schließlich die Bibliothek Vieusseux’ Katalog an, um auf dieser Grundlage über weitere Bestellungen entscheiden zu können.65 Durch ­Reumonts engen Austausch mit Vieusseux und seine persönliche Verwurzelung in der Toskana war es vor allen Dingen der umtriebige Verleger und Buchhändler, der die über ­Reumont verfügbare Verbindung nach Berlin nutzte und zu etablieren 54

Ebenda, Nr. 38: Rom, 13. [November] 1853. Ebenda, Nr. 29. 56 Ebenda, Nr. 45: Rom, 13. April 1860. 57 Vgl. Kapitel C. III. 1. ­Reumonts historische Italienkorrespondenz in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 339–340. 58 NL ­Reumont, S 1064, Angelo Pezzana an R ­ eumont, Nr. 140: Parma, 8. Oktober 1854; Nr. 141: Parma, 1. März 1854; Nr. 143: Parma, 16. Dezember 1856; Nr. 144: Parma, 19. Oktober 1857. 59 Ebenda, Nr. 149: Parma, 12. September 1859. 60 Ebenda, Nr. 150: Parma, 3. Oktober 1859. 61 Ebenda, Nr. 153: Parma, 7. Juni 1860. 62 BNCF Vieuss. C. V. 88, 224, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 21. November / 5. Dezember 1846; 89, 6, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 6. Juli 1850; 12, R ­ eumont an Vieusseux, Rom, 23. November 1850. 63 Ebenda, 89, 14, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. Dezember 1850. 64 Ebenda, 34, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 15. September 1851. 65 Ebenda, 41, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 5. Juli 1853. 55

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suchte, während die übrigen über ­Reumont vermittelten Neuerwerbungen meist auf die Initiative einzelner Autoren zurückgingen, die ihr Werk im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen suchten. Für italienische Autoren war es aber in jedem Fall lohnend, ihr Werk nicht einfach selbst der königlichen Bibliothek zukommen zu lassen, sondern gezielt den Weg über ­Reumont zu suchen. Denn dieser verfügte über seine Mitgliedschaft in der Königlichen Akademie der Wissenschaften66 über einschlägige Kontakte zu den führenden Gelehrten, wie Theodor Mommsen, Eduard Gerhard, Richard Lepsius, Leopold Ranke, Jacob und Hermann Grimm oder auch Heinrich Pertz von den MGH.67 Insofern konnte ­Reumont dafür sorgen, dass führende Gelehrte die entsprechenden Werke auch zur Kenntnis nahmen. So bot er etwa Pietro Capei an, dessen Werken in der Akademie eine angemessene Aufmerksamkeit zu verschaffen.68 Schon bevor R ­ eumont überhaupt zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt worden war, suchten die Italiener seine Vermittlung dorthin. So ersuchte etwa Giacomo Bucca den mit R ­ eumont in Verbinung stehenden Scipione Volpicella um die Weitergabe seiner Schrift über die Grotten um Pozzuoli an R ­ eumont, damit dieser sie an die Berliner Akademie weiterleite.69 ­Reumont vermochte es, durch sein schon recht bald weitreichendes Netzwerk, die Rezeption der italienischen Kultur und Wissenschaft am königlichen Hofe wie auch in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu intensivieren und den Bestand italienischer Literatur in der königlichen Bibliothek zu erweitern. Friedrich Wilhelms IV. Italienbegeisterung fand in ­Reumont einen dankbaren Lieferanten italienischer Neuigkeiten und führte zu einer intensivierten Auseinandersetzung mit italienischen Kulturprojekten. Eine bemerkenswerte Folge von R ­ eumonts Kulturvermittlung ist etwa die Spende des preußischen Königspaares für die Fassaden­ eumont Marco Tabarrini zur Weiterarbeiten an S. Maria del Fiore in Florenz, die R leitung an die zuständige Kommission überwiesen hatte.70 Das Interesse am königlichen Hof bezog sich allerdings vorwiegend auf die mittelalterliche und Renaissance-Kultur Italiens, weniger auf die Zeitgeschichte. Als ­Reumont 18 Jahre später von Leopoldo Galeotti darum gebeten wurde, sich erneut um Spenden zu bemühen, war er weniger erfolgreich. Es handelte sich um die Errichtung des Denkmals für Gino Capponi in S. Croce. Wie ­Reumont jedoch Galeotti ernüchtert erklären musste, interessierte sich in Deutschland kaum jemand für die

66

Vgl. NL ­Reumont, S 1067, Visconti an ­Reumont, Nr. 39: Rom, 7. Juli 1854. BNCF Vieuss. C. V. 89, 107, ­Reumont an Vieusseux, Berlin, 8. Juni 1860; 126, ­Reumont an Vieusseux, Aachen, 2. August 1861. 68 Ebenda, 165, ­Reumont an Vieusseux, Lamporecchio, 26. November 1862; 166, ­Reumont an Vieusseux, Lamporecchio, 29. November 1862. 69 NL ­Reumont, S 1067, Volpicella an ­Reumont, Nr. 53: Neapel, 19. März 1851. 70 Archivio di Stato di Firenze, Carte Tabarrini, busta 11, inserto 2b, Carte relative all’Associazione per la facciata del Duomo di Firenze, cc. 59–60: R. Legazione di Prussia, 18. Dezember 1858. 67

II. ­Reumont als Diplomat 

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Führungsgestalt der toskanischen Moderati.71 Und die wenigen, die ihn verehrten und schätzten trauten sich möglicherweise nicht, in einer derartigen Form Stellung zu beziehen. Zu brisant erschien die politische Konnotation. Schließlich war es ungewiss, wie eine Öffentlichkeit, die über das Wirken Capponis und dessen Absichten kaum informiert war, eine Spende politisch interpretieren würde. Ähnlich schwierig gestaltete sich die Erinnerung an R ­ eumonts Verdienste um die italienische Wissenschaft. Zwar wussten seine Bekannten, dass er trotz zahlreicher Meinungsverschiedenheiten über die politische Ausrichtung des italienischen Nationalstaates, die nationale Unabhängigkeit Italiens stets unterstützte, allerdings wurde er von Teilen der Presse wegen seiner offenen Kritik an der Nationalstaatsund insbesondere der Kirchenpolitik Cavours als österreichfreundlich und klerikal gebrandmarkt. Für R ­ eumont war es deswegen eine Genugtuung auf Betreiben Capponis und Galeottis 1876 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Florenz verliehen zu bekommen.72 Die Tatsache, dass sich die Stadt Florenz trotz mancher Polemiken gegen R ­ eumont während der italienischen Nationalstaatsgründung, mit zeitlichem Abstand dazu entschied, ihn für seine Verdienste um Florenz und Italien zu ehren, zeigt eindrucksvoll die Bedeutung, die seinem kulturellen Engagement beigemessen wurde.

II. ­Reumont als Diplomatin Diensten des Instituto di corrispondenza archeologica Durch seinen ersten Florenzaufenthalt in seinem Interesse für Kunst und Kul­ eumont schon früh begonnen Kontakte zu führenden tur Italiens beflügelt, hatte R Kultureinrichtungen zu knüpfen und zu pflegen. Durch seine amtliche Stellung trat er dabei nicht nur in Kontakt zu den lokalen Kulturschaffenden, sondern auch zu diversen deutschen Gelehrten, die im Rahmen ihrer italienischen Aktivitäten persönliche Beziehungen zur preußischen Gesandtschaft pflegten. Dabei gelang es ­Reumont offenbar schon vor seinem ersten Romaufenthalt mit Vertretern des Instituto di corrispondenza archeologica in Rom in Kontakt zu treten. Denn bereits 1832 ließ Eduard Gerhard, ein führendes Gründungsmitglied des 1829 unter Protektion des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV. aus der Taufe 71 Biblioteca Riccardiana, Carteggio Galeotti, cass. 10, ins. 631, ins. II, ­Reumont an Galeotti, (12), Bonn, 22. Juli 1876: „Il Mse Gino è troppo poco conosciuto in Germania, perchè si possa venire con un invito pubblico. I cultori della storia ital. lo hanno in venerazione, ma pochi l’hanno conosciuto personalmente. Di più, i tempi corrono talmente calamitosi da noi, con tante perdite pubbliche e private, e tanti appelli, anche per parte dei governi, a sottoscrizioni, che non c’è da sperar nulla. Pensavo un momento a dirigermi personalmente a varj conoscenti, p. es. Witte, Döllinger, Hegel e qualche altro, ma la cosa è delicata. Finalmente ho giudicato meglio pregare la Redazione della Gazzetta d’Augusta d’inserire un articoletto, supposto scritto  a Firenze, per annunziare ciò che s’intende fare; spero lo stamperà senza indugio – allora ognuno potrà fare ciò che gli sembra conveniente…“ 72 Ebenda, (11), Bonn, 4. April 1876; (12), Bonn, 22. Juli 1876.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

gehobenen Instituts, ­Reumont, ohne ihn vorher persönlich kennengelernt zu haben, die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied zukommen.73 Offenbar hatte der mit Gerhard befreundete aus Aachen stammende Altertumswissenschaftler Cornelius Peter Bock74 dessen Aufmerksamkeit auf den jungen R ­ eumont gelenkt.75 Dieser hatte nämlich die Jahre 1826–29 für seine Studien in Italien verbracht und versuchte den Neuankömmling aus seiner Heimatstadt dabei zu unterstützen, in Italien Fuß zu fassen. Gerhard selbst hatte dabei sicherlich das Anliegen, einen jungen, kulturinteressierten Mitarbeiter der preußischen Gesandtschaft, der schon früh über sehr gute Kontakte innerhalb der Toskana verfügte, als Informanten und Fürsprecher des Instituts zu gewinnen. Wahrscheinlich hatte Gerhard ­Reumont erst 1832 das erste Mal persönlich in Florenz getroffen. Als korrespondierendes Mitglied erhielt ­Reumont auch den Bullettino, für den er zunächst jedoch nur wenig beisteuern konnte. Allerdings sollte das Institut alsbald von R ­ eumonts Korrespondententätigkeit profitieren: Als er von Martens auf die Reise nach Konstantinopel begleiten musste, nutzte er die Gelegenheit, um Gerhard mit Kulturberichten und antiquarischen Notizen von dort zu versorgen.76 Damit kam er dem besonderen Anliegen des jungen Instituts nach, dass sich in einer Zeit, in der es einerseits jährlich spektakuläre Funde zu vermelden gab, während andererseits große Bestände des Kulturguts von der Öffentlichkeit unbemerkt in privaten Sammlungen verschwanden, händeringend um Korrespondenten bemühte. Ziel war es, dass Korrespondentennetz sukzessive auszubauen, um möglichst wenig Neufunde zu verpassen.77 In erster Linie war es jedoch die Mittlertätigkeit, von der ­Reumont und Gerhard ­ eumont seine Verbindunvoneinander profitierten. Gerhard erhoffte sich, über R gen zum diplomatischen Korps ausbauen zu können und bat das neue korrespon­ dierende Mitglied sogleich den preußischen Geschäftsträger für Florenz, Lucca und Modena, Graf Karl Wenzeslaw Gotthardt von Schaffgotsch, den Gerhard bis dato noch nicht persönlich kennengelernt hatte, möglichst an das Institut zu binden und beim Knüpfen weiterer Kontakte behilflich zu sein.78 Diese „archäologisirende Diplomatie“, wie sie Gerhard nannte, kam dabei auch ­Reumonts eigener diplomatischer Karriere zugute. Gerhard nutzte im Gegenzug sein gutes persönliches Verhältnis zum preußischen Ministerresidenten in Rom, dem Gründungsmitglied des Instituts Karl Josias von Bunsen, um sich bei ihm dafür einzusetzen, 73 Archiv des Deutschen Archäologischen Institus in Rom (DAI), Briefe Alfred (von) ­Reumonts an Eduard Gerhard, Florenz, 14. Juni 1832. 74 Franz Xaver Kraus: Bock, Cornelius Peter, ADB 2 (1875), S. 763–766; Alfred von ­Reumont: Nekrolog zu Cornelius Peter Bock, Beilage zur Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 322, 18. November 1870. 75 DAI, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 14. Juni 1832. 76 Ebenda, Buyukderie, 10. Januar 1833; NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an ­Reumont, Nr. 180: Berlin, 21. März 1833. 77 Vgl. Maurer (2005), S. 69. 78 NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an ­Reumont, Nr. 182: Rom, 28. Dezember 1833; DAI, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 3. Januar 1834; zur „Institutsdiplomatie“ vgl. Maurer (2005), S. 71–75.

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dass ­Reumont in Italien weiterbeschäftigt werden würde.79 Schließlich lag eine diplomatische Karriere ­Reumonts in Italien ganz im Interesse des Instituts, das sich stets um einflussreiche und finanzstarke Unterstützer bemühte. Nachdem von Schaffgotsch sich dazu hatte bewegen lassen, sich in die Liste der Associati eintragen zu lassen, forderte Gerhard gegenüber ­Reumont, bei der Anwerbung weiterer Gönner nicht nachzulassen und setzte ihn auch auf Graf Friedrich Ludwig Waldburg von Truchseß, den preußischen Gesandten für Turin, Lucca, Parma und Florenz, an.80 Allerdings musste ­Reumont bald feststellten, dass die Archäologie innerhalb des diplomatischen Korps nicht jedermanns Sache war und berichtete ernüchtert an Gerhard: „Während Geh. Truchseß’ Anwesenheit habe ich nicht verfehlt, ihm den gewünschten Vorschlag zum Eintritt in die Zahl der Theilnehmer zu machen – aber ohne günstigen Erfolg, obgleich ich ihm Prospität u. Verzeichnis der Mitglieder etc. vorlegte. Er scheint sich dafür nicht zu interessieren. Ein andermal hoffe ich in m. Bemühungen glücklicher zu sein.“81

Als wichtige Kontaktperson des Instituts für Forschungsreisende in die Tos­ eumont aber auch seinen persönlichen Horizont erweitern und zukana, konnte R dem seine Kontakte nach Deutschland erweitern. Wenn Gerhard deutschsprachige Reisende in die toskanische Gesellschaft einführen wollte, wandte er sich mittlerweile an ­Reumont, damit dieser denjenigen mit der Gesellschaft Vieusseux’ be­ eumont auf diese kannt machte, so etwa im Falle Constantin von Höflers, den R Weise kennenlernen sollte, und mit dem er Zeit seines Lebens einen intensiven ­ eumont zu einem diplomatischen RepräAustausch pflegen sollte.82 Damit wurde R sentanten des Instituts in Florenz, der den Austausch zwischen dem Lesekabinett sowie den Zeitschriftenprojekten Vieusseux’ mit dem Institut erheblich intensivieren sollte.83 ­Reumonts diplomatische Karriere führte dabei zu seiner vielfältigen Verwendungsmöglichkeit für das Institut. Durch seine Beteiligung an der Sondermission des Grafen von Brühl zur Beilegung der Kölner Wirren, konnte er auch in der römischen Gesellschaft schnell Fuß fassen. Als Katholik, der während der Verhandlungen als mäßigendes Element wahrgenommen wurde und seine Loyalität sowohl zum König von Preußen als auch dem Papst glaubwürdig vertreten hatte, gewann er auch das Vertrauen des päpstlichen Umfeldes, wie auch die Aufnahme in diverse 79

DAI, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 3. Januar 1834; Florenz, 16. Januar 1834; Florenz, 1. März 1834. 80 NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an ­Reumont, Nr. 184: Rom, 6. März 1834: „Unser Institut ist durch einen Cursus archäologischer Vorträge zu neuem Flor gelangt. Wenn Sie Graf Truchseß in Florenz sehen, so veranlassen Sie ihn vielleicht auch unseren diplomatischen Gönnern sich einzureihen.“ 81 DAI, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 29. Mai 1834. 82 NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an R ­ eumont, Nr. 185: Rom, 2. Juni 1834; DAI, ­Reumont an Gerhard, Florenz, 16. August 1834; vgl. zum Kontakt zu Höfler insbesondere auch Kapitel E. VI. Beschaffung von Fachgutachten. 83 Zu den Verbindungen zwischen Vieusseux und dem Institut vgl. Frosali (2009).

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päpstliche Akademien und die Verleihung des Gregorius-Ordens zeigen.84 Dass mit ­Reumont nun unter den Repräsentanten des Instituts neben dem an der Kurie in Ungnade gefallenen Bunsen auch jemand vor Ort war, der das Vertrauen der päpstlichen Behörden genoss, wurde für das Institut umso bedeutsamer. Der große Anteil an Protestanten am Institut sorgte nämlich für Misstrauen.85 Vor diesem Hintergrund konnte es von großem Nutzen sein, dass ­Reumont in engen Kontakt zu Pietro Ercole Visconti, dem Sekretär der Pontificia Accademia Romana d’Archeologia trat und Mitglied in prestigeträchtigen römischen Akademien, wie der Accademia di S. Luca, oder der Accademia dell’Arcadia wurde. Dadurch erfuhr das Institut eine stärkere Einbindung in die einheimische, römische Gesellschaft und die Einbeziehung katholischer Kreise konnte dazu beitragen, die Stellung des Instituts in einer katholischen Umgebung zu festigen.86 ­Reumont trug jedoch nicht nur zur Einbindung des Instituts in die römische Umgebung bei und förderte den Austausch mit Vieusseux,87 sondern bewarb das Institut und dessen Projekte auch nördlich der Alpen. Gerhard vertraute dabei auf ­Reumonts Repräsentation der Institutsanliegen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung.88 In diesem Zusammenhang nahm die Bedeutung von ­Reumonts publizistischem Engagement erheblich zu, als Gerhard sich über die fehlende Berücksichtigung archä­ologischer Themen in der führenden deutschsprachigen Zeitung ­ eumonts Aufstieg am königlichen Hofe beklagte.89 Deswegen setzte Gerhard in R und in seine erfolgreichen Vorträge über italienische Literatur große Hoffnungen.90 Auch als R ­ eumont 1848 damit begann, sich politisch zu äußern, hielt Gerhard das Institut für gut vertreten. Dafür, dass manch einer R ­ eumonts Äußerungen über die toskanischen Zustände und dessen Forderung, nicht dem Druck der Straße nachzugeben als radikal bezeichnete, hatte Gerhard kein Verständnis und stellte gegenüber Emil Braun klar: „­Reumont radical? Seine Aufsätze in der Allgemeinen Zeitung sprechen ihn davon frei. Wer sollte auch nicht an Toscana’s Exempel viel mehr die Nothwendigkeit stehender Herren erweisen?“91

Angesichts dieser Bedenken des Sekretärs Emil Braun, der das Institut während der Revolutionsjahre faktisch leitete,92 erscheint es wie eine Ironie des Schicksals, 84 Vgl. Kapitel B. II. 2. a)  Die Kölner Wirren und die Sondermission Brühl: ­Reumont als Mediator zwischen den Konfessionen, S. 66–68; Lepper (1991), S. 412; BNCF Vieuss. C. V. 88,139, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 6. Mai 1842. 85 Vgl. Maurer (2005), S. 66. 86 Vgl. ebenda, S. 71. 87 BNCF Vieuss. C. V. 88, 212, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 10. Januar 1846. 88 DAI, Eduard Gerhard an Emil Braun, Berlin, 12. Mai 1840. 89 Ebenda, Berlin, 17. Oktober 1842. 90 Ebenda, Berlin, 21. Januar 1844. 91 Ebenda, Berlin, 21. Dezember 1848. 92 Vgl. Konrad Schauenburg: Braun, Emil August, NDB 2 (1955), 548–549; Maurer (2005), S. 72–73.

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dass gerade ­Reumont maßgeblichen Anteil an der Entschärfung der Auseinandersetzung der römischen Revolutionäre mit dem Institut haben sollte. Durch die vor Ausbruch der Revolution immer bessere Vernetzung des Instituts in die herrschenden Eliten, die sich nicht nur in einer Annäherung an die päpstlichen Kreise äußerte, sondern sich auch in der Ernennung Metternichs im Jahre 1833 zum Ehrenmitglied und in der Zeit von 1841–59 sogar in der Ernennung zum Präsidenten manifestierte, erschien die Einrichtung den Vertretern der Römischen Republik des Jahres 1849 als Hort der Reaktion, weshalb sie Emil Braun verhafteten und der Stadt verweisen wollten. ­Reumont gelang es allerdings, seine Freilassung zu erwirken.93 Während die Revolutionen durch Europa fegten, war an einen geregelten Wissenschaftsbetrieb kaum zu denken. Die bis dato existierende französische Sektion des Instituts wurde in Anbetracht der politischen Situation sogar geschlossen.94 Die Finanzierung des restlichen Instituts erschien zeitweise kaum mehr realistisch, weshalb Gerhard R ­ eumont dazu aufrief, seine öffentliche Werbung für das Institut durch entsprechende Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung zu flankieren.95 Es konnte in diesen Jahren nur darum gehen, die Zeit nach den revolutionären Erhebungen zu planen. ­Reumont hatte die Zeit im päpstlichen Exil in Gaeta und Neapel genutzt, um Kontakte mit den dortigen Gelehrten, wie dem Generaldirektor der neapolitanischen Archive, marchese Angelo Granito principe di Belmonte, dem Direktor des Museums von Neapel, Stansilao D’Aloë oder Scipione Volpicella zu knüpfen, die ihm den Zugang zu diversen Museen, Archiven und Bibliotheken im Königreich beider Sizilien verschafften. Diese Kontakte sollten ­Reumont nicht nur für seine eigenen Publikationen wie die Carafa von Maddaloni nützlich sein, sondern auch für das Institut selbst. Gerade der Kontakt zu D’Aloë, der allerdings zuvor schon mit dem Institut bekannt war, verbesserte noch einmal die Verbindungen ins Königreich beider Sizilien und ermöglichten einen unkomplizierteren Zugang zu den dortigen archäologischen Denkmälern. So konnte ­Reumont etwa über D’Aloë Kopien pompejanischer Gemälde beschaffen.96 93

NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an R ­ eumont, Nr. 199: Berlin, 17. Februar 1849; DAI, Emil Braun an Eduard Gerhard, Braun an Gerhard, 3. Februar 1840: „…vier Stunden habe ich das Haus voll Civicisten und Gendarmes gehabt. R ­ eumont hat mich durch festes, würdevolles Auftreten und selbst durch gewagte Forcirung der Consegna befreit. Sein taktvolles, sicheres Verfahren unter Verhältnissen, die ihm große Vorsicht zur Pflicht machten, kann ich nicht genug rühmen.“ 94 Vgl. Arnold Esch: L’esordio degli istituti di ricerca tedeschi in Italia. I primi passi verso l’istituzionalizzazione della ricerca nel campo delle scienze umanistiche all’estero 1870–1914, in: Max Seidel (Hrsg.): Storia dell’arte  e politica culturale intorno al 1900. La fondazione dell’Istituto Germanico di Storia dell’Arte di Firenze (Collana del Kunsthistorisches Institut in Florenz 2), Venedig 1999, S. 223–248, hier S. 227. 95 NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an R ­ eumont, Nr. 199: Berlin, 17. Februar 1849; Hans-Georg Kolbe (Hrsg.): Wilhelm Henzen und das Institut auf dem Kapitol. Eine Auswahl seiner Briefe an Eduard Gerhard (Das Deutsche Archäologische Institut, Geschichte und Dokumente, Bd. 5), Mainz 1984, S. 37–38. 96 NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an ­Reumont, Nr. 205: Berlin, 14. April 1850.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

Dieser schnelle Zugang zu Informationen und Materialen war für die tägliche Arbeit des Instituts von herausragender Bedeutung, weshalb Gerhard R ­ eumont regelmäßig daran erinnert, „Neapel und ein wenig auch die dortigen Archäologen im Auge [zu] behalten“.97 ­Reumonts gute Lokalkenntnis in Verbindung mit seinen Kontakten, ließ es oftmals ratsam erscheinen Kartensammlungen oder Arbeiten, die eine gute Lokalkenntnis erforderten für den letzten Feinschliff über das Institut ­Reumonts kritischem Blick vorzulegen.98 Auch Theodor Mommsen griff im Rahmen des Projektes des Corpus Inscriptionum Latinarum über das Institut und Wil­ eumonts Vermittlung zurück, indem er ihn um die Überprüfung helm Henzen auf R von Florentiner Handschriften bat.99 ­Reumont leitete die Recherche an Del Furia, den Bibliothekar der Biblioteca Laurenziana weiter, der dafür später von Mommsen die fertige Publikation erhielt.100 Neben der Vernetzung des Institutes in Rom sowie dem Königreich beider Sizi­ eumont in den 1850er Jahren als preußischer Ministerresident am lien ließ es sich R großherzoglichen Hof von Toskana vor allem angelegen sein, die Verbindungen zu den toskanischen Gelehrten und Institutionen zu pflegen. So vermittelte er nicht nur Gelehrte wie Eugenio Albèri aus dem Umfeld des Archivio Storico Italiano an das Institut,101 sondern nutzte diese Zeitschrift auch, um die Arbeiten des Instituts dem toskanischen Publikum vorzustellen.102 Auf diese Weise belebte er die Verbindung zu Vieusseux, der zuvor schon die Seiten seiner Zeitschriften den Veröffentlichun­ eumont gen des Instituts zur Verfügung gestellt hatte.103 Im Gegenzug informierte R das Institut auf den Institutssitzungen über die laufenden etruskischen Grabungskampagnen der Accademia Colombaria, die diese unter der Führung Alessandro François’ durchführte.104 Wegen seiner eigenen Mitgliedschaft in dieser Akademie schaltete Wilhelm Henzen ihn offenbar auch bei den Verhandlungen einer Kooperation für die Arbeiten des Corpus Inscriptionum Latinarum ein.105 Über seine Vermittlung von Kooperationen für einzelne Projekte hinaus verstand es ­Reumont jedoch auch, namhafte italienische Gäste für die Institutssitzungen zu gewinnen, so etwa den piemontesischen Senatspräsident Cesare Alfieri di Sostegno, 97

Ebenda, Nr. 208: Berlin, 4. Juli 1851. Ebenda, Nr. 207: Berlin, 19. Februar 1851. 99 Ebenda, Nr. 210: Berlin, 31. März 1852; Maurer (2005), S. 73. 100 Ebenda, Nr. 213: Berlin, 20. März 1853; Zu Mommsen und dem CIL vgl. Arnaldo Marcone: Die deutsch-italienischen Beziehungen im Spiegel der Biographie Mommsens, in: Alexander Demandt / Andreas Goltz / Heinrich Schlange-Schöningen (Hrsg.): Theodor Mommsen. Wissenschaft und Politik im 19. Jahrhundert, Berlin / New York 2005, S. 142–162; Lothar ­Wickert: Theodor Mommsen, Bd. 2: Wanderjahre – Frankreich und Italien, Frankfur am Main 1964. 101 NL ­Reumont, S 1058, Eugenio Albèri an ­Reumont, Nr. 11: Florenz, 29. Dezember 1857. 102 Ebenda, S 1062, Wilhelm Henzen an R ­ eumont, Nr. 49: o. O., 14. März 1858; BNCF, Vieuss. C. V. 89, 86, ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 10. Februar 1859. 103 Vgl. Frosali (2009). 104 BNCF, Vieuss. C. V. 89, 70, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 1. März 1858. 105 Vgl. Wilhelm Henzen an Eduard Gerhard, Rom, 30. September 1858, in: Kolbe (1984), S. 188. 98

II. ­Reumont als Diplomat 

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den er anlässlich der Sondersitzung zu Ehren des anwesenden Friedrich Wilhelm IV. eingeladen hatte.106 Dieses Werben um prominente Teilnehmer an der Sitzung zu Ehren des Königs war in jenem Moment umso wichtiger, als sich das Institut in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten befand, und darauf angewiesen war, in eine staatliche Anstalt umgewandelt zu werden. Bereits zu Beginn der 1850er Jahre drohte das Institut in Deutschland offenbar immer mehr in Vergessenheit zu geraten, sodass sich die Annali nur noch sehr schlecht verkauften, weshalb Gerhard gegenüber ­Reumont schwere Zeiten auf das Institut zukommen sah.107 Während nördlich der Alpen der Absatz der Institutsschriften deutlich zurückging und die Finanzierung erschwerte, geriet die Einrichtung auch vor Ort in ernsthafte Probleme, da Teile der Kurie es wieder zunehmend mit Argwohn betrachteten, dass ein vorwiegend von Protestanten getragenes Institut seinen Sitz an einem derart prominenten Platz wie dem Kapitol hatte. Dies hatte das Institut schon während der Mischehefrage in ernsthafte Bedrängnis gebracht. Seinerzeit war Metternich auf Drängen Friedrich Wilhelms III. an der Kurie für das Institut eingetreten.108 Nun, nach der demütigenden Flucht des Papstes aus Rom und der Erfahrung der Römischen Republik, wurde das Institut erneut mit Argwohn betrachtet, und Teile der Kurie strebten an, im Rahmen der Restaurationsmaßnahmen auch das Institut auf dem Kapitol zu schließen. In der weiteren Auseinandersetzung wurde sogar eigens ein Jurist nach Rom beordert, der die Rechtmäßigkeit des Vertrages, der dem Institut seinen Sitz auf dem Kapitol zuerkennt, erweisen sollte.109 In dieser angespannten Situation kam R ­ eumont die Aufgabe zu, den König davon zu überzeugen, das Institut in eine preußische Staatsanstalt umzuwandeln, damit es einerseits über die notwendige Immunität vor Ort verfügte und andererseits die Möglichkeiten einer staatlichen Finanzierung gegeben sein würden.110 Als dann schließlich der persönliche Besuch des Königs anstand, wollte Henzen nichts ­ eumont beraten, wie denn der dem Zufall überlassen und ließ sich eingehend von R König zu empfangen sei.111 ­Reumont selbst gestaltete dabei zusammen mit dem 106

Vieuss. C. V. 89, 84, ­Reumont an Vieusseux, Rom, 10. Januar 1859; Archivio di Stato di Torino, Carteggio Cesare Alfieri, ­Reumont an Alfieri, [o.O u. D.]. 107 NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an ­Reumont, Nr. 215: Berlin, 31. März 1854: „Der jetzige Absatz ist schon seit Jahren ungenügend zur Kostendeckung, und namentlich in Deutschland ist das Institut die letzten 10 Jahre hindurch mehr und mehr in Vergessenheit gekommen. Was wird nun vollends daraus, wenn das Kapitol uns entzogen werden sollte? Wir sind in Mitten dieser brennenden Frage, für die sich nur durch passendes Festhalten des laut Contract uns gehörigen Gebäudes unsererseits vielleicht noch erretten läßt, was die Behörden uns nicht ­gönnen.“ 108 Vgl. Esch (1999), S. 226. 109 NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an ­Reumont, Nr. 218: Berlin, 4. Dezember 1854. 110 Ebenda, Nr. 221: Berlin, 3. Dezember 1856; ebenda, S 1062, Wilhelm Henzen an ­Reumont, Nr. 47: Rom, 4. Dezember 1856; Nr. 48: Rom, 27. Mai 1857; Nr. 50: Rom, 21. Juni 1858; Nr. 51: Frascati, 26. Juli 1858. Zur angespannten finanziellen Lage vgl. auch DAI Gerhard an Henzen, Berlin, 22. Juni 1857; 28. Januar 1858; 2. Mai 1858. 111 NL ­Reumont, S 1062, Wilhelm Henzen an ­Reumont, Nr. 52: Rom, 20. November 1858.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

Architekten Friedrich August Stüler das Ausflugsprogramm112 und erreichte es, dass dem Ereignis auch die römische Gesellschaft beiwohnte und damit dem Programm einen würdigen Rahmen bot.113 Dies sollte sich letztlich auszahlen: Der Besuch des Königs wurde in finanzieller Hinsicht ein Erfolg, da er die Finanzierung durch den preußischen Staat zusagte.114 Dennoch legte Gerhard weiterhin Wert darauf, sich um die Gunst diverser Souveräne zu bemühen, die in der Vergangenheit die Arbeiten des Instituts unterstützt hatten. Dazu sollte jedem Kandidaten eine individuelle Aufmerksamkeit und Fürsorge zukommen, die Gerhard gegenüber Henzen wie folgt beschrieb: „Übrigens wird es erforderlich sein jene abgefallenen Größen aus den frühern Listen zusammenzustellen um die Fürsorge für jeden Einzelnen dann an Mittelspersonen empfehlen zu können. Für den König von Sachsen weiß ­Reumont hoffentlich einen Weg…“115

Tatsächlich fungierte R ­ eumont auch als Mittler zu König Maximilian II. von Bayern (1811–1864),116 hielt den Kontakt zu Königin Elisabeth aufrecht, konnte den österreichischen Botschafter für das Institut gewinnen und weitere Mitglieder an­ eumonts befürchtete, werben.117 Obgleich Gerhard angesichts der Pensionierung R einen wichtigen Diplomaten des Instituts einzubüßen,118 bestätigte sich diese Befürchtung keineswegs. Zwar schwanden ­Reumonts Kontakte in die aktive Politik, jedoch konnte er durch die neu gewonnene Zeit seine wissenschaftlichen Kontakte intensivieren  – auch zugunsten des Instituts. Durch seine verstärkte Tätigkeit in diversen Akademien verstand er es, auch das Verhältnis zwischen den päpstlichen Akademien und dem Institut zu verbessern. Anlässlich eines Vortrags R ­ eumonts vor der Accademia di S. Luca lobte Gerhard ­Reumonts vermittelnde Tätigkeit: „Sie haben der Verknüpfung von Rom und Deutschland, die mir selbst ein Leben hindurch am Herzen lag, ein so inhaltsreiches als bei aller Kürze gedrängtes Denkmal gesetzt, und das als germanischer Festredner für die päpstliche Akademie, was ich nach so viel früheren Rivalitäten und Kämpfen mehr als andere zu würdigen im Stande bin. Daß Sie bei dieser schönen und wohlverwobenen Stellung fortfahren auch unser kapitolinisches Institut ein getreuer Festredner zu sein, danke ich Ihnen gleicher Weise…“119

­Reumont widmete sich als pensionierter Diplomat nun der „archäologisirenden Diplomatie“. Mithilfe seiner Kontakte in die römische Gesellschaft beschaffte er 112

Henzen an Gerhard, Rom, 4. Januar 1859, in: Kolbe (1984), S. 203. Henzen an Gerhard, Rom, 10. Januar 1859, in: Kolbe (1984), S. 203: „­Reumont ist noch ganz glorios und sammelt in der römischen Gesellschaft Komplimente für uns ein. […] ­Reumont ist uns doch sehr nützlich, und für uns ist es schade, daß er hier nicht Gesandter werden kann.“ 114 Vgl. Esch (1999), S. 227. 115 DAI, Gerhard an Henzen, Berlin, 12. April 1859. 116 DAI, ­Reumont an Henzen, Lamprecchio, 21. November 1863; 4. Dezember 1863. 117 Ebenda, 2. April 1863. 118 DAI, Gerhard an Henzen, Berlin, 22. Mai 1860: „­Reumont ist hier und klagt sehr; wir haben wohl recht mit ihm zu klagen, daß seine mannigfach hübsche Wirksamkeit in Italien für immer abgeschnitten ist.“ 119 NL ­Reumont, S 1061, Eduard Gerhard an R ­ eumont, Nr. 227, Berlin, 28. Dezember 1862. 113

III. Der Ausbau der Sammlung der königlichen Museen 

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dem Institut Zugangsberechtigungen und Genehmigungen zur Durchführung von Untersuchungen und zum Anfertigen von Zeichnungen.120 Außerdem konnte er Forschungsreisende des Instituts, die in die Toskana kamen an Vieusseux empfehlen121 und dem Institut über seine nach wie vor bestehenden Kontakte nach Turin die für das jeweilige Anliegen passenden Ansprechpartner vermitteln. Insofern wirkte er nach seiner Pensionierung bis Ende der 1860er Jahre als Diplomat des Institutes. Seine zahlreichen Vorträge, die er im Rahmen der Institutssitzungen hielt, dienten dabei weniger wissenschaftlichen Zwecken, als vielmehr der Repräsentation.

