180 95 9MB
German Pages 352 Year 1995
FRÜHE NEUZEIT Band 24
Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Jörg Jochen Berns, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt
Martin M. Winkler
Der lateinische Eulenspiegel des Ioannes Nemius Text und Übersetzung, Kommentar und Untersuchungen
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Winkler, Martin M.: Der lateinische Eulenspiegel des Ioannes Nemius : Text und Übersetzung, Kommentar und Untersuchungen / Martin M. Winkler. - Tübingen : Niemeyer, 1995 (Frühe Neuzeit ; Bd. 24) NE: Nemius, Johannes: Der lateinische Eulenspiegel; GT ISBN 3-484-36524-2
ISSN 0934-5531
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten Buchbinder: Heinr. Koch, Tübingen
Inhalt
Vorwort
1
1.
Der Autor und sein Umkreis
5
2.
Nemius' Eulenspiegelgedicht
22
2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.
Die Drucke von 1558,1563 und 1641 Der Titel des Gedichts Nemius'Vorlage Metrum und Versbau Hinweise zur vorliegenden Edition 2.5.1 Textgestaltung 2.5.2. Lesarten und Emendationen 2.5.3. Übersetzung 2.5.4. Kommentar und Untersuchungen
22 27 37 42 46 46 48 50 52
3.
Text und Übersetzung TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE, VEL TYLUS S ΑΧΟ DER TRIUMPH DER MENSCHLICHEN TORHEIT ODER TILL DER SACHSE
57
4.
Kommentar
178
5.
Geistes- und literargeschichtliche Einordnung des Eulenspiegelgedichts
241
Göttliche Weisheit und menschliche Torheit Die verkehrte Welt
241 257
5.1. 5.2. 5.3.
Die Tradition des MEMENTO MORI
269
5.4.
Rang und Wirkung des Gedichts
276
VI
Inhalt
6.
Eulenspiegel u n d die Antike
286
6.1.
Archetypische Parallelen in der griechischen Mythologie und Folklore 6.1.1. Mythologie: Hermes, Autolykos, Odysseus . . . . 6.1.2. Folklore: Äsop und Diogenes 6.1.2.1. DerÄsoproman 6.1.2.2. Die Diogenes-Anekdoten Die römische Komödie und Satire 6.2.1. Die Komödie 6.2.2. Die Satire Lukian von Samosata
286 287 295 296 304 309 311 316 321
6.2. 6.3.
Literaturverzeichnis
327
Verzeichnis der Eigennamen im TRIUMPHUS HUMANAE STULITOAE
342
Personenverzeichnis
344
Vorwort
Der TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE des Humanisten Ioannes Nemius aus dem Jahre 1558 ist die erste lateinische Fassung der Schwänke um Till Eulenspiegel und die erste Version dieser Schwänke in gebundener Sprache und in einem in sich geschlossenen Zusammenhang. Nemius' Gedicht wird hier erstmalig in einer modernen Ausgabe mit Kommentar, Übersetzung und begleitenden Studien vorgelegt. Der TRIUMPHUS, der bisher zu Unrecht von Literaturwissenschaftlern und -historikern vernachlässigt wurde, nimmt eine entscheidende Stellung in der weitreichenden Rezeptionsgeschichte der Eulenspiegelgestalt und in der Entwicklung und Verbreitung frühmoderner Volksliteratur ein. Das Gedicht ist eine wichtige Quelle zum Verständnis verschiedener Geistesströmungen des sechzehnten Jahrhunderts und verleiht seinem Autor einen besonderen Rang in der Literaturgeschichte. Das Gedicht des Nemius steht am Kreuzungspunkt von nicht weniger als drei literar- und geistesgeschichtlich bedeutenden Traditionen. Erstens stellt es ein noch heute lebendiges und faszinierendes Zeugnis des Nachlebens der Antike im sechzehnten Jahrhundert dar. Die ARS POETICA des Horaz diente Nemius als Richtschnur sowohl für die Komposition des Gedichts als auch für die didaktischen Absichten, die er mit ihm verfolgte. Sein Werk vereinigt Grundzüge der literarischen Kultur Roms, hauptsächlich der Komödie und Satire, mit Aspekten griechischer Volkskultur. Zur Charakteristik Eulenspiegels griff Nemius auf archetypische Vorbilder aus der griechischen Mythologie und aus der nachklassischen griechischen Volksliteratur zurück. Diese literarischen Gestalten sowie der Einfluß der römischen Komödie und Satire und des griechischen Satirikers Lukian werden im vorliegenden Band erstmals ausführlich in ihrem Bezug auf Eulenspiegel dargestellt. Zweitens steht das Gedicht des Nemius deutlich in einer der Hauptströmungen des nordeuropäischen Humanismus, wie er
2
Vorwort
von Erasmus maßgeblich geprägt wurde. Der Einfluß des großen Rotterdamer Humanisten zieht sich wie ein Leitfaden nicht nur durch dieses Gedicht des Nemius, sondern auch durch sein Leben und Gesamtwerk. So ist es nicht zuletzt die Nähe zu Erasmus, die dem TRIUMPHUS ein besonderes Interesse für die moderne Humanismus- und Renaissanceforschung verleiht. Drittens stellt das Gedicht eine gelungene Synthese der hohen Renaissancekultur und der Tradition der populären Volksdichtung dar, wie sie über das Mittelalter bis in die Antike zurückreicht. Damit erweist sich Nemius' Eulenspiegelgedicht als wichtiger Bestandteil der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte. Doch ist das Gedicht des Nemius nicht nur im Hinblick auf diesen seinen geistesgeschichtlichen Stammbaum für die Literaturgeschichte von hohem Interesse, sondern ebenso in Bezug auf den Einfluß, den es auf die weitere Entwicklung der Eulenspiegelliteratur ausübte. Der TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE gab Aegidius Periander (Giles Omma) aus Brüssel den Anstoß zu einer weiteren lateinischen Eulenspiegeldichtung (NOCTUAE SPECULUM ..., 1567). Sie wiederum wurde kurz nach ihrem Erscheinen direktes Vorbild für das erste zusammenhängende Eulenspiegelgedicht in deutscher Sprache, Johann Fischarts EULENSPIEGEL REIMENSWEISS (1572). Nemius' Gedicht nimmt also nicht nur im Nachleben der Antike und in der humanistischen und Volksliteratur des sechzehnten Jahrhunderts, sondern auch in der Eulenspiegeltradition eine bedeutende Stellung ein. Seinem Werk gebührt eine weit größere Beachtung, als es bisher erfahren hat. Der vorliegenden Textausgabe des TRIUMPHUS sind eine Prosaübersetzung und ein Kommentar beigegeben. Der Band beginnt mit einer erstmalig erstellten Biographie des Autors im Rahmen der erhaltenen Zeugnisse und mit einer Darstellung seines Umkreises. Die Untersuchung des Werkes selbst eröffnen ein Überblick über seine Druckgeschichte und eine Erörterung des ursprünglichen Titels und seiner späteren Variante, nach der das Gedicht in der modernen Forschung gewöhnlich benannt und zitiert wird. Hierbei werden einige Ungenauigkeiten und falsche Schlußfolgerungen korrigiert, die sich in die bisherige Forschung eingeschlichen haben. Es folgen Hinweise auf das Metrum des Gedichts und auf die Versifikation des Autors. Den Band beschließen Untersuchungen zum literar- und ideengeschichtlichen Hintergrund des TRIUMPHUS im Mittelalter und in der Renaissance, zu seiner Wirkungsgeschichte und zum Einfluß der Antike auf die Darstellung der Eulenspiegelgestalt.
Vorwort
3
Diese lateinisch-deutsche Ausgabe möchte nicht nur eine erste systematische Interpretation des TRIUMPHUS vorlegen, sondern auch den Blickwinkel der Eulenspiegelforschung auf die Antike hin erweitern. Der Band wendet sich somit an Germanisten, a n Renaissance- und Humanismusforscher, an alle, die sich für das Nachleben des klassischen Altertums in der europäischen Kulturtradition interessieren, und natürlich an die zahlreichen Freunde Till Eulenspiegels. Wenn darüberhinaus die vorliegende Arbeit zu weiteren Forschungen und auch zu kritischen Auseinandersetzungen mit den hier vertretenen Ansichten und Ergebnissen anregt, hat sie ihr Ziel erreicht. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Freunden, Kollegen und Institutionen für großzügige Unterstützung meiner Arbeit am TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE z u danken. Die vorliegende A u s -
gabe des Gedichts folgt dem Erstdruck von 1558, der mir in Photokopien der Exemplare aus den Universitätsbibliotheken A m sterdam und Göttingen vorlag. Die Amsterdamer Bibliothek stellte darüberhinaus eine Photographie vom Titelblatt des TRIUMPHUS bereit (Signatur des Exemplars: 2376 D 72). Die späteren Drucke des Gedichts aus den Jahren 1563 und 1641 wurden ebenfalls herangezogen. Beide habe ich in der Houghton Library der Universität Harvard eingesehen und danach als Mikrofilme benutzt. Dieser Bibliothek verdanke ich ebenfalls die Photographien der Titelseiten des zweiten und dritten Drucks des TRIUMPHUS. Auch die Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel stellte freundlicherweise einen Mikrofilm ihres Exemplars des Druckes von 1563 zur Verfügung, ebenso einen Film ihres Exemplars von Giles Ommas NOCTUAE SPECULUM. Die Folger Shakespeare Library in Washington, D.C. gab mir in Form einer Photokopie das Gedicht DE TRIUMPHO STULTITIAE des Faustinus Perisaulus an die
Hand, das ich auf seine thematische Verwandtschaft mit Nemius' TRIUMPHUS durchgesehen habe. Den hilfsbereiten Bibliothekaren aller genannten Institutionen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Die A. W. Mellon Foundation gewährte mir ein großzügiges Forschungsstipendium an der Universität Pittsburgh. An den Abteilungen für Germanistik und für Klassische Philologie dieser Universität konnte ich ein ungestörtes Forschungsjahr in anregender Umgebung verbringen. Stellvertretend für alle Kollegen danke ich den Direktoren der beiden Abteilungen, Mae Smethurst und Clark Muenzer, für die gastfreundliche Aufnahme in ihren Kreis. Ihnen beiden sowie Klaus Conermann und Hans-
4
Vorwort
Peter Stahl bin ich für ihr lebhaftes Interesse an meiner Arbeit verpflichtet. Klaus Conermann stellte mir darüberhinaus seine Privatbibliothek uneingeschränkt zur Verfügung. Werner Wunderlich (St. Gallen) hat mich zuerst auf die Spur des lateinischen Eulenspiegel gebracht. Jeffrey Chamberlain (Fairfax und Brüssel) verdanke ich wichtige Informationen zum gegenwärtigen Verbleib der Drucke des Gedichts. Bereitwillig erteilte Auskünfte zum Neulatein verdanke ich Jozef IJsewijn (Leuven) und Walther Ludwig (Hamburg). Clarence Miller (St. Louis) und Harry Vredeveld (Columbus) bin ich für wertvolle Hinweise auf das Verhältnis des TRIUMPHUS ZU Erasmus' MORUE ENCOMIUM verpflichtet. William Heckscher (Princeton), Wilhelm Kühlmann (Heidelberg), Jan-Dirk Müller (München), Hans-Gert Roloff (Berlin) und Egon Verheyen (Fairfax) möchte ich für die kritische Beurteilung danken, die sie meinen Ausführungen haben zukommen lassen, besonders denen zum geistesgeschichtlichen Hintergrund des TRIUMPHUS. Für die Vorbereitung der Druckvorlage danke ich William Carey (Fairfax) recht herzlich. Mehr noch als den Genannten bin ich jedoch Max Baeumer (Madison) zur Dankbarkeit verpflichtet. Meine Arbeit begleitete er mit reger Anteilnahme und stand mir stets mit unermüdlicher Ermunterung, hilfreicher Kritik und zuverlässigem Rat zur Seite. Dem verdienten Freund und Mentor sei daher der Band als Zeichen der Anerkennung gewidmet.
1. Der Autor und sein Umkreis
Über Person und Leben von Ioannes Nemius sind wir nur in groben Zügen unterrichtet. Die wenigen in biographischen Lexika und anderen wissenschaftlichen Werken enthaltenen Tatsachen können kaum ein Bild dieses Humanisten erasmischer Prägung zeichnen. 1 Die Forschungen von M.A. Nauwelaerts stellen die wichtigsten modernen Veröffentlichungen zu unserem Autor dar. Wie Nauwelaerts feststellt, gibt es zahlreiche Vermutungen und Irrtümer bezüglich Nemius' Leben.2 Ein Hauptgrund dafür dürfte sein, daß die Quellen uns nicht einmal Geburts- und Todesjahr des Dichters überliefern. Doch ist es Nauwelaerts gelungen, unser Bild von Nemius und seiner Umwelt soweit abzurunden, daß wir wenigstens einen halbwegs gesicherten Eindruck von Nemius und seinen Lebensverhältnissen erhalten. Die folgende Darstellung schließt sich daher großenteils an Nauwelaerts' Untersuchungen an, auf die an dieser Stelle nachdrücklich hingewiesen sei.3 Der Name Nemius leitet sich vom lateinischen NEMUS („Hain, Wald") ab und verweist auf die letzte Silbe des Namens der Stadt 's-Hertogenbosch (Den Bosch, dtsch. Herzogenbusch, frz. Ducle-Bois) im Norden des ehemaligen Brabant. In dieser Stadt wurde Nemius zu Beginn des 16. Jahrhunderts geboren. Der in der Renaissance gebräuchliche latinisierte Name der Stadt (SILVA DUCIS, APUD SILVAM Ducis, gelegentlich auch BUSCUM DUCIS und NEMUS DUCIS) legt die Wahl des Namens Nemius nahe, wobei NEMUS, das mit SILVA synonym ist, im Lateinischen auf einer etwas höheren Stilebene als SILVA liegt und sich daher für einen 1
2 3
Die einschlägigen Eintragungen zu Nemius bei Nauwelaerts (2), S. 104 Anm. 1; (3), S. 256; (4), S. 151 Anm. 162. Vollständige bibliographische Angaben zur Sekundärliteratur, die in den Untersuchungen und im Kommentar zitiert wird, finden sich unten im Literaturverzeichnis. Nauwelaerts (4), S. 151. Siehe besonders Nauwelaerts (4), S. 151-154. Einen sehr knappen biographischen Abriß gibt neuerdings Tournoy, S. 529-530.
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Der Autor und sein Umkreis
klassisch gebildeten Humanisten eher empfiehlt.4 „Nemius" bedeutet also „Mann aus Herzogenbusch", holländisch: „van den Bosch" oder „Bosschenaar". In der Widmung seines Werkes APOLOGIA SCHOLAE PRINCIPALIS IN URBE AMSTELREDAMA v o n 1 5 5 6
an den Herzogenbuscher Juristen Henricus Haematander (Hendrik Bloeymans) und in diesem Gedicht selbst bezeichnet Nemius seine Vaterstadt als NATALE NEMUS.5 Der ursprüngliche Name des Nemius war Jan Goverts oder Govertsz, latinisiert zu Ioannes (gelegentlich auch Iohannes oder Johannes) Godefridi.6 Unter diesem Namen nebst Angabe seiner Heimatstadt wurde Nemius im Juli 1 5 3 7 an der Universität Köln IN ARTIBUS matrikuliert: JOH. GODEFRIDI, BUSCODUCENSIS. Er entstammte wohl einfachen Verhältnissen, denn wegen Geldmangels wurden ihm die Studiengebühren teilweise erlassen, wie es der Matrikeleintrag vermerkt: QUIAP. [= PAUPER] IN PARTE.7 ZU seinen Lehrern in Köln zählte wahrscheinlich der geistliche Philosophieprofessor Gerard Matthisius, dem Nemius noch nach vielen Jahren kurz vor Matthisius' Tod ( 1 5 7 2 ) seine ORTHOGRAPHIAE RATIO widmete.8 Im Jahre 1538 wurde Nemius zum Baccalauréat zugelassen und 1 5 4 1 zum Lizentiat in den ARTES LIBERALES promoviert. Nauwelaerts schließt daraus, daß Nemius um 1520 geboren wurde, und vermutet, daß er nach seiner Promotion mit der Lehrtätigkeit begann, der er — mit einer Unterbrechung9 — den Rest seines 4
5
6
Das lateinische NEMUS ist zwar mit dem griechischen NEMOS verwandt, doch ist es unwahrscheinlich, daß Nemius seinen Namen mit dem Griechischen statt dem Lateinischen in Verbindung setzte, wie van Dijck (2), S. 12, annimmt. Dieser und andere Widmungsbriefe des Nemius, einschließlich der Widmimg seiner Eulenspiegelbearbeitung, sind bei Nauwelaerts (3) leicht zugänglich; der Brief an Haematander dort auf S. 265-266. Der vollständige Text der APOLOGIA jetzt mit englischer Kurzeinführung, Zusammenfassung und Anmerkungen bei Heesakkers und Kamerbeek, S. 60-77. Die genannten Textstellen finden sich bei Nauwelaerts (3), S. 266, und Heesakkers und Kamerbeek, S. 64 (Vers 83 der APOLOGIA). I m NŒUW NEDERLANDSŒ BIOGRAPHISCH WOORDENBOEK, B d .
8
(1930),
Sp.
1208,
wird sein Familienname als Govertzoon oder Godevaarts angegeben. Das ALLGEMEINE GELEHRTEN-LEXICON, B d .
7 8
9
3
(1751),
Sp.
854,
u n d d i e FORTSETZUNG
dazu, Bd. 5 ( 1 8 1 6 ) , Sp. 4 7 6 - 4 7 7 , nennen ihn Johann Nem. Auch in der Form Jan van Neem erscheint sein Name noch heute mehrmals, z.B. bei Debaene und Heyns, S. xxiv; Wunderlich (1), S. 100. Siehe Keussen, S. 943 (Nr. 593, 46). Siehe Nauwelaerts (4), S. 266-267. Nemius' Widmungsbrief bei Nauwelaerts (3), S. 270-274. Siehe hierzu seinen Widmungsbrief in der APOLOGIA; Nauwelaerts (3), S. 265-266, und (4), S. 152. UND ERGÄNZUNGEN
Der Autor und sein Umkreis
7
Lebens widmete. In der schon erwähnten Widmung seiner APOLOGIA führt Nemius Köln, die südlichen Niederlande (MENAPII — damit meint er wahrscheinlich Antwerpen), Lüttich (oder Umgebung: EBURONES), Nimwegen und schließlich Herzogenbusch als Stätten seiner voraufgehenden Lehrtätigkeit an. Es liegt nahe, daß er bei dieser Aufzählung die chronologische Reihenfolge beibehielt. 10 In Lüttich dürfte Nemius Lehrer am Gymnasium der Brüder vom Gemeinsamen Leben gewesen sein. 11 Die genauen Daten zu seiner Lehrtätigkeit an all diesen Schulen sind wohl nicht mehr zu ermitteln. Im Jahre 1550 unterrichtete Nemius in Nimwegen, wo im folgenden Jahr die ersten Werke unter seinem Namen erschienen. Nemius dichtete Verse über den Beruf des Lehrers (DE IMPERIO ET SERVITUTE LUDIMAGISTRI CARMINA, ADDITIS SCHOLIIS) und verfaßte eine APPENDIX DE QUANTITATE ULTIMARUM SYLLABARUM PER DECLINATIONES NOMINUM zum Schulbuch DE ARTE SCRIBENDORUM VERSUUM COMPENDIARIA INSTITUTIO des Franciscus Cremensis. 12 1552 veröffentlichte Nemius die erste Ausgabe seiner EPITOME EX OPERE ERASMI ROTERODAMI DE CONSCRIBENDIS EPISTULIS, der 1556 und 1565 weitere Ausgaben mit erweitertem Titel folgten.13 Sein nächstes Werk (PARENS ET NOVERCA, 1553) ist von dem Lehrgedicht WERKE UND TAGE des frühgriechischen Dichters Hesiod inspiriert und von Nemius' Gedichten wohl am wenigsten bekannt. 14 Zwei Jahre später erschien seine Bearbeitung des lateinischen Schulbuches von Ioannes Murmellius, OPUS DE COMPOSmONE VERBORUM, das um 1502 zuerst und 1506 in einer Neuausgabe herausgekommen war (DE COMPOSITIS 10
11 12
13
14
Vgl. auch die Verse 81-83 der APOLOGIA (von Vergilzitaten umrahmt), in denen Nemius eine um die ΜΕΝΑΡΠ verkürzte Aufstellung mit leicht veränderter Reihenfolge (Vers 81) gibt. Die Abweichungen sind metrisch zu erklären. Zum Namen EBURONES siehe Franquinet, S. 129-134. Nauwelaerts (4), S. 152 Anm. 167. Vollständiger Titel von Nemius' APPENDIX (sie ist Nauwelaerts unbekannt) und Abdruck des Titelblattes dieses Schulbuches, welches Prinz Philipp, dem Sohn Karls V., gewidmet war, bei Begheyn, S. 8-9. Zur Identität von Cremensis, dessen INSTITUTIO erstmals 1534 in Antwerpen erschienen war, siehe Begheyn, S. 8. Vgl. Tournoy, S. 529-530. Die verschiedenen Titel der Ausgaben bei Nauwelaerts (2), S. 107-108. Weitere Werke des Erasmus, die Nemius für seine EPITOME hauptsächlich heranzog, sind ECCLESIASTES, DECOPIA VERBORUM AC RERUM, der Kommentar zur Nux und einige COLLOQUIA. Siehe hierzu weiterhin Henderson, S. 182 Anm. 13. Der Titel ist Vers 825 der WERKE UND TAGE nachgebildet. Hesiods Vers lautet in Übersetzung: „Manchmal ist ein Tag wie eine Stiefmutter, manchmal wie eine Mutter."
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Der Autor und sein Umkreis
VERBORUM DEQUE VERBIS COMMUNIBUS & DEPONENTIALIBUS OPUSCULA DUO AB IOANNE MURMELLIO IN PUERORUM USUM OLIM CONSCRIPTA).15 Diesem Buch gaben Nemius und sein Freund Ioannes
Cuppifex (Jan Cuyper) kurze Geleitgedichte mit auf den Weg. Der Sechszeiler des Cuppifex kündet den Musenfreunden von Nemius (AD PHILOMUSOS, DE IOANNE NEMIO) und vergleicht dessen dichterische Begabung gar mit der von Ovid, Vergil und Horaz. Nemius richtet sein eigenes Gedicht von dreizehn Versen in größerer Bescheidenheit an den Grundschüler (AD PUERUM ELEMENTARIUM).
Von 1556 bis 1559 war Nemius Rektor an der Grote Latijnse School (SCHOLA PRINCIPALIS) ZU Amsterdam.16 In seiner Heimatstadt Herzogenbusch erschien 1556 die schon genannte APOLOGIA. Hierbei handelt es sich um ein CARMEN SCHOLASTICUM (dazu unten), das sich gegen Verächter und Gegner von Bildung und Erziehung wendet (ADVERSUS LITERARUM OSOREM AUTORITATE MULTORUM CIRCUMMUNITA). Das Exemplar dieses Gedichts in der Königlichen Bibliothek in Den Haag enthält einen handschriftlichen VERSUS INTERCALARE in holländischer Sprache, der möglicherweise aus des Autors eigener Feder stammt.17 Im gleichen Jahr und am gleichen Ort veröffentlichte Nemius eine Neufassung seines Schulbuches zu Werken des Erasmus, das zuvor schon während seiner Antwerpener Zeit erschienen war (SYNTAXIS D. ERASMI ROTERODAMI OUM APUD NOVOS GELRIAE MAGOS ADNOTATIUNCULIS ASPERSA IAMQUE NOVIS ACCESSIONIBUS IN HOLLANDICAE PUBIS USUM ADAUCTA).18 Hierfür benützte Nemius nicht nur Erasmus' Bearbeitung der lateinischen Syntax DE OCIO PARTIUM ORATIONIS CONSTRUCTIONE (1513) seines Freundes Lilius (Will-
iam Lily), sondern auch Passagen aus einigen erasmischen Wer-
k e n (COPIA, DE CONSCRIBENDIS EPISTOLIS, ADAGIA, ANNOTATIONES IN NOVUM TESTAMENTUM). Hinzu kamen zwei Anhänge in Vers e n : e i n CARMEN DE FIGURIS CONSTRUCTIONS u n d e i n CARMEN DE
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17
18
Zu Murmellius siehe Nauwelaerts (4), S. 219-223. Heesakkers und Kamerbeek geben auf S. ΧΠ eine chronologische Liste der Amsterdamer Rektoren von 1531 bis 1578; dort auch Näheres zu den beiden Gymnasien (dem der Oude Zijde, d.h. östlich der Amstel, und dem der Nieuwe Zijde), die in den Jahren 1556-1562 und 1586-1593 zusammengeschlossen waren. Nemius war also Rektor der vereinigten Schulen. Vgl. Heesakkers und Kamerbeek, S. XIX und 60. Der Text des VERSUS INTERCALARIS, d.h. des Refrains, dort S. 71. Der ausführliche Titel vollständig bei Nauwelaerts (2), S. 108, und (4), S. 224 Anm. 70. Die Erstausgabe war 1550 in Nimwegen erschienen.
Der Autor und sein Umkreis
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ORDINATICENE PARTIUM ORATIONIS.19 Von der Erstausgabe dieses Werkes scheint allerdings keine Spur mehr vorhanden zu sein. 20 1557 folgte Nemius' Gedicht PORTUS NEPOTUM, CARMINE ELEGIACO CANTILENAE SCHOLASTICAE LOCO CONSCRIPTUS, das ebenfalls in Herzogenbusch erschien. Wie Nemius im Titel und in seinem Geleitbrief an den Malteserritter Adrianus Martini (Adriaan Martens) mitteilt, war es eine der Pflichten des Rektors, jedes Jahr zu Weihnachten für seine Schüler ein lateinisches Gedicht zu verfassen, das diese erst in der Kirche und dann in einem Umzug auf den Straßen der Stadt sangen. 21 Ähnliche Bräuche, z.B. am Martinstag, zu denen derartige CARMINA SCHOLASTICA gehörten, gab es in vielen Städten. 22 Von Nemius sind zwei solcher Gedichte bekannt, die APOLOGIA und der PORTUS NEPOTUM. Letzterer Ausdruck ist etwa mit „Hafen der Sünder" wiederzugeben (NEPOS erscheint in der Bedeutung „liederlich, verschwenderisch" bei Cicero und Horaz) und bezieht sich auf das damals weithin sichtbare Kreuz im Hafen von Amsterdam. Der Untertitel verdeutlicht die moralische Absicht des Gedichts: QUO MALE VIVENTES AD MELIOREM FRUGEM INVITANTUR. Von Amsterdam aus ließ Nemius dann 1558 den TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE, seine lateinische Fassung des Eulenspiegel, in Utrecht drucken. Die drei Drucke des TRIUMPHUS werden im folgenden Kapitel ausführlicher beschrieben.
Das Gymnasium zu Herzogenbusch, an dem Nemius später Rektor bzw. Konrektor wurde (s.u.), hatte sich nach eher unrühmlichen Anfängen, von denen der junge Erasmus beredtes Zeugnis ablegte, zu einer der bedeutendsten und bekanntesten Unterrichtsstätten der südlichen Niederlande im 16. Jahrhundert aufgeschwungen. 23 So unterrichtete z.B. Georgius Macropedius 19 20
21 22 23
Hierzu Nauwelaerts (4), S. 214 und 223-224. Sie wird bei Nauwelaerts und in älteren Quellen nicht aufgeführt. Überhaupt illustriert dieses Buch die oft unsichere Quellenlage bezüglich unseres Autors. Der Eintrag zu Nemius im 1 5 . Band der BIOGRAPHIE NATIONALE ( 1 8 9 9 ) , Sp. 5 8 5 - 5 8 8 , führt auf Sp. 5 8 7 nur eine spätere Ausgabe mit einem etwas geänderten Titel an (Antwerpen 1562, bei Sylvius), die aber im Werkverzeichnis bei Nauwelaerts (2) ganz fehlt. Dafür enthält Nauwelaerts' Liste eine (weitere?) Antwerpener Ausgabe, die bei Plantin ohne Jahresangabe erschien. Nemius' Brief bei Nauwelaerts (2), S. 267-268. Heesakkers und Kamerbeek, S. XI-XVI; Nauwelaerts (4), S. 250-251. Zum intellektuellen Leben der Stadt und zur Geschichte des Buchdruckes in Herzogenbusch vgl. van Dijck (2), van den Oord und Koldeweij. Eine ausführliche Geschichte des Gymnasiums und eine Würdigung seiner Be-
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Der Autor und sein Umkreis
(Georg van Lanckvelt) ca. 1510-1524 an dieser Schule.24 Nemius war mit dem Gymnasium schon früh verbunden gewesen, vielleicht sogar bereits zu Beginn seiner Lehrtätigkeit. Dies geht aus seinem Brief an den Juristen Ioannes Aegidius (Jan Gillis) aus Herzogenbusch hervor, der Nemius' Schrift SYNTAXIS ERASMI (Herzogenbusch, 1556) beigegeben ist und das Datum des 1. Septembers 1550 trägt.25 Später wird Nemius für die Jahre 1575 bis 1576 in der STADSREKENING von Herzogenbusch als Rektor neben Dominicus Schenckelius (Schenckels) und Christopherus Vladeraccus (Christoffel van Vladeracken) geführt. Doch schon 1572 war Nemius dort als Rektor tätig; denn in diesem Jahre veröffentlichte er die allerdings nicht erhaltenen LEGES SCHOLAE seiner Anstalt. Zu erwähnen ist noch, daß Vladeraccus 1565 als Huldigung an Macropedius, der im Juli 1558 in Herzogenbusch gestorben war, in Antwerpen eine Gedenkschrift erscheinen ließ, die APOTHEOSIS D. GEORGII MACROPEDLI.26 Nemius dichtete zu Ehren des Verstorbenen einen Epitaph in 25 Versen (EPITAPHIUM IAMBICIS TRIMETRIS GEORGIO MACROPEDIO SCRIPTUM AB IOANNE NEMIO).
In seiner ausführlichen Monographie zur Herzogenbuscher Lateinschule gibt Nauwelaerts eine revidierte Chronologie der Lehrer und Rektoren der Schule im 16. Jahrhundert. Er führt zwei verschiedene Zeiträume für Nemius' Unterrichtstätigkeit in der Heimatstadt an, die er „nach 1541 - vor 1550" und „nach deutung im 16. und frühen 17. Jahrhundert gibt Nauwelaerts (4). Eine allgemeine Einführung in den Humanismus Nordeuropas mit ausführlichen Literaturhinweisen jetzt bei Grafton und Jardine, S. 122-160. Zum Universitätsbetrieb als Hintergrund des nördlichen Humanismus vom Spätmittelalter bis zum frühen 16. Jahrhundert siehe Overfield. Einen Gesamtüberblick über den niederländischen Humanismus gibt IJsewijn (2). Vgl. auch Reynolds und Wilson, S. 177-184. Erasmus bezeichnet im Jahre 1525 Herzogenbusch als OVITAS SATIS AMPLA FREQUENSQUE (Allen, Bd. VI, S. 155 [Brief 1603]). Zum Aufenthalt des jungen Erasmus in Herzogenbusch (ca. 1484-1487) haben wir seine eigenen Worte; siehe Allen, Bd. I, S. 49 (im COMPENDIUM VITAE ERASMI), und Bd. Π, S. 295-296 (Brief 447). Siehe auch Halkin, S. 18, und Hyma, S. 128-142 und 337-342; zu letzterem Nauwelaerts (1) und (4), S. 51-52. (Auf die Echtheitsfrage des COMPENDIUM ist hier nicht einzugehen.) Zur Nachwirkung des Erasmus in Herzogenbusch siehe van den Oord, S. 240-241. 24
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Nauwelaerts (3a), S. 143-161; Nauwelaerts (4), besonders S. 135-143; van Dijck (2), S. 8-10 (Liste der in Herzogenbusch veröffentlichten Werke des Macropedius); van den Oord, S. 108-110. Siehe Nauwelaerts (3), S. 256-258, besonders S. 257 (SCHOLAE SYLVADUCENSI [ . . . ] ALLIGATUS). Vgl. auch Nauwelaerts (4), S. 152. Der vollständige Titel bei Nauwelaerts (3a), S. 143.
Der Autor und sein Umkreis
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1559" datiert. 27 Doch unterrichtete Nemius wahrscheinlich auch ab Oktober 1552 eine Zeitlang in Herzogenbusch. Daß Nemius dort zu verschiedenen Perioden seines Lebens lehrte, geht aus seinem Brief vom 20. September 1552 aus Nimwegen an die Familie Busaei (Buys) in Herzogenbusch hervor, in dem er von der wahrscheinlich kurz bevorstehenden Rückkehr in die Heimatstadt spricht. 28 Im Schulbuch ORATIONES TERENTIANAE von Rektor Schenckelius, das 1557 in Herzogenbusch erschien und einen auf den 1. Juni des Vorjahres datierten Widmungsbrief als Vorwort hat, wird Nemius als Lehrer der dritten Schulklasse am Gymnasium zu Herzogenbusch genannt. Hiermit dürfte soviel wie der Konrektor gemeint sein. 29 Demnach wäre Nemius dem Gymnasium seiner Heimatstadt nicht nur zweimal, wie es Nauwelaerts in seiner Aufstellung angibt, sondern dreimal verbunden gewesen: nach 1541 - vor 1550, um 1552 - 1555 und wiederum nach 1559. Wie es sich genau mit Nemius' Aufenthalt in Herzogenbusch in den fünfziger Jahren verhält, und ob oder inwiefern die Nennung seines Namens bei Schenckelius sich auf eine tatsächliche Berufsausübung bezieht, sind Fragen, deren Beantwortung allerdings offen bleiben muß. Wie Nauwelaerts zu Recht betont, konnte der Titel „Rektor" zu Nemius' Zeit in unterschiedlicher Weise verwandt werden. 30 Schenckelius gibt in seinen ORATIONES TERENTIANAE sowohl GYMNASIARCHA als auch ARCHIDIDASCALUS als Übersetzungen des Wortes „Rektor". Auf den Titelseiten einiger seiner Werke bezeichnet sich auch Nemius selbst mit beiden Ausdrücken. 31 We27
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Nauwelaerts (4), S. 189-190; Nemius wird auf S. 189 aufgeführt. Auf S. 151 spricht Nauwelaerts ebenfalls von zwei Zeitabschnitten. Widmungsbrief der 1556er Ausgabe von Nemius' EPITOME EX OPERE D . ERASMI; siehe Nauwelaerts (3), S. 258 (IAMQUE SFECTANS ANTIQUAM MEAM SYLVAM) und 259 (ITUR IN ANHQUAM SYLVAM). Letzterer Ausdruck ist ein Vergilzitat (ÄN. 6, 179). Vgl. auch Nauwelaerts (3), S. 265, und (4), S. 153; Begheyn, S. 9. „Praefecerunt Nemium tertiae classi Canonici. Die canonicken hebben Nemium oversten ende meester vanden derde loock ghemaeckt." Zitiert bei Nauwelaerts (4), S. 30 Anm. 86 und S. 153. Der Titel des Buches ausführlicher bei Nauwelaerts (4), S. 146; der Text des Widmungsbriefes bei Nauwelaerts (3a), S. 181-184 (weitere Briefe von und an Schenckelius dort S. 166-187). Zur Bedeutung von TERTIA CLASSIS, d.i. die höchste Klasse an kleineren Schulen, siehe Nauwelaerts (4), S. 43-44 mit Anm. 170. Siehe besonders Nauwelaerts (4), S. 41-44. Zu den verschiedenen Termini für „Lehrer" und „Rektor" siehe z.B. den Abschnitt D E SCHOLA ET ARMIS SCHOLASTIC« in Simon Verepaeus (Vereept oder Verreept), PRIMAE STUDIORUM EXEROTATIONES (Herzogenbusch, 1585); zitiert bei Nauwelaerts (4), S. 270. GYMNASIARCHA nennt er sich im Titel seiner ORTHOCRAPHIAE RATIO; vgl. Nauwe-
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Der Autor und sein Umkreis
nigstens in Herzogenbusch war Nemius aber wahrscheinlich eher eine Art Konrektor der Schule.32 Nemius' umfangreichstes Werk erschien 1572 bei Plantin in Antwerpen; es ist die schon erwähnte ORTHOGRAPHIAE RATIO. 33 Hierbei handelt es sich um ein ausführliches Lehrbuch, das im Anschluß an Quintilian so gut wie alles, was mit Rechtschreibung und ihren verwandten Gebieten (z.B. Zeichensetzung) zu tun hat, in Regeln faßt und erklärt. Beispielsweise sollen die Schüler aus Gründen der Eindeutigkeit Abkürzungen möglichst vermeiden und sich besonders um ein klares Schriftbild bemühen. Nur Ärzte und Rechtsanwälte haben das Vorrecht, Unleserliches zu Papier zu bringen! Sorgfalt im Schreiben erzieht zu Sorgfalt und Genauigkeit im späteren Leben. Daß es Nemius hiermit sehr ernst war, bezeugen seine ausführlichen Kompilationen aus zahlreichen älteren und modernen Autoren. Dies geht schon aus dem Titel des Buches selbst hervor, in dem es weiter heißt: NON LEVIBUS CONIECTURIS, SED GRAVISSIMORUM SCRIPTORUM AUCTORITATE CONSTANS. Zu diesen gewichtigen Autoritäten gehören u.a. Erasmus, Budaeus (Guillaume Budé), Macropedius, Angelus Politianus, Murmellius, Ioannes Despauterius (De Spouter, Despaultre) und Gerardus Mercator. Eine vergleichbare Aufzählung hatte Nemius auch im Abschnitt seiner APOLOGIA gegeben, in dem er den Lehrplan seiner Schule dichterisch beschrieb. Hier nannte er neben den antiken Autoren Plinius d.J., Quintilian und Ausonius auch Erasmus, Politianus und Rudolphus Agricola. Die geistige Nähe des Nemius gerade zu Erasmus wird deutlich, wenn wir Erasmus' Auffassung von der Bedeutung der Philologie für die Theologie in Betracht ziehen. Die Ansicht des Erasmus, daß Gott zwar nicht durch grammatische Fehler beleidigt werde, jedoch auch keine Freude daran habe, ist durchaus mit Nemius' Überzeugung von der Wichtigkeit der Orthographie zu vergleichen.34 Hier wird deutlich, daß auch für Nemius der Teufel im Detail steckt. Er erweist sich als Anhänger
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laerts (2), S. 109 (Nr. 10). ARCHIDIDASCALUS ist er im Titelblatt seiner EPITOME (in den Ausgaben von 1556 und 1565), APOLOGIA, SYNTAXIS ERASMI und seines PORTOSNEPOTUM; vgl. Nauwelaerts (2), S. 107-108 (Nr. 2a, 2b, 5, 6, 7). Vers 178 von Nemius' APOLOGIA gibt die folgende Definition: GYMNASIARCHA, SCHOLARCHUS, & ARCHIDIDASCALUS IDEM EST (Heesakkers und Kamerbeek, S. 66). Nauwelaerts (4), S. 154 („,tweede' rector"); vgl. dort S. 42 und 150. Hierzu Nauwelaerts (4), S. 266-268. Über Antwerpener Schulbuchdrucke im 16. Jahrhundert informiert Nauwelaerts (5). Vgl. hierzu Nemius' Geleitbrief der ORTHOGRAPHIAE RATO bei Nauwelaerts (3), S. 270-273.
Der Autor und sein Umkreis
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der erasmischen PIETAS LITTERATA.35 Im Anhang der ORTHOGRAPHIAE R A T O gab Nemius dann noch einen COPIOSISSIMUS INDEX, wie er ihn wohl nicht ohne Stolz bezeichnete, zur richtigen Aussprache griechischer und lateinischer Wörter. Nicht sicher zu datieren ist sein Kommentar zum CARMEN DE MARTYRIO DIVI CASSIANI des Prudenz, der ohne Orts- und Jahresangabe mit dem Titel SCHOLIA IN SUPPLICIUM CASSIANI, PER PRUDENTIUM veröffentlicht wurde. 36 Wie es scheint, blieb Nemius bis an sein Lebensende in Herzogenbusch. Er starb gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Nauwelaerts referiert aus älteren biographischen Quellen verschiedene Daten zwischen 1580 und 1600. 37 Er betont mit Recht, daß aus der 1593er Ausgabe der Herzogenbuscher LEGES SCHOLAE, die unter Vladeraccus' Namen erschien und ebenfalls nicht erhalten ist, keineswegs geschlossen werden darf, daß Nemius dort zu der Zeit nicht mehr Rektor oder gar schon verstorben war. 38 Im Widmungsbrief der APOLOGIA spricht Nemius von seiner Priesterwürde (SACERDOTALIS DIGNITAS), die er höher als sein Lehramt einschätzte und deretwegen er die Schultätigkeit aufgeben wollte, was er auch zeitweise tat. Für das Jahr 1562 wird Nemius' Name unter den Priester-Benefiziaten der Kathedrale in Herzogenbusch, der Sint Janskerk, genannt. 39 Darüberhinaus ist Genaueres über sein Leben als Priester heutzutage wohl nicht mehr in Erfahrung zu bringen. Wichtig ist aber die Feststellung, daß der geistliche Stand trotz seiner DIGNITAS Nemius nicht davon abgehalten hat, die oft derb-drastischen und gelegentlich sogar ordinären Streiche Till Eulenspiegels als dichterischen Stoff zu wählen. 40 Nemius hat bei seiner Bearbeitung des Eulenspiegelbuches keine Zensur ausgeübt. Weder die skatologischen Historien, die seine Vorlage enthielt, noch diejenigen, in denen die Geistlichkeit aufs Korn genommen wird, hat er ausgelassen. Prüde war Nemius also sicher nicht. 41 Vor dem Gebrauch eines 35
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Einen Überblick über die Bedeutung der PIETAS LITTERATA gibt Bolgar, S. 3 2 9 369; vgl. besonders S. 336-340. Vgl. Nauwelaerts (2), S. 109. Nauwelaerts (4), S. 151 Anm. 162. Nauwelaerts (4), S. 154. Siehe Nauwelaerts (2), S. 105 mit Anm. 5. Zum geistlichen Leben in Herzogenbusch in der Mitte des 16. Jahrhunderts siehe van de Meerendonk. Vgl. dazu die Formulierung DOCTORUMQUE STIUS RUDIS PERPETUABITUR FABULA bei Apul., MET. 6, 29, 3. Seinem Gedicht wurde die kirchliche Druckerlaubnis nicht verweigert. Al-
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Der Autor und sein Umkreis
direkt obszönen Vokabulars, das natürlich an einigen Stellen das genau passende ist, schreckte er nicht zurück. Darüberhinaus erfand er sogar selbst ein griechisches Wortspiel, das ebenso obszön wie geistreich ist. In der Marginalie zum Abschnitt XXIV des TRIUMPHUS (H 38) faßte er nämlich Tills Streich mit dem doppeldeutigen Ausdruck το τύλου zusammen (Erklärung im Kommentar z. St.). Um nur zwei weitere Beispiele solcher Freiheit aus Nemius' anderer Dichtung anzuführen: In seiner APOLOGIA bezeichnet Nemius, der sich möglicherweise stark nach Herzogenbusch zurücksehnt und seinen Aufenthalt in Amsterdam geradezu als ein EXILIUM empfindet, die heimatferne Umgebung ohne Umschweife als CULUS [...] ORBIS (Vers 126-128). Für den Fall, daß jemand über diese prägnante Formulierung hinweglesen sollte, weist die Randglosse CULUS MUNDI noch einmal deutlich darauf hin. Schon zuvor hatte Nemius in Vers 50 der APOLOGIA vom Standpunkt des Brabanters Amsterdam als EXTREMA [...] URBS charakterisiert und im Widmungsbrief davon gesprochen, daß er ans Ende der Welt verschleppt worden sei: AD POSTICAM MUNDI REGIONEM VELUTI OBTORTO COLLO ABDUCOR.42 E i n
Schuß Humor dürfte allerdings bei aller Heimatliebe auch in dieser Formulierung stecken. Ebenfalls im Widmungsbrief der APOLOGIA zitiert Nemius einen drastischen lateinischen Vers wahrscheinlich eigener Erfindung (STERCOREI FASCES MERDOSAQUE SCEPTRA VALETE), den er sogar, wie er berichtet, seinen Schülern zu Gehör brachte. 43 Doch ist es unangebracht, Nemius' Dichtung und sein Eulenspiegelbuch als unanständig oder gar obszön anzusehen. Die Renaissance war sich der Tatsache bewußt, daß die Literatur der riskanten Anekdote, des losen Epigramms und sogar der Zote eine lange Geschichte besaß. Als antike „Klassiker" dieser Art galten u.a. Catull, der junge Vergil, Ovid, Martial und Juvenal, und deren Vorbild ahmten sogar geistliche Dichter des 15. und 16. Jahrhunderts eifrig nach. 44 Anders als heute sah man damals zwischen Geistlichkeit und Literatur solcher und verwandter Art keinen unüberwindlichen Abgrund. 45 Als Beispiel
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lerdings hält Gesner in seinem „Sendschreiben" bei Murr, S. 360, das kirchliche Imprimatur, welches dem Text des TRIUMPHUS folgt, für einen Scherz des Nemius. Nauwelaerts (3), S. 266. Nauwelaerts (3), S. 265. Vgl. hierzu z.B. Voigt, S. 409-414; Borinski, Bd. 1, S. 134-136. Zum Hintergrund des Frivol-Obszönen in der Tradition des LUSUS und RIDICULUM bei den Humanisten vgl. Schmitz, S. 86-90. Zum mittelalterlichen
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dafür sei auf eine der Eulenspiegeltradition eng verbundene Gestalt der Zeit hingewiesen, an der dieser Sachverhalt geradezu exemplarisch deutlich wird: den Franziskanermönch und Schwankdichter Thomas Murner, dem Martin Bucer schon 1521 die Autorschaft des Eulenspiegel zugesprochen hatte. 46 Die erhaltenen Briefe des Nemius, die seinen Werken als Widmungs- oder Geleitschreiben voranstehen, vermitteln weitere Auskünfte über unseren Autor. In ihnen erfahren wir Näheres über Nemius' Kollegen und Freunde, unter denen sich bekannte niederländische und deutsche Humanisten befanden, und über seine Lebensumstände, Interessen und dichterischen Absichten. Da Nemius heute hauptsächlich als Dichter der ersten lateinischen Fassung des Eulenspiegel von Bedeutung ist, seien im folgenden diejenigen aus seinem Bekanntenkreis kurz vorgestellt, die mit dem TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE verbunden sind. Petrus Apherdianus (Pieter van Afferden oder van Aphert) und Christianus Schindelius (Christiaen van Schijndel) gaben Nemius' Eulenspiegelbuch mit kurzen empfehlenden Gedichten das Geleit. Apherdianus (geb. ca. 1510, gest. ca. 1580 oder nach 1583) stammte trotz seines Namens, der auf Afferden verweist, aus Wageningen. Er gehörte zu den bedeuteren Humanisten der nördlichen Niederlande.47 Um 1540 war er Rektor des Gymnasiums zu Harderwijk. Im Jahre 1556 wurde er auf drei Jahre zum Konrektor der SCHOLA PRINCIPALIS in Amsterdam bestellt, an der Nemius für den gleichen Zeitraum Rektor wurde. 48 Von 1562 bis 1578 war Apherdianus dann Rektor in Amsterdam, bis er im Zuge der ALTERATIE vom Mai 1578 aus dem Dienst entlassen wurde. Die katholische Stadtregierung wurde nämlich durch Calvinisten ersetzt, und die katholischen Geistlichen wurden aus der Stadt vertrieben. Unter Apherdianus' Werken befinden
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Hintergrund dieser Thematik siehe Stempel. Zu Mumer vgl. Lappenberg und Honegger ( 1 ) , S. 1 1 9 - 1 2 5 (besonders S. 1 2 2 ) . Bucers Streitschrift von 1 5 2 1 ist der DIALOCUS DAS IST EIN GESPRECH ODER REDE ZWISCHEN ZWEIEN, EINEM PFARRER UND EINEM SCHULTHEISS (Honegger [1], S. 120). Zu Fäkalischem und Verwandtem im Eulenspiegel vgl. Bollenbeck, S. 129-141. Der Einfluß der mittelalterlichen Literatur, z.B. des Fabliau, ist ebenfalls zu berücksichtigen; hierzu z.B. Olson, S. 135-139. Bot, S. 28. Siehe de Graaf und de Graaf, S. 11. Ein biographischer Überblick dort S. 9-17; ein kürzerer bei Heesakkers und Kamerbeek, S. 109, die jedoch Apherdianus' Zeit als Konrektor von 1556 bis 1561 angeben.
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Der Autor und sein Umkreis
sich dreizehn erhaltene CARMINA SCHOLASTICA.49 Seine Schulbücher schließen ein TYROCINIUM LINGUAE LATINAE (1545) und eine METHODUS DISCENDI FORMULAS LATINAE LINGUAE (1557) ein, ebenso die LOCI COMMUNES, EX SIMILIBUS ET APOPHTHEGMATIBUS D. 50 ERASMIROTE. [...] CONCINNATI desselben Jahres. Diese Loa COMMUNES sind im Hinblick auf Nemius und sein Eulenspiegelgedicht nicht ohne Bedeutung. Sie verweisen zum einen auf den großen allgemeinen Einfluß des Erasmus auf weniger prominente Humanisten und Lehrer, darunter Apherdianus und Nemius. Zum anderen bezeugen sie die Bedeutung von Erasmus' ADAGIA als wichtige, wahrscheinlich sogar bedeutendste humanistische Quelle moralisierender und erbaulicher Sprüche und Gemeinplätze jener Zeit. Als Lehrer und Erzieher war sich Nemius ihrer Bedeutung natürlich bewußt, und dementsprechend verwies er schon in der Widmung seiner Bearbeitung des Murmellius auf die Wichtigkeit des PROVERBIALE AUT MORALE.51 Dementsprechend steckt Nemius' Eulenspiegelgedicht voll von erasmischen Adagien. Auch war Nemius mit Apherdianus' Bearbeitung der ADAGIA bestens vertraut. Nicht nur waren die beiden in den Jahren 1557 und 1558 Kollegen an derselben Schule, sondern jeder nahm auch großen Anteil am Werk des anderen. Ihr gegenseitiges Interesse geht schon aus den Gedichten hervor, die sie in diesen Jahren füreinander verfaßten. Apherdianus dichtete 1557 einen Achtzeiler für Nemius' PORTOS NEPOTUM. Nemius schrieb für Apherdianus im gleichen Jahre ein Gedicht in Senaren, das auf der Titelseite der LOCI COMMUNES erschien: SENARII IN LAUDEM SIMILIUM ET APOPHTHEGMATUM, AUTORE ΙΟΑΝΝΕ ΝΕΜΙΟ. 52 Das kurze Gedicht in acht Versen mutet fast wie eine Inhaltsangabe von Nemius' eigenem Rahmen zu seinem Eulenspiegelgedicht an (vgl. die Abschnitte I und XLVI in der vorliegenden Ausgabe des 49
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51 52
Das CARMEN des Jahres 1571, COLLOQUIUM DAVIDIS ET FUERI, mit Einführung, Zusammenfassung und Adnotationen ist jetzt bei Heesakkers und Kamerbeek, S. 109-116, leicht zugänglich. Sie führen auf S. ΧΙΧ-ΧΧΠ die Titel aller erhaltenen CARMINA des Apherdianus auf. Zur lateinischen Dichtung des Apherdianus siehe Peerlkamp, S. 123-125. Der vollständige Titel bei de Graaf und de Graaf, S. 33. Zu berichtigen ist bei ihnen das S. 13 angegebene Erscheinungsjahr 1577. Nauwelaerts (4), S. 261 Anm. 38, nennt 1558 als Jahr der Erstveröffentlichung von Apherdianus' METHODUS. Der Text bei Nauwelaerts (3), S. 261. Ein Hinweis auf dieses Gedicht fehlt in Nauwelaerts' Liste von Nemius' Dichtung (Nauwelaerts [2], S. 106). Der Text des Gedichts mit namentlicher Nennung des Autors bei de Graaf und de Graaf, S. 33.
Der Autor und sein Umkreis
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TRIUMPHUS). Darüberhinaus legt der kurze zeitliche Abstand zwischen den Daten der Veröffentlichung beider Werke nahe, daß die LOCI die Entstehung des TRIUMPHUS beeinflußt haben dürften. Apherdianus' Widmung der LOCI datiert vom 31. Mai 1557, der Widmungsbrief des Nemius im TRIUMPHUS vom 1. Dezember des folgenden Jahres. Es ist anzunehmen, daß Nemius spätestens im Herbst 1557 das publizierte Buch seines Freundes und Kollegen in der Hand hatte, d.h. zu der Zeit, als er selbst aller Wahrscheinlichkeit nach an eine Abfassung des Eulenspiegel dachte oder bereits am Gedicht arbeitete. Daß Nemius die LOCI als direkte Quelle neben den erasmischen ADAGIA heranzog, ist möglich, aber heute weder nachzuweisen noch auszuschließen. Die LOCI des Apherdianus waren übrigens auch eine der Quellen für Nemius' ORTHOGRAPHIAE RATIO. Weit weniger als über Apherdianus ist über Schindelius bekannt. Sogar Nauwelaerts hat so gut wie nichts über ihn zu berichten. 53 Er war Benefiziat der Johanneskirche in Herzogenbusch und mit Nemius, Pelegromius und Schenckelius befreundet. Er schrieb einen Fünfzeiler für die 1556er Ausgabe von Nemius' SYNTAXIS ERASMI und steuerte neben Vladeraccus auch ein Geleitgedicht zu Nemius' ORTHOGRAPHIAE RATIO bei. 54 Ein ERASMI LÉXICO, das er laut Nemius mit diesem um 1550 zusammengestellt haben soll, ist unbekannt geblieben und möglicherweise gar nicht erschienen.55 Nemius widmete sein Eulenspiegelgedicht Simon Pelegromius (Pelgrom), der um 1507 in Herzogenbusch geboren wurde und dort 1572 starb. 56 Pelegromius war dort möglicherweise Schüler der Brüder vom Gemeinsamen Leben gewesen und mit Macropedius befreundet. Nach dem Studium trat er in den Orden des Heiligen Wilhelm ein. Dieser Orden besaß in Herzogenbusch das Kloster Baseldonck oder Hemelpoort, auch „de Hemelsche Poort" und lateinisch PORTA CAELESTIS („Himmelspforte") genannt. 1542 wurde Pelegromius Prior dieses Klosters, nach anderen Quellen bereits früher (1541 oder im Dezember 1539). Im 53 54 55
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Siehe Nauwelaerts (3), S. 257-258 Anm. 28. Nauwelaerts (4), S. 148, 266 mit Aran. 62, und 283. Nemius erwähnt dieses Werk in den Widmungsbriefen seiner SYNTAXIS und seiner EPITOME; vgl. Nauwelaerts ( 3 ) , S. 2 5 7 und 2 5 9 . Nauwelaerts (4), S. 238 Anm. 117, datiert sein Geburtsjahr auf ca. 1515 herab. Wiederum andere Daten bei van Dijck (2), S. 10. Siehe zu Pelegromius auch Nauwelaerts (3a), S. 161-165; Nauwelaerts (4), S. 236-238; van Dijck (1).
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Der Autor und sein Umkreis
Jahre 1557 wurde er Provinzial des Ordens. Sein bekanntestes Werk ist ein Schulbuch zur Synonymik (lateinisch-holländisch, dazu ein wenig Griechisch), das zuerst 1537 in Herzogenbusch herauskam, in verschiedenen Überarbeitungen bis 1635 sieben Ausgaben durchlief und sogar in einer englischen Bearbeitung erschien: SYNONYMORUM SYLVA, SIMONIS PELEGROMII OPERA ATQUE LABORE IN USUM EORUM QUI COMPOSITIONI STUDENT EPISTOLARUM CONGESTA. Der Titel variiert entsprechend den einzelnen Ausga-
ben. 57 In der Einleitung bezeichnet sich Pelegromius als großen Bewunderer des Erasmus. Die Herzogenbuscher Ausgabe des Werkes von 1546 erhielt empfehlende Gedichte u.a. von Nemius, der sechs Verse in Hexameter und iambischem Trimeter beisteuerte. Pelegromius schrieb auch eine lateinische Geschichte seiner Vaterstadt (DESCRIPTIO ORIGINIS URBIS SYLVAEDUCENSIS, 1540), die noch 1629 sowohl in holländischer als auch englischer Übersetzung erschien. Wie aus einigen seiner Briefe hervorgeht, besaß Nemius eine spielerische, für Scherz und Witz aufgeschlossene Natur. Daß er sich an den Streichen Eulenspiegels dichterisch versuchte, nimmt daher nicht wunder. Wie er in seiner Widmung an Pelegromius mitteilt, will er Tills Abenteuer „mit spielerischem Stift" (CALAMO LUDENTE) nacherzählen und beruft sich dabei auf die Autorität des Horaz. Schon zuvor hatte er in einer in den Text seiner APOLOGIA eingeschobenen Erläuterung mit einem Cicerozitat auf die Bedeutung von Spiel und Scherz in der Erziehung hingewiesen. 58 Witzig ist auch seine Randglosse zu Vers 201208 der APOLOGIA, wo von der materiellen Armut des Lehrers im Gegensatz zu seinem geistigen Reichtum die Rede ist: PAUPERTAS APUD LUDIMAGISTROS HABET OMNES SYLLABAS LONGAS („bei Lehrern hat die Armut nur lange Silben").59 Kurz zuvor hieß es im Vers 199 der APOLOGIA mit epigrammatischer Prägnanz: SCHOLA DITAT NULLA DOCENTEM („Keine Schule macht den Lehrer reich"). Im Geleitbrief seiner EPITOME spricht Nemius davon, das Werk des Erasmus „mit meinem kurzweiligen Stift" (LÚDICRO NOSTRO 57
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Zu diesem Werk siehe Nauwelaerts (4), S. 236-238; der Text des Widmungsbriefes bei Nauwelaerts (3a), S. 162-164. Pelegromius erhält von Schenckelius ein nettes Lob für dieses Werk im Widmungsbrief der Orationes Terentianae; Text bei Nauwelaerts (3a), S. 183. Zitiert bei Heesakkers und Kamerbeek, S. 76 (zu Vers 306 der Apologia). Die Cicerostelle ist Off. 1,103. Heesakkers und Kamerbeek, S. 75 (zu Vers 206).
Der Autor und sein Umkreis
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illustrieren. In der ersten Widmung seiner Bearbeitung des Murmellius, die an Pelegromius gerichtet ist, findet sich ein Wortspiel mit Murmellius' Namen. 60 In einem zweiten, an Cuppifex adressierten Widmungsschreiben, das Nemius zusammen mit dem fast völlig unbekannten Lambertus Longolius verfaßte, wird dann dem Sprachwitz freier Lauf gelassen. 61 Dieser Brief ist voll von Wortspielen mit dem lateinischen BOS („Ochse"), das an die letzte Silbe des Namens der Stadt 's-Hertogenbosch (Den Bosch) erinnert. Ihr wird daher kurzerhand der Name Bovinia („Ochsenheim") verpaßt. Neben mythologischen Tiergestalten der Antike wie dem Minotaurus und der in eine Kuh verwandelten Io kommen hier auch der ägyptische Apis und der Ochse im Stall zu Bethlehem vor. Ihren Anfang nimmt die Spielerei mit einer Erwähnung des grausamen griechischen Tyrannen Phalaris, der seine Opfer in einem Bronzestier zu Tode rösten ließ: OBSTUPEFACIT NOS INSOLENS ILLE PHALARISMUS. Phalaris kehrt auch im TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE wieder. In einem dritten Brief setzt dann Cuppifex die Witzelei fort.62 Zu all diesem paßt sehr gut, daß Nemius sich selbst im oben erwähnten Widmungsbrief seiner EPITOME folgendermaßen charakterisiert: AGNOSCITIS, OPINOR, LUDENTEM IOCANTEMQUE NEMIUM („Ihr erkennt hier sicher den Nemius bei Spiel und Spaß wieder")· Diese treffenden Worte beziehen sich nicht nur auf den unmittelbaren Kontext, sondern sagen auch Grundsätzliches über die Persönlichkeit unseres Dichters aus. Ebenso wird der Umgang mit seinen Schülern Nemius jung erhalten haben. LIBENTER ITAQUE REPUERASCIMUS („Also werden wir gern wieder jung"), schrieb er noch 1 5 7 2 in der Widmung seiner ORTHOGRAPHIAE RATIO an Matthisius. 63 CALAMO) ZU
Nemius hat seinen Ruf als Dichter, der für seine Freunde und Kollegen außer Frage stand, weder auf größere Kreise ausweiten noch in den folgenden Jahrhunderten erhalten können. Heutzu6 0
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MURMELLIUS MURMURANDO; Text der Widmung bei Nauwelaerts (3), S. 261. Zu ihm Nauwelaerts (3), S. 263. Der Text dieses Briefes bei Nauwelaerts (3), S. 264-265. Der Kontext des Zitats bei Nauwelaerts (3), S. 271. Ähnlich hatte es Nemius schon 1552 im Widmungsbrief seiner EPITOME ausgedrückt: RECORDEMINI NECESSE EST PUERITIAE FORMATORI REPUERASŒNDUM ESSE IN DIES ET IN HORAS („Wir wollen nicht vergessen, daß sich der Erzieher der Jugend täglich und stündlich jung erhalten muß"; Nauwelaerts [3], S. 259). Das Verb REPUERASCERE stammt aus Plautus (MERC. 296) und Cicero (CATO MAI. 83; DE OR. 2, 22). Vgl. Otto Nr. 1625. Erasmus gebraucht es in anderem Zusammenhang im MORIAE ENCOMIUM; siehe Miller (1), S. 82 Zeile 209.
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Der Autor und sein Umkreis
tage ist Nemius höchstens als Autor des TRIUMPHUS der modernen Forschung eine kurze Erwähnung wert, wozu im folgenden Kapitel noch einiges anzumerken ist. Doch während seines Lebens konnte sich Nemius einer gewissen Anerkennung unter den Gebildeten seiner Zeit durchaus erfreuen. Greifen wir aus den Geleitgedichten, die seine Werke der Leserschaft vorstellten, ein besonders prägnantes Beispiel heraus. Der schon erwähnte Sechszeiler des Cuppifex an die Freunde der Musen in Nemius' Murmelliusbearbeitung beginnt mit der Feststellung, der Autor habe die Begabung Ovids: INGENIUM NASONIS HABET. Danach vergleicht das Gedicht Nemius mit Horaz und Vergil.64 In seinem Geleitschreiben zu demselben Werk charakterisiert Cuppifex seinen Freund und Kollegen (SYNERGUS AC POPULARIS MEUS) als N O N PROLETARIUS VERSIFICATOR, SED CLASSICUS DIVINUSQUE POETA: e r
sei „kein gemeiner Verseschmied, sondern ein klassischer und göttlicher Dichter". Nach dem Vorbild des Horaz, der in der ARS POETICA das gründliche Studium der Griechen empfahl, legt auch Cuppifex mit Anspielung auf eben diese Horazstelle den Lesern von Nemius' Buch nachdrücklich ans Herz, die Verse dieses Dichters eingehend zu studieren. Alle diejenigen nämlich, die Nemius' Verse gut gelernt haben, im Gedächtnis behalten und danach fromm leben, werden rechte Kinder Gottes.65 Im Hinblick auf den Kontext dieses fulminanten Lobes — es erscheint in Cuppifex' Antwort auf den Brief von Nemius und Longolius, in der das Spiel mit dem Wort BOS eifrig fortgesetzt wird — und im Hinblick auf den Kontext der Bibelstelle drängt sich der Verdacht auf, daß Cuppifex es hier vielleicht eher ironisch meint, zumal er kurz danach einen bekannten Vergilvers (DISCITE IUSTITIAM MONITI ET NON TEMNERE DIVOS; ÄN. 6 , 6 2 0 ) DISCITE IUSTITIAM MONITI ET RIDETE VIRITIM („... und lacht Mann
in
für Mann") abwandelt. Sympathisch mutet es dagegen an, daß Nemius selbst von seiner Dichtung in weit größerer Bescheidenheit zu sprechen pflegt.66 Beides, das überschwengliche Lob der 64
Nauwelaerts (2), S. 106, und (4), S. 223.
6 5
Qui ENIM ILLOS [SC. ΝΕΜΠ VERSICULOS] PERDIDICERINT, FIDELTTER MEMORIA TENUERINT, AC DELNŒPS PIE DM CHRISTO IESU VIXERINT, Dil ERUNT ET FUJI EXŒLSI OMNES. Der Text, der
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ein Bibelzitat enthält (Ps. 82, 6), bei Nauwelaerts (3), S. 264-265. Die Horazstelle ist A.P. 268-269. In den Widmungsbriefen bezeichnet er z.B. die APOLOCLA als HOC RUDE ADHUC ET INCUOI REDDENDUM CARMEN („dieses kunstlose Gedicht, das wieder auf den Amboß gehört") und den PORTUS NEPOTUM als ein MALE TORNATUM ET PRORSUS ξενικά ν CARMEN („ein schlecht gedrechseltes und ganz barbarisches Gedicht"; Nauwelaerts [3], S. 266 und 267). Die Bilder vom Amboß und
Der Autor und sein Umkreis
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Freunde und die Bescheidenheit des Autors, gehört zum literarischen Decorum der Zeit. Daß Nemius überzeugter Erasmianer war, geht aus seinen Werken, besonders der EPITOME, der SYNTAXIS und der ORTHOGRAPHIAE RATIO deutlich hervor. Ebenso ist sein Witz und Humor dem des Erasmus durchaus verwandt. Mit Recht nennt Nauwelaerts daher Nemius einen Vollbluterasmianer und Verfechter des erasmischen Humanismus und hebt seine Bedeutung am Vorabend der Gegenreformation hervor.67 Der Einfluß des Erasmus auf Nemius wird im Kommentar zum TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE und im darauffolgenden Kapitel ausführlicher dargestellt.
Drechseln stammen aus Hör., A . P . 441. Aus der Wendung INCUOI REDDENDUM schließen Heesakkers und Kamerbeek, S. 60, daß die APOLOGIA zur Zeit der Abfassung des Geleitbriefes noch nicht gedruckt war. Diese Auffassung verkennt allerdings Charakter und Absicht der Horazstelle, deren Kontext die Worte eindeutig als im übertragenen Sinne gemeint ausweist. Nauwelaerts (4), S. 154 und 255; vgl. S. 266. Eine kurze Gesamtwürdigung bei Nauwelaerts (4), S. 154, wo im Hinblick auf Nemius als Autor des Eulenspiegelgedichts auch „zijn schalkse geest" betont wird. Vgl. weiterhin Nauwelaerts (2), S. 104-105 („vol humor en schalkse lach en ironie", S. 104). CARMEN
2.
Nemius' Eulenspiegelgedicht
2.1. Die Drucke von 1558,1563 und 1641 Für die Literatur- und Geistesgeschichte ist das Eulenspiegelgedicht das bedeutendste Werk des Nemius. Es erschien zuerst 1558, danach in einem Neudruck bereits 1563 und schließlich noch einmal im Jahre 1641. Die drei Drucke bezeugen die Popularität nicht nur der Gestalt Eulenspiegels, sondern auch des lateinischen Gedichts. Anders als bei vielen Frühdrucken des Eulenspiegel begleiten keine Illustrationen die lateinischen Historien des Nemius. Von den drei Drucken des Werkes, die alle als Kleinoktav erschienen, ist der zweite heutzutage der Forschung am bekanntesten und am leichtesten zugänglich. Nur diesen beschreibt Friedrich Gotthilf Freytag in seinem APPARATUS LITTERARIUS.1 Der letzte Druck ist der Eulenspiegelforschung, J.M. Lappenberg eingeschlossen, gänzlich unbekannt. Nur M.A. Nauwelaerts führt ihn in seinem Verzeichnis von Nemius' Werken auf. Im allgemeinen beschränkt sich die Eulenspiegelforschung lediglich auf eine eher knappe Erwähnung der Drucke von 1558 und 1563 und deren Autor und Titel.2 Das wenige, was die Forschung über Nemius selbst und über seinen Eulenspiegel zu sagen hat, ist zum Teil spekulativ oder geradezu falsch. Der Titel von Nemius' Gedicht ist im Zweit- und Drittdruck gegenüber dem ersten um den latei1
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Freytag, Bd. 2, S. 1017-1020. (Alle folgenden Hinweise auf den ADPARATUS beziehen sich auf diesen zweiten Band.) Peerlkamp, S. 77, erwähnt den Erstdruck, ohne ihn allerdings eingesehen zu haben. Auch setzt er ihn anscheinend nicht mit Nemius' Eulenspiegelgedicht in Verbindung. Noch im 20. Jahrhundert kann der Erstdruck der Forschung unbekannt sein oder unerwähnt bleiben, wie es z.B. bei Lefebvre, S. 211 Anm. 1, der Fall ist. Noch 1940 bemerkt Roloff, S. 180: „Ob später [d.h. nach 1563] noch weitere Auflagen gefolgt sind, ist nicht nachzuweisen." Auch Graesse, S. 517, und Grant (2), S. 128 Anm. 63, nennen nur die ersten zwei Drucke. Der letzte Druck wird allerdings bei Peerlkamp, S. 77, angeführt.
Die Drucke von 1558,1563 und 1641
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nischen Ausdruck für „Eulenspiegel" (ULULARUM SPECULUM) erweitert. Die moderne Wissenschaft überträgt diesen nur den späteren Drucken eigenen Titel ungeprüft auch auf den Erstdruck.3 Eine weitere und sehr verbreitete Ungenauigkeit der modernen Forschung liegt darin, daß der Autor des TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE (bzw. des ULULARUM SPECULUM) regelmäßig als „Rektor zu Herzogenbusch" identifiziert wird, was den Schluß nahelegt, Nemius sei zur Zeit der Abfassung und Veröffentlichung des Gedichts in Herzogenbusch tätig gewesen. Wie dem voraufgehenden Kapitel zu entnehmen ist, trifft dies jedoch nicht zu. Der Erstdruck des Eulenspiegelgedichts erschien 1558 bei Harmannus Borculous (Herman van Borculo, I) in Utrecht.4 Das Titelblatt (AIR; Abb. 1), das keine Illustration besitzt, gibt zunächst den Titel selbst: TRIVMPHVS / HVMANAE / STVLTITIAE, VEL TYLVS / Saxo, nunc primùm Latinitate dona/tus ab Ioanne Nemio. Ihm folgen die von Apherdianus verfaßten Geleitgedichte (DECASTICHON, DISTICHON) und die Angaben von Ort, Drucker
und Jahr: VLTRAIECTI./Harmannus Borculous excudebat./ Anno. 1558. Das mit OCTASTICHON überschriebene Gedicht von Schindelius steht auf Blatt Alv. Auf A2R-V folgt Nemius' Geleitbrief an Pelegromius. Das eigentliche Gedicht beginnt A3R mit der Wiederholung des Haupttitels und der Angabe des Metrums: TRIVMPHVS HV/MANAE STVLTITIAE, CARMI/ne Iambico trimetro conscriptus. Die Marginalien, die wie in den folgenden Drucken jeweils am äußeren Blattrand erscheinen, geben Überschriften der einzelnen Historien (vgl. Vers II, 5 der vorliegenden Ausgabe), Zitate aus der antiken Literatur und der Bibel und Erklärungen griechischer Ausdrücke. Das Gedicht endet E10R (Lagen: A-D8, E10). Pro Seite stehen ab A3V 25 Zeilen Gedichttext. Auf Blatt E9R entfallen 24 Zeilen, da auf E9V der Zwischentitel DE HIS AETATIBUS folgt und der So noch vor kurzem bei Schüppert, S. 24 Anm. 49. Borculo, von 1538 bis 1576 in Utrecht tätig, wird im Verzeichnis von Gruys und de Wolf auf den Seiten 13 und 151 aufgeführt. Vgl. Vervliet (1), S. 70 und 292-293, zur Drucktype des TRIUMPHUS und ihrer Verbreitung in den Niederlanden. In seinem „Sendschreiben" bei Murr, S. 3 6 0 , bezeichnet Gesner allerdings Druck und Papier des Buches als nicht holländisch. Die bei Nauwelaerts (2), S. 109 (Nr. 8), als Besitzer des Erstdrucks genannten Bibliotheken Brüssel und Ghent haben nach Auskunft der Bibliothekare kein Exemplar dieser Ausgabe in ihren Beständen.
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Nemius' Eulenspiegelgedicht
Schlußteil des Gedichts (FUNESTAMORS ...) einsetzt. Auf ELOR steht die Druckerlaubnis.5 Eine Liste von Errata schließt sich an, wobei es sich um Verbesserungen offensichtlicher Druckfehler handelt.6 Der zweite Druck erschien 1563 ohne Angabe von Druckort und Drucker. Allerdings übernimmt er am Ende des Textes unverändert die Druckerlaubnis des Erstdruckes einschließlich des Namens Borculo.7 Das Titelblatt (AIR; Abb. 2) beginnt mit dem um ULULARUM SPECULUM erweiterten Titel. Der ursprüngliche Titel schließt sich mittels ALIAS („oder") an, so daß es nunmehr heißt: VLVLARVM SPECVLVM, / ALIAS TRIVM/PHVS HVMANAE STVLTI/TIAE, VEL TYLVS SAXO, / nunc primùm Latini/tate donatus, / ab / IOANNE NEMIO. Ob der Zusatz zum Originaltitel von Nemius stammt, ist fraglich. Es folgt auf der Blattmitte ein Holzschnitt, der in einem ovalen Rahmen eine Eule auf einem Zweig oder Ast zeigt. Sie hält in der linken Klaue einen Spiegel, in dem sie ihr Gesicht betrachtet. Auf allen vier Seiten umrahmt dieses Bild ein Vers, der links oben beginnt und dem Buch als Motto voraufgeht: VT SAPIENS / FIAS, CVM VLV/LIS VLVLARE / MEMENTO. Das heißt: „Um weise zu werden, denke daran, mit den Eulen zu heulen." Dieser Vers, ein Hexameter, wird in der modernen Forschung gelegentlich falsch als MEMENTO — ULULARE zitiert.8 Dabei bleibt die deutlich sichtbare Interpunktion nach MEMENTO unberücksichtigt. Auch hätte ein Blick auf Freytags Beschreibung des Druckes im ADPARATUS oder auf das Titelblatt des Druckes von 1641 jedem diesbezüglichen Zweifel abgeholfen. Daß der Vers von Nemius selbst stammt, ist höchst unwahrscheinlich. Nemius assoziiert nämlich Eulenspiegel mit der 5
Ihr Text (Kürzeln aufgelöst): Visus ET APFROBATUS EST M C UBELLUS A UENERABILUMO D . M . NICOLAO DE CASTRO COMMISSARIO REGIO, ET M . GUILHELMO QNNESIO PASTORE A M STELREDAMO ET ADMISSUS AB HARMANNO BORCULO IMPRIMI. ET ERAT ADMISSIO SUBSICNATA.— G . Sc[H]RIJUERS.
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Die letzte Seite des Exemplars in der Universitätsbibliothek Amsterdam ist EIOR, obwohl die Liste der Errata auf dieser Seite nur bis zur zweiten Lage reicht und mit einem Komma endet, also unvollständig ist. (Das Exemplar der Göttinger Universitätsbibliothek endet bereits E9v.) Gesner (bei Murr, S. 360) erwähnt einen Druckerstock, der einen geflügelten Hirsch darstellt, und schließt daraus, die Ausgabe sei bei Eucharius Cervicornus in Köln gedruckt worden. Vgl. oben Anm. 4. Wahrscheinlich deshalb vermutet Nauwelaerts (2), S. 109, daß auch dieser Druck bei Borculo in Utrecht erschien. Vgl. unten Anm. 22. Z.B. bei Honegger (2), S. 19 Anm. 3; Arendt, S. 54 Anm. 28; Geeraedts (3), S. 57.
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weltlichen — d.h. falschen — und nicht mit der wahren Weisheit, wie unten das Kapitel zum geistesgeschichtlichen Hintergrund seines Gedichts ausführlich zeigen wird. Das Motto des Zweitdrucks weist dagegen den Eulen die rechte Weisheit zu und widerspricht damit der Auffassung und dichterischen Absicht des Nemius. Daraus läßt sich schließen, daß Nemius diesen Wahlspruch nicht seinem Gedicht beigegeben hat und wahrscheinlich mit dem Druck wenig oder sogar nichts zu tun hatte. Unten auf der Titelseite schließt sich das auf zehn Jahre gültige Druckprivileg mit der Jahresangabe an: Cum Gratia & Priuilegio ad de/cennium. / ANNO M. D. LXIII. Auf Blatt Aiv folgen die Geleitgedichte von Apherdianus und Schindelius; letzteres heißt nunmehr C A R M E N statt OCTASTICHON. Nemius' Geleitbrief schließt sich auf A2R-V an. Der lateinische Fehler in der Jahresangabe des Datums des Briefes (1. Dezember 1558) wurde schon von Frey tag bemerkt und berichtigt.9 Statt QUINGENTÉSIMO muß es wie im Erstdruck QUINQUAGESIMO heißen. Das Gedicht selbst beginnt A3R. Hervorzuheben ist, daß der Titel auf diesem Blatt mit dem der Erstausgabe identisch ist (TRIUMPHUS — CONSCRIPTOS) und daß der Zusatz (ULULARUM SPECULUM, ALIAS), der auf dem Titelblatt erscheint, hier fehlt. Das Gedicht endet auf Blatt E6V, auf dem auch die Druckerlaubnis aus dem Erstdruck unverändert wiederkehrt. Eine Liste von Errata fehlt. Pro Seite sind von A3V bis C8V 28 Gedichtzeilen gedruckt. Von DIR bis E5R sind es jeweils 27 Zeilen. Der Zwischentitel DE HIS AETATIBUS ... steht zu Beginn von E6R, so daß auf E5v nur 21 Zeilen Text entfallen. Ab A3V beginnt auch der Titelkopf: V L V L A R V M jeweils VERSO, SPECVLVM jeweils RECTO. Der dritte und letzte Druck von Nemius' Eulenspiegelgedicht erschien 1641 bei Christoffer Lomeyer in Zutphen.10 Das Titelblatt (AIR; Abb. 3) gibt zunächst denselben Titel wie der Zweitdruck: VLVLARVM SPECVLVM. / Aliâs / T R I V M P H V S / Humanae Stultitiae, vel Tylus Saxo, / nunc primùm Latinitate donatus, / AB / IOANNE NEMIO. Es folgt das Motto, nunmehr auf einer Zeile: Vt sapiens fias, cum Vlulis Vlulare memento. Die untere Hälfte der Seite beherrscht eine Illustration, die mit dem Inhalt des Buches nichts zu tun hat (Druckersignet). In ei9 10
Freytag, S. 1018. Vgl. Gruys u n d d e Wolf, S. 60 u n d 155. Lomeyer druckte in Zutphen v o n 1631 b i s 1667.
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Nemius'
Eulenspiegelgedicht
nem verzierten, nicht ganz kreisrunden Rahmen erscheint ein nach links vorwärtsschreitender Landmann am Feldrain. In der erhobenen Rechten schwingt er eine große Sichel, um das vor ihm wuchernde Gestrüpp abzumähen. Zwischen dieser Szene und der Rahmenverzierung steht ein lateinischer Wahlspruch („Hoffe auf das Bessere, doch sei auf das Schlimmere gefaßt"): SPERA meliora / PARA TE AD PEIORA. Darunter folgen die Angaben von Ort, Drucker und Jahr: Ζ V Τ Ρ Η Α Ν I Α Ε , / Typis CHRISTOPHORILOMEIERI, / Anno M D C, X L I. Blatt Alv gibt die Gedichte des Apherdianus wieder und beginnt gleichzeitig eine Seitenzählung in arabischen Ziffern, die jeweils außen am oberen Blattrand erscheint (Alv = Seite 2). Auf Blatt A2R (= Seite 3) steht das Gedicht des Schindelius, hier wie im Zweitdruck als CARMEN bezeichnet. Auf A 2 v bis A3V (= Seite 4-6) folgt Nemius' Brief an Pelegromius. Die Initiale des ersten Wortes (CELEBRE) ist reich verziert und erstreckt sich vertikal über den Beginn von sechs Zeilen. Der lateinische Fehler der Datumsangabe (QUINGENTÉSIMO) taucht wieder auf. Die griechischen Wörter παίδες und τους γονείς des Briefes, die in beiden früheren Drucken in griechischen Buchstaben erschienen, sind nunmehr ins Lateinische übersetzt worden: NATI und PARENTES. Auf Seite 7 (A4R) beginnt der Text des Eulenspiegelgedichts. Der Titel ist wieder mit dem des Erstdruckes identisch (TRIUMPHUS — CONSCRIPTOS). Seite 8 ( A 4 v ) beginnt der Titelkopf, dessen Anordnung mit der des voraufgehenden Druckes übereinstimmt. Anzumerken ist noch, daß von dieser Seite an die einzelnen Historien mit arabischen Ziffern durchgezählt sind. Die Zählung beginnt mit Eulenspiegels dreimaliger Taufe — der von Tills Abenteuern unabhängige Anfangsabschnitt bleibt unberücksichtigt — und endet mit der Nummer 56 auf Seite 67 (E2R), d.h. mit dem Schlußabschnitt des imaginären Lebenslaufes, den Nemius den Historien hinzufügt. Der Zwischentitel DE HIS AETATIBUS ... steht auf Seite 68 (E2v) und beginnt den Schlußteil des Gedichts, das auf Seite 70 (E3V) endet. Auf derselben Seite folgen dem Text die Druckerlaubnis, mit der der früheren Drucke identisch, und danach FINIS, und eine Blattrankenverzierung. Von Seite 8 (A4v) bis 66 (Eiv) umfaßt der Text jeweils 32 Zeilen pro Seite. Der Schluß (ab FUNESTA MORS ...) ist in einer größeren Type gedruckt, in der 26 Zeilen auf die Seite entfallen.
Der TM des Gedichts
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2.2. Der Titel des Gedichts Wie oben beschrieben, beginnen die Drucke von 1563 und 1641 mit ULULARUM SPECULUM, einem Zusatz zum Titel TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE des Erstdrucks. Das Fehlen dieses Zusatzes am eigentlichen Gedichtanfang in den beiden späteren Drucken mag darauf hinweisen, daß der Ausdruck ULULARUM SPECULUM nicht von Nemius selbst stammt. Das der Absicht des Gedichts widersprechende Motto UT SAPIENS FIAS ..., die unveränderte Wiederholung der Druckerlaubnis von 1558 und das Fehlen der Angabe von Drucker und Erscheinungsort legen nahe, daß Nemius am Zweitdruck keinen Anteil hatte. Weit schwerer wiegt allerdings die falsche Emendation RESPLENDENS (Vers XXIX, 10 in der vorliegenden Ausgabe), die der Zweitdruck einführt und die sowohl ungrammatisch als auch sinnentstellend ist. Solch ein gravierender Fehler kann nicht von Nemius selbst stammen. Auch dürfte er Nemius bei einer Durchsicht des Textes vor der Drucklegung wohl kaum entgangen sein. Nemius hätte sicher die Gelegenheit wahrgenommen, den Druckfehler des Erstdruckes (RESPLENDUM statt REPLENDUM) zu berichtigen. Hätte der Autor selbst mit dem Neudruck seines Gedichts zu tun gehabt, hätte er ihn vielleicht eher wieder bei Borculo oder bei einem der anderen, ihm schon bekannten Verleger z.B. in Herzogenbusch oder Antwerpen erscheinen lassen.11 Auf jeden Fall ist aber an TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE als eigentlichem Titel des Gedichts festzuhalten. Den späteren Zusatz ULULARUM SPECULUM hat die neuere Forschung gelegentlich mißverstanden und sich zu gewissen unhaltbaren Spekulationen über Nemius und seine dichterischen Absichten mit der Gestalt Till Eulenspiegels verleiten lassen. Das wenige, das uns von Nemius bekannt ist, sollte aber nicht von Mißverständnissen überschattet werden, und somit ist es angebracht, nunmehr auf diese falschen Ergebnisse der bisherigen Rezeption des Gedichts ausführlicher einzugehen. J.M. Lappenberg bemerkt am Ende seiner Beschreibung des Druckes von 1558: „Es ist übrigens auffallend, dass Ulenspiegel bei Nemius nie diesen Namen, weder in der deutschen Form noch lateinisch führt, sondern nur Tylus heisst, so wie sein Vater Nicolaus." Lappenberg fügt hinzu, daß Till zwar als Sachse identifiziert wird, aber daß sein Geburts- und Sterbeort, die GrabVgl. oben Anm. 7; anders jedoch van den Oord, S. 203-204.
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Nemius'
Eulenspiegelgedicht
Stätte, das Todesjahr und die meisten Ortsnamen fehlen. Er folgert daraus, „dass der Uebersetzer und Dichter alles verschmähte, was er für ein historisches Blendwerk hielt".12 Lappenbergs Beobachtung ist sachlich großenteils korrekt. Jedoch von historischem Blendwerk zu sprechen, ist irreführend. Es ist eher anzunehmen, daß mehrere der geographischen und historischen Daten deshalb fehlen, weil sie Nemius für seine Darstellung der Abenteuer Tills zu unwichtig erschienen. Wenn dem Brabanter Nemius in der Tat schon das verhältnismäßig nahe Amsterdam wie das Ende der Welt vorkam (EXTREMA [...] URBS; vgl. dazu das vorige Kapitel), so werden ihm die noch beträchtlich ferneren Stätten von Tills Streichen kaum am Herzen gelegen haben. Eine weitere grundsätzliche Erwägung fehlt bei Lappenberg. Nemius hätte nämlich alle Ortsnamen latinisieren und diese latinisierten Namen den metrischen Voraussetzungen und ihrer jeweiligen Plazierung im Vers anpassen müssen. Bei aller metrischen Freiheit, die sich der neulateinische Dichter herausnehmen durfte, wäre dies nicht gerade ein leichtes und schon gar kein elegantes Unterfangen gewesen. Es ist somit fraglich, ob es sich für Nemius überhaupt gelohnt hätte, derartig spezifische Angaben zur Person und Umgebung Tills in den TRIUMPHUS aufzunehmen. Auch der Gattungswechsel von der Prosaerzählung, die der HISTORIA nahesteht und deshalb Daten und Fakten eher bewahrt, zur Dichtung ist hierbei zu berücksichtigen. Dennoch gelingt es Nemius, eine beträchtliche Anzahl der Ortsnamen in seine Bearbeitung aufzunehmen, besonders wenn es sich um größere und allgemein bekannte Städte handelt und diese für die Geschichte wichtig sind. So finden sich z.B. das unerläßliche ROMA im Abschnitt XXII des TRIUMPHUS (H 34), das metrisch keine Schwierigkeiten bereitende STAURIA im Abschnitt XXXVI (H 81 [82]) und sogar mehrsilbige Städtenamen. Lateinisch benannt werden Lüneburg (XVII = H 25), Frankfurt (XXIII und XXX = H 35 und 22 [63]), Lübeck (XXIX = H 55-56 [57-58]), Trier (XXX = H 22 [63]), Bremen (XLI = H 68 [70]) und Antwerpen (XXXIX = H 85 [86]). Der Name von Magdeburg (Abschnitt X = H 16 [14]) erscheint auf griechisch. Prag wird in der Marginalie zu XIX (H 28) genannt. Ein besonders deutliches Gegenbeispiel zu Lappenbergs Behauptung ist Abschnitt XVIII (= H 27), in dem der Landgraf von Hessen im Gedicht als HESSUS („der Hesse") und in der Marginalie als LANTGRAVIUS bezeichnet wird. Im Beide Zitate bei Lappenberg, S. 182.
Der Titel des
Gedichts
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übrigen ist zu beachten, daß schon in der Hoochstratenausgabe, die Nemius als Vorlage diente, eine Reihe von Auslassungen solcher Art vorkommt. Lappenberg gibt selbst eine Aufstellung der Auslassungen des Antwerpener Textes gegenüber dem Straßburger Druck von 1519. 13 Man darf also Nemius nicht die Auffassung unterstellen, er halte das Historische nur für Blendwerk. Für die Auslassung von Tills Todesjahr ist geltend zu machen, daß Eulenspiegel für Nemius eher eine symbolische Gestalt war, die er in erster Linie von einer moralisch-didaktischen Warte aus betrachtete. Ein Hauptgrund für den Humanisten Nemius, die Geschichten um Till Eulenspiegel in einer lateinischen Fassung darzustellen, darf in der Absicht zu sehen sein, Eulenspiegel ein antikisierendes Gewand deshalb anzulegen, um so Geschichte und Dichtung leichter zu verbinden. So stellt Nemius z.B. bereits zu Beginn des TRIUMPHUS eine historische Gestalt der Antike (Herostratos) gleichwertig neben eine mythische (Epeios). Auch ist das Fehlen des Namens Eulenspiegel bei Nemius durchaus verständlich. Im Gedicht selbst kommt der Name deshalb nicht vor, weil sich eine latinisierte deutsche Form wie z.B. VLENSPIGELIUS, die Freytag im ADPARATUS LITTERARIUS gibt, oder auch eine Übersetzung beider Bestandteile des Namens ins Lateinische in einem verhältnismäßig kurzen Versmaß wie dem Trimeter metrisch nur sehr schwer unterbringen läßt. Dafür ist der Name einfach zu lang und unhandlich. Das Fehlen einer lateinischen oder latinisierten Entsprechung des Namens „Eulenspiegel" im Gedicht ist also bei weitem nicht so erstaunlich, wie es ganz im Gegenteil gerade ihr Vorkommen wäre. Zur Bestätigung können wir die zweite lateinische Versfassung der Eulenspiegelgeschichten von 1567 heranziehen, wo derselbe Sachverhalt zu beobachten ist. In Perianders Distichen ist ebenfalls ausschließlich von TYLUS die Rede. Die Formen ULENSPIGELIUS, ULULAE bzw. ULULARUM SPECULUM oder NOCTUAE SPECULUM mit ihren sechs bis sieben Silben, von deren metrischen Quantitäten ganz zu schweigen, lassen sich eben nicht gut dichterisch einsetzen. Auch wenn dieses in der Tat zu bewerkstelligen wäre, würde bei der Länge des Namens ein wiederholtes Erscheinen zweifellos monoton wirken. In der Prosa bereitet der Name selbstverständlich nicht die geringste Schwierigkeit. So können z.B. Curtius Jael in der LAUS ULULAE und Freytag im ADPARATUS umfassende dreiteilige lateinische Versionen von Tills vollem Namen 13
Lappenberg, S. 158-159.
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Nemius' Eulenspiegelgedicht
nennen, die sich am klassischen römischen Vorbild der Namengebung orientieren: TILO VLENSPIGELIUS MOLLENSIS und TYLUS VLENSPIGELIUS SAXO.14 Der Zusatz ULULARUM SPECULUM (wörtlich: „der Eulen Spiegel") zum Originaldruck von 1558 und das diesem entsprechende NOcruAE SPECULUM („der Eule Spiegel" oder „Spiegel der Eule") bei Periander treten jeweils nur im Titel und nicht im Gedicht selbst auf. Sie sollen dem Namen Eulenspiegel durch ihr Erscheinen am Anfang des Titels besonderes Gewicht verleihen und Eulenspiegel von vornherein eindeutig identifizieren. Weiterhin wird er im Untertitel der Gedichte als TYLUS SAXO (in allen Drucken des Nemius) bzw. TYLUS SAXONICUS (bei Periander) bezeichnet, so daß dem Leser Vorname und Herkunftsbezeichnung Eulenspiegels vorliegen. Aber auch ohne den Zusatz ULULARUM SPECULUM im Erstdruck des Nemius wäre von Anfang an klar gewesen, von wem das Gedicht handeln wird. Wenn also der Titel des Druckes von 1558 kein lateinisches Äquivalent des Namens Eulenspiegel gibt, ist dieser Umstand längst nicht so bemerkenswert oder gar ominös, wie es Lappenberg und nach ihm einigen anderen Forschern vorgekommen ist. Wenn wir uns die moralische und erzieherische Absicht des Autors vor Augen halten, den Triumph menschlicher Torheit am Beispiel Tills darzustellen, dann ist leicht einzusehen, daß Nemius nicht den Namen Eulenspiegel in den Haupttitel des Gedichts setzen wollte, sondern vielmehr die deutliche Bezeich-
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Freytag, S. 1 0 1 7 . Curtius Jael, LAUS ULULAE ( 1 6 4 2 , 1 6 4 3 ; vgl. unten S. 2 5 7 Anm. 3 9 ) , S. 2 3 0 , nennt Eulenspiegel VLENSPIGELIUM [ . . . ] TILONEM ILLUM MOLLENSEM („jenen Till Eulenspiegel aus Mölln"); zitiert bei Murr, S. 3 4 4 . Beachtenswert ist die Variante TILO statt TYLUS. Freytag, S. 1 0 2 0 , referiert auch die Variante TŒLLUS für „Till". Eine lateinische Umschreibung des Namens Eulenspiegel (keine Übersetzung!) findet sich in einer der beiden Grabinschriften aus dem Jahre 1 5 1 3 , in der es heißt: NOCTURNAE VOLUCRIS NOMEN SPECUUQ[UE] PARENTES / QUM DEDERANT (Zeile 5"6 D E S E P I T A [ P H I U M ) NOBILIS PARASITI OULENSPICEL, das in Thilemann Conradis BATRACHOMYOMACMA HOMERI PHILYMNO INTERPRETE ET EULOCIA FUNEBRIA von 1513 überliefert ist). Für unseren Zusammenhang ist bemerkenswert, daß nicht einmal der Titel der Inschrift Eulenspiegels Namen latinisiert. Die Eulenspiegelforschung hat diese Inschriften mehrmals veröffentlicht; siehe Sichtermann (2), S. 34, wonach hier zitiert ist (dort auch Hinweise auf die früheren Veröffentlichungen). Die a.a.O. beigefügte deutsche Übersetzung des Lateinischen ist nicht immer verläßlich; hier sei nur der Ausdruck „Wie ein zweiter Proteus Caerulis" korrigiert, der das lateinische PROTHEUS CAERULUS ALTER (Zeile 4) wiedergibt: Das Adjektiv CAERULEUS („meerblau") gibt Vergil (GEORG. 4,388) dem Meergott Proteus, mit dem Till wegen seiner Wendigkeit verglichen wird. Vgl. TRIUMPHUS, XLV, 117 und dazu den Kommentar.
Der Titel des Gedichts
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nung dessen, was diese Gestalt seinem Verständnis nach verkörpert. Auch wird der Protagonist im weiteren Verlauf des Titels eindeutig identifiziert. Es ist ja jedem Leser des Gedichts vom sechzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert sofort klar, wer nur mit TYLUS SAXO gemeint sein kann. Ein Mißverständnis ist von vornherein ausgeschlossen. Außerdem findet sich auf der Titelseite des Erstdruckes das Distichon des Apherdianus, das von der weiten Verbreitung der Eulenspiegelgestalt und ihrer Popularität im deutschen und deutschsprachigen Raum ein kurzes, aber beredtes Zeugnis ablegt und ebenfalls deutlich auf die Identität dieses TYLUS mit Till Eulenspiegel hinweist.15 Zusätzlich heißt es auf der folgenden Seite (ALV) im OCTASTICHON des Schindelius ausdrücklich, daß Nemius die Thematik seines Gedichtes ULULAE SPECULO [...] EXPLANAT (Vers 7-8), d.h. sie am Beispiel Eulenspiegels darstellt. Wenn hier das lateinische Äquivalent des Namens Eulenspiegel in einem lateinischen Vers erscheint, so ist dabei zu beachten, daß Schindelius es nicht in den Pentameter, sondern in den längeren Hexameter setzt. Somit erübrigen sich weitere ausdrückliche Nennungen des lateinischen Namens für Eulenspiegel, zumal diese ohnehin aus metrischen Gründen im gesamten Text des TRIUMPHUS nicht mehr auftreten würden. Es kommt noch hinzu, daß der Titel des Gedichts mit seinen beiden, durch VEL („oder") verbundenen Teilen, wie der Erstdruck ihn gibt, knapp und elegant seine Funktion erfüllt, dem Leser die nötigen Informationen über Thema und Inhalt des folgenden zu vermitteln. Der Haupttitel verweist auf die Moral von der Geschieht7, und der Untertitel identifiziert den (Anti-)Helden, an dem sich diese Moral exemplarisch vollzieht. Der Zusatz im Titel der beiden späteren Drucke fügt dem nichts hinzu und führt nur zu einer stilistischen Schwerfälligkeit, da ULULARUM SPECULUM mittels eines überleitenden Adverbs (ALIAS) dem bereits zweiteiligen Titel vorangestellt werden muß. Im Lateinischen ist die Dreiteilung, die sich daraus ergibt, alles andere als ansprechend. Wie schon zuvor bemerkt, wäre es müßig, in Nemius den Urheber des Zusatzes zu suchen. Die Diskussion der Behauptungen Lappenbergs wäre als unwichtig anzusehen, wenn nicht seine oben zitierten Bemerkungen zum Fehlen der Ortsnamen und besonders zum Fehlen des Ganz richtig bemerkt Lappenberg, S. 182, zu dem Distichon: „Es sind hier die Deutschen wohl im umfassendsten Begriffe, welcher auch die Holländer einschliesst, [...] zu verstehen."
