Der Philosoph im Walde oder über Vaterlansliebe und Bürgertreue: Ein Philosophischer Roman [Reprint 2022 ed.] 9783112638507


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Der Philosoph im Walde oder über Vaterlansliebe und Bürgertreue: Ein Philosophischer Roman [Reprint 2022 ed.]
 9783112638507

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Der

Philosoph im Walde oder

über Vaterlandsliebe und Bürgertreue.

Ein p h i l o so p h i sch e r R o m a n.

Berlin, 1796. Bei Christian Friedrich H i m b u r g.

Vorrede.

ich es wagen durfte, diesem Versuche den glänzenden Trtel eines philosophi­

schen Romans zu geben? darüber will

ich nicht rechten. Meine Hauptabsicht war, neben den

beiden auf dem Titel genannten Bürger­ tug e n d e n auch überhaupt eine gesunde L e-

bensphilosophie, die an allem in der Welt die bessere Seite hervvrsucht, und

nicht — durch eine ungebundene Phantasie b

verleitet — die Umstände nach sich, sondern vielmehr sich nach den Umstanden, die so oft

nicht in unserer Macht stehen, zu forme» strebt, so gut ich konnte, verbreiten zu

helfen.

Im Gewände der Geschichte findet jede Lebensregel, bei

jede

bessere Maxime

dem halbsinnlichen Menschen

einen

leichteren Eingang, und bei Gelegen­ heit des durch Erzählung einer Begeben­

heit erhaltenen Vergnügens nimmt man immer ein halbes Dutzend Lebensregeln

und moralische Reflexionen mit, die man

sonst in einem bloß damit angefüflten

Buche unberührt hätte liegen lassen. Ich hielt es also für meine Pflicht,

auch für das Vergnügen meiner Leser und

Leserinnen zu sorgen.

Et proclesse volunt et delectare

poetae! So dacht' ich, und wählte Ma­ terie und Form von der Art, wie man hier sieht.

Dabei bin ich weit entfernt, mich an die Meister in diesem Fache der Littera­

tur anmaßend anschließen zuwollen. ich

glaube,

daß

meine Schrift,

Denn

als

Produkt der Kunst betrachtet, viele Fehler

hat. So scheinen mir selbst die wenigen

im Buche vorkommende» Personen nicht

Eigenthümliches genug zu haben.

Je­

der besondere Charakter sollte mehr her­

vorstechend, und das Originelle dessel­

ben stärker gezeichnet sein.

Daß Robert für einen Bedienten b 2

manchem zu gebildet scheinen werde, glaub'

ich nicht minder.

indeß ein solcher

Da

Charakter in einem solchen Stande

an

und für sich betrachtet, nichts widerspre­

chendes in sich enthält,

frühzeitige Bil­

dung nicht immer vor nachherigem Miß­ geschick schützt,

und

eine

unverdorbene,

natürliche Denkungsart, gemischt mit hei­ terer Laune, Lage

den Menschen sich in /.'de

des Lebens finden lehren kann; da

überdem auch nicht zu laugnen ist, daß bei veränderten Umstanden solche Erschei­

nungen wohl häufiger fein könnten, als

sie wirklich sind, und ich die einzelnen Zü­ ge zu diesem Charakter in wirklichen Ge­

mälden fand, so möcht' ich diesen Cha­ rakter nicht gern für unnatürlich erklä­

ren lassen.

Noch muß ich hinzufügen, daß ich

die im vierzehnten Kapitel dem Philo­ sophen im Walde in den Mund geleg­

ten Vorschläge zur Anlegung von Schulen unter freiem Himmel, be­ reits vor einigen Jahren bei einer beson­

dern Gelegenheit einem kleinen Publikum

mitgetheilt

habe;

da

aber

diese

kleine

Schrift von einem Vo^en nicht für den Buchhandel bestimmt war, mir indeß oie darin enthaltenen Ideen und Wünsche sehr am Herzen liegen, so glaubt' ich nicht un­ recht zu thun, wenn ich sie auf diese Art

dem

größeren

Publikum

und Beurtheilung

gung

in

zur Beherzi­

die

Hände

spielte.

Es ist eine schöne Sache um das Be­

wußtsein, andern genützt zu haben.

Don

meiner Jugend an war dies das große Ziel

meiner Bestrebungen, und auch bei Abfas­ sung dieser Schrift hatt' ich es immer im

Auge.

Schade davor, dacht' ich oft bei mir

selbst,

wenn auch dies oder jenes bereits

öfter,

vielleicht auch

besser gesagt ist.

In diesem Gewände macht es bei dem Leser einen neuen und vielleicht durch die

Zusammenstellung mit andern Ideen einen

nicht unangenehmen Eindruck.

Und

muß man, um eine gute Idee bei sich in Leden und Thätigkeit zu verwandeln, sie nicht oft von neuem vor die Sele füh­

ren? Macht's ja die Natur in ihren pracht­ vollen und so überaus reizenden Erscheinun­

gen eben so. Walder, Berge, Thäler, Wie­

sen und Bäche und tausend andere Dinge, sehen wir so oft, aber in immer neuen Ver­

bindungen und Zusammenstellungen, so daß

wirbel jedem Anblicke dieser Art immer etwas neues zu sehen glauben, und über die un­

gehoffte Erscheinung nicht selten in Entzücken

gerathen.

XV

Ohne nun eben so stolz zu sein, mit einem so großen Muster das Merk­ chen meiner Muße in Parallel stellen zu wollen, so schien mir diese Bemerkung beidenenjenigen Lesern wenigstens zur Entschuldigung dienen zu können, deren Gaumen so verwöhnt ist, daß sie — immer etwas Neues begehren, wobei denn doch noch immer nicht ausgemacht ist, ob das, was ihnen neu scheint, auch neu über­ haupt ist.

Mir scheint die Sucht der Schriftsteller, immer etwas Neues liefern zu wollen, eben so gefährlich, als die einstweilen in Deutschland so allgemeine Sucht, jedes große und schöne Produkt der Kunst sogleich nachzuahmen, wodurch denn natürlich sehr oft literarische Mißgeburten entstehen mußten. Ich bin mir bewußt, weder das

XVI

eile noch das andere gewollt zu haben. Vielmehr folgt' ich immer dem natürlichen

Gange meiner Gedanken. Ich wünsche mir strenge Brurtheiler;

denn von jeher horcht' ich gern auf Ta­ del, und selbst bitteren — wenn er gleich

fchinerzre — sucht' ich mir immer auf ir­ gend eine Weise zu Nutze zu machen.

Und

— gründlicher und gegründeter Ta­ del ist immer nützlich.

Inhalt.

Seite.

Erstes Kapitel. Einleitung. — Ein Mädchen und drei Räuber.

t

‘ Zweites Kapitel. Lin Gespräch zwischen Herrn und Diener, wie man eS selten hört. — — —

u

Drittes Kapitel. Beschreibung einer schönen Gegend, und — noch ein Dialog. — —

Viertes Kapitel. Eine überraschende Zusammenkunft.

33

xvm Seite.

Fünftes Kapitel. Lin Vor unterhalt seine Freunde über Vater­ landsliebe. Ein ,.mges Kapitel; aber doch nützlich zu lesen. — -*

41

Sechstes Kapitel. Ein ähnliches Kapitel, nur nicht so lang als das vorige. Lindor spricht über Bürg errreue.

ios

Siebentes Kapitel. Ein ganz kleines Kapitel, worin zum wenigsten eine Mahlzeit vorkömmt —

ug

Achtes Kapitel. Sn welchem geschlafen, geklagt, vom Tode gespro­ chen und dabei ein wenig philosophirt wird.

rrz

Neuntes Kapitel. PreiS des Landlebens. Ein paar Worte an die Leser und Leserinnen, und — eine Entdeckung. —

147

Zehntes Kapitel. Herald 'erzählt die Geschichte seiner Liebe zu Eu­ la li en. Etwas für empfindsame aber doch ver­ nünftige Leser. — —

16»

Seite. Eilftes Kapitel. Ein Intermezzo über das Reisen. Wem'S nicht behagt, der überschlägt's. — —

rfe

Zwölftes Kapitel. Zn welchem Anstalten zur Reise gemacht werden, und etwas ganz neues vorkömryt. —

xss

Dreizehntes Kapitell. Eine Unterredung zwischen dem Fürsten Toaldo und Lindor, dem Philosophen im Wal­ de, über einige beherzigungswerche Materien.

194

Vierzehntes Kapitel. In welchem die vorige Unterredung fortgesetzt wird. — Vorschläge zur Anlegung von Schulen unter freiem Himmel. — —

rrp

Fünfzehntes Kapitel. Welches daS kürzeste im ganzen Buche ist.



24s

Sechzehntes Kapitel. Howard.

24-

Seite.

Siebenzehntes Kapitel. Ein schöner herbstlicher Morsen, und — ein Fürstenmonolog. — —

-6z

Achtzehntes Kapitel. Eine Universalmedicin ohne Quacksalberei, zu wel­ cher das Recept mit in drei oder vier Worten besteht. — —

,76

Neunzehntes Kapitel. Noch

ein paar Worte an die Leser und Leserinnen und — Gedanken von allerlei Art, wie man sie auf einer Reise wohl Haven kann. —

ig
68 „ Von jene» Feldern schallte mir das Geräusch per von ihrer Arbeit tnrückkehrenden Landleute ent­ gegen, die m t munterem Gesänge der Ruhe des Abends entgegen eilten, und um mich bet wirb ei­ ten fröhliche Insektenheere im letzten Sonnenstrale, aber m i cb fesselte nur das unnachahmliche Schau­ spiel der eben uiitergehenden Sonne. Der hier vor mir sich in iingemeßne Ferne ausbreitende See er­ höhte dir Reite diese- majestätischen Anblicks. Das Abendrvth spiegelte, Ach in seinen Fluten, auf welchen ein Westwind die kleinen Wellen schaukelte, Ich überließ mich ganz den Empfindungen, welche unwillkürlich bei diesem reizenden Schauspiele mei­ ne Sele durchströmten. Plötzlich trat hinter »euer Hecke — gleich einer Gottheit, die im fabelhafte» Alterthume einem glücklichen Sterbliche» au- einer Wolke erschien — Eulalie hervor,“ „Herald! rief sie, Sie suchen die Einsam­ keit, und hänge» hier allein tiefen Betrachtungen nach, indeß Ihre Freunde mit Ungeduld Ihrer An­ kunft entgegen sehen? Unser guter Vater hak schon so oft nach Ihnen gefragt, weil er Sie Iieute geteig erwartete, daß ich mich entschloß, Ihne» eine

16?

Strecke entgegen zu gchen, und Sie einzuholen, wenn Sie mir, wie ich Hoffte, aus diesem Wege begegneten. Ich war schon ziemlich weit von w

fern Wol-nung entfernt, und glaubte nun nicht mehr, Ihnen zu begegnen. Da lockte mich der schöne Abend und die dort so. prachtvoll untergehen­ de Sonne, das Freie zu suchen, einige Augenblicke diesem erhabenen Schauspiele der Natur, bei der allgemeinen, feierlichen (Stille, die rings um mich herrschte, zuzusehen, und dann längs dem Ufer de-

Sees zu unserer stillen Wohnung zurück zu kehren. Und plötzlich, indem ich um zenes Gebüsch mich wende, stehen Sie vor mir! Nun sollen Sie mich auch zurück begleiten,-und ich freue mich, daß ich den Weg nun nicht allein machen darf." „Eben verschwand tue Sonne am westlichen Horizonte, und lieblicher wehre die Kühle- des Abends von dem Ufer des Sees her. Eine bezau­ bernde Dämmerung verschleierte die Statur, wan­ delte das Grün des schattichten Haines in Schwarze

der Nacht, und ließ die vielfachen Farben der Fel­ der und Fluren durch neueSchattrrunqen einan­

der fließen-. Nur der sich jetzt stärker verbreitende-

17«

Duft der Blumen und Kräuter »errieth die üppige Fülle der Natur, deren stralenden Anblick die holde Dämmerung jetzt dem Aug« enttvg. — Meine ganze Gele war jetzt in Bewegung. Ich wünschte, Eulalien einst die Meinige nennen zu können. Dieser Wunsch hatte, seit ich sie kennen lernte, mich überall begleitet; nicht selten hoffte, aber öfter fürchtete und zweifelte ich. Jetzt erwachte die Hoffnung mit ihrer ganzen beseligenden Stärke von neuem. „Ich liebe Sie, Eulalie," rief ich mit einem Enthusiasmus, mit welchem in einem günstigen Augenblicke die kiebe einen fast verzwei» feinden Liebhaber zuweilrn begeistert, „ich liebe „Sie mit einer Stärke, die mein Herz nur zu „empfinden, mein Mund nicht auszusprechen »er« „mag!" Eulalie drückte mir schweigend die Hand, und eine Thräne zitterte aus ihrem schö, »en Auge hervor, und verrieth die Gefühle ihres Herzens. — Ich fühlte das stärkere Klopfen ihrebewegten Herzens an meiner Seite, und bemerkte mit unbeschreiblich froher Empfindung das schnelle Steige» und Falle» ihres leicht verschleierten Bu, fens, und die glühende Rithe, mit welcher die

jungfräuliche Schaam Bei dem überraschenden und feurigen Geständnisse meiner Liebe ihre blühenden Wangen überrag- Ich ward kühner und dringen« der, und Hirte mit Entrücken auf dieser Stelle rum ersten mal« da- Geständniß, daß sie mich liebe." „Wenn Sie je geliebt haben, fuhr Herald sott, indem er feurig mich bei der Hand ergriff, so werde» Sie die mannichfaltigen Empfindungen, die sich jetzt in meiner Sele durchkreujten, sich bes­ ser denke» könne«, als ich sie Ihnen tu schildern vermag. Ich war von diesem Augenblicke an, wie umgeschaffen. Eulalir liebt mich.' Dieser Ge­ danke begleitete mich bei Tage und Nacht, lieh mir zu de» wichtigste» Unternehmungen Stärke, und erfüllte mich oft mit Riesenkraft, wenn sich Gelegenheit vorsand, irgend einem Leidenden die Last, die ihn drückte, von der Sele tu wälzen. — Culalie gestand mir nachher, daß sie meine hef­ tige Liebe ru ihr längst gemerkt, daß diese Ent­ deckung ihr Freude verursacht hätte, und daß ihr Herz von unserer ersten Bekanntschaft an mit reine« Zärtlichkeit mir zugetha» gewesen sei. Linder

habe, setzte sie hinzu, unsere gegenseitige Neigung lange beobachtet, ihr einst mit väterlicher Zärtlich, feit seine Entdeckungen mitgetheilt, und unsere Liebe gebilligt. Von der Zeit an habe sie de» Au­ genblick des Geständnisses meiner Liebe ost herbei gewünscht."

Eilftes Kapitel. Ein Intermezzo über das Reisen. Wem'« nicht behagt, der überschlägt'«.

länger al- acht Tage hatte ich bereits in de« vor­ trefflichen Greise« Gesellschaft zugebracht; sie wa­ ren mir wie Minuten verschwunden. Ger» wär' ich »och länger verweilt, denn es war ei» reitender Aufenthalt. Allein der Zweck meiner Reife war, mehrere Gegenden Deutschlands zu sehen, und überall« soviel ich nur könnte, Natur und Men­ schen kennen tu lernen. Seit dem Knabenalter kannte mein Herr sei-

habe, setzte sie hinzu, unsere gegenseitige Neigung lange beobachtet, ihr einst mit väterlicher Zärtlich, feit seine Entdeckungen mitgetheilt, und unsere Liebe gebilligt. Von der Zeit an habe sie de» Au­ genblick des Geständnisses meiner Liebe ost herbei gewünscht."

Eilftes Kapitel. Ein Intermezzo über das Reisen. Wem'« nicht behagt, der überschlägt'«.

länger al- acht Tage hatte ich bereits in de« vor­ trefflichen Greise« Gesellschaft zugebracht; sie wa­ ren mir wie Minuten verschwunden. Ger» wär' ich »och länger verweilt, denn es war ei» reitender Aufenthalt. Allein der Zweck meiner Reife war, mehrere Gegenden Deutschlands zu sehen, und überall« soviel ich nur könnte, Natur und Men­ schen kennen tu lernen. Seit dem Knabenalter kannte mein Herr sei-

173

ntn höheren Wunsch, als den, fremde Länder ;« sehen. Wenn ich in diesen Jahren von hohe» Ge­

birgen, von unersteigliche« Felsen, von Helvetiens

beeisten Thälern, oder de« «»absehbaren Abgrün­ den, in welche der Wanderer, den sei« Weg über Gebirge führt, in jedem Augenblicke hinabzu-leiten in Gefahr sei, oder von ähnlichen Dingen reden

hotte, so fühlt' ich mich weniger glücklich, daß ich Noch Knabe war. Ger» hätt' ich schon damals de»

Wanderstab zur Hand genommen, das Haus mei­ ner Eltern verlassen, und die Welt durchrogen, um

selbst alles das Wunderbare zu sehen und zu erfah­

ren, waS ich so oft aus den Erjählungen anderer »der aus Büchern von fremden Gegenden gehitt »der erfahren hatte, besonders da die wunderba­

ren Fata mancher älteren Reisebeschreiber dieses

Jahrhunderts, die meine Liebkingslcktüre ausmach­

ten, die in diesem Alter ohnehin schon so große

Neigung fürs Wunderbare in mir gewaltig ver­ mehrten. Mein dies war unmöglich, und ein gu­ ter Genius leitete den Gedanken in meine Sele,

daß man erst vieles lernen, von tausend nützlichen

Dingen erst sich Kenntnisse sammle» müsse, ehe

174

man mit Nutzen tu reifen versuchen sönne. Der wohlwollende Genius stärkte die oft wankende, oft ermüdende Knaben - und Jünglinzsfele bei dem mühsamen Geschäfte deS Sammiens und. Ordnen« der mannichfaltigen Kenntnisse, die ich tu erlangen die beste Gelegenheit hatte. Außer der Geschichte, Erdbeschreibung und Statistik hakten für mich auch die Sprachen besonderen Reit, weil ich wohl einfah', daß ich ohne ihren Beistand meinen kieblingSwunsch nicht würde erfüllt sehen können. Bald belohnte sich meine Mühe, indem ich die schätzbarsten Werke mehrerer Nationen Europen« tu lesen Lekam, vor« täglich ihrer Dichter, welche au« leicht tu begrei« senden Ursachen für den Jüngling weit mehr Antiehende« haben, als wissenschaftliche Werke, die schon anhaltenderes Denken erfordern und Uebung des Abstraktionsvermögens in der Sele voraussetzen. In meinem Köpft ward's Heller, mein Geschmack ward immer gebildeter, und dies befeuerte meinen Eifer, da ich mich nun ii^ den Jahren des Jüng­ lings befand. Jetzt hatte auch meine Vorliebe für das bloß Wunderbare und Abeutheuerliche sich merklich ver-

I7f

mindert. Mehr als das Wunderbare im Menschen,

leben, welches die Romanenschreiber in ihren ver­ wickelten Schilderungen ost bis rum Ueberdruffe Hausen, reirten mich die meisterhaften Gemälde

eines Plutarch, Taeitus und Sueton in der Darstellung und Entwickelung großer Charak, tere und ihrer Handlungsweise. Und so bekam meine immer noch fortdaureyde, ja noch zunehmende Neigung, fremde Länder ru sehen, jetzt eine

edlere Richtung.