III. Der Ausbau der Sammlung der königlichen Museen unter Ignaz von Olfers ­Reumonts Ruf als Italienkenner am königlichen Hof sowie seine zahlreichen Mitgliedschaften in italienischen Akademien und Gesellschaften, machten ihn auch für Ignaz von Olfers, den Direktor der Sammlung der königlichen Museen zu einem wichtigen Informanten und Vermittler für italienische Kunstgegenstände. Seit 1839 bemühte sich Olfers als Direktor der Sammlungen, einen möglichst repräsentativen Überblick über die Kunstgeschichte zu bieten, indem die Entwicklung der Kunst in den unterschiedlichen Regionen nachvollzogen werden sollte. Dafür benötigte er folglich auch Originale, Kopien oder Zeichnungen wichtiger italienischer Kunstwerke. Obgleich es Olfers versuchte, einzelne Kunstgegenstände zunächst selbst zu beurteilen, bevor er sie ankaufen oder Kopien von ihnen anfertigen ließ, war er trotz seiner umfangreichen Reisetätigkeit auf die Unterstützung von Mittelsmännern an den jeweiligen Orten angewiesen, die ihn über die Entwicklungen auf dem Kunstmarkt auf dem Laufenden hielten und auch die Qualität von Kunstwerken oder der jeweiligen Kopien einschätzen konnten. Als Mitglied des Instituto di corrispondenza archeologica und Teil des preußischen diplomatischen Korps stellte ­Reumont neben dem Institut selbst eine wichtige Kontaktperson nach Italien dar, die weitere Verbindungen nach Italien flankierte. Bemerkenswert war in diesem Kontext allerdings das Vertrauen, dass Olfers in den künstlerischen Sachverstand ­Reumonts setzte. Olfers ließ sich von Luigi Mussini, einem in Berlin gebürtigen Künstler, dessen Familie sich während seiner Kindheit in Florenz niedergelassen hatte,122 über den toskanischen Kunstmarkt informieren. Da sein Vater Natale Mussini Kapellmeister am preußischen Hof gewesen war, unterhielt Luigi immer noch Kontakte nach Berlin. Bei einem Aufenthalt dort hatte er der königlichen Sammlung Büsten von Lorenzo il Magnifico, Machiavelli und Galilei geschenkt. Olfers 120 DAI, ­Reumont an Henzen, Dezember 1864; Henzen an Gerhard, Rom, 16. Januar 1858, in: Kolbe (1984), S. 172. 121 So etwa die beiden jungen Gelehrten Alexander Conze und Adolf Michaelis – BNCF, Vieuss. C. V. 89, 116, ­Reumont an Vieusseux, Kapitol, 1. Februar 1861. 122 Vgl. Marco Pierini: Mussini, Luigi, DBI 77 (2012) [URL: http://www.treccani.it/enciclo​ pedia/luigi-mussini_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

hatte ihn bei der Gelegenheit darum gebeten, ihn über mittelalterliche Kunstwerke zu informieren, die in Florenz zum Verkauf stünden. Später zeigte Mussini Olfers dann an, dass ein Kunsthändler Werke Luca della Robbias zum Verkauf anbiete. Daraufhin schaltete Olfers ­Reumont ein, der beurteilen sollte, ob die angebotenen Kunstgegenstände tatsächlich den geforderten Preis wert seien.123 Aber nicht nur in dieser konkreten Frage vertraute Olfers ­Reumonts Kunstverstand, sondern trug ihm zudem auf, eine Auswahl an Abgüssen zusammenzustellen, die die Entwicklung der italienischen Kunst des Cinquecento veranschaulichen sollten.124 Dies zeigt, dass Olfers auch in den Sachverstand ­Reumonts viel Vertrauen hatte. Und tatsächlich waren ­Reumonts Einschätzungen, nachdem er vor Ort den Expertenrat Dritter eingeholt hatte, zuweilen durchaus zuverlässig. Etwa hinsichtlich des Letzten Abend­ eumont mahls im Refektorium des ehemaligen Konvents von S. Onofrio erklärte R es für unwahrscheinlich, dass die Fresken auf Raffael zurückgingen.125 Heute gilt tatsächlich Pietro Perugino als ihr Autor. In seinen Briefen an R ­ eumont bestellt Olfers zahlreiche Fotografien, Zeichnungen und Abgüsse von relevanten Kunstwerken. Darunter unter anderem Abgüsse von Skulpturen des Boboli-Gartens126 oder des heute im Museo Bardini in Florenz befindlichen halb liegenden Bronzeebers, den Pietro Tacca im Auftrag Cosimos II. de’ Medici nach einem hellenistischen Marmororiginal angefertigt hatte127. Zudem ließ er sich von ­Reumont Verzeichnisse über zum Kauf angebotene Kunstgegenstände erstellen.128 Denn oftmals konnte ­Reumont Olfers relevante Neuigkeiten bieten, bevor sie die deutsche Fachwelt erreichten.129 Ein größeres dieser Informationsprojekte war Olfers Anfrage über den in der Toskana befindlichen Bestand der Arbeiten des neoklassischen Künstlers Luigi Ademòllo, der neben seiner Tätigkeit in Rom auch zahlreiche Fresken in toskanischen Kirchen und Palazzi gefertigt hatte. Olfers sendete R ­ eumont eine Liste mit Wandgemälden samt Lokalisation.130 123

NL ­Reumont, S 1064, Ignaz von Olfers an ­Reumont, Nr. 17: Berlin, 3. Februar 1841: „Die beigefügten Skizzen gestatten kein Urtheil über die Vollendung der Arbeit, so wie über die frühere Zeit, in welcher sie gefertigt wurden; auch sind die Preise sehr hoch. Sollten Sie Gelegenheit finden diese Gegenstände zu sehen, so wäre mir lieb, Ihr Urtheil darüber zu erfahren.“ 124 Ebenda, Nr. 20: Berlin, 24. Februar 1846: „Es würde mir freilich lieb sein Abgüße von Sachen des Cinquecento und von früheren, für die Entwicklung der Kunst oder an und für sich interessanten Sculpturen zu erhalten, und ich würde Ihnen sehr danken, wenn Sie mir dergleichen zur Auswahl vorschlagen.“ 125 Ebenda. 126 Ebenda. 127 Ebenda, Nr. 28: Berlin, 25. Februar 1852; Nr. 31: Berlin, 29. Juli 1852. 128 Ebenda, Nr. 28: Berlin, 25. Februar 1852. 129 Ebenda, Nr. 25: Berlin, 19. Februar 1851: „Fahren Sie aber freundlichst fort, wie die Erscheinungen auf dem Gebiete der Literatur und Kunst, welche mich interessieren können, zu nennen; es ist eine Wohltat, weil man oft sonst viel später hier davon hört.“ 130 Ebenda, Nr. 23: Berlin, 19. November 1850. Es handelte sich um die folgenden Gemälde. In Siena: Leonidas in den Thermopylen (in Casa del Col.po Veneslao Malavolti), Themistokles bei Athen (ebenda), Die Frau des Hasdrubal (in C. Venturi Galerani), Schlacht der Carthager (ebenda), Einnahme von Carthago (ebenda). In Florenz: Wettlauf von Quadriga für den Vor-

III. Der Ausbau der Sammlung der königlichen Museen 

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­Reumont sollte daraufhin in Erfahrung bringen, ob diese Gemälde in Florenz und Siena noch existierten und erstattete anschließend Bericht.131 Hinzu kam ­Reumonts Vermittlung von im Rahmen archäologischer Ausgrabungen aufgetauchten Kunstgegenständen. Durch seine Mitgliedschaft in der ­Accademia Colombaria stand er auch zum Leiter der etruskischen Grabungen in der Toskana, dem bereits erwähnten Alessandro François in Kontakt. R ­ eumont vermittelte die Anwerbung des Ausgräbers über finanzielle Unterstützung durch Friedrich Wilhelm IV. Im Gegenzug bot François einzelne Funde dem König oder Olfers zum Kauf an.132 Allerdings vermittelte R ­ eumont nicht nur die künstlerischen Beziehungen in die Toskana, sondern auch nach Rom und Neapel. So hielt er beispielsweise Olfers über die Ausgrabungen Fortunatis vor der Porta S. Giovanni auf der Straße nach Neapel auf dem Laufenden und sendete ihm eine Schrift über die Untersuchungen an der Via Latina.133 Außerdem konnte ­Reumont über D’Aloë einen Abguss des Torsos des Herakles Farnese beschaffen.134 Dieser war einer der besonders wertvollen Kontakte, die R ­ eumont während seiner Zeit im päpstlichen Exil geknüpft hatte. D’Aloë sollte auch später noch Kunstgegenstände, die aus Grabungen in Kalabrien stammten mithilfe von ­Reumonts Vermittlung an deutsche Adressaten – in diesem Fall an Alexandrine, der Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin – gelangen lassen, nachdem er im Zuge der Flucht König Francescos II. seinen Posten als Direktor des Museo Borbonico aufgegeben hatte.135 Gleichzeitig vermittelte R ­ eumont auch für italienische Gelehrte Recherchen in den königlichen Sammlungen. So unterstützte er auch Antonio Magrini136, der für seine Studie Sopra cinquanta medaglie di Valerio Belli137 Informationen über die in der Berlin befindlichen Glasarbeiten Valerio Bellis benötigte.138 Neben ­Reumont wurde Magrini bei seiner Recherche noch von Julius Friedländer, dem Direktor des

hang des Theaters der Immobili 1788, Triumph des Scipio (in Casa Scotto), Einschiffung der Carthag. Griechen (ebenda), Triumph Alexanders (in Villa Bartolini für Luigi Bartolini 1801), Bestattung Alexanders (ebenda). 131 Ebenda, Nr. 25: Berlin, 19. Februar 1851. 132 Ebenda, Nr. 28: Berlin, 25. Februar 1852; Nr. 31: Berlin, 29. Juli 1852; Nr. 32: Berlin, 1. Dezember 1857; Nr. 39: Berlin, 19. März 1857; Nr. 49: Berlin, 17. Juni 1861. 133 Ebenda, Nr. 44: Berlin, 20. März 1858; Nr. 46: Berlin, 21. Mai 1858. 134 Ebenda, Nr. 21: Berlin, 19. Februar 1850. 135 NL ­Reumont, S 1056, Alexandrine [Mecklenburg-Schwerin, Großherzogin] an ­Reumont, 3 Briefe; ebenda, S 1058, Stanislas D’Aloë an ­Reumont, Nr. 61: Real favorita, 18. März 1861. 136 Fabio Zavalloni: Magrini, Antonio, DBI 67 (2006) [URL: http://www.treccani.it/enciclo​ pedia/antonio-magrini_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 137 Antonio Magrini: Sopra cinquanta medaglie di Valerio Belli, Atti del R. Istituto veneto di scienze, lettere e arti (1870). 138 NL ­Reumont, S 1063, Antonio Magrini an ­Reumont, Nr. 14: Vicenza, 20. September 1867; Nr. 16: Görz, 5. Juni 1868; S 1064, Ignaz von Olfers an R ­ eumont, Nr. 57: Berlin, 21. November 1868.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

Münzkabinetts der Berliner Museen, unterstützt, und konnte so letzten Endes Abdrücke der 29 für seine Studie relevanten Medaillen erhalten.139 ­Reumonts Vermittlung beschränkte sich jedoch nicht auf Recherchen und den Handel mit antiken und mittelalterlichen Kunstgegenständen, sondern erstreckte sich auch auf den Austausch zeitgenössischer Kunst. So erreichte er bei Olfers für Aurelio Gotti, ebenfalls Mitglied der Accademia Colombaria wie der Accademia della Crusca, dass dieser in den Räumen der Akademie der Schönen Künste Kunstwerke der Florentiner Kunstakademie – insbesondere Marmorarbeiten und Vasen – verkaufen konnte, die in Berlin bis dahin kaum bekannt waren.140 Insofern konnte R ­ eumont auch über Ignaz von Olfers und die königlichen Sammlungen in Berlin einerseits die antike, mittelalterliche sowie zeitgenössische Kunst Italiens bekannt machen und beim Ausbau der Sammlung über den italienischen Kunstmarkt behilflich sein, während er italienischen Gelehrten Zugang zu den Sammlungen und ihren Beständen verschaffte.

IV. Materialbeschaffung Ein zentraler Bestandteil von ­Reumonts Mittlertätigkeit war neben seinen eigenen Publikationen und Werkbesprechungen die konkrete Materialbeschaffung für Gelehrte aus Deutschland und Italien. Angesichts der damals noch äußerst schwierigen Recherchierbarkeit nicht nur von Archivalien, sondern selbst von relevanter Literatur spielte ­Reumonts Vermittlung zu einzelnen Institutionen oder entsprechenden Experten auf dem jeweiligen Gebiet eine kaum zu unterschätzende Rolle, da der Materialzugang nur selektiv gewährt wurde und hauptsächlich von der Autorität des Empfehlungsschreibens bzw. des Vermittlers abhing.141 Die deutsch-italienische Korrespondenz ­Reumonts beinhaltet zahlreiche Beispiele für ­Reumonts Vermittlung bei der Material- und Informationsbeschaffung für Arbeiten einzelner Gelehrter oder größerer Forschungsprojekte. Vielfach handelt es sich dabei um Vermittlungen einzelner Dokumente oder Publikationen, oder einfach um die Kontaktvermittlung zu einem Experten auf dem jeweiligen Gebiet. Insofern lässt sich oftmals der weitere Verlauf und Erfolg von R ­ eumonts Unterstützung nicht weiter verfolgen. Dies lässt eine quantitative Bewertung von ­Reumonts Vermittlungstätig­ keit wenig aussagekräftig erscheinen – zumal nach der ersten Kontaktaufnahme oftmals die persönliche, mündliche Unterstützung vor Ort erfolgte. Hinzu käme die Schwierigkeit, eine quantitative Erhebung der vermittelten Materialbeschaffung mit anderen Mittlern dieser Zeit in Relation zu setzen. Da derartige Erhebungen für an 139

NL R ­ eumont, S 1063, Antonio Magrini an ­Reumont, Nr. 19: Görz, 27. August 1868; Nr. 21, erhalten Bonn, 17. Februar 1869. 140 NL ­Reumont, S 1064, Ignaz von Olfers an R ­ eumont, Nr. 39: Berlin, 19. März 1857; Nr. 40: Berlin, 24. April 1857. 141 Vgl. dazu auch Saxer (2014), S. 155–160.

IV. Materialbeschaffung 

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dere wichtige kulturelle Mittler wie etwa Tommaso Gar, Pasquale Villari oder Karl Mittermaier nicht vorliegen,142 erscheint eine derartige Einordnung von ­Reumonts Tätigkeit im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Stattdessen sollen im Folgen­ eumonts vorgestellt den einige prägnante Beispiele aus der Briefkorrespondenz R werden, die einen Eindruck von der Vielfältigkeit seiner Mittlertätigkeit geben. In diesem Zusammenhang wird der Informationsfluss zuerst von Deutschland nach Italien und anschließend in der Gegenrichtung nachvollzogen, indem exemplarisch einerseits die Bekanntmachung von Neuerscheinungen und Quellenbeständen in den Blick genommen wird, um andererseits die Vermittlung von Abschriften wichtiger Archivalien und den Ankauf relevanter Literatur zu behandeln. 1. Deutschland – Italien Als R ­ eumont in die Toskana kam und in den Kreis des Lesekabinetts Vieusseux’ sowie der Antologia eingeführt wurde, herrschte ein großer Mangel an Informationen über die Fortschritte der deutschsprachigen Wissenschaft, die sich bereits zu jenem Zeitpunkt intensiv mit der Geschichte Italiens auseinandersetzte. Eben aus diesem Grund hatten Vieusseux und Capponi ihn dazu ermutigt, das italienische Publikum regelmäßig über deutschsprachige Neuerscheinungen zu informieren. Denn bis dato fand die italienische Rezeption der deutschsprachigen Forschungen hauptsächlich indirekt über französische Rezensionen, allen voran in der Revue des deux Mondes statt.143 Umso wichtiger war es, das italienische Publikum ohne den Umweg über Frankreich über den Fortgang der deutschen Wissenschaft zu informieren. Bei seiner Bekanntmachung deutscher Publikationen und Projekte in Italien spielten nicht nur R ­ eumonts im Archivio Storico Italiano regelmäßig veröffentlichten Notizie bibliografiche eine wichtige Rolle, in denen er dem italienischen Publikum einen guten ersten Überblick bieten konnte, sondern auch die unmittelbaren, persönlichen Vermittlungen zwischen Gelehrten und Institutionen. Dazu zählten nicht zuletzt die Vermittlung von Kooperationen, wie etwa zwischen dem von Theodor Mommsen und Richard Lepsius geleiteten Corpus Inscriptionum Latinarum und der Accademia Colombaria.144 Mit ­Reumonts Hilfe konnte die ihrerseits hervorragend vernetzte italienische Akademie dem im Jahre 1853 ins Leben gerufenen Inschriftenprojekt wertvolle Dienste leisten.145 Andererseits war die 142

Die bisherigen Publikationen bedienten sich jedenfalls keiner netzwerkanalytischen Herangehensweisen. Vgl. etwa Ganda (2001); Voci (2006); Moretti (2005); Küpper (1988); Balestreri (1983). 143 Vgl. Bartoccini (1974), S. 89–90 u. 97–98. 144 vgl. Wilhelm Henzen an Eduard Gerhard, Rom, 30. September 1858, in: Kolbe (1984), S. 188. 145 NL ­Reumont, S 1063, Richard Lepsius an R ­ eumont, Nr. 56: Berlin, 2. August 1858: „Es ist überaus dankenswerth, daß Sie die Aufmerksamkeit der Italiener in so vortrefflicher Weise auf das Corpus Inscr. Latin. aufmerksam gemacht haben. Mommsen und die Epigraph. Kommission zu der ich gehöre, wissen Ihnen dies besonders Dank.“

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E. ­Reumont als Brückenbauer

Colombaria damit in den Stand versetzt, die Fortschritte des Inschriftenprojektes direkt mitzuverfolgen. Allerdings unterstützte R ­ eumont auch einzelne italienische Gelehrte bei ihren Forschungen, so etwa Cesare Cantù, der sich bei R ­ eumont über deutsche Publikationen zur Reformation in Italien erkundigte und sich dabei erhoffte, dass R ­ eumont möglicherweise über entsprechende Forschungen Augustin Theiners, des Präfekten des Vatikanischen Archivs, Auskunft geben könnte.146 Später ließ er sich von ­Reumont über deutsche Universalgeschichten, die über das Jahr 1789 hinausgingen informieren, die in einer Mailänder Schriftensammlung erscheinen sollten.147 Außerdem unterstützte ­Reumont den führenden toskanischen Genealogen conte Luigi Passerini bei dessen Forschungen, indem er ihm Informationen über die Bestände deutschsprachiger Archive lieferte. Im Rahmen von Passerinis Studien zur adligen Florentiner Familie Guadagni benötigte der Genealoge beispielsweise Angaben zu Pierantonio Guadagni, der 1759 als Feldmarschall und Militärkommandant von Tirol in Innsbruck gestorben sein soll. Deswegen bat er ­Reumont, über seine Kontakte dort Nachforschungen nach der Familie der Guadagni anstellten zu lassen.148 Und tatsächlich konnte ­Reumont Passerini offenbar Informationen über einen ungarischen Zweig der Familie Guadagni liefern.149 Außerdem recherchierte ­Reumont in Passerinis Auftrag nach einem möglicherweise existierenden deut­ eumont veranlassten schen Zweig der Passerini.150 Allerdings konnten die von R Nach­forschungen Rudolf Maria Stillfried-Alcantaras, des Vorstandes der königlich-preußischen Behörde des Heroldamtes für Adels- und Standessachen erweisen, dass es sich bei der von Passerini angedachten deutschen Familie um keine Verwandten handelte.151 Für Marco Tabarrini dagegen ließ ­Reumont über Karl Witte Recherchen zu einer in Dresden befindlichen Handschrift über die Herzöge von Spoleto durchführen.152 Im Rahmen des Wissenstransfers beschränkte sich R ­ eumonts Dienstleistung in vielen Fällen darauf, Informationen über deutsche Archivbestände zu liefern und gezielte Recherchen entweder selbst auszuführen oder über seine persönlichen Kontakte ausführen zu lassen. So führte er etwa für Gino Capponi Recherchen nach Quelleneditionen aus und nannte ihm anschließend die entsprechenden Werke, in denen die jeweiligen Dokumente abgedruckt vorlagen.153

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Ebenda, S 1059, Cesare Cantù an ­Reumont, Nr. 40: Mailand, 19. Februar 1862. Ebenda, Nr. 43: Mailand, 28. März 1864. 148 NL ­Reumont, S 1064, Luigi Passerini an ­Reumont, Nr. 104, Florenz, 1. März 1869. 149 Ebenda, Nr. 105, Florenz, 25. September 1869. 150 Ebenda, Nr. 102, Florenz, 16 September 1862. 151 NL ­Reumont, S 1066, Rudolf Maria Stillfried-Alcantara an ­Reumont, Nr. 102: Silbitz, 26. Oktober 1862. 152 Ebenda, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 138: Florenz, Passions-Sonntag 1867. 153 Vgl. etwa Carraresi: Lettere di Gino Capponi, Bd. 6, ­Reumont an Capponi, Bonn, 20. August 1874, S. 417–418. 147

IV. Materialbeschaffung 

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Für einige Institutionen vermittelte ­Reumont jedoch auch die Anwerbung von Abschriften wichtiger Archivalien oder interessanter Publikationen. So brachte er etwa einen Austausch von Publikationen zwischen der Königlichen Bibliothek in Berlin und der Bibliothek von Parma zustande, mit deren Direktor Angelo Pezzana er, wie bereits gezeigt, in engem Kontakt stand.154 Außerdem unterstützte er noch in den 1880er Jahren barone Antonio Manno, den königlichen Kommissar der Consulta Araldica und Sekretär der Reale Deputazione di Storia Patria in Turin bei der Beschaffung von Archivalien zur Geschichte der Savoyer. Als er Antonio Manno einen Artikel über Polissena d’Ostia, geborene Landgräfin von Hessen-Rheinfels, die Karl Emanuel, den Sohn Viktor Amadeus’ II. geheiratet hatte, zusandte,155 den er im Archivio Storico Italiano publiziert ­hatte,156 fragte ihn Manno, ob man ihre Briefe, die sich im Archiv Karl Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Rosenbergs befanden, nicht erwerben könne.157 Nachdem der dortige Fürst sich anfangs zierte, gelang es ­Reumont, von ihm die Erlaubnis zu erhalten, zusammen mit dem dortigen Archivar eine Auswahl von Briefen abzuschreiben und an Antonio Manno zu senden.158 2. Italien – Deutschland ­Reumonts zahlreiche Artikel über italienische Themen in deutschen Publikationsorganen sowie sein Ruf als herausragender Italienkenner in Diensten König Friedrich Wilhelms IV. trug ihm zahlreiche Anfragen deutscher Gelehrter ein, die seine Vermittlung zu italienischen Institutionen und Gelehrten in Anspruch nahmen, um in Italien Quellenrecherchen betreiben zu können. Im Gegensatz zu den italienischen Anfragen, die meist nach deutschsprachiger Literatur über italienische Themen recherchierten, interessierten sich die deutschen Gelehrten in erster Linie für die italienische Archivsituation, um eine geeignete Quellengrundlage für die Erforschung der gemeinsamen Geschichte zu rekonstruieren. Neben der mittelalterlichen Kaiser- und Papstgeschichte ging es dabei jedoch auch um die „deutsch-italienischen“ Verbindungen der neueren Geschichte. Während von italienischer Seite Antonio Manno sich für die Briefe Polissena d’Ostias 154

NL ­Reumont, S 1064, Angelo Pezzana an R ­ eumont, Nr. 140: Parma, 8. Oktober 1854; Nr. 141: Parma, 1. März 1854; Nr. 143: Parma, 16. Dezember 1856; Nr. 144: Parma, 19. Oktober 1857; Nr. 147: Parma, 24. Juli 1858; Nr. 148: Parma, 2. August 1859; vgl. Auch Kapitel 5. 1. 2. Mitgliedschaften, S. 545. 155 NL ­Reumont, S 1063, Antonio Manno an R ­ eumont, Nr. 44: Turin, 17. März 1883. 156 Alfred von ­Reumont: Lettere di Polissena Regina di Sardegna sull’abdicazione e prigionia di Vittorio Amedeo II, Archivio Storico Italiano 134 (1883), S. 216–223. 157 NL ­Reumont, S 1063, Antonio Manno an R ­ eumont, Nr. 45: Turin, 17. März 1883. 158 Ebenda, Nr. 46: Turin, 1. April 1883; Nr. 47: Turin, 9. Juli 1883; Nr. 49: Villanuovafolaro (Cuneo), 24. September 1883; Nr. 50: Turin, 7. Dezember 1883; Archivio di Stato di Torino, Archivio Manno, mazzo 31, fasc. 19, R ­ eumont an Manno, Aachen, 24. März 1883; Biarritz, 22. Juni 1883.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

interessierte, unternahmen auch deutsche Regierungen Recherchen über die eigenen Fürstenfamilien in Italien. So wandte sich im Jahre 1867 etwa die Regierung von Düsseldorf an R ­ eumont, um in Florenz Nachforschungen zur Heirat Jan Wellems (Johann Wilhelm, Pfalzgraf von Neuburg, Herzog von Jülich und Berg, Kurfürst von der Pfalz) mit Anna Maria Luisa de’ Medici, der Tochter Cosimos III. anzustellen.159 ­Reumont leitete die Anfrage an Francesco Bonaini, den Generaldirektor der toskanischen Archive weiter, der mit Gaetano Milanesi und Cesare Guasti auch seine beiden führenden Schüler mit in die Recherchen einbezog. Auch wenn die Nachforschungen nicht zu den von der Düsseldorfer Regierung gewünschten Ergebnissen führten, zeigt dieses Beispiel, dass R ­ eumont sich für eine derartige Anfrage auf die führenden Archivare der Toskana verlassen konnte, die ihn bereitwillig unterstützten. Hatte R ­ eumont während seiner Anfangszeit in der Toskana derartige Anfragen zumeist einfach an Capponi weitergeleitet,160 verfügte er nach jahrelanger Tätigkeit als Diplomat und Publizist über ausreichende eigene Kontakte, um sich direkt an die führenden Experten auf dem jeweiligen Gebiet wenden zu können. Mit seiner genauen Kenntnis der italienischen Archivsituation unterstützte ­ eumont auch laufende Editionsprojekte mit Anregungen und weiterführenden R Recherchen. So etwa als in Koblenz die Veröffentlichung des Codex Balduini bevorstand, einer Bilderhandschrift des 14. Jahrhunderts, in der die von König Heinrich VII. und seinem Bruder Balduin von Luxemburg, dem Erzbischof von Trier unternommene Romfahrt (1310–1313) geschildert wird, durch die er die Kaiserkrone erlangen und die Herrschaft über Reichsitalien wieder erlangen wollte.161 Da Bonaini schon vor Jahren bereits intensive Recherchen über die Romfahrt Heinrichs VII. angestellt hatte, versuchte ­Reumont einen Abgleich der Archivdokumente, die Bonaini gehoben hatte, mit dem kurz vor der Veröffentlichung stehenden Codex zu ermöglichen.162 Dies scheiterte aber offenbar an Bonainis schwerer Krankheit, die ihn seit dem Frühjahr 1870 plagte und an der er 1874 schließlich starb.163 Während ­Reumont in der Toskana über eine Vielzahl an Kontakten zu Biblio­ theken und Archiven verfügte, konnte er für entsprechende Anfragen auch seine Verbindungen in die restlichen Regionen Italiens aktivieren: In Neapel über ­Scipione

159 NL ­Reumont, S 1058, Francesco Bonaini an ­Reumont, Nr. 182, Florenz, 17. Januar 1867; Nr. 183, Florenz, 18. März 1867; zu Jan Wellem vgl. Max Braudach: Johann Wilhelm, NDB 10 (1974), S. 516–518. 160 Als etwa Heinrich Leo Recherchen zu den Ubaldini anstellte, leitete R ­ eumont die Fragen einfach an Capponi weiter: BNCF, Gino Capponi XI. 42, R ­ eumont an Capponi, Nr. 4: Aachen, 22. Juli 1836. 161 Vgl. Michel Margue / Michel Pauly / Wolfgang Schmid (Hrsg.): Der Weg zur Kaiserkrone. Der Romzug Heinrichs VII. in der Darstellung Erzbischof Balduins von Trier (CLUDEM 24), Trier 2009. 162 BNCF, Gino Capponi XI. 46, ­Reumont an Capponi, Nr. 63: Bonn, 24. März 1870. 163 Vgl. Giulio Prunai: Bonaini, Francesco, DBI 11 (1969) [URL: http://www.treccani.it/ enciclopedia/francesco-bonaini_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016.

