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German Pages 160 Year 1950
DER MENSCH GERINGER NATURBEHERRSCHUNG SEIN AUFSTIEG
ZWISCHEN UND
VERNUNFT
WAHN
VON
RICHARD
THURNWALD
Berlin 1950 WALTER D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung • J . Gattentag, Verlags • buchhandlang • Georg Reimer • Karl J . T r ü b n e r • Veit & Comp.
Mit 23 Tafeln und einer Karte
Archiv-Nr. 425150 Herstellung: Meisenbach, Riffarth & Co. AG.
INHALT Vorwort
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I. A l l g e m e i n e
Bedingtheiten
des geselligen
Lebens
1. Die Selbstdomestikation 2. Aufspeicherung von Fertigkeiten und Kenntnissen 3. Kulturen und Fortschritt 4. Ausschaltung und Einschränkung von Fertigkeiten und Kenntnissen 5. Einzelner und Gesellung 6. Verzahnung 7. Schema des Verhaltens 8. Änderungen des Schemas 9. Soziologische Forschung 10. Berührungen unter Gruppen und Kulturen 11. Umstellung und Anpassung 12. Warum nicht einfach „Entwicklung"? II. S t a d i e n
menschlicher
..
15 15 16 17 17 18 18 19 19 20 20 21
Lebensgestaltung
13. Ausstrahlungen 14. Mangelnde Selbständigkeit der Funktionen des Gesellungslebens . .
..
22 22
A. W i l d b e u t e r ( J ä g e r u n d S a m m l e r ) 15. Ursprüngliche Nahrungsgewinnung 16. Früheste Hilfsmittel und Werkzeuge 17. Die ältere Altsteinzeit 18. Jüngere Altsteinzeit 19. Vorstadien der Tierhaltung 20. Neusteinzeit
23 23 24 24 24 25
B. P f l e g l i c h e N a h r u n g s b e s c h a f f u n g a)
Pflanzenbauer
21. Ungleichheit der Epochen 22. Brennpunkte der Leistungen, Spitzenkulturen 23. Ausbreitung und ihr Rhythmus 24. Politische und wirtsdiaftlidie Zusammenschlüsse 25. Hackbau, Gärten, Felder 26. Die Rolle der Frau im Pflanzenbau 27. Arbeitsteilige Bedeutung der Frau 28. Deutung weiblicher Arbeit 29. Die wirtschaftliche Bedeutung des Pflanzenbaues 30. Wirtschaftseinheit 31. Geistesverfassung
..
25 26 26 27 27 28 28 28 29 29 30
W Hirten 32. Anfänge der Viehzucht 33. Schonung von Tieren und Pflanzen (Totemzentrum) 34. Leittiere und Fürsorge 35. Nomadisieren 36. Art des Zusammenlebens, Eigentums- und Besitzverteilung 37. Wirtschaft und Geistesverfassung 38. Religiöser Ausdruck des Lebens
30 31 31 31 32 32 33
C. L e r n e n u n d U b e r s c h i c h t u n g 39. Treffen von Hirten und Pflanzern 40. Lernen der Pflanzer von den Viehzüchtern; Pflug 41. Uberschichtung durch Hirten 42. Zusammenschluß auf der Grundlage der Gleichberechtigung 43. Beginn einer Uber- und Unterordnung 44. Zersetzung der überschichtenden Hirten 45. Adel und Hörige, Eingliederung der Wildbeuter 46. Handwerk 47. Handwerker-Kasten 48. Handel 49. Fortschritt und Zyklus 50. „Idealtypen" 51. Auswirkungen des Zusammentreffens von Pflanzern und Hirten .. 52. Wiedervereinheitlichung 53. Zugewanderte fremde Spezialisten 54. Soziale Schichten, Kasten 55. Wirtschaftsverfassung, Hörige und Sklaven 56. Geistesverfassung
34 34 34 35 35 35 36 37 37 37 38 39 39 39 40 41 42 42
D. M e t a l l z e i t 57. Anfänge 58. Spezialisierung 59. Die örtliche Entstehung der Metallbearbeitung historisch gesehen . . 60. Eisen 61. Gold und Silber 62. Spezialisierter Fortschritt 63. Historische Epoche III. E i n r i c h t u n g e n v o n
..
44 44 45 46 46 46 47
Gemeinwesen
v e r s c h i e d e n e r Ausrüstung und
Kulturen
64. Der Sinn der Einrichtungen liegt in ihrem Funktionieren im Gemeinwesen
48
A. F a m i l i e u n d V e r w a n d t s c h a f t 69. Kern der Familienbildung 66. Arbeitsteilung als Familienband 67. Wertung der Frau 68. Männergesellschaft 69. Heiratsordnungen 70. Typenbildung
49 49 49 50 50 50
71. Exogamie und Endogamie, Außen- und Binnen-Heirat . . .. 72. Verwandtschaft 73. Erziehung 74. Reifeweihen .. 75. Heirat 76. Eheleben 77. Nebenehe 78. Mehrehe (Polygamie) 79. Scheidung 80. Erbgang, Vaterredit, Mutterredit 81. Bünde 82. Umgestaltung von Erziehung und Reifeweihen durch Schichtung
..
..
..
..
83. Anspruch der Horde, Bande, des Klans und der Gemeinde auf Land 84. Ansprüche der Wildbeuter 85. Ansprüche der Pflanzer 86. Ansprüche der Hirten 87. Ansprüche von überschichteten Gemeinwesen 88. Staatlicher Lebensablauf 89. Siebung 90. Verschiedene Siebung in vor- und frühstaatlichen Gefügen 91. Herrschaft 92. Aristokratische Fürsten 93. Doppelhäuptlinge 94. Zauberpriester und Häuptlinge 95. Fürsten und Hörige 96. Könige und Sklaven 97. Despoten, Tyrannen, Beamte 98. Hörige und Sklaven 99. Kriege
..
B. P o l i t i s c h e
C.
51 51 51 52 52 53 53 53 54 54 54 55
Gestaltung 56 56 57 57 58 58 59 59 60 60 61 61 62 63 63 64 65
Wirtschaftsorganisation
100. W a s ist Wirtschaft? 101. Technik und Wirtschaft 102. Die Familie als Wirtschaftseinheit bei den Wildbeutern 103. Die Familie als Wirtschaftseinheit bei den Pflanzern 104. Die Familie als Wirtschaftseinheit bei den Hirten 105. In der Oberschichtung 106. Die Arbeit als Grundlage f ü r die Eigentumsansprüche bei Wildbeutern und Pflanzern 107. Arbeit und Eigentum bei den Hirten und Seefahrern 108. Einfluß von verwandtschaftlicher Gliederung und Rang bei sozialer Staffelung auf die Wirtschaft 109. Die wirtschaftliche Rolle des Fürsten 110. Familiale und persönliche Teilhaberschaft am Gemeinbesitz 111. Gemeinsame Arbeit 112. Verteilung 113. Kollektiver Tausch unter aristokratischer Leitung 114. Theorie und Wirklichkeit 115. Frühgeld im Kulturzusammenhang 116. Frühgeld und Schweine bei der Heirat
66 66 67 67 68 68 68 69 70 70 71 71 72 72 73 73 74
117. Be- und Entwässerung 1J8. Spezialisierung im Handwerk 119. Betriebsform des Handwerks 120. Historisdi ermittelbare älteste Wirtschaftsorganisation 121. Völkerkundliche Ähnlidikeiten 122. Tempel und Stadtfürsten in Sumer 123. Privatwirtschaft neben der Wirtschaft des Königshofes in Babylonien und Ägypten 124. Stummer Tausch 125. Markthandel 126. Entstehung des Geldes 127. Arbeit 128. Folgen der Domestizierung des Menschen D. R e c h t , M o r a l ,
75 76 77 77 78 78 79 79 80 81 82 82
Geistesverfassung
129. Zerlegung von Recht und Moral 130. Beschränkungen des Verhaltens durch die Sitte 131. Das allgemein Menschliche als Inhalt 132. Zivilisatorische Horizonte 133. Die Bedeutung der Dbersdiichtung für das Recht 134. Wandel der Geistesverfassung 135. Sinn dieser Darstellung 136. Material für Untersudiung 137. Bedeutung der Naturvölker 138. Meisterung der Natur, nidit des Menschen selbst IV. H i s t o r i s c h e A u s w i r k u n g e n d e r s o z i a l e n 139. Auswirkung der Verzahnung 140. Emotionelle Störungen 141. Beschränkte Möglichkeiten und Fortschritt 142. Spezialisierungen des Lebens 143. Absonderungen, Verschmelzungen 144. Kulturwechsel 145. Umwälzungen auf religiösem Gebiet 146. Kultische Gestaltungen 147. Reformer als Urheber von Uni Versalreligionen 148. Priesterschaft paßt Lehren dem praktischen Leben an 149. Wirkung der Universalreligionen 150. Technik und menschlicher Aufstieg
83 83 85 85 86 87 87 87 88 88 Vorgänge 89 89 90 90 91 91 92 92 93 94 94 94
Schlußwort 151. Des Menschen Aufstieg zwischen Vernunft und Wahn Fach ausdrücke Literatur Verzeichnis der
96 101 108 157
Tafeln Jbkürzuntfen
Lt. - Literatur, Hinweise auf Werke, die über Einzelheiten Aufschluß geben. Die Nummern beziehen sich auf die Autorennamen im Literaturverzeichnis. Tf. = Tafel. Zf. Ziffer. Die Ziffern der Paragraphen sind fortlaufend numeriert.
VORWORT
U
nsere Zeit kocht über von Fragen nach einer angemessenen Ordnung des Zusammenlebens, sowohl in nationalen als auch in internationalen Verbänden und Unterverbänden. In der Regel geht man bei den Erörterungen von einem sehr ichgebundenen und nicht weiträumigen Überblicken der Situation aus. Zu solcher Einengung haben in Deutschland die Hitlerzeit und — auf der Erde überhaupt — der zweite Weltkrieg erheblich beigetragen. Wenn wir auch noch keinen Frieden haben und mancherlei Hemmnisse im W e g e stehen, ist es vielleicht angezeigt, einmal eine kurze Bilanz über menschliches T u n und Denken zu ziehen.
Das soll auf Grund von Tatsachen, nicht von Theorien aus erfolgen. Es soll versucht werden, gemäß den Ergebnissen der neuesten Forschung vorzugehen, nicht von dogmatischen Sätzen aus, die vielleicht vor hundert Jahren eine gewisse Anerkennung verdient hatten. So wenig wie auf dem Gebiete der Physik oder der Chemie veraltete Ansichten noch Geltung beanspruchen können: etwa daß man niemals in einer Maschine, die schwerer als die Luft ist, wird fliegen können, oder daß in der anorganischen Chemie durch Feststellung der Atomgewichte das letzte W o r t gesprochen sei, daß Haeckel sich einbildete, die „Welträtsel" gelöst zu haben usw., so wenig kann man sich auch auf die damals für das soziale und wirtschaftliche Leben erdachten Theorien verlassen. Auf soziologischem, psychologischem, frühgeschichtlichem und völkerkundlichem Gebiet sind in den letzten hundert Jahren nicht zu unterschätzende neue Einsichten zutage gefördert worden. D e r Unterschied gegen Physik oder Chemie besteht darin, daß die bezüglichen Beweise auf soziologischem Gebiet nicht so augenfällig geführt werden können, obwohl Irrtümer darin weniger lächerlich machen, als blutige Folgen haben können. Die Dogmatik führt aber zu Rückständigkeit. „Fortschrittlich" ist nur: ohne Rücksicht auf Vorurteile, Theorien oder philosophische Lehren an die verläßlich ermittelten Tatsachen heranzutreten. Gewiß kann mitunter dies oder das nur hypothetisch sein, jedoch darf das dann auch nicht verschwiegen werden. Es soll versucht werden, einen Überblick über Phasen und Varianten mensch-
10
Vorwort
liehen Zusammenlebens zu gewinnen und dabei dessen Grundzüge zu ermitteln. Ausgehend von solcher Selbsterkenntnis des Menschentums können möglicherweise Einsichten erzielt werden, die für Verhalten und Handeln in der Zukunft zu nutzen wären. Im wesentlichen handelt es sich hier teils um Kunde aus der Frühgeschichte, die sich nicht nur auf Reste von Knochen oder Gräbern beziehen, sondern auch auf Erzeugnisse des Handwerks und der Naturbeherrschung überhaupt. Zum anderen vermittelt das heute noch erfaßbare Leben von zeitgenössischen sogenannten Naturvölkern eine Einsicht in fremde Lebensart, andere Ansichten und Wertungen, ungewöhnliche Gedankenverbindungen und Ausdrucksweisen, während die zumeist historischen Völker archaischer Prägung als frühe Vorfahren von Kulturen des klassischen griechischen und römischen Altertums, und im Zu sammenhang damit der europäischen und europäo-amerikanischen Kulturen, von großer Bedeutung und Nachwirkung in unserer heutigen Zeit noch gewertet werden müssen. Können aus dem frühgeschichtlichen Material vorwiegend Phasen menschlichen Zusammenlebens gewonnen werden, so liefern die Untersuchungen an Naturvölkern und archaischen Kulturen die Möglichkeit, den Varianten des Menschentums und seiner Geistesart nachzugehen. Hierbei darf natürlich nicht die Frage ausgeschlossen werden, wie tief zurück in die Vergangenheit die Varianten der Kulturgestaltung reichen und wie weit Phasen des Wachstums in die völker-psychologischen Erscheinungen verwoben sind. In der vorliegenden populär-wissenschaftlichen Arbeit konnten nur die Hauptthemen der Vorgänge aus einem großen Material herausgeholt werden. Durch solch ein verkürzendes Verfahren treten die Zusammenhänge und Eigenarten schärfer hervor. Demgegenüber verblassen die subtile Kleinarbeit und die zahllosen Sonderfälle. Der Leser sollte aber nie vergessen, daß solchem zusammenfassenden und abstrahierenden Vorgehen Ungenauigkeiten in den Verallgemeinerungen notwendig unterlaufen müssen. Alle Vorkommnisse und Erscheinungen sind nur einmal und einzig. Daher auch die Schwierigkeit, die ausschlaggebenden Zusammenhänge zu gewinnen, Schwierigkeiten, die immer und überall bestehen, leider aber zu oft beiseite geschoben oder verheimlicht werden. Das Verführerische dtr Abstraktionen besteht darin, daß man sie mit der Wirklichkeit verwechselt, um dann mit ihnen wie mit Tatsachen zu spielen. Begriffe leben nicht, wie Piaton und seine Nachfahren meinten, in ewigen Sphären, sondern sind wandelbar wie alles Menschliche und bedürfen oft Verbesserungen entsprechend den neuen Tatsachen. Die Sprachforscher wissen, wie Worte als Träger von Begriffen nach Zeit und Ort sich in ihrer Bedeutung verschieben und wandeln. Inmitten der Umwälzungen der Gegenwart erleben wir selbst die Wandlung mancher Begriffsinhalte, z. B. dessen, was als „Versprechen auf Treu und Glauben", „Pflicht" usw. gilt. Bei der Durchforschung fremder Völker stoßen wir auf von unseren verschiedene Inhalte von Recht, Moral, Staat, Eigentum, Familie, Arbeit, Religion. Erst aus den Besonderheiten ihrer Erfahrungen
11
Vorwort
und ihres weniger zergliederten Denkens werden uns solche Erscheinungen verständlich. Zu einem großen Teil liegt dieser Arbeit das Material zugrunde, das der Verfasser hauptsächlich in den nahezu 200 Aufsätzen von Eberts „Reallexikon der Vorgeschichte" 1924—1928 (Verlag W . de Gruyter & Co., Berlin) zusammengestellt hat sowie in den 5 Bänden der „Menschlichen Gesellschaft" 1931—1935 (Verlag W . de Gruyter & Co., Berlin). Am Schlüsse des vorliegenden Buches wird noch auf einige weitere Veröffentlichungen hingewiesen, die mit den Reisen, Forschungen und Aufenthalten des Verfassers in der Südsee (1906—1909. 1912—1915 und 1933—1935), in Afrika (1930—1932) und Amerika (1909^ 1915—1917, 1931—1933, 1935—1936) zusammenhängen. Persönliche Erlebnisse vermögen erst Nachrichten aus Büchern und Schriften zu verlebendigen und das Einfühlen in fremde Lebens-und Denkweisen zu erleichtern. Bei der Herstellung der Jafeln und Zeichnungen war Herr Dr. Gerdt Kutscher mir in dankenswerter Weise behilflich. Eine ausführliche Untersuchung vieler hier nur gestreifter Fragen wird in einer umfangreicheren und ausgiebiger belegten Arbeit demnächst erscheinen. Die Fachausdrücke werden vor dem Register am Schluß des Buches erläutert. Berlin, im Juni 1950
Richard
Jhurnwald
Aussprüche
über das
aus verschiedenen
"Menschentum Epodhen
Aus dem Gilgamesch-Epos, das um 5 0 0 0 v. Chr. unter den Sumerern entstanden sein mag: Der Sdhattengeist des Helden ENGIDU war in der Unterwelt und kehrt zur Oberwelt zurück. Der Sonnengott EA fragt ihn: „Xünde, mein Jreund, die Salzung der Erde, die du schautest." ENGIDU antwortet: „Ich will es dir niCht sagen, mein Jreund, wenn iCh die Satzung der Erde, die iCh sChaute, dir sagte, würdest du dich den ganzen 7ag hinsetzen und weinen." (Nadi der Ubersetzung von Ungnad)
FIoAXi TOI 5etva, KovSiv dvöpcöuou SeivÖTepov TTEAEI Es gibt viel frauenhaftes,
nichts ist grauenhafter
als der TAensCh.
Aisdiylos (ca. 500—(50 v. Chr.)
Aus Edkermanns Gesprächen mit Goethe: „ Qott hat sidb nadb den bekannten imaginären SChöpfungstagen keineswegs zur Ruhe begeben, vielmehr ist er noch fortwährend wirksam wie am ersten Jage." (11.Mira 1832)
I. A L L G E M E I N E B E D I N G T H E I T E N DES G E S E L L I G E N LEBENS
1. Die
Seibstdomestikation
D e r Mensch unterscheidet sich von den tierischen W e s e n durch die Selbstdomestikation. Er hat sich nicht allein der Umwelt passiv angepaßt, nicht nur durch Wanderungen ihm zusagende Orte aufgesucht, sondern er unternahm es auch, die Umwelt in wachsendem Ausmaß seinen Zwecken entsprechend umzugestalten. Es ist zwar richtig, daß auch Ameisen, Termiten, Bienen, Biber, Hamster usw. Bauten ausführen, nicht nur zwecks Fortpflanzung, sondern auch zur Verbesserung ihrer Lebensweise. Doch keinerlei T i e r e haben die Naturkräfte frühzeitig so zu nützen verstanden wie der Mensch. Die erste große Errungenschaft war die Nützung und Bereitung des Feuers. Nur allmählich dürfte sich in einzelnen Horden die entsprechende Fertigkeit eingebürgert und verbreitet haben, die revolutionierende Folgen brachte. Die älteste Zeit des Menschentums muß eine des aufmerksamen Beobachtens, Merkens, Vergleichens und Nachdenkens, natürlich auch des Irrens gewesen sein, ähnlich wie bei Kindern. Während aber unsere Kinder sofort von den Erwachsenen belehrt und auf ihre Fehler aufmerksam gemacht werden, mußte der Frühmensch alles aus sich selbst heraus gewinnen und gestalten, Irrwege einschlagen, sich entmutigen lassen. Das erforderte viele Zehntausende von Jahren und Tausende von Generationen.
2. Aufspeicherung
von Wertigkeiten und
Kenntnissen
Die angeborene Disposition des Menschen besteht in seinem Gehirn und seiner Hand als Greifbehelf. Das Gehirn ist sehr reaktionsbereit. W e n n wir auch heute außer Knochenresten und Resten von Leistungen keine anderen Anhaltspunkte haben, vermögen wir doch beide, Möglichkeiten und Tatsachen, in Beziehung zueinander zu setzen. D i e Leistungen erscheinen wie das Ergebnis eines spezifischen Vorgangs des Zentralnervensystems, halb unbewußt, wie „ausgeschwitzt", bedingt durch die angeborene biologische Substanz des M e n schenstammes. Dieser Stamm hat sich vermutlich vor vielleicht einer Million Jahren ( T f . 1 und 2) von seinem vormenschlichen Wesen abgespalten, von dem auf anderer Linie die höheren Affen, wie etwa die Schimpansen, ab-
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Allgemeine Bedingtheiten des geselligen
Lebens
zweigten. Ähnliche Vorgänge finden wir zum Beispiel unter den Eidechsen, den Fischen, den Pferden. Der Erbbesitz des Menschenstammes barg indessen die Qrundanlage des Menschengeschlechts: zur Sprache, zur umfassenden Kombination und zur Fähigkeit, Sdilüsse zu ziehen, die Erscheinungen und Vorgänge zu zerlegen (zur Analyse) und neu nach Wunsch zusammenzusetzen (zur Synthese), zu phantasieren, die Mengen zu zählen und zu rechnen, Symbole zu abstrahieren und in Zeichen zu verdichten usw. Mittels dieser biologischen Gegebenheiten machte der Mensch seinen Weg, erwarb unzählige Fertigkeiten und Kenntnisse, die er an seinen Nachwuchs weitergab. Dadurch ging eine „Erziehung" der Jugend vor sich. Jede neue Generation fußte auf den Errungenschaften der vorhergegangenen, auf deren Überlieferungen. So häufte sich Schatz auf Schatz (vgl. Lt. 13). Doch pflegte jede Horde und jede Gemeinschaft ihre eigenen Überlieferungen. Auf diese Weise spalteten sich die Überlieferungen früh in eine Mehrheit von Ästen auf. Solche Aufspaltung unterstützte aber eine gegenseitige „Erziehung" der Gruppen, die allerdings nicht ohne Gewalttaten abging. Darin lag aber, von der Ganzheit des Menschentums gesehen, die „Selbsterziehung des Menschengeschlechts". Andererseits wird man annehmen müssen, daß, so wie etwa unter den Kongo-Pygmäen der Gegenwart, auch schon in ältester Zeit Berührungen unter den Horden stattfanden (Lt. 35) und die eine Gruppe der anderen etwas nachahmte, von ihr lernte. Das wurde vermutlich dadurch unterstützt, daß die Zusammensetzung der einzelnen Horden nidht stabil war, sondern, wie unter den Kongo-Pygmäen, je nach den Stimmungen wechselte, so daß einer leicht die eine Horde verlassen und eine verwandte aufsuchen konnte (Lt. 12, S. 306 ff., 375).
3. Xuhuren
und
Jortsdbritt
Während der Schatz an Fertigkeiten und Kenntnissen einer Horde oder einer Gruppe von Horden als deren zivilisatorisdhe Ausrüstung bezeichnet werden kann, stellen die daran geknüpften Bräuche, Sitten, Einrichtungen, Gedanken, die Haltung und Sprache, die Xultur dieser Horde oder Gruppe von Horden dar (Lt. 35, S. XI). Weder Ausrüstung noch Kultur sind etwas Konstantes, sondern in steter Wandlung begriffen, die in den ältesten Zeiten allerdings langsamer gewesen sein dürfte. Während in den Verbesserungen der materiellen Ausrüstung und in der zunehmenden Einsicht des Zusammenhangs der Erscheinungen ein Jortsdhritt enthalten ist, fand dieser keineswegs gleichmäßig oder gleichzeitig statt, sondern in jeder Gruppe von Horden für sidh. Das um so mehr, als die einzelnen Horden, wenn man auch eine gemeinsame Herkunft der Frühmenschen, etwa aus Mittelasien, annimmt, in verschiedenen Kontinenten, Gegenden und Klimaten ihre Heimat gefunden hatten, sie also auf ihre Umwelt in jeweils eigener Weise zwecks Erhaltung ihrer Existenz reagieren mußten. Wie weit bei der Aufspaltung der menschlichen Varianten erbliche Anlage.
Allgemeine
Bedingtheiten
des geselligen
Lebens
17
Auslese oder Umwelteinflüsse den Ausschlag geben, wird vielleicht für jeden Fall besonders beantwortet werden müssen. Jede Gruppe konnte stets nur in einem winzigen Ausmaß ihre Beiträge zum gesamten Fortschritt der Menschheit leisten. So kann man keine einheidiche, geschweige eine gerade Linie des Fortschritts zeichnen, sondern nur Stückchen aus verschiedenen Kulturen und vielerlei Gemeinwesen finden, mit allerlei Zacken und Kurven, die einander manchmal nahekommen oder berühren, dann wieder auseinanderlaufen (Tf. 4). Sie spinnen an den Fäden des Menschentums, und diese Fäden werden stellenweise zu Geflechten und Mustern verwoben, die andere mitunter zu zerreißen suchen.
4. Ausschaltung
und Einschränkung
von Wertigkeiten und
Kenntnissen
Der Aufspeicherungsvorgang der zivilisatorischen Ausrüstung wird durch die Ausschaltung überholter Fertigkeiten ergänzt. Das Holz- oder Steinmesser wurde durch das aus Metall völlig verdrängt, weil die jüngere Generation die Herstellung nicht mehr lernte. Aus dem gleichen Grunde übte die jüngere Generation nicht mehr die Arbeit am Spinnrocken und Webstuhl, nachdem dieSpinnund Webmaschinen die Arbeit schneller und leichter ausführten. Es bedurfte der heutigen bitteren Not, daß vereinzelt zu den alten Geräten und Verfahrensarten zurückgegriffen wurde. Das gleidie gilt für das Färben mit Anilinfarben,, die die aus Pflanzen gewonnenen Farben verdrängten usw. In anderen Fällen werden die alten Vorrichtungen, Werkzeuge, Geräte usw. im Gebrauch nur eingeschränkt. Das Kanu hat das Floß überwiegend, doch nicht völlig verdrängt. Das Segelschiff schränkte die Benutzung des Kanus und Ruderbootes ein, das Dampfschiff und das Motorboot schränkten den Gebrauch der Segel ein usw. Das gleiche gilt für die Verkehrsmittel auf dem Lande, für Traglasten auf Menschenrücken, auf Eseln, Maultieren, Ochsen, die durch den Wagen eingeschränkt, später durch die Eisenbahn und heute das Flugzeug weiter in der Verwendung eingeengt wurden.
5. Einzelner
und
Qeseltung
Jede Gesellung setzt sich aus einzelnen zusammen, während der einzelne in oft verschiedenen Gesellungseinheiten eingebaut ist, wie Familie, Berufsgruppe, Staat usw. An jeder davon ist er beteiligt, und jede fordert von ihm gewisse Betätigungen und Pflichten. Das Kräftespiel unter den einzelnen Mitgliedern einer Gesellung wird zusammenfassend als „Familie", „Berufsgruppe", „Staat", „Wirtschaft" usw. bezeichnet. Je nach seiner Art und der besonderen Funktion des Mitgliedes schlägt sie Seiten des einzelnen in Bann. Durch die Zugehörigkeit zur Familie erwirbt das Kind seine Kultur, die Schätze der Überlieferung an Sprache, Kenntnissen, Denken und Verhalten. Die zusammenlebenden Einzelnen produzieren ihre eigene und einmalige Kultur. Jedoch unter den 2
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Allgemeine Bedingtheiten
des geselligen
Lebens
vergesellten Individuen der Gruppen machen sich, auch in den primitiven Verhältnissen, erhebliche Unterschiede bemerkbar und zwar auf Grund der besonderen Fähigkeiten und Begabungen der einzelnen Personen, die einander oft ergänzen. Manche ehrgeizige und geltungssüchtige Personen hat es zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben, die bald für den Fortschritt auf geistigem, politischem oder wirtschaftlichem Gebiet von großem Nutzen waren, während andere namenloses Elend über die Welt brachten (Lt. 38, S. 23 ff.).
6.
Verzahnung
Dadurch, daß eine Anzahl von Personen einander ergänzt, kommt eine Gesellungseinheit zustande. Das Urbild dafür ist die Familie, in der beide Geschlechter sich zusammenfinden, die auf der Arbeitsverteilung unter den Geschlechtern aufgebaut ist und die einander in ihren wirtschaftlichen Leistungen ergänzen. O f t wird die Familie als solche erst anerkannt, nachdem ein Kind geboren wurde. Somit verzahnen sich Jung und Alt: Das Kind erhält Nahrung und Fürsorge, solange es klein ist. Nachdem es herangewachsen, tritt an den Sprößling die Mahnung und Pflicht, für die Alten zu sorgen. — In der Männergesellung finden sich häufig Leute verschiedener Neigung zusammen. Auf der Jagd etwa einer, der das Wild aufspürt, ein anderer als guter Schütze, ein dritter, der das Abhäuten versteht. Audi in den kleinen Gemeinden hat fast ein jeder seine Spezialität, etwa im Knüpfen von Netzen, im Fischfang, im Hausbau, als Regenmacher (Wetterprophet), als Anführer im Kampf oder als politisches Oberhaupt. Gerade auf einer solchen gegenseitigen Ergänzung baut sich die Verbundenheit der Gruppe auf (Lt. 36, S. 7ff.).
7. Sdbema des Verbaltens Aus dieser Ergänzung entspringt das Gefühl, aufeinander angewiesen und voneinander abhängig zu sein. Das wird durch die wechselseitige Nachahmung verstärkt. Es entsteht eine gemeinsame Norm für das wechselseitige Verhalten, und zwar zunächst völlig unbewußt, wie in Herden von Tieren. In dem Maße als durch die Fähigkeit des Kombinierens und Lernens das Individuelle sich von den kollektiven Vorgängen abhebt, wächst das bewußte Denken und Handeln und damit auch die bewußte Festsetzung gegenseitigen und gemeinsamen Verhaltens. An oberster Stelle unbewußter und bewußter Normgebung steht die Forderung, sich ebenso wie die anderen zu verhalten, was wieder bedeutet, die Xiberlie/erung und das Herkommen als Richtschnur zu beachten. Die Begründung, welche unter Naturvölkern und einfachen Leuten heute noch allgemein für eine Sitte gegeben wird, besteht darin, zu sagen, „die Vorfahren haben es ebenso gehalten", oder in modernen Gruppen: „die anderen machen es ebenso". Keine Gruppe kann ohne ein Schema des Verhaltens, das als „moralisch" gilt, bestehen, es stellt ihre „Seele" dar, durch die und in der sie lebt (Lt. 38, S. 8ff.).
Allgemeine Bedingtheiten des geselligen
8. Änderungen
Lebens
19
des Schemas
Doch sind weder Cruppen noch Kulturen unsterblich. Tatsächlich ist die ganze Menschheitsgeschichte erfüllt vom Wechsel der Xulturen und von Änderungen in deren Schema des Denkens und Handelns. Man hat die Bedeutung dieser Vorgänge gegenüber den die Affekte ergreifenden, kriegerischen Handlungen sehr unterschätzt. Letztere bilden höchstens Symptom und Ausdruck oder Höhepunkte solcher Änderungen. Ebenso sind die Einzelpersonen trotz ihrer gelegentlichen Wichtigkeit häufig mehr Exponenten von Geschehnissen, Typen oder Repräsentanten für Vorgänge oder Abläufe, d. h. Menschen, in denen gewisse Strömungen und Geisteshaltungen verkörpert und verlebendigt werden. Irrtümlich wurde auf diese das Verdienst oder die Schuld für die Vorgänge in irgendeiner Zeit übertragen. Trotz ihrer Beteiligung als Handelnde daran und trotz allem, was an Anerkennung oder Tadel an ihnen deswegen haften bleiben mag, liegen stets viel tiefer verflochtene kollektive Kulturprozesse derartigem „Handeln" zugrunde ( T f . 4, 5).
9. Soziologische Forschung Diese Kulturprozesse zu zerlegen, und zwar teils in ihre sich wiederholenden Abläufe und teils in ihre einmaligen Besonderheiten, ist die spezielle Aufgabe der soziologischen Forschung. Alles, was wir erfahren können, vermögen wir nur aus dem Erlebten und Verflossenen zu gewinnen. J e weiter wir zurückschauen, in der Tiefe der Zeiten graben und die Mannigfaltigkeit der Völker umfassen, desto stärker tritt das allem menschlichen Denken und Handeln Gemeinsame hervor, desto größer ist die Aussicht, aus diesen Gemeinsamkeiten auf die Grundlagen, auf das „Archetypische", das Urtümliche und biologisch in Bau und Anlage des Menschentums verwurzelte Denken und Handeln zu gelangen, das allgemeine Gültigkeit beanspruchen darf (Zf. 130). Solches Erforschen der Vergangenheit und der Mannigfaltigkeiten tritt durch die Gewinnung der Grundlagen des Menschentums in den Dienst der Gegenwart des eigenen Volkes und den einer Planung der Zukunft. Auf technischem Gebiet sind den Menschen beachtenswerte Erfolge in der Meisterung der äußeren Natur gelungen. Seine innere Natur im Zusammenleben der Gesellungen jedoch vermochte der Mensch bisher nur wenig zu meistern und in den Dienst gemeinsamer nützlicher und vernünftiger Planung und eines Einvernehmens zu stellen. Ein Handeln nach dem Spruch: „Willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein", entspricht etwa dem eines ungeduldigen Kindes, das den Wagen zertrümmert, weil es damit nicht fahren kann (Lt. 35, S. 2 2 ) .
20
Allgemeine 10. Berührungen
Bedingtheiten unter
des geselligen Qruppen
und
Lebens Kulturen
Seit jeher, aber besonders in der Gegenwart, spielen Berührungen unter den verschiedensten Völkern eine außerordentliche Rolle für die Verbreitung der Errungenschaften an Fertigkeiten und Kenntnissen, sowie für deren Auswirkungen auf das kulturelle Zusammenleben, d. h. auf Sitten und Gebräuche, Glauben und Aberglauben und ein dementsprechend gestaltetes Verhalten ( T f .21). Berührungen fanden auf mannigfache Weise statt: vor allem durch Hereinnehmen, häufig durch Austausch von 'Mädchen und hauen unter Familien, Klans und Sippen (Lt. 36, S. 37 ff.). Daran knüpften sich Verwandtschaftsbeziehungen und mit diesen verbunden Geschenke wie in Australien (Lt. 4 4 ) oder bei den Pygmäen am Kongo (Lt. 12), die zum Austausch von Gegenständen, Fertigkeiten und Kenntnissen führten (Lt. 33, 39). Das, was wir als ein weites Xulturbereidh bezeichnen, gründet sich auf derartige, das materielle und geistige Leben der kleineren Einheiten verbindende Wechselwirkungen. Dabei ist der Querschnitt durch die jeweilige Periode kulturellen Lebens wichtig. Es ist z. B. von großer Bedeutung gewesen, wie die Europäer über die Fremdvölker gerade in einem Jahrhundert dachten. Es sei der Unterschied erwähnt, der zwischen den portugiesischen Sklavenjägern an der westafrikanischen Küste und den spanischen Eroberungen in Mexiko und Peru des 16. und 17. Jahrhunderts und den verschiedenen Kolonisationen des 19. und des 20. Jahrhunderts bestand (Lt. 40, 4 1 ) . l i. Umstellung
und
Anpassung
In den letzten Jahrzehnten wurde wachsende Aufmerksamkeit den Fragen zugewendet, die durch die Aufnahme europäischer Einrichtungen, Ansichten und Erziehungsmethoden bei überseeischen Völkern entstanden und deren Umstellung und Anpassung an die durch die Europäer gebrachten neuen Lebensbedingungen erheischen. Sie zeigten vor allem auch, daß wir selbst uns durch unsere Entdeckungen und Erfindungen in Lagen hineinmanövriert haben, die wir auch unter dem Gesichtspunkt der Umstellung und Anpassung an neue, wie „von außen" her entstandene Bedingungen ansehen müssen. Darin kommt das Charakteristische der Kulturgestaltungen zur Geltung: wie erwähnt, erscheinen die Anhäufungen an Fertigkeiten und Erkenntnissen wie ein „biologisches Ausschwitzen", gewissermaßen wie eine im Menschentum enthaltene Tunktion. Von dieser aber werden wir auf dem Gebiete der geistigen Kulturgestaltung ebenso abhängig wie von Funktionen unseres Körpers, von Hunger, Liebe, Wohnungsbedürfnis. W i r müssen daher zu entspredienden Maßregeln eines Zusammenlebens gelangen, das diesen Bedingungen, die wir uns selbst geschaffen haben, Rechnung trägt (Lt. 38, S. 3).
Allgemeine Bedingtheiten i2. Warum
des geselligen
nidht einfach
Lebens
„Entwicklung"
21 ?
Vielleicht wird aus den vorausgegangenen Ausführungen klar, warum der Ausdruck „Entwicklung" bisher nicht gebraucht wurde. Er trifft zwar die Seite der Nicbtumkehrbarkeit, die den Anhäufungsvorgang auch kennzeichnet. Einzelne Kulturen können zerstört werden, die Gesamtkultur der Menschheit schwerlich, außer mit dem Untergang der Menschen selbst. Der Entwicklungsgedanke vernachlässigt die Ausschaltungen und Einschränkungen (Zf. 4 ) , sowie die Ausstrahlungen von Errungenschaften von einem Gebiet auf andere Seiten des Lebens (Zf. 13). Vor allem trug der Entwicklungsgedanke nicht den vielerlei Übertragungen und Beeinflussungen unter den Völkern Rechnung, sondern stellte die Dinge so dar, als ob jedes Volk selbständig seine heutige Kultur aus sich allein „entwickelt" hätte. Außerdem trifft das Bild der „Entwicklung" sdion deshalb nicht zu, weil der Mensch selbst die ihn umgebende Außenwelt (durch Abholzen von Wäldern, Anlage von Kanälen, Dämmen, Stauseen, durch Ausrottung oder Zähmung von Tieren, Kultivierung von Pflanzen) in außerordentlichem Maße umgestaltet hat, die „Entwicklung" also keineswegs gradlinig, sondern viel komplizierter war, als man meinte, andererseits aber an den Fertigkeiten und Kenntnissen des Anhäufungsvorgangs wenigstens ein einigermaßen feststellbarer Maßstab gegeben ist (Tf. 3). Die Auswirkungen des Akkumulationsprozesses sind überdies verschieden, vielleicht am stärksten auf die Organisation der Arbeit und der Herrschaft, geringer auf die familialen Gestaltungen und die Kultgemeinschaften (Lt. 36, S. 9, 35, S. 49).
II. S T A D I E N M E N S C H L I C H E R L E B E N S G E S T A L T U N G i 3.
Ausstrahlungen
Der Vorgang der Anhäufung mit den ergänzenden Ausschaltungen oder Einschränkungen von überholten Fertigkeiten und Kenntnissen verbindet sich nidit nur mit Übertragungen nach außen von Gruppe zu Gruppe, sondern auch mit Ausstrahlungen jeder einzelnen neu auftauchenden Errungenschaft im Inneren der Gruppe (Tf. 3). Solche Ausstrahlungen machen sich keineswegs sogleich, sondern oft erst nach Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten fühlbar. Die Ausstrahlungen der großen Entdeckungen und Erfindungen des 16. und 17. Jahrhunderts verhalfen zur Schöpfung eines ganz neuen Weltbildes, die Auswirkung von Luftpumpe und von Dampfmaschine, die industrielle Nützung elektrischer Kraft erschüttert noch unsere Tage. Ebenso war es früher, nur ging alles viel langsamer vor sich. Der Anbau von Pflanzen, hauptsächlich durch Frauen, rückte den weiblichen Einfluß und die Verwandtschaft von Seiten der Gattin in den Vordergrund. Vielleicht noch einschneidender war die Bedeutung der Viehzucht und des Hirtenlebens, wovon noch die Rede sein wird. Auch in den Beziehungen unter den verschiedenen Kulturen wird sich zeigen, daß es Brennpunkte verschiedenen Grades gab und außerdem verschiedener Spezialitäten-. die griechische glänzte in Philosophie und Kunst, die römische in politischer Organisation und Recht usw. Überlegene Fertigkeiten oder Kenntnisse in einem Fach verhalfen zu einer Gloriole von zauberischem Respekt und waren der Aufrichtung von Hörigkeit und Sklaverei günstig, wie aus der Geschichte der archaischen Kulturen hervorgeht. Die miteinander in Kontakt kommenden wirksamen Kräfte vermögen durch Nachahmung und Wettbewerb Kräfte für eine frische Blüte anzuzeigen, die zu einem neuen Zentrum von Ausstrahlung werden kann (vgl. Lt. 37, S. 4 2 , 113 ff.).
i4. "Mangelnde Selbständigkeit
der lunktionen
des
Qesellungslebens
Bei der Besprechung primitiver Gestaltungen des Zusammenlebens kann man Unterscheidungen von Funktionen, wie wir sie verselbständigt betrachten, nicht gut vornehmen: von Familie oder Staat, von Eigentum oder Geld, von Kunst oder Religion. Alles verschwimmt und fließt ineinander. Dazu kommt, daß wir
Wildbeuter
(Jäger und
Sammler)
23
von unserm Standpunkt aus Erscheinungen oder Vorgänge oft ganz falsch beurteilen. Der Tänzer meint, eine religiöse Zeremonie abzuhalten und den Erfolg der Ernte oder eines Kampfes zu beeinflussen, also wirtschaftliche oder politische Wirkungen herbeizuführen. Ähnliches gilt auch f ü r den Erfolg der Jagd. Verwendet der Tänzer eine Maske, so kommt dabei künstlerische Tätigkeit in Frage, ebenso wenn er dazu singt. W e m gehört aber die Maske? Manchmal gehört sie ihm persönlich, mitunter gilt sie so sehr mit geheimen Kräften geladen (wie unter südwestlichen Stämmen Nordamerikas), daß sie nach der Zeremonie „entzaubert" werden muß. Es scheinen übermenschliche Mächte davon Besitz ergriffen zu haben. Jede Handlung, jeder Gegenstand hat so viele Verzweigungen in den Zusammenhängen der winzigen Gesellungseinheit, daß die f ü r uns im Vordergrund stehende eigenartige Fuktinn oft in den Hintergrund gedrängt, überschattet wird (Lt. 44).
A. W i l d b e u t e r 15. Ursprüngliche
TJahrungsgewinnung
Weitaus die längste Zeit der Menschheitsgeschichte, vielleicht 490 000 bis 500 000 Jahre, hindurch lebte der Mensch von dem, was er an Pflanzen, Früchten, Wurzeln, Zwiebeln, Beeren und an kleineren und größeren wildlebenden Tieren, an Krebsen, Fischen, Eidechsen, Sdilangen, Termiten, Käfern, Kröten, Bibern, Maulwürfen, Eichhörnchen, an kleineren und größeren Vögeln, H ü h nern, Enten, Tauben usw., erbeuten konnte. Mannigfache Methoden des Fanges wurden entdeckt, erfunden und ausgebildet, namentlich, als er sich an größere und listigere Tiere heranwagte. Zuerst mögen es geschickte Steinivürfe gewesen sein, später Schlingen und Schwippgalgenfallen, Fallgruben mit am Boden eingesteckten Spitzen usw., die zur Beute verhalfen. D e r Stock fand zweifellos auch f r ü h Verwendung, namentlich der zugespitzte Stock, aus dem später der Grabstock und der Speer hervorgingen (vgl. Lt. 35, S. 35 ff.). 16. früheste
Hilfsmittel
und
Werkzeuge
Das Herausarbeiten von Werkzeugen und Geräten begann vermutlich in Verbindung mit der wichtigen Feuerbereitung, aber auch mit dem Zurechtrichten der Tang- und Jacjdvorrichiungen, welche auf die Entdecker- und Erfindergabe einzelner zurückgeführt werden müssen, hierauf aber von den Gemeindegenossen nachgeahmt wurden. Zunächst dienten Steine, dann Hörner und Geweihe sowie Knochen als Werkzeuge. Neben der Nützung von Höhlen mußten Bäume und Gestrüpp als Schutz gegen W i n d und W e t t e r sowie räuberische Uberfälle von Tieren dienen. Die einfachsten Schutzwände und Dächer mußten ebenfalls einmal zuerst erfunden worden sein. Jedes Werkzeug und Gerät hat seine Geschichte und änderte nicht selten seine Zweckbestimmung, wie der
24
Stadien mensdjlidher
Lebensgestaltung
Stock, der zum Werfen und Schlagen, aber auch zum Stoßen und Ausgraben von Wurzeln Verwendung fand, und später zum Einsetzen von Schößlingen (Lt. 2, 3, 4, 21, 22, 2 6 ) . 1 7. Die ältere
Altsteinzeit
Die ältere Altsteinzeit hat auch ihre Geschichte und ihre mühevolle Anhäufungsarbeit von Fertigkeiten und Kenntnissen. Wenn man fragt, warum der Fortschritt so langsam war und Hunderte von Generationen erforderte, so muß man berücksichtigen, daß der Mensch sozusagen „aus dem Nichts heraus" alles zu schaffen hatte. Weder eine gelenkige Hand noch ein bewegliches Denken, wie wir es heute errungen haben, noch eine richtige Sprache, noch Teuer standen ihm zur Verfügung. Jede Kleinigkeit, die uns heute als selbstverständlich und unbeachtet bei der Hand ist, mußte der Natur und dem eigenen Trieb- und Impulsleben abgerungen werden. Zahllose Irrwege und Sackgassen wurden eingeschlagen und oft nachgeahmt und erlernt, während die richtigen Wege vernachlässigt wurden. Noch spätere Epochen wissen davon zu berichten: man dachte, den Lauf der Sterne beeinflussen, den Gang der Sonne aufhalten zu können, und bekannt ist der Turmbau von Babel, um in den Himmel zu steigen. Zahllos sind die Irrtümer über die Lebensvorgänge und die Beeinflussung von Krankheiten, Geburt und Tod. „Aberglaube" ist ein vermessenes Wort, wenn wir uns klarmachen, wie sehr auch wir heute noch im Irren verstrickt sind (vgl. Lt. 24, 4 3 ) . i 8. Jüngere
Altsteinzeit
Seit etwa 13 500 v . C h r . sind hier und da reichere Mengen von Horn und Knochenwerkzeugen, Holzschnitzereien und Zeichen geschärfteren Geisteslebens auffindbar. Es ist die Epoche, die aus der Eiszeit herausgeführt und eine Morgenröte des Erwachens aus dem hunderttausendjährigen, aber nicht vergeblich erlebten Dämmerzustand der älteren Altsteinzeit bedeutet. Malereien in Höhlen und an Felswänden sowie Plastiken aus Stein bezeugen eine an der Wirklichkeit geschulte Phantasie und Ansätze zum Belehren der Jugend in feierlichen Zeremonien. Diese offenbaren eine Beherrschung der Impulse, die von außerordentlicher Tragweite für das Zusammenleben und die Verbindung unter den Horden zu Freundschaftsverbänden war. Das Floß aus zusammengebundenen Baumstämmen ermöglichte die Nützung von Wasserwegen. 19. Vorstadien
der
Tierhaltung
Treibjagden auf Hirsche und Pferde werden veranstaltet, Bären und Löwen in tiefen Fallgruben erbeutet. Wahrscheinlich folgten Gruppen, vielleicht die Männer verwandter Familien den Herden von Tieren, insbesondere von Rindern, Schafen, Ziegen oder den Rudeln von Schweinen oder von Wölfen (wie das bei
Pfleglidlje
Nabrungsbescbaffung
25
den Indianern der Präriestämme N o r d a m e r i k a s f r ü h e r bezüglich der Biiffelh e r d e n zu beobachten w a r ) . D a z u k a m vielleicht eine Abgrenzung der Jagdgebiete, ü b e r d e r e n Bestand Rechnung g e f ü h r t w u r d e (wie wir es von den nordöstlichen Algonkin-Stämmen N o r d a m e r i k a s wissen). D a n k den besseren W e r k zeugen u n d W a f f e n w a r es dem Menschen möglich geworden, die Jiere in Schach z u halten (s. Z f . 32). W ä h r e n d auf diese W e i s e das H a l t e n u n d Züchten von Tieren vorbereitet w u r d e , t r a t ähnliches beim Sammeln von Pflanzen a u f . W i r vermögen Schlüsse zu ziehen von Stämmen, die sozusagen an der oberen G r e n z e , die z u m A u f b a u f ü h r t , leben, oder doch bis k u r z e m lebten. Bei den H o p i (im Südwesten von N o r d a m e r i k a ) z. B. k e n n t m a n ebenso wie bei den südwestafrikanischen Bergdama genau alle Stellen, an denen brauchbare Pflanzen, W u r z e l n oder Zwiebeln wachsen. Die H u p e (des nördlichen Kaliforniens) u n d andere S t ä m m e verstehen, einige giftige Pflanzen zu entgiften, um sie zu genießen. So ist das auch bei südamerikanischen Stämmen bezüglich des M a n i o k der Fall (s. Z f . 25, 32). 20.