Es war mir darum zu thun,

den Menschen in allen Standen in den so verschie,

denen Situationen des Lebens, die in dieser sublu-

narischen Welt, durch den Zusammenfluß so vieler auf den Menschen direkte und indirekte wirkenden

Umstande, entstehen können, zu beobachten; nicht

bloß, wenn er im Gallakleide mit dem Bewußtsein einherschreitet, daß aller Augen auf ihn gerichtet sind, sondern auch, wenn er im Schlafrocke im en,

deren Kreise unter den Seinigen oder in der Werk, state unbemerkt ru sein glaubt, aus ihn zu achten, und sein Benehmen bei der unvermutheten Er­

scheinung froher Ereignisse sowohl, als bei dem Eindringen- von Schwierigkeiten und unvermeidli-

17$

chen Uebeln des Lebe»-/ und dabei den Grad der Gewalt, welchen Leidenschaft, Freiheit oder Druck, Regierungsform, Wissenschaften und Künste, Religionsverfaffung, Geist des Zeitalters, und viele andere Dinge und Verhältnisse, über den Men­ schen und seine Handlungen in allen Volkskiassen und unter ganz verschiedenen Himmelsstrichen ha­ ben, zu bemerken, um hieraus beurtheilen zu kön­ nen, was der Mensch ist, was er werden kann, und wohin es mit ihm zu kommen scheint. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, hat das Reisen gewiß einen entschiedenen und un­ verkennbaren Werth, und man muß sich wundern, wie so viele junge Herren von Stande von ihren Reisen, mit welchen sie in Gesellschaften oft so groß thun, oft nicht viel mehr zu erzählen wissen, als die Namen der Städte, dnrch welche sie ge­ kommen sind, die Anzahl der Thore, Kirchen und Brücken in denselben, die Gasthäuser, wo sie entweder sehr gut ausgenommen würden, oder wo sie für ihr Geld auch nicht die mindeste Be­ quemlichkeit vorfanden, und was dergleichen alltägliche und kleinliche Dingo mehrsind. Freilich ge­ hören

17 7 hören rum nützlichen Reisen so viele Dinge, von welchen sie nichts gehört haben, daß man billig mit ihnen verfahre», und es so scharf nicht neh­ men muß. Es geht ihnen, wie dem Nachtwäch­ ter, der de» Astronomen rurecht weisen wollte, und ihm im Unwillen rieth, bei Lage den Him­ mel ru beobachten, und nicht, wenn andere Leute schliefen; oder wie dem Bauer, der seinen Acker durchaus nicht anders bebauen will, als die ganje Gemein« und ihre sämmtliche» VorfahrenUm richtig bestimmen r» können, was dem Menschen selber als Menschen gehöre, und wie viel in seiner Denkart und Handlungsweise dem Einflüsse eines oder des andern von obgedachten Verhältnissen und Dingen ruaeschrieben werden müsse, werden freilich in dem beobachtenden Sub­ jekte schon manche Kenntnisse, eine gewisse Reif« des Verstandes, die der Phantasie nicht mehr er­ laubt, als ihr mit Fug und Recht jugestanden werde» kann, und eine Fertigkeit im Nachdenken, welche die trügliche Hülle der Erscheinung von dem «ahrenMesen des Dinges sondert, mit Recht vorausgesetzt- Wie will man de» Einfluß der M

178 Religion oder Staatsversaffung auf die Denkungs­

art des Bürger- anzugeben im Stande sein, wenn man das Gewebe verschiedener Religionen und

Staatsverfaffungen noch nicht durchdacht und ge­ prüft, und bei sich selbst es ins Reine gebracht

hat, was Gegenständen dieser Art eigenthümlich und wesentlich zugehöre, und wa- dabei nur zu-

fällig sei. — Und doch kann es in der That für de» Staat nicht gleichgültig sein, wie die Ideen­

masse, Urtheilskrast, Denkungsart und Hand­

lungsweise desjenigen beschaffen sei, dem er eiu Amt oder irgend einen Dosten ««vertraut, von

dessen zweckmäßiger Verwaltung oder Vernachläßigung in einiger Rücksicht doch immer sein

Wohl oder Weh abhängt, wenn auch der demstl-

den angewiesene Wirkungskreis noch st einge­ schränkt fein sollte, «eil alle, auch die kleinsten

und unsichtbaren Räder in diesem großen Trieb­

werke zusammen passen müssen. Ich will deswegen auf keine Weist behaup,

ten, daß demjenigen, der feinen Posten im Staat

ehrenvoll aussüllen will, das Reifen durchaus nothwendig und unentbehrlich sei.

Das möcht«

179 bel der gegenwärtige» Lage der Dinge in dieser

Welt für viele eine Federung sein, die sie durch­ aus nicht erfüllen könnten.

So nützlich es in

mancher Hinsicht auch $u unsern jetzigen Zei­

ten für den Staat und jedes Individuum sein dürfte,

wenn wir uns

unsere Gelehrsamkeit

und unsere Kenntnisse, wie,die Lehrlinge der früheren Zeiten, durch Reisen zu den berühm­ testen Männern des Zeitalters zusammen ho­ len müßten, so macht doch die Höhe der wissen­

schaftliche» Kultur,

auf welcher wir uns be­

finde», der fast in jeder Weltgegend blühende Zustand der Gelehrsamkeit und jeder einjelnen

Wissenschaft und die Frequent der Schriften in je, dem Facha der Literatur, dies jetzt weniger noth­

wendig, vielleicht wirklich entbehrlich, wenn gleich der Nutzen davon nicht gelaugnet werden kann.

Ueberdem stellt ja jedes einzelne» Mensche« Leben

eine Reise im Kleinen dar. Sein Wirkungs­

kreis sei auch noch so beschränkt, die Anzahl von Menschen, mit welchen er in Verbindung lebt,

»och 10 gering, io stoßen ihm doch immer in sei­

nen Verhältnissen Ereignisse aur, an welchen .sein M a

Igo

Scharfsinn und Bevbachtungsgeist wie feilte Ur­ theilskraft sich üben, und für sein GeschästsKben im Staate eine reiche Ausbeute davon tragen kann. Auch verändert sich der Kreis von Menschen, un­ ter welchen wir leben, von Zeit zu Zeit immer; fremde Erfahrungen gebe» uns Stoff rum Nach­ denken und heilsame Lehren, und nie ist der Kreis unsrer Bekannten so enge, daß nicht dann und wann ein Man» vom Auslande, der in demselben austritt, als eine neue Erscheinung unsere Auf­ merksamkeit fesseln, unserm Bevbachtungsgeiste eine geschärftere Richtung geben, und uns veran­ lassen sollte, unsere Kenntnisse über den Zustand seines Landes, die wir aus Bücher» schöpfte», zu ergänzen und zu berichtige». Da aber doch das Reisen bei Personen aus de» gebildeter» Stäuben nichts ungewihnliches ist, ja bei den vornehmste« und reichste» unter ihnen, wie so vieles andre, rur Mode gehört, so wäre wenigstens zu wünschen, daß unsere Rei, sende» entweder über den Zweck des Reisens über­ haupt vorher gehörig nachdenken, und sich die rum nützliche» Reisen unentbehrlichen Vor-

1JI kenntniffe erst erwerbe», oder lieber $u Hause blei­ ben, nützliche Reisebeschreibungen, an welchen jetzt kein Mangel ist, lesen, und dabei dein Staate durch die auf diese Weise erlangten, gewiß reich­ haltiger» und richtigeren Kenntnisse, als ihnen da- eigene Reise» ohne Beobachtungsgeist und Vorkenntniffe verschafft haben würde, nützlich »n werbe» suchen möchte». Doch müssen wir ihnen, wenn sie daraus bestehen, das St.it pro ratione voluntas

t« gute kommen lassen. Ein eben so frommer Wunsch wäre nun wohl freilich auch d e r, daß eS dem bessere» Theile der Reifende» doch nie an dem bei aller noch so ge­ priesenen Verachtung des Irdischen doch rur Ver­ mehrung-unserer Welt- und Menschenkenntniß so nothwendigen, ja unentbehrlichen Mittel fehle» möchte, welches man eben deswegen mit Recht den nerv um rerum gerendarum NkNNt. So we­

nig ein Vernünftiger einen Mann darum weniger achten wird, weil seine Börse nicht gefüllt ist, und sein Rock etwas veraltert scheint, wenn übri­ gens Kopf und Herr von der Art sind, daß sie

auf Werthschätzung gegründete Ansprüche haben: so erleichtert doch grade ein günstiger Vermögens­ zustand den Eintritt in jede Gesellschaft, schäft

taufend Hindernisse aus dem Wege, die im um­ gekehrten Falle der Wißbegierde und dem DeobachtungSgeiste einen Riegel vorschieben, und läßt

auch da Hinblicken, wo die im Spiele des Leben­

handelnden Personen oft unbelauscht zu sein glau­ be».

Moritz Reisen eines Deutsche» in

England würden weniger einseitig in der Dar­ stellung der Charaktere ausgefallen fei«, wenn die

wankelmüthige Göttinn Fortuna ihn in dieser Hin­ sicht mütterlicher ausgesteuret gehabt hatte.

So

blieben ihm die Häuser der Großen auf jener

merkwürdige» Insel verschlossen, und seine Beob­ achtungen betreffen nur den so genannten gemei­ nen Mann.

Doch entschädigt er den Leser reich­

lich dafür durch seine treflichen Schilderungen der interessanten Gegenden dieses Landes und der in

manchen derselben so verschwenderisch schonen Natur.

m Zwölftes Kapitel. Sn welchem Anstalten zur Reise gemacht werden, und etwas ganz neues vorkömmt.

, nen ««-haften aber mir sehr interessanten Brief-„wechsel. Denn nicht gar weit von hier (fuhr er „fort) wohnet ei« edler Fürst, einer der klei< „ ntreu unter den Herrschern. Dieser beehrt mich „schon längst mit seinem Vertrauen und seiner „Liebe. Ungeachtet ich dem grvßeste» Theile der „Menschen in dieser ganren umliegende» Gegend „unbekannt, als ein Fremdling, hier wohne, und „wenigstens eittige Lagreisen von seiner Resident „entfernt bin; so weilt er doch öfters, ungekannt „von alle», in meiner Behausung.—Mehrere seü „ «er Ahnherrn führte» eine ga«r sorglose Regie„rung, überließen dem Zufall und ihren Günst„lingen das Wohl des Staats, und stöhnten nur „ dem Genusse der Sinne und berauschenden Freu„den. Der Unterthan ward da, wie man leicht /»denken kann, nicht selten sehr gedrückt; der gri«ßeste Hause der Bürger versank in Armuth, denn „der Ackerbau ward in diesem sonst fruchtbaren „Ländchen gant vernachlässigt, weil unerschwing„liche Abgaben diese» nützlichen Stand besonder,»drückten, Muthlofigkeit trat, wie dies natür„ lich ist, an die Stelle der Industrie und des er-

187

„findungsreichen Fleißes.

Wissenschaften und

„Künste fanden hier bald keine Pflege mehr, und

„zogen sich nach und nach ganz aus diesem un„wirthbaren Bode» zurück. Mit ihnen floh die

„Freude und der heitere Sinn, der im Gefolge „der Künste ist, die da- menschliche Leben so sehr

„ erheitern. „Es war in der That ein freudenloses und

„ bei allen Reizen der hier verschwenderisch schö-„nen Natur tief herabgesunkenes Ländchen. Da

„kam Toaldo (dies ist der Name des edle» „Fürste») zur Regierung, und mit ihm schien

„ ejnr neue Morgenröthe dem leidende» Volke, „wie aus finstrer Nacht hervorzubrechen.

Gleich

„der Sonne, wenn sie am wolkenlosen Himmel

„nach einem langen Ungewitter desto herrlicher „prangt, und neues Lebe» und neue» Wachsthum „aus unerschöpflicher Fülle über die ganze Natur

„hinströmt, suchte Toaldo den gesunkenen Wohl, „stand seiner Unterthanen wieder empor zu heben;

„allein das Uebel war bereits tief gewurzelt,

„und die ganze Maschine des Staatskörpers ward

188

»durch krampfhafte Zuckungen gemittet, und dro« »hete eine» gänzlichen Untergang. Die Sitten „waren gänzlich verwildert. Unter de» Reiche» „und Große» herrschte ungebundene Sinnlichkeit, „welcher der Begriff von Gerechtigkeit fremd «ar, „ und unter den Armen theils Muthlosigkeit, theils „Arglist, die sich jede entehrende That erlaubte, „wenn sie versteckt blieb, und da- aus sklavischer „Furcht nur heimlich verübte, was die furcht, „und fchaamlose» Große» sich öffentlich er-' „ laubtev" „Mühsam webte T o a l d o's Menschenliebe und „ sein mit reiner Liebe, zur Pflicht erfüllter Sinn „um sich und seine Bürger ein festeres Band, „ als das ist, welches von Sklavensinn und Furcht „zwar dem Anschein nach recht stark und haltbar „gewirkt zu sein scheint, aber wenn es zu scharf „««gezogen wird, doch nur gar zu leicht (wie «die Erfahrung bezeugt) zerreißt. Es ward ihm „schwer, die verdorbenen und irregeleiteten Safte „des großen Körpers nach und nach zu verbessern, „zu reinigen, und ihnen eine gesundere Richtung „zu geben. So wachsam und unermüdet sein Geist

i8-

„und so groß feilte Thätigkeit ist, so ward e# „ihm doch in der ganren Reihe von Jahren, in „welchen das Scepter in seinen Handen ist, iu< « ßerst schwer, tausend unvorhergesehene und im„mer unter neuen Gestalten wiederkehrende Hin, „derniffe, die sich seine» edlen Bestrebungen oft „»«vermuthet entgegen stellten, zu besiegen, und „das wieder gut r» mache», was seine gewissenlo,,sen Dorgänger verdorben hatten. Toaldo rählt „der fehlgeschlagenen Versuche, seinen Staat „blühend und glücklich zu machen, viel, „und noch ist das erhabeneZiel nicht erreicht, „welches sein großer und männlichsester „Geist sich vvrgesteckt hat. Den« ein großer „ Gedanke keimte schon längst in der Sele dieses „Fürsten, der unstreitig r» den gebildetsten uud „erleuchtetsten Fürsten der Erde gehört, und vor „den größere» Fürste» wenigstens das voraus „hat, daß er bei dem klejnrn Umfange seines „Ländchen- von dem Zustande und den Bedürf, „Nissen der Bewohner desselben sich selbst unter, „richten kann, ohne genöthigt ;u fei», sich auf „rweifelhaste Schilderungen und verdächtige Rath,

igo

„ schläge mancher selbstsüchtige»Höflinge verlasse» „zu müsse».

Er war von jeher ein aufmerksamer

„Zuschauer der merkwürdige» politischen Erschei„nungen, welche am Europäische» Staatshim-

„mel int letzteren Jahrzehend sichtbar geworden

„sind, bald hier einen Theil desselben erhellete», „bald dort Ungewitter und tiefe Finsterniß schu-

„fen, so, daß hier und da die Bewohner der

«Länder zitterten, und Fürsten — dem Ungewit„ter abzuwehren — oft zweckwidrige Anschläge

„faßten. —Allein noch sind seine Plane zur Aus-

„führung nicht gereist. Er liebt mit Enthusiast «mus die Natur. Langsam und dennoch fegen„verbreitend geht diese in ihren Operationen zu

„Werke. Nie wollte er, wie manche Stftcrerjie* „her und Afterpolitiker des an Begebenheiten und

„menschlichen Kraftanstrengungen, mitunter auch

„ an belachenswürdigen Thorheiten, so reichen „achtzehntenJahrhunderts, dieFrucht vvr der

„Blüte brechen. Aber fest ist sein Charakter, „liebenswürdig sein Herz; denn reines Wohl-

„wollen beseelt es inniger, als gepriesene landeS«väterliche Huld manche» vom sauer» Schweiße

„ der Unterthanen prassenden Fürsten, und still

„wirkt immerfort sein Geist jtmt Besten seines

„Volks, wie die nie rastende Natur in ihrer ver„borgenen Werkstäte, wo sie dem Menschen un«gehoffte Segnungen aus ihrer unerschöpflichen

„Fülle bereitet, um sie r« seiner Zeit mit milder „Hand ihm ru spenden,"

„Das muß ein treflicher Fürst sein," ewü

bette ich, „werth, einem Friedrich, Leopold „und Cyrus zur Seite gesetzt zu werden.

Ist

„gleich sein Wirkungskreis nur klein, so ist doch „seine Sele größer, als die Sele gewöhnlicher „Fürsten. Einem solchen Fürsten wäre das Le-

„bensalter Nestor's oder gar Unsterblichkeit

„auf Erden zu wünschen, wenn er am Ende „selbst nicht zu viel dabei verlöre. Denn was ein „solcher Fürst in einer langen Regierung aus-

„säet, das muß Jahrtausende Früchte tragen, das

„vermögen viele Jahrhunderte unter schlechte» „Regenten sicher nicht r» zerstören." „Richtig, versetzte Lindor, denn auch das

„Gutewurzelt »ach den Einrichtungen desSchöp-

„sers zum Glück der Menschheit so sest, daß die

„Plane der Widersacher gewöhnlich scheitern, und

„es gehören ungeheure Kräfte dazu, den durch

„ eine gute Bearbeitung fruchtbar gewordnen Bor „den wieder in eine unfruchtbare Wüste tu ver-

„wandeln. Wenn in der Geschichte der Völker „Fälle dieser Art zuweilen wirklich uns ausstoßen, „so müssen wir zu Voraussetzungen versteckter

„Plane einer höhere Weisheit unsere Zuflucht ueh„men, die denn doch auch der Erfolg in der Ge-

„ schichte der Staaten gewöhnlich immer gerecht„fertigt hat. Wenn auch hier und da ein Reich „zu Trümmern gieng, so pflanzte sich doch die „Masse des in demselben vorhandenen Guten auf „andere Länder fort, und das Menschengeschlecht

„hob sich int Ganzen zu einer immer schöneren „und vvllkommneren Kultur." „Ich möchte den Mann kennen, fuhr ich „fort, der den Fürsten so sehr zu verlaugue»

„weiß, daß er selbst mit Aufopferung jenes G l an„zes, der gewöhnlich die Fürsten mugiebt, und „in der Meinung der Kleinen und Großen so oft „für wahre Größe gilt, nur dasGlück seine-

„Volks zu befördern strebt; -er selbst die Ränke

„der

193

„der Kabale, die sich seine« edelsten Bestrebun„grn und seinen süßesten Wünschen — im fin# „Aern schleichend — widersetzt, mitleidsvoll »et#

„acktet, und fest wie die Gottheit seinem gro#

„fielt, lange durchdachte« Plane getreu bleibt; „der mehrere Tagereisen nicht achtet, um eine«

„Weisen auszusuchen, der in schwierigen Fällen,

„mit geprüftem Rath ihn unterstützen, und auf „den dunkelsten Wegen sein Führer sein kaum

„Wahrlich, ich mochte ihn kennen, diese« merk# „würdigen Mann, der so ru denken und r« handel« „vermag. Der ihn alS Knabe und Iünglmg einst

„bildete, nabm gewiß das Bewußtsein eine- gro#

„ßen Verdienstes mit sich in feine Gruft." „So bald möchte er nun wohl nicht zu mir

„kommen,

nach seinen letzten Briesen tu ur#

„theilen," erwiderte Lindor, „allein in eini# „gen Monaten hoffe ich ihn bei mir tu sehn.

„ Dan« sollen Sie einen der edelsten Fürsten, der „es werth ist, em glücklicher Fürst tu sein, ».bei mir kennen lernen."

N

Dreizehntes Kapitel. Eine Unterredung zwischen dem Fürsten Doaldo und

Lindor, dem Philosophen im Walde, über ei­ nige beherzigungöwerrhe Materien.

So spräche» wir mit einander, Hand in Hand die lange» Gänge vor Lindor's Sommerhaus«

hei der lieblichen Sonnrnwärme durchwandelnd. Da nahet« sich «»-, indem wir uns «mwendeten, in eine» graue» Oberrvck gehüllt, ein Man» von

ernstem aber Ehrfurcht heischendem Ansehn. Linvor näherte sich ihm ehrfurchtsvoll, in einer Fas­ sung, wir wenn man unvermuthrt, aber ange­ nehm, überrascht worden ist, und jener begrüßte de» Greis, wie ein Freund den Freund ru begrü, ßen pflegt, durch eine herrliche Umarmung.

»Ich habe Sie überrascht, ehrwürdiger Al­ fter, wie ich mir schon lange eS vorgenomme» „hatte"; begann der Fremde. „Jetzt sollen Sie

„mich auch unter einigen Tagen lvß werden, den» „nicht ich habe vieles mit Ihne» r» plaudern. Wer

rsr „ist der junge Mann dort, den ich «och nie in »Ihrer Gesellschaft gesehn habe?" „Es ist ein Freund, erwiderte Lindor, den „ein theils unglücklicher, theils glücklicher Zufall „auf seiner Reise mir »^geführt hat." Er er»Lhlte darauf mit wenigen Worten die Veranlassung unsrer Bekanntschaft, und fügte hinru: „Wir „sprachen eben von dem edlen Fürsten Toaldo, „und dachten «ohl nicht, daß uns das Glück f» „ nahe sei, durch eine unoermuthete Überraschung «ihn plötzlich vor «NS |u sehen-" Ich trat mit einer ehrfurchtsvollen Derben, gung jurück, allein er faßte mich liebreich bei der Hand, und sprach: „meines Lindor's Freunde „sind auch mir herrlich willkommen. Bleiben „Sie, junger Mann, und lassen Sie sich durch „meine Darwischenkunft in Ihrer geselligen Um „terhaltung nicht stören. Ich will daran Theil „nehmen; denn wo Lindor spricht, da finde ich „immer etwas für mich zu lernen." „Sie haben Recht, durchlauchtiger Fürst," erwiderte ich, „auch ich habe dies in diesen für „mich so glücklichen Tagen erfahren. Ich liehe Na

19$

„den Mann mit wahrem Enthusiasmus, mit mehr

„als kindlicher Ehrfurcht, der an allem, was

„Menschen betrift, mit solcher Wärme Theil

„nimmt, der noch am Abende seines gewiß einst

„ thatenrrichen Lebens des immer höher steigenden „Glück- und der Veredlung sich freut, $u wel-

„cher das Menschengeschlecht sich mit raschen

„ Schritten empvrarbeitet. O daß es viel solcher „Manner gäbe; wie groß müßte die Aussaat des

„Guten, wie reich der Ertrag deck Segens in der „noch ungebornen Zukunft sein! Aber es giebt

„ihrer doch wohl mehr als wir denken.

