Der gewöhnliche Aufenthalt im internationalen Privatrecht 3161462610, 9783161603105, 9783161462610

Der Anküpfungsbegriff "gewöhnlicher Aufenthalt" ist in den letzten Jahren zunehmend in den Vordergrund getrete

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German Pages 182 [184] Year 1994

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Table of contents :
Titel
Vorwort
Inhalt
Einleitung
§ 1 Geschichtliche Entwicklung
I. Anfänge
II. Die frühen Haager Konventionen
III. Die Zeit zwischen den Weltkriegen
1. Die VI. Haager Konferenz von 1928
2. Bilaterale Abkommen
IV. Der gewöhnliche Aufenthalt im nationalsozialistischen IPR
1. Personalstatut der Staatenlosen (Art. 29 EGBGB a. F.)
2. Nationalsozialistische Rassegesetzgebung
V. Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg
1. Deutsches IPR
2. Haager Konferenz
a) Renvoi-Konvention
b) Internationales Kindschaftsrecht
c) Internationales Unterhaltsrecht
d) Internationales Erbrecht
VI. IPR-Neuregelungsgesetz von 1986
§ 2 Inhaltliche Grundlagen
A. Gesetzliche Umschreibungen
I. Bemühungen auf internationaler Ebene
1. Europarat
2. Haager Konferenz
a) Vorarbeiten zum Adoptionsabkommen von 1965
b) Vorarbeiten zur Erbrechtskonvention von 1989
II. Legaldefinitionen im nationalen Recht
1. Schweizerisches und ungarisches IPR
a) Schweizer IPR
b) Ungarisches IPR
2. Deutsches Steuerrecht und Sozialrecht
a) Steuerrechtliche Begriffsbestimmung
b) Sozialrechtliche Begriffsbestimmung
c) Übernahme des steuerrechtlichen und sozialrechtlichen Begriffsverständnisses in das IPR?
B. Umschreibungen in Literatur und Rechtsprechung
I. Deutschland
1. An die zeitliche Länge des Aufenthalts anknüpfende Umschreibungen
2. Auf die tatsächlichen Bindungen der Anknüpfungsperson abstellende Umschreibungen
3. Die Eingliederung in das soziale Umfeld hervorhebende Umschreibungen
II. Ausländische Rechtsordnungen
1. Österreich
2. Schweiz
3. Frankreich
4. England
5. De Winters Konzept eines „Sozialen Wohnsitzes“
a) Inhalt
b) Würdigung
III. Fazit
C. Beurteilung des neueren Begriffsverständnisses
I. Aussagen in den Gesetzesmaterialien
1. Deutscher IPR-Gesetzgeber
2. Haager Konferenz
3. Zusammenfassung
II. Maßgeblicher Zweck der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt
1. Prinzip der engsten Verbindung
2. Rückwirkungen auf die Auslegung des gewöhnlichen Aufenthalts
3. Ergebnis
III. Die Grundsätze der Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit
1. Grundsatz der Rechtssicherheit
2. Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit
IV. Ergebnis
§ 3 Differenzierendes Begriffsverständnis
I. Gegenwärtiger Meinungsstand
1. Differenzierung nach verschiedenen Bereichen des IPR (Neuhaus, Kropholler, de Winter, Brandenberg Brandl)
2. Differenzierung zwischen punktuellen Rechtsakten und Dauerrechtsverhältnissen (Schwind)
3. Zweifache Differenzierung nach der Natur des betroffenen Rechtsverhältnisses (van Rooij)
4. Differenzierung zwischen gesetzlicher und parteiautonomer Anknüpfung (Veit Stoll)
5. Ansätze zu einem differenzierenden Begriffsverständnis in der Rechtsprechung
6. Zusammenfassung
II. Kritische Würdigung und eigener Lösungsvorschlag
1. Kritische Würdigung der bisherigen Ansätze in der Literatur
2. Eigener Lösungsvorschlag: Dreistufige Differenzierung
a) Die drei Stufen der Differenzierung
b) Einzelheiten
§ 4 Struktur und Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts
A. Begriffliche Struktur des gewöhnlichen Aufenthalts
I. Kategorisierung als Tatsachen- oder Rechtsbegriff
1. Standpunkt der Haager Konferenz
2. Nationale Rechtsordnungen
3. Stellungnahme
II. Unbestimmtheit (Vagheit)
III. Ergebnis
B. Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts
I. Konkretisierung des Begriffs mittels Indizien
1. Aufenthaltsdauer
a) Zeitbestimmung
b) Vorübergehende Unterbrechungen
2. Familiäre Bindungen
3. Berufliche Bindungen
4. Schul- und Berufsausbildung
5. Sprachkenntnisse
6. Wohnung
II. Ungeeignete Indizien
1. Polizeiliche Anmeldung
2. Staatsangehörigkeit
3. Schlichter Aufenthalt
4. Anrufung der Gerichte im Aufenthaltsstaat
§ 5 Bedeutung des Willens
I. Freiwillige und erzwungene Aufenthaltsnahme
1. Zwangsaufenthalte
a) Meinungsstand im deutschen Kollisionsrecht
b) Meinungsstand in ausländischen Kollisionsrechten
c) Zwischenergebnis
d) Lösungsvorschlag
2. Der gewöhnliche Aufenthalt bei Beschränkungen der Reisefreiheit
II. Absicht dauernden Verbleibens (animus manendi)
1. Rechtsgeschäftlicher Niederlassungswille?
2. Natürlicher Bleibewille
a) Keine notwendige Voraussetzung
b) Erheblichkeit
c) Einfluß fremdenrechtlicher Bestimmungen
III. Innere Gewöhnung
§ 6 Mehrfacher und fehlender gewöhnlicher Aufenthalt
I. Mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt
1. Übersicht über den Meinungsstand
2. Lösung
a) Mögliche Parallele zum Wohnsitzbegriff
b) Mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt und Lebensmittelpunkt
II. Fehlender gewöhnlicher Aufenthalt
1. Rechtslage
2. Beispiele aus der Praxis
§ 7 Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Der gewöhnliche Aufenthalt im internationalen Privatrecht
 3161462610, 9783161603105, 9783161462610

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Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 56 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Professor Dr. Ulrich Drobing, Professor Dr. Hein Kötz und Professor Dr. Dr. h. c. Emst-Joachim Mestmäcker

Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht von

Dietmar Baetge

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheilsaufnahme Baetge, Dietmar: Der gewöhnliche Aufenthalt im internationalen Privatrecht/ von Dietmar Baetge. -Tübingen : Mohr, 1994 (Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht ; 56) ISBN 3-16-146261-0 / eISBN 978-3-16-160310-5 unveränderte eBook-Ausgabe 2022 NE:GT

© 1994 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro­ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Bembo gesetzt, auf alterungsbeständi­ ges Werkdruckpapier der Papierfabrik Gebr. Buhl in Ettlingen gedruckt und von der Groß­ buchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0340-6709

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit hat im Sommer 1993 dem Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg als Dissertation vorgelegen. Für die Veröffentlichung konnte bis Ende März 1994 erschienene Literatur und Rechtsprechung nachge­ tragen werden. Herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Jan Kropholler, für den ich mehrere Jahre als Assistent tätig sein durfte. Herr Kropholler hat nicht nur die Beschäftigung mit dem Thema der Arbeit angeregt, sondern auch deren Entstehung in hervorragender Weise betreut. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Dr. Paul Heinrich Neuhaus für wertvolle Hinweise und Anregungen. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Prof. Dr. Hein Kötz für die Erstattung des Zweitgutachtens. Mein Dank gilt außerdem den drei Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht für die Aufnahme der Arbeit in die „Beiträge“. Schließlich danke ich dem Institut für Begabtenförderung der Kon­ rad-Adenauer-Stiftung e. V. für die Förderung, die ich als Student und Dokto­ rand erhalten habe. Hamburg, im April 1994

Dietmar Baetge

Inhalt

§1

Vorwort..................................................................................................

VII

Einleitung...............................................................................................

1

Geschichtliche Entwicklung...............................................................

3

I.

Anfänge...............................................................................

3

II.

Die frühen Haager Konventionen.........................................

5

1. 2.

Die Zeit zwischen den Weltkriegen..................................... Die VI. Haager Konferenz von 1928 .................... Bilaterale Abkommen..........................................

8 8 10

1. 2.

Der gewöhnliche Aufenthalt im nationalsozialistischen IPR .... Personalstatut der Staatenlosen (Art. 29 EGBGB a. F.). Nationalsozialistische Rassegesetzgebung........... 13

III.

IV.

Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg............................. Deutsches IPR....................................................... Haager Konferenz................................................. Renvoi-Konvention.............................................................. Internationales Kindschaftsrecht....................................... Internationales Unterhaltsrecht........................................... Internationales Erbrecht.......................................................

15 16 18 18 19 22 24

IPR-Neuregelungsgesetz von 1986 .....................................

26

Inhaltliche Grundlagen..........................................................................

28

Gesetzliche Umschreibungen.........................................................

28

Bemühungen auf internationaler Ebene................................ Europarat............................................................. Haager Konferenz................................................. a) Vorarbeiten zum Adoptionsabkommen von 1965 .............. b) Vorarbeiten zur Erbrechtskonvention von 1989 .................

28 29 33 33 34

V. 1. 2.

a) b) c) d)

VI. §2

A. I.

1. 2.

II.

1. a) b) 2.

a) b) c)

Legaldefinitionen im nationalen Recht................................ Schweizerisches und ungarisches IPR..................... Schweizer IPR....................................................................... Ungarisches IPR................................................................ Deutsches Steuerrecht und Sozialrecht................. Steuerrechtliche Begriffsbestimmung................................. Sozialrechtliche Begriffsbestimmung................................. Übernahme des steuerrechtlichen und sozialrechtlichen Be­ griffsverständnisses in das IPR?........................................

37 37 37 38 39 39 40

11

11

B.

Umschreibungen in Literatur und Rechtsprechung......................

44

I.

Deutschland.................................................................................. 1. An die zeitliche Länge des Aufenthalts anknüpfende Umschrei­ bungen ..................................................................................... 2. Auf die tatsächlichen Bindungen der Anknüpfungsperson ab­ stellende Umschreibungen..................................................... 3. Die Eingliederung in das soziale Umfeld hervorhebende Um­ schreibungen ...........................................................................

44

47

51

Ausländische Rechtsordnungen...................................................... 1. Österreich.................................................................................. 2. Schweiz...................................................................................... 3. Frankreich.................................................................................. 4. England..................................................................................... 5. De Winters Konzept eines „Sozialen Wohnsitzes“...................... a) Inhalt................................................................................. b) Würdigung.......................................................................

55 55 58 62 66 70 71 72

III. Fazit...............................................................................................

73

C. Beurteilung des neueren Begriffs Verständnisses.............................

74

Aussagen in den Gesetzesmaterialien.................................. Deutscher IPR-Gesetzgeber................................. Haager Konferenz................................................ Zusammenfassung.................................................

74 74 75 76

II.

I.

1. 2. 3. II.

Maßgeblicher Zweck der Anknüpfung an den gewöhnlichen Auf­ enthalt ................................................................................... 76 1. Prinzip der engsten Verbindung.............................. 77 2. Rückwirkungen auf die Auslegung des gewöhnlichen Aufent­ halts ........................................................................................ 79 3. Ergebnis................................................................................... 81

III. 1. 2.

Die Grundsätze der Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit .81 Grundsatz der Rechtssicherheit.............................. 82 Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit.................... 84 Ergebnis..............................................................................

85

Differenzierendes Begriffsverständnis..............................................

86

IV. §3

44

I.

Gegenwärtiger Meinungsstand............................................ 86 Differenzierung nach verschiedenen Bereichen des IPR (Neu­ haus, Kropholler, de Winter, Brandenberg Brandl) ............... 87 2. Differenzierung zwischen punktuellen Rechtsakten und Dauer­ rechtsverhältnissen (Schwind)............................................... 89 3. Zweifache Differenzierung nach der Natur des betroffenen Rechtsverhältnisses (van Rooij).............................................. 92 4. Differenzierung zwischen gesetzlicher und parteiautonomer Anknüpfung (Veit Stoll)........................................................ 93

1.

Ansätze zu einem differenzierenden Begriffs Verständnis in der Rechtsprechung ..................................................................... 6. Zusammenfassung.................................................

5.

II.

1. 2.

§4

Kritische Würdigung und eigener Lösungsvorschlag.......... 96 Kritische Würdigung der bisherigen Ansätze in der Literatur . . Eigener Lösungsvorschlag: Dreistufige Differenzierung .... a) Die drei Stufen der Differenzierung.................................... 98 b) Einzelheiten.......................................................................... 98

Struktur und Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts ..............

102

A. Begriffliche Struktur des gewöhnlichen Aufenthalts.......................

102

Kategorisierung als Tatsachen-oder Rechtsbegriff................ Standpunkt der Haager Konferenz........................ Nationale Rechtsordnungen................................. Stellungnahme.......................................................

102 102 103 105

II.

Unbestimmtheit (Vagheit)...................................................

106

III.

Ergebnis..............................................................................

107

B.

Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts

107

I.

1. 2. 3.

Konkretisierung des Begriffs mittels Indizien....................... Aufenthaltsdauer.................................................... a) Zeitbestimmung................................................................. b) Vorübergehende Unterbrechungen.................................... 2. Familiäre Bindungen.............................................. 3. Berufliche Bindungen.......................................... 4. Schul-und Berufsausbildung................................. 5. Sprachkenntnisse.................................................... 6. Wohnung.............................................................

107 108 109 112 113 114 116 117 117

Ungeeignete Indizien............................................................ Polizeiliche Anmeldung....................................... Staatsangehörigkeit.............................................. Schlichter Aufenthalt.............................................. Anrufung der Gerichte im Aufenthaltsstaat...........

118 118 119 120 120

Bedeutung des Willens............................................................................

121

I.

1.

II.

1. 2. 3. 4. §5

94 96

Freiwillige und erzwungene Aufenthaltsnahme............................. 1. Zwangsaufenthalte................................................. a) Meinungsstand im deutschen Kollisionsrecht.................... b) Meinungsstand in ausländischen Kollisionsrechten.......... c) Zwischenergebnis................................................................. d) Lösungsvorschlag................................................................ 2. Der gewöhnliche Aufenthalt bei Beschränkungen der Reisefrei­ heit ...........................................................................................

121 122 122 123 125 126

97 98

Absicht dauernden Verbleibens (animusmanendi)................ Rechtsgeschäftlicher Niederlassungswille?........... Natürlicher Bleibewille.......................................... a) Keine notwendige Voraussetzung....................................... b) Erheblichkeit...................................................................... c) Einfluß fremdenrechtlicher Bestimmungen........................

130 130 132 132 133 134

Innere Gewöhnung..............................................................

135

Mehrfacher und fehlender gewöhnlicher Aufenthalt....................

137

II. 1. 2.

III. §6

I.

1. 2.

Fehlender gewöhnlicher Aufenthalt...................................... Rechtslage............................................................. Beispiele aus der Praxis..........................................

142 143 143

Ergebnisse................................................................................................

148

Literaturverzeichnis...............................................................................

153

Sachregister............................................................................................