TJeusteinzeit
Erst mit etwa 6 5 0 0 beginnt eine große u m w ä l z e n d e Epoche, die Bogen u n d Pfeil, geglätteten Stein u n d vor allem T ö p f e r e i e i n f ü h r t . D e r H u n d , das älteste H a u s tier, taucht a u f . Hechtereien verbreiten sich, G ä r t e n werden angelegt. Dabei m u ß es sich keineswegs u m rationalistisch-wirtschaftliche Erwägungen gehandelt h a b e n . W i r wissen z.B. von den Kwakiutl des nordwestlichen Amerika, d a ß sie Kleebeete f ü r die Familie anlegen, weil die W u r z e l n als wichtig f ü r die Gesundheit gelten. Die H a u p t w u r z e l s t ö c k e w e r d e n nicht verwendet, sondern zurück in den Boden gesteckt, was dem Prinzip des Qrabstodkbaues entspricht. D e r aus einem Baumstamm mit der Steinaxt ausgehauene Einbaum w i r d b e n ü t z t , bald d a z u als Segel ein Bäumchen mit Blättern, in denen sich der W i n d fangen k a n n . W a l z e n z u m B e f ö r d e r n von g r o ß e n Steinen w e r d e n gebraucht, die Vorläufer des Rades u n d d e r Drehscheibe f ü r T ö p f e r .
B. P f l e g l i c h e N a h r u n g s b e s c h a f f u n g a) P f l a n z e n b a u e r 21. 'Ungleichheit
der
£pochen
Diese Aufspeicherung von Errungenschaften vollzog sich aber keineswegs einheitlich u n d gleichartig. D e r R h y t h m u s w a r vielleicht vom A n f a n g an schon ungleich, teilweise vermutlich durch die W a n d e r u n g e n u n d die damit verbundenen ungleichen Lebensbedingungen verursacht, teilweise infolge verschiedener Varianten u n t e r den abgezweigten Menschen selbst ( T f . 3, 4, 5). Dieser verschiedene R h y t h m u s des Höhersteigens w u r d e noch weiterhin unterstützt durch
26
Stadien mensdblidher
Cebensgestaltung
die langandauernde Isolierung einzelner Gruppen. Hat es sich doch auch unter den Europäern gezeigt, daß völlig isoliert aufgewachsene Kinder schwer ihre Fähigkeiten, selbst die der Sprache, nachzuholen vermögen. Es ist bekannt, daß auf entlegenen Inseln oder in abliegenden Bergen usw. lebende Völker von den im regen wechselseitigen Austausch stehenden Spitzenkulturen überholt werde« (Lt. 35, S. 9 3 f f . ) .
22. Brennpunkte
der Leistungen,
Spitzenkulturen
Den Zurückgebliebenen stehen Brennpunkte der Leistungen gegenüber. Es ist sicher kein Zufall, daß der älteste Bereich solcher Brennpunkte in dem Raum liegt, an dem Europa und Asien mit Nordafrika zusammenstoßen: es scheint die Gegend zu sein, die vom Kaukasus über Iran bis zum Indus reicht, das Zweistromland umschließt und mit der Westküste von Arabien (Yemen), dem Nilland sowie mit der Küste des Mittelmeeres (Berber, Garamanten von Libyen) zusammenhängt. Soweit wir heute sehen können, dürfte zur abflauenden Eiszeit in diesen damals viel feuchteren und weniger heißen Klimaten bei einem älteren Völkerbestand sich die Blüte des Neolithikums, der Neusteinzeit, entfaltet haben, die äußerlich in der Bearbeitung des Steines, riesigen Steinmalen, wie die Pyramiden es sind, in sogenannten Dolmenbauten, ungeheuren Erdhügeln mit Steingräbern und anderen großen Steinanlagen gipfelte. Diese bemerkenswerte Beherrschung von Stein und Erde zeigte sich auch im Bau von Kanälen für Beund Entwässerung. Das alles,dieses sogenannte TWegalitbikum, die Großsteinzeit, scheint etwa vor 6000—5000 v. Chr. begonnen zu haben. Diese Betätigungen brachten den ersten Gebrauch von Metallwerkzeugen, wenigstens schon vereinzelt, mit sich. Die Träger dieser Spitzenleistungen der Neusteinzeit hatten zweifellos einen erheblichen Vorsprung gegenüber ihren mehr zurückgebliebenen Zeitgenossen mit weniger und minder ausgebauten Fertigkeiten und Kenntnissen. Der Vorsprung bestand vor allem in der pfleglichen Behandlung von Pflanze und Tier für Nahrung und Besserung des Lebensunterhalts (Lt. 2 3 , 2 4 , 4 6 , 4 7 , 49, 50).
23. Ausbreitung
und ihr
Rhythmus
D a ß auch hierbei die Zeiträume des Fortschreitens sich noch weit dehnen, darf uns nicht wundern. Denn die Menschen waren keine nervösen gepeitschten Facharbeiter mit konzentrierten Anstrengungen. Der Lebensraum war noch verhältnismäßig weit, die Natur spendete und die Menschen wollten, wie immer, zunächst und vor allem „leben", d. h. ihre vegetativen Funktionen spielen lassen: sidi nähren, lieben und fortpflanzen und sich behaupten. Trotzdem lag in ihnen ein starker Trieb nach Verbesserung des Lebens. Dazu kam ein erheblicher Wanderdrang. Die „Tdegalithiker", die Erbauer der großen Steinmale, haben an verschiedenen Stellen der Erde verhältnismäßig ähnliche Spuren ihres Daseins und Wirkens hinterlassen. Ihre Wanderungen, besonders zur S e e auf großen
Pflegliche
Tiahrungsbesöiaffung
27
Flößen von 7 bis 9 Balken mit Steuer und Segel, reichten wenigstens bis zu den hinterindischen Inseln und einigen Inseln Ozeaniens, dauerten viele Jahrhunderte lang und erstreckten sich vermutlich bis zu den Küsten Amerikas. Sie brachten ihre eigenen Sitten mit sich und vermischten sich mehr oder minder mit den Frauen ansässiger Stämme. Ihre Kinder setzten aber die Überlieferungen ihrer Väter fort. Sie verpflanzten mehr ihre Fertigkeiten, Kenntnisse, Sitten, Einrichtungen und Denkarten als ihre physiologische Beschaffenheit (Lt. 22, 28). 24.
Politische
und
wirtschaftliche
Zusammenschlüsse
Nach unseren Kenntnissen von ähnlich ausgerüsteten Naturvölkern (z. B. den Australiern) und Anzeichen von Funden (z. B. in den südfranzösischen Höhlen) wird man wenigstens von den Menschen der jüngeren Altsteinzeit annehmen dürfen, daß sie in kleinen klanartigen Horden lebten, die sich wenigstens zeitweise (vielleicht im Winter) zu freundschaftlichen Gruppen vereinigten, ohne daß es aber zu einem Vorrang der einen vor den anderen oder gar zu einem organisierten Häuptlingstum kam, was keineswegs das stärkere J~lervortreten der einen oder anderen Gruppe oder den Einfluß einzelner Persönlichkeiten ausschloß. Dementsprechend warauch die Wirtschaftseinheit bemessen, die vermutlich innerhalb der Großfamilie lag (Lt. 36, S. 92 ff., 139 ff., 164 ff.). Die Gruppen und Familien konnten sich jedenfalls immer frei loslösen oder mit anderen zusammenschließen, wie das etwa bei den Kongopygmäen der Fall ist. 2 5 . Hackbau,
Qärten,
Jelder
So einfach uns heute die Anlage von Gärten, Feldern, Hainen von Obstbäumen, Ölpflanzen usw. erscheint, so wenig macht man sich gewöhnlich klar, welche Beobachtungsgabe, Aufmerksamkeit und Sorgfalt zur Heraufzucht der vielerlei Kulturpflanzen aus den wildwachsenden Sorten nötig war. Gewiß geschah das noch nicht nach modernen Züchtungsverfahren. Um so langwieriger, um so mehr orts- und klimagebunden und von Gelegenheiten abhängig war das Verfahren. Immer neue Pfllanzen entdeckte der Mensch für seine Nutzung. Ebenso mußte er die Verfahrendes Anbaues und der Behandlung der gezüchteten fruchttragenden oder wurzelliefernden Gewächse erkunden, natürlich nicht ohne Jehler und Irrungen. Dazu kamen Fragen des Wachstums, insbesondere der Brache, später des Fruchtwechsels. Die Beobachtung, daß Boden, der schon bebaut worden war, weniger ertragreich wird, führte zum Ortswechsel, wie er z. B. heute noch etwa alle sieben Jahre im Innern von Borneo üblich ist. Die „Seßhaftigkeit" der Pflanzer darf man also nicht überschätzen, obgleich die Art ihres Ortswechsels anders als bei den Wildbeutern oder Hirten ist (s. Zf. 19, 35). Hinzu kamen die Fragen des Erntens, der Behandlung der Ernte und deren Aufspeicherung. Schließlich knüpft daran die ganze Geschichte der Kochkunst (Lt. 21, 37, S. 56 ff.). Die Getreidekörner wurden z. B. ursprünglich geröstet genossen, dann
28
Stadien mensdhUdher Lebensgestaltung
zerrieb man sie mit Mahlsteinen und bereitete einen Brei, endlich buk man Breiklumpen zu Raden. Dann entdeckte man die Gärung und bereitete das „tägliche Brot" (s. Z f . 19,20). 26. Die Rolle der 7rau im
Pflanzenbau
G r o ß ist die Rolle der Frau beim Pflanzenbau. Vermutlich knüpft sie an ihre Tätigkeit als Sammlerin im Leben der Wildbeuter an, wenn sie Wurzeln mit dem Stock ausgrub. Sie gebraucht beim älteren Grabstockbau, wobei die Setzlinge in die Erde versenkt werden, noch den alten Grabstock. Das Säen verlangt aber eine vorherige Lockerung des Bodens, und diese wird mit der „Hacke" vorgenommen, einem Werkzeug mit gekrümmtem Stiel, ursprünglich zweifellos ein gekrümmter Baumast, dessen Spitze später mit Stein oder Horn verstärkt wurde. Nachher erhielt er Beschlag oder Keile aus Eisen, Bronze oder Kupfer und wurde je nach den Zwecken an Griff oder Klinge vergrößert oder umgestaltet, so daß Beil oder Axt daraus entstand. Eine Variante ist der Spatenstock mit seitlichem Dorn zum Aufsetzen des Fußes; er wird aber vom M a n n gebraucht, weil er mehr Kraftanstrengung erfordert. Diese verschiedenen Formen finden sich heute noch bei vielen Natur- oder Fremdvölkern. Sie haben sich auch bei uns für Spezialzwecke erhalten, ein Beweis für das oben (Zf. 4, 21) Gesagte (Lt. 35, S. 29ff.). 27. Arbeitsteilige
Vedeutung
der
Trau
Die Beschaffung der Nahrung geschah in der Weise, daß der Mann die Jagd fortsetzte, aber der Frau in mehreren Richtungen half, namentlich bei allen Tätigkeiten, die größere Muskelkraft erforderten, wie beim Einzäunen des bepflanzten Landes zum Schutz gegen Tiere, besonders Schweine, beim Dreschen, Glätten der Tenne, Einbringen der Ernte, Errichtung von Speicherbauten u. dgl. Allein schon die Nennung dieser Tätigkeiten deutet eine Menge von Geräten und besonderen Fertigkeiten an, die im Laufe der Zeit ersonnen und ausgeführt werden mußten. Eine solche Arbeitsteilung unter den Geschlechtern zeichnete sich bereits unter den Wildbeutern ab, bei denen die größere körperliche Behendigkeit erfordernden Betätigungen verbunden mit M u t und Geistesgegenwart in der Jagd und im Kampf dem Manne zufielen (Lt. 37, S. 12 f , 39 ff.). 28. Deutung
weiblicher
Arbeit
Beim Setzen von Schößlingen und Säen durch die Frauen laufen Gedankenverbindungen unter, welche die sinnfällige Fruchtbarkeit des weiblichen Geschlechts mit dem Keimen und Fruchttragen der Erde in Verbindung bringen. Das gibt den Anlaß zu einer im Glauben an das Walten übermenschlicher Mächte verankerten Sitte, daß ein Geraten der Ernte durch die Arbeit der Frau
Pflegliche
Nahrungsbesthaffung
29
bedingt ist. W i e bei unzähligen anderen Verrichtungen meint man, daß der Erfolg vom Einhalten einer Menge von üblich gewordenen, uns nebensächlich scheinenden Umständen, wie Tageszeit, Mondphase, Stand der Sterne, von der Verrichtung durch bestimmte Verwandte oder von Angehörigen bestimmter Familien usw. abhängt. Das rational Praktische, die vernünftig zutreffenden Verfahrensarten verbinden sich oft mit uns sinnlos scheinenden, aber aus der eigenartigen Denkart stammenden „Vorurteilen". Es ist eine Denkart, die von unserem Standpunkt aus gesehen, auf sehr unzulänglichen und an den äußerlichen Erscheinungen haftenden Kenntnissen beruht. Solche konnten noch nicht durch eine genügende Menge von Vergleichen zerlegt und auf Grund neuer Gesichtspunkte umgeordnet und den menschlichen Zwecken der Zeit dienstbar gemacht werden. Man vermochte nicht das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen (Lt. 36, S. 44ff.). 29. Die wirtschaftliche
Bedeutung
des
Pflanzenbaues
Wirtschaftlich verbürgt der Anbau von Pflanzen eine bessere Sicherung der Ernährung und erhöht die Bedeutung der weiblichen Tätigkeit außerordentlich, namentlich unter Erwägung der erwähnten magischen Gedankengänge. Jedenfalls wird die den Boden bestellende Frau in den Stand gesetzt, für eine reichlichere und regelmäßigere Ernährung gegenüber der Sammlerin zu sorgen, während der Jagd- oder Fangertrag des Mannes zwar ergiebig, aber doch sehr vom Glück abhängig ist. Allerdings schwanken die Vorräte des Garten- und Feldbaues, besonders bei den Körnerfrüchten und im Wechselklima, das nur einmalige, höchstens zweimalige Ernte erlaubt. Dann werden Zeiten von Uberfluß von solchen der Knappheit und Not abgelöst. Dementsprechend spielen sich die 7esle um die Erntezeit herum ab; mitunter sind auch Saisonwanderungen damit verbunden (Lt. 37, S. 152 ff.). 30.
Wirtschaftseinheit
Während in der ältesten Steinzeit die lose Horde oder Bande als Wirtschaftseinheit zu betrachten ist, gilt für die heutigen (noch ursprünglichen) Wildbeuter die in Familien untergegliederte Bande als Einheit, was auch sicher für die jüngere Altsteinzeit anzunehmen ist. Die heutigen Wildbeuter Australiens sowie der Pygmäen und Buschmänner Afrikas sind nach Familiengruppen zusammengeschlossen. Die auf neolithischer Basis stehenden Pflanzer sind in Klans organisiert, die in Familien untergegliedert werden. Die Bande (Familiengruppe) oder der Klan bildet gewöhnlich die politische Einheit, nimmt einen bestimmten Raum als Nutzungsgebiet für Sammeln, Jagen und Pflanzen in Anspruch und verteidigt ihn gegen ungebetene Fremde. Die engste Wirtschaftseinheit in diesem Rahmen bildet die Familie, die sich auf wechselseitige Ergänzung (Zf. 6, 8) der arbeitsteiligen Geschlechter, Mann und Frau, einschließlich der Kinder, gründet (Lt. 38, S. 8ff.).
30
Stadien mensdhlidber 31.
LebensgestaHung
Geistesverfassung
Charakteristisch für die neolithisdien Pflanzer, wie wir sie heute noch in vielen Teilen der W e l t trotz Ü b e r n a h m e von mancherlei Lehngut von weiter fortgeschrittenen und kenntnisreicheren Klans, Stämmen und Völkern antreffen, ist eine bestimmte geistige Grundhaltung. Diese läßt sich kurz dahin zusammenfassen, daß gemäß der Bedeutung des Bodens ein Kult von Geistern vorherrscht, die mit der Erde zusammenhängen, vor allem mit den in der Erde bestatteten Aknen. V o n diesen erbittet man, wie im L e b e n von den Alten, jede H i l f e und unterhält sich mit ihnen über alle N ö t e , für die man sie verantwortlich macht. Jeder Klan hat seine besonderen Ahnen, die am O r t e in verschiedener Gestalt waltend vorgestellt werden und zwar als T i e r e , Pflanzen oder Gegenstände. Diese A r t von Vorstellungen wird „totemistisdh" genannt (nach einem W o r t T o t e m von den nordamerikanischen Ojibwä-Indianern). Obwohl jeder Klan unabhängig ist, besteht doch eine mehr oder minder freundschaftliche Verbindung unter ihnen, die zu verschiedenartigen freien Zusammenschlüssen führt, die jederzeit zwanglos wieder gelöst werden können ( Z f . 4 2 ) .
b) H i r t e n 32. Anfänge
der
Viehzucht
W ä h r e n d bei einigen Stämmen der Neusteinzeit die Aufmerksamkeit, vermutlich infolge örtlicher Umstände, auf die Erzeugnisse der Pflanzen konzentriert wurde, reizte das Vorhandensein von Herden und Rudeln von T i e r e n , wie oben erwähnt, zum Verfolgen, aber auch zum Sdbonen der Herden ( Z f . 1 9 ) . Es bildete sich offenbar die Sitte heraus, wie wir sie bei primitiven Hirten, etwa bei den sogenannten Kuh-Ful der Sahara heute noch finden, nur junge männliche T i e r e aus der Herde herauszuholen und zu verzehren. A n ein solches Ausmerzverfahren schloß sich vermutlich später die Kastration einzelner für das Schlachten bestimmter T i e r e . Die weiblichen T i e r e dagegen ließ man der Vermehrung halber am Leben. Hinzu kam die Nützung der "Mildb, die in den primitiveren Stadien der Domestizierung nur dann gemolken werden kann, wenn die M u t t e r kuh das Kalb sieht. Manchmal genügt auch ein künstliches Kalb. D a s Melken ist bei den ursprünglichen Hirten Sache der M ä n n e r und ihr Vorrecht. Ähnlich ist es mit den Ziegen und Schafen. Bei letzteren wurde schon früh die Wolle genützt, wie das aus den alten Überlieferungen und Darstellungen der FrühSumerer des Euphrat-Tigris-Landes (Mesopotamien) im vierten vorchristlichen Jahrtausend hervorgeht, die dort vor den späteren Babyloniern eine reiche Kultur auf neolithischer Grundlage entfaltet hatten, obwohl sie schon anfingen, Metalle zu verwenden (Lt. 35, S. 2 0 3 f f . ) .
Pfleglidhe TJahrungsbesdhaftutig 33. Schonung
von Jieren
und Pflanzen
31 (Totemzentrum)
Bei einigen Hirtenstämmen war es üblich, große Tiere in besonders umzäunten Gärten (Paradeisos wurden sie später griechisch benannt — woraus „Paradies" herrührt) zu halten. Dies erinnert an eine uralte primitive Form der Schonung von Tier und Pflanze, wie sie z. B. in den australischen „Totemzentren" üblich war, an Plätzen, an denen reiche Vegetation und Tierleben herrschte und die man (wie wir heute einen „Naturschutzpark") unberührt ließ. Damit hängt die Ahnenverehrung (Zf. 86) zusammen. Auch hier scheinen also Gedankengänge, die mit den Vorstellungen vom Walten übermenschlicher Mächte verbunden sind, nicht aber mit rationalen Überlegungen, entscheidend für eine besondere Wendung im Verhalten der Menschen gewesen zu sein (Lt. 37, S. 47ff.). 34. Leittiere
und
Fürsorge
Vergleicht man verschiedene Stämme von Viehhältern, so findet man eine Spezialisierung auf bestimmte Tiere, ähnlich wie bei den Pflanzern auf gewisse Gewächse, und ebenso auf einzelne Handfertigkeiten. Die Aufmerksamkeit kann nicht ausgedehnt werden und nimmt die volle Persönlichkeit, auch der ganzen Gruppe, in Anspruch. So haben sich die Rinderhirten einseitig ausgebildet und traditionell der einen Tierart gewidmet, die nach allen ihren Seiten „studiert" wurde. Die Sorge um das Verhältnis zu den Tieren ist rührend. Sie werden zu richtigen freunden des Menschen. Nichts wäre daher falscher als zu meinen, daß die Domestizierung irgend etwas mit Gewalt zu tun hätte. Ja, die Tiere werden vielfach vergöttlicht und „verhimmelt" (im wörtlichen Sinn, wie z. B. im alten Ägypten die Sonne als Rind aufgefaßt wird, der Mond als zwischen den Hörnern einer Kuh ruhend). Dieser Umgang mit Tieren wurde später von größter Bedeutung für den Umgang mit Menschen. 35.
Nomadisieren
Wenn man von Hirten-Nomaden redet, muß man das Wort Nomadisieren richtig verstehen. Die Wildbeuter „nomadisieren" ebenfalls, aber in verschiedener Weise: 1. Die afrikanischen Pygmäenstämme ziehen in einem ungefähr abgegrenzten Gebiet der Urwälder herum. 2. Die Buschmänner versammeln sich nach der Regenzeit an den gefüllten Wasserlöchern und halten gemeinsame festliche Großjagden ab; nachher zerstreuen sich die Familien oder kleine Gruppen. Die südaustralischen Wildbeuter zogen einmal im Jahre zum Fischfang nach der Küste (Zf. 102). 3. Die Hirten pflegen regelmäßig bestimmte Weidegebiete, mitunter in großer Entfernung voneinander, für ihr Vieh, je nachdem Rinder, Pferde, Schafe, Ziegen usw., aufzusuchen. Im allgemeinen darf man daher das Nomadisieren nicht als ein ziel- oder planloses „Vagabundieren" auffassen. Nur wenn unvermutete Trockenheit die Weiden ausdörrt, weicht man von der Gewohnheit ab und schweift nach neuen Futterplätzen.
Stadien menschlicher
32
36. Art des Zusammenlebens,
Lebensgestaltung
Eigentums-
und
Besitzverteilung
In welcher Weise das Leben der Menschen durch die Art ihrer Unterhaltsgewinnung bestimmt wird, tritt drastisch bei den Hirten zutage. Es schließt sich direkt an das oben (Zf. 19, 32) gekennzeichnete Nachfolgen einer H o r d e oder Bande hinter einer H e r d e wilder Tiere an. Die gezähmte Rinderherde hat sich weitgehend an die Menschen gewöhnt, die freundschaftlich für die Weiden sorgen. Die Tiere hören auch auf Anruf der Namen, die den einzelnen Stieren und Kühen gegeben wurden. Bei den Datoga und anderen Hirten Afrikas hat jeder junge M a n n seinen befreundeten Stier, nach dessen Namen man den Burschen ruft. Bei den altsibirischen Jakuten besaß der ganze Stamm die Herde. Die afrikanischen Hirten, wie die Masai, beziehen das Eigentum an der H e r d e auch auf den ganzen Stamm. Doch gelten die kleineren Stammesteile und vor allem die zusammenbleibenden Einheiten der Qroßfamilien als Inhaber. Weiterhin gibt es persönlichen Besitz sowohl der Frauen wie der Männer. Dem Familienvater „gehört" zwar die Herde, er pflegt aber Qeschenke an Vieh unter seine Kinder und Verwandten, auch an Frauen, zu verteilen, so d a ß die Besitz und Eigentumsverhältnisse äußerst kompliziert werden. Dies wird noch verworrener durch die Gewohnheit der Viehleihe, dadurch, d a ß ein Mann nicht unerhebliche Teile seiner Viehherden an verschiedene Freunde zur Aufbewahrung gibt, die d a f ü r die Hälfte der Zahl der Kälber beanspruchen. Diese Sitte entspringt der Angst vor Viehseuchen, durch die ganze Herden dahingerafft werden können. Schließlich ist der Diebstahl von Vieh im Schwang, ja, die jungen Männer sind stolz auf ihr Stehlen (Lt. 37, S. 64, 193). 37.
Wirtschaft
und
Geistesverfassung
Die Arbeitsteilung unter den Geschlechtern drückt sich darin aus, daß die Männer sich ausschließlich der Herde und deren Bewachung, vor allem gegen die Bedrohung durch die Raubtiere, Löwen, Leoparden und Wölfe, widmen, während die brauen die Hütten des Lagers aufbauen, am Zaun der H ü r d e arbeiten, Felle zubereiten, Milchgefäße reinigen, Kräuter sammeln, und wenn möglich, Brei bereiten. Natürlich ist der Schulz gegen Menschen, Diebe aus dem eigenen Volk und Fremde, Sache der Männer. Schon von Jugend an wurden die heranwachsenden Jünglinge systematisch z u M u t und Kampf erzogen, was sich in der Folge vielseitig, vor allem im späteren Heiratsalter, auswirkte. Das beständige "Herumziehen mit den Herden verhalf zu neuen Kenntnissen des Landes und zur Anpassung an neue Verhältnisse, zu Weitblick und Unternehmungslust. So bildete sich eine vom friedlichen, egalitär, auf Gleichheit, eingestellten Pflanzer völlig verschiedene Geisteshaltung heraus. Sie fand ihren Ausdruck darin, daß z.B. die Rinderhirten Afrikas allein f ü r sich das Recht am Rinderbesitz beanspruchen. Vielleicht brachten sie in fernen Vorzeiten Rinder tatsächlich in gezähmten Zustand nach Afrika, und glaubten nun wirklich, überall wo sie Rinder vorfinden,
Pflegliche
Nabrungsbesdbaffung
33
diese zu rauben und wegzutreiben berechtigt zu sein. Es ist so, wie wenn heute die Europäer das Gewehr oder das Automobil überall, wo sie es in Gebrauch antreffen, konfiszieren würden. Die kämpferische Übung, Überlegenheit und bessere Bewaffnung mit langen Eisenspeeren sicherte den Hirten Erfolg und flößte den anderen Furcht ein. So fingen die Hirten an, sich den anderen überlegen zu dünken. Zwar ist es dieselbe Ichbezogenheit wie bei allen gewesen, auch bei den Feldbauern und Wildbeutern, nur viel erfolgreicher. Daraus entsprang ein aristokratisches Uberlegenheitsgefühl und eine Anmaßung, wie sie bei den Überschichtungsvorgängen zum Ausdruck kommt (Lt. 38, S. 117ff.).
38. Religiöser Ausdrudk des
Cebens
Charakteristisch für diese Haltung ist die von den Pflanzern völlig verschiedene Einstellung den übermenschlichen Mächten gegenüber. Die Hirten verehren einen einzigen JUimmelsgott, oft als Sonnenstier, von dem sie sich, d. h. der Stamm, in einem totemistischen Sinne, abstammend betrachten. Daher sind sie seine Kinder, er gilt als ihr Urvater, der sie den anderen gegenüber bevorzugt. Dieser Gedanke herrscht auch im Gilgamesch-Epos der alten Sumerer des fünften bis vierten vorchristlichen Jahrtausends. Im ältesten Ägypten hängt das Gedeihen der Pflanzen ebenfalls vom Stier ab. An solche Gedanken knüpfen sich die Stierzeremonien des klassischen Altertums, besonders auch des Mithraskultes, der auf medische Uberlieferungen der Zarathustra-Zeit zurückgeht. Ähnliche Zeremonien mit Stier und Kuh finden sich unter den heutigen zentralafrikanischen Herrschern der Banyankole, Bakitara, der Barundi und anderer (vgl. Lt. 46). Während bei den Feldbauern jeder Klan und jede Sippe ihre eigenen orts- und erdgebundenen Urahnen in Gestalt von Tieren oder Pflanzen usw., sowie von kürzlich Verstorbenen verehrt und der Klanälteste oder der Familienvater mit ihnen sich berät, handelt es sich bei den Hirten um eine von einem besonderen Priesteradet der ältesten Hirtenlinie gepflegte einheitliche Verehrung des höchsten Wesens durch den ganzen Stamm. Bei ernstlichen Kämpfen kann durch die Priester der ganze Stamm aufgerufen werden. Es ist eine religiös-politische Verfassung, welche die Züge der Zeit der Hohenpriesterherrschaft im biblischen Israel trägt, eine Verfassungsform, die wahrscheinlich noch viel älter ist als die aus jener Zeit, die sich aber Jahrtausende hindurch in der Uberlieferung erhalten hat. Auf diese Weise wird politisch und wirtschaftlich der ganze Stamm durch die Priester zusammengeschlossen, obwohl er tatsächlich in persönlichen Besitz und Einzelwirtschaften aufgelöst wird, aber durch die Alten der Großfamilie wieder zu kleinen Einheiten vereinigt erscheint, und es auch an Fehden unter den kleinen Einheiten keineswegs fehlt, und selbst Absplitterungen gelegentlich vorkommen.
3
34
Stadien menschlicher
C. L e r n e n u n d 39. treffen
Lebensgestaltung
Überschichtung
von Hirten und
Pßanzern
Einer der wichtigsten Vorgänge für die menschliche Lebensgestaltung ist die Oberschichtung, die aus dem Zusammentreffen von Gruppen entstanden ist, die für eine bestimmte Lebensführung spezialisiert waren. Derselbe Vorgang hat sich unzählige Male abgespielt und reicht so weit zurück, wie eine Spaltung und Verselbständigung der einzelnen Menschengruppen geht. Seine besondere Bedeutung gewann er aber durch die Begegnung von Rinderhirten mit Feldbauern (Tf. 5).
40. Lernen der Pflanzer von den Viehzüchtern,
Pflug
In den Überschwemmungsgebieten der großen Ströme, wie Euphrat, Tigris, Nil, Indus, Yangtse usw., ist der Boden nach dem Verlaufen des Wassers gut für das Pflanzen geeignet und weidh. Hier konnte man in Furchen, die mit einer Hacke gezogen wurden, säen. Die Zähmung von Großvieh, wie Esel, Maultieren und Ochsen ermöglichte es, diese Tiere statt Menschen vor die Hacke oder den Stodcspaten zu spannen. Daraus entstand schon wenigstens im vierten vorchristlichen Jahrtausend der Pflug, eine technische Errungenschaft von größter Tragweite ( Z f . 101). Dabei bedurfte es einer geistigen "Kombinationsfähigkeit, aber sachlich auch weichen Bodens. Auf dem harten Boden Südafrikas ist es in den vielen Jahrhunderten, während dort und in der Nachbarschaft ein enges Zusammenleben von männlichen Großviehzüchtern mit weiblichen Hackbauern stattfand, nicht zur Erfindung des Pfluges gekommen ( T f . 7), (Lt. 37, S. 4 4 f f . ) .
4 i. Wbersdbidbtung durch "Hirten Noch bis vor wenigen Jahrzehnten spielten sich in Afrika Vorgänge ab, wie vielleicht zehntausend Jahre vorher in den Gebieten zwischen Kaukasus und Indien, in Mesopotamien und am Nil usw. Die Milch, dem lebenden Tier abgezapftes Blut, und verhältnismäßig wenig Fleisch genießenden Hirten brauchen mehlhaltige Körnerfrüchte zur Bereicherung ihrer Ernährung. Die herumziehenden Hirten sind beweglicher als die mehr an den O r t ihrer Pflanzung gebundenen Feldbauer, und die Ernte ist leicht greifbar, während die Tiere der Herde von Fremden schwer erbeutet werden können. Das ist die günstige Ausgangssituation für die selbstbewußt eingestellten Hirten gewesen. Doch wäre es falsch, von „Eroberungen" im landläufigen Sinne zu sprechen. W i e dem Vieh gegenüber verhielten sich die Hirten freundlich, solange ihren Forderungen kein gewalttätiger Widerstand entgegengesetzt wurde. Denn auch den Feld-
Lernen und
Vberschichtung
35
b a u e r n w a r e n d i e H i r t t n nicht unwillkommen, von denen sie Fleisch, später Butter (weniger Milch, an die sie sich schwer gewöhnten) u n d auch a n d e r e Gegenstände eintauschen k o n n t e n . D e n n das H e r u m z i e h e n u n d die Bekanntschaft mit verschiedenen m e h r oder m i n d e r s e ß h a f t e n Klans regten z u m J a u sehen u n d Z w i s c h e n h a n d e l an. Aufserdem brachten die H i r t e n Neuigkeiten ü b e r F r e u n d u n d Feind (Tf. 5), (Lt. 38, S. 100 ff.). 42. Zusammenschluß
auf der
Qrundlage
der
Gleichberechtigung
Im A n s c h l u ß d a r a n vollzog sich die B e f r e u n d u n g von Feldbauersiedlungen (Klans oder Siedlungen von Sippensplittern) mit G r o ß f a m i l i e n von H i r t e n . Sie b e r u h t e auf wechselseitiger Ergänzung ihrer wirtschaftlichen Leistungen u n d eigenartigen Begabungen. Es h a n d e l t e sich um eine k o m p l e m e n t ä r vervollständigende V e r b i n d u n g zwischen verschieden veranlagten u n d eingestellten M e n schen geradeso wie in einer Familie zwischen M a n n u n d F r a u , zwischen Eltern u n d Kindern. Im ersten Stadium begegnen wir d a h e r gleichberechtigten, die beiderseitige Eigenart respektierenden Verhältnissen ( Z f . 24, 31). In bezeichn e n d e r W e i s e berichtet N . S. K r a m e r in seiner „Sumerian M y t h o l o g y " von zwei Brüdern, einem H i r t e n u n d einem Feldbauer, die in den drei M y t h e n u m den V o r r a n g u n t e r e i n a n d e r in Streit gerieten. Im U n t e r s c h i e d vom Streit zwischen Kain u n d A b e l erfolgt Versöhnung (Lt. 9, 14). In der sumerischen Fassung, die zwei bis drei J a h r t a u s e n d e älter ist als d i e biblische, zeigt sich die hier angedeutete ältere Geisteshaltung zwischen H i r t e n u n d Pflanzern. Es ist nicht ausgeschlossen, d a ß die V e r s ö h n u n g d e m Bemühen des S t a d t f ü r s t e n z u v e r d a n k e n ist. 43. Beginn
einer
Uber-
und
Unterordnung
M i t der Z e i t jedoch machten sich die bereits e r w ä h n t e n Vorteile d e r H i r t e n g e g e n ü b e r d e n e n d e r F e l d b a u e r geltend. Erstere vermochten sich bei Meinungsverschiedenheiten besser durchzusetzen als die m e h r ortsgebundenen u n d auch schwerfälligen Pflanzer, d i e sich o f t in Händel u n t e r e i n a n d e r verstrickt bef a n d e n , w ä h r e n d die H i r t e n zunächst von einem gemeinsamen Stammesgefühl, wie oben a u s g e f ü h r t , e r f ü l l t w a r e n . D i e H i r t e n w a r e n bereit, ihre b e f r e u n d e t e n Pflanzer-Klans z u u n t e r s t ü t z e n , die dadurch aber in Abhängigkeit von ihren H e l f e r n gerieten (Tf. 12), Lt. 38, S. 113 ff.). 44. Zersetzung
der übersdbidbtenden
Hirten
U n t e r den G r o ß f a m i l i e n d e r H i r t e n dagegen machte sich später eine Rivalität geltend, möglichst viele Pflanzer-Klans von sich abhängig z u wissen, z u m a l das erheblich z u r Erleichterung u n d V e r f e i n e r u n g des Lebens beitrug. U n t e r d e n H i r t e n selbst k a m es zu einer R a n g s t a f f e l u n g auf G r u n d des Besitzes, wobei die
36
Stadien mensMidber
Lebensgestaltung
Herden der Reichen den Ärmeren, jedoch nur denen gleicher Abstammung, gegen Anteile am Nachwuchs verpachtet wurden. Die Pflanzerdörfer mußten Häuser für die Hirtenherren bauen, ihnen Korn für Brei und Bier liefern, wie im ältesten pharaonischen Ägypten (Lt. 7, 31) und heute noch in Uganda und Ruanda usw. Die Frauen der Hirten wurden entlastet und konnten sich dem Luxus, dem Schmücken, der Pflege von Überlieferungen, der Musik widmen, wie bei den Tuareg-Stämmen der nördlichen Sahara. Die Zersetzung der überschichtenden und sich vermischenden Hirten gegenüber den einfach gebliebenen tritt in der Spaltung der Ful-Stämme des nördlichen Afrika drastisch zutage: in Stadt-Ful, welche feldbautreibende und seßhafte „Neger" in Abhängigkeit gebracht und zum Teil sich mit ihnen vermischt haben. Diese negerischen Feldbauer bestellen Felder für den Hirtenadel und leisten verschiedene Dienste. Den Stadt-7ul stehen die Xub-Tul gegenüber, welche die Stadt-Ful als dem Wohlleben fröhnende Verräter verachten. Die Kuh-Ful leben in der überkommenen Weise fort, ohne sich um Überschichtung zu bemühen. Es ist auch zu beachten, daß Hirten verschiedener Jiere in ein Staffelungsverhühnis untereinander getreten sind: die in den ersten und zweiten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung aus der Südostecke des Nillandes losgebrochenen Pferdehirten vermochten vermöge ihrer Schnelligkeit die Kuhhirten der Sahara in Abhängigkeit von sich zu bringen (Lt. I, S. 213). Die ganz anders lebenden Schaf- und Ziegenhirten etwa der Atlasberge und der Oasen der Sahara wurden von den Rinderhirten in Abhängigkeit gehalten. Diese Hirten von Kleinvieh stehen ihrer geistigen Haltung nach den Pflanzern nahe. Die Rinderhirten pflegen übrigens oft auch noch Schafe oder Esel in geringerer Zahl und nebenbei mit sich zu treiben (Tf. 8). 45. Adel und "Hörige, Eingliederung
der
"Wildbeuter
Aus den hier schematisch geschilderten Vorgängen (die genauer in Lt. 37, 38, 39 dargestellt sind) ergibt sich die frühzeitige und in „primitiven" Gesellschaften entstandene, zunächst „ethnische" Schichtung. Die verschiedenen Schichten werden nämlich hier je nach ihrer Herkunft und ihrer Art der Tlnterhaltsgewinnung geschieden. Als Beispiel diene in Afrika der sogenannte „hamitische" oder „äthiopide" Hirtenadel gegenüber den „negriden" Feldbauern als Hörigen, während die „Pygmiden" beim Wildbeutertum verharrten (abgesehen von Fällen, wie bei den Wanderobbo, die vielleicht infolge des Verlustes ihres Rindviehs zum Wildbeutertum zurückkehrten). Die Pygmiden (Buschmänner und Pygmäen) haben, soweit sie unvermischt blieben, nur durch Lieferungen an Honig und Wild, Hörner und Elfenbein im Austausch gegen Erzeugnisse des Pflanzenbaues oder des Handwerks Eingliederung in das System von Adel und Hörigkeit gefunden (z. B. in Urundi), und wurden außerdem als Diener und eine Art Kuriositäten, in den Zeiten des alten Ägyptens der ersten Dynastien verwendet (vgl. Lt. 47).
Lernen und
46.
Wbersdbidjtung
37
Handwerk
Die Handfertigkeiten werden in den ältesten Kulturen innerhalb der Betätigung des Nahrungserwerbs ausgeübt, nicht als ein Beruf, von dem man durch Verkauf der Erzeugnisse leben kann. Von diesem allgemein aufgestellten S a t z gibt es allerlei kleinere und größere Ausnahmen. So fertigen z. B. die auf den östlich von N e u - G u i n e a in einem neolithiscbcn (Neusteinzeit) Horizont lebenden Bewohner einer der Trobriand-Inseln im wenig fruchtbaren Inland verschiedene Flechtereien und Holzschnitzarbeiten an, um sie gegen Fische von den Küstenbewohnern einzutauschen. An der Südküste Neu-Guineas fahren bei günstigem Monsumwind einmal im J a h r e T ö p f e r mit großen Lasten zu Handelsfreunden benachbarter Inseln, um dort ihre Erzeugnisse gegen Sago und Schweine abzusetzen. A n einer anderen Stelle werden geknüpfte N e t z e regelmäßig gegen T a r o und andere Lebensmittel getauscht, an einem großen Fluß (Kaguia-Sepik) wurde T a b a k heruntergebracht und gegen Muschelbeile oder Armringe aus Muscheln eingehandelt usw. Genauere Beobachtungen haben erwiesen, daß solche Spezialisierungen ganzer D ö r f e r auf einzelne Fertigkeiten keineswegs selten sind. D i e Erzeugnisse wurden und werden heute noch gegen Nahrungsmittel eingetauscht, entweder aus N o t , oft genug aber zur Verbesserung ihrer Ernährung (Schweine) oder wegen anderer Genüsse ( T a b a k ) ; während die Tauschpartner G e r ä t e oder Schmuck (Armringe, rote Ockererde zum Schminken in Australien usw.) zu erwerben wünschen (Lt. 4 4 ) .
47.
Handwerker-Hasten
Vielfach kam es im L a u f e der Zeit zur ethnischen Absonderung von Berufen. Vertriebene Sippensplitter gesellten sich in getrennten Vierteln den Siedlungen von Sippen oder Sippengruppen z u : so z. B. vom T s a d - S e e vertriebene T ö p f e r am Kongo. In anderen Fällen Holzschnitzer. Solche Splitter wendeten sich der Ausübung einer in dem Volk nicht oder nur wenig bekannten Handfertigkeit zu. W e i l sie sich so den heimischen Leuten nützlich machten, wurden sie geduldet. Eine große Zahl solcher spezialisierter Handwerker-Splitter findet sich z. B. unter den Haussa. M i t der Zeit verliert sich die Erinnerung an die verschiedene H e r k u n f t , wie häufig in Indien. So ist es auch mit den Schmieden gewesen, die als Lemba z. B. in Südafrika bei den Bavenda, ähnlich wie auch teilweise in den Sahara-Gegenden, semitischer A b k u n f t sind, und die mit der Z e r streuung der Juden nach dem Zusammenbruch des israelitischen Reiches in Verbindung gebracht werden (vgl. Lt. 2 5 , 3 5 , 3 8 , S. 126 ff.).
48. "Handel M a n darf den Tauschhandel in primitiven Lebensbedingungen, nicht nur des neolithischen Horizonts, sondern auch der jüngeren Altsteinzeit, wie in Austra-
38
Stadien mensdAidber
Lebensgestaltung
lien, keineswegs unterschätzen. Zwar liegt ihm nicht Erwerb von „Geld" in unserem Sinne zugrunde, aber doch von hergebrachten beweglichen Werten, wie von Speeren, Bumerang, Fellsäcken, Netzen, Körben, schönen Schilden, alten kunstvollen Schnitzereien oder Malereien (wir würden sagen „Antiquitäten" und „Kunsthandel"). Außerdem nimmt man solche Werte für den Unterricht in neuen Tänzen oder das Singen neuer Lieder als Tanz- und Singlehrer. Unter den Verwandten mußten regelmäßig gewisse Sachen, besonders Nahrungsmittel, geschenkt werden, was aber auf Gegenseitigkeit beruht. Darin sah man besonders das Band der Freundschaft. Diese freundsdhaftlidben Qesdbenke sind aber verpflichtend und weben am Netzwerk des sozialen Zusammenlebens. Verwandtschaft wird zu einer Geschäftsfreundschaft, wenn man weite Strecken zurücklegt, um einander Besuche abzustatten und hinter den Geschenken des Besuchers die Erwartung auf Gegengaben lauert. Das alles geht in Australien noch ohne Märkte vor sich (Lt. 37, S. 113 ff.). Letztere treten erst im neolithischen Horizont auf. 49. Jortsdhritt
und
Zyklus
Man ersieht hieraus, wie verfehlt das Festhalten an einigen einseitig herausgegriffenen, auch keineswegs allgemein gültigen Erscheinungen des frühmittelalterlichen Lebens durch Karl Büdher war, Erscheinungen, die für die gesamte Menschheitsgeschichte ohne nähere Kenntnis von Zusammenhängen und ohne Vergleiche verallgemeinert wurden. Man darf eine allgemeine „Entwicklung" der „Wirtschaft" nicht aus der Irosdbperspektive der deutschen oder selbst europäischen kurzfristigen Vergangenheit allein sehen und einschätzen. Wichtig ist dagegen, die durch den Anhäufungsprozeß zutage tretende Ausrüstung jeder Kultur festzustellen. In den Grundzügen ergeben sich so weitgehende Ähnlichkeiten mit noch lebenden Völkern und deren Einrichtungen bis zur Einwirkung der viel reicher ausgerüsteten heutigen Europäer. Soweit die anderen dem paläolithischen und neolithischen Horizont angehören, nennen wir sie „Naturvölker".