In al-

„len Gegenden der Erde zerstreut, wirken sie mit

„unsichtbarem Bestreben; denn des Guten keimt „überall zu einer künftigen Erndtr für die glück-

„liche Nachwelt viel. Und mich dünkt, es ist „das werdende Verdienst unserer Zeiten, daß eS

„ Männer giebt, wenn ihre Anzahl auch nur noch „klein ist, die— mit dem mehr als alles lohnen„den Bewustsein ihres Herzens zufrieden — im

„Stillen Gutes wirken. Die wahre Tu„gend kann wohl zwar nie gleichgültig gegen das „Lob der Zeitgenossen sein, allein sie ist doch zu

1-7

»erhaben, um jenes oft täuschende Lob tunt „ einzigen oder auch nur hauptsächlich-en Stets» „ ihrer Handlungen zu erheben." *) *) WaS der Verfasser der Reise des jünger« Ana, charsts durch Griechenland in folgender Stelle sagr, läßt fid) wohl zur Ehre der Menschheit und ihrer höher» Kultur in unser «Zeiten, nur von jenen auch ip Griechenlands blühendster Periode im Allgemei­ nen doch mit dem Stempel der Rohheit gezeichneten Zeiten behaupten. „On ne peut (spricht er) trop insister sur „une reflexion si aftligeante ponr Lhumanite. ,, Dans ce long Intervalle de paix ( depuis la „ mort de Codrus jusqu’a la premiere olym„ piad'e, pöndant l’espace de 316 ans) dont jouit „l’Attique , eile produisit, saus doute , des „ Coeurs nobles et genereux, qui sc devouerent „an bien de la patrie; des hommes sages dont „les lumieres entretenoient l’harmonie dans „tous les ordres de l’etat; ils sont oublies, parce „qu’ils n’eurentque desvertus. S’ils avoient fait „ couler des torrens de larmes et de sang, leur „nom .aurpit triomphe du temps, et, au defauc „ des historiens, les monumens qu’on leur au„ roit consacres, eleveroient encore leurs voix „au milieu des places publiques. Faut-il donc „ecraser les hommes , pour meriter des autels’ — Voyagc du jeune Anacharsis en Grece etc. Tome I. p. 87-

».Ihr Eifer für- Gute gefällt mir, edler „Fremdling," versetzte. Loaldo, „Sie werden „der Welt, und dem Vaterland«, dem Sie zuge»

„hören, ein- viel nützen, dafür bürgt mir Ihr „Gesicht und der Enthusiasmus Ihrer Rede noch „mehr als Ihre Worte. Sie Haden Recht, und „ich finde in dem Augenblicke e- aus der Sel« „des edlergedildeten und nach festen, der „ Menschheit würdige« Prinzipien handelnden Men,

„ schen geschöpft, wa- der Römische Dichter sagt: Virtu*, repulsae nescia sordidae» Intaminatis fulget honoribu»,

Nec siimit aut ponit secure* Arbitrio popularis aurae. *)

Das Gespräch wurde bald «rnstbaster, und lenkte sich auf die Angelegenheiten des Staats, den Tvaldo beherrschte. Ich wollte gehen, um

die beiden Edlen in ihrem Gespräch nicht t« sti­ ren, Allein Lvaldv hieß mich bleiben, wen» nicht

•) Hör. D. 3- S»e X.

rum besten anderer, wenn du auch noch so arm „bist!" Diese Gedanken und Vorstellungen suche man dem Geiste jedes, auch des geme in stev KindeS, anschaulich und werth ru machen. Herrliche große Fruchte wird er tragen! Da im Gegentheile, wo die-

„Wie sehr haben meine gute» Bürger, als „ich im vorigen Jahre, um der Armuth und Bet, „telei, iroei so verderblichen Uebeln eine« Staats,

„noch mehr r« steuren, einige, wie ich glaube, „nützliche Anordnungen macht«, meine guten

ferSinnund Gemeingeist fürs gute fehlt, alle dogmatische Spitzfindigkeiten und daS Wortgeklingel andächtiger Sätze den Vuben nie rum Heiligen umstempeln werden. 3d) kan hier nicht umhin, unter dem vielen Guten, was Berlin, die Resident de- gütigen Friedrich Wilhelm II. au fruweisen hat, die feit einigen Jahren unternommene Anlegung mehrerer Er­ werb / und Industrieschulen besonders ausruheben, zu deren Gründung und Unterhaltung so viele derEinwohner diese Stadt durch einen reichlichen Beitrag sich auf mehrere Jahre verpflichtet haben, und in welchen wirklich schon viel geleistet worden ist. Wenn Staats­ männer, Gelehrte, Kaufleute, und biedere Handwerker, sich wie hier, mit sichtbarem Eifer, die Vervollkommnung solcher Anstalten angelegen sein lassen, und nur Freude über das schon bewirkte Gute ihr einzigerGewinn ist, dann läßt sich wahrlich mit Grunde auf eine m erkliche Veredlung der Mensch­ heit indem mit starcken Schritten sich nähernden Jahr­ hunderte hoffen. Anmerkung deS Herausgebers.

„ Absichten unterstützt; wie thätig Mit einem gro„Ken Aufwande von Kraft und Veilm-g-n »um „Besten des Ganzen mitgewirkt! — Wahrlich, „mein Herz war bei diese» redenden Beweisen „von Vaterlandsliebe und Bürgertreue „aufs innigste gerührt!" „WaS übrigens die Mittheilung des Tadels „bei Gesetzen des Landes nnd iffentlichen Ein„richtungen anbetrist, welche jedem Bürger in „einem gut eingerichtete» Staate frei stehen muß, „und t» welcher ich jeden Bürger aufs drill„gendste aufgefordert habe, so muß er doch „immer in das empfehlende und angenehme Ge, „wand der Bescheidenheit eingehüllt sein, weil „sonst der Nutzen entweder ganz wegfallen, »der „doch sehr gehindert werden würde. Den» hih„irischer und unbescheidener Tadel erbittert das „ Gemüth, und Erbitterung hindett auf alle „Weise bei dem Getadelten die nLthige Derbes„serung des begangenen Fehlers. Bei einem „Staate, an dessen Spitze Männer von geprüf„ ter Redlichkeit und Erfahrung, und entschiedenem „Werthe stehn, ist dir», meines Erachtens, um so

-o„so unverantwortlicher, da begangene Fehler hier „ihren Grund immer nur in dem, was nun ein* „mal das allgemeine Loos der Sterblichen ist, „und — wenn gleich immer weniger — bleiben „wird, in einem Irrthum haben können. Die „Achtung, welche jeder Bürger dem Staate, rn „welchem er gehört, und von welchem sie wieder „auf ihn rurückfällt, schuldig ist, feiert hier „laut von einem jede» Bescheidenheit. „Denn ein unbescheidener Tadel könnte ja „leicht das Vertrauen, welches jeder Bürger „rum Staate und dessen Regenten nothwendig „haben muß, wosern die große Maschine in der „gehörigen Ordnung bleiben soll, bei denen we* „ nigstens schwachen oder gar gänzlich vertilgen, „welche nur mangelhafte Einsichten und ei», „geschränkte Kenntnisse besitzen- Und daß all« „Bürger eines Staats in Ansehung aller Zweige „der so verwickelten Staatsverwaltung, die nur „ein geübtes Auge ganr zu durchschauen vermag, „gleich einsichtsvoll und aufgeklärt sein sollten, „ist doch wohl nicht r» verlangen. Bei denen, «die es nicht sind, muß doch wenigstens das Der* 0

„trauen ium guten Willen und zu den Kennt» „Nissen derer vorhanden sein, die zur Leitung der „Regierungsgeschäfte einmal bestimmt und für «tüchtig befunden worden sind." „Laut mag also immerhin der Bürger feine „ Stimme erheben, wenn er bei einer neuen Ein» „richtung oder Verordnung da-Wohl-de- Staat„in Gefahr glaubt. Das ist rühmlich, denn „es ist seine Pflicht, und muß --- wenn auch „der Tadel aus Unkunde herrühren und also an» „gegründet sein sollte — ihm verziehen wer» „den. Denn auch der gute Wille behält sei» „neu Werth, und auch dem Bürger muß $tt „irren erlaubt sein, obgleich nicht leicht vor» „austusetzeu ist, daß jemand ohne alle vor» «läufige Prüfung feine Meinung und den darin «enthaltenen Tadel Vorbringen werde. Allein, eS „mag flch damit verhalten, wie es wolle, so „bleibt Bescheidenheit beimVortrage und «bei der Mittheilung des Tadels doch im» „mer eine unerläßliche Pflicht. Und billig «sollte ja jeder gebildete Burger eines Staats, «dessen Verstand durch Wissenschaften und durch

„die Kultur der Künste geschärft und verfeinert „ist, Bescheidenheit undAchtung in seinem „ganzen Verhalte« gegen andere, selbst -ege« die „Geringsten, die doch die ersten bürgerliche« „ Rechte mit ihm im gleiche» Maaße besitzen, für „die ersten seiner gesellige«Pflichte« erkennen." «Ich habe darum immer einen nicht geritv „gen Widerwillen in mir empfunden, wenn ich „bei den literarische» Streitigkeiten vieler @e< „lehrte» so oft einen gänzlichen Mangel an „Bescheidenheit und gegenseitiger Achtung, welche „doch schon der Mensch dem Mensche» ohne „alle weitere Rücksichten schuldig ist, be, «merkte. Zwar ist dies in meinem Staate „aiun schon seit einer langen Reihe von Jahre« „der Fall nicht mehr gewesen; aber daß es in „andern Staaten doch dann und wann noch ge, „ schicht, davon habe ich in manche« kritische» „Blättern, und in einzelnen Streitschriften Be„weise genug gefunden" *) *) Ich muß hier meineLeser, auf Die lesenSwerthett Ge­ danken verweisen, welche Herr O. K. R. Letter in 0 2

„Allein wie fange ich es a»/ ehrwürdiger „Linder/ den Geist der Verfolgung/ in „Ansehung des Glaubens und derReligionSr „Meinungen/ der auch »och in meinem Lande „(wenn gleich nur im Verborgnen/ aber gewöhn„lich desto verderblicher) umher schleicht/ endlich „ganz tu verdrängen? Ich muß gestehe« / dieser „Gegenstand hat mich schon lange beunruhigt/ „und vergeblich erschöpft ich meine ganze Erfin„dungskraft. Viele Geistlichen/ selbst in meiner „Hauptstadt/ nähre» absichtlich den Geist der „Zwietracht/ der in seine» Wirkungen um so „schrecklicher ist/ da er eine» so ehrwürdigen „Gegenstand betrift/ als die Religio» mit „Recht in de» Augen jede» Menschen ist. 7 einer andern Art des Betriebs ihrer gewohnten Geschäfte, weit mehr Vortheile ru erhalten wä­ ren , wie das der Fall bei denjenigen fein müßte, welche, wenn sie ihr Flachs roh verkaufen, nun alle die großen Vortheile entbehren müssen, die diejenigen erhalten, welche es weiter verarbeiten, und einen überall viel Vortheil dringenden Lein­ wandhandel treiben. Ich kann mir diese Erscheinungen nicht an­ der- als §us einer gewissen Stumpfheit und Ver­ drossenheit des Geiste- erklären, die ihren Grund nicht in einer natürlichen Trägheit, sondern in de» früh eingefogenen falschen Vorstellungen von Arbeit und Mühe tu haben scheint. Viele Menschen, besonder- in den niedern Ständen, hbren von Jugend auf al- Kinder, von ihren El­ tern und andern, so oft diejenigen glücklich , prei­ sen, von welchen, indem man fie gewissermaßen beneidet, gesagt wird- „daß fie den ganje» Tag „nicht- thu» dürften, daß fie ihr Essen undTrin, „ken voll auf hätten, und daß es ihnen au nicht»in der Welt gebreche." Die Bedauern-würdi-

ryr gen wisse» nicht, daß Mangel an Arbeit der schrecklich Ke Manges ist, und so viel Vergnügen fie bei vieler und seihst angestrengter Arbeit durch Gesundheit, Appetit und Ruhe, welche die Arbeit verschast, haben kvnflten, so rauben sie sich doch diese« reelle Vergnügen dadurch, daß sie ge­ wissen Vorstellungen nachhHngen, an welche sie nun einmal hie Idee des Vergnügens geknüpft habe». Sie jagen, wie so viele Menschen in allen Ständen, hem Schatten nach, den sie »iemals erhaschen sinnen, indem fit das Wahre, vielleicht eben dqrum, weil es ihnen überall so nah« ist, und fie es so leicht erhalten könne», vorbei ge­ hen, oder wohl gar von sich stoßen. Diese Vorurtheile, welche Arbeit und Mühe als eine harte Last ansehen, und den segensvollen Ausspruch: „JmSchweiße deines „Angesichts sollst du dein Brodt essen," in den Fluch einer erzürnten Gottheit verwandeln lehren, sind auch unstreitig die Ursache, daß be­ sonders die ungebildete Klasse von Menschen so gern beim Alten bleibt. Es würde ficher von

199 guten Folgen sein, wenn der Landmann von den vorgeschlagenen Verdesscrnngen Ge-rauch machte, welche erfahrne und menschenfreundliche Landwirthe tuweilen bekannt machen, um den Mitgliedern die­ ses so nützlichen und ehrenwerthen Standes sowohl ihr Geschäft zu erleichtern, als auch einen rei­ chern Ertrag des besser und zweckmäßiger bearbeiteten Böhens zu verschaffen. Allein so weit meine Erfahrung iq dieser Hinsicht reicht, hab' ich im­ mer gefunden, daß die Landleute sehr schwer dar­ an giengen, von solchen vorgeschlageflen Verbes­ serungen Gebrauch zu machen, und sich grvßestentheils, wenn sie von ihrer Gutsherrschast oder andern recht dringend dazu aufgesvrdert wur­ den, gerade dawider erklärte». Daß Leute, die faff durchgängig noch ohne eigentliche, zweck­ mäßige Jugendbildung auswachsen, zur Behaup­ tung ihrer Abneigung keine weiteren Gründe wer­ den vorbringen könne», als- „mein Vater und „Großvater haben's eben so gemacht, als ich, „uyd haben ihr Brodt gehabt, und sind alt ge„worden; ich will auch dabei bleiben," läßt sich leicht begreifen. Daß aber, wenn man die Sache

als Menschenbeobachter und Menschenkenner ge­ nauer untersucht, wohl nicht« anders als die dunkle Vorstellung von Schwierigkeiten und Furcht vor neuer ungewohnter Anstrengung und Arbeit, die man sich als hart und unfreundlich, aber nicht als süß und belodnend zu denken gelernt hat, bei dieser Abneigung |um Grunde liege, ist eben so begreiflich. — Wenn noch etwas in dieser Hin­ sicht, so wie die Sache» jetzt stehen, tu gewin­ nen wäre, so könnte es, meine- Erachten-, nur durch den Einfluß de- Beispiels bewirkt werden, welche« bei Menschen dieser Art gewöhnlich weit mehr thut, al- die gründlichste Belehrung. Wenn sie auf den Feldern ihrer GutSherrschast »der ihres Prediger- in einer Reihe von Jahren das Getreide immer besser als da- ihrige stehen sehen, so denke« sie endlich wohl bei sich selbst, jene ihnen so sehr angerühmte und empfohln« neue Art, ihr Feld zu bearbeite«, oder ihre Wielen zu benutzen, ihr Vieh zu füttern, sei doch wohl bes­ ser, al- ihre bisherige, und erndten dann durch spate Nachahmung deS Beispiels doch noch die Vortheile rin, dir sie bei einer größeren Geneigt-

3oi

heit, neue Vorschläge wenigsten- |n prüfen, weit

früher würden haben einerndten können.

Zwanzigstes Kapitel. Auch etwas über Aufklärung.

Man steht hieran-, wie sehr alle diejenigen Um

recht haben,.welche erklärte Feinde und Gegner der Aufklärung überhaupt, und der Aufklärung der niedern Klaffen des Volks in-besondere, sind.

Es mag wohl freilich auch hier, wie bei so vie­ len andren Dingen, über welche gestritten wird, ein Mißverständniß, oder Mangel an Bestimmt, heit und Deutlichkeit der Begriffe, rum Grunde liege«. Wenn von beiden Seiten der Streit für die einmal in Schutz genommene Meinung mit

Leidenschaft und Hitze geführt wird, so wird dadurch freilich nichts gewonnen, vielmehr bleibt

gewöhnlich die Wahrheit in der Mitte, »der man

3oi

heit, neue Vorschläge wenigsten- |n prüfen, weit

früher würden haben einerndten können.

Zwanzigstes Kapitel. Auch etwas über Aufklärung.

Man steht hieran-, wie sehr alle diejenigen Um

recht haben,.welche erklärte Feinde und Gegner der Aufklärung überhaupt, und der Aufklärung der niedern Klaffen des Volks in-besondere, sind.

Es mag wohl freilich auch hier, wie bei so vie­ len andren Dingen, über welche gestritten wird, ein Mißverständniß, oder Mangel an Bestimmt, heit und Deutlichkeit der Begriffe, rum Grunde liege«. Wenn von beiden Seiten der Streit für die einmal in Schutz genommene Meinung mit

Leidenschaft und Hitze geführt wird, so wird dadurch freilich nichts gewonnen, vielmehr bleibt

gewöhnlich die Wahrheit in der Mitte, »der man

entfernt sich noch weiter von derselben, und oft

werden gau, fremdartige Gegenstände in den Streit mit hineiugetogeu, und die Sache wird immer

verwickeltet. Dies ist gewiß auch der Fall bei dem Streite, der so oft darüber geführt worden ist, ob man

den Landmann und überhaupt die niederen Volks­ klassen aufklären müsse, oder nicht.

Diejenigen,

die es verneinen, haben gewiß unter dem Worte Aufklärung, $u viel begriffen, und überhaupt

das, was sie sich nun einmal Mrunter tu denken gewöhnt hatten, ohne Unterschied auf alle Klaf­ fen von Bewohnern eines Staats in Gedanken

gepaßt, woraus den» freilich Resultate bei ihnen entstehen mußten, welche ihre der Aufklärung un­

günstige Meinung rechtfertigen konnten. AUS dieser, wie mich dünkt, nicht unrichti­

gen Voraussetzung, läßt sich denn auch der Ein­

wurf erklären, den man sehr oft gegen die Be­ hauptung: daß man auch die niedern Volksklasseu

also den Läudmanu, den Soldaten, den HandWerksmanu üud Tagelöhner aufklären müsse, vvrtzebracht hat. Man sagt nehmlich (ich fetze hier-

303

bei voraus, daß von der Aufklärung der niedern Stande durch Erziehung und Unterricht in der

Schule vorzüglich die Rede ist)L Kinder, welche nach den Vorschlägen der neuerst Erzieher in der

Schule über Dinge und Verhältnisse belehrt wer­ den sollen, von welchen sonst bei unsern lieben Vorfahren nie dieRede war, (bei welchen Rechnen,

Schreiben, Lesen und Christenthum vielmehr die ein­

zigen Gegenstände des Jugendüttterricbts ausmach­ ten, welche überdem nur mechanisch, aber nicht

mit Uebüng der Denkkraft, betrieben würden), würden für die künftigen Jahre ihres Lebens un­

glücklich; ihre Kenntnisse und Gefühle würden einer Sphäre angepaßt, in die sie nie kommen könnten; es würden Wünsche- Triebe und ein Hang zu Bedürfnissen in ihnen erzeugt, die nie be­ friedigtwerdenkönnten, und was dergleichen mehr ist; Dieser Einwurf würde nicht ungtgründet sein, westtt diejenigen- die der entgegengesetzten Meinung sind-

verlängten-daß man dem künftigen Landmantte, Handwerker- Soldaten und Tagelöhner in der Schule recht viele und aüsgebreitete Kenntnisse,

ohne genaue Auswahl des sük ihn grads ge-

3Q4

hörig«» und

brauchbaren mittheile», und sei«

Gefühl auf eine Höhe und »u einer Feinheit

bringen solle/ die in der That so oft in dem mittleren und hohen Stande den Geist erschlafft/ und zu jeder edleren Thätigkeit unaufgelegt macht. Allein diese Befürchtung ist ohne allen Grund/

wenn man unter Aufklärung nur die Mitthei­ lung solcher Kenntmsse versteht/ welche die Thä­ tigkeit des Menschen in dem ihm künftig angewiese­

ne« Berufe vermehrt, Erfüllung der Bürgerpflichten

in den noch so verschiedenen Stände» durch in­ nere Gründe, die seine an allerlei Gegenständen des Denkens geübte Dernuuft aufzufassen und tu

billigen im Stande ist, motivirt, und sein Herz solche» Freudegenüsse» öffnet, welche jede Nei­

gung des Hertens veredle», die Liebe tur Pflicht stärken, den Geist in den Augenblicken der Mutze angenehm beschäftigen, und überhaupt eines ver­ nünftigen Wesens (welche- auch der nie­

drigste und ärmste Bürger eines Staat« doch

immer ist, und bleiben wird) anständig sind. Eine solche Aufklärung ist gewiß auch für die nie-

3Os

niebriciftcn Stände nicht nur zuläßig, sonder« höchst wünschenowerlh.

