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German Pages 448 [480] Year 1970
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GEORGE BERKELEY
Alciphron oder der Kleine Philosoph Übersetzt von Luise und Friedrich Raab Mit einer Einleitung versehen und herausgegeben von Wolfgang Breidert
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 502
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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographi sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1307-5 ISBN eBook: 978-3-7873-2733-1 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1996. Alle Rechte vor behalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorf rei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de
INHALT
Einleitung. Von Wolfgang Breidert .................................... VII 1. Berkeleys Leben und Werk ....................................... VII 2. Entstehung, Publikation und erste Rezeption des Alciphron ........ ..... ... ... ... ....... .... .... ... ... ... ... .... ......... Vill 3. Inhalt und Form des Alciphron ................................. XI 4. Berkeley's Gegner und die Wirkungsgeschichte des Alciphron .............................................................. XXI 5. Zu der Übersetzung und den Anmerkungen ............ XXVIII
George Berkeley Alciphron oder der Kleine Philosoph Titelblatt des Ersten Bandes der Ausgabe von 1732 ..........
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Inhaltsverzeichnis des Ersten und des Zweiten Bandes .....
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Vorrede des Verfassers ..... ... ........ ..... ... ... ....... .. ........ ..... .......
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Erster Dialog ... ... ..... .......... .... ........ ... ..... ....................... .......
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Zweiter Dialog .....................................................................
54
Dritter Dialog ......................................................................
113
Vierter Dialog ......................................................................
150
Fünfter Dialog ..... ...... .. ... ..... .. ... ... ........ ... .. .. ........ ... .. ......... ...
192
Titelblatt des Zweiten Bandes der Ausgabe von 1732 ....... 253 Sechster Dialog ...... ....... .............. ... .... ... ..... ...... ... .......... ....... 255 Siebenter Dialog .......... ..... ...... ........ ..... ... ............ ........ .. ....... 340
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Inhalt
Anmerkungen. Von Luise und Friedrich Raab ................. 401 Korrekturen und Ergänzungen zu den Anmerkungen ......
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Personen- und Sachregister .................................................
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Literaturverzeichnis. Von Wolfgang Breidert .. ... ....... ... .....
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EINLEITUNG
1. Berkeleys Leben und Werk
1685
1696-1700 1700-1713
1713-1720
1721-1724
1724-1728
12. März: George Berkeley in der Nähe von K.ilkenny in Irland als Sohn eines Gutsbesitzers (Dysert Castle) geboren. Besuch des Kilkenny College. Trinity College Dublin. 1704 B.A., 1707 M.A., 1709 Diakon, 1710 Priester. - "Arithmetica absque Algebra aut Euclide demonstrata" und "Miscellanea Mathematica" 1707, "Philosophisches Tagebuch (Philosophical Commentaries)" 1707/8 (posthum veröffentlicht), "An Essay Towards a New Theory of Vision" 1709, "A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge" ("Part I"; einziger Teil) 1710, "Passive Obedience" 1712. vorwiegend auf Reisen. 1713 in London. 1713/14 ltalienreise als geistlicher Begleiter des Grafen von Peterborough. 1714-1716 in England. 1716-1720 Italienreise als Tutor von George Ashe, Sohn des Bischofs von Clogher. - "Three Dialogues between Hylas and Philonous" 1713. Artikel im "Guardian". vorwiegend in Dublin. 1721 Doktor und Lektor der Theologie. 1723 Teilerbe der Hester van Homrigh (Swifts Vanessa). 1724 Dekan von Derry. - "De Motu" und "Essay Towards Preventing the Ruin of Great Britain" 1721. in England. Vorbereitungen zur Gründung eines theologischen College auf den Bermuda-Inseln. 1728 heiratet Berkeley Anne Forster, Tochter eines Dubliner Richters, aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor.
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1729-1731
1731-1734 1724-1752 1753
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in Newport, Rhode Island. Nachdem das von der englischen Regierung zunächst zugesagte Geld nicht gezahlt wird, kehrt Berkeley erfolglos nach England zurück. in England. - „Alciphron" 1732, „The Theory of Vision ... Vindicated and Explained" 1733. Bischof von Cloyne bei Cork in Irland. - „The Analyst" 1734, „The Querist" 1735-37, „Siris" 1744. 14. Januar: Berkeley stirbt bei einem Aufenthalt in Oxford, dem Studienort seines Sohnes, und wird dort begraben.
2. Entstehung, Publikation und erste Rezeption des Alciphron Die Publikation von Berkeleys wichtigsten Schriften fällt hauptsächlich in zwei Phasen seines Lebens. Zwischen 1707 und 1713 entstehen vor allem die erkenntnistheoretischen Schriften (New
Theory of Vision, Principles ofHuman Knowledge, Dialogues between Hylas and Philonous). Während der zweiten großen Publikationsphase bringt er neben dem wirtschaftspolitischen Querist vorwiegend Werke heraus, die der Verteidigung seiner Philosophie und Rechtfertigung der Religion gegen den Deismus gewidmet sind (Al-
ciphron, The Theory of Vision ... Vindicated and Explained, Analyst). Der Alciphron ist ein religions- und moralphilosophisches Werk, das aber vor allem in dem Vierten und Siebenten Dialog auch wichtige sprachphilosophische und erkenntnistheoretische Passagen enthält. Berkeley schreibt zwar mit einer apologetischen Motivation, denn er will seine religiösen und politischen Gegner widerlegen, doch indem er deren Argumente ausbreitet, bringt er auch zahlreiche grundlegende philosophische Fragen zur Sprache. Berkeley ist in der Philosophie vor allem durch seine Lehre vom Immaterialismus bekannt und seinen Grundsatz, daß das Sein der Gegenstände der Sinne im Wahrgenommenwerden bestehe. Doch diese sehr kurz gefaßte ontologische Formel bildet keineswegs den Kern des Alciphron, der immerhin Berkeleys umfangreichstes Buch ist. Es entstand bei Newport in Rhode Island, wo sich
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der anglikanische Geistliche 1729-1731 aufhielt. Er war damals noch nicht der später so oft zitierte „gute Bischof", sondern immer noch Dekan von Derry. Er hatte den Plan, auf den Bermuda-Inseln ein College zu gründen, in dem Missionare für die Christianisierung Amerikas ausgebildet werden sollten. Er war von England abgereist, bevor er das vom englischen Parlament zugesagte Geld (20000 Pfund) erhalten hatte, weil er hoffte, durch seine vorzeitige Abreise die Auszahlung zu beschleunigen. Im Laufe seines AmerikaAufenthaltes wurde ihm immer klarer, daß er sich in dieser Hinsicht getäuscht hatte, ja, daß das gesamte Projekt zum Scheitern verurteilt war. Berkeley hatte mehr Zeit, als ihm lieb war, über sein geplantes Unternehmen und die es hintertreibenden Gegner nachzudenken. Er war davon überzeugt, daß die damals vor allem in England starken Freidenker seine Hauptgegner seien und das Bermuda-Projekt vereitelt hätten. Enttäuscht kehrte Berkeley gegen Ende des Jahres 1731 nach England zurück, doch hatte der Amerika-Aufenthalt mindestens zwei wichtige Nebenwirkungen: Die neue Welt hatte in ihm einen „ihrer" Philosophen gewonnen, und Berkeley brachte die literarische Frucht der frustrierenden Jahre, den Alciphron, mit nach London. Berkeley spielt am Anfang des Gesprächs (Erster Dialog,§ 1) auf seine „Mißerfolge" und seinen „bedeutenden Verlust an Zeit, Mühe und Ausgaben" an. Das Werk erschien im Februar 1732 anonym in London in zwei Bänden. Noch im selben Jahr kam es unverändert auch in Dublin heraus, während die Londoner Ausgabe mit einigen Korrekturen erneut aufgelegt wurde. Der erste Band enthielt die ersten fünf Dialoge, der zweite den Sechsten und Siebenten Dialog sowie als Anhang eine Neuauflage de~ bereits 1709 als Berkeleys erste große philosophische Schrift publizierten Essay toward a New Theory of Vision. Der Alciphron erschien zwar zunächst anonym, weil aber die Schrift über das Sehen ursprünglich unter Berkeleys Namen erschienen war, konnten Kenner der philosophischen Literatur den Autor leicht identifizieren. Da im 18. Jahrhundert auf dem europäischen Festland Kenntnisse der englischen Sprache auch unter Gebildeten nicht selbstverständlich waren, ist es von Bedeutung, daß schon bald Über-
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setzungen des Alciphron erschienen sind, nämlich ins Niederländische von Mattheus de Ruusscher (Leyden 1733), ins Französische von Benjamin de Joncourt (La Haye 1734) und ins Deutsche von Wigand Kahler (Lemgo 1737). Die Übersetzung von Kahler ist die erste deutsche Berkeley-Übersetzung überhaupt und erschien 18 Jahre vor Eschenbachs Übersetzung der Three Dialogues between Hylas and Philonous, doch ist sie unter den Berkeley-Forschern wenig bekannt, obwohl Friedrich Raab in seiner deutschen AlciphronAusgabe von 1915 ausführlich über sie berichtet. Kahler behauptet zwar, seine Übersetzung sei anhand des englischen Originals „mit Zuziehung der frantzösischen Ubersetzung" entstanden, doch schon der Umstand, daß sie unter dem französischen Titel Alciphron ou le petit Philosophe erschien 1, deutet darauf hin, daß er, wie es zu seiner Zeit üblich war, nur die französische Übersetzung benutzt hat, was dadurch bestätigt wird, daß er die Fehler und Auslassungen derselben übernimmt. Kahler übernimmt dagegen nicht die in den Alciphron-Ausgaben sonst enthaltenen allegorischen Titelvignetten, sondern gibt seiner Ausgabe ein Vorsatzblatt mit drei Kupferstichen bei. Der erste zeigt fünf Herren, die in einem Park unter Bäumen vor einem Springbrunnen sitzen. Offenbar soll damit die Gesprächssituation dargestellt werden. Die beiden anderen Bilder tragen die Aufschrift „La petite Philosophie" und sollen das Leben der Freidenker und seine schrecklichen Auswirkungen veranschaulichen: In einem Salon wird geraucht, Karten gespielt und geflirtet. Das letzte Bild zeigt einen Erhängten, einen im Duell Getöteten, eine darüber jammernde Frau und einen Mann, der ins Wirtshaus geht.2 Aus den ursprünglichen, religionsphilosophischen Vignetten werden bei Kahler platte Moral predigende Bilder gleichsam mit erhobenem Zeigefinger. Der Alciphron wurde im 18. Jahrhundert wiederholt neu aufgelegt. Berkeley selbst bereitete noch eine Ausgabe vor, die unter Jessop gibt in seiner Bibliographie nur den deutschen Untertitel an. Auch Keynes gibt nicht den Haupttitel wieder. Das könnte ein Grund dafür sein, daß sich das Werk gelegentlich nicht nachweisen ließ. 2 Zu Alkohol, Spiel und Hurerei s. Dialog II, § 2; zum Selbstmord Dialog II, § 17; zum Duell Dialog V, § 13. 1
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dem Erscheinungsjahr "1752" posthum herauskam. In ihr sind einige Abschnitte des Textes und des Essay toward a New Theory of Vision nicht mehr enthalten. Erst die 1755 in Dublin erschienene Ausgabe trägt zum ersten Mal Berkeleys Namen auf dem Titelblatt. Es folgten Ausgaben 1757, 1767, 1777 und 1803. Die letztgenannte Ausgabe kam in New Haven, Connecticut, mit einem Vorwort von T. Dwight heraus.
3. Inhalt und Form des Alciphron Der Alciphron wendet sich gegen die Deisten und Freidenker. Der Deismus, eine religionsphilosophische Richtung, die sich im 17. und 18. Jahrhundert herausbildete, bekennt sich zu einer rational begründeten natürlichen Religion, weswegen seine Anhänger auch als "Naturalisten" bezeichnet werden. Er schließt den Glauben an das Dasein Gottes ein, übt aber Kritik an der historisch überlieferten Offenbarungsreligion oder leugnet sie völlig.3 Warum sollte Gott sowohl die Vernunft als auch die Offenbarung benötigen, um die Menschen zur Erkenntnis Gottes und ihrer religiösen Pflichten zu führen? Der im Denken der Aufklärung wurzelnde Deismus setzt dabei nur auf die Vernunft, also auf die natürliche oder rationale Religion, an der auch jede angebliche Offenbarung zu messen sei. Als Darstellungsform hat Berkeley für den Alciphron eine Folge von sieben fiktiven Dialogen gewählt, die innerhalb einer Woche stattgefunden haben sollen. Einer der Teilnehmer, nämlich Dion, der allerdings die meiste Zeit schweigt und hinter dem sich Berkeley selbst verbirgt, berichtet über das gesamte Symposion seinem Freund Theages4. Dion war Gast bei Euphranor, einem Landwirt und Philosophen. Als dessen Nachbar und Freund Crito hörte, 3 Gotthard Victor Lechler: Geschichte des englischen Deismus. Tübingen 1841. Nachdruck mit einem Vorwort von Günter Gawlick. Hildesheim 1965. 4 Der Name ist vielleicht nicht nur in Anknüpfung an Platon gewählt, sondern möglicherweise auch als sprechender Name, denn "theaomai" bedeutet schauen oder bedenken.
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daß sie gerne Genaueres über die Freidenker erfahren möchten, arrangierte er im Hain bei seinem Haus das wochenlange Religionsgespräch, zu dem er noch zwei ihm bekannte Freidenker, Alciphron und Lysicles, einlädt. Diese kommen von der Stadt aus der sogenannten besseren Gesellschaft und haben viel von Europa gesehen. Ihr Leben steht in einem gewissen Gegensatz zum einfachen Landleben Euphranors, obwohl dieser eine gut ausgestattete Bibliothek besitzt. So stehen sich durch die Exposition die zügellose Zivilisation in ihrer Künstlichkeit und mit ihren Gefahren auf der einen Seite und die schlichte, aber kultivierte Natur auf der anderen einander gegenüber. Die Namen der Figuren und einige Züge der Szenerie sind antik und erinnern an Platons Dialoge, doch der Gesprächsinhalt hat so viele Bezüge zum 18. Jahrhundert, daß für den Leser eine eigenartige Mischung der Eindrücke entsteht. Offensichtlich sind die Namen oft als etymologische Indizien gewählt. Daher heißt es z.B., daß Lysicles (nAnalyse") und Crito (nKritik") miteinander verwandt sind (Erster Dialog, § 1). Bei näherer Betrachtung werden so zwar zahlreiche Einzelheiten der Komposition deutlich, doch warnt Berkeley ausdrücklich davor, den festgefügten Komplex seines Werkes durch eine Entschlüsselung auflösen zu wollen.s Die personellen und argumentativen Anspielungen durchdringen sich doch stark, so daß z.B. der vorwiegend auf Shaftesbury bezogene Dritte Dialog in mancher Hinsicht auch gegen Hutchesons Lehre von einem spezifischen Sinn für Schönheit und einem für Moralität gerichtet zu sein scheint. 6 Die Komplexität der Darstellung beruht u.a. darauf, daß durch die einzelnen fiktiven Gestalten mehrere Bezüge gleichzeitig angesprochen werden: 1) der sprechende Name, 2) ein antiker Denker mit diesem Namen, 3) eine dahinter versteckte Person des 18. Jahrhunderts, 4) eine typische Haltung oder Denkweise, die diese verschiedenen Aspekte verbindet. s S. 8 (Vorrede des Verfassers). - Es ist trotzdem bedauerlich, daß an manchen Stellen dieses Werkes immer noch sichere Quellenbelege und Deutungen der Anspielungen fehlen. 6 J. 0. Urmson: Berkeley on Beauty. In: Poster, John I Robinson, Howard (eds.), Essays on Berkeley. Oxford 1985, 227-232.
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Erster Dialog: Zunächst wird ein Bild von den Freidenkern, ihren Ansichten sowie ihrer Entstehung entworfen und die gemeinsame Diskussionsbasis der Gesprächspartner festgestellt. Demgemäß kämpfen beide gegen bloße Vorurteile und streben nach begründeter Wahrheit. Moralische Maximen werden nur dann akzeptiert, wenn sie dem allgemeinen menschlichen Glück dienen. Gegen die Deisten werden einige Vorwürfe erhoben: Sie verwischen den Unterschied zwischen Mensch und Tier, indem sie beide nur als Automaten verstehen. Sie untergraben die Bedeutung von Moral, Verantwortung und Solidarität und gefährden damit das Leben in der Gesellschaft(§§ 12 u. 13). Die Bezeichnung "Deisten" ist irreführend, da sie tatsächlich gar nicht an Gott glauben. Ironischerweise beruft sich Alciphron in seiner Antwort auf die alte, bei Francis Bacon überlieferte und auch von Berkeley in den "Principles" benutzte Formel, man müsse wie die Gelehrten denken, aber wie die einfachen Leute reden. Nicht Autoritäten, sondern der Vernunft müsse man folgen. Alciphron sucht hinter allen Vorurteilen den reinen, ursprünglichen Naturzustand - eher im Sinne von Hobbes als dem von Rousseau. Die Menschen seien zwar von Natur aus verschieden und es gebe auch Meinungsverschiedenheiten, dennoch seien Vernunft und Wahrheit interkulturell und über die Zeiten hinweg gleich(§ 15). Die Vertreter Berkeleys halten ihm entgegen: Der Mensch ist nicht nur ein animalisches Wesen und Teil des Natursystems, sondern auch ein Wesen, das moralisch verantwortlich ist. Die Naturordnung enthält noch keine moralische Ordnung, sondern kann nur als Muster eines geordneten moralischen Systems dienen(§ 16). So wie es in der Natur nicht um das Wohl des einzelnen Lebewesens geht, sondern um das Wohl des Ganzen, so ist auch nicht das Glück des Einzelnen, sondern nur das allgemeine Wohl der Menschheit ein adäquater Maßstab für die ethische Beurteilung. Zweiter Dialog: Die im ersten Dialog aufgestellte These über das Verhältnis zwischen dem allgemeinen Wohl und dem Handeln des Einzelnen wird anhand von Mandevilles Lehre, daß das private Fehlverhalten für das allgemeine Wohl nützlich sei, überprüft. Als Beispiele dienen der Alkoholismus, das Glücksspiel und die Prostitution (§ 2). Das Gemeinwohl besteht nicht im materiellen
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Reichtum eines Volkes und das Laster des Einzelnen verschafft nicht einmal diesem ein dauerhaftes Glück (§ 10). Laster und Luxus sind nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für ein Volk schädlich, wobei dem 18. Jahrhundert entsprechend in der Minderung der Bevölkerungszahl ein Schaden gesehen wird(§ 12). Die moralischen Qualitäten eines Menschen entsprechen dem Gesundheitszustand seiner Seele(§ 12 u. Dritter Dialog,§ 16). Der Hingabe an die Sinnenfreude und ihrer angeblichen Natürlichkeit wird entgegengehalten, daß die Natur des Menschen in seiner Vernunft liegt und diese einen höheren Rang hat als Sinnlichkeit und Einbildungskraft (§§ 14 u. 15). Wer sich dem Laster hingibt, denkt zu kurzfristig, denn er wird von Reue heimgesucht(§§ 16-18). Bei einer Aufrechnung von Freuden und Leiden zeigt sich die Schwäche der Freidenker (§ 24). Von beiden Seiten wird Freiheit gefordert: Die Deisten fordern Freiheit von der kirchlichen Autorität, die Vertreter Berkeleys Freiheit für die Religion(§ 21). Die Emanzipationsund Freiheitseuphorie wird durch den Hinweis auf die Dialektik der Freiheit in Frage gestellt, denn allzu große Toleranz könnte ein Religionsvakuum erzeugen und zur Vorherrschaft einer unduldsamen religiösen Macht führen. Insofern sind die Freidenker Gehilfen des Papsttums. Ein Freiheitsfanatismus ist abzulehnen(§ 24 u. 26). Dritter Dialog: Der Versuch, die Moral auf das Ehrgefühl zu gründen, wird zurückgewiesen. Alciphron behauptet im Sinne Shaftesburys - der hier unter dem Namen "Cratylus" erwähnt wird -, die Grundlage der Ethik sei die natürliche Idee von der Schönheit der Tugend, die mit einem inneren moralischen Sinnesvermögen (moral sense) erfaßt werde (§§ 3-5). Die Vertreter Berkeleys setzen der Unsicherheit des bloßen Gefühls oder moralischen Sinns die Sicherheit von Vernunft und Urteilskraft entgegen(§ 5). Außerdem kann Schönheit nur durch Erkenntnis von Zweckmäßigkeit, also mit Hilfe der Urteilskraft, erfaßt werden, was ausführlich am Beispiel der Architektur gezeigt wird (§ 9). Moralische Schönheit kann ihren Grund nur in einer Zweckordnung haben, sieberuht daher nicht auf dem Geschmack oder einem Sinnesvermögen, sondern auf Vernunft und Rationalität(§ 10). Die Versuche der Stoiker, die Moralität auf einen moral sense und die Schönheit der
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Tugend zu gründen, müssen also scheitern(§ 14}. Die Relativität des Geschmacks und des Sinns für moralische Schönheit wird in Analogie gesetzt zur Standpunktrelativität in astronomischen Systemen. Tugend ist ebensowenig wie Wahrheit ein Gegenstand für Mehrheitsentscheidungen (Vgl. Vierter Dialog, § 1} und Gelächter ist kein triftiges Argument. Allerdings bleibt fraglich, ob es schädliche und daher geheimzuhaltende Wahrheiten geben könnte. Ein Wahrheitsfanatismus ist abzulehnen (§§ 15 u. 16}. Vierter Dialog : Der Vierte Dialog ist dem Beweis der Existenz Gottes gewidmet, wobei Alciphron die bloße Berufung auf Autoritäten ebenso zurückweist wie die hergebrachten Beweisversuche (ontologisch aus dem Begriff Gottes, kosmologisch aus dem Gedanken an eine erste Ursache des Kosmos, physico-theologisch aus der Schönheit und Zweckmäßigkeit der Natur}. Die Vertreter Berkeleys argumentieren, daß sich die Schönheit (Symmetrie} oder der Nutzen der Welt nicht beurteilen lasse, da sie ein unendliches Gesamtsystem darstellt. Auf der anderen Seite kann ebensowenig aus dem Unglück der guten Menschen gegen die Existenz Gottesargumentiert werden, weil jenseitige Freuden diesseitige Leiden bei weitem kompensieren könnten(§ 2).Die Existenz Gottes soll auf die gleiche Weise bewiesen werden, wie man die Existenz von Dingen beweist, die man nicht unmittelbar wahrnehmen kann. Evidenz von der Existenz denkender Individuen haben wir nur aufgrund von Zeichen (Indizien}, nämlich durch die von jenen Individuen ausgeführten Handlungen oder Bewegungen, die wir wahrnehmen. Wir haben a fortiori auch Gewißheit von der Existenz eines sich im Weltsystem zeigenden absichtlich und zweckmäßig wirkenden Agens. Das triftigste Indiz bei der Wahrnehmung anderer geistbegabter Individuen ist der Gebrauch solcher sprachlichen Zeichen, die keine Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten haben (§ 7). Derartige Bedingungen sind z.B. auch bei der visuellen Wahrnehmung erfüllt, denn das visuelle Bild muß keine Ähnlichkeit mit dem gesehenen tastbaren Gegenstand haben. Die Verknüpfung von visuellen Zeichen mit haptischen Gegenständen kommt, wie Berkeley vor allem in seiner "Theorie des Sehens" gezeigt hat, nur durch Erfahrung und Gewohnheit zustande(§§ 8-12). Wir sehen Gott
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ebenso wie andere Menschen mit unseren leiblichen Augen(§ 14). Die visuelle Sprache beweist die Existenz eines Schöpfers und eines Lenkers der Welt. Die Vorstellungen von einem teilnahmslosen Gott (Epikur), einem materiellen (Hobbes) oder einem pantheistischen (Spinoza) werden abgelehnt (§ 16). Besonders ausführlich wird die Theologie der bloßen Analogie kritisiert, nach der wir die Existenz und die Attribute, die wir weltlichen Dingen zuschreiben, Gott nur in uneigentlicher, analoger Weise zuschreiben können. Die Geschichte dieser theologischen Lehre wird von den Kirchenvätern bis in die Neuzeit verfolgt(§§ 19-21) und zurückgewiesen, denn Gott ist im eigentlichen Wortsinne intelligent, weise und klug(§ 22). Das Theodizee-Problem wird durch den Hinweis auf die eigenen Mängel der Menschen beantwortet (§ 23). Selbst wenn man die Existenz eines solchen Gottes, wie ihn die christliche Religion lehrt, zugibt, bleibt die Frage, ob die Verehrung dieses Gottes einen Nutzen bringt oder Segen stiftet. Fünfter Dialog: Da die Freidenker nicht ihrer eigenen Vernunft folgen, werden sie den Fuchsjägern oder einer Hundemeute verglichen(§ 1). Ausgehend von den Zugeständnissen, daß Tugend das allgemeine und besondere Wohl der Menschheit fördere {Zweiter Dialog), daß die Schönheit der Tugend nicht ausreiche, um zu einem guten Leben zu führen {Dritter Dialog), und daß der Glaube an einen Gott nützlich sei (Vierter Dialog), wird die Frage erörtert, ob Gott auf christliche Weise verehrt werden sollte, und ob eine Verknüpfung von Religion und Staat wünschenswert sei (§ 2). Religionen sind nach ihrer Wirkung zu beurteilen (§ 7) und demgemäß werden andere Religionen {z.B. die der Druiden) als grausam zurückgewiesen. Die Wohltätigkeit gilt als Hauptmerkmal des Christentums (§§ 3 u. 4). Das Glück der Christen liegt nicht in der hiesigen Welt, deren Nutzung ihnen gestattet und deren Mißbrauch ihnen untersagt ist, sondern hängt von der Hoffnung auf das Jenseits ab (§ 5). Die übliche Kritik an der Schlechtigkeit von Geistlichen wird als irrelevant abgetan. Die natürliche oder vernünftige Religion ist zwar nicht zu verachten, aber ihre Wirkung· ist bei den meisten Menschen schwächer als die der Offenbarung (§ 9). Ein Vergleich mit anderen Religionen, insbesondere ein Blick
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auf die griechische und römische Antike, zeigt die veredelnde Wirkung des Christentums(§§ 10-14). Shaftesburys Kritik am Sprachstil der Geistlichen und Theologieprofessoren wird ihm anhand eines Zitats aus seinen eigenen Schriften zurückgegeben(§§ 21-22). Auch die - im 18. Jahrhundert besonders hoch bewertete - Kenntnis der Antike, insbesondere die Renaissance der Wissenschaften in der Neuzeit mit ihrer Förderung der Logik ohne abstrakte scholastische Spitzfindigkeit muß als eine Wirkung der christlichen Religion gelten(§§ 23 u. 25). Die christliche Religion ist die einzige, die alle Vorzüge der natürlichen Religion enthält. Die Fähigkeit zur Gotteserkenntnis sowie die Nachahmung der Gottheit und die Teilhabe an ihr zeichnen den Menschen gegenüber dem Tier aus. Die Deisten sind scheinheilig, denn sie tun nur so, als ob sie eine Religion akzeptierten(§§ 27-29). Die Kirchensteuer wird umständlich verteidigt(§ 31). In einem Exkurs(§§ 32-34) wird die Diskussionsgrundlage noch einmal problematisiert. Spinozas Feststellung, daß jede Definition eine ausgrenzende Wirkung hat, wird am Beispiel der aristotelischen Definition des Menschen als gesellschaftlichem Wesen erläutert und auf ironische Weise eine anthropologische Klassifikation der Freidenker dargestellt: 1) Die Fische (sinnliche Menschen) schwimmen im Vergnügen, 2) die Vierfüßler (Alltagsmenschen) sind trockene griesgrämige Habgierige, 3) die Vögel (Schwärmer, Projektenmacher, Philosophen) schweben in den Wolken. Dem Freiheitsfanatismus der Freidenker wird die Unterscheidung zwischen zügelloser und gesetzlicher, vernünftiger Freiheit entgegengehalten (§ 35). Der Nutzen der christlichen Religion wird zugestanden. Wenigstens sollte man sie provisorisch beibehalten, bis man eine bessere findet. Immerhin bleiben Einwände gegen einzelne Dogmen. Sechster Dialog: Gegen einzelne Dogmen der christlichen Offenharungsreligion werden Einwände erhoben, die dann widerlegt werden. Zunächst werden Einwände gegen die Form und Herkunft der Heiligen Schrift behandelt (§§ 2-9), dann solche gegen ihre Inhalte (§§ 10-32). Nachdem das Problem der Textüberlieferung sowie ihrer Sicherheit erörtert wurde (§§ 3-5), werden das Problem der göttlichen Inspiration des Textes, die Unvollkommenheiten des biblischen Sprachstils und die durch Wort-für-Wort-
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Übersetzungen entstandenen unsinnigen biblischen Wendungen diskutiert (§§ 6-7). Der Einwand, daß doch Gottes Wort ohne Kommentar verständlich sein müßte, wird durch das Argument entkräftet, daß die Absicht eines Autors darüber entscheide, ob eine Rede klar und deutlich sei (§ 8). Inspiration wird mit Blick auf Genies für möglich erklärt (§ 9). Der Einwand, daß im wörtlichen Sinne nur der Dampf oder der Wind "inspirieren" könne, wird erwidert durch den Hinweis auf den metaphorischen Gebrauch von anderen Ausdrücken (z.B. "Diskurs"). Allerdings gelte es, zwischen wahrer Inspiration und krankhaftem Wahn zu unterscheiden. Der beschränkte menschliche Verstand mag manches in der Bibel für unerklärlich oder unsinnig halten, obwohl er nicht beurteilen kann, ob es nicht doch zu Gott paßt. Die Auferstehung der Toten kann in Analogie zur beobachteten Erneuerung der Natur verstanden werden und Erscheinungen von Göttern gibt es auch in vorchristlichen Religionen(§§ 10-12). Götterfurcht entsteht auf natürliche Weise aus Schuld und beruht nicht auf einer List der Priester. Der Versuch einer naturwissenschaftlichen Erklärung des Menschen scheitert an der Seele, denn sie läßt sich nicht als natürliche Instanz deuten (§ 13-14). Gottes Weisheit erscheint uns als Torheit, weil wir nicht das Ganze überblicken(§§ 15-17). Der Streit um die biblisch-historische Chronologie wird breit ausgeführt, er ist aber irrelevant. Es ist auch nicht nötig, alle Bibelstellen zu erklären (§§ 20-22). Naturhistorische Befunde bestätigen, die biblische Aussage, daß die Welt einen Anfang habe, während die Berichte der wichtigsten Christengegner (Celsus, Julian, Porphyr) entkräftet werden können(§§ 23-25). Spinozas bloß allegorische Deutung der Auferstehung Christi wird abgelehnt(§ 31). Bloßer Spott über das Christentum genügt nicht, denn es kommt darauf an, "das Ganze zu betrachten". Ungläubigkeit entspringt eher der Unwissenheit als der Wissenschaft (§ 32). Siebenter Dialog: Der Vorwurf, daß die Religion auf leeren Worten beruhe, führt zu einer langen sprachphilosophischen und erkenntnistheoretischen Ausführung Alciphrons (§§ 1-4). Darauf antwortet Euphranor mit Berkeleys Sprachphilosophie: Es gibt
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Worte, die besondere Vorstellungen unbestimmter Anzahl vertreten. In diesem repräsentativen Sinne gibt es allgemeine, aber keine abstrakt allgemeine Vorstellungen (§§ 5-7). Außerdem hat Sprache nicht nur eine Beschreibungsfunktion, sondern kann auch eine Appellationsfunktion haben. Worte können daher Bedeutung haben, ohne für Vorstellungen zu stehen(§ 8). Wörter wie "Gnade", "Dreieinigkeit" und "Erbsünde" bezeichnen nicht abstrakte Vorstellungen, sondern haben einen praktischen Nutzen, weil sie förderungswürdige Gefühle, Gewohnheiten und Handlungen bewirken und zwar in stärkerem Maße als die abstrakte Schönheit der Tugend, auf die sich Shaftesbury beruft(§§ 9-13). Außerdem wird ein Tu-quoque-Argument angewendet: Auch die von den Freidenkern verwendeten Wörter "Kraft", "Schicksal" und "Zufall" beziehen sich nicht auf bestimmte Vorstellungen. Ein langer Exkurs behandelt den Zeichengebrauch in Wissenschaft und Religion (§§ 14-18), denn Wissenschaft und Religion benötigen allgemeine Regeln, und Allgemeines läßt sich nur mit Hilfe von Zeichen darstellen. Darüber hinaus dienen Metaphern und Gleichnisse als Stützen für den Geist(§ 16). Die Tu-quoque-Argumentationsweise läßt sich auch auf die Begründungsprobleme in der Wissenschaft, insbesondere der Mathematik (Indivisibilien, Infinitesimalien, Kontingenzwinkel), anwenden. Es folgen handlungstheoretische Einwände. Dem von den Freidenkern aufgrund ihres naturalistischen Determinismus erhobenen Einwand, daß der Mensch ein natürlicher Automat sei und daher nicht nach Verdienst und Verfehlung beurteilt werden dürfe, wird entgegengehalten, daß die physische und die psychische Aktivität zu unterscheiden sind. Und auf den Einwand, daß der Wille durch die Urteilskraft bestimmt sei oder doch die Willensfreiheit mit Gottes Vorherwissen unverträglich sei, lautet die Erwiderung, daß der Mensch sich doch seiner Freiheit bewußt und damit auch für sein Handeln verantwortlich ist. Jedenfalls kann er als frei gedacht werden. Die Frage, ob er wollen kann, was er will, ist keine sinnvolle philosophische Frage(§§ 19-24). Die Freidenker entziehen sich der Argumentation durch Spott und allgemeine Skepsis. Da sie als Skeptiker aber alles bezweifeln, bleibt auch die ihnen entgegengesetzte Auffassung möglich(§§ 27-28). Die Ablehnung Spinozas samt der voreiligen Skeptiker bildet das Ende
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des Gesprächs verbunden mit dem Vorschlag, die Denkfähigkeit in einer besonderen Schule für "vernünftige" Freidenker zu fördern (§§ 32-34). Oft ist der hervorragend gute Sprachstil Berkeleys gelobt worden. Auch Jessop schließt sich diesem seit dem 18. Jahrhundert immer wieder erhobenen Lob an.7 Berkeleys Diktion ist klar und schlicht, selbst dort, wo er komplizierte philosophische oder theologische Probleme behandelt. Beim Alciphron kommt ebenso wie später bei der Siris hinzu, daß er in diesen Werken eine Fülle an Detailkenntnissen sehr verschiedener Art in umfassenden Synthesen komponiert. Diese große Struktur wird durch das von Berkeley beigefügte Inhaltsverzeichnis eher verdeckt als deutlich hervorgehoben. Der in der Mitte stehende Vierte Dialog enthält mit dem Gottesbeweis aus der Wahrnehmungslehre einen gewissen Höhepunkt des Werkes. Die beiden vorangehenden Dialoge liefern den Angriff auf die Morallehren der Deisten Mandeville und Shaftesbury, die beiden folgenden Dialoge V und VI eine Verteidigung des Christentums gegen die deistische Theologie- und Kirchenkritik, wobei sich der fünfte Dialog auf die Vergleiche des Christentums mit anderen Religionen bezieht, während sich der Sechste Dialog speziellen problematischen christlichen Dogmen widmet. Zu diesem ganzen Komplex liefert der Erste Dialog die Exposition der fiktiven Gesprächssituation und eine Einführung in die Problemlage. Der Siebente Dialog bildet einen krönenden Abschluß, in dem das Christentum, in dessen Zentrum die Lehren von der Willensfreiheit und der Gnade stehen, gegen die Naturwissenschaften und die Mathematik mit der von ihnen unterstützten Denkweise der kausalen Determiniertheit verteidigt wird. Dieser letzte Dialog macht noch einmal die das gesamte Werk durchziehende Strategie deutlich: Die Freidenker sollen durch den Beweis, daß ihre Argumente und Begründungen auch nicht besser sind als die der Religionsverteidiger, in ihre Schranken gewiesen werden. Diese Strategie wendet Berkeley auch in seinem nur zwei Jahre später erschienenen Analyst und in der durch ihn ausgelösten grundlagentheoretischen Kontroverse an, um die zu seiner Zeit wachsende 7
In: George Berkeley, Works, III, p. 2f.