Die Aufeinanderfolge
der Zivilisationshorizonte
stellt d e n Fort-
schritt dar. Doch geht dieser weder allgemein noch einheitlich vor sich und wird 1. vor allem bei dem einen Volk oft durch "Übernahme von Errungenschaften anderer durchkreuzt und verwischt oder gestört und gehoben. — 2. Die Vorgänge vollziehen sich aber stets in einzelnen Gemeinwesen, deren Gestaltung und innere Ereignisse einen vom Qesamtfortsdbritt der Menschheit unabhängigen Ablauf nehmen und mit ihm keineswegs zusammenfallen. Der Zusammenbruch des Babylonischen Reiches oder des von Karthago oder von Rom können nidht als direkt bedingt durch neue Errungenschaften betrachtet werden, obwohl das z. B. beim Untergang der Reiche von Alt-Peru oder von Alt-Mexiko der Fall war. — 3. Der Gesamtfortschritt tritt in der Ablösung der Zivilisations-Horizonte zutage. — Die Abläufe in den einzelnen Kulturen lassen die Wiederkehr und Folge von ähnlichen Xultursituationen einer Entfaltung und eines Abfalls
Lernen und
39
Uberscbicbtung
erkennen, somit gleichgerichtete Zyklen. — Schon daraus geht hervor, wie irreführend der Mangel an Unterscheidungen ist und wie wenig man von einer einheitlichen oder gar einlinigen „Entwicklung" sprechen darf (vgl. Lt. 38, S. 290 ff.). 50.
Jdealtypcn"
Aus dem Gesagten geht auch hervor, wie wenig man die Konstruktion von „Idealtypen" (im Sinne von Max Weber) mit „Fortschritt" verwechseln darf. Institutionen dürfen wir nie von einem logisch-ästhetischen Zielpunkt aus ins Auge fassen, sondern nur von ihrer funktionellen Leistungsfähigkeit innerhalb des Systems eines gegebenen Gemeinwesens. Man kann z. B. nicht sagen, daß die Ausbildung extrem-mutterrechtlicher (oder etwa vaterrechtlicher) Einrichtungen einen „Fortschritt" für das betreff ende Gemein wesen darstellt. Die Funktion wechselt nach der Phase des Kultur-Zyklus, noch mehr aber nach dem Zivilisationshorizont (vgl. Lt. 36, S. 3 u n d T f . 6). 51. Auswirkungen
des Zusammentreffens
von Pflanzern
und
Wirten
Mit der Oberschichtung war ein Prozeß von ungeheurer Tragweite für die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens entstanden. Er war hervorgegangen aus Gabelungen zunächst für spezielle Richtungen der Nahrungsgewinnung, die sich aus dem Wildbeutertum losgelöst und zu pfleglichen Verfahrensarten übergegangen waren, wurzelte somit auf geistigem Fortschritt durch die "Konzentration der Aufmerksamkeit, die auf die Pflege von Pflanzen oder die von Tieren gerichtet war (vgl. Lt. 38, S. 8 ff.). Eine solche Spezialisierung verlangte nach Ergänzung und Verzahnung mit anderen, die in der Tat sich einstellte, wenn auch in verschiedener Art: 1. von Seite der Pflanzer in der Übernahme von gezähmten Großtieren wie Esel, Maultier und Ochse zum Ziehen der Hacke über weichen Boden, woraus der Pflug entstand, und damit verbunden eine Schweinezucht, die auch des sumpfigen Bodens bedarf, sowie später Zucht von anderem Kleinvieh, wie Hühnern. Somit handelte es sich um technische Verbesserungen. — 2. Von Seite der Wrten glitt die Verbindung mit den Pflanzern aus einem Halten von Tieren in eine solche von Menschen hinüber (als Hörige und Sklaven). Damit kamen neue Grundlagen für das Zusammenleben unter Menschen auf, die in ihren Auswirkungen von unermeßlicher Tragweite waren (Zf. 87). 52.
Wiedervereinbeitlidhunt)
Es muß noch von in verschiedenen Kulturen aufgetretenen Erscheinungen geredet werden, die zeigen, welche Wege die Umgestaltungen in einzelnen Tüllen annehmen.
40
Stadien
menschlicher
Lebensgestaltung
Überschichtung ist ein Vorgang, kein Aufblitzen eines Ereignisses ohne Folgen. Solche Folgen bestehen auch nicht im bloßen Umstellen wie bei einem Autoschalthebel auf einen anderen Gang. Nein, eine ganze Kette von Geschehnissen und Wandlungen wird angeregt, die sich nun fortlaufend auswirken. Die Vorgänge, die einst Jahrhunderte erforderten, können heute in Afrika stellenweise (wie bei den Datoga-Hirten und ihren Nachbarn) im Verlauf weniger Generationen beobachtet werden (Lt. 1). Das Schema stellt sich, aufs knappste zusammengefaßt, im Durchschnitt so dar, daß die einen von den anderen lernen, die Pflanzer die Viehhaltung, den Gebrauch von Butter; die Hirten gewöhnen sich an Breinahrung neben der sauren Milch. Die Pflanzer errichten haltbare W o h nungen für die Hirten, die Hirten nehmen sich Pflanzerfrauen für die Feldbestellung. In den frühen archaischen Kulturen verwendeten die Pflanzer die gezähmten Ochsen der Hirten als Zugtiere für den Pflug. Dadurch wechselte die Feldbestellung, ursprünglich Sache der Frauen, in das Gebiet der Männerarbeit über, die Frauen widmeten sich mehr der Kleinviehzucht usw. Kurz, die zwei Kulturströme der Feldbauer und der Hirten vereinigten sich zu einem neuen einheitlichen Kulturstrom von viehzüdktenden Pjlugbauern. Diese neue Kultur wird auch von einer anthropologisch neuen Bevölkerung von Mischlingen getragen. Das alles vollzog sich in vielen Jahrhunderten, ja Jahrtausenden. Bei den heutigen Naturvölkern beobachten wir verschiedene Stufen und Varianten als Überreste dieser Vorgänge. Mit den Vermischungen fielen auch die ethnischen Schranken einer bevorzugten Nahrungsgewinnung und die von Fertigkeiten und Kenntnissen. Das gilt auch, wo einzelne Familien kleine Häuptlingtümer gründeten, die ihr Prestige nach wenigen Generationen einbüßten. Nur wenige alte Einrichtungen erhielten sich dann als versteinerte Formen. Bei den mittelafrikanischen N y a m wezi und Sukuma oder den Fipa sind z. B. solche Reste noch deutlich erkennbar, bei anderen oft noch mehr verdunkelt. W e n n sich bei Pflanzern ein Häuptlingtum findet, so kann man es gewöhnlich auf solche Wiedervereinheitlichung, Rehomogenisierung, zurückführen. Doch tragen viele Einrichtungen den unverkennbaren Stempel eines gegen die ursprüngliche Gleichartigkeit veränderten Zivilisationshorizonts (Tf. 6).
53. Zugewanderte
fremde
Spezialisten
Hiervon muß die gesonderte Übernahme z. B. von Vieh, gewissen Fertigkeiten und Künsten (Töpferei, Holzschnitzerei, Erzgewinnung, Schmieden u. dgl.) unterschieden werden, die auf 'Hereinkommen von fremden zurückzuführen ist, deren eigenartiger Ursprung oft von den Leuten selbst längst vergessen wurde (Zf. 118). Es ist bemerkenswert, daß der technische Fortschritt von der Phase des Pflugbaues zunächst nicht auf landwirtschaftlichem Gebiet, also dem der direkten Nahrungsgewinnung, weiterläuft, sondern zu dem der "Handfertigkeiten über-
Lernen
und
41
Tiberschicbtung
springt, die in den archaischen Kulturen von immer größerer Bedeutung werden. Damit verbindet sich, wie wir noch sehen werden, eine wachsende Organisation der Arbeit, vermöge der aus der Überschichtung entspringenden politischen Herrschaft, die vor allem Hörigkeit und Sklaverei benützt. Die großen Reiche des alten Ägypten, Mesopotamien, Indien, China usw. bringen keinen anderen Fortschritt auf dem Gebiete der Nahrungsgewinnung als die Einführung neuer Kulturpflanzen, die oft von unterworfenen Völkern oder Stämmen erworben wurden. Doch auch das Handwerk bleibt auf einem relativen Kulminationspunkt stecken: in Ägypten und anderswo gebraucht man heute noch dieselben Werkzeuge und Fertigkeiten wie vor dreitausend Jahren. Der „Fortschritt" beruhte auf einer Bereicherung des Besitzes an Kenntnissen, in einem Lernen voneinander. Dies geschah teils durch Erwerb fremder Frauen und durch deren Kinder, teils dadurch, daß die Mitglieder alter Familien oder Sippen als Sklaven oder als Flüchtlinge in fremde Haushalte eingeordnet wurden, manchmal als Lernende, manchmal als Lehrende, teils endlich durch den Zusammenschluß von Splittern von Klans oder Stämmen, die zum besseren Schutz miteinander siedelten, teils schließlich auf dem Wege von auf verschiedene Weise entstandenen Handelsbeziehungen (Zf. 101). 54. Soziale
Sdbidbten,
Xasten
Mit diesen Vorgängen einer teilweisen oder allgemeinen Wiedervereinheitlichung hängt die Umbildung von ethnischen in soziale Sdhidbten zusammen. Während die ethnische
Zusammensetzung
und
Schichtung
auf
Qruppen
versdloiedener
Herkunft und verschiedener Ausrüstung zurückgeht, ist wenigstens das Bewußtsein und die Erinnerung daran in der sozialen Schichtung ganz oder doch überwiegend erloschen, und andere Maßstäbe, vor allem der Rangstaffelung, d. h. der Beziehung zum Herrscher oder zu den herrschenden Schichten und des Besitzes, traten in den Vordergrund. Die spezialisierten Klans, Sippen und Sippengruppen erscheinen in einer sozialen Schiditung eingebaut als miteinander verzahnte „Kasten" (Zf. 71, 82), wie etwa bei den Haussa. Wie vollzog sich dieser Übergang? Es sind Abläufe, die sich immer und immer wieder bei den verschiedensten Völkern abspielten (Zf. 13). Sie nehmen ihren Ausgang von einer Zersetzung der Oberschicht mit ihren Vorrechten und deren Mißbrauch sowie von den Rivalitätskämpfen (Zf. 88, 122). Das Prinzip der Abstammung versagt im Falle staatlicher und staatsähnlicher (vor- und frühstaatlicher) Tätigkeit infolge ungleicher Begabung und Verläßlichkeit, besonders der ursprünglich unabhängigen Adligen (Zf. 56, 90, 96, 97,116). Daher umgeben sich Fürsten und Despoten mehr und mehr mit ihnen geeignet und vertrauenswürdig erscheinenden Personen, besonders aus anderen ethnischen Gruppen als der herrschenden Schicht. Dieser Vorgang setzt sich allgemein durch und führt zur Einsetzung eines Beamtentums (Zf. 87, 88, 97). Die Besonderheit der Kenntnisse und die Überlegenheit werden als „Mana",
42
Stadien menschlicher
Lebensgestaltung
„Orenda" (geheime in den Dingen, Personen, an O r t e oder Vorgänge gebundene Kräfte) usw. hingenommen, respektiert und verehrt. Nicht rationale N ü t z lichkeitserwägungen, sondern eine Ehrfurcht vor den unbekannten Kräften, die einzelne Leute betätigen, setzt sich durch. 5 5 . Wirtsdhaftsverfassung,
Hörige
und
Sklaven
Die Wirtschafts Verfassung beruht in allen überschichteten Gemeinwesen nicht nur auf einer Arbeitsteilung unter den Gruppen, aus denen sie zusammengesetzt sind, aus deren sich ergänzender und verzahnender Zusammenarbeit, sondern sie greift zu einer Abwälzung der schwereren Arbeit auf andere. Dies geschieht durch Verpflichtung zu Abgaben als Hörige, die in ihrem Sippenverband bleiben oder zu direkten Dienstleistungen als Sklaven (Zf. 98), die aus dem Zusammenhang von Sippe und Familie losgerissen werden. In späteren Phasen dieser Abläufe bemächtigt sich die politische Herrschaft dieser Sachlage, und Kriege werden zur Erwerbung von Hörigen und insbesonders von Kriegsgefangenen gefühl t, die der Sklaverei verfallen (Zf. 99). Vermutlich sind sie auf die Verbesserung der Bewaffnung einzelner Stämme durch Nützung der Metalle, also den bei einigen Gruppen aufdämmernden neuen Zivilisationshorizont der Bronze- und Eisenzeit zurückzuführen, durch den sie eine Überlegenheit gegenüber den anderen erlangten. Dies sind Vorgänge, die in Vorderasien zuerst bei den Sumerern und Ägyptern im 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. bereits in vollem Schwung waren, wahrscheinlich schon vorher einsetzten. Viel hat zur Ausbreitung dieser Sitte gleichzeitig in den verschiedenen obengenannten Ländern die Einführung der Pflugarbeit beigetragen, die von den Männern ausgeführt wurde und nach den damaligen Maßstäben als „Großbetrieb" zu betrachten ist im Verhältnis zu dem von den Frauen ausgeführten kleinen Grabstock und Hackbau, des eigentlichen Neolithikums, der Neusteinzeit (Lt. 38, S. 112 ff., 116 ff., 126 ff.). 56.
Geistesverfassung
Die Geistesverfassung der Zeit der anfänglichen Lern- und Überschichtungsvorgänge kann als die einer erhöhten Anspannung der Aufmerksamkeit und Konzentration bezeichnet werden. Einerseits nötigte die Anwendung neuer Techniken die Pflanzer zu einer Weitung ihrer Aufmerksamkeit, andererseits zwangen die Forderungen an die in .Hörigkeit verfallenen Sippen diese zu einem Zusammenraffen ihrer Tätigkeit und ihres Fleißes, da sie je nachdem an Töpfen, Flechtereien, Schnitzwerk usw. mehr produzieren mußten, als sie f ü r den von ihnen gepflegten kleinen Austausch zu fertigen hatten. Den überschichtenden Hirten aber wurden neue Aufgaben, der Türsorge und Organisation der von ihnen in Abhängigkeit geratenen Leute, der Hörigen und Sklaven, gestellt. Hiervon hing in den Rivalitätskämpfen ihr eigenes Schicksal ab. Somit wurde
Lernen und
Tibersdridbtung
43
eine zweckmäßige Siebung in bezug auf die Auswahl der Leute f ü r bestimmte Leistungen verlangt unter der Drohung, selbst sonst durch ihre Rivalen zum Unterliegen gebracht zu werden. In den M y t h e n und Sagen wird das gespiegelt. Die Religionen verbinden Auffassungen von einem Ahnenkult mit solchen eines Hochgottes. M i t u n t e r läuft, wie bei den südafrikanischen Bavenda, eine ausgesprochene Himmels- (Blitz-, Sonnen-) Verehrung der Hirtenkaste neben einer völlig d e m Ahnenkult ergebenen D e n k a r t einher. Doch fanden z. B. in Westafrika innigere Durchdringungen statt, aus denen ein Pantheon von vielen Göttern hervorging, die o f t auf Geistergestalten oder Totemhelden von zusammen siedelnden und miteinander verbundenen Sippen zurückgeführt werden können. Beachtenswert ist, wie zunächst nach den Siegen der babylonischen H e r r scher deren Ahnengottheiten zur allgemeinen Verehrung aufsteigen, gerade so, wie unter den Inkas von P e r u ; die verehrten Ahnen oder Totems d e r U n t e r worfenen sinken zum Rang von Nebengöttern oder D ä m o n e n herunter. In g l e i c h e r w e i s e verändern die gnostischen Spekulationen der Priester ihre Lehren je nach der politischen Herrschaft, mit d e r sie verknüft sind und die ausschlaggebend wird. G e m ä ß den neuen Ideologien wird in den M y t h e n die Rolle der f r ü h e r e n Götter herabgedrückt. D e r Schöpfecgott des Hundemythos z. B. wird zum Todesdämon, im alten Ägypten wird Seth, gegen den die Horus-Anhänger siegreich waren, zum Geist der D ü r r e und des Bösen, in der Religion Z a r a t h u Stras wurden die f r ü h e r e n Geister (Devas), wahrscheinlich Ahnengeister, zu Repräsentanten aller Übel, im Islam und Buddhismus werden die früheren Totemwesen versporttet usw. (Lt. 34, S. 2 5 7 f f . ) . Die erwähnten Vergottungskulte archaischer H e r r s c h e r stellen die Brücke dar, die von den Klan- und Stammeskulten zu den Universalreligionen des Buddhismus, Christentums und Islams führten. Die XIan- und Stammeskulte waren aus homogenen Gemeinden herausgewachsen. Die Jierrsdherkulte schlössen mehr oder minder gewaltsam unterworfene Stämme und Völker, also Menschen verschiedener H e r k u n f t im Ahnenkult des Herrschers zusammen. Dieser Ahnenkult verband sich gewöhnlich mit d e r Vorstellung von einer übermächtigen und übermenschlichen Fähigkeit des Herrschers als einer A r t von Gottheit. D e r Mithraskult und besonders d e r Buddhismus sowie das Christentum verbanden Menschen einer bestimmten Qeisteshaltung ohne Rücksicht auf Abstammung und politische Zugehörigkeit. Diese Geisteshaltung wurde in bestimmte W o r t e und Formeln geprägt, deren Aussprechen verbindlich wirkte, denen aber die entsprechende Gesinnung zugrunde liegen sollte.
44
Stadien mensdblidher
Lebensgestaltung
D. M e t a l l z e i t 57.
Anfänge
Der Übergang von einem Zivilisationshorizont zum anderen fand niemals plötzlich statt, sondern stets reichen die Anfänge weit in die vorhergegangene Epoche, und die alte lebt noch lange Zeit weiter in vielen Fertigkeiten und Denkgewohnheiten. Deshalb besitzt jede Spitzenkultur ihre eigene volkskundliche (folkloristische) Uberlieferung. Man findet sie daher unter peruanischen Indianern ebenso wie unter den aus Afrika gekommenen Negern Amerikas, in Indonesien, Arabien und anderen Teilen der Welt, nicht nur in Europa, wo sie besonders in Irland erhalten ist. Die Ursprünge der Metallzeit wird man am richtigsten in der Blüte der Steinbearbeitung zu suchen haben, in der Zeit der Megalithiker. D a lernte man die Steine und Erze untersdieiden, sie auf ihre Härte und andere Eigenschaften prüfen. Hierbei wird man auf die Schmelzbarkeit von Metallen gestoßen sein. Wahrscheinlich waren es zuerst Gold und Silber, die man schmolz, sowohl deshalb, weil diese Erze in die Augen stachen, als auch wegen ihrer leichteren Schmelzbarkeit. In den alten Berichten aus Sumerien, Babylonien, Ägypten, im alten Peru und Mexiko ist stets von Geräten aus Gold und Silber die Rede, die Paläste waren damit geschmückt, und die Vorratsräume damit gefüllt, wie die Ausgrabungen an den Tag brachten. Auch ist es kein Zufall, daß man zuerst die „Bronze", Kupfer mit Beimischung von Zinn, findet. In der Tat scheint Bronze aus der geringeren Reinigung des Kupfers von Zinn und anderen Erzen entstanden zu sein. Eisen, das die höchsten Hitzegrade für das Schmelzen forderte, vermochte man erst nach Ausbau verbesserter "Heizungsmethoden mit Durchzugsgruben (Kiln) und mit Blasebalg zu gewinnen (Lt. 2 , 3 , 4 ) .
58.
Spezialisierung
Nach allem, was man gefunden und bei Naturvölkern erfahren hat, sind einerseits der bergmännische Abbau von Erzen, andererseits das Sdbmelzen und Sdbmieden von je verschiedenen Familien bzw. Sippen oder Klans betrieben worden. Es kommt auch vor, daß roh geschmolzene Barren an Schmiede mitunter in erheblicher Entfernung verhandelt wurden. Heute sind unter dem Einfluß der europäischen Konkurrenz diese alten Verarbeitungsarten natürlich zusammengebrochen. Die spezialisierten Sippen konnten sich leicht verbreiten, obwohl sie als Zauberer angesehen wurden. Bei den technisch eingestellten Pflanzern wurden sie mit Auszeichnung aufgenommen und gewannen eine angesehene Stellung durch die Anfertigung von Hacken, Beilklingen, Arm- und Fußringen, Messern, Pfriemen usw. Die selbstbewußten Hirten dagegen nutzten sie zwar für die Herstellung von langen Speeren, Dolchen und Schwertern, hielten sie
45
Metallzeit
jedoch in Abhängigkeit. Entsprechend d e r Einstellung d e r damaligen Gemeinwesen k o n n t e n sich solche H a n d w e r k e r s i p p e n frei bewegen u n d ihre Schutzgemeinden o d e r Schutzherren wechseln. U b e r w i e g e n d blieben die Familien u n d Klans von K u p f e r - oder Eisenschmieden f ü r sich u n d pflegten ihre b e s o n d e r e n Ü b e r l i e f e r u n g e n unter eigener Verwaltung u n d w a r e n höchstens zu A b g a b e n a n die H ä u p t l i n g e verpflichtet f ü r d e n Schutz, d e n sie durch diese genossen, wie die semitischen Lemba bei den Bavenda. Diese Schmiede, die untereinander heiraten, verstehen auch a n d e r e H a n d f e r t i g k e i t e n u n d treiben H a n d e l (sie brachten z. B. H ü h n e r mit). Höchstwahrscheinlich verbreitete sich die Metallbearbeitung durch solche Sippen, die n e u e Bedürfnisse nach M e t a l l w a r e n schufen u n d so einen neuen Kulturhorizont b e g r ü n d e n halfen (Lt. 2 3 ) .
5 9 . Die
örtlidhe
Entstehung
der Metallbearbeitung
kisiorisdh
gesehen
Diese der Völkerforschung entnommenen Beobachtungen u n d V o r g ä n g e bed ü r f e n einer U n t e r b a u u n g durch die archäologischen Funde, u m sie gesdhidktlidb u n d örtlidh festzulegen. Nach den heutigen Kenntnissen m u ß es ein Zentrum gegeben h a b e n , von dem die Metallsuche u n d die Schmiedekunst ausgestrahlt sind, von d e m zunächst der E x p o r t von Gegenständen, sodann von Fachleuten s t a t t g e f u n d e n hat. Dieses älteste Z e n t r u m d ü r f t e im oberen Gebiet der zwei Ströme Euphrat u n d Jigris gelegen h a b e n . Es ist ein Gebiet, in d e m d e r Feuerstein, der in Ägypten reichlich v o r h a n d e n ist, nicht v o r k a m , dagegen K u p f e r reichlich u n d b e q u e m aus der N a c h b a r s c h a f t beschafft w e r d e n k o n n t e , zumal lebhafte H a n d e l b e z i e h u n g e n bestanden, die bis Indien reichten. Die Suche nach geeigneten Steinen m u ß t e auf die G e w i n n u n g von K u p f e r f ü h r e n , das dauerh a f t e r als Feuerstein war. A u ß e r d e m h a t t e n die Sumerer in d e n armenischen u n d kurdischen Hochländern, aus d e n e n sie kamen, in d e n Q u e l l ä n d e r n d e r beiden großen Ströme, vermutlich kalt gehämmertes K u p f e r z u r H a n d . Dessen Gebrauch w a r direkt ü b e r k o m m e n aus d e r Zeit vor der großen Flut, die eine Folge des starken Abschmelzens der Eismassen nach der Eiszeit, vielleicht um 7 0 0 0 v. C h r . h e r u m , gewesen w a r . Jedenfalls w u r d e sehr f r ü h in d e r Bronzezeit des O s t e n s der C hse u n t e r das Joch gespannt, u m d e n Pflug z u ziehen. W a g e n w u r d e n in den G r ä b e r n v o n Kisch u n d U r g e f u n d e n u n d stammen aus einer Zeit vor 3000 v. Chr. (Lt. 3, S. 4 9 ) . W i e weit das D a t u m des Schmelzens von K u p f e r zurückreicht, ist vorläufig noch nicht feststellbar. K u p f e r w u r d e jedenfalls schon in der ersten Stadt Susa in Elam f ü r gegossene Beilklingen u n d Spiegel verwendet u n d reicht auf 3100 v. C h r . auf die erste historische Dynastie von U r nach der g r o ß e n Flut zurück. Z u dieser Zeit w a r e n die Sumerer kulturell u n d besonders in der Metallbearbeitung d e n Ä g y p t e r n weit voraus, obgleich später, im zweiten u n d ersten vorchristlichen J a h r t a u s e n d , die Lage sich u m k e h r t e u n d von Ä g y p t e n aus W a r e n aus K u p f e r , das a m Sinai gef u n d e n w u r d e , u n d Bronze sowie Fachleute d e r Schmiedekunst z. B. nach Kreta
46
Stadien mensMidoer
Lebensgestaitung
(Minoische Kultur) und den ägäischen Inseln (Zykladen) ausgeführt wurden, und obwohl der direkte asiatische Einfluß dort ebenfalls stark war (Lt. 53). 60.
£isen
Die Eisenzeit beginnt auf den ägäischen Inseln ohne Bruch mit der mykenischen Überlieferung. In mykenischen G r ä b e r n des 15. Jahrhunderts v . C h r . findet man Schmuck aus Gold und Eisen. Erst im 6. vorchristlichen Jahrhundert verdrängt das Eisen die „ehernen" W a f f e n aus Bronze. Das Eisen dürfte durch die Ägypter den Negern vermittelt worden sein, doch wurde das Eisen in der älteren Zeit allgemein zum Schmuck, nicht f ü r Geräte oder W a f f e n , verwendet. Das gefundene Eisen ist stets weiches Metall, das keine H ä r t u n g verträgt. Eiserne W a f fen kommen erst mit den griechischen Söldnern in das Niltal (Lt. 34 „Eisen"). 6i.
Qold und
Silber
Gold und Kupfer wurden oft zusammen gewonnen. Ägypten bezog beides hauptsächlich aus Nubien. Die altägyptischen Könige wurden von den Herrschern Babyloniens und der Mitanni um Goldstaub gebeten. Silber war im Bereiche der westorientalisdien Kulturen nicht reichlich vertreten und stand daher höher im W e r t als Gold. Die Hauptquelle war Spanien. In den nubischen Goldgruben w u r d e n u r wenig Silber gefunden, und die Ägypter setzten in der ältesten Zeit dem Gold Silber zu („Elektron"), um es wertvoller zu machen. Das Einkommen des größten Tempels von Theben betrug unter Ramses III (nach 1200 v. Chr.) auf Kilogramm abgerundet an Gold: 52, Silber: 998 und f ü r K u p f e r : 2395. U m diese Zeit hat sich die f r ü h e r e Bewertung bereits umgekehrt. In der ptolemäischen Zeit stellte sich Gold zu Silber im W e r t e von 1 3 : 1 , heute etwa 35 : 1 (Lt. 34, Bd. 12). 62. Spezialisierter
Fortschritt
Erwägt man das alles, so wird man sich bewußt, wie u jleidhmäfig der Fortschritt in den einzelnen Gegenden war, man könnte sagen, wie spezialisiert er war. Im Euphrat-Tigris-Land war das Kupfer zur H a n d , in Äypten Feuerstein und das nubische Gold, ob das erste Eisen aus Makedonien oder von den griechischen Inseln stammte, wo es nicht mehr spieterisd!} als Schmuck, sondern als bitterernste W a f f e verwendet wurde, ist noch ungeklärt. H a t nicht auch die Verwendung der elektrischen Kräfte im 18. Jahrhundert spielerisch begonnen, bis die Industrie erst gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts sich der neuen Kraftquelle bemächtigte? H a b e n dabei nicht die verschiedenen Nationen Europas und Amerikas mitgearbeitet? In ähnlicher Weise m u ß man sich auch die Anfänge beim Eisen vorstellen, das Kupfer und Bronze, Gold u n d Silber verdrängt, nachdem man es richtig zu schmelzen und zu schmieden gelernt hat.
Metallzeit
47
Daran scheinen sich mehr die Mittelmeervölker beteiligt zu haben, als der alte Orient, der seit etwa den letzten vorchristlichen Jahrhunderten langsam gegen erstere an Wichtigkeit einzubüßen beginnt. Die Ungleichzeitigkeit des Fortschritts macht eine Syndhronisierung, eine Übersicht über die Zeitunterschiede und Gleichzeitigkeiten wünschenswert, wie sie auf einer besonderen Tafel in groben Ausmaßen versucht wurde (s. T f . 20, 21). Das bedeutet, daß ältere Formen sich stets solange erhielten, bis Ereignisse eintraten, die sie ablösten. Im Orient gebraucht man noch die alten Schöpfräder wie vor 6000 Jahren, in Ägypten kann man heute noch die alten Techniken der Schuhmacher usw. beobachten, wie sie uns die Malereien der G r ä b e r vor 4 und 5 Jahrtausenden v o r Augen führen. Selbst bei uns haben sich alte Gegenstände und Gebräuche auf dem Lande erhalten. Die Überdeckung des Alten mit N e u e m geht, wie gesagt, sehr ungleichmäßig vor sich, und selbst von einer äußerlichen Neuerung, etwa der Kleidung, darf man keineswegs auf eine innere schließen (Lt. 38, S. 249).
63. Historische
Epodbe
Mit dem Beginn der Metallzeit setzt im allgemeinen die historische Uberlieferung durch die Schrift ein. W i r bekommen Kunde von vielerlei Staatswesen, deren Art zu leben und zu denken sowie zu beobachten, wie sie sich mit den Lebensbedingungen und den Mitmenschen auseinandersetzen. — Es wird nun wegen der Fülle und Vielseitigkeit der Erscheinungen angezeigt sein, die verschiedenen, mehr und mehr verselbständigten Funktionen des Zusammenlebens f ü r sich zu betrachten, obwohl wir dabei nie ihre Verschlungenheit in einem weiteren System und ihre wechselseitige Abhängigkeit voneinander außer Acht lassen dürfen.
III. EINRICHTUNGEN V O N GEMEINWESEN VERSCHIEDENER AUSRÜSTUNG (ZIVILISATIONSHORIZONTE) U N D KULTUREN
64. Der Sinn der liegt in ihrem
funktionieren
Einrichtungen im
Gemeinwesen
Die Funktionen der Einrichtungen haben keinen Selbstzweck, audi nicht ihre „Idealtypen". N u r innerhalb des größeren G a n z e n von Gemeinwesen und Kulturen kommen sie zur Geltung und zu W e r t . Dieses Ganze ist vielstufig und mannigfadi bedingt: 1. durch den Zivilisationsbcrrizont, d . h . durch die Ausrüstung der einzelnen Menschengruppen mit Begabung, Fertigkeiten und Kenntnissen. — 2. Durch den U m f a n g und das Verhältnis der Teilgruppen, die in einer Kultur miteinander verbunden sind, a) Es können einzelne unabhängige Familien, Großfamilien, Banden, Klans die gleiche Ausrüstung als Wildbeuter, Pflanzer oder Hirten besitzen; b) Gruppen aus verschiedenen Horizonten können durch Zusammenleben oder Tiberschichtung zusammengeschlossen sein. — 3. Weitergehende iHcrrschaftsverbältnisse können große Teile der Einrichtungen ergriffen haben und ihr Funktionieren beeinflussen ( T f . 11). — 4. Zeitlich und räumlich gibt es gleichartige Einrichtungen. Sie erstrecken sich a) auf ganze Völkergebiete während gewisser Zeiträume, wie auf die altorientalische Epoche der Völker des Zweistromlandes und Ägyptens, oder auf die Epoche der alten griechisch-römischen Kultur, des europäischen Mittelalters oder die modernamerikanische Epoche. Die Epochen ärmerer zivilisatorischer Ausstattung zeigen ein viel langsameres Jempo ihres Ablaufs, weil die Spannungen geringer sind, die namentlich durch die Herrschaftsverhältnisse und die Unangepaßtheit überkommener Organisationsformen an neue Arten technischer Produktion entstehen, b) Innerhalb der Kulturepochen treten individuelle nationale Eigenarten auf, wie in den westafrikanischen Gestaltungen, in Babylonien gegenüber Sumerien, Assyrien, Ägypten, in Rom zum Unterschied vom alten Griechenland usw. c) Diese nationalen Eigenarten wechseln aber je nach der Zeitperiode des staatlichen Lebens, Werdens und Vergehens, wie sie in Westafrika durch Einwanderungen und Einflüsse aus dem Norden (Berber) und dem Osten (Ägypten und Islam) verändert wurden, in Griechenland durch die Kämpfe Athens mit Sparta und dann die Eingliederung Athens durch Makedonien, oder in den Perioden der letzten Jahrzehnte deutscher Vergangenheit von 1918 bis 1933 und von 1933
Jamilie und
Verwandtschaft
49
bis 1945. — Mit bloßen Einteilungen dürfen wir uns aber nicht begnügen, sondern wir müssen sie als Vorgänge und Abläufe in den einzelnen Kulturen zu erfassen suchen.
A. F a m i l i e u n d 65. %ern der
Verwandtschaft Jamilienbildung
Die Arten der Nahrungsgewinnung wurden im vorausgegangenen Abschnitt über die menschliche Lebensgestaltung ausführlich behandelt. Dabei traten weittragende Unterschiede zutage. Die Verwendung gewisser Geräte und Verfahrensarten bei der Gewinnung des Lebensunterhaltes lieferten die Unterscheidungsmerkmale f ü r die Zivilisationshorizonte. W i e weit wirken sich diese Verschiedenheiten auf die Verbindung der Geschlechter und die Fortpflanzung aus ? — 1. Zunächst ist die biologische Tatsache festzuhalten, d a ß der Kern jeder Familienbildung Mutter und Kind sind. Die Beziehung des Mannes, sei es des Bruders der Frau oder des Vaters des Kindes oder eines anderen Mannes, kommt erst in zweiter Linie hinzu. Die Bedeutung der Kohabitation f ü r die Konzeption war in den Frühzeiten unbekannt, und ist es heute noch bei einigen südwestaustralischen Stämmen, wie neue Forschungen erwiesen haben. Die Verbindung Mutter und Kind bleibt als eine biologische dem Wechsel aller zivilisatorischen Horizonte überlegen. N u r ganz ausnahmsweise findet, wie auf den Admiralitätsinseln, eine Art von Kindertausch unter den Müttern statt. 66. Arbeitsteilung
als
Tamilienband
1. Die dauerhafte Verbindung von Mann und Frau beruht keineswegs aussdiließlich auf sexuellen Beziehungen, sondern in erheblichem Ausmaß auf einem Zusammenfinden, das die arbeitsteilige Verzahnung unter den Partnern zeitlich ausdehnt. Dementsprechend fällt dem Ehemann der Schutz der Frau zu, den er der Familie bzw. deren Vertretern abnimmt. Das biologische sexuelle Verhältnis gerät somit in Abhängigkeit vom zivilisatorischen Horizont der Nahrungsgewinnung und weiterhin von der Skala kultureller Wertungen. Daraus ergeben sich die mannigfachen Spielarten von Eheformen der verschiedenen Kulturen und Gemeinwesen. 67. Wertung
der
7rau
Die Wertung Frau wechselt je nadi der Meinung, die man von ihrer Tätigkeit hat. In den älteren Pflanzerkulturen wird die Hochbewertung der Frau vom Glauben an den Zusammenhang von weiblicher Fruditbarkeit mit der Fruchtbarkeit der Gärten und Felder getragen; außerdem durch die rationalistische Einschätzung ihrer Tätigkeit zur Beschaffung einer von den Wechsel4
50
Einrichtungen von Qemeinwesen verschiedener Ausrüstung und Kulturen
fällen der Jagd und des Fanges unabhängigen Ernährung. In überschichteten Pflanzerkulturen, in denen durch den Hirteneinfluß die Herreneinstellung der Männer gewachsen war, wird die Stellung der Frau, wenigstens rechtlich, wie in Westafrika, stark zurückgedrängt. Stets aber setzt sich die höhere Dimension der physiologisch-biologischen Kräfte der geschlechtlichen Anlagen durch; das Bereiten des Lagers, der U n t e r k u n f t in der Hütte, der Ernährung, und die Sorge für Kind und M a n n stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. 68.
'Männergesellsdbaft
Für die Männer dagegen steht der Schutz der Horde, Bande, Sippe oder des Klans und seiner Einheiten, der Familien, im Vordergrund. Daraus erwächst die Männergesellsdhaft, die z. B. gelegentlich in großen gemeinsamen Jagden, besonders Treibjagden, z. B. bei den Buschmännern, ihren Ausdruck findet. Auf diesem Boden entstehen die Befreundungen unter den Männern, besonders unter den Schwägern (Zf. 30). 69.
'Heiratsordnuncfen
3. Die politische Befreundung unter den Horden, Banden und Klans zwecks gemeinsamer Verteidigung oder Jagd, bei W a n d e r u n g e n oder in Notzeiten gab Anlaß zum Austausch von Töchtern jeder G r u p p e an die andere. Dies war um so mehr der Fall, als verwandte Familien von Brüdern oder Vettern voneinander abzweigten, aber Verbindung miteinander unterhielten. Bei Zusammenkünften und gemeinsamen Festen zur magischen H e b u n g der Fruchtbarkeit von Erntepflanzen und Jagdtieren wurden von den Alten sowohl die praktische Wirksamkeit der Riten erörtert, als auch der gegenseitige Beistand in Fällen der Bedrängnis. Es bildete sich eine gemeinsame Qeistesbaitung unter Gruppen von Klans heraus, die ihren Ausdruck in einem von allen Mitgliedern geteilten Glauben an ihre Beziehungen, besonders in der gemeinsamen Abstammung von Totem-Ahnen fand, die man sich als Tiere oder Pflanzen vorstellte. So traten unter verwandten Klans, die unter ähnlichen Bedingungen lebten, auch verwandte Auffassungen in Bräuchen und Kultus zutage, die schließlich in M y t h e n ihren Niederschlag fanden. Auf G r u n d alles dessen bildeten sich die Regeln heraus, nach denen Töchter der Familien den jungen Leuten anderer Familien oder Klans gegeben werden sollen, um ein Qleidhgewidht im Austausch des Nachwuchses zu verbürgen (Lt. 36, S. 139 ff.). 70.
Jypenbildung
Dieser Austausch von Mädchen und Burschen, den Töchtern und Söhnen von Geschwistern oder Vettern und Basen, führte zur Verheiratung unter Verwandten, die in ihren Auswirkungen biologisch eine !Nahzudht (nicht Inzucht)
Tamtlie und
Verwandtschaft
51
brachten und die Entstehung von anthropologischen Lokaltypen bedingten, wie man sie in der Tat z. B. in den einzelnen Dörfern Neu-Guineas und anderer papuanisch-melanesischer Gegenden der Südsee-Inseln heute noch antreffen kann. 71. Exogamie
und
Endogamie,
Außen-
und
Binnen-Jieirat
Der äußere Vorgang des Austausches von Töchtern unter den einzelnen Banden, Klans und Sippen hat dazu geführt, solche Vorgänge als „Außenheirat" = Exogamie vom Standpunkt dieser Einheiten aus zu bezeichnen. Von der Gruppe der miteinander verbundenen und zusammenlebenden Banden, Klans oder des Stammes finden dadurch beständig Verwandtenheiraten, also Binnenverehelichungen und Endogamie statt. Insbesondere trifft man das bei Oberschichtung in Xasten (Zf. 54), die aus verschiedenen Sippen zusammengesetzt sind, so daß man die Kasten als „endogam" bezeichnet (Tf. 10). Man darf audi nicht vergessen, welche Rolle die an Inzestehe grenzende Endogamie in den peruanischen Sippen (ayllus) spielte (Lt. 13 a). 72.
Verwandtschaft
4. Mit den beschriebenen Sitten hängt die Klassifizierung der Verwandtschaft zusammen, die vor allem die Verpflichtungen gegenseitigen Verhaltens und bestimmter Leistungen an Geschenken, Schutz, traditioneller Zurückhaltung (Tabu) und Ehrerbietung, aber auch Blutrache, also die Lebensregeln f ü r richtiges gegenseitiges Verhalten in engeren und weiteren Verbänden enthält. Hierin liegt eine Art großer materieller und moralischer Vorschriften guter A u f f ü h rung, die unter der Sanktion der übermenschlichen Mächte stehen und Obertretungen hart, früher mit Ausschluß aus der Gemeinschaft oder mit Tod, bestraften (Tf. 10). 73.
Erziehung
5. In der Familie sind nicht nur die Geschlechter, sondern auch die Lebensalter miteinander verzahnt. Es wäre falsch, von einem Fehlen an Erziehung zu sprechen. Allerdings findet sie mehr im praktischen Sinne statt, mehr im Vormachen als im Dozieren, weniger im abstrakten Lehren als gelegentlidi im Explodieren von Effekten der Eltern, z. B. Stoßen des Kindes ins Feuer des Hauses. Vor allem erziehen die um einige Jahre älteren Xinder die jüngeren. Dadurch zeichnet sich besonders der ältere Bruder ab, für den es in vielen Sprachen andere Ausdrücke als f ü r den jüngeren gibt. Auch sind die Großeltern häufig mehr als die vielbeschäftigten Eltern daran beteiligt, worauf die gegenseitig gleiche Anredebezeichnung zwischen Großeltern und Enkeln vermutlch zurückgeht (vgl. Lt. 30a, S. 63 ff.).
52
Einrichtungen von Qemeinwesen
verschiedener
74.
Ausrüstung und
Kulturen
Reijeweiben
Am wichtigsten in der Erziehung sind die ziemlich allgemein verbreiteten Reifeweihen, besonders der Jünglinge, oft auch der Mädchen. Sie sind mit nicht selten drastischen Zeremonien verbunden, in denen ihnen die Überlegenheit der Älteren an Kraft, Fertigkeiten und Kenntnissen zu Gemüte geführt wird. Häufig bekommen sie das in Dämonengestalt gekleidete und verpersönlichte Walten der Naturkräfte und der übermenschlichen Mächte sinnlich erfaßbar dargestellt. Es ist die konkrete Lehre durdh Handlungen statt durch viele W o r t e . Voran gehen oft tage- oder wochenlange Fasten und körperliche Anstrengungen, mitunter begleitet von Auspeitschen und anderen Quälereien. Hierzu kann man die Beschneidung und ähnliche Riten nur teilweise rechnen. Denn mit der Beschneidung wird gewöhnlich der Gedanke der Jurd/tbarmadhung und des sogenannten „Nachhilfezaubers" verbunden. Besdineidung ist zuerst in der Pyramidenzeit Ägyptens (ca. 2 8 0 0 v. Chr.) nachweisbar. Diese Reifeweihen werden zumeist von einem Alten als Zeremonienmeister geleitet und gleichzeitig an mehreren jungen Leuten eines oder mehrerer Klans, oft des ganzen Stammes, alle paar Jahre einmal vorgenommen (vgl. Lt. 30a, S. 12 f . ) . Sie bedeuten die Loslösung der Jungmannschaft aus der Familie, die Eingliederung der Burschen in die Zahl der kampftüchtigen Erwachsenen als Vollmitglieder des Stammes und für beide Geschlechter den offiziellen Anfang des Geschlechtslebens, insbesondere der Verheiratung (Lt. 36, S. 168, 294). 75.
Heirat
Nach Beendigung der Reifeweihen, vor oder mit denen schon inoffizieller G e schlechtsverkehr stattfand, tritt bei Wildbeutern und Pflanzern das dauernde Zusammenwohnen eines Paares ein. Doch wird dieses von beiden Familien gewöhnlich erst anerkannt, wenn ein Xind geboren wurde. Namentlich findet erst danach die Zahlung eines sogenannten Brautpreises statt, der an die Stelle des Naturaltausches getreten ist, und zwar zunächst als Verpfändung von W e r t gegenständen gedacht wurde, für den Fall, daß die andere Familie keine Tochter zum Austausch zur Verfügung hat. Daher dürfte man am richtigsten von Brautpfand sprechen. Bei überschichteten Stämmen sind es häufig Rinder, auch Schafe, Ziegen, Schweine, in anderen Fällen T ö p f e , Hacken, kupferne oder eiserne Arm- oder Beinringe, Muschelketten oder Muschelschmuck von hohem W e r t usw. U n t e r den Hirten heiraten, wie schon oben (Zf. 37) erwähnt, die Männer erst im Alter von 30 bis 35 Jahren, weil sie bis dahin durch den Bewachungs- und Kampfdienst bei den Herden in Anspruch genommen werden. In der Zwischenzeit bis dahin findet wie bei den Seefahrern der mikro- und polynesischen Inseln des Pazifik ein freies oder doch nur teilweise gebundenes Liebeslebens statt. Hier, und besonders in überschichteten Gemeinwesen, geht oft ein zeremoniell ausgebildetes Einholen der Braut usw. vor sich. Nicht sei-
Jamiiie und
Verwandtschaft
53
ten gilt ein Zögern oder ein verschämter 'Widerstand von Seiten der Braut, mitunter aber auch von Seiten des Bräutigams, der davonrennt und dgl., für der „guten Sitte" entsprechend (Lt. 36, S. 92ff.). 76.
¿beleben
Was die Dauer der Ehen anbelangt, so ist sie ungleich wie bei uns. M a n kann sagen: nach einer mehr oder minder stürmischen Reifezeit und ihrem Ausklingen tritt in der Regel eine gegenseitige Anpassung unter W a h r u n g der charakterlichen Besonderheiten ein. Ehebruch wird gewöhnlich am Manne, wenn auf frischer Tat ertappt, mit dem Tode gerächt oder sonst schwer bestraft. Die Frau geht nicht selten straflos aus. Denn hinter ihr wacht ihre Familie und rächt Übergriffe des Ehegatten, auch falls sie nicht ganz unbegründet sein sollten. Hierbei kommt es natürlich sehr auf die persönlichen Verhältnisse unter den Beteiligten an (vgl. Lt. 30a, S. 41). 77.