169

II. 1. 2. §7

Mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt................................... 137 Übersicht über den Meinungsstand....................... 137 Lösung................................................................... 140 a) Mögliche Parallele zum Wohnsitzbegriff.............................. 140 b) Mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt und Lebensmittel­ punkt ................................................................................ 141

Einleitung Der gewöhnliche Aufenthalt ist neben der Staatsangehörigkeit der zentrale Anknüpfungsbegriff im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Im Ge­ gensatz zu seiner großen praktischen Bedeutung steht die eher stiefmütterliche Behandlung, die der gewöhnliche Aufenthalt bislang in der Wissenschaft erfah­ ren hat. So gilt die Feststellung von Maack aus dem Jahre 1954, wonach „der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Bereich des IPR nicht wirklich wissen­ schaftlich durchgearbeitet und geklärt“ sei1, mit gewissen Einschränkungen auch heute noch. Mitursächlich hierfür ist die Tatsache, daß man insbesondere von Seiten der Haager Konferenz für IPR, auf der die Aufenthaltsanknüpfung zwar nicht entdeckt worden ist, von der aber die entscheidenden Impulse zu deren Entwicklung und heutiger Bedeutung ausgingen, einer Konkretisierung oder gar Definition des gewöhnlichen Aufenthalts von Anfang an betont kri­ tisch gegenüberstand2. Dahinter stand vor allem die Furcht vor einer „begriffli­ chen Erstarrung“ des Aufenthaltskonzepts, einer Erstarrung, wie man sie bereits von der überkommenen Anknüpfung an den Wohnsitz kannte3. So verständlich diese Befürchtung auch erscheinen mag, so darf sie doch nicht dazu führen, die Bestimmung von Inhalt und Voraussetzungen des gewöhnlichen Aufenthalts, allein auf „die Weisheit der Gerichte“ bauend, im Einzelfall dem Belieben des jeweiligen Rechtsanwenders zu überantworten4. Nicht nur, daß die Rechtssi­ cherheit dabei auf der Strecke bliebe und die Gerichte in vielen Fällen ohne Hilfestellung der Wissenschaft überfordert wären. Auch das Ziel eines interna­ tional möglichst einheitlichen Verständnisses des Ausdrucks „gewöhnlicher Aufenthalt“ wäre ohne die Aufstellung allgemeiner Leitlinien und übergreifen­ der Prinzipien wohl kaum zu realisieren. Eine Präzisierung der begrifflichen Erfordernisse des gewöhnlichen Aufenthalts muß dabei nicht notwendigerweise auf Kosten der Geschmeidigkeit des Anknüpfungsmoments gehen. Im Gegen­ 1 Maack 139. 2 Zur Haltung der Haager Konferenz vgl. zusammenfassend van Hoogstraten, Rec. des Cours 122 (1967-III) 359 ff. 3 Der Terminus „ Wohnsitz*' wird hier übergreifend sowohl für das deutsche Wort und die verwandten kontinentaleuropäischen Begriffe als auch für den stärker abweichenden engli­ schen und amerikanischen Ausdruck „domicile" bzw. „domicil" verwendet. Mit dem Fremd­ wort „Domizir wird dagegen die Anknüpfung an den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt bezeichnet. 4 So aber van Hoogstraten (vorletzte Note) 365; ähnlich auch J. Schröder 144: „Die Rechtsprechung bedient sich [des gewöhnlichen Aufenthalts] mit gesundem Menschenver­ stand, entscheidet von Fall zu Fall und ist folglich über einige vage Formeln nicht hinausgedie­ hen. Hier kann das nicht bedauert werden [...]. “

teil erlaubt erst die nähere Kenntnis der Umstände, die den gewöhnlichen Aufenthalt begründen, den Begriff wirklich zu beherrschen und mit der gebote­ nen Flexibilität zu handhaben. Die Arbeit will einen Beitrag dazu leisten. Die Arbeit geht von der derzeit geltenden Rechtslage aus. Nicht erneut behandelt wird die rechtspolitische Frage nach dem Für und Wider von Staatsan­ gehörigkeitsprinzip5 und Domizilprinzip6. Zu diesem Problem, das die Wissen­ schaft seit über 100 Jahren beschäftigt, liegen bereits zahllose Veröffentlichungen vor7. Die Diskussion zu diesem Thema dreht sich seit Jahrzehnten im Kreis. Die Argumente pro und contra sind ausgetauscht. Die Problematik konnte hier daher guten Gewissens beiseite gelassen werden.

5 Zur Entwicklung des Staatsangehörigkeitsprinzips siehe etwa KORKISCH, FS Dölle II87 ff.; Mansel, Personalstatut Rz. 4 ff. 6 Zur Entwicklung des Domizilprinzips vgl. zusammenfassend B. Schneider no. 1 ff; von STEIGER 3 ff; aus dem älteren Schrifttum siehe Savigny 95 ff; Endemann 168 f.; vgl. außerdem Reichelt, Gesamtstatut 20 ff. 7 Siehe etwa Arminjon II29 ff.; Braga 25 ff.; Ficker, FS Nipperdey 1300 ff; Frankenstein, IPR I 38ff; ders., Projet 9ff.; von Schilling, RabelsZ 5 (1931) 636ff; aus neuerer Zeit vgl. etwa Basedow/Diehl-Leistner, Nation und Staat 15 ff.; Dölle 61 f.; Grasmann, FS Neumay­ er 253 ff; D. Mayer, Clunet 104 (1977) 451 ff.; Jayme, IPRax 1983, 221 f.; Kegel, FS Schwind 151 f; Otto, St AZ 1984, 30 ff.; Vander Elst, Rev. beige dr. int. 26 (1991) 402 ff; zum Einfluß des EG-Rechts siehe Drobnig, RabelsZ 34 (1970) 642 ff; Fischer, EG-Recht und IPR 157 ff.; Roth, RabelsZ 55 (1991) 643 ff

§ 1 Geschichtliche Entwicklung Die Anfänge des Aufenthaltsgrundsatzes reichen bis in das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts zurück, in eine Zeit also, als gerade das Staatsangehörigkeits­ prinzip sich über Europa ausbreitete. Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt fand dabei zunächst allein im Prozeßrecht Verwendung (I). Erst später gelangte sie, vornehmlich unter dem Einfluß der frühen Haager Konven­ tionen (II) und der politischenVeränderungen infolge des ersten Weltkriegs (III), auch in andere Bereiche des Kollisionsrechts. Einer gesonderten Betrachtung bedarf der Aufenthaltsgrundsatz in der Zeit des Nationalsozialismus (IV), bevor über die Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg (V) mit dem IPR-Neuregelungsgesetz von 1986 (VI) der Anschluß an die Gegenwart hergestellt wird.

I. Anfänge 1. Die älteste wörtliche Verwendung des Ausdrucks „gewöhnlicher Aufenthalt“ findet sich, wie Neuhaus zu Recht vermutet1, in § 211 der Allgemeinen bürgerli­ chen Prozeßordnung von Hannover vom 4.12. 18472. Danach wird der allgemeine Gerichtsstand „durch den Wohnsitz oder durch den gewöhnlichen Aufenthalts­ ort des Beklagten begründet“. In den ständischen Motiven wird dazu erläuternd bemerkt3, daß der Aufenthaltsort dem Wohnort völlig gleichgestellt worden sei, „um den Kläger des oft mühsamen Beweises, daß und wo der Beklagte sein Domicil habe, zu entheben. “ Nicht im Wortlaut, jedoch der Sache nach begegnet der Begriff noch früher in Sachsen. Dort waren gemäß § 55 des Gesetzes vorn 28. 1. 1835 in Ehesachen die Gerichte des Bezirks zuständig, in dem der Ehemann seinen „ordentlichen Gerichtsstand“ hatte4. Mit dem „ordentlichen Gerichtsstand“ des Ehemannes war nun, wie eine Äußerung Lengnicks aus dem zeitgenössischen Schrifttum verrät5, „nicht das eigentliche Domicil in dem rechtlichen Sinne des Wortes, als vielmehr der jedesmalige Aufenthaltsort, forum actualis habitationis'1, gemeint. Dieses „forum 1 Neuhaus 225 N. 616. 2 An die Stelle der Zivilprozeßordnung von 1847 trat bereits am 8.11. 1850 eine neue Zivilprozeßordnung, deren § 5 I 1 indes wörtlich mit dem hier zitierten § 211 der Zivilprozeß­ ordnung von 1847 übereinstimmte. 3 Zitiert bei Leonhardt 26 N. 1. 4 Vgl. Lengnick 24. 5 Lengnick 25.

actualis habitationis" befand sich an dem Ort, „woselbst der Ehemann nicht blos zufällig und momentan, sondern mit der Absicht, auf längere Zeit und bis auf etwa veränderte Verhältnisse [...] verweilt“6. Damit kam es inhaltlich der modernen Anknüpfung im Internationalen Zivilverfahrensrecht an den ge­ wöhnlichen Aufenthalt sehr nahe. Daß sich hinter dem Begriff des „forum actualis habitationis“ tatsächlich der gewöhnliche Aufenthaltsort und nicht etwa bloß der schlichte Aufenthaltsort verbarg7, macht der Hinweis Lengnicks auf die dafür erforderliche, nicht zu geringe zeitliche Länge des Aufenthalts deutlich. Der Zuständigkeitsgrund des gewöhnlichen Aufenthalts war somit in Sachsen schon im Jahre 1835 bekannt. Auf den Aufenthaltsort wird auch in anderen Zivilprozeßordnungen abgestellt, die zeitlich unmittelbar der hannoverschen folgten. Anders als in Hannover bestand, jedenfalls nach einigen dieser Gesetze, aber noch ein Vorrang der Wohnsitz- gegenüber der Aufenthaltszuständigkeit. So wurde etwa gemäß Art. 12 I der Bayerischen Prozeßordnung in bürgerli­ chen Rechtsstreitigkeiten vom 29. 4. 1869 der allgemeine Gerichtsstand grund­ sätzlich durch den Wohnsitz des Beklagten begründet. Nur für Personen, die keinen Wohnsitz im Inland hatten, trat nach der Regelung des Absatzes 2 der „Aufenthalt“ an die Stelle des Wohnsitzes8. Gewisse Schwierigkeiten bereitet die zwischen den Prozeßordnungen wech­ selnde Terminologie. Während einmal, so namentlich in der hannoverschen Zivilprozeßordnung, vom „gewöhnlichen Aufenthaltsort“ die Rede ist, wird ein ander Mal, wie in der bayerischen, lediglich auf den „Aufenthalt“ und in der badischen oder in Sachsen auf den „Aufenthaltsort“ abgestellt. Vieles spricht indes dafür, daß die verschiedenen Bezeichnungen eher dem Zufall entspringen und nicht auf inhaltliche Unterschiede hinweisen. Der Sache nach scheint man nach unserer heutigen Terminologie darunter immer den gewöhnlichen Aufent­ halt verstanden zu haben9. 2. Die früheste Verwendung des Begriffs gewöhnlicher Aufenthalt in kolli­ sionsrechtlichen Staatsverträgen erfolgte wohl in mehreren bilateralen Abkommen des Deutschen Reichs mit verschiedenen europäischen Staaten über die Zulas­ sung der beiderseitigen Staatsangehörigen zum Armenrecht. Nach diesen zweiseitigen Abkommen hatte die Bewilligung von Armenrecht 6 Lengnick 25. 7 Zur Unterscheidung zwischen gewöhnlichem Aufenthalt und (schlichtem) Aufenthalt siehe unten § 2 B 11 c). 8 Dagegen stand in der bürgerlichen Prozeßordnung Badens von 1864 die Aufenthaltszu­ ständigkeit, wie in Hannover, auf einer Stufe mit der Wohnsitzzuständigkeit. Nur die Rege­ lungstechnik war abweichend. So bestimmte sich zwar auch in Baden der allgemeine Gerichts­ stand des Beklagten im Grundsatz nach dem Wohnsitz des Beklagten (Art. 18 II der badischen Prozeßordnung). Doch war nach der Bestimmung des Art. 25 der „Aufenthaltsort“ dem Wohnsitz gleichgestellt, wenn, so wörtlich, „jemand seinen Aufenthalt außerhalb seines Wohnsitzes verlegt“. 9 Darauf deutet, neben der bereits zitierten Bemerkung Lengnicks (oben N. 5), auch die Äußerung von Osterloh 1195, hin.

zwischen den Vertragsstaaten nach dem Grundsatz der Inländergleichbehand­ lung zu erfolgen. So heißt es etwa in der entsprechenden deutsch-belgischen Übereinkunft vom 18. 10. 1878 10, daß „Deutsche in Belgien und Belgier in Deutschland unter denselben Bedingungen und gesetzlichen Voraussetzungen zum Armenrechte zugelassen werden, wie die Angehörigen des betreffenden Landes, in welchem der Prozeß anhängig ist“. Für die geschichtlichen Wurzeln des Aufenthaltskonzepts ist vor allem die Regelung über die Erteilung des Armutszeugnisses von Bedeutung. Danach war „das Armutszeugnis dem Ausländer, welcher zum Armenrechte zugelas­ sen werden will, in allen Fällen von der Behörde seines gewöhnlichen Aufent­ haltsortes auszustellen“10 11. Gleichlautende Bestimmungen enthielten jeweils in Art. 2 auch die Vereinbarung Deutschlands mit Frankreich vom 20. 2. 188012 13 und die Übereinkunft mit Österreich-Ungarn vom 9. 5. 1886 13. Der histori­ sche Wert dieser Vorschriften, über deren Anwendung und Interpretation in der Rechtspraxis selber nichts bekannt ist, liegt in erster Linie darin, daß sich wenig später die Haager Konferenz bei der Regelung desselben Problems an ihnen orientierte.

II. Die frühen Haager Konventionen Den wichtigsten Beitrag zur Entwicklung des Aufenthaltskonzepts hat zwei­ fellos die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht geleistet, auch wenn ihre frühen Konventionen noch ganz im Zeichen des Staatsangehörigkeitsprin­ zips stehen. 1. Die Haager Konferenz verwendete den Ausdruck „gewöhnlicher Aufent­ halt“ erstmalig unmittelbar nach ihrer Gründung im Jahre 1893 in dem Zivil­ prozeßübereinkommen von 189614, der ersten Haager Konvention überhaupt. Art. 15 I des Übereinkommens, der die Beibringung des Armutszeugnisses regelt, bestimmt im allein authentischen französischen Wortlaut, daß „dans tous les cas, le certificat ou la declaration d’indigence doit etre delivre ou reu 10 RGBl. 1879, 316; der zitierte Passus findet sich im zweiten Absatz der nicht nach Arti­ keln geordneten Übereinkunft. 11 Im gleichfalls offiziellen französischen Wortlaut lautet die Stelle, die sich im dritten Absatz des Abkommenstextes findet: „Dans tous les cas, le certificat d’indigence devra etre delivre ä l’etranger qui demande l'assistance par les autorites de sa residence habituelle“ (Hervor­ hebungen hinzugefügt). 12 RGBl. 1881, 81. Die Annahme van Hoogstratens, Rec. des Cours 122 (1967-III) 359, der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts sei in der deutsch-französischen Übereinkunft zum ersten Mal verwendet worden, ist nicht ganz korrekt, da die erwähnte deutsch-belgische Vereinbarung noch etwas, wenn auch nur zwei Jahre, älter ist. 13 RGBl. 1887, 120. 14 Abkommen zur Regelung von Fragen des internationalen Privatrechts vom 14. 11. 1896, RGBl. 1899, 285. Entgegen des insofern irreführenden Titels regelte die Konvention - wie die übliche Kurzbezeichnung zutreffend zum Ausdruck bringt - allein prozessuale Fragen.