Ma» 'uche deshalb auch den Geist des jungen Laildniaurs an die unschuldigen Freude» zu ftff.'ln,

und mit den sanften Vergnügungen recht ve-traut zu mache»,

die aus Kenntniß und

künftiger

eigener Bemerkung übet die Dinge und Erzeug­ nisse in der ibn umgebende» Natur entstehen; Ver­ gnügungen- welche der Arme wie der R'iche ge­

nießen, und wodurch sich ersterer besonders » An,

sekung mancher unvermeidliche» Leiden schadlos halte» kann; Ver nügungen, die von d e r Art

find,

daß ihr Genuß nie Elel und Ueberdruß

erweckt, sonder» »i»lmehr den menschliche« Gei­ rn de» Herzerbebeuden Betrachtungen der Größe

und Liebenswurdigkeft des Schopfs, und zu den

schönste» und edelste» Entschließungen hinleitet. —

Man suche ihm den Srand, zu welchem er be­ stimmt ist, recht ehrwürdig und werth zu machen, welches für seine künftige Thätigkeit von ent­ schiedenem Nutze» ist, aber dadurch cft gar sehr

gehindert wird, daß Eitern ost in Gegenwart ihrer U

30 6

Kinder nur von de» Beschwerden und Unatv »ehmlichkeiten ihre- § taides sprechen, hinge­ gen de- Guten, welches mit ihrer Lage Verbum den ist, und welches der Mensch überhaupt so leicht ru übersehen pflegt, nicht erwähnen. — Man wecke und belebe früh in ihm die Nei­ gung fürs Vaterland und dessen Regenten, welche gerade in dieser Leben-periode am tiefste« Wurzel zu fassen pflegt; man verschweig? ihm aber auch nicht da- Unangenehme seines Stan­ des, welche- ihm doch nicht unbekannt bleibe« kann, desse» frühe richtige Kenntniß und Würdi­ gung ihm vielmehr für die Zukunft sehr nützlich «erden muß. Denn da bas Glück oder Unglück der Menschen häufig, ja in den mehreften Fallen, von der eigenen Vorstellung abhängt (eine Wahrheit, welche die Erfahrung täglich bestätigt, indem für den einen da- oft ein große- Unglück ist, was des andern Gemüth nicht im gering­ sten erschüttert): so fleht man leicht, wie viel Gute- hier für die künftige Zufriedenheit der Mensche» gewirkt werden kann, wenn Kinder früh mit dem rechten Gesichtspunkte vertraut gemacht

307 werden, aus welchem allein das Glück oder Un­ glück der Menschen bestimmt werden kann. Hier ist der Zeitpunkt, wo man dem jungen Geiste unvermerkt eine gewisse Festigkeit des Cdarakters beibringen und zu eigen machen kann, die sein ganze- künftiges Leben mit den wohlthätigsten Folgen beglückt. Hier ist der Zeit­ punkt, wo man ihm durch Unterricht und Bei­ spiele die große Wahrheit anschaulich mache» kann, daß das wahre Glück des Menschen, ei» ruhiges, zufriedenes und unbekümmer­ tes Herz, nur von Rechtschaffenheit und ununter­ brochenem Wohlverhalten adhängt, und daß, wer diese vernachljßigt, auch sein Glück verscherzt. Da lernt er die Quelle diese« Glücks in dem rastlosen Bestreben finden («»zu ihm das Vater­ land Beispiele darstellt), seine Berufspfiichten treu, ja oft mit Aufopfrung, zu erfüllen, und anderen Menschen neben sich so viel Freude und Vergnü­ gen zu machen, als es ihm möglich ist. Ueberzeugt, daß er vielleicht nie in die Lage kommen werde, die mehr in die Augen fallende Lugend der Wohlthätigkeit gegen Dürftige auSU2

zo8

zuüben, weil er zum Theil selbst unter diese Gat/ tunq der Erdbewohner gehört, lernt auf diesem Wege einer zweckmäßigen Bildung auch der nie­ drigste Bürger des Staats, der oft so wenig geachtete Lan^mann oder Taglöhner, die sausten Pflichten der Menschlichkeit und des Wohlwollens kennen, die auch der Aermste im Umgänge mit seinen Nebenmenschen, tobst der Soldat im Kriege wie im Frieden erfüllen kann. Von wohlgeleiteter Ehrbegierde, in Hinsicht aus genaue und pünktliche Erfüllung der Pflichten seines Be­ rufs, belebt, wird er den Beifall Gottes und sei­ nes Gewissens, und den ihm bei solchen Grund­ sägen gewiß nicht entgehenden Beifall seiner Dor­ geätzten und enter Menschen über alles schätzen, und sicher werden niedrige, die Menschheit entehrende Handlungen bei einer solchen Be­ handlung auch in den niedrigsten Ständen immer seltener werden. Von Gefühllosigkeit und empfindelnder Weichlichkeit, (dieser Pest der Sele) gleich weit entfernt, wird ein so geleiteter Jüngling stets die Pflichten seines Berufs in jeder Lage des Le­ bens, von Liebe gegen das Vaterland und gegen

den guten Regenten durchdrungen, gewissenhaft erfüllen, und — den aus solchen Grundsätzen in

der Schlacht mit Löwenmuth kämpfenden Krieger wird auch der Anblick der leidenden Menschheit

mit teilnehmender Wehmuth erfüllen, und er wird auch dann nicht, wenn er es ungestraft thun könnte, Handlungen verrichten, $u welchen Raub/ sucht, Eigennutz und Grausamkeit den rohen, um

gesitteten Krieger sicher verleiten.

Ein und zwanzigstes Kapitel. Ein Selitnflcbirfle um — eine Erschein»«- in demselben.

Furchtbar drohend fiel plötzlich die ungeheure Masse,

welche die Natur beim Beginn ihrer

Schöpfungen hier regellos hingewvrfen zu habe»

schien, um des Sterblichen kühne Schritte $»

hemmen, in unser Auge, als wir eines Tages bald nach der Mittagsstunde, aus einem lange».

den guten Regenten durchdrungen, gewissenhaft erfüllen, und — den aus solchen Grundsätzen in

der Schlacht mit Löwenmuth kämpfenden Krieger wird auch der Anblick der leidenden Menschheit

mit teilnehmender Wehmuth erfüllen, und er wird auch dann nicht, wenn er es ungestraft thun könnte, Handlungen verrichten, $u welchen Raub/ sucht, Eigennutz und Grausamkeit den rohen, um

gesitteten Krieger sicher verleiten.

Ein und zwanzigstes Kapitel. Ein Selitnflcbirfle um — eine Erschein»«- in demselben.

Furchtbar drohend fiel plötzlich die ungeheure Masse,

welche die Natur beim Beginn ihrer

Schöpfungen hier regellos hingewvrfen zu habe»

schien, um des Sterblichen kühne Schritte $»

hemmen, in unser Auge, als wir eines Tages bald nach der Mittagsstunde, aus einem lange».

3io

düstern Walde in- Freie traten. I» Form eines Amphitheatersbreitete sich ein nacktesFelsengebirge, dessen dicht an einander liegende Steinberge mit ihren Spitzen den Himmel |U berühren schiene», vor uns au-, und überraschte uns mit einem um «warteten, noch nie gesehenen Anblick. Die kühnste Phantasie sand ihre dichterischen Täuschun­ gen hier verwirklicht, und da- große selbstge­ schaffene Bild ward hier gewiß durch die allmäch­ tige Hand der Natur übertroffen. Robert «ar wie ich bei dem Anblicke dieser neuen Erscheinung, dieser furchtbar erhabenen Schö­ pfung der im Großen wie im Kleinen bewundrungs« würdigen Bildnerin Natur, mit sichtbarer Rüh­ rung durchdrungen. Wir staunten beide eine Zeit­ lang schweigend diese ungeheure, vor uns aufgethürmte Masse, an; denn niemand hatte uns auf diese Erscheinung vorbereitet, die uns folglich desto mehr überraschen mußte, da unser Weg eine Zeit­ lang bald über Berge, bald durch Thaler gegan­ gen «ar, und eine große Waldung dieses Felsen­ gebirge auf der Seite, von welcher wir kamen, dem neugierig forschenden Blicke des Reisenden

SU bis auf den Augenblick verbirgt, in welchem eS plötzlich, wie durch ein Allmachtsworl aus dem Nicht- hervorgerufen, vor seinen Augen steht. Ich befand mich auf einmal in die einbildungSreichen Tage meiner frühesten Kindheit ;u, rückgeworsen, wo sich ungeheure Berge vor mir eröffneten, und mich in ihrem Innern verwünschte Schlosser, von lauterem Golde glänrende Paliäste, schreckliche, furchtbare Riesen, wilde Thiere, und mehr dergleichen Gebilde einer jugendlichen, erhitzten Einbildungskraft sehen ließen, je nachdem es der Pflegerinn meiner Kindheit gefiel, meine Wünsche nach wunderbaren Geschichten ans diese vder jene Weise t» befriedigen, wobei mir doch immer, wie ich mich noch gant deutlich erin­ nere, recht wohl «ar, wenn ich mich gleich m Zeiten bei der Erscheinung de« Riesen oder eines wilden, reißenden Thieres dichter an sie drängte, und ein Schauer nach dem andern mit einem kal­ ten Froste mich überlief. So ungefähr war mir bei dem überraschenden Anblicke dieser hoch über einander gethürmten Fel­ sen. Unwillkührlich hatten wir beide beim Ans-

312 tritt aus dem Walde, indem diese unyermutdete (Eifdte mnm so gleich unsere starren Blicke sesserre, unsere Pferde angehalten, und einige Minuten Unseren DUcken und unserer mit einem mal so reichlich genährten Einbildungskraft freien kauf gelassen. Fast zugleich unterbrächen wir beide daS Schweigen, indem Bobers, noch ehe ich ihm mei­ ne Eedanken n itrdeilen konnte, ansrief: „ES tw „re wo l der Muhe werth, Herr, denk' ich, in diesen Felsen, die mir dort einen Eingang zu ha­ lben scheinen, ein wenig umber zu wandern; „denn eöist noch früh am Nachmittage, und wir „erreichen doch noch zeitig genug das nachstaele„gene Städtchen, oder finden wenigstens auf einem „Dorfe in der Nahe ein Nachtlager." Plötzlich tonten Roberts Worte, die er, fei­ ner Gewohnheit nach, ein wenig laut und heftig aussprach, fünf oder sechs mal von neuem, in im­ mer schwacher weidenden Tönen, in unsere Obren, und ein vielfaches Echo ergötzte uns eine geraume Seit, indem es jedes unserer Worte auf eine an­ genehme Weise voll neuem uns zurief.

Ich war mit Roberts Vorschlag zufrieden,

313

und da wir keinen Menschen in der ganzen Ebene erblickten/ der unser Fübrer harre sein können, so traten wir beide, allein unsern Weg an. Zu Pfer­ de war indeß auf solchem ungebahnten Wege nicht fort-ukomme.i, das war einleuchtend. Wir sahen uns also nach einem Orte um, wo wir unsere Pürde indeß in Sicherheit bringen könnten, damit sie uns nicht etwa gestohlen würden, weil uns die ganze Gegend unbekannt war, und fanden glücklicher Weise nicht weit von dem bemerkten Eingänge eine tiefe Kluft zwischen einigen Felsen­ stücken, wo wir sie anbanden. Darauf begannen wir unsere Wanderung im Felsengebirge. Zwar entzog der nicht geräumige Eingang uns einen großen Theil des Tageslichts, und-— indem wir hoch über uns nur einen schma­ len Strich des Himmels erblicken konnten, der übrigens an einem der letzten Oktobertage unge­ wöhnlich heiter war — so verbreitete sich, je wei­ ter wir giengen, eine immer schauerlichere Däm­ merung um uns her, die uns indeß doch in einer ziemlich werten Entfernung hellen Sonnenschein sehen ließ. Dies machte uns kühn; und von der

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Hoffnung, bald dahin zu gelange», auf diesem finstern und sehr unebnen Wege gestärkt, ach, tete» wir des gewaltigen Froste« nicht, der unsere Güeder zusammen schüttelte, daß uns unwillkührlich die Zahne klapperten. Es war ein schöner, geräumiger und |um Theil zwischen den zerstreut umher liegenden Feh senstücken mit GraS bewachsener Platz, zu weh chem wir nach Verlaus einer Viertelstunde (so lange dauerte unsere beschwerliche Wanderung durch den engen, ungebahnte» Eingang) gelang­ ten. Noch höhere Felsen boten fich hier unsere« erstaunenden Blicken dar, zwischen welchen auf mehreren Seiten schmal« Oeffnungen die Forsch­ begierde des neugierigen gleisenden reizten. Unsere Streifereien durch dieses Felsengrbirge, wel­ ches durchgehends aus nacktem Sandsteine bestand, dauerten einige Stunden, und oft standen wir unwillkührl'ch still, um einige Augenblicke die uner­ schöpfliche Kunst und die große Macht der Natur zu bewundern, indem wir zuweilen, wenn es uns gelungen war, einen mäßigen Felsen zu ersteige», von dessen Spitze nach einer Seite hi» durch die

;>s Zwischenräume der übrigen Felsen', einer entjufr kenden Aussicht genossen, die eine» desto angeneh­ meren Eindruck ruif uns machte, da wir hier von der ganzen übrigen Welt völlig abgeschnitten zu sein schienen. Oft sande» wir unsern Weg durch eine vielleicht vor mehreren Jahrhunderten durch die Gewalt des Blitzes oder eines Erdbeben- herabgeschleuderte Felsenwand, die «och in der schrä­ gen Richtung, in welche sie beim Herabstürze» |u liegen kam, eine kolossalische Große bildete, plötzlich gehemmt, und nur mit Mühe drängten wir uns durch eine kleine Seitenöffnung hindurch, um aus die andere Seite ins Freie zu komme». Ei» von einer Höhe, die mehr als achtzig Fuß zu betragen schien, zwischen einige« hart an einander liegenden Felsensoitze», sich in einer großen Wöl­ bung mit einem angenehmen Geräusche herabstürzender Wasserfall, bot uns in einiger Entfernung ein neues reizendes Schauspiel dar.

Unser Weg verlor sich endlich in einer hoch­ gewölbten dämmernden Grotte, die einem Tempel ähnlich zu fei» schien, und an deren Eingänge

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grosse Felsenstücke unordentlich durch einander geworftn lagen. Iwischen diesen Felstnstücken war eine Oeffrruru. Um nichrs ununtersucht zu lassen, traten wir hinen; aber — wie erschraken wir, als wir im fernen Hintergründe der Hole eine lange, in ein weiss.S Gewand gehüllte Gestalt gewahr wurden, welche sich nachlässig über ein Felsenstück gelehnt hatte, und uns mit einem wilden Blicke anstarrte. Schweigend sahen wir einander an, und — ohne an eine Geistererscheinung zu denken — er­ regte dieser ganz unerwartete Anblick doch unsere Verwunderung und Neugier. Ehe ich noch die auf meinen Lippen schwebende Frage: „Wer bist „du Unglücklicher, der in der "Nacht dieser un„wlrthbaren Felsen, von allen Lebenden abgeson„dert, seine traurige Wohnung aufgeschlagen hat?" an sie thun konnte, rief diese unbekannte Gestalt, indem sie sich langsam ein wenig erhob, mit wil­ derem Blicke, der jedoch bald in ein sanftes Lä­ cheln schmol;: „Kkmnrst du, Torili? Aber noch „hat ja die Mitternachtsstunde nicht geschlagen. „Dein Gesicht ist blutig? Hat dich auch dort ein

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„grausamer Feind verwundet? Sieh, wie schön „dieQuelle dort sxrueelt, und wie hell derMend „auf dem klaren Gewässer sirmmert! Komm mit „mir zur Quelle; Franziska soll dir das Blut „arls den Wunden waschen, und deine Wunden „verbinden." Indem sie die letzten Worte sprach, kam sie mit raschem, jedoch wankenden Schritte aas uns ZU/ und vor uns stand eine reizende MadöengeAmt, deren Gesicht, obgleich durch Gram entsteht, doch noch die Blüte der Jugend verkündete. „Aber das ist .nicht Torili, mein Glied„ter," rief sie, nachdem sie sich uns bis auf eirrü, ge Schritte genähert, und uns starr angeblickt hatte, worauf sie sich plötzlich umvandte, und mit ängstlicher Stimme sorrfuhr: „Es sind Gei„ster, die mich hier beunruhigen. Sie wollen „auch mich verwunden, wie sie meinen Lorili „verwundet haben." Jetzt verhüllte sie ihr Ge­ sicht in ihre Hände, und sank in ihre vorige Stellung fast ohnmächtig nieder. Ich winkte Rädert, und wir verließen die Unglückliche, und traten, da die Sonne schon tief

hinabgesunkeu war, unseren Rückweg an. Aber

kaum waren wir einige hundert Schritte von -er Grotte entfernt, als ein angstvolles Geschrei uns

nöthigte, stille zu stehen. Wir wandten uns um, und sahen die Unglückliche, die in der Angst alle

ihre Kräfte znsammengeraft haben mußte, mit

unglaublicher Schnelligkeit über einige ziemlich große Felsenstückr» hinhüpfen. „Tvrili," rief

sie, „rette deine Franziska! du warst ja sonst „immer bei mir und schütztest mich in jeder Ge-

„fahr!" — Wir Hirten noch einigemal den Nach­ hall dieser Worte, nachdem sie schon aus unsern

Augen verschwunden war. Robert strömten Thränen über die Wangen;

denn der edle hatte rin gefühlvolles Herz. Auch mich rührte das Schicksal dieser Bedauernswürdi­

gen, welche- aus dieser Scene leicht zu entziffern

war, aufs innigste.

Wir wünschten indeß beide

gleich sehr, einige# Licht über diese Erscheinung

zu bekommen, und beschlossen, beim Heraustreten aus diesem Felsengebirge uns etwas sorgfältiger

umzusehen, ob wir nicht etwa in der Nähe eine Wohnung gewahr würden, um entweder die An-

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gehörigen dieser Nnqlücklichen von dem Aufent­ halte derselben benachrichtigen, oder doch für sie ,um wenigsten einige Hülfe herbei schaffe» r» können.

Zwei und zwanzigstes Kapitel. Welches über die Erscheinung im vorigen Kapitel einiges Licht verbreitet.

Die unglückliche Franriska.

Als wir aus dem lange«, jetzt fast ganz mit Fin­ sterniß bedeckten Eingänge der Felsen, hinan- ins Freie traten, entdeckte« wir auf der einen Seite de- Waldes, aus welchem wir gekommen waren, rin in der Ferne liegendes Häuschen, welches vor­ hin unserer Aufmerksamkeit entgangen war- Da­ hin richteten wir unsern Weg. Wir. näherten uns jetzt dem Hause, und er­ staunten nicht wenig, als wir rings um dasselbe die geschmackvolleste» Anlage» erblickten, welche wie das »war nicht prächtig, aber doch regelmäßig

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gehörigen dieser Nnqlücklichen von dem Aufent­ halte derselben benachrichtigen, oder doch für sie ,um wenigsten einige Hülfe herbei schaffe» r» können.

Zwei und zwanzigstes Kapitel. Welches über die Erscheinung im vorigen Kapitel einiges Licht verbreitet.

Die unglückliche Franriska.