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Nemius' Eulenspiegelgedicht
lateinischen Namens Eulenspiegel in der späteren Rezeption des Gedichts ein gewissermaßen eigenständiges Weiterleben entwikkelt hätten. Von Lappenbergs ungenauer Darstellung des Sachverhalts bis zu Peter Honeggers knappem Absatz über den Druck von 1558, den er im Jahre 1973 in einer Übersicht über die Druckgeschichte des Eulenspiegel in seiner einflußreichen Studie zur Verfasserfrage gibt, ist es trotz des zeitlichen Abstandes nicht sehr weit. Honegger führt das Versiegen der reichhaltigen Antwerpener Tradition der Eulenspiegeldrucke zwischen 1540 und 1569 und den Verlust der Frühdrucke darauf zurück, daß das anonyme Volksbuch seit 1529 zu den verbotenen Büchern gehörte und auf den Index geriet, den Herzog Alba im Jahre 1570 in Antwerpen veröffentlichen ließ.16 In diesem Zusammenhang kommt Honegger auf Nemius' Gedicht folgendermaßen zu sprechen: „Einen Versuch, dem Übelstand der Verfasserlosigkeit abzuhelfen, unternahm der Urheber der ersten Übersetzung des Ulenspiegel ins Lateinische, Johannes Nemius, der im Vorwort seiner 1558 gedruckten Ausgabe behauptet, er sei auch schon der Verfasser des Werkes."17 Dieser Satz, die einzige Erwähnung von Nemius' Gedicht in Honeggers Buch, ist in Bezug auf die darin enthaltene Autorenabsicht nicht überzeugend und in der Glosse zur Autorschaft des Nemius eindeutig falsch. Im Titel des TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE, den Honegger selbst auf derselben Seite in einer Anmerkung vollständig, jedoch leicht falsch zitiert, wird Nemius nur als Autor der lateinischen Fassung ausgewiesen, und zwar völlig zu Recht.18 Ebensowenig liegt in der Wendung PRIMUM LATINITATE DONATUS AB IOANNE NEMIO der Anspruch, Nemius sei der ursprüngliche Verfasser der Eulenspiegelgeschichten oder der Erfinder der Eulenspiegelgestalt. Honeggers herablassender Ton gegenüber Nemius ist also völlig fehl am Platz.19 Auch scheint er übersehen zu haben, daß Freytag im Zusammenhang mit seiner Beschreibung des Druckes von 1563 ausdrücklich feststellt, der ursprüngliche Autor der Eulenspiegelhistorien sei unbekannt und die Historien seien ohne Zweifel lange vorher in Deutschland entstanden.20 16 17 18 19
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Honegger (1), S. 57-59. Honegger (1), S. 59. Vgl. Honegger (1), S. 59 Anm. 131 (mit Druckfehler STULTIAE). Ein differenzierteres und der Sachlage eher gerechtes Verständnis von Autorschaft findet sich z.B. bei Bollenbeck (1); vgl. dort besonders S. 36. Frey tag, S. 1019: Q U E historiae TYLI VLENSPIGEUI FUERIT AUCTOR, NON CONSTAT, ILLAM, IN GERMANIA, PRISQS IAM TEMPORIBUS, CONSAKCINATAM ESSE, NULLUM EST DUBIUM.
Der Titel des Gedichts
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Daß Nemius gar nicht daran dachte, sich als den zu seiner Zeit unbekannten Autor des Eulenspiegel aufzuspielen, geht bereits aus dem Distichon des Apherdianus auf der Titelseite des Erstdruckes klar hervor und wird vom Grundtenor der Einleitung des TRIUMPHUS (Abschnitt I der vorliegenden Ausgabe) noch bestätigt. In einer weiteren Anmerkung zu dem oben zitierten Satz behauptet Honegger, Nemius lasse „auch noch durchblicken", das Eulenspiegelbuch sei erstmals 1508 gedruckt worden.21 Wiederum sind beide Behauptungen falsch. Weder läßt Nemius irgendetwas durchblicken, noch kommt das Jahr 1508 in den drei Drucken des TRIUMPHUS auch nur ein einziges Mal vor. Honegger folgt hier einer irrigen Beschreibung Lappenbergs, der trotz seiner Einsichtnahme in die Drucke von 1558 und 1563 und trotz seiner Kenntnis von Freytags korrekter Beschreibung des Zweitdruckes das Datum am Ende von Nemius' Geleitbrief in seiner eigenen Beschreibung des Druckes mit 1508 (SIC) IDIBUS wiedergibt.22 In einem späteren Aufsatz Honeggers finden sich weitere Ungereimtheiten in Bezug auf Nemius.23 Nachdem bereits zwei sonst verdienstreiche Gelehrte Nemius verzerrt und teilweise falsch dargestellt haben, schlägt unserem Dichter 1978 bei Dieter Arendt die dunkelste Stunde. Seine Darstellung der Frühdrucke übernimmt Arendt weitgehend von Honegger.24 Wie Honegger behauptet auch Arendt, daß Nemius dem der Obrigkeit suspekten Eulenspiegel die „Legitimation durch einen ehrbaren Namen und durch ein humanistisches Gewand" verliehen habe. Die Herablassung gegenüber Nemius geht allerdings bei Arendt noch ein gutes Stück weiter, wenn es als nächstes heißt: Der Rektor der Hohen Schule zu Herzogenbusch, Johannes Nemius, nannte sich [...] selbst als Verfasser; hingegen kaschierte bzw. emendierte er alle historischen, sowohl die zeitlichen als auch die örtlichen 21 22
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Honegger (1), S. 59 Anm. 132. Lappenberg, S. 184. Der Ausdruck 1 5 0 8 IDIBUS („an den Iden von 1508") ist sinnlos. Merkwürdig ist auch, daß Lappenberg erst hier und nicht in seiner Beschreibung des Druckes von 1558 den Text der Druckerlaubnis von Nemius' Gedicht zitiert. Hierdurch hat sich dann Honegger beeinflussen lassen, Herman van Borculo als Drucker des Druckes von 1563 zu erschließen; vgl. Honegger (2), S. 19 Anm. 3. Zu Lappenbergs Kenntnis von Frey tags Beschreibung des Gedichts siehe Lappenberg, S. 185. Honegger (2), S. 19 Anm. 3. Seine Formulierung „die V L U U S " (statt ULULAE) ist geeignet, seine Vertrautheit mit dem Lateinischen in Frage zu stellen. Arendt, S. 7-26.
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Nemius'
Eulenspiegelgedicht
Indizien des Schelms über Geburt, Krankheit und Tod; sogar sein Name Eulenspiegel ist weggelassen, er heißt schlicht und vornehm: Tylus.25
Unter „Verfasser" will Arendt hier den Autor der Eulenspiegelhistorien und nicht den des TRIUMPHUS verstanden wissen. Dazu ist bereits oben das Nötige gesagt worden. Lappenbergs Ansicht bezüglich des Weglassens von Zeit- und Ortsangaben, die den wahren Sachverhalt teilweise verfehlte, übernimmt Arendt nicht nur kritiklos, sondern bauscht sie darüberhinaus auch noch melodramatisch auf, als ob er dem sinistren Nemius, der sich als Emenda tor und — noch schlimmer — gar als Kaschierer am wahren Eulenspiegel vergangen hätte, nun endlich die Maske vom Gesicht risse. Bezeichnenderweise taucht wenige Seiten später bei Arendts Erwähnung von Perianders Eulenspiegelgedicht derselbe Sachverhalt wieder auf. Perianders Verleger Feyerabend, so Arendt, gab „vorsorglich einen Autor an", gar nach dem „Muster des Johannes Nemius", und Periander selbst „kaschierte den Namen Eulenspiegel: Tylus Saxonicus".26 Von einem derartigem Kaschieren kann aber ganz eindeutig bei beiden Dichtern keine Rede sein. Außerdem übersieht Arendt, daß die Ausdrücke NOCTUAE SPECULUM bei Periander und ULULARUM SPECULUM in den beiden Neudrucken von Nemius' Gedicht in erster Linie den Namen Eulenspiegel lateinisch wiedergeben und erst in zweiter Linie eine symbolische oder allegorische Bedeutung besitzen.27 Somit ist Arendts ironischer Ton gegenüber Nemius — „schlicht und vornehm", was auch immer damit gemeint sein soll — gänzlich verfehlt. 25 26 27
Beide Zitate bei Arendt, S. 15. Arendt, S. 22. Arendt, S. 5 3 , zu ULULARUM SPECULUM: „Spiegel der Eulen, das ist: Parade der menschlichen Dummheit". Auch hierin folgt er Honegger, bei dem wörtlich dasselbe gestanden hatte (Honegger [ 2 ] , S. 1 9 Anm. 3 ) . TRIUMPHUS ist allerdings nicht unbedingt gleichbedeutend mit Parade. Weitere Ungenauigkeiten, die Arendt unterlaufen, lassen seine Ausführungen wenig vertrauenswürdig erscheinen. Auf S. 54 bezeichnet er den Druck von 1563 als Original des Gedichts und zitiert das Motto falsch. Das Jahr 1563 gibt er als 1568 wieder. (Sogar dieses offensichtlich falsche Datum entwickelt ein eigenes Fortleben, wenn Blamires, S. 358, es ungeprüft von Arendt übernimmt.) Auf S. 15 Anm. 22 nennt Arendt den Zweitdruck ungenau „ein anderes Exemplar" des Erstdruckes. Im Hinblick auf den geistesgeschichtlichen Hintergrund von Nemius' Gedicht überzeugt auch Arendts Interpretation des Mottos UT SAPIENS FIAS... nicht, welches er Nemius zuschreibt (S. 166). Arendts Auffassung von diesem Vers deutet vielmehr an, daß er gerade nicht von Nemius stammt.
Der Titel des Gedichts
35
Es ist bedauerlich, daß die Ungenauigkeiten, Entstellungen und Falschheiten der deutschsprachigen Eulenspiegelforschung über den Autor Nemius, der doch der Gestalt Tills eine neue literar- und geistesgeschichtliche Bedeutung innerhalb des nordeuropäischen Humanismus verlieh, nicht einmal in der modernen niederländischen Forschung richtiggestellt worden sind. Die irreführenden Ansichten von Lappenberg und besonders von Honegger und Arendt holt noch 1988 Loek Geeraedts wieder hervor, wenn er zu Nemius folgendes bemerkt: De op het titelblad genoemde auteur Johannes Nemius [...] vermeed ledere aanduiding over de historische en geografische feiten rond Uilenspiegel, diens geboorte, ziekte en dood. Zelfs de naam Uilenspiegel komt niet meer voor: Hier wordt hij enkel Tylus genoemd. 28
Wenigstens enthält sich Geeraedts der unangebrachten Herablassung gegenüber Nemius. Ein Hauptgrund für derartige irrige Ansichten über Nemius und sein Eulenspiegelgedicht bei den genannten Gelehrten dürfte in ihrem anachronistischen Verständnis von Autorschaft zu suchen sein. In der europäischen Literaturgeschichte tritt die Bedeutung des Wortes „Autor" im Sinne des ursprünglichen Verfassers erst seit dem 18. Jahrhundert in den Vordergrund. Stattdessen kommt dem Terminus AUCTOR seit der Antike grundlegend die Bedeutung „Förderer" (von lat. AUGERE) oder „Gewährsmann" zu. In der Nachfolge der klassischen Autoren haben sich die Dichter des Mittelalters und der frühen Neuzeit selbst in erster Linie als Vermittler von Stoffen oder Texten verstanden. Noch im 16. Jahrhundert ist der Dichter als INVENTOR derjenige, der einen bereits existierenden Stoff vorfindet (INVENIRE), übernimmt und zu neuem Leben erweckt, nicht aber jemand, der ihn quasi EX NIHILO erfindet. In diesem Sinne benutzte noch das ausgehende Mittelalter als Lehrbuch Ciceros Schrift DE INVENTIONE, welche die Stoffsuche als den ersten Teil der rhetorischen Technik behandelt. Gerade bei einem lateinisch dichtenden Humanisten und Erzieher wie Nemius ist der Rückbezug auf antike Vorbilder und ebenso auf deren Einfluß auf das Literaturverständnis der Scholastik und der Renaissance im Geeraedts (3), S. 56-57. Wie Arendt zitiert auch Geeraedts das Motto des Druckes von 1563 in der falschen Abfolge der Worte (S. 57). Allerdings ist er sich der Tatsache bewußt, daß ULULARUM SPECULUM „Eulenspiegel" bedeutet.
36
Nemius'
Eulenspiegelgedicht
Auge zu behalten. Zur weiteren Veranschaulichung sei im folgenden Nemius' Eulenspiegelgedicht kurz aus dem Blickwinkel des Aristotelismus betrachtet. Dabei wird die Lehre von den vier Seinsgründen (lat. CAUSAE) aus der PHYSIK des Aristoteles auf den Bereich Dichtung und Literatur übertragen. Hierzu berechtigt uns die beherrschende Stellung des Aristoteles in der europäischen Kultur und Wissenschaft vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, die sich auch noch auf Nemius' Zeit auswirkte. Die im folgenden verwandten lateinischen Bezeichnungen waren seit der scholastischen Philosophie des Mittelalters allgemein geläufig.29 Das Autorverständnis der Renaissance leitet sich großenteils aus der mittelalterlichen Literaturtheorie ab. Für Aristoteles und seine Nachfolger ist der erste Seinsgrund der Stoff, die CAUSA MATERIALIS. Ihr entsprechen im Fall des TRIUMPHUS die Eulenspiegelhistorien, die Nemius in seiner Quelle, dem Antwerpener Druck von 1525/46, vorfand. Die deutliche Abhängigkeit des TRIUMPHUS von diesem Druck läßt nicht den geringsten Zweifel daran zu, daß Nemius keinerlei Absicht besaß, sich als ursprünglichen Verfasser des Eulenspiegelstoffes aufzuspielen. Den Stoff übernahm er so getreulich, wie ihm sein dichterischer Sinn dies gestattete. Die unten im Kommentar zum TRIUMPHUS angeführten stofflichen Abweichungen von seiner Vorlage sind daher nur gering (z.B. Verkürzungen und Zusammenfassungen) und wirken sich insgesamt auf Anlage und Qualität des Gedichts nicht aus. Entscheidend ist jedoch Nemius' Eingriff in den Stoff im Hinblick auf die zweite der vier Ursachen, die Form (CAUSA FORMALIS). Nicht nur übertrug er die in der Prosa der Landessprache abgefaßten Schwänke ins Lateinische, d.h. in die LINGUA FRANCA der Gebildeten seiner Zeit, sondern gleichzeitig auch in die gebundene Sprache der Dichtung. Zusätzlich fügte er seiner Darstellung der Eulenspiegelstreiche zu deren Beginn und Ende einen moralischen Rahmen hinzu, der seiner Vorlage fehlte. Auf diese Aspekte des TRIUMPHUS geht unten die Darstellung des geistes- und literargeschichtlichen Hintergrundes und die Würdigung der Leistung unseres Autors in ausführlicher InterpretaZu den vier Seinsgründen siehe Arist., PHYS. 2, 3 (vgl. METAPHVS. 5, 2) und 2, 7. Vgl. hierzu die Besprechung bei Lear, S. 28-42. Eine ausführliche Darstellung der Seinsgründe in Bezug auf die mittelalterliche Literatur gibt Minnis; die ethische Begründung von Dichtung im Mittelalter stellt J.B. Allen, S. 67-116, dar.
Nemius' Vorlage
37
tion ein. Zur Bedeutung der metrischen Form des Gedichts siehe zusätzlich Abschnitt 2.4 in diesem Kapitel. Die dritte der aristotelischen Ursachen, die CAUSA EFFICIENS (Wirkursache), ist dann die Person des Autors selbst. Die in ihm begründete Auffassung von Sinn und Ziel seiner Dichtung führt zur vierten Ursache, der Zweckursache (CAUSA FINALIS). Diese liegt bei der Bearbeitung des Eulenspiegelstoffes in Nemius' Verständnis von der Aufgabe des Dichters als Erziehers, der die Wahrheit und den Nutzen, die dem von ihm gewählten Stoff und seiner Form zugrundeliegen, seiner Leserschaft vorträgt. Er bestimmt den TRIUMPHUS zur Belehrung und Unterhaltung des Lesers, d.h. zum UTILE und DULCE, zum PRODESSE und DELECTARE des Horaz. Ihn führt Nemius bereits im Geleitbrief des Gedichts als sein Vorbild an. Seine Übertragung des Stoffes in lateinische Dichtung und der moralisierende Rahmen, den er um die Eulenspiegelhistorien legt, erklären sich aus dieser Zweckursache. Nemius' poetisch-moralische Wahrheitslehre und den daraus zu gewinnenden Nutzen wird ebenfalls das Kapitel zum geistesgeschichtlichen Hintergrund des TRIUMPHUS in den Hauptzügen darlegen. Der Autorbegriff, der hier im Rückgriff auf die Antike und aus dem Blickwinkel des Aristotelismus skizziert wurde, ist der Lektüre und Interpretation von Nemius' Eulenspiegelgedicht zugrundezulegen. Die dem rechten Verständnis des TRIUMPHUS abträglichen Unrichtigkeiten über seinen Autor Nemius zurückzuweisen, war das Ziel des voraufgehenden Exkurses in die Rezeptionsgeschichte. Die Richtigstellung der bisherigen Irrtümer der Forschung läßt zugleich den dichterischen Wert und die geistesgeschichtliche Bedeutung dieser ersten lateinischen Eulenspiegeldichtung in deutlicherem Licht erscheinen.
2.3. Nemius' Vorlage Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Frühdrucke des Eulenspiegel erübrigt sich hier, da diese in der modernen Forschung bereits mehrfach gegeben wurde.30 Die Entdeckungen der Fragmente des Straßburger Druckes von 1510/11, Ausführlich bei Honegger (1), S. 39-82. Ihm folgt weitgehend Arendt, S. 7-26. Weiterhin Wunderlich (1), S. 45-50; Geeraedts (3), S. 13-22.
38
Nemius' Eulenspiegelgedicht
die zur wahrscheinlich sicheren Identifizierung des Eulenspiegelautors als des Braunschweiger Zollschreibers Hermen Bote geführt haben, sind für die Textgeschichte des Eulenspiegelbuches von entscheidender Bedeutung.31 Auf den niederländischen Zweig der Überlieferung, auf den Nemius ewartungsgemäß für seine lateinische Bearbeitung des Stoffes zurückgriff, hatte der Druck S 1510/11 allerdings keinen nachweisbaren direkten Einfluß.32 Damit ist natürlich nicht gesagt, daß S 1510/ 1511 für die niederländische Tradition des Eulenspiegeltextes im allgemeinen nicht wichtig sei. Doch benutzte Nemius als Vorlage den der Forschung längst bekannten Antwerpener Druck des Michiel Hillen van Hoochstraten, der sich auf die Jahre zwischen 1525 und 1546 datieren läßt.33 Gewisse Merkmale dieser Ausgabe sprechen dafür, daß sie nicht das erste Eulenspiegelbuch in der flämischen Tradition darstellt, sondern von einem uns nicht bekannten verschollenen Druck abhängt.34 Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, daß Nemius auch diesen früheren Druck heranzog. Daß Hoochstratens Druck Nemius als Quelle diente, geht eindeutig aus der Zusatzhistorie vom jungen Till und dem Reiter hervor (vgl. Abschnitt III und Anfang von IV der vorliegenden Edition), wie schon Lappenberg bemerkte.35 Diese Historie er31
32
33
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35
Den Druck S 1510/11 beschreiben Honegger (1), passim und S. 36-39; Hucker (l)-(3). Einen knappen Überblick über die Druckgeschichte des Eulenspiegelbuches im 16. Jahrhundert gibt Bollenbeck (2), S. 172-177. Vgl. Bollenbeck (2), S. 176. Zur flämischen Tradition im allgemeinen und zu den Antwerpener Drucken im besonderen siehe Lappenberg, S. 153160 und 303-305; Honegger (1), S. 40-49, 57-65 und 81-82 (Stemma); Geeraedts (1) und (2); Geeraedts (3), S. 41-67. Zur Datierung siehe Vervliet (2), der den TERMINUS POST QUEM von 1519 nach 1525 herunterführen konnte. Nijhoff gibt eine Faksimileausgabe des Druckes. Tournoy, S. 529, verkennt seine Bedeutung als Nemius' Vorlage. Lappenberg, S. 153-160; Honegger (1), S. 40-48; Virmond, S. 118-119; und Geeraedts (3), S. 41-43, geben Beschreibungen des Druckes von 1525/46. Vgl. auch Knust, S. xix. Honegger (1), S. 40-41 mit Anm. 67-69, verweist auf fehlende Zeilen und Druckfehler als „offensichtliche Merkmale eines Nachdruckes". Die modernen kritischen und Facsimile-Ausgaben von A 1525/46 führt Geeraedts (3), S. 85-86, in einer Liste auf. Lappenberg, S. 182. Der Text der Zusatzhistorie des Antwerpener Drukkes dort S. 157; der entsprechende Text nach der Kölner Ausgabe des Servais Kruffter (C ca. 1533) dort S. 139. Aus der letztgenannten Ausgabe fand die Zusatzhistorie ihren Weg in die flämische und von dort in die französische und englische Tradition; vgl. z.B. Lappenberg, S. 291, und Schröder (1), S. 169. Zu den Zusatzhistorien der Frühdrucke siehe u.a. Wunderlich (1), S. 47-49; Bollenbeck (2), S. 176-179. Vgl. weiterhin
39
Nemius' Vorlage
schien in A 1525/46 an zweiter Stelle nach dem Bericht von Tills dreimaliger Taufe. Die Antwerpener Ausgabe ist darüberhinaus gegenüber der ursprünglichen Textüberlieferung um etwa die Hälfte gekürzt, wie es dementsprechend bei Nemius der Fall ist. Im einzelnen enthält der TRIUMPHUS im Anschluß an die Antwerpener Ausgabe die folgenden Historien des Straßburger Druckes von 1515 (S 1515; in Klammern die Numerierung der Neuordnung): Abschnitt des TRIUMPHUS in der vorliegenden Ausgabe Π ΙΠ-IV (Anfang) IV V VI
vn vm IX X XI ΧΠ
xm
XIV XV XVI
xvn xvm XIX XX XXI ΧΧΠ
xxm
XXIV XXV XXVI
χχνπ
XXVIII XXIX XXX XXXI ΧΧΧΠ
xxxm
XXXIV
S 1515 Η1 Zusatzhistorie I Η 2-3 Η4 Η 5-6 Η9 Η 13-14 (11-12) Η 15 (13) Η 16 (14) Η 17 (15) Η 39 (16) Η 89 (17) Η 62 (20) Η 21 (22) Η 24 Η 25 Η 27 Η 28 Η 31 Η 33 Η 34 Η 35 Η 38 Η 40 (39) Η 43 Η 44 (46) Η 46 (48) Η 55-56 (57-58) Η 22 (63) Η 11-12 (64) Η 64 (66) Η 66 (68) Η 87-88 (71)
Kadlec, S. 230-234. Zu ihren Quellen vgl. Wunderlich (1), S. 48 (Tabelle); Hucker (5), Sp. 548-549; Virmond, S. 118-119 und 198 (Anm. 120). Eine gegenüber Wunderlichs Tabelle leicht revidierte Aufstellung der Zusatzhistorien jetzt bei H.-J. Müller, S. 43-44.
40
Nernius' Eulenspiegelgedicht XXXV XXXVI XXXVII
xxxvm
XXXIX XL XLI XIH XLM
H H H H H H H H H
77 (78) 81 (82) 82 (83) 83 (84) 85 (86) 72 (87) 68 (70) 90 (89) 91-96 (90-95)
Der Titel der Straßburger Ausgabe von 1515 verspricht ein „kurtzweilig lesen von Dil Ulenspiegel". In der Vorrede erläutert der Autor die Absicht, die er mit der Darstellung der Schwänke verfolgt. Sein Buch ist darauf angelegt, „allein umb ein frölich Gemüt zu machen in schweren Zeiten". Die Leser sollen „gute kurtzweilige Fröden" davontragen.36 Ein ähnliches Ziel verfolgt zwar die Antwerpener Ausgabe auch, doch erscheint Eulenspiegel hier in einem eher negativen Licht. Bereits der Titel spricht von seinen Streichen als SCHIMPELIJCKE WERCKEN ENDE WONDERLIJCKE AUONTUEREN. Weiter heißt es, daß Eulenspiegel sich seinem Schalksgeist entsprechend GHEEN BOEUERIE verdrießen ließ.37 Der Prolog kündigt dann an, das Buch strebe danach, des Menschen Sinn zu erhellen und erneuern (DES MENSCHEN SINNEN DAER MEDE TE VERLICHTEN ENDE TE VERNIEUWEN). Weiterhin ist es dem Autor aber darum zu tun, seinen Lesern praktische Lebenshilfe zu vermitteln. Sie sollen nämlich lernen, SCALCHEYT zu vermeiden. Gerade simple und einfältige Menschen sind gewöhnlich Streichen und BOEVERIJEN von der Art Eulenspiegels hilflos ausgeliefert. Durch die Lektüre des Buches können sie jedoch lernen, sich besser davor in acht zu nehmen. Somit geht der Prolog der Antwerpener Ausgabe über den von S 1515 hinaus. Er schließt mit der entwaffnenden Moral: HET IS ΟΟΚ BETER TE HOOREN ENDE TE LESEN DATMEN LACHTET ENDE GHEEN SONDE EN DOET DAN DATMEN SONDE DEDE ENDE DATMEN WEENDE ENDE SCREYDE („Es ist auch besser zu hören und zu lesen, so daß man
lacht und dabei nicht sündigt, als daß man sündigt und weint und heult"). Jeder aufmerksame Leser des TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE wird in dem knappen, doch sehr anschaulich moralisierenden Prolog der Antwerpener Ausgabe einen Impuls für Nemius' Beide Zitate nach Lindow, S. 8. Zitiert nach Geeraedts (3), S. 41. Die folgenden Zitate aus dem Prolog der Hoochstratenausgabe dort S. 93.
Nemius' Vorlage
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Auffassung der Eulenspiegelgestalt erkennen. Nemius' Geleitbrief greift die oben skizzierte Thematik des Antwerpener Prologs in jeder Einzelheit wieder auf. Nicht nur verweist der Antwerpener Prolog allgemein auf das Angenehme und Nützliche, das in der Lektüre der Eulenspiegelschwänke liegt und das Nemius in seinem Geleitbrief mit den horazischen Termini UTILE und DULCE, PRODESSE und DELECTARE bezeichnet, sondern es lassen sich auch exakte Parallelen zwischen dem Prolog der Hoochstratenausgabe und dem TRIUMPHUS ziehen. So kehren die SIMPEL SLECHTE MENSCHEN der Antwerpener Ausgabe am Ende von Nemius' Widmungsbrief in der Beschreibung derjenigen wieder, „die keine tiefere Einsicht haben, sondern nur Bekanntes verstehen" (QUI NON ALTUM SAPIUNT, SED TANTUM FAMILIARIA INTELLIGUNT). Daß man die Streiche und Kniffe der Schälke kennen muß, um sich vor ihnen hüten zu können, steht ausdrücklich in den Versen des TRIUMPHUS, die nach der Schilderung von Eulenspiegels Tod und Begräbnis zum moralisierenden Rahmen mit dem Lebenslauf des Jedermann überleiten (XLIII, 101-107, besonders 106-107). Die Aufforderung des Antwerpener Prologs, GHEEN SONDE zu tun, findet eine reichliche Entsprechung in Nemius' religiöser Thematik von der Güte und Größe Gottes, mit welcher der TRIUMPHUS beginnt und endet (vgl. besonders den Schlußvers des Gedichts). Ferner wird Eulenspiegel in dem lateinischen Epitaphium, mit dem die Hoochstratenausgabe schließt, als EUTROPELUS bezeichnet.38 Dieser griechische Ausdruck („gewandt, schlagfertig", aber auch „listig, täuschend"; klassisch EUTRAPELUS) ist etymologisch mit POLYTROPOS verwandt. Es ist nicht
auszuschließen, daß EUTRAPELUS Nemius zum Gebrauch von POLYTROPUS als Eulenspiegel charakterisierendem Epitheton inspirierte, zumal Nemius bei Cicero und Horaz von dem geistreichen Witzbold Eutrapelus gelesen haben muß.39
Nemius betrachtet seinen Protagonisten jedoch von einer ernsteren und eindringlicheren moralisch-didaktischen Warte, als dies in den beiden Straßburger und Antwerpener Drucken der Fall ist. Somit geht er ein bedeutendes Stück über seine Vorlage hinaus. Indem Nemius Eulenspiegel als Exempel des Triumphs 38 39
Text bei Geeraedts (3), S. 203. Cie., EPIST. AD FAM. 7 , 32 (Brief an P. Volumnius, der den Beinamen Eutrapelus führte). Hör., EPIST. 1, 18, 31-36, beschreibt die Strategie, mit der Eutrapelus das Leben seiner Opfer in völlige Verwirrung brachte. Nemius mag in ihm ein Beispiel der verkehrten Welt gesehen und ihn mit Eulenspiegel assoziiert haben.
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Nemius'
Eulenspiegelgedicht
der menschlichen Torheit vorführt und darüberhinaus dessen Schwänke in lateinischen Versen nacherzählt, macht er sich die Schalksfigur auf eine in ihrer Rezeptionsgeschichte völlig neue Weise zu eigen. Hiermit wird sich das Kapitel zur geistes- und literargeschichtlichen Einordnung des TRIUMPHUS näher beschäftigen.
2.4. Metrum und Versbau Wie gleich nach dem Titel des Gedichts angegeben wird, hat Nemius den TRIUMPHUS in iambischen Trimetern abgefaßt. Die Wahl dieses Metrums ist nicht zufällig. Für ein Gedicht mit satirisch-komischem Inhalt und mit einem Protagonisten, der den niederen Volksschichten entstammt, stellt der jambische Trimeter den passendsten Vers dar. In der Antike ist der Iambus seit je der Spottvers, der „dem Ethos des niederen Volkes entspricht", und somit „der eigentlich volkstümliche Vers".40 Das komische Epos MARGITES, welches das klassische Altertum Homer zuschrieb, wies als erstes neben Hexametern auch lambiscile Trimeter in unregelmäßiger Folge auf. Der Titelheld ist sogar gelegentlich mit Eulenspiegel verglichen worden.41 Im siebten Jahrhundert v. Chr. benützte Archilochos von Paros beide Versmaße für seine Epoden: Hexameter wechseln mit Trimetern. Seinem Beispiel, den Trimeter für Schmähgedichte zu gebrauchen, kamen dann andere Lyriker nach. Spott und Hohn charakterisieren also einen Großteil der antiken Iambographie, und diese Tradition setzte sich in der Renaissance fort.42 Daneben wurde der iambische Trimeter in der attischen Komödie und Tragödie sowie im Satyrspiel häufig als Dialogvers verwandt. Wilhelm Schmid hat ihn als „Ausdruck einer der Würde des Hexameters entgegengesetzten Haltung" beschrieben und auf die „Freiheit und Beweglichkeit des Inhalts und der Stimmungen" iambischer Dichtung hingewiesen.43 Auch der „Lachfreund" (PHILO40
41 42 43
Schmid, S. 386 und 388. Vgl. dort zur Iambographie allgemein S. 386-403 und zum iambischen Trimeter S. 387-388. Siehe ferner Nestle, S. 75-76; Korzeniewski, S. 44-45. Zum Iambus als „apotropäischefr] Aischrologie" siehe Lesky, S. 135. Korzeniewski, S. 44. Der Vergleich mit Eulenspiegel bei Schmid, S. 227. Siehe Hess, S. 341. Schmid, S. 387 und 388. Zu den metrischen Besonderheiten des iambi-
Metrum und Versbau
43
GELOS), eine dem Mimographen (Mimendichter) Philistion zugeschriebene Witzsammlung, mag in iambischen Trimetern abgefaßt worden sein.44 Seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. wurde der Trimeter auch in der römischen Literatur immer heimischer und war besonders seit Horaz, Nemius' dichterischem Vorbild, beliebt. Quintilian lobte in seinem Handbuch zur Ausbildung des Redners gerade die Iambendichtung des Horaz.45 Die lehrhafte Fabeldichtung des Phaedrus war ebenfalls in diesem Versmaß gehalten. In der satirischen Dichtung der Römer erschien der iambische Trimeter bei Lucilius, in den menippeischen Satiren des M. Terentius Varrò und in den Epigrammen Martials. In der Tragödie Senecas war der Trimeter nach dem Vorbild des griechischen Dramas der geläufige Dialogvers, obwohl er auch in den lyrischen Partien des Chores erschien. Schon Aristoteles galt er von allen Metra als dasjenige, das der Alltagssprache am nächsten steht.46 Der Trimeter wurde daher in der Tragödie und in der Komödie besonders dort verwandt, wo ein erhabener Ton oder dichterische Verzierungen nicht beabsichtigt waren und stattdessen ein Konversationston erzielt werden sollte. Somit hat Nemius mit diesem Versmaß eine glückliche Wahl getroffen. Es eignet sich gleichermaßen gut dazu, das Komische und Satirische der einzelnen Eulenspiegelhistorien und ebenso den ernsthaften Ton des um diese gelegten Rahmens auszudrücken.47 Dem volkstümlichen Stoff angemessen, geschieht dies
44
45 46 47
sehen Trimeters in der griechischen Komödie siehe Korzeniewski, S. 6061. Verwandt sind auch die im iambischen Trimeter verfaßten unteritalischen Possen (Phlyaken), die um 300 v. Chr. in der MLAROTRAGODIA des Rhinthon von Syrakus „einigermaßen literaturfähig" wurden (Lesky, S. 274). Schmid-Stählin, S. 1049-1050. Weiteres zum PMLOCELOS unten S. 295. Zum folgenden vgl. auch Crusius-Rubenbauer, S. 79. Quint. 10, 1, 96. Arist., RHET. 1408B33 und POET. 1449A24-26. Vgl. hierzu Hess, S. 340-341, der allerdings die „Schauspielmetaphorik seiner [Nemius'] Eulenspiegel-Transposition" überbewertet. Die von Hess, S. 338, herangezogenen Ausdrücke VTTAE SUPERBA TRACOEDIA (TRIUMPHUS, XLVI, 3) und COMOEDUS ACTRACOEDUS (XLV, 113; dazu hätte er noch Rosaus und PANTOMiMUS in den folgenden zwei Versen anführen können) beschreiben in erster Linie Nemius' imaginären Jedermann und nicht Eulenspiegel. Außerdem verweisen die bei Nemius anschließend genannten mythologischen Gestalten Merkur, Argus, Daedalus und Proteus eher auf das Epos als auf das Drama. Eulenspiegels Epitheton POLYTROPUS stärkt ebenfalls den Bezug auf die Epik.
44
Nemius'
Eulenspiegelgedicht
durchweg im Konversationston. (Auf Ausnahmen verweist der Kommentar.) Wenn nur wenige Jahre nach dem Erscheinen von Nemius' Version Aegidius Periander, der Autor der zweiten lateinischen Fassung des Eulenspiegel, in seinem NOCTUAE SPECULUM die Distichen der Elegie (Hexameter und Pentameter) für seine Darstellung benützte, deutete er damit eine bewußte Abkehr von Nemius' Vorbild an. Er verlieh den Abenteuern des Schalks eine größere Stilhöhe, als dies bei Nemius der Fall gewesen war, und stellte sich hauptsächlich in die Tradition Ovids. Zu diesem höheren Stil und zum beträchtlich größeren Umfang von Perianders Eulenspiegelversion paßt übrigens auch die im Vergleich zu Nemius' Buch geradezu verschwenderische Ausstattung, bei der jeder Historie jeweils ein Holzschnitt vorangestellt ist. Schon in der griechischen Literatur hatte die Komödie größere metrische Freiheiten als die Tragödie für sich in Anspruch genommen. Besonders in den Auflösungen konnten zwei Kürzen für eine Länge, für eine SYLLABA ANCEPS und für eine einzige Kürze verwandt werden. Hierdurch wurde dem Dichter ein bedeutend größerer Spielraum gewährt. Im Lateinischen war bereits die frührömische Dichtung gegenüber ihren griechischen Vorbildern freier in der Versgestaltung. In der Spätantike kamen dann weitere Freiheiten hinzu. So verloren z.B. die Vokale des Lateinischen immer mehr ihre Quantitätsunterschiede. Kurze Vokale in betonten Silben wurden häufig gelängt, und lange Vokale in unbetonten Silben konnten als kurz gemessen werden. Im Latein des Mittelalters und im Neulatein setzten sich diese und andere auflösende Tendenzen fort.48 Strenge klassische Maßstäbe sind also an die neulateinische Verskunst nicht anzulegen. Gemäß dieser Tradition ist Nemius' Versbau im TRIUMPHUS recht frei. Der Trimeter wird bei ihm häufig zu einem lockeren Gebilde, in dem es metrisch zwanglos zugehen darf. Vor allem fallen folgende Besonderheiten auf: Die kurze Silbe zu Beginn des sechsten Fußes wird oft durch zwei Kürzen ersetzt (besonders auffällig XXII, 21.25.29; XXVI, 3.9.10.13.16.25.38.42; ähnliches findet sich im Abschnitt XXVIII). Kurzes i vor Vokal wird zu konsonantischem j, und kurze Vokale in unbetonter Silbe können kurz gemessen werden, auch wenn sie positionslang Vgl. Norberg zum lateinischen Versbau des Mittelalters. Langosch, S. 6673, verzeichnet die Eigentümlichkeiten der mittelalterlichen lateinischen Dichtung; dort weitere Literaturangaben.
Metrum und Versbau
45
sind. Im fünften Fuß treten statt der SYLLABA ANCEPS oft zwei Kürzen auf. Synizesen, Elisionen und Synkopen sind an der Tagesordnung. Jeweils vier Elisionen treten z.B. in den Versen IV, 4; XI, 1; XVIII, 4; XXII, 31; XXVII, 1; XXXVI, 22; XXXIX, 9; und XLV, 94 auf. (In XXVII, 1 bleibt EIDEM allerdings besser unelidiert). Lange Vokale sind sehr häufig kurz zu messen, damit alle Wörter des Verses in ihm Platz finden. Durch derartige dichterische Freiheiten entsteht oft ein schneller und vorwärtsdrängender Rhythmus. Dies ist z.B. der Fall in den Versen XIX, 7 und VIII, 21. (Letzterer enthält das berühmte HINC ILLAE LACHRYMAE aus der ANDRIA des Terenz.) Rhythmisch ähnlich sind der unmittelbar folgende Vers und, um nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen, der Vers XX, 25, der ebenfalls ein klassisches Zitat enthält. Andererseits ist Vers XX, 2, der eher ohne Elision zu skandieren ist, zu kurz geraten. Ob diese Besonderheit auf absichtliche Katalexe zurückgeht, ist unwahrscheinlich. Allerdings ist der Preis für diese Art von Freiheiten entsprechend hoch. Nemius' Verse werden leicht unrhythmisch, was sich besonders im ersten Drittel des Gedichts bemerkbar macht. Doch danach kann sich der Leser beträchtlich wohler fühlen; denn die Glätte der Verse nimmt im allgemeinen zu.49 Eulenspiegels Streich mit dem Totenschädel (Abschnitt XX) ist ein gutes Beispiel für einen durchweg flüssigen Versbau. (Eine Ausnahme bildet, wie gesagt, Vers 2.) Der Schluß liegt nahe, daß Nemius sich erst in seine Versifikation hat einarbeiten müssen. Dies tritt besonders dann zutage, wenn man die Verse laut liest, eine Praxis, die in der Antike gang und gäbe war und auch zu Nemius' Zeit noch geübt wurde.50 Dabei kann die Darstellung eines Streiches mitten in der Erzählung nach einigen flüssigen Versen unversehens ins Stocken geraten, weil der Leser metrisch über eine bestimmte Stelle stolpert und neu ansetzen muß. Wie oben angemerkt, werden Feinheiten der Quantitierung in der Regel nicht beachtet. Eine vergleichende Lektüre der zwei Jahre früher veröffentlichten APOLOGIA des Nemius zeigt, daß er im großen und ganzen mit dem daktylischen Hexameter besser als mit dem 49
50
Lappenberg, S. 182, charakterisiert das Gedicht ganz allgemein als eine „Uebersetzung [...] in fliessende Jamben". Roloff, S. 179, übernimmt dieses Urteil kritiklos. Schon 1787 hatte Murr, S. 347, von einer „Übersetzung in netten Jamben" gesprochen. Vgl. den Nachweis bei Baeumer (1), S. 187-190, und (2), S. 40-44, daß im 15. und 16. Jahrhundert noch laut gelesen und besonders vorgelesen wurde.
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Nemius'
Eulenspiegelgedicht
iambischen Trimeter zurechtkam. Dennoch treten auch in der unklassische Quantitäten der Silben und Häufungen der Elisionen auf, so besonders in den Versen 15-21. Andererseits sind die Verse 223-263 der APOLOGIA, die metrische Versionen der zehn Gebote, des Credos, des Vaterunsers und des „Gegrüßet seist Du, Maria" wiedergeben, besonders ansprechend. Es ist leicht einzusehen, daß das Versmaß für Zwecke der Textemendation im TRIUMPHUS keinen verläßlichen Führer abgibt. Daher wurde in der vorliegenden Ausgabe darauf verzichtet, die Verse im Hinblick auf größere Flüssigkeit oder Lesbarkeit zu emendieren. Z.B. wirkt im Vers II, 25 das doppelte HISCE stilistisch unelegant und verursacht zusätzlich einen holprigen Rhythmus. Doch würde eine Emendation zu HIS — HISCE, d.h. mit dem ersten Akzent im Vers auf EX, rhythmisch keinen Gewinn bringen. Ein derartiges Unterfangen konsequent im gesamten Gedicht durchzuführen, wäre nicht nur zu weitläufig, sondern geradezu sinnlos. Das Gedicht des Nemius sollte man am besten mit allen seinen Stärken und Schwächen so zur Kenntnis nehmen, wie es nun einmal ist. Weitere gelegentliche Hinweise auf den Versbau finden sich im Kommentar. Die voraufgehende Beschreibung dürfte verständlich machen, daß vom poetologischen Standpunkt aus unser Dichter nicht in die erste Reihe der neulateinischen Autoren der Niederlande aufzunehmen ist. Im 19. Jahrhundert würdigt ihn Petrus Hofman Peerlkamp im LIBER DE VITA, DOCTRINA ET FACÚLTATE NEDERLANDORUM nur einer knappen und beiläufigen Erwähnung, während Lucian Müller ihn in seinem A N H A N G über die lateinische Dichtung der Niederländer völlig übergeht. Im 20. Jahrhundert geben weder Adalbert Schroeter noch Georg Ellinger über ihn Auskunft. Jedoch konnte sich Nemius bei seinen zeitgenössischen Freunden und Kollegen eines ausgezeichneten Rufes erfreuen, wie wir deren Zeugnissen bereits entnommen haben. APOLOGIA
2.5.
Hinweise zur vorliegenden Edition
2.5.1. Textgestaltung Der Textausgabe liegt der Erstdruck des TRIUMPHUS von 1558 zugrunde. Diebeiden späteren Drucke von 1563 und 1641 wurden
Hinweise zur vorliegenden Edition
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zum Vergleich und, wenn erforderlich, zur Texterstellung herangezogen. Emendationen, die sich direkt auf den Sinn des Textes auswirken, wurden nur in Ausnahmefällen vorgenommen. So ist z.B. der Ausdruck ET CATHEDRA CONSPICUUS (XX, 19), den alle drei Drucke aufweisen, trotz der naheliegenden Emendation zu Ex CATHEDRA beibehalten worden. Alle Emendationen sind weiter unten aufgeführt. Schwierigere und den Sinn beeinträchtigende Stellen erörtert der Kommentar. Offensichtliche Druckfehler wurden, teils unter Zuhilfenahme der dem Originaltext folgenden Liste von Errata und der anderen Drucke, berichtigt. Eingriffe in die Orthographie beschränken sich auf die folgenden Bereiche: 1. Die Großschreibung am Versanfang wurde zur leichteren Lesbarkeit außer am Satzbeginn aufgegeben. 2. Die oft uneinheitliche Groß- und Kleinschreibung innerhalb der Verse wurde nach heutigem Gebrauch systematisiert. Die Schreibung von ν und υ wurde gemäß ihrem Lautwert normalisiert. Das ß wurde zu SS aufgelöst. Das IJ des Originals wurde als II wiedergegeben, doch bei den Komposita des Verbum IACERE zur größeren Klarheit (Etymologie) als JI, z.B. OBJICIT (statt OBIJCIT). Die neulateinische Orthographie wurde ansonsten beibehalten, z.B. CAETERI, CHARISSIME, COECUS (neben CAECUS), COENA, INFOELIX, LACHRYMAE, OCIUM, RELLIGIO, REPULIT, RETULIT
(neben
Aus dem Griechischen übernommene Wörter weisen manchmal griechische, manchmal lateinische Endungen auf, z.B. POLYTROPUS/POLYTROPON, SOPHUS/SOPHOS/ SOPHI. Sie wurden beibehalten. Das Ypsilon des Griechischen erscheint gelegentlich als I, wie bei SINERGOS und POLITROPON im Geleitbrief des TRIUMPHUS. Diese Schreibung wurde ebenfalls beibehalten. In wenigen Ausnahmefällen weist der Originaldruck innerhalb eines Wortes ein oder zwei griechische Buchstaben auf, z.B. Epsilon und Iota mit Circumflex in NOSOCOMEION (XIII, 1 und 18). Derartiges wurde jeweils transliteriert. 3. Abkürzungen der Marginalien wurden entweder ausgeschrieben (z.B. VERG. = VERGILIUS) oder vereinheitlicht (wie PRORETTULIT), SECULUM, USW.
UE., PROUER. u n d PROUERB. ZU PROVERB.).
4. Die Interpunktion wurde modernisiert. Wie es in neulateinischen Texten allgemein der Fall ist, sind Satzzeichen wie Komma, Punkt, Semikolon und Doppelpunkt auch im TRIUMPHUS nicht so eindeutig gegeneinander abgegrenzt, wie es der Leser heute erwartet. Eine Beibehaltung der Originalinterpunktion könnte daher leicht zu Verständnisschwierigkeiten führen. In
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Nemius' Eulenspiegelgedicht
einigen Fällen wurden im Hinblick auf Klarheit des Zusammenhanges und zur Erleichterung des Textverständnisses einzelne kurze Sätze zu einem Satz verbunden oder umgekehrt eine fortlaufende Satzreihe durch hinzugesetzte Interpunktion gegliedert. Direkte Rede, die das Original nicht als solche von der auktorialen Erzählung abhebt, wurde in Anführungszeichen gesetzt. 5. Die selten vorkommenden Abbreviaturen und Ligaturen wurden aufgelöst. Das & wurde zu ET, e caudata zu AE aufgelöst. Beide treten ebenfalls nur selten auf. 6. Die nicht immer konsequent gesetzten Akzente und die sehr willkürlich gehandhabten Einrückungen von Versen wurden aufgegeben. 7. Gemäß der Paragraphierung der Erstausgabe wurde der Text in Abschnitte eingeteilt, die mit römischen Ziffern durchgezählt und in eckigen Klammern dem Text beigegeben sind: [I] [XLVI]. In Winkelklammern hinzugefügt wurde die in arabischen Ziffern durchgeführte Zählung des Druckes von 1641, und zwar wie dort jeweils am Versanfang. In der vorliegenden Ausgabe bildet die Darstellung der sieben Lebensalter (HYPOTYPOSIS) am Ende des TRIUMPHUS nur einen Abschnitt (XLV), der aber zur besseren Orientierung des Lesers durch Leerzeilen, die der Paragraphierung des Erstdruckes ensprechen, optisch gegliedert ist. Die Lagenzählung des Erstdrucks ist jeweils am rechten Textrand angegeben. Den einzelnen Textabschnitten wurde außerdem eine Verszählung beigefügt. Nemius' Widmungsbrief an Pelegromius wurde Satz für Satz durchnumeriert. 2.5.2. Lesarten und Emendationen Die folgende Liste gibt die für die Edition wichtigen Lesarten der drei Drucke, die Emendationen des Herausgebers und anderweitig bedeutsame Textvarianten ausschließlich der eindeutigen Druckfehler.
DAS GEDICHT DES SCHINDELIUS: Octastichon] Vers 7:
Carmen 1563, 1641 Ululae Speculo] ululae speculo 1558-1641
Hinweise zur vorliegenden Edition
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NEMIUS' WIDMUNGSBRIEF: [4.] [13.] [26.]
decipiuntur] decipiantur 1641 maximusque] Maximus 1563,1641 παίδες] Nati 1641 τούς γονείς] Parentes 1641 quinquagesimo] quingentésimo 1563,1641
TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE: 1.36
ingeni] ingens 1563,1641
Π.25
Ne] Nec 1563
vm.25 34 IX.l 12 XX.30 34
abligurivisset] obligurivisset 1563,1641 precor] praecep. 1563; cape 1641 illam iniuriam] iniuriam 1563; hanc iniuriam 1641 diffututam] destitutam 1563 spurca] spuria 1641 Sub] Sed 1563; Post 1641
ΧΧΠ.10
quum] quam 1563
ΧΧΠΙ.35
quidam] quidem 1641
XXIV.55
dono] modo 1563, 1641
XXV.36
ambiguis] ambiguus 1563
XXVn. 35
calcata] Calcatu 1563, 1641
xxvm.34
soporem] 1641; saporem 1558, 1563 At] Ac 1641
44 XXIX .3 10 40
displicens] displicet 1641 replendum] resplendum 1558; resplendens 1563, autmunus] admunusl641 [1641
XXXI.IO 55 79 82 108-109
Barptolomaeus] 1558, 1563; Bartholomaeus 1641 sacrifico] sacrificio 1563 cohortatur] cohortatus 1641 curruum] currum 1563 Dolum - dolus] Dolum - Dolus 1558; dolum Dolus 1563, 1641
ΧΧΧΠ.9 39
aedes. Tylo] Aedes Tylo? 1563, 1641 reseravit] Reseruit 1563,1641
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Nemius' XXXIV.4 22 89 108
se fuisse] fuisse 1641 recipitque] Recepitque 1563, 1641 pecuniae] pecunia 1558-1641 fugare] fugere 1641
XXXV.2 29 41
ab hospite] hospite 1641 a] e 1563, 1641 revolans] revolat 1641
XXXVI.22 37 XL.37
Eulenspiegelgedicht
offert] offerret 1563 at] 1563, 1641; ac 1558 δίδακτρον] Didactrum 1641
XLÏÏ.4 35 (M) 37
adiit] adit 1563, 1641 deiectis] delectis 1563 —en — monachos] in Monachos 1558; en Monachos 1563; ut Monachos 1641
XLm.5 9 31 57
exeruit] exercuit 1563, 1641 numrnorum] numerorum 1563 obliqua] obliquo 1563 ipsam] ipsum 1563
XLIV. 8
decorum] deorum 1563,1641
XLV.6 26
repostas] repactas 1641 hastilia] hostilia 1563, 1641
XLVI. 31
animo] 1563, 1641; in animo 1558
2.5.3. Übersetzung Die Übersetzung, die den Text begleitet, soll in erster Linie die Aussagen und den Sinn des Gedichts möglichst klar und einfach wiedergeben. Aus diesem Grunde wurde eine Prosafassung der gebundenen Sprache vorgezogen. Dennoch (oder besser: daher) hält sich die Übersetzung eng an das Original. Ein flüssiges und idiomatisches Deutsch war dabei das Hauptziel. Somit kann der Leser, der sich über den Inhalt einzelner Passagen des Originals orientieren will, die Übersetzung auch unabhängig vom lateinischen Text lesen. In der Übersetzung sind aus Gründen der Lesbarkeit die Wechsel der Tempora, die hauptsächlich aus metrischen Gründen auftreten und sehr häufig auch innerhalb ein- und desselben Satzes zu beobachten sind, zugunsten einer einheitlichen Darstellung aufgegeben. Entsprechendes gilt für den Gebrauch des
Hinweise
zur vorliegenden
Edition
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Passivs. Andererseits wurde alle indirekte Rede des Originals als solche wiedergegeben. Bei einigen schwer verständlichen Stellen und dem Logikfehler, der Nemius im Abschnitt XVIII unterlief, war eine freiere Übersetzung notwendig. Solche Textstellen erläutert der Kommentar. Einige Fälle von leicht mißverständlichen oder nicht präzisen Wörtern und Wendungen im TRIUMPHUS konnten durch Vergleich mit Nemius' Vorlage, dem Antwerpener Druck von 1 5 2 5 / 4 6 , geklärt werden. Für den Kontext wichtige Nebenbedeutungen lateinischer Wörter sind in die Übersetzung hineingenommen. Zur Verdeutlichung hier einige Beispiele. Der Ausdruck EX TEMPORE (VIII, 16) heißt sowohl „nach Lage der Dinge" als auch „aus dem Stegreif', und beide Bedeutungen sind zur Charakterisierung von Eulenspiegels Gewandtheit notwendig. Vergleichbares gilt für BEARE (XXIII, 11), „beglücken" und „bereichern". Die Doppeldeutigkeit in INSUPER (XXV, 27: „oben" und „obendrein") läßt sich allerdings im deutschen Ausdruck nicht so elegant nachvollziehen. Das im Lateinischen besonders gelungene Wortspiel mit dem Namen Doli ist in der Übersetzung von Vers XXXI, 13 (Dolus = „der listige Doli") erklärt; vgl. auch die Übersetzung von XXXI, 1 0 8 - 1 0 9 . Im Abschnitt XLII wurde in der Wiedergabe von Vers 1 4 - 1 8 für COENOBIUM statt des richtigeren Wortes „Kloster" das sprachlich verwandte „Klause" gewählt, um die für den Zusammenhang wichtige etymologische Erklärung und das in ihr liegende Wortspiel im Deutschen wiederzugeben. Der Ausdruck COMMOTA [...] CAMARINA (XXVII, 4 0 ) erforderte wegen seiner sprichwörtlichen Bedeutung und aufgrund seines Kontextes eine ausführlichere Wiedergabe. Er wird zusätzlich im Kommentar erläutert. Der Übersetzung ist zu Beginn der einzelnen Abschnitte die dem lateinischen Text entsprechende Numerierung in römischen Ziffern beigefügt. Zusätzlich angegeben ist die Numerierung der modernen Neuordnung der Historien, die sich in den Ausgaben und Übersetzungen des Straßburger Druckes von 1515 findet und die der Eulenspiegelforschung gewöhnlich als Richtschnur dient. Der Vollständigkeit halber und zur leichteren Orientierung des Lesers ist außerdem die ursprüngliche Numerierung der Historien aus S 1515 in Klammern dazugesetzt. So entspricht z.B. Abschnitt X des TRIUMPHUS der Straßburger Historie H 16 (14).
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Nemius'
Eulenspiegelgedicht
2.5.4. Kommentar und Untersuchungen Der Kommentar will dem Leser den Zugang zum Gedicht erleichtern und ihm darüberhinaus Auskunft über wichtige Einzelheiten geben. Er erläutert einzelne bemerkenswerte Ausdrükke und schwierige Textstellen und weist Zitate und Umschreibungen der wichtigsten antiken Quellen nach. Er hebt zusätzlich Nemius' Nähe zu seinem Vorbild Erasmus durch Verweise auf dessen ADAGIA hervor; denn Erasmus' Sammlungen der antiken Sprichwörter waren für Nemius zweifellos eine Hauptverbindung sowohl zur antiken Literatur als auch zu Erasmus selbst. Die thematische Nähe des TRIUMPHUS zum MORIAE ENCOMIUM des Erasmus wird im Kapitel zum geistesgeschichtlichen Hintergrund des Eulenspiegelgedichts untersucht. Nicht zuletzt bestimmt der Kommentar Nemius' Stellenwert als Eulenspiegelautor durch Hinweise auf die gelegentlichen Abweichungen seines Textes von der Antwerpener Vorlage (A 1525/46) und auf Unterschiede zum Druck S 1515. Erschöpfende Informationen zu allen Details des TRIUMPHUS kann und will der Kommentar nicht geben. Auch sind die darin enthaltenen Einzelheiten nicht für jeden Benutzer in gleicher Weise bedeutsam. Doch da sich der vorliegende Band an Leser aus verschiedenen Wissenschafts- und Interessengebieten wendet, war diesem Umstand soweit wie möglich Rechnung zu tragen. Dabei war allerdings nicht beabsichtigt, allen antiken oder zeitgenössischen Quellen nachzuspüren, die in das Gedicht des Nemius eingeflossen sein mögen. So wäre z.B. der Einfluß des TRIUMPHUS auf die Werke von Nemius' Freunden und Kollegen und umgekehrt deren Einwirkung auf Nemius nur schwierig und unsystematisch nachzuweisen. Auch über das Ausmaß, in dem andere berühmte Zeitgenossen oder Vorbilder die Komposition des TRIUMPHUS mitbeeinflußt haben, dürfte kaum noch Klarheit zu gewinnen sein. Am ehesten wäre dies noch in Bezug auf Erasmus möglich. Somit wird der Kommentar notwendigerweise nicht alle Fragen aller Leser des Gedichts beantworten können. Doch ist zu hoffen, daß sich gerade dieser Nachteil positiv auswirken wird, indem diejenigen Leser, die über Spezialwissen und weitergehende Informationen zu bestimmten Aspekten und Bereichen des Eulenspiegelgedichtes verfügen, sich veranlaßt sehen, in Detailfragen oder in der Bestimmung größerer Zusammenhänge noch verbleibende Lücken zu schließen und neue Erkenntnisse
Hinweise zur vorliegenden Edition
53
zu vermitteln. Erste Schritte in dieser Richtung sind in den beiden dem Kommentar folgenden Kapiteln unternommen. Sie gehen einigen besonders wichtigen Verbindungen und Parallelen des TRIUMPHUS zur Antike, zum Mittelalter und zur Renaissance nach. Auch für sie gilt das oben Gesagte: Zwar kann ihre Thematik nicht erschöpfend behandelt werden, doch sollen sie Voraussetzungen und Anregungen zu weiteren Studien geben und verwandten Wissenschaftsdisziplinen neue Fragestellungen sichtbar machen.
54
Nemius' Eulenspiegelgedicht
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T R r V M P H V S
STVLTITIAE, VEX T : L V ; S i>axo,nuncprimümLadnitatc ::
, jus ab iganne
dona-'
Neinio..
OecafticbonVetri Apherdianiin Tri* impbm
bmätke Multiti*.
Ktquitiä exultât mundiisyducitq; triumphant • Ex rebmfhtltis,n'ec bona merλ uïdet. ¡¿fiat diuitÌM,uircsformmq·
uenujkm.
Cm tarnen h is conjk t udnius effe nibiL I/tßdias tendit iufiis^ircumuenit omni Yraude plòs&ugà
fartara&-aßra
paté»,
Ejfigiem cuius pingunt bxc lambica uiuam, QJtdit ^O^autem dUigit ilium, instanter erudit.
Multisque commemorantibus patri Tylo, quod iunior Tylus mali omnis artifex esset bonisque fingeret dolos malos, subinde, filium increpavit , . . acriter. ..•,·. Sed credulo sent puer sic rettulit
io
Der Triumph der menschlichen Torheit
69
nem einzigen Tag dreimal getauft wurde, und zwar nicht ohne Walten der Götter, damit niemand daran zweifeln kann, daß aus diesen Anfängen und Quellen seine schmutzigen Taten entstehen würden.
III. Nachdem Till seine Säuglingszeit hinter sich hatte, Ein Reiter war er einmal allein zu Hause und wurde von ei- κΐ^εηται nem Reiter gebeten, ihm den Weg zu zeigen. Er ant- hereingelegt, wortete, man müsse auf dem Wege reiten, wo die Gänse gingen. Der Reiter, der nichts Böses ahnte, zog weiter, bis er die Gänse sah. Als diese das Pferd sahen, flüchteten sie sich schnell in ein nahes Gewässer. Der Reiter, der ihnen folgte, versank im Wasser. Er kehrte zu dem Jungen zurück, der ihm den Weg angegeben hatte, und beschwerte sich, er sei frech angeschmiert worden. Denn die erschreckten Gänse seien ins Wasser geeilt und der Reiter und sein Pferd fast ertrunken. Der schlaue Knabe versetzte darauf, er habe ja gesagt, man solle da reiten, wo die Gänse zu Fuß gehen, nicht, wo sie schwimmen. Solcher Art war der Charakter des Nichtsnutzes. IV. Als er ein anderes Mal wieder in Abwesenheit seiner Eltern das Haus hütete, wurde er gefragt, ob jemand da wäre, der einem Fremden den Weg zeigen könnte. Da sagte er zu dem Reiter: „Seht mal an, anderthalb Mensch und ein Pferdekopf"; denn er sah ihn über das Pferd hinausragen. [H 2-3] Als viele Leute dem Vater Till darlegten, daß der jüngere Till ein Meister allen Übels sei und sich böswillige Hinterlisten für guteMenschen ausdenke, fuhr er seinen Sohn sofort scharf an. Aber der Knabe erwiderte dem leichtgläubigen Alten auf folgende
Buchd. Sprüche, 13, 24: Wer seine Rute schont, der haßt seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn beizeiten.
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Triumphus humanae stultitiae
Tylus post patrem equi tans.
Proverb, x: Filius sapiens laetificat patrem. Tylus ante patrem equitans.
Proverb, xix: Qui affligit patrem et fugitmatrem, ignominiosus erit et infoelix. Tylus opificio deditusin adolescentia. Tylus furiambulus.
ipsique probitatis suae fecit fidem: „Periculum facias meae petulantiae, pater. Equitem tecum, ut probes mores meos. Tuque anterior, ego sedeam posterior, ut A5r perspicere remque comperire omnem queas." 15 Equitavit itaque cum parente filius. At cum sederet, ut seni visum fuit, quietus a tergo, mali faciens nihil, nates tamen multis videndas praebuit. Tum patre nil vidente ridenteque populo 20 ait Tylus: „Viden', pater, quanta sit opus farina, ut oppleas mihi invidentium [patent?" mendaciumque hominum ora, quae semper Verum reclamante populo in foedum puerum mutata mens senis fuit, moxque anterior 25 equitare iussus filius. Siquidem occipite frons est prior. Meliusque nostris credimus oculis quam ineptis fabulis plebeculae. Hie ille fabricator malorum clam patre aliisque conspicantibus linguam exerit 30 videtque torvum. Et clamor exoritur novus. Hinc moeror ingens occupât senem et enecat. Quo mortuo liber sibi visus Tylus defugit a matercula paupérrima. Sed quum laboris esset impatiens nimis 35 et iniret adolescentiam, nectere dolos decrevit. Hocque opificio victum sibi quaerere putavit esse rem palmariam. Iussit itaque ad flumen popellum currere; A5v supra quod extento perite lusitane 40 fune, nebulo quem forte quis dissecuerat, delapsus est in aquas et exceptus gravi risu. Memorque fraudis occultae Tylus in crastinum reduces videre omnes cupit, invitât effingitque risum cum populo. 45 Persuadet aliud editum iri gratius. Reclamat omnis concio: „Nullus aberit."
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Der Triumph der menschlichen Torheit
Weise und verschaffte sich Vertrauen in seine Rechtschaffenheit: „Stelle mich doch wegen meiner Frechheit auf die Probe, Vater. Ich will mit dir reiten, damit du meinen Charakter prüfen kannst. Sitze du vorne, ich will hinten sitzen, damit du alles deutlich in Augenschein nehmen kannst." Also ritt der Sohn mit seinem Vater. Aber als er ruhig hinten saß und nichts Schlimmes anstellte — so wenigstens schien es dem Alten — streckte er doch vielen Leuten den nackten Hintern heraus. Als der Vater nichts merkte und das Volk lachte, da sagte Till: „Siehst du, Vater, wieviel Mehl es braucht, damit du die immer offenen Mäuler der auf mich neidischen und lügnerischen Menschen stopfen kannst?" Aber das Volk tat seinen Unwillen gegen den garstigen Jungen kund, der Alte änderte seinen Sinn, und bald mußte der Sohn vorn aufsitzen. Die Stirn ist ja wichtiger als der Hinterkopf. Wir glauben unseren eigenen Augen eher als dem unnützen Gerede des Pöbels. Jetzt streckte jener Unheilsschmied, vom Vater unbemerkt, den Zuschauern die Zunge heraus und sah ganz frech und finster drein. Und wieder erhob sich ein Geschrei. Daher befiel große Betrübnis den Alten und brachte ihn langsam um. Nach seinem Tod glaubte sich Till frei und lief von seinem armen Mütterchen weg. Aber weil er gegen Arbeit allzu abgeneigt war und schon in sein Jünglingsalter gekommen war, beschloß er, eine Hinterlist an die andere zu reihen. Sich mit dieser Arbeit seinen Lebensunterhalt zu suchen, hielt er für den höchsten Triumph. Er hieß also das Volk zum Fluß kommen. Auf einem darübergespannten Seil tänzelte er geschickt herum, fiel aber dann ins Wasser — irgendein Witzbold hatte nämlich das Seil zerschnitten — und wurde von gewaltigem Gelächter empfangen. Till behielt die geheime Tücke im Gedächtnis und wollte, daß alle am nächsten Tag zurückkehrten; er lud sie dazu ein und erregte wieder Lachen beim Volk. Er redete ihnen ein, daß er ihnen dann etwas noch Gefälligeres vorführen würde. Die ganze Versammlung rief zurück: „Niemand wird sich drücken."
Till sitzt hinter dem Vater auf. Buchd. Sprüche 10,1: Em weiser Sohn ist seines Vaters Freude.
Till sitzt vor dem Vater auf.
Buchd. Sprüche 19, 26: Wer den Vater mißhandelt und die Mutter verjagt, der ist ein schandbarer und verfluchter Sohn.
Till ist in der Jugend ganz seiner Arbeit hingegeben.
Till als Seiltänzer.
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Triumphus humanae
stultitiae
m Disiecti caicei. Iterumque fune tenso ad amnis alveum Tylus cachinnos excutit spectantibus. „At heus", ait, „iam quisque credat dexterum mihi calceum." Arreptosque multos calceos deiecit in mediam plateam. Unde ortus est ingens tumultus. Calceum dum quisque suum disquireret nec inveniret, abit Tylus dicens: „Heri natabam ego. Iam vos miseri vel in capillos involate ob calceum."
5
[VI.] Pistor delusus. Quandoque matri sanior visus Tylus et, quam solet, sedatior, mire placuit. Taciturnus autem cogitabat interim, quid factitaret proxime. Ac penuria pañis laborante genitrice simplicem pistorem adortus, qui suo mitteret hero panem novem denariorum, exercuit. Pertuso enim sacco puer panem tulit, Tylusque eundem noluit mersum luto. οίντι- Quem cum reliquisset puer pistoris ac πελάργησις. domum redisset, mundiorem ut tolleret, panem luto illapsum Tylus matri attulit.
A6r 10
[VII.] χαρμόσυνη: id est, gaudium. Tylus in alveario dormiens et surreptus.
In pago erat charmosyna quondam publica, adnexa dedicationi aedis sacrae. Hue prodiit cum matre laetus filius, qui ibi copia cervisiae madefactus est. Ac proinde sese clanculum subduxit, ut 5 liceret edormire, in alvearia maiora, quam nostro videntur seculo. Sed nocte concubia quiescentibus aliis
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Der Triumph der menschlichen Torheit
V. [H 4] Als das Seil wieder über das Flußbett gespannt war, Die durchvertrieb Till den Zuschauern ihr Gelächter. „Hört geworfenen emal", rief er, „jeder soll mir seinen rechten Schuh überlassen!" Nachdem er viele Schuhe an sich genommen hatte, warf er sie mitten auf die Straße. Darüber erhob sich ein riesiger Krawall. Während jeder seinen Schuh suchte, aber nicht finden konnte, machte Till sich davon, wobei er sagte: „Gestern bin ich baden gegangen. Heute könnt ihr erbärmlichen Kerle euch wegen eurer Schuhe in die Haare kriegen." ν
Χ
ρ * Τ1ΑΤ1ΠΡΓ*
VI. [H 5-6] Als Till seiner Mutter vernünftiger und ruhiger als Ein Bäcker sonst erschien, gefiel ihr das außerordentlich. Er ^re^therem" aber überlegte inzwischen stillschweigend, was er als nächstes anstellen könnte. Weil seine Mutter an Brotmangel litt, machte er sich an einen arglosen Bäcker heran und brachte ihn soweit, seinem Herrn Brot für neun Groschen zu schicken. Des Bäckers Knecht trug das Brot in einem löchrigen Sack, und Till wollte das Brot, das in den Dreck gefallen war, nicht annehmen. Als der Bäckerjunge ihn verlassen Die hatte und nach Hause zurückgekehrt war, um ein KindesUebe· sauberes Brot zu holen, brachte Till das in den Schmutz gefallene seiner Mutter. VII. [H 9] In der . Gemeinde war einmal , ein , öffentliches Fest, , . , .. . .
.f ^ J 1 ' .
Ein
weihe,d.h. ein Freudenfest,
das mit einer Kirchweihe verbunden war. Hierhin ging Till fröhlich mit der Mutter und betrank sich dort reichlich am Bier. Dann verdrückte er sich ganz TM schläft IN still und leise, um sich auszuschlafen, und zwar in kori^ndwírc einen von mehreren Bienenstöcken, die größer wa- heimlich wegren, als man sie heutzutage sehen kann. Doch um getragen' Mitternacht, als die anderen schliefen, kamen Diebe,
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Triumphus humanae stultitiae
venere fures quaeritantes surripere, uti potiora, gravissima alvearia. 10 Sublectus autem pervigil Tylus fuit exaudiensque fabulas furum in mediis tenebris manu arripuit capillos praevii. Atque is ferens tractum aegrius „Quid me trahis?" inquit. „Quid autem somnias?" posterior ait. 15 „Neque enim licet retrahere ab alveariis manum." Deinde traxit alterum Tylus. Qui in praevium sic detonabat clamitans: „Quid me iocos ludosque tu, scelus, facis?" „Egon' traham manibus gravatis pondere hoc? 20 Tenebrisque tam densis, ut obtuerier A6v nihil queam?" Rursum priorem excarnificat tractu Tylus colaphosque commutantibus ambobus illis furibus furtiva sunt collapsa humi alvearia. Et claro die 25 aufugit hospes ille mellitissimus.
[VIII.] Tyius Sacrificuli minister idem factus est 'femüusS finxitque sanctimoniam non ingenitam. Sed cum hospite suo pactus est communia edulia laboresque tantum dimidios. Et propius accedens domus penetralia intuitus est Martham altero carentem oculo. Quae quum iuberet, ut foco assidens Tylus fixos colurnis verubus alites duos versaret, interea parabat caetera, quae erant amicis praeparanda, nil doli inesse versanti putans. Sed alitem Tylus comedit alterum assatum probe. Tunc ilia, ne quid imparatum offenderei, repetit focum. Videt alitem, non alites. Rogat Tylum, quis sustulisset alterum.
5
10
15
Der Triumph der menschlichen Torheit
75
die die schwersten Bienenkörbe heimlich wegschaffen wollten, weil sie lohnender als die leichteren sind. Als sie aber Till aufheben und stehlen wollten, wurde der hellwach, und als er in der Dunkelheit das Gerede der Diebe vernahm, zog er mit der Hand den Vorangehenden am Haar. Der ärgerte sich darüber und sagte: „Was ziehst du mich?" „Aber was träumst du denn?" erwiderte der hintere. „Ich kann ja nicht die Hand vom Bienenstock nehmen." Dann zog Till den anderen am Haar. Der donnerte auf den Voraufgehenden los und rief: „Was machst du denn für Scherze und Späße mit mir, du Halunke?" Der antwortete: „Sollte ich dich etwa mit meinen Händen, die mit diesem Gewicht belastet sind, an den Haaren ziehen? Noch dazu in so einer pechschwarzen Finsternis, daß ich sowieso nichts erkennen kann?" Wieder peinigte Till den vorderen, indem er ihn am Haar riß, und als die beiden Diebe untereinander Faustschläge austauschten, fiel der gestohlene Bienenstock zu Boden. Und bei Tagesanbruch lief der honigsüße Gast davon.
VIII.
[H 13-14 (11-12)]
Till wurde Diener eines Pfäffleins und heuchelte ei- Tili ais^piener ne tugendhafte Gesinnung, die ihm gar nicht ange- sters. e" boren war. Doch mit seinem gastlichen Herrn einigte er sich auf gemeinsame Mahlzeiten und nur halbe Arbeit. Im Hause angekommen, erblickte er Martha, die ein Auge verloren hatte. Diese trug Till auf, am Herd zu sitzen und zwei Hühnervögel umzuwenden, die an Bratspießen aus Haselholz steckten. Währenddessen bereitete sie alles andere vor, was für die Gäste anzurichten war, und glaubte nicht, daß eine Hinterlist in dem Hühnchendreher steckte. Aber Till aß den einen Vogel auf, als er richtig gar geschmort war. Dann kam Martha zurück zum Herd, um alles weiter vorzubereiten. Sie sah aber nur ein Hühnchen statt zwei und fragte Till, wer das andere weggenommen hätte. Till antwortete ihr
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Triumphus humanae
Familia imperatrix.
Proverb, xxii: Ejice derisorem et exibit cumeoiurgium: cessabuntque causae et contumeliae.
Tylus custos templi
stultitiae
Cui dixit ex tempore Tylus: „Domina mea, aperi oculos, et alites conspexeris." Irata quae hospiti memorai ignominiam obiectam ab improbo Tylo atque conqueritur fuisse fixos verubus alites duos 20/A7r desiderarique alterum. Hinc illae lachrymae. Sollicitus ergo sacrifiais famulum vocat et admonet, ne rideat Martham suam, quod careat oculorum altero. Quaerit quoque, quis abligurivisset alterum alitem. 25 Confessus autem rem Tylus domino suo et causam suam depinxit his coloribus: „Quia metuebam, ne fores verbi memor, quo addixeras commune edulium Tylo animamque damnares iniquis fraudibus, 30 ideo mihi prospexeram ipso in tempore." Tum callido suique studioso famulo arrisit ille Graeculus sacrificulus. „At heus", ait, „diarissime, hoc unum precor: morem geras Marthae meae, quae est unicum 35 columen domus suique heri spes unica." Cum veV.et autem Martha nonnulla fieri opera a Tylo, hie dimidia fecit, omnia reliquit interrupta sicut ardelio solet. Nec iniuria fuit, nam pactus erat 40 sic cum suo domino antea, ne quid nimis, sed cuncta dimidio labore conficeret. Haec ex sua Martha audiens sacrificulus et spernens querelam risit. Ilia excanduit dixitque: „Si diutius vis pascere 45/A7v hunc pestilentem sannionem, iam vale. Iam cogita non amplius concumbere." His vineis arietibusque victus est heri animus orbatusque convictu Tylus. Iam forte fortuna sepulto eius loci 50 lychnucho in ipsius gradum ingeritur Tylus.
Der Triumph der menschlichen
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Torheit
nach Lage der Dinge aus dem Stegreif: „Meine liebe Frau, macht die Augen auf, und Ihr werdet die Hühner schon sehen." Erbost berichtete Martha ihrem Herrn den Schimpf, der ihr vom bösen Till widerfahren war, und beschwerte sich, daß zwei Hühnchen an den Spießen gesteckt hätten und das eine nun fehlte. Daher die Tränen! Ganz aufgeregt rief also der Priester seinen Diener und ermahnte ihn, seine liebe Martha nicht zu verspotten, weil sie nur ein Auge hätte. Er fragte auch, wer das eine Hühnchen weggenascht hätte. Till aber gestand die Sache seinem Herrn und beschrieb anschaulich den Grund seines Tuns mit den folgenden Worten: „Weil ich fürchtete, daß Ihr Euer Wort vergessen könntet, mit dem Ihr Till gemeinsames Essen zugesagt hattet, und Eure Seele durch solch üblen Frevel der Verdammnis anheimgeben würdet, deshalb hatte ich für mich schon zur rechten Zeit Vorsorge getroffen." Da mußte das Pfäfflein, das selbst schlau wie ein Grieche war, über seinen klugen Diener lachen, der so gut auf sich selbst bedacht war. Er sagte: „Aber höre, mein Lieber, ich bitte dich nur um dies eine: Sei meiner lieben Martha zu Willen, die die einzige Stütze des Hauses ist und die einzige Hoffnung ihres Herrn." Aber als Martha von Till einige Arbeiten verrichtet haben wollte, führte er nur die Hälfte aus und ließ alles halbfertig zurück, wie es gewöhnlich ein Faulpelz tut, der sich nur geschäftig anstellt. Dabei war er nicht einmal im Unrecht; denn er hatte es ja so mit seinem Herrn vorher abgesprochen, daß er nichts zu viel, sondern alles nur mit halber Arbeit auszuführen brauchte. Der Pfaffe hörte darüber von seiner Martha, gab aber auf ihre Beschwerde nichts und lachte nur. Sie wurde ganz hitzig vor Zorn und sagte: „Wenn Ihr diesen lästigen Hanswurst noch länger füttern wollt, dann auf Wiedersehen! Denkt ja nicht, daß ich noch länger mit Euch schlafe." Diese Abwehr- und Angriffsmanöver stimmten den Sinn ihres Herrn um, und Till ging seines Lebensunterhalts verlustig. Gerade war durch einen glücklichen Zufall der Küster dieses Ortes begraben worden, und man setzte Till in dessen Rang ein. Während er den
Die Haushälterin als Gebieterin.
Buchd. Sprüche 22, 10: Treibe den Spötter hinaus, so geht der Zank weg, und Hader und Schmähung hören auf. Till als Küster.
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Triumphus humanae stultitiae
Superbus pastor.
Contentio inter pastorem et custodem.
Paroeciae qui curionem vestibus dum cingeret, pepedit altum curio. Tylus mephitim non ferens illi occinit: „Istumne suffitum Iovi pro thure das?" 55 Offensus autem curio ad lychnuchum ait: „Meumne templum est atque tota paroecia? Ausim aedepol vel in mei templi medio cacare. Nam fimo licet conspergere cuique proprios agros." Certamen est 60 lychnuchon inter ac paroeciae dominum non posse stercus collocali, ubi dictum erat. Victus luet cuppam gravem cervisia. Cacavit igitur curio in templi medio, velut arbitrabatur. Fefellit regula; 65 dimensus est enim Tylus templi ángulos merdamque deprendit iacentem quattuor spacio pedum longissimorum ipso a medio. Devictus itaque curio cervisiam persolvit atque exhaurit una cum Tylo. 70/A8r Persuasit autem ancilla fugiendum Tylum, nisi curio vellet recipere ignominiam in se. Retentum in mente summa hoc manserat.
[IX.]
αναστασις: resurrectio.
Representado resurrectionis dominicae.
Retaliare statuii illam iniuriam Marthae Tylus. Proinde cum Paschae dies solemnis adventaret, in crepusculo de more vulgo erat exhibenda anastasis. Tylus itaque duos rústicos instruxerat, ut agere secum rite personam Mariae possent. Sepulchre constituía Martha erat vice angeli, propinquiores qui Marias interrogai „Quem quaeritis?" Dixere ei, velut a Tylo astutissimo perdoctae erant: „Annosam et unius oculi meretriculam a curione diffututam exquirimus." Tum Martha mentita angelum se proripuit
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Torheit
Pfarrer in die Meßgewänder einkleidete, furzte der laut. Till hielt den Gestank nicht aus und erhob seine Stimme gegen ihn: „Gebt Ihr dem höchsten Gott so einen Räucherduft statt des Weihrauchs?" Der Pfarrer aber war beleidigt und sagte zu seinem Küster: „Gehören nicht die Kirche und die ganze Pfarrei mir? Zum Teufel, ich könnte es sogar wagen, mitten in meine Kirche zu scheißen. Denn jeder darf seine eigenen Äcker mit Mist bestreuen." Der Küster und der Pfarrherr schlossen nun eine Wette ab, er könne die Scheiße nicht da absetzen, wo er gesagt hatte. Der Verlierer müsse eine ganze Tonne Bier bezahlen. Also schiß der Pfarrer mitten in die Kirche, ganz wie er es gemeint hatte. Aber er ließ sich von der Bedingung der Wette täuschen. Till maß nämlich die Kirche von den Ecken aus ab und stellte fest, daß die Scheiße vier volle Fuß von der genauen Mitte entfernt lag. Der Pfarrer, der also verloren hatte, bezahlte das Bier und trank es zusammen mit Till auf. Doch die Magd überredete den Pfarrer, er müsse Till aus dem Wege gehen, wenn er nicht Schimpf und Schande auf sich laden wollte. Sein Betragen war ihr nämlich tief im Sinn stecken geblieben.
Der hochmütige Pfarrer.
Der Wettstreit zwischen Pfarrer und Küster.
IX. [H 15 (13)] Till beschloß, Martha den erlittenen Schaden heimzuzahlen. Als der hohe Ostertag herannahte, sollte nach altem Brauch dem Volk in der Abenddämmerung die Auferstehung aufgeführt werden. Till hatte Die deshalb zwei Bauern beigebracht, mit ihm zusam- Auferstehuns men die Rolle der Maria zu spielen. Im Grab hatte DieAuffühMartha sich schon in der Rolle des Engels aufge- A^Üretehung stellt, der die bei ihm stehenden Marien fragt: „Wen des Herm · suchet ihr?" Sie sagten zu ihr, ganz wie sie vom Schlaukopf Till unterrichtet worden waren: „Eine alte einäugige Hure, die von ihrem Pfaffen ganz kaputtgefickt ist, die suchen wir." Da stürzte Martha, die den Engel spielte, aus dem Grab hervor, und in
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Triumphus humanae stultitiae
tumulo atque sperans fortiter pugno caput Tyli ferire laesit agricolam alterum. Nanque ira et ambigua dies effecerant, ne tangeret verum scopum, Tyli caput. Id rustici coniunx videns accurrit et Martham capillis protrahens diverberat. Quod conspicatus curio fert suppetias Marthae atque vexillum relinquit dominicum. Sed hisce depugnantibus fugitat Tylus.
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[X.] Tyius voians.
Parthenopolim ingressus rogatur, ut novi quid perpetraret. Populo enim hoc gratissimum fore asserunt; nam celebre erat nomen Tyli. Promisit ergo ab editissimo loco sese volaturum atque adesse iussit in 5 foro viros ac mulieres. Comparuit innumera turba. Ascendit et turrim Tylus, quae in curia urbis stabat eminentior. Subinde iactans brachia auxit omnium spem de volatu. Sed Tylus non immemor, 10 quanta Icarus dementia se sublevans dederat mari nomen suo de nomine, syncrusio risu tremens dixit populo: „Equidem putabam me omnium stultissimum, at video vos omnes stolidiores Tylo. 15 Si clamitassetis simul volare vos potuisse, crediturus id nulli fueram, quod in manu esse uni mihi omnes creditis." Fugienteque illinc plebe sermo caeditur varius, quia hie argutiam Tyli approbat, 20 qui civitatem eluserit nugis meris. Ille autem ait: „Quae me tenuit insania, in publicum ut venirem ego eius gratia?" Alius Tylo imprecatur omnes daemonas. In tempore autem se Tylus subduxerat. 25/Bir
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der Hoffnung Till kräftig mit der Faust auf den Kopf zu schlagen, verletzte sie den einen Bauern. Denn ihr Zorn und das ungewisse Tageslicht hatten bewirkt, daß sie nicht ihr wahres Ziel traf, nämlich Tills Kopf. Die Frau des Bauern sah das, lief herbei, zog Martha an den Haaren und verprügelte sie. Als der Pfarrer das gewahr wurde, kam er Martha zu Hilfe und ließ die Fahne des Herrn fallen. Aber während sie sich zu Ende rauften, lief Till davon.
X. [H16 (14)] Nach Magdeburg gekommen, wurde Till gebeten, ™ als ieger ' etwas Neues anzustellen. Man behauptete nämlich, dies wäre dem Volk sehr lieb; denn Tills Name war in aller Munde. Er versprach also, von der höchsten Stelle zu fliegen, und hieß Männer und Frauen auf dem Marktplatz erscheinen. Eine unzählige Menge fand sich ein. Till bestieg den Turm, der am Rathaus der Stadt ganz hoch aufragte. Darauf schwang er die Arme hin und her und erhöhte so die Spannung aller auf seinen Flug. Aber Till hatte nicht vergessen, mit welcher Unvernunft Ikarus sich in die Lüfte geschwungen und ein Meer nach seinem eigenen Namen benannt hatte. Sich vor hämischem Lachen schüttelnd, rief er dem Volk zu: „Ich hielt mich für den größten Toren von allen, aber ich sehe, daß ihr alle noch tölpelhafter als Till seid. Und wenn ihr alle gleichzeitig geschrieen hättet, ihr könntet fliegen, hätte ich keinem einzigen das geglaubt, von dem ihr alle glaubt, es stehe allein in meiner Macht." Als sich dann das Volk von dort verlief, erhob sich ein allgemeines Gerede. Der eine erkannte Tills Scharfsinn an, der die Bevölkerung mit echten Possen zum Narren gehalten hätte; ein anderer aber meinte: „Was für ein Wahnsinn hat mich denn befallen, daß ich seinetwegen nach draußen gekommen bin?" Wieder ein anderer wünschte Till alle Teufel an den Hals. Till aber hatte sich beizeiten davongemacht.
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Triumphus humarme stultitiae [XI.] Tylus medietas imponit cuidam doctori.
Proverb, xiii: Qui cum sapientibus graditur, sapiens erit. Amicus stultorum similis efficietur.
Heel, xxxviii: Honora medicum propter necessitatene etc.
Venitque in aulam episcopi eiusdem oppidi, ubi gratus ob facettas iuges erat; nanque universa amabat ilium nobilitas. Alebat autem episcopus quendam sophon, cui placuit aula moñones ejici, 5 quod principem sapientia, haud amentia deceret. Aiunt nobiles: „Stultiloquium est. Stulta audiendo nemo fiet stultior. Principibus est prudentiae summo loco aliquoties post seria aures tradere 10 confabulationibus stultissimis." A satrapis invidia detegitur Tylo. Hunc iUi adhortantur, dolum ut sopho paret; sese adfuturos pollicentur strennue. Placuit Tylo res, qui peregre abit ocyus, 15 notitiam ut oblitus sophos falli queat. Redit Tylus nec principem visit suum, alium requirit hospitem, cui se medicum persuadet esse, ut inde fama cresceret. Elapsa iam Tyli memoria erat sopho, et 20 frequens sophon morbus tenebat sonticus. Cuius miserti satrapae depraedicant medicum hunc peregrinum velut Machaona, nam vestis atque gestus egregium arguunt. Sophos itaque ignotum e suo hospitio vocat 2 5 / B l v splendidius ipsum habiturus inter satrapas. Post longa colloquia negocium sophi tractatur, aequa postulanti qui medico pro sanitate addicit ampia praemia. Medicus fatetur esse nil periculi, 30 si propter aegrum dormiat tectum undique, ut liceat ex sudore morbum noscere. Tum potionem medicus obtulit sopho exhauriendam, qui mali antidotum ratus
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Torheit
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XI. [H 17 (15)] Till kam an den Hof des Bischofs derselben Stadt, wo er wegen seiner ständigen witzigen Einfalle willkommen war. Der gesamte Adel war nämlich von ihm eingenommen. Der Bischof aber unterhielt einen weisen Herrn, der die Narren aus der Residenz vertrieben haben wollte; denn einem Fürsten gezieme Weisheit, nicht Verrücktheit. Die Adligen meinten dazu: „Das ist ja törichtes Gerede. Durch bloßes Anhören von Torheit wird niemand töricht. Hohen Fürsten gerät es zum höchsten Zeichen der Klugheit, ab und zu nach ernsten Geschäften ihr Ohr auch den törichtesten Gesprächen zu leihen." Die Adligen enthüllten Till die Mißgunst des weisen Mannes und forderten ihn auf, ihm einen Streich zu spielen. Sie versprachen hoch und heilig, ihm dabei zu helfen. Das gefiel Till. Er ging schnell aus der Stadt, damit der hochgelehrte Herr die Bekanntschaft mit ihm vergesse und so leichter hereingelegt werden könne. Dann kehrte Till zurück, aber begab sich nicht zu seinem Fürsten, sondern suchte sich einen anderen Gastgeber. Diesen überzeugte er, er sei Arzt, um dadurch seinen Ruhm noch zu vermehren. Der weise Herr hatte Till schon ganz vergessen, aber häufig befiel ihn eine bedenkliche Krankheit. Die Adligen hatten Mitleid mit ihm und rühmten den ausländischen Arzt bis in den Himmel, als ob er Machaon wäre; denn Kleidung und Gebaren wiesen ihn deutlich als vortrefflichen Mann aus. Der weise Herr rief also den ihm Unbekannten aus seinem Quartier und war bereit, ihn unter den Adligen noch glänzender zu halten. Nach langen Unterredungen kam der Fall des gelehrten Herrn zur Sprache. Dieser sagte dem Arzt, der nur das ihm Zustehende verlangte, reichliche Belohnung für seine Gesundheit zu. Der Arzt behauptete nun, es bestehe keine Gefahr, falls er neben dem Kranken schlafe, der ringsum zugedeckt sein müsse, damit er am Schweiß die Krankheit erkennen könne. Dann brachte der Arzt dem Gelehrten einen Trank, den er ganz austrinken mußte. Dieser hielt ihn für ein Mittel gegen sein
Till spielt als Arzt einem gelehrten Doktor einen Streich. Buchd. Sprüche 13, 20: Wer mit den Weisen umgeht, der wird weise; wer aber der Toren Geselle ist, der wird Unglück haben.
Eccl. 38,1: Schätze hoch den Arzt, so wie er nötig ist, usw.
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praecedit in lectum et sequi medicum iubet, paulo ante in ollam qui alvi onus deiecerat et composuerat ad caput miseri sophi. Ollam etenim odoratus suo dixit medico: „Quis ille foetor pestilens, qui me excruciat? Quo me reflectam, nescio, quoniam et tibi est anima foetens, medice mi." Risit medicus furtim. Subinde enim crepabat clunibus. Tandem edidit vim potio, visusque sophos animam agere medicum coegit surgere. Qui aegrum volebat esse iam meliore animo, quod foetor ex sudore veniat pessimus. „At heus, beate doctor", inquit clinicus, „ego surgo luminis ferendi gratia. Tu conquiesce paululum sub stragulo, ne sudor in letale vertatur gelu." stuititiam Hac arte delusus sophus et admonitus est, pruderti in posterum ut perferre discat stultulos. iumma ^ Mane exitum rei audiens episcopus risit sophon, risere et omnes satrapae. Gavisus in sinu Tylus fugit alio.
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[XII.] Tyius cacans
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Ubi forte vidit aegriusculum puerum, quem mater esse durioris alvi ait, hunc liberandum sarcina acceptai Tylus habiturus aequum praemium. Inde in hortum abit pueri laborantis genitrix. Intereaque 5 ovum suum sub sede collocai Tylus statimque in ipsa parvulum apte constituit. Reversa mater incubantem stercori gnatum videt quaeritque, qui fecisset hoc. Quare Tylus simulabat artem hieroglyphicam io et muñera recusans recessit ad alios.
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Leiden, ging voran ins Bett und hieß den Arzt folgen. Der hatte kurz vorher eine volle Ladung seines Darms in einen Topf fallen lassen und den beim Kopf des unglücklichen Weisen hingestellt. Als der den Topf roch, sagte er zu seinem Arzt: „Was ist das für ein ekelhafter Gestank, der mich da peinigt? Ich weiß gar nicht, wohin ich mich drehen soll, weil auch Ihr einen Stinkatem habt, mein lieber Doktor." Der Arzt lachte sich ins Fäustchen und knatterte gleich darauf aus den Hinterbacken. Schließlich zeigte der Trank seine Stärke. Der gelehrte Herr glaubte schon, in den letzten Zügen zu liegen, und hieß den Arzt aufstehen. Der redete dem Kranken besseren Mut zu, da der scheußliche Gestank von seinem Schweiß käme. „Aber hört, mein verehrter Herr Doktor", sagte nun der Arzt, „ich stehe auf, um ein Licht zu holen. Ihr aber ruht Euch noch ein bißchen unter der Decke aus, damit der Schweiß nicht in tödliche Eiseskälte umschlägt." Durch diese Pfiffigkeit wurde der weise Mann hereingelegt und da- Am rechten zu angehalten, in Zukunft harmlose Toren ertragen vorzutaJ6" zu lernen. Als der Bischof am Morgen den Ausgang ^ l "' t g S t d i e der Sache hörte, lachten er und alle Adligen den Klugheit, weisen Herrn aus. Till aber hatte im stillen seinen Spaß und machte sich anderswohin aus dem Staub.
XII. [H 39 (16)] Als Till zufällig einen kränklichen Knaben sah, des- Tili scheißt sen Mutter meinte, er habe einen zu harten Darm, ^ „ ¿ f " übernahm Till es, ihn für eine entsprechende Beloh- Jung^ nung von seiner drückenden Last zu befreien. Also ging die Mutter des leidenden Jungen hinaus in den Garten. Inzwischen legte Till sein eigenes Ei unter einen Stuhl und setzte gleich den Kleinen passend darauf. Als die Mutter zurückkehrte und ihren Sohn die Scheiße ausbrüten sah, fragte sie, wie Till das gemacht hätte. Der verwies zur Ausrede auf seine geheime Heilkunst, und ihre Geschenke ausschlagend, machte er sich zu anderen Leuten davon.
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Triumphus
humarme
stultitiae
[XIII.] Tylus uno die omnes in nosocomio aegrotos curans.
Cum nosocomeion visitaret clinicus conductus, ut brevissimo tempusculo in publicum cunctos referret lánguidos, admurmuravit singulis, ne proderent, quae diceret. Fidem dedere singuli. Venit inde comitatus duobus clinicus exustionem interminans cuilibet, quod ciñere mixto potionibus suis curare posset caeteros; et consulit, ut, cum vocare singulos ad exitum incaeperit, defugere certatim velint. Nam si quis aeger haeserit nec prodierit, huius quidem redigetur in ciñeres caput. Stato die Tylus recensens singulos deprendit astantes suis stationibus, moxque exierunt singuli pro viribus; exustionem enim sibi quisque metuit. Sic nosocomeion liberatur languidis et accipit pactam Tylus pecuniam. Post tres dies magister aegrotantium male restitutos cum recipere cogitur, technam rescivit clinici, sed serius.
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[XIV.] Tylus pistons iamu nulus. αρτοποιος: id est, qui panem facit.