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Überschätzung der exakten Wissenschaften zu untergraben.s Berkeley richtet dabei seinen Angriff auf die Gebiete, in denen die exakten Wissenschaftler der Theologie sozusagen besonders nahekommen und die gleichzeitig damals noch völlig unzureichend begründet waren, nämlich die Differential- und Integralrechnung (Infinitesimalrechnung, Fluxionsrechnung). Die Analyst-Kontroverse ist also schon im Alciphron (Siebenter Dialog, § 18} angelegt, wenn man nicht sogar bis zu den Prinzipien der menschlichen Erkenntnis zurückgehen will.
4. Berkeley's Gegner und die Wirkungsgeschichte des Alciphron Als Berkeley seinen Alciphron und wenig später seinen Analyst ausdrücklich gegen die "Freidenker" richtete, brauchte er deren wichtigste Repräsentanten nicht mehr namentlich zu erwähnen, sie waren bekannt. Da war an erster Stelle John Toland, der mit seinem Buch Christianity not Mysterious (1696} die Überzeugung vertreten hatte, daß der Vernunftgebrauch in religiösen Angelegenheiten nötig sei, weil die Vernunft zum Wesen des Menschen gehöre. Gott könne keinen unvernünftigen Glauben vom Menschen verlangen. Daran nahm Berkeley auch keinen Anstoß, doch mißbilligte er, daß Toland darüber hinaus lehrte, der christliche Glaube enthalte auch nichts Übervernünftiges. Ähnliches lehrte Matthew Tindal in seinem 1730 erschienenen Buch Christianity as Old as the Creation, worin er sich für die rationale, natürliche Religion einsetzte, die aber schon von der Schöpfung an bestanden habe, so daß eine Offenbarung in Jesus nicht mehr nötig gewesen sei. Es ist auffällig, daß Berkeley diesen beiden wichtigen Gegnern keine eigenen Dialoge widmet, wie er es mit Mandeville und Shaftesbury tut. Auch der dritte große Gegner Anthony Collins wird nur indirekt herangezogen, 8 Zur Analyst-Kontroverse: George Berkeley, Schriften über die Grundlagen der Mathematik und Physik, hrsg. v. W. Breiden, Frankfun
a. M. 1969, 1985.
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vor allem in der Vorrede sowie dem Ersten, Vierten und Siebenten Dialog. Collins hatte in mehreren Veröffentlichungen die Auffassung vertreten, daß alle Religionen abzulehnen seien, weil sie einander widersprechen, daß es keine Willensfreiheit gebe, und daß die biblischen Wunderlehren nur allegorisch zu verstehen seien.9 Berkeley hielt Collins für einen Atheisten und sah ihn offenbar als geistigen Nachkommen des von deF Kirche bekämpften Dreigestirns Epikur, Hobbes und Spinoza. All diese Gegner Berkeleys werden kurz vorm Ende des Alciphron (Siebenter Dialog,§ 26) noch einmal aufgezählt, wenn es heißt, daß sich der kluge Leser bezüglich eines Verfassers zu fragen habe, ob er "Atheist, Deist oder Polytheist, Stoiker oder Epikuräer, Skeptiker oder Dogmatiker, Ungläubiger oder Schwärmer" sei. Und so setzt Berkeley vor den Schluß noch eine deutliche Spinoza-Kritik (§ 29), bevor das ganze Werk mit einer erneuten Berufung auf Platon und Aristoteles endet (§ 34). Die heftige und ausführliche Auseinandersetzung Berkeleys mit den Freidenkern setzt sich in seinen großen Schriften, dem Alciphron und dem Analyst nur fort. Bereits in seiner frühen Londoner Zeit hatte er, provoziert durch Collins Discourse von 1713 versucht, die Freidenker in ihre Schranken zu weisen, indem er in der neu gegründeten Zeitschrift The Guardian innerhalb eines halben Jahres eine Fülle von Aufsätzen gegen die Freidenker schrieb. Auch dort stritt er, wie dann am Ende im Alciphron, mit der Vernunft und zu ihren Gunsten gegen die rationalistischen Bemühungen der Freidenker. Der Streit zwischen Berkeley und seinen Gegnern, läßt sich also mit dem Gegensatz von Glaube und Vernunft nur unangemessen beschreiben, denn beide Seiten beriefen sich auf die Vernunft.
9 Anthony Collins: An Essay concerning Reason. London 1707. Ders.: A Vindication of the Divine Attributes. London 1710. Ders.: Discourse ofFree-Thinking, Occasion'd by the Rise and Growth of a Sect Call'd Free-Thinkers. London 1713. Ders.: A Philosophical Inquiry concerning Human Liberty. London 1717 (Abgedruckt in: J. O'Higgins (Ed.): Determinism and Freewill. Den Haag 1976).
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Der von Berkeley anonym publizierte Alciphron erregte Aufsehen in der britischen Öffentlichkeit. Wie sein Freund, Lord Percival, berichtete, wurde das Buch auch bei Hofe diskutiert. Die Königin bezog es in die Gespräche ihres Salons mit ein. Das viel beachtete Werk dürfte auch dazu beigetragen haben, daß Berkeley 1734 Bischof von Cloyne wurde. Verständlicherweise kam es zu Erwiderungen von den im Werk kritisierten Personen. Berkeley hatte durch seinen Alciphron Kritik von zwei Seiten herausgefordert, nämlich einerseits von der bei ihm sehr weit gefaßten Gruppe der Freidenker, andererseits von der Geistlichkeit allzu orthodoxer Ausrichtung. Mandeville publizierte A Letter to Dion (London 1732}. Die Anrede bezieht sich auf Berkeleys eigenen Decknamen in den Dialogen des Alciphron. Mandeville wirft Berkeley vor, die Bienenfabel wohl nicht gelesen zu haben, denn die Meinungen von Alciphron und Lysicles seien bloße Zerrbilder von Freidenkern und hätten mit Mandevilles Buch nichts zu tun. Dessen Ziel sei es gewesen, zu zeigen, daß das Gesamtwohl und das Wohl des einzelnen Menschen nicht kompatibel sein müssen. Mandeville deutet sein Buch mit der moralisch-ökonomischen Formel „Private Vices, Public Benefits", die er erneut durch Beispiele zu stützen versucht, in Richtung auf eine Theodizee und kommt auch in der Formulierung der Sprache der Theodizeen des 18. Jahrhunderts nahe: „Es sind törichte Leute, die sich einbilden, das Gute des Ganzen sei konsistent mit dem Guten jedes Individuums; ... "10 Die von Berkeley im Alciphron (Fünfter Dialog} vorgetragene Überzeugung von der moralischen Überlegenheit des Christentums über andere Religionen wird von Mandeville allgemein in Zweifel gezogen. Er wirft den Christen und insbesondere den Geistlichen Scheinheiligkeit vor. Es komme ihnen mehr auf den Namen als auf die Sache selbst an. In der Auseinandersetzung zwischen Berkeley und Mandeville geht es um die grundsätzliche anthropologische Frage nach dem Wesen des Menschen, aber auch um die nach der Verknüpfung der Wirtschaftspolitik mit moralischen Prinzipien, also 10 • They
are silly People who imagine, that the Good of the Whole is consistent with the Good of every Individual; .. ." p. 49.
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um eine Frage, die nach wie vor aktuell ist, denn zur Debatte stehen das Verhältnis der Prosperität zum moralisch verwerflichen Verhalten und die zugehörigen Auswirkungen auf das Wohlergehen der Menschen. Moralischer Rigorismus und gesellschaftlicher Wohlstand werden von Mandeville scharf gegeneinander gestellt. Es bleibt die provozierende Frage, ob wir bei moralischen Anforderungen im Makro- und Mikrobereich entgegengesetzten Prinzipien folgen dürfen oder gar sollen. Daß Mandevilles Satire vor allem eine gesellschaftskritische Absicht hatte, wurde von Berkeley verkannt. Auf Mandevilles Letter schrieb Berkeley zwar keine spezielle Antwort, doch in seiner kleinen religionspolitischen Streitschrift A Di.scourse addressed to Magistrates (1738) fügte er eine Passage ein, die gegen Mandeville und Shaftesbury gerichtet ist. Die dem Alciphron ursprünglich angehängte Neuauflage des Es· say toward a New Theory of Vision rief eine anonyme Erwiderung im Daily Postboy (9. September 1732) hervor. 11 Der theologischapologetische Aspekt tritt darin weitgehend in den Hintergrund. Im Mittelpunkt der Kritik steht Berkeleys Lehre von der grundsätzlichen Heterogenität des visuellen und des haptischen Bereichs sowie die Immaterialismusthese, obwohl sie im Buch selbst wie auch in der Schrift über das Sehen keineswegs im Zentrum stehen. Der unbekannte Autor hält Berkeley die üblichen Argumente einer materialistischen Erkenntnistheorie entgegen, wonach sich die Sinnesobjekte außerhalb des wahrnehmenden Subjektes befinden und die Sinnesempfindungen oder Vorstellungen in ihm. Dabei bleibt allerdings das vor allem im Cartesianismus akute Problem ungeklärt, wie wir denn wissen können, welche internen Vorstellungen auf die externen Objekte zutreffen. Berkeley nahm diesen anonymen Brief, da er weit verbreitet war, zum Anlaß für eine ausführliche Erwiderung und Erweiterung seiner Lehre von den visuellen Eindrücken als einer Sprache Gottes, die uns über Tastbares informiere, wobei wir die Korrelation zwischen beiden Sinnesbereichen nur durch Erfahrung und Analogie erlernen können. 11 Abgedruckt in: George Berkeley, Works, ed. A. A. Luce IT. E. Jessop, vol. 1, pp. 277-279. Deutsch in : George Berkeley: Versuch über eine neue Theorie des Sehens, hrsg. v. W. Breidert, Hamburg 1987, S. 97-100.
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Während Mandeville und der unbekannte Autor des Briefs im Daily Postboy trotz aller inhaltlichen Kritik die sprachliche Qualität des Alciphron loben, der auch sonst als ein Stück guter englischer Literatur gilt, stieß sich John Lord Hervey nicht nur an Berkeleys Argumenten, sondern auch an seinem Stil, der unklar und pompös sei. Er schrieb voller Ironie als ein anonymer Geistlicher, der Anstoß an Berkeleys Rationalismus nahm. Ein mit „Socrates" unterzeichneter Beitrag in 1be London Journal am 10. und 17. Juni 1732 stammt wahrscheinlich von Bischof Benjamin Hoadley und ist ausschließlich der Verteidigung Shaftesburys gewidmet . lmAlciphron werde Shaftesburys Lehre völlig falsch dargestellt, vor allem aber werde der Begriff des „Deisten" viel zu weit und ungenau verwendet . Auch die 1734 anonym erschienene kleine ironische Schrift A Vindication of the Reverend D- B-y from the scandalous imputation of being the author ofa late book, intitulled Alciphron 12 ist der Verteidigung Shaftesburys gewidmet . Neuerdings konnte der Pfarrer William Wishart als ihr Autor identifiziert werden. n Berkeley hatte im Alciphron nicht nur Deisten angegriffen, sondern im Vierten Dialog auch die beschwichtigende Theologie der Analogie, insbesondere die Lehren von Peter Browne, der bereits in einer Schrift von 1697 dem Deisten John Toland entgegengetreten war und die Verteidigung seiner Theologie 1728 noch verstärkte.14 Berkeley war Browne, der inzwischen Bischof von Cork war, während seiner Studienzeit am Trinity College in Dublin begegnet und beide teilten viele Ansichten, vor allem in ihrer Aversion gegen allgemeine Abstraktionen, doch hielt Berkeley an einem wörtlichen Bibelverständnis fest und konnte Brownes im Mittelalter verwurzelte Lehre, daß wir Gott nicht eigentlich, sondern nur in Analogien erkennen, nicht akzeptieren. Browne arbeitete 12 „D- B-y" bedeutet Dean Berkeley. M. A. Stewan: William Wishan, an Early Critic of Alciphron. Berkeley Newsletter 6 (1982/83), 5-9. 14 Peter Browne: A Letter in Answer to ... Christianity not Mysterious. Dublin 1697. Ders.: Procedure, Extent and Limits of Human Understanding. London 1728. tJ
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in sein schon vorm Erscheinen des Alciphron geplantes weiteres Buch eine Erwiderung auf Berkeley ein1s, die Berkeley sehr ernst nahm und auf die er in einem erst in neuerer Zeit identifizierten Brief antwortete.16 Der Alciphron wurde 1732 in The Present State ofthe Republick of Letters rezensiert. Er wurde auch noch im selben Jahr in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen (Leipzig) als Titel - allerdings mit deutschem Untertitel - angezeigt, aber dort erst im darauf folgenden Jahr besprochen, ohne daß dies eine Wirkung gehabt zu haben scheint. 1733 erschien der Letter to the Authors of Divine Analog;y [Peter Browne] and the Minute Philosophers [Berkeley] in Dublin, worin Philip Skeleton den Versuch unternimmt, diese beiden Theologen trotz ihrer unterschiedlichen Meinungen doch einander anzunähern. Eine weitere deutsche Rezension erschien ein Jahr später. Der Weimarer Hofprediger Johann Christoph Colerus besprach die französische Übersetzung des Alciphron (1734). Offenbar kannte er den Namen des Autors nicht, lobt aber das Buch sehr: „Dies schöne Werck kan mit Recht etwas vollkommenes in seiner Art heißen." Colerus freut sich, daß hier die „gefährlichen Meinungen" Spinozas und der Freidenker, Deisten und Naturalisten mit wirksamen Waffen bekämpft werden. Im Alciphron finde man „Verstand, Gelehrsamkeit, Lebhaftigkeit des Geistes" und überzeugende Gründe „zur Verteidigung der Wahrheit, Tugend und Religion". Das ganze Buch sei so schön, daß es verdiene mehr als einmal gelesen zu werden. Deutsche, die Verstand, Tugend und Religion lieben, würden es bewundern, wenn sie es in ihrer eigenen Sprache lesen könnten. Auch die beigefügte Neue Theorie des Sehens wird, allerdings ohne sie näher zu betrachten, in die allgemeine Bewunderung einbezogen. Der Autor habe „besondere Gedancken von dem Licht und Farben, die von einem
15 Peter Browne: Things Divine and Supernatural Conceived by Analogy with Things Natural and Human. London 1733. 16 Er erschien zunächst im Dublin Literary Journal und wurde von J.-P. Pittion, A. A. Luce und D. Berman als Brief Berkeleys identifiziert und wieder abgedruckt in Mind 311 (1969, pp. 375-392. Dazu auchJ. O'Higgins (1976).
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scharfen Nachsinnen zeugen." Diese wahrnehmungstheoretischen Lehren werden von Colerus nicht besprochen, "obgleich eine große Wissenschaft [ = Kenntnis] sowohl in der Philosophie überhaupt, als insonderheit in der Optic, daraus hervorleuchtet." Trotz dieses Lobs der Gelehrsamkeit gilt für Colerus die Predigt wohl mehr als das Argument. Seine Besprechung bleibt doch sehr oberflächlich. Tiefergehende Auseinandersetzungen mit Berkeleys Alciphron findet man bei Francis Hutcheson, der auf die in Dialog III vertretene Theorie der Schönheit antwortete.17 Insgesamt wurde der Alciphron von Anfang an sehr unterschiedlich beurteilt. Arend Kulenkampff sieht im Anschluß an J. St. Mill im Alciphron das "unbedeutendste" Buch Berkeleys.18 T. E. Jessop rückte die theologischen Themen in den Vordergrund und meinte, der Alciphron sei überhaupt kein philosophisches Werk.19 David Berman hält es dagegen unter mehreren Aspekten für wichtig20: 1) Der Alciphron liefert umfangreiches Material für die Interpretation früherer Werke Berkeleys. 2) Er enthält insbesondere eine Fortsetzung der in der Einleitung zu den Principles ausgebreiteten Sprach- und Bedeutungslehre. 3) Er enthält die Anwendung dieser Bedeutungslehre auf die Lehre der religiösen Dogmen. 4) Er modifiziert Berkeleys frühere Sprachtheorie und erklärt, daß nicht alle Zeichen sprachliche Zeichen sind. 5) Er erweitert die Berkeleysche Erkenntnistheorie um den Bereich der Begriffe (notions), welche Korrektur Berkeley dann in die zweite Auflage seiner Principles (1734) aufnimmt. 6) Der Alciphron enthält Berkeleys ausführlichste Diskussion über das Problem der Willensfreiheit. Im Laufe des 18. Jahrhunderts verschob sich das Interesse an Berkeley mehr und mehr von der Theorie des Sehens und seiner Religionsphilosophie auf die Erkenntnistheorie. Damit verminderte sich auch das Interesse am Alciphron zugunsten der Principles ofHuman 17 Francis Hutcheson: Inquiry into the Origin of the Ideas of Beauty and Virtue, 4th .ed. London 1738. 18 Arend Kulenkampff. George Berkeley. München 1987, S. 26. 19 In: G. Berkeley: Works, III, p. 12f. 20 In: David Berman (Ed.): Alciphron in focus. London/New York 1993, pp. 7-9.
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Knowledge. Abgesehen davon, daß in jüngster Zeit Berkeley wieder mehr im Rahmen der Wahrnehmungslehre Erwähnung findet, rückten durch die zunehmende Bedeutung der Sprachphilosophie im 20. Jahrhundert vor allem seine sprachphilosophischen Aussagen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Mit Bezug auf Wittgenstein erkannte man, daß es bei Berkeley schon vom Philosophischen Tage· buch (Philosophical Commentaries, Nr. 592) an und besonders im Al· ciphron (Vierter und Siebenter Dialog) geradezu "moderne" Äußerungen über die Fundierung der Bedeutung im Sprachgebrauch im Gegensatz zu einer bloßen Abbildungsfunktion der Sprache gibt.21 Man mag in diesen Textabschnitten etwas von der Aktualität Berkeleys erkennen, doch besteht die Gefahr, daß man sich mit einer zu starken Betonung dieses Aspekts den Blick auf die zahlreichen anderen im Alciphron behandelten oder wenigstens berührten Probleme verstellt, denn die grundsätzlichen Fragen nach der Begründung der Moralität von Handlungen und unserer Verantwortung oder nach dem adäquaten Verhältnis der Rationalität zum Vertrauen in Autorität und Wissenschaft stehen immer noch offen, wie auch die Fragen nach der geeigneten Verfahrensweise bei Glaubensdifferenzen keine endgültige Antworten gefunden haben. So kommt dem Alciphron nicht nur eine bedeutende Stelle im Gesamtwerk Berkeleys zu, sondern auch in der Deismusdebatte des 18. Jahrhunderts, darüber hinaus aber liefert er Anstöße zu Reflexionen über zahlreiche philosophische Fragen.
5. Zu der Übersetzung und den Anmerkungen Luise und Friedrich Raab legten ihrer Übersetzung, die hier - von Druckfehlerkorrekturen abgesehen - unverändert wiedergegeben wird, die zweite Londoner Ausgabe von 1732 zugrunde. Sie bezeichnen diese Ausgabe mit "B" und setzen alle in der mit "A" beDazu: Antony Flew: Was Berkeley a precursor of Wittgenstein? In: W. B. Todd (Ed.): Hume and the Enlightenment. Edinburgh 1974. Auch in: David Berman (Ed.): George Berkeley, Alciphron ... in focus. London and New York 1993, pp. 214-226. 21
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zeichneten Dubliner Ausgabe von 1732 nicht enthaltenen Textstellen in eckige Klammern. Außerdem sind die Änderungen der mit „C" bezeichneten Londoner Ausgabe von 1752 in den Anmerkungen verzeichnet. Im Gegensatz dazu folgt T. E. Jessop in den „Works" (vol. III) der dritten Londoner Ausgabe von 1752 und bezeichnet die beiden Londoner Ausgaben von 1732 mit „A" bzw. „B". In der Ausgabe von 1752 sind einige Abschnitte der früheren Ausgaben nicht enthalten.22 Sie sind von Jessop in den Works (III) als „Appendix I" (pp. 332-335) wiedergegeben. Die Raab'sche Übersetzung nach der Fassung von 1732 enthält auch die später von Berkeley weggelassenen Abschnitte, was im Siebenten Dialog zu einer unterschiedlichen Paragraphenzählung der deutschen Ausgabe gegenüber der englischen Werkausgabe führt. Zur Erleichterung des Vergleichs mit dem englischen Text wurden die späteren Nummern in Klammern hinzugefügt. In der englischen Originalausgabe sind die den Nummern der einzelnen Abschnitte beigegebenen Überschriften nur im Inhaltverzeichnis enthalten und stehen nicht im Text selbst. Die Anmerkungen der deutschen Ausgabe von 1915 wurden aus drucktechnischen Gründen beibehalten. Alle Verweise auf die Einleitung beziehen sich auf die Ausgabe Raab und sind nicht auf die vorliegende Neuausgabe bezogen. Nur dort, wo es die neuere Forschung erforderte, wurden Änderungen nachgetragen, die zusammengefaßt auf S. 429 ff. mitgeteilt sind. Abgesehen von den grundsätzlichen Übersetzungsproblemen sind folgende Hinweise zur Übersetzung bei der deutschen Wiedergabe einiger Ausdrücke zu geben: 1) Die Übersetzung des englischen Wortes „idea" durch das deutsche Wort „Idee" ist nicht ganz problemlos, denn es trägt in Berkeleys Texten kaum die Züge der platonischen Idee, sondern bedeutet die Vorstellung oder den Bewußtseinsinhalt. 2) Berkeley verwendet zur abwertenden Bezeichnung der Freidenker den sonst nicht üblichen, auf eine Wendung Ciceros zurückgehenden Ausdruck „Minute Philosophers". Er wird im Deutschen durch „kleine Philosophen" (manchmal auch „winzige Philosophen") im Sinne 22 Zur Begründung für diese Kürzung gibt es nur divergierende Vermutungen.
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von "unbedeutende", aber auch "kleinliche" Philosophen wiedergegeben. 3) Das im Siebenten Dialog(§ 23, S. 383 u. 385) von Berkeley mit der Bedeutung eines raffiniert spitzfindigen Denkers benutzte Won "refiner" wurde durch "Logizist" übersetzt, doch hat dieses W on inzwischen in der Philosophie der Mathematik eine davon abweichende Bedeutung erhalten. Die neueren Alciphron-Ausgaben, insbesondere die von Genevieve Brykman und David Berman, waren mir bei der Bearbeitung dieser Neuauflage eine große Hilfe, für die ich dankbar bin. Dem Meiner Verlag ist zu danken, daß er diesen wichtigen Berkeley-Text in deutscher Übersetzung wieder auflegt.
ALCIPHRON: oder der
KLEINE PHILOSOPH. In
SIEBEN DIALOGEN. Enthaltend eine APOLOGIE der OHRISTLICHfüN RELIGION, gegen die sogenannten FREIDENKER. J~
R S 'l' E R B A N D.
Mich, die lebendige Quelle, Terlusen sie, und machen 1ich hier und da au•gehauone Brunnen, die doeh iöch~rig 1ind, und kein Wasser geben. Jerem. Il, 1S. Sin mortuus, ut quiclom n1inuti Philosophi cenaent, nihil aentiam, non vereor, ne hunc en·orcin meum mortui Philosophi irrideant. Cicero.
DIE ZWEI'l'E AUSGABE. LONDON: Gedruckt für J. TONS ON in der Strandstraße, 1732.
Inhaltsverzeichnis.
Der erste Dialog.
1. Einleitung . . . • . . . . . . . 2. S. 4. 6. 6. • 7. ·§ 8.
1
§ 9.
§ 10. § 11:
§ 12.
Ziel und -:Seatrebungen der .l!'reidenker Gegnenchaft der Gei1tlicbkeit • . • Unbehindertheit des Freidenkem . . . . . . . Weiterer Bericht über die Absichten der Freidenker Die Entwicklung einee Freidenken mm Atheillten . . Gemeimamer Betrug der Prieeter und Regierenden. . Der Freidenker Methode, Menschen zu bekehren und Entdeckungen zu machen . . . . . • . . . . Der Atheiri allein ilt frei. Sein Sinn für das natürlich Gute und Bö1e • • . . . . . • • • : . . • Modeme Freidenker werden bee1er nKieine Philo1ophen" genannt . . . . . . . . . • • . • . . . . Was für eine Art Men1chen die Kleinen Philoeophen 1ind, und wie 1ie erzogen lind . • . . • . . • Anzahl, Fort.achritte und Lehnätze der Kleinen Philo-
§ 18. Ve:;fef:h ;m_t· a~d~e~ Phil~•~ph~n: : : : : : : : § ·14. Weiche Dinge und Begriffe fiir natürlich zu halten sind § 16. Die Wahrheit ist trotz der Venchiedenheit der Meinungen die1elbe . . . . . . . . . § 16. Regel und Maßstab morali1cher Wahrheiten . • . . .
11 16
17 19 20 28 26 26 28
so 82 87 40 42
46
48
Der zweite Dialog.
§ 1. Von dem gewöhnlichen Irrtum, da.II das Laster 1chädlieh 1ei. . • . . . • . . • • . . • . • .
2. Der Segen der Trunkenheit, des Spielens und de1 Hurena
1 4.
8. Daa Vorurteil r~en das Laiter wird zentört . . • . Die Nützlichkeit es Laeten wird an den Beilpielen von Callicle1 and Telellilla gezeigt . . . . . • . . § 6. Lyliclee' SohluJlfolgerangen über das Laster werden ge~ft .•.........•.•..• § 6. Ee 11t falsch 1 Handlungen zu beatrafen 1 die geduldete Lehren verwirklichen . . . . . . . . • • • 7. Gefährliches Experiment der Kleinen Philosophen §
•
64 6ö 69 60
62 64 66
4
Inhaltsverzeichnis.