Tiebenebe
Bei manchen Stämmen, insbesonders auch bei den Australiern, den Papuanern und den Melanesiern der Südsee, herrschen nebeneheliche Verhältnisse, die darin bestehen, daß 1. die Alten die jüngeren Frauen f ü r sich in Anspruch nehmen, etwa auch ein Recht auf den ersten Umgang („ius primae noctis" bei den Römern) mit den Mädchen gelegentlich ihrer Reifeweihe beanspruchen, 2. daß Brüder oder freunde, insbesonders Gastfreunde, gelegentlich oder bei gewissen Anlässen ihre Frauen tauschen. Das geschieht manchmal auch, um einen Fruchtbarkeitszauber auszuüben. 3. Ein solcher Sinn wird auch den Orgien bei gewissen Mannbarkeits- und anderen Testen unterlegt, wobei es sich manchmal um bestimmt verwandte Personen, mitunter aber um unterschiedslosen Verkehr (Fest„Promiskuität") handelt. Derartige festliche Sexualfeiern verleiteten früher zur Annahme allgemein geltender Promiskuität. Allerdings dürfte man die erwähnten nebenehelichen Verhältnisse etwa der Australier auch auf die Jltsteinzeit zu beziehen berechtigt sein. 78. Trtebrebe
(Polygamie)
Die Mehrehe unterscheidet sich von der Nebenehe durch die Dauerhaftigkeit des Zusammenlebens (vgl. Lt. 30a, S. 30 ff.). Es war namentlich üblich, daß der jüngere Bruder die Witwe des verstorbenen älteren Bruders neben seiner bisherigen Gattin zu sich nahm, was man gemäß ähnlicher Sitte im alten Israel als , Levirat" bezeichnet. O f t wurde von den Alten in Australien die jüngere Schwester der Trau oder andere nahestehende weibliche Verwandte als weitere Frauen genommen (Polygynie). In geschichteten Gesellschaften verband sich mit der Hereinnahme weiterer Frauen, namentlich im Zusammenhang mit dem gesteiger-
54
Einrichtungen von Qemeinwesen verschiedener Ausrüstung und Kulturen
ten Selbstgefühl der Hirten, eine Staffelung der Frauen derart, daß die Frau aus Hirtenstamm vorherrschend blieb, während die anderen als von ihr abhängig betrachtet wurden. In den Phasen der Wiederangleichung blieb die Sitte der Staffelung wohl bestehen, erfuhr jedoch eine Milderung dadurch, daß den Weben frauen eigene Hütten und ihren Kindern mehr oder minder gleiche Rechte wie denen der Hauptfrau zugestanden wurden. Große Harems werden zu TAadntsymbolen der Herrscher. Im allgemeinen ist die Sterblichkeit des männlichen Geschlechts infolge der zahlreicheren Lebensgefahren, besonders der Kämpfe, erheblich größer, so daß im Alter etwa auf einen Mann 3 Trauen entfallen. — Vielmännerei (Polyandrie), die Verbindung einer Frau mit mehreren Männern, kommt seltener vor, gewöhnlich in mutterrechtlichen Gesellschaften (Zf. 80). Namentlich das Herausschieben des Heiratsalters der jungen Männer, die Monopolisierung der Frauen durch die Alten (wie bei den australischen Arandaund Loritja-Stämmen) oder ausgedehnte Harems der Herrscher führen einen Mangel an Frauen herbei. Doch auch gewisse, peinlich genaue Befolgung von Heiratsordnungen kann zu Vielmännerei Anlaß geben (Lt. 36, S. 79 ff.). 79.
Sdbeidung
Die Lösung des Ehebandes hängt von den gegenseitigen Verpflichtungen, besonders der beteiligten Familien, ab, hauptsächlich von der Rückerstattung der Pfandsumme. Diese wird aber kompliziert durch das Vorhandensein von Kindern. Nicht selten führt das in Stämmen mit nur lose festgesetzten Normen zu Streitigkeiten, in die man sich nicht gerne verstrickt. 80. £rbgang,
Vaterrecbt,
"Mutterredht
Die Fragen des Erbgangs werden im Abschnitt über Wirtschaft und Eigentum (Zf. 106 ff.) behandelt. Hier nur soviel, daß das Vaterredht mit der politischen Führung der Gemeinwesen zusammenhängt, das sogenannte Mutterredht mit der Schätzung der weiblichen Tätigkeit. Da hierbei die Ausgangspunkte der Bewertung sehr verschieden sind, schließt „Vaterredit" das „Mutterrecht" keineswegs aus. Es kommt je nach den Lebensverhältnissen viel mehr auf das Vorwiegen des einen oder anderen Gesichtspunktes an (Zf. 28). Da sich die Geräte der Frauen nur zum Gebrauch für ihre besonderen Tätigkeiten eignen, werden sie auch nur innerhalb des weiblichen Geschlechts vererbt, so wie die der Männer nur unter Männern. Die Verwandtschaft (Zf. 72) wird aber je nach den Umständen vorwiegend nach der männlichen oder nach der weiblichen Seite berechnet (Lt. 36, S. 190 ff., 222 ff.). 81.
Bünde
Häufig bleiben diejenigen, welche gleichzeitig in die „Geheimnisse" des Stammes eingeweiht, „initiiert" wurden, für ihr Leben lang in innniger, brüderlicher
Tamitie und Verwandtschaft
55
Freundschaft einander verbunden und bilden eine Art von Bünden, deren männliche Angehörige gegenseitig Rechte an ihren Frauen haben. Bei den Hirten und Seefahrern gibt es eine Staffelung der Altersschichten, welchen zunächst die heranwachsenden Jünglinge nach Eintreten der Mannbarkeit zur militärischen Erziehung zugeteilt werden und worin sie bis etwa zum 30. bis 35. Lebensjahr verbleiben, erst nachher dürfen sie eine Frau nehmen (Zf. 75). Bis dahin herrscht ein verhältnismäßig freies Liebesleben (Lt. 36, S. 120 ff.). Von dieser Art von Bünden, welche den gesamten Stamm umfassen, sind andere zu unterscheiden, die man als Qebeimbünde bezeichnet und die nur einen Teil der Bevölkerung, in der Regel bestimmte Jamilien, ergreifen. Vermutlich handelt es sich hierbei um die Nachkommen gewisser zugewanderter Gruppen, die ihre eigenen kultischen Überlieferungen unabhängig von der übrigen Bevölkerung weiter pflegten. Die Aufnahme oft in verschiedene Qrade ist an die Zahlung von landesüblichen Werten geknüpft, wie Matten, gewisse Muscheln, Metallgegenstände, Tiere und dergleichen mehr. Diese Kulturgenossenschaften, die in Westafrika auch durch den Islam beeinflußt wurden, kann man als eine Art primitiver „Xirdhen" bezeichnen (Lt. 36, S. 264 ff., 279 ff.). 82. Umgestaltung
von Erziehung
und Reifeweiben
durdb
Sdbidhtung
Schon in den voraufgegangenen Paragraphen wurde auch auf Zustände in geschichteten und durch Verschmelzung der ethnischen Bestandteile wieder vereinheitlichten, nunmehr sozial geschichteten Gemeinwesen Bezug genommen. Bei den Schichtungsvorgängen wirken aus der innerpolilisdhen Gliederung heraus sich einige Faktoren in bemerkenswerter Weise aus. 1. Die entstandene Autorität des ethnischen Adels und bei der sozialen Schichtung die des Herrschers und der mit ihm verbundenen und von ihm abhängigen Beamtenschaft führen zu einer Nachahmung im Familienleben, nämlich zur Erhöhung des Ansehens des Tamilienvaters (pater faanilias) und seiner Macht. Diese Autorität ist viel stärker als die der Familien- oder Klan-Alten in den ungeschichteten Gemeinden. — 2. Die erhöhte Kampftätigkeit, die schon die Hirten auszeichnet, gestaltet manche überschichteten Gemeinwesen ganz im militärischen Sinne um, namendich, wenn Rivalitätskämpfe sich einstellen. Die Erziehung der Jugend wird daher in diesem Sinne anders gelenkt. Dabei sinkt das Ansehen der Frau, und vielfach kommt es zu nebenehelichen oder zu prostitutionsähnlichen Einrichtungen. — 3. In Verbindung mit der Ausgestaltung des Herrsdiertums, besonders der Despotie, wächst die Vielweiberei oft ins Ungeheure, und man kann von einer Sonderzudht solcher Despoten an Kindern reden, die sich auf viele Hunderte belaufen. Die unteren Machthaber des Herrscherkreises ahmen solche Einrichtungen in kleinem Rahmen nach. Man kann sagen: während dadurch von oben her die Familie zersetzt wird, wirkt die Sklaverei auflösend von unten her. Verhältnismäßig am meisten unberührt bleibt die Mittelschicht der konservativ lebenden Hörigen (Lt. 38, S. 279 ff.).
56
Einrichtungen
von Gemeinwesen
verschiedener
B. P o l i t i s c h e 83.Jnsprudh
Ausrüstung
und
Xulturen
Gestaltung
der Horde, Bande, desXlans
und der Qemeinde auf Land
Jede Horde wildbeutender Familien erhebt geradeso wie Schwärme von Vögeln, Rudel von Hirschen, Herden von Büffeln usw. Ansprudi auf ein bestimmtes Nutzungsgebiet, aus dem sie Ernährung und sonstige Lebensnotwendigkeiten gewinnt. D a s galt sicher schon in der älteren Steinzeit und hat bis heute an Geltung nicht verloren. Jede Störung in diesem grundlegenden Anspruch mußte zu Gegenmaßnahmen führen, zu Kämpfen, falls eine Einigung nicht erzielt wurde. Sicher war der Lebensspielraum geräumiger, von unserem heutigen Standpunkt ungeheuer viel geräumiger. Jedodi düfen wir nidit die viel größere Xlnbeholfenheit des primitiven Menschen außer acht lassen, die Armut an Fertigkeiten und Kenntnissen, somit die Möglichkeit, seine Umwelt zu nützen. W a s hatte das Vorhandensein von Kohle für die Eiszeitmenschen vor fünfzigtausend Jahren für W e r t oder das von Erdöl noch vor 5 0 Jahren, bevor man damit Motoren anzutreiben verstand? Die Ansprüche der Wildbeuter an ihre Jagdgebiete verloren ihre Bedeutung nicht, als sich die Mittel der Nutzung mehrten und als die Bevölkerung diditer wurde. Im Gegenteil. Indessen wurde die politische Organisation durch die Zivilisationshorizonte beeinflußt und gestaltet, vor allem durch die Qberschichtung und durch die Verbreitung technischer Fertigkeiten (Lt. 39, S. 36 ff.).
84. Ansprüche
der
Wildbeuter
Land hatte für den Wildbeuter ( Z f . 15 ff) so weit W e r t , als er darauf Früchte, Beeren, Wurzeln und Tiere aller Art erbeuten konnte, um sich davon zu ernähren und sich gegen die Witterung zu sdiützen. Seine Existenz war daran geknüpft, und mit dem Land verteidigte er seine Lebensmöglidbkeiten. J e einige, miteinander verwandte Familien lebten in Großfamilien oder in lose verbundenen Horden. Später wurden gewisse Gesiditspunkte, die die Verteilung der heiratsfähigen Töchter und Abstammungsgedanken Anlaß für eine stärkere Verbundenheit in Banden. Z w a r blieb auch da (wie unter den Pygmäen) es einzelnen Familienvätern, die sich verzankt hatten, unbenommen, ihre Bande mit den Ihrigen zu verlassen und sidi einer anderen Gruppe anzuschließen. Die kopfreichere Bande fühlte sich wohl gesidierter, dodi bestand die Gefahr, zu schnell ein vorübergehendes Niederlassungsgebiet durch Sammeln und Jagen abzugrasen und schon nach wenigen Tagen oder Wochen es wieder verlassen zu müssen. So wurde die Ausdehnung der Bande zwischen diesen Grenzen nach oben und unten eingedämmt. In Australien und bei den südafrikanischen Buschmännern wurden die Banden der Wildbeuter, wie wahrscheinlich auch
Politisdbe Gestaltung
57
wenigstens die der jüngeren Steinzeit, durch den Glauben an gemeinsame tierische Ahnen, Jotem, verbunden, von denen sie Mythen erträumten. 85. Jnsprüdhe
der Pflanzer
Die Pflanzer (Zf. 21 ff.) erhoben ihre Ansprüche zunächst auf die Gewächse und den Ertrag der Arbeit, die auf das Heranreifen der Ernte verwendet worden war. Die Unterschiede in der Güte und Eignung des Bodens wurden mit der Zeit erkannt. Man suchte gewisse Böden, die z. B. feucht genug waren (wie in Afrika), oder Überschwemmungsgebiete an den großen Strömen des vorderen Orients, am Nil, Euphrat, Tigris, Indus, am Gelben Fluß in China. Die Organisationsform der Pflanzerfamilien war der unabhängige Klan, der sich von der Bande hauptsächlich durch die straffere Form, vor allem durch unter den Banden herrschende Heiratsordnungen unterscheidet. Der Klan bildet so wie die Bande die höchste souveräne Einheit. Die Mitglieder betrachten sich als von einem gemeinsamen Ahn abstammend, von dem Mythen erzählt werden und der entweder in Tiergestalt vorgestellt wird oder von dem Abenteuer mit einem Tier berichtet werden. Später treten auch Pflanzen, ja von Menschen gefertigte Gegenstände wie Seil, Holzschüssel usw. als solche Jotem auf. Oft schließen sich Splitter verschiedener verschwägerter oder sonst verwandter Klans zu gemeinsamen Siedlungen zusammen, ohne dabei ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Der Klan wird als Sippe erst dann bezeichnet, wenn er einer umfassenderen Organisation eingegliedert wird. 86. Jnsprüdhe
der Hirten
Ganz anders ist die politische Gestaltung bei den Hirten (Zf. 32 ff.). Hier handelte es sich um die Herde und deren Existenz, die durch die Weiden an verschiedenen, oft weit voneinander entfernten Orten gesichert wurde, so wie um den Schutz der Herde vor den Raubtieren, wie Löwen, die früher auch in Europa zahlreich waren, vor Leoparden, Wölfen, Hyänen und anderen gefährlichen Wesen, einschließlich den Menschen. Daher verteidigt der Hirte nicht die Erde, sondern die Herde, daher wurde er kämpferisch. Die Organisationsform der Rinderhirten unterscheidet sich grundlegend von der der Pflanzer. Bei letzteren bestehen einzelne unabhängige Klans oder Siedlungsgemeinden von Klansplittern. Bei den Hirten ist die Qroßfamilie vorherrschend, wobei ein Vater mit erwachsenen Söhnen und deren Kindern lebt, vielleicht anknüpfend an frühe Lebensformen der Horde. Die Art der nomadisierenden und in militärischen Verbänden der Jugend lebenden Hirten, die an ihren Herden kleben, erlaubt kein häusliches Zusammenleben wie bei den Pflanzern. Dafür herrscht unter den großen Hirtenstämmen ein starkes Gefühl von Sdbidksalverbundenheit, das sich am eindruckvollsten in den Mythen von einer gemeinsamen Abstammung aller Großfamilien spiegelt, so daß der ganze Stamm wie ein einziger erweiterter
58
Einridjtungen von Qemeinwesen verschiedener Ausrüstung und Xulturen
Pflanzenklan oder eine Wildbeuterbande aufgefaßt werden kann (Tf. 12). Eine solche Bande von Großfamilien, die zur Größe eines Stammes angewachsen ist, fühlt sich abstammend von einem totemistisdien Ahn, den sie sich als Rind, Sonne, Himmel oder Himmelserscheinung, wie Blitz, Sternschnuppe usw., vorstellen. Manche solcher Stämme haben sich über ein weites Gebiet ausgedehnt, das z. B. bei den ostafrikanischen Masai vom Indischen Ozean bis zum ViktoriaSee im Innern reicht. Tatsächlich sind die einzelnen Großfamilien unabhängig. Sie werden aber durch einen Oberpriester kultisch-politisch lose zusammengefaßt, indem er in Fällen der Not zur gemeinsamen Verteidigung aufruft, sonst aber alljährlich Treffen veranstaltet. Ähnlich war es bei den alten Mandschus Sibiriens. So war es auch in den polynesischen Seefahreraristokratien, deren Vertreter sich jahrhundertelang regelmäßig auf einer bestimmten Insel des Großen Ozeans, auf Raiatea, trafen, und gemeinsame Beratungen und Zeremonien der Familienhäupter veranstalteten. 87. Ansprüche
von üb erschichteten
Qemeinwesen
•berschichtete Gemeinwesen sind, wie erwähnt (Zf. 39) häufig aus Pflanzern und Hirten zusammengesetzt. Letztere oder deren Nachkommen haben die Führung übernommen uad, da sie in einem erheblichen Ausmaß von den Erträgnissen der Pflanzer und der mit diesen oft zusammenlebenden Handwerker sich selbst abhängig gemacht hatten, verteidigen sie auch die Interessen der Pflanzer, somit deren Ernte und den Boden (Zf. 42, 43). Aus ethnischen übersdiichtungen entstanden vorslaatlidbe Gefüge, d. h. solche Zusammenschlüsse, in denen die ethnische Eigenart, Fertigkeiten, Überlieferung, Ahnenverehrung und Sitten eines jeden Bestandteils gewahrt blieben, wie z. B. in Ruanda oder bei den Banyankole am Viktoria-See in Ostafrika (Tf. 13). Treten diese ethnischen Charakterzüge jedoch zurück, so daß sie entweder im größeren Ganzen verschwimmen und die Staffelung allein oder doch vorwiegend auf Grund der Zugehörigkeit zu einem Beruf, zum Rang eines Beamten, zum Besitz ausschlaggebend wird, wie in der großen Zahl von altorientalischen Staaten: im ältesten Ägypten, in den sumerischen Stadtstaaten, im ältesten Rom, dem alten Peru, unter den Kpelle Westafrikas usw., so hat man es mit frübstaatlicben Gefügen zu tun (Tf. 14). Denn hier hat sich eine neue einheitliche Organisation herausgebildet, die nun zu selbständigem Leben und Lebensablauf gelangt ist Zf. 5 1 - 5 4 , Lt. 38, S. 89 ff.). 88. Staatlicher
Cebensablauf
Kulturen wie politische Gefüge haben je ihren eigenen Lebensablauf innerhalb der viel weiteren, auf dem „Fortschritt" beruhenden zivilisatorischen Horizonte (Tf. 14,15). Innerhalb dieser, Jahrtausende umspannenden Phasen der Menschheit stellen Kulturen und staatliche Gefüge individuelle Qesettungswesen vor,
Politische Gestaltung
59
die ihren eigenen Lebensablauf haben: geboren werden, aufblühen, sidi wandeln, sich ausdehnen oder schrumpfen, umgestaltet oder verschlungen werden, oder in veränderter Form weiter leben, sterben und wiedergeboren werden, ähnlich wie bei primitiven tierischen Wesen sich das Leben abspielt (z. B. bei den Salpen). Dies bewahrheitet sich (Zf. 49—52) überall dort, wo wir weite Zeiträume zu überblicken vermögen. 89.
Siebung
Alle diese Vorgänge werden überwiegend durch ein Spiel der Wertung unter den beteiligten Personen innerhalb der betreffenden Geseliungseinheiten bestimmt. Es findet eine Bevorzugung statt von Typen der Persönlichkeiten, die im Gemeinwesen ausschlaggebend werden: die „Siebung" (Zf. 56 und 91 ff.). Dadurch erhält eine Kultur oder ein Staat den Charakter aufgeprägt. Denn einerseits beeinflussen die maßgebenden Personen äußerlich das Verhalten des Ganzen, andererseits regen die Machthaber die übrigen stets zur Nachahmung an. Auf solche Weise findet eine Angleidiung der verschiedenen Persönlichkeiten nach wichtigen Seiten statt und fördert deren gemeinsame Bewertungen, auf G r u n d deren eine Bereitschaft zur Verzahnung unterstützt wird. Derartige Vorgänge verhelfen zu einem gemeinsamen Verhaltungssdhema („pattern of behaviour"). So kann sidi in verhältnismäßig kurzer Zeit der Eindrudc von einem Gemeinwesen außerordentlich ändern. In der Türkei, in Japan, China, Afrika usw. haben sich in den letzten Jahrzehnten auf indirektem Wege ungeheure Wandlungen der Volkscharaktere vollzogen, so viel auch als tiefere Tradition bewahrt worden sein mag. Das gilt f ü r alle Zeiten. In gleicher Weise vermochte auch die Einführung neuer Jedhniken der Nahrungsgewinnung durch Hackbau oder Viehhaltung der Hirten große Änderungen in der Haltung der betreffenden Gruppen herbeizuführen. Weiterhin gab das Zusammenleben der übersdiiditeten und überschichtenden Teile in vorstaatlichen Gefügen Anlaß zu einer gegenseitigen Angleidiung, die zu ganz neuen Gestaltungen der frühstaatlichen Einheiten gelangte (Zf. 52). 90. Verschiedene
Siebung
in vor- und frühstaatlidhen
Qefügen
Bei der bekannten Besetzung und Eroberung der Perser weiß man, daß überall Verwandte des Königs als Statthalter eingesetzt wurden. Dasselbe trug sich in den mittel- und ostafrikanisdien Hirtenstaaten zu, in denen eine besondere Klasse von reichen Hirtenfamilien die Verwaltung des Landes, besonders der großen Herden und der Einkünfte von den Abgaben der hörigen Bauern leitet. Hierbei kommt es nur auf Abstammung, Angehörigkeit zur Hirtenkaste und Verwandtschaftsnähe zum König an. Im Falle seiner sozialen Schichtung, wie in Uganda oder im späteren Mandschu-Staat, oder in China, Babylonien, dem Ägypten des Neuen Reiches, im kaiserlichen Rom, im Makedonien Alexanders
60
Einrichtungen von Qemeinwesen verschiedener Ausrüstung und
Xulturen
usw. gingen Erwägungen über die Eignung f ü r die einzelnen Berufe der Beamten vor sich, die Beziehungen zum Herrscher und zur Clique des Herrschers spielten neben dem Besitz eine Rolle, während die H e r k u n f t vom Adel mehr und mehr in den Hindergrund gedrängt wurde (Lt. 38, S. 257 ff.). 9i.
Herrschaft
Unter den Wildbeutern, den einfachen, nicht überschichteten Pflanzern und selbständig gebliebenen Hirten kann von Herrschaft nicht geredet werden. Es gibt zwar gelegentlich einzelne Persönlichkeiten, die gewalttätig und geltungssüchtig sind, die anderen zu tyrannisieren versuchen, so weit sie es sich gefallen lassen, die auch in Händel mit Nachbarn sich verstricken. Allein nicht selten trifft sie eine Keule, ein Speer oder ein Pfeil. Aus Angst davor werden die häufigen Impulse und Affekte einigermaßen gezügelt, wenn auch Streitigkeiten immer wieder aufflammen. So kann tatsächlich ein einzelner großen Einfluß ausüben, wenn er klug genug dazu ist. Wirkliche Häuptlinge sind solche Personen nicht, wie oft fälschlich berichtet wird. W o sich das Häuptlingstum als ständige Einrichtung findet (und es sich nicht etwa um von der heutigen Kolonialregierung eingesetzte Personen handelt), sind es Angehörige ehemals überschichtender Familien wie bei den ostafrikanischen Nyamwesi und Sukuma. Die Wiedervereinheitlidhung ( Z f . 52) hat die f r ü h e r e Auszeichnung verwischt, n u r einige Reste blieben erhalten. Denn richtige Herrschaft erscheint erst bei Oberschichtung und wird zunächst von den ethnisch sich abhebenden Adelsfamilien bzw. von deren Häuptern getragen. G r u n d dazu ist die Verschiedenheit von Kultur und Menschen und die Anerkennung einer Überlegenheit infolge des Eindrucks, den gewisse Leistungen hervorrufen (Lt. 38, S. 136 ff.). 92. Jristokratisdhe
Fürsten
Als T y p können die aristokratischen Fürsten gelten, wie sie etwa unter den alten seefahrenden Polynesiem vorhanden waren. Auf jeder der polynesischen Inselgruppen, wie Samoa, Tonga, Hawaii usw., fanden sich vier bis fünf oder wenig mehr Großfamilien, deren H ä u p t e r miteinander wohl rivalisierten, sich auch bekämpften, aber, so wie die Hirten, durch ein starkes kulturell-religiöses Band verknüpft waren (Zf. 38). D e r älteste Sohn wurde Nachfolger in der W ü r d e , die jüngeren wurden über See geschickt und gründeten neue Kolonien, wie es z. B. auch aus dem alten Germanien u n d sonst vielfach bekannt ist, und wie es die Ritter des westeuropäischen Mittelalters zu halten pflegten. Abhängig von dem erwähnten Seefahreradel waren die Pflanzer, die den einzelnen Familien angegliedert und unter deren Schutz gestellt waren. Dieses Schema wiederholt sich bei den afrikanischen Hirten mit denjenigen Änderungen, die dem Ablauf des Zusammenlebens entsprechen, d. h. den Phasen fortschreitender ethnischer Anpassung und Angleichung, die durch Vermischungen begünstigt
Politische
Qestaltunct
61
werden, wie wir sie z. B. bei den ( Z f . 5 2 ) erwähnten N y a n k o l e in A f r i k a antreffen ( T f . 16). 93.
Doppelbäuptlinge
In manchen Fällen findet man eigenartige Verdoppelungs- bzw. Halbierungsersch einungen, besonders des Stammes, und zwar derart, daß nur eine H ä l f t e des Stammes in die andere heiraten soll. D a n e b e n bestehen oft noch Reste einer alten Klanexogamie ( Z f . 71 ff.), also der Vorschrift, daß die Angehörigen eines K l a n s sich nur mit denen irgendeines (oder eines bestimmten) anderen Klans ehelich verbinden dürfen. Z w a r herrscht unter den Hälften prinzipiell Gleichheit, so wie unter den Klans, doch erheben die Angehörigen der einen H ä l f t e oft den Anspruch auf eine gewisse Auszeichnung, ohne a b e r d a ß von U b e r schichtung oder Herrschaft gesprochen werden kann. Solche Erscheinungen, die den Eindruck einer Halbierung des Stammes madien, sind auf eine Verdoppelung, d. h. auf eine Angliederung einer ethnischen G r u p p e an eine andere zurückzuführen, wie sie z. B. auf den Neuen Hebriden beobachtet wurden. Aus solchen Verdoppelungen ist nun höchstwahrscheinlich die Verdoppelung von Oberhäuptern hervorgegangen, wie in R o m , in polynesisdien Gebieten usw. A u ß e r dem dürfte manchmal auch eine Aufspaltung der priesterlichen und der politischen Funktion zu einer solchen Verdoppelung geführt haben, wie im mittelalterlichen J a p a n oder im polynesisdien Bereich die sogenannten „ R e d n e r " als weltliche H e l f e r der sakralen aristokratischen Häuptlinge auftraten. 94.
Zauberpriester
und
Häuptlinge
In einfachen Banden und Klans der fortgeschritteneren W i l d b e u t e r und der Pflanzer sind die Funktionen des Zauberpriesters und des politischen O b e r hauptes in der Regel noch nicht verselbständigt, nur mit der Beschränkung, d a ß höchstens einzelne Personen, d a ß ein Familienhaupt besser in religiösen und zauberischen Riten besonders des „Regenmachens", das so wichtig für die Fruchtbarkeit ist, Bescheid weiß, ein anderer in M y t h e n , T ä n z e n , Gesängen, ein weiterer im K a m p f oder in d e r Jagd hervorragt, ein vierter M a n n als kluger U n t e r händler auftritt und bei Beratungen über W a n d e r u n g e n , Verheiratungen der Töchter, Befreundungen mit Fremden oder bei Tauschgeschäften sich eindrucksvoll hören läßt. V o n einer Abspaltung der politisdien Führung als Einrichtung (nicht als b l o ß persönliche Angelegenheit) kann erst, wie erwähnt, bei Uber sdhidhtung gesprochen werden. V o r allem brachte bezüglich der Beziehung zu den übermenschlichen Mächten der andere Qlaube der JJirten es mit sich, daß sie ihrem Himmelsgott ( Z f . 5 6 ) gegenüber der vorherrsdienden Ahnenverehrung der Pflanzer einen eigenen Kult einrichteten, zumal sie an der Ahnenverehrung der Pflanzer nicht teilnehmen konnten, wie das von den gut untersuchten südafrikanischen Venda (Ba-venda) berichtet wird. U n t e r überschichtenden Hirten
62
Einrichtungen von Qemeinteesen verschiedener Ausrüstung und Xulturen
monopolisieren die Priesterfamilien ( Z f . 38) mit dem Kult auch eine aristokratische Xontrolle des Königtums. Daran knüpfen sich Beschränkungen der Lebensdauer der Herrscher. Bei zunehmender Verschmelzung entsteht oft auch eine Rivalität zwischen den Priestern und dem politischen Oberhaupt. Durch die allmähliche Verschmelzung beider Schichten ging auch eine solche der Glaubenshaltung vor sich, die zu den Vorstellungen einer reichen Qötterwelt unter einem O b e r h a u p t führte, welche die irdische Verfassung eines sozial gestaffelten Gemeinwesens spiegelte (wie noch in Griechenland zu Homers Zeiten).
95. Türsten
und
Hörige
1. Es wird angezeigt sein, den Ausdruck „Fürst" auf die Häupter von unabhängigen Familien zu beschränken, die, wie die der Hirten und Seefahrer, übersthicbtend aufgetreten waren, d. h. mit den Pflanzerklans ein Bündnis schlössen, worin letzteren Schutz und Hilfe versprochen wurde, und wogegen die Hirten oder Seefahrer Abgaben bekommen sollten. — 2. Dadurch sanken die Pflanzerklans mit der Zeit in einen Zustand der Hörigkeit herab. — 3. Die überschichtenden Familien verwuchsen mit ihren Pflanzern zu neuen politischen Einheiten (Tf. 16, 17), die als Jierrenhöfe oder, wenn umfassender, als Hörigendörjer von Tierren erscheinen. Die Verbindung aus dem Schutz gegen Abgaben und Gefolgsverhältnis scheint oft sehr fest gewesen und anfangs nicht als Last empfunden worden zu sein. Auf der Karolinen-Insel Ponape revoltierten die Hörigen, als die europäische (deutsche) Regierung ihnen die Freiheit und Unabhängigkeit gab. Die Änderung war nicht aus gereiften Umständen hervorgegangen. — 4. U n t e r den Herrenhöfen bzw. den Herren mit den ihnen ankristallisierten Hörigendörfern entstanden Rivalitäten, die z. B. im alten Polynesien dadurch im Zaum gehalten wurden, daß sich gegen jeden, der die herkömmlichen Fesseln zu sprengen versuchte, alle übrigen verbanden, gegen ihn in der Art des altgriechischen Ostrakismos, des Scherbengerichts, gemeinsam vorgingen und kämpften. Erst die A n k u n f t der W e i ß e n zerstörte diese Sitte durch die Rivalität unter den europäischen Händlern, die einem Verräter Flinten gegen ungeheure Lieferungen und Leistungen verkauften, so seine Überlegenheit gegen die anderen ermöglichten und er nun wirklich zum König, zum ersten und überlegenen Adligen eines großen Gebietes wurde (Lt. 38, S. 172 ff., 182 ff.). Infolge ähnlicher Überlegenheiten haben im Altertum die früheren Herrscher Babyloniens und der Perser den Titel „fürst der Fürsten" erworben. Diese Überlegenheiten traten bezeichnenderweise bei Beginn der Bronzezeit ein, als man begann, W a f f e n aus TAetall oder doch mit Metallspitzen und -klingen herzustellen, die viel schärfer, fester und verwendungsfähiger waren als die aus H o l z oder Stein. Erst mit der Einführung der Metalle entstanden die großen Reiche und deren Zentren, die Städte.
Politische
63
Gestaltung
96. Könige und
Sklaven
Eine solche Überlegenheit in den Rivalitätskämpfen weit zurückliegender Vergangenheit scheint durch Einzelpersonen mit ihren Scharen durchgekämpft worden zu sein. Neben den Waffen und Geräten aus Kupfer, Bronze und später aus Eisen kam die Einführung des Pferdes als Reittier. Die Überlegenheit der Schnelligkeit zeigte sich bei den arischen Eroberern von Indien um etwa 1200 v. Chr., ebenso wie später bei der Eroberung der Oasen der Sahara durch die Tuaregs gegenüber den nur Rinder besitzenden Bewohnern in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten. Während der aristokratische Fürst, auch der Seefahrer noch, als der „Menschenhirt" auftritt, erkämpft der König blutig seinen Rang und hütet ihn eifersüchtig gegenüber den aristokratischen Mitbewerbern. Er muß vor allem für Unterstützung durch die Priesterschafl, die Seher, Wettermacher und andere „Propagandisten" Sorge tragen. In dieser Lage wird er veranlaßt, seine Macht immer mehr zu erweitern. Wir brauchen nur die ruhmredigen Inschriften der alten babylonischen, assyrischen, ägyptischen Könige und ähnliches zu lesen, um ihre Geistesverfassung kennen zu lernen, wie sie von ihren Siegen berichten, die sich bei Vergleichen und kritischen Untersuchungen mitunter als recht übertrieben erwiesen. Es war oft nur Propaganda für die Götter und die Ahnen, d. h. für sich selbst. Zur Erweiterung ihrer Macht unterwerfen sie immer neue Stämme und machen Kriegsgefangene, die sie anfangen, neben den Hörigen und Veteranen (wie die ägyptischen Könige schon früh im Delta) zur Landbestellung anzusetzen, um ihr Gebiet vor Hungersnot zu bewahren. Die Kriegsgefangenen werden aus ihrem Familien- oder Klanverband gerissen und vermehren den Glanz des großen Hofes und den der kleineren Höfe der beamteten Statthalter (Zf. 43, 44). Letztere werden einmal im Jahr oder in Abständen von einigen Jahren vom König unter Aufwand von großem Zeremoniell besucht, wobei der König vom Statthalter Geschenke empfängt, die etwa so wie Steuern aufzufassen sind, wie z. B. bei den Rundi Zentralafrikas. 97. Despoten,
Tyrannen,
Beamte
Es ist ein kleiner, aber nicht zu verachtender Unterschied zwischen Despoten und Tyrannen. Der König war in der Regel noch sehr von den Ratschlägen der Priester abhängig, ähnlich wie der Fürst. Der Despot ist zwar auch aus der herrschenden Aristokratie hervorgegangen, wenn auch sonst schon eine Angleichung zu einer Art ständischer sozialer Sdridbtung stattgefunden hat, wie im alten Ägypten des „Neuen Reichs". Die Verwaltung wird aber von selbsternannten Beamten getragen, ohne Rücksicht auf deren Abkunft. Selbst die Priesterschaft wird von neuen Personen und Ideen durchsetzt. Die überkommenen Sitten aber, namentlich des rituellen Königsmordes, werden weiter berichtet. Sie liefern der Priesterschaft eine gute Handhabe, sich gegen den Herr-
64
Einriebtungen
von Qemeinwesen
verschiedener
Ausrüstung
und
Xulturen
scher durchzusetzen, wenn z. B. die Sterne „ungüstig" stehen. — Anders in der Jyrannis. D e r Tyrann ist stets ein Usurpator, der häufig aus den unteren sozialen Schichten aufgestiegen ist, mitunter ein früherer Sklave oder doch aus einem anderen Klan oder Familiengruppe oder zweifelhafter Herkunft, wie der blutige Tyrann der Zulu: Schaka, der die alten Sitten mißachtete (wie etwa Hitler bei uns). Sein Ende fandSchaka dadurch, daß sein Bruder ihn ermordete. D e r gewaltsame T o d bildet ein häufiges Ende der Tyrannen. — Das Aufsteigen von unten ist ein Vorgang, der schon unter der Despotie beginnt, von der Tyrannis aber besonders unterstützt wird, da sie im Kampf mit der gewöhnlich absterbenden Aristokratie steht. Die Tyrannis führt gewöhnlich zu einein äußeren oder inneren Zusammenbruch oder zu beiden, und wird dann entweder von Fremdherrschaft oder von einem Rückgriff auf ältere, besonders demokratisch-egalitäre Gestaltungen abgelöst (Tf. 17), (Lt. 38, S. 63 ff.).
98. Hörige
und
Sklaven
D i e Verwaltung und Wirtschaft der archaischen Kulturen beruht zu einem großen Teil auf den Lieferungen und den Arbeiten einer abhängigen Bevölkerung anderer Herkunft als die Herrschenden, obwohl schon eine weitgehende Angleichung stattgefunden hat, wenn diese Staaten in das Licht der Geschichte treten. Die Stellung der Hörigen war im allgemeinen nicht ungünstig, wenn sie ihre Abgaben und Dienste leisteten, die nur ausnahmsweise eine Bürde mit sich brachten. Sie waren oft besser dran als manche Freie. V o r allem vermochten sie ihre Klans als in das manchmal redit lose Verwaltungssystem einbezogene Sippen mit Selbstverwaltung zu erhalten und so ihre Volkskraft zu bewahren. Dazu kommen noch die Dienstleistungen der Sklaven ( Z f . 55, 5 6 ) . In primitiven Kulturen wußte man mit Kriegsgefangenen nichts anzufangen: entweder tötete man sie oder man nahm den Mann, wie es bei den amerikanischen Indianern (Algonkin, Irokesen, Huronen) der Fall war, in die Gemeinde der Sieger auf, falls ein Mädchen oder eine Frau bereit war, ihn als Gatten zu wählen. Die wirtsdhafttidbe Nutzung der Sklaven scheint erst durdi das Königtum und den Pflug eingeführt worden zu sein. Sehr verschieden war die Stellung der Sklaven. Die Kriegsgefangenen, die an den Pyramiden, an den ägyptischen Königsgräbern, in den Felsen und an den Palästen arbeiteten, erhielten von den Hörigen gelieferte Zwiebel und Brot und etwas Bier. Dabei kamen Unterschlagungen von seiten der Beamten häufig genug vor. Auch hört man von Streiks und Ausschreitungen. Andererseits ging es dem Haussklaven recht gut, und nicht selten bot sidi eine Gelegenheit zum Aufstieg für geschickte Leute. Der Handel mit afrikanischen Sklaven hat stets geblüht, von den Zeiten der Phönikier und Karthager an, über Griechenland und Rom zu den Portugiesen und Spaniern, zu den Franzosen und Engländern und zu den Arabern. In Afrika selbst entstand Sklaverei besonders in den Berberund Hirtenstaaten und in den aus ihnen hervorgegangenen west- und mittel-
Politisdje
Qestaltung
65
afrikanischen Reichen. Die Waussklaven pflegten es auch hier ganz gut zu haben, währen die früher erjagten, später erhandelten Sklaven als Arbeilstnascbinen je nach der Art ihres Herrn behandelt wurden. Die Humanität wurde schwer errungen und war oft eine recht fadenscheinige Hülle. Stets aber blieb der Sklave rechtlos, war als Kriegsgefangener aus dem Zusammenhang mit seinem Stamm, seiner Familie und Verwandtschaft gerissen, ganz im Gegensatz zum Hörigen, der volksverbunden blieb. Das war in primitiven und archaischen Zeiten anders zu werten als in einer individualistisch zersetzten Gesellschaft wie der heutigen europäo-amerikanischen. 99.
Xriege
Den Kriegen fällt eine eigenartige Funktion zu. So grauenhaft das Massentöten zu allen Zeiten war, so sinnlos auch das Hin und Wider der Vergeltungen der Blutrache erscheint, so stark spornten sie den Menschengeist zu höchster Anspannung in den Rivalitätskämpfen an. Die winzigen Gemeinden der Wildbeuter führen ein verhältnismäßig friedliches Leben, das wir vermutlich auch den Altsteinzeitleuten zugestehen dürfen. Aber mit dem Fortschritt stellt sich die Zlberlegenbeit einzelner Gruppen ein, welche andere und Fremde bekämpfen und von ihnen Nutzen ziehen will. Die kleinen Pflanzergemeinden der Berge von Neu-Guinea leben in kaum abreißenden Streitigkeiten und BlutracheFehden. Die Hirten und Seefahrer bringen ihr Uberlegenheitsgefühl in die Pflanzergemeinden und stecken so auch die spätere soziale Oberschichtung damit an. Es ist eine traurige Errungenschaft, die oft nur der Eitelkeit Einzelner frönt. In den durch Seefahrer überschichteten Gemeinden mit verfallender Häuptlings-Aristokratie von Buin konnte man noch bei meinem ersten Besuch im Jahre 1908 dreierlei Qrade von Kämpfen unterscheiden: 1. gewöhnliches Austragen von Streitigkeiten unter Häuptlingen nach festgesetzten ritterlichen Regeln des Kampfes (wie sie auch auf den mikro- und polynesischen Inseln beobachtet wurden), bis einer der 6 bis 12 Leute, die auf je einer Seite kämpften, schwer verwundet oder getötet war. Der Tag war vorher bestimmt, der Kampf fand auf einem eigens gerodeten Stüde Land an der Grenze der Gaue statt. Die Siegerpartei hatte ein Schwein für jeden Gefallenen zu entrichten, waren es mehere, so viele Schweine, als der Zahl der Gefallenen entsprachen. Der Sieger verlor also mehr Schweine als der Besiegte. — 2. Kämpfe, die auf schwerere Beleidigungen hin entstanden und zu Plünderungen, besonders der Kokospalmen, führten, also ins feindliche Gebiet hinein. — 3. Verbissene, mit Unterbrechungen mitunter Jahrzehnte dauernde Xriege. Ich konnte die Geschichte eines dreißig Jahre dauernden Krieges registrieren, an dessen Friedensschluß ich aktiv beteiligt war (in Aku). — Die Häuptlinge selbst nahmen im ersten und zweiten Fall nidbt am Kampf teil und durften auch nicht verwundet oder getötet werden. — Viele Kämpfe verliefen ziel- und zwecklos und änderten nichts am gesamten Ablauf des Menschenschicksals (vgl. Lt. 38, S. 191 ff.). O f t 5
66
Einrichtungen
von Qemeinwesen
verschiedener
Ausrüstung
wul
b r a c h t e n a b e r Kriege Kulturkrisen z u m A u s d r u c k . D i e scheinbar P e r s o n e n d e r politischen G e s t a l t u n g o d e r d i e F e l d h e r r e n t r e t e n m e h r spieler" d e n n als „ D i c h t e r " im g r o ß e n nie e n d e n d e n D r a m a des lebens auf. W e r ist d e r D i c h t e r ? W i r k e n n e n n u r einiges von dem, „gespielt" w u r d e .
Xulturen handelnden als „SchauMenschenwas bisher
C. W i r t s c h a f t s o r g a n i s a t i o n iOO. Was ist
Wirtschaft?
U n t e r „ W i r t s c h a f t " k a n n m a n dreierlei v e r s t e h e n : 1. die A r t d e r Nahrungsgewinnung, wie sie in Abschnitt II ( Z f . 15 f f . ) dieser A r b e i t b e h a n d e l t u n d d e r sozialen Geschichte d e r M e n s c h h e i t z u g r u n d e gelegt w u r d e . — 1. k a n n m a n das „Haushalten" d a r u n t e r v e r s t e h e n , nämlich d e n Ausgleich zwischen A u s gaben u n d E i n n a h m e n , zwischen K r a f t a u f w a n d u n d G e w i n n , ein Qlei&gewidbt, das keineswegs n o t w e n d i g e r w e i s e in Z i f f e r n einer B u d i f ü h r u n g in die A u g e n springen m u ß , s o n d e r n im täglichen L e b e n überall g r e i f b a r w i r d u n d p r i m i t i v e Lebensverhältnisse e b e n s o u m f a ß t wie f e i n s t e r e c h n e r i s d i e K a l k u l a t i o n . — 3. A l s M i t t e l d a z u dient die Organisation der W i r t s d i a f t und d e r d a r i n eingegliederten Menschen. Im f o l g e n d e n soll die A u f m e r k s a m k e i t d e m zweiten u n d d r i t t e n Punkt zugewendet werden.
101. Jecbnik
und
Wirtschaft
D i e Technik ist in b e z u g z u r U m w e l t e t w a s Relatives. M a n bedarf anderer G e r ä t e und Fertigkeiten je nach W ü s t e o d e r W ä l d e r n , Kiiste o d e r Bergen, P o l a r g e g e n d , W e c h s e l k l i m a o d e r T r o p e n l a n d s d i a f t ; d e r E r t r a g d e r Scholle bedarf entsprechend a n d e r e r V e r f a h r e n s a r t e n f ü r P f l a n z u n g , E r t r a g u n d A u f b e w a h r u n g . Desgleichen wechseln die Bedingungen je n a d i d e r Art des Wildes, d a s v o r h a n d e n ist, u n d d e r T i e r e , die g e h a l t e n w e r d e n : o b S d i w e i n e , die S u m p f lieben, o d e r Ziegen d e r G e b i r g e , S c h a f e , R i n d e r o d e r P f e r d e d e r E b e n e , Esel o d e r K a m e l e d e r S t e p p e , R e n n t i e r e d e r P o l a r z o n e u s w . D i e F r a g e ist w e i t e r h i n , was eine b e s t i m m t e M e n s c h e n g r u p p e d u r d i ihre Fertigkeiten u n d K e n n t nisse aus einem L a n d e herauszuholen i m s t a n d e ist. W o W i l d b e u t e r a n S ü m p f e n w o h n t e n , w u r d e n sie d u r c h P f l a n z e r h e r a u s g e d r ä n g t , e b e n s o d u r c h H i r t e n d o r t , w o eine ertragreiche G a r t e n l a n d s d i a f t w a r . So w u r d e n sie in A f r i k a in die U r w ä l d e r des K o n g o u n d in die W ü s t e n des S ü d e n s z u r ü c k g e d r ä n g t . D a z u k o m m t w e i t e r h i n das Beharren in einmal f e s t g e f a h r e n e n T r a d i t i o n e n d e r technischen N a h r u n g s g e w i n n u n g . In das m i t t l e r e A f r i k a w a n d e r t e n vor u n d im e r s t e n J a h r t a u s e n d u n s e r e r Z e i t r e c h n u n g negerische P f l a n z e r f a m i l i e n u n d F a m i l i e n g r u p p e n ein u n d s u c h t e n sich die f ü r i h r e Methode der Unterhaltsgewinnung geeigneten Landstriche a u s . Als e t w a vier- o d e r f ü n f h u n d e r t J a h r e s p ä t e r d i e H i r t e n h o r d e n aus d e m östlichen S u d a n e i n b r a d i e n , suchten sie g a n z a n d e r e s L a n d , solches, das sich als W e i d e f ü r i h r e R i n d e r h e r d e n eignete. D i e H i r t e n
Wirtschaftsorganisation
67
nahmen den Pflanzern nicht das Land weg, und umgekehrt brauchten die Pflanzer nicht das Weideland. Daraus geht hervor, daß der wirtschaftliche Bedarf keineswegs eine unwandelbare abstrakte G r ö ß e ist, sondern durch das konkrete Leben und die Gewohnheiten in außerordentlichem M a ß e bedingt ist und verschoben werden k a n n ; natürlich innerhalb der biologisch vorgezeichneten Voraussetzungen. Nebenbei zeigt sich auch, daß die Berührung und das Nebeneinanderleben nicht an sich schon die Übertragung von Fertigkeiten und Kenntnissen bedeutet ( Z f . 5 3 ) . Vielmehr bedurfte es erst der Überschichtung und der daraus sich ergebenden vielseitigen Berührung durch wirtschaftliche Ergänzung und Verflechtung einer völligen Ilmorganisation der Nahrungsbeschaffung durch Hörigkeit der Pflanzer, damit die Fertigkeiten der einen (wie z. B. die Viehzähmung) für die anderen (durch Spannen des Maultieres oder des Ochsen vor den Pflug) nutzbar gemacht werden konnten ( Z f . 4 0 ) . i02.