Tum ne parum polytropus foret Tylus neu quaeritando victui esset inhabilis, operam elocavit artopoeo sordido, et cribrare iussus nocte, dum fulgesceret luna, ut lucernis parceret sebaceis, in nocte sublustri acriter cribravit. At ab artopoeo sparsa humi deprenditur farina tota, qui Tylo indignatus ait: [volui „Ego te supra lyntrem, haud humum, cribra agitare, dum Phoebe suum lumen daret." Sed panibus divenditis iam nil erat,
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XIII. [H 89 (17)] Till besuchte ein Krankenhaus und ließ sich als Arzt Till kuriert an anstellen, um angeblich alle Siechen in allerkürze- SìfiagaUe ster Zeit wieder ins öffentliche Leben zurückzubrin- sänken im _
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gen. Er flüsterte jedem einzelnen Kranken zu, nicht zu verraten, was er ihm sagen würde. Alle gaben ihr Wort. So kam der Arzt, von zwei Gehilfen begleitet, zurück und drohte jedem Kranken, er würde verbrannt; denn er, der Arzt, könne die anderen mit der Asche heilen, die er seinen Arzneitränken beimischen würde. Er riet ihnen, wenn er anfinge, sie einzeln zum Ausgang zu rufen, um die Wette wegzulaufen. Denn wenn ein Kranker zurückbliebe und nicht vorankäme, würde er bis auf die Knochen zu Asche verbrannt. Am vereinbarten Tag musterte Till jeden einzelnen und griff nach denjenigen, die noch an ihren Betten stehenblieben. Gleich liefen alle, so schnell sie konnten, hinaus; denn jeder fürchtete, verbrannt zu werden. So wurde das Krankenhaus von seinen Patienten befreit, und Till erhielt sein vereinbartes Geld. Als nach drei Tagen der Spitalmeister die nur scheinbar Geheilten wieder aufnehmen mußte, kam er dem Arzt hinter die Schliche, aber zu spät.
Krankenhaus.
XIV. [H 62 (20)] Um seine Wendigkeit nicht zu verlieren und auch weiterhin seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, verdingte Till dann seine Arbeitskraft einem knausrigen Bäcker. Beauftragt, nachts im Mondschein Mehl zu sieben, um die Talglichter zu sparen, siebte er eifrig im nächtlichen Dämmerlicht. Aber der Bäcker fand alles Mehl auf den Boden gestreut und sagte entrüstet zu Till: „Ich wollte doch, du hättest die Siebe über dem Trog und nicht über dem Boden geschüttelt, während der Mond sein Licht dazu gab." Da die Brote vom Vortag schon verkauft waren, war nichts mehr übrig, was der Bäcker am nächsten Tag verkaufen konnte. Auch das feine Wei-
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Backer eselle
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quod postero die artopoeus venderei, nec tritici flos colligi in tempore potuit. Dicebat ergo ei Tylus: „Parata adest farina vicini. Occupes hanc ilicet." Porro artopoeus inquit: „Exi tu potius in rem malam et fer inde, quod ibi inveneris." Quare obsequens hero Tylus furunculi pendentis ossa ei adferebat sciscitans, in cuius usum patibuli escam posceret. Quo verbulo artopoeus offensus refert: „Videbis e vestigio me ad iudicem prodire, ad ipsum ut deferam furtum tuum." Id factitanti oculos Tylus distendit et coeptam querelam non valenti perficere ostentat anum ac nominai fornaculam tali artopoeo facile commodissimam.
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Speculator atque cornicen quondam Tylus «
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m editissima arce ditis sa tra pa e, cui plurimi hostes imminebant, ponitur. Quin satrapes numerosum alebat militem. Sed prandii coenaeque quovis tempore amotus oculis cornicen neglectus est. Ideoque ab hostibus videns pecora abigi circumiacentibus ex agris piane siluit nec ulla signa prodidit domesticis. Quem ut ociosum satrapes coarguit, verum Tylus „Ieiunus", inquit, „non cano. Nec est opus confiare turmas hostium, siquidem hisce nostrum territorium scatet. Eosque video protenus pecora agere." At cum vicissim satrapes ab hostibus praedam attulisset iamque se cum militibus reficeret ad mensam gravatam ferculis lautissimis, speculator occinit Tylus fingitque visas hostium sibi copias. Sicque elicit sui cohortes satrapae in animo habens auferre, quo se pasceret.
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zenmehl konnte nicht mehr rechtzeitig herangeschafft werden. Till sagte deshalb zu ihm: „Das Mehl des Nachbarn ist ja backbereit. Nehmt das doch einfach!" Da erwiderte der Bäcker: „Geh lieber an den Galgen und hol von dort, was du da finden kannst." Till gehorchte also seinem Herrn und brachte ihm die Knochen eines Strauchdiebs, der dort hing, und wollte wissen, wofür er denn solch ein Rabenfutter haben wollte. Von diesem frechen Wort beleidigt, antwortete der Bäcker: „Auf der Stelle kannst du jetzt sehen, wie ich zum Richter gehe, um ihm selbst deinen Diebstahl zu berichten." Vor dem Bürgermeister riß Till die Augen weit auf, und der Bäcker konnte seine angefangene Klage nicht beenden. Da streckte Till ihm auch noch den Hintern heraus und nannte ihn das Öfchen, das sich für solch einen Bäcker am besten eignete. XV. [H 21 (22)] Als Späher und Hornbläser wurde Till einmal auf der höchsten Turmspitze der Burg eines reichen Fürsten eingesetzt, dem viele Feinde drohten. Der Fürst beköstigte außerdem zahlreiche Soldaten. Da Till aber als Hornist zu keiner Frühstücks- und Hauptmahlzeit zu sehen war, wurde er ganz vernachlässigt. Als er nun sah, daß die Feinde das Vieh von den umliegenden Feldern wegtrieben, verschwieg er dies völlig und gab denen in der Burg überhaupt kein Signal. Als ihn der Fürst der Faulheit bezichtigte, erwiderte Till jedoch: „Mit leerem Magen kann ich nicht blasen. Auch ist es nicht nötig, die feindlichen Scharen zusammenzublasen, weil unser Gebiet ja von ihnen nur so wimmelt. Und ich sehe sie das Vieh auch schon weit wegtreiben." Als aber andererseits der Fürst Beute von den Feinden gemacht hatte und sich mit seinen Soldaten am Tisch labte, der sich von den üppigsten Gerichten nur so bog, da blies der Späher Till und gab vor, feindliche Truppen gesehen zu haben. So lockte er die Soldaten seines Fürsten mit der Absicht aus der Burg, für sich et-
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Egressus autem satrapes cum exercitu hostem petit nec invenit. Recurrit ad dapes relictas atque spumantes scyphos. Ac nesciens quid abstulisse ilium increpat, 25 quod indicasset hostem adesse, qui turn aberat. Posthac in hostem cogitur pedes Tylus contendere et cum turre cornu linquere, quod proditori visus esset consimilis. Proinde, cum pedites in hostem excurrerent, 30 postremus exitu atque primus in reditu fuit omnium; cur arguit eum satrapes timoris. Allegabat autem iniuriam Tylus, quod in commilitonum prandiis neglectus esset redditus macilentior 35/B4r infirmiorque; et ergo deberi sibi, ut pasceretur ociosus tarn diu, quam sederat famelicus apud satrapam. Sic se futurum pollicetur Herculem primumque in occursu hostium, non ultimum, 40 modo restitutus pristinis sit viribus. Tum satrapes bene pervidens ingenium hominis exegit ipsum nec dolos perpessus est. At hostium metuens Tylus gavisus est se liberatum satrapae tyrannide. 45
[XVI.] Poloniae rex habuit olim nobilem 1 1 1 . » . antagonistem citharoedon, haud magnae quidem prudentiae. ^Polonia! Qui poterat omnem argutiam confingere animumque regis hilariorem reddere, Moriones quoties liberet. Obiter hue venit Tylus d elici ae prineipum. acceptus et regi fuit. Verum ut duo canes ad unum os rodere haud volunt simul, sic aula in una moriones vivere ac Tyius mononem
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was zum Essen beiseite zu schaffen. Aber der Fürst, der mit seinem Heer ausgerückt war, wollte den Feind angreifen und konnte ihn nicht finden. Er eilte zu den im Stich gelassenen Speisen und zu den schäumenden Pokalen zurück. Er fuhr Till an, daß er sich irgendetwas beiseite geschafft hätte, weil er die Anwesenheit des Feindes gemeldet hätte, der zu der Zeit gar nicht da gewesen war. Hiernach mußte Till als Fußsoldat gegen die Feinde marschieren und Turm und Horn zurücklassen, weil er einem Verràter nur zu ähnlich sah. Als die Infanterie gegen den Feind auszog, war er der letzte von allen beim Abmarsch und der erste bei der Heimkehr. Deshalb bezichtigte der Fürst ihn der Feigheit. Till aber berief sich auf sein erlittenes Unrecht, weil er, bei den Mahlzeiten seiner Mitsoldaten vernachlässigt, zu abgemagert und schwach geworden sei. Daher schulde man ihm, daß er sich in Muße genau so lange beköstigen dürfe wie sonst jeder arme Hungerleider, der am Tisch des Fürsten säße. Auf diese Weise, so versprach er, werde er zu einem wahren Herkules und würde der erste beim Ansturm auf die Feinde sein, nicht der letzte, wenn er nur erst seine früheren Kräfte wiedererlangt hätte. Da erkannte der Fürst ganz richtig die wahre Natur des Mannes; er warf ihn hinaus und duldete seine arglistigen Täuschungen nicht mehr. Till allerdings, der sowieso vor den Feinden Angst hatte, war froh, sich von der Tyrannei des Fürsten befreit zu haben.
Tili als a
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XVI. [H 24] Der König von Polen hatte einst einen berühmten Till besiegt in Sänger und Spielmann, der allerdings keine große Hoftüren" Klugheit besaß. Er konnte aber jegliche Art von ^1c'J1l^Wider" Spitzfindigkeiten ersinnen und das Gemüt des Königs aufheitern, so oft er wollte. Zufällig kam Till an Die Hofnarden Hof und wurde vom König empfangen. Doch uebtageder wie zwei Hunde nicht zugleich an ein und demsel- Fürstenben Knochen nagen wollen, so können auch zwei Narren nicht an einem Hof leben und miteinander
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Tylus cacans et stercus edens. Iuvenalis: Lucri bonus est odor ex re qualibet.
bene convenire non valent. Id perspicit rex experirierque utrumque nititur. Committit ambos, animat atque dictitat, vestes novas ut praemii auferat loco, necnon ducatos bis decern, qui vicerit. Hinc moñones inchoant lusus suos et excitant regi cachinnos máximos. Certamen exardescit et cacat Tylus praesente rege. Moxque partem stercoris sorbens propinat morioni regio partem alteram et lacessit ad cacandum eum. Sed maluit regis carere mono pecunia cum vestibus quam vescier e cochleari propria merda aut Tyli. Quamobrem ducatos atque vestes aureas vice congiarii Tylo rex tradidit.
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[XVII.] Tyius exui m equo.
Idem a ducatu Lunoburgensi procul b e s s e i u s s u s 0 b nefarium facinus, tamen hunc frequenter transivisse dicitur. Equitando enim adventare prospiciens ducem et sibi timens suspendium secuit equum 5 coepitque in eius ventre delitescere. Verum a propinquiore iam duce agnitus, cur hoc lateret exul in cadavere, interrogatur. Ac sibi hoc licere ait, quod non ducis fundo insideret, sed suo. 10 Tum dux cachinnans egredi cadavere eum iubet suique persimilem probat. Sic patria donatus est exul Tylus equi sui beneficio, cui mortuo agebat ampias gratias, melius putans 15 corvos equinis quam suis carnibus ali. B5r
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auskommen. Das erkannte auch der König und wollte sie auf die Probe stellen. Er ließ die beiden zu sich kommen, feuerte sie an und versprach, daß der Sieger als Belohnung neue Gewänder und dazu noch zwanzig Dukaten bekäme. Also fingen die Spaßmacher ihre Spielereien an und erregten beim König großes Gelächter. Der Wettstreit wurde immer hitziger, und Till schiß vor den Augen des Königs. Dann schlürfte er einen Teil der Scheiße auf, setzte dem Spaßmacher des Königs den anderen Teil vor und reizte ihn auch zum Scheißen an. Aber des Königs Hofnarr wollte lieber auf Geld und Gewänder verzichten, als auch nur einen Löffel voll von seiner eigenen oder Tills Scheiße zu sich zu nehmen. Deshalb gab der König Till die Dukaten und golddurchwirkten Gewänder als Geschenk.
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Till scheißt und ißt seine Scheiße. Juvenal: Alles riecht gut, woran man verdient.
XVII. [H 25] Wegen eines schändlichen Streichs wurde Till be- ™bg®nter in fohlen, das Lüneburger Herzogtum nicht mehr zu seinem Pfad, betreten; dennoch soll er es häufig durchzogen haben. Beim Durchreiten sah er einmal von weitem, daß der Herzog sich näherte, und weil er befürchtete, aufgehängt zu werden, schnitt er seinem Pferd den Bauch auf und schickte sich an, sich darin zu verkriechen. Doch der Herzog, der schon näher herangekommen war, erkannte ihn und fragte, warum er, der des Landes verbannt war, sich in diesem Aas verstecke. Till behauptete, daß ihm das wohl erlaubt sei, weil er ja nicht auf dem Grund und Boden des Herzogs sitze, sondern auf seinem eigenen. Da lachte der Herzog, hieß ihn aus dem Kadaver herauskommen und erkannte an, daß Till sich seiner selbst würdig erwiesen hätte. So erhielt der verbannte Till durch den Freundschaftsdienst seines Pferdes eine Heimat. Dem toten Pferd dankte er ausgiebig; denn er fand es besser, daß die Raben das Pferdefleisch als sein eigenes fräßen.
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[XVIII.] T^ius pictor Ad haec Tylus vitae aulicae doctissimus antgravu. p e r s u a s j j - fjesso proferens e Flandria
imagines pulcherrimas se principem pictorum Apellemque alterum esse. Hessus itaque cum ilio egit, aulam ut splendide depingeret 5 ac ordine locaret suorum stemmata maiorum, erant qui olim celebratissimi. Tylus asseruit opus esse largis sumptibus. Contra Hessus artificis manum desyderans nil quaestionis de pecunia fore io respondit. Ast pictor, priusquam opus inciperet, optavit aliquot áureos sibi dari, quibus colorum varia genera coëmeret. Numeravit Hessus. Caeterum artifex operis ictum suo foedus volebat principi, 15 ne intraret aulam quispiam, dum pingeret. Deinde conduxit synergos tres Tylus, cum quibus in aula solus absolveret opus. Quid vero ibidem fecerint operarli hi, post Hessus auditurus est, sed tardius. 20 Inclusi enim pyrgum fatigant alea. Pingunt nihil; confabulantur suaviter, edunt, bibunt, de crastino nil cogitant. Tandem Hessus immenso angitur desyderio videndi. At hoc αδύνατον esse ait Tylus, 25/B5v quod nemo picturam suam intuerier queat nisi satus a parente adultero. Hic Hessi in arctum sunt redactae copiae, neque enim volebat spurius appellarier. Instabat Hessus, ut vel umbram cernerei. 30 Ideoque semoventur illi carbasa serieque iusta nominantur imagines. Necdum tamen subolet ei fraus artificis; tantum videre licuit album parietem et reputare secum, qua lupa esset editus. 35 Extollit igitur insolens artificium
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XVIII. [H 27] Till, der sich im höfischen Leben bestens auskannte, brachte danach wunderschöne Bilder aus Flandern mit und überzeugte den Landgrafen von Hessen, daß er der erste unter den Malern und ein zweiter Apelles sei. Der Hesse machte daher mit ihm aus, er solle seinen Saal prächtig ausmalen und die Stammbäume seiner einst hochberühmten Ahnen der Reihe nach an ihrem richtigen Platz anbringen. Till behauptete, daß dazu ein großer Aufwand an Geldmitteln nötig sei. Darauf erwiderte der Hesse, den es nach dem Werk aus der Hand des Künstlers verlangte, nach dem Geld frage er nicht. Jedoch bevor der Maler sein Werk begann, verlangte er einige Goldstücke, um damit verschiedene Farben zu kaufen. Der Hesse zählte sie ihm auf die Hand. Überdies wünschte der Künstler, mit seinem Fürsten einen Vertrag über die Arbeit abzuschließen, damit niemand den Saal betrete, während er male. Danach mietete Till drei Gehilfen an, mit denen er allein im Saal die Arbeit ausführen wollte. Doch was diese Handwerker dort machten, sollte der Hesse erst hinterher erfahren, allerdings zu spät. Während sie nämlich im Saal eingeschlossen waren, frönten sie ausgiebig dem Würfelspiel. Sie malten überhaupt nichts, erzählten sich unterhaltsame Geschichten, aßen und tranken und dachten nicht an morgen. Schließlich wurde der Hesse von riesigem Verlangen gequält, ihr Werk zu sehen. Aber das sei völlig unmöglich, behauptete Till, da niemand sein eigenes Bild anschauen könne, [der] von einem ehebrecherischen Vater gezeugt worden sei. Hierdurch wurden des Hessen Möglichkeiten recht eingeschränkt; denn er wollte nicht unehelich genannt werden. Er drängte aber darauf, wenigstens eine Spur der Portraits zu sehen. Also wurden für ihn die Tücher weggenommen und die Bilder in der rechten Reihenfolge benannt. Dennoch roch er noch nichts vom Betrug des Künstlers. Er konnte nur die weiße Wand sehen und bei sich darüber nachdenken, von welcher Hure er wohl abstammen möge. Er pries daher das unge-
TÜI ais Maier
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revertiturque ad coniugem. Quae dum rogat, pictura ut arrideret, inquit: „Optime." Idque ipsa falsum suspicans adit artificem atque ingredi aulam amore picturae cupit. Admittitur pedissequarum cum grege, ad quas cucurrit mente capta ancillula. denominat maiorum imagines Tylus ex albicante pariete veluti prius vulgoque conceptas videre tantum ait. Nec domina nec pedissequae videre aliquid, sed sola mente capta dixit libere: „Credar licet meretricis esse filia, tarnen hic imago pietà nusquam cernitur." Taxatus autem oratione eius Tylus dimittere mulierculas salibus studet. Pluresque clam fert áureos ab oeconomo, Hessus priusquam intelligeret ullum dolum; nam statuit una cum synergis aufugere.
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[XIX.] Profectus autem in universalem scholam ' se iactitabat disputatorem eximium sibique fidens provocabat quoslibet. Et res eo loci est redacta, ut dissereret cum academiae rectore subtilissimo. Quaestio Qui cum rogaret ex cathedra prominens, pnma ' quot mare profundum contineret aquae cubitos, retulit Tylus: „Venerande doctor, si libeat, ab Aeolo impetra, ut quiescant aequora, dum metiar cunctas aquas, et dixero, quantus modus aquarum siet." Quod possibile interrogatori profecto non fuit, qui idcirco iam de metiendo conticet. Quaestio Iterumque quaerenti, dies quot exciderint secunda ' a morte Adami, septem ait lapsos Tylus
Tyius dis^utans asae
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wohnliche Kunstwerk und kehrte, zu seiner Gemahlin zurück. Als diese ihn fragte, wie ihm denn das Gemälde gefallen habe, sagte er: „Bestens." Sie selbst aber vermutete, daß hier ein Betrug vorlag. Sie ging zu dem Künstler und verlangte, den Saal zu betreten, um sich die Malerei anzusehen. Mit einer Schar ihres Gefolges wurde sie daraufhin eingelassen; dazu kam noch eine Dienerin, die nicht recht bei Verstand war. Till benannte die Bilder der Vorfahren an der weißen Wand ganz wie zuvor und sagte, daß nur die, welche [nicht] von ganz gemeiner Geburt wären, etwas sehen könnten. Weder die Herrin noch die Damen in ihrem Gefolge konnten etwas sehen. Nur die Verblödete sagte frei heraus: „Mag man mich immerhin für die Tochter einer Dirne halten, doch hier ist nirgendwo ein Gemälde zu sehen." Till, über ihre Rede besorgt, bemühte sich, die Frauenzimmer durch Gewitztheit loszuwerden. Er holte sich heimlich noch mehr Goldstücke vom Verwalter, bevor der Hesse auch nur irgendeinen Betrug erkennen konnte. Till hatte nämlich beschlossen, zusammen mit seinen Gehilfen zu entfliehen.
XIX. [H 28] Till war in der Prager Universität angekommen, gab sich für einen ausgezeichneten Disputierer aus und forderte mit großem Selbstvertrauen jeden, der wollte, zur Debatte heraus. Und es kam soweit, daß er mit dem scharfsinnigen Rektor der Akademie einen Disput austragen sollte. Von seinem hohen Lehrstuhl herab fragte der Rektor Till, wieviele Ellen Wasser das tiefe Meer enthalte. Till entgegnete: „Hochverehrter Herr Doktor, wenns beliebt, setzt es bei Äolus durch, daß die weite See sich beruhigt, solange ich das ganze Wasser messe, und dann werde ich Euch sagen, wie groß das Maß des Meerwassers ist." Dies war natürlich für den Fragesteller ganz unmöglich, der deshalb nun von der Messung den Mund hielt. Als er seine zweite Frage stellte, wieviele Tage seit dem Tode Adams vergangen
TUidisputiert m 8
'
Die erste Frage
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Diezweite Frage
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Quaestio er a
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Quaestio quarta.
Quaestio quinta
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sophistae.
additque non incongruam ratiunculam: „Fecere enim septem dies primi hebdomadam ipsamque plures sunt secutae postea, et subsequentur ad diem usque novissimum." Mox tertium rector requirit a Tylo, ubi constitutum crederet mundi medium. Quod esse in ipsa comprobat Tylus schola iubetque metiri parato funículo longo satis. Sed αδύνατον rector videns attollit usque in sydera ingenium Tyli. Ac pergit rogare, caelites quanto spacio d i s t a r e s e n t i r e t . Refert ei Tylus esse in propinquo, quod canentem leniter ac pressiore voce facile exaudiant. Et in Tylo acquiescere hie rector velit; hortatur, in coelum ut volet periculum facturus, an Tylum occinentem lenius audire possit. Victus autem rector est. Qui denuo, quantum siet coelum, rogat responsaque a Tylo accipit promptissima: patere coelum passuum myriadibus supra decern duabus in latum. Adjicit et mille in altum porrigi. Quod si renuat sic praedicanti accredere, inde subtrahat stellas et omnia sydera, expeditius ut metiatur totius coeli plagam. Ita nodus omnis dissolutus denique est. Cur rector universum et auditorium uno ore victorem Tylum pronunciant. Porro reformidans Tylus aliquem sibi fucum vicissim posse confici, avolat nec talionem tot sophistarum manet.
[XX.] Tyius hierophanta.
lam notus ob versutiam neque fidei . ,
..
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quid reliquum habens, marsupio exenterato funditus, compendium
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seien, behauptete Till, sieben Tage seien verstrichen, und fügte eine gut passende Begründung hinzu: „Die ersten sieben Tage machten nämlich eine Woche aus, und später folgten dieser noch mehr Wochen, und immer so weiter bis zum Jüngsten Tag." Darauf stellte der Rektor Till seine dritte Frage: wo sich seiner Meinung nach der Mittelpunkt der Welt befinde? Der sei genau hier in der Universität, behauptete Till und hieß ihn mit einer Schnur nachmessen, die nur lang genug sein müsse. Aber der Rektor sah ein, daß dies unmöglich war, und lobte Tills Scharfsinn bis in den Himmel. Und er fragte weiter, wieweit nach Tills Meinung die Himmelsbewohner von der Erde entfernt seien. Till erklärte ihm, sie seien ganz nahe, weil sie jemanden, der auf Erden leise und mit gedämpfter Stimme singt, leicht hören könnten, und hierin solle der Rektor ihm doch zustimmen. Till forderte ihn auf, in den Himmel zu fliegen, um auszuprobieren, ob er Till beim leisen Singen hören könne. Da mußte sich der Rektor geschlagen geben. Er stellte aufs neue eine Frage, nämlich wie groß der Himmel sei, und Till war mit der Antwort gleich zur Hand: der Himmel dehne sich mehr als zwölf Myriaden Schritte in die Breite und, wie er noch hinzufügte, tausend Schritte in die Höhe. Aber wenn der Rektor ihm diese Behauptung nicht glauben wollte, solle er doch die Sterne und alle Gestirne abziehen, um ungehindert die Fläche des ganzen Himmels zu messen. So löste Till schließlich jede knifflige Frage. Deshalb erklärten der Rektor und die gesamte Zuhörerschaft ihn einstimmig zum Sieger. Da Till aber befürchtete, ihm könne doch noch eine Falle gestellt werden, eilte er davon und wartete die Vergeltung so vieler weiser Herren nicht ab.
Die dritte Frage.
Die vierte Frage.
Die fünfte Frage.
Die gelehrten Herren.
XX. [H 31] Till war bereits wegen seiner Gewandtheit bekannt TÍII ais Reiiund hatte inzwischen seinen Kredit gänzlich ver- i menhändler spielt. Sein Geldbeutel war bis auf den Grund ge-
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Agrestes pastores.
Ecd. xxvii: Propter inopiam multi deliquerunt.
Concio Tyli.
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facilemque commentus modum est, quo viveret tranquillius. Nam turpe erat post delicias 5 luxumque magnum redigi ad extremam famem. Assumit ergo mortui glabrum caput idque obligatum vinculis argenteis circumvehit per nationes rusticas, quibus paroeci praesidebant simplices 10 cervisiaeque posthabentes literas. Assimilât hierophanta sacras relliquias et rusticorum visitât convivía in nuptiis solemnibusque charmosynis ac funerum pompis celebrioribus. 15 Sed pactus ante cum paroeco dimidium pecuniae, quam rustici offerrent, sequi post reliquias agrestium turbam iubet reverenter in templum. Et cathedra conspicuus ad concionem praedicat iussa capitis: 20 „Heus, o viri attenti, heus, piae mulierculae, facienti iter per coemiterium annuit mihi hoc caput quiddam salutare imperane patefecit et numen suum non infimum. B7v Steterunt comae et vox faucibus adhaesit meis. 25 Voluit sibi deferri honorem debitum et crebra dona cum sacris suffragiis a castitatis candidae cultoribus. Adesse moechos atque moechas noluit, quia nemo mente spurca coeli particeps 30 erit. Haec stupenda protulit mihi hoc caput. Atque id dedit negocii, ut mox traderem praecepta tam salubria ignorantibus." Sub haec cathedram deserens procedit ad aram ac ibi cruce munit omnes rústicos. 35 Qui mox catervatim atque certatim ruunt, ut offerant pecuniam ignoto deo, ne scilicet ferrent adulterii notam. Quidam frequentius donaría adferunt famamque condecorant suam per muñera. 40 Multae carentes nummulis mulierculae argenteos et áureos dant anulos.
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leert, und so besann er sich auf seinen Vorteil und auf eine leichte Art und Weise, in um so größerer Sorglosigkeit zu leben. Denn es war ihm zuwider, nach Üppigkeit und großem Luxus zu äußerstem Hunger getrieben zu werden. Also verschaffte er sich den kahlen Schädel eines Toten, den er, mit Silberbändern beschlagen, bei allerhand Bauernvolk herumtrug. Dem standen nur einfache Pfaffen vor, die Die Pfarrer ihr Bier der Gelehrsamkeit vorzogen. Als Devo- vom Lande. tionalienhändler täuschte Till mit dem Schädel eine heilige Reliquie vor und besuchte die Gastmähler der Bauern bei ihren Hochzeiten, Kirchweihfesten und besser besuchten Leichenfeiern. Aber er hatte Eccl. 27,1: Geldes jeweils vorher dem Pfaffen die Hälfte des Geldes ver- Des wegen haben sprochen, das die Bauern spenden würden, und ließ viele schon nun die Bauernschar hinter der Reliquie her ehr- gesündigt. furchtsvoll in die Kirche folgen. Allen sichtbar predigte er von der Kanzel herab der versammelten Gemeinde die Gebote des Totenkopfes: „Hört, ihr auf- tms Predigt, merksamen Männer, hört, fromme Frauen, als ich gerade über einen Friedhof ging, nickte mir dieser Schädel zu, trug mir etwas Heilbringendes auf und offenbarte mir seine beträchtliche göttliche Macht. Mir standen die Haare zu Berge, und die Stimme blieb mir im Halse stecken. Er wollte, daß ihm die Verehrer reiner Keuschheit die schuldige Ehre erweisen, dazu auch häufige Geschenke und fromme Gebete. Ehebrecher und Ehebrecherinnen wollte er aber nicht dabei haben, weil niemand mit unreinem Sinn des Himmels teilhaftig werden kann. Solche wundersamen Worte teilte mir dieser Schädel mit. Und er gab mir den Auftrag, solch heilbringenden Lehren sehr bald den Unwissenden kundzutun." Gleich danach verließ Till die Kanzel, schritt zum Altar und segnete von dort alle Bauern mit dem Kreuz. Die stürzten sofort haufenweise und wie um die Wette herbei, ihr Geld dem unbekannten Gott zu opfern, damit niemand glaubte, daß sie das Zeichen des Ehebruchs trugen. Einige brachten gleich mehrmals Opfergaben und kamen so durch ihre Spenden in besonders guten Ruf. Viele Frauen, die keine Münzen hatten, gaben ihre Gold- und Silberringe.
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Ditatus hierophanta donis assiduis edixit, ut nemo alteri quicquam probri objiceret, inventi quod essent integri omnes et exortes adulterii homines. Interposuit anathema summi flaminis. Sic habitus est venerabilis mystes Tylus crucisque signo praevio occuluit caput tarn quaestuosum et protinus digressus est.
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[XXI.] Tyius pro
prenderà
Scurram professus vestium forma Tylus ad prandium invitatus est ab hospita et άχρήματος prandere gratis expetiit. Tunc ilia reddidit in macello nil sibi dari, nisi numerata sit pecunia, idemque apud cervisiarium fieri ideoque pro pecunia pasci hospites in aedibus suis. Easdem tum subit leges Tylus. Quin post refecta viscera ab hospita pecunias efflagitat, prandendo sudandoque quas commeruerat. Sed illa contra postulat iustum precium pro prandio accepto. Cui refert Tylus putasse se, quod hospites post prandium caperent laboris praemium, non hospita, orationeque ipsius confirmât hoc. Quae fraude penitus cognita missum facit Tylum, perire prandium passa pariter.
[XXII.] rotëctus < ^ · > Cum religionis ergo Romam venerat, Korram, ut viduam beatam repperit ibidem hospitam, aiioqueretur q U a e c o m i t e r virum peregrinum alloquitur. Patriam rogat causamque, cur advenerit.
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Der Reliquienhändler, durch die beständigen Gaben reich geworden, verkündete, nun habe keiner dem anderen etwas vorzuwerfen; sie seien ja alle als reine Menschen befunden worden und hätten an Ehebruch keinen Anteil. Sünder belegte er aber mit dem päpstlichen Bannfluch. So wurde Till für einen ehrwürdigen, in tiefe Glaubensgeheimnisse eingeweihten Priester gehalten, und nachdem er alle mit einem Kreuzzeichen gesegnet hatte, verhüllte er den so gewinnbringenden Schädel wieder und machte sich gleich davon. XXI. [H 33] Till erwies sich schon durch den Stil seiner Kleidung als Spaßmacher. Er wurde von einer Wirtin zum Frühstück eingeladen, und weil er kein Geld hatte, bat er, umsonst zu essen. Da erwiderte sie, beim Fleischer werde ihr nichts gegeben, wenn es nicht bezahlt würde, und dasselbe sei auch beim Bierbrauer der Fall. Deshalb bekämen in ihrem Haus die Gäste nur für Geld etwas zu essen. Da fügte Till sich denselben Regeln. Nachdem er sich tüchtig den Bauch vollgeschlagen hatte, forderte er von der Wirtin das Geld, das er sich durch das anstrengende Mahl verdient hätte. Die aber verlangte dagegen den rechten Preis für das Frühstück. Till entgegnete ihr, er habe geglaubt, daß nach dem Essen die Gäste den Lohn für ihre Arbeit bekämen und nicht die Wirtin, und er bekräftigte dies mit ihren eigenen Worten. Die Wirtin sah im Herzen den geschickten Betrug ein, wies Till hinaus und gab zugleich das Geld für ihr Essen verloren.
Tili ißt um Entlohnun
s·
XXII. [H 34] Till kam der Religion wegen nach Rom und fand ™ ^ ' ^ Γ * 1 dort eine reiche Witwe als Gastwirtin, die den demR^azu Fremden freundlich anredete. Sie fragte ihn nach P seiner Heimat und nach dem Grund, warum er s
rechen
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At ille blandiore responso utitur: 5 „Saxonia natale est solum, et pedem hue tuli, B8v ut cum papa secretius quaedam eloquar." „Pape", reclamai mulier, „erras a scopo, ñeque enim cuique contigit papam alloqui. Cernere licet, quum per plateas hexaphoro io devehitur ad tempia, ut sacrum solemniter faciat. Velim ipsa colloquendi copiam centum ducatis comparare, nec datur. Et ecce, sum prognata de primatibus istius urbis." Nactus hanc ansam Tylus 15 praedestinat technam hospitae, praedam sibi aitque ei: „Vin' mihi ducatos solvere, si effecero, ut summo loquare pontifici?" Data fide sacrificii observât diem Tylus et in ipso tempore incidit gregi 20 satellitum cumque his in aedem se ingerit ac sacrum auspicante pontífice latuit quidem, sed ipsa in elevatione visus est aversus a venerabili corpore Domini. Quapropter a sacro notatur haereseos. 25 Dein constitutus ante pontificem Tylus fidei suae iubetur edere formulam. Tum dicit esse sibi fidem parem hospitae, quae nominata mox eodem adducitur, et coacta reddere fidei formam suae 30 pontifici ait: „Credo in Deum atque ecclesiam." Clr Cui statim sententiae accedit Tylus, ex quo deinde aversionis quaeritat causam ille. At hic contra ingemiscit praedicans fastidio non esse versa terga, sed 35 quod conscientiam piaclis obrutam habens iniquum credidit palam aspicere Deum suum, quem toties offenderat,
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gekommen sei. Er aber bediente sich einer recht gewinnenden Antwort: „Sachsen ist mein Geburtsland, und ich bin hierher gekommen, um einiges ganz privat mit dem Papst zu besprechen." „Ei, ei", rief die Frau aus, „da zielt Ihr aber gewaltig daneben; denn es ist noch keinem gelungen, mit dem Papst zu sprechen. Man kann ihn wohl sehen, wenn er sich in seiner Sänfte durch die Straßen in die Kirche tragen läßt, um ein Hochamt zu lesen. Ich selbst wollte mir wohl die Möglichkeit, mit ihm zu sprechen, um hundert Dukaten verschaffen, aber mir bietet sich einfach keine. Und seht, ich stamme sogar von den ersten und vornehmsten Häusern der Stadt ab." Mit diesem Anhaltspunkt dachte sich Till für die Wirtin eine List aus, mit der er auch für sich einen guten Gewinn herausschlagen könnte. Er sagte zu ihr: „Wollt Ihr mir die Dukaten auszahlen, wenn ich es einrichte, daß Ihr mit dem Heiligen Vater sprechen könnt?" Sie gab ihm ihr Wort. Till achtete auf den Tag des Gottesdienstes, mischte sich zum rechten Zeitpunkt unter die Schar des päpstlichen Gefolges und begab sich mit ihm in die Kirche. Als der Papst mit dem Gottesdienst begann, hielt Till sich noch verborgen, aber während der Wandlung konnten alle sehen, wie er dem ehrwürdigen Leib des Herrn den Rücken kehrte. Deshalb wurde er gleich von einem Kardinal der Ketzerei bezichtigt, vor den Papst gebracht und angewiesen zu erklären, was für einen Glauben er hätte. Da antwortete er, er habe denselben Glauben wie seine Wirtin. Als er diese beim Namen genannt hatte, wurde sie alsbald dort vorgeführt und aufgefordert, Zeugnis ihres Glaubens abzulegen. Sie sagte zum Papst: „Ich glaube an Gott und die Kirche." Dieser Aussage Schloß Till sich gleich an. Der Papst fragte ihn darauf nach dem Grund, warum er sich bei der Wandlung abgewandt hätte. Doch Till seufzte auf und erklärte, er habe sich nicht aus Respektlosigkeit umgedreht, sondern weil er, der ein von Sünden überladenes Gewissen habe, es für unangemessen hielt, seinen Gott frei und offen anzublicken, den er so oft beleidigt hätte; aber von der Beichte werde sein
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futurus a confessione integrior. Tali arte dimissus Tylus mox a vidua centum ducatos accipit peregreque abit.
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[XXIII.] Tylus unguentarius stercora Iudaeis vendere.
Horatius: Laudat venales, qui vult extrudere merces.
Proverbium.
Iudaei Messiam frustra expectantes.
Superstitio Iudaica.
Myropola quum Francfordiae cultu nitens multa loqueretur ac rogaretur, quid in holoserico iaceret abditum, nihil respondit expectans adhuc, quos falleret. Pauloque post venere tres Iudaei ad eum 5 interrogantes, quid lateret serico venale. Quibus ait esse mora exotica, quae comminuta dentibus gestataque naribus inaugurent suum dominum sacris misteriis et spiritu prophetico io beent, ut ex tripode putetur proloqui mage vera, quam quae facta sunt apud Sagram, aut veriora quam Sibyllarum folia. Haec audientes ac stupentes tres viri recutiti ab ipso venditore digredì 15/Civ certant, ut admirabilis mercis precium definiant. Post multa natu maximus exoticam hanc mercem valere plurimum ad praesciendum Messiae adventum docet atque ideo rumpendas moras, ne quispiam 20 praeoccupet. Simulque precium scire amant. Sed venditator perspicax magni aestimat ac pertinax in aestimando postulat quinqué aureorum reddier centurias. Veritique Iudaei irritam sententiam 25 statim Tylo summam petitam conferunt. Abeuntque laeti merce, quam non viderant, et archisynagogo indicant emisse se morum refertum spiritu prophetico, idque optimi atque maximi nutu Dei. 30 Indicta ob haec triduana sunt ieiunia cum precibus. Et pulchre his peractis omnibus synagoga Iudaeis repletur immodicis,
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Herz wohl geläutert werden. Auf diesen Trick hin wurde Till entlassen, und bald erhielt er von der Witwe die hundert Dukaten und ging außer Landes. XXIII. [H 35] In Frankfurt pries Till als Parfümeriehändler, der durch elegante Aufmachung glänzte, seine Waren an. Gefragt, was denn in der reinen Seide verborgen läge, erwiderte er gar nichts; er wartete nur auf Leute, die er hereinlegen könnte. Ein wenig später kamen drei Juden zu ihm und fragten, was in der Seide zum Verkauf eingewickelt sei. Denen erklärte er, es seien exotische Beeren, die, kleingekaut und dann in die Nase gesteckt, ihren Besitzer in heilige Mysterien einweihen und ihn mit prophetischem Geist beglücken und bereichern würden, so daß man denken könne, er weissage so wahr wie vom delphischen Dreifuß herab, so wahr wie an der Sagra oder wie die sibyllinischen Bücher. Die drei Beschnittenen hörten dies mit großer Verblüffung und beeilten sich, außer Hörweite des Händlers zu kommen, um sich über den Preis für die wunderbare Ware zu einigen. Nach vielem Hin und Her erklärte der Älteste, daß diese exotische Ware die besondere Macht habe, die Ankunft des Messias vorauszusagen, und deshalb müßten sie jeden Aufschub vermeiden, damit niemand ihnen zuvorkomme. Gleich wollten sie den Preis erfahren. Aber der Kaufmann, der sie durchschaute, schlug ihn hoch an; er bestand auf seinem Preis und verlangte fünfhundert Goldstücke. Die Juden fürchteten ein Mißlingen ihrer Absichten und händigten Till sofort die verlangte Summe aus. Froh über die Ware, die sie noch gar nicht gesehen hatten, eilten sie davon und verkündeten ihrem Rabbi, sie hätten eine Beere gekauft, die voll prophetischen Geistes sei, und man könne daraus den Willen des allgütigen und allmächtigen Gottes erkennen. Also wurde ein dreitägiges Fasten und Beten angesetzt. Und als all dies schön richtig ausgeführt war, füllte sich die Synagoge zum Bersten mit
Till verkauft als Salbenhändler den Juden Scheiße.
Horaz: Jeder Krämer lobt seine Ware.
Ein Sprichwort.
Die Juden erwarten vergeblich den Messias.
Der jüdische Aberglaube.
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Prophetia prodigiosia. σκατοφάγος: id est, qui stercora comedit
Triumphus húmame
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detegitur et morum involutum holoserico. Reverenter hic quidam ore morum suscipit, iam particeps et spiritus prophetici. Rogatus autem, quern saporem redderet, partes retentas quaeritantibus dedit, ut iudicarent digna gustu proprio. Quorum unus aequo avidior illius cibi, simulatque morum dentibus commoluerat, veridicus exclamavit esse stercora. Verum hactenus conticuit alter scatophagus, ne solus esset risui. Nam senserat crevisse morum in podice, haud in arbore. Sed cum triumpho aberat Tylus beatior effectus ex Iudaica pecunia, cum iam prophetae veritatem dicerent.
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[XXIV.] Tylus praedivitem pastorem equo et ancilla privane ob proditam confessionem.
Generosum equum negaverat duci suo quidam paroecus máximo aere vendere, et vi rapere parum decebat principem. Hoc cognito sic inquit ad ducem Tylus: „Quo praemio paroeci equum vis tradier?" Dux illico addicit roganti pallium gemmis et auro squalidum. Ille sacrificum veterem revisit hospitem atque recipitur. Triduoque transacto vafer se débilitât de industria ad ritum pigri scholastici. Indoluit itaque Martha cum patrefamilias, quod amicus in morbum incidisset noxium. Ambo obsecrarunt, exomologesi ut cita piaculum omne proderet suo hospiti. Nec voluit ipsi aperire latebras pectoris; optavit alteram minus notum sibi. Qui longius cum abesset, hospes addidit iam iam necesse esse, ut sibi mentem explicet;
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Torheit
Juden, und die in Seide gewickelte Beere wurde feierlich enthüllt. Einer empfing ehrfurchtsvoll die Beere mit dem Mund und glaubte sich schon des Prophetengeistes teilhaftig. Doch als man ihn fragte, welchen Geschmack die Beere habe, gab er den Fragestellern den Rest davon, damit sie deren Wert in eigener Kostprobe beurteilen konnten. Einer von ihnen war über Gebühr auf diese Speise versessen; aber sobald er die Beere zerkaut hatte, rief er wie ein wahrer Prophet, es sei ja Scheiße. Der andere Schei- Eine uneeßefresser hatte aber bis jetzt geschwiegen, damit Prophezeiung, nicht er allein zum Gespött werde. Denn er hatte ja gemerkt, daß die Beere in einem Hintern und nicht auf einem Baum gewachsen war. Aber Till, durch das Judengeld bereichert, war mit seinem Triumph schon auf und davon, als diese Propheten noch die Wahrheit von der Beere sagten.
XXIV. [H 38] Ein Pfarrer hatte sich geweigert, seinem Herzog ein edles Roß für eine stattliche Summe zu verkaufen. Es aber gewaltsam an sich zu bringen, ziemte sich für einen Fürsten nicht. Als Till hiervon erfuhr, sprach er zum Herzog: „Für welche Belohnung wollt Ihr das Pferd des Pfaffen geliefert bekommen?" Der Herit . VVi ι ι zog sagte ihm auf der Stelle seinen Uberrock zu, der von Gold und Edelsteinen nur so strotzte. Till suchte den Priester wieder auf, der ein alter Gastgeber von ihm war, und wurde auch gut empfangen. Nach drei Tagen stellte sich der Schlaukopf nach der Sitte eines faulen Scholaren absichtlich ganz krank und schwach. Da tat dem Hausherrn und Martha leid, daß eine schlimme Krankheit ihren Freund befallen hatte. Beide baten ihn inständig, schnell noch seinem Wirt alle seine Sünden zu beichten. Aber Till wollte ihm die dunklen Geheimnisse seines Herzens nicht eröffnen. Er bat um einen anderen Beichtvater, der ihm nicht so bekannt war. Da der viel zu weit weg war, drängte sein Gastgeber darauf, es sei höchste Zeit, daß er ihm sein Herz ausschütte; denn im
Tili bringt
^hef 1 " 2 p^^^1 Magd, weil
hefn^rifht gewahrt wurde.
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Triumphus
Confessio Tyli.
tò τύλου.
Confessio revelata.
Terentius: Amantium irae amoris integratio est.
Poena revelatae confessionis.
humanae
stultitiae
siquidem in mora gravissimum periculum. Tunc unico sese aggravatum crimine 20 commisso in hospitem suum narrat Tylus. Ac proinde se offensam timere maximam. Silentium mentemque tranquillam fore promittit hospes. Confitetur iam Tylus Martham hospitis sibi subactam aliquoties. 25 Sedatus alter quaeritat, quoties earn futuisset. Ac plus quinquies iniisse ait. Manet hoc repostum sensibus sacrificuli, qui absolvit a crimine Tylum, ut receperat, Marthaeque mox confessionem eius aperit. 30 Constanter ilia denegat tantum facinus. Sed aegritudo veritatis maximam facit fidem sic contigisse, uti dixerat. Confessione enim ultima quis fallerei nisi impius, qui animam putet cum corpore 35 simul interire? Ambo calescunt iurgiis. Marthae caput totumque corpus tuber est. Dumque haec geruntur, risui indulget Tylus, simulator aegritudinis, dolum interea falso paroeco destinans. Sed próxima 40 nocte sibi redditus reliquit hospitem. Ac mox amantium ira versa in amicitiam est, C3r quod abisset ille seminator dissidii minatus hospiti episcopalia fulmina. Momordit autem animum hospitis, quod dixerat 45 Tylus recedens, ut subinde recoleret ruptum sibi silentium. De lingua enim periculum erat et integra paroecia. Sacrilegium appellarat hoc crimen Tylus. Unde ingemiscit, supplicai, lachrymis madet 50 paroecus infoelix idemque Martha agit. Delationem deprecantur supplices. Et iniquius confessionem proditam
Der Triumph der menschlichen
Torheit
Aufschub liege die schlimmste Gefahr. Da bekannte Till, er sei über eine einzige Untat bedrückt, die er gegen ihn, seinen Gastherrn, begangen habe, und deswegen befürchte er dessen größten Unwillen. Der aber versprach, daß er schweigen und nicht die Beherrschung verlieren werde. Nun gestand Till, die Martha, die Magd seines Gastfreundes, habe sich von ihm mehrere Male unterkriegen lassen. Gefaßt fragte der Pfarrer, wie oft er sie denn gefickt hätte. Till behauptete, er habe es mehr als fünf Mal mit ihr getrieben. Der Pfaffe bewahrte dies tief im Herzen; er sprach Till darauf von seiner Sünde los, so wie er sie vernommen hatte, und eröffnete Martha gleich Tills Beichte. Die aber stritt so eine schlimme Tat standhaft ab. Doch Tills Krankheit verlieh seiner Behauptung die größte Glaubwürdigkeit. Denn wer würde schon in seiner allerletzten Beichte lügen und betrügen außer einem Frevler, der glaubt, daß die Seele zusammen mit dem Körper zugrundegeht? Beide, der Pfaffe und Martha, erhitzten sich sehr in ihrer Zänkerei; Martha war schließlich am Kopf und am ganzen Körper voller Beulen. Unterdessen lachte sich Till, der sich ja nur krank gestellt hatte, ins Fäustchen und plante inzwischen seine Hinterlist für den getäuschten Pfaffen. In der folgenden Nacht erholte er sich wieder und verließ seinen Gastherrn. Bald aber verwandelte sich der Zorn der beiden Verliebten wieder in Freundschaft, weil der Urheber ihres Zerwürfnisses weggegangen war. Der hatte allerdings seinem Gastgeber den strafenden Blitzstrahl des Bischofs angedroht. Denn was Till beim Weggehen gesagt hatte, ging dem Pfarrer sehr ans Gewissen, so daß er sich immer wieder an sein gebrochenes Schweigen erinnern mußte. Er hatte nämlich wegen seiner Worte mit Bestrafung und mit dem Verlust seiner Pfarre zu rechnen. Till hatte dieses Verbrechen einen Religionsfrevel genannt. Also stöhnte der unglückliche Pfarrer tief auf, fiel vor ihm auf die Knie und war ganz naß vor Tränen, und Martha ebenso. Auf den Knien flehten sie ihn an, dem Bischof keine Meldung zu machen. Da aber Till die Preisgabe der Beichte nur recht ungnädig hin-
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Tills Beichte.
Tills Tat mit dem Schwanz. Die Verletzung des Beichtgeheimnisses.
Terenz: Der Verliebten Zorn ist Neubeginn der Liebe.
Die Strafe für die Verletzung des Beichtgeheimnisses.
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Triumphus humanae stultitiae
Tylo ferente instructa Martha mittitur, quocunque dono fulminantem ut flecteret. Dicto audiens precibusque devictus Tylus silentium donati equi addixit loco, quem protinus pro pallio duci dédit. Et rem, velut peracta erat, denunciane gratissimus mortalium fuit omnium. Invitus amisit caballum sacrificulus; quin ille, quoties obvius memoriae erat, Martham ferire assueverat, donec fugeret. Et hoc modo privatus est Martha atque equo lususque, quoniam utrumque perdite amaverat.
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[XXV.] Tyius Fabri minister follibus herum subsequi 1
•icans.
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bene praeeuntem ìussus xmpxger Tylus arripuit e duobus illico alterum, postquam ille prodisset foras, ut meieret, quaesivit et, desyderaretve alterum. „Praepostere sed sedulo", subjicit herus, „inflare, non auferre folles iusseram", ac talionem fraudulento excogitat. Nam proximis in noctibus maturius lecto egredi cunctos ministros imperai et admovere operi manus. Quod insolens atque indecorum existimantibus famulis herum Tylus rogavit insolentiae causam. Ille consuetudinem dixit suam, sie excitare et lectulo pellere fámulos nondum suae mentis domusque conscios. Ad haec ministri conticebant singuli, qui nocte subséquente iussi surgere strophanti prementes prosequebantur opera.
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Der Triumph der menschlichen Torheit
nahm, schickte der Pfarrer Martha mit dem Auftrag, den Wütenden, mit welchem Geschenk auch immer, umzustimmen. Till hörte ihr zu und ließ sich von ihren inständigen Bitten überwinden. Sein Schweigen sagte er dafür zu, daß ihm der Pfarrer sein Pferd schenkte. Dies gab er sofort dem Herzog für den versprochenen Rock. Er berichtete auch, wie sich die Sache zugetragen hatte, und war dafür dem Herzog höchst willkommen. Das Pfäfflein verlor sein Pferd nur sehr ungern; ja, er hatte sich sogar angewöhnt, jedesmal, wenn er daran denken mußte, Martha zu verprügeln, bis sie ihm schließlich davonlief. So wurde er Martha und sein Pferd los und war der Hereingelegte, weil er an beiden über die Maßen gehangen hatte.
XXV. [H 40 (39)] Als Geselle eines Schmiedes war Till beauftragt, mit den Blasebälgen seinem Herrn zu folgen, der bei der s^*^· Arbeit gut vorankommen wollte. Till, nicht faul, nahm auf der Stelle einen der beiden auf, als der Schmied zum Pissen nach draußen gegangen war, und fragte, ob er den anderen auch noch wollte. „Ganz falsch, aber recht emsig hast du das getan", versetzte der Meister, „ich hatte dir doch aufgetragen, die Bälge aufzublasen, nicht, sie wegzutragen", und er dachte sich eine Vergeltungsmaßnahme für den Gauner aus. In den folgenden Nächten ließ er alle Gesellen ganz früh aufstehen und Hand an die Arbeit legen. Die Gesellen hielten dies für unverschämt und ungehörig, und Till fragte den Meister nach dem Grund dieser ungewöhnlichen Maßnahme. Der nannte seine Gewohnheit, Gesellen, die mit seiner Arbeitsweise und seinem Haushalt noch nicht vertraut waren, auf diese Weise aufzuwecken und aus dem Bett zu scheuchen. Da verstummten alle Gesellen, und in der folgenden Nacht mußten sie wieder im Dunkeln aufstehen. Sie taten sich mit der List des Meisters hin und machten sich an die
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Triumphus
Vergiiius: nœntenj^ cipitant.
humanae
stultitiae
T y l u s q u e i a m n i d u m s u u m tergo ferens c u d e b a t a d n ú m e r o s fabriles fortiter. V e r u m videns, q u o d in g r a b a t u m deciderent ferri calentis frustula, o f f e n d i t u r herus. Et invicem c a u s a m roganti ait Tylus sic m o r í s esse, u t m u t u a lectus o p e r a ferat et feratur. H u n c reponi vult herus, a t q u e i n s u p e r d o m o egredi f a m u l u m iubet. Ascendit ergo tegulas ac d e s u p e r p r o l a p s u s in s o l u m fuit velox Tylus hinc i n d e tecto dissoluto. Plurimis t u m t e g u l a r u m casibus territus h e r u s c u m coeteris f a m u l i s T y l u m insecutus est a r m a t u s ense, q u o m a l e f i c u m perderet. Sed i m p e d i t u s est suis a b asseclis, q u i et occinebant esse factum, u t iusserat. Ita c a p t u s a m b i g u i s fuit s e r m o n i b u s f a b e r suis iniquior operariis.
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[XXVI.]
Tyius Operam elocarat calceario Tylus,
calceanus
q u i rarius d o m i , in f o r o f r e q u e n t i u s solitus a g e r e d o m o exiturus praecipit, Tylus u t p a r e t diversa calcei genera, veluti s u b u l c u s o p p i d o pecora exigit 5 m a i u s c u l a et m i n u s c u l a . H a e c facit Tylus. C o r i u m secans a c c o m m o d a t f o r m a s p e d i b u s bovis, caprae, vituli, suis i t i d e m q u e equi. Ille ociosus e f o r o s u b v e s p e r a m d o m u m r e v e r s u s repperit d a m n u m h a u d leve 10 m i r a t u s est et calceorum formulas. I u r a t T y l u s m a n d a s s e sic h e r u m s u u m , a e q u a r e t u t f o r m a s subulci g r e g i b u s ac maiusculas minusculasque redderet. H e r u s n e g a t sic d e b u i s s e intelligi, 15/C4v q u o d dixerat, h o m i n u m q u e formas, n o n [pecudum
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Der Triumph der menschlichen Torheit
Arbeit. Till, der jetzt sein Bett auf dem Rücken trug, schlug beim Schmieden tüchtig mit zu. Aber der Meister sah, daß Stückchen des heißen Eisens ins Bett fielen, und war ganz aufgebracht. Als er seinerseits nach dem Grund fragte, behauptete Till, es sei so seine Gewohnheit, daß abwechselnd das Bett ihn trage und dann er das Bett. Der Meister verlangte, er solle es wieder an seinen Platz stellen, und hieß seinen Gesellen noch obendrein das Haus verlassen. Geschwind stieg Till also auf die Dachpfannen und sprang von dort oben auf die Erde. Dadurch wurde natürlich das Dach ringsum beschädigt. Da erschrak der Meister über das Herunterfallen all der Ziegel und verfolgte Till mit den anderen Gesellen. Verp«: Wut Er war sogar mit dem Schwert bewaffnet, um damit den Übeltäter umzubringen. Aber daran wurde er das Heiz, von seinen Leuten gehindert, die ihm zuriefen, es sei ja nur nach seinem Befehl so geschehen. Auf diese Weise wurde der Schmied von seiner eigenen doppeldeutigen Ausdrucksweise hereingelegt und war am Schluß noch benachteiligter als seine Arbeiter.
XXVI. [H 43] Till hatte seine Arbeitskraft einem Schuster verdungen, der gewöhnlich selten zu Hause war und sich öfters auf dem Marktplatz aufhielt. Als er einmal aus dem Haus gehen wollte, befahl er Till, verschiedene Sorten von Schuhen herzustellen, ganz wie das größere und kleinere Vieh, das ein Sau- oder Kuhhirt zur Stadt heraustreibt. Das tat Till auch. Er schnitt das Leder zu und machte es passend für die Hufe von Ochs, Ziege, Kalb, Schwein und Pferd. Der untätige Schuster kam gegen Abend vom Markt nach Hause zurück, fand einen beträchtlichen Schaden vor und wunderte sich über den Zuschnitt der Schuhe. Till schwur, der Meister habe es ihm ja so aufgetragen, Schnitte passend für die Herde eines Viehhirten zu machen und größere und kleinere herzustellen. Der Meister meinte, so hätte Till seine Worte nicht auffassen sollen, und rief aus, er habe ja Zu-
Tili als us er
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Triumphus humanae
voluisse sese clamitat. Remittitur hie error. Altera die corium ipse herus in grandiores ac minores calceos dissecuit hosque consuendos tradidit promiscue. Tunc scilicet mage sedulus Tylus minores insuebat grandibus, ut iussa heri expleret sui. Hac re cognita succensuit herus imperito operarlo, sed ira non reddebat id, quod perditum erat. Cur aliud uni accommodandum formulae corium ministro dominus adiecit suo meliora sperans omnia. Et Tylus iterum facit, uti herus domo exiens praescripserat. Post horulam autem calcearius domum regressus invenit sinistrae formulae esse apparatum omne corium, non dexterae, cum uterque pes sit muniendus calceo. Et bile turgens perfidum appellai Tylum, ut qui universum tergus ad laevum pedem conciderit. Tylus rogat, num et dextero pedi velit suum parari calceum. Herus intuens tam versipellem furciferum deposcit, ut corium integrum praestet sibi. Cui callide objicit Tylus taurum quidem corium creare posse, non autem Tylum, nec velie se servire tam immiti domino.
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[XXVII.] Iterumque eidem hero ocioso imponere servendo«! cupiens Tylus fallaciam texit novam. Se eius misertum praedicat propter corium deperditum per imperitiam suam. Memorat sibi aliquot esse vasa unguine mero referta, quae damnis gravato venderei summa pusilla et lege non dura admodum.
Tylus coHario
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Der Triumph der menschlichen Torheit
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schnitte für Menschen, nicht für Tiere gewollt. Doch er sah ihm diesen Irrtum nach. Am anderen Tag zerschnitt der Meister selbst das Leder für größere und kleinere Schuhe und gab es Till zum Zusammennähen, aber alles durcheinander. Jetzt freilich nähte Till, noch fleißiger, die kleineren Stücke an die größeren, um den Auftrag seines Meisters zu erfüllen. Als der Meister das sah, wurde er auf seinen unerfahrenen Arbeiter wütend, aber sein Zorn ersetzte ihm den Verlust auch nicht. Deshalb warf der Meister seinem Lehrling ein anderes Stück Leder hin, das er nur einem einzigen Muster anpassen sollte; denn er hoffte, alles werde nun besser werden. Till machte es wieder so, wie es ihm der Meister beim Weggehen vorgeschrieben hatte. Nach einem Stündchen kam aber der Schuster nach Hause zurück und fand, daß alles Leder nach dem Muster eines linken Schuhs, nicht eines rechten, zubereitet war, obwohl doch beide Füße von Schuhwerk beschützt werden müssen. Da schwoll ihm die Galle; er nannte Till einen unzuverlässigen Strolch, der alles Leder nur für den linken Fuß zusammengeschnitten hätte. Till fragte, ob er seine Schuhe etwa auch für den rechten Fuß zugeschnitten haben wolle. Der Meister, der einen so verschlagenen Galgenstrick vor sich sah, verlangte, er solle ihm für das unversehrte Leder einstehen. Da entgegnete ihm Till ganz schlau, ein Ochse könne wohl Leder wachsen lassen, nicht aber er, und so einem harten Herrn wolle er nicht dienen.
XXVII. [H 44 (46)] Till wollte demselben faulen Meister noch einmal Tili verkauft eins auswischen und dachte sich einen neuen Be- s^i^afs' 6 ' trug aus. Er erklärte, der Meister tue ihm wegen des Ta,sLeders leid, das er aus Unerfahrenheit ruiniert habe. Er erwähnte, daß er einige Fässer mit reinem Fett habe, die er ihm, der von seinem schweren Verlust ja ganz bedrückt sei, für eine geringe Summe und zu einem geradezu vorteilhaften Tarif verkaufen könne.
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Tríumphus hutnanae stultitiae
Et ut foret coriarii mens laetior, decedit ac vasa adfutura propediem persuadet. Ast post tres dies latrinae olidae adit repurgatorem emitque stercora, quibus repleri iussit infra clausulam sua vasa. Sed sebavit illa desuper, ne stercus apparerei emptori suo. Porro in dolum observatus est hyemis rigor, ne odore liquidi stercoris nares heri offenderentur protinus. Post foedera negociatorum atque vasa tradita coriarius numeravit aeris dimidium anno daturas proximo, quod reliquum erat. At exitum dignum dolo metuens Tylus herum reliquit atque summae relliquias. Ignaras ille fraudis occultae lucrum sibi obtigisse existimat et in tertium diem vocat operarios, qui inungerent corium. Hi rogati prodeunt certo die causa iuvandi eum, cui tantum corii perierat, ut sarcire sic damnum queat. Mox unico vase liquefacto spargitur stercoris odor ita, ut dicerent operariis operarli: „Sunt inquinata stercore femoralia." Quod ille audiens iactarier pariterque foetorem insuavem concipiens hortatur, ut quisque a suis peronibus calcata tollat stercora et foetorem abigat. Nec inquinata calceamenta ullius inventa sunt. Sed postquam aheno infuderant vas igne mollitum, ecce, oletum apparaît. Omnesque desiere progredì ulterius, commota ne Camarina oleret foedius. Sic bis miser coriarius damno afficitur planeque perditur a domestico famulo.
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Der Triumph der menschlichen Torheit
Um den Schuhmacher aufzumuntern, ging Till weg und redete ihm noch ein, daß die Fässer in Kürze zur Stelle wären. Nach drei Tagen wandte er sich aber an den Reiniger einer stinkenden Latrine und kaufte die Scheiße, mit der er seine Fässer bis unter den Deckel anfüllen ließ. Diese überzog er oben mit Talg, damit die Scheiße ihrem Käufer nicht auffiel. Ferner gab er listig auf den Winterfrost acht, damit der Gestank der feuchten Scheiße nicht sofort dem Meister unangenehm in die Nase stieg. Nachdem der Vertrag der Handelspartner abgeschlossen und die Fässer ausgehändigt waren, zahlte der Schuster Till die Hälfte der abgemachten Summe und wollte ihm im nächsten Jahr den Rest geben. Doch Till befürchtete, daß seine List ihr verdientes Ende nehmen könnte, und ließ den Meister und den Rest der Geldsumme im Stich. Der wußte von dem verkappten Betrug gar nichts; er glaubte, ihm sei ein Gewinn zugefallen, und rief seine Arbeiter auf den dritten Tag, um das Leder zu schmieren. Wie gebeten, traten diese am bestimmten Tag an, um dem Mann zu helfen, dem schon soviel Leder ruiniert worden war, damit er auf diese Weise seinen Verlust wieder gutmachen konnte. Bald war der Inhalt einer Tonne aufgetaut, und der Gestank der Scheiße verbreitete sich so sehr, daß die Arbeiter zueinander sagten: „Deine Hose ist ja ganz von Scheiße verdreckt." Als der Meister solche Worte hin- und herfliegen hörte und gleichermaßen den unangenehmen Gestank wahrnahm, hieß er jeden die Scheiße, in die er getreten sei, von seinen Stiefeln beseitigen und so den Gestank vertreiben. Aber wie sich herausstellte, war keinem einzigen das Schuhwerk besudelt. Doch nachdem sie den Inhalt einer Tonne, der am Feuer durchgeweicht war, in einen Kessel gegossen hatten, da kam auf einmal der Kot zum Vorschein. Alle hörten auf weiterzuarbeiten, damit nicht der angerührte Matsch noch schlimmer stänke und der Schaden noch größer würde. So mußte der arme Schuster zweimal einen Verlust hinnehmen und wurde von seinem Hausangestellten glatt ruiniert.
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Triumphus
humanae
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[XXVIII.] Tylus sarcinatoris famulus.
πολύσημος: id est, multa significane.
Veluti pilos vulpeculae mutant suos moresque nativos tenent, sic et Tylus. Nam sarcinatoris minister factus, ut consueret obscurius et arctius, ne aliqua conspicua commissura sit, se constituit 5 sub dolio opaco, quo lateret sarcinans. C6r Quod cum magister officinae cerneret et increparet perperam operantem, Tylus fecisse se dicit, quod imperatum erat. Tum id corrigens herus petebat, ut palam, 10 quod consuendum traderetur, conficeret. Et casu erat tunc semiperfecta tunica cuiuspiam agrestis viri, cana ut lupus, quam perfici cupiens herus dicit Tylo: [tum eo. „Famule, ocyus confice lupum hunc. Ego cubi15 Promisit operam famulus et vestem arripuit. Heroque dormiente eandem dissecuit, lupique formam ex partibus ubi consuerat, distendit ipsam duriore stipite, vivum ut lupum referret ac metum injiceret 20 primum intuenti hero, quod accidit quoque. Nam mane conspecto lupo territus herus, quidnam diabolicum paratum sit, rogat. Respondet apparasse se lupum Tylus, ut ante somnum abiens herus praeceperat. 25 Qui id contigisse ex voce polysema autumans composuit et animum suum, canae siquidem vestis vocabulo lupum signaverat. [manicas Quin dexterum ingenium approbans iussit, in synthesin fere absolutam ut mitteret. 30 Heic famulus ille sedulus praepostere C6v binis lucernis nocte conflagrantibus suspensa ad uncum et synthesi iactat manicas, dum post soporem id transigentem offenderet herus et malefico diceret: „Quid factitas 35 dementiae, bipedum omnium nequissime?"
Der Triumph der menschlichen
Torhät
XXVIII. [H 46 (48)] Wie die Füchslein ihr Fell wechseln, aber ihren an- Tili als geborenen Charakter beibehalten, so auch Till. Ein- beider mal war er nämlich als Schneidergehilfe angestellt und sollte recht verborgen und eng nähen, so daß keine Nahtstelle zu sehen sei. Er setzte sich deshalb unter ein dunkles Faß, damit er im Verborgenen nähen konnte. Als dies der Meister bemerkte und ihn anfuhr, daß er ganz falsch arbeite, meinte Till, er habe ja nur seinen Auftrag ausgeführt. Da wollte der Meister den Auftrag verbessern und forderte ihn auf, gut sichtbar zu vollenden, was ihm zum Nähen ausgehändigt würde. Zufällig war da gerade der halbfertige Rock eines Bauern, grau wie ein Wolf. Der Meister wollte den Rock fertig genäht haben und sagte zu Till: „Lieber Geselle, mach diesen Wolf recht schnell fertig. Ich gehe schlafen." Der Geselle versprach, die Arbeit auszuführen, und nahm sich das Kleidungsstück vor. Während der Meister schlief, schnitt er es entzwei, und sobald er aus den Stücken eine Wolfsfigur zusammengenäht hatte, spreizte er diese mit einem harten Stecken auseinander, um einen lebensechten Wolf daraus zu machen und seinem Herrn Angst einzujagen, wenn er den Wolf zum ersten Mal erblickte. Und so geschah es auch. Denn am Morgen erschrak der Meister beim Anblick des Wolfes und fragte, was zum Teufel denn hier angerichtet sei. Till erwiderte, er habe einen Wolf hergestellt, wie der Herr es ihm vorm Schlafengehen aufgetragen hatte. Als der einsah, daß dies wegen eines mehrdeutigen Wortes geschehen war, beruhigte er sich, weil er ja mit dem Ausdruck ,grauer Rock' einen Wolf bezeichnet hatte. Ja, er billigte sogar Tills behenden Geist und trug ihm auf, Ärmel an einen fast fertigen Anzug zu werfen. Der eifrige Geselle warf also ganz verkehrt nachts beim Schein zweier Lichter, nachdem er den Anzug an einen Nagel gehängt hatte, solange die Ärmel an den Anzug, bis der Meister ihn noch am Morgen dabei vorfand und zu dem Übeltäter sagte: „Was für einen Wahnsinn machst du denn da die ganze Zeit,
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Quo concitatus reddidit ei tum Tylus: „Hanc tu vocas dementiam, insulsissime? Ego nocte tota lassor hac dementia, nec tu tarnen contentus es iussu tuo?" Tunc imperator ille multivolus ait: „Immitti acu, non injici manicas manu in synthesin iussi, tuae sententiae Ignaras." At protelat ilium audax Tylus totumque diris devovens dicit: „Equidem poteram insuisse synthesi manicas, nisi oratio fuisset intricatior tua. Ipse iam fac insuas pro arbitrio, ego dum quiescam post labores ridiculos." Herus ferebat dormiente nil sibi opus esse, sed operario minime pigro. Pariterque poscebat, lucernas perditas ut solverei. Sumpta ergo sarcina Tylus profugit in Orientis insignem plagam.
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[XXIX.] Tylus fallens.
Superbus oenopola apud Lubecum erat, qui gloriabatur, quod esset omnium mortalium astutissimus, sed displicens hinc civibus. Odiosa enim superbia, sicut serena comitas popularis est. Accessit hunc Tylus duobus cantharis onustus, alterum palam ferens vacuum et alterum portane toga reconditum ac aquis tumentem. Sed vacantem protulit mero replendum, quem deinde sub toga occultius gestans, et alterum tenens manu oenopolam interrogai, quanti merum depromeret. Respondet ille: „Albis decern." Hos confitetur non habere se Tylus; marsupio tantum octo inesse ait suo totidemque cauponi obtulit, sed is renuit. Dein grandiorem ob caritatem funditur
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du nichtsnutzigster von allen Menschen?" Durch diese Worte erregt, antwortete ihm Till darauf: „Ihr nennt das Wahnsinn, Ihr alberner Kerl? Ich rackere mich die ganze Nacht mit diesem Wahnsinn ab, und Ihr seid noch nicht mit Eurem Auftrag zufrieden?" Da sagte ihm der große Herr, der so vieles wollte: „Ich habe dich geheißen, die Ärmel mit der Nadel am Anzug anzubringen, nicht sie mit der Hand daran zu werfen; ich konnte ja nicht wissen, welchen Sinn du meinen Worten geben würdest." Doch der freche Till fuhr ihm über den Mund, verwünschte ihn furchtbar und sagte: „Ich hätte die Ärmel wohl an den Anzug annähen können, wenn Euer Gerede nicht viel zu verwirrt gewesen wäre. Jetzt näht dies doch selbst nach Eurem Gutdünken an, während ich mich nach diesen lächerlichen Anstrengungen ausruhe." Der Meister sagte, daß er einen Schläfer gar nicht brauche, sondern einen fleißigen Arbeiter. Zugleich verlangte er, Till solle ihm die verbrauchten Lichter bezahlen. Da nahm Till sein Bündel und lief ins edle Ostland davon.
XXIX. [H 55-56 (57-58)] Zu Lübeck war ein stolzer Weinhändler, der sich τω betrügt rühmte, der schlaueste aller Menschen zu sein, aber händig1" deshalb den Bürgern mißfiel. Denn Hochmut ist verhaßt, genauso wie freundliche Zuvorkommenheit allgemein beliebt ist. Zu ihm kam Till, mit zwei Kannen beladen. Die eine, die leer war, trug er ganz offen zur Schau, die andere, mit Wasser gefüllte, hielt er unter dem Rock verborgen. Die leere streckte er dem Weinhändler hin, um sie mit Wein füllen zu lassen. Diese trug er dann unter dem Rock verborgen, hielt die andere in der Hand und fragte den Weinhändler, für wieviel Geld er Wein gezapft habe. Der antwortete: „Für zehn Pfennig." Till gestand, daß er die nicht hatte. Er sagte, in seinem Beutel seien nur acht, und genau soviel hielt er dem Kaufmann hin; doch der lehnte ab. Dann goß der Weinzäpfer wegen des höheren Preises das reine Wasser
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Triumphus humanae
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lus, summa
iniuria.
stultitiae
aqua mera pro vino meraco ex hydria. Tonat oenopola in stultulum emptorem Tylum. Verum Tylus canit triumphum apud alios, quod hune fefellisset virum, qui se omnium iactaret astutissimum, ostentatque merum. Tandem oenopola non ferente iniuriam vocatus est rei satelles publicae, in carcerem qui abduxit et furem Tylum. Coactus est senatus et sententia , ,
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lata, ut Tylus suspenderetur in cruce. Ea fama sic perambularat oppidum, ut, quo die laqueo suam vitam Tylus finiret atque in Golgatha contenderei, peditibus equitibusque pieni essent agri metumque conciperet senatus de illius ereptione. Civitas effusa erat tota, quoniam mirabilis habitus artifex vitam per omnem visus est et próxima morte editurus quippiam memorabile. Taciturnior ove ductus ad crucem Tylus ad se senatum convocat, cui supplicai, unum impetrare ut possit, ad vitae suae productionem, aut munus ingens, nil faciens. Post Consilia senatus in sententiam ivit Tyli. Porrectione dexterae sanctissima intercessit et stetit fides. Mox proloqui coepit Tylus, quidnam peteret. „Opto", inquit, „ut tribus diebus a meo suspendió culum senatores meum praeeunte lingant consule ante prandium." Ridicuius Qui despuentes clamitant votum impudens. senatus. ¡ ^ { ^ ^ γ fidei datae cautus Tylus vafroque commento effugit suspendium, populus magistratusque ridet affatim.
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statt des unvermischten Weins aus der Kanne zurück ins Faß und donnerte den törichten Käufer Till noch heftig an. Doch Till stimmte bei den anderen ein Triumphlied an, daß er diesen Mann hereingelegt hätte, der sich als schlauesten von allen aufspielte, und er zeigte den Wein vor. Der Weinhändler wollte den Schaden nicht tragen und ließ schließlich den Polizisten holen, der Till als Dieb ins Gefängnis abführte. Der Stadtrat wurde einberufen, und das Urteil erging, Till solle am Galgen hängen. Die Kunde hiervon hatte sich so weit in der Stadt verbreitet, daß an dem Tag, als Till sein Leben am Strick beenden sollte und nach seinem Golgatha unterwegs war, eine große Menge von Reitern und Fußvolk die umliegenden Felder belagerte und den Rat die Angst befiel, Till könnte von ihnen entführt werden. Die gesamte Bürgerschaft war herausgeströmt, da Till sein ganzes Leben lang als erstaunlicher Erfinder von Kniffen gegolten hatte und jetzt, da ihm der Tod so nahe war, wohl noch irgendetwas Denkwürdiges anstellen würde. Stumm wie ein Schaf wurde Till zum Galgen geführt; doch dann rief er den Rat zu sich und bat ihn demütig, ihm nur noch eines zu gewähren, das für die Verlängerung seines Lebens ohne Bedeutung und auch kein großer Gefallen sei. Nach einer Beratung stimmte der Stadtrat Tills Begehren zu. Durch Handschlag entstand und bestand nun die heiligste Pflicht, Wort zu halten. Gleich begann Till, seine Bitte vorzutragen. „Ich wünsche", sagte er, „daß drei Tage nach meinem Aufhängen die Ratsherren, und als erster der Bürgermeister, mir den Arsch lecken sollen, und zwar vor dem Frühstück." Die Ratsleute aber spuckten vor Abscheu aus und riefen, das sei eine unverschämte Bitte. Aber der klug vorausschauende Till bestand auf dem gegebenen Versprechen und entkam mit seinem pfiffigen Einfall dem Aufhängen. Das Volk lachte die Obrigkeit gehörig aus.
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Das höchste Recht ist das höchste Unrecht.
Der lächerliche Stadtrat.
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[XXX.] Tylus catoptropoeus, id est, speculo rum autconspicillorum factor.
Eccl. xx: Muñera excaecant oculos sapientum et immutant verba iustorum.
Simplex veritatis oratio.
Percommode audierat Tylus, Francfordiae C8r quod convenirent principes Germaniae causa eligendi Caesaris; nam hue progrediens Trevericum habebat obvium archiepiscopum. Qui pervidens ipsum esse amictum haud patria 5 tunica rogabat, cuius esset opificii et unde adesset. Ille nudato capite popliteque flexo se catoptropoeum ait ob vilitatem opificii e Brabantia venisse. At archiepiscopus contra asserii 10 credibilius sibi videri esse in precio maiore conspicilla, quod caligo sit affinis homini consenescenti in dies. In quo quidem Tylus acquievit praesuli, sed dixit aliud esse, quo periit precium. 15 Id protinus iubetur impune exprimere. Quippe astruebat praesul audivisse se et antea plures viros similes Tyli nec infrequentes esse principibus iocos salesque mordacissimos suo loco. 20 His itaque verbis utitur ad antistitem: „Generose princeps, haec lucri deperditi causa est, quod hodie conspicillorum vice intercapedines haberi coeperint digitorum apud proceres profanos ac sacros. 25 Quos praeterire sentías aequa omnia et C8v exosculari dona blandientia, cum principes assueverint prisci dare iuri operam egentes conspicillorum usibus, ut perviderent, fas nefasque quid foret. 30 Quondam et sacerdotum cohors solet operae plus ponere in libris sacris quam tempore hoc, ac tunc quidem usus conspicillorum frequens erat. Sed heu, sine conspicillis ac libris aetate in hac pensum laborant solvere 35 Iovi. Indigent neque conspicillis principes, qui, quod libet, licere credunt maxime." Tyli sales laudabat archiepiscopus
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XXX. [H 22 (63)] Till kam es sehr gelegen zu hören, daß sich die Fürsten Deutschlands in Frankfurt zur Kaiserwahl versammelten. Auf dem Weg dorthin traf er den Erzbischof von Trier. Dieser sah, daß Till mit einem ausländischen Rock bekleidet war, und fragte ihn, welchen Beruf er hätte und woher er käme. Till entblößte sein Haupt, ließ sich auf ein Knie nieder und behauptete, er sei Brillenmacher und wegen der Niedrigkeit seines Handwerks aus Brabant gekommen. Der Erzbischof meinte dagegen, es erschiene ihm glaubwürdiger, daß Brillen in recht hohem Preis stünden, da die Menschen, die ja täglich älter werden, mit der Augenschwäche nur zu vertraut wären. Hierin stimmte Till dem Bischof zu, doch meinte er, es gebe noch einen anderen Grund, warum die Preise ganz verdorben seien. Sofort forderte der Bischof ihn auf, das frei heraus zu erklären. Doch fügte er noch hinzu, er hätte schon vorher ziemlich viele Leute wie Till gehört, die dann häufig Scherze und bissige Witze gegen Fürsten von seinem Rang erzählten. So redete Till mit folgenden Worten zum Bischof: „Edler Fürst, dies ist der Grund für die Gewinneinbuße, daß man nämlich heutzutage bei den vornehmsten weltlichen und geistlichen Herren angefangen hat, statt durch Brillen durch die Finger zu sehen. Man kann schon merken, daß sie alles, was recht und billig ist, unterlassen und stattdessen nur Schmeicheleien und Geschenke lieben, wohingegen sich die Fürsten in alter Zeit immer um das Recht große Mühe gaben und Brillen benötigten, um genau zu sehen, was an Recht und Unrecht geschah. Auch der Priesterstand verwandte früher größere Mühe auf seine theologischen Bücher als heutzutage, und so war damals der Gebrauch von Brillen viel größer. Doch leider krankt heutzutage die Geistlichkeit daran, eben ohne Brillen und Bücher Gott ihre Dienste zu widmen. Aber auch die weltlichen Fürsten, die überzeugt sind, daß ihnen einfach alles erlaubt ist, haben Brillen nicht nötig." Der Erzbischof lobte Tills Gewitztheit, ließ ihn deshalb mit in
Till als Hersteller von Spiegeln und Brillen.
Deut. 16,19: Geschenke machen die Weisen blind und verdrehen die Sache der Gerechten.
Die schlichte Rede der Wahrheit.
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ideoque in urbem devocatum muñere beabat. Ecce, ventas — quae rara avis — apud áulicos invenit aequa praemia.
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[XXXI.] Tyius !rcatons
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Quidam negociator opulentissimus «
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..
coquus. animi voluptatem sereno quaentans coelo incubantem gramini offendit Tylum. Roga tus hic, quis esset, archimagiro ait se inserviisse aliumque iam quaerere dominum. 5 Mercator ipsius operam conducere tentât, quia uxor saepius conquesta erat de incuria sui coqui. Ac frugi famulum astringit aequis legibus; nomen rogat. Tune ille „Barptolomaeus", inquit, „nomiio/Dir Verum negociator hoc prolixius [nor." mutavit in contractius nomen Doli. Dolus autem, ut esset gratior domino novo, sibi qualecunque nomen indier sinit. Et familiarius Dolo confabulane 15 herus hortum adit lecturas herbas, alites quibus repleret; postero siquidem die erat habiturus opiparum convivium. Deinde procedit domum una cum famulo, qui displicebat coniugi. Unde et obstrepit: 20 „Adducis hune, marite, mucorem timens pani tuo? Delirus es. Nam et nos sumus pares abunde devorandis panibus." Maritus autem eras ait specimen sui famulum daturum uxorculae atque familiae. 25 Dataque sporta cum Dolo in macellum abit, ut inde carnes comparatas tolleret. Partimque temperanter assari iubet, partimque lixando imperat mollirier. Sub solis itaque ortum coquendas aeneae 30 tificium inserit carnes et ignem subjicit. coqui. Transitque deinceps ad penarium, reliquas,
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die Stadt kommen und belohnte ihn mit einem reichen Geschenk. Siehe, da fand einmal die Wahrheit — welche Seltenheit! — bei den Fürsten ihren gerechten Lohn. XXXI. [H 11-12 (64)] Ein steinreicher Geschäftsmann, der seine Herzenslust unter heiterem Himmel suchte, traf auf Till, der im Gras lag. Gefragt, wer er sei, behauptete Till, er hätte einem Küchenmeister gedient und suche jetzt einen anderen Herrn. Der Kaufmann wollte ihn in seine Dienste nehmen, weil seine Frau sich öfters über die Nachlässigkeit ihres Kochs beklagt hatte. So stellte er ihn als braven Diener unter angemessenen Bedingungen ein und fragte ihn nach seinem Namen. Da sagte Till: „Ich heiße Bartholomäus." Doch der Geschäftsmann änderte diesen allzu langen Namen in das knappere ,Doll' um. Um seinem neuen Herrn noch teurer zu werden, ließ sich der listige Doli aber jeglichen Namen beilegen. Sich schon ganz vertraulich mit Doli unterhaltend, ging der Hausherr in seinen Garten, um Kräuter zu sammeln und damit seine Hühner zu füttern; denn am folgenden Tag wollte er ein prächtiges Gastmahl veranstalten. Dann ging er mit seinem Diener nach Hause. Der gefiel allerdings seiner Gemahlin gar nicht, und sie fuhr deshalb auf: „Mein lieber Mann, bringst du diesen Kerl aus Angst mit, daß dein Brot schimmelig werden könnte? Du bist wohl verrückt! Wir beide sind ja vollauf imstande, unser Brot allein aufzuessen." Ihr Mann aber versicherte ihr, morgen werde der Diener für das Frauchen und die ganze Familie eine Probe seiner Kunst ablegen. Er gab Doli einen Korb und ging mit ihm auf den Fleischmarkt, um von dort schon bestelltes Fleisch abzuholen. Er trug Doli auf, das Fleisch teils leicht zu braten, teils durch Sieden weich werden zu lassen. Also steckte dieser bei Sonnenaufgang die Fleischstücke in einen Topf und machte darunter ein Feuer an. Dann ging er hinüber in die Vorratskammer, um den Rest, der
Till als Koch eines Kaufmanns.
Die List des Kochs.
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ne adurerentur, collocaturus duo cervisiae inter vasa frigidissimae. Pugnant enim frigus calorque hostiliter. 35/Div Ad haec negociator expectans suos amiculos domum redit sub prandium visurus, an coxisset ex sententia Dolus. Quod hic curasse se inquit, tempori ut sint parata praeter assanda omnia. 40 Hinc anxius mercator ipsum interrogat, ubi lateant, affixa quae verubus erant. Exponit ille rem, velut patraverat. Pendere narrat in penario gelido cervisiae inter vasa nequaquam calida, 45 ne fiamma posset ulla parte accedere, quia sic herus domo exiens mandaverat. Dum verba commutantur inter hos duos, venere, qui invitati erant, amiculi. Quibus aperit negociator omnia 50 et audientibus gravem risum excitât. Porro uxor amotum cupit Dolum domo. Maritus amovendum ait post pauculos dies, ubi ipsius opera vectus fuerit in oppidum conterminum cum sacrifico 55 quodam. Suum convivium interea célébrât. Tyius auriga. Sub appetentem vesperam die altera currum itineri vult apparari per Dolum. [lam, Nec mora, Dolus currum parat: scalas, tabuaxesque inungit molliore abdomine. 60/D2r Ac mane conscendere currum carbaso tectum negociator atque sacrifiais. Qui in provehendo acerbius agitatus ad scalam, ut levaretur, movebat dexteram axungiamque expertus altum clamitat. 65 Quare invicem se utrimque contemplantur ac mirantur ambo tam malignam astutiam atque obiter empto stramine unguen dimovent. Dolum vocant iubentque provehi in crucem. Quis enim tacet, quum concitatus est animus? 70 Ast assidens equis Dolus, dum provehitur, iuxta viam mox prospicit crucem positam, quae erat catenatis gravata furibus. Hue currum equosque dirigit, quos et sub ea
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nicht anbrennen sollte, zwischen zwei Fässer ganz kaltes Bier zu legen. Denn Kälte und Hitze stehen ja miteinander auf Kriegsfuß. Darüber kam der Kaufmann, der seine guten Freunde erwartete, zur Essenszeit nach Hause und wollte sehen, ob Doli nach seinem Geheiß gekocht hätte. Der sagte, er habe dafür gesorgt, daß außer dem Braten alles rechtzeitig fertig würde. Hierdurch beunruhigt, fragte ihn der Kaufmann, wo denn die Spieße mit dem Fleisch lägen. Till erklärte, wie er das Ganze ausgeführt hatte. Er berichtete, der Braten hinge in der kühlen Vorratskammer zwischen ganz kalten Bierfässern, damit keine Flamme ihn auch nur an einer einzigen Stelle erreichen könnte, da sein Herr es ihm beim Weggehen ja so aufgetragen hatte. Während dieses Wortwechsels kamen aber schon die eingeladenen Freunde. Der Kaufmann erklärte ihnen alles und erregte bei seinen Zuhörern große Heiterkeit. Seine Ehefrau aber wollte Doli aus dem Hause haben. Ihr Mann versicherte, Doli würde in ein paar Tagen entlassen, sobald er mit einem Priester in die Nachbarstadt gefahren sei; dazu brauche er ihn. Inzwischen feierte er sein Gastmahl. Gegen Abend des folgenden Tages sollte Doli den Wagen für die Reise herrichten. Ohne Verzug machte er den Wagen fertig: Das Geländer, den Sitz und die Räder schmierte er mit weichem Fett ein. Am Morgen stiegen der Kaufmann und der Pfaffe in den Wagen, der mit einer Leinwand bedeckt war. Der Pfaffe, der beim Fahren recht kräftig hin- und hergeschüttelt wurde, streckte seine Hand zum Geländer aus, um sich festzuhalten. Als er aber die Wagenschmiere bemerkte, schrie er laut auf. Da sahen sie beide sich an und waren über eine so böswillige Hinterlist erstaunt. Sie wischten das Fett mit Stroh ab, das sie unterwegs kauften. Sie riefen Doli zu und hießen ihn an den Galgen fahren. Denn wer kann schon ruhig bleiben, wenn er so aufgeregt ist? Aber Doli, der zu Pferde saß, sah bald beim Weiterfahren am Weg einen Galgen, an dem mehrere gefesselte Diebe hingen. Hierhin lenkte er den Wagen und die Pferde, die er auch noch darunter ausspannte. Als
Tili als Wa
ßenIenker-
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Tylus mercatore domum vacuansimpedimentis.
Nomen non mutandum.
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religat. Negociator hie quiescere 75 iam sentiens currum atque patibulum intuitus Dolo imprecatur daemonum aliquot chilladas; rem ridet intus cum suo sacrificulo. Dein cohortatur Dolum, recta orbita ut agat equos nec respiciat in curriculum. 80 Id coeptat auriga. Ocyus clavum eximit, quo contineri curruum partes soient. Mox cum priore parte praevolat Dolus post terga vectores relinquens seiuges, qui acclamitant: „Secti sumus. Revertere!" 85/D2v Verum reverso erant parata verbera, manus sui negociatoris nisi coërcuisset sacrificulus. Hic terminus itineris illius fuit. Tum sollicita accurrit uxor et requirit, num bene 90 currum gubernasset Dolus. „Salvi adsumus", inquit maritus, „adiuvantibus diis. Fuere vero mille casus ac minae." Negociatorem in Dolum ilia concitat, turbator ut pacis domo exiret sua. 95 Exivit autem iussus a ientaculo domum impedimentis vacantem reddere, dum uterque coniunx in sacello funderet preces, quod impudens Dolus fecit quoque. Nanque audiens mercator id tempio exit et loo statim supellectilia gestantem foras obiurgat. Atque ironicös frugi famulum vocans rogat, cur exinanisset domum. Heic ille flet sortem suam, ut, qui fecerit mandata heri pro viribus, nec ipsius 105 tamen potuerit obtinere gratiam. En congruunt rebus subinde nomina, nam, quem Dolum appellaverat mercator, is verus merusque erat dolus, sed abditus. Adeo periculosa res nomen hominis no/D3r mutare Christian!, ubi visum fuerit.
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der Kaufmann merkte, daß der Wagen schon so bald anhielt, und dann den Galgen sah, wünschte er Doli Tausende von Teufeln an den Hals. Dennoch mußten er und der Pfaffe über diesen Streich innerlich lachen. Dann hieß er Doli, die Pferde geradeaus zu lenken und nicht zum Wagen zurückzublicken. Das tat der Wagenlenker auch, aber nahm ganz schnell den Nagel heraus, der die Wagenteile zusammenhielt. Bald fuhr Doli mit dem Vorderteil voraus und ließ seine Fahrgäste ausgespannt hinter sich zurück. Die riefen ihm zu: „Wir sind abgehängt worden. Kehr um!" Doch als er umgekehrt war, hätte er gleich Prügel bezogen, wenn der Pfaffe dem Kaufmann nicht die Hände festgehalten hätte. So endete diese Reise. Da lief die Frau des Kaufmanns aufgeregt herbei und wollte wissen, ob Doli den Wagen gut gelenkt hätte. „Mit Gottes Hilfe sind wir mit heiler Haut wieder da", sagte ihr Mann, „doch es gab tausend Zwischenfälle und bedrohliche Situationen." Die Frau aber stachelte den Kaufmann so gegen Doli auf, daß er, der Störenfried, ihr Haus verlassen mußte. Er ging aber erst weg, nachdem ihm befohlen worden war, gleich nach dem Frühstück das Haus zu räumen, während beide Eheleute in der Kirche beteten. Das tat der unverschämte Doli auch. Der Kaufmann hörte davon, kam aus der Kirche und schalt ihn gleich, als er noch dabei war, den Hausrat nach draußen zu tragen. Ironisch nannte er ihn seinen braven Diener und fragte, warum er denn das Haus leergeräumt hätte. Da beklagte sich der über sein hartes Schicksal, daß er, der doch die Aufträge seines Herrn nach Kräften ausgeführt hätte, sich dennoch nicht dessen Dank erwerben könne. Na bitte, da passen gleich die Namen zu den Tatsachen, denn der, den der Kaufmann Doli genannt hatte, war ein wahrer, echter Schalk, aber ein doli verkappter. So gefährlich ist es also, den Namen eines Christenmenschen zu ändern, auch wo es angebracht erscheinen mag.
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Tiliräumtdem Haus. "" as
Einen Namen ändern" m°
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[XXXII.] Tylus a tibíeme ad prandium quidem vocatus, sed non admissus.
αύλοιδός: id est. tibicen.
Auloedus, isque scurra, quondam nobilis ad prandium invitaverat Tylum, ut domi, quantum cibi valeret ac potus, caperet. Prodibat in forum vocatus postridie, sed repperit sui hospitis clausas fores et fraude cognita inde rettulit pedem. Post conspicatus in foro auloedum rogat, an hospiti consueverit praecludere aedes. Tylo tibicen ille reddidit vocatum, ut id, quod posset, haud vellet, ederet. Hoc nesciisse se quidem dixit Tylus egitque summas gratias, quod in dies addisceret fieretque circunspectior. Subrisit auloedus Tylumque serio praemisit in domum suam pollicitus ei, quod lixa et assa solus hospes sumeret. Ingressus aedes lixa et assa comperit. Praedamque nactus coniugem et pedissequam ablegat ad tibicinem, cui finxerat piscem datum admirabilem invisumque, quem immanitatem tollerent mutua opera. [ob Absentibus praeclusit ostium Tylus, ut solus omnem commeatum absumeret. Ancilla et uxor obviae tibicini de pisce narrant fabulam. Atque fabulam auloedus esse natam ait, technam olfaciens. Etenim Tylus iam talionem reddere adnititur. Mulierculae remeant domum, ac ianuam pulsantibus dicit Tylus: „Desinite pulsare ostium. Nam missus hue sum a patrefamilias, prandium ut capesserem solus. Redite, ubi sumpserim bellaria." Sic par pari sibi relatum intelligens auloedus una cum sua uxore et famula
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XXXII. [H 64 (66)] Ein bekannter Flötenmacher, der selbst ein Schalk war, hatte einst Till zum Essen eingeladen, sich bei ihm zu Hause soviel an Speise und Trank einzuverleiben, wie er konnte. Wie bestellt, ging Till am folgenden Tag zum Marktplatz, doch fand er die Tür seines Gastgebers verschlossen. Er erkannte den Betrug und ging wieder fort. Später erblickte er den Pfeifenmacher auf dem Marktplatz und fragte ihn, ob er einem Gast immer das Haus verschließe. Der Pfeifendreher entgegnete Till, er sei eingeladen worden zu essen, was er könnte, nicht, was er wollte. Till sagte, das hätte er nicht gewußt, und bedankte sich ausgiebig dafür, daß er täglich noch dazulernte und umsichtiger würde. Der Pfeifenmacher lächelte darüber und schickte Till nun im Ernst in sein Haus voran und versprach ihm, er solle als einziger Gast Gesottenes und Gebratenes zu sich nehmen. Ins Haus eingetreten, fand Till auch Gesottenes und Gebratenes vor. So kam er zu seiner Beute. Er schickte die Ehefrau und Magd zum Pfeifendreher, weil diesem — wie er ihnen vorgelogen hatte — ein wunders wie großer Fisch geschenkt worden sei, wie man ihn vorher noch nie gesehen hätte, und wegen dessen ungeheurer Größe sollten sie ihm helfen, ihn nach Hause zu bringen. Als sie weg waren, verschloß Till die Tür, um das ganze Essen allein zu verzehren. Die Magd und die Frau trafen unterwegs den Pfeifenmacher und erzählten ihm die Geschichte vom Fisch. Der Pfeifendreher behauptete, das sei eine erfundene Geschichte, und roch gleich eine Hinterlist. Und in der Tat war Till schon fleißig dabei, Vergeltung zu üben. Die Frauleute gingen nach Hause zurück, und als sie an die Tür klopften, sagte Till zu ihnen: „Hört auf, ans Tor zu klopfen. Ich bin nämlich vom Herrn des Hauses hierhin geschickt worden, um allein das Essen einzunehmen. Kommt zurück, wenn ich den Nachtisch gegessen habe." So erkannte der Pfeifendreher, daß ihm Gleiches mit Gleichem vergolten worden war, und er war gezwungen, zusammen mit seiner Frau und Dienerin
Till wird von einem Pfeifen macher zum Essen zwar eingeladen, aber nicht eingelassen.
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coactus est in próximas secedere aedes ibique delitescere, dum Tylus solus perageret prandium domi suae. Qui humanior factus refectis artubus reseravit ostium et recepit hospitem modo talionem redditam denunciane.
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[XXXIII.] Tylus impudenti mendacio et contentione pannum a rustico accipiens. Conducti testes.
Proverb, xvi: Homo perversus suscitât lites.
Fides penes sacerdotem. Sacerdos pacis amator.
Assuetus autem lautioribus epulis iamque ocio vitam suavem transigere studens Tylus commentus est artem novam. Profectus etenim ad nundinas in rusticum, qui forte emebat telam ibi porraceam, [nem 5 detorquet insignenti stropham. Scelestum homiquendam subornât atque agrestem sacrificum, qui fingerent panni colorem caeruleum. Et ne quid hic remorae foret, pecuniam D4r promittit ingentem, vicissim ut prodeant io atque insequantur rusticum extra moenia humeris ferentem, quam ante comparaverat, porraceam telam. Ecce, primus quaeritat Tylus, unde haberet texta prorsus caerulea. Negabat autem agricola vere caeruleum 15 panni colorem, quem emerat, porraceum. Certamen oritur et simul deponitur pecuniae iustus modus. Citatur et viator hac faciens iter, qui dirimeret litem subortam. Is esse dicit caeruleum. 20 Quo teste victus rusticus dare renuit pannum. Tylus igitur videns etiam advenam sacrificulum testem coloris advocat, ne scilicet restaret appellatio. Quis enim sacerdotis refutet dogmata? 25 Huic arbitro, quicum mices vel in tenebris, diiudicanda tota res concreditur. Qui exaudiens contentiones protinus abitum minatur tanquam abhorrens litibus.