IV. Materialbeschaffung 

515

Volpicella, in Rom über seine Mitgliedschaften in zahlreichen Akademien, in Turin über seine Mitgliedschaft in der Accademia delle Scienze sowie über Persönlichkeiten wie Federigo Sclopis, Antonio Manno oder auch Carlo Promis, in Parma über den dortigen Bibliotheksdirektor Angelo Pezzana164. Für Recherchen in der Lombardei wandte er sich meist an Cesare Cantù.165 Vielfach wandten sich jedoch die entsprechenden Gelehrten mit ihren Neuentdeckungen und Projekten auch aus eigener Initiative an R ­ eumont, in der Hoffnung, dass ihre Arbeiten und Funde auf diese Weise auch Eingang in die deutsche Wissenschaft finden würden. So war beispielsweise Giovanni Carlo Conestabile della Staffa ein regelmäßiger Informant über seine neuesten Archivfunde.166 ­Reumonts Ruf als Kenner der italienischen Archivsituation wie auch der dortigen Publikationen reichte dabei über die Grenzen des deutschsprachigen Raums hinaus. Auch Louis Prosper Gachard, der Generaldirektor der Königlichen Archive in Brüssel, informierte sich bei ihm regelmäßig über die neuesten italienischen Archivfunde und für seine Forschungen relevante Publikationen.167 Der herausragende Profiteur nördlich der Alpen dürfte jedoch Karl Witte gewesen sein, den ­Reumont mit führenden italienischen Danteforschern wie etwa Pietro ­ eumonts frühen ItalienFraticelli oder Pietro Capei in Kontakt hielt.168 Schon seit R jahren hatte er den Dante-Forscher regelmäßig über die neuesten Entwicklungen der italienischen Danteforschungen auf dem Laufenden gehalten und Recherchen vor Ort ausführen lassen.169 Im Gegenzug für die zahlreichen Gefälligkeiten, die er seinen toskanischen Bekannten für Witte abverlangte, forderte ­Reumont allerdings auch immer wieder von Witte ein, dass er von seinen Arbeiten auch diverse Ex­ eumonts Vermittlung emplare an diejenigen sendete, die seine Recherchen durch R maßgeblich unterstützt hatten.170 Bei derartigen Gelegenheiten war es dann auch wieder ­Reumont, der Witte dabei beriet, an wen er denn seine Publikationen auf welchem Wege zu versenden habe.171 164

NL ­Reumont, S 1064, Angelo Pezzana an R ­ eumont, Nr. 149: Parma, 12. September 1859. Vgl. etwa NL R ­ eumont, S 1059, Cesare Cantù an R ­ eumont, Nr. 47: Mailand, 13. Februar 1881. 166 Vgl. etwa NL R ­ eumont, S 1059, Giovanni Carlo Conestabile an ­Reumont, Nr. 198: Perugia, 22. September 1852; Nr. 221: Perugia, 4. April 1869. 167 Ebenda, S 1061, Louis Prosper Gachard an ­Reumont, Nr. 33: Brüssel, 12. Juni 1877; Nr. 45: Spa, 15. August 1879. 168 Ebenda, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 9: Florenz, 28. Juni 1838; Nr. 10: Lucca, 5. August 1838. 169 Ebenda, Nr. 2: Berlin, 4. Mai 1836; Nr. 4: Rom, 14. November 1836; Nr. 19: Berlin, 28. Oktober 1843; Nr. 52: Florenz, 22. September 1854; Nr. 111: Lamporecchio, 12. November 1862; Nr. 177: Bonn, 21. März 1874; Nr. 180: Villa Rospigliosi, Lamporecchio, 5. Juni 1874; Nr. 182: Bonn, 28. Februar 1875; vgl. auch Haupt (1971), S. 183. 170 Vgl. etwa ebenda, Nr. 10: Lucca, 5. August 1838: „Anfang Herbst mache ich Ihnen wol wieder eine kleine Sendung v. Dante-Literatur. Unter uns gesagt, die Italiener erwarten nun aber auch etwas von Ihnen.“ 171 Ebenda, Nr. 52: Florenz, 22. September 1854. 165

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E. ­Reumont als Brückenbauer

Wesentlich aufwändiger als die einfache Beschaffung von Informationen gestaltete sich die Vermittlung von Abschriften relevanter Dokumente und Ankäufen wichtiger Literatur. Denn in diesem Kontext ging es nicht nur um die Zahlungsmodalitäten, sondern auch um die Gewährleistung eines zuverlässigen Versands – und schließlich musste sich jemand bereit finden, zeitaufwändige Abschriften von mitunter schwer lesbaren Dokumenten nach den Wünschen des Bestellers anzufertigen. Bei den regelmäßigen Sendungen und Bestellungen Wittes organisierte R ­ eumont den Versand meist selbst: Entweder übergab er für Sendungen in die vornationalstaatliche Toskana die Briefe und Pakete dem österreichischen Kurier, oder überbrachte die Post einfach persönlich.172 Um Witte mit den für seine Danteforschun­ eumont bereits in den 1830er gen relevanten Materialien zu versorgen, konnte R Jahren auf beachtliche Verbindungen zurückgreifen. So besorgte er etwa Sieneser Dokumente über Capei, neapolitanische Dokumente über Papencordt und Heinrich Wilhelm Schulz, sowie Abschriften von Dante-Briefen über Paul Heyse, der einem gemeinsam Freund ­Reumonts und Wittes noch einen Gefallen schuldete und dadurch sich für diese zeitaufwändige Dienstleistung gewinnen ließ.173 Außerdem beschaffte ­Reumont noch weiterführende Literatur, die er über seine loka­ eumont len Kontakte und Kenntnisse beisteuern konnte.174 Mit der Zeit konnte R seine Kontakte vor Ort noch vertiefen und hatte innerhalb der Toskana in jeder Institution einen Ansprechpartner, um Recherchen durchführen zu lassen, oder Abschriften anzufordern. Als Witte z. B. die Version von Dantes Monarchia benötigte, wie sie sich im Archiv von Lucca befindet, konnte ­Reumont sich direkt an den dortigen Direktor Salvatore Bongi wenden, um entsprechende Abschriften zu erwerben.175 Gleichzeitig wandten sich aber auch die Herausgeber von Quelleneditionen an ­ eumont, um diese im deutschsprachigen Raum an geeignete Adressaten gelangen R zu lassen. So wandte sich etwa Francesco Bonaini an R ­ eumont, als er seine Pisaner Regesten fertiggestellt hatte, mit der Bitte, sie an die von ihm aufgelisteten Personen gelangen zu lassen.176 ­Reumont fügte anschließend noch weitere Personen, wie Leopold von Ranke und König Johann von Sachsen, sowie wichtige Institutionen, wie das Staatsarchiv Berlin, das königliche Hausarchiv, die Universitätsbibliotheken in Halle und Bonn, die Akademien der Wissenschaften in München und Wien sowie

172

Ebenda, Nr. 8: Rom, 15. Januar 1838. Ebenda; vgl. Haupt (1971), S. 185–186. 174 NL ­Reumont, S 2746, ­Reumont an Witte, Nr. 19: Berlin, 28. Oktober 1843; Nr. 20: Berlin, 26. Dezember 1843. 175 Ebenda, Nr. 121: Rom, 2. April 1864; Nr. 122: Rom, 15. April 1864; Nr. 123: Sanssouci, 2. Juni 1864. 176 NL ­Reumont, S 1058, Francesco Bonaini an ­Reumont, Nr. 181, Florenz, 30. April 1866. In der Auflistung tauchen u. a. auf: Georg Heinrich Pertz, Phillip Jaffé, Johannes Janssen, Rudolf Maria von Stillfried-Alcantara, Traugott Märcker. 173

IV. Materialbeschaffung 

517

das Zentrale Staatsarchiv Belgien hinzu und sorgte für eine weite Verbreitung von Bonainis Werk nördliche der Alpen.177 Dabei ließ Bonaini auch kleinere Schriften über R ­ eumont in den deutschspra­ eumont auch die Beschaffung chigen Raum gelangen.178 Genauso vermittelte R von Zeichnungen wichtiger Kunstwerke für deutsche Vereine und Institutionen. Ernst Aus’m Weerth, der Präsident des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande und erste Forscher, der die christlichen Kunstdenkmäler des Mittelalters im Rheinland systematisch bearbeitete,179 ließ sich etwa über ­Reumont eine Zeichnung eines Mosaikfußbodens aus der Krypta von S. Savino in Piacenza zukommen, die er zuvor über den dortigen Archivar ausfindig gemacht hatte. Obgleich er selbst die notwendigen Recherchen schon geleistet hatte, nahm er jedoch die Vermittlung ­Reumonts in Anspruch, um bei der Anfrage an den dortigen Grafen Bernardo Pastrelli unterstützt zu werden.180 Aus’m Weerth hatte sich nämlich die Aufgabe gestellt, den Mosaikboden in St. Gereon in Köln mit den verwandten italienischen Mosaikböden zu vergleichen.181 Bei ­Reumonts Dokumentvermittlung ist es dabei durchaus bemerkenswert, dass er auch für seine italienischen Kontakte Archivalien aus italienischen Archiven besorgte. Seine engen Kontakte in Vatikanische Kreise waren auch für seine Florentiner Bekannten von großem Nutzen. Offenbar ermöglichte seine Bekanntschaft mit Augustin Theiner auch die Beschaffung von Abschriften für Dokumente aus dem Vatikanischen Archiv für Capponi.182 Tatsächlich hatte ­ Reumont bereits in frühen Jahren wertvolle Kontakte zu ­ ugustin Theiner und zum Vatikanischen Archiv knüpfen können. Bereits 1846 A leitete er im Auftrag Stillfried-Alcantaras die Bitte um Recherchen nach päpstlichen Urkunden, die das Alter der Burgkapelle auf Hohenzollern bei Hechingen erweisen

177 Archivio di Stato di Firenze, Carte Bonaini, B. VII, ins. 14, R ­ eumont an Bonaini, Brüssel, 7. Mai 1866. 178 Ebenda, 28. Januar 1858. 179 Vgl. dazu Gabriele John: 150 Jahre Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande (Landschaftsverband Rheinland: Führer des Rheinischen Landesmuseums Bonn und des Rheinischen Amtes für Bodendenkmlapflege 135), Köln / Bonn 1991. 180 NL ­Reumont, S 1068, Ernst Aus’m Weerth an ­Reumont, Nr. 27: 10. Oktober 1873: „Der Graf Bernardo Palastrelli in Piacenza besitzt – wie mir der Archivar Bonore dort mittheilte – eine Zeichnung der in der Crypta S. Savino dort befindlichen Mosaikbodens. Ich zweifle bei der Liebenswürdigkeit der Italiener nicht im Wenigsten daran, daß uns Graf Palastrelli (nämlich dem Vernier) diese Zeichnung leihweise überläßt, falls er in geeigneter Weise darum ersucht wird. Daß aber die geeignetste Weise Ihre Vermitthlung, der Sie in Italien ein gleich berühmter als beliebter Mann sind, sei, steht mal außer allem Zweifel. Ganz ergebenst erlaube ich mir deßhalb die Bitte um Ihre Mitthülfe auszusprechen, u. sage im Voraus meinen verbindlichsten Dank dafür.“ 181 Ernst Aus’m Weerth: Der Mosaikboden in St. Gereon zu Cöln nebst den damit verwandten Mosaikböden Italiens, Bonn 1873. 182 BNCF, Gino Capponi XI. 45, ­Reumont an Capponi, Nr. 54: Aachen, 14. Juni 1868.

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E. ­Reumont als Brückenbauer

sollten, an Augustin Theiner weiter.183 ­Reumont konnte somit vor Ort im Auftrag des offiziellen Familienhistorikers und Genealogen der preußischen Königsdynastie auftreten. Durch diese prominente Unterstützung, verbunden mit seiner persön­ lichen Bekanntheit in päpstlichen Kreisen konnte er auf diese Weise seine dortigen Kontakte vertiefen. Bemerkenswert ist insoweit, dass R ­ eumonts Kontakte nicht nur an jenen Orten, an denen er selbst über längere Zeit als Diplomat gewirkt hatte, wie in der Toskana und in Rom, über die Zeit der Nationalstaatsgründung hinaus bestehen blieben, sondern auch in Turin selbst. Zwar hatte R ­ eumont die Nationalstaatspolitik Sardinien-Piemonts unter Führung Cavours entschieden abgelehnt und machte diese für den Verlust der toskanischen Autonomie sowie den Konflikt mit der Kirche verantwortlich, jedoch blieben seine kulturellen Kontakte dorthin weiter aktiv. Mit den dortigen Genealogen, Archivaren und Bibliothekaren, die vielfach dem dortigen Adel entstammten und als hohe Staatsbeamte Geschichte in erster Linie in politischer Absicht betrieben,184 teilte er seine gesellschaftlichen und religiösen Ordnungsvorstellungen. Obwohl ­Reumont deren Anspruch einer piemontesischen Expansion zurückwies,185 garantierte die Basis eines gemeinsamen Wertefundaments das notwendige Vertrauen für einen Austausch über Archivalien, welche die vaterländische Geschichte der führenden Familien betrafen. Durch seine zahl­ eumont bereits gezeigt, dass er das adlige reichen biographischen Arbeiten hatte R Geschichtsverständnis verinnerlicht hatte, sodass davon auszugehen war, dass die von ihm vermittelten Archivalien keinen Arbeiten dienten, die dem Andenken des Adels oder der Dynastie als solcher schaden würden. Dementsprechend wirkten sich die zeitgenössischen politischen Entwicklungen nicht negativ auf ­Reumonts Verbindungen nach Turin aus. So konnte er etwa noch Anfang der 1870er Jahre für Ernst von Ranke, dem jüngeren Bruder des bekannten Leopold, Kopien von Codices aus Vercelli beschaffen, indem er Carlo Promis darum bat, exakte Abschriften anfertigen zu lassen.186 ­Reumont verfügte nicht nur mit Carlo Promis über einen zuverlässigen Korrespondenten in Turin. Auch als dessen Neffe Vincenzo Promis 1874 Direktor der Biblioteca Reale wurde, erbte er gewissermaßen den Kontakt zu ­Reumont und stellte diesem umgehend seine Dienste als Direktor der Bibliothek zur Verfügung.187 Der persönliche Faktor in der Verbindung mit einem Grundkonsens hinsichtlich gesellschaftlicher Idealvorstellungen einer Dominanz des gottesfürch 183 NL ­Reumont, S 1066, Rudolf Maria Stillfried-Alcantara an Augustin Theiner (überbracht von ­Reumont), München im April 1846. 184 Vgl. Levra (1992), S. 182–183. 185 Vgl. etwa Archivio dell’Accademia delle Scienze di Torino, Fondo Sclopis, R ­ eumont an Federigo Sclopis, Florenz, 8. September 1859. 186 Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis, Scat. 13/XXII76, ­Reumont an Carlo Promis, Bonn, 10. Februar 1872; Scat. 13/XXII77, ­Reumont an Carlo Promis, Florenz, 28. Mai 1872. 187 NL ­Reumont, S 1064, Vincenzo Promis an ­Reumont, Nr. 177: Turin, 20. Februar 1874: „Sarei del resto ben fortunato se a Torino potessi in qualche cosa servirla, restipulando pel poco che valgo alla mancanza de’ miei cari, i cui amici ben mi sarebbe caro di poter ricevere alla ­Biblioteca, della cui Direzione sono provvisoriamente incaricato.“

IV. Materialbeschaffung 

519

tigen Adels sicherte R ­ eumont insofern ein dauerhaftes Netzwerk im Kulturbereich, das er deutschen und italienischen Gelehrten bereitwillig anbot. Darüber hinaus stellte R ­ eumont jedoch auch internationalen Italienforschern seine Kontakte zur Verfügung. Für den in Venedig lebenden und forschenden Briten Rawdon Brown ließ er in Florenz regelmäßig über Bonaini Recherchen durchführen und Kopien anfertigen, um Brown die Möglichkeit zu geben, die in Venedig aufgetriebenen Dokumente mit entsprechenden Gegenüberlieferungen abzugleichen.188 ­Reumont war auf diese Weise über einen der führenden Kenner der venezianischen Archivsituation stets auf dem Laufenden. Selbst bei der Beschaffung seltener oder schwer verfügbarer Literatur konnte R ­ eumont ihm oftmals weiterhelfen. Als Brown etwa die Recherches historiques sur l’origine maternelle de Marguerite de Parme von einem D. J. Vander Meersch aus dem Jahre 1842 nirgendwo auftreiben konnte, wusste ihm R ­ eumont über Gachard ein Transkript dieses Werkes zukommen zu lassen.189 Im Gegenzug vermittelte Brown für ­Reumont den Kontakt zu Emanuele Antonio Cicogna, auf dessen Iscrizioni ­Reumont zugreifen musste.190 Dieser exemplarische Überblick zeigt, wie R ­ eumont, nicht nur für seine eigenen Forschungen, sondern in ganz entscheidendem Maße auch für die internationale Forschung über Italien nicht nur die Möglichkeit eröffnete, Literatur- und Quellenrecherchen zu betreiben und Kopien anzukaufen, sondern auch wichtige Quellentexte miteinander abzugleichen, um entweder für eigene Forschungen oder für eine kritische Textedition einen Überblick über der verschiedenen Textversionen zu erhalten. Sowohl durch seine eigene Beschäftigung mit vielfältigen Themen zur Geschichte und Kultur Italiens als auch durch seine weitreichenden internationalen Kontakte zur Italienforschung war er für viele Gelehrte ein wichtiger Ansprechpartner um entweder einen ersten Einstieg in ein Forschungsprojekt durch einen Überblick über die Quellenlage zu erhalten, um Textvergleiche durchführen zu können, oder um der Publikation den letzten Feinschliff zu geben. Vielfach bot sich R ­ eumont dabei sogar an, die entsprechenden Bestellungen selbst zu beschaffen und die Bezahlung zu vermitteln. Er selbst profitierte dabei davon, stets über diverse laufende Projekte im Bilde zu sein, und so weitere Gelehrte bei ihren Arbeiten beraten zu können. Über den persönlichen Faktor konnten auf diese Weise durch R ­ eumont Recherchen angestellt werden und Literatur beschafft werden, ohne, dass dafür unbedingt eine längere Reisetätigkeit oder diverse Empfehlungen notwendig waren. Über ­Reumont war also eine verhältnismäßig schnelle und zuverlässige Material­ beschaffung möglich. Hinsichtlich der Recherche waren die Forscher freilich auf den Kenntnisstand und das Netzwerk ihres Vermittlers angewiesen. Um diese Grenzen von R ­ eumonts networking zu überwinden, war im Zweifelsfall dennoch die persönliche Recherche vor Ort in Archiven und Bibliotheken notwendig.

188

Ebenda, S 1058, Rawdon Brown an ­Reumont, Nr. 209: Venedig, 6. Januar 1862. Ebenda, Nr. 221: Venedig, 28. November 1879. 190 Ebenda, Nr. 212: Venedig, 4. Juli 1865. 189

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E. ­Reumont als Brückenbauer

V. Zugänge zu Archiven und Bibliotheken Wenngleich persönliche Archiv- und Bibliotheksrecherchen den Vorteil boten, eine vermeintliche Filterung der Ergebnisse durch den entsprechenden Mittler ausschließen zu können, war die Planung einer Archivreise ohne die Unterstützung durch Vermittler kaum möglich. Selbst wenn der Betroffene bereits die relevanten Archiv- und Bibliotheksbestände ausfindig gemacht hatte, war die erfolgreiche Durchführung bei weitem noch nicht gesichert. Insbesondere in kirchlichen oder privaten Archiven war ein Empfehlungsschreiben an die richtige Kontaktperson meist unverzichtbar.191 Deswegen galt es, zunächst Personen ausfindig zu machen, die in der gewünschten Institution einen guten Leumund hatten. Anschließend musste ermittelt werden, an wen sich der anreisende Besucher vor Ort für das entsprechende Anliegen am besten zu wenden hatte, wobei zu gewährleisten war, dass das Empfehlungsschreiben auch auf die entsprechende Kontaktperson ausgerichtet war. Um derartige Informationen zuverlässig zu erhalten, waren die Archivreisenden nolens volens auf Vermittler wie ­Reumont angewiesen, die, falls sie selbst nicht unmittelbar über die passenden Kontakte verfügten, zumindest den Kontakt zu Personen vermitteln konnten, die am gewünschten Ort hinreichend vernetzt wa­ eumont auch nach seiner offizielren. Durch sein weitreichendes Netzwerk blieb R len diplomatischen Tätigkeit eine wichtige Kontaktperson für gelehrte Reisende. Bereits kurz nach seiner Pensionierung hielt sich ­Reumont im Rahmen seiner eigenen Recherchen für die Geschichte der Stadt Rom in der Ewigen Stadt auf und war somit die naheliegende Kontaktperson für deutschsprachige Gelehrte. Wilhelm von Giesebrecht bat ­Reumont entsprechend die römischen Recherchen der Historischen Kommission für die Herausgabe der deutschen Reichstagsakten vor Ort zu unterstützen und die notwendigen Archivzugänge zu gewährleisten.192 Andererseits konnte R ­ eumont Francesco Bonaini bei dessen Reise nach Wien offenbar die Unterstützung persönlicher Bekannter aus dem Kreis des österreichischen diplomatischen Korps, wie dem ehemaligen österreichischen Botschafter in Toskana, Baron De Hubner, verschaffen,193 als der Florentiner Archivar gemeinsam mit Luigi Cibrario mit den habsburgischen Behörden die Rückgabe der

191

Vgl. Saxer (2014), S. 156. NL ­Reumont, S 1061, Wilhelm von Giesebrecht an R ­ eumont, Nr. 254: München, 1. Dezember 1863: „Herr Dr. Weizsäcker von hier, seit Jahren der Hauptarbeiter der historischen Kommission für die Herausgabe der deutschen Reichstagacten und jetzt zum Nachfolger Böllingers in Erlangen designirt, wünscht vor der Publication des ersten Bandes der Reichtstagsacten noch persönlich in Rom nachzuforschen, ob das ganze ihm wichtige Material dort tiefer bearbeitet sei. Sie werden nicht allein ihn, sondern die ganze Kommission sehr verpflichten, wenn Sie ihm mit freundlichem Rathe zur Seite stehn, und ihm den Zugang zu den Archiven, soweit es möglich ist, zu erleichtern suchen. Freundlichst ersuche ich Sie um Ihre vielvermögende Fürsprache für ihn, wo er dieselbe anrufen sollte.“ 193 NL ­Reumont, S 1058, Francesco Bonaini an ­Reumont, Nr. 183: Florenz, 18. März 1867; BNCF, Gino Capponi XI. 45, ­Reumont an Capponi, Nr. 49: Rom, 25. März 1867. 192

V. Zugänge zu Archiven und Bibliotheken 

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während des Italienfeldzuges 1866 beschlagnahmten Archivbestände aus Venezien verhandelte.194 In seiner Absicht, die italienischen Archive der internationalen Öffentlichkeit zu öffnen, stand ­Reumont freilich nicht allein da. Prominente Forscher wie Rawdon Brown in Venedig für die britische Regierung, Armand Baschet im Auftrag der französischen Regierung und Louis Prosper Gachard für die belgische Regierung unternahmen umfassende Recherchen und pflegten ihrerseits ein umfangreiches Netzwerk aus persönlichen Kontakten, um die italienische Archivüberlieferung sowohl für eigenen Forschungen als auch jene dritter Gelehrter zu öffnen. Zu diesem Zweck standen die genannten Forscher selbst untereinander in intensivem Kontakt, sodass sie im Bedarfsfall auch auf das Netzwerk ihrer Kollegen zurückgreifen ­ eumont zum Ziel, insbesondere konnten. Zusammen mit Gachard setzte es sich R die toskanische Archivsituation einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Noch im Jahre 1875 hielt Gachard gerade diese Archive immer noch nicht für ausreichend bekannt, weshalb er gegenüber ­Reumont ausführte: „C’est surtout des archives de Florence que j’aurais à Cœur de m’occuper parce qu’elles forment des plus riches dépôts de l’Italie, & qu’à l’étranger elles ne sont pas connus comme elles méritent de l’être.“195

Obgleich Gachard selbst als hervorragend in Italien vernetzt gelten konnte, setzte er bei den dortigen Recherchen meist auf die Mittlerdienste R ­ eumonts. Selbst in den letzten Jahren von R ­ eumonts Leben erschienen dessen Kontakte nach wie vor nützlich. Als etwa in Antwerpen eine Kommission eingesetzt wurde, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sämtliche Briefe des Malers Peter Paul Rubens aufzutreiben, setzte sich Gachard mit ­Reumont in Verbindung, um die Kontaktaufnahme mit den italienischen Archiven vorzubereiten: „La Commission d’Anvers fut déjà mise en rapport avec des archivistes et des bibliothécaires à l’étranger: vous qui connaissez si parfaitement les dépôts historiques d’Italie, pourrez-vous m’en indiquer auxquels nous nous adressions, selon vous, avec quelque chance de succès ? Nous vous en serions très-reconnaissants. Je ne parle pas, bien étendu, des archives de Mantoue, que M. Armand Baschet a complètement explorés.“196

Bis ins hohe Alter blieb R ­ eumont auch für führende internationale Gelehrte ein entscheidender Ansprechpartner für Kontakte zu italienischen Bibliotheken und Archiven. Seine jahrelange Erfahrung auf diesem Gebiete machte ihn auch für erfahrene Gelehrte zu einem wichtigen Ratgeber sowohl hinsichtlich der Recherche in italienischen Archiven als auch der Ermittlung der jeweiligen Kontaktpersonen. Während seine unmittelbaren persönlichen Kontakte sich im Laufe der Jahre durch personelle Veränderungen in den Institutionen reduzierte, wusste er über seine verbliebenen italienischen Kontakte dennoch die notwendigen Ansprechpartner zu er 194

Vgl. Saxer (2014), S. 283–284. NL ­Reumont, S 1061, Louis Prosper Gachard an ­Reumont, Nr. 21: Brüssel, 1. Januar 1875. 196 Ebenda, Nr. 60: Brüssel, 28. Dezember 1880. 195

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E. ­Reumont als Brückenbauer

mitteln. Dagegen boten seine lebenslangen Erfahrungen in der Berichterstattung über die italienische Archiv- und Bibliothekssituation einen wertvollen Einstieg für Gelehrte, die Recherchen über italienische Themen anstellten.

VI. Beschaffung von Fachgutachten Neben der Beschaffung von Archivmaterialen, Kunstgegenständen oder dem Zugang zu Archiven und Bibliotheken, spielte in dem Gelehrtennetzwerk die einfache Informationsbeschaffung eine wichtige Rolle. Beim Umgang mit Archivdokumenten, beim Ankauf von Kunstgegenständen oder der Einordnung von Forschungsergebnissen konnten über die gelehrten Kontakte oftmals Gutachten oder auch für bestimmte Projekte notwendiges know how erworben werden. Die Beschaffung von Expertisen zu bestimmten Themen erforderte dabei wesentlich tiefergehende Kontakte, als etwa einfache Literaturrecherchen oder die Vermittlung von Archivzugängen. Denn die Gelehrten waren normalerweise nicht bereit, einem Unbekannten ihre wissenschaftliche Expertise zu überlassen, wenn sie nicht einschätzen konnten, zu welchem Zweck ihr Gutachten dienen würde. Deswegen setzte die Vermittlung von Fachgutachten nicht nur ein bestehendes Netzwerk voraus, sondern auch ein Mindestmaß an Vertrauen gegenüber dem Mittler. Aus diesem Grund intensivierte sich R ­ eumonts Tätigkeit in diesem Bereich erst im Laufe der 1850er Jahre, als er bereits ausreichend persönliche Kontakte in der europäischen Gelehrtenwelt geknüpft hatte, die ihm das notwendige Prestige verschafften, dass Experten ihm gegenüber ihre wissenschaftlichen Stellungnahmen abzugeben bereit waren. Durch seinen engen Kontakt zum königlichen Hofe tauschte sich ­Reumont bereits frühzeitig mit Stillfried-Alcantara zu dessen Forschungen zur Geschichte und Genealogie der Hohenzollern aus. Dabei griff Stillfried immer wieder auf ­Reumonts Überblick über italienische Literatur zurück. Als er für seine Forschungen nähere Informationen über den Kenntnisstand zu Eberhard, der von Kaiser Ludwig II. zum Herzog von Friaul ernannt worden war, und dessen Gemahlin Gisela benötigte, wandte er sich an ­Reumont: „Ist in neuerer Zeit über das Ehepaar und namentlich über das Abtreten des Unrer und Aufsteigen des Berengar eine kritische Forschung angestellt worden und zu welchem Resultate hat dieselbe geführt? Theilen Sie mir freundlichst darüber Alles mit, was Sie wissen.“197

Nachdem ­Reumont ihn bereits bei der Abfassung hinsichtlich des Forschungsstandes beraten hatte, ließ Stillfried den vierten Teil der Monumenta Zollerana auch von ­Reumont persönlich an den mittlerweile von seinem Schlaganfall gezeichneten König übermitteln,198 da Stillfried, wie er sich bei anderer Gelegenheit äußerte, sich niemanden vorstellen könne, der entsprechende Werke dem König besser näher 197 NL ­Reumont, S 1066, Rudolf Maria Stillfried-Alcantara an ­Reumont, Nr. 92: Maria Einsiedeln, 12. August 1857. 198 Ebenda, Nr. 93: Berlin, 30. August 1858.

VI. Beschaffung von Fachgutachten 

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zubringen wisse.199 Außerdem bat er ­Reumont darum, dafür Sorge zu tragen, dass der König das Werk weniger an Einzelpersonen als vielmehr an Bibliotheken und Institutionen verschenken möge, um ihm eine größere Aufmerksamkeit in Italien zu verschaffen.200 Auch bei den weiteren Forschungen konnte Stillfried auf R ­ eumonts Mittlerdienste zählen, der den Kontakt zum toskanischen Genealogen Luigi Passerini herstellte und den Austausch der beiden Kollegen vermittelte.201 Neben den Auskünften Stillfrieds besorgte R ­ eumont für seinen Florentiner Bekannten auch weiterführende Literatur zu dessen Studien und war dessen vornehmlicher Kontakt in den deutschsprachigen Raum.202 Gleichzeitig führte er jedoch auch während seiner römischen Aufenthalte Recherchen für den Florentiner Genealogen aus. So beauftragte ihn Passerini etwa damit, alle Monumente und Gemälde der Familien Malatesta, Conti und Savelli in Rom ausfindig zu machen und die Ergebnisse seiner Nachforschungen dem in Rom im Auftrag Passerinis und Pompeo Littas arbeitenden Florentiner Maler Alessandro Chiari mitzuteilen.203 Ebenfalls kaum zu unterschätzen war R ­ eumonts Kooperation mit Cesare Guasti. Vor der Veröffentlichung wichtiger Editionen und Besprechungen, versuchte sich Guasti zunächst ein Bild von der internationalen Forschungslage zu dem jeweiligen Thema zu machen, was sich wegen der fehlenden Verfügbarkeit der entsprechenden Literatur vor Ort meist schwierig gestaltete. Über R ­ eumont vermochte er diesem Mangel regelmäßig abzuhelfen. Als er beispielsweise vor der Veröffentlichung des Inventars der Biblioteca Urbinese di Montefeltro stand, hatte er bereits versucht, sich über die Publikationen von Bluhme, Dennistown und Ugolini ein Bild vom aktuellen Kenntnisstand zu verschaffen, traf dabei jedoch auf Widersprüche. Deswegen beauftragte er ­Reumont, der sich zu jener Zeit in Rom aufhielt, die notwendigen Recherchen vor Ort auszuführen.204 ­Reumonts Überblick über die bereits erschienenen Quelleneditionen nicht nur innerhalb Italiens, sondern insbesondere nördlich der Alpen, veranlasste Guasti immer wieder, sich bei neuen Archiv­funden 199

Ebenda, Nr. 94: Berlin, 3. November 1858: „Haben Sie die Güte, das Original zu übergeben und den Inhalt der Mappe in entsprechender Weise zu erklären. Niemand vermag das besser als Sie.“ 200 Ebenda, Nr. 95: Berlin, 25. Februar 1859. 201 Ebenda, Nr. 102: Silbitz, 26. Oktober 1862; S 1064, Luigi Passerini an ­Reumont, Nr. 102, Florenz, 16 September 1862. 202 Ebenda, Nr. 104, Florenz, 1. März 1869. 203 Ebenda, Nr. 100, Florenz, 27. Januar 1862. 204 NL R ­ eumont, S 1061, Cesare Guasti an R ­ eumont, Nr. 318: Florenz, 15. Februar 1860: „Vorrei stampare nel Giornale Storico degli Archivi l’Inventario originale della Biblioteca Urbinese di Montefeltro, trovato casualmente in un Archivio monacale, come sentirà dalla stampa che le mando. Ma le notizie sulla biblioteca Urbinese, ci danno il Blume, il Dennistown e l’Ugolini stanno poco d’accordo; nè so a chi mi dar volta. A lei, ch’è tanto perito di queste cose, e che, trovandosi in Roma, può consultare la stessa biblioteca Urbinese, mi affido interamente. Anche il cavalier Bonaini si unisce meco a pregarla di questo fare, premendo troppo di non dir cose o false o non bene accertate.“

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zunächst einmal bei R ­ eumont abzusichern, ob es bereits Publikationen zu den Dokumenten gebe. So wandte er sich etwa an R ­ eumont, als er in Prato neue Ent­ deckungen gemacht hatte: „Nell’Archivio Storico vedrà certi documenti da me trovati nella Roncioniana di Prato, che si riferiscono alla tesoreria di Giovanni XXIII e al Concilio di Costanza. Ella che ha studiato tanto le cose romane, mi saprebbe dire se siano inedite, e se tali essendo, meritano di essere date in luce le Ordinationes facte per fe. Record. Dominum Johannem papam XXII circa reformationem Anditorum et Notariorum Palatii Apostolici, con le Ordinationes aggiunte da Benedetto XII, Gregorio XI e Martino V.?“205

Im Gegenzug konnte R ­ eumont bei Recherchen für seine Arbeiten auf die tat­ eumont ausführliche Informatiokräftige Unterstützung Guastis zählen, etwa als R nen über die erhaltenen Briefe Baldassare Castigliones über die Krönung Karls V. in Aachen benötigte.206 Guasti stellte umfassende Recherchen an und überließ ­Reumont ein Verzeichnis der von ihm aufgefundenen Briefe zur Verfügung.207 Gleichzeitig sollte ­Reumont dabei behilflich sein, deutsches know how in die Toskana zu holen. Als Francesco Bonaini 1867 zum zweiten Mal versuchte, Philipp Jaffé208 anzuwerben, stützte er sich auf die Fürsprache Theodor Mommsens und ­Reumonts. Nachdem Carlo Milanesi verstorben war, galt es den Lehrstuhl für Paläographie am Archivio di Stato di Firenze neu zu besetzen. Bonaini konnte daraufhin vom Bildungsministerium das Einverständnis einholen, Jaffé anzuwerben, um zugleich einen kompetenten Partner bei der Edition von Inventaren und Regesten zu erhalten.209 Deswegen übergab er ­Reumont das an Jaffé gerichtete Schreiben, mit der Bitte, es ihm zukommen zu lassen und für die Toskana zu werben. Letztlich blieb der Erfolg dieses Projektes aus. Jaffé nahm das Angebot nicht an. Zwar hatte Mommsen ihn noch dazu gedrängt, wenigstens einen seiner Schüler vorzuschlagen, jedoch machte Bonaini deutlich, dass sich das Angebot allein an ihn persönlich richte. Ansonsten sei er lediglich an Böhmer-Schülern wie Julius von Ficker interessiert.210 Dies zeigt eindrücklich welchen Eindruck Johann Friedrich Böhmer auf Bonaini hinterlassen hatte, als er ihn bei der Neuordnung der toskanischen Archive beriet.211

205 Ebenda, Nr. 345h: Florenz, 31. Dezember 1883. Die anschließende Anzeige der Dokumente ist erschienen unter dem Titel: Cesare Guasti: Gli avanzi dell’Archivio di un pratese Vescovo di Volterra che fu al Concilio di Costanza, Archivio Storico Italiano 139 (1884), S. 20–41. 206 Alfred von ­Reumont: L’incoronazione di Carlo V in Aquisgrana descritta da Baldassar Castiglione, Archivio Storico Italiano 144 (1884), S. 333–338. 207 NL R ­ eumont, S 1061, Cesare Guasti an ­Reumont, Nr. 345i: Florenz, 28. Juli 1884; Nr. 345k: Florenz, 23. Mai 1885; Nr. 345l: Florenz, 26. Juni 1885. 208 Alfed Dove: Jaffé, Philipp, ADB 13 (1881), S. 636–642; Gabriel Silagi: Jaffé, Philipp, NDB 10 (1974), S. 292–293. 209 NL R ­ eumont, S 1058, Francesco Bonaini an ­Reumont, Nr. 184, Florenz, 8 September 1867; Nr. 185, Florenz, 24 September 1867. 210 Ebenda, Nr. 185, Florenz, 24 September 1867. 211 Vgl. Kapitel C. Publizistik, S. 217–218.