Die Jamilie
als Wirtschaftseinheit
bei den
Wildbeutern
Die Umstände der Nahrungsgewinnung gemäß den zivilisatorischen Horizonten sowie die politische Gestaltung wirken hier weiterhin entscheidend ein. D e r Wildbeuter, der Jäger und die Sammlerin, verzehren ungefähr das, was ihnen am T a g e zugefallen ist ( Z f . 19, 2 0 ) . H a b e n sie viel erlangt, so geben sie von ihrem Tiberfluß an die Verwandten ihrer Horde etwas ab, in der Erwartung, am folgenden T a g e vom U b e r s c h u ß des Nachbarn auch etwas zu bekommen. Durch dieses abwechselnde Qeben und Nehmen vollzieht sich ein Ausgleich unter den Familien der Horde. Verwandtschaft und Freundschaft bringen stets solches ständige G e b e n und N e h m e n nicht nur von Nahrungsmitteln, sondern auch von handwerklichen Erzeugnissen mit sich (Lt. 36, S. 1 6 4 ff.). Dadurch könnte man von Verwandtschaftsgruppen als wirtschaftliche Einheiten reden. Sie sind es jedoch nicht im ganz strengen Sinn, weil jede Familie mit mehreren Verwandtschaftsgruppen verflochten ist und auch ihre Lebensweise wechselt. In letzter Linie bildet zumeist doch die 7amilie die Wirtschaftseinheit, die durch das arbeitsteilige Zusammenwirken von M a n n und Frau begründet wird. Bei den Buschmännern und den Eskimos wechselt der Zusammenschluß der Verwandtschaftsgruppen oder Banden je nach der Jahreszeit, wenn das W i l d zu den Wasserlöchern zusammenströmt, und dementsprechend die Selbständigkeit der Familie und der gesamten Bande gleicherweise ( Z f . 3 5 ) . 1 0 3 . Die Tamilie
als Wirtschaftseinheit
bei den
Vflanzern
Bei den Pflanzern ist die im Klan lebende Familie als wirtschaftliche Einheit zu betrachten. Doch verbindet Bittarbeit und gegenseitige Hilfeleistung die einzelnen Familien untereinander. J e d e r rechnet für seine Leistung auf Hilfe von den anderen. Stets fällt dem das Produkt der Arbeit zu, der sie geleistet hat, und wenn sie für einen anderen vorgenommen wird, so muß sie vergolten wer5*
68
Einridotungen von Qemeinwesen versdjiedener Ausrüstung und Xulturen
den. Außerdem aber hat z. B. beim Erbauen eines Hauses der, dem das Haus gehören soll, nicht nur seinerseits künftig den anderen zu helfen, sondern auch unentwegt seine Helfer durch Speise und Trank bei guter Laune zu halten, sonst stockt das ganze Bauen (Zf. 29). i04.
Die lamilie
als Wirtschaftseinheit
bei den
Wirten
Unter den Hirten bildet die Großfamilie mit ihren Ablegern die wirtschaftliche Einheit. Bemerkenswert ist bei den Yakuten z. B. der Ubergang vom Halten der Pferde zur Rindviehzucht. Die Pferde bildeten das gemeinsame Eigentum der Großfamilie. Diese fiel durch in neuerer Zeit persönlich erworbenes Rindvieh deshalb auseinander, weil ein jeder trachtete, für sich möglichst viel Rindvieh, das auch für die Ernährung günstiger ist, zu erwerben, während an den Pferden der gemeinsame Besitz haftete (Zf. 36). 1 0 5 . In der
Ttberschidhtun0
Etwas neues bildet die „familia" des Herrenhofes, und weiterhin der aristokratischen Herren und der Dynastien. In der „familia" tritt die patriarcfbate Stellung des Oberhauptes als Wirtschaftsleiter und Organisator hervor. Sie gewinnt ihre Gestalt infolge der Uberschichtung und durch das Halten einer Anzahl von Nebenfrauen, deren jede ihre Felder bestellt und ihre Kinder pflegt, wie in vielen Teilen West- und Südafrikas (Tf. 18). So gilt wohl die ¡Mutterfolge, doch das Patriarchat. Die Mehrzahl der Frauen verstärkt die Stellung des Familienvaters dank seiner vielfachen Verschwägerung und dem größeren Ertrag der Felder. Dazu kommen noch Sklavenarbeit und die Abgaben von Hörigen (Lt. 37, S. 174). 106. Die Arbeit
als Qrundlacfe
bei Wildbeutem
für die und
Eigentumsansprüdhe Pflanzern
Die Klans der Pflanzer erheben so wie die Banden der Wildbeuter hoheitsredhtlidhen Anspruch auf ein Nutzungsgebiet für ihren Lebensunterhalt, d. h. die Häupter der Familien verteidigen gemeinsam den für ihre Existenz in Betracht kommenden Raum. Innerhalb dieses geräumigen Landstriches suchen sich die einzelnen Familien die Stücke für die Bearbeitung und Anpflanzung aus. Läßt ein Stück im Ertrag nach, so rodet man neues Land und bearbeitet dieses. Ein familialer oder persönlicher Anspruch knüpft sich nicht an den Boden, denn der Boden ist gewissermaßen „staatlich", sondern an die Arbeit. Des Wildbeuters Arbeit besteht darin, daß er in seinem Bereich sammelt oder jagt. D e r Ertrag fällt dem zu, der zuerst etwa ein Nest wilder Bienen oder Eier von Buschhühnern gefunden oder ein Tier gefangen oder erlegt hat, denn das ist die „Arbeit", die konzentrierte Tätigkeit, die er leistet. W i r begehen, nebenbei gesagt, den Fehler, das Jagen immer als eine Art von Sport aufzufassen, was es
69
Wirtschaftsorganisation
in primitiven Verhältnissen mit primitiven W a f f e n keineswegs ist, sondern ein mitunter höchst gefährliches Unternehmen. Die Tätigkeit des Pflanzers entspricht mehr unserer landläufigen Vorstellung von Arbeit, sie ist weniger abenteuerreich als die des Wildbeuters, erfordert aber mehr Stetigkeit und eine weit ausgreifende Haushaltung, Sparen und Vorsehung f ü r die Notzeiten, alles Eigenschaften, für welche das weibliche Geschlecht zunächst besonders geeignet war. W a s die Frau erarbeitet hat in ihrer Pflanzung, gehört ihr, keineswegs der Nachbarin, mit der sie wohl gemeinsam in die mitunter eine halbe bis zu einer Stunde und selbst weiter entfernten Pflanzung zieht, der sie wohl auch Geräte leiht. Doch ist sie sonst auf ihren Vorteil bedacht. Dem Mann gegenüber besteht auch Gegenseitigkeit, indem er jagt und die Beute mit ihr teilt, oder andere lür beide nützliche Tätigkeiten ausübt, vermutlich durch Roden und Ernten hilft, durch Einzäunung der Felde usw., ferner Handfertigkeiten ausübt oder Handel treibt. Unter den Familien aber herrscht die schon erwähnte, ebenfalls auf Gegenseitigkeit abgestellte Hilfeleistung, namentlich in den Fällen der Not (Zf. 26, 27). 107. Arbeit
und
Eigentum
bei den Hirten
und
Seefahrern
Wie bei den Wildbeutern muß man bei den Hirten die Arbeit vorzugsweise im Sinne einer Anstrengung der Aufmerksamkeit, der geistigen Konzentration. auffassen. Die Hirten, und ähnlich die Seefahrer, leisten nur wenig körperliche .Arbeit, abgesehen vom Bändigen der jungen Tiere und Übungen im Kämpfen. Den Frauen fällt das Erbauen der Hütten und die Kleinarbeit zu. Die Seefahrer haben mehr körperliche Arbeit zu leisten, indem sie die Bäume für ihre Fahrzeuge fällen, die Flöße binden, die Einbäume aushauen, die Ausleger oder Planken der Boote zusammenbinden und mit H a r z verkitten, vor allem die Segelmatten urtd die N e t z e f ü r den Fischfang flechten usw. Alle diese körperliche Arbeit dient dem Nahrungserwerb, aber nicht direkt, wie im Falle der Wildbeuter und der Pflanzer, sondern ist nur Mittel zum Zweck auf einem mitunter nicht geringen Umwege. Daraus ist zu ersehen, daß eine phantasievolle Planung und Kombination das Denken leitet. Dieses wurde bei den Hirten durch das Sorgen für die Herde, das Aufsuchen geeigneter Weiden, die Schonung des Bestandes der H e r d e in Tausenden von Generationen herbeigeführt, kulturell und seelisch den Hirten „angeboren". Durch soldies Verhalten hoben sie sich von den Pflanzern ab und entwickelten ein starkes Qemeinsdbaftsgefübl, wie oben (Zf. 36, 38) ausgeführt wurde. Andererseits erzog die Selbständigkeit der wenigen Hüter einer oft zerstreuten Herde im Kampf gegen wilde Tiere zu individueller Unabhängigkeit. Bei der Ausdehnung des Stammes und noch mehr infolge der Rivalitäten bei der Uberschichtung fielen die Großfamilien teilweise auseinander (Zf. 44). So bildeten sich die Anfänge von individuellem Eigentum und große Unterschiede im Reichtum, während im Bewahren der Herde und deren natiirlidien Vermehrung die U r f o r m des zinstragenden Kapitals zu erblicken ist (Lt. 37, S. 150—161).
70
Einridhtungen
i08. Einfluß
von Qemcinwesen
verschiedener
AusrüstungJ und
Kulturen
von verwandtschaftlicher Gliederung und Rang bei Staffelung auf die Wirtschaft
sozialer
Ü b e r s c h i c h t u n g k a n n sich sehr verschieden auf die W i r t s c h a f t s o r g a n i s a t i o n ausw i r k e n . Im Falle einer w e i t g e h e n d ethnisch-assimilierten Schichtung, also einer sozialen Staffelung, u n t e r d e n M a o r i von N e u - S e e l a n d , einem hauptsächlich von P f l a n z e n b a u u n d Fischfang l e b e n d e n Volke (Lt. 10, S. 91 ff.), bildet die soziale u n d wirtschaftliche Einheit die G r o ß f a m i l i e ( w h a n a u ) . Diese k a n n bis z u ü b e r n e u n z i g M i t g l i e d e r u m f a s s e n u n d ihre H ä u s e r k ö n n e n ein g a n z e s Viertel des D o r f e s e i n n e h m e n . W ä c h s t die G r o ß f a m i l i e an, so verselbständigt sie sich z u einer n e u e n Einheit ( h a p u ) , die o f t „ K l a n " b e n a n n t w i r d , tatsächlich a b e r n u r eine sehr e r w e i t e r t e G r o ß f a m i l i e , eine Tamil ienballung, darstellt. V e r w a n d t e Familienballungen ( h a p u ) schließen sich z u einem S t a m m (iwi) z u s a m m e n . Abstammung bildet die G r u n d l a g e aller dieser G r u p p e n . D e r R a n g eines Fürsten w a r d u r c h seine f o r t l a u f e n d e A b k u n f t von d e n ersten S ö h n e n bedingt. D e r G r u n d f ü r diese s t a r k e Betonung d e r E r s t g e b u r t liegt zweifellos d a r i n , d a ß man v o n diesen S ö h n e n a n n a h m , sie seien reine N a c h k o m m e n des P a a r e s , sowohl v o n weiblicher wie von männlicher Seite. W e i t e r h i n b e s t i m m t e d e n R a n g die Z a h l d e r mit d e m F ü r s t e n v e r w a n d t e n Qefolgsleute, die Z a h l seiner Trauen u n d sein Reichtum an Sklaven. D i e s e r diente d a z u , G e l t u n g z u erlangen, die g e w o n n e n w u r d e d u r c h ein offenes H a u s u n d üppige G a s t f r e u n d s c h a f t . — M a n c h e Ähnlichkeiten h i e r z u finden sich bei d e n Sippen Chinas, die m a n o f t fälschlich als „ G r o ß f a m i l i e n " bezeichnet.
109. Die wirtsdbaftlidlie
Rolle des
Fürsten
D i e wirtschaftliche Rolle des F ü r s t e n ist mit d e r F u n k t i o n eines „Kapitalisten" u n d eines „ U n t e r n e h m e r s " vergleichbar, n u r auf dem H i n t e r g r u n d einer anderen W i r t s c h a f t s v e r f a s s u n g u n d einer a n d e r e n W e r t u n g u n d G e i s t e s h a l t u n g . In ä h n licher W e i s e finden wir F ü r s t e n u n d Könige u n t e r n o r d a m e r i k a n i s c h e n Indianers t ä m m e n (z. B. bei d e n K w a k i u t l ) , in verschiedenen Teilen W e s t - u n d Süda f r i k a s , b e s o n d e r s auch in Abessinien, vor allem u n t e r archaischen V ö l k e r n (s. Z f . 95, 9 6 ) Ä g y p t e n s , W e s t a s i e n s , Indiens usw. D e r Fürst (ariki) m u ß u n t e r d e n M a o r i N e u - S e e l a n d s als d e r Patriarch einer sehr e r w e i t e r t e n Familie a n g e s e h e n w e r d e n , z u m a l , wie e b e n a u s g e f ü h r t , er mit seinen G e f o l g s l e u t e n d e r Ballung d e r G r o ß f a m i l i e n ( „ h a p u " ) u n d schließlich mit dem g a n z e n S t a m m verwandt ist. Seine M a c h t leitet sich von d e r s o u v e r ä n e n , öffentlidh-redbtlidhen S t e l l u n g in seinem S t a m m (iwi) ab. D a r u m k a n n er selbst ein n u r bescheidenes Stück L a n d besitzen u n d doch ü b e r die D i e n s t e u n d E i n k ü n f t e aller „ h a p u " L e u t e d e r familialen Ballung v e r f ü g e n (Lt. 10 u n d 38, S. 101 ff.).
Wirtschaftsorganisation
i 10. Jamiliale
und persönliche
Jeilhabersdhaft
71
am
Gemeinbesitz
D a s L a n d einer Ballung ( „ h a p u " ) bleibt (ähnlich wie das Jagdgebiet von W i l d b e u t e r n ) bei d e n M a o r i in öffentlich-rechtlicher V e r f ü g u n g d e r Art, d a ß jedem Mitglied einer Ballung die Jeilhabersdhaft am L a n d e zufällt. Innerhalb dieses R a h m e n s erheben (wie bei d e n W i l d b e u t e r n auf g e f u n d e n e n H o n i g usw.) einzelne Familien oder einzelne Personen Ansprüche auf Bäume z u m Vogelfang, auf Gestrüppstengel f ü r Flechtarbeiten, auf Plätze mit roter Ocker-Erde ( z u m M a l e n ) , auf S t ä n d e zum Fischen, auf R a t t e n - S t r a ß e n (Ratten liefern geschätztes Fleisch), auf Muschelbänke, auf Flecken mit F a r r e n w u r z e l n , auf Flachsgarben, auf Aalfallen usw. Bäume f ü r den Vogelfang w u r d e n o f t unter die einzelnen Familienmitglieder persönlich aufgeteilt, so d a ß n u r die Betreffenden das Recht hatten, d o r t Fallen zu stellen. M i t u n t e r a b e r w u r d e n die Bäume gemeinsam benutzt. Alle diese Ansprüche sind von größerer Dauerhaftigkeit als bei d e n W i l d b e u t e r n . D a s bezieht sich auch auf die N ü t z u n g des Bodens. In der N a c h b a r schaft d e r D ö r f e r gingen diese Ansprüche sehr in die Einzelheiten. Auf Bäume, die f ü r den Bau eines Kanus oder eines H a u s e s wichtig waren, w u r d e n o f t persönliche Ansprüche erhoben lind darauf Eigenlumszeichen angebracht. Die Berechtigungen gingen vom Vater auf d e n Sohn ü b e r u n d w u r d e n eifersüchtig gehütet ( T f . 19) (Lt. 39, S. 36 ff.).
Iii.
gemeinsame
Arbeit
D a n e b e n f a n d e n a b e r bei den M a o r i eine gemeinsame, durch den Fürsten geleitete Bestellung d e r Felder u n d gemeinsame ebenfalls durch den Fürsten geleitete oder angeordnete Fischzüge statt. Die Veranstaltung aller dieser U n t e r n e h m u n g e n wird nach einem festen Xalender entsprechend dem Wechselklima von N e u - S e e l a n d geregelt. A u ß e r d e m herrscht nicht n u r eine traditionelle Arbeitsteilung u n t e r den beiden Geschlechtern, sondern auch unter den Resten d e r aufgelösten ethnischen Schichtung. Sie drückt sich im Maori-Sprichwort a u s : „Durch Schwarz u n d Rot wird die Arbeit fertig", d. h. durch das In-einanderArbeiten von Volk und Adel löst m a n die A u f g a b e . Die Arbeitsteilung erstreckt sich auch auf Unterschiede des Alters u n d des Ranges sowie auf Spezialisten, d e r e n Kenntnisse u n d Fertigkeiten viele G e n e r a t i o n e n lang v e r e r b t w u r d e n , wie die der Steinschneider, der Holzschnitzer, der Priester, d e r W e b e r , der T ä t o w i e r e r , gewisser Fischfänger usw. Leitung u n d geschickt verteiltes Z u s a m m e n a r b e i t e n w a r besonders beim Befördern von g r o ß e n Baumstämmen e r f o r d e r lich. D a z u k a m e n noch allerlei magische H i l f e n . Die kleineren u n d g r ö ß e r e n O b e r h ä u p t e r u n d d e r Fürst verteilten die Erträgnisse je nach d e n Funktionen d e r einzelnen u n d der Familien bei d e n gemeinsamen großen U n t e r n e h m u n g e n , wie Bauten von Gemeindehäusern, Kriegskanus oder Stammesfesten (Lt. 37, S. 8, 161).
72
Einrichtungen von Qemcinwesen verschiedener Ausrüstung 112.
und Kulturen
Verteilung
Die Macht der O b e r h ä u p t e r beruht bei den Maori auf ihrer Verteilungsgewalt. Doch wäre es ein großer Irrtum, diese als willkürlich zu betrachten. Im Gegenteil, sie hält sich streng an die TIberlieferung, an das Schema, das sich im Laufe der Generationen herausgebildet hat. M i t deren Befolgung hängt die Ehre des Fürsten und der kleineren O b e r h ä u p t e r zusammen. Der Fürst füllt seine Vorratshäuser nid)t f ü r seinen eigenen Verbrauch, sondern f ü r den seiner Qetneinde, deren Ansehen und Ruf. Nichts ist so schädlich, wie als geizig betrachtet zu werden, und jeder M a n n von Ansehen schämt sich, seine Gäste und Freunde nicht reichlich bewirten und ihnen jede Aufmerksamkeit erweisen zu können. G a n z im Sinne der Hirten streute der Fürst seine Güter aus, nicht nur N a h r u n g aus den Speichern, sondern auch schöne Kunstgegenstände, um d a f ü r Geschenke erwidert zu erhalten, aber auch zum Ansporn für Arbeit und Leistung, z. B. beim Bau von großen Kanus. Das gereichte der ganzen Gemeinde zur Ehre. D a s N e t z w e r k von Geben und N e h m e n im Qleidbgewidbt der Erwiderung von Leistungen — ohne Profit — bildete innerhalb dieser Verbände von Verwandten und des ineinander verhakten Staffelungssystems den allerdings nicht b e w u ß t formulierten H a u p t g e d a n k e n des Wirtschaftens. Die €bre haftete an der Befolgung des Sdiemas, des „pattern", welches das unausgesprochene Grundgesetz des Verhaltens bildete. Die öffentliche Meinung kontrollierte jeden Versudi selbstsüchtigen Vorgehens. Dazu gehörte freie Meinungsäußerung und die U n t e r o r d n u n g persönlicher Vorteile unter die der Qemeinsdbaften der Verwandten. Die letzte Stimme hatte die Volksversammlung, die, abgesehen von seltenen Ausnahmen, besonders mit den Ansichten der Leute von Rang übereinstimmte, und mit denen der Fürst Verständigung finden m u ß t e (Tf. 19). 413. Kollektiver
Jausdlj
unter
aristokratischer
Leitung
Das Beispiel der Maori wurde deshalb hier ausführlich vorgetragen, weil eingehende und sorgfältige Untersuchungen darüber vorliegen und weil es f ü r gewisse Züge geldlosen Wirtschaftens charakteristisch ist, obwohl es keineswegs ganz „primitive" Formen enthält. Die Tauschgeschäfte sind aber doch in wenig fortgeschrittenen Formen stecken geblieben. M a n kann von einem kollektiven Jctusdhen reden, das unter der Leitung der Fürsten steht. Es erinnert durchaus an die Formen, die aus den frühesten sumerischen und babylonischen Zeiten bekannt wurden. Expeditionen wurden hauptsächlich veranstaltet, um Grünstein (pounamu) zu beschaffen, der wegen seiner H ä r t e f ü r Axtklingen u n d wegen seiner schönen Färbung als Schmuck gerne verwendet und hoch geschätzt wurde. M a n tausdite ihn gegen schöne Matten und Gewebe, diese wieder f ü r rote und gelbe Federn bestimmter Vögel, die als Schmuck ins H a a r gesteckt wurden. Doch tausdite man sie audi gegen Nahrungsmittel. U m
Wirtschaftsorganisation
73
alle diese bevorzugten Tauschobjekte wurde aber nie gefeilscht. Das wäre nicht „korrekt" gewesen. Alles vollzog sich in der Torrn des Sdhenkens und des vergeltenden Gebens. Das gilt auch für den Kleintausch, der parallel zum Großtausch sich im Rahmen der Nachbarschaft abspielte. Die Gegenstände waren nicht in eine Wertskala eingeordnet. Jedoch bestand ein Herkommen,, wonach bestimmte Gegenstände als Vergeltung erwartet wurden. Besonders galt der Ausdruck von Bewunderung für eine Sache als Andeutung, daß sie gewünscht wurde. Von einem Qeizhals wird erzählt, daß er, wenn jemand mit Fischen vorbei kam, sagte: „Ich esse Fische sehr gerne." Das wurde als Aufforderung aufgefaßt, ihm Fische zu schenken, die er dann auch erhielt. Die Leute der Gegend wurden mit der Zeit so erbost, ihm Fische schenken zu „müssen", daß sie ihn erschlugen. Wird keine Gegengabe für ein Geschenk geleistet, so droht dem Geizhals die Sanktion übermenschlicher 2iädbte, die sich nach dem Glauben der Maori automatisch einstellt (Lt. 37, S. 132 ff.). H4.
Jbeorie
und
IVirkiidbkeit
Aus alledem geht hervor, wie wenig die Theorien Biichers, Ratzels u. a. begründet sind, weil ihre Urheber — trotz ihrer sonstigen Verdienste — teils wegen nur oberflächlicher Kenntnisse die Vorgänge nicht hinreichend erfaßten, teils weil sie in den Abstraktionen befangen waren, die sie aus ihrer damaligen Gegenwart schöpften, und nicht die ganz andersartigen Voraussetzungen und Bedingungen des vom heutigen sehr verschiedenen Lebens und des anderen Kulturhintergrundes der sogenannten Naturvölker zu erfassen sich bemühten. Sie standen im Banne einer allzu kurzen Zeitspanne, die man den sogenannten Primitiven von der Abspaltung des Menschengeschlechts an zubilligte, einer einlinigen „Entwicklung" und der Auffassung, in der auch noch Bastian befangen war, als hätte jedes Volk seine Kultur und seine Einrichtungen allein aus eigenem aufgebaut, während wir in Wirklichkeit mit ungeheuren Zeiträumen und höchst komplizierten Verzweigungen, Verflechtungen und Einwirkungen verschiedener Art sowie mit gelegentlichen Isolierungen und Abspaltungen zu rechnen haben, wie gleich aus dem folgenden hervorgehen wird. 115. Jrühgeld
im
Xulturzusammenhang
Trotz ihrer verhältnismäßig hohen Kultur brachten die in jahrhundertelanger Abgeschiedenheit lebenden Maori es nicht zur Ausbildung von gangbaren Tauschmitteln und Wertträgern. Die Abgeschiedenheit des Lebens der Polynesier führte erst spät, vom 18. Jahrhundert an, zu Berührungen mit fortgeschritteneren Kulturen. Auf der riesigen Wasserwüste des Pazifik standen die Gruppen der Polynesier mit ihren Stammesgenossen auf anderen Inseln wohl in gelegentlicher Berührung, die aber nicht weiter befruchtend wirkte. Anders auf den Salomo-Inseln, wohin vor vielen hundert Jahren melanesische Seefahrer aus
74
Einrichtungen
von Qemeiiuvesen
verschiedener
Ausrüstung
und
Kulturen
Indonesien oder von Südostasien Fuß faßten. Sie brachten die Technik des Schleifens von kleinen Muschelscheibchen und deren Aufreihung auf Fäden mit sich. Die Fäden fanden Verwendung als Halsketten und im Austausch gegen Schweine, die von den Häuptlingen gehalten wurden. Daran knüpfte sich eine systematische Herstellung an bestimmten Plätzen und eine Hortung solcher Keifen aus Muscbelscbeibdben. Vermutlich waren alle diese Fertigkeiten und Sitten schon in ihrem lirsprungslande ausgebildet worden. Die ü b e r schichtung der hochgewachsenen, schlanken, schwatzhäutigen „Salomonier" (seefahrende Oberschicht auf einigen Salomo-Inseln) mit melanesischer Sprache über die zurückgebliebenen ansässigen, auf Wildbeuterstufe verbliebenen Papuaner (wie etw^ in der Landschaft Buin auf der Salomo-Insel Bougainville) kann keineswegs das komplizierte und bis in die Tausende reichende Zählen und Bündeln von Ketten, deren Hortung sowie deren Wertung bezüglich der Schweine, hervorgebracht haben. Dagegen ist die Vergröberung des „äbuta" (gewöhnliches Muschelgeld) gegenüber schönerem Muschelgeld (tnimici) wohl auf Rechnung papuanischen Einflusses zu setzen. Hinzu kommt, daß wir es in Buin auch mit einer noch lebendigen ethnischen öberschichtung zu tun haben, die heute unter europäisch-australischer Einwirkung zwar stark erschüttert ist, aber vor fünfundzwanzig bis dreißig Jahren noch beinahe voll bestand. In politisch-organisatorischer Beziehung stellt Buin im Vergleich zu den Maori eine frühere, also ältere Phase dar. Sie ist jedoch wirtschaftlich jünger als die MaoriGemeinwesen, die es nicht zur Ausgestaltung von Frühgeld brachten ( T f . 20) { L t . 32). 116.
7rühcjeid
und
Sdnoeme
bei
der
Heirat
D i e Funktion des Frühgeldes tritt in Buin hauptsächlich bei der Verheiratung der Töchter der J~läuptliiigssd)icbl zutage, deren Verbindung mit dem gewöhnlichen Volk perpönt war. Die Verheiratung, die von einer nahen Bejreundung durch wohl berechnete Gaben und Gegengaben getragen wird, beginnt mit einer Zahlung von ^iuschelgeld, die stets durch Gegengaben erwidert wird. Die wesentliche Summe, die gleich bei der Verlobung, oft schon bald nach der Geburt des Kindes, verabredet wird und sich nach dm Rang der Familie der Partner richtet, beträgt für die älteste Tochter eines wohlhabenden und angesehenen Häuptlings 300 bis 400 Faden Muschelgeld (äbuta), für die jüngere Tochter nur etwa 2 0 0 Faden. Ein kleinerer Häuptling oder Vasall verlangt für die älteste Tochter etwa 200 Faden, für die jüngere 6 0 Faden. Die, Hörigen, die diese Sitte nachahmen, verlangen noch weniger. Für Witwen und geschiedene Frauen wird ein geringerer Brautpreis bezahlt. Stets handelt es sich aber um runde, durch zehn teilbare Zahlen, entsprechend der Bündelung der Faden. M a n ersieht hieraus den Anlaß für eine Ausdehnung des Zählens bis in die Tausende. D e r Brautvater verteilt den empfangenen Betrag an seine Brüder und Vettern und behält nur etwa zehn Prozent des erhaltenen Brautpreises für sich. Ein Vasall oder Höriger muß dem Oberhäuptling auch einen Betrag
Wirtschaftsorganisation abführen.
75
Ein w o h l h a b e n d e r Bräutigamvater fügt dem ausgemachten
Betrag
noch einige F a d e n F r a u e n g e l d ( t o m b u ) und feines r o t e s M u s c h e l g e l d ( m i m i c i ) v o m z e h n f a c h e n W e r t des g e w ö h n l i c h e n M u s c h e l g e l d e s z w a r d i r e k t / i i r die Braut
als Tamilienjutvelen.
(ábuta) hinzu,
und
Auch der eigene V a t e r schenkt
d e r B r a u t solche F a m i l i e n j u w e l e n , in d e n e n die A h n e n g e i s t e r ( ó l i g a ) h a u s e n d v o r g e s t e l l t w e r d e n . D e n n F r a u e n k ö n n e n a u c h e i g e n e A n s p r ü c h e , z. B. a u f K o k o s p a l m e n u n d F r u c h t b ä u m e , h a b e n ( L t . 4 2 ) . A l l e diese G a b e n w e r d e n gotten,
ver-
u n d z w a r durch S c h w e i n e , die d e r B r a u t v a t e r gibt, u n d z w a r j e ein
Schwein für hundert Faden gewöhnliches Muschelgeld. D e r Brautvater hat seinerseits Beiträge
a n M u s c h e l g e l d von seinen V e r w a n d t e n e r h a l t e n . Ein e h r g e i z i g e r
u n d w o h l h a b e n d e r B r a u t v a t e r schickt vielleicht m e h r S c h w e i n e , als d e m B r a u t p r e i s e n t s p r e c h e n . D i e s e m u ß d e r V a t e r des B r ä u t i g a m s a b e r m a l s d u r c h Z a h l u n g v o n M u s c h e l g e l d b e g l e i c h e n . Ein arglistiger
B r ä u t i g a m v a t e r k a n n durch w i e d e r -
h o l t e „ G e s c h e n k e " von S c h w e i n e n d e m B r a u t v a t e r viel M u s c h e l g e l d e n t l o c k e n u n d v e r s u c h e n , ihn bankerott erfordert
z u m a c h e n . A u c h die G e b u r t des e r s t e n K i n d e s
solche Tauschgaben.
Geschäfte mit Tausch
M u s c h e l g e l d f a n d e n auch b e i a n d e r e n G e l e g e n h e i t e n
von
Schweinen
statt, z . B. b e i m
eines Häuptlings, bei den großen Festen, besonders der Verbündung
und Tode
zweier
H ä u p t l i n g e durch i h r e h e r a n w a c h s e n d e n S ö h n e ( U n u - F e s t ) , b e i F r i e d e n s s c h l u ß n a c h e i n e m K a m p f , E i n w e i h u n g e i n e r H ä u p t l i n g s h a l l e u s w . D u r c h diese G a b e n u n d G e g e n g a b e n e r h i e l t d e r j e t z t allerdings d e m r a s c h e n V e r f a l l
entgegen-
g e h e n d e H ä u p t l i n g s a d e l v o n Buin die ihn z u s a m m e n h a l t e n d e n B a n d e . Im übrig e n ist die S t e l l u n g des H ä u p t l i n g s als „ U n t e r n e h m e r ' ' u n d „ K a p i t a l i s t " ähnlich d e r des F ü r s t e n b e i d e n k u l t u r e l l viel h ö h e r s t e h e n d e n M a o r i , o b w o h l in den M a ß s t ä b e n kleiner. Auch der Buin-Oberhäuptling
ist Patriarch
und
verfügt
n a m e n t l i c h ü b e r die T ö c h t e r s e i n e r H ö r i g e n , so d a ß a u f diese W e i s e v e r w a n d t schaftliche B a n d e mit l e t z t e r e n b e g r ü n d e t w u r d e n . In d e r alten Z e i t b e s t a n d a b e r unter
der a n g e s e s s e n e n
Bevölkerung
ein mutterrecbllicber
Totemismus
der
u n a b h ä n g i g e n K l a n s , w i e h e u t e noch in d e n b e n a c h b a r t e n B e r g e n ( Z f . 3 2 f. und 30). D e r
B u i n - H ä u p t l i n g f u n g i e r t v o r a l l e m a u c h als Bankier
u n d gibt
V o r s c h ü s s e an seine V a s a l l e n u n d H ö r i g e n . D a f ü r z i e h t d e r B e d a c h t e f ü r d e n H ä u p t l i n g S c h w e i n e a u f , die ü b r i g e n s prinzipiell a l l e als d e r H ä u p t l i n g s s c h i c h t g e h ö r i g b e t r a c h t e t w e r d e n ( w i e in A f r i k a die R i n d e r von den H i r t e n s t ä m m e n ) . D i e b e i d e n Beispiele v o n v o r s t a a t l i c h e n G e m e i n w e s e n aus d e r S ü d s e e scheinen m a n c h e Schlaglichter a u f f r ü h e r e w i r t s c h a f t l i c h e G e s t a l t u n g e n z u w e r f e n , wie w i r sie a m f r ü h e s t e n A n f a n g d e r a l t o r i e n t a l i s c h e n G e s c h i c h t e a n t r e f f e n , und stellen ein Bindeglied z u d e n e i n f a c h e r e n F o r m e n der H i r t e n , P f l a n z e r
und
Wildbeuter dar (Lt. 37 und 4 0 ) . I i 7 . BeEine für
und
Enttüässerunij
die W i r t s c h a f t nicht z u u n t e r s c h ä t z e n d e T ä t i g k e i t
F e r t i g k e i t , Be- und E n t w ä s s e r u n g s k a n ä l e
in
der
s o w i e T e r r a s s e n an A b h ä n g e n
besteht
von
76
iinridbtungai
von Qemeinwesen
vcrsdiiedencr
Ausrüstung
und
Xulturcn
H ü g e l n f ü r r e g e l m ä ß i g e V e r s o r g u n g d e r P f l a n z u n g e n mit W a s s e r
anzulegen.
H e u t e t r e f f e n w i r solche A n l a g e n auch b e i s c h e i n b a r ungeschichteten P f l a n z e r n . O b es sich d a b e i um die N a c h a h m u n g v o n a n d e r n o r t s g e s e h e n e n A n l a g e n o d e r , w a s im a l l g e m e i n e n w a h r s c h e i n l i c h e r ist, u m eine W i e d e r v e r e i n h e i t l i c h u n g v o n f r ü h e r e r Ü b e r s c h i c h t u n g h a n d e l t , m ü ß t e in den E i n z e l f ä l l e n , falls möglich, f e s t gestellt w e r d e n . B e w ä s s e r u n g s k a n ä l e n b e g e g n e n w i r in den archaischen K u l t u r e n des ältesten Ä g y p t e n s , des E u p h r a t - T i g r i s - L a n d e s , am Indus, a m H o a n g h o in C h i n a u s w . In k l e i n e r e m A u s m a ß findet m a n die A n l a g e v o n K a n ä l e n a u f d e n K a r o l i n e n - I n s e l n , a u f den N e u e n H e b r i d e n u n d im östlichen N e u - G u i n e a s o w i e in O s t a f r i k a a m K i l i m a n d s c h a r o , in d e r m i t t l e r e n H ö h e n l a g e und an d e r K ü s t e v o n P e r u usw. A n diesen K a n a l a n l a g e n , die vermutlich erst in d e r B r o n z e z e i t e n t s t a n d e n , w e r d e n f ü r die h ö h e r g e l e g e n e n F e l d e r S c h ö p f v o r r i c h t u n g e n
ver-
w e n d e t , die alle J a h r t a u s e n d e h i n d u r c h gleich b l i e b e n . D e r A u s b a u d e r K a n ä l e d ü r f t e durch Organisation
der
Arbeit
v o n Seiten solcher F ü r s t e n v o r sich
g a n g e n sein, w i e w i r sie bei den M a o r i k e n n e n l e r n t e n . Sicher f a n d e n K r i e g s g e f a n g e n e u n d S k l a v e n V e r w e n d u n g . Ä h n l i c h ist es mit den
ge-
später
Terrassen-
a n l a g e n , b e s o n d e r s in Indien, a u f den S u n d a - I n s e l n , in C h i n a , a u f N e u - S e e l a n d , im alten P e r u usw.
118.
Spezialisierung
im
Handwerk
Beiläufig w u r d e schon a u f die S t e l l u n g d e r h a n d w e r k l i c h e n T ä t i g k e i t
hinge-
w i e s e n , die b e s o n d e r s nach d e r E i n f ü h r u n g des Pfluges ü b e r w i e g e n d e B e d e u t u n g g e w a n n ( Z f . 5 3 ) . D o c h ist die h a n d w e r k l i c h e T ä t i g k e i t v o r d e m G e b r a u c h d e s P f l u g e s k e i n e s w e g s z u u n t e r s c h ä t z e n . W e n n w i r auch einzelnen P e r s o n e n u n d F a m i l i e n als Spezialisten
b e g e g n e n , w i e z. B. in der H o l z s c h n i t z e r e i
die n u r L ö f f e l h e r s t e l l e n , a n d e r e n , die n u r S c h e m e l aus dem g a n z e n
solchen, Stamm
s c h n i t z e n , a n d e r e n , die R u d e r machen o d e r S p e e r e o d e r P f e i l e o d e r B ö g e n o d e r G r i f f e f ü r Beile, f e r n e r T ö p f e r n , S t e i n s c h n e i d e r n u s w . , so ist ihre w i r t s c h a f t liche S t e l l u n g doch v e r s c h i e d e n . A u c h F r a u e n sind f ü r b e s t i m m t e
Fertigkeiten,
b e s o n d e r s T ö p f e r e i , spezialisiert. S e l b s t z u r H e r s t e l l u n g d e s s e l b e n G e g e n s t a n d e s findet
eine
Arbeitsteilung
zwischen
Mann
und
Frau
statt:
am
Sepik
(Ka-
g u i a ) in N e u - G u i n e a b e o b a c h t e t e ich selbst u n d n a h m P h o t o g r a p h i e n d a v o n , w i e d e r M a n n die F a s e r n d e r L u f t w u r z e l eines wilden G u m m i b a u m e s , die er im W a l d e g e h o l t h a t t e , a u f den S c h e n k e l n z w i r b e l t e , w i e das b e i m S p i n n e n geschieht. D i e s e so g e w o n n e n e n F ä d e n ü b e r g a b e r s e i n e r F r a u z u m
„Flechten"
eines H a n d n e t z e s u n d dessen A u f z i e h e n a u f einen R a h m e n f ü r den F i s c h f a n g im Fluß. Häufig
finden
w i r das H a n d w e r k , wie b e i den P o l y n e s i e n !
(Maori-Bei-
s p i e l ) , i n eine geldlose W i r t s c h a f t n u r f ü r G e s c h e n k e e i n g e b a u t , in d e r G e s c h ä f t e m a c h e n g e w i s s e r m a ß e n gegen die gute S i t t e ist. D o c h w o die N o t drückt, ist es a n d e r s , wie b e i m r e g e l m ä ß i g e n T a u s c h h a n d e l , den L e u t e v e r a n s t a l t e n m ü s s e n , die in w e n i g e r t r a g r e i c h e G e g e n d e n v e r s c h l a g e n o d e r z u r ü c k g e d r ä n g t w u r d e n , z . B. b e i m g r o ß e n T o p f h a n d e l d e r M o t u - L e u t e im S ü d e n v o n N e u - G u i n e a o d e r
Wirtschaftsorganisation
77
beim Tauschen von Netzbeuteln, Matten, Holzschüsseln und Fischen gegen Taro, Bananen, Zuckerrohr und Sago von Seiten der Bewohner der Tami-Inseln. Auf den Trobriand-Inseln (östlich von Neu-Guinea) findet ein regelmäßiger, freundschaftlicher, spielerischer Austausch von Halsketten gegen Armringe statt. Hier aber ist es nicht die Not, sondern der Zusammenhalt der Häuptlingsschaft, der, wie wir sahen, sich als zweiter wichtiger Faktor für den Austausch geltend m?.cht, um das Gewebe der befreundeten Verwandtschaft zu stärken. D e r äußere Anlaß dafür liegt nicht in wirtschaftlicher Not, sondern im Luxus des Schmucks oder, wie bei den Maori, des Genusses.
119. Betriebsform
des
Handwerks
Überwiegend wird das Handwerk als Hausfleiß oder als Jleimwerk ausgeübt, somit als eine Nebentätigkeit zusätzlich zur Nahrungsgewinnung. Doch spielt bei Spezialisten der Nebenverdienst eine unterschiedlich große Rolle. Audi die Stör-Arbeit kommt vor, wobei der Fachmann von Ort zu Ort geht und für seine Fertigkeit Entlohnung erhält. Das alles gemahnt sehr an alte europäische Zustände. Vielfach nehmen S/f>pensf>litier, die infolge von Kämpfen geflüchtet sind und sich an Dorf Siedlungen angeschlossen haben, eine Sonderstellung ein, und ihr Gewerbe wird mit Zauber zusammengebracht. Tatsächlich hilft man der Handfertigkeit mit allerlei magischen Praktiken nach, wie z. B. der Schmied im Konde-Land (südliches Afrika) beim Schmelzen von Eisen fünf verschiedene Blätterarten unter die Feuerstelle legt. Bei den Pangwe im westlichen Afrika legen die Schmiede Klettenarten unter den Amboß, damit die Eisenteilchen beim Schmieden sich fest wie Kletten zusammenfügen (vgl. Lt. 37, S. 39 ff.).
120. J-listorisdh ermitteibare
älteste
Wirtschaftsorganisation
Greifen wir zurüdc auf das älteste uns dokumentarisch greifbare Bild einer im frühstaatlichen Verbände vor sich gehenden Wirtschaftsorganisation, wie es die der Sumerer des Zweistromlandes im 4. und 3. vorchristlichen Jahrtausend, also vor 6000 Jahren, war (Zf. 59 f.). Die Sumerer waren bereits damals im Besitze einer Schrift und lebten in großen Städten, machten Gebrauch von Kupferäxten durchgearbeiteter Form, von der Töpfersdieibe, sie benützten zwei- und vierrädrige Karren, die Esel oder Maultiere zogen, waren im Besitz des Pfluges, vor den Ochsen oder Maultiere gespannt waren, und hielten Rinder und Schafe, deren Wolle sie nützten (Lt. 2, 3, 4). Sie pflanzten Weizen, gewannen ö l von Olivensträuchern usw. (Lt. 2 1 ) . Das alles sind Erscheinungen, wie sie im Gefolge der Metallzeit zutage treten, und die zum Teil auf vorhergegangenen zivilisatorischen Horizonten fußten. Der Gebrauch des Kupfers dürfte dort aber schon v o r der großen Flut, somit bereits ein oder zwei Jahrtausende vorher (vielleicht 6 0 0 0 v. Chr.), begonnen haben. Bei den Sume-
78
Einrichtungen
von
Qemeinwesen
verschiedener
Ausrüstung
und
Kulturen
r e m b e g e g n e n wir einer einflußreichen Priesterschaft neben den Stadtfiirsten. D a s Bestreben d e r Stadtfürsten ging d a h i n , ihre Privatwirtschaft auf Kosten d e r T e m p e l w i r t s c h a f t z u v e r g r ö ß e r n u n d zu bereichern. V o n den T e m p e l n v e r w a l t e t e G ü t e r w u r d e n z. B. v o m S t a d t f ü r s t e n U r u k a g i n a in eigene Besitzungen u m g e w a n d e l t . D e r T e m p e l selbst w i r d durch u n t e r e i n a n d e r verwandte F a m i l i e n g r u p p e n verwaltet, die eine gemeinsame V e r t e i lungswirtschaft pflegen. In diesen Familien sind zweifellos die eigentlichen u n d ursprünglichen [Herren des L a n d e s z u suchen, von d e n e n aller k u l t u reller Einfluß ausging (Lt. 2 7 ) . D a n e b e n erscheinen schon b e d e u t e n d e Privatwirtschaften verschiedener wichtiger Persönlichkeiten, die sich aus d e m T e m p e l v e r b a n d e h e r a u s l ö s e n u n d verselbständigen. Bemerkenswert ist die b e s o n d e r e P r i v a t w i r t s c h a f t der J r a i i des S t a d t f ü r s t e n .
121. Völkerkundliche
Ähnlichkeiten
O h n e hier in weitere Einzelheiten e i n z u g e h e n , v e r h e l f e n uns die von d e n M a o r i u n d aus Buin e r z ä h l t e n Beispiele zu einem V e r s t ä n d n i s d e r damaligen Lage. D i e T e m p e l w i r t s c h a f t e n von V e r w a n d t e n entsprechen d e r von M a o r i - F i i r s t e n geleiteten Qemeinwirtsdhaft. A u s dieser h a b e n sich einzelne Persönlichkeiten rationalistisch abgelöst o d e r sind von a u ß e n h i n z u g e k o m m e n , h a b e n j e d e n f a l l s eine politisch-kriegerisdhe Macht e n t f a l t e t , die e t w a s a n die Ü b e r s c h i c h t u n g s v o r g ä n g e in Buin erinnert, namentlich wie sie sich h e u t e v e r m ö g e des U m s i c h g r e i f e n s des europäischen Einflusses darstellen. D u r c h ihre Beziehungen z u d e n E u r o p ä e r n v e r m ö g e e r w o r b e n e n G e l d e s o d e r amtlicher A u f t r ä g e h e b e n sich P e r s o n e n in neue Machtstellungen g e g e n ü b e r d e n alten H ä u p t l i n g e n a u s aristokratischer A b k u n f t a b . L e t z t e r e w e r d e n h e u t e auf d i e religiösen Z e r e m o n i e n z u r ü c k g e d r ä n g t , soweit d e r Einfluß d e r M i s s i o n e n sie von d o r t nicht auch v e r jagt. Als „religiös" galten b e i d e n M a o r i auch die Tiberlieferungen der Kenntnisse und des Wissens, in w a s f ü r einem magischen G e w a n d sie i m m e r a u f traten.