Als wir aus dem lange«, jetzt fast ganz mit Fin­ sterniß bedeckten Eingänge der Felsen, hinan- ins Freie traten, entdeckte« wir auf der einen Seite de- Waldes, aus welchem wir gekommen waren, rin in der Ferne liegendes Häuschen, welches vor­ hin unserer Aufmerksamkeit entgangen war- Da­ hin richteten wir unsern Weg. Wir. näherten uns jetzt dem Hause, und er­ staunten nicht wenig, als wir rings um dasselbe die geschmackvolleste» Anlage» erblickten, welche wie das »war nicht prächtig, aber doch regelmäßig

und schön gebaute Häuschen/ auf einen nicht we, Niger gebildeten/ als wohlhabenden Bewohner schließen ließen. Die Sonne röthete bereits mit ihr-.n letzten Ctralen die höchsten Felsenspitzen, und war im Begriff, unter den Horizont hinab

zu sinken, und einer angenehmen Dämmerung Platz zu machen, die sich bereits zu verbreiten arrflng.

Dies wäre ein übler Umstand für nnö

gewesen, da wir nach unserer Rechnung noch we­

nigstens zwei Meilen bis zum nächsten Städtchen

zuruck-ulegen harren; allein der in seinem Helle­ sien Glanze vor uns über dem Walde emporstei­ gende Veitmond, unsere gewöhnliche Furchriosigkeit und ein geladenes Pistol, welches wir immer bei uns führten, vernichtete jede Desorgnitz, die

wegen der etwas spaten-Wanderung auf unbe­ kanntem Wege in uns hätte aufsteigen können. Schon befanden wir uns in dem geräumigen,

mit Bäumen anmuthig umpflanzten Vorhofe des Hauses und noch sahen wir niemand. Wir traten

ins Haus hinein, aber kein lebendiges Wesen, außer einem wachthabenden Hunde, schien von uns Fremdlingen Notiz nehmen zu wollen. Wir durch­ wan-

311 wanderten das Haus, und öffneten eine Thür, die unserer Meinung nach zum Garte» führen mußte.

Im Hintergründe desselben erblickten wir, als wir hincintraten, eine Menge hastig und wild durch­

einander laufender Mensche».

Wir vermutheten gleich, daß man die Un­ glückliche suche, die wir nicht längst in der Hile

der Felsen angetrvffen hatten. Weinend und hän­ deringend lief unter den Suchenden in besinnungs­

loser Angst eine schon etwas bejahrte Frau umher, welche die Besitzerin dieses Hauses zn sein schien. „Ach meine unglückliche Tochter," rief sie mit

lautem Weinen, „gewiß ist sie todt, daß sie nicht „wiederkehrt. Was wird ihr Vater sagen, wenn „er heimkehrt, und seine Franriska nicht wie„der findet! Gewiß ist ihr ein Unglück jugestoßen,

„und sie ist todt, sonst wäre sie längst wieder

„hier, denn sie kennt meinen Kummer um sie, „und weiß, was ich leide."

Jetzt erblickte sie uns, und eilte aus «ns $tt. Jammernd erzählte sie uns ihr Schicksal, und fragte, ob wir nicht vielleicht einem Frauen« timmer in der Gestalt, wie st« uns dieselbe $

beschrieb/ begegnet wären.

Wir hemmten den

Strom ihrer Klage»/ indem wir ihr die Nach­ richt mittheilte«/ daß ihre Franziska lebe/ und daß wir bei -er Wanderung in jenen Felsen durch

den ganz unerwarteten traurigen Anblick derselbe» in ein nicht geringes Schrecke»/ und in Verwun­ derung gesetzt worden wären.

Ich erzählte ihr

hieraus den ganzen Vorfall/und bat/ daß sie doch

ja sogleich die Unglückliche aufsuchen lasse»/und

in Sicherheit bringen möge/ da sie an Geist und Körper gleich krank zu sein scheine.

Der Uebergang von Angst zur Freude bei der bekümmerten Mutter war unbeschreiblich.

Sie

nannte uns ihre Retter und die Schutzgeister ih­

rer geliebten Franziska.

Die Hellen Freuden-

thräne»/ welche jetzt über ihre Wangen strömte»/

hemmten ihre Sprache/ und der betäubende Wech­

sel zweier so ganz entgegengesetzter Empfindungen,

raubte ihr auf den ersten Augenblick die zur Zeit der Gefahr so nöthige Gegenwart deü Geistes, und verhinderte sie, sogleich die nöthigen Maaß­

regeln zu ergreifen. blick.

Es war ein rührender An­

w Mit hastigen Schritten trat jezt ei» Mann zu UNS/ dessen edles und biederes Ansehen sogleich für ihn einnahm/ und ohne auf uns im Gering« sten r» achte»/ rief er schon von weitem mit einem angstvollen Tone der Mutter zu: „Ist sie todt/ „unsere Franziska? wo ist sie?" „Nein, sie lebt/" erwiderte mit froher Miene die Mutter/ «und diese edlen Fremdlinge sind „ihre Retter." Der Fremde dankte uns mit der wärmsten Aeußerung des Gefühls, ließ sich kürzlich den Vorgang erzähle»/ und eilte da»»/ von einige» Knechten begleitet, um die Unglückliche aufzusuchen, und für die Erhaltung ihres Leben-, welches ihm in großer Gefahr zu sein schien, aufS schleunigste zu sorgen. „Bleiben sie indeß," rief er, „so lange bei meiner Schwester, ich hoffe „bald wieder mit meiner guten, unglücklichen Nich„re hier zu fein.“ Er verließ uns hieraus, und die Mutter er« zählte mir kürzlich die Geschichte ihrer bedauerns­ würdigen Tochter. Ein junger, liebenswürdiger Man», Namen- Torili, welcher Kapitain in * * * scheu Diensten gewesen fei, habe sich vor Xa

324

einige» Jahre» in dieser Gegend angekauft, und mit ihrem Manne, der als Oberforstmeister in der ganzen umliegenden Gegend bekannt sei, und mit den mehresten benacbbarten Güterbesitzer« in ge­ wissen Verbindungen stehe, bald eine genaue Be­ kanntschaft errichtet, aus welcher eine recht innige und feste Freundschaft entstanden sei Er habe gleich anfangs eine besondere Zuneigung gegen ihre Tochter blicken lassen, und weder ihr noch ihrem Manne sei diese Bemerkung unangenehm gewesen, da er ihnen bald als ein Mann von schätzbare» Talenten und vorrüglich von einem hochachtungswürdigen Charakter bekannt geworden sei, weshalb ihn auch alle seine Nachbarn von hohem und niedrigem Stande sehr lieb gehabt hät­ ten. Auch bei ihrer Franziska hätten sie bald eine aufkeimende Liebe $u ihm mit Vergnügen be­ merkt. Jetzt sei es ein Jahr, als er förmlich um die Hand ihrer Tochter angehalten, und auch so­ wohl ihre als der Eltern Einwilligung erhalten habe. Da Franziska damals nicht längst erst in ihr achtzehnte- Jahr getreten sei, so sei die Verbindung bis auf das Frühjahr verschoben wor-

den. Einige Monate vorher habe indeß Torilj ganz unerwartet Ordre bekommen, sich schleunig tu seinem Regimente zu verfügen, welches Befehl erhalten habe, zur Verstärkung der Armee nach A * * * i« marschiere». Diese unerwartete Nach­ richt habe ihnen alle» viel Bekümmerniß verur­ sacht, vorzüglich aber aus das Gemüth ihrer ar­ men Franziska einen tiefe» Eindruck gemacht, -er nur durch die Hoffnung, ihren geliebten To, rili bald wieder r» sehen, habe gemildert werden könne«. Die Verbindung sei natürlich bis zu seiner Iurückkunft aufgeschvben worden, und ihre Tochter habe sich beruhigt, da sie von Zeit tu Zeit die angenehmste» Nachrichten von ihrem Ge­ liebten erhalten habe. Scho» sei der von ihnen allen längst erwar­ tete Zeitpunkt herangekommen, da sie diesen so sehr geliebte» Mann wieder zu sehen gehofft hät­ ten, indem er versprochen hatte, um diese Zeit auf einige Monate Urlaub $u nehmen, als sie einen Brief von einem seiner vertrautesten Freun­ de erhalten hätten, in welchem ihnen derselbe ge­ meldet habe, daß das Regiment, in welchem To-

316

rili stand, bei einer unvermuthete» Aktion viel gelitten habe, daß sei» Freund, der neben ihm verwundet »iedergestürzt sei, wahrscheinlich in Ge­ sangenschaft gerathen wäre, da man ihn weder unter den Todten noch Verwundeten habe auffiuden können, und daß er vermuthlich bald daraus an seinen Wunden gestorben sein müsse, da man auch, ohngeachtet der sorgfältigsten Nachforschun­ gen, von feindlicher Seite her nicht das Geringste von ihm habe erfahren können. »Sie können leicht denken," fuhr die Mut­ ter fort, „was für einen Eindruck diese Nachricht, „mit welcher wir gerade r» einer Zeit überrascht „wurden, als wir mit jedem Augenblicke sei„ner Ankunft sehnsuchtsvoll entgegen sahen, auf »uns alle, besonders aber auf meine arme „Franriska, gemacht haben müsse. So mit „einem male seiner süßesten Hoffnungen beraubt „werden, und das Ziel der schönsten Erwartun„gen, dem man schon ganz nahe ru sein glaubt, „weit von sich weggeschleudert, ja — wie hier der „Fall höchst wahrscheinlich ist — aus immer dem

317

„Auge entrissen sehen, das ist gewiß ein harte«Schicksal."

„ Gern hatten wir ihr den Vorgang verschwie, „gen, und ihre Hoffnungen vor der Hand durch „Täuschungen hingehalten; allein sie war beim

„Empfange de- Briefes rugegen, und meinet „Mannes Miene, der den junge« Man» recht

„aufrichtig liebte, verrieth nur r» deutlich die

„schreckliche Nachricht, die den Inhalt desselben „ausmachte."

„Ein heftiges Fieber, welche- meine Fran, „jiska dem Grabe nahe brachte, war die unmit,

„telbare Folge dieser Schreckenspost. Wir jitter;

„ ten für k,'s Lebe» unseres einrigen, geliebten, und „von Seiten ihres Herrens ungemein liebenSwür„digen Kindes. Durch Hülfe geschickter Aerrte

„gelang es uns indeß, sie mit Mühe dem Tode „noch einmal aus den Arme» »u winden. Allein

„eine tiefe Schwermut!) nagt seitdem an ihrem

„Leben, und ich sürchte, diese ist unheilbar. Ihr „Verstand hat sichtbar gelitten, und es giebt Au-

„genblicke, wo das für uns einst so glückliche „LooS, Vater und Mutter ru sein, bei der Dor-

?z8

„stellung der furchtbaren Schrecknisse/ die die „Zukunft herbeiführen kann/ für uns die drückendste „Bürde ist. Hier hielt die unglückliche Mutter ein# und ein Strom von Thränen benetzte ihre Wange». Wir dankten ihr für die Mittheilung dieser Geschichte/ bedauerten ihr trauriges Schicksal/ und suchten sie mit dem Gedanken zu tröste«/ daß eins günstige Wendung der Umstände/ die bei der jetzigen Lage der Sachen doch immer noch ru hof­ fen sei/ die jetzt für sie verloren scheinende« Freu­ den wohl wieder rurücksühre» könne/ und daß die­ ses Zwischenspiel des Schicksals der wiederkehren­ den Freude dann nothwendig eine« desto höheren Reit verleihe« müsse.

Ihr Herr schien ebe« nicht dem Troste geöff­ net. Desto inniger war ihr Dank/ mit welchem sie die Bitte verband/ daß wir bis zur Ankunft ihres Mannes/ welche in einigen Tagen erfolge« müsse/ hier bleiben möchten. Ich lehnte das An­ erbieten ab / und wir begaben uns z nachdem man uns genau die Straße bis ru dem nächste» Städt-

chen, welches wir heut noch zu erreichen gedach­ ten, bezeichnete hatte, wieder auf den Weg.

Drei und zwanzigstes Kapitel. Zn welchem die Leser über einen Kirchhof geführt werden.

Zudem wir uns entfernten, brachte «an die w glückliche Franziska, welcher die Anstrengung ihrer zerrütteten Selenkräste und die ihrem ge­ schwächte« Körper unstreitig nachtheilige frische Abendluft eine heftige Ohnmacht zugezoge» hatte, von einigen Manner» getragen, ins Haus ihrer Mutter zurück. Wir eilten schnell von dannen, um diese rührende und jammervolle Scene nicht länger mit anzusehen, bei welcher wir doch nur müßige Zuschauer hätten abgeben können, und — gestanden uns, daß es Uebel unter dem Monde gebe, zu deren Verhütung, Wegschaffung oder Erleichterung, ohne Dazwischenkunft und Mitwir-

chen, welches wir heut noch zu erreichen gedach­ ten, bezeichnete hatte, wieder auf den Weg.

Drei und zwanzigstes Kapitel. Zn welchem die Leser über einen Kirchhof geführt werden.

Zudem wir uns entfernten, brachte «an die w glückliche Franziska, welcher die Anstrengung ihrer zerrütteten Selenkräste und die ihrem ge­ schwächte« Körper unstreitig nachtheilige frische Abendluft eine heftige Ohnmacht zugezoge» hatte, von einigen Manner» getragen, ins Haus ihrer Mutter zurück. Wir eilten schnell von dannen, um diese rührende und jammervolle Scene nicht länger mit anzusehen, bei welcher wir doch nur müßige Zuschauer hätten abgeben können, und — gestanden uns, daß es Uebel unter dem Monde gebe, zu deren Verhütung, Wegschaffung oder Erleichterung, ohne Dazwischenkunft und Mitwir-

;zo kung günstiger Umstände, Mcnschenkraft nicht hinreiche, da so viele Umstande im Leben sich oh­ ne des Menschen Zuthun, und oft, ehe er es ge­ wahr wird, aneinander ketten, und die Gele sel­ ten, (am allerwenigsten in den früheren Jahre» des Lebens) eine solche Aufmerksamkeit auf sich selbst erlangen, um alles das, was in ihr vor­ geht, bemerken, und ihre Neigungen und EmPfinduugcv in die gehörigen Schranken zurückweisen tu können. „Und doch, „setzte Robert hinzu, „bin ich „fest überzeugt, daß auch dieser traurige Dor„fall bei jenen Unglücklichen, die wir eben ver„ lassen haben, als ein Zwischenakt in dem Schau„spiele ihres Lebens anzusehen sei, und tur Erhi„hung ihrer folgende» Freuden dienen «erde, „vorausgesetzt, daß sie nicht schon so weit von „der gebahnten, ruhigen Lebensstraße abgewichen „sind, daß sie begierig dem Grame nachlaufen, „wie der Bettler jedem wohlgekleideten Reisen„deu, von welchem er, in Unthätigkeit und Trag„heit versunken, «in Aümosen zu erhaschen gedenkt, weil diese Lebensart durch Derwvh-

331

„nung ihm nun einmal die behaglichste ist; und

„das scheint mir doch weder bei de» Eltern noch „bei der Tochter der Fall tu sein. Für mich

„ist'S wenigstens ein herterhebender und trösten» „der Gedanke, der bei dem Anblicke eines Uebel»sogleich in mir aufsteigt; und ich möchte mir „diesen Glaube» nicht gern nehmen lasse»." „Das kann sei», Robert," erwiderte ich,

„und ich wünschte, daß dieser Glaube recht all„gemein unter den Menschen wäre, gewiß würde „es dann weit weniger Traurende und Unglück„ liehe auf der Erde geben. Allein, wer steht uns „dafür, daß Franziska und ihre so tief ge„ beugte Mutter nicht »ach und nach so weit voq „der gebahnten ruhige» Lebensstraße abkommen, „daß an die Rückkehr nicht mehr zu denken ist? „Zum wenigste» sind sie jetzt doch nicht mehr „ans derselben. Und waren nicht alle, deren „Gram verjährt ist, und eben dadurch unheilbar „wurde, anfangs in demselbigeu Falle?"

„Das wohl," versetzte Robert, „allein, mich

„dünkt, man dürfe hierbei den Umstand nicht

„übersehen, daß dergleichen Personen, mit wek«

332

„chen es endlich so schlimm geworden ist, schon

»von ihrer srühesten Kindheit an die gebahnte,

»ruhige Lebensstraße verfehlten; daß fie nicht bloß, »wie jeder lebhafte Kops, dann und wann Sei-

„tensprünge machten, sondern gleich einen von de» »vielen unrichtigen Seitenwegen einschlugen, die »sich am Ende immer weiter von der gebahnten

»Straße des Lebens entferne». Daß daran die »Eltern durch die Art und Weise, wie sie ihre

»Kinder von früherJugpnd an behandeln, Schuld »sind, will ich nicht laugnen; es ist vielmehr nur

»ru gewiß. —

Allein bei Menschen, die von

„Jugend auf, und lange auf diesem gebahnte»

„Lebenswege fortgegangen sind, und dann plvtz< »sich durch eines von den tausend Ereignisse» im Le-

„den, die auf die Ruhe de» Mensche» so viele»

„Einfluß haben, von demselben abgetrieben wer„den, thut gewiß neben der zurückkehrende» Ue#

»berlegung auch die Zeit das ihrige, die die frisch „entstandenen und tiefsten Wunden oft am ehe„sten zuheilt. Und zu dieser Art von Mensche»

„scheine» mir jene Unglückliche» zu gehören. —

„Gesetzt aber auch, das wäre dann und wann

333 „nicht so, und der Unglückliche blutete sich an

„seiner Wunde zu Lode, so wissen wir doch „ nicht, da wir die Verbindung des gegenwärtige»

„Lebens mit dem rukünftigen nicht zu übersehen

„vermögen, welcher höhere Ersatz dem Leibende«,

„dessen Loos wir so unglücklich und bedauerns„werth finde», r« Theil wird- Und so hehalt' „ich meine» Glauben doch." —

„Den will ich dir auch nicht nehmen, Ro-

„b ert, ich wünsche dir vielmehr herzlich Glück zu „demselben, den» er erhält dich sicher auf der ge-

„ bahnten, ruhige» Lebensstraße, und ich bin, be„ sonders nach dem letzte» Zusätze zu deiner Be-

„hauptung-, ganz deiner Meinung»

Aber daß

„wir nur nicht (setzte ich hinzu) durch dieses Ge-

„ sprach vou der gebahnten Straße unseres Weges „abkomme», wir möchten sie schwerlich bei dem „unzuverläßigen Mondlichte wieder finden»"

Wir befanden uns wirklich an

dem Ein­

gänge eine- Kirchhofs, der außerhalb eines Dor­

fes lag,

noch

durch welches wir, ehe wir das etwa

eine

halbe

Meile entfernte

Städtchen

erreichen konnten, nothwendig kommen mußten.

3 >4 Er «ar mit einer hohen Maue/ umgeben, und

inwendig rings umher mit hundertjährigen Linde, und Eiche» bepflanzt, durch deren hohe Wipfel

eia kalter Herbstwind schauerlich und doch ange-

nehm säuselte. Da die Thüre geöffnet war, und ein Weg mitten hindurch zu führen schien, so rit­

ten wir hinüber.