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ins Nachbarhaus zu gehen und sich dort zu verkriechen, bis Till ganz allein in seinem Haus mit dem Essen fertig war. Als Till sich wieder recht wie ein Mensch fühlte und am ganzen Körper wieder hergestellt war, Schloß er die Tür auf, empfing den Gastgeber und erklärte, er habe nur gerechte Vergeltung geübt. XXXIII. [H 66 (68)] Till, der aber an recht feine Speisen gewöhnt und darauf aus war, in Muße ein süßes Leben zu führen, dachte sich eine neue List aus. Er kam nämlich auf den Wochenmarkt und drehte ein unerhört listiges Ding gegen einen Bauern, der dort gerade ein grünes Tuch gekauft hatte. Till stiftete einen unehrlichen Kerl und einen Pfaffen vom Lande an, lügnerisch zu behaupten, das Tuch sei blau. Um ja keine Zeit zu verlieren, versprach er den beiden eine stattliche Summe dafür, daß sie einzeln vorausgingen und dem Bauern vor die Stadtmauern folgten. Der trug das grüne Tuch, das er vorher gekauft hatte, auf den Schultern. Nun sieh mal her: Till fragte ihn als erster, woher er denn den schönen blauen Stoff hätte. Der Bauer meinte aber, das Tuch, das er gekauft hatte, sei in Wirklichkeit gar nicht blau, sondern grün. Ein Streit entstand, und gleich wettete Till um einen angemessenen Geldbetrag. Auch einen Wanderer, der gerade vorbeikam, rief er an, den Streitfall zu schlichten. Der sagte, das Tuch sei blau. Obwohl der Bauer durch diesen Zeugen die Wette verloren hatte, weigerte er sich, das Tuch herauszugeben. Also rief Till den Pfaffen, der nun auch ankam, als Gutachter der Farbe herbei, damit keine weitere Berufung möglich wäre. Denn wer kann schon den Wahrspruch eines geistlichen Herrn zurückweisen? Diesem Schiedsrichter, dem man getrost die Katze im Sack abkaufen könnte, wurde nun die ganze Angelegenheit zur Beurteilung anvertraut. Als er sich die Streiterei angehört hatte, drohte er gleich wegzugehen, als ob er Zänkereien verabscheue. Doch
Till erhält durch eine unverschämte Lügeund krumme Tour von einem Bauern ein Tuch. Gekaufte Zeugen.
Buchd. Sprüche 16, 28: Ein falscher Mensch richtet Zank an.
Treu und Glauben bei einem Pfaffen. Der Pfaffe liebt den Frieden.
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Rusticus sapiens. Sacerdos turpis lucri cupidus.
Detentus autem precibus improbissimis 30 quasi omnibus beneficium aeque conferens pronunciai plane colorem coeruleum. At rusticus fidens sibi responsat ei: [nium ,,Ni esses sacerdos, dicerem te hominum omD4v vanissimum et vos tres vocarem furciferos." 35 Hac arte telam rusticus deperdidit praedaeque particeps fuit sacrificulus.
[XXXIV.] Tylus duadedm coecos viginti aureorum donatione fallens.
Matth, xxiiii: Otate autem, ut non fiat fuga vestra ìnhyeme.
Hospitis ingenium.
Eques Tylus caecos salutai duodecim et, unde veniant, quaeritat. Qui illum rati virum potentem ac nobilem venerantur et Cyrum vocant. Tum se fuisse in oppido memorant ibique distributa numismata 5 pauperibus ante mortui civis domum. Miseratus autem eos Tylus remittit in urbem atque diversorium suum iubet intrare, quoniam acerrimum urebat gelu. „Quin bis decern", inquit, „áureos vobis ego hic io dono, quibus hyemis levare iniuriam possitis atque vivere in ver proximum." Iam singuli arbitrantur esse pecuniam cuiquam suorum traditam atque urbem petunt prius equiti actis gratiis pro muñere. 15 Progressi in hospitium requirunt hospitem et propius accedenti eidem commémorant sibi datos viginti in itinere áureos ab equite neutiquam infimo, incommoda hyemis ut his procul depellerent. Hospes hilaris 20 propter lucri spem affatur illos blandius recipitque pollicene decora fercula D5r futura, dum consumpta sit pecunia. Animantur epulanturque caeci strennue brumaeque mitius ferunt tyrannidem. 25 Hospes tabellis intulit cuiuslibet summam diei, dum periret rigor hyemis
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durch Tills hinterlistige Bitten zurückgehalten, tat er so, als ob er beiden Seiten gleichermaßen einen Dienst erwiese, und verkündete, die Farbe sei ganz klar blau. Doch der selbstsichere Bauer erwiderte ihm: „Wenn Ihr kein Priester wärt, würde ich Euch den falschesten Menschen auf der Welt und euch drei Galgenstricke nennen." Durch diese Hinterlist wurde der Bauer sein Tuch los, und das Pfäfflein erhielt seinen Anteil an der Beute.
Der kluge Bauer.
Der Pfaffe ist auf unredlichen Gewinn versessen.
XXXIV. [H 87-88 (71)] Hoch zu Roß begrüßte Till zwölf Blinde und fragte, woher sie kämen. Die hielten ihn für einen mächtigen und edlen Herrn, erwiesen ihm ihre Ehrerbietung und redeten ihn entsprechend an. Dann berichteten sie, sie seien in der Stadt gewesen und dort seien vor dem Haus eines verstorbenen Bürgers Geldstücke an die Armen verteilt worden. Voll Mitgefühl schickte Till sie in die Stadt zurück und hieß sie in seiner Herberge absteigen, da ihnen der beißende Frost ja ganz durch die Glieder fuhr. Er fügte hinzu: „Hier schenke ich euch noch zwanzig Goldstücke, womit ihr die Unbill des Winters lindern und bis zum nächsten Frühling leben könnt." Jetzt glaubte jeder, das Geld sei einem anderen von ihnen ausgehändigt worden, und sie eilten zur Stadt, nachdem sie dem Edelmann für seine Spende gedankt hatten. Im Gasthaus angekommen, fragten sie nach dem Wirt. Als der kam, erzählten sie ihm, sie hätten unterwegs von einem sehr hohen Herrn zwanzig Goldstücke erhalten, um sich damit die Strenge des Winters vom Leibe zu halten. Der Wirt war in Erwartung eines reichen Verdienstes ganz aufgeräumt, sprach recht zuvorkommend mit ihnen und nahm sie mit dem Versprechen auf, er werde sie solange glänzend bewirten, bis das Geld aufgezehrt sei. Die Blinden erquickten sich, schmausten tüchtig und ertrugen so die Gewaltherrschaft des Winters viel besser. Der Wirt trug die Ausgaben für jeden Tag in seine Rechnung ein, bis sich die Härte des Winters legte und
Till betrügt zwölf Blinde mit einem Geschenk von zwanzig Goldstücken.
Matth. 24, 20: Bittet aber, daßeure Bucht nicht
Der Charakter des Wirts.
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Coed delusi.
Tylus misericors.
Proverb, xxi: Qui obturât aurem suam ad clamorem pauperis, et ipse clamabit et non exaudietur.
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et perveniret ad pecuniae modum. Tandem reducto calculo ad coecos ait: „Heus, heus, viri fratres, libetne solvere? 30 Ad summam enim mihi praestitutam venimus." Id quod parato animo annuebant singuli; nam et maximus natu minoribus retulit: „Quicunque viginti áureos accepit ab equite datos, repente numeret hospiti, 35 quando hinc abire asymbolos turpissimum est." Is sermo coecos universos reddidit moestos; suis loculis enim commiserat eques pecuniam, datam quam finxerat. Sed proferentem symbolum cum neminem 40 videret hospes atque coeci scalperent caput unguibus, rubore perfusi undique, praeter suum morem vident pecuniae eclipsin. Hospes auribus lupum tenens délibérât, dimitteretne asymbolos 45 an carceri inclusos teneret arctius. Et sanius consilium erat secludere D5v alereque foeno ac gramine, ut macrescerent. Porro Tylus memor peracti temporis, quod duodecim coecis eques praescripserat, 50 mutato amictu equitavit illud in hospitium, ubi latitabant abditi. Et praesepio equum alligans hara iacentes repperit. [est: Tumque hisce verbis hospitem aggressus suum „Quid vult sibi ista immanitas? Nae, Phalaris es 55 alter nec ulla inest tibi misericordia, quia tot viros coecos reservas carcere fameque eos plus quam Saguntina enecas." Contra hospes illos execratur ac Tylo conqueritur esse tenebriones pessimos 60 minimeque dignos misericordia sua. Tylus orat, ut fideiubentem recipiat coecosque vinclis eximat. Contentus eo hospes fuit. Tylus itaque ad paroecum abit eique dicit hospitem a cacodaemone obsessum et exorcismo eum pelli expetit.
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der Betrag aufgebraucht war. Schließlich brachte er den Blinden die Rechnung und sagte zu ihnen: „Hört doch mal, Brüder, wollt ihr nicht bezahlen? Die Summe, die ihr vorher mit mir ausgemacht habt, haben wir nämlich erreicht." Dem stimmten sie alle bereitwillig zu, und der älteste von ihnen sagte zu den jüngeren: „Wer von euch die zwanzig Goldstücke von dem edlen Ritter erhalten hat, soll sie schnell dem Wirt auszahlen; denn von hier fortzugehen, ohne zu bezahlen, wäre sehr schändlich." Diese Rede betrübte alle Blinden. Der Edelmann hatte nämlich seinem eigenen Beutel das Geld anvertraut, statt es ihnen wirklich zu geben. Der Gastwirt sah nun, daß keiner ihm den Betrag bezahlte und die Blinden sich mit den Fingernägeln den Kopf kratzten, mit Schamröte ganz Übergossen; sie sahen nämlich, daß sie ganz gegen ihre Art kein Geld zum Bezahlen hatten. Der Wirt wußte nicht, was er tun sollte, und überlegte, ob er sie ohne zu zahlen wegschicken oder in recht festem Gewahrsam halten sollte. Es schien ihm ein gescheiterer Plan zu sein, sie einzusperren und mit Heu und Gras zu ernähren, um sie wieder abmagern zu lassen. Da ritt Till, der sich daran erinnerte, daß die Zeit vergangen war, die er als Rittersmann mit den zwölf Blinden vereinbart hatte, in anderer Tracht in jene Herberge, in der sie eingesperrt waren. Als er sein Pferd an die Krippe band, fand er sie im Stall liegen. Da fuhr er seinen ehemaligen Gastwirt mit folgenden Worten an: „Was soll denn so eine tierische Roheit bedeuten? Bei Gott, du bist ja ein zweiter Phalaris und hast überhaupt kein Mitleid, daß du so viele blinde Leute einkerkerst und sie mit genauso großem Hunger wie bei Sagunt glatt umbringst." Der Wirt dagegen verwünschte die Blinden und beklagte sich bei Till, sie wären die schlimmsten Dunkelmänner und seines Mitleids überhaupt nicht würdig. Till forderte ihn auf, einen Bürgen anzunehmen und die Blinden aus ihrem Gefängnis zu entlassen. Damit war der Wirt einverstanden. Till ging deshalb zum Pfarrer, sagte ihm, der Wirt sei vom bösen Feind besessen, und bat ihn, den durch eine
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Die getäuschten Blinden.
Till erbarmt sich.
Buchd. Sprüche 21, 13: Wer seine Ohren verstopft vor dem Schreien des Armen, der wird einst auch rufen und nicht erhört werden.
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Paroecus id facturum ait se post biduum triduumve. Compertum Tylus denunciai probum fideiussorem et eius proferens nomen paroecum nuncupat. Monet quoque, 70 ut coniugem secum sinat revertier, quo ipsi fidem paroecus affirmet suam. D6r Uxor quoque id lubens facit securior futura, quam fuit hactenus. Mysten Tylus salutat et precatur, ut fidem hospitae 75 det se adfuturum propediem, ut virum adiuvet. Fidem dedit paroecus. Ilia laetior haec ad maritum deferenda credidit. Qui nuncio exultans suavi liberos coecos remisit, antequam elapsum foret 80 triduum. Hinc suo Tylus soluto symbolo deseruit hospitem. Atque praeterito triduo coniunx paroecon admonet, quo solverei, quod duodecim coeci abligurierant hyeme. Sed callidam vulpem tenens sub pectore 85 paroecus ipsam interrogai, num sic viri iussu admoneret. Confitetur protinus. At ille fieri id praedicat cacodaemonis iussu, cui sit nil prius pecuniae. „Quid", inquit uxor, „dictitas? Non daemonio 90 maritus agitatur meus. Ego te exagito, ut liberes prompta pecunia fidem." Certo paroecus esse persuasum sibi clamat, quod occupât maritum Diabolus, ipsumque liberandum amat producier. 95 Mulier reclamat sic solere subdolos homines loqui, quando admonentur debiti. D6v „Brevi, sceleste, intelliges, quo daemonio maritus agitetur." Statimque proripit sese ad virum atque de paroeco conqueritur. 100 Mox ille correpto veru mysten petit. Et hic frequentem convocat viciniam subinde se communiens signo crucis, ne quid sibi a furente confieret mali. Hospes retentus, ne paroecon caederet, 105 non desinit tamen admonere debiti.
Der Triumph der menschlichen Torheit
Beschwörung auszutreiben. Der Pfarrer sagte zu, er wolle das in zwei oder drei Tagen tun. Till meldete dann dem Wirt, er habe einen zuverlässigen Bürgen ausfindig gemacht, und nannte den Pfarrer. Er redete dem Wirt auch zu, seine Frau mit ihm zurück zum Pfarrer gehen zu lassen, damit dieser sie selbst seiner Zusage versichern könnte. Die Frau kam gern mit, um unbesorgter sein zu können, als sie bisher gewesen war. Till begrüßte wieder den Geistlichen und bat ihn, der Wirtin zu versprechen, in den nächsten Tagen zu kommen, um ihrem Mann auszuhelfen. Der Pfarrer gab sein Wort. Die Frau war darüber recht froh und vertraute dies gleich ihrem Mann an. Der freute sich über die angenehme Nachricht und ließ die Blinden frei, bevor noch die drei Tage verstrichen waren. Danach bezahlte Till seine eigene Zeche und verließ den Wirt. Als die drei Tage um waren, mahnte die Frau den Pfarrer, er solle nun bezahlen, was die zwölf Blinden im Winter verzehrt hatten. Aber der Pfarrer, der selbst ein schlauer Fuchs war, fragte sie, ob sie ihn so auf Geheiß ihres Mannes mahne. Das gab sie auch gleich zu. Da erklärte der Pfarrer, das geschehe auf Geheiß des bösen Feindes, der vorher kein Geld gehabt hätte und es nun verlange. „Was erzählt Ihr da?" erwiderte die Frau. „Mein Mann ist von keinem bösen Geist besessen. Ich bestehe darauf, daß Ihr Euer Wort mit barer Münze einlöst." Der Pfarrer aber rief aus, er sei fest davon überzeugt, daß ihr Mann vom Teufel besessen sei, und wollte ihn unbedingt holen lassen, um ihn davon zu befreien. Die Frau entgegnete, so redeten gewöhnlich nur Betrüger, wenn sie an Schulden gemahnt würden. „In Kürze werdet Ihr Schurke schon merken, von welch bösem Geist mein Mann besessen ist." Und sofort rannte sie zu ihrem Mann und beklagte sich über den Pfarrer. Gleich griff der zum Spieß und rückte dem Geistlichen zu Leibe. Dieser rief die ganze Nachbarschaft zusammen und wappnete sich auch gleich mit dem Kreuzzeichen, damit ihm von dem Rasenden nichts Böses geschähe. Der Wirt wurde zwar davon zurückgehalten, den Pfarrer umzubringen, hörte aber trotzdem nicht auf, dessen
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Paroecus itidem nec gravatur debitum negare nec fugare ab hospite daemona. Ea rixa vivo utroque sopiri haud potuit.
[XXXV.] Hospesdurus. Quondam ingruente vespera et multa nive terram tegente offensus est ab hospite Tylus et cum eo tres Saxones, qui serius advenerant, quoniam impediti erant lupi minis. Meticulosos enim hospes dixerat, 5 superare quod non potuerint unum lupum. Dicax Iactarat idem posse se lupos decern iactator. y^gj-g NigiOs neque desiit spargere sales durante coena in institores Saxones, quibus assidebat iam Tylus versans dolos. io Nam forte cum his dimissus in cubiculum sua clanculum proposuit ipsis Consilia, quibus valeret hospiti os occludere, D7r ne glorietur saepius de Saxonum metu suaque audacia. lili asymbolon 15 Tylum futurum pollicentur, si modo retuderit hospiti suam iactantiam. Itaque soluto symbolo omnes exeunt redituri in hospitium peractis nundinis. Hospesque euntes admonet, lupum ut caveant, 20 cui illi reclamant: „Gratias agimus tibi pro admonitione tarn salutari. Lupus si nos vorarit, non videbis hospites." Dicto die repetit suum quisque hospitium. Verum Tylus sacco lupum, quem straverat, 25 attulit eodem comperitque Saxones; et nemo conscius fuit rigidi lupi. Similis sui hospes hospites risit suos, quod territi a lupo fuissent unico. Tumque hi fatentes dedecus dixere ei: 30 ,,At tu decern volens lupos prosternere
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Schulden anzumahnen. Ebenso wurde der Pfarrer nicht müde, die Schulden abzustreiten und dem Wirt den Teufel austreiben zu wollen. Dieser Streit ließ sich zu beider Lebzeiten nicht mehr schlichten. XXXV. [H 77 (78)] Einmal, als es schon Abend geworden war und Hin harter tiefer Schnee den Boden bedeckte, wurde Till von 1 einem Wirt beleidigt, und mit ihm drei Sachsen, die noch später angekommen waren; denn die Bedrohung durch einen Wolf hatte sie aufgehalten. Der Wirt nannte sie Feiglinge, weil sie nicht einmal einen einzigen Wolf überwinden könnten. Er prahlte Der auch damit, er selbst könne es mit zehn Wölfen auf- Angeber, nehmen. Während des Abendessens hörte er nicht auf, die sächsischen Krämer mit bitterem Humor zu überschütten. Till saß dabei und dachte sich schon eine List aus. Zufällig wurde ihm ein Schlafzimmer mit ihnen zusammen angewiesen, und heimlich setzte er ihnen seinen Plan auseinander, dem Wirt den Mund zu stopfen, damit er sich nicht noch mehr mit der Angst der Sachsen und seiner eigenen Kühnheit brüsten könne. Die Sachsen versprachen, Till freizuhalten, wenn er nur dem Wirt seine Angeberei verleiden würde. Also bezahlten sie die Zeche und reisten alle ab, um nach den Markttagen in die Herberge zurückzukehren. Bei der Abreise ermahnte sie der Wirt noch, sich ja vor dem Wolf zu hüten. Sie riefen ihm zurück: „Wir danken Euch für so eine heilsame Warnung. Wenn der Wolf uns auffrißt, werdet Ihr Eure Gäste nicht Wiedersehen." Am vereinbarten Tag kehrten sie alle wieder in der Herberge ein. Till aber brachte im Sack einen Wolf mit, den er erlegt hatte, und fand die Sachsen alle zusammen vor. Und niemand ahnte etwas von dem steifgefrorenen Wolf. Wie nicht anders zu erwarten, verspottete der Wirt seine Gäste, weil sie sich von einem einzigen Wolf hätten erschrecken lassen. Da gaben sie ihre Schmach zu und sagten zu ihm: „Aber Ihr, der zehn Wölfe erlegen wollt, bezwingt erst mal ei-
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Tylus hospitem mortuo lupo deterrens.
Saxones bibuli.
unum doma et novem deinde residuos." Nihiloque segnius ille tímidos nominat, doñee subirent pristinum cubiculum, ubi Saxones iussit Tylus vigilare, dum 35 perficeret illa, quae pararat hospiti. Postquam igitur hospes ipsiusque familia abiere dormitum, Tylus lecto excidit D7v lupique, quem sacco attulit, iuxta focum distendit os eique pueri calceos 40 imposuit; inde ad lectulum revolans suum. Mox voce clara clamitarunt Saxones: „Heus, hospes, ancillae impera, ut potum adAgnovit hic et Saxonum iugem sitim [ferat." et imperavit, Martha promptum ut surgeret. 45 Statim haec foco excitans lucernam obiter lupum tenere vidit ore pueri calceos. Atque arbitrata devoratum esse puerum in hortulum fugit lucernam deserens. Nec prompta erat cervisia. Cur Saxones 50 iterum vocarunt hospitem, ut famulum suum promere iuberet; famula enim nil attulerat. Tum famulus arrepta lucerna, ut promeret, itidem lupum vidit tenentem calceos, ratus interisse Martham, et e vestigio 55 candela omissa fugit in penarium. Quum ferret autem Martha vel famulus nihil, acclamai hospiti Tylus: „Cervisiam aut ipse promas aut lucernam proferas." Qui suspicatus altius dormire suos 60 tandem ipse candelae excitât flammam et lupo viso quiritatur perisse cum famula famulum. Ecstasi correptus, ecce, Saxones, D8r ut opitulentur, invocat. Qui etiam advolant nec non vicissim eius pavorem despuunt 65 ac pristinam iactantiam, quia dixerat lupos decern potuisse profligi sibi, cum trepidus unum iam lupum, huncque morfugitaverit domus suae clauso ostio. [tuum, Infamis hospes factus est et compotes 70 voti fuere Saxones opera Tyli,
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nen und dann die übrigen neun." Sogleich nannte sie der Wirt Feiglinge, bis sie wieder in ihr altes Schlafzimmer gingen. Dort hieß Till die Sachsen wachbleiben, bis er das ausgeführt hätte, was er gegen den Wirt vorbereitet hatte. Nachdem also der Wirt und sein Gesinde schlafen gegangen waren, schlüpfte Till aus dem Bett und sperrte dem Wolf, den er im Sack mitgebracht hatte, neben dem Herd das Maul auf, steckte ein Paar Knabenschuhe hinein und eilte wieder ins Bett. Bald darauf riefen die Sachsen mit lauter Stimme: „He, Herr Wirt, laßt die Magd uns etwas zu trinken bringen!" Der Wirt erinnerte sich an den ewigen Durst der Sachsen und befahl der Martha, gleich aufzustehen und Bier zu holen. Sofort zündete sie am Herdfeuer ein Licht an und sah dabei den Wolf, der die Kinderschuhe im Maul hielt. Sie glaubte, der Junge wäre aufgefressen worden, rannte in den Garten davon und ließ das Licht zurück. Das Bier wurde also nicht geholt. Deshalb riefen die Sachsen nochmals den Wirt, damit er es von seinem Knecht holen ließe; die Magd hätte ihnen nämlich nichts gebracht. Da nahm der Knecht das Licht auf, um das Bier zu holen, und sah gleichfalls, wie der Wolf die Schuhe im Maul hatte. Da glaubte er, Martha sei umgekommen, und auf der Stelle ließ er das Licht fallen und flüchtete sich in die Vorratskammer. Als aber Martha und der Knecht nichts brachten, rief Till dem Wirt zu: „Entweder holt das Bier selbst oder bringt uns wenigstens ein Licht!" Der vermutete, daß seine Leute ganz tief schliefen, und zündete endlich selbst eine Kerze an. Als er den Wolf sah, erhob er ein klägliches Angstgeschrei, seine Magd und sein Knecht seien umgekommen. Ganz außer sich vor Erregung rief er die Sachsen zu Hilfe. Die eilten auch herbei und zogen nun ihrerseits über sein Entsetzen und seine frühere Prahlerei her. Er hatte ja gesagt, er könnte zehn Wölfe niederhauen, obwohl er jetzt zitternd und zagend vor einem einzigen Wolf ausriß, noch dazu einem toten, und die Haustür war auch noch abgeschlossen. So wurde der Wirt in seinem Ruf unmöglich gemacht, und die Sachsen erreichten durch Tills Trick
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τπι erwüTSIiem toten Wolf,
Sachsen haben
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cuius proinde exolverant et symbolum. [XXXVI.] Tylus pellem excoriati canis pro symbolo offerens hospitae.
Canis pransus.
Fuisse narrant Stauriae solam hospitam, cuius catellus didicerat cervisiam ex alveo bibere suo. Cum hac colloquens Tylus petit cervisiam sapidissimam dari ad focum. Et casu catellus iactitat 5 coram bibente caudam, et hospita admonet, ut gestienti portionem impertiat. Opplevit itaque butyro, cervisia, carne, cerere atque cáseo canis alveum. Postquam Tylus canisque pransi erant satis, io de symboli ratione facta verba sunt. Rogavit hospitam, asymbolos siquis abierit, quid diceret. „Peterem", inquit ilia, „symbolum pignusve", suspicans eum de se loqui. Tylus sua non admodum referre ait, 15 sed pertinere ad asymbolum. Tali stropha D8v vafer hospitam repulit Tylus, dum eius canem degluberet pellemque sub tunica gerens se redderet foco et reciperet poculum. Post visus occupare sedem pristinam 20 vocat hospitam ad ratiunculam. Qua cognita dimidium ei offert symbolum. Haec autem objicit solum fuisse pransum, ut omnia solveret, quae absumpta erant. Tylus adfuisse ait alterum, qui biberit et comederit pro viribus 25 quidem carens pecunia, sed pignori vestem reliquerit optimam. Atque protinus exhibuit hospitae canis sui exuvias pro symboli parte altera. Ast excanduit, pellem catelli cum videret, hospita. 30 Tylus approbavit acta, quae imperitaverat. Canis etenim iussu hospitae saturatus est, quem dixerat pecuniae indigum Tylus,
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ihr Ziel und bezahlten deswegen auch seine Zeche. XXXVI. [H 81 (82)] In Staßfurt soll Till einmal eine Wirtin ganz allein TM bietet vorgefunden haben, deren Hündchen gelernt hatte, daTabge^ Bier aus seinem Napf zu I trinken. BeimT^. Gespräch mit gene Jeu ihres r . I i . Hundesais ihr ließ Till sich am Herd ein leckeres Bier servieren. Bezahlung an. Zufällig wedelte das Hündchen vor ihm mit dem Schwanz, während er trank, und die Wirtin forderte Till auf, dem lebhaft bittenden Hund doch etwas abzugeben. Er füllte deshalb dem Hund die Schüssel Der voiimit Butter, Bier, Fleisch, Brot und Käse. Nachdem fWd.sene Till und der Hund genug gegessen hatten, kam die Rede auf die Bezahlung der Zeche. Till fragte die Wirtin, wenn jemand ohne zu zahlen wegginge, was sie dann sagen würde. Sie erwiderte: „Ich würde Bezahlung oder ein Pfand verlangen", und vermutete, daß Till von sich selbst spräche. Till behauptete aber, er spreche gar nicht von sich, sondern von einem Zechpreller. Mit diesem Trick hielt sich der gerissene Till die Wirtin vom Leibe. Er zog unterdessen ihrem Hund das Fell ab, kehrte mit dem Fell unter dem Rock an den Herd zurück und nahm seinen Becher wieder in die Hand. Danach war er wieder an seinem alten Platz zu sehen und rief die Wirtin zur Abrechnung. Als die Rechnung ermittelt war, bot er ihr die Hälfte der Zeche an. Sie aber wandte dagegen ein, er hätte ja allein gegessen, so daß er alles bezahlen müsse, was verzehrt worden sei. Till behauptete, es sei noch ein zweiter dabei gewesen, der nach Kräften mitgetrunken und -gegessen hätte; der habe zwar kein Geld, doch habe er seinen besten Rock als Pfand dagelassen. Und gleich zeigte er der Wirtin die abgezogene Haut ihres Hundes als die andere Hälfte der Bezahlung. Doch die Wirtin wurde ganz bleich, als sie das Fell ihres Hündchens sah. Till behauptete fest, er hätte ja nur getan, was sie ihm aufgetragen hatte. Der Hund war nämlich auf Geheiß der Wirtin vollgefüttert worden, und von ihm hatte Till gesagt, daß er kein Geld habe, aber da-
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cuius loco relinqueret tunicam optimam. Nam hanc postularat pignori, nisi solverei. Sic didicit hospita paululum concredere dignis fide, at pecunia carentibus. Et exulem fecit Tylum ob fallaciam.
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[XXXVII.] Tylus rotae impositus.
Mulier vindictae amantior.
Post pauculos autem dies ad hospitam Tylus recurrit veste mutata et rotam [hanc in eius aedibus iacentem possidens rogavit, an quid de Tylo audisset novi. Negabat una devovens Tyli caput nomenque. lussa, ut irae originem ederet, respondit excoriasse dilectum canem ac retulisse pro cervisia, quam prompserat, tergus cruentum. Unde ominata est exitium. Simulator ille iam obtigisse id deierat; confingit etenim insistere et tereti rotae. Tunc hospita Deo gratias magnas agit non intuens in próxima rota Tylum. Optatque se potuisse carnificis operam conducere aut manibus ligare propriis. At mulier ulcisci volens canis necem visa est caninis moribus deperdita.
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[XXXVIII.] Tyius nudas Digressus olim et in alias aedes Tylus e x h O S p i t a ^ Q j j u s m a ritus peregre erat, quaesivit, an polytropon nosset Tylum. „Ipsum quidem", inquit, „nescio. Sed rumor est eum esse scurrarum omnium turpissimum." Cui blandiore oratione ait Tylus: „Quid istud ignoto tibi obiectas viro?" Iterabat illa elogia famae perpetuae
hospitae nates imponens.
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für seinen besten Rock zurücklassen würde. Denn den hatte sie als Pfand verlangt, wenn jemand nicht zahlte. So lernte die Wirtin, denen etwas Kredit zu geben, die zwar Vertrauen verdienen, aber kein Geld haben. Und sie verwies Till wegen seines Betruges des Hauses. XXXVII. [H 82 (83)] Nach ein paar Tagen aber kehrte Till in anderer Klei- Tili auf dung zu derselben Wirtin zurück, legte sich auf ein 311 Rad, das in ihrem Haus lag, und fragte, ob sie etwas Neues von Till gehört hätte. Sie sagte nein, und gleichzeitig verwünschte sie ihn und seinen Namen. Auf sein Geheiß, den Grund ihrer Wut anzugeben, erwiderte sie, er habe ihrem geliebten Hund die Haut abgezogen und das blutige Fell für das Bier, das sie ihm geholt hatte, zurückgelassen. Daher wünschte sie ihm den Tod an den Hals. Da beteuerte jener Meister der Verstellung hoch und heilig, der sei schon eingetreten, und gab vor, Till liege auf dem Rade. Da dankte die Wirtin Gott von Herzen und bemerkte nicht, daß Till genau vor ihr auf dem Rad lag. Und sie wünschte sich, daß sie selbst die Arbeit Die Frau ist des Henkers hätte ausführen oder ihn wenigstens Ü^heaus. mit eigenen Händen festbinden können. Die Frau, die den Tod ihres Hundes rächen wollte, schien aber selbst durch ihren hundsmäßigen Charakter ganz verdorben zu sein. XXXVIII. [H 83 (84)] Einst kam Till in ein anderes Haus und fragte die Tili setzt eine Wirtin, deren Mann nicht zu Hause war, ob sie den nacktenHin" vielgewandten Till kenne. „Ihn selbst", sagte sie, ^JiauL „kenne ich nicht. Aber das Gerücht geht um, daß er Kohlen, von allen Schälken der schändlichste ist." Da sagte ihr Till ganz freundlich: „Was habt Ihr denn an dem Mann auszusetzen, der Euch gar nicht bekannt ist?" Sie wiederholte, daß an dem Sündenregister, das be-
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haud esse vana. Caeterum ignominiam earn ulcisci amans crepúsculo surgit Tylus et hospitam stertentem adhuc lecto eripit. Eiusque nudas imprimens prunis nates „I nunc", ait, „turpissimumque voca Tylum, experta enim es vel hoc die ipsius manum." Dicacitatis At dum illa clamitabat exustam cutem ptaemium. -pyj us a b i e n s dicebat: „Hoc modo decet temerariam dicacitatem comprimi."
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[XXXIX.] Tylus inter Hollandos agens Antverpiae aeger nec esum carnium iam perferens ova duo leniter coqui in foculo petiit. Ibi unus Hollandorum erat sapientiae non admodum firmae, Tylum qui rusticum ex veste iudicabat. Isque praeripuit ova et, quod intus haeserat, liguriit. Ac vacuum putamen offerens dixit Tylo: Proverb, ix: „En capsulam, unde ego abstuli, quod sacrum Qui erudit Risit Tylus, risere et Hollandi reliqui; [erat." derisorem, ipse iniuriam neque enim solet falli Tylus, sed fallere. sibi facit. Coena propinqua maximum malum excavat fraudis recordans, inserens et pulverem ei excitativum doloris ac vomitus. Tylus per Quod sic paratum apud focum ipse percoquit. assatum pcmum Coctum atque quadra collocatum dividit, HoUandum aspergit et piperis minutum pulverem. decipiens. Iamque assidens coenantibus se averterai, ut intuens Hollandus illud eriperet; Hollandus erat etenim gulosus ultra omnem modum. edax Sublegit et glutivit Hollandus cavum pomorum. malum simulque devorasse visus est Tylus ab Hollando delusus.
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ständig in aller Munde sei, doch wohl etwas Wahres sein müsse. Für diesen Schimpf wollte sich Till nun rächen, stand früh am Morgen auf und nahm die Wirtin, die noch schnarchte, aus ihrem Bett. Er drückte sie mit dem nackten Hintern auf die glühenden Kohlen nieder und sagte: „Jetzt geht nur hin und nennt Till einen Schandkerl; denn heute habt Ihr seine Hand zu spüren bekommen." Und wäh- Der Lohn rend sie noch über ihre verbrannte Haut lamentierte, intende ging Till weg und meinte: „So sollte alle vorschnelle Geschwatze. Schwätzerei unterdrückt werden." XXXIX. [H 85 (86)] Als Till sich in Holland aufhielt, wurde er in Antwerpen krank und konnte kein Fleisch mehr vertragen. Er ließ sich deshalb auf dem Herd zwei Eier weichkochen. Es war aber auch ein Holländer dort, an Verstand nicht gerade stark, der Till wegen seiner Kleidung für einen dummen Bauern hielt. Er schnappte Till die Eier vor dem Mund weg und leckte das Innere heraus. Dann legte er Till die leeren Schalen hin und sagte zu ihm: „Siehe, hier ist der Schrein, aus dem ich das Allerheiligste schon herausgenommen habe." Till lachte, und die übrigen Holländer lachten auch; denn gewöhnlich fiel Till ja nicht herein, sondern legte selbst andere herein. Beim folgenden Abendessen dachte er an die Gaunerei, höhlte einen großen Apfel aus und steckte ein Pulver hinein, das Schmerzen und Erbrechen verursacht. Als er den Apfel so vorbereitet hatte, briet er ihn selbst am Herd. Den gebratenen Apfel legte er auf ein Brett, zerteilte ihn und bestreute ihn mit feingemahlenem Pfeffer. Dann setzte er sich zu den anderen, die schon beim Essen waren, und wandte sich ab, damit der Holländer den Apfel sehen und wegschnappen sollte. Er war nämlich gefräßig über alle Maßen. Der Holländer nahm auch den ausgehöhlten Apfel heimlich weg und verschlang ihn. Da hatte er gleich richtig angebissen und wie ein geköderter Fisch den Haken verschluckt; so sehr wirkte
Till wird von einem Holländer hereingelegt.
Buch d. Sprüche 9, 7: Wer den Spötter belehrt, der trägt Schande davon.
Till täuscht mittels des Bratapfels den Holländer.
Der verfressene Holländer ist auf Äpfel versessen.
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hamum; adeo id operabatur in stomacho ipsius. Evomuit ova et frusta mali, elanguit quasi moriturus. Caeteri venena eum 25 hausisse credebant. Quod excusans Tylus purgamen esse avidissimi dixit stomachi, qui quemlibet perferre non valeat cibum. Hollandus autem redditus sibi negat commercii quicquam futurum cum Tylo. 30 [XL.] In familiam cuiusdam episcopi Tylus allectus ante coëmerat fictilia hac lege, ut ipsa venditrix confringeret signo dato. Cum vellet autem episcopus videre ridiculum aliquid, cupit, in forum ut secum eat visurus ibi mulierculam, quae vasa sua nutu Tyli fictilia contunderet. Avidus videndi episcopus nec id futurum existimans deposuit et triginta nummos áureos et curiam conscendit una cum Tylo. Qui praeminens aliis timoris symbolum mulierculae iniecit. Ilia continenter prosiliit coepitque comminuere sua fictilia, ut nec minima testa permanerei integra. Episcopus Hinc risit ipse episcopus cum coeteris, ?s gaudens- qui aderant videndi gratia. Quin ex Tylo, quonam modo id fecisset, audire petiit secretius, iam redditurus áureos, quos perdiderat. Oravit et silentium, nam statuit arte hac familiares fallere. Tylus asseruit haud arte constrictam magica mulierculam hue se compulisse, sed proba negociatione; nam mercatus erat ea vasa, nutu ut frangerentur agnito. Dedit ergo episcopus áureos uberrime ridens eique pollicene pinguem bovem, ne cuipiam mortalium artem hanc traderet.
Tylus quandam midierem sua fictilia frangere cogens.
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ihm der Apfel im Magen. Er erbrach die Eier und Apfelstücke und wurde schlapp wie ein Sterbender. Die anderen glaubten, er hätte Gift verschluckt. Till rechtfertigte sich mit den Worten, es sei die Reinigung eines gierigen Magens, der nicht jede Art von Speise vertragen könne. Aber als der Holländer wieder zu sich gekommen war, wollte er nie wieder etwas mit Till zu schaffen haben. XL. [H 72 (87)] Till, der bei einem Bischof aufgenommen worden war, hatte vorher irdenes Geschirr gekauft und mit der Verkäuferin vereinbart, daß sie selbst es auf ein Zeichen hin kaputtschlagen sollte. Der Bischof wollte nun etwas zum Lachen sehen, und Till forderte ihn auf, mit ihm zum Marktplatz zu kommen. Dort könne er eine Frau sehen, die auf einen Wink Tills hin ihre irdenen Töpfe kurz und klein schlagen würde. Der Bischof wollte dies gern sehen, aber glaubte nicht, daß es so etwas gäbe. Er hinterlegte dreißig Goldstücke und ging zusammen mit Till auf das Rathaus. Till, der die anderen überragte, tat so, als ob er mit einer Gebärde der Frau einen Schrecken einjagte. Die sprang sofort auf und fing an, ihr Geschirr klein zu schlagen, so daß nicht einmal das winzigste Stück heil blieb. Darüber mußten der Bischof und die anderen lachen, die aus Schaulust dabei waren. Der Bischof wollte im stillen von Till hören, wie er das gemacht hätte, und ihm dann die Goldstücke aushändigen, die er verloren hatte. Er bat Till, hierüber zu schweigen, denn er hatte beschlossen, sein Gefolge mit diesem Kunststück hereinzulegen. Till erklärte, daß er die Frau nicht mit Zauberkunst umgarnt und dazu gebracht hätte, sondern es so vorher mit ihr vereinbart hatte. Denn er hatte die Töpfe ja gekauft, um sie auf den verabredeten Wink hin von ihr zerschlagen zu lassen. Da gab ihm der Bischof die Goldstücke, lachte ausgiebig und versprach ihm einen fetten Ochsen, damit er ja keinem Menschen diesen Kniff weitersagte. Beim
Till bringt eine Frau dazu, ihr eigenes Geschirr zu zerschlagen.
Der Bischof hat seinen Spaß an den Possen.
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Tristia procul debent abesse
Nobilitas discendi cupida.
Tum coenitans ac de Tylo confabulane nobilibus ipse praesul artem iactitat caliere se, qua cogeret mulierculam, discuterei ut vim maximam fictilium. Qui artis avidi binos boves episcopo post traditam artem se daturos recipiunt. Bobusque stantibus simul venit Tylus a praesule accepturus eximium bovem, quem mox abegit ceu δίδακτρον nobile. Episcopus deinde nobilibus vins commonstrat artem praedicans emisse se vasa, antequam iuberet ilia discuti. Hic quisque se imprudentiae coarguit et erubescens obticescit, quod boves ante editum exemplum artis essent traditi non absque probro publico ac risu Tyli. Si extra iocum boves dedissent principi, tolerare poterant mitius, quod nunc dolent.
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[XLL] Tyius lac emœs
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Bremensi in urbe rusticanas mulleres lac venditantes ad forum videns Tylus meditatus est dulcem stropham. Nam constituit cuppam capacem atque omne lac mercatus in eam vicissim iussit effundi. Et statim 5 recensuit, quantum cuique scilicet persolveret; nam singulae pecuniam pro vendito lacté appetebant foeminae. Sed emptor aeris indigus, quo solveret, octo dierum postulat sibi spacium. io Quod venditrices cum récusassent dare, fecit cuique liberum, ut, quod vendiderat, hauriret. Aspexisse poteras hic sues lyntrem impetentes in gravissima fame; ita corruebant, ut suum lac demerent. 15 Ollae volabant; lacte conspurcatae erant
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Torheit
Abendessen erzählte dann der Bischof selbst seiner adligen Gesellschaft von Till und prahlte damit, auch er verstehe sich auf die Kunst, mit der Till die Frau dazu gebracht hatte, ihr Geschirr mit aller Macht entzweizuschlagen. Die Adligen waren nun auf dieses Kunststück ganz versessen und verpflichteten sich, jeder dem Bischof zwei Ochsen zu geben, nachdem er ihnen den Trick verraten hatte. Als die Ochsen alle beisammen standen, kam Till, um vom Bischof einen besonders fetten Ochsen in Empfang zu nehmen, den er sofort wegtrieb, da dies gleichsam sein fürstliches Honorar war. Dann zeigte der Bischof den edlen Herren seine Kunst und erklärte, er hätte das Geschirr gekauft, bevor er es zerschlagen ließ. Da zieh sich jeder von ihnen der Unbesonnenheit und verstummte beschämt, weil er die Ochsen herausgerückt hatte, bevor ihm das Kunststück erklärt worden war, noch dazu mit übler Rede in der Öffentlichkeit und mit Tills Spott. Hätten sie aber ohne den Ulk ihrem Fürsten die Ochsen gegeben, hätten sie leichter ertragen können, woran sie jetzt litten.
Traurigkeit ist vom Tisch fernzuhalten.
Der lernbegierige Adel.
XLI. [H 68 (70)] In der Stadt Bremen sah Till Bauersfrauen auf dem Marktplatz Milch verkaufen und dachte sich einen netten Streich aus. Er stellte eine geräumige Bütte auf, kaufte alle Milch und ließ sie jeweils in das Faß schütten. Zugleich rechnete er aus, wieviel er jeder Bäuerin zu zahlen hatte; denn die Frauen verlangten jedes Mal ihr Geld für die verkaufte Milch. Aber dem Käufer fehlte das Geld zum Zahlen, und er bat um eine Frist von acht Tagen. Als die Frauen, die ihm die Milch verkauft hatten, sich weigerten, ihm diese Frist zu geben, stellte er es jeder frei, soviel sie verkauft hatte, wieder herauszuschöpfen. Ganz wie sich die Säue bei schlimmstem Hunger auf den Freßtrog stürzen, so hätte man nun die Frauen sehen können, wie sie sich drängten, ihre Milch wieder aus dem Faß zu holen. Töpfe flogen durch die Luft; alle
Tili kauft Mllch
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Triumphus
omnes et insanire visae. Postea Tylum requirebant futurum lacteum. Ast hic furoris praescius defugerat.
humanae
stultitiae
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[XLIL] Tylus coenobita et ianitor.
Eccl. xix: Est, qui nequiter humiliât se, et interiora eius plena sunt dolo.
Coenobii aetymologia.
Tandem Tylus piaculorum pondere lassus pererrato orbe poenitentiam sibi subortam splendide mentitus est. Nanque adiit abbatem petiturus locum, qui conveniret laico, quem etiam obtinuit. 5 Abbas enim ingenio suaviori erat similis Tylo, quem idcirco chariorem habuit. Etenim videns inertiam fraterculi constituit ipsum ianitorem, ut alloquio vulgi senectutem recuraret suam. 10 Et cum cuculla iam gerens claves Tylus pro commodo officio peregit gratias. Prohibuit autem abbas ei, ne quemlibet vel tertium intromitteret. Nam tanta erat hominum impudentium atque egentium cohors, 15 ut facile totum devorarent coenobium. Et populus hinc deducta ,coenobia' pu tat, quod omnibus communis inde vita sit. Tylus interim partes suas defensitat; portae assidei, responsa dat. Post paululum 20 egressus unus et alter e domesticis fores manu ferire coepit, ianitor dum per fenestram prospiceret ac quaereret, quis esset et quid vellet, agnitumque eum E4r reciperet intra. Venit inde tertius 25 inter familiares, prefecto haud ultimus. Sed hic licet se familiarem diceret, exclusus abbati quaerelas aperuit adeo, ut coactus ianitor sit reddere claves et officium senile linquere. 30 Ñeque id repurgabat Tylum, quod morigerus fuerat suo abbati. Sed obérât plurimum,
Der Triumph der menschlichen Torheit
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waren mit Milch bespritzt und schienen den Verstand verloren zu haben. Am Schluß suchten sie nach Till, um auch ihn mit Milch zu begießen. Aber der hatte ihre Wut schon vorhergeahnt und sich davongemacht. XLII. [H 90 (89)] Schließlich war Till von der Bürde seiner Sünden ganz erschöpft, und als er die Welt genug durchstreift hatte, log er glänzend die Reue vor, die allmählich in ihm aufgekommen war. Er wandte sich nämlich an einen Abt und bat ihn um einen Platz als Laienbruder, den er auch erhielt. Denn der Abt hatte einen freundlichen Charakter und war Till sehr ähnlich, den er daher recht gern hatte. Als er die Arbeitsunlust des Bruders sah, stellte er ihn als Pförtner ein, um ihn im Umgang mit den Leuten sein Alter pflegen zu lassen. Till, im Ordensgewand, trug auch schon die Schlüssel und bedankte sich für das bequeme Amt. Der Abt gebot ihm aber, nicht jeden beliebigen einzulassen, nicht einmal jeden dritten; denn so groß war die Zahl der Zudringlichen und der Armen, daß sie leicht das ganze Kloster hätten leerfressen können. Die Leute glauben nämlich, das Wort,Klause' komme daher, daß dort alle zusammen hausen und schmausen. So waltete Till nun seines Amtes, saß an der Pforte und antwortete, wenn jemand anklopfte. Der erste und der zweite der Klosterleute, die herausgegangen waren, kamen bald wieder und klopften ans Tor, bis der Pförtner zum Fenster herausschaute, fragte, wer da wäre und was er wollte, und ihn dann, als er ihn erkannte, wieder hereinließ. Dann kam ein dritter von den Klosterbrüdern, der sicher nicht der letzte war. Dieser mochte noch so sehr behaupten, er gehöre zum Kloster, er blieb ausgesperrt. Also beschwerte er sich beim Abt, so daß der Pförtner die Schlüssel zurückgeben und seinen Altersposten verlassen mußte. Aber daß Till dem Abt aufs Wort gehorcht hatte, brachte ihn auch nicht wieder ins Reine. Am mei-
Till als Klosterbruder und Pförtner.
Eccl. 19,12 [26]: Mancher geht einher, von Traurigkeit gebeugt, und dennoch ist von Trug erfüllt sein Inneres.
Die Etymologie von,Klause'.
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Tylus deiectis gradibus cadentes monachos numerans. Proverb, xviii: Occasiones quaerit, qui vult recedere ab amico.
Tylus apostata. De uo consule 'roverb. vi.
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Triumphus humanae stultitiae
quod ludius praepostera omnia fecerat. Neque enim cuculia sanctiorem reddidit, quia noluit mores vetustos deserere. Ex ianitore factus est arithmeticus Tylus, cucullae exors futurus — en — monachos numeraret omnes, nocte qui descenderent orationibus vacaturi sacris. Tum se manumitiere Tylus volens gradus deiecit, antequam daretur signum aliquod campanulae; atque decidentes ordine numeravit ad dígitos suos. Quorum prior aetate pietateque aliis ferventior primus fuit. Mox eiulante hoc coeteri propere advolarant et iacentem oppresserant. Sub solis ortum accedit abbatem Tylus, ut catalogum fratrum daret praesentium. Praemonitus autem abbas facinoris improbi exegit aula laicorum dedecus. Et sic cuculia exutus est nequam Tylus.
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[XLIII.] Tylus aegrotans et stercus in pharmacopolae pyxidem deiiciens.
Tylus decumbens in nosocomio, cui cognomentum erat a Sancto Spiritu.
Dein senex collapsus in morbum subitum de more pharmacopolam adibat hospitem. Qui antidotum ei praesens dedit, quo ventris onus subsideret nec non perirent tormina. Nam post soporem potio exeruit suas vires, ut absente hospite ac clausa domo exire nesciens Tylus cacaverit in pyxidem unguentariam, unde pharmacum petitum erat, ne scilicet nummorum inops io immunis a suo recederei hospite. Qui hanc rem tenens iratus est nec passus est illum domi suae amplius decumbere, sed in domum Sacro celebrem Spiritu curavit efferri. Ubi quiescens iam Tylus 15 dixisse fertur: „Obsecravi saepius,
Der Triumph der menschlichen Torheit
sten stand ihm im Wege, daß er, ein unverbesserlicher Possenreißer, alles ganz verkehrt gemacht hatte. Seine Kutte machte ihn nämlich um nichts frommer, da er von seinen alten Sitten nicht lassen wollte. Statt als Pförtner wurde Till zum Zählen bestellt. Wenn er nicht seine Kutte verlieren wollte — na bitte! — , sollte er alle Mönche zählen, die nachts zum Beten in die Kirche kamen. Da wollte Till nun seine Freiheit wiedererlangen und nahm einige Treppenstufen heraus, bevor die Glocke läutete. Als die Mönche der Reihe nach die Treppe herunterfielen, zählte er sie gleich richtig an den Fingern ab. Ihr Prior, der durch Alter und Frömmigkeit pflichtbewußter war als die anderen, war dabei der erste. Als er vor Schmerz aufheulte, kamen die anderen schleunigst herbei und fielen auf ihn, der noch am Boden lag. Bei Tagesanbruch ging Till zum Abt, um ihm die Liste der dagewesenen Brüder zu geben. Der Abt hatte aber schon von der Untat Kenntnis erhalten und jagte Till, diese Schande für die Laienbrüder, von Haus und Hof. Und so mußte der nichtsnutzige Till seine Kutte wieder ausziehen.
XLIII.
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Till nimmt die Treppenstufen heraus und zählt die herunterfallenden Mönche. Buchd. Sprüche 18,1: Nach einem Vorwand sucht der Abgefallene.
Till, der Glaubensabtrünnige. Dazu ziehe das Buch d. Sprüche, Kap. 6 heran.
[H 91-96 (90-95)]
Danach befiel Till im Alter ganz plötzlich eine Krankheit und, wie es so üblich ist, ging er zu einem Apotheker in Quartier. Der gab ihm ein starkes Gegenmittel, wodurch sich die Belastung des Bauches legen und auch die Qualen weggehen sollten. Nach einem tiefen Schlaf zeigte der Trank seine Wirkung. Weil der Hausherr nicht da und das Haus abgeschlossen war, konnte Till nicht heraus und schiß in die Salbendose, aus der die Arznei gekommen war. Das tat er, der natürlich kein Geld hatte, um nicht ohne Bezahlung von seinem Gastgeber weggehen zu müssen. Als der Apotheker davon erfuhr, wurde er wütend und ließ nicht zu, daß Till noch länger bei ihm zu Hause liegenblieb, sondern ließ ihn in das Krankenhaus zum Heiligen Geist verlegen. Als Till nun dort lag, soll er gesagt haben: „Ich habe recht oft
Till ist krank und scheißt einem Apotheker in die Büchse.
Till legt sich in ein Krankenhaus, das nach dem Heiligen Geist benannt war.
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Triumphus humanae stultitiae
Matris pietas infilium, et contra.
Dulcía verba.
Nonna aegroti custos.
Conscientia Tyli.
Confessio scurrilis.
immitteret Deus ut Sacrum mihi Spiritum, at nunc vicem in contrariant Spiritui ego immittor. Ipsumque occupo, non ipse me." Revisit aegrotum genitrix filium rogitatque flens, quonam doleret in loco. Cui dixit ille: „Inter parietem et lectuli spondam." Suavioribus matercula a filio appellarier verbis petens, audivit ex ore ipsius mei, saccarum, succos amygdalinae nucis, tepidum cicer, uvasque passas atque fieos. Eadem amans addiscere memorabile ac salubre quid est iussa, quoties pederet, vertere nates, ne naribus vento secundo occurreret oleti odor. Reliquit et matri suae bona recta et obliqua omnia benignus Tylus. Invaluit autem morbus usque ad syncopam loquelae, et a nonna monitus, ut crimina iam confiteretur, mori quo mitius posset quietiore conscientia, respondit impossibile id esse, ut mitius moreretur; ipsa morte enim quid durius est? Et denegavit confiteri clanculum, quae propalam commiserat piacula compluribus regionibus notissima. Duobus autem principaliter animum memoravit oppressum malis nondum editis. Tum monacha gaudendum esse ait, quod omimala. Ille adhuc infecta facinora explicat: [serit „Quoties videbam quempiam cultro suos calamove dentes liberantem sordibus, poenituit haud litum fuisse stercore opera mea. Et me poenitet, quod aniculis ad venerem inutilibus et aetate obsitis clavo nates non undique obturaverim. Terras enim inquinant cacando ut anseres." „Ego", inquit illa nonna, „clare intelligo quod, si valeres, et meum culum obstrueres.
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inständig gebetet, daß Gott den Heiligen Geist in mich schickt, aber jetzt werde ich ganz im Gegenteil in den Heiligen Geist geschickt. Ich wohne in ihm, aber er nicht in mir." Die Mutter besuchte ihren kranken Sohn und fragte ihn weinend, an welcher Stelle es ihn denn schmerze. Da sagte er zu ihr: „Zwischen der Wand und dem Fußende des Bettgestells." Als das Mütterchen daraufhin ihren Sohn bat, sie doch mit süßeren Worten anzureden, bekam sie aus seinem Mund „Honig, Zucker, Mandelsaft, warme Kickerlinge, Rosinen und Feigen" zu hören. Sie wollte auch gern etwas Denkwürdiges und Nützliches von ihm lernen. Da wies er sie an, jedesmal beim Furzen den Hintern wegzudrehen, damit der Scheißgestank ihr nicht in die Nasenlöcher stieg, sollte der Wind dafür günstig stehen. Der liebevolle Till hinterließ seiner Mutter auch alle seine gerade und krumme Habe. Die Krankheit aber gewann immer mehr die Oberhand, bis er fast nicht mehr sprechen konnte. Eine Nonne ermahnte ihn, jetzt seine Schandtaten zu beichten, um desto sanfter und mit einem ruhigerem Gewissen sterben zu können. Er erwiderte, es sei unmöglich, sanfter zu sterben; denn was ist schon härter als gerade der Tod? Er weigerte sich auch, im Verborgenen die Sünden zu beichten, die er in aller Öffentlichkeit begangen hatte und die in vielen Ländern wohlbekannt waren. Er erwähnte aber noch, daß ihm das Herz hauptsächlich schwer wäre wegen zwei Übeltaten, die er noch nicht begangen hätte. Da sagte die Nonne, er solle sich doch freuen, daß er diese bösen Sachen unterlassen hätte. Till erklärte ihr dann die bisher noch nicht begangenen Untaten: „So oft ich jemanden sah, der sich mit einem Messer oder Rohr die Zähne saubermachte, habe ich bereut, es nicht mit Scheiße vollgeschmiert zu haben. Und es reut mich, daß ich den alten Weibern, die zur Liebe unnütz und viel zu alt geworden sind, nicht mit einem Pfropfen den Hintern völlig zugestopft habe. Sie verdrecken nämich die ganze Erde durch ihr Scheißen wie die Gänse." „Ich sehe ganz klar", sagte die Nonne, „daß Ihr, wenn Ihr die Kraft dazu hättet, auch mir das Loch
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Die Frömmigkeit der Mutter zu ihrem Sohn, und umgekehrt.
Süße Worte.
Eine Nonne wacht über den Kranken.
Tills Gewissen.
Eine schalkhafte Beichte.
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Triumphus
Morosa nonna.
Paroeci officium.
Aucupium.
Tylus conscientiae suae examinato rem fraudans et stercore inquinane.
Testamentum Tyli.
Mors et sepultura Tyli.
humanae
Nam vetula sum, vel simia rugosior." Tylus se ait dolere apertum podicem. Cur nonna eum custodiendum Diabolo deseruit. Arguebat autem ipsam Tylus, quod esset atrox atque peior Diabolo. Tandem paroecus ad Tylum productus est, qui cogitans ipsum fuisse nobilem scurram putansque possidere pecuniam reconditam, monebat, ut memor animae veterem hominem deponeret gemeretque sua peccata et ut, quae iniquius collegerat bona, manifestaret sibi erogandaque committeret vel in sacros usus vel in pauperculos sacrificulos, cuiusmodi et ipse erat. Quin pollicebatur preces eiusque iugem memoriam, si quid dederit. Promisit ergo illi Tylus se nonnihil a prandio reduci daturum. Laetior paroecus abiit. Cantharum interea Tylus stercore propemodum opplevit ac pecuniam, ne stercus appareret, insuper apposuit. Mox rite facto prandio reversus est paroecus atque munus a Tylo petiit, qui cantharum illi porrigens praemonuit, ut intingerei non altius, sed parcius captu unico desumerei pecuniam. At avarior paroecus iniecit manum
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profundius, merdamque molliusculam ubi sensit, exclamavit impurum dolum. Tylus negans dolum esse dixit avaritiam; monitus enim fuerat paroecus, altius in cantharum ne mitteret manum suam. 85 Bona reliqua dedit dividenda amiculis, senatui atque praesidi paroeciae. Exhibuit autem clausa in arca maxima et servanda post mortem suam mensem integrum. Ita vixit et sepultus inversus Tylus, 90 quia, cum in sepulchrum mitteretur funibus,
Der Triumph der menschlichen Torheit
zustopfen würdet. Denn ich bin ziemlich alt und sogar runzliger als ein Affe." Till sagte, es bekümmere ihn, daß ihr Hintern noch auf sei. Deshalb gab sich die Nonne nicht weiter mit ihm ab, denn der Teufel selbst sollte sich um ihn kümmern. Till aber beschuldigte sie, selbst abscheulich und noch schlimmer als der Teufel zu sein. Schließlich wurde ein Pfarrer zu Till gebracht. Der dachte, Till sei ein namhafter Schalk gewesen, und glaubte, er könne sich seines versteckten Geldes bemächtigen. Er ermahnte ihn also, an sein Seelenheil zu denken, den alten Menschen abzulegen und seine Sünden zu bereuen. Auch sein Hab und Gut, das er auf unredliche Weise zusammengebracht hatte, sollte er in des Pfarrers Hände legen. Er würde getreu dafür sorgen, daß es gut angelegt werde, entweder für wohltätige Zwecke oder für arme Pfäfflein, wie er selbst einer sei. Ja, er sicherte ihm auch Gebete und beständiges Angedenken zu, wenn Till ihm etwas gäbe. Da versprach Till, ihm etwas zu geben, wenn er vom Essen wiederkäme. Ganz froh ging der Pfaffe weg. Inzwischen schiß Till eine Kanne fast ganz voll und legte Geld oben darauf, damit man die Scheiße nicht sehen konnte. Wie zu erwarten, kam der Pfaffe bald nach dem Essen zurück und wollte sein Geschenk von Till haben. Der hielt ihm die Kanne hin, aber mahnte ihn vorher, seine Hand nicht zu tief einzutauchen, sondern eher sparsam mit einem einzigen Griff das Geld wegzunehmen. Doch der allzu gierige Pfaffe steckte seine Hand zu tief hinein, und als er die schön weiche Scheiße fühlte, rief er aus, das sei ja eine schmutzige Hinterlist. Till behauptete aber, es sei keine List, sondern seine Habgier; denn er sei ja gewarnt worden, seine Hand nicht zu tief in die Kanne zu stecken. Sein übriges Hab und Gut ließ Till an seine Freunde, den Stadtrat und den Pfarrer verteilen. Er zeigte ihnen aber auch, daß es in einer großen Kiste eingeschlossen war, und nach seinem Tod sollte es einen vollen Monat lang aufbewahrt werden. So lebte Till und wurde verkehrt herum begraben; denn als er mit Seilen ins Grab gelassen wurde, riß
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Die humorlose Nonna
Die Seelsorge des Pfarrers.
Auf der Lauer.
Till legt seinen Beichtvater herein und läßt ihn sich mit Scheiße besudeln.
Tills Testament.
Tills Tod und Begräbnis.
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Triumphus humanae stultitiae
Executio stamenti.
Proverb, xiii: Intelligite, parvuli, astutiam et, insipientes, animad vertite.
forte in pedes prolapsus est fune altero fracto. Atque ut in vita fuit mirabilis, sic et stuporem incussit a morte omnibus. Defluxerat iam mensis ille haeredibus p r a e s c r i p t u s arcaque mortui reclusa erat coram omnibus. Sed cum repletam lapidibus illam esse vidissent, fuere mutuis exasperati iurgiis, et singuli coepere derivare furtum in singulos.
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Atque haec quidem est catastrophe huius fabulae, qua quemque volumus admoneri, ut cautius posthac suam vitam instituât et effugiat cuniculos laqueosque decipientium, quibus hodie totus refertus orbis est. 105 Quid enim nocet caliere prava, quae fugias, contraque perspexisse, quae facias, bona?
[XLIV.] Verçilius: Heu nihil invitis fas quenquam fidere divis.
Humana sapientia est stultitia apud Deum, ut docet Paulus in Epist. I. Connth. i.
Ambagibus protractioribus quidem usi sumus, quo ostenderemus ingenium ad prava flexum nil valere ad nominis aeternitatem splendidam vel innumeris conatibus, nec posse coelum attingere citra Dei benigniorem gratiam, ut luce coelesti serenatum videat, quantum decorum a turpitudine discrepet. At iam libet verbis tribus perstringere, quod nec sagacitas nec ulla dexteritas tanta est in omni humanitate, ut absque Deo memorabile ac salubre quippiam inchoet. Fingamus a nativitate aliquem sapere et ditiore spe sibi blandirier, quid tandem erit nisi vanitas vanissima? Quid eminebit praeter unicum Deum? Nam solus ille est luminum omnium pater. Verum hoc ut evidentius oculis pateat,
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Der Triumph der menschlichen
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eins der beiden Seile, und Till kam zufällig auf die Füße zu stehen. Und so wunderlich er im Leben gewesen war, so flößte er auch noch nach seinem Tod allen Erstaunen ein. Schon war der Monat verflossen, der den Erben zu warten vorgeschrieben war, und die Kiste des Verstorbenen wurde im Beisein aller aufgeschlossen. Aber als sie sahen, daß sie mit Steinen gefüllt war, waren sie ganz aufgebracht und beschuldigten sich gegenseitig. Jeder fing an, daraus zu schließen, daß ein anderer alles gestohlen hätte. Das ist nun das Ende dieser Geschichte, mit der ich jeden ermahnen will, sein Leben in Zukunft besonnener zu gestalten und die Fallgruben und Stricke der Betrüger zu vermeiden, von denen heutzutage die ganze Welt randvoll ist. Denn was kann es schaden, über das Schlechte, das man meiden soll, Bescheid zu wissen, andererseits das Gute, das man tun soll, deutlich zu erkennen?
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Die Testamentsvollstreckung.
Buch d. Sprüche 8,5: Merkt, ihr Unverständigen, auf Klugheit, und ihr Toren, nehmet Verstand an.
XLIV. Ich habe mich recht detaillierter Ausführungen bedient, um zu zeigen, daß die zum Bösen gewandte Begabung eines Menschen zur glänzenden Unvergänglichkeit seines Namens nichts beitragen kann, nicht einmal durch zahllose Bemühungen. Auch kann kein solcher Charakter ohne die gütige Gnade Gottes in den Himmel kommen, wo er, durch himmlisches Licht beglückt, sehen könnte, wie sehr Anstand und Ehre von der Schlechtigkeit verschieden sind. Doch jetzt will ich in knappen Worten darlegen, daß weder Scharfsinn noch irgendwelche Gewandtheit bei der gesamten Menschheit so groß ist, daß sie ohne Gott etwas Denkwürdiges und Heilsames beginnen kann. Nehmen wir an, daß jemand von Geburt auf weise ist und sich mit reicher Hoffnung schmeichelt — was wird das letztlich anderes sein als eitler, leerer Schein? Was wird denn hervorstrahlen außer Gott allein? Denn nur er ist Vater allen Lichts. Aber damit dies allen ganz deutlich vor
Vergil: Ach, es vertraue doch keiner ungnädigen Göttern sein Heil an!
Menschliche Weisheit ist Torheit vor Gott, wie Paulus im 1. Korintherbrief, Kap. 1 erklärt.
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Triumphus
Iacob. i: Omne datum optimum, et omne donum perfectum desursum est, descender» a Patre
humanae
sinamus agedum quempiam, qui praepropera sit praeditus sapientia, sic proloqui:
stultitiae
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hilIÜlLUlL
[XLV.] Hypotyposis hominis omnia sibi arrogantis, distincta per septem aetates iuxta sententiam Hippocratis. Infantia.
Pueritia.
Infans creatus, mentis impos, debilis brutisque par homuncio sum quadrupes proiectus in scenam orbis admirabilem. Aetate enim prima lacerti sunt pedes, et imbecillitas iubet lapsu manuum pro pedibus uti post repostas fascias. Ast ante eas coelum impleo vagitibus. Immunda mundi defleo ludibria, nec osculis materculae demitigor, nec sopiunt agitata me cunabula, nec afficit me cantio nutriculae, oblata nec me reficiunt crepundia. Infans item tenellus atque caereus primo pusillam contero pedibus viam. Aetate sed crescente factus validior tentabo quidvis arduum modo deceat, inferior ut maioribus non sim meis neu quippiam labis meo aspergam generi neu lubricam vitam silentio exigam.
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Progressus in pueritiam quaeram paribus 20 colludere amplectarque ludiera omnia. E7v
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Der Triumph der menschlichen Torheit
Augen tritt, wohlan, so wollen wir jemanden, der nur mit voreiliger Klugheit ausgestattet ist, sich folgendermaßen äußern lassen:
Brief des Jakobus 1,17: Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts.
XLV. Der Lebenslauf eines Menschen, der sich prahlerisch alles anmaßt, eingeteilt in sieben Lebensalter gemäß der Vorstellung des Hippokrates. Als Kleinkind, der Vernunft nicht mächtig, schwach Das saugund den unverständigen Tieren gleich bin ich, ein lin8Salter ' vierbeiniges Menschlein, auf die wundersame Weltbühne geworfen worden. Denn im ersten Lebensalter sind die Arme ganz wie Beine, und wenn man aus den Windeln heraus ist, verlangt die Schwäche des Körpers, daß man auf allen Vieren herumkriecht, statt auf den Beinen zu gehen. Doch vorher erfülle ich die Luft bis zum Himmel mit meinem Quäken. Ich weine über das schmutzige Spiel, das die Welt mit mir treibt. Ich lasse mich nicht einmal von Mütterchens Küssen besänftigen; weder beruhigt mich das Schaukeln der Wiege noch berührt mich das Lied der Amme noch erheitert mich das Spielzeug, das man mir entgegenhält. Als Kleinkind, gleichermaßen zart und fügsam, betrete ich meinen zunächst unbedeutenden Weg. Aber mit wachsendem Alter kräftiger geworden, werde ich versuchen, nach all dem Schwierigen und Höheren zu greifen, das meiner Art gerade zukommt, um den Alteren nicht nachzustehen, meine Abstammung nicht mit einem Makel zu beschmutzen und das flüchtige und unsichere Leben nicht untätig zu verbringen. Zum Knabenalter herangewachsen, werde ich danach streben, mit meinesgleichen zu spielen, und
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Vertam trochum, premam flagello turbinem. Nunc par et impar lusitabo gnaviter, nunc insidebo arundini longissimae ac me provehens instar caballi adhinniam, subinde in obvium ferens has tilia. Pronusque in iram obmurmurabo aequalibus clamaboque illatam mihi esse iniuriam, quin eiulans matrem advocabo vindicem. Rursumque factus mitior dicto citius lusus relictos appetam atque transigam. Mox comminiscar alia ludendi genera, quibus meum recreare corculum queam aequalium comitatus ingenti agmine. Pisces petulcos atque aves captavero. Certabo cursu, comparabo scyrpeos calathos et insidias locabo vulpibus, ne clanculum uvas devorent sub pampinis; sicut solet quidam puer Theocriticus. Efflabo glandes aut globos minutulos per longiorem fistulam, ut tangam scopum. Et antagonisten meum prosternam humi nexu pedum vel agilítate corporis ipsumque sphaeristerio, palmariae iactu pilae astragalive missu vicero. Ea erunt progymnasmata futurae gloriae. Quippe his rudimentis puer mox proferar ad fervidam adolescentiam, me praeparans laboribus gravioribus, me destinane vitae generibus, unde honos desurgere et summa promanare possint munia. Adoiescentia.
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Nuces relinquam ephebus haud temeraitidem cavebo sordida ac servilia. [rius; Nec amabo clam parentibus et amiculis neque lancinabo bona paterna symposiis, 55 stultis negociationibus, alea amplexibus muliercularum et suaviis. Neque corpus hoc, quod ad triumphum educitur, exuero viribus suis inertia intemperantiave idem dissòlverò. 60
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mich allen Spielereien hingeben. Das Spielrad werde ich drehen, den Kreisel mit der Peitsche schlagen. Mal spiele ich eifrig ,Gerade und Ungerade', mal reite ich auf einem langen Stock und wiehere beim Galoppieren wie ein Pferd, um gleich darauf meine Speere auf den Gegner zu werfen. Zum Jähzorn geneigt, murre ich die Spielgefährten an und schreie, daß man mir Unrecht getan hat; ja, laut aufheulend rufe ich die Mutter als Beschützerin und Bestraferin an. Ganz schnell wieder besänftigt, schließe ich mich den Spielen, die ich im Stich gelassen habe, wieder an und spiele sie zu Ende. Bald erfinde ich noch andere Spiele, womit ich mein Herzchen beleben kann, begleitet vom großen Trupp meiner Kameraden. Den übermütigen Fischen und Vögeln stelle ich nach. Ich nehme an Wettläufen teil, flechte Binsenkörbchen und stelle den Füchsen Fallen, damit sie nicht heimlich unter dem Weinlaub die Trauben fressen. So macht es ja auch der Junge bei Theokrit. Eckern oder kleine Kügelchen blase ich durch ein langes Rohr, um das Ziel zu treffen. Meinen Gegner werfe ich zu Boden durch Füßchenstellen oder körperliche Behendigkeit und besiege ihn im Ballspiel, beim Wurf des Handballs und beim Würfeln. Dies werden die Vorübungen meines künftigen Ruhmes sein. Ja, durch diese Anfangsübungen werde ich, noch ein kleiner Junge, bald zur ungestümen Jugend gebracht; so bereite ich mich auf schwerere Aufgaben vor und setze mir als Ziel die Lebensweise, von wo Ehre sich erheben und die höchsten Leistungen hervorströmen können. Als besonnener junger Mann ziehe ich die Kinder- Die frühe schuhe aus; gleichfalls werde ich mich vor allem ,u8end· Schmutzigen und Niedrigen hüten. Weder werde ich mich ohne Wissen von Eltern und guten Freunden verlieben noch das väterliche Erbe durch Gelage, törichte Geschäftemacherei, Würfelspiel und die Umarmungen und Küsse der Weiber verprassen. Auch werde ich meinen Körper, der zum Triumph aufgezogen wird, nicht durch Müßiggang seiner Kraft entblößen oder durch Maßlosigkeit zerstören.
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Nec, siquid aliud extet usquam nequius nocentiusve, id unquam honestum duxero. Si forsan homini humanus error acciderit, referam pedem nec consenescam in crimine. Patiar Aristarchon meae insolentiae, 65 qui me reducat ceu benigna dextera per philosophorum dogmata ad frugem bonam. Tum me futurum somniabo rhetorem vel consulem vel Caesarem, mysten quoque et archimysten optimum ac ter maximum, 70 aut quicquid his sublimius fingi queat. E8v
Iuvenis torosus, acer atque magnanimus me adiunxero viris potentioribus, ven tute tua quibus est amica exercitatio corporis "ga^f'quoingenii agitatio ac maturitas. modo'in seBarbatus et moratus uxorem expetam 1 Iuventus.
Ecci. xxv:
nectutetua invenies?
Viriiis aetas.
,
,
.
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corpore decoro, dote neutiquam minima et, quod puto vel maximum, aequis moribus, quae sola solo gaudeat viro suo. Nam sic quietam potero vitam ducere ac partibus virilibus me accingere. Hue nitar omni hora atque totis viribus; hue Milo, Achilles, Herculesque alter iero, adeo meis honoribus non defuero.
Vir fortis, integer, sagax et eloquens me publicis accommodabo negociis. Toga virili indutus et gestu gravis sententias contra improbos ac pro bonis feram. Nec ullis me sinam corrumpier largitionibus malisque partibus. Rempublicam tractabo totam; denique in urbe commonstrabor et passim digitis. Patriae caput cingar satellitum manu cultusque et auro et ostro ero alter Iuppiter,
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Torheit
Wenn es irgendwo noch etwas Schlimmeres oder Schädlicheres gibt, werde ich es niemals für ehrenwert halten. Wenn zufällig jemandem ein ganz menschlicher Irrtum unterläuft, werde ich mich zurückhalten und nicht immerzu im Vorwurf verharren. Einen strengen Kritiker meiner Überheblichkeit ertrage ich geduldig, denn er geleitet mich wie mit freundlicher Hand durch die Lehren der Philosophen zu gutem Gedeihen. Dann, so stelle ich mir vor, werde ich Redner, Ratgeber oder Kaiser, oder auch Bischof und sogar Papst, der beste und dreimal größte, oder was man sich sonst an noch Höherem vorstellen kann. Als starker, tatkräftiger und hochherziger junger Mann schließe ich mich noch vermögenderen Männern an, denen körperliche Ertüchtigung, geistige Regsamkeit und Reife lieb sind. Im besten Mannesalter und mit gutem Charakter suche ich mir eine Gemahlin von anmutiger Gestalt, bedeutender Mitgift und — was ich sogar für das Wichtigste halte — guten Sitten, die, für mich die einzige, auch einzig an ihrem Mann Gefallen findet. Denn so werde ich ein besonnenes Leben führen und mich für meine Aufgaben als Mann rüsten können. Danach will ich zu jeder Stunde und mit allen Kräften streben; mit diesem Ziel werde ich wie ein zweiter Milo, Achilles oder Herkules einherschreiten, ebenso wenig meine Ehrenämter vernachlässigen.
Die reife Jugend. Eccl. 25, 5 (3): Hast du in deiner Jugend nicht gesammelt, wie könntest du im Alter etwas finden?
Als energischer, unbescholtener, scharfsinniger und Das Manberedter Mann werde ich mich öffentlichen Ge- nesalter Schäften widmen. In die Männertoga gekleidet und gewichtig im Auftreten werde ich meine Stimme gegen die Bösen und für die Guten abgeben. Von keinerlei Spenden und schlechten Parteien werde ich mich bestechen lassen. Das gesamte Gemeinwesen werde ich leiten, und schließlich werden die Leute überall in der Stadt auf mich hinweisen. Als Haupt des Vaterlandes wird mich die Schar meiner Gefolgsleute umgeben; mit Gold und Purpur geschmückt, werde ich wie ein zweiter Jupiter verehrt
174
Triumphus humanae stultitiae quod civibus plus caeteris prospexerim et obstrepentes vicerim sapientia. Senectus. Eccl. xxv:
mStepeHH^
Aetas
'
repita
Senex anhelus, tetricus, canus, tremulus, prudens, acutus, pervigil, polytropus Consilia regibus dabo atque civibus, quoties periclitabitur respublica aut civium privata res turbabitur. Viridis senectus nec laboris impatiens, auctoritas et nominis celebritas mei fidem canam ac piam reverentiam mihi parient, me compotem voti facient. Ero alpha et ω, prora atque puppis omnibus. Dirimere lites quaslibet facile potero. Sternam superborum oppidorum moenia hostesque captos conveham in Capitolium, et me penes erit tota regni gloria.
Ast ille ego vafri polypi mentem tenens, qui olim colorem quemlibet fingere potui, solusque qui comoedus ac tragoedus eram nulli secundus, atque vere Roscius idemque pantomimus omnium agilimus,
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115
Mercurius alter, Argus, ipse Daedalus, necnon ubique Proteo mutabilior, vix ossibus adhaerens meis nunc secubo decrepitus et silicernium capulo appositum.
De his aetatibus consule Philonem Iudaeum in libro primo de mundi fabricatione.
E9v
Der Triumph der menschlichen Torheit
175
werden, weil ich für die Bürger mehr als die anderen Fürsorge trage und sogar die Widerspenstigen durch meine Weisheit überwinde. Als Greis — ächzend, streng im Aussehen, grauhaarig, zittrig, umsichtig, scharfsinnig, wachsam und vielgewandt — werde ich Königen und Bürgern Rat geben, wann immer das Gemeinwesen gefährdet ist oder die Privatangelegenheiten der Bürger in Unruhe geraten. Mein rüstiges Greisenalter, das Mühen noch gut erträgt, mein Ansehen und die Berühmtheit meines Namens werden mir Vertrauen in mein Alter und fromme Ehrerbietung verschaffen und mich mein Lebensziel erlangen lassen. Allen werde ich Alpha und Omega, Anfang und Ende sein. Leicht werde ich jeglichen Streit beilegen können. Die Mauern stolzer Städte werde ich niederreißen und die Feinde gefangen auf das Kapitol bringen, und bei mir wird aller Ruhm des Reiches liegen.
Das Alter.
Doch ich selbst, der ich mir ganz wie der Polyp die wendige Geisteskraft bewahrt habe, der ich mich einst jeder Lage anpassen konnte und als einziger in der Komödie und Tragödie des Lebens hinter niemandem zurückblieb, wahrlich ein Roscius und der behendetste Mime von allen, ein zweiter Merkur, Argus und selbst Dädalus, dazu immer wandelbarer als Proteus — ich kann nun kaum noch meine Knochen zusammenhalten und lebe jetzt ganz zurückgezogen, altersschwach und schon mit einem Bein im Grab.
Das gebrechliche Alter.
Über diese Lebensalter ziehe Philo Judäus hinzu, in seinem ersten Buch „Über die Erschaffung der Welt".
Eccl. 25, 8 (6): Der Greise Ehrenkrone ist Erfahrung.
176
Triumphus humanae stultitìae
[XLVL] Mors ultima linea rerum.
Funesta mors mihi superest et imperat, .
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1
.
,
rupta ut mora subdar sevens legibus, nec quid iuvat vitae superba tragoedia. Credamus itaque a quopiam fieri omnia, quae sustinet mortalium vivacitas. Stupore pars aetatis exierit bona; dimidia vitae portio somno fugiet. Tum fabulis ac lusibus dabitur aliquid. Quid vero erit reliquum gerendis fortiter rebus nisi brevis et dolenda diecula? Perpendat igitur quisque iusto calculo, si vana sunt, quaecunque gesserint homines, qui aetatis omnem terminum persenserint, quod vaniora existimanda sunt, sibi quae stultuli persuaserint infantuli, pueri, adolescentes, viri, iuvenes, senes, et quos fatigat spiritus cute arida, cum singulis brevissima sit aetatula. Siquidem quotusquisque est, cui senescere natosque natorum videre contigit? Ut poma enim immatura quassa decidunt, vel rosa vermium tenellis morsibus, matura labuntur suo lassa senio, sic pusionum, sic virorum, sic senum miscerier passim videmus fuñera. Die ergo, quisquís es, triumphator ferox, quod totus iste mundus est plenus malis, superare quae nec Herculis possit labor. Die, quod nihil mortalium conatus est nisi vanita tum vanitas vanissima. I nunc et ampias animo spes occule, cum sola mors quocunque possit tempore turbare, si quid splendidi conceperis. soli Deo ^ e C / quicquid ardui egeris, dicas tuum. gloria. Verus triumphus a Deo proficiscitur.
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35
177
Der Triumph der menschlichen Torheit
XLVI. Leid voller Tod steht mir bevor und gebietet mir, Der Tod macht mich ohne Verzug seinen strengen Gesetzen zu un- |^ r e Not em terwerfen, und die stolze Tragödie des Lebens gefällt mir nicht und kann mir nicht weiterhelfen. Deshalb wollen wir glauben, daß alles, was die Stärke und Dauer des Menschenlebens erhält, auch von jemandem erschaffen wird. Ein gut Teil des Daseins vergeht ohne Besinnung; die Hälfte des Lebens entflieht im Schlaf. Dann wird noch einiges auf unnütze Geschichten und Spielereien verwandt. Doch was wird für tatkräftige Besorgungen übrig bleiben außer einer kurzen und schmerzlichen Frist? Wenn also all das umsonst ist, was die Menschen treiben, die ja jede Grenze ihrer Lebensalter spüren, dann sollte jeder mit angemessener Berechnung erwägen, daß das für noch eitler zu halten ist, wovon man fest überzeugt ist — als törichtes Kleinkind, Knabe, Jugendlicher, Mann, im reifen Alter, als Greis und dann, wenn jemanden mit vertrockneter, welker Haut schon ein Atemzug ermüdet —, da ja für jeden die Altersstufen nur sehr kurz sind. Denn wie wenige Menschen gibt es, denen ganz alt zu werden und die Kinder ihrer Kinder zu sehen überhaupt erst zuteil wird? Denn wie sogar unreife Äpfel herunterfallen, wenn man den Baum schüttelt, oder die Rose schon von den leichten Bissen der Würmer umknickt und alles Reife, durch sein eigenes Alter ermattet, niedersinkt, so sehen wir überall, wie die Begräbnisse von Knaben, Männern und Greisen gleichzeitig begangen werden. Also sag an, wer immer du bist, wildfrecher Triumphator, daß diese ganze Welt voller Übel ist, die nicht einmal ein Herkules mit seinen Arbeiten überwinden könnte. Gib zu, daß das Bemühen der Menschen nichts als leere, nichtige Eitelkeit ist. Nun geh und verbirg in deinem Herzen die großartigen Hoffnungen, da ja der Tod allein jederzeit all das Glänzende in Unordnung bringen kann, nach dem du strebst. Was auch immer du an Schwieri- „ m
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.
Gott allein
gem vollbringst, nenne es nicht deine eigene Lei- die Ehre, stung! Wahrer Triumph kommt von Gott.
4. Kommentar
ABKÜRZUNGEN: A 1525/46 = der Antwerpener Eulenspiegeldruck, Nemius' Vorlage. Zitiert nach Geeraedts (3). S 1515
= der Straßburger Eulenspiegeldruck von 1515. Zitiert nach Lindow.
ADAG.
= Erasmus, ADAGIA.
ECCL.
= ECCLESIASTICUS (JESUS SIRACH).
M
= Marginalie im TRIUMPHUS HUMAN AE STULΤΠΊΑΕ.
Ü
= deutsche Übersetzung.
Für die Namen und Werke antiker Autoren und für die Bücher der Bibel werden die allgemein gebräuchlichen Abkürzungen verwandt.
Zum Dekastichon des Apherdianus Zur Thematik
4
VANIUS.
7
CUIUS. S c . MUNDI.
8
THALIA.
vgl.
unten zu XLVI,
30.
Die Muse der Komödie. Die Nennung ihres Namens deutet an, daß Nemius die Gabe witzig-eleganter Dichtung besitzt.
179
Kommentar
Zu Nemius' Widmungsbrief [1.3
SCINDITUR ... VULGUS. ÄN. 2, 39 ( Ü Plankl, S. 29). Vgl. Hör., SERM. 1,2,24. Das Zitat auch bei Erasmus im MORIAE ENCO-
MIUM; siehe Miller (1), S. 142 Zeile 337-347 (eine für Nemius' Gedicht bedeutsame Stelle).
[2.]
MULTI ... VOLUNT. Leicht verändertes Zitat aus Cie., LAEL. 9 8 (VIRTUTE ENIM IPSA NON ΤΑΜ MULTI PRAEDITI ESSE QUAM VIDE-
RI VOLUNT); gleichzeitig Anspielung auf Sokrates, der lieber gut sein als gut scheinen wollte. Vgl. Cie., OFF. 2, 43 (im Zusammenhang mit dem Thema von falschem und wahrem Ruhm) und Tac., AGR. 7, 3; Xen., MEM. 1, 7,1 und 2, 6, 39, und KYR. 1, 6 und 2, 32. Der Gedanke erscheint schon bei Aisch., SEPT. 5 9 2 . Zu dem bei Nemius folgenden Bild des beschwerlichen Weges zur Tugend vgl. zu XLVI, 28.
[5.]
A TENERIS UNGUiCULis. Der Ausdruck bei Cie., AD FAM. vgl. Hör., CARM. 3,6,23. Siehe ADAG. 1,7,52.
[6.]
FALLIT ... UMBRA.
[8.]
DE GRADU DEjiciUNTUR.
[9.]
MENDACEM OPORTERE ESSE MEMOREM. ADAG. 2,3,74; Otto Nr. 1093.
[10.]
FORISOVES ... INTUS LUPI.
[12.]
ILLUD AUSONII.
[13.]
OPTIMUS MAXIMUSQUE.
6, 2;
Juv. 14, 109. Dieser Gemeinplatz in sehr ähnlicher Formulierung auch bei Hier., EPIST. 107, 6, 2. Der umgangssprachliche Ausdruck entstammt ursprünglich der röm. Gladiatorenschule (vgl. Otto Nr. 767). Erasmus erklärt ihn ADAG. 1, 3, 98; vgl. auch ADAG. 5,1, 43. Siehe zu XLII, 40-41. Sprichwörtlich. Vgl.
Vgl. Petron. 44, 14; Ar., RAN. 1189 (Füchse und Löwen); Otto Nr. 983. In der Bibel: MATTH. 7, 15.
Zitat aus Ausonius' TECHNOPAEGNIUM, 12, 4. (Dieses hexametrische „Geschicklichkeitsspiel" enthält alle einsilbigen Nomina des Lateinischen jeweils am Versende und am Beginn des folgenden Verses.) „Bester und größter" war der offizielle röm. Titel des kapitolinischen Jupiter. Vgl. XXIII, 30
180
Kommentar
(Gott der Juden) und XLV, 70, 94 und 109. Daß der Ehrentitel Jupiters für den Christengott verwandt wird, erklärt sich aus der moralisierenden und allegorisierenden Tradition des Spätmittelalters und der Renaissance. Vgl. beispielsweise die bei Seznec, S. 99 Anm. 72, zitierte Stelle aus einem Brief des deutschen Humanisten Mutianus Rufus (Conrad Muth). Nemius' Wendung OB FURTORUM EXCELLENTIAM spielt auf Jupiters zahlreiche heimliche Liebschaften an, von denen Ovid in den METAMORPHOSEN ausführlich berichtet. [14.] LACTANTius FIRMI ANUS. Lucius Caelius Firmianus (Lactantius), röm. Lehrer der Beredsamkeit und christlicher Apologet des 4. Jhs. Wichtig sind seine Schriften DE OPIFICIO DEI (über den Menschen als gutes Werk Gottes), DIVINAE INSTITUTIONES (Darstellung und Apologie des christlichen Glaubens, sein Hauptwerk) und DE MORTIBUS PERSECUTORUM (über den Tod der Christenverfolger). [17.]
DAT ... COLUMBAS u n d COMMITTUNT ... FATO. J u v . 2, 6 3 ( = Titel von ADAG. 3 , 5, 7 3 ) und 13, 1 0 4 - 1 0 5 ( Ü Schnur [1], S. 2 2 und 1 3 4 ) . Zum ersteren Zitat vgl. Ter., PHORM. 3 3 0 - 3 3 2 ; Aug., TRACT, IN EV. IOH. 6 , 2 . Vgl. in diesem Zusammen-
hang das deutsche Sprichwort „Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen".
[18.]
POLITROPON.
Griech. POLYTROPOS = „vielgewandt". Dieses Epitheton, das aus dem ersten Vers der ODYSSEE stammt (siehe S. 292-294), wendet Nemius dreimal auf Eulenspiegel an (I, 43; XIV, 1; XXXVIII, 3). Vgl. bei Erasmus ULISSEUM COMMENTUM (ADAG. 2, 8, 79); siehe auch zu XXVI, 38 (VERSIPELLE) und XLV, 111-112 und 117.
[19.]
PER VARIOS CASUS. ÄN. 1, 204. Der Vers geht weiter mit PER TOT DISCRIMINA RERUM, das Nemius in PER MILLE PERICULA RERUM abwandelt.
[20.]
STROPHAS MAEANDROSQUE. Das aus dem Griech. latinisierte STROPHA ist etymologisch mit -TROPOS verwandt. Vgl. auch das griech. Nomen STROPHIS („Schlaukopf'). Der Mäander
(Fluß in Ionien und Phrygien) war wegen seiner Windungen berühmt; daher die übertragene Bedeutung. Vgl. Eras-
181
Kommentar
mus' Adagium Vgl. II, 4. [23.]
MAEANDRI (ADAG.
4,10, 58); Otto Nr. 1005.
FLACCO TESTE. Die Zitate stammen aus Hör., A.P. 343 (vgl. ADAG. 1,5,60) und 333. Letzterer Vers ist bei Nemius leicht
verändert, um beide Wirkungsmöglichkeiten der Dichtkunst in Anspruch zu nehmen (ET-ET statt AUT-AUT). Zur Vorgeschichte der Thematik „ PRODESSE und DELECTARE" vgl. Pfeiffer (1), S. 207-208; zu beiden Stellen und ihrem Kontext Brink, S. 352-353. PUNCTUM ist der „Punkt", der bei der Stimmenzählung hinter dem Namen des Kandidaten in eine Wachstafel gestochen wurde. In sinngetreuer Übersetzung hieße Horazens Maxime also: „Jede Stimme trägt derjenige davon, der das Nützliche dem Angenehmen beimischt."
[24.]
MINERVA.
Die Schutzgöttin vieler Helden, darunter des Odysseus. Da auch handwerkliches Können zu ihren Obliegenheiten zählte, steht ihr Name hier metonymisch für ARS („Kunstfertigkeit"). Als Göttin der Weisheit beschützt sie Dichter, Redner und Philosophen. Siehe ADAG. 1, 1, 37 (CRASSIORE MINERVA; vgl. hierzu Otto Nr. 1119 und 1120) und vgl. ADAG. 1,1,38 (CRASSIORE MUSA).
[25.]
COLLEGIUM NASONUM.
Ovid wird wegen der geistreichen und eleganten Qualität (URBANITAS) seiner Dichtkunst als Nemius' Vorbild hingestellt. Vgl. hierzu S. 8, 14, 20, 266 und 280-284. Nach Juv. 6, 74 und 7, 175-177, wo ein Chrysogonus Kitharöde und Musiklehrer ist, steht hier der Name für arme Schulmeister und Poeten.
SUPERSTATES CHRYSOGONI.
[26.]
E REGIONE.
Gemeint ist Amsterdam.
182
Kommentar
ZumTRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE
I. 3
Die Alliteration hebt die religiöse Thematik des Verses hervor.
9-10
UBI / CORRUERINT. D.h. am Jüngsten Gericht. In CORRUERINT und ORBIS MACHINA liegt eine Anspielung auf Lukrez 5, 96 (RUET ... MACHINA MUNDI). Der Gedanke
findet sich mehrmals in der röm. Literatur, so bei Manil., ASTRON. 2, 807; Ον., MET. 1, 258; Lukan 1, 80; Stat., THEB. 7, 812 und SLLV. 2,1, 211; Apul., MUND. 30. Zum astronomischen Hintergrund (Bewegung der Planetensphären nach der frühgriech. Naturwissenschaft) siehe die Zusammenfassung bei Lloyd, S. 80-98. Mit der,, Maschine des Weltalls" war auch die Renaissance vertraut. 13
SOL ORITUR AEQUE PESSIME AC OPTiMis.
15
SUUM CUIQUE.
20
NOVERCA.
23 24 M
Daß die Natur ihre Gaben gleichermaßen an alle austeilt, ist ein seit der Antike geläufiger Gedanke; vgl. Ον., MET. 1,135; Petron. 100,1; MATTH. 5,45; ADAG. 3,1,1. Sprichwörtlich. Otto Nr. 1726.
Zur mütterlichen bzw. stiefmütterlichen Seite der Natur siehe z.B. Plin. d. Ä., NAT. HIST. 7 , 1 - 3 . Vgl. bei Erasmus ODIUM NOVERCALE (ADAG. 2, 2, 95); ADAG. 1, 8, 64; MORIAE ENCOMIUM (Miller [1], S. 94 Zeile 437 mit der Anm. S. 95 z. St.). Stiefmütter hatten schon in der Antike einen schlechten Ruf. Vgl. Herodot, 4,154, 2; Otto Nr. 1239-1241. PLERAQUE ARROGANT.
XLV.
Vgl. die Überschrift zu Abschnitt
Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund vgl. Curtius, S. 116-137 („Göttin Natura").
DOTES NATURAE.
183
Kommentar
24
D.i. eigentlich Nemesis, die Göttin der Rache (Catull 64, 395; 66, 71; 68, 77). Bei Ov. (MET. 3, 406; TR. 5, 8, 9) heißt sie wie hier einfach RHAMNUSIA. Ihr Beiname leitet sich von ihrem Heiligtum in R(h)amnus RHAMNUSIA.
her, einem kleinen Ort in Attika. Vgl. ADRASTIA NEMESIS,
RHAMNUSIA NEMESIS (ADAC. 2 , 6 , 3 8 ) . G e m e i n t ist b e i
Nemius allerdings die Glücksgöttin Fortuna, wie der Kontext der Stelle klarmacht. Nemius folgt hierin Eras-
mus, der im MORIAE ENCOMIUM die Torheit Nemesis mit
Fortuna gleichsetzen läßt; siehe hierzu Miller (1), S. 176 Zeile 861-863 und S. 177 mit der Anm. z. St.; ebenso Miller (2), S. 116 Anm. 1. Dementsprechend gibt die Übersetzung RHAMNUSIA mit „Fortuna" wieder. 26
DECORA FRONTE. A n k l a n g a n DECORA FACIES b e i H ö r . , SERM. 1, 2, 87, dort allerdings von einem Pferd gesagt.
Die Alliterationen in diesem und im folgenden Vers drücken die Anmut aus, von der die Rede ist.
28-29
FRONTO, NASO, LABIO, CAPITO. Diese Beinamen beziehen sich jeweils auf eine FAMOSA NOTA FACIEI (27): Fronte von FRONS („Stirn"); Naso von NASUS oder NASUM („Nase"); Labio von LABIUM („Lippe"); Capito von CAPUT („Kopf")· Der Beiname FRONTO („Breitstirnig")
rührt von einer eigenartigen Stirnbildung her; berühmt war der Redner und Prinzenerzieher M. Cornelius Fronto (2. Jh. n. Chr.). NASO („Großnäsig") ist das COGNOMEN Ovids. LABIO (besser: LABEO, „Dicklippig") ist der Beiname des augusteischen Juristen M. Antistius Labeo; CAPITO C,Großkopf, Dickkopf') der des Juristen C. Ateius Capito (1. Jh. n. Chr.), der zu Lebzeiten so berühmt wie Labeo war. Daneben gab es eine Reihe weniger bekannter Träger dieser Beinamen. In den Satiren des Horaz kommen ein Labeo (SERM. 1, 3, 82; ein Tollkopf, möglicherweise der Vater des Juristen) und ein Capito (SERM. 1,5) vor. Es ist nicht auszuschließen, daß Nemius mit Capito außerdem an den Straßburger Reformator Wolfgang Fabricius Capito (1478 [1472?]1541) dachte. 32
SINON. Der Grieche, der die Trojaner durch seine Lügengeschichte dazu veranlaßte, das trojanische Pferd in
184
Kommentar
ihre Stadt zu schaffen (Verg., ÄN. 2,57 ff.). Über Autolykos war Sinon mit Odysseus verwandt. 33-34
D.i. Epeos oder Epeios, der mit Hilfe der Göttin Athene das trojanische Pferd baute. Vergil nennt ihn DOLI FABRICATOR, „des Trugwerks Schöpfer" (ÄN. 2,264; Ü Plankl, S. 37).