par les autorites de la residence habituelle de l’etranger, ou, ä defaut de celle-ci, par les autorites de sa residence actuelle". Schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, daß die oben erwähnten zweiseiti­ gen Abkommen des Deutschen Reichs über die Gewährung von Armenrecht als Vorbild für diese Regelung gedient haben. Eine Neuerung des Haager Zivilpro­ zeßübereinkommens gegenüber diesen etwas älteren bilateralen Übereinkünften besteht in der Zurverfügungstellung einer Ersatzzuständigkeit an der „residence actuelle“ (in der nichtamtlichen deutschen Übersetzung: „am derzeitigen Auf­ enthaltsort“) für den Fall, daß der Betroffene über keinen gewöhnlichen Aufent­ haltsort verfügt. Zu der Frage, was die Haager Konferenz dazu bewogen hat, den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in das Übereinkommen aufzunehmen, kann den Konventionsmaterialien nur wenig entnommen werden. Man erfährt ledig­ lich15, daß sie meinte, es sei „einfacher und praktischer“, wenn in jedem Fall die Behörde am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen zuständig sei. Damit klingt bereits in diesem frühen Stadium der Entwicklung des Aufenthaltsgrund­ satzes ein Argument an, daß auch später immer wieder zu seinen Gunsten gegen den Staatsangehörigkeits- und den Wohnsitzgrundsatz ins Feld geführt werden sollte, nämlich das der größeren Einfachheit und Praktikabilität. 2. Der gewöhnliche Aufenthalt begegnet erneut im Vormundschaftsabkommen von 190216 und im Entmündigungsabkommen aus dem Jahre 190517, zwei der fünf Familienrechtsabkommen aus der Blütezeit der Konferenz unmittelbar nach der J ahrhundertwende18. Die Bedeutung der beiden Konventionen besteht darin, daß in ihnen erstmalig in der Geschichte des Aufenthaltskonzepts neben der internationalen Zuständig­ keit auch das anwendbare Recht durch den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen bestimmt wird. Aus diesem Grunde erscheint es nicht unange­ bracht, die beiden Abkommen als die eigentliche Geburtsstunde des Anknüp­ fungspunkts „gewöhnlicher Aufenthalt“ zu betrachten. Im Mittelpunkt beider Konventionen steht freilich noch die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit. So stellt Art. 1 des Vormundschaftsabkommens den Grundsatz auf, daß die Vormundschaft über einen Minderjährigen durch das Gesetz seines Heimat­ staats geregelt wird. Dies gilt sowohl von der Zuständigkeit der Behörden, der ihnen obliegenden Aufsicht und den Formen des Verfahrens als auch von der Führung der Vormundschaft, den Verpflichtungen des Vormundes und allen sonstigen Fragen, für deren gesetzliche Regelung das Interesse des Mündels 15 Vgl. Actes 2 (1894) 108. 16 Abkommen zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige vom 12. 6. 1902, RGBl. 1904, 240. 17 Abkommen über die Entmündigung und gleichartige Fürsorgemaßregeln vom 17. 7. 1905, RGBl. 1912, 463. 18 Bei den drei anderen Familienrechtsabkommen handelt es sich um die Abkommen über Eheschließung und Ehescheidung, beide vom 12. 6. 1902, RGBl. 1904, 221 und 231, sowie um das Ehewirkungsabkommen vom 17. 7. 1905, RGBl. 1912, 453.

entscheidend ist. Dahinter steht die Rechtsanschauung, daß der Staat die Pflicht und das Recht zur Fürsorge für seine minderjährigen Angehörigen auch dann behält, wenn sie sich im Ausland aufhalten19. Greift der Heimatstaat dagegen nicht ein, so soll gemäß Art. 3 in dem Staate, in welchem das Mündel seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, die Vormundschaft nach den dort geltenden Gesetzen angeordnet werden20. Jedoch bleiben die Behörden des Heimatstaats befugt, die Fürsorge zu übernehmen. Der Staatsangehörigkeitsgrundsatz dominiert auch im Entmündigungsab­ kommen. So kann die Entmündigung grundsätzlich nur nach dem Recht und durch die Behörden des Staates ausgesprochen werden, dem der zu Entmündi­ gende angehört (Art. 1,2). Erst wenn die Heimatbehörden auf eine entsprechen­ de Anfrage kundtun, daß sie nicht einschreiten wollen, oder sich nicht innerhalb von sechs Monaten rühren, dürfen die Behörden am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen über die Entmündigung befinden (Art. 6). Eine Entmündigung, die von den Behörden des gewöhnlichen Aufenthalts ausgesprochen wurde, kann jedoch von den Heimatbehörden gemäß Art. 111 jederzeit wieder aufgeho­ ben werden. Auffällig ist, daß sowohl das Vormundschaftsabkommen als auch das Ent­ mündigungsabkommen an keiner Stelle den Anknüpfungspunkt des Wohnsit­ zes verwenden. Dieses Vorgehen wird von den Schöpfern der beiden Konven­ tionen zum einen damit begründet21, daß der Wohnsitzbegriff in den nationalen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich verstanden werde. Zum anderen erschien er der Konferenz auch deshalb ungeeignet, weil Minderjährige nach dem Recht der Mitgliedstaaten in der Regel keinen selbständigen, sondern nur einen abge­ leiteten Wohnsitz haben. Um diesen Schwierigkeiten des Wohnsitzbegriffs zu entgehen, habe man den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts vorgezogen. 3. Insgesamt ist festzustellen, daß die frühen Haager Konventionen noch fast uneingeschränkt dem Staatsangehörigkeitsprinzip folgen. Soweit sie sich bereits des neuen Anknüpfungsbegriffs gewöhnlicher Aufenthalt bedienen, kommt diesem nur eine untergeordnete Bedeutung zu. In diesem engen Rahmen wird der Begriff in erster Linie in solchen Zusammenhängen verwendet, die durch ein erhöhtes Schutz- und Fürsorgebedürfnis gekennzeichnet sind, so namentlich im Armenrecht und in Vormundschafts- und Entmündigungssachen.

19 Siehe dazu die Erläuterungen in der vom deutschen Reichskanzler dem Reichstag unter­ breiteten Denkschrift, NiemZ 14 (1904) 540 f. 20 Von Overbeck, N. I. L.R. 40 (1993) 97f, vermutet, daß Art. 3 in vielen Fällen angewen­ det wurde, da die Organisation der Vormundschaft nach dem Recht der Staatsangehörigkeit des Minderjährigen im Ausland keine besonders effektive Lösung gewesen sei. 21 Vgl. Holenstein 184; Meili/Mamelok 295.

III. Die Zeit zwischen den Weltkriegen Der Zeitraum zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg ist aus kolli­ sionsrechtlicher Sicht vor allem durch ein sprunghaftes Emporschnellen der Zahl der Staatenlosen und der Personen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit gekennzeichnet. Die Ursachen hierfür sind in Grenz Veränderungen und besonders in der Auswan­ derung zahlreicher russischer Emigranten zu sehen, denen durch ein Dekret der Sowjetregierung von 1921 die russische Staatsangehörigkeit entzogen worden war22. Während das Phänomen der Staatenlosigkeit und Mehrstaatigkeit zuvor noch weitgehend unbekannt gewesen und daher auf internationaler Ebene nicht als regelungsbedürftig empfunden worden war, war man nunmehr gezwungen, nach Lösungen zu suchen, die auch in diesen schwierigen und menschlich zum Teil tragischen Fällen gerechte kollisionsrechtliche Ergebnisse ermöglichten.

1. Die VI. Haager Konferenz von 1928 Dieser neuen Situation hatte sich auch die Haager Konferenz zu stellen. Sie tat dies auf ihrer 6. Tagung, die im Jahre 1928 abgehalten wurde. Die konkrete Aufgabe der Tagung bestand darin, die fünf Familienrechtsab­ kommen von 1902 und 1905 um Regelungen für Staatenlose und Mehrstaater zu ergänzen. Die zu diesem Zweck von der Konferenz erarbeiteten Änderungsvor­ schläge sollten freilich im Ergebnis eine Bedeutung erlangen, die weit über den konkreten politischen Anlaß hinaus wies; denn zum ersten Mal in der Entwick­ lung des IPR trat in ihnen die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt in den Mittelpunkt einer kollisionsrechtlichen Regelung. Damit zeichnete sich auf der Haager Konferenz eine Trendwende zugunsten des Aufenthaltsprinzips ab, die freilich erst nach dem zweiten Weltkrieg voll zum Tragen kommen sollte. a) Während der Beratungen der Änderungsvorschläge wurde von der Konferenz vor allem ausführlich die Frage erörtert23, ob für die Stellung der Staatenlosen und Mehrstaater das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts oder Wohnsitzrecht maß­ gebend sein sollte. Der deutsche Delegierte Karl Neumeyer hatte sich gleich zu Beginn dafür ausgesprochen, die Ehefähigkeit von Staatenlosen an ihren ge­ wöhnlichen Aufenthalt anzuknüpfen24. Er verwies darauf, daß der gewöhnliche Aufenthalt immer eine gewisse zeitliche Dauer und Kontinuität in der rechtlichen Situation des Betroffenen garantiere. Anstelle des gewöhnlichen Aufenthalts könne man zwar auch an den Wohnsitz („domicile“) denken. Doch seien die Unterschiede des Wohnsitzkonzepts in den einzelnen Rechtsordnungen zu groß. So sei der Begriff in den angelsächsischen Staaten zum Beispiel ein gänzlich anderer als auf dem europäischen Kontinent. 22 Vgl. dazu Brandis, StAZ 1928, 194; Nussbaum 111. 23 Zu Verlauf und Ergebnissen der Beratungen siehe auch PAPENFUß 32 ff 24 Siehe Actes 6 (1928) 110 f.

Der deutsche Vorschlag fand zunächst wenig Unterstützung. Insbesondere der belgische Delegierte Kinon setzte sich in Übereinstimmung mit den Vertre­ tern der Schweiz und anderer Staaten für die Anknüpfung an das domicile ein25. Der Ausdruck „gewöhnlicher Aufenthalt“ war nach seinem Geschmack zu sehr „faktisch geprägt“ und deshalb ungeeignet. Der Redaktionsausschuß, der den abschließenden Entwurf formulierte, schloß sich jedoch, nachdem er das Pro­ blem näher untersucht hatte, letztendlich Neumeyers Auffassung an. Im Schlußbericht wird die Entscheidung gegen den Begriff des Wohnsitzes vornehmlich mit den Schwierigkeiten begründet, die sich aus dem unterschied­ lichen Inhalt dieses Ausdrucks in den nationalen Rechtsordnungen ergäben26. Zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts wird in erster Linie angeführt, daß der Begriff einen klar faßbaren tatsächlichen Vorgang bezeichne, während die Wahl des Wortes „Wohnsitz“ einen Begriff eingeführt hätte, der in verschiedenarti­ gem Sinne gebraucht werde, und deshalb erst verwendet werden könne, wenn das maßgebliche Recht schon feststehe27. Man sah demnach bei einem Rückgriff auf die überkommene Wohnsitzanknüpfung das Problem eines logischen Zir­ kelschlusses auf sich zukommen. Diesem Dilemma sollte durch die Verwen­ dung des Aufenthaltsbegriffs vorgebeugt werden. Die Vorschläge der Kommission wurden am Ende der Tagung, trotz der zunächst bestehenden Kontroversen, einstimmig angenommen. Der Vertreter Belgiens, der sich zu Beginn der Tagung noch dagegen ausgesprochen hatte, den „Rechtsbegriff* des Wohnsitzes durch den „Tatsachenbegriff* des gewöhnli­ chen Aufenthalts zu ersetzen, begründete seinen Meinungswandel mit dem Hinweis28, daß der Wohnsitzbegriff nicht selten etwas Fiktives in sich habe und dann zu einem wenig angemessenen Kriterium werden könne. b) Die Vorschläge, die schließlich verabschiedet wurden, sahen für alle fünf Familienrechtsabkommen in etwa gleiche Regelungen vor29. Während der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in den frühen Haager Abkommen ausschließlich bei Bestehen eines besonderen Schutzbedürfnisses verwendet wurde, kam in den Vorschlägen von 1928 als weiterer Anwendungsbereich der einer Ersatzan­ knüpfung für die Fälle hinzu, in denen die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit versagt. Beispielhaft seien hier nur die Änderungsvorschläge zum Abkommen über die Eheschließung erwähnt. Für das Eheschließungsabkommen war eine Ergänzung des Art. 1 vorgese­ hen. Danach sollte, wenn einer der Verlobten staatenlos war, das Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts („de sa residence habituelle“) oder in Ermangelung eines gewöhnlichen Aufenthalts das Recht seines Aufenthalts („de sa residence“) 25 Actes 6 (1928) 112. 26 Actes 6 (1928) 158; siehe auch die Stellungnahme des Schweizer Delegierten Guex, a. a. O. 131. 27 Vgl. auch Volkmar, JW1928, 858. 28 Actes 6 (1928) 141. ’ 29 Die Vorschläge sind im allein authentischen französischen Wortlaut abgedruckt in Actes 6 (1928) 416 ff.; deutsche Übersetzung bei Volkmar, JW 1928, 863 ff.

zur Zeit der Eheschließung Anwendung finden. Hatte einer der Verlobten mehr als eine Staatsangehörigkeit, so sollte dasjenige Recht seiner Heimatstaaten gelten, das gleichzeitig auch das Recht des Ortes seines gewöhnlichen Aufent­ halts war; und bei Fehlen eines gewöhnlichen Aufenthalts dasjenige Recht seiner Heimatstaaten, das gleichzeitig das Recht des Ortes seines Aufenthalts im Zeit­ punkt der Eheschließung war. Sollte der Fall vorliegen, daß er in keinem der Staaten, denen er angehörte, seinen Aufenthalt hatte, so genügte es nach den Vorschlägen der Konferenz, daß ihm das Recht zur Eheschließung durch das Recht eines seiner Heimatstaaten zugebilligt wurde. In Abweichung davon war für den zuletzt genannten Fall in den Vorschlägen zur Ergänzung des Vormundschafts- und des Entmündigungsabkommens vor­ gesehen, daß wenn der Betroffene in keinem seiner Heimatstaaten einen Aufent­ halt hatte, der Staat, in dem er sich aufhielt, sich hinsichtlich der Einleitung einer Vormundschaft oder Entmündigung an irgendeinen der Staaten wenden konn­ te, dessen Staatsangehörigkeit der Betroffene besaß. In einem solchen Fall war die zuerst eingeleitete Vormundschaft oder Entmündigung anzuerkennen. Die Ergänzungsvorschläge sind nie in Kraft getreten. Ihrer Ratifikation durch die beteiligten Staaten stand die weitere politische Entwicklung entgegen. Den­ noch haben sie im positiven Recht ihre Spuren hinterlassen. So hat sich etwa der deutsche Gesetzgeber bei der im Jahre 1938 erfolgten Neuregelung des Personal­ statuts der Staatenlosen im EGBGB nach den Vorarbeiten der Haager Konferenz gerichtet30. Gleiches gilt für den italienischen Gesetzgeber, der bei der Regelung des Rechts der Staatenlosen in Art. 29 der Disposizioni sull’applicazione della lege in generale ebenfalls den Vorschlägen der Konferenz gefolgt ist31.

2. Bilaterale Abkommen

In den zwanziger Jahren ist die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt auch in mehrere bilaterale Abkommen aufgenommen worden, an denen Deutschland als Vertragsstaat beteiligt war, so unter anderem in zwei Vormundschaftsabkotnmen mit Polen32 und Österreich33. Betrachtet man die beiden Abkommen näher, so fällt auf, daß in der etwas älteren deutsch-polnischen Übereinkunft der Anknüpfungspunkt der Staatsan­ gehörigkeit noch deutlich im Vordergrund steht. Ihr Art. 1 bestimmt in Anleh­ nung an das Haager Vormundschaftsabkommen von 1902, daß für die Vor­ mundschaft über einen Minderjährigen grundsätzlich die Behörden des Heimat­ staates zuständig sind. Dagegen können die Behörden des Aufenthaltsstaates 30 Siehe dazu unten § 1IV1. 31 Vgl. näher B. Schneider no. 176. 32 Vormundschaftsabkommmen zwischen Deutschland und Polen vom 5. 3. 1924, RGBl. 1925II145. 33 Vormundschaftsabkommen zwischen Deutschland und Österreich vom 5.2. 1927, RGBl. 192711511.

eine Vormundschaft nur ausnahmsweise dann anordnen, wenn es im dringen­ den Interesse des Minderjährigen geboten erscheint (Art. 2). In der dieselbe Materie betreffenden deutsch-österreichischen Vereinbarung hat sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Heimat- und Aufenthaltszu­ ständigkeit schon zugunsten der letzteren umgekehrt. So wird nach den Rege­ lungen dieses Abkommens ein Minderjähriger, der einem der beiden Vertrags­ staaten angehört, sich aber gewöhnlich in dem anderen Staat aufhält, im Grund­ satz nicht mehr von den Heimatbehörden, sondern von den Behörden des Aufenthaltsstaates bevormundet (vgl. Art. 11). Die Behörden des Heimatstaates sind dagegen erst nachrangig zuständig (vgl. Art. 1II, 21).