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Deswegen suchte Bonaini nun erneut einen vergleichbar kompetenten Unterstützer aus der deutschsprachigen Gelehrtenwelt zu gewinnen. Dass er dabei sowohl auf Mommsens als auch R ­ eumonts Überzeugungsarbeit setzte, zeigt den Stellenwert, den er R ­ eumont unter den deutschen Gelehrten beimaß. ­ eumont internationale Gelehrte bei ihren Arbeiten und Außerdem unterstützte R stand mit ihnen im ständigen Austausch über ihre Entdeckungen. So informierte sich etwa Rawdon Brown darüber, ob R ­ eumont etwas über die Briefe Almerico Salvettis wisse, der zu Anfang des 17. Jahrhunderts toskanischer Spion in London war.212 Da Venedig zwischenzeitlich keinen Agenten vor Ort hatte, erhoffte sich Brown über die Briefe Salvettis ein genaueres Bild über die politische Situation im damaligen London machen zu können. R ­ eumont war vor diesem Hintergrund sein erster Ansprechpartner für die Archivsituation der Toskana. Die Unterstützung der Gelehrten war dabei recht unterschiedlich. In der dichten Korrespondenz, die ­Reumont mit Gachard pflegte, tauschten sich die beiden nicht nur über ihre Entdeckungen und Projekte aus, sondern ­Reumont half dem berühmten Archivar auch bei der Übersetzung italienischer Archivalien.213 Seit den 1870er Jahren profitierte auch der Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande regelmäßig von ­Reumonts Vermittlung von Fachgutachten. Als bei aufgetauchten Kunstgegenständen des Grabes von Wald-Algesheim eine Kontroverse aufkam, ob es sich um einheimische Produktionen handelte oder um etruskische Importe, beschaffte Aus’m Weerth sich über R ­ eumont die Expertise Conestabiles.214 Auch in der Folge versuchte er über ­Reumont italienische Gelehrte an den Verein zu binden und weitere Informationen über italienische Vorbilder der rheinischen Kunstdenkmäler zu recherchieren.215 Bis ins hohe Alter hinein vermittelte R ­ eumont internationale Kontakte zur Erforschung der italienischen Geschichte. Während er die zeitgenössischen politischen Entwicklungen resigniert verfolgte, widmete er sich umso intensiver der entscheidenden Konstante in seinem Leben, der Geschichte. Neben seinem Engagement für den Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande sowie seiner Gründung des Aachener Geschichtsvereins hielt er den intensiven Austausch mit seinen alten Bekannten weiterhin aufrecht. Unter diesen befand sich auch der österreichische Ritter Constantin von Höfler, emeritierter Professor der deutschen Prager Universität, der als überzeugter Katholik die deutschböhmische Bürgerpartei im Wiener Herrenhaus vertrat und sich als Begründer der deutschen Geschichtswissenschaft in Böhmen einen dauerhaften Namen gemacht hatte.216 Dieser ließ sich über ­Reumont

212

NL ­Reumont, S 1058, Rawdon Brown an ­Reumont, Nr. 213: Venedig, 7. November 1865. Ebenda, S 1061, Prosper Louis Gachard an ­Reumont, Nr. 25: Brüssel, 2. April 1875; Nr. 26: Brüssel, 23. Mai 1875. 214 NL ­Reumont, S 1068, Ernst Aus’m Weerth an ­Reumont, Nr. 23: 29. Januar 1872. 215 Ebenda, Nr. 24: Kresenich bei Bonn, 18. April 1872. 216 Josef Hemmerle: Höfler, Konstantin Ritter von, NDB 9 (1972), S. 313–314. 213

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nicht nur das Urteil Gachards über seinen Papst Adrian VI. 1522–23217 zutragen,218 sondern ließ sich auch über die in dessen Besitz befindlichen unveröffentlichten Briefe Phillips des Schönen informieren, die er für seine Geschichte Phillips des Schönen219 benötigte.220 Offenbar las R ­ eumont auch einen Teil der Schriften Höflers Korrektur.221 Dies zeigt ­Reumonts bis ins hohe Alter anhaltendes kulturelles Engagement. Höfler selbst hob, nachdem er maßgeblich von R ­ eumonts Unterstützung profitiert hatte, den Wert seiner Mittlertätigkeit hervor, der ihn über die politischen Entwicklungen hinwegtrösten sollte: „Sie selbst haben sich durch beispiellose Theilnahme zu einem Mittelpunkte zwischen Italien u. Deutschland erschwungen, Sie haben in Ihrer Person einen internationalen Bogen geschlagen, wie nicht leicht ein Anderer u. wollen mit dieser Anerkennung, die Ihnen bleiben wird, unzufrieden sein? Verehrter Herr u. Freund! Bedenken Sie die Mühe, die Sie sich gegeben, die Entsagung mit der Sie Ihre Zeit verfolgt, die großen u. mannigfaltigen Resultate, die sich daran knüpfen, und ich meine, Sie können mit der größten inneren Genugthuung auf Ihre verdienstvollen u. segenreichen Leistungen blicken. Sich in die Literatur zweier Culturvölker wie Deutschen und Italiener eingegraben zu haben, ist doch nur wenigen zu Theil geworden. Das aber bleibt u. kann von niemandem urtheilfähigen bestritten werden. Geben Sie sich keiner Melancholie hin. Sie haben allen Grund Ihr Siegel ruhmvoll zu tragen. Daß eine Generation kommt, die aus sich selbst lebt, zugleich Götze, Altar, Priester, Gemeinde […] Weisungsgesetz ist, darf uns nicht abschrecken, unser Ziel ruhig zu verfolgen. Das ist immer segensreicher u. wird so sein.“222

Besser hätte dieser ­Reumonts Verdienste kaum würdigen und das Dilemma, in dem er sich befand, benennen können: Unter den gelehrten Zeitgenossen hatte sich ­Reumont einen großen Namen gemacht, während er auf der politischen Bühne schnell in Vergessenheit geriet und am sogenannten Kulturkampf, wie der Verdrängung der Kirche aus der Gesellschaft in Deutschland und Italien verzweifelte. Mit seiner „Kulturdiplomatie“ wie auch seiner eigenen Publizistik hatte er sich unter seinen Zeitgenossen einen großen Namen gemacht.

217

Konstantin von Höfer: Papst Adrian VI. 1522–23, Wien 1880. NL ­Reumont, S 1062, Höfler an ­Reumont, Nr. 124: Reichenfels, 21. August 1881. 219 Konstantin von Höfler: Kritische Untersuchung über die Quellen der Geschichte Philipps des Schönen, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften Wien, philosophisch-historische Klasse 104 (1883). 220 NL ­Reumont, S 1062, Höfler an ­Reumont, Nr. 125e: Prag, 24. September 1882. 221 Ebenda. 222 Ebenda, Nr. 125h: Prag, 25. März 1883. 218

VII. Förderung durch Empfehlungen 

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VII. Förderung durch Empfehlungen Neben den bisher behandelten Mittlertätigkeiten R ­ eumonts, welche die aktiven Forschungen förderten, ging es beim Verfassen von Rezensionen darum, die Werke einzelner Gelehrter gezielt bekannt zu machen, während das Schreiben von Empfehlungen das Knüpfen wertvoller Kontakte erleichtern sollte. In diesem letzten Kapitel steht also weniger die Unterstützung einzelner Forschungsprojekte im Vordergrund, als vielmehr die Unterstützung von Gelehrten bei der Netzwerkpflege. ­Reumont war schon kurz nach seiner Ankunft in Florenz von Vieusseux und ­ apponi dazu ermutigt worden, die deutsch-italienischen Kontakte zu fördern. C Durch das große Italieninteresse Friedrich Wilhelms IV. erhielt ­Reumont im Rahmen seiner Vortrags- und Vorlesetätigkeit am königlichen Hof schon früh die Möglichkeit, die Werke italienischer Kulturschaffender an prominenter Stelle bekannt zu machen, während er diese Tätigkeit zugleich durch diverse Italienartikel in führenden deutschsprachigen Publikationsorganen flankierte. Bereits Giovanni Battista ­Niccolini hatte für die Bekanntmachung seines Arnaldo da Brescia im deutschsprachigen Raum maßgeblich von ­Reumonts Engagement profitieren können. Gleichzeitig galt ­Reumont bereits in den 1840er Jahren als herausragender Italienkenner, dessen Rat bei einer entsprechenden Reiseplanung sehr gefragt war. Er war 1847 nicht nur Friedrich Wilhelms IV. persönlicher Reiseführer nach Venedig, sondern unterstützte bereitwillig Italienreisende bei ihrer Planung und schrieb ihnen die notwendigen Empfehlungen. Dabei versorgte er sowohl Forscher als auch ein­ fache Kunstliebhaber wie Würdenträger mit den passenden Empfehlungsschreiben. An Carlo Promis empfahl er etwa einen britischen Kunstliebhaber, der sich Valle d’Aosta ansehen wollte,223 an Conestabile den Prinzen von Sachsen-Meiningen, der auf seiner Reise Perugia passierte,224 oder an Marco Tabarrini und Gino Capponi, Ludwig Sybel.225 Seine Unterstützung von Gelehrten durch Empfehlungen nahm dabei in dem Maße zu, in welchem sich seine Position im diplomatischen Dienst verbesserte. Insofern kam dem Jahr 1849, in dem er der persönliche Berichterstatter F ­ riedrich Wilhelms IV. aus Rom und Gaeta war, dem in den 1850er Jahren der Aufstieg zum preußischen Ministerresidenten in Toskana folgte, besondere Bedeutung zu. Bereits während seiner Zeit im päpstlichen Exil wurde R ­ eumont vom venezianischen Numismatiker und Kunsthistoriker Vincenzo Lazari, der nach der Niederwerfung der Republik Venedig verzweifelt nach einer Verdienstmöglichkeit suchte, gebeten:

223

Biblioteca Reale di Torino, Archivio Promis, Scat. 12/XII20, Berlin, 21. Dezember 1846. NL ­Reumont, S 1059, Giovanni Carlo Conestabile an ­Reumont, Nr. 199: Perugia, 13. Januar 1855; Nr. 201: Perugia, 9. Januar 1856. 225 Archivio di Stato di Firenze, Carte Tabarrini, busta 8, inserto 4 c), ­Reumont an Tabarrini, Nr. J (cc. 1062–1063): Bonn, 14. August 1871. 224

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„S’Ella potesse procurarmi qualche lavoro o un impiego a Roma (foss’anche a Napoli, a Firenze, anche a Berlino) in qualche Biblioteca, Museo, Archivio. Ella mi farebbe un vero atto di carità.“226

In diesem konkreten Fall konnte ­Reumont Lazari zwar nicht weiterhelfen, allerdings konnte er dessen neueste Werke, darunter Le monete dei possedimenti veneziani di oltremare e di terraferma nach anfänglichen Schwierigkeiten an Friedrich Wilhelm IV. weiterleiten. Nachdem Lazari das Geschenk zunächst direkt über das preußische Außenministerium versucht hatte, an den König gelangen zu lassen, hatte er die Nachricht erhalten, dass Friedrich Wilhelm IV. die Annahme verweigere.227 Kurz nachdem Lazari ­Reumont um Fürsprache beim König gebeten hatte, wurden die Werke dann doch noch angenommen.228 In Anbetracht der erfolgreichen Vermittlung ­Reumonts an den König von Preußen, bat Lazari sogleich auch um Vermittlung an Vieusseux: Um Subskriptionen für eine Ehrenmedaille der Stadt ­Venedig anlässlich der Errichtung des Mausoleums für Tizian, ersuchte er R ­ eumont, Vieusseux für die Anwerbung von Subskribenten zu gewinnen.229 Seitdem ­Reumont eine feste Stelle als preußischer Geschäftsträger bzw. Ministerresident in der Toskana hatte, nutzte Olfers den Kontakt regelmäßig, Kulturschaf­ eumont zu empfehlen. So empfahl fende und Italienliebhaber auf ihren Reisen an R er etwa einen Pfarrer Prisen aus Rheindorf an ­Reumont, damit er ihm eine Führung zu toskanischen Kirchen und Kunstwerken organisierte,230 sowie die Grafen York, deren sich ­Reumont bei ihrem Aufenthalt in Florenz annehmen sollte.231 Hinzu kamen zahlreiche bildende Künstler und Museumskonservatoren,232 die Olfers mit 226

NL ­Reumont, S 1063, Vincenzo Lazari an ­Reumont, Nr. 18: Venedig, 31. August 1849. Ebenda, Nr. 20: Venedig, 11. Juni 1852: „Il sig. Console Becker spedì al Ministerio degli Esteri di S. M. Prussiana la lettera colla quale io innalzavo a S. M. i due libri, sulle Monete venete e la Guida. Il Ministerio trattenne la lettera e mi fece comunicare che S. M. non acconsentì di ricevere il mio omaggio. Trattengo quindi i due libri, e in un medesimo La prego d’informarmi quali nuovi passi io abbia a fare, acciò possano colla cortese di Lei mediazione essere oltrati alla S. M.“ 228 Ebenda, Nr. 21: Venedig, 21. Juni 1852: „Avevo già di più giorni scritta la acclusa lettera, ma la trattenni nella speranza che altre nuove mi giungessero dal Sig. Console Becker. E così fu; egli mi fa ora sapere che S. M. il Re acconsente di ricevere il mio omaggio, e ciò per le ­premurose raccomandazioni ch’Ella si compiacque fare alla M. S. de’ miei lavorucci. Grazie infinite, Sig. Commendatore, di questo conforto ch’Ella procura a’ miei Studj; quando potrò mai corrispondere a tanta bontà?“ 229 Ebenda: „Le unisco il programma della Medaglia che S. E. il Podestà di Venezia, il Co. Cav. Bembo ed io facciam battere a memoria della erezione del Mausoleo di Tiziano ai Frari. Mi farebbe il favore di pregare in nostro nome il Sig. Vieusseux di farsi centro di una sotto­scrizione per essa a Firenze? Qui il progetto ebbe esito assai prospero. Il Fabis diò mano al lavoro e riesce bellissima. È probabile si trovi facilmente a Firenze chi soscriva e per venerazione al Vecelli, e per possedere una medaglia uscita da quel belino che costì condusse le teste mirabili del Corsini e del Fossombroni.“ 230 NL ­Reumont, S 1064, Ignaz von Olfers an ­Reumont, Nr. 24: Berlin, 11. Februar 1851. 231 Ebenda, Nr. 37: Berlin, 27. Januar 1856. 232 Vgl. etwa ebenda, Nr. 33: Berlin, 15. April 1853; Nr. 41: Berlin, 1. Juli 1857; Nr. 44: Berlin, 20. März 1858. 227

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­Reumont an den offiziellen preußischen Repräsentanten in der Toskana empfahl. Im Gegenzug empfahl ­Reumont italienische Deutschlandreisende, wie den conte Serristori233 oder Aurelio Gotti234 für ihre Reisen an Olfers, damit er sie in die Berliner Gesellschaft einführen sollte. Die Zeit im päpstlichen Exil hatte ­Reumont allerdings genauso gute Verbindungen in Rom und Neapel eingebracht. Den engen Kontakt, den ­Reumont während seiner Zeit in Gaeta und Neapel zu Scipione Volpicella geknüpft hatte, versuchte er nicht nur für Vieusseux und das Archivio Storico Italiano,235 sondern auch für deutsche Forschungsreisende zur Verfügung zu stellen, wie etwa Moritz August von Bethmann-Hollweg, der sich auf Archivreise nach Neapel aufgemacht hatte.236 Selbstredend nutzte R ­ eumont diese Kontakte auch für Mitglieder des diploma­ tischen Korps. So vermittelte er beispielsweise auch Graf von Canitz an Volpicel­ eumonts Kontakte in Anspruch, um seine Pula.237 Im Gegenzug nahm Volpicella R blikationen einem möglichst breiten Publikum bekannt zu machen, indem er etwa ­Reumont seine Antichità amalfitane zusandte, mit der Bitte, diese an mög­liche Interessenten gelangen zu lassen.238 Zudem empfahl Stanislas D’Aloë aus dem König­ eumont.239 reich beider Sizilien stammende Toskanareisende an R Pietro Ercole Visconti nutzte R ­ eumonts Stellung in Florenz in den 1850er Jahren, um seinerseits zahlreiche internationale Kunstkenner und Künstler aus Russland, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz an R ­ eumont zu empfehlen.240 Inso­ eumont auf seinem diplomatischen Posten in Florenz nicht nur Repräfern war R sentant Preußens, sondern auch Botschafter der deutsch-italienischen Kulturlandschaft, die er durch seine engen Verbindungen zu Vieusseux und Capponi sowie dem Instituto di corrispondenza archeologica vertrat. Einen Kunstliebhaber oder Forschungsreisenden in Florenz an ­Reumont zu empfehlen bedeutete einerseits, ihm den Zugang zu den dortigen Gelehrten sowie den Kunstdenkmälern, Archiven und Bibliotheken zu verschaffen und ihn andererseits mit der deutschsprachigen Italienforschung in Kontakt zu bringen. Demensprechend war eine Empfehlung an ­Reumont als schnellst- und tiefst möglicher Einstieg in die Kulturlandschaft der Toskana zu verstehen. Durch seinen dauerhaften Aufenthalt nördlich der Alpen verlagerte sich schließlich ­Reumonts Tätigkeit für die italienische Gelehrtenwelt verstärkt auf die An 233

Ebenda, Nr. 34: Berlin, 15. November 1854. Ebenda, Nr. 39: Berlin, 19. März 1857. 235 NL ­Reumont, S 1067, Volpicella an R ­ eumont, Nr. 54: Neapel, 30. März 1852; Nr. 55: ­Neapel, 1. Oktober 1852; Nr. 58: Neapel, 25. März 1853. 236 Ebenda, Nr. 54: Neapel, 30. März 1852; Nr. 55: Neapel, 1. Oktober 1852. 237 Ebenda, Nr. 60: Neapel, 15. Januar 1855. 238 Ebenda, Nr. 67: Neapel, 20. Juli 1859. 239 Ebenda, S 1058, Stanislas D’Aloë an ­Reumont, Nr. 59: Neapel, 20. Oktober 1854. 240 NL R ­ eumont, S 1067, Visconti an ­Reumont, Nr. 32: Rom, 23. Juni 1852; Nr. 35: Rom, 26. Februar 1853; Nr. 36: Rom, 12. April 1853; Nr. 36: Rom, 12. April 1853; Nr. 37: Rom, 3. Juni 1853. 234

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zeige neuer italienischer Werke. Auch Bonaini verwies Gelehrte, die ihren Werken auch nördlich der Alpen Aufmerksamkeit verschaffen wollten, an ­Reumont mit der Bitte, ihnen eine Rezension zu widmen. Auf diese Weise erhielt ­Reumont vom ­ eumont Zeithistoriker Augusto Bazzoni dessen Storia diplomatica d’Italia241, die R anschließend in einer deutschen Zeitschrift anzeigte.242 Ähnlich verhielt sich der Danteforscher Luigi Venturi, der ­Reumont seine Similitudini Dantesche243 mit dem folgenden Wunsch zusandte: „Mio vivo desiderio sarebbe che il libro potesse farsi un po’ di strada nella dotta Germania, ed esser conosciuto dai molti che colà tengono sapientemente in onore il culto di Dante e della letteratura latina. Se Ella potrà in alcun modo favorire (stimandola non immeritevole) questa mia pubblicazione, le ne sarò obbligato e gratissimo.“244

­Reumont kam diesem Wunsch mit einer Besprechung in der Augsburger Allgemeinen Zeitung nach.245 Ein sehr beredtes Beispiel für ­Reumonts Förderungen durch Empfehlungen und Rezensionen bietet der aus Pfalzel bei Trier stammende liberal-katholische Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus (1840–1901).246 R ­ eumont hatte ihn offenbar 1868 beim archäologischen Kongress in Bonn kennengelernt.247 Im Jahre 1869 wandte sich Kraus mit der Bitte an R ­ eumont, ihm vor seiner Italienreise Empfehlungen für Florenz und Rom sowie die preußischen Gesandtschaften zu schreiben.248 Dies war der Beginn einer intensiven Förderung von Kraus’ italienischen Studien, die ­Reumont in der Folge sehr genau verfolgte und durch regelmäßige Rezensionen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, dem Theologischen Literaturblatt und dem Archivio Storico Italiano sowohl in Italien als auch in Deutschland in besonderem Maße wohlwollend unterstützte. Dabei erhoffte sich R ­ eumont durch die Förderung eines aufstrebenden jungen Kirchenhistorikers, der seine liberal-katholischen Ansichten zu teilen schien, der Verbreitung seiner kirchenpolitischen Ansichten im Geiste Rosminis. Allerdings täuschte er sich offenbar in seiner Einschätzung. Kraus lehnte zwar das päpstliche Unfehlbarkeitsdogma ebenfalls ab, ohne deswegen das altkatholische Schisma gutzuheißen, allerdings wurde er zum Befürworter des von Cavour propagierten Konzeptes einer freien Kirche in einem freien Staat, das auf einer strikten Trennung zwischen Staat und Kirche beruhte,249 während ­Reumont eine Reform hin zu einer freien, unabhängigen Kirche forderte, die die Gesellschaft 241

Augusto Bazzoni: Storia diplomatica d’Italia dall’anno 1848 al 1868, 2 Bde., Florenz 1868. NL ­Reumont, S 1058, Francesco Bonaini an ­Reumont, Nr. 186, Florenz, 23. Oktober 1868; Archivio di Stato di Firenze, Carte Bonaini, B. VII, ins. 14, R ­ eumont an Bonaini, Bonn, 1. November 1868. 243 Luigi Venturi: Le similitudini Dantesche, ordinate, illustrate e confrontate, Florenz 1874. 244 NL ­Reumont, S 1067, Luigi Venturi an ­Reumont, Nr. 4: Florenz, 28. August 1874. 245 Ebenda, Nr. 5: Florenz, 2. September 1876. 246 Zu diesem Kontakt vgl. Lepper (1989). 247 Vgl. Tophofen (2012), S. 113. 248 NL ­Reumont, S 1063, Franx Xaver Kraus an ­Reumont, Nr. 48, Pfalzel, 29. Dezember 1869. 249 Kraus (1902). 242

VII. Förderung durch Empfehlungen 

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durchdringen sollte, um staatlichem Missbrauch moralisch wirksam entgegentreten zu können. Obgleich auch R ­ eumont von seinem Kontakt zu Kraus profitierte, indem dieser ihn bei seinen kirchenhistorischen Auseinandersetzungen mit evangelischen Historikern beratend unterstützte,250 spielte deswegen in ihrer Korrespondenz die zeitgenössische italienische Politik keine Rolle. Der Austausch zwischen ­Reumont und Kraus beschränkte sich dabei auf die kirchenhistorische Beschäftigung mit Italien. Die Tatsache, dass beide die Notwendigkeit einer historisch-kritischen Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte verfochten, führte die beiden Histori­ eumont, Kraus in seinen italienischen Bekanntenkreis ker zusammen und bewog R einzuführen. Verbunden mit der Empfehlung des in Italien damals noch äußerst bekannten ­Reumont an Personen wie Capponi, Conestabile oder Guasti, standen ihm die führenden gelehrten Zirkel offen, die Kraus den entscheidenden Einstieg für seine Tätigkeit in Italien boten. Nicht von ungefähr plante Kraus, den dritten ­ eumont zu widmen251 – dieser lehnte und letzten Band seiner Kirchengeschichte R jedoch dankend ab, da er in keine Polemik hineingezogen werden wollte.

250 Etwa in der Auseinandersetzung um die Eindordnung der italienischen Kirchenreformer: NL ­Reumont, S 1063, Franx Xaver Kraus an ­Reumont, Nr. 68, Freiburg, 29. Januar 1882. 251 Ebenda, Nr. 56, Straßburg, 1. März 1875.

F. Schlussbetrachtung Die Untersuchung von R ­ eumonts Wirken als Diplomat, Historiker und Publizist sowie seines sozialen Netzwerkes konnte den Blick auf einen der führenden deutsch-italienischen Kulturvermittler des 19. Jahrhunderts schärfen und die Einordnung seiner Person mithilfe seiner persönlichen Briefkorrespondenz in wesentlichen Aspekten modifizieren. Die eingangs der vorliegenden Studie referierten ­ eumont attestierten seiner wissenschaftbisherigen Forschungen zu Alfred (von) R lichen Tätigkeit einen aufgrund fehlender Methodik begrenzten Wert und hoben stattdessen seine Rolle als allgemein anerkannter kultureller Mittler hervor, dessen Publikationen im Laufe der Jahre in Vergessenheit gerieten, da sie eine lineare Geschichtsdeutung ablehnten und der faktischen italienischen Nationalstaatsgründung zuwiderliefen.1 Aus ­Reumonts Ablehnung des laizistisch und zentralistisch ausgerichteten Nationalstaats unter piemontesischer Führung, dessen Schwächen er aus der Geschichtsbetrachtung verschiedener Lokaltraditionen sowie der besonderen Bedeutung des universellen Papsttums für Italien erwies, folgerte ein Teil der heuti­ eumont die Nationalstaaten abgelehnt habe, weil er lediglich gen Forschung, dass R einen kulturellen Nationsbegriff anerkannt habe. Deswegen sei er ein Anhänger der habsburgischen Herrschaft in Italien und ein Gegner der Realpolitik in Diensten nationaler Interessen gewesen, der in seinen Publikationen ein vornationales, gestriges Geschichtsbild gepflegt und in seinen merkwürdig unpolitischen, moralisierenden zeitgenössischen Betrachtungen die historische Tragweite der politischen Entwicklungen nicht erkannt habe. Sein Beharren auf konservativ-legitimistischen Prinzipien habe ihn daran gehindert, die zeitgenössischen Ereignisse in ihrer Tragweite zu verstehen und habe seinen Publikationen eine nostalgische Rückwärtsgewandtheit verliehen. Deswegen seien diese in der Folge zunächst noch als Fundgruben genutzt worden, um anschließend in Vergessenheit zu geraten.2 Die um die bislang kaum berücksichtigte Briefkorrespondenz erweiterte Quellenbasis, die auch die in italienischen Archiven lagernde Gegenüberlieferung miteinschloss, konnte das Verdikt der bisherigen Forschung nicht bestätigen. Tatsäch­ eumonts historische Arbeiten durchaus auf der Höhe der Zeit lich befanden sich R und wurden in der Fachwelt, in der er selbst bestens vernetzt war, mit Beifall aufgenommen. Seine politischen Einschätzungen wirken erst aus der Retrospektive rückwärtsgewandt, während die seiner persönlichen Korrespondenz zu entnehmenden Beurteilungen in ihrer Zeit als fortschrittlich und bisweilen pragmatisch gelten können. Nicht nur erkannte er die für die europäischen Staaten entstehende 1

Roll (2015); Liermann (2015), S. 55–56. Vgl. Roll (2015).

2

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Notwendigkeit, ihre Territorien und Verfassungen nach nationalen Aspekten zu gestalten, weshalb er immer wieder den Abzug der Habsburger aus Italien anmahnte, sondern er forderte zudem die Gewährung von eng an den jeweiligen Lokaltraditionen orientierten Repräsentationsorganen, um die Monarchien zu stabilisieren. In diesem Zusammenhang warb er zunächst auch für eine piemontesische Führungsrolle bei der Schaffung eines italienischen Nationalstaates und zügige Annexionen politisch instabiler Territorien, um die Nationalstaatsbewegung unter die Kontrolle einer konstitutionellen Monarchie zu bringen und revolutionäre Unruhen zu vermeiden. ­Reumonts politische Analysen zeugten dabei von einer intimen Kenntnis der Geschichte wie der zeitgenössischen politischen Strömungen. Erst als die Führungsmacht Sardinien-Piemont zu einer offen laizistischen Kirchenpolitik überging und sich die Bildung eines zentralistischen Nationalstaates abzeichnete, gerieten ­Reumonts aus der Geschichte abgeleiteten politischen Einschätzungen in die Kritik. Obgleich er keineswegs „gestrige“ Vorstellungen von einer nationalstaatlichen Zukunft hatte, wurden seine die Schwächen der faktischen Entwicklungen aufzeigenden Analysen als grundsätzlich gegen den Nationalstaat gerichtet und rückwärtsgewandt interpretiert. Dieses Urteil ist jedoch der zeitgenössischen, politischen Polemik um die Gestaltung der Nationalstaaten geschuldet, die keinen Platz für differenzierte Betrachtungen ließ.3 Genau diese polemische Beurteilung der Person ­Reumonts hat den bisherigen Forschungsstand vorwiegend geprägt. Allein schon die intensive Auseinandersetzung  – auch von ­Reumonts Kritikern  – mit seinen Werken zeigt jedoch den hohen Stellenwert, der seiner Publizistik in der damaligen wissenschaftlichen wie politischen Debatte beigemessen wurde. Angesichts des Kontrastes zwischen der zeitgenössischen Anerkennung ­Reumonts als Italienexperten, dessen Verdienste für Italien und die deutsch-italienischen Kulturbeziehungen auch von seinen Kritikern anerkannt wurden, und dem heutigen Verdikt des Gestrigen, der die Dimension der zeitgenössischen politischen Entwicklungen verkannte und sich deswegen in die Geschichte flüchtete, erschien eine Untersuchung seines Umfeldes und der Einflüsse auf seinen politischen Horizont aufschlussreich. Mehr noch als durch das Umfeld des preußischen Hofes wurde ­Reumont im Umfeld der toskanischen Moderati sozialisiert. Seine bereits in frühen Jahren aufgenommene Tätigkeit im diplomatischen Dienst Preußens und seine Loyalität zum italienbegeisterten Friedrich Wilhelm IV. ließen ihn stets den Brückenschlag zwischen dem politischen Wertehorizont seiner florentinischen Bezugspersonen um Gino Capponi und dem Staatsgedanken des Königs von Preußen suchen. In seinen diplomatischen Depeschen verstand er es, die Einschätzungen der Moderati so zu referieren, dass sie mit den Vorstellungen des Königs in Einklang zu bringen waren. Die Gedankenwelt der Moderati, wie ­Reumont sie in den 1830er Jahren kennengelernt hatte, sollte ihn sowohl in seinen politischen Ansichten wie auch seinem publizistischen Schaffen in besonderer Weise prägen und zum Ausgangspunkt seines Wirkens als kultureller Mittler werden. Im Umfeld der 3

Vgl. Brechenmacher (1996), S. 456–503.