FABER ... EPOEUS.
DONUM MINERVAE. Anspielung auf Vergils DONUM EXITIALE MINERVAE, „das todbringende Geschenk an Mi-
nerva" (ÄN. 2, 31). Das trojanische Pferd war laut Sinons Lügen als Opfergeschenk an Athene erbaut worden, um sie für den Raub des Palladion wieder mit den Griechen zu versöhnen. 34 M
HEROSTRATUS.
Er steckte im Jahre 356 v. Chr. den Tempel der Artemis (Diana) zu Ephesos in Brand, der als eines der sieben antiken Weltwunder galt. Herostratos wollte dadurch seinen Namen der Nachwelt erhalten, was ihm auch gelang.
36
INGENI VERSUTIA. Vgl. XXXV,10. In seinem Adagium POLYPI MENTEM ΟΒΤΙΝΕ (siehe unten zu XLV, 111) übersetzt Erasmus POLYTROPOS mit MORIBUS VERSATILIBUS („im Verhalten gewandt")· Der Genetiv INGENI (statt INGENII) ist die einzige N-Kontraktion im TRIUMPHUS
(metrisch bedingt) und daher der wahrscheinlichste Grund für die Lesart INGENS in den beiden folgenden Drucken des Gedichts. 37-38
Der lachende Philosoph. Über ihn und Heraklit, den weinenden Philosophen, siehe S. 317-
DEMOCRITUS. 318.
FLERET ... EFFUSISSIME. V g l . S e n . , TRANQ. AN. 1 5 , 2.
Nach
40
FOETURA LUCIS.
41
LUCE ... CLARIOR.
LK. 16, 8.
Sprichwörtlich; vgl. Otto Nr. 999.
185
Kommentar
II. 2
Zum Namen des Schalks siehe Sichtermann (1), S. 253254, und Wunderlich (1), S. 51-57, beide mit weiterführenden Literaturangaben.
6
TINGERE.
7
PERGRAECARIER. Wörtlich: „auf griech. Art leben". Zum historisch-gesellschaftlichen Hintergrund des Ausdrucks siehe Büchner, S. 89. In der röm. Komödie erscheint er bei Plaut., MOST. 22.64.960 und TRUC. 87. Vgl. ADAG. 4,1, 64 und unten zu VIII, 33. Der paragogische Infinitiv (Inf. Präs. Pass, auf -IER) wirkt archaisierend; die damit erreichte ironisch-erhabene Stilhöhe (Axelson, S. 132 Anm. 32) wird in der Apostrophe an die Göttin Lucina im folgenden Vers intensiviert. Weitere Infinitive auf -IER: VII, 21; XVI, 10.21; XVIII, 26; XXIII, 24; XXIV, 5; XXVII, 32; XXXI, 14.29; XXXIV, 71.95; XLIII, 23; XLIV, 14; XLV, 89; XLVI, 25.
8
LUCINA. Röm. Geburtsgöttin (Etymologie: „ans Licht bringend"; vgl. Vers 8 im Dekastichon des Apherdianus). Sie wurde mit Juno, der Göttin der Ehe und Geburt, assoziiert und Artemis-Diana gleichgesetzt.
9
Chiastische Alliterationen.
17
NUTRICULA.
20
MERSRR.
22
Vgl. ADAG. 1,2,37.
24
DIVUM NUMINE.
26
FOEDA FACINORA.
Siehe unten zu XLIII, 78.
Nach A 1525/46 („bidster"). In S 1515 ist es nicht die Amme, sondern die Taufpatin. Mit der religiösen Konnotation des Taufens.
Vgl. unten zu XX, 22.
Mit der Wahl des Adjektivs weist Nemius zum einen auf den Schmutz des Grabenwassers (AQUIS ... NIGRIS, 19; SORDIBUS, 20), zum anderen auf den Ausdruck FOEDISSIMOS ... MORES (I, 42-43) zurück.
186
Kommentar
III. Dieser Abschnitt und der Beginn des nächsten (siehe zu IV, 1-5) stammen aus der Kölner Ausgabe von Servais Kruffter (C ca. 1533) und aus A 1525/46, woher Nemius sie übernimmt. Der Text der Originalversionen der Geschichte vom Reiter bei Lappenberg, S. 139 und 157; vgl. dort S. 291 und 299. Siehe ebenfalls Kadlec, S. 230-234, und Geeraedts (1). 9
FUCUM SIBI FACTUM. Im übertragenen Sinn bezeichnet FUCUS roten Farbstoff und rote Schminke; daher die Be-
deutung „falscher Aufputz, Verstellung" und „Falle, Hinterlist". Vgl. Hör., SERM. 1, 2, 83. Den Ausdruck FUCUM FACERE bespricht Erasmus ADAG. 1, 5, 5 2 . Siehe auch XIX, 46. 10-11
Bei Nemius treten Indikative häufig dort auf, wo im klassischen Latein der Konjunktiv zu erwarten ist, besonders in Nebensätzen der indirekten Rede. Vgl. z.B. XXII, 34-39 (dort z. St.); XXXI, 47; XXXVI, 24; XLIII, 68; XLVI, 27 und 29.
PETIERE ... FUIT.
IV. 1-5
In A 1525/46 ist dieser Wortwitz der Beginn der ersten Zusatzhistorie. Nemius macht daraus ein gesondertes Vorkommnis zu einem anderen Zeitpunkt (RURSUS ALIAS, 1). Die Ausgaben ohne Zusatzhistorien führen Eulenspiegels Ruf, schon als Kind ein Schalk zu sein, nicht auf konkrete Streiche zurück. Die allgemeine Beschreibung des jungen Schalks zu Beginn von H 2 in S 1515 und in A 1525/46 behält Nemius bei (6-8).
8
Vgl. Vers 5-6 im Dekastichon des Apherdianus.
18
NATES ... PRAEBUIT. V g l . X I V , 2 6 .
20 M
Der Bibelspruch ist hier ironisch gemeint.
21-23
Daß man Neidern und Lügnern nicht das Maul stopfen kann, wird durch das Bild des Mehls (Metonymie für
187
Kommentar
Brot) anschaulich dargestellt. Vgl. Mart. 8, 16, 5 FARINAM = „du vertust alles"); Pers. 3,112.
(FACIS
26-27
OCCIPITE / FRONS EST PRIOR.
Die Quelle dieser sprichwörtlichen Redensart ist Cato d.Ä., RR. 4 , 1 (FRONS OCCiprno PRIOR EST; daher der Titel von ADAG. 1, 2, 19). Vgl. Otto Nr. 719. „Die Stirn des Herrn ist mehr wert als der Hinterkopf' besagt, daß alles besser ausgeführt wird, was der Herr selbst überwacht. Vgl. Otto Nr. 1275.
31
VIDETQUE TORVUM. Ein unbeholfener Ausdruck für TORVUM TUETUR o.a.; vgl. Verg., ÄN. 6, 467 und 9, 794 (nach Lukrez 5, 33). Für den gewünschten Sinn ist VIDERE
nicht das geeignete Verb.
32 M
Der Text der Vulgata hat FUGAT MATREM („die Mutter verjagt"), was Nemius hier der Situation Eulenspiegels anpaßt (FUGIT MATREM = „der Mutter entflieht").
34
DEFUGIT. Ein Detail, das auf Nemius selbst zurückgehen dürfte, da es in A 1525/46 (und in S 1515) fehlt. Nemius versäumt allerdings, Eulenspiegels Rückkehr zur Mutter (vgl. VI, 1) ausdrücklich zu nennen. Vgl. unten zu 41.
38
REM PALMARIAM. Anspielung auf PALMARIUM FACINUS (ADAG. 4, 9, 5 5 ) . Der Ausdruck geht auf Ter., EUN. 9 3 0 , zurück. Vgl. PALMAM FERRE (ADAG. 1 , 3 , 4 ) .
40-41
EXTENTO ... FUNE. Der Ausdruck geht über Erasmus (ADAG. 2 , 5, 3 : IRE PER EXTENTUM FUNEM) a u f H ö r . , EPIST.
2,1, 210, zurück und ist sprichwörtlich für ein gefährliches Unternehmen. Vgl. Otto Nr. 741. Im genannten Adagium bemerkt Erasmus dazu: „Den Alten war dies ein Riesenwunder. Heutzutage gibt es nichts Gewöhnlicheres." 41
In S 1515 hatte Eulenspiegels Mutter das Seil zerschnitten; in A 1525/46 tun es „scalcken". Nemius macht daraus den Singular und übersetzt den Ausdruck mit NEBULO. Abgesehen von dieser Stelle verwendet Ne-
188
Kommentar
mius den Ausdruck ausschließlich zur Beschreibung Eulenspiegels. Dieser fällt hier also selbst einem Schalk zum Opfer — er ist im doppelten Sinne der „Hereingefallene" (Sichtermann [1], S. 258). 50
INVITÂT EFFINGITQUE.
Hysteron proteron.
V. 3-4
DEXTERUM ... CALCEUM.
So auch in A1525/46. In S 1515 läßt Eulenspiegel sich die linken Schuhe geben.
9
IN CAPILLOS INVOLATE.
Nach Ter., EUN. 859-860.
VI. Eulenspiegel ist wieder bei der Mutter. H 5 ist hier in Vers 4-5 nur kurz angedeutet. Den Ernst der Lage heben die Alliterationen hervor. 6
suo... HERO. Dieser Herr ist Eulenspiegels eigene Erfindung.
7
NOVEM DENARIORUM.
9
MERSUM LUTO. Die Szene stellen A 1525/46 und S 1515 detaillierter und anschaulicher dar.
10 M
Der griech. Ausdruck ANTIPELARGESIS bezeichnet die Kindesliebe als Erwiderung (ANTI-) der Elternliebe und stammt vom Verhalten des Storches (PELARGOS). Vgl. Horapollon, HIEROGLYPHICA 1, 5 5 und 2 , 5 8 ; Alciati (1), Emblem V; Henkel und Schöne, Sp. 8 2 7 - 8 2 8 ; ADAG. 1, 10, 1, wo mehrere Quellen mit Beispielen des Verhaltens der Störche und Parallelstellen aus dem menschlichen Bereich aufgeführt werden. Der im Adagium recht ausführlich dargelegte PIETAS-Begriff sowie der am Ende zitierte Vers aus Menander („Ehre deine Eltern, und ein langes Leben ist dein"; SENTENTIAE 3 6 5 )
Nach A 1525/46: „.xviij. stuver" (= Stüber). In S1515 sind es zehn Schilling.
189
Kommentar
dürften Erasmus und auch Nemius an das mosaische vierte Gebot erinnert haben (EXOD. 20,12). VII. 1M
Das niederländische „kermis" klingt in mit an.
7
MAIORA ... SECULO. Ein Gemeinplatz, der auf Homer zurückgeht (IL. 1, 260-272; 5, 302-304; 12, 381-383 und 447-449; 20, 285-287): In früheren Zeiten waren die Männer gewöhnlich stärker als heute. Hier ironisch in der Übertragung eines episch-heroischen Vergleichs auf eine possenhafte Situation.
8
NOCTE CONCUBIA.
CHARMOSYNE
D.h. zur Zeit des ersten tiefen Schlafs.
In A 1525/46 schließt sich die Nacherzählung von H 10 unmittelbar (und ohne eigenen Titel) an. Nemius übergeht die Historie deshalb, weil sich ihre Pointe im Lateinischen nicht nachvollziehen läßt. VIII. 1
SACRIFICULI.
unten zu 33.
Der Deminutiv ist leicht ironisierend; vgl.
Das Verb ASS ARE ist im klassischen Latein nicht belegt. Es stammt aus der Vulgata und aus Apuleius.
12
ASSATUM.
21
HEMC ILLAE LACHRYMAE.
Berühmtes geflügeltes Wort
a u s T e r . , AND. 1 2 6 ; v o n C i e . , GAEL. 61, u n d H ö r . , EPIST. 1,
19, 41, wiederholt; bei Juv. 1, 168 abgewandelt. Vgl.
ADAG. 1 , 3 , 6 8 . 24-29
Alliterationen.
28
METUEBAM, NE. Im klassischen Latein hätte es BAM, UT (oder NE NON) heißen müssen.
METUE-
190
Kommentar
33
Ironischer Deminutiv von den „Griechlein", die sich in vornehmen röm. Häusern als Schmarotzer eingenistet haben. (Vgl. oben zu II, 7.) Zur Überfremdung des antiken Roms durch die Griechen siehe Juv. 3, 58-125. Nemius deutet hier an, daß der Herr Pfarrer um nichts besser ist als Eulenspiegel. Der antiklerikale Seitenhieb wird durch das Homoioteleuton in der Verbindung der beiden Deminutive GRAECULUS SACRIFICULUS verstärkt. Axelson, S. 40: „Der Satire und verwandten Gattungen sind die Deminutiva geläufig"; im klassischen Latein waren sie „vor allem in der Volkssprache zuhause" (ebd., S. 38) und wurden deshalb im Mittel- und Neulatein beliebt. Vgl. zu XLIII, 59-69.
34 M
Ein Fall von LA SERVA PADRONA! Vgl.
GRAECULUS.
MULIER IMPERATOR,
& MULIER MILES (ADAG. 2 , 5 , 81). 36
COLUMEN DOMUS. V g l . ADAG. 1, 3 , 4 2 (COLUMEN FAMILIAE).
39
ARDELio. Aus dem Griech.: ein Schlemmer und Müßiggänger, der sich geschäftig gibt (Phaedr. 2, 5,1; Mart. 2, 7, 8 und 4, 78,10).
41
NE QUID NIMIS.
46
„Allzuviel ist ungesund"; vgl. ADAG. 1, 6, 96. Die ursprünglich griech. Lebensregel wird u.a. Solon zugeschrieben, war aber auch als Inschrift am delphischen Apollontempel zu lesen. In die röm. Literatur ging sie durch Ter., HEAUT 5 1 9 und ANDR. 6 1 , ein. SANNIO.
251.
„Hanswurst"; beschrieben bei Cie.,
47
CONCUMBERE.
48
viNEis ARH^BUSQUE. ViNEA
DE OR.
2,
Vgl. IX, 11-12 und Abschnitt XXIV. Der Subjektsakkusativ ME ist zum Infinitiv zu ergänzen. (von viNUM abgeleitet) war in der Antike das wie eine Weinlaube gebaute Schutzdach, mit dem sich die Bestürmer einer Stadt gegen die Geschosse der Verteidiger deckten. Der ARIES („Widder") war ein Sturmbock, mit dem man eine Bresche in
191
Kommentar
die Mauer der belagerten Stadt stieß. Die beiden militärischen Fachausdrücke veranschaulichen Marthas Verteidigungsmaßnahmen gegen Eulenspiegel und ihre „Gegenangriffe", d.h. die Beschwerden bei ihrem Herrn. Die militärische Ausdrucksweise kehrt unten IX, 21 (VEXILLUM) wieder.
48-49
Wortspiel:
51
LYCHNUCHO.
55
IOVI. Ein leicht antiklerikaler Scherz liegt in Eulenspiegels Gebrauch des Namens „Jupiter" (statt DEUS; vgl. XXX, 36 und XXXI, 92). Des Pfarrers recht milder Fluch in 58 (EDEPOL = „beim Pollux"; häufig in der röm. Komödie) setzt diesen fort. Zum Nachleben der antiken Mythologie im Mittelalter und in der Renaissance siehe Seznec, besonders S. 84-121. Vgl. auch Kristeller, S. 7091 („Paganism and Christianity")· Die Vermischung christlicher und heidnischer Terminologie wird von Erasmus verurteilt und lächerlich gemacht.
58-59
IN MEI TEMPLI MEDIO / CACARE. CACARE (ADAG. 4 , 2 , 65).
63
GRAVEM.
D.h. voll.
71
ANCILLA.
Gemeint ist Martha.
73
HOC. Bezogen auf den Streich, den Eulenspiegel ihr mit den Hühnchen gespielt hatte.
VICTUS ... CONVICTO.
Aus dem Griech. („Lampenträger, Leuchter")· Nemius bezieht den Ausdruck fälschlich auf einen Menschen.
Vgl.
IN PYTHII TEMPLO
IX. 5-7
Die drei Marien am Grabe sind die Mutter Jesu, Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus (MATTH. 28, 1; MK. 16, 1; LK. 24, 10; JOH. 20, 1-18); vgl. Sichtermann (1), S. 272, und Lindow, S. 40 Anm. 7.
192
Kommentar
9
QUEM QUAERITIS? Die Frage ist Bestandteil der Osterspiele (Introitus-Tropos der VISITATIO SEPULCHRI); hierzu grundlegende Ausführungen bei Young, Bd. 1, S. 201-410 und 568-683.
10
PERDOCTAE.
12
DIFFUTUTAM. Hier und XXIV, 27 finden sich die einzigen sprachlich obszönen Stellen im Gedicht. Im Druck von 1563 ist DIFFUTUTAM ZU DESTITUTAM („verführt") abgemildert, ein Euphemismus für PROSTITUTAM. Nach Axelson, S. 35, ist FUTUERE ein „dem satirisch-epigrammatischen Ton eignender Ausdruck". Das Kompositum bei Catull 29,13.
17
TANGERET ... SCOPUM. Formulierung nach dem Adagium SCOPUM ATTINGERE (ADAG. 1, 10, 30). Vgl. XXII, 8 und XLV, 41.
21
VEXILLUM.
Die feminine Endung paßt zu den als Marien verkleideten Bauern.
Die Fahne Jesu (vgl. DOMINICUM) deutet den Sieg über den Tod an (vgl. den Karfreitagshymnus VEXILLA REGIS PRODEUNT) und ist ein häufiger Bestandteil der Auferstehungsikonographie. Der Holzschnitt zur Historie in S 1515 zeigt die zu Boden gefallene Fahne.
X. 11-12
Ein lat. Text, der von einem fliegenden Menschen handelt, darf die berühmte Geschichte von Dädalus und Ikarus (Ον., MET. 8, 183-235) nicht unerwähnt lassen. Das Ikarische Meer, d.h. die Ägäis längs der Westküste Kleinasiens, soll nach Ikarus benannt worden sein.
13
SYNCRUSIO.
19
SERMO CAEDITUR.
ICARUS.
Wörtlich „feindselig" (griech.). Nemius hat den Ausdruck aus Erasmus' Adagium Risus SYNCRUSIUS (ADAG. 2,6,39) übernommen. Ein Gräzismus; vgl. Ter., HEAUT.
242.
Kommentar
193
XI. 5
21
MORIONES. Aus dem Griech. Plin. d.J., EPIST. 9 , 17, 1-2, beschreibt sie beim Gelage. Mart. 8, 13 und 14, 210 schildert sie als schlaue Narren, während Aug., EPIST. 166,17, ihre Dummheit herausstellt. MORBUS ... SONTICUS.
D.h. die Fallsucht (Epilepsie); vgl.
SONTICA CAUSA (ADAG. 4 , 1 0 , 3 7 ) .
23
MACHAONA. Machaon war der Sohn des Heilgottes Asklepios (Aesculapius) und ein berühmter Arzt der Griechen vor Troja. Laut Vergil (ÄN. 2,263) u.a. war er einer der im trojanischen Pferd versteckten Helden.
25 M
Vgl. zu diesem Bibelspruch
NEC UNO DIGNUS (ADAG. 1,
8,13). 47
CLINICUS. Eine bezeichnende Wortwahl: bei Mart. 1, 30 ist der CLINICUS zugleich Arzt am Krankenbett und Leichenbestatter. STRAGULUM („Lagerdecke", unten 4 9 )
kann auch „Totendecke" bedeuten (so bei Petron. 42, 6; vgl. dort 78, 1). Mit solchen doppeldeutigen Wortspielen macht Nemius seiner gebildeten Leserschaft klar, daß Eulenspiegel sein Opfer fast zu Tode quält. 51 M 55
DIST. CAT.
385.
2,18, 2. Der Gedanke bereits bei Aisch., PROM.
GAVISUS IN SINU. Nemius entnimmt diese Redewendung aus ADAG. 1 , 3 , 1 3 ; vgl. Otto Nr. 1 6 5 5 . Erasmus
verweist auf Homer, OD. 22, 411, wo Odysseus anläßlich der Bestrafung der Freier vergleichbare Worte zu seiner Amme spricht.
XII. 2
DURIORIS ALVI.
6
OVUM.
Er leidet an Verstopfung.
Dieses Detail ist Nemius' eigene Erfindung (nicht in A 1525/46 enthalten). Den Witz verstärken
194
Kommentar
das Homoioteleuton und die Alliteration. Der Ausdruck INCUBANTEM in 8 setzt das Bild fort. 10
Die ägyptische Hieroglyphenschrift galt in der röm. Antike als Geheimschrift, die nur noch von wenigen Eingeweihten (Priestern) gelesen werden konnte. Es liegt nahe, daß Nemius in diesem Zusammenhang an die HIEROGLYPHICA des Horapollon dachte. Dieser Autor (wohl 5. Jh. n. Chr.) verfaßte in koptischer Sprache eine Darstellung von in altägyptischen Hieroglyphen enthaltenen Allegorien, die ein sonst unbekannter Philippos danach ins Griech. übersetzte. Diese Fassung des Horapollon wurde erstmalig 1505 gedruckt. Das Werk des Horapollon war für die allegorische und emblematische Tradition der Renaissance sehr bedeutsam. Vgl. Giehlow; Boas, S. 1554. Dadurch, daß Nemius Eulenspiegel sich hier auf Hieroglyphen berufen läßt, umgibt er ihn mit einer magischen Aura. Gerade mit diesem Detail belebt Nemius die sonst sehr geraffte Historie. (In A 1525/46 ist nur von Tills „meesterien" die Rede.) Zusätzlich wird angedeutet, daß Eulenspiegel seine exotische „Zauberkunst" der Frau nicht erklären kann, da diese sie nie verstehen würde. Somit ist er ihr auch keine weitere Rechenschaft schuldig. Ohnehin dürfte er ihr eine derartige Geheimkunst nicht verraten, wie er es schon in S 1515 nicht getan hatte (hierzu Sichtermann [1], S. 294). Die auf nur elf Verse zusammengedrängte Geschichte gewinnt trotz (oder wegen) ihres Inhalts einen besonderen Reiz durch Nemius' sorgfältige Gestaltung. Eulenspiegels „Heilkraft" tritt auch in der nächsten Episode in Erscheinung. ARTEM HIEROGLYPHICAM.
XIII. 7
EXUSTIONEM. Das Vorbild dafür ist wohl 2 MOSES, 32, 20 (Sichtermann [1], S. 232 Anm. 2), doch dürfte es sich auch um ein Sagen- und Märchenmotiv handeln.
13
CAPUT.
Emphatische Synekdoche.
195
Kommentar
XIV. 3M
Erklärung des griech. Wortes für „Bäcker" in Vers 3.
5-6
Etymologische Wortspiele mit der Wurzel LU-.
10
PHOEBE. Beiname der Diana-Artemis, die mit dem Mond identifiziert wurde.
16-17
EXI ... IN REM MALAM.
20
Auch XXXI, 76. Ursprünglich der Halsblock, in den eingeschlossen die zur Kreuzigung Verurteilten am Pfahl heraufgezogen wurden. Der Block bildete dann die Querstange des Kreuzes. Zu „Galgenfutter" vgl. Hör., EPIST. 1,16, 48, und Petron. 58, 2. Siehe auch Otto Nr. 447 (s.v. CORVUS).
22
E VESTIGIO. Eine bekannte Redewendung (auch XXXV, 55), die Erasmus, ADAG. 4,6, 22, kurz behandelt.
22-23
AD IUDICEM ... FURTUM.
24
OCULOS TYLUS DISTENDIT.
Die Verwünschung „scher dich zum Henker" (ABI IN MALAM REM oder IN MALAM CRUCEM) erscheint in der röm. Komödie sehr häufig. Vgl. unten XXIX, 27 und XXXI, 69. Zum Ausdruck siehe Lappenberg, S. 240; Lindow, S. 61 Anm. 8; Sichtermann (1), S. 172 Anm. 3; und H 11 (64, 1. Teil) mit Sichtermann (1), S. 49 Anm. 4. Nemius setzt CRUX für „Galgen". PATLBULI.
Das Bestehlen des Galgens war strafbar (Sichtermann [1], S. 173 Anm. 4). Mit IUDEX ist der Bürgermeister gemeint („borge meester" in A 1525/46). Hierzu wird Till durch des Bäckers Drohung VIDEBIS (22) herausgefordert. In A 1525/46 (und S 1515) ist diese Schlußszene der Historie mit Rede und Gegenrede ausführlicher und effektvoller dargestellt. Eulenspiegels letzte Beleidigung (2627), die in S 1515 fehlt, übernimmt Nemius aus der Antwerpener Ausgabe. Mit OSTENTAT ANUM (26) vgl. oben IV, 19.
196
Kommentar
XV. 2
SATRAPAE. In A 1525/46 als Graf („vorste") von Anhalt identifiziert.
4
Der Vers unterstreicht (in QUIN) den Reichtum des Fürsten (DITIS SATRAPAE, 2); noch betonter in A 1525/46.
11
IEIUNUS ... NON CANO.
Ursprünglich griech. Sprichwort
(Otto, S. XLIII). 32
CUR. Ein ungeschickter relativischer Anschluß, aus metrischen Gründen gesetzt; ebenso XIX, 43; XXVI, 26; XXXV, 50; XLIII, 56. Grammatisch besser ist QUARE o.ä.
38
FAMELICUS.
39
Zu den Kriegstaten des Herakles gehörten Feldzüge gegen verschiedene Königreiche, darunter Troja und Sparta. Der hyperbolische Vergleich macht Eulenspiegel hier zum großen Maulhelden nach dem Vorbild des plautinischen MILES GLORIOSUS. Der Vergleich erhält einen zusätzlichen Reiz durch den Kontext des Essens: Auf Herakles' sprichwörtliche Gefräßigkeit spielt die antike Komödie mehrmals an (z.B. Plaut., CURC. 358 und STICH. 223). Die Gestalt des Herakles als mächtiger Esser und Trinker geht auf den archaischen griech. Dichter Stesichoros zurück. Vgl. zu XLV, 83 und XLVI, 28.
43
EXEGIT... PERPESSUS EST.
„Hungerleider"; von Nemius aus der röm. Komödie übernommen (Plaut., STICH. 575; Ter., EUN. 260). Siehe auch NON INTERPELLANDUS FAMELICUS (ADAG. 3,8,12).
HERCULEM.
Ein Hysteron proteron.
XVI. 2
Griech.; der Sänger, der sich auf der Kithara begleitet. Da Kitharöden oft Königen zur Unterhaltung dienten, paßt der klassische Ausdruck gut auf einen Hofnarren. In A 1525/46 heißt er „speelman".
CITHAROEDON.
197
Kommentar
7-9
VOLUNT ... VALENT.
30-31.
Eine ähnliche Paronomasie XIX,
18 M
Das Zitat (Juv. 14, 204-205; Ü Schnur [1], S. 147) spielt auf die bekannte Anekdote an, in der Kaiser Vespasian seinen Sohn Titus fragt, ob das auf Bedürfnisanstalten erhobene Steuergeld schlecht rieche (Suet., VESP. 2 3 ) . Vgl. ADAG. 3 , 7, 1 3 und die deutsche Redensart „Geld stinkt nicht".
19
AD CACANDUM.
23
VESTES AUREAS.
24
CONGIARII.
Ausführlicher in A 1525/46 (nach S 1515): Der Narr des Königs soll die restliche Hälfte von Eulenspiegels Exkrementen und die Hälfte seiner eigenen essen. Vgl. unten 21-22. Vgl. XXIV, 6-7.
Das CONGIARIUM faßt ein Maß
(CONGIUS).
XVII. Zur Rechtslage, die der Historie zugrundeliegt, siehe Lappenberg, S. 243, und Sichtermann (1), S. 284-285. 6
DELITESCERE; 10 INSIDERET. Im Anschluß an A 1525/ 1546, wo Eulenspiegel im Bauch des Pferdes sitzt. In S 1515 steht er aufrecht darin; vgl. dort auch Titel und Abbildung der Historie.
XVIII. 4
APELLEMQUE. Apelles, Zeitgenosse Alexanders d. Gr., galt zwei Jahrtausenden als größter aller Maler. Erhalten ist von ihm nichts.
21
PYRGUM.
In der Antike war der PYRGUS ein kleiner hölzerner Becher oder ein Turm an der Seite des Spielbretts. Er war innen hohl und besaß Stufen, über welche man die Würfel auf das Spielbrett warf.
198
Kommentar
26
INTUERIER; 29 APPELLARIER. Wie II, 7 verstärken auch hier die Endungen der Infinitive die ironisch-erhabene Stilhöhe — entsprechend der Tatsache, daß Eulenspiegels Opfer ein Adliger ist.
27
NISI.
28
IN ARCTUM ... COPIAE.
36
INSOLENS. Das Adjektiv hat die Nebenbedeutung „unverschämt, frech"; vgl. auch die doppelte Bedeutung von ARRIDERET (38): „anlachen" (d.h. „gefallen") und „spöttisch belächeln". Hierin liegt ein Hinweis darauf, daß der Landgraf sich durch die „Bilder" hat hereinlegen lassen.
42
Der schnelle Rhythmus des Verses hebt die Eile und die brennende Neugier der Frau hervor.
45
VULGOQUE CONCEPTAS.
Hier und 45 findet sich ein logischer Fehler in Nemius' Darstellung von Eulenspiegels List. Im ersteren Vers steht eine Verneinung zuviel — nämlich NISI (statt SÌ), das wohl durch NEMO im voraufgehenden Vers bedingt ist) —, im letzteren fehlt sie. Statt TANTUM (durch Elision einsilbig) ist in 45 besser NIL ZU verstehen. Nach Ter., HEAUT. 6 6 9 ; vgl. ADAG. 1,1,17. Die Metapher stammt aus dem Militärbereich.
D.h. unehelich empfangen. Vgl.
oben zu 27. 51
S ALIBUS. SAL
(„Salz") wird oft bildlich gebraucht: „feiner, aber scharfer Witz" (z.B. Hör., SERM. 1, 10, 3-4; EPIST. 2,2, 60; A.P. 271) oder „Verstand, Klugheit" (Ter., EUN. 400). Siehe XXX, 20 (SALESQUE MORDACISSIMOS) und XXXV, 8 (NIGROS ... SALES).
52
OECONOMO.
Griech.: „Wirtschafter, Verwalter".
XIX. 1M
Die Universität Prag, gegründet 1348, war die erste deutsche Hochschule. Zur Historie siehe Sichtermann (1), S. 286-287.
199
Kommentar
2-3
DISPUTATOREM ... QUOSLIBET. Anspielung auf die DISPUTATIONES QUODLIBETICAE an den Universitäten. Vgl. Erasmus, MORIAE ENCOMIUM, bei Miller [1], S. 154 Zeile
465, und die Anm. S. 155 z. St. 7
CUBITOS. Wörtlich „Ellbogen", daher dann wie im Deutschen „Elle" als Längenmaß. In A 1525/46 steht gemäß S 1515 „aem", ein altes Flüssigkeitsmaß (130160 Liter; Lindow, S. 84 Anm. 19), das der Situation besser entspricht.
9
AEOLO. Aeolus ist der Gott der Winde und ein Sohn des Meergottes Poseidon-Neptun.
11
SIET.
25
ATTOLLIT ... INGENIUM.
Zweisilbig zu skandierende archaische Nebenform des Konjunktivs SIT; so auch unten 34.
Ein von Nemius hinzugefügtes Detail: In A 1525/46 steht nichts von einer derartigen Reaktion des Rektors. In S 1515 stellt er seine nächste Frage „gantz im Zorn". Der Vers dient Nemius außerdem zur Vorbereitung der nächsten beiden Fragen; vgl. CAELITES (26), CAELUM (31.34.36.41) und STELLAS ... SYDERA (40).
27
DISTARE. Gemeint ist der Abstand von Himmel und Erde (vgl. 3 1 - 3 7 ) . Schon in den VÖGELN des Aristophanes machte sich der alberne Astronom und Geometer Meton anheischig, den Luftraum auszumessen, und wurde mit Ohrfeigen verjagt.
28
CANENTEM.
31
VOLET.
46.
Nach A 1525/46 („sachtelic singt").
Wortspiel (Paronomasie) mit
32
OCCINENTEM.
36
PASSUUM.
46
FUCUM ... CONFICI. V g l . ZU III, 9.
pen".
VELIT
(30); vgl. zu
In A 1525/46 heißt es nunmehr „roe-
Der PASSUS (Doppelschritt) betrug 1,5 m.
200
Kommentar AVOLAT. Wortspiel (wörtlich „wegfliegen"), ein Rückverweis auf VOLET (31).
47
Ironisch gemeint, wie das Zahlwort Nebensinn von SOPHISTA ist „Prahler, Aufschneider, Redekünstler". TOT SOPHISTARUM. TOT andeutet. Der
XX. IM
Der Hierophant (wörtlich: „Vorzeiger heiliger Dinge") war der Oberpriester der antiken Mysterienkulte und führte in den geheimen Gottesdienst ein (vgl. unten zu 48). Nemius' Wortwahl paßt also gut auf Eulenspiegel, der seine Zuhörer in die geheimnisvollen „Lehren" des Totenkopfes einzuweisen vorgibt und ihnen den Schädel als Reliquie zeigt. Vgl. Lindow, S. 93 Anm. 5.
3
EXENTERATO. Wörtlich „ausgenommen, ausgeweidet", mit Anspielung auf Plaut., EPID. 1 8 5 (EXENTEREM MARSUPPIUM) u n d 5 1 1 (EXENTERAVIT ... MARSUPPIUM).
Nach Verg.,
EKL.
7,17;
ÄN.
1,16.
II
POSTHABENTES.
21-33
Parallelen zu Eulenspiegels Predigt, besonders zu seiner Warnung an die Ehebrecher der Gemeinde, bei Kadlec, S. 36-37, und im Anschluß an Geoffrey Chaucers Ablaßprediger (PARDONER) in den CANTERBURY TALES, VI, (C) 377-388, bei Sedgwick (Hinweis auf den Pfaffen Amis), Weatherley (mit einer neulateinischen Parallele) und Whiting (mit ausdrücklichem Verweis auf Till, doch ohne Kenntnis von Nemius' Gedicht).
22
ANNUIT; 24 NUMEN. Die angeblich heilige Natur des Totenkopfes kommt effektvoll in diesem religiösen Vokabular zur Geltung. NUMEN ist der durch das Neigen des Hauptes ausgedrückte Götterwille (vgl. NUTU XXIII, 30), daher = „göttliche Macht, Gottheit". Vgl. NUTU ATQUE RENUTU (ADAG. 4, 9, 39). Einem etwaigen Zweifel an der Echtheit der „Reliquie" und der Autorität des Schädels wird somit schon zu Anfang linguistisch vorgebeugt.
201
Kommentar
23
QUIDDAM SALUTARE. Die „Heilsbotschaft" (EVANGELIUM) des Totenkopfes. SALUTARIS ist nach Lact., Div. INST. 4 , 12, 6, und Isidor von Sevilla, ETYM. 7, 2, 7, der lat. Bei-
name Jesu, ganz wie zuvor in der heidnischen Antike der des Jupiter (Cie., DE FIN. 3,66).
25
STETERUNT ... ADHAESIT. Leicht verändertes Vergilzitat (ÄN. 2, 774 und 3,48; vgl. 4, 280 und 12, 868).
27
SUFFRAGIIS. „Abstimmung, Stimme"; daher auch die Bedeutung „Verlangen, Bitten", hier im religiösen Sinne (SACRIS). Die Alliterationen in diesem und besonders im folgenden Vers lassen Eulenspiegels Worte ironisch-erhaben wirken.
34
HAEC. 37.
36
CATERVATIM ... CERTATIM. Die Alliterationen und das Homoioteleuton (in CERTATIM allerdings elidiert) stellen
Sc. LOCUTUS, nach dem Vorbild von Verg., ÄN. 1,
die Hektik des allgemeinen Stürzens (RUUNT) heraus.
37
IGNOTO DEO. Anspielung auf den heidnischen Altar des Areopagos in Athen, der diese Inschrift auf Griech. trug (APG. 17,23).
41-44
Alliterationen und Assonanzen.
47
Der röm. FLAMEN war ursprünglich Priester eines einzelnen Gottes. Die FLAMINES des Jupiter, Mars und Quirinus standen im Rang noch vor dem PONTI FEX MAXIMUS. Mit SUMMUS FLAMEN meint Nemius natürlich den Papst, der gewöhnlich im Lateinischen als PONTIFEX MAXIMUS bezeichnet wird. Die hier gegebene Variante verstärkt ironisch die Bedeutung und Wirkung von Eulenspiegels Bannfluch.
48
MYSTES. Griech.: „der Eingeweihte" oder „Einweihende", d.i. der Priester bei geheimen Gottesdiensten, der Myste.
SUMMI FLAMINIS.
202
Kommentar
XXI. I
SCURRAM. Vgl. ADAG. 2, 3,11; Otto Nr. 1614. Der Ausdruck paßt gut zum Inhalt der Geschichte (siehe besonders 2-3). Die kurze Episode gewinnt durch Anapher (6-8) und Alliterationen (5.7.12-15 und besonders 18).
II
PRANDENDO SUDANDOQUE. Hendiadyoin. Aus metrischen Gründen steht COMMERUERAT im Indikativ statt im CONIUNCTIVUS SUBIECTIVUS, der Tills Standpunkt in
dieser Sache ausdrücken würde.
13-16
Die „Beweisführung" Eulenspiegels aus A 1525/46 gibt Nemius nur summarisch wieder. Das doppelsinnige lat. PRO (13) entspricht dem „om" seiner Vorlage und dem deutschen „um". Daher gibt die Wirtin auch innerlich die Berechtigung von Eulenspiegels Forderung zu (17-18).
XXII. 8
PAPE. Von griech. PAPAI, einem Ausruf der Verwunderung, der auch mehrmals bei Plautus und Terenz und einmal bei Persius (5, 79) erscheint. Hier zusätzlich Wortspiel mit PAPA.
Vgl. IX, 17 und XLV, 41. Aus dem Griech.; scopus ist das Ziel, nach dem man schießt. Vgl. NULLO SCO-
SCOPO.
PO IACULARI (ADAG. 3 , 5 , 4 5 ) .
22
Nach der Vogelschau (AUSPICIUM), die die Auguren im alten Rom abhielten. Hier bezeichnet das Wort einfach eine Sakralhandlung (SACRUM).
25
A SACRO. Der allgemeine Ausdruck („Priester") bezieht sich nach A 1525/46 speziell auf einen Kardinal. So gibt ihn auch die Übersetzung wieder.
34-39
Teilweise ungrammatischer, doch verständlicher Satzbau. Nebensätze in indirekter Rede stehen im klassischen Latein im Konjunktiv.
AUSPICANTE.
Kommentar
203
XXIII. In dieser Satire auf Religionswahn und Aberglauben hat Nemius die Erzählstrategie der Historie gegenüber A 1 5 2 5 / 4 6 (und S 1515) leicht verändert: Während dort dem Leser zu Beginn der Erzählung die Herkunft von Eulenspiegels Ware mitgeteilt wird, zögert Nemius diese Enthüllung wirkungsvoll bis zum Ende heraus (42 ff.). Allerdings gibt die Marginalie am Anfang die Pointe gleich preis. Verspottung der Quacksalberei findet sich mehrmals in der röm. Satire; vgl. z.B. bei Horaz den UNGUENTARIUS (SERM. 2 , 3, 2 2 8 ) und die PHARMACOPOLAE (SERM. 1, 2 , 1 ; dazu Gell. 1 , 1 5 , 9 ) und bei Juv. 6, 5 1 1 - 5 9 1 die Tirade gegen die abergläubischen Römerinnen der Kaiserzeit. 7 M
Das Zitat stammt aus EPIST. 2 , 2 , 1 1 , wo allerdings der Sinnzusammenhang gegenteilig ist (siehe dort Vers 10). Vgl. Otto, S. 220 Anm. 3.
11
EX TRIPODE.
Vom Dreifuß herab weissagt die Pythia, die Priesterin des Apollon am delphischen Orakel. Vgl.
ADAG. 1 , 7 , 9 0 .
12
An der Sagra (Sagras) in Süditalien siegten die Lokrer im Jahre 548 v. Chr. angeblich mit Hilfe der Dioskuren Kastor und Pollux über die zahlenmäßig weit überlegenen Truppen von Kroton. Daher stammte das Sprichwort „So wahr wie die Schlacht an der Sagra" zur Beteuerung eines unwahrscheinlichen Sachverhalts. Vgl. ADAG. 1,9,23; Otto Nr. 1567.
13
SIBYLLARUM FOLIA.
14
AUDIENTES ET STUPENTES.
20
RUMPENDAS MORAS.
APUD SAGRAM.
Der Sage nach kaufte Tarquinius Superbus, der letzte röm. König, der kumäischen Sibylle drei Bücher ab, die heiliggehalten und in Krisenzeiten auf Senatsbeschluß befragt wurden. In den ursprünglich neun Büchern standen die Orakel der Sibylle, die in Rätselform zuerst auf Blättern niedergeschrieben waren. Vgl. ADAG. 1,7,91; Otto Nr. 1641. Homoioteleuton.
Wortspielerei, in der auf MORA („Verzögerung, Aufschub"), MORUM („Beere"; vgl. den
204
Kommentar
Plural MORA in Vers 7) und MORUS („Tor") angespielt wird. Der Singular MORUM dann auch 29.34.35.45; ein Spiel mit MOR-/MOL- in 41. Diese Wortspiele heben den satirischen Gehalt der Historie hervor. Mit RUMPENDAS vgl. 8 (COMMINUTA) und 41 (COMMOLUERAT). Siehe XLVI, 2 und z. St. 22-23
PERSPICAX ... PERTINAX.
beiden Adjektive.
Spiel mit dem Gleichklang der
24
QUINQUÉ AUREORUM.
Mit diesem Ausdruck gibt Nemius die „.ccccc. goude golden" seiner Vorlage wieder.
30
NUTU. Wörtlich „das Nicken"; vgl. zu XX, 22. Hier und in OPTIMI ATQUE MAXIMI ... DEI verwendet Nemius wie-
der die Terminologie der heidnischen röm. Religion.
43 M 46
48
Die Marginalie erklärt den griech. Ausdruck. CUM TRIUMPHO. V g l . REM PALMARIAM (IV, 3 8 ) u n d
Titel des Gedichts.
VERITATEM DICERENT.
Wirklichkeit ist.
den
D.h., was die Prophetenbeere in
XXIV. 1-3
DUCI suo ... PRINCIPEM. Nemius übergeht die Angaben in A 1525/46 zum Schauplatz der Geschichte (Dorf Kissenbrücke im Asseburger Gerichtsbezirk) und nennt auch nicht den Herzog von Braunschweig. Den juristischen Hintergrund (vgl. Lappenberg, S. 252-253; Sichtermann [1], S. 294), der den Herzog daran hindert, sich gewaltsam des Pferdes des Pfarrers zu bemächtigen, ersetzt Nemius durch einen moralisierenden Zug (PARUM DECEBAT), obwohl A 1525/46 den Rechtsgrund angibt.
11
MARTHA.
Der Name der Haushälterin wird in A 1 5 2 5 / 1546 nicht genannt. Nemius hat ihn wegen Eulenspiegels Bekanntschaft mit diesem Pfarrer (vgl. oben 8) und
205
Kommentar
Abschnitt Vili) dazugesetzt. In A 1525/46 bleibt sie wiederum ohne Namen. 23-24
D.h., daß er das Beichtgeheimnis wahren werde. Wie Eulenspiegel natürlich weiß, ist ein Bruch der Schweigepflicht eine große moralische Verfehlung, auf die außerdem schwere Kirchenstrafen stehen. Die Liebe des Pfarrers zu Martha, mit der er gegen sein Zölibatsgebot verstößt, ist seine schwache Stelle. Eulenspiegel nutzt sie aus, um ihn zum Bruch seines Schweigens zu verleiten.
26
SEDATUS.
27 M
Ein derbes, doch geistreiches Wortspiel mit dem lat. Namen Tills und dem griech. TYLOS („Knopf, Stab"), das einen sexuellen Nebensinn besitzt. Die Marginalie bedeutet also sowohl „die Tat Tills" als auch „die Tat des Penis" und faßt in unübertrefflicher Prägnanz das (nur erfundene) Geschehen zusammen. Der Druckfehler Τυλομ in allen drei Drucken des TRIUMPHUS ist dadurch zu erklären, daß der doppeldeutige griech. Ausdruck bereits dem Setzer des Erstdruckes unverständlich war. Er hielt möglicherweise die Endung -OU fälschlich für -ON und dachte an ein Substantiv το TYLON. Der Druckfehler -OM (statt -ON) erscheint in griech. gedruckten Wörtern und Wendungen des Erstdrucks auch XVIII, 25; XIX, 24; XL, 37.
SILENTIUM ... PERMIRNT.
Er ist nur äußerlich ruhig, um sich vor Eulenspiegel nicht zu verraten; innerlich aber kocht er. Nemius deutet dies mit der obszönen Sprache des Pfarrers an. Vgl. die Anmerkung zum folgenden Vers.
Die zweite sprachliche Obszönität im Gedicht nach IX, 12 deutet auf des Pfarrers jäh aufwallende Unbeherrschtheit hin (vgl. unten 35-36 und 6263). Eulenspiegels Antwort (INIISSE) ist nicht viel milder; er streut damit nur Salz in die Wunde seines Opfers. Nemius steigert auch das „Niet meer dan .ν. mael" seiner Vorlage durch PLUS QUINQUIES. FUTUISSET.
28
Auf das Niedrige und Obszöne folgt mit dieser Anspielung auf Verg., ÄN. 1, 26, unmit-
MANET HOC REPOSTUM.
206
Kommentar
telbar das Erhabene — ein beabsichtigter Stilbruch. Die Synkope des Partizips hebt die Stilhöhe ins ArchaischEpische und verleiht dem Kontext einen ironischen Unterton, der dem Inhalt der Historie angemessen ist. Vgl. VIII, 73. 35-36
ANIMAM ... INTERIRE. A u s C i e . , LAEL. 4 , 1 3 ; v g l . TUSC. 1,
37
TUBER. D.h. von den Schlägen des Pfarrers. Die Wortwahl nach Ter., AD. 245.
38
DUMQUE HAEC GERUNTUR. Hier ironisch-erhaben kende Anlehnung an eine mehrmals bei Caesar sonst in der Geschichtsschreibung erscheinende mulierung, die einen Wechsel des Schauplatzes zeigt.
42 M
Aus Ter., AND. 555; ein in der Antike verbreiteter Allgemeinplatz. Vgl. ADAG. 3,1,89; Otto Nr. 76.
43
DISSIDII.
47-48
DE LINGUA ... PAROECIA.
58
Die Alliterationen heben den vollen Erfolg von Tills List hervor.
65
PERDITE AMAVERAT. Formulierung aus der röm. Komödie („heillos lieben, unsterblich verliebt sein"), hier mit zweifachem Nebensinn (PERDITE = „grundschlecht, verdorben" und „mit Verlust"). Die ungezügelten Affekte des Pfarrers werden als moralisch verwerflich charakterisiert. Zur Strafe muß er einen doppelten Verlust hinnehmen.
18.
wirund Foran-
Statt DISCIDII. Hier und im folgenden Vers findet sich ein ironisch-epischer Ton, den die Alliterationen in Vers 46-47 noch verstärken. D.h. er hat nicht nur persönlich eine harte Strafe für den Bruch der Schweigepflicht zu gewärtigen, sondern auch den Verlust der Pfarre, die ihn reich (PRAEDIVES) gemacht hat.
20 7
Kommentar
XXV. 2
BENE PRAEEUNTEM. Sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne gemeint. Eulenspiegel soll bei der Arbeit den Anweisungen des Meisters folgen (vgl. 7), doch nimmt er die Aufforderung nur wörtlich, wie Nemius durch die beiden Präfixe in PRAEEUNTEM und PRODISSET (4) hervorhebt. Vgl. Sichtermann (1), S. 119 Anm. 1.
6
PRAEPOSTERE. Vgl. XXVIII, 31; XLII, 33. Anspielung auf den Topos der verkehrten Welt. Vgl. ADAG. 5,1,30.
Wortspiel. Vgl. XXVI, 21. Alliterationen hier, im folgenden Vers und 17-23.
SEDULO.
21
CUDEBAT... FABRILES.
Anklang an Hör., EPIST. 2,1,116.
22
QUOD.
23
FRUSTULA. D . h .
27
INSUPER. Doppelsinnig: „darüberhinaus" (wenn das Wort mit IUBET konstruiert wird) und „(von) oben" (wenn mit DOMO EGREDI konstruiert; vgl. DESUPER im folgenden Vers) und daher von Eulenspiegel absichtlich mißverstanden. Siehe unten zu 36. Nemius' Version des Wunsches des Schmieds hält sich eng an A 1525/ 1546 („gaet daer boven wt minen huyse").
32 M
ÄN. 2,316-317 (Ü Plankl, S. 39).
33
In S 1515 hatte der Meister Eulenspiegel mit einem Spieß verfolgt. In A 1525/46 wurde daraus ein „sweert", was Nemius mit ENSIS wiedergibt, einem Wort aus der erhabenen Dichtersprache (Epos). Dazu paßt das Vergilzitat der Marginalie, welches Aeneas' Heldenmut in der Nacht von Trojas Fall beschreibt.
36
AMBIGUIS ... SERMONIBUS. D.h. durch die wörtliche und übertragene Bedeutung von INSUPER (27). Nemius' Vers ist metrisch recht holprig.
Faktisches QUOD statt des klassischen Akkusativ mit Infinitiv. die Funken.
ENSE.
208 37
Kommentar INIQUIOR OPERARns. Hierin liegt die Nebenbedeutung, daß der Meister seine Leute in Zukunft noch ungerechter behandeln wird.
XXVI. 2
Chiasmus und Alliteration.
7
ACCOMMODAT FORMAS PEDIBUS. In A 1525/46 wie in S 1515 schneidet Eulenspiegel das Leder in die Gestalten der Tiere (vgl. die Illustration in S 1515) und nicht wie hier in die Form ihrer Hufe.
20
HOSQUE CONSUENDOS. Eine CONSTRUCnO AD SENSUM (statt HOC CONSUENDUM SC. CORIUM).
21-22
D.h. er gab Eulenspiegel alles durcheinander, jedoch zum richtigen (paarweisen) Zusammennähen. Till, MAGE SEDULUS (etymologisches Wortspiel mit DOLUS; vgl. S. 267), mißversteht seinen Auftrag in voller Absicht. Zum Text des Wortspiels in S 1515 vgl. Sichtermann (1), S. 128 Anm. 1.
38
VERSIPELLEM. Vgl. den deutschen Ausdruck „Wechselbalg". Im antiken Rom von einem Menschen gesagt, der sich in einen Wolf verwandelt (Werwolf; am bekanntesten bei Petron. 62); bei Plaut., AMPH., Prol. 123, von Jupiter, der sich in Amphitryo verwandelt. Im übertragenen Sinne (wie hier) bedeutet VERSIPELLIS „in allen Farben schillernd, verschmitzt, schlau"; so z.B. bei Plaut., BACCH. 658. Den letztgenannten Vers und seinen Kontext zitiert Erasmus in seinem Adagium POLYPI MENTEM OBTINE (vgl. zu XLV, 111). Vgl. auch ADAG. 1, 5, 18 (Fuchs und Igel). Das Wort VERSIPELLIS paßt auf Eulenspiegel in diesem Zusammenhang deshalb besonders gut, weil er das Fell der Tiere (PELLIS) in etwas Unbrauchbares verwandelt (VERTERE). Nemius wird den Ausdruck VERSIPELLIS wegen des Spiels mit dem Doppelsinn bewußt gewählt haben (vgl. CORIUM im folgenden Vers).
PROMISCUE ... INSUEBAT.
209
Kommentar
39
INTEGRUM PRAESTET.
Doppelsinn: „zurückerstatten" (so will es der Meister) und „wiederherstellen" (so mißversteht Eulenspiegel seinen Wunsch).
40-42
Ein effektvoller, durch Alliterationen intensivierter Abgang Eulenspiegels. In S 1515 nennt er statt des Ochsen den Gerber. Nemius folgt A 1525/46 („Die varre of stier").
XXVII. Nach XXVI,
1
OCIOSO.
2-3.
9-10
DECEDIT AC ... PERSUADET.
17
FOEDERA.
21
EXITUM DIGNUM DOLO. Das Adjektiv bezeichnet nicht subjektiv Eulenspiegels Standpunkt, sondern ist eher als auktoriale moralisierende Glosse aufzufassen.
29
Wie unten 38 steht hier das Gefäß für den Inhalt.
31-32
INQUINATA ... FEMORALIA. D.h. „du hast dir in die Hose gemacht"; so deutlich in A 1 5 2 5 / 4 6 .
34
Nemius gebraucht QUISQUE hier nicht nach den Regeln des klassischen Lateins, sondern setzt das Wort mit finalem UT in lockerer Analogie zum klassischen UT QUISQUE mit temporalem UT.
40
Ein Sumpf nahe Camarina (oder Camerina) an der Süd Westküste Siziliens schützte die Stadt vor feindlichen Angriffen. Wegen seiner Ausdünstungen wurde er jedoch von den Einwohnern trockengelegt. Dadurch war bei einer späteren Belagerung den Feinden ein Weg freigegeben, und die Stadt wurde zerstört. Erwähnung z.B. bei Verg., ÄN. 3, 700-
Ein Hysteron proteron.
Wortspiel mit dem Adjektiv FOEDUS („abscheulich, ekelhaft"), wegen der Natur der „Ware" sehr passend. Das lat. Nomen FOEDUS ist allerdings mit dem Adjektiv etymologisch nicht verwandt.
QUISQUE.
COMMOTA ... CAMARINA.
210
Kommentar
701. Der Ausdruck MOVERE CAMARINAM bedeutet daher „sich selbst einen Schaden zufügen". Vgl. Otto, S. 67 Anm. 2; ADAG. 1,1,64. Siehe ferner Miller (1), S. 145 (zu Zeile 381). XXVIII. 1-2
Diese moralische Sentenz stammt aus Suet., VESP. 1 6 ; vgl. Otto Nr. 1940; Haussier, S. 230. Nemius' Formulierung geht wahrscheinlich auf ADAG. 3 , 3 , 1 9 (LUPUS PILUM MUTÂT, NON MENTEM) und die Bibel (JEREM. 1 3 , 2 3 ) zurück. Siehe XXXIV, 85. Vgl. zu XLV, 112.
4
Eulenspiegel soll mit verdeckter (französischer) Naht nähen; vgl. Lindow, S. 140 Anm. 3. Nemius hat den Beginn der Historie etwas gerafft (3-6 und 10).
13
CANA ΥΤ LUPUS.
15
CONFICE LUPUM.
23
Mit QUIDNAM DIABOLICUM gibt Nemius das „wat duvel" aus A 1525/46 recht genau wieder.
26 M
Erklärung des Griech.
26
AUTUMANS. Nach Quint. 8, 3, 26, gehört dieses Verb in die Stilhöhe der Tragödie. Bei Nemius unterstreicht es ironisch-ernsthaft die Wichtigkeit der Situation.
30
Griech.; wörtlich = „Zusammenfügung", woraus sich dann die Bedeutungen „Anzug" oder „leichtes Hauskleid" entwickelten (Mart. 2, 46, 4; 5, 79, 2).
OBSCURIUS.
Grau als Farbe des Wolfs bereits in der archaischen griech. Literatur (Horn., IL. 10, 334; HOM. HYMN. 4,223); auch bei Ον., MET. 6, 527 und 7, 550; AM. 1, 8,56. „Wolf" bezeichnet hier ein Kleidungsstück aus rauhem Stoff (Lindow, S. 141 Anm. 5) oder eines, das mit Wolfsfell gefüttert ist (vgl. Sichtermann [1], S. 136 Anm. 2).
SYNTHESIN.
211
Kommentar
Nicht wörtlich gemeint (siehe 42), sondern im Sinne von „schnell anbringen". MITTERE ist etymologisch mit dem deutschen „schmeißen" verwandt. MITTERET.
31
HEic.
So hier und XXXI, 104. Archaisch.
36
BIPEDUM OMNIUM NEQUissiME.
Nachbildung von
BIPE-
DUM NEQUISSIMUS (ADAG. 1 , 7 , 4 2 ; Vgl. ADAG. 2 , 1 , 8 3 ) .
Als verächtliche Bezeichnung z.B. bei Cicero und Pliniusd.J. Vgl. Otto Nr. 254. 37
CONCITATUS. Hiermit gibt Nemius das „al vergrämt" aus A 1525/46 wieder.
40
Die E-Alliterationen und die dunklen Vokale verweisen auf das Ungestüm von Eulenspiegels Antwort. Vgl. auch 45 (DIRIS DEVOVENS DICIT) und die Heftigkeit des Meisters in 50-53.
41
MULTIVOLUS.
42
Wortspiele: IMMITTI-INJICI, ACU-MANU, MANIC AS MANICA leitet sich etymologisch von MANUS ab.
44
PROTELAT.
47
INTRICATIOR.
50-54
Alliterationen.
54
ORlENTis INSIGNEM PLAGAM. Gemeint ist Lübeck, der Schauplatz der folgenden Episode. Eine entsprechende Angabe fehlt in A 1525/46; Nemius fügt sie als Überleitung zur folgenden Historie hinzu. Vgl. in A 1525/ 1546 den Schlußsatz von H 22 (63). Nemius' Umschreibung erklärt sich aus Lakt., Div. INST. 1, 11, 31
Aus Catull 68, 128; ECCL. 9, 3 übernommen. Nach griech. Vorbild (POLY-) zusammengesetzte Adjektive solcher Art (vgl. POLYTROPUS) gehören in die hohe Dichtung (Epik, Tragödie). Der Stilbruch drückt Ironie aus. MANU.
Wörtlich: „in die Ferne treiben, fortjagen". Auch = „viel zu verwirrend".
(PLAGA ORIENTIS, EX QUA LUX MORT ALIBUS DATUR, SUPERIOR, OCCIDENTE AUTEM INFERIOR ESSE VIDEATUR). V g l . E u -
212
Kommentar
lenspiegels eigene Angabe zu seiner Herkunft in S 1515, H 34: „uß dem Land zu Sachßen und [...] ein Osterling." Hieraus wurde „wt Sassen lant" in A 1525 /1546. Zu „Osterling" siehe Schröder (2). Sichtermann (1), S. 101 Anm. 3: Osterlinge waren „besonders die nach der Ostsee Handel treibenden Hanseaten" (nach Grimm, Bd. 7, Sp. 1377, mit Hinweis auf Eulenspiegel). Honegger (1), S. 89, übersetzt „Osterling" mit „Hanseat". Vgl. auch Hucker (4), S. 21. Zur Stellung Lübecks in der Hanse Sichtermann (1), S. 301-302, zu H 48 (50). XXIX. 10
REPLENDUM. Der Druckfehler RESPLENDUM des Erstdruckes führt im Zweitdruck zu der grammatisch unmöglichen Emendation RESPLENDENS, die der Druck von 1641 übernimmt.
13
ALBis. Der ALBUS war eine kleine Silbermünze („Weißpfennig"; „Witten" in A 1525/46). Vgl. Lappenberg, S. 277 zu H 79 (80).
15
OCTO.
18
Wortspiel: AQUA MERA ... VINO MERACO. MERUS (Adj.) = „unvermischt"; MERUM (Subst.) = „Wein".
19
STULTULUM.
26 M
Das Sprichwort in dieser Standardformulierung bei Cie., OFF. 1,33; sie geht auf Ter., HE AUT. 796 zurück. Vgl. AD AG. 1 , 1 0 , 25.
27
IN CRUCE. Vgl. zu XIV, 16-17. Zum Strafmaß siehe Lindow, S. 167 Anm. 7.
28
Gemäß A 1525/46; in S 1515 steht „6 Pfening". Zur Summe vgl. Lappenberg, S. 260-261.
Subjektiv, d.h. vom Standpunkt des Weinzäpfers zu verstehen.
FAMA ... PERAMBULARAT OPPIDUM. Anspielung auf die ÄNEIS ( 2 , 1 7 3 - 1 9 7 : MAGNAS IT FAMA PER URBES ...).
berühmte Fama-Szene der
213
Kommentar 30
FINIRET ... CONTENDEREI". H y s t e r o n p r o t e r o n . IN GOLGATHA.
D.h. zur Richtstätte vor der Stadt.
34
Das Wort hat die Bedeutung „Meister der Verstellung, Schurke, abgefeimter Schelm" bei Ter., PHORM. 259; Verg., ÄN. 2,125 und 11, 407; Ον., MET. 6, 615; Juv. 4, 18. Sen., TROAD. 750, gebraucht es in dieser Bedeutung zur Beschreibung des Odysseus. Mit dem Adjektiv MIRABILIS trägt Nemius dem Umstand Rechnung, daß einige der Zuschauer Eulenspiegel der schwarzen Magie („swartte conste" in A 1525/46) für mächtig halten.
37
TACITURNIOR OVE. Biblische Anspielung (JES. 5 3 , 7 = APG. 8, 32). Der Topos war auch in der Antike sprichwörtlich; vgl. Otto Nr. 1317.
38
Der kritische Augenblick wird durch Assonanz (SE SE-) und Alliteration hervorgehoben.
40
Die Plazierung von AUT MUNUS INGENS im Vers ist nicht sehr glücklich, da die in AUT mitzuhörende Verneinung (statt NEC o.ä.) erst durch NIHIL gegeben wird. Nemius hat AUT wahrscheinlich wegen der Elision (PRODUCTIONEM AUT) gewählt. Die Emendation von AUT zu AD (in Analogie zu AD PRODUCTIONEM VITAE) im Druck von 1641 deutet an, daß die Stelle zu Verständnisschwierigkeiten geführt hatte.
41-42
IN SENTENTIAM ... IVIT. Der Ausdruck bezeichnet die Abstimmung der Senatoren in der röm. Kurie, ähnlich unserem „Hammelsprung". Vgl. PEDIBUS IN SENTENTIAM DISCEDERE (ADAG. 2 , 7 , 1 2 ) ; diese Formulierung ist allerdings in der Antike nicht belegt.
45
TRIBUS DIEBUS.
46-47
SENATORES ... CONSULE.
ARTIFEX.
tivs.
Ablativ statt des klassischen Akkusa-
Nemius folgt A 1525/46, wohingegen in S 1515 der „Weinzäpffer", der „Schenk" und der „Greibenschinder" Eulenspiegel diese letzte Ehre erweisen sollen.
214
Kommentar
47
LINGANT.
In A 1525/46 steht „cussen".
51
Nemius' Zusatz. In A 1525/46 (und zuvor in S 1515) wird der Stadtrat nicht bei der Bevölkerung, sondern nur bei den Lesern des Buches lächerlich gemacht (dadurch, daß die Ratsherren sich als Feiglinge und Heuchler entpuppen).
XXX. 1M
Die Marginalie erklärt den griech. Ausdruck in Vers 8.
14
PRAESULI. PRAESUL und ANTISTES fige Varianten für EPISCOPUS.
22-37
Eulenspiegels Moralpredigt gegen die weltliche und geistliche Obrigkeit ist ein Beispiel des LOCUS DE SAECULO: Im Gegensatz zum gegenwärtigen Laster und Verfall war in der guten alten Zeit alles viel besser. Dieser Gemeinplatz war ein Hauptthema der röm. Satire, besonders bei Juvenal (dazu Winkler [1], S. 23-58). Vgl. oben VII, 7; unten zu XLIII, 101.
24-25
INTERCAPEDINES ... DIGITORUM. Entsprechend dem deutschen Ausdruck „durch die Finger sehen"; siehe dazu Lappenberg, S. 264-265. Weitere Literaturhinweise bei Sichtermann (1), S. 283. Vgl. zusätzlich Mezger, S. 187 Abb. 90 (ein durch die Finger sehender Narr).
26 M
Das Bibelzitat stammt nicht, wie angegeben, aus ECCL. 20 (wo allerdings in Vers 31 ein ähnlicher Gedanke ausgesprochen wird; vgl. auch EXOD. 2 3 , 8), sondern aus DEUT. 1 6 , 1 9 . Der Text ist gegenüber dem der Vulgata geringfügig geändert (IMMUTANT statt MUTANT).
27
EXOSCULARI.
36 M
Sprichwörtlich; vgl. ADAG. 1,3, 88; Otto Nr. 1873.
40
RARA AVIS.
(unten 21) sind geläu-
Wörtlich „innig küssen, abküssen".
Sprichwörtlich in der röm. Literatur seit Persius (1, 46) und Juvenal (6, 165); vgl. Otto Nr. 232.
215
Kommentar
Durch Hieronymus war der Ausdruck auch im nachklassischen Latein verbreitet. Gemeint ist der weiße Rabe (CORVUS ALBUS); vgl. Juv. 7,202; ADAG. 4,7,35; dazu ADAG. 2,2,50. In etwas anderem Sinne erscheint der Ausdruck vorher bei Horaz (SERM. 2,2,26). XXXI. 12
NOMEN DOLI.
28
ASS ARI. Oben zu VIII, 12.
52
DOLUM DOMO.
59
Hierzu S. 267-268 und 294. Eulenspiegel kann „Doli", das eine Variante zu „toll" ist, als Beleidigung auffassen (Grimm, Bd. 2, Sp. 1228).
Alliteration und Spiel mit dem Gleichklang der beiden Wörter.
NEC MORA.
Vergil.
Epischer Ton; der Ausdruck mehrmals bei
60
Lautmalerei mit L, M und N; vgl. XLIII, 81.
61
CONSCENDERE CURRUM.
68
OBITER EMPTO STRAMINE.
76
PATIBULUM.
78
RIDET.
80
UT AGAT EQUOS. Natürlich erst, nachdem die Pferde wieder eingespannt worden sind. In S 1515 befiehlt es der Kaufmann Eulenspiegel ausdrücklich. Dieser Auftrag fehlt in A 1525/46.
81
CLAVUM ΕΧΙΜΓΓ.
Eulenspiegel lenkt den Wagen vom Pferderücken aus (unten 71). Vgl. den Holzschnitt in S 1515. Stark verkürzt aus A 1525/46.
Oben zu XIV, 20.
Nach A 1525/46.
Eindeutig aus reiner Streicheslust (vgl. XXVIII, 1-2), da weder der Kaufmann noch der Pfarrer vom Wagenkasten gesprochen haben und Eulenspiegel also nichts mißverstehen kann.
216
Kommentar
85-86
Wortspiele mit der Silbe VER-.
86-88
Anders als S 1515, wo der Kaufmann und der Pfarrer Eulenspiegel „zu Dot schlagen" wollen. Nemius folgt der Änderung in A 1525/46.
94
Wie in S 1515 ergreift der Kaufmann auch in A 1525/ 1546 selbst die Initiative.
97
DOMUM IMPEDIMENTIS VACANTEM REDDERE. Gelungene Übertragung des Ausdrucks „ruymt morgen dat huys" aus A 1525/46. IMPEDIMENTA bedeutet sowohl „Hindernisse" als auch „Gepäck" und ist somit doppeldeutig. Der Kaufmann hat hauptsächlich die erste Bedeutung des Wortes im Sinn (Eulenspiegel ist ihm lästig), doch klingt auch die zweite mit an (er soll seine Sachen pakken). Der besitzlose Eulenspiegel faßt allerdings den Ausdruck konkret auf und bezieht IMPEDIMENTA auf die Habe des Kaufmanns. Das Verb REDDERE (wörtlich: „in einen früheren Zustand zurückversetzen") bekräftigt Tills Durchtriebenheit.
102-103 IRONICOS FRUGI FAMULUM / VOCANS. In A 1525/46: „O ghi vrome knecht". Nemius weist zur Bekräftigung der Ironie mit der Wortwahl FRUGI FAMULUM und ROGAT auf den Beginn des Abschnitts ( 8 - 9 ) zurück. IRONICOS hat griech. Adverbialendung (im Original Omega mit Circumflex). 109
Paronomasie; siehe Lausberg, § 638 3) b; vgl. dort § 637 (Einleitung).
VERUS MERUSQUE.
XXXII. Nemius übersetzt mit AULOEDUS und TIBICEN den Ausdruck „floytemaker" seiner Vorlage. Lindow, S. 190 Anm. 1, vermutet, daß es sich um einen seßhaft gewordenen Wandermusikanten handelt. Vgl. Lappenberg, S. 267 (FISTULATOR). ES liegt nahe, daß Nemius bei dieser Historie an TIBICINES MENTE CAPTI (ADAG. 3,10, 100) dachte. Darüberhinaus ist die Historie eine Umkehrung des Adagium TIBICINIS VITAM vivís (ADAG. 2, 3, 34): Während ge-
217
Kommentar
wohnlich die Musikanten umsonst essen (vgl. die Zitate aus Terenz, Athenaios und Theopomp in diesem Adagium), muß hier der Pfeifendreher die Zeche zahlen. 1
NOBiLis. Wegen seines „Zauberstabs" (Lotterholz), das zu Wahrsagereien und Taschenspielertricks benützt wurde (Sichtermann [1], S. 313). Vgl. XLIII, 60-61.
8
HOSPITI. Das Wort HOSPES kann sowohl den Gastgeber als auch den Gast bezeichnen. Nemius verwendet es in beiden Bedeutungen: „Wirt", wenn es mit CONSUEVERIT, und „Gast", wenn es mit PRAECLUDERE und TYLO konstruiert wird.
20
PISCEM DATUM ADMIRABILEM.
26
Latinisierung des griech. TECHNE, dem das lat. ARS entspricht. Die Wahl des Ausdrucks ist deshalb besonders passend, weil er häufig bei Plautus und Terenz den Streich des listigen Sklaven bezeichnet.
33, 37
Chiastisch angeordnete s- und P-Alliterationen. Der sprichwörtliche Ausdruck PAR PARI (Otto Nr. 1337) mehrere Male in der röm. Komödie. Vgl. S. 313.
Nach Juvenals vierter Satire, in der ein Fischer dem Kaiser Domitian einen Riesenfisch schenkt (SPATIUM ADMIRABILE RHOMBI; 4,39).
TECHNAM.
XXXIII. 4
Die NUNDINAE waren im antiken Rom der an jedem neunten Tag abgehaltene Markt. In A 1525/46 ist es (wie auch in S 1515) ein „iaer merct". Der lat. Ausdruck auch XXXV, 19.
5
Die Illustration in S 1515 macht deutlich, daß es sich um eine Tuchrolle von beträchtlichem Umfang handelt. Sie stellt also eine größere Geldanlage dar. Der Gewinn, der Eulenspiegel hier winkt, verlangt einen besonders gerissenen Trick, wie der nächste Vers hervorhebt (z. St.).
AD NUNDINAS.
EMEBAT TELAM.
218
Kommentar
6
DETORQUET ... STROPHAM. Diese Formulierung bringt Eulenspiegels Wendigkeit gut zum Ausdruck. Vgl XXXV, 10 (VERSANS DOLOS).
7
AGRESTEM SACRIFICUM. So übersetzt Nemius den „scotschen pape" aus A 1525/46. Der „Schottenpfaffe" ist ein Benediktiner, der durch diesen Ausdruck als heruntergekommener Wanderprediger charakterisiert wird (Lindow, S. 198 Anm. 6; vgl. Lappenberg, S. 269270); siehe Grimm, Bd. 9, Sp. 1614. Nemius' Adjektiv AGRESTCS („ländlich, bäurisch") paßt dazu gut. Sichtermann (1), S. 314, zitiert das Sprichwort „Wer einem Schottenpfaffen glaubt, der ist seiner fünf Sinne beraubt".
19
VIATOR.
26 M
Ironisch gemeint.
26
Wörtlich: „mit dem man sogar im Dunkeln Fingerlosen spielen kann"; d.h. es handelt sich um einen ehrlichen Menschen. Zwei Spieler strecken auf ein Zeichen oder einen Ruf gleichzeitig eine Anzahl von Fingern auf (vgl. das italienische MORRA-Spiel). Wenn man die Zahl der ausgestreckten Finger dann noch schnell ändert, kann man leicht betrügen. Den sprichwörtlichen Charakter dieser Wendung bezeugt Cie., OFF. 3, 77. Vgl. ADAG. 1, 8, 23; Otto Nr.
Aus der Perspektive des Bauern zu verstehen. Der Schein trügt allerdings, und der unbeteiligte Passant entpuppt sich als der von Eulenspiegel angeworbene SCELESTUS HOMO.
QUICUM MICES VEL IN TENEBRis.
1109.
28-32
Die Alliterationen weisen darauf hin, daß das Urteil des heuchlerischen und gerissenen Pfaffen den Erfolg von Eulenspiegels List garantiert. Damit ergibt sich der Wendepunkt der Geschichte.
35
FURCIFEROS.
In A 1525/46 heißt es „scalcken".
219
Kommentar
XXXIV. 4
Die Anrede der Blinden ist hyperbolisch, doch der Situation angemessen. Nemius verwendet den Namen des Perserkönigs, der den Juden erlaubte, in ihre Heimat zurückzukehren und den Tempel wiederaufzubauen, um gleich zu Beginn der Episode das Eulenspiegel dargebrachte Vertrauen der Blinden wirkungsvoll herauszustellen. Vgl. hierzu ESRA 1, 4; JES. 44, 28 - 45, 5. Zum Gebrauch des Namens, der etymologisch mit griech. KYRIOS („Herr") verwandt ist, in der generellen Bedeutung „hoher Herr" („ioncker" in A 1525/46) in der Renaissance vgl. Borinski, Bd. 1, S. 137, und Bd. 2, S. 41. Eulenspiegels „Barmherzigkeit" gegenüber den Blinden (vgl. 7-9) und das dazugehörige Bibelzitat der Marginalie bekräftigen den religiösen Charakter der Historie. Die Blinden sind den zwölf Aposteln in ihrer „großen Bedrängnis" (MATTH. 24,21) vergleichbar.
10
Nemius folgt A 1525/46 (,,.χχ. gulden"). In S 1515 sind es zwölf Gulden, d.h. einer für jeden der Blinden.
21
AFFATUR ILLOS BLANDIUS. Nach ADAG. US ALLOQUL). Vgl. XXII, 3-5.
38
LOCULIS. LOCULI
41-42
SCALPERENT / CAPUT UNGUIBUS. V g l . ADAG. 3 , 6 , 9 6 (CAPUT SCABERE).
43
PRAETER SUUM MOREM. Hiermit wird angedeutet, daß die Blinden normalerweise sorgfältiger mit Geld umgehen — als Bettler können sie sich keine Nachlässigkeiten leisten — und daß sie grundehrliche Leute sind, die bisher immer ihre Rechnung beglichen haben.
43-44
VIDENT... ECLIPSIN. Ein milder Wortwitz auf Kosten der Blinden. Nemius spielt mit der eigentlichen und der übertragenen Bedeutung von VIDERE. Hinzu kommt,
CYRUM VOCANT.
BIS DECEM ... AUREOS.
3, 8, 43
(BLANDI-
sind eigentlich Kästchen (oft aus Holz) zum Aufbewahren von Geld oder Wertgegenständen.
220
Kommentar
daß diejenigen, die nicht einmal sehen können, was wirklich vorhanden ist, jetzt etwas „sehen", was gar nicht da ist (ECLIPSIN) — auch ein Beispiel der verkehrten Welt! 44
„Einen Wolf bei den Ohren halten", sprichwörtlich für eine ausweglose Lage; ursprünglich griech. (Donat zu Ter., PHORM. 506). Vgl. ADAG. 1,5,25; Otto Nr. 987.
46
CARCERI,
52-53
PRAESEPio ... REPPERIT. Nemius' Wortwahl ist von der Weihnachtsgeschichte beeinflußt; vgl. LK. 2,16.
55
PHALARis. Tyrann von Agrigent (Akragas) im 6. Jh. v. Chr., der als Typ des wütenden und grausamen Gewaltherrschers schlechthin galt. Er wird in der antiken Literatur häufig zusammen mit Busiris von Ägypten genannt, z.B. bei Ον., TRIST. 3, 11, 39-54; danach auch bei Erasmus im MORIAE ENCOMIUM (Miller [1], S. 74 Zeile 48 und die Anm. S. 75 z. St.). Eine Sammlung von Briefen unter dem Namen des Phalaris war noch in der Spätrenaissance populär und hochgeschätzt, bis sie der britische Philologe Richard Bentley 1697 und 1699 als Fälschung erwies (Pfeiffer [2],S. 187-190). Zu Phalaris siehe auch ADAG. 1,10, 86 (PHALARIDIS IMPERIUM); Otto Nr. 1405-1406; unten S. 324..
58
FAMEQUE ... SAGUNTINA. Bei Hannibals Belagerung der spanischen Stadt Sagunt vor Beginn des zweiten punischen Krieges (219 v. Chr.) kam es wegen des äußersten Hungers der Bevölkerung zu Fällen von Kannibalismus; vgl. Petron. 141, 9. Nemius entlehnt seine Wortwahl aus ADAG. 1,9, 67.
60
TENEBRIONES.
73-74
SECURIOR ... FUIT. Der Komparativ deutet an, daß die Frau schon zuvor etwas mißtrauisch gewesen war.
AURIBUS LUPUM TENENS.
„verkens kot" (Schweinestall) in A 1525/46; vgl. unten 52-53.
Von auf ihre Blindheit.
TENEBRAE
„Dunkelheit". Anspielung
221
Kommentar
81
Alliterationen.
85
CALLIDAM VULPEM TENENS SUB PECTORE. Wörtlich: „ einen schlauen Fuchs in der Brust haben" (nach Pers. 5,117). Der Ausdruck weist auf den gewitzten Verstand des Pfarrers hin, der sich seine Überraschung nicht anmerken läßt und gleich an Eulenspiegels Worte denkt. CALLIDUS hat auch die Nebenbedeutung „raffiniert, trügerisch". Vgl. Hör., A.P. 437; dazu Brink, S. 411 und 513514. Siehe auch oben zu XXVIII, 1-2. Da der Fuchs allgemein ein Inbegriff der Schlauheit ist (vgl. z.B. in der griech. Komödie Ar., THESM. 462-463), kann VULPES mit DOLUS synonym gesetzt werden. Vgl. 295-296.
89
NIL PRius PECUNIAE.
96
Die Alliteration untermalt die Aufregung der Frau. Vgl. XXVIII, 40 und z. St.
108
NEGARE ... FUGARE.
Sehr gedrängte Zusammenfassung der Erklärung des Pfarrers in A 1525/46, daß der böse Feind immer Geld haben will.
Homoioteleuton.
XXXV. 7 8
LUPOS DECEM. Vgl. unten 67. In S 1515 sind es nur zwei Wölfe. Nemius folgt A 1525/46. NIGROS ... SALES.
51 und z. St.
Nach Hör.,
EPIST.
2, 2, 60. Vgl. XVIII,
14-15
SAXONUM /
METU. Da Eulenspiegel selbst Sachse ist, darf er natürlich die Beleidigung seiner Landsleute durch den Wirt nicht unbestraft lassen.
28
Daß der Spott des Wirts unerträglich geworden ist, deuten die Alliterationen und das Polyptoton an.
42-43
Alliterationen und Assonanz kündigen den Beginn des Streichs an.
222 44 M
Kommentar
Lappenberg, S. 276, zitiert aus den DUNKELMÄNNERBRIEFEN d i e M a x i m e IN SAXONIA POTATORES („in S a c h -
sen gibt es Trinker"). 45
MARTHA. Nemius folgt dem Neuen Testament, wenn er den Namen der Patronin der Hausfrauen zur Bezeichnung von Haushälterinnen und Dienerinnen verwendet. Vgl. LK. 10,40; JOH. 12,2.
52
FAMULA ... ATTULERAT. Der Satz ist als Teil der indirekt
wiedergegebenen Rede der Sachsen statt als blasse Wiederholung von 50 aufzufassen. 62
PERISSE. Die Kinderschuhe scheint der Wirt nicht zu bemerken. Nemius folgt darin A 1525/46.
70-71
COMPOTES / VOTI. Formulierung nach Hör., A.P. 76, die
XLV, 105 wiederkehrt. XXXVI. 1M
Nemius' Wortwahl geht auf CANEM EXCORIATAM EXCO-
RIARE (ADAG. 2, 3, 54) zurück, welches allerdings einen anderen Sinn hat („eine vergebliche Handlung ausführen"). Vgl. unten XXXVII, 7. 1
STAURIAE. Staßfurt an der Bode im Bezirk Magdeburg, in A 1525/46 und in S 1515 auch als Schauplatz von H 6 (= Abschnitt VI) genannt. Vgl. Lappenberg, S. 230, zu H 6.
5-9
Häufung von Alliterationen. Auch Wortspiele mit dem Stamm CAN- sind in dieser Historie zu beobachten: SUSPICANS (14) und EXCANDUIT (29). Beide beziehen
sich auf die Wirtin, die Besitzerin des CANIS. 12
ASYMBOLOS. Griech. Endung des Nominativ Singular.
20
SEDEM PRISTINAM. Es sieht also aus, als sei Eulenspiegel
gar nicht von seinem Platz aufgestanden.
223
Kommentar
28
CANIS SUI.
Gemeint ist CANIS EIUS, das nicht ins Metrum paßt. Mit dem Gebrauch der Reflexiva nimmt es das Mittel- und Neulatein oft nicht genau.
34-35
TUNICAM ... POSTULARAT. Einen Rock als Pfand hatte die Wirtin allerdings nicht verlangt; vgl. oben 8-9.
37
Chiasmus.
XXXVII. 10
SIMULATOR.
Bei Cie., OFF. 1, 108, bedeutet SIMULATOR „Meister der schalkhaften Verstellung" zur Beschreibung von Sokrates. Das Thema von Sein und Schein, das Nemius zu Beginn seines Briefes an Pelegromius behandelt, steht im Mittelpunkt dieser Episode.
11
INSISTERE ... ROTAE.
14-17
Das recht misogynistisch anmutende Ende der Geschichte ist in A 1525/46 vorgegeben.
Zur Strafe des Räderns siehe Lappenberg, S. 278-279; Sichtermann (1), S. 221 Anm. 3. Das Rädern war auch in der Antike bekannt. Der Pleonasmus (TERES = „rund") ist metrisch bedingt.
XXXVIII. 17
DICACITATEM. Wie in XXXV eine Bestrafung der Geschwätzigkeit. In COMPRIMI liegt ein Wortspiel mit IMPRIMENS (12) v o r .
XXXIX. Die Thematik der sprichwörtlichen Dummheit der Holländer allgemein und in Bezug auf Erasmus' MORIAE ECOMIUM erörtert Wesseling, S. 352-355. 2
AEGER.
Vgl. zu XLII, 1-3.
224
Kommentar
3
DUO. Die Anzahl entnimmt Nemius aus A 1525/46; sie wird in S 1515 nicht angegeben.
9
Die religiöse Metapher (nicht in S 1515) übernimmt Nemius aus A 1525/46, wo der Holländer zu Eulenspiegel sagt: „hout daer die casse dat heylichdom is daer wt". Die Historie spielt in einer Herberge.
13
PULVEREM.
20
OMNEM MODUM. Nemius' Wortwahl (MODUS) macht dem gebildeten Leser deutlich, daß der Holländer Horazens Ermahnung EST MODUS IN REBUS (SERM. 1, 1,106) hätte beherzigen sollen.
22-23
Das Bild („anbeißen, sich ködern lassen") war in der Antike sprichwörtlich; vgl. Otto Nr. 781. Parallelstellen (HAMUM VORAT) bei Plaut., CURC. 431 und TRUC. 42. Siehe auch ADAG. 2,5, 73-74.
Nemius'Übersetzung von „saffonie" aus A 1525/46. S 1515 nennt Fliegen und Mücken, doch vgl. dort „Saffonien" im Titel der Historie; hierzu Näheres bei Lappenberg, S. 279-280. Der Pfeffer (unten 17; nicht in S 1515) entspricht dem „ginberpoeder" in A 1525/ 1546. ULTRA
DEVORASSE ... HAMUM.
XL. 1
CUIUSDAM EPISCOPI. Wie S 1515 nennt auch A 1525/46 den Bischof von Bremen. Nemius kürzt den Beginn der Geschichte ab.
11-12
PRAEMINENS / ALUS.
12
SYMBOLUM. Eulenspiegel macht allerlei Hokuspokus und gibt dabei der Frau das verabredete Zeichen.
32 33
Die Frau kann Eulenspiegel also auch aus der Ferne sehen.
VIM MAXIMAM FICTILIUM.
Wirkung.
Alliterationen.
Enallage mit verfremdender
225
Kommentar
39
SE. Zu verstehen ist EUM (vgl. zu XXXVI, 28). Das Reflexivpronomen drückt fälschlich aus, daß der Bischof selbst das Geschirr gekauft hat. Nemius meint es sicher nicht so; denn A 1525/46 folgt S 1515.
XLI. 4
CUPPAM CAPACEM.
10
OCTO.
Alliteration und Wortspiel.
So A 1525/46. In S 1515 sind es „14 Tag".
XLII. 1-3
Der Einleitungssatz der Historie, in der Eulenspiegel zum ersten Mal alt und müde erscheint, erhält Gewicht durch langsamen Rhythmus, mehrsilbige Wörter und Alliterationen. Dadurch wird der Leser auf den ernsten Hintergrund, nämlich Tills Krankheit und Tod, vorbereitet. Eulenspiegel scheint zunächst wirkliche Reue zu empfinden (das Verb MENTTTUS EST tritt erst ganz am Ende des Satzes auf), doch ist es dafür zu spät. Das Verb deutet allerdings auch an, daß es mit seiner Reue nicht weit her ist. Vgl. „galgen berou" in A 1525/46 und siehe unten 34-35. Auch besitzt Till noch genug von seiner alten Natur und Geisteskraft, um sich etwas Besonderes auszudenken (SPLENDIDE). Der vielgewandte Eulenspiegel (POLYTROPUS) wird hier wie Odysseus als vom stetigen Umhertreiben (PERERRATO ORBE) erschöpft charakterisiert.
7
SIMILIS TYLO. Der Ausdruck entspricht dem Hinweis in A1525/46, daß der Abt „selve een spotter" war.
11
CUCULLA. Wörtlich „Kapuze"; hier und 34.37.51 als Synekdoche für die Mönchskutte. Vgl. unten zu 34-35.
13-14
Till sperrt jeden dritten aus (vgl. 25-28: TERTIUS ... EXCLUSUS). In A 1525/46 läßt er jeden vierten herein. Nemius gibt den Auftrag des Abtes und Tills Ausführung recht umständlich wieder. QUEMUBET / VEL TERTIUM.
226
17 M
Kommentar
ist die Latinisierung des griech. KOINOBION („Ort des gemeinsamen Lebens")· Bei Nemius klingt auch eine Anspielung auf COENA („Mahl, Essen") mit COENOBIUM
a n ; v g l . DEVORARENT.
19
Terminologie aus dem Militärbereich.
28
Wortspiel; denn gerade ihm, dem war die Pforte verschlossen geblieben.
34-35
Damit illustriert Eulenspiegel die Wahrheit des Sprichwortes: CUCULLUS NON FACIT MONACHUM („die Kutte macht noch keinen Mönch"). Nachweise für dieses und für verwandte Sprichwörter (BARBA NON FACIT ΡΗΙLOSOPHUM u.a.) bei Düringsfeld Nr. 912; WaltherSchmidt Nr. 35860. Vgl. in diesem Zusammenhang auch XXVIII, 1-2.
38
NUMERARET.
39
ORATIONIBUS ... SACRIS.
40
MANUMITTERE.
40-41
Die Formulierung erhält dadurch einen zusätzlichen Reiz, daß sie auch in dem übertragenen Sinne gut paßt, in dem Nemius sie im Brief an Pelegromius benützt hat. Die Mönche sind ja sozial höhergestellt als Eulenspiegel (POTENTES).
43
AD DÍGITOS.
APERurr.
gänzen.
Ein finales
QUI
EXCLUSUS,
ist vor dem Verbum zu er-
Gemeint ist die Frühmette.
Rom. TERMINUS TECHNICUS für die Freilassung eines Sklaven aus der Gewalt seines Herrn. Zu Eulenspiegels Freiheitsliebe vgl. XV, 44-45. GRADUS / DEIECIT.
In A 1525/46 zählt Eulenspiegel die Mönche „op eenen kerfstoc".
Nicht nur als kirchlicher Titel gemeint, sondern auch Wortspiel mit PRIMUS (45). PRIOR.
49 M
Siehe besonders Vers 6-15 der genannten Bibelstelle.
227
Kommentar
XLIII. 2 3
PHARMACOPOLAM.
Abschnitt XXIII. ANTIDOTUM.
Vgl. die einleitende Bemerkung zu
Ein Abführmittel.
ONUS. V g l . X I I , 3 (SARCINA).
9-10
Eine sehr gedrängte Darstellung. A 1525/46 macht Eulenspiegels Handlungsweise besser verständlich.
14
Das Verb EFFERRE bedeutet auch „begraben", da in der Antike die Toten zur Bestattung aus der Stadt herausgetragen wurden. Somit liegt eine Anspielung auf Eulenspiegels bevorstehenden Tod vor.
21-22
LECTULI / SPONDAM.
23
VERBIS.
25
CICER.
31
BENIGNUS.
32-33
SYNCOPAM / LOQUELAE.
33
NONNA.
36-37
M i n u s ... DURIUS. Die Antithese gibt das „saecht" und „seer bitter" aus A 1525/46 genau wieder.
41
DUOBUS.
EFFERRI.
A 1525/46 hat „bedsponden". Bei Mart. 10, 5, 9, erscheint die Wortverbindung SPONDA ORCINIANA („Totenbahre"). In A 1525/46 Singular, weshalb Eulenspiegel dort nur „honich honich" erwidert. Eigentlich die Kichererbse. Kollektiver Singular. Ironisch gemeint.
Ein alarmierendes Anzeichen für die (allerdings nur körperliche) Schwäche Eulenspiegels. Dieses Detail ist nicht in A 1525/46 enthalten und somit Nemius' eigener Zusatz. D.h. eine Begine (so in S 1515 und A 1525/46); hierzu Lindow, S. 258 Anm. V, Sichtermann (1), S. 238 Anm. 1.
In S 1515 sind es drei Unterlassungen; Nemius läßt gemäß A 1525/46 die erste aus.
228
Kommentar
44
INFECTA FACINORA.
Etymologisches Wortspiel.
47
A 1525/46 ersetzt Eulenspiegels ursprüngliche Brutalität (S 1515: „das Messer in den Halß schlahen") durch eine zwar fäkalische und daher seinem Charakter eher angemessene, doch weit harmlosere Variante, die Nemius beibehält. Wie A 1525/46 weiterhin klarmacht („tmes niet bescheten"), bezieht sich LITUM auf CULTER und CALAMUS (und nicht auf QUEMPIAM) in den beiden voraufgehenden Versen. Mit CALAMUS mag ein „Schreibrohr" gemeint sein; so z.B. bei Cie., AD QUINT, FR. 2,14,1 (2,15,6), und AD ATT. 6, 8, 1; Hör., Α.Ρ. 447; und in der Vulgata (JOH. 3,13; PS. 44, 2).
49
AETATE OBSITIS. In Anlehnung an Verg., ÄN. 8, 307. Die Stilhöhe des Ausdrucks ist hier natürlich sarkastisch zu verstehen. Vgl. auch Ter., EUN. 236.
54
Nach Juv. 10, 193-195; vgl. Otto Nr. 1651. Ein entsprechender Ausdruck fehlt in A 1525/46. Nemius füllt damit den Vers aus. Siehe auch Erasmus' MORIAE ENCOMIUM bei Miller (1), S. 74 Zeile 71 und die Anm. S. 75 z. St., S. 90 Zeile 340-341, und S. 128 Zeile 38-39.
56 M
Wortspiel mit MORUS („Tor").
59-69
Die Alliterationen in 61 und 68 heben des Pfaffen Scheinheiligkeit und Gier hervor. Auch MANIFESTARET („mit Händen greifbar machen", 65) verweist auf seine Habgier und die dazu passende Strafe (vgl. MANUM, 80). Zusätzlich hat EROGARE (65) einen doppelten Sinn (Nebenbedeutung: „verschwenden"), so daß sich der Pfaffe durch seine Sprache selbst entlarvt. Eulenspiegel fällt natürlich nicht auf ihn herein. Nemius verspottet den heuchlerischen Geistlichen mit den sarkastischen Deminutiven in 67 (vgl. zu VIII, 33) und mit der genüßlichen Lautmalerei und Alliteration in MERDAMQUE MOLLIUSCULAM (81; ähnlich XXXI, 60). Siehe auch unten zu 78.
LITUM ... STERCORE.
SIMIA RUGOSIOR.
229
Kommentar
60-61
NOBILEM / SCURRAM.
Ein Oxymoron (NOBILIS gewöhnlich = „edel"). Vgl. XXXII, 1.
63
VETEREM HOMINEM DEPONIERET.
75 M
Wörtlich „Vogelfang". Vgl. Ter., EUN. 247.
78
INTINGEREI1.
90
INVERSUS. D.h. mit dem Rücken nach oben. Dies ist Nemius' knappe Zusammenfassung von H 95 (94), welche A 1525/46 im Anschluß an S 1515 ausführlicher wiedergibt.
91-93
Die Alliterationen verstärken den Eindruck der Seltsamkeit dieses Begräbnisses. Vgl. 94.
95
Diese Episode erscheint bei Nemius an der chronologisch richtigen Stelle (gemäß A 1525/46). S 1515 hatte sie in H 94 (93) vorweggenommen.
101
CATASTROPHE HUIUS FABULAE. Nemius' Ausdruck geht auf den Titel von Erasmus' CATASTROPHE FABULAE (ADAG. 1,2,36) zurück. Wörtlich bedeutet CATASTROPHE „Wendepunkt, überraschende Wende", hier „Höhepunkt und Abschluß" (so auch bei Petron. 54, 3). Das Wort greift in seiner Etymologie INVERSUS (90) wieder auf. Es folgt in 102-106 die Moral von der Geschichf, in
Der biblische Ausdruck stammt aus dem Paulusbrief an die Epheser (4, 22) und verrät die Heuchelei des Pfaffen, der ja selbst den alten, sündigen Menschen nicht abgelegt hat.
Im Kirchenlatein bedeutet INTINGERE „taufen" (vgl. z.B. Tert., ΡΑΕΝ. 6). In diesem Sinne benützt Nemius TINGERE im Vers II, 6. Die Verspottung des Pfaffen erreicht hier ihren Höhepunkt.
w e l c h e r d e r LOCUS DE SAECULO w i e d e r k e h r t (vgl. HODIE,
105). Anzumerken ist noch, daß A 1525/46 mit einem EPITAPHIUM in drei lat. Distichen schließt. XLIV. IM
ÄN. 2,402 (Ü Plankl, S. 43).
Kommentar
230
3-4
Vgl. die Wendung AD NOin Nemius' Widmungsbrief.
AD NOMINE / AETERNITATEM.
MINIS sui CELEBRITATEM
7
LUCE COELESTI.
9
Sprichwörtlich für „recht kurz"; vgl. ADAG. 4, 4, 84; Otto Nr. 1869 mit Belegen aus der röm. Komödie.
14
Vgl. 1,40-41.
VERBIS TRIBUS.
DITIORE SPE SIBI BLANDIRIER.
AN. 14,4.
Anklang an Sen.,
TRANQ.
15
ν ANITAS
17-18
Riickverweis auf 1,39-41. Beide Textstellen leiten zu einer Biographie über.
19
PRAEPROPERA. PRAEPOSTERE,
VANISSIMA.
Siehe zu XLVI, 30.
Echo der Ausdrücke PRAEPOSTERA und die XXV, 6; XXVIII, 31; XLII, 33 Eulenspiegels Streiche charakterisierten. Die Alliterationen am Schluß dieses Abschnittes verweisen auf Nemius' moralische Absicht in der nun folgenden Lebensbeschreibung.