IV. Der gewöhnliche Aufenthalt im nationalsozialistischen IPR Ein in der Literatur bisher noch nicht untersuchtes Kapitel in der Entwicklung des Aufenthaltsgrundsatzes stellt die Verwendung der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt in der Zeit des Nationalsozialismus dar. Diese dunkle Phase der Geschichte darf indes nicht unberücksichtigt bleiben, will man ein vollständiges Bild der Entwicklung des Aufenthaltsprinzips erhalten. Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wird in Deutschland in grö­ ßerem Umfang vom Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts Ge­ brauch gemacht. Den Eindruck, den die Gesetzgebung dabei hinterläßt, ist zwiespältig. Auf der einen Seite hat man es mit Regelungen zu tun, die auch aus heutiger Sicht rechtspolitisch durchaus zu überzeugen vermögen. Zu denken ist dabei insbesondere an die Neuordnung des Rechts der Staatenlosen im EGBGB (unten 1). Dem stehen auf der anderen Seite Normen gegenüber, die eindeutig vom Geist des nationalsozialistischen „Rassedenkens“ geprägt sind (unten 2).

1. Personalstatut der Staatenlosen (Art. 29 EGBGB a. F.)

Im Jahre 1938 erfolgte durch Art. 7 § 25 des Familienrechtsänderungsgeset­ zes34 eine Novellierung der Regelung über das Personalstatut der Staatenlosen in Art. 29 EGBGB. Durch die Neuregelung fand der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zum ersten Mal Eingang in das EGBGB. Interessanterweise geht diese Gesetzesänderung auf eine „Anregung“ Martin Bormanns zurück, die sich in einem Schreiben von ihm aus dem Jahre 1935 an das Reichsjustizministerium findet35. a) Unmittelbarer politischer Anlaßjur die Neufassung des Art. 29 EGBGB war, wie schon zehn Jahre zuvor auf der VI. Haager Konferenz von 1928, die starke 34 RGBl. 19381380. 35 Das Schreiben Bormanns in Vertretung des Stellvertreters des Führers, HEß, ist abge­ druckt bei KÜLPER 290 f.

Zunahme der Staatenlosen nach dem ersten Weltkrieg, wobei namentlich die große Zahl der 1921 von der Sowjetunion ausgebürgerten russischen Flüchtlinge Probleme bereitete36. In seiner ursprünglichen Version differenzierte Art. 29 EGBGB zwischen Personen, die nie eine Staatsangehörigkeit besessen hatten, und Personen, die ihre Staatsangehörigkeit erst später, etwa durch Ausbürgerung, verloren hatten. Für die bereits ohne Staatsangehörigkeit geborenen Personen galt primär das Recht ihres Wohnsitzes. Für Betroffene, die erst später staatenlos geworden waren, war dagegen das Recht des Staates maßgeblich, dem sie zuletzt angehört hatten. Die Bestimmung führte also bei staatenlos gewordenen Personen gewis­ sermaßen zu einer „Verlängerung“ des Staatsangehörigkeitsprinzips37. Die Re­ gelung entsprach damit in zahlreichen Fällen nicht den praktischen Bedürfnis­ sen38. Im zeitgenössischen Schrifttum sah sie sich aus diesem Grunde zum Teil heftiger Kritik ausgesetzt39. Insbesondere bei solchen Staatenlosen, die schon seit Jahren, gar Jahrzehnten, außerhalb ihres alten Heimatlandes lebten und von diesem möglicherweise überdies noch ausgebürgert worden waren, erschien die Anwendbarkeit des früheren Heimatrechts evident ungerecht. Erschwerend kam hinzu, daß die Rechtsprechung die Rechtsverhältnisse der russischen Emi­ granten und der Flüchtlinge aus den annektierten Gebieten nicht nach dem Rechtsstand zum Zeitpunkt des Verlustes ihrer Staatsangehörigkeit, sondern unter Einschluß aller danach erfolgten Rechtsentwicklungen in der Sowjetunion beurteilte40. b) In der geänderten Fassung des Art. 29 wurde die unglückliche Differenzierung zwischen zwei Gruppen von Staatenlosen aufgegeben und einheitlich das Recht am gewöhnlichen - hilfsweise am schlichten - Aufenthalt für anwendbar erklärt. Der deutsche Gesetzgeber folgte darin im Interesse der Betroffenen41 den Re­ formvorschlägen der Haager Konferenz von 1928, auf deren Beschlüsse in den Materialien ausdrücklich Bezug genommen wird42. Zur Begründung wird in den Gesetzesmaterialien außerdem darauf hingewiesen, daß der Staatenlose an seinem gewöhnlichen Aufenthalt in aller Regel den Mittelpunkt seiner persönli­ 36 Zu den gesetzgeberischen Motiven vgl. Massfeller, JW 1938, 1290. 37 Nussbaum HOf. 38 So die amtliche Begründung zu Art. 7 des Familienrechtsänderungsgesetzes, abgedruckt in DJ 1938, 624. 39 Siehe etwa Nussbaum 110 („Schwerster Mißgriff des deutschen Gesetzgebers auf dem Gebiet des IPR“); Frankenstein, IPR 197 („Die denkbar schlechteste Regelung“); Zitelmann I 177 („Verlegenheitsentscheidung“); Süß, JW 1937, 1326 („Hier wird Gesetz buchstäblich Unsinn und Plage“). 40 Siehe etwa RG: 14. 3. 1918, LZ 1918, 1074; 6.10. 1927, RGWam. 1928 Nr. 13 = IPRspr. 1926-27 Nr. 68; anders jedoch LG III Berlin 24.1. 1926, JW 1926, 2859 = IPRspr. 1926-27 Nr. 18, wo für in Deutschland wohnende staatenlos gewordene Russen das deutsche Recht für anwendbar erklärt wurde. 41 Auf das Interesse der Staatenlosen an der Neuregelung wiesen z. B. auch Ficker, ZAkDR 1938, 330, und Rexroth, DJ 1938, 781, in ihren Anmerkungen zu der Gesetzesänderung hin. 42 Siehe DJ 1938, 624, sowie das Schreiben des Reichsministers der Justiz an HEß vom November 1935, abgedruckt bei Külper 291 f.

chen und wirtschaftlichen Beziehungen habe. Da auf der anderen Seite der Begriff des Wohnsitzes in den einzelnen Rechtsordnungen eine verschiedene Bedeutung habe und sich an ihn zahlreiche Streitfragen knüpften, solle für die Rechtsstellung der Staatenlosen an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft werden.

2. Nationalsozialistische Rassegesetzgebung Zu einem Mißbrauch der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt ist es in größerem Umfang in der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung gekom­ men. Im Rahmen dieser Darstellung kann nur beispielhaft auf einen Teil der einschlägigen Regelungen eingegangen werden. a) Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts findet sich zum einen in verschie­ denen Verordnungen, die ab 1935 zur Ausgestaltung des Blutschutzgesetzes43 und des Ehegesundheitsgesetzes44 erlassen wurden. Während das Blutschutzgesetz darauf abzielte, die, wie es heißt, „Reinheit des deutschen Blutes als Vorausset­ zung für den Fortbestand des deutschen Volkes“ zu sichern45, ging es dem Ehegesundheitsgesetz um den Schutz der Familie „als Keimzelle der Sippe und des Volkes“ vor „gesundheitlich unerwünschten Ehen“46. Die Rechtsstellung der Staatenlosen nach beiden Gesetzen, die hier näher betrach­ tet werden soll, regelten § 15 der Ersten Ausführungsverordnung zum Blut­ schutzgesetz vom 14.11. 193547 und §29 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesundheitsgesetz vom 29.11. 193548. Gemäß § 15 der Ausführungsverordnung sollten die sich auf die deutschen Staatsangehörigen beziehenden Vorschriften des Blutschutzgesetzes auch auf Staatenlose angewandt werden, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufent­ halt im Inland hatten. Sofern sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten, fielen sie nur dann unter diese Bestimmung, wenn sie früher die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hatten. Abweichend davon findet der Wohnsitz in der entsprechenden Regelung der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesundheitsgesetz keine Erwäh­ nung. Die einschlägige Vorschrift des § 29 sah statt dessen vor, daß das Ehege­ sundheitsgesetz auf solche Staatenlosen anzuwenden sein sollte, die entweder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten oder aber im Inland die Ehe eingehen wollten. 43 Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. 9. 1935, RGBl. 1935 11146. Wie das Ehegesundheitsgesetz gehört auch das Blutschutzgesetz zu den sogenann­ ten „Nürnberger Gesetzen“. 44 Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18.10. 1935, RGBl. 193511246. 45 So die Präambel des Blutschutzgesetzes. 46 So die amtliche Begründung zum Ehegesundheitsgesetz, abgedruckt in StAZ 1935, 369. 47 RGBl. 193511334. 48 RGBl. 193511419.

Diese kollisionsrechtlichen Regelungen waren vom nationalsozialistischen Gesetzgeber im Interesse einer wirksamen vRassepolitika sehr bewußt gewählt worden49, woran, über den konkreten Anlaß hinaus, deutlich wird, daß die Auswahl der Anknüpfungspunkte im IPR immer auch eine politische Frage war und nicht nur rechtstechnischer Natur ist. Gesetzgeberisches Anliegen war vor allem die Unterbindung von „Rassenmischehen“ und „gesundheitlich uner­ wünschten Ehen“ in allen Fällen, in denen damit gerechnet werden mußte, daß die Ehegatten sich dauernd in Deutschland aufhalten würden, wobei es keine Rolle spielen sollte, ob ein deutscher Staatsangehöriger beteiligt war50. Wohn­ ten nämlich die Eheleute in Deutschland, so wuchsen auch die aus ihrer Ehe hervorgegangenen Kinder hier auf, wo sie möglicherweise die ihnen vererbten Anlagen auf „gesunde“ Deutsche übertragen würden51. Aus diesem Grunde boten sich für den Gesetzgeber in erster Linie der Wohnsitz und der gewöhnliche Aufenthalt als passende Anknüpfungspunkte an. Der gewöhnliche Aufenthalt erschien dabei noch besser geeignet als der Wohnsitz, den Ort der Eheführung zu bestimmen, da er frei war von gesetzlichen Fiktionen. Darin mag auch ein Grund liegen, weshalb in der kollisionsrechtlichen Regelung der zeitlich etwas späteren Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesundheitsgesetz nur noch der gewöhnliche Aufenthalt und nicht mehr daneben, wie noch in der Ersten Ausführungsverordnung zum Blutschutzgesetz, auch der Begriff des Wohnsitzes zu finden ist. b) Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist im „Dritten Reich“ darüber hinaus noch in einigen weiteren Gesetzen und Verordnungen verwendet worden, von denen hier nur das Frauenscheidungsgesetz und die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz kurz erwähnt werden sollen. Der Sinn des Frauenscheidungsgesetzes von 193552 bestand darin, Frauen auslän­ discher Ehemänner nach der Einbürgerung in Deutschland die Scheidung ihrer Ehe im Inland entgegen dem Heimatrecht des Mannes nach deutschem Recht zu ermöglichen53. Zu diesem Zweck bestimmte Art. 1 des Gesetzes, daß das deut­ sche Recht auch dann maßgebend sein sollte, wenn nur die Frau, nicht aber der Mann, die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und das Heimatrecht des Mannes eine Scheidung der Ehe dem Bande nach grundsätzlich nicht zuließ. Während Art. 1 die Frage des anwendbaren Rechts regelte, widmete sich Art. 2 der internationalen Zuständigkeit. Nach dieser Vorschrift konnte eine deutsche Staatsangehörige, für deren Scheidungsklage ein inländischer Ge­ richtsstand nach der ZPO nicht begründet war, die Klage bei dem Landgericht 49 Vgl. ausführlichKülper63ff, 86ff 50 Vgl. dazu auch den berüchtigten Kommentar von Stuckart/Globke 220; siehe zudem Kohlrausch, ZAkDR 1941,187. 51 Siehe Külper 87. 52 Gesetz über die Anwendung deutschen Rechts bei der Ehescheidung vom 24.1. 1935, RGBl. 1935 I 48. Das Gesetz wurde später aufgehoben durch § 25 der Vierten Durchführungs­ verordnung zum Ehegesetz vom 25. 10. 1941, RGBl. 19411654. 53 Siehe näher Raiser 62, 159.

erheben, in dessen Bezirk sie ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hatte. Die Bestimmung sah also alternativ eine Wohnsitz- und eine Aufenthaltszustän­ digkeit vor54. Warum sie dabei auf den ständigen Aufenthalt und nicht, wie die beiden oben behandelten Verordnungen zum Blutschutzgesetz und zum Ehege­ sundheitsgesetz, auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellte, läßt sich nicht erklä­ ren. Man kann wohl davon ausgehen, daß die abweichende Bezeichnung eher dem Zufall entsprang und keine inhaltlichen Unterschiede gegenüber dem gewöhnlichen Aufenthalt zum Ausdruck bringen wollte55. Einen Hinweis darauf, was unter dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in den Rassegesetzen zu verstehen war, läßt sich der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11. 194156 entnehmen. Gemäß § 1 S. 1 dieser Verordnung konnte ein Jude, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte, nicht deutscher Staatsangehöriger sein. Die Rege­ lung wurde durch die Vorschrift des § 2 ergänzt, wo festgelegt war, daß ein Jude mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland seine deutsche Staatsangehörigkeit automatisch mit Inkrafttreten der Verordnung oder nach Verlegung seines gewöhnlichen Aufenthalts aus dem Inland verlor. Zur näheren Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts war in § 1 S. 2 eine Legaldefinition vorgesehen, wo­ bei das hierin zum Ausdruck kommende Bemühen um gesetzestechnischen Perfektionismus angesichts des materiellen Unrechtsgehalts der Verordnung eher makaber wirkt. Danach ist der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland dann gegeben, „wenn sich ein Jude im Ausland unter Umständen aufhält, die erken­ nen lassen, daß er dort nicht nur vorübergehend verweilt“. Die Umschreibung entsprach damit fast wörtlich der steuerrechtlichen Begriffsbestimmung in § 141 1 StAnpG von 193457, die den gewöhnlichen Aufenthalt für den Bereich des Abgabenrechts definierte. Demnach ging der nationalsozialistische Gesetzgeber wohl von einem einheitlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in den unter­ schiedlichen Rechtsgebieten aus.

V. Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg Nach dem zweiten Weltkrieg hat sich der gewöhnliche Aufenthalt endgültig als Anknüpfungspunkt neben oder an Stelle der Anknüpfungen an den Wohnsitz und die Staatsangehörigkeit etabliert. Dies trifft sowohl auf das deutsche Kolli­ sionsrecht (unten 1) als auch, und zwar in noch größerem Maß, auf die Haager Konventionen zu (unten 2). 54 Vgl. zu dieser Regelung Massfeller, JW 1935, 402; Külper 111 ff. Die dazu ergangene Rechtsprechung wird umfassend behandelt bei Raiser 75 ff. 55 Zu dem Ausdruck „ständiger“ Aufenthalt und seinem Verhältnis zum „gewöhnlichen“ Aufenthalt siehe näher unten § 2 B12 b). 56 RGBl. 19411722. 57 Steueranpassungsgesetz in der Fassung vom 16.10. 1934, RGBl. 1934 I 925. Die Um­ schreibung des StAnpG wurde später in § 9 AO übernommen; siehe dazu unten § 2 AII2 a).