§ 8. Die Lehre der Kleinen Philosophen vom Kreilll.auf und von der Revolution . . . . • . . . . . . • t!. 9. Wie eich die Kleinen Philosophen eine Reformation denken ~ 10. Reichtum all~in macht nicht das Gemeinwohl aus • . ~ 11. Autorität der Kleinen Philosophen; ihre Vorurteile gegen die Religion . . . . . . . . . . . . . . • § 12. Wirkungen dee I.uxua; ob die Tugend etwas Begriffliches sei . . . • . . . . § 13. Vom Vergnügen der Sinne § 14. Welche Art von Vergnügen dem .Menschen am natürlichsten i~t . • . • • § 10. Die Würde der menschlichen Natur . . . . II 16. Irrtum \\be.r das Vergniigen . . • . . . . . . . ~ 17. Vergnügen, Elend und Feigheit der Kleinen Philosophen § 18. Wüstlinge können nicht rechnen . • . . • . . • § 19. Fähigkeiten und Erfolg der Kleinen Philoeophen . . • § 20. Cflückliche Wirkungen der Kleinen Philosophie in besonderen .l!'ällen . • . . . . • . . . . . . § 21. Freie Anschauungen der Kleinen Philosophen über Regierung . • • . • . . . . • • . . . • . § 22. England iat der geeignete Boden für die Kleine Philosophie • • • . . . • • . • • • • . . § 23. W eltgewandtbeit und Geschicklichkeit der Gelehrten unter den KHnen Philosophen . . . . . . . . 24. Das Verdienat der Kleinen Philosophen um daa Gemeinwohl 2&. Anschauungen und Charakter der Kleinen Philosophen 26. Neigung der Kleinen Philosophen zur Papiaterei und Knechtschaft . • . . . . • . .
1
69 71 72
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79 82 84 86 90 92 9&
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Der dritte Dialog. § 1. 2. 8. 4. § &.
1
§ 6. § 7.
§ 8. § 9.
§ 10. § 11. § 12. § 18.
§ U..
Alciphrons Darstellung der Ehre . • . . . . Charakter und Verhalt11n der Männer von ~llrtl Der Sinn für moralische Schönheit . Das honestum oder i"o xaÄov der Alten . . . . . . Ob der Geschmack an der moralischen Schönheit ein sfohPrer l!'ührer und eine Richtschnur sei . • . . Die Kleinen Philosophen sind von der abstrakten Schönheit der Tugend entzückt . . . . . . . . . . Die Tull'end der Kleinen Philosophen ist allein uneigennützig und heroisch . . . . . . . . . . . . Worin die Schönheit wahrnehmbarer Dinge beateht, und wie sie wahrgenommen wird . . . . . . . . . Die Idee der Schönheit wird mit Hilfe der Malerei und Architektur erklärt . . . . . . • . . . . . Worin die Schönheit dea Moralsysteme besteht . . . Ein Moralsystem aetzt eine Vorsehung voraus . . . . Der Einftull dea i"O xa.t&v und i"o neimw. . • . . . . Die Schwärmerei des Cratylus wird mit den Gedanken dee Aristoteles verglichen . . . • Vergleich mit den stoischen Prinzipien
113 11& 118 120
122 123 12& 126 129 184 130 186 139 142
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115. Du Talent der Kleinen Philosophen fdr Spott und Hohn 144 16. Die W ei1heit derer, die die Tugend zum Lohn ihrer selbst macheu 146 § 1. § 2. ~
s.
§ 4.
6; 6. 7. 8. § 9.
1 1
§ 10. § 11.
§ 12. § HI. § 14. § 16. § 16.
§ 17. § 18. 119. 20. 21. § 22. § 23. § 24.
§ 25.
Der Tierte Dialog. Vorurteile gegen die Annahme einer Gottheit • . • • Es werden von Alciphron Regeln aufgestellt, die beim Beweisen des Daseins Gottes eingehalten werden sollen • . . . . . ·• . . . . . . • . . • Was für eine Art von Beweis Alciphron el'Wllrtet Woraus wir auf das Dasein anderer denkender Individuen echließen . Dieaelbe Methode beweist das Dasein Gottes a fortiori Alciphrons nachgeprüfte Gedanken über diesen Punkt . Gott spricht zu den Menschen . . . . . . • . . Wie Entfernung durch das Gesicht wahrgenommen wird Die eigentlichen Gegenstände des Gesichtuinnea befinden sich in gar keiner Entfernung Beleuchtungen, Schattierungen und Farben bilden in verschiedener Zusammensetzung eine SJErache . . . Die Bedeutung dieser Sprache wird durch rfahrung erlernt .· . . . • . . . . . . . . . , . • Gott offenbart sich selbst den Augen der Menschen durch die kunstvolle Anwendung sichtbarer Zeichen Du Vorurteil der Kleinen Philosophen und die wechselnde Gestalt, in der sie sich zeigen . . . Gott, der den Menschen gegenwärtig ist, beleln-t, warnt und lenkt sie auf wunhf·11 sind mit einem Gott iu gewiBSem Sinne eim·el"Standen • . . . • . . . . Anachauungen einiger, die meinen, daß Erkenntnis und W eieheit nicht eigentlich in Gott seien . . . . . Gefährliche Tendenz dieser Anschauung . . Der Ursprung dieser Anschat•ung . • . . Die Meinungen der Scholastiker darüber . Der scholastische Gebrauch der Worte .Analogie und analog wird erklärt: Mißverständnis über die analogen Vollkommenheiten Gottes . • . . . . Gott ist intelligent, weise und gut im eigentlichen Sinne der Worte . • . . . . . . . . . . • . . Der Einwand wegen des moralisch Bösen wird untersucht . . . . . • . . . . . . • • . . • Die Menschen schließen aus ihren eigenen Unvollkommenheiten gegen das Dasein einer Gottheit Religiöse Verehrung ist sowohl vernünftig wie dienlich
160 151 168 166 166 169 160 161 164 166 167 169 171 172 174 176 178 179 181 188 185 187 188 189 190
Der flinfte Dia.log, § 1. Die Kleinen Philosophen vereinen sich zu ·einer Meute und verlassen sich auf den Geruch anderer . • . 192
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lnhaltnerzeichnia.
§ 2. Die von der chrietlichen Religion vorgeschriebene Ver·
.1
194 196 197
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ebrung kommt Gott und den Menschen zu . . . 8. Macht und Einfluß der Druiden . . . . . . . . . 4. Herrlichkeit und Nützlichkeit der christlichen Religion 6. Die chriatliche Religion veredelt die Menschheit und macht sie glücklich . . • . . . . . . . . 6. .B,eligion iat weder Blindgläubigkeit noch Aberglaube 7. Arzte und Arznei für die Seelen 8. Charakter der Geistlichkeit . . . . . . . . 9. Natürliche Religion und menschliche Vernunft dürfen nicht verachtet werden . . . . . . . . § 10. Absicht und Zweck der heidnischen Religion . § . 11. Gute Wirkungen des Christentums . . . . • . . . § 12. Die Engländer werden mit den alten Griechen und Römern verglichen . . . . . . . . . . • . . Der moderne Brauch dea Duellierens . ~ 18. § 14. Wie der Charakter der alten Römer beatimmt werden muß . . . . . . . . . . . § 16. Echte Früchte dea ßvangeliums . . § 16. Kriege und Parteiatrei~keiten sind keine Wirkungen der christlichen Religion . . . . . . . • • . 17. Bürgerwut und Metzeleien in Griechenland und Rom 18. Die Tugend der alten Griechen . . . . . . . . . 19. Streitereien atreitaüchtiger Theologen • . . . . . . 20. Tyrannei, Usurpation und Sophisterei der Gei1tlichen . 21. Die Univenitäten werden beurteilt . . . . . . 22. Theologieehe Schriften einea gewiaaen modernen Kritiken • . . . . . . • . . . 28. Gelehnamkeit iat die Wirkung der Religion 24. Barbarei der Schulen . . • . . • . . • 26. Wem die Erneuerung der Wi11enschaft und 1chönen Künate zu verdanken Bei . . . . . . • . . . § 26. Vorurteile und Undankbarkeit der Kleinen Philosophen § 27. Die Behauptungen und daa Verhalten der Kleinen Philo· sophen widenprechen eich . . . • . . . . . . § 28. Men1chen und Tiere werden unter dem Geaiohtlpunkte der Religion verglichen • • § 29. Daa Chriatentum iat daa einzige Mittel, die natürliche Religion zu befeetigen . . . . . . §so. Freidenker irren sich in ihren Talenten. Sie haben eine atarke Einbildungskraft § 81. Zehnten und Kirchenland . . . . . • . . . . § 82. Der nMenach" iet etwaa anderes ala nmenachliche Geaohöpfe" . . . . . . . • . • . . • . • • § aa. Einteilung der Menschen in Vögel, Vierfüßler und Fiache § 84. Kämpfen für die Vernunft iat erlaubt, aber Unvornehm· heit wird getadelt . . . . . . . . . . . . . § 86. Freiheit iet j e nach ihrem Gebrauch ein Segen oder ein Fluch • • • . . . . • • . . • . . . . . § 86. Die Prieaterliat iat nicht daa hernchende Übel . . .
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Inhaltsverzeichnis.
§ 1. § 2. 3. 4. § 5.
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§ 6. § 7.
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8.
9.
10.
§ 11. § 12. § 13. § 14. § 15. § 16. 17. 18. 19.
1
20.
21.
§ 22.
§
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25. 26. 27. ' 28.
§ 29. § 30. § 31.
§ 32.
Der sechste Dialog. Die Fragen, in deren Beantwortung Einigkeit herrscht Ansprüche verschiedener Religionen auf eine Offenbarung Die Unsicherheit der Tradition . . . . . . . . • Gegenatand und Grund des Glaubens . . . . . . • Von einigen strittigen und einigen augenscheinlich unechten Büchern . . . . . . . . • . . . . Stil und Gliederung der Heiligen Schrift · Die eich in der Heiligen Schrift findenden Sohwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . Dunkelheit ist nicht immer ein Fehler . . . . . . Inspiration ist weder unmöglich noch töricht . . . . Die Einwände aus der Form und dem Inhalt der göttlichen Offenbarung werden untersucht . . . . . Der Unglaube ist eine Wirkung der Engherzigkeit und des Vorurteils . . . . . . . . . . . . . . Die Artikel des christlichen Glaubena sind nicht unvernünftig·. . . . . . . . • • . . . . • Die Schuld ist die natürliche Mutter der Furcht . Unbekanntes wird auf das zurückgeführt, was die Menschen kenuen . . . . . . . . . • . • • . Vorurteile gegen die Fleischwerdung des Gotte880hna • Die Unkenntnis der göttlichen Leitung ist eine Quelle von Schwierigkeiten . . . . . . • . . Die \Veisheit Gottes ist dem Menschen Torheit Die Vernunft ist keine blinde Führerin . . . . . . Die Nützlichkeit der göttlichen Offenbarung . . . . W ober die Dunkelheit der W ei88agungen kommt . . . Die Zeitangaben der östlichen Völker sind älter als die mosaischen . „. . . . . . . . . . • . . . Die Neigung der Agypter, Assyrier, Chaldäer und anderer Völker, ihr Alter über das wahrheitagemä.lle hinaua zu vergrößern, wird erklärt . . . . . . Gründe, die den mosaischen Bericht bestätigen . . Die weltlichen Geschichtschreiber widersprechen sich Celaus, Porphyrius und J ulian . . . . . . . . Das Zeugnis des Joaephua wird untersucht . . . . . Du Zeugnis der Juden und Heiden für da1 Chriatentum F'älachungen und Ketzereien . . • • . . . . . . Urteile und lntereBBen der Kleinen Philosophen . . . Glaube und Wunder . . . . . . • . . . . . . Beweise der Wahrscheinlichkeit lind ein genügender Grund des Glaubens . . . . . . . . . • . . Die christliche Religion vermag einer rationalen Prüfung standzuhalten
Der siebente Dialog. § 1. Chriatlicher Glaube ist unmöglich . . . !i 2. Worte 1tehen an Stelle von Vontellungen
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lnbalteverzeichuia.
§ 3. E1 gibt keine Erkenntnis und keinen Glauben ohne Ideen 348 § 4. E1 gibt keine Idee von der Gnade . . . . . . . . 844 § o. Wu abstrakte Ideen sind, und wie sie gebildet werden 346 ~ 6. Abstrakte allgemeine Ideen sind unmöglich . . . . . 349 !$ 7. In welchem Sinne es allgemeine Ideen geben kann . • 361 § 8. Das Erwecken von Ideen ist nicht der einzige Zweck der Worte • . . . . . . . . . . . • • . § 9. Von der Kraft kann man sich eben10 schwer eine Idee bilden wie VO!l der Gnad" . . . . . . . . . . § 10. Trotzdem können nützliche Sii.tze darüber gebildet werden § 11. Der Glaube an die Dreieinigkeit und andere Mysterien i1t nicht töricht . . • . . . . . . . . . . § 12. Irrtümer im Glauben ain·i ein Anla.11 zu weltlichem Spott § 13. Die wahre Natur und dio Wirkungen dos Glaubeni;. . § 14. Erläuterung durch da9 Beispiel der Wissenschaft . 11>. Erläuterung durch die Arithmetik im besonderen 16. Die Wiseenschaften haben es mit Zeichen zu tun 17. Der wahre Zweck der Rede, der Vernunft, der Wissenschaft und des Glaubens . . • . . . . . . . § 18. Die metaphy•ischen Einwände richten sich ebenso aehr gegen die menschlichen 'Vissenschaften wie gegen die Glaubensartikel . . • . . . . . . . . . § 19. Es gibt keine Religion, weil es keine menschliche Freiheit gibt . • . . . . . . . . . . . . . . § 20. Ein anderer Bewei1 gegen die menschliche .Freiheit . !i 21. Der Fataliamns ist eine Folge irrtümlicher Annahmen . § 22. Der Mensch ist ein verantwortliches Agens . . . . . § 23. Widerspruchahaftigkeit, Absond~rlichkeit und Leichtgläubigkeit der Kleinen Philosophen . . . . . . § 24. Die unbegangenen Pfade und das neue Licht der Kleinen Philosophen . . . . . . . . . . . § 26. Die Sophistt:rei der Kleinen Philosophell § 26. Die Kleinen Philosophen sind zweideutig, rii.tsclbaft und unergründbar . . . . . . • . . . . . § 27. Der Skeptiziamus der Kleinen Philosophen § 28. Wie sich ein Skeptiker verhalten sollte . . . . § 29. Warum Kleine Philosophen schwer zu überzeugen sind § 80. Das Denken ist nicht die epidemische Krankheit unserer Tage. . . . . . . . . ... · · · · · § 81. Die Ungläubigkeit ist nicht eine Wirkung der Vernunft oder des Denkens; ihre we.hren Motive wertlen gezeigt § 82. Die Me.nnigfa.ltigkeit der Meinungen über Religion und die daraus entspringenden Wirkungeri . . . . . § 33. Methode, wie man mit den Kleinen Philosophen verfähren sollte• . . . • . • . . . . . . • . . § 84. Der Me.ngel an Denkf'ähigkeit und Erziehung 1ind Geb1·echen der Gegenwart . . . . . . . . . . .
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Vorrede des Verfassers.
Wenn es auch die Absicht des Verfassers ist, das Freidenkertum beim Atheisten, beim Freigeist, beim Schwärmer beim Spötter, beim Krittler, beim Metaphysiker, beim Fatalisten und beim Skeptiker zu untersuchen, so darf man doch darum nicht erwarten, daß jede dieser Geistesrichtungen jedem individuellen Freidenker zukomme. Vielmehr soll jeder einzelne Zug immer nur auf diesen oder jenen dieser Sekte passen. Vielleicht mag auch ein Leser meinen, daß sich der Atheismus eigentlich bei keinem finde; aber obgleich man schon oft behauptet hat, daß es nichts derart wie einen theoretischen Atheisten gäbe, so läßt es sich doch nicht leugnen, daß es cini·ge Atheisten gibt, die die Theorie als Vorwand gebrauchen. Daß dies wahr ist, weiß der Verfasser. Und es ist ihm versichert worden, daß einer der bekanntesten heutigen wider das Christentum schreibenden Schriftsteller 1 ) erklärt hat, daß er einen Beweis gegen das Dasein Gottes herausgefunden hätte. Infolgedessen zweifelt er nicht, daß jeder, der sich nur immer die Mühe macht, sich durch eine allgemeine Umfrage oder auch durch Bücher über die Prinzipien und Grundsätze der modernen Freidenker zu unterrichten, aus nur zu viel Gründen zu der Überzeugung gelangen wird, daß sich in den folgenden Schilderungen nichts Lebensfremdes') findet. [Da der Verfasser sich nicht darauf beschränkt hat, nur gegen Bücher zu schreiben, so hält er diese Erklärung fül notwendig. Man darf also auch nicht annehmen, daß die Autoren falsch dargestellt sind, wenn nicht jede Ansicht des Alciphron3) oder Lysicles') genau so bei ihnen gefunden wird. Man kann wohl von einem gebildeten Manne in persönlicher Unterhaltung erwarten, daß er klarer spricht als andere schreiben, weil er deren Andeutungen deutlich machen und aus deren Grundsätzen Schlüsse ziehen kann.
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Vorrede de1 VerfUBera.
Was sie nun auch behaupten mögen: der Verfasser ist der Meinung, daß von allen denen, die ausdrücklich oder versteckt gegen die Würde, Freiheit und Unsterblichkeit der menschlichen Seele schreiben, mit Recht gesagt werden kann, daß sie die Prinzipien der Moral aufheben und die Mittel zerstören, die die Menschen einigermaßen tugendhaft machen. Aus jenem Lager ist viel für das Ansehen der Tugend zu fürchten. Oh dagegen die Befürchtung ~ines gewissen viel bewunderten Schrütstellers *), daß die Sache der Tugend wahrscheinlich weniger unter ihren geistreichen Gegnern als ihren besorgten Ammen zu leiden habe, die imstande wären, sie zu ersticken und sie durch ein Obermaß des Sorgens und Verhätschelns umzubringen, und die sie durch ihr vieles Reden über die Belohnung, die sie finden werde, zu einer Handelsware machten - ob, sage ich, diese Befürchtung so wohl begründet ist, muß der Leser entscheiden.]&) Warum der Verfasser die Abhandlung über die GesichtswahrnehmungT) dem „Kleinen Philosophen"B) angehängt hat, wird sich beim Durchlesen des vierten Dialogess) ergeben. [*) Eseay über die Freiheit des Witzes und der Laune, Teil II, Aisclinitt 8.')]
Der erste Dialog.
§ 1. Einleitung.
Ich hoffte, Theagesto), schon vor dem heutigen Tage in der Lage gewesen zu sein, Dir einen angenehmen Bericht von dem Erfolg der Angelegenheit 11) zu senden, die mich in diesen abgelegenen Winkel des Landes geführt hal Aber statt dessen sollte ich Dir nun die Einzelheiten ihres Mißerfolges erzählen, wenn ich Dich nicht lieber mit einigen belustigenden Zwischenfällen unterhalten möchte, die zu meiner Beruhigung beigetragen haben, unter Umständen, die ich weder verhindern noch voraussehen konnte. Erfolge stehen nicht in unserer Macht. Wohl aber können wir sogar aus dem Schlimmsten noch Vorteil ziehen. Und ich muß durchaus gestehen, daß der Verlauf und der Ausgang dieser Angelegenheit Anlaß zu Reflexionen bot, die mir einigermaßen meinen be• deutenden Verlust an Zeit, Mühe und Ausgaben ersetzen. Ein tätiges Leben, das aus den Ratschlägen, Leidenschaften und Meinungen anderer Nutzen zieht, wird mindestens beobachten lehren, wenn es einen nicht zur Nachahmung verleitet. Und ein Verstand, der frei über seine eigenen Beobachtungen reflektieren kann, wird selbst dann, wenn er nichts Nützliches für die Welt hervorbring3n sollte, kaum der eigenen Unterhaltung ermangeln. Einige Monate lang habe ich eine solche Freiheit und Muße an diesem fernen Zufluchtsort genossen, weit jenseits des Randes jenes großen Strudels von Geschäften, Parteiungen und Vergnügungen, den man die Welt nennl Und dieser Zufluchtsort, der schon an sich nach einer langen Zeit voll Last und Unruhe angenehm war, wurde es um so mehr durch die Unterhaltung und die
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Der erste Dialog.
schönen Fähigkeiten meines Gastgebers Euphranor 11), der in seiner Person den Philosophen und Landwirt vereint, zwei Berufe, die in der Natur nicht so widersprechend sind, wie sie es gewöhnlich zu sein scheinen. Euphranor hat seit der Zeit, als er die Universität verließ, in dieser kleinen Stadt gelebt, wo er ein freundliches Haus mit hundert AcreslB) Land besitzt, die sich daran anschließen. Da er sie durch eigene Arbeit noch verbessert, gewähren sie ihm einen reichlichen Unterhalt. Er hat eine gute Sammlung hauptsächlich alter Bücher, die ihm von einem Geistlichen, seinem Onkel, vererbt sind, unter dessen Obhut er erzogen worden ist. Und die Tätigkeit auf seiner ! besten. Und es ist nicht nötig, daß die Menschen durch Predigten, durch philosophische Begründungen oder durch allerhand Schrecken zur Tugend gebracht werden, da diese ja der menschlichen Seele etwas ganz Natürliches und Angemessenes ist. Wenn das nun der Fall ist, wie es sich ja auch in der Tat verhält, so folgt daraus, daß die menschliche Gesellschaft in jedem Betracht ohne Religion gesichert ist, und daß ein Ungläubiger zu der Hoffnung berechtigt, der tugendhaftestll Mensch im wahren, erhabenen und heldenhaften Sinne des Wortes zu sein.
§ 4. Das honestum'oe) oder To "alovuo) der AJ.ten. Euphr. Ach, Alciphron, während Sie reden, fühle ich etwas in meiner Seele gleich dem Erzittern einer Laute, wenn auf den gleichen Saiten einer anderen gespielt wird. Zweifellos gibt es eine Schönheit des Verstandes, einen Reiz der Tugend, eine Symmetrie und Proportion in der moralischen
Das honestum oder TO 1ealO. der Alten.
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Welt. Diese moralische Schönheit war den Alten unter dem Namen honestum oder t:o Halov bekannt. Und um seine Kraft und seinen Einfluß zu erkennen, kann die Frage nicht unangemessen sein, was darunter verstanden wurde, und in welchem Lichte es von denen gesehen wurde, die es zuerst untersuchten und ihm einen Namen gaben. t:o Halov ist nacb Aristoteles 111) das biawerov oder das Lobenswerte. Nach Plato 112) ist es das 7)151' oder heutzutage. Dies nicht zu erkennen oder diesen Unterschied nicht zuzugeben, ist nicht gerade ein Beweis für den Scharfsinn oder für die Ehrlichkeit der Kleinen Phifosophen.]270) Aber ich frage, wer trägt denn diese Ausgaben, und warum gibt es denn soviel über diese Ausgaben zu klagen? Lysicl. Als ob Sie nie von Kirchenland und Zehnten gehört hätten! Cri. Aber ich möchte gern wissen, wie man sie als Ausgaben des Volkes oder als Ausgaben von Privatpersonen betrachten kann. Wo nichts ausgeführt wird, verliert das Volk nichts. Und für die AUgemeinheit ist es ganz gleich, ob das Geld in der Heimat durch die Hände eines Landgeistlichen oder eines Kavaliers läuft. Denn, was die Privatpersonen anbelangt, die aus Mangel an Oberlegung stets an Klagen über die Zahlung des Zehnten überfließen, so meine ich, kann sich einer zu Recht darüber als über eine Steuer
Zehnten lind Kirchenland.
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beklagen, da er ja bezahlt, was ihm doch nie gehörte?· Der Pächter pachtet sein Gut. unter dieser Bedingung und zahlt seinem Gutsbesitzer dementsprechend weniger, als wenn ~ein Gut davon frei wäre. So verliert er nichts, da es ihm ganz gleich ist, ob er. seinem Pastor oder seinem Gutsherrn zahlt. Der Gutsherr kann sich nicht beklagen, daß er etwas nicht besitze, an dem er kein Recht hat, weder durch Schenkting, noch durch Kauf, noch durch Erbschaft. So steht es mit dem Zehnten; und was das Kirchenland anbetrifft, so kann der sicherlich kein Freidenker, noch überhaupt ein Denker sein, der nicht sieht, daß keiner, er sei ein Edelmann, ein Patrizier oder Plebejer, irgend einen rechtmäßigen Anspruch darauf hat, den er nicht mit gleichem Rechte für alle Ländereien des Königreiches behaupten könnte. Lysicl. Gegenwärtig haben wir allerdings kein Recht. Und das ist gerade unsere Klage.. Cri. Dann möchten Sie also das haben, worauf Sie kein Recht haben? Lysicl. Auch das nicht. Was wir zunächst haben möchten, ist ein durch Gesetz bestätigtes Recht und darauf die Länder kraft solchen Rechts. Cri. Das zu erreichen, ist es wohl zunachst geboten, sich eine Urkunde ausstellen zu lassen, um jeden, der Christ und Student ist und einen schwarzen Rock trägt, als einen, der sich.dreier Kapitalverbrechen gegen das Gemeinwohl in diesem Reiche schuldig gemacht hat, ·von allen weltlichen Rechten auszuschließen. Lysicl. Wenn ich offen sein soU: Ich bin der Meinung, daß das eine vorzügliche, eine gute Tat sein würde. Dadurch würden mit einem Schlage mehrere verdienstvoUe Männer, seltene Künstler des Witzes, Verstandes und des Spotts, versorgt sein, von denen nur zu viele kleine Vermögen bei bedeutenden Verdiensten um ihr Vaterland besitzen, welches sie solange unentgeltlich erleuchtet und geziert haben. Euphr. Sagen Sie mir, bitte, Lysicles, ist die Geistlichkeit nicht gesetzlich im Besitz ihrer Ländereien und Zehnten? Lysicl. Das leugnet niemand. Euphr. Haben sie sie nicht seit undenklichen Zeiten besessen?
242
Der fünfte Dialog.
Lysicl. Das gebe ich auch zu. Euphr. Sie erheben einen Anspruch darauf auf Grund des Gesetzes und alter Verordnungen? Lysicl. Ja. Euphr. Haben die ältesten Familien des Adels besser begründete Ansprüche? Lysicl. Ich glaube nein. Es ärgert mich, soviel unmäßig große Güter in Händen alter Familien auf Grund keines anderen Verdienstes zu sehen als dessen, das sie mit sich in die Welt brachten. Euphr. Möchten Sie denn nicht ebenso gut ihre Länder nehmen und sie an Kleine Philosophen als Leute mit größerem Verdienst austeilen? Lysicl. Um so lieber. Das erweitert unseren Blick und eröffnet eine neue Aussicht. Es ist sehr ergötzlich, bei der Untersuchung der Wahrheit zu sehen, wie eine Theorie aus der anderen hervorwächst. Ale. Der alte Paetus•n) pflegte zu sagen, daß, wenn die Geistlichkeit ihrer Steuereinkünfte beraubt würde, wir das populärste Argument gegen sie verlieren würden. Lysicl. Aber solange die Menschen von der Religion leben, wird es nie an Lehrern und SchriftsteUern fehlen, die sie verteidigen. Cri Und wie können Sie sicher sein, daß es an ihnen fehlen würde, wenn sie nicht von für lebten, da es ja allbekannt ist, daß das Christentum seine Verteidiger selbst dann hatte, als die Menschen seinetwegen starben? Lysicl. Eines weiß ich: Es gibt eine vortreffliche Pflanzschule, wo junge Pflanzen, die sorgfältig gegen jeden Luftzug von Vorurteil geschützt und mit dem Tau unserer ausgewähltesten Prinzipien besprengt worden sind, aufwachsen. Trotzdem, das ewige Wünschen ermüdet, und zu unserem größten Bedauern kann nichts unternommen werden, solange noch irgend ein Vorurteil zugunsten alter Bräuche, Gesetze und nationaler Einrichtungen besteht, die im Grunde nur Worte und Begriffe sind, wie wir sehr wohl wissen und beweisen können.
Der "Mensch" ist etwu andere• als nmenschliche Geschöpfe." 243
§ 32. Der "Menseh" ist etwas anderes als "menachllehe GesehGpfe". Aber ich darf nicht hoffen, Crito, Sie je dazu zu bringen, das Vernünftige meiner Pläne einzusehen. Wir schließen jeder richtig nach unsern eigenen Prinzipien und werden nie übereinkommen, wofern wir nicht unsere Prinzipien aufgeben, was nicht durch Begründen geschehen kann. Wir alle sprechen von gerecht, richtig und falsch, vom Gemeinwohl und allerlei ähnlichem. Die Namen mögen dieselben sein, aber die Begriffe und Schlußfolgerungen sind sehr verschieden, viel:.. leicht diametral entgegengesetzt; und doch mögen beide Arten klare Beweise ermöglichen und auf die gleiche logische Methode erschlossen werden. Zum Beispiel: die Mitglieder des Klubs, in dem ich verkehre, definieren den Menschen als ein soziales Wesen. Folglich schließen wir aus diesem Begriff alle die menschlichen Wesen aus, von denen man sagen kann, daß man ganz gut ohne sie fertig werden kann. Und derartige Wesen müssen vernunftgemäß, obgleich sie menschliche Gestalt haben, nicht als „Menschen", sondern nur als „menschliche Geschöpfe" betrachtet werden. Daraus geht füglich hervor, daß die Menschen des Vergnügens, der guten Laune und des Witzes einzig im eigentlichen und wahren Sinne als Menschen betrachtet werden müssen; was daher diesen zum Vorteil dient, dient auch dem Wohl der Menschheit und ist folglich sehr gerecht und gesetzlich, obgleich es mit Verlust oder Schaden für andere Geschöpfe behaftet scheint; da ja denen keine wirkliche Verletzung des Lebens oder Eigentums zugefügt werden kann, die nicht wissen, wie sie sie genießen sollen. Das halten wir für eine klare und wohlgefügte Schlußkette. Aber andere mögen die Dinge in anderem Lichte sehen, andere Definitionen aufstellen, andere Schlüsse ziehen und vielleicht das, was wir für den Gipfel und die Krone der Schöpfung halten, nur als eine Warze oder einen Auswuchs der menschlichen Natur ansehen. Aus alledem muß ein sehr verschiedenes System der Moral, der Politik, des Rechts und der übrigen Begriffe hervorgehen. Cri Wenn Sie Lust zum Diskutieren haben, so wollen wir diskutieren; wenn Sie mehr Lus~ zum Scherzen haben, so wollen wir mit Ihnen lachen,
Der fünfte Dialog.
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Lysicl.