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Antologia hatte er Zugang zur politisch vollkommen heterogenen intellektuellen Elite der Toskana mit ihren Projekten und erlangte auf diese Weise Kenntnis über die divergierenden und noch sehr vagen politischen und religiösen Strömungen der Toskana, die sich erst im Rahmen der Jahre 1848/49 zu politischen Positionen verfestigten. R ­ eumont verband den Zugang zu diesen Zirkeln mit dem intensiven Austausch mit deutschen und internationalen Gelehrten, die er entweder bei deren Forschungsreisen nach Italien oder am preußischen Hofe kennenlernte. Das auf diese Weise erworbene soziale Kapital verstand er für seine diplomatische wie auch publizistische Karriere zu nutzen. Vieusseux, Capponi und das Vorbild Gråberg von Hemsö ermutigten ihn nicht nur dazu, in der Antologia und später im Archivio Storico Italiano über die Fortschritte der deutschsprachigen Forschungen zu italienischen Themen zu informieren, sondern prägten auch ­Reumonts eigene Publikationen. Dass sich der junge ­Reumont in seinen ersten Publikationen toskanischen Themen zuwandte, war naheliegend, seine dortigen Kontakte beeinflussten jedoch auch seine Herangehensweise. Inspiriert durch die statistischen und ­ eumont seine Begeographischen Erhebungen Gråbergs von Hemsö, unterlegte R richte und Beschreibungen für Cottas Morgenblatt und die Augsburger Allgemeine Zeitung mit umfangreichen Daten und Statistiken; dies gilt insbesondere auch für seine später noch einmal separat publizierten Römischen Briefe. Wenngleich Gråberg von Hemsö mit seinen Erhebungen die gleichen Ziele verfolgte wie Vieusseux, nämlich die Verbesserung der ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen, agierten sie vor divergierenden politischen Idealen. Gråberg von Hemsö betrachtete die Datenerhebungen als Hilfestellung für die im Dienste des Allgemeinwohls arbeitenden aufgeklärt absolutistischen Herrscher, während Vieusseux die gesellschaftlichen Eliten in den Stand versetzt sehen wollte, politische Verantwortung im Sinne der Allgemeinheit übernehmen zu können. Die Erhebung statistischer Daten sollte insofern dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen, während sie politisch ambivalent war, zumal die Moderati zu jener Zeit noch die Annäherung an den Großherzog suchten und ihm eine enge Kooperation bei der Administration der Toskana anboten.4 ­Reumont bot in seinen deutschsprachigen Publikationen jedenfalls umfangreiches Datenmaterial und vermittelte, ähnlich wie auch der liberale Publizist Mittermaier, das Bild eines italienischen Musterstaates, der durch die enge Kooperation zwischen Großherzog und gesellschaftlichen Eliten die Lebensbedingungen sukzessive verbessern konnte. Neben seinen Zeitungs- und Zeitschriftenkorrespondenzen widmete sich ­Reumont jedoch insbesondere kunsthistorischen und historischen Themen. Seine neue toskanische Heimat und das große Interesse, das die deutsche und internationale Forschung dem kulturellen Erbe der Toskana entgegenbrachte, veranlasste ­Reumont, sich zunächst am vorwiegend kunsthistorischen Interesse der internationalen Wissenschaft an der Toskana zu orientieren. Der Austausch mit diversen forschungsreisenden Kunsthistorikern wie auch dem Mitarbeiterkreis von Schorns Kunstblatt 4

Vgl. Kapitel C. I. 1. ­Reumonts erste Versuche in der Antologia, S. 223–227.

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brachte ­Reumont mit den führenden Vertretern der kunsthistorischen Biographie in Kontakt, sodass er in seinem Andrea del Sarto die Fülle an für die Forschung bis dato unbekanntem Material mit den neuesten methodischen Impulsen führender Gelehrter verbinden konnte.5 Dies machte seine Künstlerbiographie zu einer vielbeachteten Fachpublikation, die sich auf der Höhe des damaligen methodischen Standards befand. Auch auf dem Gebiete der historischen Biographie entsprach er den neuesten Anforderungen und steuerte mit seinem Lorenzo de’ Medici ein Werk bei, das nicht nur das Lob Rankes und Gregorovius’ fand, sondern bis in heutige Darstellungen hinein Berücksichtigung findet.6 Seine außergewöhnliche Kenntnis der Toskana, verbunden mit seinen methodisch anspruchsvollen Biographien ließen ihn zu einem gefragten Fachmann für die Geschichte der Toskana werden. Es war kein Zufall, dass Wilhelm Giesebrecht für die Reihe Geschichte der euro­päischen Staaten R ­ eumont als Autor für die Geschichte Toskana’s anfragte7 und König Ma­ eumont den Auftrag erteilte, eine Geschichte der Stadt ximilian II. von Bayern R Rom aus katholischer Perspektive zu verfassen8. Schließlich konnte ­Reumont als innerhalb der damaligen Gelehrtenwelt bestens vernetzte und über die Grenzen verschiedener wissenschaftlicher Schulen und politischer Strömungen hinweg anerkannte Autorität gelten. Während seiner Studienzeit in Heidelberg hatte er Zugang zum Schlosser-Kreis auf Stift Neuburg erhalten,9 zu dem führende Vertreter der sogenannten „großdeutschen Geschichtsschreibung“ wie Johann Friedrich Böhmer, Ignaz Döllinger, Constantin Höfler, Johannes Janssen und Hermann Hüffer gehör­ eumont sich dauerhaft austauschen sollte. Gleichzeitig orientierte ten,10 mit denen R sich ­Reumont seit Beginn seiner Historikertätigkeit an Leopold von Ranke, den er bereits kurz nach seiner Ankunft in Florenz kennengelernt hatte und auf dessen Urteil er besonderen Wert legte. Außerdem ermutigte selbst Heinrich von Sybel ­Reumont zu einer Beitragstätigkeit in der Historischen Zeitschrift.11 Die protestantisch, kleindeutsch-liberale Ausrichtung der Zeitschrift stellte dabei zu Anfang der 1860er Jahre kein Hindernis dar. Mochten Sybel und ­Reumont die faktische italienische Nationalstaatsgründung auch unterschiedlich bewerten, fügte sich der pensionierte preußische Diplomat durch seine grundsätzliche Anerkennung der Notwendigkeit, die Staaten nach nationalen Prinzipien zu gestalten, und seine unverbrüchliche Loyalität zu Preußen zunächst gut in Sybels Konzept. Nicht etwa der Preußisch-Österreichische Krieg des Jahres 1866, durch welchen Preußen Öster­ reich endgültig aus dem deutschen Nationalstaatsbildungsprozess ausschließen 5

Vgl. Kapitel Schorns Kunstblatt. Vgl. die Beobachtung von Lill (2015), S. 45; Ingeborg Walter: Der Prächtige. Lorenzo de’ Medici und seine Zeit, München 2003. 7 Kapitel C. IV. 3. a) Die Geschichte Toskanas. 8 Kapitel C. IV. 2. b) Die Geschichte der Stadt Rom. 9 Vgl. Kapitel B. I. Jugendjahre: Von Aachen nach Florenz, S. 47–48. 10 Vgl. Brechenmacher (1996), S. 410–414. 11 Vgl. Kapitel C. III. 4. ­Reumont als Italienfachmann in Sybels Historischer Zeitschrift. 6

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konnte und Italien Venezien zugesprochen wurde, sondern der Ausbruch des Kul­ eumont von turkampfes und die damit verbundene konfessionelle Polemik ließen R der Historischen Zeitschrift abrücken.12 ­Reumonts liberal-katholische Ansichten, die die Forderung nach einer innerkirchlichen Reform und nach einem Ausgleich zwischen den Konfessionen beinhalteten, hatten ihn bis zum Kulturkampf für eine Mitarbeit an der Historischen Zeitschrift qualifiziert. Mit dem offenen Ausbruch des Konfliktes zwischen dem laizistischen Staat und der Kirche wurde ­Reumont als liberaler Katholik zwischen den verhärteten Fronten aufgerieben. Bis zu diesem Einschnitt erfreute er sich jedoch einer Schulen übergreifenden Anerkennung als Fachmann für die italienische Geschichte. Tatsächlich wurde die historische Darstellung von ­Reumonts Geschichte Toscana’s, die mitten in der Kulturkampfzeit erschien, in der Fachwelt durchgängig gelobt, während sich am zeitgeschichtlichen Teil die konfessionellen Standpunkte der Rezensenten schieden.13 Seine liberal-katholischen Prinzipien, die er mit der Forderung nach Bewahrung der regionalen Identitäten und historischen Traditionen verband, wurden von Seiten der Anhänger des laizistisch, zentralistischen Nationalstaats als eine grundsätzliche Gegnerschaft zum Nationalstaatsprinzip gedeutet.14 In dieser Hinsicht konnten also die Beobachtungen von Christine Roll zum Teil bestätigt werden, wonach ­Reumonts wissenschaftliche Leistungen aus der nationalstaatlich geprägten Historiographie geschrieben wurden.15 Allerdings ist der Auslöser dafür, dass ­Reumont „zum Gestrigen gemacht“ wurde, nicht in seiner vermeintlichen Ablehnung der Nationalstaaten zu suchen – die Berechtigung der Nationalbewegungen erkannte er nicht nur an, sondern forderte auch die Gestaltung der Staaten nach nationalen Interessen und hielt den Vielvölkerstaat für nicht zukunftsfähig –, sondern vielmehr in seiner Ablehnung des Kampfes gegen die Kirche(n), den sowohl Bismarcks wie auch Cavours Nationalstaat betrieben. Nur wenige Rezensenten fanden sich allerdings inmitten der Polemik zwischen den Konfessionen und zwischen liberalem Nationalstaat und Reaktion zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit R ­ eumonts Beurteilung des Nationalstaatsbildungsprozesses bereit. Dass ­Reumont aber nicht die italienische Nationalstaatsgründung als solche ablehnte, sondern lediglich ihre laizistische und zentralistische Ausrichtung, erkannten vorwiegend italienische Leser seiner Publikationen. Denn 12

BNCF, Gino Capponi XI. 48, Nr. 104: Bonn, 20. November 1874. Im Originalbrief beschwert sich R ­ eumont dort mit folgenden Worten: „Il linguaggio dei giornali salariati dal governo, e dei di lui partigiani quali sono parecchi dei professori miei vicini, p. es. il Sigr de Sybel, divenuto tribuno furibondo, è provocante in modo da far temere le più gravi conseguenze.“ Diese namentliche Nennung taucht in der von Carraresi herausgegebenen Briefedition (Alessandro Carraresi (Hrsg.): Lettere di Gino Capponi e di altri a lui, 6 Bde., Florenz 1882–1890) nicht auf. 13 Kapitel C. IV. 3. a) Die Geschichte Toskanas. 14 Zum Konflikt zwischen Verfechtern eines allmächtigen, das Recht exklusiv definierenden Staates und den Anhängern eines sich selbst beschränkenden Staates als Garant für die Einhaltung bestehenden Rechts vgl. auch Burleigh (2005/2006), S. 327. 15 Roll (2015).

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auch unter den italienischen Patrioten konnten die Zweifel am zentralistischen National­staat nie überwunden werden. Der aus dem Königreich beider Sizilien stammende Politiker Giustino Fortunato etwa, der sich von der italienischen Einigung weiterhin eine Verbesserung der sozialen Zustände des Südens versprach, haderte mit der fehlenden Berücksichtigung historischer und geographischer Unterschiede im Königreich Italien.16 Insofern verwundert es nicht, dass R ­ eumont von Seiten der italienischen Öffentlichkeit mitunter eine differen­ziertere Würdigung erfuhr. So stellte etwa der Rezensent von R ­ eumonts Capponi-Biographie in der Nuova Antologia fest: „Il ­Reumont ha veduto malvolentieri la nostra patria raccogliersi in unità, a cui egli ripugnava per ragioni religiose, e che per ragioni storiche non gli pareva la forma più adatta alla nostra vita politica.“17

Tatsächlich wurde gegen ­Reumont zu Unrecht der Vorwurf erhoben, Geschichtsschreibung gegen den italienischen Nationalstaat zu betreiben. Insbesondere in der deutschen Öffentlichkeit wurde seine Parteinahme für das Papsttum, die sich exemplarisch in seinem Pamphlet Pro romano pontefice äußerte, als gegen die italienische Nation gerichtet aufgefaßt, wie die darauf erschienene Replik Pro populo italico verdeutlicht.18 Gegenüber der protestantisch, kleindeutsch-liberalen Partei erschien jede katholische Parteinahme als Kampfansage an die Nationalstaaten und die moderne Gesellschaft. Dagegen erkannte das italienische Publikum durchaus, dass es sich bei ­Reumonts Geschichte der Stadt Rom zwar um eine Rechtfertigung der Papstherrschaft über die Ewige Stadt handelte, deren Inbesitznahme durch den italienischen Nationalstaat ­Reumont ablehnte, dass diese jedoch im Gegensatz zu den Darstellungen Papencordts, Höflers19 und Gregorovius’20 eine kaiserliche Herrschaft über Italien grundsätzlich ablehnte und das Recht der Italiener auf nationale Unabhängigkeit unmissverständlich anerkannte.21 Die deutliche Anerkennung der italienischen Unabhängigkeitsbestrebungen in der Geschichte und die damit verbundene Ablehnung einer „deutschen“ Herrschaft hob R ­ eumont aus Sicht der italienischen Leser positiv von den übrigen deutschsprachigen Romhistorikern ab. Seine 16 Vgl. Girolamo Arnaldi: Italien und seine Invasoren. Vom Ende des Römischen Reiches bis heute, Berlin 2005, S. 174; David Gilmour: Auf der Suche nach Italien. Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart, aus dem Englischen übersetzt von Sonja Schuhmacher und Rita Seuss, Stuttgart 42014, S. 260; Maurizio Griffo: Fortunato, Giustino, DBI 49 (1997) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/giustino-fortunato_ (Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. 17 Nuova Antologia di Scienze, Lettere ed Arti, ser. II, vol. LII (1880), S. 162–170, hier S. 169. 18 Vgl. Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 304–309. 19 Zur italienischen Kritik an Papencordts beziehungsweise Höflers Überhöhung des Papsttums und des Reiches vgl. Kapitel C. III. 2. Das Archivio Storico Italiano als Dreh- und Angelpunkt für ­Reumonts kulturelles Engagement, S. 365–366. 20 Zur italienischen Kritik an Gregorovius’ „deutscher“ Perspektive auf die Geschichte der Stadt Rom vgl. Kapitel C. IV. 2. b) Die Geschichte der Stadt Rom, S. 427–429. 21 Kapitel C. IV. 2. b) Die Geschichte der Stadt Rom.

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versöhnliche Darstellung der Geschichte der Stadt Rom beruhte dabei auf seiner persönlichen Sozialisation im Umfeld eines italienischen, liberalen Katholizismus, wie er ihn in der Umgebung Gino Capponis kennengelernt hatte. Infolgedessen erkannte er die Bedeutung innerkirchlicher Reformen nicht nur im Interesse der Kirche und der christlichen Verkündigung selbst, sondern in besonderem Maße auch im Dienste einer italienischen Unabhängigkeit. Nachdem ­Reumont als politischer Beobachter längst zu dem Schluss gelangt war, dass Staaten, die sich nicht nach nationalen Gesichtspunkten reformieren, keine Zukunft haben würden,22 stand es für ihn außer Frage, dass ein universelles Papsttum einen derartigen Prozess der nationalen Emanzipation fördern müsse, solange es selbst unabhängig bleibe. Dass das Papsttum keineswegs italienisch werden musste, um der italienischen Unabhängigkeit zu dienen, demonstrierte R ­ eumont anhand des Reformpapsttums des 11. Jahrhunderts. Nach R ­ eumonts Lesart haben jene die Kirche von innen heraus reformiert und dadurch ihre moralische Autorität derart gestärkt, dass sie die Gesellschaft in christlichem Sinne stärken konnte, in der Folge den Zenit ihres poli­ tischen Einflusses erreichte und kaiserlicher Allmacht wirkungsvoll entgegentrat.23 Insofern betrieb ­Reumont mit seiner Geschichte der Stadt Rom die Rechtfertigung der italienischen Nationalbewegung wie des universellen Papsttums als Schutzmacht vor dem kaiserlichen Zugriff und Ausgangspunkt einer Weiterentwicklung der Gesellschaft in christlichem Sinne. Dabei wies er dem zu entwickelnden Staat nicht die Kompetenz zu, allmächtig Recht zu definieren, sondern bereits bestehende Rechte zu schützen.24 Diese „neoguelfische“ Deutung der historischen Aufgabe des Papsttums, die noch zu Anfang des Pontifikats Pius’ IX. innerhalb er italienischen Nationalbewegung zahlreiche Unterstützer gefunden hatte, war seit der Rückkehr des Papstes nach Rom im Jahre 1850 und dessen beharrlicher Weigerung, erneut den Weg liberaler Reformen und nationalstaatlicher Projekte zu beschreiten, in die Defensive geraten. Der Schulterschluss der Kurie mit der Reaktion und dem Legitimismus, verbunden mit der Absage an innerkirchliche Reformen, ließ jede Parteinahme für die Kirche und das Papsttum als gegen den Nationalstaat und den Liberalismus gerichtet erscheinen. Deswegen setzte sich auch R ­ eumont mit seinem eigentlich pro-italienischen Werk dem Vorwurf aus, gegen Italien Stellung bezogen zu haben. Die Zuspitzung der Römischen Frage als Konflikt zwischen dem sich auf nationales Recht berufenden laizistischen Nationalstaat und dem sich auf göttliches Recht berufenden Papsttum, die sich als unversöhnliche Gegensätze ihre Existenzberech­ eumonts tigung absprachen, wirkte sich dramatisch auf die Wahrnehmung von R publizistischen Stellungnahmen aus. Mit der Hauptstadtverlegung nach Rom erschien ­Reumonts Deutung vielen Zeitgenossen als von der Geschichte widerlegt. Lediglich im Zuge der Bemühungen um einen Ausgleich zwischen Nationalstaat 22

Vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S.85–89. Vgl. Kapitel C. III. 2. Das Archivio Storico Italiano als Dreh- und Angelpunkt für ­Reumonts kulturelles Engagement, S. 383–386. 24 Vgl. Burleigh (2005/2006), S. 327. 23

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und Papsttum seit der zweiten Hälfte der 1870er Jahre erhielt R ­ eumonts Geschichte der Stadt Rom zeitweise wieder den Vorzug vor Gregorovius.25 In der deutschen Kulturkampfatmosphäre musste R ­ eumonts an den Päpsten orientierte Darstellung jedoch hinter Gregorovius’ Geschichtsdeutung zurückfallen, nach der die Überwindung des Papsttums eine logische Konsequenz der historischen Entwicklung sei. Folglich erschien R ­ eumonts Werk als rückwärtsgewandt und überholt, da es weder die Notwendigkeit einer Überwindung des Papsttums, noch eine Verabsolutierung des Nationalstaatsprinzips anerkannte. In der Wahl eines multiperspektivischen Ansatzes, der zwar das Recht auf nationale Selbstbestimmung anerkennt, dabei jedoch auch die Frage nach der Entwicklung der christlichen Gesellschaft und der universellen Kirche sowie der jeweiligen Lokaltraditionen stellt, setzte er sich dem selben Vorwurf aus, dem sich die sogenannte „großdeutsche Geschichtsschreibung“ gegenüber den kleindeutschen Historikern ausgesetzt sah: Ihnen fehlte eine teleologische Geschichtsdeutung. Stattdessen folgten sie nicht allein der nationalstaatlichen Perspektive, sondern beschrieben die Vergangenheit als ein Nebeneinander verschiedener Entwicklungs­ linien, aus denen sie zwar Lehren für gegenwärtiges politisches Handeln zogen, ohne daraus jedoch eine eindeutige und verbindliche historische Konsequenz abzuleiten.26 Trotz der persönlichen und inhaltlichen Nähe zur „großdeutschen Geschichtsschreibung“ unterschied sich Reumont von dieser jedoch in einem ganz entscheidenden Punkt: Er verband sie mit einer italienisch-„neoguelfischen“ Perspektive und erkannte – ähnlich wie auch der liberale Katholik Franz Xaver Kraus27 – das Recht der Italiener auf einen eigenen Nationalstaat an. Im Gegensatz zu Gregorovius, Papencordt oder Höfler betrachtete er die Geschichte nicht allein aus deutscher und / oder katholischer, sondern auch aus italienischer Perspektive. Ähn­ eumont den Nationalismus als lich wie etwa August Friedrich Gfrörer erkannte R entscheidenden Faktor geschichtlicher Veränderung an,28 weshalb er den Verzicht des Habsburgerreiches auf die Lombardei und Preußens auf Posen forderte.29 Die Anerkennung der Nationalstaatsbewegungen verband ­Reumont wie Gfrörer mit einem universalistischen Ansatz, indem er „großdeutscher“ Rhetorik folgend einer unabhängigen, universellen Kirche eine Garantiefunktion gegen einen absolutistisch regierenden Staat zuwies.30 Insofern ist der bisherigen, in der Forschung immer wieder anzutreffenden Ansicht zu widersprechen, R ­ eumont habe der habsburgischen Präsenz in Italien das Wort geredet und die alte Ordnung gerechtfertigt.31 Vielmehr stand die von ­Reumont vertretene ­Variante „großdeutscher Ge 25

Vgl. Kapitel C. IV. 2. b) Die Geschichte der Stadt Rom, S. 425–430. Vgl. Brechenmacher (1996), S. 186 u. 503. 27 Vgl. Weber (1981), S. 179. 28 Vgl. ebenda, S. 157. 29 Vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 86–87; Kapitel C. II. 1. Politische Korrespondenzen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, S. 279–280. 30 Vgl. Brechenmacher (1996), S. 157–171; Burleigh (2005/2006), S. 327. 31 So zuletzt etwa Roll (2015), S. 92. 26

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schichtsschreibung“ im Einklang mit den italienischen liberal-katholischen Ideen und sah sowohl eine deutsche wie auch eine italienische nationale Einigung unter konstitutionellen Monarchien vor, in denen eine Beteiligung der lokalen Eliten wie auch die kirchliche Unabhängigkeit als Garanten regionaler und sozialer Freiheiten fungieren sollten. Dabei nahm R ­ eumont jedoch wie die meisten „großdeutschen Historiker“ eine vornehmlich christliche Perspektive ein, der er gegenüber einer nationalpolitischen Betrachtungsweise den Vorzug gab.32 Folglich sah er im Papsttum die entscheidende historische Konstante und verweigerte sich teleologisch angelegten Meistererzählungen, indem er die individuelle Verantwortung einzelner Akteure thematisierte, ohne ihnen eine Rechtfertigung durch eine vermeintliche historische Notwendigkeit zuzugestehen.33 Hinsicht­lich seiner Forderung nach einer Neuordnung der Staaten unter nationalpolitischen Gesichtspunkten argumentierte ­Reumont jedoch nicht historisch, sondern in erster Linie pragmatisch. Da er eine gegen die Nationalbewegungen gerichtete Politik für nicht erfolgversprechend erachtete, hielt er die Formung national homogener Staatsgebiete für dringend geboten. Dieser „realpolitische“ Schritt sollte sich jedoch an den unterschiedlichen Lokaltraditionen orientieren und im Einklang mit einer maßvollen Reform der Kirche und der christlichen Zivilgesellschaft einhergehen. Dafür sollte das Studium der Vergangenheit die Entstehung der zeitgenössischen Bedingungen erklären34 und die Individualität von Regionen und gesellschaftlichen Strukturen vergegenwärtigen, die für die Neuordnung der Staaten berücksichtigt und idealerweise sogar gewinnbringend genutzt werden sollten. Insofern war ­Reumont tatsächlich kein beharrender Konservativer, sondern verstand es durchaus, aus den gegebenen politischen Voraussetzungen Handlungsmöglichkeiten abzuleiten, die unter Berücksichtigung historischer Traditionen die christliche Zivilgesellschaft innerhalb eines stabilen monarchischen Staates, der lokale wie religiöse Freiheiten respektieren sollte, weiterentwickeln konnten. Ein derartiges Alternativmodell, das den Schutz der individuellen regionalen und religiösen Freiheiten als Garantie gegen absolutistische Ansprüche des Staates als wichtigstes Anliegen artikulierte, lief den faktischen Nationalstaaten, die die Kirchen unter ihre Kontrolle zu bringen suchten, entgegen. Angesichts des Schulterschlusses der Kurie mit Reaktionären und Legitimisten mussten alle Alternativmodelle, die die Kirche vor dem staatlichen Zugriff in Schutz nah­ eumont oder Gfrörer neben dem nationalen auch einen religiösen men, und wie R Zusammenhalt forderten, pauschal als reaktionär diskreditiert werden.35 Folglich wurden auch treffende Analysen, wie etwa die fehlende Identifikation der italie 32 Zu einer ähnlichen Erkenntnis gelangt Otto Weiß (1990), S. 214 hinsichtlich der Italienbetrachtung Döllingers: „Italien hat Döllinger gewiß interessiert, doch im Mittelpunkt seines Interesses stand nicht das Risorgimento, sondern das Papsttum, Rom und die Kurie…“. 33 Vgl. auch Liermann (2015), S. 64. 34 Vgl. Pohle (2015), S. 113 spricht von einer gegenwartsgenetischen Betrachtung der Vergangenheit. 35 Vgl. auch Brechenmacher (1996), S. 344–345.

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nischen Bevölkerung mit dem italienischen Nationalstaat und der ihn formenden Elite oder die Warnung vor dem außenpolitischen Aggressionspotenzial einer primär an nationalistischen Maximen orientierten Politik, die keine übergeordneten Prinzipien mehr anerkennt, als legitimistisch und gestrig gebrandmarkt. Der Vorwurf der Rückwärtsgewandtheit entsprang dabei weniger einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Analysen als vielmehr der Tatsache, dass sie das Papsttum nicht als Hindernis auf dem Weg zum Nationalstaat betrachteten, sondern es als unverzichtbaren Faktor in die Entwicklung der Nationalstaaten ­ eumonts Geschichte der Stadt Rom änderte auch einzubeziehen suchten. Bei R die Tatsache, dass er die neuesten Forschungen Giovanni Battista de Rossis berücksichtigte und damit durchaus wissenschaftlich wertvolle und für den deutschsprachigen Raum neue Informationen bieten konnte, während selbst Gregorovius zum Teil auf sie für seine eigene, viel gelobte Stadtgeschichte zurückgriff, nichts daran, dass dieses Werk bald als überholt und rückwärtsgewandt galt.36 Denn eine positive Bezugnahme auf das Papsttum galt a priori als Absage an die moderne Welt. Wie Volker Reinhardt gezeigt hat, galten Papsttum und Kirchenstaat bereits seit dem 18. Jahrhundert per se als Anachronismus und wurden mit dem Verdikt der Unreformierbarkeit und Gestrigkeit belegt.37 Dies erfüllte anfangs den Zweck, vom Scheitern weiterreichender soziökonomischer Reformen im aufgeklärten Absolutismus abzulenken und diente auch nach dem Wiener Kongress als Negativbeispiel, hinter das sich die einzelnen Souveräne gegenüber Reformforderungen zurück­ziehen konnten.38 Dass das Papsttum zudem eine entschiedene Kapitalismuskritik betrieb, verstärkte diesen Effekt noch.39 Vor diesem Hintergrund ist auch die Verdammung R ­ eumonts zum Gestrigen zu verstehen. Bereits als er in seinen Römischen Briefen erklärte, durch statistische Erhebungen zu einer objektiveren Beurteilung der Zustände des Kirchenstaates beitragen zu wollen,40 trat er dem längst konstruierten Antagonismus vom Papsttum als perfidem Gegenpol heroisierter nationalgeschichtlicher Bestrebungen und Synonym für das negativ konnotierte universalistische Mittelalter entgegen.41 Insofern führten die Zuspitzung der Römischen Frage und ­Reumonts explizite Parteinahme für das Papsttum unweigerlich in die „Gestrigkeit“. Dass R ­ eumont selbst jedoch die Schaffung von Nationalstaaten unter konstitutionellen Monarchien grundsätzlich befürwortete und mit seinen Briefen heiliger und gottesfürchtiger Italiener oder seiner Vittoria Colonna eine innerkirchliche Reform forderte, konnte daran nichts ändern. Im Gegenteil, in seinem Alterswerk Aus Friedrich Wilhelm’s IV. gesunden und kranken Tagen bestätigte er das Urteil, indem er sich als loyalen Gefolgsmann des Königs darstellte, ohne zu 36

Vgl. Kapitel C. IV. 2. b) Die Geschichte der Stadt Rom. Vgl. Volker Reinhardt: Der doppelt stilisierte Anachronismus: Kirchenstaat und päpstliche Herrschaftsausübung im Bild der europäischen Aufklärung, Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 88 (1994), S. 7–25. 38 Vgl ebenda, S. 14. 39 Vgl. ebenda, S. 21. 40 Vgl. Kapitel C. IV. 1. b) Die Römischen Briefe von einem Florentiner. 41 Vgl. Reinhardt (1994), S. 24. 37

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erwähnen, dass er selbst seinerzeit zu denjenigen gehört hatte, die den Erlass einer Verfassung zur Sicherung der Monarchie für notwendig hielten.42 Tatsächlich erscheint ­Reumont vorwiegend in seinen Friedrich Wilhelm IV. gewidmeten Memoiren als dezidiert konservativ. Während seiner Karriere im preußischen diplomatischen Dienst fielen seine politischen Einschätzungen deutlich anders aus. So verweigerte er etwa Papst Gregor XVI. demonstrativ den Fußkuss43 und tadelte dessen weltliches Gepränge, indem er ihn mit dem Sultan in Konstantinopel verglich.44 Außerdem warf er Metternich vor, das Nationalstaatsprinzip in seiner politischen Sprengkraft zu unterschätzen. Er hielt das Prinzip des Vielvölkerstaats für nicht zukunftsfähig und betrachtete deswegen den Abzug der Habsburger aus Italien langfristig für unumgänglich. Um das monarchische Prinzip durch konstitutionelle Monarchien erhalten zu können, forderte er bereits im Jahre 1848 einen schnellen Anschluss der politisch instabilen italienischen Territorien an das Königreich Sardinien-Piemont. Selbst zu Beginn der 1850er Jahre setzte er noch seine Hoffnungen in Sardinien-Piemont, das als einziger italienischer Staat an der Verfassung festgehalten hatte. Vor dem Hintergrund seiner Forderung, dass die italienische Nationalstaatsbewegung mit dem Papsttum als integralem Teil der italienischen Identität verknüpft sein sollte, stieß er bei denjenigen Zeitgenossen, die das Papsttum als anachronistisch betrachteten, auf Unverständnis. Varnhagen von Ense etwa, der ­Reumont wegen seines katholischen Bekenntnisses für einen Jesuiten hielt, zeigte exemplarisch, wie wenig viele deutsche Beobachter die italienischen liberalen Katholiken verstanden. Dass man bekennender Katholik sein und die konstitutionelle Monarchie Sardinien-Piemont in ihrer nationalpolitischen Führungsrolle unterstützten konnte, war ihm unbegreiflich. Auf ein derartiges Schreiben R ­ eumonts reagierte er vollkommen ratlos: „Der Legationsrath von ­Reumont hat aus Italien geschrieben. Er wehklagt über den Zustand des gesamten Landes; Piemont sei das einzige Land, wo noch einiger Halt und einige Hoffnung bestehe, Toskana, Neapel, Rom seien in der fürchterlichsten Zerrüttung, die Revolution nur durch fremde Kriegsmacht niedergehalten, sie werde auf’s neue und weit schrecklicher Ausbrechen, und keine Hand dann für die Regierungen sich regen. Ist er liberal geworden, fürchtet er und will solche Aeußerungen geschrieben haben, um sich einmal darauf berufen zu können?“45

Tatsächlich hatte ­Reumont mit seiner Einschätzung richtig gelegen und die spätere Entwicklung abgesehen. Erst die dezidiert laizistische und zentralistische Ausrichtung der piemontesischen Nationalstaatspolitik erfuhr ­Reumonts Ablehnung und ließ ihn auf Alternativmodelle pochen. Innerhalb Italiens vertrat er damit 42

Vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 83–87. Vgl. Kapitel B. II. 2. a) Die Kölner Wirren und die Sondermission Brühl: ­Reumont als Mediator zwischen den Konfessionen, S. 68; Lepper (1991), S. 388. 44 Vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 117; Brechenmacher (2008), S. 55–56. 45 Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense [Veröffentlichungen der Deutschen Bibliographischen Gesellschaft, Bd. 7 (1904)] (Neuauflage von 1972), Eintrag von Montag, den 21. Oktober 1850, S. 369–371, hier S. 370. 43