122. Jempel
und Stadtfürsten
in Sumer
In S u m e r ist von T e m p e l n d i e Rede, v o n d e n heiligen S t ä d t e n , ähnlich wie es bei d e n M a o r i die „ H ä u s e r d e s L e r n e n s " w a r e n ( w h a r e w a n a n g a ) , w o die alten Ü b e r l i e f e r u n g e n gepflegt w u r d e n (Lt. 27, S. 42 ff., 261 ff.). D u r c h die Bez i e h u n g e n z u f r e m d e n S t ä m m e n machte sich d e m g e h e i m e n W i s s e n u n d d e m U m g a n g mit d e n übermenschlichen M ä c h t e n g e g e n ü b e r Kritik geltend, so d a ß die S t a d t f ü r s t e n in d e r L a g e w a r e n , i h r e n militärisch-politischen Einfluß gegenü b e r dem d e r aristokratischen P r i e s t e r s c h a f t d e r T e m p e l d u r c h z u s e t z e n . D a s b e d e u t e t e d e n A n f a n g e i n e r A u f l ö s u n g d e r alten hierarchischen G e m e i n w i r t schaft. W i r k ö n n e n b e o b a c h t e n , w i e Schritt f ü r Schritt die Individualisierung fortschreitet, bis wir z u r babylonischen Z e i t eine g e r a d e z u a n m o d e r n e Z e i t e n
Wirtschaftsorganisation erinnernde Privatwirtschaft neben der Qroßhof Wirtschaft ähnlich wie etwa im frühen Mittelalter. 123.
Privatwirtschaft neben der Wirtschaft des in Babylonien und Ägypten
79 des Königs
finden,
Xönicjshofes
f:ine solche Privatwirtschaft neben der des Königshofes des Despoten trifft man sowohl in Babylonien als auch im alten Ägypten, besonders des sog. „Neuen Reiches". Hierfür stehen aus den Gräbern Ägyptens reichliche Dokumente zur Verfügung. Außerdem herrschte, wenigstens zu Zeiten, große Korruption unter den Beamten; viele Klagen wurden laut, wir hören auch von Ausständen und einer Arbeiterbewegung zur Verbesserung der Löhne bzw. der Natural-Lieferungen und zur Beseitigung mißliebiger Personen, jedoch ohne das herrschende System anzutasten, das als heilig betrachtet wurde (Lt. 3 1, S. 7 8 0 ff.). Besitz von Boden und von Sklaven bildet die Grundlage des Reichtums. Erst im ptolemäischen Ägypten kam es zu einer Entstaatlichung des Grundeigentums, die ihren Lirsprung im souveränen politischen Anspruch auf den Ernährungsraum hatte (Zf. 30, 52, 95, 109 ff.), und zu einer stärkeren Durchdringung der Wirtschaft mit gemünztem Qeld. Der ptolemäische Staat ist mit anderen Machtmitteln erbaut als der der Pharaonen, so sehr er auch die alten Formen zu imitieren sucht. In Babylonien haben sich diese Abläufe etwa tausend Jahre früher abgespielt und spiegeln sich bereits im berühmten Gesetzbuch des Hamurapi. Außerdem folgte im Zweistromland die Eroberung und dberschichtung durch die Assyrer, Meder und Perser. 124.
Stummer
Jausdb
Während auf der einen Seite aus dein Erwerb neuer Fertigkeiten und Kenntnisse, und aus der übersdiichtung große Zusammenschlüsse von miteinander sich verzahnenden Menschengruppen hervorgingen, die einen aus der Lage der Dinge strömenden Ablauf zeitigten, finden wir in der Nachbarsdiaft ein Verhärten in alten Gewohnheiten, ja eine Flucht vor demNeuen. Eine solche Gleichzeitigkeit heterogener Gestaltungen des Lebens dürfen wir nie aus dem Auge verlieren, wenn wir bei der Wirklichkeit und Wahrheit bleiben wollen. Darum ist es angezeigt, hier auf eine, nicht „die primitive" Form zurückzugreifen, in der Handel gerade von zurückgebliebenen und verschüchterten Stämmen mit fortgeschritteneren getrieben wurde: auf den „stummen Handel". W i r hören davon aus verschiedenen Epodien und aus weit auseinander liegenden Orten der Erde. Darin kommt die Ahnlichkeil der Situationen zum Ausdruck, die zu gleichen Erscheinungen führt. D e r stumme Tausdi besteht darin, daß auf Grund vorheriger Abmachungen Waren an einer vereinbarten Stelle niedergelegt werden, dann ein Lautsignal die Partner verständigt, die nun, nachdem die fortgeschritteneren Händler sich entfernt haben, vorsichtig sich den niedergelegten
80
Einrichtungen
von Qemeinwesen
verschiedener
Ausrüstung
und Kulturen
Gegenständen nähern und ihrerseits das hinlegen, was sie als Gegenwert geben wollen. Nachdem die Partner weggegangen sind und ein Signal gaben, erscheinen die ersten Händler wieder. Sind sie mit den deponierten Gegengaben einverstanden, so nehmen sie sie weg, und der Tausch ist abgeschlossen. Andernfalls lassen sie die Gegengaben liegen, bis sie etwa vermehrt wurden. D e r G r u n d für ein derartiges Verfahren liegt gewöhnlich in Überfällen zum R a u b von Sklaven, wodurch die sich unterlegen fühlende Bevölkerung verschüchtert wurde. Solcher „stummer Handel" wurde berichtet von den Karthagern mit den Bewohnern der westafrikanischen Küste, um das J a h r 1 5 0 0 vom Altaigebirge von den Kubu auf Sumatra, von den Golaleuten, die Zwischenhandel mit den Kpelle Westafrikas in früheren Zeiten trieben, von den berberischen M o h a m medanern, die im Mittelalter Goldhandel mit Ghana in der Sahara usw. unterhielten. In allen diesen Fällen handelt es sich um Formen eines internationalen Warenaustauschs kulturell sehr verschiedener Völker und von unterschiedlichem zivilisatorischem Horizont, nicht um einen Austausch innerhalb der eigenen Kulturspliäre. D a h e r kann solcher Tausch nicht eigentlich als „primitiv" bezeichnet werden, sondern er ist nur der Ausdruck einer Situation unter besonderen Umständen, hauptsächlich der Angst, daß gelegentlich des Treffens Raub von Sklaven oder andere Vergewaltigungen geschehen. 125.
Warktbandel
ü b e r anfängliche Formen des Tausdiens auf G r u n d der Gegenseitigkeit, insbesonders bei Besuchen und Festen unter Wildbeutern ( Z f . 4 8 ) , durch Expeditionen von Fürsten und von Königen ( Z f . 111—113) wurde schon gesprochen. N e b e n diesen überlieferten alten Formen erscheint, namentlich bei Pflanzern, die in zusammengesetzten Gemeinwesen mit Handwerkern leben, der M a r k t handel, zunächst als gelegentliches Treffen von Verwandten vor Festen, dann als regelmäßige Zusammenkünfte an bestimmten T a g e n im M o n a t oder nach Ablauf von 3, 4, 5, 6 T a g e n usw. Auch hier darf man der durch die falsche Auffassung von einer einlinigen Entwicklung und durch die Abstraktionen vom Schreibtisch her irregeleiteten Ansicht nicht huldigen, als o b die eine Ü b u n g oder Einrichtung die andere ausschließen würde. Im Gegenteil. Sie bestehen gewöhnlich alle nebeneinander. Namentlich knüpft sich der Markthandel an die Gewinnung besonderer Produkte, wie Salz oder rote Erde. A b e r auch neue Ernte, der Bedarf an Netzbeuteln, aus H o l z geschnitzten Schüsseln, Töpferwaren, M a t t e n , Eisengeräten, Anregungsmitteln wie T a b a k , Betelnuß, ferner werttragender Schmuck wie Armringe aus Muscheln, Eisen oder Kupfer usw. stehen im Mittelpunkt, an den sich weiterer Austausch knüpft. Herrscht infolge von Fehden Mißtrauen, so findet der M a r k t etwa an der Grenze zwischen den D ö r f e r n statt. A b e r auch sonst an besonders ausgesuchten Plätzen außerhalb der D ö r f e r . Mitunter, wie bei den ostafrikanischen Dschagga am Kilimandscharo, haben bestimmte Sippen solche M ä r k t e zuerst eingerichtet und diese wurden
Wirtschaftsorganisation
81
mit der Verschiebung des Wohnorts der Sippe auch verlegt. In den abessinischen Ländern herrschte seit jeher lebhafter Handel mit Wochen-, Saison- und Jahrmärkten, mit je verschiedenen Gewohnheiten. Frauen und Männer halten in der Regel verschiedene Gegenstände feil. Nicht selten kam es zu Streitigkeiten und selbst zu Kämpfen, wie in einigen Gegenden des zentralen Sudan. Der Marktfrieden wurde mitunter durch eine Polizei aufrecht erhalten, wie im mittelalterlichen Deutschland, woran die Rolande auf den Marktplätzen erinnern. Die archaischen Gesellschaften, wie die der alten Perser, verurteilten den Wucher, namentlich mit Lebensmitteln, auf das strengste, wenigstens theoretisch. Das gleiche war im Recht des frühmittelalterlichen Deutschland der Fall, das umständliche Bestimmungen über die Handeisnormen enthielt, die auch unter Naturvölkern streng eingehalten werden. Häufig ist es herkömmlich, bestimmte Gegenstände und Mengen gegen bestimmte andere zu tauschen: z. B, Bündel von Tabakblättern gegen Armringe u. dgl. (Lt. 37, S. 32 ff.).
i 26. Entstehung
des Qeldes
Ganz kurz bedarf noch die Frage nach der Entstehung des Geldes einiger Bemerkungen. Wiederholt wurde von den Gaben gesprochen, die eine Erwiderung erheischen, aber auch von den Verpflichtungen, die aus der Verwandtschaft, namentlich im Rahmen des Lebens der Wildbeuter, entstehen, endlich von den Geschenken zur Beendigung und Abgeltung der Blutrache. Hierbei wurden vielfach Sachen bevorzugt, wie etwa fremde Erzeugnisse, die als „magisch" galten oder die durch besondere Beziehungen ausgezeichnet erschienen. Das sind Xeimformen des Geldes. Wird der Tausch wirtschaftlich abgespalten und funktionell verselbständigt, wie bei den erwähnten feinen Muschelgeldketten (mimici) von Buin (Zf. 116), so kann man von Vorgeld reden, zumal diese Ketten als Pfand für sehr reale Genußgüter, die Schweine, aufzufassen sind („Schweinewährung"). Ähnlich ist es andernorts mit Ketten von Hundezähnen, Armringen, anderen Muschelketten, die auch zum Schmuck getragen werden. W i r d der Gegenstand bevorzugter Wertschätzung jedoch eigens umgestaltet, wie z. B. Speer- oder Pfeilspitzen oder Messer (z. B. früher in China), denen ihre Schärfe genommen wird, so entsteht daraus Jrühgeld. Das gilt z. B. für das sog. Diwarra der Gazelle-Halbinsel von Neu-Britannien, bearbeitete Muscheln, die in großen Reifen aufbewahrt werden, die wie Autoräder ohne Speichen aussahen, oder wie das „abuta"-Geld von Buin, das nicht mehr als Schmuck getragen wurde. Die Bedeutung liegt nicht in der äußeren Form, sondern in der sinnfälligen Abhebung der verselbständigten wírtsdhajiliáoen Funktion. Bemerkenswert ist bei manchen afrikanischen Stämmen der Tausch von Fleisch gegen Getreide. Daß hierin die Ansätze zum Abstempeln von Rinderköpfen und Ähren beim Wertersatz gegen die Metalle, später die Münzen, liegen, ist einleuchtend (Lt. 42). ö
82
Einrichtungen von Qemeinwesen verschiedener .Ausrüstung und Kulturen 127.
Arbeit
Ein W o r t schließlich über die Art der Arbeit. Es wurde schon ausgeführt (Zf. 1 0 6 - 1 0 7 ) , daß namentlich im Falle der Wildbeuter und der Hirten das, was wir „Arbeit" nennen, in der Konzentration der Aufmerksamkeit zu suchen ist, nicht in der Anstrengung der Muskeln allein. Doch auch solche Arbeit, wie sie von Pflanzern und Handwerkern geleistet wird, dürfen wir nicht ohne weiteres mit der eines europäischen Bauern, Arbeiters oder Gewerbetreibenden auf die gleiche Stufe setzen. M a n kann davon absehen, daß der Europäer immer unter dem Druck des Gelderwerbs steht, während der Mann des Naturvolkes sicher ist, selbst wenn ihm etwas mißlingt, nicht zu verhungern, weil er entweder selbst Garten und Vieh besitzt, oder auf Jagd oder Fang gehen kann, oder weil im schlimmsten Fall seine Verwandten f ü r ihn einspringen. (Allerdings tritt solche Verwandtenhilfe in dem Maße heute in Afrika zurück, als der Einfluß der weißen Kultur und der Geldwirtschaft Boden unter der Jugend gewinnt.) Die Arbeit selbst aber ist anders, soweit nicht Erziehung durch die Mission oder durch Regierungsschulen Änderungen eingeleitet haben. In den von „Europas übertünchtem Wettbewerb" noch weniger berührten Stämmen z. B. Neu-Guineas kann die primitive Arbeitsart noch reichlich beobachtet werden. Sie ist ungebundener und spielerischer, weniger sachlich und nüchtern. Sind mehrere zusammen, gut ausgeruht und gestärkt, so mögen sie für eine Vierteloder halbe Stunde, vielleicht auch etwas länger, wie besessen arbeiten und etwas schaffen, z. B. beim Fällen eines Baumes oder Herrichten der Stämme f ü r den Bau eines Hauses oder eines Einbaunibootes. Damit ist häufig das Tagewerk ganz oder halb erledigt. Die Leute fühlen sich bald erschöpft und sind ermüdet. Kommt ein neuer Impuls, so mag sich die konzentrierte Anstrengung wiederholen. Allerdings muß man die im Verhältnis zum Europäer der Vorkriegszeit mangelhafte Ernährung der Leute in Rücksicht ziehen. Hörigkeit und Sklaverei haben erst die Arbeit geschaffen, die Hörigkeit, wie (Zf. 95, 98) erwähnt, durch Mehrproduktion, die Sklaverei auf dem W e g e ihres Ursprungs aus der Kriegsgefangenschaft durch den Druck, der von den Siegern ausging. 128. folgen
der Domestizierung
des
JMensdben
Die Zähmung des Menschen, seine Domestizierung, ging durch harte Zeiten von Hörigkeit und Sklaverei: eine Gruppe zwang die andere zur Arbeit (Zf. 47, 5 1 , 5 5 , 58). W i e bei den Jünglingsweihen die Alten die Jünglinge nicht nur hart behandeln, sondern oft auch quälen, hungern lassen, prügeln, verwunden, ins Wasser werfen, beschneiden usw., so hatte die Jugendzeit im Heranwachsen der Menschheit auch ihre harten Weiheprüfungen zu bestehen. Sie sind als Tatsachen von großer Tragweite für die Erziehung zurXonzentration der Arbeit zu buchen. Die Geschehnisse und Vorgänge sind jedenfalls stärker als unsere individuellen Gefühle. Der Sinn der Geschehnisse und Abläufe ist Übermensch-
Recht, Triorai,
Qeistesverfassung
83
Hdb. Diesen müssen wir unsere menschliche Sinngebung unterordnen. Das will aber nicht sagen, daß wir nicht aufs stärkste unsere Gefühle und deren Strebungen zum Ausdruck bringen und in das Spiel der "Kräfte werfen. Durch Abschaffung der Selbständigkeit des einzelnen, der seinen eigenen Garten und seine Viehzucht hatte und nach der Stadt gezwungen oder wegen lockenden Lebensgenusses zog, dort aber vom Gelderwerb abhängig wurde, entstand die Lohnarbeit. Das war im orientalischen Altertum in Sumer, Ägypten, Babylonien usw. vor Tausenden von Jahren wenig anders. Geändert wurde sie heute durch die Maschine, welche, unabhängig von der Stimmung, den Rhythmus diktiert. Das sind Vorgänge, die wir rückschauend in ihrer Verflochtenheit überblicken, in die aber keine Voraussdhau einzudringen vermochte. Jede neue Technik und jede neue Art des Zusammenlebens birgt ihre Probleme der Anpassung. Nicht nur auf dem Gebiete der äußeren Naturbeherrschung, sondern auch auf dem der menschlichen Organisation und der richtigen Wertung und Nützung der menschlichen Arbeit gilt es, Erfindungen zu machen.
D. R e c h t , M o r a l , G e i s t e s v e r f a s s u n g 129. Zerlegung
von Recht und
"Moral
Man kann von den Gestaltungen des Zusammenlebens unter den Bedingungen einfacher Technik und geringer Einsicht in die Zusammenhänge von Natur und Menschenleben nicht scheiden, ohne noch einen Blick auf die Auffassungen von Recht und Moral sowie der zugrunde liegenden Geistesverfassung zu werfen. Man hat einmal gemeint, das sogenannte primitive Recht enthielte eine Art von „Urrecht" der Menschheit. Das ist, so grob ausgedrückt, sicher nicht der Fall, jedoch steckt ein Kern Wahrheit darin. Die Formen und die Übung des Rechtes hängen, so wie bei der Moral, von den Umständen der Existenzbedingungen ab, sie entsprechen somit den zivilisatorischen Horizonten und den sonstigen Verhältnissen des Zusammenlebens (z. B. den Stadien der Überschichtung). Jedoch wird man bei Recht und Moral eine Analyse der Erscheinungen vorzunehmen haben, und aus allen Gestaltungen heraussondern müssen: 1. das allgemein TMensdolidhe, 2. das dem zivilisatorischen Horizont Entsprechende, 3. das aus der betreffenden Kultur aus einem Abschnitt ihres Ablaufs Entspringende und 4. das individuell Persönliche.
i 30. Beschränkungen
des Verbaltens
durdh die Sitte
Das allgemein Menschliche entspricht ungefähr dem, was C. G. Jung als „archetypisches" Verhalten bezeichnet (Zf. 9). Gemeint ist damit, daß den Menschen auf Grund ihrer körperlichen und seelisch-geistigen Beschaffenheit gewisse Verhaltensweisen angeboren sind. Dazu gehört z. B. das gesellige Leben, auch 6*
84
Einridhtungen von Qemeinwesen
verschiedener
Ausrüstung und
Kulturen
die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, Jung und Alt, wie sie beim Zusammenfinden der Geschlechter und beim Fortpflanzungsprozeß im ablaufenden Verhältnis der Fürsorge (erst der Alten für die Jungen, dann der Jungen für die Alten) zutage tritt. Dieses wird je nach den Kulturen zu formellen Verpflichtungen von Verwandten der Mutter und des Vaters erweitert, denen regelmäßig oder bei gewissen Gelegenheiten Geschenke an Speise, Trank oder Gegenständen zu leisten sind. Im Falle der Uberschichtung ergibt sich hieraus die Anwendung auf die Tierren, die Fürsten, die Könige, deren Beamte usw. Andererseits auch auf die Freunde, die verwandten Gäste ( Z f . 112) usw., später auf die Angehörigen der geheimen Gesellschaften oder des Kult- und Glaubensverbandes. Solche Sitten entspringen den Grundveranlagungen des Menschen. Zu den angeborenen Verhaltensweisen gehört vor allem der ganze Kreis von Qegenseitigkeitshandlungen, besonders der Vergeltung durch die Blutrache. Auf Grund der Lebensverbundenheit der Verwandten werden diese alle oft hineinverwickelt. Am auffälligsten für unsere rationalisierte Betrachtungsweise sind gewisse 2Mrüdkhaltungen und eine Selbstdisziplin, Eigenschaften, die mit dem ohne genügende Sachkenntnis „konstruierten" Frühmenschen im vollen Widerspruch stehen. Denn diese Menschen sind zwar außerordentlich emotionell, doch haben sie auch schon erfahren, daß ein zu weitgehendes Gehenlassen der Impulse gefährlich ist. Oben ( Z f . 112) wurde erwähnt, in wie hohem M a ß e der Fürst unter den Maori darauf bedacht ist, seine Pflichten als Hausherr und Gastgeber, als Repräsentant seiner Verwandtschaft und seines Gemeinwesens zu erfüllen. Meidungssitten fällt eine teilweise soziale, teilweise religiöse Rolle zu. So, wenn sie einem Manne das Sprechen mit seiner Schwiegermutter oder das Zusammensein mit ihr im gleichen Räume, das Betreten eines Berges oder Waldstücks oder Riffs verbieten, wenn sie den Häuptling unter den Polynesiern zwingen, Essen nicht zu berühren, sondern sich füttern zu lassen, während sie in Westafrika dem Häuptling nicht gestatten, außer dem Hause den Erdboden zu betreten (weshalb er sich tragen lassen muß), oder im Tsadsee-Gebiet und im Südosten von Nordafrika den Fürsten nicht gestatten, anders als hinter einem Vorhang zu reden, ja die so weit gingen, die von den Priestern beaufsichtigten Fürsten zum freiwilligen Selbstmord zu veranlassen usw. Alle diese als selbstverständlich befolgten Sitten bringen die Unterordnung unter die Sitte als moralisch gefordertes Verhaltensschema zum Ausdruck. Die meisten davon können dem Inhalte nach keineswegs als moralische Norm allgemein menschlicher Art gelten, sondern tragen deutlich die Farben der betreffenden Kulturvariante. Das allgemein Menschliche liegt in der Bereitschaft zur Unter- und Einordnung in das aus der Gemeinschaft hervorgewachsene Schema des Verhaltens. Dieses bereitet die Tünche des Moralischen und wird trotz großer Schwierigkeiten bis zum freiwilligen Tode festgehalten, wenn auch die Inhalte wechseln.
Hedht, Moral, 431. Das allgemein
Geistesverfassung
85
CMensdhlidbe als Inhalt
Man wird vielleicht sagen können, daß das Verhältnis Mutter und Kind von beiden Seiten archetypische, wirklich allgemein verbreitete menschliche Züge der Moral aufweist. Darüber hinaus gilt das noch für die Grundsätze der Gegenseitigkeit von Geben und Nehmen. Auch die Achtung vor der Persönlichkeit des Mitmenschen ist, als Forderung wenigstens, weit verbreitet, obgleich z. B. im Zusammenhang mit der Sklaverei ihr der gefühlsmäßige Hintergrund entzogen wurde. An solche Achtung der Persönlichkeit knüpfen sich verschiedene Sitten, wie die vor dem bödjst-persönlidhen Eigentum, vor solchen Gegenständen, die im regelmäßigen Gebrauch eines Menschen stehen, wie Kleidungs- oder Schmuckstücke, Sachen täglichen Gebrauchs, Werkzeuge und Geräte wie Hacke oder Beil, mitunter auch Haus oder Kanu. Häufig werden sie dem Verstorbenen mit ins Grab gegeben wie auch Rinder, Pferde, selbst Personen wie Sklaven, Frauen usw. Andererseits gehört hierzu ein scharf abgegrenztes Pflichtenbereich jeden Geschlechts in seiner Betätigungssphäre, so weit sonst die Handlungsfreiheit eines Individuums geht. Der Zusammenhalt der Familie, d.h. der Schutz von Frau und Kind durch den Mann, ist wohl kulturbedingt, er wurzelt tief und ist sehr verbreitet, doch nicht restlos allgemein. Dagegen kann der Schutz der Frauen und Kinder durch die Männergesellsdhaft als Ganzes, die ein Nutzungsgebiet in Anspruch nimmt, als allgemein menschlich bezeichnet werden. Die Pflicht zur Dankbarkeit des Xindes den Eltern gegenüber kann man trotz individueller Ausnahmen als allgemein menschlich ansehen. 132. Zivilisatorische
Horizonte
Die Moral und das Recht der Wildbeuter entspringt ihrer Lebensweise. Hilfsbereitschaft bei der Jagd und in allen Notfällen ist durchaus selbstverständlich. Demgegenüber steht der Anspruch auf das Qejundene oder sonst Erbeutete, der streng respektiert wird (z. B. Honig im Walde). Charakteristisch ist bei den Kongo-Pygmäen die freie Aussprache und die Abreagierung aller Stimmungen, wie sie eindrucksvoll geschildert werden. Jeden Tag wird nach Sammeln und Jagd abends mitunter bis spät in die Nacht hinein getanzt (Lt. 12). Hinzu kommt das Hervortreten von -Autoritätspersonen ohne offiziellen Rang, nur auf Grund persönlicher Begabung und Fähigkeit. — Unter den Pflanzern wird das ganze Gebiet des Klans hoheitsrechtlich beansprucht, nur die Arbeit verbürgt die Forderung, daß der Ertrag der Familie oder dem einzelnen zufällt. Im übrigen hält der Xlan aufs engste zusammen. — Bei den Hirten erstreckt sich dieser Zusammenhang auf den ganzen Stamm, der sich den Pflanzern gegenüber als überlegen dünkt. — Damit wird die Grundlage für die Oberschichtung gelegt. Begegnungen und Zusammenschlüsse auf den älteren Horizonten der Pflanzer und Wildbeuter fanden auf Grund einer Anerkennung der Qleidhheit der Partner statt. Die Überschichtung zeitigt zweierlei Moral: 1. je eine für jede ethnische
86
Einridbtuncjen
von Gemeinwesen
verschiedener
Ausrüstung
und
Schicht b z w . für jede soziale Gruppe, 2. eine für die neue ganzen Gemeinwesens. U n t e r diesen Umständen nimmt jeder Überschichtung an einem neuen Gemeinschaftsgefühl teil, das spalten erscheint und der überkommenen Gruppe oft allzusehr und so zu Konflikten Anlaß gibt. 133.
D i e Bedeutung
der
Tlbersdbidbtung
für das
Kulturen
Gesamtheit des Bestandteil der nicht selten geRechnung trägt
Recht
W e n n man die für die Analyse der M o r a l vorgebrachte Einteilung auf das Rechtsleben anwendet, kann man zu ähnlichen Unterscheidungen gelangen. D i e Rechtsübung in einfachen, nicht überschichteten und nicht zusammengesetzten politischen Einheiten beruht auf dem latenten, d. h. dem nicht in W o r t e n formulierten Rechtsgefühl angesichts der konkreten und greifbaren Geschehnisse. H a t ein Fremder sich im G a u Süßkartoffeln oder M a i s angeeignet, so wird man fragen, ob er in N o t war oder Aussicht besteht, dafür Ersatz zu erhalten. D a n n geschieht ihm vermutlich nichts. H a t er dagegen in der Absicht zu schädigen gehandelt, so schlägt man ihn tot. In einem anderen Falle mag es sich um schwerere körperliche Verletzung oder Totschlag handeln. Das wird nicht als Verbrechen am Gemeinwesen verfolgt, sondern als sogenannter privatrechtlicher Anspruch, wir würden sagen „zivilrechtlicher" Natur. Die Blutrache tritt in Kraft. D e r Rächer ist ein bestimmter nächster Verwandter oder er wird ausgelost. W e r „schuldig" ist, wird nicht näher untersucht, eine Aufnahme des Tatbestandes, V e r h ö r von Zeugen der T a t oder Untersuchung von deren Vorbereitung kennt man nicht. Höchstens veranstaltet man ein O r a k e l , dessen Ausgang häufig durch Voreingenommenheit und Leidenschaft verdüstert wird. Allgemeine Normen, wie sie soeben hier ausgesprochen wurden, kann man von den Angehörigen solcher Gemeinwesen niemals hören. Selbst die Schilderung eines angenommenen Geschehnisses vermag nur selten die Phantasie so weit anzuregen, daß verallgemeinernd gesagt wird: in diesem Fall handeln wir so. Erst das Aufkommen der Überschichtung und das Hervortreten von anerkannten und maßgebenden Autoritätspersonen, die Anordnungen treffen, Befehle erteilen, legt die Grundlage für eine Gesetzgebung. W e i t e r h i n sind solche Personen, etwa der iiberschichtenden Hirten, gegenüber zwei sich streitenden hörigen Bauern „unparteiisch", und ihre Entscheidung wird als die des „ H e r r n " , des Gerichtsherrn, anerkannt ( Z f . 9 5 ) . Gleichzeitig gewinnen die Anordnungen allgemeiner Art der Autoritäten, der Fürstenhäupter der Adelsfamilien, weiterhin der Könige und Despoten, bei sozialer Schichtung verbindlichen Charakter und enthalten die Ansätze zu einer Gesetzgebung. D i e Entscheidung der Autoritäten wird zu einer Rechtsprechung vor Gerichtshöfen. In diesen Versammlungen bilden sich Gewohnheiten heraus, die als Ansätze zu einem Prozeßrecht zu betrachten sind (Lt. 3 9 ) .
Redht, TAoral, 134.
Wandel
Geistesverfassung
der
87
Geistesverfassung
Das, was wir heute als naheliegend betrachten, war es keineswegs immer. Doch prägte sich vieles allmählich in das Denken ein, das schon in frühester Kindheit vom heranwachsenden Menschen erfaßt und „begriffen" wird. Vorherrschend ist die allgemeine Ichbezogenheit. Der Mensch betrachtet sich selbst fast immer als den Mittelpunkt des Geschehens. Er tut es, weil er es eben ist, der wahrnimmt und denkt. Erst wenn er sich dessen bewußt wird, vermag er eine kritisdhe Haltung gegen sidh selbst einzunehmen, etwas, das gewöhnlich nicht mit Lustgefühlen verbunden ist. Das Denken und Vergleichen ist stets eine recht anstrengende Jätigkeit und wird sehr ungern nachgeahmt, falls keine persönlichen Vorteile sich dabei ergeben. Der Mensch ist stets Bestandteil einer, ganz überwiegend mehrerer kleinerer und größerer Gruppen, die ihn oft hin- und herzerren. Das machte sich besonders bei der Überschichtung geltend und beim Auftreten von Veränderungen und notwendiger Umstellung der hergebrachten Lebensweise. Andererseits hat der Zusammenschluß von Personen verschiedener Herkunft, Übung und Art zu höchst fruchtbaren Verzahnungen geführt, die aber nicht stetig sind, sondern Veränderungen, Abläufen, unterliegen, dadurch aber den Fortschritt fördern. 135. Sinn dieser
Darstellung
Der Sinn aller Untersuchungen und Ubersichten wie der vorliegenden besteht darin, das allgemein Menschliche aus dem Wust seiner Verflechtungen mit zeitlich, örtliah, volklich Gebundenem herauszusomdern. Weiterhin sollen die Bedingtheiten für die Besonderheiten ermittelt und die Abläufe von teilweise typischen Veränderungsketten, etwa der Anpassung an fremde Einflüsse, festgestellt werden. Die Menschen und Kulturen sollen soweit wie möglich nicht gewertet, sondern in naturwissenschaftlicher Art zusammenfassend beschrieben und dargestellt werden. Die Vermeidung von Wertungen ist schon aus sprachlichen Gründen mitunter schwierig und kaum umgelibar. Aber jede Völkerforschung und jeder Vergleich des Gesellungslebens muß wenigstens in dieser Richtung streben und vor allem die Erscheinungen und Vorgänge unter verschiedenen Gesichtspunkten und in ihreen Verflechtungen zu sehen trachten. 1 36. Material
für
WntersudbuncJ
Es türmen sich dabei große Schwierigkeiten auf, denn das zur Verfügung stehende Material ist höchst ungleich und oft dürftig. Von der frühgeschichtlichen Forschung versteht es sich von selbst. Knappe und verstreute Reste künden von vergangenen Menschen. W i r hören und sehen nichts weiter von ihnen als Trümmer. W e r heute etwa aus den Ruinen von Berlin allein auf die frühere Lebensweise, Gebräuche, soziale Organisation und Denkweise der Bewohner
88
Einridbtungen von Gemeinwesen
verschiedener
Ausrüstung und
Kulturen
Rückschlüsse ziehen wollte, würde erhebliche Irrwege einschlagen. Dennoch wäre solches Material noch immer reichlich zu nennen im Vergleich zu dem, was wir manchmal aus ganzen Jahrtausenden der Frühgeschichte vor Augen bekommen. Die Art der Nahrungsgewinnung, der verwendeten Werkzeuge und Geräte geben uns, außer den Knochenfunden und der Bestattungsart, Material an die Hand, um zu fragen: gibt es heute vielleicht noch Leute, die sich in ähnlicher Weise ernähren und mit ähnlichen Werkzeugen und Geräten ihr Leben führen ? 137. Bedeutung
der
Naturvölker
Das ist in der T a t der Fall, und deshalb wurden die sogenannten Naturvölker zum Vergleich herangezogen. W a s wir bei diesen Vergleichen fanden, ist nur etwas ähnliches, nie etwas völlig gleiches. Immerhin aber sind vorsichtige Rückschlüsse möglich und ratsam. Es gibt dieselben Emotionen, aber der menschliche Geist brauchte viele Jahrtausende, um zu einiger Klarheit über sich selbst und seine Welt zu gelangen (Lt. 29, 4 0 ) . Überblicken wir diese Zeiträume und diejenigen Völker, die heute noch oder bis vor kurzem ihren eigenen W e g verhältnismäßig isoliert gegangen waren, so tut sich uns ein Stück des Mensd)beitsAromas auf, das weiter spielt und uns heute mehr als je ergriffen hat. 1 3 8 . Meisterung
der Natur,
nicht
des 7>iensd>en
selbst
Die Menschen haben die Natur in nicht unerheblichem Ausmaß zu meistern verstanden, doch nur wenig ihr Zusammenleben. Der Domestikationsprozeß, die Zähmung des Menschen, ist bisher nur recht teilweise gelungen. Sonst hätten wir nicht die Erfahrungen der Zeit von 1933—1945 gemacht, da manche Menschen sich „tierischer als jedes T i e r " erwiesen, Vorgänge, die leider nicht ohne Parallelen sind. Die Fesselungen der Kultur scheinen teuflische Impulse einer Gruppe aufgestaut zu haben, die unter einem bösartigen hochgekommenen Neurotiker gewissermaßen aus dem gesicherten Verschluß losgelassen wurden. W a s haben wir nun für die uns bevorstellende Zukunft zu erwarten?
IV. HISTORISCHE A U S W I R K U N G E N DER SOZIALEN VORGÄNGE
i39. Auswirkung der
Verzahnung
Den stärksten Faktor für den Zusammenschluß der Menschen zu Gruppen bildet die Verzahnung, die wechselseitige Ergänzung von Sonderbegabungen, zumal jeder Mensch nur unvollkommen begabt ist. Erst ein Zusammenschluß mehrerer vermag die Möglichkeiten und die Leistungen der einzelnen abzurunden. Es ist ein Vorgang, der unbewußt zur Vergesellung führte. Der Zusammenschluß von Familien vermochte zum Aushelfen in der Not, besonders der Wildbeuter, zu veranlassen. Der Austausch von Geschenken, und insbesondere der Töchter verschiedener Horden, schlang um alle Beteiligten ein Band der Freundschaft und Verwandtschaft, das hilfreich gegen Bedrängnis durch Fremde war. Später schlössen sich mehrere Klans und Klangruppen zusammen, wie unter den Tallensi am Volta in Westafrika (Lt. 20) oder in Neuguinea (Lt. 2 5 ) . In China kann festgestellt werden, wie aus den Lokalkulturen (Lt. 6, S. 2 ff. und Lt. 5) durch Berührung und Ergänzung die sogenannte chinesische Hochkultur erwuchs. Ähnlich war es im alten Ägypten, wo aus der Verbindung der Gaue miteinander das Reich und die Kultur der Pharaonen hervorging (Lt. 7 , 2 8 ) . D i e großen Eroberungen und Reichsgründungen derBabylonier, Assyrer, Perser, Makedonier, Römer standen unbewußt im Bann der gleichen Auswirkungen.
i 40. Emotionelle
Störungen
Selbstverständlich ist das Handeln der Menschen den damit verbundenen Affekten unterworfen, die störend, hindernd oder als Rückschläge einwirkten. Das europäische Mittelalter ging von einer niedrigeren Ebene aus als wir heute, noch mehr das östliche Europa. Aber über alles brauste seiner Zeit die Macht der Entdeckungen und Erfindungen, die die Berührungen vervielfältigten und erleichterten. Boot statt Floß, Segel statt Ruder, Esel, Ochse, Maultier, Pferd statt Rücken und Füße der Menschen, nachher Dampfschiff, Eisenbahn usw. Eingeleitet aber wurden sie durch Überheblichkeit der Entdecker- und Erfindergemeinden, die zunächst mehr Schaden für ihre Mitbewerber als Nutzen für sich selbst anstrebten. M a n denke an die Eisenwaffen, Schießpulver, Explosivstoffe usw. Aus alledem ergaben sich neue Notwendigkeiten für die Ordnung des Zusammenlebens.
90
Historische Auswirkungen
141. Beschränkte
der sozialen
"Möglichkeiten
und
Vorgänge
Jortsdbritt
D e m Fortschritt auf technischem Gebiet u n d der wachsenden Einsicht vermöge des Intellekts steht die biologische Gegebenheit d e r Menschen gegenüber (vgl. Lt. 13). Sie b e s t i m m t g r u n d l e g e n d das Z u s a m m e n l e b e n d e r Geschlechter u n d der Familien sowie die Formen, in d e n e n die heranwachsenden Menschen das zivilisatorische u n d kulturelle Erbe ü b e r n e h m e n in Gestalt von Situationen bei den Reifeweihen der einzelnen Kulturen u n d als Vorbilder, die ihnen gezeigt oder erzählt w e r d e n . W ä h r e n d in diesen Fällen beschränkte Möglichkeiten walten, macht sich doch der Einfluß d e r fortschreitenden Erweiterung der Fertigkeiten, Kenntnisse u n d Berührungen geltend. D a s Pendeln zwischen den M ö g lichkeiten w i r d durch die fortschrittlichen K r ä f t e bald nach der einen, bald nach der anderen Richtung abgelenkt. D a s ist namentlich der Fall im Z u s a m m e n h a n g mit H e r r s c h a f t , Hörigkeit u n d Sklaverei, also ( Z f . 92 ff.) bald mit d e r Ü b e r h e b lichkeit u n d d e m W o h l l e b e n , teils mit Beschränkung persönlicher Freiheit, Z w a n g , H u n g e r u n d M i ß b r a u c h d e r aus d e r O r d n u n g u n d Organisation quellenden Macht.
142. Spezialisierungen
des
Lebens
Die Spezialisierungen, welche die Anhäufung von Fertigkeiten u n d Kenntnissen, a b e r a u d i die Varianten in d e r N ü t z u n g d e r N a t u r mit sich brachten, h a b e n z u Sondergestaltungen g e f ü h r t , aber auch durch neue Kontakte z u r Überschichtung, z u r Staatsbildung u n d weiterhin z u wirtschaftlichen Ausgestaltungen, wie oben ( Z f . 51 ff.) a u s g e f ü h r t w u r d e . In zwei Richtungen f a n d e n solche Z u s a m m e n schlüsse statt: 1. in der egalitären Richtung von K l a n v e r b ä n d e n ( Z f . 139) u n d 2. durch H e r r s c h a f t . — A b e r auch noch in anderer Weise, nämlich durch Absplitterungen k a m e n bald freie, bald m e h r oder minder abhängige Anreicherungen bestehender V e r b ä n d e zustande. So z. B. durch die vom Tsadsee zugewanderten T ö p f e r a m Kongo oder durch Holzschnitzer, die sidi in O s t a f r i k a irgendwelchen Klanballungen angeschlossen h a b e n . O b solche Spezialisierungen erst dadurch zustande kamen, d a ß beim Anschluß eine Fertigkeit gepflegt w u r d e , die bei der Wirtsgemeinschaft nicht b e k a n n t w a r , ist o f t schwer zu entscheiden, doch wahrscheinlich. A n d e r s im Falle d e r afrikanischen Schmiede, die zweifellos aus Asien nach A f r i k a eingewandert sind. Sie n e h m e n in d e r Regel eine abgesonderte, etwas abhängige, doch auch wegen ihrer Besonderheit respektierte Stellung ein. In manchen Fällen verschmolzen solche Spezialisten im Laufe der Zeit mit ihren W i r t s v ö l k e r n , wie etwa u n t e r den H a u s s a a m südlichen Rande der Sahara. In h o h e m M a ß e w i r k t e das A u f n e h m e n von f r e m d e n 7rauen f ö r d e r n d auf die Ü b e r t r a g u n g von zivilisatorischem Besitz u n d kultureller Haltung, sei es, d a ß die A u f n a h m e durch gegenseitigen Tausch, a n d e r e n E r w e r b oder auf mehr oder m i n d e r gewaltsame A r t v o r sich ging.
Historische
i43.
Auswirkungen
Absonderungen,
der sozialen
Vorgänge
91
Verschmelzungen
Während Begegnungen spezialisierter Stämme oder Gruppen zu einander ergänzenden Verbindungen und im Laufe der Zeit zu Einschmelzungen führen können, bleiben doch, wo verhältnismäßig feste Verbindungen zustande gekommen sind, trennende Faktoren am Werk. Das scheint namentlich in Fällen zu geschehen, in denen verschiedene Völker- oder Rassenbestandteile wohl zusammenleben, aber nicht restlos miteinander versdimolzen sind, wie z. B. im Falle der Qebeimen Qeseiischaflen in der Südsee (Lt. 36, S. 308 ff.) oder in Westafrika (Lt. 36, S. 313 ff.). In Dahome darf z. B. kein männliches Mitglied der eingewanderten Königsfamilie, die ihre Herkunft aus der Verbindung eines Leoparden mit der Tochter eines Häuptlings ableitet, einer Kultgemeinde der Geheimen Gesellschaften angehören. Ebenso audi bei den Glidyi-Ewe (Lt. 51). Unter ähnlichen Gesiditspunkten halten sich die aristokratischen Fürsten unter den zentralafrikanischen Zande von den Zauberern und deren Schulen fern (Lt. 8, S. 9 4 ) . Unter den nilotischen Stämmen Afrikas kann man verschiedene Lagerungen neben- und zwischeneinander feststellen, die im Laufe der Zeit durchzogen und ihre Reste hinterlassen haben.
i44.
Xuiturwedhsel
Auch völliger Kuiturwedhsel kam z. B. unter negerisdien feldbauenden Stämmen Abessiniens zustande. Sie nahmen völlig die Kultur der umliegenden Stämme an. Die Tussi-Familien, die in Ostafrika verschiedene Häuptlingsschaften gründeten, nahmen Sprache und Sitten der Unterworfenen an, wie der Nyamwezi, derFipa, Sukuma usw., mit denen sie allmählich verschmolzen. Ähnliches hat sich in Europa zugetragen: die Waräger, die nach Südrußland zogen, nahmen die Sprache der Besiegten an. Ähnlich war es mit den Normannen, die nach Sizilien kamen. Die nach Frankreich, der Normandie, gewanderten W i kingerstämme nahmen nicht nur die französisdie Sprache an, sondern die normannischen Eroberer brachten diese Sprache nach England, die dort zunächst die Sprache des Hofes von Wilhelm dem Eroberer wurde. Ein solcher Kulturwechsel kann aber auch aus dem Inneren eines Volkes hervorbrechen, wenn die Umstände ihn begünstigen. So war es in Südafrika Anfang des 19. Jahrhunderts, als Djingiswayo als einflußreicher Fürst mit Hilfe europäischer Einflüsse, besonders durch den Besitz von Gewehren, einen Zusammenschluß einiger Stämme anbahnte. Während er sich aber an die sittlichen Überlieferungen hielt, wurde sein Nachfolger unsicherer Herkunft vom Diktatoren-Dünkel gepackt und warf die Überlieferungen über den Haufen und machte alle besiegten Stämme von seiner Persönlichkeit abhängig. Derartige Vorgänge waren auch bei den Mandschu und vorher im alten Ägypten zutage getreten. Sieht man die europäische Geschidite durch, so stößt man auf nicht unähnliche Ereignisse, auf die in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden kann.