- - ridentem dicere verum Quid vetat? 272 ) Diese unsere Einteilung in Menschen und menschliche Geschöpfe erinnert mich an einen anderen Begriff, der von einem unseres Klubs, den wir den Pythagoreer 27 S) zu nennen pflegten, verbreitet worden ist. § 33. EinteilllJlg der Hensehen in Vligel, ViermBier und Fisehe. Er machte eine dreifache Einteilung der menschlichen Gattung, nämlich in Vögel, Vierfüßler und Fische, da er der Meinung war, daß der Weg des Lebens durch eine Stufenleiter des Seins beständig ansteigt: nämlich so, daß die Seelen der Insekten nach dem Tode zum zweiten Male in der Gestalt vollkommener Lebewesen, in Vögeln, Vierfüßlern oder Fischen erscheinen. Nach ihrem Tode werden sie in menschliche Körper erhoben und bei der nächsten Stufe in Wesen von noch höherer und vollkommenerer Art. Diesen Mann betrachteten wir zunächst als eine Art Ketzer, weil seine Anschauungen nicht mit unserem letzten Grundsatz, der Sterblichkeit der Seele, übereinzustimmen schienen. Aber er rechtfertigte den Begriff als einen ganz unschuldigen, insofern er nämlich nichts von Belohnung oder Strafe in sich schlösse, und weil er nicht durch irgendein Argument bewiesen würde, das einen unkörperlichen Geist oder eine Vorsehung annehme oder in sich schlösse, da er ja nur mit Hilfe der Analogie aus dem, was er beim menschlichen Treiben, bei Hofe, in der Kirche und der Armee beobachtet hatte, abgeleitet worden sei. Dort überall gibt es ein Streben von der niedrigeren zur höheren Stelle. Nach diesem System sind die Fische die Menschen, die in Vergnügungen schwimmen, wie die petits ma1tres27 4 ), die bons vivans und die „lieben Kerle". Die Vierfüßler sind eine trockene, griesgrämige, habsüchtige, raubgierige Gesellschaft, und alle, die sich Sorgen und Geschäften hingeben, sind wie die Ochsen und andere Festlandtiere, die ihr Leben in Mühe und Arbeit hinbringen. Die Vögel sind in den Wolken schwebende Begriffsmenschen, Schwärmer, Pläneschmieder, Philosophen und ähnliche. Jedes Iildividuum hat ein Merkmal seines früheren Zust.ands an sich, das seinen sn-
Kämpfen f. d. Vernunft ist erlaubt, aber Unvomehmheit usw. 245
genannten Genius ausmacht. Wenn Sie mich fragen, welche Art menschlicher Geschöpfe ich am liebsten mag, so antworte ich: Den fliegenden Fisch. Das heißt einen Menschen, der. sich tierischen Genüssen hingibt, aber mit einer Beimischung von launischen Einfällen. So sehen Sie, haben wir unsere Glaubensbekenntnisse und unser System geradeso gut wie andere Leute auch, nur mit dem Unterschiede, daß sie nicht festgeschnürt sind, sondern bequem ansitzen, so daß sie leicht ab- oder angestreift werden können, wie es der Laune oder. Gelegenheit dienlich ist. Und nun kann ich mit der denkbar größten Seelenruhe anhören, wie meine Anschauungen bestritten und bekämpft werden.
§ 34. Klimpfen für die Vernunft Ist erlaubt, aber U11Tornehmheit wird getadelt. Ale. Es wäre zu wünschen, daß alle Menschen so dächten, aber man findet doch eine Klasse von Menschen, die ich nicht näher zu bezeichnen brauche, die es nicht mit der geringsten Ruhe ertragen können, daß man ihre Meinungen prüft oder ihre Fehler kritisiert. Sie sind gegen die Vernunft, weil die Vernunft gegen sie ist. Was uns betrifft, so sind wir alle für Gewissensfreiheit. Wenn unsere Grundsätze töricht sind, so gestatten wir freimütig, daß sie erörtert und untersucht werden, und auf Grund des gleichen Rechts könnten wir hoffen, daß uns im Hinblick auf die Meinungen anderer Menschen dieselben Rechte eingeräumt würden. Cri. Ach, Alciphron, Waren, die das Licht nicht vertragen können, sind mit Recht argwöhnisch zu betrachten. Was es auch sein mag, was Sie zu dieser Klage bewegt, ich will es nie sein, auf mein Wort! Sondern wie ich bisher Ihren logischen Schlüssen ihren Anwendungsbereich gelassen habe, so werde ich es auch in Zukunft immer tun. Und wenn ich auch das Spotten und Eifern nicht billigen kann, auch nicht, wenn ich es selbst tue, sobald Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben, so will ich doch dafür einstehen, daß Sie stets die Erlaubnis haben sollen, so genau und streng zu urteilen, wie Sie nur können. Aber in betreff der Wahrheit seien Sie aufrichtig, und verschwenden Sie Ihre Kraft und unsere Zeit.
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Der fünfte Dialog.
nicht mit unbedeutenden Gegenständen oder solchen, die nicht zur Sache gehören, oder die nicht zwischen uns verabredet sind. Wir geben zu, da.1l Tyrannei und Sklaverei etwas Schlimmes sind. Aber warum sollten wir sie von der heutigen Geistlichkeit lernen? Riten und Zeremonien sind, wie wir zugeben, keine wichtigen religiösen Probleme. Aber warum sollten wir Dinge lächerlich machen, die wenigstens ihrem Wesen nach unschuldig sind und den Stempel höchster Autorität tragen? Daß Theologen geradeso gut wie andere Menschen auch in unnütze Streitigkeiten verwickelt sind und wahrscheinlich, solange die Welt steht, verwickelt sein werden, erkenne ich freimütig an. Aber warum müssen allen menschlichen Schwächen und Irrtümern der Geistlichen böse Absichten untergeschoben werden? Warum müssen ihr Charakter und ihre Grundsätze unterschiedslos verächtlich gemacht werden? Entspricht das der Aufrichtigkeit, der Liebe zur Wahrheit und einem freien Denken? Es ist ja zugegeben worden, daß man hier und da Grillen und schlechte Erziehung bei der Geistlichkeit findet; aber treffen nicht die gleichen Fehler auch auf englische Laien zu, die eine enge Erziehung genossen haben und auf dem Lande leben? Ich gebe zu, daß es bei den Scholastikern viel leeres Gerede gibt; aber ich leugne, daß ein Buch der Scholastik soviel Unheil anrichtet wie eine Seite der Kleinen Phiiosophie. Daß schwache oder böse Menschen durch die Gunst der Welt sich zur Macht und zu hohen Stellen in der Kirche emporarbeiten, ist nichts Wunderbares. Und daß sie sich in solchen Stellungen, so wie sie sind, auch benehmen, ist selbstverständlich anzunehmen. Aber trotzdem ist klar, daß nicht das Evangelium, sondern die Welt, nicht der Geist, sondern das Fleisch, nicht Gott, sondern der Teufel sie zu ihrem unwürdigen Tun veranlaßt. Wir machen keine Schwierigkeiten, dabei zuzugeben, daß nichts schändlicher ist als ein lasterhafter und unwissender Geistlicher, nichts niedriger als ein Heuchl'er, nichts frivoler als ein Pedant, nichts grausamer als ein Inquisitor. Aber auch Sie, meine Herren, müssen zugeben, daß nichta lächerlicher und törichter ist, als wenn pedantische, unwissende und verdorbene Menschen den ersten Stein auf andere Menschen werfen, die nur Spuren von deren eigenen Mängeln und Lastern an sich haben.
Freiheit ist je nach ihrem Gebrauch ein Segen oder ein Fluch. 24 7
§ 35. Freiheit Ist je nach Ihrem Gebrauch ein Segen oder ein Flueh.
Ale. Wenn ich den verabscheuungswürdigen Zustand der Knechtschaft und des Aberglaubens betrachte, so fühle ich, wie sich mein Herz weitet und dehnt, um den unschätzbaren Segen unabhängiger Freiheit zu faBBen. Dies ist das heilige und hohe Vorrecht, das wahre Leben und das Gesunde unserer englischen Verfassung. Sie dürfen es darum nicht für merkwürdig halten, wenn wir sie mit spähenden, wachen Augen vor dem geringsten Schein eines Obels schützen. Sie müssen sogar dulden, daß wir rings herum und tief hinein schneiden und vom Vergrößerungsglas Gebrauch machen, damit wir jeden, auch den geringsten Flecken besser sehen und tilgen können, der sich etwa in dem zeigen sollte, was wir als unseren Augapfel sorgfältig und eifersüchtig hüten möchten. Cri. Was die ungebundene Freiheit anbetrifft, so überlaBSe ich sie den Wilden, unter denen sie allein, wie ich glaube, zu finden ist. Was aber die vernünftige, gesetzliche Freiheit unserer Verfassung anbelangt, so wünsche ich aufrichtig und von Herzen, daß sie für immer bei uns bestehen und blühen möge. Sie und alle anderen Engländer können nicht ernsthaft genug acht geben, damit dieses köstliche Gebäude ·erhalten bleibt, oder damit der böse Ehrgeiz der Laien wie der Geistlichkeit gebändigt und enttäuscht wird, wenn er etwa den Versuch machen sollte, unsere Freiheit und milde Regierung in eine sklavische und strenge umzuwandeln. Aber welchen Vorwand kann das zu Ihren Angriffen gegen die Religion abgeben, oder wie kann das denn etwas damit zu tun haben? Ist die prot!lstantische Religion nicht ein Hauptteil unserer gesetzlichen Verfassung? Ich erinnere mich der Bemerkung ~ines Ausländers, daß wir Inselbewohner sehr gute Protestanten, aber keine Christen seien. Aber was auch immer Kleine Philosophen wünschen oder Ausländer sagen mögen, sicher ist, daß. unsere Gesetze eine andere Sprache reden. Ale. Das erinnert mich an das weise Urteil einer gewissen weisen Regierung, die, als sie durch den Spott und die Argumente eines geistreichen Mannes bedrängt wurde, nichts anderes für ihre Religion zu sagen wußte, als daß zehn Millionen ·Menschen, die dieselbe Insel bewohnten, Ge-
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Der fünfte Dialog.
setze zur Anbetung Gottes in ihren Tempeln und zu seiner Anrufung vor ihren Gerichten schaffen könnten, gleichgültig, ob sie nun richtig oder ·falsch seien, wenn sie es nur für gut hielten. Und daß für den Fall, daß zehntausend klüge Männer jene Gesetze öffentlich verspotten und .niedertret.en würden, es von den besagten zehn Millionen gerecht und ge~etzlieh sei, die besagt.an zehntausend klugen Männer von ihrer besagten Insel zu verbannen. Euphr. Und bitte, welche Antwort würden Sie auf diesen Bescheid der weisen Regierung geben? Ale. Die Antwort liegt auf der Hand. Nach dem Gesetze der Natur, das allen positiven Einrichtungen überlegen ist, haben Verstand und Einsicht ein Recht, über die Torheit und Unwissenheit zu befehlen. Ich meine, kluge Menschen· haben kraft natürlichen Rechtes die Herrschaft über die Narren. Euphr. Zu welchem Rechte über die Gesetze und über das Volk Großbritanniens die Kleinen Philosophen von Natur befähigt sein mögen, werde ich nicht erörtern, sondern der Prüfung der Öffentlichkeit überlassen. Ale. Diese Lehre ist, wie zugegeben werden muß, bis heute niemals gründlich verstanden worden. Im letzten Zeitalt.er erklärten sich Hobbesm) und seine Anhänger, obgleich: sie sonst große Männer waren, für die Religion der Regierung, wahrscheinlich weil sie sich vor dieser fürchteten. Aber die Zeiten haben sieh geändert, und die Regierung mag sich nun vor uns fürchten. Cri Ich gebe zu, daß die Regierung sich in gewissem Sinne wohl vor Ihnen fürchten könnte, nämlich davor, Ihnen zu trauen. Das erinnert mich an eine Stelle über den Prozeß Leanders wegen eines Kapitalverbrechens. Nachdem dieser Mann durch beständige Ablehnung all'e Männer des Gerichtshofes außer einigen Männern nach der neuesten Mode und außer einigen Männern des Vergnügens ausgelesen und von der Jury ausgeschlossen hatte, brachte er bescheiden vor, daß man Dorcont7&), der gerade das Buchm) küssen wollte, auffordern möchte, er solle auf Ehre erklären, ob er an Gott oder das Evangelium glaube. Dorcon bekannt.e lieber offen, daß er an keins von beiden glaube, als daß er seinen Ruf als Mann von Ehre und als Freidenker aufs Spiel setzte. Daraufhin erklärte ihn der Gerichtshof für ungeeignet, als Richter
Die Priesterlist ist nicht das herrschende Übel.
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zu fungieren., Aus dem gleichen Grunde wurden so viele ausgeschaltet, wie gerade notwendig waren, den Prozeß aufzuschieben. Wir möchten gern, daß man uns soviel Vertrauen entgegenbringt, daß wir als Geschworene fungieren können, erwiderte Alciphron, wenn wir nur zu einträglichen Tätigkeiten zugelassen werden könnten. Cri. Aber wie dann, wenn die Regierung die Anweisung ergehen lassen würde, daß jeder, bevor er den Amtseid leistet, dieselbe Erklärung abzugeben hätte, die vonDorcon verlangt wurde? Ale. Um Gottes willen! Ich hoffe, daß nichts Derartiges im Anzuge ist. Cri Was auch immer im Anzuge sein mag, so viel ist jedenfalls sicher: Die christliche, reformierte Religion ist ein Hauptteil und der Eckstein unserer freien Verfassung; und ich glaube wahrhaftig, daß sie das einzige ist, wodurch wir die Freiheit verdienen und fähi~ werden, sie zu genießen. Die Freiheit ist entweder ein Segen oder ein Fluch, je nach dem, wie die Menschen sie gebrauchen. Und mir scheint, daß, wenn unsere Religion einmal aus unserer eigenen Mitte heraus zerstört würde, und die Begrüfe, die als Vorurteile christlicher Erziehung gelten, aus den Köpfen der Briten ausgerodet würden, daß dann das Beste, was über uns kommen könnte, der Verlust unserer Freiheit sein würde. Nichts anderes könnte sicherlich ein Volk, in dem solch ruheloser Ehrgeiz, solcher Wagemut, solche Feindseligkeit in Parteikämpfen, so große Freude am Kämpfen, eine so unbändige Freiheit der Redeweise wie der Presse herrscht, inmitten so großen Reichtums und Luxus' bisher vor dem Untergange bewahrt haben, als diese veteres aviaem), die Sie ausrotten woUen. § 36. Die Priesterlist ist nicht das herrschende tlbel.
Unter der Herrschaft der christlichen Religion hat sich dies Volk sehr entwickelt. Aus einer Ärt von Wilden sind wir zivilisiert, gesittet und gelehrt geworden. Wir haben eine anständige und edle Rolle daheim und im Auslande gespielt. Und in dem Maße, wie unsere Religion schwindet, fürchte ich, wird man erkennen, daß wir auf dem absteigenden Aste sind.
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Der fünfte Dialog.
Warum sollten wir alBO auf dem gefährlichen Experiment bestehen? Ale. Man könnte meinen, Crito, Sie hätten das viele Unheil vergessen, das durch die Männer der Kirche und durch die Religion hervorgerufen worden ist. Cri Und man möchte glauben, daß Sie vergessen hätten, was gerade heute auf diesen Einwand geantwortet wurde. Aber um nicht ewig dasselbe zu wiederholen, so möchte ich erstens bemerken, daß, wenn wir über den vergangenen Zustand der Christenheit und besonders den unseres Landes nachdenken, mit unseren Fehden und Parteikämpfen, die bestehen bleiben, obwohl wir doch aUe der gleichen Religion angehörten; wenn wir zum Beispiel über die Kämpfe zwischen der weißen und der roten Rosem) nachdenken, die so heftig und blutig waren und so lange dauerten, so können wir nicht mit Gewißheit sagen, ob jene bösen Neigungen, die sich seither unter der Maske der Religion gezeigt haben, nicht unter irgend einem anderen Vorwande ausgebrochen wären, wenn dieser gefehlt hätte. Zweitens bemerke ich, daß aus keiner Bemerkung, die Sie über unsere Geschichte machen können, folgt, daß das Böse, das gelegentlich durch die Religion verursacht worden ist, in keinem Verhältnis zu den guten Wirkungen, die sie wirklich verursacht, oder dem übel, das sie verhindert hat, steht Endlich bemerke ich, daß die besten Dinge durch Zufall Anlaß von Bösem werden können. Diese zufällige Wirkung ist nicht im eigentlichen und wahren Sinne durch die gute Sache selbst hervorgerufen, sondern durch eine böse, die zufällig mit ihr verknüpft ist, obwohl' sie weder ein Teil von ihr, noch etwas Zugehöriges, oder deren Wirkung ist. Aber ich sollte mich schämen, bei einer so klaren Sache zu verweilen und sie breit auszuführen. Was für Böses dies Volk auch früher durch den Aberglauben erlitten haben mag, ein Vernünftiger wird sicherlich nicht sagen, daß die übel, die man heute 'fühlt oder erkennt, aus der gleichen Quelle stammen. Priesterlist ist nicht die herrschende Krankheit heuzutage. Und sicherlich wird man zugestehen, daß ein weiser Mann, der sich die Aufgabe gestellt hat, für das Gemeinwohl zu sorgen, zu geeigneter Zeit Geeignetes vornehmen und nicht etwas für eine Überladung des Magens verschreiben sollte; wenn es sich um eine Lungenkrankheit handelt.
Die Prieaterliat ist nicht daa hen'lchende Übel.
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Ale. Ich denke,, wir haben das Thema unserer heutigen Zusammenkunft genügend durchgesprochen. Und nun muß ich. Lysicles mag es damit halten, wie er will, in Rücksicht auf meinen eigenen Charakter als ein anständiger und unparteiischer Gegner anerkennen, daß an dem, was Crito über die Nützlichkeit der christlichen Religion gesagt hat, etwas daran ist. Ich will Ihnen sogar zugestehen, daß einige unserer Sekte sie zu dulden gestatten. Ich erinnere mich, daß wir bei einer Versammlung mehrerer gescheiter Leute nach langem Hin- und Herreden allmählich zu verschiedenen Resolutionen kamen. Die erste war die, daß keine Religion im Staate geduldet werden sollte; aber das wurde bei reüerer Überlegung für undurchführbar gehalten. Die zweite war, daß alle Religionen geduldet, daß aber keine außer dem Atheismus begünstigt werden sollte; aber man kam zu der Einsicht, daß das zu Kämpfen zwischen den ungebildeteren Leuten führen könnte. Daher kamen wir drittens zu dem Schluß, daß irgend eine Religion für das gewöhnliche Volk festgesetzt werden sollte. Und nach einem langen Streite, welche Religion das sein sollte, schlug Lysis 1eo), ein lebhafter junger Mann, da er kein Zeichen einer Einigung wahrn.a.hm, vor, daß die gegenwärtige Religion geduldet werden sollte, bis eine bessere gefunden wäre. Aber wenn ich auch zugebe, daß sie zweckmäßig ist, so kann ich sie doch solange nicht für wahr halten, als unbeantwortbare Einwände dagegen vorliegen, die ich Ihnen, wenn es Ihnen recht ist, bei unserer näc.hsten Zusammenkunft vorzulegen mir erlauben werde. Dem stimmten wir alle zu. -
ALOIPHRON: oder der
KLEINE PHILOSOPH. ln
SIEBEN DIALOGEN. Enthaltend eine
APOJ_,QGlE sigkeit und Gläubigkeit im Hinnehmen? Ich darf niemals meine eigene Beobachtung oder Erfahrung zur Regel und zum Maßstab für geistige, übernatürliche oder auf eine andere Welt bezügliche Dinge machen. Denn ich halt.e sie für sehr schlecht, selbst was die sichtbaren und natürlichen Dinge in dieser hier angeht. Das wäre eine Art zu urteilen wie die des Siamesen, der sicher war, daß es nicht in Holland friere, weil er in seinem eigenen Lande niemals 80 etwas wie hartes Wasser oder Eis kennen gelernt hattea 03), Ich kann nicht verstehen, warum jemand, der die Einheit von Leib und Seele zugibt, es für die mansch-
Die Artikel de1 christlichen Glaubens sind nicht unvernünftig. 283
liehe Natur als unmöglich hinstellen sollte, in unaussprechlicher und für die Vernunft unbegreifiicller Weise mit der göttlichen vereint z11 sein. Ich kann auch keine Sinnlosigkeit in der Behauptung entdecken, daß ein Sünder wiedergeboren oder durch die Gnade Gottes eine neue Kreatur werden kann, die ihn aus einem fleischlichen zu einem geistlichen Leben der Tugend und Heiligkeit beruft. Und da es dem Glück und der Vollendung eines vernünftigen Weeens entgegen ist, durch die Sinne und Triebe regiert zu werden, so wundere ich mich durchaus nicht, daß wir uns selbst verleugnen sollen. Was die Auferstehung der Toten anbelangt, so sehe ich nicht ein, inwiefern sie der Analogie mit der Natur so widerspricht, wenn ich doch auch beobachte, wie Pflanzen, die in der Erde verfaulen, sich wieder mit neuem Leben und neuer Kraft erheben, oder wenn ich einen Wurm sehe, wie er, allem Anschein nach tot, seine Natur verändert, und daß das, was bei seinem ersten Dasein auf der Erde kroch, eine neue Art wird und mit Flügeln umherfliegt. Und in der Tat, wenn ich bedenke, daß die Seele und der Leib so sehr verschieden und entgegengesetzt sind, so kann ich keinen durchschlagenden Grund dafür einsehen, daß die eine notwendig bei der Auflösung des anderen vernichtet werden muß; besonders, da ich in mir einen starken, natürlichen Wunsch nach Unsterblichkeit verspüre; und ich habe nicht gefunden, daß die natürlichen Triebe vergebens verliehen wären und nur dazu da wären, vernichtet zu werden. Kurz, die Lehren, die Sie für übertrieben und unsi.nnig halten. w~e ich nicht dafür zu erklären, bis ich einen guten Grund dafür sehe. § 12. Die Artikel des ehrl11tllchen Glaubens sind nicht uDTernllnftlg. Cri Nein, Alciphron, Ihr sicheres Gebaren darf nicht als Beweis gelten; auch genügt es nicht zu sagen, daß etwas dem gesunden Menschenverstand zuwider ist, um uns glauben zu machen, es sei so. Unter gesundem Menschenverstande, meine ich, sollte verstanden werden, entweder der allgemeine Verstand der Menschheit oder die gebildete Vernunft denkender Menschen. Nun glaube ich, daß man von a.11 den Artikeln, die Sie mit so viel Scharfsinn und Feuer auf einmal zusammen-
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Der 1ecbate Dialog.
gebracht und getadelt haben, zeigen kann. da.ß sie nich~ unannehmbar, geschweige denn dem gesunden Menschenverstand im einen oder anderen Sinne entgegen sind. Daß die Götter erscheinen können und mit den Menschen in Verkehr treten, und daß die Gottheit menschliche Gestalt annehmeu kann, wurde schon von den Heiden zugegeben. Dafür berufe ich mich auf ihre Dichter und Philosophen, deren Zeugnisse so zahlreich und klar sind, daß es eine Beleidigung wäre, sie einem gebildeten Manne zu wiederholen - und obgleicll die Vorstellung eine.9 Teufels nicht so einsichtig oder so gut dargestellt sein mag, so zeigen sich doch deutliche Spuren dafür, die entweder logischer oder traditioneller Herkunft sind. Die späteren Platoniker, wie Porphyrius 30') und Jamblichus30~), sind in der Beziehung sehr klar; sie gest~hen zu, daß böse Dämonen die Menschen betrügen und versuchen, ihnen schaden und sie besessen machen. Daß die alten Griechen, Chaldäeraoe) und Ägypteraos) an gute und böse Engel glaubten, kann deutlich Plato, Plutarch soT) und den Chaldäischen Orakeln sos) entnommen werden. Origenes bemerkt, daß f.ast alle Heiden, die am Da.sein von Dämonen festhielten, auch zugestanden, daß es böse gäbe*). Es gibt sogar eine Err.ählung aus der Zeit Ho-mers, von der der gelehrte Kardinal Bessarion **) glaubt, daß sie auf den Fall Satans anspielt, nämlich die Erzählung voh Ate, die der Dichter 311) als durch Jupiter aus dem Himmel: gestoßen darstellt, und die dann über die Erde wandelt, wo sie der Menschheit Unheil zufügt. Von dieser selben Ate sagt HesiodSU), sie sei die Tochter der Zwietracht. Und von Euripides wird sie im Hippolytuss1s) als eine Versucherin zum Bösen erwähnt. Und es ist sehr beachtenswert, daß Plutarch in seinem Buche „De vitando aere alieno", nach Empedocles, von gewissen Dämonen spricht, die vom Himmel fielen und von Gott verbannt worden waren, Llal,t.to,•Ei; t'JE1]).awi ~ai olJeavo:rEnEi!;'1u). Auch das, was Ficinussis) von Pherecydes Syrus~l&) sagt, ist nicht weniger beachtenswert, nämlich daß es einen Abfall der Dämonen gegeben hätte, die sich gegen Gott aufgelehnt hatten, und daß Ophioneuss 1•) (die alte Schlange) ") Origen. lib. 7. contra. Celsum. 309) ....-.) In calumniat. Platonis, lib. S. cap.
7_310)
Die .Artikel des chxistlichen Glaubens sind nicht unvernünftig. 285
das Haupt jener Rebellen war*). - Was nun die anderen Artikel betrifft, so möge man nur bedenken, was die Pythagoreer über die Reinigung und l'lloi~s19) oder über die Befreiung der Seele lehrten; was die meisten Philosophen, aber besonders die Stoiker über die Unterdrückung unserer Leidenschaften, was Plato und Hierocless20) über das Vergeben v-0n Beleidigungen gesagt haben, was der genaue und 'scharfsinnige Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik3'1) über das geistige und göttliche Leben schreibt - das Leben, das. wie er sagt, zu herrlich ist, um für menschlich gehalten zu werden, da der Mensch, insoweit er Mensch ist, nicht dazu gelangen kann, sondern nur insoweit er etwas Göttliches in sich hat. Und man denke besonders über das nach, was Socrates lehrte, nämlich daß die Tugend nicht von den Menschen gelernt werden könne, daß sie eine Gabe Gottes sei, und daß gut.e,Menschen nicht kraft menschlicher Sorgfalt oder Bemühung gut seien: o'Ö>e elvm dv{}eamlY1JV Amµileiav fJ dyat?ol dya{}ol rtrvorcal **). Es möge nur einer, der wirklich denkt, überlegen, was andere denkende Männer gedacht haben, die man nicht zugunsten offenbarter Religion für voreingenommen halten kann, und er wird Ursache genug finden, wenn er auch nicht mit Verehrung über die christlichen Lehren der Gnade, Selbstverleugnung, Wiedergeburt, Heiligung und alles andere„ selbst das Geheimnisvollste denkt, doch wenigstens bescheidener und vorsichtiger zu urteilen als der, der diese Lehren mit überzeugter Miene für unsinnig und der Vernunft der Menschheit widersprechend erklärt. Und was das zukünftige Reich anlangt, so sind die allgemeinen Ansichten der modernen und antiken heidnischen Welt und die Anschauungen der weisesten Männer des Altertums so wohlbekannt, daß ich nichts darüber zu sagen brauche. Mir scheint es so, als ob die Kleinen Philosophen nur den Verstand ihrer eigenen Partei meinen, wenn sie sich auf die Vernunft und den gesunden Menschenverstand berufen. Eine Münze, die, 'via sehr sie auch bei ihnen im Umlauf sein mag, von anderen Leuten geprüft werden wird und nicht mehr, als sie wert ist, gelten wird. *) Vid. Argum. in Phaedrum Platonia,118 ) **) Vid. Plat. in Protag. et alibi paaaim.m)
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Der aecbste Dialog.
Lysicl. Diese Vorstellungen mögen vielleicht für irgend einen Verstand irgend eines Menschen annehmbar sein, aber nicht für meinen. Und wenn man mich deshalb für dumm hält, so bemitleide ich die, die mich dafür halten.
§ 13. Die Schuld ist die natUrllche Mutter der Furcht.
Ich mache mir das Leben angenehm und gehe meine eigenen Wege ohne Gewissensbisse oder Furcht; was ich nicht tun würde, wenn ich den Kopf voll schwärmerischer Ideen hätte. Ob heidnisch oder christlich~ philosophisch oder offenbart, ist mir alles gleich. Mögen andere wissen oder glauben, was sie können, und mögen sie daraus Gewinn ziehen, ich jedoch bin glücklich und sicher in meiner Unwissenheit. Cri. Vielleicht doch nicht so sicher. Lysicl Wie, Sie wollen sicherlich nicht behaupten, daß Unwissenheit verbrecherisch ist? Cri. Unwissenheit an sich ist kein Verbrechen. Aber daß absichtliche Unwissenheit, zur Schau getragene Unwissenheit, Unwissenheit aus Faulheit oder eingebildete Unwissenheit ein Fehler ist, kann leicht durch das Zeugnis heidnischer Schriftsteller bewiesen werden; und dazu bedarf es keines Beweises, daß, wenn die Unwissenheit unsere Schuld ist, wir uns dann nicht in ihr sicher fühlen können, gleichsam als ob sie eine Entschuldigung wäre. Lysicl. Der wohlmeinende Crito scheint darauf hinzuweisen, daß eineir bei Lebzeiten zusehen sollte, sich zu belehren, damit seine Nachlässigkeit nicht bestraft werde, wenn er tot ist. Nichts ist so feig und steht einem Gentleman so schlecht an als Furcht; noch könnten Sie einen besseren Weg einschlagen, einen Mann von Ehre in der Schuld zu festigen und darin beharren zu lassen, als wenn Sie versuchten, ihn durch Furcht herauszutreiben. Das ist die altbackene, unsinnige Kriegslist der Priester; das, was mir sie und ihre Religion verhaßter und verdammenswürdiger macht als alle anderen Artikel zusammen. CrL Ich möchte gern wissen, warum es nicht für einen Mann von Ehre oder für irgend jemand, der gefehlt hat, ver-
Die Schuld ist die natürliche Mutter der Furcht.
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nünftig sein kann, sich zu fürchten. Die Schuld ist die natürliche .Mutter der Furcht; und die Natur pflegt den .Menschen nicht Furcht einzuflößen, wo keine Gelegenheit dazu da ist. Daß gottlose und weltlich gesinnte Menschen göttliche Strafe erwarten sollten, scheint nicht so töricht, daß es nicht eingesehen werden könnte. Und daß sie unter dem Einflusse dieser Erwartung unruhig und furchtsam sein sollten, wie sehr das auch mit der Ehre übereinstimmen mag oder nicht. stimmt mit der Vernunft sicherlich überein. Lysicl. Dieses Ding von einer Hölle und ewiger Strafe ist der unsinnigste und unangenehmste Gedanke, der je im Hirn eines Sterblichen entstanden ist, Cri. Aber Sie müssen zugeben, daß es keine den Christen eigentümliche Torheit ist, da ja Socrates, dieser große Frei'" denker Athens, es für wahrscheinlich hielt, daß es so etwas wie gottlose .Menschen geben könne, die für ewig in der Hölle Strafe erlitten*). Von diesem selben Socrates wird berichtetm), daß die Leute wußten, daß er oft vierundzwanzig Stunden hintereinander in der gleichen Haltung in Sinnen verloren nachdachte. Lysicl. Unsere modernen Freidenker sind lebhaftere Leute. Die alten Philosophen da waren meist Grillenfänger. Sie hatten meiner Meinung nach eine trockene, enge, furchtsame Art des Denkens, die keineswegs der freien Verfassung unserer Zeiten gleichkommt. Cri. Aber ich wende mich an Ihr eigenes Urt.eil und frage, ob einer, der die Natur der Seele nicht kennt, durch das Licht der Vernunft sicher wissen kann, ob sie sterblich oder unsterblich ist. An simul intereat nobiscum morte perempta, An tenebras orci visat vastasque lacunas?m) Lysicl. Aber wie dann, wenn ich die Natur der Seele kenne? Wie, wenn ich das ganze Geheimnis von einem modernen Freidenker gelehrt worden wäre? Von einem Wissenschaftler, der sie nicht durch eine langweilige Versenkung in seine Fähigkeiten, nicht durch ein Sich-Ergötzen in einem Labyrinth von Vorstellungen oder durch ein stumpfsinniges, Tage und Nächte langes Nachdenken, sondern durch das *) Vid. Platon. in Gorgia.m)
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Der sechste Dialog.