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keineswegs eine Einzelposition. Aus ähnlichen Gründen gingen auch Ak­teure wie Eugenio Albèri46, Cesare Cantù47, Niccolò Tommaséo48 oder Cesare Guasti49 auf Distanz zur piemontesischen Nationalpolitik.50 Auch führende Moderati wie etwa Gino Capponi und Leopoldo Galeotti, die die piemontesische Nationalpolitik aus der Toskana heraus aktiv unterstützt hatten, nach der Hauptstadtverlegung nach Rom jedoch einen weiteren Konfrontationskurs gegenüber dem Papsttum ablehnten und eine Versöhnung zwischen Staat und Kirche forderten, sahen sich in den 1870er Jahren dem Vorwurf ausgesetzt, klerikale Politik zu betreiben.51 Insofern teilte ­Reumont das Schicksal zahlreicher liberaler Katholiken, die entweder als klerikal diffamiert und politisch isoliert wurden oder das Misstrauen konservativer Katholiken erregten, die ihre grundsätzliche Zustimmung zum liberalen Nationalstaat für kompromittierend hielten.52 Ähnlich erging es ­Reumont, der durch von Humboldt treffend als „im Grunde freisinnig, obgleich sehr katholisch“ beschrieben wurde.53 Dies war der feste Standpunkt, von welchem aus ­Reumont die zeitgenössischen Entwicklungen wie auch die Geschichte beobachtete. Seine Vorstellung einer christlich geprägten, die lokalen Traditionen achtenden Gesellschaft war stets das primäre Kriterium, nach welchem er urteilte. Sein Idealstaat sollte monarchisch sein, den lokalen Eliten eine gewisse Autonomie zubilligen und die kirchliche Unabhängigkeit respektieren. Um dieses Ziel zu erreichen, hielt er es allerdings für zwingend notwendig dem erstarkenden Nationalstaatsprinzip Rechnung zu tragen und die Staatsgebiete nach nationalen Aspekten neu zu ordnen, wobei er einen föderalen nationalen Staatenbund bevorzugte. Im Gegensatz zu Metternich hielt er das Prinzip des Vielvölkerstaats für nicht dauerhaft durchsetzbar und betrachtete die Gewährung von Verfassungen als gangbaren Weg, um die Monarchie dauerhaft zu stabilisieren. Zwar entwickelte ­Reumont keine konkreten Vorschläge für eine Verfassung, jedoch legt sein Werben 46 Vgl. Kapitel B. III. ­Reumont als „Kulturmakler“: Ein lange gehegter Wunsch geht auf schmerzhafte Weise in Erfüllung, S. 213. 47 Auch Cantù hatte, ähnlich wie ­Reumont die piemontesische Nationalstaatspolitik zunächst unterstützt, trat später jedoch dezidiert gegen ihre laizistische und zentralistische Stoßrichtung auf. Vgl. Marco Bologna / Silvia Morgana (Hrsg.): Cesare Cantù e „l’età che fu sua“ (Biblioteca dell’„Archivio Storico Lombardo“), Mailand 2006; Della Peruta (1989), S. 109–144; Ders. /  Carlo Marcora / Ernesto Travi (Hrsg.): Cesare Cantù nella vita italiana dell’Ottocento, Mailand 1985. 48 Vgl. Gabbrielli (2000). 49 Vgl. Zeffiro Ciuffoletti: Guasti, Cesare, DBI 60 (2003). 50 Vgl. Kapitel A. Einleitung, S. 18–19. 51 Vgl. Kapitel C. IV. 3. a) Die Geschichte Toskana’s, S. 440–442. 52 Vgl. Kapitel C. II. 4. Fazit, S. 328–336. 53 Vgl. Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense [Veröffentlichungen der Deutschen Bibliographischen Gesellschaft, Bd. 14 (1904)] (Neuauflage von 1972), Eintrag von Freitag, den 3. Juli 1857, S. 4–5, hier S. 5: „Von ­Reumont sagte er [Humboldt], derselbe sei für den König ein am wenigsten schädlicher Gesellschafter, er sei im Grund freisinnig (!) obgleich sehr katholisch, die Italiäner hielten ihn sogar für ein wenig demagogisch (!); der König wolle amüsiert sein, nun sei ­Reumont grade stark in allem worin der König schwach sei, in Genealogien der italiänischen Familien, in Kirchensachen, dergleichen interessiere den König mehr als alle Politik.“

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für Galeottis Verfassungsmodelle nahe, dass ihm wenn nicht eine ständische so doch eine mit einem hohen Zensus versehene repräsentative Verfassung vorschwebte, die lediglich die lokalen Eliten an der Macht beteiligen sollte.54 Ähnlich wie Galeotti und Capponi lehnte R ­ eumont vor 1848 eine Verfassung ab und hielt einen derartigen Schritt erst infolge der revolutionären Unruhen in ganz Europa für notwendig, um die Monarchien zu stabilisieren. Insofern dachte ­Reumont durchaus pragmatisch und politisch, allerdings war sein oberstes Prinzip weder das Verfassungs- noch das Nationalstaatsprinzip. Oberste Priorität hatten für ihn die Unabhängigkeit und selbstständige Reformfähigkeit der Kirche und die christliche Durchdringung der Gesellschaft, beides hielt er am ehesten innerhalb einer Monarchie für praktikabel. Innerhalb dieser Koordinaten pflegte er jedoch eine durchaus pragmatische Betrachtungsweise, wie seine Forderung nach einer Anerkennung der politischen Wirkmächtigkeit der Nationalstaatsidee und der Gewährung von Verfassungen zeigt. Dies ist innerhalb der bisherigen Forschung oft übersehen worden, da ­Reumonts Stellungnahmen meist einseitig aus der Perspektive der faktischen Nationalstaatsgründungen betrachtet wurden. Eine derartige Betrachtungsweise neigt jedoch dazu, jegliche Alternativpositionen als gestrig und gescheitert zu betrachten. Wie Brechenmacher anhand der „großdeutschen Geschichtsschreibung“ gezeigt hat, gab es zu jener Zeit zahlreiche, sehr individuelle Geschichtsdeutungen, die von den Zeitgenossen in teils heftiger Polemik diskutiert wurden.55 Umso dringlicher erscheint es, Abstand von den damaligen polemischen Verurteilungen zu nehmen, mit denen Vertreter alternativer Denkrichtungen belegt wurden, und die vielfältigen Einschätzungen, die damals zu den sich bildenden Nationalstaaten kursierten, nicht vor dem Wertehorizont der faktischen Nationalstaaten, sondern der Autoren selbst zu betrachten. Denn nur eine multiperspektivische Betrachtungsweise, die die unterschiedlichen individuellen Wertehorizonte berücksichtigt, vor denen die einzelnen Akteure handelten, bietet die Möglichkeit, Handlungs- und Betrachtungsweisen der Zeitgenossen angesichts der Nationalstaatsbildungsprozesse nachzuvollziehen. Gerade die Auseinandersetzung um Alternativmodelle gewährt einen wichtigen Einblick in die damalige Debatte um die Gestaltung des werdenden Nationalstaates und die Diskussion um dessen Unzulänglichkeiten und die darin lauernden Gefahren. Schließlich waren die Wege in die Nationalstaaten weder in Deutschland noch in Italien Ergebnis eines gesellschaftlichen Konsenses, sondern das Ergebnis eines Ringens divergierender Interessen. Insofern nahmen auch Positionen, die sich letzten Endes nicht durchsetzen konnten, einen indirekten Einfluss auf die Gestaltung der Nationalstaaten, indem sie die gestaltenden Kräfte zu einer Auseinandersetzung zwangen, sei sie auch nur oberflächlich und polemisch gewesen. Gerade zutreffende Prognosen der Kritiker der Nationalstaaten verdienen dabei Beachtung, wie etwa R ­ eumonts Kritik an der Kluft zwischen der Italia legale und der Italia reale, die bis heute nicht überwunden 54

Vgl. Kapitel B. II. 2. d) Die Revolution als unverhofftes Karrieresprungbrett, S. 84–86; zu den Vorstellungen Galeottis und Capponis vgl. Chiavistelli (2006), S. 209–213. 55 Brechenmacher (1996), S. 37–38, 66, 496–503.

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ist, oder Capponis Beobachtung, dass die Kabinettskriege von Nationalkriegen abgelöst werden, die anschließend in Rassenkriege übergehen.56 Allein diese beiden Beispiele zeigen, welchen Wert eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den von den faktischen Nationalstaaten enttäuschten Akteuren für ein besseres Verständ­ eumonts bietet das nis der damaligen Meinungskämpfe haben kann. Die Person R Beispiel eines zunächst durchaus fortschrittsoptimistisch denkenden „freisinnigen Katho­liken“ und Unterstützers der nationalen Einigung Italiens, der sich von Cavours Nationalstaatspolitik distanzierte, nicht etwa weil er ihre historische Tragweite nicht erkannte, sondern weil er treffend absah, welche Gefahren der Kirche von einer laizistisch und zentralistisch ausgerichteten Nationalstaatspolitik drohten. Er hatte erkannt, dass ein Konfrontationskurs das Papsttum in die Arme der Reaktion treiben und eine innerkirchliche Reform erschweren würde, die doch eigentlich für eine Versöhnung mit den Nationalstaaten notwendig war. Mit der Verschärfung des Gegensatzes zwischen „gestrigem Papsttum“ und „modernem Nationalstaat“, wurde auch ­Reumont zunehmend in jener Gestrigkeit verortet, vor der er das Papsttum bewahrt wissen wollte. Während seine Zeitgenossen seine historischen Arbeiten und politischen Analysen aufmerksam rezipierten, geriet er nach seinem Tod zunehmend in Vergessenheit, und der Vorwurf der Rückwärtsgewandtheit verstetigte sich. Indes übten die Vertreter alternativer Geschichtsdeutungen unter ihren Zeitgenossen einen wesentlich größeren Einfluss aus, als es die Darstellungen nachfolgender Historiker glauben machen, indem sie sich vorwiegend der kleindeutschliberalen Schule zuwenden. Dieser wurde nämlich posthum mehr Aufmerk­samkeit zuteil als von den Zeitgenossen.57 Dies trifft auch auf ­Reumont selbst zu. Der Vorwurf fehlender Methodik und Wissenschaftlichkeit gehörte damals zum Standardrepertoire politisch motivierter Polemik unter Historikern und traf vor allem diejenigen Autoren, die sich mit ihren Arbeiten nicht in den Dienst der faktischen ­ eumonts Nationalstaaten stellen ließen.58 Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass R wissenschaftliche Publikationen durchaus dem zeitgenössischen Standard entsprachen, sein Andrea del Sarto oder Lorenzo de’ Medici entsprachen methodisch sogar dem neuesten Stand, und seine Geschichte der italienischen Renaissancediplomatie kann selbst und gerade angesichts des heutigen Forschungsstandes als innovativ gelten.59 Insofern bieten seine unter Zeitgenossen bekannten Arbeiten, die zudem nicht nur die Fachwelt selbst, sondern vor allem auch ein breites Laienpublikum ansprachen, einen wichtigen Einblick in die populären Geschichtsbilder jenseits der Meistererzählung. Während R ­ eumont in seiner vornationalstaatlichen Schaffenszeit 56 Lettere di Gino Capponi IV, Nr. 912: Capponi an ­Reumont, Varramista, 12. Oktober 1870: „Abbiamo fatto una bella cosa, noi liberali, a forza di gridare contro alle guerre di gabinetti; abbiamo fatto nascere le guerre di nazioni, pessime fra tutte: singolare cosa le guerre di razze, frutti della civiltà perfetta, come della incipiente.“ 57 Vgl. dazu Clemens (2009), S. 207–208. 58 Vgl. dazu auch Brechenmacher (1996), S. 456–503; Roll (2015). 59 Vgl. Roll (2015).

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vorwiegend mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichtsschreibung betrieb, um daraus Lehren für die Gestaltung des zukünftigen italienischen Nationalstaates zu ziehen, verlegte er sich nach der Gründung des Königreichs Italien verstärkt auch auf die Zeitgeschichte, indem er wichtige Persönlichkeiten des Risorgimento einem deutschen Publikum vorstellte, um anhand ihrer persönlichen Ideale und ihres politischen Handelns die Schwächen und Versäumnisse des faktischen Nationalstaats zu thematisieren. Damit beteiligte er sich unmittelbar am Ringen um die Deutungshoheit führender Akteure des Risorgimento. In Deutschland, wo er selbst unter seinen Kritikern als ausgewiesener Italienkenner galt, konnte er das Italienbild an jenen Stellen, an denen er seinen Informationsvorsprung aus­nutzen konnte, entscheidend beeinflussen. Nicht von ungefähr attestierte etwa die Neue Preußische Zeitung Gino Capponi explizit, eine Verfassungsvorstellung wie Friedrich Wilhelm IV. vertreten zu haben, als sie dessen Ablehnung eines Repräsentativsystems thematisierte.60 Während ­Reumont in Deutschland generell als Italien­experte galt und deswegen sowohl seine historischen, kunstgeschichtlichen, gesellschaftlichen und politischen Arbeiten in der Öffentlichkeit aufmerksam rezipiert wurden, beschränkte sich seine Autorität in Italien vorwiegend auf die italienische Geschichte und Kunstgeschichte. Selbst prominente Denker des Risorgimento wie Cesare Balbo ließen sich in ihren Ausführungen zur italienischen Geschichte von ihm Hinweise geben.61 ­Reumonts Verdienste um die Pflege der italienischen Geschichte wurden in Italien entsprechend durch die Ehrenbürgerschaften der Städte Florenz und Rom gewürdigt, selbst das von ihm häufig für seine laizistische Kirchenpolitik kritisierte Königreich Italien unter Führung des Savoyer Königshauses ernannte ihn zum Cavaliere Gran Croce dell’Ordine della Corona d’Italia.62 Dieser Orden war eigens als Nationalorden von Viktor Emanuel II. ins Leben gerufen worden. Im Gegensatz zu seiner deutschsprachigen Publizistik genoss er in Italien in zeitgeschichtlichen Themen keine Autorität, zu sehr hatte er die Art und Weise des Zustandekommens des italienischen Nationalstaates kritisiert. Seine Arbeiten zur Geschichte der Stadt Rom wie auch sein Lorenzo de’ Medici oder seine Geschichte Toskana’s wurden auch in der italienischen Fachwelt mit Beifall aufgenommen. Letztere allerdings nur bis zur Zeitgeschichte, von der sich auch seine Bekannten im Archivio Storico Italiano distanzierten. Neben seinen eigenen Arbeiten schätzte ihn die italienische Öffentlichkeit für seine Verdienste um die Verbreitung deutschsprachiger Publikationen über italienische Themen, die er in seinen zahlreichen Literaturbesprechungen, insbesondere im Archivio Storico Italiano einem breiten Publikum näherbrachte. Zwar kritisierten einige Rezen­senten, dass er einige kirchenkritische und liberale Autoren in seinen An 60

Vgl. Gino Capponi, in: Sonntags-Beilage zur Neue Preußischen (Kreuz-)Zeitung, Nr. 33, 14. August 1881. 61 Kapitel B. III. ­Reumont als „Kulturmakler“: Ein lange gehegter Wunsch geht auf schmerzhafte Weise in Erfüllung, S. 207–208. 62 Stadtbibliothek Aachen, Nachlass ­Reumont (Nachlass 1), I.3., Briefkorrespondenz und Personalien, Edoardo de Launay an R ­ eumont, Berlin, 5. Juni 1883.

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zeigen vernachlässige, allerdings berücksichtigte er auch Publizisten, deren inhaltlicher Ausrichtung er selbst kritisch gegenüberstand, so etwa den papstkritischen Ferdinand Gregorovius, Heinrich Wilhelm August Stieglitz, Franz Kugler oder Jacob ­Burckhardt. Allein die Tatsache, dass er dem italienischen Publikum einen derart umfangreichen Überblick über deutschsprachige Literatur über Italien bot, wurde indes von der italienischen Öffentlichkeit ausgiebig honoriert. Unter anderem für diese literarischen Handreichungen wurde er bereits im Jahre 1850 in den ­Ordine dei Santi Maurizio  e Lazzaro, den Verdienstorden des Hauses Savoyen, aufgenommen.63 Als in Deutschland und Italien anerkannte Autorität auf dem Gebiet der italienischen Geschichte wirkte er in einigen der wichtigsten Forschungskontroversen seiner Zeit als Mittler. So konnte anhand der deutsch-italienischen Auseinandersetzungen um Arnaldo da Brescia, Cola di Rienzo, Vittoria Colonna und dem sogenannten Dino-Streit gezeigt werden, wie R ­ eumont die Debatte stets auch auf der anderen Alpenseite referierte, um anschließend wieder über die dortige Aufnahme zu berichten. Auf diese Weise übertrug er die Kontroverse immer wieder in eine andere Forschungslandschaft und stimulierte das gegenseitige Interesse. Im Dino-Streit bemühte er sich um Sachlichkeit und brachte nicht nur „Verbündete“, sondern auch „Kontrahenten“ über nationale Grenzen hinweg in Verbindung und konnte so einer Nationalisierung einer eigentlich wissenschaftlichen Kontroverse entgegenwirken. Wenngleich diese deutsch-italienische Auseinandersetzung die innerhalb der beiden Gelehrtenwelten vorherrschenden Vorurteile offen zutage treten ließ, trug sie doch auch zu einer verstärkten gegenseitigen Wahrnehmung bei. Gleichzeitig nutzte ­Reumont die italienische Geschichte, um auf die deutsche Politik einzuwirken. So behandelte er etwa Vittoria Colonna wie auch die heiligen und gottesfürchtigen Italiener vor deutschem Publikum, um zu demonstrieren, dass die katholische Kirche durchaus von innen heraus reformierbar war, und den liberalen Katholizismus Italiens in den deutschen Kulturkampf einzuführen, in dessen Umfeld protestantische Historiker eben jene Gestalten wie Vittoria Colonna als Repräsentanten eines in der Vergangenheit immer wieder aufblitzenden italienischen Bedürfnisses darstellten, sich vom Papsttum loszusagen. In der Optik evangelischer Historiker erschien denn auch die Schaffung des italienischen Nationalstaats unter Entmachtung des Papsttums als eine religiöse wie politische Emanzipationsbewegung des italienischen Volkes. Diese Deutung konnte dementsprechend als historische Rechtfertigung der deutschen Kulturkampfmaßnahmen gegen die Kirche dienen. R ­ eumont dagegen verwies auf die katholische Gesinnung der meisten italienischen Reformer und ihre grundsätzliche Loyalität zum Papsttum. Durch seine Behandlung der Rechtgläubigkeit Vittoria Colonnas schärfte er auch in Italien die Sensibilität für ihre religiöse Einstellung. Denn auch die zeitgenössischen liberalen Katholiken wie etwa Niccolò Tommaséo, Cesare Cantù, Gino

63

Ebenda, Il primo segretario del Magistero, Pinelli an R ­ eumont, Turin, 14. Dezember 1850.

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F. Schlussbetrachtung

Capponi oder Raffaelo Lambruschini konvertierten trotz aller Enttäuschung über das Papsttum nicht etwa zum Protestantismus, sondern hielten an ihrer Konfession fest. In Deutschland verwechselten manche Beobachter, wie etwa Leopold Witte, jedoch die laizistische Kirchenpolitik des Königreichs Italien mit einer Hinwen­ eumont versuchte derartigen Missverständnissen entdung zum Protestantismus. R gegenzuwirken, lief dabei jedoch selbst Gefahr, innerhalb eines anderen Kontextes missverstanden zu werden. So war seine Geschichte der Stadt Rom zwar als Geschichte des Papsttums mit seiner historischen Tradition konzipiert, jedoch keinesfalls, wie es deutsche, meist protestantische Zeitgenossen interpretierten, eine gegen den italienischen Nationalstaat gerichtete Schrift. Vielmehr bot ­Reumonts Romgeschichte genau jenen Vorzug, den die italienischen Rezensenten bei Papencordt bzw. Höfler und Gregorovius schmerzlich vermissten: die unmissverständliche Anerkennung der Berechtigung der italienischen Nationalbewegung und eine Kritik an der habsburgischen Herrschaft auf italienischem Boden. Die Forderung nach einer Einheit in Vielfalt in einer vom christlichen Glauben durchdrungenen Gesellschaft wurde in Italien als Kritik an der laizistischen Kirchenpolitik, nicht aber am Nationalstaat als solchem verstanden. Dagegen reagierte die deutsche Öf­ eumonts Papstgeschichte, fentlichkeit außerhalb katholischer Kreise ratlos auf R die bisweilen sogar als unkritische Rechtfertigung des Papsttums abqualifiziert und der ihr wissenschaftlicher Wert abgesprochen wurde. Wie R ­ eumonts Lob des Reformpapsttums des 11. Jahrhunderts zeigt, betrachtete er ein reformiertes, übernationales Papsttum als Voraussetzung für eine gesellschaftliche und politische Weiterentwicklung. So wie das Papsttum die europäische Politik im Mittelalter geprägt habe, indem es ein Gegengewicht zu staatlichem Absolutismus bildete und mit dem Lombardenbund die Rechte der italienischen Bevölkerung auf lokale Autonomie verteidigt hatte, sollte es auch zukünftig die Unabhängigkeit vor staatlicher Allmacht bieten und damit die Grundlage für einen freiwilligen Zusammenschluss der Regionen bilden. Im Gegensatz zur liberalen Rhetorik, die ­ eumont in einem das Papsttum mit Reaktion und Unfreiheit gleichsetzte, sah R reformierten Papsttum die Basis für eine freiheitliche Gesellschaft und zivilisa­ eumonts Geschichte der Stadt Rom torischen Fortschritt. Dies führte dazu, dass R im protestantisch geprägten Deutschland als klerikal galt, während es im katholischen Italien, in dem die Intention der Versöhnung des Nationalstaats mit dem Papsttum verstanden wurde, oftmals den Vorzug vor den Werken seiner deutschen Landsleute erhielt.64 Indes zeigt der Versuch, dem deutschen Publikum eine italienische Einheit in Vielfalt in einer reformierten christlichen Zivilgesellschaft als Ideal vorzustellen, wie sehr die Wahrnehmung des Mittlers von der Rezeption der Transferobjekte abhing. Wie auch die Polemik um die Orthodoxie der Vittoria Colonna und die Diskussion um R ­ eumonts Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener zeigt, hat das Gros 64

Vgl. Kapitel C. IV. 2. b) Die Geschichte der Stadt Rom.

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der deutschen Öffentlichkeit die liberal-katholischen Ideale in Italien nicht verstan­ eumonts mit entsprechendem Unverständnis. den und begegnete den Äußerungen R Lediglich innerhalb der deutschen liberalen Katholiken, die wie Johannes Janssen oder Franz Xaver Kraus sich ebenfalls oft missverstanden fühlten, und der sogenannten „großdeutschen Geschichtsschreibung“ existierten Schnittmengen mit den liberal-katholischen Italienern. Während sich „großdeutsche Historiker“ in ihren Forschungen naturgemäß auf die Spuren des alten Reiches in Italien begaben, weckten sie folgerichtig das besondere Interesse der italienischen Gelehrten. ­ eumont auf dieses konkrete Interesse an Mit seinen Notizie bibliografiche ging R Historikern wie Hurter, Böhmer, Gfrörer oder Höfler ein und förderte die italienische Rezeption dieser Gelehrten. Auf diese Weise unterstützte er die gegenseitige Wahrnehmung an zentraler Stelle auf literarischer wie auch auf persönlicher Ebene. Obgleich R ­ eumont oftmals durchaus konkrete politische Intentionen mit seiner Mittlertätigkeit verband, konnte er die gegenseitige Rezeption kaum steuern, sondern wurde selbst zum Gegenstand dieser Kulturtransferprozesse. Einerseits förderte er in Italien die Rezeption deutscher Forschungen, andererseits machte er italienische Archivbestände, Forschungen, aber auch politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Deutschland bekannt. Obwohl er auf dem Gebiet der italienischen Geschichte als Autorität galt, konnte er in Deutschland keine vergleichbare Wirkung auf dem Gebiet der Zeit­geschichte entfalten. Zwar gelang es ihm, Deutschland und Italien einander näher zu bringen und die gegenseitige Rezeption insbesondere zwischen den liberalen Katholiken Deutschlands und Italiens zu fördern, jedoch gelang es ihm nicht, die liberal-katholischen Ideale, die er in Italien kennengelernt hatte, in einem protestantisch und kulturkämpferisch ausgerichteten Nationalstaat über das liberal-katholische Milieu hinaus auf fruchtbaren Boden gelangen zu lassen. Seine Kritik an den bestehenden Zuständen, die unter den Zeitgenossen noch kontrovers und bisweilen polemisch diskutiert wurde, führte dazu, dass ­Reumont und sein Werk nach seinem Tode zunehmend in Vergessenheit geriet und lediglich in der Toskana, in Rom und in „großdeutschen Kreisen“ weiterhin rezipiert wurde.65 Sein weitreichendes Netzwerk war ähnlich zeitgebunden: Als Publizist und Historiker, der sich auf der Ebene von Vereinen und Akademien bewegte, nicht aber aktiv im universitären Rahmen in Erscheinung trat, hinterließ er keine Schüler, die sein Andenken als Wissenschaftler hätten hochhalten können. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er durch seine internationale Vernetzung und sein persönliches soziales Prestige die populäre gegenseitige Wahrnehmung zwischen Deutschen und Italienern auf dem Weg in die Nationalstaaten entscheidend mitgeprägt hat. Jüngere, populärwissenschaftlich angelegte Arbeiten, wie etwa jene David Gilmours über die regionale Vielfalt Italiens, die sich auf die zeitgenössische Publizistik stützen, gelangen zu einer ähnlich kritischen Einschätzung der fakti 65 So etwa durch Ludwig Pastor: Vgl. Wilhelm Wühr (Hrsg.): Ludwig Freiherr von Pastor 1854–1928, Tagebücher – Briefe – Erinnerungen, Heidelberg 1950, Eintrag vom 12. Dezember 1917, S. 642–643; Eintrag vom 15. September 1920, 691–692.

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F. Schlussbetrachtung

schen Nationalstaatsgründung, der sie ebenfalls die Missachtung der historischen und geographischen Vielfältigkeit Italiens vorwerfen.66 Auch wenn ­Reumont nicht persönlich zitiert wird, so findet sich dort sein gegenwartsgenetischer Blick auf die Geschichte67 wieder, der noch heute die Diskussion um die Geburtsfehler des italienischen Nationalstaates prägt. Mag manch einer ihrer Autoren auch vergessen sein, so hat sich diese Italien­betrachtung bis heute gehalten und scheint mehr als 150 Jahre nach der Gründung des Königreichs Italien sogar noch an Popularität gewonnen zu haben.68 Denn während die universitären Schulen darüber entscheiden, welchen Publizisten Wissenschaftlichkeit zuerkannt wird, sind es vor allen Dingen außeruniversitäre Faktoren, die das populäre Geschichtsbild prägen: Populäre Zeitungsberichte, an ein Laienpublikum gerichtete Unterhaltungs- und Bildungsliteratur sowie Vereine und ­Akademien, in denen historische Traditionen auf populäre Weise gepflegt werden. Die Ergründung des politischen, historischen und kulturellen Horizonts gebildeter Kreise der damaligen Gesellschaft führt deswegen vornehmlich über populäre Publizisten, die ein breites Publikum über fachliche und politische Grenzen hinweg ansprachen und erreichten. Wie es ­Reumont selbst in der Einleitung zu den Briefen heiliger und gottesfürchtiger Italiener betonte, bleibt eine ausschließlich auf die große Politik ausgerichtete Geschichtsschreibung unvollständig, wenn Sie nicht auch die breite Bevölkerung in ­ eumonts selbst zeigt, welche Bedeutung in ihrer den Blick nimmt.69 Das Beispiel R Zeit und welche Wirkmächtigkeit bis in die Gegenwart auch heutzutage vergessene Kulturvermittler haben können.

66

Vgl. Gilmour (2014). Vgl. dazu Pohle (2015). 68 Vgl. die umfangreiche Literatur, insbesondere zum 150-jährigen Jubiläum des Königreichs Italien, etwa: Massimiliano Viglione: 1861. Le due Italie. Identità nazionale, unificazione, guerra civile, Mailand 2011; Giovanni Fasanella / Antonella Grippo, 1861. La Storia del Risorgimento che non c’è sui libri di Storia. L’Italia di ieri che racconta l’Italia di oggi, Mailand 2010; Giordano Bruno Guerri: Il sangue del Sud. Antistoria del Risorgimento e del brigantaggio, Mailand 2010. 69 Alfred von ­Reumont: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877, Einleitung, S. V. 67

G. Quellen I. Ungedruckte Quellen Aachen StA Stadtbibliothek Nachlass ­Reumont (Nachlass 1) Berlin GStPK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz – I.HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 10594 – I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Gesandtschaft Vatikan, Nr. 99, 101, 103, 117 – I.HA Rep. 81 Gesandtschaften (Residenturen) u. (General-) Konsultate nach 1807, Briefe des Legationsrathes v. ­Reumont an S. M. den König Briefe des Legationsrathes v. ­Reumont an S. M. den König – III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 4980 – III.HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5672, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz – III. HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I, Nr. 5673, Politischer Schriftwechsel mit der königlichen Gesandtschaft in Florenz Bonn ULB

Handschriftenabteilung der Universitäts- und Landesbibliothek S 1056–S 1068 und S 2746 (NL ­Reumont)

Florenz ASF

Archivio di Stato Carte Bonaini Carte Tabarrini Fondo Bianchi Ricasoli

BNCF

Biblioteca Nazionale Centrale Carteggi Vari Albana Carraresi Capponi Fanfani Vieusseux Fondo Tommaséo Fondo Vieusseux

552 BRF

G. Quellen Biblioteca Riccardiana Carteggio Galeotti

DSPT

Deputazione di Storia Patria per la Toscana Lettere Varie Alfredo di ­Reumont

GSLV

Gabinetto Scientifico Letterario G. P. Vieusseux Copialettere

Rom BV Biblioteca Vallicelliana DAI

Deutsches Archäologisches Institut Braun Gerhard Reumont

SRSP Società Romana di Storia Patria Epistolario Tommasini Turin Acc. Sc. Accademia delle Scienze Carte Federigo Sclopis AST

Archivio di Stato Archivi privati, Balbo, Famiglia Balbo Archivio Manno Carteggio Cesare Alfieri

BRT

Biblioteca Reale Archivio Promis

II. Zeitgenössische Zeitschriften Annali Universali di Statistica Antologia Archivio Storico Italiano Archivo della R. Società romana di storia patria Augsburger Allgemeine Zeitung Blätter für literarische Unterhaltung

II. Zeitgenössische Zeitschriften  Das Vaterland Deutsche Literaturzeitung Deutsche Reichszeitung Die katholische Bewegung in unseren Tagen Gazzetta Italiana Giornale Arcadico Göttingische Gelehrte Anzeigen Historische Zeitschrift (HZ) Historisches Jahrbuch Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland Il Borghini Jahrbücher für Kunstwissenschaft Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik Journal des Débats Kölnische Volkszeitung Kunstblatt La Civiltà Cattolica La Voce della Ragione Le Correspondent Literarische Rundschau für das katholische Deutschland Literarischer Handweiser Literarisches Centralblatt für Deutschland Magazin für die Literatur des Auslandes Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und Alterthumskunde Morgenblatt für gebildete Stände Neue Allgemeine Zeitung Neue Freie Presse Neue Preußische Zeitung Nuova Antologia Repertorium für Kunstwissenschaft Revue critique d’histoire et de literature Revue historique The Accademy The Home and the foreign Review Theologisches Literaturblatt Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins (ZAGV)

553

554

G. Quellen

III. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur Albèri, Eugenio: Vita di Caterina de’ Medici, Florenz 1838. Aus’m Weerth, Ernst: Der Mosaikboden in St. Gereon zu Cöln nebst den damit verwandten Mosaikböden Italiens, Bonn 1873. Balbo, Cesare: Pensieri sulla storia d’Italia, Florenz 1858. – Sommario della Storia d’Italia, Turin 1850 (9. Aufl). – Delle Speranze d’Italia (2. erweiterte Auflage), Capolago 1844. Baldachini, Michele: Storia Napoletana dell’anno 1647, Lugano 1834. Bartoccini, Fiorella (Hrsg.): Lettere di Michelangelo Caetani duca di Sermoneta. Cultura  e ­politica nella Roma di Pio IX, Rom 1974. Bazzoni, Augusto: Storia diplomatica d’Italia dall’anno 1848 al 1868, 2 Bde., Florenz 1868. Benrath, Karl: Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen von Alfred v. ­Reumont, Leipzig 1878, HZ 45 (1881), S. 349–351. – Zur Geschichte des Protestantismus in Italien, Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung 185, 4. Juli 1878. Bernhardi, Wilhem: Der Dino-Streit, HZ 37 (1877), S. 77–96. von Bethmann-Hollweg, Moritz August: Ursprung der lombardischen Städtefreiheit. Eine geschichtliche Untersuchung, Bonn 1846. Bianchi, Nicomede: Storia documentata della diplomazia europea in Italia dall’anno 1814 all’anno 1861, Bd. 2, Turin 1865. Bradford, Will: Correspondence of the Emperor Charles V., London 1850. Braun, Georg Christian: Raphael Sanzio’s von Urbino Leben und Werke, Wiesbaden 1815 (2. Aufl. 1819). Brosch, Moritz: A. v. ­Reumont. Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates. Bd. I. Die Medici im Jahre 1530–1737, Gotha 1876, HZ 36 (1876), S. 240–248. Burckhardt, Jacob: Weltgeschichtliche Betrachtungen. Gesammelte Werke, Bd. 7, Berlin / Leipzig 1929. Burkhardt, Jacob: Briefe, hrsg. v. Max Burckhardt, 10 Bde., 1949–1994. Canestrini, Giuseppe: Memoria inedita del Visconte di Cormenin intorno la rappresentanza municipale, provinciale e nazionale, la formazione d’un Consiglio di stato, e l’insegnamento del diritto amministrativo in Toscana, Florenz 1848. Cantù, Cesare: Gli eretici d’Italia. Discorsi storici, Bd. 1, Turin 1865. Capecelatro, Francesco: Degli Annali della città di Napoli, Neapel 1849. Cappi, Davide (Hrsg.): Dino Compagni. Cronica, Rom 2013. Capponi, Gino: Storia della repubblica di Firenze, Florenz 1875.

III. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur 

555

– Des Instituts de Hofwyl considérés plus particulièrement sous les rapports qui doivent occuper la pensée des hommes d’Etat, par le C.te L. D. V. [Le Comte Louis de Villevieille], Génève et Paris. Paschoud, 1821. Articolo primo, Antologia 5 (1821), Januar 1822, S. 17–44. Carlo Alberto di Savoia Carignano: Réflexions historiques, Turin 1838. Carraresi, Alessandro (Hrsg.): Lettere di Gino Capponi e di altri a lui II, Florenz 1886. Carutti, Domenico: Storia del Regno di Vittorio Amedeo II, Turin 1856. Cattaneo, Carlo: L’insurrezione di Milano (Dell’insurrezione di Milano nel 1848  e della ­successiva guerra. Memorie), neu hrsg. v. Marco Meriggi (I Classici Universale Economica di Feltrinelli), Mailand 2011. Ciampini, Raffaele: I Toscani del ’59. Carteggi inediti di Cosimo Ridolfi – Ubaldino Peruzzi, Leopoldo Galeotti – Vincezo Salvagnoli, Giuseppe Massari – Camillo Cavour (Storia e Letteratura, Raccolta di Studi e Testi 76), Rom 1959. Sull’educazione del popolo scozzese. Discorso del dott. Gaetano Cioni, Antologia 8, Dezember 1822, S. 417–424. Cironi, Piero: Toscana. Il governo e il paese, Capolago [Florenz] 1847. Cittadella, Giovanni: Studj intorno all’opera che si stampa in Torino col titolo Historiae patriae Monumenta, Archivio Storico Italiano 10 (N. S.) (1857), S. 146–169. Conestabile, Gian Carlo Conestabile: Alessandro François e dei suoi scavi nelle regioni dell’antica Etruria, Archivio Storico Italiano 13 (N. S.) (1858), S. 53–90. Creighton, M.: Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates, The Accademy 14. Oktober 1876, S. 377–378. von Czörnig, Karl: Italienische Skizzen, 2 Bde., Mailand 1838. Davidsohn, Robert: Necrologia di Carlo Hegel e di Paolo Scheffer-Boichorst, Archivio Storico Italiano 39 (1902), S. 161–176. d’Azeglio, Massimo: Degli ultimi casi di Romagna, 1846. Della Storia della Città di Roma di A. ­Reumont. Osservazioni di Felice de Angeli, Annali Universali di Statistica 33,98 (Februar 1868), S. 148–166. De Feo, Francesco (Hrsg.): Carteggi di Cesare Guasti, Bd. 5, Carteggio con Isidoro del Lungo. Lettere scelte, Florenz 1977. Del Lungo, Isidoro: La critica italiana dinanzi agli stranieri e all’Italia nella questione su Dino Compagni. Cenni, Florenz 1877. de Potter, Louis: Vie de Scipion de Ricci, évêque de Pistoie et de Prato et réformateur du catho­ licisme en Toscane sous le règne de Léopold, vol. 3, Brüssel 1825. de Stendhal, M.: Rome, Naples et Florence, Bd. 2, Paris 1826 (3. Aufl.). Diwald, Hellmut (Hrsg.): Von der Revolution zum Norddeutschen Bund. Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig Gerlach, Zweiter Teil: Briefe, Denkschriften, Aufzeichnungen, Göttingen 1970. von Döllinger, Ignaz: Gedächtnisrede auf Gino Capponi, in: Ders.: Akademische Vorträge, Bd. 2, Nördlingen 1889, S. 241–253.

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G. Quellen

– Das Concil und die Civiltà, Leipzig 1869. Falco, Giorgio: Albori d’Europa. Pagine di storia medievale, Rom 1947, S. 357–364. Förster, Ernst: Johann Georg Müller. Ein Dichter- und Künstlerleben, St. Gallen 1851. – Handbuch für Reisende in Italien, München 1840. Friese, Christiani: Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871, Erste Abteilung: Vom Beginn der Neuen Ära bis zur Berufung Bismarcks, bearb. von Christian Friese (= Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871, Diplomatische Aktenstücke hrsg. von der Historischen Reichskommission unter Leitung von Erich Brandenburg, Otto Hoetzsch und Hermann Oncken, Bd. 1), Oldenburg 1933. Friese, Christiani: Die auswärtige Politik Preußens: Januar bis Dezember 1860, bearb. von Christian Friese (= Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871, Diplomatische Aktenstücke hrsg. von der Histo­rischen Reichskommission unter Leitung von Erich Brandenburg, Otto Hoetzsch und Hermann Oncken, Bd. 2,1), Oldenburg 1938. Galeotti, Leopoldo: L’Assemblea Toscana, Florenz 1859. – La Monarchia di Casa Savoja, Archivio Storico Italiano 6,1 N. S. (1857), S. 44–102. – Della riforma municipale. Pensieri e proposte, Florenz 1847. – Delle leggi e dell’amministrazione della Toscana, Florenz 1847. – Della Sovranità e del Governo temporale dei Papi, Paris 1846. Gaye, Johannes: Carteggio inedito d’artisti dei secoli XIV, XV, XVI, Florenz 1839. Gennarelli, Achille: Epistolario politico toscano ed atti diversi da servire di illustrazione e di complemento alla storia della restaurazione granducale e al volume delle sventure italiane durante il pontificato di Pio Nono, Florenz 1863. von Gerlachs, Leopold: Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs. Nach seinen Aufzeichnungen hrsg. v. seiner Tochter Bd. 1, Berlin 1891. Gioberti, Vincenzo: Del primato morale e civile degli italiani, 2 Bde., Brüssel 1843. Giorgetti, Alceste: Vittoria Colonna. Leben, Dichten, Glauben im XVI Jahrhundert di Alfredo ­Reumont, Archivio Storico Italiano 128 (N. S.) (1882), S. 218–225. – Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild 1792–1876 von Alfred R ­ eumont, Gotha 1880, Archivio Storico Italiano (N. S.) 118 (1880), S. 91–96. von Görres, Joseph: Kirche und Staat nach Ablauf der Cölner Irrung, Weissenburg 1842. Marchese Angelo Granito principe di Belmonte: Diario di Francesco Capecelatro contenente la storia delle cose avvenute nel reame di Napoli negli anni 1647–1650, 4 Bde., Neapel ­1850–1854. Gregorovius, Ferdinand: Römische Tagebücher 1852–1889, hrsg. von Hanno Walter Kruft und Markus Völkel, München 1991. – Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter Stuttgart / Berlin 1926 (7. Aufl.), Bd. 4. Grimm, Herman: Leben Raphaels, Berlin 1872.

III. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur 

557

– Leben Michelangelos, Hannover 1860–63. Grion, Giusto: La cronaca di Dino Compagni opera di Antonfrancesco Doni, Verona 1871. Guardabassi, Mariano: Indice-Guida die monumenti pagani e cristiani riguardanti l’istoria e l’arte contenuti nella provincia dell’Umbria, Perugia 1872. Guasti, Cesare: Gli avanzi dell’Archivio di un pratese Vescovo di Volterra che fu al Concilio di Costanza, Archivio Storico Italiano 139 (1884), S. 20–41. – Esame di un articolo del dott. O. Hartwig „La question de Dino Compagni“, Archivio ­Storico Italiano 125 (1881), S. 239–253. Hartwig, Otto: La question de Dino Compagni, Revue historique 17 (1881), S. 64–89. Hase, Karl: Caterina von Siena. Ein Heiligenbild, Leipzig 1864. von Hegel, Karl: Die Chronik des Dino Compagni. Versuch einer Rettung, Leipzig 1875. Heine, Gottfild: Briefe an Kaiser Karl V., Berlin 1848. von Helfert, Joseph Alexander: Zeugenverhör über Maria Karolina von Österreich, Königin von Neapel und Sicilien, aus der Zeit vor der grossen französischen Revolution (1768–1790), Wien 1879. Hettinger, Franz: Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Literarische Rundschau 10 (1877), Sp. 297–302. von Höfler, Constantin: Kritische Untersuchung über die Quellen der Geschichte Philipps des Schönen, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften Wien, philosophisch-histo­ rische Klasse 104 (1883). – Die romanische Welt und ihr Verhältnis zu den Reformideen des Mittelalters, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften Wien, phil-hist. Kl., 91, 1878. – Ruprecht von der Pfalz, genannt Clem, römischer König 1400–1410, Freiburg im Breisgau 1861. Hüffer, Hermann: Alfred von ­Reumont (Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 77), Köln 1904. Huillard-Bréholles, Jean Louis Alphonse: Historia diplomatica Friderici secundi, Paris 1855. Janssen, Johannes: Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates von ­Alfred von R ­ eumont, 2 Bde., Gotha 1876, Literarische Rundschau 2 (1878), S. 51–57. Kervyn de Lettenhove, Joseph: Lettres et négociations de Philippe de Commines, 3 Bde., Brüssel 1867–1874. Kölle, Christoph Friedrich Karl: Rom im Jahr 1833, Stuttgart / Tübingen 1834. Kraus, Franz Xaver Kraus: Die Erhebung Italiens im neunzehnten Jahrhundert: Cavour [Franz Kampers, Sebastian Merkle u. Martin Spahn (Hrsg.): Weltgeschichte in Karakterbildern, 5. Abteilung: Die neueste Zeit], Mainz 1902. – Geschichte der Stadt Rom, Theologisches Literaturblatt 6 (1871), Sp. 61–66. Kugler, Franz: Handbuch der Kunstgeschichte, Stuttgart 1842.

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G. Quellen

Leo, Heinrich: Geschichte der italienischen Staaten, Bd. 2 (Geschichte der europäischen ­Staaten), Hamburg 1829. Lumbroso, Giacomo (Hrsg.): Memorie e Lettere di Carlo Promis. Architetto, Storico ed Archeologo Torinese (1808–1873), Roma / Torino / Firenze 1877. Magrini, Antonio: Sopra cinquanta medaglie di Valerio Belli, Atti del R.  Istituto veneto di scienze, lettere e arti (1870). Malfatti, Bartolommeo: Del Duomo di Firenze  e della sua facciata. Memoria dell’architetto ­Giangiorgo Müller di San Gallo, Florenz 1852. Mittermaier, Carl Joseph Anton: Delle condizioni d’Italia, Leipzig 1845. – Italienische Zustände, Heidelberg 1844. Müller, Conrad (Hrsg.): Alexander von Humboldt und das Preußische Königshaus. Briefe aus den Jahren 1835–1857, Leipzig 1928. Niccolini, Giovanni Battista: Arnaldo da Brescia, Tragedia, Marseille 1843. Nicolai, Gustav: Italien wie es wirklich ist. Bericht über eine merkwürdige Reise in den hesperischen Gefilden als Warnungsstimme für Alle, welche sich dahin sehnen, Leipzig 1834. Langé, Agliaia Paoletti Langé (Hrsg.): Carteggio Capponi – Galeotti (1845–1875) (Centro di Studi sulla Civiltà Toscana fra ’800 e ’900), Florenz 2002. Paoli, Cesare: Studi sulle fonti della storia fiorentina. IV. Florentiner Studien von P. SchefferBoichorst, Archivio Storico Italiano 20 (1874), S. 164–185. Papencordt, Felix: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, hrsg. von Constantin von Höfler, Paderborn 1857. Passavant, Johann David: Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi, 3 Bde., und ein ­Atlas, Leipzig 1839–1858. Pastor, Ludwig: Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters (1305–1799), 16 Bde., Freiburg im Breisgau 1886–1933. – Die Stadt Rom zum Ende der Renaissance, Freiburg im Breisgau 1916. Pene Vidari, Gian Savino: La Deputazione di storia patria di Torino, in: Bistarelli (2012), S. ­117–143. von Petersdorff, Hermann (Hrsg.): Briefe von Ferdinand Gregorovius an den Staatssekretär Hermann von Thile, Berlin 1894. Pini, Carlo: La scrittura di artisti italiani Sec. XIV–XVII, 4 Bde., Florenz 1869–71. Poggi, Enrico: Memorie storiche del Governo della Toscana nel 1859–1860, 3 Bde., Pisa 1867. Ranalli, Ferdinando: Del Riordinamento d’Italia, Florenz 1859. von Ranke, Leopold: Das Briefwerk, eingeleitet und herausgegeben von Walther Peter Fuchs, Hamburg 1949. – Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde., Berlin 1839–1847. von Raumer, Friedrich: Italien. Beiträge zur Kenntnis dieses Landes, 2 Bde., Leipzig 1840.

III. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur 

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– Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, 6 Bde., Leipzig 1823–1825. Reichensperger, August: A. v. R ­ eumont’s neueste Schrift, Literarischer Handweiser 210 (1877), Sp. 317–320. von ­Reumont, Alfred: Charakterbilder aus der neueren Geschichte Italiens, Leipzig 1886. – Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885. – Vittoria Colonna: vita, fede e poesia nel secolo decimosesto, übersetzt von Ermanno Ferrero u. Joseph Müller, Turin 1883. – Gino Capponi e il suo secolo. Quadro storico biografico, Milano-Napoli-Pisa 1881. – Vittoria Colonna: Leben, Dichten, Glauben im XVI. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1881. – Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild, Gotha 1880. – Biographische Denkblätter. Nach persönlichen Erinnerungen, Leipzig 1878. – Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener, Freiburg im Breisgau 1877. – Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaates, Gotha 1877. – Lorenzo de’ Medici il Magnifico, 2 Bde., Leipzig 1874 (2. Aufl. 1883). – Pro romano pontefice, Bonn 1871. – Geschichte der Stadt Rom, 3 Bde., Berlin 1867–1870. – La jeunesse de Catherine de Médicis, hrsg. v. Armand Baschet, Paris 1866 – Bibliografia dei lavori pubblicati in Germania sulla storia d’Italia, Berlin 1863. – Zeitgenossen. Biografien und Karakteristiken, 2 Bde., Berlin 1862. – La Gioventù di Caterina de’ Medici, Florenz 1858. – Caterina de’ Medici, Berlin 1854 (2. Aufl. 1856). – Beiträge zur Italienischen Geschichte, 6 Bde., Berlin 1853–1857. – Die Carafa von Maddaloni. Neapel unter spanischer Herrschaft, 2 Bde., Berlin 1851. – Dichtergräber: Ravenna, Arquà, Certaldo, Berlin 1846. – Neue Römische Briefe, Bd. 2, Leipzig 1844. – Italienische Diplomaten und diplomatische Verhältnisse: 1260–1550, Leipzig 1841. – Tavole cronologiche e sincrone della storia fiorentina, Florenz 1841. – Römische Briefe von einem Florentiner, 4 Bde., Leipzig 1840–1844. – (Hrsg.): Italia, 2 Bde., Berlin 1838 u. 1840. – Rheinlandsagen, Geschichten und Legenden, Köln 1837. – Andrea del Sarto, Leipzig 1835. – Reiseschilderungen und Umrisse aus südlichen Gegenden, Stuttgart 1835.

560

G. Quellen

Reuss, Rod.: Geschichte der Stadt Rom von Alfred von R ­ eumont, Revue critique d’histoire et de litérature, Nr. 14, 5. April 1873, S. 217–219. Rosa, Gabriele: Storia della città di Roma nel medio evo di F. Gregorovius, Archivio Storico Italiano 15,1 (1862), S. 86–108. Roscoe, William: The life of Lorenzo de’ Medici: called the Magnificent, Liverpool 1795. Scheffer-Boichorst, Paul: Die Chronik des Dino Compagni eine Fälschung, in: Ders. Floren­tiner Studien, Leipzig 1874, S. 42–218. Schnaase, Carl: Geschichte der bildenden Künste, 7 Bde., Düsseldorf 1843–1864; 2. Aufl.: 7 Bde., Stuttgart 1866–1876; Bd. 8, Stuttgart 1879. von Schorn, Ludwig [später Ernst Förster] (Hrsg.): Giorgio Vasari: Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, 6 Bde., Stuttgart 1832–1849. Sclopis, Federigo: Di Cesare Saluzzo  e die suoi tempi, Archivio Storico Italiano 13 (1858), S. 36–52. de Sismondi, Jean Charles Simonde: Etudes sur l’économie politique, Paris 1837. – Histoire des républiques italiennes du moyen-âge, 16 Bde., Paris 1809–1818. Springer, Anton: Raffael und Michelangelo, Leipzig 1878. Tabarrini, Marco: Il Barone Alfred di ­Reumont, La Rassegna Nazionale 13 (1883), S. 160–174. – Gino Capponi: I suoi tempi, i suoi studi, i suoi amici, Florenz 1879. – (Hrsg.): Gino Capponi. Scritti editi ed inediti, 2 Bde., Florenz 1877. Tommaséo, Niccolò: Rome et le monde, Capolago und Turin 1851. K. X. Y. [Niccolò Tommaséo]: Storia d’Italia, del conte Cesare Balbo, Antologia 47, September 1832, S. 83–103. Trollope, Thomas Adolphus: The Girlhood of Catherine de’ Medici, London 1856. Troya, Carlo: Del Veltro allegorico di Dante e altri saggi storici, hrsg. von Costantino Panigada (Scrittori d’Italia 142), Bari 1932. – Discorso del Conte Terrenzio Mamiani, Archivio Storico Italiano 12 (N. S.) (1860), S. 75–84. Ugolini, Filippo: Memorie della Vita e dei tempi di Monsignor Gio. Secondo Ferrero-Ponziglione, Referendario apostolico del Principe Cardinale Maurizio di Savoja, raccolte per Gio. Batt. Adriani, Archivio Storico Italiano, N. S. 5,2 (1858), S. 71–91. [Valeri, Giovanni]: Genesi del diritto penale, di G. D. Romagnosi; terza edizione aumentata di due altre parti. Milano 1823–1824, Antologia 15 (September 1824), S. 93–12. Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense [Veröffentlichungen der Deutschen Bibliographischen Gesellschaft, 14 Bde. (1904)] (Neuauflage von 1972). Venturi, Luigi: Le similitudini Dantesche, ordinate, illustrate e confrontate, Florenz 1874. Volpicella, Scipione: Principali edificii della città di Napoli, Neapel 1847.

III. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur 

561

von Willisen, Karl Wilhem: Der italienische Feldzug des Jahres 1848, Berlin 1849. Witte, Karl: Der Heilige Rock, Ronge und Czerski, Breslau 1845. Witte, Leopold: Italien (=Bausteine zur Geschichte des Gustav-Adolf Vereins II, hrsg. von B. Pressel), Freienwalde 1878. Wühr, Wilhelm (Hrsg.): Ludwig Freiherr von Pastor 1854–1928, Tagebücher – Briefe – Erinnerungen, Heidelberg 1950.

H. Literatur Albertoni, Ettore A.: Federalismo tra società e potere. Per una lettura delle idee federalisti-­sociali di Cesare Cantù, in: Gambino (1999), S. 9–39. Albrecht, Dieter / Weber, Bernhard (Hrsg.): Die Mitarbeiter der Historisch-Politischen Blätter für das Katholische Deutschland 1838–1923. Ein Verzeichnis (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 52), Mainz 1990. Altgeld, Wolfgang: Vorlesung: die nationale Einigung Italiens und Deutschlands 1848–1871, Bonn 2014. – (Hrsg.): „Italien am Main“: Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg, Rahden 2007. – Einige Beobachtungen zum deutschen politischen Italieninteresse vor 1848, in: Ara / Lill (1991), S. 115–127. – Das politische Italienbild der Deutschen zwischen Aufklärung und europäischer Revolution von 1848 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 59), Tübingen 1984. André, Tony: L’Église évangélique réformée de Florence depuis son origine jusqu’à nos jours, Florenz 1899. Ara, Angelo / Lill, Rudolf (Hrsg.): Deutsche Italienbilder und italienische Deutschlandbilder (Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, Beiträge 4), Bologna /  Berlin 1991. von Aretin, Karl Ottmar (Hrsg.): Der Aufgeklärte Absolutismus (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 67), Köln 1967. Arndt, Agnes / Häberlen, Joachim C. / Reinecke, Christiane (Hrsg.): Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen 2011. Arsenal, Mario Sánchez: Ecos de una Reforma desde dentro. Juan de Valdés, Vittoria Colonna y Miguel Ángel, Anales de Historia del Arte 22 (2012), S. 75–102. Assereto, Giovanni: Galeotti, Leopoldo, DBI 51 (1998), S. 431–435. Auf der Heyde, Alexander: Una storia dell’arte italiana a più mani? Dibattiti e forme di dissertazione storico-artistica sul „Kunstblatt“ (Rumohr, Förster, Gaye e qualche anticipazione su Selvatico), Annali di critica d’arte 2 (2006), 425–451. Bagnoli, Paolo: Montanelli, Giuseppe, DBI 75 (2011) [URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/ giuseppe-montanelli_(Dizionario-Biografico)/], letzter Zugriff: 23. 05. 2016. – La politica della libertà: Giuseppe Montanelli, uomini ed idee della democrazia risorgimentale, Florenz 2002. – La politica delle idee: Giovan Pietro Vieusseux e Giuseppe Montanelli nella Toscana preunitaria, Florenz 1995.

H. Literatur

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Baldacci, Valentino (Hrsg.): Le riforme di Pietro Leopoldo e la nascita della Toscana moderna, Florenz 2000. Balestreri, Paola: Mittermaier e l’Italia. Orientamenti politici e dottrine processualistiche in un carteggio di metà Ottocento, Ius comune 10 (1983), S. 97–141. Ballini, Pier Luigi: L’Assemblea toscana del 1859–60, in: Manica (2012), S. 97–139. – Ricasoli e gli „antiunitari“, in: Rogari (2011), S. 27–54. – (Hrsg.): La rivoluzione liberale e le nazioni divise, Venedig 2000. Bamberg, Felix: Pourtalès, Graf Albert von, ADB 26 (1888), S. 492–494. Bansbach, Margit: Nationale und aristokratische Symbolik und Denkmalpolitik im 19. Jahrhundert: Ein deutsch-italienischer Vergleich, Frankfurt am Main 2014. Barsanti, Danilo: I principi passano, i popoli restano. La politica del governo provvisorio, Rassegna storica toscana 57,2 (2011), S. 135–172. Bautz, Friedrich Wilhelm: Alexander VI., Papst, BBKL 1 (1990), Sp. 104–105. – Gregor II., Papst, BBKL 2 (1990), Sp. 304–306. – Hettinger, Franz, BBKL 2 (1990), Sp. 794. Becker, Hans-Jürgen: August Reichensperger (1808–1895), Rheinische Lebensbilder 10 (1985), S. 141–157. Benelli, Giorgio / Brancati, Antonio: Divina Italia. Terenzio Mamiani della Rovere cattolico ­liberale e il risorgimento federalista, Ancona 2004. Benvenuto, Paolo: L’Italia di Giuseppe Montanelli: cattolicesimo, democrazia e repubblica, Rassegna storica toscana 57,2 (2011), S. 173–200. Bergonzi, Gianpietro: Tra „stato  e municipi“  e „stato moderno“. Il contraddittorio percorso dell’amministrazione municipale nel Granducato di Toscana tra il 1825 ed il 1853, Rassegna storica toscana 49,2 (2003), S. 245–299. Bertini, Fabio: Montanelli dal volontariato al triunvirato, in: Rogari (2013), S. 135–152. – Risorgimento e Paese Reale. Riforme e rivoluzione a Livorno e in Toscana (1830–1849), Florenz 2003. Biagini, Eugenio F.: Risorgimento e protestanti, in: Maghenzani / Platone (2011), S. 77–96. Bistarelli, Agostino (Hrsg.): La storia della storia patria. Società, Deputazioni e Istituti storici nazionali nella costruzione dell’Italia, (I libri di viella 148), Rom 2012. Bizzocchi, Roberto: La Biblioteca Italiana e la cultura della restaurazione (1816–1825), Mailand 1979. Blumberg, Arnold: A carefully planned accident. The Italian War of 1859, London / Toronto 1990. Blumenauer, Elke: Journalismus zwischen Pressefreiheit und Zensur. Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ im Karlsbader System (1818–1848) (Medien in Geschichte und Gegenwart 14), Köln / Weimar / Wien 2000.

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Personenregister Abeken, Heinrich  249, 350 Ademòllo, Luigi  508 Albèri, Eugenio  19, 213–214, 292, 400, 402, 504, 542 Albizzi (Familie)  392 Aldobrandeschi (Familie)  338 Aldobrandi (Familie)  421 Alertz, Clemens August  326 Alexander der Große  509 Alexander III., Papst  425 Alexander VI., Papst  314–315, 323–324 Alexandrine, Großherzogin von MecklenburgSchwerin 509 Alfieri di Sostegno, Cesare  209, 504, 505 Altgeld, Wolfgang  21 Amari, Michele  357 Ampère, Jean-Jacques  400, 410–411, 415 Ancillon, Jean Pierre Frédéric  53–54, 58, 65 Angeli, Felice de 421 Aniello, Tomaso (genannt Masaniello)  129, 131–136 Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 13 Antonelli, Giacomo  128, 142, 143, 194, 298, 411, 496 Antonin, Erzbischof von Florenz  458 Arcos, Rodrigo Ponce de León, duca d’ 132 Arnaldo da Brescia  256, 274, 328, 397, 419– 421, 472, 491, 527, 547 Arnim-Boitzenburg, Adolf Heinrich von  59, 200 Arnoldi, Wilhelm, Bischof von Trier  455 Augusta Marie Luise Katharina von SachsenWeimar-Eisenach, Kaiserin  76 Auguste Ferdinande von Österreich, Prinzessin von Toskana  261 Augustus, Römischer Kaiser  358 Aus’m Weerth, Ernst  517, 525 Azeglio, Massimo d’  116–118, 120, 151, 209, 257, 450

Babeuf, Gracchus  422–423 Badia, Iodovo Del  478 Balbo, Cesare, conte  88, 104, 115, 118, 142, 145, 156, 159, 180, 203, 207–211, 212, 218, 235, 257, 266, 270, 273, 278–280, 328–329, 331, 334, 341–342, 367, 385, 413, 450, 467–469, 546 Balbo, Prospero, conte  208–209, 468 Baldacchini Gargano, Michele  129, 132, 134–135 Baldasseroni, Giovanni  111, 164 Baldelli (Familie) 256 Balduin von Luxemburg, Erzbischof von Trier  514 Barberini (Familie)  421 Baronius (Cesare Baronio)  315 Bartolini, Luigi  509 Baschet, Armand  401–402, 520 Bastiani 496 Bauerband, Johann Joseph  311 Baumgarten, Hermann  17 Bazzoni, Augusto  530 Becker  528 Belcari, Feo  458 Belli, Valerio  509 Bembo, Giovanni  528 Benedikt XII., Papst  524 Benrath, Karl  379–381, 434, 460, 463 Berengar I. von Friaul, Kaiser  522 Bernhardi, Wilhelm  479 Bernstorff, Albert, Graf von 205 Bethmann-Hollweg, Moritz August von  355, 529 Betti, Salvatore  337, 359, 382, 383–384, 386, 387 Beyle, Marie-Henri (Stendhal)  443 Biadi, Luigi  51, 231, 248, 266 Bilio, Luigi Maria  214, 297–298, 308, 311, 336 Binder, Franz  327 Bismarck, Otto von  15–17, 32, 61, 200, 202, 204–205, 212, 293, 316, 448, 536

588

Personenregister

Blanc, Ludwig Gottfried  495 Bluhme, Friedrich  523 Boccaccio, Giovanni  76, 487 Bock, Cornelius Peter  500 Böhmer, Johann Friedrich  21, 217–218, 349, 469, 497, 524, 535, 548 Böllinger  520 Bombelles, Heinrich Franz, Graf von 287–288 Bonaini, Francesco  218, 344, 367, 469, 478, 495, 497, 514, 516–517, 519–520, 523–525, 530 Bonamici  341 Bonaparte, Charles Lucien Jules Laurent  83 Boncompagni, Carlo, conte  155, 163–164 Bongi, Salvatore  516 Bonifaz VIII., Papst  416 Borghese (Familie)  421 Borghese, Pauline  44 Borghini, Vincenzio  487 Borgia (Familie)  323, 459 Borgia, Cesare  259 Borgia, Lucrezia  313, 323, 327, 406 Brackel, Engelbert-Otto von  188 Bradford, Will  400 Braun, Emil  98, 127, 249, 502–503 Braun, Georg Christian  252 Brechenmacher, Thomas  18, 544 Brizi, Oreste  493 Brocchi  71 Brockhaus, Heinrich  140–141, 352–353, 427, 445 Brosch, Moritz  327, 434, 440 Brown, Rawdon  72–73, 338, 339, 519–520, 525 Browne 126 Browning, Oscar  468 Bruch, Ludwig August von  48 Brühl, Friedrich Wilhelm, Graf von  63, 66– 67, 68, 489, 501 Bucca, Giacomo  498 Buch, Ludwig August von  66 Bülow, Heinrich, Freiherr von  72 Bullinger, Heinrich  459 Bunsen, Christian Carl Josias von  48, 64–66, 76, 200, 500, 502 Buonaccorso da Montemagno der Jüngere  405 Burckhardt, Jacob 41, 253–254, 259, 260, 314, 342, 360, 546

Busson, Arnold  313 Caetani, Michelangelo, principe di Teano, duca di Sermoneta 215 Calvin, Johannes  458 Cambray Digny, Luigi Guglielmo de  111 Campanella. Tommaso  129 Camphausen, Ludolf  146 Canestrini, Giuseppe  277, 354, 405 Canina, Luigi  256, 490, Canitz und Dallwitz, Karl Ernst Wilhelm, Freiherr von  92, 200, 211, 529 Cantù, Cesare 19, 32, 336, 339, 456, 493, 497, 512, 515, 542, 547 Canuti, Filippo  101 Capecelatro, Francesco  129, 132–134, 376 Capei, Pietro  51, 57, 70–71, 95, 151, 168, 175, 188, 355, 367, 415, 493, 498, 515–516 Capitani (Familie)  338 Capponi (Familie)  392 Capponi, Gino, marchese  29, 34–36, 49–52, 54–57, 68, 70–71, 73, 81, 84–86, 93–97, 103, 107, 110, 118, 120, 142, 144–145, 150–151, 155, 161, 165, 167–168, 170–171, 175, 177, 188, 203, 206, 215, 219, 222, 224, 226, 234, 240, 244, 271–272, 285, 309, 312, 313, 315–316, 333, 336, 341, 346–347, 350, 354–355, 360, 368, 372– 373, 376, 378–379, 382, 389, 392–393, 394, 400, 403, 406, 408, 409, 415, 418, 420–421, 432–433, 436, 438, 441–454, 460, 466, 471, 474, 479, 480–481, 483– 485, 486, 487, 489, 494–495, 498–499, 511–512, 514, 517, 520, 527, 529, 531, 533–534, 536, 537, 543–545, 547 Carafa di Maddaloni  129–130, 134, 136, 138, 142, 399, 503 Carafa, Diomede  130 Carigliano  125 Carraresi, Alessandro  36, 55, 401, 408, 430, 441, 446, 486, 536 Carutti, Domenico  388 Castiglione, Baldassare  524 Cataluccio, Francesco 27, 34 Caterina von Siena  457, 458, 461 Cattaneo, Carlo  20, 88, 270, 273 Cavour, Camillo Benso, conte di  24, 32, 84, 102, 115, 118, 150–155, 158–159, 161–164,

Personenregister 166–170, 172, 178, 181–182, 187, 190, 194, 199–202, 204, 209, 235, 295, 300, 309, 331, 334, 365, 369, 435–436, 439, 450–452, 466–467, 472, 499, 518, 530, 536, 544 Cecco  209 Celle, Giovanni dalle  458 Cempini, Francesco  78 Centofanti, Silvestro  95, 240, 330 Cernuschi, Enrico  112 Champagny, Françoise de Nompère de  401 Chateaubriand, François-René, vicomte de  45 Chiari, Alessandro  523 Chiavistelli, Antonio  85, 184 Chigi (Familie)  421 Chrémieux, Charles  121 Cialdini, Enrico, duca di Gaeta 295 Ciampi, Sebastian  70 Ciaparelli, Costanza  458 Cibrario, Luigi  257, 520 Cicogna, Emmanuele Antonio  72, 338, 519 Cioni, Gaetano  224 Cittadella, Giovanni  370 Clemens, Gabriele B.  22,  27 Clemens VII., Papst  434, 464 Colletta, Pietro  51, 452 Còlli di Felizzano, Vittorio  209 Colomb de Batimes, Paul  127, 382, 495 Colonna (Familie)  344 Colonna, Giovanna d’Aragona  458 Colonna, Vittoria  41, 122, 454, 457, 458, 463–465, 473, 492, 541, 547–548 Commines, Philippe de  405 Compagni, Dino  41, 476–488, 547 Conestabile della Staffa, Francesco, conte  188 Conestabile della Staffa, Gian Carlo, conte  188–191, 259, 265, 336, 345, 371, 492, 515, 525, 527, 531 Conewall-Lewis, Sir George  186 Constant, Benjamin  45 Contarini, Gasparo  381 Conti (Familie)  523 Conticini, Pietro  218 Conze, Alexander  507 Coppi, Antonio  350–351, 388 Corcelles, Claude-François-Philibert Tircuy de  104, 114–115, 117 Cormenin, Louis-Marie de la Haye, visconte di 277