92
Historische
Auswirkungen
l 45. Umwälzungen
der sozialen
Vorgänge
auf religiösem
gebiet
Die Geistesverfassung ändert sidi mit den erwähnten Geschehnissen ebenfalls. Es sind stets zweierlei Kräfte am W e r k : 1. die wachende Einsidit in das Walten der Kräfte und deren Meisterung und 2. die Auswirkungen auf das menschliche Gesellungsleben. In erster Beziehung kommt die Fähigkeit, Erfahrung zu machen, in Betracht, sowie das Wesentliche vom Unwesentlichen der Zusammenhänge zu sondern und aus den wirksamen Kausalbündeln die wichtigsten Fäden herauszulösen (Lt. 46). Die anstrengende Arbeit des Denkens konnte erst Zeit gewinnen, nachdem die Menschheit ihre Lebenserhaltung von der Basis des Wildbeutertums in pflegliche Formen übergeleitet und für einige Personen M u ß e ermöglicht hatte. Die „Heilbringer" der Mythen repräsentieren die Erinnerung an die frühesten Entdecker und Erfinder. Die Neuheiten, ob selbst gefunden oder von anderen erworben, mußten erst der Gemeinde eingegliedert werden, ein Vorgang, der sich an Autorilätspersonen heftete, um die Widerstände gegen das unsichere LInbekannt zu überwinden. Zweifellos wirkten dabei öberschich tungen und Herrschaft günstig. 146. Kultische
Gestaltungen
Die kultischen Gestaltungen knüpfen an bestimmte Vorstellungen über das Walten übermenschlicher Mächte an. Soldie Vorstellungen waren selbstverständlich durch die Kenntnisse und Einsiditen in die Vorgänge von Natur und Mensch bedingt, durch das, was man darüber wußte und im Rahmen der gewohnten Vorgänge f ü r menschlich oder übermenschlich wunderbar hielt. Das wechselte so, wie der Papuaner die Ausrüstung undKiinste des Europäers, etwa das Photographieren, f ü r durchaus übermensdilich hält. Nicht nur das, sondern er meint, d a ß z. B. das Blechgeschirr bei uns wie Frachtschalen auf den Bäumen wächst usw. Vielleicht kann man etwa folgende Reihe wagen: 1. Für die fernste Zeit kommen wir über ungewisse Hypothesen nicht hinaus. Ein Vater- oder Ahnenkult hat die größte Wahrscheinlichkeit für sich. O b dieser durch die Vorstellung von einem menschenähnlichen Wesen oder durdi Tiere konkretisiert wurde, dafür können keine schlüssigen Beweise erbracht werden. Die Möglichkeit verschiedener nebeneinander laufenden Vorstellungen ist gegeben, namentlich auch die einer Art von Seelenwanderung von Tier und Mensch, der nach seinem Tode wieder zum Tier wird, aus dem er entstanden ist. — 2. Damit würde der Schlüssel zu den zahlreichen Varianten von Jotemismus gegeben sein. O b und wie weit der Totemismus mit dem Mangel an Kenntnis des Zusammenhangs von Kohabitation und Konzeption verbunden ist, sollte nicht untersudit bleiben. Wahrscheiniiich ist, daß dieser Mangel bei einzelnen Pflanzerstämmen zu einer Oberbetonung der Rolle der Frau, zur Herrschaft des Mutterrechts und des Avunkuats, also zur bevorzugten Stellung des Mutterbruders geführt hat. Dagegen ersdieint das „Männerkindbett", die Xuvade, die Be-
Historische Auswirkungen
der sozialen Vorgänge
93
tonung des Anteils des Mannes am Kind in den Vordergrund gerückt zu haben, ein Vorgang, der etwa mit dem Neolithikum, der Neusteinzeit, anzusetzen sein mag. Derselbe Umstand hat vielleicht auch zur Besdmeidung mit ihren Varianten geführt, die schon seit der Zeit der altägyptischen Pyramiden bekannt ist, nicht aber in Babylonien heimisch war. — 3. Insbesondere muß auf den Eingottglauben der Großviehhirten aufmerksam gemacht werden. O b dieser aber von den nicht überschichtenden Großviehhirten geteilt wurde oder erst bei denjenigen Großviehhirten Fuß faßte, die als aristokratische überschichter auftraten, mag vorläufig dahingestellt bleiben. — 4. Gelegentlich der vielfachen Kontakte unter T r ä g e m verschiedener Oberlieferungen fanden neue Ansichten und Sitten Eingang, sowohl unter den Herren wie unter den Hörigen. — 5. Durch die Entstehung der Herrschaft wuchs die Autorität der Fürsten, Könige, Despoten, Tyrannen (Zf. 91 ff., 122 f.). Dieser Vorgang fand seinen Niederschlag im Kult des Herrschers als eines göttlichen Königs, der übergeordneten Persönlichkeit, wie die altorientalischen Vorgänge aufs deutlichste beweisen und wie dies auch aus den afrikanischen Erscheinungen hervorgeht (Zf. 97, Lt. 38, S. 156 ff.). — 6. Als beschränkend f ü r die Macht der Herrscher traten die zurückgedrängten aristokratischen Familienhäupter in Funktionen auf, die wir als „priesterlich" bezeichnen. Als Häupter ihrer Familien üben sie ihren Einfluß gemeinsam mit dem Herrscher aus. Das alte Ägypten zeigt besonders interessante Vorgänge zu Zeiten von Amenophis IV. — 7. Gegenüber diesem Wettbewerb um die Macht zwischen Aristokratien tritt in den Reichen mit einer großen, nichtaristokratischen Freien-, Hörigen- .und Sklavenbevölkerung etwas Neues auf, eine Auflehnung gegen die Mißbräuche der Aristokratie und der anderen Machthaber. — So scheint der Aufstieg der Menschheit zu schwanken zwischen der Betätigung ihrer Kräfte der Vernunft, des rationalen Denkens und den Mächten aus der emotionalen Sphäre des Menschen, die ihn zu tausend Ungezügeltheiten hinreißen, die alles Böse, Gemeine, Verschlagene, Lügnerische, Neidische, Gehässige, Zerstörerische entfesseln. Auf diesem Boden wurde gewöhnlich früher ein Echo, ein Mittun geweckt als auf dem der Versöhnung, der Liebe, der Hilfe, so sehr gelegentlich ein Verlangen danach sich einstellte. 147. Reformer
als Urheber
von
TAniversaireliijionen
Als Führer solcher revolutionären Bewegungen traten etwa seit dem letzten vorchristlichen Jahrtausend Begründer von universalen Religionen auf, die sich gegen die von der Aristokratie geleiteten heimischen Kulte als Reformatoren, nicht als Umstürzler wendeten. So war es ZarathuiStra unter den Meder-Persern (Lt. 11, 19), so vor allem Buddha, der lehrte, welche Art von seelischem, nicht formalem Verhalten er als die eines Brahmanen ansehe (Lt. 48, S. 49). So war es Christus, der sagte, er sei gekommen, nicht um das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen. So auch Mohammed, der an die überlieferten Heiligtümer der Kaaba und der alten Städte anknüpfte (Lt. 14a, S. 4 ff.).
94
Historische i48.
Priesterschaft
Auswirkungen paßt Lehren
der sozialen
Vorgänge
dem praktischen
Lehen
an
Das Schicksal dieser Reformen war zum Teil revolutionär. Bemerkenswert ist, daß die Kraft der alten Lehren in der Regel so durchschlagend war, daß die Reformer ihre Anhänger mehr außerhalb ihres Ursprungslandes fanden, ZarathuStra in Persien und Nachbarschaft, Buddha in den Randgebieten Indiens, Indonesiens, Hinterindien, Tibet, China, Japan, das Christentum in Europa, der Islam in Syrien, Kleinasien, an der afrikanischen Küste, im westlichen Indien usw. Die Aufspaltung dieser Universalreligionen in engere Glaubensgemeinschaften, teilweise nationaler Art, ist auch beachtenswert. Die Priesterschaften befolgen bei allen diesen Religionen eine mehr oder minder strenge Selbstzucht und ergeben sich Meditationen und Spekulationen sowie der Askese. Andererseits wird die praktische Durchführung wenigstens von Teilen der Lehre den Bedürfnissen der Bevölkerung angepaßt. 149.
Wirkung
der
Vniversalreligionen
Gegenüber den Klan- und Stammeskulten mit ihrem winzigen Wirkungsbereich wurde durch die Universalreligionen ein außerordentlich erzieherischer Einfluß ausgeübt, der das Leben von großen Menscheninassen lenkte. Doch darf man nicht vergessen, daß auch die „primitiven" Religionen, wenn sie auch nicht mit abstrakten Lehren auftreten, doch durch symbolische Mittel, durch mimische und tänzerische Veranstaltungen bei der Vermittlung des Inhalts der Mythen als Muster und Sinnbilder des Verhaltens und der Moral nicht zu untersdiätzen sind. 150. Hedhnik
und
mensdhlidher
Aufstieg
D e r Fortschritt der Technik wirkte nach verschiedenen Richtungen völkerverbindend, besonders durch die Erleichterungen des Verkehrs, hauptsächlich der Wasserwege, aber auch durch andere materielle und geistige Güter, die begehrt und getauscht wurden. Solche Gelegenheiten boten den Stämmen und Gruppen Entdeckungen und Erfindungen, geistige Erkenntnisse und Vorkehrungen sowie auch die Sitte, Töditer auszutausdien. Das geistige und kulturelle Bereich vermochte sidi durch neue Erfahrungen zu weiten. Dem wirkte allerdings entgegen die schon erwähnte Neigung, aus dem Vorsprung von Neuerungen offen oder hinterlistig Nutzen in selbstsüchtiger Weise zu ziehen, anderen Angst einzujagen und boshaft eine mitunter n i c h t — o d e r dem Umfang nach nicht berechtigte Überlegenheit zu betätigen. Die Gefühle drängten zu einer Steigerung und Übersteigerung, besonders, wenn es sich um die Abreaktion von irgendwie aufgestapelten Bedrückungen oder Bedrängnissen handelte, sei es bei einzelnen oder bei Gruppen oder um illusionäre Werte. Denken wir an die Kreuzzüge „zur Befreiung des gelobten Landes", an den islamischen Fanatismus, an die
Historisdhe
Auswirkungen
der sozialen
Vorgänge
95
G e i ß l e r - Z ü g e , an die Streitigkeiten um Symbole des christlichen Kults. Beim Eindringen des Europäertums begegnen wir unter den Angehörigen fremder zivilisatorischer Horizonte gefühlsmäßig übersteigerten Abwehrreaktionen, wie im Falle eines ostafrikanischen Z a u b e r e r s , der zu A n f a n g dieses Jahrhunderts versprach, durch seine Künste die fremden Europäer zu vertreiben und seinen Leuten N a h r u n g zu beschaffen. Ähnlich war der V a i l a l a - W a h n in Neu-Guinea, den F. E . Williams beschrieb 1 , der Peyote-Kult in Nordamerika 2 , der VuduKult auf H a i t i 3 usw. In politischer Hinsicht springen uns die Übersteigerungen der M a c h t in die Augen. Die großen Prinzipien einer selbstverständlichen Gleichheit unter den Menschen beherrschen die Geistesverfassung in palaeopsychischer Zeit. Die archaische Epoche hat das genaue Gegenteil davon gezeitigt. A u ß e r den aristokratischen Fürsten bemächtigt sich der Despoten und T y r a n n e n eine unsagbare Hybris, und dank der diesen Herrschern zugestandenen M a c h t scharen sich diejenigen um sie, die Vorteile aus diesem Machtbesitz saugen wollen. So helfen sie ihnen zur Gloriole der Göttlichkeit. Das Gottköniglum altägyptischen und babylonischen Ursprungs breitet sich aus. A l e x a n d e r von Makedonien, die römischen Cäsaren, die im Blute schwammen, folgten ihnen. D e r Geist der Kreuzzüge beschwingte die Spanier bei ihren Unternehmungen, sich von den M a u r e n zu befreien, aber gleichzeitig machte er sie trunken für ihr Vorgehen in M e x i k o und in Peru, wo sie gräßlich hausten und die Indianer versklavten, obwohl sie die Religion der Nächstenliebe predigten. D i e Analogien zu moderneren Ereignissen sind überflüssig.
„The Vailala Madness in Retrospect", in Essays presented to G. G. Seligman. Kegan Paul, 1932. 2 La Barre-Weston: „The Peyote Cult", Yale Univ. Pubi, in Antrop. 17, New Haven 1938. Bespr. v. G. Wagner im Archiv f. Anthr. 25, 2 - 3 , S. 170 ff. 3 Seebrook: „Geheimnisvolles Haiti", 1931. 1
SCHLUSSWORT i5i.
Des Renschen
Aufstieg
zwisdhen
Vernunft
und
Wahn1
Man vermag die Übergänge und Zusammenhänge auf dem Gebiete des Gesellungslebens und der Geistesverfassung nicht im Sinne des Rationalismus zu deuten (vgl. Lt. 13). Die Zusammenhänge liegen in den Menschen selbst, in deren biologischen Gegebenheiten, zivilisatorischer Ausrüstung und Kenntnissen. Immer wieder wurden kurzfristige Impulse und Antriebe aus der augenblicklichen Lage, Affekte und Emotionen, unbeschwert vom Nachdenken und auf Grund unzulänglicher Nützung einer beschränkten Erfahrung aus engem Gebiet mit eingehegtem Gesichtskreis ohne scharfes Denken ausschlaggebend (Lt. 46). Stimmungen der Kollektivitäten mit ihrer Verachtung der Logik und der Wirklichkeit haben die Taten des Wahns stets unterstützt. Von solchen Irrwegen des Domistikationsprozesses hat sich die Menschheit noch nie befreit. Ja, es scheint, daß die Verirrungen um so schlimmer werden, je mehr sie unter die Gewalt des Verstandes geraten. Die zurückgedrängten Kräfte des emotionalen Lebens sind nicht erstorben, sondern höchstens verdrängt oder betäubt, brechen dann aber, wenn gewisse Schranken fallen, um so wilder hervor. Derartige Beobachtungen scheinen uralt zu sein, sie stehen am dämmernden Anfang geschichtlicher Oberlieferungen: Die Worte des Helden Engidu, der nach sumerischer Überlieferung vielleicht vor fünf- oder sechstausend Jahren zum Sonnengott EA über die Aufschlüsse sprach, die er in der Unterwelt über „die Satzung des Erdenlebens" erhielt, und die er wegen ihres Jammers nicht zu verkünden wagt, und die als Denkspruch diesen Ausführungen vorangestellt wurden, gelten heute auch. Gleicherweise ist es das W o r t von Aischylos, dem Griechen, der sich über die Natur des Menschen vor nicht ganz zweieinhalb Jahrtausenden äußerte. Goethes Ausspruch indessen über die stete Erneuerung der Schöpfung birgt einen Trost. Er richtet den Blick auf die Zukunft. Doch wie sollen wir die neue Schöpfung verwirklichen? Wahn und Rausch bannen, damit die nüchterne Vernunft nicht überwältigt werde? Können wir denn ohne Emotionen leben? Und wie können wir Wahrheit und Gerechtigkeit verwirklichen, 1 Im Laufe der voraufgegangenen Ausführungen wurde wiederholt das Problem des Wahns angesdinitten, und zwar unter folgenden Ziffern: 9, 14, 25, 28, 33, 34, 38, 54, 58, 65, 67, 69, 72, 74, 77, 84, 94, 96,99, 111, 113, 116, 119, 121, 126, 128, 130, 135, 136, 140, 141, 143, 145, 146, 150.
Sd)lußwort
97
während jede Gruppe in der Traumwelt, in der sie sich einspinnt, nur ihr eigenes kleines Schicksal im Auge hat? Hier sollte versucht werden, das Menschentum aller Zeiten und aller Orte zu umspannen, um uns aus der Enge unseres Augenblicks zu lösen. Von verschiedenen Seiten her quollen die Gefahren von Irrtümern und die Verlockungen des Wahns, die eine Selbstüberschätzung dank der menschlichen Ichbezogenheit hervorriefen: 1. Zunächst wurde die Erfahrung nidht sorgfältig gesammelt und äußerst lückenhaft „überliefert", zumal der sprachliche Ausdruck nicht geschliffen genug war; nicht zu reden von der Lässigkeit, die dem gesprochenen Wort und seinem Abhören im Alltagsverkehr anhaftet. — 2. Der Bereich, dem die Erfahrung entnommen war, pflegte verhältnismäßig eng zu sein. — 3. Ein kritisches Oberlegen und Vergleichen fehlte nicht nur wegen des Mangels an Übung, sondern auch weil beim Nahrungserwerb des Tages die Zeit und Konzentrationsfähigkeit hierzu mangelten. — 4. Die Jäusdhungen der Sinne waren verführerisch. Man braucht nur an die alltäglichen Täuschungen des Gehörs zu erinnern, etwa beim Plätschern des Wassers Erzählungen zu vernehmen, an die Mißdeutungen des Gesichtssinnes, der in der Dämmerung oder im Walde Gestalten und Erscheinungen vorgaukelt, etwa noch kombiniert mit dem Flimmern von faulem Holz usw. An Luftspiegehingen, Fata morgana, braucht man kaum zu erinnern. Hieraus hat sich eine Verirrung herausgebildet, die von den ähnlichen Sinneseindrücken ausging. Man begann in einer frühen Phase des Denkens z. B. alle Gegenstände und Erscheinungsbilder mit roter Farbe zusammenzustellen. Es war eine Phase früher Abstraktion von Eigenschaften. Auf Grund der gleichen roten Farbe glaubte man z. B. eine Verbindung zwischen dem Feuer, dem Stern Mars und einer roten Kuh konstruieren zu müssen. Die malayischen Sprachen, ähnlich auch Bantu-Dialekte, gruppieren nach der Qestalt lange Gegenstände zusammen, runde, lebende u. dgl. Das Zählen selbst ist sicher eine verhältnismäßig späte Errungenschaft, behält aber seine Verbindung zur Realität. Wenn auch die Finger der Hand, wie wir meinen, zum Zählen verlocken, so genügte doch zunächst für kleine Mengen eine individuelle Bezeichnung der einzelnen Finger, wie man sie vorfindet, ohne Abstraktion des Zählens. Das trifft man bei papuanischen Stämmen Nordwest-Neu-Guineas an. Gerade die Zusammenfassungen, die aus den erwähnten Abstraktionen hervorgingen, führten vielfach auf Irrwege, wie die Verbindungen mit nur für die menschlichen Sinneswahrnehmungen wichtigen Qualitäten zeigen, die aber nicht wesentlich von Bedeutung für die betreffenden Objekte selbst sind. Sie bildeten oft die Grundlage für Magie und Mystik. Außer den erwähnten Gruppierungen der Gegenstände nach den menschlichen Sinneswahrnehmungen allein war die Entdeckung bewußter Xausaherknüpfungen im Geschehen von weitgehender Auswirkung. Sie eröffnete die Tore zu neuen Täuschungen und Enttäuschungen. Vor allem führte das Verhältnis von Vorhergegangenem zum Nachfolgenden in eine Verwirrung von Abfolge und
98
Schlußwort
Ergebnis oder Wirkung des zeitlichen und des ursächlichen Zusammenhangs, also des „post hoc" und des „propter h o c " . Dieses wie auch die vorher erwähnten Verirrungen sind übrigens keineswegs auf die „Naturvölker" beschränkt, sondern sie reichen in verschiedenen Stadien in Bereiche der sogenannten „Kulturvölker" hinüber. Insbesondere gehören hierzu auch die Zeichen und Symbole. Trotz mancher Ähnlichkeiten erscheinen sie oft mit besonderer Bedeutung. Sie stellen die Ursprungsformen der Sprache dar, der Mitteilung, vor allem der Überlieferung des Wissens und Handelns einer Gruppe. Darum wurden sie besonders wichtig und von den Alten der Gemeinde gepflegt. An sie knüpfen sich ungezählte Zeremonien und Riten, die jeweils Klumpen von traditionellem Wissen an die heranwachsende Generation weitergeben wollen. Die Reifeweihen sind erfüllt von solchem symbolischen Handeln und Reden. Letzteres spielt in der Regel eine noch untergeordnete Rolle. Dieser Zeichen- und Symbolsprache fällt aber noch eine weitere Bedeutung zu: sie wird vor allem im Verkehrmit unbelebten gegenständen (Bäumen, Pflanzen), mit belebten Wesen (Tieren) und mit übermenschlichen Wächten und Verstorbenen gebraucht. Man redet einer Pflanze (z. B. dem Yamsknollen) zu, ordentlich zu wachsen („denn die Pflanze versteht die menschliche Rede"), zeigt ihr ein Spinnennetz um ihre Zweige anzuleiten, sich zu verflechten 1 . Der heranwachsende Knabe erhält bei den Rinderhirten einen gleichzeitig geborenen jungen Stier als Spielgefährten, beide wachsen zusammen auf und werden mit demselben Namen bei den zentralafrikanischen Stämmen gerufen. Mit den Geistern des Verstorbenen unterhält man sich z. B. in Usambara (Ostafrika) wie mit den lebenden Alten, bittet, aber schilt ihn auch, macht ihm Vorwürfe (wie ich es selbst beobachtet hatte). Alle diese Zeichen werden in den einfachen unüberschichteten Gesellungen von den Menschen nach der Art ihrer eigenen Verständigung untereinander gegeben. Sie stellen sich auf denselben Boden der Gleichheit und Verständigungsmöglichkeiten, auf dem sie selbst stehen. Umgekehrt empfangen sie auch Zeichen von allen diesen Seiten her. Die Yamsknollen beklagen sich über etwas und äußern das in mangelhaftem Wachstum, das Verhalten der „Leibstiere" des morgens wird als Orakel gedeutet, und alle beobachteten besonders ungewöhnlichen Ereignisse, insbesondere Blitz, Donner, Regen erhalten ihre eigenartige Deutung. So wie der Verkehr unter den Menschen ist auch der mit der umgebenden Natur auf Deutung von Zeichen abgestellt, die hauptsächlich der eigenen Kultur entnommen sind. Allerdings hat man später gefunden, daß nicht jedermann die Zeichen deuten kann, und es einer besonderen Vorbildung hierzu bedarf. Auch der Umgang mit den übermenschlichen Mächten erheischt Lernen und Übung. So dürfen nur Angehörige eines bestimmten Klans auf der Insel Dobu, östlich von Neu-Guinea, 1
R. F. Fortune: „Sorcerers of Dobu", London 1932, S. 107if.
Schlußwort
99
Yams pflanzen. Es bedarf im Klan bestimmter Verwandter und überkommener Handgriffe, um das Gewächs gedeihen und Frucht bringen zu lassen. Bei der Auswahl der Personen und der Handgriffe kommt es natürlich nicht darauf an, wen oder was wir für zweckmäßig halten, sondern nur auf den oder das, was entsprechend dem Lebens- und Gedankensystem des betreffenden Klans geeignet erscheint. Solche Unterscheidung wechselt nach der Zusammensetzung und den herrschenden Lehren in der betreffenden Gesellungseinheit. Z u solchen Lehren gehörtauch der Glaube, daß durch materielles Einverleiben auch geistige Kräfte erworben werden. Hierauf beruht der Kannibalismus. Im Falle der Xopfjagd nimmt man an, daß im Schädel (nicht im Gehirn) besondere Kräfte des Menschen sitzen, die zu verschiedenen Zwecken verwendet werden: etwa wie in Südostasien zur Förderung der Fruchtbarkeit der Felder, in anderen Gegenden zur Erlangung von persönlicher Geltung. Bei alledem, besonders bei der Deutung von Vorgängen, tritt entscheidend die herrschende Ichbezogenheit zutage, von der sich Menschen nur schwer zu lösen vermögen. Eine Unzahl von Vorbedeutungen und Omina überschwemmt uns. D e r Fisch geht ins Netz, die Ratte in die Falle, der Bär läßt sich fangen, um den Jäger zu erfreuen und ihm zu nützen. M a n dankt dem „Klan" der betreffenden Tiergattung, die das O p f e r sandte. D e r Leopard oder der Löwe, der an einem Grabe erscheint, gilt in W e s t a f r i k a als Verkörperung des Verstorbenen bzw. seiner Seele. Damit will der Verstorbene seinen Hinterbliebenen ein Zeichen geben, das wieder einer Deutung bedarf. Hieraus geht hervor, wie das menschliche Gehirn arbeitet. Die mehr als veraltete Ansicht, als handle der „primitive" Mensch nur aus Impulsen heraus, hat keine Berechtigung. Im Gegenteil: er denkt manchmal zu viel oder doch falsch. W a s für eine oft verhängnisvolle Rolle spielen die Emotionen auch bei uns, wenn sie auch nachträglich rationalisiert auf frisiert werden! D o c h ist gerade das emotionale Handeln bei manchen Naturvölkern auf dem Gebiete der Sexualität vielleicht mehr beherrscht und geregelt als bei uns. D e r sonst mächtigen Egozentrizität hatten die Alten, die Herren der Horde, Schranken aufgerichtet, die, wenigstens offiziell, nicht durchbrochen werden durften. Allerdings herrscht bei manchen Naturvölkern eine ziemlich ungezügelte Sexualität in den ersten Kinderjahren, die indessen häufig vor Eintritt der Reife straff kontrolliert wird. Doch gibt es diesbezüglich ungezählte Varianten. Eines steht jedenfalls fest, daß die Alten in fast allen Fällen in der Lage waren, die heranwachsende Jugend in ihre Hand zu bekommen und dementsprechend die W a h l von deren Gefährtinnen zu bestimmen. D i e Bedingungen sind vielfältig. Vermutlich wurden nur die Töchter und Söhne befreundeter Alter miteinander getauscht, wodurch eine soziale Stärkung der am Austausch beteiligten Familien herbeigeführt wurde. Auf dieser Basis der Gleichheit und Reziprozität konnten, vermutlich erst später, auch die Zahl der vielen Verbote und Einschränkungen ausgebaut werden, denen es nicht an Übertreibungen und Widersprüchen fehlt. D i e Bedeutung dieser Verfahrensarten liegt in der Festigung des Bandes der
100
Schlußwort
Eben. Durch den Austausch von Töchtern, der mehr und mehr von gegenseitigen Gaben begleitet wurde, entstanden Entgeltungs- und Vergeltungspflichten, die nur schwer gelockert oder gelöst werden konnten, zumal die Gaben einerseits von den nächsten Familienmitgliedern zusammengebracht und im anderen Falle an sie verteilt wurden. So waren am Bestand einer Ehe vielleicht auf einer Seite an acht bis zehn Familien interessiert, auf der anderen etwa ebensoviel. Natürlich ließen es die Paare dabei nicht immer bewenden. Die sexuellen Impulse der Individuen waren oft zu stark, die Situationen zu verlockend, so daß es zu Übertretungen der als Normen des Zusammenlebens geltenden Verbote kam. Solche Übertretungen wurden zu früherer Zeit hart bestraft, häufig mit dem Tode. Die Sanktionen waren also erheblich, und zwar hauptsächlich wohl deshalb, weil man keine Abstufungen zu machen imstande war. Bemerkenswert ist, daß oft der Ursprung der einzelnen Horden, Klans oder Sippen (als Totem) auf Tiere, Pflanzen, Felsen, Riffe, ja auch Seile u. dgl. projiziert wird. Nur auf dem Boden einer Gleichsetzung des Menschen mit diesen Naturobjekten ist solches Denkverfahren möglich. Die verschiedensten Sagen und Varianten knüpfen sich daran. Es bedarf nicht vieler Erklärungen und Deutungen, weil die primitive Mentalität hierfür keine besondere Begründung verlangt. Daher sind die Totemsagen in der Regel kurz. Alles bisher Ausgeführte bezog sich nur auf egalitär ausgerichtete Auffassungen über das menschliche Zusammenleben. Die Vberscbich tungen waren jedoch mit einer Wandlung der Einstellungen unter den Gruppen und Menschen verknüpft. Sie gingen aus vom Anspruch nach besonderer Geltung auf Grund einer geforderten Überlegenheit, die sich auf einer ausgiebigeren Beherrschung der Natur, vor allem Halten von Tieren, gründete und die kämpferisch gegen Tier und Mensch sich durchsetzte. Die Überschichtungen förderten die Autorität der Herren über die Abhängigen als Hörige oder als Sklaven. Der Unterordnung trat eine Überheblichkeit gegenüber, die in ihrem Wahn sich ins Groteske steigerte. Dazu gehört das Qott-'Königtum in verschiedenen Phasen und Gestaltungen, das sich der Geisteshaltung der einzelnen Kulturen anzupassen verstand. Indessen, die Begegnung von Menschen verschiedenster Herkunft und Kultur führte wieder zu einem Ausgleich gegenüber den ins Ungemessene gesteigerten Ansprüchen einzelner und von Gruppen. In den Universalreligionen wuchs zunächst eine sozial gezügelte Denkweise heran, der es später aber keineswegs an Wahn und Überheblichkeit mangelte, die z. B. im christlichen Rahmen schon mit Konstantin in Byzanz begann. Es scheint, daß durch die Errungenschaften der Kultur sich Spannungen anhäufen, die in einseitigen Übersteigerungen losbrechen, die wir Wahn nennen. Das sind aber Fragen, die über die hier erörterten Probleme hinausgehen.
FACHAUSDRUCKE Bestimmte W o r t e erfordern in einer Schrift wie der vorliegenden den G e b r a u c h in einem k l a r abgegrenzten Sinn. D i e Alltagsrede ist lässig. Ethnologie und Soziologie sind noch nicht dazu gelangt, ihre Fachausdrücke so fest zu formulieren, wie es in den älteren W i s s e n s c h a f t e n der Fall ist. D a r u m dürfte es um so nötiger sein, hier zu sagen, wie bestimmte W o r t e zu verstehen sind. D e m I V . Bande meiner „Menschlichen G e sellschaft" schickte ich ein Verzeichnis von Fachausdrücken voraus, das hier auszugsweise und mit einigen Z u s ä t z e n und Verbesserungen gebracht wird.
Adkerbau
D a r u n t e r wird die Bebauung des Bodens mit ausgestreuten S a menkörnern, besonders von Halmpflanzen verstanden. D i e Erde ist vorher durch den Pflug gelockert worden, vor den große Haustiere wie Ochse, Esel, M a u l t i e r usw. gespannt wurden. D e r Ackerbau ist M ä n n e r a r b e i t und setzt Viehhaltung voraus.
aethiopisdb
wird im rassisch-anthropologischen bracht.
Anhäufung oder Aufspeidjerung
bedeuten V o r g ä n g e des Ansammeins von Fertigkeiten und K e n n t nissen bei verschiedenen Völkern. Wir bringen sie in Z u s a m m e n hang untereinander und leiten daraus den Fortschritt ab ( Z i f fer 2, 3 ) .
Antike
bezieht sich auf das griechische und römische Altertum.
Arbeitsteilung
besteht darin, d a ß mehrere Personen an der Fertigstellung eines W e r k e s arbeiten, jedoch nicht notwendigerweise gleichzeitig oder gesellig, sondern oft hintereinander, jedoch so, d a ß ein jeder andere Handgriffe ausführt. Bei geschlechtlicher Arbeitsteilung wird diese Verschiedenheit oft, doch keineswegs regelmäßig, durch die Eigenart der Geschlechter, etwa die größere M u s k e l stärke der M ä n n e r u. dgl. bedingt.
ardoaisd)
bezieht sich zunächst auf die Spitzenkulturen des alten Orients, Chinas, Indiens, des alten M e x i k o und Peru usw., die „frühstaatlichen" C h a r a k t e r tragen, und aus einer ethnischen zu einer sozialen Schichtung gelangt sind ( Z i f f e r 52 ff.).
aristokratisch
bedeutet die A n m a ß u n g einer Ü b e r l e g e n h e i t auf G r u n d einer ethnisch verschiedenen H e r k u n f t , u n d weiterhin nach Durchbruch einer kulturellen Angleichung die Aufrechterhaltung derartiger Ansprüche.
Bande
eine zusammengefügte G r u p p e von Familien von W i l d b e u t e m (vgl. H o r d e ) .
Bauern
Besteller von Feldern mit Viehhaltung bei Verwendung des Pflugs.
Sinn
für
„hamitisdi"
ge-
Jadhausdrüdke
102 Beamter
Als solcher gilt ein M a n n , der seine Funktion im Namen eines Herrn ausübt. Die aristokratischen Häupter der Familien sind bei ethnischer Oberschichtung keine Beamten. Dagegen sind Beamte die von den Königen im Falle sozialer Überschichtung ausgelesenen und beauftragten Personen (Ziffer 97).
Brautpfand, Brautpreis
ist die Bezeichnung f ü r Gaben, welche f ü r den Erwerb eines Mädchens, historisch an Stelle eines Realaustausches von M ä d chen gegen Mädchen, gegeben wird (Ziffer 7 5 ) .
demokratisch
s. „egalitär".
Despot
der aus der Oberschicht hervorgegangene Herrscher in einem bereits der Wiedervereinheitlichung zustrebenden Gemeinwesen.
egalitär
bedeutet gleichheitlich und bezieht sich auf politische Verbände ohne autoritäre Einrichtungen, d. h. Gewohnheiten, regelmäßig Personen mit der Ausübung von Macht innerhalb des Gemeinwesens zu betrauen, somit bei Gleichberechtigung unter Ausschaltung von Oberordnung.
Elam
ist ein Volk, auf dem Boden des Hochlandes von Iran erwachsen, und spielt von grauer Vorzeit an eine bedeutende Rolle. Hier trug sich eine der ältesten erfaßbaren Qberschichtungen zu, und zwar der kaukasisch-weißhäutigen Elamiten über eine dunkelhäutige Rassengruppe, die sich bis heute in den drawidischen Brahui sprachlich und anthropologisch erhalten hat.
Entwicklung
Als solche wird das Herauswachsen komplizierterer Einrichtungen aus einfacheren verstanden (Ziffer 12).
ethnisch
bezeichnet Familien sowohl gleicher Abstammung als auch gleicher Kultur.
Familie
bezeichnet das arbeitsteilige dauernde Zusammenleben von einer Frau mit ihren Kindern unter dem Schutz und mit der Hilfe eines Mannes. Sind mehrere Frauen vorhanden, so besitzt jede Frau ihre Feuerstelle, und ihre Kinder leben mit ihr.
Feldbau
bedeutet jede geordnete Bestellung des Bodens gegenüber dem Sammeln wildwachsender Pflanzen und Früchte. S. Ackerbau, Grabstockbau, Hackbau.
J-unktion
ist ein der Biologie entnommener Ausdruck. Er bezeichnet die spezielle Tätigkeit eines Organs. In diesem Sinne einer speziellen Betätigung einer Einrichtung ist er auf das soziologische Gebiet übertragen worden.
Jortsdhritt
(s. Anhäufung) besteht in der Mehrung der Fertigkeiten und Kenntnisse und in einer diese begünstigenden Geisteshaltung (Ziffer 3).
Jadiausdrücke
103
lürst
wird das Haupt eines überschichtenden Familienverbandes bezeichnet.
Qau
das Gebiet, das eine relativ kleine politische Einheit als ihr Nutzungsland beansprucht.
Qrabstockbau
ist diejenige Bestellung der Felder oder Gärten, wobei die Schößlinge der Pflanzen (Knollengewächse) in mit einem Grabstock gebohrte Löcher gesteckt werden. D e r Grabstock ist das ursprünglich von den Sammlerinnen benutzte Gerät zum Ausgraben von Wurzeln.
Qroßfamilie
findet
sich besonders bei den Hirten und besteht im Zusammenleben von Großvater, Vater und Söhnen mit ihren Frauen und Kindern. D a bei den Hirten die jüngeren M ä n n e r durch das Weiden des Viehs und den Kriegsdienst in der Regel außerhalb des Lagers sich aufhalten, findet man überwiegend die Alten und die Frauen im Lager der Familie.
Hackbau
besteht in der Lockerung des Bodens vor der Aussaat durch die Hacke, ursprünglich einen gekrümmten Ast.
bamiUsdh
ist die Bezeichnung für Sprachen wie altägyptisdi, beeinflußt von und verwandt mit dem semitischen Sprachkreis. Weiterhin werden die T r ä g e r dieser Sprachen, zu denen auch die afrikanischen Hirtenstämme gehören, so bezeichnet (vgl. aethiopisch),
Häuptling
Vielfach wird ein M a n n von persönlichem Ansehen als „Häuptling" bezeichnet, obgleich in der Gemeinde institutionsgemäß nicht immer eine solche Autoritätsperson vorhanden ist.
Heiratsordnung
besteht in fester Überlieferung, daß gewisse Klans nur miteinander eheliche Verbindungen eingehen, oder daß Verbote bestehen, innerhalb des Klans zu heiraten oder innerhalb von Hälften, in die der Stamm aufgespalten erscheint.
Hirten
sind Stämme von Viehzüchtern, teils von Großvieh (Rinder, Pferde, Büffel, Kamele usw.) oder von Kleinvieh (Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner usw.). D a die meisten dieser Tiere in Herden leben, führen die Hirten die Herden von Weide zu Weide in einem Saisonwechsel.
Horde
ist eine sehr lose zusammenlebende Gruppe von Familien von Wildbeutern (Jägern und Sammlern); (vgl. Bande).
Hörige
sind Leute, die in Gemeinden zusammenleben und zu regelmäßigen Abgaben an die Oberschicht verpflichtet sind.
Horizont
soll hier eine Gruppe von Völkern bedeuten, die eine bestimmte Ausrüstung von Fertigkeiten und Wissen besitzen und demgemäß gemeinsame Lebensbedingungen haben.
Jadhausdrüdke
104 Kasten
Klan
entstehen in zusammengesetzten Gemeinwesen, worin alte Stammessplitter oder Klans, vielfach auf G r u n d einer Spezialisierung ihrer Tätigkeit, entweder unter einem Herrscher oder sonstwie vereinigt sind. Die Klans selbst können ihre besonderen Überlieferungen haben und ihre eigene Heiratsordnung innerhalb des Klans, während sie sich nach außen von den anderen abschließen ; politisch aber einem größeren Verband eingefügt sind. (Clan)
ist eine politisch unabhängige Gruppe von gewöhnlich, aber nicht immer miteinander zusammenlebenden Familien. In der Regel betrachten sie sich als von einem gemeinsamen Ahnen abstammend. W i r d er in Form eines Tieres, einer Pflanze oder eines Gegenstandes oder sonst in ähnlicher Weise vorgestellt, so wird ein solches Wesen „Totem" b e n a n n t ; (vgl. Sippe).
König
wird der Herrscher in einem überschichteten Gemeinwesen bezeichnet. Vgl. Häuptling, Despot, Tyrann, Fürst.
Kultur
Unter diesem viel mißbrauditen W o r t ist die Gesamtheit der Gewohnheiten und Einrichtungen zu verstehen, die sich auf Familie, staatliche Gestaltung, Wirtschaft, Arbeit, Moral, Sitte, Recht und Denkart beziehen. Sie sind an das Leben der Gemeinwesen gebunden, in denen sie geübt werden und gehen mit diesen zugrunde. Anders die zivilisatorischen Horizonte.
£ehen
ist abgeleiteter Besitz an Boden oder Herden usw., der vom Herrscher vergeben wird.
MetjaUthiker
(aus dem Griechischen: megas = groß und lithos = Stein) werden die Erbauer der großen Steinmale bezeichnet, wie die Pyramiden, die Steinkreise und Steinreihen in Westfrankreidi und England, die Erbauer von sogenannten Steinkisten-Gräben in Mitteleuropa usw. Solche Steinmale sind auch über große Teile Westafrikas, Westasiens, Indiens und Indonesiens verbreitet und finden sich auch auf einzelnen ozeanischen Inseln,- ihre Verbreitung reicht bis Peru (Südamerika) und Mexiko. Vermutlich handelt es sich dabei um Spuren uralter Wanderungen aus vorchristlichen Jahrtausenden.
%egaret
Träger einer neusteinzeitlidien (neolithischen) Kultur des alten Sizilien im 3. Jahrhundert v. Chr. Sie wurde durch den Einbruch der Sikuler, die Metall kannten, verdrängt.
Wlinoisdbe Kultur
Bezeichnung f ü r die altkretische Kultur, die mit dem sagenhaften König Minos von Kreta in Beziehung gebracht wird. Sie zerfällt in drei Phasen: I. von etwa 2 1 0 0 - 1 9 0 0 v. Chr., II. von 1900 bis 1788 v. Chr., III. 1 7 8 8 - 1 5 8 0 v. Chr.
Naturvölker
Von solchen wird mit Bezug auf Angehörige frühgeschichtlicher und zeitgenössischer Völker gesprochen, die von Jagd, Fang und Sammeln leben oder einfache Pflanzer oder Hirten sind, oder auch überschichtet wurden, doch keine oder nur geringe maschinelleTechnik ausbildeten und deren Kenntnisse und Erkenntnisse hauptsächlich auf ihr Land beschränkt blieben. Sie sind wesentlich von dem abhängig, was ihre „ N a t u r " als Umgebung bietet.
Jadiausdrücfce
105
negrid
bezeichnet den Komplex von rassisdi-anthropologisdien Merkmalen der Neger.
INcoiiib/ker
— Leute der neuen Steinzeit — sind solche, die schon den pfleglichen Kulturen angehörten, Töpferei übten und Tiere hielten. In Europa und Westasien schließt sich die Neu-Steinzeit an den Ausgang der sogenannten jüngeren Alt-Steinzeit an, die etwa von 1 4 0 0 0 v. Chr. datiert wird, während der Beginn der Neusteinzeit selbst im westlichen Asien und im westlichen Europa etwa auf ungefähr 7000 v. Chr. veranschlagt wird. Diese Epoche geht allmählich in die Kupfer- und Bronzezeit um etwa 2 5 0 0 und später, um 1500 in die Eisenzeit über. Diese Zahlen sind ganz grob gewählt und sehr versdiieden für die einzelnen Gegenden und Völker.
palaeo
bezieht sich auf die Geistesverfassung in nicht gesdiiditeten, egalitären Gemeinwesen.
psychisch
palaeo-sozial
kennzeichnet die politischen und sozialen Zustände und Vorgänge in nicht geschichteten, egalitären Gemeinwesen.
pfleglich
wird mit Bezug auf eine wirksame Sorgfalt für die Beschaffung des Unterhalts gebraucht, wie die Tätigkeit der Pflanzer und Hirten sie erfordert, im Gegensatz zur Tätigkeit der Wildbeuter.
primitiv
ist eine sehr vage Bezeichnung, die „anfänglich" bedeutet und eigentlich auf frühgeschichtliche Völker angewendet wurde. Das W o r t bedeutet weiterhin eine geringe Beherrschung der Naturkräfte und des Menschen selbst.
Religion
Als Religion werden die Auffassungen vom Wirken übermenschlicher Mächte und deren Eingriffe in das Denken und Handeln der Menschen bezeichnet. Diese Auffassungen werden miteinander in einen gewissen Einklang gebracht und dem Kulturschema angepaßt. Demgemäß wird eine kollektive Haltung ermöglicht, die ein Gemeinwesen beobachtet.
Religiosität
ist die individuelle und gefühlsmäßig betonte Haltung gegenüber den wirklichen oder vermeintlichen Erkenntnissen aller über die menschlichen Dimensionen hinausgehenden Erfahrungen.
Schichtung
ist eine Erscheinung, die sieht erst später bemerkbar gemacht hat, als Familien und Stämme mit dem Anspruch der Überlegenheit auftraten. Innerhalb des Wildbeutertums und auch der einfachen Pflanzer gibt es keine Überschichtung. Sie besteht darin, d a ß Familien und Familiengruppen über eine Mehrheit von anderen einen führenden Einfluß auszuüben beginnen, höchstwahrscheinlich in Analogie als „Hälter" von Menschen, wie Hirten „Hälter" von Tieren waren.
Siebung
ist ein Auslesevorgang, der sich auf die Persönlichkeiten bezieht, welche in einem Gemeinwesen an ausschlaggebende Stellen gelangen.
106
Tadhausdrüdie
Sippe
(s. audi Klan). Ein in eine politische Gemeinschaft eingebauter Klan, eine Gruppe von miteinander verwandten Familien wird als Sippe bezeichnet.
Sklaven
sind Menschen ohne eigenes Recht, die zu Diensten oder Arbeit genötigt werden. Sie sind des im Gesellungsleben so wichtigen Zusammenhangs mit ihren Familien und Sippen beraubt, häufig aus der Kriegsgefangenschaft hervorgegangen. Die wirtschaftliche Nützung der Sklaven entstand erst durch die Feldarbeit mit dem Pflug. Sklavenhandel ist noch späteren Ursprungs.
Staat
ist durdi Obersdiichtung von verschiedenen Stämmen und Stammessplittem entstanden und wird durch ein organisiertes Beamtentum verwaltet. Als „frühstaatlich" sind Gefüge von Gruppen zu verstehen, worin die Organisation noch nicht völlig ausgebildet ist, sondern eine geringe Zusammenarbeit unter den Gruppen besteht.
Stamm
Als Stamm werden Gruppen von Familien, Klans und Sippen bezeichnet, die eine gemeinsame Kultur besitzen und die gleiche Sprache reden.
Sumerer
Volk, das vor den Babyloniem im Zweistromland saß und vielleicht aus den kurdischen und armenisdien Bergen gekommen war. Vermutlich Erfinder der Keilschriftzeichen und der Kupferbearbeitung.
Susa
(entspricht dem heutigen O r t Schusch am Kercha, dem alten Ukner Fluß) war die Hauptstadt des alten Elam, später die Winterresidenz des persischen Reiches.
Uabu
ist ein Verbot im Verhaltensschema eines Gemeinwesens oder einer Kultur, wonach bestimmte Handlungen oder Reden verboten sind. Solche Verbote können sich auch auf geschlechtlichen Verkehr mit bestimmten Verwandten, auf Betreten von Wäldern, Bergen, Riffen usw. beziehen, den Fürsten, Königen, Priestern, Beamten gewisses Benehmen vorschreiben u. dgl. Solche Verbote werden gewöhnlich auf den Willen übermenschlicher Mächte zurückgeführt, sind also religiös verankert (Ziffer 130).
Jotem
ist der von einem Klan oder einer Familie oder einem Stamm verehrte Ahne in tierisdier, pflanzlidier oder anderer Gestalt oder als verwandt geltende Beschützer.
1
Hierunter wird eine Art von „Naturschutzpark" verstanden, wo die Geister der Totemahnen hausend vorgestellt werden, und die man nicht stören darf. Solche Zentren sind die primitivste Äußerung einer pfleglichen Einstellung gegenüber Tier und Pflanze, gehören aber in den Horizont der Wildbeuter.
otemzentrum
Jyrann
ist zum Unterschied vom Despoten nicht aus den Angehörigen der bisherigen Oberschicht hervorgegangen, sondern hat gewaltsam sich eine kriegerisch und rationalistisch unterbaute Macht angeeignet.
Tadhausdrücke
107
T/r
altbabylonische Stadt am rechten Euphrat-Ufer, wo unerwartete Goldschätze aus den Gräbern um 3300 v. Chr. gehoben wurden.
Vasallen
sind weder Hörige noch Beamte, sondern leiten ihre Macht von einem König ab, doch gehören sie selbst der Adelsschicht an.
Wildbeuter
sind Stämme, die von Sammeln, Jagen, Fischen und Fangen leben und ein eigenes Gebiet f ü r sich in Anspruch nehmen. M a n unterscheidet 1. primäre, solche, die seit jeher Wildbeuter waren, und 2. sekundäre, die im Laufe der Zeit durch Seuchen, kriegerisches Mißgeschick u. dgl. Vieh oder Land verloren, und nun gezwungen wurden, durch primitivere Methoden sich den Lebensunterhalt zu verschaffen.
Zivilisation
Als Zivilisation gilt die Ausrüstung mit Fertigkeiten und Kenntnissen, durch welche die Anhäufung der Technik und des Wissens vor sich geht. Mit ihren Mitteln arbeitet die „Kultur".
LITERATUR Hinweise
auf Werke,
die über Einzelheiten
Jufsdhluß
geben.
D i e umfangreiche Quellen-Literatur findet sich in meinen fünf Bänden der „Menschlichen Gesellschaft* zusammengestellt, die hier aufgeführt werden. D e r notwendigen Vereinfachung halber wurde hier n u r auf die betreffenden Stellen in den Bänden der „Menschlichen Gesellschaft" verwiesen. Zusätzlich werden einige einschlägige, hauptsächlich spätere Erscheinungen noch aufgeführt alphabetisch nach den Namen der Verfasser.