Hineinblicken in die Dinge und die Beobachtung der Analogie der Natur entdeckt hat.
§ 14. Unbekanntes wird auf das z11rllekgefUhrt, was die Menschen kennon.111) Dieser große Mann ist Philosoph aus Passion, der viele Reden über die Pflanzen gehalten hat. Er ist der Meinung, daß Menschen und Pflanzen in Wirklichkeit von gleicher Art seien, daß die Tiere sich bewegende Pflanzen und daß Pflanzen feststehende Tiere seien; daß der Mund der einen und clie Wurzeln der anderen demselben Zwecke dienen, nur in der Lage voneinander abweichen; daß Blüten und Blumen den unanständigsten und verborgensten Teilen des menschlichen Körpers entsprechen; daß Pflanzen- und Tierkörper gleich organisiert sind, und daß in beiden Leben oder eine gewisse Bewegung und ein Umlauf der Säfte durch eigene R6hren oder Gefäße vorhanden ist. Ich werde nie vergessen, wie dieser fähige Mann die Natur der Seele auf folgende Weise enthüllte: Die Seele, sagte er, ist die spezifische Form oder das Prinzip, aus dem die besonderen Eigenschaften oder Eigentümlichkeiten der Dinge hervorgehen. Da nun die Pflanzen einfacher und weniger vollkommen organisiert sind und daher auch leichter analysiert werden können als die Tiere, so wollen wir mit der Betrachtung der Pflanzenseelen beginnen. Die Seele irgend einer Pflanze, des Rosmarins zum Beispiel, ist also nicht mehr und nicht weniger als ihr essentielles 0Js21). Davon hängt der besondere Wohlgeruch, ihr Geschmack und ihre medizinischen Eigenschaften, mit anderen Worten, ihr Leben und ihre Tätigkeiten ab. Man sondert 0.ieses essentielle 01 durch chemische Kunst ab oder extrahiert es, und man erhält die Seele der Pflanze. Was übrigbleibt, ist ein toter Körper ohne jede Eigentümlichkeit und Eigenschaft der Pflanze, die gänzlich im 01 erhalten ist, von dem eine Drachme mehr ausmacht als mehrere Pfund 828) der Pflanze. Dies selbe essentielle öl ist nun selbst wieder eine Verbindung von Schwefel und Salz, oder von einer groben, klebrigen Substanz mit einem feinen, zarten Prinzip oder flüchtigen Salz, das darin gefangen ist. Das flüchtige Salz ist eigentlich die Essenz der Pflanzenseele, da ea alle ihre
Unbekanntes wird auf das zurückgeführt, usw.
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Eigenschaften enthält, und das öl ist der Träger dieses höchst zarten Teiles der Seele oder auch das, wa& sie festhält und absondert. Und so, wie bei der Trennung dieses öls von der Pflanze die Pflanze stirbt, so tritt ein zweiter Tod oder der Tod der Seele bei der Auflösung dieses essentiellen Ols in seine Prinzipien ein; das zeigt sich, wenn es einiige Zeit der frischen Luft ausgesetzt ist, so daß das flüchtige Salz oder der Geist sich verflüchtigen kann. Danach bleibt das 01 tot und geschmacklos zurück, aber ohne jede wahrnehmbare Verringerung seines Gewichts durch den Verlust jener flüchtigen Essenz der Seele, jenes ätherischen Aromas, jenes Funkens der Wesenheit, die zum Sonnenlicht zurückkehrt und sich mit ihm mischt, der allgemeinen Seele des Weltalls und einzigen Quelle des pflanzlichen, tierischen und intellektuellen Lebens. Diese unterscheiden sich nur in der Derbheit oder Feinheit der Träger und nach den verschiedenen Geweben der natürlichen Destillierblasen oder, mit anderen Worten, der organisierten Körper, in denen die vorhin erwähnte flüchtige Essenz wohnt und erzeugt wird, in denen sie wirkt und beeinflußt wird. Dieses chemische System führt Sie sogleich in die Natur der Seele ein und erklärt alle ihre Erscheinungen. In dem Organismus, der Mensch genannt wird, ist die Seele oder das essentielle 01 das, was gewöhnlich unter dem Namen des tierischen Geistes einhergeht. Denn Sie müssen wissen, daß sich die Chemiker darin einig sind, daß die Geister nichts anderes sind als die feineren öle. In dem Maße nun, wie das essentielle 01 des vegetativen Menschen feiner als das anderer Pflanzen ist, ist das flüchtige Salz, das es durchtränkt, feiner zum Handeln; dadurch werden die spezifischen Eigenschaften und Handlungen der Menschenrasse erklärt, die sie vor anderen Geschöpfen auszeichnen. Daher können Sie begreifen, warum bei den Weisen des Altertums Salz ein anderes Wort für Witz war, und warum man heutzutage von einem stumpfsinnigen Menschen sagt, er sei fade oder reiz... los. Aromatische Ole, die in langer Zeit reiifen, werden zu Salzen. Daraus ergibt sich, warum die menschliche Rasse mit dem Alter weiser wird. Und was ich von dem zweifachen Tode oder von der Auflösung gesagt habe, zunächst von der des Organismus, durch Trennung der Seele vom organischen Körper, und dann der Seele selbst durch Scheiden des flüch-
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Der eeohlte Dialog.
t.igen Salzes vom öl, beleuchtet und erklärt die Vorstellung gewisser alter Philosophen näher - nämlich, wie der Mensch aus Leib lind Seele bestehe, so sei auch die Seele aus dem Verstande oder Intellekt und ihrem ätherischen Träger zusammengesetzt; und daß der Trennung von Leib und Seele, oder dem Tode des Menschen nach langer Zeit ein zweiter Tod der Seele selbst folge, nämlich die Trennung oder Befreiung des Intellekts von seinem Träger und die Vereinigung mit der Sonne. Euphr. 0, Lysiclesl Ihr kluger Freund hat eine neue Aussicht eröffnet und die dunkelsten und schwierigsten Probleme auf die klarste und leichteste Weise erklärt. Lysicl. Ich muß gestehen, daß diese Erklärung der Dinge meine Einbildungskraft erregt hat. Ich bin kein großer Freund von Glaubensbekenntnissen oder Systemen; aber wenn eine Vorstellung vernünftig und auf Erfahrung gegründet ist, so weiß ich sie wohl zu schätzen. Cri. Im Ernst, Lysicles, halten Sie diese Erklärung für richtig? Lysicl. Nun, also im Ernste gesprochen, ich weiß nicht, ob ich daran glaube oder nicht. Aber ich kann Sie versichern, daß der kluge Künstl'er selbst nicht den geringsten Zweifel darüber hegt. Und einem Künstler seine Kunst zu glauben, ist ein richtiger Grundsatz und ein kurzer Weg zur Wissenschaft. Cri. Aber welche Beziehung hat die Seele des Menschen zur Kunst der Chemie? Derselbe Grund, der mich an die Kunst eines geschickten Künstlers glauben heißt, macht mich geneigt, Argwohn gegen ihn zu hegen, der gerade aus seiner Kunst entspringt. Die Menschen sind zu sehr geneigt, unbekannte Dinge auf das Mall ihres Wissens zurückzuführen. Sie bringen ein Vorurteil oder eine oberflächliche Kenntnis der Dinge mit, in denen sie bewandert sind, um dann über Dinge zu urteilen, in denen sie nicht bewandert sind. Ich habe einen Geiger gekannt, der ernsthaft lehrte, daß die Seele Harmonie sei; einen Geometer mit all-er Sicherheit, daß die Seele ausgedehnt sein müsse; und einen Arzt, der, nachdem er ein halbes Dutzend Embryos eingepökelt und ebenso viele Ratten und Frösche seziert hatte, eingebildet wurde und behauptete, daß es überhaupt keine Seelen gäbe, und daß die gegenteilige Meinung ein vulgärer Irrtum sei
Vorurteile gegen die Fleiachwerdung dea Gotteuohna.
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Lysicl. Meine Begriffe sitzen locker. Ich werde mich nicht auf pedantische Diskussionen darüber einlassen. Die, denen sie nicht gefallen, mögen sie unberücksichtigt lassen. Euphr. Das, meine ich, ist gesprochen wie ein Gent-. leman.
§ 15. Yorurtelle gegen die Fleischwerdung des Gott.e11ohu. Aber, bitte, Lysicles, sagen Sie mir, ob die Geistlichkeit unter Ihre allgemeine Regel fällt, nämlich, daß man zu der Kunst eines Künstlers Zutrauen haben kann?· Lysicl. Keineswegs. Euphr. Warum das? Lysicl. Weil ich von mir glaube, daß ich ebenso viel von ihren Dingen verstehe wie sie. Euphr. Aber Sie geben zu, daß jemand, der auf irgend einen anderen Beruf viel Zeit und Mühe verwandt hat, bessere Kenntnisse erwerben kann, als einer mit gleich guten oder besseren Anlagen, der diesen Beruf niemals zu seiner besonderen Tätigkeit ausersehen hat. Lysicl. Ja. Euphr. Und trotzdem halten Sie in religiösen und gött. liehen Dingen alle Menschen für gleich wissend? Lysicl. Ich sage nicht alle Menschen. Aber ich halte alle vernünftigen Menschen für zuständige Richter. Euphr. Wie! Sind die göttlichen Attribute und Offenbarungen für die Menschheit, das wahre Ziel und Glück der menschlichen Geschöpfe und die Mittel zur Besserung und Vervollkommnung ihres Wesens, einfachere und einleuchtendere Probleme als die, die das Gebiet jedes gewöhnlichen Berufes ausmachen? Lysicl. Vielleicht nicht. Aber eines weiß ich: Manches ist so offenbar unsinnig, daß keine Autorität mich dazu bringen soll, mich darein zu schicken. Zum Beispiel: Wenn die ganze Menschheit sich vornehmen würde, mich davon zu überzeugen, daß der Sohn Gottes auf Erden in einer armen Familie geboren worden, angespien, geschlagen und gekreuzigt worden ist, daß er wie ein Bettler gelebt hat und wie ein Dieb gestorben ist, so würde ich nie eine Silbe davon glauben. Der gesunde Menschenverstand zeigt jedermann, welche Rolle
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Der sechste Dialog.
ein irdischer Fürst oder ein Gesandter anständigerweise zu spielen hätte. Und der Sohn Gottes muß für eine göttliche Botschaft notwendig ·eine auffallende Erscheinung vor allen anderen gewesen sein und in jeder Hinsicht die gerade Kehrseite von der, die Jesus Christus gewesen sein soll, selbst nach seinen eigenen Historikern. Euphr. 0, Lysicles! Wenn ich Ihre genialen Schlußfolgerungen auch noch so gern billigen und ihnen beistimmen möchte, so wage ich doch nicht dem beizutreten aus Furcht vor Crifio. Lysicl. Wieso? Euphr. Weil er gerade jetzt eben gesagt hat, daß die Menschen Dinge, die sie nicht kennen, aus Vorurteilen heraus beurteilen, die sie von ihnen bekannten Dingen her haben. Und ich fürchte, er wird entgegnen, daß Sie, der Sie m der grand monde 829) verkehrt haben und den Kopf stets voll von Vorstellungen über Dienerschaft, Equipagen und Livreen haben, den bekannten Merkmalen menschlicher Größe, weniger fähig sind, über das zu urteilen, was wahrhaft göttlich ist. Und daß einer, der weniger gesehen, aber mehr gedacht hat, sich zu denken vermöchte, daß eine pomphafte Parade weltlicher Größe nicht das sei, was einem Gründer einer geisti.gen Religion am meisten anstünde, da sie ja bestimmt war, die Menschen der Welt zu entwöhnen und sie über sie zu erheben. Cri. Glauben Sie, Lysicles, daß es eine göttlichere Erscheinung wäre und ihr mehr wahre Größe zukäme, wenn jemand seinen Einzug in London in reichen Kleidern mit hundert vergoldeten Kutschen und tausend betreßten Dienern hielte, als wenn er die Macht hätte, mit einem Wort alle Arten von Krankheiten zu heilen, die Toten aufzuerwecken und das Toben von Wind und Meer zu stillen? Lysicl. Ohne Zweifel muß es mit dem gesunden Menschenverstand durchaus verträglich sein, daß der anderer Leben wiederherstellen konnte, der sein eigenes nicht erhalten konnte! Sie erzählen uns ja, daß er wieder von den Toten auferstanden ist; aber welchen Anlaß hatte er zu sterben, der Gerechte für die Ungerechten, der Sohn Gottes für böse Menschen? Und warum . gerade an diesem Ort? Warum gerade zu der Zeit und zu keiner anderen? Warum erschien er nicht früher und predigte in allen Teilen der
Vorurteile gegen die Fleischwerdung des GotteBBohns.
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Welt, damit der Segen mehr [und gleichmäßigerpso) ausgebreitet sein könnte? Erklären Sie alle diese Schwierigkeiten und vereinen Sie das, wenn Sie können, mit den sonstigen Vorstellungen und dem klaren Verstande der Menschen. Cri. Und wie nun, wenn diese Punkte, wie viele andere auch, außerhalb des Weges lägen, der uns bekannt ist, müssen wir sie deshalb tadeln und uns zur Regel machen, jedes Vorgehen als sinnlos zu verurteilen, daa nicht mit dem gewöhnlichen Verstande des Menschen übereinstimmt? [Das, was augenscheinlich· Verstand und Vernunft widerspricht, haben Sie sicherlich das Recht nicht zu glauben. Und wenn Sie ungerecht behandelt werden, so haben Sie das gleiche Recht, sich zu beklagen. Aber ich meine, Sie sollten zwischen Verpflichtung und Gunstbezeugung unterscheiden. So wird es bei allem Verkehr zwischen Mensch und Mensch gehalten. Da wird nie auf Handlungen bloßen Wohlwollens bestanden, und sie werden nicht mit demselben genauen Maß gemessen, wie Rechtssachen. Wer anders als ein K1'einer Philosoph würde bei einer freiwilligen Gunstbezeugung fragen: warum jetzt und nicht vorher? Warum diesen Personen und nicht anderen? Die natürlichen F"ähigkeiten und Möglichkeiten der Menschenrasse sind verschieden. Welch großer Unterschied im Hinblick auf das Naturrecht zwischen einem unserer Ackerbauern und einem Kleinen Philosophen! Zwischen einem Lappländer und einem Athener! Das Verhalten also, das Ihnen parteiisch und ungleich erscheint, kann man geradeso gut bei der Austeiilung der natürlichen Religion wie der offenbarten finden. Und wenn das so ist, so überlasse ich es übrigens Ihnen zu erklären, warum man daraus gegen die eine einen größeren Einwand erheben sollte als gegen die andere.]831 ) Wenn die Vorschriften und gewisse Grundsätze der Religion in den Augen der Vernunft gut und nützlich erscheinen; und wenn sie durch ihre Wirkungen auch als solche · befunden worden sind, so können wir um ihretwillen gewisse andere Behauptungen oder Lehren, die gleichzeitig mit ihnen, als einem guten Zwecke dienend, als richtig und wahr empfohlen sind, hinnehmen, wenn wir auch ihre Güte oder Wahrheit nicht mit dem bloßen Licht menschlieher Vernunft erkennen können, die man ja aber auch für einen unzureichenden Richter
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Der eecbste Dialog.
ffir das Vorgehen, die Pläne und Absichten der Vorsehung hlllten darf. Und das genügt, unsere Oberzeugung vernünftig au machen.
§ 16. Die Ullke11Dtnlli der rGttllehen Leitung ist eine Quelle Ton Schwierigkeiten. Es wird allgemein zugegeben, daß kein Mensch über diese oder jene Teile einer Maschine urteilen kann, ohne das Ganze, die gegenseitige Beziehung oder Abhängigkeit seiner Teile, und den Zweck, zu dem es gemacht wurde, zu kennen. Und da das nun für körperliche und natürliche Dinge anerkannt ist, sollten wir da nicht aus dem gleichen Grunde unser Urteil über einen einzelnen, unerklärlichen Teil der göttlichen Leitung zurückstellen, bis uns das Moralsystem, oder die Welt der Geister, mehr bekannt ist, und wir in die Absichten der göttlichen Vorsehung eingeführt sind und einen ausgedehnten überblick über Gottes vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Walten haben? Ach, Lysicles, was wissen Sie denn von sich selbst, woher Sie kommen, was Sie sind, und wohin Sie gehen? Mir kommt ein Kleiner Philosoph wie ein eingebildeter Zuschauer vor, der niemals hinter die Szene geblickt hat und doch über die Maschinerie urteilen wollte; der nur nach dem raschen Vorübereilen eines Teiles irgend einer Szene es schon auf sich nehmen würde, den Knoten des Stückes zu beurteilen. Lysicl. Was den Knoten betrifft, so will ich das nicht sagen; aber aus einer halben Szene kann einer schon einen törichten Schauspieler beurteilen. Mit welchem Schein des Rechts oder unter welchem Vorwand können Sie das rachsüchtige, trotzige und mürrische Benehmen einiger inspirierter Lehrer oder Propheten rechtfertigen? Einzelheiten, die weder dem Nutzen, noch dem Vergnügen dienen, bemühe ich mich zu vergessen; aber im allgemeinen entsinne ich mich· recht gut der Berechtigung dieses Angriffs. Cri. Sie brauchen sich keine Mühe zu geben, ·etwas zu beweisen, was ich weder rechtfertigen, noch leugnen werde. Daß es menschliche Leidenschaften, Schwachheiten und Mängel in von Gott inspirierten Personen gegeben hat, gebe ich offen zu; ja, daß sehr böse Menschen inspiriert gewesen sind, wie
Die Unkenntnis der gö~tlichen Leitung ist eine Quelle usw. 995
zum Beispiel Ba.Jaa.m 881) und Caiaphas 888), kann nicht geleugnet werden. Aber was wollen Sie daraus schließen? Können Sie es als unmöglich dartun, daß ein schwacher oder sündiger :Mensch ein Werkzeug des Geistes Gottes werden kann, um seine Absichten anderen Sündern mitzuteilen, oder daß das göttliche Licht nicht geradeso gut wie das Sonnenlicht auf ein faules Gefäß scheinen kann, ohne seine Strahlen zu beflecken? Lysicl. Um kurzen Prozeß zu machen, würde der rechte Weg der sein, unser Augenlicht auszulöschen und überhaupt nicht zu urteilen. Cri. Das sage ich nicht; aber ich meine, daß es richtig wäre, wenn gewisse sanguinische Leute in gewissen Dingen ihr Urteil prüften. Al c. Aber gerade das, was inspiriert sein soll, ist oft, wenn man es an sich und seinem eigenen Wesen nach betrachtet, so falsch, um mich nicht schärfer auszudrücken, daß. es jeder auf den ersten Blick hin für nicht-göttlich erklären kann, ohne daß er sich wegen des Systems der Vorsehung oder der Verknüpfung der Ereignisse den Kopf schwer macht. Wie man auch sagen kann, daß Gras grün ist, ohne zu wissen oder daran zu denken, wie es wächst, welchen Zwecken es dient,· oder wie es mit dem Weltsystem verknüpft ist. So ist zum Beispiel das Verderben der Ägypters 3') und die Ausrottung der Canaaniter 835), wie jeder beim ersten Blick sieht, grausam und ungerecht und kann deshalb ohne Überlegung als Gottes unwürdig erklärt werden. Cri. Aber ist es denn nicht wohl am Platze, Alciphron, wenn man über diese Dinge richtig urteilen wili, zu bedenken, wie lange die Israeliten unter jenen strengen Vögten Ägyptens gearbeitet hatten, welche Beleidigungen und Bedrückungen sie durch diese erduldet hatten, welcher Verbrechen die Canaaniter sich schuldig gemacht hatten, und was für ein Recht Gott zusteht, über die Dinge dieser Welt zu verfügen, Übeltäter zu bestrafen und die Art und die Werkzeuge seiner Gerechtigkeit zu bestimmen? Der Mensch, der nicht ein solches Recht über seine Mitgeschöpfe hat, der selbst gleich ihnen ein Sünder ist, der zu Irrtum und Leidenschaft neigt, dessen Einsichten unvollkommen sind, der mehr durch Vorurteile als durch die Wahrheit der Dinge regiert wird, kann
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Der sechste Dialog.
sich leicht täuschen, wenn er sich zum Richter über . die Schritte des heiligen, allweisen und unverletzlichen Schöpfers und Hüters aller Dinge aufwirft. § 17. Dje Weisheit Gottes ist dem Menschen Torheit. Ale. Glauben Sie mir, Crito, die Menschen sind nie so darauf aus, sich zu täuschen, als wenn sie sich an die Verteidigung ihrer Vorurteile heranmachen. Sie möchten uns gern jede Anwendung unserer Vernunft ausreden. Kann es etwas Unvernünftigeres geben? Uns verbieten, über das göttliche Walten logische Betrachtungen anzustellen, heißt annehmen, daß dies den Maßstab der Vernunft nicht verträgt; oder mit anderen Worten, daß Gott vernunftlos handelt, was man nicht annehmen sollte. Nein, auch nicht in einem einzigen Fall. Denn wenn das erst in einem Falle geschieht, warum dann nicht auch in einem anderen? Wer also einen Gott zugibt, der muß auch zugeben, daß er immer vernünftig handelt. Ich wiH ihm daher nicht Handlungen und Maßnahmen zuschreiben, die unvernünftig sind. Er hat mir Vernunft gegeben, um mit ihr zu urteilen, und mit Hilfe dieses untrüglichen Lichtes, das sich an der allgemeinen Leuchte der Natur entzündet hat, will ich urteilen. Cri. 0, Alciphron! Da ich freimütig die Redensart als wahr zugebe, nämlich daß, wenn einer gegen die Vernunft ist, es ein schlimmes Zeichen dafür ist, daß die Vernunft gegen ihn ist, so würde ich niemals versuchen, jemandem davon abzuraten, noch viel weniger aber, jema.ndem, der ihren Wert durch die Anwendung dieser edlen Fähigkeit so gut kennt. Im Gegenteil sollte meiner Meinung nach jeder seine Vernunft bei allen wichtigen Fragen anwenden. Dann aber ist es vielleicht nicht verfehlt, sich zu überlegen, ob es nicht vernünftig sein kann, sie mit Unterwerfung unter eine höhere Vernunft zu gebrauchen. [Wer eine genaue Kenntnis des Maßes und des zu messenden Dinges besitzt, der kann, wie ich zugebe, genau messen, wenn er das eine auf das andere anwendet. Aber wer zu messen unternimmt, ohne auch nur eines von beiden zu kennen, dessen Genauigkeit muß seiner Bescheidenheit entsprechen. Trotzdem mag
Die Weisheit Gottes ist dem Menschen Torheit.
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es nicht unmöglich sein, jemanden zu finden, der, obgleich er weder eine abstrakte Idee von .dem moralisch Geeigneten, noch eine adäquate Idee von der göttlichen Leitung hat, doch das eine durch das andere messen will.]B 3•) Ale. Es muß sicherlich der Weisheit Gottes Abbruch tun, wenn man annimmt, daß sein Verhalten eine Prüfung nicht verträgt, selbst nicht mittels des Zwielichts menschlicher Vernunft. Euphr. Sie erkennen also Gott als weise an? Ale. Ja. ·Euphr. Wie! Unendlich weise? Ale. Sogar unendlich. Euphr. Seine Weisheit übertrifft also die menschliche bei weitem? Ale. Weit. Euphr. Wahrscheinlich mehr als die Weisheit eines Mannes die eines Kindes? Ale: Fraglos. Euphr. Was meinen Sie, Alciphron, muß das Verhalten von Vater oder Mutter einem Kinde nicht sehr unerklärlich erscheinen, wenn seine Neigungen durchkreuzt werden, wenn es zum Erlernen der Buchstaben angehalten wird, wenn es gezwungen wird, bittere Arznei zu schlucken, sich von dem, was es liebt, zu trennen, viel-es zu dulden, zu tun und zu sehen, was seinem eigenen Urteile zuwiderläuft, wie vernünftig und angemessen es auch für andere sein mag? Ale. Das gebe ich zu. Euphr. Folgt deshalb nicht aus demselben Grunde, daß das kleine Kind, nämlich der Mensch, wenn er sich die Aufgabe stellt, über die Pläne der väterlichen Vorsehung zu urteilen und als ein „ Wesen von gestern" an der Leitung des „Alten"SS7) der Tage Kritik zu üben, folgt nicht, sage ich, daß solch ein Richter in Blehen Dingen zu sehr irrtümlichen Urteilen neigen muß? Denn er hält ja die Dinge, die er nicht erklären kann, fiix an sich unerklärlich, und auch darum, weil er auf Grund einiger Punkte und auf Grund des Anscheins seltsamen Verhaltens ihm gegenüber, das doch seiner Kindlichkeit und Unwissenheit angepaßt ist.• den Schluß zieht, daß sie an sich launisch und unsinnig seien und nicht von einem weisen, gerechten und wohlwoHenden
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Gotte herrühren könnten. Diese einfache Betrachtung würde, wenn man ihr die gebührende Aufmerksamkeit schenkte, vielen törichten Schlüssen gegen eine offenbarte Religion ein Ende machen, wie ich wahrlich glaube. Ale. Sie möchten also, wir sollten schließen, daß die Dinge, die für unsere Weisheit unerklärlich sind, trotzdem aus einem Abgrund von Weisheit hervorgehen können, den wir auszumessen nicht imstande sind; und daß Landschaften, die bloß teilweise durch das gebrochene, trübe Licht unseres Intellekts gesehen werden, auch wenn sie uns unproportioniert und ungeheuerlich erscheinen, trotzdem anderen Augen in anderer Lage ganz anders erseheinen können? Mit einem Worte, daß eben.so, wie menschliche Weisheit im Hinblick auf die göttliche nur kindische Torheit ist, dem Menschen die Weisheit Gottes manchmal als Torheit erscheinen kann? § 18. Die Vernunft ist keine blinde Fiihrerlu. Euphr. Ich möchte Sie nicht eher diese Schlüsse ziehen lassen, als bis Sie sie aus Vernunftgründen ziehen müssen. Aber wenn sie vernünftig sind, warum sollten Sie sie dann nicht ziehen? A 1c, Manches kann zu einer Zeit vernünftig scheinen und zu einer anderen nic,ht. Ich meine, daß gerade diese Verteidigung der Leichtgläubigkeit und des Aberglaubens dazu gehört. Wenn ich die SaC'he von ihren Voraussetzungen aus betrachte, so scheint alles ganz natürlich aus richtigen Zugeständnissen zu folgen. Aber wenn ich die Folgen bedenke, so kann ich nicht zustimmen. Der Mensch könnte ebenso gut seine NaWi- aufgeben wie der Anwendung der Vernunft entsagen. Eine Lehre ist unerklärlich, also muß sie göttlich sein! Euphr. Leichtgläubigkeit und Aberglaube sind Eigenschaften, die der menschlichen Natur so widersprechen und sie so herabwürdigen, sind so sicher nur eine Wirkung der Schwachheit und so häufig nur eine Ursache des Bösen, daß ich sehr erstaunt wäre, eine richtige Schlußkette dahin führen zu sehen. Ich kann nie und nimmer glauben, daß die Vernunft eine blinde Führerin zur Torheit ist, oder daß es eine
Die Nützlichkeit der göttlichen Offenbarung.
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Verknüpfung zwischen Wahrheit und Falschheit gibt, ebenso wenig wie ich glauben kann, da.ll darum~ wen etwas -unerklärlich ist, dies ein Beweis seiner Göttlichkeit sei. Obgleich ich gleichzeitig nicht anzuerkennen umhin kann, daß aus Ihren eigenen gebilligten Prinzipien folgt, daß, wenn etwas unerklärlich oder für unsere Vernunft unbegreiflich ist, dies kein sicherer Beweis dafür ist, bereits auf seine Nichtgöttlichkeit schließen zu müSsen; besonders wenn es mittelbare Beweise für jene gibt. Ein Kind wrrd durch die vielen fühlbaren Wirkungen väterlicher Liebe· und Sorgfalt und größerer Weisheit beeinflußt, manches mit einfältigem Glauben und Gehorsam für wahr zu halten und zu tun; und wenn wir ebenso durch die Wahrheit und die Sinnvolligkeit, die wir in so vielem innerhalb des Bereiches· unserer Kenntnisse sehen, und durch die Vorteile, die der auf guten Boden gesäte Samen des Evangeliums uns zeigt, zu einem schlichten Glauben an gewisse andere Lehren geneigt wären, die sich auf Pläne beziehen, die wir nicht kennen, oder auf Gegenstände, denen uusere Fähigkeiten vielleicht nicht gewachsen sind, so möchte ich doch glauben, daß das unserer Pflicht wohl anstehen würde, ohne unsere Vernunft in Unehre zu bringen. Sie gerät nie so in Unehre, wie wenn ihr Wirken vereitelt wird, und dies ist nie mehr in Gefahr vereitelt zu werden, als wenn da geurteHt. wird, wo es weder ein Mittel noch ein Recht zu urteilen gibt. Lysicl. Ich möchte viel darum geben, den klugen Spötter Glaucussse) eines Abends in unserem Klub Euphranor behandeln zu sehen. Ich gebe zu, in einigen seiner Anschauungen ist er mir zu hoch. Aber er ist doch wundervoll mit seiner Verteidigung der menschlichen Vernunft gegen die Betrügereien durch Priesterlist.
§ 19. Die Nlltzlichkelt der göttlichen Offenbarung.
Ale. Er würde sich daran machen, es so klar, wie er nur kann, zu beweisen, daß an dem ganzen Christentum nichts anderes auch nur einen Pfifferling wert se~ als was jedermann wußte, oder mit, wie ohne Christentum. wissen könnte, ebenso gut vor der Zeit Jesu Christi, wie seitdem.
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Der sechste Dialog.
Cri. Dieser große Mann lehrt, wie es scheint, daß der gesunde Menschenverstand allein der Polarstern sei, .nach dem sich die Menschheit richten sollte, und daß das, was Offenbarung genannt wird, lächerlich sein muß, weil es unnötig und nutzlos ist, weil die natürlichen F"ähigkeiten jedes Menschen genügend sind, ihn ohne weitere Mitteilung vom· Himmel als sein Licht und sein Beistand glücklich, gut und weise zu machen. Euphr. Ich habe schon gesagt, wie sehr ich mir bewußt bin, daß meine Lage in diesem dunklen Winkel des Landes mich mancher Vorteile beraubt, wie man sie durch die Unterhaltung. mit klugen Männern in der Stadt genießen kann. Um mir einigen Ersatz zu verschaffen, bin ich gezwungen, mich mit den Toten und mit meinen eigenen Gedanken zu unterreden, die, wie ich nun weiß, geringes Gewicht gegen die Autorität des Gla.ucus oder ähnlicher großer Männer unter den Kleinen Philosophen haben. Aber was sollen wir zu SocratesS39 ) sagen 1 Denn auch er war einer Meinung, die sehr verschieden von der war, die dem Glaucus zugeschrieben wird. Ale. Augenblicklich brauchen wir nicht auf Autoritäten zu bestehen, weder auf den alten, noch auf den modernen, brauchen auch nicht zu fragen, wer größer war, Socrat.es oder Glaucus. Trotzdem dünkt mich, soweit der Autorität Bedeutung zukommt, daß die Gegenwart auf lange Zeiten und Erfahrungen zurückblicken kann und so einen deutlichen Vorzug vor den Zeiten hat, die fälschlich „alt" genannt werden " 0). Aber, um nicht bei den Autoritäten zu bleiben, sage ich Ihnen auf gut Englisch, Euphranor, daß wir Ihre Offenbarungen nicht brauchen, und zwar aus folgendem einsichtigen Grunde, nämlich weH die, die klar sind, jedermann schon vorher kannte, und die, die dunkel sind, niemanden bessern. Euphr. [Da. es möglich ist, daß jemand an die praktischen Prinzipien der christlichen Religion glaubt, ohne dadurch besser zu werden, so ist es klar, daß diese Prinzipien viel leichter als Glaubenssachen gelehrt, denn daß sie als Sätze der Wissenschaft bewiesen und aufgedeckt werden. Das nenne ich klar, wen es eine einfache Tatsache ist; da wir ja. täglich sehen, daß zwar viele in Glaubenssachen be-
Die Nützlichkeit der göttlichen Offenbarung.