Jetzt hätte ich die beste Gelegenheit, für die­ jenigen unter meinen Lesern und Leserinnen, wel­

che da- Vergnügen an Geistererscheinungen au«

den frühesten Jahren ihrer damit genährten Kind­ heit in die reiferen Jahre ihres Lebens mit hin­ über genommen haben, und sich nicht nur auf

Augenblicke in den Phantasien der Dichter, die nun einmal des grenzenlose» Gebiets des Mögli­ chen sich als ihres eigenthümlichen Wirkungskrei­

ses bemächtigt haben, sondern auch in ernsthaften GeschichtSerzählungen, die billig aus dem Bezirke des Wirklichen nicht hinaus gehen sollten, an so

etwas stundenlang recht herzlich ergötzen können, eine recht grausenvolle und schauderhafte Erschei­

nung hervvrkommen zu lassen, und wirklich mag mancher unter ihnen, ungeachtet sie sonst etwas

33 s furchtsam sind, di« Lüsternheit darnach vermocht

haben, das Wagestück $u unternehmen, und mit mir in einer späten Abendstunde, beim Hellen Mondscheine über einen einsamen und schauerlichen

Kirchhof zu wandern. Allein ich bedaure herzlich die Mühe de« weiten Weges, die sie in solcher

Hoffnung übernommen haben, und sehe schon da­ verdrießliche Gesicht, mit -welchem sie, ihrer ge­

täuschten Erwartungen wegen, nach Hause gehen, wofern es ihnen nicht etwa gefallen sollte, mit mir und Robert, da wir doch einmal beisammen sind, die hohen Grabmäler der hier schlummernde»

Todten zu besehen. So gern ich einigemal in meinem Leben eine

Erscheinung von geliebten Personen, die mir der Tod entriß, gehabt hätte, so ist mein Wunsch doch nie erfüllt worden, und dies hat mich zum

Zweifler an der Wirklichkeit solcher Erscheinun­ gen gemacht, deren Miglichkeit übrigens wohl

nicht ganz geläugnet werden kann, vorausgesetzt,

daß man sich jeden endlichen Geist mit einer, auch noch so seine», körperlichen Hülle umgeben denkt. Mir würde indeß eine solche Erscheinung

SZ6

immer nur eine angenehme Täuschung gewesen sein, -a ich unglücklicher Weise von meiner Ju geud an st tief in den Skepticismus versunken bin, daß ich bei jeder Erscheinung doch immer ge glaubt haben würde, daß meine Sinne sich durch ein Spiel meiner Einbildungskraft hätten täuschen lassen» Wie dem auch sei, so hob sich aus der Lun lkelheit der Gräber kein Geist empor; wohl aber fielen «ns die hyheu Leicheusteine, die — mit Inschriften versehen — hier eine Menge Gräber bedeckten, und einzelne sich emporthürmende Denk mäler menschlicher Eitelkeit und Thorheit, die oft selbst im Tode nicht aufhirt, und hier aus goldenen Buchstaben im Mondenscheine uns ent­ gegenflammte, ins Auge» Daß der Mensch auch nach dem Tode noch unter einer kleineren oder größeren Anzahl seiner Zeitgenossen sortzuleben und sei» Andenken erhalten 1« sehen wünscht, ist gewiß keine unrühmliche Eigenschaft in dem allgemeinen Menschencharakter aber $u bedauern ist es, daß viele Menschen in ihrem ganzen Leben das nie kennen lernen, was nah

337

wahr«», bleibenden Ruhm erwirbt. Wenn ei»

biedrer Man» mit seinen Kindern oder Freunden über den Kirchhof geht, auf einen fast rertretene» Grabeshügel, auf welchem mit jedem Frühlinge — nur neues Gras emporwach-, hinweist, und —

indem er einen Augenblick stille steht — anSruft: „Das war ein braver Mann, der dort schlum„wert!" — so künden diese wenigen Worte gewiß «in schöneres und bleibenderes Denkmal an, das

fest in den Herren aller derer gegründet ist, die den redlichen Schlummerer und seines Lebens schö­ ne Thaten kannten, als alle prächtige Marmor­ säulen, deren goldne, oft hirnlose Inschrift dem

Wandrer mit großem Wortaufwande sagt, wa-

«r nicht zu wissen begehrt. — Daß Friedrich an den Sarg des ins ei und siebenzig jährigen Hel­ den, der für sein Vaterland und seinen König bei

Prag fiel, mit entblößtem Haupte trat, und eine schone, menschliche Thräne dem edle» 93ctc/

ramm in der Kriegskunst weinte, indeß seine Ge­

nerale gleichfalls mit entblößten Häuptern um die Hülle des Vollendete« standen, wird man gewiß

«och erzählen, wenn längst das , Marmorbild, weh

A

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cheS der Größeste unter den Kinigen ihm nachmals errichte« ließ, als ein Raub der alles verkehrende« Zeit, zerfallen sein wird. WaS mir an diesem Tvdtensclde (so könnte man die Ruhestäte der Entschlafenen ja wohl mit eben dem Rechte nenne», mit welchem man Wai, renfeld, Rockenfeld, auch Schlachtfeld sagt) ge­ fiel, war die Einfassung desselben mit hohen, schat­ tenden Bäumen, die dasselbe aus Augenblicke jum angenehme» Aufenthalt für den «achdenkcnde« Einheimische», oder auch für de» ermüdeten Rei­ senden machen konnte. Denn es muß ru Zeiten der Gele wvhlthun, auf der blühende» und Früch­ te bringenden Erde auch ei» Plätzchen zu finde«, wo dem Sklaven Freiheit, dem Ermüdeten Ruhe und dem rahlreichen Heere verschuldet und unver­ schuldet Leidender eine sichere Schutzwehr gegen die mannichfachen und oft so drückenden Uebel des Lebens, die doch nun einmal da sind, berei­ tet ist, und es hat mir immer ausnehmend be­ hagt, wenn ich mich in Gedanken in Deutschlands frühere Zeiten versetzte, und die Sachsen »der Wenden mir in zahlreicher Versammlung und in

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se-lichem Auftuge dachte/ wie sie/ sobald der Frühling begann/ Hintogen zu der State/ wo ihre Väter/ Mütter und Kinder/ Und die gante Zahl ihrer Geliebten/ gemeinschaftlich rührten/ um ihnen tut Ehre feierliche Gesänge tu singen, und dabei dann und wann sich a» de« ernsten Au­ genblick tu erinnerst/ der tu seiner Zeit auch ihrer wartete. Dann und wann sich seiner Sterb­ lichkeit recht lebhaft erinnern, glaub' ich, ist nützlich, und stärkt die Sele; aber das Bild des Todes immer in Gedanken mit sich umhertragen, muß nothwendig erschlaffen. „Tod ist Ruhe, (sagt der kinigliche Weise und Dichter) aber „Leben heißt handeln!" Nicht weniger gefiel rS mir sehr, daß dieser Aufenthalt der Todten so weit von dem Aufent­ halte der Lebendigen, von dem Dorfe, entfernt war. In den mehrest«» Städten und Dörfer», die ich gesehen habe, fand ich immer die Kirchhöfe Mit­ te» im Otte, und in vielen, selbst in größere« Städte« Deutschlands herrscht noch die der Gv sundheit so nachtheilige Sitte, die Leichname der Vornehmere« in der Kirie einzusenken. Das V2

340 Schädliche einer so üblen Gewohnheit ist oft ge­ nug gerügt worden, hie und da hat auch die Rü­ ge tum Wohl des Ganzen gewirkt; nichts hält indeß schwerer, als eingeriffene und verjährte Vor«rtheile und Mißbräuche wieder abzustellen, wie die Erfahrung lehrt, so wie die Flamme leichter angezündet als gelöscht, die Wunde schneller ge­ macht, als zugeheilt ist. Die Mauer dieses äußerst geräumigen Ruhe­ platzes der Todten war inwendig ringsumher mit kleinen Gebäuden oder Gewölbe» verkleidet, die vermuthlich Erbbegräbnisse der angesehenern Be­ wohner des dem Anschein nach sehr großen Dor­ fes sein mußte». Bei dem Anblicke derselben konnte Robert sich nicht enthalten, auf die Thorheiten der Menschen in allen, auch de» nie­ drigsten Ständen, die, wie er sich ausdrückte, unaustilgbar zu sein schienen, laut zu schmälen, indem aus solche Weise die Menschen, anstatt sich immer mehr einander zu nähern, sich immer weiter von einander entsernten. „Wozu," rief er aus, „diese eingeschloffenen, dumpf n Gräber? „Scheint es nicht, als wenn diejenigen, die da

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>, hinein wollen, »der die schon darin liegen, auch

„ihre Leichname noch für besser halten und

„hielten, alS die der übrigen, denen ein Plätzchen „bloßer, mit GraS bewachsener Erde genüge»

„muß? Und doch werden jene so gut zu Staub „und eine Beute -er Würmer, wie diese, und

„beider Grundstoff wird doch am Ende durch tam „send verschiedene Gänge sicher mit derselbige» „Erde vermischt.

Ist nicht Menschenliebe

„das höchste Gesetz der Vernunft und des Chrft „stenthumS? Wird diese nicht geradezu verhin„dert, anstatt befördert zu werden? Meines B«

„düvkens müßte selbst der Staat in allen seine»

„Einrichtungen sei» höchstes Augenmerk immer „darauf richten, wie durch solche Einrichtungen

„die Menschenliebe immer allgemeiner gemacht

„werden könnte. — Wenn ich Fürst wäre, ich „untersagte dergleichen Absonderungen im Tode

„geradezu durch ein Gesetz; das könnte ohnmög„lich Despotie genannt werden, weil fidj bi«

„ser Gebrauch auf ein abscheuliches Dorurtheil „stützt."

«Noch besser würdest du als Fürst thu»,

„lieber Robert, wen» -»es dahin bringen könn„ test, daß dieses Vornrtheil selbst, aus den Köpfen „und Herren deiner Unterthanen durch frühen „zweckmäßigen Unterricht in den Schule», vertrie„den würde; dann würde dieser, wie jeder der „Menschenliebe schädlicher, Gebrauch von selbst „fallen. Denn zur Abstellung schädlicher Vor„urtheile wirkt Ueberzeugung immer sicherer „als Gewalt."

Vier und zwanzigstes Kapitel. In welchem Winter und Frühling, und ein Vries von Lindor vorkymmt, welcher traurige Nachrichten

enthält.

Der Winter brach herein, und eine ungewöhn­ liche Kälte mit ihm, welche einige Monate an­ hielt, Unsere bisherige Art zu reisen wurde da­ durch unterbrochen z und ich benutzte diese Zeit, um einige -er grißesten Städte Deutschlands ken-

„lieber Robert, wen» -»es dahin bringen könn„ test, daß dieses Vornrtheil selbst, aus den Köpfen „und Herren deiner Unterthanen durch frühen „zweckmäßigen Unterricht in den Schule», vertrie„den würde; dann würde dieser, wie jeder der „Menschenliebe schädlicher, Gebrauch von selbst „fallen. Denn zur Abstellung schädlicher Vor„urtheile wirkt Ueberzeugung immer sicherer „als Gewalt."

Vier und zwanzigstes Kapitel. In welchem Winter und Frühling, und ein Vries von Lindor vorkymmt, welcher traurige Nachrichten

enthält.

Der Winter brach herein, und eine ungewöhn­ liche Kälte mit ihm, welche einige Monate an­ hielt, Unsere bisherige Art zu reisen wurde da­ durch unterbrochen z und ich benutzte diese Zeit, um einige -er grißesten Städte Deutschlands ken-

343 neu su lernen, in deren jeder ich mich eine gerau­ me Zeit aufhielt« Wer die Naturschönheiten und da- Eigen­ thümliche derselben in mehreren Gegenden kennen lernen will, kann immer schnell reise», und thut am Besten, wenn er den Weg ru Pferde oder r« Fuße macht, wie sich denn auch einige Deutsche und Engländer durch ihre weiten Fußreisen sogar berühmt gemacht habe»; wer aber in seinen Rei­ seplan auch die Menschen, ihre verschiedene, oft so sehr von einander abweichende Beschaffenheit, Denkungsart, ihre Gewerbe, Sitten, NahrungSquelken und deren Benutzung, den Zustand der Wissenschaften und Künste in einem jeden Lande, und was weiter dahin gehört« mit aufnehmen will (und ich sehe nicht ab, warum nicht jeder Rei­ sende, weun er di« Eigenschaften dazu besitzt, das thu» sollte, da man selten eine große Reise rwei «der mehrere Male ru machen, in seinem Leben Veranlassung, Muße oder Gelegenheit hat), der muß nothwendig langsamer reisen, und oft an einem Orte lange verweilen, weil man die Ver­ hältnisse der Menschen und ihr oft so verschiede-

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nes Benehmen dabei, nicht so mit einem Blicke durchschauen kann, wie man wohl den sich wenig

verändernden Umriß einer schinen Gegend ins Au­

ge zu fassen und der Einbildungskraft und dem Gedächtnisse zu übergeben im Stande ist. Auch werden beständige Fußgänger, wie ich bereits oben

an Moritz Beispiele gezeigt habe, ihren Zweck in dieser Hinsicht nie ganz erreichen. Wenn ich meinen Lesern die Bemerkungen mit­

theilen wollte, die ich an den verschiedenen Or­ ten, in welchen ich mich eine Zeitlang nicht ohne Vergnügen aufhielt, zu machen Gelegenheit hatte,

so würde ich mir vielleicht dadurch bei manchen unter ihnen einigen Dank verdienen, andere wür­

den damit aus mancherlei Ursachen, von welchen ich mir wobl einige denken, die ich aber doch nicht alle wissen kann, nicht zufrieden sein, und noch

andere würden — mit einer ruhigen Miene das Buch bei Seite legend — sagen: c’est tont comme chez noiis* — Um nun den glücklichen Mit­ telweg einzuschlagen, und keinem einzigen unter

ihnen zu nahe zu treten, will ich diese Periode meiner Reise ganz übergehen, da überdem meine

34f gesammleten Bemerkungen ju sehr außer dem We­ ge liegen, de» ich mir bei -er Mittheilung dieser Geschichte in Gedanken vorgezeichnet habe. Die gewaltige Kalte, mit welcher das alte Jahr geendet und das neue angesangen hatte, ließ gegen das Ende des Februars merklich nach, und iu den ersten Tagen des Marzmonats sahe man bereits ein frisch aufsproffendes Grün die langst vom Schnee entblößten Thäler und Fluren be­ decken. Ich wandte noch einige Woche» ru klei­ nen Reisen durch einige der kleineren Deutschen Provinzen an, und beschloß nun, bevor ich in meine Heimat MÜckkehrte, noch erst den Früh­ ling, meinem Versprechen gemäß, in Lindor'S schönem Walde zu begrüßen, und vielleicht einen der schönsten Monate des Jahres bei dem ehrwürdige» Greise zu verleben. Ich könnte nun »och, wenn es meine Abficht wäre, diese Geschichte zu verlängern, so manche« Abentheuer in dieselbe verwebe», von welchen ich auch wohl manches selbst bestanden haben könnte. Zwar konnte mir nicht leicht ein Rad am Wa-

34,rmd all« die Bequemlichkeiten finde», die ich ih„ ne» anzubieten vermag."

So viel Urbanität an einem ganr fremden und völlig unbekannten Orte «ar allerdings über­ raschend, und ein so höfliche» Anerbieten nicht von der Hand zu weise». Ich bezeigte deshalb dem Fremde» meine Dankbarkeit, und stieg ab. Der freundliche Unbekannte führte mich einen

Berg hinan r» einem schöne» Hause hin, von welchem einige Zimmer hell erleuchtet waren. Ich erzählte ihm unterdeß, wie ich durch das heu­

tige Ungewitter den rechten Weg verloren hätt«,

36t

und versicherte ihm zugleich, daß ich diesem un­ günstigen Zufalle sehr verbunden sei, da er mir für diesen Abend ei» Vergnügen verschast habe, welches mir ohne denselben nicht würde zu Theil geworden sei». „Sie sind mir willkommen," rief er aus, „und ich freue mich, daß ich zufällig vor »der Thür war. Legen Sie indeß Ihre nassen »Kleider ab (fuhr er fort, indem er mich in ein »schönes Zimmer hinein führte), Sie müssen eine« „schrecklichen Weg gehabt haben; aber nun sollen «Sie auch Sturm und Ungewitter vergesse», und »sich bei mir ein wenig erholen. Ich habe eine «kleine Gesellschaft bei mir, mit der ich Sir be„kannt machen werde, und da wollen wir diese» «Abend vergnügt sein." Mit diese» Worten verließ er mich. Ich glaubte ins gastfreundliche Alterthum versetzt zu sein, wo man nach Vater Hvmer's lieblichen Erzählungen in jedem von Sturm, Ungewitter, Schiffbruch »der ander» Drangsale» des Lebens verschlagenen Fremden den Vater der Götter und Menschen ehrte, der überdem zuweilen mit fei# nem Getreuen, idem flüchtigen Merkur, kleine

16i

Streifereien in dem Gebiete der Sterbliche» machte. Ich kleidete mich um, und gieng, als Mei» gastfreundlicher Wirth zurück kam, mich abzuholen, mit ihm zu seiner Gesellschaft. Wir giengen mehrere Zimmer hindurch, wel­ che eben so geschmackvoll als prächtig eingerichtet waren, und mich in dem Besitzer dieses Hauses einen vornehme» Man» ahnde» ließen. Er öffnete die Thüre, und ließ mich hineintrete», aber — wie groß war mein Erstaunen, als ich vor mir die verlorne Amanda, Eulalie», und — Herald erblickte.

Sechs ttttb zwanzigstes Kapitel. In welchem eine ganz neue Person durch einen sonderbar . ten Zufall in diese Geschichte verwickelt, und — das Räthsel von Amanda's Entführung aufgelöst wird.

Erstaunen und Freude mahlte sich aus dem Gesichte jedes Einzelne» in dieser kleinen Gesell-

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Streifereien in dem Gebiete der Sterbliche» machte. Ich kleidete mich um, und gieng, als Mei» gastfreundlicher Wirth zurück kam, mich abzuholen, mit ihm zu seiner Gesellschaft. Wir giengen mehrere Zimmer hindurch, wel­ che eben so geschmackvoll als prächtig eingerichtet waren, und mich in dem Besitzer dieses Hauses einen vornehme» Man» ahnde» ließen. Er öffnete die Thüre, und ließ mich hineintrete», aber — wie groß war mein Erstaunen, als ich vor mir die verlorne Amanda, Eulalie», und — Herald erblickte.

Sechs ttttb zwanzigstes Kapitel. In welchem eine ganz neue Person durch einen sonderbar . ten Zufall in diese Geschichte verwickelt, und — das Räthsel von Amanda's Entführung aufgelöst wird.

Erstaunen und Freude mahlte sich aus dem Gesichte jedes Einzelne» in dieser kleinen Gesell-

?6; schäft, und dies« Gruppe hätte sicher ein schöne»

Original j« einer gewiß sehr interessanten Zeich­

nung für eine» denkenden und gefühlvollen Künst­ ler abgeben könne». Eulalia, Amanda, und Herald kamen mit mit dem lebhafteste» Aus­ druck« der froheste» Ueberraschung und mit einer

Umarmung entgegen, mit welcher der Freund den abwesendgeglaubten, und in dem Augenblicke un­ verhofft erscheinende» Freund tu begrüßen pflegt. Di« ersten Aeußerungen und Frage«, womit wir

uns gegenseitig einander bestürmten, waren mit Ergießungen des innigsten Freudegefühls, wel­ ches in solchen schönen Augenblicken des Leben­ den Menschen überaus glücklich machen kann. Meinem edle», gastfreundliche» Wirthe, in

dessen Gesichte die Theilnehmung an unserer Freude mit de» lebhaftesten Farben ausgedrückt

war, mußte übrigens diese ganre Seen« äußerst räthselhast sein. Mei» Freund Herald nahm daher das Wort, und löste das Geheimnißvolle

und Wunderbare, welches unsere gegenseitige Freude in seinen Auge» nothwendig haben mußte, durch eine kurte Errählung unserer früheren Br-

?. AbendS ward in einigen Dör­ fern in einem schlechten Wirthshaus« angehalten, nnd Amanda von den beiden, übrigens wohlge­ kleidete» Mannern, genöthiget, etwa- Speise zu sich zu nehmen. Eine fast besinnungslose Angst, in welche sie dieser Vorfall, der die bisherige harmlose Ruhe ihres Lebens so gewaltsam unter­ brach, versetzte, machte, daß sie fast gar nichts zu sich nahm. Ihre Begleiter redeten ihr freund­ lich zu, sich zu beruhigen; beantworteten aber keine ihrer Fragen, wenn sie bald durch Bitten,

37i bald durch Drohungen, welche das Gefühl der

Ungerechtigkeit dieser gewaltsamen Behandlung ihr auspreßte, ru erfahren suchte, was man mit

ihr vorhabe, und wohin man sie zu bringen ge­ denke." „Am dritten Abende brachte man sie in ein von der Heerstraße abgelegenes kleines Dorf, wo sie in dem Hause eines Pachters abtreten mußte, dem ihre Führer sie übergaben, und mit welchem

wahrscheinlich vorher schon ihretwegen Abrede genommen war; denn der Pächter und seine Frau, beide tiemlich bejahrt und von mürrischem We­ se», bewachten sie mit Argusblicken. Sie hatten keine Kinder, waren sehr ungesprächig, und schie­ nen keine Freunde des geselligen Umgangs ru sein; denn niemand besuchte sie. Und so hatte Aman­

da in den drei Tagen, welche si; hier iubringen mußte, und in welchen sie über ihr Schicksal auch nicht den mindesten Aufschluß erhalten konnte,

entweder weil die mürrischen Alten selbst nichts wußten, oder, welches wohl das wahrscheinlichste ist, weil Gold und Drohungen ihnen den Mund

verstopfte», neben der unbeschreiblichen Angst, mit Aa »

37*

welcher sie der Entwickelung dieses gewaltsamen Vorgangs entgegen sah, auch die schrecklichste Langeweile. Ihre Lage erhielt dadurch für sie de» höchste» Grad de« Schrecklichen, daß vor ihrer durch die gewaltigen Bewegungen ihrer Sele empörte» Phantasie unaufhörlich dasBild des ehrwürdigen Lin­ der und ihrer leidenden Schwester stand, und eine Gruppe bildete, deren Anblick ihr Herr durchschnitt." „Am vierten Morgen ihres Aufenthalts in dieser Einöbe erschiene» ihrige vorigen Begleiter wieder, hoben sie schweigend in den Wage» und brachten sie des andern Morgens kur» vor her MittagSjeit in ein alte- verfallenes Schloß, welches nicht weit von der Burg ihres Retters entfernt ist, und auf welchem niemand wohnte, als ein Mann, der während der Abwesenheit sei­ nes Herrn, welcher sich , als Offizier damals bei der Armee befand, über die Güter desselben die Aufsicht führe» muste." „Diesem Manne wurde Amanda von ihre» bisherigen Begleitern übergeben. Er bewachte sie anfangs genau, war übrigen- ein Wüstling, der zwar des Morgens seinen Geschäften nachgieng,