XLV. Der Titel dieses langen Abschnittes erscheint in allen drei Drukken des TRIUMPHUS als Marginalie. Hippokrates von Kos (um 4 6 0 - 3 7 0 v. Chr.) war der berühmteste Arzt der Antike. Zu den Lebensaltern vgl. im hippokratischen Corpus APHORISMEN 3 , 2 4 3 1 , und die Schrift ÜBER DIE SIEBENZAHL, 1 - 1 2 (zur heptadischen Kosmologie im Anschluß an Solon). Siehe unten die Bemerkung zum Schlußtitel dieses Abschnittes, ferner S. 249. 1-19
In diesem ersten Abschnitt erscheinen die Verben im Präsens. Gemäß dieser Perspektive steht in den folgenden das Futur. Der Schlußabschnitt, der auf das gesamte Leben zurückblickt, hat dementsprechend die Tempora des Präsens und der Vergangenheit.
3
SCENAM ORBIS.
Das Bild des Welttheaters war schon
231
Kommentar
der Antike bekannt (Ansätze bei Platon; Seneca) und wurde in der christlichen Literatur (z.B. im ersten Korintherbrief des Apostels Paulus und bei Augustinus), im Mittelalter (Boethius), bei Dante und besonders in der Renaissance wichtig. Zum Thema vgl. Curtius, S. 148-154. Vgl. XLVI, 3 und z. St. 5-8
Die Wortspiele POST REPOSTAS (siehe zu XXIV, 28) und IMMUNDA MUNDI stellen die hierin liegende Schwäche (5) und Lächerlichkeit heraus. Zu LUDIBRIA vgl. LÚDICRA (21); dort auch ein weiteres Wortspiel (COLLUDERELUDICRA).
9-12
Anapher. Weitere Anaphern 18-19.54-55.58.61.
13
CAEREUS.
14
Anklang an Hör., A.P. 158-159.
17
UT ... NON. Im klassischen Latein hieße es NE.
19
NEU ... VITAM SILENTIO EXIGAM. Nachbildung von Sali., CAT. 1, 1 (NE VITAM SILENTIO TRANSEANT). Das Lebens-
(NEC, NEQUE, NEU)
unten
Wörtlich: „wachsweich". Vgl. Hör., A.P. 163.
ziel des Jedermann ist also eindeutig der Erwerb von Ruhm und Nachruhm.
20-21
Alliteration und Assonanzen mit dem Wortstamm („Spiel"). Der Ausdruck PARIBUS COLLUDERE ist ein wörtliches Zitat aus Hör., A.P. 159. LUD-
22
Griech.; wörtlich „Laufrad". Beschreibungen z.B. bei Hör., CARM. 3, 24, 57; Propert. 3,14, 6; Ον., A.A. 3, 383. TROCHUM.
Bereits in der Antike ein beliebtes Spielzeug; vgl. Verg., ÄN. 7,382; Tib. 1,5,3-4; Pers. 3,51. TURBINEM.
23
PAR ET IMPAR LUSITABO. Anlehnung 2 4 8 (LUDERE PAR IMPAR). Bei diesem
an Hör., SERM. 2, 3 , Spiel war zu raten, ob der Gegenspieler eine gerade oder ungerade Anzahl von Gegenständen in der geschlossenen Hand hielt. Es
232
Kommentar wurde in der Antike mit Nüssen und um Nüsse gespielt (Ps.-Ov., NUX 79).
23-24
Anapher.
24
INSIDEBO
27-31
Ausführlicher als sein Vorbild Horaz (A.P. 159-160) beschreibt hier Nemius den jugendlichen Jähzorn (IRA).
30
DICTO emus. Sprichwörtlich (Otto Nr. 528); nach Verg., ÄN. 1,142, und Hör., SERM. 2 , 2 , 8 0 . Vgl. ADAG. 2 , 9 , 7 1 .
35-39
Die Alliterationen heben den kindlichen Eifer hervor.
37-39
Die Fabel vom Fuchs und den sauren Trauben bei Babrios (Nr. 19 in der Ausgabe von Perry) und Phaedrus (4,3). Berühmt ist die Beschreibung der Szene in der ersten IDYLLE Theokrits (1,45-54); daher Nemius' Formulierung PUERTHEOCRITICUS. Vgl. auch das HOHELIED SA-
ARUNDINI LONGISSIMAE. Nachbildung des Rests der Horazstelle aus Vers 23 (EQUITARE IN HARUNDINE LONGA). In der Widmung des MORIAE ENCOMIUM spielt Erasmus auf denselben Horazvers an.
LOMONS, 2 , 1 5 , u n d PULCRE FALLIT VULPEM (ADAG. 4 , 5 , 2 2 ) . S i e h e ADAG. 1, 2 , 2 8 (VULPINARI CUM VULPE), u n d
Friedrich, S. 232, zu Pub. Syr., R. 14.
44-45 45
PALMARIAE ... PILAE. Im Adjektiv steckt die Nebenbe-
deutung „um den Siegespreis". Vgl. IV, 38.
ASTRAGALIVE Missu. Zu Spielzwecken w a r der ASTRA-
GALUS (Mittelfußknochen von Schaf und Ziege) schon bei Homer benützt worden (IL. 23, 88). Oft war er in Elfenbein, Gold oder Edelsteinen nachgebildet.
46-51
Dieser Vorgriff auf das Mannesalter folgt Hör., A.P. 166168, besonders in Bezug auf das Thema HONOR.
52
NUCES RELINQUAM. Mit Walnüssen spielen die Kinder
(vgl. oben zu 23; Otto Nr. 1257). Siehe z.B. Catull. 61, 121 und 124-126; Hör., SERM. 2, 3, 171-172. Das Ovid zugeschriebene Gedicht NUX („Die Nuß") beschreibt in
233
Kommentar
Vers 73-86 verschiedene derartige Spiele. Nemius' Formulierung geht über ADAG. 1, 5, 35, auf Pers. 1, 10 zurück. EPHEBUS.
ren.
Gewöhnlich ein Jugendlicher von 16-20 Jah-
55
Den Ausdruck LANCINABO BONA PATERNA bildet Nemius Ca tuli. 29,17 nach (PATERNA ... LANCEMATA SUNT BONA). Vers 55-57 stellt ein Gegenbild zum Ausdruck PRODIGUS AERis bei Horaz (Α.Ρ. 164) dar.
61
NEC ... NEQU1US.
63
HUMANUS ERROR. RE HUMANUM EST;
64
CONSENESCAM IN CRIMINE. Wörtlich „in meinem Vorwurf alt werden". Vgl. IRA OMNIUM TARDISSIME SENESCIT (ADAG. 1,7,13); siehe auch ADAG. 4,5,26.
65
Gegenbild zu Hör., A.P. 173-174. Aristarchos von Samothrake (um 217-145 v. Chr.) war der bedeutendste Philologe des Altertums. Er edierte und kommentierte ältere griech. Literatur, besonders Homer. Zu ihm siehe Pfeiffer (1), S. 258-285. Da Aristarchos als gestrenger Kritiker bekannt war (Cie., AD FAM. 3,11, 5), wurde sein Name zum Synonym eines solchen schlechthin (Cie., AD ATT. 1,14, 3; Hör., A.P. 450; Hier., EPIST. 57, 12). Vgl.
Etymologisierendes Wortspiel. Anspielung auf das Sprichwort dazu Otto Nr. 820.
ERRA-
ADAG. 1 , 5 , 5 7 .
67
AD FRUGEM BONAM. Das Bild vom Fruchttragen war im Lat. sprichwörtlich; siehe die Belege röm. Autoren bei Otto Nr. 722. In der Bibel vgl. besonders MATTH. 7, 1620; LK. 6, 43-44 und 13, 6-9.
69
CAESAREM. V g l . X X X , 3.
70
OPTIMUM AC TER MAXIMUM. Vgl. oben die Bemerkungen zum Parallelausdruck in Nemius' Brief an Pelegromius und zu VIII, 55.
234
Kommentar
73
Der Vers entspricht inhaltlich Hör., A.P. 167.
74-75
Chiasmus.
76
BARBATUS. Wörtlich „bärtig". Hier auch Wortspiel mit MORATUS (Homoioteleuton). Wegen der altröm. Tradition des Barttragens bezeichnet BARBATUS allgemein den Erwachsenen (so bei Hör., SERM. 2 , 3, 2 4 9 , der Fortführung der von Nemius oben 2 3 - 2 5 benützten Stelle), und
somit den Mann vom alten, einfachen Schlag (vgl. ADAG. 4, 10, 49) oder den Philosophen. Nach Philon, OP. MUND. 103, wächst der Bart in der dritten Heptade. 78
AEQUIS MORIBUS. Vgl. Erasmus' AEQUALEM QUAERE (ADAG. 1, 8, 1). Bei Nemius hat das
UXOREM
Adjektiv auch die Nebenbedeutung „gleich gut", d.h. die Frau ist ihrem Manne charakterlich ebenbürtig. 79
SOLA SOLO.
Wortspiel (Polyptoton).
83
MILO, ACHILLES, HERCULESQUE ALTER. Milon von Kroton war der berühmteste Athlet der Antike, u.a. sechsfacher Olympiasieger. Zahlreiche Anekdoten berichten von seiner Stärke und Selbstdisziplin. In seiner Schrift DE BONO HABITU vergleicht Galen ihn wegen seiner heroischen Haltung mit Herakles und Achilles; daher mag auch die Reihung dieser drei Namen bei Nemius stammen. Sein Ausdruck HERCULESQUE ALTER ist dem ADAG. 1, 7, 41 (ALTER HERCULES) entnommen, in dem Milon und Achilles ebenfalls erwähnt werden.
87
TOGA VIRILI INDUTUS. In der Zeremonie des TIROCINIUM FORI legten die röm. Knaben im 15. bis 18. Lebensjahr
als Symbol der Erlangung der Bürgerrechte als Erwachsene die Männertoga an. Die Toga war das röm. Kleidungsstück schlechthin; berühmt ist die Definition der Römer als GENS TOGATA bei Verg., ÄN. 1, 282. (Vgl. Suet., AUG. 40, 5; Mart. 14, 124.) Nemius greift auch im Rest des Satzes auf das röm. Idealbild zurück (vgl. zu GESTU GRAVIS besonders ÄN. 1,148-153) und läßt seinen imaginären Helden hier das höchste irdische Ziel der altröm. VITA ACTIVA erreichen.
235
Kommentar
91
REMPUBLICAM TRACTABO.
Ausdruck aus der röm. Staatsphilosophie (nach Cie., BEST. 20); diese und ähnliche Formulierungen bezeichnen das stoische Ideal des pflichtbewußten Bürgers, der sich aktiv um das Wohl des Gemeinwesens kümmert.
92
... DlGiTis. D.h. als berühmter Wohltäter des Volkes. Anders als im Deutschen hat der Ausdruck nur eine positive Bedeutung. Nemius' Wendung ist über Erasmus' MONSTRARI DIGITO (ADAG. 1, 10, 43; vgl. MORIAE ENCOMIUM bei Miller [1], S. 92 Zeile 385) Horaz (CARM. 4,3,22) und Persius (1, 28) nachgebildet. Der Ausdruck war in der Antike sprichwörtlich (Otto Nr. 550).
94
CULTUSQUE ... ALTER IUPPITER.
97-101
Die Verse erhalten Gewicht durch ihre Alliterationen.
97-98
Eine vergleichbare asyndetische Aufzählung bei Hör., A.P. 172-174.
98
Bisher verwandte Nemius das Wort nur zur Beschreibung Eulenspiegels. Der hier dargestellte Jedermann ist also als Parallele zu ihm zu verstehen, d.h. als im Grunde negative Gestalt (vgl. unten zu 111112).
102
VIRIDIS SENECTUS.
COMMONSTRABOR
Vgl. zu 108-109. Der Gipfel des Hochmuts des Mannes, „der sich prahlerisch alles anmaßt". Das dreifache ALTER (auch 83 und 116) verstärkt seine Hybris. Vgl. XLVI, 3.
POLYTROPUS.
nendes Alter").
LABORIS IMPATIENS.
Aus Verg.,
ÄN.
6, 304 („frisch grü-
Nach Ον., TRIST. 5, 2, 3-4.
104
Chiasmus. Der Ausdruck 292, nachgebildet.
105
COMPOTEMVOTI.
106
ALPHA ET
FIDES CANA
ist Verg.,
ÄN.
1,
Vgl. z u XXXV, 70-71.
ω, PRORA
ET PUPPIS.
Im Erstdruck Omega, da-
Kommentar
236
nach durch o ersetzt. Der erste Ausdruck stammt aus OFF. 1, 8, der zweite ist sprichwörtlich und kommt ursprünglich aus dem Griech. Vgl. ADAG. 1,1, 8; Otto Nr. 1477 (lat. bei Cie., AD FAM. 16, 24,1). Wörtlich bezeichnen PRORA und PUPPis das Vorder- und Hinterdeck eines Schiffes. Zu „Alpha und Omega" vgl. Miller (1), S. 81 (zu Zeile 142). 108-109
STERNAM ... CONVEHAM. Echo des berühmten Vergilverses PARCERE SUBIECTIS ET DEBELLARE SUPERBOS (ÄN. 6,
853), wobei Nemius den Sprecher allerdings die röm. Milde übergehen läßt. Der Triumphzug der röm. Feldherren führte vom Marsfeld durch die Stadt Rom zum Tempel Jupiters auf dem Kapitol. Vgl. 94. Zu beachten ist die Alliteration in 109. Siehe auch S. 272. 111-112
Das archaische AST bewirkt einen erhaben-feierlichen Ton, der dem Ernst der Situation angemessen ist. Nemius folgt mit dieser Formulierung Vergil (AST EGO und Verbindungen von AST mit einer Form von ILLE mehrmals in der ÄNEIS) und Horaz (EPOD. 15, 24). Er parodiert weiterhin den Beginn der vier apokryphen Verse, die dem Proömium der ÄNEIS voraufgingen (ILLE EGO, QUI QUONDAM ...).
AST ILLE EGO... QUI OLIM.
Anspielung auf des Erasmus ausführliches Adagium POLYPI MENTEM OBTINE (ADAG. 1,1, 93): „mach es wie der Polyp", d.h. passe dich der jeweiligen Situation an. Zur Schlauheit des Polypen oder Oktopus vgl. Detienne und Vernant, S. 4 5 - 5 2 ; dort Nachweise antiker Textbelege. Erasmus nennt in seinem Adagium den wendigen (POLYTROPOS) Odysseus und zitiert neben Lukian u.a. auch Plaut., BACCH. 6 5 4 662. Der Byzantiner Eustathios (12. Jh.) bezeichnete Odysseus als Oktopus. Vgl. auch ULISSEUM COMMENTUM (ADAG. 2 , 8 , 7 9 ) . Das Thema der Wendigkeit, das vorher Eulenspiegel charakterisierte, wird nunmehr auf die letzte Lebensspanne des Jedermann übertragen ( H i l l 7). Siehe auch oben zu 98, unten zu 116 und 117, ferner zu XXVI, 38. Es kommt hinzu, daß der Polyp als Leckerbissen galt, der aber schlimme Träume hervorruft und daher sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich POLYPI MENTEM TENENS.
237
Kommentar
bringt. Im Adagium POLYPI CAPUT (ADAG. 1,10, 99) sagt Erasmus, daß der Polyp daher einen Menschen mit guten und schlechten Charaktereigenschaften bezeichnet. Die Nennung des Polypen an dieser Stelle verbindet den Lebenslauf des Jedermann mit Eulenspiegel und weist beide als größtenteils negative Beispielsfiguren aus. Siehe auch S. 294-295. 112
COLOREM QUEMLIBET FINGERE.
Das Bild setzt den Tiervergleich des vorigen Verses fort, indem es an die XXVIII, 1-2 genannten Füchse erinnert. Vgl. auch Otto Nr. 64.
114
Rosaus. Q. Roscius Gallus, berühmter Schauspieler und Zeitgenosse Ciceros, der besonders in der Komödie Meister war. Sein Name wurde sprichwörtlich (Otto Nr. 1553).
115
PANTOMIMUS.
116
Die Reihung der drei Namen ist bemerkenswert. Nemius geht es um das Prinzip der Schlauheit und Geschicklichkeit (vgl. AGILLIMUS im vorhergehenden Vers). Nach der Nennung historischer Gestalten greift er nunmehr auf die Mythologie zurück. Argos ist der Erbauer der Argo, des ersten Schiffes. Daedalus ist der allgemein bekannte Erfinder, Baumeister des Labyrinths und Flieger. Die Ausdrücke ARTIFEX und FABER, die ihn häufig beschreiben, hatte Nemius bereits zuvor (IV, 29 [in der Variante FABRICATOR] und XXIX, 3 4 ) auf Eulenspiegel angewandt. Zu Merkur (Hermes) siehe S. 287289.
117
Der Meeresgott Proteus besaß Sehergabe und große Verwandlungskunst. Er konnte die Gestalt von Tieren und sogar von Feuer und Wasser annehmen; vgl. Horn., OD. 4, 363-570; Ον., MET. 8, 731737. Er galt daher als Inbegriff der Wandlungsfähigkeit und Schlauheit. Vgl. Otto Nr. 1478; ADAG. 2, 2, 74 und 3 , 4 , 1 ; oben S. 30 Anm. 14 (Tills Grabinschrift).
Anspielung auf den Mimographen und Schauspieler D. Laberius (1. Jh. v. Chr.), der schon zu Lebzeiten weitberühmt war. Vgl. Hör., SERM. 1,10,6.
PROTEO MUTABILIOR.
238
Kommentar
118
VDC OSSIBUS ADHAERENS.
119
SILICERNIUM.
Nach Verg.,
EKL.
3, 102.
Wörtlich „Totenmahl, Leichenschmaus"; hier im übertragenen Sinne nach Ter., AD. 587, und Plaut., ASIN. 892, Bezeichnung für einen steinalten Mann, der schon mit einem Bein im Grabe steht. Erasmus zitiert die Terenzstelle in ALTERUM PEDEM IN CYMBA CHARONTIS HABERE (ADAG. 2 , 1 , 5 2 ) .
Schlußtitel: Philon von Alexandria (1. Jh. n. Chr.), hellenistischer Theologe und Philosoph, gibt in seinem Werk DE OPIFICIO MUNDI eine ausführliche Erörterung der Siebenzahl (Kap. 89-128). In Kap. 103-105 teilt er nach Solon das Menschenleben in zehn Heptaden ein und zitiert Hippokrates über die sieben Lebensalter. XLVI. 1M
Berühmtes Zitat aus Horaz
2
RUPTA ... MORA. Dem Ausdruck RUMPE MORAS bei Verg., GEORG. 3,43; ÄN. 4,569 und 9,13, nachgebildet. Vgl. zu
(EPIST.
1,16,79).
XXIII, 20. 3
Das von Nemius herangezogene Bild vom Menschenleben als Drama auf der Weltbühne (vgl. zu XLV, 3) findet hier seine Zusammenfassung und seinen Abschluß. Der Hochmut (SUPERBIA) ist in der antiken Tragödie eine Hauptursache für den Sturz des Helden; hier weist SUPERBA auf den Titel von XLV (OMNIA SIBI ARROGANTIS) zurück.
11
Nemius verbindet zwei Bilder, das der Schicksalswaage (das auf Homer zurückgeht; vgl. IL. 8, 68-74 und 22, 208-213) und das des Rechenbretts (Abacus).
15
STULTULI... INFANTULI.
VITAE SUPERBA TRAGOEDIA.
PERPENDAT ... CALCULO.
Wie VIII, 33 und XLIII, 67 auch hier sarkastisch-emphatische Deminutive.
Kommentar
239
Diese beiden Abschnitte des Mannesalters (vgl. oben XLV, 72-96) erscheinen in diesem Vers wohl aus metrischem Grund in umgekehrter Reihenfolge.
16
VIRI, iuvENES.
17
Umschreibung der AETAS DECREPITA (XLV, 111-119), in welcher den Greisen der Lebensatem ausgeht (QUOS FATIGAT SPIRITUS) und die Haut austrocknet und welkt (CUTE ARIDA).
19
QUOTUSQUISQUE EST. Derselbe Ausdruck zu Beginn von Nemius' Widmungsbrief.
20
NATOSQUE NATORUM.
Nach Vergil (ÄN. 3, 98), der den Ausdruck aus Homer (IL. 20,308) ins Lat. übersetzt hatt e . V g l . ADAG. 3 , 1 , 9 3 (ET NATI NATORUM).
21-23
Recht ansprechende Verse, obwohl es sich um einen Allgemeinplatz handelt. Zum gedanklichen Inhalt vgl. z . B . JES. 4 0 , 4 - 6 ; JAK. 1 , 1 0 - 1 1 ; 1 PETR. 1, 2 4 - 2 5 .
24
SIC ... SIC ... SIC. Emphatische Anapher.
25
MISCERIER ... FUÑERA. V g l . H ö r . , CARM. 1 , 2 8 , 1 9 .
28
Seine zwölf Arbeiten, zu denen noch mehrere unkanonische Leistungen kamen, machten Herakles zum größten Helden der klassischen Mythologie. Schon in der Antike diente er als moralischallegorische Figur. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Geschichte von Herakles am Scheideweg in einer Schrift des Prodikos von Keos (5. Jh. v. Chr.): Herakles entscheidet sich für den beschwerlichen Weg der Tugend (vgl. oben die Bemerkung zum Cicerozitat in Nemius' Widmungsbrief) und gegen den angenehmen Weg des Lasters. Als Lohn dafür werden ihm die Gnade der Götter und unsterblicher Ruhm zuteil. Erasmus benutzt zu Beginn von HERCULEI LABORES (ADAG. 3 , 1 , 1 ) die Gestalt des Herakles im Anschluß an Horaz (EPIST. 2, 1, 1 0 - 1 1 ) als Ausgangspunkt einer kurzen Darstellung von INVIDIA (Neid) und IMMORTALIS LAUS (ewigem Ruhm). Wie Prometheus erscheint Herakles bei ErasHERCULIS ... LABOR.
240
Kommentar
mus als Symbolfigur des menschlichen Daseins. Siehe auch oben zu XV, 39 und XLV, 83. 30
VANITATUM VANITAS VANISSIMA. Nach ECCLESIASTES 1, 2 und 12, 8. Vgl. XLIV, 15 (VANITAS VANISSIMA). Ne-
mius' Moralpredigt findet ihren Höhepunkt und Abschluß in einem starken rhetorischen Tusch (polyptotische GEMINATO); Lausberg, § 648, 4): ein alliteratives Spiel mit dem VANITAS-Begriff, das die didaktische Absicht des TRIUMPHUS deutlich herausstellt. Der Positiv VANA (12) und der Komparativ VANIORA (14) haben den Leser auf den Superlativ VANISSIMA vorbereitet. Das Thema der VANITAS klingt zuerst im Dekastichon des Apherdianus an (Vers 4).
31
Rhetorische Apostrophe an den Jedermann, die aus der moralisch-didaktischen Dichtung der Antike stammt. Der Ausdruck enthält oft eine sarkastische Note, so bei Propert. 3, 7, 29 und 3, 18, 17 und regelmäßig bei Juvenal. Nemius läßt ihn Eulenspiegel selbst XXXVIII, 13 gebrauchen.
32
SOLAMORS.
I NUNC.
Vgl. Juv. 10,172-173.
5. Geistes- und literargeschichtliche Einordnung des Eulenspiegelgedichts
In diesem Kapitel sollen zunächst zwei wesentliche Charakteristika des TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE hervorgehoben werden, die als Ansätze zu einer Interpretation des Gedichts dienen und seine Einordnung in die Geistes- und Literaturgeschichte ermöglichen. Es handelt sich dabei um den Themenkreis der Weisheit und Torheit und um den Topos des MUNDUS INVERSUS (oder MUNDUS PERVERSUS), das Motiv der verkehrten Welt. Danach untersucht das Kapitel den Einfluß der antiken und mittelalterlichen MEMENTO Morn-Tradition auf den Schlußabschnitt des TRIUMPHUS. Es schließt mit einer Erörterung der Frage, worin die Leistung und Bedeutung von Nemius' Eulenspiegelgedicht liegt. Das Schlußkapitel bezieht sich dann aus der Perspektive der antiken Literatur noch einmal auf einige der hier behandelten Aspekte.
5.1. Göttliche Weisheit und menschliche Torheit Der Weisheitstopos, der allgemein in der Renaissance wichtig war, dürfte bei Nemius auf den Einfluß von Erasmus zurückgehen. Darauf, daß Nemius überzeugter Anhänger des erasmischen Humanismus war, hat bereits der biographische Abriß oben aufmerksam gemacht. Nemius gab seinem Eulenspiegelgedicht einen Titel, der mit dem von Erasmus' MORIAE ENCOMIUM fast synonym ist. Nemius war allerdings nicht der erste Autor der Renaissance, der den Ausdruck „Triumph der Torheit" in einem Gedichttitel verwandte. Vor ihm hatte der 1524 verstorbene italienische Humanist Faustinus Perisaulus (Faustino Perisauli) ein Gedicht von vergleichbarer Länge DE TRIUMPHO STULTITIAE genannt, und um 1550, also nur wenige Jahre vor Nemius' Gedicht, war anonym in Lyon LE TRIUMPHE DE HAULTE FOLIE erschie-
242
Einordnung des
Eulenspiegelgedichts
nen. Perisaulis Gedicht ist eindeutig, das letztere höchstwahrscheinlich von Erasmus inspiriert. Die Frage, ob beide Nemius bekannt waren und ihn bei der Abfassung seines TRIUMPHUS beeinflußten, ist jedoch nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten. Die thematische Verwandtschaft des TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE mit Erasmus' MORIAE ENCOMIUM wird schon dadurch illustriert, daß die Hauptfiguren beider Werke doppelsinnig angelegt sind. Bei Erasmus äußert die Moria oft Meinungen und Erkenntnisse, die durchaus beherzigenswert und korrekt sind, wenn man sie von einem moralisch-ethischen Standpunkt aus und unabhängig von der Sprecherin betrachtet. Da es sich jedoch gleichzeitig um Worte der personifizierten Torheit handelt, werden ihr Gehalt und ihr Wahrheitsanspruch durch Ironie gebrochen und in Frage gestellt.1 Vergleichbares gilt für Till Eulenspiegel. Er ist einerseits ein zerstörerischer Schalk im ursprünglichen Sinne des Wortes, der vor nichts zurückschreckt. Sein Vater grämt sich gar über ihn zu Tode, wie Nemius ausdrücklich feststellt (IV, 32). Andererseits kann er aber auch als positive Gestalt fungieren. So bestraft Eulenspiegel beispielsweise schon in frühem Alter die beiden Honigdiebe. Dem Pfeifendreher, der selbst ein Schalk (SCURRA) ist, erteilt er die verdiente Lehre, indem er ihm Gleiches mit Gleichem vergilt: PAR PARI (XXXII, 33; vgl. TALIONEM, 27 und 40). Weiterhin bestraft Eulenspiegel die Arroganz des Magdeburger Arztes, die Hoffart und Grausamkeit des Wirtes der zwölf Blinden, die Hänseleien und Prahlereien eines anderen Wirtes gegenüber seinen Gästen und das freche Benehmen eines Holländers. Souverän entlarvt er den Hochmut und die falsche Weisheit der Intellektuellen der Prager Universität und der weltlichen und geistlichen Herrscher. Weitere Beispiele ließen sich anführen. Die Doppelbödigkeit der Schalksgestalt wird bei Nemius in derjenigen Historie am deutlichsten, in der Eulenspiegel sich als Brillenmacher ausgibt und eine Moralpredigt auf die Diskrepanz von Schein und Sein hält. Eulenspiegels gesellschaftskritische Funktion, die bereits in seinem sprechenden Namen liegt, wird hier durch das Motiv von Brillen und Spiegeln noch verstärkt. Wenn allerdings am Ende von Nemius' Version dieser Geschichte eine Marginalie Tills Rede als SIMPLEX VERITATIS ORATIO zusammenfaßt, liegt darin nach dem Vorbild der erasmischen Moria ein guter Schuß Ironie. Wir sollten nämlich bei dieser 1
Vgl. hierzu z.B. Könneker (1), S. 258-260.
Göttliche Weisheit und menschliche Torheit
243
Historie den Umstand im Auge behalten, daß „Brillen verkaufen" eine Metapher für „betrügen" ist.2 Auch wenn Till die Wahrheit sagt, bleibt er ein fragwürdiger Charakter (vgl. unten). Wie Erasmus' Moria ist auch Eulenspiegel eine schillernde Gestalt, die sich nicht leicht auf einen einzigen Nenner bringen läßt. Der Grund hierfür liegt zweifellos in der Natur des Begriffs der Weisheit, der sich von der Antike bis zur Renaissance in doppelter Bedeutung durch die Geistesgeschichte zieht. Unterschieden wurde schon seit dem Alten Testament zwischen göttlicher und weltlicher Weisheit. Nur die erstere ist wahre Weisheit; die letztere ist in Wirklichkeit ein leerer Schein, eine hohle Fassade der Eitelkeit (VANITAS). Auf dem Hintergrund antiker (d.h. heidnischer) Weisheitsdefinitionen, wie z.B. der platonischen Ideenlehre oder des durch Cicero und Seneca der Nachantike vermittelten stoischen Weisheitsbegriffs, sowie auf dem Hintergrund der Bibel entwickelt sich das Verständnis des Weisheitsbegriffs im Mittelalter und in der Renaissance.3 Laktanz handelt im dritten Buch der DIVINAE INSTITUTIONES von der falschen Weisheit der heidnischen Philosophen und im vierten Buch von der wahren Weisheit und Religion des Christentums.4 Den antiken Weisheitsbegriff verbindet Augustinus dann eng mit der christlichen Weltanschauung.5 Unter Einbezug alttestamentlicher Bibelstellen betont Augustinus den Unterschied zwischen falscher weltlicher und wahrer geistlicher Weisheit. Letztere stammt von Gott.6 2 3
Mackensen, S. 249-250. Hierzu grundlegend die Übersicht bei Rice, besonders S. 1-29; siehe auch Könneker (1), S. 5-14; außerdem die Untersuchungen von Swain, Screech und Lefebvre. Der schon im klassischen Altertum hervorgehobene Unterschied zwischen göttlicher und menschlicher Weisheit in der Definition des Begriffs erscheint deutlich z.B. bei Cie., OFF. 2 , 5 : SAPIENTIA AUTEM EST, UTA
VETERIBUS PHILOSOPHE DEFDM1TUM EST, RERUM DIVINARUM ET HUMANARUM CAUSARUMQUE,
(„Die Weisheit aber ist, wie von alten Philosophen bestimmt worden ist, das Wissen um Göttliches und Menschliches und deren Ursachen, von denen diese abhängen"; Gunermann, S. 145). Vgl. Cie., Tusc. 4, 57; Sen., EPIST. 89, 4-5. Zur stoischen Weisheitslehre und ihrer Verwandtschaft mit der des Hl. Paulus siehe Wilckens, S. 255-270. Zu den Begriffen SAPIENS-INSIPIENS in religiösem Zusammenhang siehe nunmehr auch Mezger, S. 75-131. Vgl. EPIT. DIV. INST. 30 (falsche Weisheit), 40 (Torheit der Philosophen) und 57 (Gegensatz von Weisheit und Torheit). Rice, S. 3 und 7-13. Zu Augustinus und Erasmus siehe außerdem die ausführlichen Bemerkungen von Screech. Aug., ENCHIR. ADLAUR., 1,1-3; vgl. Lakt., Drv. INST. 4, 3 (Einheit von SAPŒNTIA QuiBus EAE RES coNTiNENTUR, soENTiA
4
5
6
2 4 4
Einordnung des Eulenspiegelgedichts
Die einflußreichste neutestamentliche Textstelle, die den Unterschied zwischen weltlicher und christlich-religiöser Weisheit hervorhebt, ist der erste Korintherbrief des Apostels Paulus. Das nur dem Irdischen verhaftete Denken und Wissen ist Torheit vor Gott.7 Daraus ergibt sich die Ermahnung: „Glaubt jemand unter euch, weise zu sein in dieser Welt, der werde ein Tor, um ein Weiser zu werden." 8 Für Erasmus' Konzeption der Moria ist diese Bibelstelle als grundlegend anzusehen, wie die Beschreibung des christlichen Narren im letzten Drittel des M O R I A S E N C O M I U M verdeutlicht. Die vollkommene Verkörperung dieses Narren wird mit Christus erreicht.9 Bei Erasmus dient die Thematik der Torheit des Kreuzes dem Zweck, die in den voraufgegangenen Teilen des Werkes dargestellten Gegensätze und Paradoxe aufzuheben.10 Mittels der Torheit kann der christliche Tor der Welt entsagen. Er wird zum Außenseiter der menschlichen Gesellschaft, zumal deren Herrscher ihr weltliches Glück nur auf dem Wege der Pflichtvergessenheit erreichen.11
7
8
9
10 11
und RELIGIO). Zum Weisheitsbegriff im Alten Testament siehe JOB 28, 2028; ECCLESIASTE; 8,16-17; WEISH. 8,10-13 und 9, 9-11; ECCLESIASTICUS 1, 1-10 und 24,1-22. Vgl. auch das aus der antiken und alttestamentlichen Tradition stammende Weisheitsverständnis bei Philon von Alexandria (Philo Iudaeus); hierzu Wolfson, Bd. 1, S. 148 und 255, und ausführlicher Wilckens, S. 139-159. Wie die SUBSCRIPTO zu Abschnitt XLV des TRIUMPHUS HUMANAE STULTTIIAE zeigt, war Nemius mit Philons Gedankenwelt vertraut. 1 KOR. 1 , 1 8 - 3 1 und 3 , 1 6 - 2 0 . Eine grundlegende Studie des Weisheitsbegriffs in diesem Brief bei Wilckens; zur Torheit des Hl. Paulus siehe Screech, S. 1 6 - 1 8 . Bei Alciati ( 2 ) ist das fünfte Emblem dem paulinischen Thema gewidmet: SAFIENTIA HUMANA STULTTITA EST AFUD DEUM. 1 KOR. 3,18. Vgl. hierzu Nigg, S. 9 - 2 6 ; Kaiser, S. 4 2 ; Lefebvre, S. 2 4 2 - 2 4 3 . Kaiser, S. 9 , und Kinney, S. 4 7 - 4 8 , verweisen auf die Brüder vom Gemeinsamen Leben, auf Thomas a Kempis' IMITATO CHRISTI ( 1 4 4 1 ) und auf Nikolaus von Cusas DE DOCTA IGNORANTIA ( 1 4 4 0 ) als Einflüsse auf den Schlußteil des MORIAE ENCOMIUM. Eine grundlegende Darstellung der religiösen Torheit bei Erasmus gibt Screech; siehe dort S. 3 6 - 4 2 und 6 8 - 7 2 zur Torheit des Kreuzes. Im Jahre 1534 veröffentlichte Sebastian Franck (Frank) eine deutsche Übersetzung des MORIAE ENCOMIUM, der er sein eigenes „Enkomium: Ein Lob des Thorechten Göttlichen Worts" voranstellte. G. Thompson, S. 62. Vgl. den Text des MORIAE ENCOMIUM und die Anmerkungen dazu bei Miller (1), S. 178 Zeile 904 - 190 Zeile 172. Miller (2), S. xxi, xxiii und xxv. Siehe auch Kaiser, S. 84-90. Einen Abriß des Weisheitsbegriffs bei Erasmus (und bei Juan Luis Vives) gibt Rice, S. 156-163. Auch auf die Reformatoren wirkte sich die hier nachgezeichnete Weisheitsidee nachhaltig aus; siehe hierzu z.B. Rice, S. 27 (Einfluß des Augustinus) und 124-128.
Göttliche Weisheit und menschliche
Torheit
245
Die Argumentation, mit der Erasmus die Moria diesen Höheund Schlußpunkt ihrer Verteidigungsrede erreichen läßt, braucht hier nicht im einzelnen nachvollzogen zu werden. Die Torheit bedient sich eines ausführlichen Kataloges antiker und biblischer Autoritäten — wenn auch teilweise in sophistischer Absicht —, um ihre Argumentation zu festigen. Der Apostel Paulus ist dabei einer ihrer bedeutendsten Gewährsmänner. Die Moria führt die oben genannte Stelle aus dem Korintherbrief neben weiteren Textstellen in wörtlichem Zitat ins Feld. Ähnlich, doch unter anderem Vorzeichen, war Erasmus auch im ENCHIRIDION MILITIS CHRISTI ANI vorgegangen, dessen Absicht nach seinem eigenen Zeugnis der des MORIAE ENCOMIUM gleichkommt.12 Im sechzehnten Jahrhundert war zu erwarten, daß sich die Verfasser religiös-didaktischer Schriften wie Erasmus, Luther und zahlreiche andere auf die Autorität des Paulus beriefen, und es überrascht daher nicht, daß auch Nemius seinen TRIUMPHUS H U MANAE STULTTTIAE mit dieser paulinischen Note ausklingen läßt. Nemius fügt die Verse, in denen er Eulenspiegels Streiche nacherzählt, in einen religiös-didaktischen Rahmen ein. (Vers 3 5 6 - 3 6 4 in der nur zwei Jahre vor dem TRIUMPHUS veröffentlichten APOLOGIA hatten gewissermaßen den Rahmen des letzteren Werkes angekündigt.) Es wird allerdings deutlich, daß Nemius' Gedicht nicht den gleichen Rang in der Literaturgeschichte beanspruchen kann, der dem MORIAE ENCOMIUM zusteht; denn bei Erasmus sind Spiel und Ernst von Anfang an untrennbar in der Gestalt der Torheit verbunden. Dadurch gelingt es Erasmus, mit der Gestalt der Torheit selbst sowie mit ihrer Rede ein schillerndes Bild von Ironie und Doppelsinn zu zeichnen. Eine derartig enge Verschmelzung von moralischer Didaxe und spielerischer Ironie ist Nemius nicht geglückt. Seine Entscheidung, die Eulenspiegelhistorien mit einem Rahmen zu umgeben, macht diesen Sachverhalt deutlich. Mit diesem Urteil sei jedoch das literarische Verdienst unseres Autors, das weiter unten gewürdigt wird, keinesfalls beeinträchtigt. Der Beginn des Rahmens im ersten Abschnitt des TRIUMPHUS ist ein Encomium des Schöpfers und läßt den Gegensatz von DEUS und NATURA hervortreten. Die Wohltat Gottes, der Seinen Sohn in die Welt gesandt hat, wird von den blinden und dem Bö12
Hierzu Kaiser, S. 5 8 ; Miller ( 1 ) , S. 1 9 - 2 0 . Screech, S. 9 1 - 9 3 , erörtert Erasmus' Absicht i m Schlußteil d e s MORIAE ENCOMIUM auf d e m paulinischen Hintergrund v o n 2 KOR. 4 , 1 8 .
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
sen verhafteten Menschen entweder nicht erkannt oder abgelehnt (I, 1-10). Innerhalb seiner Beschreibung der Welt unterscheidet Nemius weiterhin zwischen der Natur als Mutter (MATER) und als Stiefmutter (NOVERCA, 20). Damit greift er auf die Thematik seines früheren Werkes PARENS ET NOVERCA (1553) zurück. Doch selbst die Gaben, welche die mütterliche Natur verschenkt, sind oft nur äußerlich wertvoll. Als Beispiele nennt Nemius Schönheit, Ruhm und — bezeichnend für die Hauptfigur seines Gedichts — Gewandtheit (24-40). Sie alle sind nur Schein. Die Einleitung des TRIUMPHUS schließt mit dem Hinweis, daß die Menschen heutzutage allgemein klüger sind als ihre Vorfahren (HUIUS SECULI SAPIENTIOR / PROPAGO, 39-40) und hierin sogar die Gotteskinder übertreffen. In der Person Till Eulenspiegels sehe man dieses am deutlichsten (41-43). Ein überraschend strenges Urteil über die böse Natur Eulenspiegels (FOEDISSIMOS [...] MORES, 42-43) beschließt den Einleitungsteil. Kurz darauf charakterisiert Nemius Eulenspiegel mit Ausdrücken wie NEBULO (III, 1 4 ) , MAU OMNIS ARTIFEX ( I V , 7), FOEDUS PUER (IV, 2 4 ) u n d FABRICATOR MALORUM (IV, 29). Er führt den „Helden" Eulenspie-
gel von Anfang an bei seinen Lesern als negative Beispielsfigur ein. Wie bereits dargestellt, greift er damit den Ansatz seiner Vorlage, der Antwerpener Hoochstratenausgabe, wieder auf. Mehr noch als bei Hermen Bote ist Eulenspiegel bei Nemius ein böser Schalk im ursprünglichen Sinne des Wortes.13 Das Motto, das Kaspar Scheid im Jahre 1551 seiner deutschen Fassung des GROBIANUS (1549) beigab, darf weitgehend auch für den TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE geltend gemacht werden: LISS WOL DISS BÜCHLIN OFFT UND VIL, UND THU ALLZEIT DAS WIDERSPIL.14
Am Schluß des TRIUMPHUS zieht Nemius dann das Fazit aus der vorausgegangenen Lebensbeschreibung Tills. Wie Jacob Burckhardt gezeigt hat, war das Streben nach Geltung ein Hauptkennzeichen des Individuums in der Renaissance, und Die moderne Forschung hat Botes Eulenspiegel gar als Verkörperung der sieben Todsünden (Honegger [2]) und als Teufelsfigur (Schüppert) aufgefaßt. Beides geht sicher zu weit. Kritik an Honeggers Interpretation üben u.a. Zöller, besonders S. 25-26; Könneker (2), besonders S. 200-203. Zitiert aus Könneker (1), S. 256 Anm. 19. Detaillierte Ausführungen zu Eulenspiegel als Negativfigur bei Röcke, S. 213-251; Bollenbeck (2), S. 4953 und 192-203; Schmitz (2). Nur kurze Hinweise auf Nemius' Eulenspiegel als negative Gestalt zum Zwecke der literarischen Didaxe gibt Tacconelli, S. 80-82. Seine knappen Ausführungen geben jedoch kaum die „schöne Bestätigung" des Ansatzes von der Teufelsfigur, als welche Schüppert, S. 23-24 Anm. 49, sie auffaßt.
Göttliche Weisheit und menschliche Torheit
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eine übersteigerte Ruhmsucht konnte bisweilen sogar bis zum Verbrechen führen.15 Bei Nemius gipfelte die Behandlung des Themas des falschen weltlichen Ruhmes in der Einleitung des TRIUMPHUS nach drei antiken Beispielen — Sinon, Epeios, Herostratos — im Verweis auf Eulenspiegel als den bekanntesten Träger derartigen Ruhmes (1,41-42).16 Diese seine Perspektive exemplifiziert und begründet Nemius anschließend mit Tills Lebenslauf. Er beschließt seine Erzählung von Eulenspiegels Leben und Tod mit dem Hinweis, er wolle den Leser zu größerer Vorsicht gegenüber den Fallstricken schlauer und schädlicher Übeltäter ermahnen und ihm die Erkenntnis des Unterschieds von Gut und Böse (BONA und PRAVA) erleichtern (XLIII, 102-107). Die Thematik der GLORIA greift Nemius danach wieder auf. Er bringt die Lehrabsicht seines Gedichts EXPRESS» VERBIS und in geradezu thesenhafter Formulierung zur Sprache. Das menschliche INGENIUM, das eine Gabe der Natur und somit ursprünglich ein Geschenk Gottes, ihres Schöpfers, ist, kann nichts zur Beständigkeit und Ewigkeit des menschlichen Namens beitragen, wenn es sich erst einmal zum Bösen gewandt hat (XLIV, 1-8). In der religiös bestimmten Wortwahl dieser Verse dürfte der Predigtstil des geistlichen Autors anklingen.17 Wichtiger als die AETERNITAS des Namens (3-4) ist die der Seele. So spricht Nemius vom COELUM ATTINGERE („in den Himmel kommen") und von der DEI GRATIA, der Gnade Gottes (5-6). In der Randglosse zu diesen Versen wird die Autorität des Apostels Paulus herangezogen, und zwar mit dem zu erwartenden Zitat aus dem ersten Korintherbrief: „Menschliche Weisheit ist Torheit vor Gott." Ein weiteres Bibelzitat, wiederum in einer Randglosse, schließt sich kurz darauf an: Alle guten Gaben kommen von Gott.18 Schlauheit und Gewandtheit (SAGACITAS und DEXTERITAS, 10) sind nur Eitelkeiten (vANITAS VANISSIMA, 15). Derselbe, aus der Bibel bekannte Allgemeinplatz findet sich auch im Schlußteil des MORIAE ENCOMIUM.19 Der warnenden Stimme des auktorialen Predigers Nemius folgen im TRIUMPHUS zwei Abschnitte (XLV-XLVI), die Leben 15 16
17 18
19
Burckhardt, S. 106-114. Dante verbannte Sinon wegen seiner Lügen in die Hölle (INF. 30, 91). Burckhardts Bemerkungen über die Ausartungen der Ruhmsucht schließen mit einem Hinweis auf Herostratos (S. 114). Vgl. zur Thematik OFFENB. 4,11. JAK. 1,17. Im fünften Vers dieses Kapitels spricht Jakobus das Thema der Weisheit als Gabe Gottes an. Bibelstellen: ECCLESIASTES 1, 2 und 12, 8.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
und Tod des Menschen exemplarisch behandeln und für unsere Untersuchung von besonderem Interesse sind. In erster Linie sind sie moralisch und didaktisch ausgerichtet und verleihen dem Eulenspiegelgedicht einen angemessenen Höhepunkt und Abschluß. Nemius gibt zunächst nach dem antiken Muster des Hippokrates den auch im Mittelalter und in der Renaissance verbreiteten hebdomadischen Ablauf des Menschenlebens. Schon die Überschrift, die Nemius für diesen Lebenslauf wählt, läßt seine religiöse Absicht durchscheinen; denn der spätgriechische Ausdruck HYPOTYPOSIS („Entwurf, Beispiel") stammt aus dem Neuen Testament. Ein in der ersten Person Singular eingeführter Anonymus fungiert als Jedermann. Dabei klingt auch der Topos mit an, die ganze Welt sei eine Bühne, auf der sich das menschliche Leben abspielt: TOTUS MUNDUS AGIT HISTRIONEM. Das Motiv geht auf das klassische Altertum und die christliche Spätantike zurück und war auch im Mittelalter und später geläufig.20 So erscheint der Topos sehr häufig bei Erasmus und stellt ein Leitmotiv der Rede der Moria dar.21 Parallel hierzu steht die Gestalt des Jedermann bei Nemius, der mit ihr ein zeitlos gültiges Bild des menschlichen Lebens und Strebens zeichnet, welches in vielem durchaus positive Züge aufweist (vgl. XLV, 53-67.85-90.97101). Dennoch ist dem Leser dieser Biographie von vornherein klar, daß ihm hier nur das Leben eines Weltweisen vor Augen geführt wird. Dies geht bereits aus dem voraufgehenden Abschnitt hervor, wo unser Jedermann zwar als durchaus der Weisheit fähig (PRAEDITUS SAPIENTIA) vorgestellt, seine Weisheit aber als nur „voreilig" (PRAEPROPERA) charakterisiert wird (XLIV, 19-20). Im Titel zum Abschnitt XLV bezeichnet Nemius seinen Jedermann als einen Menschen, der sich prahlerisch alles anmaßt (HOMINIS OMNIA SIBI ARROGANTIS). Hierin liegt ein deutlicher Rückverweis auf den ersten Abschnitt des TRIUMPHUS, in dem Nemius die falsche Weisheit der Menschen beklagte und feststellte, daß sie PLERAQUE ARROGANT SUAE PRUDENTIAE. (PRUDENTIA ist als Synonym von SAPIENTIA ZU verstehen.) Nach dem stoischen Vorbild der Antike, das die Renaissance wieder auf20
21
Siehe hierzu Curtius, S. 148-154, der auch auf die kynischen Diatriben der Antike und auf Lukian hinweist. Zur Thematik des Welttheaters allgemein sowie speziell zur Zeit des Barock vgl. Alewyn, besonders S. 6272 (das Theater als vollständiges Abbild und Sinnbild der Welt) und 8790. Vgl. hierzu Könneker (1), S. 312 und Anm. 83; Kinney, S. 58-62; Gordon, S. 157-169.
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griff, ist der von Nemius skizzierte Lebenslauf ein Beispiel der und des BENE AGERE, das sich vor allem in der Leitung und Verteidigung des Staatswesens verwirklicht. Besonders anschaulich beschreibt der Lehrer und Erzieher Nemius in den INFANTIA und PUERITIA betitelten Passagen die Entwicklung des Kindes in seiner lebendigen Gefühlswelt und spielerischen Aktivität. Doch schon hier ist ein brennender Ehrgeiz die Triebfeder, wie im Anklang an eine berühmte Salluststelle deutlich wird.22 Die zeitgenössischen Leser werden sich bei der Lektüre dieser Abschnitte und bei der Formulierung AMPLECTARQUE LÚDICRA OMNIA in Vers 21 an das bekannte Pauluswort aus dem genannten Korintherbrief („Als ich noch ein Kind war ...") erinnert haben.23 Die Spiele der Kinderzeit sind für den Ehrgeizigen Vorübungen auf den später zu erwerbenden Ruhm (XLV, 46), und der heranwachsende Knabe richtet sein Leben ausschließlich auf die Ehre (HONOS) und auf die zu ihrer Erlangung nötigen Höchstleistungen (SUMMA MUNIA, 49-51). VITA ACTIVA
Die Taten und Leistungen, die uns der Jedermann des Nemius in den darauffolgenden Lebensabschnitten als erstrebenswert vor Augen führt, stellen einerseits das Idealbild eines um das Wohl der Mitbürger besorgten und tatkräftig auf den Vorteil des Staates bedachten Mannes dar, der zu den höchsten Ehren und Würden und zu größtem Ansehen aufsteigt. Andererseits ist aber in der ehrgeizigen Zielstrebigkeit, welche die treibende Kraft dieser Karriere ausmacht, bereits der Gedanke des Scheiterns eingeschlossen, zwar nicht in den Augen der Welt, doch in den Augen des wahren Weisen und in den Augen Gottes. Nemius trägt nämlich in seiner Darstellung dafür Sorge, den Leser immer wieder an sein erzieherisches Hauptanliegen zu erinnern, die wahre Natur der Weisheit im Bewußtsein zu behalten. Daher zieht er den maßlosen Ehrgeiz seines weltweisen Jedermann etwas ins Lächerliche. Dieser hält sich nicht nur einigen antiken Helden für ebenbürtig (83), sondern vergleicht sich sogar mit Jupiter (94) und wertet sich als Alpha und Omega (106). Letzteren Vergleich, der eine unübersehbare christliche Konnotation enthält, mögen zeitgenössische Leser fast als Blasphemie aufgefaßt haben. Auch das einige Zeilen vorher gewählte Verb SOMNIABO (68), mit dem Nemius den Sprecher sich selbst charakterisieren läßt, verweist 22 23
Siehe den Kommentar zu XLV, 19. 1 KOR. 13, 11. Es ist bemerkenswert für unseren Zusammenbang, daß der Kontext dieser Paulusstelle vom menschlichen Erkennen handelt.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
auf die im Grunde schemenhafte und insubstantielle Natur seines Erfolges. Erst nach Erreichung der gesteckten Ziele und im schwachen Greisenalter kommt unserem Jedermann die Erkenntnis, daß ihm nach all seinem Jagen und Streben nur noch der Tod beschieden ist. Mit der Betrachtung des Todes als des eigentlichen Zieles des menschlichen Daseins läßt Nemius sein Gedicht ausklingen. Eng verbunden mit dem Bewußtsein der Todesnähe ist die Erkenntnis des wahren Wesens der menschlichen Existenz. Leitmotivisch zieht sich der Topos der Eitelkeit durch die Verse des letzten kurzen Abschnittes (XLVI, 12.14.30). Die den törichten Weltweisen erschütternde Erkenntnis der VANITAS des Daseins, die der Tod mit sich bringt, führt ihn in letzter Minute zum Wissen um den wahren Sinn des Lebens: Alles, was der Mensch im Leben erreicht hat, ist nicht eigenes Verdienst, sondern nur mit Gottes Hilfe und Gnade erworben (31-34). Der Mensch, der glaubt, er sei zum Triumph bestimmt, triumphiert in Wirklichkeit eben nicht.24 Den in der Welt so überaus Erfolgreichen, der sich sein Leben lang als trotziger Sieger (TRIUMPHATOR FEROX; XLVI, 31) aufgespielt hat, unterwirft nämlich der Tod. Im Ausdruck TRIUMPHATOR liegt nicht nur ein Rückverweis auf den Titel des Gedichts, sondern es klingt auch das klassische und humanistische Thema des CONTEMPTUS MUNDI mit an, zu dem sich neben anderen Autoren Erasmus ausführlich geäußert hatte.25 Der wahrhaft Weise und Demütige kann den Sieg des Todes durch Anerkennung der Größe Gottes überwinden. Ebenso weist Nemius bezeichnenderweise auf Gottes Triumph im letzten Vers des Gedichts hin: VERUS TRIUMPHUS A DEO PROFICISCITUR (XLVI, 35). Der Tod verliert somit seinen Stachel. Mit dem Lobpreis des göttlichen Triumphs über die menschliche Eitelkeit und über den Tod schlägt Nemius einen Bogen zurück zum Anfang des Gedichts mit seinem Hymnus auf die Güte des Schöpfers.
24
25
Diese Haltung liegt den Versen XLV, 5 8 (CORPUS [ . . . ] AD TRIUMPI MM EDUOTUR) und 109 (Triumphzug des auf der Höhe der weltlichen Macht Stehenden: CONVEHAM IN CAHTOUUM) zugrunde. Vor dem Hintergrund dieser aus dem heidnischen Rom hergeleiteten Ausdrucksweise und in Bezug auf das Ruhmverständnis bei Nemius ist ein Hinweis auf das humane Wort Plinius' d. Ä. angebracht: DEUS EST MORTAU IUVARE MORTALEM, ET HAEC AD AETERNAM GLORIAMVIA („göttlich ist es, wenn ein Mensch dem anderen hilft, und dieses ist der Weg zu ewigem Ruhm"; NAT. HIST. 2 , 5 , 1 8 ) . Erasmus' Moria zitiert den ersten Teil dieser Stelle; siehe Miller (1), S. 80 Zeile 139. Vgl. seine Schrift DE CONTEMPTU MUNDI. Siehe dazu Schoeck, S. 121-131.
Göttliche Weisheit und menschliche Torheit
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So ist der imaginäre Lebenslauf am Ende des TRIUMPHUS als gelungene, über eine bloße Moralpredigt hinausgehende Darstellung des Weisheitstopos zu werten. Zwar gewinnt Nemius dem Thema keine neuen philosophischen Tiefen ab, doch das wird er kaum beabsichtigt haben. Die Mehrzahl seiner Leser dürfte in erster Linie ihre Freude an der Erzählung von Till Eulenspiegels Streichen gehabt haben, ohne sich über die damit verbundene Didaxe weiter viele Gedanken zu machen. Über dem UTILE, das den Leitfaden der dichterischen Absicht in dem um die Biographie Eulenspiegels gelegten Rahmen darstellt, ist nämlich das DULCE der Eulenspiegelhistorien, die ja den Hauptanteil des TRIUMPHUS ausmachen, nicht zu vernachlässigen. Dabei ist es das bleibende Verdienst unseres Dichters, als erster die Gestalt Eulenspiegels in solch engen Bezug zum Weisheitstopos der Renaissance gesetzt zu haben. Selbst in seiner Nachdichtung der Historien klingt dieses Thema an. Dazu im folgenden einige Hinweise. Der Topos der Weltweisheit, der sich leitmotivisch durch das gesamte Eulenspiegelgedicht zieht, rückt besonders in denjenigen Historien in den Vordergrund, in denen Till mit sozial Höhergestellten zu tun hat. In der Episode beim Landgrafen von Hessen ist es gerade eine Törin (MENTE CAPTA ANCILLULA; XVIII, 42), die Eulenspiegels Streich durchschaut und frei heraus (LIBERE, 47) die Wahrheit kundtut. Ihr niederer Rang am Hofe, den der Deminutiv ANCILLULA ausdrückt, kontrastiert mit der Tugend der freien Rede. Aus einer Törin wird also geradezu die Verkörperung der Weisheit. Im Abschnitt XIX, der an der Prager Universität spielt, entlarvt Eulenspiegel mühelos die so selbstgefällige wie oberflächliche Natur des Wissens, das sich die Professoren und vorab ihr Herr Rektor zugute halten. Die Eitelkeit ihrer vorgeblichen Weisheit zeigt sich darin, daß des Rektors Fragen an Till nur aus Spitzfindigkeiten bestehen, die mit wirklichem Wissen nicht das geringste zu tun haben.26 Dementsprechend legt Nemius, der zur Zeit der Abfassung des TRIUMPHUS selbst Rektor war, wenn auch nicht an einer Universität, gleich zu Beginn der Episode dem Prager Rektor den ironischen Superlativ SUBTILISSIMUS bei (5). Er deutet damit an, daß das Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund dieser Historie vgl. die Ausführungen bei Krohn, S. 15-27, besonderes. 15-16 (Scholastik und Humanismus) und 19-21 (die lateinischen Frage- und Antwortbücher). Vgl. den Kommentar zu XIX, 2-3.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
überzüchtete Gelehrtenwissen verstiegen und verschroben ist. Statt über Weisheit verfügen die hohen Herren nur über die reinste Sophisterei. Dementsprechend läßt Nemius sie im letzten Vers mit dem vernichtenden Urteil TOT SOPHIST ARUM zurück. Im Numerale liegt hierbei eine stark sarkastische Note. Till schlägt natürlich den Rektor mit seinen eigenen Waffen. Der spöttische Deminutiv RATIUNCULA in Vers 16 verweist seinerseits auf die Spitzfindigkeit Eulenspiegels. Hinter der Eitelkeit der Akademiker verbirgt sich aber auch eine für sie typische Rachsucht. Eulenspiegel stellt ihre Torheit und Eitelkeit öffentlich bloß, noch dazu vor ihren eigenen Studenten (wie es bei Bote geheißen hatte, sogar im Beisein seines Wirtes und mehrerer Bürger). Dafür hat er mit ihrer Hinterhältigkeit (FUCUS, TAUO) zu rechnen und macht sich vorsorglich aus dem Staub (45-47). Dieser verhältnismäßig kurze Abschnitt ist einer der gelungensten des TRIUMPHUS. Es ist nicht auszuschließen, daß Nemius bei seiner Nachdichtung dieser Historie die entsprechenden Passagen aus dem MORIAE ENCOMIUM vor Augen hatte, in denen die Moria die absurden und lächerlichen Spitzfindigkeiten der Akademiker und Theologen aufs Korn nimmt.27 In der Prager Historie repräsentiert Eulenspiegel die Seite des Guten. Der Schalk, dessen Taten gewöhnlich für die Gesellschaft gefährlich und zerstörerisch sind, deckt hier die Ignoranz und Arroganz der Hochgestellten und Mächtigen auf, die doch eigentlich durch rechte Weisheit und Fürsorge als Staatsträger, Erzieher oder Seelsorger fungieren sollten. Die Weltweisheit wird eher den Herrschenden und Mächtigen zugesprochen, während Eulenspiegels Schläue einen positiven Zweck verfolgt. Ähnlich liegen die Verhältnisse im elften Abschnitt des TRIUMPHUS. Hier peinigt Till den gelehrten Arzt des Bischofs nach allen Regeln der Schalkskunst. Nicht weniger deutlich als in der Prager Historie zeigt sich auch in dieser Episode der Topos der Weltweisheit, die Till entlarvt oder bestraft. In den 55 Versen dieses Abschnitts gibt Nemius dem Arzt, der sich als Kenner und Bewahrer der Weisheit aufspielt und keine Narren am Hofe erlauben will, nicht weniger als zwölfmal das Epitheton SOPHOS. Doch ist der Arzt, ganz wie später dann der Prager Rektor, bestenfalls ein Sophist. Daß Nemius hier statt eines lateinischen den griechischen Ausdruck für „weise" wählt, mag also nicht nur auf metrischen Gründen beruhen. Die Dummheit des Arztes kommt 27
Hierzu Krohn, S. 21-22.
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in den Worten der Höflinge zum Ausdruck, die seine wahre, arrogante Natur erkennen („STULTILOQUIUM EST ...", 7 - 1 1 ) . In ihrer Opposition zum Arzt, die in direkter Rede wiedergegeben ist, fällt die Häufigkeit des Wortes STULTUS auf, das den Doktor charakterisiert. Als Eulenspiegel vorgibt, die Klage des vom Gestank Geplagten nicht zu verstehen, verweist die Randglosse in einem wörtlichen Zitat aus den DISTICHA CATONIS deutlich auf das Motiv der Weltweisheit: „Am rechten Orte Torheit vorzutäuschen, ist die höchste Klugheit."28 Doch ist darauf hinzuweisen, daß Eulenspiegel durch solche Art von Schlauheit selbst noch längst kein wahrer Weiser wird.29 Das Grob-Drastische in dieser Episode kehrt in quasi erasmischer Dialektik, wie sie das MORIAE ENCOMIUM exemplarisch vorführt, den im Weisheitsthema liegenden philosophischen und biblischen Gehalt in seinen Vorzeichen um. Darauf deutet die Randglosse aus dem BUCH DER SPRÜCHE ZU Beginn dieses Abschnittes: Wer sich mit Toren abgibt, wird selbst ein Tor. Auch der Ausdruck STULTILOQUIUM, mit dem Nemius zu Beginn des Abschnitts die Reaktion der Höflinge auf die Wichtigtuerei des Arztes beschreibt, hat einen religiösen Nebensinn; denn im Epheserbrief verbietet der Apostel Paulus den Christen u.a. STULTILOQUIUM und SCURRILITAS.30 Nemius' Wortwahl verweist aber nicht nur auf den christlich-ethischen Hintergrund der Historie, sondern auch auf die Doppeldeutigkeit der Eulenspiegelgestalt. Till bestraft die dem STULTILOQUIUM des Doktors zugrundeliegende Hybris, doch ist er selbst ein SCURRA und gibt somit kein nachahmenswertes Beispiel.31 Auch der auf den ersten Blick positive Eindruck von Eulenspiegel im XXX. Abschnitt, in dem Till sich dem Erzbischof als 28
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Disr. CAT. 2, 18, 2. Nemius dürfte dieses Werk durch die kommentierte Ausgabe des Erasmus bekannt gewesen sein. Der Sinnspruch erscheint auch im MORIAE ENCOMIUM; siehe Miller (1), S. 178 Zeile 893 und seine Anm. S. 179 z. St. In Verbindung mit dem lateinischen Ausdruck ULULARUM SPECULUM verweist Wunderlich (1), S. 55, auf die Spiegelliteratur, Lehrbücher „mit guten und schlechten Beispielen". Hierzu allgemein Rupprich (1), S. 296-301. EPH. 5,4; siehe weiterhin L TIM. 4,7, und vgl. Curtius, S. 421-422. Zum Bezug des STULTILOQUIUM zu Eulenspiegel siehe besonders Schmitz (1), S. 214215 und 229. Zum Vergleich läßt sich die von Curtius, S. 428, zitierte Stelle aus der Amandus-Vita des Milo von St. Amand heranziehen, in der ein Mime als Beispiel von „renitenten Spöttern" u.a. folgendermaßen beschrieben wird: TURPIS ET iMFURUs scuRRiLiA PROBRA susuRRANs (Vers 71). Näheres zum lateinischen Terminus SCURRA unten S. 309-311.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
Brillenmacher vorstellt und ihm die Pflichtvergessenheit der weltlichen und geistlichen Fürsten vorhält, schwächt sich bei sorgfältigerem Hinsehen ab. Die Tugend der SIMPLICITAS geht Eulenspiegel trotz der — ironischen — Zuerkennung des Positiven (SIMPLEX VERiTATis ORATIO) im großen und ganzen ab. Weit eher charakterisiert ihn seine Gewandheit (VERSUTIA; vgl. POLYTROPUS). Die Verhältnisse liegen ähnlich wie bei der Gestalt der Torheit in den ersten beiden Hauptteilen des MORIAE ENCOMIUM. Nemius' Eulenspiegel ist nicht von Grund auf verdorben und böse, doch als ein Beispiel für wahre Weisheit kann er nicht dienen, selbst dann nicht, wenn er die falsche Weltweisheit anderer bloßstellt.32 Die Wahrheit ist eben von vornherein nur eine RARA AVIS im Leben der Menschen und findet nicht nur bei den Mächtigen (AULICI) höchst selten ihren verdienten Lohn (40-41). Geradezu als Lehrer falscher Weisheit tritt Eulenspiegel in den Historien 31 und 35 auf (TRIUMPHUS, XX und XXIII), bezeichnenderweise in einem religiösen Kontext. Mit einer falschen Reliquie und einer lügnerischen Predigt schröpft er die leichtgläubige Gemeinde und legt mit seinen Prophetenbeeren die Juden herein. Daß in Nemius' Fassung dieser Streiche der Weisheitstopos mitzuhören ist, legt seine Verwendung der Ausdrücke HIEROPHANTA und MYSTES nahe, welche er im Anschluß an Philon von Alexandria gewählt haben mag.33 In diesem Zusammenhang erhält der zehnte Abschnitt des TRIUMPHUS zusätzliches Gewicht, in dem Nemius Eulenspiegels Abenteuer auf dem Turm des Magdeburger Rathauses wiedergibt. Wie Nemius gleich zu Anfang betont (X, 3), traut das Volk Till auf Grund seines Ruhmes sogar das Unmögliche zu und ist darauf gespannt, ihn fliegen zu sehen. Daraufhin hält Eulenspiegel der Menge unumwunden die Torheit ihrer Erwartung vor. Sowohl bei Bote als auch bei Nemius (Vers 14-18) erklärt Eulenspiegel in aller Öffentlichkeit vom Rathausturm herab, er halte sich selbst für einen Toren, doch sehe er jetzt ein, daß die ganze Stadt von noch größeren Toren bevölkert sei. Die Doppel32
33
Lefebvre, S. 282-283, sieht in Eulenspiegel ein Beispiel des weisen Narren; vorsichtiger ist Rusterholz, S. 24-25 Anm. 2. Zum Triumph des Toren über den Weisen in der Literatur des Mittelalters und der Renaissance (z.B. bei Salomon und Markolf) siehe Swain, S. 27-52. Ausführliche Beobachtungen zu den positiven und negativen Aspekten der Eulenspiegelgestalt und ihrer sich daraus ergebenden didaktischen Funktion bei Schmitz (1), S. 220-223. Vgl. auch Schnell, speziell S. 178. Vgl. hierzu Wilckens, S. 145-149.
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natur der Begriffe Torheit und Weisheit tritt in Nemius' Version besonders deutlich zutage. Nemius' Eulenspiegel besinnt sich eines passenden antiken Präzedenzfalles, nämlich der Geschichte vom Sturz des Ikarus (10-12). Dieser hat sich zwar dadurch unsterblichen Nachruhm erworben, daß er dem ikarischen Meer den Namen gab (DEDERAT MARI NOMEN DE SUO NOMINE), doch ist er dennoch ein Beispiel für äußerste Dummheit. Nemius verwendet hier sogar den Ausdruck DEMENTIA (11). Ein solcher Tor wie Ikarus ist sein Eulenspiegel jedoch nicht. In dieser Historie belehrt seine „Torheit" die Magdeburger, die wirklichen Toren. Von ihnen erkennen dann auch einige den Scharfsinn (ARGUTIA, 20) Eulenspiegels an, der sich zuvor als größten aller Toren (OMNIUM STULTISSIMUS, 14) bezeichnet hatte. Darüberhinaus bezichtigen sich einige der Magdeburger sogar selbst des Wahnsinns (INSANIA). Geschickt spielt Nemius mit dem Kontrast KlugheitDummheit, am deutlichsten in den Synonymen DEMENTIA und INSANIA, die im Gegensatz zu ARGUTIA und zum Ausdruck ELUDERE NUGIS MERIS („mit echten Possen zum Narren halten"; 21) stehen. Wie der platonische Sokrates deshalb der weiseste unter den Menschen ist, weil er weiß, daß er nichts weiß, so liegt auch hier die Weisheit Eulenspiegels im Bewußtsein seiner Torheit. Wieder klingt der Einfluß des Erasmus an.34 Weiterhin liegt in all diesem auch der Gegensatz von Schein und Sein, der eine wichtige Seite des Narren- und Torheitsbegriffs im Mittelalter und in der Renaissance ausmachte.35 Daß dieser Gegensatz ein Hauptanliegen des Dichters ist, geht bereits aus dem Anfang seines Geleitbriefes hervor.36 Mit der Thematik von Schein und Sein stellt Nemius seinen Eulenspiegel nicht nur in die Tradition des MORIAE ENCOMIUM, sondern darüberhinaus in die des platonischen Sokrates.37 Den sokratischen Hintergrund von Nemius' Im MORIAE ENCOMIUM bezieht sich die Moria auf diesen Aspekt von Pia tons APOLOGE DES SOKRATES; vgl. Kaiser, S. 3 7 . Zur sokratischen Weisheit bei Platon vgl. z.B. APOL. 20C-21A, wo auch der Unterschied zwischen menschlicher und göttlicher Weisheit klar hervortritt (20D-E). Mit der entsprechenden Textstelle des MORIAE ENCOMIUM und mit der APOLOGIE war Nemius zweifellos vertraut. Vgl. hierzu die Beobachtungen bei Sichtermann (1), S. 273-274, der dazu Horazens Motto des lachenden Wahrheitssagens heranzieht. VgL dort Aussagen wie MULTI VIRTUTE IPSA NON ΤΑΜ PRAEDTTI ESSE QUAM VIDERI VOLUNT, COMPLURES SPECIE RECTI DECIPIUNTUR, das darauffolgende Juvenalzitat und das sprichwörtliche FORIS OVES-INTUS LUPI. Sokrates ist das beste Beispiel dafür, daß man den Charakter eines Menschen nicht nach der äußeren Erscheinung beurteilen kann. Sokrates'
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Einordnung des
Eulenspiegelgedichts
Verständnis des echten und bleibenden Ruhms verdeutlicht sehr gut eine Cicerostelle, in der Sokrates den geraden Weg zum wahren Ruhm als von Prahlsucht und Heuchelei frei beschreibt.38 Die Natur der wahren Weisheit wird dem Leser des TRIUMPHUS erst klar, wenn er von der Gestalt Eulenspiegels abstrahiert und erkennt, daß die echte SAPIENTIA auf eine höhere, d.h. göttliche Instanz zurückzuführen ist. Den Weg zu ihr zeigen ihm die oben besprochenen Schlußabschnitte des Gedichts. Nemius' Eulenspiegel vermag zwar gelegentlich menschliches Wissen als Schein bloßzustellen, doch ist und bleibt er selbst unvollkommen und dem Irdischen verhaftet. Für gute Christen ist allein Christus als vollkommenes Beispiel von Tugend und Weisheit nachahmenswert, und eine derartige Haltung ist auch für den Geistlichen Nemius anzunehmen. Unter diesem Blickwinkel gibt auch das Geleitgedicht des Schindelius den ersten Hinweis für das rechte Verständnis des TRIUMPHUS: Alles Gute kommt von oben, alles Böse vom Teufel (OCTASTICHON, Vers 7 - 8 ) . Entsprechend ist auch der Name Eulenspiegel bezeichnend. Obwohl die Eule seit der Antike gewöhnlich durch ihre engen Assoziationen mit der Göttin Athene als Symbol der Weisheit gegolten hatte, sprach ihr die Renaissance oft eine negative Qualität zu. Die heidnische Weisheit betrachtete man als der christlichen unterlegen, und die Eule wurde dadurch zum Abbild der Weltweis-
Schüler Alkibiades erklärt in seinem Encomium in Piatons SYMPOSION, daß sich bei Sokrates unter einem abstoßenden Äußeren die schönste und tugendhafteste Seele verbirgt. Der platonische Vergleich des Sokrates mit Silen und Satyr führt in der späteren Tradition zu den sog. „Silenen des Alkibiades". Hierbei handelt es sich um Kästchen in Gestalt eines Silenen; wenn man sie öffnet, finden sich im Inneren schöne und wertvolle Gegenstände. Bei Erasmus treten die Silenen im MORIAE ENCOMIUM und in den ADAGIA wieder auf. Vgl. hierzu Miller ( 1 ) , S. 1 0 4 Zeile 5 7 9 (Text des MORIAE ENCOMIUM) und die Anmerkung S. 1 0 5 z. St.; Miller ( 2 ) , S. xv-xvi; Augustijn, S. 7 0 - 7 2 . Im Adagium bezeichnet Erasmus sogar Jesus und seine Apostel als Silenen. Näheres zum sokratischen Hintergrund des MORIAE ENCOMIUM bei Kinney, S. 4 6 - 8 6 . Cie., OFF. 2, 43: „Sokrates jedenfalls sagte treffend [bei Xen., MEM. 2, 6, 39, und KYR. 1,6 und 2, 32], es sei dies der nächste und gleichsam abgekürzte Weg zum Ruhm, wenn einer danach handle, daß er so sei, wie er scheinen wolle. Denn wenn irgendwelche Leute glauben, durch Heuchelei, durch wichtigtuerische Prahlerei und durch Schauspielerei [...] beständigen Ruhm erreichen zu können, so irren sie sich gründlich. Wahrer Ruhm schlägt Wurzeln, ja er pflanzt sich sogar fort, alles Vorgetäuschte fällt rasch ab [...], und Heuchelei kann nicht auf die Dauer erfolgreich sein" (Gunermann, S. 179).
25 7
Die verkehrte Welt
heit.39 Die Schlußworte des Oktastichon (GLORIA VERA DEO) greift die letzte Randglosse des TRIUMPHUS in nur leichter Abwandlung wieder auf: SOLI DEO GLORIA. Auch das Dekastichon des Apherdianus hatte auf dieses Thema und auf die Lehrabsicht des Eulenspiegelgedichts aufmerksam gemacht (Vers 9-10): Die meisten Menschen finden lediglich an der GLORIA MUNDI Gefallen, nur die wenigsten am Himmelreich.
5.2. Die verkehrte Welt Wer von der Thematik der weltlichen und der wahren Weisheit ausgehend das Verhalten der Menschheit betrachtet, gelangt leicht zu der Erkenntnis, daß die Welt von Toren bevölkert ist und daß sich das menschliche Leben auf der Bühne eines MUNDUS INVERSUS abspielt. Damit wird eine Weltsicht erreicht, die ihren literarischen Niederschlag hauptsächlich in der Satire und Komödie gefunden hat. In der Antike zeigt sich der Topos der verkehrten Welt besonders deutlich in den Komödien des AristoBelege bei Opelt und bei Schwarz und Plagemann. Zur Eule als dem Symbol der Eitelkeit und falschen Weisheit in der christlichen Theologie siehe Opelt, Sp. 8 9 7 - 8 9 9 ; Schwarz und Plagemann, Sp. 2 7 3 (bei den Kirchenvätern) und 2 8 1 (zur späteren Tradition der Eule als VANAE SAHENTLAE STUDIUM, wie es bei Pierio Valeriano heißt). Ausführliches zur negativen Auffassung der Eule bei Vandenbroeck; dort S. 3 7 - 3 8 Beobachtungen zum Thema der falschen Weisheit. Die Emblematik schreibt der Eule ebenfalls häufig negative Seiten zu; vgl. Henkel und Schöne, Sp. 894 (zum VANAE SAPŒNTIAE STUDIUM), 8 9 6 (eine NOCTUA STULTA), 2 1 2 6 und 2 1 6 7 . Die beiden letztgenannten Stellen beziehen sich auf den INDEX RERUM NOTABILIUM des MUNDUS SYMBOUCUS von Philippo Picinello in der lateinischen Fassung von Augustinus Erath (Köln, 1 6 8 6 ) und geben s. vv. BUBO und NOCTUA weitere Hinweise. Bei Alciati ( 2 ) wird die Eule im 6 5 . Emblem (FATUITAS) mit der Dummheit assoziiert; vgl. hierzu Schwarz und Plagemann, Sp. 3 0 3 - 3 0 4 ; Vandenbroeck, S. 8 8 - 1 0 7 . Mezger, S. 5 7 9 Anm. 2 2 7 , gibt Hinweise auf die negative Bedeutung von „Eule" im Niederländischen. Beispiele der selteneren positiven Auffassung von der Eule sind die ironischen Encomia DECLAMATIUNCULA IN NOCTUAE LAUDEM des Johannes Aglycion (ca. 1 5 3 0 ; moderne Textausgabe bei Vandenbroeck, S. 1 1 7 - 1 2 2 ) und d i e LAUS UUJLAE AD CONSCRIPTOS ULULANTIUM PATRES & PATRONOS ( 1 6 4 2 ,
1643)
von
Curtius Jael (Conradus Goeddaeus). Letzteres Werk erschien ohne Jahresangabe bei Caesius Nyctimenius („Gräulicher Nachteuler") in der Eulengasse (IN PLATEA ULULARÍA) in Glaucopolis („Eulenstadt", d.i. Amsterdam); hierzu Weller, S. 261. Der Name Nyctimenius ist Ον., MET. 2 , 5 8 9 - 5 9 5 (Verwandlung der Nyctimene) nachgebildet.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
phanes, Plautus und Terenz sowie in der römischen Satirendichtung.40 Als Beispiel für die letztgenannte diene hier das Werk Juvenals. In seiner ersten Satire, die das Programm des Dichters ausbreitet, steht der Sprecher an einer Straßenkreuzung in der Mitte der Stadt Rom und kann nach Belieben aus der Flut der an ihm vorüberströmenden Menschen Beispiele des Lasters und der Dummheit für seine satirischen Angriffe herausgreifen.41 Das Laster hat den höchsten Grad erreicht (Vers 87 und 149), und macht es dem Satiriker so gut wie unmöglich, keine Satire zu schreiben: DIFFICILE EST SATURAM NON SCRIBERE (30). Juvenal führt diese Haltung seines dichterischen Ich besonders in den bekannten Satiren 2 (sexuelle Perversion und Heuchelei), 3 (die Schrekken der Großstadt), 4 (ein absurder Thronrat), 6 (die berühmtberüchtigte Weibersatire) und 7 (das Elend der Intellektuellen) beispielhaft und detailliert aus. In der römischen Komödie zeigt sich der Topos der verkehrten Welt innerhalb des Ränkespiels, das gewöhnlich ein schlauer Sklave in Szene setzt. Seine Intrige beruht in erster Linie auf dem Gegensatz von Schein und Sein. So gaukelt er z.B. seinem Herrn etwas nicht Vorhandenes vor oder stellt etwas Vorhandenes als nicht existierend hin und erreicht jedesmal dessen völlige Verwirrung. Zu Beginn des plautinischen MILES GLORIOSUS wird dieses Thema programmatisch angekündigt: erfind, ersinne was, Zieh rasch einen frischen Rat heraus, Damit als nicht gesehen Gesehenes gelte und als nicht Geschehen Geschehenes.42
Im zweiten Akt des Stückes wird die Strategie des schlauen Sklaven, des SERVUS CALLIDUS, äußerst geschickt in die Tat umgesetzt 40
41 42
Eine Einführung in den Topos gibt Kenner, die allerdings den Schwerpunkt auf die bildende Kunst und nicht die Literatur der Antike legt. Juv. 1, 63-80. MILES 225-228; vgl. dort auch 147-153, 572-573 und 586-588. Die deutsche Übersetzung der römischen Komödien, nach der hier und im folgenden zitiert wird, ist die zweibändige, von Walther Ludwig besorgte Neuausgabe der Plautusiibersetzung von Wilhelm Binder (1864ff., von Ludwig gründlich überarbeitet) und der Terenzübersetzung von J.J. Donner (1864). Auf sie wird im Text mit der Seitenzahl und in den Anmerkungen mit dem Namen des Herausgebers verwiesen. Die beiden Bände sind durchgehend paginiert. Die hier zitierte Plautusstelle bei Ludwig, S. 525.
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Die verkehrte Welt
(Vers 272-410). Der plautinische Ausdruck STULTIVIDUM ESSE („blind, / Mit offenen Augen") faßt das Ergebnis treffend zusammen.43 Im PSEUDOLUS beabsichtigt der Sklave Simia einen Identitätstausch mit dem Sklaven Harpax, um diesen derartig zu verwirren und hereinzulegen, daß er selbst gesteht, Er sei nicht, wer er ist, und mich für den erklärt, Der er ist. (929-930; S. 811)
Im selben Stück äußert der Kuppler Ballio seine Lebensphilosophie in dem Apophthegma: „Rechtschaffene schaden, nützlich ist nur Lumpenvolk" (1128-1129; S. 819). Am Ende der Komödie steht dann die Welt völlig auf dem Kopf. Der Titelheld, der Sklave Pseudolus, erscheint als Gebieter seines Herrn: „Tu, was ich dir / Befehle" (1327; S. 829). Im eher moralisch-ernsten TRINUMMUS klagt der ehrbare Bürger Philto dem Sohn sein Leid über die Verkommenheit der Welt. In seiner Rede kommt der Topos der verkehrten Welt beispielhaft zum Ausdruck: Kenn ich doch den Geist der Zeit: Der Schlechte will, daß auch der Gute werde schlecht, Damit er gleich ihm sei. Die böse Welt verwirrt, Vermenget alles. Nichts als Mißgunst, Geiz und Raub; Das Heilige wird entweiht, Gemeingut Eigengut; Ein Volk, das Maul und Hand beständig offen hat [...] Dieses Volk, Lobt zwar der Ahnen Sitten, doch besudelt es Dieselben, die es lobt. Diese Künste - tu es mir Zuliebe - übe niemals, laß sie nie dein Hera Beflecken. Lebe wie ich selbst nach altem Brauch; Nach meiner Vorschrift handle. Jener wirre Sittenschlamm, Ich mag ihn nicht, der Schande nur den Guten macht. (284-299; S. 951-952)
Allerdings ist die gute alte Zeit, nach der sich Philto zurücksehnt, längst unwiederbringlich dahin. Bei Terenz erklärt der Parasit Phormio in der nach ihm benannten Komödie seine Zuversicht, sich straffrei aus der von ihm geknüpften Intrige herauszuwinden. Er begründet sie folgendermaßen: 4 3
MILES 3 3 5 ;
Ludwig, S.
531.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
Weil man nie dem Habicht und dem Geier Schlingen legt, Die doch Schaden tun; den Vögeln, welche nichts tun, legt man sie.44
Diese geradezu sprichwörtliche Redensart ist inhaltlich identisch mit der von Nemius im Geleitbrief des TRIUMPHUS zitierten Juvenalstelle: DAT VENIAM CORVIS, VEXAT CENSURA COLUMBAS. Die Verbindung von der Antike zum Humanismus und vom antiken Topos des MUNDUS INVERSUS ZU Nemius' Eulenspiegel ist offensichtlich. In der Antike hatte sich der Topos des MUNDUS INVERSUS auf der Grundlage der rhetorischen Figur des Adynaton und der Adoxographie entwickelt. In seiner POETIK setzt Aristoteles das Adynaton, das „Unmögliche", mit der höheren, über die Realität hinausgehenden Wahrheit der Dichtung in Verbindung: Das Unmögliche wird geradezu zum PITHANON, zum Wahrscheinlichen.45 Die Adoxographie, auch ADOXON (oder PARADOXON) ENKOMION genannt, ist ein Lob des Unbedeutenden oder Häßlichen 46 In der Antike weit verbreitet, erfreute sich das paradoxe Encomium auch in der Renaissance großer Popularität. Das MORIAE ENCOMIUM des Erasmus ist dabei natürlich an erster Stelle zu nennen.47 Im Geleitbrief an den Freund Thomas Morus, der später mit seiner UTOPIA selbst Schöpfer einer Art von verkehrter Welt werden sollte, führt Erasmus einige antike Adoxographien auf.
44
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330-331; S. 1210. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß gerade Terenz auf die Literatur der Renaissance und besonders auf ihre Poetik einen starken Einfluß ausübte. Ausführliche Bemerkungen hierzu z.B. bei Herrick. Vgl. auch den Brief von Dominicus Schenckelius an seine Söhne am Schluß der ORATIONES TERENTIANAE (Text bei Nauwelaerts [3a]; S. 185-186). Zu Terenz im Mittelalter vgl. Suchomski, S. 82-99. Siehe besonders Kap. 24-25 (= 1459B8-1461B25). Vgl. hierzu z.B. Butcher, S. 167-168 und 173-178; Halliwell, S. 167-180. Zum Adynaton allgemein siehe die ausführliche Studie von Manzo, besonders S. 29-49 mit weiteren Literaturhinweisen. Lausberg, § 241, und Pease führen die antiken rhetorischen Quellen auf. Pease, S. 37-41, und Canter geben Kataloge antiker Adoxographien. Vgl. auch Dutoit, besonders S. 167-173; Tomarken, S. 3-27. Zur späteren Tradition siehe Curtius, S. 104-108; für das sechzehnte Jahrhundert Hauffen (2); Colie, S. 3-40; und speziell Tomarken (dort S. 49-79 zur neulateinischen Dichtung). Vgl. Pease, S. 41-42, der auch auf den Schwerpunktwechsel vom Rhetorischen zum Satirischen hinweist; Miller (1), S. 16-24; Tomarken, S. 2848. PHORM.
Die verkehrte Welt
261
Bei Nemius zieht sich der Topos der verkehrten Welt bereits als Leitmotiv durch seinen Widmungsbrief und verweist deutlich auf seine dichterische Absicht. Die Aussage des Juvenalzitats, das Laster täusche unter dem Deckmantel der Tugend seine Opfer, erläutert Nemius mit einer Reihe von Exempeln und weiteren Zitaten und leitet so zu Eulenspiegel als schlimmstem Beispiel hierfür (PRAECIPUE) über. Am anschaulichsten wird der Topos am Ende des Briefes, wenn Nemius statt „aus Amsterdam" o.ä. schreibt: „Aus der Gegend, wo die Kinder an den Eltern das Sagen haben." Hierin liegt zweifellos auch ein humorvoller Stoßseufzer des geplagten Schulmeisters. Schon zuvor hatten die dem T R I U M P H U S vorausgeschickten Geleitgedichte das Motiv nachdrücklich hervorgehoben. Zwar dürften sie unabhängig von jeder direkten Beeinflussung durch Nemius entstanden sein, doch konnten sie seiner dichterischen Absicht nicht zuwiderlaufen. Die Freunde und Kollegen werden Nemius' erzieherische und moralische Sichtweise der Eulenspiegelgestalt nicht nur erkannt und gebilligt, sondern auch selbst geteilt haben. In seinem Dekastichon führt Apherdianus den Leser von einer kurzen, aber anschaulichen Beschreibung der verkehrten Welt (Vers 1-6) geradewegs ins Himmelreich (10). Seine Adoxographie der irdischen Welt ist, wie zu erwarten, moralisch ausgerichtet. Die ganze Welt erfreut sich an Schlechtigkeiten, die Torheit triumphiert, und für die wahren Güter sind die Menschen blind (1-2). Nur Vergängliches und körperliche Vorzüge gelten etwas, obwohl sie doch eitel sind (4). Schlimmer noch: Der Gerechte muß viel leiden, der Fromme wird hereingelegt (5-6). Die Erwähnung der betrügerischen Schlauheit der Welt leitet über zum Hinweis auf Eulenspiegel. Nach Meinung des Apherdianus wird das Bild, welches Nemius von Till zeichnet, den Leser zu der Einsicht bringen, daß mit derartigem Treiben höchstens weltlicher Ruhm (GLORIA MUNDI, 9), doch keinesfalls die COEUCA REGNA (10) zu erlangen sind. Geschickt drückt Apherdianus diese Gemeinplätze in einigen treffenden Antithesen aus (INSIDIAE-IUSTI, FRAUS-PII, MULTI-PAUCI, GLORIA MUNDI-COELICA REGNA). Der törichten Welt, die statt Frömmigkeit im Herzen nur
Flausen im Kopf hat (6) und der die Guten und Frommen gleichermaßen zum Opfer fallen, setzt Apherdianus die Gelehrsamkeit der Muse Thalia entgegen. Obwohl sie aus der heidnischen Antike stammt, verweist sie traditionsgemäß auf wahres, göttliches Wissen und repräsentiert somit die C O E L I C A REGNA.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
Diesen Sachverhalt verdeutlicht die Lichtmetapher, die Apherdianus heranzieht: Die Muse habe Nemius das nach dem Leben gezeichnete Bild des Eulenspiegel deshalb „ans Licht" gegeben (in lucem [...] dédit, 8), damit der Leser die Blindheit der Welt (nec [...] viDET, 2) überwände und das Wahre klarer sehen und verstehen könne ( C L A R I U S ut cernas, 9).48 Die Lichtmetaphorik übernimmt auch Nemius zu Beginn und Abschluß des Triumphus, und zwar aus dem christlichen Gedankengut. Im Einleitungsabschnitt spricht er von den „Kindern des Lichtes" (I, 40; vgl. Luk. 16, 8) und zitiert parallel dazu im Abschnitt XLIV, der zum Lebenslauf des Jedermann überleitet, in der Marginalie zu Vers 16 und im darauffolgenden Vers den Ausdruck „Vater des Lichtes" aus dem Jakobusbrief (JAK. 1,17). Wie bereits in der Antike bedeutete das Licht auch im Christentum das Schöne und Gute, das Wahre und Ewige, das mit der vergänglichen, eitlen und bösen Natur alles Irdischen kontrastiert. Die metaphysische Bedeutung des Lichtes gelangte durch den spätantiken Piatonismus in das christliche Denken des Mittelalters und der Renaissance. Beispielhaft kommt dies im Kommentar des Marsilio Ficino zu Piatons SYMPOSION zum Ausdruck.« Schon von dieser Auffassung des Lichtes läßt sich ein erster Zugang zu Nemius' Darstellung Eulenspiegels gewinnen. Wie oben gezeigt, ist für ihn der Schalk größtenteils eine negative Figur. Die Berechtigung, ein derartig abschreckendes Beispiel ausführlich darzustellen, leitet sich nicht zuletzt von Augustinus' Verständnis von der Rechtfertigung des Bösen in der Welt her.50 Auch das Abstoßende und Häßliche hat in der Weltordnung Gottes seinen Platz. Die Menschen können das Lichte und Gute nur durch den Gegensatz zur Dunkelheit und zum Bösen erkennen und für sich erwählen. Daher gewinnt auch das Häßliche Züge des Schönen, und somit kann auch Eulenspiegel wenigstens gelegentlich die Seite des Guten vertreten. Rosario Assunto hat diese Thematik in folgenden Worten treffend zusammengefaßt: „Die Schönheit der unvollkommenen Wesen treibt uns, uns von ihnen zu anderem Gegenstand zu wenden [...] und die 48
49 50
Allerdings mag Apherdianus dabei übersehen haben, daß Thalia gemäß der ANTHOLOGIA PALATINA des 10. Jahrhunderts die „Taten unfrommer Männer auf beifallsüchtiger Bühne" besingt (ANTH. PAL. 9,505). Vgl. Ficinos COMMENTARIUM IN CONVTVIUM PLATONIS DE AMORE 6,17. Zum folgenden vgl. z.B. Assunto, S.73-86, besonders S. 84-85.
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absolute Schönheit und die absolute Vollkommenheit zu suchen."51 Von dieser religiösen Perspektive aus erhält Eulenspiegel seine moralische und didaktische Rechtfertigung, sogar einschließlich der drastischen oder obszönen Elemente einiger Historien.52 Zusätzlich gewinnt damit der Beginn des TRIUMPHUS, in dem Nemius das Walten Gottes in der Schöpfung behandelt, eine tiefere Bedeutung. Feierlicher und noch religiöser als Apherdianus handelt Schindelius das Thema des MUNDUS INVERSUS ab. Wer von Bescheidenheit und Geradlinigkeit des Charakters nichts hält, wer sich selbst jegliches Verdienst zuschreibt und sich statt guter Taten und Gedanken (BONITAS) mit Untaten brüstet, kurz, wer ein Musterbeispiel der verkehrten Welt abgibt, der ist nichts anderes als eine Eule (Vers 1-4) — ein deutlicher Vorverweis auf Eulenspiegel, der im TRIUMPHUS den Inbegriff der weltlichen Schlauheit verkörpern wird. Doch ist solche Schlauheit für den Humanisten in Wirklichkeit nur Torheit. Recht predigthaft wirkt Schindelius, wenn er unmittelbar darauf Gott als Urheber des Guten und den Teufel als Ursache des Bösen herbeibemüht (6-7). Daß gerade Till Eulenspiegel besonders gut den Triumph der Torheit personifiziert, wird ausdrücklich als moralisch-didaktische Perspektive des Nemius bezeichnet (NEMIUS [...] EXPLAN AT, 7-8). Weiterhin sei es Nemius' Absicht, mit dem Eulenspiegelgedicht Gott die Ehre zu geben (8). Nach diesen beiden kurzen und recht fulminanten Predigten aus der Freundesrunde des Dichters kann der Leser aufatmen, wenn er anschließend bei der Lektüre der Eulenspiegelhistorien feststellt, daß Nemius sich getreu an sein horazisches Motto hält. Wie er im Geleitbrief ankündigte, vermischt er nämlich im Gedicht das UTILE mit dem DULCE und läßt neben der Belehrung das Unterhaltsame zu seinem Recht kommen.53 Nemius ist weltgewandt genug, trotz seiner ernsthaften Absicht des Lesers Freude an Tills Abenteuern nicht unter einer moralinsauren Sittlichkeitsauffassung ersticken zu lassen. Die Qualität des SAPERE, eines rechten und gesunden Verständnisses, hatte Horaz in der 51 52
53
Assunto, S. 85. Vgl. als Parallele hierzu die Funktion obszöner Darstellungen an mittelalterlichen Sakralbauten, die Assunto, S. 34, erläutert. Zur Auffassung von LUSUS und RIMCULUM in der Renaissance vgl. Herrick, S. 37-40; ausführlich Schmitz (1), besonders S. 28-90. Zum mittelalterlichen Hintergrund vgl. Suchomski. Zur Beziehung des RIDICULUM auf das dichterische Ethos vgl. Lausberg, § 257,2a.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
als Ursprung und Quelle der rechten Dichtkunst bezeichnet.54 Dementsprechend hat Nemius die Erwartungen seiner Leserschaft, die in einem Eulenspiegelgedicht in erster Linie unterhaltsame und vergnügliche Lektüre suchten, durchaus im Auge behalten. Die moralischen Kommentare, die sich dem geistlichen Herrn bei der Bearbeitung des Eulenspiegelstoffes aufdrängten, hat er wohlweislich in den Rahmen seines Gedichts verwiesen und aus der eigentlichen Erzählung von Eulenspiegels Leben größtenteils herausgehalten. Anderenfalls hätte ihm der TRIUMPHUS leicht zu völliger Ungenießbarkeit geraten können. Nemius wendet sich aber mit seinem lateinischen Gedicht an gebildete und geistreiche Leser. Ganz gleich, ob diese nun Weltweise oder wahrhaft Weise waren, eine sauertöpfische lateinische Moralpredigt von über zweitausend Versen hätten sie sich wohl kaum mit Genuß zu Gemüte geführt. Der Erfolg, von dem die drei Drucke des TRIUMPHUS zeugen, wäre dem Gedicht sicher versagt geblieben. ARS POÉTICA
Ein Beispiel dafür, wie leicht eine überernste Erzählweise nicht nur den Unterhaltungswert, sondern auch die erzieherische Absicht eines als ironisches Encomium angelegten Gedichtes untergraben kann, liefert das schon erwähnte Werk DE TRIUMPHO STULTITIAE des Perisaulus.55 Dieses hexametrische Gedicht behandelt in drei Büchern zahlreiche Seiten des menschlichen Lebens und Treibens unter dem Aspekt der Torheit. Die ersten beiden Bücher lesen sich flüssig und angenehm; denn Perisaulus ist ein weit besserer Verseschmied als Nemius. Das dritte Buch jedoch, welches die Schwächen des Alters beschreibt und im Hinblick auf den Tod Ratschläge zur richtigen Lebensführung gibt, sinkt zu einer eher langatmigen Litanei guter Ermahnungen ab. Das Gedicht des Perisaulus ist insgesamt ungefähr so lang wie Nemius' TRIUMPHUS und stellt eine ausführliche Tirade gegen die Eitelkeit und Vergeblichkeit aller menschlichen Unternehmungen dar, die unter der Herrschaft der Göttin Stultitia stehen. Nur thematisch — d.h. großenteils durch den gemeinsamen Gebrauch von Allgemeinplätzen — sind Perisaulus' DE TRIUMHor., A.P. 309: SCMBENM RECTE SAPERE EST ET PRINCIPIUM ET FONS. Zur Bedeutung dieses Verses in der Renaissance vgl. Herrick, S. 130. Das Wesentliche zu Perisaulus und seinem Gedicht bei IJsewijn (1), der besonders die direkte Abhängigkeit des Gedichtes von Erasmus' MORIAE ENCOMIUM nachweist.