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wandert sind, daß aber wenige durch wissenschaftlichen Beweis belehrt werden, und daß es noch weniger Menschen gibt, die die Wahrheit allein entdecken können. Wenn doch nur die Kleinen Philosophen einmal darüber nachdächten, wie selten die Menschen durch Vernunftschlüsse regiert und geleitet werden, wie oft dagegen durch Glauben in den natürlichen alltäglichen Beziehungen der Welt! Wie wenig sie wissen, und wieviel sie glauben! Wie ungewöhnlich ist es, jemand anzutreffen, der richtig denkt, der in Wahrheit ein Meister der Vernunft ist oder sich nach dieser Regel verhält! Um wie vieles sind die Menschen besser befähigt (wie die Welt nun einmaF ist), über Tatsachen zu urteilen als über theoretische Schlußfolgerungen; die Wahrheit auf ein Zeugnis hinzunehmen als sie aus Prinzipien abzuleiten! Wie allgemein herrscht der Geist des Zutrauens und des Vertrauens im ganzen Bereich des Lebens und der Ansichten! Und wie selten wird doch gleichzeitig dem kalten Licht der unvoreingenommenen Natur gefolgt, oder wie selten kann man es überhaupt auch nur finden! Ich sage, überlegten sich unsere Denker diese Dinge nur einmal, dann würden sie es vielleicht schwer finden, einen guten Grund dafür anzugeben, warum der Glaube, der an aHem anderen so großen Anteil hat, doch keinen an der Religion haben sollte. Aber um auf Ihre Sache zurückzukommen.]m) Ob es den Menschen möglich war, alle Teile der christlichen Religion außer den Mysterien und tatsächlichen Einrichtungen von sich aus kennen gelernt zu haben, ist nicht unsere Frage. Und daß sie sie tatsächlich nicht kannten, liegt zu sehr auf der Hand, als daß es geleugnet werden könnte. Das war vielleicht da.rum der Fall, weil sie keinen gebührenden Gebrauch von ihrer Vernunft machten. Aber was die Nützlichkeit der Offenbarung anlangt, so scheint es ziemlich dasselbe zu sein, ob sie die offenbarten Lehren nicht wissen konnten oder sich nicht die Mühe gaben, sie kennen zu lernen. Und was die Lehren anbelangt, die zu dunkel waren, als daß sie mit natürlicher Vernunft in sie eindringen, oder zu erhaben, als daß sie zu ihnen gelangen konnten, so kann die Menschheit durch sie um so vieles besser werden, daß es mehr ist, al8 selbst Sie oder Glaucus darlegen können, wie ich beinahe gesagt hätte.
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§ 20. Woher die Dunkelheit der WeiHagwigen kommt.
Ale. Aber was auch immer über dunkle Lehren und das göttliche Walten behauptet werden mag, so hat das doch alles nichts mit den Prophezeiungen zu tun. Sie alle beziehen sich auf die Menschheit und die Ereignisse dieser Welt, denen unsere Fähigkeiten sicher genügend angepaßt sind, und so sollte man erwarten, daß sie sehr klar und derart wären, daß sie uns belehrten, anstatt uns zu verwirren. Euphr. Und doch muß zugegeben werden, daß einige Weissagungen klar sind, andere dagegen sehr dunkel; aber wenn ich mir selbst überlassen geblieben wäre, so glaube ich, daß ich nie daraus geschlossen haben würde, daß sie nicht göttlich seien. In meinem Gedankengang würde ich zu dem Schlusse geneigt haben, daß die Prophezeiungen, die wir verstehen, ein Beweis für die Inspiration sind; aber daß die, die wir nicht verstehen, kein Beweis dagegen sind. Da nämlich letzteres durch unsere Unwissenheit oder durch die Zurückhaltung des heiligen Geistes erklärt werden kann; das andere aber kann, soviel ich zu sehen vermag, durch nichts als Inspiration erklärt werden. Ale. Nun kenne ich einige scharfsinnige Männers't), die Schlüsse ziehen, die von den Ihren sehr abweichen, und die behaupten, daß die eine Art von Prophezeiungen Unsinn,· und die andere nach den Ereignissen erfunden worden sei. Da sehen Sie nun den Unterschied zwischen einem Manne des freien Gedankens und einem mit engen Prinzipien! Euphr. Es sieht so aus, als ob Sie die Offenbarungen zurückweisen, weil sie dunkel sind, und die Prophezeiungen Danielsm), weil sie klar sind. Ale. In beiden Fällen findet ein Verständiger Anlaß zu der Annahme, daß da irgend etwas verdächtig sei. Euphr. Ihre verständigen Leute sind, wie es scheint, schwer zu befriedigen. Ale. Unsere Philosophen sind Männer mit durchdringenden Augen. Euphr. Ich vermute, daß Ihre Leute sich niemals nach klaren Einsichten klare Urteile bilden, sondern von vornherein feststehende Schlußfolgerungen bei ihrer gründlichen Unter-
Woher die Dunkelheit der Weill1agungen kommt.
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suchung anwenden. Was mich betrifft, so kann ich mich nicht mit jemand einlassen, der diese Dinge so genau geprüft hat, wie man es von Ihnen annehmen kann; aber ich könnte einige hervorragende Schriftsteller von uns namhaft machen, die jetzt leben, und deren Bücher über die Weissagungen Männern Befriedigung gewährt haben, die hierzulande als verständig und gelehrt angesehen werden au.). Ale. Sie müssen wiBBen, Euphranor, daß ich nicht die Muße habe, die gelehrten Schriften der Theologen über einen Gegenstand, den jeder mit flüchtigem Blick durchschauen kann, durchzulesen. Mir genügt es, daß die Sache seltsam ist und abseits vom natürlichen Wege liegt. Im übrigen überlasse ich es anderen, sich zu streiten und unter sich auszumachen, wann genau die Zeit anzusetzen ist, wo das Zepter Juda genommen wurde~), oder ob wir in Danielss&e) Prophezeiung über den MeBSias nach chaldäischen oder Julianischen JahrenH 7) rechnen sollten. Mein einziger Schluß über alle derartigen Dinge ist, daß ich mich nie darum kümmern werde. Euphr. Zu einem so außerordentlichen Genius, der die Dinge schon mit flüchtigem Blick sieht, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Aber von der übrigen Menschheit würde man es sehr voreilig finden, wenn sie ohne gründliche und genaue Untersuchung über die unsicheren Grundlagen einer Frage Schlüsse zöge, die ihr wichtigstes Interesse angeht. Ale. Merken Sie wohl: Ein wahres Genie macht bei der Suche nach Wahrheit auf den Flügeln allgemeiner Grundsätze schnelle Fortschritte, wogegen kleine Geister in nichtigen Einzelheiten herumkriechen und -krabbeln. Ich stelle es als sichere Wahrheit fest, daß einer mit den trügerischen Künsten der Logik und Kritik durch Pressen und Vergewaltigen, Bemänteln, Verbessern und Unterscheiden alles rechtfertigen und herausbringen kann; und diese Feststellung nebst einigen Einsichten über das Vorurteil erspart mir eine Unsumme Mühe. Euphr. Alciphron, der Sie erhaben auf starken und freien Anschauungen schweben, geruhen Sie, denen Ihre hilfreiche Hand zu bieten, die Sie im Vogelleim des Vorurteils gefangen sehen. Ich für mein Teil halte die Annahme für durchaus möglich, daß die Weissagungen göttlich sind, wenn
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Der sechste Dialog.
auch nach so langer Zeit in den Daten oder_ der Länge der Jahre eine Dunkelheit vorliegen mag. Sie selbst geben Offenbarungen als möglich zu. Und wenn man das zugibt, so kann man sehr leicht einsehen, daß sie seltsam und abseits vom natürlichen Wege liegen können. Ich kann ohne Erstaunen in der Heiligen Schrift verschiedene Prophezeiungen finden, deren ·Erfüllung ich nicht sehe, verschiedene Texte, die ic~ nicht verstehe, verschiedene Geheimnisse, die über mein B&greifen gehen, und Wege Gottes, die mir unerklärlich sind. Warum können sich nicht einige Prophezeiungen auf Teilt1 der Geschichte beziehen, die mir nicht genügend bekannt sind, oder auf Ereignisse, die noch nicht eingetreten sind'?. Mir scheint, daß Prophezeiungen, die dem Hörer oder selbst dem Sprecher nicht ganz aufgegangen sind, sich später verwirklicht haben und während des Ereignisses verstanden worden sind. Und es ist einer meiner Grundsätze, daß das, „was gewesen ist, auch sein kann". Obgleich ich mir die Augen reibe und mein Bestes tue, um mich vom Vorurteil zu befreien, so scheint es mir doch sehr möglich, daß das, was ich nicht verstahe, ein schärfer denkender, aufmerksamerer oder gelehrterer Mann verstehen kann. Wenigstens ist soviel klar: Die Schwierigkeit einiger Lehren und einiger. Stellen hindert nicht die Klarheit anderer; und von denjenigen Teilen der Schrift, die wir nicht auslegen können, sind wir nicht verpflichtet, den Sinn zu kennen. Was ist das weiter für ein übel oder eine Unbequemlichkeit, wenn wir nicht begreifen können, was wir zu begreifen nicht verpflichtet sind; oder wenn wir die Dinge nicht erklären können, die zu erklären uns nicht obliegt? Schriften, die zu einer Zeit oder von einer Person nicht verstanden worden sind, können zu einer anderen Zeit oder von anderen Personen verstanden werden. Können wir nicht auf das Vergangene zurückblickend einen Fortschritt vom Dunkleren zum Helleren im Erkennen der göttlichen Fürsorge für den Menschen feststellen? Und können nicht zukünftige Ereignisse solche Fragen aufklären, die jetzt noch ein Prüfstein für den Glauben der Menschen sind? Ich kann nicht umhin zu denken (das ist nun entweder die Kraft der Wahrheit oder des Vorurteils), daß hierbei nichts gepreßt oder vergewalti.gt ist, und nichts, was anzunehmen unvernünftig und unnatürlich sei.
Die Zeitangaben der östlichen Völker sind älter usw.
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§ 21. Die Zeitangaben der Ustllchen VUlker sind lllter als die mosaischen.
Ale. Schön, Euphranor, ich will Ihnen hilfreich meine Hand bieten, da Sie es wünschen; aber ich halte es für angemessen, meine Methode zu ändern. Denn Sie müssen wissen, daß die Hauptsätze des christlichen Glaubens so früh eingeprägt und durch Kindermädchen, Lehrer und Priester so oft eingeschärft worden sind, daß, wenn auch die Beweise noch so klar liegen, es dennoch eine schwierige Aufgabe bleibt, einen so getrübten und befleckten Verstand dadurch zu überzeugen, daß man gegen die offenbarte Religion aus ihren inneren Eigenschaften hergenommene Gegengründe vorbringt. Ich wiH mich also daran machen, die Dinge in einem anderen Lichte zu betrachten und Ihre Religion auf gewisse äußere Eigenschaften und Umstände hin zu prüfen, indem ich das System der Offenbarung mit gleichzeitigen Berichten alter heidnischer Schriftsteller vergleiche und zeige, wie schlecht es mit ihnen übereinstimmt. Hören Sie also, daß dann, wenn die christliche Offenbarung die jüdische voraussetzt, daraus folgt, daß, falls die jüdische zerstört würde, die christliche natürlich auch fallen gelassen werden müßte. Um nun kurzen Prozeß zu machen, werde ich diese jüdische Offenbarung in ihrem Kern angreifen. Sagen Sie mir, sind wir nicht verpflichtet, wenn wir an den mosaischen Bericht der Geschehnisse glauben, auch zu glauben, daß die Welt vor nicht ganz sechstausend Jahren geschaffen worden ist? Euphr. Ich gebe zu, daß wir das müssen. Ale. Was werden Sie nun dazu sagen, wenn andere alte Urkunden die Geschichte der Welt bis viele tausend Jahre vor dieser Periode zurückverfolgen? Wie steht's damit, wenn die Ägypter und Chinesen Erzählungen haben, die sich auf dreißig- oder vierzigtausend Jahre erstrecken? Wenn das erstere dieser beiden Völker zwölfhundert Sonnenfinsternisse während eines Zeitraums von achtundvierzigtausend Jahre11 vor der Zeit. Alexanders des Großen beobachtet hat? Wenn auch die Chinesen Beobachtungen haben, die früher sind als der jüdische Schöpfungsbericht? Wenn die Chaldäer mehr als vierhunderttausend Jahre lang die Sterne beobachtet hät-
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ten? Und was soll'en wir dazu sagen, wenn wir Reihenfolgen von Königen und deren Regierungen haben, die mehrere tausend Jahre vor dem durch Moses bezeichneten Beginn der Welt aufgezeichnet sind? Sollen wir die Berichte und Urkunden aller anderen Völker, der berühmtesten, ältesten und gelehrtesten der Welt, zurückweisen und eine blinde Verehrung für den Gesetzgeber der Juden bewahren? Euphr. Und wie, bitte, wenn sie es verdienten, zurückgewiesen zu werden, warum sollten wir sie dann nicht zurückweisen 7 Wie, wenn diese ungeheuren Chronologien nichts als Namen enthalten ohne Taten und bezeugte Geschichten? Wie, wenn diese angeblichen Beobachtungen der Ägypter und Chaldäer den alten Astronomen unbekannt, oder von ihnen unbeachtet geblieben wären? Wie, wenn die Jesuiten die Widerspruchshaftigkeit ähnlicher chinesischer Behauptungen mit der Wahrheit der Ephemeridens") gezeigt haben? Wie, wenn die ältesten chinesischen Beobachtungen, die authentisch sein sollen, die der beiden Fixsterne sind, von denen der eine zur Wintersonnenwende, der andere zur Zeit der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche in der Zeit der Regierung des Königs Yaom), die nach der Flut war, zu sehen waren?*) Ale. Sie müssen mir die Bemerkung erlauben, daß die römischen Missionare in diesem Punkte wenig Glauben verdienen. Euphr. Aber welche Kenntnis haben wir, oder können wir von jenen chinesischen Geschehnissen haben außer durch sie? Dieselben Personen, die uns von diesen Berichten erzählen, lehnen sie auch ab. Wenn wir ihre Autorit.ät in einem Falle zurückweisen, welches Recht haben wir dann, uns in einem anderen Falle darauf zu verlassen? Al c. Wenn ich bedenke, daß die Chinesen Annalen über mehr als vierzigtausend Jahre haben, und daß sie ein gelehrtes, kluges, scharfsinniges und sehr wißbegieriges Volk sind, Künsten und Wissenschaften ergeben, so muß ich gestehen, daß ich nicht umhin kann, ihren Zeitbestimmungen einige Beachtung zu schenken. Euphr. Welchen Vorteil ihnen ihre Lage und ihre politischen Grundsätze auch gewährt haben mögen, so erscheinen *) Bianchini,•llO) Hiator. Univers., cap. 17.
Die Zeitangaben der östlichen Völker sind älter usw.
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sie auf dem Gebiete der Wissenschaft doch nicht so gelehrt und scharfsinnig wie die Europäer. Der allgemeine Charakter der Chinesen ist, wenn wir TrigaltiusS51) und anderen Schriftstellern Glauben schenken dürfen, der, daß sie Menschen mit einer spielerischen, leichtgläubigen Wißbegierde sind, die sich der Nachforschung nach dem Stein der Weisen ergeben haben, der Erforschung einer Medizin, die die Menschen unsterblich machen soll, der Astrologie, der Wahrsagerkunst und Weissagungen aller Art. Ihre Unkenntnis der Natur und Mathematik geht deutlich aus dem großen Erfolge hervor, den die J"esuiten auf diesem Gebiete der Erkenntnis bei ihnen haben. Aber was sollen wir von jenen außergewöhnlichen Annalen halten, wenn die Chinesen selbst nicht für längere Zeit als bis zu dreitausend Jahren vor Jesus Christus Zutrauen zu ihnen haben? Wenn sie nicht behaupten, vor mehr als viertausend Jahren mit einer Geschichtschreibung begonnen zu haben? Und wenn die ältesten Bücher, die sie jetzt gegenwärtig in verständlicher Schrift besitzen, nicM über zweitausend Jahre alt sind? Man sollte meinen, daß ein Mann von Ihrer Geistesschärfe, der so fähig ist, alles, was vom gewöhnlichen Weg der Natur abliegt, argwöhnisch zu betrachten, diese Annalen nicht ohne den klarsten Beweis als authentisch ansehen sollte, die so Seltsames bekunden wie zum Beispiel, daß die Sonne zehn Tage nicht unterging, und daß es drei Tage hintereinander Gold regnete. Sagen Sie mir, Alciphron, können Sie diese Dinge wirklich glauben, ohne zu untersuchen, auf welche Weise die Tradition erhalten worden, durch welche Hände sie gegangen ist, welche Aufnahme sie gefunden hat, und wer sie zuerst niederschrieb? Ale. Wenn ich auf die Chinesen und ihre Geschichte nicht eingehe, so wird es doch meiner Absicht ebenso gut dienen, auf die Autorität Manethoss5 t), des gelehrten ägyptischen Priesters, zu bauen, dem sich so glückliche Gelegenheit bot, die ältesten Berichte der Zeit zu untersuchen und in seine „Dynastien" die ehrwürdigsten und authentischsten Urkunden einzufügen, die sich auf den Säulen des Hermes 353) eingegraben finden. Euphr. Ach, bitte, Alciphron, wo waren denn diese chronologischen Säulen zu sehen? Ale. Im Seriadicalischen LandeS5').
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Euphr. Und wo ist dies Land? Ale. Ich weiß es nicht. Euphr. Wie wurden diese Urkunden so lange Jahre bis auf die Zeit dieses Hermes bewahrt, der der erste Erfinder der Buchstaben sein soU? Ale. Ich weiß nicht. Euphr. Behaupten irgend welche anderen Schrütsteller vor oder seit Manetho diese Säulen gesehen oder abgeschrieben oder etwas darüber erfahren zu haben? Ale. Nein, nicht daß ich wüßte. Euphr. Oder über den Ort, wo sie gestanden haben sollen? Ale. Wenn sie das taten, so ist das mehr, als ich weiß. Euphr. Stimmen die griechischen Schrütsteller, die nach Ägypten gingen und die ägyptischen Priester befragten, mit diesen Berichten des Manetho überein? A1c. Ich vermute, nein. Euphr. Folgt Diodorus355), der nach Manetho lebte, dem Manetho, zitiert er ihn, oder erwähnt er ihn wenigstens? Ale. Was wollen Sie aus all dem schließen? Euphr. Wenn ich Sie und Ihre Prinzipien nicht kennte und nicht wüßte, wie wachsam Sie überaU nach Betrug ausspähen, so würde ich schließen, daß Sie ein leichtgläubiger Mann seien. Denn wie kann man das anders als Leichtgläubigkeit nennen, wenn einer höchst unglaubwürdige Dinge auf eine höchst schwache Autorität hin glaubt, wie es doch die Fragmente eines dunklen Schriftstellers sind, der mit keinem anderen Historiker übereinstimmt, und der nur durch die dunkle Autorität der Hermischen Säulen gestützt wird, was man ihm aber auch nur auf sein bloßes Wort hin glauben kann? Und diese Fragmente enthalten so unwahrscheinliche Dinge wie die Thronfolge von Götbern und Halbgöttern für viele tausend Jahre, unter denen Vulcan allein neuntausend Jahre regiert haben soU. In diesen verehrungswürdigen „Dynastien" des Manetho steht wenig außer Namen und Zahlen; und doch begegnen wir in jenen wenigen Angaben sehr seltsamen Dingen, die bei einem anderen SchrütsteUer für romantisch angesehen würden. Zum Beispiel, daß der Nil an Honig überfloß, daß der Mond wuchs, daß ein Lamm redete, daß sieben Könige ebenso viele Tage hintereinander regierten,
Die Neigung der Ägypter, Assyrier, Chaldäer usw.
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nämlich jeder König einen Tag*). Wenn man von Ihnen weiß, Alciphron, daß Sie diesen Dingen Glauben schenken, so fürchte ich, daß Sie der Ehre verlustig gehen werden, für nicht leichtgläubig gehalten zu werden. Ale. Und doch sind diese lächerlichen Fragmente, als die Sie sie hinstellen möchten, der Mühe und des nächtlichen Fleißes sehr gelehrter Männer für wert gehalten worden. Wie können Sie es sich erklären, daß der große Joseph Scaliger und Sir lohn Marsham 3 57 ) Werke darüber verfassen? Euphr. Ich behaupte nicht, es richtig einschätzen zu können. Zu sehen, wie Scaliger eine andere julianische Periode hinzufügt, um für solches Zeug wie Manethos Dynastien Ra11m zu schaffen, und wir Sir John Marsham sich so viele geistige Arbeit macht, diese dunklen Fragmente zu stücken, zu flicken und nachzubessern, sie in Synchronismen einzureihen und zu versuchen, sie mit der heiligen Chronologie in Einklang zu bringen oder sie in sich selbst und im Vergleich zu anderen Berichten widerspruchslos zu machen, ist für mich sehr sonderbar und unerklärlich. Warum jene oder Eusebius 35R) oder Sie selbst oder irgend ein anderer Gelehrter denken müssen, daß diese Dinge eine Berücksichtigung verdienen, überlasse ich Ihnen zu erklären. § 22. Die Neigung der lgypter, .!BByrler, ChaldiLer und anderer Völker, ihr .!lter U.ber das wahrheitsgemUe zu vergrllßern, wird erkliirt.
Ale. Schließlich ist es nicht leicht einzusehen, was nicht nur Manetho, sondern auch die anderen ägyptischen Priester lange vor ihm, bewogen haben sollte, solche weittragenden Behauptungen über die Vorzeit aufzusteUen, die trotz aller Abweichungen voneinander doch darin übereinstimmen, daß sie die mosaische Geschichte umstoßen. Wie kann das erklärt werden, ohne eine wirkliche Begründung? Welche Aussicht auf Vergnügen, Nutzen oder Macht könnte die Menschen veranlassen, eine Liste alter Namen und einzelner Zeitabschnitte aufzustellen, die vor Beginn der Welt lägen? Euphr. Bitte, Alciphron, liegt denn etwas so Seltsames *) Seal., Can., !sag.•M), I., 2.
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Der sechste Dialog.
und Absonderliches in dieser eitlen Neigung, die Vorzeit der Völker über die wahre Zeit hinaus auszudehnen 7 Ist das nicht in den meisten Gegenden der Erde beobachtet worden 7 Zeigt eich das nicht selbst zu unserer Zeit, besonders bei den abhängigen und unterworfenen Völkern, die wenig haben, dessen sie sich rühmen könnten? Um andere unserer Mitbürger zu übergehen, die in dem Maße, als sie ihren Nachbarn an Reichtum und Macht unterlegen sind, sich auf eine weiter zurückreichende Vergangenheit berufen, will ich nur fragen, ob es nicht bekannt ist, daß die Behauptungen der Irländer in dieser Beziehung sehr übertrieben si.nd. Wenn ich mich auf mein Gedächtnis verlassen kann, so erwähnt O'Flaherty 969) in seiner „Ogygia" einige Abschrüten in Irland aus der Zeit vor der Flut. Dieselbe Neigung, aus der gleichen Ursache stammend, hat sich in Sizilien wirksam gezeigt, in einem Lande, das während einiger früherer Jahrhunderte der Herrschaft von Ausländern unterworfen war. Während dieser Zeit haben die Sizilianer verschiedene märchenhafte Berichte veröffentlicht, die sich auf den Ursprung und das ·Alter ihrer Städte bezogen, und in denen sie miteinander wetteiferten. F,s wird behauptet, daß es durch alte Inschriften, deren Existenz oder Autorität der der Hermischen Säulen gleich zu setzen ist, bewiesen sei, daß Palermo in den Tagen des Erzvaters Isaak durch eine Kolonie von Hebräern, Phöniziern und Syriern gegründet worden sei. Und daß ein Enkel des Esau Gouverneur eines Turmes gewesen sei, der schon zwei Jahrhunderte lang in jener Stadt stand*). Das Alter Messinas ist von einigen noch höher angesetzt worden, die uns glauben machen wollen, daß die Stadt durch Nimrod erweitert worden sei**). Die gleichen Behauptungen sind von Catania und anderen Städten dieser Insel aufgestellt worden, die ebenso glaubwürdige Schriftsteller wie Manetho zu ihrer Unterstützung gefunden haben. Nun möchte ich gern wissen, warum man von den Ägyptern, einem unterworfenen Volk, nicht ebensowohl annehmen kann, daß es aus dem gleichen Grunde märchenhafte Berichte erfunden und sich wie andere auf Grund übertriebener Behauptungen über sein Alter selbst *) Fazelli, Hist. Sicul., decad. I. lib. 8. '00) **) Reina, Notizie Istoriche di Messina.m)
Die Neigung der Ägypter, .A.asyrier, Chaldäer usw.
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hoch einschätzte, a.ls es in jeder anderen Hinsicht seinen Herren so sehr unterlegen war. Dies Volk war nacheinander von den Äthiopiern, Assyriern, Babyloniern, Persern und Griechen besiegt worden, ehe diese wundervollen Dynastien des Manetho und die Säulen des Hermes auftauchen; von den beiden ersten dieser Völker war es schon vor der Zeit des Solon besiegt, des ersten Griechen, von dem man weiß, daß er die ägyptischen Priester besucht hat. Deren Berichte waren aber so übertrieben, daß selbst die griechischen Geschichtsschreiber weit entfernt davon waren, ihnen völligen Glauben zu schenken, obgleich ihnen die Heilige Schrift unbekannt war. Als Herodot über ihre Autorität und ihren Glauben berichtet, meint er, daß die, denen solche Dinge glaubwürdig scheinen, sehen mögen, was sie damit anfangen können, während er für seine Person erklärt, daß er nur die Absicht hätte, niederzuschreiben, was er gehört*). Er und Diodorus sss) zeigen bei verschiedenen Anlässen das gleiche Mißtrauen gegen die Erzählungen jener ägyptischen Priester. Und was von den Ägyptern gesagt worden ist, gilt nicht weniger sicher von den Phöniziern, Assyriern und Chaldäern, die alle besiegte und heruntergekommene Völker waren, ehe die übrige Welt etwas von ihren Behauptungen über ihr großes Alter erfahren zu haben scheint. CrL Aber welcher Anlaß lie.gt denn vor, sich überhaupt Mühe zu geben, die Neigung phantastischer Schriftsteller zu erklären? Genügt es nicht, wenn man sieht, daß sie Unmöglichkeiten erzählen, daß sie durch Fremder Zeugnis keine Unterstützung finden; daß sie augenscheinlich selbst bei ihren eigenen Landsleuten keinen Glauben gefunden haben, und daß sie einander widersprechen? Daß der Mensch eitel genug ist, die Welt mit falschen Nachrichten zu betrügen, ist nichts Seltsames, vielmehr ist das seltsam, daß nach allem, was von gelehrten Kritikern getan ist, um die Welt vom Irrtum zu befreien, es doch noch Menschen gibt, die fähig sind, sich von solchen armseligen Wichten wie Manetho, Berosus 5"), Ctesiass65) oder ähnlichen phantastischen oder unehrlichen Schriftstellern täuschen zu lassen. Ale. Erlauben Sie mir zu bemerken, daß diese gelehrten *) Herodotua in Euterpe.H•)
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Der sechste Dialog.
Kritiker sich als Geistliche erweisen könnten. Einige vielleicht von ihnen als Papisten. Cri. Was halten Sie von Newton3 66), war er Papist oder Geistlicher? Vielleicht können Sie ihm zubilligen, daß er den großen Männern der Kleinen Philosophie an Scharfsinn und Geisteskraft gleich kam. Aber das kann man nicht leugnen, daß er über diesen Gegenstand viel gelesen und nachgedacht hat, und daß das Ergebnis seiner Untersuchung die voll~ kommene Verachtung all der berühmten Nebenbuhler des Moses war. Ale. Geniale Männer haben gesagt) daß, obgleich Newton Laie gewesen, er doch sehr voreingenommen war, zum Beispiel in seiner Ansicht über die Bibel. Cri. Und dasselbe kann man von Locke, Boyle, Lord Bacon und anderen berühmt.en Laien sagen, die trotz allen Wissens in manchen Dingen nicht zu so scharfer Erkenntnis gekommen sind, wie sie die besondere Auszeichnung Ihrer ·Sekte ausmacht § 23. Grilnde, die den mosaischen Bericht bestätigen. Aber vielleicht gibt es noch andere Gründe außer dem Vorurteil, daß man dazu neigt, MosEs vorzuziehen, auf dessen geschichtliche Wahrheit die Regierung, die Sitten und die Religion seiner Landsleute begründet und aufgebaut waren; von dessen Geschichte es deutliche Spuren in den ältesten Büchern und Überlieferungen der Heiden gibt, besonders der Brahmanen und Parsen, dessen Geschichte durch die späte Erfindung der Künste und Wissenschaften, durch die allmähliche Bevölkerung der Welt, sogar durch die Namen alter Völker und selbst durch die Autorität und die Beweise des berühmten Philosophen Lucretius bestätigt wird, der in anderen Dingen von den Anhängern Ihrer Sekte so bewundert wird. Ganz davon zu schweigen, daß die beständige Abnahme der Gewässer, das Sinken der Hügel und die Verlangsamungs&?) der Planetenbewegung so viele natürliche Beweise liefern, die zeigen, daß die Welt einen Anfang hatte; wie auch die eben erwähnten profanen oder historischen Beweise deutlich zeigen, daß dieser Anfang ungefähr in der von der Heiligen
Gründe, die den mosaischen Bericht bestätigen.