1. Deutsches IPR

a) Der zweite Weltkrieg hatte innerhalb Europas gewaltige Bevölkerungsver­ schiebungen zur Folge. Daraus entstand die Notwendigkeit, die Rechtsverhältnis­ se von Millionen von Flüchtlingen, Vertriebenen und Verschleppten ihren Bedürf­ nissen entsprechend neu zu ordnen58. Die Situation ähnelte insofern der nach dem ersten Weltkrieg, nur daß die Zahl der Betroffenen jetzt ungleich höher war. Wie schon nach dem ersten Weltkrieg erschien das Staatsangehörigkeits­ prinzip zur Regelung dieser Fälle ungeeignet, zumal die Staatsangehörigkeit bei nicht wenigen Betroffenen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden konnte. Der Gesetzgeber mußte da­ her auf einen anderen Anknüpfungspunkt zurückgreifen. Diesen fand er in Gestalt des gewöhnlichen Aufenthalts. Auf diese Weise gelangte der Begriff in einige spezielle Gesetze mit kollisionsrechtlichen Bestimmungen, die noch heute gültig sind. Zu diesen Gesetzen zählt insbesondere das AHK-Gesetz 23 von 195059, 60 nach dessen Art. 1 Ausländer, Staatenlose und Personen, deren Staatsangehörigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt werden kann, unter den in Art. 10 näher bezeichneten Voraussetzungen hinsichtlich ihres Personal­ statuts den Staatenlosen gleichgestellt werden. Für die Rechtsverhältnisse einer verschleppten Person oder eines Flüchtlings ist danach das Recht des gewöhnli­ chen Aufenthalts, hilfsweise des schlichten Aufenthalts, in allen jenen Fällen maßgebend, in denen das autonome deutsche IPR das Heimatrecht für anwend­ bar erklärt. Auch das Gesetz über heimatlose Ausländer vom 25. 4. 195160, dessen Rege­ lungen freilich im wesentlichen fremdenrechtlicher und nicht kollisionsrechtli­ cher Natur sind, knüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt an. Schließlich ist hier auch noch das Gesetz über den ehelichen Güterstand von Vertriebenen und Flüchtlingen anzuführen61. Es sieht in § 1 I eine besondere Regelung für das eheliche Güterrecht dieses Personenkreises vor, in deren Mittelpunkt ebenfalls die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt steht. b) Eine weitere politische Folge des zweiten Weltkriegs, nämlich die Teilung Deutschlands, hat in Gestalt des innerdeutschen Kollisionsrechts ebenfalls zur stetig wachsenden Bedeutung des Aufenthaltsgrundsatzes nach 1945 beigetragen. So konnten aufgrund der besonderen staats- und völkerrechtlichen Beziehungen, die aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland zwischen ihr und der DDR bestanden, die Regeln des IPR nach herrschender Meinung lediglich analog

58 Vgl. dazu auch PAPENFUß 48 f; Cavers 245 f. 59 Gesetz über die Rechtsverhältnisse verschleppter Personen und Flüchtlinge vom 17. 3. 1950, AHKAB1. 1950, 140. 60 BGBl. 19511269. 61 Gesetz vom 4. 8. 1969, BGBl. 196911067.

angewendet werden, wobei an die Stelle der Anknüpfung an die Staatsangehö­ rigkeit die an den gewöhnlichen Aufenthalt trat62. Erwähnenswert ist, daß für den Bereich des innerdeutschen Kollisionsrechts von manchen Autoren zunächst der Wohnsitz als Ersatzanknüpfung favorisiert worden war. Namentlich Ficker sprach sich dafür aus63. Er machte vor allem geltend, daß für den Wohnsitz - im Unterschied zum gewöhnlichen Aufenthalt - mit den §§7 - 11 BGB bereits gut durchdachte Rechtssätze zur Verfügung stünden. Auch sei der Wohnsitz bei Fragen des Personalstatuts wegen seiner größeren Stabilität vorzugswürdiger. Letztlich vermochte sich der Wohnsitz im innerdeutschen Kollisionsrecht gegenüber der Anknüpfung an den gewöhnli­ chen Aufenthalt jedoch nicht durchzusetzen. c) In Form ungeschriebenen Kollisionsrechts hat die Judikatur nach Vorarbeiten durch die Wissenschaft in verschiedenen Fällen vor Erlaß des IPR-Neuregelungsgesetzes im Jahre 1986 weitere Einschränkungen des Staatsangehörigkeits­ grundsatzes zugunsten des Aufenthaltsprinzips vorgenommen. Dem Anknüp­ fungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts wurde in der Rechtsprechung dabei allgemein eine Ersatzfunktion für die Fälle zuerkannt, in denen ein Abstellen auf die Staatsangehörigkeit nicht möglich war oder nicht zu befriedigenden Ergeb­ nissen führte. So hat der BGH etwa den Namen der Ehefrau bei unterschied­ licher Staatsangehörigkeit der Eheleute dem Recht ihres gewöhnlichen Aufent­ halts unterstellt64. Ebenso hat das Gericht auch hinsichtlich des Rechts zum Getrenntleben in einer gemischtnationalen Ehe entschieden65. Die entscheidenden Impulse zur Fortentwicklung des Aufenthaltskonzepts sind nach dem zweiten Weltkrieg indes nicht von einzelnen nationalen Rechts­ ordnungen, sondern von den Arbeiten der Haager Konferenz ausgegangen. Auch das deutsche IPR ist, was die Verwendung der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt anbelangt, wesentlich durch die Haager Konventio­ nen der Nachkriegszeit beeinflußt worden, auf die nunmehr näher eingegangen werden soll.

62 Vgl. BGH: 21.6. 1963, BGHZ 40, 32 = IzRspr. 1962-63 Nr. 7; 16. 5. 1984, BGHZ 91, 186 = IPRax 1985, 37, 18 Aufsatz von Bar = ROW 1985, 50 mit Anm. Drobnig = IPRspr. 1984 Nr. 63; Soergel/Kegel Vorbem. zu Art. 7 EGBGB Rz. 191 m. w. Nachw.; anderer Ansicht Mansel, DtZ 1990, 226; bis zur 50. Auflage auch Palandt/Heldrich Anh. zu Art. 3 EGBGB Rz. 4f. Auch nach der Wiedervereinigung am 3. 10. 1990 wird für die vor diesem Datum liegenden Altfälle auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt; vgl. zusammenfassend KROpholler, IPR 185 f. 63 Siehe Ficker 37 ff; gegen ihn insbesondere Beitzke, JR 1952, 141. 64 BGH 12. 5. 1971, BGHZ 56, 193 = NJW 1972, 1001 mit Anm. Wengler = RabelsZ 35 (1971) mit Anm. Neuhaus = IPRspr. 1971 Nr. 48. 65 BGH 28.1. 1976, NJW 1976, 1028 = FamRZ 1976, 202 = IPRspr. 1976 Nr. 34; zu weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung vgl. Siep 17ff.

2. Haager Konferenz

Wurden die frühen Haager Konventionen noch eindeutig vom Staatsangehö­ rigkeitsprinzip beherrscht, so ist es nach dem zweiten Weltkrieg der Aufent­ haltsgrundsatz der in vielen Übereinkommen mehr und mehr die dominierende Rolle übernimmt66. Diese Änderung macht der folgende Überblick deutlich, wobei nur die dogmatisch interessantesten und praktisch wichtigsten Konven­ tionen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Anknüpfung an den gewöhnli­ chen Aufenthalt berücksichtigt werden können. a) Renvoi-Konvention

Nach dem Krieg hat der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zunächst in die von der VII. Haager Konferenz konzipierte Renvoi-Konvention von 1955 Ein­ gang gefunden67. Die Fertigstellung dieses Übereinkommens wurde von zum Teil hohen Er­ wartungen begleitet. So maß namentlich Dölle der Konvention „fast epochale Bedeutung“ bei68. Dabei hoffte er insbesondere, daß der von dem Abkommen verwendete Domizilbegriff auf längere Sicht in der Lage wäre, die verschiedenen nationalen Wohnsitzbegriffe im IPR zu ersetzen. Regelungsgegenstand der Renvoi-Konvention ist die Frage, welches Recht im Fall eines Konflikts zwischen dem Domizilprinzip und dem Staatsangehörig­ keitsprinzip anzuwenden ist. Im Widerstreit zwischen den beiden konkurrieren­ den Grundsätzen wird in der Konvention dem Domizilrecht grundsätzlich der Vorrang eingeräumt69. Die Probleme, die sich aus der Verschiedenheit des Domizilbegriffs in den Vertragsstaaten ergeben können, haben die Schöpfer des Übereinkommens durch die Schaffung eines einheitlichen, auf seinen Anwendungsbereich be­ schränkten Wohnsitzbegriffs zu lösen versucht. Diese dogmatisch interessante Konstruktion eines besonderen Konventionsdomizils ergibt sich aus Art. 5 des Übereinkommens. Danach ist unter dem Wohnsitz „im Sinne der Konvention“ der Ort zu verstehen, an dem eine Person sich gewöhnlich aufhält, es sei denn, daß der Wohnsitz von dem einer anderen Person oder vom Sitz einer Behörde abhängt70. Nach dieser Regelung wird der Wohnsitz also grundsätzlich, d. h. 66 Siehe zu dieser Entwicklung auch Vander Elst, Rev. beige dr. int. 26 (1991) 402f.; vgl. auch Nadelmann, Tex. L. Rev. 47 (1969): „Use of habitual residence as a test has become routine at The Hague“. 67 Text abgedruckt in RabelsZ 17 (1952) 272 f. 68 Dölle, RabelsZ 17 (1952) 202; vgl. auch Graveson, FS Ago IV136; ders., Selected Essays I 169; Positive Aufnahme fand die Konvention zunächst auch bei der deutschen Bundesregie­ rung, vgl. deren offizielle Stellungnahme, abgedruckt in RabelsZ 17 (1952) 276; gleichwohl hat Deutschland das Abkommen nie unterzeichnet. 69 Vgl. näher Gollrad 198. 70 „Le domicile, au sens de la presente Convention, est le lieu oü une personne reside

soweit es sich nicht um abhängige Personen handelt, durch den gewöhnlichen Aufenthalt bestimmt. Der gewöhnliche Aufenthalt wurde deshalb zur Definition des Domizilbe­ griffs herangezogen, weil er sich nach Auffassung der Konferenz im wesent­ lichen durch überall gleich zu beurteilende äußerlich erkennbare Tatsachen bestimmt und daher nicht annähernd in dem Maße Unsicherheiten unterworfen ist wie der vielfach verschieden konstituierte rechtstechnische Begriff des Wohnsitzes71. Dies entspricht im wesentlichen der Begründung, die auch schon auf der VI. Haager Konferenz von 1928 und zuvor bei der Schaffung der Vormundschafts- und Entmündigungsabkommen zugunsten der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt ins Feld geführt wurde. Was das Domizil von abhängigen Personen anbelangt, so hat die Renvoi-Kon­ vention allerdings einen anderen Weg beschritten, als er durch die vorhergehen­ de Praxis der Konferenz vorgezeichnet war. So verfügen abhängige Personen nach dem zitierten Art. 5 des Abkommens über keinen eigenen Wohnsitz72. Ihr Domizil im Sinne der Konvention liegt vielmehr dort, wo die Hauptperson ihr Konventionsdomizil oder die für sie zuständige Behörde ihren Sitz hat. Gegen­ über der Anerkennung eines eigenen gewöhnlichen Aufenthalts abhängiger Personen in den früheren Konventionen und den Vorschlägen der VI. Haager Konferenz von 1928 ist diese Regelung als Rückschritt zu werten. Sie hat sich freilich nicht nachteilig auswirken können, da die Renvoi-Konvention mangels einer ausreichenden Zahl von Ratifikationen niemals in Kraft getreten ist73 und die Haager Konferenz in späteren Abkommen bei abhängigen Personen zu ihrer alten Praxis zurückgekehrt ist. Auch die Idee der Bildung eines speziellen Konventionsdomizils ist in den nachfolgenden Übereinkommen nicht weiter verfolgt worden. Statt dessen wird unter bewußter Vermeidung des Wohnsitz­ begriffs ohne Umwege direkt an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft, so insbesondere im Internationalen Kindschafts- und Unterhaltsrecht sowie neuer­ dings auch im Erbrecht.

b) Internationales Kindschaftsrecht (1) Im Internationalen Kindschaftsrecht findet sich der Begriff des gewöhnli­ chen Aufenthalts vor allem im Minderjährigenschutzabkommen von 196174. Das MSA wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch eine wichtige Rolle habituellement, ä moins qu’il ne depende de celui d'une autre personne ou du siege d’une autorite. “ 71 Siehe Dölle (oben N. 68) 203. 72 Vgl. auch Gollrad 198. 73 Bis zum 1. 8. 1993 hatten lediglich Belgien und die Niederlande das Abkommen ratifiziert; vgl. die Übersicht über den Stand der Ratifikationen in N. I. L.R. 40 (1993) 260. 74 Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10. 1961, BGBl. 1971 II 219. Den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts verwenden auch das Haager Kindesentführungsabkommen vom 25. 10. 1980, BGBl. 1990 II 207,und das vom Europarat erarbeitete Europäische Sorge­

spielen, da ein großer Teil der zum gewöhnlichen Aufenthalt existierenden Rechtsprechung und Literatur sich auf dieses Abkommen bezieht. Inhaltlich ist das MSA an die Stelle des Vormundschaftsabkommens von 1902 getreten, das den Anforderungen der Praxis nicht mehr gerecht werden konnte. Entscheidender Nachteil des Vormundschaftsabkommens war - neben der Be­ schränkung seines sachlichen Anwendungsbereichs auf die überkommene Insti­ tution der Vormundschaft - die Bevorzugung des Staatsangehörigkeitsgrund­ satzes gegenüber dem Domizilprinzip75. In der Praxis waren die Heimatbehör­ den nämlich nicht in der Lage, ihre Aufgaben zum Schutz der unter Vormund­ schaft gestellten Minderjährigen wirksam zu erfüllen. So fehlte den Heimatbe­ hörden regelmäßig die Möglichkeit zur Durchsetzung und Überwachung der angeordneten Maßnahmen. Auch mangelte es ihnen an den notwendigen Infor­ mationen, um die Lebensumstände der im Ausland sich aufhaltenden Minder­ jährigen richtig beurteilen zu können. Um diesen Schwierigkeiten zu entgehen, ist im MSA die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt ersetzt worden. Für den Erlaß von Schutzmaßnahmen sind danach in erster Linie die Behörden am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Minderjährigen zuständig (vgl. Art. 1). Das auf die Schutzmaßnahmen anwendbare Recht richtet sich gemäß Art. 2 grund­ sätzlich nach der Zuständigkeit, so daß in der Regel Aufenthaltsrecht zur An­ wendung gelangt. Durchbrochen wird das Aufenthaltsprinzip insbesondere in der Bestimmung des Art. 3, wonach ein nach Heimatrecht bestehendes ex-lege-Gewaltverhältnis in allen Vertragsstaaten anzuerkennen ist. Bezeichnenderweise bereitet den mit der Anwendung des Abkommens befaßten Gerichten und Behörden dieses systemwidrige Zugeständnis an den Staatsangehörigkeitsgrundsatz die größten Probleme. Dagegen konnte sich die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufent­ halt in der Praxis bewähren. Zu den vorrangigen Zielen der für die 18. Tagung der Haager Konferenz im Jahre 1996 ins Auge gefaßten Reform des MSA76 müßte daher die Änderung des Art. 3 im Sinne einer Anpassung an das Aufent­ haltsprinzip gehören77. (2) Der gewöhnliche Aufenthalt wird auch im Adoptionsabkommen von 1965 verwendet78. rechtsübereinkommen vom 20. 5. 1980, BGBl. 1990 II 220. Der Zweck beider Übereinkom­ men besteht darin, Kindesentführungen so schnell wie möglich rückgängig zu machen. 75 Siehe dazu näher Kropholler, MSA 12 f. 76 Vgl. den entsprechenden Beschluß auf der 17. Tagung der Haager Konferenz, abgedruckt in N.I. L.R. 40(1993) 306. 77 Vgl. auch Kropholler, RabelsZ 58 (1994) 10. 78 Übereinkommen über die behördliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht und die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Annahme an Kindesstatt vom 15.11. 1965, Text bei JAYME/HAUSMANN Nr. 34. Das Abkommen ist 1978 für Österreich, das Verei­ nigte Königreich und die Schweiz in Kraft getreten. Auf der 17. Tagung der Haager Konferenz im Jahre 1993 ist unter starker Beteiligung der wichtigsten Herkunftsländer von Adoptivkin­ dern aus Asien und Lateinamerika ein neues Adoptionsabkommen erarbeitet worden. Ziel der