373 aber die grißeste Hälfte des Tage- gewihnlich be­ rauscht war, und dadurch tu Zeiten in einen Zu­ stand der Bewußtlosigkeit versetzt wurde. Die Frau dieses Mannes schien ein edles Weib iu fein, Am an da'S trauriger Anblick schien sie $tt rühren, und sie bezeigte ihr gleich am ersten Lage ihrer Ankunft, ohne ihr die Ursache ihres Hier­ seins zu entdecken, ihr Mitleid." „Am zweite» Morgen öffnete sich Amanda's Zimmer, und — zusammenfahrend vor Schreck sank sie fast ohnmächtig nieder, denn Al­ fonso stand vor ihr, dessen schändliche Absicht ihr jetzt wie ein Blitz durch die Sele fuhr." „Er näherte stch ihr lächelnd, und bat sie um Verzeihung, wegen der Unruhe und Furcht, die er ihr vielleicht verursacht habe. Er sprach von heftiger, unbezwinglicher Liebe, welche der Grund dieser Kühnheit, sei, und Wollust mahlte sich in seinem Gesichte, indem er auf sie zutrat, und sie umarmen wollte." „ Glühende Schaamröthe färbte die Wangen des edlen Mädchens. Ihr Schreck verwandelte stch in Zorn, der an Wuth grenzt. „„Sind

„»Sie der Frevlet/ Prinz, (so rief sie/ indem »»sie ihn mit aller der Anstrengung/ deren »»sie fähig war/ von sich stieß) der sich er/

„»kühnt hat, die Ruhe eines ehrwürdigen Grei-

»,,ses zu morde», und die schändliche Absicht int

»»Herren trägt, einem unbescholtenen Mädchen »»das ganze Glück ihres Lebens, ihre Unschuld „„zu rauben? Elender! wenn gleich ein Fürsten«

»»sohn! Verräth« der Gastfreundschaft an einem »»Manne, der Ihnen nie etwas zu Leide that, »»der überdem der vieljährige Freund ihres edlen »»Vaters ist! Was that Ihnen Li n dor? warum

»»brachten Sie mich hieher?"" »Liebenswürdige Amanda," versetzte Al­

fonso, „können Sie dem Feuer gebieten, daß „es nicht brenne? Was vermag ich gegen die »Liebe, die vom ersten Augenblicke, als ich Sie

»sah, mein Herz entzündete! Ich kann, ich mag »ihr nicht widerstehen. Sie müsse» mein sein." „ »Nimmermehr!"" erwiderte Amanda, »„Ihre Liebe ist Wollust! Unglücklicher, Sie

»»kannten die Liebe nie; denn nimmer kann diese „„Neigung, die die schönsten Bande des Lebens

?7f

„„ knüpft, auf Gewalt und trügerischer List sich „„gründen! — Und wandelte fich der wilde

„„Trieb, der Sie ju Frevelthaten hinreißt, jetzt „„in reine Liebe, und Sie wollten mich rum

„„fürstlichen Weibe erheben! ich schwör' es „„Ihnen, Alfonso, nie würd'ich dieIhrige.""

„Sie sind in meiner Gewalt, Amanda, best», „neu Sie sich," versetzte Alfonso, den die 6e
„„Handeln Sie edel, Alfonso! und eines Für, „«sten würdig, der in der Pflicht, sich selbst „„zu besiegen, jedem seiner Bürger einleuch„„tendeS Beispiel aufstellen muß.------ Lassen

„„Sie mich, daß ich die- Haus und Ihr Ange, „„ficht meide!""------

„ Schaam und Unwille drückten fich in w willkührlicher Mischung bei einem so unerwarte,

ten Empfange in Alfonso's Mienen aus. So hatte vielleicht noch niemand zu ihm geredet. Er

wandte fich, verließ Amanden, und schloß die

Thür hinter ihr $u." „Jetzt verdoppelte sich Amanda'- Furcht. Sie hatte durch ihre Rede sein Herr zu rühren

gehofft, und — hielt fich jetzt für verloren." „Die Heftigkeit ihrer Empfindungen, die

Anstrengung ihrer Rede und ihr bisheriger Kmm mer hatten ihre Lebensgeister gänzlich erschkpft.

Ihre Kräfte waren fast ganz dahin, und fle versank in einen Zustand der Bewußtlosigkeit, der indeß

nicht lange währte, als sie wieder erwachte, und — indem sie einen Blick auf das Schreckliche ihrer kage

warf und sich gänzlich verlassen sah — nur in Thrä, «en einige Linderung ihres Kummers finden konnte."

„Dicht vor dem Fenster ihres Zimmers, in

welchem sie wie eine Gefangene eingekerkert war, lag «in Garten, und hinter demselben floß der

378

Strom vorbei, an dessen jenseitigem Ufer einige hohe mit Moos bewachsene Felsenstücke' die Aus/ sicht hemmte»/

die ein hinter denselben aus

einem allmählig emporsteigenden Bergrücken hervorragender, düsterer Wald noch schauerlicher machte." „Jetzt öffnete sich die Thür- Amanda er-

schrack von neuem- Aber die Frau ihres Aufse-

Hers trat herein/ und eröffnete ihr/ daß der Prinz mit wildem Blicke, und — wie es ihr scheine, und sie aus einigen hastig ausgestoßenen, einzel­ nen Worten desselben schließen könne — unzu­ frieden mit sich selbst, ganz allein über das Feld geritten sei, daß ihr Mann jetzt schlafe, und daß

sie jetzt der Gefahr entkommen und sich in Frei­ heit setzen könne, wenn sie es wagen wolle, den

Kahn dort am User zu besteigen, und sich dem Flusse allein, nur bis zum nächsten Hause am jensei­ tigen Ufer, welches nicht viel über zwei hundert

Schritte entfernt sei, anzuvertrauen. Die Thür zum Garten sei offen, und jetzt niemand in der Nahe, der sie beobachten könne. Sie wolle ihr gern einen Menschen zum Rudern mitgeben, allein

379

sie fürchte, daß ihre Flucht dadurch verrathe«

werden könne. Und rum Glück sei auch niemand ru Hause.

Sie bat sie, nur nicht weiter, als

bis ru dem bezeichneten Hause ru fahren. Da werde sie einen redlichen Landmann finden, dem sie sich sicher anvertrauen könne. Don da würde es leicht sein, ihren Verwandten von sich Nach, richt geben zu können. Sie wolle unterdeß ihrem Manne vorsagen, daß der Prinr die Thür ihres

Zimmers offen gelassen habe, und Amanda ent­ wischt sein müsse, wahrend daß sie selbst einige«

häuslichen Geschäften nachqegangen sei." „Amanda sprang vor Freude in die Höhe, fühlte neue belebende Kraft in jedem Nerven, nannte das edle Weib die Retterin ihres Lebens

und ihrer Unschuld, und eilte wie eine Gejagt« und von den Wünschen ihrer edelmüthigen Be, freierm begleitet, dem Garten zu. Sie sprang i«

den Kahn, und stieß schleunig vom User." „Glücklicher Weise verstand Amanda das Rudern. Denn ost hatten wir auf dem See, der,

wie Sie wissen, auf der einen Seite Lindor'S schönen Wald begrenzt, an schönen Sommeraben,

?8o

bett kleine Wafferfahrten «»gestellt, wobei nicht sel­ ten bei dem stillen Gewässer des Sees Am an da und ihre Schwester die Ruderer machten. — Sie sahe jetzt da- ihr bezeichnete Haus am jenseitigen Ufer." »Schon näherte sie sich demselben; aber schnell wandelte sie eine unbeschreibliche Furcht an, die mit angstvoller Beklemmung ihr ganzes Herz er­ füllte, und jeden Nerven durchzitterte. Alle die Schrecknisse, denen sie so eben entflohen war, stan­ den vor ihrer erhitzten Phantasie. Sie glaubte sich in der Nahe des unglücklichen Orts nicht sicher, blickte aufschreckend hinter sich, und glaubte in jedem Augenblicke, man setze ihr nach. Die Angst beflügelte ihre Kräfte. Mit unglaublicher Schnelligkeit ruderte sie mit dem Strome fort, und schon verschwand allmählig hinter ihr das verhaßte Schloß aus ihren Augen." „Jetzt athmete Amanda freier; allein die Sonne senkte sich schon hinter dem düsteren Walde und der kommende Abend steng schon ein wenig «n zu dämmern. So weit sie vor sich in die Ferne sehen konnte, war noch kein Aufenthalt von Menschen zu erblicken. Eine neue Angst

durchbebte ihr Innerstes. Zwar konnte noch eine Stunde vergehe»/ ehe es dunkel und Nacht ward; aber — das Ruder entsank ihren Handen. Die zu große Anstrengung hatte sie aller Kräfte be­ raubt. Sie sank ohnmächtig und bewußtlos aus den Boden nieder. Der Kahn schwankt«/ zitterte, schlug ui»/ und —Amanda stürzte in bieFluth."

Sieben und zwanzigstes Kapitel. Sn

welchem

erzählt

wird,

wie

Graf Wilibald

Aman den gerettet hat, und rva6 sich ferner zurruü'

„Auf d'er Spitze des Hügels/ -er stolz in feinem Garte» auf der Felsenburg sich empvrhebt/ (fuhr Herald in seiner Errählung fort) stand Graf Wilibald/ bei welchem wir gestern Abend durch Vermittelung des Sie verfolgende» Gewitter- so glücklich zusammen trafen, und schaut«/ wie er das a» jedem heiteren Abende zu thun gewohnt war- von diesem erhabene» Standort« au-, in die

durchbebte ihr Innerstes. Zwar konnte noch eine Stunde vergehe»/ ehe es dunkel und Nacht ward; aber — das Ruder entsank ihren Handen. Die zu große Anstrengung hatte sie aller Kräfte be­ raubt. Sie sank ohnmächtig und bewußtlos aus den Boden nieder. Der Kahn schwankt«/ zitterte, schlug ui»/ und —Amanda stürzte in bieFluth."

Sieben und zwanzigstes Kapitel. Sn

welchem

erzählt

wird,

wie

Graf Wilibald

Aman den gerettet hat, und rva6 sich ferner zurruü'

„Auf d'er Spitze des Hügels/ -er stolz in feinem Garte» auf der Felsenburg sich empvrhebt/ (fuhr Herald in seiner Errählung fort) stand Graf Wilibald/ bei welchem wir gestern Abend durch Vermittelung des Sie verfolgende» Gewitter- so glücklich zusammen trafen, und schaut«/ wie er das a» jedem heiteren Abende zu thun gewohnt war- von diesem erhabene» Standort« au-, in die

)8r

weite vor ihm sich ausbreitende Landschaft hin, in welcher Kornfelder und Wiese», Berge und Thäler, Haine und See» und die Thurmspitze»

ferner Städte und Dörfer durch einander lagen, um einem der erhabensten und reijendsten Scham

spiele,

da- die Erde hat, dem Untergange

der Sonne, zuzusehen."

„Schon stammten die letzten Stralen der

Sonne, die, indem sie die Erde verlassen wollte, in einem Feuermeere $u schwimmen schien, und bekränzten mit einem goldenen Saume die leich­ te» Wolke», die um den westlichen Horizont sich

gelagert hatten. Die Dämmerung verbreitete all-

mählig ihre» Schleier über die ganze Erde; auf

den Wiesen stieg ei» leichter Nebel empor. Die Natur schien durch die allgemeine Stille den Schlummer eines großen Theils der lebenden We­ sen vorbereiten zu «ollen; nur ein schauerlich kal­

ter Frühlingswind rauschte um ihn her durch die Bäume des Gartens auf der hohen Burg."

„ Mit Entzücken genoß M i l i b a l d auch jetzt dieses schonen Schauspiels der Natur.

Seine

Sele verlor sich im Nachdenken über die Schick-

383

sale seines verflossenen Lebens, und sann auf Tha­ ten rum Wohl des ruhige» Dörfchens, das unten

im Thale lag, und dessen Bewohner in ihm nun schon seit mehreren Jahren, die er unter ihnen verlebt

hatte, ihren Freund und Vater verehrten. Von ungefähr gleitete sein Blick,

der noch immer

unverwandt auf daS nach und »ach erblassende

Abendrot!) gerichtet war, auf die Flute» de« EtromS hinab, welche — von« Abendwinde ge­ schaukelt — dicht an dem Felsen, auf welchem

sein Schloß lag, vorbei wogten." „Da

schien's ihm, als kämpfe mit -en

schwarten Wogen ein Unglücklicher, und ein dum­ pfes Angstgeschrei drang,

wie im verhallende»

Nachklange, $n seinen Ohren, Ein Kahn war alles, was er in dem tweifelhasten Lichte der Dämmemerung sehe» konnte, und das Plätschern im

Wasser neben demselben vermischte sich mit dem dumpfe» Klagegetöne.

„„Vielleicht ist er noch

„„zu retten, der Arme, der mit dem Tode

„„kämpft!"" ries er, und flog von der hohen

Burg rum Ufer hinab.

Don seinen Bedienten

war niemand in der Nähe; kein Kahn am Ufer,

384 und schon schien der Unglückliche unterliegen tu

wolle» im Kampf mit den Fluten. Schnell war

sein Entschluß gefaßt.

Er warf sein Oberkleid

ab, sprang in die Flut, und schwamm mit einer

Anstrengung, deren nur Menschen fähig sind, die uach Wohlthu» dürste», aus de» Unglückliche»

tu, der eben im Begriff war, unterrusinken. Er

umschlang den Halbentseelten mit seinem linken Arme, schwamm nun aus allen Kräften dem glück­

licher Weise nicht gar weit mehr entfernten Ufer zu, und brachte freudig seine Beute ans Land,

der Gefahr bei dem süßen Bewußtsein vergessend,

wahrscheinlich

ein Menschenleben

gerettet

tu

haben." „Jetzt kommen seine Bedienten in aller Eile

herbei gelaufen, da fie ihren Herrn in den Fluten

des Stroms erblicke«,

und finden ihn schon

vom Wasser triefend mit seiner Beute am User. Der Gerettete schien (das verrieth die Kleidung) ein Frauentimmer tu sein. Man schob den Schleier,

welcher ihr Gesicht verhüllt«, rurück, und — Wi­ ll bald erblickte mit Erstaunen ein Mädchen in

der vollen Blüte der Jugend."

„Es

5 üs „ESwar Amanda, die ohne den glücklichen Zufall, daß Wilibald sie von seinem Hügel

blickte, und ohne die menschenfreundliche Thätig­ keit dieses edlen Mannes, ein Raub der Fluten

und eine Beute des Todes gewesen wäre." — „Wilibald ließ die Gerettete in seine Burg bringen, und übergab sie der Pflege eines geschick­

ten Arztes. Es dauerte mehrere Stunden, «he daS entflohene Leben, welches nur noch an dem

DulSschlage merkbar war, zurückkehrte. Todtenbläffe hatte ihr Angesicht überzogen, und sie lag, einem Todten gleich, in einer tiefen Ohnmacht, welche die durch ungeheure Anstrengung erzeugte

gänzliche Abmattung hrrvorgebracht hatte. Da öffnete sich ihr Auge, aber die Stimme versagte

ihr ihren Dienst. Die gewaltige Anstrengung ihrer Kräfte, die Kälte des Wassers und die bis­ herige Unruhe hatten so stark auf ihren zarten

Körper gewirkt, daß alle ihre Säfte in Unord­ nung gerathen zu sein schienen, und ein heftiges

Fieber sie überwältigte, welches die ganze Ma­ schine aufzulisen drohete. „Noch nie hatte Wilibald der Liebe JanBb

386 bewtvalt empfunden, der vom Throne bis tut Halmenhütte kein Sterblicher t» widerstehen ver« mag. Sein Lebe« war in jenem Gewühl von Un­ ruhen, in welchem da- Lebe» der Großen so ost «naufgehalte» fortrollt, bisher verflossen. AlKind hatte er früh sein« Burg verlassen, und nur seit einigen Jahren erst sah er sein väterliches Erbgut wieder." „Er hatte in -e« Jahre» des Jüngling- und de- beginnenden männlichen Alters die Dahn der Ehre durchlaufen; oft in ritterlichen Spielen den Preis erhalten; oft einen Theil -es Heeres mit Beute beladen und siegend au- der blutige» Schlacht und von dem kühn behaupteten Wahl­ platze zurück geführt. Ueberall hatte der Ruhm seine großen und tapferen Thaten verkündigt. Aber seinem für Freuden edlerer Art geschaffenen Her­ zen genügte nicht lange der Schmeichler zweideu­ tige- Lob, und des Ruhmes täuschende Stimme, die nur durch Blut und Thränen des Jammer« erkauft werden kann. Au- seinem Herzen ver­ schwand der Durst nach Ruhm, der den lebhaften Jüngling so »st zu Thaten entflammt hatte. Er

387 verließ die Bahn der Ebre, kam plötzlich in seine

Burg rurück, befreiete seine Unterthanen von den

unmenschlichen Bedrückungen habsüchtiger Aufse­

her, die er bisher ohne Argwohn für menschen­ freundlich und rechtschaffen gehalten hatte, über­

nahm selbst die Verwaltung seiner Güter, und weidete sich dann in der Stille an den Thränen

des Danks und der Freude, und an den feurigen Wünschen für sein Leben, die ihn überall aus

den Wohuunge» des nun froheren Landmanns um­

strömten." „Hier lebte Will bald nun feit einigen

Jahre» in einer Stille, die seinem menschenfreund­ lichen Herren reichen Ersatz für die bisherige»

Unruhen seine- Lebens gewahrte.

Außer dem

angenehme» Umgänge mit einem Freunde seiner Jugend, einem biederen Edlen, der die Gefahre» des Lebens mit ihm getheilt hatte, und einige

Meilen von ihm sich angekauft hat, mit welchem er dann und wann einige Tage in der frohen Er­ innerung an die verflossenen Zeiten verlebte, be­

stand sein ganreS Vergnügen in der Bearbeitung des Gartens,

der fein Schloß auf dem Felsen Bb »

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umgiebt, und in dem väterlichen Bestreben, für das Wohl seiner Unterthanen in dem unten liegen­ den Dorfe ru sorgen." „So stoffen seine Lage, ungetrübt wie der Bach, dessen Quelle aus seinem Garten »wischen dem Abhange eines Felsen hervorsprudelt, dahinNoch kannte sein ruhiges Her» die Gewalt der Liebe »nd ihre unwiderstehlichen Rei»e nicht. Aber seit jener menschenfreundlichen That, »u welcher des Mitleids göttlicher Trieb ihn entstammte, seit jenem Augenblicke, als der »urückgeschobene Schleier ihn die schöne Unbekannte erblicken ließ, war di« Rühr aus seinem Herren aus immer ver­ schwunden. Oede und traurig war nun für ihn der Garten, der seine Burg umgab, und wenn er um die gewohnte Zeit seinen Lieblingshügel bestieg, senkte unwillkührlich sein trüber Blick sich »u den schwarten Fluten des Stroms nieder, wo er die Unglückliche mit den Fluten ringen sah. Hier fand ihn die einbrechende Nacht, wenn der volle Mond aus den hüpfenden Wellen des Flusses sich spiegelte; hier sand ihn die Mitternacht oft, wenn schwarte Wolken dem Auge jedes Sternchen

3«9 entjogen, und Stürme durch die Stille der Nacht wütheten, nn) den runizeo Schlummeret aus be­

haglichen Träumen weckten." „Denn Am an den hatte das Fieber mit

solcher Stärke ergriffen, daß sie dem Tode, wel­ chem Wilibald'S nervichter Arm und sein men­

schenfreundliches Her; sie vor kurjcm entrisse»

hatte, jetzt von neuem sich näherte, und selbst bei dem Ante, der keine Mühe scheute, die Hoffnung, sie

ins Leben wieder Mück tu rufen, fast gan» )tt verschwinden anfieng." „ Schüchtern — aber mit unbeschreiblicher

Angst in dem sonst unerschrockenen und immer

muthigen Herren — nähere.sich bei jedem Erwa­ chen Graf Wilibald dem Bette der schönen Amanda, und unruhig forschten seine Blicke in

dem Auge des Arrtes nach dem Zustande der Kran­ ken. Traurig schlich er dann von dannen, wen»

des ArrteS trüber Blick ihm begegnete. Die un­

beschreibliche Unruhe seines Herrens, und die

Thräne, die oft unwillkührlich seinem Auge ent­

strömte, eröffneten ihm bald das Geheimniß, daß er — Amanden liebe"

39°

„Nur einmal hatte ihr matt aufgeschlagenes

Auge ihm den Dank ihres Herrens mit dem schö-

nen Ausdrucke des reinste» Wohlwollens rugestchert, nur einmal ihre Hand mit sanftem Drucke ihm die teilten Gefühle ihres Herzens verrathen. Ihr

Mund,

auf welchen eine Thräne herabrollte,

wollte sich öffnen, aber die Worte erstürbe» auf

ihren erblassenden Lippen."