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Schrift bezeichneten Zeit liegt. Schließlich bitte ich noch eine weitere Bemerkung machen zu dürfen. Jedem, der bedenkt, daß man bei Ausgrabungen solche Mengen von Muscheln und an manchen Stellen Knochen und Hörner von Tieren findet, die noch heil und ganz sind, nachdem sie dort aller Wahrscheinlichkeit nach einige tausend Jahre gelegen haben, dem ist es wahrscheinlich, daß Gemmen, Münzen und Werkzeuge aus MetaU oder Stein unversehrt geblieben sein könnten, wenn sie auch vierzig- oder fünfzigtausend Jahre unter der Erde vergraben· lägen, wenn nämlich die Welt so alt wäre. Wie kommt es denn, daß keine Reste gefunden werden, keine Altertümer jener vielen Zeitalter, die den biblischen Zeiten vorausgegangen sein sollen? Keine Reste von Gebäuden, keine öffentlichen Denkmäler, keine Hohlgemmen, Ka.meen368), Statuen, Basreliefs, Münzen, Inschriften, Werkzeuge oder künstlerische Werkzeuge irgend welcher Art sind je entdeckt worden, die ein Zeugnis für das Dasein jener mächtigen Reiche, für die Thronfolge der Herrscher, Helden und Halbgötter während vieler tausend Jahre ablegen könnten? Lassen Sie uns zehn- oder auch zwanzigtausend Jahre weiterblicken, eine Zeit, in der wir annehmen wollen, daß Seuchen, Hungersnöte, Kriege und Erdbeben eine große Verwüstung in der Welt angerichtet haben; ist es trotzdem nicht höchst wahrscheinlich, daß am Ende einer solchen Periode Säulen, Gefäße und Statuen, die wir jetzt aus Granit, Porphyr oder Jaspis besitzen (Gesteinsarten von solcher Härte, daß sie, wie wir wissen, zweitausend Jahre auf der Erde ohne merkliche Veränderung überdauert haben), für diese und vergangene Zeiten Zeugnis ablegen würden, oder daß einige· unserer Umlaufsmünzen dann ausgegraben werden könnten, oder daß sich alte Mauern und die Fundamente von Gebäuden zeigen, geradeso wie die Muscheln und Steine der anfänglichen Welt bis auf unsere Zeit erhalten sind? Mir scheint aus diesen Erwägungen, über die alle Menschen durch ge• sunden Menschenverstand und Erfahrung richten können, zu folgen, daß wir allen Grund zu dem Schluß haben, daß die Welt zu der in der Heiligen Schrift angegebenen Zeit geschaffen worden ist. Und wenn wir etwas so Außergewöhnliches wie die Erschaffung der Welt zugeben, so scheint es doch, als ob wir etwas Fremdartiges und Seltsames und für
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Der sechste Dialog.
das menschliche Begreüen Neues zugeben, das über jedem anderen Wunder steht.
§ 24. Die weltlichen Geschiehtschrelber widersprechen sieh.
Alciphron saß nachdenklich da und antwortete nicht. Darauf ließ sich Lysicles folgendermaßen vernehmen: Ich muß gestehen, daß ich lieber mit Lucretius annehmen möchte, daß die Welt durch Zufall geschaffen wurde, und daß die Menschen wie Kürbisse aus der Erde hervorwuchsen, als daß ich meinen Glauben an jene märchenhaften Fragmente orientalischer Geschichte klammerte. Und was die gelehrten Männer anbetrifft, die sich Mühe gegeben haben, sie zu beleuchten und zusammenzustücken, so kommen sie mir nicht besser vor als viele muffige Pedanten. Ein genialer Freidenker mag vielleicht dann und wann von ihren nächtlichen Grübeleien Gebrauch machen und die eine Unmöglichkeit gegen die andere ausspielen. Aber deshafö müssen Sie nicht glauben, daß er der Autorität solcher apokryphen Schrütsteller wirkliche Beachtung schenkt oder auch nur eine Silbe der chinesischen, babylonischen oder ägyptischen Tradition glaubt. Wenn es so aussieht, als ob wir sie der Bibel vorzögen, so doch nur darum, weil sie nicht durch Gesetz eingeführt sind. Das ist meine klare Auffassung der Sache, und ich kann wohl sagen, daß das ganz allgemein die Auffassung unserer Sekte ist, die ja viel zu vernünftig ist, als daß sie sich im Ernst mit solchen Nebensächlichkeiten abgäbe, obgleich sie manchmal Winke für eine tiefe Ergründung gibt, und ein ernstes Gesicht macht, um an den Bigotten ihren Spaß zu haben. Ale. Da Lysicles es so haben will, bin ich es zufrieden, nicht auf historische Berichte zu bauen, die den mosaischen vorhergehen. Trotzdem muß ich bitten, mir die Bemerkung zu gestatten, daß es noch einen anderen, davon wesentlich verschiedenen, Punkt gibt, gegen den nicht dieselben Anstände vorliegen, und der einer Erörterung wert ist und unserer Absicht ebenso gut zu dienen vermag. Ich setze voraus, daß es zu billigen ist, wenn Historiker, die die Zeiten innerhalb des mosaischen Berichtes behandeln, von unparteiischen Männern mit Moses auf eine Stufe gestellt werden.
Die weltlichen Geschichtschreiber widersprechen sich.
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Man kann also wohl erwarten, daß die, die seine Schriften rechtfertigen wollen, diese mit gleichzeitigen Berichten anderer Autoren, die von denselben Zeiten, Dingen und Personen handeln, in Einklang bringen. Und wenn wir uns nicht bloß an Moses halten, sondern unsere Vorstellungen auch noch anderen Schrüt.stellern entnehmen und die Wahrscheinlichkeit der Dinge berücksichtigen, so werden wir guten Grund finden zu glauben, daß die Juden nur eine Sippe aussätziger Ägypter waren, die wegen dieser ekelhaften Krankheit Landes vertrieben wurden. Und daß ihre Religion, die sie vorgaben, vom Himmel auf dem Berge Sinai empfangen zu haben, in Wahrheit in Ägypten erlernt und von da mitgebracht worden war. Cri. Ich will nicht darauf bestehen, daß an eine historische Schrift, die die eigene Zeit des Historikers behandelt, eher geglaubt werden muß als an andere, die nach langer Zeit dieselbe Sache behandeln, was ja gar nicht geleugnet werden kann. Aber es scheint mir doch töricht zu sein, von uns zu erwarten, daß wir Moses mit den profanen Geschichtschreibern in Einklang bringen sollten, bevor Sie sie zuerst untereinander in Einklang gebracht haben. Meine Antwort auf Ihre Bemerkung ist also der Wunsch, daß Sie zunächst überlegen mögen, daß Manetho, Chaeremon s&s) und Lysimachus 370) widersprechende Berichte über die ;Juden und ihren Auszug aus Ägypten veröffentlicht hatten*). Zweitens, daß ihre Sprache ein deutlicher Beweis dafür ist, daß sie nicht Ägypter, sondern ursprünglich entweder Phönizier, Syrer oder Chaldäer waren. Und drittens, daß die Annahme nicht sehr wahrscheinlich klingt, daß ihre Religion, deren Grundlage oder fundamentales Prinzip die Verehrung eines einzigen, höchsten Gottes war, und deren Hauptzweck es war, den Götzendienst zu verdammen, aus Ägypten stammen konnte, dem götzendienerischsten aller Völker. Es muß zugegeben werden, daß die abgesonderte Lage und die Einrichtungen der Juden Ursachen genug dafür bildeten, daß sie und ihre Herkunft von einigen fremden Völkern mit großer Unwissenheit und Vera-0htung behandelt worden sind. Aber Strabo 371), der als ein gerechter und eürig forschender Schriftsteller *) Joseph. contra Apion. lib. 1.911)
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angesehen wird, erwähnt sie ehrenvoll'er, obgleich ihm ihre wahre Geschichte nicht bekannt war. Er erzählt, daß Moses mit vielen anderen Verehrern eines unendlichen Gottes aus Ägypten auszog, weil er die Bilderverehrung der Ägypter und anderer Völker nicht billigte, und daß er sich in Jerusalem fest.setzte, wo er dem einen Gott einen Tempel ohne Bilder erbaute*). § 25. Celsus, Porphyrlus und Juliau.
Ale. Wir, die wir die Sache der Freiheit gegen die Religion in den heutigen Zeiten sichern, unterliegen großen Nachteilen durch den Verlust alter Bücher, die solchen großen Männern wie Celsuss1s), Porphyriusm) und Juliana76) viele Fragen aufklärten, die wir jetzt nach einem längeren Zeitraum und mit geringerer Hilfe nicht so leicht beantworten können. Hätten wir aber diese Urkunden, so zweille ich nicht, daß wir das ganze biblische System mit einem Schlage zerstören könnten. Cri. Und doch mache ich einige Zweifel geltend, weil nämlich diese großen Männer, wie Sie sie nennen, mit all diesen großen Vorteilen es nicht vermocht haben. Al c. Das muß wohl an der Stumpfheit und Dumpfheit der Welt in jenen Tagen gelegen haben, als die Kunst des logischen Schließens noch nicht so bekannt und gepflegt war wie seit kurzem. Aber jene wahrhaft genialen Männer· durchschauten selbst die Täuschung und hatten sehr klare Ansichten, was :mir die Überzeugung gibt, daß sie guten Grund dazu hatten. Cri. Und doch scheint jener große Mann, namens Celsus, sehr oberflächliche und unbeständige Vorstellungen gehabt zu haben: Einmal redet er wie ein echter Epikureer; ein andermal hat er nichts gegen Wunder, Weissagungen und ein künftiges Reich der Belohnungen und Strafen. Was meinen Sie, Alciphron, ist es nicht an einem so großen Manne launisch zu nennen, wenn er unter anderen Vorteilen, die er den Tieren vor 'der menschlichen Gattung zukommen läßt, noch annimmt, daß sie Zauberer und Propheten seien, daß sie in engerem *) Strab. lib. 16.
Celsue, Porphyrus und J ulian.
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Verkehr und engerer Verbindung mit der Gottheit stünden; daß sie mehr wissen als die Menschen, und daß besonden die Elefanten die religiösesten aller Tiere und die strengsten Hüter des Eides seien*). Ale. Ein großes Genie hat eben manchmal Grillen. Aber was sagen Sie zu Kaiser Julian? War er nicht ein außergewöhnlicher Mensch? Cri. Nach seinen Schriften zu .urteilen, scheint er temperamentvoll und satirisch gewesen zu sein. Ich mache keine Schwierigkeiten zuzugeben, daß er ein edelmütiger, mäßiger, tapferer und witziger Kaiser war. Gleichzeitig aber muß man einräumen, weil sein eigener heidnischer Lobredner Ammia.nus Marcellinus **) es zugibt, daß er ein schwatzhafter, unsteter, eitler und abergläubischer Mann war. Und darum kann sein Urteil und sein Ansehen für die nur geringes Gewicht haben, die nicht zu seinen Gunsten voreingenommen sind. A1c. Aber von allen großen Männern, die gegen dieoffenbarten Religionen schrieben, war ohne Frage der größtt\ jener wahrhaft große Mann namens Porphyr; der Verlust seines unschätzbaren Werkes kann nie genug beklagt werden. Dieser tiefe Philosoph ging den Dingen und ihrem Ursprung auf den Grund. Er bekämpfte die Heilige Schrift mit höchster Gelehrsamkeit, zeigte die Unmöglichkeit . der mosaischen Berichte, untergrub die Prophezeiungen, tadelte sie heftig und machte alle allegorischen Interpretationen lächerlich***). Die modernen Schrütsteller haben, wie zugegeben werden muß, Großes geleistet und sich als fähige Männer erwiesen; aber ich kann nicht umhin, den Verlust der Arbeit eines Menschen von so vielseitigen Fähigkeiten zu bedauern, der der Quelle soviel näher lebte, auch wenn sein Ansehen seine Schriften überlebt und trotz der Feinde der Wahrheit bei unparteiischen Menschen Geltung haben muß. Cri. Ich gebe zu, daß Porphyrius ein gänzlich Ungläubiger war, obgleich er sicherlich leichtgläubig war. Es sieht so aus, als ob er eine große Meinung von Zauberern und Schwarzkünstlern hatte und an Mysterien, Wunder und *) Origen. contra Celsum lib. 4. **) Am. Marcellin. lib. 25.
***) Luc. Holstenius de vita et scriptis Porphyrii.178/
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Prophezeiungen von Theurgisten und ägyptischen Priestern glaubte. Er war durchaus kein Feind dunkler Redeweise und behauptete, außergewöhnliche Ekstasen zu erleben. Mit einem Worte, dieser große Mann erweist sich als ebenso intelligent wie ein Scholastiker, ebenso abergläubisch wie ein Mönch und ebenso fanatisch wie ein Quietist oder Quäker; und damit sein Charakter als Kleiner Philosoph vervollständigt würde, litt er stets an starken Versuchungen, gewaltsam Hand an sich zu legen. Wir können uns eine Vorstellung von diesem Patriarchen der Ungläubigkeit nach der Art bilden, in der er über andere Dinge geradeso wie über die christliche Religion dachte. Er war so scharfsinnig, daß er herausfand, daß die Seele der Insekten rational würde, sobald sie von dem Körper getrennt würde; daß tausendgestaltige Dämonen bei der Bereitung von Zaubertränken und -mitteln Beistand leisteten, deren geistige Körper durch die Dünste der Trank- und Speiseopfer genährt und gemästet würden, und daß die Geister derer, die eines gewa.Imamen Todes gestorben sind, zu spuke11 und in der Nähe ihrer Gräber zu erscheinen pflegen. Dieser: selbe hervorragende Philosoph rät einem weisen Manne, kein Fleisch zu essen, damit nicht die unreine Seele des Tieres, das man eines gewaltsamen Todes sterben ließ, mit dem Fleisch in den einginge, der es esse. Als eine durch viele Versuche bestätigte Tatsache fügt er hinzu, daß die, die sich selbst die Seele solcher Tiere einverleiben möchten, die die Gabe der Weissagung zukünftiger Dinge besitzen, nur einen Hauptteil, zum Beispiel das Her:z eines Hirschs oder Maulwurfs zu eBBen brauchten und so die Seele des Tieres empfingen, das in ihnen wie ein Gott prophezeien werde*). Kein Wunder, wenn Menschen, deren Kopf mit einem Glauben und mit Lehrsätzen so absonderlicher Art belastet war, sich der Aufnahme des Evangeliums widersetzten. Kurz und gut, man möge uns entschuldigen, wenn wir dem Urteil von Männern, die uns grillenhaft, abergläubisch, schwach und phantastisch erscheinen, nicht die gleiche Achtung zollen wie die unparteiischen Männer, die jener Talente bewundern und stolZ sind, in ihre Fußtapfen zu treten. *) Vide Porphyrium de abstinentia, de sacrificiis, de diia, et daemonibus.
Das Zeugnis des Josephu1 wird untersucht.
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Ale. Die Menschen sehen die Dinge verschieden: Was der eine bewundert, verdammt der andere; für einen voreingenommenen Geist, dessen Aufmerksamkeit sich auf die ~,ehler und Mängel der Dinge richtet, ist es sogar möglich, sich einen Schatten von Unvollkommenheit an jenen großen Lichtern einzubilden, die in unseren Tagen die Welt erleuchtet haben und sie noch weiter erleuchten. § 26. Das Zeugnis des Josephus wird untersucht. Aber sagen Sie mir, bitte, Crito, was halten Sie von Josephus? Er soll ein kenntnisreicher und urteilsfähiger Mann gewesen sein. Er war sogar ein Verfechter der offenbarten Religion. Und die Christen pflegen ihn mit Achtung zu zitieren, wenn seine Autorität ihrer Sache dient. Cri. All das erkenne ich an. Ale. Muß es denn nicht jedem unparteiischen Forscher sehr merkwürdig und verdächtig erscheinen, daß dieser gelehrte Jude nichts über den Charakter, die Wunder und die Lehre J esu Christi sagt, wo er doch die Geschichte seines eigenen Landes und gerade de.~ Orts und der Zeiten schrieb, in denen diese außergewöhnliche Persönlichkeit erschien 1 Einige alte Christen waren sich dessen so bewußt, daß sie, um dem abzuhelfen, in diesen Historiker eine berühmte Stelle*) einschoben, ein Betrug, der von fähigen Kritikern der letzten Zeit genügend nachgewiesen ist. Cri. Obgleich es nicht an fähigen Kritikern auf der anderen Seite mangelt, so will ich Ihnen doch, um mich nicht auf eine Diskussion über die berühmte Stelle einzulassen, in allem, was Sie wünschen, entgegenkommen und sie nicht für echt halten, sondern für einen frommen Betrug eines querköpfigen Christen, der diese Auslassung bei J osephus nicht ertragen konnte. Dadurch wird aber diese Weglassung niemals zu einem wirklichen Einwande gegen das Christentum. Auch liegt, soviel ich sehe, nichts in ihr, worauf sich Bewunderung oder Verdacht gründen könnte, besonders, da es für Josephus sehr natürlich scheint, nichts darüber gesagt zu haben, wenn *) Josephu1, Ant. lib. XVIII, cap. 8, wo da1 Leben, die Wunder und die Auferstehung Christi erwähnt sind. 377 )
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Der sechste Dialog.
man den Bericht der Evangelien für buchstäblich wahr hält, und wenn man bedenkt, daß es die Absicht dieses· Schriftstellers war, seinem Lande Ansehen in den Augen der Welt zu verleihen, die bis dahin gegen die Juden sehr voreingenommen gewesen war und von ihrer Geschichte wenig wußte; ein Zweck, zu dem Leben und Tod unseres Heilandes in keiner Weise beigetragen hätte; wenn man ferner bedenkt, daß er ein hervorragender Pharisäer, bewandert in fremder und jüdischer Wissenschaft war, eine hohe Stellung im Staate einnahm, daß das Evangelium aber den Armen gepredigt wurde, daß die ersten Werkzeuge seiner Ausbreitung und die ersten Bekehrten Niedrige und Ungebildete waren, auf daß es nicht als ein Werk der Menschen erschiene oder menschlichem Interesse oder menschlicher Macht angehörte; wenn man weiter das allgemeine Vorurteil der Juden bedenkt, die in dem Messias einen zeitlichen und kämpfenden Fürsten erwarteten, ein Vorurteil, das so stark war, daß sie die Wunder unseres Heilands lieber dem Teufel zuschrieben, denn daß sie ihn als den Christ anerkannten; wenn man endlich die höllische Unordnung und Verwirrung des jüdischen Staates in den Tagen des J osephus bedenkt, wo die Geister der Menschen von Kriegen ohnegleichen, Zwietracht, Metzeleien und Empörungen dieses demütigen Volkes erfüllt und erregt waren. Wenn man das alles zusammenhält, so finde ich es nicht merkwürdig, daß ein solcher Mann, der mit einer solchen Absicht, zu solcher Zeit und unter solchen Umständen schrieb, die Beschreibung des Lebens und Todes unseres Heilandes ausläßt. Auch, daß er seine Wunder nicht erwähnt und von dem Zustande der christlichen Kirche, die damals noch wie ein Senfkorn war, daa erst anfing, Wurzeln zu schlagen und zu keimen, keine Notiz nimmt. Und es erscheint noch weniger merkwürdig, wenn man es sich überlegt, daß die Apostel innerhalb weniger Jahre nach unseres Heilandes Tode Jerusalem verließen, sich an die Bekehrung der Heiden machten und in die ganze Welt zerstreut wurden; daß die Bekehrten zu Jerusalem nicht nur die Geringsten des Volkes, sondern daß es auch nur wenige waren, da die drei1ausend, die an einem Tage in dieser Stadt auf die Predigt des Petrus hin in die Kirche aufgenommen wurden, nicht Einwohner, sondern J.t"remde aus allen Gegenden gewesen zu sein scheinen, die versammelt
Das Zeugnis des Josephus wird untersucht.
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waren, um das Pfingstfest zu feiern; und daß in der ganzen Zeit des Josephus und noch mehrere Jahre danach während der Aufeinanderfolge von fünfzehn Bischöfen die Christen zu Jerusalem das mosaische Gesetz befolgten*) und daher in ihrem Äußeren mit den übrigen Juden ein Volk bildeten, wodurch sie weniger aufgefallen sein müssen. Ich möchte gern wissen, welchen Grund wir zu der Annahme haben, daß das Evangelium, das bei seiner ersten Ausbreitung die großen oder bedeutenden Männer dieser Welt zu übersehen schien, nicht auch von ihnen übersehen sein kann, weil es für ihre Begriffe und ihre Denkungsart nicht geeignet war. Könnten außerdem zu jenen frühen Zeiten nicht auch andere gelehrte Juden so wie Gamaliel **) ihr Urteil über diese neue Sache zurückgehalten haben, weil sie nicht wußten, 'vas sie daraus machen oder dazu sagen sollten; weil sie einerseits unfähig waren, die Begriffe und Überlieferungen, in denen sie erzogen worden waren, aufzugeben und andererseits nicht wagten, dem Evangelium zu widerstehen und dagegen zu reden, damit sie nicht als Kämpfer gegen Gott erfunden werden möchten ?ss1) Auf jeden Fan könnte man nie erwarten, daß ein unbekehrter Jude einen Bericht über Leben, Wunder und Lehre Jesu Christi lieferte, wie das einem Christen zukommen würde; andererseits war es durchaus nicht unwahrscheinlich, daß sich ein vernünftiger Mann hüten würde, das zu verringern oder zu entstellen, was nach allem, was er wußte, eine himmlische Offenbarung sein konnte; zwei Wege, von denen der mittlere der war, nichts zu sagen und mit zweifelndem oder achtungsvollem Stillschweigen über alles hinwegzugehen, Und man kann bemerken, daß da, wo dieser Historiker gelegentlich Jesus Christus in seinem Bericht über den Tod des Jacobus erwähnt, er es ohne jede Reflexion tut, ohne daß er etwas Gutes oder Schlechtes sagt, obschon er gleichzeitig Achtung für den Apostel zeigt. Man kann bemerken, sage ich, daß, wenn er von Jesus spricht, er sagt: „Der, der der Christus genannt wurde", nicht, „der vorgab, der Christus zu sein", oder „der fälschlich der Christus genannt wurde", sondern eben einfach wv Ä.Eyo1-ievov Xeicnoii***). Es ist klar, *) Sulp. Sever. Sacr. Hist. 1, 2;11•) et Euseb. Chron. lib. poster.m)
**) Apostelgesch., Kap. v.280) ***) Jos. Ant. lib. XX, cap. 8.
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daß J'osephus wußte, daß es einen Mann namens Jesus gab, und daß er der Christus sein sollte. Und doch verdammt er weder ihn noch seine Nachfolger, was mir ein Beweis zu ihren Gunsten zu sein scheint. Wenn wir annehmen, daß Josephus es gewußt hat, oder dazu überredet worden war, daß Jesus ein Betrüger war, so wird es sicherlich schwer zu erklären sein, warum er das nicht in deutlichen Worten gesagt hat. Aber wenn wir annehmen, daß er wie Gamaliel dachte, der sein Urteil aufschob und fürchtete, als einer erfunden zu werden, der wider Gott kämpftess1), so scheint es ganz natürlich für ihn, daß er sich gerade in der Weise benimmt, die Ihrer Meinung nach gegen unseren Glauben gerichtet ist, meiner aufrichtigen Meinung nach aber dafür. Wie aber, wenn Josephus ein Bigotter oder gar ein Sadducäer382), ein Ungläubiger oder ein Atheist gewesen wäre 1 Wie dann! Wir geben bereitwillig zu, daß es Personen von Rang, Politiker, Generäle und Männer der Wissenschaft damals so gut wie heute, Juden so gut wie Engländer gegeben hat, die an keine offenbarte Religion glaubten. Und daß einige solcher Leute möglicherweise von einem Mann mit armseligem Leben gehört haben können, der durch Zauberei Wunder vollbrachte, ohne daß sie sich selbst darüber aufzuklären suchten oder gar je nach seiner Mission und Lehre forschten. Kurz, ich kann nicht begreifen, warum einer leichter gegen die Wahrheit des Evangeliums Schlüsse ziehen sollte, weil Josephus nicht darüber. spricht, als weil er sich nicht zu ihr bekennt. Wären die ersten Christen Hohepriester und Fürsten gewesen, oder Gelehrte und Männer der Wissenschaft wie Philo und Josephus, so hätte man vielleicht mit mehr Recht einwenden können, daß ihre Religion von den Menschen war, als jetzt, da es Gott gefallen hat, die Sta.rken durch die Schwachen zu verwirren. Das halte ich für eine genügende Erklärung dafür, daß das Evangelium Menschen von einem gewissen Rang und Charakter übersah oder von ihnen übersehen wurde.
§ 27. Das Zeugnis der Juden und Heiden für das Christentum. Ale. Und doch scheint mir das ein gar merkwürdiger
Beweis für die Wahrheit einer Lehre zu sein, daß sie von
Das Zeugnis der Juden und Heiden t"ur das Christentum.
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einfachen Leuten wiederum einfachen Leuten gepredigt wurde. Cri. Sicherlich, wenn es kein anderes Zeugnis für die Wahrheit der christlichen Religion gäbe, so müßte man allerdings zugeben, daß dies sehr schwach wäre. Aber wenn eine Lehre, die sich durch solche Werkzeuge auszubreiten begann, die hinsichtlich aller menachlicllen Vorzüge niedrig waren, und die ihre ersten Fortschritte bei denen machte, die weder Reichtum, noch Geschicklichkeit, noch Macht hatten, sie zu begünstigen und zu fördern, und die doch in kurzer Zeit durch ihre eigene, ihr innewohnende Vortrefflichkeit, die gewaltige Kraft der Wunder und durch den Beweis des Heiligen Geistes sich nicht nur ohne, sondern sogar gegen alle weltlichen Motive ausbreitet und Menschen aller Stände und Lebensbedingungen unterwirft, wäre es dann nicht sehr unvernünftig, sie wegen ihres Mangels an menschlichen Hilfsmitteln abzulehnen oder sie verdächtig zu finden? Und könnte dies alles nicht mit mehr Grund gerade als Beweis dafür, daß sie von Gott stammt, angesehen werden? Al c. Aber dennoch wird ein wissenschaftlich Prüfender ein Zeugnis von Männern der Wissenschaft brauchen. Cri. Aber vom ersten Jahrhundert an hat es nie an Zeugnissen solcher Männer gefehlt, die die christliche Religion auf gelehrte Art verteidigten. Viele von ihnen lebten, als die Erinnerung an die Ereignisse noch lebendig war, und sie hatten die Fähigkeit zu urteilen und die Mittel, sich das Wissen zu verschaffen, und gaben die klarsten Beweise ihrer Überzeugung und Aufrichtigkeit. Al c. Aber trotzdem waren doch diese Männer Christen, voreingenommene Christen; und darum muß ihr Zeugnis verdächtig sein. Cri. Sie möcht.en wohl gern, daß Juden und Heiden die Wahrheiten des Christentums bezeugen sollten? Al c. Gerade das wünsche ich. Cri. Aber wie kann das sein? Oder wenn es sein könnte, würde dann nicht jeder vernünftige Mensch geneigt sein, einen solchen Beweis verdächtig zu finden, und fragen, wie es möglich war, daß einer wirklich selbst an solche Dinge glaubt, aber doch kein Christ wird? Die Apostel und die ersten Bekehrten waren selbst Juden und waren in der Achtung vor dem mosaischen Gesetz und in allen Vorurteilen ihres Volkes
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Der eechete Dialog.
erzogen. Viele Kirchenväter, christliche Philosophen und gelehrte Apologeten des Glaubens, die a.ls Heiden aufgewachsen waren, waren ohne Zweüel mit Erziehungsvorurteilen genährt worden. Und wenn der Finger Gottes und die Kraft der Wahrheit den einen vom Judentum und den anderen vom Heidentum trotz ihrer Vorurteile gegen das Christentum bekehrte, ist dann ihr Zeugnis nicht um so stärker? Sie haben a.lso Stimmen von Juden und Heiden, die die Wahrheit unserer Religion in den frühesten Zeiten bestätigen. Aber die Bestätigung von Juden, die Juden geblieben, und von Heiden, die Heiden geblieben sind, zu verlangen oder zu wünschen, scheint mir unvernünftig. Auch kann man sich nicht denken, daß das Zeugnis von Männern, die selbst nicht bekehrt wurden, am wahrscheinlichsten andere bekehren würde. Wir haben allerdings als Beweis das Zeugnis heidnischer Schriftsteller, daß man um die Zeit der Geburt des Heilandes im Osten allgemein einen Messias oder Fürsten erwartete, der eine neue Herrschaft aufrichten würde; daß es so etwas wie Christen gab, daß sie grausam verfolgt und hingerichtet wurden, daß sie unschuldig und heilig in ihrem Leben und in ihrer Gottesverehrung waren, und daß zu jener Zeit gewisse Personen und Tatsachen vorhanden waren, die auch im Neuen Testament erwähnt werden. Und für andere Fragen haben wil' gelehrte Kirchenväter, um ihre Wahrheit zu bestätigen, von denen mehrere, wie ich bereits erwähnte, als Heiden erzogen worden sind. Ale. Ich meinerseits habe keine so große Meinung von der Fähigkeit oder Gelehrsamkeit der Kirchenväter, und viele Gelehrte, besonders solche der reformierten Kirchen des Auslandes denken ebenso, was mir die Mühe, ihre umfangreichen Schriften selbst einzusehen, erspart. Cri. Ich meinerseits könnte es nicht verantworten, mit dem Kleinen Philosophen Pomponatiussss•) zu behaupten, daß Origenes, Basiliuss"), Augustinus und einige andere Väter Plato, Aristoteles und den größten der Heiden an menschlichem Wissen gleich kamen. Aber wenn ich ein Urteil über das abgeben darf, was ich von ihren Schriften gesehen habe, so halte ich mehrere von ihnen für Männer mit großer Be*) Lib. de immortalitate animae.
Falachungen und Ketzereien.
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gabung, Beredsamkeit und Gelehrsamkeit und denen weit überlegen, die sie zu unterschätzen scheinen. Ohne gewisse moderne Kritiker oder Übersetzer zu beleidigen, kann man sagen, daß Erasmuss&5) ein Mann mit gutem Geschmack und ein geeigneter Richter für guten Sinn und Stil war, obgleich sein Urteil in dieser Frage von dem Ihrigen sehr verschieden war. Einige unserer reformierten Brüder scheinen, weil die Katholiken den Kirchenvätern zu viel zuschrieben, ihnen aus einer zwar sehr häufigen, wenn auch nicht sehr gerechten Gegnerschaft heraus zu wenig zugeschrieben zu haben. Diese führt aber die Menschen dazu, Mängel zu bemerken, ohne zugleich die angemessenen Zugeständnisse zu machen, und Dinge zu sagen, die weder Pietät, noch Scharfsinn oder ihr Verstand sie zu sagen zwingt.
§ 28. Fälschungen und Ketzerelen.