Inhaltlich ist das Übereinkommen erkennbar durch das Streben nach einem Ausgleich zwischen den Staaten des Domizilprinzips und denen des Staatsangehörig­ keitsprinzips gekennzeichnet79. Zum Ausdruck kommt dies etwa in der kompli­ zierten Regelung des persönlichen Anwendungsbereichs der Konvention. So ist zur Anwendung des Abkommens sowohl erforderlich, daß Annehmender und Kind sich in einem Vertragsstaat gewöhnlich aufhalten als auch, daß sie die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaats besitzen. Im Ergebnis wird der An­ wendungsbereich des Übereinkommens durch diese Regelung erheblich einge­ schränkt80. Was die internationale Zuständigkeit anbelangt, so wird sie gemäß Art. 3 ebenfalls gleichermaßen an den gewöhnlichen Aufenthalt wie an die Staatsange­ hörigkeit des Adoptierenden angeknüpft. Beide Zuständigkeitsgründe stehen zueinander im Verhältnis der Alternativität. Die danach zuständigen Behörden haben grundsätzlich ihr innerstaatliches Recht anzu wenden (Art. 41). Die Aufnahme der Staatsangehörigkeitszuständigkeit in das Abkommen ist in erster Linie als vermittelnde Geste gegenüber den Staaten zu verstehen, die traditionell dem Heimatgrundsatz anhängen81. Davon abgesehen lassen sich sachliche Gründe für diesen Schritt kaum finden. Daher verwundert es nicht, daß noch auf der Konferenz verschiedene Delegierte ihre Kritik anmeldeten und für die Streichung der Heimatzuständigkeit eintraten82. Als Vorzug der Aufenthaltsanknüpfung wird in den Abkommensmaterialien insbesondere der Umstand genannt83, daß die Behörden am gewöhnlichen Aufenthaltsort der Annehmenden eher als jede andere Stelle in der Lage seien, neuen Konvention ist neben der Vermeidung hinkender Adoptionen auch eine Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Staaten, um so den zahlreichen Mißbräuchen bei internationalen Adoptionen wirksamer begegnen zu können; vgl. allgemein Marx, StAZ 1993, 1 ff.; zum Vorentwurf des Abkommens siehe etwa Bucher, Schw. Z. Int. Eur. R. 3 (1993) 153 ff. 79 Vgl. zu diesem Aspekt in der Entstehungsgeschichte des Abkommens Ficker, RabelsZ 30 (1966) 613, 625. 80 Nach Art. 2 des neuen Haager Adoptionsabkommens bestimmt sich dessen Anwen­ dungsbereich dagegen nur noch nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des adoptierten Kindes und der Adoptierenden in einem Vertragsstaat. Die Staatsangehörigkeit der Beteiligten spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr. Das Abkommen ist in der englischen Version abgedruckt in N. I. L.R. 40 (1993) 292 ff; der französische Text ist abgedruckt in Rev. crit. 82 (1993) 506 ff. 81 Das kommt deutlich zum Ausdruck im Bericht Mauls zum Vorentwurf, Actes et Doc. 10 (1964-11) 89: „En vue de donner satisfaction aux Etats qui rattachent les questions de Statut personel au principe de la nationalite il a t prvu que les autorites de l’Etat de la nationalite sont egalement competentes pour prononcer l’adoption.“ 82 Vgl. die Äußerung des französischen Delegierten Holleaux, Actes et Doc. 10 (1964-11) 217, wonach „aucune raison decisive ne justifie cette competence“. Für eine Streichung plädier­ ten auch der japanische und der norwegische Delegierte, vgl. a. a. O. 223. Kritisch ebenfalls Blume 89 f.; siehe auch Lipstein, Camb. L.J. 24 (1965) 225. Im neuen Haager Adoptionsüber­ einkommen ist nunmehr gemäß Art. 14 eine alleinige Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufent­ haltsort der adoptierenden Personen vorgesehen. 83 Siehe besonders den Schlußbericht Mauls, Actes et Doc. 10 (1964-11) 410 f.

die Situation bei den Adoptierenden zu überblicken. Sie könnten am besten prüfen, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse der Wahleltern, die Beständigkeit ihrer Ehe und ihre erzieherischen Fähigkeiten dem Kinde eine gedeihliche Zu­ kunft ermöglichten. Auf der anderen Seite liege die Anknüpfung an den gewöhn­ lichen Aufenthalt auch im Interesse der Adoptiveltern84, denen dadurch der schwierige Umgang mit den Behörden eines fremden Staates und die damit verbundenen Zeit- und Kostennachteile erspart würden. Im übrigen war die Entscheidung für den gewöhnlichen Aufenthalt, wie schon auf früheren Haager Konferenzen, auch eine Entscheidung gegen den „Rechtsbe­ griff4 des Wohnsitzes. In diesem Zusammenhang wurde auf der Konferenz zum wiederholten Male die Überzeugung geäußert, mit dem gewöhnlichen Aufent­ halt eine von rechtlichen Elementen befreite „faktische“ und daher gegenüber dem Wohnsitz vorteilhaftere Anknüpfung gefunden zu haben85.

c) Internationales Unterhaltsrecht (1) Von erheblicher Bedeutung für den praktischen Stellenwert der Anknüp­ fung an den gewöhnlichen Aufenthalt sind die beiden Haager Unterhaltsübereinkom­ men von 1956 und 197386, auf die im internationalen Vergleich nach dem MSA der zweitgrößte Teil der Rechtsprechung zum Aufenthaltsbegriff entfällt. Während das ältere der beiden Übereinkommen allein die Unterhaltsansprüche von Kindern betrifft, regelt das jüngere auch die Unterhaltspflichten gegenüber Erwachsenen. Nach beiden Abkommen ist für Unterhalts Verpflichtungen grundsätzlich das am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten gel­ tende Recht maßgebend (vgl. Art. 11 des Übereinkommens von 1956 und Art. 41 des Übereinkommens von 1973). Das Anknüpfungsmoment der Staatsangehö­ rigkeit taucht dagegen in beiden Konventionen nur am Rande auf; der Begriff des Wohnsitzes fehlt sogar völlig. An den Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten und nicht des Unterhaltsschuldners wurde in erster Linie deshalb angeknüpft, weil - wie es in den Materialien dazu heißt - von der dort geltenden Rechtsord­ nung erwartet werden könne, daß sie den für den Lebensbedarf des Unterhalts­ gläubigers maßgebenden Umständen am besten Rechnung trage87. Gleichzeitig sollte auf diese Weise verhindert werden, daß sich der Schuldner durch einen Aufenthaltswechsel seiner Unterhaltspflicht entziehen oder sie beschränken kann. 84 Vgl. Maul (vorige Note) 410, 417. 85 Vgl. die Äußerungen Schwinds und de Winters, Actes et Doc. 10 (1964-11) 201, sowie den Schlußbericht Mauls, a. a. O. 419. 86 Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwen­ dende Recht vom 24.10. 1956, BGBl. 1961 II 1013, und Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10. 1973, BGBl. 1986II837. In den Beziehun­ gen zwischen den Vertragsstaaten ersetzt das Abkommen von 1973 gemäß seinem Art. 18 das Abkommen von 1956. 87 Siehe den Bericht de Winters, Doc. 8 (1956-11) 127, zum Vorentwurf des Übereinkom­ mens über den Kindesunterhalt; vgl. auch Petersen, RabelsZ 24 (1959) 33.

Daß man überhaupt auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt hat, wird in den Materialien damit begründet88, daß der Begriff als Anknüpfungsmoment sowohl für die Staaten, die vom Staatsangehörigkeitsprinzip ausgingen, wie für diejenigen, die das Domizilprinzip zugrunde legten, annehmbar erscheine. Diese Aussage in den Abkommensmaterialien überrascht. Sie erweckt näm­ lich den Eindruck, als ob das Aufenthaltskonzept inhaltlich als eine Art Kom­ promißlösung in der Mitte zwischen der Staatsangehörigkeitsanknüpfung und der Domizilanknüpfung anzusiedeln wäre89. 90 In Wirklichkeit ist der Aufenthalts­ grundsatz jedoch ein Bestandteil des Domizilprinzips und steht als solcher dem Wohnsitzbegriff wesentlich näher als dem der Staatsangehörigkeit. Die Ver­ wendung des gewöhnlichen Aufenthalts in den Unterhaltsübereinkommen ist daher in Wahrheit als eine Entscheidung zugunsten des Domizilgrundsatzes und gegen das Staatsangehörigkeitsprinzip zu werten. (2) Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts findet sich darüber hinaus in den für die Praxis ebenfalls sehr wichtigen Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen von 1958 und 1975^, die die verfahrens rechtliche Ergänzung zu den beiden kollisionsrechtlichen Haager Unterhaltsabkommen bilden. In beiden Abkommen ist eine Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthaltsort in Form einer (indirekten) Anerkennungszuständigkeit vorgesehen. So ist unter anderem gemäß Art. 3 Nr. 1 der Konvention von 1956 und Art. 7 Nr. 1 des Abkommens von 1973 die Zuständigkeit der Anerkennungs- und Vollstrekkungsbehörden gegeben, wenn der Unterhaltsverpflichtete oder -berechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der Einleitung des Verfahrens im Ursprungsstaat hatte. Auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten stellt in Art. 5 Nr. 2 auch das im Rahmen der EG ausgehandelte Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen ab91. Diese Regelung über die (direkte) Entschei­ dungszuständigkeit wurde in das Übereinkommen aufgenommen, um es an die Haager Unterhaltsübereinkommen anzupassen92. Ansonsten richtet sich die internationale Zuständigkeit im EuGVÜ im Grundsatz bekanntlich nach dem Wohnsitz des Beklagten und nicht nach seinem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. Art. 2).

88 Siehe de Winter (vorige Note). 89 In diesem Sinne auch Graveson, FS Ago IV136, der vom gewöhnlichen Aufenthalt als „a realistic meeting point of the two ancient conceptual rivals of domicile and nationality" spricht. 90 Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15. 4. 1958, BGBl. 1961 II 1006, und Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10. 1973, BGBl. 1986II826. Ebenso wie bei den Unterhaltsübereinkommen tritt in den Beziehungen der Vertragsstaaten zueinander die neuere Konvention an die Stelle der älteren (vgl. Art. 29 des Übereinkommens von 1973). 91 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9. 1968, BGBl. 1972II774. 92 Siehe Bericht Jenard zu Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ.

d) Internationales Erbrecht

Das Internationale Erbrecht stellt im autonomen deutschen IPR herkömm­ licherweise eine der Hauptdomänen des Staatsangehörigkeitsprinzips dar. Auf der Haager Konferenz geht man dagegen in neuerer Zeit auch in diesem Bereich mehr und mehr zur Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt über93. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf das neue Erbrechtsübereinkomtnen von 198994. Mit dieser Konvention wird der rechtspolitisch und dogmatisch interessante Versuch unternommen, auf dem von so unter­ schiedlichen nationalen Traditionen geprägten Gebiet des Internationalen Erb­ rechts zu einem Ausgleich zwischen den Rechtsvorstellungen der Staaten des Domizilgrundsatzes und denen des Staatsangehörigkeitsprinzips zu gelangen95. Zu diesem Zweck ist für das Abkommen eine vielfältig differenzierende Lösung entwickelt worden. Danach ist gemäß Art. 3 grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers maßgeblich, sofern der Erblasser gleichzeitig die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates besessen hat. Fallen gewöhnlicher Aufenthalt und Staatsangehörigkeit auseinander, so ist Aufent­ haltsrecht unter der Voraussetzung anwendbar, daß der Erblasser sich in dem fremden Staat mindestens fünfJahre unmittelbar vor seinem Ableben aufgehal­ ten hat. Ansonsten gilt sein Heimatrecht, allerdings nur unter dem Vorbehalt, daß im Todeszeitpunkt nicht engere Verbindungen zu einem anderen Staat bestanden haben. Darüber hinaus steht dem Erblasser gemäß Art. 5 auch die Möglichkeit der Rechts wähl zur Verfügung. Der Kompromißcharakter der Regelung ist unverkennbar. Er war Vorausset­ zung dafür, daß es überhaupt zu einer Einigung kam. Eine Regelung, die allein auf den gewöhnlichen Aufenthalt oder auf die Staatsangehörigkeit abgestellt hätte, wäre - wie sich schon im Vorfeld der Konferenz zeigte - unter den beteiligten Regierungen nicht konsensfähig gewesen. Doch ist nicht zu überse­ hen, daß die zentrale Vorschrift des Art. 3 im Ergebnis zu einem gewissen Übergewicht der Aufenthaltsanknüpfung gegenüber der Staatsangehörigkeits­ anknüpfung führt96. Dagegen wird der traditionelle Begriff des Wohnsitzes, anders als noch im Haager Testamentsformübereinkommen von 1961, in der neuen Erbrechtskonvention überhaupt nicht mehr verwendet97. Gegen die ausschließliche Anknüpfung des Erbstatuts an den letzten gewöhn93 Das Testamentsformübereinkommen vom 5.10. 1961, BGBl. 1965 II 1145, bildete einen ersten Schritt in diese Richtung. So sieht dieses Abkommen in Art. 1, im Interesse eines möglichst weitgehenden favor testamenti, neben dem Errichtungsort, der Staatsangehörigkeit des Testators und seinem Wohnsitz, auch den gewöhnlichen Aufenthalt als Anknüpfungspunkt vor; vgl. näher Scheucher, ZfRV 1965, 86; Volken, FS von Overbeck 588f. 94 Übereinkommen über das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht vom 1. 8. 1989; Text in Actes et doc. 16 (1988-11) 514. Die Konvention ist bisher noch nicht in Kraft getreten. 95 Siehe näher van Loon, MittRhNotK 1989, 12; Lagarde, Rev. crit. 78 (1989) 253 ff. 96 Dieser Umstand hat dem Abkommen im Schrifttum zum Teil Kritik eingetragen, vgl. insbesondere Kunz, ZRP 1990, 214. 97 Der Abkommensbericht von Waters verweist zur Begründung dafür auf die, so wörtlich,

liehen Aufenthalt des Erblassers hatte sich vor allem die deutsche Bundesregie­ rung in ihrer Stellungnahme zum Vorentwurf ausgesprochen98. Sie machte vornehmlich geltend, daß die Ermittlung des letzten gewöhnlichen Aufenthalts mit größeren Unsicherheiten verbunden sei als die Feststellung der letzten Staatsangehörigkeit des Verstorbenen. Auch seien die Beziehungen des Erblas­ sers zu seiner Heimatrechtsordnung regelmäßig enger als zu der Rechtsordnung des Staates, in dem er sich gewöhnlich aufgehalten habe. Andere Staaten, wie namentlich Israel99, hielten dagegen die Aufnahme der Staatsangehörigkeitsanknüpfung zusätzlich zur Aufenthaltsanknüpfung für nicht erforderlich. Ihrer Ansicht nach führte dies nur zu einer unnötigen Kom­ plizierung der Konventionsregelung. Angesichts der recht komplizierten Fas­ sung, die der erwähnte Art. 3 im endgültigen Konventionstext erfahren hat, haben die Befürchtungen dieser Staaten sich im Ergebnis (leider) bestätigt. Die übrigen Regierungen betonen in ihren Äußerungen vornehmlich die Notwendigkeit eines Kompromisses zwischen den widerstreitenden nationalen Konzeptionen100. Die meisten von ihnen lassen jedoch deutlich erkennen, daß sie das in der Konvention vorgesehene Übergewicht des gewöhnlichen Aufent­ halts gegenüber der Staatsangehörigkeit im Grundsatz begrüßen101. Ob und wann die Erbrechtskonvention in Kraft treten wird, ist derzeit noch ungewiß. Bis zum 1. August 1993 hatten sie nur Argentinien und die Schweiz unterzeichnet, aber noch kein Staat ratifiziert102. Die offizielle deutsche Position ist eher zurückhaltend. Von Seiten des Bundesjustizministeriums ist darauf hingewiesen worden103, daß die Konvention erheblich von den Grundsätzen abweiche, die der Neuregelung des autonomen IPR von 1986 zugrunde liegen. Für die nähere Zukunft sei eine Zeichnung durch die Bundesrepublik daher nicht beabsichtigt. Im Interesse einer sinnvollen Fortentwicklung des Internationalen Erbrechts wäre es indes zu begrüßen, wenn die Bundesrepublik ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Haager Erbrechtsübereinkommen noch einmal über­ denken würde. Mit einem starren Festhalten am Heimatprinzip allein dürfte jedenfalls der in Zukunft zu erwartende Anstieg aufwendiger Fremdrechtsnach­ lässe auf Dauer nicht zu bewältigen sein104. „oddities", die für die nationalen Wohnsitzbegriffe charakteristisch seien; vgl. Actes et Doc. 16 (1988-11) 548f. (Nr. 51). 98 Actes et Doc. 16 (1988-11) 284. 99 Vgl. Actes et Doc. 16 (1988-11) 291 (Nr. 2). 100 Siehe besonders die Stellungnahmen der spanischen, amerikanischen und italienischen Regierungen, Actes et Doc. 16 (1988-11) 286, 287 und 292. 101 Vgl. etwa die Bemerkungen der Regierungen Finnlands, Großbritanniens und Schwe­ dens, Actes et Doc. 16 (1988-11) 289, 296 und 300. 102 Vgl. die Übersicht in N. I. L.R. 40 (1993) 291. 103 Siehe die Antwort des damaligen Bundesministers der Justiz, Engelhardt (FDP), vom 23.10. 1989 auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Lambinus, BT-Drucks. 11/ 5502, 5. 104 Vgl. auch Basedow, NJW 1986, 2977, der mit Recht darauf hinweist, daß wenn auch nur der größere Teil der über 4 Millionen in Deutschland lebenden Ausländer hier im Alter wohnen bleibe, den deutschen Gerichten eine Lawine von Fremdrechtsnachlässen drohe.