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PHO STULTTTIAE und der a n o n y m e altfranzösische TRIUMPHE DE
mit dem Gedicht des Nemius verwandt. So wendet sich Perisaulus dem Motiv des trügerischen Scheins zu, kommt auf die Vergänglichkeit des irdischen Ruhmes zu sprechen und zeichnet im Abschnitt PHILOSOPHI FABULA das Porträt eines Weltweisen. Das dritte Buch, unter dem Motto OMNIA TANDEM HUMAHAULTE FOUE
NA STUDIA ν ANITAS ET AFFLiCTio („Alles menschliche Streben ist
schließlich nur Eitelkeit und Unbill"), steht inhaltlich dem Ende von Nemius' TRIUMPHUS am nächsten, entfernt sich aber gerade im Erzählton von ihm am weitesten — mit Ausnahme von zwei Versen zu Ende des Werkes, in denen Perisaulus die Thematik der weltlichen Weisheit wieder aufgreift und dem TERRENUS SAPIENS mit dem fulminanten Urteil, er sei SUB FECE SEPULTOS, den Abschied gibt. Trotz der Ähnlichkeit des Titels beider Gedichte und trotz der erzieherischen Absicht ihrer Autoren ist es nicht wahrscheinlich, daß Perisaulus einen wesentlichen Einfluß auf Nemius ausgeübt hat. Der TRIUMPHE DE HAULTE FOLIE unterscheidet sich von Nemius' Gedicht schon in formaler Hinsicht dadurch, daß er in der Tradition der Emblematik steht. Insgesamt vierundvierzig Holzschnitte illustrieren eine Prozession von Toren und personifizierten Lastern, die jeweils in einem Zehnzeiler beschrieben werden. Am Ende kommt der Tod, der alle Menschen hinwegrafft (Vers 431-440). Hiermit vergleichbar ist Horazens Wendung MORS ULTIMA LINEA RERUM, die bei Nemius wiederkehrt (dazu unten). Im TRIUMPHE DE HAULTE FOLIE hält der Tod den Leser dazu an, seine Sünden zu bereuen und Jesus Christus um Vergebung zu bitten. Eine abschließende Prosapassage umschreibt dieses Thema noch ausführlicher. Das kurze Werk hat insgesamt einen sehr ernsten Ton, der es vom M O R I A E ENCOMIUM, aber auch von Nemius' Gedicht abhebt.56 Die ernsthafte Einstellung Heraklits, des weinenden Philosophen, eignet sich eben weder für ein ironisches Encomium der Torheit noch für ein Eulenspiegelgedicht. Stattdessen ist dem lachenden Demokrit der Vorzug zu geben.57 In der Nachdichtung von Eulenspiegels Lebenslauf will Nemius den aufmerksamen Leser selbst das Paradoxe in den Abenteuern und Schwänken des negativen Helden herausfinden lassen. Die Thematik der Weltweisheit und die Adoxographie mit ihrer Strategie der Umkehrung passen gerade bei einer Gestalt 56 57
Vgl. Tomarken, S. 133. Vgl. TRIUMPHUS 1,36-38. Zu Heraklit und Demokrit siehe unten S. 317-318.
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wie Eulenspiegel gut zusammen. Wie bei der Moria des Erasmus soll der Leser unter die falsche und trügerische Oberfläche blikken und die darunter verborgene Wahrheit selbst entdecken.58 Anklänge an den Topos der verkehrten Welt finden sich praktisch in jeder der Eulenspiegelhistorien.59. In der von Nemius gebotenen Fassung brauchen sie daher nicht ausdrücklich hervorgehoben zu werden Im Hinblick auf die Adoxographie ist jedoch darauf hinzuweisen, daß in den Abschnitten XVIII und XIX des TRIUMPHUS der griechische Ausdruck ADYNATON Eulenspiegels Sieg über seine Gegner unmittelbar signalisiert. Dem hessischen Landgrafen erklärt Till, nur einem unehelich Geborenen sei es „unmöglich" (XVIII, 25), die gar nicht gemalte Ahnengalerie zu sehen. Der Landgraf muß sich mit dieser Erklärung geschlagen geben (28-29). Die Frage des Prager Rektors nach dem Mittelpunkt der Welt pariert Till so geschickt, daß jener die Unmöglichkeit der Nachprüfung einsieht (αδύνατον RECTOR VIDENS; XIX, 24) und Eulenspiegels Schlauheit (INGENIUM) in den
Himmel lobt (25). Im X X V . Abschnitt des TRIUMPHUS beklagt sich der Schmied, Eulenspiegel führe alles PRAEPOSTERE SED SEDULO (6) aus: zwar fleißig, aber ganz verkehrt. Hier klingt der Topos der verkehrten
Welt deutlich an: Till kehrt das Hintere (POST) nach vorn (PRAE),
und umgekehrt. Nemius folgt mit seiner Wortwahl dem Beispiel Ovids, der bereits den Ausdruck PRAEPOSTERE zur Beschreibung Vgl. Malloch, S. 192: „The true nature of the paradox is revealed when the reader overturns it." Siehe in erster Linie Röcke (1), besonders S. 96 und 100 (trotz der Einwände bei Bollenbeck [1]); außerdem A. Schwarz und Arntzen, S. 106110. Wunderlich (2), S. 128-129, bringt den Topos der verkehrten Welt mit dem Wörtlichnehmen Eulenspiegels in Verbindung. Zur Darstellungsweise der Welt in der Satire gibt Wölfel einige grundlegende Bemerkungen; siehe besonders S. 87-88. Allgemein vgl. Kenner, S. 163-175, und vor allem die ausführliche Arbeit von Lazarowicz. Wenigstens hingewiesen sei in diesem Zusammenhang noch auf die Darstellung der verkehrten Welt in der bildenden Kunst der Niederlande im 15. und 16. Jahrhundert, hauptsächlich bei Hieronymus Bosch (um 1450-1516) und Pieter Brueghel d.Ä. (um 1520-1569). Die Werke Boschs, besonders „Der Garten der Lüste", „Die Versuchung des Hl. Antonius" und „Das Jüngste Gericht", sind Meilensteine in der Tradition der grotesk-satirischen Darstellung des MUNDUs inversus. Brueghel widmete sich dem Thema z.B. in den „Niederländischen Sprichwörtern" (auch „Der blaue Mantel" genannt), einem Gemälde, das ins Jahr nach der Erstveröffentlichung von Nemius' Triumphus datiert. Die beiden Maler stammten wie Nemius aus Herzogenbusch oder seiner näheren Umgebung. Zu ihren Bildern siehe die Ausführungen in den Standardwerken von Marijnissen und Fraenger.
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einer verkehrten Welt benutzt hatte.60 Wann immer Eulenspiegel das Hinterste nach vorn kehrt, verfährt er sehr eifrig (SEDULO), doch ob er dabei ohne Hintergedanken vorgeht, bleibt fraglich. Das Adverb SEDULO ist nämlich in zweifacher Hinsicht zu verstehen. Seine Etymologie — SE- und DOLUS, d.h. „ohne Hinterlist" — bestätigt die Meinung des Schmieds, der von Tills Tücke noch nichts ahnt, doch Autor und Leser des TRIUMPHUS wissen es besser. Ähnliches gilt im XXVIII. Abschnitt des Gedichts, in welchem die beiden genannten lateinischen Worte nebeneinander wieder vorkommen: SEDULUS PRAEPOSTERE (Vers 31). Die mit der oben besprochenen Formulierung fast identische Wiederholung verweist auf die Bedeutung des Ausdrucks für das hier untersuchte Thema. Eine Variante dazu war schon kurz zuvor im XXVI. Abschnitt anzutreffen (PROMISCUE [...] MAGE SEDULUS, 21). Auch gegen Ende von Eulenspiegels Leben hören wir noch einmal, daß er, der Possenreißer, alles verkehrt herum gemacht hatte (LUDIUS PRAEPOSTERA OMNIA FECERAT; XLII, 33). Von dieser Thematik aus gewinnt dann der Abschnitt XXXI, der die Historien 11-12 (64,1. und 2. Teil) enthält, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Till gibt gegenüber dem Kaufmann, dem er sich verdingt, seinen Namen mit Bartholomäus an. Der Kaufmann kürzt den Namen radikal zu Doli ab (Vers 10-12).61 Im Unterschied zum Deutschen und zu seiner eigenen Vorlage kann Nemius im Lateinischen die Namenskürzung geschickt zu einer weiteren Spielart der Identifizierung Eulenspiegels mit Betrug und List benutzen. Dem Namen Doli („Dol" in der Antwerpener Ausgabe) gibt Nemius die lateinische Form Dolus, wodurch ein gelungenes Wortspiel entsteht; denn DOLUS bedeutet nichts anderes als „List". Gleich zu Beginn des nächsten Verses verwendet Nemius diesen Namen in einer Art polyptotischer Anadiplose (DOLI/DOLUS) in doppeltem Sinne.62 „Doli" wird durch Nemius' Übersetzung zum sprechenden Namen, der den Schalk charakterisiert. So wird Eulenspiegel in diesem Abschnitt, der längsten Darstellung seiner Streiche im gesamten TRIUMPHUS, zur personifizierten Durchtriebenheit. Damit ist aber auch vorgegeben, daß er zur Personifikation der Weltweisheit 60
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Ον., TRIST. 1, 8,1-8; vgl. dort Vers 5: OMNIA NATURAE PRAEPOSTERA LEGIBUS. Vgl. bei Nemius auch XLII, 33. Zu den beiden Namen Bartholomäus und Doli siehe Stieler, S. 28, der ebenfalls auf die etymologische Verbindung der Namen Bartholomäus und Till verweist. Den rhetorischen Terminus erklärt Lausberg, § 619.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
wird. Am Ende des Abschnittes verweist Nemius den Leser auf diesen Sachverhalt, wenn er bemerkt, daß der Dolus genannte Eulenspiegel in der Tat zur versteckten Hinterlist selbst geworden ist: VERUS MERUSQUE ERAT DOLUS, SED ABDITUS (109). Hieraus zieht er das naheliegende Fazit, daß man eben den Namen eines rechten Christenmenschen nicht ändern solle (110-111). Auch für Nemius gilt: NOMEN EST OMEN! Die Randglosse zu dieser Stelle faßt dann noch einmal die Bedeutung der Namensänderung zusammen: NOMEN NON MUTANDUM. Obwohl man den im Text erscheinenden Ausdruck NOMEN HOMINIS CHRISTIANI nicht im religiösen Sinne überbewerten sollte, unterstreicht er doch die Thematik der göttlichen und irdischen Weisheit, die dem TRIUMPHUS zugrundeliegt.63 Ebenso deutet die Paronomasie in VERUS MERUSQUE an, daß Nemius sich des Wortspiels DolDOIUS-DOLUS sehr wohl bewußt war. Nemius hatte bereits an einer früheren Stelle auf die Mehrdeutigkeit der Sprache hingewiesen (vox POLYSEMA; XXVIII, 26). Somit dürfte jedem aufmerksamen Leser deutlich werden, daß der Dichter die sprachspielerischen Möglichkeiten des Lateinischen, die sich für die Darstellung eines POLYTROPUS wie Eulenspiegel geradezu anbieten, nicht unberücksichtigt ließ.64 Im Ausdruck vox POLYSEMA liegt zudem ein Rückverweis auf die Sprachtheorie Demokrits, der in seiner Schrift ÜBER WÖRTER das POLYSEMON, die Mehrdeutigkeit, als den ersten von insgesamt vier Gründen für die Willkürlichkeit der Bezeichnungen einzelner Dinge durch die Wörter betrachtet hatte.65 Auch die Schilderung von Tills Begräbnis weist bei Nemius auf den Topos der verkehrten Welt. Die in H 95 (94) dargestellte Episode, in der eine Sau und ihre Ferkel Eulenspiegels Bahre umwerfen und dieser verkehrt herum und mit dem Gesicht nach unten zu liegen kommt, fehlt zwar in der Ausgabe von Hoochstraten und somit auch bei Nemius. Dennoch zeigt Nemius' Darstellung von Eulenspiegels Begräbnis die sprachlich für den Topos passendste Wortwahl. Der SEPULTUS INVERSUS TYLUS (XLIII, 90) repräsentiert geradezu den MUNDUS INVERSUS. Das Motiv der betrügerisch-verkehrten Welt klingt noch einmal an, 63
64
65
Vgl. hierzu Philons Schrift Demutatione nominum, dort besonders Kap. 6265. Daß Nemius an dieses Werk dachte, ist durchaus möglich. Allgemeines zur Thematik der Mehrdeutigkeit der Sprache und zu Eulenspiegels Sprach- und Menschenkritik, die daraus entsteht, bei Sichtermann (1), S. 300; dort weiterführende Literaturangaben. Hierzu Nestle, S. 197-198.
Die Tradition des Memento mori
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nachdem Nemius den Streit der Erben um Eulenspiegels Hinterlassenschaft beschrieben hat und kurz auf die Moral von der Geschichte des Eulenspiegel eingeht. Sie soll als warnendes und abschreckendes Beispiel dienen, damit der Leser besser die Schlingen und Stricke der DECIPIENTES, der Betrüger, vermeiden kann, von denen die Welt heutzutage schier überquillt (QUIBUS HODIE TOTUS REFERTUS ORBIS EST, 1 0 5 ) . Dieser Vers schließt eine Anspielung auf eine bekannte Juvenalstelle ein.66 Unser Autor schlägt somit wiederum eine Brücke zur Thematik seines Geleitbriefes.
5.3. Die Tradition des MEMENTO MORI Nemius beschließt den TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE mit einer Einteilung des menschlichen Lebens in sieben Abschnitte, die er direkt aus der Antike übernimmt. Der athenische Staatsmann und Dichter Solon (7. Jahrhundert v. Chr.) galt als ursprünglicher Verfasser der auf der Siebenzahl beruhenden Unterteilung des menschlichen Daseins. Im Anschluß an die Lehre des Pythagoras betrachtete die Antike die Siebenzahl weithin als vollkommen und heilig.67 Auf der Elegie Solons, in der dieser das Menschenleben in zehn Heptaden gliedert, fußen spätere Darstellungen. In ihnen wird das solonische Schema zur Vereinfachung der Terminologie und zu ihrer größeren Einprägsamkeit häufig so umgekehrt, daß sich statt zehn Lebensaltern zu je sieben Jahren sieben Lebensalter zu je einem Jahrzehnt ergeben.68 Zur Verbreitung des Schemas der sieben Lebensalter waren die pseudohippokrateische Schrift ÜBER DIE SIEBENZAHL und das erste Buch 66 67
68
Juv. 2,8. Hierzu Eyben (1), S. 172-173, und (2), 227-230. Die Antike kannte Einteilungen in zwei bis zwölf Lebensphasen, wobei den Einteilungen in vier und sieben Abschnitte besondere Bedeutung zukam. Im Anschluß an Boll hat Eyben (1) und (2) das antike Material ausführlich aufgearbeitet; dort auch Hinweise auf ältere wissenschaftliche Literatur. Zum Nachleben der antiken Einteilungen im Mittelalter siehe Burrow (dort S. 36-54 zur Siebenzahl) und Sears (S. 38-53 und 134-137 zur Siebenzahl); zum Einfluß der antiken Einteilungen auf die Renaissance siehe Chew (dort S. 163169 zu den sieben Lebensaltern). Siehe Eyben (1), S. 163 mit Anm. 27. Zum Einfluß des solonischen Schemas auf spätere römische Autoren vgl. z.B. Burrow, S. 39 und 73 (Macrobius, Censorinus). Eine biblische Parallele findet sich Ps. 90 (89), 10.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
der WELTENTSTEHUNG Philons von Alexandria einflußreiche Autoritäten. Auf beide Werke beruft sich Nemius ausdrücklich zu Beginn und Ende seiner eigenen Darstellung eines exemplarischen menschlichen Lebens. Außerdem versäumt er nicht, an mehreren Stellen seiner Nachdichtung wohlbekannte einschlägige Zitate aus römischen Autoren anzuführen. Auf die Funktion des Jedermann im XLV. Abschnitt des TRIUMPHUS wurde bereits oben eingegangen. Der folgende XLVI. Abschnitt, der im Zuge von Nemius' antikisierender Darstellung des Lebens den Tod als Vollender des menschlichen Daseins auffaßt, läßt den Dichter sowohl in der Tradition der klassischen als auch der mittelalterlichen Geisteswelt erscheinen. Der antike Einfluß geht deutlich aus dem Horazzitat in der Marginalie zu Beginn des Abschnittes hervor: MORS ULTIMA LINEA RERUM. Doch ist die weitere Entwicklung des klassischen MEMENTO MORI im christlichen Mittelalter für Nemius' Eulenspiegelgedicht von ebenso großer Bedeutung. Nemius war als Geistlicher mit der Thematik der menschlichen Lebensalter und des Todes durch die Tradition der mittelalterlichen Predigtbücher gut vertraut.69 Ebenso greift er auf die mittelalterliche Ikonographie zurück.70 Nicht zuletzt steht Nemius' Beschreibung des Todes in enger Beziehung zur Tradition der mittelalterlichen Totentänze und der mit ihr verwandten Weltanschauung des CONTEMPTUS MUNDI. Nach dem Vorbild des Hl. Paulus und im Anschluß an Bernhard von Clairvaux beeinflußte dieses Weltbild das christliche Lebensideal des gesamten Mittelalters und der Renaissance. Jeder gute Christ richtet sein Augenmerk auf das Jenseits. Alle, die sich jedoch der Welt und ihren Verlockungen hingeben, verfallen der Macht des Todes. Denselben zentralen Gedanken des Christentums greift Nemius in seinen eindringlichen Verweisen auf die ν ANITAS des Lebens wieder auf (XLVI, 14 und 30) 71 Ebenso 69
70
71
Zum Thema der Lebensalter im Repertorium der Prediger siehe die Darstellung bei Sears, S. 1 2 3 - 1 3 3 ; zur Verbindung des Totentanzes mit der Predigtliteratur siehe Hammerstein, S. 17-18. Vgl. z.B. die bei Sears, S. 132, beschriebenen Illustrationen, auf denen ein Knabe sein Steckenpferd reitet, mit der entsprechenden Darstellung bei Nemius (TRIUMPHUS XLV, 2 4 - 2 5 ) . Mit seinem Verständnis der Bedeutung des Todes steht Nemius wiederum in Erasmus' Nähe. Erasmus hatte für die 1 5 3 8 veröffentlichten BILDER DES TODES von Hans Holbein d.J. Bibelstellen als Begleittexte der Holzschnitte zusammengestellt. Holbeins Werk bezeichnet das Ende der mittelalterlichen Totentanztradition. Zu Erasmus und Holbeins Bilderfolge vgl. Rosenfeld ( 1 ) , S. 2 9 1 - 2 9 2 , und ( 2 ) , S. 3 2 1 . Zur thematischen Verbin-
Die Tradition des Memento mori
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kommt in Vers 21-23 die Vergänglichkeit alles Irdischen deutlich zur Sprache. Das bekannte Zitat über den Tod als ULTIMA LINEA RERUM, das diesem Abschnitt des TRIUMPHUS leitmotivisch voransteht und ihn als ein MEMENTO MORI ausweist, hat neben weiteren Gedichten des Horaz und anderer antiker Autoren über die Allgewalt des Todes die Entwicklung der mittelalterlichen VADO MORI-Gedichte entscheidend geprägt.72 Letztere sind ein wesentlicher Teil der Literatur des CONTEMPTUS MUNDI und des damit verbundenen MEMENTO MORI.73 Die älteste Fassung der VADO MORI-Gedichte geht auf einen Pariser Kodex des 13. Jahrhunderts zurück. In diesem Text kommen jedoch weniger die einzelnen Repräsentanten der verschiedenen Stände zu Wort als vielmehr die Gestalt des Jedermann, wie Hellmut Rosenfeld gezeigt hat.74 Hierdurch ergibt sich eine erste Gemeinsamkeit mit Nemius' TRLUMPHUS. Ebenso ist die allgemein im VADO MORI-Gedicht ausgedrückte Sprechhaltung bei Nemius mit der Resignation des Jedermann im Angesicht des Todes vergleichbar.75 Im TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE wird sich der weltweise Jedermann erst am Ende des Lebens der wahren Weisheit und des rechten Lebenssinnes bewußt. Der Topos der VANITAS liegt dementsprechend Nemius' didaktischer Absicht zugrunde. Ähnlich äußern auch in den Pariser und Erfurter VADO MORI-Ge-
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d u n g v o n T o d und VANITAS siehe Ariès, S. 418-424. Allgemeines zur Auffassung des Todes vom ausgehenden Mittelalter bis zur frühen Renaissance bei Huizinga, S. 193-212. Zum Totentanz am Beginn der Renaissance siehe Rosenfeld (1), S. 263-300. Ausführliche Darstellungen zur Verbindung von Narrentum und VANTTAS vor dem Hintergrund des MEMENTO MORI und der Totentänze jetzt bei Mezger, S. 419-466. Hierzu Stammler (1), S. 18-20 (= [2], S. 18-20). Die Todesthematik erscheint bei Horaz besonders in den CARM. 1 , 4 und 2 , 1 8 . Rosenfeld (1), S. 41. Zur literarischen Gattimg des VADO MoRi-Gedichts siehe Stammler (1), S. 12-13, und Rosenfeld (1), S. 38-43. Rosenfeld (1), S. 39-40. Rosenfeld (1), S. 56, drückt den hier angesprochenen Sachverhalt treffend aus: die „Haltung [des Sprechers im VADO MORi-Gedicht] ist [...] eine geistliche Betrachtung über die Vergänglichkeit alles Irdischen [...] Die Vado-mori-Verse bleiben im Literarischen stecken [im Gegensatz zu den Versen des eigentlichen Totentanzes], ihre Gestalten haben sich abgefunden mit dem Tode und die Welt erscheint nur noch wie ein undeutlicher Lärm aus der Feme". Eine vergleichbare Haltung findet sich im 9 0 . (89.) Psalm, wo der Weise die Last des Daseins durch die Betrachtung Gottes überwindet.
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dichten die Toren und Weltweisen ihre verspätete Erkenntnis. In der Pariser Fassung klagt der Weise, daß all seine Klugheit den Tod nicht abwehren kann. Der Tor klagt darüber, daß der Tod Narren und Weise gleichermaßen heimsucht.76 Im Erfurter Text heißt es vom weisen Mann: VADO MORI, S A P I E N S . MIHI NIL PRUDENTIA PRODEST. ME REDDIT FATUUM MORS FERA: VADO MORI.77
Seine Klugheit nützt ihm nichts; denn der Tod macht ihn zum Toren. Gemeint ist hier im Sinne des Hl. Paulus die Torheit vor Gott. Der Ausdruck FERA MORS erinnert uns an die Wendung TRIUMPHATOR FEROX (XLVI, 26), mit der Nemius den eitlen Jedermann charakterisiert, den am Ende der Tod als unerbittlicher Sieger bezwingt. Das Motiv MORS IMPERATOR stellte im Mittelalter und in der Renaissance allgemein eine wichtige Seite der Todesthematik dar.78 Für Nemius' Eulenspiegelgedicht ist dieses Motiv von besonderer Bedeutung; denn der Ausdruck TRIUMPHATOR FEROX weist auf den Titel des Gedichtes und gibt dem Leser einen deutlichen Hinweis auf die Lehrabsicht des Autors.79 Der zeit seines Lebens triumphierende Jedermann ist eben nur ein Tor. Das Wort TRIUMPHATOR läßt den klassisch gebildeten Leser dabei an den römischen Brauch des Triumphzuges denken, in dem der siegreiche Feldherr zum Jupitertempel auf dem Kapitol zog. Dabei erinnerte ihn ein Sklave mit den Worten HOMINEM TE ESSE MEMENTO an die Vergänglichkeit seines Ruhmes und seines irdischen Daseins. Mit dem römischen Brauch des Triumphzuges waren das Mittelalter und die Renaissance in erster Linie durch die antiken Geschichtsschreiber, die augusteische Dichtung und die bildlichen Darstellungen an den kaiserlichen Triumphbögen vertraut.80 Al76 77 78 79
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Vers 49-52; Textabdruck bei Rosenfeld (1), S. 323-325. Vers 23-24; zitiert nach Rosenfeld (1), S. 325-326. Zum folgenden vgl. Buchheit, S. 89-90. Mezger, S. 436, verweist auf die Figur des Königs Tod im modernen Herzogenbuscher Karneval (vgl. die Abbildung dort S. 435), für die er eine mögliche Verbindung zur Karnevalstradition der frühen Neuzeit und zur Malerei Hieronymus Boschs ansetzt. Ktinzl, S. 10-13 und 141-150, führt antike Textzeugnisse zu den römischen Triumphzügen an; vgl. weiterhin Plin. d.Ä., NAT. HIST. 33, H i l l 2; Juv. 10, 36-46; Tert., APOL. 33, 4. Der bei Künzl, S. 86, abgebildete Silberbecher von Boscoreale zeigt Kaiser Tiberius und einen ihn bekränzenden Sklaven auf dem Triumphwagen. Zur Thematik des Triumph-
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legorische Beschreibungen in der spätantik-christlichen Literatur, die auf den römischen Brauch Bezug nahmen, wiesen der humanistischen Dichtung den Weg zu eigenen Schöpfungen solcher Art. Werke wie die PSYCHOMACHIA des Prudenz, in der personifizierte Tugenden und Laster um die Menschenseele ringen und schließlich die wahre Weisheit auf ewig triumphiert, regten nicht zuletzt Petrarca zu den symbolischen und mystischen Visionen seiner TRIONFI an.81 In Petrarcas Gedichtzyklus triumphieren nacheinander Liebe, Keuschheit, Tod, Ruhm und Zeit über ihren jeweiligen Vorgänger, bis endlich der Ewigkeit der letzte und unüberwindliche Triumph zufällt. Die Miniaturen der Petrarcahandschriften zeigen jeweils die entsprechende POMPA TRIUMPHALIS. Der Tod der geliebten Laura steht bei Petrarca im Mittelpunkt des Zyklus. Allerdings ist der Triumph des Todes nicht von Bestand. Der Tod vermag zwar zeitweilig die Liebenden voneinander zu trennen, doch ihre Wiedervereinigung im Paradies kann er nicht verhindern.82 Vor einem derartigen Hintergrund gewinnt der Titel, den Nemius seinem Eulenspiegelgedicht gibt, zusätzliche Bedeutung,
81
82
zuges in der augusteischen Literatur siehe Galinsky. Das Thema des „verkehrten Triumphs" behandelt Kenner, S. 25-28. Zur Verbreitung der Triumphidee siehe Weisbach, S. 1-19; zur Verbindung des Triumphzuges mit dem frühneuzeitlichen Narrentum Mezger, S. 457-458. Vgl Lakt., Div. INST. 1, 11. Den antiken und mittelalterlichen Einfluß auf Petrarcas Triumphdichtung untersuchen Monti und Sticca. Beide geben Hinweise auf weiterführende Literatur. Zum Einfluß des antiken Adynaton auf Petrarca siehe Fucilla. VgL in diesem Zusammenhang Buchheit, S. 90-92, der auch den vom Maler Piero di Cosimo um 1 5 1 1 in Florenz veranstalteten TRIONFO DELLA MORTE beschreibt. Zu letzterem siehe ferner Th. Schwarz. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund der TRIONFI Petrarcas vgl. die Aufsatzsammlung von Eisenbichler und Iannucci. Dort wird auf die Verbindungslinien zwischen Petrarcas Gedichtzyklus und den bildenden Künsten sowie auf die Verbreitung der TRIONFI und die zeitgenössische Praxis der Triumphzüge ausfuhrlich eingegangen. Literaturhinweise auf das Nachleben von Petrarcas Triumphdichtung bei Ariani, S. 59-60. Zu den TRIONFI der Renaissance und zu ihrem Rückbezug auf Antike und Mittelalter vgl. Burckhardt, S. 291-308, der auch die allegorischen Darstellungen der Lebensalter und den Wagen des Todes in den Triumphzügen der Renaissance erwähnt (S. 305 und 308). Siehe nunmehr auch Mezger, S. 432-434, zu Piero de Cosimo und zum Florentiner Karneval in Verbindung mit Tod und Narrentum; allgemeine Ausführungen zum Triumph der Narrheit bei Mezger, S. 31-74. Vgl. weiterhin Weisbach, S. 96-131, zur Verbindung der Triumphidee mit dem Grabschmuck in der Renaissance.
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zumal Nemius die Tradition der höfischen Triumphzüge bestens bekannt gewesen sein dürfte. Den triumphalen Zug des zukünftigen Philipp II. durch die gesamten Niederlande im Jahre 1549 kann Nemius gut als Augenzeuge miterlebt haben. Zu den Stationen von Philipps Triumphzug gehörten neben anderen Städten Antwerpen, Herzogenbusch, Amsterdam, Utrecht und Nimwegen. Auch wenn Nemius diesen TRIUMPHUS nicht selbst gesehen haben sollte, wird er damit zweifellos durch Wort und Bild vertraut gewesen sein.83 Wenn wir den Ausdruck TRIUMPHUS HUMANAE STULTTOAE mit dem Schlußabschnitt des Werkes direkt in Verbindung setzen, so zeigt sich, daß Nemius das Volksbuch von Eulenspiegel erstmalig und betont in die Tradition des MEMENTO MORI und der damit verbundenen religiösen und philosophischen Gedankenwelt des Mittelalters und der Renaissance stellte.84 Darüberhinaus läßt sich die geistige Nähe des Schlußabschnitts des TRIUMPHUS zur Tradition der Totentanzliteratur an Hand des wahrscheinlich ältesten lateinischen Totentanztextes darstellen. Es handelt sich hierbei um eine Heidelberger Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, deren Verse auf das 14. Jahrhundert zurückgehen. Die Worte zweier Prediger (DOCTORES) umrahmen die Klagen von 24 Verstorbenen, vom Papst und Kaiser bis zum Kind in der Wiege und seiner Mutter. Ihren zweizeiligen lateinischen Monologen folgen jeweils vierzeilige deutsche Übersetzungen. Auch den Versen der Prediger schließen sich deutsche Versionen an.85 Schon zu Beginn des Textes kommt in der Anrede des ersten Predigers an die Menschen der Topos der Weltweisheit deutlich zum Ausdruck: O vos VIVENTES, HUIUS MUNDI SAPIENTES C O diser weit wîsheit kint, / alle, die noch im leben sint"). Hierin zeigt sich ein klarer Bezug auf das 83
84
85
Vgl die auf einer zeitgenössischen Quelle beruhende Karte von Philipps Zug bei Parker, S. 24; siehe zusätzlich Jacquot, besonders S. 440-467. Zur Triumphbegeisterung der südlichen Niederlande im 16. Jahrhundert siehe Weisbach, S. 144-145. Ebenso steht die LAUS STULTITIAE des Perisaulus der Tradition des mittelalterlichen Totentanzes nahe; vgl. hierzu IJsewijn (1), S. 337. Heidelberg, COD. PAL. GERM. 314, fol. 79r-80v; im folgenden zitiert nach dem Abdruck des deutschen und lateinischen Textes bei Rosenfeld (1), S. 308-318 und 320-323. Die ursprüngliche Textanordnung (Nebeneinander des Lateinischen und Deutschen) bei Hammerstein, S. 29-39; vgl. dort auch S. 149. Rosenfeld lokalisiert den Unsprung des Totentanzes der Heidelberger Handschrift in Würzburg, doch ist ihm die Forschung hierin zu Recht nicht gefolgt; vgl. G. Kaiser, S. 25-27.
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erste Kapitel des ersten Korintherbriefes, auf welches auch Nemius in einer Marginalie verweist. In den Versen 10-11 bzw. 2124 des Totentanzes wird der gleiche Topos wiederholt, wenn der Prediger den Totentanz beschreibt: Fistula tartarea qua licet inviti
vos iungit in una chorea, saliunt ut stulti periti.
Mit sîner hellischen pfîfen schreien bringt er iuch al an einen reien, daran die wîsen als die narren getwungen in den Sprüngen faren.
(10-11)
(21-24)
Die abschließenden Worte des zweiten Predigers verknüpfen dann ausdrücklich den Topos der Weltweisheit mit dem der verkehrten Welt: O vos mortales, perversi mundi sodales
(61)
O îr toetlîchen menschen alle, die der valschen weit wolt wolgevallen
(219-220)
Im 15. und 16. Jahrhundert wurde der Totentanz allgemein mit dem Topos der verkehrten Welt in Verbindung gesetzt.86 Ein weiterer Berührungspunkt der mittelalterlichen Totentanzliteratur mit den Eulenspiegelhistorien liegt in der Ständesatire, die in beiden Literaturgattungen einen bedeutenden Platz einnimmt. In den Totentänzen wird der Scherz, den die Ständesatire enthält, dem religiösen Ernst untergeordnet.87 Nicht zu vergessen ist zudem, daß auch Erasmus im zweiten Teil des MORIAE ENCOMIUM die Torheit eine ausgiebige Ständekritik üben läßt. In vergleichbarer Weise verfährt Nemius in seinem Eulenspiegelgedicht. Mit dem Rahmen, den er um die Historien legt, und besonders mit dessen Schlußabschnitt verdeutlicht er dem Leser seine moralische Lehrabsicht. Obwohl in seinem Gedicht das DULCE, das Belustigende und Erheiternde der Eulenspiegelhistorien, gegenüber dem hauptsächlich im Rahmen enthaltenen UTILE überwiegt, entläßt Nemius seine Leser mit einer Thematik, die sie zum Nachdenken und gegebenenfalls zu sittlicher Umkehr anregen soll. Den der Todesthematik unmittelbar vorauf86 87
Vgl. die Ausführungen bei G. Kaiser, S. 67-68. Die Vertreter der verschiedenen Stände, die im Totentanz auftreten, beschreibt Koller, S. 94-261.
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
gehenden Abschnitt des Gedichts charakterisiert nämlich die eitle Prahlerei, der sich Nemius' Jedermann hingibt. In einer grandiosen Vision sieht er sich im Triumph zum Kapitol hinaufziehen und trägt keine Bedenken, sich gar Jupiter gleichzusetzen. Hier steht eine maßlose VANITAS in unübersehbarem Kontrast zur wahrhaft guten und dem Christen angemessenen Lebensführung in Demut und Bescheidenheit. Die namentliche Nennung Jupiters und des römischen Kapitols (ERO ALTER IUPPITER, CONVEHAM IN CAPITOLIUM; XLV, 94 und 109) erhält durch die bildnerische und literarische Tradition des TRIONFO DELLA MORTE eine zusätzliche Pointe, die dem zeitgenössischen Leser nicht entgehen konnte. Im TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE stellt der Rückgriff auf die Antike nicht nur die ERUDITIO des lateinisch dichtenden Autors unter Beweis, sondern gewinnt eine weit tiefere Bedeutung. Die Thematik der Weisheit und Torheit, die damit verbundene Darstellung der verkehrten Welt des menschlichen Daseins, die Unterscheidung von Schein und Sein und das Wissen um die wahren und beständigen Güter angesichts der Allgegenwart des Todes, all dieses gehört zum Hauptanliegen, das Nemius mit seinem Gedicht verfolgt. So wollte der geistliche Herr und Dichter mit seinem lateinischen Eulenspiegel bewußt und ganz im Geiste seiner Zeit bei seinen Lesern einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
5.4. Rang und Wirkung des Gedichts Am Schluß dieses Kapitels sei noch auf die literarhistorische Bedeutung des TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE eingegangen. Bearbeitungen des Eulenspiegelstoffes in Versen gab es bereits vor Nemius, doch handelte es sich hierbei um Gestaltungen einzelner Historien. Wichtige Beispiele hierfür sind die Meisterlieder, Spruchgedichte und Fastnachtsspiele von Hans Sachs.88 Im Gegensatz dazu erscheinen jedoch die Historien von Till Eulenspiegel in Nemius' TRIUMPHUS erstmalig in der Literaturgeschichte als ein geschlossenes Ganzes in gebundener Sprache. Allein dieser Umstand sichert Nemius eine bleibende Stellung in der Rezeptionsgeschichte Eulenspiegels. Der TRIUMPHUS gab be88
Siehe hierzu die Aufsätze von Rettelbach, Spriewald und Oelkers mit ihren einschlägigen Literaturhinweisen.
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reits vier Jahre nach der Veröffentlichung des Zweitdrucks das Vorbild für die zweite und letzte Bearbeitung des Stoffes in lateinischen Versen, und zwar wiederum als in sich geschlossene Einheit. Hierbei handelt es sich um das NOCruAE SPECULUM (1567) des Aegidius Periander (Giles Omma). Perianders Version gab kurz darauf ihrerseits Johann Fischart den Impuls zum EULENSPIEGEL REIMENSWEISS (1572).89 Perianders und Fischarts Eulenspiegelgedichte erschienen beide bei Feyerabend in Frankfurt am Main. Nemius ist somit als Begründer der zusammenhängenden, in Verse gefaßten Eulenspiegeltradition anzusehen. Auch daß er seinen Eulenspiegel in lateinischer Sprache verfaßte, ist von vorrangiger Geltung. Für die Renaissance war das Lateinische die internationale Kultursprache, in die zahlreiche literarische, wissenschaftliche, religiöse u.a. Werke aus ihrer jeweiligen Landessprache übersetzt wurden. Hiermit sollten sie einem weiteren Kreis gebildeter Leser über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus zugänglich werden, als es in der Originalsprache möglich gewesen wäre. Dieser Sachverhalt ist bekannt und braucht hier nicht im einzelnen dargelegt zu werden.90 Damit, daß die Autoren lateinischer Übersetzungen wichtige oder interessante Werke auch denjenigen zugänglich machten, die der ursprünglichen Sprache der Texte nicht mächtig waren, hofften sie, allen Gebildeten — d.h. allen, die mit dem Lateinischen vertraut waren — einen Dienst zu erweisen. Noch im Jahre 1578 faßte Johannes Matthaeus Toscanus (Giovanni Toscano) dies in die prägnante lateinische Formulierung UT UNIVERSO ORBI PRODESSENT: „dem gesamten Erdkreis zu nützen".91 Mit dem Gebrauch des Lateinischen wird aber auch eine Beachtung des Decorum, der antiken literarischen Stilkategorien, notwendig. Dadurch ergibt sich zwangsläufig, daß die lateinischen Fassungen ursprünglich „niederer" volkstümlicher Werke deren Inhalt auf einem stilistisch höheren Niveau wiedergeben, als es bei den landessprachlichen Texten der Fall gewesen war. Die lateinischen Versionen des SERMO VULGARIS sind für Leser bestimmt, 89 90
91
Hauffen (1), S. II-V. Allgemeines Material hierzu bei Grant (1 ) und (2). Detaillierte Beobachtungen zu den lateinischen Übersetzungen deutscher Satirendichtung auf dem Hintergrund der Narrenliteratur bei Hess, S. 330-349. Seiner Darstellung ist das Folgende zum Teil verbunden. Zitiert bei Grant (2), S. 120-121; vgl. dort Anm. 5 und 12. Hess, S. 333, spricht von Toscanos „fast zu einem Topos verdichteten Formel".
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
die mit den antiken Autoren, besonders den römischen Klassikern des Epos und der Lyrik, eng vertraut sind und somit gleichsam einen ORBIS DOCTUS und eine RESPUBLICA LITERARIA repräsentieren. Der Übersetzer, der antike Versmaße und Gattungsformen verwendet, hat sich als POETA DOCTUS oder DOCTILOQUUS zu erweisen und zu diesem Zweck seine Kenntnis der Klassiker durch Zitate, Anspielungen oder Assoziationen vorzuführen.92 Auch dies ist bereits durch das antike Decorum vorgegeben, das weniger die Originalität eines Dichters als die ΙΜΓΓΑΤΙΟ, AEMULAΤΊΟ und INTERPRETATO seiner als kanonisch und verbindlich angesehenen Vorbilder verlangt. „Niedere" Literatur wie die der Volksbücher wird also auf ein höheres Niveau gehoben. Verbunden mit einem derartigen ASCENSUS ist ein erhöhtes „Maß an literarischer Reputation und Dignität".93 Zusätzlich bewirkt die Übersetzung in die traditionsreiche Kultursprache des Lateinischen beim gebildeten Leser einen höheren Grad an Vertrautheit, sogar wenn ihm der Stoff ursprünglich fremd ist. Im Geleitbrief des TRIUMPHUS kommt all dieses deutlich zum Ausdruck. Nemius schließt seine Rechtfertigung dafür, die Geschichten Eulenspiegels als Stoff für seine Bearbeitung gewählt zu haben, mit dem Hinweis, er habe den Sachsen Till aus der Landessprache deshalb übersetzt, um diejenigen zu erreichen, die nur das ihnen bereits Vertraute verstehen können (OB FACILIOREM CAPTUM ILLORUM, QUI [...] TANTUM FAMILIARIA INTELLIGUNT). Bezeichnenderweise redet Nemius in gerade diesem Satz seinen Adressaten Pelegromius mit dem ehrenvollen Beiwort HUMANISSIME an.94 Das Volksbuch vom Eulenspiegel ist nunmehr auch für die Humanisten zu einer ihrem Bildungsstand und Prestige angemessenen Lektüre geworden. Auf diese Seite der Rezeptionsgeschichte Till Eulenspiegels verwies schon Petrus Hofmann Peerlkamp mit der Bemerkung, die lateinischen Eulenspiegelfassungen stammten von Autoren, die als gelehrt und witzigelegant gelten wollten.95 Wichtig sind in diesem Zusammenhang die beiden Geleitgedichte des Apherdianus, welche bereits auf der Titelseite des TRIUMPHUS dem Leser Ziel und Absicht des sich anschließenden 92 93 94 95
Hess, S. 335. Hess, S. 335; vgl. S. 344. Gleichzeitig klingt auch der Bescheidenheitstopos an Vgl. Hess, S. 336. Peerlkamp, S. 77: QUI DOCH SIMUL ET FACETI CUFIEBANT CENSERI.
(RUDIORE MINERVA).
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Buches ankündigen. Apherdianus' Dekastichon beschreibt den MUNDUS INVERSUS und bereitet auf die Thematik des TRIUMPHUS vor. Das Distichon, das sich anschließt, verweist auf die Bedeutung der lateinischen Sprache für Nemius' dichterische Perspektive und faßt das oben Ausgeführte in prägnanter Kürze zusammen. Während Eulenspiegel vormals nur im deutschsprachigen Raum zu Hause und bestens bekannt war (HACTENUS [...] Visus GERMANOS [...] PEROMNES), wird ihm nunmehr mit Nemius' Hilfe die Welt der Gebildeten eröffnet: LATIUM ADIRE POTES. Latium bezeichnet hier in erster Linie nicht die Gegend Italiens, von der aus die lateinische Sprache ihren Siegeszug um die Welt angetreten hatte, sondern den der klassischen Kultur erschlossenen ORBIS TERRARUM selbst. Ein besonders gelungener Zug des Distichons liegt darin, daß Apherdianus nicht die humanistisch Gebildeten der RESPUBLICA LITERARIA anspricht, sondern stattdessen seinen Zweizeiler als Apostrophe an Eulenspiegel selbst richtet. So kann sich der ursprünglich ungebildete Eulenspiegel als DOCTUS bezeichnen lassen. Er wird also durch die lateinische Sprache gleichsam vom Rang des Bauernsohnes in die Sphäre der Gebildeten und der Humanisten gehoben. Damit erhöht sich aber auch die „Reichweite" seiner Streiche um ein Vielfaches, denn jetzt kann jeder, der des Lateinischen mächtig ist, von seinen Taten Kenntnis nehmen. Hinzu kommt, daß man sich nunmehr auch an den derben und gewagten Schwänken ruhigen Gewissens erfreuen darf, da sie ja in das altehrwürdige Gewand des Lateinischen gekleidet sind. Die Historien werden somit ein wenig entschärft, ohne allerdings dabei ihre Pointen oder ihren Witz einzubüßen. Die gelehrte Überhöhung des Volkshelden Eulenspiegel führt weiterhin dazu, daß mit der lateinischen Bearbeitung eine neue Sicht des ursprünglichen Stoffes einhergeht. Wie Günter Hess zu Recht betont hat, ist der Verfasser einer lateinischen Übersetzung nicht nur ein Übersetzer, der dem Original verpflichtet ist, sondern vielmehr ein POETA INTERPRES oder auch ein eigenständiger Dichter, ein VATES in der Tradition von Vergil und Horaz. Nicht nur trägt er seinen eigenen Ausdrucks- und Gestaltungswillen an den Stoff heran, sondern er vermittelt dem Leser auch eine neue Sichtweise, ein neues Verständnis des Stoffes.96 In diesem Sinne ist, wie zu erwarten, der Geleitbrief des Nemius als proHess, S. 342-343. Es sei noch einmal betont, daß hierin bei Nemius kein Anspruch auf die ursprüngliche Autorschaft der Eulenspiegelgestalt liegt.
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grammatisch aufzufassen; denn hier wird das horazische Verständnis vom Sinn und Zweck der Dichtkunst — PRODESSE und DELECTARE, UTILE und DULCE — ausführlich dargelegt. Den klassischen Autoren vergleichbar, will Nemius als Lehrer und Erzieher seiner Leserschaft angesehen werden. Die voraufgehenden Ausführungen zur Bedeutung des Lateinischen lassen sich allerdings noch weiter präzisieren, und zwar im Hinblick auf die Rezeption der klassischen Mythologie und speziell der METAMORPHOSEN Ovids während der Renaissance.97 Ovid war im Mittelalter als ETHICUS oder THEOLOGUS so hochgeschätzt, daß Ludwig Traube das 12. und 13. Jahrhundert geradezu als AETAS OVIDIANA charakterisieren konnte.98 Ovids mythische Dichtung, die METAMORPHOSEN, war ein fester Bestandteil der Florilegien, und die mittelalterliche Mythenallegorese machte Ovid zum MORALIZATUS und gar zum CHRISTIANUS.99 Im 14. Jahrhundert erschien dann anonym der OVIDE MORALISÉ, der sich als sehr einflußreich erweisen sollte. Dessen lateinische Fassung (METAMORPHOSIS OVIDIANA MORALITER [...] EXPLANATA) fügte Petrus Berchorius (Pierre Besuire), später ein Freund Petrarcas, als 15. Buch seinem REDUCTORIUM MORALE hinzu.100 Der Erstdruck des OVIDIUS MORALIZATUS erschien 1509 in Paris, und im darauffolgenden Jahr kam in Lyon eine Ausgabe dieses Werkes zusammen mit dem Text der METAMORPHOSEN heraus. Wie Jean Seznec mit Recht bemerkt hat, dienten die Mythen der heidnischen Antike als Ausdrucksmittel für die philosophische und moralische Gedankenwelt der christlichen Renaissance.101 Erasmus betont z.B. im ENCHIRIDION MILITIS CHRISTIANI, daß größerer Gewinn aus der allegorisch verstandenen Säkulardichtung als aus einer wörtlich aufgefaßten Heiligen Schrift zu ziehen sei.102 Für Erasmus besteht kein Zweifel daran, daß erst die Allegorie die Geschichten und Erzählungen der Bibel, besonders des Alten 97
98 99
100 101 102
Zur Rezeption Ovids im Mittelalter und besonders in der Renaissance siehe Rand; Bush, S. 69-88; Harding, S. 11-23; Wilkinson, S. 399-438. Traube, S. 113. Zur klassischen Mythologie als PHILOSOPHIA MORALIS und zur Allegorese Ovids im Mittelalter und in der Renaissance siehe besonders Gruppe, S. 14-44; Rand; Born; Bush, S. 11-16 und 69-73; Seznec, S. 90-99. Boccaccio und Christine de Pisan stellten Handbücher derartiger Mythenallegorese zusammen. Vgl. auch Borinski, Bd. 1, S. 24-26, zum Einfluß Philons von Alexandria auf die Tradition der Allegorese. Hierzu Seznec, S. 174-176. Seznec, S. 97. Siehe Seznec, S. 99.
Rang und Wirkung des Gedichts
281
Testaments, ihren wahren Sinn enthüllen läßt Auch Petrarcas Triumphdichtung war von Ovid beeinflußt: Ovids Elegie über den Triumph Amors inspirierte Petrarca zu seinem TRIONFO D'AMORE.103
In der Renaissance war das epische Gedicht Ovids fester Bestandteil der Schullektüre. Die Ausgabe der METAMORPHOSEN mit dem Kommentar von Raphael Regius (Erstausgabe Venedig, 1492; zahlreiche Nachdrucke) war die verbreitetste kommentierte Ausgabe der METAMORPHOSEN in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und wurde allerorten in den Schulen benutzt.104 Auch in der bildenden Kunst der Renaissance war Ovid populär. So allegorisierte die Emblematik zahlreiche Gestalten aus den METAMORPHOSEN, und Filarete stellte 1445 auf den Bronzetüren der Peterskirche in Rom Geschichten aus ihnen dar. Im Hinblick auf Nemius ist noch anzumerken, daß die weithin berühmten flandrischen Wandteppiche hauptsächlich mythische Szenen abbildeten, die größtenteils aus Ovid stammten. Die Tatsache, daß Nemius am Ende des Widmungsbriefes zu seinem TRIUMPHUS Ovid namentlich anführt, erhält vor diesem Hintergrund eine tiefere Bedeutung. Nemius empfiehlt sich dem COLLEGIUM NASONUM, und in diesem Ausdruck repräsentiert Ovid die Dichtergilde schlechthin. Ganz im Sinne Ovids liegt darin auch ein Schuß Ironie und Selbstironie, ebenso in der sich anschließenden Nennung der CHRYSOGONI, womit die armen Schulmeister gemeint sind. Nemius war mit der Dichtung Ovids, und zwar nicht nur mit den METAMORPHOSEN, und mit ihrem Einfluß auf die Kultur seiner Zeit gut vertraut. Sicher hat Nemius neben den anderen Klassikern der römischen Literatur auch Ovid im Unterricht durchgenommen. Wie in der Darstellung von Nemius' Freundeskreis bereits erwähnt wurde, schrieb Cuppifex 103
Das genannte Gedicht Ovids ist AM. 1,2. Petrarcas Urteil über Ovid: PUTO („ich glaube, niemand kann dem Dichter Ovid gleichgestellt werden"). Vgl. hierzu weiterhin Monti. In seinem Widmungsbrief schrieb Regius: ΤΑΜ ECREGIUM OPUS ADOLESŒNTIBUS ELOQUENTI AE STUDIO DESTIN ATIS NON PRAELECERE INDIGNUM ESSE VIDEBATUR („ein SO ausgezeichnetes Werk der Jugend, die zum Studium der Beredsamkeit entschlossen ist, nicht vorzulesen, schien mir unangebracht zu sein"); der lateinische Text zitiert nach Harding, S. 19. Der Geistliche Petrus Lavinius gab Regius' Kommentar zum ersten Buch der METAMORPHOSEN (Schöpfung, Weltzeitalter, Flut usw.) eine tropologische Ergänzung. Die 1543 in Basel erschienene Ausgabe der METAMORPHOSEN mit dem Regiuskommentar und mit zusätzlichen kritischen Anmerkungen von Jacobus Micyllus (Jakob Molshem) war bis zum Ende des Jahrhunderts die Standardausgabe. NULLUM AEQU ARI POSSE NASONI ΡΟΕΓΑΕ
1M
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Einordnung des Eulenspiegelgedichts
Nemius in seinem Sechszeiler in der Murmelliusausgabe von 1555 ausdrücklich den Rang eines Ovid, Vergil und Horaz zu. Ovid steht dabei an erster Stelle: INGENIUM NASONIS HABET, heißt es von Nemius am Gedichtanfang. In dieser Formulierung faßt Cuppifex Nemius' Auffassung vom Sinn der Dichtung und Literatur treffend zusammen. In seinen erotischen Lehrgedichten bezeichnet sich Ovid elegant und witzig als Lehrer (PRAECEPTOR) und tändlerischen Spieler (LUSOR). Wie bereits ausgeführt, folgt Nemius in erster Linie der Auffassung des Horaz von der Wirkung und Absicht der Dichtung. Doch wenn wir Horazens Terminologie des UTILE und DULCE, des PRODESSE und DELECTARE in Ovids Ausdrucksweise übersetzen, können wir auch in Nemius selbst einen PRAECEPTOR und LUSOR nach ovidischem Vorbild erkennen. Im Geleitbrief spricht Nemius ja ausdrücklich von seinem „spielerischen Stift" (CALAMO LUDENTE). In Bezug auf das UTILE und DULCE als Aufgaben der Dichtung war die Renaissance mit der geistigen Verwandtschaft der Klassiker Horaz und Ovid gut vertraut. So verglich Guido Morillonius 1516 in seiner Ovidausgabe EXPRESSIS VERBIS Ovid mit Horaz und lobte Ovid dafür, in der Mischung von Unterhaltung und Belehrung unübertroffen zu sein.105 Die allegorischen Interpretationen der Renaissance haben Ovids mythische Erzählungen, einschließlich der in den METAMORPHOSEN enthaltenen Episoden erotischer und sogar abnormer Leidenschaften, moralisch annehmbar gemacht. Ähnlich verhält es sich bei Nemius mit Till Eulenspiegel. Durch seine moralisch-didaktische Nachdichtung entschärft er die oft drastischen Partien der Historien und stellt diese zur Unterhaltung und Belehrung des Lesers bereit. Indem Nemius der Gestalt Eulenspiegels seine eigene, in sich geschlossene Interpretation im Geiste der gehobenen Bildung und Kultur der Zeit verleiht, stellt er sich deutlich in die moralisierende und allegorisierende Tradition der Renaissance. Es ist nun aber wichtig festzuhalten, daß Nemius, der sich an klassischen Vorbildern orientiert und in deren Sprache dichtet, gerade nicht eine Gestalt der antiken Mythologie, sondern eine Figur der zeitgenössischen Folklore als Protagonisten seines Gedichts gewählt hat. Eulenspiegel war für Nemius zweifellos eine aktuelle Gestalt. Da die Eulenspiegelschwänke erst durch die Drucke des frühen 16. Jahrhundert allgemeine Verbreitung fanκ® Siehe Rand, S. 155-156.
Rang und Wirkung des Gedichts
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den und Nemius den Schalk wahrscheinlich erst durch seine Vorlage, den Antwerpener Druck von 1525/46, kennenlernte, gehörte Eulenspiegel für ihn zur modernen Volksliteratur. Für dichterische Allegoresen mythischer oder folkloristischer Gestalten lagen Nemius zahlreiche Modelle aus Antike und Mittelalter vor. Als Protagonisten eines Gedichts über Weltweisheit und falschen Ruhm hätte er z.B. gut Odysseus wählen können, dessen Wortgewandtheit und Listigkeit schon die Antike oft negativ beurteilte (vgl. hierzu im folgenden Kapitel). Bezeichnenderweise schlug Nemius aber einen derartigen und ihm gut vertrauten Weg nicht ein, sondern wagte sich mit der Wahl einer modernen und der gebundenen Sprache noch unerschlossenen Gestalt in dichterisches Neuland. Dem populären Eulenspiegel ein dichterisches und noch dazu ein klassisches Gewand anzulegen und auf diese Weise der oft lockeren Reihe der Schwänke eine geschlossene Interpretation zu geben, ist eine nicht zu unterschätzende Leistung. Nicht zuletzt liegt hierin die Modernität des TRIUMPHUS und seine Bedeutung für die Literaturgeschichte. Dennoch beweist Nemius mit der Wahl Eulenspiegels auch vom Standpunkt der klassischen Literatur aus eine glückliche Hand. Nicht nur gibt es allgemein in der antiken Literatur zahlreiche eulenspiegelhafte Schälke — einigen von ihnen ist das folgende Kapitel gewidmet — , sondern Eulenspiegel ist darüberhinaus geradezu „ovidisch" in seiner Wandlungsfähigkeit. In der Rezeptionsgeschichte durchläuft er sozusagen eine eigene Reihe von Metamorphosen — zwar nicht im strikten Wortsinn, wie es Ovid darstellt. Jedoch erscheint Eulenspiegel wie Proteus in immer neuem Licht. Somit wird auch verständlich, daß Nemius Eulenspiegel nicht konsequent auf das Böse und Negative festlegt, sondern ihn ab und zu die Seite des Guten vertreten läßt. Weiterhin ist es im Hinblick auf Ovids Ausdruck LUSOR bezeichnend, daß Nemius, als auktorialer Erzähler sprechend, Eulenspiegel am Beginn seiner Darstellung LUSITANS und an deren Ende LUDIUS nennt (IV, 40; XLII, 33). Die ovidische Seite der Eulenspiegelgestalt greift nach Nemius' Vorbild auch Periander wieder auf, wenn er zu Beginn des ersten Buches seines NOCTUAE SPECULUM den Anfangsvers von Ovids METAMORPHOSEN zitiert (IN NOVA FERT ANIMUS ...). Doch die bedeutendste Metamorphose Eulenspiegels liegt sicher darin, daß Nemius ihn aus der Landessprache und der damit verbundenen Volkstradition des 15. und 16. Jahrhunderts in die zeitlose Sprache und Kultur der RESPUBLICA LITERARIA aufsteigen läßt. Der Außenseiter und Vertreter
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der niederen Sozialschichten wird somit zum DOCTUS TYLUS, wie es treffend im Distichon des Apherdianus heißt. Bemerkenswert ist dabei ferner, in wie kurzer Zeit Nemius der Antwerpener Ausgabe, die wie alle Frühdrucke der Eulenspiegelschwänke in Prosa gehalten ist, seine eigene gebundene Version folgen läßt. Mit dem TRIUMPHUS, der sprachlich und formal der Antike verpflichtet ist, beweist Nemius seine Vertrautheit mit der klassischen Bildung und Kultur. Mit der Wahl Eulenspiegels als Protagonisten dieses Gedichts zeigt er seine Modernität und schöpferische Eigenständigkeit. Auch wenn Nemius die Eulenspiegelschwänke als Stoff wählt, wenn er dem rhetorischen Decorum der Antike folgt und seine Leser auf unterhaltende Art und Weise anspricht, verfolgt er dennoch mit seiner Dichtung eine ernsthafte didaktische Absicht (vgl. XLIII, 102-107). Er ist eben sowohl LUSOR als auch PRAECEPTOR. Auch als Autor, der sich an die seinem Stoff angemessenen literarischen Formeln und Konventionen hält, gibt er nicht die moralische Verantwortlichkeit des Dichters auf, die dem Literaturverständnis der Antike, des Mittelalters und der Renaissance größtenteils zugrundelag. Speziell die Schlußabschnitte des TRIUMPHUS legen von dieser Seite unseres Dichters ein eindrückliches Zeugnis ab. Der zweiteilige Rahmen, in den Nemius seine Nachdichtung der Historien einfaßt, ist für die Rezeptionsgeschichte Eulenspiegels von entscheidender Wichtigkeit. Der Hymnus auf den Schöpfer und der Lebenslauf des Jedermann stellen selbständige und in Nemius' Vorlage nicht enthaltene Zusätze dar. Die Abschnitte I und XLIV-XLVI des TRIUMPHUS geben dem Eulenspiegelbuch einen in der Rezeptionsgeschichte einzigartigen Stellenwert. Prolog und Epilog verleihen nämlich Eulenspiegels Lebenslauf zum ersten Mal eine vollständige, in sich geschlossene und einheitliche Deutung. Die Forschung hat bisher Johann Fischart das Verdienst zugewiesen, mit den Prologen zum EULENSPIEGEL REIMENSWEISS als erster eine Gesamtdeutung Eulenspiegels geleistet zu haben. So schrieb noch kürzlich Wolfgang Virmond: „Die Prologe zum gereimten Eulenspiegel enthalten die erste uns bekannte umfassende Eulenspiegel-Deutung und begründen damit zugleich eine neue Phase der Rezeption."106 Fischart übertrug zwar als erster das Eulenspiegelbuch in deutsche Verse, doch folgte er damit dem NOCTUAE SPECULUM von Pe106
Virmond, S. 116.
Rang und Wirkung des Gedichts
285
riander, wie Adolf Hauffen schon vor langem gezeigt hat.107 Bei Periander umrahmen Prologe und Epiloge die Darstellung der Historien. Allerdings ist es unübersehbar, daß Perianders Vorbild hierfür seinerseits der TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE war. Das Fischart zugeschriebene Verdienst der ersten einheitlichen Deutung der Eulenspiegelgestalt gehört in Wirklichkeit Nemius. Die bei Virmond genannte neue Rezeptionsphase beginnt also vor Fischart bereits mit Nemius.108 Der TRIUMPHUS HUMANAE STULTMAE nimmt Eulenspiegel erstmalig in den breiten Fluß der Tradition der klassischen Literatur auf. Weiterhin hat Nemius als erster den Schwankhelden Eulenspiegel in die gehobene Kultur und Bildung seiner Zeit eingeführt. Durch ihn steht Till Eulenspiegel, der vorher oft nur als Narr und Schalk verlacht worden war, nun auch in der Tradition des Humanismus und sogar in der Aura des großen Erasmus. In seinem Dekastichon zu Beginn des Eulenspiegelbuches hatte Apherdianus dem Leser eine EFFIGIES VIVA des Schalks angekündigt. Die damit geweckten Erwartungen hat Nemius mit seinem Werk voll und ganz befriedigt. Sein Eulenspiegel hat auch nach mehr als vier Jahrhunderten nichts von seiner Ursprünglichkeit und seinem klassisch-antikisierenden Charme eingebüßt. Auch wenn Nemius' Latein stellenweise keinen eleganten Eindruck macht, so nimmt sein Gedicht dennoch für die Rezeption Eulenspiegels und in der Geistesgeschichte des Humanismus eine bedeutende und bisher unterschätzte Stellung ein. Die obige Würdigung beabsichtigt allerdings keine Überbewertung unseres Dichters. Doch hat Harry Schnur in seiner Ausgabe lateinischer Gedichte deutscher Humanisten zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß nicht die erstrangigen Werke einer literarischen Epoche deren Gesamtbild bestimmen, sondern daß häufig gerade die schwächeren Gedichte den Geschmack ihrer Zeit am besten ausdrücken.109 Nemius gehört zwar nicht in die erste Reihe der Humanisten, aber eine interpretierende Beschäftigung mit seinem Werk und besonders mit dem Eulenspiegelgedicht ist mehr als gerechtfertigt. Die dichterische Aufgabe, die Nemius sich damit stellte, hat er in einer zu seiner eigenen Zeit anerkannten und noch heute ansprechenden Weise erfüllt. 107 108
109
An der oben Anm. 89 genannten Stelle. Virmond verzichtet leider bewußt darauf, die lateinische Eulenspiegeltradition zu berücksichtigen (S. 203 Anm. 140). Schnur (2), S. 504.
6. Eulenspiegel und die Antike
Nemius bezog als erster in seiner Adaptation und Interpretation des Eulenspiegelstoffes den Schalk konsequent auf verwandte Figuren der klassischen Literatur. Daher ist es angezeigt, auf antike Parallelen zu Eulenspiegel ausführlicher einzugehen, zumal eine Untersuchung dieses Themas in der bisherigen Eulenspiegelforschung noch nicht existiert. Eine Geistesverwandtschaft Eulenspiegels mit Gestalten der griechischen und römischen Literatur, die schlaue Streiche ersinnen und lustige oder drastische Possen ausführen, ist durchaus zu erwarten. Ohne daß damit das Thema erschöpfend behandelt wäre, seien im folgenden einige besonders auffällige eulenspiegelhafte Charaktere der antiken Literatur vorgestellt. Bei ihnen handelt es sich zunächst um archetypische Gestalten aus der griechischen Mythologie und Folklore, die der erste Teil dieses Kapitels beschreibt. Darüberhinaus hat die Kenntnis der römischen Komödie und Satire Nemius bei seiner lateinischen Fassung des Eulenspiegels beeinflußt. Diese Gattungen behandelt der zweite Abschnitt. Der dritte und letzte Teil des Kapitels wendet sich danach einigen Werken des griechischen Satirikers Lukian von Samosata zu, die ebenfalls für unser Verständnis des antiken Hintergrundes des TRIU M P H U S von Bedeutung sind.
6.1. Archetypische Parallelen in der griechischen Mythologie und Folklore Gerissene Schelme, wendige Spitzbuben, schlaue Bauernfänger, kluge und umsichtige Heroen und pfiffige Götter sind Gestalten der Mythologie und Folklore der Welt, die in zahllosen Variationen immer wieder auftreten. In der Antike ziehen sich Erzählungen von derartigen Helden durch die gesamte Literatur. Prometheus, der keinen Geringeren als Zeus hereinlegt, und Sisy-
Die griechische Mythologie und Folklore
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phos, der sogar Tod und Unterwelt überlistet, sind nur zwei der bekanntesten Beispiele aus dem göttlichen und menschlichen Bereich.1 Der Einfluß der griechischen Mythologie und Folklore auf die römische und danach auf die christliche europäische Kultur ist allgemein bekannt.2 Zwei Aspekte aus diesem Bereich sollen nun näher betrachtet werden: zum einen die Mythen um die antiken Schelme Hermes, Autolykos und Odysseus, zum anderen die folkloristische Literatur um den Fabeldichter Äsop und den kynischen Philosophen Diogenes. Bei den erstgenannten handelt es sich um Beispiele, deren Zeugnisse aus der hohen Literatur stammen, hauptsächlich aus dem Epos, bei den letzteren um solche der antiken Volksliteratur. 6.1.1. Mythologie: Hermes, Autolykos, Odysseus Der große Hermeshymnos, der vierte der homerischen Hymnen, erzählt von der Geburt und den ersten Taten des Gottes. Die Atlastochter Maia, so heißt es, gebar dem Zeus ein wendiges, kluges, gewinnendes Knäblein, Jenen Räuber und Rinderdieb, den Führer im Traumland, Jenen nächtlichen Späher und Torwart. Es war zu vermuten, Dieses Morgenkind werde bald den unsterblichen Göttern Ruhmvolle Taten zeigen: Am Mittag spielt es die Leier, Abends dann stahl es die Rinder Apollons, des Schützens ins Weite. 3
Gleich am Tage der Geburt beweist Hermes also seine erfinderische und spitzbübische Natur. Die Leier, die er aus einem Schildkrötenpanzer angefertigt hat, spielt er so meisterhaft, daß selbst Apollon besänftigt wird (Vers 418-438). Hermes hatte ihm nämlich fünfzig seiner Rinder gestohlen und seine eigenen Spuren und die der Tiere durch Rückwärtsgehen undeutlich gemacht (75-78). Auch erfindet er zu diesem Zweck Sandalen — Einflüsse des Nahen Ostens und Ägyptens auf die griechischen Mythen und Legenden lassen sich im Hinblick auf derartige TRICKSTERS ebenfalls nachweisen. Ausführliche Darstellungen hierzu bei Kirk (1). Vgl. beispielsweise auch die Materialsammlung der Mythen um den sumerischakkadisch-hethitischen TRICKSTER-GOM Enki bei Kramer und Maier. Zur Aneignung klassischer Mythen durch das Christentum siehe Rahner und Seznec. Zur christlichen Neuinterpretation von Hermes und Odysseus, die unten behandelt werden, vgl. Rahner, S. 164-196 und 281-328. Vers 13-18. Deutsche Zitate des Textes nach Weiher (hier S. 63).
288
Eulenspiegel und die Antike
„Wunderwerke, wie keiner gedacht und gesehen" — , denn er „hatte die Absicht, mit Kniffen und Listen / Gründlich zu täuschen den Gott mit dem silbernen Bogen".4 Vor Zeus beklagt sich Apollon dann auch entsprechend: „einen Preller, wie den, sah ich nicht unter den Göttern, / Auch bei den Menschen nicht".5 Der Göttervater muß allerdings über die Gerissenheit und Lügenhaftigkeit seines jüngsten Sprößlings schallend lachen (389390). Sogar über die Gabe der Zauberei verfügt der erfinderische Hermes, und mit ihr setzt er sich erfolgreich gegen Apollon zur Wehr (409-418). Dieser erlaubt ihm, die gestohlenen Rinder zu behalten. Hermes siegt also auf der ganzen Linie. Der junge Rinderdieb wird später zum Schutzgott der Diebe und somit aller wendigen Spitzbuben. Gerade im Hinblick auf Eulenspiegel ist noch anzumerken, daß Hermes eng mit den Handwerkern des klassischen Griechenland assoziiert war und gewissermaßen den merkantilen Geist der unteren Sozialschichten verkörperte.6 Die Pflicht, sich selbst zu helfen, die den Diebstählen des Hermes zugrundeliegt, ist häufig bei sozial Unterprivilegierten und noch mehr bei Außenseitern der Gesellschaft als Haupttriebfeder ihrer Handlungen zu betrachten.7 Die Epitheta, die in diesem Hymnos den Gott charakterisieren, sind uns aus den homerischen Epen vertraut. Besonders wichtig sind Ausdrücke wie „vielgewandt" (POLYTROPOS, 13 und 439), „erfinderisch" (POLYMETIS, 319; vgl. 155 und 514) und „gerissen" (DOLIOS, 76; vgl. 282 und 361) — neben anderen, auf die hier nicht einzugehen ist. Ebenso ist der Name des Gottes für dessen Charakter bezeichnend. Die Etymologie von „Hermes" erklärt Sokrates in Piatons Dialog KRATYLOS folgendermaßen: Auf alle Weise muß doch „Hermes" etwas von der Rede bedeuten, denn daß er D o l m e t s c h e r ist und Bote, auch hinterlistig und betrügerisch in Reden und auf dem Markte Verkehr treibt, dieses ganze Geschäft beruht doch auf der Kraft der Rede [...] EIREIN ist der Gebrauch der Rede, und, was beim Horneros so oft vorkommt, EMESATO bedeutet erfinden. Aus diesen beiden zusammen befiehlt uns also der Namengeber gleichsam, den, welcher das Reden und die Rede erfunden hat, diesen Gott, ihr Leute, 4
5 6 7
Vers 79-80 und 317-318; Weiher, S. 67 und 79. Zu Hermes als TRICKSTER siehe Brown, S. 7-24; dort auch zahlreiche Verweise auf die entsprechende griechische Literatur. Vgl. das Adagium TRICEPS MERCURIUS bei Erasmus (ADAC. 3 , 7 , 9 5 ) und das Ausoniuszitat in Nemius' Geleitbrief. Vers 338-339; Weiher, S. 81. Ausführlich hierzu Brown, S. 75-79. Nach Brown, S. 79 („duty of self-help").
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müßtet ihr doch billig EKEMES nennen. Nun aber, wie mir scheint, putzen wir den Namen aus und nennen ihn „Hermes". 8
Gerissenheit und Redegewandtheit bestimmen also gleichermaßen den Charakter des TRICKSTER-Gottes. Bei Eulenspiegel ist es nicht anders. In der epischen Literatur bezeichnen allerdings die oben angeführten Epitheta des Hermes in erster Linie den Helden Odysseus, der in höchstem Maße körperliche und erst recht geistige Gewandtheit besaß. Odysseus, der Sohn des Laërtes, war Nachfahre des Hermes. Hermes' Sohn Autolykos war ein schlauer Rinder- und Pferdedieb (wie der Vater, so der Sohn!), der allerdings in Sisyphos seinen Meister fand. Autolykos' Tochter Antikleia war die Mutter des Odysseus. Allerdings erklärte eine spätere Tradition Sisyphos statt Laërtes zum Vater des Odysseus, um so Odysseus' unübertroffene Schlauheit besser verständlich zu machen. Sogar der Name von Odysseus' Großvater Autolykos (wörtlich: „wahrer Wolf') ist für unseren Zusammenhang bezeichnend. Er bedeutet soviel wie „vogelfrei"; denn Autolykos streifte als Räuber und Dieb umher und stand außerhalb des Gesetzes.9 Auch in dieser Hinsicht ist an den ungebunden umherwandernden Eulenspiegel zu denken. Es gibt allerdings noch einen wichtigeren Bezugspunkt zwischen Autolykos und Eulenspiegel. Vom Vater Hermes, der hierzu selbst das Beispiel abgegeben hatte, erhielt Autolykos die Gabe, sogar und gerade beim Schwören zu betrügen.10 Bei dieser Art des Betrugs ist nur der Wortlaut des Eides entscheidend und für den Schwörenden verbindlich, und demnach vermag ein Schlaukopf sein Opfer mittels klug gewählter Worte selbst mit einem Eid zu übertölpeln.11 Mit solchem Wortbetrug versuchte es schon Hermes selbst, der im oben angeführten Hymnos mit seinem Eid vor Zeus den Diebstahl der Rinder Apollons abstreitet (378-384). Vater Zeus durchschaut allerdings den Trick. Das Wörtlichnehmen, das eine der Hauptstrategien Eulenspiegels ausmacht, ist also auch schon in der Antike als Mittel durchtriebener „Schalkheit" zu beobachten.12 8 9 10 11 12
Pl., KRAT. 407E-408B; zitiert nach Eigler, S. 473. Belege für diese Bedeutung des Namens bei Brown, S. 45 Anm. 16. O D . 19, 396. Hierzu Brown, S. 8 und 10. Vgl. Goethes MAXIMEN UND REFLEXIONEN, Nr. 974: „alle Hauptspäße des Buches beruhen darauf, daß alle Menschen figürlich sprechen und Eulen-
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Eulenspiegel und die Antike
Der Held des antiken Mythos, der Till Eulenspiegel am nächsten steht, ist jedoch Odysseus selbst. So verband Johann Fischart im EULENSPIEGEL REIMENSWEISS Eulenspiegel ausdrücklich mit Odysseus.13 Im Laufe nicht nur der antiken, sondern auch der späteren Literatur durchlief die Gestalt des Odysseus zahlreiche Veränderungen, die seine Klugheit und Erfindungsgabe einmal positiv, ein anderes Mal negativ darstellten.14 Für uns ist jedoch die Tatsache bedeutsam, daß sich Odysseus von Homer bis zur Renaissance und noch danach als listiger und verschlagener Kopf weiten Ruhmes erfreute. Seine bekanntesten Listen sind die Erfindung des hölzernen Pferdes, durch das er die Eroberung Trojas ermöglicht, und die Blendung des Polyphemos sowie die Flucht aus dessen Höhle. Mit Hermes' Hilfe kann Odysseus auch die Zauberin Kirke überwinden.15 Nach der Rückkehr ins heimatliche Ithaka überlistet und tötet er Penelopes Freier. Darüberhinaus ist er der wortgewaltigste und in der Redekunst beschlagenste aller antiken Heroen. Er siegt z.B. in der Debatte mit Ajax, die um die Rüstung des toten Achilles geführt wird. Schon zu Beginn der ILIAS heißt es, daß seine Beredsamkeit der aller anderen überlegen ist.16 Dabei greift Odysseus auch bereitwillig zur Lüge, wenn es die Lage erfordert. Auf Ithaka belügt er selbst seine Schutzgöttin Athene und die treue Penelope, bevor er sich ihr zu erkennen gibt. Im ersten Gesang der ODYSSEE lobt kein Geringerer als Zeus die unübertroffene Intelligenz des Odysseus.17 Die Verbindung von Intelligenz und Rhetorik ist seine Hauptwaffe, die ihn auch äußerste Notlagen sicher überstehen läßt. Sie setzt die Gestalt des Odysseus in enge Beziehung zum arche-
13
14 15
16 17
spiegel es eigentlich nimmt" (Hamburger Ausgabe, Bd. ΧΠ, S. 502). Schon zur Zeit Hermen Botes galt das Wörtlichnehmen als Eulenspiegels Charakteristikum; vgl. Röcke (2), S. 216 und 335 Anm. 18 (Johannes Paulis Beschreibung). Zu Eulenspiegels Wörtlichnehmen siehe u.a. Arendt, S. 7685; Sichtermann (1), S. 295; und die Untersuchung von Kalkofen. Der Text bei Hauffen (1), S. 4 Vers 50-70. Dazu bemerkt Rusterholz, S. 18, es sei Fischarts Absicht gewesen, Eulenspiegel „die gewünschte humanistische Dignität zu verleihen". Vgl. hierzu das Standardwerk von Stanford, besonders S. 244-245. Die enge Verbindung von Hermes und Odysseus steht im Vordergrund der Studie von Osterwald, der S. 147-156 Hermes und Odysseus gar für identisch hält. II. 3, 221-223. Weitere antike Belege bei Stanford, S. 268 Anm. 5. OD.
1, 66.
Die griechische Mythologie und Folklore
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typischen TRICKSTER.18 Weiterhin läßt sich Odysseus auch als eine Jedermanngestalt verstehen.19 Diese Seite des Odysseus unterstreichen seine Wanderungen und Irrfahrten. Das unstete Dasein des Autolykos, von dem bereits die Rede war, übertrug sich gewissermaßen auch auf seinen Enkel Odysseus, der nach dem Ende des trojanischen Krieges erst nach zehnjährigem Umherirren ins heimatliche Ithaka zurückfand. In der nachhomerischen Tradition zog er sogar anschließend auf neue Wanderschaften. Dem rastlosen Umherziehen Till Eulenspiegels ist dies durchaus vergleichbar. Heimatlosigkeit und Wanderungen, Intelligenz und Sprachgewandtheit und der sich daraus ergebende Ruhm sind allgemeine Züge, die Odysseus und Eulenspiegel als Gestalten der Volkssage ausweisen. Hierbei fällt auch die Ähnlichkeit der Rezeption beider Figuren auf, die ein breites Spektrum positiver und negativer Ansichten durchläuft. Odysseus und Eulenspiegel können als Vorbilder menschlicher Intelligenz, Ausdauer und Zähigkeit und des schieren Überlebenswillens gelten. Andererseits werden beide in ihrer Rezeptionsgeschichte als den jeweiligen Gesellschaftsverhältnissen gefährlich und sogar als zerstörerisch angesehen.20 Beiden Gestalten liegt zugrunde, daß gerade die geistige Gewandtheit in hohem Maße für ihr soziales Außenseitertum und für ihre Einsamkeit verantwortlich ist.21 Hieraus resultieren dann auch die verschiedenen Betrachtungsweisen, die sich in der Rezeptionsgeschichte solcher Gestalten verfolgen lassen. Die Doppelseitigkeit des TRICKSTER-Helden, der auf der einen Seite zum Besten der Gesellschaft handelt und sich dadurch Sympathie, Belohnungen und Ehre erwirbt, aber auf der anderen Seite durch seine Listen den Zorn und Haß seiner Opfer erregt, zeigt sich im Falle des Odysseus schon in dessen Namen. Es ist für unseren Zusammenhang wichtig, daß „Odysseus" ganz wie „Eulenspiegel" ein redender Name ist. Der 19. Gesang der ODYSSEE schildert, wie Odysseus seinen Namen erhielt. Der Großvater Autolykos benannte das Kind nach ODYSSESTHAI, das nach an18 19 20
21
Vgl. Kirk (2), S. 167-169. Vgl. Kirk (2), S. 34; Stanford, passim. Ausführliches zu dieser Seite der Odysseusrezeption bei Stanford, z.B. S. 90-117 (Odysseus bei Pindar, Euripides u.a.), 128-137 (bei Vergil) und 146-158 (u.a. bei Diktys von Kreta, der großen Einfluß auf mittelalterliche Trojaerzählungen ausübte). Hierzu gute Ausführungen bei Stanford, S. 43-44 und 244-246.
292
Eulenspiegel und die Antike
tiker Volksetymologie „grollen, zürnen" bedeutet. Autolykos verweist als Grund für diese Benennung auf den Groll und Zorn, den er selbst oft erregt hat. Die Unbeliebtheit des Autolykos beruht natürlich auf seinen Betrügereien. Doch paßt der von ihm gewählte Name auch gut auf Odysseus, der ebenfalls anderen verhaßt ist. Der Zorn Poseidons, des Vaters des Polyphemos, ist hierfür das in der Mythologie des Helden wichtigste Beispiel. Auch der unversöhnliche Haß des Philoktet auf Odysseus ist uns durch die Tragödie des Sophokles gut bekannt. In einem Fragment des Sophokles sagt Odysseus, er trage seinen Namen mit Recht, da er vielen Feinden verhaßt sei.22 Andererseits ist die listenreiche Natur des Odysseus der Grund seines Ruhmes, wie er selbst in der berühmten Szene im neunten Gesang der ODYSSEE bezeugt, wenn er sich den Phäaken zu erkennen gibt: Ich bin Odysseus, der Sohn des Laërtes; von all meinen Listen Singen und sagen die Menschen: es dringt mein Ruhm bis zum Himmel.23
Auf die listige Natur des Helden verweisen seine Epitheta mit besonderer Deutlichkeit. Diejenigen homerischen Epitheta, die Odysseus mit keinem anderen Helden teilt, bezeugen allesamt seine Intelligenz.24 Wo lassen sich aber genaue Parallelen zwischen Odysseus und Eulenspiegel finden? Um diese Frage zu beantworten, ist es angebracht, auf das der Antike direkt verbundene Eulenspiegelgedicht des Nemius einzugehen und zu untersuchen, wie der Autor die Nähe seines Helden zu Odysseus im Gedicht selbst herausstellt. Das berühmteste der homerischen Epithetha für Odysseus ist das im Eingangsvers der ODYSSEE genannte POLYTROPOS. Schon in der Antike, und möglicherweise auch vom Dichter der ODYSSEE selbst, wurde der Ausdruck „vielgewandt" im Sinne von „erfinderisch, geistreich, raffiniert" verstanden. So paßt er auch gut auf Hermes, wie wir bereits gesehen haben. In einem einzigen Wort liegt also der gesamte Charakter des so Bezeichneten zusammengefaßt. Die etymologische Entsprechung zu POLYTROPOS im Lateinischen ist VERSUTUS (griech. TROP- = lat. VERT-, VERS-). Dieses Adjektiv benützt im dritten Jahrhundert v. Chr. 22 23
24
Vgl. Stanford, S. 1 0 - 1 2 . OD. 9 , 1 9 - 2 0 ; zitiert nach Weiher, S. 2 2 7 . Vgl. Stanford, S. 247 Anm. 2 zu seinem zweiten Kapitel.
Die griechische Mythologie und Folklore
293
Livius Andronicus, ein römischer Dichter griechischer Abstammung, in seiner Übersetzung des ersten Odysseeverses ins Latei-
nische. Das latinisierte POLYTROPUS, das lateinische VERSUTUS
sowie das zu letzterem gehörige Substantiv VERSUTIA finden sich alle im Gedicht des Nemius zur Charakteristik Till Eulenspiegels. Nicht zufällig tritt POLYTROPUS im TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE als erstes Attribut Tills auf.25 Hierin setzte Nemius einen Maßstab für die lateinische Eulenspiegelrezeption. Das Adjektiv POLYTROPOS benutzte noch 1643 Curtius Jael in seinem ironischen Encomium LAUS ULULAE zur Darstellung Eulenspiegels. Bei Nemius liegt in der Verwendung dieses Wortes auch der Anspruch des Dichters, mit der Erzählung der Wanderungen und Taten Eulenspiegels den Leser nicht nur zu unterhalten, sondern ihm auch eine erbauliche und beherzigenswerte Moral zu vermitteln. Das homerische POLYTROPOS erscheint bereits bei der ersten namentlichen Erwähnung Eulenspiegels im Geleitbrief, den Nemius dem TRIUMPHUS voraufgehen läßt. Dort charakterisiert er Eulenspiegel als „unseren vielgewandten Till" (POLITROPON NOSTRUM TYLUM). Das Wort tritt im Gedicht selbst noch dreimal als Attribut Eulenspiegels auf. Im letzten Vers des Einleitungsabschnittes, welcher der Erzählung von Tills Streichen voraufgeht, faßt Nemius in einer Apostrophe an den Leser Tills Wesen, das er als warnendes Beispiel für weltliche Gerissenheit und falschen Ruhm ansieht, mit dem Ausdruck zusammen: FOEDISSIMOS / POLYTROPI CUIUSPIAM MORES HABE (I, 43). Zu Beginn des XIV. Abschnitts ist Eulenspiegel bestrebt, seine Wendigkeit nicht zu verlieren (NE PARUM POLYTROPUS FORET), und im XXXVIII. Abschnitt bestätigt die Wirtin seinen Ruf als POLYTROPOS TYLUS (Vers 3). Im Originaldruck beginnt das Attribut jedesmal mit einem Großbuchstaben, als handle es sich geradezu um einen Bestandteil von Eulenspiegels Namen. Dementsprechend gibt der Druck POLYTROPUS in Kleinschreibung, wenn das Wort letztmalig zur Charakteristik des Jedermann vorkommt (XLV, 98), sich also nicht direkt auf Eulerispiegel bezieht. Wie zu erwarten, zieht Nemius auch VERSUTIA („Gewandtheit") zur Charakteristik Till Eulenspiegels heran. In Abschnitt I setzt er das Wort wenige Zeilen vor POLYTROPUS und bereitet den Leser damit auf die Eulenspiegelthematik vor. Die Charaktereigenschaft, die viele Leute berühmt gemacht hat und über die 25
Vgl. hierzu das Zitat bei Murr, S. 344.
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Eulenspiegel und die Antike
Demokrit lacht und Heraklit weint, ist eben ihre VERSUTIA (I, 3638). In seiner Version der 31. Historie bezeichnet Nemius den sich als Reliquienbesitzer und Prediger ausgebenden Eulenspiegel mit der Wendung NOTUS OB VERSUTIAM („wegen seiner Gewandtheit bekannt") und charakterisiert ihn damit als völlig religionslos (XX, 1). Vergleichbar ist auch der Ausdruck VERSANS DOLOS (XXXV, 10) in der Historie mit den Sachsen. Diese Formulierung (wörtlich: „Listen drehend") stellt Tills rastlos arbeitenden Geist heraus, der sich unablässig neue Streiche ausdenkt. Der zehnte Gesang der ILIAS schildert die sogenannte Dolonie, eine Episode, in der Odysseus und Diomedes nachts den trojanischen Spion Dolon abfangen, ausfragen und töten. Odysseus bringt mittels einer verbalen List Dolon dazu, militärische Informationen über die Trojaner preiszugeben. Der Name Dolon ist mit dem griechischen Substantiv DOLOS („List") verwandt und bedeutet so viel wie „der Listige". Die Bedeutung des Namens von Dolons Vater Eumedes G,der gut Denkende, Planende") bestätigt noch Dolons Schlauheit. Durch seinen Sieg über Dolon erweist sich Odysseus also gleichsam der personifizierten List überlegen. Vergleichbares findet sich bei Nemius' Eulenspiegel. Nicht nur erscheint wiederholt das aus dem griechischen übernommene lateinische Substantiv DOLUS im TRIUMPHUS, sondern darüberhinaus gibt Nemius in seiner Version der 11. Historie (H 64,1. Teil) Tills falschen Namen Doli mit „Dolus" wieder. Dadurch wird Till zur personifizierten List und zu einem würdigen Nachfolger des Odysseus. Seit der Antike ist der Tiervergleich ein besonders wirksames literarisches Mittel, gewisse menschliche Eigenschaften herauszustellen. Die Tiere, die nach dem antiken Volksglauben Gewandtheit und Intelligenz in höchstem Maße besaßen, waren der Tintenfisch (POLYPUS) und der Fuchs, und mit beiden wurde Odysseus verglichen. Der griechische Dichter Theognis von Megara spielt auf den homerischen Odysseus an, wenn er statt Starrheit die Anpassungsfähigkeit des POLYPUS an seine Umwelt empfiehlt.26 Der Vergleich mit dem Fuchs gehört allerdings eher zur negativen Rezeption des Odysseus.27 Auf beide Tiere bezieht 26
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Theogn. 1 , 2 1 3 - 2 1 8 ; vgl. hierzu Stanford, S. 9 0 und 2 5 9 Anm. 6 . Vgl. auch OD. 5 , 4 2 4 - 4 3 8 . Der byzantinische Gelehrte Eusthatios zieht in seiner Kommentierung des homerischen POLYTROPOS die Anpassungsfähigkeit des Chamäleon als Vergleich heran. Vgl. Soph., AJ. 1 0 3 ; Lykophron, ALEXANDRA 3 4 4 .
Die griechische Mythologie und Folklore
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sich auch Nemius im TRIUMPHUS. SO beginnt ein direkter Vergleich Eulenspiegels mit den Füchsen — Till kann ebenso wenig wie sie seiner Schalksnatur entsagen — die Nachdichtung der 46. (48.) Historie, und der im Lebenslauf des Jedermann genannte Polyp deutet indirekt auch auf die negative Natur Eulenspiegels hin.28 Im Rückgriff auf die Terminologie der griechischen Mythologie stellt Nemius die Gewandtheit seines Schalks Eulenspiegel immer wieder deutlich heraus. 6.1.2. Folklore: Äsop und Diogenes Das Volksbuch von Eulenspiegel findet zwar in der Antike kein direktes Vorbild, doch sind uns Schwanke, Erzählungen listiger und lustiger Streiche und Anekdoten über die Schlagfertigkeit populärer „Helden" auch aus dem Altertum überliefert. Daneben gibt es natürlich auch das Gegenteil: Schwänke, die auf Kosten eines Dümmlings wie des pseudo-homerischen Margites oder der tölpelhaften Einwohner der Städte Abdera, Kymai und Sidon gehen. Die letztgenannten sind uns aus dem PHILOGELOS („Lachfreund") bekannt, einer Sammlung von 265 griechischen Witzen aus dem dritten Jahrhundert n. Chr. Sie soll auf umfangreichere, allerdings nicht erhaltene Sammlungen von Hierokles und Philagrios zurückgehen und wurde dem Dichter Philistion, dem angeblichen Erfinder des Mimus, zugeschrieben.29 Über ein Drittel des PHILOGELOS handelt von einem „Studierten" (SCHOLASTIKOS, also entweder ein Professor oder ein Student), der sich als Dummkopf, doch gelegentlich auch als gelehrter Narr erweist.30 Für unser Thema sind aber die griechische Lebensbeschreibung des Fabeldichters Äsop und die Anekdoten um den kynischen Philosophen Diogenes weit interessanter. Die Erzählungen der einzelnen Abenteuer und Streiche der beiden wurden schließlich in eine lose biographische Form gebracht und niedergeschrieben. Ganz so war es bei Hermen Bote mit seinem Eulenspiegelbuch der Fall.
28 29
30
Siehe den Kommentar zu XLV, 111112. Übersetzung und ausfuhrliche Beschreibung des PHILOGELOS bei Thierfelder. Hierokles und Philagrios sind nicht weiter bekannt. Das FLORUIT des Philistion fällt um die Zeitenwende. Hierzu Thierfelder, S. 17-20.
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Eulenspiegel und die Antike
6.1.2.1. DerÄsoproman Diese antike Biographie stammt aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert n. Chr., obwohl frühere Fassungen bis ins 6. vorchristliche Jahrhundert zurückreichen.31 Der Überlieferung nach soll Äsop im sechsten Jahrhundert v. Chr. gelebt haben. Da es aber schon in der Antike keine historischen Nachrichten über ihn gab, basiert seine Biographie auf volkstümlichen Erzählungen. Die Anekdoten und Legenden, die sich um die Gestalt Äsops ranken, weisen auf eine lebhafte mündliche Tradition hin, die sich in den verschiedenen Schichten des Romans widerspiegelt. Die Biographie des Äsop sowie die unter seinem Namen überlieferten Fabeln, die der byzantinische Gelehrte Máximos Planudes in Italien eingeführt haben soll, konnten in der lateinischen Übersetzung von Rinuccio da Castiglione (Rimicius, Renucius u.a.) ihre Popularität bewahren. Die Erstausgabe der weitverbreiteten lateinischen Fassung erschien 1474 in Mailand. Für die Renaissance im nördlichen Europa wurden dann die Ausgabe und deutsche Übersetzung der Fabeln und des Äsopromans durch den Humanisten Heinrich Steinhöwel (1412-1483) bedeutsam. Seine Version erschien ohne Jahresangabe bei Johannes Zeiner in Ulm und ist auf 1476/77 anzusetzen.32 Mehrere Kapitel und Passagen des antiken Romans fehlen bei Steinhöwel. Sein Äsop verbreitete sich rasch auch in englischen und französischen Übersetzungen. Eine holländische Übersetzung erschien 1485.33 Nemius war mit der lateinischen 31
32
33
Lesky, S. 185, mit Hinweis auf Herodot 2,134. Allgemeines zum antiken Roman bei Kytzler, Bd. 1, S. 5-20. Zum Äsoproman vgl. auch Schmid, S. 672-676, der den Volksbuchcharakter des Werkes betont. Verbindungslinien zu den deutschen Volksbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts zieht Bobertag; siehe besonders S. 29-54 und 114-164. An letzterer Stelle bespricht Bobertag antike und antikisierende Volksbücher, darunter das BUCH DER BEISPIELE, die SIEBEN WEISEN MEISTER, die GESTA ROMANORUM und Steinhöwels Übertragung des Äsopromans. Hilpert, S. 131. Zu den Editionen von Planudes, Rinuccio und Steinhöwel siehe Holzberg (1), Vorwort S. X-XII. Vgl. hierzu Österley, S. 1-3. Die folgenden Zitate des Äsopromans stammen aus dieser Ausgabe. Eine Ausgabe der griechischen und lateinischen Handschriften des Äsopromans mit ausführlicher textkritischer Einführung gibt Perry (1); hierzu sind nunmehr die Untersuchungen von Papathomopoulos heranzuziehen. Eine Bibliographie zu den Codices, Papyri und Ausgaben des Äsopromans sowie zu Übersetzungen, Untersuchungen und Nachleben des Romans jetzt bei Holzberg (1), S. 165-187. Zu Steinhöwels Äsop siehe Lenaghan; Hilpert, S. 131-135; vgl. auch
Die griechische Mythologie und Folklore
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und mit der holländischen Fassung wahrscheinlich vertraut. Der Äsop der griechischen Vorlage war „ein Erzeugnis des demokratischen Geistes, den die Iambographie in die höhere Literatur eingeführt hat". 34 In vergleichbarer Weise haben die lamben des Nemius Till Eulenspiegel geholfen, in der gehobenen Literatur und Kultur der Renaissance Fuß zu fassen. In den Episoden des Äsopromans zeigt sich uns eine Gestalt, die mit dem Schalk Eulenspiegel teilweise verblüffende Ähnlichkeiten aufweist. In der Tat ist Äsop mit Eulenspiegel verglichen oder gar gleichgesetzt worden. Zum Beispiel werden auf dem Titelblatt der ersten hochdeutschen Fassung des REINEKE FUCHS von 1544 Äsop und Eulenspiegel nebeneinander genannt.35 Die Historie 70 (73), in der Eulenspiegel Schälke sät, setzt Fischart im 7 0 . Kapitel des EULENSPIEGEL REIMENSWEISS mit Kadmos, der die Drachenzähne sät, und mit Äsop in Verbindung.36 In einem Brief an Lessing charakterisiert Johann Jacob Reiske den Äsoproman als „platten griechischen Eulenspiegel" und nimmt damit bereits das verächtliche Urteil vorweg, das die Fachwelt noch bis vor kurzem über den Roman fällte.37 Der Äsop des antiken Romans und der Eulenspiegel des deutschen Volksbuches sind beide Erscheinungen eines archetypischen Schalksgeistes, wobei
34
35 36
37
Rupprich (1), S. 573-575. Schmid, S. 673. Auf die Fabeln Äsops und auf die Gattung der Fabeldichtung ist hier nicht weiter einzugehen. Ihre Nähe zur komischen und Schwankliteratur (und damit zu Eulenspiegel) und ihre Bedeutung für Mittelalter und Renaissance sind bekannt. Vgl. Schirokauer, S. 180: „In den äsopischen Fabeln triumphiert der illusionslose, um Auswege nie verlegene Alltagsverstand. So werden sie in einem Zeitalter wohl gelitten und hoch geschätzt, dessen Geschmack sich geformt hat am ,Lob der Narrheif,,Narrenschiff, an der,Narrenbeschwörung', ,Schelmenzunff." Text bei Berkenbrink, S. 24. Vers 9912-9919 und 9924-9930. Lappenberg, S. 274, führt die Historie auf den antiken Mythos von Deukalion und Pyrrha zurück (besonders bei Ον., MET. 1, 367-415). Mackensen, S. 267, sieht im Schälkesäen zu Recht „ein verbreitetes Motiv" und vermutet hinter Η 70 (73) eine humanistische Parodie der genannten Ovidstelle. Allerdings trifft Kadlec, S. 182 Anm. 1, dem eine Verbindung zu Deukalion „zu weit hergeholt" erscheint, eher das Richtige. Zur Thematik allgemein siehe nimmehr Mezger, S. 374-386 („Narrensäen und Sämannsgleichnis"). Brief an Lessing vom 13. Februar 1773; zitiert nach Foerster, S. 89. Holzberg (1), S. 33-37, weist die negative literarische Beurteilung des Äsopromans mit Recht zurück. Vgl. auch Holzberg (3), S. 85. Äsop als Eulenspiegel der Griechen z.B. auch bei Reichard, S. 133, und bei Keydell, Sp. 199. Vgl. Schmid, S. 665 und 673.