Ale. Aber wenn ich auch zugeben würde, daß das übereinstimmende Zeugnis vieler gelehrter und fähiger Männer in den ganzen ersten Zeiten des Christentums sein Gewicht haben mag, so wird doch ihre Glaubwürdigkeit sehr geschwächt, wenn ich an die große Zahl der Fälscllungen und Ketzereien denke, die zu jenen Zeiten entstanden. Cri. Bitte, Alciphron, würde man das im Munde eines Papisten für einen guten Beweis gegen die Reformation halten, daß gleichzeitig mit ihr viele törichte Sekten aufkamen? Sollen wir uns wundern, daß dann, wenn guter Same gesät wird, der Feind Dornen sät? Aber um mit einem Male mehrere Einwände zu erledigen, so lassen Sie uns tatsächlich annehmen, was Sie nicht als möglich leugnen, daß es einen Gott, einen Teufel und eine himmlische Offenbarung gibt, die vor vielen Jahrhunderten schrütlich niedergelegt worden ist. Werfen Sie nur einen Blick auf die menschliche Natur und überlegen Sie, was wahrscheinlich aus einer solchen Annahme folgen würde, und ob es nicht sehr wahrscheinlich ist, daß es Halbgläubige, irrende Bigotte, fromme Betrüger, ehrgeizige, eigennützige, disputierende, eingebildete, abtrünnige, ketzerische und törichte Menschen unter den Bekennern einer solchen offenbarten Religion gibt, geradeso, wie es nach einer Reibe
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Der sechste Dialog.
von Jahren im Text der heiligen Aussprüche Gottes verschiedene Lesarten, Auslassungen, Umstellungen und Dunkelheiten gibt. Und wenn dem so ist, so überlasse ich es Ihrem Urteil, ob es unvernünftig ist, solche Ereignisse zu einem Einwand gegen das Wesen einer Sache zu machen, die wahrscheinlich und natürlich auf die Annahme seines Wesens hin folgen würden. Al c. Sie mögen schließlich sagen, was Sie wollen. Dieser Unterschied der Anschauungen muß doch notwendig den Glauben eines vernünftigen Menschen erschüttern. Wo es so viele verschiedene Anschauungen über denselben Gegenstand gibt, da ist es sehr sicher, daß nicht alle wahr sein können, aber es ist auch sicher, daß sie alle f.a.lsch sein können. Und nun die Mitte~ die Wahrheit herauszufinden! Wenn ein verständiger Mann diese Untersuchung ins Werk setzt, wird er plötzlich verdutzt und belustigt durch schwierige Worte und verwickelte Fragen. Dadurch läßt er sich von der Suche nach Wahrheit abhalten, weil er meint, daß das Wild die Jagd nicht wert sei. Cri. Aber täte dieser verständige Mann nicht besser daran zu bedenken, daß es auf einen Mangel an Unterscheidungsvermögen schließen läßt, wenn einer göttliche Wahrheiten um menschlicher Torheiten willen zurückweist? üben Sie nur dieselbe Unbestechlichkeit und Unparteilichkeit in der Behandlung der Religion, die Sie bei anderen Gegenständen für angemessen halten. Wir wünschen nicht mehr und erwarten nicht weniger. Im Recht, in der Medizin, in der Politik, wo immer die Menschen eine Wissenschaft ausgebildet haben, ist es da nicht deutlich, daß sie immer geneigt waren, sich in Streitigkeiten und Zänkereien zu verrennen? Aber kann Sie das an dem Zugesfändnis hindern, daß es in allen diesen Berufen gute Regeln, richtige Begrüfe und nützliche Wahrheiten gibt? Die Ärzte mögen sich über den Organismus, vielleicht vergebens und unverständlich, streiten: Sie mögen verschiedene Krankheitsursachen angeben, indem einige sie als elementare Eigenschaften angeben, wie zum Beispiel heiß und kalt, feucht und trocken, so hindert das doch nicht, daß Chinarinde gut gegen das Fieber, Rhabarber gut gegen den Fluß ist. Auch kann weder auf Grund der verschiedenen Sekten, die sich in diesem Berufe von Zeit zu Zeit gebildet
Urteile und lntereaeen der Kleinen Philosophen.
327
haben (zum Beispiel die Dogmatiker, die Empiriker, die Methodiker, die Anhänger des Galenus und ParaceLsussSG)) oder auf Grund der schwierigen Worte, der verwickelten Fragen und fruchtlosen Theorien, die aus ihrer Mitte hervorgegangen oder ihnen eingeimpft worden sind, ges ::rriev11' µoo", was wörtlich „die Ungerechtigkeit meiner Ferse• bedentet. Wörtlich übersetzt die Vulgata.: „iniquitas ca.lcanei mei". Luther übersetzt da.gegen: „Die Missetat meiner Untertreter." Vorn, im Text, haben wir die englische Fas~µng wörtlich wiederzugeben versucht. In der modernen, kritischen Ubersetzung des Alten Testamentes von E. Ka.utzsch bleibt die Stelle unübersetzt: .Die zweite Hälfte des Verses lautet nach der üblichen Erklärung: ,Wenn die Schuld meiner Verfolger mich umgibt', aber das mit ,Verfolger' übersetzte Wort bedeutet sonst überall die Ferse, und der Text ist offenbar verderbt." 1") Der Satz bedeutet im Deutschen ganz wörtlich: .Die Pferde sind mit den Ohren zusamrqiingefällen", was soviel heißt wie: „Sie sind anein&nder geraten.• Ahnlich eagen wir im Deutschen: „Einander in die Haare geraten", 11uch wenn die Haare bei dem Streit gar keine Rolle spielen. 191) Jeremiae 49, 19. Im Text ist die englische Bibelübersetzung möglichst wörtlich wiederzugeben versucht. Lnther übersetzt dagegen ungenau: .Denn siehe, er kommt herauf wie ein Löwe vom stolzen Jordan her wider die festen Hiir" sind viele Argumente gegen das Christentum enthalten, die spätere Jahrhunderte wieder aufgriffen. Vgl. Anmerkung 309. •1•) Vgl. Anmerkung 304. 171) Kaiser Julian-q~ Apostata (331-363) war erst Christ, wurde aber dann aus innerer Uberzeugung Heide und schrieb drei Biicher gegen die Christen, tlie aber nicht erhalten sind. 118) Holatenius war ein deutscher Gelehrter des siebzehnten Jahrhunderts, kommentierte mehrere klassische Schriftsteller und starb 1661 zu Rom. 377) Die in den Antiquitates Judaicae XVIII, 3, ~ 3 enthaltene Bemerkung des Josephos über seinen Glauben an Jesus als den Messias wird heute allgemein als eine spätere Einschiebung von christlicher Seite angesehen. 178 ) Severus Sulpicius (363-425) schrieb eine christliche Geschichte von Adam bis zum Jahre 400 nach Chr. unter dem Titel nChronica". 379) Vgl. Anmerkung 358. aso) Vers 34-40. 381) Apostelgeschichte, Kap. 5, 39. •s•) Sadducäcr war der Name einer Partei in Palästina zur Zeit Christi, die gegen die buchstabengläubigen Pharisäer opponie1·ten, die Autorität des ganzen Kanons leugneten, die Unsterblichkeit der Seele bestritten usw. ssa) Pietro Pomponazzi (1462-1525), italienischer P.J~ilosoph, wies in seinem Hauptwerke, „De immortalitate animae•, Uber die Unsterblichkeit der Seele, nach, daß die Seele gemäß den Grundsätzen der Aristotelischen PhiloRophie sterblich sein miisse. SB•) Basilius der Grolle oder der Heilige (ca. 330-379) war seit 364 Bischof in seiner Heimatstadt Caesarea. Er ist berühmt wegen der Orthodoxie seines Glaubens, der Strenge seiner Kirchenzucht und der klassischen Form seiner Schriften. 186) Der Humanist Desiderius, genannt Erasmus von Rotterdam (1466-1536), gab außer zahlreichen profanen klassischen Schriften auch das Neue Testament griechisch und lateinisch heraus, sowie eine Reihe von Kirchenvätern. 1 H)..Die Dogmatiker, Empiriker und Methodiker waren griechische Arzteschulen. Galenos, nach Hippokrates der beriihmteste Arzt des Altertums, lllbtc von 131 bis ca. 200 nach Chr.
Anmerkungen.
425
Theophraatus Bombastus Paracelsus (1493-1041) war Philosoph, Arzt, W undertiiter und Alchemist. " 7 ) Nicht nleere Täuschung", sondern .nacktes Wissen". " 8) Gemeint ist die Fortsetzung der Kirchengeschichte des Eusebios von Socrates Scholasticus, der um 380 geboren wurde. sae) Genesis heißt da1 erste Buch Mosis. 890) n Eine Maschine, die ohne Energiezufuhr arbeitet." Eine 1olche ist gemä.11 dem ersten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie unmöglich. ' . 891) Eine zweite Ursache ist eine Ursache, die ihrerseits erst wieder von einer ersten Ursache verursacht wird. 101) Berkeley denkt an den 23. Brief Spinozo.s, der o.n den Bremer Heinrich Oldenburg, seinen Freund, gerichtet ist. 393) Vgl. 1. Korinth., Kap. 1, 23. 39•) Vgl. Daniel, Kap. 2, 34. aoa) Diese letzte Rede Euphranors wird in A auch von Lysicles gesprochen. 396) Vgl. Anmerkung 31. 30•) Der engere Ausschuß des Senates der Universität Cambridge heißt Council (Rat). 3" ) Diese Forderung wurde echon von John Locke, Essay concerning Human Understanding, lib. III, 2, 10, erhoben und zu begründen versucht. Vgl. Einleitung, S. VII r. 809) Vgl. Berkeleys .Principles on Human Knowledge", Introduction, §§ 23/24. • 00) Vgl. folgende Hauptstellen über die Gnade im Neuen Testament, an denen fast alle der von Berkeley zitierten Ausdrücke zu finden sind (in der Reihenfolge der Zitate Berkeley.s): Eph. 4, 7; Eph. 2, 8; Apostelgesch. 15, 11; Joh.1, 17; Röm. 5, 21; 2. Korinth. 9, 14; Röm.12, 3; Röm. 9, 18; Eph.1, 7; 2.Korinth. 6, 1; 2. Petr. 3, 18; 1. Petr. 1, 2; Gal. 5, 4; Röm. 3, 24. • 01 ) Der Jansenismus ist eine 1640 von Cornelis Jansen inaugurierte theologische Richtung, deren Hauptgedanken auch in Janaens Schülers Arnould Buch .De la. frequente communion" dargestellt sind. Die Jansenisten wurden wegen ihrer das Innerliche der Gnadenwirkung betonenden Lehre von den Jesuiten und vom Papst l;ia.rt verfolgt. '°2) Vgl. Anmerkung 152. '°") Arminianer heißen die Anhänger des Arminiua in den Niederlanden, die, allerdings vergeblich, gegen die Herrschaft der Calvinschen Lehre von der unbedingten Prädestination anzukämpfcm auchten. Sie bestritten also, dall der Glaube und die Erlösung ein Geachenk der absolut freien Gnade Gottes seien. '°') Das englische Wort ngrace" ent.apricht durchaus hinaichtlich seiner Doppelbedeutung dem lateinischen gratis.; wir haben indes kein Wort, da.s diese beiden Bedeutungen vereinte.
Die Ciceroatelle auf dem ersten Titelblatt (S. 1) bedeutet: nFalls ich, wie einige Kleine Philosophen meinen, wenn ich gestorben bin, nichts mehr fühle, so brauche ich nicht zu fürchten, da.II die t-0ten Philosophen diesen meinen Irrtum belächeln!" Vgl. im übrigen zu dieser Stelle die Einleitung, S. XVII.
Nachtrag
429
Zweites Titelblatt, S. 253: Die Stelle aus Hosea ist nach unserer Zählung der achte und nicht der siebente Vers. Luther übersetzt sie: .Aber K~naan hat eine falsche Wage in seiner Hand und betrügt gern." Die Kritische Ubersetzung von Kautzsch übersetzt: .In des Kanaaniters Hand (paßt) falsche Wage; erliebt es, zu übervorteilen." Dagegen übersetzt die Englische Bibelübersetzung mit ganz anderem Sinn: .He (nämlich God, wie aus dem voranstehenden Verse hervorgeht) is a merchant, the balances of deceit are in his hand: he loves to oppress. • Entsprechend ist das Motto auf dem Titelblatt übersetzt. Das zweite, Platonische Zitat bedeutet: .Das Einander-Betrügen ist von allem das Verderblichste."
Korrekturen und Ergänzungen zu den Anmerkungen Anm. 23. Vgl. S. XI dieser Ausgabe. Anm. 25. Vgl. S. XXIX dieser Ausgabe. Anm. 27, Korr.: Vgl. De divinatione, lib. I, cap. 30, § 62; Cato maior de senectude, cap. 23, § 85. Ferner: De finibus, lib. I, cap. 18, § 61. Anm. 32, ergänze: Wahrscheinlich ist der griech. Dichter Moschion gemeint, der den Aufstieg des Menschen vom Höhlenbewohner zum Kulturwesen schildert (Fr. Schramm, Tragicorum ... fragmenta, Münster 1929, p. 71 ff., frg. 6). Anm. 33, ergänze: Gorgias erklärte wie Empedokles die Wahrnehmung als Aufnahme von .Ausflüssen" (Platon, Menon 76 c). Anm. 40. Vgl. S. XI u. XXI dieser Ausgabe. Anm. 42, ergänze: Der französische Ausdruck .esprit forts" ist gleichbedeutend mit dem deutschen .Starkgeister" und dem griechischen .Alkiphron". Berkeley sagt .men of streng heads" und verwendet diesen Ausdruck auch am Ende von II, § 19. Anm. 46. Vgl. S. XXIIIf. dieser Ausgabe. Anm. 50, ergänze: Eine Krone hatte den Wert von fünf Shilling. Anm. 66a [Zusätzlich]. Mandeville, The Fable ofthe Bees, ed. F. B. Kaye, 2. Aufl. Oxford 1957, p. 356 [411]; deutsch: Die Bienenfabel, hrsg. v. W. Euchner, Frankfurt a. M. 1980, S. 386. Anm. 76, ergänze: Aristoteles, Nikom. Ethik III, 11; 1119a3f. Anm. 77, ergänze: 1203a5. Anm. 78, ergänze: Anspielung auf den Deisten Charles Blount (1654-93), der sich erschoß, nachdem ihm die Kirche eine Heirat mit der Schwester seiner verstorbenen Frau verboten hatte. Anm. lOOa [zusätzlich]. Es ist fraglich, ob die 1646 erschienene Satire auf die Jesuiten von dem Österreicher Melchior Inchofer (1584-1648) stammt.
430
Nachtrag
Anm. 111, ergänze: Nikomachische Ethik II, 9, 1109a29; VI, 12, 1144a29; IX, 8, 1169a34f. Anm. 112, ergänze: Protagoras, 358b. Anm. 165, Korr.: Metaphysik 11,2, 994a3; XII, 6, 1071 b4). Anm. 167, Korr.: .Prinzipien der menschlichen Erkenntnis",§ !Hf. Anm. 170. Vgl. .Versuch über eine neue Theorie des Sehens", Philos. Bibi. Bd. 399, § 147f. Anm. 178, ergänze: Berkeley, Philos. Tagebuch, Nr. 827. Anm. 179. Vgl. hierzu .Drei Dialoge zw. Hylas u. Philonous", II (Zusatz zur 3. Aufl.). Anm. 237, ergänze: Fra Paolo SarJ?i (1552-1623). Der Buchtitel selbst war nicht nachweisbar, aber die Ubersetzung: The History ofthe Inquisi· tion, transl. out ofthe ltalian copy by Robert Gentilis. London 1676. Anm. 265. Vgl. S. XI dieser Ausgabe. Anm. 326, ergänze: Der Anfang dieses Paragraphen bezieht sich vermutlich auf die auch in der .Siris" zitierte Historia plantarum (3 Bände, London 1686-1704) von John Ray (1628-1705). Anm. 340, Vgl. .Neues Organon", hrsg. v. W. Krohn, Hamburg 1990, 1, S. 178 f„ 84. Anm. 342, ergänze: Bezieht sich vor allem auf Collins und Woolston. Anm. 354, Korr.: Der Ausdruck .Seriadical" wurde vermutlich von Berkeley mit Bezug auf .series" und .serial" frei erfunden. Er soll wohl in der Ge· schichtsbetrachtung die Berufung auf bloße Reihenfolgen anstelle von si· cheren Daten andeuten. Anm. 392, Korr.: Spinozas Brief Nr. 78 ( = Op. posth. No. 25) vom 7. Febr. 1676; deutsch: Briefwechsel, Leipzig 1914, S. 292f. Anm. 405, ergänze: Vgl. Berkeley .De motu", § 11 mit Anm. v. W. Breidert in: Berkeley, Schriften über die Grundlagen der Mathematik und Phy· sik, Frankfurt 1969/1985, S. 212f. Anm. 409, ergänze: Vgl. Berkeley .A Defence ofFree-Thinking in Mathema· · tics", § 45. Anm. 410, ergänze: Vgl. .A Defence of Free·Thinking" § 45. Anm. 413, ergänze: Vgl. .De Motu" §§ 8-17. Anm. 425, ergänze: Dazu: W. Breidert: Jakob Hermanns •Exercitationes•, Ar· chiv f. Gesch. der Philos. 53 (1971), 164-168. Anm. 427, ergänze: Acta Eruditorum (Leipzig 1689-1691). Daraus Leibniz, Math. Sehr„ hrsg. C. I. Gerhardt, VI, S. 204ff. Anm. 434, ergänze: Ein Axiom aus den .Elementen" Euklids. Anm. 450, ergänze: Introd. § 6ff. Anm. 451, ergänze: Berkeley, Schriften über die Grundlagen d. Math. u. Phy· sik", Frankfurt a. M. 1969/1985 (zur Analyst-Kontro-verse). Anm. 452, ergänze: Auch bei angesehenen Mathematikern des 17. Jh.s war umstritten, ob der Kontingenzwinkel überhaupt quantitativ bestimmt bzw. ob er von Null verschieden sei.
s
Nachtrag
431
Anm. 460, ergänze: Vgl. Philosophisches Tagebuch, Nr. 657-661. Anm. 466, ergänze: Eine .Hypolepsis" kann falsch sein (Aristoteles, Nikom. Ethik VI, 3, 1139b 17). Anm. 479, ergänze: Platon, Protagoras, 357.
Personen- und Sachregister.·)
A.
_Ariost V, 26. Aristides III, 16. Aristoteles II, 1&. 17. 20; m, 4. 18. 14; vr, 12. 27; vn, 9. 29. Arithmetik VII, lli. Arminianer VII, 4. Asien IIl, 9. Aaayrier VI, 22. Ate VI, 12. Atheiat, der, wie er sich entwickelt I, 8; Vorurteil gegen diesen Namen I, 9. Atheiaten (Vorrede) IV, 18; V, 6. Atheimnus (Vorrede), Popanz für Frauen und Narren I, 9; die Vollendung des Freidenkens I, 8. Athen II, 8; ID, 16; V, 8. 18. Athener V, 8. 28. Äthiopier VI, 22. Attribute Gotte• IV, 17-21;
Aberglauben I, 2; .Methode, ihn zu zerstören I, &. Aberglauben und Schwärmerei, Quelle der Pfaft'enliat I, 8. Abstrakte allgemeine Idee VII, &. 6. 7. Abstrakte Schönheit der Tugend III, 6. Acta Eruditorum VIl, 9. d7a66' IlI, 18. Agens, ein -verantwortlichea, ist der Mensch VIl, 22. 27. Ägypten ID, 9; V, 2; VI, 16. „ 21. 24. ,4.gypter VI, 12. 16. 21. 22. 24. ~tiscbe Pries~e~ VI, 21. 22. 2&. Agyptische Tradition .VI, 24. dxcllaOToS" und ueani• II, 20. Alexander der Grolle VI, 21. VI, lli. Alexandrinisches Manuskript VI, 8. .Augensprache IV, 10-lli. Alphons, König von Neapel V, .Auguatin V, 10; VI, 27. 2&. Augustus, Kaiser V, 25. Alten, die V, 11. Autoren, alte, im akademischen .Ammianua Marcellinus VI, 2&. Studium I, 11. Analogiebe~ft' IV, 21. .Autorität und Vernunft I, 18. Anarchie, in der Natur und im bürgerlichen Leben IV, 1. B. Anaxagoraa IV, 18. · .Babylonier, die VI, 22. M. Anton II, 20. Babylonische Tradition VI, 24. M. Antoninus ID, 14. .Bacon VI, 22. Apathie IIl, 14. Apostel VI, 27. Balaam VI, 16. .Baailius VI, 27. Araber V, 24. Architektur, griechische und go- Bembus, Kardinal V, 25. Beroaua VI, 22. tische IlI, 9. *) Die römiachen Zift'em bedeuten die Dialoge, die arabischen die Paragraphen.
433
Personen- und Sachregister. Bessarion, Kardinal V, 25; VI, 12. Biblische Schriften (siehe auch "Heilige Schrift"!), ihre Echtheit VI, 5. Bileam (siehe Balaam !) Blutkreislauf, Theorie des III, 15. Borellus VII, 9. Boyle VI, 22. Brahmanen VI, 23. Bräuche und Riten, Mannigfaltigkeit derselben I, 5. Britannien V, 3. 26. Briten V, 12. 14. 35. Brutus V, 11. Bubalion II, 20. Bupalus VII, 31.
u. Co.iaphas VI, 16. Cajetan IV, 21. Calvinisten, die VII, 4. Camillus V, 14. Canaaniter VI, 16. Cäsar V, 3. Catania VI, 22. Catilina II, 7. 20. Cato III, 16; V, 14. Celsus VI, 25. Chaldäer VI, 12. 21. 22. Chaldäische Orakel VI, 12. Chaldäisches Jahr VI, 20. Chaos IV, 18. Chäremon VI, 24. Chärephon II, 20. Charmides V, 20. China 1, 15. Chinese IV, 11. Chinesen VI, 21. Chinesische Tradition VI, 24. Christenheit II, 22. Christentum (siehe auch nReliiP:on"!), sein Hauptkennzeichen ist, Gutes zu tun V, 4; hat die Menschen sanfter gemacht V, 12. 36. Christliche Hoffnungen III, 7. Christliche Offenbarung VI, 21. Christliche Religion, Prinzip der Glückseligkeit und Tugend V,
4; die guten Wirkungen derselben V, 11. 12. Cicero I, 10; II, 3; III, 16; V, 6. 11. 14; VJ, 9; VII, 28. Ciceros Schriften VI, 5. Cimon I, 12. Cleon II, 20. Cleophon II, 4. Clinias If, 17. Corno do Medici V, 25. Confucius I, 16; VI, 8. De Consolatione VI, 5. Copernikanisches System m, 15. 1. Corintherbrief VI, 7. Corvinus, Matthias, König von Ungarn V, 25. Crates II, 20. Cratylus III, 13; VI, 4; VII, 21. Ctesias VI, 22. Ctesippus V, 1. Cyniker V, 5.
D. Dairos V, 2. Daniel VI, 20. David, König VI, 8. Deist, der, wie ersieh entwickelt!, 8. Deisten haben nicht einmal natürliche Religion I, 12. Demea VII, 30. Demodicus II, 7. Demylas I, 12. Diagoras I, 12; IV, 16. 17. 22; V, 3. Diagoras aus Melos V, 3. Dialog über den Tod VI, 6. Diodorus VI, 21. 22. . Dionysius der Areopagit IV, 19. Dorcon V, 13. 36. Dreieinigkeit VII, 11. Druiden, die V, 3. Duell, das, ein gotisches V erbrechen V, 13. Dunkelheit des Stils VI, 8. Dynastien des Manetho VI, 21.
E.
>}av III,
4. Ehre, Quelle der Tugend III, 1; Mann von Ehre III, 1. 2.
434
Personen- und Sachregister.
Ehrgeiz und Grausamkeit, Lieblingslaster der Priester I, S. Ehrgeiz, Habsucht und Rache der Priester I, S. Eigennutz II, 13. Einbildungskraft, Nährboden für Visionen, Phantastereien und Vorurteile I, 9. Empedocles VI, 12. Empfindungen, Mittel das Gute zu genießen I, 9. England I, 4; II, 1. 7. 17. 26; III, 16; V, 18. Engländer II, 17; III, 12. 13. 16; V, 26; VI, 26; ihre allgemeinen Anschauungen gemildert durch das Christentum V, 12. Englische Kirche I, 6; V, 26. Theologen V, 21. „ Verfassung V, SO. Englischer Charakter III, 12. n Geiet III, 12. Entelecheia VII, 9. Entfernungen, Sehen von IV, 8. ma1t•n0v III, 4. Ephemeriden VI, 21. Epikur V, 6. Epikureer, die II, 18; IV, 16; VI, 26. Erasmus VI, 27. Erkenntnis, ihr Weg I, 11. Erotylus II, 14. Erziehung, religiöse, zu Vorurteilen I, 6; moderne VII, 34. Erziehungsmethode der Freidenker I, 11. Esau VI, 22. Euclid VII, 4. SO. Eucrates II, 16. 19. Euripides VI, 12. Europa I, 16. Europäer VI, 21. Eusebius VI, 21.
Fletcher V, 22. }'ortachritt I, 1. l!'reidenken, Erfolg desselben I, 4; sein einziger Segen der Luxus II, 24. Freidenker I, 2; ihre Unbehindertheit in Englnnd I, 4; edler Eifer derselben I, 8; a.llein wahrhnft frei I, 9; Prinzipien, Entdeckungen und Grundsätze derselben I, 9; ihre wirkliche Stärke, Zahl und Rolle, die sie spielen I, 12; Fruchtbarkeit ihrer Prinzipien II, 25; bigotte Menschen VI, 32. Freidcnkertum (Vorrede) I, 1. Freiheit, der menschlichen Seele (Vo1Tede), wird bestritten VII, 19-21; der Rede I, 6 ;· geschaffen durch die Kleinen Philosophen I, 12; englische Freiheit II, 26; ein Segen oder Fluch V, 80. Freiheit und Tugend für einander gemacht II, 24. Fuchsjagd V, 1. Furcht vor Strafe III, 4. Fürsten, im Einvernehmen mit der Geistlichkeit I, 7.
G.
Ga.llien V, 8. Gamaliel VI, 26. Gaza, Theodore V, 26. Gebet I, 12; IV, 25. Gedanke, unterscheidet Mensch und Tier, Men&ch und Mensch I, 2. Gefühl, der Schönheit III, 5. Geistlichkeit, G,i;gner der Freidenker I, 8; .Arzte der Seelen V, 7; inI Einvernehmen mit den Fürsten I, 7. Gemeinsinn, eitle Schwärnierei F. I, 11. Fähigkeiten des Menschen II, 14. Gemeinwohl I, 16; II, 1. 9. 10. 13; praktische Wahrheiten sind Fälschungen von Schriften VI, stets mit ihm verknüpft Y, 4. 5. 28. Ficinus VI, 12. Genesis VI, 29.
Pe1'llonen- und Sachregister. Gesi:hmack, natürlii:he1· IlI, 3. Gesichtssinn, Licht und Farbe eigentliche Gegenstände desselben IV, 10. Gesichtssprache (siehe Sehsprache!) Gesichtswahrnehmung, Abhandlung über die (VotTede.) Gesundheit II, 12. Gewissen, macht den Menschen zum Sklaven I, 9; eine Grille I, 12; setzt das Dasein eines Gottes voraus I. 12; notwendige Wage menschlicher Vernunft V, 28. Glaube, der, an einen Gott, stärkstes Vorurteil I, 8 ; an einen Gott, Unsterblichkeit der Seele, zukünftiges lteich nützliche Mittel der Regierung I, 7; Hauptlehren desselben III, 7. Gfaubenssysteme I, 8. Glaucus II, 7; VI, 18. 19. Glückseligkeit, herrlichstes Ziel von Handlungen I, 16. Gnade, es gibt keine Idee derselben VII, 4. 9. gonfiezza III, 9. Gorgias I, 12. Gote V, 13. Gott, Beweis gegen sein Dasein (Vorrede) I, 12; sein Dasein bedingt Religion I, 9; Beweis aus der Idee eines vollkommenen Wesens, der Sinnlosigkeit einer unendlichen Reihe von Ursachen abgelehnt IV, 2; spricht zu den Menschen IV, 7; seine Attribute IV, 17-20. 21; VI, lö. Gottesbegriff, anerzogen I, 6; IV, 16; verschieden I, 6. 8; nicht durch die Sinne zu gewinnen I, 9. Göttliche Namen IV, 19. Grausamkeit und Ehrgeiz I, 3. Griechen II, 17; III, 9; V, lL 12. 17. 18; VI, 12. 22. 31. Griechenland III, 9. 18; V, 10. 17. Griechische und lateinische Sprache V, 23. Griechische und gotische Architektur III, 9.
435
Griechische Historiker VI, 22. " Schriftsteller VI, 21. Gro.llbritannien I, 14; II, 15; IV, 3; V, 35. Grubstreetballade II, 15. Grundsätze, machen zum Skla\·en
I, 9.
Guido III, 9.
H. Hebräer VI, 22. Hebräische Sprache VI, 7. Hegemon II, 26. Heiden, die VI, 27. 30. Heilige Schrift, ihr Stil VI, 6; Schwierigkeiten darin VI, 7. Hermanns VII, 9. Hermes VI, 21. Hermische Säulen VI, 21. 22. Hermocrates II, 17. Herodot VI, 22. Hesiod VI, 12. Hierarchie I, 3. Hierarchie, die himmlische IV, 19. Hierocles VI, 12. Hiob VI, 29. Hippolytus VI, 12. Hobbes IV, 16; V, 35. Hoffnung auf Belohnung III, 4. Hoherpriester V, 2. Holland VI, 11. Homer VI, 7. 8. 12. honestum III, 4. Horaz II, 15; III, 15; VI, 8. Hottentotten II, 22. Huren, das IT, 2.
I. Ibycus VII, 30. Identität der Person VII, 11. impetus VII, 9. Inchofer II, 26. Inquisition V, 20. Inquisitor, jeder Landpa1to1· I, 4. Inapiration VI, 9. Irland VI, 22. Irländer· VI, 22. Irreligion, sicherer Weg zum Laster II, 24.
Pe.l'sonen· und Sachregister.
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17 ; ihre Feigheit II, 17; ihre Lehrsätze II, 25; ihro Rechenlmnst U, 18; Männe1· mit praktischen Absichten II, 6, Kleine Philosophie, Gefährlichkeit ihrer Anschauungen II; 6; das J. schlimmste Unkraut II, 23. Jakobusbrief VI, 5. Königreich, ein, wie eine Familie Jamblichus VI, 12. II, 7. ,Jansenisten, die VII, 4. Körperliche Existenz, Mittelpunkt Japan V, 2. aller Handlungen I, 9. Jeremias VI, 7. 9. Kraft, die VII, 9. 14; verschieJ erome VII, 12. dene Bezeichnungen dafür Jerusalem VI, 3. 24. 25. VII, 9. Jesuiten II, 26; VI, 21. Kreislauf, Lehre vom II, 8. 21. J ohannesbriefe, die beiden letzten Kult, Verschiedenheit deHelben VI, 5. I, 6. •Jonson V, 22. Jordan VI, 7. L. Josephua VII, 26. Laches VI, 7. Jovius, Bischof V, 25. Lamas V, 2. Juda Vl, 20. Lamprocles III, 16. Judäa V, 2. Laster, eeine Nützlichkeit I, 11; Judasbrief VI, 5. des einzelnen sind Wohltaten .Juden VI, 21. 24. 25. 27. 30. 31. Cür die Allgemeinheit II, 1 ; .Jüdische Olfenbaro.ng VI, 21. Vorurteil gegen dasselbe II, 3. .Jüdischer Staat VI, 25. Latitudinarier I, 8. .Jüdisches Volk VI, 3. Leander V, 85. J ulian VI, 25. Lebensgeister IV, 4. Julianisches Jahr VI, 20. Lebewesen, sämtlich beschäftigt Jupiter II, 16; VI, 12. mit Befriedigung ihrer Triebe
1saak VI, 22.
Italien III, 9. Italiener V, 30. Italienische Malerei 1, 11.
K. xai.oxdyai>la III, 13. xaJ.Ot>, TO III, 4. 12. 1