589

Cornelius, Carl Adolf Wenzeslaus  312 Corsini (Familie)  256, 411 Corsini, Neri, marchese di Lajatico  95, 111, 161, 165, 171, 528 Cotta, Georg von  258 Cotta, Johann Friedrich von  246, 251, 337, 417, 534 Crauford, John  48 Crauford, William  48 Creighton, M.  406, 433 Czörnig, Karl von  69, 220 Dabormida, Giuseppe  187 D’Aloë, Stanislao  503, 509, 529 Damiani, Petrus  385, 457, 458, 460–461 Dante Alighièri  47, 76, 352, 358, 420, 477, 479, 487, 492–493, 495, 515–516, 530 De Launay, Edoardo Luigi Mario  187, 334, 546 Del Furia, Francesco  504 Del Lungo, Isidoro  408–409, 477–479, 481– 488 Denina, Carlo  271 Dennistown 523 Depretis, Agostino  451 Descartes, René  381 Dieringer, Franz Xaver  311, 318 Dilk, Enrica Yvonne  23 Döllinger, Johann Joseph Ignaz, Ritter von  298–299, 302–303, 311–312, 313, 316, 445–446, 456, 499, 535, 540 Donizelli, Giuseppe  132 Douglas, James  126 Droste zu Vischering, Clemens August II., Erzbischof von Köln  60, 63–65, 67 Droysen, Johann Gustav  17, 388, 404 Dümmler, Ernst Ludwig  482 Düntzer, Heinrich  324–325, 327 Duesberg, Franz von  59 Dumas, Alexandre  326 Duncker  71, 353 Eberhard von Friaul  522 Eggers, Friedrich  258–259 Elisabeth Ludovika, Prinzessin von Bayern, Königin von Preußen  204, 468, 506 Elze, Reinhard  22 Ense, Varnahgen von  58, 542

590

Personenregister

Erdmannsdörfer, Bernhard  388 Esterházy de Galantha, Moritz  106 Eugen III., Papst  274 Eusebio  262 Fabis  528 Fabretti, Giuseppe Goffredo Ariodante  338 Fabris, Emilio de  262 Falco, Giorgio  431 Fanfani, Pietro 477–478, 481–485, 486, 487– 488 Fanti, Manfredo  295 Farini, Luigi Carlo  192 Fede, Antonio Maria  13 Ferdinand I., Kaiser von Österreich  90 Ferdinand II. Karl, König beider Sizilien  142, 282, 438, 468 Ferdinand III., Großherzog von Toskana  225– 226, 275–276, 288, 443 Ferdinand IV., Großherzog von Toskana  173, 177–178, 193, 213–214, 436, 437, 441, 473 Ferdinand IV., Herzog von Modena  235 Ferrante I. Gonzaga  376 Ferretti, Pietro  81 Ferrière-le-Vayer, Théophile de  176, 178 Ficker, Julius von  478–479, 482, 488, 524 Ficquelmont, Karl Ludwig, Reichsgraf von  80 Filangieri, Carlo, principe di Satriano 468 Fiorillo, Johann Dominicus  249 Florian, Jean-Pierre Claris de  45 Floß, Johann Heinrich  311 Förster, Ernst 69–70, 247, 249–253, 255, 259–261, 266, 268, 336, 391, 493 Fornari, D. Vito  376 Forni, Alberto  27 Forti, Francesco  396 Fortunati, L.  509 Fortunato, Giustino  536 Fossombroni, Vittorio, conte  261, 270, 275– 276, 451, 493, 528 Francesco II., König beider Sizilien  429, 509 François, Alessandro  371, 494, 504, 509 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich  14, 171, 493 Franz (II.) Stephan von Lothringen, Großherzog der Toskana  13 Fraticelli, Pietro  515 Frey, Karl  382

Friedländer, Eduard Julius Theodor  54, 509 Friedrich I., Barbarossa, Kaiser des Römischen Reiches  107–108, 274, 358, 396, 425, 428 Friedrich II., Kaiser des Römischen Reiches  57, 107, 356 Friedrich Ludwig III., Graf Truchseß zu Wald­ burg-Capustigal  60, 501 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen  45, 59–60, 65, 76, 220, 489, 501, 505 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen  11, 26, 29, 34, 54, 58–63, 66–67, 69, 72–74, 76–78, 80, 82–84, 94, 96–99, 102, 121– 122, 143–153, 174, 181–183, 186, 195– 198, 201, 204–206, 210–211, 214, 219, 256, 260, 269, 291, 293, 296, 301, 309, 311, 315, 316, 320, 325, 340, 407, 426, 459, 466, 469, 474, 489–490, 492–493, 496–499, 505–506, 509, 513, 522–523, 527–528, 533, 541, 545 Fulin, Rinaldo  345–346 Funaro, Liana Elda  34 Gachard, Louis Prosper  54, 433, 469, 515, 519–520, 525–526 Galen, Ferdinand Carl Hubert von  60, 66 Galeotti, Leopoldo  31, 34, 49–51, 85, 118– 119, 139, 151, 163–164, 169, 171, 179, 277–278, 328, 336, 364, 369, 408, 435– 437, 439, 441–442, 450, 460, 463, 466, 486, 498–499, 543 Galerani, Venturi  508 Galilei, Galileo  507 Galletti, Giuseppe  101 Gambacorti, Chiara  458 Ganda, Arnaldo  24 Gans, Eduard  54 Gar, Tommaso  21, 24, 41, 83, 349, 354, 400, 511 Garibaldi, Giuseppe  99, 102, 112, 167, 199, 202–203, 212, 296–297, 326, 390, 493 Gasperini, Eduard  46 Gaye, Johannes  247–249, 251, 254, 259, 263, 266, 268, 336, 391–392, 398–399, 405, 468 Geissel, Johannes von, Kardinal, Erzbischof von Köln  143 Gelli, Agenore  373–374, 376–377, 381–382, 444, 495 Genè, Giuseppe  209

Personenregister Gennarelli, Achille  110, 350–351, 361–362, 369, 384 Gerhard, Eduard  35, 52–53, 127, 249, 352, 490, 498–506, 511 Gerlach, Ernst Ludwig von  147, 286, 329 Gerlach, Leopold von  54, 146–147, 286, 329 Gfrörer, August Friedrich  539–540, 548 Gherardi, Alessandro  478 Gianni, Francesco Maria  225–227 Giesebrecht, Friedrich Wilhelm Benjamin von  312, 349, 432, 520, 535 Gilbert, William  314 Gilmour, David  549 Ginori Lisci, Lorenzo, marchese 184 Gioberti, Vincenzo  12, 76, 90, 118, 159, 180, 257, 270–271, 342, 353, 491 Giorgetti, Alceste  378, 452 Giovio, Paolo  314 Gisela von Friaul  522 Giusti, Giuseppe  51 Gladstone, William E.  112, 116 Görres, Johann Joseph von  63 Goethe, Johann Wolfgang von  69, 75, 217, 233, 396, 493 Gonzaga, Luigi  458 Gotti, Aurelio  446, 510, 529 Gracchus, Tiberius  422 Granito, Angelo, marchese, principe di Belmonte  129–130, 132–135, 142, 267, 503 Grauert, Hermann  390 Greene, George W.  350 Gregor I. der Große, Papst  426 Gregor II., Papst  413, 424 Gregor VII., Papst  74, 385–386, 425–426, 460, 497 Gregor XI., Papst  524 Gregor XVI., Papst 63–65, 68, 117, 279, 326, 419, 501, 541 Gregorovius, Ferdinand 11, 27, 41, 313, 323–324, 327, 372, 390, 406, 410–419, 423–424, 427–431, 472–473, 535, 537– 539, 541, 546–547 Grimm, Herman  253–254, 498 Grimm, Jacob  498 Grion, Giusto  479 Grüneisen, Carl  250 Guadagni (Familie)  512 Guadagni, Pierantonio  512

591

Guardabassi, Mariano  264 Guasti, Cesare  341, 376, 405, 408–409, 414, 433, 446, 478, 482–483, 485, 486, 487– 488, 514, 523–524, 531, 542 Guerrazzi, Francesco Domenico  20, 96–97, 103–104, 107, 158–159, 243, 285, 290, 329, 373, 438 Guicciardini, Piero, conte  121, 314 Guidiccioni, Giovanni  458 Guilford, Frederick North, 5. Earl of 48 Guizot, François  76, 102 Gustav IV. Adolf, König von Schweden  45 Gyulay, Ferenc József, Graf von Maros-Németh und Nádaska  164 Hadrian IV., Papst  274 Hadrian VI., Papst  526 Hagen, Ernst August  70, 252–253 Haller, Albrecht von  45 Hansemann, David  146 Hartwig, Otto  482–483, 488 Hasdrubal  508 Hase, Karl  382, 461 Hauranne, Prosper Duvergier de  116 Hefele, Karl Joseph von  312 Hegel, Karl von  481, 483–484, 485, 488, 499 Heine, Gotthilf  400 Heine, Heinrich  46, 220 Heinrich II., König von Frankreich  159 Heinrich IV., Kaiser des Römischen Reiches  385 Heinrich VII., Kaiser des Römischen Reiches  478, 514 Helbig, Wolfgang  24 Helfert, Joseph Alexander, Freiherr von  375 Hemsö, Jakob Gråberg von 228–230, 245, 265, 495, 534 Henzen, Wilhelm  35, 212, 260, 340, 345, 360, 504–506, 507, 511 Herde, Peter  90 Hettinger, Franz  462 Heuser-Ryhiner, Andreas  254 Heyse, Paul  75, 516 Heyse, Theodor Friedrich  69 Hilgers, Bernhard Joseph  311 Hillebrand, Karl  27, 407, 428, 445, 479, 484 Höfler, Carl Adolf Constantin, Ritter von 52, 365, 366, 405, 410–411, 416, 440, 452,

592

Personenregister

456, 465, 485, 488, 501, 525–526, 535, 537, 539, 547–548 Hoepli, Enrico  379 Hohenzollern (Familie)  522 Hopf, Carl  372 Hübner, Alexander, Graf von  153, 520 Hüffer, Hermann  11, 317, 318, 319, 336, 390, 486, 535 Hugo, Victor  327 Humboldt, Alexander von 73, 76–78, 260, 493, 543 Hurter, Friedrich Emanuel von  56, 548 Infessura, Stefano  314 Inghirami, Francesco  338 Innozenz III., Papst  44, 56, 358 Jaffé, Philipp  516, 524 Jager  339 Janitschek, Hubert  265 Janssen, Johannes  320, 440, 456, 466, 516, 535, 548 Jörg, Joseph Edmund  321–322, 327 Johann, König von Sachsen  352, 493, 506, 516 Johann Wilhelm von der Pfalz, genannt Jan Wellem, Pfalzgraf-Kurfürst von der Pfalz  13, 514 Johannes XII., Papst  424 Johannes XXII., Papst  524 Johannes XXIII., Papst  524 Joséphine de Beauharnais, Kaisern der Franzosen 44 Justinian II., Byzantinischer Kaiser  413 Kampschulte, Franz Wilhelm  318 Karl der Große, Kaiser des Römischen Reiches  12, 236, 358, 365, 387, 420–421, 424, 427 Karl II., Herzog von Parma  79 Karl V., Kaiser des Römischen Reiches  294, 355, 373, 374, 400, 433, 524 Karl V., König von Neapel  139 Karl VIII., König von Frankreich  159, 405 Karl, Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg 513 Karl Albert, König von Sardinien-Piemont  87, 89–91, 107, 144, 156, 218, 281, 284, 286, 290, 310, 329, 347–348, 365 Karl Emanuel I., Herzog von Savoyen  513

Karl Kajetan II. von Gaysruck, Erzbischof von Mailand 83 Karl Salvator von Österreich-Toskana  139 Kaulen, Franz Philipp  311 Kephalides, August Wilhelm  396 Kestner, Georg August Christian  69–70 Kleist-Retzow, Hans von  147 Klinkhammer, Lutz  18 Kölle, Christoph Friedrich Karl  69, 220 Konstantin der Große, Kaiser des Römischen Reiches 423 Kraus, Franz Xaver 27, 62, 265, 312, 317, 318–319, 335, 336, 427, 445, 452, 456– 457, 530–531, 539, 548 Krogel, Wolfgang  94 Kroll, Thomas  24, 116, 140, 184 Kugler, Franz  246, 248, 250, 253–254, 259– 260, 546 La Farina, Giuseppe  161, 202 Lambruschini, Raffaello  56, 121, 183, 222, 240, 269, 414, 547 Lancizolle, Carl Wilhelm von Deleuze de  54 Landucci, Leonida  124, 125, 126–127, 164 Langen, Josef  311 Lanzi, Luigi Atonio  51, 231–232, 248 Laurent, Johann Theodor  64 Lazari, Vincenzo  209, 527–528 Le Bret, Johann Friedrich  13,  24 Le Monnier  401 Leo, Heinrich  54–57, 70–71, 406, 514 Leo der Große, Papst  385 Leo III., Byzantinischer Kaiser  413 Leo III., Papst  12, 424 Leo IX., Papst  385 Leonidas  508 Leopold I., König der Belgier  142 Leopold II., Großherzog von Toskana  50, 78, 79, 80, 84–85, 91, 97, 103–105, 109–112, 123, 126, 128–129, 139, 142–145, 151, 155, 158–159, 161–165, 167–169, 171, 173, 176, 183–185, 193, 203, 218, 225– 227, 229–230, 233, 242, 245–246, 255– 256, 261, 266–267, 275–276, 282–283, 285, 286, 290–291, 329, 357, 359–360, 368–369, 371, 393–394, 431, 435, 437– 440, 442, 448–450, 452, 469, 474, 492– 493

Personenregister Lepper, Herbert  26 Lepsius, Carl Richard  54, 496, 498, 511 Lettenhove, Joseph Kervyn  405 Lhuys, Édouard Drouyn de  99 Liermann, Christiane  27 Litta, Pompeo, conte 343, 344, 350, 394, 396, 405, 467, 523 Liutprand, König der Langobarden  413 Lodolini, Elio  18 Louis-Philippe I., König der Franzosen 76, 394 Louise von Bourbon, Herzogin von Parma  468 Ludovisi (Familie)  421 Ludwig I., König von Bayern  69 Ludwig XI., König von Frankreich  405 Ludwig Bonaparte, Prinz von Frankreich  44 Lupi, Clemente  478 Luther, Martin  404 Machiavelli, Niccolò di Bernardo dei  507 Madiai, Francesco  128, 145, 298 Märcker, Traugott  516 Magrini, Antonio  83, 509, 510 Malatesta (Familie)  523 Malavolti, Veneslao  508 Malespini, Ricordano  479–481, 485 Malfatti, Bartolommeo  262 Mamiani della Rovere, Terenzio 100–101, 257, 366, 384, 469 Manara, Orti  491 Manin, Daniele  49, 278, 388 Manno, Antonio, barone  35, 467, 513, 515 Manzoni, Alessandro  16, 46, 75, 135, 207, 222, 234, 397, 414, 457, 458, 460, 493 Margherita, Herzogin von Parma  519 Maria Karolina von Österreich, Königin beider Sizilien  375 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich  13, 294 Marin, Francesco 22, 57 Marini, Marino  491 Marsili, Luigi  458 Martelli, Roberto  374 Martens, Carl von  367–368, 500 Martens, Friedrich von  48–49, 53, 221, 222 Martin V., Papst  524 Martínez de la Rosa, Francisco  496

593

Marzio, Paolo  350 Mas Latrie, Louis de  494 Massari, Giuseppe  164, 169 Matteucci, Carlo 150–151, 161, 170, 177– 178 Maximilian II., König von Bayern  142, 250, 372, 388, 399, 415, 416, 472, 506, 535 Maximilian Alexander Philipp, Prinz zu WiedNeuwied 45–46 Mayer, Enrico  222 Mazzini, Giuseppe  81, 103, 112, 120, 126, 132, 162, 195, 222, 237, 239–240, 244, 270, 419–421, 472 Mazzoni, Giuseppe  105 Medici (Familie)  391–392, 399, 405–406, 409, 433, 440, 449, 471 Medici, Anna Maria Luisa de’  13, 514 Medici, Caterina de’  399–403, 471 Medici, Cosimo I. de’  393, 404, 487 Medici, Cosimo II. de’  508 Medici, Cosimo III. de’  13, 514 Medici, Gian Gastone de’  13 Medici, Giulio de’  409 Medici, Lorenzo de’  393, 399, 403–409, 432, 444, 471, 474, 507, 535, 545–546 Medici, Piero de’  404 Meiners  339 Melanchthon, Philipp  459 Melchers, Paulus Ludolf, Kardinal, Erzbischof von Köln  316, 318 Melchior, Kardinal, Freiherr von Diepenbrock, Fürstbischof von Breslau  143 Melchiori, Giuseppe  350 Menabrea, Luigi Federico, conte  209 Meriggi, Marco  140 Metternich, Clemens Wenzel Lothar von  14, 78, 80, 87, 98, 277, 280, 287, 288, 503, 505, 542–543 Michaelis, Adolf  507 Michelangelo Buonarroti  251 Mignaty, Marguerite Albana  71–74, 81, 95, 116 Milanesi, Carlo  261–262, 362, 372–373, 382, 405, 524 Milanesi, Gaetano  264, 362, 478, 514 Minghetti, Marco  83, 118 Mittermaier, Karl Joseph Anton  21, 41, 69, 108, 220, 281, 341–343, 349, 390, 471, 511, 534

594

Personenregister

Molini, Giuseppe  55, 247 Mommsen, Theodor  41, 212, 498, 504, 511, 524–525 Montalembert, Charles Forbes de Tryon, Graf von 426 Montanelli, Giuseppe  19, 96–97, 103, 105, 121, 193, 222, 240, 244, 270, 272, 285, 290, 329, 438 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède de  45 Moratelli, Sebastiano  13 Morel, Charles  428 Moretti, Mauro  27 Morone, Bonaventura  381 Morsolin, Bernardo  373 Moscati, Laura  22 Müller, Johann Georg  260–262, 493 Müller, Wilhelm  396 Mugello  71 Muratori, Ludovico Antonio  90, 218, 419 Murray, John  219 Mussini, Luigi  507–508 Mussini, Natale  507 Napoleon I., Kaiser der Franzosen  45–46, 80, 210, 303–304, 396, 442 Napoleon III., Kaiser der Franzosen  14, 114, 146, 153–155, 158–159, 163–164, 166–174, 176–177, 181–182, 186, 192–195, 199, 209, 212, 292, 295, 303–304, 331 Nerly, Tanay de  441 Nibby, Antonio  383, 396 Niccolini, Giovanni Battista  51, 74, 244, 250, 256, 274, 328, 397, 491, 495, 527 Nicolai, Gustav  220 Nicotera, Giovanni  295 Niebuhr, Barthold Georg  47, 422–423 Nikolaus I. Pawlowitsch, Zar von Rußland  182 Normanby, Marquis von  468 Novalis (Georg Philipp Friedrich von Hardenberg)  220, 459 Ochino da Siena  434, 465 Odescalchi, Pietro  383 Odescalchi, Vittoria  188 Olfers, Ignaz von  54, 260, 507–510, 528–529 Oñate, Iñigo Vélez de Guevara, conte d’ 132

Orioli, Francesco  359, 360 Orsini (Familie)  344 Oti, conte 234 Ottaviano degli Ubaldini, Kardinaldiakon von Santa Maria in Via Lata  56, 514 Otto I., Kaiser des Römischen Reiches  424 Otto III., Kaiser des Römischen Reiches  424 Ottonen (Kaiserdynastie)  358, 425, 472–473 Oudinot, Nicolas Charles Victor  99, 112 Palmerston, Henry John Temple, 3. Viscount  106, 116 Pamphili (Familie)  421 Pantaleoni, Diomede  81, 116, 151, 350 Paoli, Cesare  382, 478, 480, 484–485 Papencordt, Felix 56, 336, 349, 365, 366, 392, 398–399, 410–411, 419, 422, 431, 445, 516, 537, 539, 547 Parini, Giuseppe  75 Passaglia, Carlo  462 Passavant, Johann David  252 Passerini, Luigi, conte 110, 343–344, 405, 432–433, 496, 512, 523 Pastor, Ludwig  431, 549 Pastrelli, Bernardo, conte 517 Paul, Jean  220 Paul, Theodore  126 Pazzi, Maria Maddalena de’  458 Pellico, Giuseppe Eligio Silvio Felice  209 Perigrino 262 Pertz, Georg Heinrich  492, 498, 516 Perugino, Pietro  508 Peruzzi, Ubaldino  176–178 Peter Leopold, Großherzog von Toskana  50–51, 140, 225–227, 230, 245–246, 275, 288, 393–394, 439, 443 Petersen, Jens  26 Petitti, Carlo Ilarione, conte di Roreto 118, 144–145, 209 Petrarca, Francesco  76 Peyròn, Amedeo Angelo Maria  209 Pezzana, Angelo 339–340, 368, 369, 497, 513, 515 Philipp II., König von Spanien  433 Philipp IV. der Schöne, König von Frankreich  526 Pinelli, Pier Dionigi  546 Pini, Carlo  263–264

Personenregister Pinturicchio, Bernardino  259 Pisacane, Carlo  270, 272 Pius VII., Papst  303–304 Pius IX., Papst  12, 16, 79 81, 83–84, ­86–87, 90, 97–102, 104, 114–118, 120–123, 125– 126, 128, 142, 150, 176, 188–189, 191, 194–196, 207, 214, 242–243, 278–280, 282, 286, 290, 294, 296–298, 303, 308, 311, 323, 325, 331, 336, 358–360, 413, 416, 419, 426, 434, 436, 438, 440–441, 462, 496, 538 Platner, Ernst Zacharias  69–70 Plava  209 Poggi, Enrico  163, 435–436 Polidori, Filippo Luigi  354, 362, 392 Polissena d’Ostia, Königin von Sardinien  513 Potter, Louis de  227 Pourtalès, Albert Alexander, Graf von 200, 213 Prisen 528 Promis, Carlo  35, 340–341, 381, 382, 467, 490, 491, 515, 518, 527 Promis, Domenico  35, 340–341, 467 Promis, Vincenzo  518 Provana del Sabbione, Luigi  209 Quandt, Johann Gottlob von  231–232 Radetzky von Radetz, Johann Joseph Wenzel Anton Franz Karl, Graf 80, 82, 87, 104, 144–145 Radowitz, Joseph Maria Ernst von  61 Raffaello Sanzio da Urbino  262, 263, 508 Rainer Joseph Johann Michael Franz Hierony­ mus von Österreich, Erzherzog von Österreich und Vizekönig von Lombardo-Venetien 82 Ramusio, Girolamo  214 Ranalli, Ferdinando  159–160 Ranke, Ernst von  518 Ranke, Leopold von 51–52, 218–219, 241, 266, 336, 398–400, 404, 407, 409–410, 421, 468, 471, 498, 516, 535, 535 Raumer, Friedrich von  69, 220 Reichensperger, August  46, 58, 63, 320–323, 335–336, 456, 461, 466 Reinhardt, Volker  541 Remiremont, Hugo von  385

595

Renzi, Pietro  78 Reumont, Gerhard  44–46, 48 Reumont, Lambertine  66–68 Reusch, Franz Heinrich  269, 311–312, 318– 319, 335 Ricasoli, Bettino, barone  85, 163, 179, 190, 193, 256, 292, 295, 431, 469 Ricci, Caterina de’  458 Ricci, Marietta de’  344 Ricci, Scipione de’  443 Ricciardi, Giuseppe  244 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, duc de  402 Ricotti, Ercole  209 Ridolfi (Familie)  284 Ridolfi, Cosimo, marchese  51, 79, 95, 103, 118, 120, 161–163, 170, 176–178, 285, 291 Rienzo, Cola di  47, 131, 349, 418–421, 424, 429, 472, 547 Robbia, Luca della  508 Robespierre, Maximilien de  44 Roll, Christine  27–28, 39, 536 Romilli, Bartolomeo Carlo, Erzbischof von Mailand 83 Ronchini, Amadio  340 Ronge, Johannes  455, 460 Rosa, Gabriele  365–366, 410, 428 Roscoe, William  406, 408 Rosini  74 Rosmini Serbati, Antonio  16, 28, 115, 183, 207, 215, 234, 298–301, 303, 307, 321, 329, 331–332, 334, 380, 454, 457, 458, 461–463, 465, 530 Rospigliosi Pallavicini, Giulio Cesare, principe 467 Rospigliosi, Giuseppe, principe 193 Rospigliosi, principessa  215, 471 Rossi, Adamo  265 Rossi, Giovanni Battista de 211, 410, 416, 541 Rossi, Pellegrino  97, 100, 107, 118, 211, 329 Rotteck, Karl Wenzeslaus Rodeckher von  342 Rubens, Peter Paul  521 Rumohr, Carl Friedrich von  21, 23, 41, 70, 218, 228, 230–231, 246–249, 263, 265, 390–391 Ruprecht, Römisch-Deutscher König  405 Russell, John  116

596

Personenregister

Sadoletto, Jacopo  458 Saegert, Carl Wilhelm  146 Saffi, Aurelio  81 Saint-Simon, Anton Brassier de 152, 175, 180–181, 187–188, 199, 201–203 Saint-Simon, Claude Henry de  121 Salasco, Carlo Felice Canera, conte di 284 Saluzzo di Monesiglio, Cesare  364 Salvagnoli, Vincenzo 51, 79, 85, 159–160, 163, 167, 222, 244 Salvetti, Almerico  525 Salviati, Giovanni  373 Sanctis, Francesco de  271 Sarlin, Simon  18–19, 429 Sarto, Andrea del  51, 54, 231, 248–249, 251– 252, 265–266, 391, 399, 535, 545 Sauli, Francesco, marchese  209 Savelli (Familie)  523 Savigny, Friedrich Carl von  21–22, 54, 218, 355 Savonarola, Girolamo  314, 457, 458, 459 Saxer, Daniela  24 Schaffgotsch, Karl Wenzeslaw Gotthard, Graf von  53, 60–61, 64, 84, 500–501 Scheffer-Boichorst, Paul  477–488 Schiera, Pierangelo  22 Schlegel, August Wilhlem  47 Schleinitz, Alexander Gustav Adolf, Graf von 114, 117, 150, 152–154, 160, 166, 175, 181, 191, 193–194, 198, 201, 205, 334 Schlosser, Friedrich Christoph  47, 535 Schmedding, Johann Heinrich  64 Schnaase, Carl  248, 253 Schorn, Ludwig von  70–71, 232, 246–251, 253–255, 259, 268, 336, 391, 471, 496, 534 Schulte, Johann Friedrich von  317 Schultz 349 Schulz, Heinrich Wilhelm  259, 516 Schwab, Gustav  46 Schwartz, Marie Espérance de  326–327 Scipio Africanus, Publius Cornelius  509 Sclopis, Federigo, conte di Salerano 35, 209, 364–365, 469, 515, 518 Scotto (Familie)  509 Selvatico  74 Semper, Hans  405

Sergius I., Papst  413 Serristori, Luigi, conte  95, 222, 529 Siccardi, Giusppe, conte  120, 469 Sickel, Theodor  25 Silva Candida, Humbert von  385 Simms, Brendan  19 Simrock, Karl  324, 327 Sismondi, Jean-Charles-Léonard Simonde de  49, 81, 209, 222–223, 270–273, 283, 328, 420, 444 Sixtus IV., Papst  260, 360 Sozzini, Fausto  458–459 Sozzini, Lelio  458–459 Spada, Giuseppe  113 Spaur (Familie)  338 Spiegel, Adolf Theodor von  59 Spiegel zum Desenberg und Canstein, Ferdinand August, Freiherr von, Erzbischof von Köln  64 Springer, Anton  253–254, 265 Stahl, Friedrich Julius  146–147 Staufer (Familie)  472–473 Steffani, Agostino  13 Stein, Heinrich Friedrich Karl, Freiherr vom und zum  218, 347 Stephan IX., Papst  385 Stieglitz, Heinrich Wilhelm August  281, 546 Stillfried-Rattonitz, Rudolf Maria Bernhard von, Graf von Alcantara 512, 516, 517– 518, 522–523 Stolberg-Wernigerode, Anton, Graf zu  147 Strozzi (Familie)  344, 392 Stüler, Friedrich August  506 Swenson, Astrid 22 -23 Sybel, Heinrich von  17, 29, 337, 376, 387– 390, 535, 536 Sybel, Ludwig von  527, Tabarrini, Marco 11, 107, 374, 376, 389, 441, 445–453, 466, 474, 483, 498, 512, 527 Tacca, Pietro  508 Tanucci, Bernardo  139 Tetzel, Johann  455 Theiner, Augustin  361, 369, 462, 512, ­517–518 Themistokles  508 Thiers, Adolphe  116 Thile, Karl Hermann von  11, 66, 92, 149, 212

Personenregister Tieck, Christian Friedrich  220 Titan, Jean Paul  220 Tizian 528 Tocqueville, Alexis de  117 Tolomei (Familie) 256 Tommaséo, Niccolò  19, 32, 49, 74, 105–109, 111, 121, 125, 183, 185, 222, 234–245, 257, 266, 269, 278–279, 328–329, 332, 334, 396, 400, 454, 478, 491, 542, 547 Tommasini, Oreste  35, 430 Traversari, Ambrogio  458 Treitschke, Heinrich von  17, 310 Trinchera, Francesco  375–376, 405 Trissino (Familie)  373 Trivulzio, Cristina, principessa di Belgiojoso  450 Trollope, Thomas Adolphus  401–402 Troya, Carlo  56, 256, 366 Troya, Ferdinando  142 Ugolini 523 Ugolini, Filippo  370 Usedom, Karl Georg Ludwig Guido von  92, 97, 105–106, 127, 200, 243 Valeri, Giovanni  225–227 Vander Meersch, D. J.  519 Vannucci, Atto  382, 495 Vasari, Giorgio  70, 219, 231–232, 248–251, 263, 265–266 Venturi, Luigi  530 Victoria, Königin von England  76 Vieusseux, Giovan Pietro 29–31, 33–35, 49– 52, 54, 56, 68, 72–76, 77–79, 81, 83, 85–88, 90–91, 99, 100–101, ­104–112, 116, 118– 121, 123–128, 135, 142–145, 148, 151, 154, 161–162, 168, 173, 174–175, 184– 185, 202, 203–204, 205, 206–207, 217, 219, 221–224, 227–231, 233–234, 235, 240, 241–243, 244, 246, 249–250, 265, 267, 269, 272, 275, 280, 281, 284, 287– 290, 291–292, 301, 336–343, 344, 345– 363, 366–373, 376, 382–384, 387, 392–395, 410, 411, 431, 442, 444, 454, 466, 489, 490, 491–493, 495, 496, 497, 498, 501–502, 504, 505, 507, 511, ­527–529, 534 Viktor Amadeus II., König von Sizilien und Sardinien  388, 513

597

Viktor Emanuel II., König von SardinienPiemont 142, 153, 155, 164–165, 169, 171–173, 186, 191, 199, 201, 205, 292, 295, 370, 387, 450, 546 Viktoria, Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland  154 Villari, Pasquale  24, 36, 41, 389–390, 479, 480, 511 Virchow, Rudolf  15, 473 Visconti, Pietro Ercole  351, 359, 384, 396, 401, 410–411, 496–497, 498, 502, 529 Voci, Anna Maria  24 Voigt, Johannes  74, 406 Volpicella, Scipione  129–131, 134, 140–141, 258, 267, 399, 465, 498, 503, 514–515, 529 Volpicella, Settimo  140 Wachler, Ludwig  271 Wackenroder, Wilhelm Heinrich  220 Wagner, Adolph  231–232 Waitz, Georg  482 Walewski, Alexandre, comte de  159, 176 Walter, Baron von  287–288 Walter, Ferdinand  311 Wattenbach, Wilhelm  372 Weiß, Otto  22 Weizsäcker, Ludwig Friedrich Julius  520 Welcker, Karl Theodor Georg Philipp  342 Werther, Heinrich August Alexander, Freiherr von  60 Wildenbruch, Anton Albrecht Heinrich Louis von 187 Wilhelm I., Deutscher Kaiser  149, 151–152, 155, 158, 170, 175, 186–188, 197–198, 200–201, 205, 214–215, 269, 293–294, 296, 302, 309, 322, 426, 456 Willisen, Karl Wilhelm von  144, 145 Winckelmann, Johann Joachim  217, 232–233 Windischgrätz, Alfred von  96 Witte, Karl  27, 33–34, 48, 51–52, 70–71, 92– 95, 149, 151, 161, 166, 167–168, 198–199, 203, 204, 205, 207, 211–212, 214, 215, 230, 297–298, 299, 303, 344, 349, 380, 390, 399, 400, 406, 408, 434, 438, 445, 455, 457, 460–461, 479, 481, 483, 485, 492–495, 499, 512, 515–516 Witte, Leopold  379–381, 460, 547 Woltmann, Alfred  265

598 Wüstenfeld, Theodor  484 York (Familie)  528 Zagli, Andrea  176

Personenregister Zahn, Albert von  263, 265, 268, 405 Zanetti, Domenico  13 Zimmermann, Eberhard August Wilhelm von  45 Zürn, Guntram 246