VI. IPR-Neuregelungsgesetz von 1986 Der internationalen Entwicklung entsprechend hat sich das deutsche IPR im Zuge der Reform von 1986 dem Aufenthaltsgrundsatz weiter geöffnet. Späte­ stens seit Inkrafttreten des Neuregelungsgesetzes ist daher Kropholler zuzustim­ men, der schon 1972 davon gesprochen hat, daß der gewöhnliche Aufenthalt neben der Staatsangehörigkeit zur „zweiten tragenden Säule des deutschen IPR“ geworden sei105. 1. Im Bereich des Personalstatuts war es die Absicht des Reformgesetzgebers, grundsätzlich am Staatsangehörigkeitsprinzip festzuhalten106. Das IPR-Neuregelungsgesetz sieht hier jedoch gewichtige Einschränkungen und Ausnahmen zugunsten der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt vor107. Zusam­ mengenommen führen sie dazu, daß der Aufenthaltsgrundsatz in seiner Bedeu­ tung nicht mehr allzuweit hinter dem Heimatprinzip zurücksteht. So gilt in Übernahme der Bestimmungen des Haager Unterhaltsübereinkom­ mens von 1973 gemäß Art. 18 EGBGB für Unterhalts Verpflichtungen in erster Linie das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Berechtigten. Das Familiensta­ tut beurteilt sich bei verschiedener Staatsangehörigkeit der Ehegatten ebenfalls nach Aufenthaltsrecht (Art. 141 Nr. 2). Weiterhin ist im Recht des Namens und der persönlichen sowie güterrechtlichen Ehewirkungen unter bestimmten Be­ dingungen die Wahl des Aufenthaltsrechts möglich (Art. 10II Nr. 2, III Nr. 2108; Art. 14 II, III; Art. 15 II Nr. 2). Der Anknüpfungsbegriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird darüber hinaus beim Schutz Dritter im Güterrecht (Art. 16 I) und in einer speziellen Vorbehaltsklausel des Eheschließungsrechts (Art. 13 II Nr. 1) verwendet. Schließlich ist auch im Kindschaftsrecht in unterschiedlichen Zusammenhängen Aufenthaltsrecht anwendbar (Art. 1914, II2, III; Art. 2013, II). 2. Zur Stärkung des Aufenthaltsprinzips hat auch die teilweise Neuordnung des Systems der internationalen Zuständigkeiten beigetragen. So wird in den neuen besonderen Zuständigkeitsvorschriften durchweg alternativ an die Staatsange­ hörigkeit und den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft. Beide Anknüpfungs­

105 Kropholler, JZ 1972, 16; siehe auch ders., RabelsZ 52 (1988) 774. 106 Siehe BegrRegE, BT-Drucks. 10/504, 30 = Pirrung 106. Pitschas, Nation und Staat 111, hält die Grundentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Staatsangehörigkeit im Hinblick auf die Vorgaben des Grundgesetzes sogar „von Verfassungs wegen für unverzicht­ bar“. Doch bleibt unerfindlich, aus welchem Grunde Staatsangehörigkeitsprinzip und Aufent­ haltsprinzip „verfassungsrechtlich nicht gleichwertig“ sein sollen. Siehe dazu auch die zutref­ fende Kritik bei von Bar, RabelsZ 55 (1991) 396. 107 Noch weitergehend Art. 29 des Reformentwurfs von Neuhaus/Kropholler, RabelsZ 44 (1980) 335, der im Bereich des Personalstatuts den gewöhnlichen Aufenthalt als Regelan­ knüpfung empfiehlt; vgl. auch Neuhaus, FamRZ 1981, 742f. 108 Art. 10 EGBGB in der durch Art. 2 FamNamRG vom 16.12. 1993 geänderten Fassung, BGBl. 199312054.

punkte stehen also gleichrangig nebeneinander109. Im einzelnen ist für die streiti­ ge Gerichtsbarkeit neben der Heimatzuständigkeit eine Aufenthaltszuständig­ keit in Ehe-, Kindschafts- und Entmündigungssachen vorgesehen (SS 606 a I, 640 a, 648 a I Nr. 2 ZPO). Für die Freiwillige Gerichtsbarkeit besteht eine solche Zuständigkeit in Vormundschafts- und Pflegschaftssachen, bei der Ehelicher­ klärung sowie in Adoptionssachen (§§35 a I Nr. 2, 43 a I Nr. 2, 43 b I Nr. 2 FGG).

109 Ungenau daher Firsching 106, der von einem System der Heimatzuständigkeit mit (lediglich) ergänzender Aufenthaltszuständigkeit spricht.

§ 2 Inhaltliche Grundlagen „Mit dem gewöhnlichen Aufenthalt scheint es mir so zu gehen wie mit einem Elefanten: Es ist leichter ihn zu erkennen, als ihn zu definieren.“1 Diese Feststel­ lung des früheren Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof, Warner, faßt am prägnantesten die Schwierigkeiten zusammen, mit der sich eine Begriffsbe­ stimmung im Falle des gewöhnlichen Aufenthalts konfrontiert sieht. So ist es Literatur und Rechtsprechung bislang nur zum Teil gelungen, den wesentlichen Gehalt des Begriffs herauszuarbeiten. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzufüh­ ren, daß die Betrachtung von Einzelproblemen bei der Erörterung des gewöhn­ lichen Aufenthalts häufig zu sehr im Vordergrund steht, während die grundle­ genden inhaltlichen Fragen, wenn überhaupt, nur am Rande behandelt werden. Im Unterschied dazu werden hier zunächst die konstitutiven Merkmale und Eigenheiten des Begriffs dargestellt, bevor in den folgenden Paragraphen auf einzelne Aspekte näher eingegangen wird. Dabei bietet es sich an, im Rahmen einer ersten inhaltlichen Annäherung danach zu fragen, welche gesetzlichen Umschreibungen des gewöhnlichen Aufenthalts bereits existieren und inwie­ weit diese den Begriff zu erhellen vermögen (A). Im Anschluß werden die bisherigen Ansätze einer Umschreibung des Ausdrucks in Literatur und Recht­ sprechung untersucht und systematisiert (B). Abschließend wird das neuere Verständnis des Begriffs, wie es sich nach den beiden vorhergehenden Abschnit­ ten darstellt, einer inhaltlichen Beurteilung unterzogen (C).

A. Gesetzliche Umschreibungen Der Ausdruck „gesetzliche“ Umschreibungen wird hier umfassend verstan­ den. So werden nicht nur in einem engeren Sinne die Definitionen des Begriffs gewöhnlicher Aufenthalt in nationalen Gesetzestexten erfaßt (II), sondern auch die in dieser Hinsicht auf internationaler Ebene zu beobachtenden „quasilegisla­ torischen“ Bemühungen (I).

I. Bemühungen auf internationaler Ebene Der gewöhnliche Aufenthalt hat als Anknüpfungsbegriff in zahlreiche inter­ nationalen Verträge Eingang gefunden. Dies gilt in besonderem Maße für die 1 GA Warner, EuGH 17.2. 1976 - Rs 42/75, Delvaux/Kommission, Sig. 1976, 179.

Haager Konventionen, von denen bereits ausführlicher in ihrer geschichtlichen Bedeutung für das Aufenthaltsprinzip die Rede war2. Die Verwendung des Begriffs beschränkt sich indes nicht auf die Haager Abkommen. So hat sich auch die Europäische Gemeinschaft schon mehrfach der Anknüpfung an den ge­ wöhnlichen Aufenthalt bedient3, etwa im Schuldvertragsübereinkommen von 19804 oder in Art. 7 der Zweiten Schadensversicherungsrichtlinie vom 22. 6. 19885. Ebenso begegnet der Ausdruck an verschiedenen Stellen in dem auf die Vereinten Nationen zurückgehenden Wiener Kaufrechtsübereinkommen von 19806. Angesichts der weiten Verbreitung des gewöhnlichen Aufenthalts in internationalen Konventionen und Rechtsakten erscheint der Gedanke nicht fernliegend, auch den Inhalt des Begriffs auf überstaatlicher Ebene verbindlich festzulegen. Doch sind Anstrengungen in dieser Richtung bisher vereinzelt und ohne durchschlagenden Erfolg geblieben.

1. Europarat

Den bekanntesten und bislang umfassendsten Versuch, den gewöhnlichen Aufenthalt näher zu umschreiben, hat der Europarat in seiner Empfehlung zur Vereinheitlichung der Rechtsbegrijfe „ Wohnsitz“ und „Aufenthalt“ aus dem Jahre 1972 unternommen7. Die Empfehlung geht von der zutreffenden Annahme aus, daß „die Wirksam­ keit der Bemühungen um die Vereinheitlichung der nationalen Rechte in wei­ tem Ausmaß von der Vereinheitlichung der Rechtsgrundbegriffe abhänge“8. Im erläuternden Bericht, der über die der Resolution zugrundeliegenden Motive ihrer Schöpfer Auskunft geben soll, wird dazu näher ausgeführt9, daß eine Harmonisierung der rechtlichen Grundbegriffe die einheitliche Auslegung der zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Verträge erleichtern würde. Zu­ gleich könnte dadurch auch der Abschluß von Abkommen auf anderen Rechts­ 2 Siehe oben §1. 3 Zum EG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) siehe schon oben § 1 V 2 c); zur Bedeutung des gewöhnlichen Aufenthalts im EuGVÜ siehe Kropholler Art. 5 EuGVÜ Rz. 21. 4 Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. 6. 1980, BGBl. 198611810. 5 ABI. EG 1988 Nr. L 172, 1; siehe auch Art. 4 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie vom 8. 11. 1990, ABI. EG 1990 Nr. L 330, 50. 6 Wiener Übereinkommen über den internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 11.4. 1980, BGBl. 1989II 588; siehe etwa Art. 10 b und 24 des Übereinkommens. 7 Resolution des Ministerrats 72 (1) vom 18. 1. 1972; veröffentlicht in der authentischen englischen und französischen Version im Annuaire Europeen 20 (1974) 320ff.; englische Fassung mit Motivenbericht außerdem abgedruckt in N. T. LR. 20 (1973) 213 ff.; nicht amtliche deutsche Übersetzung mit einer Vorbemerkung von Loewe in ÖJZ 1974, 144ff. 8 Vgl. den 4. Absatz der Resolutions-Präambel. 9 Siehe insbesondere Motivenbericht Nr. 1-3.

gebieten gefördert werden, da die verwendeten Begriffe für alle Mitgliedstaaten den selben Inhalt hätten und nicht zu Mißverständnissen Anlaß gäben. a) Zu den Grundbegriffen, die in den Rechtsordnungen aller europäischen Staaten Verwendung finden, gehören nach Ansicht des Europarats an erster Stelle der ,fWohnsitz(< und der „Aufenthalt“, Den Verfassern der Entschließung erschien es deshalb nützlich, für die Bedeutung dieser beiden Ausdrücke interna­ tionale Übereinstimmung anzustreben10. Dabei zielt die Resolution auf eine Harmonisierung der Begriffe für ihre Anwendung sowohl auf innerstaatlicher wie auch auf internationaler Ebene11. Freilich gestattet es der Wortlaut der Entschließung, daß sich die Staaten nur bei der Anwendung der Begriffe im internationalen Bereich an die von ihr aufgestellten Regeln halten. Die einschlägigen Regeln über den Aufenthalt („residence“, „residence“) haben im einzelnen folgenden Wortlaut: „Nr. 7. Der Aufenthalt einer Person bestimmt sich ausschließlich nach tatsächlichen Um­ ständen; er hängt nicht von einer Aufenthaltserlaubnis ab. Nr. 8. Eine Person hat einen Aufenthalt in einem Land, in dem eine bestimmte Rechtsord­ nung gilt, oder an einem Ort, der in einem solchen Land liegt, wenn sie dort während eines gewissen Zeitraums wohnt. Die Anwesenheit muß nicht notwendigerweise ununterbrochen andauern. Nr. 9. Für die Frage, ob ein Aufenthalt als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen ist, sind die Dauer und die Beständigkeit des Aufenthalts sowie andere Umstände persönlicher oder berufli­ cher Art zu berücksichtigen, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. Nr. 10. Die freiwillige Begründung eines Aufenthalts und die Absicht des Betreffenden, diesen Aufenthalt beizubehalten, sind keine Voraussetzungen für das Bestehen eines Aufent­ halts oder eines gewöhnlichen Aufenthalts. Die Absichten der Person können aber bei der Bestimmung, ob sie einen Aufenthalt hat und welcher Art dieser Aufenthalt ist, berücksichtigt werden. Nr. 11. Der Aufenthalt oder der gewöhnliche Aufenthalt einer Person hängt nicht von dem einer anderen Person ab. “

Zur Rechtsnatur der Entschließung ist anzumerken, daß diese rein empfehlen­ den Charakter besitzt. Die Resolution hat daher für die Mitgliedstaaten keine bindenden Verpflichtungen zur Umsetzung in innerstaatliches Recht begrün­ det12. Die Staaten können sich nach den von der Entschließung aufgestellten Empfehlungen richten, sie müssen es jedoch nicht. In Deutschland hat man die Empfehlungen des Europarats bisher nicht in das geltende Recht übernommen. Es wird lediglich in den Gesetzesmaterialien zum IPR-Neuregelungsgesetz von 1986 im Zusammenhang mit dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts auf die Entschließung hingewiesen13, ohne daß da­ mit unmittelbare rechtliche Konsequenzen verbunden wären. Anders stellt sich die Situation in Österreich dar. Hier haben im Zuge der Zivilverfahrensnovelle von 1983 die Kernaussagen der Nr. 7-11 der Resolution 10 11 12 13

So Motivenbericht Nr. 3. Siehe Motivenbericht Nr. 6. So ausdrücklich auch Motivenbericht Nr. 7. Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 10/504, 41 f. = Pirrung 122.