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Eulenspiegel
und die
Antike
man aber nicht an einen direkten Einfluß des einen auf den anderen denken sollte. Die moderne Eulenspiegelforschung berücksichtigt die Parallelität zwischen Äsop und Till, wenn überhaupt, nur sehr knapp, und die Nähe der beiden Volkshelden zueinander ist bisher noch nicht im einzelnen untersucht worden.38 Diese Lücke versuchen die folgenden Ausführungen zu schließen. Dazu seien einige Anekdoten um Äsop, die dem Charakter Eulenspiegels besonders gut entsprechen, aus Steinhöwels Fassung herangezogen. Gleich zu Beginn von Steinhöwels Bearbeitung des antiken Romans fällt die allgemeine Charakteristik des Volkshelden als eines zeitlosen Eulenspiegels auf. Äsop ist hier über alle Maßen mit Verstand, Witz und Scherzreden begabt und hat von Isis Weisheit und Zungenschärfe erhalten. Die Göttin hat ihm auch die Erfindungsgabe für seltsame Geschichten verliehen, mit denen in erster Linie seine Fabeln gemeint sind. Auch die Terminologie, die in Steinhöwels Fassung des Romans Äsop als einen Eulenspiegel reinsten Wassers ausweist, zieht sich durch die gesamte Biographie. Bei Steinhöwel heißt Äsop wiederholt „schalck", „schalkhafft" und „schalklich". Die weisen Lebensregeln, die Äsop seinem bösen Adoptivsohn Enus erteilt, schließen die folgende Beobachtung ein: „wann ob es aim schalk wol gelüklich gat, dannocht laßt er syner tük nit" (S. 69). Zwar meint Äsop sich mit diesen Worten keineswegs selbst, aber dennoch treffen sie auf einige seiner Streiche zu. So drückt es auch eines seiner Opfer aus: „Secht ir nit, wie uns der iufer so listiclich hat überfüret?" (S. 43). Wie bei Eulenspiegel zeigt sich auch die Klugheit Äsops großenteils in seiner sprachlichen Gewandtheit und in seinem Bewußtsein von der Macht des Wortes. So gibt Äsop wiederholt zum Erstaunen seiner Umwelt kluge Antworten auf Fragen, die auf den ersten Blick ganz unbeantwortbar erscheinen: Warum wächst Unkraut schneller als die vom Gärtner angebauten Pflanzen? Wann trifft die Menschen die größte Plage? Warum Verweise auf den Äsoproman, die in der älteren Germanistik in Verbindung mit Eulenspiegel gegeben werden, bei Virmond, S. 73-74 und 130; vgl. dort S. 76-77, 98 und 197 (Anm. 120) zu Johannes Paulis SCHIMPF UND ERNST von 1522. Daß Paulis Äsop „kein Eulenspiegel" ist (Virmond, S. 76), mag durchaus der Fall sein, doch folgt daraus nicht, daß der antike Asop des Romans auch keiner war. Aus Historie 11 (64, 1. Teil) folgert Virmond, daß Hermen Bote Steinhöwels Übersetzung des Äsopromans „anscheinend kannte" (S. 77; vgl. S. 191 Anm. 85).
Die griechische Mythologie und Folklore
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läßt sich ein Schaf stillschweigend zur Schlachtbank führen? Warum betrachten die Menschen ihren Stuhlgang? Eine Buchstabenreihe, die auf einen versteckten Schatz hinweist, legt Äsop dreimal verschieden und dabei jedesmal richtig aus. Wie ein Seher interpretiert er ein schwieriges Omen. Er verzagt nicht, wenn es gilt, das schier Unmögliche möglich zu machen. So gelingt es ihm durch Einfallsreichtum und Mutterwitz, dem König von Babylon schwere Rätselfragen zu beantworten und selbst solche Fragen zu erfinden. Für den König erfüllt er sogar eine unlösbare Aufgabe, indem er einen Turm baut, der weder Himmel noch Erde berührt. Danach ist ihm die Erklärung, wie griechische Stuten in Ägypten durch das Wiehern von Hengsten im fernen Babylon haben trächtig werden können, nur noch ein Kinderspiel. Es ist offensichtlich, daß die Göttin Isis Äsop die Sprachgewalt nicht umsonst verliehen hat. Auch das Wörtlichnehmen spielt im Äsoproman eine herausragende Rolle.39 Äsops verschiedene Auslegungen der erwähnten Schatzinschrift stellen eine besonders geistreiche Variante dazu dar. Äsops Verfahrensweise ist dabei oft mit der verbalen Strategie Eulenspiegels so gut wie identisch. Im Äsoproman findet das Wörtlichnehmen zum ersten Mal auf dem Sklavenmarkt von Samos statt, auf dem Äsop zusammen mit zwei anderen Sklaven zum Verkauf angeboten wird. Der Philosoph Xanthos, sein zukünftiger Besitzer, fragt Äsop (S. 45): sag, von wannen bist du? Sprach Esopus: Vom flaisch. Xanthus sprach: Ich frag das ouch nit; sag, wau bist du gebom? Esopus sprach: In myner muoter lyb. Xanthus sprach: Das frag ich ouch nit, sonder beger ich von dir, an welchem end du geboren syest. Esopus antwürt: Myn muter hat mir nye gesagt, in welcher kamer sie mich gebar, ob das in der schlauffkamer oder uff dem soler bescheuhen sye.
Da die beiden Mitsklaven Äsops von sich behaupten, alles zu können, antwortet Äsop auf Xanthos' Frage, was er denn könne, er könne gar nichts; denn: „So dise zwen myn gesellen sagen, sy künnent alle ding, so haben sie mir nichtz gelaßen" (S. 45). In der bekanntesten Anekdote des Wörtlichnehmens kocht Äsop für Xanthos und dessen Gäste nur eine einzige Linse. Sein Herr hat ihm nämlich aufgetragen: „secz uns ain linsen zuo" (S. 49). In Hierzu Holzberg (1), S. 54-56, der in diesem Zusammenhang allerdings einem ähnlichen Vorurteil über Botes Eulenspiegel anheimfällt (S. 54), wie er es für den Äsoproman zurückgewiesen hatte. Vgl. Holzberg (3), S. 90.
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Eulenspiegel und die Antike
gleicher Weise mißversteht Äsop auch den Auftrag, vor dem Mahl den Gästen die Füße zu waschen, und rechtfertigt sich entsprechend: „Du hast mir ain fart gebotten, ich solle nichtz tuon, wann waz du mich haißest" (S. 50). Zwei spätere Episoden führen diese Art des Dienstes nach Vorschrift noch breiter aus. Auf Geheiß seines Herrn („gib das mynem guotwilligisten") verfüttert Äsop den Teil des „köstlich nachtmal", den Xanthos für seine Ehefrau bestimmt hat, an den Hund und hat darüberhinaus noch die Genugtuung zu erleben, daß er hiermit die genau richtige Wahl getroffen hat (S. 51-53). Ein anderes Mal trägt Äsop Xanthos und dessen Studenten nur Zungen zum Essen auf und führt auf diese Weise zwei gegensätzliche Aufträge seines Herrn aus: „Esope, kouff, waz liepliche sye" und: „kouff uns das aller böst und das fülist, das du findest, zu dem nachtmal" (S. 53-54). Die entsprechende moralische Erklärung dafür, daß die Zunge sowohl das beste als auch das schlimmste aller Dinge ist, hat Äsop natürlich parat. Eng verwandt mit derartigem Wörtlichnehmen ist das absichtliche Mißverstehen oder Uminterpretieren eines Wortes mit philosophischer Lehrabsicht. Im gut besuchten öffentlichen Bad befindet sich laut Äsop nur ein einziger Mensch, der auf Grund seines vernünftigen Verhaltens diesen Namen verdient: „den hab ich allein für ainen menschen, die andern nit" (S. 57). Ein Schuß Fatalismus schwingt bei Äsop gelegentlich auch mit. Als der Stadthauptmann ihn fragt, wohin er gehe, antwortet er: „Frylich, ich waiß es nit", obwohl er auf dem Weg ins Bad ist. Der Hauptmann faßt diese Antwort als Spott auf und läßt Äsop ins Gefängnis abführen. Gerade dadurch erweist er aber Äsops Worte als wahr, und dieser rechtfertigt sich entsprechend: „ich gedacht nit, das ich in den kerker gan sölte" (S. 57). Er wird daraufhin freigelassen. Wie wiederholt bei Eulenspiegel zeigt sich auch hier, daß das Wörtlichnehmen, sogar wenn es auf eigenes Risiko geschieht, nun einmal in der Natur der Schälke liegt. Im Bereich des Drastischen, das zahlreiche Eulenspiegelhistorien charakterisiert, ist der Äsoproman in Steinhöwels Version zwar vergleichsweise harmlos, hat aber dennoch einige verwandte Züge aufzuweisen. Die freche und über Äsops abstoßendes Äußere erschrockene Dienerin des Xanthos („Oh, bist du ain bavian? wau ist der schwancz?") erhält den gebührenden Bescheid: „Würdest du ains schwancz bedürfen, dir wirt kain gebruch dar an syn" (S. 47). Allerdings bleibt es bei dieser Drohung; denn wie Botes und Nemius' Eulenspiegel hat Steinhö-
Die griechische Mythologie und Folklore
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weis Äsop keine intimen Beziehungen. Das Kapitel des Originals, in dem Xanthos' Ehefrau Äsop bei der Masturbation überrascht und dann mit ihm schläft, fehlt begreiflicherweise bei Steinhöwel.40 Die Episode, in der Xanthos im Gehen uriniert, fällt gerade dadurch aus dem Rahmen, daß Äsop hier ausnahmsweise die Erklärung eines anderen ohne weiteres annimmt: „Mich benügt wol an dyner antwürt" (S. 46). Dagegen gibt Äsop jedoch eine Erklärung für das Betrachten des Stuhlgangs. Breiter ausgeführt wird aber bei Steinhöwel ein derber Streich, den Äsop einmal seiner Herrin spielt (S. 60). Mit ihr liegt Äsop in beständiger Fehde. Die betreffende Episode ist mit der 83. (84.) Historie des Eulenspiegelbuches vergleichbar, in der Till seine Wirtin mit dem nackten Hintern auf glühende Kohlen setzt. Derselbe Körperteil spielt auch bei Äsops Streich eine Hauptrolle. Äsop bittet seine Herrin, die als Ehefrau seines Besitzers gewissermaßen auch seine Wirtin ist, auf die aufgetragenen Speisen zu achten, erhält aber die unwirsche Antwort: „Gee nun hin, hab kain sorgen, wann myn arsbaken habent ougen." Solche Worte fordern Asop natürlich zur Tat heraus. Die Frau schläft mit dem Rücken zum Tisch auf dem Sofa ein, und: „Do gedacht er der wort, wie sy im hette geantwurt, und huob ir stilliglieli iere kleider uf und enblösset sy um ieren hinderen und ließ sy schlafen." Nur die Anwesenheit der Gäste bewahrt Äsop später vor Strafe. Mehrere weitere Parallelen zu Eulenspiegelstreichen lassen sich im Äsoproman aufspüren. Zu Beginn des Buches weist Äsop einen unmenschlichen Aufseher zurecht, der einen Feldarbeiter hart züchtigen läßt. Äsop stellt sich hier auf die Seite des Unterdrückten und ungerecht Behandelten, wie es Eulenspiegel z.B. dem Wirt der zwölf Blinden gegenüber tut (H 88 [71, 2. Teil]). Der Aufgabe Tills als Pförtner in H 90 (89), nur jeden dritten oder vierten hereinzulassen, entspricht Xanthos' Äuftrag an Äsop, „Kainen unwißenden" zum Abendessen ins Haus zu lassen, sondern nur „die natürlichen und zierlich redend maister". Auf die Probe stellt Äsop die eintreffenden Gäste dadurch, daß er sie „mit schmachworten" empfängt. Nur den einen, der zurückschimpft, läßt er herein; denn denjenigen, „der mich verstond, den het ich für wys" (S. 60-61). Besonders enge Berührungspunkte der beiden Volksbücher ergeben sich, wenn die Helden ihren Mutterwitz durch Beantwortung von Rätselfragen beweisen. Bei Eulenspiegel ist es besonVgl. Lenaghan, S. 4 und 7, zu Steinhöwels Einstellung zum Anstößigen.
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Eulenspiegel und die Antike
ders die 28. Historie, in der er die Fragen des Prager Rektors beantwortet. Von diesem Schwank gibt es in der Weltliteratur mehrere hundert Varianten.41 Für den Zusammenhang mit Äsop ist vor allem die erste Frage interessant. Eulenspiegel macht sich anheischig, den Inhalt des Meeres zu berechnen, wenn nur der Rektor vorher alle ins Meer mündenden Flüsse aufhalte. Das kann er natürlich nicht. Till wird somit die Berechnung erlassen. Parallel hierzu weist der Äsoproman eine Episode auf, in der ein angetrunkener Xanthos voreilig wettet, das ganze Meer austrinken zu können.42 Nur mit Hilfe von Äsops Listigkeit kommt er von der Wette los. Wie zu erwarten, verlangt Xanthos auf Anraten Äsops von seinem Widerpart, erst alle Bäche, Ströme und Flüsse aufzuhalten. Sein Gegenspieler bittet daraufhin, die Wette für ungültig zu erklären, und Xanthos kommt dieser Bitte großzügig nach. Auch Rätselfragen, welche die „wysen maister" des Ägypterkönigs Nectabanus an Äsop stellen, beantwortet dieser mit Leichtigkeit. Die Frage: „Waz ist das, das wir nie gehört noch gesenhen haben?" beantwortet er, indem er mittels eines fingierten Schuldschreibens des Königs dessen Ratgeber, eben die scheinbar weisen Meister, zu dem unvorsichtigen Geständnis verlockt: „Wir haben das nie gesenhen noch gehört" (S. 72). Im Umgang mit den gesellschaftlich Höchststehenden entwickeln sowohl Äsop als auch Eulenspiegel ihren ganzen Einfallsreichtum und Scharfsinn. Bestimmte Motive, die in Nemius' Eulenspiegelgedicht wiederkehren, haben im Äsoproman gewissermaßen ihre Vorläufer. Nemius legt einen philosophisch-moralischen Rahmen um die Eulenspiegelhistorien. Zu dessen Beginn führt er den Topos von der Natur als Mutter und Stiefmutter an. Derselbe Topos erscheint in Äsops Erklärung des Wachsens von Kräutern und Unkräutern: „so ist daz erdtrych ain rechte muoter deren krüter, die für sich selber wachsent, und ist ain stiefmuoter deren krüter, die daryn geseet werdent" (S. 49). Das Thema von Schein und Sein, das Nemius ebenfalls zu Beginn des TRIUMPHUS im Zusammenhang mit dem Thema Ruhm und Weisheit behandelt, bezieht sich bei Äsop auf den Unterschied zwischen seinem tierhaften und abstoßend häßlichen Aussehen, das der Roman gleich zu Anfang anschaulich beschreibt, und seinem wahren Wesen. Äsop weist selbst darauf hin, daß gerade Geist und Gesinnung 41 42
Kadlec, S. 23-30; siehe auch Krohn, S. 17 mit Anm. 22. Hierzu kurze Bemerkungen bei Lappenberg, S. 245.
Die griechische Mythologie und Folklore
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des Menschen das Entscheidende zur Beurteilung seines Charakters sein sollten: „nuon soll man die gestalt des menschen nit, sonder das gemüt ansenhen. Wann offt beschicht, daz under großer ungestalt vil wyshait verborgen ligt" (S. 63; vgl. S. 4Ó).43 Diese verborgene Weisheit Äsops wiederum deutet auf den Topos der verkehrten Welt, der Nemius' Eulenspiegelgedicht zugrundeliegt. Der wahre Weise ist eben der Sklave, der einem unweisen Herrn dient. Dagegen ist Xanthos, der vermeintliche Philosoph, im Grunde töricht und eitel, obwohl er sich selbst und seine Umwelt ihn für einen wahren Weisen halten.44 Der Scheinweise ist gesellschaftlich angesehen, der wahre Weise wird oft verspottet. Sehr geschickt spielt der Äsoproman mit dem Unterschied zwischen der echten und der falschen Weisheit, einem Thema, das auch für das Verständnis von Nemius' Gedicht entscheidend ist. Der Eulenspiegel des Nemius stellt trotz — oder gerade wegen — all seiner Schlauheit im Grunde ein Beispiel der falschen Weltweisheit dar, wie im vorigen Kapitel ausgeführt wurde. Auch im Äsoproman zieht sich das Attribut „Weltweiser", das Xanthos charakterisiert, gleich einem Leitmotiv durch den gesamten Text.45 Die Weisheit der Welt ist eitel, heißt es bei Nemius; denn wahre Weisheit stammt von Gott. Dieser Topos ist natürlich auch der Antike geläufig. So erhält Äsop seine Sprache und damit das wichtigste Ausdrucksmittel seiner Weisheit von der Gottheit. Äsop übertrifft seinen Meister an echter Weisheit, wie es selbst Xanthos' Schüler leicht erkennen (S. 45 und 56). Die Parallelen, die der antike Äsoproman zu Eulenspiegel im allgemeinen und zum lateinischen Eulenspiegel des Nemius im besonderen aufweist, sind für das Verständnis dieser literarischen Gestalt im Zeitalter des Humanismus von wesentlicher Bedeutung. 43
44 45
Vgl. das antike Schalenbild bei Schefold, S. 57 Abb. 4, auf dem ein stark verkrüppelter Äsop aufmerksam und begeistert einem vor ihm sitzenden Fuchs zuhört. Parallel dazu drückt die Statuette des Diogenes (zu ihm im nächsten Abschnitt) bei Schefold, S. 147 Abb. 4, treffend „das Paradoxe [seiner] Erscheinung" aus (S. 146). Im Gegensatz dazu steht das Diogenesbild des Kölner Philosophenmosaiks (Schefold, S. 155 Abb. 9), das die Geistesschärfe des Diogenes betont. Siehe auch Holzberg (2). Vgl. Holzberg (1), S. 50 (Anm. 74) und 74. Xanthos ist „ain natürlicher maister" (S. 43, 48, 53), und die Leute sehen ihn als „ain natêlichen maister der kunst und wyßhait und den öbristen Schaffner des gemainen nuczes" an (S. 62). Vgl. die Beschreibung von Xanthos' Gästen als „die natürlichen und zierlich redend maister" (S. 60; der Zusammenhang wurde oben beschrieben).
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Eulenspiegel und die Antike
6.1.2.2. Die Diogenes-Anekdoten Parallel zum Äsoproman steht in der griechischen Literatur eine Reihe von Novellen, die in kurzer und in sich geschlossener Form Merkwürdiges aus dem menschlichen Leben zur Unterhaltung und Erbauung des Lesers wiedergeben. Vorläufer solcher Erzählungen finden sich bereits in der ODYSSEE und in den HISTORIEN Herodots. In der Folgezeit erhielten derartige Novellensammlungen oft eine Rahmenerzählung. Schon der oben erwähnte MARGITES, der in der Antike Homer zugeschrieben wurde, besaß einen derartigen Rahmen. In weiten Kreisen, speziell bei den unteren Volksschichten, waren Novellen von pikanter Erotik besonders beliebt. Beispiele hierfür sind die verlorenen MILESIAKA, die „milesischen Geschichten" des Aristeides von Milet (um 100 v. Chr.). Ins Lateinische übersetzt, wurden sie auch bei den Römern populär.46 Das wohl bekannteste Beispiel in der antiken Literatur ist die Erzählung von der Witwe von Ephesus, die möglicherweise aus den MILESIAKA stammt und uns in verschiedenen Versionen erhalten ist, z.B. in den SATYRICA des Petronius aus der Zeit Neros. Solche Geschichten waren die Vorläufer sowohl der gehobenen Anekdotensammlungen wie des DECAMERONE, HEPTAMERON u.a. als auch der anonymen Sammlungen, Fabliaux und Volksbücher des Mittelalters und der Renaissance. In der hellenistischen und römischen Antike wie auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit beruhen die Pointen solcher Erzählungen in der Regel auf dem Witz und der Schlauheit, der Frechheit und der Schlagfertigkeit ihrer Helden. Es sollte daher nicht überraschen, daß sich in klassischen Anekdoten Vorläufer Eulenspiegels finden. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang die antiken Chrien (CHREIAI). Bei ihnen handelt es sich um knappe Anekdoten mit lehrhafter Absicht (CHREIA = „Gebrauch, Nutzen"). An Hand historischer Gestalten illustrieren sie sentenzenhaft moralische Allgemeinplätze.47 Die Chrien wurden seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. ebenfalls oft in Sammlungen zusammengefaßt. Die bekannteste historische Gestalt der Antike, der Chrien in großer Zahl zugeschrieben wurden, ist der Philosoph Diogenes von Sinope aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. Eine 46 47
Zu den MILESIAKA siehe z.B. Kytzler, Bd. 1, S. 14-15. Die rhetorische Qualität der Chrien stellt Lausberg, § 1117-1120, im einzelnen dar.
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der Hauptquellen über ihn ist das sechste Buch der Lebensbeschreibungen antiker Philosophen des Diogenes Laertios (3. Jahrhundert n. Chr.).48 Zahlreiche Anekdoten, die uns von Diogenes überliefert sind, wurden in der Antike auch über andere berühmte Persönlichkeiten erzählt. Diese Tatsache bestärkt ihren folkloristischen Charakter; denn viele der Geschichten sind eindeutig unhistorisch. Wie Eduard Schwartz zu Recht bemerkt hat, kam es den Autoren der Chrien nicht auf die historische Wahrheit, sondern auf die Pointe an.49 Vergleichbares gilt in der Antike für die folkloristische Gestalt Äsops und später für Eulenspiegel und andere derartige Helden. So erzählt z.B. ein erhaltener Papyrus von Diogenes eine Variante zu der Geschichte, in der Äsop antwortet, er wisse nicht, wohin er gehe. Eine Parallele hierzu findet sich ebenfalls in Hebels SCHATZKÄSTLEIN. 50 Die meisten der Anekdoten um Diogenes spielen in Athen. Als stadtbekannter Bürgerschreck greift Diogenes das Verhalten der Menschen in oft drastischer und absichtlich provozierender Weise an, um ihnen die Gedankenlosigkeit ihres Lebenswandels und die Torheit ihrer herkömmlichen Ansichten vor Augen zu führen. Mit besonderer Schärfe zieht Diogenes über die Heuchler her. Die Ursache des menschlichen Unglücks ist für ihn der Unverstand.51 Auch das Streben nach Ruhm und Ehre verspottet er als „Schmuckhüllen der Verworfenheit".52 Sein Hauptziel ist die AUTARKEIA, eine völlige Bedürfnislosigkeit und Ungebundenheit an Menschen und Güter. Gesetze und gesellschaftliche Normen betrachtet Diogenes als im Grunde vernunftlose Konventionen, die nur seinen Spott und Hohn hervorrufen.53 48
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Die folgenden Zitate aus Diogenes Laertios stammen aus der Übersetzung von Apelt. Auf das griechische Original wird durch Angabe von Buch und Abschnitt, auf Apelts Übersetzung durch Seitenangabe verwiesen. Schwartz, S. 125. Hierauf macht schon von Fritz, S. 63, aufmerksam, der auch eine Zusammenfassung der Geschichte bei Hebel und im Diogenes-Papyrus gibt. Bei Hebel handelt es sich um die zweite der „Zwei Erzählungen" (Nr. 19; S. 89 in der Ausgabe von Zentner). Zu Hebels Vorlage („Der Edelmann und der Bauer" im VADEMECUM FÜR LUSTIGE LEUTE, 1 7 6 4 - 1 7 9 2 ) siehe Zentners Anmerkungen (S. 617 und 626). Diog. Laert. 6, 71; vgl. Dion von Prusa (Chrysostomos) 8, 5-8. Diog. Laert. 6, 72 (S. 331). Vgl. die Begegnung des Diogenes mit Alexander d. Gr. im 8. Kapitel bei Dion, besonders 8, 60-64. Diogenes betrachtet Alexander nur als Sklaven des Ruhmes (Dion 8,60). Schwartz, S. 133-134, beschreibt diese Haltung des Diogenes mit unübertrefflicher Anschaulichkeit.
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Eulenspiegel und die Antike
Zahlreiche Eulenspiegelhistorien weisen Parallelen zu den Anekdoten um Diogenes auf. Sowohl Diogenes als auch Eulenspiegel sind gewitzt und schlagfertig; dennoch ziehen beide gelegentlich den kürzeren. Wie bei Diogenes stehen bei Eulenspiegel der Wortwitz und das Wörtlichnehmen im Vordergrund der Geschichten. Die Paronomasie, das Spiel mit dem Gleichklang von Wörtern, ist häufig bei beiden zu beobachten. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür bei Eulenspiegel ist „HenepSenep" in der 1 0 . Historie, die im TRIUMPHUS fehlt. (Vgl. den Kommentar zu Abschnitt VII.) Eine Parallele bei Diogenes bringt gleichzeitig dessen Bissigkeit gut zum Ausdruck: „Des Schulhauptes Eukleides H a l l e nannte er G a l l e und des Piaton B e l e h r u n g V e r k e h r u n g."54 Darüberhinaus sieht Diogenes in manchen Charakterzügen auch Äsop sehr ähnlich. Im Rätsellösen und in der Beantwortung von Fangfragen sind sich beide gleich. Wenn es von Diogenes heißt: „Ganz außerordentlich treffsicher war er in seinen Antworten auf vorgelegte Fragen", so gilt dies gleichermaßen für Äsop und Eulenspiegel.55 In dieser Beziehung sind Äsop und Diogenes würdige Vorläufer des Schalks. Wie Asop und später Eulenspiegel unterscheidet auch Diogenes zwischen der wörtlichen und übertragenen Bedeutung von Wörtern. Ein bezeichnendes Beispiel ist seine Auffassung von der Bedeutung des Wortes „Mensch". Die Anekdote über Diogenes, die von den Menschen im Bad handelt, stellt eine deutliche Parallele zum Äsoproman dar: „Als er das Bad verließ, fragte ihn einer, ob viele Menschen im Bade wären. ,Nein!' lautete die Antwort. Nun fragte ihn aber ein anderer, ob viel Pöbel darin wäre. ,Ja,' lautete die Antwort."56 In ähnlichem Sinne ist auch die berühmte Anekdote zu verstehen, in der Diogenes am heilichten Tage mit einer Laterne durch Athen zieht und erklärt: „Ich suche einen Menschen."57 Der Topos der verkehrten Welt spielt bei Diogenes wie im Äsoproman und im Eulenspiegelgedicht des Nemius eine bedeutende Rolle. Ein für die Einstellung des Diogenes besonders bezeichnendes Beispiel ist seine Antwort auf die Frage, warum er 54 55 56
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Diog. Laert. 6,24 (S. 306; griech.: SCHOLE-CHOLE, DI ATRIBE-K ATATRIBE). Diog. Laert. 6, 74 (S. 331). Einen direkten Vergleich zwischen Diogenes und Eulenspiegel zieht neuerdings Sloterdijk, S. 272-273. Diog. Laert. 6, 40 (S. 314; mit der Verbesserung des Herausgebers, S. 326). Mit der doppelten Bedeutung des Wortes „Mensch" spielt Diogenes femer bei Diog. Laert. 6,32 und 60. Diog. Laert. 6, 41 (S. 315).
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und Folklore
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gerade dann ins Theater gehe, wenn alle anderen es verließen. Er erwidert: „So halte ich es grundsätzlich in meiner ganzen Lebensführung."58 Die Verkehrtheit seiner Lebensweise, vom Standpunkt der bürgerlichen Gesellschaftsordnung gesehen, zeigt sich wie bei Eulenspiegel in erster Linie im Bereich des Fäkalischen. Diogenes war allgemein bekannt und berüchtigt für die Drastik seiner Verhaltensweise, die ihm den Beinamen „Hund" (griech. KYON) eintrug. Daher stammen die Bezeichnungen „Kynismus" und „Kyniker".59 Den als Schimpfwort gemeinten Beinamen wertete Diogenes allerdings in typischer Manier in einen Ehrentitel um — zweifellos zum Ärger seiner Gegner. Dazu stellte er fest, wer ihm gebe, dem wedele er zu; wer ihm nichts gebe, den belle er an; und die Bösen beiße er.60 Das schokkierende Benehmen des Kynikers umschreibt Diogenes Laertios mit einer schamhaft-eleganten Metonymie: „Er pflegte alles in voller Öffentlichkeit zu tun, sowohl was die Demeter betrifft, wie auch die Aphrodite."61 In Bezug auf die Demeter stehen Diogenes und Eulenspiegel einander in keiner Weise nach. Diogenes geht jedoch noch weiter als Eulenspiegel, wenn er Tempelraub, Weibergemeinschaft und sogar den Verzehr von Menschenfleisch für gerechtfertigt erklärt.62 Eduard Schwartz hat Diogenes' Strategie des ÉPATER LE BOURGEOIS treffend zusammengefaßt: „Gerade diese, den Philister ärgernde, grobe Paradoxie ist das Wesentliche bei dem,Hunde': und er begnügte sich nicht mit paradoxen Worten, sondern verblüffte erst recht mit seinem Tun."63 Ähnliches gilt von Eulenspiegel. Eulenspiegel ist wie Diogenes auf die Nähe menschlicher Gesellschaft angewiesen, besonders auf die der Städte. Beide brauchen die Gesellschaft, um ihrem Leben, wie sie es führen und verstehen, Sinn zu geben. Dennoch sind beide heimatlos und ungebunden. So verlangt es bei Diogenes das Prinzip der 58 59
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Diog. Laert. 6, 64 (S. 327). Vgl. Holzberg (3), S. 93. Ausführlich hierzu von Fritz, S. 47-49 und 60-62. Vgl. Schwartz, S. 122123 und 132. Rütten, S. 27-37, zieht Verbindungslinien zwischen dem Kyniker Diogenes und dem lachenden Philosophen Demokrit. Diog. Laert. 6, 60. Diog. Laert. 6, 69 (S. 329). Das Aphrodisische bezieht sich hier auf die Masturbation (ebd. und 6, 46). Vgl. Dion 6,16-20. Den Zweck, den Diogenes mit seiner „Schamlosigkeit (ANAIDHA) verfolgte, beschreiben von Fritz, S. 46-47, und Schwartz, S. 128. Diog. Laert. 6, 72-73. Schwartz, S. 131.
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Eulenspiegel und die Antike
Autarkie, das man auch auf Eulenspiegel übertragen darf. Eduard Schwartz drückt dies so aus, daß jeder Freund Eulenspiegels auch gleich an den Schalk denken muß: „Diogenes wich dem Menschengetümmel nicht aus, sondern ging mitten hinein, um es mit unverwüstlicher Laune zu ärgern und zu verhöhnen."64 Die Antwort, die Diogenes auf die Frage nach seinem Heimatort gibt, könnte ebenso gut von Eulenspiegel stammen: „Ich bin ein Weltbürger."65 Mit seinem unsteten Dasein folgt Diogenes dem Beispiel des neben Odysseus berühmtesten der fahrenden Helden der Antike: „Als sein Vorbild für die Lebensführung bezeichnete er den Herakles, der nichts höher hielt als seine Freiheit."66 Doch gehört Diogenes, der nach der volkstümlichen Tradition Sklave war, zur untersten Klasse der Gesellschaft. Wie bei Äsop zeigt sich auch in der Sklaverei des Diogenes der Topos der verkehrten Welt besonders deutlich. Als man Diogenes auf dem Sklavenmarkt fragt, was er könne, antwortet er „Menschen [...] beherrschen". In vergleichbarer Weise kehrt später der zur untersten gesellschaftlichen Schicht gehörende Eulenspiegel die Welt um und beherrscht sie mit seinen bürgerfeindlichen Streichen. Über die oben besprochenen Gemeinsamkeiten hinaus gleichen sich Diogenes und Eulenspiegel auch in den Anekdoten über ihren Tod und ihr Begräbnis. Vom Ende einer so skurrilen Gestalt wie Diogenes liefen in der Antike recht merkwürdige Erzählungen um. 67 Bei Diogenes Laertios heißt es: „Als Xeniades [Diogenes' Besitzer] ihn fragte, wie er ihn begraben solle, sagte er: ,Auf dem Gesichte liegend.' Auf die Frage aber nach dem Grunde sagte er ,Weil in kurzer Zeit das Untere zuoberst gekehrt werden wird.'" 68 So kommt der Topos der verkehrten Welt sowohl bei Diogenes als auch bei Eulenspiegel gerade in den Erzählungen von ihrem Lebensende exemplarisch zum Ausdruck. Wie sich die Bürger nach Eulenspiegels Begräbnis über den Schalk zerstritten, so hatte es nach dem Tod des Diogenes unter seinen Schülern „Streit [...] bis zum Handgemenge" ge64 65 66
67 68
Schwartz, S. 128. Bei Diog. Laert. 6, 63 (S. 326). Diog. Laert. 6, 71 (S. 330). Ausführlich beschreibt der Philosoph Epiktet, der selbst Sklave war, die Freiheit des Diogenes bei Arrian, DIATOIBEN 4, 1, 152-158. Vgl. Diog. Laert. 6,79. Diog. Laert. 6,31-32 (S. 310). Laertios fügt hinzu, Diogenes habe dies im Hinblick auf die bevorstehende Herrschaft der Makedonen über Griechenland gemeint.
Die römische Komödie und Satire
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geben.69 Doch über Diogenes hinausgehend spielt Eulenspiegel sogar noch im Tod den Hinterbliebenen einen letzten Streich.
6.2. Die römische Komödie und Satire Die neulateinischen Quellen des Volksbuchs von Eulenspiegel hat Eduard Kadlec ausführlich dargestellt.70 Doch kommen bereits in der klassischen lateinischen Literatur oft Schalksfiguren vor, die mit Eulenspiegel vergleichbar sind. Gerade in der römischen Komödie und Satire lassen sich deutliche Parallelen und thematische Bezüge zur Eulenspiegelgestalt beobachten.71 (Die einzelnen Anspielungen und Zitate, die im Eulenspiegelgedicht des Nemius vorkommen, weist der Kommentar nach.) Zunächst jedoch einige Anmerkungen zur lateinischen Terminologie, die für die Darstellung Eulenspiegels bedeutsam ist. Die lateinische Sprache stellt zwei Ausdrücke bereit, die dem deutschen „Schalk" recht genau entsprechen und in der lateinischen Eulenspiegelliteratur auf Till angewandt werden.72 Hierbei handelt es sich um die Wörter NEBULO und SCURRA. Zum Ausdruck NEBULO („Dunstmacher, Windbeutel"; abgeleitet von NEBULA), der schon früh in der römischen Satire und Komödie erscheint, habe ich bereits anderenorts einiges angemerkt.73 Im TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE charakterisiert der Ausdruck 69 70 71
72
Diog. Laert. 6, 78 (S. 333-334). Kadlec, S. 55-77. Mit der Komödie und Satire verwandte Literaturgattungen bleiben hier unberücksichtigt. Stellvertretend sei nur auf den antiken Mimus hingewiesen, von dem wegen seines größtenteils unliterarischen Charakters nur Fragmente erhalten sind. Der Mimus stellt das Leben des kleinen Mannes dar, wobei Betrügereien, Kniffe, Wortwitze und Obszönitäten an der Tagesordnung sind. Der Kern des Mimus ist die Improvisation, wie die ausführliche Untersuchung von Wiemken gezeigt hat. Das Wörtlichnehmen im Mimus (dazu Cie., DE OR. 2, 259) verbindet Reich, S. 67 Anm. 3, mit Eulenspiegel. Er verweist auch auf das Nachleben des Mimus im Mittelalter (S. 744-807 und 820-831) und in diesem Zusammenhang wiederum auf Eulenspiegel (S. 821 Anm. 1). Zur Bedeutung des Wortes „Schalk" und seinen Wandlungen in der Eulenspiegelrezeption siehe Wunderlich (1), S. 79-85 (dort S. 79 die lateinischen Definitionen HOMONMLI und NEQUAM, QUASI NEQUICQUAM, AD NIHIL UTILE) und 51-57 zum Namen Eulenspiegel (niederländisch „wl" = HOMO STOLIDUS ET IMPROBUS, S . 5 6 ) .
73
Winkler (2), besonders S. 76-77.
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Eulenspiegel und die Antike
gleich den ersten Streich des jungen Eulenspiegel: HAEC NEBULO(III, 14), heißt es am Ende der Geschichte vom Reiter, der den Gänsen ins Wasser gefolgt war. Allerdings ist dies zugleich das letzte Mal, daß Nemius den Terminus auf Till selbst anwendet. Er gebraucht ihn danach nur noch einmal, und zwar im unmittelbar folgenden Abschnitt zur Bezeichnung des namenlosen Schalks, der dem Seiltänzer Till einen Streich spielt und ihn ins Wasser fallen läßt (NEBULO [...] QUIS; IV, 41; vgl. den Kommentar z. St.). Danach verwendet Nemius das Wort SCURRA, das dem althochdeutschen SCERN („Possenreißerei") etymologisch verwandt ist.74 Im XXXII. Abschnitt des TRIUMPHUS führt Nemius den Pfeifendreher als AULOEDUS, ISQUE SCURRA ein. Hier zeigt sich deutlich, daß Nemius den Ausdruck SCURRA für einen Schalk verwendet, denn seine Vorlage, der Hoochstratendruck, beschreibt den Pfeifendreher ausdrücklich als einen solchen: SO DAT HI VON ALLE SCALCHEYT WISTE.75 Im Lateinischen entwickelt sich aus der ursprünglichen Bedeutung des Wortes („Tagedieb, Lebemann") die übertragene Bedeutung „Spaßmacher, Witzbold, Possenreißer (selbst gemeiner, schmutziger Art)".76 Somit ist der Ausdruck SCURRA dem oft drastischen Till Eulenspiegel angemessen und wurde im 16. und 17. Jahrhundert häufig auf ihn angewandt.77 Hinzu kommt, daß der SCURRA der römischen Literatur oft bei Tisch seine Gastgeber unterhält und sein Dasein als Schmarotzer und Parasit führt, der vom Wohlwollen eines reichen Gönners abhängig ist.78 Entsprechend benützt Nemius den Ausdruck zum ersten Mal in seiner Version der Historie 33 (Abschnitt XXI des TRIUMPHUS), in der Eulenspiegel umsonst bei einer Wirtin speist. Hier weist er sich schon durch sein Zattelkleid als SCURRA aus (XXI, 1). Auch den Pfeifendreher der Historie 64 (66), der Eulenspiegel zum Essen einlädt und dann aussperrt, nennt Nemius einen SCURRA (XXXII, 1). Bei Nemius beNIS INDOLES
74
75 76
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Georges, Bd. 2, Sp. 2549. Vgl. allgemein zum SCURRA Otto Nr. 1614, und die Studie von Corbett. Zitiert nach Geeraedts (3), S. 165. Georges, Bd. 2 , Sp. 2 5 5 0 . Eine gute Beschreibimg des klassischen römischen SCURRA findet sich im Kommentar von Kießling-Heinze zu Hör., SERM. 2 , 7 , 1 5 , wo der SCURRA treffend als „wohlbewandert in allen geselligen Künsten der boshaft witzigen Unterhaltung so gut wie des fashionablen Hazardspiels" charakterisiert wird. Näheres hierzu bei Schmitz (2), S. 219-229. Vgl. z.B. Hör., SERM., 2 , 8 . Zum Thema des Essens und Trinkens, welches in der römischen und besonders in der horazischen Satire bedeutsam ist, siehe Rudd, S. 2 0 2 - 2 2 3 .
Die römische Komödie und Satire
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zeichnet die Wirtin der Historie 83 (84) Till als den schändlichsten S C U R R A von allen (XXXVIII, 5 ) . Die Beichte des todkranken Eulenspiegel heißt in der Marginalie zur Stelle CONFESSICI SCURRILE („schalkhafte Beichte"), und die Dummheit und Gier des Pfaffen, der sich vom Sterbenden ein hübsches Sümmchen verspricht, tritt schon dadurch zu Tage, daß der Pfaffe Till irrtümlich für einen NOBILIS SCURRA hält (XLIII, 60-61). In diesem Oxymoron steckt bereits eine Verurteilung des allzu weltlichen Geistlichen, der in seiner Habgier Eulenspiegel falsch einschätzt. 79 Nemius hat also in seiner lateinischen Fassung der Eulenspiegelhistorien die Ausdrücke NEBULO und SCURRA treffend gewählt. 6.2.1. Die Komödie Wichtig ist in dieser Gattung die Gestalt des SERVUS CALLIDUS, des schlauen Sklaven, der die Intrige der Komödienhandlung ausheckt und trotz mancherlei Hindernisse erfolgreich zu Ende führt. Parallel zu ihm steht die Gestalt des Parasiten, der gelegentlich statt des Sklaven die Fäden der Intrige in der Hand hält. Beide, Sklave und Parasit, stehen unter oder außerhalb der strengen sozialen Hierarchie der römischen Gesellschaft. Als gesellschaftliche Außenseiter sind sie der Gunst und dem Wohlwollen anderer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.80 Hierin sind sie Äsop, Diogenes und Eulenspiegel vergleichbar. Die Heimatlosigkeit und Ungebundenheit des letzteren entspricht darüberhinaus der sozialen und familiären Isolation des römischen Parasiten, eines gleichermaßen freien Einzelgängers ohne Bindungen an Familie oder Verwandtschaft. Der Sklave, der Parasit und der Schalk Eulenspiegel finden alle ihr wichtigstes Rüstzeug in sich selbst. Nur ihr Mutterwitz und ihre damit verbundene Lust am Intrigenspiel sichern ihnen den Lebensunterhalt und das Überleben. Ihre Pfiffigkeit läßt sie über die Reichen und Mächtigen der Gesellschaft triumphieren. Nemius' Eulenspiegel gewinnt im Hinblick auf die Sklaven und Parasiten der römischen Komödie eine zusätzliche Tiefe.81 Nemius' Ausdruck NOBILIS SCURRA ist dem plautinischen und horazischen (Plaut., TRIN. 2 0 2 und MOST. 1 5 ; Hör., EPIST. 1 , 1 5 , 2 7 - 2 8 ) nachgebildet, ist damit jedoch nicht synonym. Vgl. auch Catull 2 2 , 1 2 . Zur Stellung der Sklaven und zu den Sklaven bei Plautus vgl. Segal, S. 99-
URBANUS SCURRA
169.
Die Verbindungen der römischen Komödie zur „bürgerlichen" griechi-
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Eulenspiegel und die Antike
Dazu, daß Nemius das lateinische DOLUS („List") zur Charakterisierung von listigen Streichen heranzieht, gibt bereits Plautus das Vorbild. Die Sklaven Chrysalus in den BACCHIDES und Palaestrio im MILES GLORIOSUS bezeichnen ihre Intrigen mit den Ausdrücken CALLIDIS DOLIS (BACCH. 643: „durch feinerdachte Kniffe und Pfiffe"; S. 178) und FACETIS FABRICIIS ET DOCTIS DOLIS (MILES 147: „durch Pfiffigkeit und feine List"; S. 522; vgl. Vers 357 und 773-774). Palaestrio überlegt sich seine Ranküne mit folgenden Worten: Sei nur ein kleines Weilchen still, bis ich den Rat Ins Herz mir rufe und in Überlegung zieh, Was hier zu tun ist, welche List dem Listigen Ich mit Erfolg entgegensetze, [...] damit ungesehen ist, was er sah. (S. 524;
MILES
196-199)
Im plautinischen PERSA legt der Sklave Toxilus, dessen sprechender Name („Bogenschütze") nicht nur auf seine Zielstrebigkeit hinweist, sondern auch den vollen Erfolg seiner Machenschaften vorwegnimmt, zu Beginn des vierten Aktes folgendes Credo ab: Wer eine Sache klug und mit Bedacht betreibt, Dem pflegt sie auch gehörig von der Hand zu gehen, Denn, meiner Treu, wie einer ein Geschäft beginnt, So rückt auch das begonnene dem Ziele zu. Der schlechte Kerl führt alles schlecht aus, was er tut, Wogegen es dem guten immer gut gelingt. Mit kluger Überlegung hab ich dies Geschäft Begonnen, darum glückt es auch, ich bin's gewiß. (S. 672; PERSA 449-456)
Am Ende der MOSTELLARIA droht der Herr des Sklaven Tranio diesem schwere Strafen für sein Ränkespiel an. Doch bevor er sich endlich umstimmen läßt, hat Tranio ihm bereits angekündigt, daß er auch in Zukunft genau so frech und schlau wie bisher zu bleiben gedenkt: Was sträubst du dich? Als ob ich nicht gleich morgen schon Einen neuen Streich ausübte? Dann kannst du ja sehen Komödie, z.B. des Menander, sollen hier nicht weiter verfolgt werden; siehe dazu die Untersuchungen von Hunter. Die folgenden Seitenangaben zu den deutschen Übersetzungen aus Plautus und Terenz beziehen sich wie zuvor auf die Ausgabe von Ludwig (vgl. S. 258 Anm. 42).
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Für beides mich, für das und jenes, züchtigen. (S. 646; MOST. 1178-1179)
Hierin liegt eine deutliche Parallele zu Eulenspiegel. Wie dieser ist der Sklave der römischen Komödie ein geborener Intrigant und kann von seinen Streichen nicht lassen, auch wenn ihm daraus Strafe oder sogar Lebensgefahr erwachsen. In der Tat droht Tranio nichts Geringeres als die Todesstrafe (Vers 1168). Parallel dazu befürchtet Eulenspiegel in der 28. Historie, aus Rache vergiftet zu werden.82 Eulenspiegel und die Sklaven der Komödie sind sich durchaus bewußt, daß ihre Streiche nicht harmlos sind und ihren Opfern beträchtlichen Schaden zufügen. In der oben zitierten Ankündigung Tranios steht im Original der Ausdruck ALIANOXA (1178), was sowohl „ein anderes Vergehen" als auch „ein weiterer Schaden" bedeutet. Ähnlich kündet zu Beginn des plautinischen POENULUS der Sklave Milphio seine Absicht an: „Ich trag ihm beides zu, Unglück und Schabernack" (S. 7 1 4 ; UTRUMQUE FAXO HABEBIT, ET NEQUAM ET MALUM, 1 6 2 ) . I m PSEUDOLUS läßt Plautus seinen Titelhelden den Standpunkt des
intriganten Sklaven in trefflicher Kürze zusammenfassen: PAR (692) — „Jeder kriegt es, wie er7 s braucht" (S. 801). Der Ausdruck (wörtlich: „Gleiches mit Gleichem") ist sprichwörtlich und erscheint mehrmals in der römischen Komödie.83 Nemius übernimmt ihn unverändert zur Charakteristik von Eulenspiegels Streich gegen den Pfeifendreher (TRIUMPHUS, XXXII, 33). Im PSEUDOLUS kommt die eulenspiegelhafte Freude am Komplott voll zur Geltung, wenn Pseudolus kurz vor der oben zitierten Stelle ausruft: „Unsterbliche Götter, / Um blankes Geld nicht wäre mir die Lüge feil, / Die eben ich ersonnen" (688-689; S. 801). Die Schadenfreude über den Nachteil des Hereingelegten wiegt einen eventuellen materiellen Gewinn allemal auf. Der sprechende Name des Pseudolus („Lügenmaul") personifiziert ihn ähnlich, wie Nemius mit dem Namen Dolus Till Eulenspiegel als personifizierte List kennzeichnet. Um bei der Bedeutung der sprechenden Namen zu bleiben: Die moralische und regulative Funktion des gesellschaftlichen Außenseiters, der — ganz wie es bei Eulenspiegel sehr häufig der Fall ist — Fehler und Sünden der ehrbaren Bürger entlarvt, kommt bei Plautus im Namen des Sklaven Epidicus („Der wie ein Richter jedem sein Teil PARI
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Vgl. TRIUMPHUS, XIX, 45-47. Vgl. den Kommentar zu ΧΧΧΠ, 33 und S. 242.
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Eulenspiegel und die Antike
zuspricht") in der nach ihm benannten Komödie exemplarisch zur Geltung.84 Selbstverständlich geht auch der Sprachwitz den Sklaven der Komödie nicht ab. Aus zahlreichen Beispielen sei hier nur eines herausgegriffen, da es einen der bekanntesten Wortwitze Eulenspiegels vorwegnimmt. Zu Beginn des P O E N U L U S schwärmt der jugendliche Liebhaber Agorastocles zu seinem Sklaven Milphio mit folgenden Worten von der schönen Adelphasium, in die er unsterblich verliebt ist: „So horch doch, ich beschwöre dich, wie süß sie spricht." Milphios Antwort darauf: „Wie Waffeln, Sesam, Mohnsaft, Nußkern, Zuckerbrot" (S. 721; POEN. 325-326). Hierin liegt eine deutliche Parallele zu Tills Antwort auf die Bitte der Mutter, ihr ein süßes Wort zu sagen.85 Zur Gestalt des Parasiten in der Komödie ist noch folgendes anzumerken. Bei Plautus wird der Parasit Curculio im gleichnamigen Stück als „ein feines Exemplar von Schelm" (S. 352; N U G A T O R L E P I D U S , 462) beschrieben. Im E U N U C H U S des Terenz charakterisiert der Sklave Parmeno den Parasiten Gnatho mit den Worten: „Traun, ein ganz durchtriebener Schalk! Der macht die Gimpel völlig toll" (EUN. 254; S. 1103). Kurz zuvor meint Gnatho von sich selbst: „Alles hab ich und doch gar nichts. Hab ich nichts, doch fehlt mir nichts" (EUN. 243; S. 1103). Diese bewußte Außenseiterhaltung, welche die unbeschwerte Besitzlosigkeit eines Hans im Glück einschließt, stellt für den antiken Parasiten wie schon zuvor für Diogenes und später für Eulenspiegel die Quelle der Ungebundenheit und unbeschränkten inneren Freiheit dar. Die geistige Nähe des Parasiten der römischen Komödie zu Eulenspiegel war der Renaissance nicht unbekannt. So erscheint Gnatho im Holzschnitt der Terenzausgabe von Johannes Grüninger aus dem Jahre 1496 in der Zatteltracht, und Eulenspiegels lateinische Grabinschriften des Jahres 1513 bezeichnen ihn als Parasiten.86 84 85 86
Ludwig, S. 1362; vgl. EPID. 25. H 91 (90); vgl. TRIUMPHUS , XLIII, 22-26. Zur Abbildung siehe Honegger (1), S. 132-134 mit Abb. 18 (zu Akt Π, Szene 2 [= Vers 232 ff.] des EUNUCHUS; zum Zattelkleid vgl. Lindow, S. 283-284, und Sichtermann (1), S. 266. Der Text der Grabinschriften bei Sichtermann (2), S. 34; vgl. oben Kap. 2 Anm. 14. Die Überschrift der ersten nennt Eulenspiegel einen NOBIUS PARASITUS, einen berühmt-berüchtigten Landstreicher; in der zweiten ist er ein CNARUS PARASITUS: & HELLUO. GNARUS heißt sowohl „kundig" als auch „bekannt"; ein HELLUO ist ein Prasser.
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Die Gerissenheit des Parasiten führt uns Terenz in der Titelgestalt seines PHORMIO exemplarisch vor. Von ihm sagt der Sklave Geta, der in der Intrige des Stückes eine untergeordnete Rolle spielt: Nie sah ich einen schlauem Kopf a b Phormio. Ich komme, sag ihm, daß wir Geld benötigen, Und wie's in bester Weise wohl zu schaffen sei. Kaum sagt ich's ihm zur Hälfte, da begriff er's schon.
(S. 1223; PHORM. 5 9 1 - 5 9 4 )
Mittels seiner Wortgewalt und Disputierkunst kann Phormio seine komplizierte Intrige geschickt zu Ende führen. Walther Ludwig hat dazu ein treffendes Fazit gezogen: „Die skrupellose Wendigkeit des Parasiten hat einen vollen Triumph über die wurmstichige Moralität der beiden Alten [Phormios Widersacher] errungen."87 Ganz wie Eulenspiegel verkörpert Phormio den Geist der unbezähmbaren Freude am Schalkhaften, der auch vor eigener Gefahr nicht zurückschreckt. Phormio gibt es offen zu: PHORMIO: GETA: PHORMIO: GETA: PHORMIO:
[...] Mein Plan ist ganz in meinem Kopfe reif. Was? Was sonst, als daß [...] ich [...] ganz auf mich den Zorn des Alten lenke? Tapferer Mann und wackerer Freund! Nur, Phormio, wird mir manchmal bang, Daß dich diese Tapferkeit am Ende noch zum Blocke führt. Nein! Ich machte den Versuch schon oft und kenne meinen Weg. Wie viel Menschen, meinst du, hab ich schon bis auf den Tod geprügelt, Fremde, Bürger selbst? Je mehr ich's lernte, desto leichter ging's. (S. 1210; 321-328)
Auch Phormio erkennt gerade in der Besitzlosigkeit den Grund seiner Unabhängigkeit.88 Zum weiteren Vergleich können wir die zeitlosen Ratschläge in den BRIEFEN des Horaz heranziehen, der darlegt, wie man sich am besten hochgestellten Gönnern gegenüber ohne Selbsterniedrigung verhält. Aus seinen EPISTULAE 1,17 und 1,18 läßt sich gleichsam der Ehrenkodex eines freien SCURRA ableiten. Von der römischen Komödie über Till Eulen87 88
Ludwig, S. 1411. Vgl. PHORM. 331-343 (Ludwig, S. 1211).
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Eulenspiegel und die Antike
Spiegel und zahlreiche weitere literarische Gestalten zieht sich die Entwicklung des NEBULO und des SCURRA bis in die moderne Literatur. 6.2.2. Die Satire Das satirische Element in den Eulenspiegelhistorien ist für die dichterische Intention Hermen Botes und somit für die gesamte Rezeptionsgeschichte Eulenspiegels von grundlegender Bedeutung. Das Satirische ist daher für die Schwänke noch wichtiger als das Komische. In der lateinischen Fassung des Nemius finden sich dementsprechend deutliche Parallelen zur römischen Satire. Die Thematik der verkehrten Welt und der Weisheitstopos, die beide auch der Satire zugrundeliegen, wurden bereits im vorigen Kapitel dargestellt. Die römische Satire hält den Menschen ihre Irrtümer, Fehler, Laster und Perversionen mit dem verständnisvollem Lächeln des Horaz oder mit dem beißenden Spott Juvenals vor. Bedeutsam für ihr Nachleben in der Renaissance und besonders in Bezug auf Nemius' Eulenspiegel ist vor allem der Aspekt des SPOUDAIOGELOION, d.h. der Mischung von Ernst und Scherz. Das SPOUDAIOGELOION geht auf den kynischen Philosophen und Schriftsteller Menippos von Gadara aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. zurück, der selbst den Beinamen SPOUDAIOGELOIOS („der Ernst-Lächerliche") führte. Nach ihm benannte im ersten Jahrhundert v. Chr. der römische Gelehrte M. Terentius Varrò seine Satirendichtung, eine Mischung aus Prosa und Vers, „Menippeen" (SATURAE MENIPPEAE). Horaz stellte in seiner ARS POETICA den dichterischen Wert des SPOUDAIOGELOION in einer besonders treffenden Formulierung heraus: OMNE TULIT PUNCTUM, QUI MISCUΓΓ UTILE DULCÍ.89 So ist es für das dichterische Programm des NeZum SPOUDAIOGELOION allgemein siehe die Monographie von Giangrande. Siehe außerdem Hör., SERM. 1 , 1 0 , 1 1 - 1 5 , wo Horaz den Scherz dem Ernst und der Bitterkeit vorzieht: SERMONE OPUS EST MODO TRISTI, SAEPE IOCOSO ( 1 1 ) ; RIDICULUM ACRI / FORTIUS ( 1 4 - 1 5 ) . Eine weitere Parallelstelle ist Hör., CARM. 4 , 1 2 , 2 7 - 2 8 . In der nachklassischen lateinischen Literatur erscheint die Satire ebenfalls als Mischung des Süßen und Bitteren; vgl. z.B. MEL („Honig") und FEL („Galle") bei Auson., EPIST. 1 1 , 1 - 1 0 Peiper (= EPIST. 9 , 1 - 1 0 Prete), im Anschluß an Mart. 7, 25. Zu den Menippeen und ihrer Bedeutung für die nachklassische Literatur siehe Dronke, S. 1-25. Curtius, S. 4 1 9 - 4 3 4 , zeichnet den Einfluß des antiken SPOUDAIOGELOION auf den mittelalterlichen Schwank nach; siehe dort S. 4 2 1 zum Ausdruck RIDICULA bei
Die römische Komödie und Satire
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mius bezeichnend, daß er am Ende seines Geleitbriefes zum TRIgerade diese Horazstelle im wörtlichen Zitat anführt. Die Lehre, die er seinen Lesern durch die Gestalt Eulenspiegels vermitteln will, ist zwar ernst gemeint, wird aber mit recht leichter Hand (LEVIORE MANU) vorgetragen. Damit folgt Nemius ebenfalls seinem zweiten großen Vorbild Erasmus, der das Ziel des spielerischen MORIAE ENCOMIUM dem des ernsten ENCHIRIDION MiLiTis CHRISTIANI gleichgesetzt hatte.90 Allerdings zwingt Nemius das UTILE nicht über Gebühr der Eulenspiegelgestalt selbst auf. Vielmehr überträgt er es hauptsächlich in den Prolog und Epilog, mit dem er die Eulenspiegelhistorien einleitet und abschließt. Das DULCE in all seiner Bandbreite, vom harmlosen Spaß bis zum Zotigen, welches das UTILE der Belehrung ergänzt, tritt dementsprechend bei Nemius in der Nachdichtung der einzelnen Eulenspiegelhistorien in den Vordergrund. Für eine lateinische Fassung des Eulenspiegel ist das antike SPOUDAIOGELOION gut geeignet. Horaz gibt zu Beginn seiner Satirendichtung mit dem bekannten Ausdruck RIDENTEM DICERE VERUM („lächelnd die Wahrheit zu sagen"; SERM. 1, 1, 24), der wie die oben angeführte Stelle aus der ARS POETICA eine Definition des SPOUDAIOGELOION darstellt, eine programmatische Ankündigung seiner dichterischen Absicht und gleichzeitig eine allgemeine Charakteristik seiner SERMONES.91 In der horazischen Satire bestimmt das SPOUDAIOGELOION , um nur zwei Beispiele anzuführen, den Ton in der berühmten „Schwätzersatire" (SERMONES 1,9) und in SERMONES 2,7, wo der Topos behandelt wird, daß nur der Weise wirklich frei ist. Die im SPOUDAIOGELOION vorgegebene Verbindung von Inhalt, Stil und Absicht, welche die Satirendichtung des Horaz auszeichnet, stellt auch das Vorbild für Nemius' Eulenspiegelgedicht. Auf beide Seiten des SPOUDAIOGELOION, Scherz und Ernst, weist Nemius im ersten Abschnitt des TRIUMPHUS mit der namentlichen Nennung der Philosophen Demokrit und Heraklit nachdrücklich hin (I, 36-38). Ihr Lachen und Weinen stellen die Extreme möglicher Reaktionen auf das bunte Treiben der MenUMPHUS HUMANAE STULTTTIAE
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Ausonius. Im Mittellatein bedeutet RIDICULA „Schwank". Allgemein zur Schwankliteratur siehe Rupprich (1), S. 106-127 (dort S. 124-127 zu Eulenspiegel), und (2), S. 165-177. Siehe Allen, Bd. 2, S. 93 (Brief 337); vgl. oben S. 245. Zur Übertragung von Horazens Motto RIDENTEM DICERE VERUM auf Eulenspiegel vgl. meine frühere kurze Darstellung (Winkler [2], S. 77-78).
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Eulenspiegel und die Antike
sehen dar. In der antiken Überlieferung treten die beiden zum ersten Mal Seite an Seite in der zehnten Satire Juvenals auf.92 Doch ist Demokrit schon bei Horaz der lachende Philosoph: si FORET IN TERRIS, RIDERET DEMOCRITUS.93 Horaz deutet damit an, daß Lachen die passendste Reaktion auf die menschlichen Schwächen ist. Nemius gibt das horazische si FORET IN TERRIS mit der gleichbedeutenden Formulierung si VIVERET wieder. Der Ausdruck legt nahe, daß er dabei an die Horazstelle dachte. Jedoch fällt auf, daß Nemius an dieser Stelle nicht Horazens Verb RIDERE, sondern LUDERE verwendet. Der Grund dürfte in Nemius' Auffassung von der spielerischen Natur seines Werkes liegen. Wie Erasmus im MORIAE ENCOMIUM gibt auch Nemius im TRIUMPHUS somit Demokrit den Vorzug vor Heraklit und rechtfertigt das Lachen des Lesers über Eulenspiegels Streiche.94 Im Hinblick auf das Thema Weisheit-Torheit gewinnt die Bevorzugung Demokrits allerdings einen zusätzlichen Reiz. Der Vater der Atomtheorie, der in der Antike den ehrenvollen Beinamen SOPHIA („Weisheit") führte, stammte nämlich aus Abdera. Die Stadt war für die sprichwörtliche Dummheit ihrer Einwohner bekannt und stellt das klassische Gegenstück zur Stadt Schiida dar.95 Ein weiterer bezeichnender Zug der horazischen Satire liegt in ihrer LIBERTAS, der Freiheit des persönlichen Angriffs, die gewöhnlich mit der griechischen Formulierung ONOMASTI KOMODEIN zusammengefaßt wird. Sie läßt sich auf die alte attische Komödie zurückverfolgen, die uns in den Werken des Aristophanes erhalten ist, und kennzeichnet auch die Satiren des Lucilius, Horazens Vorläufer in der Gattung.96 Solcher Freizügigkeit verwandt ist der niedrige Stil der Satire, der SERMO HUMILIS, der die 92
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Juv. 10, 28-35; dazu Courtney, S. 449-450. Vgl. Winkler (1), S. 73-80, zur Bedeutung der beiden Philosophen bei Juvenal in Verbindung mit der Thematik der Persona (dort S. 87-89 weiterführende Literaturangaben). Zu den antiken Quellen, darunter Lukian, siehe Lutz; zum Nachleben der Philosophen bis zum 17. Jahrhundert Buck; zusätzlich nunmehr die Untersuchungen von Rütten, besonders S. 8-53. Alciatis Emblem IN VITAM HUMANAM ist Demokrit und Heraklit gewidmet (Alciati [1], Nr. 96; Henkel und Schöne, Sp. 1157). Hör., EHST. 2 , 1 , 1 9 4 . Eine frühere Parallele hierzu ist Cie., D E OR. 2,235. Demokrit im MORIAE ENCOMIUM: Miller (1), S. 102 Zeile 551 (mit seiner Anm. z. St.), 134 Zeile 192-193 und 138 Zeile 238-239. Die Nähe der beiden Philosophen zu Eulenspiegel wird bei Hedergott, Β1-3, illustriert. Die antiken Belegstellen (einschließlich Cicero, Juvenal und Lukian) bei Otto Nr. 1. Vgl. Hör., SERM. 1,4,1-8; siehe hierzu LaFleur.
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Die römische Komödie und Satire
Voraussetzung für die satirische Darstellung des Sexuellen und Obszönen schafft. Auch diese Seite der Satire geht über Lucilius auf die alte griechische Komödie zurück. Innerhalb der horazischen Satire findet sich die LIBERTAS besonders in den Diatriben, in erster Linie in SERMONES 1, 3. Sie wird danach von Juvenal wieder aufgegriffen, und zwar hauptsächlich in den Satiren 2, 6 und 9. Die wenigen, aber eindeutig obszönen Ausdrücke im Eulenspiegelgedicht des Nemius sind nicht zuletzt durch diesen Freiheitszug der klassischen Literatur vorgegeben und zu verstehen. Sie beeinträchtigen in keiner Weise die moralische Autorität und die Lehrabsicht des Autors. Nemius läßt allerdings das horazische Prinzip des O N O M A S T I KOMODEIN im TRIUMPHUS beiseite. Hierin folgt er wiederum seinem Vorbild Erasmus, der im Brief an Martin Dorp betont, er habe niemanden beim Namen genannt, um die Menschen nicht zu „beißen", sondern zu belehren und zu ermahnen. Auch im Widmungsbrief des M O R I A E ENCOMIUM an Thomas Morus äußert sich Erasmus in vergleichbarer Weise.97 Dementsprechend kündigt auch Nemius im Brief an Pelegromius an, er beabsichtige, nicht scharf zu kritisieren (NON UT SIMUS CRITICI). Das Verb PERSTRINGERE („durchgehen, aufzählen"; Nebenbedeutung „tadeln"), das Erasmus an der genannten Briefstelle benützte, verwendet auch Nemius zur Beschreibung des eigenen Vorgehens (CALAMO LUDENTE PERSTRINXIMUS). Wichtig für das Verständnis des TRIUMPHUS ist aber ein weiterer Gesichtspunkt, in dem deutlich wird, daß neben der horazischen die Satire Juvenals Nemius' Konzeption der Eulenspiegelgestalt mitbestimmte. Gleich drei Juvenalzitate im Geleitbrief des Nemius zeigen dessen Einfluß an. Juvenal konzipierte den Sprecher seiner Gedichte, das satirische „Ich", als weitgehend unzuverlässig und vertrauensunwürdig. Der Autor, der mit diesem Sprecher nicht identifiziert werden sollte, bedient sich eines Sprachrohres oder einer literarischen Maske (PERSONA).98 Von dem negativen Beispiel, das der Sprecher gerade in Juvenals frühen Satiren gibt, soll sich der Leser distanzieren und somit 97
Brief 337 (an Dorp): A T ENIM QUI VITAS HOMINUM ΓΓΑ TAXAT, UT NEMINEM OMNINO PERSTRINGAT NOMINATIM, QUAESO, UTRUM IS MORDERE VIDETUR, AN DOCERE POTIUS, AC MONERE?
(Allen, Bd. 2, S. 93). An Morus: Nos PRAETERQUAM QUOD A NOMINIBUS
IN
TOTUM ABSTINEMUS, ITA PRAETEREA STILUM TEMPERAVIMUS, UT CORDATOS LECTOR FACILE SIT INTELLECTURUS NOS VOLUPTATEM MACIS QUAM MORSUM QUAESISSE [ . . . ] QUAM POEDA RECENSERE STUDUIMUS
98
ET RIDENDA MACIS
(hier zitiert nach Miller [1], S. 68-69 Zeile
58-62). Vgl. Winkler (1 ), besonders S. 218-229.
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Eulenspiegel und die Antike
eine tiefere Erkenntnis richtigen Verhaltens erlangen. Anders als Horaz, der mit seinem Motto des RIDENTEM DICERE VERUM Verständnis mit den menschlichen Schwächen zeigt und bei dem die Opfer der Satire sogar über ihre eigenen Fehler lachen können, hält Juvenal mit seinem satirischen Ich dem Leser wie in einem Zerrspiegel das Bild seiner schlechten Seiten vor. Die Ironie, die in einer solchen satirischen Strategie liegt, ist ein subtileres und wirksameres Mittel als eine Moralpredigt, um den Leser zur Abkehr vom Laster zu bewegen. Erasmus bedient sich im MORIAE ENCOMIUM einer vergleichbaren Technik. Dort muß sich der Leser ständig darüber im klaren bleiben, daß alles, was die Moria in eigener Sache vorbringt, von der personifizierten Torheit stammt. Allein dieser Umstand taucht ihre Worte in ein ironisches Licht und stellt sie gewissermaßen auf den Kopf. Das Bewußtsein derartiger Ironie führt den Leser dazu, sich von den Argumenten der Moria zu distanzieren. Sie ist eben kein Ideal, dem man nacheifern soll. Auch dort, wo die Moria mit ihren Ansichten durchaus im Recht ist, behält der ironische Hintergrund seine Gültigkeit. Geschickt verbindet Erasmus Horazens SPOUDAIOGELOION mit der negativen Persona Juvenals. Entsprechend verfährt dann auch Nemius mit seinem Eulenspiegel. Erasmus hat Nemius' moralische Perspektive und dichterische Erzählweise im TRIUMPHUS entscheidend mitgeprägt, auch wenn Nemius seinen Eulenspiegel nicht zum Ich-Erzähler macht. Zum einen bestand für Nemius dafür keine dichterische Notwendigkeit, zum anderen hätte sich ein derartiger Wechsel in der Person des Sprechers kaum mit der weit verbreiteten Erzähltradition der Eulenspiegelhistorien im sechzehnten Jahrhundert in Einklang bringen lassen. Doch die geistige Verwandtschaft d e s TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE m i t d e m MORIAE ENCOMIUM
klingt schon in der Ironie im Titel beider Werke und in den dort auftretenden Synonymen an. Mit der Torheit wird bei Erasmus eine menschliche Qualität „gelobt", die schädlich und als Widerpart der Kardinaltugend PRUDENTIA sogar sündhaft ist. Nemius geht über ein bloßes Lob der Torheit noch hinaus und läßt sie wenigstens im Titel seines Gedichts auf der ganzen Linie siegen. Doch wird ihr Triumph am Ende des Gedichts aufgehoben, wie das vorige Kapitel gezeigt hat. Beide Autoren, Erasmus und Nemius, bedienen sich im Titel ihrer Werke des Mittels der Paradoxie, die ja jeder Darstellung des MUNDUS PERVERSUS zugrundeliegt. Schon hieraus ergibt sich eindeutig, daß Erasmus und Nemius ihren Lesern bewußt Beispiele einer derartigen verkehrten
Lukian von
Samosata
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Welt vor Augen führen wollten. Damit stehen sie allerdings auch in der Nachfolge Juvenals.
6.3. Lukian von Samosata Dieser griechische Sophist und Satiriker des zweiten Jahrhunderts n. Chr. ist der Nachwelt vor allem durch seine TOTENGESPRÄCHE, GÖTTERGESPRÄCHE, HETÄRENGESPRÄCHE und durch die WAHRE GESCHICHTE bekannt geblieben. Im LÜGENFREUND nimmt Lukian den populären Aberglauben seiner Zeit aufs Korn. Das Philosophische und Erzieherische kleidet er in das Gewand der Satire, die bei ihm von verständnisvoll mildem Spott bis zum bissigen Exposé reicht und damit der Wirkungsbreite der römischen Satire von Horaz bis Juvenal entspricht. Stark beeinflußt hatten Lukian die Werke des schon genannten Menippos von Gadara mit dem für sie charakteristischen SPOUDAIOGELOION. Menippos erscheint häufig in Lukians Dialogdichtungen und dient ihm geradezu als Sprachrohr." Auf die Humanisten übte Lukian eine besonders starke Anziehungskraft aus. Gerade die ironischen oder paradoxen Encomia, die die Renaissance Lukian zusprach (einige davon sind allerdings wohl nicht von ihm) und in denen z.B. der Tyrann Phalaris, ein Parasit, die Fliege und die Gicht gepriesen werden, machten den Autor zum Liebling der Humanisten.100 In Deutschland war er der beliebteste Schriftsteller der griechischen Antike. Reuchlin, Hutten, Melanchthon und andere imitierten oder übersetzten ihn. Lukian war auch einer der Lieblingsautoren des Erasmus. Erasmus und Thomas Morus übersetzten 99
100
Hierzu ausführlich Helm; vgL auch Mras, S. 510-511. Siehe weiterhin Frye, S. 229-236 und 308-312 (Theorie), und von Koppenfels, S. 139-190 (Einfluß der Menippea und Lukians auf die Utopiedichtungen, besonders bei Thomas Morus und Rabelais). Dem Einfluß Lukians auf die Renaissance, speziell im Hinblick auf seine paradoxen Encomia, hat sich die moderne Forschung intensiv zugewandt. Allgemein hierzu Robinson, Mattioli, Mayer, und LauvergnatGagnière; auch Tomarken, S. 28-32. Vgl. Mayer, S. 103-123, und Tomarken, S. 8-20 und 28-30, zur Adoxographie. Wichtig in der älteren Forschung ist die kurze Untersuchung von C.R. Thompson. Zum Einfluß von Lukians Phalaris-Encomium auf Erasmus' MORIAE ENCOMIUM siehe Miller (1), S. 20-21. Alle genannten Werke geben weitere Literaturhinweise.
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Eulenspiegel und die Antike
ihn beide und schrieben selbst Dialoge nach lukianischem Vorbild.101 Auch empfahlen sie den Geistlichen, Lukian zu lesen. Die Charakteristik des Lukian, die Erasmus im Geleitbrief seiner Übersetzung von Lukians Dialog DER HAHN gibt, wird zu Recht in der Forschung als Eigendarstellung des Autors betrachtet.102 Hier beschreibt Erasmus Lukian mit horazischer Terminologie und verweist dabei auf die oben angeführten Horazstellen, die das SPOUDAIOGELOION definieren und auf die sich später Nemius im Geleitbrief des TRIUMPHUS bezieht.103 Erasmus hatte noch hinzugefügt, wenn jemand je dieses Ideal erreicht habe, dann sei es „dieser unser Lukian" gewesen (QUOD QUIDEM AUT NEMO, MEA SENTENTI A, AUT NOSTER HIC LUCI ANUS EST ASSECUTUS). D a s MORIAE ENCOMIUM ist vom Geist Lukians besonders stark geprägt, nicht
zuletzt im Hinblick auf das SPOUDAIOGELOION.104 Die geistige Nähe von Erasmus und Nemius, die beide im Geleitbrief die spielerische Natur ihres Werkes betonen, legt die Vermutung nahe, daß Lukian über Erasmus und das MORIAE ENCOMIUM den TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE mitbeeinflußt hat.105 Erasmus schreibt im Vorwort zum HAHN, er finde in Lukian die Verbindung von UTILITAS (Nutzen) und VOLUPTAS (Vergnügen). Beides verknüpft auch Nemius in seinem Eulenspiegelgedicht. Für den TRIUMPHUS ist jedoch Lukians in Briefform gehaltener Bericht über den Tod des Peregrinos Proteus, den er selbst miter101
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Ausführliche Untersuchungen von Lukians Einfluß auf Erasmus, besonders im Hinblick auf das MORIAE ENCOMIUM, bei Robinson, S. 165-197; Gordon, S. 63-67; Lauvergnat-Gagnière, S. 133-150 und 197-234. Siehe auch Mason, S. 60 und 67-72. Wie G. Thompson, S. 23, betont, war Lukian allerdings nicht das einzige satirische Vorbild des Erasmus. Allen, Bd. 1, S. 425-426 (Brief 193). Vgl. Bainton, S. 74; Kinney, S. 62. Erasmus über Lukian: sie SERIA NUCÍS, NUCAS SERIIS MISCET; SIC RIDENS VERA αατ, VERA DICENDO RIDET. Zu Horazens Einfluß auf Erasmus siehe z.B. Schäfer; vgl. zusätzlich Gordon, S. 52-55. VgL z.B. Miller (2), S. xiii. Das dort genannte MOROSOPHON, das TörichtWeise, mit dem Erasmus sein MORIAE ENCOMIUM charakterisiert, ist dem SPOUDAIOGELOION parallel. Zur geistigen Verwandtschaft des Erasmus und seines MORIAE ENCOMIUM mit Lukian vgl. z.B. C.R. Thompson, S. 44; Kinney, S. 62-66; Tomarken, S. 37-48; Lauvergnat-Gagnière, S. 201-214. Kaiser, S. 34, hebt mit Recht hervor, daß Erasmus im Geleitbrief des MORIAE ENCOMIUM das Verb LUDERE und davon abgeleitete Ausdrücke nicht weniger als elfmal setzt und das Werk als INCENII NOSTRI LUSUS beschreibt; dazu kommen verwandte Wörter wie iocus, NUGAE, RIDERE, DELECTARE u.a. Vgl. hiermit Nemius' Wendungen CALAMO LUDENTE und LEVIORE MANU im Geleitbrief des TRIUMPHUS. Zum literargeschichtlichen Hintergrund siehe Hess, S. 92-95.
Lukian von
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lebt hatte, von besonderer Bedeutung. Wie in den besser bekannten TOTENGESPRÄCHEN ist auch im LEBENSENDE DES PEREGRINOS die Nichtigkeit der irdischen Güter und des irdischen Ruhmes ein Hauptthema Lukians. Der zum Christentum übergetretene ehemalige kynische Philosoph Peregrinos beging im Jahre 165 (oder 167) n. Chr. in Olympia öffentlich Selbstmord durch Verbrennen. Über ihn gießt Lukian seinen beißendsten Spott aus.106 Nach Lukian ist Peregrinos ein im Irrglauben verstrickter habgieriger Heuchler, der nur deshalb zum Christentum übergetreten sei, um von den christlichen Gemeinden reiche Liebesgaben zu erhalten. Sogar das Verbrechen des Vatermordes hängt Lukian ihm an. Schon der Name entlarvt den falschen Philosophen: „Peregrinos" bezeichnet den unsteten und heimatlosen Wanderer, „Proteus" den sich jeder Lage Anpassenden. Beide Teile des Namens liefern Parallelen zu Eulenspiegel. Till zieht die meiste Zeit von Ort zu Ort, und eines der Epitaphien von 1513 vergleicht ihn wegen seiner Wandlungsfähigkeit mit dem mythischen Proteus.107 Proteus wird im TRIUMPHUS des Nemius wieder genannt (XLV, 117). Im Hinblick auf die Thematik von Nemius' Gedicht ist jedoch ein bestimmter Charakterzug des Peregrinos wichtig, den Lukian wiederholt hervorhebt. Es ist die falsche Ruhmsucht, um deretwillen Peregrinos sogar seinen eigenen Tod in Szene setzte. Unter Anspielung auf den Namen Proteus nennt Lukian schon zu Beginn der Schrift spöttisch das Laster der Ruhmsucht als Hauptgrund aller Übel, die Peregrinos in seiner Person vereinigte: „nachdem er um des Ruhmes willen alles geworden war und unzählige Wandlungen durchgemacht hatte, ist er jetzt zum Schluß auch Feuer geworden".108 „Aufschneiderei und Ruhmsucht" sind nach Lukian „Dinge, nach denen er eben strebte" und für die er sogar „den Tod hinnehmen würde".109 Lukians Fazit zum Selbstmord des irregeleiteten Philosophen: Das war deis Ende des unglückseligen Proteus, eines Mannes, der, um es kurz zu sagen, niemals auf die Wahrheit sah, sondern, um Ruhm und Lob bei der großen Menge zu ernten, alles stets sagte und tat, so daß er sogar 106 107 108
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Lukians Zerrbild läßt sich durch die anderen erhaltenen antiken Quellen korrigieren; vgl. Gell. 8,3 und 12,11. Oben S. 30 Anm. 14. Zitate aus Lukian nach der deutschen Übersetzung von Mras; hier aus Kap. 1 (Mras, S. 471). Kap. 12 und 14; Mras, S. 477 und 479. Vgl. ebenfalls Kap. 20.
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ins Feuer sprang, als er keinen Genuß mehr von Lobsprüchen haben sollte, da er gegen sie abgestumpft worden war. 110
Für Lukian zeugt die Sinnlosigkeit von Peregrinos' Leben und Sterben deutlich von der Nichtigkeit des menschlichen Verlangens nach Ruhm und Ehre. Das Vermeiden des falschen irdischen und nur von Menschen gewährten Ruhmes ist eines der wichtigsten Themen in Nemius' TRIUMPHUS. Mehrere Einzelheiten lassen die thematische Nähe von Nemius' Gedicht zu Lukians Brief über den Tod des Peregrinos deutlich hervortreten. Der Topos des MUNDUS INVERSUS, ein Leitmotiv bei Nemius, wird im 18. Kapitel des PEREGRINOS direkt angesprochen. Dort heißt es, Peregrinos sei „bei den Laien wenigstens [...] sogar auf Grund seines Wahnwitzes angesehen" gewesen.111 Beachtenswerte Details in Lukians Werk kehren im TRIUMPHUS wieder. Sowohl Phalaris als auch der zu Beginn des TRIUMPHUS (I, 34-35) genannte Herostratos waren in Lukians Schrift vorgekommen. Peregrinos hätte laut Lukian „schon längst in den Stier des Phalaris [...] geworfen [werden] und die verdiente Strafe erleiden sollen".112 Ein wenig später setzt Lukian die verkehrte Ruhmsucht des Peregrinos in direkte Verbindung mit der des Herostratos: „Ihr habt [...] gehört, daß auch in der Vorzeit einer, der berühmt werden wollte, da er dies auf eine andere Weise nicht erlangen konnte, den Tempel der ephesischen Artemis in Brand steckte. So etwas hat er [Peregrinos] ebenfalls im Sinn, so sehr ist die Liebe zum Ruhm bei ihm eingewurzelt." 113 Außerdem führt Lukian zu Beginn der Peregrinosschrift (Kap. 7) Demokrit und Heraklit an und spricht sich am Ende (Kap. 45) für das Lachen Demokrits über den menschlichen Unsinn und Aberwitz aus.114 In seiner WAHREN GESCHICHTE parodiert Lukian populäre Abenteuerromane und Wundererzählungen. Er leitet die WAHRE GESCHICHTE, die in Wirklichkeit natürlich nur eine Lügengeschichte ist, mit dem ironischen Hinweis auf den Nutzen ein, den die Leser neben geistreicher Unterhaltung aus dem Werk gewinnen können. Lukian läßt seinen „Helden" sich mit folgenden Worten gerade an die Gebildeten und Intellektuellen wenden: 110 111 112 113 114
Kap. 42; Mras, S. 503. Mras, S. 483. Kap. 21; Mras, S. 487. Hierin liegt ein absichtlicher Anachronismus. Kap. 22; Mras, S. 487. Vgl. Rütten, S. 43-46.
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[...] so ziemt sich m.E. auch denen, die sich mit Geisteswerken befassen, nach ausgiebiger Lektüre ernster Werke eine geistige Ausspannung, um den Geist für die künftige Mühe frisch zu erhalten. Eine passende Erholung würde aber für sie sein, wenn sie sich mit der Lektüre solcher Werke abgäben, welche nicht bloß eine auf geistreicher und angenehmer Darstellung beruhende Unterhaltung ihnen gewähren, sondern sie auch auf eine in gewissem Sinne ebenfalls zur Bildung gehörige Betrachtung hinweisen würden, wie sie so m.E. auch von diesen vorliegenden Büchern denken werden.» 5
Nemius faßte seinen TRIUMPHUS in ähnlichem Sinne auf; denn im Geleitbrief hatte er sich ja deutlich für ein derartiges Verständnis des Gedichts ausgesprochen. Somit läßt sich allgemein eine deutliche Verbindungslinie von Lukian zu Nemius ziehen. Nemius steht über Erasmus, den wir als seinen geistigen Mentor betrachten dürfen, inmitten der Tradition der klassischen Antike und ihres Einflusses auf Renaissance und frühe Neuzeit. Die Wahl der Eulenspiegelgestalt für den TRIUMPHUS HUMANAE STULΤΊΉΑΕ erklärt sich zum einen aus der moralisch-didaktischen Absicht, die er mit der Darstellung Tills als Negativfigur verfolgte. Zum anderen wird Nemius seine Vertrautheit mit der antiken Literatur zur Wahl Eulenspiegels als Protagonisten des Gedichts angeregt und ihm die Eignung gerade dieses Schalks zur unterhaltsamen Didaxe nahegelegt haben. Dabei ist ihm nicht zuletzt sein eigener Witz und Sinn für Humor gut zustatten gekommen. Als Humanist, der sich in der klassischen Antike heimisch fühlte, als Erzieher, der sich mit Scherz und Ironie an seine Leser wandte, und als Dichter gelang es Nemius, dem allgemein beliebten Eulenspiegel eine neue Leserschaft unter den Gebildeten seiner Zeit zu erschließen und gleichzeitig dem Schalk, der dabei zum POLYTROPUS und DOCTUS TYLUS avancierte, eine neue Seite abzugewinnen.
115
Lukian, VER. HIST.
1,1-2; Mras, S. 329.
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Verzeichnis der Eigennamen im
TRIUMPHUS HUMANAE STULTITIAE
Achilles XLV, 83 Adam XIX, 15 Aeolus XIX, 9 Antverpia XXXIX, 1 Apelles XVIII, 4 Argus XLV, 116 Aristarchos XLV, 65 Ausonius Epist. 12 Barptolomaeus XXXI, 10 Brabantia XXX, 9 Bremensis XLI, 1 Camarina XXVII, 40 Capito 1,29 Chrysogoni Epist. 25 Cyrus XXXIV, 4 Daedalus XLV, 116 Democritus 1,37 Diana I, 35 Dolus (nomen Tyli) XXXI, 12. 13.15.26.39.52.58.59.69.71. 77.79.83.91.94.99.108 Ephesus 1,34 Epoeus 1,34 Flaccus (Horatius) Epist. 23 Flandria XVHI,2 Francfordia ΧΧΙΠ, 1; XXX, 1 Franto 1,28 Germani Dist. 1 Germania XXX, 2 Golgatha XXIX, 30 Heraclitus
1,38
Hercules XV, 39; XLV, 83; XLVI, 28 Hessus (lantgravius) XVIII, 2.4. 9.14.20.24.28.30.53 Hippocrates XLV (superscriptio) Hollandus, Hollandi XXXIX, 1.4. 10.19.21.29 Icarus X, 11 Iudaei ΧΧΠΙ, 5.25.33 Iuppiter Epist. 13; VIII, 55; XXX, 36; XLV, 94 Labio 1,28 Lactantius Firmianus Epist. 14 Latium Dist. 2 Lubecum XXIX, 1 Lucina II, 8 Lunoburgensis XVH, 1 Machaon XI, 23 Maria IX, 8 Martha Vm, 6.23.35.37.43; IX, 2. 6.7.13.19.21; XXIV, 11.25. 30.37.51.54.63.64; XXXV, 45. 55.57 Mercurius Epist. 12; XLV, 116 Milo XLV, 83 Minerva Epist. 24; I, 33 Naso, Nasones Epist. 25; I, 28 Nemius Decast. 8, Octast. 7 Nicolaus Π, 2 Parthenopolis X, 1 Phalaris XXXIV, 55 Philo Iudaeus XLV (subscriptio) Phoebe (Diana) XIV, 10
343
Eigennamen im TRIUMPHUS Polonia XVI, 1 Proteus XLV, 117 Rhamnusia 1,24 Roma ΧΧΠ,Ι Roscius XLV, 114 Sagra XXm,12 Saguntinus XXXIV, 58 Saxo, Saxones Epist. 24; Π, 1; XXXV, 3.9.14.26.35.42.44.50. 63.71 Saxonia XXII, 6
Sibylla ΧΧΙΠ, 13 Simon (Pelegromius) Epist. 2.24 Sinon 1,32 Stauria XXXVI, 1 Thalia Decast. 8 Theocriticus XLV, 39 Trevericus XXX, 4 Troia 1,32 Tylus (Nicolaus) II, 2; IV, 6 Tylus passim Ululae Speculum Octast. 7
Personenverzeichnis
Aegidius, Ioannes 10 Äsop 287, 295-306, 308, 311 Aglycion, Johannes 257 Agricola, Rudolphus 12 Alba (Herzog) 32 Alexander d. Gr. 197, 305 Anm. 52 Alkibiades 256 Anm.37 Antistius Labeo, M. s.u. Labeo Apherdianus, Petrus 15-17, 23, 25-26, 31, 33, 257, 261-263, 278-279, 284-285 Archilochos 42 Arendt, Dieter 33-35 Aristarch 233 Aristeides 304 Aristophanes 199, 257, 318 Aristoteles 36-37, 43, 260 Assunto, Rosario 262 Augustinus 243-244, 262, 288 Anm.4 Ausonius 12, 288 Anm. 4, 317 Anm. 89 Bentley, Richard 220 Berchorius, Petrus 280 Bernhard von Clairvaux 270 Boccaccio, Giovanni 280 Anm. 99 Borculous, Harmannus 23-24, 27, 33 Anm. 22 Bosch, Hieronymus 266 Anm. 59 Bote, Hermen 38, 246, 252, 254, 290 Anm. 12, 295, 299 Anm. 39, 316 Brueghel d. Ä., Pieter 266 Anm. 59 Bucer, Martin 15 Budaeus, Guglielmus 12 Burckhardt, Jacob 246
Busaei 11 Busiris 220 Capito, C. Ateius 183 Capito, Wolfgang Fabricius 183 Castiglione, Rinuccio da s.u. Rinuccio Catull 14 ' Censorinus, C. 269 Anm. 68 Cervicornus, Eucharius 24 Anm. 6 Chaucer, Geoffrey 200 Christine de Pisan 280 Anm. 99 Cicero 9, 18, 35, 41, 243, 256, 318 Anm. 95 Clairvaux, Bernhard von s.u. Bernhard Conradis, Thielemann 30 Anm. 14 Cosimo, Piero de s.u. Piero Cremensis, Franciscus 7 Cuppifex, Ioannes 8,19-20, 281-282 Dante Alighieri 247 Demokrit 265, 268, 294, 307 Anm. 59, 317-318, 324 Despauterius, Ioannes 12 Diktys 291 Anm. 20 Diogenes 287, 295, 303 Anm. 43, 304-309, 311, 314 Diogenes Laertios 305, 307-308 Domitian 217 Dorp, Martin 319 Ellinger, Georg 46 Epiktet 308 Anm. 66 Erasmus, Desiderius 12-13, 16-18, 19 21, 52, 241-245, 252-253, 255, 260,
2,5,7-10, Anm. 63, 248, 250, 264 Anm.
Personenverzeichnis
55, 266, 270 Anm. 71, 275, 280, 285, 317-322, 325 Erath, Augustinus 257 Anm. 39 Euripides 291 Anm. 20 Eusthatios 236, 294 Anm. 26 Eutrapelus s.u. Volumnius Feyerabend, Sigmund 34,277 Ficino, Marsilio 262 Filarete 281 Fischart, Johann 2, 277, 284285, 290, 297 Franck, Sebastian 244 Anm. 9 Freytag, Friedrich Gotthilf 22, 24-25, 29, 32-33 Fronto, M. Cornelius 183 Geeraedts, Loek 35 Goeddaeus, Conradus 29,30 Anm. 14, 257 Anm. 39, 293 Goethe, Johann Wolfgang 289 Anm. 12 Grüninger, Johannes 314 Haematander, Henricus 6 Hannibal 220 Hauffen, Adolf 285 Hebel, Johann Peter 305 Heraklit 265, 294, 317-318, 324 Herodot 304 Hesiod 7 Hess, Günter 279 Hierokles 295 Hieronymus 215,295 Hillen van Hoochstraten, Michiel 29, 38, 41, 246, 268, 310 Hippokrates 230, 238, 248, 269 Holbein d.J., Hans 270 Anm. 71 Homer 42, 287-288, 290, 292295, 304 Honegger, Peter 32-33,35 Horapollon 194 Horaz 1, 8-9, 18, 20, 37, 41, 43, 255 Anm. 35, 263, 265, 270271, 279-280, 282, 310-311 Anm. 78-79, 315-322 Hutten, Ulrich von 321 Jael, Curtius s.u. Goeddaeus Jakobus 247 Anm. 18, 262 Juvenal 14, 258, 260-261, 269, 316, 318-321
345 Kadlec, Eduard 309 Kruffter, Servais 38 Anm. 35, 186 Labeo, M. Antistius 183 Laberius, D. 237 Laktanz 243 Lappenberg, J.M. 22, 27-35, 38 Lavinius, Petrus 281 Anm. 104 Lessing, Gotthold Ephraim 297 Lilius, Guglielmus 8 Livius Andronicus 293 Lomeierus, Christophorus 25-26 Longolius, Lambertus 19-20 Lucilius 43, 318-319 Ludwig, Walther 315 Lukian 1, 248 Anm. 20, 286, 318 Anm. 92, 321-325 Luther, Martin 245 Macrobius 269 Anm. 68 Macropedius, Georgius 9-10,12, 17 Martial 14, 43 Martini, Adrianus 9 Matthisius, Gerard 6,19 Melanchthon, Philipp 321 Menander 312 Anm. 81 Menippos 316, 321 Mercator, Gerardus 12 Micyllus, Jacobus 281 Anm. 104 Milo von St. Armand 253 Anm. 31 Morillonius, Guido 282 Morus, Thomas 260, 319, 321 Müller, Lucían 46 Murmellius, Ioannes 7-8,12,16, 19-20, 282 Murner, Thomas 15 Mutianus Rufus, Conradus 180 Nauwelaerts, M.A. 5-6,10-11, 13, 17, 21-22 Nemius, Ioannes passim Nero 304 Omma, Giles s.u. Periander Ovid 8, 14, 20, 266, 280-283 Pauli, Johannes 290 Anm. 12, 298 Anm. 38
346 Paulus 243-245, 247, 249, 253, 270, 272 Peerlkamp, Petrus Hofmann 46, 278 Pelegromius, Simon 17-19,23, 26, 278, 319 Peregrinos Proteus 322-324 Periander, Aegidius 2, 29-30, 34, 44, 277, 283-285 Perisaulus, Faustinus 241-242, 264-265, 274 Anm. 84 Petrarca, Francesco 273, 280281 Petronius 304 Phaedrus 43 Phalaris 19, 220, 321, 324 Philagrios 295 Philipp Π. 7 Anm. 12, 274 Philistion 43,295 Philon 238, 244, 254, 270, 280 Anm. 99 Picinello, Philippo 257 Anm. 39 Piero di Cosimo 273 Anm. 82 Pindar 291 Anm. 20 Pisan, Christine de s.u. Christine Plantin, Christoph 12 Planudes, Máximos 296 Platon 243, 255-256, 262, 288 Plautus 258-259, 311 Anm. 79, 312-314 Plinius d.J. 12 Politianus, Angelus 12 Prodikos 239 Prudenz 13,273 Pythagoras 269 Quintilian 12, 43 Rabelais, François 321 Anm. 99 Regius, Raphael 281 Reiske, Johann Jacob 297 Reuchlin, Johannes 321 Rhinthon 43 Anm. 43 Rinuccio da Castiglione 296 Rosenfeld, Hellmut 271
Personenverzeichnis
Sachs, Hans 276 Sallust 249 Scheid, Kaspar 246 Schenckelius, Dominicus 10-11, 17, 260 Anm. 44 Schindelius, Christianus 15,17, 23, 25-26, 31, 256, 263 Schmid, Wilhelm 42 Schnur, Harry C. 285 Schroeter, Adalbert 46 Schwartz, Eduard 305, 307-308 Seneca d.J. 43, 243 Seznec, Jean 280 Sokrates 179, 223, 255-256, 258 Solon 230, 238, 269 Sophokles 292 Steinhöwel, Heinrich 296, 298303 Stesichoros 196 Tarquinius Superbus 203 Terenz 45, 258-259, 260 Anm. 44, 314-315 Theognis 294 Tiberius 272 Anm. 80 Titus 197 Toscanus, Johannes Matthaeus 277 Traube, Ludwig 280 Valerianio, Pierio 257 Anm. 39 van Hoochstraten, Michiel Hillen van s.u. Hillen Varrò, M. Terentius 43, 316 Verepaeus, Simon 11 Vergil 7-8, 14, 20, 279, 282, 291 Anm. 20 Vespasian 197 Virmond, Wolfgang 284-285 Vives, Juan Luis 244 Anm. 11 Vladeraccus, Christophorus 10, 13, 17 Volumnius Eutrapelus, P. 41 Anm. 39 Zeiner, Johannes 296