1. lierger, Paul:
Die Datoga, ein ostafrikanischer Hirtenkriegerstamm.
Kolon.
Rundschau, 29. Jg. 1938, S. 177—193. 2. Cbilde,
Qordon V.: The Dawn of European Civilization, London 1925.
3. — The Bronze Age, Cambridge 1930. 4. — N e w Light on the Most Ancient East, London 1935. 5. Eberhard, Wolfram: Kultur und Siedlung der Randvölker des alten China; in T ' o u n g Pao, hg. v. P. Pelliot u. J. J. L. Duyvendak, Leiden 1942. 6. — Lokalkulturen im Alten China, ebenda. 7. Erman-Ranke:
Ägypten und ägyptisches Leben, Berlin 1928.
8. Evans-Pritdhard:
The Z a n d e Corporation of Witch Doctors; Journ. R. Anthr.
Inst., Bd. 62, 1932, S. 291 ff., u. 63, 1933, bes. S. 94. 9. Jalkenstein,
A.: Besprechung in Bibliotheca Orientalis, Leiden 1948.
10. Tirtb, Raymund: Primitive Economies of the N e w Zealand Maori, London, Routledge 1929. 11. Qeldner, Xarl 7.: Die zoroastrische Religion ( D a s Avesta); in Rlg.-geschtl. Lesebuch, hg. v. A. Bertholet, Tubingen 1926. 12. Qusinde, ¡Martin: Die Kongo-Pygmäen in Geschicnte und Gegenwart; Acta Leopoldina N F . 11/76, Halle a. d. S. 1942. 13. Waring, Douglas 35/3, 1947.
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110
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TAFELN
Zu Tafel 1
Tabelle
der
Mcnsdjivcrdutic)
— v o n unten nadi ol>en zu lesen
(Nadi V o l z , W i l h e l m : D i e Besitznahme der Erde durch das Mensdicngesdiledit, S . 9 9 . )
H i e r werden die biologischen Stufen mit geologischen und klimatischen zusammengestellt, die sich im Landschaftsbild auswirken. D i e verschiedenen M e n s c h e n a r t e n werden nach den Fundorten von Knochen bezeichnet: C r o - M a g n o n , A u r i g n a c in F r a n k reich, N e a n d e r t a l in der G e g e n d von Heidelberg, Steinheim usw. sind solche O r t s bezeichnungen. „ H o m o sapiens" bedeutet „weiser M e n s c h " , ein leider nicht immer zutreffender Gattungsname. „ V o r m e n s c h " ist im Sinne der Ü b e r g a n g s s t u f e n zum M e n s c h e n zu verstehen, „Sinanthropus" bedeutet Affenmensch, „ P i t h e c a n t r o p u s " aufrechtgehender M e n s c h . D e r frühe M e n s c h lebte hauptsächlich vom S a m m e l n von Früchten, Beeren, K r ä u t e r n , W u r z e l n , kleinen T i e r e n usw. Angriffsjäger w a r er kaum, doch Fallensteller. K a l t e und warme Perioden lösten einander ab. D o d i kommen Zeiträume von vielen Zehntausenden von J a h r e n d a f ü r in Betracht. ( Z u Ziffer 2 )
Gaologlsdw
Jahr«
Z«ll
1 1
100000
I
200000
1
Alluvium
Postglazial
Klima
Heutiges
Landschaft In Europa
Tierwelt
Mansch
Kultursteppe Wald C r o magnon
Würm-
Geringere
Kalte Steppe
vereisung
Vereisung
und Tundra
Jung-
Etwas
diluviale
milder als
Zwischenzeit
heute
Stuf« d«r Mansdihait
Wald
Rift-
Starke
Kalte Steppe
Vereisung
Vereisung
u n d Tundra
3 £ H a X
Homo Sapiens
Aurignac Neandertaler
Urmensch
Stelnheimer
Mittel1
diluviale Zwischenzeit
milder als heute mit
Wald
wärmeren
Wald-Elefant
Sinanthropus Meist
300000
Afrikanthropus Pithecanthropus
Vormensch
Heidelberger Vormensch
Phasen 400000
500000
Mindel-
Starke
Kalte Steppe
verelsung
Vereisung
und Tundra
Altdiluviale Zwischenzeit
Milder als heute
Wald
Günz-
Geringere
Kalte Steppe
vereisung
Vereisung
und Tundra Menschwerdung
600000
Präglazial
8
Protomensch
Ähnlich wie heute
Wald sehr verbreitet
0afel
I
Zu Jafei
2
Unterscheidung
der mensdblidhen Trüh stufen
— Von onten nach oben zu lesen —
(Nach Volz, Wilhelm: Die Besitznahme der Erde durch das Menschengeschlecht, S. 134.)
Auf der Tabelle sind die Fundorte der Knodienüberreste in den verschiedenen Teilen der Alten Welt, also Europas, Asiens und Afrikas, gekennzeichnet. D a es sich bei der „mitteldiluvialen" Periode um 200 000 Jahre handelt, das mittlere Drittel der gesamten Entwicklungszeit des Menschen, liegen lange Wanderungszeiten davor, Zeiten der Ausbreitung und Anpassung an die neue Umgebung, d. h. beginnende Entstehung von Varianten. Die Neandertalrasse zeigt schon eine höhere Entwicklungsstufe als d e r Vormensch, steht aber nodi tiefer als der lebende Mensch von heute, trägt vom überhängenden Kopf und geht auf leicht gewinkelten Beinen. ( Z u Ziffer 2).
Alter
Alluvial
Stufe d e r Menschheit
Homo Sapiens
Mittel-
Afrika
Leukoderm
Melanoderm
Malaiisch
S O
H. Sapiens Diluvialis
Mehrere
Oldoway
Rassen
Elmenteita
Wadjak Talgai
Urmensch
Neandertaler Steinheimer
Rhodesia
Ngandong
Afrikanthropus
Pithecan-
JungDiluvial
Diluvial
Java und
Mitteleuropa
Vormensch
thropus Heidelberger
Altdiluvial
Protomensch
Menschen« erdung? Jungtertiär
Vorform
Jafet China
Xanthoderm
Slnanthropus
2
Zu Jafel
3
Die Entwidklungsräume
der ^Menschenrasse
und die großen
diluvialen
Wanderungen
(Nach Volz, Wilhelm: Die Besitznahme der Erde durdi das Menschengesdiledit, S. 147.)
Die Alte Welt wird durdi Hochgebirge und Wüstengürtel in klimatische Zonen geschieden. Die vermutliche Küstenlinie für Süd- und Ostasien und Australien während der Vergletscherungen der Eiszeiten ist durch eine unterbrochene Linie eingetragen. Schwarz eingetragen sind die Zwergvölker, mit offenen Kreisen indo-australische Reste (Weddoide;. Mit einem Band kurzer ViMlanlinien ist die Zone junger melanesischer Reste gekennzeichnet, die durch die malaiischen Wanderungen randwärts gedrückt wurden. Durch ein Kreuz sind wichtige diluviale Funde gekennzeichnet. Die Buchstaben beziehen sich auf Fundorte. (Zu Ziffer 12, 1 3 , 2 1 )
Jafet
3
Zu Tafel
4 Xulturen
im Strom
der
Zeit
Die Wellenlinien bedeuten das A u f und A b der Schicksale in den Kulturen, die Pfeile kennzeichnen die Beeinflussungen unter den Kulturen. Aus d e r Verschmelzung verschiedener Kulturen kann eine neue entstehen, die durch eine feste Linie unterschieden wird. Andere Kulturen, wie die punktierte, verlaufen verhältnismäßig isoliert, obwohl auch dabei gelegentlich Beeinflussungen stattfinden. ( Z u Z i f f e r 3, 8, 2 4 )
Zu Tafel
5 Pfleglidbe
Nahrungsbesdbaftung
die sid) aus dem Wildbeutertum
abzweigen.
durch
Pflanzer
üerübrungen
und
Hirten,
zwiscSoen Pflanzern
und
Hirten
Aus dem W i l d b e u t e r t u m spalten sich Pflanzer und Hirten ab. In dieser einseitig verselbständigten V e r f a h r e n s a r t der Nahrungsgewinnung liegt schon der K e i m zum Bedürfnis nach einer Ergänzung. Hierbei kommt es bald dazu, d a ß das Hirtentum vermöge der Eigenschaften, die es entfalten muß, zu einer überlegenen Führung gelangt. Andererseits sind die Hirten zur E r g ä n z u n g ihrer N a h r u n g und wegen der H a n d fertigkeiten der Pflanzer auf letztere angewiesen, so d a ß ein Austausch von M e n s c h e n und Fertigkeiten erfolgt (durch Pfeile angedeutet). Es entstehen ü b e r s c h i d i t u n g e n , doch bleiben einzelne Gruppen frei von Uberschichtung und führen ebenso wie die W i l d b e u t e r ihr traditionelles L e b e n einseitig weiter. ( Z u Z i f f e r 8, 2 1 , 39, 4 0 , 4 1 )
Zu Tafel
6 Ethnische
und soziale
Sdhidjtung
und
Wiedervereinbeitlidbung
Aus dem Zusammentreffen der Hirten mit den Pflanzern geht eine Oberschichtung hervor, d. h. Familien der Hirten gewinnen Einfluß über die K l a n s der Pflanzer. D a s Zusammenleben der Schichten führt zu Verheiratungen. D i e F r a u e n der Pflanzer bringen Gewohnheiten und Sitten ihres Volkes mit. D i e K i n d e r wachsen unter beiderseitiger Beeinflussung von V a t e r und M u t t e r , besonders der letzteren auf. Mischlingsgencrationen wachsen heran, welche Erb- und Kulturgut von beiden Seiten vereinigen, wenn auch mit der Betonung der angeseheneren Schicht. D i e ethnische A b s t a m m u n g verliert an Bedeutung, und andere Unterschiede treten an deren S t e l l e : R a n g der Beamten, Einfluß auf den Kreis d e r Herrschenden, Besitz an Sklaven, V i e h oder auch L a n d . Die soziale Sdiichtung erlischt auch manchmal mit d e r Zeit, und namentlich in kleineren Einheiten gleichen sidi die Unterschiede derart aus, d a ß man meint, mit einem einheitlichen S t a m m zu tun zu haben, bestünden n i d i t Reste einer früheren ü b e r s d i i d i t u n g in Gestalt von Herrsdierfamilien, Erinnerungen an Staffelungen oder anderen Auszeichnungen. S o kann man von einer Wiedervereinheitlichung des S t a m mes reden. ( Z u Ziffer 52)
Jafet
4
Jafet
5
Jafet OBERSCHICHTUNG ETHNISCHE
SOZIAL
"'SCHIINC
>
WIEDER. VEREINHEIT. UCHUNG
6
Zu Jajel 7
zur Veranscbauticbung
Sdhetna der Verbreitung J'flugformen und
der widbtigsten Zugtiere
Qetreidearten,
(Nach E. Werth: Zur Verbreitung und Gesdiidite der Transporttiere, S. 187, bei Volz, Wilhelm: Die Besitznahme der Erde durch das Menschengeschlecht, S. 137.)
Als Ausstrahlungszentrum muß f ü r die verschiedenen Rinderarten Indien im weiterer» Sinne in Betracht gezogen werden, f ü r die Getreidearten das westliche Asien einschließlich der Mittelmeerküste. Damit gelangen wir f ü r den Pflugbau auf einen Raum, d e r sich von Südosteuropa bis Turan und südwärts bis nach N o r d a f r i k a und Vorderindien erstreckt hat. Zeitlich wird man auf das milde, regnerische Klima in diesem R a u m während des Abflauens der letzten Eiszeit kommen, also vor etwa fünfzig- bis hundert* tausend Jahren. ( Z u Ziffer 40)
Jafet 7
Zu Jafel 8
Verbreitung
von Rind und Pferd ah
Pflugtier
(Nadi E. Werth: Zur Verbreitung und Geschickte der Transporttiere, S. 185, bei Volz, Wilhelm: Die Besitznahme der Erde durch das Mensdiengesdiledit, S. 136.)
Die einfädle Linie umspannt das Gebiet des Pflugbaus. Die Punkte bedeuten Vorkommen des Rinder-Doppeljoches, nach Nordosten abgegrenzt durch eine gestrichelte Linie. Die punktierte Linie grenzt die mongolischen Pflugbauländer ab, in welchen das Rind nach Pferdeart als Zugtier eingespannt wird. Im Restgebiet ist das Pferd das herrschende Zugtier. X bedeutet das heutige Vorkommen des Wildpferdes. ( Z u Ziffer 4 1 , 4 4 )
Jafet 8
Zu Jaiel
9
Sdbematisdje
Erläuterung
der
Zivilisations-CWirtscbafts-)borizonte
und ihrer Wandlungen bei Berücksichtigung der Arbeitsteilung unterden Geschlechtern, ausgehend von den W i l d b e u t e r n ( A ) . M ä n n e r : Jäger und Fänger, Frauen: Sammlerinnen. ( T y p : Australier, Bergdama Südwestafrikas.) — (B) Die Männer bleiben Jäger und Fänger (oder Fischer), die Frauen gehen zum Setzen von Pflänzlingen mit dem Grabstock, den sie schon als Sammlerinnen benutzten, über. Als Haustier findet sich, namentlich im Zusammenhang mit der alten N a ß k u l t u r (an feuchten Stellen, ohne eigentliche Bewässerungsanlagen) das Schwein. Das älteste Haustier, der Hund, der wirtschaftlich keine wichtige Rolle spielt, ist hier unberücksichtigt gelassen. ( T y p : Melanesien.) — (C) Der Übergang der Männer zu pfleglicher Bewirtschaftung wird durch die Viehzucht, zunächst von Schaf- und Ziegenherden, gekennzeichnet, während die Frauen Sammlerinnen bleiben. ( T y p : Einzelne Stämme der westlichen Sahara, älteste Völker an den südlichen und östlichen Mittelmeergestaden.) — ( D ) Die Anpflanzung der Halmfrüchte erfordert eine vorherige Lockerung des Bodens, den Hackbau, der ebenfalls vorwiegend von den Frauen ausgeführt wird, während die M ä n n e r als Hauptbeschäftigung der Jagd und dem Fang nachgehen. ( T y p : Eingesprengte Völkerreste im Sudan und Westafrika, z. B. die Pangwe.) — (E) Eine wichtige Variante der Tierzucht ist das Halten von Großvieh, insbesondere von Rindern, durch die Männer. Die Frauen sind hier häufig mit Hilfe bei der Milchwirtschaft, insbesondere der Herstellung und dem Reinigen der Gefäße, der Lederbearbeitung f ü r Zelte und Kleider, beschäftigt. ( T y p : Masai, Ful.) — (F) Beim Zusammentreffen des männlichen Hirtentums mit der weiblichen Bodenbestellung können sich verschiedene Lebensgestaltungen ergeben. Eine davon besteht in der unmittelbaren Verbindung, der Verheiratung von Hirten mit den Feldbauerinnen. Dies ergibt einen neuen Wirtsdiaftshorizont. (Typ: Nyamwesi und andere ost- und südafrikanische Völkerschaften.) — Die festen Linien bedeuten auf diesem Diagramm die technischen Fortschritte von einer Methode der Nahrungsgewinnung zur höheren, die unterbrochenen Linien die prinzipielle Beibehaltung der gleichen Methode. ( Z u Ziffer 4 9 , 6 4 )
7afei
9
Zu Jafel
10
Politische
Qestaltuncjen auf Qrund von
Zusammenleben
und Spiitterung von Sippen
Links oben ist eine einfädle Horde von Wildbeutern, wie wir ihnen etwa in einer „Werft" der Bergdama Südwestafrikas begegnen. In der Mitte daneben finden wir eine Agglomeration solcher Kleinsippen, manchmal nur vorübergehend wie bei den Eskimo oder bei australischen Stämmen. Aber auch bei Feldbauern kommen solche Siedlungen vor, die repräsentiert werden durch eine Anzahl von Schlafhäusern auf je einer Rodung, mitunter mit einer Männerhalle für jede Sippe, wie etwa in Buin auf Bougainville, oder in Murik, Kopar usw. im Mündungsgebiet des Sepik in lokal zusammengedrängter Form. Bei Ausdehnung der Sippen, aber Wahrung des Zusammenhanges unter ihnen, sehen wir die Sippensplitter in ein geordnetes „connubium" zueinander treten, das sich uns als „Heiratsordnung" darstellt (rechts). Bei kulturellem Kontakt und bei Mischung, an der die ganze Bevölkerung teilgenommen hat, ergibt sich das Schema der „Stammeshalbierung" (links unten), wobei jedoch in jeder einzelnen Siedlung jede der miteinander in „connubium" (Heiratsverbindung) stehenden „Stammeshälften" vertreten sein kann, ohne daß die politische Selbständigkeit der einzelnen Gemeinden dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird, wie z. B. auf der Gazelle-Halbinsel (Neu-Pommem/Neu-Britannien). Der Stamm ist nicht politisch, sondern nur kulturell geeint. Dasselbe trifft auch für die vorher beschriebene Agglomeration von Sippensplittern zu (rechts), für deren politischen Zusammenschluß die Siedlungsgemeinschaft maßgebend ist. Wir sehen hier eine Loslösung des zeremoniellkulturellen Connubium-Verbandes von der politisch-wirtschaftlichen Siedlungsgemeinde. (Zu Ziffer 71, 72)
7ajel
io
Zu 7a fei
u
Zivilisation
und
Xuhur
Linter Z i v i l i s a t i o n wird in diesem Zusammenhang teils die Variation, teils die Vervollkommnung, die Ausarbeitung von Vorrichtungen, Werkzeugen, Geräten, Fertigkeiten, Kenntnissen und Wissensbestandteilen verstanden. Bei Zivilisation haben wir es somit mit einer im wesentlichen zeitlichen Kette des akkumulierenden und variierenden Fortschritts zu tun, eines nicht umkehrbaren Prozesses, bei dem nach rückwärts gesehen, jede Vervollkommnung eine einfachere Vorrichtung oder eine einfachere Leistung voraussetzt. In die Zukunft gesehen, ist nicht immer ohne weiteres eine Veränderung auch immer als Verbesserung erkennbar. Verbesserungen können audi, wie z. B. der sog. Fußpflug, in Sackgassen ohne weitere Ausgestaltungsmöglichkeiten münden. — Betrachtet man denselben Gegenstand als Bestandteil einer Gesellungseinheit zu einer bestimmten Zeit, also im zeitlichen Querschnitt des räumlichen Zusammenlebens von bestimmten Menschen, so erscheint er als Bestandteil einer K u l t u r . In der nebenstehenden Tafel deuten die Linien mit Pfeilen den Fortschritt oder die Variation unter verschiedenen Gegenständen an, während die Ellipsen den Gegenstand als Bestandteil einer Kultur aufzeigen. Es sind Gegenstände gewählt, weil Fertigkeiten, Kenntnisse oder Ansichten viel schwerer zeichnerisch-schematisch darzustellen sind. Auch so darf die Darstellung nicht anders als schematisdi-repräsentativ verstanden werden. In der Ellipse A sehen wir links eine Falle mit federndem Zweig („Schwippgalgen") : die Entdeckung der Federkraft des Holzes. Sie mußte notwendigerweise vorangehen der Erfindung der Bogenwaffe im Kulturhorizont B. Als Variante entwickelt eine andere Kultur neben oder aus dem Bogen als Waffe in der Ellipse F den Musikbogen. Daraus wieder oder direkt aus dem Bogen als Waffe wurde in einer weiteren Kultur H der Bogen als Aderlaßinstrument herausvariiert. — In ähnlicher Weise können wir die Entwicklung und Variation eines anderen Zivilisationsgutes verfolgen: des Bumerang. Im Kulturhorizont A sehen wir ihn als Waffe der Hand des Werfers entgleiten. Im Kulturhorizont B wird er, wie etwa auf den Neuen Hebriden oder auf Bougainville, als Gegenstand des Kults gebraucht. Dort, wo die Metallverwertung Platz gegriffen hat, wie bei den Sudanvölkern und auf den Sunda-Inseln, ist aus dem W u r f holz das Wurfeisen geworden. Es dient als Waffe. Bei der Übertragung in weitere Kulturen, wie z. B. nach G (Bantu-Völker des westlichen Afrika), ist es wieder Kultgegenstand geworden, abermals bei anderen: Handwerkzeug. — Der Grabstock der Sammlerin des Kulturhorizontes A wurde durch Aufsetzen eines Querholzes zur Hadce, wie wir sie in typischer und ursprünglicher Form im alten Ägypten (als Instrument mer) finden. Dadurch, daß vor der Hadce das Zugtier gespannt wurde, hat sich das Gerät ausgestaltet, das wir Pflug nennen. Die Verwendung des Zugtieres ( O v a l E ) setzt indessen die Zähmung des Großtieres, des Rindes oder gar des Maultieres, der Kreyzung von Pferd und Esel (Sumer), durch Hirten voraus (Oval D ) . Die Viehzucht aber nimmt ihren entwicklungsgeschichtlichen Ausgang von der Jagd (Oval A ) , der gegenüber sie einen „Fortschritt" bedeutet. (Zu Ziffer 49, 64)
Jafet
il
Zu Jafel
12
Staatsbildung
durch
Mirtcnvolkei
W i r finden einige Feldbauergemeinden, die aus Sippen und Sippensplittern zusammengesetzt sind. Ihnen hat sich im eckigen Feld noch eine Handwerkergemeinde angeschlossen. D i e Feidbauer unterhalten Beziehungen mit den benachbarten W i l d beutern, und es ist zu Mischungen gekommen. D i e Mischlinge, die wie etwa zwischen K u b u und M a l a y e n den Handel zwischen den Feldbauern und W i l d b e u t e m vermitteln, siedeln für sich im schraffierten Felde. D e r a r t i g e Zustände, bei denen keine erheblichen Standesunterschiede zur Geltung kommen, finden wir in verschiedenen Teilen der W e l t . D i e politische G e s t a l t u n g trägt den C h a r a k t e r von gehäuften „Zellengemeinden". Es sind Agglomerationen auf vorwiegend egalitärer Basis, gewöhnlich mit erheblichem Einschlag eines kollektiven Wirtschaftsgeistes. D i e Zustände werden anders durch Uberschichtung mit Hirten. D a m i t setzt ein P r o z e ß ein, der zur Staatsbildung führen kann. D i e Hirten sind auf diesem S c h e m a durch Z e l t e gekennzeichnet. Bevor sie an die Uberschichtung schreiten, leben sie in G r o ß f a m i l i e n . Durch die Ü b e r l a g e r u n g wird der schon durch die W a n d e r u n g e n wachgerufene persönliche Unternehmungsgeist zur „ V e r h e r d u n g " von M e n s c h e n angeregt. Einzelne Familien oder Familiengruppen gewinnen Einfluß über die oben gekennzeichneten Gemeinden von Feldbauer, H a n d w e r k e r und J ä g e r . ( Z u Ziffer 4 3 , 4 4 , 86, 8 7 )
Zu Jafel
13
Sdbematischi: eines ethnisdh gescbiditetcn
Darstellung Jlirten-JeUbauer-Qemeinwesens
Beim Zusammentreffen des Hirtentums mit dem Feldbau kann sich außer der in Tafel 9 unter (F) gekennzeichneten Lebensgestaltung einer geschlechtlichen Arbeitsteilung noch ein anderer T y p herausstellen, der hier schematisch angedeutet wird. In diesem Fall finden zunächst und prinzipiell keine Heiraten zwischen Hirten und Feldbäuerinnen statt, sondern jede Gruppe lebt mit ihren Frauen weiterhin zusammen. Jedoch kommt es zu einer Symbiose zwischen beiden, in die manchmal noch Jägerund Fischerstämme einbezogen werden. Das Ergebnis ist jedoch eine politische Führung durch die Hirtenbevölkerung und die Entstehung von in diesem Diagramm durch horizontale Linien angedeutete Schichten. Die Sippen bleiben zunächst bestehen. An der Spitze pflegen Zauberer- oder Priesterkönige zu stehen. Die Organisation ist jedoch lose und wird hauptsächlich durch die Sippenhäupter ausgei"' ' /"T" """ ' ; Organisation in Ufipa.)
«ajrJS
Zw Ja fei 14
Schematisdie
Darstellung
eines ethnisd)
geschichteten
'Hilten- oder
Seefahrer-,
feldbauer-Jlandwerker-'Jiscber-'Jägergemeinwesens
Ein Unterschied in der Methode der Nahrungsbesdiaffung zwischen Oberschicht und Unterschicht ist prinzipiell nicht vorhanden (möglich, d a ß Hirtenvölker zu Seefahrern geworden und in dieser Eigenschaft wohl ihr Vieh, aber nicht ihre aktiven und aggressiven Impulse verloren haben). Stellenweise ist die Schichtung zu einer komplizierten Rangstaffelung ausgebaut. Die Sippen sind noch verhältnismäßig ungelöst. Den handwerklichen Tätigkeiten kommt erhebliche Bedeutung z u ; sie sind ebenfalls rangmäßig gegliedert. Kriegsgefangene werden, wenn auch noch in geringem Umfange, bereits als Sklaven verwendet. ( T y p : Borneo, Luzon, die mikronesischen und polynesischen Inseln der Südsee.) ( Z u Ziffer 8 7 - 8 8 )
Ja fei
u
¿ii Jafcl
15
Sdhcinntisdbe
Darstellung
eines etbmsdb-sozial
Qemeinwesens
unter Jübrung
gesdbidhteten von
Jamilienbof-
Hirten
Die Gestaltung nach dem Schema auf T a f e l 14 kann unter gewissen Voraussetzungen d a z u führen, d a ß die Feldbauer, H a n d w e r k e r und Sklaven in eine feste Z u o r d n u n g z u den Familien der Hirten gebracht werden, wie es etwa in den Kasbas von M a r o k k o der Fall ist. ( Z u Ziffer 91, 92), (vgl. T a f e l 18)
Jafet i 5
Zu Jafei
16
Schewatisdje eines etbnisdj-sozial
UarstcHini/f
geschichteten,
despotisch
organisierten
Wrten-7eh1baiier-]äifer-C/eiiiciniuesens
Die G e s t a l t u n g k n ü p f t ebenfalls an das Sdiema von T a f e l 13 an. Es ist aber nicht, wie in T a f e l 15, zum Auseinanderfallen in Familienliöfe gekommen, sondern die Vorgänge innerhalb des Adels ermöglichten einer f ü h r e n d e n Familie, die Herrschaft zu gewinnen, die jedoch unter Respektierung von Familienhäuptern des Adels (Einfluß sog. Priesterfamilien) beaufsichtigt wird. In der Oberschicht m a d i t sich eine Staffelung n a d i Rang u n d Reichtum geltend. N e b e n d e r Feldbauersdiicht sind H a n d w e r k e r von großer Bedeutung geworden. Die Dienstleistungen und Abgaben der unteren Schichten gegenüber dem Adel sind durch Pfeile gekennzeichnet. ( T y p : Nyankole, Sudanstaaten, f r ü h e r alter Orient.) ( Z u Ziffer 92, 93, 96)
Zu Jafel
17
Scbetnatiscbe
Darstellung eines sozial gesdvdjtetcn Wirten-Jeldbauer-Jäger-Qeineintvesens
tyrannisch
organisierten
Diese G e s t a l t u n g kann sowohl an die in T a f e l 13 als auch in T a f e l 15 u n d 16 gekennzeichneten T y p e n a n k n ü p f e n . D e r Despot oder T y r a n n umgibt sich mit einer Leibgarde u n d h a t Berater aus den F ü h r e r n der Adelsfamilien. D e r Adel ist gestaffelt, auch H i r t e n kommen in Abhängigkeit. Reichtum und Besitz gehen vor ethnische Zugehörigkeit u n d A b s t a m m u n g . N e b e n dem Feldbau ist das H a n d w e r k widitig. Knechte und Sklaven finden sich in nicht unerheblicher Z a h l . (Typ: O s t a f r i k a : Schambala, B a g a n d a ; S ü d a f r i k a : Zulu,- W e s t a f r i k a : z. B. Aschanti, alter Orient.) ( Z u Z i f f e r 95, 96, 97, 98, 9 9 )
'J afe]
17
Zu Jafel
iS
7yp
eines Tierrenhofes,
einer ,famitia"
(Tamilienhof)
Im oberen Reditedc links ist der „pater familias" mit seiner H a u p t f r a u , in d e r Klammer weiter rechts die N e b e n f r a u e n , deren jede o f t eine Kleinwirtsdiaftseinheit repräsentiert. D a r u n t e r ihre Kinder, weiter unten im besonderen Rechteck Knechte und M ä g d e , hausgeborene Sklaven. Im untersten Redlteck gekaufte oder erbeutete Sklaven. U n t e r U m s t ä n d e n können die einen sowohl wie die anderen mit selbständigen Höfen, abhängigen Kleinwirtschaftseinheiten (peculium), belehnt werden. Links oben im gestrichelten unregelmäßigen Vieledc die zinspflichtigen Bauern, M e t ö k e n , die ihre Abgaben an den „pater familias" a b f ü h r e n . ( T y p : M a r o k k o , westliches A f r i k a , griechische und römische sowie mittelalterliche G r o ß h ö f e usw.) ( Z u Ziffer 105)
Z u Jaiel
19
Sdhematische
Darstellung
mit weitgehender
Staffelung
eines despotisch-archaischen und Abgaben-
und
Beamtenstaates Verteilungswirtschaft
Das Hirtentum h a t sich hier an vielen Stellen mit der Bodenbestellung verbunden und daraus das charakteristische technische Ergebnis gewonnen, d a ß es ein Großtier ( M a u l t i e r oder Ochse) vor den Pflug (die umgestaltete Hacke) spannt. Organisatorisch ist es durch die Speicherwirtschaft ausgezeichnet. In die Speicher fließen die Abg a b e n und werden durch Beamte, Sdireiber, den höheren Anordnungen entsprechend, verteilt. A u ß e r den Feldbauern und Hirten sind a u d i die verschiedenen H a n d w e r k e r abgabepflichtig. Sklavenarbeit beginnt eine erhebliche Rolle zu spielen. — Die Pfeile bedeuten die Güterzirkulation durch das Abgabe- u n d Verteilungssystem. ( T y p : D a s alte Ägypten u n d Peru usw., abessinisdic Staaten bis vor kurzem.) ( Z u Ziffer 111, 112, 113)
Zu Jafcl 20
Die Punktion
des Abgabe-
und Verteilungssystems
neben dem
Jausdhhandel
Links ist das Abgabe- und Verteilungssystem der Wildbeuter schematisch dargestellt, wie etwa bei den Bergdama Südwestafrikas. Im oberen Feld bringt der Jäger die Beute zu den Männern am heiligen Feuer unter dem Baum; die Frau bringt im Ledersack die gesammelten Zwiebeln. Im unteren Feld verteilt der Häuptling die Erträgnisse der Jagd und die Feldfrüchte an die Gemeinde. Daneben findet Kleinhandel auf der Grundlage des Warentausches statt. — In der JW/ite oben bringen Kleinviehhirten, Jäger, Feldbauer, Töpfer ihre Erträgnisse dem Häuptling. D a r u n t e r findet eine festliche Verteilung vor dem Speicher statt, wie das etwa in Nordwest-Amerika, Polynesien und auch Teilen von Afrika üblich ist, z. B. an Feldfrüchten, Fellen, Matten, Töpfen usw. Auch hier geht Kleinhandel, ja auch Markthandel, parallel nebenher. — Rechts oben sind die Einkünfte des Speidiersystems dargestellt. Die Abgaben nehmen die Beamten des Herrschers in Empfang, sie werden von kleineren zu größeren Speichern geleitet und unten vor allem an die Beamten und Krieger nach ihrer Rangstaffelung verteilt. Auch hier geht neben dieser staatlich offiziellen Güterzirkulation der Handel, audi der Markthandel, parallel einher. (Zu Ziffer 62, 115)
Jafet
WJ:
z
m u S\
4?
20
.
NI
lutili
j
\
Ih§ t - \ fé?
c^S
\ É! \
Zu Jafei
2i
Vbersidit
über die Verbreitung
verschiedener
Stufen
des
Feldbaues
z u s a m m e n mit Korbflechterei, Töpferei und W e b e r e i bei mehreren amerikanischen S t ä m m e n (nach H e r b e r t J. Spinden: Ancient Civilization of Mexico and Central America. H a n d b o o k N o . 3 (3. Aufl. der Veröffentlichungen des American M u s e u m of N a t u r a l History, N e w York 1928). Z u beachten ist, wie das Z e n t r u m der Spitzenentwicklung in der tropischen und subtropischen Z o n e liegt, d a ß die Ausstrahlungen vom Z e n t r u m in die nächste N a c h b a r schaft reichen, jedoch der W e g etwa von Alaska her in keiner Weise beeinflußt erscheint. Somit d ü r f t e eine Erwerbung der Kenntnisse und Fertigkeiten teils originär gewesen sein, teils einstmals auf dem W e g über den Pazifik aus Asien her stattgefunden h a b e n .
7a¡el 2 i
Jafel
Sdbematisdje
Ubersidhten
von typischen
I. Typen
Qestaltungen
des technischen
und
22
Vorgängen
Aulbaus
A : Konsumierende Wildbeuter B: Pflegliche Tedinik der Nahrungsgewinnung 1. Pflanzer (vorschauendes Sparen) 2. Hirten (verwertendes Bewahren der Herden) C : Herrschaft durch überschiditung (Nützung der Menschenkraft) D : Handwerk 1. Direkte Anwendung von Fertigkeiten 2. Gebrauch medianischer Kräfte als Mittel (Pflug, Rad, Segel, Sdiöpfrad usw.) E: N ü t z u n g von niditmedianischen Naturkräften (Dampf, Elektrizität) IL
TJahrungsQewinnung
Politische
Qestall
TJacbjolge
in der
Familie
Typen: 1. Wildbeuter: 2. Pflanzer: ursprünglidi einheitlich: wiedervereinheitlidit: 3. Hirten: ursprünglidi nidit überschichtend: überschichtend: falls aus Pflanzertum übergegangen: (wie in Südamerika) 4. Pflugbauern:
souveräne Banden
ambivalent
souveräne Klans oder Klanverbände Häuptlingssdiaften
mutterreditlich
souveräne Großfamilien Häuptling- und Fürstentümer
ambivalent patriardial
patriarchal
mutterreditlidi
in Klans oder Klanverbänden eingeordnet in größere Verbände I I I . Soziologisdj-kuliureUe
patriardial
Analyse
A. Anhäufungsprozeß von Fertigkeiten, Gütern und Kenntnissen („Fortsdiritt") komplementär d a z u : 1. Elimination 2. Spezialisierung auf engeres Bereich B. Zirkulärer Vorgang durch beschränkte Möglichkeiten (Ein- oder Vielherrschaft, Gleidiheit oder Staffelung, Vater- oder Mutterfolge) C. Individuum und Kollektivität 1. Verzahnung der Typen, der Altersstufen, der Geschlechter 2. f e m e r der verschiedenen spezialisierten Klans, Kasten, Stämme und StammesSplitter D. übersdiiditung ( = politisch und wirtschaftlich) Herrschaft und Herrschaftsarten 1. durch Hirten (sakral) 2. durch gemischte Eroberer (rationalistisch)
Zu Tafel 23
Diese Zeichnung soll den Aufstieg der Menschheit veransdiaulidien. Die örtlichen, zeitlichen und organisatorischen Sonderbedingungen, die verschiedene Gedanken- und Sozialgefüge hervorbrachten, stellen nicht „Stufen" dar, sondern sind zu vergleichen mit einem fortschreiten in verschiedenen ^Höhenlagen, aber doch je nadi den eigenartigen Bedingungen, die hier landschaftlich orientiert erscheinen. Es ist kein glatter W e g , sondern einer, der über Höhen und Tiefen führt, und von jedem Volk eigene Leistungen verlangt, die nicht unmittelbar an die der älteren anknüpfen, sondern denen das Vorhergegangene nur als Anregung dient. Während die Wanderung über Abstürze und Schluchten führt, ist das Ziel in Wolken gehüllt, ebenso wie der „Anfang" des Menschentums, der durch die Leute am Feuer versinnbildlicht wird.
Ja/el 23
157
VERZEICHNIS DER TAFELN Tafel
1
T a b e l l e der Menschwerdung (zu Ziffer 2 ) .
Tafel
2
Unterschiede der Frühstufen (zu Ziffer 2 ) .
Tafel
3
Entwicklungsräume der Menschenrassen (zu Ziffer 12, 1 3 ) .
Tafel
4
Kulturen im Zeitablauf (zu Ziffer 3, 8, 2 4 ) .
Tafel
5
A b s p a l t u n g der Pflanzer und Hirten aus dem Wildbeutertum, A n f ä n g e von
Tafel
6
Ethnische, soziale Schichtung und Wiedervereinheitlichung (zu Ziffer 5 2 ) .
Tafel
7
Schema zur Veranschaulichung der Verbreitung der wichtigsten Getreide-
Tafel
8
Verbreitung von Rind und Pferd als Pflugtier (zu Ziffer 41, 4 4 ) .
Tafel
9
Schematische
Überschichtung (zu Ziffer 21, 39, 40, 4 1 ) .
arten, Pflugformen und Zugtiere (zu Ziffer 4 0 ) . Erläuterung
der Zivilisations- (Wirtschafts-) Horizonte (zu
Ziffer 6 4 ) . T a f e l 10
Politische Gestaltung auf G r u n d des Zusammenlebens und der Splitterung
Tafel 11
Zivilisation und Kultur (zu Ziffer 6 4 ) .
T a f e l 12
Staatsbildung durch Hirten (zu Ziffer 43, 44, 86, 8 7 ) .
Tafel 13
Schematische Darstellung eines ethnisch geschichteten Gemeinwesens (zu Ziffer 87, 8 8 ) .
von Sippen oder Klans (zu Ziffer 71, 7 2 ) .
T a f e l 14
Hirten-Feldbauer-
Schematische Darstellung eines ethnisch geschichteten Hirten- oder Seefahrer-Feldbauer-Handwerker-Fischer-Jäger-Gemeinwesens
(zu Ziffer 87,
88). Tafel 15
Schematische Darstellung eines ethnisch-sozial-geschichteten
Familienhof-
Gemeinwesens unter Führung von Hirten (zu Ziffer 91, 9 2 ) . T a f e l 16
Schematische Darstellung eines ethnisch-sozial-geschichteten, despotisch organisierten Hirten-Feldbauer-Jäger-Gemeinwesens (zu Ziffer 92, 93, 9 6 ) .
T a f e l 17
Schematische Darstellung eines sozial geschichteten tyrannisch organisier-
T a f e l 18
T y p eines Herrenhofes, einer „ f a m i l i a " (zu Ziffer 105).
T a f e l 19
Schematische Darstellung eines despotisch-archaischen Beamtenstaates mit
T a f e l 20
Die Funktion des Abgabe- und Verteilungssystems neben dem Tausch-
ten Hirten-Feldbauer-Jägei -Gemeinwesens (zu Ziffer 95, 96, 97, 98, 9 9 ) .
Staffelung, Abgaben- und Verteilungswirtschaft (zu Ziffer 111, 112, 113). handel (zu Ziffer 115).
T a f e l 21
Übersicht über die Abfolge d e r amerikanischen Kulturen.
T a f e l 22
Schematische Übersicht von typischen Gestaltungen und Vorgängen.
T a f e l 23
Schematisches Bild des Kulturvorganges der Menschheit.
T a f e l 24
Weltkarte.
158
Vom gleichen Verfasser
liegt vor:
DIE MENSCHLICHE GESELLSCHAFT MIT
IHREN
ETHNO-SOZIOLOGISCHEN Erster
GRUNDLAGEN
Band:
Repräsentative Lebensbilder von Naturvölkern Mit
12 Jafeln
II. 12 Jextbildern.
XXIII,
312 S. 1931. DM 16,20, geb.
DM
18,—
„ . . . Nicht nur Anfänger würden einen reichen Gewinn daraus ziehen. . . . Also ein sehr anregendes, frisches, kenntnisreiches Buch liegt vor uns. Möge es viel gelesen werden! . . ." „Deutsche Literaturzeitung" v. 10. 7. 32 Zweiter
Band:
Werden, Wandel und Gestaltung von Familie, Verwandtschaft und Bünden im Lichte der Völkeriorschung Mit
12 Jafeln,
l Jextabbildung.
VIII,
368 S.
1931.
DM
16,20, geb.
DM
IS,—
„. . . Kaum ein Gegenstand des ungeheuren Forschungsgebietes bleibt unbesprochcn. . . . daß Th.'s Werk für jeden Studenten und Interessenten der Ethnologie und Soziologie unentbehrlich sein wird . . . " „Deutsche Literaturzeitung" v. 25. 2. 34 Dritter
Band:
Werden, Wandel und Gestaltung der Wirtschaft im Lichte der Völkerforschung Mit 12 Jajeln und 9 Diagrammen. VII, 248 S. 1932. DM 15,30, geb. D2i n,— „ . . . verdient auch dieser Band volle Anerkennung. Das Kapitel über Tauschund Handelsformen ist vielleicht die beste zusammenfassende Darstellung, die wir in der völkerkundlichen Literatur über diesen Gegenstand besitzen. . . . " „Anthropos" Nr. 5/6, 193$ Vierter
Band.-
Werden, Wandel und Gestaltung von Staat und Kultur im Lichte der Völkerforschung Mit 6 7af.
— XIX,
377 Seiten.
1935. DM 22,—, geb. DM
fünfter
24,—
Band:
Werden, Wandel und Gestaltung des Rechtes im Lichte der Völkerforschung Mit 2 Jaf.
W A L T E R
— VIII,
DE
232 Seiten.
1934.
G R U Y T E R
&
DM
CO.
18,—, geb.
/
DM
19,—
B E R L I N
W
35
159
LEBENDIGE SOZIOLOGIE Sdhriften der modernen
und
7exte
Qesellsdhaft
zum
und
Studium
der
Qesellsdbaftslehre.
H e r a u s g e g e b e n und v e r f a ß t von Werner
Ziegenfuß
„ . . . nichts könnte auf dem an soziologischen Untersuchungen so a r m e n deutschen Büchermarkt willkommener sein . . . ." „Universitas" H e f t 6/1949 „ das hierbei verfolgte Vorgehen in E r g ä n z u n g soziologischer Schauweise gesellschaftliche S t r u k t u r e n u n d A b l ä u f e auch vom Menschen her zu betrachten und zu beurteilen, verdient ernste A u f m e r k s a m k e i t " „Schmollers J a h r b u c h " 69. J a h r g . 3. H e f t
Lenin Soziologie
und
revolutionäre
Aktion
im politisdien
166 Seiten
1948.
DM
Qcscbeben
6 —
" . . . . W e r n e r Z i e g e n f u ß zeigt in seiner gründlichen soziologischen Studie d i e äußeren Verhältnisse u n d die aus ihnen sich ergebende Hoffnungslosigkeit, welche die russische Intelligenz in Nihilismus u n d Anarchismus trieb, bis Lenin zu wirken begann und der Entwicklung eine radikale W e n d u n g zur positiven Revolution gab. . . ." O . E. H . Becker in „ D e r Tagesspiegel", 21. 11. 48
Die Genossenschaften 144 Seiten.
194S.
D7H 5,50
„ . . . wir glauben aber, sagen zu können, d a ß in diesem schmalen Bändchen m e h r über das Genossenschaftswesen ausgesagt wird als in manchem sich ins Utopische verlierenden umfangreichen W e r k e , die wir gerade auf diesem Gebiet so o f t finden. . ." K. G. Specht in „Zeitschrift f ü r Soziologie" N r . 4/1949.
Augustin Christliche
Jranszendenz ISO Seiten.
in
Qesellsdjaft
1948.
und
Qesdhkbte
T)7li 7,—
Zwischen dem J a h r h u n d e r t des Augustinus und dem unseren besteht vielfache Ähnlichkeit: hier wie dort ein entscheidender W e n d e p u n k t der Weltgeschichte, ein Zusammenbruch alter politischer und geistiger Machtverhältnisse. Diese Ähnlichkeit besser verständlich zu machen und damit z u m Begreifen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage beizutragen, hat sich der Verfasser in dieser U n t e r s u c h u n g zum Ziel gesetzt.
W A L T E R
D E
G R U Y T E R
fc
CO.
/
B E R L I N
W
35
160
Gerhart Hauptmann T>idhtung und Qesellsdhaftsidee i82 Seiten.
der bürtjeriidben
1948.
Humanität
D5W 7,—
. . Die Schrift von Ziegenfuß ist der erste umfassende und, wie uns scheint, geglückte Versuch, das vielfältige, vielstimmige Lebenswerk Hauptmanns, sozusagen nach seinem soziologischen Knochengerüst zu durchröntgen " C. F. W. Behl in „Die Neue Zeitung", München, 1. 6. 50
Die bürgerliche Welt 240 Seiten.
1949.
DJW 8,50
„ . . . Die geistigen Ansätze, die wissenschaftlichen Mittel der zur Staatstotalität .drängenden Denkungsart, lieferte das gleiche Bürgertum, das die Freiheitsideale von 1776 und 1789 schuf. Der schöpferische Reichtum, die bewundernswerte Spannweite dieser Welt, aber auch die dunklen Unterströmungen werden in der Darstellung von Werner Ziegenfuß noch einmal lebendig " Hans Bohlschau in „Der Tagesspiegel" 11.2. 50
KÜRSCHNERS DEUTSCHER GELEHRTEN-KALENDER 1950 Redaktionelle Leitung Dr. Tr. Bert
kau
und Dr. Q.
Oestreicb
Siebente Ausgabe. Oktav. XI, 1267 Seiten (2534 1950. In ganzleinen
Spalten).
geb. D5W 60,—
Die neue Ausgabe des Gelehrten-Kalenders enthält die Namen von nahezu 10 000 deutschsprachigen Gelehrten in aller Welt. Im Anschluß an die Ausgabe von 1931 bringt der GelehrtenKalender neben der Anschrift (Wohnort usw.) genaue Angaben über die von den einzelnen Gelehrten verfaßten Bücher sowie Beiträge zu wissenschaftlichen Sammelwerken und Zeitschriften unter Zufügung der Erscheinungsjahre.
•WALTER
DE
G R U Y T E R
& CO.
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B E R L I N
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