im Wortlaut in die Vorschrift des § 66 IIJN über den allgemeinen Gerichtsstand Eingang gefunden14. Soweit ersichtlich ist der österreichische Gesetzgeber da­ mit bisher der einzige in Europa, der den Empfehlungen des Europarats für einen Teilbereich seines innerstaatlichen Rechts weitgehend gefolgt ist. Die größte Wirkung haben die Empfehlungen des Europarats interessanter­ weise außerhalb Europas auf das Kollisionsrecht der Seychellen ausgeübt. Auf den Seychellen, in denen bis zur Loslösung von Großbritannien eine Rechtsord­ nung galt, die gleichzeitig sowohl auf englischen als auch auf französischen Rechts vorstellungen beruhte15, trat mit der staatlichen Unabhängigkeit im Jahre 1976 auch ein neues Zivilgesetzbuch in Kraft16. Unter dem Einfluß von A. G. Chloros, dem maßgeblichen Berater der Regierung bei der Schaffung des neuen Gesetzbuchs17, sieht das Gesetz unter anderem Definitionen für die in ihm verwendeten Begriffe „Domicil" und „Residence“ vor, die inhaltlich den Vor­ schlägen des Europarats folgen. Die Empfehlungen Nr. 7 und 9 der Resolution fanden dabei mit nur geringfügigen Änderungen in die Definition der „Residen­ ce“ in Art. 102 des Zivilgesetzbuchs Eingang18. Ausschlaggebend für die Über­ nahme der Umschreibungen war für den Gesetzgeber der Umstand19, daß die Seychellen auf diese Weise von einer „international anerkannten Definition“ profitieren könnten, die nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Vertrauen der Wirtschaft in den Bereichen schaffe, in denen die Begründung eines gewöhnli­ chen Aufenthalts von Bedeutung sei. Den Gesetzgeber haben danach bei seiner Entscheidung auch handfeste wirtschaftspolitische Motive geleitet, was selbst­ verständlich legitim ist. Eine weitere Aufwertung haben die Empfehlungen des Europarats durch die jüngsten Arbeiten der Haager Konferenz erfahren. So hat das Ständige Büro der Haager Konferenz in den Vorarbeiten zum Erbrechtsübereinkommen von 198920 im Rahmen seiner Vorschläge für eine mögliche Definition eines An­ 14 § 66II JN sieht vor, daß der allgemeine Gerichtsstand einer Person alternativ zum Wohn­ sitz auch durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet wird. 15 Dieser bemerkenswerte Umstand ist darauf zurückzuführen, daß auf den Seychellen unter französischer Kolonialherrschaft in den Jahren 1808/09 der französische Code civil und Code de commerce eingeführt wurden. Als die Seychellen dann im Jahre 1814 von Frankreich an Großbritannien abgetreten wurden, schaffte die neue britische Kolonialmacht das französische Recht nicht ab, sondern es entwickelte sich parallel dazu eine englisch geprägte Gesetzgebung und Rechtsprechung; vgl. CHLOROS 1 f. 16 Civil Code of Seychelles (CCSey), veröffentlicht als Supplement to Seychelles Gazette vom 25. 8. 1975. 17 Zur Entstehungsgeschichte siehe McClean 21. 18 Die maßgeblichen Absätze von Art. 102 CCSey lauten: „1. The Residence of a person shall be the place in which he resides in fact and shall not depend upon his legal right to reside in a country. 2. In determining whether a person is habitually resident in a place account shall be taken of the duration and continuity of the residence as well as of other facts of a personal or Professional nature which point to durable ties between a person and his residence [...].“ 19 Siehe Chloros 15. 20 Zu der Erbrechtskonvention siehe bereits oben § 1 V2 d).

knüpfungspunkts21, der auf dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt basiert, ausdrücklich auf die Entschließung des Europarats hingewiesen. Im Anhang dieses Dokuments ist die Entschließung sogar im Wortlaut abge­ druckt22. In den eigentlichen Konventionstext sind die Empfehlungen später freilich nicht eingegangen. Doch signalisiert ihre Erwähnung in den travaux preparatoires, daß ein Rückgriff auf die Empfehlungen zum Zweck der Ausle­ gung des gewöhnlichen Aufenthalts auch innerhalb der Haager Konventionen zulässig, ja sogar erwünscht ist23. Die Empfehlungen wenden sich indes nicht nur an die nationalen Gesetzgeber oder mit Rechtsvereinheitlichung befaßte Institutionen, sondern ebenso an Rechtsprechung und Wissenschaft24. In der deutschen Judikatur haben sie jüngst wohl zum ersten Mal in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Bereich des Internationalen Familienrechts Erwähnung gefunden25. Auch der österreichische Oberste Gerichtshof und andere österreichische Gerichte haben die Resolution bei der Auslegung des gewöhnlichen Aufenthalts im österreichi­ schen Kollisionsrecht vereinzelt als Entscheidungshilfe herangezogen26. Im in­ ternationalprivatrechtlichen Schrifttum werden die Empfehlungen des Europa­ rats häufiger genannt, regelmäßig jedoch ohne sich inhaltlich mit ihnen näher auseinanderzusetzen. b) Eine inhaltliche Bewertung der Entschließung ergibt ein geteiltes Bild. Grundsätzliche Zustimmung verdient zunächst ihr rechtspolitisches Anliegen der Förderung eines einheitlichen europäischen Verständnisses der Begriffe „Aufenthalt“ und „Wohnsitz“27. Freilich liegt in der weiten Zielsetzung bereits eine wesentliche Schwäche der Resolution angelegt. Denn zu umfassend ist ihr Anspruch, den Begriff sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene und über die Grenzen des eigentlichen Kollisionsrechts hinaus vereinheitlichen zu wollen. Die Entschlie­ ßung konnte deswegen notwendigerweise nur recht allgemeine Empfehlungen aussprechen, ein Umstand, der ihren Wert für die Praxis nicht unerheblich mindert. Hinzu kommt, daß die Regeln über den „Aufenthalt“ nicht hinreichend 21 Vgl. Actes et Doc. 16 (1988-11) 196ff; siehe dazu sogleich unter 2. 22 Siehe Actes et Doc. 16 (1988-11) 200 f. 23 Dagegen hält Hoyer, IPRax 1984, 165 N. 5, die Heranziehung der Empfehlungen im Rahmen der Haager Abkommen unrichtigerweise für nicht möglich. 24 Vgl. Motivenbericht Nr. 7. 25 BGH 3. 2. 1993, NJW 1993, 2047= FamRZ 1993, 798 = IPRax 1994, 131, 100 Aufsatz von Bar = LM Nr. 2 zu Art. 14 EGBGB 1986 mit Anm. Otte. 26 Vgl. OGH 22.5. 1985, IPRE 2 Nr. 137; LGZ Wien: 28.1. 1988, EFSlg. 57.684; 6. 12. 1989, EFSlg. 60.459. 27 Im internationalen Schrifttum wird, sofern überhaupt Stellung bezogen wird, die Resolu­ tion im allgemeinen positiver als hier bewertet, so etwa bei Basedow, NJW 1986, 2975; Baumann 26; Dashwood/Hacon/White 25; Dölle/Herber Art. 1 EKG Rz. 25; Keller/Siehr 322f; Köhler/Gürtler 32; Kropholler, IPR 255; Nadelmann, Harv. Int. L.J. 15 (1974) 235; North, Rec. des Cours 220 (1990-1) 26; Pälsson 77 ff.

zwischen dem Begriff des (schlichten) Aufenthalts und dem des gewöhnlichen Aufenthalts unterscheiden. Den Empfehlungen gelingt es damit nicht, zum eigentlichen Wesen des gewöhnlichen Aufenthalts vorzustoßen. Zu Recht be­ mängelt Schwind daher28, daß die Frage, was „gewöhnlicher Aufenthalt“ sei, in der Resolution letztlich ungeklärt bleibe. Auf der anderen Seite kann die Entschließung als zusätzliche Argumenta­ tionshilfe bei der Lösung einzelner Probleme von Nutzen sein29, insbesondere, wenn man den umfangreicheren Motivenbericht mit einbezieht30. Allerdings werden auch im Motivenbericht lange nicht alle Fragen angesprochen, die sich im Zusammenhang mit dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts stellen.

2. Haager Konferenz

Im Unterschied zum Europarat hat die Haager Konferenz den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts bisher nicht definiert. Eine verbindliche Umschrei­ bung ist wohl auf absehbare Zeit auch nicht zu erwarten. Diese Enthaltsamkeit überrascht angesichts der Tatsache, daß der Begriff in seiner heutigen Bedeu­ tung für das Kollisionsrecht maßgeblich durch die Arbeiten der Haager Konfe­ renz geprägt worden ist. Lediglich in den Beratungen der Konferenz hat die Frage einer möglichen Legaldefinition verschiedentlich eine Rolle gespielt, so insbesondere während der Vorarbeiten zum Adoptionsabkommen von 1965 und zum Erbrechtsübereinkommen von 1989. a) Vorarbeiten zum Adoptionsabkommen von 1965

(1) Anläßlich der Beratung des Adoptionsabkommens von 196531 wurde wohl erstmalig auf einer Haager Konferenz ausführlicher die Frage erörtert, ob der Ausdruck „gewöhnlicher Aufenthalt“ in einer Definition umschrieben werden sollte32. Die Diskussion dieses Problems ging von dem amerikanischen Dele­ gierten Reese aus, der befürchtete, daß Auslegungsprobleme auftreten könnten, da der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in den USA bisher unbekannt sei. Der Präsident der zweiten Kommission, Schwind, entgegnete darauf mit dem Hinweis, daß eine solche Definition von der anwendbaren Rechtsordnung abhängig sei. Im Gegensatz zu Reese hielt er es daher für Vorzugswürdig, den Ausdruck in der Konvention nicht näher zu bestimmen. Dem dagegen von dem amerikanischen Delegierten geäußerten Bedenken, daß unter dieser Vorausset­ zung die einheitliche Anwendung des Begriffs in allen Vertragsstaaten gefährdet 28 IPR Rz. 189; in die gleiche Richtung weist auch die Kritik von Neuhaus 235 N. 649. 29 Insofern ist dem OGH und dem LGZ Wien (oben N. 26) beizupflichten. 30 Als Argumentationshilfe wird die Entschließung auch im weiteren Verlauf dieser Unter­ suchung Verwendung finden. 31 Zum Adoptionsabkommen siehe schon oben § 1 V 2 b (2). 32 Zum folgenden siehe Actes et Doc. 10 (1964-11) 200f.

sei, widersprachen die Delegierten De Nova und de Winter. Sie verwiesen darauf, daß es sich bei dem gewöhnlichen Aufenthalt um einen Tatsachenbegriff handele und es dem Richter überlassen werden müsse zu beurteilen, welche tatsächlichen Umstände erfoderlich seien. Im Ergebnis konnte sich Reese mit seiner Forde­ rung nach einer Legaldefintion ebensowenig durchsetzen wie mit der Anregung, den Begriff der „residence habituelle“ durch den Zusatz „principale" zu ergän­ zen, wodurch er sich eine leichtere gerichtliche Entscheidungsfindung im Falle des Zusammentreffens mehrerer gewöhnlicher Aufenthalte erhoffte. (2) Insgesamt erstaunt, wie leichthin die Einwände des amerikanischen Dele­ gierten von der Konferenz verworfen wurden. Die Befürchtung, daß ohne eine allgemein verbindliche Definition des gewöhnlichen Aufenthalts die einheitliche Auslegung des Begriffs gefährdet sei, läßt sich nämlich nicht so ohne weiteres von der Hand weisen. Nationale Divergenzen im Verständnis des gewöhnlichen Aufenthalts könnten den Ausdruck ähnlich diskreditieren wie den Wohnsitzbe­ griff, dessen entscheidender Nachteil - seine unterschiedliche nationale Festle­ gung - durch die Verwendung des Aufenthaltsbegriffs gerade vermieden wer­ den sollte. Daher ist auch das Argument Schwinds, die Definition des Ausdrucks sei von der jeweils anwendbaren nationalen Rechtsordnung abhängig, höchst bedenklich. Allein durch den Hinweis De Novas und de Winters auf die „fakti­ sche“ Prägung des gewöhnlichen Aufenthalts ist die Gefahr einer unterschied­ lichen Auslegung in den einzelnen Staaten jedenfalls nicht zu bannen.

b) Vorarbeiten zur Erbrechtskonvention von 1989 (1) Fast 25 Jahre später während der Vorarbeiten zur neuen Erbrechtskonven­ tion von 1989 wurde die Frage der Umschreibung des Ausdrucks „gewöhnlicher Aufenthalt“ erneut aufgeworfen33. Angesprochen und diskutiert wurde das Thema vor Beginn der eigentlichen Tagung der Konferenz im Rahmen des mit vorbereitenden Arbeiten befaßten Spezialkommitees. Große Probleme bereitete dem Spezialkommitee dabei vor allem die Suche nach dem für das Erbrechts­ übereinkommen am besten geeigneten Anknüpfungssystem. Das von einem besonderen Konventionsdomizil ausgehende Anknüpfungssystem der Renvoi­ Konvention von 195534 wurde für die Zwecke der Erbrechtskonvention als ungeeignet verworfen35. Aber auch der gewöhnliche Aufenthalt stellte nach Meinung dieses Gremiums allein einen zu schwachen Anknüpfungspunkt dar, um die erbrechtlichen Verhältnisse zu bestimmen36. Erforderlich seien vielmehr weitere, den gewöhnlichen Aufenthalt der Person besonders qualifizierende Umstände. In diesem Zusammenhang tauchte auch die Frage nach einer mögli­ chen Definition des gewöhnlichen Aufenthalts auf. Im Kommitee selber standen sich, was die Art und den Inhalt einer eventuellen 33 34 35 36

Zu den Grundlagen des Erbrechtsübereinkommens von 1989 siehe oben § 1V 2 d). Siehe dazu ausführlich oben § 1 V2 a). Vgl. Actes et Doc. 16 (1988-11) 190£ (Nr. 14). Vgl. Actes et Doc. 16(1988-11) 190 ff. (Nr. 16).

Legaldefinition des Begriffs anbelangt, im Grundsatz zwei Lager gegenüber, zwischen deren unterschiedlichen Positionen, so schien es zunächst, kaum ein Ausgleich zu finden sein würde. Die erste Gruppe von Delegierten bevorzug­ te aus Gründen der Klarheit und Vorhersehbarkeit eine auf rein objektiven Kriterien basierende Umschreibung. Als denkbare Kriterien wurden etwa die Länge des Aufenthalts, familiäre Beziehungen, die Lage von Vermögenswer­ ten sowie berufliche, soziale und ökonomische Bindungen genannt. Die ande­ re Gruppe von Experten hielt es demgegenüber für notwendig, ein subjektives Element in die Definition aufzunehmen. Für sie gehörte primär die Absicht des Betroffenen, sich in einem Land niederzulassen oder in ein anderes zu­ rückkehren zu wollen, zu den Faktoren, die die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich bestimmen müßten. Innerhalb dieses Lagers traten einige Experten dafür ein, die Absicht des Betroffenen an eine Vermutung zu knüpfen, die etwa auf der Länge des Aufenthalts basieren könnte. Andere wiederum sprachen sich dafür aus, daß die Absicht nur dann in Betracht ge­ zogen werden dürfe, wenn sie klar zum Ausdruck gebracht worden sei. Am Ende der Diskussion konnten die Teilnehmer feststellen, daß der ver­ meintliche Gegensatz zwischen den beiden Standpunkten in Wirklichkeit nicht von so grundsätzlicher Natur war, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. So gelangten die Anhänger einer allein auf objektiven Elementen beru­ henden Definition zu der Überzeugung, daß in bestimmter Hinsicht, etwa bei objektiven Kriterien wie familiären Bindungen oder dem Mittelpunkt der ökonomischen und beruflichen Aktivitäten, man bereits bis zu einem gewis­ sen Grade auch die Absichten der Anknüpfungsperson zu berücksichtigen ha­ be. Auf der anderen Seite mußten auch die Vertreter einer primär auf subjek­ tiven Kriterien basierenden Begriffsbestimmung einräumen, daß es häufig notwendig sei, die Absicht unter Bezugnahme auf objektive Merkmale zu ermitteln. Im Grundsatz gehe es letztlich nach beiden Auffassungen immer um die Entscheidung der Frage, wo der Betroffene seinen Lebensmittelpunkt begründet habe. (2) Auf der Grundlage dieser Beratungen erarbeitete im Anschluß das Stän­ dige Büro der Haager Konferenz „einige Vorschläge im Hinblick auf eine mögliche Definition eines Anknüpfungspunkts, der auf dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt beruht