„ (Einige Tage wüthete des Fiebers verzeh­ rende Hitze durch ihre Ader». Ihre Sinne wa­ ren rerrütret. Sie kämpfte im Fieberwahne mit

den Fluten, und schrie um Hülse. Dann befiel die Ermattete ein Schlummer, von welchem sie

nur zu neuen Kämpfen, ihres Verstandes beraubt, erwachte." „So verstrichen zehn traurige Tage, und

Amanda'S Kräfte schiene« gänzlich erschöpft zu

sein. Seit zwei Tage» hatte sie ihr Auge nicht mehr geöffnet; der Huell ihres Lebens schien ver­

siegen zu wollen, und ihr letzter Augenblick nicht mehr fern zu sein. Lieh Schwermut!) im wilden Blicke irrte Wilibald in den düsteren Wäl­

dern umher, die seine Burg umgaben, und nur

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die untergehende Sonne fand ihn,

sobald die

Abenddämmerung begann/ auf seinem Liebling-« Hügel." „Da meldete der unermüdete Arft dem Gra« feit in einer frühen Morgenstunde, daß Amanda

«ach einem erquickenden, nächtlichen Schlummer die Augen geöffnet, und — etwa- tu essen begehrt habe. Mit einer Miene, die den schnelleste« Uebergangvon tiefer Schwermuth zu lauter Freude bezeichnet, vernahm Wilibald diese Nachricht, und beschwor den Arzt, alles aufzubieten, waseine Kunst vermöge, um die schöne Unbekannte

wieder herzustellen. Dieser versicherte ihn, daß er jetzt Hoffnung zu ihrer Genesung habe, und nicht ohne Grund erwarte, sie in einigen Tagen außer Gefahr zu sehen." „Nichts vermag die Freude zu schildern, von welcher Wilibald's Herz bei diesen Worte» durchdrungen ward. Der geschickte und treue Arzt

hielt sein Wort. Amanda's Kräfte sammlete» sich, besonders da Eulalia, die unterdeß mit mir angelangt war, sie schwesterlich pflegte, tu# sehend-, und — au- ihren Augen strafte nach we-

392 nigen Tagen wieder der Gesundheit und Jugend

schönste Blüte."

„Ich und Eulalia wurden bald Wilibald'- feurige Zuneigung gegen Amanden ge, wabr, auch Amanda's Augen entgieng der Zu­

stand seines HerrenS nicht. Nur zu deutlich laß

sie in seinen Blicken die Liebe/ deren einriger Ge­ genstand sie war/ und mit Vergnügen bemerkte fie diese Neigung und das aufmerksame Bestrebe»,

ihr ru gefallen, welches aus jeder seiner Handlun­ gen hervorleuchtete. Sie selbst fühlte, ohne e-

zu wissen, di« Regungen der zärtlichsten Liebe, welche fie anfangs bloß für die Empfindungen der

Dankbarkeit gegen den Retter ihres Lebens hielt." „An einem schönen Morgen, als der Arzt

ihr zum ersten Mal ins Freie zu gehen erlaubte, wandelten wir sämmtlich, froh über Amanda's

Genesung, durch die sonnichten Gänge in Wilibalds schönem Garten auf seiner Burg umher. Ich und Eulalia giengen allein, und freut.-

te« »US am schönen Morgen, der neues Leben

durch die ganze Natur zu verbreiten schien, des Glücks unsrer Liebe. —

Wilibald

führte

393 Amanden, und sie uaheten sich seinem Lieblings­

hügel.

„»Hier hab ich oft (hob Wilibald an)

»»für Ihre Genesung/ liebenswürdige Am and«/ „»heiße Wünsche rum Himmel geschickt. Mein

„„erster Wunsch ist erfüllt/ Sie lebe». 0 „ „ möchte mein $roeiter, eben so feurig und stark „»als der erste, nicht minder erfüllt sein. Von

»„Ihnen hängt seine Erfüllung ab. Nur Aman< „»da'S Besitz kann mich glücklich machen. Wol-

„»len Sie mein sein?"" — „Eine sanfte Nöthe ergoß sich über Aman-

da'S Antlitz; eine Thräne der Rührung entquoll

ihrem Auge; sie sank ihrem edelmüthigen Befreier in die Arme, und Wilibald erhielt die Der,

sicherung ihrer Liebe, unter der Voraussetzung wenn Lindor in ihre Verbindung willige." „Jetzt näherten sich uns die Glücklichen wie­ der. Wilibald that uns mit Entzücken daS

Glück seiner Liebe kund, und Amanda's neuer

Errvthen verrieth nur zu deutlich, wie sehr sie den Mann schätze, dessen Mund ihr jetzt versicherte, was ihr Herr längst gewünscht und geahndet

hatte."

„ Auf allen Seiten glücklich, wie es nur

Sterbliche sein können, setzten wir jetzt den Tag unserer Abrei'e zu Lindor feil, und benachrichtigten

den ehrwürdigen Greis davon, der über Amanda's Genesung u n aus sprech li h sieb freut, und uns an dem bestimmten Tage gewiß mit heißer

Sehnsucht entgegen sieht." Jetzt endete Herald.

Ich dankte ihm herz­

lich , und wir freu ten uns beide innig über die glückliche

Wendung

dieses traurigen Vorfalls.

Die schöne Witterung dieses so mild beginnenden Frühlings und die angenehme Gesellschaft kürzten

uns den Weg. Wir befanden uns am Abende des zweiten Tages unterer Reise vor Lrndor's Woh­

nung, aus welcher der ehrwürdige Greis uns mit

geöffneten Armen entgegen kam. Amanda stürzte in seine Arme, und heiße Thränen kindlicher Zärt­ lichkeit und Rührung strömten ihre Wangen herab. Mit väterlicher Zärtlichkeit drückte sie Lindor

an sein Herz. Es war eine rührende Scene. —

„Dies ist mein edelmüthiger Retter," sprach Amanda, indem sie Graf Wilibald's Hand er­

griff und ihn zu Lindor führte. „Er wagte

39s »fein Leben daran, mich zu retten, und ohne

»seine Hülfe hatten Sie Ihre Tochter nicht wie-»der gesehen. Er liebt mich, und nur von Ihrer

„Einwilligung hängt es ab, ob wir glücklich sein

„sollen."

„Seid glücklich, meine Kinder!" rief Lindor, auf dessen Stirn die Freude des Himmels

ru ruhen schien. „Der Mann, den Amanda liebt, „ist ihres Herzens würdig. Der Ruf, Graf Wü „bald, nennt Sie einen edlen Mann, und Ihre

„menschenfreundliche That verdient eine solche „Belohnung. Sie haben (setzte er hinzu, indem

„er ihn umarmte) eines Greises Leben um einige „Jahre verlängert."

Jetzt umarmte der erfreute Greis Eulalien und Herald, und nannte sie seine Kinder- „Sie „sehen," sprach er zu mir, indem er mich mit

der Miene der Freundes herzlich bewillkommte, »ich bin ein glücklicher GreiS! 0 auch das Leben „auf der Erde ist schön, wenn man am späten „Abende noch, des verflossenen Tages sich freuen

„kann! Unter der Hand der schützenden Vorsicht

„gleiten bann de- Lebens Unfälle leichter vor„ über." ES war eilt schöner Abend, den wir hier im Dollgenuß der Freude des Wiedersehens verlebten. Des ehrwürdigen Greises heitere Stimmung ver­ schönerte die Gruppe froher Menschen, die hier

beisammen waren.

ES war das patriarchalische

Bild des Hausyaters unter seiner Familie.

Am folgenden Morgen eröffnete mir Lindor, daß er dem Fürsten Toaldo versprochen habe, ihn in seiner Residenz zu besuchen, und bat mich, daß ich ihn auf dieser Reise begleiten möchte. Ich willigte gern jn dies Begehren, da ich mir vorge­ nommen hatte, einen Monat bei Lindor rurubringen.

Slfyt und zwanzigstes Kapitel. Zn welchem die Leser durch einen Sprung in des Fürsten L o a l d o Resident ver-fetzt werden. Die Geschichte geht tu Ende.

Wie machte» uns am nächstfolgenden Tage auf de» Weg. Meine Leser haben mich lange genug Schritt vor Schritt aus meiner Reise begleitet. Ich bin daher der Meinung, daß es ihnen nicht übel gefallen wird, wenn ich — auch ohne Faust's Mantel ru besitzen, in welchem ich sie samt und sonder« eingehüllt durch die Lüste führe« könnte — sie

mit mir durch en«« Sprung (den man ja in der Geschichte, ohne sich den Hals ,u brechen, wohl wage» kann) plötzlich in des edlen Fürsten Tvaldo Residenz versetze. Hier befanden wir uns nach einer glückliche«

Reise von drei Tagen wirklich, und wurde» von

dem edle» Fürsten liebreich empfangen.

Toaldo hatte auf den folgenden Morgen

die Landstande seines Reichs, ohne deren Einwil-

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ligung er, vom Anfänge seiner Regierung an, nichts vornahm, tu sich entboten, und ladete Linder und mich ein, einer feierlichen Versammlung in seinem Pallast« beijuwohne».

Mir erschiene«. Es versammlete« sich die Edlen des Reichs aus allen Standen, um, wie To al do bekannt gemacht hatte, über einen wich­ tigen Gegenstand rum Wohl des Landes $u be­ rathschlagen. Feierliches Staunen ergriff mich, als ich in den großen, weitgeründete» Saal hineintrat, und rings umher eine Menge bejahrter, Ehr­ furcht heischender Männer erblickte, unter wel­ chen sich einige Greise, deren Haupt schon Silberhaar schmückte, befanden. Aus allen Ge­ sichtern war Liebe rum Daterlande, dessen Stützen sie waren, und zu Toaldo, dem Er­ sten in ihrem Volke, mit dem redendsten Aus­ drucke gereichnet. Einige der Greise umarmte» Lindor mit brüderlicher Freundschaft als einen alten Bekannten, und nahmen ihn in ihre Mitte.

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Toaldo setzte sich unter die Edlen. Seine Stirn war ernst; sein Auge bewölkte sich und er begann: „Edle und Freunde, die ihr mir vomBe» „ ginn meiner Regierung an die Bürde des Herr» „schens so männlich und patriotisch erleichtertet, „und mit standhaftem Muthe mir beistanbet, „wenn ich de» Aberglauben bekämpfte, mit Vor„urtheilen stritt, die langer Wahn geheiligt hatte, „und meines Volkes Glück für die späteste Zu„kunft zu sichern strebte! Euch werden Enkel einst „segnen, wenn sie die Frucht unserer gemein» „schaftlichen Bemühungen erndten!"

„Mir nahet da« Alter sich. Mein Auge, „von Sorge und Kummer oft umdämmert, wird „trübe. Vielleicht sink ich schnell in die Nacht „deS Grades hinab; ich bin vielleicht der erste, „den der willkommene Lod aus unserem Kreise „ hinwegrust." In manchem Auge zitterte bei diese« Worten langsam eine männliche Thräne hervor.

4oo

„Wenn ich sterbe, nimmt mein Erstgeborner

„ de» mir entsinkenden Scepter auf.

So wollen

„e- unsere Gesetze."

»Ich war, das sagt mir mein Herr, ei» gu„ter Vater, und liebe meine Kinder- Aber das „Vaterland ist mir theurer.

„mein Erstgeborner.

Alfonso ist

Er kann nicht regieren;

„denn sein Herz ist verdorben; und seine Sele „kennt nicht die erhabene Bestimmung eines Re„genten. Ihn erfüllt nicht Liebe zur Pflicht. Er

„ist Verrathet an allem, was Mensche» sonst hei-

„lig ist. Noch neulich hat er die Pflichten der „Gastfreundschaft an Lindor, dem Lehrer und

„Freunde meiner Jugend, verletzt, und vom Triebe „ der Wollust entstammt, seine Nichte entführt." „Ich habe als Vater alles versucht, ehe ich

„eS wagen wollte, de» letzten Schritt $u thun.

„Jetzt ist nichts mehr übrig. Ich gebe euch die „Gewalt, die euch nach meiner Ueberzeugung ge-

„ bührt.

Wenn es euch so dünkt, so werde eS

„Gesetz: daß es den Stünden des Reichs

„frei stehe, aus den Söhnen des Fürsten „den

401 „den jiiin Regenten zu wähle«/ der nach „ihrem Urtheile der würdigste ist."

„Das Recht der Erstgeburt sei künftighin „ aus diesem Lande verbannt. — Ein edler Wett, „eifer wird hierdurch unter den Fürstensöhnen in „unserm Lande entstehen/ der für das Vater, „land die ersprießlichsten Folgen hoffen läßt."

»»Ich hübe jetzt noch die erste Stimme/ „und fchlaae Olphirn, meinen rweiten Soh«/ „tu meinem Nachfolger vor."

Einer dtt chrtvürbigsts» Greise erhob sich jetzt. „Edler/ durchlauchtiger Fürst," begann er, „laßt uns nicht r» rasch sein, und — von »Daterlandslieb.« verführt — einem Men, „schen Unrecht thun. Olphir ist ein treflicher »»Jüngling, der einst Tausenden wvhlrhu» wird, „und werth, eine Krone zu tragen. Aber auch „AlsoUso ist seines Vater- würdig!"

»»Ich habe be« Jüngling voa Jugend auf „beobachtet. Sei« Herr ist gut; aber aufg«, Ce

»regte Begierde verhüllt e-, daß es in seinem »natürlichen Glanze nicht leuchtet. Cr ist ver„führt durch einen Elenden, den seine versteckte

»Art zu handeln dem Auge und Arme der Red„licken bisher entzog. Der Zeitpunkt ist nicht „mehr fern, s» fällt die Decke sicher von de« ar, „men betrogenen Prinzen Auge." Indem der Edle so redete, trat ein alter Greis, geführt von einem seiner Kinder, in de» Gaal; hinter ihm sei« Weib und sein« übrige« Kinder.

»Was wollt ihr?" sprach Toaldo. — „Für „unsern Beschützer und Vater, den edlen Al-

„sonso, sprechen!" war die Antwort des Grei­ ses. „Wir höre», er solle heut des künftige«

„Thrones beraubt werden. 0 durchlauchtiger „Fürst, verkennet ihn nicht. Seit zehn Jahre» „pflegt er mein Alter, da ich blinder Man» „nichts mehr verdienen kann, und giebt Brodt „meinen Kindern. Ich sollte es nie verrathen, .gedor er mir, aber jetzt kann ich nicht schioei-

„gen."

4° 3

„Mein Sohn diente vor acht Jadren im „Kriege;" schrie eine andere weibliche Stimme, „ich verlor ihn, er kam nicht wieder. Mein „Mann starb vor Gram. Alfonso begegnete „mir. Wa- weint ihr Fraur fragte er. Ich „erzählte ihm alle«. Ihr sollt nickt mehr wci„nen! sagte er. Eure übrigen Kinder laß ich

„erziehen, und wenn ihr fleißig arbeitet, will „ich für euch sorgen; aber sagt es niemand. Er «har Wort gehalten, und ich bete zu Gott tag.' „lick, daß w «s ihm vergelte, denn ich kann es „ nicht."

„Ich war vertriebe» aus meinem Dater„lande, weil ich freimüthig Wahrheit sprach!" tint' eS von einer andern Seite her. „Ich „wandte mich hieher, um bei Loaldo Schutz „und Freiheit zu suchen. Ich begegnete im Vor« „zimmer dem Prinzen Alfonso. Was suchen „Sie? war seine Frage. Ich eröffnete ihm meine „Lage. Ich habe mehr als ich brauche, sprach

„er. Ich sorge für Ihren Unterhalt; sorge» Sie „für die Erziehung einiger Kinder, die ich IhCe »

404

»wen anvertraue. Das Gerücht sagt, Sie sind »ein redlicher Man»; aber erzählen Sie nichts

„von dem Vorgänge unter uns." Von allen Seiten

riefen mehrere Stim­

men: „Es lebe Alfons» und sein edler Vater

„Toaldo!^ „ES ist Gotte- Stimm«, die durch da-Volk „redet, durchlauchtiger Fürst!" «ahm der ehr­

würdige Greis wieder da- Wort.

„Unsere

„Gesetze sicher« uns hinlänglich wider jeden Ein-

«griff in die Rechte der Bürger.

Lassen Sie

„uns dem Vaterland« die bisherige Verfassung erhalten! “

Jetzt erschien Alfonso; von -er Menge „hereingetragen.

„0 mein Vater, ver-

„gieb!" waren seine ersten Worte, indem er

gerührt dem Fürsten Toaldo in die Arme sank-

„Ich war verführt. Mich hatten die Rathschläge „eines Menschen verstrickt, der meines Ver-

„ trauens und meiner Zuneigung unwürdig «ar.

40f „Er wußte die Liebe gegen meinen Vater durch „falscheVorspiegelungen in meinem Herzen $u be„täuben. Er nährte in mir den Verdacht, als „wolle Toald» mir daS Recht zur Nachfolge „entziehen, um Olphir, dem geliebtere» „Sohne, wie er ihn nannte, das Reich zuzuwen„den. Er war's, der den Anschlag auf Aman „den in meiner Sele erzeugte, und den ganzen „Plan der Entführung veranstaltete. Ich verab„scheuere den Frevel in meinem Herzen; war „aber zu schwach, feinen Lockungen zu widerste„hen, da er den sinnlichen Trieb in mir rege „zu machen gewußt hatte. Ich habe den Elen„den verabschiedet. Aber strafe ihn nicht, Vater! „Er ist unglücklich genug, wen» sein Gewissen „erwacht. In einem fremden Lande mag er küns„tighin lebe«. Ich verabscheue seine Denkungs„art, die mich so lange bethörtr, daß ich den „besten Vater »erkannte."

„Und gern, mein Vater, überlass' ich Ol„phirn den Scepter; er ist es werth, zu regie„ren, «nd ich — bin auch als Privatmann glück-

4o 6

„lich, wenn mir Loaldo dem reuige» Sohne „versiebt.“

„S mein Sohn!“ rief Toald», der sich nicht länger $u halten vermochte, und den Jüng­ ling mit Vaterzärtlichkeit in seine Arme schloß, „So habe ich mich denn in dir getäuscht! Ange„nehme Täuschung!" und Helle Thränen entstürz« ten seinen Augen.

„Ich nehm« meinen Vorschlag zurück," fuhr er fort. Dir gebührt der Scepter, und »ruhig fink' ich dem Tode in die Arme. „ES lebe Toaldo, der edle Fürst! ES lebe „Alfonso, einst fein Nachfolger und feiner Tu„genden Erbel ES lebe der edle Olphir!“ scholl es durch den ganzen Saal. Tausend Thrä­ nen stossen. „So schwör' ichs denn hier (rief Alfonso, dem feurig Rührung vom Auge stralte) vor dem all« „gegenwärtigen Zeugen, — ihr Edlen hört ei! —

407 „daß ich mein Vaterland und seine Bür„ger lieben, und die Gesetze des Landes, „so lange ich lebe, ausrecht erhalten „will."

Mein Hert ward bei dieser Scene von dem reinen Gefühle der innigsten Theilnehmung durch, drungen, und eine Thräne der lautersten Freude drängte sich in mein Auge. Glücklich ist das Land, dacht' ich, das solche Fürsten und solche Würger hat!

Verbesserungen einiger eingeschlichenen Druck­ fehler.

Seite 154« Zeile

von oben lese man: verkürzten für verkürzte. — 2. von unten lese man: auch unter eini­ r-4. gen Tagen nicht loß werden. — 194* — 1. v. u. streiche man das nicht weg' 1. v. u. «uv e>. 200. Z. i. v. 0. lesevlaüs Jo5« Veruntreuung. — 330» 7. v. 0. erlange für erlangen. — — 333— 7. v. 0. b e h a l t für behalt. 1. v. n. manchen für mancher. — 334. — — Z64. — 11. v. 0. den für dem. — -- 395’ 9 und io. v. 0. Wilibald für Wibald. — 395— 5 v. u. des Freundes für der Freundes. Auch muß es überall unter den Anmerkungen heißen: Anmerkung des Verfassers für Herausgebers.